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Geschichte
der
Litteratur Italiens
Zeitalter der Renaissance
Dr. Gustav Koerting,
ordentl. Professor der romanischen und englischen Philologie
a. d. königl. Akademie zu Münster i. W.
Erster Band.
Petrarca's Leben und Werke.
Leipzig,
F u e s ' s Verlag (R. R e i s 1 a n d).
1878.
Kl«."?»^
Petrarca's
Leben und Werke
von
Dr. Grnstay Koerting,
ordentl. Profe.-sor cler romanischen und englischen Philologie
a. d. königl. Akademie zu Münster i. W.
Leipzig,
F u e s ' s Verlag (R. R e i s 1 a u d).
1878. /
5t
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen bleibt vorbehalten.
Herrn
Professor Dr. Adolf Ebert
in Leipzig,
seinem hochverehrten Lehrer,
in aufrichtigster Dankbarkeit
der Verfasser.
Vorwort.
VV ährend äie Geschichte der politischen Verhältnisse, der
Cultur und namentlich der bildenden Kunst Italiens in dem
Zeitalter der Renaissance bereits in zahlreichen und vortreff-
lichen Werken erzählt worden ist, ist auffallenderweise die
Geschichte der Litteratur Italiens in diesem Zeitalter noch
niemals zum Gegenstande einer eingehenden und zusammen-
hängenden Darstellung gemacht worden.
Dies soll nun in dem Werke geschehen, dessen erster
Band hiermit der Oeflfentlichkeit übergeben wird.
Ich beabsichtige, in diesem Werke die Geschichte der
Litteratur Italiens — und zwar sowol der italienischen wie
der lateinischen, da eine Beschränkung auf die eine von beiden
mir völlig unstatthaft erscheint — von Petrarca bis zu Tasso
darzustellen. Wohl weiss ich, dass das Zeitalter der italie-
nischen Renaissance auch anders abgegrenzt werden kann,
aber ich glaube, unter den verschiedenen Möglichkeiten die
berechtigteste erwählt zu haben, und ich hoffe, dass die Kenner
der italienischen Litteraturgeschichte mir darin ohne Bedenken
beistimmen werden, wesshalb ich auf eine Darlegung meiner
Gründe verzichte.
y
VIII Vorwort.
Es erschien mir am angemessensten, den beiden ersten
Bänden meines Werkes, welche Petrarca und Boccaccio ge-
widmet sein sollen, die Form einer Biographie zu geben, sowie
ich dies auch bei dem sechsten und letzten, welcher Torquato
Tasso behandeln soll, zu thun gedenke. Auch hier sind die
Gründe, welche mich zu diesem Verfahren bestimmen, zu deut-
lich erkennbar, als dass sie einer Erörterung bedürften.
Da ich nicht weiss, ob mir eine Weiterführung meines
Werkes vergönnt sein werde, so sehnlichst ich dies auch wün-
sche, so habe ich diesem ersten Band eine abgeschlossene
Form gegeben, so dass er eine Einheit für sich bildet und
keiner Fortsetzung und Ergänzung benöthigt ist.
Ich hatte zuerst beabsichtigt, in einer ausführliehen Ein-
leitung allgemeine Betrachtungen über das Wesen, die Ent-
stehung und die Wirkung der Renaissancebildung zu geben,
indessen habe ich es später vorgezogen, dieselben an geeigneten
Stellen in das Werk selbst zu verweben, um die Leser nicht
durch Wiederholungen zu ermüden.
Da ich nicht bloss für Litterarhistoriker von Fach, son-
dern für das gebildete Publicum überhaupt schreiben wollte,
so habe ich nach Möglichkeit sowol alle Specialuntersuchungen
als auch alle Polemik von dem Buche fern gehalten und in
Bezug auf die Citate mir die thunlichste Beschränkung auf-
erlegt. Ich hoffe aber, dass man nichtsdestoweniger dem Buche
die Anerkennung, nach wissenschaftlichen Grundsätzen und mit
Benutzung der einschlägigen umfangreichen Litteratur gear-
beitet zu sein, nicht werde vorenthalten können. Uebrigens
behalte ich mir vor, eine Reihe von Fragen, welche ich jetzt
nur flüchtig berühren konnte, später monographisch eingehend
zu erörtern.
Aufrichtigen Dank habe ich den Verwaltungen der König-
lichen Bibliotheken zu Dresden und Göttingen auszusprechen,
welche in liberalster Weise ihre Schätze meiner Benutzung
Vorwort. IX
zugänglich machten und mir dadurch ganz wesentlich die Ab-
fassung meines Buches erleichterten. Zu besonderem Danke
aber bin ich dem Bibliothekar der hiesigen Paulina, Herrn
Dr. J. Ständer, verpflichtet, welcher mit der grössten Bereit-
willigkeit und Liebenswürdigkeit jeden von mir ausgesprochenen
Wunsch zu erfüllen sich bemühte.
Herzlichst habe ich sodann meinem lieben Freunde, Herrn
Dr. Meltzer in Dresden, zu danken, welcher sich in auf-
opfernder Weise der Durchsicht der Correcturbogen unter-
zogen hat.
Zu danken habeich endlich auch, meinem verehrten Herrn
Verleger, welcher für die Ausstattung des Buches in würdigster
Weise gesorgt hat und auf alle meine Wünsche bereitwillig
eingegangen ist.
Möge das Buch sachkundige und gerechte Beurtheiler
finden und von ihnen der Fortsetzung für würdig erachtet
werden !
Möge es mir vergönnt gewesen sein, ein Seherflein beizu-
steuern zur Förderung der litterargeschichtlichen Wissenschaft!
Münster in Westfalen, am 6. März 1878.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seite
Erstes Capitel.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's 1
Zweites Capitel.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend 41
Drittes Capitel.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahi'e in Vaucluse . . 74
Viertes Capitel.
Die Dichterkrönung . 155
Fünftes Capitel.
Parma und Vaucluse 185
Sechstes Capitel.
Petrarca in Mailand 292
Siebentes Capitel.
Die Jahre des Alters 356
Achtes Capitel.
Der Umfang des Wissens Petrarca's 458
Neuntes Capitel.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit 514
Zehntes Capitel,
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate 542
Elftes Capitel.
Die historischen und geographischen Schriften 592
Zwölftes Capitel.
Die Streitschriften (Petrarca und die Aerzte) 618
Dreizehntes Capitel.
Die Bücher über die Weltverachtung 629
Vierzehntes Capitel.
Die lateinischen Dichtungen 650
Fünfzehntes Capitel.
Die italienischen Dichtungen 684
•Erstes Capitel.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's.
Wer den Namen Petrarca's vernimmt, gedenkt dabei
unwillkürlich zunächst des Sängers des „Canzoniere", des
Dichters jener Sonette und Canzonen, deren klangvolle Strophen
Laura's Schönheit feiern und Laura's Tod betrauern. Petrarca's
Dichterruhm, den er durch seine lyrischen Poesien sich er-
rungen, und seine romantische Liebe zu Laura sind für Viele
und darunter auch für solche, denen der Besitz einer höheren
Bildung nicht abgesprochen werden kann, die einzigen Dinge,
welche sie, abgesehen von den dürftigen chronologischen Daten
des Geburts- und Todesjahres, über das Leben und Wirken
des grossen Italieners zu berichten wissen. Dass derselbe
auf einen weit höheren Ruhm Anspruch erheben darf, als
auf denjenigen, seines Vaterlandes grösster Lyriker gewesen
zu sein, ist eben, so nachdrücklich auch die bewährtesten
Litterar- und Culturhistoriker wiederholt darauf hingewiesen
haben, für die grosse Masse des sogenannten gebildeten Publi-
cums leider noch immer eine, wenn auch vielleicht dunkel
geahnte und vermuthete, so doch nicht zum klaren Bewusst-
sein gekommene Thatsache.
Petrarca gehört der Zahl jener wenigen wahrhaft grossen
Männer an, deren Wirken nicht für ein einzelnes Volk noch
Kört i ng, Petrarca. 1
2 Erstes Capitel.
für ein einzelnes aus wenigen Jahrzehenden sich zusammen-
setzendes Zeitalter, sondern für die ganze Menschheit, soweit
sie der abendländischen Culturwelt angehört, und für die ganze
noch unabsehbare Dauer der modernen Cultur bedeutungs-
voll geworden ist. Nicht dei- „Canzoniere" ist die wahre Basis
seines unsterblichen Ruhmes, nicht auf dies Liederbuch giündet
sich die weltgeschichtliche Grösse des Mannes. Allerdings
würde der „Canzoniere" auch für sich allein genügt haben, des
Dichters Namen der fernen Nachwelt zu überliefern, aber es
würde dies eine Unsterblichkeit anderer, geringerer Art, eine
Unsterblichkeit, um so zu sagen, zweiten Grades gewesen sein,
eine Unsterblichkeit, welche nur der litterargeschichtlichen
Sphäre angehört haben würde. Ein Petrarca, der Nichts
weiter gethan hätte, als dass er die melodischen Lieder des
„Canzoniere" gedichtet, würde eben nur für die Litteratur-
geschichte Italiens eine grössere Bedeutung besitzen, aber
selbst auch für diese eine weit geringere, als sie dem wirk-
lichen Petrarca thatsächlich zukommt, und überdies, was noch
wichtiger ist, eine nicht über alle Anfechtungen erhabene.
Es ist selbstverständlich nicht hier der Ort. an welchem wir
den ästhetischen AVerth und die litterargeschichtliche Bedeu-
tung des „Canzoniere" zu besprechen haben, aber wir müssen,
um das eben ausgesprochene Uitheil nicht ganz unbegründet
zu lassen, doch schon jetzt darauf hinweisen, dass es sehr
fraglich erscheinen kann, ob der Einfluss des „Canzoniere"
auf die Entwickelung der italienischen Lyrik ein vorwiegend
förderlicher und vortheilhafter gewesen ist oder ob nicht viel-
mehr gerade durch ihn jener oft so geistlose Formalismus und
jene oft so widerliche Gefühlsspielerei, an welchen fast alle
Lyriker Italiens seit Petrarca's Zeiten gekrankt haben, erzeugt
und grossgezogen worden sind. Die „Petrarkisten" sind nach
dem Urtheile besonnener Kunstrichter nicht eben die glänzend-
sten Vertreter der italienischen Litteratur, und die Behauptung,
dass durch das Weiterschreiten auf der von Petrarca ein-
geschlagenen Bahn die italienische Lyrik entnationalisirt und
zu einer künstlichen Treibhauspflanze, welche aller natürlichen
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 3
Frische und urwüchsigen Duftes ermangele, umgewandelt
worden sei, dürfte nicht aller Berechtigung entbehren, so un-
gereimt es natürlich auch sein würde, Petrarca selbst für die
Geistlosigkeit und das Ungeschick seiner Nachahmer verant-
wortlich machen zu wollen.
Lassen wir indessen die Folgen, welche der Einfluss des
„Canzoniere" für die späteren Schicksale der italienischen
Lyrik gehabt hat, ganz dahingestellt, so ist doch das Eine
unzweifelhaft, dass der „Canzoniere", weil selbst nur lyrische
Poesien umfassend, eben auch nur auf die Entwickelung der
italienischen Lyrik eine, sei es nun segensreiche, sei es ver-
derbliche, Einwirkung auszuüben vermochte. Es würde dem-
nach seinem Verfasser, wenn derselbe keine w^eiteren Leistungen
aufzuweisen hätte, eine litterargeschichtliche Bedeutung nur
für das verhältnissmässig beschränkte Gebiet der Lyrik zu-
gestanden werden können. Nun freilich hat Petrarca in seinem
Alter nach dem Vorbilde der „Göttlichen Komödie" Dante's
auch eine epische Dichtung, die ,,Trionfi", verfasst, aber es
würde dieselbe, so wenig wir auch ihre eigenthümlichen und
grossartigen Schönheiten und die Tiefe ihres Gedankeninhaltes
verkennen wollen, doch wenig geeignet gewesen sein, ihm ein
Anrecht auf den erhabenen Rang zu verleihen, welcher ihm
von der Litteraturgeschichte mit gutem Gioinde zuerkannt
wird.
Nicht also in demjenigen, was er selbst poetisch ge-
schaffen, ist Petrarca's Grösse und eigenthümliches Verdienst
enttialten. Als Dichter steht er an schöpferischer Kraft und
Originalität des Denkens weit hinter Dante und selbst auch
hinter Boccaccio zurück, so sehr er dieselben auch und nament-
lich den ersteren in der kunstvollen Beherrschung der Form
und in der Meisterschaft über eine noch nicht gefügige Sprache
übertrifft. Und dennoch hat er weit Grösseres gethan, als
Dante und Boccaccio, Grösseres, als irgend ein anderer Geistes-
heros des Alterthums oder der Neuzeit: er ist der Schöpfer
einer neuen Cultuiform, der Erzeuger und Begründer der
Renaissance geworden und hat dem geistigen Schaffen nicht
4 Erstes Capitel.
bloss seines Volkes, sondern aller Ciüturuatiouen des Abend-
landes auf Jahrhunderte hinaus das Gepräge seines Geistes
aufgedrückt. Es kann seinen Ruhm nicht schmälern, dass,
als er das gewaltige Werk der Neusehöpfung der Cultur theils
vollzog theils doch vorbereitete, er sich der folgenschweren
Bedeutung dessen, was er that, nur unvollkommen bewusst
war und dass er selbst mit seiner Persönlichkeit sich nie
voll und ganz auf den von ihm neugeschaffenen Culturl)oden
zu stellen wagte, sondern mit seinem Fühlen und Denken
theilweise immer in den Anschauungen der früheren Cultur-
periode verharrte, die Befreiung also, welche er den Anderen
brachte, in ihrem ganzen Umfange an sich selbst nie voll-
zog. Beides, sowol die Unvollständigkeit des Bewusstseins als
auch die Scheu, für die eigene Person die letzten Consequenzen
der gewonnenen Erkenntniss zu ziehen, war durch die Schwäche
der menschlichen Natur bedingt. Noch hat kein Entdecker
die volle Tragweite seiner Entdeckung zu ermessen venuocht,
noch Niemand die Kraft besessen, sich von seiner eigenen
Vergangenheit vollkommen loszulösen. Culturwandlungen voll-
ziehen sich nicht mit einem Schlage, sondern nur langsam
und allmählich weicht die ältere ausgelebte Form der Cultur,
welche die Vergangenheit beherrschte, der jüngeren lebens-
kräftigen, welcher die Zukunft gehört. Die Menschen solcher
Uebergangszeiten sind selbst auch Uebergangsmenschen , je
nach der Beschaffenheit ihrer individuellen Natur^nlage und
dem Grade ihrer geistigen Entwickelung mehr oder weniger
der einen oder der anderen der beiden mit einander ringenden
Culturformen sich zuneigend, immer aber beiden gleich-
zeitig angehörend. Auch die gewaltigsten Geister und selbst
diejenigen, welche eine neue Culturform erschaffen, vermögen
mit ihrer menschlich beschränkten Persönlichkeit nicht, diesem
Naturgesetze der allmählichen Entwickelung sich zu entziehen
und den ihnen nothwendigerweise anhaftenden Charakter einer
gewissen Halbheit und ünentschiedenheit abzustreifen. Von
solchem Gesichtspunkte aus will auch Petrarca beurtheilt sein
und man wird es dann nicht nur erklärlich, sondern selbst
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 5
natürlich finden, class sieh in seinem Charakter die mittel-
alterlichen und die modernen Elemente so seltsam mischen,
wie wir oft zu beol)achten Gelegenheit finden werden. Er ist
der Begründer der Renaissancecultur und steht als solcher
nur an ihren Eingangspforten , nicht auf ihren Höhen ; noch
ein ganzes Jahrhundert musste nach ihm dahingehen, l)evor
im Zeitalter Lorenzo's de' Medici die Renaissancemenschen im
vollsten Sinne des Wortes die Weltbühne betraten.
Auch dadurch kann für denjenigen, welcher gerecht zu
urtheilen sich bestrebt, Petrarca's Ruhm nicht verkleinert
werden, dass an der Grundlegung des stolzen Baues der Re
naissancecultur zum Theil vor, zum Theil auch neben ihm
unzählige Andere mitgearbeitet hal)en. Es war das ja in der
Natur der Sache begründet. Vorbedingung für jede Cultur-
wandelung ist, dass die Neigung zu derselben und die grössere
oder geringeve Befähigung, für ihre Verwirklichung zu arbeiten,
nicht bloss in e i n e m Individuum, sondern in zahlreichen Indi-
viduen vorhanden seien. Auch der grösste Genius würde ver-
geblich sich bemühen, eine neue Culturform zu schaffen, wenn
der Boden für dieselbe noch nicht genügend vorbereitet und
die erforderliche Zahl verständnissvoller Mitarbeiter nicht vor-
handen ist. Einem solchen Versuche ist das Misslingen und
dem, der ihn unternimmt, das Mai-tyrthum gewiss und glück-
lich mag er sich preisen, wenn wenigstens einige der Saamen-
körner, die er ausgestreut, auf fruchtbares Erdreich gefallen
sind und Wachsthum für die Zukunft versprechen. Mit diesem
tröstenden Bewusstsein durfte ein Sokrates sterben, während
so manchem anderen erleuchteten Geiste, der einer unreifen
Zeit rejfe Gedankenfrüchte liot, selbst dieser Hoffnungsblick
in die Zukunft versagt blieb. Wie ein jeder Feldherr zum
Siege eines Heeres bedarf, so bedarf ein Jeder, welcher der
Cultur neue Bahnen anweisen will, zum Erfolge einer Schaar
rüstiger Vor- und Mitarbeiter. Noch kein gewaltiges Cultur-
«reigniss — nicht die Erfindung der Buchdruckerkunst, nicht
Amerika's Entdeckung, nicht die Reformation der Kirche, um
nur einige zu nennen — ist in d'-m Sinne das Werk eines
Q Erstes Capitel.
einzigen Mannes gewesen, dass er deren Entwurf und Aus-
führung lediglich der eigenen Geisteskraft zu verdanken ge-
habt und jeglicher Unterstützung durch Andere entbehrt hätte.
Es haben vielmehr Gutenberg, Columbus und Luther ihre
Vorgänger gehabt, denen sie zum nicht geringen Theile
ihre Erfolge verdankten, und Mitstreiter standen ihnen zur
Seite, ohne deren Beihülfe ihnen das, was sie unternahmen,
unmöglich gelungen sein würde. Ihr Ruhm wird um dess-
willen nicht gemindert, ebensowenig wie dem Feldherrn der
Lorbeerkranz verweigert wird, weil er, um den Sieg zu er-
ringen, der thatkräftigen Mitwirkung seiner Krieger bedurfte.
Der siegreiche Führer einer geistigen Bewegung darf" mit Fug
und Recht auch als ihr Schöpfer gelten: aus dem vorhandenen
Gedankenmateriale erschafft er ordnend, sonderad, ergänzend
un<l umgestaltend einen neuen Ideenbau. In solchem Sinne
ist Gutenberg der Erfinder des Drucks mit beweglichen Let-
tern, Columbus der Entdecker Amerika's und Luther der Re-
foraiator der Kirche geworden. In solchem Sinne auch ist
Petrarca der Begründer der Renaissancecultur.
Das grosse Werk aber der Erschaffung einer neuen Cultur-
form vollzog nicht der Dichter, sondern der Humanist Petrarca,
nicht durch den vielgefeierten „Canzoniere", noch auch durch
die „Trionfi", sondern ganz vorwiegend durch seine so oft und
so viel geschmähten lateinischen Schriften hat er die Re-
naissancecultur und folglich auch die Renaissancelitteratur be-
gründet. Der Beweis hierfür kann nicht an dieser Stelle
geführt werden, sondern muss der späteren Darstellung vor-
behalten bleiben und wird zum Theil deren hauptsächlichsten
Inhalt bilden.
Wer also die Geschichte der italienischen Litteratur im
Zeitalter der Renaissance verstehen will, muss der humani-
stischen Thätigkeit Petrarca's und den aus derselben hervor-
gegangenen lateinischen Werken die grösste Aufmerksamkeit
und das eingehendste Studium zuwenden: es ist dies die
unerlässliche Bedingung, um befähigt zu sein, die Wurzeln
jener Litteratur zu erkennen und für die Beurtheilung der
Die Quellen fiir die Biographie Petrarca's. 7
aus ihnen üppiji erwachsenen Geistesblumen den richtigen
Standpunkt zu gewinnen. Selbst für Petrarca's eigene italieni-
sche Poesien kann das volle Verständniss nur durch die Ver-
trautheit mit seinen lateinischen Schriften erlangt werden.
Und wenn diese lateinisclien Schriften für die Erkenntniss der
Renaissancelitteratur eine so hohe Bedeutung besitzen, so be-
sitzen sie eine solche natürlich auch für die Renaissancecultur
überhaupt und vermögen manche anscheinend räthselhafte Er-
scheinung derselben zu erklären. Von solchen Erwägungen
geleitet werden wir in diesem ersten Bande eines Werkes,
welches die Geschichte der italienischen Litteratur im Zeitalter
der Renaissance erzählen soll, eine eingehende Betrachtung
und Würdigung der lateinischen Werke Petrarca's geben, um
die in den folgenden Bänden zu entwerfende litteraturgeschicht-
liche Darstellung vorzubereiten und zu begründen.
Zuvor aber haben wir noch einer anderen Aufgabe uns
zu entledigen.
Das volle Verständniss der Werke eines Schriftstellers
oder Dichters ist unmöglich ohne eine eingehende Kenntniss
seines Lebensganges. Nur eine beklagenswerthe Kurzsichtig-
keit kann dies leugnen und die biographischen Berichte als
nicht zur Sache gehörig aus der Litteraturgeschichte verbannen
wollen. Es sind die Schriftsteller und Dichter keine abstracten
Wesen, welche, losgelöst von den Bedingungen des irdischen
Daseins und unbeeinflüsst von den vielverschlungenen Strö-
mungen der menschlichen Verhältnisse, in dem Aether der
Ideen leben und schaffen. Sie sind vielmehr Menschen von
Fleisch und Blut, wie die anderen, und auch ihre Ent-
wickelung wird bedingt, wie die der anderen, von Zuständen der
irdischen Aussenwelt, in welcher sie leben, und ist abhängig von
den Zufälligkeiten und Wechseln ihrer menschlichen Existenz.
Der grösste Genius vermag, so lange er in seiner irdischen
Erscheinung unter der Menschheit wandelt, den über die
^Menschheit waltenden Entwickelungsgesetzen sich nicht zu ent-
ziehen. Wie die Gestirne des Himmels, so wandeln auch die
Menschen, und sell)st die grössten unter ihnen, auf vom Ge-
8 Erstes Capitel.
schicke vorgezeichneten Bahnen, docli sind diese Bahnen weit
genug, um der individuellen Selbständigkeit eine verhältniss-
mässige Freiheit der Bewegimg zu gestatten und das Gesetz
der Schwere, durch welches für die Materie die Schnelligkeit
der Fortbewegung bedingt wird, verliert seine Geltung auf
dem geistigen Gebiete.
Die Kenntniss von dem äusseren Leben des Autors und
von den Zeitverhältnissen, unter welchen es sieh abspielte, gibt
uns den Schlüssel zu dem Verständnisse seines inneren Leben?
und damit zu dem Verständnisse seiner Schriften, welche ja
des inneren Lebens Ausflüsse und Ergüsse sind.
Wenn der ausgesprochene Satz allgemein gültig ist, so
besitzt er doch in Bezug auf Petrarca noch eine ganz be-
sondere Gültigkeit. Es hat Goethe bekanntlich einmal ge-
äussert, dass ein jedes seiner Gedichte ein Gelegenheitsgedicht
sei. Den gegebenen Wink benutzend haben des Dichters
Verehrer und Erklärer nun keine Mühe gescheut, für ein jedes
Gedicht die äussere Gelegenheit, welche seine Mutter war.
aufzuspüren und daraus Fingerzeige und Materialien für die
Interpretation zu gewinnen. Ein jeder Deutsche weiss, wie
ergiebig dies Bemühen gewesen ist. und wie mächtig es das
Verständniss unseres grössten Dichters; gefördert hat. Das
Gleiche lässt von Petrarca sich sagen und auf Petrarca sich
anwenden. Fast alle seine Schriften, die Dichtungen natür-
lich mit inbegriffen, sind Gelegenheitsschriften im goethe'schen
Sinne des Wortes, fast alle verdanken sie einer äusseren Gele-
genheit, einer von aussen gegebenen Anregung das Dasein.
Wie nöthig also ist es zu ihrem Verständnisse, mit diesen
äusseren Gelegenheiten, das ist aber mit den äusseren Lebens-
umständen und Lebenszufällen ihres Verfassers, bekannt zu sein!
Noch etwas Anderes kommt hinzu. Petrarca war eine
weiche und durch und durch subjective Natur. In hohem
\ Grade gab er sieh äusseren Eindrücken und Einflüssen liin,
Hess zum grossen Theile sein Fühlen und ürtheilen davon ab-
hängen und seine Stimmung vollends wechselte fast mit dem
Wetter: er konnte an einem Tage den schwermüthigsten
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 9
Betrachtungen über des Lebens Nichtigkeit und Ziellosigkeit
sich hingeben und schon an dem anderen wieder sprühen von
Lebenslust und Lebenskraft. Dies stäte Schwanken spiegelt
sich getreu in seinen Werken wieder und kann demjenigen,
der mit seinen äusseren Lebensverhältnissen nicht vertraut
ist, das Bild seines Charakters arg verzerren, in jedem
Falle aber das Verständniss erschweren und oft selbst
gänzlich behindern. Diese Gefahr ist um so drohender, als
Petrarca^ vermöge der Subjectivität seiner Natur Alles, was er
schrieb, wenn er es auch für die Oeffentlichkeit bestimmte,
doch -im letzten Grunde nur für sich selbst schrieb und in ^
Allem auf das eigene Ich Bezug nahm. Die Gabe der Ob-
jectivität war ihm versagt. Er war sich selbst das Maass
aller Dinge, beurtheilte Alles vom subjectivsten Standpunkte
aus. Daher sein Glaube an den eigenen Genius, der ihn be-
fähigte, frei von wirklich tiefen Zweifeln an der Richtigkeit
des Erkannten und Erstrebten, neue Pfade der Bildung und
des Wissens aufzusuchen. Muss doch ein Jeder, der Grosses
vollführen will, zunächst den Glauben an sich selbst und an
die eigene üeberlegenheit besitzen. Der an sich selbst stets
zweifelnden Bescheidenheit, die ängstlich nach Objectivität
ringt, ist noch nie Bedeutendes gelungen.
Wie dem aber auch sein. mag, Petrarca's unleugbare
Subjectivität in Allem, was er geschaffen, legt demjenigen,
welcher in das Verständniss seiner Werke einzudringen be-
gehrt, die unerlässliche Pflicht auf, sich zuvor die Kenntniss
seines Lebenslaufes zu erwerben. Allzu eng verwachsen ist
Petrarca's äusseres Leben mit seinem inneren Leben, mit
seinem ganzen Dichten, Denken und Wirken, als dass das
Eine von dem Anderen sich sondeni, dass das Eine ohne das
Andere sich verstehen Hesse.
Wir werden demnach zunächst das Leben Petrarca's er-
zählen, bevor wir an die Analyse und Würdigung seiner Werke
herantreten. Wir werden hierbei allerdings darauf verzichten
müssen, alle Einzelheiten, soweit sie nicht litterar- oder cul-
turgeschichtliche Wichtigkeit besitzen, zur Darstellung zu
10 Erstes Capitel.
bringen und was wir geben, Avird bei aller theilweisen Aus-
führlichkeit doch immer nur den Charakter einer Skizze tragen
und nicht darauf Anspruch erheben dürfen, eine in allen
Punkten abschliessende und kritische Biographie sein zu wollen,
wie eine solche denn wol auch nur von einem Italiener
— möchte es doch ein Fracassetti oder Villari sein! — einst-
mals wird geschrieben werden können. Der Anlage unseres
Buches nach konnte und durfte der biographische Theil des-
selben nicht als Selbstzweck, sondern nur als ein, allerdings
sehr wichtiges, Mittel zum Zwecke des Verständnisses Petrar-
ca's aufgefasst werden. Nicht aber werden wir trotz der uns
auferlegten Beschränkung es uns versagen, die biographische
Darstellung zuweilen durch litterar- und culturgeschichtliche
Betrachtungen allgemeiner Art zu unterbrechen, wenn diese
geeignet erscheinen sollten, die im weiteren Verlaufe unseres
Buches zu gebende Darstellung der Geschichte der italienischen
Renaissancelitteratur vorzubereiten und zu begründen.
Die meisten derjenigen, welche es unternehmen, die
Lebensgeschichte eines Dichters oder Denkers der fernen Vor-
zeit zu erzählen , sind vollberechtigt zu der Klage , dass sie
durch die Spärlichkeit und Lückenhaftigkeit des überlieferten
l)iographischen Materiales sich auf Schritt und Tritt in ihrer
Darstellung behindert sehen und in Folge dessen nur allzu oft
zu Hypothesen ihre Zuflucht zu nehmen genöthigt sind. Um
aus der Fülle der vorhandenen nur ein Beispiel herauszu-
greifen, so denke man daran, wie unendlich Vieles und wie
Wichtiges in Shakespeare's Biographie trotz des angestreng-
testen Sammlerfleisses und des bewundernswerthesten Scharf-
sinnes verdienstvoller Forscher noch immer unaufgehellt und
räthselhaft ist und vermuthlich für alle Folgezeit auch bleiben
wird. Im höchsten Grade dürftig ist fürwahr die Summe
dessen, was in der Lebensgeschichte des grössten britischen
Dichters und des grössten Dramatikers der modernen Cultur-
welt als authentische und urkundlich belegbare Wahrheit be-
zeichnet werden darf und keine, wenn auch noch so geistvollen
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 11
Hypothesen vermögen uns für den Mangel positiver Daten zu
entschädigen.
Der Biograph Petrarca's besitzt kein Recht zu solcher
Klage und weit entfernt, dass er durch die Dürftigkeit des
vorhandenen authentischen Materiales in seiner Arbeit behin-
dert würde, wird er vielmehr fast durch die überreichliche
Fülle desselben in Verlegenheit gesetzt. Dies Material ist
überdies das denkbar werthvollste, denn es besteht aus Briefen
Petrarca's selbst und zwar aus Briefen, welche, mit ver-
schwindend geringen Ausnahmen, in Bezug auf ihre Aechtheit
in keiner Weise angezweifelt werden können. Es umfassen
die uns erhalteneu Briefsammlungen nahezu 600 Briefe ^) von
zum Theil beträchtlichem Umfange und es sind hierbei die in
metrischer Form abgefassteu Episteln, deren Zahl 67 beträgt,
noch nicht mit eingerechnet.
Wenn durch irgend Etwas, so erhält Petrarca durch diese
seine umfangreiche Correspondenz ein wohl begründetes An-
recht auf den Ehrennamen des ersten modernen Menschen,
Briefe sehreibt nur wer den Drang nach Mittheilung lebendig
in sich fühlt, wer vermöge eines entwickelten Bewusstseins
von der eigenen Individualität das subjective Empfinden und
Fühlen für interessant und wichtig genug hält, um dasselbe
schriftlich zu tixiren und der Aussenwelt mitzutheilen. Die
Epistolographie findet nur in solchen Zeiten eifrige Pflege, in
denen die Individualitäten streben, in ihrer Eigenartigkeit sich
nach aussen hin geltend zu machen und zur Anerkennung zu
bringen, in denen ferner die subjectiven Empfindungen und
Gefühle der Individuen so stark und lebhaft sind, dass sie einer
Expansion, eines Ergusses nach aussen hin bedürfen. Solche
^) Epistolae de rebus familiaribus 368, Epistolae Seniles 124, Variae 69
(wovon in Fracassetti's Ausg. 4 dem Appendix zugewiesen sind), Epistolae
sine titulo 15 (in den baseler Ausgaben 20, von denen aber Fracassetti
vier — no. 2, 3, 4 und 7 — in den Appendix zu den Familiäres und
einen — no. 20 — unter die Seniles aufgenommen hat, wobei zu bemerken
ist, dass in der baseler Ausgabe von 1581 in der Zählung der Epistolae
sine titulo zwei Versehen stattgefunden haben : epist. 5 ist als 4 bezeichnet
und epist. 8 gar nicht mitgezählt worden).
12 Erstes Capitel.
Zustände haben aber nur in den modernen Zeiten stattgefunden,
während sie dem Alterthume, so lange dasselbe den eigentlich
antiken Charakter bewahrte, sowie dem Mittelalter, abgesehen
von einer einzigen gleich zu erwähnenden Ausnahme, fiemd
geblieben sind und fremd bleiben mussten, denn die Menschen
sowol der altgriechischen und altrömischen Culturperiode
(welche sich einerseits etwa bis zum peloponnesi sehen und
andererseits bis zum zweiten punischen Kriege erstreckt) als
auch diejenigen des Mittelalters besassen eine zu wenig ent-
Avickelte Individualität und fühlten sich zu sehr als dienende
Glieder grosser staatlicher und religiöser Verbände, als dass
sie das Bedürfniss empfunden hätten, ihren subjectiven Ge-
fühlen Ausdruck zu verleihen und, wenn sie es doch empfan-
den, so wählten sie dafür die näher liegenden und natür-
licheren Formen der Lyrik, nicht die im Vergleich damit schwer-
fällige und zu breiten Reflexionen herausfordernde Form des
Briefes. Zu beachten ist ferner, dass auch in den modernen
Zeiten die Freude am Bi-iefschreiben nicht immer gleich stark
gewesen ist, sondern sehr verschiedene Grade der Intensität be-
sessen hat. Am üppigsten blüht die Epistolographie in solchen
Perioden, in denen die Cultur bedeutende Wandlungen zu voll-
ziehen im Begriffe steht und in denen folglich einei-seits die
Unzufriedenheit mit überlebten, aber noch nicht abgestorbenen
Zuständen und andererseits die unbestimmte halb freudige halb
bange Erwartung einer nahen, aber noch nicht in scharfen
Umrissen sich zeigenden Neugestaltung der Dinge besonders
lebhaft empfunden werden. Es ergreift dann alle Denkenden
der Drang, sich über das, was das Innere so mächtig bewegt,
auszusprechen und mitzutheilen, den überquellenden Betrach-
tungen des reflectirenden Verstandes und den wechselnden
Empfindungen des erregten Herzens eine äussere Ableitung zu
geben, und der Brief gewährt der Befriedigung dieses Bedürf-
nisses die bequemste und dehnbarste Form. Daher die leb-
hafte Correspondenz in den Zeitaltern der Renaissance, der
Reformation und der philosophischen Aulklärungsbewegung
im achtzehnten Jahrhundert. Auch innerhalb der mittelalter-
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 13
liehen Cultur findet sich einmal ganz isolirt eine ähnliche,
freilich rasch vorübergehende Periode, es ist diejenige, welche
man als die karolingische Vorrenaissance bezeichnen könnte.
Karl der Grosse bemühte sich, germanisch - christliche und
antik-römische Cultur in eine höhere Einheit zu verschmelzen.
Das grossartige Unternehmen hatte, weil es um viele Jahr-
hunderte verfrüht war, nur einen zeitweiligen und auf enge
Kreise beschränkten Erfolg, indessen war die durch dasselbe
angeregte Bewegung der Geister doch stark genug gewesen,
um eine Epistolographie zu erzeugen, Avelche in Alcuins Brief-
sammlung eine beachtenswerthe Höhe erstiegen hat. So er-
scheint die Epistolographie stets zu Zeiten, in denen die
moderne Cultur in Geburtswehen liegt und sie vermag einen
nicht verächtlichen Gradmesser für die Intensität geistiger
Bewegungen und Strömungen abzugeben. So kann auch die
Tiefe jener mächtigen Geistesbewegung, deren Endergebniss die
Renaissancecultur und also die moderne Cultur überhaupt war, an
der Epistolographie des Humanismus ermessen werden. Der Brief
war für die Humanisten die beliebteste Form des schriftlichen
Oedankenausdruckes und kein anderer Zweig der Litteratur ist
von ihnen mit grösserem Eifer gepflegt worden. Der Brief bot
ihnen die Möglichkeit rascher und bequemer Gedankenüber-
gänge, die Möglichkeit, viele und ungleichartige Materien mit
einem gemeinsamen äusseren Rahmen zu umfassen und nach
subjectivem Behagen die einen nur flüchtig zu streifen,
die anderen dagegen in aller Breite und Ausführlichkeit zu
erörtern, er bot ihnen endlich die Möglichkeit, dem Streben
nach Formenschönheit zu genügen und alle Mittel rhetorischer
und stylistischer Kunst in reichem Wechsel zur Anwendung
zu bringen. Im Briefe auch konnten sie den ihnen meist nur
allzu sehr anhaftenden Mangel wirklich schöpferischer Genialität
und Originalität am besten verhüllen und am leichtesten sich
selbst und Andere mit dem Scheine der Productivität täuschen,
während in Wahrheit doch allermeist nur Reproduction
stattfand.
14 Erstes Capitel.
An der Spitze der Humanisten und also am Eingange der
modernen Cultur steht auch in dieser Beziehung Petrarca.
Petrarca's Briefe, soweit er selbst sie für die Nachwelt
erhalten wissen wollte, und soweit sie auch in der That allein
sich erhalten haben, sind in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl
durchaus nicht Briefe in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes,
sie waren nicht vorwiegend dazu bestimmt, den Adressaten
Mittheilungen über die äusseren Lebensverhältnisse ihres Ver-
fassers zu machen. Es war ein ausdrücklich ausgesprochener,
wenn auch freilich in der Praxis oft genug verleugneter Grund-
satz Petrarca's, die Erörterung häuslicher und rein pei*sönlicher
Angelegenheiten, namentlich aber solcher, welche sich auf
finanzielle Verhältnisse bezogen, aus seinen für die Oeffentlich-
keit bestimmten Briefen auszuschliessen M , und ebenso wollte
er grundsätzlich die Namen der stwa von ihm angegriffenen
Persönlichkeiten verschweigen ^). Konnte er, wenn er einem
Freunde schrieb, es nicht vermeiden, auch hauswirthschaftliche
Fragen zu besprechen, so that er dies, um den stylvollen Brief
nicht durch solche Quisquilien zu entwürdigen, auf einem bei-
gelegten Blättchen und vermuthlich in italienischer Sprache ^).
Es sollten eben seine Briefe keine banalen Privatbriefe, sondern
Schrifstücke von litterarischem Werthe und allgemein inter-
essantem Inhalte sein. Seneca, nicht Cicero war in dieser Be-
ziehung sein Vorbild. Um die litterarische Bedeutung seiner
Episteln auch äusserlich zum Ausdruck zu bringen, bediente
er sich für die Abfassung derselben nicht der italienischen
Vulgärsprache, welche von ihm, dem Dichter des „Canzoniere",
seltsam genug als unwürdig der Verwendung für ernste
Production erachtet ward, sondern durchaus nur des Lateins,
welches er möglichst den antiken Stylmustern nachzubilden
strebte, wenn er auch freilich aus leicht ersichtlichen Gründen in
diesem Streben nicht die gleichen Erfolge erzielte wie die späteren
Humanisten. Italienische Briefe Petrarca's haben sich nicht
^) Ep. Fam. XVIU 7. XX 2. Sen. XIII 12. XIV 6.
2) Ep. Sen. XIV 14 (16).
•'') Ep. Fam. XVIII 7. XX 2.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 15
erhalten und aller Wahrscheinlichkeit nach eben auch nie
existirt; diejenigen, welche man ihm hat beilegen wollen, sind
ohne Ausnahme apokryph und zum Theil Fälschungen der
plumpesten Art^).
Hätte nun Petrarca an dem Grundsatze, seine Briefe
jedes privaten Charakters zu entkleiden, streng festgehalten,
so würden dieselben eben solche moralphilosophische Abhand-
lungen und Tractate geworden sein wie Seneca's Episteln an
Lucilius es sind, welche mit Briefen eben nur das gemein-
sam haben, dass sie eine Adresse an ihrer Spitze tragen. Der
Biograph würde dann aus der ganzen so umfangreichen Corre-
spondenz nur ein höchst kärgliches Material zu gewinnen ver-
mögen. Glücklicherweise indessen besitzt nur ein, wenn auch
nicht unbeträchtlicher, Theil der Briefe diesen Charakter der
von allen persönlichen Beziehungen abstrahirenden Allgemein-
heit, ein grosser Theil dagegen gibt, wenn auch untermischt
mit breiten moralphilosophischen Reflexionen und Excursen,
doch auch persönliche Mittheilungen in wünschenswerthester
Ausführlichkeit, und es fehlen auch keineswegs Briefe, welche
sieh geradezu als gewöhnliche Privatbriefe bezeichnen lassen.
Es war eben Petrarca eine viel zu subjective Natur, als dass
er es vermocht hätte, consequent von seiner Persönlichkeit zu
abstrahiren, und viel zu sehr war er von der Humanisteneitel-
keit erfüllt, als dass er nicht gern jede sich darbietende
Gelegenheit benutzt hätte, um von seinem eigenen lieben Ich
und dessen Befinden zu reden, selbst in seinen wissenschaftlieh
sein sollenden Schriften hat er dieser Versuchung nicht immer
widerstehen können. Seiner epistolographischen Thätigkeit
hat übrigens dies Hineinziehen der eigenen Persönlichkeit den
entschiedensten Vortheil gebracht: es haben dadurch die Briefe
Natürlichkeit, Frische und Lebendigkeit erhalten.
Enthalten sonach Petrarca's Briefe werthvollstes biogra-
phisches Material in reicher Fülle, so bleibt doch immerhin
Eins zu beklagen: Petrarca sehrieb, wie dies subjectiv angelegte
^) vgl. Fracassetti in der prefaz. zu den lett. delle cose fam. p. 6 ff.
IQ Erstes Capitel.
und ihrer eigenartigen Individualität sich bewusste Menschen
stets thun, weit mehr für sich selbst, als für seine Adressaten.
Man könnte seine Briefe niedergeschriebene Selbstgespräche
nennen, welche nur zufällig mit einem Briefcouvert bekleidet
sind. Es war ihm eben bei seiner Correspondenz nur dämm
zu thun, dem eigenen Drange nach Fixirung der ihn bewegen-
den Gedanken zu genügen, und wenig kümmerte es ihn, ob
diese Gedanken auch für seine Correspondenten hinreichendes
Interesse haben würden, zumal er voraussetzen durfte, dass
für viele seiner Freunde nicht sowol der Inhalt, als die
Form, der zierliche Styl, das Wesentliche sei. So vermisst
man denn in seinen Briefen durchaus ein liebevolles und ge-
müthvolles Eingehen auf die Individualitäten der betreifenden
Adressaten und ein Anbequemen an die verschiedenen An-
sehajurngs- und Gefühlsweisen derselben. Es sind diese
Briefe an Personen gerichtet, welche den verschiedensten
Ständen, Lebensaltern und Berufen angehörten und welche zu
Petrarca in den verschiedenartigsten Beziehungen standen,
nichtsdestoweniger sind sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
sämmtlich in dem gleichen Tone abgefasst, nur dass natürlich
die Conventionellen Formen der Anrede bald mehr bald weniger
vertrauliche sind. Die individuelle Färbung fehlt eben gar
sehr, mag sie auch hier und da allerdings zu finden sein.
Es ist doch höchst bezeichnend, dass man sich selbst von
Männern, wie etwa Socrates, Laelius und Simonides, welche
ja Petrarca selbst als seine vertrautesten Freunde bezeichnete
und welche dies in gewissem Sinne wirklich auch gewesen
sind, auf Grund der so zahlreichen an sie gerichteten Briefe
kein lebensvolles Charakterbild zu entwerfen vermag; sie l)e-
halten für unsere Vorstellung immer etwas Schattenhaftes
und Unbestimmtes und es ist uns nicht recht möglich, die
Natur ihrer Beziehungen zu Petrarca deutlich zu erkennen.
Selbstverständlich leidet unter diesem Umstände auch unsere
Keuntniss der Lebensverhältnisse Petrarca's ganz wesentlich
und vermag über eine gewisse Einseitigkeit nicht hinwegzu-
kommen: wir sehen nur immer den Helden auf der Bühne,
Die Quellen für die Biogi-aphie Petrarca's. 17
aber nicht den Chor, der aus dem matten Dämmerlichte des
Hintergrundes nie hervortritt; wir hören nur immer den Helden
seine Gedanken und Gefühle aussprechen, vermögen dies aber
nicht dadurch zu ei'gänzen , dass wir auch über das Denken
und Fühlen der ihm zunächst stehenden Genossen uns unter-
richten, und wir entbehren demnach wichtiger Momente für
die allseitige objective Beurtheilung unseres Helden selbst.
Es tritt noch ein anderer Umstand störend hinzu. Trotz aller
seiner Subjectivität lässt sich Petrarca in seinen Briefen doch
nur selten zu wirklichen Herzensergiessungen , zu rückhalts-
losen Selbstbekenntnissen hinreissen, er bleibt vielmehr immer
in einer gewissen Reserve und ist darauf bedacht, eine theatra-
lisch würdevolle Haltung sich zu bewahren, es widersteht
seiner Eitelkeit, von der olympischen Höhe des Parnasses zu
dem Niveau gemeiner Menschlichkeit herabzusteigen. So
tragen denn seine Briefe, mit Ausnahme der wenigen, in denen
er den Ausbruch lebhafter Gefühle nicht zurückzuhalten ver-
mocht hat, immer den Charakter des auf den Effect Berechneten
und Affectirten, sie sind nicht innerlich wahr und natürlich
genug und lassen den Leser oftmals im Zweifel, ob sich wirk-
liche Empfindung oder nur die rhetorische Nachahmung einer
solchen in ihnen ausspricht, ob ihr Verfasser sein wahres
Antlitz oder die Maske des declamirenden Schauspielers den
Blicken zeigt. Natürlich thut diese stete Ungewissheit, welche
sich leicht bis zum sittlichen Unwillen über den ihr zu Grunde
liegenden Mangel an Wahrheitsgefühl steigern kann, einer
objectiven Beurtheilung Petrarca's schweren Eintrag ,und kann
wol selbst zuweilen die Leetüre der Briefe verleiden.
Vermag man es indessen mit dem Geiste selbstgefälliger
Eitelkeit, welcher aus diesen Briefen athmet, sieh zu versöhnen,
so wird man schwerlich eine interessantere und abwechslungs-
reichere Leetüre finden können , zum mindesten aber keine,
welche für die Geschichte der Cultur und selbst auch
der politischen Verhältnisse des späteren Mittelalters reich-
haltigere und in anmuthigerer Form gegebene Belehrung ge-
währte. "Wie unendlich weit ist der Kreis der Dinge, welche
K •'; V t i n g , Petvaica. 2
18 Erstes Capitel.
in den Briefen theils ausführlich erörtert theils wenigstens in
ihren Hauptbeziehungen skizzirt werden ! wie unendlich mannig-
faltig sind die besprochenen Gegenstände! da werden bald
religiöse oder philosophische oder hochpolitische Fragen ein-
gehend behandelt, bald wieder philologische und historische
Untersuchungen angestellt, bald auch Vorkommnisse des all-
täglichen Lebens im liebenswürdigsten Plaudertone erzählt. So
wechselt der Inhalt bunt und unterhaltend wie die vielfarbigen
Bilder eines Kaleidoskopes und unmöglich ist es, dass den
Leser das Gefühl der Langweile beschleiche. Je weiter man
lesend vordringt, desto lebhafter wird das Interesse erregt und
gespannt, desto anschaulicher und immer vollständiger tritt
das Bild einer fernen, aber bedeutungsvollen Culturpeiiode
vor das geistige Auge. Wahrlich, in dieser Briefsammlung liegt
'das werthvollste und zum Theil noch unausgebeutete cultur-
geschichtliche Material in solchen Massen aufgehäuft, dass auch
wer nur blindlings hineingi-eift sein Wissen mit köstlichen
Fundstücken bereichert. Indessen auch abgesehen von dem
Inhalte, welches Interesse bietet selbst die Form dar! wie
mannigfach sind die von dem Meister der Rhetorik zur An-
wendung gebrachten Gestaltungen des Styls! wir finden alle
Gattungen desselben vertreten und, wenn auch freilich die
ernste und gehobene, etwas auf Stelzen einherschreitende
Diction durchaus vorherrscht, so fehlen doch die leichteren
und gefälligeren Arten keineswegs, selbst die gemüthliche
Plauderei'), der schalkhafte Humor ^i und die in eleganteste
Form gefasste Schmeichelei^) sind in nicht allzuwenigen Bei-
spielen vorhanden. Die Latinität ist freilich nicht eben classisch
zu nennen und mag dem pedantischen Philologen oft genug
abstossend erscheinen, wer aber frei von einer engherzigen
Voreingenommenheit sie würdigt, wird nicht umhin können
ihr die grossen Vorzüge anmuthiger Geläufigkeit und aus-
^ z. B. Ep, Farn. VII 3. XX 9. Var. 21. 56. Sen. IV 3 u. a.
2) z. B. Ep. Farn. I 9. 10. ÜI 13. IX 3. XX 1. 12. XXI 10. Var. 44.
Sen. V 3 u. a.
'•) z. B. Ep. Fam. IV 3. X 6. XXI 1 u. a.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 19
geprägter Individualität zuzugestehen. Petrarca ahmte nicht,
wie so viele der späteren Humanisten, sklavisch antike Styl-
inuster nach , und engte sich also nicht ein auf einen streng
zugemessenen Vorrath von Wollen und Wortverbindungen,
sondern, sein Schriftstellerrecht im vollsten Maasse brauchend,
handhabte er das Latein als eine lebende Sprache und schuf
sich in ihm, unbehemmt von ängstlicher Scheu vor etwaigen Bar-
barismen, einen individuellen und originalen Styl, auch dadurch
ein Anrecht auf den Ruhm, der Begründer einer neuen Cultur
zu sein, sich erwerbend. Die Sprache der Schriftsteller des
Mittelalters entbehrte, wenn wir von einigen wenigen Aus-
nahmen, welche die Regel nur bestätigen, liier absehen dürfen,
der individuellen Färbung, sie war conventioneil und formelhaft
oder aber eine ungeschickte mechanische Nachahmung der
Diction irgend eines lateinischen Autors. Petrarca zuerst sprengte
die Fesseln steifer Convention und wagte es, auch der sprach-
lichen Form das Gepräge seiner Individualität aufzudrücken.
Er ist dadurch, obwol er nur in einem Idiome des Altertimms
geschrieben hat, doch auch für die Eiitwickelung der modernen
Prosa bedeutungsvoll geworden: er hat den Weg gewiesen,
auf welchem die prosaische Rede aus den Banden todten
Formelwesens befreit, vergeistigt und individualen Neigungen
und Bedüfnissen angepasst werden konnte. Vielleicht ist selbst
Petrarca's Einfluss auf die Entwickelung der Pi'osa ein
grösserer oder doch ein segensreicherer gewesen, als derjenige,
den er auf die Entwickelung der Poesie ausgeübt hat. Leider
traten die meisten der ihm nachfolgenden Humanisten nicht
in die von ihm vorgezeichnete Bahn, sondern legten sich, auf
Individualität und Freiheit des Styles verzichtend, die Fesseln
des Ciceronianismus an und schufen so ein neues Formelwesen,
welches sich in Bezug auf seine Wirkung nicht eben sehr von
dem mittelalterlichen unterschied und zu dessen Zerstörung
dann später gewaltige Anstrengungen erforderlich waren, ja
selbst noch gegenwärtig erfordert werden.
Nachdem wir auf den vorangehenden Seiten die Bedeutung
der Briefe Petrarca's in biographischer und litterargeschicht-
20 Erstes Capitel.
lieber Beziehung hoÖentlich nicht allzu unzulänglich skizzirt
haben, erübrigt es uns, einige Worte über die Abfassungszeit,
Eintheilung und Ueberlieferung derselben zu sagen.
Bereits oben wurde bemerkt, dass Petrarca selbst seine
lateinischen Briefe für die Oeffentlichkeit oder, um diesen
etwas unbestimmten Ausdruck zu vermeiden, für einen weiteren
Leserkreis, nicht etwa bloss für den einzelnen Empfänger be-
stimmte. Es geht dies — ganz abgesehen von der inneren
Beschaffenheit der Briefe, welche, wie wir oben sahen, dafür
zeugt — aus zwei Stellen unzweifelhaft hervor. Petrarca gibt
einmal in einer Epistel den Geburtsort seines Freundes Sokrates
in der lateinischen Namensform .,Annea Campiniae" an und
wiederholt dabei den letzteren Namen ganz ausdrücklich,
..damit nicht etwa ein unwissender Leser glaube, es sei
Campanien gemeint" 0- Bezeichnender noch ist die zweite
Stelle. In einer Zuschrift an Sokrates äussert er, dass er die
Briefe, welche er an den Cardinal Talleyrand und zwar auf
dessen ausdrücklichen Wunsch in schmucklosem Style ge-
schrieben habe, nicht weiter verbreitet sehen möchte und aus
diesem Grunde auch keine Copien von ihnen aufgehoben
habe ^). Auch an eine später zu veranstaltende Sammlung
seiner Briefe hat Petrarca gewiss von vornherein gedacht,
denn es würde sonst zwecklos gewesen sein, dass er sich Ab-
schriften derselben aufbewahrte. Jedenfalls schätzte er selbst
seine Briefe sehr hoch und maass ihnen einen bleibenden
Werth bei; als ihm einmal einer derselben abhanden gekommen
war, war er darüber ganz untröstlich und erging sich in so
bitteren Klagen, als wenn es sich um den Verlust eines un-
sterblichen Werkes handelte ^). Noch weit höheren Werth aber
besassen die Episteln und zwar, wie man nicht zweifeln kann,
hauptsächlich ihres zierlichen Styles wegen in den Augen der
Freunde und Verehrer Petrarca's, ja es wurde ein solcher
Cultus mit ihnen getrieben, dass sogar die Sicherheit ihrer
^) Ep. Fam. IX 2.
") Ep. Fam. XIV 2.
^j Ep. Fam. V lö.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 21
Beförderung darunter litt. Der Dichter klaut oft schmerz-
lich darüber, dass seine Briefe, bevor sie den Bestimmungsort
erreichten, von Briefliebhabern aufgefangen und abgeschrieben,
ja auch ganz zurückbehalten würden^).
Interessant würde es sein, über die Art und Weise der
damaligen Briefbeförderung eingehende Kenntniss zu besitzen,
leider aber sind wir auf einige vereinzelte Angaben beschränkt.
Eine regelmässige Postverbindung gab es jedenfalls damals
nicht, so erwünscht eine solche auch für den blühenden Handel
und den regen Briefverkehr gewesen sein würde. Man war ledig-
lich auf Boten angewiesen, welche zum Theil wol aus der Brief-
beförderung ein Gewerbe machten, zum Theil aber sich nur
gelegentlich damit befassten. Pilger, wandernde Mönche und
durchreisende Couriere ül)ernahmen ebenfalls, wenn sie darum
ersucht wurden, die Beförderung von Privatbriefschafteu. So
mag im Allgemeinen namentlich in den Mittelpunkten des poli-
tischen und kirchlichen Lebens, wie Avignon, Ptom, Mailand
und Venedig, immer Gelegenheit zur Beförderung der Corre-
spondenz vorhanden gewesen sein, doch musste man freilich
einer verlässlichen Eegelmässigkeit entbehren. Zuweilen fehlte
es doch an Boten ^) , und die Briefe mussten dann entweder
lange liegen bleiben^) oder es galt einen Briefträger zu im-
provisiren. So benutzte Petrarca einmal seinen Koch als
solchen*) und ein anderes Mal bediente er sich reisender
Kaufleute ^). Die Beförderung selbst war, da sie bei der
Mangelhaftigkeit der damaligen Transportmittel von vielen Zu-
fälligkeiten abhing, oft eine sehr langsame. So war einmal ein
Brief von Parma nach Mailand vierzehn Tage unterwegs ^) und
ein anderes Mal traf ein am 3. Februar von Avignon abgegangener
») Ep. Fam. XVIII 7. XX 6. Var. 4. Ep. Sen. XVII (nach Fra-
cassetti) 3.
2) Ep. Fam. XX 6. XXII 13.
^) Ep. Sen. XVI. 1.
*) Ep. Fam. VIII 4.
5) Ep. Sen. I 3.
«) Var. 8.
22 Erstes Capitel.
Brief erst am 23. März in Arquä bei Padua ein^). Im All-
gemeinen jedoch scheint die Bestellung verhältnissmässig
ziemlich rasch erfolgt zu sein, da, wäre dies nicht der Fall
gewesen, die Correspondenz der damaligen Zeit kaum' einen
so lebhaften Aufschwung genommen haben würde, denn auch
der leidenschaftlichste Briefschreiber wird seiner Liebhaberei
überdrüssig, wenn er nicht auf eine leidlich rasche und sichere
Beförderung seiner Episteln rechnen kann. Dem blinden Zu-
fall mag Niemand die Kinder seines Geistes anvertrauen.
Noch einer Aeusserlichkeit werde hier gedacht. Während
des Mittelalters hatte man sich im Briefstyl der Anrede in
der zweiten Person des Plurals „Vos" bedient. Petrarca kehrte
zu dem classischen Singular „Tu" zurück'^) und wandte ihn
consequent an, nur hier und da liess er sich durch unumgängliche
Rücksichten auf die conventionellen Verhältnisse bestimmen,
seinen Grundsatz zu verleugnen^).
Im Jahre 1359 •*) , als eine durch trübe Zeitverhältnisse
veranlasste schwermüthige Stimmung ihm den Gedanken an
eine Ordnung seines etwaigen litterarischen Nachlasses nahe
legte, fasste Petrarca den Plan, seine bis dahin verfassten
Briefe, soweit sie ihm noch der Erhaltung werth erschienen —
denn eine grosse Anzahl überlieferte er nebst anderen Papieren
den Flammen — in eine Sammlung zu vereinigen und diese
unter dem Namen „Freundesbriefe °) " seinem Jugendfreunde
Sokrates zu widmen. Mit Hülfe eines sachkundigen Freundes
unternahm er es, die wüst durch einander liegende Masse
seiner Briefschaften zu ordnen ^), doch erst nach zwei Jahren,
im Beginn des Jahres 1361 ^), kam das mühselige Werk zum
0 -Ep. Sen. XV 1.
■') Ep. Fam. XXIII 14. Var. 32. Sen. XV 1.
") vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 336 f.
*) Zeitbestimmung nach Ep. Fam. XX 7 , wozu Fracassetti's Note
Lett. fam. IV p. 279 f. zu vergleichen.
^) So dürfte vielleicht der lat. Titel: „epistolae de rebus familiaribus"
am kürzesten und besten zu übersetzen sein.
'') Ep. Fam. praef. und XX 7.
') Ueber die Zeitbestimmung vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 201 f.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 23
Abschlüsse und konnte er in einem Schlussbriefe ^) die in
einem stattlichen Bande vereinigte Sammlung der „Freundes-
briefe" aufs Neue seinem Sokrates widmen. Da indessen der
letztere bereits im Mai 1361 starb , so scheint die Absendung
der ihm zugedachten Gabe unterblieben und sogar durch
irgend welchen Zufall die mühsam zu Stande gebrachte Samm-
lung wieder in ihre einzelnen Bestände aufgelöst, wenn nicht
vernichtet worden zu sein. Denn durch eine solche Annahme
allein lässt es sich erklären, dass Petrarca einige Jahre später,
wie er selbst in einem höchst wahrscheinlich im October 1365
verfassten Briefe berichtet '), abermals mit der Sammlung der
Freundesbriefe beschäftigt war und diese durch einen talent-
vollen jungen Mann, den er in sein Haus aufgenommen hatte,
ordnen und copiren liess. Es würde demnach eine doppelte
Redaction dieser Briefsammlung, eine provisorische in den
Jahren 1359 — 61 vorgenommene und eine definitive im Jalire
1365 vollzogene, anzunehmen sein, wodurch es auch be-
greiflich werdeft würde, dass sich in der uns vorliegenden
Sammlung eine Anzahl Briefe befindet, deren Abfassung mit
grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit in die Jahre
1362—1365 anzusetzen ist 3).
Dass die Sammlung der „Freundesbriefe" von Petrarca
selbst in vierundzwanzig Bücher eingetheilt worden sei, ist
höchst wahrscheinlich, da bereits Sicco Polentone in seiner
kurzen Biographie Petrarca's, welche er bald nach dessen
Tode verfasste, dieser Eintheilung ausdrücklich erwähnt*).
Die Ordnung der Aufeinanderfolge der einzelnen Briefe sollte
nach Petrarca's Absicht die chronologische sein •') , nur die an
mehrere berühmte Männer des Alterthums gerichteten Episteln
wurden der Gemeinsamkeit ihres Inhaltes wegen davon aus-
') Ep. Fam. XXIV 13.
'-) Ep. Fam. XXIII 19, vgl. die ausfuhrliche Note Fracassetti's Lett.
fam. V p. 91 ff.
•■■) vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 202.
*) Mehus, Vit. Ambr. Camald. p. 190.
■) Ep. Fam. XXIV 13.
24 Erstes Capitel.
genommen und ohne Rücksicht auf ihre Entstehungszeit in
das 24. Buch verwiesen. Wie uns die Briefe gegenwärtig in
den besten Handschriften vorliegen , ist nun allerdings im
Grossen und Ganzen die chronologische Anordnung gewahrt,
im Einzelnen aber finden sieh nachweisbar zahlreiche Al»-
weichuugen, welche wol durch Irrungen Petrarca's selbst ver-
anlasst worden sein dürften, denn, da die meisten Briefe kein
Jahresdatum tragen, so war selbst für ihren Verfasser die Ge-
fahr, sie nach unbestimmten Erinnerungen an eine falsche
Stelle einzureihen, unleugbar vorhanden.
Eine Anzahl Briefe, welche in Bezug auf die Zeit ihrer
Abfassung den ,,Freundesbriefen" hätten eingefügt werden
müssen, für deren Aufnahme aber der Band, in welchen die
in den Jahren 1359—61 veranstaltete Sammlung eingetragen
ward, keinen Raum mehr bot, vereinigte Petrarca in einen
besonderen Band und legte ihnen den Namen der ..vennischten
Briefe (epistolae variaej " bei , vermuthlich weil er bei ihrer
Zusammenstellung auf die Chronologie keine Hücksicht nahm
und Briefe sehr verschiedener Entstehungszeiten durcheinander
mischte ^).
So hatte also Petrarca im Jahre 1361, bezugsweise 1365,
seine bis zu dieser Zeit geschriebenen Briefe in eine grosse
Sammlung und einen derselben beigegebenen Ergänzungsband
vereinigt. Da er aber voraus sah, dass er, wenn das Leben
ihm erhalten bleibe, auch fernerhin noch epistolographisch
thätig sein werde, so beschloss er, die nach Abschluss der
„Freundesbriefe" zu sehreibenden Episteln zu einer neuen
Sammlung, welche den Titel „Altersbriefe (epistolae de rebus
senilibus)" führen sollte, zu verbinden und dieselbe seinem
florentiner Freunde Francesco Nelli oder, wie er ihn vertrau-
lich nannte, Simonides zuzueignen -). Noch dreizehn Jahre hin-
durch war es (seit 1361) dem unermüdlichen Briefschreiber, der
^) Ep. Farn. XXIV 13.
2) Ep. Fam. XXIV 1.3 und Ep. Sen. I 1; durch den bereits im Jahre
1363 erfolgten Tod des Simonides wurde die Widmung keineswegs auf-
gehoben, sondern von Petrarca vielmehr ausdrücklich erneut. Ep. Sen. III 1.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 25
trotz wiederholter guter Vorsätze ^) es nie vermochte. Zahl und
Umfang seiner Episteln zu beschränken, vergönnt, für die neu be-
gründete Sammlung Material zu liefern und sie hat in Folge
dessen ebenfalls einen stattlichen Umfang, wenn auch bei
weitem nicht den gleichen wie die „Freundesbriefe", erreicht-).
Die Eintheilung in 17 Bücher ist, da sie bereits von Sicco
Polentone erwähnt wird^), jedenfalls auf Petrarca selbst zu-
rückzuführen.
Zu den erwähnten drei Briefsammlungen tritt nun noch
eine vierte, allerdings wenig umfangreiche, aber inhaltlich
interessante hinzu. Petrarca war in der Theorie sein ganzes
Leben hindurch ein leidenschaftlicher Gegner der avigiionesischen
Curie und verfolgte sie mit erbittertem Hasse, während er
praktisch immer ein leidlich gutes Verhältniss mit ihr zu
unterhalten verstand. Nichts wäre verkehrter, als — was es
indessen doch bisweilen geschehen ist — Petrarca's Erbitterung
gegen das avignonesische Papstthum aus tief liegenden Motiven
ableiten und ihn etwa gar als einen Vorläufer der Reformation
betrachten zu wollen. Er ist vielmehr, wie wir späterhin ein-
gehender beweisen werden, stets ein guter und seiner Kirche
treuer, ja selbst bigotter Katholik gewesen und nie hat er
Zweifel an der Wahrheit der kirchlichen Dogmen gehegt, noch
weniger jemals solche ausgesprochen. Auch nicht dem Papst-
thum an sich galt sein Hass. sondern er galt eben lediglich dem
avignonesischen Papstthume. Den für Rom und dessen welt-
geschichtliche Bedeutung bis zur Schwärmerei begeisterten
Humanisten schmerzte es in tiefster Seele, dass die ewige
Stadt wie eine verstossene Gattin in trauriger Vernachlässigung
langsam dahin sterben sollte, während ein bis dahin fast un-
bekannter Flecken an der provenzalischen Rhone zu dem er-
habenen Range einer Hauptstadt der Christenheit erhoben
ward. Das war es, was ihn bekümmerte und d a s hauptsäch-
lich auch war es, was ihn so scharfsichtig machte für das ver-
1) Ep. Farn. XVI 11. Ep. Sen. XI 4.
"-) vgl. S. 11, Anm.
") vgl. S. 23, Anm. 4.
26 Erstes Capitel.
weltlichte Gebahren der avignonesischen Curie und das aller-
dings heillos unsittliche Leben des grössten Theiles ihres Clerus.
Einer römischen Curie gegenüber würde er aller Wahr-
scheinlichkeit nach nicht als strenger Sittenrichter aufgetreten
sein, zumal er in derartigen Dingen nicht eben feinfühlig war
und ruhig lange Jahre an dem Hofe solcher Tyrannen wie der
Correggi und der Visconti verbrachte, ohne an den entsetz-
lichen Vorgängen, welche sich dort vor seinen Augen abspielten,
sonderliehen Anstoss zu nehmen. Persönlich durchaus ehren-
haft und, besonders in seinen späteren Jahren, sittlichen
Idealen mit allem Ernste nachstrebend, war Petrarca doch ein
Kind seiner Zeit und als solches pflegte er an die Handlungen
der Menschen nicht den moralischen ^[aassstab anzulegen.
Die Menschen der beginnenden und mehr noch der entwickelten
Renaissancecultur urtheilten vorwiegend nach ästhetischen,
nicht nach ethischen Normen. Es ist das eine überaus wichtige
Thatsache, auf welche wir wiederholt werden zurückkommen
müssen.
Wie dem aber auch sein möge, der sonst so duldsame
Petrarca hegte gegen die Curie von Aviguon den leidenschaft-
lichsten Hass, war indessen klug und berechnend genug,
demselben keinen oft'enkundigen Ausdmck , der ihm Gefahr
hätte bringen können, zu verleihen. Allerdings gestattete er
sich in seinen für die Oeffentlichkeit bestimmten Briefen sowie
in seinen sonstigen Schriften und Dichtungen Ausfälle genug
gegen das ihm verhasste „Babel des Abendlandes", aber es
waren diese doch verhältnissmässig zahm und Hessen eine
milde Deutung zu. Die ganze Schaale seiner -sittlichen Ent-
rüstung leerte er in einer Reihe von Briefen an seine ver-
trautesten und übrigens, was höchst beachtenswerth ist, sämmt-
lieh dem geistlichen Stande angehörigen *) Freunde, welche
Briefe er aus Vorsicht ^) nicht mit Aufschriften versah , nicht
während seines Lebens in weiteren Kreisen bekannt werden
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. II p. 69.
-.) vgl. die ausfühi-liche Darlegung Petrarca's selbst in der praefatio
der epist. sine tit.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 27
lassen wollte und sie daher auch in seine grossen Briefsamm-
lungen nicht mit aufnahm. So bilden sie denn eine kleine
separate Sammlung, welche für die Sitten- und Kirchen-
geschichte der avignonesischen Periode die höchste Wichtigkeit
besitzt. Für Petrarca's Biographie hingegen ist sie von ge-
ringer Bedeutung und seinem Nachruhme ist sie entschieden
nachtheilig gewesen, indem sie darthut, wie sehr ihm der
Muth der Ueberzeugung, die wahrhaft sittliche Grösse mangelte.
Hätte er die schweren und sicherlich gut begründeten An-
schuldigungen, welche er in diesen Briefen gegen Curie und
Clerus erhebt, offen, wenn auch in maassvoller Weise, aus-
gesprochen, so würde dies eine muthige und hoch verdienst-
liche That gewesen sein und er würde selbst sich schwerlich
dadurch einer ernsten Gefahr ausgesetzt haben. Hatte doch
auch Dante mit scharfen Waffen das verweltlichte Papstthum
bekämpft ohne von dessen Rache getroffen zu werden! Und
überdies, darf ein sittlich -tüchtiger Mann an sein Leben und
seine äussere Wohlfahrt denken, wenn es die innere Ueber-
zeugung gilt? Es ist wirklich unerfreulich und betrübend,
sich vorstellen zu müssen, wie Petrarca mit der Curie stets in
gutem äusseren Einvernehmen bleibt und es nicht verschmäht,
Beneficien von ihr sich ertheilen zu lassen, wol auch, min-
destens indirect, solche zu erbitten, trotzdem aber, gleichsam
hinterrücks, sie im Geheimen mit allen Waffen einer erbitterten
Rhetorik angreift und nicht den Muth besitzt, seinen Namen
unter die Kriegsschriften zu setzen. Diese Handlungsweise
muss unbedingt als feig und charakterlos bezeichnet werden,
so bereit man auch sein mag, Entschuldigungsgründe gelten
zu lassen, deren wichtigster in der Erwägung bestehen dürfte,
dass Petrarca mit vollem Rechte sich zu einem anderen Werke
berufen meinen mochte, als zu dem einer kirchlichen Reformation
\uid dass er in dieser Erkenntniss sich verpflichtet glauben
konnte, ein religiöses Martyrthum von sich abzuweisen.
Jedoch, wenn er empfand, dass ihm die Kraft mangele, eine
sittliche Reform der Kirche selbt nur anzubahnen, so hätte er
auch die titellosen Briefe nicht schreiben sollen, denn ohne
28 Erstes Capitel.
den Hintergrund eines ernsten sittlichen Willens ähneln die-
selben sehr einer chronique scandaleuse. Oder meinte er
vielleicht, die von ihm immer und immer wieder angerathene
Rückkehr der Curie nach Rom würde das Heilmittel gegen
alle ihre Gebrechen sein ? Dann würde man seine Kurzsichtig-
keit beklagen müssen, aber dennoch ist es höchst wahrschein-
lich, dass er wirklich solche naive Ueberzeugung hegte.
Kehren wir indessen von diesen Fragen, welche später
nochmals in einem weiteren Zusammenhange zu erörtern sein
werden, zu der äusseren Geschichte der Briefsammluugen
Petrarca's zurück. Es bietet uns dieselbe in ihrem ferneren
Verlaufe ein merkwürdiges Beispiel für den Wechsel des
litterarischen Geschmackes dar. Wir haben oben gesehen, wie
sehr Petrarca's Briefe zur Zeit ihres Entstehens bewundert
und wie eifrig sie gelesen wurden. Es geschah dies auch noch
in den ersten Jahrzehenden nach seinem Tode, wie die aus
dieser Zeit stammenden zahlreichen Handschriften beweisen.
Selbst Papst Gregor XI. bemühte sich, wie das von ihm am
11. August 1374 an den Cardinaldiacon Guglielmo von Sauf
Angelo gerichtete Breve bezeugt, um die Erlangung eines voll-
ständigen Exemplars ^). Bald aber erblich des lateinischen
Stylisten Petrarca's Stern vor der aufgehenden Sonne des
Ciceronianismus. Dem jüngeren Humanistengeschlechte behagte
der eigenartige, mit dem Makel des Barbarismus behaftete
Styl des Altmeisters nicht mehr und die Mehrzahl seiner
lateinischen Werke, unter diesen die Briefe, gerieth in
halbe Vergessenheit. Die Zahl der Gesammtausgaben der
lateinischen Schriften Petrarca's ist, wenn man sie mit der
unabsehbaren Ausgabenmenge des „Canzoniere" vergleicht,
eine verschwindend^ geringe ^) und kann beweisen, dass selbst
die Erfindung der Buchdruckerkunst nicht vermochte, das
Andenken an die grossen Verdienste Petrarca's um die Er-
*) vgl. Fracassetti's prefa/. zu den Lett. fam. p. 4 Anni.
2) Ein Verzeichniss derselben sowie der Specialausgaben der Brief-
sammlungen b. Fracassetti in dem proleg. p. \T:I ff. der lateinischen und
in der prefaz. p. 19 ff. der ital. Ausg. der Ep. Fam.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 29
weckung des Humanismus in gebührender Weise zu beleben.
Schlimmer aber noch als die geringe Zahl dieser Ausgaben
war ihre innere Beschaft'enheit : veranstaltet unter gröbster
Vernachlässigung der all erelementarsten Grundsätze der Text-
kritik gaben sie einen arg verstümmelten und in kläglichster
Weise entstellten Text, der das Verständniss auf Schritt und
Tritt erschwerte, ja stellenweise selbst unmöglich machte.
Namentlich die bekannten baseier Ausgaben, welche in den
Jahren 1541, 1554 und 1584 erschienen, sind erfüllt von den un-
glaublichsten und sinnstörendsten Druckfehlern, deren fast jede
Seite mehrere Dutzende aufweist. Es war nur eine natürliche
Folge dieser traurigen Thatsache, dass sich allmählich immer
mehr und mehr die landläufige Meinung von der Ungeniess-
barkeit und Werthlosigkeit der lateinischen Schriften Petrarca's
ausbildete und festsetzte.
Selbst noch in unserer, den litterarischen Erzeugnissen
der Vorzeit ein so eifriges und fruchtbringendes Studium
widmenden Gegenwart ist die Ehrenschuld gegen die Manen
Petrarca's, eine würdige Gesammtausgabe seiner Werke zu
veranstalten, noch nicht abgetragen worden. Ja selbst die
Lieder des „Canzoniere" harren in ihrer grossen Mehrzahl noch
einer endgültigen textkritischen Feststellung, denn bis jetzt
ist eine solche durch Carducci's sachkundige Hand nur den
„politischen und moralischen Reimen" zu Theil geworden ^).
Ein günstiger Stern hat es indessen gefügt, dass seit einigen
Jahren wenigstens die Briefsammlungen Petrarca's zu ihrem
grössten Theile der Verwahrlosung entrissen worden sind, in
welcher seine übrigen lateinischen Werke, mit einziger Aus-
nahme der „Africa" ^) und des überhaupt erst neuerdings ver-
öffentlichten Buches über die berühmten Männer des Alter-
^) Rime di Fr. P. sopra argomenti storici, morali e diversi. Saggio
d'iui testo critico etc. ed. Carducci. Florenz 1876.
-) In der von Con-adini im Auftrage der Stadt Padua herausgegebenen
Festschrift zum .500jährigen Petrarcajubiläum, „Padova a Fr. Petrarca".
Padua 1874.
30 Erstes Capitel.
thums V), noch gegenwärtig schmachten. Giuseppe Fracassetti.
einer der hervorragendsten Gelehrten des modernen Italiens,
hat in den Jahren 1859—1863 die „Freundesbriefe" sowie die
„vermischten Briefe" in dem lateinischen Urtexte zum ersten
Male vollständig -) auf Grund der besten Handschriften heraus-
gegeben ^j und sich dadurch, so viel auch im Einzelnen an
dem von ihm gegebenen Texte kritisch zu bessern sein dürfte,
das hohe Verdienst erworl^en. den ersten lesbaren und im
Grossen und Ganzen zuverlässigen Text der beiden hochwichtigen
Biiefsammlungen geboten zu haben. Dieser lateinischen Aus-
gabe folgte als Ergänzung und Erläuteiiing eine italienische
Uebersetzung auf dem Fusse nach^). Der Hauptwerth der
letzteren Arbeit besteht in den ausführlichen Noten, mit denen
der Uebei-setzer die einzelnen Briefe begleitet und allseitig
(erläutert hat. Es ist das in diesen Anmerkungen vei-streute
Material ein so überaus reichhaltiges und werthvolles, ein von
so ausserordentlichem Sammlerfleisse und bewundernswürdiger
Detailkenntniss zeugendes, dass man beklagen muss, es in so
verzettelter Fonn gegeben zu sehen: zu einem einheitlichen
und zusammenhängenden Ganzen verbunden würde es eine
ebenso vollständige als anziehend geschriebene Biographie
Petrarca's ergeben haben. Eine Hauptaufgabe Fracassetti's
bestand in der Feststellung der Abfassungszeit der einzelneu
Briefe, denn, wie bereits einmal bemerkt ward, entbehren die
meisten derselben eines Jahresdatums. Mag man nun immer-
hin eine nicht unbeträchtliche Anzahl der von Fracassetti
gegebenen Datirungen mit gutem Grunde als irrig und andere
mindestens als nicht genügend erwiesen bezeichnen können, so
wird man doch zugestehen müssen, dass er im Wesentlichen die
schwierige Arbeit mit Geschick und Besonnenheit erledigt
^) de viris illustribus vitae ed. L. Razzolini. Bologna 1874.
-) Früher kannte man von den Ep. Fara. niu- die ersten 8 Bücher!
•''j Fr. Petrarcae epistolae de rebus familiaribus et variae ed. Jos.
Fracassetti. Florenz 1859—63. 3 voll.
*) Lettere delle cose femiliari volgarizzat« etc. da Gius. Fracassetti.
Florenz 1863—67, 5 Bde.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 31
und durch sie einen festen und unverrückbaren Grund für die
Chronologie des Lebensganges des grossen Dichters gelegt hat.
Die „Altersbriefe" sind von Fracassetti nur in italienischer
Uebersetzung , welcher wie derjenigen der „Freundesbriefe"
ein eingehender Commentar beigefügt ist, herausgegeben
worden ^). Für den lateinischen Originaltext ist man daher
noch immer auf die jämmerlichen baseler Ausgaben beschränkt.
Diese letzteren geben übiigens die Briefsammluug nicht einmal
in ihrem ursprünglichen Umfange wieder, indem mehrere der
längeren Episteln ausgeschieden und als selbständige Tractate
unter Specialtiteln den Prosawerken im engeren Sinne ein-
gereiht worden sind ^). Die Zahl der Bücher ist dadurch von
17 auf 16 reducirt worden 3). Von einer Herausgabe der
culturgeschichtlich doch so wichtigen und interessanten „Bnefe
ohne Aufschrift" hat Fracassetti ganz absehen zu müssen ge-
glaubt, weil ein solches Unternehmen „eines katholischen und
verständigen Mannes unwürdig" sei (proleg. p. V). Bei aller
Achtung für den religiösen und sittlichen Rigorismus des
hochverdienten Gelehrten meinen wir doch, dass sein Verfahren
ein unbegründetes war. Die katholische Religion würde durch
eine neue Herausgabe der Epistolae sine titulo, da diese ja die
Dogmen völlig unangefochten lassen, nicht im mindesten ge-
schädigt, ebenso wenig die öffentliche Sittlichkeit irgendwie
gefährdet werden können und übrigens wäre auch der Schatten
einer Gefahr beseitigt worden, sobald der Herausgeber die
Beifügung einer italienischen Uebersetzung unterlassen hätte.
Die Wissenschaft soll über engherzige Bedenken erhaben sein.
Nur die an Cola di Rienzo und an das römische Volk ge-
richteten Episteln, welche bisher fälschlich den „Briefen ohne
^) Lettere senili di Fr. P. volgarizzate etc. da Gius. Fracassetti.
Florenz 1869—70, 2 Bde.
-) de republica optirae administranda =•= Sen. XIV 1, de officio et
virtutibus iniperatoris = Sen. IV 1, de obedientia ac fide uxoria mytho-
logia = Sen. XVII 3, de avaritia vitanda = Sen. VI 7 und 8.
') Das 14. und 15. Buch der ursprünglichen Sammlung sind unter
Auslassung des ersten Briefes des 14. Buches (de republica optime ad-
ministranda) zu einem Buche, dem 14., verschmolzen.
32 Erstes Capitel.
Aufschrift'" beigezählt ^vunlen, hat Fracassetti in einem An-
hange zu der lateinischen Ausgabe der „Freundesbriefe" ver-
öffentlicht. In diesen „Appendix'' sind ausserdem noch einige
andere bis dahin entweder gar nicht oder doch nur ungenügend
veröffenttichte Briefe Petrarca's sowie dessen Testament auf-
genommen worden *).
Es ist somit durch Fracassetti's verdienstliche Bemühungen
nahezu das gesammte umfangreiche Material der Prosabriefe
in einer mustergültig zu nennenden Weise neu edirt und
commentirt worden. Künftigen Forschern bleibt es vorbehalten,
Einzelnes zu berichtigen und zu ergänzen.
Als eine weitere hochwichtige Quelle für Petrarca's
Biographie tritt die in drei Bücher geordnete und 67 Briefe
umfassende Sammlung seiner lateinischen poetischen Episteln,
welche er dem neapolitanischen Freunde Barbato von Sulmo
widmete, hinzu. Zu beklagen ist nur, dass dieselbe bis jetzt
noch in keiner würdigen und selbst auch nur bescheidenen
Anforderungen genügenden Ausgabe vorliegt, denn die von
Ptossetti veranstaltete und mit einer italienischen Uebersetzung
sowie mit einem Commentar l)egleitete ^) leidet an den wesent-
lichsten inneren und äusseren Mängeln, namentlich entbehrt
sie in empfindlicher Weise jeder Uebersichtlichkeit. Einem
anderen Orte müssen wir es jedoch vorbehalten, die poetischen
Briefe nach Inhalt und Form eingehender zu würdigen.
Auch die übrigen lateinischen Werke Petrarca's können
und müssen für die Geschichte seines Lebens nutzbar gemacht
werden, denn in allen finden sich einzelne nicht unwichtige
Angaben, und einige, besonders aber die Gespräche „über die
Weltverachtung" ^) (eine dem heiligen Augustin abgelegte
*) Der dritte dieser Briefe , die beiden Gespräche „de vitae suae dis-
positione" enthaltend (t. III p. 506 — 513), wird von Fracassetti mit Unrecht
Petrarca beigelegt, er ist vielmehr nach Petrarca's eigenem Zeugnisse (Sen.
XrV 4 = XV 3) von Lombarde da Serico verfasst.
-') Poemata minora Fr. P. quae extant omnia etc. ed. Dom. Rossetti
Mailand 1819, 1821 und 1824.
^) de contemtu mundi.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 33
Beichte) und die allegorischen Dichtungen der „Bucolica" i),
gewähren sogar die wichtigsten Aufschlüsse über seinen Ent-
wickelungsgang und die wechselnden Phasen seines Seelen-
lebens. Selbst aus den italienischen Dichtungen kann manches
werthvolle Material entnommen werden, indessen muss man
dabei mit der grössten Vorsicht verfahren, da der Dichter nur
allzusehr bemüht gewesen ist, die Wirklichkeit durch die Hülle
der Allegorie zu verbergen, und da überdies in Liedern be-
richtete Vorgänge und ausgesprochene Empfindungen niemals
als schlechthin wahr angenommen werden dürfen. Gerade bei
einem so durch und durch subjectiven Dichter wie Petrarca
müssen wir uns sehr hüten, die Dichtungen etwa als eine Art
Tagebuch betrachten zu wollen. Wenn irgend ein Poet, so
verstand es der Sänger des „Canzoniere", Gefühle sich anzu-
empfinden und Seelenstimmungen künstlich zu erzeugen.
Als die Hauptquellen für die Kenntniss des Lebens
Petrarca's müssen durchaus die verschiedenen Sammlungen der
prosaischen und poetischen Briefe betrachtet werden; die
übrigen Werke besitzen nur den Werth von Nebenquellen,
wenn auch allerdings die „Bucolica" und die „Bücher über die
Weltverachtung'- sehr wichtige Nebenquellen sind. Selbst eine
noch nicht erwähnte Schrift, welcher man versucht sein könnte
die grösste Wichtigkeit für die Biographie beizumessen, besitzt
doch nur einen untergeordneten Werth.
Petrarca tnig sich mindestens seit dem Jahre 1855 2)
mit dem Gedanken, eine Geschichte des eigenen Lebens zu
schreiben, jedoch erst im späten Alter, jedenfalls erst nach
dem am 19. December 1370 erfolgten Tode des Papstes
Urban V., unternahm er die Ausführung und es war ihm nicht
^vergönnt, das spät begonnene Werk zu vollenden : vermuthlich
durch den Tod verhindert, vermochte er die Erzählung nur
bis zu seiner im Jahre 1351 erfolgten Rückkehr nach Vaucluse
fortzuführen. ^
^) Edirt von Rossetti in der oben citirten Sammlung t. I.
2) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 234 f.
Körting, Petrarca. o
34 Erstes Capitel.
Es enthält dies Fragment einer SelbstbiogTaphie. welches
den bezeichnenden Titel eines „Briefes an die Nachwelt"
führt ^), nur wenige Angaben, welche uns nicht durch die
..Freundesbriefe" in grösserer Ausführlichkeit überliefert
würden, und es ist demnach in biographischer Hinsicht nicht
eben sonderlich wichtig. Eine desto grössere Bedeutung
darf dasselbe in cultur- und litterargeschichtlicher Beziehung be-
anspruchen. Petrarca, als er sein eigenes Leben zu erzählen
begann , that etwas , was , wie er selbst bemerkt -') , vor ihm
Niemand gethan hatte, mindestens nicht seit den Zeiten des
Alterthums. Freilich gibt er an, die Schrift nur verfassen zu
wollen, um sich gegen mancherlei Vorwürfe, welche man auf
Grund einiger seiner Handlungen, namentlich aber wegen
seines langjährigen Verweilens an dem Hofe der Visconti
gegen seinen sittlichen Charakter erhoben hatte, zu recht-
fertigen ^) , aber, so mitbestimmend eine solche Absicht auch
immerhin gewesen sein mag, das Hauptmotiv war sicherlich
ein anderes, es war der Wunsch, das Andenken an die eigene
Persönlichkeit der Nachwelt zu überliefern und dadurch dem
Nachruhme eine dauernde Grundlage zu verleihen. Unerträg-
lich war dem das eigene Ich selbstgefällig bewundernden
Manne, dass er, der im Leben so hoch Gefeierte, er, der lor-
beergekrönte Dichter, er, der Erneuerer des Alterthums, er,
der Freund endlich so vieler Fürsten, nach dem Tode etwa
der Vergessenheit anheimfallen könnte, dass die Nachwelt etwa
nicht mehr sich erinnern würde, wo und wann Francesco Petrarca
geboren worden und wie tugendhaft und ruhmvoll sein Leben
gewesen sei. Nicht von diesem schrecklichen Loose betroffen
und der mühsam erstrebten Unsterblichkeit beraubt zu werden
— das war es , was er durch den Brief an die Nachwelt er-
reichen w^ollte. Daran wird Niemand zweifeln, wer Petrarca
aus seinen Werken näher kennt oder wer auch nur eben den
^) Epistola ad posteros, enthalten in Fracassetti's Ausg. der Ep. Fam.
I p. 1—11 sowie in der ital. Uebersetzung Lett. fam. I p. 201—^:12.
"-) Ep. Var. 25: „quod ante me, ut arbitror, fecit nemo".
*) Invect. in med. praefat ; Ep Var. 25.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 35
Brief an die Nachwelt aufmerksam ^^elesen und wahrgenommen
hat, wie aus jeder Zeile desselben Hochmuth und Eitelkeit
unter der Maske devoter Bescheidenheit hervorblicken.
Die Menschen des Mittelalters, der ausgeprägten geistigen
Individualität und mehr noch des Bewusstseins derselben ent-
behrend , waren nicht begierig nach jener irdischen Unsterb-
lichkeit, welche durch das Schwert oder die Feder errungen
wird, sie trachteten nur der himmlischen nach. Hochbegabte
Dichter und Geschichtsschreiber strebten so wenig, im An-
denken der Nachwelt fortzuleben , dass sie oft ihre Werke
nicht einmal mit ihren Namen untei'zeichneten, so dass wol die
ersteren, nicht aber die letzteren uns übei'liefert worden sind.
Das ist auch der Grund, wesshalb das Mittelalter den Begriff
des geistigen Eigenthums gar nicht kannte, wesshalb Dichter
und Geschichtsschreiber so ganz unbedenklich die Werke ihrer
Vorgänger fortsetzten oder selbst umgestalteten ohne diese
auch nur zu nennen, geschweige dass sie den ursprünglichen
Verfassern die Ehre der Erfindung und Conception zuerkannt
hätten. Man betrachtete eben Geisteswerke als Dinge, an
denen Niemandem ein Eigenthumsrecht zustehe und mit denen
frei zu walten und zu schalten einem Jeden völlig erlaubt sei.
Ganz andere Anschauungen hegten und begründeten für
die Folgezeit die Schöpfer der Renaissancelitteratur , die
Humanisten. Ihnen war die durch geistiges Schaffen errungene
Unsterblichkeit in der irdischen Welt das höchste der Ziele,
das ruhmvolle Fortleben in den ungemessenen Zeiten der Zu-
kunft der sehnlichste Wunsch, ruhmloser Vergessenheit an-
heimzufallen die quälendste Furcht. Sie, die Erwecker der
antiken Welt, dachten und empfanden eben auch nach antiker
Weise und die Begierde nach Ruhm, welche einst die Menschen
des Alterthums beherrscht und zu grossen Thaten begeistert
hatte, flammte in ihrer Brust zu neuem kraftvollen Leben auf.
Wie für die Menschen des Mittelalters das Seelenheil im Jen-
seits, so war für die Menschen der Renaissance der Ruhm bei
der Nachwelt der Zielpunkt alles Strebens und Trachtens und
es wurden für sie die Begriffe des Ruhms und der Tugend
3*
36 Erstes Capitel.
identisch: wer den Ruhmeskranz sich errungen, der allein galt
als der tüchtige Mann, gleichviel welcher Mittel er sich be-
dient hatte. Freilich gal) man sich oft den Anschein, als ver-
achte man in philosophischer Erhabenheit den Ruhm, aber
gerade die Geflissentlichkeit, mit welcher man dies that, ist
der stärkste Beweis für das Gegentheil, denn von Dingen, die
man Avirklich geringschätzt, pflegt man nicht so viel zu
sprechen. Cicero's „Traum des Scipio" wurde das Evangelium
des Humanismus und der Renaissance; die in der merkwür-
digen Schrift gepredigte Lehre von einem überirdischen seligen
Dasein, in welches einzugehen nur dem ruhmgekrönten Manne
vergönnt ist, der über die verachtete Masse der Durchschnitts-
menschen sich erhoben hat, verdrängte mehr und mehr den
Glauben an das christliche Himmelreich, welches nur den
Armen am Geiste sich öff"nen soll.
Von solchen Vorstellungen erfüllt strebten die Menschen
der Renaissance, die irdische Persönlichkeit durch Wort und
Schrift im Andenken der Nachwelt zu verewigen, denn der
Ruhm haftet ja an der Persönlichkeit: schwindet ein Name aus
der Menschen Gedächtnisse, so schwindet damit auch der
Ruhm dessen, der ihn einst getragen, selbst wenn das Werk,
durch welches der Ruhm gewonnen ward, noch fortbesteht.
Die Erkenntniss freilich, dass nur Lied und Schrift dem
Ruhme Dauer zu verleihen vermögen, wai- auch dem Mittel-
alter nicht fremd und sie ist von den Dichtern desselben oft
genug ausgesprochen worden ^), aber man verwerthete sie meist
nur für die Vergangenheit und, um so zu sagen, im collectiven
Sinne: man feierte die Thaten der Voi-fahren oder diejenigen
des ganzen Volkes im Gedichte, auf die Verewigung der
eigenen Persönlichkeit aber nahm man keinen Bedacht und
bemühte sich nicht darum. Oft genug geschah es, dass derselbe
Dichter, der durch sein Lied die Namen der Helden einer
sagenhaften Vorzeit der Nachwelt überliefern wollte und auch
wirklich überliefert hat, den eigenen Namen nicht nannte.
^) z. B. von Wace im Eingänge des Roman de Rou.
Die Quellen für die Biographie Petrarca's. 37
Wer kennt des Rolandsliedes oder der Nibelungen Verfasser?
Und wenn es auch der gelehrten Forschung schon gelungen
sein oder noch einstmals gelingen sollte, ihre Namen zu
entdecken, so wird man sie sicherlich nicht in dem Texte
der Lieder selbst finden, die Dichter haben sich eben nicht
genannt *).
So war denn Petrarca der erste seit den Tagen des Alter-
thums, welcher durch seinen „Bi'ief an die Nachwelt" die Ver-
ewigung der eigenen Persönlichkeit angestrebt hat. Er eröffnet
die seitdem unabsehbar gewordene Reihe der ruhmbegierigen
Männer, welche, um ja nicht etwa des Biographen und des
.von ihm auszustellenden Antheilscheines auf die Unsterblich-
keit zu entbehren, sich der Arbeit selbst unterziehen und ihre
eigenen Biographen werden. So bildet die „Epistel an die
Nachwelt" einen Markstein in der Geistesgeschichte der
Menschheit, sie kennzeichnet scharf und bestimmt die Scheide»
zwischen Mittelalter und Neuzeit. Ihr Verfasser aber ist der
erste moderne Mensch.
Da, wie durch das bisher Erörterte genügend klar gelegt
worden sein dürfte, das von Petrarca selbst in seinen Brief-
sammlungen und sonstigen Werken für seine Biographie ge-
lieferte Material mehr als hinreichend genannt werden muss,
um darauf eine wahrheitsgetreue und vollständige Erzählung
seines Lebensganges zu begründen, so befindet sich sein Bio-
graph, namentlich wenn er nur eine Skizze zu entwerfen beab-
sichtigt, in der glücklichen Lage, auf anderweitiges Material
im Allgemeinen verzichten zu dürfen, wenn auch an einzel-
nen Stellen die Herbeiziehung desselben unerlässlich sein
wird. Im Wesentlichen kann und muss Petrarca's Leben auf
Grund seiner eigenen Angaben erzählt werden und das soll
denn auch auf den folgenden Blättern geschehen.
Zahlreich oder vielmehr zahllos sind die Biographen,
welche Petrarca von dem Jahre seines Todes ab bis zur Ge-
^ ) Dass der am Schlüsse der „Chanson de Roland" genannte Turoldus
nicht ihr Verfasser sein kann, wird als selbstverständlich angenommen
38 Erstes Capitel.
genwart gefunden hat. Es würde zwecklos sein, hier eine
Liste derselben entwerten zu wollen und überdies ist eine
solche auch bereits mehrfach gegeben worden^). Die Bio-
graphien des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts können,
da sie meist nur den ., Brief an die Nachwelt" mit grösserer
oder geringerer Treue reproduciren und ihn höchstens durch
einige Angaben von sehr zweifelhafter Zuverlässigkeit ergänzen,
als so ziemlich werthlos bezeichnet werden ^). Selbst die von
Boccaccio verfasste Vita Petrarca's (herausgegeben von Rossetti
in dem Werke: Petrarca, Giulio Celso e Boccaccio, Triest 1828)
ist inhaltlich herzlich unbedeutend, schon um desswillen, weil sie
sich nur bis zum Jahre 1344 erstreckt, und sie ist weit mehr ein
Panegyrikus als eine Biographie zu nennen, wie sie denn wol
auch nur dem Zw^ecke dienen sollte, Petrarca's Rückberufung
nach Florenz zu veranlassen (vgl. Rossetti p. 352). — Von den
Biograplien des sechzehnten und siebeuzehnten Jahrhunderts
verdienen nur Alessandro Vellutello (Vita e costumi del P.
Venedig 1525), Ludovico Beccadelli (ca. 1560, seine Vita bei
Tomasini Petr. Rediv. p. 213), 'Filippo Tomasini (Petrarcha
Redivivus. Padua 1635 und 1650) und der Deutsche Schroderen
oder Schrödern (Fr. Petrarcae etc. vita.- Mannsfeld 1622) eine
besondere Erwähnung. — Bedeutende Fortschritte machte die
Petrarcabiographie im achtzehnten Jahrhunderte durch die
fleissigen und kritikvollen Abhandlungen des Barons Joseph de
la Bastie (in den Mem. de TAcad. des inscript. et helles lettres
1) Zuletzt in löblicher Kürze von Fracassetti, Lett. fam. I. p. 32.
") Es sind: Domenico Aretino b. Mebus p. 131 flf. u. 197, CoUuccio
Salutati (dessen Werk verloren, vgl. Mehus p. 228), Filippo Villani b. Me-
bus p. 195 (ein anderer Text separat edirt u. d. T. Vitae Dantis, Petrarcae
et Boccacci. Florenz 1826, p. 41—66), Paolo Vergerio b. de Sade t. III
pieces justif. p. 13, Sicco Polentone b. Mebus p. 198, Leonardo Bruno Are-
tino b. Tomasini Petr. Rediv. p. 207, Giannozzo Manetti (ed. Mehus. Florenz
1747 u. d. T. Specimen bist. lit. florent.), Antonio da Tempo ed. Marsand
in der Biblioteca petrarchesca) u. Squarciafichi (ed. in den baseler Ge-
sammtausgaben) — Die angebliche Vita von Luigi Peruzzi b. Bruce- Wbyte,
bist, des lang. rom. (Paris 1841) t. III. p. 370—380 ist eine grobe Fäl-
schung.
Die Quellen fiir die Biographie Petrarca's. 39
t. 24 und 27) und namentlich durch das grundlegende, noch
immer unentbehrliche Werk des Abbö de Sade (Mämoires pour
la vie de P., Amsterdam 1764 — 67. 3 Bde. 4), dessen Werth
freilich durch die Menge der darin niedergelegten wunder-
lichen Hypothesen und die theilweise mehr als zweifelhafte
Aechtheit der zu Grunde gelegten Urkunden wesentlich be-
einträchtigt wird ^). Die zu seiner Zeit zu Tage geförderten
sicheren p]rgebnisse der Forschungen über Petrarca's Leben
fasste in übersichtlicher Form und mit besonnener Kritik
Baldelli zusammen in dem Buche „del Petrarca e delle sue
opere" (Florenz 1797). •
Unter den Biographien, welche in unserem Jahrhunderte,
bevor Fracassetti die Briefsammlungen herausgab, erschienen
sind, ist die von L. G. Blanc in Ersch und Gruber's Ency-
clopädie (Sect. 3. Thl. 19. p. 204—254 J. 1844) gegebene
zweifellos die tüchtigste Arbeit. Ambrogio Levati's Buch
„Vi^ggi di Fr. P." (Mailand 1820. 5 Bde.) ist ein interessanter
Roman, aber kein Geschichtswerk. Des Engländers Thomas
Campbeirs Buch „Life and times ofP." (London 1843. 2 Bde.)
ist völlig werthlos.
Auf Grund der Fracassetti'schen Ausgaben und Ueber-
setzungen der Prosabriefe, durch welche erst eine wirklich
wissenschaftliche Biographie ermöglicht worden ist, haben geist-
volle und anziehend geschriebene Skizzen des Lebens und Wir-
kens Petrarca's entworfen A. Mezieres (Petrar(|ue, ötude d'apres
de nouveaux documents. 2eme ^d. Paris 1868) und Ludwig Geiger
(Petrarca. Leipzig 1874). Ein sehr inhaltsreiches Essay über
Petrarca hat endlich Feuerlein neuerdings in der Sybel'schen
„Historischen Zeitschrift" (Bd. 38. p. 103 ff.) gegeben.
Das Petrarcajubiläum des Jahres 1874 veranlasste das
Erscheinen mehrerer sehr werthvoller Schriften über einzelne
') Einer eingehenden und scharfen, zuweilen aber auch ungerechten
Kritik unterzog das trotz aller seiner Schwächen doch hoch verdienstliche
Werk des gelehrten Franzosen Tiraboschi im fünften Bande seiner Storia
della lett. ital.
40 Erstes Capitel. Die Quellen für die Biographie Petrarca's.
Episoden des Lebens des Dichters^) sowie die Heraus^^abe
einiger seiner bis dahin noch nicht veröffentlichten lateinischen
Schriften ^), denen auch für die Biographie manches interessante
Material zu entnehmen ist.
^) 1. C. R 0 m u s s i , Petrarca a Milano. 2. A.Roiichini,la dimora del
P. in Parma. 3. A. Malmignati, P. a Padova, a Venezia e ad Arquä
4. (Cittadella e Corradini) Padova a F. P. 5. Ateneo Veneto) P. e Venezia.
vgl. L. Geiger in der Beilage der AUg. Ztg. vom 26. Febr. 1875.
'^) Scritti inediti di Fr. P. ed. A. Hortis. Triest 1874.
Zweites Capitel.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend.
Im Septembermonate des Jahres 1301 leuchtete an dem
westlichen Himmel über Florenz ein Komet , deV nach dem
Aberglauben damaliger Zeit von den Astrologen als untrüg-
liches Vorzeichen schweren Unheils für Italien und für die
Stadt Florenz insbesondere betrachtet wurde, um so mehr, als
bereits zwei Mal in diesem Jahre, im Januar und im Mai, die
Planeten Saturn und Mars im Zeichen des Löwen, dem Stern-
bilde Italiens, zusammengetroffen waren und als im Januar
der Mond ebenfalls im Zeichen des Löwen sich verfinstert
hatte ').
Und der Aberglaube sollte diesmal Recht behalten! Das
von ihm verkündete und gefürchtete Unheil nahte rasch! Am
Allerheiligentage desselben Jahres noch zog Karl von Valois,
des französischen Königs Philipp des Schönen Bruder, an der
Spitze von 500 französischen Rittei-n in Florenz ein und liess
sich wenige Tage darauf die Herrschaft über die Stadt über-
tragen 2). Den Frieden sollte er dem Auftrage des Papstes
Bonifaz VIE. gemäss dem parteizerrissenen Gemeinwesen brin-
gen, aber in Wahrheit brachte er den wildesten Bürgerki-ieg,
») Giov. Villani, lib. VIII c. 47 b. Muratori Script, rer. ital. XIII. p. 375.
2) Villani, VIII c. 48. p. 375 f.
42 Zweites Capitel.
sowie er, von einer gleichen Ironie des Schicksals verfolgt,
auf dem im April des nächsten Jahres unternommenen Zuge
nach Sicilien statt des erhofften siegreichen Kampfes nur
schimpflichen Fneden sich zu gewinnen vermochte^).
Die Aufgabe eines Friedensvermittlers fasste der fran-
zösische Prinz in seltsam verkehrter Weise auf, denn, statt die
streitenden Parteien der Schwarzen und der Weissen zu ver-
söhnen, duldete und beförderte er es, dass die erstere, deren
Haupt der aus der Verbannung heimgekehrte rachgierige Corso
Donati war, die Herrschaft an sich riss und in bis dahin uner-
hörter Weise gegen ihre politischen Gegner wüthete. Alle
Weissen, welche irgendwie durch Geburt oder amtliche Stellung
oder Vermögen Bedeutung besassen, wurden unter den nich-
tigsten Voiwänden und unter schamlosester Verhöhnung aller
Ptechtsformen geächtet, in die Verbannung getrieben und ihrer
Güter beraubt, ja selbst ihre Häuser wurden zerstört und
ihre etwaige Ptückkehr auf florentinisches Gebiet w^ard mit den
härtesten Leibesstrafen nicht bloss bedroht, sondern vorkommen-
den Falles auch wirklich geahndet^).
Unter den Hunderten, welche das traurige Loos der Ver-
bannung traf, befanden sich auch Dante Alighieri % der bereits
nach wenigen Jahren und dann für alle Folgezeit als Italiens
grösster Dichter gefeiert werden sollte, und Ser Petracco, des
Parenzo aus Incisa Sohn, welcher bestimmt war, dem zweit-
grössten italienischen Dichter das Leben zu geben : an dem
gleichen Tage, dem 27, Januar 1302, verloren Dante und
Petracco ihre schöne Heimath für immer ^).
^) Villani , VIII c. 49. p. 379 : Messcre Carlo venne in Toscanii, per
paciaro e lascioUa in guerra ed andonne in Cicilia per giierra fare e re-
conne vergognosa pace.
^) Villani, VIII c. 48. p. 375—378, vgl. Perrens, Histoire de Florence
(Paris 1877) t. III. p. 66 ff.
^) Ueber die Schreibweise des Xamens Alighieri vgl. Fraticelli, Storia
della vita di Dante (Florenz 1861), c. 2. p. 13—31.
*) Ueber das Datum der Verbannung Dantes vgl. die bei Fraticelli
a a. 0. p. 136 ff. abgedruckten Urkunden. Petrarca sagt ausdrücklich, dass
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 43
Die Vertriebenen wandten sich tlieils nach Pistoja, theils
nach Pisa, theils auch nach Arezzo ^). Wie alle diejenigen,
welche im politischen Parteikampfe unterliegen, glaubten auch
sie, dass ihre Niederlage nur eine zeitweilige sei, und erhofften
sie eine baldige glückliche Wendung ihres Geschickes. An
wiederholten Versuchen, mit gewaffneter Hand sich die sieg-
reiche Rückkehr zu erzwingen, Hessen sie es nicht fehlen, und
einmal schien ihr Streben von dem Erfolge gekrönt werden
zu sollen. Am Morgen des 20. Juli 1304 gelang es den
Weissen, bis zu den Thoren von Florenz; ja zum Theil bis in
die Stadt selbst vorzudringen, und, wäre ihr Unternehmen
überlegter und planmässiger gewesen, der Sieg würde ihnen
kaum entgangen sein, während in Folge dieses Mangels der mit
mehr Kühnheit als Klugheit gewagte Versuch kläglich scheiterte
und mit wirrer Flucht der allzu rasch Entmuthigten endete %
Nach diesem Schlage konnten die Weissen die Rückkehr in
die Vaterstadt nur etwa noch von der Hülfe des Kaisers er-
hoffen, doch auch diese Hoffnung erlosch, als am 24. August
1313 Heinrich VII. zu Buonconvento starb. Die Florentiner
aber feierten seitdem lange Jahre den 20. Juli als öffentlichen
Festtag'^), sie feierten dadurch ohne ihr Wissen zugleich den
Geburtstag eines ihrer grössten Dichter, —
Ser Petracco hatte in der altljerühmten , freundlich gele-
genen Etruskerstadt Arezzo eine Zuflucht gesucht und gefun-
den. Hier bewohnte er mit seiner Gattin auf einer in der
inneren Stadt belegenen Strasse, „Gartenstrasse" genannt^),
ein einfaches, wenig geräumiges Haus ^). In diesem Hause
sein Vater und Dante „uno die atque uno civili turbine" vertrieben worden
seien. (Ep. Fam. XXI. 15.) Nach Dino Compagni freilich (b. Muratori, IX
p. 502) wären Dante und Petrarca erst im April verbannt worden.
-) Villani, VIII 48. p. 378: chi n'andö a Pisa e chi a Arezzo e chi
a Pistoia.
2) Villani, VIII c. 72. p. 405— 408, vgl. Perrens, a. a. 0. Hl p. 99 ff.
3) cf. Ep. Sen. VIII 1.
■*) Epist. Sen. XIII 3: „in intim o vico civitatis, qui Hortus vulgo
dicitur".
^) Petrarca, ibid: „domus haud sane ampla seu magnifica, sed qualis
exulem decuisset".
44 Zweites Capitel.
wurde ihm an demselben 20. Juli — einem Montage und dem
Tage der heiligen Margarethe — und beinahe in derselben
frühen Morgenstunde, als die Weissen vor und in Florenz für
ihre Rückkehr erfolglos fochten, ein Sohn geboren, der einst
nach nicht ganz vier Jahrzehenden als der gefeierte Francesco
Petrarca die Dichterkrone auf dem Capitol empfangen sollte.
Petrarca nennt das Jahr und den Tag seiner Geburt zu
wiederholten Malen i) mit solcher Deutlichkeit und Genauig-
keit, dass an der Richtigkeit dieser Angabe vernünftigerweise
nicht gezweifelt werden kann. Am ausführlichsten spricht er
sich über seine Geburt und die sie begleitenden Umstände in
dem Briefe aus, welchen er am 20. Juli 1366, also an seinem
zweiundsechzigsten Geburtstage, an Boccaccio schrieb (Epist.
Sen. VIII 1), um ihm seinen Eintritt in das vermeintlich so
ominöse dreiundsechzigste Lebensjahr zu melden, ein Brief, der
in vielfacher Beziehung hoch interessant ist.
Seiner im Vergleiche mit Italiens stolzen Metropolen kleinen
und ärmlichen, wenn auch altehrwürdigen Geburtsstadt hat Pe-
trarca sich nie geschämt, und es gereichte ihm zur hohen
Freude, dass er sie im Jahre 1350. als er von Rom zurück-
reiste, zum ersten (und, soviel wir wissen, auch letzten) Male
wiedersehen konnte. Die Aretiner alier waren stolz auf ihren
rasch berühmt gewordenen Landsmann und wussten ihn noch
bei seinen Lebzeiten gebührend zu ehren. Noch vor dem Jahre
1350 ward verfügt, dass sein Geburtshaus unverändert zu er-
halten sei, und solche Pietät mag den Dichter, als er bei seiner
Anwesenheit in dem genannten Jahre davon Kenntniss erhielt,
wol noch mehr erfreut haben, als der festliclie Empfang, der
ihm bereitet ward -). Bis auf den heutigen Tag ist das Haus,
in welchem Petrarca geboren, im Wesentlichen unversehrt er-
halten worden und im Jahre 1810 ward es mit einer Gedenk-
tafel würdig einfachen Inhaltes geschmückt.
Die Verehrung, welche die Aretiner dem grössten Sohne
») Epist. ad post, Epist. Sen. VIII 1 und XIII
*) Epist. Sen. XIII 3.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 45
ihrer Stadt zollten, bliel) nicht unbelohnt. Als Arezzo nach
der Schlacht bei Marengo den Franzosen noch Widerstand zu
leisten wagte, eroberte Napoleon die Stadt mit Sturm, gewährte
aber, um das Andenken Petrarca's zu ehren, den Bürgern eine
allgemeine Amnestie ^), So walteten Petrarca's Manen schützend
über seine Geburtsstadt.
Es wird hier der geeignete Ort sein, um über Petrarca's
Vorfahren und Aeltern das Wenige zu sagen, was sich über-
haupt darüber sagen lässt.
Von seinen Vorfahren spricht Petrarca, der in seinen
Briefen und auch in seinen sonstigen Schriften so gern sich
über persönliche Verhältnisse verbreitet und so redselig bald
diese, bald jene Episode aus seinem Lebensgange berichtet,
mit einer einzigen gleich zu erwähnenden Ausnahme nie. Es
könnte dies auffallend erscheinen und vielleicht selbst der Ver-
muthung Raum geben, dass Petrarca seiner Vorfahren sich
geschämt habe, wenn nicht zu berücksichtigen wäre, dass er
während seines ganzen Lebens fern von der florentinischen
Heimath geweilt hat und in Folge dessen in keiner näheren
Verbindung mit seinen dort lebenden väterlichen und mütter-
lichen Verwandten stehen konnte, wodurch ihm einerseits die
Kenntniss etwa vorhandener Familientraditionen sehr erschwert
und andererseits auch sein Interesse an der Geschichte der
Familie überhaupt sehr geschwächt werden musste. Ueberdies
hat Petrarca augenscheinlich wenig Familiensinn besessen : in
jungen Jahren schon älternlos geworden und auf sich allein
angewiesen, von Kindheit an, ja noch vor der Geburt, losgelöst
von seiner alten Heimath, ganz neue Bahnen des Lebens und
Denkens einschlagend und das berechtigte Bewusstsein in sich
tragend, ausserhalb der Gedankenkreise seiner Zeit zu stehen
— wie konnte ihm da ein behagliches Zurückdenken in die
Vergangenheit seines Geschlechtes Bedürfniss sein und wie
konnte es ihm irgend welchen Beiz gewähren?
1) vgl. Petrarque ä Vaucluse et histoire de cette fontaine par un ancien
habitant de Vaucluse (Paris XIII od. 1804) p. 391.
4ß Zweites Capitel.
Der einzige Vorfahr, dessen Petrarca gedenkt, ist sein
väterlicher Urgrossvater Garzo. Von ihm erzählt er einmal
gelegentlich ^) , dass er ein frommer , rechtlicher und , soweit
dies ohne wissenschaftliche Bildung möglieh, auch ein kluger
Mann gewesen sei, der still und einfach zu Incisa gelebt habe,
bis er in dem selten hohen Alter von 104 Jahren gerade an
seinem Geburtstage und in demselben Zimmer, in welchem er
einst das Licht der Welt erblickt hatte, friedlich und gott-
ergeben entschlummert sei.
Der Sohn dieses Garzo war Parenzo und des Parenzo's
Sohn wiederum Petracco, Petrarca's Vater 2).
Auch von seinem Vater berichtet Petrarca nur Weniges,
und es lässt sich daraus erschliessen, dass sein Verhältniss zu
ihm ein wenig vertrauliches und inniges gewesen ist. Man-
cherlei Ursachen mögen hierzu mitgewirkt haben: zunächst
der äusserliche Umstand, dass Petrarca die Jahre seiner Kind-
heit und die ersten Jünglingsjahre nicht unter der unmittel-
baren väterlichen Obhut verbrachte, ferner der Gegensatz
der Anschauungen , welcher zwischen Vater und Sohn un-
zweifelhaft bestand und der sich kurz als Gegensatz des
Realismus und des Idealismus bezeichnen lassen düifte, endlich
vielleicht auch — wir werden das demnächst zu erörtern haben
— die ungewöhnlich grosse Differenz in dem beiderseitigen
Lebensalter. Hervorgehoben muss jedoch werden, dass, wenn
auch das Verhältniss zwischen Vater und Sohn allem Anschein
nach ein etwas kühles und wenig herzliches war, dies sich
doch nie zu einem offenen äusseren Zerwürfnisse gesteigert,
dass vielmehr, soweit wir zu urtheilen vermögen, Petracco
seinem Sohne stets die väterliche Liebe und dieser wieder
dem Vater stets die schuldige Achtung bewahrt hat. Gewiss
ist jedenfalls, dass Petracco seine Vaterpflichten nie verab-
säumt und dass er nach bestem Wissen und Vennögen für die
1) Epist. Farn. VI 3.
^) Weitere genealogische Einzelheiten sehe man bei Fracassetti, Lett.
fam. I. p. 214 f.
Die Jalu'e der Kindheit und ersten Jugend 47
Erziehung und Ausbildung seines Sohnes Sorge getragen hat,
wenn auch schwerlich geleugnet werden kann, dass, als er den
Sohn für die juristische Laufbahn bestimmte, er dessen geistige
Anlagen und Neigungen sehr unrichtig beurtheilte.
Nach alledem, was wir von Petrarca's Biographen erfahren,
war der alte Petracco ein durchaus ehrenwerther und thätiger
Mann und ein tüchtiger Jurist, welcher als Notar bei dem
florentinischen Staatsarchive delle Riformagioni ') ein ange-
sehenes Staatsamt bekleidete und wegen seiner hervorragenden
geistigen Begabung und seltenen Beredtsamkeit wiederholt mit
Gesandtschaften in schwierigen Angelegenheiten betraut wurde 2).
Dass Petracco einer höheren wissenschaftlichen Bildung nicht
entbehrte, bezeugt auch Petrarca selbst, der ihn uns als einen
grossen Verehrer Cicero's schildert und urtheilt, der Vater
habe es bei seiner reichen Begabung unter günstigeren äusseren
Verhältnissen, wenn er weniger von Familien- und Vermögens-
sorgen belästigt worden wäre, wol viel weiter bringen können
in humanistischer Bildung ^).
Dass aber Petracco auch , wie sein berühmter Sohn,
von der Schwäche der Eitelkeit nicht frei war, beweist die
folgende kleine von Petrarca erzählte Anekdote. In seinem
fünfzigsten Jahre entdeckte Petracco einzelne graue Haare auf
seinem Haupte, er wurde durch diese Wahrnehmung ganz be-
stürzt und verkündete das seiner Meinung nach vorzeitige Er-
grauen den Nachbarn als etwas ganz Merkwürdiges und Un-
natürliches ^).
Aus den vorstehenden Angaben, so kärglich sie auch sind,
erkennt man doch, dass Petrarca einige Eigenschaften wenig-
stens im Keime von seinem Vater ererbt hat: die Liebe zu
humanistischen Studien, die Beredtsamkeit und die kleine
Schwäche der Eitelkeit, vielleicht auch eine gewisse — von
^) lieber dieses Institut vgl. Perrens, a. a. 0. III p. 67. Note 1.
-) vgl. Fil. Villani b. Mehus , p. 195, Janozzus Manettus b. Tomasini,
p. 195 u. Leonardo Aretino, ibid. p. 207.
3) Epist. Sen. XV (in Fracassetti's Uebersetzung XVI) 1.
*) Epist. Fam. VI 3.
48 Zweites Capitel.
ihm selbst freilich immer in Abrede gestellte — Neigung zu
geschäftlicher Thätigkeit, aus welcher es sich erklären würde,
dass er so oft die ihm theuere Einsamkeit von Vaucluse und
Parma mit dem geräuschvollen Leben an fürstlichen Höfen
vertauschte und sich wiederholt zur üebernahme politischer
Missionen bestimmen Hess.
In welchem Jahre Petracco geboren ward und wie alt er folg-
lich bei der Geburt seines Sohnes war, lässt sich leider nicht er-
mitteln. Petrarca nennt einmal ^) seinen Vater jünger als den
im Jahre 1265 geborenen Dante, wonach Petracco im Jahre
1304 höchstens etwa 39 Jahre alt, vermuthlich aber beträcht-
lich jünger gewesen sein würde. Dem widerspricht indessen
eine andere Angabe. In einem jedenfalls im Jahre 1368 ge-
schriebenen Briefe ^) an seinen Jugendfreund , den Erzbischof
Guido Settimo von Genua, gedenkt Petrarca eines Ausfluges
nach Vaucluse, den er als Knabe während seines Aufenthaltes
in Carpentras unternommen hatte, und erwähnt hierbei, dass
sein Vater damals ungefähr ebenso alt gewesen sei, wie er
gegenwärtig selbst. Da nun Petrarca im Jahre 1368 64 Jahre
alt war und da ferner die Zeit seines Aufenthaltes in Caipen-
tras aller Wahrscheinlichkeit nach in die Jahre 1315 — 1319
fällt, so würde demnach Petracco's Geburtsjahr zwischen 1251
und 1255 anzusetzen sein und Petracco wäre folglich bei der
Geburt seines Sohnes schon ein älterer Mann von 49 bis 53
Jahren gewesen. Man sieht, beide Angaben, welche an sich ja
für gleich authentisch gelten müssen, lassen sich unmöglich
mit einander vereinigen und, da auch auf textkritischem Wege
der Widerspruch nicht gehoben werden kann, so muss es sub-
jectivem Ermessen anheimgestellt bleiben, welche Angabe man
für die richtige halten will. Wahrscheinlichkeitsgründe würden
sich sowoV für die eine als für die andere geltend machen lassen.
Sollte Petracco wirklich gegen fünfzig Jahre älter gewesen sein^
als sein Sohn, so wäre es leichter erklärlich, wenn der letztere
^) Ep. Fam. XXI 15.
2} Epist. Sen. X 2.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 49
ZU dem Vater nie in ein recht inniges Verhältniss zu treten
vermochte.
Demjenigen, was im Obigen über Petrarca's Vater gesagt
worden ist, dürfte sich passend eine kurze Bemerkung über
den Namen „Petrarca" und seine Schreibweise anschliesseu.
Als Sohn des Petracco (familiäre Namensform für Pietro)
hätte Petrarca sich Francesco Petracchi oder Petracchi allein
nennen müssen. Warum er den letzteren Namen in Petrarca
umänderte, ist völlig unklar, und nur vermuthen lässt sich,
dass er es des Wohllautes wegen oder um dem Namen eine
gewisse , nicht mehr zu enträthselnde symbolische Bedeutung
zu verleihen, gethan habe ^).
Dass aber die Schreibweise Petrarca mit c vor derjenigen
mit ch den Vorzug verdient, geht, trotz aller Argumente, welche
Fortunius Licetus in seiner weitschweifigen Dissertation in
Tomasini's „Petrarca redivivus" p. 249-270 zu Gunsten des
ch vorgebracht hat, unwiderleglich aus Petrarca's von ihm
selbst verfasster Grabschrift hervor, in welcher der Genetiv
Petrar c a e in dem Reime mit p a r c e und a r c e steht und folg-
lich uns zur Annahme des Nominativs Petrarca nöthigt^).
Der Schreibweise der Handschiiften , welche allerdings
wol vorwiegend Petrarcha ist, darf dem erwähnten Beweise
gegenüber keine Auctorität beigelegt werden, zumal uns be-
glaubigte Autogramme des Namens fehlen. —
Weniger noch als über Petrarca's Vater wissen wir über
seine Mutter, und es muss das in Anbetracht dessen, dass er
seine Kindheitsjahre fast ausschliesslich unter der mütterlichen
Pflege und Obhut verbrachte, recht befremdlich erscheinen.
In seinen Briefen, aus denen sich für so viele und darunter
zum Theil ihm persönlich ziemlich fernstehende Persönlichkeiten
ein reiches biographisches Material gewinnen lässt, gedenkt
Petrarca seiner Mutter nur zweimal und weiss von ihr nichts
w^eiter zu berichten, als dass sie ihn unter grossen Schmerzen
') Vgl. Janozzus Manettus b. Tomasini, Petr. red. p. 195 und 198.
-) Vgl. Fracasetti, Epist. Fam., prolegom. p. I Note.
Körting, Petrarca. 4
50 Zweites Capitel.
und mit Gefährdung ihres eigenen Lebens geboren habe, also
beinahe nur das Selbstverständliche ^). Ausserdem ist noch
ein lateinisches Gedicht Petrarcas auf den Tod seiner Mutter
vorhanden (in den baseler Ausgaben der gesammten Werke
der siebenten poetischen lateinischen Epistel des ersten Buches
unmittelbar angefügt), aber es enthält dasselbe kaum mehr
als eine sehr allgemein gehaltene und schablonenmässige Lob-
preisung, welche warme und natürliche Empfindung gar sehr
vermissen lässt, und wir können daraus an positiven Angaben nur
die folgenden entnehmen : dass Petrarcas Mutter mit Vornamen
Eletta hiess, denn sie wird in Vers 5 ,,electa Dei tam nomine
quam re" genannt, dass durch ihren Tod Petrarca und sein
Bruder ganz verwaist wurden, wie aus Vei-s 15 und 16 un-
zweifelhaft hervorgeht 2), dass sie folglich ihren Gatten über-
lebte und dass sie endlich ein Lebensalter von nur 38 Jahren
erreichte, denn Petrarca erklärt Vers 35 f. — eben kein poe-
tischer und feinfühliger Gedanke! — , ihr so viel Verse widmen
zu wollen, als die Zahl ihrer Lebensjahre betrage 3), und das
Gedicht besteht aus 38 Hexametern.
Der gewöhnlichen, aber freilich durch nichts beglaubigten
Tradition zufolge hiess Petrarca" s Mutter Eletta Canigiani, wo-
nach sie einer sehr angesehenen Familie — war doch im Jahre
1297 ein Cino Canigiani Gonfaloniere von Florenz gewesen —
angehört haben würde, und ist sie kurze Zeit nach ihrem
Gatten, etwa im Jahre 1326, gestorben. Diese letztere Angabe com-
binirt mit der oben erwähnten Petrarca's würde als ihr Geburts-
jahr das Jahr 1288 ergeben, sie wäre demnach, als sie Fran-
cesco's Mutter wurde, erst 16 Jahre alt gewesen und ihre
Vermählung mit Petracco müsste, da sich doch kaum glauben
lässt, dass sie erst im Exile erfolgt sei. mindestens zwei bis
drei Jahre früher angesetzt werden, so dass Eletta bereits im
*) Epist. fam. praef. und Epist. Sen. X 2.
*) „me fratremque parens dulcissima fessos Pjiihagorae in bivio et
rerum sub turbine linquis".
') „versiculos tibi nunc totidem, quot praebuit annos Vita, damus".
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 51
Alter von 13 bis 14 Jahren Frau geworden wäre, was nach
italienischen Verhältnissen, namentlich der damaligen Zeit, aller-
dings wohl denkbar, aber doch nicht recht wahrscheinlich ist.
Nun aber ist in dem Archivio generale de' contratti zu
Florenz unter den Protokollen des Ser Rustichello di Guido
Bandino da Leccio eine vom 25. Mai 1331 datirte Urkunde
gefunden worden, durch welche eine „Nicolcsa, Wittwe des
verstorbenen Ser Petracchi Parenzi aus Ancisa und Tochter
des verstorbenen Vannis Cini Sigoli", einen Specialbevollmäch-
tigten ernennt mit dem Auftrage, dass derselbe in ihrem Namen
alle diejenigen liegenden Güter ihres verstorbenen Gatten in
Besitz nehmen solle, auf denen ihre Mitgift hypothekarisch an-
gelegt sei ^).
Wenn diese Urkunde acht ist, was füglich nicht in Zweifel
gezogen werden kann, so muss man, da der in ihr erwähnte
Petracco Parenzi aus Ancisa doch gewiss mit Petrarca's
Vater identisch ist, annehmen, dass Nicolosa Petrarca's Mutter
gewesen sei, welche hiernach im Jahre 1331 noch gelebt haben
würde. Etwa zu glauben, dass Nicolosa eine nach dem Tode
der Mutter Petrarca's geehelichte zweite Frau Petracco's sei,
ist, um von anderen Gründen, welche dagegen sprechen würden,
ganz abzusehen, schon um desswillen unstatthaft, weil Petracco
das Vermögen einer zweiten Gemahlin nimmermehr auf seinen
vom Staate confiscirten Gütern in Florenz hypothekarisch hätte
anlegen können.
Ist hiernach, wie es allen Anschein hat, unter Nicolosa
wirklieh Petrarca's Mutter zu verstehen, so ist sehr schwer
abzusehen, wie mit den Angaben der Urkunde diejenigen der
gewöhnlichen Tradition und Petrarca's selbst vereinbart werden
können.
Die Differenz der Namen freilich hat de Gubernatis zu er-
klären versucht 2)*. Davon ausgehend, dass Nicolosa offenbar
*) vgl. über diese Urkunde und die daran sich knüpfenden Fragen die
lichtvolle Untersuchung Fracassetti's, Lett. fara. I. p. 217 iF.
*) vgl. A. Tobler im Jahrb. f. roman. u. engl. Spr. u. Litt. XV 4.
p. 469.
4*
52 Zweites Capitel.
eine Koseform für Nicola sei, hält er den von Boccaccio über-
lieferten Kamen Lecta (Lieta) für eine Kürzung einer anderen
Koseform „Nicoletta'' desselben Namens Nicola, die von Petrarca
gegebene Namensforni Electa aber nur für eine sinnige Um-
wandelung von Lecta. Die Formen „Vannis Cini" italianisirt
er, was gewiss zulässig, in Vanni oder Gianni (= Giovanni) di
Cino und lässt hieraus durch Umstellung und Verschmelzung
den Namen Cinigiani entstehen, von welchem seiner Meinung
nacli Canigiani nur eine falsche Lesung wäre. Der Name
„Sigoli" bleibt unerklärt.
Unbeschadet aller Anerkennung, welche man dem unleug-
baren Scharfsinne de Gubernatis' zollen mag, wird man doch
schwerlich durch seinen etwas gar zu künstlichen und noch
dazu unvollständigen Erklärungsversuch das Problem für gelöst
erachten können.
Grössere Schwierigkeiten noch als aus der Differenz der
Namen erwachsen aus dem Datum der Urkunde. Wenn Pe-
trarca's Mutter im Jahre 1331 wirklich noch unter den Lebenden
war, so musste sie, selbst wenn sie auch noch in demselben
Jahre gestorben sein sollte, bei ihrem Tode doch sicherlich ein
höheres Alter, als das von 38 Jahren, erreicht haben, denn
wir würden sonst zu der absurden Annahme gedrängt werden,
dass sie, geboren im Jahre 1293, bereits um 1301 oder spä-
testens im Januar 1302 ^), also in einem Alter von höchstens
neun Jahren, Petracco's Gattin und im Alter von elf Jahren
Petrarca's Mütter geworden sei.
Wie sind diese argen Widersprüche nun zu lösen? Bei
der Kärglichkeit des uns vorliegenden Materials bleibt absolut
nichts Anderes übrig, als entweder die Urkunde, trotzdem dass
sie die diplomatischen Merkmale der Aechtheit an sich trägt.
oder Petrarca's (Tedicht. trotzdem dass auch dieses durchaus
mit keinem Kennzeichen einer Fälschung behaftet ist, für unter-
') Bei später erfolgter Verehelichung würde ihre Mitgift nicht auf den
tlorentinischen Gütern ihres Gatten hypothekarisch haben angelegt weiden
können.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 53
geschoben zu erklären oder aber, und das düifte immerhin das
Wahrscheinlichste sein, anzunehmen, dass Petrarca sein Ge-
dicht entweder nicht vollendet habe, oder dass dasselbe doch
nur unvollständig überliefert worden sei, dass also die Zahl
der uns vorliegenden Verse nicht identisch sei mit der Zahl
der von Eiecta (oder Nicolosa) erreichten Lebensjahre. Für
die letztere Annahme würde namentlich der Umstand sprechen,
dass das Gedicht in der Fassung, in welcher es uns überliefert
ist, offenbar eines angemessenen Schlusses entbehrt^).
Verhehlen darf man sich aber nicht, dass die Annahme,
Petrarca's Mutter habe das Jahr 1326 und die Kückkehr ihres
Sohnes aus Bologna nach Avignon um längere Zeit überlebt,
gar manche Bedenken gegen sich hat. Wie konnte es, muss
man fragen, geschehen, dass Petrarca, wenn ihm nach 1326
die Mutter noch mehrere Jahre erhalten blieb, ihrer in seinen
uns vorliegenden Briefen, deren erster doch vom 18. April
spätestens des Jahres 1826 datirt ist, nirgends gedenkt? wie
konnte es ferner geschehen, dass Petrarca, soviel wir wissen,
nie in den Besitz seines mütterlichen, der Urkunde zufolge in
Florenz fundirten Erbes eingetreten ist? wie konnte, als die
florentinische Regierung im Jahre 1351 ihm die väterlichen
Güter zu restituiren beschloss ^) , es unerwähnt bleiben , dass
er einen Theil derselben als Erbe seiner Mutter bereits besass
oder doch ein Anrecht darauf hatte? oder sollte vielleicht
Nicolosa im Jahre 1331 ihr Recht geltend zu machen nicht
vermocht und ihren Specialbevollmächtigten vergebens ernannt
haben? Es ist das nicht recht wahrscheinlich, da ihr ja bereits
im Jahre 1305 die Rückkehr nach Incisa gestattet und viel-
leicht selbst ein dortiges Landgut ihres Gatten überlassen
worden war.
Wir stehen hier eben vor Räthseln, welche zu lösen
^) Eine noch andere Lösung schlägt Fracassetti Lett. fani. I. p. 221
vor. Er will die Verszahl des Gedichtes auf Eletta's Tod auf Petrarca's
Lebensjahre beziehen, wonach also dies Gedicht im Jahre 1342 abgefasst
worden und Eletta erst damals gestorben wäre. Gegen diese Annahme
sprechen lebhaft die im Folgenden erwähnten Bedenken.
-) vgl. Fracassetti, Lett. fam. III p. 40.
54 Zweites Capital.
wir nur dann vermögen werden, wenn etwa durch einen glück-
lichen Zufall uns neues Material geboten werden sollte.
Soviel indessen darf man wol auch jetzt schon behaupten,
dass Petrarca — wir müssen uns freilich bescheiden, zu wissen,
aus welchen Gründen — , wie zu seinem Vater, so auch zu
seiner Mutter in keinem näheren und vertraulicheren Verhält-
nisse stand. Der Vorwurf der Impietät wird ihm kaum er-
spart bleiben können, denn, möge die Mutter auch sonst welche
Fehler besessen haben, Petrarca hätte ihrem Andenken wol
herzlichere Worte widmen sollen, als jene frostigen achtund-
dreissig Hexameter. Welchen Einfluss die Mutter auf die
geistige Beanlagung und Ausbildung ihres Sohnes etwa aus-
geübt haben mag, lässt sich, da alle Anhaltspunkte fehlen,
nicht einmal vermuthen.
Von Petrarca's Aeltern wenden wir uns zu seinen Ge-
schwistern. Des einen Bruders Petrarca's, Gherardo, werden
wir im Laufe der folgenden Erzählung so oft gedenken müssen,
dass wir uns hier füglich nähere Angaben über ihn ersparen
können. Nur das Eine möge bereits hier bemerkt werden,
dass Gherardo allem Vermuthen nach einige Jahre jünger ge-
wesen ist als Francesco und vielleicht im Jahre 1307 zu Incisa
geboren wurde >). Ausser ihm besass Petrarca noch einen zweiten
Bruder, der aber schon in sehr zartem Alter wieder verstarb -),
und eine Halbschwester, Selvaggia, welche sich bereits im Jahre
1324 mit einem Florentiner, Namens Giovanni, Sohn des ver-
storbenen Tano di Summofonte, vermählte und übrigens nie
mit ihrem berühmten Halbbruder irgend welche Beziehungen
unterhalten zu haben scheint ^y.
Nachdem wir uns also über Petrarcas Vorfahren, Aeltern
und Geschwister unterrichtet haben, nehmen wir den kaum
erst angesponnenen Faden seiner Lebensgeschichte wieder auf.
In seiner Geburtsstadt Arezzo verbrachte der kleine Fran-
cesco oder Checco, wie er mit acht florentinischer Koseform
') vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 226.
2) Epist. Fam. II 1 u. IX 2.
■'') vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 224 f.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 55
genannt wurde ^), kaum das erste Halbjahr seines Lebens, denn
bereits im Februar 1305 siedelte seine Mutter, welcher die
Rückkehr in das florentinische Gebiet gestattet worden war,
nach dem nur vierzehn Miglien von Florenz entfernten Incisa
über^). Francesco war auf der Reise der Obhut eines kräf-
tigen jungen Knechtes anvertraut, welcher, um das Knäblein
nicht beim Reiten zu verletzen, dasselbe — wie einst Metabus
die Camilla (Virg. Aen. XI 552 ff.) — in Tücher eingewickelt
an einem Knotenstocke hängend trug; nichtsdestoweniger
gerieth das Kind in die grösste Lebensgefahr, als bei dem
Durchreiten des Arno das Ross des Dieners strauchelte, dieser
selbst herabstürzte und beinahe sammt seiner lebendigen Last
im Strudel ertrunken wäre ; nur niit Mühe gelang die Rettung '•^).
So wurde Petrarca, der schon bei seinem Eintritte in das Leben
von Hebammen und Aerzten als todt aufgegeben worden war^),
zum zweiten Male auf wunderbare Weise dem Leben erhalten.
Die kleine Stadt Incisa, südöstlich von Florenz an der Strasse
nach Arezzo im Arnothale gelegen, war, wie bereits erwähnt,
Petracco's Heimath, und hier besass derselbe ein Landgut,
welches, sei es nun, weil vielleicht seine Brüder Graziauo und
Lapo an dem Besitze desselben Antheil hatten, oder weil
vielleicht das Vermögen seiner Gattin hypothekarisch darauf
stand ^), der Confiscation entgangen war. Auf diesem väter-
lichen Besitzthume und also auf heimischem Boden verlebte
Petrarca die nächstfolgenden sechs Jahre und vermuthlich noch
einige Monate darüber ''), und es ist dieser Aufenthalt in der
toscanischen Heimath gewiss nicht ohne Einfluss auf seine gei-
stige Entwickelung, besonders aber auf die sprachliche gewesen.
Sehr sinnig hebt die an dem noch erhaltenen, wenn auch sehr
^) vgl. Leonardo Aretino b. Tomasini, p. 207.
-) Epist. ad post. p. 4.
■") Ep. Farn, praef. p. 18 f. ,
*) ibid.
=) Bekannt ist ja, dass auch Dantes Gattin Gemma der Autenthalt in
Florenz gestattet wurde und ihr ein Theil ihres eigenen oilcr ihres Gatten
Vermögens erhalten blieb.
*^) Epist. ad post. p. 4.
56 Zweites Capitel.
ruinenhaften Wohnhause Petracco's im Jahre 1842 angebrachte
Inschrift hervor, dass innerhalb seiner Mauern der grosse
Dichter die ersten Laute der Muttersprache habe ertönen
lassen ^).
Petrarca stand während dieser ersten Kinderjahre jeden-
falls unter der alleinigen Obhut der Mutter, denn der Vater
durfte als Geächteter das Gebiet der florentini sehen Republik
nicht betreten, wenn auch wol, wie in der oben erwähnten
Inschrift es geschehen, sich vermuthen lässt, dass er zuweilen,
von Gatten- und Vaterliebe getrieben, heimlich in die Vater-
stadt gekommen sei, um Gemahlin und Kinder zu umarmen.
Vielleicht auch reiste Petrarca's Mutter öfters zu ihrem Gatten,
der vermuthlich während dieser Zeit in dem Bestreben, sich
eine neue Lebensstellung oder auch die Rückkehr nach Florenz
zu erringen, ein unstätes Wanderleben führte. Dass jedenfalls
das Ehepaar nicht ausser aller Verbindung stand, wird schon
durch die höchst wahrscheinlich im Jahre 1307 erfolgte Geburt
Gherardo's bewiesen.
Dauernd vereinigt wurde die Familie aber erst im Jahre
1312 wieder, als Petracco die Seinen und also auch den da-
mals achtjährigen Francesco zu sich nach Pisa kommen Hess.
Eine bleibende Stätte jedoch sollte den Verbannten hiei-
nicht gegönnt sein ^). Petracco fand vermuthlich in Pisa nicht
die Möglichkeit des Wirkens und Erwerbens, wie er sie wün-
schen musste, und so fasste er nach kaum einjährigem Aufent-
halte im Jahre 1313 den Entschluss, das Vaterland ganz zu
verlassen und sein Glück im fernen Auslande, jenseits des
Meeres, in Avignon zu suchen ^). Aus welchem Grunde gerade
Avignon von ihm zur neuen Heimath erkoren wurde, entzieht
sich jeder Vermuthung. Gemeinhin wird angenommen, dass
Petracco in der päpstlichen Residenz reichlichen Verdienst
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 214.
-) Jedenfalls war auch der Zug Heinrich's VII. nach Italien ein Motiv
für Petracco, nach dem ghibellinischen Pisa überzusiedeln und ebenso Hein-
richs VII. Tod für ihn ein Grund, Italien zu verlassen.
*) Epist. ad post. p. 4.
Die -Talire der Kindheit und ersten Jugend. 57
durch juristische Thätigkeit gewinnen zu können gehofft habe ^),
aber man übersieht hierbei, dass Avignon im Jahre 1313 gar
nicht päpstliche Residenz war. Papst Clemens V. hatte wäh-
rend seines unruhvollen Pontificates (5. Juni 1305 bis 20. April
1314) abwechselnd in Bordeaux, Lyon, Poitiers, Montpellier,
Avignon und-Carpentras residirt und erst sein Nachfolger Jo-
hann XXII. (erwählt am 7, August 1316 zu Lyon) verlegte am
2. October 1316 den Sitz der Curie dauernd nach Avignon ^).
Möglich ist es aber allerdings, dass auch schon der nur zeit-
weilige Aufenthalt des Papstes Clemens V. in Avignon genügte,
um Petracco die Uebersiedelung dorthin als vortheilhaft er-
scheinen zu lassen. Jedenfalls muss Avignon schon damals
eine Anziehungskraft auf erwerbslustige Italiener ausgeübt
haben, denn wir wissen, dass auch der Vater Guido Settimo's,
des Jugendfreundes Petrarca's, gleichzeitig mit Petracco aus
Luni nach Avignon übersiedelte ^).
Wie dem auch sein mag, Thatsache ist, dass Petracco im
Winter des Jahres 1313, als sein Sohn Francesco neun Jahre
alt war*), mit seiner Familie nach Avignon sich begab. Die
Reise dahin, für welche der nähere und wohlfeilere Seeweg
gewählt wurde, war nicht ohne Gefahr, indem in der Nähe
von Marseille das Schiff, von winterlichen Nordstüraien umher-
getrieben, dem Untergange nahe kam °), ein Missgeschick, von
welchem Petrarca im späteren Leben noch öfters heimgesucht
werden sollte **) und wodurch sich seine fast krankhafte Ab-
neigung gegen Seereisen'; leicht erklärt.
') Sicco Polentone b. Mehus p. 199 lässt ihn, abgeschmackt genug, die
Uebersiedelung „mercaturae gratia" vornehmen.
*) vgl. Christophe, Geschichte des Papstthumes im vierzehnten Jahr-
hundert (aus dem Französischen übersetzt von J. Ritter. Paderborn 1853),
I p. 144—242.
^) Ep. Sen. X 2.
*) Ep. ad post. p. 4. im Widerspruche damit gibt Petrarca Ep. Farn,
praef. p. 19 an. dass er damals erst sieben Jahre alt gewesen sei, was
offenbar auf einem Gedächtniss- oder Schreibfehler beruht.
^) Ep. Fam. praef. p. 19.
•^j de Rem. utr. fort. IIb. II praef.
"•) Ep. Fam. V 5 u. Itin. Syr. praef.
58 Zweites Capitel.
So wurde denn Petrarca noch in zarter Jugend aus seiner
italienischen Heimath nach Frankreich verpflanzt, zu welchem
ein eigenthümliches Geschick alle die drei gi-ossen italienischen
Dichter des vierzehnten Jahrhunderts in nahe Beziehungen
gesetzt hat: Dante studirte längere Zeit in Paris ^j und Boc-
caccio wurde bekanntlich in Paris, vermuthlich von einer Fran-
zösin, im Jahre 1313 geboren 2). Und es sind diese Bezie-
hungen nicht bloss äusserliche gewesen, sondeni es lässt sich
unschwer nachweisen, dass die genannten Dichterheroen Ita-
liens auch in ihrem poetischen Sehaffen von den litterarisehen
Einflüssen Frankreichs, welches sich ja damals des Besitzes
der reichsten, vielseitigsten und ausgebildetesten Litteratur
aller westeuropäischen Länder rühmen durfte, keineswegs un-
berührt geblieben sind, wenn sie auch freilich mit der gewal-
tigen Originalität ihres Geistes sich von allen Fesseln sclavi- .
scher Nachahmung frei zu halten und neue, bisher nie betretene
Pfade des Denkens und Dichtens zu erschliessen vermocht
haben. Für Petrarca insbesondere ist es gewiss nicht bedeu-
tungslos gewesen, in das Vaterland der Troubadourpoesie ver-
setzt worden zu sein, denn es mag dies, wenigstens in Verbin-
dung mit anderen Factoren, dazu beigetragen haben, dass er
als Dichter sich vorzugsweise der Lyrik zugewandt und in dieser
seine unvergänglichsten Lorbeeren errungen hat. Freilich, als
Petrarca den südfranzösischen Boden betrat, war die Blüthe
der provenzalischen Poesie längst dahingewelkt in den Stürmen
der wilden Albingenserkriege, durch welche die Provence ihrer
politischen Selbständigkeit beraubt und die Weiterentwickelung
des provenzalischen Volkslebens gehemmt ward. Indessen die
Sprache, in welcher die Troubadours gesungen, war nicht er-
storben, sondern lebte noch klangvoll in dem Munde des Volkes,
gewiss noch wenig geschädigt durch das Vordringen des nord-
französischen Idiomes, und der provenzalischen Poesie war unter
der Pflege der Dichterakademieen von Toulouse und anderen
1) vgl. Fraticelli, Storia della vita di Dante, p. 176.
*) vgl. Landau, Giovanni Boccaccio (Stuttgart 1877), p. 3.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 59
Städten noch eine schöne Nachblüthe während des vierzehnten,
ja selbst auch des fünfzehnten Jahrhunderts beschieden '). Frei-
Hch war diese nachgeborne Poesie der Provenzalen eine künst-
liche Schöpfung, eine Treibhauspflanze, aber es würde unge-
recht sein, ihr allen Werth absprechen zu wollen, und nament-
lich darf man nicht vergessen, dass durch sie die formale
Technik des Dichtens zu einem vorher wol noch nie und nir-
gends dagewesenen kunstvollen und wohldurchdachten Systeme
ausgebaut worden ist, dass das grosse theoretische Werk der
„Leys d'amors" eine Schöpfung des vierzehnten Jahrhunderts
ist 2), wenn auch die Bausteine dazu von früheren Zeiten ge-
liefert worden sind. Man mag ja nun mit vollem Rechte tadeln,
dass bei den späteren Provenzalen, wie dies beim Niedergange
einer Litteratur stets zu geschehen pflegt, die Verskunst in
Verskünstelei ausgeartet sei, die Thatsache, dass auch noch
diese späteren Provenzalen die Schöpfer und Lehrmeister der
festen Formen und Gesetze der modernen romanischen Poesie
gewesen sind, bleibt nichtsdestoweniger bestehen, und dass
dies ein hohes Verdienst in sich schliesst, wird Niemand leugnen
wollen, der da erwägt, wie sehr die romanischen Sprachen bei
ihrer Unfähigkeit zu einem Versbaue nach den einfacheren
antiken und germanischen Principien derartiger künstlicher
Formen und Gesetze für Reim und Strophenbildung bedurften,
um dem poetischen Gedankenausdrucke Ebenmaass, Piundung
und Klarheit verleihen zu können. Es tmg demnach die pro-
venzalische Poesie auch noch im vierzehnten Jahrhundert be-
fruchtende Keime in sich und dem werdenden Dichter Petrarca
konnte es nur zum Vortheile gereichen, frühzeitig mit ihr ver-
traut zu werden. Nehmen wir an, Petrarca hätte, statt in
dem Lande der Troubadours, in Italien, etwa innerhalb der
florentinischen Stadtmauern, die Jahre seiner Jugend verlebt,
würde er dann wol eben der Meister der Sprache und der
*) vgl. K. Bartsch, Grundriss zur Geschichte der provenzalischen Litte-
ratur (Elberfeld 1872). p. 72 ff.
-) Nach K. Bartsch ibid. p. 90 wurden die Leys d'amors noch vor
1347 begonnen und gegen 1350 beendet.
60 Zweites Capitel.
poetischen Form geworden sein, als welchen wir ihn Ijewun-
dem? würde es ihm dann gelungen sein, auf dem Gebiete der
Lyrik in dieser Beziehung einen Dante zu übertreffen, der
doch sonder Zweifel der gewaltigere Geist und genialere Sprach-
bildner war? Schwerlich dürfte Jemand diese Fragen zu be-
jahen geneigt sein, dann aber wird dadurch indirekt anerkannt,
dass Petrarca seinen Dichterruhm, soweit derselbe auf der
FoiTnenvollendung seiner Poesien beraht, zum nicht geringen
Theile der provenzalischen Schule verdankt.
Wenn oben Petrarca's Uebersiedelung nach Avignon als
eine uebersiedelung nach Frankreich bezeichnet worden war,
so ist dies nur nach der heutigen, nicht aber nach der da-
maligen politischen Geographie richtig. Die Stadt Avignon
bildete im Jahre 1313 — und auch noch weiterhin, bis sie
im Jahre 1348 von der neapolitanischen Königin Johanna für
80,000 Goldgulden dem päpstlichen Stuhle verkauft ward 2), —
einen Bestandtheil der Grafschaft Provence, welche selbst
wieder, freilich eben nur dem Namen nach, ein Lehen des
arelatischen Königreiches war und folglich der Theorie nach
unter der Oberhoheit des römisch - deutschen Reiches stand 2).
Graf der Provence war vom Jahre 1309 ab, um es bis zum
Jahre 1343 zu bleiben, der König Robert von Neapel, der
Enkel jenes Karl von Anjou, welcher einst den Hohenstaufen
das schöne Reich entrissen hatte. Es war sonach der neapoli-
tanische König Petrarca's Landesherr, ein Umstand, welcher
wohl beachtet werden muss, wenn man die späteren intimen
^) Bei dem obigen Raisonnement ist die etwaige Existenz einer origi-
nalen, von proveEzaliscliem Einflüsse unberührt gebliebenen Litteratur im
zwölften Jahrhundert (vgl. Carlo Baudi di Vesme „di Gherardo da Firenze
8 di Aldobrando da Siena", Turin 1866, und Cesare Guasti „i primi poeti
italiani'- im Archivio stör. ital. III 7 p. 69—104) unberücksichtigt gebhebeU:
■weil, selbst wenn eine solche (was doch immer noch sehr zweifelhaft bleibt)
wirklich existirt haben sollte, dieselbe doch bereits zu Dante's Zeit eine
ganz verschollene war (cf Dante, Vita Nuova, §. 25) und desshalb auf die
weitere litterarische EntM'ickelung keinen Einfluss auszuüben vermochte.
(Vgl. Beilage zur AUg. Ztg. v. 12. Mai 1877.)
■-) vgl. Leo. Geschichte der italienischen Staaten, IV p. 673.
") vgl. Höfler. Die Avignonesischen Päpste (Wien 1871), p. 17.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. (31
Beziehungen des Dichters zu dem Fürsten verstehen will.
Dass übrigens der thatkräftige König Robert nicht etwa bloss
dem Namen nach über Avignon herrschte, wird schon dadurch
bewiesen, dass er in den Jahren 1318 bis 1324 daselbst sogar
seine Residenz aufschlugt).
Avignon, an dem linken Ufer der Rhone — das rechte
Ufer war bereits damals französischei- Herrschaft unterworfen —
malerisch gelegen, ist auch heute trotz mancher historisch
interessanter Baudenkmale, welche es besitzt, keineswegs eine
schöne Stadt zu nennen'), und im Jahre 1313 wird dies, wie
leicht zu denken, noch weit weniger der Fall gewesen sein.
Auch später noch, als längst die Curie es zu ihrem Sitze er-
koren hatte, war es eine kleine, schon durch ihre Lage auf
eineni Felsplateau von sehr massigem Umfange eingeengte Stadt,
welche sich von den Verwüstungen der in den Albingenser-
kriegen erduldeten dreimonatlichen Belagerung noch immer
nicht zu erholen vermochte. Nur mit Mühe und sehr allmählich
könnten der Papst, die Cardinäle und die Curialbeamten in
ihr geeignete Wohnungen linden ^). Die Strassen waren eng,
schmutzig und erfüllt von Übeln Gerüchen. Die Schilderungen,
welche Petrarca an vielen Stellen seiner Briefe ^) von Avignon,
dem ,, Babylon" seiner Phantasie, entwirft, sind in den düster-
sten Farben gemalt, wobei freilich berücksichtigt werden muss,
dass Petrarca Avignon bitterlich hasste, weil es Rom des alten
Vorrechtes, der Sitz der Curie zu sein, beraubt hatte.
Petrarca's Uebersiedelung>nach Avignon bildet, da mit
ihr zugleich seine erste Kindheit endet, einen so natürlichen
Abschnitt in seinem Leben, dass man hier gern einen Augen-
bhck verweilt, um zu forschen, ob vielleicht über sein Kindes-
alter irgend welche kleine Anekdoten überliefert sind, welche
^) vgl. Leo, a. a. 0. IV p. 652 f.
-) Eine höchst anschauliche Schilderung des heutigen Avignon mit ver-
gleichenden Ruckblicken in die Vergangenheit gibt Gregorovius im fünften
Bande seiner , .Latinischen Sommer".
") vgl. Christophe, a. a. 0. I p. 179 f.
' z. B. Ep. Farn. XIII 8. u. XVI 10.
Q2 Zweites Capitel.
uns einen Einblick in das Jugendleben des berühmten Mannes
gestatten würden. Leider aber ist das Ergebniss solchen For-
schens ein mehr als kärgliches, denn, so geni auch Petrarca
im späteren Alter in seinen Briefen sich zurückversetzte in die
schönen Jahre seiner Jugend, so that er dies doch mit ver-
schwindend wenigen Ausnahmen immer nur in allgemein be-
trachtender und nicht in erzählender Weise, das behagliche
Ausplaudern von Begebenheiten aus der Kindheit und Jugend,
an welchem z. B. der alterade Goethe seine Freude fand, hat
er nicht geübt, er, der sonst so darauf bedacht gewesen, auch
die äussere Geschichte seiner eigenen Persönlichkeit der Nach-
welt zu überliefern, hat doch die Anfänge dieser Geschichte
im Dunkel verbleiben lassen. Möchte er doch eine „Vita Nuova"
geschrieben haben I Nur zwei kleine Begebenheiten seiner ersten
Kindheit sind es, welche Petrarca uns überliefert. In einem
Briefe an den Kaiser Karl IV. ^) ei-zählt er gelegentlich . wie
ein berühmter Astrolog ihm als Knaben prophezeiht habe, er
werde sich einst die Gunst fast aller Fürsten seines Zeitalters
gewinnen, eine Prophezeihung, welche sich im vollsten Maasse
bewahrheiten sollte. Auch eine andere Hindeutung auf die
Zukunft sollte sich ei-füllen. Als Petracco mit den Seinen be-
reits in AvigTion lebte, wurde ihm die Abbildung eines damals
in Florenz geborenen an die siamesischen Zwillinge erinneniden
Monstrums ^) zugesandt , er zeigte dieselbe dem kleinen Fran-
cesco^) und zupfte ihn dabei am Ohre, damit er sich die
wundersame Sache hübsch mea'ken und einst seinen Kindeni
erzählen solle. Petrarca hat sie denn auch wirklich, indem
») Ep. Fam. XXIII 2.
2) Es war (nach Petrarca's Schilderung Rer. mem. lib. IV c. 9) ein
„puer bicorpori effigie, geminis capitibus, quaternis manibus, circa genitales
partes connexus, sie quod non amplius quam in geminos pedes desineret.'
Das Monstrum lebte ,,decem bis totidemque dies'-. Ein Steinbild desselben
wurde an der Treppe des Hospitals angebracht und mit einer von Petrarca
mitgetheilten Inschrift versehen.
•'' Petrarca bezeichnet sich als ,,puer septimum annum agens", was
den positiven Angaben der Epist. ad post. gegenüber unmöglich richtig
sein kann, so auffallend auch die Uebereinstimmung mit der praef. zu den
Ep. Fam. p. 19 ist. Vgl. S. 57 Anm. 4).
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 63
er ihr einen Platz in seinem Buche „von den merkwürdigen
Dingen" einräumte, nicht nur seinen Kindera, sondern auch
den Enkehi und den fernsten Nachkommen erzählt.
In Folge dei- oben hervorgehobenen Kleinheit der Stadt
Avignon waren jedenfalls Familienwohnungen daselbst nur
schwer und zu hohen Preisen zu erlangen, zumal da, seitdem
Papst Clemens V. vorübergehend in Avignon residirt hatte,
eine grosse Anzahl von Gebäuden für kirchliche Zwecke in
Beschlag genommen und der privaten Benutzung entzogen
worden sein mochten. Es war demnach eine sehr erklärliche
Maassregel, dass der gewiss in recht dürftigen finanziellen \'er-
hältnissen lebende Petracco seine Familie aus dem theueren
Avignon nach dem nur wenige Stunden nordöstlich davon ent-
fernten Carpentras übersiedeln Hess, während er selbst, durch
geschäftliche Rücksichten gebunden, in Avignon verblieb^).
Carpentras war eine kleine, aber vermuthlich sehr freundliche,
von Papst Clemens V. auf mehrfache Weise, z. B. durch die
Anlage von Springbrunnen, geschmückte Stadt ^i, überdies
auch Hauptstadt einer kleinen Provinz ^). Petrarca sagt , dass
das Leben daselbst ungemein ruhig, angenehm und ungebunden
gewesen sei"^).
Während seines vierjährigen Aufenthaltes in Carpentras.
welcher wahrscheinlich die Jahre 1315 — 1319 umfasste, em-
pfing nun Petrarca auch den ersten regelmässigen Schul-
unterricht ^).
Es unterhielt damals — ein Beweis, dass die italienische
^) Epist. ad post. p. 5.
^1 vgl. Christophe, a. a. 0. I p. 228.
3) Ep. Sen. X 2.
*) ibid.
^) Die Zeit des Aufenthaltes Petrarca's in Carpentras lässt sich foi.
gendermaassen bestimmen: im Jahre 1326 verliess er nach seiner eigenen
Angabe, Epist. ad post. p. .5, 22 Jahre alt Bologna, nachdem er dort drei
Jahre (von 1323 abj und vorher je vier Jahi-e in Montpellier (vou 1819 ab)
und in Carpentras (von 1315) zugebracht hatte. Hiernach muss die Angabe
Ep. Fam. XX 4, wonach er bei der Uebersiedelung nach Montpellier erst
zwölf Jahre alt gewesen sein würde, als iiTthümlich erachtet werden, zumal
sie auch an innerer Unwahrscheinlichkeit leidet.
»34 Zweites C'apitel.
Colonie in Avignon und Umgegend schon eine recht zahlreiche
gewesen sein muss — ein gewisser Convennole oder Convene-
vole ^) aus Prato in Toscana zu Carpentras eine Elementar-
und Lateinschule, deren Schüler nun auch Petrarca wurde.
Dieser Convennole war so recht der Typus eines Schulmeisters
— soll er doch nacli Petrarca's, allerdings wol übertreibender
Aussage^) damals bereits sechzig Jahre lang sein Geschäft
betrieben haben — und daneben ein originaler Kauz, der den
Ehrgeiz besass, unsterbliche Werke schreiben zu wollen , aber
nie mehr als die hochtönenden Titel und das Vorwort fertig
brachte. Doch existirt in der tiorentiner Büchersammlung der
Magliabecchiana handschriftlich ein grösseres lateinisches Ge-
dicht, eine Aufforderung an den König Robert enthaltend, das
verfallende Rom zu erretten, welches von Mehus (p. 208—211)
nebst anderen Werken mit nicht eben überzeugenden Gründen
dem Convennole beigelegt wird. Sollte Mehus doch das Rich-
tige gefunden haben, so Avürde durch das Carmen das Urtheil
Villani's bestätigt werden, wonach der Schulmeister von Prato
und Carpentras eben nur ein mittelmässiger Dichter, „vix me-
diocris poeseos peritus", war^). Wenn aber Convennole auch
keine dichterische Genialität besass, so lebte er doch wenig-
stens in einer Weise, wie geniale Dichter leider oft gethan:
er war unvermögend, Ordnung in seinen Finanzen zu halten
und musste, um seine Existenz zu fristen, oft zu Anleihen bei
den Vätern seiner Schüler seine Zutiucht nehmen. Der alte
Petracco unterstützte, so lange er lebte, den bedürftigen Mann
nach Kräften und später that Petrarca dasselbe, da er jedoch
oft selbst nicht ü])er hinreichende Geldmittel verfügte, so gab
er dem alten Lehrer statt des Geldes Bücher, welche dieser
dann verpfändete, aber nach geraumer Zeit immer wieder
richtig einlöste und ihrem Besitzer zurückbrachte. Einmal
aber, als Petrarca ihm die von Raimondo Soranzio erhaltene
*J Der Name ist uns nur von Fil. Villani (b. Mehus p. 195) überliefert.
'} Epist. Sen. XV 1.
••) vgl. über Convennole's lat. Gedichte auch Tirabeschi, Storia della
lett. it. V. p. 799 ff.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 65
Handschrift der Bücher Cicero's über den Ruhm, sowie einen
anderen werthvollen, vom Vater ererbten Cicerocodex gegeben
hatte, Hess sich Convennole durch seine Armuth verleiten, die
Bücher zu verkaufen. Vergebens wartete Petrarca auf die
Rückgabe seines Eigenthums und, als er endlich den wahren
Sachverhalt und zugleich auch, dass Convennole nach seiner
Heimath Prato zurückgereist sei, erfühl-, waren alle seine Be-
mühungen, die Bücher wieder zu erlangen, vergeblich^). So
sind Cicero's hochberühmte „libri de gloria" der Nachwelt ver-
loren gegangen 2). Convennole starb, vermuthlich im Jahre
1340 oder 1344 ^j, zu Prato, seine Mitbürger ehrten ihn, indem
sie ihm den Lorbeerkranz des Dichters auf den Sarg legten '')
und Petrarca baten , ihm die Grabschrift zu verfassen °).
Dieser Convennole also war es, welcher den Knaben Pe-
trarca zuerst in den Elementargegenständen und später in der
lateinischen Grammatik und Rhetorik unterrichtete*'). Sehr
anregend und eindringend ist dieser Unterricht, der sich sicher-
lich in den althergebrachten pedantischen Formen mittelalter-
lich scholastischer Wissenschaft bewegt haben wird, keinesfalls
gewesen, vergleicht doch Petrarca selbst seinen Lehrer mit
dem horazischen Wetzsteine, welcher, obwol selbst des Schnei-
dens nicht fähig, doch das Eisen zu schärfen vermöge ') , ein
Gleichniss, in welchem allerdings auch ein gewisses Lob der
pädagogischen Begabung des Lehrers eingeschlossen ist. Trotz
des mangelhaften Unterrichtes machte der begabte Knabe
rasche Fortschritte und las bereits eifrig den Cicero, als seine
'; Episf Sen. XV 1.
-") Petrarca wegen seiner dem früheren Lehrer bewiesenen Gefälligkeit
der leichtsinnigen Verschleuderung werthvoller Handschriften anzuklagen,
wie C. Witte gelegentlich der Anzeige von Landau's Boccaccio in der Augs-
burger „Allg. Zeitung" vom 6. Juli 1877 (Beilage) gethan, ist doch wol
ungerechtfertigt.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 454 und die dort gegebenen Citato.
'') Eine Dichterkrönung wurde damit nicht vollzogen, vgl. Tiraboscbi,
a. a. 0. p. 801.
5) Ep. Sen. XV 1.
«^ ibid.
') ibid., cf. Horat. A. P. v. 304 f.
Körting. Petrarca. 5
66 Zweites Capitel.
Mitschüler noch so leichte Autoren wie den lateinischen Aesop
und die Weltchronik des Prosper Aquitanus (letztere wol nur
in einem Auszuge) traktirten ^) ; den Inhalt dessen, was er
las, verstand er freilich noch nicht, aber es fesselte ihn die
„Süssigkeit" der Sprache und die Klangfülle des Perioden-
baues ^j, für welche der künftige formengewandte Dichter und
Stylist ein von Natur feingebildetes Ohr besessen haben muss.
Petrarca's Mitschüler und Jugendfreund in Carpentras
war Guido Settimo, der Sohn eines, wie schon oben (p. 57)
erwähnt, mit Petracco befreundeten und ebenfalls nach Avignon
ausgewanderten Genuesen ^). Die Knaben schlössen hier einen
Freundesbund, der über fünf Jahrzehende bis zu Guido's Tode
— er starb im Jahre 1368 als Erzbischof von Genua — währte
und dessen Innigkeit durch zahlreiche erhaltene Briefe Pe-
trarca's an Guido ^) bezeugt v'ird. Petrarca schildert den
Freund als einen Mann, in dessen gebrechlichem Leibe ein
gewaltiger Geist wohne und der ein guter Mann im vollsten
Sinne des Wortes sei^).
Mit Guido vereint unternahm Petrarca von Cai-pentras
aus auch den ersten Ausflug nach Vaucluse. Es war einmal
seiner Gewohnheit nach Petrarca's Vater zum Besuche nach
Carpentras gekommen und mit ihm ein Oheim Guido's. Den
letzteren, der wahrscheinlich der Gegend noch unkundig war
— Petrarca nennt ihn einen „Fremdling" (advena) — überkam
die Lust, die schon damals ihrer Schönheit wegen berühmte
Quelle der Sorgue zu besuchen. Als die Knaben von diesem
Plane hörten, baten sie so sehr, an dem Ausflüge theilnehmen
zu dürfen, dass man ihnen schliesslich willfahrte. Man setzte
sie auf Pferde und gab einem jeden einen handfesten Knecht
mit, der zur Wacht und zum Schutze hinter ihnen aufsass.
») Ep. Sen. XV 1.
2) ibid.
3) Ep. Sen. X 2.
*) Ep. Farn. V 16. 17. 18. XVII 3. 4. 5. XIX 8. 9. 10. 16. 17. XXIII
12. Sen. X 2. Der letztgenannte Brief enthält, wie man bereits bemerkt
haben wird, die werthvollsten Angaben über Petrarca's Lebensgang.
^) Ep. Sen. V 1.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 67
So ging denn die Reise vor sich, nicht ohne dass Petrarca's Mutter,
deren Einwilligung nur mit Mühe hatte erlangt werden können,
einige Befürchtungen und Besorgnisse äusserte^). Als man
nach Vaucluse zur Quelle der Sorgue kam, wurde der Knabe
Petrarca durch die so eigenartige Schönheit des Ortes so
mächtig ergriffen, dass er in seinem Herzen sich gelobte, einst
als Mann dies stille Thal dem Geräusche der Städte vorziehen
zu wollen. Des Knaben Gelübde hat der Mann später auch
wirklich erfüllt, und noch weit mehr hat er gethan: er hat
dem Thale der Sorgue die ewige Weihe verliehen und es für
alle edlen Herzen zu einer heiligen Stätte gemacht. — Leider
wissen wir ausser dem Wenigen, was so eben erzählt ward,
nichts Weiteres über Petrarca's Aufenthalt in Carpentras, wel-
cher als seine Gymnasialzeit bezeichnet werden könnte und
vermuthlieh bis zum Jahre 1319 ^) währte.
Der Besuch der Hochschulen war damals noch nicht, wie
gegenwärtig, an die Erfüllung bestimmter Vorbedingungen und
namentlich an den Nachweis eines gewissen Minimal maasses ge-
lehrter Kenntnisse gebunden, sondern so ziemlich unbeschränkt
dem subjectiven Ermessen anheim gestellt, ein Zustand, welcher
bei der vorwiegend formalistischen Natur auch des höheren Unter-
richtes im Mittelalter und den von den heutigen abweichenden
Institutionen der Universitäten nicht eben sonderlich bedenk-
lich war. Als daher Petracco wahrnahm, dass sein Sohn im
Lateinischen genügende Kenntnisse besitze, hielt er es für an-
gemessen, ihn, trotz seiner grossen Jugend, doch schon die
akademischen Studien beginnen zu lassen und sandte ihn zu
diesem Zwecke auf die berühmte Hochschule des benachbarten
Montpellier. Ueber die Wahl des Studiums ist der fünfzehn-
jährige Knabe gewiss nicht befragt worden und, wenn es ge-
schehen, hätte doch mit Fug und Recht auf sein ohne Sach-
kenntniss abgegebenes Urtheil kein Werth gelegt werden kön-
') Bei der Erzählung dieses kleinen Abenteuers hat Petrarca auch ein-
mal ein herzliches "Wort für seine Mutter, er nennt sie „mater omnium
optima, quas quidem viderim". Ep. Sen. X 2.
2) vgl. S. 63, Anm. 5.
5*
68 Zweites Capitel.
nen. Der Vater bestimmte ihn für die juristische Laufbahn,
sei es, dass er damit den Traditionen der Familie und eigener
Vorliebe folgte, sei es, dass er dadurch, was ihm bei seinen
misslichen Vermögensverhältnissen von Bedeutung sein musste.
den Sohn am schnellsten der finanziellen Selbständigkeit zuführen
zu können hoffte. Das Studium der Rechtswissenschaft war
damals neben demjenigen der Theologie jedenfalls dasjenige,
welches dem nicht durch vornehme Geburt und den Besitz
eines beti'ächtlichen Vermögens Begünstigten die ehrenvollsten
und glänzendsten Aussichten eröffnete. Petracco sorgte dem-
nach vom praktischen Gesichtspunkte ausgehend in bester
Weise für Francesco's Zukunft, wenn er ihn dieses Studium
ergreifen Hess, und für Petrarca's spätere äussere Lebensver-
hältnisse, für seinen so eifrig gepflegten Verkehr mit fürst-
lichen Persönlichkeiten und seine mannigfache Betheiligung an
Staatsgeschäften, ist es gewiss nur vortheilhaft gewesen, dass
er in seiner Jugend nach des Vaters Wunsche eine juristische
Bildung empfangen hatte.
Montpellier, avo nun Petrarca die ersten vier Jahre seines
akademischen Lebens zubrachte^), war damals eine sehr blü-
hende und friedliche Stadt, welche, mit Ausnahme eines kleinen
dem französischen Herrscher gehörigen Theiles, unter der Bot-
mässigkeit des Königs der Balearen stand 2). Es ist ein ziem-
lich vergebliches Bemühen, nachzufoi-schen, welche der gefei-
erten Rechtsgelehrten damaliger Zeit wol Petrarca's Lehrer in
Montpellier gewesen sein mögen, vergeblich nicht bloss des-
halb , weil bei der Kärglichkeit des betreffenden Materials
irgend sichere Schlüsse nicht gezogen werden können — die
von de Sade aufgestellten Behauptungen sind reine Phantasie-
gebilde 2) — , sondern auch, weil aller Wahrscheinlichkeit
nach keiner der Professoren, deren Vorlesungen Petrarca be-
suchte, irgend welchen nachhaltigen Einfluss auf seine geistige
Entwickelung ausgeübt hat. Der junge Petrarca ging eben
') Epist. ad post. p. 5. (Vgl. Savignj', Gesch. d. röm. Rechts III p. 352.)
2) Epist. Sen. X 2.
^) de Sade, Mem. I p. 37, vgl. Tiraboschi, a. a. 0. V p. 686 f.
Die Jahre ^er Kindheit und ersten Jugend. 69
seine eigenen Bildungswege. Mochte er auch vielleicht, als
er die Hochschule bezog, sich in jugendlicher Unkenntniss der
Verhältnisse ohne sonderliches Widerstreben dem Wunsche
des Vaters gefügt haben, er fühlte bald instinctiv, dass er
nicht zum Juristen, sondern zum Humanisten bestimmt sei.
und vernachlässigte über der Leetüre der Classiker des Alter-
thums die Pandecten und das Corpus Juris. Nicht, dass er
gegen die Rechtswissenschaft an sich eine Abneigung besessen,
dass er ihre hohe Bedeutung und ihren engen Zusammenhang
mit der Kenntniss des ihm so werthen römischen Alterthums
verkannt hätte, — nicht dies war der Fall, die Theorie der
Jurisprudenz wusste er vielmehr recht wohl zu würdigen und
zu schätzen, aber der Gedanke, einst die juristische Praxis
ausüben und sich in die Fesseln des verknöchertesten For-
malismus, welche die damalige Rechtswissenschaft trug, dauernd
schlagen lassen zu sollen, flösste ihm einen unbesiegbaren Wider-
willen ein und ganz richtig mochte er herausfühlen, dass seiner
durchaus ideal und subjectiv, ja sentimental angelegten Natur
alle diejenigen Eigenschaften fehlten, welche für die Geschäfts-
praxis nun einmal erfordert werden ^). Der Jurist muss, soll
er tüchtig in seiner Wissenschaft und von seinem Berufe be-
friedigt sein, vorwiegend Verstandesmensch sein, Petrarca aber
war durchaus Gemüthsmensch, und schweren inneren Zwiespalt
hat er sich dadurch erspart, dass er nach erlangter Selbstän-
digkeit auf die juristische Laufbahn verzichtete. Es ist, um
Petrarca's Handlungsweise begreitlich, ja selbstverständlich zu
finden, gar nicht einmal nöthig, besonderes Gewicht auf die
Zustände der damaligen Zeit zu legen und hervorzuheben, wie
damals die Rechtswissenschaft rein formalistisch aufgefasst und
nahezu handwerksmässig betrieben wurde '^) , auch heute noch
unter wesentlich anderen und besseren Verhältnissen wird ein
wirklicher Dichter schwerlich ein guter Jurist sein können : der
Pegasus scheut eben die Kanzleiluft und den Actenstaub. Auch
^) Epist. ad post. p. 5. Ep. Fam. IV 16.
2) vgl. Tiraboschi, a. a. 0. V p. 378 ff.
70 Zweites Capitel. .
darf nicht übersehen werden, wie schon Petrarca' s fein aus-
gebildeter stylistischer Formensinn sich schaudernd abwandte
von der Rohheit und Barbarei des juristischen Lateins ^).
Es ist leicht erklärlich, dass Petracco, nach Allem, was
wir von ihm wissen, ein praktischer Mann und tüchtiger Jurist,
die Abneigung seines Sohnes gegen das rechtswissenschaftliche
Studium mit grossem Verdrusse bemerkte und möglichst ener-
gisch dagegen einzuschreiten suchte. So kam er einstmals —
es ist das ja die bekannte von Petrarca selbst (Sen, XV 1)
so anschaulich erzählte kleine Familienscene — unverhofft zu
seinem Sohne nach Montpellier ^j, um ein Exempel zu statuiren.
Vergeblich hatte der nichts Gutes ahnende Petrarca seine
geliebten Bücher mögliehst gut versteckt, der Vater fand sie
doch und warf sie in das Feuer, nur den Virgil und Cicero's
Rhetorik entriss er, gerührt durch seines Sohnes heisse Thränen,
wieder den Flammen und gestattete ihm, wenn auch nicht be-
dingungslos, die Leetüre wenigstens dieser Schriften.
Nach vierjährigem Aufenthalte in Montpellier begab sich
Petrarca, wahrscheinlich im Jahre 1323, auf Wunsch seines
Vaters, zur Fortsetzung seines juristischen Studiums auf die
nach deijenigen von Paris damals bemhmtesten Universität
von Bologna und hörte hier Vorlesungen über das gesammte
Civilreeht ^). Mit dem Herzen aber war Petrarca in Bologna
jedenfalls ebenso wenig bei dem Rechtsstudium, als er in
Montpellier es gewesen war, und er wird sich jetzt um so
lieber so viel wie nur irgend möglich seinen humanistischen
Neigungen überlassen haben, als er nun eine direkte Ueber-
wachung von Seiten seines Vaters nicht mehr zu befürchten
hatte. So scheint er denn auch nur zu Einem der juristischen
Professoren in nähere Beziehungen getreten zu sein. Dieser
*) vgl. die hübsche Erzählung Petrarca's Ep. Fam. XIII 5. Dass übrigens
Petrarca, wenn es sein musste, doch juristisches Latein zu schreiben verstand,
beweist seine Petition an den venetianischen Senat b. Fracassetti, Lett. fam.
V p. 376.
-) Petrarca gibt keinen Ort an, aber die Wahrscheinlichkeit spricht
unbedingt für Montpellier, vgl. Tiraboschi, a a. 0. V p. 687. Dagegen
will de Sade (I p. 44) die Handlung ohne Grund nach Bologna verlegen.
^) Epist. ad post. p. 5.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 71
Eine war der hochgefeierte Canonist Giovanni d' Andrea^).
Petrarca verblieb auch nach seinem Weggange von Bologna mit
ihm noch in einem Briefwechsel ^) , der freilich ein hässliches,
für beide Parteien wenig rühmliches Ende nahm. Ein so guter
Kenner des Kirchenrechts Giovanni auch war, um seine Kennt-
niss des classischen Alterthums war es mehr als misslich be-
stellt und er behauptete in dieser Beziehung in seinen Schriften
und wol auch in seinen Vorträgen gelegentlich Dinge, welche
allerdings einem jeden Philologen Entsetzen einflössen müssen.
Dass er den Anekdotensammler Valerius Maximus unter die
Moralphilosophen versetzte, mag noch allenfalls verzeihlich ei--
seheinen, aber dass er Cicero und Plato unter die Dichter
zählte, dass er Ennius und Papinius Statins für Zeitgenossen
hielt und dass er Plautus und Naevius überhaupt nicht kannte,
das zeugt allerdings von einer grenzenlosen Ignoranz. In einem
an Giovanni gerichteten Briefe ^) tadelte Petrarca diese groben
Irrthümer und rügte zugleich, dass Giovanni, statt sich mit
seiner Specialwissenschaft, in welcher er ja Tüchtiges leiste,
zu begnügen, auch in andere Wissensgebiete hineinpfusche,
um mit einer übel verdauten, allumfassenden Gelehrsamkeit
und kritiklos zusammengelesenen Citaten pmnken zu können.
Dass Petrarca hierbei sachlich vollkommen im Rechte war, ist
ja ganz zweifellos, nichtsdestoweniger berührt die hochmüthige
Art und Weise, mit welcher er sich zum Richter über den
weit älteren und trotz aller Schwächen doch hochverdienten
Mann aufwirft, überaus unangenehm.
In Bologna führte Petrarca, jetzt des vollen Jugendgenusses
fähig geworden, gemeinsam mit seinem Bruder Gherardo, der
gewiss auch schon in Carpentras und Montpellier sein Studien-
genosse gewesen war, ein frohes und glückliches Studenten-
leben, dessen er sich noch im Alter gern erinnert hat. Es
*) vgl. Tiraboschi, a. a. 0. V p. 466—478; Savigny, a. a. 0. p. 582 ff.
-) Es sind an Giovanni d' Andrea gerichtet Ep. Farn. IV 15 u. 16.
V 7. 8 u. 9. Der der Ordnung nach erste Brief i;lV 15) ist ohne Zweifel
in Wirklichkeit der letzte gewesen.
3) Epist. Farn. IV 15.
72 Zweites Capitel.
herrschten damals, was in jenen Zeiten wilder und wirrer
Parteikämpfe in Italien elien nicht häutig geschah, in Bologna
friedliche und behagliche Zustände. Die Thore der Stadt
blieben — so ungefährdet erschien der Friede — bis in die
späte Nacht hinein geöifnet, so dass die von ländlichen Strei-
fereien heimkehrenden Studiosen immer bequem Eingang fan-
den, waren sie aber ja einmal verschlossen, so wurde der ver-
fallende Wall von den Jünglingen leicht überklettert und keine
Mauer stellte sich ihnen entgegen, denn einer solchen glaubte
die sich sicher fühlende Stadt nicht zu bedürfen i). Wie sehr
sollte sich dies idyllische Glück Bologna' s späterhin in das
Gegentheil wandeln ! Petrarca sollte es noch erleben, dass die
Stadt, von Kriegselend und Seuchen heimgesucht, gänzlich ver-
armte und verfiel ^) und dass ihre berühmte Hochschule bei-
nahe zu existiren aufliörte. bis sie durch Papst Urban V. neu
begründet wurde ^).
Von Bologna unternahm Petrarca einmal mit einem seiner
Lehrer — vielleicht Giovanni d'Andrea — einen Ausflug nach
Venedig^) und auch hier gewahrte er nur glückliche und be-
häbige Verhältnisse, denn die stolze Lagunenrepublik stand
damals, noch nicht geschwächt durch den furchtbaren Kampf
mit Genua (1350—1355), auf dem Höhepunkte ihrer mittel-
alterlichen Macht und Herrlichkeit.
Von Natur sehr geneigt, Freundschaften einzugehen ^), und
treu in der Bewahrung derselben, gewann sich Petrarca wäh-
rend seiner Studienzeit in Bologna mehrere Freunde, mit
denen er dann in der innigsten und durch Briefwechsel eifrig
unterhaltenen Verbindung blieb. Es sind unter diesen nament-
lich zu nennen Tommaso Caloria»^), der schon im Jahre 1341
verstarb, Luca Cristiano. der spätere Propst der Antonius-
>) Epist. Sen. X 2.
■-) Epist. Sen. X. 2.
^) Epist. Sen. VII 1.
*) Epist. Sen. X 2.
'') Epist. Sen. IX 2, vgl. Ep. Farn. XXI 9.
«) An ihn sind gerichtet Ep. Farn. I 1. 6. T. S. 9. 10. III 1. 2.
Die Jahre der Kindheit und ersten Jugend. 73
kirclie in Piacenza^) und wol auch der im Jalire 1349 von
Mörderhand gefallene Florentiner Mainardo Accursio, von Pe-
trarca vertraulich Olimpio genannt"). An Tommaso Caloria von
Messina richtete Petrarca den ersten seiner uns erhaltenen
Briefe ^), in welchem sich bereits seine ganze charakteristische
Denkweise ausspricht und welcher von der geistigen Reife des
noch nicht zweiundzwanzigjährigen Verfassers ein rühmliches
Zeugniss ablegt. Auch Giacomo Colonna, der schon nach
wenigen Jahren zum Bischof von Lombes erhoben werden
sollte, studirte gleichzeitig mit Petrarca in Bologna, ein näheres
Verhältniss zwischen den beiden jungen Männern bildete sich
jedoch damals noch nicht. Die goldenen Tage von Bologna
erreichten früher, als Petrarca wol vermuthet haben mochte
ihr Ende. Die Nachricht von dem Tode Petracco's, ihres
Vaters, rief Francesco und Gherardo nach Avignon zurück,
und so verliessen sie am 26. April 1326^) die ihnen lieb ge-
wordene Musenstadt und schieden bald darauf zum zweiten
Male von ihrem italienischen Vaterlande.
Petrarca' s erste Jugendjahre, wenn wir dieses Wort im
engeren Sinne fassen, können hiermit als abgeschlossen betrachtet
werden und es beginnt ein neuer Abschnitt seines Lebens.
1) An ihn sind gerichtet Ep. Farn. IX 6. 7. 14. XIV 3. 4. App. 6.
2) An ihn sind gerichtet Ep. Fam. VIII 2. 3. 4. 5. (XI 12?)
^) Ep. Fam. 1 1, datirt vom 18. April, jedenfalls 1325.
*) Epist. ad post. p. 5. Das Datum bestimmt sich nach Epist. Fam.
IV 1.
Drittes Capitel.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre
in Vaucluse.
(1326—1341.)
Durch das Ableben Petracco's, welchem vermuthlich seine
Gattin bald im Tode nachfolgte^), wurde Petrarca ganz ver-
waist und die Frage, was nun zu beginnen sei, trat in ihrer
vollen Schroffheit an ihn heran. Das väterliche Vermögen,
ohnehin kaum massig zu nennen ^) , wie das aus Petracco's
Lebensschicksalen, seiner Verbannung und seinem Umher-
irren in der Fremde, ja sehr begreiflich ist, wurde durch die
Habsucht der Testamentsvollstrecker so geschmälert, dass ihm
wenig mehr übrig blieb, als eine schöne Cicerohandschrift,
einst das Lieblingsbueh seines Vaters, welches von den Ord-
nern des Nachlasses als werthlos unbeachtet geblieben war^).
Seine juristischen Kenntnisse, welche immerhin, wie spätere
Vorkommnisse beweisen, nicht ganz unbeträchtlich gewesen
sein mögen, praktisch zu verwerthen, mochte und konnte der
Jünghng aus den oben (S.~ 69) angegebenen Giünden sich nicht
^) Vgl. S, 50 ff. Dass Petrarca's Mutter nicht etwa während seines
Aufenthaltes in Montpellier oder Bologna gestorben sein kann, sondern
dass er bei ihrem Tode anwesend war, geht aus v. 37 des oben erwähnten
„breve panegyricum defunctae matris" hervor.
-) Ep. ad post. p. 2: „fortuna mediocris et (ut verum fateor) ad ino-
piam vergens".
") Ep. Sen. XV 1.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 75
entschliessen. Es blieb ihm demnach kaum etwas Anderes
übrig, als in den geistlichen Stand einzutreten, welcher ihm
bei den damaligen gesellschaftlichen und kirchlichen Zuständeii
und zumal in Avignon, dem Sitze der Curie, jedenfalls eine
ehrenvolle äussere Stellung und, auch ohne Bekleidung eines
bestimmte Pflichten auferlegenden Amtes, eine auskömmliche
Existenz sicherte. So empfing er denn (und mit ihm wahrschein-
lich auch sein ja in gleicher Lage befindlicher Bruder Gherardo)
die geistlichen Weihen und entschied dadurch über seine Zu-
kunft. Es ruht ein gewisses seltsames Dunkel auf diesem
wichtigen Schritte Petrarca's: er selbst, sonst so gesprächig,
hat sich über diesen Punkt nie ausgesprochen und auch seine
Biographen gehen darüber ausnahmslos wie über etwas
Selbstverständliches ganz flüchtig hinweg. Die Thatsache je-
doch, dass Petrarca die vollen Priesterweihen erhalten hat,
lässt sich schlechterdings nicht anzweifeln: sie wird dadurch
bewiesen, dass er im späteren Leben verschiedene kirchliche
Pfründen und Aemter erlangte und dass er selbst erzählt, ein
Bischofsstuhl sei ihm wiederholt nicht bloss angeboten, sondern
fast auch aufgedrungen worden i). Würde das nicht für be-
weiskräftig erachtet werden, so Hessen sich leicht noch weitere
Gründe anführen, so z. B. Petrarca's eigene Angabe, dass er
die Messe celebrirt habe 2). Ebenso dürfte es unzweifelhaft
sein, dass Veraiögenslosigkeit Petrarca's Hauptmotiv für die
Annahme der Tonsur gewesen ist 3). Vom streng moralischen
Standpunkte aus mag man gewiss ein Recht besitzen, eine
solche Handlungsweise als leichtfertig und verwerflich zu be-
zeichnen, doch darf man, will man gerecht urtheilen, nicht
übersehen, dass Petrarca eine von Haus aus tief und auf-
^) Epist. Sen. IX 2. Apol. contra cuiusd. Gall. calumn. p. 1181.
^) de otio relig. lib. II pag. 361 („accessit opportuna necessitas, divinas
laudes atque officium quotidianum celebrandum").
^) Vgl. Dominicus Aretinus b. Mehus p. 197 und Janozzus Manettus
b. Tomasini p. 199. Der erstere führt noch einen anderen höchst selt-
samen Grund an: „ne uxoris voces querulae hunc sacris Musis dedi-
tum lacerarent", als wenn man nicht auch im Laienstande Cölibatär sein
könnte.
76 Drittes Capitel.
richtig religiös angelegte Natur war^) und dass demzufolge
der Eintritt in den Priesterstand nicht eben sehr gegen
seine Neigung und keineswegs gegen seine innere Ueber-
zeugung erfolgt sein wird. Dass allerdings Petrarca nicht
in allen und namentlich nicht in den früheren Perioden seines
Lebens einen priesterlich ernsten und sittenstrengen Lebens-
wandel geführt hat, ist vollkommen richtig, mag aber mit
der Anschauungsweise damaliger Zeit, welche an den geist-
lichen Stand rigorose Anforderungen nicht zu stellen pflegte,
und auch mit der allgemeinen Schwäche der menschlichen
Natur billigerweise entschuldigt werden. Grosse Männer darf
man nicht nach engherzigen Grundsätzen beurth eilen wollen
und nicht von ihnen fordern, dass sie uns in allen Beziehungen
ein nachahmungswürdiges Vorbild darbieten sollen.
Wahrscheinlich noch in demselben Jahre 2), in welchem
Petrarca seine A eitern verlor und in dem er das geistliche
Kleid anlegte, trat er zuerst in nähere Beziehungen zu einem
Manne, welcher auf die Gestaltung seines späteren Lebens den
grössten Einfluss ausüben sollte. Gleichzeitig mit Petrarca
studirte in Bologna, wie wir bereits erwähnten. Giacomo
Colonna, der jüngste und siebente Sohn jenes alten Stefano
Colonna, der damals, nach mannigfach wechselnden Schicksalen,
an der Spitze des altberühmten, für die Geschichte der Stadt
Rom so bedeutungsvollen adligen colonnesischen Geschlechtes
stand. Auch das wurde bereits oben erwähnt, dass sich ein
näheres Verhältniss zwischen den beiden jungen Männern in
Bologna nicht gebildet habe , hier muss aber nun hinzugefügt
werden, dass Giacomo damals doch Petrarca wenigstens ge-
sehen, ihn an seiner Kleidung als einen Commilitonen erkannt
1) vgl. Fracassetti, Lett. fam. II p. 68—74; quellenmässige Beweise
für die oben aufgestellte Behauptung werden in einem späteren Abschnitte
gegeben werden.
-) Epist. Sen. XV 1 „circa vigesimum secundum annura dominorum
Columnensium familiaritatem domesticam nactus eram". Die Lesart
ist in Zweifel gezogen und „sextum" für secundum vermuthet worden (vgl.
Fracassetti, Lett. fam. I p. 279 f.), aber doch wol mit Unrecht, vgl. Epist.
ad post. p. 6.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Yaucluse. 77
und, bestochen von der körperlichen Wohlgestalt des jungen
Mannes, ein günstiges Vorurtlieil für ihn gefasst hatte '). Es war
demnach natürlich, dass, als er ihn bald darauf in Avignon
wiedersah, er sich für ihn interessirte und ihn an sich zu
ziehen suchte, zumal wenn er erfahren hatte, dass sein Inter-
esse einem Landsmanne und einem in bedrängten äusseren
Verhältnissen lebenden angehenden Dichter gelte, denn dass
Petrarca damals — in seinem 22. Jahre — bereits poetische
Versuche gewagt hatte, darf, obwol es sich nicht streng be-
weisen lässt, doch als selbstverständlich angenommen werden.
Die Gleichheit des Alters, der Studien und des Standes
— denn auch Giacomo hatte dem Rechtsstudium obgelegen
und trug das priesterliche Gewand — sowie die dadurch theil-
weis bedingte Gleichheit des Denkens und Empfindens musste
ebenfalls dazu beitragen, die Freundschaft zwischen dem armen
Kleriker und dem Sohne des vornehmen und reichbegüterten
adligen Hauses zu knüpfen. Vorläufig freilich wird Giacomo
kaum in der Lage gewesen sein, etwas Erhebliches für seinen
neugewonnenen Freund thun zu können, da ihn, wie wir bald
sehen werden, Aufträge des Papstes nach Italien riefen. Die
Freundschaft aber zwischen Giacomo und Petrarca währte bis
zu des ersteren bereits im Jahre 1341 erfolgten Tode und
wird durch mehrere noch vorhandene Briefe Petrarca's be-
zeugt 2). Noch am Spätabende seines Lebens, lange Jahre nach
des Freundes Tode, entwarf Petrarca in einem vom 27. April,
vermuthlich des Jahres 1374, datirten Briefe ein Charakterbild
Giacomo's, wie es schöner und rühmlicher nicht gedacht werden
kann ^).
Während wir bei dem Entstehen dieses Freundschafts-
bundes uns einen Augenblick wenigstens verweilten, ^yollen
wir, wahrscheinlich sehr gegen das Erwarten des Lesers, ein
1) Epist. Sen. XV 1.
2) Ep. Farn. I 5. II 9. IV (5. Ep. poet. lat. I 7. Der letztgenannte
Brief ist von der höchsten "Wichtigkeit und beweist, welches Vertrauen
Petrarca dem Colonnesen schenkte.
^) Epist. Sen. XV 1., vgl. XV 4 und Farn. IV 12.
78 Drittes Capitel.
anderes Ereigniss nur flüchtig berühren, obwol es mit Recht
als das folgenreichste im Leben Petrarca's und als das bedeu-
tungsvollste für seinen Dichterruhm erscheinen kann. Am
6. April des Jahres 1327^) — seiner eigenen, nachweisbar
aber irrigen Angabe zufolge 2) einem Charfreitage — erblickte
Petrarca in der St. Clarakirche zu Avignon während der Früh-
mette zum ersten Male die Frau 3), deren Namen „Laura" mit
dem seinen sich für alle Folgezeit unlösbar verbinden sollte.
Nicht hier, wo wir nur die äusseren Umrisse des Lebens
Petrarca's zu zeichnen unternehmen, scheint uns der geeignete
Ort zu sein, um seine Liebe zu .Laura zu erzählen und die
räthselhafte Natur derselben zu ergründen. Wir behalten uns
dies für denjenigen Abschnitt dieses Buches vor, in welchem
wir seine italienischen Dichtungen, die schönen Fmchte jener
Herzensneigung, zu besprechen gedenken. Nur insoweit werden
wir bis dahin Laura's und der ihr vom Dichter gewidmeten
Neigung erwähnen, als die letztere auf den äusseren Lebens-
gang Petrarca's von Einfluss gewesen ist.
Um auf diesen Lebensgang zurückzukommen, müssen wir
einen Blick auf einige wichtige politische Ereignisse des Jahres
1328 werfen.
Am 17. Januar 1328 setzte der deutsche König Ludwig
der Baier, seinem Widersacher Papst Johann XXII. trotzend,
die ihm von dem römischen Volke dargebotene Kaiserkrone
unter feierlichem Gepränge auf sein Haupt und am 18. April
wagte er es, in einem Parlamente den Papst als Ketzer und
Antichrist für des Stuhles Petri verlustig zu erklären *). Die
Rache des so schwer beleidigten Pontifex liess nicht lange auf
sich warten. Am 22. April erschien auf dem Platze vor der
^) Sonett I 157, Trionf. della Morte I v. 133 und die Postille des
Virgil b. Fracassetti, Lett. fam. II p. 242 f.
2) Sonett I 3 u. 40.
^) Bereits hier möge bemerkt werden, dass wir die immer und immer
wieder, zuletzt noch von Geiger aufgestellte Hypothese von der Jungfräu-
lichkeit Laura's durchaus verwerfen.
*) Villani X c. 54 u. 68 b. Muratori XIII p. 632 f u. p. 641 f., vgl.
Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom u. s. w. VI p. 146 f. u. 154 f.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 79
Kirche San Marcello der junge Giacomo Colonna, päpstlicher
Caplan und Canonicus vom Lateran, verlas vor mehr als
tausend Römern die gegen den Kaiser und dessen Anhänger
erlassene Bannbulle, erbot sich, die Wahrheit der darin aus-
gesprochenen Anschuldigungen gegen Jedermann und nöthigen-
falls mit dem Schwerte zu erweisen und heftete eigenhändig
die Bulle an die Kirchenpforte. Darauf stieg er zu Ross und
ritt mit seinen vier maskirten Gefährten nach Palestrina zurück,
die ihm nachgesandten Bewaffneten des Kaisers vermochten
nicht mehr, ihn einzuholen^).
Der Papst liess die kühne That des jungen Priesters nicht
unbelohnt: er verlieh ihm, sei es noch 1328 oder in dem
darauf folgenden Jahre, das Bisthum von Lombes, einer kleinen
Stadt, südwestlich von Toulouse und südöstlich von Auch in
gleicher Entfernung von ungefähr je zehn Meilen an den
Ufern der Save und an den äussersten nördlichen Ausläufern
der Pyrenäen gelegen.
So wurde Petrarca's Freund, noch vor Erreichung des
kanonischen Alters, zum Bischof erhoben. Im Frühjahre 1330 ^)
rüstete er sich, sein Bisthum zu besuchen, und lud Petrarca
ein, ihn zu begleiten, welcher Einladung dieser natürlich gern
Folge leistete. Die Reise nach Lombes war trotz des oft
trüben Wetters eine sehr heitere^) und wie hätte es auch
anders sein können, wenn zwei geistvolle und froher Lebens-
lust geneigte junge Männer, in inniger Freundschaft verbunden
und aller niederen Sorgen überhoben, die paradiesischen und
gerade in Frühlingspracht erglänzenden Gefilde Südfrankreichs
durchzogen? Leider müssen wir alle Einzelheiten der Reise
uns aus der eigenen Phantasie ergänzen; nur das Eine lässt
sich mit einiger Bestimmtheit vermuthen, dass zu Toulouse,
der alten Hauptstadt der Provence, ein längerer Aufenthalt
1) Villani X 69 b. Muratori XIII p. 643, vgl. Gregorovius, a. a. 0.
VI p. 156 f.
-) Zeitbestimmung nach Sen. X 2 („quarto postquam Bononia redieram
anno Pyrenaeos colles adii.") ; Ep. ad post. 6.
3) Ep. Sen. X 2.
80 Drittes Capitel.
genommen wurde ^), und gern mögen wir uns vorstellen, mit
welchem lebhaften Interesse Petrarca von den Bestrebungen
der dortigen, sechs Jahre vorher constituirten Dichtergesellschaft
des consistori de la gaya sciensa ^) Kenntniss nahm. In Lombes
aber verlebte Petrarca in dem Genüsse der schönen Natur ^),
für deren Reize er ja so empfänglich war, einen, wie er selbst
sagt*), beinahe himmlischen Sommer, welcher ihm noch da-
durch verschönt wurde, dass er mit zwei treulichen Männern,
die sich, wie er selbst, in dem Gefolge des Bischofs befanden,
damals einen innigen Freundschaftsbund für das Leben schloss %
Die neuen Freunde, welche Petrarca zu Lombes im Hause
des Bischofs sich gewann, waren sehr verschiedenen Ländern
entsprossen. Der Eine, eigentlich Ludwig geheissen, von
Petrarca aber, wir wissen nicht warum, Sokrates genannt,
stammte aus einem am linken Ufer des Rheines gelegenen
Orte der Niederlande, Campinia Annaea*^); der gewöhnlichen
Annahme nach, die sich freilich nicht beweisen, aber auch
nicht widerlegen lässt, würde darunter der Flecken Kempen
in der Nähe von Herzogenbusch zu verstehen sein. Von
Geburt war also Sokrates nach der von Petrarca getheilten
römischen und italienischen Anschauung jedenfalls ein Barbar,
aber durch Erziehung und Lebensgang war er, obwol er Italien,
das Land seiner Sehnsucht, nie betreten zu haben scheint,
völlig zum Italiener geworden und wollte selbst als solcher
gelten'). Die innige und vertrauensvolle Freundschaft, welche
Petrarca einunddreissig Jahre hindurch mit Sokrates bis zu
dessen im Jahre 1361^) erfolgten Tode unterhielt^), beweist.
^) Ep. Sen. X 2.
*) V 1. K. Bartsch, Grundriss u. s. w. p. 74.
^) vgl. Rime sopra argomenti storici etc. ed. Carducci (Livorno 1876),
Sonett 2 (p. 5).
*) Epist. ad post. p. 6.
'') Ep. Sen. I 2 (b. Fracassetti).
«) Ep. Fam. IX 2.
■) Ep. Fam. IX 2. Ep. Sen. I 2 (3).
«) Ep. Sen. I 1 (praef.).
") de Vit. sol. II 10, 1. Trionfo d'am. III v. 68 ff.
Die Wanderjahre der Jagend und die ersten Jahre in Vaucluse. 81
dass derselbe ein trefflicher und hochgebildeter Mann gewesen
sein muss. Wol keinem Freunde, höchstens etwa Giaconio
Colonna ausgenommen, hat Petrarca ein so uneingeschränktes,
Nichts verbergendes Vertrauen geschenkt wie Sokrates, an
keinen hat er so viele und so inhaltsvolle Briefe gerichtet wie
an ihn^), wie er denn ja auch ihm die Sammlung der Epistolae
familiäres zugeeignet hat. Sokrates' äusserer Lebensgang scheint
vom Jahre 1330 ab ein sehr stiller und ereignissloser gewesen
zu sein: er lebte allem Vermuthen nach dauernd und ruhig
zu Avignon, vielleicht irgend ein bescheidenes Amt, etwa eine
Secretairstelle bei einem Prälaten oder einer kirchlichen Be-
hörde bekleidend.
Der andere der neu gewonnenen Freunde Petrarca's war
ein Vollblutrömer Namens Lello, von Petrarca aber in Erinne-
rung an die Freunde der Scipionen Laelius genannt, der Sohn
des Pietro Stefano ^), einer alten ghibellinischen und den Co-
lonnesen treu ergebenen Adelsfamilie Roms angehörig und ein
Günstling des greisen Stefano Colonna ^). Giacomo Colonna
hatte sich vermuthlich im Jahre 1328 während seines Aufent-
haltes in Italien mit Lelio befreundet und ihn dann mit sicli
nach Avignon genommen, ihm, wie es scheint, die Stelle eines
Secretairs übertragend, denn Lelio's Werkzeug war die Fedei-,
wenn er sie auch zeitweilig im Getümmel der römischen Stadt-
kämpfe mit dem Schwerte vertauschen mochte"^). Jedenfalls
verblieb Lelio in dem Dienste des Bischofs von Lombes bis
zu dessen frühen Tode im Jahre 1341. Später — vermuthlich
im Jahre 1348 und 1349 nach dem Ableben des Cardinais
Giovanni Colonna — kehrte er für immer in seine römische
Heimath zurück, in welcher er Gatte und Vater wurde-') und
^) Es sind an Sokrates gerichtet: Ep Fam I praef. V 13. 14. 1-5.
VII 3. 6. VIII 7. IX 2. 9. X 2. XI 7. XIV 2. XVI 3. 7. XX 15.
XXI 9. XXII 8. 9. XXIII 13. XXIV 13. Var. 14. Ep. poet. lat. III 27.
28. 32.
2) Ep. Var. 49.
8) Ep. Fam. XIX 4.
*) Ep. Fam. III 20.
•) Ep. Fam. XVI 8.
Kört in g, Petrarca. 6
82 Drittes Capitel.
als Berather des jungen Stefanello Colonna eine nicht unbe-
deutende politische Rolle spielte*). Auch an Lelio hat Pe-
trarca zahlreiche Briefe gerichtet 2), doch scheint sein Verhält-
niss zu ihm ein nicht ganz so inniges gewesen zu sein, wie
dasjenige zu Sokrates, welcher letztere wol die weichere ge-
müthvollere Natur besass. Gestorben ist Lelio im Jahre 1363^),
über das Alter jedoch, welches er erreichte, sind wir nur auf
Yermuthungen angewiesen, jedenfalls ist es nicht glaublich, dass
er bedeutend älter gewesen sei als Petrarca*). Von Sokrates
dagegen wissen wir, dass er gleichaltrig mit Petrarca war^).
Im Herbste 1330 kehrte der Bischof Giaeomo mit seinen
Freunden von Lombes nach Avignon zumck und hier machte
er jetzt Petrarca mit seinem ältesten Bruder, dem schon im
Jahr 1327 zum Cardinale erhobenen Giovanni Colonna bekannt.
Auch den alten Stefano, den Vater Giovanni's und Giacomo's,
einen Mann von altrömischer Kraft, Hochherzigkeit und StaiT-
heit des Charakters, lernte Petrarca im Winter 1330 — 31
kennen ^). So befreundete sich Petrarca immer mehr mit der
einflussreichsten und mächtigsten Familie des römischen Adels
und, da dieselbe ein edles Vergnügen darin fand, eine Mäcena-
tenrolle zu spielen, so war solche Befreundung ein hohes Glück
zu nennen , wie er auch dies stets dankbar anerkannt hat '),
selbst als er später durch politische Gründe den Colonnesen
entfremdet wurde. Zum grössten Danke aber war Petrarca
gewiss dem Cardinal Giovanni verpflichtet. Dieser hoch-
gebildete und edle Kirchenfürst nahm den jungen Dichter,
ohne ihm, wie es scheint, irgend welche bestimmte Ver-
pflichtungen aufzuerlegen, ganz in sein Haus auf und befreite
1) Ep. Fam. XV 1. vgl. XIX 4.
2) Ep. Fam. HI 20. 21. 22. IV 13. VII 5. IX 10. XV 1. 8. 9. XVI 8.
XIX 3. XX 12. 13. 14. Sen. H 4. -5. Ep. poet. lat. II 8.
3) Ep. Sen. I praef.
*) Ep. Fam. XX 12 kann nicht, wie Fracassetti Lett. fam. I p. 479
will, für die gegentheilige Behauptung angeführt werden.
^) Ep. Fam. IX 2.
^) Zeitbestimmung nach Ep. Fam. V 3.
') vgl. z. B. Ep. Fam. VII 13.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vauckise. 83
ihn dadurch von allen Sorgen um die äussere Existenz^), er-
wies ihm die Güte eines Vaters und die Liebe eines Bruders^)
und würdigte ihn des ehrendesten Vertrauens ^). Wie innig
sein Verhältniss zu Petrarca auch dann noch blieb, als dieser
sich selbständig gemacht und nach Vaucluse zurückgezogen
hatte, beweisen so manche kleine Züge, die wir gelegentlich
erfahren. So übersandte Petrarca einmal dem Cardinale 66
kleine Fische, die er selbst in den Gewässei*n der Sorgue ge-
fangen, und fügte ein anmuthiges lateinisches Gedicht von
ebensoviel Versen bei^), der Cardinal dagegen machte dem
Dichter einen schönen Hund zum Geschenke, wofür Petrarca
dann wieder mit einer poetischen Epistel dankte^). Die Zahl
der Briefe in Prosa und Versen an den Cardinal ist eine be-
trächtliche ^). — Giovanni Colonna starb im Sommer des Jahres
1348 an der Pest.
Durch des Cardinais Edelmuth vor der rauhen Noth des
Lebens völlig gesichert, konnte sich der lebenskräftige und der
Sinnenlust durchaus nicht abgeneigte^) Petrarca nun einem
frohen und glückliehen Jugendleben überlassen, dem es auch
an Uebermuth und Ausschreitungen nicht gefehlt haben
mag und auf welches der gereifte und strengeren sittlichen
Grundsätzen huldigende Mann später nicht mit allseitiger Be-
friedigung zurückbhckte. Ein gar anschauliches Bild von
diesem heiteren und mitunter thörichten Jugendtreiben ent-
wirft Petrarca selbst in einem an seinen Bruder Gherardo ge-
richteten, vom 25. September höchst wahrscheinlich des Jahres
1348 ^) datirten Briefe ^), in welchem er namentlich der gecken-
^) Epist. ad post. p. 6.
2) ibid.
^) vgl. den Ep. Fam. V 2 erzählten Vorfall.
*) Ep. poet. lat. III 4.
«) Ep. poet. lat. III 5.
«) Ep, Fam. I 3. 4. II 12. 13. 14. 15. IV 4. 5. 9. 12. V 2. 3. 4. 5. 6.
VII 13. Ep. poet. lat. I 10. II 15. III 1. 4. 5.
') Epist. ad post. p. 2.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. II p. 496.
«) Epist. Fam. X 3.
6*
84 Drittes Capitel.
haften Sorgfalt gedenkt, die von ihm und seinem Bruder
damals der Toilette gewidmet wurde ; in kleinem Rahmen ent-
wirft er in diesem Briefe ein interessantes Culturgemälde und
weiss gar trefflich das Porträt des avignoneser Stutzers zu
zeichnen, der, um durch zierlich frisirtes Haar und gewählte
Kleidung natürliche Vorziige zur grösseren Geltung zu bringen
und schöne Augen an seine Erscheinung zu fesseln, seinem
Leibe oft arge Qualen auferlegt und z. B. manche Nacht auf
den Schlaf verzichtet, damit nur ja die kunstvoll gebrannten
Locken nicht gedrückt und beschädigt werden.
Gei-n aber dürfen wir glauben, dass bei einem Petrarca
solche Jugendlust und Jugendtändelei sich nicht steigerte bis
zu wüstem Treiben und bis zum Vergessen höheren Strebens.
Dass Petrarca auch damals sich eifrig gelehrten Studien wid-
mete, beweist die staunenswerthe Fülle der in seinen lateini-
schen Schriften niedergelegten Kenntnisse: solchen Reich thum
des Wissens vermochte sich nur zu erwerben, wer di« Arbeits-
fähigkeit der Jugend auszunützen und mit der Lust den Ernst
zu mischen verstand. Und neben der strengen Wissenschaft
ward damals gewiss auch der Poesie ihr Recht, so manches
Sonett und so manche Canzone, die wir jetzt bewundenid lesen,
ohne dass wir ihre Abfassungszeit zu bestimmen vermöchten,
mag damals entstanden sein, sind ja doch die späteren Jugend-
jahre, in denen die Phantasie von manchen Schlacken der
ersten Jugend geläutert, aber von dem nüchternen Verstände
noch nicht, wie dann im gereiften Mannesalter, in ihrem freien
Fluge gehemmt wird, so recht die Zeit der dichterischen Voll-
kraft, so recht die Zeit der höchsten dichterischen Frucht-
barkeit.
Zur grössten Förderung aber gereichte dem jungen Ge-
lehrten und Dichter der Umstand, dass er — was er selbst
freilich in seltsamer Verblendung oft beklagt hat — in Avignon
lebte Hier in der päpstlichen Residenz, auf deren Sti-assen
Kleriker und Laien hohen und niederen Standes aus allen
Landen zusammentrafen und ein buntes hochinteressantes
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 85
Völkergewühl bildeten ^) , fand er stete geistige Anregung
und erweiterte sich sein Gesichtskreis weit hinaus über die
mittelalterlich kleinstädtischen Grenzen; hier in dem gast-
lichen Hause des Cardinais, dem Vereinigungspunkte in wissen-
schaftlicher oder politischer Beziehung bedeutender Männer,
wurde ihm gesellschaftliche Unterhaltung geboten, wie sie
seiner Neigung entsprach und seinen Studien förderlich war;
hier endlich wurde ihm auch, Dank seiner Verbindung mit
den Colonnesen, rasch und voll die äussere Anerkennung seiner
Bestrebungen und Leistungen zu Theil, deren gerade er so
sehr bedurfte, um sich zu weiterem Schaffen ermuthigt zu
fühlen. Alles das aber war unter damaligen Verhältnissen
nur in Avignon möglich; denn Avignon war eben damals die
einzige Weltstadt, die einzige Stadt, welche in Bezug auf ihre
Bevölkerung keinen national und local beschränkten, sondern
einen kosmopolitischen Charakter trug. In jeder anderen Stadt,
auch in seiner Vaterstadt Florenz, hätte Petrarca's Genie ver-
kümmern müssen, würde nicht in seiner Eigenartigkeit sich
haben entfalten können: eingeengt in dem Banne klein-
städtischer Anschauungen und kleinbürgerlichen Treibens,
hineingezogen in das wirre, von engherzigen Gesichtspunkten
beherrschte Leben und Kämpfen der Parteien, würde er es
nimmer vermocht haben, der Schöpfer des Humanismus zu
werden und dadurch die Fesseln der mittelalterlichen Be-
schränkung und Gebundenheit des Denkens zu sprengen, er
würde sich vielmehr, so darf man vermuthen, verloren haben
in eifriger Beschäftigung mit localpatriotischen Interessen und
hätte vielleicht statt der wirklich von ihm verfassten lateini-
schen Werke eine langathmige Stadtchronik oder auch, als
muthmasslicher Inhaber eines Canzlerpostens, Berge pomphafter
Staatsschriften producirt, deren Inhalt in dem bekannten lächer-
lichen Mäuslein des Horaz bestanden haben würde.
Gewiss, es war ein hohes Glück für Petrarca und für die
^) vgL Ep. poet. lat. III 3 v. 13 ff. Die Schattenseiten dieses "Völker-
gewühles sind treffend geschildert in Epist. poet. lat. III 23 u. II 2 v. 21 ü\
86 Drittes Capitel.
Nachwelt, dass er frühzeitig der Kirchthurmspolitik und dem
Factionsgezänk seiner Heiinath entrissen und auf eine höhere
Warte des Denkens gestellt wurde. Nur dadurch hat er ver-
mocht, seine culturgeschichtliche Mission zu ei-füllen. Auch
Dante und Boccaccio mussten, um ihren Platz in der Welt-
litteratur erringen und Bedeutung nicht nur für das italienische
Volk, sondern für die gesaramten Culturvölker erlangen zu
können, der Enge des Weichbildes von Florenz entrückt werden.
Mit gutem Grunde löst die Vorsehung die begabtesten
Geister von dem Boden ihrer Heimath los und gibt ihnen statt
eines beschränkten Stadt- oder Landgebietes die ganze Welt
zum Vaterlande, einen Theil ihres Erdenglückes dadurch aller-
dings höheren Zwecken opfernd, sie aber reichlich entschädigend
durch den Glanz unsterblichen Ruhmes.
Es drängt die Frage sich auf, ob Petrarca nicht etwa in
Avignon ausser den oben genannten Freunden, welche ihm
durch ihre Liebe und durch die Ermöglichung eines ange-
nehmen Gedankenaustausches das Leben wol zu verschönen,
aber bei ihrer unzweifelhaft weit geringeren und von
keiner reiferen Lebenseifahrung unterstützten geistigen Be-
gabung keinen bestimmenden Einfluss auf seine Entwickelung
auszuüben vermochten, nicht auch Männer gefunden habe, welche
vermöge ihrer gereiften Einsicht und einer in einem laugen
thätigen Leben erworbenen Weisheit fördernd auf sein Streben
einwirken und ihn auf die seinem Genius angemessenen Bahnen
hinweisen konnten. Wenigstens ein solcher Mann kann ge-
nannt werden. Es war dies ein gewisser Giovanni aus Florenz,
von dessen Lebensschicksalen wir freilich nichts weiter sicher
wissen, als dass er fünfzig Jahre hindurch das Amt eines
päpstlichen Scriptors bekleidete. Petrarca erwähnt seiner in
einem Biiefe ^) als eines durch die Lauterkeit seines Charakters,
die Freundlichkeit seines Wesens und seine milde Beredtsam-
keit ausgezeichneten Mannes und gedenkt dankbar des
heilsamen Einflusses, den derselbe auf seine innere Ent-
>) Epist. Sen. XV (b. Fracassetti XVI) 6.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 87
Wickelung und seine wissenschaftliche Ausbildung ausgeübt
habe, namentlich aber erinnert er sich mit Freuden daran,
wie trefflich Giovanni es verstand, ihn, wenn er zuweilen muth-
los war und daran verzagte, sich jemals über die Mittelmässig-
keit erheben und etwas Aussergewöhnliches leisten zu können,
zu ermuthigen und ihm zu zeigen, dass gerade durch dies
zeitweilige Verzagen und die Erkenntniss der eigenen Schwäche
und Unwissenheit die Bürgschaft für das Vorhandensein eines
tiefer angelegten und höher befähigten Geistes gegeben sei.
Und noch ein zweiter Mann darf berechtigten Anspruch
erheben, hier genannt zu werden. Ein greiser Rechtsgelehrter
in Avignon, Raimondo Superanzio oder Soranzio — vielleicht
ein Angehöriger des bekannten venetianischen Adelsgeschlech-
tes — hatte zu dem jungen Petrarca eine väterliche Zuneigung
gefasst und verkehrte viel mit ihm. Freilich war Raimondo in
wissenschaftlicher Beziehung ein ganz einseitiger Jurist, der
von den lateinischen Autoren nur den Livius kannte und liebte,
während er von den übrigen nichts wissen wollte, aber er war
ein durch und durch ehrenhafter Charakter, ein Mann, der in der
strengen Geradheit seines Wesens alle krummen Wege ver-
schmähte und seine Ansichten mit grösstem Freimuthe Jeder-
mann , selbst dem Papste gegenüber aussprach und also in
dieser Hinsicht für Petrarca ein edles Vorbild sein konnte.
Die grosse Bibliothek, welche er besass, stellte er seinem
jungen Freunde in der liberalsten Weise zur Verfügung und
schenkte ihm sogar einige Schriften des Varro und des
Cicero, unter den letzteren die Bücher über den Ruhm, welche
dann freilich durch Convennole's Unredlichkeit verloren gingen
(s. S. 65) 1).
So verlebte Petrarca nach allen dem, was wir so eben er-
örtert haben, in Avignon glückliche Jahre des Genusses, des
Studiums, des poetischen Schaffens und der eigenen Weiter-
entwickelung. Auch die Liebe zu Laura warf, so scheint es,
damals noch keinen Schatten in sein Lebensglück, denn noch
1) Ueber Raimondo Soranzio vgl. Ep. Fam.XXIV 1. Sen. XV (XVI) 1
und den an ihn gerichteten Brief Farn. I 2.
88 Drittes Capitel.
hatte er nicht durch moralische Reflexionen jenen Zwiespalt in
seinem Inneren erregt, der später so herbe Seelenqual ihm
bereiten sollte, noch waren ihm keine Zweifel aufgestiegen,
ob seine Liebe und die Hoffnung, sie belohnt zu sehen, nicht
etwa ein sündiges Vergessen seiner Christen- und Priester-
pflichten seien, noch glaubte er in jugendlichem Leichtmuth
der Neigung seines Herzens sich voll und ganz hingeben zu
dürfen.
Aber dennoch sehnte sich Petrarca hinaus aus dem glück-
lichen Leben in Avignon: sein Geist war nicht geschafien zu
langem behaglichen Verweilen an einem Orte, sondern strebte
immer hinaus in die Ferne und häufiger Ortswechsel war ihm
geradezu Bedürfniss ^). Wie von innerer Unruhe getrieben ist er
sein ganzes Leben hindurch, namentlich in den Jahren der Jugend
und des früheren Mannesalters, welche sich geradezu als die
Wandeijahre bezeichnen lassen, von Ort zu Ort gezogen, sich
nirgends eine bleibende Heimath gründend und immer, um so zu
sagen, an mehreren Orten gleichzeitig wohnend. Gewiss haben
ja auch äussere Gründe, darunter nicht zum geringsten die Hoff-
nung, noch unbekannte Handschriften classischer Autoren auf-
zufinden, zu dieser Unstätheit des Lebens beigetragen, aber
als hauptsächlichstes Motiv müssen wir doch eine angeborne
Lust am Reisen betrachten. Petrarca ist eben, wie in so
vielen anderen, so auch in dieser Beziehung der erste moderne
Mensch. Wie noch in unserer Gegenwart alle Menschen der
abendländischen Culturwelt. wenn sie sich nur ein wenig über
.die Trägheit geistiger Mittelmässigkeit erheben, den Trieb in
sich fühlen , immer Fremdes und Neues zu sehen und ihrem
Anschauungskreise die grösstmögliche Universalität zu ver-
leihen , wie noch wir in der Jetztzeit , von nervöser Unruhe
getrieben, so oft als nur möglich hinauseilen in die Ferne und
gern die Beschwerden und Unbequemlichkeiten der Reise ein-
tauschen gegen das mhige Verbleiben im behaglich eingerich-
teten Heim, so empfand auch Petrarca diesen Drang und ward
0 vgl. Ep. Sen. VI 2. IX 2. Farn. XV 4.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 89
von derselben Unruhe beherrscht und das um so mehr, als
er, ein Träger neuer, seinen Zeitgenossen noch fremder, ja
selbst unverständlicher Ideen , sich schon deshalb nirgends
wirklich heimisch fühlen konnte, wenn auch vielleicht dieser
Grund ihm selbst nie klar zum Bewusstsein gekommen sein
mag. Er war eben ein Fremdling in der Welt, wie sie damals
war, der Bürger einer neuen Zeit, die erst nach ihm kommen
sollte, und dies liess ihn nie und nirgends zum ruhigen Be-
hagen und Verweilen gelangen. Ganz ebenso wie er streuten
ja auch seine geistigen Erben und Nachkommen, die Huma-
nisten des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, in einem
unstäten Wanderleben bald hier, bald dort die Saat humani-
stischer Bildung aus. Wie hätte sonst auch die Renaissance
von Italien aus so rasch die gesamrate romanische und germa-
nische Culturwelt zu durchdringen vermocht? Sesshaftigkeit
der Humanisten würde den Humanismus bald zu einem zopfigen
italienischen Gelehrtenthum haben verknöchern lassen und die
Keime der Renaissancebildung würden in Italien vertrocknet
sein, statt befnichtend über weite Lande verweht zu werden
und üppigen CulturpÜanzen das Dasein zu geben. —
Dem inneren Drange folgend und von der „Begier Vieles
zu sehen" ^) geleitet, unternahm also Petrarca im Frühjahre
1333 -) seine erste grössere Reise. Allerdings, dürften wir einer
einzelnen Stelle ^) folgen, so würde er bereits in seinem fünfund-
zwanzigsten Jahre, also 1329, einmal nach der Schweiz und
Belgien gereist sein. Da jedoch Petrarca dieser angeblichen
Reise sonst nirgends weiter gedenkt, da es ferner sehr auf-
fallend sein würde, wenn er nach kaum vier Jahren zum zweiten
Male nach dem damals doch wenig anziehenden Belgien
gereist sein sollte , und da endlich nachweisbar Petrarca sich
mehrfach chronologische Irrthümer in selbstbiographischen
') Ep. ad post. p. 6.
'-) Drei Jahre nach dem Aufenthalte in Lombes, wie Ep. Farn. I 5
ausdrücklich angegeben wird, vgl. Fracassetti, Lett. fam I p. 282.
■'') Ep. Sen. XY (XVI) 1, vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 208.
90 Drittes Capitel.
Angaben zu Schulden kommen lässt^), so glauben wir voll-
berechtigt zu sein, wenn wir auch hier einen Rechnungsfehler
annehmen, jene vermeintliche Reise vom Jahre 1329 mit der-
jenigen vom Jahre 1333 identificiren und demgemäss die erstere
ebenso in das Reich der Fabel verweisen, wie etwa die selt-
same Angabe des Janozzus Manettus, dass Petrarca nach der
Rückkehr von Bologna vier Jahre lang in Toulouse humani-
stischen Studien obgelegen habe 2).
Petrarca hatte die Mittel zu seiner Reise sicherlich von
seinem Gönner, dem Cardinal Giovanni Colonna, erhalten und
erwies sich diesem dadurch dankbar, dass er ihm von seinen
Reiseeindrücken und Beobachtungen häufige und ausführliche
briefliche Mittheilungen machte, denn der Cardinal hatte ge-
wünscht, dass Petrarca ihm über Alles, was es auch sein möge
und ohne Rücksicht darauf, ob es sich lateinisch stylvoll aus-
drücken lasse, Bericht erstatte^). Es ist sehr zu beklagen,
dass von diesen Reisebriefen Petrarca's sich nur zwei*) er-
halten haben, denn man kann aus denselben ersehen, welche
gute Beobachtungsgabe er für das Neue und Fremde, das er
sah und hörte, besass und wie anschaulich und anziehend er
das Beobachtete darzustellen verstand. Eine ganze Reihe sol-
cher Briefe würde unschätzbaren Werth für unsere Kenntniss
der damaligen Culturzustände besitzen.
Das nächste und anfangs vermuthlich allein in's Auge ge-
fasste Ziel der Reise war Paris, schon damals eine grosse volk-
reiche Stadt und Sitz einer hochberühmten Universität, welche
der Sage nach von Alcuin, Carls d. Gr. Lehrer, gegründet
worden war ^). Petrarca betrat die Stadt, von welcher er so
1) vgl. z. B. S. 62 Anm. '') u. S. 03 Anm. ^).
") b. Tomasini, p. 197. Vermuthlich hat Manettus die Stelle in der
Schrift de mult. et sui ips. ign. p. 1148: „mox Bononiam, post Tolosam et
Parisios, Pataviumque et Neapolim (adii), ubi studia tunc florebant" miss-
verstanden.
•■') Ep. Fam. I 4 (ed. Frac. I p. 47).
*) Ep. Fam. I 3 u. 4.
^) Ep. Sen. X 2; apologia contra Galli calumn. p. 1191, vgl. Budinszky,
Die Universität Paris u. s. w. (Berlin 1876), p. 6 u. 10.
Die Waiiderjabre der Jugend und die ersten JaLre in Vaucluse. 91
viele Wunderdinge gehört hatte, mit derselben hochgespannten
Erwartung wie einst „Apulejus das thessalische Hypata" und wir
dürfen wol annehmen, dass dieselbe nicht enttäuscht wurde,
denn im Vergleich zu Avignon und Bologna mochte Paris
allerdings auch damals schon das Bild eines imposanten
Gegensatzes gewähren. So durchwanderte Petrarca denn eifrig
die Seinestadt und besichtigte Alles, was nur irgend merk-
würdig war; Avenn der Tag dazu nicht genügen wollte, nahm
er selbst die Nacht zu Hülfe ^).
An angenehmem Umgange mit gelehrten und ihm sym-
pathischen Männern wird es ihm während seines Aufenthaltes
in Paris gewiss nicht gemangelt haben. Lehrten doch damals,
wie schon stets in früheren Zeiten ^), eine Anzahl italienischer
Professoren an der dortigen Hochschule, unter ihnen der spätere
Canzler Roberto de' Bardi aus Florenz, der im Jahre 1333
„einer der drei Provisoren des lombardischen Collegiums war ^).
Unter diesen italienischen Gelehrten, welche Petrarca
damals kennen lernte, befand sich- einer, der auf seine weitere
Entwickelung einen grossen und heilsamen Einfluss ausüben
sollte. Es war dies der Augustinermönch Dionigi, aus dem tos-
canischen Flecken Borge San Sepolcro gebürtig, ein trefflicher
Mann, dem nicht nur eine umfassende Gelehrsamkeit — er
trug Theologie und Philosophie an der Hochschule vor — ,
sondern auch die Gabe der Weissagung nachgerühmt wurde ^).
Petrarca wählte ihn, wie sich mit grosser Wahrscheinlichkeit
Yemiuthen, wenn auch nicht streng beweisen lässt ^), zu seinem
Beichtvater, enthüllte ihm sein innerstes Fühlen und Denken
und bekannte ihm auch seine Liebe zu Laura sowie seine
Zweifel über die sittliche Berechtigung dieser Leidenschaft,
welche jetzt, vielleicht in Folge des Herausreissens aus dem
') Ep. Fam. I 3.
-) apolog. contra Galli calumn. p. 1191.
^) vgl. Budinszky, a. a. 0. p. 202 f.
*) Ep. poet. lat. I 13. Villani, X 85 b. Miu-atori XIII p. 654, vgl.
Tiraboschi V p. 184 flf. Fracassetti, Lett. fam. I p. 424 ff.
^: Ep. Fam. IV 1.
92 Drittes Capitel.
gewohnten Lebenskreise und der sich daraus ergebenden Re-
flexionen , in seinem Herzen aufzukeimen begannen. Dionigi
tröstete ihn mit mildem Zuspräche, forderte ihn auf, seine
Leidenschaft thatkräftig zu bekämpfen und schenkte ihm, um
ihm einen sicheren Pfad zur Erlösung von einander wider-
streitenden Seelenbewegungen zu zeigen, des heiligen Augusti-
nus Confessionen in einer schönen Handschrift kleinen For-
mates ^). Petrarca gewann das Buch bald sehr lieb — mit
vollem Rechte mochte er in Augustin einen Geistesverwandten
erkennen — und trug es immer bei sich ; erst im späten Alter
schenkte er das von Dionigi erhaltene Handexemplar seinem
jungen Freunde Luigi Marsili ^).
Es begann jetzt jener Zwiespalt in dem Innern Petrarca's,
der sein ganzes späteres Leben hindurch fortbestanden und
den er nie wahrhaft zu überwinden vermocht hat, so oft er es
sich auch mit allen Mitteln der Rhetorik glauben zu machen
versuchte. Es rangen in ihm der mittelalterliche und der
modei-ne Mensch. Der erstere wollte sich bedingungslos und
zerknirscht dem religiösen Gebote beugen und fügen, in de-
muthsvoller Gläubigkeit allein sein Seelenheil erstreben und
einzig den Sinn auf das Jenseits richten, während der letztere,
auf die menschliche Natur und auf die Rechte der Individuali-
tät sich berufend, es wagen wollte, im modernen Sinne des
Wortes „Mensch" zu sein und auch die Dinge des Diesseits
schön und begehrenswerth zu finden, so dass derselbe Mann
fast mit demselben Athemzuge Liebe und Ruhm als die höch-
sten Güter pries und dann wieder als nichtigen Tand und als
einen das Seelenheil hochhebst gefährdenden Teufelstrug ver-
dammte. Es spricht dieser Zwiespalt sich in allen Schriften
Petrarca's aus, nicht zum mindesten auch in seinen italienischen
Dichtungen, schärfer jedoch in den lateinischen Werken und
am entschiedensten in seinen merkwürdigen Selbstbekennt-
nissen, welche in den „Gesprächen über die Verachtung der
^) Ep. Fam. IV 1.
2) Ep. Sen. XIV 6 (b. Fracassetti XV 7).
Die Wanderjalire dei* Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 9.)
Welt" niedergelegt sind. Petrarca zeigt uns eben — es ist
dies für seine Beiirtheilung überaus wichtig und wir werden
noch öfter und eingehender darauf zurückkommen müssen —
ein Doppelgesicht, das eine dem Mittelalter, das andere der
Neuzeit zugewandt, keinem der beiden so grundverschiedenen
Zeitalter ganz und voll angehörend, sondern die Anschauungen
und Empfindungen beider in seiner Brust vereinigend, aber
nicht versöhnend. Mit Fug und Recht darf er der erste
moderne Mensch genannt werden, weil er es in vielen und
wesentlichen Beziehungen gewesen ist, aber es fehlte viel,
dass er in allen Beziehungen es war: starke Bande, die er
nicht zerreissen konnte und nicht zu zerreissen strebte, ver-
knüpften ihn noch mit dem Denken und Empfinden der
mittelalterlichen Zeiten und so besitzen denn diese, denen er
ja dui-ch die Jahreszahlen seines Lebens angehört, auch ein
wirklich begründetes Anrecht auf ihn. In diesem steten
Schwanken zwischen zwei verschiedenen Zeiten, in diesem
unentschieden gebliebenen inneren Kampfe, den kein Sieg ge-
krönt, ist Petrarca's höchste Stärke, zugleich aber auch
seine grösste Schwäche enthalten, seine ganze so eigenartige
Stellung und Bedeutung.
Kehren wir nun zur äusseren Lebensgeschichte Petrarca's
zurück!
Der Aufenthalt Petrarca's in Paris kann, da ja die ganze
weite Reise nur wenige Monate währte, ein nur kurz be-
messener gewesen sein. Im Allgemeinen scheint die fran-
zösische Hauptstadt keinen allzu günstigen oder doch mindestens
keinen sympathischen Eindruck auf den Dichter gemacht zu
haben, denn, obwol er ihre Grossartigkeit gern zugestand, so
meinte er doch, dass ihr Ruhm übertrieben sei und zum
grossen Theile auf französischer Prahlerei beruhe ^) , und der
Gedanke an eine etwaige Uebersiedelung nach Paris hatte für
ihn durchaus nichts Verlockendes^), wesshalb er auch später
^) Ep. Sen. X 2: „(^Lutetia) licet- semper fama inferior et multa
suorum mendaciis debens, magna tarnen haud dubie res fuit".
2) vgl. Ep. Fam. XV 8.
94 Drittes Capitel.
wiederholten Einladungen des französischen Königs keine
Folge leistete.
Von Paris aus ward die Reise nach dem fernen Nord-
westen, nach den Niederlanden und Niederdeutschland, fort-
gesetzt. Es ist schwer zu sagen, welcher Beweggrund eigent-
lich Petrarca in diese für ihn, den Südländer, so entlegenen
und damals höchstens durch ihren lebhaften Handel und ihren
regen Gewerbfleiss sich auszeichnenden Lande geführt habe.
Hatte er Aufträge des Cardinais Giovanni oder der Curie dort
zu erledigen V oder liess er sich nur von jener Reiselust treiben,
welcher jedwedes Ziel willkommen ist, am willkommensten
aber ein solches, dessen Erreichung, weil mühevoll und be-
schwerlich, höheren Ruhm verheisst?
Wie dem auch sein mag, die Reise ging zunächst nach
Gent, damals eine blühende Handels- und Fabrikstadt, welche,
wie Paris, von Julius Cäsar gegründet zu sein sich rühmte,
und sodann durch die Webereibezirke Flanderns und Brabants
nach Lüttich. Hier verweilte sich Petrarca mit seinen Ge-
fährten einige Zeit, um zwei ihm noch unbekannte Reden des-
Cicero, die er dort auffand, zu copiren, aber es ward ihm
schwer, in der ,, guten Barbarenstadt" die nöthige Tinte auf-
zutreiben und, als er endlich solche erhielt, war sie schlecht
und crocusgelb ^) , woraus indessen nicht, wie oft geschehen,
auf den tiefen Verfall der Studien vor dem Auftreten der Huma-
nisten geschlossen werden darf, da die Sache sich auf andere
Weise befriedigend erklären lässt^). Von Lüttich aus begab
sich Petrarca nach Aachen, dem einstigen Heri-schersitze Karls
des Grossen, dessen Grab in der Münsterkirche er besuchte.
Hier erzählten ihm die ihn führenden Priester die anmuthi^e
Sage von dem Edelsteine, durch dessen Zauberkraft der grosse
Frankenherrscher bewogen wurde, an den Aachener Quellen
seine Residenz zu gründen. Der Stein nämlich besass die
Kraft, Liebe zu demjenigen zu erwecken, der ihn bei sich trug
') Ep. Sen. XV (XVI) 1.
^) vgl. Wattenbach, Das Schrift wesen im Mittelalter (2. Aufl. Leipzig
1875), p. 200 f.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vauduse. 95
und war, nachdem ihn zuerst eine Frau und später ein Priester
besessen hatte, von dem letzteren in eine der Quellen versenkt
worden, in Folge dessen nun Karl diesen Ort vor allen andern
lieb gewann ^). Die nächste grössere Stadt, in welcher Petrarca
im weiteren Verlaufe der Reise sich länger aufhielt, war Köln.
Hier sah er nicht ohne Staunen, wie am Vorabende des
St. Johannistages die Kölnerinnen nach altem Brauche, um
alles im bevorstehenden Jahre drohende Unheil abzuspülen,
Hände und Arme in der Rheinfluth wuschen, und er bekennt,
dass die Schönheit dieser Frauen ihn zu fesseln vermocht
haben würde, wäre sein Herz noch frei gewesen. Mehrere
Tage hindurch durchwanderte er die alte, von Marcus Agrippa ,
gegründete Römerstadt, bewunderte den damals und ja auch
heute noch unvollendeten Dom und verglich das Kölner Capitol
mit dem römischen. Am 30. Juni reiste er von Köln ab bei so
sonnigem und staubigem Wetter, dass er nach dem von Virgil ^)
besungenen „Schnee und Frost des Rheines" sich sehnte. Um
nach Frankreich zurückzukehren, durchritt er, unbekümmert
um die von Krieg und Räubern drohenden Gefahren, den
düsteren Ardennerwald und vielleicht dichtete er wirklich, wie
die gewöhnliehe Tradition es behauptet, auf diesem Ritte das
herrliche 124. Sonett. Welch' eigenartiges Bild darf sich
unsere Phantasie da entwerfen ! Der italienische Dichter reitet
auf ungebahntem Pfade in dem dunkeln nordischen Gebirgs-
walde, jeden Augenblick muss er gewärtig sein, von wilden
Kriegen! überfallen zu werden und mit dem Schwerte sein
Leben schützen zu müssen, er aber reitet ruhig dahin, in
süsse Träumereien versunken, der fernen Geliebten gedenkt
er, ein jeder Baum zaubert ihm ihre Gestalt, ein jeder Ton
ihrer Stimme süssen Klang hei-vor!
^) Ep. Fam. I 3., vgl. G. Paris, Histoire poetique de Chai-lemagne
(Paris 1865), p. 384 f. (Hierbei sei gelegentlich bemerkt, dass das Datum
von Ep. Fam. I 3: XI Kai. Jun. natürlich dem 22. Mai und nicht, wie
Fracassetti, Lett. Fam. I p. 167, 268 u. 272 angiebt, dem 22. oder
21. Juni entspricht.)
^) Verg. Ecl. X 47.
96 Drittes Capitel.
Ungefährdet und wohlbehalten langte Petrarca am 8. August
in Lyon an, von wo aus er am folgenden Tag den Brief an
den Cardinal Giovanni richtete, dem die oben mitgetheilten
Einzelheiten über seine Reise entnommen sind ^).
Es war vereinbart gewesen, dass Petrarca, wenn er nach
Avignon zurückgekehrt sei, seinen Freund, den Bischof Giacomo
von Lombes , nach Rom begleiten solle ^) , indessen in Lyon
erfuhr er durch einen Diener des Cardinais Giovanni, dass
Giacomo bereits abgereist sei, um seine Familie, die Colonnesen,
in dem Blutrachekriege gegen ihre Erbfeinde, die Orsini, welcher
nach dem Kampfe bei Cesano (oder Castel Cesario) am 6. Mai
1333 entbrannt war^), mit seinem Rathe zu unterstützen.
So musste denn Petrarca, wenn auch mit schwerem Herzen,
auf die erhoffte Romfalirt vorläufig verzichten und nach Avignon
zurückkehren, wo er allem Vermuthen nach in der früheren
Weise im Hause des Cardinais Giovanni fortlebte, nur dass
ihn jetzt nach dem, was in Paris geschehen war, der holde
Leichtsinn der Jugend verlassen haben und grösserem Ernste
gewichen sein mochte. Aus dem lebensfrohen Jüngling war
jetzt ein nachdenklicher Mann geworden, der, obwol vergeblich,
seine Jugendliebe niederzukämpfen sich bemühte und allein
die höchsten Ziele des menschlichen Daseins, sittliche Voll-
kommenheit und unsterblichen Ruhm, fortan erstreben wollte.
Es war in einer hocherregten Zeit, dass Petrarca nach
Avignon zurückkehrte. Papst Johann XXH. hatte die Absicht
kund gegeben, den Sitz der Curie, wenn auch zunächst noch
nicht nach Rom, so doch wenigstens nach Italien, nach Bologna,
1) Ep. Fam. I 4.
2) Ep. Fam. I 4 u. 5.
•'') vgl. Rime sopra arg. storici etc. ed. Carducci p. 16 f.; Villani, X
c. 220 b. Muratori XIII p. 734; Gregorovius, a. a. 0. VI p. 187 f., Fra-
cassetti, Lett. fam. I p. 412 f.; der letztere und Carducci geben fälschlich
den 22. Mai als den Tag des Kampfes bei Cesano an. Der Sieger von
Cesano war nach Petrarca's wol zuverlässiger Angabe der junge Stefano
Colonna, nach Villani dagegen Stefanuccio , der Sohn des Pietro Sciarretta
und Grossneffe des alten Stefano (siehe den Stammbaum bei Fracassetti,
Lett. fam. II 281, vgl. III p. 371 f.).
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 97
zurückzuverlegen , und dei- König Philipp VI. von Frankreich
hatte in einem am 26. Juli 1333 abgehaltenen grossen Con-
sistorium durch seine Gesandten feierlich gelobt, im Jahre 1336
mit 20,000 Reitern und 50,000 unberittenen Kriegern einen
Kreuzzug in das Morgenland unternehmen zu wollen^). So
glaubte man an dem Vorabende grosser Ereignisse zu stehen und
fromme Gemüther gaben sich überschwänglichen Erwartungen
hin. Auch Petrarca, von Jugend auf zu religiösem Enthusiasmus
geneigt, wurde von frohen Hoffnungen ergrifleu und verkündete
in einem klangvollen Sonette ^), dass des grossen Karls JN'ach-
folger bereits die Waffen ergriffen habe, um „Babels Hörner
zu zerstücken", und dass bald Bologna und dann das edle
Rom den Statthalter Christi in seinen Mauern wiedersehen
werde. Indessen weder die eine noch die andere Hoffnung
sollte sich erfüllen. Papst Johann XXII. ^ starb nach einem
beinahe zwanzigjährigen ereigniss vollen Pontificate am 4. Decem-
ber 1334 und, wenn auch der neue Papst Benedict XII., er-
wählt am 20. December 1334 und consecrirt am 8. Januar
1335 ^) , sich längere Zeit mit dem Gedanken trug, die Pläne
seines Vorgängers, insbesondere die Uebersiedelung nach Rom,
zur Ausführung bringen zu können, so musste er doch bald
in Folge politischer Ereignisse davon abstehen. Vergebens
war es, dass Petrarca, der sein ganzes Leben hindurch,
in einer seltsamen Mischung von kirchenpolitischem Idealismus
und antiker Romschwärmerei befangen, das Verweilen der
Curie in Avignon als ein schweres Unheil betrachtete, den
Papst in zwei lateinischen Episteln ^) beschwor, nach Rom den
Stuhl Petri zurückzuversetzen; vergebens führte er ihm in der
ersten dieser Dichtungen die Stadt Rom allegorisch als eine
trauernde und in Gram sich verzehrende Matrone vor,
welche ihren in der Ferne weilenden Gatten, den Papst,
^) vgl. Christophe, Geschichte des Papstthumes pp., übersetzt von
F. Ritter (Paderhorn 1853) I p. 319 f. und II 18 f.
-) Rime sopra argom. storici etc. ed. Carducci p. 19 f.
') vgl. Christophe, a. a. 0. II p. 30.
*) Ep. poet. lat. I 2 und 5.
K'irtinii- Petraiva. 7
98 Drittes Capitel.
flehentlicli bittet, endlich doch zu ihr zurückzukehren und ihr
leidvolles Wittthum zu enden. Benedict XII. konnte ebenso
wie seine Naclifolgei;, an welche Petrarca Zuschriften des
gleichen Inhaltes richtete, den Bitten des Dichters nicht will-
fahren, auch dann nicht, als endlich der von Johann XXII.
entzündete theologische Streit über die seligmachende An-
schauung ^) durch die Bulle „Benedictus Dens" vom 4 Februar
1336 entschieden worden war ^). Die wenig friedlichen viel-
vei-worrenen Verhältnisse Italiens konnten mit Becht damals
die Rückkehr der Curie nach Rom als nicht rathsam erscheinen
lassen. So verblieb denn der Papst nach längerem Schwanken
definitiv in Avignon und gab diesem Entschlüsse auch dadurch
äusseren Ausdruck, dass er von italienischen Meistern einen
Palast von grossartigen Dimensionen und künstlerischer Aus-
schmückung für die päpstliche Residenz errichten Hess. Diesem
Beispiele folgend erbauten auch die Cardinäle glänzende
Paläste theils in Avignon theils in dem nahen Villeneuve auf
dem gegenüberliegenden französischen Rhoneufer und die Curie
schien sonach , zum tiefsten Schmerze Petrarca's , für ewige
Zeiten an Avignon gefesselt ^). Wenn somit Petrarca's poetische
Episteln an den Papst ihr eigentliches Ziel verfehlten, so blieb
doch die erste derselben in anderer Beziehung nicht ganz
erfolglos. Der Papst verlieh dem Dichter, um ihm seinen
Dank und sein Wohlwollen auszudräcken , durch eine Bulle
vom 25. Januar 1335 ein Canonicat zu Lombes •*). So empfing
Petrarca seine erste kirchliche Präbende und damit das hohe
Glück finanzieller Unabhängigkeit, dessen er bis dahin hatte
entbehren müssen, wenn er auch keineswegs durch dieses
Benefiz (und ebenso wenig durch die später erhaltenen) in die
Lage versetzt wurde, Reichthümer autliäufen zu können ^).
') über den Inhalt dieser Streitfrage vgl. die recht bündige und klare
Angabe Petrarca's Ep. poet. lat. I 5. v. 91 ff.
-) vgl. Christophe, a. a. 0. II p. 40 f.
") vgl. Christophe, .i. a* 0. II p. 39 f.
") vgl. de Sade I p. 260 f., II p. 39 f.
•"') vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 52 f. und III p. 313.
i
Die Wanderjahre iler Jugend und die ersten Jabre in Vaucluse. 99
In demselben Jahre sollte ein politisches Ereigniss, welches
sich in Parma abspielte, für Petrarca folgenreich werden.
Die Herrschaft über die Stadt Parma war lange Jahre hin-
durch der Gegenstand erbitterter und wechselvoller Kiimpfe
zwischen den beiden mächtigen Familien der Ptossi und der Correggi
gewesen und endlich hatte sich , wie das so häufig geschieht,
ein Dritter der schönen Beute bemächtigt. Am 21. Juni war
Alberto della Scala, Bruder des Mastino della Scala, Herren
von Verona, an der Spitze von 8000 Reitern in die Stadt ein-
gezogen und hatte für sich und seinen Bruder von derselben
Besitz genommen ^) , wodurch Orlando und Marsilio de' Rossi
aus der bis dahin innegehabten Herrschaft verdrängt wurden.
Die Scaligeri übertrugen die Regierung der neugewonnenen
Stadt dem Guido di Correggio, ihrem Oheim von väterlicher
Seite. Die besiegten Orlando und Marsilio de' Rossi aber,
denen sich auch ihr Bruder Ugolino, der Bischof von Parma,
anschloss, wandten sich nach Avignon, um bei dem Papste als
dem Oberlehnsherrn des mathildischen Tusciens gegen die Räu-
ber ihrer vermeintlichen Rechte Klage zu führen. Infolge dessen
erachteten es auch die Scaligeri, um einem etwaigen ihnen
ungünstigen Schiedssprüche des Papstes vorzubeugen, für an-
gezeigt, ebenfalls einen Gesandten und Vertreter ihrer An-
.sprüche nach Avignon zu senden und sie erwählten als solchen
Guido's Bruder Azzo di Correggio, welchem als Begleiter und
vermuthlich als Wortführer der gelehrte Guglielmo da Pastrengo
beigegeben wurde. Die beiden Gesandten wurden , wie
leicht erklärlich, in Avignon mit ihrem Landsmanne Petrarca
bekannt und gewannen von dessen Beredtsamkeit eine so
günstige Meinung, dass sie ihn baten, die Vertheidigung ihrer
Sache vor dem päpstlichen Consistorium zu übernehmen. Man
darf wol annehmen, dass der Dichter, dem ja alle Juristerei
und advocatorische Praxis von jeher verhasst gewesen war,
sich gegen ein derartiges Ansinnen heftig gesträubt haben
^) vgl. Joannes de Cornazanis, liist. Parni. fragni. b. Muratori, t.
XII p. 740.
100 Drittes Capitel.
mag; endlich aber willigte er doch ein und verfocht die Rechte
der Scaligeri so geschickt, obwol in maassvollster Weise, dass
Alberto und Mastino im Besitze Parma's vom Papste bestätigt
wurden ^). Es ist bedauerlich, dass uns alle nähere Kenntniss
von dieser juristischen Thätigkeit Petrarca's abgeht und dass
wir demgemäss nicht zu beurtheilen vermögen, ob die Argu-
mente, welche Petrarca zu Gunsten seiner Clienten vorbrachte,
wirklich sachlich begründete oder, wie man vermuthen möchte,
vorwiegend rhetorische waren. Grosse Kunst und Gewandt-
heit werden jedenfalls erforderlich gewesen sein, um die An-
sprüche der Scaligeri als berechtigt erscheinen zu lassen, und
wir dürfen demnach annehmen, dass Petrarca die Schulen der
Juristen von Montpellier und Bologna doch nicht ohne allen Erfolg
besucht hatte. Dass er aber durch seine Theilnahme an diesem
Rechtshandel sich die Gunst der Scaligeri und Correggi ge-
wann , w^ar ebenso natürlich , als dass späterhin der Bischof
Ugolino ihm nicht eben freundlich gesinnt war und eine grosse
Abneigung gegen ihn fasste, welche auch ein langer entschul-
digender Brief des Dichters (Ep. Fam. IX 5) nicht zu zer-
stören vermochte. Die Missstimmung Ugolino's gegen ihn
musste Petrarca um so peinlicher empfinden, als er später,
nachdem er geistliche Würden in Parma erhalten hatte, zu
demselben in ein amtliches Yerhältniss trat und in ihm seinen
directen Vorgesetzten anzuerkennen hatte.
Mit Azzo di Correggio und Guglielmo da Pastrengo aber
sehloss Petrarca damals einen dauernden Freundschaftsbund
und es erscheint daher angemessen, einen Blick auf die Per-
sönlichkeit dieser beiden Männer zu werfen. Von Azzo di
Correggio werden wir im Laufe unserer Erzählung noch
wiederholt sprechen müssen und werden dabei Gelegenheit
haben, zu sehen, wie er im politischen Leben eine mindestens
sehr zweideutige, jedenfalls aber sehr abenteuerliche Rolle
spielte, in deren Verlaufe es ihm gelang, sich der Herrschaft
über Parma zu bemächtigen und dieselbe mehrere Jahre hin-
1) Ep. Farn. IX 5.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vauchise. 101
durch zu beliaupten. Ein günstiges Urtheil üßer diesen Mann
zu fällen, welclior, soweit es sich ersehen lässt, in seinem
politischen Handeln einzig von dem crassesten Egoismus sich
leiten Hess und jegliche Moral verhöhnte, ist vom sittlichen
Standpunkte aus unmöglich, aber nichtsdestoweniger wird man
anerkennen müssen, dass er glänzende Geistesgaben besass
und im Privatleben manche liebenswürdige Eigenschaften des
Charakters entfaltete, denn sonst würden das reiche Lob.
welches Petrarca ihm gespendet ^), und die treue Freundschaft,
welche er ihm bewahrt hat, geradezu unerklärlich sein. Mag
man immerhin hierbei auch billig in Anrechnung bringen,
dass Petrarca für so manche erwiesene Wohlthat Azzo zu
Dank verpflichtet gewesen sei, so wird man doch nimmermehr
annehmen dürfen , dass er mit einem gänzlich unbedeutenden
und verächtlichen Menschen so eng sich habe befreunden
können. Wie es aber geschehen konnte, dass Petrarca den
Mangel an wahrer Sittlichkeit bei dem Freunde so gänzlich
übersah, das wird, hoffen wir, an einem anderen Orte sich ge-
nügend erklären. Uebrigens war Azzo, als er im Jahre 1335
zum ersten Male nach A\ignon kam, noch Kleriker und ver-
blieb auch noch mehrere Jahre hindurch, mindestens bis 1338,
im geistlichen Stande 2), trat aber später, wir wissen nicht,
wann und wie, aus demselben aus und lebte nun ganz nach
Laienart, wurde auch Gatte und Vater mehrerer Söhne. Sein
späteres Leben war, wie wir schon andeuteten, ein sehr wechsel-
volles, wie das so vieler der kleinen italienischen Tyrannen
damaliger Zeit. Nachdem er die Herrschaft über Parma ver-
loren, lebte er, halb Thronprätendent, halb politischer Flüchtling,
bald an dem Hofe der Scaligeri zu Verona, bald an dem der
Visconti zu Mailand, immer den Träumen eines ruhelosen
Ehrgeizes sich hingebend und kein Mittel zu dessen Befriedigung
1) vgl. Ep. Var. 19. Ep. poet. lat. TU 27. v. 44—95 und Cauzone 4.
in den Rime sopra argomenti storici etc. Bemerkt muss hierbei werden,
dass Petrarca die gegen Azzo erhobene schwere Beschuldigung eines an
Mastino begangenen Verrathes für unbegründet erachtete, vgl. Ep. Var. 19.
-) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 526.
102 Drittes Capitel.
scheuend, aber doch selten glückhch in der Walil seiner
Mittel. So führte er ein unbefriedigtes und unruhiges Dasein,
zeitweilig emporgetragen von den Wogen des Glückes, meist
aber versinkend in der Fluth des Missgeschickes, bis zu seinem
wahrscheinlich im Jahre 1362 ^) erfolgten Tode. Mit Recht
konnte Petrarca sein Buch „über die Heilmittel gegen Glück
und Unglück" gerade diesem Manne widmen, denn in höherem
Grade als er hat kaum Jemand die Launen und Wechselfälle
des Geschickes erprobt. Azzo erscheint uns als ein Vorläufer
jener hochbegabten und eigenartigen, zugleich aber durch und
durch unsittlichen oder vielmehr jedes sittlichen Bev.usstseins
entbehrenden Renaissancemenschen, als deren vollendetster
und zugleich abschreckendster Typus ein Cesare Borgia
gelten kann.
Ein Mann ganz anderer Art, obwol auch bereits von der
Renaissanceluft angehaucht, war Azzo's Begleiter Guglielmo,
gebürtig aus dem Flecken Pastrengo im Veronesischen -). Er
war, so scheint es wenigstens, eine stille und friedliche Ge-
lehrtennatur, fast nach der Art der späteren sesshaft gewordenen
Humanisten. Nachdem er eine gute Jugendbildung empfangen
und unter des berühmten Oldrado da Ponte ^) Leitung juri-
stischen Studien obgelegen hatte, übernahm er das Amt eines
Notars und Richters zu Verona und wurde von den Scaligeri
wiederholt in schAvierigen Angelegenheiten als Gesandter nach
Avignon geschickt. Sonst führte er in Verona ein behagliches
den Wissenschaften und der Famihe — denn er war glücklicher
Gatte und Vater — gewidmetes Stillleben, dem er sich nur
ungern enti'eissen liess, so dass selbst der Gedanke, zum
Jubelfeste 1350 nach Rom zu wallfahrten, wozu Petrarca ihn
mit eindringlichen Bitten bestimmen wollte^), wenig Ver-
lockendes für ihn hatte. In seiner wissenschaftlichen Thätig-
') vgl. Fracassetti, Lett. fani. I p. 531 ff.
■-■) vgl. über ihn die ausfülirliche Notiz bei Tirabosclii, V p. .534--540.
") vgl. Tirabosclii, V. p. .530 ff.
^) Ep. poet. lat. III 34.
Die WandtTJalire der Jugend und die ersten Jahre in Vauchise. 10/')
keit verfolgte Guglielmo eine eucyklopädische Richtung. Ab-
gesehen von mehreren kleineren lexikalischen Werken verfasste
er ein Verzeichniss der profanen und kirchlichen Schriftsteller
aller Zeiten und Völker, also ein umfassendes Schriftsteller-
lexikon 1) , ein Buch, welches selbstverständlich lückenhaft und
unvollkommen genug ist, für die damalige Zeit aber jedenfalls
hoch verdienstlich und eine bedeutende Leistung war.
Das Verhältniss Petrarca's zu dem veroneser Gelehrten
war ein sehr vertrauliches. Und wie hätte das auch anders
sein können, da sie beide von derselben Liebe zu der Litteratur
des classischen Alterthums beseelt waren! Im Einzelnen
mochten freilich Differenzen genug bestehen, denn allem An-
scheine nach war Guglielmo eine ebenso real als Petrarca eine
ideal angelegte Natur, aber gerade dies mochte sie auch
wieder enger an einander fesseln und das Bewusstsein in ihnen
erwecken, dass sie sich einander trefflich ergänzten. Wenn
Guglielmo in Avignon oder Petrarca in Verona weilte, haben
sie gewiss genussvolle Stunden eines regen und fruchtbaren
Gedankenaustausches verlebt und zugleich heiterer Lust nicht
vergessen. Gar anschaulich schildert Petrarca in einer reizen-
den poetischen Epistel ^) einen gemeinsam mit dem Freunde
im lieblichen Vaucluse verbrachten Tag, wie sie auf dem
Rasendamme oberhalb des klaren Flusses sassen, Gespräche
pflegend über die Dichter der Vorzeit, wie sie dann in trau-
licher Unterhaltung die abendliche ^lahlzeit verlängerten bis
zum Hereinbruch der Nacht, wie er den Freund bis zum Aus-
gange des Thaies geleitete und wie er endlich auf dem 'Rück-
Avege Gugliehno's schöner Geliebten begegnete, die gewiss
nur in der Hoffnung den Freund noch zu sehen zu so später
Stunde an den Quell gegangen war. Waren aber beide Freunde
von einander getrennt, so unterhielten sie einen regen Brief-
wechsel, und sehr beträchtlich ist die Anzahl der noch erhaltenen
^) betitelt „de viris' illustiibus" oder (weniger gut) „de origine rerum"
und unter letzterem Titel von Michelangiolo Biondo edirt (Venedig 1547)
■-) Ep. poet. lat. III 3.
104 Drittes Capitel.
Briefe Petrarca'« an Guglielrao ^). Einen Beweis hohen Ver-
trauens gab Petrarca dem Freunde auch dadurch, dass er ihm
die sittliche Ausbildung seines Sohnes übertrug ^).
Die Früchte der mit Azzo und Guglielmo geschlossenen
Freundesbündnisse sollten für Petrarca- indessen erst später
reifen. Vorläufig lebte er nach der Abreise der neu ge-
wonnenen Freunde in der gewohnten "Weise zu Avignon weiter
und es lässt sich bis zu der am Ende des folgenden Jahres
(1336) unternommenen Romfahrt höchstens ein bedeutenderes
Ereigniss seines Lebens hervorheben.
Ungefähr fünf Meilen in nordwestlicher Richtung von
Avignon in der Nähe der kleinen Stadt Malaucene erhebt sich
der Mont Ventoux, ein im weiten Umkreise sichtbarer bis zu
einer Höhe von ungefähr 6225 Fuss^) steil ansteigender Berg.
Diesen zu ersteigen, war von Jugend auf Petrarca's Wunsch
gewesen. Hatte er doch im Livius gelesen, wie König Philipp
von Macedonien Thessaliens höchsten Berg, den Mons Haemus.
erstieg, von dessen Gipfel aus, wie man glaubte und wie auch
Pomponius Mela versichert, sowol das adriatische als auch das
schwarze Meer erblickt werden konnte. Sollte ihm nicht der
Mont Ventoux eine ähnliche Aussicht in die weite Ferne ge-
währen ? und, auch abgesehen hiervon, musste es ihn nicht mit
erhebendem Gefühle beseelen, auf einem hochragenden Gipfel
zu stehen, den seit Menschengedenken keines Sterblichen Fuss
betreten hatte? Endlich, am 26. April 1336, unternahm
Petrarca die Ausführung des seit Jahren gehegten Planes*).
Lange hatte er hin und her erwogen, wen er wol als Gefährten
für die abenteuerliche Fahrt erwählen sollte. Keiner der
1) Ep. Fam. IX 15. 16. XIII 3. XXII 11. Var. 13. 30. 35. Ep. poet.
lat. II 19. III 3. III 11. III 12. III 20. III 34.
2) Ep. Fam. XIII 3.
•^) vgl. von Klöden, Handbuch der Erdkunde (1861), II p. 346.
*) vgl. über diese ganze Episode Petrarca's ausführliche Erzählung
Ep. Fam. IV 1. Nicht recht erklärlich ist es, wie Petrarca die beschwer-
liche Bergbesteigung an einem Tage unternehmen und am Abende noch
Zeit und Kraft zur Abfassung eines langen Briefes finden konnte.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 105
Freunde dünkte ihm geeignet, denn einem Jeden schien
irgend eine der für das Wagniss erforderlichen Eigenschaften
zu mangeln. Schliesslich erkor er seinen Bruder Gherardo
allein zum Begleiter. So machten sich denn die beiden Brüder
auf den Weg. Am Fusse des Berges trafen sie einen alten
Hirten, der ihnen dringend von der Besteigung abrieth, er-
zählend, wie auch er einst in seiner Jugend sie unternommen,
aber nichts weiter als Aerger über die gehabte Anstrengung
und von Dornen und Gestrüpp zerfetzte Kleider und Glieder
zurückgebracht habe. Die jungen Männer hörten natürlich
nicht auf seine gut gemeinte Warnung und, nachdem sie sich
von ihm über den einzuschlagenden Weg hatten unterrichten
lassen, begannen sie, die Höhe zu erklimmen. Schwierig und
mühsam war der Aufstieg auf den ungebahnten felsigen Pfaden
und mehr als einmal entschwand ihnen der Muth , doch der
Ehrgeiz wehrte die Rückkehr vor erreichtem Ziele, sie drangen
immer von Neuem vorwärts und endlich gelangten sie glück-
lich auf den höchsten Gipfel, der im Volksmunde als „das
Söhnlein" bezeichnet zu werden pflegte, während er doch —
bemerkt Petrarca — im Gegentheile wegen seiner alle andern
Gipfel überragenden Höhe der „Vater'- der umliegenden Berge
hätte genannt werden sollen.
Diese Besteigung eines massig hohen Berges, von welcher
Jemand, der sie heute unternähme, nicht das mindeste Auf-
heben machen würde, während Petrarca sie in einem langen
Briefe an Dionisio da Borge San Sepolcro höchst pathetisch
erzählt, mag auf den ersten Blick als ein völlig bedeutungs-
loses und kaum der Erwähnung würdiges Ereigniss erscheinen,
und doch würde nichts irriger sein als ein.e solche Betrachtungs-
weise. Petrarca's Besteigung des Mont Ventoux war vielmehr
eine kühne und — man erlaube den hier anscheinend sinnlosen,
Ausdruck! — eine epochemachende That, welche für sich
allein schon hinreichen würde, ihm ein Anrecht auf den
Ehrennamen des ersten modernen Menschen zu verleihen.
In unseier Gegenwart reisen Jahr aus Jahr ein viele
Tausende und Abertausende von Menschen hinaus in die Ferne,
106 Drittes Capitel
um sich an den Naturwundern der Alpenwelt oder an der
Anmuth lieblicher Flussthäler oder an den Reizen ernster
Waldlandschaiten oder heiterer Rebengelände zu erfreuen
und zu erfrischen. Diese Freude aber an der Schönheit
der Erde, diese Empfänglichkeit für die landschaftlichen Reize
der Natur, mit einem Worte dies lebendige und tiefe malerische
Naturgefühl ist eine durchaus moderne Empfindung, welche
dem Mittelalter völlig fremd war und wol auch dem Griechen-
und Römerthume, in seiner Blüthezeit ^) wenigstens, nahezu
fremd gewesen ist. Kein mittelalterlicher Mensch hat, so viel
wir wissen, je eine Reise unternommen, um den Anblick
schöner Landschaften zu gemessen, oder einen Berg erstiegen,
um sich an der malerischen Fernsicht zu erfreuen. Nicht
freilich eines jeden Naturgefühles haben die Menschen des
Mittelalters entbehrt, aber es war dasselbe ein eng begrenztes,
es beschränkte sich, um es kurz auszudrücken, auf Natur-
erscheinungen und erstreckte sich nicht auf Natur b i 1 d e r.
In den lieblichsten Tönen und oft mit ergreifender Wahrheit
der Empfindung haben die mittelalterlichen Dichter das Er-
wachen der Natur im Frühling und ihr Dahinsterben im
Herbste besungen . aber Landschaftsbilder zu zeichnen haben
sie nicht versucht und, wenn sie es doch nothgedrungen, um
den Schauplatz irgend einer Handlung zu charakterisiren,
hier und da einmal wagten, da sind sie über dürftige und
monotone Skizzen nicht hinausgekommen ^). Aehnliches muss
von der bildenden Kunst des Mittelalters gesagt werden. Hier
löst sich die Landschaft, wenn sie, was selten genug geschieht,
Gegenstand der Darstellung wird, in zusammenhangslose
Einzelheiten auf, sie wird in keine von einer Idee durchdrungene
^) Das spätere Griechen- und Römerthum (Alexandrinisclie Zeit,
römische Kaiserzeit) dagegen zeigt auch in dieser wie in so vielen anderen
Beziehungen bereits völlig moderne Culturzustände, vgl. die anziehend ge-
schriebene Abhandlung von W. Röscher „das tiefe Naturgefühl der Griechen
und Römer in seiner historischen Entwickeluug ' im Programm der Meissener
Fürstenschule vom Jahre 1875.
-) vgl. A. V. Humboldt, Kosmos II p. 33 ff. (in der Cotta'schen Ausg.
von 1847).
Die Wanderjahi-e der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 107
Totalität zusamiiieiigefasst, sie ist immer nur Staffage, nie
Selbstzweck : dem mittelalterlichen Menschen fehlte eben
der Sinn für das Malerische der Landschaft und er musste
ihm fehlen, denn besitzen kann ihn nur, wer in solchem Grade
von dem naiven Leben in der Natur sich losgelöst hat, dass
er die Sehnsucht nach der Rückkehr zu demselben empfindet
und in dieser Sehnsucht die Landschaft poetisch als eine
Einheit zu erfassen und zu verklären vermag. Solche Sehnsucht
aber kennt weder wer so ganz in und mit der Natur lebt wie
der Landbewohner des Mittelalters noch auch wer so hermetisch
von der freien Natur sich abschliesst wie der hinter Wall
und Mauer sich bergende Bewohner der mittelalterlichen
Städte, sondern es kennt sie nur wer zwar durch den Ein-
fluss hochgestiegener Cultur dem Naturleben entfremdet ist,
aber doch wenigstens die ideale Möglichkeit der Rückkehr
zu demselben besitzt. Empfänglichkeit für die Schönheit
der Landschaft kann bei demjenigen nicht vorhanden sein,
der mit der Landschaft gewissermassen verwachsen und selbst
ein Bestandtheil derselben geworden ist, und ebenso wenig
natürlich bei demjenigen, der sich systematisch absperrt von
der Natur und mit Behagen sich einpfercht in künstliche
Schranken, sondern nur bei dem, welcher zwar iiuch innerhalb
solcher künstlichen Schranken lebt, aber dies Leben als einen
Zwang empfindet, dem er sich, in der Phantasie wenigstens,
durch die Rückflucht zur Natur zu entziehen sucht. Der
naive Naturmensch besitzt nur Empfänglichkeit für die elemen-
taren Naturerscheinungen, von denen ja mehr oder weniger
sein körperliches Wohlbefinden beeinÜusst wird: das Toben
des Gewittersturmes erfüllt ihn mit schaudernder Bewunderung,
dem Nahen des rauhen Winters sieht er, wenn im Herbst die
Blätter fallen und die Nebel steigen, mit banger Schwermutli
entgegen, die Wiederkehr des milden blüthenreichen Lenzes,
dem, wie er weiss, der warme früchtespendende Sommer folgen
wird, begrüsst er mit jauchzender Freude. Die Landschaft
aber an sich lässt ihn kalt und interessirt ihn höchstens in
so weit, als sie etwa in Beziehungen zu dem elementaren
108 Drittes Capitel.
Naturlebeu steht. So wird er beispielsweise den Wald nicht
um desswillen lieben, weil in ihm das freie Laben und Weben
der Natur am unverhülltesten sich kundgibt und noch weniger,
weil derselbe aus ästhetisch schönen Bäumen und Baumgruppen
sich zusammensetzt, sondern nur weil er im Sonnenbrande den
willkommenen Schatten spendet und weil in seinen wechselnden
Erscheinungsformen die Wandelungen der Jahreszeiten den
sinnfälligsten Ausdruck finden. Das Malerische in der Natur
und speciell in der Landschaft kann eben nicht von dem
naiven, sondern nur von dem sentimentalen Standpunkte der
Naturbetrachtung aus empfunden und gewürdigt werden. Die
sentimentale Naturbetrachtung aber ist nur möglich in Zeiten
einer hohen zur Uebercivilisation sich hinneigenden Civilisation,
in denen die Menschen, der Unnatur künstlich complicirter
Lebensverhältnisse überdrüssig, sich in natürlich einfache
Lebensbedingungen zurückzuversetzen streben und in diesem
Streben die Natur ästhetisch betrachten und poetisch verklären.
Die Landschaft wird für den Menschen erst dann malerisch schön,
wenn er beginnt, die Städte einförmig-hässlich zu finden. Das
aber geschieht, wie gesagt, nur auf hohen Culturstufen und
auch auf diesen nur dann, wenn der Zusannnenbruch einer
alten Culturform und der Aufbau einer neuen nahe bevorsteht
und von den Völkern instinctiv geahnt wird. Es ist als ob
sich dann die Menschen in ihren alten, reich geschmückten
Städten unbehaglich und beengt fühlten, als ob sie ihre feste
Heimath verloren hätten und nun von dunkelm Wanderdrange
ergriffen in die freie Natur hinausgetrieben würden , um sich
in ihrem Schoosse zu einer Neugeburt und einem neuen Cultui-
leben vorzubereiten und zu verjüngen.
Petrarca , den Gipfel des Mont Ventoux ersteigend , um
sich der schön,en Aussicht zu erfreuen, erscheint als der
Apostel einer neuen Zeit: er verkündet — freilich ohne es
zu wollen noch zu wissen — den Untergang einer alten und
den Aufgang einer neuen Cultur. Es mag sicherlich höchst
paradox, um nicht zu sagen absurd klingen, wenn man sagt :
Petrarca that durch seine Bergbesteigung etwas Aehnliches
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 109
wie Luther durcli die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle,
aber nichtsdestoweniger besitzt ein solcher Vergleich die
innere Berechtigung, denn beide Ereignisse bezeichnen die
Ausgangspunkte ganz neuer Denk- und Anschauungsweisen,
beide sind Grenzsteine in der Geschichte der inneren Ent-
wickelung des Menschengeschlechtes. Als selbstverständlich
wird hierbei natürlich vorausgesetzt, dass Luther, der mit
vollem Bewusstsein von der Tragweite seines Schrittes und
mit höchster persönlicher Aufopferung handelte, die ganz
ungleich grössere That vollführt hat.
Von dem Plateau des Mont Ventoux aus überschaute Pe-
trarca eine weit ausgedehnte Landschaft: zur Rechten die
Höhenzüge von Lyon, zur Linken das Meer von Marseille und
das einige Tagereisen weit entfernte Aiguesmortes, auch der
Pthonefluss zeigte sich seinen Blicken. Da, auf diesem hoch-
ragenden Gipfel und im Genüsse dieser weiten Umschau, kam
ihm der Gedanke, die Confessionen des heiligen Augustin,
v\'elche er in dem ihm von Dionisio da Borgo San Sepolcro zu
Paris geschenkten kleinen Exemplare immer bei sich trug, auf
das Geradewohl aufzuschlagen. Er that es und vermöge eines
seltsamen Zufalles fiel sein Blick auf folgende Stelle des achten
Capitels im zehnten Buche : „Und es gehen die Menschen hin,
um die Höhen der Berge und die gewaltigen Fluthen des
Meeres und die breiten Betten der Ströme und den Umkreis
des Oceans und die Bahnen der Gestirne zu bewundern,
während sie ihr eigenes Innere nicht der Betrachtung für
werth halten." Hatte er sich schon vorher sentimentalen Be-
trachtungen hingegeben und mit Wehmuth sich dessen er-
innert, dass er gerade an diesem Tage vor zehn Jahren Bologna
verlassen und seitdem des Lebens schönste und kräftigste
Jahre, eitlem Streben und thörichter Leidenschaft hingegeben,
bereits durchmessen habe, so mussten diese so merkwürdig
auf die augenblickliche Situation passenden Worte ihn zu er-
neuter Selbstprüfung und erbaulicher Betrachtung anregen und,
erfüllt vom frommen Vorsatze, fortan eines ernsteren gott-
110 Drittes Capitel.
gefälligeren Lebenswandels sich zu befleissigen, trat er den
Rückweg an.
Es ist das ein ganz eigenthümliches Bild: Petrarca auf
der Höhe des Mont Ventoux versunken in halb sentimentale,
halb religiöse Betrachtungen, halb ein vom Weltschmerz an-
gehauchter moderner Tourist, halb ein im bedingungslosen
Glauben sein Seelenheil suchender mittelalterlicher Asket. Die
seltsame Doppelstellung des grossen Mannes, der auf der
Grenzscheide zweier innerlich grundverschiedener Zeitalter
steht und beiden gleichzeitig angehört, zeichnet sich scharf
in diesem Bilde ab. So spiegelt sich in anscheinend kleinen
Ereignissen der Geist der Zeiten. —
Auf der Höhe des Mont Ventoux hatte Petrarca den
Blick sehnsuchtsvoll nach der Himmelsrichtung schweifen
lassen, in welcher jenseits schneebedeckter Alpen sein geliebtes
Vaterland Italien lag. Eher, als er vielleicht selbst zu hoffen
gewagt hatte, sollte sein Sehnen Befriedigung finden: bereits
am Ende noch desselben Jahres 1336 ^) konnte er die schon
seit länger als drei Jahren geplante Reise nach Rom an-
treten.
Den äusseren Anlass zu dieser Reise gab jedenfalls eine,
vermuthlich von den erforderlichen Geldmitteln begleitete.
Einladung des seit 1333 in Rom weilenden Bischofs Giacomo
Colonna von Lombes. Leicht aber ist einzusehen, wesshalb
Petrarca dieser Einladung freudig entsprach. Rom zu schauen,
das war ja für ihn, den für das römische Alterthum bis zur
Schwärmerei Begeisterten, von Jugend auf der sehnlichste
Wunsch gewesen. Er, der erste Humanist, empfand ebendie-
selbe Sehnsucht nach dem Anblick der ewigen Stadt und ihrer
Wunder, welche seitdem alle humanistisch Gebildeten in sich
gefühlt haben, und es musste seine Sehnsucht um so grösser
sein, als für ihn, den Italiener, den — wie er meinte —
directen Nachkommen der alten Römer, mit der humanistischen
^) Zeitbestimmung nach Ep. poet. lat. I 7. Ep. Farn. II 9. VIII 1. XI 1.
vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 391 ft'.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. Hl
Begeisterung für Rom patriotischer Stolz sich verband, „Wenn
Seneca — so schreibt er kurz vor seiner Abreise dem Freunde
Giacomo 1) — freudig jubelte, dass es ihm vergönnt war, in
der Villa des Scipio Africanus zu weilen, und es für nichts
Geringes hielt, den Ort geschaut zu haben, an welchem ein so
grosser Mann in der Verbannung gelebt hatte — wenn er,
der Spanier, so dachte, was soll da ich als Italiener empfinden ?
Soll ich doch bald nicht nur Linternum oder des Scipio Gral),
sondern die Stadt Rom selbst schauen, wo Scipio das Licht
der Welt erblickt und als Kind gelebt, wo er als Sieger und
als Angeklagter mit gleichem Ruhme triumphirt hat. wo ausser
jenem Einen unzählige andere grosse Männer gelebt haben,
deren Namen ewig dauern werden. Jene Stadt soll ich schauen,
welcher keine jemals gleich kam noch gleich kommen wird und
die auch von dem Feinde die Stadt der Könige genannt
ward." In diesen acht humanistisch-modernen Enthusiasmus
aber für das antike Rom mischt sich — und wir erkennen
hier wieder Petrarca's eigenartige aus mittelalterlichen und
modernen Elementen sich zusammensetzende Doppelnatur —
eine kaum geringere religiös-mittelalterliche Begeisterung für
das christliche Rom, für die Stadt, welche „den Himmel auf
Erden darstellt, welche mit den heiligen Gebeinen der Märtyrer
besät und mit dem kostbaren Blute der Wahrheitszeugen be-
sprengt ist^)."
Indessen nicht nur diese Doppelsehnsucht nach Rom,
sondern auch noch ein anderes Motiv trieb Petrarca an, die weite
Reise zu unternehmen. Seit er in Paris dem Pater Dionisio
da Borge San Sepolcro gebeichtet hatte, kämpfte er einen
schweren Kampf in seinem Innern, um die von ihm als sündig
erkannte Liebe zu Laura aus seinem Herzen zu bannen, doch
dem qualenreichen Ringen der Seele fehlte der Sieg, so lange
er in der Geliebten Nähe weilte und ihrer schönen Augen süsser
Blick ihn trotz seines Widerstrebens in immer neue Fesseln
') Ep. Fam. II 9.
■2) ibid.
112 Drittes Capitel.
schlug '). Was blieb ihm da übrig, als die schon von Ovid ^)
für solchen Nothfall angerathene Flucht? So beschloss er denn,
um Laura' s Zauberbanne sich zu entziehen, in die Ferne zu
flüchten, und leichter mochte der schmerzliche Entschluss ihm
werden, da es ihm vergönnt ward, sein geliebtes Rom zum
Orte seines Exiles zu erwählen.
Welchen Weg nach Rom Petrarca für seine, wie bereits
bemerkt, jedenfalls in den letzten Tagen des Jahres 1336 be-
gonnene Reise sich erkor, lässt sich mit Sicherheit nicht be-
stimmen. Vermuthlich jedoch war es der Seeweg von Mar-
seille nach Civitä Yecchia, welcher, zumal in der winterlichen
Jahreszeit, die Vortheile der Kürze und der relativ grösseren
Bequemlichkeit darbot; es würde diese Vermuthung zur Ge-
wissheit sich steigern, wenn die gewöhnliche und an sich recht
glaubhafte Annahme, dass die beiden Sonette „l'aspetto sacro
della terra vostra" und „ben sapev' io che natural consiglio",
auf dieser ersten Romreise gedichtet worden seien, wirklich
bewiesen werden könnte.
Wie dem auch sein mag, jedenfalls in den ersten Tagen
des Jahres 1337 betrat Petrarca die italienische Küste, jedoch
reiste er, vermuthlich weil dies bei der Unsicherheit der Wege
unrathsam war, nicht direct nach Rom weiter, sondern ver-
weilte längere Zeit in Capranica bei dem edlen Grafen Orso
deir Anguillara, der mit Agnes, einer Tochter des alten Stefano
Colonna, vermählt war^). Es war Capranica zwar ein kleiner
Ort ohne alle eigene Bedeutung, aber er war in einer ebenso
malerischen als fruchtbaren Landschaft gelegen und umgeben
von altberühmten Stätten: nur zwei Meilen entfernt lag Sutri,
das alte Sutrium, der Ceres Lieblingsstadt, in deren Nähe einst
in grauer Vorzeit Saturn das erste Kornfeld sprossen liess.
nicht weit davon ragte auch der Soracte empor, den Horaz
besungen und in dessen W^aldungen dann später der Papst
0 vgl. Ep. poet. lat. I 7 v. 58—63.
•-) Ovid. Remed. Am. v. 212 ff.
^) Dies und das Nächstfolgende nach Ep. Farn. II 12 und 13 erzählt.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vauduse. 113
Sylvester I. als Einsiedler gelebt hatte, nicht fern davon lag
endlich auch der Bergwald Ciminus , dessen Virgil gedenkt ^),
mit seinem See. Gern mochte Petrarca dies an romantischer
Schönheit und historischen Erinnerungen so reiche Land durch-
streifen, aber er sollte hier auch die trübste Schattenseite
damaligen italienischen Lebens kennen lernen, die zum alltäg-
lichen Zustande gewordene Friedlosigkeit. Er sollte sehen,
wie der Hirt mit den Waffen seine Heerde gegen Räuber mehr
als gegen Wölfe schützen musste, wie der Pfiüger den Panzer
trug und statt mit dem Stachel die Stiere mit dem Speere
antrieb, wie der Vogelsteller die Netze mit dem Schilde deckte
und wie der Fischer am Schwerte die Angelschnur befestigte,
wie eben Alle beständig unter den Waffen standen; Nachts aber
vernahm er fortwährend die Allarmrufe der Wächter auf den
Wällen der Burg: Alles, was er schaute und hörte, mahnte ihn
daran , dass in diesem Lande der Krieg und Hass fest ge-
Avurzelt und verewigt seien. Unter solchen Verhältnissen
mochte ihm, wenn er auch persönlich ungefährdet und furcht-
los war, der Aufenthalt in Capranica trotz des Grafen Orso
liebenswürdiger Gastlichkeit wenig lockend scheinen und, nach-
dem er gegen drei Wochen dort hatte zubringen müssen, be-
grüsste er gewiss mit herzlicher Freude seinen Freund, den
Bischof Giacomo, als dieser am 26. Januar kam, um ihn nach
Rom zu geleiten. Eine Schaar von zweihundert Reitern, be-
fehligt von Giacomo's ältestem Bruder Stefano, sollte die
Reisenden gegen die Angriffe schützen, welche man von Seiten
der feindlichen Orsini zu befürchten hatte.
Wir wissen leider nicht, an welchem Tage Petrarca zu-
erst einzog in die ewige Stadt, welche vier Jahre später der
Schauplatz seines höchsten Triumphes werden sollte. Da der
Aufenthalt in Capranica sich noch mehrere Tage über den
26. Januar hinaus erstreckt zu haben scheint 2), so darf man
wol vermuthen, dass die Ankunft in Rom nicht vor den ersten
^) Verg. Aen. VII 697.
~) vgl. den Schluss von Ep, Fam. II 13,
Körting, Petrarca .
114 Drittes Capitel.
Tagen des Februar stattfand ^). Der erste der uns erhaltenen
von Rom aus geschriebenen Briefe Petrarca's (Ep. Fam. II 14)
trägt das Datum: „an den Iden des März, auf dem Capitole",
woraus indessen keineswegs geschlossen werden darf, dass
Petrarca etwa auf dem Capitole selbst und nicht, wie höchst
wahrscheinlich, im Palaste des alten Stefano Colonna gewohnt
habe ^j. Es wird eben dies Datum nur als Ausfluss einer ro-
mantischen Laune zu betrachten sein, die ihn antrieb, auf der
geweihten Stätte des Capitols einen Brief zu schreiben oder
doch zu unterschreiben.
Der Cardinal Giovanni hatte befürchten zu müssen ge-
glaubt, dass Petrarca's Begeisterung für Rom erlöschen würde,
wenn er die in Trümmern liegende Stadt selbst erblicken und
sie so gar nicht seinem aus der Leetüre der classischen Autoren
gebildeten Ideale gleichend finden würde. Doch das Gegen-
theil geschah. Petrarca fand alle seine Erwartungen über-
troffen und begeistert schi'ieb er dem avignonesischen Freunde
in dem oben erwähnten Briefe (Ep. Fam. II 14), er habe aller-
dings vorher selbst befürchtet , durch den ' Anblick Roms
schmerzlich enttäuscht zu werden, nun aber erscheine ihm in
der Wirklichkeit doch Alles noch gTösser und herrlicher, als
er es sich vorgestellt habe, und nicht mehr bewundere er,
dass der Erdkreis von dieser Stadt überwunden worden, sondern
nur, dass dies erst so spät geschehen sei.
Blind freilich war Petrarca keineswegs gegen den trüb-
seligen Zustand, in welchem er die einst weltbeherrschende
Stadt erblickte. Konnte er doch vermöge seiner grossen Ver-
trautheit mit der römischen Litteratur gerade am besten den
ungeheueren Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit
ermessen, konnte doch gerade er am vollständigsten die
einstigen Prachtbauten aufzählen, welche schon damals ent-
weder ganz vom Boden verschwunden oder nur in kläglichen
') Gregorovius, a a. 0. VI p. 20-5 gibt den 14. Januar 1337 als Datum
der Ankunft Petrarca's in Rom an, während doch die Abreise von Capra-
nica keinesfalls vor dem 26. Januar erfolgt ist.
') vgl. Gregorovius, a. a. 0. p. 206 Note 1.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 115
Trümmern noch vorhanden waren ^)! Er vermochte es gewiss
am tiefsten und schmerzlichsten zu empfinden, wie unsäglich
jammervoll es war, dass römische Adlige sich nicht entblödeten,
mit den Ruinen der grossen Stadt, mit Marmorsäulen, Tempel-
schwellen und Grabstatuen, einen schimpflichen Handel zu
treiben und sie nach Neapel hin zu verschachern, wo man
damals die Reste des Alterthums besser zu würdigen ver-
stand ^). So klagt er denn auch an vielen Stellen seiner
Werke über Roms traurigen Verfall und der Römer indolente
Gleichgültigkeit gegen die Geschichte und den Ruhm ihrer
eigenen Stadt 2) und versucht seinen Einfiuss bei römischen
Adligen dahin geltend zu machen, dass wenigstens weiterem
Verfalle gesteuert und auf die Erhaltung der Ruinen Bedacht
genommen werde '^).
Petrarca liebte aber auch die verfallene Stadt mit dem
ganzen Enthusiasmus eines Humanisten und der ganzen Be-
geisterung eines gläubigen Katholiken. Für ihn verschmolz
sich in Rom das heidnische Alterthum und die christliche
Gegenwart zu einem grossartigen Gesammtbilde : auf den
Schwingen der Phantasie Hess er sich in die ferne Vergangen-
heit zurücktragen und schwelgte in dem Bewusstsein, welt-
historische Luft zu athmen, auf den Fittigen des frommen
Glaubens versetzte er sich zurück in die Heroenzeit des
Christenthums , deren Schauplatz Rom gewesen, und Hess
sich beseeligen von dem Gefühle, so vielen hochheiligen Stätten
nahe zu sein. Er theilte die Empfindungen, mit denen vor
ihm in den langen Jahrhunderten des Mittelalters so viele
glaubensvolle Pilger den römischen Boden betreten hatten
und empfand nicht weniger lebhaft das halb freudige halb
wehmüthige Entzücken, mit welchem nach ihm bis zur gegen-
wärtigen Stunde so viele begeisterte Freunde des Alterthums
die ewige Stadt durchwandelt haben. Man mag immerhin
^) Petrarca gibt eine solche sehr interessante Aufzählung in Remed.
utr. fort. I 118.
■^) Ep. Var. 48.
^) z. B. Ep. poet. lat. II 13 v. 43 ff., Ep. Fam. XV 7. Ep. Var. 48.
*) vgl. z. B. Ep. poet. lat. II 13.
116 Drittes Capitel.
über diese seltsame Mischung seiner Gefühle lächeln, man
mag es höchst naiv finden, wenn in seinen wiederholten Schil-
deningen Roms ') antike und christliche Reminiscenzen unver-
mittelt neben einandergestellt sind — der Ruhm muss ihm
doch un])estritten verbleiben, dass er Rom zuerst mit moder-
nem Auge betrachtet, dass er in ihm nicht bloss die Stadt
der Apostelgräber und der Märtyrer, auch nicht allein, wie
Dante -), die Hauptstadt des idealen Weltkaiserreichs, sondern
auch und vor allen Dingen die Entwickelungsstätte der römi-
schen Cultur, die grossartigste Erscheinungsform antiken
Lebens und Denkens und die durch unzählige classische Tra-
ditionen und Denkmale für alle Zeiten geweihte Stadt verehrt
hat. Die Pilger des Mittelalters waren an den Ruinen Roms
mit geheimem Grausen vorüljergegangen , hatten sich von
ihnen seltsam thörichte Fabeln erzählt und für die Werke
von Dämonen und Zaulierern sie gehalten — , Petrarca ver-
scheuchte den finstern Spuck und sah zuerst in diesen Ruinen
die ehrwürdigen Reste und Zeugen einer grossen Vergangen-
heit, einer untergegangenen wunderbaren Cultur. Nun erst
ward eine historische und künstlerische Betrachtung dessen
möglich, was an Bau- und Bildwerken des elassischen Alter-
thums noch erhalten war und nun erst nach erlangter Mög-
lichkeit einer vollen und ganzen Erkenntniss der Grösse
und Schönheit des elassischen Alterthums konnte die theil-
weise Neugeburt desselben, konnte die Renaissance erfolgen.
Allerdings, Petrarca schaute Roms Ruinen nur mit be-
wundernden, nicht mit künstlerisch gebildeten oder gar kri-
tischen Augen an, er war in seinBr Betrachtung durchaus nur
Humanist und Nichts lag ihm ferner, als irgend welche Kunst-
studien anzustellen und die Gesetze des Schönen zu ei-forschen,
ja man darf wol selbst behaupten — wir werden später hierauf
ausführlicher zurückkommen müssen — , dass er ein tieferes
Interesse und Verständniss für die bildende Kunst nicht be-
^) z. B. Ep. Farn. II 9. VI 2. IX 13.
■^) Convito, IV c. 5 p. 259—264 ed. Fraticelli (besonders wichtig sind
die Schlussworte des Capitels).
I
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 117
sass^), aber nichtsdestoweniger muss er als Urheber auch
der Renaissance der Kunst betrachtet werden, denn wie wäre
diese möglich gewesen ohne das Zurückgehen auf die Bau-
und Bildwerke des Alterthums, deren wirkliches Verständniss
eben er zuerst erschloss? Das eben ist ja die wunderbare
Gabe wahrhaft grosser Männer, dass sie bei weitem nicht
allein durch Lehre und Beispiel, sondern durch ihr ganzes
Wesen und Dasein, selbst durch ihre Schwächen befruclitend
auf ihre Zeit und noch auf die ferne Zukunft ein\yirken.
Der Begleiter Petrarca'« auf den Wanderungen durch die
römischen Trümmerstätten war Giovanni Colonna di San Vito,
Herr von Gensano, ein Bruder des alten Stefano Golonua-).
Diesen Mann, der vielseitige Kenntnisse, auch des römischen
Alterthumes, besass und auf ein sehr bewegtes Leben zurück-
schaute — er hatte in seiner Jugend, vor dem Zorn des
Papstes Bonifaz VIIL fliehend, Aegypteu, Persien und Arabien
durchirrt^) — hatte Petrarca bereits in Avignon kennen ge-
lernt und sich seines anregenden Umganges erfreut, wie er
denn auch späterhin mit ihm in freundschaftlichem Verkehre,
der durch eine Reihe erhaltener Briefe noch jetzt bezeugt
wird*), verblieb, bis, vermuthlich im Jahr 1343^), der Tod
den in seinen letzten Lebensjahren von Körperleiden und Miss-
muth gequälten *^) und in ein Mendicantenkloster zu Tivoli ein-
getretenen Colonnesen den Wechselfällen des irdischen Daseins
entriss.
ZuAveilen begleitete auch der greise Stefano Colonna, ein
Mann, in welchem die Kraft und der hochherzige Heldensinn
des alten Roms neu aufgelebt zu sein schien •), in eigener
^) vgl. Remed. utr, fort. I. diai. 40 und 41.
-) vgl. Ep. Farn. VI 2.
•") Ep. Farn. VI 3, vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 367 f.
*) Ep. Fam. II 5. 6. 7. 8. III 13. VI 2. 3. 4.
°) vgl, Fracassetti, Lett. fam. V p. 67.
«) Ep. Fam. VI 3.
'•) „vir cuilibet antiquorum par" Epist. ad post. p. 6, .,ex cineribus
veterum renatus phoenix" Ep. Sen. X 2. vgl. Trionfo della fama II v. 162 f.
und Remed. utr. fort I dial. 35.
118 Drittes Capitel.
Person seinen Gastfreund, dem er mit der Liebe eines Vaters zu-
gethan war ^). Es mag ein eigenartiger, tief poetischer Anblick
gewesen sein, wenn der damals in der Blüthe männlicher Jugend
stellende Petrarca an der Seite des alten, aber noch rüstigen
Kriegshelden die römischen Ruinenfelder durchwanderte. Wie
mag der Colonnese, der eine dunkle Ahnung von Roms einstiger
Grösse und instinctive Bewunderung für dieselbe besass, ge-
lauscht haben , wenn Petrarca mit beredtem Worte ihm die
Ruinen deutete und ihm erzählte von den grossen Thaten
römischer Vorzeit ! Und wie mag wieder Petrarca bewundernd
hingeblickt haben auf die vom Alter ungebrochene Helden-
gestalt seines Wirthes und gewähnt haben, dass ein Marius
oder Pompejus leibhaftig vor seinen Augen stehe! — Eines
Abends in schon später Stunde durchwanderten sie auch so die
öden Strassen ^). Dort, wo die vom colonnesischen Palaste zum
Capitole führende Strasse gekreuzt wird von jener, die von
den Bergen zum Camillusbogen und weiterhin zum Tiber nieder-
steigt, blieben sie stehen und begannen, an ein Mannorgrab-
mal sich lehnend , ein ernstes Gespräch. Der alte Stefano
zürnte seinem Sohne, dem Bischöfe Giacomo, weil dieser es
gewagt hatte, des Vaters unchristliche Streit- und Fehdelust
zu rügen, und Petrarca benutzte nun die stille Abendstunde,
um den Greis zu bereden, dem Sohne Verzeihung zu ge-
währen und dadurch einen unerquicklichen Familienzwist zu
enden. Stefano willigte ein, indem er betheuerte, dass er
selbst Nichts sehnlicher wünsche, als seine alten Tage in Frieden
verbringen zu können, dass er jedoch duich den Zwang äusserer
Verhältnisse immer und immer wieder genöthigt werde, die
W^ äffen zu ergreifen ; dann im weiteren Laufe der Unterredung
that er. wie von prophetischem Geiste beseelt, den merkwür-
digen Ausspruch, er sehe voraus, dass er der Ordnung der
Natur zuwider alle seine Söhne überleben werde. Und er
sollte nur allzu wahr gesprochen haben! er überlebte, selbst
ein Alter von beinahe hundert Jahren erreichend, wirklich alle
^) Epist. ad post. p. 6.
^) Die ganze folgende Erzählung nach Ep. Farn. VIII 1.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Yaucluse. 119
seine sieben Söhne: zuerst starb, 1341, der Bischof Giacomo,
zuletzt, im Sommer 1348, der Cardinal Giovanni,
Wie lange Petrarca in Rom verweilte, lässt sich nicht mit
Bestimmtheit angeben. Allzu lange kann es indessen nicht
gewesen sein, denn in einem von Avignon aus an seinen Freund
Tommaso Caloria gerichteten Brief), der das Datum des
18. August (nach Fracassetti's Annahme des Jahres 1337)
trägt, berichtet er selbst, dass er zwei Tage vorher, also am
16. August, von einer weiten Eeise nach Avignon zurück-
gekehrt sei.
Auch über den Weg, welchen Petrarca für seine Rück-
reise wählte, fehlen uns bestimmte Angaben. Fast scheint es
ein seltsam weiter gewesen zu sein. In dem eben erwähnten
Briefe an Tommaso nämlich erzählt Petrarca, dass er, des ge-
wohnten Aufenthaltortes (Avignon) und der daselbst herrschenden
Sitteulosigkeit überdrüssig und von der Begierde. Vieles zu
sehen, getrieben, Länder und Meere durchschweift habe und
sogar bis zu den Grenzen der Erde vorgedrungen sei, bis
ihn die grausame Nothwendigkeit zu der vor zwei Tagen er-
folgten Rückkehr in die (avignonesische) Heimath veranlasst
habe. Ausführlicher noch spricht er von einer weiten Reise,
welche er, um den Fesseln der Liebe zu Laura sich zu ent-
reissen, bis in den fernsten Westen und Norden unternommen
habe, in jenem merkwürdigen an den Bischof Giacomo ge-
richteten Briefe ''), in welchem er die Geschichte seiner Liebe
erzählt. „Unstät durchirre ich" — sagt er hier — „den
ganzen Erdkreis, wage die stürmischen Wellen der adriatischen
und tuscischen See zu durchfurchen und scheue mich nicht,
dies dem Joche der Liebe entrissene Haupt der gebrechlichen
Barke anzuvertrauen, denn warum sollte ich einen vorzeitigen
Tod fürchten, der ich durch Seelenqualen erschöpft und des
Lebens müde bin? Nach dem Westen wende ich mich und es
erblickte mich . den im sonnigen Grase sich bergenden . der
1) Ep. Farn. lU 2.
•-) Ep. poet. lat. I 7 v. 65—80.
120 Drittes Capitel.
hochragende Scheitel des Pyrenäengebirges; es erblickte mich
auch der Ocean dort, wo der von seiner Bahn ermattete
Sonnengott den Feuerwagen abspült in der hesperischen Fluth
und wo er, herabschauend auf den durch der Medusa Anblick
zu Stein verhärteten Atlas, die steilen Berggipfel lange Schatten
werfen lässt und die Mauren in eilender Nacht verbirgt. Von
hier wandere ich dem Norden und dem Boreas zu und durch-
wandle einsam jene Länder, erfüllt von misstönender Sprachen
Gewirr, wo des britannischen Meeres trübe Welle nur erst
halb bekannte Küsten mit wechselnder Woge bespült und wo
der eisige Boden dem befreundeten Pfluge den Gehorsam ver-
sagt und den Weinstock von den Hügeln fern hält." Wenn wir
glauben könnten, dass diese und die vorher erwähnten Stellen
buchstäblich zu verstehen seien, so müssten wir annehmen,
dass Petrarca die Meerenge von Gibraltar durchfahren habe,
dann auf dem atlantischen Oceane bis an die englischen odei'
doch bis an die England gegenüberliegenden französischen
Küsten gereist und von dort, quer durch Frankreich, auf dem
Landwege nach Avignon zurückgekehrt sei, und zwar müssten
wir unbedingt annehmen, dass diese grosse Reise im Sommer
des Jahres 1337, also von Rom aus, stattgefunden habe, denn
den späteren Lebensgang Petrarca's vermögen wir zu genau
zu verfolgen, als dass darin ein leerer Raum für eine so weite
Fahrt sich auffinden liesse. Wir können uns indessen überhaupt
nicht entschliessen, an eine solche seltsame Reise Petrarca's zu
glauben, denn äussere und innere Gründe scheinen uns da-
gegen zu sprechen. Petrarca kam, wie wir sahen ^), jedenfalls
nicht vor den ersten Tagen des Februar, möglicherweise aber
noch später, in Rom an und ganz gewiss ist sein Aufenthalt
daselbst kein allzu kurz bemessener gewesen, sondern hat sich
sicherlich über mehrere Monate erstreckt. Wie sollte Petrarca
auch die Gelegenheit nicht wahrgenommen haben, sein geliebtes
Rom sich allseitig zu beschauen, da er dies als Gast der ihm so
freundlich gesinnten Colonna doch gewiss mit aller Behaglich-
*j vgl. S. lu.
Die Wandeijahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 121
keit und aller Sorgen ledig thiin konnte? ^lan wir(l schwer-
lich fehl gehen, ja vermiithlich noch zu niedrig greifen, wenn
man die Dauer seines Aufenthaltes in Rom auf mindestens
drei Monate veranschlagt und seine Abreise von Rom etwa
auf Anfang Mai ansetzt. Es blieben demnach, wenn er
wirklich bereits am 16, August wieder in Avignon ,eintraf, nur
etwa weitere drei Monate für seine Rückreise verfügbar. War
es nun, muss man fragen, bei den damaligen noch sehr wenig
entwickelten Communicationsmitteln möglich , in verhältniss-
mässig so kurzer Zeit eine so weite Reise zu unternehmen,
welche selbst heute trotz Dampfboot- und Eisenbahnverbindungen
eine ununterbrochene Fahrt von mindestens zehn Tagen er-
fordern würde? Und es ist hierbei doch auch zu bedenken,
dass Petrarca, wenn er wirklich eine solche Reise unternommen
haben sollte, doch ganz gewiss nicht unablässig sich zu Schilf
oder Wagen oder Ross vorwärts bewegen , sondern auch in
seiner Begierde , Vieles zu sehen , an einzelnen interessanten
Orten kürzere oder längere Zeit verweilen wollte. Wir meinen
also, dass innerhalb des beschränkten Raumes eines Viertel-
jahres — und möchten es auch einige Monate mehr gewesen
sein — die Ausfühmng einer derartigen Reise physisch un-
möglich war. Es kommt überdies noch ein innerer Gegengrund
in Betracht. Hätte Petrarca diese weite Seefahrt, welche nach
damaligen Begriffen gewiss dieselbe Bedeutung besessen haben
würde, wie etwa heute eine Reise nach West- oder Ostindien,
wirklich unternommen, wäre es da nicht mehr als auffallend,
ja geradezu unerklärlich, dass er dieser Reise, der auf ihr ge-
machten Beobachtungen und der durch sie empfangenen Ein-
drücke in seinen Werken mit Ausnahme der beiden erwähnten
sehr allgemein gehaltenen Stellen nie gedenkt, während er so
manchen unbedeutenden Ausflug, so manche kleine Landparthie
ausführlich beschreibt?
Wir glauben demnach zu der Annahme berechtigt zu sein,,
dass diese angeführten Brieffragmente nicht buchstäblich zu
verstehen seien. Eine buchstäbliche Auffassung des letzt-
genannten derselben würde uns überdies zu den seltsamsten
122 Drittes Capitel.
Schlüssen führen, so müssten wir z. B. gestützt auf die Worte
„ich wage die stürmischen Wellen des adriatischen und tus-
cischen Meeres zu durchfurchen'^' ^) eine ganz sinnlose Reise-
route Petrarca' s, die ihn von Rom aus zunächst in das adria-
tische Meer und dann aus diesem wieder in das tyrrhenische
geführt \m\^e, annehmen, und, wollten wir den Satz „ich
durchwandle einsam die Länder, wo der eisige Boden den
Weinstock von den Hügeln fernhält", so müssten wii- sogar
glauhen, dass Petrarca über die Zone des Weinbaues, welche
sich im Mittelalter bekanntlich viel weiter nördlich als heut zu
Tage erstreckte^), hinausgekommen sei; auch würden wir
nicht recht erklären können, wie es möglich war, dass er, ob-
wol er die Meerenge von Gibraltar durchfuhr, doch „im An-
gesicht des hochragenden Scheitels des Pyrenäengebirgs in das
sonnige Gras sich lagern" konnte.
Gewiss will der in der erwähnten poetischen Epistel ge-
gebene Reisebericht nichts Anderes besagen, als dass Petrarca
nach damaligen Begriffen weit gen Westen und Norden vor-
gedrungen sei, eine einfache Thatsache, welche nach Dichter-
braueh mit hochtönenden Hyperbeln verhüllt und verbrämt
wird. Petrarca mag wirklich einerseits bis zur spanischen und
andererseits bis in die Nähe der englischen Küste gelangt sein
und mit dichterischer Phantasie gestaltete er daraus Fahrten
nach dem fernsten Westen und Norden und mochte sich viel-
leicht wirklich selbst mit dem Gedanken schmeicheln, den
Atlas und die britannischen Inseln von ferne erblickt zu haben.
Ist doch in solcher Beziehung Leuten von lebhafter Einbildungs-
kraft gar Vieles möglich, zumal wenn ihre geographischen
Vorstellungen nicht sonderlich exacte sind. Nichts aber zwingt
uns Petrarca's weitestes Vordringen nach Westen und Norden
als auf ein und derselben Reise erfolgt zu betrachten, denn
der Ausdruck „von hier (hinc)" in der poetischen Epistel^),
') „Adriacas Tuscasqiie ausus sulcare procellas" (v. 65\
-) vgl. Kordhoff, der vormalige Weinbau Norddeutschlan<!s. Münster
1877.
'') V. 76, vgl. die Uebersetziuig S. 120.
Die "Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 123
durch welchen von der West- zur Nordreise übergeleitet wird,
dient doch wol nur zur stylistischen Verbindung und kann
unmöglich in seiner eigentlichen Bedeutung aufgefasst werden,
weil sonst, da ja das „hier" streng genommen nur den Ort,-
an welchem der Sprechende sich befindet, bezeichnen kann,
gefolgert werden niüsste, dass Petrarca zur Zeit der Abfas-
sung der Epistel sich noch im fernen Westen befunden habe,
was, wie aus dem Schlusstheile derselben hervorgeht, durchaus
unzulässig ist.
Sollte nicht vielleicht in Bezug auf die in Frage stehen-
den Reisen Petrarca's folgende Auffassung statthaft sein? Wir
haben oben (S. 98) gesehen, dass Papst Benedict XII. Petrarca
im Jahre 1335 ein Canonicat zu Lombes verliehen hatte. Rück-
sichten des kirchlichen Anstandes , vielleicht auch finanzielle
Erwägungen mochten es Petrarca wünschenswerth erscheinen
lassen, sich einmal persönlich nach Lombes zu begeben und von
seiner dortigen Pfründe Besitz zu ergreifen. Bischof Giacomo hatte
ihm das vielleicht in Rom nahe gelegt und ihm zugleich Auf-
träge für den Clerus seines Sprengeis ertheilt, dem er ja seit nun
bereits vier Jahren entrückt war. So entschloss sich denn Pe-
trarca — meinen wir — die Reise nach Lombes direct von
Rom aus anzutreten und wählte hierfür, vielleicht eine sich
gerade bequem darbietende Schiflfsgelegenheit benutzend und
zugleich seinem Reisedrange folgend, den Weg über Spanien,
indem er nach einem catalonischen Hafen, vermuthlich Barce-
lona, überfuhr und dann über die Pyrenäen seinem an deren
Nordabhange gelegenen Bestimmungsorte zueilte, von wo aus
er nach Avignon zurückkehrte. Wir erhalten durch diese Hy-
pothese ein vernünftiges Motiv für Petrarca's Reise nach dem
Westen, zumal der Weg von Rom über Barcelona nach Lombes
nicht eben sonderlich weiter sein dürfte als derjenige über
Avignon und Toulouse und sich gewiss innerhalb einiger Monate
bequem zurücklegen hess.
Die noch zu erklärende Reise nach Norden aber ist, glau-
ben wir, keine andere gewesen, als die im Jahre 1333 nach
Paris, den Niederlanden und Niederdeutschland unternommene,
124 Drittes Capitel.
auf welcher ja leicht ein Abstecher nach einem an dem Canal
gelegenen Hafen gemacht worden sein kann. Der „an den
Küsten des britannischen Oceans" geschriebene und an Tommaso
Caloria gerichtete Briefe), den Fracassetti 2) ohne zwingen-
den Grund im Jahre 1337 verfasst worden sein lässt, wäre
dann eben bereits im Jahre 1333 geschrieben worden, was recht
wohl möglich ist, da der in diesem Briefe erwähnte zweite
Gesandtschaftsaufenthalt des Engländers Richard von Bury in
Avignon bereits im Beginne des Jahres 1333 stattgefunden
hatte. Dem scheint allerdings zu widersprechen, dass auch die
Erhebung Richards zur Bischofswürde, welche erst im Decem-
ber 1333 erfolgte ^) , erwähnt und dass der doch erst im Jahre
1339 zum offenen Ausbruch gelangte Krieg zwischen England und
Frankreich als begonnen und noch andauernd geschildert wird.
Wollte man aber hierauf Gewicht legen, so müsste man annehmen,
dass der Brief frühestens im Jahre 1340 verfasst worden sei '^) und
das ist schon um desswillen höchst unwahrscheinlich, als Tommaso
Caloria bereits im Jahre 1341 starb °). Wir werden uns eben noth-
gedrungen entschliessen müssen, die Anspielungen auf die nach
dem Jahre 1333 fallenden Zeitbegebenheiten für Zusätze zu
halten, welche Petrarca bei einer späteren Durchsicht seiner
Briefe anbrachte, zumal uns auch der ganze in Frage stehende
Brief die Spuren einer späteren Ueberarbeitung an sich zu
tragen scheint. Wir können demnach recht wohl diesen Brief
für bereits im Jahre 1333 verfasst erachten, sobald wir nur
annehmen, wozu wir ein volles Recht besitzen, dass die Ge-
stalt, in welcher er gegenwärtig vorliegt, nicht seine ursprüng-
liche ist.
Noch eine Schwierigkeit aber scheint entgegenzustehen.
In dem von Avignon aus am 18. August (nach Fracassetti's
') Ep. Farn. III 1.
2) Lett. fam. I p. 407 f.
^) vgl. Fracassetti, ibid.
*) Man beachte auch, dass der Krieg ein „langwieriger (diuturnum)"
genannt wird, was, besonders nach mittelalterlichem Begriffe, doch füglich
erst nach Verlauf mehrerer Kriegsjahre geschehen konnte.
■•) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 262.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 125
Annahme des Jahres 1337) an Tommaso Caloria gerichteten
Brief nimmt Petrarca Bezug auf ein ausführliches Sehreiben
das er von „den Grenzen der Erde" aus, von welchen er erst
vor zwei Tagen zurückgekehrt sei , an den Freund gerichtet
habe ^). Es liegt nahe, diese Worte auf den unmittelbar "voraus-
gehenden Brief, das aber ist eben der an den Küsten des
britischen Oceans geschriebene , zu beziehen , wonach dann
natürlich, falls Fracassetti's Datirung 18. August 1337 richtig
ist, Petrarca's Aufenthalt im fernen Norden doch in das Jahr
1337 verlegt werden müsste. Indessen ist, soviel wir sehen
können, die Annahme eines so engen Verhältnisses zwischen
den beiden Briefen, so sehr sich diese auch an sich empfehlen
möchte, doch durch Nichts unbedingt geboten und es steht
kein Grund entgegen, wesshalb wir nicht die betreffenden
Worte des zweiten Briefes auf einen andern , uns nicht mehr
erhaltenen Brief, der im Jahre 1337 etwa von Spanien aus
geschrieben wäre, beziehen könnten, denn der Ausdruck „von
den Grenzen der Erde" ist ja ein ganz unbestimmter und
würde übrigens weit besser von Spanien, dem zu Petrarca's
Zeit westlichsten bekannten Lande , als von den Küsten des
britischen Oceanes, über welche hinaus ja eben noch Britannien
lag und also die Erde sich noch weiter erstreckte, verstanden
werden.
Wir habeij bisher immer an Fracassetti's Annahme fest-
gehalten, dass der Brief vom 18. August im Jahre 1337 ge-
sehrieben worden sei. Es muss aber schliesslich bemerkt
werden, dass diese Annahme eben nur auf einer, an sich aller-
dings recht wahrscheinlichen, Vermuthung beruht, und dass
Nichts uns verbietet, die Abfassung des Briefes ebenfalls in
das Jahr 1333 zu verlegen. Petrarca würde ihn dann nach
seiner Rückkehr von der nordischen Reise, welche ja ebenfalls
im Augustmonate erfolgte — am 8. August schrieb er von
Lyon aus dem Cardinal Giovanni (vgl. S. 96) — , geschrieben
^) „ad extrema terrarum me voluptas traxit ... et cum multa inde tibi
scripserim ..."
126 Drittes Capitel.
haben und es würde damit die Beziehung dieses Briefes zu
dem von den Küsten des britischen Oceanes aus und nach
unserer Meinung ebenfalls im Jahre 1333 geschriebenen wieder-
hergestellt werden. Freilich würde, falls der Brief vom IS.August
wirkheh schon im Jahre 1333 und nicht erst 1337 geschrieben
worden sein sollte, sich das Datum der Rückkehr Petrar-
ca's nach Avignon nicht auf den 16. August 1333 fixiren lassen
und es würde damit auch das eine, auf die Beschränktheit der
verfügbaren Zeit sich stützende Argumenl, welches wir gegen
die vermeintliche grosse Reise vom Jahre 1337 vorgebracht
haben, in Wegfall konunen, ohne dass jedoch dadurch unsere
Beweisführung wesentlich geschwächt würde.
Es erscheint angemessen, die bis jetzt gegebene weit-
läufige Auseinandersetzung noch einmal in ihren wesentlichsten
Punkten kurz zusammenzufassen.
Die Annahme, dass Petrarca von Rom aus im Jahre 1337
eine weite Seereise durch die Äleerenge von Gibraltar auf dem
atlantischen Oceane bis an die Küsten des britischen Meeres
d. h. des Canales unternommen habe, stützt sich lediglich auf
eine in dem von Avignon 18. August datirten Briefe an Tom-
maso Caloria sich findende Stelle und auf eine andere längei-e
Stelle in einer poetischen Epistel an den Bischof Giacomo.
Die erstere jedoch verliert — abgesehen davon, dass sie nur
ganz allgemein einer Reise bis an die Grenzen der Erde er-
wähnt — jede Beweiskraft dadurch, dass die Abfassung des
Briefes im Jahre 1337 durchaus nicht strenge bewiesen werden
kann. Die letztere Stelle ist allerdings bestimmter gehalten,
leidet indessen an inneren AYidersprüchen und ist offenbar
derartig mit poetischen Hyperbeln überladen, dass sich aus ihr
Kichts weiter mit Sicherheit folgern lässt, als dass Petrarca in
westlicher und nördlicher Richtung weite Reisen unternommen
hat. Es müssen diese Reisen, da wir vom Jahre 1338 ab
Petrarca's Lebensgeschichte fast Tag für Tag verfolgen können..
ohne dass wir sie verzeichnet fänden, vor dem Jahre 1338
stattgefunden haben, doch sind wir nicht genöthigt anzunehmen,
dass sie unmittelbar auf einander gefolgt seien.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 127
Es ist innerlich durchaus unwahrscheinlich, dass Petrarca
im Jahre 1337 eine weit ausgedehnte Seereise auf dem Oceaue
unternommen liabe, da er einer solchen mit Ausnahme der
eben beleuchteten Stelle in der poetischen Epistel nirgends
gedenkt, ein Umstand, welcher bei der sonstigen Redseligkeit
Petrarca's über die Ereignisse seines Lebens die grösste Be-
weiskraft besitzt.
Es tritt hierzu, falls der Brief vom 18. August, wie Fra-
cassetti annimmt, erst im Jahre 1337 verfasst ist, der äussere
Gegengrund , dass dann innerhalb der kurzen Zeit , welche
Petrarca in diesem Falle für die Piückkehr übrig geblieben sein
würde, die Ausführung einer weiten Seereise unter den da-
maligen Verhältnissen physisch unmöglich gewesen sein dürfte.
Endlich darf auch nicht übersehen werden, dass Petrarca
bei seiner fast krankhaften Abneigung gegen Seereisen wol
kaum gewagt haben würde, eine Fahrt in den weiten Ocean
hinaus zu unternehmen.
Wir besitzen demnach keinen einzigen Beweis für eine im
Sommer 1337 unternommene weite Seereise Petrarca's, wol
aber drei mehr oder weniger beweiskräftige Gegengründe. Bei
solcher Sachlage spricht doch gewiss die Wahrscheinlichkeit
dafür, dass diese Reise eben nicht stattgefunden hat.
Andererseits dagegen kann es nicht in Zweifel gezogen
werden, dass Petrarca für die damaligen Verhältnisse aus-
gedehnte Reisen in nördlicher und westlicher Richtung unter-
nommen hat. Dass er namentlich bis zu den Küsten des
britischen Meeres vordrang, wird durch den von dort aus
datirten Brief bewiesen, nur verlegen wir die Abfassung des-
selben nicht, wie Fracassetti will, erst in das Jahr 1337,
sondern, unter der statthaften und auch bei der Fracassetti'-
schen Datirung erforderlichen Annahme einer späteren Ueber-
arbeitung, in das Jahr 1333 und glauben also, dass Petrarca
gelegentlich seiner grossen Reise nach den Niederlanden auch
die Küsten des Ganais erreicht habe.
Nach Westen drang Petrarca am weitesten vor. als er
— wie wir annehmen zu dürfen glauben — sich im Sommer
128 Drittes Capitel.
1337 von Rom zunächst auf dem Seewege nach Barcelona und
sodann über die Pyrenäen nach Lombes begab, um von seinem
dortigen Canonicate Besitz zu ergreifen.
Die Meerenge von Gibraltar aber — meinen wir — hat
Petrarca nie passirt und ebenso wenig hat er jemals den at-
lantischen Ocean befahren.
Es mag gar manchem Leser die Mühe, welche wir auf-
gewandt haben, um dies anscheinend geringfügige Ergebniss
zu erzielen, als eine arge Verschwendung des Ptaumes er-
scheinen und ihn vielleicht selbst an die kreissenden Berge
und das von ihnen geborene Mäuslein des Horaz erinnern.
Wir glauben indessen nicht, dass die geführte Untersuchung
zwecklos war, denn nicht so unwesentlich dünkt es uns, zu
entscheiden, ob Petrarca die ihm beigelegte weite Reise, nach
mittelalterlichen Begriffen beinahe eine Reise um die Welt,
wirklich gemacht habe oder nicht. In dem ersteren Falle.
wenn wir wüssten, dass er wirklich, nur um Heilung für
seinen Liebesschmerz zu suchen , planlos hinausgefahren sei in
ferne Meere und zu entlegenen Küsten, so würden wir bei dem
grossen Dichter das Vorhandensein einer sonst an ihm unbe-
kannten romantischen Ueberspanntheit constatiren müssen, und
es würde das eine nicht unwesentliche Aenderung unserer Ge-
sammtanschauung von seinem Wesen bedingen, da wir sonst
zu glauben und zu behaupten geneigt sind, dass er wol bis
zur modernen Sentimentalität, aber nicht bis zur hyper-
modernen Bizarrerie vorgedrungen sei und dass er wol die
Melancholie, aber nicht den Spleen gekannt habe. In dem
anderen Falle, wenn wir annehmen, dass Petrarca sich zur
Erreichung eines reellen Zweckes, um von seinem Canonicate
Besitz zu ergreifen, auf dem Seewege von Rom aus über
Spanien nach Lombes begeben habe, erscheint er uns als eben
der besonnene und, wenn nöthig, auch praktisch denkende
Mann, als welcher er auch sonst sich zeigt, wobei man ja
gern der Reiselust und selbst dem Liebesschmerze einen An-
theil an seiner Entschliessung, den weiteren statt des näheren
Weges nach Lombes zu wählen, zugestehen mag.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vauduse. 129
Der Zeitpunkt der Rückkehr Petrarca's nach Avignon
lässt sich nach dem, was wir oben erörtert haben, nicht genau
bestimmen: sie erfolgte am 16. August, falls Fracassetti's
Datirung des Briefes vom 18. August richtig ist, während wir
sonst lediglich auf Vermuthungen angewiesen sind und nur
etwa annehmen dürften, dass sie gewiss noch vor Anbruch der
rauheren Jahreszeit stattgefunden habe.
Zurückgekehrt aus der Wunder weit Roms mochte Petrarca
an dem Aufenthalte in Avignon weniger als jemals Gefallen
finden. Konnte doch auch kaum ein stärkerer Contrast gedacht
werden als das stille Rom und das lärmende Avignon! Rom.
so reich an den grossartigsten historischen Erinnerungen und
Denkmalen, so recht eine Stadt der Vergangenheit, einladend zu
idealen Träumen und zum Vergessen einer kleinlichen Gegen-
wart — Avignon, eine Stadt ohne jede bedeutende Vorzeit,
ganz erfüllt von jenem unruhvollen wilden Treiben, wie es
Orten eigen ist, welche, ohne durch ihre Vorgeschichte oder
ihre geographische Lage dazu prädestinirt zu sein, plötzlich
zu Mittelpunkten eines regen politischen Lebens erhoben
werden. Man kann sich die Unbehaglichkeit des Aufenthaltes
im damaligen Avignon leicht vorstellen. Die Stadt, bis dahin
eine unbedeutende und überdies durch die Albingenserkriege
in ihrem Gedeihen schwer geschädigte Provinzialstadt, sah
sieh so zu sagen über Nacht zur kirchlichen Welthauptstadt er-
hoben und vermochte natürlich den äussei'en Anforderungen
an eine solche nur im unvollkommensten Maasse zu genügen.
Die Tausende und Abertausende von Menschen , welche zu
dauerndem oder zeitweiligem Aufenthalte in die päpstliche
Residenz zusammenströmten, mussten sich auf kleinem Räume
zusammendrängen und dadurch alle stark bevölkerten Orten
eigene Schattenseiten um so schroffei- hervortreten lassen.
Schon daraus erkläi't sich zur Genüge, dass eine zur Beschau-
lichkeit und Sentimentalität sich neigende Natur, wie diejenige
Petrarca's, in solcher Umgebung sich nicht wohl zu fühlen ver-
mochte. Andere Gründe des Missbehagens mochten hinzutreten.
Wie wir sahen . wohnte Petrarca in dem Hause des Cardinais
Körting, Pftrarc;i. 9
X30 Drittes Capitel.
Giovanni Colonna. Daraus entsprangen für ihn jedenfalls
gewisse, wenn nicht rechtliche, so doch moralische Ver-
pflichtungen , oder es wurden ihm doch zum mindesten be-
stimmte gesellschaftliche Ptücksichten auferlegt, welche er, je
länger dies Verhältniss währte ;, immer mehr als drückende
Fesseln und als lästige Einschränkungen seiner Freiheit em-
pfinden mochte. Und hatte er nicht auch endlich zu be-
fürchten, dass ihm noch schwerere Fesseln von anderer Seite
her in Avignon angelegt w^erden würden? Um sich dem
Joche der Liebe zu entziehen, hatte er Länder und Meere
durchirrt; gerettet und geheilt glaubte er zurückgekehrt zu
sein, aber musste er nicht erwarten, dass in Avignon, wo er
der einst Geliebten zu begegnen und mit ihr zu verkehren
nicht vermeiden konnte, die kaum gebändigte Leidenschaft
mit neuer ]\Iacht in seiner Brust emporflammen und dass er
aufs Neue Laura's schöner Augen Zauberkraft erliegen würde?
Wenige Tage schon des Verweilens in Avignon mochten hin-
gereicht haben, ihm zu beweisen, wie gegründet solche Befürch-
tung sei und wie nur rasche Flucht vielleicht noch ihn retten
oder, richtiger gesagt, ihn zum zweiten Male heilen könne ^).
So beschloss er denn, aus dem städtischen Getümmel und aus
Laura's gefahrdrohender Nähe in die ländliche Einsamkeit zu
flüchten, damit zugleich auch einem inneren Drange seiner
Seele Genüge thuend. Als willkommener und bequem ge-
legener Zufluchtsort bot sich ihm jenes Thal Vaucluse dar, in
welchem einst seinen Wohnsitz aufzuschlagen er sich bereits
als Knabe bei seinem ersten Besuche gelobt hatte -). So er-
warb er denn dort an den Quellen der Sorgue ein kleines
Grundstück mit einem sehr bescheidenen Häuschen, welches
er, allerdings mit sehr beträchtlichen Unterbrechungen, sechs-
zehn Jahre hindurch (1337 — 1353) bewohnt hat.
Die landschaftlichen Reize des romantisch gelegenen
Vaucluse hat Petrarca an zahllosen Stellen seiner lateinischen
1) vgl. Ep. poet. lat. I 7. v. 95 ff.
■') Ep. Sen. X 2., vgl. S. 66 f.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 131
"Werke in Versen und in Prosa begeistert geschilrtert und
dadurch auf das Schönste seinen lebhaften Sinn für Natur-
schönheit bekundet. Wir können es uns nicht versagen,
einige dieser Stellen in Uebersetzung hier wiederzugeben, und
halten dies für um so angemessener, als wir darauf verzichten
wollen und müssen, Vaucluse auf Grund eigener Anschauung
zu schildern. „Vaucluse" — sagt Petrarca ^) — „ist fünfzehn-
tausend Schritt von dem geräuschvollen Avignon und dem linken
Rhoneufer entfernt, aber trotz dieser geringen Entfernung ist
der Ort von der genannten Stadt so grundverschieden, dass ich
jedesmal, wenn ich von dort dahin komme, aus dem entlegensten
Abendland in das fernste Morgenland gekommen zu sein
glaube. Mit Ausnahme des Himmels, der sich über beide Orte
wölbt, ist Alles verschieden: das Aussehen der Menschen, der
Gewässer, der Landschaft. Hier fliesst die Sorgue, einer der
klarsten und kältesten Ströme, ausgezeichnet durch die Krystall-
helle ihrer Flutheu, den smaragdenen Glanz ihres Wasser-
spiegels und die beispiellos wechselnde, bald zu- bald ab-
nehmende Stärke ihrer Quelle, von der es mich nur wundert, dass
Plinius sie unter die Merkwürdigkeiten der narbonensischen
Provinz versetzt hat, während sie doch in der arelatensischen
sich befindet 2). Diese ländliche Gegend, in welcher mich das
Gebot einer eisernen Nothwendigkeit ausserhalb Italiens zu
verweilen nöthigt, ist für meine Studien und Bestrebungen so
geeignet wie nur möglich: die Hügel werfen am Morgen und
am Abend willkommene Schatten, in den Thälern finden sich
sonnendurchwärmte Schluchten, weit und breit erstreckt sich
eine einsame Landschaft, in welcher man häufigere Spuren
von den Thieren des Waldes als von Menschen erblickt;
tiefes und ungestörtes Stillschweigen herrscht ringsumher, nur
dass man etwa dann und wann das Gemurmel des dahin-
rieselnden Wassers oder das Gebrüll der auf den Uferwiesen
grasenden Rinder oder den Gesang der Vögel vernimmt." —
1) Ep. Var. 42.
^) vgl. Plin. Hist. Nat. XVIII 22.
132 Drittes Capitel.
,,Die Luft in Vaucluse", sagt er ein anderes MaP), ..ist mild
und die Winde wehen hier sanft, die Landschaft ist sonnig,
die Quellen sind klar, Fische bietet der Strom, Schatten der
Hain, es finden sich hier kühle Grotten, Schluchten mit üppigem
Pllanzenwuchs und lachende Wiesen. Man vernimmt das Ge-
brüll der Einder, den Gesang der Vögel und das Dahinrieseln
der Gewässer. Das Thal ist anmuthig und tief versteckt, so
dass es in Wahrheit den Xamen Vaucluse (= Vallis clausa
d. h. geschlossenes Thal) verdient, im Umkreise aber grünen
auf den Hügeln die Weinstöcke und Olivenbäume. Alles, dessen
man zu des Leibes Nothdurft und Lust nur irgend bedarf,
wird hier von der Erde und dem Wasser so reichlich erzeugt,
dass man, um mit den Theologen zu reden, im Paradiese,
und, um mit den Dichtern zu sprechen, in den elysischen Ge-
filden sich zu befinden glaubt, und, wenn ja irgend ein mensch-
licher Genusssucht dienendes Produkt der Landschaft fehlen
sollte, so lässt es sich mit leichter Mühe aus dem Pieichthume
der Umgegend beschaffen," — Poetischer noch lautet eine
dritte Stelle-): „Hier spielen in den glashellen Fluthen
silberfarbige Fische, fern auf den Wiesen brüllen vereinzelte
Rinder, es säuseln in den leicht bewegten Wipfeln der Bäume
heilsame Winde, buntgefiederte Vögel singen in den Zweigen,
nächtlich klagt die Nachtigall, es weint die Turteltaube um
ihre Freundin und sich her^'orstürzend aus dem klaren Quell
murmelt der Bach. Der Landmann aber liegt schweigend
seiner Arbeit ob und sich niederbeugend zur Erde entlockt
er seinem vielgebrauchten Spaten hellen Eiseuklaug und
sprühende Funken. Um mit einem Worte Alles zu sagen:
es ist hier ein beglücktes Wohnen."
Inmitten dieses lieblichen Thaies und seiner anmuthsvollen
Umgebung lebte nun Petrarca, theils seinen geliel)ten Studien
theils dem Genüsse der Natur sich widmend, ein idyllisch
1) Ep. Farn. XVI 6.
-) Ep. Farn. XYII 5, weitere ähnliche Stellen sind z. B. Ep. poet. lat.
I 7. V. 156 flf,, I 8., de Vit. Sol. II 10, 2. Ep. Farn. XI 4.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 133
einfaches und behagliches Leben, welches er selbst wiederholt
eingehend geschildert hat^). „Noch mitten in der Nacht",
erzählt er einmal '■^), „stehe ich schon auf ; am frühen Morgen
verlasse ich das Haus und studire, denke, lese und schreibe
unter dem freien Himmel gerade so, als wenn ich mich im
Hause befände. So weit es möglich ist, halte ich den Schlaf
von den Augen, die Schlatfheit vom Leibe, die sinnlichen Be-
gierden von der Seele, und die Trägheit von der Arlieit fern.
Ganze Tage lang wandle ich auf den sonnigen Bergen, in den
thaufrischen Thälern und Grotten umher. Beide Ufer der
Rhone durchmesse ich oft auf Spaziergängen, auf denen mir
kein Ueberliistiger begegnet und Niemand mich begleitet noch
leitet, nur meine Sorgen begleiten mich, doch werden sie von
Tag zu Tag weniger scharf und drückend." Weit ausführ-
licher und an Einzelheiten reicher ist eine andere Schildenmg ^)
seines damaligen Lebens, welche sich etwa folgendermaassen
in Kürze wiedergeben lässt: „Ich muss hier auf alle musika-
lischen Töne, durch welche ich mich so gern entzücken lasse,
verzichten, denn ich höre Nichts, als das Brüllen der Rinder,
das Blöcken des Kleinviehs und das Genmrmel der Gewässer.
Oft bin ich den ganzen Tag über zum Schweigen verurtheilt,
weil ich Niemanden um mich habe, mit dem ich sprechen
könnte. Meine Kost ist sehr einfach: häufig theile ich mit
dem Rinderhirten das grobe schwarze Brot und überlasse das
weisse, wenn mir solches etwa aus der Stadt überbracht wird, den
überbringenden Dienern. Trauben, Feigen, Nüsse und Mandeln
bilden meine einzigen Leckerbissen. Auch an kleinen Fischen
delectire ich mich und beschäftige mich selbst mit deren
Fang. Meine Kleidung ist eben so einfach wie ländlich,
während ich doch früher, wie bekannt, durch Eleganz der
Toilette mich auszuzeichnen bestrebt war-^). In meinem
1) vgl. namentlich Ep. Fam. VI 3. VIII 3. XIE 8. XV 3.
2) Ep. Fam. XV 3.
') Ep. Fam. XIH 8.
*) Ep. Fam. X 3, vgl. S. 84.
134 Drittes Capitel.
schlichten Häuschen wohne ich mit einem Hunde und zwei
Knechten allein, der Oekonom wohnt in einem Nebenhäuschen,
welches von dem Hauptgebäude aus durch eine Verbindungsthür
zugänglich ist. Meine besondere Freude sind zwei Gärtchen,
von denen ich nur bedaure, dass sie nicht in Italien liegen.
Das eine, welches ich meinen Musenberg jenseits der Alpen
zu nennen pflege, liegt hart unterhalb der Quelle der
Sorgue. deren gegenüberliegendes Ufer von unzugänglichen
Felsparthien eingefasst wird, das zweite — ein Wein- und
Ziergärtchen — ist nahe am Hause auf einer Insel des schön
*und schnell fliessenden Stromes angelegt. Am Flusse selbst
befindet sich eine Steingrotte, in deren immer kühlem Schatten
, die sommerliche Hitze nicht empfunden ^Yird und welche in
Folge dessen ein einladender Studiensitz ist. So verbringe
ich denn die Mittagsstunden in dieser Grotte*^ den Morgen
aber auf den Hügeln und die Abende in deiii wildromantischen
Berggärtchen an der Sorguequelle. Bei diesen Annehmlich-
keiten würde ich in Vaucluse ganz glücklich leben können,
wenn ich nicht dem geliebten Italien so fern, dem verhassten
Avignon aber so nahe wäre."
Schwierig war es für Petrarca, Dienstboten zu finden,
welche gewillt waren, seinen ländlichen Aufenthalt mit ihm
zu theilen, denn seine städtischen Diener hatten ihn sehr
bald verlassen ^). Ein grosses Glück war es für ihn also, dass
er eine tüchtige Wirthschafterin und einen braven Verwalter fand,
welche sein bescheidenes Hauswesen, mit dem vermuthlich
eine kleine Oekonomie verbunden war, treu und umsichtig
leiteten. Mit vielem Humor, aber auch mit vieler Herzlich-
keit hat Petrarca ein Charakterbild seiner alten Wirthschafterin
entworfen, welches wir als so recht bezeichnend für seinen
auch in kleinen Dingen gemüthvollen Sinn und zugleich für
seine Darsteljungsgabe unsern Lesern nicht vorenthalten wollen.
„Wenn du meine Wirthschafterin sähest", schreibt er einem
Freunde 2), „so würdest du die libysche oder die äthiopische
^) Ep. poet. lat. I 7. v. 156 ff.
2) Ep. Farn. XIII. S.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Yaucluse. 135
Wüste zu erblicken glauben: so ausgedörrt und sonnenver-
brannt ist ihr Gesicht, da ist keine Spur mehr von Frische
und Saft vorhanden. Wahrscheinlich, wenn Helena ein solches
Gesicht gehabt hätte, Troja würde noch heute stehen, und.
wenn Lucretia und Virginia ebenso hässlich gewesen wären,
so wäre weder Tarquinius vertrieben w^orden noch Appius im
Kerker gestorljen. Aber, damit ich ihr nach dieser abschrecken-
den Personalbeschreibung das verdiente Lob des Charakters
nicht vorenthalte, so muss ich sagen: ihre Seele ist eben so
rein wie ihr Gesicht schwarz. Das Frauenzimmer ist wirklich
ein merkwürdiges Beispiel dafür, dass Hässlichkeit dem guten
Charakter keinen Eintrag thut, w^orüber ich vielleicht ein-
gehender sprechen würde, wenn nicht Seneca bereits in seinen
Briefen in Betreft' des Claranus diesen Punkt behandelt hätte.
Meine Wirthschafterin hat übrigens noch das Besondere, dass,
während doch Leibesschöuheit mehr ein Vorzug des weiblichen
als des männlichen Geschlechtes ist, sie den Mangel an der-
selben so wenig empfinden lässt, dass man ihre Hässlichkeit
beinahe wieder schön findet. Es gibt kein treueres, kein
anspruchsloseres, kein arbeitsameres Wesen, als sie ist. Bei
der brennendsten Sonnengluth, wenn selbst die Cicaden kaum
mehr die Hitze aushalten, bringt sie ganze Tage auf dem Felde
zu und verachtet mit ihrer zu Leder gewordenen Haut die
hochsommerlichen Sternbilder des Krebses und Löwen. Kommt
das Mütterchen dann spät Abends nach Hause zurück, so ist
ihr zusammengeschrumpftes, dürftiges Körperchen bei allen
möglichen häuslichen Geschäften noch so frisch und behend,
wie nur irgend ein junges Mädchen, wenn es eben aus dem
Bette kommt. Dabei murrt und klagt sie niemals und zeigt
auch keine Spuren geistiger Schwachheit, sondern sorgt für
ihren Mann und ihre Kinder, für mein Gesinde und die zu
mir kommenden Gäste mit unglaublicher Rührigkeit und mit
seltener Selbstaufopferung. Dies Weiblein mit so eisenfester
Gesundheit schläft auf einer blossen Streu auf dem Fussbodeu,
ihre fast einzige Speise ist grobes Brot, schwarz wie Erde,
und ihr fast einziges Getränk essigsaurer mit Wasser ge-
136 Drittes Capitel.
miscliter Wein. Setzt man ihr bessere Nahrung vor, so mundet
ihr dieselbe in Folge der langen Entwöhnung nicht einmal
mehr und widerlich erscheint ihr, was gut schmeckt.''
Nicht geringeres Lob spendet Petrarca seinem Gutsver-
walter, der zugleich die Dienste eines Bibliothekdieners versah.
„Es war", so charakterisirt er den treuen Diener, als derselbe
im Januar 1353 hochbetagt gestorben war^), „ein Mann aus
dem Bauernstande, aber von grösserem Geschicke und grösserer
Gewandtheit im Umgange, als mancher Städter besitzt. Ein
treueres Geschöpf als ihn hat, glaube ich, die Erde nie her-
vorgebracht. Was soll ich viel sagen? für die Ungeschick-
lichkeit und Untreue aller übrigen Diener, über welche ich
mich nicht nur tagtäglich mündlich beklage, sondern auch in
meinen Schriften mich zuweilen beklagt habe, hat er allein
durch seine vorzügliche Treue mich reichlich entschädigt. Ihm
konnte ich mich selbst und alle meine Habseligkeiten und
Bücher, die ich in Frankreich besitze, ruhig anvertrauen.
Obwol ich eine grosse Menge von Büchern in allen möglichen
Formaten, Miniaturbändchen sowol wie grosse Codices in
Folio, besitze, so dass bei dem Aufräumen der Bibliothek wol
leicht Verwirrung hätte entstehen können, so fand ich doch,
auch wenn ich zuweilen nach langer Abwesenheit heimkehrte,
nicht ein einziges Buch auf einen unrichtigen Platz gestellt
oder gar abhanden gekommen. Obwol er jeglicher wissen-
schaftlichen Bildung entbehrte, liebte er doch die Wissen-
schaften, und diejenigen Bücher, von denen er wusste, dass sie
mir vorzugsweise theuer seien, hütete er mit ganz besonderer
Sorgfalt. Ja, durch lange Uebung war er so weit gelangt,
dass er die Werke der alten Classiker mit Namen kannte und
auch meine eigenen Werkchen zu unterscheiden wusste. Er
strahlte immer vor Freuden, wenn ich ihm, wie das ja vor-
kommt, ein Buch übergab, um es an Ort und Stelle zu setzen,
er drückte dann seufzend das Buch an die Brust und nannte
wol auch leise den Namen des Verfassers. Wunderbar! durch
^) Ep. Fam. XVI 1. vgl. Ep. Sen. IX 2.
Die Wauderjabre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 137
die blosse Beriihrun.u' und den Anblick der Bücher glaubte er
gelehrter und glücklicher zu werden."
Petrarca gedachte noch in seinem Testamente des treuen
Dieners : er vermachte den Söhnen desselben sein Landgütchen
zu Vaucluse für den Fall, dass es für einen wohlthätigen Zweck
nicht verwendbar erscheine. Aus dem Testamente erfahren
wir auch den Namen und den Geburtsort des braven Mannes :
es war Raimund Monet aus Clermont,
Wenn Petrarca an einer der oben angeführten Stellen
seiner Briefe über die Einsamkeit seines Aufenthaltes in Vau-
cluse sich beklagt, so darf man das nicht zu buchstäblich ver-
stehen. Mit den Bewohnern von Vaucluse selbst freilich konnte
er in näheren Verkehr nicht treten, denn das waren einfache
Land-, Wein- und Oelbauern und Fischer ^), aber deshalb war
er doch nicht von allem menschlichen Umgange ausgeschlossen:
viel zu nahe lag ja Avignon , als dass nicht seine dort
wohnenden Freunde, vor allen Sokrates und Laelius, ihn häufig
in seiner ländlichen Zurückgezogenheit besucht haben sollten.
Ausserdem jedoch verstand es Petrarca, sich in noch grösserer
Nähe neue Freunde zu gewinnen. Es gehörte in kirchlicher
Beziehung Vaucluse zu dem Sprengel des Bischofs von Ca-
vaillon und es war daher für Petrarca, den Kleriker, eine ein-
fache Pflicht des gesellschaftlichen Anstandes, diesem geist-
lichen Würdenträger einen Besuch abzustatten. Er that dies
und die Folge davon war, dass zwischen beiden Männern ein
inniges, ihr ganzes Leben hindurch währendes Freundschafts-
band angeknüpft wurde. Bischof von Cavaillon war damals
Philipp von Cabassoles, der, als Sohn einer altangesehenen
Adelsfamilie im Jahre 1305 geboren, bereits im Jahre 1333,
also lange vor erreichtem canonischen Alter, zu dieser Würde
emporgestiegen war. Dank den engen Beziehungen, in denen
er zu dem angovinischen Königshause Neapels von Jugend an
gestanden hatte. Er sollte in der Folge noch eine weit glän-
zendere Laufbahn durchmessen. Durch Testamentsverfügimg
*) vgl. Ep. Farn. XI 12.
138 Drittes Capitel.
König Roberts wurde er nach dessen im Jahre 1343 erfolgtem
Tode als Reichsverweser nach Neapel berufen, in welcher Stel-
lung er freilich so wenig Erfreuliches erlebte, dass er ihr bereits
im December 1345 wieder entsagte. Später ward er wieder-
holt, in den Jahren 1352 und 1357, als päpstlicher Legat mit
wichtigen Gesandtschaftsreisen nach Deutschland betraut. Im
Jahre 1361 wurde er zum Patriarchen von Jerusalem, 1368
zum Verwalter der Marseiller Kirche und endlich am 22. üe-
cember desselben Jahres zum Cardinal erhoben, als welcher
er 1369 das Bisthum Sabina zuertheilt erhielt und 1371 von
Papst Gregor XI. mit der Verwaltung der Legationen Umbrien
und Sabina betraut wurde. Er starb 67 Jahre alt zu Perugia
am 27. August 1372 ^). Mit diesem ihm fast gleichalterigen
Manne also, den jedenfalls eine hohe geistige Begabung aus-
zeichnete, unterhielt Petrarca 's^ährend seines Aufenthaltes in
Vaucluse einen lel)haften und vertraulichen Verkehr -). Oft
besuchte Petrarca ihn ohne alle Förmlichkeit in dem alten und
stillen Cavaillon, wobei ihn wol gelegentlich sein Freund So-
krates begleitete ^). Oft auch kam der Bischof herüber nach
dem nahe gelegenen Vaucluse. Dann brachten die beiden
Freunde, in Gespräche über religiöse oder wissenschaftliche
Fragen versunken und Alles um sich her vergessend, wol den
ganzen Tag in den Wäldern oder an der Sorguequelle zu,
mitunter so verborgen in der Einsamkeit, dass die Diener um
die Mittagszeit vergebens sie aufzusuchen sich bemühten ; oder
sie sassen auch ganze Nächte hindurch, des Schlafes unein-
gedenk , bis zur Morgenröthe bei den Büchern und tauschten
in anregender Unterhaltung ihre Gedanken über das Gelesene
aus*). War aber zeitweilig und in den späteren Jahren auf
die Dauer ein solcher reger persönlicher Verkehr aus äusseren
Gründen nicht möglich, so ward er, so weit es geschehen
konnte, durch einen lebhaften Briefwechsel ersetzt und eine
^) diese Notizen nach Fracassetti, Lett. fani. I p. 324 f.
^) vgl. Ep. Var. 64.
^) vgl. Ep. Farn. VI 9.
*) Ep. Sen. Xm 11 und XV 4.
Die Wandeljahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 139
beträchtliche Anzahl der Briefe Petrarca's ist noch erhalten '),
Briefe, welche um so wichtiger und interessanter sind, als
gerade in ihnen Petrarca dem Freunde über sein innerstes
Denken und Fühlen Aufschluss gibt mit einer Aufrichtigkeit,
welche sich in gleichem Maasse höchstens in den Briefen an
Sokrates, Laelius und Giacomo Colonna wiederfindet. Nicht
minder lebhaft war der litterarische Verkehr der beiden Freunde.
Dem Bischof von Cavaillon, damals freilich schon zum Patri-
archen von Jerusalem erhoben, widmete Petrarca sein grosses
Werk über die Einsamkeit -'), in welchem Buche er Gelegenheit
nahm, die Annehmlichkeiten des Lebens in Cavaillon zu schil-
dern und den Schutzpatron der Stadt, den heiligen Veranus,
zu preisen ^) ; ihm, dem Bischof, übersandte er auch, seine zum
Preise von Vaucluse verfassten Verse ^) sowie sein Gedicht
auf die heilige Margarethe ^). Der Bischof dagegen interessirte
sich auf das Lebhafteste für Alles, was Petrarca schrieb, und.
wenn er, wie mitunter geschah, in dessen Abwesenheit nach
Vaucluse kam und der Diener ihm im Bibliothekzimmer etwa
Handschriften des Plato oder Cicero zur Leetüre vorlegte, so
wies er diese zurück und verlangte Petrarca"s neueste Schriften
zu sehen •■). An dem ihm gewidmeten Buche über das Leben
in der Einsamkeit aber fand er ein solches Gefallen, dass er
sich sogar bei Tische daraus vorlesen liess^). Man kann leicht
ermessen, wie gross Petrarca's Schmerz war, als er, vermuth-
lich im Jahre 1368, das, sich freilich bald als irrig erweisende.
Gerücht von des alten Freundes Tod vernehmen musste ^).
1) Ep. Fam. II 1. VI 9. XI 4. 10. 11. 15. XII 6. XV 11. 12. 13.
XXII 5. XXIV 1. Sen. VI 5. 9. XI 15. XIII 11. XV 14. 15. XVI 4.
Var. 41. 55. 64. Ausserdem richtete Petrarca an den Bischof wenigstens
eine, vermuthlich aber mehrere der Epistolae sine titulo, vgl. Ep. Fam.
XV 12.
-) Vit. Sol. praef. und Ep. Sen. YL 5.
^) Vit. Sol. II 10, 2.
*} Ep. Fam. XI 4.
ß) Ep. Sen. XIV 15 (17).
<*) Vit. Sol. II 10, 1.
') Ep. Sen. XIII 11.
«) Ep. Sen. XI 3.
140 Drittes Capitel.
Bischof Philipp war nicht der einzige Freund, den Petrarca
in Cavaillon fand, er traf viehnehr als Propst der dortigen
Kirche einen alten Jugendgenossen wieder, Pontius Simson
(Sansonio), den er als einen durch Charakterstärke und litte-
rarische Bildung gleich ausgezeichneten Mann schildert^). In-
dessen scheinen seine Beziehungen zu ihm weniger intimer
Natur gewesen zu sein, denn die beiden einzigen Briefe, welche
er, soviel wir wissen, an ihn gerichtet hat 2), sind im Wesent-
lichen nur Höflichkeitsschreiben.
Die Jahre, welche Petrarca zu Vaucluse inmitten einer
lieblichen Natur und eines traulichen Freundeskreises und im
Yollgenusse seiner Kraft verlebte, waren jedenfalls die glück-
lichsten seines Lebens und sie waren zugleich die Jahre seines
fruchtbarsten litteraiischen und dichterischen Schaffens. Damals
begann er, wie er selbst berichtet ^) und worauf wir sehr bald
ausführlicher werden zurückkommen müssen, seine „Afiica",
in Vaucluse schrieb er einen grossen Theil seiner Briefe in
gebundener und ungebundener Rede, dort veifasste er, und
zwar in unglaublich kurzer Zeit, fast seine sämmtlichen Eklogen,
dort fasste er den Gedanken, das grosse Werk „über die be-
rühmten Männer" zu schreiben, dort entwarf er in ihren Um-
rissen die Schriften über „die Müsse der Mönche" und „über
das Leben in der Einsamkeit", dort endlich entstanden die
meisten seiner italienischen Liebeslieder, denn eben die Ein-
samkeit, von welcher er die Heilung seiner Leidenschaft erhoift
hatte, entflammte dieselbe aufs Neue. So hat er denn seinem
eigenen Geständnisse nach in Vaucluse allein mehr producirt,
als an allen den zahlreichen anderen Orten, an denen er vor-
her oder nachher sich aufgehalten, zusammengenommen. Am
liebsten arbeitete er in dem an der Sorguequelle gelegenen
Gärtchen bei dem Murmeln der Wellen und beschattet von
überhangenden Felsen"*;, Wol kann man es begi-eifen, dass
1) Vit. Soi. n 10, 1.
2) Ep. Fam. XIV 8 und XV 10.
3) Ep. Fam. VIH 3.
<) Vit. Sol. II 10, 2 und de otio relig. II p. 358.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 141
er sich im späteren Leben immer und immer wieder nach
Vaucluse zurücksehnte und seine alten Tage dort zu verbringen
wünschte i), ein Wunsch, dessen Erfüllung ihm freilieh versagt
bleiben sollte. Nicht wenig auch mochte zur Annehmlichkeit
des Aufenthaltes in Vaucluse beitragen, dass damals dort —
ein im vierzehnten Jahrhundert nicht eben häufig anzutreffender
Zustand — der tiefste Friede, die grösste Sicherheit des Eigen-
thums herrschte und selbst von wilden Thieren keinerlei Ge-
fahr drohte ^j. Völlig ungefährdet konnte Petrarca selbst in
der Nacht und selbst auf den einsamsten Pfaden der umlie-
genden romantischen Wildniss Spaziergänge unternehmen:
keines Räubers oder Mörders Angriff hatte er zu befürchten
und völlig sorglos durfte er seinen Gedanken und Phantasien
sich hingeben; der grosse Hund, den ihm der Cardinal Giovanni
geschenkt hatte, erwies ihm höchstens den Dienst, dass er
die Landleute fern hielt, welche sich sonst wol zuweilen dem
Dichter zu nahen und ihn in vielleicht manchmal zudringlicher
Weise um seinen Rath über Familienangelegenheiten zu bitten
pflegten^). Eigenthümlich genug war es, dass diese fried-
lichen Zustände sich zum Bösen änderten, sobald Petrarca
Vaucluse dauernd verlassen hatte (1353): es schien, als wenn
mit ihm auch der gute Genius des Ortes geschieden sei.^ Diebs-
banden und Wölfe machten seitdem das stille Thal unsicher
und am W^eihnachtstage, vermuthlich des Jahres 1353^), wagten
es Räuber, das verlassene Häuschen des Dichters auszuplündera
und in Brand zu stecken^).
So lebte denn Petrarca zu Vaucluse ein theils dem Ge-
nüsse der Natur und dem geselligen Verkehre, theils ernsten
Studien und der Poesie gewidmetes Leben, ganz ähnlich, wie
einst etwa Cicero auf seinem Tusculum gelebt haben mag, oder
auch wie so manche moderne Dichter und Denker — man
1) Ep. Farn. XVII 5 und XXII 5.
2) Ep. Sen. X 2.
^1 vgl. Ep. poet. lat. HI 5.
*) vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 306.
5) Ep. Sen. X 2. Yar. 25.
142 Drittes Capitel.
erinnere sich z. B. an Voltaires Aufenthalt zu Ferney am
Genfersee oder auch an Schiller's Sommerfrischen in Gohlis und
Loschwitz — kürzere oder längere Villeggiaturen gehalten und
während derselben sich vorzugsweise zum geistigen Schaffen
angeregt gefühlt haben. Wir Menschen der Neuzeit sind völlig
daran gewöhnt und halten es für etw^as ganz Selbstverständ-
liches, dass litterarisch thätige, überhaupt geistig arbeitende
Männer sich aus dem Gewühle des städtischen Lebens zeit-
weilig oder dauernd in die ländliche Stille zurückziehen, und
wir möchten daher leicht geneigt sein, der Handlungsweise
Petrarca's, als er aus Avignon nach Vaucluse übersiedelte,
keine tiefere Bedeutung beizumessen. Anders aber, ganz
anders wird unser Urtheil sich gestalten müssen, wenn wir
uns, wie nöthig, in die Denkweise der Zeitgenossen Petrarca's,
also der Menschen des Mittelalters, versetzen, wir werden
dann erkennen, dass Petrarca durch seine scheinbar so harm-
lose üebersiedelung in das Sorguethal, ebenso wie früher durcli
seine Besteigung des Moni Ventoux, völlig herauszutreten wagte
aus der Gedanken- und Empfindungssphäre seiner Zeit und
sich als der erste moderne Mensch bekundete. Ebenso wenig
— wir haben das ja früher erörtert ^) — wie für die Schönheit
der Landschaft besass der mittelalterliche Mensch für die Pteize
des Landlebens Empfänglichkeit und Verständniss: er lebte
auf dem Lande nur aus wirthschaftlichen oder allenfalls, etwa
in Zeiten der Pest, aus hygienischen Gründen; blieb ihm die
freie Wahl des Wohnsitzes überlassen, so zog er es vor, sich
in enge Stadtmauern einzupferchen. Wir enthalten uns in-
dessen hier weiterer Betrachtungen über diese culturgeschicht-
lich so interessante Frage, um dieselbe für einen späteren
geeigneteren Ort aufzubewahren.
Als wir oben (S. 129 f.) die Gründe besprachen, durch
welche Petrarca zum Verlassen Avignons bestimmt worden zu
sein scheint, haben wir absichtlich ein Ereigniss verschwiegen,
aus welchem mehrere neuere Biographen sogar die Nothwen-
^) vgl. S. 105 ff.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 143
digkeit haben fol.Liern wollen, dass er sich für einige Zeit aus
der päpstlichen Residenz habe zurückziehen müssen. Petrarca
war in eben dem Jahre 1337 Vater eines Sohnes geworden^).
Wer die Mutter dieses Knaben gewesen , ist völlig unbekannt,
und nur das Eine wissen wir, dass es eine ledige Frau war, denn
in der von Papst Clemens VI. am 9. September 1348 ausgestellten
Bulle, durch welche Petrarca's Sohn legitimirt wurde, wird sie
ausdrücklich als solche (,,soluta") bezeichnet -). Vermuthlich war
es dieselbe Frau, welche einige Jahre später, wahrscheinlich im
Jahre 1343^), ihm auch eine Tochter gebar und vermuthlich
ebenfalls dieselbe, welche im Jahre 1351, als Petrarca das
Verhältniss mit ihr abgebroche* hatte und nach mehrjähriger
Abwesenheit aus Italien nach Avignon und Vaucluse zurück-
kehrte, vergebens ihre alten Rechte geltend zu machen suchte ^).
Wir haben wol alles Recht , zu glauben , dass dieses Weib
einer sehr niedrig stehenden Classe von Frauen angehörte und
dass Petrarca bei ihr eben Nichts suchte, als Befriedigung
seiner sinnlichen Leidenschaft, denn würden sich nicht, wenn
sein Herz bei diesem Verhältniss betheiligt gewesen wäre,
Zeugnisse dafür in seinen Werken, namentlich auch in seinen
Liedern auffinden lassen? Die Bekanntschaft dieser Frau
machte er jedenfalls in Avignon, wo feile ]\Iädchen zweifels-
ohne in Ueberfluss sich fanden; nach Vaucluse aber ist die
Buhlerin sicherlich nie gekommen s). Dieses ganze unsittliche
^) Zeitbestimmung nach Ep. Sen. I 3, wo Petrarca angibt, dass er
schon sieben Jahre vor der Geburt seines Sohnes mit Sokrates sich be-
freundet habe; letzteres aber war. im Jahre 1330 geschehen.
-) de Sade, II pieces. justif. no. 19., vgl. Fracassetti, Lett. iam. II
p. 256 f.
^) vgl. Fracassetti, ibid. p. 260.
*) Ep. Fam. IX 3.
^) Wenn Carriere, die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung
(Leipzig 1868) III 2 p. 496 sagt: „Petrarca tröstete sich über das versagte
Glück in Laura's Armen durch eine wilde Ehe auf dem Lande", so ist
das schon deshalb falsch, weil Petrarca frühestens im Herbst 1337 nach
Vaucluse übersiedelte, die Geburt seines Sohnes aber aus naheliegenden
Gründen (man bedenke, dass er im Winter 1336 nach Italien gereist war!)
früher erfolgt sein muss. Eine Maitressenwirthschaft in Vaucluse anzu-
nehmen, haben wir auch nicht die leiseste Berechtigung.
144 Drittes Capitel.
Verhältniss wirft unleugbar einen hässUclien Flecken auf den
Charakter Petrarca's und als besonders unedel und verwerflich
muss es uns erscheinen, dass er die Mutter seiner Kinder, welche
— möge sie sonst auch noch so wenig achtungswerth gewesen
sein — in dieser Eigenschaft doch gewiss ein Anrecht auf
seine Neigung und Achtung besass, consequent verleugnet und
später in harter Weise Verstössen zu haben scheint. Eine
Rechtfertigung ist hier unmöglich und höchstens durch das
feurige und sinnliche Temperament, welches zu besitzen Pe-
trarca oft beklagte ^) und welches er erst im reiferen Mannes-
alter zu bändigen vermochte, kann sein Fehltritt einigermaassen
entschuldigt werden und als «eine verzeihliche menschliche
Schwäche erscheinen.
Indessen die sittliche Anschauungsweise der damaligen
Zeit war von der unseren in dieser Beziehung sehr verschieden.
Niemand nahm damals an derartigen unmoralischen Verhält-
nissen, sogar wenn dadurch ein Ehebruch begangen wurde, ein
ernstes Aergerniss, und selbst die Kirche, so sehr sie natürlich
auch in der Theorie gegen dergleichen Vorkommnisse eifern
und sie mit den kräftigsten Ausdrücken benennen mochte, sah
doch in der Praxis über menschliche Schwächen ihrer Diener
gern hinweg und war sich bewusst, dass die schweren Pflichten
des Cölibats nur von wenigen Auserwählten wirklich erfüllt
werden können. Uns muss — um von dem Lauraverehrer
Petrarca ganz zu schweigen, da wir diesen Punkt einer spä-
teren Besprechung vorbehalten wollen — der Mensch und
Priester Petrarca, welcher mit einer Buhlerin Jahre lang Be-
ziehungen unterhält und mehrere Kinder mit ihr zeugt, gewiss
in einem sehr fragwürdigen und wenig erbaulichen Lichte er-
scheinen, die Zeitgenossen dagegen, welche tagtäglich viel
ärgere Dinge in geistlichen Kreisen sich abspielen sahen, nahmen
an einem so menschlich einfachen Vergehen eines Priesters
nicht den geringsten Anstoss. Es erhellt dies schon daraus,
dass, obwol Petrarca's doppelte Vaterschaft sicherlich ein
1) z. B. Ep. ad post. p. 2.
Die "Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 145
offenkundiges Geheimniss war, doch auch seine erbittertesten
Feinde darauf niemals eine Anklage gegen seine Sittlichkeit
zu begründen versucht haben, während sie sonst alle möglichen
und unmöglichen Beschuldigungen gegen ihn zu schleudern
kein Bedenken trugen. Auch Petrarca selbst, der es doch
meisterhaft verstand, sich mit religiösen und moralischen Scrupeln
selbst zu peinigen, scheint sich wegen des Bruches des Cöli-
bates nie irgend welche Gewissensbisse gemacht zu haben,
denn in der so aufrichtigen Selbstbeichte, welche er in seiner
Schrift „über die Verachtung der Welt" ablegt, gedenkt er
dieses Vergehens nicht mit einem einzigen Worte, während er
der durch seine Liebe zu Laura seiner Meinung nach began-
genen Gedankensünde lange Seiten widmet. Nach alledem ist
es höchst unwahrscheinlich, dass, wie z. B. Blanc vermuthet ^),
„das durch die Geburt seines Sohnes erregte nachtheilige Ur-
theil der Welt dazu beigetragen habe, ihm die Entfernung aus
Avignon wünsch enswerth zu machen."
Petrarca erlebte übrigens, wie wir später eingehender be-
richten werden, an seinem Sohne, dessen Erziehung er selbst
übernahm, wenig Freude und es bestätigte sich an ihm wieder
einmal die oft gemachte Erfahrung, dass berühmte Männer
missrathene und geistig verkommene Söhne haben. Zu einem
grossen Theile trug Petrarca gewiss selbst die Schuld dai-an,
denn er war, das dürfte nicht zu bezweifeln sein, der unge-
eigneteste Erzieher, der sich nur denken lässt. Immer nur
mit seinen eigenen Gedanken und Phantasien, litterarischen
Entwürfen und Arbeiten beschäftigt, widmete er der Erziehung
und dem Unterrichte des Knaben gewiss nur kärglich zuge-
messene und zusammenhangslose Stunden, konnte in Folge
dessen keine nachhaltigen Erfolge erzielen und Hess sich da-
durch wiederum, wie das ja der gewöhnhche Fehler unge-
schickter Erzieher ist, zur Heftigkeit hinreissen und zur un-
gerechten Beurtheilung und Behandlung seines Zöglings be-
stimmen. Auch das unstäte Wanderleben, welches er später
^) in Ersch und Grubers Encyklopädie Sect. III, Th. 19 p. 213.
Körting, Petrarca. 10
146 ■ Drittes Capitel.
mehrere Jahre hindurch führte, und der dadurch bedingte
häufige Wechsel seines Aufenthaltes mochten viel dazu bei-
tragen, eine planmilssige und gedeihliche Erziehung unmöglich
zu machen und, als er dann endlich den Knaben fremder Für-
sorge anzuvertrauen sich entschloss, war es bereits zu spät
und das Versäumte nicht mehr wieder gut zu machen.
In weit erfreulicherer Weise als Petrarca's Sohn Giovanni
entwickelte sich seine Tochter Francesca, weil er vermuthlich
deren Erziehung von vornherein sachkundigen Händen über-
geben hatte.
Indem wir nun die Erzählung des äusseren Lebensganges
Petrarca's wieder aufnehmen, haben wir zunächst einer kleinen
Reise zu gedenken, welche er ungefähr ein Jahr nach seiner
Uebersiedelung nach Vaucluse unternahm und welche, wenn
solche Kürze des Ausdruckes gestattet ist, zu der modernen
Besteigung des Mont Ventoux das mittelalterliche Gegenstütk
bildet, so dass Avir in einer Gesammtbetrachtung dieser beiden
Ausflüge so recht deutlich Petrarca's halb mittelalterliche halb
moderne Doppelnatur zu erkennen vermögen.
Gegen Ende des Jahres 1338 war, um mit dem Papste
in einer kirchlichen Angelegenheit zu verhandeln, der letzte
souveraine Dauphin, Humbert IL, eine der originellsten Cha-
raktergestalten unter den Fürsten des ganzen Mittelalters '),
nach .^vignon gekommen. Sei es nun, dass er Petrarca, dessen
Dichterruhm sich schon weiter verbreitet haben mochte, in
Vaucluse aufgesucht, sei es, dass er ihn zufällig in Avignon
kennen gelernt hatte, — genug, er befreundete sich mit ihm
und forderte ihn auf, ihn auf einer Wallfahrt nach der Grotte
von Ste. Baume bei Marseille, in welcher einer alten Tradition
zufolge die heilige Maria Magdalena ihre letzten Lebensjahre
zugebracht haben soll ^), zu begleiten. Petrarca leistete, obwol
der Dauphin, von dessen geistiger Begabung er keine sonder-
^) vgl. Christophe, a. a. 0. II p. 10 f.
-) vgl. über diese Legende die eingehende Untersucluing von Matthias
Thorz, die heilige Maria Magdalena (Troppau 1866), p. 187 ff.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 147
lieh günstige Meinung liesass, -ihm sehr wenig sympathisch war,
doch, weil der Cardinal Giovanni Colonna es wünschte, dieser
Aiifforderang Folge und verbrachte, wie er selbst gesteht, unter
herzlicher Langweile drei Tage und drei Nächte mit dem
Fürsten in dieser Grotte oder in deren Umgebung, die Zeit,
welche die Andachtsübungen übrig Hessen , damit ausfüllend,
dass er seine abwesenden Freunde sich leibhaftig zu vergegen-
wärtigen suchte und dass er ein lateinisches Gedicht von sieben-
unddreissig Hexametern auf die heilige Magdalena verfasste,
womit er den Bischof Philipp von Cavaillon, der dieser Heiligen
eine besondere Verehrung widmete, erfreuen wollte. Es ver-
gingen indessen lange Jahre, ehe er es ihm übersandte, ver-
muthlich weil ihm der Pergamentstreifen abhanden gekommen
war; erst im Jahre 1372 fand er ihn, halbzerrissen und ver-
stäubt, wieder auf und schickte ihn nun endlich mit einem
Briefe, welchem die vorstehenden Angaben entnommen sind^),
an Philipp ab.
Die ferneren Schicksale des Fürsten, als dessen Begleiter
Petrarca die Wallfahrt nach Ste. Baume unternommen hatte,
waren zu seltsam, als dass wir ihrer nicht in aller Kürze ge-
denken sollten. Der im Jahre 1339 zwischen Philipp VI. von
Frankreich und Eduard HI. von England, welcher letztere mit
dem deutschen Kaiser verbündet war, ausgebrochene Krieg ver-
setzte den Dauphin , der gleichzeitig des französischen Königs
und des deutschen Kaisers Vassall war, in die misslichste Lage.
Nicht wissend, welchem seiner beiden Lehnsherren er den
schuldigen Kriegsbeistand leisten sollte, zog er es vor, voll-
ständigste Neutralität zu beobachten und vergebens war es,
dass Petrarca, welcher wie alle gut päpstlich gesinnten Kle-
riker in diesem Kampfe französische Sympathien hatte, ihn
durch einen höchst pathetischen Briefe) zum Kampfe gegen
die Engländer aufforderte. Den verderblichen Folgen, welche
seine passive Politik für ihn etwa hätte haben können, ent-
Ep. Sen. XIV 17 (b. Fracassetti XV 15)
Ep. Farn. III 10.
10^
148 Drittes Capitel.
ging Humbert dadurch, dass er im Jahre 1349 seine Staaten
dem Könige von Frankreich abtrat, nachdem er bereits sechs
Jahre vorher diesem die (indireete) Nachfolge zugesichert hatte.
Er selbst trat in ein Dominicanerkloster ein und Hess sich am
Weihnachtstage 1351 alle sieben Weihen hinter einander er-
theilen, worauf er nach Verlauf von nur acht Tagen zum
Bischof und Patriarchen von Alessandria erhoben wurde. Im
Besitze dieser Würde endete er bereits am 22. März 1355.
erst dreiundvierzig Jahre alt, sein seltsam bewegtes Leben i).
In demselben Jahre, in welchem Petrarca mit dem Dau-
phin bekannt geworden, sollte er noch in Beziehungen mit
einem anderen Fürsten treten, welche ihn mit weit grösserer
Befriedigung erfüllten und weit glänzendere Fracht ihm trugen.
Petrarca's Landesherr war, wie wir bereits früher einmal
erwähnten (vgl. S. 60), als Graf der Provence der König Robert
von Neapel, der damals, im Jahre 1338, bereits hochbetagt
war und auf eine nahezu dreissigj ährige Regierung zurück-
blickte. Mag man vom politischen Standpunkte aus vielleicht
über diesen Fürsten ein nicht ganz günstiges Urtheil fällen
müssen, ein unbedeutender Mann war er, der Jahrzehende
hindurch die Guelfen Italiens mit Energie und Klugheit leitete,
keinesfalls und das reiche Lob, welches Petrarca den glänzen-
den Eigenschaften seines Geistes und Herzens spendet 2), ist,
wenn auch gewiss als übertrieben, so doch mit Nichten als der
werthlose Ausdruck einer unwürdigen Schmeichelei zu be-
trachten, wie unseres Erachtens schon dadurch bewiesen wird,
dass der grösste Theil der betreffenden Stellen erst lauge
Jahre nach Roberts Tode geschrieben worden ist. Der Ruhm,
ein Freund und Gönner der Wissenschaften und Künste ge-
wesen zu sein, gebührt dem Könige trotz aller Einwendungen,
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 438 und die dort angeführten
Belegstellen.
2) Ep. Fam. I 1. III 7. IV 2. 3. 7. Ep. poet. lat. H 7 v. 1-21. II 9.
II 11 V. 92 ff. Ecl. II. Rer, mem. 12, 2. EI p. 513. Afr. prooem.
Trionf. della fama 11 v. 160. u. s. w.
«
Die "Wanderjalire der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. ]49
die man dagegen erheben mag^) und welche schliesslich doch
nichts wesentlich Anderes besagen, als dass der König in seinem
Mäcenatenthume nicht jene Munificenz entfaltet hat, welche
z. B. einen Lorenzo de'Medici oder Ludwig XIV. auszeichnete.
Will man aber gerecht urtheilen, so darf man Robert in dieser
Beziehung nicht mit dem Maassstabe späterer Zeiten messen,
sondern muss sieh erinnern, dass ihm eben nur die erste
Morgenröthe der Renaissance zu schauen vergönnt war. Wahr-
liaft gross und acht königlich ist jedenfalls gewesen, was er
an Petrarca gethan hat, als er ihn zur Dichterkrönung mit
dem eigenen Purpurmantel bekleidete. Ein Fürst, der also
handelte, verstand es, geistige Grösse zu ehren, wenn auch
vielleicht nicht, sie zu besolden.
Petrarca hatte von Jugend auf den König Robert be-
wundert: schon in dem ersten seiner uns erhaltenen Briefe,
den er wahrscheinlich im Jahre 1325 noch als Student in
Bologna schrieb, preist er Neapel als glücklich und beneidens-
werth ob des Besitzes eines solchen Fürsten, durch welchen
es zu einer hehren Burg der Wissenschaften erhoben werde.
In irgend welche Beziehungen mit dem gefeierten Monarchen,
dei- zugleich sein Landesherr war, zu treten war ihm indessen
nicht vergönnt gewesen und vennuthlich kannte er ihn bis zum
Jahre 1341 nicht einmal von Angesicht. Allerdings hatte
Robert während der Jahre 1318 — 1324 in Avignon residirt
und hatte in dieser Zeit auch einmal mit seiner Gattin Saneia
und seiner Enkelin Clemenza ein ländliches Fest in Vaucluse
gefeiert und zum Angedenken dieses Tages daselbst eine Pappel
gepflanzt 2), aber Petrarca M-eilte ja gerade damals, seinen
Studien obliegend, fern von Avignon und Vaucluse in Mont-
pellier und Bologna.
Wie erfreut musste demnach Petrarca sein und wie hoch-
geehrt musste er sich fühlen, als ihm im Jahre 1338 der
1) vgl. Landau, Boccaccio, p. 8 f. Ueber Koberts angebliche Ver-
achtung der Poesie vgl. S. 164.
") Ep. poet. lat. I 4.
150 Drittes Capitel.
König die (vermuthlich poetische) Grabschrift zusandte, welche
er, der König selbst, für seine im Jahre 1328 verstorbene
Enkelin Clemenza, AVittwe des französischen Königs Ludwig X..
verfasst hatte, und ihn um die Beurtheilung derselben bat.
Man wird es dem äusseren Anerkennungen sehr zugänghchen
Dichter, dem in solcher Weise geschmeichelt wurde, gewiss
verzeihen diiifen , wenn er in seinem Antwortsschreiben ^)
überschwänglicher Ausdrücke sich bediente. „Ein ungewohnter
Glanz", so begann er dasselbe, „hat mein Auge geblendet!
Glückselig die Feder, welcher solche Worte anvertraut wurdenl
Was soll ich zuerst bewundern? die classische Kürze des Aus-
druckes oder die Erhabenheit der Gedanken oder die göttliche
Anmuth der Beredtsamkeit? Niemals, o mhmvoller König,
habe ich geglaubt, dass ein so erhabener Gegenstand mit
solcher Kürze, Würde und Formenschönheit behandelt werden
könne: etwas Derartiges erwartete ich nimmer von einem mensch-
lichen Geiste."
Strenge Moralisten mögen über solches rhetorisches Ueber-
maass des gespendeten Lobes bedauernd die Achsel zucken
und als über einen feilen Schmeichler den Stab über den
brechen, der solche Worte schrieb. Wir thuen es nicht, sondern
erblicken — ohne freilich die Thatsache der Schmeichelei
schlechterdings in Abrede stellen zu wollen — in den über-
reichen Lobeserhebungen, welche der Dichter seinem könig-
lichen Gönner zollte, den Ausdrack einer edlen und aufrichtigen
Begeisterung für einen hochherzigen Monarchen, der seinen
Zeitgenossen als das verkörperte Ideal eines Fürsten erschien.
Da man füglich nicht annehmen kann, dass Petrarea's
Dichterruhm im Jahre 1338 bereits bedeutend genug gewesen
sei, um auf den eigenen Schwingen bis nach Neapel getragen
zu werden, so muss man fi-agen, wem das Verdienst gebühre,
König Roberts Aufmerksamkeit zuerst auf den Dichter hin-
gelenkt zu haben. Wenn nicht Alles trügt, so besitzt den be-
rechtigtesten Anspruch darauf Petrarea's väterlicher Freund
») Ep. Fam. IV 3.
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 151
Dionisio da Borgo San Sepolcro, welcher im Jahre 1338, nach-
dem er von seinem Lehramte an der Pariser Hochschule zur
liickgetreten und auf der Durchreise nach Italien in Avignon
und Vaucluse gewesen war ^) , zu Neapel am Hofe des Königs
lebte, der ihn im März 1339 zum Bischof von Monopoli er-
nannte.
"Wenn einem Manne eine ehrende Anerkennung von be-
währter Seite zu Theil wird und er bei aufrichtiger Selbst-
prüfung sich eingestehen muss, dass dieselbe noch keine voll-
verdiente ist und dass sie weit mehr dem gilt, was man von
ihm erst erhofft, als dem, was er bereits geleistet, so wird da-
durch sein Charakter auf eine ernste Probe gestellt. Minder
edle Naturen lassen sich durch solche Anerkennung leicht zur
Selbstüberschätzung und zum Stolze verleiten und meinen, in
ihr einen sie zur Trägheit und zum Ausruhen auf den er-
rungenen Lorbeeren berechtigenden Freibrief erhalten zu haben,
während wirklich tüchtige Charaktere in ihr nur einen Sporn
zu erneutem Vorwärtsstreben und zu verdoppelter Anstrengung
erblicken.
Es ist demnach ein vollgültiger Beweis für die innere
Tüchtigkeit und den Seelenadel Petrarca's, dass der ihm so
hohe Ehre spendende Brief König Roberts für ihn nicht zu
einem Faulbette w^urde, sondern dass er ihn als eine Mahnung
betrachtete, fortan nach den höchsten Zielen zu ringen. Man
darf von dem Briefe König Pvoberts ab eine neue Periode der
inneren Entwickelung Petrarca's datiren: erst jetzt ward er sich
seiner vollen Kraft bewusst, erst jetzt ahnte er, dass er eine
weltgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen habe, erst jetzt schaute
er die beseeligenden Ideale, welche fortan ihn durch das Leben
begleiten sollten. Ohne des Königs Brief wäre er vermuthlich
^) Fracassetti in der „Cronologia comparata etc." (Lett. fam. 1 p.' 169)
setzt den Besuch Dionisio's in Avignon in das Jahr 1339, er übersieht
aber hierbei, dass der an Dionisio gerichtete Brief Ep. Fam. IV 2, welcher
höchst wahrscheinlich am 4. Januar 1889 geschrieben wurde (vgl. Lett.
lam. I p. 503), bereits auf den Aufenthalt Dionisio's an dem königlichen
Hofe zu Neapel Bezug nimmt.
152 Drittes Capitel.
aufgegangen in dem geschäftigen Müssiggange zu Vaucluse,
würde sich nie über den Dilettantismus erhoben und der Nach-
welt Nichts weiter Mnterlassen haben als ein fragmentarisches
Liederbuch und vielleicht die Tractate über das Leben in der
Einsamkeit und über die Müsse der Mönche, der grosse Humanist
aber, der Erwecker einer alten und zugleich der Begründer
einer neuen Culturform, der Vater der Renaissance wäre er
gewiss nie geworden, sondern einer ihrer vielen Vorläufer ge-
blieben. Der Brief König Roberts war der zündende Funke,
der Petrarca's Geist erglühen Hess in der flammenden Sehn-
sucht nach dem Ruhme der Unsterblichkeit und ihm das
dämmernde Halbbewusstsein der eigenen Kraft zum klaren
Bewusstsein erhellte.
Zwei Wege, welche die Unsterblichkeit verjiiessen, standen
der individuellen geistigen Begabung Petrarca's offen: als Ziel
des einen winkte der Lorbeerkranz des Dichters, der andere
versprach ihm den vielleicht noch höheren Ruhm einer all-
umfassenden Gelehrsamkeit. Es zeugt von der geistigen Voll-
kraft Petrarca's, dass er beide Wege gleichzeitig zu wandeln
und nach dem vereinten Ruhme eines Virgil und eines Varro
zu streben wagte. Ein freundliches Geschick aber hat es ihm
vergönnt, dass das Urtheil der Nachwelt wirklich beide Ruhmes-
kränze, wenn auch freilich nicht ganz so blüthenreich , wie er
sie erträumt hatte, auf seinem Haupte vereinigt.
Durch welche Dichtung er den Ruhm eines Virgil sich
erringen wollte, das zu berichten müssen wir uns füglich für
das nächste Capitel, zu welchem wir in Bälde übergehen wer-
den, vorbehalten. Hier werde nur noch erzählt, welch' neuen
Ruhm er auf dem Gebiete des Wissens, freilich leider ver-
gebens, für sich erstrebte.
Petrarca wollte das classische Alterthum ganz und voll
erfassen und in sich aufnehmen, indessen nur in Bezug auf das
römische fand er für sein edles Streben die Pfade einiger-
maassen geebnet: die lateinische Sprache in einem seltenen
Grade der Vollkommenheit zu erlernen, war ihm durch den
Jugendunterricht, dessen er sich erfreut hatte, ermög-
Die Wanderjahre der Jugend und die ersten Jahre in Vaucluse. 153
licht worden, die bedeutenderen Werke der römischen Schrift-
steller und Dichter waren ihm entweder von vornherein leicht
zugänglich oder doch seinem Spürsinne auffindbar gewesen
und selbst ein längeres Verweilen auf den Trümmerstätten
altrömischer Herrlichkeit hatte die Gunst der Verhältnisse
ihm gewährt. Das griechische Alterthum dagegen war ihm
verschlossen, so lange er die Kenntniss griechischer Sprache
nicht besass und dieselbe sich zu erwerben hing bei den da-
maligen Verhältnissen nicht von seinem Willen allein ab, ja
musste fast als eine Unmöglichkeit erscheinen. Da schien
plötzlich ein gütiges Schicksal das vermeintlich Unmögliche
ihm doch ermöglichen zu wollen. Als Gesandter des griechischen
Kaisers Andronicus kam im Jahre 1339 der Abt des Erlöser-
klosters in Constantinopel Barlaam, ein hochgelehrter Mann i),
nach Avignon, um mit dem Papste über die Wiedervereinigung
der getrennten griechischen und lateinischen Kirche zu ver-
handeln und dadurch dem von den Muselmanen bedrängten
Byzanz den Beistand des Abendlandes zu gewinnen ^). Petrarca
nutzte die Gelegenheit und Hess sich von dem byzantinischen
Mönche Unterweisung in der griechischen Sprache ertheilen,
welche indessen in Folge der schon nach wenigen Monaten
erfolgten Abreise des Lehrers nach dem Oriente viel zu km*ze
Zeit währte, als dass sie hätte erfolgreich sein können. Barlaam
kehrte allerdings, des theologischen Gezänkes mit den Palamiten
über das heilige Licht müde, bereits im Jahre 1342 aus
Constantinopel nach Avignon zurück, und begann aufs Neue
Petrarca zu unterrichten, aber auch dieser zweite Aufenthalt
war nur von kurzer Dauer, indem Petrarca selbst, in edel-
müthiger Weise die eigenen Interessen vergessend, seinen Ein-
fluss bei der Curie dazu verwandte, dass seinem zur römischen
Kirche übergetretenen Lehrer der Bischofsstuhl von Geraci
verliehen wurdet). Dort in seinem Heimathslande — denn
^) vgl. Boccaccio, de genealog. deor. XV 6.
-} vgl. Christophe, a. a. 0. II p. 54.
^) Ep. Farn. XVIII 2. Ueher Barlaam vergleiche sonst noch Ep. Sen.
XI 9 und de sui ips. et mult. ign. p. 1162.
154 Drittes Capitel. Die "Wanderjahre d. Jugeod u. d. ersten Jahre in Vauclu se .
er war in der griechischen Colonie Seminara in der Nähe von
Reggio geboren worden — starb Barlaam bereits im Jahre 1348 ^.
So ist Petrarca nie über die elementarsten Kenntnisse des
Griechischen hinausgekommen und die Schätze der griechischen
Litteratur sind ihm in Folge dessen nie erschlossen worden.
Wie ganz anders hätte sich doch der Entwickelungsgang der
Renaissance gestaltet, wäre es Petrarca vergönnt gewesen, in
das Geistesleben der Hellenen einzudringen! denn, da man
nicht zweifeln darf, dass er die unendliche Ueberlegenheit des
hellenischen Geistes über den römischen und das sklavische
Abhängigkeitsverhältniss der lateinischen Litteratur, vorzüglich
aber der Poesie, von der griechischen erkannt haben würde,
so lässt sich auch nicht bezweifeln, dass er dann von vornherein
dem Griechenthume den hervorragendesten Antheil an der
Renaissancebildung verliehen und es, soweit nur irgend möglich,
zu deren Basis gemacht haben sollte. In Wirklichkeit dagegen
ist der stolze Bau der Renaissancebildung und Renaissance-
kunst auf einer fast durchaus römischen Grundlage errichtet
worden und hat den römischen Charakter dauernd ])ewahrt,
so viele hellenische Bildungssteine auch nachträglich hinein-
gesetzt wurden. Das Grundwesen der Renaissance ist römisch
geblieben bis auf den heutigen Tag, ihre griechischen Elemente
sind mehr oder weniger nur ein schmückendes Aussenwerk.
Die Renaissance war ein Wiederaufleben des Römerthums, nicht
des Hellenenthums und das ist folgenschwer geworden für die
ganze Culturentwickelung. — Der Grieche Barlaam, als er
durch seinen raschen Weggang von Avignon Petrarca der
Möglichkeit einer tieferen Kenntniss hellenischer Sprache und
Bildung beraubte, zerstörte einen stolzen Zukunftsbau und
entschied für Jahrhunderte das Schicksal der Völker Europa's.
Kleine Ursachen, grosse Wirkungen!
1) vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 93 f.
Viertes Capitel.
Die Dichterkrönung.
JJer römische Kaiser Domitian (81—96 n. Chr.) hatte,
olfenbar in Nachahmung der olympischen und pythischen Fest-
spiele Griechenlands, angeordnet, dass zu Ehren des Jupiter
Capitolinus nach Ablauf eines jeden Lustrums ein Wettkampf
in den musischen und gymnischen Künsten abgehalten werden
solle ^). Gar mannigfaltig waren die Genüsse, welche solch
ein Wettkampf oder Agon, wie man mit dem griechischen
Fremdworte ihn benannte, dem zuschauenden Publicum bot.
Im Wagenlenken und im Schnelllauf, an welchem letzteren
auch Jungfrauen sich betheiligen durften , sowie in anderen
Leibeskünsten rang man um den Preis, Citherspieler und
andere Musiker zeigten ihre Kunst, Schriftsteller und Dichter -)
trugen in griechischer und lateinischer Sprache ihre Werke vor :
der Sieger aber in einem jeden Kampfe wurde mit einem Kranze
^) Sueton. Domit. c. 4.
-) Sueton sagt allerdings nur „certabant enim et prosa oratioue
graece latineque", dass aber wenigstens sehr bald, wenn nicht von Anfang
an, auch poetische Wettkämpfe stattfanden, bezeugt Statius, welcher in
einem solchen unterlegen zu sein selbst berichtet (Silv. III 5 v. 31 ff., V
3 V. 231 ff.). Sollte vielleicht im Text des Sueton zwischen „enim" (wofür
andere Handschriften etiam bieten) und „et" etwas ausgefallen sein?
156 Viertes Capitel.
aus Eichenlaub gekrönt ^). Der Kaiser selbst führte bei diesen
Spielen den Vorsitz, bekleidet mit einem griechischen Purpur-
gewande und auf dem Haupte einen goldenen, mit den Bild-
nissen des Jupiter, der Juno und der Minerva geschmückten
Kranz tragend. Ausserdem feierte Domitian alljährlich auf
seiner albanischen Villa ein fünftägiges Fest der Minerva,
welches ausser durch Jagddarstellungen und Schauspielauf-
führungen auch durch Wettkämpfe der Redner und Dichter
verherrlicht wurde ^). Der Preis bestand hier in einem Oliven-
kranze. Statins hat ihn zu wiederholten Malen errungen 2).
Diese von Domitian eingesetzten Festspiele erhielten sich
Jahrhunderte hindurch, ja vermuthlich wurden sie, namentlich
die capitolinischen, welche sich gewiss zu sehr volksthümlichen
Festen gestaltet hatten, so lange gefeiert, als das römische
Reich bestand und vielleicht — wie ja auch die circensischen
Spiele den Fall Westroms weit überdauerten — noch lange
darüber hinaus, obwol sich dies urkundlich nicht belegen lässt^j.
Eine dunkle Erinnerung an die einst auf dem Capitole voll-
zogenen Dichterkrönungen muss sich während des Mittelalters
erhalten haben. Als nun seit dem Ende des dreizehnten Jahr-
hunderts die Erinnerungen an das römische AI terthum lebendiger
wurden in den Gemüthern der Italiener und sich zuweilen in
der, freilich oft fratzenhaft verzerrten, Neubelebung antiker
Institutionen verkörperten, da ward auch die Sitte der Dichter-
krönung erneuert, nur verlieh man jetzt einen Lorbeerkranz
statt des Kranzes aus Eichenlaub , sieh dessen erinnernd,
dass der Lorbeer als der dem Gotte der Dichtkunst geweihte
Baum galt. Durch eine solche Krönung wurde z. B. im Jahre
^) vgl. die Inschrift bei J. Orelli, inscript. Lat. no. 2603 (Pauly's Real-
Encycl. VI 2 S. 2364), in welcher die Krönung des dreizehnjähiügen
Pudens berichtet wird. Dass der Kranz ein Kranz aus Eichenlaub gewesen
sei, erwähnt Martial Epigr. 54.
2) Sueton 1. 1.
•■') Statins, Silv. III 5 v. 28 ff.
*) vgl. Tiraboschi, V p. 704.
Die Dichterkröming. 157
1314 der berühmte Staatsmann, Geschichtsschreiber und Poet
Albertino Mussato von Padua ausgezeichnet^).
Diese Dichterkrone nun, an welcher der ganze Zauber des
Alterthums haftete, zu empfangen und zwar sie zu empfangen
an möglichst bedeutungsvoller Stätte und mit möglichst grossem
Gepränge, das war das höchste Ziel, welches der Ehrgeiz
Petrarca's sich vorgesetzt hatte und welchem er mit glühender
Sehnsucht nachtrachtete. Durch den Besitz des Lorbeerkranzes
glaubte er, zugleich als Dichter und als Humanist die höchste
Ehre und unbedingteste Anerkennung erwerben zu können
und gleichgestellt zu werden den grossen Männern des Alter-
thums, deren Stirn die Nachwelt mit dem unverwelklichen
Lorbeerzweige umflochten hatte. Sein ganzes Denken ging in
einem nahezu an Monomanie grenzenden Grade auf in dem
Streben nach dem Lorbeer, der Laurus der Römer, und mit
diesem Streben verflocht sich seine Liel)e zu Laura in so selt-
sam wunderbarer Weise, dass der Lorbeer (lauro) und Laura
für seine Phantasie zu einer Einheit sich verschmolzen, dass
er in Laura den Lorbeer und im Lorbeer Laura zu lieben
glaubte. Die Liebe zum Lorbeer steigerte sich in ihm bis zu
einer fast krankhaften Schwärmerei, bis zu einer beinahe aber-
gläubischen Verehrung und erreichte eine Intensität, welche
sich nur mit der tief innerlichen mystisch-religiösen Begeisterung
mittelalterlicher Asketen vergleichen lässt. So mischen sich
auch hier wieder die mittelalterlichen und modernen Elemente
in Petrarca's Charakter: er schwärmt in mittelalterlich ver-
zückter Weise für einen Ruhm, den nur moderne Menschen
schätzen. Der Dichter des Mittelalters kannte das Streben
nach persönlichem Ruhme nicht oder doch nur in Ausnahme-
fällen und legte meist nicht einmal darauf Gewicht, dass seine
Dichtung seinen Namen trage und original sich abhebe von den
Werken der Vorgänger und Nachfolger, höchstens, dass er
seinen Namen in die Dichtung einflocht, um den Gönnern, für
welche er sang, gleichsam die Adresse anzugeben, an welche
1) vgl. Tiraboschi, V p. 572 f.
158 Viertes Capitel.
etwaige klingende Beweise der Erkenntlichkeit einzusenden
seien. Dem ideal gesinnten Dichter des Mittelalters war das
Lied selbst, das aus seiner Kehle drang, der schönste Lohn,
der materieller gesinnte Hess sich an den äusseren Vortheilen
genügen, welche sein Gesang ihm einbrachte, — der persön-
liche Ruhm aber kümmerte den einen so wenig wie den anderen,
beide sorgten sich nicht um das Fortleben ihres Namens in
einer fernen Nachwelt. Das Streben, den individuellen Namen,
das Andenken an ihre vergängliche Erscheinungsform verewigen
zu wollen, ist nur modernen Menschen eigen, welche, aus der
naiven Weltanschauung heraustretend, über ihr Ich reflectiren,
das Bewusstsein einer scharf ausgeprägten Individualität be-
sitzen und sich mit Recht oder Unrecht über die Durchschnitts-
masse der Menschheit erhaben glauben. Auch in diesem Sinne
ist Petrarca der erste moderne Mensch.
Wenn man dies erwägt und beherzigt, wird man Petrarca's
Streben nach dem Lorbeer nicht so schlechthin als den Aus-
druck einer kindischen und überspannten Eitelkeit betrachten
dürfen, wie man oft gethan, sondern wird vielmehr geneigt
sein, darin das an sich völlig berechtigte Ringen nach An-
erkennung seiner Individualität und individualen Begabung zu
erblicken, ein Ringen, das sich allerdings in nach unseren Be-
griffen wunderlichen und excentrischen Formen kundsab und
den Charakter mittelalterlich religiöser Ekstase an sich trug. —
Vollgültigen Anspruch auf die Erlangung der Dichterkrone
glaubte Petrarca durch eine lateinische Dichtung zu erwerben,
durch welche er mit keinem Geringeren als mit Virgil selbst
zu wetteifern unternommen hatte.
Als er einst an einem Charfreitage, höchst wahrscheinlich
des Jahres 1339, auf den Bergen von Vaucluse umherschweifte,
war ihm wie durch plötzliche Eingebung der Gedanke gekommen,
die Heldenthaten des „Sternenjünglings'- Scipio Africanus, des
hochherzigen Besiegers Hannibals und Carthago's, in einem
grossen lateinischen Epos zi^ feiern ^). Dem Gedanken folgte
^) Epist. ad post. p. 7.
Die Dichterkrönung. 159
die Ausführung' und ein Theil der Dichtung entstand vermuth-
lich schon in den nächstfolgenden Monaten.
Es ist hier nicht der Ort, über die ferneren Schicksale
des seltsamen Dichterwerkes zu berichten. Wir werden später
an geeigneterer Stelle sehen, wie dasselbe, nachdem es zu ver-
schiedenen Malen in Angriff genommen worden und Jahre
lang Gegenstand der eifrigsten Beschäftigung des Dichters ge-
wesen war, schliesslich doch nicht zur Vollendung gelangte,
sondern innerlich und vielleicht auch selbst äusserlich ohne
Abschluss blieb. Ebensowenig wollen wir hier ein Urtheil über
die Dichtung abgeben, wir behalten uns dies vielmehr eben-
falls für eine spätere passendere Gelegenheit vor und begnügen
uns hier, zu bemerken, dass die „Africa" — denn so betitelte
Petrarca sein Epos — bei den Zeitgenossen, selbst auf Grund
der wenigen Bruchstücke , welche allein bei Petrarca's Leb-
zeiten in weiteren Kreisen von ihr bekannt wurden, als ein der
Aeneis des Virgil vollkommen ebenbürtiges Meisterwerk galt.
Das blosse Gerücht schon, dass Petrarca mit der Abfassung
eines grossen lateinischen Epos beschäftigt sei, genügte, ihm
den Ruhm des grössten Dichters zu verbürgen. "Wie hätte
ihm also die Erreichung seines Lieblingswunsches, die Erlangung
der Dichterkrone, unmöglich scheinen sollen?
Nicht aber an irgend einem beliebigen Orte, nicht etwa
in dem ihm verhassten Avignon wollte Petrarca die ehrende
Feier an sich vollziehen lassen. Nur Paris, durch seine
Universität damals die wissenschaftliche Hauptstadt des west-
lichen Europii's, und das altehrwürdige, ihm so theuere Rom
schienen ihm eine würdige Stätte hierfür bieten zu können.
Der Zufall fügte es, dass er in beiden Städten Verbindungen
mit einflussreichen Personen besass, welche die Verwirklichung
seines heissen Wunsches vermitteln konnten. Zu Paris war er
befreundet mit dem hochgelehrten Canzler der Universität,
seinem Landsmanne Roberto de'Bardi ^) , und gewiss auch mit
manchem anderen Lehrer der Hochschule, den er während
1) vgl. Ep. poet. lat. II 18.
160 Viertes Capitel.
seines dortigen Aufenthaltes kennen gelernt haben mochte.
In Rom aber war ihm die mächtige Verwendung der ihm so
gewogenen Colonnesen gewiss. Mehr als alles dies jedoch wog
die Gunst des Königs Robert, welche ihm durch Dionisio da
Borge San Sepolcro gewonnen worden war, und Petrarca selbst
hat es offen anerkannt, dass er ihr zumeist den Lorbeer ver-
danke 1).
„Was mich anbetrifft," schrieb Petrarca am 4. Januar
1339 an Dionisio -'), „so sei überzeugt, dass ich Dir bald nach
Neapel nachkommen werde. Du weisst ja, was ich in Betreff
des Lorbeerkranzes denke, den ich nach reiflicher Ei-wägiing
keinem Menschen sonst als eben diesem Könige, von welchem
wir sprechen, zu verdanken beschlossen habe. Sollte ich so
viel bei ihm gelten, dass er selbst mich ruft, so ist es gut.
Sonst werde ich irgend etwas gehört zu haben fingiren oder
wie im Zweifel über den Sinn des Briefes, den er in so gnädiger
Werthschätzung meiner, des ihm ganz unbekannten Menschen,
an mich zu richten geruht hat, werde ich ihn so auslegen,
dass ich gerufen zu sein scheine."
Es gewährt uns diese Stelle einen so offenen Einblick in
Petrarca's Denk- und Handlungsweise wie wir ihn besser gar
nicht wünschen können. Wir ersehen aus ihr, dass Petrarca,
sobald er die wohlwollende Zuschrift des Königs empfangen
hatte, beschloss, diese^^e mit Dionisio's Hülfe als Brücke zur
Erreichung seines Lieblingswunsches zu benutzen und dass er,
um dies zu eimöglichen , selbst nicht abgeneigt war, des un-
würdigen Mittels einer zudringlichen Heuchelei sich zu bedienen.
Wenn Petrarca aber betheuert, er wolle nur von König
Robert den Lorbeer empfangen, so erblicken wir hierin Nichts
als eine wohlberechnete Kriegslist und hüten uns wohl, es ihm
zu glauben, sind vielmehr überzeugt, dass er den Lorbeer
ebenso gern aus den Händen Roberto's de' Bardi oder — wie
ja auch schliesslich geschehen — aus den Händen eines rörai-
^) vgl. Ecl. X V. 357 ff. (Argus ist nach der in den Belogen ge-
brauchten allegorischen Sprache König Robert, cf. Ecl. II).
") Ep. Fam. IV 2.
Die Dichterkrönung. \Q\
sehen Senators entgegenzunehmen gesonnen war und dass er
sowol in Paris als in Rom in diesem Sinne Verhandlungen an-
knüpfte, denn ganz gewiss bot weder Roberto noch der römische
Senat aus eigenem Antriebe ihm die Krönung an. Wir er-
kennen demnach jedenfalls, Petrarca's Lorbeerkrone war nicht
ein ihm ohne eigenes Zuthun gespendeter Lohn seiner dichte-
rischen Leistungen, sondern die schwer errungene Frucht seiner
planvoll angelegten und geschickt geleiteten Bemühungen,
welche man fast versucht ist, Intriguen zu nennen. Das ist
es, was einen hässlichen Schatten auf diesen Dichterkranz und
auf den Charakter des Dichters wirft. Nicht dass er diese
Auszeichnung erstrebte, darf ihm billigerweise zum Vorwurfe
gemacht werden, wol aber, dass er ihr auf krummen Wegen
nachtrachtete, zumal er vermuthlich sie bald auf geradem
Wege erlangt haben würde.
Der Gang der Sache war, wie sich vermuthen lässt, folgen-
der. Petrarca warb gleichzeitig in Paris, Rom und Neapel
um den Lorbeer. An dem letzteren Orte wirkte Dionisio für
ihn und gab in seinem Auftrage dem Könige zu verstehen,
dass die Krönung in Rom am freudigsten aufgenommen werden
würde. In Folge dessen sah Robert davon ab, die Feierlichkeit,
wie er wol sonst gethan haben würde, in Neapel selbst zu
vollziehen und machte seinen schwerwiegenden Einfluss in Rom
geltend, damit sie dort unter seinen Auspicien erfolgen könne.
Die betreffenden Verhandlungen scheinen indessen erst
zum Ziele geführt zu haben, als im Sommer 1340 der Graf
Orso deirAuguillara, des alten Stefano Colonna Schwiegersohn
und, wie man sich erinnern wird, einst Petrarca's Wirth in
Capranica, zum Senator von Rom neben Giordano Orsini
designirt worden war. Orso mochte als ein Freund der Dicht-
kunst und Bewunderer geistvoller Männer i) sich persönlich
für die Angelegenheit interessiren und so gelangte sie denn
im Sommer 1340 zum Abschluss. Wie dem auch sein mag.
^) „Pieridum familiarissimus et excellentium ingeniorum mirator ele-
gantissimus ac laudator." Ep. Fam. II 13.
Körting, Petrarca. JJ
1(32 Viertes Capitel.
jedenfalls wurden Petrarca's Bemühungen um den Lorbeerkranz
von einem Erfolge gekrönt, der gewiss seine kühnsten Er-
wartungen übertraf, und ein glücklicher Tag ward ihm be-
schieden.
Am 1. September ') 1340, als er gegen 9 Uhr des Morgens
einsam im Haine von Vaucluse lustwandelte, erhielt er ein
Schreiben des römischen Senates, welches ihn in den dringen-
desten Ausdrücken zur Dichterkrönung nach Rom einlud ; und
in der sechsten Stunde des Nachmittags, als er auf den Wiesen
an den Ufern der Sorgue sich erging, traf ihn ein Bote aus
Paris mit einem Briefe Roberto's de'Bardi, der ihn aufforderte,
den Lorbeer in Paris zu empfangen ^).
Noch an dem Abende desselben Tages theilte Petrarca
das Geschehene seinem Gönner, dem Cardinal Giovanni Colonna.
mit und bat ihn um seinen Rath, ob er Paris oder Rom
den Vorzug geben solle. Der Cardinal entschied sich, wit^
vorauszusehen war, für Rom und Petrarca fugte sich diesem
Rathe nicht mehr als gern, denn wie hätte der Gedanke, die
Dichterkrone auf dem Capitole empfangen zu dürfen, wo —
so glaubte er wenigstens — die grossen Dichter des Alter-
thums sie empfangen hatten , nicht einen unwiderstehlichen
Reiz auf seine erregbare Phantasie ausüben sollen? Nur das
Eine bekümmerte ihn, wie er die Bevorzugung Roms vor Paris
bei seinem Freunde Roberto de'Bardi entschuldigen solle, doch
tröstete er sich damit, dass bei der demnächst zu erwartenden
persönlichen Anwesenheit desselben in Avignon die Sache sich
leicht mündlich ausgleichen lassen würde ^).
Sei es nun, dass die Dichterkrönung zu Rom von vorn-
herein auf den Ostersonntag des folgenden Jahres angesetzt
worden war, oder dass sie für einen früheren Tag bestimmt
gewesen war, aber in Folge irgend welcher Umstände hatte
^) über die Bestimmung des Tages vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 506.
Bisher wurde gewöhnlich nach de Sade der 23. August angenommen, Gre-
gorovius (a. a. 0. VI p. 208) gibt den 30. August an.
2) Ep. Fam. IV 4. cf. Ep. ad post. p. 8.
"} Ep. Fam. IV 5.
Die Dicliterkrönuiig. 163
verschoben werden müssen, Petrarca trat erst am 16. Februar
1341 seine Reise an \), deren nächstes Ziel indessen nicht Rom,
sondern Neapel war. Von Azzo da Correggio begleitet, den
diplomatische Geschäfte nach Avignon geführt hatten und nun
nach Neapel führten — vermuthlich wollte er sich der Zu-
stimmung König Roberts zu dem l)ald zu erzählenden Staats-
streiche in Parma versichern — , schiffte er sich in Marseille
ein und gelangte in den ersten Tagen des März nach Neapel.
Ein seltsamer Grund hatte Petrarca bewogen, die weite Fahrt
nach der unteritalischen Hauptstadt zu unternehmen. Er wollte
sieh nicht nur, wie das ja begreiflich und geziemend war, dem
Könige, seinem Landesherrn, vorstellen und ihm für das be-
wiesene grosse Wohlwollen danken, sondern wollte sich auch
von ihm, dem Könige der Philosophen, „dem einzigen Könige
seiner Zeit, der ein Freund der Wissenschaft und Tugend war",
in den Wissenschaften prüfen lassen, um dadurch die Berechtigung
seines Anspruches auf die Lorbeerkrone vor aller Welt offen-
kundig zu beweisen ^). Der greise Monarch , der sich durch
des Dichters Wunsch sehr geschmeichelt fühlte, war gern be-
reit, darauf einzugehen, und hielt mit ihm eine dreitägige, jedes-
mal von Mittag bis zum Abend währende Prüfung ab, nach
deren Beendigung er Petrarca für des Lorbeers durchaus
würdig erklärte und ihm dies auch durch ein an den römischen
Senat gerichtetes Schreiben ausdrücklich bezeugte^). „Das
seltsame p]xamen, welches ein Poet vor einem Könige bestand,
war" , nach Gregorovius' treffendem Ausdrucke •^) , „für beide
Theile gleich ehrenvoll; es musste die Aufmerksamkeit der
ganzen wissenschaftlichen Welt auf sich ziehen." Mag immer-
hin sowol bei demjenigen, welcher die Priifung bestand, als
auch bei dem, der sie abhielt, eine starke Dosis Eitelkeit mit-
1) Ep. Fam. IV 5.
") Epist. ad post. p. 8.
^) Epist. ad post. p. 8 f. Nach Boccaccio (bei Rossetti p. 344) währte
die Prüfling nur zwei Tage und wurde an dem ersten nur privatim, an
dem zweiten aber in Gegenwart der Grossen des Hofes abgehalten.
*) Gregorovius, a. a. 0. VI p. 210.
11*
164 Viertes Capitel.
gewirkt haben, beide bezeugten durch ihre Handlungsweise
eine voller Anerkennung würdige Hochachtung vor der Wissen-
schaft. Das Examen aber als „pedantisch" zu brandmarken,
wie manche Litterarhistoriker gethan ^), liegt nicht die mindeste
Berechtigung vor: weder Petrarca noch König Robert haben
je die Wissenschaft pedantisch behandelt, sie waren beide, der
Dichter wie der Fürst, in der Wissenschaft Dilettanten im
besten Sinne des Wortes.
Petrarca las seinem königlichen Gönner die „Africa" vor,
so weit sie damals vollendet war, und erntete reiches Lob
dafür , ja es ward ihm die Anerkennung zu Theil , dass König
Robert sich die Widmung des Gedichtes von ihm erbat 2).
Yiele Gespräche auch über wissenschaftliche Fragen pflog der
allezeit lernbegierige MoDarch mit seinem gelehrten Gaste,
namentlich aber Hess er sich von ihm über das Wesen und
die Ziele der Poesie unterrichten, mit welcher er sich bisher
nur oberflächlich beschäftigt hatte und welche er wol nur als
eine Art geistvoller Spielerei betrachtet haben mochte. Von
Petrarca eines Besseren belehrt, sprach er sein Bedauern aus,
dass ihn jetzt sein Alter verhindere, sich noch der Dichtkunst
widmen zu können, was er, hätte er früher einen richtigeren
Begi'iff von ihrem Werthe besessen, gewiss gethan haben würde ^).
Am neapolitanischen Hofe lenite Petrarca damals auch
zwei Männer kennen, mit denen er dauernde und nicht un-
wichtige Freundschaftsbeziehungen anknüpfte.
Der Eine war des Königs Canzler Barbato, aus dem pelig-
nischen Sulmo, der Vaterstadt Ovids, gebürtig. Petrarca zollt
*) z. B. Landau, Boccaccio p. 9.
-) Epist. ad post. p. 9.
3) vgl. Rer. mem. lib. I 2, 26 (p. 405 f.), eine Stelle, welche für die
Beurtheilung Roberts und seines Verhältnisses zu Petrarca überaus wichtig
ist, und Boccaccio, de genealog. deor. XIV Schlusä. Kerneswegs hatte
Robert aber vor seinem Verkehre mit Petrarca die Dichtkunst verachtet,
denn sonst würde er nicht sie selbst praktisch ausgeübt haben, wie er
doch that, als er im Jahre 1338 das Epitaph auf seine Enkelin Clemenza
verfasste, vgl. Tiraboschi, V p. 26 ff.
Die Dichterkrönung. 265
ihm das hohe Lob, dass die Sonne keinen liebenswürdigeren,
unbescholteneren und reineren Charakter gesehen habe, er
preist die begeisterte Liebe zu den Wissenschaften, von welcher
er beseelt gewesen sei und die ihn alle sinnlichen Vergnügungen
habe vergessen lassen, er rühmt endlich seine hohen geistigen
Fähigkeiten und insbesondere seine grosse poetische Begabung,
welche ihn zu einem würdigen Nebenbuhler Ovids mache ^).
Der persönliche Verkehr Petrarca's mit Barbato war freilich auf
die wenigen Wochen seines zweimaligen Aufenthaltes in Neapel in
den Jahren 1341 und 1343 beschränkt, und seit letzterem Jahre
sahen sich die Freunde bis zu dem im Jahre 1363 ^) erfolgten
Tode Barbato's überhaupt nicht mehr wieder, desto eifriger
aber war ihr Briefwechsel ^j, ja Petrarca widmete dem Freunde
die ganze Sammlung seiner poetischen lateinischen Episteln^),
und ihm allein auch überliess er ein Fragment der sonst ängst-
lich vor der Oeffentlichkeit gehüteten „ Africa" ^), welches Ver-
trauen freilich, wenn auch ohne Barbato's directes Verschulden,
sehr üble Folgen für den Dichter haben sollte, wie wir später
zu erzählen Gelegenheit finden werden. — Der andere der in
Neapel neu gewonnenen Freunde Petrarca's war Giovanni
Barili aus Capua, ein am königlichen Hofe einflussreicher und
mit wichtigen Geschäften betrauter Eitter*'), der auch nach
König Roberts Tode eine wichtige Rolle in den Hof- und
Staatshändeln spielte. Petrarca's Beziehungen zu ihm waren
indessen weit weniger intim als diejenigen zu Barbato , wie
sieh das ja aus der Verschiedenheit des Standes und der Be-
strebungen hinreichend erklärt, denn Barili, obwol ein Freund
der Musen, war doch in erster Linie Kriegs- und Hofmann.
1) Ep. Sen. III 4 u. Ep. poet. lat. II 16 v. 87—94.
") vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 522.
3) Briefe Petrarca's an Barbato: Ep. Fam. IV 8. V 1. 10. VI 5. VII 1.
XII 7. XX 5. XXII 3. 4. Var. 22. 49. Ep. poet. lat. I 1. II 7. II 17. III
18 u. 19.
*) Ep. Fam. XXII 3.
5) Ep. Sen. II 1.
«) Ep. poet. lat. II 16 v. 82—86 u. III 13.
166 Viertes Capitel.
So ist denn aucli die Zalil der von Petrarca an ihn gerichteten
Briefe verhältnissmässig gering i).
Im Verkehre mit solchen Freunden und mit seinem könig-
liehen Beschützer verlebte Petrarca in dem schönen Neapel
genussvolle und anregende Tage und Wochen. Endlich rüstete
er sicli zum Aufbruche. Vergebens wollte der König ihn zu
längerem Bleiben bewegen und ihn bereden, den Lorbeer in
Neapel selbst zu empfangen, Petrarca blieb, durch seine Liebe
zu Rom bestimmt, dem ersten Entschlüsse treu ^). Gern hätte
Robert nun dem Dichter das Geleit nach Rom gegeben, um mit
eigener Hand ihm den Lorbeerkranz aufs Haupt zu setzen,
doch die Beschwerden des Alters gestatteten es ihm nicht und
so musste er sich l)egnügen,, Giovanni Barili nebst einem
anderen Ritter mit seiner Stellvertretung zu beauftragen 3).
Grössere Ehre aber erwies er Petrarca noch dadurch, dass er
ihm das eigene Purpurkleid schenkte, damit es ein würdiges
Krönungsgewand sei"*), und dass er ihn zu seinem Hofcaplan
ernannte^). Als der Dichter endlich Abschied nahm, küsste
der König ihn und bat nochmals, dass die „Africa" nach ihrer
Vollendung ihm gewidmet werden möge ^). So trat denn Pe-
trarca, vermuthlich am 2. ApriP). die Reise nach seinem er-
habenen Ziele an. Wir aber wenden unsern Blick nocli ein-
mal zurück auf das, was wir soeben erzählt.
^) Ep. Farn. XII 14. XIII 10. Var. 57. Ep. poet. lat. II 1. 111
13 u. 21.
2) Epist. ad post. p. 9.
") Ep. poet. lat. II 1. Ep. Farn. IV 7.
^' Ep. poet. lat. II 1 V. 60 f.
"■) Das Patent darüber, vom 2. April 1341 ausgestellt, bei de Sa de,
III pieces justif. no. XVI.
«) Ep. poet. lat. II 11 V. 95 flf. Rer. mera. lib. I 3 p. 513.
■=) Zur Begi-ündung dieser Zeitangabe sowie der weiterhin gegebenen
sei Folgendes bemerkt. Petrarca wurde am Ostersonntage, den 8. April,
gekrönt, wie sowol die Angabe Boccaccio's bei Rossetti p. 344 (VI. Idus
Apriles) als auch der Wortlaut des Dicbterdiplomes („bodierno solemni-
tatis Pascbalis die") in der baseler Ausgabe vom Jahre 1581 tom. HI p. 6
bezeugt. Gegenüber so bestimmten Angaben müssen alle Bedenken, die
man etwa aus dem unterschriebenen Datum des Dichterdiploms „V. Id.
Die Dichterkrönung. 167
Kaum in irgend einer anderen Erscheinung des denkwür-
digen vierzehnten Jahrhunderts erkennen wir den damals sich
vollziehenden Bruch mit der specifisch mittelalterlichen An-
schauungs- und Denkweise so deutlich wie in dem schönen
Verhältnisse edler Vertraulichkeit, welches zwischen dem Könige
Robert und dem Dichter-Gelehrten Petrarca bestand. Innerhalb
des mittelalterlichen Culturlebens mit seiner streng durchgefülir-
ten Gliederung und Scheidung der Stände wäre ein solches Ver-
hältniss unmöglich gewesen; es wäre undenkbar gewesen, dass ein
stolzer und mächtiger König den Sohn eines schlichten Bürgers,
den armen Kleriker ohne Rang und Vermögen, als einen Eben-
bürtigen, ja als einen Ueberlegenen anerkannt, dass er ihn mit
dem eigenen Purpurmantel, dem Zeichen fürstlicher Gewalt,
bekleidet hätte. Derartiges musste unerhört sein, so lange man
nicht die geistige Grösse als das Höchste zu verehren und
den Menschen nach seiner geistigen Tüchtigkeit allein, nicht
nach seinem Range und Stande, zu schätzen gelernt hatte, so
lange nicht die Emancipation des Individuums von den Fesseln
des Standes erfolgt war. Wenn Fürsten des Mittelalters
Gelehrte und Dichter ehren wollten, so gaben sie ihnen kost-
bare Gefässe oder schöne Gewänder oder edle Rosse oder sonst
irgend welche Gegenstände, welche einen realen Werth be-
lassen und sich leicht in baares Geld umsetzen Hessen. Es
ward damit indirect ausgesprochen , dass die Leistungen des
Gelehrten und Dichters in ähnlicher Weise abgeschätzt und
mit klingender Münze bezahlt werden könnten, wie etwa die
Leistungen der Handwerker, dass also der Gelehrte und
Dichter eben auch nur ein Handwerker, wenn auch ein etwas
Tomehmerer sei, der um des materiellen Gewinnes willen pro-
ducire. Man erblickt gemeinhin die reichen Geschenke, welche
Apr." (= 9. April) und aus dem Datum „Idibus" (= 13. April) Ep. Fam.
IV 7 schöpfen könnte, schwinden. Die Ankunft in Rom erfolgte am dritten
Tage vor der Krönung nach der bestimmten Angabe in Ep. poet. lat. II 1
V. 24, also am 6. April. Die Reise von Neapel nach Rom erforderte un-
gefähr vier Tage nach Ep. poet. lat. II 16 v. 145 f. und muss folglich am
2., spätestens am 3. April angetreten worden sein.
168 Viertes Capitel.
Trouveres und Troubadours von ihren vornehmen Gönnern er-
hielten, in einem sehr poetischen Lichte und glaubt darin einen
Beweis zu besitzen für die hohe Ehre, welche der Dichtkunst im
Mittelalter gezollt ward. Es ist das völlig verkehrt. Diese
reichen Gaben waren das Prosaischste von der Welt, sie waren
ein in Naturalien gespendeter Sold und im letzten Grunde ein
Zeichen der Missachtung der Poesie und der Poeten. Auch
hatten die Trouveres und Troubadours selbst kaum eine höhere
Meinung von ihrer Kunst und oft genug bettelten sie unver-
hohlen, öfters noch versteckt um ein Trinkgeld^). Es ist
ferne von uns, um desswillen die Menschen des Mittelalters
verdammen zu wollen: sie huldigten eben einer Anschauungs-
weise, welche in naiven Zeitaltern ihre völlige Berechtigung^
besitzt.
König Robert schenkte Petrarca keinen Werthgegenstand
ausser dem Purpurmantel, aber auch diesen nicht etwa, damit
der Beschenkte ihn tagtäglich tragen oder gar durch den
Verkauf desselben sich ein Stück Geld verdienen solle, sondern
lediglich um ihm ein äusseres Zeichen seiner höchsten Aner-
kennung zu verleihen. Man hat Robert oft desshalb des Geizes
angeklagt und gemeint, er habe Petrarca doch z. B. durch
Gewähi-ung einer Pension nachhaltig belohnen können 2), aber
wir meinen — abgesehen davon, dass Petrarca wol kaum
einer materiellen Unterstützung damals bedürftig war — der
König hat den Dichter eben dadurch am höchsten und wahr-
sten geehrt, dass er ihm weder direct noch indirect einen
Lohn in klingender Münze zahlte. Dem unbesoldeten Dichter
konnte er seine Freundschaft schenken, dem besoldeten hätte
er höchstens nur seine Gnade gewähren können, der unbesol-
dete Petrarca durfte dem Könige als geistig Ebenbürtiger frei
und often gegenüber treten, der besoldete wäre zum Fürsten-
diener und Hofdichter herabgesunken.
Seit den entlegenen Zeiten des Alterthums oder doch seit
^) vgl. z. B. Wace, Roman de Rou ed. Andresen. II v. 1357 ff. u.
4422 f.
^) vgl. Landau, Boccaccio p. 9.
Die Dichterkrönung. 169
den Tagen Karls des Grossen und Alcuins, die ja eine rasch
vorübergehende Periode der Vorrenaissance darstellen, waren
Robert der erste Fürst und Petrarca der erste Dichter, welche
über die hemmenden Schraiiken der Standesungleicliheit hinweg
sich die Hände zu einem Freundschaftsbunde reichten. Zum
ersten Male wieder ging der Sänger mit dem Könige. Nicht
mehr hatte fortan der Dichter nöthig, zu dem Fürsten als zu
seinem Brod- und Lohnherni schüchtern emporzublicken und
seine Lyra nach fürstlichen Launen zu stimmen — nein, der
Fürst schaute jetzt zu dem Dichter empor als zu dem gott-
begnadeteren Manne, der Fürst der Erde beugte sich vor dem
Fürsten des Geistes, vor der Strahlenkrone des Genius erblich
der Glanz des königlichen Diadems. Wie ganz anders war
doch Petrarca's Verhältniss zu Robert, als noch dasjenige des
grossen Dante zu Cane della Scala in Verona gewesen war ^) !
wie Avar es doch um so viel würdiger und idealer! Die Herr-
schaft des Geistes hatte jetzt begonnen und zertrümmerte den
engen Bau der mittelalterlichen Gesellschaft. Es war das eine
der ersten und schönsten Früchte der Cultur der Renaissance.
Und noch eine weitere Betrachtung müssen wir hieran knüpfen.
Der Fürst des jMittelalters hatte sich begnügt und begnügen
müssen, der Kriegsherr und oberste Leiter, der erste Richter
und der Gesetzgeber seines Volkes zu sein. Er erfüllte dem-
nach nur die nothwendigsten und, um so zu sagen, niederen
Functionen seines Berufes. Die Cultur der Renaissance musste,
da sie die Werthschätzung geistiger Güter lehrte, in segens-
reichster Weise diese enge Sphäre fürstlicher Thätigkeit er-
weitern, indem sie die bis dahin der Kirche überlassen gewe-
sene Pflege der Wissenschaft und Kunst auf das Staatsober-
haupt übertrug. Erst hierdurch wurde fürstlichem Ehrgeize
ein würdiges und wahrhaft ideales Ziel gegeben, erst hierdurch
ein Zeitalter höherer Gesittung und Humanität wenigstens vor-
bereitet, erst hierdurch ward der Fürst zu dem gemacht, was
er sein soll, zu einem Hohenpriester der Bildung, zu einem
^) vgl. Fraticelli, Storia della Vita di Dante p. 234 ff.
170 Viertes Capitei.
Bannerträger in dem Ringen nach den höchsten Geistesgütern
der Menschheit. Zugleich erwarb sich der Fürst, dieser höch-
sten Aufgabe sich unterziehend, ein Anrecht, losgesprochen zu
werden von der kirchlichen Bevormundung und Leitung, welche
bis dahin innerhalb gewisser Grenzen eine, freilich von den
Trägern kirchlicher Gewalt oft gemissbrauchte, Nothwendigkeit
gewesen war. So wurden die Fürsten mündig und mit ihnen
allmählig auch die Völker. König Robert war der erste,
welcher in die neu eröifnete Arena fürstlicher Thätigkeit her-
niederstieg, und es gebührt ihm hierfür der Dank der Nachwelt.
Sein Beispiel fand eifrige Nachfolge. Die Correggi in
Parma, die Carrara in Padua, die Visconti in Mailand, die
Scaligeri in Verona, die Este in Ferrara, die Medici in Florenz
— sie alle, so uneinig und einander so unähnlich in vielen
Dingen, waren einig in der Begeisterung füi' die neu ent-
stehende Cultur und rangen gemeinsam nach hohen Bildungs-
idealen, Es ist ja gewiss unzweifelhaft, dass es vielen dieser
kleinen Fürsten und Tyrannen nicht eben heiliger Ernst war
mit ihrem Mäcenatenthume , sondern dass sie sich desselben
oft genug als eines Deckmantels innerer Hohlheit und unlau-
terer Bestrebungen bedienten, dass ihre zur Schau getragene
Begeisterung für Wissenschaft und Kunst bei genauerer Be-
trachtung nur als das kunstvolle Product raffinii tester Heuchelei
sich darstellt — nichtsdestoweniger haben auch sie als un-
freiwillige Arbeiter dazu beigetragen, den stolzen Tempel der
Renaissance zu erbauen und zu schmücken. Die Schönheit eines
Gebäudes aber wird dadurch nicht beeinträchtigt, dass ein Theil
der Werkleute nur mit innerem Widerstreben und nothgedrungen
die Steine zusammengetragen und auf einander gefügt hat.
Ungleich schlimmer war es und schwer geschädigt, ja geradezu
vergiftet hat es den innersten Kern der Renaissancecultur,
dass sich in der Brust vieler ihrer Träger und Förderer (und
durchaus nicht der fürstlichen allein) mit nicht erheuchelter
Begeisterung für Wissenschaft und Kunst die tiefste Unsitt-
lichkeit seltsam mischte - doch davon zu reden, wird sich
später nur allzu oft Gelegenheit bieten.
Die Dichterkrönung:. 271
Wir nehmen nach diesen Betrachtungen den Faden unserer
Erzählung wieder auf.
Petrarca langte am 6, April 1341 in Rom an. Vergebens
forschte er dort nach seinem Freunde, dem königlichen Bevoll-
mächtigten Giovanni Barili, welcher sich unterwegs aus unbe-
kanntem Grunde von ihm getrennt, aber noch vor ihm in Rom
einzutreffen versprochen hatte ^). Die Sache war unangenehm
genug, da die Krönung einerseits nicht füglich ohne ihn voll-
zogen, andererseits aber auch nicht über den nahe bevor-
stehenden Ostersonntag, den 8. April, hinaus verschoben werden
konnte, indem mit diesem Tage Orso's dall' Anguillara sena-
torische Gewalt ablieft). Petrarca sandte noch am Ostersonn-
abende, um Barili aufzusuchen, einen Boten aus, aber dieser
kehrte nach langem Ritte an den campanischen Küsten er-
müdet und un verrichteter Dinge zurück: Barili war nicht zu
linden, er war, wie man später erfuhr, in der Nähe von
Anagni in Räuberhände gefallen, aus denen er nicht so rasch
sich zu lösen vermochte. So musste Petrarca nothgedrungen
sich entschliessen, die Feierlichkeit trotz der Abwesenheit des
einen der königlichen Stellvertreter vor sich gehen zu lassen
und sie wurde denn auch, wie bestimmt, am Ostersonntage
vollzogen.
Es ist auffällig genug, dass Petrarca den höchsten Ehren-
tag seines Lebens, den Tag, den er so heiss ersehnt hatte und
auf den er wol stets mit freudiger Genugthuung zurückblickte,
niemals, so viel wir wissen, einer eingehenden Erzählung ge-
würdigt hat. Sollte er vielleicht das betreffende Schriftstück
im späteren Alter bei einer Durchsicht seiner Papiere ver-
^) Dies und das nächst Folgende nach Ep. poet. lat. II 1 erzählt.
-) Petrarca sagt dies ganz ausdrücklich in der erwähnten Epistel
V. 22—26 und es muss die Annahme eines von ihm begangenen Irrthums
vernünftigerweise ausgeschlossen bleiben. Nach der von Gregorovius (VI
p. 201 Note 3) angeführten päpstlichen Urkunde blieben jedoch Orso und
Giordano Orsini mindestens bis zum 23. Juli 1341 in ihrem Amte. Es ist
nicht recht abzusehen, wie dieser Widerspruch zu lösen sei. Sollten viel-
leicht Orso und Orsini ihre Gewalt oder doch den executiven Theil der-
selben alternirend ausgeübt haben?
172 Viertes Capitel.
nichtet haben, um ein gravirendes Denkmal seiner Eitelkeit
zu zerstören ? Möglich ist das , aber nicht recht glaublich.
Die allgemeinen Vorgänge der Krönung schildert er in einer
poetischen Epistel (11 1), welche an Giovanni Barili gerichtet
ist, und dann noch einmal in der dritten Ekloge, hier aber
unter der Hülle einer schwer verständlichen Allegorie. In
einem nach der Krönung an den König Robert gerichteten
Briefe ^) gedenkt er der Feierlichkeit nur mit wenigen Worten,
den König auf den mündlichen Bericht seines zweiten Stellver-
treters verweisend. So sind wir über die Einzelheiten der merk-
würdigen Feier leider nicht authentisch unterrichtet und, was wir
von ihnen wissen, können wir einzig aus dem sehr summari-
schen und etwas verworrenen Berichte entnehmen, den Lodovico
Monaldesco in seinen, übrigens nicht eben sonderlich glaubwür-
digen, „römischen Annalen" darüber gibt ^) und welcher in der
Uebersetzung ungefähr folgendermassen lautet: „In dieser Zeit
vollzog Messer Urso die Krönung des Messer Francesco Petrarca,
des edlen Dichters und Gelehrten, und sie ging auf dem Gapi-
tole in folgender Weise vor sich^ Zwölf Knaben, in Scharlach
gekleidet, ein jeder fünfzehn Jahre alt und alle Söhne vor-
nehmer Edelleute und Bürger, (gingen an der Spitze des Fest-
zuges und) ^) declamirten viele Verse, von eben diesem Petrarca
gedichtet, zum Ruhme des (römischen) Volkes. Nach ihnen
kamen sechs Bürger *) , in grünes Tuch gekleidet und Kränze
von verschiedenartigen Blumen tragend. Dann schritt der
Senator einher, das Haupt mit einem Lorbeerkranze ge-
schmückt, und, nachdem er sich auf den Sitz im Saale des
Assettamento niedergesetzt hatte, wurde Messer Francesco
Petrarca unter Trompeten- und Pfeifenschall gerufen und er
*) Ep. Farn. IV 7.
-) bei Muratori, XII p. 540.
^) Die in Klammern eingeschlossenen Worte sind ergänzende Zusätze,
welche, um den Zusammenhang besser hervortreten zu lassen, von uns ein-
gefügt worden sind und deren Inhalt übrigens als selbstverständlich be-
trachtet werden darf.
■*) Monaldesco nennt die Geschlechtsnamen der einzelnen Bürger sowie
vorher der Knaben, wir lassen sie als für unsem Zweck unwesentlich aus.
Die Lichterkrönung. 173
trat hervor, angethan mit einem langen Gewände, und rief
dreimal : ,es lebe das römische Volk, es leben seine Senatoren
und Gott erhalte sie bei ihrer Freiheit!' und dann Hess er sieh
vor dem Senator auf das Knie nieder; dieser aber sagte: ,ich
kröne zuerst die Tugend' und nahm den Kranz von seinem
Haupte und setzte ihn dem Messer Francesco auf und dieser
declamirte ein schönes Sonett zum Preise der tapferen alten
Eömer. Und es ward die Feier geendet zum grossen Ruhme
des Dichters, denn das ganze Volk rief: ,es lebe das Capitol
und der Dichter ! ' "
Die grosse Lückenhaftigkeit dieses Berichtes, der eben nur
auf vagen Jugenderinnerungen des vermuthlich um 1327 ge-
borenen^) Monaldesco zu beruhen scheint, wird man am besten
erkennen, wenn man damit Petrarca's eigene, freilich, wie
schon bemerkt, sehr allgemein gehaltene Schilderung vergleicht,
welche er in der oben angeführten poetischen Epistel an
Giovanni Barili entwirft: „Es strömen die plötzlich gerufenen
Römer zusammen und das Capitol ertönt von dem Gewirre
froher Stimmen, selbst seine Mauern und sein altergraues Dach
scheinen sich zu freuen. Es ertönten die Trompeten: das
schaulustige Volk drängt sich eifrig in dichten Schaaren zu-
sammen und, wenn ich mich nicht täusche, sah ich da, wie
Thränen freudiger Rührung den Freunden die AVangen be-
netzten. Ich steige die Stufen empor: die Trompeten schwiegen
und das Gemurmel der Menschenmassen verstummte mit einem
Male. Ein Spruch Virgils, der in den Sinn mir kam, gab
Anlass mir zu kurzer Rede Hierauf begann der be-
redte Orso zu sprechen und endlich krönte er mich unter den
Jubelrufen des Volks der Quiriten mit dem delphischen Zweige.
Sodann erhob mich Stefano ^j — keinen grösseren Mann als
ihn hat in unserer Zeit das Geschick, keinen Rom hervor-
gebracht — mit ehrendem Lobe. Schamgefühl bedrängte hier-
bei mein Herz und röthete mein Antlitz, denn solche hohe
>) vgl. Muratori XH p. 527.
-) Es ist natürlich der alte Stefano Colonna gemeint.
174 Viertes Capitel.
Ehren belasteten meine ihrer unwürdige Brust und erfreuten
sie doch zugleich, denn Alles galt ja Siciliens Könige, nicht
mir, denn wer bin ich? aber doch war ich durch sein er-
habenes Urtheil für würdig erklärt worden. Es bekleidete
mich an diesem festlichen Tage des Königs wallendes Gewand,
welches er von den eigenen Schulteni genommen und mir zu
tragen verliehen hatte, es erinnerte mich nun an meinen
Herrn und war mir ein ehrendes Zeugniss seinei* so grossen
Gunst. Gemeinsam steigen wir, nachdem Alles vollendet,
vom Capitole herab und ziehen von da zu St. Peters Schwelle
und es hängt nun mein Lorbeerkranz an dem heiligen Altare
als ein Gott erfreuendes Erstlingsopfer i)." Beschlossen wurde
die ganze Feier mit einem festlichen Mahle, welches der greise
Stefano Colonna in seinem Palaste bei der Apostelkirche hatte
zurüsten lassen^). So endete eine Feierlichkeit, in welcher
sich antike, mittelalterliche und moderne Elemente so seltsam
mischen, dass sie als eine wunderliche theatralische Scene er-
scheinen könnte, wenn sie nicht bei alledem doch so erhal)en
wäre. Petrarca's Dichterkrönung ist ein Ereigniss, welches
einzig dasteht in den Annalen nicht etwa nur der Stadt Rom,
sondern des ganzen Menschengeschlechtes, sie ist ein welthisto-
risches Ereigniss im vollsten Sinne des Wortes. Wohl haben
Dichterkrönungen auch vor und mehr noch nach dem 8. April 1341
stattgefunden, aber es waren dieselben ausnahmslos entweder
schablonenhaft ertheilte akademische Auszeichnungen oder
localpatiiotische Feierlichkeiten oder auch steife Hofceremonien,
und wie sehr sie jedei- tieferen inneren Bedeutung ermangelten,
erhellt schon daraus, dass die Litteraturgeschichte die Namen
der meisten gekrönten Dichter entweder gar nicht oder doch
nur mit wenig ehrenvollen Bemerkungen verzeichnet hat.
^) Wir unterlassen es absichtlich, die beiden im Texte gegebenen
Schilderungen zu einem einheitlichen Gesammtbilde zu verschmelzen, da
dies bereits von Gregorovius (VI p. 211 ff.) so meisterhaft gethan worden
ist, dass jeder weitere Versuch nur eine unvollkommene Xachahmung sein
könnte.
-) Diar. gentil. Delph. bei Muratori III 2. p. 843.
Die Dichterkrönung. 175
Pedantische Correctheit dei- Form und Conectheit der politi-
schen, beziigsweise der religiösen Gesinnung, das sind fast die
einzigen Eigenschaften, durch welche sich die grosse Mehrzahl
der zahllosen lorbeergeschmückten Poeten in höchst zweifel-
hafter Weise ausgezeichnet hat. Der Lorbeer ward geradezu
eine Prämie der geistlosen schulmeisterlichen Mittelmässigkeit.
Ganz anders aber verhält es sich mit Petrarca's Krö-
nung, welche schon dadurch eine eigenartige hohe Bedeutung"
gewann, dass sie in Rom, der idealen Hauptstadt des Abend-
landes, der Krönungsstadt der römischen Kaiser vollzogen
ward, obwol Petrarca weder durch seine Geburt noch durch
seinen Wohnsitz Rom angehörte. Es trat dadurch die Feier-
lichkeit aus dem engen Rahmen eines localen und selbst auch
eines nationalen Festes heraus und erhielt einen universalen
Charakter. Es ward in Petrarca nicht der römische, auch nicht
der italienische Dichter auf dem Capitole gekrönt, sondern der
Dichter, der der ganzen Menschheit angehört und, aller Liebe
zu seinem Vaterlande unbeschadet, sich nicht einpfercht in die
den Genius beengenden Schranken einer Nationalität oder gar
eines städtischen Weichbildes. Es könnte dem zu wider-
sprechen scheinen, dass nach Monaldesco's Berichte, wie wir
sahen (S. 172), die Knaben Verse zum Preise Roms declamirten,
welche Petrarca gedichtet hatte. Indessen, abgesehen davon,
dass Monaldesco's Zeugniss nichts weniger als zuverlässig ist,
so muss durchaus bezweifelt werden, dass diese Verse etwa
italienischen Gedichten Petrarca's entnommen gewesen seien,
denn solche, welche Rom ausschliesslich verherrlichen, finden sich
im ganzen Canzoniere nicht und haben auch wol nie existirt,
von den beiden patriotischen Canzonen aber „Italia mia" und
„Spirto gentil", an welche man, da sie indirect wenigstens Roms
Grösse feiern , erinnert wird , war die erstere im Jahre 1341
noch nicht gedichtet^), die letztere aber wegen ihrer gar zu
speciellen Beziehungen auf den jungen Stefano Colonna -)
') vgl. Carducci, Rime di Fr. P. sopra argom. stör, moral. e div.,
p. 104.
-) Dass sie an diesen (und nicht, wie gewöhnlich angenommen wird,
176 Viertes Capitel.
schwerlieh zum öffentlichen Vortrage geeignet; ferner aber
scheint- es uns selbstverständlich, dass die ganze Feierlichkeit,
welche ja eine Erneuerung altrömischer Sitte sein sollte, in der
damals ohnehin bei öffentlichen Acten allgemein üblichen
lateinischen Sprache vollzogen wurde. Wir meinen demnach,
dass, wenn wirklich von jenen Knaben „viele Verse Petrarca's
zum Preise Roms" declamirt worden sein sollten, dies lateinische
Verse waren, welche man vermuthlich den beiden poetischen
Episteln an Papst Benedict XIP) um so lieber entnommen
hatte, als in ihnen der sehnsüchtige Wunsch der Römer nach der
ihnen materielle Vortheile verheissenden Rückkehr der Curie
so beredten Ausdruck fand. In diesen Gedichten aber wird
Rom nicht von einem localpatriotischen , sondern von einem
universalhistorischen und humanistischen Standpunkte aus ver-
herrlicht und es konnte demnach ihr Vortrag auch der Feier
durchaus keinen communal beschränkten und engheizigen Cha-
rakter aufdrücken. Petrarca's Krönung besass eben eine univer-
sale Bedeutung: man verherrlichte durch sie symbolisch den
Wiedererwecker einer alten und den Begründer einer neuen
Cultur, man feierte die Neugeburt der abendländischen Welt,
von welcher man ahnte, dass sie bald sich vollziehen werde.
Es war ein Frühlingsfest der Menschheit, an welchem man
zuerst die erquickende Luft edler Gesittung athmete und das
erste, noch scheue. Entfalten herrlicher Blüthen der Bildung
mehr noch ahnte, als schaute.
Die oft aufgeworfene Frage, ob Petrarca des Dichter-
lorbeers , den der grosse Dante vergebens erstrebt hatte ''^),
würdig gewesen sei, muss sowol verneint als auch bejaht
werden, je nachdem man sie im engeren oder im weiteren Sinne
fasst. Erwägt man, dass von Petrarca's Dichtungen damals
erst Weniges vorlag, zumal von seinen lateinischen, welche
doch in erster Reihe in Betracht kamen, dass er Nichts weiter
an Cola di Rienzo) gerichtet und um 1335 gedichtet ist, hat nun wol, nach
Salvatore Betti's Vorgang, Carducci 1. 1. p. 42—63 endgültig bewiesen.
^) Ep. poet. lat. I 2 u. 5.
2) Parad. I v. 25 f. u. XXV 7 ff.
Die Dichterkrönung. |77
geschrieben hatte, als ein Bruchstück der „Africa", einige
lateinische Episteln in Versen und einen leider nicht genau zu
bestimmenden, aber sicherlich nicht beträchtlichen ^) Theil des
Canzoniere, so wird man nicht umhin können, zu sagen, dass
ihm der Lorbeer mindestens vorzeitig verliehen wurde, wie er
später auch selbst es einmal bekannt hat -). Ganz anders
aber wird unser Urtheil sich gestalten müssen, wenn wir es
von einem freieren und minder einseitigen Standpunkte aus
abgeben. Der Lorbeerkranz wurde — das darf man nicht
vergessen — durchaus nicht allein dem Dichter, sondern auch
dem Gelehrten, dem „Historiker" Petrarca zugesprochen, wie
das Dichterdiplom ausdrücklich bezeugt. Man wollte nicht
nur den Mann ehren, den die Musen liebten und mit der Gabe
lieblichen Gesanges begnadet hatten, sondern ebenso auch und
vielleicht mehr noch den begeisterten Forscher, der eine halb-
vergessene grosse Vergangenheit aufs Neue zu erschliessen und
in beredten Worten den Zeitgenossen zu schildern verstand,
den grossen Gelehrten, der zuerst wieder die Schriftwerke des
Alterthums mit vollem Verständnisse las und ihre hohe Idea-
lität erkannte, den Hohenpriester der Wissenschaft endlich,
welcher der staunenden Welt ein neues Evangelium der
Bildung verkündete und neue Pfade der Cultur ihr anwies.
Der Vater des Humanismus war es, der Begründer der Re-
naissancebildung, welcher auf dem Capitole die Krone eines
geistigen Königthumes empfing, — und wer möchte verneinen,
dass Petrarca dieser Krone würdig war?
Vorbedeutend war es, dass, so viel wir wissen, bei dem
Feste auf dem Capitole kein Priester thätig war. Die neu ent-
stehende Cultur, deren Wiegenfest man feierte, sollte ja die
mündig gewordene oder doch sich mündig glaubende Mensch-
heit loslösen von den Fesseln kirchlicher Autorität, der naive
fromme Glaube sollte schwinden und der sich selbst wieder-
*) Man beachte, dass iui Jahre 1341 der schönste Theil des Canzo-
niere, die Rime in morte di Madonna Laura, noch gar nicht gedichtet
sein konnte.
-) Trionfo d'amore III v. 80.
Körting, Petrarca. 12
178 Viertes Capitel.
gegebene Mensch, der eigenen Kraft vertrauend, auf den
Schwingen der Vernunft den hohen Zielen des Erkennens nach-
streben, zu denen ihn bisher die Kirche auf den Fittigen der
religiös erregten Phantasie getragen hatte. Petrarca freilich,
persönlich fromm nach mittelalterlicher Art, weihte nach be-
endeter Feier seinen Lorbeerkranz dem Altare St. Peters.
Ward damit vorgedeutet, dass der durch die Renaissance aus
der mittelalterlichen Kirche herausgetretene Mensch einst nach
langem Ringen aus freier Entschliessung zu ihr zurückkehren
werde, dass der Glaub enslosigkeit ein um so innigerer Glaube
folgen werde? warf das sechszehnte Jahrhundert, das Zeitalter
der glaubensstarken Reformation und der glaubenseifrigen Ge-
genreformation, im Voraus seine Schatten V
Monaldesco berichtet, wie wir sahen (8. 173), dass Petrar-
ca, nachdem er den Kranz empfangen, ein schönes Sonett zum
Preise der tapfern alten Römer vorgetragen habe. Diese
Nachricht scheint uns höchst unglaubwürdig. Ein derartiges
Sonett findet sich nicht in Petrarca's Liedersammlung und es
wäre höchst auffallend, wenn es in diese nicht aufgenommen
worden sein sollte. Ueberdies ist es in Anbetracht der dama-
ligen Zeitverhältnisse wenig glaublich, dass Petrarca bei einer
so feierlichen Gelegenheit in anderer Sprache als in lateinischer
gesprochen haben sollte, zumal er immer eine Verachtung der
A'ulgärsprache affectirte. Es wird ein Irrthum Monaldesco's
anzunehmen sein, der sich leicht daraus erklären lässt, dass
man sehr bald nach Petrarca's Tode in ihm nur noch den
grossen Dichter bewunderte und demnach recht gut glauben
konnte, er müsse bei seiner Krönung zum Mindesten ein italieni-
sches Sonett declamirt haben.
Die lateinische Rede, welche Petrarca auf dem Capitole
Tor dem Senator und der versammelten Menge hielt, ist uns
erhalten, indessen erst neuerdings, bei Gelegenheit des
Erinnerungsfestes im Jahre 1874, herausgegeben worden^).
Als Thema für dieselbe erwählte sich Petrarca die Worte
M Scritti inediti di Fr. P. ed. A. Hortis (Triest 1874), p. 311—328.
Die Dichterkrönung. 179
Virgils: „sed ine Parnassi deserta per aidua dulcis Raptat
amor" '), er feierte also die Liebe zur Dichtkunst, welche den
wahren Dichter antreibt, auch Schwieriges zu unternehmen
und durchzuführen.
Diese Rede nun, sicherlich keine Frucht augenblicklicher
Eingebung, sondern, wie schon die massenhaften Citate aus
lateinischen Autoren beweisen, das Product einer wohl durch-
dachten Arbeit, ist in formaler Beziehung wenig erquicklich,
indem auf sie der mittelalterliche pedantische Schematismus
gekünstelter und spitzfindiger Partitionen und Distinctionen
angewandt ist und überdies ihre Latinität sich durchaus nicht
durch Eleganz und harmonischen Fluss auszeichnet. Desto
interessanter ist sie in Bezug auf ihren Inhalt, indem sie uns
lehrt, wie Petrarca über das Wesen und den Werth der Poesie
dachte und mit welchen Gründen er seine Bewerbung um den
Dichterlorbeer vor den Augen der Welt rechtfertigen wollte.
Wir können es um desswillen uns nicht versagen, sie in einem
kurzen Auszuge, jedoch mit völliger Beiseitelassung der sche-
matischen Form, hier wiederzugeben.
Drei Gründe — so beginnt Petrarca nach einigen allge-
meinen Bemerkungen und nach Anrufung des göttlichen Namens
und der heiligen Jungfrau — hätten ihn von der Betreibung
der Dichtkunst zurückschrecken können. Zunächst der Um-
stand, dass die Poesie weit schwieriger sei, als die übrigen
Künste ^), denn, während für die erfolgreiche Betreibung der
letzteren nur Fleiss und Studium erforderlich seien, werde für
die erstere auch eine innere göttliche Begabung erfordert, Fei'ner
sei hindernd, dass, während einst, namentlich unter des Augustus
Regierung, die Dichter hoch geehrt worden seien, in der
Gegenwart die Lage derselben eine sehr bedrängte sei. End-
lich sei gerade ihm persönlich die Ausübung der Dichtkunst
besonders erschwert worden, da er mit materieller Noth habe
1) Verg. Georg. III 291 f.
^) Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass das lateinische ,,ars" einen
viel weiteren Sinn besitzt als das deutsche „Kunst*".
12*
180 Viertes Cai^itel.
ringen müssen, der Dichter aber für sein Schaffen bekanntlich
einer behaglichen äusseren Lebensstellung dringend bedürfe.
AVie also die genannten drei Gründe ihn von der Pflege der
Dichtkunst hätten abhalten müssen, so beruhe die Liebe, mit
Avelcher er nichtsdestoweniger sie betrieben habe, ebenfalls
auf drei Gründen, welche seien das Interesse für die Ehre des
Staates, das Streben nach eigenem Ruhme und der Wunsch,
Andere zur Thätigkeit anzuspornen.
Dem römischen Staate und insbesondere der Stadt Rom^
welche nach Cicero „aller Länder Herrscherburg" sei, gereiche
es zur hohen Ehre, dass die lang vergessene Sitte der Dichter-
krönung wieder auflebe, nachdem zuletzt, vor dreizehn Jahr-
hunderten, Papinius Statius^) zur Zeit Domitians die Krone
empfangen habe. Auch freue er sich, dass es gerade ihm be-
schieden sei, den alten schönen Brauch wieder zu erneuen, und
mit besonderer Freude erfülle es ihn, dass er dies in Piom
thun dürfe, avo so viele berühmte Dichter gelebt hätten. Dess-
halb habe er auch, als er gleichzeitig nach Rom und Paris zur
Krönung eingeladen worden sei, dem ersteren den Vorzug
gegeben. So glaube er für die Ehre des römischen Staates
gesorgt zu haben.
Die Begierde nach Ruhm und die Liebe zu demselben sei
so allgemein, dass er sich des Bekenntnisses, dass auch er sie
besitze, nicht schäme. Er hoffe aber, dass die seinem Streben
zu Theil gewordene Auszeichnung auch Andere zu dem gleichen
Streben anregen werde. Es würden demnach die drei Gründe,
welche ihm die Beschäftigung mit der Dichtkunst widerriethen,
durch drei Gegengründe aufgewogen, und dass er diese habe
auffinden können, halte er für einen Beweis des ihm von Gott,
„dem Meister jeder Kunst und Spender des Geistes" , wie
Persius ihn nenne, verliehenen Ingeniums. Hierajif wendet sich
^) Im lat. Texte steht ,,Statius Panipineus", ein grober Schnitzer, den
man nicht Petrarca, sondern nur den Abschreibern zur Last legen darf.
Uebrigens beweist die Stelle, wie selbst Petrarca von den Dichterkrönungen
des Alterthums nur eine sehr unbestimmte Keuntniss besass.
Die Dichterkrönung. 131
Petrarca dazu, die Aufgabe, welche der Dichter zu lösen habe,
darzulegen. Er bestimmt diese, ausgehend von einer von
Lactanz\) aufgestellten Definition, dahin, dass der Dichter
physische oder moralische oder historische Thatsachen mit dem
Schleier der Fiction verhüllen d. h. also allegorisch darstellen
solle, so dass zwischen ihm. dem Dichter, einerseits und dem
Historiker oder dem Moralphilosophen oder auch dem Physiker
andererseits derselbe Unterschied bestehe wie zwischen dem
heiteren und dem bewölkten Himmel : in beiden Zuständen des
Himmels sei das Sonnenlicht an sich gleich klar und intensiv,
aber dem Auge des Beschauers erscheine es verschieden. Die
Poesie sei um so „süsser", je schwieriger die in ihr verborgene
Wahrheit aufzufinden sei, denn das mit Mühe Gefundene er-
freue am meisten. Einem Dichter, der so zu dichten ver-
stehe, werde als Lohn der Ruhm und seines Namens Unsterb-
lichkeit zu Theil. Hohes Verdienst erwerben sich die Dichter
überdies dadurch . dass sie die Namen und Thaten tüchtiger
Männer vor der Vergessenheit bewahren. Es haben daher viele
grosse Männer und Helden die Dichter geehrt, um durch sie
unsterblichen Ruhm zu erlangen; diejenigen aber, welche die
Sänger verachteten oder ihrer entbehren mussten, sind ruhm-
los dunkler Nacht des Vergessens anheimgefallen.
Den Schlusstheil der Rede bildet eine Darlegung der
Gründe, wesshalb gerade der Lorbeer geeignet erscheine, eine
Auszeichnung der Dichter zu sein.
Der Duft, den der Lorbeer aushauche, sei ein Symbol des
edlen Ruhmes und daher gebühre der Lorbeerkranz den Herr-
schern und Dichtern, denn beide erstreben den Ruhm, wenn
auch auf verschiedenen Wegen, indem die ersteren durch
körperliche, die letzteren durch geistige Tüchtigkeit ihn zu er-
Jangen suchen.
^) Lactant. Institut. I: „(Aufgabe des Dichters ist) ut ea, quae vere
gesta sunt, in alia specie obliquis figur ationibus cum decore
aliquo con versa traducat, totum autem, quod referat, fingere, id est
ineptura esse et mendacem potius quam poetam". Eine überaus wichtige
Stelle, auf welche wir noch später werden ziu-ückkoraraeii müssen.
182 Viertes Capitel.
Ein weiterer Grund sei, dass der Lorbeer reichlichen
Schatten spende und zur Ruhe einlade: so gewähre er den
Herrschern nach mühevollen Kämpfen, den Dichtern nach an-
strengenden Arbeiten die ersehnte Rast.
Die Blätter des heiligen und ehrwürdigen Lorbeerbaumes
seien sowol selbst jedem Verderben unzugänglich als auch be-
wahren sie Bücher und andere Gegenstände, in welche sie
eingelegt werden, vor dem Verderben: so auch schützen die
Gesänge des Dichters den eigenen und den fremden Ruhm vor
dem Untergange.
Wer unter dem Lorbeerbaum entschlummere, schaue
wahre Träume : daher sei er so recht der Baum der Dichter,,
von denen man ja sage, dass sie auf dem Parnass zu träumen
pflegen.
Der Lorbeerbaum sei dem Apollo, dem Gotte der Dichter,
geweiht: sollte er nicht schon um desswillen der Baum der
Dichter sein?
Der Lorbeerbaum sei immergrün : daher gewähre er Herr-
schern und Dichtern einen passenden Schmuck , denn das
Immergrün sei das Symbol der Unsterblichkeit des Ruhmes.
Der Lorbeerbaum werde nicht vom Blitze getroffen: auch
diese Eigenschaft sei ein Symbol der Unsterblichkeit und mache
ihn geeignet, Herrscher und Dichter geziemend zu schmücken.
Aus allen diesen Gründen sei denn der Lorbeer von den
alten Römern zur Krönung der Herrscher und Dichter an-
gewandt worden, wie durch unzählige Zeugnisse bewiesen
werde. Noch Vieles, schloss Petrarca seine Rede, sei zu sagen
über die Arten und Ursprünge der Poesie, doch er wolle ab-
brechen, um die Geduld seiner Zuhörer nicht allzu lange in
Anspruch zu nehmen und erbitte sich aus den Händen des
Senators den Lorbeerkranz.
Gar Manches mag uns in dieser Rede seltsam, um nicht
zu sagen absurd, erscheinen, wenn wir dieselbe von dem Stand-
punkte des heutigen Geschmackes aus beurtheilen wollen.
Legen wir aber an sie, wie es sich gebührt, den objectiv-
j
Die Dichterkrönung. 183
historischen Maassstab, so werden wir nicht umhin können, in
ihr ein merkwürdiges Litteraturdenkmal zu erblicken, welches,
halb das Gepräge des Mittelalters halb dasjenige der Re-
naissance an sich tragend, als ein Grenz- und Markstein auf
der Scheide zweier Bildungszeitalter steht.
Ueber die vollzogene Dichterkrönung stellten die römischen
Senatoren Petrarca ein Diplom aus, durch welches ihm zugleich
das römische Bürgerrecht verliehen und die Befugniss ertheilt
wurde, sowol in Rom als auch anderwärts die Dichtkunst und
die Kunst der Geschichtschreibung sowie die dazu gehörigen
Diseiplinen vollkommen frei und ungehindert in Wort und
Schrift zu lehren, die Schriftsteller des Alterthums zu erklären
und eigene Schriften zu verfassen und zu veröffentlichen. Man
sieht, die Dichterkrönung besass auch eine recht praktische
Bedeutung: sie war eine Art Habilitation, indem sie dem Ge-
krönten die in damaliger Zeit unter Umständen materiell sehr
einträglichen Berechtigungen eines Universitätslehrers verlieh.
Es ist das Dichterdiplom aber auch noch in anderer Hinsicht
merkwürdig. Wir haben es da mit keinem trockenen, in her-
gebrachten Formeln abgefassten Actenstücke zu thun, sondern
finden darin auch eine Untersuchung über den Werth und das
Wesen der Poesie sowie über die Motive des Vollzugs der
Dichterkrönung. Was darin gesagt wird, stimmt mit den von
Petrarca selbst in seiner Rede aufgestellten Sätzen zu auffallend
überein, als dass hier bloss das Spiel des Zufalls gewaltet
haben könnte und die Vermuthung liegt nahe, dass das
Diplom unter Zugrundelegung der Rede verfasst worden sei,
worauf auch das Datum V Id. Apr. = 9. April hinzudeuten
scheint ^).
So hatte denn Petrarca als Dichter und als Gelehrter den
Meisterbrief empfangen und den Gipfel äusserer Ehre erstiegen,
freilich aber musste er bald empfinden, dass die Lorbeerkrone
auf seinem Haupte auch schmerzliche Dornen an sich trage und
^) vgl. oben Seite 166. Anm. 7. Das Diplom ist unter dem Titel „Pri-
vilegium laureae receptae" in den baseler Ausgaben abgedruckt.
184 Viertes Capitel Die Dichterkrönung.
musste lernen, dass, wer über die grosse Menge der Durch-
schnittsmenschen sich erhebt, den Pfeilen des Neides und der
Verleumdung bloss gestellt wird^). Solche Erfahrung mochte
für ihn um so herber sein, als er trotz der affectirten Ver-
achtung des Dichterkranzes, die er zur Schau zu tragen
liebte % doch den Besitz desselben als ein hohes Gut und ein
wirkliches Glück betrachtete ^) und im Ernst wol nie gezweifelt
hat, solcher ehrender Auszeichnung würdig zu sein, wenn ihm
auch einmal das Geständniss entschlüpfte, dass er vielleicht
den Lorbeer zu früh empfangen habe^j.
1) vgl. Ep. Fam. IV 4. 5. 6. 7. 8. 9.
2) z. B. de remed. utr. fort. I 46.
^) vgl. de cont. mundi III p. 403.
*) Trionfo damore III v. 80.
Fünftes Capitel.
Parma und Vaucluse-
k^chon wiederholt sind wir in unserer Erzählung der frag-
würdigen Gestalt Azzo's di Correggio 1)egegnet und jetzt tritt
sie aufs Neue an uns heran.
Der ruhelose Ehrgeiz dieses Mannes missgönnte den
Scaligeri die Herrschaft über Parma und es dünkte ihm ein
erstrebenswerthes Ziel , selbst zu dem , wenu auch nur zeit-
w^eiligen und getheilten, Besitze der Tyrannis zu gelangen.
Die Verwirklichung dieses Wunsches war nicht allzu schwer,
da von den italienischen Fürsten die anwachsende Macht der
veronesischen Tyrannen mit Neid und Besorgniss betrachtet
und von den Parmensern selbst der harte Druck der Fremd-
herrschaft nur unwillig ertragen ward. So fand denn Azzo, als
er im Beginn des Jahres 1341 den König Robert von Neapel,
die Gonzaga von Mantua, mit denen er sich verschwägert
hatte, und Luchino Visconti von Mailand für seinen Plan zu
gewinnen suchte, bereitwilliges Gehör und der mailänder
Herrscher versprach ihm sogar materielle Unterstützung, wo-
gegen Azzo freilich seinerseits geloben musste, Parma nach
vier Jahren dem Visconti abzutreten — ein seltsamer Vertrag,
der recht deutlich zeigt, wie ein kurzsichtiger Ehrgeiz um
eines augenblicklichen Vortheiles willen die ganze Zukunft zu
186 Fünftes Capitel.
opfern geneigt ist. Auch des Papstes Gunst verstand Azzo
sich zu gewinnen, wahrscheinlich, indem er zu erkennen gal)^
dass er ein fügsamerer Lehnsträger der Kirche sein werde^
als die stolzen Scaligeri es waren. Während Azzo auswärts
thätig war, bereiteten seine Brüder Giovanni, Guido und
Simone in der Stadt Alles zur Erhebung vor. So kam denn
endlich in der Nacht vom 22. zum 23. Mai 1341 das seit
lange und, wie es scheint, mit grosser Umsicht geplante Unter-
nehmen zur Ausführung. Zunächst entstand unter Giovanni's
di Correggio Führung ein Volksauflauf au der Brücke San
Gervasio, doch ward dieser von dem energischen veronesischen
Podestä Boneto, der sofort mit 600 Bewaffneten herbeieilte,^
unschwer unterdrückt und Giovanni selbst gefangen genommen.
Doch auch an einem anderen Punkte der Stadt, in der Nähe
der alten Arena, war die Empörung ausgebrochen und hatten
sich die Rebellen, von Guido und Simone di Correggio geleitet,
bereits der Porta San Michele bemächtigt. Boneto begab sich
unverzüglich mit seiner siegreiechn Schaar dorthin. Bis zur
Morgenröthe wogte der Kampf unentschieden hin und her, da
verbreitete sich plötzlich der Ruf, dass Azzo mit seinen aus-
wärts gesammelten Truppen in die Stadt eindringe, und
Boneto musste sich nun zum Rückzuge entschliessen und durch
die Porta Nuova die Stadt verlassen; er begab sich, von Niemand
verfolgt, nach Lucca. So war denn die Stadt von dem Joche
der Scaligeri befreit und die vier Correggi ergriffen gemein-
sam die Zügel der Herrschaft^).
Unter denen, welche am Morgen des 23. Mai ^) 1341 mit
Azzo in das befreite und jubelnde Parma einzogen, befand sich
auch der neu gekrönte Dichter Petrarca und er ist es, der
^) vgl. Joann. de Cornazanis , bist. Parm. frgm. bei Muratori XII
p. 742 f.
2) Dies Datum ergibt sich aus Ep. Fam. IV 9, womit sich sehr gut
vereinigen lässt, dass Joannes de Cornazanis den 22. Mai als den Tag der
Niederlage der Scaligeri angiebt, denn er berichtet selbst, dass der Kampf
um die erste Nachtstunde (circa la prima hora della notte) des 22. Mai
begann und in der Frühe (also des 23. Mai) endete.
i
Parma und Vancluse. |87
durch die Canzone „quel e'ha nostra natura in se piü degno"
diesem Tage eine unverdiente Unsterblichkeit verliehen hat.
Petrarca hatte nach seiner Dichterkrönung nur wenige
Tage — eine bestimmtere Angabe zu machen, ist nicht mög-
lich — in Rom zugebracht, war jedoch genöthigt gewesen,
wider seinen Willen bald nach seiner Abreise dahin zurück-
zukehren: bewaffnete Räuber hatten ihn unweit der Mauern
Roms überfallen, und nur mit Mühe war er vor ihrem Angriffe
in die Stadt entronnen. Welch' grelles Streiflicht wirft das
doch auf die Zustände der damaligen Zeit! Nichts konnte mit
dem am vorausgegangenen 8. April auf dem Capitole gefeierten
Feste schärfer contrastiren als dieser Zwischenfall. Der eben
gekrönte Dichter wird fast vor den Thoren eben der Stadt,
in welcher er unter dem jubelnden Zurufe der Bürger die
Krone empfangen, von i'uchlosen Banditen überfallen und muss
sich glücklich preisen, sein Leben retten zu können! Nichts
ist aber auch geeigneter als dieser Zwischenfall, um die
Dichterkrönung als eine einzig dastehende und grossartige
ideale Feier inmitten eines Zeitalters wilder Barbarei erscheinen
zu lassen und ihr dadurch eine höhere Bedeutung zu verleihen :
sie erscheint nun dem Auge des Betrachters wie ein meteor-
artiger strahlender Lichtglanz, rasch aufsteigend und rasch
wieder schwindend, inmitten einer dunkeln Nacht, oder auch
wie ein leuchtender Stern, der bereits lange Stunden vor der
Sonne Aufgang den einstigen Morgen kündet.
Begleitet von einer stattlichen Schaar Bewaffneter trat
Petrarca am Tage nach seiner unfreiwilligen Rückkehr zum
zweiten Male seine Reise an ^) und gelangte nun ungefährdet
nach Pisa, von wo aus er am 21. April dem Könige Robert
und ebenso am 29. April dem Freunde Barbato di Sulmona
kurzen Bericht über seine Krönung erstattete 2). Wie und
wo er im weiteren Verlaufe seiner Reise, deren ursprüngliches
Ziel doch gewiss Avignon war, mit Azzo di Correggio zu-
^) Ep. Farn. IV 8.
») Ep. Fam. IV 7 u. 8.
188 Fünftes Capitel.
sammentraf, ob dies zufällig oder in Folge einer bestimmten
Verabredung erfolgte, entzieht sich jeder Vermuthung — genug.
es geschah und Petrarca zog, wie wir bereits erzählten, ge-
meinsam mit Azzo in Parma ein, um, den Bitten der Correggi
willfahrend, längere Zeit daselbst zu verweilen.
Wer mit Petrarca's Charakter und mit der Geschichte
der Renaissance nicht vertraut ist, den mag es mit Recht
äusserst befremden, dass Petrarca sich mit den Correggi und
insbesondere mit dem ränkevollen und ehrgeizigen Usurpator
Azzo so eng befreundete , und das überschwängliche Lob,
welches in der oben erwähnten Canzone „quel c'ha nostra
natura etc." Azzo gespendet wird, möchte — so könnte es
scheinen — sogar an Petrarca's eigener Sittlichkeit uns zweifeln
lassen. Wer indessen die einschlagenden Verhältnisse genauer
berücksichtigt, wird es nicht für angezeigt finden, des Dichters
Handlungsweise als unsittlich zu brandmarken. Petrarca lebte
und webte in den Vorstellungskreisen des antiken Römerthums
und hatte sich dermaassen in dieselben eingesponnen, dass er
auch die Verhältnisse der Gegenwart, selbst unwillkürlich, sich,
um den Ausdruck zu brauchen, in das Antike übersetzte und
Alles, was um ihn her vorging, in dem Lichte der Antike
betrachtete und mit dem aus dem Alterthume entlehnten Maass-
stabe maass. Was war da natürlicher, als dass ihm ein Azzo
di Correggio, der Parma von der Fremdherrschaft der Scaligeri
befreite . als ein moderner Brutus erschien und dass er ihn
als einen solchen verherrlichen zu müssen glaubte? Es war
solche Anschauungsweise um so entschuldbarer, als die Scaligeri
wirklich hart und grausam in Parma gewaltet hatten, während
die Correggi in dem ersten Jahre ihrer gemeinsamen Regierung
die Stadt nach dem Ausdrucke des Chronisten 0 wie Väter
beherrschten und demnach in der That als rettende Befreier
von einem Tyrannenjoche erscheinen konnten. Leicht also
mochte Petrarca sich täuschen lassen von der bestehenden
Aussenseite, welche das Unternehmen der Correggi an sich
*) Joann. de Cornazanis a. a. 0. p. 743.
Parma uml Vaucluse. 189
trug, und dabei übersehen, dass dasselbe im Grunde doch
nichts Anderes, als ein vom nacktesten Egoismus eingegebener
treuloser Gewaltstreich, eine Usurpation der gewöhnlichsten
Art war. Der idealistische Nebel, in welchem er lebte, ver-
hüllte seinem Blicke das Wesen der Dinge und Hess ihn nicht
wahrnehmen; dass das unglückliche Parma nun statt zweier
vier Tyrannen hatte, und dass ein Azzo um keinen Deut besser
war als ein Mastino. In einer ganz ähnlichen, wenn auch
freilich weit verzeihlicheren Selbsttäuschung war er befangen,
als er einige Jahre später den toll gewordenen Schwärmer
Cola di Rienzo^) als den Wiederhersteller altrömischer Grösse
und Herrlichkeit feierte. Es bedarf ja nun keines Beweises, dass
derartige grundfalsche, weil alle realen Verhältnisse ignorirende
Anschauungsweisen Petrarca's Befähigung für die praktische
Politik in einem sehr zweifelhaften Lichte erscheinen lassen,
indessen darf dabei nicht übersehen werden, dass eben auf
diesem einseitigen Idealismus auch Petrarca's Grösse beruht:
er würde nimmer der Wiedererwecker des römischen Altei-
thums geworden sein, wenn er sich nicht völlig in dasselbe
versenkt und darüber der eigenen Gegenwart entfremdet hätte.
Mag man immerhin lächeln über des Dichters naive Träume,
welche einen Azzo di Correggio und einen Cola di Rienzo ver-
herrlichten, man wird doch zugestehen müssen, dass solche
Träume eben nur aus einem für das Ideale begeisterten
Haupte entspringen konnten, und das genügt, um jeden Makel
von ihnen abzuwenden.
Da wir indessen wiederholt die Thatsache zu berichten
haben werden, dass Petrarca mit sittlich niedrig stehenden
Menschen intim verkehrte und zwar ohne dass seine Phantasie in
ihnen, wie dies bei Azzo und Cola di Ilienzo der Fall gewesen, die
Träger grosser politischer Ideen erblickt zu haben scheint —
wir denken hier namentlich an die Carrara von Padua — ,
so möge noch eine Aveitere Bemerkung hier Platz finden, welche
diese uns auffallende Erscheinung zwar nicht eigentlich recht-
^) Dies und nicht Rienzi ist die richtige Namensform.
190 Fünftes Capitel.
fertigen, aber doch erklären kann. Die Menschen der Renaissance
bildeten durch ihre intensive Beschäftigung mit der formalen
Seite des classischen Alterthums — denn die materiale Seite
ward je länger je mehr aus nicht hier zu erörternden Gründen
vernachlässigt — das ästhetische Urtheilsvermögen, die Em-
pfindungsfähigkeit für das Schöne und Harmonische in allen
seinen Erscheinungsformen, bis zur hohen Feinheit aus. Daher
die Formenvollendung, die heitere Anmuth und Grazie, welche
die Schöpfungen sowol der Litteratur als der bildenden Kunst
der Renaissance fast ausnahmslos zeigen, während ihnen nur
gar zu oft ein ernsterer und tieferer Gedankeninhalt mangelt.
Während sich so das ästhetische Vermögen zur grossen Voll-
kommenheit entwickelte, verkümmerte das ethische Gefühl,
schwand das sittliche Bewusstsein. Es geschah das nicht etwa,
weil ästhetische und ethische Bildung unvereinbar mit ein-
ander wären — im Gegentheile, die ästhetische Bildung in
ihrer höchsten Potenz, wie sie nicht die Renaissancezeit, wol
aber das Griechenthum erreicht hat und vielleicht ein beglücktes
Menschengeschlecht der Zukunft wieder einmal erreichen wird,
kann sich nur auf einer tief ethischen Grundlage entwickeln,
da ja Ethik und Aesthetik in ihrem innersten Wesen wie in
ihren letzten Consequenzen identisch sind. Der Grund des
Verfalls der Sittlichkeit im ästhetisch hochgebildeten Zeitalter
der Renaissance war ein anderer.
Wir, die wir in unserer GegenAvart zu einer höheren
Bildung zu gelangen streben, betreiben eifrig die humanistischen
Studien, aber wir betrachten sie doch nur als ein, allerdings
vorzüglich geeignetes Mittel, um das Ziel der Allgemeinbildung
zu erreichen, und sie bilden für die Meisten, welche sich ihnen
überhaupt widmen, eben nur das in früher Jugend zu durch-
messende Durchgangsstadium zu irgend einer wissenschaftlichen
Fachbildung. Diejenigen aber, welche das Studium der
Sprachen und Litteraturen des Alterthums berufsmässig be-
treiben, sind von der unsere Zeit charakterisirenden Neigung
zur Kritik und Analyse viel zu sehr beherrscht, als dass sie
einer enthusiastischen Begeisterung für die Antike fähig wären
Parma und Vaucluse. 191
und in einer solchen die reale Gegenwart zu vergessen ver-
möchten : es sind — abgesehen von den leider zahlreichen
studirten Handwerkern, denen die Wissenschaft nur ein Mittel
zum Broterwerbe ist — ernste und nüchterne Arbeiter auf
dem Felde der Wissenschaft, welche den Gelehrten von dem
Menschen wohl zu sondern wissen und durch ihre gelehrten
Studien sich im praktischen Leben nicht beeinflussen lassen.
Wir betreiben eben, wenn man sich in Kürze so ausdrücken
darf, die Altertliumsstudien nur theoretisch, nur mit dem Ver-
stände, nicht aber mit dem Gemüthe und ohne die Tendenz,
die Ergebnisse unserer Studien für die Gestaltung unserer öffent-
lichen und privaten Lebensverhältnisse praktisch zu verwerthen,
ohne die vorgefasste Meinung endlich, dass das classische
Alterthum uns für alle Gebiete des Lebens die nachahmungs-
Averthen Ideale darbiete: es verbietet uns solchen Glauben
•die objectiv-historische Betrachtungsweise der Vergangenheit,
welche uns anerzogen worden ist. Wir sind, wenn wir das
Alterthum und seine Zustände uns zu vergegenwärtigen suchen,
nur mit der einen Plälfte unserer Seele bei diesem Geschäfte,
mit der anderen und grösseren Hälfte verbleiben wir in unserer
Gegenwart und hegen immer den Hintergedanken, dass diese
doch in vielen Beziehungen dem Alterthume unendlich über-
legen sei. Wir sind stolz darauf, dass wir es so herrlich weit
gebracht, bemühen uns, es noch viel weiter zu bringen, und
perhorresciren den Gedanken, eine Vergangenheit, deren
Schattenseiten wir kritisch zu erkennen glauben, neubeleben
zu wollen. In Folge dessen bringen heute die humanistischen
Studien unserem religiösen und nationalen Leben nicht die ge-
ringste Gefahr, während dies früher allerdings der Fall gewesen
ist: sie sind für uns ein vortreffliches pädagogisches Jugendbil-
dungsmittel und ein Object gelehrter Arbeit, aber ISichts weiter.
Niemand wird heutzutage, weil er humanistisch gebildet ist,
der Gegenwart sich entfremden oder gar mit ihr zerfallen.
Ganz anders waren die Verhältnisse des Zeitalters der
Kenaissauce, als der Humanismus jugendkräftig war. Die
damaligen Menschen gaben sich dem Studium des Alterthums
192 Fünftes Capitel.
mit ungetlieilter Kraft, mit glühendester Begeisterung und mit
ganzer und voller Seele hin; für sie war es ein Dogma, dass
das Alterthum für alle Lebensgebiete die höchsten Ideale
aufgestellt habe, und für heilige Pflicht hielten sie es demnach,
die nach ihrer Ansicht durchweg verfallenen und barbarischen
Zustände der Gegenwart durch die Neubelebung antiker Ver-
hältnisse zu beseitigen. Nicht partiell, sondern in seiner Totalität
sollte das Alterthum wiedererweckt werden, nicht Bildungs-
elemente sollte es liefern, sondern das einzige Lebenselement
sollte es werden, nicht befruchten sollte es die moderne Zeit,
sondern die moderne Zeit sollte in rückläufiger Bewegung
wieder zur antiken werden, der moderne Staat und das moderne
städtische Gemeinwesen sollte wieder zur römischen respublica
und civitas sich gestalten, der moderne Mensch sollte zum
Ptömer sich umformen und römisch denken, empfinden und
sprechen. Es leuchtet ein, dass Menschen, Melche solchem
Glauben und solchem Streben huldigten, welche mit der ganzen,
doch vorzugsweise auf christlicher Basis beruhenden Cultur
ihrer Gegenwart brachen, natürlich damit auch, obschon un-
bewusst und jedenfalls unabsichtlich, mit dem Christenthume
selbst und seiner religiös ethischen Weltanschauung innerlich
zerfielen. Christenthum und Antike sind, wie die Weltgeschichte
gelehrt hat, unvereinbar und negiren sich gegenseitig, man
konnte also unmöglich auf allen anderen Lebensgebieten zur
Antike zurückkehren und auf dem religiösen, doch gewiss dem
wichtigsten , bei dem der Antike feindlichen Christenthume
beharren, sondern entweder die Renaissance konnte nicht zum
Abschlüsse gelangen oder aber sie musste auch die Kirche
zerstören. Der Abfall vom Christenthume und die Restauration
eines irgendwie philosophisch aufgestutzten Polytheismus war
die nothwendige Consequenz der Renaissance. Nun ist aller-
dings diese Consequenz äusserlich nicht realisirt worden, weil
das Christenthum sich als zu widerstandsfähig erwies und,
weit entfernt der Renaissance zu erliegen, in dem Kampfe
gegen sie neue Lebenskraft und die Fähigkeit einer Verjüngung
in neuen festen Formen sich gewann. Die Wogen der Renais-
Parma und Vancluse. 193
sance brachen sich an dem Preisen der christlichen Kirche,
den man für unterhöhlt und morsch gehalten hatte, und die
Kirche verstand es, den Humanismus selbst ihren eigenen
Zwecken dienstbar zu machen. Indessen, was iiusserlich, von
ganz vereinzelten Fällen abgesehen ^), nicht eintrat, der Abfall
vom Christenthume, das musste im Innern der Herzen nur
allzu oft geschehen. Man wird wol nicht irre gehen, wenn
man behauptet, dass die überwiegende Mehrzahl der Humanisten
des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts, also derjenigen
Zeit, in welcher die Renaissance ihrem Abschlüsse am nächsten
war, nur äusserlicli und auch dies nur aus Rücksichten welt-
licher Klugheit oder Bequemlichkeit sich noch zur christlichen
Kirche bekannte, während sie innerlich derselben durchaus
entfremdet war und ihr entweder indifferent oder skeptisch,
wenn nicht geradezu feindlich gegenüber stand. Obwol nun
ein solcher Zustand der nur äusserlichen und also erlogenen
Zugehörigkeit zu einer von dem Herzen nicht mehr anerkannten
Kirche an sich schon tief unsittlich ist, so würde er doch vielleicht
in ethischer Beziehung nicht allzu schlimm eingewirkt haben,
wenn nur an Stelle der aufgegebenen christlich-ethischen Basis
des Lebens eine andere gefunden worden wäre. Das geschah
aber nicht. Der Polytheismus und Pantheismus des Alterthums
bot eine solche nicht dar. In einzelnen philosophischen Systemen,
im Piatonismus und Stoicismus, würde man sie allerdings ent-
deckt haben , aber der die Renaissance kennzeichnende philo-
sophische Eklekticismus und Dilettantismus verschmähte es,
ein bestimmtes System sich voll und enist anzueignen, und
zur Schöpfung einer neuen, sittliche Principien aufstellenden
Philosophie war er vollends unfähig. So wurde dem Humanis-
mus der sittliche Grund und Boden entzogen, die moralischen
Begi-iffe geriethen, zumal da sie von keinen stabilen staat-
lichen und socialen Einrichtungen gestützt und geschützt
wurden, in Schwanken und Verwirrung, wurden irrig aufgefasst
^) vgl. J. Burckhardt, die Cultur der Renaissance in Italien (2. Aufl.
1869), p. 409 f.
Körting, Petrarca. 13
194 Fünftes Capitel.
oder auch ganz geleugnet. Der Egoismus, der immer in solchen
Zeiten an die Stelle des moralischen Bewusstseins tritt, wurde
zum System ausgebildet, Ruhm und Lebensgenuss wurden ein-
gestand enermaassen als die höchsten Ziele menschlichen Handelns
betrachtet und als gleichgültig die Mittel, durch welche man
ihnen nachstrebte. Auf Ruhm und heiteren Genuss des Daseins
war das ganze Trachten der Menschen der Renaissance in
letzter Instanz gerichtet, doch die hoch entwickelte ästhetische
Bildung Hess dasselbe nicht in seiner hässlichen Nacktheit
erscheinen, sondern umkleidete es mit einem bestechenden
idealen Schimmer.
Selbstverständlich ist es, dass bei derartigen sittlichen
Zuständen jeder Einzelne mehr oder minder, oft völlig den
ethischen Maassstab für die Beurtheilung der Charaktere und
Handlungen der Anderen verlor. Man beurtheilte diese vor-
wiegend ästhetisch, nicht ethisch. Ebenso wenig wie von sich
selbst forderte man von den Anderen, dass ihr Handeln von mora-
lischen Motiven sich bestimmen lasse, aber wohl verlangte man, dass
es ein planvoll angelegtes, einem bestimmten Ziele consequent
und energisch nachstrebendes, in sich abgeschlossenes und
harmonisches sei. Man betrachtete das Leben als ein Kunst-
werk, welches allen Anforderungen genüge, wenn es durch
seine grossartigen äusseren Constructionen einen nachhaltigen
ästhetischen Eindruck zu machen geeignet sei. Nicht kümmerte
man sich um die Sittlichkeit der Motive, aus denen eine
Handlung unternommen, noch um die Sittlichkeit der Mittel,
mit denen eine Handlung ausgeführt ward — es war genug,
wenn diese Handlung das Gepräge des Aussergewöhnlichen
und Grossartigen an sich trug und wenn sie den Handelnden
als einen genialen Mann und Helden kennzeichnete, um
sie als eine des Lobes und der Bewunderung würdige erscheinen
zu lassen. Der Heroismus des Lasters ward ebenso laut ge-
priesen wie der Heroismus der Tugend, denn, von allen ethischen
Principien abstrahirend , erblickte man in dem einen wie in
dem anderen den entzückenden Ausdruck einer kraftvollen
und sich ihrer selbst bewussten Individualität. So konnten
Parma und Vaucluse. 195
■sittliche Ungeheuer wie der Papst Alexander VI. Borgia und
sein noch entsetzlicherer Sohn Cesare aufi-ichtige Bewunderer
selbst unter ernsten und persönlich ehrenhaften Männern
■finden ^).
Das so eben Erörterte besitzt nun allerdings in seinem
vollen Umfange keine Geltung für Petrarca's Zeit und noch
weniger für Petrarca's Person. Petrarca war allerdings der
Begründer der Renaissance, er war aber durchaus nicht ihr
vollendeter Typus, sondern, worauf wir schon wiederholt hin-
gewiesen haben, in vieler, namentlich aber in religiöser Be-
ziehung, ein Mensch des Mittelalters und stand noch fest oder
wollte doch wenigstens fest stehen auf dem Boden der ethischen
Anschauungen des Christenthums, Indessen angehaucht war
doch auch er bereits von dem Geiste der Renaissance, wie diese
sich später entwickelte, auch er lief bereits Gefahr, den Ruhm
an sich ohne Rücksicht auf die Motive, aus denen er erstrebt,
und auf die Mittel, mit denen er gewonnen ward, als das
Höchste zu bewundern und zu betrachten, auch er schon liess
sich leicht blenden von der äusserlich grossartigen Erscheinung
eines reich begabten und seine Ziele planvoll verfolgenden
Charakters, welcher der sittlichen Wahrheit und Tiefe entbehrte.
Ideal angelegt, wie er war, und in seinen Gedanken immer in
eine ideale Welt sich versetzend, jagte er begierig jedem Schimmer
des Idealen nach, den er in der realen Welt zu erblicken
wähnte, und freute sich seines vermeintlichen Glanzes, nicht
bemerkend, dass derselbe kein wirklich existirender , sondern
nur der trügerische Reflex seines eigenen Idealismus war.
Aus dieser seiner subjectiven Selbsttäuschung, die allerdings
einer gewissen sittlichen Schwäche entsprang, erklärt es sich,
dass er seine Bewunderung und seine Freundschaft zuweilen
Menschen geschenkt hat, welche im Lichte einer objectiven
Beurtheilung als solcher Ehre höchst unwürdig erscheinen
müssen.
Nach dieser längeren, aber, wie wir meinen, nothwendigen
^) vgl. Gregorovius, Lucrezia Borgia I- p. 91 flf.
13^
196 Fünftes Capitel.
Abschweifung kehren wir zu unseres Dichters äusserem Lebens-
gange zurück.
Ueber Petrarca's ersten Aufenthalt in Parma, bis zu dessen
Beginne wir unsere Erzählung geführt hatten, ist uns nur
Weniges bekannt ^), und dieses Wenige beschränkt sich auf zwei
anekdotenhafte Vorfälle, die jedoch des Interesses nicht ent-
behren, indem der eine uns zeigt, welcher Berühmtheit selbst
auch in den unteren Schichten des Volkes der Dichter schon
damals — in seinem 37. Lebensjahre — sich erfreute, der
andere aber uns beweist, wie wenig sein erleuchteter Geist
von thörichtem Aberglauben beherrscht ward.
Zu Pontremoli im Gebiete von Perugia lebte ein alter
und erblindeter Grammatiker und Schulmann, der sich wol
auch einmal dilettantenhaft mit der Poesie beschäftigt hatte ^).
Dieser hegte für Petrarca, obwol er von ihm doch nur die
wenigen damals bereits veröffentlichten italienischen Lieder
kennen konnte, eine solche Bewunderung, dass er im Jahre
1341 auf die Kunde von des Dichters Anwesenheit in Neapel
ihn persönlich aufzusuchen beschloss. So trat er denn, gestützt
auf den Arm seines einzigen Sohnes, die weite Reise an und
gelangte nach Neapel. Petrarca hatte indessen die Stadt be-
reits wieder verlassen. König Robert, der von der Ankunft
des greisen, aber noch so jugendlich begeisterten Wanderers
gehört hatte, liess ihn zu sich rufen und ertheilte ihm den
Rath , er möge , wenn er Petrarca noch in Italien antreffen
wolle, ihm schleunigst nachreisen, denn sonst werde er ihn in
Frankreich aufsuchen müssen , worauf ihm der Blinde ent-
üegnete, er werde den verehrten Dichter, wenn es nöthig sei,
selbst in Indien zu finden wissen. Von dem Könige gross-
müthig mit Reisegeld unterstützt, wanderte der Greis nun
nach Rom, doch auch hier traf er den, welchen er suchte,
^) Ueber Petrarca's Aufenthalt in Parma vgl. Konchini, la dimora del
P. in Parma. Modeua 1874.
') Nach der von Carducci für glaubhaft befundenen Vermuthung Lelio's
dei Leli wäre dieser Blinde derselbe Stramazzo da Perugia gewesen, an
welchen Petrarca das Antwortosonett : „se l'onorata fronte, che prescrive"
gerichtet hat (cf. Carducci, Rime etc. p. 8 flf.).
Parma und Vaucluse. 197
nicht mehr an. Nicht wissend, wo er jetzt Petrarca finden
solle, kehrte er nach Pontremoli zurück, doch, sobald er er-
fahren hatte, dass der Dichter in Parma weile, l)rach er, jetzt
ausser von seinem Sohne noch von einem Schüler begleitet,
dahin auf und überschritt mitten im Winter den schneebedeckten
Apennin. Wie gross war seine Freude, als er endlich den
lang Gesuchten gefunden hatte! Drei Tage lang wich er nicht
von Petrarca's Seite, immer und immer wieder begeistert das
Haupt und die Hand dessen küssend, der die Lieder, die ihn
so entzückt, gedichtet- und niedergeschrieben hatte, und ihm
versichernd, dass er trotz seiner Blindheit ihn klarer zu er-
kennen vermöge, als Andere mit sehenden Augen. Von Azzo
da Correggio reich beschenkt, kehrte der Alte endlich in seine
Heimath zurück ').
Musste das eben erzählte kleine Ereigniss Petrarca innig
erfreuen, so musste das andere, welches wir nun zu berichten
haben, ihn ebenso innig betrüben.
Giacomo Colonna, den er zuletzt im Jahre 1337 zu Rom
gesehen und bei seiner Dichterkrönung schmerzlich vermisst
hatte-), war im Jahre 1340 nach siebenjähriger Abwesenheit
nach seinem Bischofssitze Lombes zurückgekehrt, aber nur,
um dort, wahrscheinlich in Folge des rauhen Klima's, in
schweres Siechthum zu verfallen, welches ihn rasch einem
frühen Tode entgegenführte. Petrarca hatte in Parma gerücht-
weise Kunde von des Freundes Erkrankung erhalten, indessen
in so unbestimmter Form, dass er die Hoffnung auf Genesung
für nicht ausgeschlossen hielt. Da geschah es, dass er, als er
in seinem Gartenhause zu Parma weilte, in einer Nacht
träumte, der Freund trete plötzlich und ohne Begleitung in
seinen Garten ein. Er eilte ihm — so spann sein Traum sich
weiter — überrascht entgegen und frug ihn nach der Ursache
seines unverhofften Kommens. Der Freund antwortete nicht
darauf, sondern begnügte sich, lächelnd zu sagen: „Erinnerst
') Ep. Sen. XV (b. Fracassetti XYD 7.
*) Ep. Fam. IV 6.
298 Fünftes Capitel.
Du Dich noch, wie lästig Dir, als Du einst jenseits der Garonne
bei mir verweiltest, die rauhe Witterung in den Pyrenäen
war? Ich bin jetzt ihrer müde geworden und gehe auf Nimmer-
wiederkehr nach Rom". So sprechend eilte er dem Ausgange
des Gartens zu und lehnte des Freundes Begleitung mit den
Worten ab : „Lass es gut sein, jetzt will ich Deine Begleitung
nicht". Petrarca schaute hierauf den Freund an und erkannte^
dass dessen Antlitz mit der Blässe des Todes bedeckt sei.
Von Furcht und Schmerz ergrilfen schrie er so laut auf, dass
er darüber erwachte und selbst noch den Schrei verhallen
hörte. Er behielt das Datum des Tages im Gedächtnisse und
nach Verlauf mehrerer Wochen eifuhr er, dass der Freund
gestorben und zwar am selben Tage und zur selben Stunde^
in welcher er das Traumgesicht erblickt. Giacomo's sterbliche
Ueberreste wurden, wie der Traum symbolisch verkündet,
mehrere Jahre später nach Rom überführt^).
Es wäre nach diesem seltsamen Erlebnisse wahrlich er-
klärlich gewesen, wenn Petrarca dem Glauben an vorbedeutende
Träume und Ahnungen gehuldigt hätte, zumal da ihm auch
ein anderer Traum auf gleich merkwürdige Art in Erfüllung
gegangen war. Wenn er daher gleiehwol sich von allem
solchen Aberglauben frei erhielt und wiederholt jede Traum-
deuterei als arge Thorheit kennzeichnete und auf das eifrigste
dagegen polemisirte -), so legt das ein überaus rühmliches Zeug-
niss ab für seinen aufgeklärten und helldenkenden Sinn und
verleiht ihm auch in dieser Beziehung ein Anrecht auf den
Ehrennamen des ersten modernen Menschen. Vielleicht trat
Petrarca durch Nichts so scharf und entschieden aus seinem
noch in dem Banne finsterer Geistesnacht liegenden Zeitalter
heraus, als durch diese gänzliche Freiheit vom Aberglauben,
und er erhob sich dadurch selbst noch weit über den geistigen
Horizont der späteren Renaissance, in welcher, wie das sehr
erklärlich und durchaus folgerichtig war, die ganze ungeheuer-
1) Ep. Farn. V 7.
2) vgl. namentlich Eer. mem. lib. IV 4. p. 525 u. 531.
Parma und Vaucluse. 199
liehe Superstition des römischen Alterthums neu auflebte
und sich mit dem mittelalterlichen Teufels- und Dämonen-
glauben zu einem widerlichen und unheilvollen Gemische
vereinigte ').
Den Aufenthalt in Parma unterbrach Petrarca zeitweilig
durch eine Villeggiatur in dem bei Pteggio gelegenen reizenden
Selvapiana. .Als er dort einst in dem dichtbelaubten, herrlichen
Walde lustwandelte, ergriff ihn die Sehnsucht, durch eine
grossartige Dichtung sich der Lorbeerkrone, mit welcher er
kurz zuvor geschmückt worden war, aufs Neue würdig zu
erweisen. Nicht besser glaubte er diesem Drange genügen
zu können, als durch die Weiterführung seiner „Africa"^ So
begann er, abermals Hand an die grosse Dichtung zu legen,
und brachte sie wirklich mit eifriger Arbeit in kurzer Zeit
ihrer Vollendung nahe ^) , wie er damals wenigstens meinte,
während er später freilich erkennen musste, dass es eine
Täuschung gewesen sei und dass das Werk, welches seines
Ruhmes unvergängliche Gnindlage bilden sollte, überhaupt
nicht wahrhaft innerlich vollendet werden könne. —
Im Frühjahre 1342 verliess Petrarca nach einjährigem
Aufenthalte Parma, um nach Avigiion und Vaucluse zurück-
zukehren. Wir kennen das Motiv nicht, welches ihn zur Rück-
reise bestimmte, haben aber auch nicht nöthig, uns mit künst-
lichen Vermuthungen darül)er abzuquälen ^). Nichts war natür-
licher, als dass der Dichter nach langer Abwesenheit wieder
einmal sein Heimwesen in Vaucluse aufsuchte, was ihm jeden-
falls, selbst wenn er gern noch länger sich in Italien verweilt
hätte, schon aus finanziellen Rücksichten als rathsam erscheinen
mochte. Ein anderer Grund konnte leicht noch bestimmend
mitwirken. Am 25. April 1342 war Papst Benedict XH. ge-
1) vgl. J. Burckhardt, a. a. 0. p. 410—439.
2) Ep. ad post. p. 9 f. Ep. poet. lat. II. 17.
") Die an Barbato da Sulmona gericlitete poetische Epistel III 19 kann
sich keinesfalls, wie Fracassetti Lett. fam. I p. 5.30 u. V p. 456 annimmt,
auf diese Rückreise nach Avignon beziehen, wie namentlich vv. 43 ff. un-
zweifelhaft beweisen.
200 Fünftes Capitel.
storbeii, von Petrarca gewiss wenig betrauert, wenn anders das
harte ürtheil, welches er über ihn gefällt und wodurch er ihn
als einen tnink- und schlafsüchtigen Menschen bezeichnet hat '),
der Ausdmck einer wahren Ueberzeugung und nicht bloss der
rhetorische Ausfluss einer augenblicklichen persönlichen Ver-
stimmung war'''). Zum Nitchfolger Benedicts wurde der aus
einem südfranzösischen Adelsgeschlechte entsprossene Cardinal
Pierre Roger, der den Namen Clemens VI. annahm, am 7. Mai
erwählt und zwölf Tage später in der Dominikanerkirche zu
Avignou mit bis dahin noch nie gesehener Pracht gekrönt^).
Diese Neubesetzung des päpstlichen Stuhles musste für Petrarca
grosse Wichtigkeit besitzen und wir können uns leicht vor-
stellen, dass er seine Abreise von Parma beschleunigte, um
sieh dem neuen Kirchenfürsten möglichst rasch vorzustellen
und sich der Gunst desselben zu versichern. Auch Dichter
sind Menschen mit menschlichen materiellen Bedürfnissen, und
kein billig Urtheilender wird es tadeln, dass auch Petrarca
nach einer sorgenfreien äusseren Existenz strebte, die ihm
durch das Canonicat in Lombes gewiss noch nicht hinreichend
gesichert worden war, und dass er also durch des Papstes
Gunst irgend eine einträgliche Präbende zu gewinnen sich be-
mühte. Man wird dies um so weniger als eine niedrige und
unwürdige Stellenjägerei bezeichnen können, als man zu er-
wägen hat, dass Petrarca vermöge seiner Individualität zur
Bekleidung irgend eines geistlichen oder weltlichen Amtes, wie
er dies selbst sehr wohl empfand, kaum befähigt war oder
doch, wenn ei- zur Uebernahme eines solchen sich entschlossen
hätte, zugleich seiner litterarischen Thätigkeit, also seinem
eigentlichsten Berufe, hätte entsagen müssen und dass ihm
^) Epist, sine tit. 1.
-) Man darf doch nicht übersehen, dass Petrarca in der Theorie jeden
avignonesischen Papst verdammte. Die objective Geschichte wird über
Benedict- XII. nicht ungünstig urtheilen können und mindestens anerkennen
müssen, dass er den redlichen Willen besass , die Pflichten seines hohen
Amtes zu erfüllen.
^) vgl. Christophe, a. a. 0. II p. t>3 f.
Parma und Vaucluse. 201
demnacli in einem Zeitalter, welches Biichhändleihonorare nicht
kannte und seine Dichter weder durch Subscriptionen noch
durch Ehrensolde unterstützte, nur der Besitz einer kirchliclien
Pfründe die Möglichkeit einer 1)ehaglichen Existenz, wie er
deren für sein geistiges Schaffen bedurfte, zu gewähren ver-
mochte. Auch darf man hierbei nicht vergessen, dass die
Kirche des Mittelalters den Beruf für sich in Anspruch nahm,
die Pflegerin und Schützerin der Wissenschaft und Kunst zu
sein, und dass demnach der Genius ohne sich zu erniedrigen
und mit gutem Rechte von ihr materielle Unterstützung fordern
durfte. Wenn die Kirche Petrarca Pfründen verlieh, so er-
füllte sie nur ihre Pflicht und der Dichter empfing nur, was
ihm gebührte.
Es ist mehrfach behauptet worden^;, Petrarca sei ein j\Iit-
glied jener Gesandtschaft gewesen, welche die Römer nach
Clemens' VI. Inthronisation nach Avignon abgehen liessen, um
den neuen Papst zu beglückwünschen und ihn um die Zurück-
verlegung des heiligen Stuhles nach Rom zu bitten, sowie ihm
die Würde und die Amtsgewalt eines römischen Senators zu
übertragen. Beweisen lässt sich diese Behauptung keineswegs 2),
aber man wird geni bekennen, dass sie die Wahrscheinlichkeit
in hohem Grade für sich hat, denn warum hätten die Römer
es verabsäumen sollen, die Beredtsamkeit des gefeierten Dich-
ters, dem sie unlängst ihr Bürgerrecht verliehen hatten, für
ihr Unternehmen sich zu gewinnen? und warum hätte Petrarca
sich nicht gern für eine Sache gewinnen lassen sollen, für die
er selbst stets begeistert gewesen war, und zu deren Aus-
führung nun als Mitwirkender berufen zu werden seiner Eitel-
keit schmeicheln mussteV Im Falle, dass Petrarca wirklich
als einer der Gesandten des römischen Volkes nach Avignon
gekommen ist, würde — ein merkwürdiges, folgenreiches
^) NamentlicL von Tiraboschi, a. a. 0. V. p. 709.
2) Die von Fracassetti Lett. fam. I p. ü30 angeführte Stelle ist nicht
bestimmt genug.
202 Fünftes Capitel.
Zusammentreffen der Umstände ! — Cola di Rienzo sein Reise-
und Amtsgenosse gewesen sein ^).
Wie dem aber auch sein mag, möge Petrarca ein officielles
Mandat von Seiten des römischen Volkes erhalten haben oder
nicht, er verfocht jedenfalls eifrigst die Interessen seiner
römischen Mitbürger. Wie einst an Benedict XII., so richtete
er jel;zt an Clemens VI. eine lange poetische Epistel -) , in
welcher er durch den Mund der Stadt Rom selbst, die er
redend einführte, den Papst ermahnte, er möge doch nach
Rom , das so viele hochheilige Reliquien in seinem Schoosse
berge, zurückkehren und das Beispiel Trajans nachahmen,
welcher, beim Antritte eines Heereszuges von einer Wittwe
um Gerechtigkeit angefleht, seinen Zug so lange unterbrach,^
bis er der Richterpflicht genügt hatte; wenn er aber trotz
alledem in Avignou verbleiben wolle, so möge er wenigstens
die durch Elementarereignisse und die Verheerungen der Zeit
schwer beschädigten Kirchen Roms wiederherstellen und im
Jahre 1350 das grosse Jubelfest feiern lassen.
Clemens VI. konnte aus triftigen Rücksichten der kirch-
lichen Politik ebenso wenig wie einst Benedict XII. dem durch
Petrarca so beredt ausgesprochenen Wunsche der Römer nach
der Verlegung des Sitzes der Curie nach Rom willfahren, wäh-
rend er die ihm angetragene senatorische Macht über die
Stadt anzunehmen gern bereit war und auch die Feier des
Jubelfestes für das Jahr 1350 bereitwillig zugestand. Petrarca
ward überdies für seine Epistel durch Verleihung eines Prio-
rates zu Migliarino in der Diöcese von Pisa belohnt 2).
In Vaucluse gab sich nun Petrarca wieder seinem frühereu,
der Wissenschaft, der Poesie und dem Naturgenusse gewid-
meten Stillleben iiin, aber freilich wurde er in seiner Ein-
samkeit mannigfach gestört und er musste in oft recht ver-
') vgl. die von Zefii'ino Re (Florenz 1854) edirte anonyme Vita di Cola
di Rienzo p. 18 f.
-) Ep. poet. lat. II 5; sie zählt 270 Verse.
3) Reg. Clem. VI. t. I f. 285.
V
Parma und Vaucluse. 203
driessliclier Weise erfahren, dass man nicht ungestraft ein be-
rühmter Mann ist. Niclit nur wurde er von einer wahren
Sündfluth von Briefen und poetischen Zusendungen aus allen
Theilen der Welt, selbst aus Griechenland und England, über-
schwemmet, sondern auch von Schaaren von Bewunderern in
seiner Einsamkeit aufgesucht^). Für die zahlreichen Fremden
höheren Standes, die in Avignon zusammenströmten, gehörte
es zum guten Tone, eine Wallfahrt nach der Dichtereinsiedelei
von Vaucluse zu unternehmen. Mochte sich auch darunter
mancher tüchtige Mann befinden, dessen persönliche Bekannt-
schaft zu machen für Petrarca erwünscht sein musste — wie
z. B. jener Abt Pierre le Bercheur von Poitiers, der gelehrte
Verfasser eines encyclopädischen Werkes („reductorium morale")
und erste französische Uebersetzer des Livius^) — , in der
grossen Mehrzahl waren es doch gewiss lästige Menschen, von
welchen sich begaffen und ausfragen zu lassen dem Dichter
peinlich genug sein musste und wofür ihn auch die etwa vor-
ausgeschickten oder mitgebrachten kostbaren Geschenke ^) nicht
schadlos halten konnten. Ein anderes Leidwesen kam hinzu.
Eine wahre Dichtermanie begann in Avignon und Umgegend
epidemisch sich zu verbreiten; die geistlichen Würdenträger,
Rechtsgelehrte und Aerzte an der Curie wurden vom poetischen
Fieber ergriffen und drechselten Verse, aber selbst auch schlichte
Bürger, Handwerker und Bauern fühlten plötzlich den Dichter-
beruf in sich und verlegten sich auf das Reimeschmieden.
Kaum durfte Petrarca mehr wagen auszugehen, denn, zeigte
er sich öffentlich, so ward er von den Menschen angegafft,
umdrängt und ausgefragt; Dichterlinge erbaten auf offener
Strasse stürmisch sein Urtheil über ihre Productionen und,
so vorsichtig er bei der Abgabe eines solchen immerhin
^) Ep. Farn. XIII 7. Dieser Brief gehört allerdings einer späteren
Zeit (1352?) an, aber die darin so anschaulich geschilderten Zustände
■waren jedenfalls schon lange vorher vorhanden.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 497. — Briefe Petrarca's an Pierre:
Ep. Fam. XXII 13. 14.
") Ep. Sen. XV (b. Fracassetti XVI) 7.
204 Fünftes Capitel.
sein mochte, so konnte er es doch kaum vermeiden, nach
irgend einer Seite hin anzustossen i). Zuweilen wurden ihm
aber auch ernstere Verlegenheiten bereitet. So wurde einmal
ein als kirchlicher Jurist und Diplomat mhmlich bekannter
Cardinal, Bernard d'Aube, Bisehof von Rhodez ^), von der poe-
tischen Wuth befallen und, vermeinend, dass Massenhaftigkeit
der Production genüge, um Dichterruhm zu erwerben, verfasste
er unendlich lange, der Metrik und dem Menschenverstände
gleich Hohn sprechende Carmina , über welche er Petrarca's
Urtheil zu hören verlangte. Natürlich bedurfte Petrarca seiner
ganzen Geschicklichkeit, um die zudringlichen und sinnlosen
Anforderungen des vornehmen Dilettanten abzuwehren und ihm
mit feiner Ironie anzudeuten, dass nicht ein Jeder, der Verse
zu Papier bringe, auch ein Dichter sei "')• Wie ansteckend die
poetische Wuth war, lieweist auch folgender Vorfall. Es kam
einmal ein alter Mann zu Petrarca und machte ihm untei-
Thränen heftige Vorwürfe, dass er durch das Beispiel, welches
er gegeben, es verschuldet habe, dass sein (des Alten) Sohn das
Rechtsstudium aufgegeben und sich der Dichtkunst gewidmet
habe, ohne doch für dieselbe Befähigung zu besitzen'*). Wen
erinnern derartige Vorkommnisse nicht an ähnliche Erschei-
nungen in der deutschen Litteraturgeschichte des achtzehnten
Jahrhunderts ?
Aber auch in anderer, ernsterer Weise wurde Petrarca in
der ruhigen Behaglichkeit seines Lebens in Vaucluse gestört.
Sein geliebter Bruder Gherardo, der treue Gefährte seiner
Jugend, entsagte im Jahre 1342^) dem weltlichen Leben und
trat in das Carthäuserkloster zu Montrieu bei Marseille ein.
Den äusseren Anlass zu dieser Entschliessung hatte der Tod
• ') Ep. Fam. XIII 7.
*) vgl. über ihn Fracassetti, Lett. fam. III p. 254 f.
*) Ep. poet. lat. II 2. 3 u. 4. Wahrscheinlich bezieht sich auch Ecl. 4
auf diese Episode.
*) Ep. Fam. XIII 7.
^) Ueber die Zeitbestimmung vgl. die eingehende und scharfsinnige
Untersuchung Fracassetti's, Lett. fam. II p. 496 ff.
Parma und Vaucluse. 205
der Geliebten Gherardo's gegeben^), indessen wird man wol
vermutlien dürfen, dass auch ohne dieses Ereigniss dennoch
der gleiche Schritt, wenn auch später, gethan worden wäre.
Gherardo scheint, ohne seines Bruders hohe geistige Begabung
zu besitzen, mit ihm jene weiche und gemüthvolle Natur ge-
meinsam gehabt zu haben, welche, verletzt und verwirrt von
dem Geräusche des Lebens, am liebsten in die Einsamkeit
sich zurückzieht und ihre völligste Befriedigung findet in der
glaubensvollen Hingabe an ein religiöses Ideal. Es ist das
eben diejenige Seite seines Charakters, durch welche Petrarca
am engsten mit dem Mittelalter, von dem er sonst in so vielen
Beziehungen sich loszulösen vermochte, verbunden blieb. Es
besass Petrarca eine starke Hinneigung zur Askese^), welche
mit den zunehmenden Jahren sich immer mehr steigerte, und
welche für eine unwahre und nur zur Schau getragene zu
halten ein schwerer Irrthum sein würde, obschon nicht ge-
leugnet w^erden kann noch soll, dass Petrarca, wie mit anderen
Dingen, so auch mit seiner Frömmigkeit und Askese gern
kokettirte und sie mit grossei- Absichtlichkeit vor den Augen
der Welt zu entfalten liebte. Aller Wahrscheinlichkeit nach
würde Petrarca, namentlich nach dem Tode Laura's, durch
seine Neigung zur Beschaulichkeit sich ebenso wie sein Bruder
haben bestimmen lassen, Trost und inneren Frieden in der Stille
einer Klosterzelle zu suchen, wenn dem nicht seine glühende
Begierde nach Ruhm, welche doch nur innerhalb des Avelt-
lichen Lebens Befriedigung erhoßen durfte, entgegengestanden
hätte. Bei Gherardo, der frei von jedem Ehrgeize gewesen
zu sein scheint, fiel dieser Gegengrund hinweg und so konnte
er seinem religiösen Drange volle Genüge thun, während sein
reich begabter, aber innerlich mit sich selbst zwiespältiger
Bruder bald an glänzenden Fürstenhöfen dem Phantome des
Ruhmes nach Humanistenweise nachjagte und bald wieder
^) Ep. Farn. X 3.
2) vgl. z. B. Ep. Farn. IV 1. X 3. 5. Ep. Sen. VIII 6. IX 2. XII 1.
Ep. poet. lat. II 19. de remed. utr. fort. II 1. Die Schrift „de otio religio-
sorum ist Nichts als eine Verherrlichung des Klosterlebens."
206 Fünftes Capitel.
von einsamen Landsitzen aus nach Art eines mittelalterlichen
Glaubenshelden die Verachtung alles Irdischen predigte^).
Nach dem, was wir soeben kurz erörterten, wird es uns
nicht wundernehmen, dass Petrarca sich über die Entschliessung
seines Bruders sehr beifällig aussprach und ihn von Herzen
zu derselben beglückwünschte, ja dass er sie sogar — man
liest dies aus den betreffenden Briefen ^) deutlich heraus —
mit einem gewissen Neide betrachtete und es schmerzlich
empfand, vermöge seiner ganzen Individualität von der Nach-
ahmung ausgeschlossen zu sein.
Das Verhältniss zwischen den beiden Brüdern verblieb das
beste, wenn auch, wie das füglich nicht anders sein konnte,
ihr Briefwechsel nur ein beschränkter war und oft lange Jahre
hindurch unterbrochen wurde ^). Die seltenen Briefe wurden
zuweilen von Geschenken begleitet. So erhielt Petrarca ein-
mal von Gherardo, der im Kloster seine bis dahin recht
mangelhafte wissenschaftliche Bildung rasch vervollkommnet
hatte, ein von diesem selbst verfasstes Büchlein moralischen
Inhalts *) , ein anderes Mal ein aus Buchsbaum gedrechseltes
Büchschen, des Bruders eigenhändige Arbeit; als Gegengaben
übersandte er Gherardo seinerseits die erste der von ihm ge-
dichteten Eklogen°) und ein Exemplar der Confessionen des
AugTistin '^), auch Geld bot er ihm wenigstens an'^). Zweimal
besuchte Petrarca den Bruder in der Carthause zu Montrieu *),
zum letzten Male im April 1353, kurz vor seiner Abreise nach
Italien, welche seine dauernde Niederlassung daselbst zur Folge
^) Den zwischen ihm und seinem Bruder trotz aller Verwandtschaft
der Charaktere bestehenden inneren Gegensatz hat Petrarca selbst in der
ersten Ekloge anschaulich geschildert.
2) Ep. Fam. X 3 u. 5.
•") Briefe Petrarca's an Gherardo : Ep. Fam. III 18. X 3. 4. 5. XYI 2
XVII 1. XVIII 5. Sen. XIV 6.
*) Ep. Fam. XVII 1.
s) Ep. Fam. X 4.
") Ep. Fam. XVIII 5.
') Ep Sen. XIV 6.
«) Ep. Fam. XVI 8. 9.
Parma und Vaucliise. 207
liaben sollte. Die Brüder sahen sich seitdem nicht wieder,
ohne jedoch einander zu vergessen. Noch in seinem Testamente
gedachte Petrarca liebend Gherardo's und setzte ihm ein be-
deutendes Legat aus ^).
Gherardo ^Yurde — und das beweist am besten die Auf-
richtigkeit und Innigkeit seiner religiösen Ueberzeugung — ein
]\Iönch im edelsten Sinne des Wortes und fasste die Pflichten
seines neuen Standes in der erhabensten Weise auf. Als ein-
mal die Pest in seinem Kloster wüthete^), gab er ein seltenes
Beispiel acht christlichen Heldenmuthes. Trotz des Zuredens
seines Priors, der vor der Seuche flüchtete und auch ihn
dazu bestimmen wollte, harrte er in dem Kloster aus, ver-
pflegte und begrub seine sämmtlichen vierunddreissig Mit-
brüder, welche von der schrecklichen Krankheit befallen und
dahingeraff't wurden, und bewachte dann während des ganzen
Sommers allein das verwaiste Kloster vor räuberischen An-
griffen, bis er nach dem Erlöschen der Pest für dessen Neube-
siedelung Sorge tragen konnte 3). Von hoher Freude ward
Petrarca erfüllt, als er von zwei wandernden Carthäusermönchen,
die er zufällig in Padua bei dem Bischöfe Hildebrand traf,
des Bruders hochherzige Handlungsweise erfuhr und in einem
Tvarmempfundenen Briefe sprach er ihm seine bewundernde
Anerkennung aus.
Gherardo überlebte seinen Bruder, ohne dass wir jedoch
wüssten, um wieviele Jahre. In stiller Verborgenheit hatte
er nach eigener Wahl den grössten Theil seines Lebens zuge-
bracht, in stiller Verborgenheit ist er auch gestorben. Der
Biograph Petrarca's aber darf an seiner anspruchslosen Gestalt
nicht achtlos vorübergehen , denn sie kann ihm zeigen , was
aus Petrarca, wenn der Götterfunke des Genius nicht in ihm
geglüht hätte, geworden sein würde: ein schlichter, glaubens-
inniger Mensch. Gherardo repräsentirt die zum Abschlüsse ge-
^) cf. Petrarca's Testament in der Ausgabe der Ep. Farn, von Fracas-
setti, t. III p. 544.
-) Walirsclieinlich im Jabre 1351, vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 417.
=>) Ep. Fam. XVI 2.
208 Fünftes Capitel.
brachte Entwickelung der seelischen Granrtnatur Petrarca's,
welche in diesem selbst, durch die Entfaltung der intellectuellen
Kräfte eingeengt, nicht zur vollen Reife und alleinigen Geltung
gelangen konnte. Gherardo ist ein rein mittelalterlicher
Charakter, dessen Grundzug die Passivität ist, während Petrarca
uns das Bild eines aus mittelalterlichen und modernen Ele-
menten sich eigenartig zusammensetzenden Charakters darbietet,
in welchem der ursprüngliche passive Gnindzug durch das neu
hinzutretende Streben nach thätiger Geltendmachung der Indi-
vidualität zurückgedrängt ist. Gherardo trat nach mittelalter-
licher "Weise in einen geschlossenen Stand ein, der das Auf-
geben oder richtiger das Nichtvorhandensein der Individualität
verlangte, Petrarca bewahrte sich, wenn, auch unter schweren
Seelenkämpfen und Zweifeln, nach moderner Weise eine freie
Stellung, wie sie seiner Individualität entsprach, und trat aus der
ständisch gegliederten socialen Welt seiner Zeit heraus.
Niemals hat wol jenes Schwanken zwischen dem Aufenthalte
in ländlicher Einsamkeit und demjenigen in geräuschvollen
Grossstädteu und an leidenschaftsbewegten Fürstenhöfen, welches
Petrarca's ganzes äusseres Leben kennzeichnet, einen so schar-
fen Ausdruck gefunden wie im Jahre 1343, als er aus dem
stillen Vaucluse plötzlich an den wild erregten Königshof von
Neapel versetzt wurde.
Im Januar ^) 1343 starb hochbetagt nach vierunddreissig-
jähriger Regierung Petrarca's erlauchter Gönner, der König
Robert von Neapel. Da sein einziger Sohn, der Herzog Carl
von Calabrien, bereits lange Jahre vor ihm (1328) gestorben
war, so wurde dessen jugendliche Tochter Giovanna, welche
bereits mit ihrem noch jüngeren Vetter Andreas, dem Sohne
Caroberts und dem Enkel Carl Martells von Ungarn, vermählt
war, zur Nachfolge berufen. Dem jungen Herrscherpaare sollte
nach Roberts letztem Willen ein Regentschaftsrath unter des
Bischofs Philipp von Cavaillon Vorsitz zur Seite stehen, bis
. ^) Die Angaben des Tages schwanken in den Quellen zwischen dem
14. und 21. Januar.
Parma und Vaucluse. 209
Giovanna das fünfundzwanzigste Jahr erreicht und damit die zur
Selbstregierung erforderliehe Reife erlangt haben würde. Diese
Maassregel der Vorsicht erwies sich als völlig vergeblich. Kaum
hatte Robert die Augen geschlossen, als an dem königlichen
Hofe ein wilder, mit allen Mitteln südlicher Leidenschaft ge-
führter Parteikampf entbiannte, dessen Flammen von ehr-
geizigen Frauen und Mönchen geschürt wurden und in welchem
der Regentschaftsrath zu einer ohnmächtigen und unwürdigen
Zuschauerrolle sich vei-urtheilt sah ').
Dem Papste als dem Oberlehnsherni des Königreichs der
beiden Sicilien konnte die in Neapel entstehende wüste Anar-
chie nicht gleichgültig sein und, um derselben zu steuern und
zugleich seinen oberherrlichen Rechten, welche durch die Ein-
setzung des Regentschaftsi-athes l)eeinträchtigt erscheinen muss-
ten, grössere Anerkennung zu verschaffen, hielt er es für rath-
sam, einen Gesandten nach Neapel abzuschicken. Zur Ueber-
nahme dieser schwierigen Mission, welche ebensoviel Klugheit
als Kühnheit erforderte, wurde, vennuthlich auf Empfehlung
des Cardinais Giovanni, Petrarca ausersehen, welcher veraiöge
seiner einstigen intimen Beziehungen zum Könige Robert als eine
vorzugsweise geeignete Persönlichkeit erscheinen konnte. Leider
fehlen uns über die Instructionen, welche Petrarca empfing,
alle näheren Nachrichten, gewiss aber ist, dass er ausser mit
den Aufträgen des Papstes auch mit einem privaten Auftrage
seines Gönners, des Cardinais Giovanni, betraut wurde: er
sollte die Befreiung einiger gefangen gehaltener neapolitanischer
Edelleute ^), welche zu den Colonnesen in näheren Beziehungen
gestanden zu haben scheinen, auszuwirken suchen.
So trat denn Petrarca, der zur Uebernahme einer derar-
tigen diplomatischen Mission sich gewiss sehr bereitwillig ge-
') vgl. das Chronicon des Dominicus de Gravina b. Mm-atori XII
p. 553 ff. ^man sehe auch Leo, Geschichte der ital. Staaten IV p. ö62 ff.).
^) Vermuthlich waren es die drei Söhne des Nicola da Barletta, die
Grafen Gioan-Pipino von Minerbino, Luigi von Potenza und Pietro von No-
cera, vgl. Fracassetti, Lett. fam. 11 p. 15 und Dominicus de- Gravina 1. 1.
p. 551 ff.
Körting, Petrarca. 14
210 Fünftes Capitel.
zeigt hatte, die weite Reise au. In Nizza schiffte er sich ein : da
jedoch die Heerfahrt durch widrige Winde sehr erschwert wurde,
so beschloss er in Porto San Maurizio zu Lande weiterzureisen.
Ein glücklicher Zufall fügte es, dass er mehrere kräftige
deutsche Pferde kaufen konnte, und auf diesen setzte er, nur
von einem einzigen Gefährten begleitet, die Reise fort, während
seine Dienerschaft mit dem Gepäcke auch weiterhin das Schiff
benutzte. Bald aber sollte der Ritt sein Ziel finden. Der
damals zwischen Mailand und Pisa wüthende Kriegt) machte
die Strassen dermaassen unsicher, dass Petrarca, als er bis
Lerici gekommen war — der gerade Weg, welcher ihn ühev
Lavenza geführt haben würde, war ihm durch die Lager der
beiden feindlichen Heere versperrt worden — , es vorzog, sich
abemials den Wellen anzuvertrauen und bis in die Nähe von
Mutrone zur See zu reisen. Von dort ab setzte er die Reise
über Pisa, Siena, Perugia, Todi und Narni wieder zu Lande
fort und gelangte am 4. October in später Abendstunde nach
Rom. Nur einen Tag verweilte er sich hier im Verkehr mit
dem gTeisen Stefano Colonna, dann brach er nach Neapel auf,
welches er ohne jeden Zwischenfall glücklich erreichte ^).
Die Eindrücke, welche Petrarca in Neapel empfing, waren die
denkbar ungünstigsten. Am Königshofe w^urde er Zeuge des
unsittlichsten und ränkevollsten Treibens und musste sehen, wie
ein verschmitzter Franciscanermönch , der einst des jungen
Andreas Lehrer gewesen war, statt des jugendhchen Fürsten-
paares herrschte ^). Auf den Strassen der Stadt aber gewahrte
er ein rohes und verwildertes Volk, das sich noch, wie einst
in der Römerzeit, an Gladiatorenspielen ergötzte, und Nachts
sah er vornehme junge Leute bewaffnet die Stadt durch-
sehwärmen und allen Ausschreitungen eines zügellosen Jugend-
übermuthes sich hingeben*). War es ein Wunder, dass er
1) vgl. Giov. ViUaui XII c. 25 und 37.
2) Ep. Fam. V 3.
3) Ep. Fam. V 3.
*) Ep. Fam. V 6. Das Entsetzen, mit welchem Petrarca von dem Fort-
bestehen der Gladiatorenspiele spricht, gereicht seinem sittlichen Geföhle
zur hohen Ehre.
Parma und Vaucluse. 211
bei solcher Sachlage sich sehr unglücklich fühlte in der schönen
Stadt, welche er zwei Jahre vorher unter so ganz anderen
Verhältnissen zum ersten Male besucht hatte, dass er fort-
während wehmüthige Vergleiche anstellte zwischen dem Einst
und Jetzt und dass er König Roberts Walten überall schmerz-
lich vermisste ')?
Es schien, als wenn sich auch die Elemente verschworen
hätten, dem Dichter den Aufenthalt in Neapel zu verleiden.
Ein Bischof hatte für den 25. November ein Erdbeben vor-
ausgesagt und mit banger Erwartung sah man dem gefürchteten
Tage entgegen. Und die Prophezeihung sollte, wenn auch nicht
buchstäblich, so doch in unheilvollster Aehnlichkeit sich bewahr-
heiten. Ein furchtbares Unwetter tobte an diesem Tage, bedrohte
die Stadt mit dem Untergange und zertrümmerte die meisten der
im Hafen liegenden Schiffe. Mitten in der Nacht begann das
Toben des furchtbaren Sturmes. Petrarca, der in dem Lorenzo-
kloster wohnte, hatte sich spät zur Ruhe begeben, als plötz-
lich unter dem entsetzlichen Tosen der entfesselten Windsbraut
die Mauern und das Gewölbe des festen Gebäudes zu wanken
begannen. Der Prior des Klosters und die Mönche, Avelche zum
üblichen Nachtgebete sich erhoben hatten, stüi'zten von Entsetzen
ergriffen mit Angstgeschrei in Petrarca's Zimmer. Dieser suchte
ihnen Muth einzuflössen und begab sich mit ihnen in die Kirche,
wo sie vereint unter Gebet und Seufzen auf den Knieen liegend
die Schreckensnacht verbrachten, jeden Augenblick erwartend,
unter den Trümmern begraben zu werden. Als der Tag zu
grauen begann, traten die Priester in ihren Amtsgewändern an
die Altäre und brachten das heilige Messopfer dar, während
die Uebrigen noch zagend am Boden liegen blieben und den
Blick nicht zum Himmel zu erheben wagten. Das Tageslicht
erschien endlich, obwol nur verhüllt und nur um Weniges von
der düstern Nacht verschieden; da verstummte plötzlich das
Angstgeschrei, welches man bis dahin von der oberen Stadt
■») vgl. Ep. poet. lat. II 0. II 7 v. 1-21. II 16.
14*
212 Fünftes Capitel.
her vernommen hatte, aber um so lauter und erschütternder
ertönte es jetzt vom Hafen her. Begierig zu erfahren, was
dort vorgehe, und kühner geworden, begab sich Petrarca mit
seinen Gefährten an den Meeresstrand und wurde hier Zeuge
eines schrecklichen Schauspieles. Mitten im Hafen zertrümmerte
die empörte See die Schiffe, die sich dort sicher gewähnt
hatten, die armen Schiffbrüchigen fanden einen kläglichen Tod
in den wild erregten Wellen und ihre verstümmelten Leichname
wurden an das Gestade geschleudert. Ein einziges Schiff entkam
der Wuth des Orkans und seltsamer Weise war es ein solches,
dessen Bemannung aus zum Kriegsdienste begnadigten Ver-
brechern bestand. Dies eigenthümliche Zusammentreffen hätte
Petrarca's Glauben an die göttliche Gerechtigkeit erschüttern
können, doch fand er dafür Erklärungsgründe bei Lucan und
Virgil und übersah , wie oberflächlich diese waren ^). Wir
sehen auch hierin die seltsame Mischung der Elemente der
Renaissancecultur: die heidnische Philosophie will das Christen-
thum suppliren.
Um sich den ihm immer unerträglicher werdenden Auf-
enthalt in Neapel abzukürzen, wollte Petrarca im Deceiiiber
den Mons Garganus und das Küstenland von Brindisi besuchen,
es ward ihm jedoch dies Vorhaben von der älteren Königin,
der Wittwe Roberts, widerrathen, weil die Wege zu unsicher
seien. So begnügte er sich denn mit einem Ausfluge nach dem
alten Bajae und dessen Umgebung, den er mit seinen Freunden
Giovanni Barili und Barbato da Sulmona unternahm. Die
kleine Reise befriedigte ihn ungemein, da sie ihm Gelegenheit
bot, viele der von Homer ') und Virgil besungenen sowie der
aus der römischen Kaisergeschichte bekannten Oertlichkeiten
Campaniens zu besuchen, so namentlich die Grotte der Sibylle
und den Avernersee. Auch eine moderne Amazone sollte er
^) Ep. Farn. V 5. Die Schilderung des Sturmes, welche Petrarca in
diesem Briefe gibt, zählt zu den schönsten Meisterwerken seiner latei-
nischen Prosa.
-) Bekanntlich verlegten die Alten den Wohnsitz der Circe an die
campanische Küste.
Parma und Vaucluse. 213
auf dieser Lustfahrt kennen lernen. In Pozzuuli lebte ein
Mildchen Namens Maria, welches mit unglaublichen Köiper-
kräften begabt war und nach Männerai't sich in den Waffen
iibte. Auf Petrarca' s und seiner Freunde Wunsch legte die
Jungfrau vor ihnen einige Proben ihrer Stärke ab , indem sie
schwere Steine und Speere schleuderte. Petrarca glaubte nun
in ihr die wieder erstandene Camilla Virgirs zu sehen i).
Endlich, verrnuthlicli am Ende des Decembers, konnte
oder musste Petrarca die ihm so unliebsam gewordene Stadt
verlassen. An äusseren Ehren hatte es ihm während seines
dortigen Aufenthaltes nicht gefehlt und die Königin Giovanna
hatte ihn sogar zu ihrem Hofcaplan ernannt 2), aber, was er
durch seine Mission hatte erreichen sollen, hatte er nicht zu
erreichen vermocht. Die Warnungen und Kathschläge des
Papstes, deren Ueberbringer er war, verhallten ungehört in
dem tollen Treiben des Hofes, das rasch einer jähen Kata-
strophe zueilen sollte. Der Dichter war entweder ein unge-
schickter oder, was wahrscheinlicher, ein unglücklicher Diplomat
gewesen. Nicht einmal die von dem Cardinal Giovanni Colonna
gewünschte Befreiung der drei gefangenen Grafen scheint
man ihm zugestanden zu haben , wenigstens widersetzte sich
der allgewaltige Franciscaner Robert derselben mit allen
Mitteln ^) und gewiss nicht erfolglos.
Wahrscheinlich waren es Schaam und Unmuth über die
Ergebnisslosigkeit seiner diplomatischen Sendung, welche Pe-
trarca bestimmten, nicht, wie doch sonst wol erforderlich ge-
wesen wäre, direct nach Avignon zurückzukehren, sondern
abermals einen längeren Aufenthalt in Parma zu nehmen.
Aber auch hier sollte er die Verhältnisse sehr zum Ungünstigen
verändert finden.
1) Ep. Farn. V 4.
-) vgl. de Sade, II p. 147.
") Ep. Farn. V 6. Die Grafen wurden später allerdings befreit, aber,
wie es scheint, durch die freie Entschliessung des jungen Andreas, welcher
durch diesen unklugen Schritt sein eigenes Verderben vorbereitete, vgl.
Dominicus de Gravina b. Muratori XII p. 554.
214 Fünftes Capitel.
Jubelnd hatten Parma's Bürger die Correggi, als sie am
23. Mai 1341 nach Vertreibung der Scaligeri in die Stadt ein-
gezogen waren, als ihre Befreier begrüsst, und die milde Art
und Weise, mit welcher die neuen Herrscher anfänglich die
erlangte Macht gebrauchten, schien solchen Jubel zu recht-
fertigen. Die Enttäuschung sollte aber nicht lange auf sich
warten lassen. Die Coireggi legten bald die Befreiermaske ab
und herrschten nach der gewöhnlichen Willkürart der Usur-
patoren , eine Tyrannis , die um so drückender erscheinen
musste, als die Stadt auch äussere Bedrängniss zu erleiden
hatte, indem Mastino della Scala, nach ihrem Wiedererwerbe
trachtend, ihr Gebiet mit Krieg überzog. Schlimmer noch ge-
stalteten sich die Verhältnisse, als der ehrgeizige Azzo nach
dem im November 1344 erfolgten Tode seines ältesten Bruders
Simone mit seinen beiden überlebenden Brüdern Guido und
Giovanni sich verfeindete, sie aus der Stadt vertrieb und, um
ihnen jede Antheilschaft an der Signorie zu rauben, schliess-
lich die Herrschaft über Parma an den Marchese Obizzo voa
Este, Herren von Ferrara, um den Preis von 60,000 Gulden
verkaufte. Durch diesen unwürdigen Handel, der sich am
wenigsten für den Mann ziemte, welcher von Petrarca als ein
neuer Brutus und als ein Wohlthäter des Vaterlandes gepriesen
worden war, wurde das Anrecht Luchino's Visconti von Mailand
verletzt, welchem ja Azzo nach vier Jahren die Signorie zu
überlassen hatte geloben müssen ^), und so ward denn Parma
gegen Ende des Jahres 1344 von einem mailändischen Heere,
dem sich zahlreiche Bundesgenossen der Visconti angeschlossen
hatten, eng umlagert^).
Petrarca, der, wie leicht begreiflich, mit keiner der beiden
streitenden Parteien zu sympathisiren vermochte, musste den
mit vielen Beschwerden verbundenen Aufenthalt in der ein-
geschlossenen Stadt sehr lästig empfinden und der Gedanke
reizte ihn, sich durch eine kühne Flucht wieder in den Besitz
») vgl. oben S. 185.
-) vgl. Joann. Cornaz. bist. Parm. b. Muratori XII p. 744 f. Leo^
Geschichte der ital, Staaten III p. 292 f.
Parma und Vaucluse 215
der ihm so theuern Freiheit zu setzen. Am Abend des
23. Februars 1345 ^) verliess er , nur von wenigen Gefährten
begleitet, heimlich Parma, das er einst so hoffnungsvoll be-
treten hatte, und es gelang ihm, ungefährdet das feindliche
Lager zu durchwandern. Als aber die Flüchtlinge gegen
Mitternacht sich den Mauern der feindlichen Stadt Reggio
näherten, wurden sie von einer Schaar von Räubern, welche
aus einem Hinterhalte hervorbrachen, angegriffen und konnten
nur durch die schleunigste Flucht sich retten. Auch Petrarca
spornte sein Ross zur raschen Flucht und ritt ohne sicheres
Ziel in die dunkle Nacht hinein, immer fürchtend, von den
Verfolgern erreicht zu werden. Endlich glaubte er in Sicher-
heit zu sein, als plötzlich sein treues Ross stürzte, ihn abwarf
und dann ein Stück Weges fortschleifte. Nur mit Aufljietung
aller Kräfte gelang es ihm, sich zu erheben und wieder in den
Sattel zu schwingen, aber die ihn begleitenden beiden P'ührer
hatten in der wirren Flucht den Weg verloren und vermochten
ihn im nächtlichen Dunkel nicht wieder aufzufinden ; müde und
furchtsam geworden verlangten sie, dass man unter freiem
Himmel an derselben Stelle, wo man sich eben befand,
übernachtete, trotzdem dass man dort die Rufe der feindlichen
Wachposten vernehmen konnte. So brachte denn Petrarca,
dem in Folge des Sturzes mit dem Pferde der rechte Arm
stark angeschwollen war, auf dem nackten und harten Boden
— denn kein Rasen, kein belaubter Zweig, keine schützende
Felsgrotte war dort zu finden — eine wahre Höllennacht zu,
deren Schrecken noch durch heftiges Unwetter und strömen-
den Regen gesteigert wurden. Beim ersten unsicheren Lichte
der Morgenröthe ward die beschwerliche Reise fortgesetzt und
man gelangte glücklich nach dem befreundeten Scandiano, wo
Petrarca erfuhr, wie er es nur dem plötzlich ausgebrochenen
Unwetter verdanke, dass er einem Hinterhalte entgangen sei,
der in der Nähe der Stadt auf ihn gelauert habe. Allmählich
fanden sieh auch seine Gefährten auf verschiedenen Wegen,
^) Ueber die Zeitbestimmung vgl. die Untersuchung von Fracassetti^
Lett. fam. II p. 51 f.
216 Fünftes Capitel.
aber alle wohlbehalten wieder zusammen und, da der Aufent-
halt in Scandiano nicht recht sicher zu sein schien, so ent-
schloss man sich, nachdem Petrarca's Arm nothdürftig ver-
bunden worden war, auf Bergpfaden nach Modena weiterzureisen.
Von dort aus begab sich Petrarca am folgenden Tage nach
Bologna und hier dictirte er denn selbst zu schreiben
gestattete ihm der Zustand seines verletzten Armes nicht —
den an seinen iFreund Barbato von Sulmo gerichteten Brief,
in welchem er die überstandenen Gefahren der glücklich aus-
geführten Flucht anschaulich und lebendig erzählte ^).
Nur spärlich sind wir über Petrarca's Schicksale während
der nächsten Monate unterrichtet. Ein unstätes Leben auf
fortgesetzter Reise und mehr vielleicht noch die am Anne
erlittene Verletzung scheint ihm in dieser Zeit die gewohnte
Thätigkeit des Briefschreibens unmöglich gemacht und dadurch
die in der Briefsammlung an der betreffenden Stelle vorhandene
Lücke verschuldet zu haben. Indessen ist doch soviel wenig-
stens gewiss, dass Petrarca seinen Rückweg nach Frankreich
über Verona nahm, woselbst er bei Guglielmo da Pastrengo
und wol auch bei dem nach seiner Aussöhnung mit Mastino
della Scala dort lebenden Azzo da Correggio gastfreundliche
Aufnahme gefunden zu haben scheint. Dieser Aufenthalt Pe-
trarca's in Verona ist für die Geschichte des Humanismus und
der Renaissance überaus folgenreich und bedeutungsvoll ge-
worden, indem damals die Handschrift der Briefe Cicero's „ad
familiäres" von Petrarca aufgefunden wurde ^j. Irrig wäre es
freilich zu meinen, dass durcli diese Entdeckung die Vorliebe
der Humanistenzeit für die Epistolographie erst erweckt worden
sei. denn ein Blick auf die stattliche Anzahl von Briefen,
welche Petrarca selbst vor dem 16. Juni 1345 vei-fasst hat,
würde genügend beAv eisen, dass es damals keines äusseren
0 Ep. Fam. V 10, datirt vom 25. Februar (1345).
") Ep Fam. XXIV 3.; der Brief ist datirt: Verona, 16. Juni 1345 und
ist somit beweisend für Petrarca's Aufenthalt zu Verona im Jahre 1345. —
Ueber die Schicksale des von Petrarca aufgefundenen Codex vgl. Detlefseu
in Jahns Jahrbb., Bd. 87, p. 550 fif.
Parma und Vauduse. 217
Anstosses mehr bedurfte, um den Drang zum Gedankenaus-
tausche |in Briefform erwachen zu lassen, sondern dass dieser
Drang bereits vorhanden, wenn auch allerdings einer Steigening
fähig warj Die eifrige Pflege der Epistolographie, welche den
Humanismus kennzeichnet, hat tiefere Gründe, als die zufällige
Auffindung einer antiken Mustersammlung, und höchst wahr-
scheinlich würden im vierzehnten, fünfzehnten und sechszehnten
Jahrhundert genau ebenso viele lateinische Episteln geschrieben
worden sein, auch wenn Cicero's Freundesbriefe nicht entdeckt
worden wären. Aber, selbst wenn man verkennen wollte, wie
das üppige Gedeihen der Epistolographie im Zeitalter der
Renaissance eine von äusseren Zufälligkeiten unabhängige
psychologische und culturgeschichtliche Nothwendigkeit war, und
dasselbe durchaus aus einer bestimmten äusseren Thatsache ab-
leiten zu müssen vermeinte, so vergesse man nicht, dass, bevor
noch Petrarca Cicero's Episteln aus dem Dunkel einer Bibliothek
in das Licht der Oeftentlichkeit zog, doch bereits eine umfang-
reiche lateinische Briefsammlung vorhanden und allgemein
bekannt war, des Seneca Episteln an Lucilius. Keineswegs also
hat die glückliche Entdeckung Petrarca's die Epistolographie
des Humanismus begründet, aber sie hat andere weittragende
Folgen nach sich gezogen. Ehe man Cicero's Freundesbriefe
kannte, besass man — abgesehen von Terentius' Comödien ^),
welche indessen aus mancherlei Gründen , selbst ihrer me-
trischen Form wegen, keine recht durchgreifende Wirkung aus-
zuüben vermochten — kein einziges Schriftwerk grösseren
Umfanges, welches ein Muster der eleganten römischen Um-
gangssprache, die ja auch die Sprache der vertraulichen
Correspondenz war, dargeboten hätte. Seneca's Briefe geben
^) Plautus, von welchem man übrigens bis zum Anfang des fünfzehnten
Jahi'hunderts nur die ersten acht Stücke kannte (vgl. Ritschi, Opusc. II
p. 236 ff.), konnte wegen seiner archaistischen Sprache und der eigenthüm-
lichen Schwierigkeiten, welche diese sowie die Metrik bekanntlich dem
Verständnisse bietet, als Stylmuster nicht in Betracht kommen; er musste
erst durch eine im fünfzehnten Jahrhundert, vermuthlich durch Antonius
von Palermo, vollzogene Umarbeitung dem Renaissancepublicum mundgerecht
gemacht werden (vgl. Teuffei, Rom. Litteraturgesch. 3. Aufl. p. 164.).
218 Fünftes Capitel.
ein solches nicht, denn nur in sofern sind sie Briefe,
als sie eine Adresse an ihrer Spitze tragen, in Wahrheit sind
sie moralphilosophische Abhandlungen und Monologe, und der
in ihnen zur Anwendung gebrachte Styl ist durchaus der rhe-
torische und von der famihären Rede durch eine weite Kluft
geschieden. Die durch Petrarca vermittelte Bekanntschaft mit
Cicero's Briefen füllte demnach eine Lücke aus, welche, wenn
sie länger fortbestanden hätte, überaus schmerzlich empfunden
worden sein würde , ja durch welche , man darf es kühn be-
haupten, der Renaissance beträchtlich engere Grenzen gezogen
worden wären. Erst Cicero's Briefe lieferten den erforderlichen
Schatz von Worten und Redewendungen, um die latinisirende
Renaissance auch auf das litterarische Privatleben übei-tragen
zu können, erst durch sie ward die Unterhaltung und die
Correspondenz über die Dinge und Verhältnisse des alltäglichen
Lebens ermöglicht. Hätten die Humanisten dieses trefflichen
Hülfsmittels entbehren müssen, so wären sie genöthigt ge^vesen,
auf die lateinische Umgangssprache des Mittelalters zu recur-
riren, und sie wären demnach, um so zu sagen, immer mit
einem Fusse in der litterarischen Barbarei stecken geblieben,
hätten das Ideal einer stylistisch abgerundeten und formen-
schönen Darstellung nie allseitig und völlig zu erreichen ver-
mocht. Die Wahrheit dieser Behauptung wird durch Petrarca's
eigene Briefe, deren Latinität zu so manchen sehr begründeten
Ausstellungen Anlass gibt und theilweise geradezu noch ein
mittelalterliches Gewand trägt, auf das schlagendste bestätigt,
denn der glückliche Finder der „epistolae ad familiäres" war,
als ihm im Jahre 1345 der grosse Fund zu Theil ward, be-
reits zu alt und hatte sieh schon eine zu individuell gefestete
Schreibweise gebildet, als dass er die Frucht seiner eigenen
Entdeckung zu pflücken und ciceronianiseh gewandten und
eleganten Briefstyl sich anzueignen vermocht hätte. So kommt
es, das Petrarca's Episteln, wo ihre Latinität eine leidliche ist,
das unverkennbare Gepräge der Rhetorik Seneca's an sich
tragen, dagegen stark an mittelalterliche theologische Tractate
erinnern, wo ihr Latein, eines antiken Musters, das als Stütze
Parma und Vaucluse. 219
hätte dienen können, entbehrend, in bedenklichen Solöcismen und
Barbavismen einherschwankt. Petrarca hat eben das gelobte Land
eines für alle Bedürfnisse verwendbaren eleganten lateinischen
Styles nur entdeckt, er hat es aber nicht erforscht und seine
Schätze nicht ausgebeutet. Das blieb erst seinen Nachfolgern,
den späteren Humanisten, vorbehalten. Der Ruhm aber und
das Verdienst des grossen Begründers des Humanismus und
der Renaissance wird durch diese Thatsache in keiner Weise
geschmälert, denn wie darf man fordern, dass derjenige, welcher
neue Culturformen schafft, dieselben zugleich noch selbst zu
ihrer höchsten Vollendung ausbilde? Zu solchem Werke reicht
das karge Maass menschlicher Lebenszeit und Lebenskraft
nicht hin. — —
Während seines Aufenthaltes in Verona scheint Petrarca
auch für die Erziehung seines Sohnes Giovanni Sorge getragen
zu haben ^). Der. wie wir sahen, im Jahre 1337 geborene
Knabe war nun acht Jahre geworden und es wurde demnach
erforderlich, ihm einen regelrechten wissenschaftlichen Unter-
richt angedeihen zu lassen. Petrarca mochte mit gutem Grunde
empfinden , dass ihm jede Lust und Befähigung zu einer päda-
gogischen Thätigkeit abgehe, und überdies auch aus nahe
liegenden persönlichen Gründen nicht wünschen, dass sein mit
dem Makel der Illegitimität behafteter Sohn dauernd bei ihm
bleibe. Er entschloss sich daher, des Knaben Erziehung und
Ausbildung der Sorge des tüchtigen Grammatikers Rinaldo
aus Villafranca anzuvertrauen und ihn in Verona zurückzulassen.
Leider führte Petrarca diese heilsame Maassregel nicht mit der
erforderlichen Consequenz durch, sondern nahm schon wenige
Jahre darauf (1348) seinen Sohn wieder zu sich, die Erziehung
desselben theils selbst leitend theils sie der Fürsorge des
Grammatikers Gilberto überlassend^). Dieser Missgriff sollte
sich schwer rächen. In Folge des wiederholten Wechsels seines
Aufenthaltes und seiner Erzieher gelangte der junge Giovanni
ij vgl. Fracassetti, Lett. fam. II p. 257 ff.
-j Ep. Fam. VII 17.
220 Fünftes Capitel.
ZU keiner zusammenhängenden wissenschaftlichen Bildung und
noch weniger zu einem festen moralischen Bewusstsein. Er
wuchs zur Last und zur Bekümmemiss des Vaters heran und
würde, wäre ein längeres Leben ihm beschieden gewesen, wol
dessen ruhmvollen Namen mit Schmach bedeckt haben. So be-
stätigte auch er die alte Erfahrung, dass grosse Männer in der
Regel als Väter wenig glücklich sind.
Nachdem er, wie es scheint, in Verona längere Zeit sich
verweilt hatte, setzte Petrarca endlich seine Reise nach der
französischen Heimath fort. Guglielmo gab ihm bis zu dem
malerisch gelegenen Peschiera das Geleite ^). Hier verbrachten
die beiden Freunde in traulichen Gesprächen die Nacht nach
ihrer Ankunft. Kein Schlaf kam in ihre Augen. Beim ersten
Morgenschimmer, als die Strahlen der Sonne das düstere Ge-
wölk noch nicht durchbrochen hatten und das nächtige Dunkel
noch nicht geschwunden war, bestiegen sie wieder zum weiteren
Ritte die Rosse. Als sie nun die Stadt verlassen hatten und
plötzlich im freien Felde sich befanden und im jungen Morgen-
lichte auf der einen Seite die ruhigen Fluthen des Gardasee's,
auf der anderen ein dichtbelaubter Wald vor ihren Blicken
lagen, da wurde Petrarca tief ergriffen von der wunderbaren
Anmuth der Landschaft und der Entschluss, ein so schönes
Land zu verlassen, mochte ihn bitterlich reuen. Nun kamen
sie an einen kleinen Hügel, der das Gebiet Verona' s von dem-
jenigen Brescia's scheidet, und hier mussten die Freunde sich
trennen. Mit innigster Rührung umarmte Petrarca Guglielmo
und ihn umfassend sprach er mit zitternder Stimme: „Ich
scheide nun von Dir, o süsser Freund, und ziehe in ein fremdes
Land, nicht weiss ich, ob jemals meine Augen Dich wieder-
sehen werden. Treu aber wird in meiner Brust die Liebe zu
Dir fortleben und weder die Entfernung noch die Zeit werden
jemals unsere wahre Freundschaft zu mindern vermögen. Sei
dessen eingedenk, dass ich ganz Dir angehöre sowie Du mir.
^) vgl. den Brief Guglielmo's b. Fracassetti II p. 439 f., welcher jeden-
falls in das Jahr 1345 zu setzen ist.
Parma und Vaucluse. 221
Lebe wohl! Liebe mich wie ich Dich liebe und nochmals
empfange ein zärtliches Lebewohl!" Auf diese mit Thränen
begleiteten Worte vermochte Guglielmo. nicht minder gerührt
und von Schmerz ergriffen, Nichts weiter zu erwidern, als ein
stammelndes „Ja". Nach solchem Abschiede sprengte Petrarca
davon, Guglielmo aber schaute ihm lange unverwandten Blickes
nach und gedachte schmerzlich der Beschwerden und Gefahren,
die der Freund auf der weiten Keise noch zu bestehen habe;
endlich trat er den Rückweg an, aber den ganzen Tag über
war er in seiner Wehmuth unvermögend, ein Wort zu sprechen,
und nur erst allmählich vermochte er, Ruhe und Fassung
wieder zu gewinnen.
Wir haben dem Leser diese Abschiedsscene nicht vorent-
halten zu dürfen geglaubt, da sie besser, als lange Deductionen
es vermögen, zeigen kann, wie hoch entwickelt schon in der
Frühzeit der Renaissance die modernen Gefühlszustände der
sentimentalen Natur- und Freundschaftsschwärmerei waren,
und es ist diese Scene, welche recht wohl einem Briefe der
Hainbunds- und Wertherperiode entnommen zu sein scheinen
könnte, um so beweiskräftiger, als sie nicht etwa von Petrarca
selbst, sondern von Guglielmo da Pastrengo beschrieben worden
ist, uns also zeigt, wie der moderne Geist sich bereits in
weiteren Kreisen Eingang verschafft hatte. Das Mittelalter kennt
wohl naiv rührende, aber nicht sentimental aufgeputzte Abschieds-
scenen, in welche letztere Kategorie doch sicherlich die unsere
zu zählen ist, zumal wenn man erwägt, dass das Freundschafts-
bündniss zwischen Petrarca und Guglielmo nach Allem, was
uns darüber bekannt, ein allerdings aufrichtiges und herzliches,
aber doch keineswegs schwärmerisch inniges war, und dass demnach
der grosse Schmerz bei einer überdies nur zeitweiligen Ti-ennung
in der Natur der Verhältnisse kaum begründet, sondern zum
guten Theile nur durch sentimentale Anempfindelei erzeugt
sein konnte. Es ist Guglielmo's Brief, der den Abschied er-
zählt, also eine merkwürdige Urkunde für das erwachende
moderne überschwängliche Gefühlsleben, welches einfach natür-
liche Empfindungen mittelst einer bewussten selbstgefälligen
222 Fünftes Capitel.
Reflexion künstlich steigert und überreizt. Erst der moderne
Mensch findet eine geheime Lust in dem prüfenden Betasten
und Ergründen der noch offenen Wunden des eigenen Herzens
und, um solcher in möglichst hohem Grade theilhaft zu
werden, erweitert er wol sogar mit eigener Hand die vom
Geschick ihm geschlagenen Wunden oder schafft er sich selbst,
wenn das Geschick ihn verschont, künstliche Qualen. Man hat
gewiss ein volles und gutes Recht, diese Erscheinung, nament-
lich w^enn sie, wie in geistig besonders erregten Zeiten stets
geschieht, zu hässlichem Uebermaasse sich steigert, zu beklagen
und selbst als unsittlich zu verdammen, aber man darf dabei
doch nicht vergessen, dass sie die nothwendige Folge einer
höheren Entwickelung des Geisteslebens ist und demnach nicht
weggewünscht werden kann, ohne dass man die ganze höhere,
auf der Entfesselung der Subjectivität beruhende Cultur hin-
wegwünschen müsste. Bedenken muss man stets, dass an einem
Baume, welcher viele edle Fnichte trägt, nach alter Erfahrung
immer auch einige wunnstichige und faule Früchte hängen.
Dass das Gute mit dem Bösen sich mischt, ist eine Thatsache,
welche sich nimmer in dieser irdischen Welt wird beseitigen
lassen. Thorheit wäre es also, das Gute zu verkennen
und zu leugnen, weil Böses mit ihm untrennbar verbunden
ist. Die Renaissance ohne Weiteres um desswillen verdammen
und, wo möglich, ungeschehen machen zu wollen, kann nur die
Absicht der blödesten Beschränktheit sein. Verkehrt ist
es sicherlich, die düsteru Schattenseiten einer Cultuiform
nicht zu erkennen, weit verkehrter noch aber ist es, nur die
Schattenseiten zu erkennen und vor den doch ebenso bedeu-
tungsvollen Lichtseiten den Blick zu verschliessen. Eine ein-
sichtsvolle und objective Betrachtung zieht gleichmässig Schatten
und Licht in ihren Gesichtskreis und lässt ihr Urtheil weder
durch den einen verdüstern noch durch das andere blenden.
So werden wir uns bei der Betrachtung des Briefes Guglielmo's
an der Sentimentalität, von welcher er durchhaucht ist, nicht
eben erfreuen, wohl aber an dem Gedanken, dass diese neu
erscheinende psychische Krankheit eine schon hoch entwickelte
Parma und Vaucluse. 223
Oeistes- und Herzenscultur zur Quelle hat und also, wenn auch
an sich ungesund, doch das Symptom einer wenigstens rela-
tiven Gesundheit und Entwickelungsfähigkeit des Cultur-
lebens ist. —
Ueber den ferneren Verlauf der Reise Petrarca's fehlen
uns alle weiteren Nachrichten, jedenfalls aber ging sie glücklich
Ton statten und erreichte er wohlbehalten Vaucluse und
Avignon, an welchem letzteren Orte er einem Briefdatum zu-
folge sich jedenfalls am 19. December 1345 befand ^). In
Vaucluse nahm er gewiss sein früheres dem Naturgenusse, den
Studien und der Poesie gewidmetes Leben wieder auf und er-
neuerte den vertraulichen Verkehr mit seinem alten Gönner,
dem Cardinale Giovanni, den er durch poetische Episteln über
alle die kleinen Vorkommnisse seiner Villeggiatur auf dem
Laufenden erhielt. So schilderte er ihm einmal in zwei Briefen -)
mit eben soviel Humor als Anschaulichkeit den schweren
Kampf, den er mit den Nymphen von Vaucluse zu bestehen
hatte. Es war nämlich des Dichters Landbesitz den Ueber-
schwemmungen der in den Wiutermonaten hoch anschwellenden
AYogen der Sorgue ausgesetzt und, um sich dagegen zu sichern,
hatte er mit vielen Kosten und mancher Beschwerlichkeit einen
Damm aufführen lassen. Schon hoifte er, hierdurch die Macht
der feindlichen Nymphen gebrochen zu haben, als im nächsten
Winter die Wellen das mühsam errichtete Werk unterwühl-
ten und vernichteten.
Launig bekannte Petrarca seine Ohnmacht in dem Kampfe
mit dem feuchten Elemente und verzichtete auf weitere Ver-
suche, gegen dasselbe anzukämpfen, sich damit zufrieden gebend,
•dass wenigstens sein kleiner Dichtergarten, sein „Parnass",
den überhangende Felsen geschützt hatten, von den Wellen
verschont geblieben war.
Der Versuchung, aus seiner stillen Einsamkeit heraus-
zutreten auf die bewegte Bühne des geschäftlichen Lebens und
0 Ep. Farn. XXIV 4.
•-) Ep. poet. lat. III. 1 u. 2.
224 Fünftes Capitel.
mit der Bürde eines verantwortungsreichen Amtes sich zu be-
lasten, eine Versuchung, welcher er erlegen war, als er mit
der fnichtlosen Mission nach Neapel sich betrauen liess, Pe-
trarca widerstand ihr muthig und einsichtsvoll, als sie aber-
mals und in verlockender Form an ihn herantrat. Papst
Clemens VI. bot im Jahre 1346 dem Dichter die einflussreiche
und einträgliche Stellung eines päpstlichen Secretairs und
Protonotars an ^). Petrarca schlug den verführerischen Antrag
aus, auch als er im Laufe der Jahre noch mehrfach wieder-
holt wurde 2), in der richtigen Erkenntniss, dass seine Indivi-
dualität nicht dazu angelegt sei, um sich in die Fesseln und
Rücksichten, die ein jedes Amt auferlegt, zu fugen, und
dass durch materielle Vortheile der unschätzbare Besitz einer
völligen Unabhängigkeit nicht aufgehoben werde. Dei- Papst
zürnte dem Dichter nicht ob seiner Weigerung imd, gleichsam
um ihn zu entschädigen für den Verlust des Einkommens,
welches er ihm mit dem Amte geboten haben würde, verlieh
er ihm im October 1346 ein Canonicat zu Parma und wenige
Jahre später (vermuthlich 1348) ^) ein Archidiaconat in der-
selben Stadt. Da nach mittelalterlich kirchlichem Brauche es
keineswegs erforderlich war, dass derartige geistliche Aemter
von ihrem Inhaber persönlich vei-waltet wurden, so beschränk-
ten sie Petrarca's Freiheit in keiner Weise, während sie ihm
doch eine, freilich keineswegs überreiche*), immerhin aber
nennenswerthe Einnahme gewährten, und dazu beitrugen, seine
Existenz zu einer von materiellen Sorgen freien zu gestalten.
Ehre aber dem Andenken des Papstes, der den grossen Dichter
niederer Sorge entriss und die Unabhängigkeit des geistigen
Schaffens ihm wahrte ! Eine vielleicht noch grössere Gunst erwies
^) Ep. Fam. XIII 4, vgl. Fracassetti's Note zu diesem Briefe, Lett.
fam. III p. 316.
'') Ep. Sen. I 2 u. 4. vgl. Fam. IX 5. XX 14. Sen. XIII 12 u. 13.
^) Ueber die schwierige Zeitbestimmung vgl. die trefflichen Bemer-
kungen von Fracassetti, Lett. fam. I p. 527 f.
*) Die mit dem Archidiaconat, also der einträglichsten Pfilinde, ver-
bundenen Einkünfte betrugen nach Fracassetti's (Lett. fam. III p. 313.)
Berechnung 370 Lire = 296 Mark.
Parma und Vaucluse. 225
Clemens VI. Petrarca, als er durch ein am 9. September 1348
ausgestelltes Breve ^) dessen Sohn Giovanni legitimirte und
dadurch den schweren Makel unehelicher Geburt von ihm
nahm.
Der ruhige Aufenthalt in dem lieblichen Vaucluse sollte
Petrarca bald durch ein unerwartetes Ereigniss verleidet werden.
Am 20. Mai 1347 vollzog Cola di Rienzo jene merkwür-
dige Revolution, durch welche Rom von der Tyrannenherrschaft
der Adelsgeschlechter erlöst und die altrömische Freiheit
wiederhergestellt, ja ganz Italien wieder zu einem einheitlichen
Staatswesen unter eines neuen Imperators Scepter vereint
werden sollte.
Wir müssen hier gänzlich darauf verzichten, die Geschichte
dieser seltsamen Umwälzung zu schreiben, denn allzu weit würde
ein solches Beginnen von unserer eigentlichen Aufgabe uns
entfernen, und überdies, ist nicht diese Geschichte bereits
wiederholt von Meisterhand geschrieben worden? Mehr als
vermessen wahrlich würde es sein, das noch einmal erzählen zu
wollen, was ein Papencordt und ein Gregorovius bereits so
beredt erzählt haben. Auch ist, seitdem Zefirino Re die alte,
dem vierzehnten Jahrhundert entstammende Biographie Rienzo's
herausgegeben und mit reichhaltigen Noten begleitet hat 2),
die wichtigste und interessanteste Quellenschrift der allgemeinen
Benutzung erschlossen worden.
Nicht aber können und dürfen wir es uns versagen, einige
Reflexionen über das merkwürdige Ereigniss dem Gange unserer
Erzählung einzureihen, wäre es auch nur, um Petrarca's leb-
hafte Theilnahme an demselben verständlich zu machen.
Einer nur äusserlichen Betrachtung mag gar leicht Rienzo's
thatenreiches Tribunat, welches des mittelalterlichen Roms
wirre Geschichte in so seltsamer Weise unterbricht, als ein
^) vgl. de Sade, II pieces justif. no. XIX.
-) La vita di Cola di Rienzo scritta da incerto autore nel secolo XIV,
ridotta a migliore lezione ed illustrata con note ed osservazioni storico-
critiche da Zefirino Re. Florenz 1854.
Körting. Petrarca. 15
226 Fünftes Capitel.
ganz isolirt dastehendes Ereigniss und als eine räthselhafte
Episode, zu deren Verständnisse der Schlüssel fehlt, erscheinen,
ja es mag selbst gleichsam für einen wüsten Traum der Welt-
geschichte, für einen missrathenen Schöpfungs versuch des welt-
gestaltenden Schicksales gelten. Aus der Wirrniss des Mittel-
alters tritt — so scheint es — ganz unvermittelt und plötzlich
ein Mann hervor, der das Wagniss unternimmt, das Rad der
Weltgeschichte um mehr als ein Jahrtausend zurückzurollen
und dem altersmüden Rom eine neue Jugendherrlichkeit zu ver-
leihen. Wie ein Meteor steigt dieser Mann aus dem Nichts empor,
wie ein Meteor sinkt er, nachdem er strahlend eine kurze
Bahn durchmessen, wieder in sein Nichts zurück, keine
bleibende Spur des Wirkens hinterlassend, und es lagern sich
nach seinem Falle aufs Neue die Schatten des Mittelalters
über die ewige Stadt. Nicht minder kann in anderer Beziehung
des letzten Tribunen Gestalt räthselhaft und fragwürdig er-
scheinen : auf das Seltsamste mischen sich in seinem Charakter-
bilde die Züge hoher Genialität mit denen bizarrer Narrheit
und auf das Wundersamste kreuzen sich in seinem Thun antike
und moderne Gedanken. So scheint er in doppelter Beziehung
ein Janusgesicht zu tragen : das eine Antlitz geschmückt durch
die Majestät ernsten und erhabenen Denkens, das andere ent-
stellt durch eine fratzenhafte Narrenmaske, und wiederum mit
dem einen Antlitze zurückschauend in eine entlegene Vergangen-
heit und mit dem anderen vorwärts blickend in eine noch
ferne Zukunft.
Das Räthsel dieser Erscheinung löst sich bei näherer Be-
trachtung , sobald man erwägt , dass Rienzo Petrarca's Zeit-
genosse und Geistesverwandter, ja vielleicht selbst in gewissem
Sinne dessen Schüler war, denn Nichts verbietet uns, anzu-
nehmen, dass schon vor dem Jahre 1347, sei es in Rom sei es
zu Avignon, zwischen beiden Männern persönliche Berührungen
stattfanden, durch welche Rienzo mit Petrarca's politischen Ideen
und Träumen bekannt ward. In noch erhöhtem Maasse würde
dies habcii der Fall sein können, wenn wirklich, wie mehrfach
behauptet worden ist, auch Petrarca einer der Gesandten des
Parma und Vaucluse. 227
römischen Volkes war, welche, und unter ihnen Rienzo, im
Frühjahr 1342 nach Avignon sich begaben, um des Papstes
Rückkehr nach Rom zu erbitten ^). Jedenfalls, Petrarca und
Rienzo waren Zwillingsbrüder im Geiste, congenial angelegte
Naturen und nur darin verschieden, dass der erstere ebenso
zur beschaulichen Reflexion wie der letztere zum energischen
Handeln sich hinneigte. Der schüchterne Petrarca war ein
idealer Träumer, der vor der activen Beschäftigung mit den
realen Dingen instinctiv zurückscheute, Rienzo war auch ein
idealer Träumer, aber ein solcher, der seine Traumgebilde für
Wirklichkeiten ansah und nach ihnen die reale Welt in toll-
kühnem Schaffen umzugestalten sich vermaass. Petrarca be-
gnügte sich mit der Theorie, in der Praxis verzichtete er gern
auf jede Weltverbesserung, die einen grösseren Kraftaufwand
als Declamationen erforderte, und bereitwillig nahm er im
eigenen persönlichen Leben mit der gemeinen Wirklichkeit
vorlieb — , Rienzo's thatkräftige und thatendurstige Natur
konnte sich nicht an dem theoretischen Schauen genügen lassen,
sondern strebte, die Theorie in Praxis, die Ideale in Realitäten
umzusetzen, sich nicht bekümmernd, ob solches Beginnen
möglich und vernunftgemäss, ob es in Wahrheit segenbringend
sei. Der weisere und besonnenere Mann von beiden war zweifels-
ohne Petrarca, der die Saamenkörner einer neuen besseren
Zeit ausstreute und das Reifen derselben ruhig der Zukunft
überliess, doch war vielleicht Rienzo, der nicht erst die späten
Nachkommen, sondern schon die Zeitgenossen von dem Alp-
druck überlebter Culturzustände erlösen wollte, der wärmer
und edler fühlende Mensch. Die Geschichte, welche, was man
auch sagen mag, in letzter Instanz nur nach den Erfolgen,
nicht nach den Motiven urtheilen kann, hat Petrarca Recht
gegeben und seinen Namen als den des BegTünders der Re-
naissancecultur für alle Zeit auf ihre Tafeln eingegraben,
Rienzo aber lebt nur noch als phantastische Märchengestalt in
^) Ueber Petrarca's Beziehungen zu Rienzo vor dem Jahre 1347 vgl.
Fracassetti, Lett. fam. II p. 193 ff.
15*
228 Fünftes Capitel.
der ErinneiTing der Völker und sein ephemeres Wirken hat ihn
mit dem Fluche der Lächerlichkeit beladen.
Nicht aber darf uns die Thatsache, dass die Nachwelt
Petrarca und Rienzo so verschiedene Plätze angewiesen und
ersteren mit dem Lorbeer gekrönt, letzteren mit dem Narren-
gewande bekleidet hat, verleiten, die ursprüngliche Gleichartig-
keit der Natur beider Männer zu vergessen. Beide sind
die ersten Menschen der Renaissance, Rienzo vielleicht selbst
in höherem Grade noch, als Petrarca, da er die Renaissance
in das praktische Staatsleben uneingeschränkt zu übertragen
wagte, ein vorzeitiger Versuch, der naturgemäss scheitern
musste. Beide, Petrarca wie Rienzo, waren erfüllt von der-
selben schwärmerischen Begeisterung für das römische Alter-
thum und beide in dem Wahne befangen, dass dasselbe zu
neuem Leben sich erwecken und mit dem Christenthume sich
vereinbaren lasse. Beide betrachteten Rom als die prädestinirte
Welthauptstadt und Weltbeherrscherin und vermeinten, dass
in Rom zunächst die grosse Weltwandelung in das römische,
aber modernisirte und christianisirte Alterthum zurück voll-
zogen werden müsse. Die Wege, auf denen Petrarca und
Rienzo zu ihren Anschauungen des römischen Alterthums und
dessen Wiederbelebungsfähigkeit gelangt waren, mochten sehr
verschiedene gewesen sein, aber die Anschauungen selbst waren
dieselben und auch einander ungefähr gleich an Klarheit und
Unklarheit. Die beiden Männer glichen und ergänzten sich
in der wundersamsten Weise, sie bildeten gleichsam ein Doppel-
wesen mit einem Arme und mit einem Kopfe. Rienzo be-
sass die Thatkraft, welche Petrarca fehlte, und Petrarca hin-
wiederum die Besonnenheit und Selbstbeherrschung, deren
Rienzo so gänzlich entbehrte, dass er in Folge dessen zum
Narren ward. Rienzo, der ein Staatsmann sein wollte, handelte
wie von poetischer Raserei ergriffen und dichtete in seinen
Thaten unabsichtlich eine erschütternde Tragikomödie, Petrarca,
der ein Dichter -war, handelte vorsichtig und zögernd wie ein
kluger Staatsmann. Es war verhängnissvoll für Italien, dass
beide Männer, in ihrem Grundwesen einander so gleich, doch
Parma und Vaucluse. 229
wechselseitig je einer wesentlichen Eigenschaft entbehren mussten :
ein Petrarca begabt mit Rienzo's Thatkraft oder ein Rienzo
ausgerüstet mit Petrarca's Besonnenheit würde die politische
Wiedergeburt und Einigung Italiens vollzogen haben, aber
freilich drängt die schwerlich zu bejahende Frage sich auf, ob
auch in einem politisch geeinigten Italien die Cultur der
Renaissance sich zu entfalten vermocht haben würde.
Nach dem Gesagten wird sich ermessen und begreifen
lassen, mit welcher innigen Antheilnahme und Begeisterung
Petrarca Rienzo's Unternehmen begrüssen und begleiten musste,
so lange dasselbe noch nicht das Gepräge wilder Abenteuer-
lichkeit und narrenhafter üeberspanntheit angenommen hatte.
In dem, was Rienzo that, glaubte er das verwirklicht zu sehen,
was er selbst seit langen Jahren erträumt und erhofft hatte;
die Visionen von einer Erneuerung altrömischer Bürgertugend
und Herrlichkeit, welche er bei der Leetüre des Livius und
Cäsar geschaut hatte, sie wurden plötzlich — so glaubte er
wenigstens — zur sichtbaren und greifbaren Wahrheit. Es
war das ein bald geschwundener Wahn, aber ein schöner
Wahn und ein verzeihlicher auch und Petrarca war nicht der
einzige ernste Mann, der von dem Trugbilde sich blenden
Hess. Ideal angelegte Seelen, wie die seine es war, meinen
bei jedem unerwarteten und den Zauber des Ungewöhnlichen
an sich tragenden Ereignisse, dass es die Pforten jener goldenen
Zukunft erschliessen werde, deren Bild sie vorausahnend in
sich tragen und deren Herniedersteigen in das unbefriedigende
reale Leben sie fort und fort sehnsuchtsvoll erwarten. So
haben auch, als die grosse französische Revolution noch nicht
ihr dämonisches Antlitz enthüllt hatte, gerade die edelsten
Geister sich ihr gläubig zugewandt und sie als die lang er-
sehnte Morgenröthe eines Sonnentages der Völkerfreiheit und
des Völkerglücks begrüsst.
Die freudigen Gefühle, welche ihn erfüllten, als er ver-
nahm, dass Rienzo auf dem Capitole die Neugeburt der
römischen Republik vollzogen habe, verschloss Petrarca nicht
in sich, sondern lieh ihnen beredten Ausdruck in Briefen und
230 Fünftes Capitel.
Dichtungen, welche er an den Tribunen und unter dessen
Adresse an das Volk der Römer richtete ^). Die ganze merk-
würdige Episode der von Rienzo geleiteten Revolution spiegelt
sich getreu mit allen ihren Schwankungen in diesen Schrift-
stücken wieder: wir sehen Petrarca jauchzen über das neu
geborene Rom und in eindringlichen Worten seine römischen
Mitbürger mahnen, dass sie die errungene Freiheit männlich
behaupten und sich ihrer würdig zeigen sollen, dann sehen
wir ihn beben, als der Tribun in thörichter Vermessenheit
phantastischen Zielen tollkühn nachstrebt, und endlich sehen
wir ihn trauern, als das glänzende Phantom kläglich zerstiebt
und verlischt und die öde Wirklichkeit ihr Recht wieder
geltend macht. Und es war kein flüchtig vorübergehender
Rausch, dem Petrarca sich überliess, als er die Sache des
Tribunen mit seiner machtvollen Beredtsamkeit verfocht. Nicht
bloss dem sieg- und mhmgekrönten Herren Roms huldigte er,
sondern auch dem Gestürzten, Gefangenen, von der Welt Ge-
ächteten und Verhöhnten bewahrte er die Achtung und Freund-
schaft und dies selbst noch über das Grab hinaus. Wohl er-
kannte er Rienzo's Fehler und Schwächen und vor Allem tadelte
er seinen Mangel an Standhaftigkeit, aber die Anerkennung,
Grosses erstrebt und kühn gewagt zu haben, versagte er ihm
nie, selbst dann nicht, als vielleicht die Klugheit ihm dazu
hätte rathen können. Wenn irgendwo, so hat Petrarca in
seinem Verhältnisse zu Rienzo Ueb erzeugungstreue und Ge-
sinnungstüchtigkeit bewiesen. Zugleich aber wird durch die
fortdauernde Anerkennung, welche Petrarca dem Andenken
Rienzo's zollte, bezeugt, dass dieser nicht der Narr gewesen
sein kann, als welcher er oft geschildert wird, sondera dass
ij Briefe Petrarca's an Rienzo : Fam. VII 7. Var. 38. 40. 42. 48. App. 4,
8, nach Fracassetti, Lett. fam. II p. 199 auch App. 2. Verherrlichung Ri-
enzo's in Ecl. V, namentlich v. 117 — 133. Dagegen ist die berühmte Can-
zone „Spirto gentil" gewiss nicht an Rienzo, sondern an den jüngeren
Stefano Colonna gerichtet (vgl. Carducci, a. a. 0. p. 42 — 61) — Urtheile
Petrarca's über Rienzo Fam. VII 7. XIII 6. XVIII 1. Var. 38. de remed.
utr. fort. I 89. apolog. contr. Galü calumn. p. 1181.
Parma und Vaucluse. 231
er Eigenschaften besessen haben muss, welche ihn den grössten
Geistern seiner Zeit ebenbürtig erscheinen Hessen.
Wie frei Petrarca's Begeisterung für Rienzo's Unternehmen
von allen egoistischen Motiven war, ergibt sich schon daraus,
dass er, wie er gewiss selbst von Anfang an klar erkannte,
sieh durch dieselbe den Aufenthalt in Vaucluse und Avignon
mindestens für die nächste Zeit unmöglich machte und zu einem
neuen Wanderleben sich durch den Zwang der Verhältnisse
verurtheilt sah.
Wir haben früher gesehen, in welchen innigen Beziehungen
Petrarca zu der Familie der Colonnesen und insbesondere zu
dem Cardinale Giovanni gestanden hatte und wie ihm durch
dieselben so manche äussere Vortheile zu Theil geworden waren.
Dies schöne Verhältniss musste unwiderruflich von dem Augen-
blicke an sich lösen, wo der Dichter sich offen als Pdenzo's
Freund und Parteigänger in Wort und Schrift bekannte, um
so mehr, als er dies in der schroffsten Weise that und wieder
holt in seinen politischen Episteln an den Tribunen und die
Römer die Colonnesen nicht minder wie die Orsini als Barbaren
und Usurpatoren bezeichnete, deren Vertreibung aus Rom eine
unerlässliehe Nothwendigkeit und patriotische That sei ^). Wie
aber hätte Petrarca es ertragen können, nachdem er mit seinem
Gönner , dem Cardinale Giovanni , innerlich so unheilbar sich
entzweit hatte, noch fernerhin vertrauliche Beziehungen mit
ihm zu unterhalten, und wie hätte der Cardinal es vermocht,
dem zum Widersacher gewordenen Schützling noch weiterei
Wohlwollen zu bewahren? Es war in diesem Fall nicht, wie
es sonst wol oft geschehen mag, ein äusserlicher Fortbestand
des alten Freundschaftsverhältnisses möglich, der Bruch konnte
nicht ein halber, er musste ein ganzer sein. So trennte hier
der Zwang der Verhältnisse zwei Männer, deren Herzen zwanzig
Jahre lang warm und treu für einander geschlagen hatten und
in einer idealen Welt immer für einander geschlagen haben
würden. Man hat Petrarca wegen seines Bruches mit den
^) vgl. namentlicli Ecl. V.
232 Fünftes Capitel.
Colonnesen oft der Undankbarkeit und der Herzlosigkeit an-
geklagt, aber man hat dal^ei nicht, wie billig gewesen wäre,
der Collision der Pflichten Rechnung getragen, welche den
Dichter bedrängte. Das theuere Vaterland rief ihn ( — so
glaubte er wenigstens — ) und forderte seine Hülfe, — sollte
er ihm diese verweigern, nur um mit einer befreundeten Familie
sich nicht zu entzweien? sollte er in einer kritischen Stunde,
in welcher Italiens, Roms politisches Sein oder Kichtsein sich
entscheiden musste, die persönlichen Rücksichten auf die
Colonnesen höher stellen, als die heilige Pflicht gegen das
Vaterland"? sollte er, nur um einen Giovanni und Stefano
nicht zu kränken, da schweigen, wo sein Wort mächtig und
heilbringend wirken konnte? sollte er mit heuchlerischem
Gleichmuthe zu Avignon in des Cardinais Giovanni Hause ver-
kehren, während in Rom ein kühner Mann das zu verwirk-
lichen sich bestrebte, was er selbst so sehnend erhofft hatte?
Wahrlich die Lage der Verhältnisse gestattete Petrarca, wenn
er anders nicht seine ganze Vergangenheit und sein eigenes
besseres Selbst verleugnen wollte, gar keine Wahl, er musste
offen auf Rienzo's Seite treten, er musste mit den Colonnesen
brechen, er musste dem Vaterlande das Opfer persönlicher
Neigung bringen. Dass ihm dies Opfer nicht leicht geworden,
sondern schwere Seelenkämpfe gekostet hat, bezeugt seine
achte, „Scheidung" überschriebene Ekloge, mit welcher er
unter der Hülle der Allegorie von Giovanni Abschied nahm
und die Beweggründe seines Handelns darlegte. Der Hirt
Amyclas sagt — das ist in Kürze der Inhalt der ergreifenden
Dichtung — seinem Gefährten Ganymedes, nachdem er vier
Lustren in traulichem Verkehre mit ihm gestanden, Lebewohl,
denn der fernere Aufenthalt auf dem bisherigen Weideplatze
ist ihm verleidet. Vergebens versucht Ganymed, den Freund
zum Bleiben zu bewegen: allzu mächtig ist in Amyclas der
Drang zur Freiheit und die Liebe zum Vaterlande. „Frei möge
wenigstens mein Alter sein" — entgegnet er auf Ganymedes"
Bitten — , „die Knechtschaft der Jugend ist beendet, das in
der Sklaverei verbrachte Leben beschliesse wenigstens ein
Parma und Vaucluse. 233
freier Tod. — Die mächtige Liebe zum Vaterlande, das mich
zurückruft, erkenn* ich, es blühen dort in der Heimath lieb-
licher die Veilchen im thauigen Grase und schöner dort glühen
und duften im Gebüsche die Rosen, klarer rieselt dort durch
die Gefilde der heimische Bach, und süsser selbst ist der Duft
des ausonischen Grases. — Lang fesselte mich Widerstreben-
den hier die verderbliche Gewohnheit, die Liebe zu Dir und
meines Mädchens reizende Gestalt, aber, wie mit der Zeit all-
gemach Alles sich wandelt, so missfällt nun dem Alter, was
der Jugend gefiel, und mit dem ergrauenden Haare wechseln
die Sorgen" ^).
Wer erkennt nicht, dass in Aniyclas der Dichter sich selbst
geschildert und seines Herzens Falten bloss gelegt hat?
Vaterlandsliebe also war es zumeist, welche Petrarca an-
trieb, von Giovanni und Avignon-Vaucluse zu scheiden, und
nie wol hat der Dichter sich so wahrhaft gross und hochherzig
gezeigt, wie damals, als er um des Vaterlandes willen theuere
Freundschaftsbande löste und die liebgewordene Wohnstätte
verliess, um abermals den Wanderstab zu ergreifen und einer
ungewissen Zukunft entgegen zu gehen. Es war das eine
Handlungsweise von wirklich antiker Grösse, würdig des Mannes,
der zuerst wieder des römischen Alterthumes Geist ganz und
voll erfasste. Dass neben der Vaterlandsliebe noch andere
Beweggründe auf Petrarca's EntSchliessung einwirkten, dass
er der Abhängigkeit, in welcher er bisher zu dem Cardinale
Giovanni gestanden, nicht ungern sich entzog, dass er ebenso
nicht ungern von einem Orte schied, an welchem er immer
und immer wieder in die Fesseln einer seinem Alter nicht mehr
ziemenden Neigung zurückfiel, das wird durch die angeführten
Verse der Ekloge selbst bezeugt und ist an sich auch sehr
begreiflich; nicht minder würde es sich als sehr menschlich
begreifen lassen, wenn der Dichter vielleicht — wofür übrigens
nicht der geringste positive Beweis vorliegt — mit der Hoffnung
sich getragen hätte, in Rom neben Rienzo eine politische Rolle
1) Ecl. VIII V. 17 ff., V. 56—60 u. v. 74—78.
234 Fünftes Capitel.
spielen und als Mitbegründer der römischen Freiheit sich feiern
lassen zu können. Alle derartige Motive aber, falls sie wirk-
lich vorhanden waren, können nur nebensächliche gewesen
sein, das wirklich bestimmende und wesentliche war gewiss
einzig und allein die Liebe zum Yaterlande.
So brach denn Petrarca am 20. November 1347 ^) aber-
mals nach Italien auf, ohne Zweifel gewillt, möglichst rasch
Rom zu erreichen. Es sollte indessen anders kommen. Noch
im Beginn der Reise ereilten ihn Nachiichten aus Avignon,
dass es übel bestellt sei mit des römischen Tribunen Sache
und dass dieser, durch Selbstüberschätzung und die Einflüste-
rungen übler Rathgeber verblendet, raschen Schrittes seinem
Falle zueile -). Unter solchen Verhältnissen mochte Petrarca
es unräthlich erscheinen, sich nach Rom zu begeben und dort
Zeuge der unabwendbaren Katastrophe zu werden, er begnügte
sich daher von Genua aus einen warnenden Brief an Rienzo
zu richten ^j und begab sich, offenbar um die weitere Entwicke-
lung der Dinge ruhig abzuwarten und zugleich um das ihm
verliehene Canonicat in Besitz zu nehmen, nach dem ihm
von früher her so wohl bekannten Parma.
In rein äusserlichen Beziehungen hätte der Aufenthalt in
Parma damals für den Dichter recht angenehm sein können.
Die verworrenen politischen Verhältnisse, durch welche er
wenige Jahre zuvor vertrieben worden war, hatten in der
Zwischenzeit sich geklärt und geordnet. Luchino Visconti von
Mailand war im September 1346 durch einen Kaufvertrag mit
Obizzo von Este, zu welchem auch Azzo von Correggio seine
Zustimmung gab, in den unbestrittenen Besitz der vielbegehrten
Stadt gelangt^) und hatte ihr die lang entbehrte Ruhe wieder-
gegeben. Ebensowenig wie Sorge um die persönhche Sicher-
^) Zeitbestimmung nacli Ep. Farn. VII 5 (22. November): Petrarca sagt
im Eingange, dass er seit dem Antritte seiner Reise bereits die dritte
Nacht schlaflos zubringe.
■-) Ep. Fam. VII 5.
■■) Ep. Fam. VII 7 (29. November).
*) Tgl. Joann. de Cornazanis, Hist. Parm. b. Mui'atori XII p. 745 f.
Parma und Vaucluse. 235
lieit konnte Sorge um die materielle Existenz in Parma an
Petrarca herantreten : es schützten ihn dagegen seine geistlichen
Pfründen, deren Ertrag nach den Verhältnissen der damaligen
Zeit ein leidlich bedeutender gewesen sein muss. Der Dichter
befand sich sogar in der glücklichen Lage, ein eigenes Häuschen
sich erbauen lassen zu können ^) , ein Unternehmen , das ihn
lebhaft beschäftigte und über welches er nicht verschmähte,
in einer anmuthigen poetischen Epistel an Guglielmo da Pa-
strengo ausführlichen Bericht zu erstatten ^). Als Bauverständiger
freilieh hat er sich hierbei nicht bewährt, denn die Befürchtung,
welche er hegte, dass die Grundmauern nicht solid genug auf-
geführt seien und dadurch der ganze Bau gefährdet werde, ist.
durch die Folgezeit durchaus nicht bestätigt worden: das
Häuschen steht noch heute an der Ecke des Borgo di San
Giovanni und des vicolo di Sto Stefano und verspricht, noch
manches Jahrzehend foi-tzubestehen. Mit dem Hause war ein
Garten verbunden, in welchem der Dichter selbst feinere Obst-
sorten züchtete und besonders gut gerathene Proben seiner
Kunst dann wol , zuweilen von zierlichen lateinischen Episteln
begleitet, an den Herrn der Stadt, Luchino Visconti, zum Ge-
schenk einsandte 3).
Aber nicht idyllische Zeiten, sondern Jahre banger Er-
regimg und schweren Leides sollte Petrarca in Parma durch-
leben. Zunächst musste die Sorge um die sich immer unheil-
voller gestaltende Entwickelung der Dinge in Rom schwer auf
seinem Herzen lasten. Mit welchen seltsam gemischten und
bewegten Gefühlen wird er die Kunde von dem am 20. Nov.
1347 vor den Thoren Pioms stattgefundenen gewaltigen Kampfe
und von der furchtbaren Niederlage des ihm einst so eng ver-
bundenen Geschlechtes der Colonnesen vernommen haben ! und
wie mag er in tiefster Seele erschüttert worden sein, als er
hören musste, dass der Tribun kläglich gestürzt und das ge-
^) Vielleicht gehört allerdings dieser Hausbau schon jeinem früheren
Jahre (1345) an, vgl. Fracassetti, Lett. fam. I. p. 528.
-) Ep. poet. lat. II 19.
••') Ep. poet. lat. II 12. vgl. Ep. Fam. VII 15.
236 Fünftes Capitel.
liebte Rom nach kurzer Freiheitslust abermals der Gewalt-
herrschaft der Barone überliefert worden sei! Wahrlich mau
begreift es, dass er nach so schmerzlichster Enttäuschung, nach
dem Niedersturze seines schönsten Ideales in jene lebensmüde
Schwermuth versank, welcher er in der bereits erwähnten
Epistel an Guglielmo da Pastrengo so ergreifenden Ausdruck
verliehen hat. „Du fragst, was ich treibe" — schreibt er ihm
— „ich leide Mühsal wie das ganze Älenschengeschlecht. Wo-
rauf ich sinne? nach Ruhe. Welche Hoffnung ich hege? keine
auf Ruhe. Wo ich umherwandle? hierhin und dorthin. Wo-
hin ich strebe? auf geradem Pfade eile ich rasch dem Tode zu.
Mit welcher Gesinnung? Unerschrocken und sehr bereit, aus
dem schweren Kerker mich erlösen zu lassen. Wer mich be-
gleitet? das Menschengeschlecht. Was ist das Endziel? das
Grab, Was folgt darnach? der Himmel oder, wenn dort der
Eingang verwehrt ist, der Abgrund der Hölle, doch das, flehe
ich Euch an, haltet fern von mir, Ihr Himmlischen! Wo ich
jetzt mich befinde? In Parma. Wo ich den Tag über mich
aufhalte? Im Garten oder in der Kirche, wenn nicht der
Hain mich aus der Stadt lockt. Wie meine Lebensweise ist?
die gewöhnliche einfache, obwol das Glück, freigebiger geworden,
mir beide Hände darreicht und zum Genüsse mich einladet.
Wie mein Antlitz ausschaut? Nicht eben heiter. Womit ich
im Geist mich beschäftige? mit der Africa. Wonach ich am
eifrigsten trachte? nach nichtigem Ruhme, denn den wahren
erwirbt die Tugend allein" ^). Zu dieser inneren Beklemmung
gesellte sich bald auch äussere Bedräugniss der schlimmsten Art.
Die schreckliche Krankheit des Mittelalters, die Pest, begann im
Frühjahr 1348 — vermuthlich durch Kaufleute aus Indien über
Constantinopel eingeschleppt -) — ihren grauenvollen Umzug
durch die Lande Europa's zu halten und allül)erall, namentlich
aber in Italien und Frankreich, unzählige Tausende und Aber-
1) Ep. poet. lat. II 19 v. 1—15.
') Das ist wenigstens Petrarca's in der neunten Ekloge ausgesprochene
Meinung.
Parma und Vaucluse. 237
tausende von Menschen dahinzuraffen. Es war eine ganz ent-
setzliche Zeit. Das Ende aller Dinge schien der zagenden und
geängstigten Menschheit gekommen zu sein. Alle Schutzmittel
gegen die furchtbare Seuche erwiesen sich als vergeblich.
Nichts vermochte ihr Wüthen zu hemmen, hiilflos erlagen ihr
die Menschen und starben dahin, bald unter langsamen Qualen,
bald wenigstens mit einem raschen Tode begnadet; ganze
Städte wurden entvölkert, weite blühende Landschaften ver-
ödet, alle Bande der bürgerlichen Ordnung, des staatlichen
Gemeinwesens lösten sich, die Sinneslust und das Laster feierten
im Angesicht des allgemeinen Elends und des unabwendbar
scheinenden Verderbens verzweiflungsvolle Orgien, während
fromme Gemüther, welche sich im Glauben an das göttliche
Walten nicht beirren liessen, in düsterer Askese und grausamer
Selbstpeinigung Trost und Rettung suchten — es war eine
Zeit der Wirrniss und des Schreckens, wie sie in solcher Aus-
dehnung die Weltgeschichte wol weder vorher noch nachher
jemals wieder geschaut hat. Es wäre ein vergebliches Beginnen,
ein Bild jener entsetzlichen Zeit entw^erfen zu wollen, denn
selbst die lebendigste Phantasie vermöchte die Gesammtheit
dessen, was damals grausige Wirklichkeit war, nicht zu er-
fassen. Wem aber daran gelegen ist, wenigstens die Umrisse
des Schreckensgemäldes zu schauen, der lese die von Boccaccio's
Meisterhand im Eingange des Decamerone entworfene Skizze.
Dass ein jeder Einzelne, auch wenn er glücklich genug
war, von der Pest gänzlich verschont zu bleiben, doch von
den Ereignissen der furchtbaren Zeit auf's Tiefste berührt
wurde, ist selbstverständlich. Der tägliche Anblick des Todes,
die entsetzlichen Lücken, welche die Seuche Tag für Tag in
die Kreise der Befreundeten und Bekannten riss, die bange
und fast bis zur Gewissheit gesteigerte Erwartung, dass auch
das eigene Leben plötzlich dem Würgengel verfallen werde —
alles dies musste einen Jeden, der nicht leichtsinnig genug
war, das Furchtbare zu vergessen, den gewohnten Bahnen des
Lebens und Denkens gewaltsam entreissen und zur ernsten
Einkehr in sich selbst mahnen. Auch in Petrarca vollzog sich
238 Fünftes Capitel.
unter dem Eindrucke dieser Schreckensjahre — denn Jahre
hindurch wüthete die Pest, wenn auch mit wechselnder Inten-
sität — und des Hinsterbens zahh'eicher Freunde eine Sinnes-
wandelung. Schon früher hatte er einer schwermüthigen Auf-
fassung des Lebens sich zugeneigt, jetzt nach so vielen herben
Erfahrungen steigerte sich dieselbe bis zur düstersten Melancholie,
welche sich in seinen Briefen und Dichtungen oft einen schmerz-
lich ergreifenden Ausdruck schatft, wie wenn er einmal aus-
ruft: „das ganze Leben ist ein grosser Schmerz ^1" Seine
Lebensfreudigkeit ward gebrochen, wenn auch nicht vernichtet,
mehr und mehr wandten sich seine Gedanken dem Ueberirdischen
und Jenseitigen zu, mehr und mehr trat er auf den Boden
streng kirchlicher Gläubigkeit und mehr und mehr suchte er
mit der Leetüre der römischen Classiker diejenige der christ-
lichen Kirchenväter zu vereinbaren. Es mischten sich, wie
wir oft schon hervorgehoben, in Petrarca's Natur seltsam die
mittelalterlichen und die antik-modenien Elemente, aber diese
Mischung war keine constante, sondern auf- und niederwogten
unter den wechselnden Einflüssen der äusseren Lebensverhält-
nisse bald die mittelalterlichen bald die antik-modernen An-
schauungen und Strebungen, wie dies begreiflich ist bei einem
Manne, welcher, nach seinem eigenen Ausdrucke 2) auf der
Grenzscheide zweier Zeitalter stehend, den Widerstr^t beider
in seiner Brust auskämpfen musste. Lu Allgemeinen daif man
jedoch sagen, dass vom Jahre 1348 ab in Petrarca je älter er
wurde, um desto mehr die mittelalterliche Lebensanschauung
die Oberhand gewann, so dass der Begründer der Renaissance-
cultur in seiner eigenen Persönlichkeit ein merkwürdiges Vor-
bild für die Entwickelung der Pienaissance überhaupt darbietet,
welche ja auch in der Restauration des strengen Kathohcismus
und, zum Theil wenigstens, auch in der Reformation sich zum
Mittelalter wieder zurückwandte. Nur freilich ist Petrarca
niemals voll und ganz in das Mittelalter zurückgetreten, er
*) „magnus dolor est vivere" Var. 25.
■^) Rer. mem. lib. I 2, 7.
Parma und Vaucluse. 230
that es nur mit dem Gemüthe in einer Art Gewissensangst,
nicht aber mit dem Verstände, niemals ist er seinen humanisti-
schen Bestrebungen untreu geworden, nie hat er der Begeiste-
rung für die Antike entsagt, nie seine Liebe zu dem Alterthume
verleugnet, nie hat er verbrannt, was er angebetet, und nie au-
gebetet, was er verbrannt hatte, sondern bei aller kirchlichen
Gläubigkeit ist er nie weiter gegangen, als dass er nach einer
Vermittelung und Versöhnung zwischen Christenthum und
Antike strebte und eine solche für seine Person in der, sei es
thatsächlichen sei es nur scheinbaren, Uebereinstimmung der
heidnischen Philosophie mit der christlichen Ethik auch wirk-
lich fand.
Wenn es erklärlich ist, dass das Unheilsjahr 1348 auf
Petrarca's innere Entwickelung bestimmend und nachhaltig
einwirkte, so ist es nicht minder begreiflich, dass auch sein
äusseres Leben von den Schreckensereignissen nicht unl)erührt
blieb. Wenn er auch in ruhigen Zeiten seinen Aufenthaltsort
häufig zu ändern liebte, so steigerte sich jetzt, wo ihn Furcht
vor Ansteckung und innere Angst quälen und jede zusammen-
hängende Arbeit unmöglich machen mussten, sein Wandertrieb
in fieberhafter Weise. Unstät zog er Jahre lang von Ort zu
Ort umher, zu Parma immer nur einen zeitweiligen Aufenthalt
nehmend, nirgends längere Zeit bleibend, nirgends sich mit
dem Gedanken einer dauernden Niederlassung tragend. Es
waren trübselige Jahre, werche der Dichter von Stadt zu Stadt
umherwandelnd und immer neue Schreckenskunden vernehmend
verbrachte, Jahre, welche seine geistige Spannkraft hätten
brechen können, wenn diese nicht eine ungewöhnlich grosse
und ausdauernde gewesen wäre.
Schwer ist es trotz des reichlich vorhandenen Briefmateriales
dem Dichter auf seinen unstäten Wanderungen zu folgen, doch
dürfte sich Folgendes als ungefähr sicher ergeben ')•
Lu Beginn des Jahres 1348 begab sich Petrarca nach
A^'erona, wo er gewiss, wie früher, bei Guglielmo da Pastreugo
') vgl. die treffliche Untersuchung von Fr.^.cassetti, Lett. fam. II p. 240 ff.
240 Fünftes Capitel.
und Azzo di Correggio gastfreundliche Aufnahme fand. Hier
wurde er Zeuge eines" gewaltigen Naturereignisses. Ruhig sass
er am 25. Januar im Bibliothekszimmer, als plötzlich der Boden
unter seinen Füssen wankte und die Bücher von den Gestellen
herabstürzten: es war ein furchtbares Erdbeben, welches an
diesem Tage Italien und einen Theil Deutschlands verheerte ^).
Aber noch schwereres Unheil sollte ihn während seines Auf-
enthaltes in Verona, wohin er nach einer im ^lärz an die Ufer
des Po unternommenen Reise -) zurückgekehrt war, betreffen,
obwol er die Kunde desselben erst später erhielt: es. starb am
6. April in Avignon seine geliebte Laura. „An demselben
Tage des Jahres 1348, an welchem ich sie einundzwanzig
Jahre zuvor in der St. Clarakirche zu Avignon erblickt hatte" —
mit diesen Worten berichtet er das traurige Ereigniss^) —
„wurde das Licht meines Lebens dem Lebenslichte entrissen,
als ich zufällig und ach I meines Geschickes unkundig in Verona
weilte. Die unglückselige Kunde ereilte mich dann durch einen
Brief meines Sokrates in demselben Jahre am Morgen des
neunzehnten Tages des Maimonates. Die irdische Hülle der
so keuschen und schönen Frau ward noch am Abende des
Todestages in der Minoritenkirche beigesetzt. Dass ihre Seele,
wie Seneca von der des Africanus sagt, in den Himmel, von
wo sie stammte, zurückgekehrt sei, bin ich fest überzeugt.
Das aber glaubte ich gerade an dieser Stelle, die mir oft vor
Augen kommt, zur traurigen Erinnerung in schmerzlich süsser
Wehmuth verzeichnen zu müssen, damit mir fernerhin Nichts
mehr im Leben gefalle und ich, nachdem das stärkste Band,
welches an die Welt mich knüpfte, zerrissen ist, durch den
häufigen Anblick dieser Zeilen und durch die Erwägung der
Hinfälligkeit alles Irdischen daran gemahnt werde, dass es
Zeit sei, aus dem Babylon des Weltlebens zu fliehen, was mir
mit Gottes Gnade leicht werden wird, wenn ich eindringlich
') Ep. Sen. X 2.
') Ep. Farn. VII 10.
"j Note im Handexemplar des Virgil b. Fracassetti, Lett. fam. II p. 242.
Parma und Vaucluse 241
und männlich bedenke, wie vergeblich die früheren Sorgen,
wie nichtig die Hoffnungen und wie unerwartet der Aus-
gang sei."
So endete des Dichters lang fest gehaltener Liebestraum
und, wenn irgend etwas, so musste dies dazu beitragen, das Jahr
1348 zu einem Wendepunkte für sein inneres Leben zu machen.
Die Freundschaft mit den Colonnesen, die Liebe zu Laura —
das waren die beiden Sterne seiner Jugend gewesen , jetzt
waren sie nun beide rasch hinter einander erloschen, verein-
samt fand er sich in einer düstein, leidbedrängten Welt und
von der Erde, die ihre schönsten Reize für ihn verloren, wandte
er mehr und mehr den Blick zum Himmel empor.
Unmittelbar nach dem 6. April muss Petrarca nach Parma
zurückgekehrt sein, aber nicht in der Stadt selbst, sondern
vermuthlich in dem Landhäuschen, welches er in der nah ge-
legenen Ortschaft Ciano in der Ebene von Selvapiana besass ^),
Wohnung genommen haben, denn am 10. April richtete er „aus dem
ruhigen Thale bei Parma" einen Brief an den ihm befreundeten
und, wie sich mit gutem Grunde vermuthen lässt, auch ver-
wandten Prior des St. Marcusklosters zu Florenz, Giovanni von
Incisa -). In diesem^ Briefe ^) sprach er eine frohe Erwartung
aus, w^elcher aber bald eine um so schmerzlichere Enttäuschung
nachfolgen sollte. Zu den wenigen Verwandten, mit denen
Petrarca vertraulichere Beziehungen unterhielt, gehörte in
erster Reihe Francesco degli Albizzi aus Florenz, ein reich-
begabter junger Mann, der mit Erfolg auch nach dem Dichter-
lorbeer strebte^). Dieser hatte seinen berühmten Vetter im
Jahre 1345 in Avignon aufgesucht und ungefähr zwei Jahre
sich bei ihm aufgehalten, dann hatte er sich, sei es von Reise-
lust oder von Wissensdrang getrieben, nach Paris begeben, in-
^) vgl. AUodi, Serie cronologica de' vescovi di Parma I p. 635 b. Fra-
cassetti, Lett. fam. I p. 528.
^) vgl. über ihn Fracassetti, Lett. fam. I p. 463 f.
') Ep. Fam. Vn 11.
*) Petrarca nennt ihn (Tiionfo d'amore III v. 37) neben Sennuccio del
Bene, vgl. Tiraboschi, V p. 748 ff.
Kör ti ng , Petrarca. 16
242 Fünftes Capitel.
dessen bereits im Frühjahr 1348 sich zur Rückkehr nacli
Avignon entschlossen. Dort angelangt traf er Petrarca nicht
mehr an und setzte, um ihn zu erreichen, ohne Zögern die
Reise nach Italien fort, den Weg über Marseille einschlagend,
welche Stadt er denn auch nach mancherlei Gefahren und Be-
schwerden glücklich erreichte. Petrarca von der bevorstehen-
den Ankunft seines Verwandten benachrichtigt, sah derselben
mit freudiger Ungeduld entgegen und erhoffte stündlich der
frolien Hoffnung Verwirklichung, hatte er ja doch den talent-
vollen Jüngling, der sich ihm mit jugendlicher Begeisterung
angeschlossen hatte, innigst lieb gewonnen und durfte von dem
erneuten Verkehre mit ihm genussreiche Stunden erwarten!
Schon glaubte er, als er am 10. April den oben erwähnten
Brief an Giovanni richtete, dass der ersehnte Tag gekommen
sei oder doch nahe bevorstehe, schon meinte er jedesmal, wenn
ein Besucher an die Thür seines Hauses klopfte, dass der liebe
Gast hereintreten werde ^) — , als ihm plötzlich die Schreckens-
kunde überbracht wurde, dass Francesco, sei es den An-
strengungen der Reise, sei es den Einwirkungen eines unge-
sunden Klimans erliegend, ganz plötzlich zu Savona gestorben
sei ^). Des schwer heimgesuchten Dichters Schmerz war grenzen-
los, musste er doch in dem Verstorbenen nicht nur einen leib-
lich , sondern auch einen geistig Verwandten , einen trauten
Freund und einen zu schönster Hoffnung berechtigenden Ge-
nossen seines dichterischen Strebens betrauern. Man hat.
seltsam genug, Petrarca oft als einen herzlosen, einer wahren
Liebe und Freundschaft unzugänglichen Egoisten darstellen
wollen - man lese den Brief, in welchem er Fi'ancesco's Tod
beklagt^), und urtheile dann, ob der, welcher ihn schrieb,
wirklich wahrer und tiefer Empfindungen unfähig war!
Ein Unglück kommt selten allein: bald sollte Petrarca,
wie wir bereits sahen, die schmerzliche Nachricht von Laura's
') Ep. Fam. VII 12.
•-) Ep. Fam. VII 18.
'j Ep Fam. VII 12.
Parma und Vaucluse. 243
Hinscheiden erhalten, bald auch abermals eines theueren Freundes
jähen Tod betrauern müssen, —
Nach verschiedenen kleinen Reisen, welche er an mehrere
Fürstenhöfe Ober- und Mittelitaliens — nach Ferrara zu den
Estensen, nach Carpi zu Manfredi Pio und nach Padua zu
Jacopo da Carrara — unternommen hatte ^), war Petrarca am
5. Mai 1349 nach Parma zurückgekehrt. Er musste bedauern,
nicht früher gekommen zu sein. Zwei seiner Jugendfreunde,
Mainardo Accursio und Luca Cristiano ^) . hatten wenige Tage
zuvor, auf einer Reise von Avignon nach Florenz und Rom
begriffen , bei ihm vorgesprochen und , nachdem sie einen Tag
lang vergeblich seine Rückkunft erwartet, ihre Reise fortgesetzt.
ihm durch zurückgelassene Briefe ihren Besuch auf der bald
anzutretenden Rückreise versprechend. Einer von ihnen sollte
nimmer wiederkehren.
Petrarca, dem abermaligen Besuche seiner Freunde mit
Bestimmtheit entgegensehend, entwarf in der Zwischenzeit einen
seltsamen, für seine Denkweise ungemein charakteristischen
Plan für sein und seiner nächsten Freunde Zukunftsleben.
Warum — so dachte er — sollten sie, Socrates, Mainardo,
Luca und vielleicht noch Andere, die sie alle mit ihm durch
innige Bande einer gegenseitigen, auf gleichen Anschauungen,
Erinnerungen und Bestrebungen beruhenden Neigung so eng ver-
bunden waren, fernerhin von einander und von ihm getrennt
leben? warum sollten sie nicht die etwa noch übrigen Jahre
des schon im Niedergange begriffenen Lebens in traulichem
Vereine, in andauerndem geselligen Verkehre, in gemeinsamen
Studien und gemeinsamen Andachtsübungen verbringen können ?
waren sie nicht alle, da kein Amt, kein Eheband sie fesselte,
unabhängig genug, um sich die Weise ihres Lebens frei wählen
zu dürfen ? Er machte also in mehreren sehr ausführlichen
Briefen an Olimpio seinen Freunden alles Ernstes den Vor-
^) Ep. Sen. X 2. Farn. IX 1. Das Datum der Rückkehr Petrarca's er-
gibt sich aus Ep. Fam. VIII 2, womit auch App. 6 (b. Fracassetti, Lett.
fam. II 309) übereinstimmt.
-) vgl. S. 72 f.
16*
244 Fünftes Capitel.
schlag, sie möchten sich mit ihm zu einem gemeinsamen Leben in
einer beliebigen Stadt des oberen oder mittleren Italiens, deren
Wahl er ihnen überlasse, vereinigen; finanzielle Bedenken —
fügte er hinzu, um auch die praktische Seite der Sache nicht
unerörtert zu lassen, — könnten der Ausführung des Planes
nicht ernstlich im Wege stehen, denn, wenn sie ihre Vermögens-
bestände und Einkünfte zusammenlegten, so würde dies eine
hinlängliche Summe ergeben, um die Kosten eines gemeinsamen
und, wenn 'Tnch einfachen, so doch anständigen und behaglichen
Haushaltes zu bestreiten.
Man sieht, dieser originelle Plan läuft auf nichts Anderes
hinaus, als auf die Gründung eines humanistischen Klosters
und zeigt recht deutlich, wie sehr in gewissen Beziehungen
Petrarca noch in den Anschauungen des Mittelalters befangen
war. In der individualen Isolirtheic, in der unbeschränkten
persönlichen Freiheit, welche die modernen Menschen für
keinen Preis entbehren möchten, befindet er sich, wenigstens
zu Zeiten, nicht wohl, es verlangt ihn nach Anschluss an eine
corporative Gemeinschaft und nach jener Beruhigung, welche
das Bewusstsein gewährt, das Glied eines grösseren Ganzen
zu sein. Dem Vater der Pienaissance wollte eben im privaten
Leben die Luft der neuen Zeit noch nicht recht behagen, er
fühlte sich wohler und heimischer in der mittelalterlichen
Klosterzellenatmosphäre und würde, wenn er nur seinem Ge-
fühle gehorcht hätte, gewiss dem Beispiele seines Bruders
Gherardo gefolgt sein. Auch das ist an dem erwähnten Plane
als beachtenswerth hervorzuheben, dass er von jeder Wirksam-
keit nach aussen hin gänzlich absieht. Die Mitglieder des
projectirten Bundes sollen eben nur für sich, für ihre eigene
Weiterbildung, Erbauung und Unterhaltung leben, nicht etwa
durch Unterricht und litterarische Thätigkeit befruchtend und
anregend für die Menschheit wirken. In dieser auffallenden
Lücke des Planes offenbart sich gleichzeitig die mittelalter-
liche Scheu vor der Oeifentlichkeit wie der herzlose Egoismus
der Renaissancecultur. Es war gewiss für Petrarca selbst und
seinen Nachruhm ein grosses Glück, dass der Plan scheiterte,
I
Parma und Vaucluse. 245
denn, wenn irgend etwas, so würde das Gelingen desselben
geeignet gewesen sein, ihn seiner humanistischen Culturmission
zu entfremden: aus dem Humanisten wäre in einem Conven-
tikel ohne Zweifel mehr und mehr ein betender Mönch ge-
worden, das Brevier hätte gesiegt über Cicero und Virgil.
Wie dem aber auch sein mag, Petrarca erfasste den
merkwürdigen Gedanken mit grossem Eifer und legte ihn in
mehreren sehr ausführlichen Briefen^) an Mainardo und Luca
dar. Am 19. Mai hatte er diese Schreiben beendet und, da
ihm augenblicklich eine andere Gelegenheit der Beförderung
mangelte, beauftragte er seinen Koch Gebelino, sie an die
Adressaten nach Florenz zu überbringen. Der improvisirte
Briefbote kehrte aber bereits am 26. Mai mit der schrecklichen
Nachricht zurück, dass die Freunde in den Schluchten der
Apenninen von einer Räuberbande überfallen worden seien,
welche Mainardo seiner Baarschaft von 2000 Goldgulden be-
raubt und dann ermordet habe, während Luca, Dank der
Schnelligkeit seines Rosses, zwar entflohen, aber auch seitdem
verschollen sei ^). Wie erschütternd musste für Petrarca diese
Kunde sein, welche ihm so unbarmherzig einen liebgewonnenen
Zukunftstraum zerstörte ! wie schmerzlich musste es ihn er-
greifen, seinen geliebten Mainardo, den trauten Genossen aus
den schönen Tagen von Bologna, so wider alles Erwarten
durch Mörderhand verloren zu haben! Aber auch in anderer
Beziehung beklagte er bitter das unglückselige Ereigniss. Als
italienischer Patriot empfand er lebhaft das Schmachvolle der
Zustände seines Vaterlandes, welche harmlosen Reisenden nicht
einmal die Sicherheit der Strassen zu verbürgen vermochten,
und in einer flammenden Zuschrift an die Florentiner forderte
er mit hinreissender Beredtsamkeit sie auf, durch strenge Be-
strafung der auf ihrem Gebiete begangenen TJnthat den ihrem
1) Ep. Fam. VIII 4 u. 5. App. 6.
-) Luca rettete sich und Petrarca hat nachmals noch wiederholte Briefe
an ihn gerichtet, ihm auch ein Canonicat zu Modena abgetreten, vgl. Ep.
Fam. XIV 4.
246 Fünftes Capitel.
Gemeinwesen angetlianen Schimpf zu rächen und fortan dafür
zu sorgen, dass gleiche Frevel nicht wieder verübt werden
könnten, in sehr geschickter Weise dabei hervorhebend, wie
sehr Florenz auch materiell benachtheiligt werden müsste,
wenn in dem bevorstehenden Jubeljahre die Pilgerzüge aus
Furcht vor räuberischen Anfällen das Weichbild ihrer Stadt
umgehen würden ^).
Francesco und jVIainardo waren nicht die einzigen Freunde,
deren Hinscheiden Petrarca in den Schreckensjahren 1348 und
1349 zu betrauern hatte. Sie waren vielmehr, durch ungewöhn-
liche Zufälle vom Tode betroffen, nur gleichsam ein ausser-
ordentlicher Tribut, den Petrarca an das Geschick zu zahlen
hatte, eine weit grössere Zahl der Freunde ward von der all-
gemeinen Würgerin, der Pest, dahingerafft. Es starb unter
Anderen Roberto de' Bardi in Paris , von dem einst Petrarca
zur Dichterkrönung berufen worden war; es starb in Florenz
der Dichter Sennuccio del Bene, mit welchem Petrarca so
manches Sonett gewechselt hatte, es starb in Parma selbst
der Herr der Stadt, Luchino Visconti, Petrarca's fürstlichei"
Gönner, am 25. Januar 1349 -); es starb auch am Morgen des
23. Mai 1349, nachdem er noch den Abend vorher gesund
und heiter in Petrarca's Gesellschaft verbracht hatte, Paganino
Bessozzi, der Podestä der Visconti in Parma, mit welchem
Petrarca innig befreundet gewesen war.
Auch der Cardinal Giovanni Colonna war im Sommer 1348
der Pest zu Avignon erlegen, und gewiss hat sein Tod Petrarca
schmerzlich beriihrt , wenn auch freilich nicht in der Weise,
wie man es nach den langjährigen und so innigen Beziehungen,
welche zwischen beiden bestanden hatten, hätte erwarten
dürfen. Es war eben , wie weiter oben dargelegt worden ist,
in Folge der grundverschiedenen politischen Anschauungen
eine durch Nichts zu überbrückende Kluft zwischen den
1) Ep. Var. 53.
*) Joann. de Cornazanis a. a. 0. p. 747 und Note im Handexemplar
des Yirgil b. Fracassetti, Lett. fam. II p. 243.
Parma und Vaiicluse. 247
einstigen Freunden entstanden. Petrarca ward, wenn er die
Gebote des einfachsten gesellschaftlichen Anstandes nicht ver-
letzen wollte, durch Giovanni's Tod in die peinliche Lage ver-
setzt, an den greisen Stefano Colonna, der nun wirklich, wie
er einst schmerzlich geahnt hatte, alle seine Söhne vor sich
hatte sterben sehen, ein theilnehmendes Schreiben richten zu
müssen. Wie schwer mag es ihm angekommen sein, jetzt an den
einst so hoch verehrten Mann zu schreiben, von dem er vor-
aussetzen musste, dass er ihn als einen Undankbaren betrachte
und ihm ob der Betheiligung an Rienzo's Unternehmen schwer
grolle ! So ist es denn begreiflich, dass der Dichter sich mög-
lichst lange der drückenden Pflicht zu entziehen strebte
und erst am 8. September 1349 der Abfassung des nicht zu
umgehenden Briefes sich unterzog. Es war ein entsetzlicher
Trostbrief, den er schrieb 0- Grausam zergliederte er den
ganzen Jammer, der den alten Colonna betroffen, in allen seinen
Einzelheiten und richtete unter Beibringung nichtssagender
philosophischer Gemeinplätze die Mahnung an ihn, das Ge-
schehene zu vergessen und gutes Muthes zu sein. Wenn
irgend einer, so ist dieser Brief herzlos im vollsten Sinne des
Wortes und macht seinem Verfasser wenig Ehre. Er liefert
ein trauriges Zeugniss dafür, wie politische Leidenschaft und
eine veränderte Anschauung auch in gemüthvoll angelegten
Naturen eine anscheinend über alle Anfechtungen erhabene
Freundsehaftsneigung zu entwurzeln und Lieblosigkeit zu er-
zeugen vermögen.
Falsch aber wäre es, aus diesem Briefe, der eben unter
dem Drucke ganz eigenthümlicher äusserer Verhältnisse ge-
schrieben ward, einen allgemeinen Schluss auf Petrarca's
Charakter ziehen und ihn der Herzlosigkeit bezüchtigen zu
wollen. Gegenbeweise würden, wie wir schon einmal bemerkten,
in Fülle beigebracht werden können. Man lese z. B., um sich
davon zu überzeugen, einmal den Brief an Sokrates vom
1} Ep. Fam. VIII 1.
248 Fünftes Capitel.
22. Juni 13491), in welchem der Dichter mit wahrhaft vom
Herzen kommender Wehmuth und in ergreifender Sprache das
Hinsterben so vieler Freunde und das Wüthen der furchtbaren
Pest betrauert. Und dass er auch selbst in dem Verhältnisse
zu den Colonnesen nicht immer die alte Freundschaft zu unter-
drückenvermochte, bezeugt der, vermuthlich im Beginne des Jahres
1348, aus Anlass der furchtbaren, für die römischen Barone so un-
heilvollen Schlacht vom 20. November 1347 an den Cardinal
Giovanni gerichtete Trostbrief 2). Freilich erhält man auch
hier die Empfindung, dass der Schreiber sein eigentliches
Thema nur mit Widerwillen behandelt und eben nur, weil der
Anstand es so erfordert, banale Trostgründe an einander reiht,
aber wie ein Sonnenblick bricht doch aus dem Nebel der ob-
ligaten Phrasen das herzliche Eingeständniss hervor: „Ich
werde immer bekennen, dass ich Dir Alles verdanke, meine
geistige Begabung sowol als auch den Leib, den mein Geist
als Herberge bewohnt, und was ich etwa an irdischen Gütern
besitze. Der Aufenthalt in Deinem Hause ist für meinen Geist
nicht minder vortheilhaft gewesen, als für meinen Leib uud
für mein Vermögen".
Was sollte Petrarca, nachdem er in Parma so vieles
Schmerzliche hatte erleben und so erschütternde Trauerkunden
hatte vernehmen müssen, noch ferner daselbst verweilen? So
begab er sich denn aus der für ihn verödeten Stadt und aus dem
Hause, das ihm die Stätte so herber Enttäuschungen geworden
war, aufs Neue auf die Wanderung und durchirrte abermals
die Städte Oberitaliens, bald bei den Gonzaga in Mantua ver-
weilend und von dort aus Virgils Geburtsstätte besuchend ^),
bald in Verona mit Guglielmo di Pastrengo die alte Freund-
schaft erneuernd, bald und zumeist endlich in Padua sich
aufhaltend.
In letz;J;erer Stadt herrschte seit 1345 Jacopo II. von Carrara,
^;i Ep. Farn. YIII 7.
"-} Ep. Fam. VII 13.
3) Ep. Farn. XXIV 11.
Parma und Vaucluse. 249
in dessen Persönlichkeit sich uns wieder, wie schon früher in
Azzo di Correggio, ein Prototyp der Tyrannen der späteren
Renaissancezeit darstellt. Durch einen Mord war er zur
Herrschaft gelangt — er hatte seinen erbberechtigten Vetter
Marsilio, den Naclifolger des wollüstigen, aber staatsklugen
Ubertino, getödtet ^) — und durch einen Mord sollte er sie wieder
Yerlieren, die Gebote der Moral kannte er nicht, wenn es
den Besitz oder die Behauptung der Macht galt, aber bei aller
Immoralität war er ein staatskluger Fürst, der das materielle
Wohl seines kleinen Reiches verständig und thätig förderte,
und nicht minder ein begeisterter Verehrer der Wissenschaften.
Bald nach seinem Regierungsantritte hatte er mit Petrarca,
den er bis dahin nur einmal flüchtig gesehen, Beziehungen
anzuknüpfen gesucht 2) und als derselbe, vermuthlich dringen-
der Einladung Folge leistend, im Ausgange des Jahres 1348
zu längerem Aufenthalte nach Padua gekommen war, hatte er
ihm, um ihn dauernd an sich zu fesseln, am Sonnabende nach
dem Osterfeste 1349 3) ein Canonicat verliehen. Es war da-
durch Padua dem Dichter eine neue Heimath geworden und
wir werden sehen, wie er später sich dauernd dort niederliess,
zumal da ihm Giacomo's Sohn und Nachfolger Francesco die
gleiche Verehrung zollte, wie der Vater. Staunen mögen wir
billig vom Standpunkte unserer heutigen Anschauungsweise
aus, dass Petrarca, der in seinen Schriften einer fast über-
trieben strengen Sittlichkeit huldigte und auch in seinem
Leben stets den Geboten der Ehrenhaftigkeit treu blieb, einem
Fürsten, der mit dem Verbrechen des Mordes sich befleckt
hatte, seine Freundschaft schenkte, Wohlthaten von ihm an-
nahm und mit Lobsprüchen ihn überhäufte, die, weil zum
Theil erst dem Todten gespendet, offenbar mehr, als conven-
tioneile Phrasen sind ^ ). Indessen die Menschen der Renais-
sance — wir haben dies bereits einmal ausführlicher er-
1) Cortus. Patav. bist. IX 1 b. Muratori XII p. 915.
2) Ep. Sen. X 2.
') App. 6.
*) App. 6. Ep. Sen. X 2. Ep. Farn. XI 3. Epist. ad Post.
250 Fünftes Capitel.
örtert^) — maassen sich einander nicht mit dem ethischen,
sondern mit dem ästhetischen Maassstabe, sie urtheilten nicht
nach den Motiven und Vollzugsweisen, sondern lediglich nach
den Erfolgen der Handlungen, ihren Beifall erwarb ein Jeder,
der, gleichgültig mit welchen Mitteln, etwas vollbrachte, was
gross und gew^altig erschien, was die Phantasie durch das Un-
gewöhnliche seiner Erscheinung bestach, was endlich nur
irgendwie mit einer Art idealen Schimmers umgeben war.
Wie lange Petrarca seinen im Jahre 1349 begonnenen
Aufenthalt in Padua ausdehnte, entzieht sich der genaueren
Bestimmung , doch ist so viel gewiss, dass er ihn nicht vor
dem beginnenden Frühjahre 1350 abgebrochen haben kann,
denn am 15. Februar 1350 — dem Tage, an welchem der
Cardinallegat Guido von Boulogne die feierliche Translation
der Gebeine des heiligen Antonius von Padua vollzog —
datirte er von dort aus noch einen Brief 2) an den päpstlichen
Caplan Philipp von Vitry, dem späteren Bischof von Meaux^).
Seltsam genug war des Briefes Inhalt. Der französische
Priester hatte gelegentlich den Cardinal beklagt, dass er fern
vom schönen Frankreich und von den Genüssen Avignons das
reizlose und rohe Italien durchreisen müsse. Petrarca fühlte
sich durch solches thörichtes Bedauern in seinem Patriotis-
mus verletzt und glaubte sich verpflichtet, die absurde Ver-
unglimpfung seines schönen Vaterlandes abzuwehren und den
Ankläger durch eine lange Epistel seines sträflichen Irrthums
zu übelführen.
So war das Jahr 1350 herangekommen, ein Jahr des
Segens im Vergleich mit den vorangegangenen Jahren des
Unheils. Die Pest war, wenn auch noch nicht erloschen, so
doch dem zeitweiligen Erlöschen nahe, und die geängsteten
Völker durften den Versuch wagen, in die gewohnten Gleise
des Lebens zurückzukehren. Es schien die Gottheit selbst
nach langem Zürnen mit der Menschheit sich versöhnen zu
1) s. S. 190 ff.
2) Ep. Fam. IX 13.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. II p. 430.
Parma und Vaucluse. 251
wollen. lu Rom ward das grosse Jubelfest gefeiert, welches
jedem Gläubigen, der dem Apostelgrabe nahte, vollkommene
Vergebung der Sünden verhiess. In ungezählten Schaaren
wallfahrteten die der Pest Entronnenen aus allen Landen nach
Rom, denn es ist ja eine vielfach durch die Erfahrung be-
stätigte Thatsache, dass nach Zeiten schwerer Trübsal der
religiöse Drang in der Menschenbrust am lebhaftesten sieh
geltend macht, dass dann die Glaubensinnigkeit und der Eifer,
den kirchlichen Pflichten Genüge zu thun, weit grösser sind, als
in den Jahren des Glücks. Es lehrt eben,' wie das alte
Spruch wort sagt, Noth beten. Hatte vor den Jahren der
Pest vielfach ein gewisser religiöser Indifferentismus geherrscht,
so war dieser jetzt nach der schweren Leidenszeit in das
Gegen theil umgeschlagen, und schwerlich ist die Menschheit
des Abendlandes jemals aufrichtig gläubiger gewesen, als da-
mals. In den germanischen Ländern, wo ja zu allen Zeiten
das religiösere Gefühl ein lebendigeres und tieferes gewesen
ist als bei den Romanen, steigerte die neu erwachte Glaubens-
innigkeit sich bis zu einem mystischen Fanatismus. Es bil-
deten sich dort zahlreiche Genossenschaften, welche durch die
grausame Selbstpeinigung der Geisselung ihr Seelenheil zu
erringen vermeinten, das Christenthum auf diese Weise zu
dem indischen Büsserthume erniedrigend. Milder w^aren die
Aeusserungen der neubelebten Kirchlichkeit in den romanischen
Ländern und insbesondere in Italien, wo die schon einflussreich
gewordene humanistische Geistesströnmng und eine gewisse
Neigung zur Skepsis im Nationalcharakter das Erwachen des
Fanatismus unmöglich machten. Hier begnügte man sich mit
der Wallfahrt und mit der Erfüllung der sonstigen kirchlichen
Formen. Die Strassen Roms füllten sich mit Pilgern, deren
Zahl zeitweise weit eine Million überstiegen haben soll. Das
Gedränge an den heiligen Stätten war so gross, dass wieder-
holt Menschen erstickt wurden und das Fortkommen auf den
Strassen fast unmöghch gemacht wurde').
^) vgl. Christophe, Geschichte des Papstthums, übersetzt von Ritter. 11
p. 154 f.
252 Fünftes Capitel.
Auch Petrarca ward von der allgemeinen religiösen Be-
geisterung und dem Wallfahrtsdrange ergriffen. Nachdem er
Padua verlassen und vorübergehend in Mantua sich aufgehalten
hatte 1) , vielleicht auch zu kurzem Verweilen nach Panna
zurückgekehrt war^), trat er im Herbst die Pilgerreise nach
Rom an. Mit beweglichen Worten hatte er in einer poetischen
Epistel Guglielmo di Pastrengo aufgefordert ihn zu begleiten ^),
dieser aber war, durch Familienbande gefesselt, ruhig in
Verona verblieben.
Petrarca nahm seinen Weg über Florenz, wo er veraiuth-
lich in den ersten Tagen des Octobers^) bei schon winterlich ge-
wordener Witterung im Zwielichte des hereinbrechenden Abends
anlangte ^). Mit welchen Gefühlen musste er die vorher noch
nie gesehene Stadt betreten, welche die Heimath seiner
Aeltern gewesen war und im noimalen Laufe der Dinge auch
seine eigene Vaterstadt geworden sein würde ! Der Vater war
schimpflich aus Florenz vertrieben und nie war die Rückkehr
ihm gestattet worden, jetzt zog der Sohn ein, von den er-
lesensten Bürgern der Stadt jubelnd begrüsst als ein Fürst
im Reiche des Geistes! Nach dem Buchstaben des Gesetzes
wäre Petrarca, dem Sohne des Geächteten und Verbannten,
der Eintritt in Florenz verboten gewesen, aber Niemand dachte
daran, gegen den gefeierten Dichter ein veraltetes Recht
geltend zu machen: unbehindert durfte er jetzt wie auf der
Rückreise in der Stadt verweilen, und bald sollte ihm selbst
die ehrende Genugthuung einer formellen Rückberufung zu
Theil werden.
Der erste, von welchem Petrarca in Florenz begi-üsst und
gastlich aufgenommen ward, war der Mann, welchen das Ur-
^) Ep. Farn. IX 10, datirt aus Suzara b. Mautua vom 28. Juni 1350.
2) vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 527. Hinfällig freilich wird die An-
nahme, wenn, wie Fracassetti selbst als wahrscheinlich hinstellt, Petrai'ca
das Archidiaconat bereits 1348 und nicht erst 1350 verliehen erhielt.
^) Ep. poet. lat. III 34.
*) Das Datum ergibt sich ungefähr aus einer Angabe in Ep. Fam, XI 1.
■■^j Ep. Fam. XXI 15.
I
Parma und Vaucluse. 253
theil der Nachwelt mit Dante und Petrarca selbst auf die
Höhen des italienischen Parnasses gestellt hat, es war kein
geringerer als Giovanni Boccaccio, der Begründer der italie-
nischen Prosa. Nicht hier scheint uns der Ort zu sein, ein-
gehender über die Beziehungen zu sprechen, welche zwischen
den beiden Dichterheroen obwalteten; wir glauben, dass dies
besser demjenigen Orte vorbehalten bleibe, an welchem wir
im weiteren Verlaufe unseres Werkes Boccaccio's Leben und
Entwickelungsgang darzulegen gedenken, denn, wie wir meinen
und wie dies schon aus den Altersverhältnissen der beiden
Männer 1) sich erklärt, hat nicht Boccaccio auf Petrarca, wol
aber dieser auf jenen einen bestimmenden Einfluss ausgeübt.
Es mögen daher hier nur die nöthigsten Bemerkungen Platz
finden.
Petrarca und Boccaccio sahen sich, wie wenigstens der
erstere versichert % im October 1350 zum ersten Male, doch
ist dies vielleicht dahin einzuschränken, dass sie sich damals
zum ersten Male persönlich näher kennen lernten und zum
ersten Male Freundschaftsversicherungen von ]\Iund zu Mund
austauschten , denn der Umstand , dass Boccaccio in seiner
kurzen Vita Petrarca's, welche aller Wahrscheinlichkeit nach
vor dem Jahre '1350 geschrieben ist 3), das leibliche Aussehen
desselben eingehend schildert, beweist doch wol, dass er ihn
bereits vor 1350, wenn auch nur flüchtig und von ferne, ge-
sehen hatte, vermuthlich im Jahre 1341 zu Neapel*). Als
ganz unzweifelhaft aber darf angenommen werden, dass die
beiden Männer bereits lange Jahre vor Petrarca's Besuch in
Florenz sich gegenseitig aus ihren Dichtungen und sonstigen
Schriften lieben und achten gelernt hatten, denn wie hätte
dem wol anders sein können? So waren sie, als sie in Florenz
zusammentrafen, einander längst geistig vertraut und ihrer
inneren Zusammengehörigkeit sich bewusst geworden, und auf
^) Boccaccio war neun Jahre jünger als Petrarca, vgl. Ep. Seu. VIII 1.
2) Ep, Fam. XXI 1-5 (vgl. Landau, a. a. 0. p. 113 ff.).
^) vgl. S. 38.
*) vgl. Ptossetti, Giulio Celso, Petrarca e Boccaccio p. 351.
254 Fünftes Capitel.
dieser Grundlage entwickelte sich nun zwischen ihnen nach
der vollzogenen näheren persönlichen Bekanntschaft die herz-
lichste und innigste Freundschaft, als deren Zeugniss wir noch
zahlreiche und inhaltsvolle Briefe besitzen '). Mit keinem
Anderen hat Petrarca in einem so innigen und, um diesen
Ausdruck zu brauchen, so menschlichen Freundschaftsverhält-
nisse gestanden wie mit Boccaccio. Wohl waren auch Sokrates
und Laelius seine vertrauten Freunde und die Ausdrücke,
mit denen er sie seiner Neigung versichert, lassen an Ueber-
schwänglichkeit Nichts zu wünschen übrig; aber trotz alledem
war doch, wenn nicht Alles trügt, seine Freundschaft zu ihnen
zum guten Theile nur ein Product seiner eigenen Phantasie;
in jugendlicher Liebesbedürftigkeit, im Drange, ideale Freund-
schaftsbündnisse nach antikem Vorbilde anzuknüpfen, hatte er
sich ihnen angeschlossen und ideale Eigenschaften ihnen an-
gedichtet, die sie in Wirklichkeit nicht besassen; er hatte
diese nach Allem, was wir von ihnen wissen, schlichten und
ihm nicht entfernt geistig ebenbürtigen Männer in seiner
Schwärmerei auf ein ideales Piedestal erhoben und einen
Freundschaftstempel ihnen errichtet, dessen Götterbilder seine
eigenen Geschöpfe waren. Ideal angelegte Naturen haben
eben das Bedürfniss, einen Seelenbund mit ihnen gleichgesinnten
Menschen zu schliessen und , wenn sie solche in der Wirklich-
keit nicht finden, erheben sie in beglückender Selbsttäuschung
ihrer Phantasie diejenigen zu Idealen, mit denen die Fügung
des Zufalls sie in nähere äussere Verbindung setzt. Gewiss
hat Petrarca in späteren Jahren, als der jugendliche Idealismus
zum Theile einer realistischen Auffassung der Dinge gewichen
war, es selbst empfunden, dass der vergötterte Sokrates und
Laelius keineswegs die idealen Menschen seien, als welche
seine Phantasie sie ihm einst dargestellt hatte , nun aber
machte die Gewohnheit ihre Rechte geltend und der Umstand,
^) Briefe Petrarca's an Boccaccio: Ep. Fam. XI 1. 2. 6. XII 10.
XVIII 3. 4. 15 XXI 15. XXII 2. XXIII 19. Sen. I 5. II 1. lU 1. 2.
5. (i. Y. 1. 2. 3. VI 1. 2. VIII 1. 8. XV 8. XVII 1. I. 3. 4. Var. 25.
Ep. poet. lat. III 17.
Parma und Vaucluse. 255
dass er meist in weiter Ferne von den Freunden leiste, ermög-
lichte um so leichter den ungestörten Fortbestand eines im
innersten Grunde unwahren Verhältnisses. Es blieben ihm
Sokrates und Laelius liebe und vertraute Jugendgenossen und
ganz besonders hochwillkommene Adressaten für seine lang-
athmigen moralphilosophischen Episteln. Man möchte Sokrates
und Laelius die stummen Personen in Petrarca's Freundschafts-
leben nennen, sie haben — soweit man zu urtheilen vermag —
immer nur von ihm empfangen, niemals aber ihm ihrerseits
etwas gegeben , das für seine Entwickelung werthvoll und be-
deutend geworden w^äre. Es sind uns ihre Briefe an Petrarca
nicht erhalten, schwerlich aber ist in litteraturgeschichtlicher
Hinsicht ihr Verlust zu beklagen — so schmerzlich er auch für
die äussere Biographie sein mag — , denn allem Vermuthen
nach ward ihr Hauptinhalt von Mittheilungen der trivialsten
Art , zum guten Theile von avignonesischem , bezugsweise
römischem Stadtklatsche, gebildet. Wenn es unbestreitbar
ist - - und wer möchte das leugnen '? — , dass eine wahre und
fruchtbringende Freundschaft nur möglich ist zwischen Men-
schen, welche auf einem ungefähr gleichen Niveau der geistigen
Entwickelung stehen, so w^ar eine solche zwischen Sokrates
oder Laelius und Petrarca allerdings nicht möglich, im vollsten
Maasse dagegen zwischen dem letzteren und Boccaccio.
In Boccaccio fand Petrarca eine der seinigen in jeder
Beziehung ebenbürtige und in vieler Hinsicht geistig ver-
wandte Natur und ein mit dem seinigen vielfach überein-
stimmendes Streben, und, da Boccaccio zugleich bescheiden
und geschmeidig genug war, um sich dem älteren Dichter be-
reitwillig unterzuordnen und ihn als den weit Ueberlegenen
anzuerkennen, so waren alle Vorbedingungen für eine heil-
bringende Entwickelung und unzerstörbare Dauer ihrer
Freundschaft gegeben. • Es hat die italienische Litteratur iu
ihrer doch so reichen und ruhmvollen Geschichte kein schöneres
Blatt aufzuweisen, als dasjenige, auf welchem die Freundschaft
zwischen dem Sänger des Canzoniere und dem Dichter des
Decamerone verzeichnet steht. Nur einmal hat in der Folge
256 Fünftes Capitel.
zeit das erhebende Schauspiel eines so innigen Herzensbünd-
nisses zwischen zwei einander ebenbürtigen Geistesheroen sich
erneut: es war, als in Jena 1794 Goethe und Schiller ihren
Freundschaftsbund schlössen. Beklagen kann man nur, dass
Petrarca und Boccaccio nicht schon früher, in der Periode
jugendlich reger Empfänglichkeit , in nähere Verbindung mit
einander getreten sind: sie würden sich gegenseitig auf das
Segensreichste beeinflusst und auf das Trefflichste ergänzt, viel-
leicht selbst auch zu einem gemeinsamen Schaffen im eigent-
lichen Sinne des "Wortes vereinigt haben. Das Schicksal hat
es anders gefügt und dieser Fügung ist es zum guten Theile
zuzuschreiben, dass nach der beiden Dichterfürsten Tode die
italienische Poesie sich nicht stetig weiter entwickelte, sondern
ein Jahrhundert lang selbst in der Gefahr schwebte, von dem
überwuchernden Humanismus erstickt zu werden : sie entbehrte
eben einer einheitlichen Grundlage, welche breit genug ge-
wesen wäre, einen normal aufgeführten Bau zu tragen und
gegen feindliche Strömungen auszudauern. Ungleich unheil-
voller noch würde aber ohne Zweifel ihr Geschick gewesen
sein , wenn Petrarca und Boccaccio nicht wenigstens einige
Jahrzehende hindurch treu und gesinnungsinnig zusammen-
gestanden und zusammengestrebt hätten. Man stelle sich
einmal vor, welch' tödtlicher Zwiespalt in die junge Litteratur
hineingetragen worden wäre , wenn die beiden Dichter etwa
von Neid und Eifersucht erfüllt sich und ihr Schaffen gegen-
seitig verlästert und verketzert hätten! Ein verächtliches
Urtheil Petrarca's über Boccaccio"s Styl hätte wahrscheinlich
die italienische Prosa in ihrer Wiege ermordet, und ebenso
wahrscheinlich eine satyrische Bemerkung Boccaccio's über
Petrarca's Reime die italienische Lyrik nach kaum entfalteter
Blüthe ertödtet. da hierdurch den einseitigen Humanisten der
späteren Zeit willkommene Handhaben geboten worden wären,
ihre Verachtung der poetischen Production in der Vulgär-
sprache auf unanfechtbare Autoritäten zu stützen, und in noch
höherem Grade, als ohnehin geschah, alle besseren Köpfe von
ihr als von einer unwürdigen Beschäftigung abzuwenden.
Parma und Vaucluse. 257
Wie wir bereits oben bemerkten , vemiochte Boccaccio
allerdings einen bestimmenden Einfluss auf Petrarca's innere
Entwickelung , welche überhaupt mit dem Jahre 1348 als im
Wesentlichen abgeschlossen betrachtet werden kann, nicht
mehr auszuüben, aber, irren wir uns nicht, so ge-
bührt ihm das Verdienst, durch das lebhafte und sachver-
ständige Interesse, welches er an Petrarca's humanistischen
Bestrebungen nahm, dazu beigetragen zu haben, dass Petrarca
denselben beständig treu blieb und sich nicht, wie er sonst
wol bei vorgerückterem Alter gethan haben würde, rückhalts-
los der kirchlichen Gläubigkeit in die Aime warf.
Boccaccio that für Petrarca, was nur irgend ein Freund
für den andern thun kann. Er unternahm wiederholt — wir
werden darauf noch ausführlicher zurückkommen müssen —
weite Reisen, um ihn zu besuchen, und verweilte verschiedene
Male längere Zeit bei ihm, er vertheidigte ihrr öffentlich durch
eine Apologie gegen boshafte Angriffe ^), er erfreute ihn durch
werthvolle litterarische Geschenke, einmal ihm einige Schriften
des Cicero und Varro ^) , ein anderes Mal ein Werk des
heiligen Augustin ^), einmal endlich auch ein Exemplar von
Dante's „göttlicher Komödie" übersendend*). Den grössten
und schönsten Dienst aber erwies er dem Freunde gewiss
durch seine erfolgreichen Bemühungen um das Zustandekommen
einer lateinischen Uebersetzung des Homer ^).
Petrarca seinerseits benutzte nicht minder jede sich dar-
bietende Gelegenheit, um Boccaccio seine freundschaftliche
Gesinnung zu bethätigen. Er ermuthigte ihn, als ihn Zweifel
an dem eigenen Dichterwerthe bestürmten % er tröstete ihn,
als die Prophezeihung eines seltsamen Fanatikers ihn ge-
0 Ep. Sen. XIV (b. Fracassetti XV) 8.
'^) Ep. Farn. XVIII 4.
3) Ep. Fam. XVIII 3.
*) Beccadello in Tomasini's Petrarca rediv. p. 232, vgl. Fracassettfs
Note zu Ep. Fam. XXI 15.
s) vgl. Fracassetti's Note zu Ep. Fam. XVIII 2.
«) Ep. Fam. XVIII 15.
Körting, Petrarca. 17
258 Fünftes Gapitel.
schreckt hatte ^) , und er erfreute ihn durch die Uebersetzung.
der Griselda-Novelle des Decamerone in das Lateinische -).
So gewährt uns die Geschichte der mehrere Jahrzehende
hindurch währenden Beziehungen zwischen Petrarca und
Boccaccio das wohlthuende Bild einer innigen, durch keine
kleinliche Rivalität getrübten Freundschaft zweier hochbegabter
geistesverwandter Männer.
Glücklich fürwahr ist Italiens Volk zu preisen, welches
an den Eingangspforten und zugleich auf den Höhen seiner
Litteratur ein solches edles Dioskurenpaar besitzt!
Wir aber wenden uns nun den übrigen Freunden zu,
welche Petrarca bei. seinem ersten Besuche in Florenz sich,
wenn nicht gewann, so doch fester verband.
An erster Stelle ist da Zanobi da Strada zu nennen^).
Als Sohn eines Grammatikers und Schullehrers wurde er im
Jahre 1312 zu Strada, einem Flecken sechs Miglien von
Florenz, geboren. Durch Vermögenslosigkeit gedrängt über-
nahm er im Jahre 1332 nach des Vaters Tode die von diesem
geleitete Schule. Zwanzig Jahre lang blieb er dem beschei-
denen Lehranite treu, bis ihn endlich im Jahre 1352 plötzlich
Petrarca's Wohlwollen aus der niederen, seiner hohen Be-
gabung unwürdigen Stellung erlöste, indem er auf des ein-
fiussreichen Freundes Verwendung von dem Grossseneschall
Acciaiuoli als königlicher Secretär an den neapolitanischen
Hof berufen ward ^). Und noch weit grössere Ehre sollte ihm
zu Theil werden, eine Ehre, deren sich seit dem 8. April
1341 bis zum Ablauf des Jahrhunderts ausser ihm nur noch
Petrarca selbst rühmen durfte. Als er im Jahre 1355 in
Acciaiuoli's Begleitung aus Anlass einer diplomatischen Mission
1) Ep. Sen. I .5.
'^) b. Fracassetti, Ep. Sen. XVII 3.
") vgl. über ihn Tiraboschi. a. a. 0. p. 804—812. Mehus, a. a. 0.
p. 189—192. Petrarca's Briefe an ihn: Ep. Farn. XH 3. 15. 16. 18. XV 3.
XVI 9. 10. XIX 2. XXU 6. Sen. VI 6 (vielleicht auch 7 u. 8). Var. 2.
Ep. poet. lat. III 8. 9.
*) Ep. Fani. XII 2. 3. vgl. Fracassetti, Lett. fam. III p. 127,
Parma und Vaucluse. 259
nach Pisa gekommen war, verlieh ihm der damals dort weilende
Kaiser Karl IV. in feierlicher Weise die Dichterkrone ^). Der
beredteste Beweis, dass er solcher Auszeichnung nicht unwürdig
war, ist wol darin enthalten, dass der sonst auf seinen Lorbeer
eifersüchtige Petrarca dem neugekrönten Dichter die Freund-
schaft bewahrte, wenn er auch eine gelegentliche Aeusserung
des Verdrusses, dass ein Deutscher sich zum, Richter über
italienischen Geist aufgeworfen habe, nicht zu unterdrücken
vermochte ^j. Die Dichterkrone war aber noch nicht die letzte
Gabe, welche das Glück, frühere Vernachlässigung reich er-
setzend, dem einstigen Schullehrer spendete. Als im Jahre
1359 das päpstliche Secretariat erledigt war, ward dies ehren-
volle und einfiussreiche, überdies auch höchst einträgliche
Amt, nachdem Petrarca es ausgeschlagen und den Freund
dafür in Vorschlag gebracht hatte, Zanobi übertragen, welcher
es denn auch bis zu seinem schon im Jahre 1361 erfolgten
Tode bekleidete.
Es ist zu beklagen, dass uns die lateinischen Dichtungen
Zanobi's — und nur solche scheint er verfasst zu haben — bis auf'
ein kärgliches Bruchstück von fünf Versen ^) verloren gegangen
sind, und dass wir in Folge dessen über den Werth derselben ein
Urtheil zu fällen nicht vermögen. Man wird indessen schwerlich
fehl gehen, wenn man ihn als einen Vorläufer jener späteren
Humanisten betrachtet, welche formengewandte und anmuthige
lateinische Verse ohne jeden tieferen und oiiginalen Gedanken-
inhalt producirten, oder vielmehr auf Grund einer liebevoll
und intensiv betriebenen Leetüre der classisch lateinischen
Dichter reproducirten. Jedenfalls war Zanobi nur ein Talent
und kein Genie und stand, vielleicht sich selbst unbewusst,
im engsten Abhängigkeitsverhältnisse zu Petrarca, mit welchem
er sogar, angeblich freilich unwissentlich, in einem Epos über
Scipio Africanus den Jüngeren zu wetteifern wagte. —
1) Chron. Pis. b. Muratori XV p. 1031.
^) Invect. in med. praef.
^) mitgetheilt von Mehus 1. 1. p. 190.
17'
260 Fünftes Capitel.
Inniger noch als mit Zanobi befreundete Petrarca sich
mit Francesco Nelli, einem Florentiner, dem angesehenen Hause
der Rinucci angehörig und im Jahre 1350 das Amt eines
Priors an der Apostelkirche bekleidend. An ihn hat Petrarca
nicht nur eine grosse Anzahl von Briefen gerichtet^), sondern
auch ihm, den er seinen „Simonides" nannte 2), die Sammlung
der „Altersbriefe" zugeeignet. Auch sein äusseres Glück hatte
Nelli, wie Zanobi, dem berühmten Freunde zu danken: er
wurde auf dessen Empfehlung im Jahre 1359 von Acciaiuoli
als Zanobi's Nachfolger nach Neapel berufen und, wäre es
nach Petrarca's Wunsch gegangen , so würde er auch im
päpstlichen Secretariate Zanobi nachgefolgt sein ^). Das Lebens-
ziel war ihm kurz gesteckt; bereits im Jahre 1363 raifte ihn
zu Neapel die damals von Neuem in Italien wüthende Pest
hinweg, sein Tod aber ward von Petrarca mit den Worten
des innigsten Schmerzes betrauert"^).
Petrarca's Verhältniss zu Nelli scheint demjenigen zu
Sokrates und Laelius sehr ähnlich gewesen zu sein. Eine
wirkliche, auf geistige Ebenbürtigkeit begründete Freundschaft
ist es kaum gewesen, denn, so weit es sich erkennen lässt, besass
NelH keine hervorragende geistige Begabung und keine Origi-
nalität des Denkens. Er hat sich allerdings als Dichter und
Schriftsteller versucht, und seine hinterlassenen Schriften hat
Petrarca selbst zu sammeln sich bemüht, indessen berechtigt
uns Nichts zu der Annahme, dass seine (jetzt mit einer gleich
zu erwähnenden Ausnahme spurlos verlorenen) Weirke irgend
welchen bedeutenden Gedankeninhalt besessen hätten, ja es
scheint ihnen selbst die Eleganz der Form gefehlt zu haben.
1) Ep. Farn. XII 4. 5. 9. 12. 13. XIII 5. 0. 8. XV 2. XVI 11. 12.
13. 14. XVIII 7. 8. 9. 10. 11. XIX 6. 7. 13 14. 15. XX 6. 7. XXI 12.
13. 14. XXII 10. Sen. I 1. 2. 3. Var. 29. 44. 56. Ep. poet. lat. III
22. 23. 33.
'^) Erklärung dieses Namens Ep. Sen. I 1 „optimo iure tu mihi Simo-
nides, et sacerdos et vates et utrumque pariter sacer vates", cf. Ep. Fam.
XXIII 18.
•■') Ep. Sen. I 2.
*) Ep. Sen. III 1,
Parma und Vaucluse. 261
denn seine Briefe an Petrarca, von denen eine beträchtliche
Anzahl in einer Pariser Handschrift sich erhalten hat, zeigen
eine rohe und überladene lateinische Diction ^), und dass er
auch über grammatische Schnitzer nicht erhaben war, wird
uns von Petrarca selbst bezeugt^). Es war also Nelli für
Petrarca vennuthlich nur das, was wir einen Brieffreund
nennen möchten, ein bequemer Adressat und unterhaltender
Correspondent. Für Menschen, welche, wie Petrarca es war,
von einem unwiderstehlichen Drange nach Mittheilung erfüllt
sind und welche ihre höchste Befriedigung in der schriftlichen
Fixirung auch ihrer nur augenblicklichen Gedankenströmungen
finden, ist das Briefschreiben geradezu ein Bedürfniss und, da
es nun nicht Jedermanns Sache ist, unausgesetzte, von persön-
lichen Beziehungen fast gänzlich entblösste Briefe an sich
richten zu lassen, so wählen sie zu ihren Adressaten mit in-
stinctiver Vorliebe passive Naturen, welche gutmüthig genug
sind, um nicht einzusehen, wie ihr schreibeifriger Freund sich
ihrer als eines Abzugscanais für seinen Mittheilungsdrang bedient,
und welche vielleicht gar noch die ungeheuere Naivetät besitzen,
um auf Briefe, welche der Verfasser im Grunde gar nicht an
sie, sondern an sich selbst geschrieben hatte, ausführlich zu
antworten und dadurch der Correspondenz eine ihrem Urheber
sehr willkommene Abwechselung zu verleihen. Ein solcher
Adressenfreund war Nelli, wenn wir uns nicht ganz täuschen,
für Petrarca, und man darf sich durch die überschwänglichen
Freundschaftsversicherungen des letzteren nicht beirren lassen
und nicht vergessen, dass die zärtliche Phrase am leichtesten
im Briefwechsel eine behagliche Stätte findet. Wir bestreiten
hiermit keineswegs, dass Petrarca für Nelli, zumal da ihm
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. HI p. 140. Wenn übrigens Fracassetti
im „Indice" der Lett. fam. V p. 512 angibt, Petrarca habe Nelli das Lob,
„elegante nello scrivere" zu sein, ertheilt, und dabei Ep. Fam. XX 7 citirt,
so beruht dies offenbar auf einem leicht verzeihlichen Missverständuisse
der ersten Worte dieses Briefes.
■^) Ep. Fam. XVI 14. Nelli hatte das Perfect „perflui" für „perfluxi"
gebildet.
262 Fünftes Capitel.
dieser sicherlich den Zoll der Bewunderung und Verehrung^
reichhch darbrachte, in der That aufrichtige und innige Ge-
fühle der Freundschaft gehegt hat, sondern wir leugnen nur,
dass, wie man dem Anscheine nach zu glauben geneigt sein
könnte, zwischen beiden Männern ein wirkliches Seelenbündniss
bestand.
Ein weit bedeutenderer Mann, als Zanobi und Nelli, wenn
auch in nicht so vertraulichen Beziehungen wie diese zu
Petrarca stehend, war der berühmte florentinische Rechtslehrer
Lapo da Castiglionchio^l Wir werden das wechselvolle Leben
und das folgenreiche Wirken dieses merkwürdigen Mannes,
welcher eine der interessantesten Erscheinungen in der Litterar-
geschichte der Frührenaissance darstellt, an einer andern Stelle
unseres Werkes ausführlich erzählen müssen und dürfen jetzt
um so eher auf alle Angaben darüber verzichten, als Lapo in
ein näheres Verhältniss zu dem ihm an Jahren muthmasslich
weit überlegenen Petrarca nicht getreten ist, wie denn auch
nur wenige Briefe Petrarca's an ihn vorhanden sind 2). Es
lässt sich denken, dass Lapo eine zu eigenartige und in sich
zu abgeschlossene Natur war, als dass er sich trotz aller seiner
Begeisterung für den Humanismus zu einer einige Selbst-
verleugnung erfordernden Brieffreundschaft mit Petrarca hätte
bequemen mögen , und dieser hinwiederum konnte wol eine
gewisse Antipathie gegen den Juristen und seine unerbittliche
Logik nie ganz überwinden. Dies hinderte indessen nicht, dass
das äusserliche Einvernehmen zwischen beiden Männern das
beste war und dass sie die Schätze ihrer Bibliotheken leih-
oder schenkweise gegenseitig austauschten. So verheb Lapo
an Petrarca die Handschiiften mehrerer ciceronianischen Reden
(pro Milone, pro Plancio und die Philippicae) ^j, und schenkte
ihm einen, allerdings unvollständigen, Codex der Institutionen
1) vgl. über ihn: Mehus, Epistola di L. da C. colla vita del medesimo.
Bologna 1753, u. Vita Ambr. p. 241, Tiraboschi, a. a. 0. V p. 503-510.
Fracassetti, Lett. fam. II p. 247 ff.
*) Ep. Fam. VII 16. XII 8. XVIII 12. Var. 45.
") Ep. Fam. VII 16. Var. 45.
Parma und Vaucluse. 263
des Quintilian ') , Petrarca aber übersandte ihm die Kede
Cicero's für den Dichter Archias, welche er einst selbst auf
seiner Jugendreise in Deutschland aufgefunden hatte. — —
Einen Freund aber traf Petrarca in Florenz nicht mehr an.
Es war das der junge Bruno di Casino, der einst Petrarca mit
einer poetischen Epistel nach Florenz eingeladen hatte und
von ihm mit einer poetischen Antwort, später auch noch mit
einem Briefe in Prosa belohnt worden war 2). Es sollte dem
hochbegabten Jüngling nicht beschieden sein, die Verwirklichung
seines Wunsches zu erleben und den verehrten Dichter in
Florenz begrUssen zu können: er ward, wie so viele andere
seiner Mitbürger, von der schrecklichen Seuche des Jahres
1348 dahingerafft. In ihm starb, wenn wir anders dem Zeug-
nisse Filippo Villani's 2) trauen dürfen, ein Meister der rhetorischen
Kunst, welcher bei längerem Leben sich wol eine hervorragende
Stellung unter den Humanisten des Trecento errungen haben
würde ^).
Auch einen anderen Freund, mit welchem er bereits
poetische Briefe gewechselt hatte ^), Pietro, den Sohn des grossen
Dante, traf Petrarca vermuthlich in Florenz nicht an, da der-
selbe seit langen Jahren sich in Verona als Sachwalter nieder-
gelassen hatte ";.
Mochte aber auch immerhin Petrarca in dem Freundes-
kreise, der in Boccaccio's gastlichem Hause sich um ihn ver-
sammelte, den Einen oder den Andern vermissen, den er gern
gesehen haben würde, so waren doch ohne Zweifel die in
Florenz verlebten Tage für ihn im höchsten Grade genussreich
und anregend und der Abschied mag ihm, wenn er auch die
Hotfmmg baldigen Wiedersehens hegen durfte, nicht leicht ge-
worden sein.
») Ep. Farn. XXIV 7.
■^) Ep. Fam. VII 10. 14. Ep. poet. lat. III 10.
3) Vite d'illustr. Fiorent. p. 60 (citirt von Tiraboschi V p. 837).
*) vgl. über ihn Mehus, Vit. Ambr. p. 186, Tiraboschi V. p. 836 &.,
Fracassetti, Lett. fam. II p. 232 ff.
5) Ep. Fam. VII 10. Ep. poet. lat. III 7.
•^j Fraticelli, Vita di Dante, p. 298 f.
264 Fünftes Capitel.
Indessen schon nach wenigen Tagen ^) setzte er seine
Pilgerreise fort. Es fügte sich, dass er unterwegs leidlich an-
genehme Gesellschaft traf, welche aus einem durch sein Alter
ehrwürdigen Abte, einem ebenso verständigen als gesprächigen
Manne, und mehreren reisegewandten und dienstfertigen Leuten
bestand. Mit diesen Gefährten legte Petrarca den Weg bis
Bolsena ohne jedes Missgeschick zurück, als ihn ganz unver-
muthet ein tückischer Unfall treffen sollte. Er war mit seinen
Genossen von Bolsena ausgeritten , aber in tiefe Gedanken
versunken nahm er an ihren Gesprächen nicht Theil. Er ge-
dachte daran, dass er nun binnen vierzehn Jahren bereits zum
fünften Male nach Rom reise ^), und wie verschieden die Ver-
anlassung und der Verlauf der vier früheren Reisen gewesen
seien. Und wohl konnte solches Zurückschweifen in die ver-
gangenen Jahre ihm reichen Stoff der Betrachtung dar-
bieten! Er mochte daran gedenken, wie er einst, fast noch
ein Jüngling, zum ersten Male nach Rom zog, das Hera er-
füllt von heissem Sehnen , die Herrlichkeit der ewigen Stadt
zu schauen, und wie er damals von den Colonnesen so gast-
lich aufgenommen ward. Welcher Gegensatz zwischen dem
Damals und dem Jetzt! Jetzt pilgerte er nicht gen Rom,
um im Anblick der Denkmale einer grossen Vergangenheit zu
schwelgen, jetzt strebte er. ein an des Alters Schwelle stehen-
der und von so manchem schweren Leide, so mancher herben
Enttäuschung niedergebeugter Mann, einzig darnach, vor
St. Peters Altar niederzuknieen zu inbrünstigem Gebete —
und die Colonnesen? längst schon war Giacomo gestorben und
auch Giovanni bereits ihm nachgefolgt, die Anderen aber waren
in jener Mordschlacht vor den Thoren Roms gefallen, höchstens
^) Am 2. November befand er sieb bereits seit vierzehn Tagen in Rom,
die Reise dahin hatte von Viterbo aus drei Tage erfordert (Ep. Fam. XI
1), und gewiss ebensoviel Zeit erforderte die Strecke von Florenz bis Vi-
terbo. Die Abreise von Florenz muss also etwa am 12. October erfolgt sein.
-) Die erste Romreise unternahm er 1337 , die zweite (zur Dichter-
krönung) im Jahre 1341 , zum dritten und vierten Male besuchte er Rom
auf der Hin- und Rückreise nach und von Neapel im Jahre 1843.
Parma und Vaucluse. 265
der alte Stefano lebte noch, greisenhaftem Wahnsinne verfallen,
ein klägliches Schattenbild vergangener Grösse; des einst so
stolzen und machtvollen Geschlechtes Herrlichkeit war ge-
brochen, sein Glanz erloschen und er, er, Petrarca selbst,
hatte zum nicht geringen Theile es verschuldet, dass es so
gekommen war, denn hatte er dem Tribunen nicht den ge-
wichtigen Beistand seines Wortes geliehen? — Ein anderes
Bild mochte nun an seiner Seele vorüberziehen. Er sah sich
auf dem Capitole, der Senator setzt ihm den ersehnten Lorbeer-
kranz auf's Haupt, es jauchzt ihm das Volk der Quirlten seinen
Beifall zu. Wie gross fühlte er sich damals, wie sicher der
Unsterblichkeit, wie bewegten gewaltige Entwürfe künftigen
Dichtens seine Brust! Und jetzt? er hatte zur Genüge erfahren,
wie dornenvoll eine Dichterkrone sei, und hatte wol auch
erkennen müssen, dass er vergeblich durch die „Africa" den
Ruhm eines Virgils erstrebe, ohne doch, in seltsamer Selbst-
täuschung befangen , zu ahnen , dass die Nachwelt ihm , dem
Sänger des Canzoniere, einen anderen und schöneren Ruhmes-
kranz flechten werde. — Und wieder andere Erinnerungen
mochten sich ihm aufdrängen! Schon zwei Jahre, nachdem er
den Lorbeer empfangen, kommt er, um als Abgesandter des
Papstes nach Neapel zu eilen, abermals nach Rom, er träumt
von einer glänzenden Zukunft, denn, wenn die ihm übertragene
Mission ihren Erfolg erreicht, wird ihm das der Papst nicht
lohnen? sollte ihm dann nicht ein Bischofssitz, vielleicht selbst
der Cardinalshut beschieden sein? doch siehe da! nur wenige
Monate vergehen und er ist wieder in Rom, seine Sendung ist
kläglich gescheitert, missmuthig und verstimmt bricht er nach
Parma auf, um fern von Avignon und der Curie in der Ein-
samkeit Trost und neue Kraft sich zu gewinnen.
So zogen wol die Bilder der Vergangenheit an Petrarca's
geistigem Auge vorüber, als er plötzlich in rauhester Weise aus
seinen Träumen in die Wirklichkeit zurückgerufen Avurde. Das
Ross des Abtes, welcher ihm zur Linken ritt, schlug aus, um
des Dichters Ross zu treffen, traf aber diesen selbst und ver-
letzte ihn so schwer am Knie, dass er nur unter den grössten
266 Fünftes Capitel.
Schmerzen und Beschwerden die Reise nach Viterbo und
weiterhin nach Rom fortzusetzen vermochte. Als er endlich
am dritten Tag dort anlangte, war der Zustand der vernach-
lässigten Wunde ein so bedenklicher geworden, dass er sofort
ärztliche Hülfe in Anspruch nehmen und, was für ihn ungemein
peinlich war, länger als vierzehn Tage auf jeden Ausgang ver-
zichten musste. Von seinem Schmerzenslager aus richtete er
an Boccaccio einen ausführlichen Brief, in welchem er ihm
über seine Reise und das erlittene Missgeschick Bericht er-
stattete^). Es ist der erste seiner an Boccaccio gerichteten
Briefe, ein Beweis, dass er sich eben erst in Florenz persön-
lich mit ihm befreundet hatte, und zugleich mag uns der Um-
stand, dass er von Rom aus eben nur an Boccaccio, nicht an
Zanobi noch an Nelli oder Lapo schrieb, bezeugen, dass er
sich eben an Boccaccio enger, als an die übrigen angeschlossen
hatte.
Petrarca scheint in Rom wirklich, wie der eigentliche
Zweck seiner Reise es erforderte, wenn auch nicht ausschliess-
lich, so doch vorwiegend nur dem Besuche der Kirchen und
anderen Andachtsübungen sich gewidmet zu haben. Wenigstens
spricht er in einem Briefe^) an seinen Freund Barbato von
Sulmo , welcher kurz vor ihm ebenfalls in Rom gewesen war,
seine Befriedigung darüber aus, ihn nicht mehr in Rom an-
getroffen zu haben, da sie sonst gewiss, profanen Alterthums-
studien sich hingebend, gemeinsam die Strassen der Stadt
durchwandert und darüber ihr Seelenheil vernachlässigt haben
würden. Dass indessen sein Denken durch die kirchlichen
Pflichten des Jubelfestes nicht gänzlich von dem geliebten
Alterthume abgezogen wurde, beweist der seltsame Brief, den
er am 1. November an den grossen römischen Polyhistor
M. Terentius Varro schrieb ^). Hierbei muss man wirklich mit
Horaz ausrufen: „naturam expellas furca, tarnen usque redibit" !
') Ep. Fam. XI 1.
•-) Ep. Fam. XII 7.
'') Ep. Fam. XXIV 6.
Parma und Vaucluse. 267
Petrarca hatte damals gewiss den ernstesten Willen, einmal
nur religiösen Betrachtungen nachzuhängen, und doch ver-
mochte er seinem humanistischen Streben nicht völlig zu ent-
sagen und konnte nicht vergessen, dass neben dem kirch-
lichen Rom noch ein anderes, ihm im innersten Herzen
theuereres Rom, das Rom des classischen Alterthumes, existire.
Und mag es uns auch als ungemein naiv, um nicht zu sagen
absurd erscheinen, dass er an einen Römer des grauen Alter-
thums wie an einen Lebenden schrieb, so dünkt uns doch,
dass er durch Nichts nachdrücklicher die Intensität seiner
Begeisterung für das römische Alterthum hätte bezeugen können.
Nicht lange währte des Dichters Aufenthalt in der ewigen
Stadt. Das Getümmel, welches sie damals in Folge der so
massenhaft zusammengeströmten Pilger erfüllte, mochte ihm
wenig behagen, und so verliess er sie bereits in den ersten
Tagen des Decembers, vielleicht selbst schon zu Ende des
Novembers. Er ahnte wol nicht, dass er das geliebte Rom
nie wieder sehen sollte.
Am 7. December war er wieder in Florenz, wie der von
diesem Tage datirte Brief an Quintilian '), dessen Institutionen
ihm in einer, allerdings lückenhaften, Handschrift Lapo damals
geschenkt hatte, hinreichend beweisen kann. Einen Monat
später, am 7, Januar 1351, schrieb er bereits wieder von
Padua, seiner neugewählten Heimath, aus an Boccaccio ^).
Ein trauriges Ereigniss, welches wenige Tage entweder
vor oder nach seiner Rückkehr sich zugetragen hatte, musste
er berichten. Sein fürstlicher Wohlthäter und Gönner, Jacopo II,
von Carrara , war nicht mehr ! Es hatte den gewissenlosen
Tyrannen das rächende Verhängniss ereilt und, wie er einst
durch einen Mord den Weg zum Fürstenstuhle sich gebahnt
hatte, so starb er am 22, December 1350 durch den Dolch
eines Mörders 3), Es ist bezeichnend für Petrarca's Verhält-
1) Ep. Farn. XXIV 7.
2) Ep. Farn. XI 2.
■•') Cortus. bist. Patav. X 4 b. Muratori XII p. 933 f.
268 Fünftes Capitel.
niss zu dem Carraresen und für die Einseitigkeit seiner sitt-
lichen Anschauung, dass er für den Getödteten nur Worte des
innigsten Bedauerns und hoher Anerkennung besass. „Des
Vaterlandes Vater, Hoffnung und Heil" nennt er ihn in der
lateinischen Grabschrift, welche er ihm widmete^); gänzlich
übersah er die düstern Schattenseiten in dem Charakter des
gepriesenen Mannes und erkannte nicht oder wollte nicht er-
kennen, wie ein gerechtes Schicksal ihm den gebührenden
Lohn für früheren argen Frevel ertheilt hatte. —
In den äusseren Verhältnissen Petrarca's änderte das
tragische Begebniss zunächst Nichts. Jacopo's Nachfolger, sein
Bruder Giacomino und sein Sohn Francesco, von denen der
letztere nach einigen Jahren die Alleinherrschaft an sich riss ^),
erwiesen ihm dieselbe Gunst wie ihr Vorgänger und werden
gewiss Nichts versäumt haben, um ihn dauernd an sich zu
fesseln. Gleichwol ist es begreiflich, dass der Dichter bei der
neuen Lage der Dinge einiges Unbehagen empfand, und nach
einer Veränderung seines Aufenthaltsortes sich zu sehnen be-
gann. Da schien das Schicksal selbst ihm eine neue Heimath
bereiten zu wollen.
Wenn irgend etwas, so musste Petrarca dies im tiefsten
Herzen schmerzlich empfinden, dass er trotz der Lorbeer-
krone, die er sich ermngen, und trotz des strahlenden Kuhmes,
den er sich erworben, noch immer, wenn auch nicht thatsach-
lieh, so doch rechtlich aus Florenz verbannt und dass das
einst seinem Vater angethane Unrecht noch immer nicht ge-
sühnt war. So viele Städte Italiens, vor allen Rom selbst und
Neapel, hatten ihn so hoch geehrt und mit Stolz unter die
Zahl ihrer Bürger aufgenommen, selbst fremde Reiche, Frank-
reich und Britannien, hatten ihn für sich zu gewinnen ver-
sucht — Florenz allein hatte, wenn es ihm auch den zeit-
weiligen Aufenthalt in seinen Mauern verstattete, sich noch
nicht um ihn bemüht, ihn noch nicht aus der Liste der Ver-
*) abgedruckt b. Fracassetti, Lett. fam. UI p. 33.
2) Cortus. bist. Patav. X 5 u. XI 7 b. Muratori XII p. 934 u. 947.
I
Parma und Vaucluse. 269
bannten gestrichen^)! Jetzt endlich sollte ihm auch diese so
lang ersehnte Genugthuung zu Theil werden.
Petrarca's wiederholte Anwesenheit in Florenz im Herbst
und Winter 1350 hatte ohne Zweifel Anlass gegeben , dass
seine Rückberufung von den Machthabern der Stadt in Er-
wägung gezogen wurde. Auch ohne dass man ein urkundliches
Zeugniss dafür beizubringen vermöchte, darf man gewiss mit
Bestimmtheit annehmen, dass die schon zahlreichen florentiner
Humanisten, Boccaccio und Lapo an ihrer Spitze, ihren ganzen
Einfluss — und es ist dieser sicherlich kein geringer gewesen
— zu Gunsten ihres verehrten Meisters aufboten, besonders
wenn dieser ihnen, wie sich vermuthen lässt, angedeutet haben
sollte, wie angenehm ihm die Rückkehr nach Florenz sein
würde. Allzu schwierig wird die Arbeit der Freunde Petrarca's
kaum gewesen sein und grosser Ueberredungskunst werden sie
nicht bedurft haben, um die Herzen ihrer Mitbürger dem
Sänger der, wie nicht zu bezweifeln, schon damals allbekannten
patriotischen Canzonen und lieblichen Sonette geneigt zu
machen. Ein äusserer Umstand trat überdies hinzu, der
selbst vom Standpunkte der Nützlichkeit aus, welcher ja für
städtische Behörden so oft der allein maassgebende ist, die
Rückberufung Petrarca's als rathsam erscheinen liess. Florenz
besass seit dem Jahre 1348 eine nach mittelalterlicher Art
nur in zwei Facultäten, die juristische und die medicinische,
sich gliedernde Hochschule, welche indessen unter dem Drucke
der jüngstvergangenen schweren Zeiten noch zu keiner Blüthe
hatte gelangen können. Wie hätte man nun die Entwicke-
lung der jungen Anstalt besser und nachhaltiger zu fördern
vermocht, als wenn man an ihr dem jugendlich aufstrebenden
und immer weitere Kreise für sich begeisternden Humanismus
eine Stätte bereitete? musste Florenz nicht, wenn es durch so
richtiges Erkennen der Zeichen der Zeit an die Spitze einer
neuen, von Tag zu Tag gewaltiger werdenden Culturbewegung
trat, die geistige Hegemonie über Italien, ja über das ganze
1) vgl. Ep. poet. lat. III 9.
270 Fünftes Capitel.
Abendland erlangen? wer aber hätte geeigneter sein können,
der Vertreter und Lehrer des Humanismus an der Hochschule
zu sein, als der Mann, aus dessen für das classische Alter-
thum begeistertem Haupte die neue Geistesströmung hervorge-
gangen war und der seit langen Jahren als Apostel eines Evan-
geliums völkerbeglückender Bildung Italien durchwanderte?
wie hätte man einen Anderen berufen können, als den ge-
feierten Petrarca?
Von solchen Erwägungen geleitet richteten denn am Ende
des Februars oder im Beginne des März ') „die Vorsteher der
Zünfte und der Bannerträger der Gerechtigkeit des Volkes
und der Gemeinde .von Florenz" an den „ehrwürdigen Mann,
den Herrn Franciscus Petrarca, Canonicus zu Padua und
lorbeergekrönten Dichter, ihren sehr tl teueren Mitbürger" ein
Schreiben 2), in welchem sie ihn baten, seinem unstäten Um-
herwandern ein Ende zu machen und in die ihn hochver-
ehrende Vaterstadt zurückzukehren, wo ihm der väterliche
Grundbesitz wiedererstattet und ein Lehramt, welches er jedoch
ganz nach freier Neigung werde verwalten können, über-
tragen werden solle.
Dies Schreiben ist nach Inhalt und Form eine merkwürdige
und werthvolle Urkunde, welche höchstens in dem von den
römischen Senatoren am 9. April 1341 ausgestellten Dichter-
diplome ein entsprechendes Seitenstück besitzt ^). Es weht in
diesem Schriftstücke die volle Luft der Renaissauce. Der
altübliche trockne und barbarische Canzleistyl ist in ihm auf-
gegeben und, wenn auch noch nicht eben eifolgreich. der Ver-
such gewagt worden, einen kunst- und schwungvollen Perioden-
bau an die Stelle der früheren steifen Formeln treten zu lassen.
Allgemeine Betrachtungen über den Werth der Wissenschaft
^) Ueber die Zeitbestimmung vgl. Meneghelli b. Fracassetti, Lett. fam.
III p. 43.
-) Mitgetheilt von de 8ade, t. II pieces justif. 29, u. t. III p. 124 f.
im Auszuge b. Mebus, Vit. Ambr. p. 243, in ital. Uebersetzung 1) Fracas-
setti, Lett. fam. III p. 40 ff.
-) vgl. S. 183.
Parma und Vaucluse. 271
und Poesie sowie Citate aus classischen Autoren sind in den
Text eingewebt, so dass das Ganze mehr einer akademischen
Prunkrede, als einem amtlichen Schreiben ähnelt. Man er-
kennt, dass die Zeit nicht mehr fern ist, in welcher die Eleganz
des Styles das wichtigste Erforderniss für Staatsschriften wird
und demgemäss mit deren Abfassung ausschliesslich die Meister
der ciceronianischen Latinität, die Humanisten, betraut werden.
So tritt der Humanismus aus der einsamen Studierzelle hinaus
auf die Bühne des öffentlichen Lebens, und der durch ihn er-
weckte Sinn für die Schönheit der Form erringt auch auf
einem Gebiete die Herrschaft, welches sich naturgemäss ihm
am sprödesten verschloss.
Den Auftrag zur Ueb erb ringung des Berufungsschreibens
an den Adressaten erhielt — und welche bessere Wahl hätte
man treffen können ? — Boccaccio ^) , welcher sich desselben
durch eine im April nach Padua unternommene Reise erledigte.
Mit welcher freudigen Genugthuung musste Petrarca die
Botschaft, welche der Freund ihm überbrachte, entgegennehmen !
Wurde doch durch dieselbe endlich ein Makel von ihm ge-
nommen, der ihm seit der Geburt angehaftet hatte und den
er, namentlich in früheren Jahren, im bürgerlichen Leben oft
genug schmerzlich* empfunden haben mochte; er war fernerhin
kein Verbannter und Ausgestossener mehr, die Vaterstadt rief
ihn reuig in ihren Schooss zurück und sühnte bereitwillig und
in ehrendester Weise das alte Unrecht, das sie einst an ihm
begangen , er besass nun endlich wieder eine wahre Heimath
und auf seines Vaters Namen lastete nicht mehr die schw^ere
Verunglimpfung, mit welcher verblendete Parteiwuth ihn be-
fleckt hatte.
In freudiger Erlegung richtete der beglückte Dichter an
seine neuen Mitbürger ein w^arm empfundenes Dankschreiben ^),
in welchem er seine Rückkehr, wenn auch nicht förmlich zu-
sagte, so doch als sehr wahrscheinlich in Aussicht stellte. Das
*) Ep. Fam. XI 5 sub fin.
2) Ep. Fam. XI -5.
272 Fünftes Capitel. ^
Nähere hierüber sowol als auch über die eventuelle Annahme
des angebotenen Lehramtes sollte der „edle Mann" Giovanni
Boccaccio mündlich berichten.
Wer hätte nun nicht erwarten sollen, dass Petrarca in
der That dem Rufe der Florentiner folgen und in die Heimath
zurückkehren würde? Getragen hat er sich auch jedenfalls
im ersten Rausche der ihm zu Theil gewordenen Ehre mit
diesem Gedanken, ausgeführt aber hat er ihn gleich wol nie.
Bei nüchterner Betrachtung der Sache mussten ihm sehr ge-
wichtige Gründe dagegen zu sprechen scheinen, und so an-
genehm ihm der zeitweilige Aufenthalt in Florenz auch gewesen
war, so wenig verkannte er doch gewiss die bedenklichen
Schattenseiten, welche die dauernde Niederlassung daselbst
für ihn haben musste. Jahrzehende lang hatte er nun ein.
unstätes Wanderleben geführt, welches ja gewiss schwere Nach-
theile für ihn hatte und dessen er zeitweilig herzlich über-
drässig werden mochte, welches ihm aber andererseits das
hohe Gut vollkommener Unabhängigkeit und Freiheit gewährte
und es ihm ermöglichte, im parteizerrissenen Italien eine
wenigstens annähernd dem Parteileben entrückte Stellung ein-
zunehmen. Sollte er nun sesshalter Bürger einer Stadt werden,
deren politische Verhältnisse, wie er oft beklagt hatte ^) , jeg-
licher Stabilität entbehrten, und sollte er, der bisher auf einer
höheren Warte gestanden hatte, sich jetzt, wie doch kaum zu
vermeiden gewesen wäre, in das kleinliche Treiben der städti-
schen Factionen hineinzerren lassen, um vielleicht dann Dante's
oder seines eigenen Vaters Schicksal zu erleiden? Wahrlich
er hätte nicht Petrarca sein müssen, wenn er sich zur Ver-
tauschung seines Weltbürgerthumes mit dem Bürgerthume
einer einzelnen Stadt — und wenn diese Stadt auch Florenz
hiess — hätte entschliessen können. Anderes kam noch hin-
zu. Die florentinische Republik litt, wie einst ihr antikes
Ebenbild Athen, an dem schweren Krebsübel aller Demokratien,
I
^) vgl. Ep. Sen. X 2. Ep. poet. lat. II 12 v. 42 ff., de remed. utr.
fort. 11 71.
Parma und Vaucluse. 273
an jener Missgimst und Eifersucht, welche keine Grösse dulden
mag und Alles auf das Niveau gemeiner Mittelmässigkeit her-
abzudrücken sich bestrebt. Jedes Verdienst, das einer ihrer
Mitbürger sich erwarb — so urtheilt Petrarca selbst ^) —
pflegten die Florentiner mit missgünstigen Augen zu betrachten,
so dass sie unter Umständen es vorgezogen haben würden,
sich f on einem Feinde besiegen zu lassen, als einem Mitbürger
den Ruhm des Sieges zu gönnen. Wie hätte Petrarca er-
warten düifen, von den Pfeilen des Hasses und Neides ver-
schont zu bleiben? Er mit seinem stolzen Selbstbewusstsein und
seiner instinctiven Abneigung gegen alle wirkliche Demokratie
und alles Plebejerthum war wahrlich nicht zum Bürger einer
Republik wie Florenz geschaffen. Und, wenn irgendwo, so
drohte seinem Dichterruhme, den er so eifersüchtig hütete, in
Florenz Gefahr. Das geistreiche Völkchen am Arno, das sich
seiner cultur- und litterargeschichtlichen Mission immer be-
wusster wurde, kannte keine Scheu vor Autoritäten, mit
scharfem Urtheile und noch schärferer Zunge begabt, zudem
auch mit einer reichlichen Dosis Arroganz ausgerüstet, zer-
pflückte es keck Ruhmeskränze, an welche zu tasten ander-
wärts für Frevel gegolten haben würde. Auch dem Dichter
des Canzoniere würde kein Privilegium der Unverletzlichkeit
zugestanden worden sein. In der That wurde ja später seine
„Africa", für welche man sonst allüberall nur Ausdrücke einer
begeisterten Bewunderung besass, von florentinischen Kunst-
richtern einer Kritik unterzogen, welche nichts weniger als
schmeichelhaft war und den Betroffenen in gewaltige Erbitte-
rung versetzte =^). Konnte es da Petrarca gelüsten, sich persön-
lich auf einen so gefährlichen Boden zu begeben und seinen
Ruhm den bedenklichsten Anfechtungen auszusetzen? Gerade-
zu entscheidend aber musste endlich eine weitere Erwägung
für ihn sein. Wenn er zur Rückkehr nach Florenz sich ent-
schloss, so musste er auch, wollte er nicht seine Stellung dort
1) Ep. Sen. II 1.
2) ibid.
Körting, Petrarca. 18
274 Fünftes Capitel.
von vornherein untergraben, zur Uebernahme des akade-
mischen Lehramtes, für welches man ihn gewinnen wollte, sich
entschliessen. Wie aber wäre das ihm möglich gewesen?
Selbst in den Jahren der Jugend und des kräftigsten Mannes-
alters hatte er, dem inneren Drange nach ungehemmter indi-
vidueller Freiheit folgend, grundsätzlich es vermieden, von
irgend eines Amtes Pflichten sich fesseln zu lassen, selbst
lockenden Versuchungen hatte er beharrlich widerstanden, und
während es ihm, wenn er das ihm angetragene päpstliche Secre-
tariat übernommen hätte, ein Leichtes gewesen sein würde,
Keiehthümer zu sammeln, war er in der freigewählten, an
Armuth grenzenden Vermögenslosigkeit verblieben. Und jetzt,
wo er bereits des Lebens Höhe überschritten hatte, sollte er
seine innerste Neigung und seinen lang festgehaltenen Grund-
satz verleugnen und mit den Fesseln sich belasten, welchen
zu entgehen bisher sein eifriges, keine Opfer scheuendes
Streben gewesen war? Amtliche Pflichten, und mögen sie
noch so leicht sein, drücken stets, am meisten aber denjenigen,
der erst in späten Jahren und ihrer gänzlich ungewohnt sich
ihnen unterzieht, einem Petrarca würden sie sicherlich bald
unerträglich geworden sein und am wenigsten war er dazu
gemacht, Mitglied eines vielköpfigen Collegiums und, wenn
auch in der mildesten Form, der Bedienstete noch vielköpfigerer
städtischer Behörden zu sein.
Dies Alles mochte er bei sich erwägen und durch dies
Alles sich bestimmen lassen, auf die Rückkehr nach Florenz
Verzicht zu leisten.
Es leidet keinen Zweifel, dass er, als er diesen Entschluss
fasste, dasjenige that, was ihm selbst und seinem Nachruhme
am förderlichsten war und wofür auch die Nachwelt ihm zu
Dank verpflichtet ist. Die Annahme mag seltsam klingen,
scheint uns aber nichtsdestoweniger vollkommen gerecht-
fertigt: Petrarca als akademischer Lehrer, wenn er überhaupt
in diesen Beraf sich einzuleben vermocht hätte, würde dem
Humanismus untreu geworden und in die beengenden Fesseln
des mittelalterlichen Gelehrtenthums zurückgefallen sein. Die
Parma und Vaucluse. 275
humanistische Wissenschaft, noch fern von ihrer späteren Aus-
bildung und noch jeder festen Methode entbehrend, noch weit
mehr ein Dilettantismus, wenn auch im besten Sinne des
Wortes, als strenge Wissenschaft zu nennen, war bei Weitem
noch nicht reif für die systematische Behandlung, wie sie der
akademische Unterricht, selbst wenn er sich in den freiesten
Formen bewegt, erfordert, sie hätte, wäre sie zu einer solchen
vorzeitig gedrängt worden, die Formen der mittelalterlichen
Scholastik entlehnen müssen und würde in diesen erstickt sein.
Man werfe, um von der Wahrheit des Gesagten sich zu über-
zeugen und dasselbe für keine hohle Phantasie zu halten, einen
Blick in diejenigen Werke Petrarca's, in denen er seiner Dar-
stellung eine systematisch -wissenschaftliche Form zu geben
versucht hat, und man wird finden, dass diese Form im Wesent-
lichen durchaus die scholastische ist. Der Begründer des
Humanismus, der überdies in seinem Innern noch fortwährend
mit dem Mittelalter schwer zu ringen hatte, war mit der
Materie des Wissens viel zu sehr beschäftigt, als dass er gleich-
zeitig die Form zu schaffen und zu beherrschen vermocht
hätte, und auch nach ihm sollten noch Jahrhunderte vergehen,
bevor das von ihm neu entdeckte Wissen wirklich feste Formen
und Methoden fand , ja manchen kritischen Beurtheiler des
heutigen Standes der humanistischen Wissenschaften will es
bedünken, als ob selbst gegenwärtig in dieser Beziehung noch
viel zu thun übrig und die Herrschaft der Scholastik noch
nicht vollständig gebrochen sei.
So entsagte denn Petrarca zu seinem eigenen Heile dem
Gedanken an eine Rückkehr nach Florenz, welches er über-
haupt nie wieder betreten hat, und leistete damit auch — ein
Beweis, dass er in seinen Handlungen nicht von dem mate-
riellen Vortheile sich bestimmen liess — auf die Wieder-
erlangung der väterlichen Güter Verzicht, denn dass diese ihm
im Falle seines Nichtkommens nie ausgeliefert werden würden,
konnte er unschwer voraussehen.
Wenn er aber auch auf die Uebersiedelung nach Florenz
verzichtete, so fasste er doch nichts desto weniger den Ent-
18*
276 Fünftes Capitel.
schluss, Paclua zu verlassen. Unter den veränderten Ver-
hältnissen, welche dort nach Jacopo's Tod eingetreten waren,
unter der aller Festigkeit entbehrenden Doppelherrschaft
Giacomino's und Francesco's konnte ihm der Aufenthalt da-
selbst nicht mehr behagen^). Wohin aber sollte er sich
wenden? Parma, seine einstige Heimstätte, musste ihm ver-
ödet erscheinen, seitdem Luchino Visconti, Paganino und so viele
andere seiner einst dort wohnenden Freunde gestorben waren,
und das gespannte Verhältniss, in welchem er wahrscheinlich
schon in früherer Zeit zu deni Bischöfe dieser Stadt, Ugolino
de' Rossi, dem alten Feinde der Correggi, stand, konnte un-
möglich dazu beitragen, ihm die Rückkehr dahin als verlockend
erscheinen zu lassen -). So entschloss er sich denn, abermals,
wenn auch nur zeitweilig, die alte Einsamkeit von Vaucluse
aufzusuchen. Oft zw^ar hatte er früher den dortigen Aufent-
halt verwünscht und jetzt beklagte er auch, dass die Er-
neuerung desselben ihn von Italien, seinem geliebten Vaterlande,
entferne und wieder in die Nähe des „abendländischen Babylons"
zurückführe ^). Indessen trotz dieser Bedenken fühlte er sich
doch gewiss im innersten Herzen wieder zu dem stillen Thale
hingetrieben, in welchem er die glücklichsten und fruchtbarsten
Jahre seines Lebens verbracht hatte. Wie hätte er sich nicht
sehnen sollen, die Stätten wiederzusehen, welche seiner ver-
götterten Laura vielgepriesene Heimath gewesen waren und
denen er selbst die poetische Weihe verliehen hatte? Aber
selbst auch Erwägungen rein praktischer Natur mussten ihm
zu einer zeitweiligen Rückkehr nach Vaucluse rathen. Dort
hatte er gewiss noch den grössten Theil seiner Bibliothek
zurückgelassen, dort musste in seinem Heimwesen sicherlich
Manches geordnet werden und seine persönliche Gegenwart
war dafür ohne Zweifel erforderlich, wenn er nicht empfind-
liche Einbussen in seinem ohnehin nicht bedeutenden Ver-
mögensbestande erleiden sollte. Gerade wenn er seine Absicht
*) vgl. den Schluss der Epist. ad post.
2) Ep. Farn. IX 5. XI 6.
«) Ep. Farn. XI 6.
Parma und Vaucluse. 277
einer späteren dauernden Niederlassung in Italien in gedeih-
licher Weise zur Ausführung bringen wollte, musste er vorher
einmal noch die frühere Heimath besuchen, um die dortigen
Angelegenheiten mit aller Müsse zu regeln und definitive An-
ordnungen über seine dasige bewegliche und unbewegliche Habe
treffen. Endlich gebot es ihm wol auch die Klugheit, sich nach
längerer Abwesenheit wieder einmal an der päpstlichen Curie
sehen zu lassen, um dort nicht ganz in Vergessenheit zu ge-
rathen und bei etwaigen Pfründenvertheilungen unbeachtet zu
bleiben.
So brach er denn, nachdem er den ursprünglich auf den
18. April festgesetzten Termin der Abreise immer und immer
wieder hatte verschieben müssen, endlich am 4. Mai von Padua
auf^). Gegen Sonnenuntergang gelangte er an die Thore von
Vicenza und, obwol er ursprünglich eine weitere Tagesroute
sich vorgenommen hatte, entsehloss er sich doch, dort die
Nacht zu verbringen. Er (juartierte sich in einer Vorstadt ein
und hatte gehofft, dass seine Ankunft unbemerkt bleiben werde.
Allein es sollte anders kommen. Das Gerücht von dem Ein-
treffen des berühmten Gastes verbreitete sich rasch, und bald
sah er sich von einem Kreise humanistischer Freunde um-
ringt, in deren Kreise den Abend zu verbringen er sich nicht
■weigern durfte. Wie sehr begreiflich, kam man im Laufe der
Unterhaltung auch auf Cicero zu sprechen und Petrarca, viel-
leicht im halben Scherze, vielleicht auch aus einer gewissen
Freude am Paradoxen, sprach, während alle Uebrigen in den
überschwänglichsten Lobeserhebungen des grossen Römers sich
ergingen, einige Bedenken gegen den sittlichen Charakter
desselben aus, wie er sie ja auch in dem ersten seiner beiden
Briefe an Cicero ^) geäussert hat. Die meisten der Anw^esenden
waren anfänglich über solche vermeintliche humanistische Ketze-
rei ganz betroffen und wussten nicht, was sie darauf erwidern
sollten, doch bei näherer Erwägung der Frage glaubten sie,
1) Ep. Farn. XI 6.
*) Ep. Fam. XXIV 3.
278 Fünftes Capitel.
Petrarca beistimmen zu müssen. Nur ein Greis, der für Cicero
enthusiastisch begeistert war, widersprach entschieden und be-
hauptete, man könne an Cicero überhaupt keinen Fehler ent-
decken, ja auf Petrarca's Frage, ob nach seiner Ansicht Cicero
ein Gott oder ein Mensch gewesen sei, entgegnete er rasch: „ein
Gott", wenn er auch sogleich vorsichtig hinzusetzte: „ein Gott
der Beredtsamkeit". „Wenn dem so ist, so verstumme ich,
denn dass ein Gott nicht fehlen kann, ist gewiss, aber, soviel
ich weiss, wurde er von Niemand für einen Gott gehalten.
Wahr ist, dass Cicero den Piaton seinen Gott nennt, und Du
würdest auf gleiche Weise Cicero Deinen Gott nennen können,
wenn uns die Religion nicht verböte, uns nach unserem Belieben
Götter zu erschaffen." — „Ich sagte es auch nur im Scherz",
war die Antwort des Greises, „und weiss wohl, dass Tullius ein
Mensch war, aber ich halte dafür, dass er ein göttliches Inge-
nium besass." — „Dann sind wir einverstanden", so beschloss
Petrarca das unerquickliche Gespi-äch, „auch Quintilian nannte
ihn ja einen göttlichen Mann, aber ein Mensch war er doch
immer und folglich konnte er irren, wie er in der That auch
geirrt hat." Der greise Ciceroschwärmer konnte hierauf zwar
Nichts entgegnen, war aber noch keineswegs überzeugt und
konnte nur schwer seine tiefe Verstimmung verbergen: an
Cicero zu mäkeln schien ihm eine wahre Gotteslästerung zu
sein. So hatte Petrarca einen Mann gefunden, der selbst ihn
in der Begeisterung für Cicero übertraft).
Diese Anekdote mag immerhin ziemlich pointelos erscheinen,
sie ist dennoch für die Culturgeschichte und für die Kenntniss
des Charakters Petrarca's nicht unwichtig. Sie zeigt uns in
der Gestalt des für Cicero begeisterten Alten, wie vorbereitet
der geistige Boden in Italien für die Aufnahme der Saat des
Humanismus war, und zeigt uns zugleich, was wir später noch
eingehender erörtern müssen, wie sehr Petrarca trotz seiner
1) Die ganze Erzählung nach Ep. Farn. XXIV 2. Ueber die Berech-
tigung als Datum dieses Briefes den 13. Mai 1351 anzusetzen vgl. Fracas-
setti, Lett. fam. V p. 138 f.
Parma und Vaucluse. 279
glühenden Liebe für die Classiker des römischen Alterthums
doch von einer maass- und kritiklosen Verehrung derselben
weit entfernt war, viel entfernter, als so manche der ihm nach-
folgenden Humanisten. In dem Geiste seines Begründers war
der Humanismus noch nicht, wie später so oft geschehen, zu
einem neuen Evangelium und unerschütterlichen Dogmen-
glauben geworden. Es raussten viele Jahrzehende vergehen,
bevor man in der Beurtheilung Cicero's dieselbe Unbefangen-
heit zeigte, die Petrarca in diesem Gespräche und in seinem
erwähnten Briefe bekundet hatte. Endlich aber wollen wir
die Bemerkung nicht unterdrücken, wie der erzählte Vorfall
recht deutlich beweist, dass der gTOsse Petrarca auch eine sehr
menschliche Schwäche besass, dass er Widerspruch nicht leicht
ertragen konnte, sondern mit grosser Gereiztheit und in nicht
eben feinen Formen ihn zu unterdrücken sich bestrebte.
Von Vicenza aus setzte Petrarca am folgenden Tage
die Reise bis nach Verona fort. Hier nahm er bei seinem
alten Freunde Guglielmo einen längeren Aufenthalt, welcher
mindestens bis zum 1 . Juni sich ausdehnte ^) , vermuthlich in-
dessen durch Ausflüge nach Mantua, Parma 2), Piacenza ^) unter-
brochen wurde; von dem letzteren Orte aus richtete der
Dichter am 11. Juni an seinen Freund Sokrates einen Brief,
erfüllt mit düsteren Betrachtungen über die unheilvollen Erd-
beben, von denen kurz zuvor Piom heimgesucht worden war.
Am 20, Juni überschritt er endlich auf der über den Mont
Genevre führenden Strasse die Alpen ^) und wenige Tage dar-
auf muss er in Vaucluse eingetroffen sein, denn bereits am
27. Juni meldete er seinem alten Freunde, dem Bischof Philipp
von Cavaillon, durch ein Billet die glücklich erfolgte Ankunft ^).
Mit welchen Empfindungen musste der Dichter das ihm
^) Ep. Farn. XI 6.
2) ibid.
•'') Ep. Fam. XI 7.
*) Ep. Fam. XI 9. (Ueber das Ortsdatum dieses Briefes vgl. Fracas-
setti's Note in der lat. Ausg. der Epp. Fam. t. II p. 135).
"•) Ep. Fam. XI 10.
280 Fünftes Capitel.
einst so liebe Thal jetzt begrüssen ! Vor vier Jahren hatte er es
verlassen, in der Blüthe des kraftvollsten Mannesalters stehend,
die Liebe zu Laura im Herzen tragend und die Brust erfüllt
mit stolzen Hoffnungen. Er war ausgezogen mit der Zuver-
sicht, in dem zu neuer Herrlichkeit erstandenen Rom , an des
Befreiers Cola di Rienzo Seite, seine politischen Ideale verwirk-
licht, seine kühnsten Träume erfüllt zu sehen. Wie ganz
anders war es doch gekommen! Die römische Freiheit hatte
ein eben so rasches als klägliches Ende gefunden, schwerer
als jemals lastete auf der ewigen Stadt der Doppeldruck der
feudalen und kirchlichen Zwingherrschaft, der Tribuü selbst
war im fernen Böhmen des Kaisers Gefangener und musste
nach menschlicher Voraussicht eines noch schlimmeren Looses
gewärtig sein. In tiefster Seele musste Petrarca den Schmerz
solcher Enttäuschung empfinden. Aber noch Schwereres hatte
ihn betroffen. Theure Freunde waren durch Pest oder Mörder-
hand ihm entrissen worden, seine Laura war ihm gestorben
und er selbst war unter der niederbeugenden Last so viel-
fachen Leides ein Anderer geworden; der heitere Muth und
das freudige Selbstvertrauen der Jugend waren von ihm ge-
wichen, die entsetzlichen Unglücksjahre, die er durchlebt,
hatten ilm schwermüthig und ernst gestimmt und das Bewusst-
sein in ihm wachgerufen, dass er bereits an der Schwelle des
Alters stehe. Freilich war seine Kraft nur gebeugt und nicht
gebrochen, seine elastische Natur vermochte gar bald zu neuem
Hoffen und Wirken sich empor zu raffen, aber, als er einzog
in Vaucluse, als er nun die Stätten wieder sah, an denen er
einst seines Lebens glücklichste Jahre verlebt und in der Liebe
zu Laura seines Lebens schönsten Traum geträumt hatte, da
mochte er gewiss von tiefster Wehmuth sich ergriffen fühlen
und daran verzweifeln, dass er jemals wieder frohe Stunden
schauen werde. Und wie seltsam musste in solch' tmber Stim-
mung es ihm erscheinen, als er allseitig gedrängt ward, in die
heiteren Kreise des früheren Lebens wieder einzutreten, als
die Jugendfreunde seine Thür belagerten und ihn einluden,
mit ihnen die Gesellschaft edler Damen aufzusuchen, oder als
Parma und Vaucluse. 281
gar die einstige Freundin zu nächtlicher Stunde an seine Pforte
kam und ihn beschwor, das frühere Verhältniss zu erneuern ').
Für ihn lag zwischen dem Einst und Jetzt ein nicht mehr zu
überbrückender Abgrund, und nun wollte man ihn bestimmen,
dass er, uneingedenk des Entsetzlichen, was er erfahren und
erlitten, die Gegenwart mit der Vergangenheit tändelnd ver-
knüpfe, man wollte ihm nicht gestatten, dem holden Leicht-
sinn der Jugend zu entsagen! Wahrlich, unter solchen Ver-
hältnissen konnte der Dichter unmöglich in Vaucluse behag-
liche Tage verleben und musste zu einem baldigen abermaligen
Scheiden sich innerlich gedrängt fühlen.
Aeussere Verhältnisse traten hinzu, um ihm den Aufent-
halt in der alten Heimath vollends zu verleiden. Der Papst
hatte, um den anarchischen Zuständen, unter denen Rom seit
des Tribunen Sturz seufzte, ein Ende zu machen, eine aus vier
Cardinälen bestehende Commission mit der Ausarbeitung eines
Verfassungsentwurfes beauftragt und diese hatte wiederum
Petrarca's Gutachten eingefordert, sei es nun, weil sie ihn für
vertraut mit den römischen Verhältnissen erachtete, oder, was
wol wahrscheinlicher ist, weil sie damit eine PÜicht der Schick-
lichkeit gegen den lorbeergekrönten römischen Ehrenbürger
zu erfüllen glaubte. Dichter sind selten gute Diplomaten,
kaum aber hat jemals einer grösseres politisches Ungeschick
bewiesen, als Petrarca bei dieser Gelegenheit. Ohne im min-
desten die Lehren zu beherzigen, welche die Ereignisse der
letzten Jahre doch wahrlich vernehmbar genug gepredigt hatten,
und ohne irgendwie den thatsächlichen Verhältnissen Rech-
nung zu tragen, entwarf er in einem langen Schreiben an die
Commission, welchem er bald darauf noch ein zweites folgen
liess ^), eine ebenso ideale als im Einzelnen unklare, jedenfalls
aber völlig unausführbare Verfassung, w^elche im Wesentlichen
darin gipfelte, dass die l^arone von der Herrschaft über Rom,
^) Ep. Farn. IX 3; dass dieser Brief, wie Fracassetti, Lett. fam. II
p. 369 ff. annimmt, am 25. Sept. 1351 geschrieben worden sei, scheint mir
nicht bezweifelt werden zu dürfen.
2) Ep. Fam. XI 16 u. 17.
282 Fünftes Capitel.
zeitweilig wenigstens ausgeschlossen, und dem Volke seine ein-
stigen Gewalten zurückgegeben werden sollten. Mit rückhalt-
losem und, wenn auch an sich löblichem, so doch überaus un-
zeitgemässem Freimuthe erging sich der Dichter in den hef-
tigsten Anklagen gegen die herrschenden Adelsgeschlechter
und scheute sich nicht, selbst die Colonna und Orsini als
fremde Eindringlinge zu bezeichnen, denn die ersteren seien
von den Ufern des Rheins, die letzteren von Spoleto her nach
Rom gekommen und folglich in Wahrheit ohne ein Anrecht
auf den Römernamen. Allerdings sei ihm persönlich keine
andere fürstliche Familie so theuer wie die der Colonnesen,
aber theurer noch sei ihm das Vaterland, und dessen Heil er-
fordere die Ausschliessung aller Adligen von den öffentlichen
Aemtern. Das römische Volk müsse so frei sein, wie einst im
Alterthume es gewesen, und dürfe nicht von solchen sich be-
herrschen lassen, welche ihrer Abstammung nach Barbaren seien.
Man erkennt hieraus, wie unheilbar befangen Petrarca in sei-
nem humanistischen Idealismus war, wenn er solche Ansichten
aussprechen und auch jetzt noch, nachdem er doch hatte sehen
müssen, wie gänzlich unfähig und unwürdig das kläglich ver-
kommene Volk der Römer der Freiheit war, von einer Wieder-
herstellung der römischen Republik träumen konnte ^).
Es ist uns nicht überliefert, welchen Eindruck des Dich-
ters wunderlicher Reformvorschlag auf die Gardinäle gemacht
hat, aber wie sollte man daran zweifeln können , dass es der
denkbar ungünstigste gewesen sein muss? Waren doch die
Gardinäle mehr oder weniger mit den römischen Adelsge-
schlechtern durch die Bande verwandtschaftlicher Beziehungen
und gemeinsamer Interessen verbunden und gewiss von der
Ueberzeugung durchdrungen, dass die Aufrichtung einer rö-
mischen Republik ebenso für die päpstliche Herrschaft ver-
derblich als auch an und für sich unsinnig sein würde. Jedenfalls
konnten die persönlichen Beziehungen Petrarca's zu den hohen
^) Bemerkt sei jedoch, dass Gregorovius a. a. 0. VI p. 325 f. nicht
ungünstig über Petrarca's politische Ideen urtheilt.
Parma und Vaucluse. 283
geistlichen Würdenträgern nun, nachdem er so revolutionäre
Ansichten offen kundgegeben hatte, nicht mehr so angenehme
und vertrauliche sein, wie dies früher der Fall gewesen war.
Es muss demnach befremdend erscheinen, dass Petrarca den-
noch bald darauf mit dem Amte eines päpstlichen Secretärs
betraut werden sollte. In einem Briefe vom 9. August 1352 i)
erzählt er, wie er von zwei ihm befreundeten Cardinälen ^) ge-
drängt worden sei, sich um das erledigte Amt zu bewerben,
und wie er, da alle seine Weigerungen vergeblich blieben, sich
endlich dazu verstanden habe, die erforderliche lateinische
Probeschrift, durch welche er seine Vertrautheit mit dem
Curialstyle beweisen sollte, abzufassen, wie aber diese Schrift
von ihm absichtlich, damit er doch noch den drohenden Fes-
seln einer amtlichen Stellung entgehen könne, in einem so
eleganten und schwungvollen Style abgefasst worden sei, dass
die Cardinäle ihn für unfähig zur Handhabung des einfachen
und oft halbbarbarischen Curialstyles und also auch für zum
Secretariate ungeeignet erklärt hätten. Es klingt dieser Be-
richt höchst unwahrscheinlich und ist ganz darnach angethan, den
Verdacht zu erwecken, als sei er mindestens theilweise er-
funden. Der wahre Thatbestand dürfte doch wol einfach der
gewesen sein, dass Petrarca's Bewerbung um das Secretariat,
zu welcher er immerhin von zwei Cardinälen gedrängt worden
sein mag, desshalb zurückgewiesen ward, weil er sich in der
römischen Angelegenheit allzusehr compromittirt hatte; die
Eleganz des Styles kann vielleicht einen, wenn auch ziemlich
absurden, so doch bequemen Vorwand abgegeben haben , und
Petrarca beeilte sich, den erlittenen Misserfolg seinen aus-
wärtigen Freunden als einen von ihm selbst beabsichtigten
und im letzten Grunde für ihn rühmlichen dai'zustellen. Der
Vorfall beweist, dass der Dichter damals an der Curie nicht
eben viele einflussreiche Freunde mehr besessen haben kann.
^) Ep. Fam. XIII 5. Dass der Brief in das Jahr 1352 anzusetzen ist,
hat die höchste innere Wahrscheinlichkeit für sich.
^) Jedenfalls die Cardinäle von Boulogne und Talleyrand, vgl. Fra-
cassetti, Lett. fam. III p. 225 f.
284 Fünjptes Capitel.
War Petrarca demnach zu der ihm früher so gewogenen
Curie in ein gespanntes Verhältniss getreten, so musste seine
gesellschaftliche Stellung in Avignon eine noch misslichere
werden,' als er sich mit der einflussreichen Zunft der Aerzte
oifen überworfen hatte.
Papst Clemens VI. war im Januar 1352 bedenklich er-
krankt '). Auf die Kunde hiervon richtete Petrarca an ihn
einen Brief, in welchem er ihn ermahnte, dass er, wenn er
anders zu genesen wünsche, sich nicht der zweifelhaften Kunst
der Aerzte anvertrauen möge ^) , denn gar Mancher sei schon
durch die Unwissenheit seines Arztes gemordet worden. Die
seltsame Epistel kam zur Kenntniss der päpstlichen Leibärzte
und ward von diesen natürlich in nicht eben feinen Gegen-
schriften erwidert. So entspann sich die wunderliche und
langwierige Fehde Petrarca's mit den Aerzten, auf welche wir,
da sie eine der merkwürdigsten culturgeschichtlichen Episoden
jener Zeit bildet, späterhin ausführlicher werden zurückkommen
müssen. Hier nur die Bemerkung, dass sich der Hass gegen
die Aerzte in Petrarca bis zu einer wahren und ihm bis zum
Tode anhaftenden Idiosynkrasie steigerte, —
Seinen Jugendfreunden entfremdet, mit der Curie halb
zerfallen, mit den Aerzten arg verfeindet, wie hätte unter
solchen Verhältnissen Petrarca sich wohl fühlen können in
Vaucluse und Avignon, zumal da auch Laura ihn nicht mehr
dort fesselte?
So beschloss er denn, wieder nach Italien überzusiedeln.
Hielt ihn doch Nichts mehr in Avignon zurück, denn auch
eine Streitsache, welche ihn lange beschäftigt hatte, war end-
lich zum befriedigenden Austrage gebracht worden. Petrarca
hatte es, als er noch in Italien weilte, durch seinen Einfluss
bewirkt, dass ein ihm befreundeter Mönch, Don Ubertino, zum
Abte des ßenedictinerkl osters Corvara bei Bologna ernannt
worden war. Bald darauf hatte indessen der Abt von Vallom-
•) Ep. Fam. XII 4 u. 5.
2) Ep. Fam. V 19.
Parma und Vaucluse. 285
brosa bei Florenz, welchem die Vergebung der ervvälmten
Stelle zustand, seinen Sinn geändert und dieselbe, uneingedenk
der bereits erfolgten Ernennung des Don Ubertino, einem ge-
wissen Don Guido verliehen ^). Die Angelegenheit wurde nun,
da Don Ubertino seinem Ansprüche nicht entsagte, der päpst-
lichen Curie zur Entscheidung überwiesen. Petrarca, inzwischen
nach Frankreich zurückgekehrt 2), nahm sich der Sache seines
Freundes mit Eifer an und verwerthete für sie, wie einst im
Interesse Azzo's di Correggio, seine juristischen Kenntnisse,
ohne dass er indessen zunächst etwas zu erreichen vermocht
hätte. Erst im April 1352 gelang es ihm, eine für Don Uber-
tino günstige Entscheidung zu erzielen ^).
So brach denn der Dichter, durch Nichts mehr an Frank-
reich gefesselt, am 16. November 1352 von Vaucluse nach
Italien auf. Er hatte kein bestimmtes Reiseziel, sondern beab-
sichtigte, erst später sich den künftigen Aufenthaltsort zu wählen.
Wollte er auch in Florenz und in Parma sich nicht nieder-
lassen, so war er doch in Verona, in Partua, in Rom einer
freundlichen Aufnahme gewiss. Auch Neapel hätte ihn locken
können, wohin er von dem Seneschall Niccolo Acciaiuoli, dem
Bruder des ihm befreundeten Bischofs von Florenz, Angelo
Acciaiuoli, dessen Besuch er erst kürzlich in Vaucluse em-
pfangen hatte ^), in ebenso schmeichelhafter als liebenswürdiger
Weise eingeladen worden war^).
Indessen sollte die geplante Reise schon in ihrem Beginne
unterbrochen und zunächst vereitelt werden.
Petrarca hatte sich von Vaucluse aus zuerst nach dem
nahe gelegenen Cavaillon begeben, um dort von seinem Freunde,
dem Bischöfe Philipp, Abschied zu nehmen. Bei einem völlig
*) Epist. Fam. XII 4, vgl. Fracassetti, Lett. fam. m p. 138.
^) Fracassetti gelit gewiss zu weit, wenn er 1. 1. meint, dass diese An-
gelegenheit wol der Hauptgrund gewesen sein möchte, wesshalb Petrarca im
Juni 1352 nach Avignon zurückkehrte.
3) Ep. Fam. XII 13.
*) Ep. Fam. XII 12.
s) Ep. Fam. XIII 9.
286 Fünftes Capitel.
heitern und milden "Wetter, wie es in diesem ganzen Herbste
geherrscht hatte, war er ausgezogen, aber nur erst eine kurze
Strecke hatte er zurückgelegt, als plötzlich der Himmel sich
zu bewölken und ein starker Regen zu fallen begann. So ge-
langte er nach Cavaillon, wo ihn der Bischof, obwol krank und
bettlägerig, in freundschaftlichster Weise aufnahm und ihn be-
redete, die Nacht bei ihm zuzubringen. An Schlaf war in-
dessen für Petrarca nicht viel zu denken. Die Krankheit des
Hausherrn hielt die Dienerschaft wach, draussen tobte ein
furchtbares Unwetter und überdies traf die Kunde ein, dass
die Alpenpässe der nach Nizza und Genua führenden Strassen
von bewaffneten Schaaren — man wusste nicht, in wessen
Auftrag — gesperrt seien. In Rücksicht auf letzteren Umstand
bat der Bischof am Morgen seinen Gast, die Reise einstweilen
als zu gefahrvoll aufzuschieben. Petrarca schwankte noch : er
hatte die Strasse nach Nizza nur gewählt, um in Montrieu
seinen Bruder, den er seit fünf Jahren nicht gesehen hatte,
zu besuchen, und war nun einen Augenblick geneigt, einen
anderen Weg einzuschlagen. Der sündfluthartige Regen in-
dessen, der unablässig herabströmte und den werthvollsten
Bestandtheil seines Reisegepäckes, die Bücherp ackete , mit
schwerer Beschädigung bedrohte, bestimmte ihn endlich, die
Reise vorläufig aufzugeben. Er sandte einige Diener mit den
entbehrlichen Gepäckstücken nach Italien voraus, um seine
spätere Ankunft den^ dortigen Freunden zu melden, und wandte
sich selbst zur Umkehr nach Vaucluse. Ein seltsames Spiel
des Zufalls wollte, dass fast in demselben Augenblicke — es
hätte sein Ruf noch die weiter reisenden Diener erreichen
können — der Regen aufhörte und die Sonne wieder hell und
klar aus dem Gewölke hervortrat. Doch liess er sich dadurch
in dem einmal gefassten Entschlüsse nicht beirren, sondern
setzte den Weg nach Vaucluse fort ^). Dort eingetroffen, nahm,
er seine frühere, theils den Studien, theils beschaulichem Natur-
genusse gewidmete Lebensweise wieder auf, doch, wenn ihm
^) Die ganze ErzäUung nach Ep. Farn. XV 2 u. 3.
Parma und Vaucluse. 287
bereits vorher das Verweilen an den einst so geliebten Quellen
der Sorgue durch mancherlei Verhältnisse verleidet worden
war, so musste dies Missbehagen durch das, was in der Folge
geschah, noch gesteigert werden.
Am 3. December 1352 starb Papst Clemens VI., dei-
schweren Krankheit, von welcher er seit Beginn des Jahres
heimgesucht worden war, erliegend. Sein Nachfolger wurde
der Cardinal Etienne Aubert (Stefano Albertij, bisher Bischof
von Ostia und Velletri ^\ ein redlicher, aber geistig beschränkter
Mann. Der neue Papst war Petrarca nicht sonderlich gewogen,
ja er hielt ihn sogar wegen seiner eifrigen Beschäftigung mit
Virgil für einen Zauberer 2). Der Aufenthalt des Dichters in
der unmittelbaren Nähe der Curie, zu welcher er doch nicht
alle Beziehungen abbrechen durfte, musste bei solcher Sach-
lage ein peinlicher sein und konnte selbst ein gefährlicher
werden, denn wer bürgte dafür, dass Innocenz den vermeint-
lichen Zauberer nicht vor das kirchliche Gericht rufen liessV
Der finstere Geist des Mittelalters, der in Innocenz noch ein-
mal den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, war ja der natür-
liche Feind des Humanismus. Petrarca konnte befürchten,
seines Freundes Cola di Rienzo Schicksal th eilen zu müssen.
Der einstige Tribun weilte seit einigen Monaten als Gefangener
des Papstes in Avignon, nachdem er lange Zeit des Kaisers
Gefangener in Böhmen gewesen war^). Sein Leben zwar
schien gesichert, das seltsame Gerücht, dass er ein grosser
Dichter sei, schützte ihn*), denn an einem solchen sich zu
vergreifen, wäre damals, wo die poetische Raserei in Avignon
nicht bloss die Masse des Volkes, sondern selbst die Curie
ergriffen hatte ^), als ein Frevel erschienen, aber dass er jemals
^) vgl. Christophe a. a. 0. II p. 167 ff.
2) Ep. Sen. I 2 u. 4.
3) Ueber die vielfach hoch interessanten Beziehungen Karls lY. zu
Cola vgl. ausser dem, was Papencordt darüber mittheilt, die schöne Dar-
stellung b. Friedjung, Kaiser Karl IV. und sein Antheil an dem geistigen
Leben seiner Zeit (Wien, 1876) p. 285—296.
*) Ep. Fam. XIII 6.
5) ibid.
288 Fünftes Capitel.
S
die Freiheit wieder erlangen würde, konnte von Niemandem
erwartet werden.
So wenig indessen Petrarca bei dem neuen Papste auf
eine freundliche Aufnahme rechnen konnte, so wollte und
durfte er doch die Pflicht der Schicklichkeit nicht versäumen
und begab sich, wahrscheinlich auch von seinen Gönnern, den
Cardinälen von Boulogne und Talleyrand, dazu ermuntert, am
3. Januar 1353 nach Avignon , um sich Innocenz VI. vor-
zustellen. Ehe er indessen noch sein Vorhaben hatte aus-
führen können, wurde er durch eine Trauerkunde, welche er
am Abende des folgenden Tages empfing, nach Vaucluse zu-
zückgerufen: sein alter Hausverwalter und Bibliotheksdiener,
Raimund Monet, war gestorben^). Gewiss blieb auch dies
an sich nebensächlich erscheinende Ereigniss nicht ohne Ein-
fluss auf Petrarca's EntSchliessungen. Der Tod des treuen
Dieners musste für ihn, den alternden Junggesellen, mancherlei
äussere Unbequemlichkeiten zur Folge haben und den Wunsch
in ihm erwecken, der lästigen Sorgen für den verwaisten
Haushalt möglichst bald überhoben zu werden. So entschloss
er sich denn, die Reise nach Italien abermals anzutreten.
Zunächst aber brachte er, um nicht wieder in seinen
Reisedispositionen behindert zu werden, den lang beabsichtigten
Besuch im Kloster Montrieu zur Ausführung. Um die Mitte
des April brach er dahin auf Unterwegs hatte er am 19. April,
als er auf der Strasse von Aix nach St. Maximin sich befand,
die Freude, einer Gesellschaft römischer Damen zu begegnen,
welche nach San Jago wallfahrteten und von denen er über
das Befinden seines Freundes Laelius sowie über die letzten
politischen Vorgänge in Rom unterrichtet wurde ^). Beim
Abschied wollte er den gefälligen Frauen ein Geldgeschenk
aufdringen, diese aber verweigerten beharrlich dessen Annahme
und der Dichter erhielt von ihnen den wohlthuenden Eindruck,
dass sie nicht nur an Wuchs und Haltung, sondern auch an
Gesinnung den Römerinnen des Alterthums glichen. Nicht
^) Ep. Fam. XVI 1.
2) Ep. Fam. XVI 8.
Parma und Vaucluse. 289
minder angenehme Eindrücke gewann er von seinem Aufent-
halte in der Karthause: er fand seinen Bruder, der nun be-
reits beinahe zehn Jahre dem strengen Orden angehörte, sehr
zum Vortheile verändert: aus dem wankelmüthigen und leicht-
sinnigen Jünglinge war ein ernster Mann geworden, welcher
eifrig und standhaft sittlicher Vervollkommnung nachstrebte.
Hatte Petrarca einst Sorgen und Befürchtungen um seines
Bruders Entwickelung gehegt, so musste er jetzt von auf-
richtiger Freude und Bewunderung erfüllt werden. Selbst
nicht ohne einen gewissen Neid mochte er auf das Loos des
Bruders schauen, der in stiller Clause den inneren Frieden
gefunden und auf das nichtige Treiben der Welt verzichten
gelernt hatte, während er selbst noch unstät und von Hoff-
nungen und Wünschen erregt umhertrieb auf dem bewegten
Meere des Lebens und gerade jetzt wieder einer unsicheren
Zukunft entgegen ging. Es sollten die beiden Brüder sich
fortan nicht wieder sehen.
Die freundliche Aufnahme, welche Petrarca jetzt wie
schon einmal früher in dem Kloster gefunden hatte, säumte
er nicht, in angemessener Weise zu vergelten. Die Karthause,
welche als zur Grafschaft Provence gehörig damals unter der
Oberhoheit der Anjou's von Neapel stand, hatte unter den
anarchischen Zuständen, denen das sicilisch - provenzalische
Reich seit dem Tode des grossen Robert verfallen war, schwer
zu leiden, indem ihr Grundbesitz der Gegenstand unaufliör-
licher räuberischer Angriffe von Seiten der umwohnenden
Barone wurde, oline dass der Bischof von Marseille dagegen
seine geistliche Autorität geltend gemacht hätte. Petrarca
richtete daher an seinen Freund Zanobi von Florenz, welcher
seit kurzem des Seneschalls Acciaiuoli Secretär geworden, ein
Schreiben, in welchem er ihn aufforderte, dass er seinen Ein-
fluss bei dem Seneschall aufbieten möge, um den bedrängten
Klosterbrüdern die schmerzlich vermisste Rechtssicherheit
wieder zu verleihen i).
') Ep. i^am. XVI 9.
Körting, Petrarca. 19
290 Fünftes Capitel.
Nach kurzem Aufenthalte in Montrieu reiste Petrarca nach
Vaucluse zurück, begab sich dann am 26. April noch einmal —
zum letzten Male ~ nach Avignon, hielt sich hierauf noch
etwa acht Tage zur Ordnung seiner häuslichen Angelegenheiten
in Vaucluse auf^) und trat endlich an einem der ersten Tage
des Mai die Reise nach Italien an -). Mit welchen Gefühlen
mochte er dieses Mal, nach den Erlebnissen der letzten Jahre,
von Vaucluse scheiden! Ob er wol ahnte, dass er die einst
ihm so theueren und bereits durch ihn berühmt gewordenen
Stätten seiner Jugend und seiner Liebe nie wieder schauen
werde? Und, wenn er auch wiedergekehrt wäre, sein trau-
liches Häuschen an den Quellen der Sorgue, in welclrem er
so manche freudevolle und so manche leidvolle Stunde ver-
lebt und so manchen durch Geburt oder Geist ausgezeichneten
Mann als Gast empfangen hatte, würde er doch nicht wieder-
gefunden haben, denn am Weihnachtstage desselben Jahres noch
ward es von Räubern verwüstet und in Brand gesteckt^).
Wir wissen nicht, auf welcher Strasse der Dichter, dem gal-
lischen Babel entronnen, dem geliebten Italien zueilte, doch lässt
sich vermuthen, dass er den Weg über den Mont Genevre wählte, .
denn es scheint, als habe er nur damals das herrhche latei-
nische Lied dichten können, mit welchem er von den Höhen
dieses Berges aus die vor ihm liegenden herrlichen Gefilde
seines Heimathslandes begrüsste: „Sei gegrüsst, Du heiliges
Land, Du von Gott geliebtes! sei gegrüsst. Du Land, das den
Edeln Schutz gewährt, doch furchtbar den Frevlern ist! Du
Land, das Du edler bist, als viele berühmte Lande, frucht-
barer, als alle, und schöner, als irgend ein and'res! Vom
Doppelmeere wirst Du umgürtet und es »schmückt Dich das
weit berühmte Gebirge; der Waffen und der Gesetze Heimath
bist Du und doch zugleich auch der heiligen Musen Sitz; an
0 Diese Daten nach Ep. Farn. XVI 10.
*) Fracassetti, Lett. fam. I p. 181 setzt den 1. Mai als Tag der Abreise
an , ohne dies indessen belegen zu können, denn Epist. poet. 111 24, welche
citirt wird, bietet keinen Anhalt.
■'') vgl. oben S. 141.
Parma und Vaucluse. 291
Schätzen bist Du reich und an tapferen Mannen. Zu Deinem
Preise haben Natur und Kunst sich verbündet und Dich zur
Heriin der Welt erhoben. — Nach langer Entfernung kehre
ich jetzt sehnsuchtsvoll zu Dir zurück, um fortan immer bei
Dir zu weilen. Dem lebensmüden Wanderer wirst Du der
Käst ersehnte Stätte gewähren und wirst ihm einst so viel
Erde spenden, als nöthig ist, um den Leib zu bedecken. —
Dich, Italien, schau' ich jetzt froh von der Höhe des Genövre-
berges! Die düsteren Wolken bleiben nun fern, ein milder
Lufthauch fächelt mein Antlitz und kühlt es mit lieblichen
Schwingen. — Ich erkenne mein Vaterland wieder und be-
grüsse es freudig. Sei mir gegrüsst, schöne Muttererde! Du
ruhmvollstes dei- Länder, sei gegi'üsst 0 ! "
So betrat Petrarca das Vaterland mit jenem Hochgefühle
der Freude, welches ein dem düsteren Kerker Entronnener
empfindet, wenn ihm zum ersten Male wieder die Luft der
Freiheit zu athmen vergönnt ist. Auch diese lebendige und
innige Liebe zum Vaterlande, sich gründend auf die Bewunde-
rung seiner natürlichen Schönheit und seiner grossen geschicht-
lichen Vergangenheit, ist ein erst durch die Renaissance wieder
erwecktes, dem Mittelalter fremdes Gefühl. Die Renaissance
erst hat dem Menschen ein wirkliches Vaterland auf Erden
wiedergegeben und ihn die Liebe zu demselben gelehrt.
^) Ep. poet. lat. III 24.
19 =
Sechstes Capitel.
Petrarca in Mailand^).
X etrarca scheint seine Reise nach Italien unternommen
zu haben, ohne über den Zielpunkt derselben im Voraus zu
einem bestimmten Entschlüsse gekommen zu sein. Früher
jedoch, als er wol selbst erwartet hatte, sollte er ein Ziel
und für lange Jahre einen festen Aufenthaltsort finden.
In Mailand herrschte seit dem am 25. Januar 1349 erfolgten
Tode Luchino's dessen Bruder Giovanni Visconti, mit der
weltlichen Macht zugleich die erzbischöfliche Würde vereinend
und, ti-eu den alten Traditionen seines Hauses, mit allen
Mitteln einer hinterlistigen und keine sittlichen Bedenken
kennenden Politik nach Befestigung und Erweiterung seiner
Herrschaft erfolgreich strebend. So hart man auch vom sitt-
lichen Standpunkte aus über diesen Mann zu urtheilen be-
rechtigt sein mag, so wird man doch nicht leugnen können,
dass er unter den Menschen seiner Zeit eine hervorragende
Erscheinung war und, namentlich verglichen mit den späteren
Visconti, einer gewissen Charaktergrösse nicht entbehrte. Es
lebte in diesem Priester etwas von dem staatenbildenden
*) vgl. C. Romussi, Petrarca a Milano. Studi storici Mailand 1874
u. A. Hortis , „Petrarca e i Visconti' u. „Petrarca alla corte di Galeazzo
Visconti" in den „Scritti inediti di Fr. P." p. 43—84 u. 135—182.
Petrarca in Mailand. 293
Geiste eines Richelieu und er darf auf den Ruhm Anspruch
erheben , noch vor einem Ludwig XL den ersten modernen
Staat begründet oder doch dessen Gründung vorbereitet
zu haben.
Petrarca hatte durch seine freundschaftlichen Beziehungen
zu Luchino schon seit langer Zeit zu den Visconti in näherem
Verhältnisse gestanden und mochte in Folge dessen, als er
von Frankreich aus nach Mailand gekommen war , sich für
verpflichtet halten, den Erzbischof aufzusuchen.
Dem klugen Kirchenfürsten konnte es unmöglich entgehen,
"wie vortheilhaft es für ihn sein müsste, den berühmten Dichter
dauernd an seinen Hof zu fesseln. War doch der jugendliche
Humanismus bereits eine Macht geworden, mit welcher man zu
rechnen hatte, welche man erfolgreich für politische Zwecke be-
nutzen konnte. Schon hatte die Zeit begonnen, wo Staatsreden
und Staatsschriften, abgefasst in den volltönenden Klängen eines
eiceronianischen Lateins, eine unwiderstehliche Gewalt auf Leser
und Hörer ausübten und durch ihre zierliche Form mehr als
durch ihren Inhalt zu wirken oder doch dem letzteren einen
leichteren Zugang in die Gemüther zu verschaffen vermochten.
Wie mächtig also musste es die Ziele der ehrgeizigen Politik
der Visconti fördern, wenn künftighin ein Petrarca, der ge-
feierteste Meister des Styls, ihr seine beredte Zunge und noch
beredtere Feder lieh! Und mehr noch! Die Tyrannis der
Visconti musste in den Augen der Italiener eine Art höherer
Weihe erlangen, mit einer gewissen Legitimität bekleidet
werden, wenn ein Mann wie Petrarca, der seine glühende
Vaterlandsliebe so oft mit Wort und That bekundet hatte,
sich in Mailand dauernd niederliess. Das Fürstenhaus, in
dessen Dienste zu treten ein Petrarca sich bestimmen Hess,
musste dem Volke Italiens als dasjenige erscheinen, von
welchem am ehesten die ersehnte Neugeburt des Vaterlandes
erwartet werden durfte.
Von solchen Erwägungen wurde allem Vermuthen nach
der Erzbischof geleitet, als er an Petrarca das Ansuchen
richtete, seinen Wohnsitz fortan in Mailand nehmen zu wollen.
294 Sechstes Capitel.
Der überraschte Dichter sträubte sich anfänglich, denn er
musste befürchten, dass er in eine drückende Abhängigkeit ge-
rathen und in der geräuschvollen Stadt mancher bisher ge-
nossenen Annehmliclikeit des äusseren Lebens beraubt werden
könnte, indessen, als der Visconti ihm in der verbindlichsten
Form alle nur irgend wünschenswerthen Zusicherungen gab,
willigte er ein und verblieb in Mailand. Der Erzbischof hielt,
was er versprochen. Er erwies seinem berühmten Gaste jede
denkbare Rücksicht und Aufmerksamkeit und that Alles, um
ihm den Uebergang in das neue Lebensverhältniss zu erleichtern.
Petrarca's Abneigung gegen das städtische Leben kennend,
wies er ihm im äussersten Westen der Stadt gegenüber der
Kirche des heiligen Ambrosius eine geräumige und bequeme
Wohnung an, welche fast die Annehmlichkeiten eines Land-
aufenthaltes, namentlich auch eine entzückende Fernsicht auf
die nahen Alpen gewährte ^). Petrarca fühlte sich denn auch
in derselben sehr behaglich und lebte, fast wie er es in Vau-
cluse gewohnt gewesen war, vorwiegend den eigenen Studien
und dem Genüsse der Natur; weder zu einem regelmässigen
Erscheinen am fürstlichen Hofe noch zu bestimmten amtlichen
Geschäften war er verpflichtet, wenn es auch stillschweigende
Vereinbarung sein mochte, dass er bei gegebener Gelegenheit
bereit war, dem Fürstenhause mit Rath und That zu dienen,
namentlich aber die Abfassung wichtiger Staatsschriften und
die Ausführung diplomatischer Missionen zu übernehmen. Es
war kein Ruheposten, den er als Rath des mailändischen
Fürsten bekleidete, oft genug ward er mit schwierigen Auf-
trägen und beschwerlichen Gesandtschaftsreisen in das ferne
Ausland betraut, aber es blieb ihm doch das drückende Ge-
fühl erspart, dauernd der freien Verfügung über seine Zeit
beraubt zu sein und von den Launen eines fortwährende
Dienstbarkeit fordernden Herreu abzuhängen, und für die
Mühwaltungen , denen er zeitweilig sich unterziehen musste,
konnten ihn die ehrenden Auszeichnungen entschädigen, welche
') Ep. Fam. XVI 1. Ep. poet. lat. lU 18.
Petrarca in Mailand. 295
ihm von Seiten des Fürstenhauses wiederholt erwiesen wurden.
So hat er denn in Mailand Jahre verlebt, welche ihm die mit
einem hohen Staatsamte verbundenen ansehnlichen Vortheile in
reichlichem Maasse gewährten, ohne ihn doch die sonst in
solcher Stellung unvermeidlichen Lasten allzu sehr empfinden zu
lassen, und es kann uns daher nicht Wunder nehmen, dass er,
der sonst so schwer zu befriedigen war und an keinem Orte
lange zu verweilen vermochte, noch nach fünf Jahren sieh
über den Aufenthalt in Mailand sehr befriedigt aussprach '),
wie er ihn denn auch endlich nur durch äussere Umstände
genöthigt aufgegeben hat.
So war denn das Unglaubliche geschehen. Petrarca, der
so oft und so nachdrucksvoll erklärt hatte, wie er das städtische
Leben verabscheue, ja als geradezu unsittlich betrachte, und
wie er nur in ländlicher Einsamkeit sich wohl zu fühlen ver-
möge, war jetzt Bürger einer Grossstadt geworden, welche als
ein Centralpunkt des damaligen politischen und mercantilen
Lebens an geräuschvollem Treiben gewiss alle übrigen Städte
Italiens, Neapel vielleicht ausgenommen, weit übertraf. Und
mehr noch. Er, der so oft betheuert hatte, dass er seine
persönliche Freiheit als sein höchstes Gut betrachte und dass
er nimmer das unwürdige Joch einer abhängigen Stellung auf
sich nehmen werde, hatte sich jetzt doch dazu verstanden, in
den Dienst eines Fürsten einzutreten, und er, der so oft die
Herrschaft der kleinen Tyrannen als Italiens schwerstes Unheil
beklagt hatte ^), war jetzt selbst, wenn nicht dem Namen, so
doch der That nach der Diener eines solchen und zwar des
gefährlichsten unter ihnen geworden.
Unleugbar enthielt des Dichters Handlungsweise eine
schwere Inconsequenz und konnte nicht verfehlen, seine
Freunde in schmerzliche Bestürzung zu versetzen und selbst
an der Lauterkeit seines Charakters zweifeln zu- lassen. War
doch Petrarca in den Augen seiner Bewunderer eine Ideal-
') Ep. Farn. XIS 16.
-) vgl. A. Hortis, a. a. 0. p. 68 f.
296 Sechstes Capitel.
gestalt gewesen und hatte er doch selbst sich durch seine
moralphilosophisehen Diatriben eifrigst bemüht, sich der Welt
als weit erhaben über das Trachten nach irdischen Gütern
und als einzig idealen Zielen nachstrebend darzustellen. Jetzt
war das Ideal zu dem Niveau der gemeinen Menschlichkeit
herabgestiegen, der gefeierte Halbgott erschien als ein mit
den gewöhnlichen Schwächen der Menschheit behafteter
Sterblicher,
Allerdings versuchte Petrarca, sich gegen die mehr oder
weniger offen ausgesprochenen Anklagen und Vorwürfe seiner
Freunde zu vertheidigen, doch kann man nicht eben behaupten,
dass ihm seine Rechtfertigung gelungen sei. Er kam, wie
das ja auch der Natur der Sache nach gar nicht anders sein
konnte, über allgemeine und trotz ihrer Klangfülle inhaltslose
Redensarten nicht hinaus ') und er vermochte nicht, die Ver-
legenheit um Beweismittel unter der Hülle volltönender Perioden
zu verbergen. Das beste Argument, von welchem er Gebrauch
machte, bestand wol noch darin, dass er betheuerte, es sei
ihm unmöglich gewesen, den Bitten des „Grössten der Italiener"
zu widerstehen ='). Darin mochte Wahrheit enthalten sein.
Giovanni Visconti war wirklich eine gewaltige Persönlichkeit ^).
Es wäre also erklärlich gewesen, wenn Petrarca, dessen lebhafte
Phantasie sich rasch Ideale erschuf, in dem mächtigen Fürst-
bischöfe, der in den wenigen Jahren seiner HeiTSchaft bereits
so Grosses gethan hatte und Grösseres noch plante, das Ideal
eines Staatenlenkers erblickt hätte. Bot sich uns doch schon
wiederholt die Gelegenheit zu der Bemerkung dar, dass die
Menschen der Renaissance nicht ethisch, sondern ästhetisch
urtheilten und dem Eindrucke einer über das Durchschnittsmaass
der Befähigung sich erhebenden und überdies von grossen Er-
folgen emporgetragenen Persönlichkeit nicht zu widerstehen ver-
mochten. Ein jeder Charakter, der auch nur den Schein des
»} Ep. Fam. XVI 11. 12. XVII 10. Var. 7. 25. App. 5.
2; Ep. Fam. XVI 11.
^ vgl. A. Hortis a. a. 0. p. 63 ff.
Petrarca in Mailand. 297
Grossen und Aussergewöhnlichen an sich trug und in sich
harmonisch abgeschlossen erschien, erweckte Bewunderung und
Beifall. Und Giovanni Visconti war zweifellos ein solcher
Charakter und war es in weit höherem Maasse, als ein Jacopo IL
von Carrara oder gar ein Azzo von Coi'reggio es gewesen.
Begreiflich war es also, dass der Idealist Petrarca ihm auf-
richtige Hochachtung zollte und zum Verbleiben bei ihm sich
bestimmen liess.
Aber auch durch einen anderen und zwar sehr prosaischen
Grund, den er den Freunden zu bekennen sich schämte, ist
Petrarca, wie man vermutlien darf, zu dem Aufenthalte in
Mailand bewogen worden. Es befand sich der Dichter damals
in keineswegs glänzenden, wenn auch nicht gerade ärmlichen
Vermögensverhältnissen. Die Einnahmen, welche er aus seinen
verschiedenen geistlichen Präbenden bezog, waren selbst nach
den Geldverhältnissen der damaligen Zeit durchaus nicht hohe
zu nennen und bestanden überdies zum Theil aus Naturalien,
deren Werth für einen abwesenden Nutzniesser sich sehr ver-
ringern musste^). War nun auch Petrarca für seine Person
bedürfnisslos genug, so bedurfte er doch zur Führung seines
Haushaltes um desswillen grösserer Summen, als er mehrere
Copisten in seinem Dienste hatte und bei seinen häufigen
Reisen auch mindestens zwei Pferde zu unterhalten genöthigt
war -). Sich in dieser Beziehung Beschränkungen auferlegen
zu müssen, würde ihm sehr empfindlich gewesen sein, und auf
die Dienste der Bücherabschreiber konnte er bei den da-
maligen litterarischen Zuständen auch wirklich nicht verzichten,
so lange er selbst in der gewohnten Weise litterarisch thätig
sein wollte. Ferner war es für ihn wie für einen Jeden, der
sich nicht des Besitzes eines beträchtlichen Vermögens erfreut,
ein Gebot der Klugheit, im Voraus für die Tage des Alters
') vgl. A. Malmignati, Petrarca a Padova, a Venezia e ad Arquä
(Padua 1874) p. 24 ff. Petrarca hat sich selbst wiederholt über seine
Vermögensverhältnisse sehr offen - ausgesprochen. Ep. Fam. XIV 4. XVI
3. XIX 17. XX 8. XXII 12. Var. 15.
■') Ep. Var. 15.
298 Sechstes Capitel.
zu sorgen, zumal da er wol befürchten konnte, seiner Präben-
den einmal ganz oder theilweise durch politische Ereignisse
oder auch durch die Launen eines ihm übelwollenden Papstes,
wie Innocenz VI. es war, beraubt zu werden. Endlich aber
war er auch verpflichtet, die Zukunft seiner beiden Kinder
materiell sicher zu stellen. Sein Sohn Giovanni hatte aller-
dings im Jahre 1352 von den Scaligeri ein Canonicat zu
Verona verliehen erhalten^), aber es war das, wie die Er-
fahrung lehrte, ein sehr unsicherer Besitz, Es musste ihm
demnach hochwillkommen sein , in eine Stellung eintreten zu
können, welche ihn aller finanziellen Sorgen überhob und in
Avelcher er, wenn auch nicht eben Schätze sammeln, so doch
ein Sümmchen für etwaige spätere Nothfälle erübrigen konnte ;
dass aber seine Lage in Mailand in pecuniärer Beziehung eine
recht günstige war, ist unzweifelhaft, denn er würde sonst bei
seiner Wanderlust gewiss nicht so lange dort verweilt haben.
Sicherlich wird kein billig Urtheilender es tadeln wollen,
wenn Petrarca, der eben auch nur ein Mensch mit mensch-
lichen Bedürfnissen war, auch finanziellen Erwägungen Einfluss
auf seine "EntSchliessungen verstattet haben sollte. Nichts
wäre ungerechter, als um desswillen die Anklage der Habsucht
gegen den Dichter zu schleudern. Wie frei er von diesem
Laster war, hat er durch manche schöne Handlung seines
Lebens bewiesen, namentlich aber durch die Abtretung eines
ihm im Jahre 1352 vom Papste verliehenen Canonicates zu
Modena an seinen alten Freund Luca Cristiano^).
Indessen so erklärlich und entschuldbar es immerhin auch
sein mag, dass Petrarca die glänzenden Anerbietungen des
Erzbischofs von Mailand annahm, so daif doch nicht geleugnet
werden, dass er dadurch einen Beweis der Charakterschwäche
und des Mangels an wahrer sittlicher Grösse gegeben hat,
den man gern aus seiner Lebensgeschichte hinwegwünschen
') Ep. Farn. XIII 2.
-) Ep. Fam. XIV 4. (Fracassetti, Lett. fam. I p. 181 setzt irrig diesen
Vorfall in das Jahr 1354).
I
Petrarca in Mailand. 299
würde. Wenn er sich selbst treu bleiben und die Aufrichtig-
keit seiner so oft zur Schau getragenen sittlichen und politi-
schen Ueberzeugungen bekunden wollte, so durfte er um
keinen Preis in Mailand bleiben. Dass er dies dennoch gethan
hat, ist für die Entwickelung des Humanismus von übler Vor-
bedeutung gewesen: wie der Meister haben dann, nur freilich
in ungleich anstössigerer Weise, auch die Schüler gehandelt,
sie haben die Gaben ihres Geistes an den Meistbietenden ver-
kauft, ohne auf die Sittlichkeit des Käufers und der Sache,
welche er vertrat, irgend welchen Werth zu legen. Fürwahr,
Grosses und Herrliches haben auf den Gebieten des Wissens
und der Kunst, des privaten vmd des staatlichen Lebens der
Humanismus und die Renaissance geschaffen, aber — und das
war ihre düstere Schattenseite — grosse und wahrhaft sitt-
liche Charaktere haben sie nicht hervorgebracht. Dazu fehlte
ihnen die sittliche Grundlage. Von dem Christenthume sich
innerlich loslösend gaben sie auch dessen Ethik auf und ver-
mochten nicht dieselbe irgendwie zu ersetzen. Die eklektische
Philosophie und späterhin der von dem realen Leben abstrahirende
Piatonismus , denen sie huldigten , waren dessen nicht fähig,
eine entschiedene Annahme der Sittenlehre der Stoa aber,
welche wenigstens annähernden Ersatz geboten haben würde,
war aus eben demselben Grunde nicht möglich, welcher das
Festhalten an der christlichen Heilslehre unmöglich machte:
die stoische Philosophie wie das Christenthum verlangen eine
Hingabe der Individualität an die sittlichen Ideen, welche mit
dem nach der vollsten Freiheit des Individuums strebenden
Geiste des Humanismus und der Renaissance unvereinbar war.
Wenig fehlte übrigens, dass Petrarca nicht schon in den ersten
Tagen seines Aufenthaltes in Mailand einen plötzlichen Tod
gefunden hätte. Am 14. September 1353 hielt der Cardinal-
legat Egidio Albornoz, welcher vom Papste zur Wieder-
gewinnung des Kirchenstaates ausgesandt worden war, seinen
Einzug in Mailand, festlich eingeholt vom Fürstbischöfe und
von der Bürgerschaft. Auch Petrarca hatte sich dem Zuge
angeschlossen, zur Seite Galeazzo's Visconti, eines Neffen des
300 Sechstes Capitel.
Erzbischofs, reitend. Vom grellen Sonnenlichte und dem
wirbelnden Staube geblendet und von dem Lärmen der
wogenden Volksmenge geschreckt scheute plötzlich des Dichters
Ross und warf seinen Reiter ab. Der Sturz hätte tödtlich
werden können, doch ein glücklicher Zufall fügte es, dass Pe-
trarca unbeschädigt blieb und, von Galeazzo unterstützt, sich
sofort wieder zu erheben vermochte. In seiner Frömmigkeit
aber glaubte er, dass er nur durch Christi unmittelbare Hülfe
gerettet worden sei ^).
Bei der Anwesenheit des Cardinallegaten in Mailand hatte
sich Petrarca mit der Rolle eines Zuschauers und Theilnehmers
an den Festlichkeiten begnügen dürfen, bald aber sollte er
bei Gelegenheit einer anderen, ungleich wichtigeren Staats-
action zu einer eigenen politischen Thätigkeit berufen werden.
Seit dem Jahre 1350 bereits wüthete ein für ganz Italien
unheilvoller Krieg zwischen den beiden mächtigen Handels-
republiken Venedig und Genua ^), deren jede den Handel mit
Byzanz und der Levante allein zu beherrschen strebte. Ver-
gebens hatten die Päpste Clemens VI. und Innocenz VI.
wiederholt ihre Vermittelung zur Beilegung des unseligen
Kampfes angeboten. Vergebens hatte auch Petrarca in mehr-
fachen beredten Schreiben an die Dogen von Venedig^) und
Genua*) im Namen des Vaterlandes die kämpfenden Parteien
beschworen, dem brudermörderischen Streite ein Ende zu
machen und die beiderseitig so tapfer geführten Waffen lieber
gegen auswärtige Feinde, wie Byzanz oder Aragonien, zu
kehren. In dem wilden Kriegslärme verhallten seine patrioti-
schen Ermahnungen ungehört. Der verderbliche Kampf, der,
wie er auch enden mochte, die Entwickelung der sich eben
erst bildenden gesammtitalienischen Nationalität schwer
schädigen musste, nahm seinen Fortgang, und von den spani-
') Ep. Var. 56.
") vgl. A. Hortis, „Petrarca e le guerre tra Genova e Venezia" iu den
„Scritti inediti" p. 85—134.
3) Ep. Fam. XI 8. XV 4.
*) Ep. Fam. XIV 5 u. 6.
Petrarca in Mailand 301
sehen Küsten bis zu den Gestaden Aegyptens und der Pontus-
länder bedeckten sich die Meere mit den Trümmern vernichteter
Flotten und dem Blute italienischer Seehelden. Anfangs
schwankte das Kriegsglück unstät hin und her, bald Venetianer,
bald Genuesen begünstigend , allmählich aber begann es sich
dem über eine fester gegründete Macht und grössere Hülfs-
mittel verfügenden Venedig zuzuneigen. In der furchtbaren
Seeschlacht von Loiera oder Algheri an der sardinischen Küste
erlitten die Genuesen am 29. August 1353 eine entscheidende
Niederlage. Innere Zerwürfnisse und Parteikämpfe, welche so
häufig in Republiken die Begleiter militärischer Misserfolge
sind, vollendeten Geuua's Unglück und die einst so stolze Stadt
hielt die freiwillige Unterwerfung unter des mailändischen
Tyrannen Schutzherrschaft für die einzig mögliche Rettung
aus ihrer Bedrängniss ^).
So kamen denn bald darauf Gesandte der Genuesen nach
Mailand, um ihre Stadt und deren ganzes Gebiet unter be-
stimmten Bedingungen dem mächtigen Schutze des Erzbischofs
zu übergeben. Petrarca war von einem der erzbischöflichen
Räthe aufgefordert worden, die Beantwortung der von den
Gesandten gehaltenen Rede zu übernehmen, doch glaubte er
dies ablehnen zu müssen, theils weil ihm nicht die genügende
Zeit zur Vorbereitung vergönnt worden wäre, theils aber auch,
weil er es für angemessener hielt, dass Giovanni Visconti in
eigener Person zu den Genuesen spreche, wie denn auch
wirklich geschah ^). Selbstverständlich war es, dass der ehr-
geizige Fürstbischof die ihm vermuthlich nicht ohne eigenes
Zuthun angetragene Schutzherrlichkeit über einen der bedeu-
tendsten italienischen Staaten gern übernahm. Er sandte seinen
Feldhauptmann, den Marchese Guglielmo Pallavicino von
Cassano, als seinen Bevollmächtigten nach Genua und Hess
durch denselben am 10. October die Stadt in Besitz nehmen '^).
') vgl. Leo, Geschichte der ital. Staaten III p. 78 fi'., sowie Fracas-
setti's ausführliche Noten zu den oben citirten Brieten Petrarca's.
-) Ep. Fam. XVII 4.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 148 ff.
302 Sechstes Capitel.
Durch diese Erweiterung seiner Macht wurde dem
Tyrannen von Mailand natürlich auch die Pflicht auferlegt,
den Frieden zwischen seinen neuen Schutzbefohlenen und den
Venetianem zu vermitteln, eine Pflicht, deren Eifüllung ihm
auch durch sein eigenstes Inteiesse nahe gelegt wurde, da die
noch unabhängigen Staaten Oberitaliens, eifersüchtig auf die
so rasch anwachsende Macht Mailands, sich gegen dasselbe
verbündeten und selbst den Kaiser Karl IV. für sich zu ge-
winnen strebten. Der drohenden Gefahr glaubte Giovanni
Visconti nicht besser zuvorkommen zu können, als dadurch,
dass er einerseits den Kaiser einlud, die lombardische Krone
in Mailand zu empfangen, und andrerseits Petrarca an der
Spitze einer Gesandtschaft nach Venedig schickte, um dort
den Abschluss des Friedens zu betreiben^).
So begab sich denn Petrarca, nachdem er im October in
dem lieblich gelegenen San Colombano eine kurze Villegiatur
gehalten hatte ^) , zu Anfang des Novembers nach der stolzen
Lagunenstadt, w^elche er seit langen Jahren, seit seiner
Studienzeit in Bologna ^), zum ersten Male wieder betrat. Am
8. November hielt er vor dem Dogen Andrea Dandolo und
dem grossen Rathe die ihm obliegende Staatsrede, deren In-
halt so, wie er in einer Handschrift der kaiserlichen Bibliothek
zu Wien uns überliefert ist ^), in Kürze hier folgen möge.
Noch nie — so begann der Piedner — habe er es so
schmerzlich wie an dem heutigen Tage empfunden, dass die
menschliche Sprache nicht genüge, um alle Empfindungen der
Seele vollständig zum Ausdruck zu bringen, er hoff'e jedoch
auf die Barmherzigkeit dessen , welcher , als er gen Himmel
fuhr, uns nicht irdische Schätze noch die Befriedigung sinn-
licher Lüste, sondern seinen Frieden verliehen habe: er werde
auch jetzt aus der kärglichen Saat der Worte die reiche
1) Ep. Farn. XVIII 16. vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 148 ff.
2) Ep. Fam. XVII 5.
3) Ep. Sen. X 2.
*) herausgegeben von A. Hortis in den „Scritti inediti di Fr. P.''
p. 329 — 333. (vgl. aber Fulin in ,, Petrarca e Venezia" p. 295 ff.)
Petrarca in Mailand. 303
Ernte des ersehnten Friedens hervorgehen lassen. Auch
dürfe der Redner viel von der P^insicht seiner Zuhörer er-
wai'ten, da diese ja mit der Befähigung ausgerüstet seien, aus
Wenigem Vieles zu entnehmen. Besondere Hoffnung aber
setze er auf den Dogen, dem er seine Ansicht über die Ver-
derblichkeit des Krieges bereits in mehreren Briefen ausein-
andergesetzt und welcher, was das Wesentlichste sei, erkannt
habe, von welcher aufrichtigen Gesinnung er, der Redner,
beseelt sei. So möge man denn dem , was er jetzt sagen
wolle, ein geneigtes Ohr leihen.
Der Erzbischof von Mailand , in dessen Auftrage er mit
den übrigen Gesandten erschienen sei, erbitte eine für den
ganzen Erdkreis, besonders aber für Italien heilsame Sache,
den Frieden, und zwar erbitte er ihn von Männern, mit denen
er niemals Krieg geführt habe, und erbitte ihn in fremdem
Auftrage. Zu diesem Schritte werde er veranlasst durch seine
Tugenden und namentlich durch seine weltbekannte Gerechtig-
keit, mit welcher er nicht nur seine Vaterstadt, sondern auch
viele entlegene Provinzen beherrsche. Als ein Nacheiferer
der alten römischen Gerechtigkeit aber müsse er auch die
alten römischen Künste pflegen, deren erste die Erhaltung
des Friedens sei, wie Virgil sage:
„Du aber, Römer, gedenke, in Herrschaft die Völker zu halten
(dies soll sein Deine Kunst) und des Friedens Sitte zu wahren" ^).
Ein besonderer Beweggrund zu dem Versuche einer Friedens-
vermittelung müsse übrigens für den Erzbischof der Umstand
sein, dass Genua sich seiner Herrschaft unterworfen habe, ein
Ereigniss, welches die Venetianer gewiss mit Freuden begrüsseri
würden, da sie selbst zur Erreichung desselben ihm eine Flotte
ijnd Kriegsmittel angeboten hätten. Auch die Erinnerung daran,
dass einst des Erzbischofs Vater den Frieden zwischen Venedig
*) Verg. Aen. "VI 851 f.: tu regere imperio populos, Romane, memento,
(Haec tibi erunt artes) pacisque iniponere morem. Für pacis ist bessere
(aber von Petrarca nicht gekannte) Lesart paci.
304 Sechstes Capitel.
und Genua vermittelt habe ^), trage dazu bei, ihm (dem Erz-
bischofe) die Rolle des Friedensstifters nahe zu legen. Die
Venetianer rnöcliten bedenken, dass eben nur der Fiiede von
ihnen gefordert werde und zwar zu einem Zeitpunkte, wo sie
ihn unter den für sich ehrenvollsten und günstigsten Bedingungen
gewähren könnten, so dass jetzt gelte, was Hannibal bei
Livius den Römern sage: „Dieser Krieg hat bewirkt, dass
ihr den Frieden, den ihr selbst vorher unter günstigen Be-
dingungen angenommen hättet, jetzt unter solchen anbieten
könnt ^)."
Guter Männer Grundsatz sei es, nur um d esswill en Krieg
zu führen, damit sie ohne Anfechtungen in Ruhe leben
könnten. Da die Venetianer gegenwärtig diesen Zweck er-
reicht hätten, so müssten sie nun auch Frieden schliessen.
Gemeinhin seien freilich die Menschen unersättlich und nach
Rache und gänzlicher Besiegung eines Erbfeindes begieiig,
doch sollten die Venetianer bedenken, dass Gott die allzu
gewaltsamen Entschlüsse verabscheue und dass das Kriegs-
glück wandelbar sei, sie möchten sich daher des Ausspnichs
Hannibals erinnern : „besser und vortheilhafter ist ein sicherer
Frieden, als ein nur erhoffter Sieg')." Sie möchten ferner
das Beispiel der Römer nachahmen, welche nach der Be-
siegung des Antiochus diesem keine härteren Friedens-
bedingungen auferlegten, als sie vorher ihm angeboten hatten.
Auch der grosse Scipio Africanus habe in gleicher Weise ge-
handelt. Diese Beispiele aber müssten die Venetianer um so
bereitwilliger nachahmen, als sie nicht mit einem ausländischen,
sondern mit einem italienischen Staate Krieg geführt hätten.
Sie möchten also Frieden schliessen und dadurch beweisen,
dass sie ihres Sieges würdig seien und ihn nicht sowol durch
Glück als durch Tugend errungen hätten. Keinen grösseren
\ Matteo Visconti vermittelte im Jahre 1299 den Frieden zwischen
Venedig und Genua, vgl. Leo, Gesch. d. ital. Staaten III p. 52.
'^, Die Sentenz ist nur dem Sinne, nicht dem Wortlaute nach ent-
nommen aus Liv. XXX 30.
3) Liv. XXX 30.
Petrarca in Mailand. 305
Sieg gebe es, als nach des Feindes Besiegung sich selbst zu
besiegen. —
Wenn diese Rede in ihrer ursprünglichen Gestalt uns
überliefert worden ist, woran vielleicht schon in Hinsicht auf
ihren geringen Umfang gezweifelt werden darf, so begreift sich
leicht, dass sie auf die siegesfrohen venetianischen Nobili
keinen sonderlichen Eindruck machen konnte. Es waren
diese keinen moralphilosophischen Reflexionen, sondern nur
handelspolitischen Erwägungen zugänglich und als ein Gebot
der Klugheit musste es ihnen erscheinen, den Krieg bis zur
völligen Niederwerfung der verhassten Nebenbuhlerin fort-
zusetzen, zumal da die Erreichung dieses Zieles nicht allzu
schwierig schien. Wenn irgendwo, so betrieb man an den La-
gunen Realpolitik. Auch ein Privatbrief, den Petrarca wenige
Monate später im Interesse des Friedens an den Dogen Andrea
Dandolo richtete ^) , blieb wirkungslos. Der blutige Kampf
entbrannte aufs Neue und in gewaltigeren Dimensionen, um
endgültig erst im Jahre 1381 durch den Frieden von Turin
beigelegt zu werden. Der Erfolg lehrte, dass der Idealist
Petrarca in diesem Falle doch nicht bloss die patriotischere,
sondern auch die praktisch vortheilhaftere Politik anempfohlen
hatte. Venedig vermochte trotz seiner grössten Anstrengungen
nicht die vollständige Besiegung Geniva's zu erzwingen und
ging, wenn auch mit einigen äusseren Vortheilen, so doch
innerlich geschwächt aus dem langwierigen Kampfe hervor,
welcher, wenn irgend etwas, dazu beigetragen hatte, den
bald beginnenden Verfall der Republik von San Marco vor-
zubereiten.
In Folge des Scheiterns der Friedensverhandlungen wurde
nun auch Mailand zu einem Kriege gegen Venedig genöthigt,
welcher indessen von beiden Theilen lau und ohne sonderliche
Erfolge geführt ward.
Dagegen gelang es den Genuesen, welche sich unter des
Erzbischofs Schutzherrschaft wunderbar rasch von ihrer
') Ep. Fam. XVEI 16.
Körting, Petrarca. 20
306 Seclistes Capitel.
Niederlage erholten, neue Vortheile über die Venetianer zu
erringen, wodurch die letzteren sich im Januar 1355 zur Ein-
"gehung eines Waffenstillstandes und im Juni desselben Jahres
zum Abschlüsse eines Friedens, welcher freilich nur von
kurzer Dauer sein sollte, bestimmen Hessen ^). Weder Andrea
Dandolo noch Giovanni Visconti erlebten des Friedens Wieder-
herstellung. Der erstere starb schon im September 1354 und
der letztere folgte ihm am 5. October im Tode nach. Wie
hart man auch immer des Erzbischofs egoistische und aller
sittlichen Grundsätze baare Politik beurtheilen mag, so darf man
ihm doch den Kuhm nicht bestreiten, dass er ein Mann war,
welcher hohes Verständniss für die geistigen Interessen seines
Zeitalters besass und sich um die Förderung derselben
manches Verdienst erwarb.
Die Nachfolge des inmitten grosser Pläne dem Leben
entrissenen Fürstbischofs traten, ohne dass irgend welcher
Widerspruch erhoben worden wäre, seine drei Neffen Matteo,
Bernabö und Galeazzo an, welche die Herrschaft über die
Provinzen unter sich theilten, während sie die Oberhoheit über
Mailand und Genua gemeinsam ausübten ^). Matteo starb be-
reits im September des folgenden Jahres, nachdem er kurz
vorher die Herrschaft über Bologna verloren hatte. Die
beiden überlebenden Brüder regierten bis zum Jahre 1378, in
welchem Galeazzo starb, gemeinsam und Bernabö herrschte
dann noch sieben Jahre, bis er im Jahre 1385 von seinem
Neffen Giovanni, dem Sohne Galeazzo's, verdrängt wurde und
bald darauf im Kerker starb.
Galeazzo und Bernabö zeigen schon ganz jenen ab-
schreckenden Typus der Tjrannen der Renaissancezeit, einen
Typus, welcher, wenigstens für den mit der Pienaissancecultur nicht
Vertrauten, eins der merkwürdigsten psychologischen Probleme
bildet. Mit einer reichen geistigen Begabung, durch welche
sie befähigt wurden, in den schwierigsten Lagen und gegen
"■) vgl. Leo, a. a. 0. p. 82 u. 301.
2) Leo, a. a. 0. p. 300 f.
I
Petrarca in Mailand. 307
sich immer erneuernde Bündnisse mächtiger Widersacher
die usurpirte Herrschaft ihres Hauses siegreich zu behaupten,
und mit einer nicht erheuchelten Liebe zu Wissenschaft und
Kunst vereinigten sie den entsetzhchsten Mangel an jedem
sittlichen Gefühl und eine Wollust der Grausamkeit, welche
den Cäsarenwahnsinn auch der schlimmsten römischen Impe-
ratoren weit überbietet. Dieselben Männer, welche Künstler
und Gelehrte um sich sammelten, Hochschulen gründeten und
Prachtbauten errichteten, welche mit verständnissvollem Ge-
nüsse den stylgewandten Reden ihrer Hofrhetoren lauschten
und ihre Residenzen mit Kunstwerken schmückten, scheuten
in dem ränkevollen Spiele ihrer Politik vor keiner Frevelthat
zurück, bedrückten ihre Unterthanen mit den unerschwinglichsten,
unsinnigsten Steuern und Hessen um geringfügiger Ursachen
willen erbarmungslos zahllose Menschen unter den entsetzlichsten
Martern langsam hinsterben. Die raffinirten Folterreglements,
welche Galeazzo und Bernabö verfassten oder doch genehmigten,
sind wol das Scheusslichste, was der Menschengeist je ersonnen
hat '). Schaudernd erkennt man, mit welcher sittlichen Ver-
worfenheit und Herzensrohheit sich Geistesbefähigung und
Geistesbildung zu paaren vermögen und wie eine Cultur,
welche der ethischen Grundlage entbehren zu können vermeint,
zwar einerseits Grosses und Herrliches zu schaffen, andrer-
seits aber auch den Menschen in den Abgrund der wildesten
Barbarei zurückzustossen vermag. Wie so oft, so berühren
sich auch hier die Extreme, aber nirgends anderswo ist ihre Be-
riihrung eine so unvermittelte und eine so verderbenbringende.
Durch Nichts wird der hohe Grad, welchen die Ab-
stumpfung des sittlichen Gefühles bereits in der Zeit der erst
beginnenden Renaissance erreicht hatte, schärfer gekennzeichnet,
als durch das ruhige Verbleiben Petrarca's an dem Hofe der
fürstlichen Henker von Mailand und durch die freundschaft-
lichen Beziehungen, welche er mit denselben auch selbst dann
noch, als er Mailand — aus Angst vor der Pest, nicht etw^a
') vgl. Leo, a. a. 0. p. 311 f.
20^
308 Sechstes Capitel.
aus Abscheu vor der dort herrschenden verruchten Tyrannei ! —
bereits verlassen hatte, eifrig unterhielt. Seltsam genug!
Derselbe Mann, der sich der Curie von Avignon gegenüber
zum gestrengen Sittenrichter aufgeworfen und gegen das gott-
vergessene Treiben im abendländischen Babel mit hochsitt-
lichem Pathos geeifert hatte, er fand kein Wort des Tadels für
die greuelvollen Thaten der Visconti, auch nicht das leiseste
Wörtlein der MissbilHgung entschlüpft in den zahlreichen
Briefen den Lippen des sonst doch so Beredten, selbst dann
nicht, als er in Padua oder Venedig es ohne jede Scheu vor
den etwaigen P'olgen hätte thun können. Derselbe Mann, der,
um seine politischen Träume zu verwirklichen, kühne Briefe an
Päpste und Kaiser gerichtet hatte, war stumm, als es galt, in
Mailand die heiligsten Rechte der Menschheit zu vertheidigen,
nicht den schüchternsten Versuch wagte er, dej: doch die Römer
mit Feuerworten zur Freiheit aufgerufen hatte, um den unglück-
seligen Bürgern Mailands nicht etwa die Freiheit, sondern nur
eine menschliche Form des Despotismus zu erwerben, die
Bestialität der sie bedrückenden Tyrannei zu mildern. Nicht
genug aber, dass Petrarca durch sein Verbleiben in Mailand
und durch sein Schweigen die Handlungen der Visconti billigte,
er Hess sich sogar gewissermaassen in den Familienkreis dieser
gekrönten Ungeheuer aufnehmen und schmeichelte ihnen in
der unwürdigsten Weise. Bei dem Sohne Bernabö's vertrat
er Pathenstelle und schenkte dem Täufling als Angebinde
einen goldenen Becher, diese Gabe mit einer poetischen Epistel
begleitend, in welcher die edlen Marceller Roms als die Vor-
bilder der Tyrannen Mailands dargestellt werden i). In einer
anderen Epistel ^) preist er Galeazzo ^) als den mächtigsten
^) Ep. poet. lat. III 29. Die Epistel zeigt im Uebrigen die anmu-
thigste Form u. könnte , wäre sie an einen Würdigern gerichtet , für ein
Meisterwerk poetischer Kunst gelten.
■-) Ep. poet. lat. III 6.
•"') Die Beziehung ist allerdings nicht ganz deutlich ausgesprochen und
könnte daher vielleicht auch der Erzbischof Giovanni als Adressat be-
trachtet werden
Petrarca in Mailand. 309
und edelsten Fürsten Italiens, welcher die römischen Regenten-
künste, Schonung der Unterworfenen und Besiegung der
Frevler '), nach Mailand verpflanzt habe. Man sieht, Petrarca
entbehrte in dieser Beziehung der wahren Sittlichkeit. In dem
Petrarca, der sich völlig unempfindlich zeigt gegen die be-
stialischen Barbareien der Visconti und gegen die Leiden des
unglücklichen mailändischen Volkes, erkennt man den Mann
wieder, der einst die herzlosen Worte schrieb: „die Aerzte
können nicht mehr die Gebildeten, sondern nur noch die un-
gebildete Masse des Volkes betrügen und morden, um diese
aber ist es nicht im Geringsten Schade^)", und der einmal in
einer Streitschrift ein Schmähwort, von welchem er wusste,
dass es den Widersacher besonders schwer kränken müsse,
geflissentlich wiederholte, um nur eben denselben möglichst
zu ärgern ^). In den Humanisten lebte eben die traurige
Denkweise des römischen Alterthums wieder auf: nur die
oberen, die litterarisch gebildeten, zu Herrschaft und Lebens-
genuss berufenen Stände des Volkes bilden die dieses Namens
\Xürdige Menschheit, nur für diese gibt es ein Recht, nur für
den Verkehr mit und unter ihnen gelten die moralischen Ge-
bote ; alle übrigen Menschen aber sind ein verächtlicher Pöbel-
haufe, sind rechtlose Sklaven, deren Wohl und Weh den auf
der Höhe der Bildung und der gesellschaftlichen Rangordnung
Stehenden nicht kümmern darf. In den Zeiten des finstersten
Mittelalters ist die Menschenwürde nicht in solchem Grade
und in so grundsätzlicher Weise missachtet worden wie in den
glanzvollsten Perioden der Renaissancecultur. Auch in der
humanistischen Litteratur zeigt sich diese Tendenz der Ex-
clusivität. Die Humanisten wollten principiell nur für die
litterarisch gebildeten Kreise schreiben, der Gedanke, dass
ihre Productionen etwa populär im weiteren Sinne werden
könnten, erfüllte sie mit Schrecken. Daher auch ihre geflissent-
^) „parcere subiectis et debellare superbos."
") Invect. in med. II (p. 1211): „ — — ceterorum strages minima
flenda est."
^) Invect. in med. II (p. 1213).
310 Sechstes Capitel.
lieh zur Schau getragene Verachtung der italienischen Sprache,
ihre bis zum Unverstand getriebene Vorliebe für das Latein.
Am liebsten würden sie das Italienische selbst als Umgangs-
sprache , wenigstens für die litterarisch Gebildeten , ganz
verdrängt und durch das Lateinische ersetzt haben. In der
That wurde ja auch die Entwickelung der nationalen Sprache
und Litteratur durch den Humanismus wesentlich geschädigt,
ja eine Zeit lang geradezu in Frage gestellt. Die Gefahr,
dass die Sprache, in welcher Dante seine unsterblichen
Dichtungen geschaffen, zu einem Jargon der ungebildeten
Volksmassen herabsinken könnte, war ungefähr ein Jahr-
hundert hindurch wirklich vorhanden, und beseitigt wurde sie
nur durch eine künstliche Annäherung des Schriftitalienischen
an das Lateinische, eine sprachliche Keaction, welche sich mit
der einst von Ennius und seinen Nachfolgern innerhalb des
Lateins vollzogenen vergleichen lässt. Auch in diesen eben
erwähnten Beziehungen steht Petrarca an der Spitze der
Humanisten. Das Latein gilt ihm als die für ernste Production
einzig verwendbare Sprache, des Italienischen bedient er sich
nur zur Abfassung seiner Lieder, die er für eigentlich seiner
unwürdige Spielereien hält oder doch sie dafür zu halten vor
der Welt sich den Anschein geben will ^). Die Popularität
ist ihm in der Theorie wenigstens — denn in der Praxis war
sie ihm nicht eben so unangenehm — durchaus verhasst.
Ausdrücklich erklärt er, dass er nicht für die grosse Menge,
sondern nur für die wenigen Gelehrten schreibe ^). Selbst auf
seine italienischen Dichtungen erstreckt er diesen Grundsatz.
Er preist sich einmal glücklich, dass er nicht Dante's Schick-
sal theile, dessen Verse selbst von Leuten aus den niedrigsten
Ständen, von „Walkern, Schenkwirthen und Wollwebern" ge-
sungen würden ^).
Doch von diesen Abschweifungen auf Fragen, welche wir
1) vgl. z. B. Ep. poet. lat. I 1. v. 34 ff.
•2) Ep. Fam. XIV 2. XXI 15. Ep. poet. lat. III 17. v. 10 ff.
^) Ep. Fam. XXI 15.
Petrarca in Mailand. 311
später in einem anderen Zusammenhange eingehender behandeln
werden, kehren wir jetzt zu unserer Erzählung der Lebens-
geschichte des Dichters zurück. Die neuen Herren von Mai-
land ergriffen am 7. October 1354 förmlichen Besitz von der
ererbten Fürstenmacht. Petrarca wurde beauftragt, dem vei-
sammelten Volke den Regierungswechsel durch eine Rede an-
zuzeigen. Er unterzog sich dieser Obliegenheit, wurde aber
mitten in seiner Rede von dem Hofastrologen unterbrochen,
der da behauptete, dass die günstige Stunde für die Krönung
selbst gekommen sei und nicht versäumt werden dürfe. Aus
Rücksicht auf den Aberglauben des Volkes fügte sich Petrarca
dem thörichten Gebote, nicht aber ohne später in einem Briefe
über den Sterndeuter zu spotten , der officiell sein Geschäft
mit solcher ostensiblen Wichtigkeit betreibe, während er doch
in einer vertraulichen Stunde selbst erklärt habe, dass die ganze
Astrologie eitel Lug und Trug sei ^). Vielleicht war es indessen
dem Dichter nicht eben unangenehm , gerade bei dieser Ge-
legenheit durch die Bedenklichkeit des Astrologen unterbrochen
und dadurch einer lästigen Pflicht überhoben zu werden, denn
er bezeigte wenigstens keine Neigung, die begonnene Rede
fortzusetzen, als der Astrologe bald darauf erklärte, dass es
dazu noch Zeit sei. An den erwähnten Vorfall aber knüpft sich
eine schwierige kritische Frage. In den im J. 1874 heraus-
gegebenen ,,Scritti inediti", welche zu erwähnen wir bereits oft
Gelegenheit fanden, ist von Attilio Hortis auch der italienische
Text einer Rede veröffentlicht worden ^) , welche in der be-
treffenden Handschrift ausdrücklich als die von Petrarca zu
Mailand in Anlass des Regierungswechsels gehaltene bezeichnet
wird. Wenn dieser Text ohne Weiteres als authentisch an-
genommen werden dürfte, so besässe er eine ausserordentliche
Wichtigkeit, denn er würde die einzige uns erhaltene ita-
lienische Prosaschrift Petrarca's darstellen. Aus dem Inhalte
können unseres Erachtens keine Argumente gegen, aber wohl
1) Ep. Sen. III 1.
■-) p. 335—340.
312 Sechstes Capitel.
solche für die Aechtheit des Schriftstückes hergeleitet werden.
In ihrer ganzen Anlage erinnert diese Rede gar sehr an die
im J. 1356 von Petrarca zu Novara gehaltene i), deren Authen-
ticität man schwerlich anzuzweifeln vermögen dürfte: wie die
letztere behandelt sie einen Bibeltext und wie die letztere ist
sie nach Petrarca's Gewohnheit erfüllt mit Citaten aus classi sehen
Autoren. Die streng systematische Disposition zeigt auch mit
der in der Krönungsrede (vgl. S. 179 ff.) angewandten grosse
Aehnliehkeit. Dessen ungeachtet mögen wir an die Aechtheit
der mailänder Rede in der Fassung, in welcher sie uns vorliegt,
nicht glauben, denn die Annahme, dass man sich damals bei
einer feierlichen Staatshandlung der Volkssprache bedient habe,
erscheint uns unstatthaft. Die officielle Sprache war durchaus
die lateinische. Auch auf dem Capitole zu Rom und ebenso
in Kovara redete Petrarca lateinisch zu dem Volke. Der Ein-
wand, dass dadurch ja die grosse Masse des Volkes von dem
Verständnisse ausgeschlossen worden sei, ist an sich allerdings
berechtigt, vermag aber an dem Thatbestande Nichts zu än-
dern. Uebrigens muss man bedenken, dass das Latein, wenn
italienisch ausgesprochen und in eine leichtere syntaktische
Form gekleidet, auch dem nicht litterarisch gebildeten Italiener
leicht verständlich werden kann. Wir möchten daher und
auch aus sprachlichen Gründen, welche zu entwickeln hier
nicht der geeignete Ort sein würde, Romussi's Ansicht bei-
stimmen, dass der erhaltene italienische Text die Uebersetzung
eines verlorenen lateinischen Originales sei ^). Es wird dadurch
die Aechtheit wenigstens des Inhaltes gerettet, der freilich auf
einen besonderen Weith keinen Anspruch erheben darf, son-
dern im Gegentheil eher Petrarca's Nachruhm zu schädigen
geeignet ist. Denn was sollen wir von dem Manne denken,
der sich erdreistet, Giovanni Visconti weit über Piaton zu er-
1) Scritti inediti, p. 341—358.
^) Romussi, Petrarca a Milano p. 42, Anm. 1. Wenn Geiger (Beilage
der Allg. Ztg. 1874 no. 199) meint, die erhaltene Rede könne keinesfalls
mit der von Petrarca wirklich gehaltenen identisch sein, so bleibt er den
Beweis dafür schuldig.
Petrarca in Mailand. 313
heben, weil der letztere nur an der Spitze einiger hundert
Schüler gestanden, der erstere dagegen viele Länder und
Völker beherrscht habe? —
Dasselbe so ereignissvolle Jahr 1354 sollte Petrarca noch
die, freilich rasch als eine Täuschung sich erweisende, Erfüllung
einer Hoffnung bringen, welche er seit Jahren lieiss ersehnt
hatte. Der deutsche König Karl IV. trat endlich nach langem
Zögern den Römerzug an und kam nach Italien, um dort die
lombardische und die römische Krone zu empfangen.
Wir werden in der Erzählung der Beziehungen des Dichters
zu dem Fürsten uns der möglichsten Kürze befleissigen dürfen,
da dieselben erst neuerdings in einem vortrefflichen Werke aus-
führlich dargestellt worden sind^). Bevor wir aber zu unserer
Erzählung übergehen , erscheint es angemessen , einige Be-
merkungen über Petrarca's politische Ansichten und Ideale
vorauszuschicken.
Dass Petrarca, wie die Dichter meist, ein schlechter prak-
tischer Politiker war, fanden wir bereits öfters Anlass zu be-
obachten. Diplomatische Missionen, wie die nach Neapel und
später nach Venedig, auf denen es der Erreichung eines
schwierigen Zieles galt, missglückten ihm so gründlich wie
möglich, da er offenbar, ganz abgesehen von seiner voraus-
zusetzenden Geschäftsunkenntniss, die realen Verhältnisse, über
welche, und die Menschen, mit welchen er zu verhandeln hatte,
gar nicht zu beurtheilen verstand, sondern sich in Bezug auf
sie den wunderlichsten idealistischen Illusionen hingab. Wenn
aber seine späteren Gesandtschaftsreisen nach Prag und Paris
besseren Erfolg hatten, so war das nicht sein Verdienst, son-
dern die Folge günstiger Umstände. Es mag befremdlich er-
scheinen, dass der Dichter trotz seiner wiederholten Misserfolge
und trotzdem, dass er im innersten Grunde des Herzens doch
empfinden mochte , ein wie schlechter Politiker er sei ^) , sich
^) Friedjung, Kaiser Karl IV. und sein Antlieil am geistigen Leben
seiner Zeit (Wien 1876), p. 296—321.
^) Wemgstens entschlüpft ihm einmal das Geständniss: ,,nihilo melior
oeconomicus quam politicus sum." Ep. Farn. XXII 12.
314 Sechstes Capitel.
immer wieder mit politischen Geschäften betrauen Hess, ja
sich zur Uebernahme solcher mit einer gewissen Geflissentlich-
keit drängte oder doch wenigstens nie darauf verzichten wollte,
auch eine politische Rolle zu spielen und den politischen Vor-
gängen mit lebhafter Antheilnahme zu folgen ^). Es erklärt
sich das aber zu einem Theile aus seiner aufrichtigen Vater-
landsliebe und zu einem anderen aus seiner Ueberzeugung von
der Macht der Beredtsamkeit. Wenn er unaufgefordert lange
Episteln an Fürsten und Päpste schrieb und ihnen die Normen
ihrer Politik vorzuschreiben unternahm, so meinte er gewiss
— und wer möchte behaupten, dass das irrig gewesen sei ? —
eine patriotische Pflicht zu erfüllen und schliesslich doch den
Geschicken seines Vaterlandes eine Wendung zum Besseren
geben zu können. Er handelte wie jetzt ein überzeugungs-
treuer Publicist handelt, welcher fest beharrend auf dem ein-
mal als richtig erkannten Standpunkte und unbeirrt durch den
äusseren Gang der Ereignisse nicht müde wird, eine Aenderung
der bestehenden Verhältnisse den Regierenden als unbedingt
erforderlich anzurathen. Man kann Petrarca's politische
Episteln und Reden geradezu als Leitartikel betrachten, durch
welche er die öffentliche Meinung zu beeinflussen suchte. In
unserer Zeit lebend würde er die Monarchen mit directen Zu-
schriften verschonen und sich der politischen Pi-esse als des
geeignetsten Organes bedienen, um für seine Anschauungen
Propaganda zu machen.
Besondere Klarheit kann man den politischen Ansichten
Petrarca's eben nicht nachrühmen. Er war auch in der Politik
Idealist im vollsten Sinne des Wortes. Freilich fällte er über
die politischen Verhältnisse seiner Zeit gelegentlich ganz
treffende Urtheile, so wenn er das römisch-deutsche Reich
als einen „leeren Namen" bezeichnete -), oder wenn er richtig
erkannte, dass das Papstthum nie ein wirkliches Kaiserthum
neben sich aufkommen lassen werde, ,,w'eil keine Gewalt einen
1) Ep. Fam. XIX 9.
'-) de remed. utr. fort. I 116, vgl. auch die höhnende Vergleichung des
römischen Reiches seiner Zeit mit dem des Alterthums de vit. solit. II 4, 4.
I
Petrarca in Mailand. 315
Theilhaber dulde" ^). Das aber hinderte ihn nicht, doch auch
wieder die realen Verhältnisse aufs Aergste zu verkennen und
mit gänzlicher Ignorirung derselben sich den verworrensten
Träumen der politischen Phantasie hinzugeben. Unmöglich
auch konnte er zur Klarheit gelangen in einer Zeit, in welcher
die verschiedenartigsten politischen Ideen und Elemente wie
in einem Hexenkessel sich mischten und auch das scharf-
sinnigste Auge nicht abzusehen vermochte, wie der gewaltige
Gährungsprocess einst enden werde. Das mittelalterliche Staats-
system war damals schon im raschen Absterben, das moderne
Staatensystem aber erst im langsamen , kaum erkennbaren
Werden begriffen. Allgemein war die Ueberzeugung von der
Unhaltbarkeit der herrschenden Zustände vorhanden, aber über
die vorzunehmende Neugestaltung der Dinge gingen die An-
sichten so weit wie nur möglich aus einander. Welche unend-
liche Kluft liegt doch zwischen den Anschauungen, welche
Dante in seiner „Monarchie" aussprach, und den kühnen
Lehren eines Marsilius, in denen prophetisch die Volks-
souveränität gepredigt ward ^). —
Von der Thatsache ausgehend, dass Hellenen und Römer
den Höhepunkt ihrer Entwickelung in der Blüthezeit ihrer
republikanischen Institutionen erstiegen, nach dem Uebergange
zur monarchischen Staatsform 'aber raschem Verfalle zueilten,
möchte man sich zu der Annahme berechtigt halten , das
Staatsideal des nach der Erneuerung der antiken Zustände
strebenden Humanismus sei die Republik gewesen, das war
indessen keineswegs der Fall, namentlich nicht zur Zeit des
erst entstehenden , vom griechischen Einflüsse fast noch un-
berührten Humanismus. Dieser erachtete durchaus — mochte
er immerhin von dem Worte „Freiheit" einen reichlichen
rhetorischen Gebrauch machen — die Monarchie für die beste
Staatsform und hat denn auch in der That wesentlich dazu
1) Ep. Fam. XIX 2.
-) vgl. F. V. Bezold, die Lehre von der Volkssouveränität im Mittel-
alter. V. Sybel's bist. Zeitschr. XXXVI a876), p. 313—367.
316 Sechstes Capitel.
beigetragen, dass einerseits der mittelalterliche, ständisch ge-
gliederte Feudalstaat, und andererseits die mittelalterliche
Commune durch den modernen centralistischen und natur-
gemäss dem Absolutismus sich zuneigenden Staatsorganismus
ersetzt wurde. Die Renaissancecultur hat nirgends Republiken
gegründet, wohl aber in Florenz, Mailand und anderwärts
Republiken zerstöil.
Diese auf den ersten Anblick befremdende Erscheinung
ist nichtsdestoweniger leicht zu erklären.
Die ursprüngliche Basis des Humanismus war ganz vor-
zugsweise die lateinische Litteratur des ciceronianischen und
augusteischen Zeitalters, eine Litteratur also, welche erfüllt
ist von der grossen Idee des römischen Weltreiches, der
Universalmonarchie, und in welcher die gewaltigen Gestalten
eines Pompejus, Cäsar und Octavian im vollen Glänze idealer
Verklärung dargestellt werden. Wahrlich nicht zur Begeisterung
für die republikanische Staatsform konnte der Humanist ent-
flammt werden, der in Sallusts und Cicero's Schriften die trüb-
selige Geschichte von dem kläglichen Hinsterben der römischen
Freiheit in allen ihren traurigen Einzelheiten las. Begeistern
musste er sich hingegen für einen Cäsar, der zuerst mit der
überlegenen Kraft des Genius das Wirrsal endete, und für
einen Octavian, der dem abermals zerrütteten Weltreiche end-
gültig den Frieden gab und für die unter einem Scepter ver-
einten Völker vom Euphrat bis zum Rheine ein goldenes Zeit-
alter der Ruhe und des Glückes zu begründen schien. Wie
herrlich hatten doch Virgil und Horaz und Ovid den Augustus
gefeiert als den Sprossen und den Liebling der seligen Götter,
der berufen sei, der Erdenwelt das lang entbehrte Heil zu bringen,
allen Streit und alle Zwietracht zu enden und in einem ewigen
Frieden die Geschicke der Kationen mit Weisheit und Gerechtig-
keit zu leiten! Und wie grossartig, wie ideal erscheinen auch
in den Büchern der Geschichtsschreiber die Gestalten der
römischen Cäsaren! selbst der finstere Tiberius, der wahnwitzige
Caligula, der blutige Nero zeigten in den Charakterbildern,
die Sueton von ihnen entworfen, eine das gemeine Menschen-
Petrarca in Mailand. 317
maass weit ül)erschreiten(le Grösse, welche eines gewissen
poetischen Glanzes nicht entbehrte. Rühmlicher musste es
scheinen, der Unterthan eines solchen gigantischen Frevlers
zu sein, selbst auf die Gefahr hin, von ihm zerschmettert zu
werden, als unter dem Joche eines kleinen, aber nicht minder
bösartigen Tyrannen zu schmachten.
Sehr begreiflich war es demnach, dass die Humanisten in
dem römischen Kaiserreiche das Ideal des Staates erblickten
und von einem neuen Augustus das Heil der Welt erwarteten^).
Dieser Glaube war ein um so natürlicherer, als er im Grunde
nur eine Modificirung der mittelaltei-lichen Staatsidee darstellte,
welche ja ebenfalls an dem römischen Reiche festhielt, wenn
auch dasselbe in engste Beziehung zu dem Gottesreiche und
dessen irdischer Erscheinungsform, der Kirche, setzend. Auf
dem eigentlichen politischen Gebiete bestand zwischen den
specifisch mittelalterlichen Staatsrechtslehrern und den Huma-
nisten kein wirklich fundamentaler Unterschied der Auffassung,
wie man leicht durch eine Vergleichung der politischen Schriften
Petrarca's mit Dante's im J. 1311 veröffentlichter „Monarchie"
erkennen kann-): beide, der Vertreter des Mittelalters wie
derjenige des Humanismus, fordern die Universalmonarchie mit
einem wirklichen Kaiser an der Spitze, beide fordern, dass
Rom die Reichshauptstadt sei. Erst auf dem kirchenpolitischen
Gebiete gehen die Ansichten wesentlich auseinander, denn der
Humanismus vermochte, wie sehi- begreiflich, nicht dem Papst-
thume eine bestimmte Stellung innerhalb der Weltmonarchie
zuzuweisen.
Noch erklärlicher wird die Hinneigung des Humanismus
zu dem Ideale des universalen Kaiserthums, wenn man einen
Blick auf die politische Lage Westeuropa's, in Sonderheit
Italiens, um die Mitte des 14. Jahrhunderts wirft. Krieg und
Wirrniss finden wir da überall. Die beiden grossen Leuchten
^) vgl. J. Bryce, the lioly Roman Empire (6 ed. London 1876) p. 255 f.,
265 f.
-j vgl. Fraticelli's Dissertazione sulla monarchia in der Ausg. der
Opere minori di Dante II p. 257 ff.
318 Sechstes Capitel.
des frühei'en mittelalterlichen Lebens, Papstthum und Kaiser-
thiim, sind erblichen und spenden der bedrängten Menschheit
ferner keinen Schutz. Völlig recht- und schutzlos steht der
Einzelne den zahllosen kleinen Tyrannen gegenüber, welche
allenthalben ihr Haupt erheben und mit der wilden Gier un-
ersättlicher Raubthiere Gebiet auf Gebiet unter ihr Joch
zwingen In den wenigen communalen Republiken aber, welche
ihre staatliche Freiheit noch gegen die Söldnerbanden der
Tyrannen zu behaupten vermögen, tobt unablässig der wildeste
Parteikampf mit allen seinen Schrecken und raubt den Bürgern
des Lebens behaglichen Genuss. Wie hätten die Söhne eines
solchen Zeitalters nicht innigst wünschen sollen, dass ein mäch-
tiger Fürst, wie einst Cäsar und Augustus, den entfesselten
Leidenschaften mit starker Hand Ruhe gebiete und dem so
schwer heimgesuchten Erdkreise eine neue Aera des Friedens
und Wohlstandes eröffene?
Zu alledem trat aber noch ein innerer Grund hinzu. Der
Humanismus strebte nach einer freien Entwickelung der Indi-
vidualität. Eine solche aber ist bei den so äusserst com-
plicirten gesellschaftlichen Verhältnissen der modernen Zeit
nicht mehr in der Republik, sondern nur innerhalb der Mon-
archie möglich. Die Republik, wenn sie eine W^ahrheit und
nicht eine leere äussere Form sein soll, muss, indem sie alle
Bürger zur thätigen Theilnahme an der Staatsleitung beruft,
von ihnen eine theilweise Verzichtleistung auf die eigene In-
dividualität und eine bedingungslose Hingabe an die Staats-
idee fordern, sie muss darnach streben, dass eine gewisse
Gleichartigkeit der Anschauung und Bildung aller Bürger statt-
habe, dass sich nicht einzelne Persönlichkeiten in eigenartiger
Grösse über das allgemeine Durchschnittsniveau erheben. Das
geschah denn auch wirklich im alten Sparta und Athen, nicht
minder im alten Rom, in welchen letzteren Freistaaten eine
freie Entwickelung der Individualität erst ermöglicht ward,
als die republikanische Staatsform unter dem gewaltigen Ein-
flüsse eines Perikles und eines Scipio sich thatsächlich der
monarchischen oder doch der oligarchischen zu nähern begann.
Petrarca in Mailand, 319
Moderne Menschen, wie sie der Humanismus bildete, mögen und
können sich den Fesseln, welche die Republik den Individuen
auferlegt, nicht mehr fügen und streben durch innere Noth-
wendigkeit der Monarchie zu, welche ihnen, da sie den Einzelnen
von den Geschäften der Allgemeinheit entlastet, behaglichere
Müsse und einen freieren Spielraum der Thätigkeit gewährt.
Nach dem,- was bisher erörtert worden ist, wird es be-
greiflich erscheinen, dass Petrarca durchaus ein Anhänger der
Monarchie war und in derselben die beste Staatsform er-
kannte ^). Persönliche Gründe mochten dazu beitragen, ihn in
dieser Anschauung zu bestärken. Der Mann, welchem die
Parteiwuth der Bürger eines Freistaates noch vor der Geburt
seine Heimath geraubt hatte, konnte unmöglich für eine
Republik schwärmen. So meinte er denn, dass die Tyrannei
eines einzelnen Mannes sich leichter ertragen lasse ^), als die
von einem ganzen Volke ausgeübte. Sein Ideal aber war die
Wiederaufrichtung des römischen Universalreiches, dessen
Hauptstadt Rom sein 3) und dessen Kaiser sich als Römer
fühlen soll, denn von den deutschen Kaisern ist nicht viel zu
erwarten: ,,dorl (im Norden) ist Alles kalt und starr, da ist
keine edle Begeisterung, keine Lebenswärme für das Reich zu
finden"'^). Am liebsten würde er es ohne Zweifel gesehen
haben, dass ein Römer von Geburt an der Spitze des Reiches
stehe. So erklärt sich seine Begeisterung für Cola's di Rienzo
phantastisches Unternehmen. Man sieht, in dieser Denkweise
traf der Humanist, vielleicht ohne sich dessen klar bewusst
zu werden , mit dem italienischen Patrioten zusammen : der
erstere verabscheute die Deutschen als nordische Barbaren, der
letztere hasste sie als unliebsame Herren. Ueberhaupt ver-
band Petrarca mit der Begeisterung für die Universalmonarchie
nach augusteischem Zuschnitte die feurigste Liebe zu seinem
1) Ep. Farn. III 7. Sen. VI 2.
2) Wie man sich unter der Herrschaft eines Tyrannen zu benehmen
habe, lehrt Petrarca ausführlich Var. 32.
^) App. ep. 1.
*) Ep. Fam. XX 2.
320 Sechstes Capitel.
schönen Vaterlande und er hat ihr ja, wie bekannt, in einer
Reihe italienischer und lateinischer Dichtungen den beredtesten
Ausdruck gegeben. Theoretisch freilich wollte er die Vater-
landsliebe nur dann als berechtigt anerkennen, wenn sie einem
tugendhaften Lande gelte ^), praktisch aber hat wol Niemand
vor ihm und nach ihm das damals nichts weniger als tugend-
hafte Italien inniger geliebt als er. Italien war ihm das Cen-
trum des politischen Lebens, so dass er meinte, dass, wenn
nur dort Friede und Eintracht wiederhergestellt würden, dies
der ganzen Welt zum Heile gereichen müsse ^). Dass aber
Italiens staatliche \Yiedergeburt und die Herstellung seiner
früheren Macht erfolgen werde, erhoffte er mit Bestimmtheit ^).
Er fühlte sich durch und durch als Italiener und jede kosmo-
politische Schwärmerei war ihm , wie dem früheren Humanis-
mus überhaupt, durchaus fremd. Man erkennt daraus, wie der
Humanismus, wenn er sein politisches Ideal hätte verwirklichen
können, in Wahrheit etwas ganz Anderes erschaffen hätte,
als ein neurömisches Weltreich, dass vielmehr ein Grossitalien
sich als Product seiner Bestrebungen ergeben haben würde.
Der Römer des Alterthums war nicht für Italien, von welchem
ihm ja weite Gebiete geradezu als gallisches und griechisches
Ausland (Gallia cisalpina und Graecia magna) galten, sondern
nur eben für Rom begeistert, er besass kein Vaterland, son-
dern nur eine Vaterstadt, die Urbs. Die Möglichkeit, dass
ganz Italien eine nationale und politische Einheit bilden könne,
ist von den alten Römern nie geahnt und ihre Herstellung nie
angestrebt worden. Die italienische Nationalität bildete sich erst
in Folge des Gegensatzes zu den germanischen Eroberern,
Gothen, Langobarden, Franken und Deutschen, und wenn der
Humanismus diese Nationalität als einen Factor in seine Zu-
kunftsberechnungen mit aufnahm, so machte er, ohne es zu
wissen und zu wollen, die wirkliche politische Renaissance des
0 de Vit. solit. II 4, 8.
-) App. ep. 4.
=^) Ep. Fam. VII 1.
II
Petrarca in Mailand. 321
Alterthums von vornherein unmöglich und erstrebte die Schaffung
eines specifisch neuen staatlichen Zustandes. Es geschieht dies
ja immer, wenn die Wiederbelebung abgestorbener Zustände
versucht wird. Vergebliches Bemühen ist es, die Weltgeschichte
rückläufig machen zu wollen.
Fügen wir dem Gesagten noch hinzu, dass Petrarca eifrigst
die Zerstörung des schismatischen byzantinischen Reiches befür-
wortete ^) und dass er nach mittelalterlicher Weise für einen
zur Wiedergewinnung des einst christlichen Morgenlandes zu
unternehmenden Kreuzzug schwärmte ^), so haben wir im Wesent-
lichen seine politischen Theorien auseinandergesetzt. Erwähnen
liesse sich höchstens noch, dass er an die Fürsten die höchsten
sittlichen Anforderungen stellte 3) und nach Art aller idealen
Schwärmer wünschte, dass immer der tugendhafteste Mann
zur Herrschaft berufen werde, wie auf der Insel Taprobane
wirklich geschehe*).
Man sieht, Petrarca zeichnet nur in den allgemeinsten
Umrissen den seiner Meinung nach aufzuführenden W^eltstaats-
bau. Wie diese Chimäre etwa im Einzelnen auszuführen, wie
sie mit den realen Verhältnissen irgendwie zu vereinbaren sei,
darum kümmert er sich absolut nicht. Sobald die Theorie mit
der Praxis sich berührt, ist es mit seinen Plänen zu Ende,
denn es fehlte ihm eben jede wirkliche politische Productivität.
Ja er verwickelt sich in seinen Theorien selbst in die heil-
losesten Widersprüche. So wenn er sein ganzes Leben hin-
durch für die Idee einer Piückkehr der Curie nach Rom eifrigst
kämpfte, während er doch bei einer auch nur flüchtigen Er-
wägung der Dinge erkennen musste, dass, wenn er sein Ziel
erreiche, eben dadurch die Wiederaufrichtung eines wirklichen
römischen Kaiserthumes völlig unmöglich gemacht werde. Die
Frage, wie Kaiserthum und Papstthum in ihrem gegenseitigen
') Er versuchte, die Genuesen dazu anzuregen. Ep. Fam. XIV 5, vgl.
Sen. VII 1 u. de vit. sollt. II 4, 3.
*) de vit. sollt. II 4, 5. '
3) Ep. Fam. XII 2. Sen. Xin 1.
*) de remed. utr. fort. II 78.
Körting, Petrarca. 21
322 Sechstes Capitel.
Verhältnisse zu bestimmen seien, eine Frage, welche doch die
eminenteste Wichtigkeit besass und von deren Lösung geradezu
Alles abhing, hat ihn nie enistlich beschäftigt. Ganz nach Art
eines träumerischen Idealisten hüpfte er über die ungeheuerste
Schwierigkeit leichten Fusses hinweg. Nirgends wol hat <ler
grosse Mann sich kleiner gezeigt, als auf dem Gebiete der Politik,
so dass er auf diesem von gar manchen nicht nur seiner Zeit-
genossen, sondern auch der Vorlebenden weit überragt wurde.
Die Verwirklichung seiner politischen Ideale hatte Petrarca
zunächst von Cola di Pienzo erhofft. Der klägliche Sturz des
Tribunen hatte ihm diese Hoffnung zerstört. Sein Blick wandte
sich nun auf den im Jahre 1347 zur Herrschaft gelangten
deutschen König Karl IV., der einen Theil seiner Jugend in
Italien verbracht und dadurch sowie durch seine bekannte
litterarische Bildung sich in den Augen der Italiener von dem
Makel des Barbarenthums gereinigt hatte. An diesen Fürsten
nun richtete der Dichter am 24. Februar 1351 von Padua aus
einen Briefe), in welchem er ihn mit beredten Worten auf-
forderte, nach Italien zu kommen, die Kaiserkrone zu em-
pfangen und das alte Imperium wieder aufzurichten. Kein
rhetorisches Mittel ward gespart, um des Königs Herz zu er-
schüttern. Die Manen der grossen Vorgänger Karls auf dem
Kaiserthrone wurden heraufbeschworen, um ihn zur Nach-
ahmung ihrer Thaten anzufeuern. Italien selbst wurde in Ge-
stalt einer ehrwürdigen, in Bettlertracht gehüllten Matrone
redend eingeführt und flehte um Erlösung aus seiner traurigen
Verlassenheit. — Petrarca hatte sich in dem deutschen
Herrscher arg verrechnet. Karl IV. war eine durch und durch
nüchterne und realistisch angelegte Natur, und abhold jed-
wedem schwärmerischen Idealismus, verfolgte er in seiner
Politik nur eng begrenzte, eiTeichbare und praktische Ziele -).
Nicht im Mindesten gelüstete es ihn nach dem Ruhme, des
^) Ep. Fam. X 1. Das Jahresdatum hat gegen Fracassetti, der es als
1350 ansetzte, scharfsinnig bestimmt K. Palm in seiner Dissertation: Italie-
nische Ereignisse in den ersten Jahren Karls IV. (Göttingen, 1873) p. 58 ff.
-) vgl. die treffliche Charakteristik Karls b. Friedjung, a. a. 0. 77 ff.
Petrarca in Mailand. 323
römischen Reiches Regenerator zu werden, sein Ehrgeiz be-
schränkte sich darauf, den Wohlstand seines angestammten
Königreiches Böhmen zu fördern, seine Hausmacht zu befestigen
und zu erweitern und in Deutschland geordnete Verfassungs-
zustände zu begründen. Darüber hinaus strebte er nicht und
namentlich lag ihm der Gedanke fern, in die italienischen
Verhältnisse energisch einzugreifen und das Ansehen der
Reichsgewalt dort wiederherzustellen. Für die Grundidee des
Humanismus besass er trotz seines hohen Interesses für Wissen-
schaft und Litteratur nicht das geringste Verständniss , und
obwol in manchen Beziehungen aus den Gedankenkreisen des
Mittelalters heraustretend und moderner Geistesrichtung sich
zuneigend, war er doch im Wesentlichen unberührt geblieben von
dem Hauche des neuen geistigen Lebens seiner Zeit; fast
scheint es, als wenn er sich demselben grundsätzlich ver-
schlossen habe, weil er, durch und durch Verstandesmensch
wie er war, die Gefahren scheute, welche das Experimentiren
mit neuen Ideen stets mit sich bringt. Es war eine eigene
Fügung des Schicksals, dass gerade ein solcher Fürst an der
Spitze der abendländischen Christenheit stand, als eine neue
Culturform die bisher bestandene mittelalterliche zu ersetzen
strebte. Ganz ähnlich geschah es im Beginn des 16. Jahr-
hunderts, als Deutschlands Herrscher Karl V., sonst ein hoch-
begabter und tüchtiger Fürst, doch für die weltbewegende Idee
seiner Zeit , die Reformation , ganz unempfänglich war. Wie
ganz anders — ob freilich besser, mag billig unentschieden
bleiben — würde der Lauf der Weltgeschichte sich gestaltet
haben, wenn statt Karls IV. ein für den Humanismus und statt
Karls V. ein für die Reformation begeisterter Fürst auf Deutsch-
lands Throne gesessen hätte! In beiden Fällen würde ver-
muthlich die Weltmonarchie begründet worden sein.
Petrarca war nicht der erste gewesen, welcher den König
für das politische Ideal des Humanismus zu gewinnen versucht
hatte. Cola di Rienzo, der ja als Gefangener mehrere Jahre
in Böhmen verl)ringen musste, hatte dies bereits gewagt, selbst-
verständlich aber ohne jeden Erfolg, wenn auch, was uns be-
21*
324 Sechstes Capitel.
fremdlich genug erscheinen muss, Karl den phantastischen
Schwärmer nicht einfach abwies, sondern sich mit ihm in eine
brieflich geführte Polemik einliess ^). Es war das wol nur ein
Zugeständniss, welches er der dem ehemaligen Tribunen günstigen
öffentlichen Meinung machen zu müssen glaubte. Wenn aber
aus solchem Grunde ein Rienzo sich nicht ignoriren liess, so
war dies bei dem hoch gefeierten Petrarca noch weniger mög-
lich, und überdies mochte Karl gern die Gelegenheit ergreifen,
mit dem geistig bedeutendsten Mann seiner Zeit in nähere
Berührung zu treten. So beantwortete er denn des Dichters
Brief mit einem ausführlichen und in den ehrendsten Aus-
drücken abgefassten Schreiben 2) ^ in welchem er sich aus-
einanderzusetzen bemühte, wie die Aufrichtung des römischen
Reiches, welche einst im Alterthume möglich gewesen sei,
jetzt unter den gänzlich veränderten Verhältnissen der Gegen-
wart und namentlich bei den heillos verwirrten Zuständen
Italiens sich nimmermehr bewerkstelligen lasse.
Wenn aber dieser Brief auch seinem Inhalte nach eine
directe Absage an die politische Idee des Humanismus ent-
hielt, so machte er doch wenigstens in der Form demselben
ein bemerkenswerthes Zugeständniss : der König strebte in ihm
sichtlich, ein elegantes Latein zu schreiben oder schreiben zu
lassen. So hatte der Humanismus nun Bürgerrecht erlangt in
der kaiserlichen Canzlei und begann den barbarischen Styl
des Mittelalters auch aus den amtlichen Schriftstücken zu ver-
drängen. Die Zeit brach an, in welcher von einem Canzler
vor allen Dingen Stylgewandtheit erfordert ward und in Folge
dessen nur Humanisten zu solchem Amte berufen wurden.
Irgend ein böser Zufall verschuldete es, dass Karls Brief,
der vermuthlich im Frühjahr 1351 abgefasst wurde, erst nach
beinahe drei Jahren in die Hände des Adressaten gelangte^).
^) Das Nähere über die sehr interessanten Beziehungen Karls zu dem
Extribunen sehe man bei Friedjung, a. a. 0. p. 284 — 296.
") Bei de Sade II pieces justif. XXXIV, in ital. Uebersetzung b. Fra-
cassetti, Lett. fam. IV p. 85 ff.
«) Ep. Fam. XVIII 1.
Petrarca in Mailand. 325
welcher inzwischen bereits, wahrscheinlich im April oder Mai
1352 ^), eine zweite Epistel ^} ähnhchen Inhaltes an den Kaiser
gerichtet hatte Endlich aber im Besitze der königlichen Ant-
wort zögerte Petrarca nicht, am 23. November 1353^) einen
dritten Brief ■*) an den deutschen Herrscher abgehen zu lassen.
Der unverbesserliche Idealist, der blind gegen alle realen Ver-
hältnisse war, beharrte auf dem Gedanken, aus dem nüchternen
und praktisch denkenden Fürsten einen Nachfolger des phan-
tastischen Cola machen zu können, zugleich aber Hess er
sich die Gelegenheit nicht entgehen, in schulmeisterndem Tone
Karl darüber zu belehren, dass der von diesem in seinei-
Epistel angewandte Ausspruch, die Herrschaft sei ein Un-
geheuer, nicht, wie er angegeben habe, von Augustus, sondern
von Tiberius-') zuerst gethan worden sei. Mit welchem be-
rechtigten Lächeln verständiger Ueberlegenheit mag Karl die
pathetischen Episteln des Dichters gelesen haben! Gleichwol
las er sie sicherlich mit grossem Genüsse des eleganten und
klangvollen Baues ihrer Perioden und der Originalität der in
ihnen ausgesprochenen Gedanken wegen, und es steigerte sich
in Folge dessen sein wolilwollendes Interesse für ihren Ver-
fasser immer mehr.
Im Geheimen mochte Petrarca sich mit dem Gedanken
schmeicheln, dass der König doch schliesshch von seinen so
beredten Ermahnungen sich habe bestimmen lassen, als der-
selbe im Herbst 1354 aus Beweggründen, deren Darlegung
der politischen Geschichte überlassen bleiben muss, sich end-
lich zur Ausführung seines lang geplanten Römerzuges ent-
schloss. Kaum hatte Karl die Alpen überschritten, als er von
dem Dichter mit einer begeisterten Zuschrift begrüsst ward '^),
^) Jahresdatum nach Palm (vgl. S. 322, Anm. 1), p. 59.
2) Ep. Fam. XII 1.
3) Fracassetti Lett. fam. IV p. 87 setzt 1354 als Jahresdatum an, es
ist das aber schon um desswillen unstatthaft, weil Karl um diese Zeit
bereits auf dem Römerzuge begriffen war.
*) Ep. Fam. XVIII 1.
^) Suet. Tib. c. 24.
«) Ep. Fam. XIX 1.
326 Sechstes Capitel,
in welcher er mit keinem Geringeren verglichen ward, als mit
Aeneas, der, allen Gefahren trotzend, seinen Vater Anchises
in der Unterwelt aufsucht. — Befremdlich mag es vielleicht
erscheinen, dass Petrarca durch seine Begeisterung für den
König und die von ihm vertretene Idee sich nicht die Gunst
seiner Brodherren, der Visconti, verscherzte. Das erklärt sich
indessen leicht genug. Die Tyrannen von Mailand wünschten
damals sehnlichst, in gute Beziehungen zu dem Könige zu
treten, und nicht unwillkommen mochte es ihnen sein, dass
der von ihnen besoldete gefeierte Dichter sich als begeisterter
Anhänger des Königs bekannte. Ueberdies kannten sie aber
gewiss Karls Charakter genau genug, um zu wissen, wie auch
nicht die leiseste Gefahr vorhanden sei, dass er sich von Pe-
trarca's schwärmerischen Ermahnungen irgendwie beeinflussen
lassen werde. Warum also sollten sie nicht dem Dichter die
harmlose Schwärmerei gestatten, die ihnen und ihrer Politik
nicht nur keinen Nachtheil, wohl aber Förderung bringen
konnte? Tyrannen geben sich gern den Anschein der Frei-
sinnigkeit in politischen Dingen, so lange es sich um bloss
akademische Erörterungen handelt.
Im November kam Karl IV. nach Mantua. Hier nahm er
längeren Aufenthalt, denn, bevor er seine Keise weiter fort-
setzte, musste er seine Beziehungen zu den oberitalienischen
Staaten ordnen. Die Gegner der Visconti, die Mitglieder der
lombardisch-venetianischen Liga, hatten erwartet, der König
werde sich ihnen anschliessen und gemeinsam mit ihnen die
übermächtig gewordenen Tyrannen Mailands bekämpfen. Karl
aber dachte nicht daran, wie ihm überhaupt jeder Gedanke
an eine auf Wiederherstellung der Reichsgewalt gerichtete
thätige Einmischung in die italienischen Verhältnisse fern lag.
Das Kaiserthum hatte eben aufgehört eine politische Macht
zu sein und war nur noch eine politische Idee ^). Wenn aber
Karl wünschte, jeden Conflict mit den Herrschern von Mailand
*) vgl. Th. Sickel, das Vicariat der Visconti (in den Sitzungsberichten
der Wiener Akad. d. Wissensch., PMlos.-hist. Gl., Bd. 30) p. 32.
Petrarca in Mailand. 327
ZU vermeiden, so wünschten diese nicht minder, der Gunst des
Königs sich zu versichern, denn allseitig von erbitterten Feinden
bedrängt, wie sie es waren, mussten sie Werth darauf legen, dass
nicht etwa noch durch deutsche Macht die Kraft ihrer Wider-
sacher verstärkt werde. So sandten sie denn eine Gesandt-
schaft an den König nach Mantua, um von ihm, mit dem sie
sich bis dahin im Kriegszustande befunden hatten, den Frieden
zu erbitten. Dieser kam denn auch, wie bei Karls friedfertigen
Dispositionen nicht anders zu erwarten war, mühelos zu Stande,
ja Karl übertrug sogar den Visconti das Reichsvicariat für die
Gebiete von Mailand und Genua, wogegen diese sich zur
Zahlung der beträchtlichen Summe von 200,000 Goldgulden
verpflichten mussten'). Karl benutzte eben als praktischer
Mann den Rest seiner königlichen Autorität, der ihm in Italien
noch geblieben war, als einträgliche Finanzquelle, und es
glich nur allzu sehr sein ganzer Römerzug der Handelsreise
eines schachernden Kaufmannes.
Petrarca hatte sieh unter jenen nach Mantua abgeschickten
Gesandten nicht befunden. Die Visconti, der in Venedig mit
dem politisirenden Dichter gemachten Erfahrung sich erinnernd,
mochten allen Grund haben, sich für das wichtige Geschäft
des Friedensschlusses gewandterer Diplomaten zu bedienen.
So wurden denn „Privatgründe" vorgeschützt, um seine Aus-
schliessung von der ehrenvollen Mission zu rechtfertigen ^).
Für diese Zurücksetzung, welche seine Eitelkeit schmerzlich
verletzen musste, sollte er indessen bald glänzend entschädigt
werden. "Wenige Tage nach der Rückkehr der mailändischen
Gesandten empfing er eine feierliche Einladung des Königs,
ihn in Mantua aufzusuchen. Selbstverständlich zögerte er nicht,
der ehrenden Aufforderung Folge zu leisten. Am 12. December^)
brach er von Mailand auf. Die Witterung war für Italien un-
gewöhnlich winterlich — man sagte, der nordische Fürst habe
') vgl. Sickel, a. a. 0. p. 24 f.
-) Ep. Fam. XIX 3., vgl. A. Hortis a. a. 0. p. 130,
•■') II Idus Decerabris, was Fracassetti Lett. fam. IV p. 160 irrig mit
agli undici di decembre übersetzt.
328 Sechstes Capitel.
auch den nordischen "Winter über die Alpen gebracht — und
der Ritt auf den mit Schnee und Eis bedeckten Strassen war
nicht ohne Gefahr. Endlich in der vierten Nacht erreichte
Petrarca seinen Bestimmungsort. Der König empfing den
Dichter in der wohlwollendesten und gütigsten Weise und brachte
zuweilen den ganzen Tag in seiner Gesellschaft zu. Vergebens
indessen bemühte sieh der Humanist, den HeiTScher für seine
politischen Ideen zu begeistern, vergebens war es, dass er ihm
die Widmung seines Buches über die berühmten Männer ver-
sprach, wenn er sich derselben durch Tugend würdig mache,
vergebens, dass er ihm auf alten Münzen die Bildnisse römischer
Imperatoren zeigte und ihn in freimüthigster Rede aufforderte,
dem Beispiele dieser seiner Vorfahren auf dem Throne nach-
zueifern. Karl war für solche Phantasien nicht empfänglich,
und ohne auf eine Widerlegung derselben, die den Dichter ge-
kränkt und doch nicht überzeugt hätte, sich einzulassen, ver-
stand er es, das Gespräch auf andere Gegenstände zu lenken.
Er befragte Petrarca nach seinem Lebensgange und begann
mit ihm ein gewiss nicht ernst gemeintes Wortgefecht über
den Werth des von dem Dichter so gepriesenen Lebens in der
Einsamkeit ^).
Höchst befriedigt von seinem Aufenthalte in Mantua, der
ungefähr zehn Tage gewährt haben mag^), kehrte Petrarca
nach Mailand zurück '^). Die Befriedigung, welche seiner Eitel-
keit durch die so gütige Aufnahme bei dem Könige gewährt
worden war, hatte ihn für eine objective Auffassung der Ver-
hältnisse vollends blind gemacht. Er glaubte in allem Ernste.
Karl IV. für seine Anschauungen gewonnen zu haben, und gab
sich den kühnsten Hoffnungen für die Zukunft hin, die nur
allzu bald enttäuscht werden sollten.
Es lässt sich die Frage aufwerfen, ob Karl mit Petrarca's
Berufung nach Mantua etwa eine politische Berechnung ver-
bunden habe, ob er vielleicht durch das Wohlwollen, welches
^) Die ausführliche Erzählung seines Verkehrs mit dem Könige hat
Petrarca Ep. Farn. XIX 3. gegeben, vgl. Friedjung, a. a. 0. p. 305 ff.
-; Vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p. 157.
Petrarca in Mailand. 329
«r dem Dichter in so liebenswürdiger Weise zeigte, die Ge-
müther der Italiener sich gewinnen wollte. Diese Frage dürfte
indessen wol zu verneinen sein, wenn man erwägt, wie eilig
und ohne irgend etwas gethan zu haben Karl bald darauf,
unbekümmert um die ihm entgegen getragenen lebhaften
Sympathien des italienischen Volkes, über die Alpen zurück-
ging. Nicht politische Pläne verfolgte Karl, als er die Be-
gegnung von Mantua veranstaltete, sondern um die Erfüllung
eines persönlichen "Wunsches allein war es ihm zu thun: er,
der für geistige Interessen so viel Theilnahme und Verständ-
niss besass, wollte den seltenen Mann kennen lernen, der nach
dem Urtheile der Zeitgenossen die höchsten Höhen des ge-
lehrten Wissens sowol als des poetischen Schaffens erstiegen
hatte. In seinem Verhältnisse zu Petrarca war Karl nur
Mensch, nicht Fürst. Daraus begreift es sich auch, dass er
dem Dichter auch dann sein Wohlwollen unverändert bewahrte,
als dieser ihn wegen des kläglichen Verlaufes des Römerzuges
mit den bittersten Vorwürfen überhäuft hatte, denn diese
Vorwürfe, nur gegen die Handlungsweise des Fürsten, nicht
gegen den Charakter des Menschen gelichtet, konnten eben
nur den Fürsten, nicht aber den Menschen verletzen.
Wie einst schon Petrarca's Aufenthalt an dem Hofe des Königs
Robert, so bezeichnet auch sein Aufenthalt bei dem in Mantua
weilenden deutschen Herrscher den Beginn einer neuen Cultur-
periode. Fortan übernahmen die Fürsten das Ehrenamt,
Förderer und Pfleger der Wissenschaft und Kunst zu sein,
eine Pflicht, welcher sich die Fürsten des Mittelalters nur in
vereinzelten Fällen und in beschränktem Umfange unterzogen
hatten. Fortan galt, theoretisch wenigstens, der Gelehrte,
der Dichter, der Künstler als den Höchstgeborenen ebenbürtig,
der Adel des Geistes ward anerkannt und die Idee, dass
geistiges Schaffen das edelste Schäften sei, gelangte endlich
zur Geltung, wenn sie auch freilich noch oft verleugnet wurde
und noch oft auch verleugnet werden wird. —
Nachdem Karl sich mit den Visconti verglichen, stand der
Fortsetzung seiner Romfahrt kein weiteres Hinderniss entgegen.
330 Sechstes Capitel.
Zuücächst begab er sich, einer Einladung der Visconti Folge leistend,
nach Mailand, wo er am 4. Januar 1B55 einzog, von den Ty-
rannen mit Pracht und anscheinender Unterwürfigkeit, aber doch
auch mit schlecht verborgenem Misstrauen empfangen. Am 6.
Januar empfing er in der Kirche des heihgen Ambrosius ^) aus
den Händen des Erzbischofs Robert Visconti die eiserne Krone.
Dann brach er nach einem Aufenthalte von wenigen Tagen
gen Rom auf. Er hatte gewünscht, dass Petrarca ihn dorthin
begleiten möchte, und dieser würde gewiss sehr bereit dazu ge-
wesen sein, denn was hätte seiner Eitelkeit mehr schmeicheln
können, als an der Seite des Königs einzuziehen in die ewige Stadt
und sich dort als den geistigen Erneuerer der Kaiserherrlich-
keit feiern zu lassen? Indessen in seiner abhängigen Stellung
war er nicht Herr seiner EntSchliessungen und jedenfalls durch
Rücksichtnahme auf die Politik der Visconti liess er sich be-
stimmen, des Königs Antrag abzulehnen. Er begnügte sich,
KarFn bis fünf Miglien über Piacenza hinaus das Geleite zu
geben und kehrte dann nach Mailand zurück. Er hatte jedoch die
ihm durch die Verhältnisse aufgenöthigte Entsagung nicht zu
bereuen. Die am 4. April erfolgende Kaiserkrönung nahm
bekann tUch einen so kläglichen Verlauft), dass der Idealist
sich Glück wünschen musste, dem die Idee des Kaiserthums
so tief entwürdigenden Schauspiele nicht beigewohnt zu haben.
Noch tiefer aber musste ihn schmerzen, was nachdem geschah.
Der neugekrönte Kaiser, für alle Bitten der Römer taub und
nur den päpstlichen Wünschen nachzukommen sich beeifernd,
verliess noch am Tage der Krönung Rom und trat mit würde-
loser Hast die Rückreise an, die fast eine Flucht zu nennen
war und ihm manche Demüthigungen brachte. Der Hohn und
die nur allzu berechtigte Entrüstung der in ihren schönsten Hoft-
nungen-betrogeneu Italiener verfolgte den kaiserlichen Geschäfts-
reisenden, der statt auf die Wiederherstellung des Imperiums
nur auf die Füllung seiner Börse bedacht gewesen war, und
1) Ep. Fam. XX 14.
"-) Das Nähere sehe man b. Gregorovius, a. a. 0. VI p. 375 f.
Petrarca in Mailand. 331
die Autorität des Keiches in Italien, welche damals, so scheint
es wenigstens, einer für ganz Europa heilsamen Kräftigung
fähig gewesen wäre, wurde unwiederbringlich zerstört. Das
römische Reich, das doch bis dahin noch schattenhaft wenigstens
bestanden hatte, war fortan ein leerer Name. Deutschland
und Italien betraten seitdem gesonderte Bahnen der Ent-
wickelung, welche aber für beide Jahrhunderte hindurch gleich
unheilvoll sein sollten
Petrarca, endlich grausam genug enttäuscht, verlieh seinem
Schmerze beredten Ausdruck in einem vorwurfsvollen Briefe,
den er an den Kaiser richtete 0- „Was meinst Du" — redete
er ihn an — „das Dein Vater (Johann von Böhmen) und
Dein Ahn (Heinrich VII.) Dir sagen würden, wenn sie auf den
Höhen der Alpen Dir begegnen könnten? So höre es denn
von mir ! Herrliches fürwahr hast Du vollführt, grosser Cäsar,
durch Deinen so lange Jahre hindurch verschobenen Zug nach
Italien und durch Deinen hastigen Rückzug! Du bringst end-
lich die eiserne und die goldene Krone heim, zugleich aber
auch den leeren Namen des Imperiums. Kaiser der Römer
wirst Du genannt werden, während Du in Wahrheit nur
Böhmens König bist. Möchtest Du doch auch dies nicht sein,
damit die zu höherem Streben gezwungene Tugend in Dir er-
wachte und Armuth des Besitzes Dich antriebe, das Erbe
der Väter nicht zu vernachlässigen."
Diese kühnen Worte gereichen dem, der sie auszusprechen
wagte, zur hohen Ehre, indem sie beweisen, dass er, wenn es
seine Ideale galt, persönliche Rücksichten zu vergessen ver-
mochte und, in der Rede wenigstens, den Muth der üeber-
zeugung besass. Nicht minder aber gereicht es dem Fürsten zur
Ehre, dass er dem, der solche Worte an ihn zu richten sich
vermaass, ein unverändeites Wohlwollen bewahrte und von
kleinlicher Empfindlichkeit sich frei erhielt. Karl IV. war in
sehr vielen Dingen ein kleinhch gesinnter Mensch, hier hat
er sich aber einmal wahrhaft hochgesinnt gezeigt.
») Ep. Farn. XIX 12.
332 Sechstes Capitel.
Indem Karl, seines kaiserlichen Berufes uneingedenk,
durch seine hastige Rückkehr Italien sich selbst überlassen
hatte, loderte in dem unglücklichen Lande bald wieder der
verheerende Brand des Bürgerkrieges empor. Zwar in Mittel-
italien herrschte verhältiiissmässige Ruhe, da die starke Hand
des päpstlichen Cardinallegaten Egidio d'Albornoz die
Tyrannen bändigte und da auch Rom selbst, nachdem der auf
kurze Zeit wieder zur Macht gelangte Tribun Cola di Rienzo
am 8. October 1354 ein seiner früheren Thaten unwürdiges
Ende gefunden hatte, sich, wenn auch widerwillig, dem kirch-
lichen Regimente wieder fügen musste. Oberitalien dagegen
wurde der Schauplatz wüster und wilder Kämpfe. Der un-
längst zwischen Venedig und Mailand abgeschlossene Frieden
blieb allerdings unangefochten, da die Lagunenrepublik durch
innere Wirren an einer Action nach aussen behindert war,
aber die kleinen Tyrannen der Lombardei, welche von der
immer mehr anwachsenden Macht Mailands vernichtet zu
werden befürchteten — die Este, die Gonzaga, die Carrara, die
Scaligeri, der Markgraf Giovanni von Montferrat — , ver-
bündeten sich auf's Keue gegen ihre gemeinsamen Feinde, die
Visconti. Diese letzteren, von so vielen Gegnern bedrängt
und überdies durch das Gerücht erschreckt, dass der König
von Ungarn sich zu einem Zuge nach Italien rüste, wollten
zum Mindesten ihre Bedrängniss nicht noch dadurch steigern,
dass etwa auch der Kaiser dem Bunde ihrer Feinde sich zu-
geselle. Dass dieses aber geschehen werde, hatten sie allen
Grund zu befürchten, wenn sie sich erinnerten, wie schimpf-
lich dem aus Rom zurückkelirenden Kaiser von ihnen begegnet
worden war. Hatten sie ihm doch damals den Einzug in ihre
Städte verweigert oder nur unter demüthigenden Bedingungen
zugestanden!
Um also, wenn es möglich sei, den Zorn des schwer-
gekränkten Lehnsherrn zu besänftigen, beschlossen die Tyrannen,
Petrarca an Karls Hoflager nach Prag zu senden. Gerade für
diese Mission, bei welcher es weniger auf diplomatische Ge-
wandtheit und Geschäftskenntniss, als auf Beredtsamkeit und
I
Petrarca in Mailand. 333
gewinnende persönliche Eigenschaften ankam, konnte der
Dichter als eine sehr geeignete Persönlichkeit erscheinen, zumal
er bereits in so vertraulichen Beziehungen zu Karl gestanden
hatte. Seufzend, seinem behaglichen Stillleben entrissen zu wer-
den, wenn auch gewiss gleichzeitig des ehrenden Auftrages sich
freuend, trat Petrarca am 20. Mai 1356 die weite Reise an ^).
Sein Begleiter auf derselben war in Folge irgend eines zu-
fälligen Zusammentreffens ein gewisser Sacramore di Pommiers,
ein Mann, der die beschwerlichen Functionen eines Cabinets-
couriers versah und zuw^eilen siebenmal in einem Jahre zwischen
Böhmen und Italien hin- und herreiste ^). Petrarca hatte ihn
bereits im December 1354 kennen gelernt — denn er war
der Bote gewesen, welcher dem Dichter die kaiserliche Ein-
ladung nach Mantua überbrachte, — und er befreundete sich
späterhin innig mit ihm, empfahl ihn auch angelegentlich dem
Kaiser und dessen Käthen ^j. Wir dürfen demnach wol ver-
muthen, dass Sacramore trotz seines anscheinend unter-
geordneten Amtes ein Mann von Geist und Bildung war.
Sein fernerer Lebenslauf war übrigens seltsam genug: der
reisegewandte Courier wurde im Jahre 1367 oder 1368 durch
plötzliche EntSchliessung ein frommer Carthäusermönch , ein
Lebens Wechsel, der ihm Petrarca's Zuneigung in noch höherem
Grade gewann^).
Die Reisenden nahmen ihren Weg nach Basel, denn hier
hoffte Petrarca mit dem Kaiser, der dorthin zu kommen be-
ahsichtigt hatte, zusammentreffen zu können. Als diese Hoff-
nung, obgleich er einen ganzen Monat wartete, sich nicht er-
füllte, musste er sich zur Weiterreise nach Prag entschliessen.
Er verliess also gegen Ende Juni Basel (welche Stadt einige
Tage nach seiner Abreise wie das ganze Rheinland von einem
J) Ep. Fam. XIX 13. Der Brief ist am 19. Mai unter dem Lärmen
des Kofferpackens („inter tumultum sarcinulas stringentium") geschrieben.
■-) Ep. Fam. XXI 7. Sen. X 1.
••) Ep. Fam. XXI 5. 6. 7.
*) Ep. Sen. X 1.
334 Sechstes Capitel.
furchtbaren Erdbeben verheert wurde, ^) und begab sich nach
Prag, wo er vermuthlich in den ersten Tagen des Juli ein-
traf und von dem Kaiser sehr ehrenvoll empfangen wurde.
Leider fehlt uns alle nähere Kunde über Petrarca's Aufenthalt
in Deutschland und insbesondere in der Hauptstadt Böhmens,
nicht minder auch müssen wir uns zu wissen bescheiden,
w^elchen Eindruck die fremdartige Natur des Nordens auf des
Dichters Gemüth machte. Ein allzu angenehmer kann es
indessen nicht gewesen sein, denn Petrarca bekennt wieder-
holt, dass er erst in Deutschland die wunderbare Schönheit
seiner italienischen Heimath recht erkennen und würdigen ge-
lernt habe ^). Sehr beklagenswerth ist es, dass der Dichter
seine Absicht, eine ausführliche Beschreibung seiner Reise in
einer besonderen Schrift zu geben ^) , nicht zur Ausführung
gebracht hat. Wie interessant und werthvoll würde eine
solche Schrift für uns geworden sein ! Vermag man doch schon
aus dem „Itinerarium Syriacum", obwol dies nur eine tingirte
Reise erzählt, zu erkennen, welch' ein gewandter Reisebeschreiber
Petrarca ist und wie geschickt er aus der Fülle des Stoifes
das Wesentliche und allgemein Interessante herauszuheben
weiss.
In Prag machte Petrarca die Bekanntschaft mehrerer am
kaiserlichen Hofe weilender hochgebildeter Kirchenfürsten, des
Erzbischofs Ernst von Prag, des Bischofs Johann Ocko von
Olmütz und des Canzlers Johann von Neum.arkt, welcher da-
mals Bischof von Leitmeritz war'^). Nicht ohne Staunen
mochte der italienische Humanist bemerken, wie es auch in
dem sonst von ihm so verachteten barbarischen Norden ge-
lehrte und fein gebildete Männer gebe, wie man auch dort
^) Ep. San. X 2.
2) Ep. Fam. XIX 14 u. 15.
=>) Ep. Fam. XIX 14.
*) Mit allen diesen Männern unterhielt Petrarca später einen Brief-
wechsel, der indessen wenig inhaltsvoll war und nur dadurch für die Nach-
welt Interesse besitzt, dass er zeigt, was schon die ersten Humanisten in
gegenseitiger Lobesberäucherung zu leisten vermochten. Näheres sehe man
b. Friedjung, a. a. 0. p. 311 ff. und bei Mehus, a. a. 0. p. 221—224.
Petrarca iu Mailand. 335
die classischen Studien bereits zu pflegen und zu fördeni be-
ginne, aber er ahnte wol nicht, dass Deutschland einst Italien
ebenbürtig, ja überlegen werden würde in humanistischer
Bildung.
Wenn Petrarca mit der Aufnahme, welche er persönlich
bei dem Kaiser und dessen Käthen fand, vollauf zufrieden sein
konnte, so hatte er weit weniger Ursache, sich des Erfolges
seiner politischen Mission zu freuen. Das freilich mochte der
Kaiser dem Abgesandten der Visconti versichern, dass weder
von ihm noch von dem Könige Ungarns ein Zug nach Italien
beabsichtigt werde, aber es war solche Versicherung werth-
los, da sie indirect gebrochen wurde. Der Kaiser überschritt
allerdings die Alpen nicht, aber sein Vicar in Toscana, der
Bischof Marquard von Augsburg, ergriff offen Partei gegen die
Visconti, agitirte auf das Lebhafteste gegen sie und wagte es
sogar, sie wie gemeine Verbrecher vor seinen Kichterstuhl
zu laden. Die mailändischen Tyrannen beantworteten des
Vicars Aufforderung mit einem in maasslos erbitterten Aus-
drücken abgefassten Pamphlete ^), doch gaben sie sich, um den
offenen Bruch mit dem Kaiser zu meiden, den Anschein, als
glaubten sie, dass Marquard ohne Auftrag seines Herrn ge-
handelt habe.
Nach einem Aufenthalte von etwa eines Monats Dauer
reiste Petrarca wieder von Prag ab. Jedenfalls that er es
in nicht eben gehobener Stimmung, denn es konnte ihm un-
möglich entgehen, dass seine Sendung im Grunde eine erfolg-
lose gewesen sei, und ebenso hatte er nun wol endgültig einsehen
müssen, dass Karl IV. nimmermehr für eine ideale Politik sich
werde gewinnen lassen. Die Reise hat ihm also nur Ent-
täuschungen und Beschwerden gebracht, für welche ihm die
^) Man hat die Verfasserschaft dieser Schmähschrift (= Ep. Var. 59)
Petrarca beilegen wollen und noch Hortis a. a. 0. p. 163 neigt sich dieser
Ansicht zu, indessen ist es schwer glaublich, dass Petrarca fast unmittelbar
nach seiner Rückkehr vom kaiserlichen Hofe — das Pamphlet ist vom
9. Oct. 1356 datirt — einen kaiserlichen Statthalter in so rücksichtsloser
Weise angegriffen haben sollte. Vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 464 ff.
336 Sechstes Capitel.
empfangenen reichen Ehrenbezeugungen doch nur unvollkommen
entschädigen konnten. Er hätte wohl Grund gehabt, dem
Kaiser zu grollen, der ihm seine schönsten Hoffnungen zerstört
hatte. Und dem Fürsten Karl grollte er auch in der That,
mit dem Menschen Karl jedoch fuhr er fort, die freundschaft-
lichsten Beziehungen zu untei-halten. Es besassen Karl und
Petrarca trotz ihrer grundverschiedenen Denkungsart doch zu
viele geistige Berührungspunkte, als dass sie, nachdem sie sich
einmal genähert, wieder einander hätten entfremden können.
Beide hatten das Bewusstsein, ausserhalb der Gedankenkreise
ihrer Zeit auf einsamer Höhe zu stehen, einem erst werdenden
Zeitalter anzugehören und folglich auf einander angewiesen
zu sein. So blieb ihr persönliches Verhältniss zu einander
das beste und nahm selbst einen vertraulichen Charakter an.
Petrarca wurde fast wie ein Mitglied der kaiserlichen Familie
betrachtet und von den dieselbe betreffenden Ereignissen direct
benachrichtigt. Auch an äusseren Gunstbezeugungen Hess
es der Kaiser nicht fehlen : er verlieh dem Dichter die Würde
eines Pfalzgi-afen ^) , machte ihm kostbare Geschenke ^) und
lud ihn zum bleibenden Aufenthalte an seinem Hofe wieder-
holt und dringend ein 3). Petrarca, welcher sich in seiner
Eitelkeit durch diese Gunstbeweise überaus geschmeichelt
fühlte, dankte dem kaiserlichen Gönner in stylvollen Briefen •*),
in denen er es natürlich nicht an Weihrauchspenden fehlen
Hess. Er hatte selbst Augenblicke, wo er den alten Illusionen
sich wieder hingab und Karl'n aufs Neue für seine politischen
Ideale zu begeistern suchte =j, doch merkt man es den be-
treffenden Briefen an, dass ihr Verfasser nicht mehr mit der
früheren freudigen Zuversicht erfüllt ist und selbst nicht mehr
ernstlich an die Möglichkeit einer Erneuerung der römischen
Herrlichkeit glaubt.
*) Ep. Farn. XXI 2.
2) Ep^ Fam. XXIII 8.
"j Ep. Fam. XXIII 2. 8. 9.
*) Briefe Petrarca's an Karl IV. (ausser den bereits früher citirten) XXI
7. XXIII 2. 3. 8. 9. 15. 21. Sen. XVI 5.
^) Ep. Fam. XXI il 2 u. 15.
Petrarca in Mailand. 337
So erfüllte sich denn in dem Freundschaftsbunde Karls IV.
mit Petrarca der schöne Spruch, dass der Sänger mit dem
Fürsten gehen solle, und es ward dadurch der Welt bekundet,
dass eine neue Zeit begonnen habe. —
Am 20. September konnte Petrarca seinem Freunde
Francesco Nelli die glücklich erfolgte Rückkehr nach Mailand
melden ^).
Traurige Zeiten hatten für den mailändischen Staat be-
gonnen. Seit dem Frühjahre war der Krieg zwischen den
Visconti und der lombardischen Liga in voller Wuth ent-
brannt, und nur mit grosser Mühe vermochten die ersteren
sich der Angriffe ihrer zahlreichen und kriegsgewandten
Gegner zu erwehren. Zuchtlose deutsche Söldnerbanden, von
einem Abenteuerer, dem Grafen Conrad Wirtinger von Landau 2),
befehligt und im Dienste der Verbündeten stehend, verheerten
weite Strecken des mailändischen Gebietes mit Mord und
Brand. Wichtige Städte wurden den Visconti entrissen und
auch Genua, das erst unlängst freiwillig sich ihnen unter-
worfen hatte, gewann sich neu erstarkt seine Freiheit zurück.
Das Seltsamste aber begab sich zu Pavia. Hier rief
ein junger Augustinermönch Jacopo Bussolari, ein Mann von
seltener Begabung und erfüllt mit Begeistemng für demokra-
tische Ideen, das Volk erfolgreich zur Freiheit auf und ver-
theidigte, von dem Markgrafen von Montferrat unterstützt,
eben so muthvoll als gewandt die Stadt gegen das mailändische
Belagerungsheer, über welches er am 27. Mai 1356 einen
vollständigen Sieg davontrugt).
An diesen Demagogen richtete Petrarca am 25. März
1357 im Auftrage Galeazzo's Visconti ein langes Schreiben*),
in welchem er ihn aufforderte, der angemassten Herrschaft zu
entsagen und, wie es seinem geistlichen Stande gezieme, zur
1) Ep. Fam. XIX 14.
■^) Es ist derselbe, mit welchem verwandt zu sein, der Verfasser des
„Giovanni Boccaccio" p. 19 Aum. „bescheiden ablehnt".
") vgl. Leo, a. a. 0. p. 304 flf.
•*) Ep. Fara. XIX 18.
Körting, Petrarca. 22
338 Sechstes Capitel.
Wiederherstellung des Friedens mitzuwirken. Selbstverständ-
lich hatte der wunderliche Brief nicht den geringsten Erfolg.
Der muthige Mönch fuhr fort, die Freiheit Pavia's zu ver-
theidigen, bis er endlich im November 1359, durch die Ueber-
macht der Visconti bedrängt, die Stadt an Galeazzo übergeben
und, da er für seine persönliche Sicherheit zu sorgen verab-
säumt hatte, sein kühnes Unternehmen mit lebenslänglicher
Klosterhaft büssen musste. Der hochbegabte Mann wäre eines
besseren Looses würdig gewesen. Bezeichnend aber ist es für
Petrarca's Charakter und Denkungsart, dass er, der einst fiir
einen Cola di Eienzo sich begeistert hatte, für einen Bussolari
nicht ein Wort der Anerkennung besass und ihn im Auftrage
eines Tyrannen wie einen gemeinen Verbrecher verunglimpfte.
Man erkennt hieraus recht deutlich, wie für den Begründer
des Humanismus die Freiheit des Volkes ein inhaltsleerer Be-
griff war, wie wenig er in politischer Beziehung den Geist des
römischen Alterthums erfasst hatte. Des Humanismus politi-
sches Ideal war eben das römische Kaiserreich, nicht die
römische Republik. In Cola di Rienzo erblickte und feierte
Petrarca nur den Befreier Roms von der Fremdherrschaft
der eingewanderten Barone und den Wiederhersteller der Un-
abhängigkeit Roms von ausländischer Beeinflussung, nicht aber
den Befreier des Volkes vom Drucke tyrannischer Gewalt. Ein
Fürst, der sich als Römer fühlte, sollte seinem Wunsche nach
über Rom, über Italien, über den Erdkreis heiTSchen — das
war ihm genug, wie gegen eines solchen Fürsten etwaiges
despotisches Regiment die Freiheit des Volkes zu schützen sei,
das kümmerte ihn nicht. — Noch einmal wurde Petrarca durch
die Ereignisse des Krieges zu einer politischen Thätigkeit,
wenn auch anderer Art, veranlasst.
Im Juni 1358 war Galeazzo wieder in den Besitz der
Stadt Novara gelangt, welche ihm von dem Markgrafen von
Montferrat entrissen worden war. Mit grossem Gepränge zog
er in die Stadt ein ^) und wünschend, die Bewohner derselben
^) vgl. A. Hortis, a. a. 0. p. 165 f.
Petrarca in Mailand. 339
für sieh zu gewinnen, beauftragte er Petrarca, durch eine Rede
die Bürger zum Gehorsam gegen den früheren und nun wieder
in seine Rechte eintretenden Herren zu ermahnen, Petrarca
kam diesem Auftrage nach und hielt am 19. Juni vor dem
versammelten Volke eine Rede^), welcher er das Psalmen-
wort: „es wird dies mein Volk sich bekehren" ='), als Text zu
Grunde legte und deren Inhalt im Folgenden kurz skizziii;
werden soll.
In Rücksicht auf die Gegenwart des Herrschers — so
begann der Redner — und auf die schon vorgerückte Stunde sowie
in Erwägung dessen, dass er nur ein schlechter Redner sei,
wolle er nach Anrufung des heiligen Geistes, ohne welchen
ja Nichts gethan noch gedacht werden könne, in aller Kürze
einiges Wenige sagen, welches dem Herrn Jesus Christus zum
Ruhme, dem weltlichen hier anwesenden Fürsten zur Ehre
und dieser kriegsmüden Stadt zum Frieden und zur Ruhe
gereichen solle. Die "Worte : „es wird dies mein Volk sich be-
kehren", welche einst David in Bezug auf das Volk Israel
gesprochen habe und welche jetzt Galeazzo in Bezug auf sein
Volk von Novara anwenden könne, lassen sich in zwei Theile
gliedern: 1) „es wird sich bekehren" — Worte, welche eine
lobenswerthe Handlung der Besserung, 2) „dies mein Volk" —
Worte, welche eine huldvolle Besitznahme bezeichneten. Das
Beste sei allerdings, nie zu sündigen und zu straucheln, doch,
da dies ja den Menschen unmöglich sei, so sei es wenigstens
lobenswerth, nach begangenen Fehltritten auf den rechten
Weg zurückzukommen und sieh zu bekehren.
') b. Hortis, a. a. 0. p. 341 — 358. In der Handschrift wird angegeben,
dass die Rede am 19. Juni 1356 gehalten worden sei, welche Jahresangabe
offenbar irrig ist, vgl. Hortis p. 166, Anm. 3. — Die Aechtheit der Rede
dürfte sich nicht anzweifeln lassen. Befremdlich kann es allerdings schei-
nen, dass Petrarca in seinen Briefen ihrer nirgends erwähnt, doch erklärt
sich dies daraus, dass er seine Servilität gegen die Visconti möglichst zu
verbergen sich bestrebte.
2) Ps. 72 V. 10 (nach Zählung der Vulgata, b. Luther 73, 10). P.
riss übrigens diese Worte ganz aus ihrem Zusammenhange und legte ihnen
einen Sinn unter, den sie an der betreffenden Stelle gar nicht besitzen.
22*
340 Sechstes Capitel.
Huldvoll sei auch die Besitzergreifung", welche der Herr
von Mailand jetzt vollziehe, indem er, der doch über so viele
Völker gebiete, gerade zu den Novaresen sage: „dieses mein
Volk." Wenn man überdies diese gnädigen Worte genauer
betrachte, so werde man finden, dass ein jedes einzelne ein
Unterpfand der Ehre und Liebe in sich schliesse.
1) „Volk": was bedeute dieses Wort? bedeute es jede Ver-
einigung der Menschen (coetus hominum)? Dann wären die
Seeräubervereinigungen und die bewaffneten Sklavenbanden der
Römerzeit auch Völker gewesen, dann müssten auch die Söldner-
schaaren, welche neuerdings, die Zwietracht der Italiener be-
nutzend, Italien verwüsteten und die „grosse Compagnien" ge-
nannt wurden, ein Volk sein. Ein Volk sei nur eine durch die
Bande des Rechts und der Gerechtigkeit zusammengehaltene Ge-
meinschaft : so hätten Cicero im dritten Buche seiner Schrift vom
Staate und der heilige Augustin im zweiten Buche vom Gottes-
staate den Begriff definiit und damit sei Cicero's Ausspruch im
Traume des Scipio zu vergleichen : „Nichts ist jenem obersten
Gotte, welcher diese gemeinsame Welt regiert, auf Erden an-
genehmer, als Rathsversammlungen und durch das Recht ver- ^
bundene Vereinigungen der Menschen". Daher sei die Anrede
„Volk" eine ehrenvolle.
2) Das Wort „mein" zeige einen Besitz an, denn es sei ein
Possessivpronomen. Mit vollem Rechte brauche es Galeazzo
in Bezug auf die Novaresen, wie diese selbst es besser wissen
müssten, als er, der Redner, denn er sei erst später in diesen
Staat eingewandert, während sie die betreffenden Ereignisse selbst
durchlebt oder doch von Augenzeugen erfahren hätten. Es
habe über Novara zuerst mit Recht und Gerechtigkeit Matteo
Visconti, sodann dessen Sohn Galeazzo (des anwesenden
Galeazzo Oheim) und dann wieder dessen Sohn Azzo (des an-
wesenden Galeazzo Cousin) geherrscht. Der Erzbischof Gio-
vanni Visconti aber, der späterhin die Herrschaft übernommen,
habe die Stadt geliebt und mit Wohlthaten überhäuft. Diesen
Vorgängern nun folge der hier anwesende Galeazzo nach, der
die Novaresen nicht minder liebe und, so lange sie seiner
Petrai'ca in Mailand. 341
Liebe sich würdig zeigen würden, immer lieben werde. In
dem „mein" sei aber zugleich auch eine freundschaftliche An-
eignung mit ausgedrückt.
3) „Dies." Das Wort sei ein Demonstrativpronomen. Die
Zuhörer möchten sich einmal einen Mann vorstellen, der zwar
viele Verwandte und Freunde, aber nur einen einzigen Sohn
besitze und von diesem letzteren sage „dies' ist mein Sohn",
so sei es unzweifelhaft, dass mit dem „dies" ein Vorzug an-
gedeutet werden solle. So habe auch Gott von seinem Sohne
bei dessen Taufe und ebenso bei dessen Verklärung gesprochen.
Auch sie, die Zuhörer, selbst gehörten Gott an und besässen
die Möglichkeit, Gottes Söhne zu werden i). Nicht minder
bediene sich Virgil des Pronomens „dieser" zur besonderen,
ehrenden Hervorhebung, wie durch die Verse 791 und 857 des
sechsten Buches der Aeneis bewiesen werde. Auch Terenz
verfahre in gleicher Weise.
Nun gelte es, die Worte „es wird sich dies mein Volk
bekehren" in ihrer Gesammtbedeutung zu besprechen. Sehr
Vieles lasse sich darüber sagen, doch er wolle sich, weil ihn
der Herr darum ersucht habe, in seiner Rede möglichst kurz
fassen.
Kein Mensch sei frei von Sünde, nur der eine sei es ge-
wesen, der Mensch und Gott zugleich war. Daher sei die
gegentheilige Meinung der Brahmanenphilosophen des Morgen-
landes, welche Ambrosius im dritten Buche 2) überliefere,
falsch und widerstreite dem Ausspruche des Apostels: „wenn
wir sagen, dass wir ohne Sünde sind, so betrügen wir uns
selbst und die Wahrheit ist nicht in uns", womit auch ein
heidnischer Dichter übereinstimme, wenn er sage:
„Keiner der Menschen ist frei von den Lastern, der beste ist jener,
welcher die kleinsten besitzt."
^) Es folgt hier im Text ein Schwall von biblischen Citaten: Ev. Joh.
1, 12. Galat. 3, 26. Rom. 7, 14. Ephes. 1, 5. Matth. 3, 17 u. 17, 5.
Marc. 9, 10.
^) Eine nähere Bezeichnung des Werkes wird nicht gegeben.
342 Sechstes Capitel.
Aber nicht bloss geboren, sondern auch selbst schon em-
pfangen werde der Mensch in Sünden, wie es im Psalm
heisse: „Sieh! im Unrecht ward ich erzeugt und in Sünden
hat mich meine Mutter empfangen." Wenn wir daher im ge-
wöhnlichen Leben Jemand einen „guten", einen Anderen einen
„besseren" und einen Dritten einen „sehr guten Mann" nennen,
so beziehe sich dies nur auf die relativ grössere oder geringere
Freiheit von Sünde, wie auch Cicero in dem Buche über die
Freundschaft sage: „wir müssen das berücksichtigen, was im
gewöhnlichen Leben wirklich vorkommt, nicht aber das, was
nur vorgestellt oder gewünscht wird." — Das Bewusstsein der
eigenen Sündhaftigkeit aber müsse uns veranlassen, über die
Sünden Anderer mild zu urtheilen und Nachsieht gegen sie zu
üben, jedoch erst dann, wenn der Sünde die Reue, dem Hochmuthe
die Demuth und der "Widersetzlichkeit die Unterwerfung nach-
gefolgt sei, wie ja auch Virgil die Unterworfenen zu schonen
und die Uebermüthigen zu entwaffnen gebiete. Unter dieser
Voraussetzung werde auch Galeazzo Visconti, obwol er von
den Bürgern Novara's schwer beleidigt worden sei, dennoch
ihnen verzeihen und ihnen seine Gnade wieder schenken. AVenn
er das letztere thue, so thue er noch mehr als nur verzeihen,
denn es begründe einen Unterschied, ob Jemand einen Anderen,
ohne früher zu ihm in einem näheren Verhältnisse gestanden
zu haben, Beleidigungen zufüge, oder ob er sich dessen
gegen einen früheren Herrn und Wohlthäter schuldig gemacht
habe. So sage Seneca (Ep. 81): „demjenigen, welchem man,
bevor man sich Verdienste um ihn erworben hatte, verzeihen
musste , wird , wenn er eine empfangene Wohlthat mit Be-
leidigung vergalt, mehr als Verzeihung erwiesen." Der hoch-
herzige Fürst jedoch werde auch diesen Ruhm sich nicht ent-
reissen lassen. Die alten Philosophen freilich hätten darüber
gestritten, ob das Mitleid (misericordia) eine Tugend sei. So
sage Cicero (Tusc. IV 8): „das Mitleid ist ein (geistiges) Un-
behagen, welches durch den Anblick eines unschuldig
Leidenden erzeugt wird", und Seneca behaupte sogar, (de
Clement. II 4): „das Mitleid ist eine Krankheit des Ge-
Petrarca in Mailand. 343
müthes". Auch Aristoteles zähle das Mitleid zu den Leiden-
schaften (passiones). Der katholische Glaube jedoch könne
hierüber nicht zweifelhaft sein und betrachte das Mitleid (oder
die Barmherzigkeit) nicht bloss als eine menschliche, sondern
auch als eine göttliche Tugend, wie durch viele Bibelstellen
bezeugt werde. Uebrigens stelle auch Cicero trotz seiner
oben angegebenen Definition doch das Mitleid sehr hoch, wie
aus mehreren Stellen seiner Reden (pro Lig. 12, 37 f. und
pro Mareen. 3, 8) hervorgehe, und er halte den, der es aus-
übe, für gottähnlich. Hiermit stimme auch Augustin überein,
der im neunten Buche des Gottesstaates sage: ,,das Mitleid
ist nicht nur eine Tugend, sondern auch eine wunderbare und
entzückende Tugend". Diese Tugend nun würde auch Galeazzo
üben, wenn er nicht eine noch grössere zu üben sich vor-
genommen hätte: er wolle nämlich die ihm angethanen Be-
leidigungen vergessen, also das Beispiel Cäsars nachahmen
(vgl. Cic. pro Lig. 12, 34) und, wie es scheine, nach den
Worten des Psalmes (Vulg. 24, 6 f.) handeln: „Gedenke, Herr, an
Deine Barmherzigkeit und an Deine Gnade, die von der Welt
her gewesen ist. Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend
und meiner Uebertretung". Er handele also ebenso, wie einst
Scipio Africanus in Spanien gegen das meuterische Heer ge-
than (vgl. Liv. VIII 29). Aber Galeazzo thue sogar noch
mehr; er wolle es gar nicht anerkennen, dass er von den
Novaresen beleidigt worden sei, sondern vertheidige und ent-
schuldige vielmehr ihre Handlungsweise. Der Aufstand der
Stadt sei seiner Meinung nach durch das ungeschickte Vor-
gehen und die Verblendung der mailändischen Beamten her-
vorgerufen worden, es sei geschehen, was Jeremias verkündet
habe (50, 6): „mein Volk ist wie eine verlorene Heerde; ihre
Hirten haben sie veiführet und auf den Bergen in der Irre
gehen lassen", und nicht minder hätten Verleumdungen dazu
beigetragen, das Volk seinem alten Herrn zu entfremden und
einem anderen zuzuführen, der durch Furcht Gehorsam er-
zwungen habe. Jetzt erkenne er deutlich an dem ganzen
Betragen und Benehmen der Bürger, dass sie ihm im Herzen
344 Sechstes Capitel.
doch immer die Treue bewahrt hätten und nun zu ihm, dem
alten Hen-n, mit eben solchem vollen Vertrauen zurück-
kehrten, wie es einst den Römern von den Faliskern bewiesen
worden sei (vgl. Liv. V 27). Denn freudig umständen die Bürger
der Stadt ihren ihnen wiedergegebenen Herrn und könnten
sich an seinem Anblicke kaum sättigen. Daher wolle nun
er — der Redner — , die von dem Virgilcommentator Servius
gegebene Regel: „wenn etwas Grosses versprochen wird, muss
man mit dem Wichtigsten beginnen" umkehrend, seine An-
sprache mit dem "Wichtigsten schliessen, was sich in den Vers
Virgil's (Aen. I 562) zusammenfassen lasse:
„Löst von der Furcht nun die Herzen, o Teuerer, ver-
scheuchet die Sorgen!"
Das gesammte Volk aber möge mit Tobias (3, 14) sprechen:
„Zu Dir, mein Herr, kehre ich mein Angesicht, zu Dir hebe
ich meine Augen auf", worauf er mit den Worten des Deutero-
nomiums (26, 18) antworte: „der HeiT hat Dich heute er-
wählt, dass Du sein eigenes Volk sein sollst". So bitte er
denn Gott, dass er den HeiTseher und die Bürger der Stadt mit
seiner Weisheit erleuchten möge: das gewähre Christus in
Gnaden! —
Es ist diese Rede, wie wol auch die gegebene Skizze
gezeigt hat, in mehrfacher Beziehung hoch interessant. Sie
zeigt uns in vollem Maasse jene seltsame, fast bizarre Mischung
humanistischer und theologischer Elemente, welche für Pe-
trarca's lateinische Werke, namentlich für die seinem späteren
Alter angehörenden, so charakteristisch ist und welche uns so
deutlich vergegenwärtigt, wie schwer, ja wie unmöglich es dem
BegTünder des Humanismus war, sich aus den Fesseln der
scholastisch - theologischen Anschauungen des Mittelalters zu
lösen. Sie zeigt uns ferner, wie ausserordentlich belesen der
Dichter sowol in der classischen Litteratur des Alterthums als
auch in der Bibel und in den kirchlichen Autoren war und
wie er von überallher Citate für seine Zwecke aufzuhäufen
verstand. Sie zeigt uns endlich auch — und das ist ihre sehr
Peü'arca in Mailand. 345
wenig erfreuliche Seite — , welcher mehr als byzantinischen
Schmeichelei auch schon der erst entstehende Humanismus
fähig war, und wie er die Enieuerung der widerlichen Fürsten-
apotheose der römischen Kaiserzeit anstrebte.
Welchen Eindruck die Rede auf die Gemüther der an-
geblich so reuigen Sünder von Novara machte, wird uns nicht
tiberliefert. Irren wird man indessen schwerlich, wenn man
annimmt, dass die Novaresen von den schönen Citaten und
Phrasen, welche der Hofrhetor von Mailand ihnen vertrag,
wenig gerährt wurden und sich nicht sonderlich für den edeln
Tyrannen Galeazzo zu begeistern vermochten. —
Abgesehen von den beiden im Vorhergehenden erzählten
Ereignissen, wurde Petrarca während der Kriegsjahre 1357 und
1358 von den Visconti nicht für irgend welche politische Thätig-
keit in Ansprach genommen und ebensowenig dürfte dies im Jahre
1359 der Fall gewesen sein. Es war ihm vielmehr vergönnt,
ruhig in Mailand seinen geliebten Studien leben und, wie es
seiner Keigung entsprach, litterarisch thätig sein zu können ^).
Mehrere seiner bedeutendsten Werke sind gerade während
dieser Zeit verfasst oder doch begonnen worden. In der
Sommerszeit flüchtete er aus der heissen und staubigen Stadt
in die ländliche Einsamkeit des nah gelegenen Garignano^),
wo er in der Nähe der von Giovanni Visconti neu gegründeten
Carthause eine Villa bewohnte, welche er sein Linternum zu
nennen pflegte ^j. Zuweilen unternahm er wol auch kleinere
Reisen nach Padua und Venedig^); grösseren Genuss aber
noch als diese mochte ihm ein Ausflug nach Bergamo ge-
währen, zu welchem er sich durch einen eigenthümlichen
Umstand bestimmen Hess.
In Bergamo lebte ein Goldschmied Namens Enrico Capra.
Dieser schon in höheren Jahren stehende Mann hegte eine solche
'-) Ep. Farn. XIX 16.
*) lieber die Lage von Garignano u. Linterno vgl. Romussi, a. a. 0.
p. 64 ff.
•'') Ep. Var. 46.
*) vgl. RomuKsi, a. a. 0. p. 76 f.
346 Sechstes Capitel.
Begeisteiiing für Petrarca, dass er kein Mittel unversucht liess,
um die persönliche Bekanntschaft des Gefeierten zu machen.
Endlich gelang ihm dies und er hatte die hohe Genugthuung,
vo^n Petrarca in freundlichster Weise aufgenommen zu werden.
Nun aber wurde seine Schwärmerei erst recht gesteigert. Er
begann sich seines Handwerkes zu schämen und fasste, zumal
da es ihm an finanziellen Mitteln nicht fehlte, den Entschluss,
sich trotz seines vorgerückten Alters noch den wissenschaftlichen
Studien zu widmen. Er führte dies auch wirklich aus und, wie
es scheint, nicht ganz ohne Erfolg. Der sehnlichste Wunsch
seines Ehrgeizes aber war, dass es ihm vergönnt sein
möchte, den von ihm so hochverehrten Petrarca einmal als
seinen Gast in Bergamo selbst empfangen zu können. Er be-
*stürmte daher den Dichter mit dringenden Einladungen. Dieser
zögerte mehrere Jahre, denselben Folge zu leisten, endlich
aber konnte er sich dem nicht länger entziehen und begab
sich am 11. October (wahrscheinlich 1358) nach Bergamo. An
den Thoren der Stadt wurde er von den Behörden und Würden-
trägern der Commune feierlich empfangen und ersucht, sein
Absteigequartier in dem Stadtpalaste oder in der Wohnung
eines der vornehmsten Bürger nehmen zu wollen. Schon
zitterte der Goldschmied, dass ihm der berühmte Gast ent-
gehen könnte, Petrarca aber blieb ihm treu und stieg in seinem
Hause ab. Auch hatte er dies nicht zu bereuen, denn der
Goldschmied bewirthete ihn mit wahrhaft fürstlicher Pracht
und in der ehrenvollsten Weise. Ein König hätte nicht mit
grösserem Pompe aufgenommen werden können^).
Der kleine Vorfall zeigt uns, wie gross bereits damals
Petrarca's Popularität selbst in den unteren Schichten des
Volkes war und wie er sich dieselbe trotz seiner zur Schau
getragenen Verachtung der niederen Volksclassen doch gern
gefallen liess. Seine Eitelkeit fühlte sich eben durch jedwede
ihr erwiesene Huldigung geschmeichelt. —
Es konnte nicht fehlen, dass Petrarca in Mailand die
^) Ep. Farn. XXI 11.
Petrarca in Mailand. 347
Besuche zahlreicher Freunde und Verehrer empfing. Lag doch
Mailand an einer von Italien nach Frankreich führenden
Strasse und wurde folglich von vielen deijenigen passirt,
welche die Reise nach oder von der päpstlichen Residenz
Avignon zu Lande unternehmen wollten. So kam im April
1359 auch Boccaccio nach Mailand und verbrachte einige Tage
bei dem Freunde^), den er seit beinahe zehn Jahren nicht
gesehen hatte. Im folgenden Jahre empfing Petrarca sogar
den Besuch seines alten Gönners, des neapolitanischen Gross-
seneschalls Acciaiuoli, und wurde ganz entzückt von der Lie-
benswürdigkeit, mit welcher der hochgestellte Würdenträger
mit ihm verkehrte 2).
Indessen neben diesen erfreulichen Ereignissen fehlten, wie
immer im menschlichen Leben, auch die unerfreulichen nicht.
Ein Vorkommniss fi-eilich hatte bei aller Verdriesslichkeit doch
auch eine heitere Seite. Petrarca besass Cicero's Briefe in
einem stattlichen Bande. Dieses Buch fiel ihm von ungefähr
wiederholt von der Höhe des Büchergestelles auf den linken
Fuss und verletzte denselben. Da nun die kleine Wunde von
ihm, wie natürlich, nicht weiter beachtet ward, verschlimmei-te
sie sich und begann zu eitern. Der Dichter wurde gezwungen,
mehrere Tage liegend zu verbringen und die Hülfe der Aerzte
in Anspmch zu nehmen, behielt aber Humor genug, den
kleinen Unfall, den sein lieber Cicero ihm bereitet, in einem
Briefe ^) ausführlich und launig zu erzählen. Diesem kleinen
Unglück sollte bald ein grösseres nachfolgen. Im October 1359
oder 1360*) wurde Petrarca in einer Nacht von seinen eigenen
^) Ep. Fam. XX 7.
•-) Ep. Farn XXII 6.
"■) Ep. Fam. XXI 10.
*) Für das erstere Datum spricht Ep. Fam. XXI 14, wo Petrarca sagt,
dass, als er das Haus an der Ambro siuskir che verliess, er schon im sie-
benten Jahre dort gewohnt habe („mihi iam septimus annus agebatur").
das siebente Jahr begann aber im Sommer 1359; das Datum 1360 dagegen
wird daduixh wahrscheinlich gemacht, dass Petrarca den Diebstahl in einem
Briefe (Ep. Fam. XXII 12) erzählt, der am 26. October des Jahres 136C"
348 Sechstes Capitel.
Dienern arg bestohlen, das Haus wurde geradezu ausgeräumt
und ihm, wie er sich ausdrückt, nur sein Leben und seine
Bücher gelassen. Was ihn aber mehr als alles Andere dabei
sehmerzen musste, war, dass höchst wahrscheinlich sein Sohn
Giovanni mit den Uebelthätern gemeinsame Sache gemacht
und also den eigenen Vater geplündert hatte. Er sah sich
wenigstens damals genöthigt, den ungerathenen Sohn, der ihn
schon immer durch Unfleiss und Neigung zu Ausschweifungen
betrübt hatte, ganz aus seinem Hause zu Verstössen.
Es war nur erklärlich, wenn dem Dichter durch diesen
Vorfall die Wohnung an der Ambrosiuskirche, die ihm bis da-
hin so lieb gewesen war, verleidet wurde. Er gab sie daher
auf und nahm in dem ausserhalb der Stadt gelegenen Bene-
dictinerkloster des heiligen Simplicianus Quartier. Die neue
Wohnung, welche er am 3. November (1359 oder 1360) bezog,
bot ihm die Annehmlichkeit einer mehr ländlichen Umgebung
und den Vortheil, lästigen Besuchern durch ein Hinterpförtchen
entschlüpfen zu können. Freilich wurden damals die vor-
städtischen Bezirke durch umlierstreifende, unbotmässige Söld-
nerschaaren der Visconti und durch Banden von der „grossen
Compagnie" des Condottiere Landau arg beunruhigt, er Hess
sich aber dadurch an der Uebersiedelung nicht behindern, er
mochte darauf vertrauen, dass ihn sein Ruhm und der Gottes-
frieden des Klosters schützen würden, (vgl. Ep. Fam. XXI 14.)
Im Winter des Jahres 1360 musste Petrarca abermals in
Galeazzo's Auftrage eine beschwerliche Reise über die Alpen
unternehmen. Der Anlass zu derselben war folgender.
Der langwierige Kampf zwischen Frankreich und England
hatte vor Kurzem einen für das erstere Reich ebenso nach-
theiligen als unrühmlichen Abschluss gefunden. In der Schlacht
bei Maupertuis am 17. September 1356 war der französische
König Johann der Gute von dem schwarzen Prinzen nicht nur
völlig geschlagen worden, sondern auch selbst in die Gefangen-
geschrieben worden sein muss, und dessen Abfassung der Begebenheit
jedenfalls rasch nachfolgte.
Petrarca in Mailand. 349
Schaft der Engländer gefallen^). Erst durch den am 8. Mai
1360 zu Bretigny abgeschlossenen Frieden erlangte er unter
schweren Bedingungen die Freiheit wieder und konnte am
13. December desselben Jahres in seine Hauptstadt Paris ein-
ziehen.
Galeazzo Visconti hatte mit jener speculirenden Schlauheit,
welche für die italienischen Tyrannen der Renaissancezeit so
charakteristisch ist, aus dem Unglücke des französischen Herr-
schers Nutzen zu ziehen verstanden. Die drückendste der
demselben auferlegten Friedensbedingungen war die binnen sechs
Jahren zu leistende Zahlung eines Lösegeldes von drei Millionen
Goldgulden. Dem durch den Krieg und durch die inneren
AVirren der Jacquerie tief erschöpften Frankreich war die
Aufbringung dieser für die damalige Zeit ungeheueren Summe
unmöglich. Dem französischen Könige war es demnach hoch
willkommen, dass Galeazzo sich bereit erklärte, ihm 600,000
Gulden vorstrecken zu wollen, und er willigte, was er ohne seine
Nothlage gewiss nimmer gethan haben würde, in die mit diesem
Darlehen verbundene Bedingung, dass seine Tochter Isabella
sich mit Galeazzo's Sohne Gian Galeazzo vermählen sollte.
Die Prinzessin ward, geleitet von dem Herzoge Amadeus von
Savoyen, ohne Verzug nach Mailand gebracht und hier im
October 1860 die Vermählung mit grossem Pompe gefeiert,
obschon sowol die Braut als auch der Bräutigam das zum Voll-
zuge der Ehe erforderliche Alter bei Weitem noch nicht er-
reicht hatten.
So hatte sieh denn der Emporkömmling Galeazzo mit
einem der ältesten Herrscherhäuser Europa's verschwägert und
war dadurch förmlich in die Reihe der Fürsten eingetreten,
wenn er auch vorläufig noch des herzoglichen Titels, der erst
seinem Sohne beschieden sein sollte*, entbehren musste. Die
^) Galeazzo richtete in Anlass dessen sowol an den Dauphin als auch
an den mit dem Königshause verwandten Cardinal Guido von Boulogne
Beileidsclireiben (Ep. Var. 6 u. 63), welche vielleicht von Petrai'ca ver-
fasst worden sind, vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 222.
350 Sechstes Capitel.
französische Heirath knüpfte zuerst jene engen Beziehungen
zwischen Mailand und Frankreich, welche dann Jahrhunderte
hindurch fortbestehen, aber freilich weder dem einen noch dem
anderen Lande zum Segen gereichen sollten,
• Dem mailändischen Herrscher, der also in ein so nahes
verwandtschaftliches Verhältniss zu dem französischen Könige
eingetreten war, musste es als eine unabweisbare Pflicht der
Schicklichkeit erscheinen, den Schwiegervater seines Sohnes
zur Wiedererlangung der Freiheit beglückwünschen zu lassen,
und er beschloss demnach, eine Gesandtschaft nach Paris ab-
zuschicken. Zum Führer derselben erwählte er mit gutem
Bedachte Petrarca, denn schwerlich konnte für diese Mission,
bei welcher kein eigentlich politisches Ziel zu erreichen, son-
dern nur eine Aufgabe der Beredtsamkeit zu lösen war, eine
geeignetere Persönlichkeit gefunden werden. Ueberdies hatte
Johann der Gute, der sich für Wissenschaft und Litteratur
lebhaft interessirte und dessen Aufmerksamkeit vielleicht durch
französische Cardinäle auf Petrarca gelenkt worden war, be-
reits seit Jahren mit demselben freundliche Beziehungen unter-
halten und ihn sogar einmal schon, obwol erfolglos, nach Paris
eingeladen ^) ; es war demnach vorauszusetzen , dass er den
Dichter gern als seinen Gast begrüssen würde.
Petrarca trat demnach vermuthlich noch im December,
also in der ungünstigsten Jahreszeit, die weite und beschwer-
liche Reise nach Paris an, wo er etwa in den Weihnachtstagen
angekommen sein mag^). Unterwegs hatte er nur allzuviel
Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie schwer Frankreich noch
an den Folgen des Krieges zu leiden hatte und wie sehr der
einst so blühende Zustand des Landes, den er selbst auf seiner
vor nun siebenundzwanzig Jahren unternommenen ersten Reise
nach Paris hatte wahrnehmen können, jetzt in das traurige
Gegentheil verkehrt worden war 2).
^) Ep. Farn. XV 8.
-) Ueber Petrarca's Aufenthalt in Paris vgl. A. Hortis: Petrarca alla
Corte di,Francia in den Scritti inediti p. 187 — 219.
") Ep. Fam. XXIII 14.
Petrarca in Mailand. 351
Die Rede, welche er vor dem Könige zu halten beauf-
tragt war^), begann Petrarca, was recht bemerkenswerth ist,
damit, dass er sich entschuldigte, nicht in französischer Sprache
sprechen zu können, da er derselben nicht mächtig sei Gern
habe er desshalb das Amt des Sprechens einem Anderen über-
lassen wollen, doch sei dies nicht möglich gewesen, und so be-
finde er sich nun in der Nothwendigkeit , lateinisch reden zu
müssen. Es tröste ihn jedoch hierbei der Gedanke, dass er
von mehreren Freunden erfahren habe, wie der König seit
seiner Jugend die Wissenschaften geliebt und ganz besonders
auch mit dem Studium der lateinischen Sprache sich eifrig
beschäftigt habe, wenn auch freilich zu befürchten sei, dass die
Last der Geschäfte und Sorgen der Regierung diesen Eifer
habe erkalten lassen.
Nach diesem Eingange wandte sich der Redner dem be-
quem zu behandelnden Thema der Veränderlichkeit des Glückes
zu. Fortuna habe sich, sagte er, noch nie so gewaltig gezeigt,
als damals, wo sie des erhabensten und mächtigsten Königs
Geschick so unheilvoll wandte. Dies Unglück habe alle Treuen
und Guten schmerzlich berührt, am schmerzlichsten des Redners
erhabenen und dem französischen Könige treu ergebenen Herrn,
den Gebieter von Mailand; ganz Italien könne dies bezeugen,
denn verdüstert habe es Galeazzo's Antlitz geschaut, so lange des
Königs Missgeschick währte, und dann sofort erheitert, als
dieses schwand. Jetzt nun habe der erlauchte Fürst ihn, den
Redner, zu des Königs Majestät gesandt, um derselben die
aufrichtigsten Glückwünsche darzubringen und die volle Bereit-
willigkeit zu allen guten Diensten und jeder Hülfsleistung zu
erklären. Des Königs Tochter aber — dies füge er in
Galeazzo's Namen noch hinzu — könne sich nirgends wohler
befinden und ehrenvoller behandelt werden, als in Mailand,
^) Es ist diese Rede in einer Handschrift der kaiserlichen Bibliothek zu
Wien erhalten und sie ist von Barbeu du Rocher in den Mem. presentes
par divers savants ä l'Acad. des Inscr. etc. III p. 214 — 225 edirt worden
(vgl. Hortis p. 208 ff., wo ein Auszug gegeben wird).
352 Sechstes Capitel.
und habe es daher ihr Vater nicht zu bereuen, dass er sie
mit keinem mächtigeren Fürsten vermählt habe.
Am Schlüsse der Rede überreichte Petrarca im Auftrage
seines Herrn dem König zwei kostbare Ringe. Der eine der-
selben, einen Pyropus von hohem Werthe enthaltend, war
früher bereits Eigenthum des Königs gewesen, von diesem
aber in der Schlacht bei Maupertuis verloren und von Galeazzo
erworben worden ^) , der nun , die günstige Gelegenheit be-
nutzend, ihn dem ehemaligen Eigen thümer zuiilckschenkte.
Petrarca fand an dem französischen Hofe die wohl-
wollendeste und • ehrenvollste Aufnahme. Der König über-
schüttete ihn mit Beweisen der Huld und wollte ihn durchaus
zum Verbleiben in Paris bewegen, wie er denn auch noch, als
der Dichter bereits abgereist, ihn durch nachgesandte Boten
und Briefe zuräckzurufen und zum dauernden Aufenthalte, an
seinem Hofe zu bereden versuchte^). Nicht minder als der König
interessirte sich auch dessen Sohn, der hochgebildete Dauphin
Karl, für den Dichter.
König und Dauphin hatten gewünscht, von Petrarca
Näheres über seine Auffassung des Begriffes „Glück (fortuna)"
zu erfahren, da sie nicht glauben konnten, dass er denselben
wirklich in dem gewöhnlichen Sinne verstehe, wie er in seiner
Rede sich den Anschein gegeben hatte. Petrarca erkläi-te sich
bereit, an einem bestimmten Tage seine Ansicht in einem
Vortrage auseinanderzusetzen, ein Anerbieten, das mit Freuden
angenommen ward. Indessen fand sich in dem bewegten Hof-
leben nicht die erforderliche Mussestunde und der Dichter
reiste ab, ohne den Vortrag gehalten zu haben, konnte es sich
aber nicht versagen, einige Zeit nachher das Thema in einem
längeren Briefe an seinen alten Freund Pierre le Bercheur
von Poitiers ^) eingehend zu behandeln. Er legte dar. wie das
^) de remed. utr. fort. I dial. 37.
•2) Ep. Fam. XXIII 2.
^) Peti-arca hatte ihn bereits in Avignon kennen gelernt. Ep. Sen.
XVI 7.
Petrarca in Mailand. 353
„Glück" nichts Wesenhaftes, sondern nur ein inhaltsleeres
Wort sei, dessen man sich jedoch recht füglich in der
Sprache des alltäglichen Lebens im herkömmlichen Sinne be-
dienen dürfe ^).
Im Febniar 1361 trat Petrarca die Rückreise nach Mailand
an, welche er in kleinen Tagesrouten gemacht zu haben
scheint. Wenigstens hatte er auf dem Wege so viel Müsse,
dass er an Pierre von Poitiers eine lange Epistel sehreiben
konnte, in welcher er die Gründe auseinanderzusetzen sich
bestrebte, wesshalb das Kriegswesen bei den Alten zu so hoher
Blüthe gelangt, bei den modernen Italienern dagegen in so
tiefen Verfall gerathen sei. Es ist dieser Briefe), der an ein
Capitel der „Considerations" Montesquieu's erinnert, ein schönes
Denkmal sowol seiner eindringenden Geschichtsbetrachtung als
auch seiner patriotischen Gesinnung. —
Trübe Zeiten begannen für den Dichter, als er endlich
im März von der weiten Reise nach Mailand zurückgekehrt
war. Der unersättliche Ehrgeiz der Visconti hatte aufs Neue
die kaum erloschene Kriegsfackel entzündet, und die schönen
Fluren des oberen Italiens wurden abeiTtials mit Schwert und
Feuer verwüstet. Der Markgraf von Montferrat, der mai-
ländischen Tyrannen erbittertster und gefährlichster Gegner,
führte die durch den Frieden von Bretigny in Frankreich be-
schäftigungslos gewordenen Söldnercompagnien über die Alpen,
und diese wilden Banden, in langen Kämpfen gegen jedes
Gefühl der Menschlichkeit abgestumpft, brachten unsägliches
Elend über das Land, gegen welches sie entfesselt worden
waren 3). Zu den Leiden des Krieges gesellte sich eine noch
weit schlimmere Plage. Die entsetzliche Pest, welche seit dem
Schreckensjahr 1848 zwar noch nie ganz erloschen, aber doch
dem Erlösehen nahe gewesen war, erhob sich auf's Neue in ihrer
1) Ep. Fam. XXII 13.
-) Ep. Fam. XXII 14. Der Brief kam an Petrarca ziu-ück, da der
Adressat inzwischen verstorben war.
••) Ep. Fam. XXIII 1.
Körting, Petra ica. 23
354 Sechstes Capitel.
ganzen Furchtbarkeit, und gerade das bis dahin so ziemlich
von ihr verschont gebliebene Mailand war jetzt der Ort, wo
sie am gi-ässlichsten hauste. An 77,000 Menschen soll sie
nach eines Chronisten Berechnung im Laufe eines Jahres da-
hingerafft haben'), eine Angabe, welche, so übertrieben sie
auch sein mag, uns doch einen Schluss auf die verheerende
Gewalt der Seuche und zugleich auf die Dichtigkeit der Be-
völkerung Mailands gestattet. Auch Petrarca's Sohn Giovanni
fiel, kaum vierundzwanzig Jahre alt, in der Nacht vom 9. zum
10. Juli 1361 ^) der mörderischen Seuche zum Opfer. Wenig
Freude wahrlich hatte der Vater an ihm erlebt 3), und wenn
auch des Kindes Hinscheiden ihn natürlich mit Schmerz ei-
füllte, so mochte Petrarca doch sich durch dasselbe von einer
schweren Bürde und Sorge erlöst glauben. Er hatte es eben,
wie das ja gerade bei geistig bedeutenden Männeni leider so
häufig geschieht, durchaus nicht verstanden, des Sohnes Er-
ziehung zu leiten und dessen Entwickelung in heilsame Bahnen
zu lenken, er mochte sich dieses Fehlers auch bewusst genug sein
und die ihm auferlegte Verantwortlichkeit schwer empfinden.
So athmete er denn erleichtert auf, als des Sohnes Tod ihm
die drückende Gewissenslast abnahm *). Eigenthümlich genug
war es, dass Giovrnni gerade an demselben Tage starb, an
welchem ihm das Canonicat zu Verona, welches ihm früher
von den Scaligeri übertragen, dann aber nach einigen Jahren
wieder entzogen worden war, aufs Neue verliehen wuixle ^).
Bald hatte Petrarca auch einen anderen, schwereren Ver-
lust zu beklagen. Am 8. August erhielt er zuerst gerücht-
weise, dann aber bald die bestimmte Kunde, dass sein alter
Freund Sokrates in Avignon verstorben sei ^). Dieser Schlag
^) vgl. Leo, a. a. 0. p. 309.
^) Postille zum Virgil b. Fracassetti, Lett. fam. II p. 242, vgl. Ep.
Var. 35. Sen. I 2. 3.
''l Ep. Fam. XIII 2. XIX 17. XXII 7. XXIII 12.
*) „Deo gratias, qui me longo labore, sed non sine dolore liberant''
sagt er über seines Sohnes Tod. Ep. Var. 35.
'") Ep. Var. 35.
*) Postille zum Virgil b. Fracassetti, Lett fam. n p. 242 f.
Petrarca in Mailand. 355
traf ihn überaus schmerzlich und trug mehr als alles Andere
dazu bei, seine Stimmung zu verdüstern und das Bewusstsein
in ihm zu erwecken, dass auch er des Lebens Höhepunkt be-
reits überschritten habe und mit raschem Schritte dem Alter
und dem Grabe zueile \). Solchen trüben Gedanken hingegeben,
schloss er jetzt endgültig die Sammlung der „Freundesbriefe"
und begann „die Briefe des Alters", Die Drangsale der Zeit
hatten ihn vorzeitig zum Greis gemacht.
— - •
1) Ep. Sen. I 1. 2. 3.
23^
Siebentes Capitel.
Die Jahre des Alters^).
Jl etrarca weilte nicht mehr in Mailand, als ihm seines
Sohnes und seines Jugendfreundes Hinscheiden gemeldet wurde.
Er war bereits im Anfang des Juli 1361, um der von der Pest
drohenden Gefahr sich zu entziehen, nach Padua übergesiedelt,
denn so sehr er auch in der Theorie sich der Todesverachtung
rühmte und oftmals philosophisch auseinandersetzte, wie man
dem Tode nimmermehr entfliehen könne 2), so war er doch
praktisch sehr auf die Erhaltung seines irdischen Daseins be-
dacht und keineswegs gewillt, dasselbe unnöthigerweise zu ge-
fährden. Trotz aller seiner Klagen über des Lebens Beschwer-
lichkeiten und Leiden liebte er das Leben doch recht sehr
und wünschte dessen möglichste Verlängerung. —
Aber auch nach Padua drang die Pest und bedrohte den
Aufenthalt daselbst mit Gefahren. Petrarca war genöthigt,
einen anderen Zufluchtsort sich zu suchen. Er beschloss nach
Vaucluse zurückzukehren: dort, wo er seines Lebens glück-
lichste Jahre verbracht hatte, wollte er auch seine Tage be-
schliessen. Und der Hauptgrund, der ihn wol einst von dort
^) vgl. A. Malmignati, Petrarca a Padova, a Venezia e ad Arquä.
Padua 1874. Barozzi, Petrarca e Venezia, p. 281 — 294.
•^) z. B. Ep. Fam. XXII 12.
Die Jahre des Alters. 357
vertrieben hatte, war jetzt hinweggefallen. Papst Innocenz VI.
grollte ihm nicht mehr und hatte ihm sogar neuerdings zwei-
mal, im Jahre 1359 und 1361, das Amt eines päpstlichen
Secretairs angetragen^), freilich ohne dass Petrarca sich zur
Annahme desselben hätte bestimmen lassen, wie er denn auch
im folgenden Jahre, 1362, das zum dritten Male wiederholte
Anerbieten ^) ablehnte.
Am 10. Januar 1362 trat der greise Dichter die Reise
nach der alten Heimath jenseits der Alpen an, aber schon in
Mailand wurde er genöthigt, auf die Ausführung seines Planes
zu verzichten, denn er musste erfahren, dass die Strassen durch
das umherstreifende Kriegsvolk für den friedlichen Wanderer
gesperrt seien. So kehrte er denn schmerzlich enttäuscht,
nachdem er sich längere Zeit in Mailand aufgehalten, am
11. Mai nach Padua zurück, mit dem Entschlüsse, nun den
wiederholten dringenden Einladungen Kaiser Karls IV. Folge
zu leisten und sich nach Prag zu begeben '^). Doch auch dieser
Gedanke sollte vereitelt werden. Petrarca fand, als er um
die Mitte des Mai nach Norden aufbrach, ebenfalls alle Strassen
von bewaffneten Schaaren besetzt und begab sich, unter solchen
misslichen Umständen auf die geplante Reise verzichtend, nach
Venedig, um von dort noch vor Ende des Mai nach Padua
zurückzukehren *).
So schien es des Himmels Wille zu sein, dass Italiens
grosser Dichter seines Vaterlandes Grenzen nicht wieder über-
sehreiten, sondern auf heimischer Erde altern und sterben
sollte, nachdem er so viele Jahre der Jugend in fremden Landen
verbracht hatte. Nicht bedeutungslos ist, so dünkt es uns,
diese letzte Wendung in Petrarca's vielbewegtem Leben ge-
wesen. Hätte er die beschaulichen Tage des Alters im fernen
Auslande, losgelöst von Italiens Boden, durchlebt, er würde
^) Ep. Farn. XX 14 u. San. I 2 u. 4, vgl. Fracassetti, Lett. fam. III
p. 216.
») Ep. Sen. II 2.
■■) Ep. Sen. I 3 (vgl. Ep. Fam. XXIII 8. 9. 10. 14).
*) Ep. Fam. XXIII 14. Sen. I 3.
358 Siebentes Capitel.
seinem Volke sich entfremdet haben und würde, in seinem
Innern gestört und erregt durch die sich ihm aufdrängenden
Eindrücke der fremden Umgebung, schwerlich zu jener ruhigen
Klärung und Läuterung seines ganzen Wesens gelangt sein,
welche uns in den „Altersbriefen" und in den „Trionfi" so
wohlthuend entgegentritt. Wenn Petrarca trotz aller seiner
Universalität und seines über die Schranken einer Nationalität
sich erhebenden humanistischen Strebens von den Italienern
mit Recht als ein Angehöriger ihres Volkes und zwar nicht
bloss unter Berufung auf seine Geburt, sondern auch auf sein
Empfinden und Denken in Anspruch genommen wird, so ist
dies nur desshalb möglich, weil das Schicksal es verhütet hat,
dass er dem Lande seiner Abstammung auf die Dauer und
namentlich dass er ihm nicht im Alter entfremdet worden ist.
Auch für die Entwickelung des Humanismus ist Petrarca's
Verbleiben in Italien bedeutungsvoll gewesen. Es war die-
selbe naturgemäss zum guten Theile von dem Aufenthaltsorte
des geistigen Vaters der ganzen Pienaissancecultur bedingt.
Man kann unschwer beobachten, wie an allen denjenigen Orten,
an denen Petrarca, namentlich seitdem er zur vollen Tiefe
seiner Anschauungen gelangt war, längere Zeit verweilte,
humanistische Kreise, Schulen und Pflanzstätten der Renaissance-
bildung entstanden, so namentlich in Mailand, Verona, Padua
und Venedig. Gleiches geschah selbst auch an den Orten, an
welchen er nur indirect durch die Vermittelung seiner in seinem
Geiste arbeitenden Freunde zu wirken vermochte, so in Flo-
renz, Rom und Neapel. Besonders fruchtbar aber für das
Emporblühen des Humanismus war Petrarca's Wirksamkeit in
dem letzten Jahrzehende seines Lebens. Nehmen wir nun an,
dass er diese Zeit etwa im fernen Böhmen an Karls IV. Hofe
verbracht hätte, so erscheint es sehr fraglich, ob auch dann
Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt der humanistischen
Geistesbewegung geworden oder ob nicht vielmehr derselbe,
falls er überhaupt sich zu bilden vermocht hätte, nach dem
Norden verlegt worden wäre. Wahrscheinlich wäre der in
Italien bis dahin ausgestreuete und bereits im Aufkeimen l)e-
Die Jahre des Alters. 359
gritfene Saamen der Renaissancebildung aus Mangel an Pflege
■wieder abgestorben, ohne Blüthe noch Frucht zu tragen, Italien
wäre nicht das Mutter- und Centralland der modernen Bildung
geworden, und schwerlich würde ein anderes dafür einzutreten
befähigt gewesen sein, am wenigsten aber das slavische Böhmen.
Dort hätte der Humanismus höchstens, wie einst am Hofe des
grossen Karl, nur zu einer künstlichen und vorübergehenden
Blüthe gelangen, nur die Hofkreise beschäftigen, nicht
aber breitere Schichten der Bevölkerung ergreifen können.
Vielleicht dass dennoch Böhmen und mit ihm Deutschland
durch die Macht der neuen Bildung für kurze Zeit befähigt
worden wären, die geistige Hegemonie des westhchen Europa's
zu übernehmen, aber diese würde gewiss, da die Geistes-
bewegung, auf welche sie sich gründete, feste Wurzeln nicht
zu fassen vermocht hätte, nur von kurzer Dauer gewesen und
ihr ein chaotischer Zustand der Cultur nachgefolgt sein. Petrarca,
als er in Italien verblieb und seinen mächtigen Einfluss dort
zur Geltung brachte, bereitete dem entstehenden Humanismus
eine feste Stätte, in welcher allein dieser die für seine Ent-
wickelung und Lebensfähigkeit erforderlichen historischen Be-
dingungen erfüllt fand. Es ist eins der interessantesten Schau-
spiele, welche die Culturgeschichte darbietet, zu beobachten,
wie gleichsam unter den Fittigen des Geistes Petrarca's der
Humanismus allenthalben in Italiens Städten emporspriesst und
aus zarten Anfängen zur üppigen, blüthen- und fruchtreichen
Pflanze heranwächst. Diese in ihrer Art einzige Entwickelung
im Einzelnen zu betrachten und zu veriolgen wird uns im
weiteren Verlaufe unserer litterargeschichtlichen Erzählung eine
ebenso wichtige als dankbare Aufgabe sein. —
Unmittelbar nach seinem Wiedereintreffen in Padua wurde
Petrarca durch eine seltsame, ja unheimliche Begebenheit ver-
anlasst, einen langen Brief an seinen Freund Boccaccio zu
richten ^).
Zu Boccaccio war unlängst ein Karthäusermönch Gioachiiio
') Ep. Sen. I 5 ,28. Mai 1362).
360 Siebentes Capitel.
Ciani gekommen, hatte ihn eindringlich ennahnt, sein sündiges
Leben zu ändern und ihm zugleich, wenn er dies nicht zu thun
gewillt sei, den baldigen Tod verkündet. Den Auftrag zu
solcher Botschaft gab er an von einem jüngst im Geruch der
Heiligkeit gestorbenen und ihm befreundet gewesenen Kloster-
bruder Pietro Petroni erhalten zu haben, dem solches durch
eine unmittelbare Offenbarung Christi geboten worden sei^).
Die gleiche Mahnung wie an Boccaccio sollte er auch, fügte
er hinzu, an mehrere andere berühmte Gelehrte Italiens,
Frankreichs und Deutschlands, zuletzt aber auch an Petrarca,
richten. Auf den empfindsamen und weichen Boccaccio machte
diese mei'kwürdige Mahnung zur Busse, dies anscheinende
Hineinragen der überirdischen Welt iü das Erdenleben, den
tiefsten Eindruck, zumal da er sich bewusst sein musste, dass
sein bisheriges Leben und mehr noch seine, des Verfassers des
Deeamerone, bisherige schriftstellerische Thätigkeit keineswegs
von sittlichem Makel frei sei. Er gelobte sich , ein anderes,
besseres Leben zu beginnen und sogar, um sich ungestört und
ausschliesslich religiösen Betrachtungen und Uebungen widmen
zu können, seine profanen Bücher zu verkaufen und jeder Be-
schäftigung mit Poesie und Litteratur zu entsagen. In der
Angst seiner Seele sclmeb er an Petrarca, theilte ihm mit,
was er erlebt und beschlossen habe, und bat ihn um seinen
Rath 2).
Petrarca antwortete dem Freunde in dem oben erwähnten,
sehr ausführlichen Briefe, welcher in mehr als einer Beziehung
höchst bemerkenswerth ist. Es wäre gewiss nur begreiflich
und verzeihlich gewesen, wenn der alternde und durch die
traurigen Ereignisse, die er in letzter Zeit durchlebt, gemüth-
lich tief ergriffene Mann sich in der Beurtheiluug des sonder-
baren Vorfalles von abergläubischer Furcht befangen gezeigt
hätte, besonders da auch ihm das Erscheinen des unheimlichen
Busspredigers in Aussicht gestellt war. Aber der Vater des
Humanismus handelte, wie es seiner würdig war, und bewies.
^) vgl. Acta Sanctorum, 29. Mai.
") vgl. Landau, Giovanni Boccaccio p. 205 ff.
Die Jahre des Alters. 361
dass er über mittelalterlichen Aberglauben erhaben sei. Die
Möglichkeit freilich einer solchen göttlichen Offenbarung, wie
sie Pietro Petroni zu Theil geworden sein sollte, leugnete er
nicht, aber er machte den Freund darauf aufmerksam, wie
leicht in dem vorliegenden Falle ein Betrug vorliegen könne
und wie Gioachino Ciani seine Sendung erst noch unwiderleg-
licher, als bisher geschehen, nachzuweisen habe. Er legte
ferner mit eindringlichen Worten beredt dar, wie die Be-
schäftigung mit humanistischer Wissenschaft keineswegs dem
christlichen Glauben widerstreite und wie Gelehrsamkeit nicht
die Erlangung der Seligkeit im Jenseits verhindern könne.
Er gab demnach der Hoffnung Ausdruck, dass Boccaccio sich
nicht zu einer Verzichtleistung auf wissenschaftliche und
poetische Studien dauernd bestimmen lassen werde, wenn aber
dies, fügte er hinzu, und das ist bezeichnend für den leiden-
schaftlichen Bücherfreund, wider Erwarten doch geschehen
solle, so möge er wenigstens seine Bibliothek nur an ihn ver-
kaufen, damit sie nicht etwa zersplittert werde oder in un-
würdige Hände übergehe.
Es hatte dieser Brief wenigstens theilweisen Erfolg. Boc-
caccio, ermuthigt durch des hochverehrten Freundes Zuspruch,
blieb den humanistischen Studien treu, doch die frühere Un-
befangenheit und Heiterkeit des Gemüthes gewann er nicht
mehr wieder, er wurde nachdenklich und begann, sich einer
asketischen Denkweise zuzuneigen. So tiefe Wellen schlug
das Mittelalter noch in dem vollen Quellenstrome des Humanis-
mus ! Auch später sollte noch oft genug des -Mittelalters Geist
das neue Geschlecht gespensterhaft erschrecken.
Wahrscheinlich schon bei seinem Verweilen in Venedig,
im Mai, hatte Petrarca den Entschluss gefasst, seinen bleiben-
den Aufenthalt in der Lagunenstadt zu nehmen, deren geord-
nete politische Zustände behagliches Wohnen zu verbürgen
und deren maritime Lage Sicherheit vor ansteckenden Seuchen
zu gewähren schienen^), und er brachte diesen Entschluss
^) Ep. Sen. III 1.
362 Siebentes Capitel.
denn auch nach wenigen Monaten zur Ausführung. Um sieh
in der theueren Stadt eine angemessene 'Wohnung ohne eigenen
Kostenaufwand zu sichern, machte er durch Vermittelung des
ihm befreundeten Grosskanzlers der Republik dem venetianischen
Senate das Anerbieten, dass er denselben oder vielmehr, wie
der officielle Ausdruck lautete, den heiligen Evangelisten Mar-
cus zum Erben aller der Bücher, welche er gegenwärtig be-
sitze und künftig etwa noch besitzen werde, einsetzen wolle,
wenn ihm dagegen die Nutzniessung eines „nicht umfang-
reichen, aber anständigen" Hauses gewährt und wenn nach
seinem Tode seine Bibliothek weder verkauft noch zersplittert,
sondern in einem angemessenen, vor den Unbilden der Witterung
geschützten Räume aufgestellt werde ^j. Die venetianische
Regierung nahm das Anerbieten, welches bei dem verhältniss-
mässig grossen Umfange der Bibliothek Petrarca's und bei dem
damaligen hohen Werthe der Bücher höchst vortheilhaft für
sie war, denn auch dankend an. „In Anbetracht dessen,'-
heisst es in der betreffenden, vom 4. September datirten, Zu-
schrift 2) an Petrarca in unbeholfenem Latein, „wie sehr das
Anerbieten des Herrn Franciscus Petrarca (dessen Ruhm auf
dem ganzen Erdkreise heute so gross ist, dass es nach
Menschengedenken keinen Moralphilosophen und Dichter ge-
geben hat noch gibt, welcher mit ihm verglichen werden
könne) zum Lobe Gottes und des heiligen Evangelisten Mar-
cus und zur Ehre und zum Ruhme unserer Stadt gereichen
wird, soll dies Anerbieten unter den von ihm eigenhändig
niedergeschriebellen Bedingungen angenommen werden," Der
Vertrag gelangte in seinen wesentlichsten Bestimmungen zur
Ausführung. Petrarca erhielt als Wohnung den „Palast der
beiden Thürme (palazzo delle due Torri)" an der Riva degli
Schiavoni überwiesen ^), und seine Büchersammlung ging wenig-
^) Die betr. Urkunde ist in ihrem Wortlaute von Fracassetti, Lett.
fam. V p. 376 f. mitgetheilt. Vgl. Petrarca e Venezia, p. 47 ff. u. p. 281 ff.
'^) im Wortlaute z. ß. bei Fracassetti 1, 1.
") vgl. Malmignati a. a. 0. p. 65 u. Fracassetti, Lett. fam. V p. 381.
Das Haus ist, wenn auch in seinem Baue wesentlich verändert, noch heute
erhalten und durch eine Inschrift kenntlich gemacht.
Die Jahre des Alters. 363
stens theilweise nach seinem Tode in den Besitz der Republik
über, freilich aber nur, um traurigster Verwahrlosung anheim-
zufallen '). —
So siedelte denn Petrarca im Herbst 1362 nach Venedig
über und nahm daselbst für die nächsten fünf Jahre seinen
bleibenden Aufenthalt. Er fühlte sich, wenigstens während der
ersten Zeit, sehr wohl und zufrieden in seinem neuen Wohn-
sitze in der Stadt, welche er als die einzige Stätte der Frei-
heit, des Friedens und der Gerechtigkeit, als die einzige
Zuflucht der Guten und als den einzigen Port bezeichnete,
welchen die durch die allenthalben wüthenden Stürme der
Tyrannei und des Krieges schwer geschädigten Lebensschifte
der nach einem behaglichen Leben Strebenden aufsuchen
könnten -). Das rege Leben und Treiben in der blühenden
Handelsstadt, das stete Ein- und Auslaufen der verschieden-
artigsten Schiffe interessirte ihn ungemein und manche mond-
helle Nacht konnte er damit verbringen, von seinem Fenster
aus die wechselnden Vorgänge im Hafen zu beobachten 3). Es
erschloss sich für ihn, der bis dahin nur im Binnenlande ge-
lebt und auf seinen Seereisen das Meer nur von der furcht-
baren und gefahrbringenden Seite kennen gelernt hatte, so-
zusagen eine neue Welt, und er begann zu ahnen , dass der
Menschengeist auch auf anderen Gebieten, als denen des
wissenschaftlichen und poetischen Schaffens, Wunderbares her-
vorbringen könne, dass auch das im Handel und Gewerbbetriebe
sich kundgebende Streben nach materiellen Gütern seine Be-
rechtigung und seine Grösse besitze. Sonst war ihm der
Aufenthalt in grossen Städten verhasst gewesen, jetzt söhnte
er sich mit ihm aus und erkannte, dass er auch vortheilhafte
und angenehme Seiten habe. Wesentlich erleichtert mochte
ihm solche Sinnesänderung allerdings dadurch werden, dass
Venedig trotz seines grossstädtischen Treibens doch. Dank
1) Das Nähere sehe man b. Fracassetti, Lett. fam. V p. 381. b. Malmig-
nati p. 81 u. Petrarca e Yenezia, p. 41 ff.
-) Ep. Sen. IV 3.
") Ep. Sen. IV 2.
364 Siebentes Capitel.
seiner eigentliümlichen Lage, von dem sonst damit verbundenen
nervenerschüttemden Geräusche der rasselnden Wagen und
stampfenden Rosse frei war und in Folge dessen selbst grössere
äussere Ruhe als manche kleine Landstadt gewähren konnte.
Die Annehmlichkeit seines neuen Aufenthaltes wurde für
den Dichter noch dadurch erhöht, dass er daselbst reiche
Gelegenheit fand, mit geistvollen und gelehrten Männern zu
verkehren. Venedig war schon damals, was es später in noch
höherem Grade werden sollte, ein Centralpunkt humanistischen
Strebens, und selbst hohe Staatsbeamte waren Freunde und
Förderer der neu entstehenden Bildung. So vor allen der
Grosskanzler der Republik , Benintendi de' Ravegnani ') , der
sich als Geschichtsschreiber einen rühmlichen Namen erworben
hat, so auch selbst der Doge Lorenzo Celso, dem Petrarca
ein warm empfundenes Lob spendet ^j. Am innigsten aber be-
freundete Petrarca sich mit dem aus Pratovecchio im Apenninen-
lande gebürtigen und daher Apenninigena genannten Gramma-
tiker Donato degli Albanzani^). Zwischen beiden Männern
bildete sich trotz der Ungleichheit ihres Alters — Donato
war der beträchtlich Jüngere — das vertraulichste Verhält-
niss, so dass sie selbst auch in gewisse Familienbeziehungen
zu einander traten und an dem, was in dem Kreise der Ihrigen
geschah, den herzlichsten Antheil nahmen. Donato that Alles,
was ihm nur möglich war, um dem verehrten Freunde seine
Anhänglichkeit und Ergebenheit zu bezeugen, ja er ging in
diesem Streben wol zu weit: er überhäufte, obschon er keines-
wegs vermögend war, Petrarca fortwährend mit Geschenken,
so dass dieser wiederholt und ernstlich dagegen protestiren
musste^). Petrarca aber unterstützte den Freund, der
trotz oder vielmehr wegen seiner Freigebigkeit sich öfters in
^) vgl. über ihn Fracassetti, Lett. fam. IV p. 198 ff.
2) Ep. Sen. rV 3.
^) vgl. über ihn Fracassetti, Lett. fam. V p. 238 und die dort citirten
Schriften.
*) Ep. Sen. XIV (XV) 9. — Briefe Petrarca's an Donato : Sen. V 5.
6. 7. Vni 6. X 4. 5 XIV 9.
Die Jahre des Alters. 365
Geldverlegenheit befand, mit Darlehen und entband ihn testa-
mentarisch von der Pflicht der Kückzahlung, für welche Gross-
muth Donato wieder sich dadurch dankbar bewies, dass er
Petrarca's Buch über die berühmten Männer in's Italienische
übersetzte. Es hat gerade im Verkehre mit Donato Petrarca
sich von seiner menschlich schönen Seite gezeigt und ist in
demselben, was nicht eben oft geschehen, einmal herabgestiegen
aus der sonst eifersüchtig behaupteten olympischen Höhe zu
dem Niveau der Menschlichkeit: er war Donato gegenüber
wirklich Freund, nicht bloss Rhetor, und betrachtete ihn als
wirklichen Freund, nicht bloss als einen passenden Adressaten
für stylvolle Episteln.
Die Familienverhältnisse des greisen Dichters gestalteten sich
in Venedig zunächst recht freundlich. Schon in Mailand hatte,
wahrscheinlich im letzten Jahre seines dortigen Aufenthaltes, seine
Tochter Francesca sich mit einem jungen EdelmanneFranceschino
d'Amicolo da Brossano^) vermählt und das junge Ehepaar,
das in bester Hai-monie gelebt zu haben scheint 2), war eben-
falls nach Venedig gezogen. Hier wurde ihm — nachdem be-
reits ein Töchterchen, welches den Namen der Urgrossmutter
Eletta erhielt, vorausgegangen war — im Februar 1366 ein
Söhnlein geboren, welches von Donato degli Albanzani aus
der Taufe gehoben und nach seinem mütterlichen Grossvater
Francesco benannt wurde. Dies Kind wiirde Petrarca's Lieb-
ling und glich ihm in seinen Zügen in ganz auffälliger Weise.
Unsäglich war des Grossvaters Schmerz, als ihm nach kaum
zweiundeinhalb Jahren, am 15. Juni 1368, der Enkel durch
den Tod wieder geraubt wurde %
^) Petrarca charakterisirt ihn Ep. Sen. V 7 (8) als „quo nemo adole-
scens melior, caritatis et constantiae plenus".
^) vgl. Boccaccio b. de Sade, III p. 724.
^) Ep. Sen. X 4. XI 3. Petrarca widmete dem verstorbenen Liebling
eine poetische Grabschrift (b. Fracassetti, Lett. fam. 11 p. 262), in vrelcher
das Alter des Kindes als zwei Jahre und vier Monate betragend angegeben
■wird. Das im Eingange der Grabschrift bezeichnete Datum des Todestages
XIV Kai. Jun. aber ist nach Ep. Sen. X 4 offenbar falsch, wenn die ge-
wöhnliche Tradition richtig sein soll, dass das Kind zu Pana starb, wäh-
366 Siebentes Capitel.
So hatte Petrarca binnen wenigen Jahren den Sohn und
den Enkel verloren und zu diesen beiden Verlusten gesellte
sich noch ein dritter, der ihn vielleicht noch schmerzlicher
berührte.
Er hatte im Jahre 1364 *) einen Jüngling als Schüler in
sein Haus aufgenommen, um dessen weitere wissenschaftliche
Ausbildung zu leiten, nachdem er vorher des Donato Unterricht
genossen hatte. Der junge Mann, ein geborner Ravennate,
zeigte die glänzendste Befähigung für die humanistischen Stu-
dien und erfüllte seinen Lehrer mit den stolzesten Hoffnungen.
..Er ist arm und vermögenslos" — so charakterisirt ihn
Petrarca in einem Briefe an Boccaccio ^) — „aber seine Be-
dürfnisslosigkeit und sein ernstes Wesen würden auch einem
Greise zum Lobe gereichen. Er fasst rasch auf, uitheilt mit
Scharfsinn und besitzt ein umfassendes und, was das Wichtigste
ist, auch festes Gedächtniss. Meine zwölf Eklogen hat er
binnen elf auf einander folgenden Tagen auswendig gelernt
und sie so im Gedächtnisse behalten , dass er mir täglich am
Abende eine Ekloge hersagen konnte und zwar die beiden
letzten so wörtlich und ohne Anstoss, als wenn er das Buch
vor den Augen hätte. Er besitzt überdies, was ja in unserer
Zeit so selten ist, eine grosse Erfindungsgabe, einen edeln
Drang zur eigenen Productivität und poetische Anlage, so dass
er schon eigene Gedichte verfasst und, wenn ei- leben bleibt
und, wie ich hoffe, sich günstig fortentwickelt, einmal Bedeu-
tendes leisten wird. — — Seine sittliche Aufführung ist eine
solche, dass ich ihn ebenso wie einen leiblichen Sohn liebe
und vielleicht mehr noch, da ja ein Sohn, wie unsere Jünglinge
nun einmal sind, den Vater zu beherrschen begehrt, dieser
aber nur zu gehorchen bestrebt ist und sich nicht seinen Ver-
rend Petrarca gerade dem Hochzeitsfeste der Violante Visconti mit dem
Herzoge Lionel von Clarence beiwohnte. Diese Tradition scheint indessen
sehr schlecht begriirdet zu sein.
^) lieber die schwierige Zeitbestimmung vgl. Fracassetti, Lett. fam. V
p. 93 ff.
^ Ep. Fam. XXHI 19.
Die Jahre des Alters. 367
guügungeii, sondern den Arbeiten für mich widmet und zwar
nicht etwa aus Geldgier oder in der Hoffnung auf eine Be-
lohnung, sondei-n einzig aus Liebe zu mir und in dem Glauben,
dass er durch den Umgang mit mir besser werden kann."
Im ferneren Verlaufe des Briefes hebt Petrarca auch rühmend
hervor, wie wesentliche Dienste ihm Giovanni — so hiess der
junge Mann — als Copist leiste, zumal er eine sehr schöne
und deutliche Handschrift besitze, welche die Schreibweise der
gewerbsmässigen Schreiber weit übertreffe.
Wie schmerzlich überrascht musste also Petrarca sein, als
ihm nach kaum drei Jahren Giovanni ganz plötzlich und mit
der grössten Bestimmtheit erklärte, er wolle Venedig ver-
lassen, um in der Fremde, etwa in Unteritalien oder in
Avignon, weitere Studien zu machen und namentlich Gelegen-
heit zur Erlernung des Griechischen zu finden. Was den Jüng-
ling zu diesem Entschlüsse bestimmt haben mag, lässt sich
leicht veraiuthen. Er war es offenbar müde geworden, für
Petrarca beschwerliche Schreiberdienste zu verrichten und seine
Zeit mit dem Ordnen und Copiren der „Freundesbriefe",
womit er beauftragt worden war, zu verlieren, ohne dass ihm
dafür von Petrarca ein regelmässiger und geordneter Unter-
richt ertheilt wurde. So beharrte er denn trotz aller Zureden
und Vorstellungen Petrarca's auf seinem Vorhaben und dem
letzteren blieb schliesslich Nichts übrig, als sich in das Unver-
meidliche zu fügen und seinen Schüler, nachdem er ihn mit
Reisegeld ausgestattet hatte, zu entlassen^). Vorläufig kam
indessen Giovanni nicht weit, sondern kehrte nach mancherlei
nicht eben angenehmen Abenteuera und nachdem sein Reise-
geld ihm ausgegangen war, in sehr abgerissenem Zustande und
in reumüthiger Stimmung zu Petrarca zurück, der ihn mit
offenen Armen aufnahm 2). Bald aber erwachte des Jünglings
Reiselust auf's Neue, er verliess seinen alten Lehrer abermals
und gelangte nun glückhch nach Rom, wohin ihm Petrarca
') Ep. Sen. V 5.
* Ep. Sen. V 6.
368 Siebentes Capitel.
einmal später einen väterlich herzlichen Brief schrieb ^), so wie
er ihn auch schon fiüher wohlwollend an mehrere einflussreiche
Männer empfohlen hatte-). Was ferner aus dem talentvollen
Jünglinge geworden, ist unbekannt. Einige Forscher haben
ihn, aber, wie es scheint, mit Unrecht mit dem berühmten
Humanisten Giovanni de' Malpaghini identificiren wollen, wel-
cher am Ende des vierzehnten und am Beginne des fünfzehnten
Jahrhunderts eine Professur an der Hochschule von Florenz
bekleidete^). — —
Wie immer, so verfolgte Petrarca auch in Venedig den
Gang der politischen Ereignisse mit eben so grosser Aufmerk-
samkeit als Theilnahme und suchte in dieselben, so weit es
ihm vergönnt war, zu Gunsten der ihm so gastfreundlichen
Republik einzugreifen. Eine Gelegenheit hierzu bot sich ihm
bald dar.
Es war im Jahre 1363 auf der damals dem Lagunenstaate
unterworfenen Insel Gandia eine Empörung gegen die venetia-
nische Herrschaft ausgebrochen, welche in*Folge der gi-ossen
Verbreitung, die siesowol unter denvenetianischenColonisten als
auch unter den griechischen Einwohnern fand, und nicht minder
in Folge der eigenthümlichen Terrainbeschaffenheit des Landes
einen bedrohlichen Charakter annahm ^). Die Venetianer waren
bemüht, für die Niederwerfung des Aufstandes die Dienste des
ei-probten veronesischen Condottiere Luchino del Verme zu
gewinnen, und der Doge ersuchte in Folge dessen Petrarca,
welcher sich an dem Hofe der Visconti mit Luchino befreundet
hatte, an diesen ein Schreiben zu richten, welches ihn zur
Uebernahme des angetragenen Oberbefehles bestimmen möchte.
Gern entsprach Petrarca dieser Aufforderung und richtete an
Luchino eine lange Epistel „über das Amt und die Tugenden
') Ep. San. XV 12.
2) Ep. Sen. XI 8 u. 9.
^) vgl. über diese Frage die weitläufige Untersuchung bei Tiraboschi,
V p. 851 — 862. — Giovanni ist von Otto Müller zum Helden des absurden
und dui-cli und durch unhistorischen Romans „Aus Petrarca's alten Tagen"
gemacht worden.
*) vgl. Leo, a. a. 0. p. 85 ff.
Die Jahre des Alters. 369
eines Feldherrn" ^). Er begann dieselbe mit einem volltönen-
den Lobe der Tapferkeit Luchino's, der fast sein ganzes Leben
unter den Waffen zugebracht habe und jetzt auf Beschluss
eines mächtigen Freistaates zur Durehfühining eines schwierigen
Kampfes nach Candia, dem alten Greta, gesandt werden solle.
Er schildert sodann die Grösse dieser Insel, die Terrainhinder-
nisse , welche sie der Kriegführung entgegenstelle und die alt-
bekannte Treulosigkeit ihrer Bewohner. Alle Hindernisse
jedoch werde Luchino's ei-probte Tapferkeit sowie die Gerechtig-
keit der Sache, welche er verfechte, siegreich überwinden.
Während nun vielleicht Andere dem in den Krieg ziehenden
Feldherrn Rosse und kostbare Waffen zum Geschenke dar-
brächten, könne er, Petrarca, in seiner Armuth ihm als Ab-
schiedsgabe nur den Spnich bieten : „Im Namen Christi erhebe
Dich und gehe hin!" Luchino solle sich Gott zu seinem
Führer und die heiligen Engel zu seinen Bannerträgern er-
wählen, dann werde er die auf Seite der Feinde kämpfenden
Dämonen der Hölle leicht überwinden. Im Uebrigen werde
ihm die Erinnerung an seine eigenen früheren Heldenthaten
Kraft verleihen, nicht minder auch die Erinnerung au den
Metellus Creticus, der ja einst ebenfalls das aufständische,
damals aber ungleich mächtigere Greta besiegt habe.
Hierauf geht Petrarca zu der Erörterung der Tugenden
über, welche ein Feldherr besitzen müsse, denn seine Absicht
sei, sagt er, dem Luchino gleichsam einen Spiegel vorzuhalten,
in welchem dieser sich selbst erkennen solle.
Alles, dessen ein Feldherr bedürfe, sei in dem Satze
Cicero's ausgedrückt: „ich meine, dass ein grosser Feldherr
folgende vier Eigenschaften besitzen muss: Kenntniss des
Kriegswesens, Tüchtigkeit (virtus), pei-sönliches Ansehen und
Glück" ^). In dem Besitze dieser vier Eigenschaften aber be-
*) Ep. Sen. IV 1. In den baseler Ausgaben bildet diese Epistel einen
selbständigen Tractat.
^) „ego sie existimo, in summo imperatore quatuor has res inesse opor-
tere. scientiam rei militaris, virtutem, auctoritatem, felicitatem". Cic. pro
leg. Manil. 10, 28.
Körting, Petrarca. 24
370 Siebentes Capitel.
linde Luchino sich bereits oder könne doch, wenn er in Bezug
auf irgend eine noch etwas vermissen sollte, leicht durch sein
edles Streben in den Besitz desselben gelangen. Die Kriegs-
kunst werde theils durch theoretisches Studium, namentlich
auch der lateinischen und griechischen Werke über die
Strategik, von denen Luchino einige in Abschrift zu besitzen
gewünscht habe, theils aber durch die Praxis, durch Beispiele
und durch die Belehrung von Seiten der Veteranen erlangt;
sie sei eine vielseitige, viele Regeln umfassende Wissenschaft,
welche, wie die römische Geschichte beweise, die grösste Wichtig-
keit für das Wohl der Staaten besitze. Aus drei Haupttheilen
setze sie sich zusammen, indem sie lehre, was vor, was in
und was nach der Schlacht gethan werden müsse. Ein guter
Feldherr werde für seine Ausbildung Praxis und Theorie
innig verbinden, die eine durch die andere zu stützen und zu
ergänzen suchen. Die römischen Feldherren seien, mit einziger
Ausnahme des Marius, alle wissenschaftlich gebildet und
Freunde der Wissenschaften gewesen, dagegen seien die gegen-
wärtigen Feldherren und Fürsten meist rohe Gesellen und
Verächter der Studien: daher auch die grossen Eifolge der
Alten und die kläglichen Misserfolge oder doch nur kleinlichen
Erfolge der Neueren. Luchino bilde in dieser Beziehung eine
rühmliche Ausnahme. Uebrigens jedoch habe der Feldherr
durchaus nicht nöthig, sich etwa mit Philosophie oder Poesie
zu beschäftigen, es genüge vielmehr, dass er denjenigen
Wissenszweigen, welche zu dem Kriegswesen in unmittelbarer
Beziehung stehen, ein stätiges Studium widme.
Die Tüchtigkeit sei eine zweifache: eine körperliche und
eine geistige. Der Feldherr müsse, bis zu einem gewissen
Grade wenigstens, leiblich stark und gesund §ein. Wichtiger
sei jedoch für ihn die geistige Tüchtigkeit. Es bestehe die-
selbe: 1) in Verschlagenheit und Klugheit, deren der Feldherr
z. B. bei Verhandlungen mit dem Feinde dringend bedürfe;
2) in todesverachtendem Muthe; 3) in der Gerechtigkeit, deren
Vorschriften der Feldherr sowol seinen Feinden als namentlich
auch seinen Mitbürgern und Bundesgenossen gegenüber ehren
Die Jahre des Alters, 371
müsse; 4) in der Bescheidenheit und Mässigung, welche
namentlich in der Beherrschung sinnlicher Gelüste zu beweisen
seien. Zu allem diesen aber müsse nun noch die Fähigkeit
hinzutreten, mit den Kriegern in leutseliger Weise verkehren
zu können. Nicht minder auch bedürfe der Feldherr der
Geduld, sowol um die körperlichen Schmerzen, welche aus
etwaigen Verwundungen entspringen, als auch um die miss-
günstigen Urtheile der grossen Menge ertragen zu können.
Von grösster Wichtigkeit aber sei es, dass der Feldherr sieh
das Vertrauen seiner Krieger zu erwerben verstehe.
Seien die eben besprochenen Eigenschaften in einem
Feldherrn vereinigt, so werde er das persönliche Ansehen,
die Autorität, sich leicht erwerben, zumal wenn noch hinzu-
komme, dass er edelem Geschlechte entsprossen und Träger
eines edelen Namens sei, dass er ein gewinnendes Aeussere
besitze und dass er über kriegerische Beredtsamkeit verfüge.
Das Glück freilich könne Niemand sich selbst verleihen,
noch dasselbe, wer es besitze, beliebig steigern, nichtsdesto-
weniger sei es für den Feldherrn ein unbedingtes Erforderniss,
denn nur einem glücklichen Führer folgen die Krieger mit
Vertrauen.
Der Brief schliesst damit, dass Luchino ein ruhmvoller
Sieg und eine glückliche Heimkehr gewünscht wird.
Luchino nahm das ihm angetragene Commando an. Man
wird billig bezweifeln dürfen, dass Petrarca's pathetisches und
schulmeisterliches Schreiben auf den Entschluss des tapfern
Haudegens sonderlichen Einfluss ausgeübt hat, und wird viel-
mehr zu glauben geneigt sein, dass andere, namentlich aber
klingende Gründe für den Condottiere weit maassgebender
waren. Nichtsdestoweniger ist Petrarca's Epistel ein be-
merkenswerthes Schriftstück. Sie zeigt uns, wie der damals
doch noch so jugendliche Humanismus dennoch sich bereits
stark genug fühlte, um seinen Einfluss auch auf Gebieten geltend
zu machen, welche seinem eigentlichen Wesen doch sehr fern
lagen. Der Humanist am Schreibtische stellt aus classischen
Reminiscenzen Verhaltungsmaassregeln für den sehlachtgeübten
24»
372 Siebentes Capitel.
Condottiere zusammen! Das Publicum aber findet das nicht
etwa wunderlich und komisch, sondein ganz in der Ordnung
und vernünftig. Bald sollte die Zeit kommen, in denen man
die Kriege ganz akademisch und schaehspielmässig nach den
Regeln der antiken Taktik und Strategik zu führen mindestens
eifrig bestrebt war, wenn auch leicht ersichtliche äussere
Gründe eine vollkommene Realisiioing dieses Strebens nicht
gestatteten. Es ist die Einwirkung des Humanismus auf das
Kriegswesen eine sehr bedeutende und bis auf die Gegenwart
nachhaltige gewesen. Auch die Kriegskunst hat, ganz wie die
bildenden Künste, mit denen sie sieh ja auf dem Gebiete der
Architektur nahe berührt, ihre Renaissance gehabt, deren
Specialgeschichte zu erzählen eine ebenso interessante als
belehrende Aufgabe sein würde.
Petrarca konnte Luchino bald zu dem errungenen Siege
beglückwünschen^), denn der kriegsgeübte Feldherr warf, wie
man es von ihm erwartet hatte, den Aufstand der Kretenser
in übeiTasehend kurzer Zeit nieder. In der sechsten Stunde ^)
des 4. Juni 1364 stand Petrarca mit einem bei ihm zu Besuch
weilenden Freunde, dem Erzbischofe Bartolomeo Papazzum
von Patras, am Fenster und blickte auf das vor ihm liegende
Meer hinaus. Da sah man plötzlich eine laubbekränzte Galeere
mit eilenden Ruderschlägen dem Hafen zusteuern und bald in
denselben einlaufen. Begierig zu erfahren, was das Fahrzeug
bringe, strömte das Volk auf den Molo zusammen, und man
vernahm denn die für den ersten Augenblick unglaublich
klingende, aber nichtsdestoweniger verbürgte Kunde, dass die
Candioten von Luchino gänzlich besiegt und der venetianischen
Herrschaft aufs Neue unterworfen worden seien. Unglaublich
war die Freude der von schwerer Sorge befreiten Bürger der
Lagimenstadt : von ihrem Dogen geleitet zogen sie» zunächst
0 Ep. Sen. IV 2.
*) d. i. nach damaliger Rechnung Vormittags zwischen neun und
zehn Uhr.
Die Jahre des Alters. 373
zur Marcuskirche, um dort Gott zu danken für die erwiesene
Gnade ').
Dann aber, als inzwischen auch der siegreiche Feldherr
selbst mit den erbeuteten Trophäen heimgekehrt war, rüstete
man sich, den errungenen Sieg durch festliche Spiele zu
verherrlichen. Die grossartigsten Vorbereitungen wurden
hierzu getroffen. Endlich vom 4. bis 7, August fand das
prächtige Fest statt. Edle Jünglinge und Krieger führten
auf dem Marcusplatze ritterliche Wettkämpfe und Turniere
auf mit all' dem Glänze, den das endende Mittelalter solchen
Festlichkeiten zu verleihen pflegte. Reiche Preise, über deren
Zuertheilung die bestellten Kampfrichter — der Doge, Luchino
und die dem Feste beiwohnenden fremden Ritter — zu ent-
scheiden hatten, waren ausgesetzt, als erster, den ein Venetianer
sich gewann, eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Krone,
als zweiter, mit welchem ein Ferrarese beliehen Avurde, ein
silbernes Wehrgehänge von köstlicher Arbeit. Der ganze
Marcusplatz aber, soweit er nicht als Turnierstätte diente,
war so dicht mit Zuschauern besetzt, dass auch nicht ein
MaiskeiTi hätte zur Erde niederfallen können. Von einer
Tribüne aus schauten auch vierhundert der vornehmsten und
schönsten Frauen den in dem rossearmen Venedig so seltenen
Ritterspielen zu. Der Doge aber hatte in der Marmorloge der
Vorhalle der Marcuskirche mit seinem Gefolge Platz genommen;
die ehrende Auszeichnung, zur Rechten des Fürsten zu sitzen,
wurde Petrarca zu Theil, welcher auf diese Weise selbst vor
mehreren anwesenden englischen Rittern vom höchsten Range,
Verwandten des Königs, bevorzugt wurde — ein schöner Be-
weis, wie hoch damals geistiger Adel geschätzt ward.
So lebte der Dichter im schönen Venedig ein behagliches,
an Freuden und Ehren reiches Leben. Auch sein körperliches
Befinden war mit Ausnahme dessen, dass er einmal im Jahre
1365 fünf Monate lang von einer lästigen Hautkrankheit ge-
^) Dies und das Nächstfolgende nach Ep. Sen. IV 3.
374 Siebentes Capitel.
plagt wurde ^), das beste und die Beschwerden des Greisen-
alters machten sich ihm noch nicht fühlbar. Bangen Befürch-
tungen hatte er sich hingegeben, als er am 20. Juli 1366 in
das 63. Lebensjahr eingetreten war, denn während er sonst
so frei von Aberglauben war 2), konnte er doch sich des Ge-
dankens nicht erwehren, dass dieses Lebensjahr ein ominöses
sei, wie mehrere römische Autoren — Gellius in den „Noctes
Atticae", Censorinus in dem „liber de saeculis" 2) und Julius
Firmicus Maternus im vierten Buche seiner „Mathesis" — es
behauptet hatten. Da nämlich, so lautete des letztgenannten
Autors seltsame Beweisführung, das 7. und 9. Lebensjahr er-
fahrungsmässig kritische seien, so müsse das 68., welches
das Product von 7 mal 9 darstelle, es im doppelten Grade
sein*). Indessen am 20. Juli 1367 konnte Petrarca seinem
Freunde Boccaccio, welchem er vorher seine trüben Ahnungen
mitgetheilt hatte, die tröstliche Nachricht zukommen lassen^),
dass das gefürchtete Jahr ihm nicht' das geringste Unheil ge-
bracht und dass er sogar sich nie körperlich wohler als
während desselben gefühlt habe, ja es seien ihm in diesem
selbst zwei gi'osse Freuden bereitet worden: die Eroberung
Alexandriens durch den König von Cypern und die Rückkehr
des Papstes nach Rom. Während wir das erste der beiden
hier genannten Ereignisse als für unsere Erzählung nicht minder
wie für die allgemeine Geschichte bedeutungslos übergehen
wollen'^), müssen wir uns bei dem zweiten, welches sowol für
das äussere Leben als auch für die litterarische Thätigkeit
Petrarca's bedeutungsvoll wurde, etwas länger verweilen.
Papst Innocenz VL war am 12. September 1362 gestorben.
Sein Nachfoker wurde durch die Wahl eines stürmisch be-
1) Ep. Sen. m 3.
•^) vgl. S. 197 ff. u. 360 f.
") Gell. XV 7. Censorin. de die natali c 14.
4) Ep. Sen. VIII 1.
«) Ep. Sen. VIII 8 (b. Fracassetti 7).
•) Eine kurze Notiz darüber gibt Fracassetti, Lett. sen. I p. 497, vgl.
auch Christophe, a. a. 0. II p. 262 f.
Die Jahre des Alters. 375
wegten Conclave ein ausserhalb des Cardinalates stehender
Prcälat, Wilhelm Grimoard, Abt des St. Victorklosters von
Marseille, welcher am 6. November gekrönt wurde und den
Namen Urban V. annahm ^).
Petrarca, noch immer den festen Glauben hegend, dass
nur Rom die des Nachfolgers Christi würdige Residenz sein
könne, richtete an den neuen Papst, wie einst an Benedict XII.
und Clemens VI., ein Schreiben, in welchem er ihn mit beredten
Worten — doch ohne poetische Umkleidung — zur Rückkehr
nach Rom aufforderte^).
Er begann diese bemerkenswerthe Epistel, welche in Wahr-
heit vielmehr ein kirchenpolitischer Tractat zu nennen ist,
damit, dass er erklärte, sein Freund, der Patriarch Philipp
von Jerusalem (der frühere Bischof von Cavaillon), habe ihm
die Anregung und Ennuthigiing zur Abfassung derselben ge-
geben. Sodann lobt er des Papstes energische kirchenreforma-
torische Bestrebungen, lobt, dass er den in Avignon müssig
weilenden Bischöfen befohlen habe, in ihre Sprengel zurück-
zukehren und sich an ihren Pfründen genügen zu lassen, dass
er die unsinnigen Modetrachten von seinem Hofe verbannt
habe — die Schnabelschuhe, die Federhüte ^), die nach Weiber-
art zierlich abgetheilten Scheitel, die unzüchtigen Gewänder,
die den Unterleib beengenden Schnürleiber — , dass er sich
die Wiederaufrichtung der durch den Krieg zerrütteten Universi-
tät Bologna angelegen sein lasse und dass er endlieh die
Straflosigkeit der in den Häusern der Cardinäle ein Asvl
suchenden Verbrecher aufgehoben habe. Nur in einem
Punkte handele der sonst so weise Papst nicht recht und
darauf erlaube er sich, ihn mit aller Offenheit, aber auch in
aller Demuth aufmerksam zu machen. Habe er doch auch an
den Kaiser mit der gleichen Offenheit Ermahnungen und Vor-
stellungen zu richten gewagt, nicht weil er ein Recht dazu
*) vgl. Christophe a. a. 0., II p. 249 ff.
"-) Ep. Sen. VII 1.
') pennati vertices?
376 Siebentes Capitel.
besitze, sondern weil er glaube, es sei seine Pflicht, in solchen
Fällen zu reden, wenn alle Anderen und auch die zum Reden
Berechtigten schwiegen. Uebrigens habe auch der Kaiser seine
Mahnungen immer freundlich aufgenommen. Dies Eine, in
Bezug auf welches der Papst nicht recht handele, sei, dass er
seine Braut d. h. Rom fortdauernd im Stiche lasse. Aller-
dings könne man ja einwenden, des Papstes Braut sei die
ganze Kirche und der Papst dürfe an jedem beliebigen Orte,
wo er nur immer wolle, residiren. Das sei an sich auch ganz
richtig, aber nicht weniger richtig sei trotzdem, dass Rom in
ganz besonderem Sinne des Papstes Braut sei, denn wie alle
bedeutenderen Städte ihren Bischof besässen, so habe Rom
den Papst zu seinem Bischöfe und folglich sei dieser ver-
pflichtet, dort zu residiren. Jetzt werde Rom, wie eine aime
verlassene Wittwe, von höchster Noth bedrückt. Schon sei
die Laterankirche ihres Daches beraubt und stehe aller Unbill
der Witterung offen, die Kirche der Apostel Peter und Paul
aber sei zu einer Ruine und einem unfönnlichen Steinhaufen
geworden. Wie könne ein Papst, der sich „Urbanus" (d. h.
der Städtische) nenne, sich von der „Urbs" (d. h. der Stadt
Rom) fern halten wollen? Habe doch Gott selbst Rom zur
Hauptstadt der Kirche auserwählt. Das müsse der Papst um
so mehr beherzigen, als er nicht leugnen könne, dass sieh
gerade in seiner Erhebung auf den Stuhl Petri Gottes Fügung
recht sichtbarlich erkennen lasse, denn dieselbe sei ja eigent-
lich gegen den Willen der Cardinäle erfolgt: diese nämlich
erwählten sonst grundsätzlich nur einen aus ihrer Mitte —
am liebsten möchte ein Jeder sich selbst wählen — und
würden durch eigene Eingebung gewiss nicht darauf verfallen
sein, einem schlichten Abte den Vorzug zu geben. Gott selbst
habe ihre Wahl gerade auf ihn gelenkt, damit er die Rück-
verlegung des päpstlichen Stuhles nach Rom ausführen solle.
Welche Schuld häufe also der Papst auf sich, wenn er dieser
Absicht Gottes nicht entspreche! Frühere Päpste hätten sich
durch verschiedene, oft sehr unwürdige Beweggründe zum
Verbleiben in Avignon bestimmen lassen, zum Theil weil sie
Die Jahre des Alters. 377
Italien gar nicht kannten und ein Vonirtheil gegen dieses
Land hegten: habe doch einmal Benedict XII., als ihm Aale
aus dem Bolsener See von vorzüglichem Geschmacke zugesandt
worden waren, sehr naiv geäussert, er habe gar nicht geglaubt,
dass aus Italien etwas so Gutes kommen könne. Der gegen-
wärtige Papst aber kenne Italien aus eigener Anschauung^).
Ganz unbegründet sei es, zu glauben, dass in Rom die
persönliche Sicherheit des Papstes und der Cardinäle irgendwie
gefährdet sei. Viele Cardinäle aber zögen Avignon nur dess-
halb vor, weil sie dort Paläste und liegendes Vermögen be-
sässen — ein ganz unwürdiger Beweggrund! Und wie häss-
lich wohne es sich doch an den stets windigen, schmutzigen
und felsigen Ufern der Rhone! — Auch das sei schon vor-
bedeutungsvoll gewesen und ein Anzeichen des göttlichen
Willens, dass Urban gerade zur Zeit seines Aufenthaltes in
Italien erwählt worden sei. In Rom werde der Papst, wenn
er, Gottes Willen gehorchend, dahin zurückkehre, mit der
grössten Ehrerbietung und Freude empfangen werden, ja die
Engel Gottes selbst würden bei seinem Einzüge ihn begrüssen.
In Avignon dagegen könne der Papst nicht weiter mit Sicher-
heit wohnen: sei er doch schon von Kriegerbanden heim-
gesucht und zur Loskaufung gezwungen worden, eine Schmach,
welche weit grösser und namentlich auch unverdienter sei,
als diejenige, welche einst Bonifaz VIII. zu Anagni habe
erdulden müssen.
Nun gibt Petrarca eine begeisterte Schilderung der Schön-
heit und des Reichthums Italiens. „Sage nur Deinen Cardi-
l^älen,'' redet er den Papst an, „dass Italien nicht so beschaffen
ist, wie sie meinen, sondern dass es vielmehr nach dem ein-
stimmigen Urtheile berühmter Schriftsteller der schönste und
ruhmvollste Theil der Erde sei. Es würde ein geradezu un-
vergleichliches Land sein, dem kein Uebel anhaften und kein
^) Urban war von Innocenz VI. als Nuntius nach Neapel gesandt wor-
den; bevor er indessen noch seinen Bestimmungsort erreicht hatte, erhielt
er zu Cometo die Nachricht von der auf ihn gefallenen Wahl.
378 Siebentes Capitel.
Gut mangeln würde, wenn es nur den Frieden besässe. Diesen
aber wird Deine Gegenwart ihm bringen. Sage Deinen Car-
dinälen, dass es in diesem Lande die edelsten und herrlichsten
Städte gibt, mit denen verglichen das stinkende Avignon ganz
armselig erscheint, dass das Klima daselbst äusserst gesund
ist und zwischen Hitze und Kälte eine angenehme Mitte hält,
dass es dort so viele und so grosse fischreiche Seeen gibt, wie
sonst nirgends auf einem gleich kleinen Räume, dass dort
auch Flüsse vorhanden sind, welche durch die weise Fügung
der Natur in so vielfachen Krümmungen dahin strömen, dass
in einem grossen Theile Italiens, in Ligurien und Venetien,
in der Aemilia und Flaminia, kaum ein bedeutender Ort ge-
funden werde, der nicht an einer Wasserstrasse liege. Sage
ihnen, dass ein von zahlreichen Häfen und altberühmten
Städten umkränztes Doppelmeer das Land umfliesst und dass
viele grosse Ströme sich in dasselbe ergiessen, so dass fast
ganz Italien auf Wasserpfaden mühelos durchreist werden
kann. Wo aber das Meer nicht strömt, da stellen sich die
bis in die Wolken ragenden Alpen der Wuth der Barbaren
entgegen. In der Mitte des Landes findet man grünende
Hügel und sonnige Thäler und fruchtbare Gefilde, der Apennin
aber, der Vater der Berge, durchschneidet ganz Italien der
Länge nach mit seinen waldreichen Höhen, silberhelle Bäche
strömen von ihm aus und mannigfache heilsame Gewässer,
kalte und warme Quellen, aus denen zu trinken für die
Dürstenden erquickend, für die Gesunden ergötzlich und für
die Kranken heilkräftig ist. Reichhaltige Adern aller Metalle
durchziehen das Gebirge und Heerden von kampflustigeij^
Rindern weiden auf seinen Triften. — Auf allen ]\Ieeren ge-
bieten Italiens Schiff"e, so dass dieses ganze Mittelmeer gegen
den Willen der Italiener von keinem anderen Volke befahren
werden kann. Hier in Italien gibt es eine unerschöpfliche
Menge von Getreide, Wein und Oel, von Bäumen, Früchten
und Obstsorten, die anderswo unbekannt sind, von Holzarten,
von Nutzthieren und Wild, von Fischen und Vögeln und
Die Jahre des Alters. 379
Speisen aller Art, so dass Deine Cardinäle nicht den Hunger-
tod zu fürchten brauchen."
Auf die Anpreisung der materiellen Genüsse, welche
Rom den Cardinälen bieten würde, kommt Petrarca dann noch
einmal zurück und hebt nachdrücklich hervor, dass man dort
alle nur denkbaren Leckerbissen erhalten und, wenn doch
etwa der eine oder der andere fehlen sollte, er leicht durch
die bequemen Handelsverbindungen beschafft werden könne —
man ersieht hieraus, wie kläglich und widerlich verweltlicht
die Denkweise der hohen Kirchenfürsten war. Aber auch an
ernsten Mahnungen und Vorstellungen lässt er es nicht fehlen.
Mit grossem Freimuthe legt er dar, wie unwürdig es sei,
wenn die Cardinäle durch kleinliche Gründe zum Verbleiben
in Avignon sich bestimmen Hessen und ein kleines persönliches
Opfer für Rom zu bringen sich scheuten, während doch
mehrere römische Kaiser, welche durch ihre Geburt aus-
wärtigen Ländern, wie Spanien, Syrien oder Africa angehört
hätten, bestrebt gewesen seien, Rom zu Liebe ihre Nationalität
zu vergessen und zu Römern zu werden. Bei den Cardinälen
aber müsse als ein Motiv für die Rückkehr nach Rom noch
hinzutreten, dass man nirgends so andächtig sein könne, wie
in dieser durch die Apostelfürsten und Märtyrer geweihten
Stadt.
Auch einen politischen Grund endlich macht Petrarca zu
Gunsten der Uebersiedelung der Curie nach Rom geltend:
der Papst müsse jetzt dem griechischen Morgenlande, welches
von den Türken bedrängt werde, näher sein, um ihm Hülfe
bringen zu können. Schimpflich sei es auch, wie die wahre
katholische Kirche von den Griechen verachtet und geschmäht
werde. Diese Schmach dürfe die rechtgläubige Christenheit
nicht länger dulden und leicht sei es auch, ihr zu wehren:
die Venetianer und Genuesen würden, wenn der Papst es nur
wolle, das schwache byzantinische Reich mühelos zerstören
oder doch seine Bewohner zum Katholicismus überführen.
Den grössten Freimuth indessen zeigt Petrarca am Schlüsse
des Briefes. Er habe gehört, sagt er da. dass der Papst
380 Siebentes Capitel.
einen bestimmten Theil seines Palastes „Rom" benenne und
durch einen zeitweiligen Aufenthalt in demselben seiner Pflicht,
in Piom zu residiren, zu genügen glaube. Wenn das wahr
sei, so heisse das Gott verspotten und versuchen.
Schliesslich erinnert der kühne Brief schreib er den Papst
an die Verantwortung, welche er einst am Tage des jüngsten
Gerichtes Christus und St. Peter über sein Verbleiben in Rom
zu geben haben Averde, und macht ihn darauf aufmerksam,
dass man wol nirgends seliger sterben und auferstehen könne
als in Rom, wo so viele Heilige rahen. Wolle aber Urban V.
trotz alledem nicht nach Rom zurückkehren, nun, so möge er
wenigstens veranlassen, dass der Kaiser dort seine Residenz
aufschlage, denn einer von beiden, der Papst oder der Kaiser,
müsse unbedingt in der Hauptstadt der christlichen Welt
seinen Sitz haben.
Es ist ein merkwürdiger Brief, dessen wesentlichster In-
halt im Obigen kurz wiedergegeben worden ist. Merkwürdig
durch den Freimuth, mit welchem in ihm der rombegeisterte
Humanist zu dem Oberhaupte der Christenheit spricht; merk-
würdig ferner durch das grelle Streiflicht, das er auf die da-
maligen Zustände der Kirche wirft ; merkwürdig auch dadurch,
dass er zeigt, wie damals noch der Sinn für Naturschönheit
in solchem Grade unentwickelt war, dass Petrarca die gegen-
wärtig von Allen gekannten und gepriesenen Reize Italiens
erst gleichsam entdecken musste; merkwürdig endlich auch
durch den weiten und richtigen Blick, welchen der, sonst in
so seltsamen Illusionen befangene, Idealist Petrarca hier einmal
beweist. Nicht nur, dass er, was allerdings so ziemlich hand-
greiflich war, erkennt der natürliche und historisch allein be-
rechtigte Sitz des Papstthums könne einzig in Rom sein, sondern
er schaut auch weiter und weist mit prophetischem Blicke das
Papstthum und das Abendland auf die Aufgabe hin, die damals
für sie im Osten gestellt ward. Er weist darauf hin, dass
dem Vordringen der Osmanen Einhalt gethan werden müsse,
dass das byzantinische Reich sich nicht länger mehr halten
könne und dass die italienischen Seestaaten zu dessen Erbschaft
Die Jahre des Alters 381
bemfen seien. Wie ganz anders und, soweit menschliches Er-
messen zu urtheilen vermag, um wieviel besser würde die
Weltgeschichte sich gestaltet haben, wenn Petrarca's Ideen
verwirklicht worden wären! Die orientalische Frage, deren
Lösung schon so viele Ströme Blutes gekostet hat und noch
kosten wird, wäre vermuthlich Europa erspart oder doch im
Keime erstickt worden. Die Republiken Italiens aber würden,
anstatt in selbstmörderischen Wechselkämpfen sich zu zerrütten,
im Osten ein würdiges Feld für ihre überschüssige Thatki-aft
gefunden und das Morgenland mit dem Abendlande zu einer
gi-ossen Cultureinheit verbunden haben.
Es bedurfte der Epistel ^) Petrarca's nicht mehr, um den
Papst zur Rückkehr nach Rom zu bestimmen. Andere
Gründe waren bereits für Urban V. maassgebend gewesen.
Er empfand es zu deutlich, dass das Papstthum in seiner
Giaindlage schwanke, so lange es in A^^gnon ausserhalb seiner
natürlichen Atmosphäre weile. Er empfand auch, dass die
äussere Lage der Curie an den Ufern der Rhone eine äusserst
gefährdete geworden sei, seitdem Frankreich die Beute der um-
herstreifenden Söldnercompagnien -) geworden war. War es
doch bereits geschehen, dass er sieh gezwungen gesehen hatte, von
einer solchen Compagnie den Frieden mit Geld und Ablass-
eitheilung zu erkaufen. Solchen Schimpf hatte er in Rom
nicht zu befürchten. LTnd wenn man früher wol gemeint
hatte, in Avignon sei ein gesünderes Wohnen, als in Roms
Malarialuft, so war dieser Glaube unhaltbar geworden, seitdem
in den Jahren 1348 und 1361 die Pest in Avignon grauen-
haft gewüthet hatte.
So beschloss denn Urban V. die Rückkehr nach der alt-
ehrwürdigen Stadt der Apostelgräber. Am 30. April 1367
^) Es ist diese Epistel „Venedig, den 29. Juni" datirt, jedenfalls des
Jahres 1366.
^) Durch den Frieden von Bretigny waren grosse Söldnerschaaren be-
schäftigungslos geworden, welche nun in fest organisirten Kameradschaften
auf eigene Faust plündernd und brandschatzend Frankreich, Italien und
einen Theil Deutschlands Jahre lang verheerten.
382 Siebentes Capitel.
verliess er Avignon, ungeachtet des lebhaften Widerspruches
der französischen Cardinäle, fuhr sodann am 20. Mai von
Marseille nach Corneto über, wo er am 4. Juni eintraf, und
setzte von dort aus seine Reise zu Lande nach Viterbo fort.
In dieser Stadt, welche er am 9. Juni erreichte, nahm er
einen längeren Aufenthalt, der freilich durch zwei unheilvolle
Ereignisse, den Tod des grossen Cardinallegaten Egidio d' Albornoz,
des ^Yiederherstellers des Kirchenstaates, und einen Volks-
aufstand verdüstert wurde. Endlich am 14. October brach
der Papst nach Rom auf und zog am Morgen des 16. mit
festlichem Gepränge dort ein ^).
Petrarca, ob des Papstes That mit höchster Freude er-
füllt, richtete an denselben ungesäumt eine lange beglück-
wünschende Epistel 2) , in welcher er zum Theil die in dem
früheren Schreiben zu Gunsten Roms vorgebrachten Argu-
mente wiederholte. Abermals erging er sich im Lobe Italiens,
dessen politische Bedeutsamkeit und Machtfülle sowie die Grösse
und Blüthe seiner zum Theil alten, zum Theil, wie namentlich
Venedig, noch jugendlichen Städte. Sodann wandte er sich
zum besonderen Lobe Roms. Allerdings, bekennt er, sei Rom
sehr verfallen, aber desto schöner und würdiger sei für Urban
die Aufgabe, die Stadt Avieder zu erheben. Rom sei der Ort,
an welchem der Papst Gott am meisten gefallen und den
Menschen am meisten nützen könne, er dürfe daher auch ver-
nünftigerweise nicht daran denken, die Stadt wieder zu ver-
lassen. Das würde heissen, eine Sache herrlich beginnen und
kläglich enden. Man sage, Rom sei ungesund, und das möge
zum Theil auch wahr sein, aber ungesund sei es nur, weil es
entvölkert sei ; werde ihm nun durch die Residenz des Papstes
wieder eine grössere Bevölkerung gegeben, so würde auch
zweifelsohne sein sanitärer Zustand sich wieder bessern. Für
seine persönliche Sicherheit habe der Papst in Rom Nichts
^) vgl. über diese ganze Episode Gregorovius, a. a. 0. VI p. 415 ff.
u. Christophe, a. a. 0. II p. 280 ff.
') Ep. Sen. IX 1.
Die Jahre des Alters. 383
ZU befürchten, denn der Tumult in Viterbo sei nur das Werk
eines vereinzelten Bösewichtes gewesen.
Nicht unbekannt konnte es bleiben, wie eifrig Petrarca
für des Papstes Rückkehr nach Rom gewirkt hatte, und es
war nur natürlich, dass der Zorn der französischen Prälaten,
die nur mit dem äussersten Widersti'eben das heimathliche
Avignon mit dem verfallenen Rom vertauschten, sich haupt-
sächlich auch gegen ihn richtete. Einer der erbitterten
Franzosen schleuderte eine heftige Schmähschrift ^) gegen den
rombegeisterten Humanisten, von welcher wir hier, um den
Ton, in welchem damals litterarische Fehden ausgefochten
wurden, zu veranschaulichen, eine kurze Analyse folgen lassen.
„Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen
Jericho und fiel unter die Mörder (Ev. Luc. 10, 30)." Der
Mensch ist der Papst, Jerusalem das friedfertige Gallien,
Jericho das wankelmüthige Rom. Rom lässt sich mit dem
blonde vergleichen: so hat seine Macht, allmählich bis zum
vollen Glänze zu-, dann bis zum völligen Verschwinden ab-
genommen. Jetzt ist Rom ein wesenloser Schatten, ein Nichts.
Am Boden liegen seine Scepter, am Boden seine einst so stolzen
Paläste und des erhabenen Cäsar Haus ist zu einer Hütte für
die Armen geworden. Wie ganz anders steht dagegen Gallien
da, das von Petrarca geschmähte I Keineswegs ist es unfrucht-
bar, wie Petrarca ihm vorgeworfen, vielmehr ist derjenige
Theil, in welchem Avignon liegt, ebenso fruchtbar, wenn nicht
fruchtbarer, als die römische Landschaft. Und übrigens be-
darf man ja weniger Dinge zu einem glücklichen Leben, Den
Italieneni fehlt eben die Genügsamkeit, immer trachten sie
nach Geld und Gewinn und desshalb sind sie auch immer arm.
Schon Orosius nannte Rom „einen unersättlichen, Alles ver-
schhngenden, immer hungrigen Bauch".
Nun will der Anonymus die Worte: „und er fiel unter
die Mörder" erklären. Gern freilich, bekennt er, würde er
^) abgedruckt unter der Bezeichnung „Galli cuiusdam anonj-mi in Fr.
P. invectiva" in den baseler Ausgaben.
384 Siebentes Capitel.
davon absehen, wenn ihn nicht Petrarca dazu nöthige, indem
er den Weggang des Papstes von Avignon als „den Auszug
Israels aus Aeg\pten" bezeichnet habe. Israel solle dabei
ofifenbar die Kirche, Aegypten aber Gallien und das Barbaren-
volk, von welchem Petrarca weiterhin spreche, die Franzosen
bedeuten. Das Alles sei aber so verkehrt wie nur möglich.
Glaube nämlich Petrarca im Eniste, dass Gallien Aegypten
sei, so sei dies ja einfach unrichtig, spreche er aber nur gleich-
nissweise, so sei es grundfalsch, denn Aegypten bedeute so viel
als,„Finsterniss", Gallien dagegen, dessen Name sich vom griechi-
schen yaha, d. h. Milch, ableite „das weisse, leuchtende Land",
Freilich werde Aegypten auch erklärt als ,,Bedrängniss, Be-
kümmerniss" ^), und in diesem Sinne habe Petrarca es jeden-
falls verstanden wissen wollen. Aber habe nicht die Kirche
in Gallien sich der grössten Ruhe, des tiefsten Friedens er-
freut? Das Aergste jedoch sei, dass Petrarca die Franzosen
als ein Barbarenvolk bezeichnet habe. Seien dieselben doch
vielmehr ein wohlgebildetes, feingesittetes und mit hohen
Tugenden geschmücktes Volk. Die Barbarei der Römer hin-
gegen sei ausser Zweifel: sie werde bezeugt durch das Urtheil,
welches der heilige Bernhard in einem Briefe an den Papst
Eugen über sie ausgesprochen habe und mehr noch durch
Juvenal's beissende Satyre. Wenn also der Papst sich zu
solchen Leuten begebe, wie die Römer nach Juvenal's Schilde-
mng seien, so könne man in Wahrheit sagen, dass er Mördeni
in die Hände falle.
Im Folgenden will nun der Anonymus noch folgende vier
Punkte erörtern: 1) dass Petrarca den Papst zur Rückkehr
nach Rom beglückwünsche; 2) dass er ihn und die Cardinäle
zur Tugend ermahne; 3) dass er den südfranzösischen Wein,
namentlich den benuenser Wein, schmähe, und 4) dass er
Gallien herabsetze, Italien hingegen lobend erhebe.
Was Petrarca's Glückwunsch anlange, so sei derselbe
sehr thöricht, denn, wenn der Papst glücklich werde, so werde
^) Der hebräische Name 3'!'^3t73 klingt an "12273 „Bedrängniss" an
Die Jahre des Alters. 385
er dies nur durch seine Tugend, die Reise nach Rom aber
könne einzig bewirken, dass sein inneres Glück durch äussere
Widerwärtigkeiten, Sorgen und Bekümmernisse getrübt werde.
Dies werde ganz sicher nicht ausbleiben, sehe man doch schon
die wüthende Zusammenrottung der Viterbosen, die beleidigende
Aufregung der Römer, die Rebellion der Perusiner und den
gehässigen Widerspruch der Tyrannen. — Weitläufig bemüht
sich dann der Anonymus in diesem Abschnitte, den Begriff
„Glück" in scholastischer Manier zu definiren.
Petrarca's Ermahnung, die er an die Cardinäle gerichtet
habe, sei eine unerhörte Frechheit, denn wie könne er sich
unterfangen, das heilige Collegium für verblendet und unwissend
zu halten? Und verräth es nicht seine eigene höchste Un-
wissenheit und Gewissenlosigkeit, wenn er dem Papst zur
Reise in ein Land räth, in welchem alle Laster herrschen, in
welchem man vom Raube lebt und in welchem schliesslich die
Pest der Gottlosigkeit wüthet? Steht doch in Mailand das
aus weissem Marmor gefertigte Standbild eines Reiters auf
dem Altäre^)!
Wer aber sollte nicht schaudern, wenn er den so präch-
tigen benuenser Wein schmähen hört? Freilich aber sei die
Curie nicht dieses Weines wegen nach Avignon übergesiedelt,
sondern nur um den Verfolgungen, denen sie in Rom aus-
gesetzt gewesen, zu entgehen. Und überdies dürfe der Papst
seinen Sitz aufschlagen, wo es ihm beliebe: ubi Papa, ibi
Roma.
Die Schmähungen endlich, welche Petrarca gegen Gallien
schleudere, seien leicht zu widerlegen. Welch' schönes Land
Gallien sei, werde schon dadurch bezeugt, dass einst die
Phocenser, durch seine Reize gefesselt, dort die Colonie
Massilia gründeten, von welcher Rom selbst nach seiner Zer-
störung durch die Gallier Wohlthaten empfangen habe. Bei
^) Es ist nicht ersichtlich, worauf sich diese sicherlich auf einem Miss-
verständnisse beruhende Anspielung beziehen soll. Hatte der Franzose
•slelleicht eine Statue des heil. Georg, des Drachentödters , in einer Kirche
gesehen und missdeutet?
Körting, Petrarcu. 25
386 Siebentes Capitel.
den alten Historikern, namentlich bei Justin, sei viel von der Menge
und von der furchtbaren Tapferkeit der Gallier zu lesen, während
andererseits von ihnen bezeugt werde, dass Italien wüst liegen
würde, wenn es nicht theils von den Galliern, theils von den Grie-
chen besiedelt worden wäre. Geradezu lächerlich aber sei es, wenn
Petrarca behauptet habe, ausserhalb Italiens sei kein Gelehrter
und Dichter zu finden. Leicht sei es, zahlreiche Schriftsteller
sowol der alten wie der neuen Zeit aufzuzählen, welche in
Gallien geboren worden seien. Auch sei nicht zu vergessen,
dass die antike Litteratur keineswegs eine ausschliesslich
römische genannt werden könne und dass, so vortreftlich auch
Vieles in der römischen Litteratur sei, dies sich doch nicht
mit des Aristoteles Werken vergleichen lasse. Welche Stadt
aber könne sich in Bezug auf die Blüthe des wissenschaftlichen
Lebens mit Paris vergleichen? preise es doch selbst der fran-
zosenfeindliche Joannes Anglicus in seinem Architrivium ! —
Wenn Petrarca Rom die „heilige" Stadt nenne, so erklärt der
Anonymus, dies nur dann begreiflich finden zu können, wenn
er an die Kirchen und Reliquien Roms denke, denn sonst
sei an Rom nichts Heiliges zu finden, sondern eher sei man
versucht, es mit Juvenal die „grausige (saeva)" Stadt zu
nennen, denn welche Greuelthaten seien doch in Rom verübt
worden und mit welchem Undanke hätten die Römer gerade
ihre besten Bürger und überdies auch viele heilige Männer
belohnt! namentlich aber sei die Urgeschichte Roms erfüllt
von Blut und Mord. Allerdings hätten in Rom auch ausge-
zeichnete Männer gelebt, aber die gegenwärtigen Römer hätten
nicht deren Tugenden ererbt, wohl aber die Laster der scheuss-
lichsten ihrer Vorfahren. Nachdem der Anonymus hiermit die
Behandlung seines Thema's, sowie er dieselbe sich entworfen
hatte, beendet hat, erklärt er am Schlüsse seines Tractates
mit Emphase, dass er den Papst weder zum Verbleiben in
Avignon noch zur Rückkehr nach Rom auffordern, sondern
die Entscheidung dieser Frage ganz seinem eigenen Urtheile
überlassen wolle. — —
Man wird erkannt haben, dass diese Schrift nicht ohne
Die Jahre des Alters. 3S7
Gewandtheit abgefasst ist und die Blossen, welche Petrarca
in seinem Plaidoyer für Rom sich gegeben hatte, ganz geschickt
zu treffen weiss. Einzelne Bemerkungen des Anonymus, wie
z. B. seinen Hinweis darauf, dass die lateinische Litteratur durch-
aus nicht allein eine specifisch römische ist, muss man geradezu
geistreich und treffend nennen. Interessant ist die Schrift
auch dadurch, dass sie, obwol gegen den Begründer des Hu-
manismus und auch gegen den Humanismus selbst, insofern
dieser Romschwärmerei war, gerichtet, doch von der schon
fest gewurzelten INTacht der humanistischen Geistesrichtung be-
redtes Zeugniss ablegt. Der Anonymus bemüht sich sichtlich,
seiner Abhandlung ein humanistisches Colorit zu verleihen, er
strebt, freilich erfolglos, nach einer guten Latinität und häuft
aus allen möglichen classischen oder doch lateinischen Autoren
Citate auf. Terenz, Virgll, Horaz , Ovid, Juvenal, Seneca
(in seinen Tragödien) und Claudian unter den Dichtern, Justin,
Valerius Maximus, Solin, Augustin, Orosius, Boethius und
Julius Celsus (d. h, Julius Cäsar de hello gallico) unter den
Prosaisten müssen ihm Belegstellen liefern, ausserdem auch
die lateinische üebersetzung der aristotelischen Ethik. Man
sieht, es ist ein stattliches Material, das hier zu polemischen
Zwecken aufgehäuft ist, aber bei der Leetüre der Schrift er-
kennt man doch, dass der Verfasser die gelehrten Waffen noch
nicht mit voller Fertigkeit zu handhaben versteht, dass sie
ihm noch zu schwer sind und dass er sich ihrer mehr zum
Prunke als zum Kampfe bedient. —
Gegen Nichts war Petrarca, besonders im höheren Altei-,
empfindlicher, als gegen litterarische Angriffe. Ein solcher
konnte ihn in helle Wuth versetzen und zu den maasslosesten
Entgegnungen, zu einem Vergessen aller Schranken der Billig-
keit und Schicklichkeit verleiten. Er war auch in dieser Be-
ziehung das Prototyp der späteren Humanisten, von denen —
mit wenigen el\renwerthen Ausnahmen — ein Jeder in eitelster
Selbstüberschätzung befangen war, ein Jeder sich selbst ver-
götterte und auf Unfehlbarkeit lauten Anspnich erhob, ein
25*
388 Siebentes Capitel.
Jeder endlich im Bewusstseiu der eigenen Herrlichkeit mit
Geringschätzung auf den Anderen herabblickte und , wenn
dieser, wie natürlich, für solche Geringschätzung sich in gleicher
Weise rächte, ihn mit allen Waffen einer giftigen und sophi-
stischen Rhetorik bekämpfte. Es war dies eben die widerliche,
übrigens leicht erklärliche Schattenseite des Humanismus, dass
er Duldsamkeit gegen das Denken Anderer nicht kannte. Alle
in ihrer Eigenartigkeit stark ausgeprägten Individualitäten .sind
despotisch und streben darnach, sich alleinige Geltung zu er-
ringen, namentlich aber dann, wenn, wie dies bei dem Huma-
nismus der Fall, die Intelligenz der Leitung durch das ethische
Bewusstsein entbehrt.
So rüstete sich Petrarca, als ihm im Jahre 1372') die
französische Streitschrift durch Vermittelung des Legaten
Uguccione di Tiene bekannt geworden war, unverzüglich zur
energischen Gegenwehr und verfasste eine geharnischte „Ver-
theidigung gegen die Verleumdungen eines gewissen anonymen
Franzosen"^). Auch von dieser Schrift, welche des Interes-
santen Manches enthält und zu mancherlei Betrachtungen an-
regt, lassen wir hier eine gedrängte Uebersicht des Inhaltes
folgen.
Zunächst spricht Petrarca seine Verwunderung darüber
aus, dass der Anonymus erst jetzt den doch bereits vor vier
Jahren geschriebenen Brief an Urban V. beantworte ^). Schon
durch dieses lange Zögern verrathe der Anonymus, wie schwach
^) üeber die Zeitbestimmung vgl. Fracassetti, Lett. fam. V p. 213 ff.
2) Petrarcae contra cujusdam anonymi GaHi calumnias apologia, abge-
druckt in den baseler Ausgaben der opp. omnia.
") Das war siclierlich nur eine Fiction Petrarca's, denn die Invective
des Franzosen ist ohne Zweifel im Jahre 1368 verfasst worden, als sie noch
dem praktischen Zwecke, den Papst zum Verbleiben in Avignon oder zur
Rückkehr dahin zu bewegen, dienen konnte. Im Jahre 1371 oder 1372,
nachdem Urban V. bereits im September 1370 nach Avignon »urückgekehrt
war und sein Nachfolger, Gregor XL, erst im Jahre 1374 wieder an die
Uebersiedelimg nach Rom dachte, wäre die Abfassung der Invective völlig
sinnlos gewesen; auch macht sie ganz den Eindruck, noch unter Urban's V.
Pontificate geschrieben worden zu sein.
Die Jahre des- Alters. 389
es um seine Sache bestellt sei. Nun endlich habe er mit Zu-
hülfenahme aller möglichen Bücher — oder vielleicht auch nur
(man bemerke den giftigen Streich!) mit Hülfe eines Com-
pendiums, etwa einer Anthologie (manipulum florum), wie sie
ja bei den Franzosen so beliebt sei — und mit acht scho-
lastischer Schwerfälligkeit eine Schrift zu Stande gebracht,
welche den Leser auch mitten im Winter schwitzen machen
könne und an das Sprüchwort mahne : „Nichts ist lästiger als
ein gelehrter Mann." Der Autor aber dürfe mit Nero aus-
rufen: „0 verstände ich doch nicht zu schreiben!"
Wie albern sei der Text, den der Anonymus für seine
Predigt sich gewählt: „Es war ein Mensch, der ging von
Jerusalem hinab gen Jericho." Wie könne man die tiefe
Lasterhöhle Avignon, den scheusslichsten Gestank des ganzen
Erdkreises, mit Jerusalem, die Welt- und Reichshauptstadt
Rom aber; die Burg des kathohschen Glaubens, mit Jericho
vergleichen! Wie könne sich ferner der Anonymus gegen die
Bezeichnung der Franzosen als Barbaren ereifern! Möge er
nur seine Bücher wälzen, so werde er finden, dass alle Histo-
riker und Cosmographen die Gallier also benennen. Wie
lächerlich aber und wie verlogen sei es, wenn der Anonymus
aus der Massigkeit der Franzosen in Leibesgenüssen folgern
wolle, dass sie keine Barbaren seien! Bezeuge doch Sulpicius
SeveiTis, der beredteste aller Gallier, ausdrücklich die Gefrässig-
keit seiner Landsleute.
Nun gibt Petrarca eine kurze Charakteristik der mpdernen
Franzosen, welche, mit mehreren späterhin folgenden Stellen
zu einem Gesammtbilde vereinigt, einen interessanten Beitrag
zur Geschichte der Völkerpsychologie darbietet und desshalb
hier folgen möge.
Die Franzosen sind ein bewegliches und witziges Volk ^),
welches, in angenehmer Weise sich selbst betrügend, über
sich selbst sehr günstig, über alle anderen Nationen aber sehr
ungünstia- urtheilt. In Wahrheit freilich kommen sie in Bezug
^) gens promptula et argutula, p. 1191.
390 Siebentes Capitel.
auf geistige Befähigung anderen Völkern nicht gleich, aii Ruhm-
sucht und Geschwätzigkeit aber übertreffen sie selbst die (byzan-
tinischen) Griechen. Im Uebrigen sind sie Leute, die zu leben
verstehen, die sich gern amüsiren und die Sorgen durch
Spiel, Scherz, Gesang, Schmausen und Zechen zu verscheuchen
wissen. Ihre hervorstechendste Charaktereigenschaft aber ist
der Leichtsinn. Wahrlich, Pilatus würde nicht so eilig und
leichtmüthig seine Hände in Unschuld gewaschen haben, wenn
er nicht ein Gallier gewesen wäre ^) ! Mögen übrigens die
Franzosen sein, wie sie wollen — fährt Petrarca fort — und
immerhin glauben, dass sie keine Barbaren seien, an der
Wahrheit könne dies doch Nichts ändern, wenn man auch gern
zugestehen dürfe, dass sie die gesittetsten aller Barbaren seien.
Von den Schmähungen, welche der Verfasser der Invective
nach Art eines Rasenden gegen Rom ausgespieen habe, will
Petrarca die meisten mit Stillschweigen übergehen und nur
einige zurückweisen. Der Anonymus habe Rom die Wande-
lungen seiner Geschicke vorgeworfen und es um dieser willen mit
dem Monde verglichen. Aber haben andere berühmte Städte nicht
noch jähere Schicksalswechsel erlitten? Rom sei doch wenig-
stens immer bestehen geblieben und der Ruhm der erhabenen
Stadt werde dauern bis zum Ende aller Dinge. Und übrigens,
stürzen könne nur, was hoch stehe: Rom habe daher stürzen
können, während für Avignon freilich dies nimmer möglich sein
werde. Grosse Männer, welche nicht Römer gewesen seien,
hätten für von Römern abstammend gelten wollen — nur
solche kleine und geistig beschränkte Leute wie der Anonymus
fühlen sich wohl in dem Schmutze ihrer obscuren Heimath.
Der Anonymus leugne, dass die Kirche in Avignon Drang-
sal habe erdulden müssen. 0 über den geistig Tauben und
Blinden ! Er weiss also nicht, dass in Avignon der Zusammen-
bmch der alten guten Sitten der Kirche erfolgt ist! Jeden-
falls aber stelle er sich nur, als wisse er es nicht und schmei-
^ ! Der alten Legende zufolge war Pontius Pilatus aus Gallien gebürtig,
vgl. Willi. Creizenacli, Legenden und Sagen von Pilatus, in Paul's und
Brauue's Beitr. zur Gesell, der deutschen Spr. u. Litt. I p. 94.
I
Die Jahre des Alters. 391
chele der Curie, um den Bischofshut zu erhaschen, den ihm
Petrarca gern gönnen wolle. Die Wuth, welche der Anonynms
gegen Rom zeige, gleiche der Wuth, mit welcher ein entlaufener
Sklave gegen seinen früheren Herrn schimpfe. Aber noch sei
llom stark und könne sich leicht zur Züchtigung rebellischer
Barbaren aufraffen. Unbegreiflich dumm sei es auch, wenn
der Anonymus sich anstelle, als könne er nicht begreifen, wess-
halb Rom die „heilige" Stadt genannt werde. Bekanntlich sei
nach dem Gesetze ein jeder Begräbnissplatz, selbst der eines
Sklaven, heilig, Rom aber sei die Grabstätte so vieler berühmter
und so vieler heiliger Männer, so vieler Apostel und Märtyrer,
und überdies sei es auch heilig als die Mutterstadt der römi-
schen Gesetzgebung.
Der Anonymus vermöge in seiner Beschränktheit nicht
einzusehen, wesshalb Petrarca die Rückkehr des Papstes nach
Rom als ein Glück betrachtet habe. Als wenn es nicht ein
Glück gewesen wäre, dass die Kirche aus der Verbannung in
ihren rechtmässigen Sitz zurückgeführt und aus dem blutge-
tränkten Schlamme Avignons erlöst worden sein würde! Zu
tadeln habe Petrarca nur, dass Urban V. nicht beständig ge-
wesen sei, sondern noch kurz vor dem Tode sein Gewissen
mit der Rückkehr nach Avignon beschwert habe — , besser
w^ürde es für ihn gewesen sein, wenn er sich auf seinem Sterbe-
bette vor den Altar der Peterskifche hätte tragen lassen.
Dass übrigens Urban selbst die Uebersiedelung nach Rom nicht
als ein Unglück betrachtet habe, werde durch seine beiden
eigenhändigen Briefe bewiesen, in denen er Petrarca's Mah-
nungen beantwortet, ihm dafür gedankt und ihn dringend zu
einem Besuche nach Rom eingeladen habe. Die Zeit werde
bald nahen, in welcher Diejenigen, die jetzt, nachdem sie durch
alle möglichen Einflüsterungen den Papst zur Rückkehr nach
Avignon beschwatzt, wieder in der Erdenhölle den benuenser
Wein trinken, das verdiente Verderben ereilen werde. —
Fern sei es von ihm, erklärt Petrarca, dem Papste einen
Aufenthaltsort anweisen zu wollen, und er wisse sehr wohl,
dass, wo der Papst sei, in gewissem Sinne auch Rom sei, aber
392 Siebentes Capitel.
er könne es sich nicht versagen, auszusprechen, dass der Papst
in Rom sowol sicherer als auch ehrenvoller wohnen würde.
Keiner Schaar von Bewaffneten bedürfe der Papst, um die
Rückkehr nach Rom zu ermöghchen: sein Ansehen, seine
Heiligkeit und seine geistlichen Waffen würden allein genügen.
Rom sei keine „grausige (saeva)" Stadt und, wenn der Saty-
riker sie so nenne, so brauche er das Epitheton ,,saevus" im
Sinne von „magnus (gross)", wie auch Virgil mehrfach gethan
habei).
Der Anonymus behaupte, dass die Römer zur Zeit, als
sie noch vorwiegend Heiden waren, viele heilige Männer ge-
tödtet hätten. Das Gleiche sei aber auch in Galhen geschehen
und, wenn allerdings die Zahl der römischen Märtyrer grösser
sei, als die der gallischen, so erkläre sich dies daraus, dass
Rom die Hauptstadt des Reiches war und dass Christus die
künftige Wohnstadt seines Stellvertreters mit reichlicherem
Martyrerblute befruchten wollte. Und haben einst die Römer
die Heiligen gemordet, so haben sie auch die Heiligen wieder
gerächt. —
Wenn der Anonymus ferner einen leisen Zweifel Petrarca's
an der Güte des benuenser Weines als eine Lästerung auf-
fasse, so erkenne man daraus sogleich, wess' Geistes Kind er
sei und wie er zu denen gehöre, welchen der Bauch ihr Gott
ist. Uebrigens habe Petrarca sich auch weniger gegen den
Wein ereifert, als gegen die Trunkenheit, welche derselbe bei
manchen geistlichen Würdenträgern zum Schaden der Kirche
zu erzeugen pflege. Wenn ihm nun der' Anonymus zur Strafe
für seine angebliche Schmähung wünsche, dass nie ein Tropfen
guten Weines seine Kehle benetzen möge, so ertrage er diesen
Fluch mit grossem Gleichmuthe, denn obwol er den Wein,
wenn er ihn haben könne, ganz gerne trinke, so sei er doch
für ihn, der sich ein römischer Bürger zu sein rühme ^),
nicht, wie für den Gallier, ein Lebensbedürfniss und er könne
desselben nöthigeufalls leicht entbehren.
') z. B. saevus Hector. Aen. I 99. sae^^as Aeneas Aen. XII 107.
') Romanus civis esse glorior p. 1185.
Die Jalue des Alters. 393
Der Anonymus fiihre als einen Beweis für die Schlechtig-
keit der Römer auch das an, was der heilige Bernhard in seinem
Briefe an den Papst Eugen gegen dieselben gesehrieben habe.
Allerdings nun habe leider St. Bernhard diesen harten Tadel
ausgesprochen, und es sei recht bedauerlich, dass er dies gethan.
Aber mit dieser Thatsache werde doch Nichts bewiesen. Die
gegenwärtige Heiligkeit St. Bernhards sei freilich über alle
Zweifel erhaben, aber, als er den betreffenden Brief schrieb,
sei er doch noch kein Heiliger gewesen, sondern nur ein
Mensch und als solcher menschlichen Leidenschaften unter-
worfen; möglich also sei es, dass er aus irgend einem Grunde
den Römern zürnte und, beeinflusst von diesem Zorne, über
sie urtheilte. Das sei um so denkbarer, als die Neigung zum
Zorn ein Nationalcharakterzug der Gallier sei. Dem Tadel
des heiligen Bernhard könne man übrigens die Lobeserhebungen
entgegen stellen, welche Ambrosius im Proömium seiner Epistel
an die Römer und Hieronymus im zweiten Buche seines
Commentars zu dem Galaterb riefe den Römern spendeten.
Wenn der x4nonymus den Römern Treulosigkeit und
Leichtsinn vorwerfe, so werde durch die Geschichte gerade
ihre Treue und Bedächtigkeit bezeugt, und selbst Feinde, wie
Kineas und Pyrrhus, hätten der Tugend der Römer ihre An-
erkennung nicht versagt Ferner wärme der Anonymus den
Vorwurf ^yieder auf, den einst der heilige Bernhard den
Römern gemacht, dass sie grosssprecherisch und doch dabei
kleinlich seien. Das Erstere aber sei nie eine Eigenschaft
der mehr auf Thaten als auf Worte bedachten Römer, sondern
nur der Griechen und Gallier gewesen, das Letztere aber sei
augenscheinlich unwahr, denn nirgends habe eine höhere Gross-
artigkeit sich entfaltet als in Rom. Weiter tadele der Ver-
fasser der Livective an den Römern, dass sie unfähig zum
Frieden und nur immer nach Krieg begierig gewesen seien.
Diese Behauptung lasse sich freilich nicht widerlegen , denn
die ganze Geschichte von Numa ab bis zu Cäsar hinauf (sie!)
bestätige sie. Aber alle ihre Kriege führten die Römer mit
Gerechtigkeit und überhaupt entfalteten sie in ihren steten
394 Siebentes Capitel.
Kämpfen so heiTliclie Tugenden, dass ihre Geschichte zugleich
eine ununterbrochene Verherrlichung ihres Namens sei. End-
lich auch mache der Anonymus den Römern Unverschämtheit
in ihren Forderungen und Undankbarkeit für empfangene
Dienste zum Vorwurfe. Die erste Beschuldigung sei leicht zu
widerlegen: bezeugen doch zahlreiche und glänzende, von
Livius erzählte Thatsachen die Uneigennützigkeit der Fiömer.
Ganz ähnlich verhalte es sich auch mit der zweiten Anklage,
wenn auch allerdings einzelne Fälle von Undank nicht ab-
zuleugnen seien. Wende man nun etwa gegen die sittliche
Tüchtigkeit der Römer ein, dass in Rom immer nur einzelne
Männer Beispiele hervorragender Tugenden gegeben haben,
so sei dies freilich richtig, aber dasselbe sei, und zwar in weit
ungünstigerem Verhältnisse, überall der Fall. Ueberdies dürfe
man auch hier nicht vergessen, dass Rom die Mutterstadt der
römischen Gesetzgebung und die Welthauptstadt sei, wie es
der Jurist Salvius Julianus genannt habe.
Aber der Anonymus, der sich gleichzeitig im Besitze eines
Hahnenkammes ^j und einer Gänsezunge befindet, wird gegen
dies Alles den Einwand erheben: „die Zeiten und die Menschen
haben sich geändert !" Freilich ändere sich Alles mit der Zeit
und man empfinde das in der verkommenen Gegenwart nur
gar zu deutlich. Aber dennoch seien auch jetzt noch die
Römer tüchtige Männer und, wenn sie freundlich und nicht
tyrannisch behandelt würden, so könne man sehr angenehm
mit ihnen verkehren. Nur in einem Punkte verständen sie
keinen Scherz : sie Hessen sich ihre Weiber nicht so leicht ent-
reissen wie die Bewolmer des Jemsalems an der Rhone. —
Sehr mit Unrecht beschuldige man die Römer der Gewinn-
sucht: gebe es doch in keiner grossen Stadt verhältnissmässig
so wenig Kaufleute wie in Rom. Gewiss würde selbst auch
der Anonymus nicht so hart über die Römer urtheilen, wenn
er nicht von einem ererbten Hasse gegen sie beseelt wäre.
^) In der ganzen Schrift wird von dem wohlfeilen Wortspiele zwischen
gallus (Hahn) und Gallus (Franzose) ein ausgiebiger und wenig geistvoller
Gebrauch gemacht.
Die Jahi-e des Alters. 395
Der Anonymus wolle nicht begreifen, dass zu Avignon
die Kirche sich im Exile befinde. Aber Südgallien diente doch
schon im Alterthume als Verbannungsort! So seien Archelaus,
des Herodes Sohn, und Herodes Antipater nach Vienue, ein
anderer Herodes und Pilatus nach Lyon verbannt worden.
Petrarca bestreitet, behauptet zu haben — wie der Gegner
es ihm unterschiebe — dass es in Gallien keine Gelehrten
gebe, er habe vielmehr nur behauptet, dass von den vier grossen
„Lehrern der Kirche (doctores eeclesiae)" keiner Gallien an-
gehört habe. In seinem Eifer, möglichst viele gallische Ge-
lehrte aufzuzählen, habe aber der Anonymus nicht nur einige
ganz obscure Leute mitgenannt, sondern auch den Sachsen
Hugo von St. Victor für Gallien annectirt. Wenn er aber
die Universität Paris so hoch rühme, so sei dabei doch zu be-
denken, dass die berühmtesten Lehrer an derselben sämmtlich
Ausländer gewesen seien und zwar zum grossen Theile Italiener,
so z. B. Aegidius Colonna, Petrus Lombardus, Thomas von
Aquino, Bonaventura de Balneo Regio ^). Die Gallier seien
von Natur ungelehrig, wie schon Hilarius erklärt und später
auch Hieronymus bezeugt habe.
Sein Gegner rühme ferner die grosse Volksmenge der
Gallier. Das möge immerhin wahr sein, aber auch die Mücken
und andere unedle Thiere seien zahlreich. Eben so wenig sei
es für die Gallier ein Buhm, im Alterthume morgenländischen
Fürsten als Söldner gedient zu haben. Zeitweilig hätten die
Gallier allerdings in Italien und Giiechenland weite Land-
striche vßrheert und erobert, aber aus beiden Ländern seien
sie bald wieder schimpflich vertrieben, wenn nicht vorher aus-
gerottet worden.
^) Es ist jedenfalls der im Jahre 1482 heilig gesprochene Bonaventura
(Johannes Fidanza) geb. 1221 zu Bagnarea gemeint, welcher im Jahre 12-31
mit Thomas von Aquino die theologische Doctorwürde erlangte. Ein
anderer Bonaventura, mit dem Beinamen Baduarius, geb. 1332 zu Padua,
lehrte in den fünfziger Jahren an der pariser Hochschule; er war mit Pe-
trarca befi-eundet und hat auch dessen Leichenrede gehalten. Vgl. Budinszky,
die Universität Paris etc. p. 184 f.
396 Siebentes Capitel.
Wenn der Anonymus die Blüthe der Stadt Massilia zum
Ruhme Galliens ausbeuten wolle, so schlage er damit sich
selbst, denn die Geschichtsschreiber berichten ausdrücklieh,
dass die griechischen Colonisten in Gallien ein rohes und
barbarisches Volk vorfanden.
Nun kommt Petrarca auf die litterarischen Fragen zu
sprechen, welche der Verfasser der Invective bezüglich der
Nationalität einzelner lateinischer Dichter und der zwischen
römischer und lateinischer Litteratur bestehenden Differenz
angeregt hatte.
Wenn der Anonymus den Dichter Claudian aus Vienne
stammen lasse, so verwechsle er ihn offenbar mit dem Pres-
l)yter Claudian, welcher aber freilich auch nicht aus Vienne,
sondern aus Lyon gebürtig sei^). Woher der Dichter Claudian
aber stamme, das wolle er (Petrarca) nicht sagen, um sich
nicht den Anschein zu geben, als beabsichtige 'er, sein ohnehin
schon ruhmreiches Vaterland durch die Hinzuzählung eines
Dichters zu bereichern ^). Statins sei allerdings seiner Ab-
stammung nach ein Gallier gewesen ^) , seiner Sprache nach
aber ein Römer, ebenso wie der Spanier Lucan. — Die Unter-
scheidung zwischen römischer und lateinischer Litteratur,
welche der Anonymus zu machen beliebe, habe keinen Sinn,
denn auch die Römer seien Lateiner gewesen. (Man bemerke,
wie sophistisch Petrarca hier verfährt!)
Was solle denn ferner die Frage des Anonymus bedeuten ;
„hat Cicero etwa (wie Aristoteles) Physika oder Varro Meta-
physika geschrieben?", womit er die Inferiorität der Römer
andeuten wolle? Sei denn Aristoteles etwa ein Gallier gewesen?
^) Nichtsdestoweniger darf Glaudianus Mamertus recht füglich als
Viennensis bezeichnet werden, da er Presbyter der Kirche von Vienne
war und als solcher vorzugsweise wirkte, vgl. Gennadius, vir. ill. c. 83 b.
Teuffei, Gesch. der röm. Lit. 3. Ausg. §. 468, 3., Ebert, Gesch. der christl.-
lat. Lit. (Leipzig, 1874), p. 450.
-) Es scheint, als ob Petrarca nicht gewusst habe, dass der Dichter
Claudian aus Aiexandria gebürtig war.
■") Ein auffallender Irrthum ! Statius stammte bekanntlich aus Neapel,
vgl. Teuffei, a. a. 0. §. 321.
Die Jahre des Alters. 397
Zu einem Spanier wenigstens habe ihn ein Mönehlein in einem
grammatischen, „Prosodion" betitelten Schriftchen schon ein-
mal machen wollen. Allerdings habe Cicero keine Physika
verfasst, aber dafür andere und nicht minder gute Bücher,
z. B. de ofiiciis, de legibus, de re militari, de re familiari, de
laude philosophiae ^), welche ebenfalls moralphilosophischen
Inhaltes und von grösserer Eindringlichkeit seien als des
Aristoteles gelehrte, aber trockene Schriften, Auch Seneca
dürfe als Moral philosoph dem Stagiriten an die Seite gestellt
werden. Varro aber habe 25 Bücher über die menschlichen
und 16 Bücher über die göttlichen Dinge geschrieben 2).
Nach dieser Erörterung, welche entschieden den weitaus
schwächsten und anfechtbarsten Theil der ganzen Schrift bildet,
widerlegt Petrarca noch einige von dem Anonymus zu Gunsten
Galliens und zu Ungunsten Italiens vorgebrachte Argumente.
Nicht geleugnet könne es werden, dass viele italienische
Städte von Fremden gegründet worden seien, aber anderer-
seits hätten auch die Italer viele Städte ausserhalb Italiens
gegründet, so in Germanien, Gallien und Hispanien; selbst
Troja . Roms Mutterstadt, sei die Gründung des Italers Dar-
danus gewesen. Richtig möge es auch sein, dass die Massi-
lioten nach der Eroberung Roms durch die Gallier den Römern
Geld geschickt haben, aber nicht durch dieses Gold seien die
Römer errettet worden, sondern durch das Schwert — das be-
zeuge Livius. — Dass es in Rom viele Bösewichte gegeben
habe, stehe ausser Zweifel, aber kommen nicht überall tausend
böse Menschen auf einen guten? Ebenso sei es zweifellos,
dass die Römer oft undankbar gegen ausgezeichnete Mitbürger
gehandelt haben, abei- Dankbarkeit sei überall nur die Tugend
Weniger. Allerdings sei ein solclres Scheusal wie Catilina ein
Römer gewesen, aber er war doch wenigstens grossartig und
*) Bemerkungen über diese seltsamen Titel mögen dem achten Capitel
dieses Buches vorbehalten bleiben.
"-) Es sind natürlich die 41 antiquitatum libri gemeint. Die betreffende
Kenntniss hat Petrarca jedenfalls nur aus Augustin. de civ. Dei VI 3
geschöpft.
398 Siebentes Capitel.
heldenhaft in seinem Verb rech evthume — Gallien dagegen
sei unvermögend, selbst auch nur einen grossen Bösewicht zu
erzeugen, es sei das Land der im Guten wie im Bösen schwäch-
lichen Charaktere. Und neben dem Frevler Catilina lebten
ja in Rom so ausgezeichnete Männer wie Cato, Cicero, Pom-
pejus u. A. ! Wenn in dem grossen Rom die beiden von
Juvenal genannten Kuppler Arcturius und Catulusihr schmutziges
Gewerbe trieben, was solle das weiter für die Sittenlosigkeit
der Stadt beweisen, da doch in dem kleinen Avignon elf solcher
Menschen existiren?
Der Anonymus werfe den Italienern vor, dass sie die
Herrschaft der Tyrannen ertrügen, aber erfreue sich denn irgend
ein Land auf dem Erdkreise der Freiheit? Wie unsäglich
thöricht sei ferner des Invectivenschreibers Behauptung, dass
in Mailand eine Reiterstatue wie ein Götzenbild auf dem Altare
sich befinde ! Nicht auf, sondern neben dem Altare stehe diese
Bildsäule, dagegen seien in Paris die Chöre berühmter Kirchen
so angefüllt mit Büsten von Männern und Frauen, dass kaum
noch ein Durchgang übrig bleibe.
Der Anonymus in seiner Thorheit begehe auch die Ab-
surdität, des älteren Brutus That als grausam zu bezeichnen
und den Römern den Raub der Sabinerinnen vorzuwerfen.
Aber, was Brutus gethan, sei nach allgemeinem Urtheile be-
wundernswerth — des Orosius absprechendes ürtheil könne,
weil von einem einseitig christlichen Standpunkte aus gefällt,
hier nicht in Betracht kommen — der Raub der Sabinerinnen
jedoch lasse sich als eine Handlung der Nothwendigkeit ent-
schuldigen. Romulus möge immerhin ein wilder Mann gewesen
sein, zur Gründung eines Staates bedurfte es gerade eines
solchen.
Endlich sticht Petrarca recht schulmeisterhaft kleinlich
seinem Gegner noch zwei Fehler auf: die Worte des Lucan
„humanum paucis vivit genus" habe er falsch erklärt, indem
er , .paucis", welches Dativ sei, als Ablativ fasse, und ferner
lasse er den Numitor statt des Amulius von seinem Keifen
getödtet werden.
Die Jahre des Alters. '399
Am Schlüsse wendet sich Petrarca wieder an seinen Freund
Ugiiccione di Tiene, dem er die Schrift zugeeignet, erklärt
ihm, dass er jederzeit unbekümmert um persönliche Rück-
sichten und um den Hass, den er sich etwa zuziehen könne,
die Wahrheit vertheidigt habe und auch fernerhin vertheidigen
werde, und bittet ihn, diese Apologie zur Kenntniss des
Anonymus, gegen den sie gerichtet, bringen zu wollen, -r-
Datirt ist das Werkchen „Padua, d. 1. März" (wahrscheinlich
des Jahres 1372, vergl. oben S. 388 Anm. i).
Der Eindruck, welchen man von dieser ziemlich umfang-
reichen (20 Folioseiten umfassenden) Schrift bei objectiver Be-
trachtung gewinnt, ist durchaus kein vortheilhafter und nur, soweit
sie eben gegen das Verbleiben der Curie in Avignon gerichtet ist,
wird man ihren Inhalt rückhaltslos billigen können. Sonst ist
sie eben kein glänzendes Zeugniss für den Charakter und auch
nicht einmal für die Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Man er-
kennt, wie Petrarca sich nicht scheut, mit giftigen und unehr-
lichen Waffen zu streiten, wenn es der Bekämpfung eines seinen
Kimbus antastenden Gegners gilt; man erkennt auch, wie er
sich bestrebt, über den eigentlichen Kernpunkt der Streitfragen
hinwegzugleiten und den Krieg auf nebensächliche Gebiete zu
spielen, wo dann kleine Versehen des Gegners zu Capital-
verbrechen der Unwissenheit aufgebauscht werden; man er-
kennt endlich — und das ist entschieden das Wichtigste —
wie beschränkt und einseitig Petrarca's Humanismus in doppelter
Beziehung war. Einmal vermag er gar nicht zu einer objectiven
Betrachtung und Erkenntniss der Geschichte zu gelangen und
ist ganz unfähig, eine Scheidung der Perioden vorzunehmen:
Alterthum und Neuzeit vermischen sieh für ihn zu einem
Ganzen, die Neuzeit ist nur eine Fortsetzung des Alterthums,
gleichsam ein degenerirtes Alterthum, welches nun Mieder voll
regenerirt werden soll, das Dazwischenliegen des Mittelalters
wird dabei völlig ignorirt, die Existenz der doch so eigenartigen
und alle Verhältnisse umfassenden mittelalterlichen Cultur
wird gar nicht beachtet. Am schroffsten tritt diese einseitige
Auffassung in Bezug auf Rom hervor: für den Humanisten ist
40(> Siebentes Capitel.
die Siebenhügelstadt trotz aller Wandelungen, die sie seit
Cicero's oder auch nur seit Trajans Zeiten erlitten und durch
welche sie, ganz abgesehen von der äusseren Form, ihr innerstes
Wesen verändert hatte, immer noch die alte weltbeherrschende
und zur Weltherrschaft berechtigte Stadt und ihre Bürger sind
die unzweifelhaft echten und rechten Nachkommen und Erben
der alten Römer. Nur die Eömer und mit ihnen allenfalls
auch die übrigen Italiener sind wirkliche, höherer Bildung
wahrhaft fähige und daher allein zur Herrschaft benifene Voll-
menschen, die übrigen Völker aber sind ihnen gegenübei-
nur Barbaren, die von Rechtswegen dem römischen Joche sich
als Sklaven beugen und ob dieses Schicksales sich noch glück-
lich preisen müssen. Das Naivste bei dieser ganzen Anschau-
ungsweise ist, dass der Humanist gar nicht bemerkt, wie er
damit in Wahrheit einem Gefühle huldigt, das mit der
antiken Anschauungsweise, welche er doch zu reproduciren
vermeint, im grellsten Widerspruche steht: es ist das italienische
Nationalitätsbewusstsein , dem er Ausdruck verleiht, ein
Gefühl, welches der Römer des Alterthums nicht kennen konnte
noch wollte. Der Italiener Petrarca bekämpft den Fran-
zosen, der die Invective gesehrieben. Der Humanismus zeigt
sich national beschränkt, er ist nicht kosmopolitisch. Und in
der That ist kaum durch irgend e'twas Anderes die Scheidung
der westeuropäischen Völker in scharf abgegrenzte und ein-
ander feindlich gegenüberstehende Nationen mehr befördert
worden, als durch den Humanismus und überhaupt durch die
Renaissance, wie wir zu beobachten noch häufige Gelegenheit
finden werden. Es ist dies ein merkwürdiger Rückschlag der
Weltgeschichte. Einst hatte im Alterthume Rom alle die
Nationalitäten, welche in den Bereich seiner Weltherrschaft
und seines Cultureinflusses gezogen wurden, innerlich zerstört
und zu einer, wenigstens dem äusseren Anscheine nach, gleich-
artigen Menschheitsmasse verschmolzen, hatte einen gewaltigen
Amälgamirungsprocess zwischen allen das Mittelmeer um-
wohnenden Völkern bis tief in das Binnenland hinein mehr
oder weniger nachhaltig vollzogen. Die im Humanismus und
I
Die Jahre des Alters. 401
der Renaissance versuchte Wiederbelebung- des Alterthums da-
gegen übte die entgegengesetzte Wirkung aus : sie zerstörte
die Einheit, welche während des Mittelalters die auf dem
Boden des altrömischen Imperiums — soweit derselbe nicht
im Besitze der Byzantiner und der Muselmanen sich befand —
und in dessen Grenzländern wohnenden Völker wenigstens im
Ganzen und Grossen verbunden hatte, und schied aus den-
selben die Sonderexistenzen der Nationalitäten aus. Die Re-
naissance zeigte eben auch in Bezug auf das Völkerleben, wie
in ihrem Wirken auf die einzelnen Menschen, die Tendenz
nach Individualisirung. Individuen und Völker waren selbst-
verständlich auch im Mittelalter vorhanden gewesen, aber
gleichsam nur latent und ihres Sonderdaseins sich nicht be-
wusst, die Renaissance erst gab ihnen, indem sie ihrem
ganzen Denken eine aus den gewohnten Gleisen heraustretende
freie Richtung verlieh und die bis dahin bestandene Autorität
des Glaubens vernichtete, das Bewusstsein ihrer Individualität
und damit zugleich das Streben, dieselbe auch äusserlich zum
Ausdruck und zur Geltung zu bringen. —
Die zweite Einseitigkeit in Petrarca's humanistischer Denk-
weise, welche wir aus der Apologie zu erkennen vermögen,
ist die Unterschätzung des Werthes der griechischen Litteratur,
denn wir sehen, wie er ohne alles Bedenken den eklektischen
und im letzten Grunde doch seichten Philosophen Cicero neben
und selbst noch über den originalen Denker Aristoteles stellt.
Auch diese Einseitigkeit, welche bei Petrarca freilich sich aus
und mit seiner Unkenntniss des Griechischen erklären und
entschuldigen lässt, blieb, selbst als die Kenntniss des
Griechischen sich in weiteren Kreisen verbreitet hatte, dem
Humanismus mehr oder weniger immer anhaften ^). Die latei-
nische Litteratur und die römische Kunst wurden und blieben
die eigentliche Basis des Baues der Renaissancel)ildung, grie-
chische Elemente wurden ihm erst nachträglich und nur aussei^
^) vgl. J. Burckhardt, Cultur der Renaissance, 3. Aufl. besorgt von
L. Geiger (Leipzig, 1877), S. 240, Anm. 4 (S. 322).
Körting, Petrarca. 26
402 Siebentes Capitel
lieh eingefügt, mehr als decorativer Schmuck, denn als das
innere Wesen beeinflussender Bestandtheil. Und dabei hat es
ja auch in der Folgezeit sein Bewenden gehabt und noch wir
in unserer Gegenwart betrachten das Lateinische, nicht das
Griechische, als die eigentliche Grundlage jeder höheren Bil-
dung — eine Verkehrtheit, welche sich in unserer Cultur-
entwickelung schon schwer bestraft hat und noch bestrafen
wird^).
Wir sind bei der Erzählung der litterarischen Fehde über
den Sitz der Curie bereits über die Jahre des Aufenthaltes
Petrarca's in Venedig hinausgeeilt jand müssen daher in Kürze
zu demselben zuriickkehren.
Schon aus dem, was im Vorhergehenden dargelegt worden
ist , lässt sich ersehen , wie Petrarca auch in Venedig eifrig
humanistischen Studien und litterarischem Schaffen sich hingab,
trotzdem dass ihm jetzt seine Jahre wol ein Recht zu behag-
lichem Ausnihen verliehen hätten. Das Bedüriniss aber nach
Ruhe kannte er nicht, derselbe Feuereifer, der ihn in der
Jugend bei seinen Studien beseelt hatte, blieb ihm auch im
Alter eigen. Die BegTiffe des Lebens und Schreibens waren
für ihn identisch und er glaubte in allem Ernste, dass er
sterben müsste, wenn er zu studiren aufhörte ^). Er verjüngte
sich im Studium und bewahrte sich immer die geistige Frische,
selbst dann, als er bereits leiblich geschwächt war und der
nahen Auflösung entgegensehen musste ^). Wenn irgend wo.
so musste übrigens in Venedig das litterarische Arbeiten
leicht und behaglich sein, denn kaum gab es damals eine
Stadt, in welcher so viel geistige Anregung geboten worden
wäre, wie gerade dort. Abgesehen davon, dass eine gi'osse
Anzahl geistig gebildeter und strebender Männer ihren blei-
benden Wohnsitz in Venedig hatte, wurde die Lagunenstadt
in Folge ihrer zwischen dem Morgen- und Abendlande centralen
^) vgl. oben S. 158 f.
"; Ep. Sen. XVI (XVII) 2, vgl. Ep. Farn, praef.: „scribendi mihi vi-
vendique unus finis erit."
3j Ep. Sen, XIV 5 (b. Fracassetti XV 4) u. XVI (b. Fracassetti XVII) 1.
Die Jahre des Alters. 403
Lage und ihrer maritimen Verbindungen von Durchreisenden
viel besucht. Petrarca kam oft genug in die Lage, liebe Gäste
in seinem Hause bewirthen zu können, kein Besuch aber wird
ihn mehr erfreut haben, als derjenige seines Freundes und
geistigen Bruders Boccaccio, der im Jahre 1363 zu ihm kam
und drei Monate bei ihm verweilte ^). Mit Boccaccio war zu-
gleich der Gneche Leonzio Pilato nach Venedig gekommen,
über dessen nicht unwichtige Beziehungen zu Petrarca wir
demnächst zu sprechen haben werden. Welche anregende Ge-
spräche mögen damals der Dichter des „Canzoniere" und der
Verfasser des „Decamerone", der Vater des Humanismus und
sein ihm geistig ebenbürtiger Schüler geführt haben! Die
Geschichte weist wenige so erfreuende Bilder auf, wie dies des in
Eintracht, herzlicher Liebe und gegenseitiger Verehrung ver-
bundenen Freundespaares Petrarca und Boccaccio. Selten halien
zwei einander geistig annähernd gleichstehende und denselben
Zielen zustrebende Männer so neidlos mit einander verkehrt,
wie diese Beiden. Boccaccio gestand willig dem älteren Freunde
die Ueberlegenheit im wissenschaftlichen und dichterischen
Schaffen zu, Petrarca aber erkannte gern Boccaccio als hoch
befähigten Dichter an und wollte ihm sogar den Platz un-
mittelbar nach Dante zugestehen, sich selbst mit dem dritten
begnügend 2). Es ist demnach begreiflich, dass Petrarca ein
dauerndes Zusammenleben mit Boccaccio wünschte und ihn
dringend zur Uebersiedelung nach Venedig einlud, namentlich
als die Pest abermals Florenz furchtbar heimsuchte 3). —
Ebensowenig wie seinem Arbeitsdrange vermochte Pe-
trarca in Venedig auch, trotz seines vorgerückteren Alters,
der ihm angeborenen Reiselust zu widerstehen. Es war ihm
unmöglich, ruhig an einem Orte zu verharren. Nicht nur,
0 Ep. Sen. III 1. V 6.
-) Ep. Sen. V 2. — Weiteres über Boccaccio's Beziehungen zu Pe-
trarca zu sagen, behalten wir uns für einen späteren, Boccaccio zu wid-
menden Theil unseres Werkes vor. Man vergleiche übrigens die hübsche
Skizze, welche Landau a. a. 0. p. 111 ff. gegeben hat.
") Ep. Seu. I 5. III 1.
26*
404 Siebentes Capitel.
dass er von Venedig häufig nach dem nahen Padua sich begabt
wohin ihn ja zeitweilig, namentlich zur Osterzeit, die Pflichten
seines Amtes riefen, auch weitere Ausflüge wurden noch von
ihm unternommen. Die Sommer verbrachte er meist als Gast
Galeazzo's Visconti in dem lieblich gelegenen und gesunden
Pavia^), wo sich der mailändische Tyrann, nachdem er die
Stadt wieder gewonnen, einen prachtvollen Palast hatte er-
bauen lassen. Im Jahre 1364 reiste er auch einmal nach Bo-
logna, um den dort weilenden Cardinallegaten Androino de la
Roche zu begrüssen ^). —
So angenehm und behaglich die in Venedig verbrachten
Jahre auch im Allgemeinen für Petrarca waren, so blieben ihm
während derselben doch nicht alle Bekümmernisse, Sorgen
und Verdriesslichkeiten erspart. Er wurde von wiederholten
Trauernachrichten heimgesucht, indem gerade in dieser Zeit
der Tod eine reiche Ernte unter seinen Freunden hielt. In
einem Jahre, 1363, starben an der immer noch wüthenden
Pest Lelio in Rom, Francesco Nelli (Simonides) in Florenz und
Barbato in Salmo, nachdem ihnen Azzo di Correggio wahr-
scheinlich schon im Jahre vorher im Tode vorangegangen war.
Von den Jugendfreunden des greisen Dichters war nun
fast nur noch Philipp von Cabassoles, der frühere Bischof von
Cavaillon, am Leben, aber auch von ihm verbreitete sich im
Jahre 1368 das Gerücht, dass er gestorben sei, doch wurde
es glücklicherweise bald widerrufen. So musste Petrarca sich
mehr und mehr vereinsamt fühlen inmitten einer heran-
gewachsenen neuen Generation, deren Anschauungen den sei-
nigen, namentlich in, Bezug auf religiöse Dinge, vielfach schroff
widersprachen.
Aber Petrarca hatte nicht l^loss den Tod vieler seiner
Freunde, sondern auch, so seltsam dies immerhin klingen mag,
seinen eigenen Tod oder, genauer gesprochen, das Gei-ücht von
^) Ep. SeD. V 1. Petrarca gibt in diesem Briefe auch eine sehr ein-
gehende und vielfach interessante Beschi'eibung Pavia's und seiner Um-
gebung.
■^ Ep. Sen. X 2.
Die Jahre des Alters. 405
«einem Tode zu l)eklagen. Er gehörte zu den Leuten, welche
das eigenthümliche Schicksal haben, wiederholt todt gesagt zu
werden. Zum ersten Male war ihm dies geschehen, als er im
Jahre 1343 von Neapel zurückkehrte. Es war damals die
Kunde von seinem Tode in so bestimmter Form aufgetreten,
dass der Dichter Antonio de' Beceari von Ferrara bereits eine
€anzone auf den vermeintlich Gestorbenen verfasst hatte, welche
•der Todtgesagte dann ungesäumt mit dem schönen Sonette
„quelle pietose rime, in ch'io m'accorsi \)" beantwortete. Seit-
dem war ihm, wol hauptsächlich in Folge seines häufigen Orts-
wechsels , Aehnliches fast alle Jahre begegnet ^), ohne ihn in-
dessen sonderlich zu verstimmen oder zu benachtheiligen. Ver-
driesslich im höchsten Grade wurde aber die Sache für ihn,
als sie sich im Jahre 1365 nochmals wiederholte. Das Gerücht
fand nämlich bei der Curie in Avignon festen Glauben, und
da es dort nie an Stellenjägern fehlte, so vertheilte der Papst
unverzüglich die von Petrarca besessenen geistlichen Pfründen
^n darnach lüsterne Kleriker. Selbstverständlich wurden nun zwar,
sobald das Gerücht sich als trügerisch erwies, diese Gaben hiu-
fällig, soweit sie die von Peti-arca factiseh besessenen Beneficien
betrafen, aber immerhin hatte der Dichter den Nachtheil, dass
ein Canonicat zu Carpentras, welches ihm vom Papste
schon zugedacht und zugesagt , aber noch nicht officiell über-
tragen worden war, ihm nun , als bereits einem Anderen über-
geben, nicht mehr verliehen werden konnte. Diese Einbusse,
für welche er auch anderweitig nicht entschädigt ward, war
für Petrarca um so empfindlicher, als seine Vermögenslage
keineswegs eine glänzende war, während ihn doch mancherlei
Verhältnisse und Pvücksichten zur P'ührung eines ziemlich grossen
und kostspieligen Haushaltes nöthigten. Er besass allerdings,
wie er einmal ausführlich darlegt 3), Einnahmen genug, um für
*) Sonett 15 in den Rime sopra argomenti storici etc. ed. Carducci.
2) vgl. über diese ganze Sache Ep. Sen. III 7 u. IX 2.
^) Ep. Var. 15. Weitere, mehr oder weniger detaillirte Nachrichten
über Petrarca's Vermögensverhältnisse findet man: Ep. Fam. III 14. XIV
4. XVI 3. XIX 17. XX 8. Var. 55.
406 Siebentes Capitel.
seine Person sorgenfrei und angenehm leben zu können, da
namentlich die Präbende zu Padua eine ziemlich einträgliche
war, aber er musste, um bei dem damaligen Büchermangel
mit Erfolg litterarisch thätig sein zu können, sich immer eine
Anzahl Abschreiber halten, er musste auch mehrere Diener
und, für seine häutigen Reisen, selbst zwei Pferde halten, er
hatte ferner für mehrere dürftige Freunde zu sorgen, wol auch
seinen Schwiegersohn, der nicht eben begütert gewesen zu
sein scheint, zu unterstützen, und häufige und zahlreiche Gäste
zu bewirthen. Dazu kam, dass die Einnahmen aus seinen
Pfründen zum grossen Theile aus Naturalien bestanden, deren
Werth, wenn er nicht an Ort und Stelle sie verzehren konnte,
sehr veiTingert werden musste. In Padua hatte er als Cano-
nicus freie Wohnung aber da er in der finsteren Stadt dau-
ernd zu verweilen seiner Naturanlage nach nicht vermochte,
so war sie ihm von geringem Nutzen. So war er denn in
seinen alten Tagen, besonders, da er sich ein kleines Capital
ansammeln wollte, um der heiligen Jungfrau, wie er gelobt,
eine Capelle eriichten zu können ^) , oft genug in finanzieller
Bedrängniss und sah sich genöthigt, durch Verraittelung des
ihm befreundeten apostolischen Secretärs Francesco BiTini
wiederholt die Unterstützung des Papstes nachzusuchen, fi-eilich
ohne den gewünschten Erfolg.
Am schmerzlichsten aber wurde Petrarca während seines
venetianischen Aufenthaltes von dem im Folgenden zu erzäh-
lenden Vorkommnisse betroffen. Wir haben wiederholt schon.
Gelegenheit gehabt^) und werden deren noch weitere finden,^
zu beobachten, dass Petrarca ganz nach mittelalterlicher Weise
religiös und gut katholisch-kirchlich gesinnt war, ja selbst eine
starke Neigung zur Askese besass, so dass er allen kirch-
lichen Pflichten gewissenhaft nachkam und namentlich eifrig,
auch regelmässig zu bestimmten Stunden der Nacht, betete
und zu den gebotenen Zeiten streng fastete ^). Mag mau hier-
») Vit. Sol. II 10, 2. Ep. Var. 15.
2) vgl. namentlich oben S. 205 ff.
•'') Ep. Sen. IX 2. XII 1., vgl. sonst noch z. B. Ep. Fam. X 3 u. 5.
Die Jahre des Alters. 407
bei auch gern eingestehen, dass diese Frömmigkeit zum Theil
nicht das Erzeugniss einer wirklich festen Ueberzeugung, son-
dern nur einer gewissen Schwäche und eines Hanges zu senti-
mentaler Beschaulichkeit war, und mag man ferner auch ein-
räumen, dass sie von Koketterie und Ostentation keineswegs frei
und also nicht so tief innerlich war, wie es wol scheinen könnte,
so ist sie doch durchaus nicht etwa für eine consequent durch-
geführte Heuchelei zu halten, sondern sie muss als eine im
Wesentlichen aufrichtige und wahre anerkannt werden. Pe-
trarca war viel zu sehr Gemüthsmensch, als dass er die Kraft
besessen hätte, des Glaubens zu entbehren oder gar demsel-
bigen feindlich gegenüberzutreten. Niemals hat er, soviel wir
wissen, an den Dogmen seiner Kirche gezweifelt, und selbst
die Göttlichkeit des Papstthums ist, so sehr er auch dessen
schmachvolle Verweltlichung zu Avignon beklagt und mit den
schärfsten Worten gerügt hat, doch nie von ihm auch nur ent-
fernt in Zweifel gezogen oder gar bestritten worden. Petrarca
stand eben auf einem religiösen Standpunkte, welchen man in
unseren Tagen als orthodox, wenn nicht als ultramontan be-
zeichnen würde. Allerdings beschäftigte er sich eifrig mit
Philosophie und hegte Interesse für ihre Probleme, aber diese
Beschäftigung war nie eine systematische, sondern immer nur
eine, wenn auch im guten Sinne, dilettantische und eklektische,
die, um so zu sagen, nur den lieblichen Schaum des philo-
sophischen Wissens abschöpfte und vor einem tieferen
Eindringen in die Bedingungen des Erkennens zurück-
scheute, namentlich aber jeden Gedanken daran, dass die Er-
kenntniss des Philosophen mit dem Glauben des Christen in
Conflict gerathen könne, vielleicht gar gerathen müsse, mit
aller Entschiedenheit perhorrescirte. Petrarca selbst hat seinen
philosophischen Standpunkt wiederholt mit wünschenswerthester
Deutlichkeit dargelegt und wir halten es für angezeigt, einige
der betreffenden Stellen hier wiederzugeben.
Sen. VIII 6. de remed. utr. fort. 11 1. Ep. poet. lat. II 19., namentlich
aber die Schrift de otio relig.
408 ' Siebentes Capitel.
„Das Wort „Philosophie", sagt er e'inmal ^), bedeutet Liebe
zur Weisheit, wenn wir es übersetzen wollen. Wenn nun Gott,
durch welchen Alles erschaffen worden ist, die Weisheit ist,
wie die göttliche Autorität und Wahrheit es dargethan hat,
so ist nur derjenige, welcher Gott liebt, ein wahrer Philosoph,
wozu ich noch unbedenklich hinzufügen möchte, dass bei uns,
welche wir an Christi Göttlichkeit glauben, folgerichtig und
wahrheitsgemäss geschlossen werden muss, dass nur ein wahrer
Christ ein wahrer Philosoph sein kann." „Du kennst meine
peripatetische Gewohnheit des Umherschweifens", bekennt er
ein anderes Mal seinem Freunde Giovanni Colonna di San Vito 2),
„sie gefällt mir eben und sagt meiner Natur und meinem Cha-
rakter am meisten zu. Von den Meinungen der Philosophen
haben einige meinen Beifall, andere wieder gar nicht. Ich
liebe nicht die Secten, sondern die Wahrheit. Daher bin ich
bald Peripatetiker, bald Stoiker, dazwischen auch einmal Aka-
demiker ; oft aber gehöre ich keiner von allen Philosophenschulen
an, so oft mir nämlich bei ihnen etwas entgegentritt, was dem
wahren und selig machenden Glauben als feindlich oder doch
als verdächtig erscheint. Denn nur dann darf man die Schulen
der Philosophen lieben und ihnen beistimmen, wenn sie von
der Wahrheit nicht abirren, wenn sie uns von unserem wesent-
lichsten Ziele nicht abwendig machen. Wo sie das etwa ver-
suchen, so mögen sie, mag es auch Plato oder Aristoteles,
Varro oder Cicero sein, ungescheut allesammt verachtet und
mit Füssen getreten werden (sie!). Kein Scharfsinn der Be-
weisführung, keine Anmuth der Sprache, keine Berühmtheit
der Namen darf uns berücken: sie sind allesammt doch nur
Menschen gewesen, welche allerdings, soweit es durch mensch-
liches Forschen geschehen konnte, gelehrt waren, nicht minder
auch hervorragend durch Beredtsamkeit und mit glücklichen
Naturanlagen begabt, aber bedauernswerth dennoch, weil be-
raubt des höchsten und unaussprechlichen Denkobjectes (d. h.
1) Ep. Fam. XVII 1.
2) Ep. Fam. VI 2.
Die Jahre des Alters. 409
Gottes). Da sie nur den eigenen Kräften vertrauten und dem
wahren Lichte nicht zustrebten, so stiessen sie oft nach Art
der Blinden an einen Stein und glitten aus. Daher dürfen
wir nur insoweit ihre geistigen Gaben bewundern, um den
zu verehren, der sie ihnen verliehen hatte, aber mit ihren
Irrthümern müssen wir solches Mitleid haben, dass wir uns
ob der uns verliehenen göttlichen Gnade Glück wünschen und
erkennen, wir seien ohne unsere Würdigkeit und irgend wel-
ches Verdienst im Vergleich mit unseren Vorfahren von dem
geehrt und bevorzugt worden, welcher sein Geheimniss, das er
den Weisen verbirgt, den Kindlein zu offenbaren geruht hat.
Kurz, wir sollen so philosophiren , dass wir, wie der Name
„Philosophie" lehrt, die Weisheit lieben. Die wahre Weisheit
Gottes ist Christus, daher müssen wir, um in Wahrheit Philo-
sophen zu sein, ihn vor allen lieben und verehren. Vor allen
Dingen müssen wir Christen sein — dann mögen wir sein,
was wir wollen. Philosophische, poetische, historische Schriften
sollen wir so lesen, dass uns immer Christi Evangelium an
das Ohr des Herzens töne. Durch dieses allein können wir
gelehrt und glücklich werden, ohne dasselbe werden wir, je
mehr wir gelernt haben, um so unwissender und unglücklicher
sein, auf das Evangelium als auf die erhabenste Veste der
Wahrheit müssen wir Alles beziehen, auf dasselbe als auf den
einzigen unbeweglichen Grund der wahren Wissenschaft baut
der menschliche Fleiss sicher sein Wissen auf. Wenn wir zu
der Kenntniss vom Evangelium andere, ihm nicht feindselige
Kenntnisse eifrig häufen, so wird man uns keineswegs tadeln
dürfen, denn, wenn auch vielleicht nur Weniges zu dem \sich-
tigsten Wissen, werden wir doch zur Ergötzung des Geistes
und einer gesitteteren Gestaltung des Lebens sehr Bedeutendes
beigetragen zu haben scheinen."
Man erkennt aus diesen Stellen, denen sich leicht noch
weitere beifügen liessen ^), dass Petrarca keineswegs ein wahrer
^) z. B. Ep. Fam. XII 13. XXIII 12. Rer. mem. lib. IV. 5. de con-
temt. mundi I 1., vgl. namentl. auch de otio reüg. p. 340—344 u. 348—352.
410 Siebentes Capitel.
Philosoph gewesen ist, soudern dass er freiwillig und absiehtr
lieh sein philosophisches Denken eingezäunt hat in die engen
Schranken des christliehen Dogmatismus. Ehrenwerth und
folgerichtig mag, wer selbst auf dem Boden christlicher Welt-
anschauung steht, Petrarca's Denkweise mit vollstem Rechte
nennen, aber eingestehen wird er müssen, dass durch dieselbe
die Philosophie geradezu ertödtet oder doch zu einem müssigen
Spiele des Verstandes, wenn nicht der Phantasie, herabgewür-
digt wird. Denn was bedarf es noch des philosophischen Den-
kens, wenn die Räthsel des menschhchen Daseins als durch
die göttliche Offenbarung bereits gelöst betrachtet werden und
wenn ein Widerstreit des Erkennens mit dem Dogma des Glau-
bens von vornherein als unberechtigt dargestellt wird? Bleibt
doch dann der Philosophie höchstens noch die ebenso undank-
bare als unwürdige Aufgabe übrig, die Probe auf ein bereits
ausgerechnetes Exempel zu machen, an dessen Ergebniss zu
zweifeln untersagt ist.
Sein Verhältniss zur Philosophie und zur Religion ist —
wie wir bereits wiederholt Gelegenheit fanden, zu bemerken —
derjenige Punkt in Petrarca's geistigem Leben, in Bezug auf
welchen er sich aus den Fesseln des gebundenen mittelalter-
lichen Denkens nicht nur nicht zu befreien vennochte, sondern
auch in denselben mit einer gewissen Absichtlichkeit und Ge-
flissentlichkeit verharrte. Er, sonst in so wesentlichen Bezie-
hungen ein moderner Mensch, verblieb in religiösen Dingen
mittelalterlich befangen, und während er auf allen anderen
Gebieten die Antike neu zu beleben bestrebt war, wollte er
in seltsamer Inconsequenz die religiöse Form, das Christenthum
und das Papstthum, unangetastet lassen. Die europäische
Welt, reconstruirt nach Petrarca's Idealen, würde ein bizarres
Mixtum compositum abgegeben haben: ein römisches Kaiser-
reich mit dem Papste als geistlichem Oberhaupte, Consuln und
Bischöfe friedlich neben einander, Klöster mit betenden und
büssenden Mönchen inmitten von Städten, deren Bürger nach
altrömischer Weise die Freiheit lieben und dem Ruhme nach-
trachten. Kurz, alle Klarheit des Denkens hörte für den
Die Jahre des Alters. 411
Begründer der Renaissance auf, sobald auch nur entfernt reli-
giöse Dinge in Frage kamen; er sah nicht und wollte nicht
sehen, dass eine Culturumgestaltung nicht halb vollzogen, dass
bei einer allgemeinen Wandelung der Verhältnisse nicht ein
so wichtiges Lebensgebiet, wie das des religiösen Glaubens,
inselartig ausgeschieden und in seinem alten Zustande conser-
virt werden kann. Es war eben für ihn die Religion ein „Noli
nie tangere", das kein Humanismus ihm antasten durfte.
Diese befremdliche Einseitigkeit und Befangenheit Pe-
trarea's lässt sieh unschwer erklären. Er war, wie schon oben
bemerkt, vorwiegend Gemüthsmensch und entbehrte jeder spe-
cifisch philosophischen Beanlagung. Er war lyrischer Dichter
auch in seinem Denken und als einem solchen waren philo-
sophische Abstractionen ihm nur insoweit sympathisch, als sie
von einem idealen Inhalte erfüllt waren, wie etwa Piatons
Ideen, während sie ihm verhasst waren, wenn sie ihm als an-
scheinend inhaltlose und trockene logische Formeln entgegen-
traten. Sein poetischer Sinn fasste auch Philosophie und Reli-
gion poetisch auf, und da war es nur natürlich, dass die christ-
liche Heilslehre mit ihrer Mystik und tief innerlichen Weise
mehr ihn entzückte, als der scholastische Aristotelismus , die
herrschende Philosophie seines Zeitalters, Was ihn aber ent-
zückte und begeisterte, das hielt er eben desshalb auch für
wahr, denn die Wahrheit fasste er nicht als ein Ergebniss
verstandesmässiger Deductionen, sondern als die intuitiv ge-
wonnene Ueberzeugung des Gemüthes auf. Andere Gründe
kamen hinzu, um ihn der wirklichen Philosophie zu entfremden
oder vielmehr ihn von dieser fern zu halten. Er hatte die
griechische Philosophie nie an ihren Quellen erkannt, sondern,
was er von ihr wusste, war ein aus den römischen Autoren
zusammengelesenes, mehr als dürftiges Stückwerk. Es war
ihm nie vergönnt gewesen, ein bedeutendes und tief durch-
dachtes philosophisches System in seiner Totalität betrachten
und sich in dasselbe hineindenken, es in den eigenen Geist
aufnehmen zu können. Eine solche unentbehrliche Schulung
des philosophischen Denkens war ihm versagt geblieben und
412 Siebentes Capitel.
er war hingedrängt worden zu dem römischen Eklekticismus
eines Cicero und Seneca, ja selbst auch — soweit bei diesen
Autoren noch von Philosophie die Rede sein kann — eines
Augustin und Lactanz ; eine einheitliche und harmonische philo-
sophische Weltanschauung trat ihm hier nicht entgegen, son-
dern nur geistvollen, mehr oder weniger weitläufig ausgespon-
nenen Sentenzen begegnete er hier, deren Mehrzahl eine prak-
tisch-ethische Pointe besass. Eine wirkliche, in sich geschlossene
Philosophie konnte er aus diesem zerrissenen Materiale nicht
sich gewinnen — was Wunder, wenn er sich dem rehgiösen
Glauben hingab, der sich ihm in einer festen und abgeschlos-
senen Fonn darstellte? Zu solcher Handlungsweise mochte
er selbst auch eine wissenschaftliche Berechtigung zu besitzen
wähnen , da es ihm nicht entgehen konnte, dass in der antiken
Philosophie, wie er sie bei den Römeni kennen lernte, eine
monotheistische oder doch, was für das ungeübte philosophische
Denken so ziemlich identisch ist, eine pantheistische Tendenz
vorherrschte. Da konnte es ihm denn leicht scheinen, als sei die
geoffenbarte Religion nur die natürliche Ergänzung philoso-
phischer Speculation, als seien diese letztere und jene erstere
im letzten Grunde übereinstimmend oder doch leicht in Ueber-
einstimmung zu bringen. Er hegte damit eben den schönen
Wahn, dem sich seitdem so viele edle und wohlmeinende
Männer hingegeben haben, die da glaubten, dass die zwischen
philosophischer Erkenntniss und frommem Glauben gähnende
breite 'Kluft sich , wenn man nur wolle , leicht überbrücken
lasse, dass der Widerspruch zwischen beiden nur ein schein-
barer und wohl zu versöhnender sei. Es ist das jene nebelhafte,
unklare und verschwommene Anschauungsweise religiöser und
philosophischer Dinge, die so leicht bei Menschen sich aus-
bildet, welche, weil eines scharfen und folgerichtigen Denkens
unfähig oder dasselbe aus Gemüthsschwäche scheuend, meinen,
dass dies überhaupt entbehrlich sei, da sich ja Alles mit Hülfe
der Phantasie und einiger Rhetorik so herrlich erklären und
zusammen deuten lässt.
Petrarca's wenis fruchtbringendes Verhältniss zur Philo-
Die Jahre des Alters. 413
Sophie war voi-bedeutend für die ganze Entwickelung des Hu-
manismus und der Renaissance überhaupt. Da dieselbe, wie
wir bereits wiederholt angedeutet ^), ganz vorwiegend in einer
Wiederbelebung des römischen, nicht aber des hellenischen
Alterthums bestand, so blieb auch die philosophische Bildung
der Renaissance vorwiegend durchaus nach römischer Weise
eine eklektische und vermochte nicht zur wirklichen Repro-
duction eines einheitlichen philosophischen Systems des Alter-
thums— wozu es einer so innigen Vertrautheit mit dem helleni-
schen Geiste bedurft hätte, wie sie keiner oder doch höchstens
nur der eine oder der andere vereinzelte Humanist besass — ,
noch viel weniger aber zu dem Aufbau eines neuen, eigenthüm-
lichen Systems zu gelangen. Der Piatonismus wurde allerdings in
gewisser Weise reproducirt, aber es war diese Reproduction
mehr ein Werk der ästhetisch schaffenden Phantasie, als des
mit Ernst und Nüchternheit arbeitenden, nach hohen Zielen
ringenden Verstandes. Man griff von Piatons Lehren haupt-
sächlich diejenigen auf, welche von dem Hauche der Poesie
erfüllt waren, und diese vereinigte man zu einem Complexe
von Ideen, welcher eher eine philosophische Dichtung, als ein
philosophisches System genannt werden muss. Die Renais-
sance war auf dem Gebiete der Philosophie mit nahezu völliger
Unfruchtbarkeit geschlagen-): sie hat eine Reihe geistvoller
philosophischer Dilettanten, aber keinen 'einzigen grossen und
selbständigen Denker hervorgebracht, der sich mit den Philo-
sophen Griechenlands oder auch mit denen Frankreichs, Eng-
lands und Deutschlands im siebenzehnten, achtzehnten und
neunzehnten Jahrhunderte selbst nur entfernt in Parallele setzen
Hesse — man müsste denn gerade die letztgenannten noch als
Söhne der Renaissance betrachten wollen, was in gewissem
Sinne allerdings berechtigt scheinen kann. Die philosophische
Unfruchtbarkeit der Renaissance — letzteren Begriff hier in
^) vgl. oben S. 152 u. S. 401 f.
-) Die weitere Ausführuiig und Begründung der im Obigen ausgespro-
chenen Gedanken behalten wir dem dritten Bande dieses Werkes vor. Hier
muss es genügen, einzelne Andeutungen gegeben zu haben.
414 Siebentes Capitel.
seinem engeren Sinne genommen — ist von den weittragend-
sten Folgen gewesen: sie hat es verschuldet, dass die Renais-
sance immer der wahren inneren Vertiefung entbehrt hat und
dass sie zu keiner wirklichen Originalität des geistigen Pro-
ducirens gelangt ist, namentlich nicht auf poetischem Gebiete,
denn Originalität der geistigen Production ist nur möglich,
indem und nachdem ein originales philosophisches System ge-
schaffen wird oder geschaffen worden ist. Noch empfindlicher
machte die philosophische Unfruchtbarkeit der Renaissance
sich um desswillen geltend, als dadurch, nachdem, was an sich
ganz folgerichtig war, der Humanismus für seine Anhänger
das Christenthum innerlich beseitigt hatte, der neuen Bildungs-
form die ethische Basis entzogen wurde — doch hiember
haben wir bereits an einer früheren Stelle eingehender ge-
sprochen ^).
Durch seine eigenthümliche religiös - philosophische Denk-
weise, welche sich, wie natürlich, mit den zunehmenden Jahren
immer mehr und fast bis zur Bigotterie steigerte, trat Pe-
trarca in einen schroffen Gegensatz zu der Modephilosophie
seiner Zeit. Diese bestand in einem scholastischen Formalis-
mus, welcher sich auf des Aristoteles Schriften stützte, na-
mentlich auf diejenigen, welche der Araber Ibn-Roschd
(1126—1198) aus Cordova, von den christlichen Abendländern
in seltsam latinisirter Namensform AveiToes genannt, über-
tragen und commentirt hatte und welche in der lateinischen
Uebersetzung des Michael Scotus (ca. 1230) dem christlichen
Abendlande zugänglich gemacht worden waren 2). An sich
war nun diese philosophische Richtung dem christlichen Dogma
weder günstig noch ungünstig, sondern, eben weil sie vor-
wiegend nur Formalismus war, gewissermaassen neutral, aber
sie hatte im Laufe der Zeit, wie ja jedem philosophischen
Systeme die Tendenz, das Dogma zu verdrängen, innewohnt
^) vgl. oben S. 190 ff.
*J lieber Averroes, seine Lehren und Schriften und deren Einfluss
auf die christliche Philosophie vgl. das treflfUche Buch von E. Renan, Aver-
roes et TAverroisme (3. Ausg , Paris, 1866).
Die Jahre des Alters. 415
und innewohnen muss, eine dem dogmatischen Christenthume
feindselige Stellung eingenommen und sich, wenn auch mit
aller durch die Zeitverhältnisse gebotenen Vorsicht, einer ma-
terialistischen Denkweise zugeneigt. Wie jede neue philoso-
phische Lehre, die den Reiz des Pikanten an sich trägt und
gegen die herrschende Kirche Opposition macht, gewann auch
der materialistisch angehauchte Averroismus rasch zahlreiche
Anhänger, namentlich, wie leicht erklärlich, in den Kreisen
der Aerzte, und er erlangte für die damalige Zeit ungefähr
dieselbe Verbreitung und Bedeutung, wie in unseren Tagen
der Darwinismus, mit welchem er auch in seinem Wesen mehr
als einen Berührungspunkt gemeinsam hat. Der Idealist und
mehr noch der Christ Petrarca musste selbstverständlich ein
principieller Gegner dieser materialistischen Philosophie sein.
Er hatte aber auch noch einen besonderen Grund, sie verab-
scheuungswerth zu finden. Die furchtbare Waffe der Aver-
roisten war die Dialektik, also jene Kunst, durch formal
(wenigstens dem Ungeübten) unanfechtbare Schlüsse und Schluss-
folgerungen irgend welche Behauptungen als logisch richtig und
unwiderleglich zu erweisen. Seiner ganzen Naturanlage nach
hasste Petrarca diese fragwürdige Kunst aus tiefster Seele und
das um so mehr, als er sich ihr gegenüber wehrlos fühlte,
denn sein poetischer Geist vermochte sich in den vielver-
schlungenen Gängen spitzfindiger Logik nicht zurecht zu fin-
den. Er urtheilte über die Dialektik ebenso, wie heute so
Mancher, der keine mathematische Begabung besitzt, über die
Mathematik: er erklärte sie für eine dem jucendlichen Alter
angemessene Beschäftigung und eine löbliche Vorbereitung auf
ernstere Studien, aber er tadelte es heftig, dass sie von Vielen
auch um ihrer selbst willen betrieben und zum Studium auch
des reiferen Alters gemacht werde; solche Dialektiker von
Profession seien, meinte er, ebenso lächerlich, wie Greise,
welche noch an dem Reiten auf dem Steckenpferde (arundo
tremula) Vergnügen fänden ')•
i)Ep. Farn. I 6.
416 Siebentes Capitel.
Feindselige Berührungen Petrarca's mit den Averroisten
konnten bei solcher Sachlage gar nicht ausbleiben. Schon sein
Streit mit den Aerzten, den er im Jahre 1353 begonnen hatte
und den er sein ganzes Leben hindurch mit einer schwer be-
greiflichen Verbissenheit durchführte, entsprang in seinem
letzten Grunde dem Widerwillen gegen den Averroismus. Er-
bitterter aber noch sollte der Kampf entbrennen, als Petrarca
nach Venedig übergesiedelt war. Die Universität von Padua
war einer der Hauptsitze des Averroismus geworden ^) und
von dort aus hatte er, wie das bei der Nähe der beiden
Städte nur natürlich war — Padua war ja nach Renan's
treffendem Ausdrucke das „Quartier latin" Venedigs — , auch
in Venedig festen Fuss gefasst. Wollte nun Petrarca nicht
auf den Umgang mit wissenschaftlich gebildeten Männern ver-
zichten oder doch in demselben sich empfindliche Einschrän-
kungen auferlegen, so konnte er den Verkehr mit Averroisten
gar nicht vermeiden. Das führte denn nun zuweilen uner-
quickliche Scenen herbei, denn der alternde Dichter war über-
aus reizbar, wenn seinen religiösen Ansichten zu nahe getreten
ward, und nicht alle Averroisten waren tactvoll genug, auf
diese Schwäche die gebührende Rücksicht zu nehmen. So
entwickelte einmal Einer derselben, den er wohlwollend in
seinem Hause empfangen hatte, so ketzerische Ansichten in
so schroffer Form, dass Petrarca, erzürnt und in seinen
heiligsten Gefühlen verletzt, den Religionsspötter eigenhändig
zum Hause hinaus beförderte '^). Andererseits war es natür-
lich, dass dieselbe Abneigung, welche Petrarca gegen die Aver-
roisten empfand, vielfach von diesen gegen ihn gehegt wurde.
Namentlich die jugendlichen Hitzköpfe unter den Bekennern der
modischen Philosophie zeichneten sich in dieser Hinsicht durch
Maasslosigkeit aus. Sie besassen keine Achtung für Petrarca's
hohe dichterische und wissenschaftliche Verdienste, sie ver-
gassen, dass er es gewesen, der den Canzoniere gedichtet, dass
^) vgl. Renan, a. a. 0. p. 322 £f.
2) Ep. Sen. V 3.
Die Jahre des Alters. 417
er die hunmuistische Wissenschaft geschatieii , sie hatten nur
ein Auge für des alten Mannes Scli wachen, für seme Unwissen-
heit in naturwissenschaftlichen Dingen, für seine ihnen alt-
väterisch erscheinende streng kirchliche Gesinnung und für
seine Unduldsamkeit gegen Andersdenkende. Vier junge
Männer, welche viel in Petrarca's Hause verkehrt hatten und
von ihm immer wohlwollend aufgenommen worden waren, ent-
blödeten sich sogar nicht, über den greisen Dichter und Hu-
manisten, über den von allen einsichtsvollen Männern des
ganzen Europa hochgeehrten und bewunderten Gelehrten ein
förmliches Gericht abzuhalten und ihn für einen .,guten, aber
unwissenden Mann" zu erklären ^). Man kann sich vorstellen,
wie empfindlich Petrarca betroffen wurde, als er von diesem
tollen Gebahren eines jugendlich übermüthigen TVeisheits-
dünkels Kenntniss erhielt. Hatten die Frechen es doch ge-
wagt, seinen Gelehrtenruhm anzutasten, den er so mühevoll
sich erworben und über welchen seine Eitelkeit eifersüchtig
wachte! Und wer möchte ihm auch seinen Zorn verargen?
Handelte es sich hier doch nicht um einen einfachen Angriff
auf die persönliche Gelehrtenehre, sondern es war dieser An-
giift* mit unleugliarer Perfidie und überlegter Bosheit geführt
und nicht allein gegen die Person, sondern auch gegen die
von dieser Person vertretene Sache, den christliehen Glauben,
gezielt worden. Der schwer gekränkte Humanist konnte und
wollte die ihm und seinen Ueberzeugungen angethane Schmä-
hung nicht ungerächt lassen, sondern richtete gegen seine Be-
leidiger eine erbitterte Streitschrift, deren Inhalt wir hier, da
er für die Kenntniss sowol der wissenschaftlichen Anschau-
ungen als auch des Charakters Petrarca's von höchster Wich-
tigkeit ist, auszugsweise im Folgenden wiedergeben.
Betitelt ist diese Schrift „Petrarca's Buch über seine
*) Die Namen dieser vier jungen Männer waren: Leonardo Dandolo,
Tommaso Talenti, Zaccaria Contarini und Guido di Bagnolo. Ueber ihre,
übrigens nichts sonderlich Interessantes bietenden Lebensverhältnisse vgl.
die ausführliche Notiz b. Fracassetti, Lett. fam. II p. 360 ff.
Körting, Petrarca. 27
418 Siebentes Capitel.
eigene und vieler (Anderer) Unwissenheit ^)", und wir erkennen
schon in dieser Aufschrift jene erheuchelte Deniuth ihres Ver-
fassers, von welcher wir im Verlaufe unserer Analyse so manche
weitere Beweise finden werden. Petrarca trug eben nicht
selten und nicht ungern den zerlumpten Mantel des Cynikers
Antisthenes, aus dessen Löchern der Stolz hervorschaute.
Vorausgeschickt ist dem Werkchen ein aus „Padua vom 13. Ja-
nuar^; in der elften Stunde der Nacht (d. i. zwischen 4 und
5 Uhr des Morgens) auf meinem Schmerzenslager" datirter
Brief an den Grammatiker Donato Apenninigena in Venedig
(vgl. S. 364 f.). Petrarca erzählt in demselben, dass er die
Schrift während einer nach Pavia gerichteten Fahrt auf dem
Poflusse abgefasst habe und dass sie demnach von Flüchtig-
keiten nicht frei sei und mehr den zwanglosen Charakter eines
Briefes oder eines Gespräches, als denjenigen eines ernsten
Buches an sich trage. Wenn er sie gleichwol ein „Buch"
nenne, so thue er das nur, um durch den prunkvolleren Titel
der dem Freunde übersandten Gabe ein stattlicheres Aussehen
zu geben, wie man ja auch etwa wohlfeiles Obst in ein sil-
bernes Gefäss oder in weisse Leinwand gelegt Freunden zum
Geschenke zu überreichen pflege. Er bittet ferner, das nach-
lässige, weil durch Correcturen und Rasuren entstellte Aeussere
der Schrift entschuldigen zu wollen, und meint, diese Bitte
könne um so eher berücksichtigt werden, als gerade diese
Vernachlässigung ihres Aeusseren eine sichere Bürgschaft für
die Aechtheit der Schrift gewähre, indem dadurch bezeugt
werde, dass sie von ihm selbst geschrieben und nicht von
einem Schreiber copirt worden sei. — Im Eingange der Schrift
selbst beklagt Petrarca, dass ihm selbst jetzt, wo sein Lebens-
alter sich bereits stark abwärts neige, niemals Ruhe noch
') „Petrarcae de sui ipsius et multorum ignorantia über"; abgedruckt
ist die Schrift natürlich in allen Gesammtausg. ; in das Italienische hat sie
Fracassetti (Venedig, 1858) übersetzt.
-) Jedenfalls des Jahres 1368, vgl. Ep. Sen. XV 8. Die Abfassung
der Schrift selbst fand im Jahre 1367, der sie veranlassende Vorfall im
Jahre 13ö6 statt.
Die Jahre des Alters. 419
Rast vergönnt sei, sondern dass er in immer neue litterarische
Fehden verwickelt werde. Jetzt werde ihm sogar, was er
bisher noch nie erfahren, durch missgünstige Freundschaft oder
durch freundschaftliche Missgunst die Feder zur Vertheidigung
in die Hand gedrückt und es werde ihm damit die schwere
Aufgabe gestellt, die Missgunst zu besiegen und doch die
Freundschaft unverletzt zu erhalten. Vier Freunde seien es,
welche ihn immer je zwei und zwei besuchen, auf das Freund-
lichste mit ihm verkehren, von den besten Gesinnungen, wie
er selbst gern glauben wolle, gegen ihn erfüllt seien und
welche ihn nichtsdestoweniger beneiden. Warum aber beneiden
sie ihn? Wahrlich nicht um sein mehr als bescheidenes Ver-
mögen, auch nicht um seine Freunde, nicht um seine Schön-
heit, welche, wenn sie überhaupt je vorhanden war, jetzt vom
Alter ganz zerstört sei, ebenso wenig um seine Wissenschaft
und seine Beredtsamkeit, welch' letztere sie ja nach der mo-
dernen Philosophen Art — ganz im Gegensatze zu Piaton —
gering schätzen, nicht endlich um seine Tugend, welche sie
ihm nur allzu bereitwillig und uneingeschränkt zugestehen, —
sie beneiden ihn einzig und allein um des Ruhmes willen.
welcher ihm, was selten geschehe, schon bei Lebzeiten zu
Theil geworden sei und den er als eine nie versiegende Quelle
schweren Aergernisses erfunden habe. Die Missgunst jener
vier Freunde aber sei um so heftiger, als sie selbst gar fleissig
Studiren und bei der nächtlichen Lampe schwitzen, wenn auch
freilich dessen ungeachtet der erste von ihnen gar keine litte-
rarischen Kenntnisse besitze, der zweite nur geringe, der dritte
nicht viele, der vierte allerdings bedeutende, aber so ver-
worrene, dass er besser gar keine besässe, denn sein Wissen
beschränke sich im Wesentlichen auf die Kenntniss einer
Menge Einzelheiten aus der Naturgeschichte, welche überdies,
wie Beobachtungen an Ort und Stelle gelehrt hätten, zum
grossen Theile in das Gebiet der Fabel gehörten. Und was
nütze ee auch, die Natur der Thiere zu erkennen, die Natur
des Menschen aber und die Frage nach seiner Herkunft und
den Zielen seines Daseins zu ignoriren? Diese Meinung nun
27'
420 Siebentes Capitel.
habe er (Petrarca) seinen Freunden oft unverliolilen ausge-
sprochen und dadurch ihre Eitelkeit verletzt. So seien sie
denn einmal zusammen gekommen und hätten Gericht über
die Frage gehalten, ob er (Petrarca) des Ruhmes würdig sei.
Die Thatsache seiner Berühmtheit hätten sie nun freilich nicht
in Abrede stellen können, aber sie hätten dieselbe für bedeu-
tungslos erklärt, weil das Urtheil der grossen Menge, auf wel-
chem sie beruhe, trügerisch sei. Auch hätten sie nicht leugnen
können, dass er (Petrarca) von Königen^ wie namentlich einst
von König Robert, von Päpsten, wie noch gegenwärtig von
Papst Urban V., und anderen hochgestellten Männern hoch
geehrt und geschätzt worden sei , aber sie hätten dies damit
zu erklären gesucht, dass diese vornehmen Personen, welclie
theilweise selbst keine wissenschaftliche Bildung besässen, ent-
weder eben nur der Volksmeinung blindlings folgten, oder dass
sie an den Geschichtchen , welche Petrarca zu erzählen ver-
stehe, Gefallen fänden. Endlich hätten sie allerdings auch
seine (Petrarca's) Beredtsamkeit eingestehen müssen, aber ge-
rade daraus auf die Mangelhaftigkeit seiner Kenntnisse ge-
schlossen, denn nach dem Sprüchworte ..multum loquentiae,
panim sapientiae (d. h. viel Geschwätz, wenig Weisheit)" ver-
trage sich Sprechfertigkeit nicht mit Weisheit. So sei denn
ihr Schlussurtheil dahin ausgefallen, dass er (Petrarca) ein
guter Mann ohne litterarische Bildung und folglich seines
Ruhmes unwürdig sei. — Mit diesem Urtheilspruche nun, er-
klärt Petrarca, würde er sehr zufrieden sein, wenn er nur
wirklich das Prädicat „gut" für sich in Anspruch nehmen
könnte, denn — und er rufe Christus hierfür zum Zeugen an —
trotz aller seiner Ruhmbegierde, die er nicht leugnen könne,
habe er doch stets lieber gut als gelehrt sein wollen. Möchte
ihm doch nur Gott statt -alles Wissens die Tugend verleihen!
So sehr er nun aber auch überzeugt sei, dass ihm die Gelehr-
samkeit mit Recht abgesprochen werden könne, so glaube er
doch allerdings nicht, dass diejenigen, welche es gethan, die
hierzu competenten Richter gewesen seien, denn nicht Un-
wissenden komme es zu, eines Anderen Unwissenheit zu con-
Die Jahre des Alters. 421
statiren, ebenso wenig wie ein Hässlicher das Verdict der
Hässlichkeit ü])er Etwas auszusprechen befugt sei. Jeder Ver-
ständige hingegen wei-de unschwer selbst erkennen, wie ge-
ring sein Wissen sei, und das nicht etwa bloss verglichen mit
dem Wissen Gottes, sondern auch mit demjenigen anderer
Menschen, und je gelehrter Jemand wirklich sei, desto eher
werde er zu dieser Selbsterkenntniss gelangen. Gleichwol, ge-
steht Petrarca, berühre ihn das absprechende Urtheil der
Freunde überaus schmerzlich, denn es gemahne ihn daran,
dass er nun auch bereits geistig gealtert sei. Sein ganzes
Leben hindurch habe er sich bemüht, Kenntnisse zu sammeln,
und er sei wirklich einst für einen Gelehrten gehalten worden :
in Montpellier und Bologna, dann in Toulouse und Paris, Pa-
dua und Neapel — alles Städte, in denen»die Wissenschaften
blühten — habe er sich aufgehalten, um gelehrter zu werden,
in Neapel habe ihn der, trotz Allem, was man dagegen sagen
möge, hochgelehrte König Robert eines vertraulichen Verkehrs
gewürdigt, am päpstlichen Hofe, dem Sammelpunkte der ge-
lehrtesten Männer, habe er sich vielfach aufgehalten und jede
Gelegenheit des Lernens benutzt, endlich habe er die langen,
in der ländlichen Einsamkeit an der Quelle der Sorgue ver-
brachten Jahre ernsten wissenschaftlichen Studien gewidmet,
bedeutende Männer hätten ihn seiner Kenntnisse wegen hoch-
geschätzt und seinen Umgang gesucht — und nun sprächen
in Venedig vier junge Leute ihm, dem mehr als Sechzig-
jährigen, alle Kenntnisse ab! Gern freilich lasse er sieh den
Ruhm entreissen, denn derselbe sei nur eine Last und erfor-
dere eine stete beschwerliche Vertheidigung , und ganz zu-
frieden sei er, wenn ihm, wie ja geschehe, nur das Prädicat
„gut" belassen werde, und er hoffe, dasselbe durch eifriges,
bis zum letzten Hauche fortgesetztes Streben nach Tugend
verdienen zu können, da ja hier der Wille die That zu er-
setzen vermöge.
Nach diesem Eingange erklärt nun Petrarca, wie es habe
geschehen können, dass seine Freunde eine so geringe Mei-
nung von seiner Gelehrsamkeit erhalten hätten. Er habe
422 Siebentes Capitel.
nämlich, wenn sie ihn besuchten, im vollen Vertrauen auf sein
freundschaftliches Verhältniss mit ihnen ganz unbefangen und
harmlos alle möglichen Dinge besprochen und dabei weder
auf den Inhalt noch auf die Fonn seiner Rede sonder-
lich geachtet , so dass allerdings der erstere oft trivial , die
letztere oft nachlässig gewesen sei. Ganz besonders aber habe
er sie dadurch gereizt, dass er Zweifel an der Autorität des
. von ihnen göttlich verehrten Aristoteles geäussert und ihre
Manier, über die Geheimnisse des christHchen Glaubens zu
disputiren dder wol gar dieselben durch Spott zu lästern, miss-
billigt habe. Er könne nun einmal kein blinder Anhänger
des Aristoteles sein, obgleich er die Schriften desselben recht
gut kenne, sondern er ziehe den christlichen Glauben bei
weitem den aristotelischen Lehren vor und nehme die Dogmen
des ersteren als gegebene Wahrheiten an, über welche man
nicht grübeln dürfe. Und er gebe sich diesem Glauben um
so fester hin, als ja auch die aufgeklärten Heiden die Vielheit
der Götter verspottet und den Glauben an einen Gott ge-
lehrt hätten. Zum Beweise für diese Behauptung führt nun
Petrarca eine ganze Reihe von Belegstellen aus Cicero's phi-
losophischen Schriften, namentlich aus dem Buche „über die
Natur der Götter", an, und da diese in extenso gegebenen
Citate mehrere Seiten füllen, so entschuldigt er diese Aus-
beutung fremden Geistesschatzes damit, dass er ja nun, nach-
dem ihm alles eigene Wissen abgesprochen worden, sich ge-
nöthigt sehe, mit fremden Federn sich zu schmücken, und
überdies sei das, was er von Cicero angeführt, so überaus
herrlich und dem christlichen Glauben so entsprechend, dass
es sich nahezu mit dem Apostelworte vergleichen lasse. Wel-
cher Schade, dass Cicero nicht Christ sein konnte! Indessen
sei doch auch nicht zu übersehen, dass er (Cicero) nicht con-
sequent bleibe, sondern öfters in das Heidenthum zurückfalle
und von Göttern statt von einem Gotte spreche, wie z. B.
de natur. deor. II, 28, 71. Mit dem einmal von ihm gelegent-
lieh ausgesprochenen Lehrsatze, dass die verschiedenen Götter
nur verschiedene Namen für verschiedene Daseinsfornien des
Die Jahre des Alters. 423
einen Gottes seien, lasse sieh dies nicht entschuldigen, denn
es sei ein solcher Satz ebenso unlogisch, wie die Annahme,
dass es mehrere Götter des gleichen Namens gebe oder dass
einem Gotte die Schicksale und Thaten eines gleichnamigen
Menschen beigelegt worden seien. In Bezug auf die etwa
wünschenswerthe weitere Ausführung der hiermit angeregten
Gedanken verweist Petrarca auf die Institutionen des Lactanz
und wirft sodann die principielle Frage auf: solle man etwa
nun die Schriftwerke des Heidenthums gar nicht lesen , weil
sie von derartigen thörichten Vorstellungen erfüllt seien? Wo-
rauf er antwortet, man müsse sie gerade um desswillen lesen,
denn, erst wenn man die ganze Thorheit des heidnischen Götter-
glaubens an den Quellen erkannt habe, lerne man die Leuchte
der christlichen Wahrheit recht lieben und schätzen. Freilich
finde man zuweilen in den Schriften der Heiden so thörichte
Dinge behauptet, dass man mit Ekel und Widerwillen erfüllt
werde, wie z. B, wenn Pythagoras — sonst ein so hoch be-
deutender Mann — die alberne Lehre von der Seelenwande-
rung aufgestellt habe, die ja von Lactanz (Instit. III, 18) in
ihrer Thorheit nachgewiesen worden sei, oder wenn Demokrit
oder Epikur die Lehre von den Atomen zu begründen suchen,
auch die Behauptungen von der Unendlichkeit der Welten
oder von der Unvergänglichkeit der Welt gehörten in die
gleiche Kategorie des Unsinns. Eben desshalb aber, weil er
(Petrarca) ein Feind aller sogenannten philosophischen Hypo-
thesen über die Entstehung der Welt sei und gläubig an der
mosaischen Schöpfungsgeschichte und an der katholischen
Lehre festhalte, werde er von seinen aristotelischen Freunden,
denen das Christenthum etwas Verächtliches sei, als unwissend
verschrieen — könnten doch solche Leute keine von der ihren
abweichende Meinung vertragen! Und gehe doch ihre Ver-
achtung der christlichen Religion so weit, dass sie bei öffent-
lichen Disputationen, da sie ja doch ihren Irrglauben nicht
offen zu predigen wagen, im Voraus erklären, dass sie mit
Beiseitesetzung der Religion „ sequestrata ac seposita fide"
disputiren würden : sei diese „Beiseitesetzung" ernsthaft gemeint,
424 Siebentes Capitel.
SO sei sie ein ungeheuerer Frevel, sei sie aber nur eine rhe-
torische Formel, so sei sie ein sträfliches Spiel mit einer hei-
ligen Sache. Ja, diese Aristotelesschwärmer gehen sogar so
weit, unseren Herrn und Meister Christus einen ungebildeten
Menschen (idiota) zu nennen ! Sie selbst aber, diese allweisen
Leute, suchen ihren Ruhm in einer dunkeln und verworrenen
und desshalb Niemandeiii. nicht einmal ihnen selbst verständ-
lichen Ausdrucksweise, einem gelehrten Kauderwelsch, nicht
bedenkend, dass Klarheit des Ausdruckes das wichtigste Kenn-
zeichen des Geistes und Wissens sei, wie ihr gefeierter Ari-
stoteles selbst im ersten Buche der Metaphysik angebe. Das
Schlimmste aber sei, dass sie auf Alle und so auch auf ihn
(Petrarca), welche nicht die Dunkelheit, sondern die Klarheit
der Rede lieben, mit Verachtung herabsehen und dieser ihrer
■ Ansicht einen allzu schroffen Ausdruck geben.
Hiernach kommt Petrarca wieder auf die philosophischen
Ansichten seiner aristotelischen Freunde über die ^Yeltent-
stehung zu sprechen, natürlich aber nur um seiner Entrüstung
über solche Thorheiten und gefälii-liche Irrthümer Ausdruck zu
geben, besonders aber ereifert er sich gegen die Annahme,
dass die Welt ebenso ewig sei wie Gott. Sodann, zu dem
Punkte zurückkehrend, von welchem er ausgegangen war,
wiederholt er, seine Ueberzeugung , dass Aristoteles auch in
rein menschlichen Dingen keine unfehlbare Autorität besitze,
sei für seine aristotelischen Freunde , welche da glauben , Ari-
stoteles habe Alles, was nur Menschen zu erkennen veimögen,
auch wirklich richtig erkannt, der hauptsächlichste Grund zu
ihrem geringschätzigen ürtheile über ihn oder doch mindestens
der Vorwand dazu gewesen. Er (P.) könne aber nun einmal
nicht der blinde Anhänger eines Philosophen sein und nicht
Alles an Aristoteles bewundern, so namentlich nicht seinen Styl,
wie er in der gangbaren, sicherlich sehr entstellten Bearbeitung
seiner Schriften sich zeige; auch hätten ihn die ethischen
Schriften des Aristoteles durchaus nicht befriedigt, und er habe
nicht gefunden, dass er durch das Studium derselben besser
geworden sei , wie doch hätte geschehen sollen. Aristoteles
Die Jahre des Alters. 425
definii'ie die Tugend allerdings recht gut und verstehe es, eine
Theorie dieser, sowie auch des Lasters zu entwerfen: aber es
fehle ihm ganz oder beinahe ganz jene eindringliche und
packende sittliche Begeisterung, welche die moralischen Schriften
Cicero's und Seneca"s und selbst auch des Horaz auszeichne und
die Leetüre derselben so fesselnd mache. Denn nicht sowol
in dem Erkennen als in dem Wollen des Guten bestehe unsere
sittliche Aufgabe, ebenso wie die Liebe zu Gott besser sei, als
die (auf Erden ohnehin nur sehr unvollkommen mögliche)
Gotteserkenntniss. Keinesfalls aber könne nun Jemand bloss
desshalb , weil er an Aristoteles Manches auszusetzen habe,
der Unwissenheit bezüchtigt werden. Sei es doch unbestreit-
bar, dass man auch anderswoher , als aus des Aristoteles
Schriften, etwas Tüchtiges lernen könne und dass es auch
schon vor Aristoteles gescheidte Leute gegeben habe, so vor allen
Piaton, welchem nicht allein von den bedeutendsten heidnischen
Autoren, sondern auch von den Kirchenvätern Augustin, Am-
brosius und Hieronymus das Primat unter den Philosophen zu-
erkannt werde, während dem Aristoteles die gleiche Ehre nur
von Seiten des thörichten und lärmenden Haufens der Scho-
lastiker wiederfahre. Wenn ihm auch Averroes solche Ehre
zu Theil werden lasse, so wolle das nicht viel bedeuten, da
Averroes des Aristoteles Schriften commentirt habe und be-
kanntlich jeder Kaufmann seine Waare lobe. Gebe es doch
Leute genug, w^ eiche, da sie nichts Selbständiges zu produciren
vermögen, durch Schreiben über die Schriften Anderer Ruhm
zu erwerben trachten und dabei natürlich die zum Vorwurf
genommenen Schriften nach Kräften und oft über Gebühr
herausstreichen. Man denke z. B. an das überschwängliche
Lob, w^elches Macrobius dem „Traume des Scipio", also dem
kleinen Bruch theile eines ciceronianischen Werkes spende, in-
dem er von demselben nichts- Geringeres sage, als dass es die
gesammte Philosophie in sich schliesse!
Da er, sagt Petrarca weiter, doch durch den Ausspruch
seiner Freunde der furcht, durch ein unbesonnenes Urtheil
seinem Gelehrtenrufe schaden zu können, bereits überhoben
426 Siebentes Capitel.
sei, so wolle er einmal ganz offen aussprechen, wie er über
Piaton und Aristoteles denke. Beide seien ganz ohne Zweifel
grosse Geister, des Lobes vieler und bedeutender Männer
würdig, und der Streit, welcher von Beiden grösser sei, könne,
wie alle solche Streitfragen, nicht definitiv entschieden werden.
Thatsache sei indessen, dass Piaton von noch bedeutenderen
Männern gepriesen worden sei, als Aristoteles, während der
letztere allerdings die grössere Zahl von Anhängern besitze.
Thatsache sei auch, dass Piaton in den höchsten, die Gottheit
betreffenden Fragen der Philosophie sich höher und dem
Christenthum näher emporgeschwungen habe, als Aristoteles.
Bei dieser Gelegenheit will Petrarca zugleich die irrthümliche
Meinung seiner Freunde, dass Piaton nur wenige Bücher ge-
schiieben habe, berichtigen: besitze er (P.) doch selbst sechs-
zehn Schriften Piatons in seiner Bibliothek und mehrere noch
habe er bei seinem Freunde und Lehrer, dem Calabresen Bar-
laam, gesehen.
Petrarca wiederholt — und man erkennt daraus recht
deutlich, was er als den Kernpunkt der ganzen Schrift be-
trachtet wissen wollte — zum dritten Male, dass der Haupt-
grund, wesshalb seine Freunde ihn anfeinden und der Unwissen-
heit beschuldigen, nur darin zu suchen sei, dass er christlich
denke und sich als Christ fühle. Und er wolle in der That
vor allen Dingen Christ sein, wodurch freilich nicht ausge-
schlossen werde, dass er, noch in irdischer Schwäche befangen,
auch die heidnischen Autoren, vielleicht selbst mehr als billig,
liebe. Das Studium Cicero's allerdings, den er vor allen
Uebrigen bewundere und schätze, halte er für ganz unbedenk-
lich: das könne seinem Seelenheile nicht schaden, sondern nur
nützen, da ja auch die grossen Kirchenväter Augustin und
Hieronymus diesen Autor hoch geschätzt und eifrig gelesen
hätten, und da ja ohne Zweifel Cicero selbst Christ geworden
sein würde, wenn ihm die Möglichkeit dazu geboten worden
wäre. Doch in jedem Falle ziehe er auch dem Cicero den
christlichen Glauben vor. Schlimm aber, sehr schlimm sei es,
dass ein Jeder , der seinen Christenglauben bekenne und ihn
Die Jahre des Alters. 427
Über die heidnische Philosophie erhebe, als dumm und un-
wissend verschrieen werde, und dass man schon so weit ge-
kommen sei, litterarische Bildung und (Gläubigkeit für un-
vereinbar zu halten. Das sei indessen eine alte Sache:
schon Victorinus, Augustin und selbst der Apostel Paulus
hätten, als sie das Christenthum annahmen, es sich gefallen
lassen müssen, für Dummköpfe und verrückte Menschen ge-
halten zu werden. Nicht wundern könne er sich daher, wenn
auch er von seinen Freunden seiner Gläubigkeit wegen der
Unwissenheit angeklagt werde.
Allerdings aber werde er auch noch aus anderen Gründen
von den Freunden angefeindet. Da komme vor allen Dingen
ihr Neid in Betracht, so ungeheuerlich und kaum glaubhaft es
auch sei, dass Freunde den Freund beneiden. Vielleicht aller-
dings bestehe ihr Neid nicht sowol darin, dass sie ihm seinen
Ruhm missgönnen, als dass es ihnen schmerzlich sei, nicht den
gleichen Ruhm zu besitzen. Da sie denselben aber auch je-
mals erlangen zu können nicht hoffen dürften , so möchten sie
nun die gestörte Gleichheit in der Freundschaft dadurch wieder
herstellen, dass sie ihn (P.) in dieselbe Dunkelheit hinabzu-
ziehen versuchten, in welcher sie selbst sich befänden. Aber
eine derartige Gleichheit sei durchaus kein Erforderniss der
Freundschaft und in hochberühmten Freundschaftsbündnissen,
wie in dem des Theseus und Pirithous, des Hercules und Phi-
loctet, des Achill und Patroclus, des Scipio und Lälius, sei sie
nicht vorhanden gewesen. Indessen er sei, wie schon gesagt,
gern bereit, das über ihn ausgesprochene Verdict der Un-
wissenheit hinzunehmen , zumal da ihm dies ja die ersehnte
Ruhe, welche bisher immer durch seinen Ruhm gestört worden
sei, bringen werde, jedoch befürchte er, dass es vielen
"Widerspruch finden und auf das Haupt der Richter selbst zu-
rückfallen könnte. Nur vielleicht in eben der Stadt, in welcher
es gefällt worden sei, werde es, da daselbst ein zahlreicher Pöbel
existire, der nach Rabenart auf berühmte Namen loszuhacken
pflege, eine allgemeinere, wenn auch nicht allseitige Aner-
kennung zu finden vermögen.
428 Siebentes Capitel.
Indem nun Petrarca schliesslich von seiner eigenen Un-
wissenheit auf diejenige Anderer zu sprechen kommt, gesteht
er, nirgends eine grössere entdeckt zu haben, als bei seinen
anmaasslichen Richtern selbst. Und überhaupt wie beschränkt
und wie schwankend sei alles menschliche Wissen! wie haben
gerade die gelehrtesten Männer die ungeheuere Lückenhaftig-
keit ihres Wissens erkennen müssen! Gern wolle er daher
auf den Ruhm der Gelehrsamkeit verzichten und sehr zufrie-
den sein, wenn er nur so viel wisse, als zum Seelenheile er-
fordert werde. Und übrigens werde ja die unparteiische
Nachwelt entscheiden, in wie weit er den Ruhm eines Ge-
lehrten verdiene oder nicht. Der Nachwelt also stelle er die
Entscheidung darüber anheim, der Nachwelt, bei der seine,
schon bei Lebzeiten kaum in der Nachbarschaft bekannten
Richter sicherlich vergessen sein würden. Den Freunden aber
zürae er nicht: wisse er doch, dass sie nur vom Neide über-
wältigt und also nicht mit Bewusstsein gehandelt hätten. Auch
tröste er sich mit der Erwägung, dass es den grössten Männern
nicht an Neidern gefehlt, dass ein Thersites den Agamemnon
und Achilles, ein Pescennius Niger das Scipionengeschlecht zu
schmähen gewagt habe, um anderer Beispiele nicht zu ge-
denken. Möchten ihn also immerhin seine Freunde für unge-
lehrt halten, wenn sie ihn nur als einen guten und wohl-
wollend gesinnten Mann lieben wollten!
Es macht die Schrift, welche wir soeben analysirt haben,
in Bezug auf den Charakter ihres Verfassers — um zunächst
dies zu erwähnen — einen überaus ungünstigen Eindruck, in-
dem sie zeigt, wie Petrarca in litterarischen Fehden, sobald
seine Eigenliebe in Mitleidenschaft gezogen wird, sich des Ge-
brauchs keiner Waffe schämt und die Gebote der höheren
Sittlichkeit vollständig missachtet. Der Angriff seiner Gegner
war, das ist rückhaltslos zuzugeben, perfid gewesen; aber die
Art seiner Vertheidigung mit ihrer gleissenden Freundlichkeit
und erheuchelten Bescheidenheit war es nicht minder, nament-
lich wenn man bedenkt, dass sein Ruhm doch schwerHch durch
das Yerdict der vier jungen AveiToisten ernstlich gefährdet
Die Jahre des Alters. 429
erscheinen konnte nnd er sich also kaum in der Lage der
Nothwehr befand. Besonders widerlich aber berührt es, wie
er seine Gegner, während er sie doch immer seine ., Freunde"
nennt, nachdrücklichst als Atheisten und Religionsspötter
bezeichnet. Das war unter den damaligen Zeitverhältnissen
eine Denunciation, welche — denn man bedenke, dass es eine
kirchliche Inquisition gab, welche bereits mehr als einen
Ketzer verbrannt hatte! — die gefährlichsten Folgen haben
konnte. Fast scheint es, als würde es Petrarca gar nicht un-
lieb gewesen sein, wenn seinen „Freunden" der peinliche
Process gemacht worden wäre. Man sieht eben, der grosse
Mann war, wenn seine Eitelkeit gereizt wurde, ein recht kleiner
Charakter: jeder noch so unbedeutende Nadelstich konnte seine
Empfindlichkeit reizen und ihn in die unbändigste Wuth ver-
setzen, in welcher er dann alle die sittlichen Ideale, mit denen
er so gern zu prunken pflegte, völlig vergass. So hatte ein-
mal Jemand, vermuthlich ein eifersüchtiger Dichter, an Pe-
trarca's Dichtungen und Dichterkrönung gemäkelt — sofort
schleuderte der Lorbeergekrönte zwei lange Episteln gegen
den „Zoilus", der Solches gewagt, und entwarf in ihnen mit
giftgetränkter Feder ein abschreckendes Bild von seinem
Gegner ^). P'ast noch schlimmer erging es einem Anderen,
welcher Petrarca einen prosodischen Schnitzer nachgewiesen
hatte oder nachgewiesen zu haben glaubte. Petrarca über-
häufte den Aermsten in einer poetischen Epistel^) mit allen
erdenklichen Schmähungen: er bezeichnete ihn als einen unzu-
rechnungsfähigen, weil immer in Trunkenheit und Unzucht
versunkenen Menschen, er nannte ihn einen tollen Hund, eine
betrunkene Elster , die mit den Musen streiten , einen Affen,
der den Tiger reizen, eine Spinne, die mit der Minerva in der
Webekunst wetteifern, und endlich einen Raben, der die
Schwäne verhöhnen wolle! Wer erinnert sich bei solchen
Expectorationen nicht an jene keifenden Mönche des Mittel-
1) Ep. poet. lat. II 11 u. 18.
2) Ep. poet. lat. III 26.
430 Siebentes Capitel.
alters, welche, wenn ihnen von irgend Jemandem ein Fehler
aufgestochen worden war, in förmliche Raserei geriethen und
dickleibige Volumina mit den ärgsten Schimpfwörtersamm-
lungen gegen den Kritikus verfassten? Und in der That
scheint Petrarca etwas von der den klösterlichen Cölibatären
so oft eigenen Gallsucht in sich gehabt zu haben. Aber seine
Reizbarkeit hatte noch einen anderen Grund. Nicht ohne eine
gewisse Berechtigung betrachtete er die humanistische Wissen-
schaft als seine Domaine, als ein Gebiet, über welches ihm
allein die souveräne Herrschaft zustehe, und er wies demnach
jeden Eingriff eines Anderen in dasselbe als einen Angriff auf
sein rechtmässiges Eigenthum zurück. Aehnlich haben ja zu
jeder Zeit Alle gehandelt, welche ein neues Gebiet des Wissens
erschlossen, und es ist im letzten Grunde eine solche Hand-
lungsweise nur eine nothwendige, wenn auch sittlich nicht er-
fi-euliche Erscheinungsform des vielbesprochenen „ Kampfes
um das Dasein".
Dieselbe Reizbarkeit und Empfindlichkeit, wie ihrem
Meister Petrarca, war auch seinen Nachfolgern, den späteren
Humanisten, eigen. Unter ihnen entbrannte geradezu der
Krieg Aller gegen Alle: Keiner wollte den Anderen anerkennen
und gelten lassen, ein Jeder suchte den Anderen mit allen
den vergifteten Waffen einer sophistischen Rhetorik zu be-
kämpfen und zu verdrängen, ein Jeder hegte gegen den An-
deren dieselbe boshafte Missgunst. So unerfreulich und ver-
dammenswerth indessen auch vom sittlichen Standpunkte aus
ein solches Treiben ohne Frage war, so muss doch bemerkt
werden, dass ohne diesen steten Kampf, der die Kräfte der
Streitenden entwickelte und stärkte, der Humanismus sich
schwerlich in gedeihlicher Weise zu entwickeln vermocht hätte.
Denken wir uns, dass die Humanisten in einem friedlichen und
freundlichen collegialischen Verhältnisse zu einander gestanden
hätten, so würden sie sich vermuthlich zu einer gelehrten
Zunft verknöchert und es würde in derselben die bornirte
Mittelmässigkeit dominirt haben.
Wie soll man über Petrarca's Antagonismus gegen die
Die Jahre des Alters. 431
Aristoteliker urtlieilen? welche Partei besass in dem so er-
bittert ijefülirten Kampfe das höhere Recht? Schwierig für-
wahr ist der Frage Entscheidung, doch dürfte vielleicht fol-
gende Bemerkung ungefähr das Richtige treffen. Unter den
wissenschaftlichen Verhältnissen, wie sie damals bestanden,
war Petrarca's Kampf gegen den Aristotelismus voll berechtigt,
denn dieser hätte, da er bei der geistigen Unreife der da-
maligen Generation und dem noch so kindlich niederen
Stande der Naturwissenschaften nur mechanisch erfasst, nicht
aber geistig durchdacht und ausgebildet werden konnte, zu
einem Formalismus der schlimmsten Art führen und das
geistige Denken ertödten müssen Aeusserlich betrachtet, mag
allerdings der averroistische Aristotelismus, der gegen das
Christenthum Opposition zu machen und die Ewigkeit der
Materie zu behaupten wagte, gegenüber der Religionsphiloso-
phie Petrarca's die freiere Richtung des Denkens darzustellen
scheinen, aber in Wahrheit war doch auch er durch und durch
dogmatisch, denn seine Lehrsätze waren von ihren Bekennern
nicht durch selbständiges Forschen gefunden worden, sondern
sie wurden, und zwar theil weise recht unverstanden, dem
griechischen Meister und dessen arabischem Commentator nach-
gebetet. Für die Menschen des vierzehnten Jahrhunderts,
welche nun einmal den Dogmatismus nicht innerlich zu über-
winden vermochten, war entschieden Peti-arca's eklektische
und religiös durchhauchte, jedes Systems entbehrende Philo-
sophie die ungleich bessere, weil anregendere und vom Drucke
des Formelwesens erlösende Denkweise. Ganz anders freilich
gestaltet sich die Sache, wenn man von einem allgemeineren
Standpunkte aus sie betrachtet und' beurtheilt. Sehr schlimm
wäre es gewesen, wenn Petrarca's Anschauungsweise und sein
Widerwille gegen die materialistische Weltanschauung auch
für die Folgezeit maassgebend geblieben sein wlirde. Es würde
damit jede Entwickelung der Erfahrangswissenschaften von
vom herein unmöglich gemacht, die Menschheit nie aus einem
träumerischen Idealismus erweckt worden sein. Zum Glück
ist es nicht also gekommen. Die Menschen lernten in der
432 Siebentes Capitel.
Schule des Humanismus denken und Kritik üben und, nach-
dem sie dies gelernt, konnten sie vom Banne des Dogmatismus
sich lösen. Kein Zufall ist es, dass nach dem Zeitalter der
Renaissance im engeren Sinne die grossen Philosophen und
Naturforscher auftreten. Freilich fehlte auch die Gegenströ-
mung nicht. Reformation und Gegenreformation bemühten
sich wetteifernd und erfolgreich um die Wiederherstellung des
Dogmatismus, und noch wogt der Kampf unentschieden hin und
her, um vielleicht, ja wahrscheinlich nie entschieden zu werden.
Sonach würde zu urtheilen sein, dass Petrarca das relative,
der Aristotelismus das absolute Recht auf seiner Seite hatte,
und damit ist Petrarca ein grosses Verdienst vindicirt, denn
selbstverständlich darf von einem ]\Ianne nur gefordert werden,
dass er das für seine Zeit Heilsame verficht. Das that Pe-
trarca und das ist sein Verdienst. Freilich aber wird man
nicht leugnen können, dass er sich dasselbe halb unbewusst
erwarb. Deutlich nämlich erkennt man, wie seine Opposition
gegen den Aristotelismus weit mehr eine Sache des Gemüthes»
als des Verstandes war: unbequem war es ihm, in seinen re-
ligiösen Ueberzeugungen gestört zu werden und seinem aesthe-
tischeu Empfinden war es unmöglich, sich mit dem styllosen
Aristoteles zu befreunden, unbehaglich auch im höchsten Grade
war ihm der Gedanke, dass der Araber x\verroes ein grosser
Philosoph sein sollte, denn Alles, was nicht griechisch und
römisch imd nicht italienisch war, galt ihm von vornherein als
etwas Barbarisches, das unmöglich bewundernswerth sein
könne, ganz besonders aber waren ihm die ungläubigen Araber
verhasst ^).
Gern würde Petrarca den Kampf gegen die Averroisten
im gi'össeren Maassstabe aufgenommen und ihre Irrlehre durch
ein umfangreiches Werk widerlegt haben. Anderweitige Be-
schäftigungen aber und die Beschwerden des Alters gestatteten
ihm dies nicht und so forderte er einen jungen Freund auf^
') vgl. Ep. Sen. XII 2.
II
Die Jahre des Alters. 433
für ihn einzutreten ^), docli Luigi Marsili — das war des
jungen Mannes I^ame — leistete dieser Mahnung keine Folge.
Nachdem er in Venedig so schwer gekränkt worden war,
mochte Petrarca sieh daselbst nicht mehr recht wohl fühlen
und siedelte daher nach Padua über, das er ja wegen der
von ihm dort besessenen kirchlichen Pfründe als eine Art
Heimath betrachten konnte, um so mehr, als er sich in dieser
Stadt wiederholt längere Zeit aufgehalten hatte. Wann seine
Uebersiedelung dorthin erfolgte, lässt sich nicht mit voller
Sicherheit angeben, indessen da er den die Schrift „de sui
ipsius etc. ignorantia" begleitenden Brief an Donato „Padua,
13. Januar (1368)" datirte, so wird man annehmen düifen,
dass er bereits am Schlüsse des Jahres 1367, etwa in der
Weihnachtszeit, nach Padua gekommen sei. Vermuthlich er-
folgte, wie das bei der Nähe der beiden Städte begreiflich war,
die Uebersiedelung von Venedig nach Padua nur allmählich,
so dass Petrarca eine Zeit lang abwechselnd bald in der einen,
bald in der anderen Stadt lebte, bevor «r sich zur gänzlichen
Aufgabe des Aufenthaltes in Venedig entschloss.
Padua bot Manches dar, was dem greisen Dichter das
Verweilen daselbst angenehm machen konnte. Namentlich
aber fehlte es dort nicht an geistiger Anregung, denn die be-
rühmte Universität zälilte gerade damals eine Anzahl der be-
deutendsten Männer unter ihren Lehrern 2). Der Fürst der
Stadt, Francesco da Carrara, des im Jahre 1350 ermordeten
Giacomo II. ältester Sohn, war selbst ein Freund der Wissen-
schaften und Künste und förderte sie nach bestem Vermögen 2),
durch welches edle Streben er sich ein Anrecht auf ein günsti-
geres Urtheil der Nachwelt erworben hat,, als ihm sonst in
Hinblick auf seine politische Thätigkeit — denn in dieser
waltete er nach der gewöhnlichen Tyrannenart — zuerkannt wer-
den könnte. Petrarca hatte einst, wie wir sahen (S. 249 f.), der
>) Ep. Sen. XV 6.
■^) vgl. Malmignati, Petrnrca a Padova etc. p. 36 f.
•■') vgl. Malmignati, 1 1.
Körting, Petrarca. 28
434 Siebentes Capitel.
Gunst des Vaters Francesco's sich erfreut und dieselbe mit
aufrichtigster Zuneigung erwidert, jetzt wurde ihm von Seiten
des Sohnes die gleiche ehrende Gunst zu Theil und er lohnte
sie mit der gleichen dankbaren Zuneigung. Das Verhältniss
zwischen dem greisen Dichter und dem noch jugendlichen
Fürsten war ein überaus inniges und über die conventioneilen
Schranken der Standesungleichheit sich hinwegsetzendes, es
gemahnt in manchen Zügen an das herrliche Freundschafts-
bünduiss Karl August's von Weimar mit Goethe. Francesco
erwies Petrarca die Liebe und Aufmerksamkeit eines Sohnes,
und Petrarca wiederum war dem Fürsten mit väterlicher
Freundschaft zugethan. Ein schönes Denkmal dieses edlen
Verhältnisses zwischen dem Fürsten und dem Dichter ist der
Brief, welchen der letztere an den ersteren richtete, um seine
Ansichten über die beste Art der Staatsverwaltung ihm darzu-
legen ')• Wir theilen den Inhalt dieser in mancher Beziehung
interessanten Epistel in Kurie mit.
Vor allen Dingen, lehrt Petrarca, solle der Fürst nach
der Liebe seiner Unterthanen trachten und zu erreichen
suchen, dass er nur von den Bösen gefürchtet werde: denn
ganz thöricht sei die Handlungsweise derjenigen Herrscher ge-
wesen, welche von allen ihren Unterthanen hätten gefürchtet
sein wollen ^). Das Mittel aber , um Liebe zu erwerben , sei
nur die Liebe selbst. Der Füi*st solle eben alle seine Unter-
thanen lieben, wenn auch nicht ebenso wie seine Söhne
(„quantum filios"), was der Natur der Sache nach nicht aus-
führbar sei, so doch gleichwie seine Söhne („sicut filios"); er
solle den Staat als einen Köi-per und sich selbst als dessen
Haupt ansehen. Der Fürst müsse darnach streben, dass er
selbst einst ruhig sterben könne, von seinen Unterthanen aber
sein Tod als ein schweres Unglück betrachtet werde. Um das
zu erreichen , müsse er wohlwollend . gütig und gnädig sein,
*) Ep. San. XIV 1. — In den baseler Ausg. als selbständiger Tractat
u. d. T. „de republica optime administranda über" gedruckt.
-) Dieser ganze Gedanke ist aus Cic. off. 2, 7 entlehnt.
Die Jahre des Alters. 435
letzteres freilich nicht gegen die Bösen, da dies ein den Guten
angethanes Unrecht sein würde. Ferner solle der Fürst Frei-
gebigkeit üben, wenn nicht gegen die einzelnen Unterthanen,
so doch gegen die Gesammtheit derselben, was er dadurch er-
reichen könne, dass er Kirchen und sonstige für die öffentliche
Benutzung bestimmte Gebäude errichten, Befestigungswerke
anlegen und Strassen erbauen oder wiederherstellen lasse.
Petrarca nimmt hierbei Gelegenheit, sich direet an Francesco
mit der Bitte zu wenden, er möchte die Strassen seines Lan-
des in guten Stand setzen lassen, namentlich aber auch dafür
Sorge tragen, dass nicht mehr so zahlreiche Schweine auf den
Gassen der Stadt frei umherlaufen dürften, sowie auch, dass die
Sümpfe in den euganeischen Bergen ausgetrocknet würden, zu
dem letzteren Unternehmen wolle er (Petrarca) selbst eine
Geldsumme beisteuern. — Im Falle einer Theuerung, fährt
Petrarca in seinen allgemeinen Vorschriften fort, solle der
Fürst nach Cäsars und Augustus' Beispiel auch für die Be-
schaffung des Getreides sorgen. Sei ein Herrscher genöthigt,
seinem Volke Steuerlasten aufzulegen, so thue er dies in solcher
Weise, dass Alle erkennen können, dass er es nur nothge-
drungen und ungern thue, und steuere auch selbst von dem
Seinigen bei. Ein weiteres Mittel, sich die Liebe der Unter-
thanen zu erwerben, seien theilnehmende Besuche bei ihnen
und ein freundlicher Verkehr mit ihnen. — Grausamkeit und
Habsucht müsse der Fürst gänzlich meiden, und er müsse
Sorge dafür tragen, dass auch in seiner Umgebung nur tüch-
tige und gute Leute sich befinden; schon mancher Fürst sei
ja nur durch die Schlechtigkeit seiner Vertrauten dem Volke
verhasst geworden. Ueberhaupt solle daher der Fürst sich
hüten, seine Günstlinge Einfluss auf die Regiemng gewinnen
zu lassen. Gegen die Seinigen solle der Fürst bescheiden,
gegen die Feinde hochherzig sein. Glück solle er mit Demuth,
Unglück mit Würde ertragen. Diese Tugenden zu üben, werde
Francesco nicht schwer fallen, besonders was die Bescheiden-
heit anlange, denn er sei ja schon jetzt so bescheiden, dass
er sich einfach mit seinem Namen, ohne irgend welchen Titel
28*
436 Siebentes Capitel.
hinzuzufügen, unterzeichne und dass er von sieh nur im
Singular, nicht im pluralis majestaticus , spreche. Der Fürst
solle endlich alle tüchtigen Männer ehren, namentlich aber
bedeutende Gelehrte, Schriftsteller und Dichter. — Zum
Schlüsse richtet Petrarca an seinen Landesherrn wieder eine
persönliche Bitte : er möchte doch die Unsitte abstellen lassen,
dass bei Leichenzügen die Leidtragenden Strassen und Kirche
mit lautem Klagegeschrei erfüllen.
Man sieht, es ist ein durchaus ethisches Fürstenideal,
welches Petrarca in dieser EpisteP) aufstellt. Mit einem sol-
chen also begann die Renaissance, um dann mit dem von aller
Ethik abstrahirenden „Principe" Machiavelli's zu enden. Welche
anscheinend unermesslich weite Kluft gähnt zwischen Petrarca
und Machiavelli ! und doch genügte ein Entwickelungsgang der
Renaissancecultur von nicht ganz zwei Jahrhunderten, um
diese Kluft zu übersehreiten — gewiss ein Beweis, auf welcher
furchtbar abschüssigen Bahn die Renaissancecultur in ethi-
scher Beziehung sich bewegte. Noch eine weitere lehrreiche
Beobachtung ergibt sich aus der Vergleichung Petrarca's mit
Machiavelli : der erstere zeigt sich als ein wohlmeinender, aber
unpraktischer Idealist, der letztere dagegen als ein eminent
praktischer und staatskluger Realist. So trieb die Renais-
sance von dem Idealismus rasch dem Realismus zu, sie ver-
liess die Wolken der Ideen und betrat den festen Boden der
wirklichen Verhältnisse.
So angenehm indessen Petrarca in Padua auch durch seine
freundschaftlichen Beziehungen zu dem Herrn der Stadt wohnen
mochte, ein ruhiges Bleiben, wie es seinem Alter und seiner
allgemach verfallenden Gesundheit angemessen gewesen wäre,
kannte er auch jetzt noch nicht. Dauernd in der Stadt zu
wohnen, war ihm unmöglich. Hatte er doch immer für das Land-
leben geschwärmt und die kleinen Unannehmlichkeiten, welche
das geräuschvolle städtische Treiben mit sich bringt, schwer
^ Datirt ist dieselbe: Arquä, den 28. November (jedenfalls des Jabres
1373), sie ist also eine der letzten Arbeiten Petrarca's.
Die Jahre des Alters. 437
empfunden ! Mit dem Alter hatte sich diese ADneigung gegen
das Stadtleben noch gesteigert und war zur krankhaften Ner-
vosität geworden, jeder Lärm konnte ihn stören, jede an sich
noch so unbedeutende Unbequemlichkeit ihn reizen : wir sahen,
wie er sich über das Geschrei der Leidtragenden bei Begräb-
nissen und über das Umherlaufen der Schweine beklagte, aber
selbst das Hasseln der Wagen war ihm unerträglich. So
flüchtete er denn schon im Jahre 1369^) wieder in die länd-
liche Einsamkeit. Sein Zufluchtsort war das Dörfchen Arquä,
2V2 deutsche Meilen südwärts von Padua in einer lieblichen
Landschaft der euganeischen Hügel gelegen 2). Hier nahm er
vorläufig in dem daselbst befindlichen Augustinerkloster seine
AVohnung.
Auch auf das Reisen konnte der unermüdliche Wanderer
noch nicht Verzicht leisten, und es war ihm dies um so un-
möglicher, als er von allen Seiten her ehrende und dringende
Einladungen empfing. Kaum war er nach Padua übergesiedelt,
als er von Galeazzo Visconti im Frühjahre 1368 aufgefoideit
wurde, sich nach Pavia zu begeben, um an den dort geführten
Friedensverhandlungen Galeazzo's mit der Curie theilzunehmen.
Er folgte dieser Aufforderung, verliess am 25. Mai Padua und
traf am 30. in Pavia ein 2). Nachdem er über einen Monat
sich dort verweilt hatte, wollte er zurückkehren, aber dies
wurde ihm durch die obwaltenden Zeitverhältnisse fast un-
möglich gemacht. Die fortdauernden Kriegswirren, von denen
^) Zeitbestimmung nach Ep. Sen. XI 14. Dieser Brief, dätirt vom
1. November, beklagt den Tod des Bonsembiante Badoario, welcher am
28. October 1369 (nicht 1366, wie b. Fracassetti, Lett. sen. II p. 184 irr-
thümlich gedruckt ist) starb.
^) vgl. die Angaben über Arquä in der Recension von Geiger's „Pe-
trarcha" in der Beilage der Augsb. Allgem. Ztg. vom 11. Juli 1874. Aus-
führliche Schilderung von Arquä in Tomasini's Petrarca Redivivus, p. 116 ff.
3) Dies und das Folgende nach Ep. Sen. XI 2.; dass Petrarca, wie
gewöhnlich angenommen wird, von Pavia aus sich auch nach Mailand be-
geben und an der Hochzeitsfeier der Tochter Galeazzo's theilgenommen
habe, ist höchst unwahrscheinlich, da er dessen nie erwähnt, ßaldelli,
p. 246, stützt sich nur auf das wenig verlässliche Zeugniss Corio's.
438 Siebentes Capitel.
das unglückliche Oberitalien noch immer heimgesucht wurde,
Hessen die Benutzung des Landweges als unthunlich erscheinen,
aber selbst auch die relativ sichere Rückfahrt auf dem Po-
flusse, welche dann als einzige Möglichkeit noch übrig blieb,
schien doch so bedenklich, dass Petrarca trotz wochenlangen
Harrens keinen zur Fahrt bereiten Schiifer finden konnte.
Endlich erbot sich der Besitzer einer Barke, das Wagniss zu
unternehmen, und Petrarca reiste also ab, trotzdem dass seine
Freunde ihn ob seiner veiineintlichen Tollkühnheit tadelten.
Jedem Anderen würde auch in der That die Fahrt gefährlich
genug geworden sein und wol sicheres Verderben gebracht haben,
den Dichter aber, dessen Namen die Italiener schon längst
mit Ehrfurcht nannten, schützte sein Ruhm: die feindlichen
Fahrzeuge, welche den Strom, die feindlichen Schaaren, welche
die Ufer bedeckten, Hessen den Lorbeergekrönten nicht nur un-
gehindert passiren, sondeni die feindlichen FeldheiTen sandten
ihm wetteifernd reiche Geschenke an Wein, Obst und sonsti-
gen Lebensmitteln zu. So glich des Dichters Fahrt einem
Ti-iumphzuge, und wahrlich, es war auch ein erhabener Triumph,
den hier geistige Grösse inmitten eines Zeitalters der rohen
Gewalt feierte! Am Abend des 19. Juli traf Petrarca unter
strömendem Regen wieder in Padua ein, und auch hier em-
pfing er einen neuen Beweis der hohen Verehrung, die man
ihm zollte: noch in später Abendstunde kam der Fürst
der Stadt zu ihm, um ihn persönlich zu bewillkommnen, und
verweilte längere Zeit bei ihm in vertraulichem Gespräche.
Doch trotz des glücklichen Ausgangs dieser Fahrt sollte der
greise Dichter bald erfahren müssen, dass die Zeit des Wan-
derns für ihn vorüber sei und dass das Alter gebieterisch
seine Rechte geltend machen könne.
Papst Urban V. hatte, seitdem er wieder in Rom residirte,
Petrarca wiederholt und in dringendster Weise zu sich einge-
laden, und wie hätte dieser einem so ehrenden und seiner
eigenen Neigung so entsprechenden Rufe widerstehen können?
wie hätte ihn der Gedanke nicht reizen sollen, sein heissge-
Die Jahre des Alters. 439
liebtes Rom jetzt, wo es die lang entbehrte Ehre der päpst-
lichen Residenz wiedererlangt hatte, noch einmal zu sehen?
So entschloss er sich denn, die beschwerliche Reise zu
unternehmen; indessen seine immer hinfälliger werdende Ge-
sundheit hielt ihn lange zurück. War er doch im Jahre 1369
von einem schweren und langwierigen Fieber heimgesucht und
durch dasselbe so entkräftet worden, dass er nicht mehr auf
den Füssen zu stehen, sondern selbst den Weg zur nahen
Kirche nur mit fremder Unterstützung zurückzulegen ver-
mochte'). Endlich im Frühjahr 1370 glaubte er, hinreichend
genesen zu sein, und trat die Reise an, jedoch nicht ohne vor-
her, am 4. April, sein Testament aufgesetzt zu haben. Es
fehlte wenig, so würde die düstere Ahnung, mit welcher er
auszog, sich bewahrheitet haben. Der durch Alter und Krank-
heit geschwächte Körper war den Anstrengungen der Reise
nicht mehr gewachsen. In Ferrara angekommen, wurde der
Greis von einer schweren, todähnlichen Ohnmacht befallen,
welche mehrere Stunden lang andauerte, so dass sich bereits
allüberallhin das Gerücht von seinem Hinscheiden verbreitete.
Durch die sorgsame Pflege, welche er im Hause der Este, der
Herren von Ferrara, fand, wieder in's Leben zurückgerufen,
wurde er durch das ernste Gebot der Aerzte genöthigt, auf
die Fortsetzung der Reise zu verzichten, und musste sich, noch
immer zwischen Tod und Leben schwebend, in einem Boote
nach Padua zurückbringen lassen, wo ihn Francesco und die
Bürgerschaft mit fi-eudigem Staunen, wie einen aus dem Grabe
Erstandenen, empfingen^).
Es war für Petrarca gewiss ein Glück, dass er Rom nicht
mehr erreichte. Er würde dort die schmerzlichste Enttäuschung
haben erfahren müssen. Urban V. und seine französischen
Cardinäle vermochten in dem wüsten Rom, wo sie unaufhörlich
von den kleinlichen Wirren der italienischen Staatshändel be-
drängt wurden, sich nicht wohl zu fühlen und sehnten sich
1) Ep. Sen. XI 15 u. 16.
■') Ep. Sen. XI 17.
440 Siebentes Capitel.
zurück nach den heimischen Ufern der Rhone, So fasste denn ■
der Papst, nachdem er auch in Viterbo und Montefiascone ver-
gebens eine ihm zusagende Residenz gesucht hatte, schon im
Mai 1370 den Entschluss, nach Frankreich zurückzukehren,
und bald brachte er ihn, aller flehentlichen Bitten der Römer
ungeachtet, zur Ausführung. Am 5. September verliess er,
im Hafen von Corneto nach der Provence sich einsehiifend,
Italien für immer und zog am 24. unter dem Jubelrufe der
Bevölkerung wieder in Avignon ein. Schon nach wenigen Mo-
naten aber, am 19. December, starb der Papst, einer furcht-
baren Krankheit erliegend. Fromme Seelen glaubten, dass
sein Tod die göttliche Strafe für das Verlassen Roms sei und
dass sich damit eine Vision der heiligen Brigitta erfüllt habe ^).
Petrarca aber, so sehr er auch den Waukelmuth des Papstes
beklagte, der nicht die Festigkeit besessen hatte, im heiligen
Rom auszuharren, betrauerte sein Ableben doch aufrichtig und
bewahrte ihm ein dankbares und ehrendes Andenken ^j; auch
begab er sich, trotz seines leidenden Gesundheitszustandes,
mit Francesco di Carrara nach Bologna, um den für den Ver-
storbenen am 3. Januar 1371 abgehaltenen Exequien beizu-
wohnen 3).
Urban's V. Nachfolger wurde durch die am 30. December
abgehaltene Wahl des Conclave der fromme Cardinal Pierre
von Beaufort, der bei seiner am 4. Januar 1371 erfolgten Krö-
nung den Namen Gregor XL annahm^). Auch dieser erwies,
wie alle seine Vorgänger seit Benedict XII., Petrarca das
gi-össte Wohlwollen und lud ihn durch einen eigenhändigen
Brief nach Avignon ein^). Willkommener freilich als eine
solche Einladung, welcher er doch nicht folgen konnte, wäre
dem greisen Dichter eine materielle Unterstützung von Seiten
des Papstes gewesen, um eine solche jedoch bemühte er sich
1) vgl. Christophe, a. a. 0. II p, 293 ff.
2) Ep. Sen. XIU 13.
') vgl. de Sade, lU 773.
*) vgl. Christophe, a. a. 0. p. 311 ff.
»j Ep. Sen. XIII 13 XV 3.
Die Jahre des Alters. 441
vergebens und selbst die Vermittelung des ihm eng befreun-
deten apostolischen Secretärs Francesco Bruni vermochte nicht,
sie ihm auszuwirken. Vermuthlich sorgten die Stellenjäger in
Avignon eifrigst dafür, dass kein Auswärtiger so leicht ein
Benefiz erlangen konnte.
Immerhin aber durfte Petrarca mit gerechtem Stolze sich
rühmen, die Gunst und das Wohlwollen von fünf Päpsten ge-
nossen zu haben — denn auch der ihm anfänglich abgeneigte
Innocenz VI. hatte sich ja später ihm freundlich gesinnt er-
wiesen — , und durch diese Thatsache allein schon wird die
oft aufgestellte Behauptung widerlegt, dass der Begründer des
Humanismus ein Feind des Papstthums und dadurch indirekt
ein Vorläufer der Reformation gewesen sei. — —
Nachdem die nach Rom angetretene Reise so traurig unter-
brochen worden war, musste Petrarca erkennen, dass er fortan
auf das Reisen Verzicht leisten und zu einem ruhigen Ver-
bleiben an einem Orte sich entschliessen müsse. Er erwählte
das lieblich gelegene Arquä, in welchem er bereits einmal
(1369) eine Villeggiatur gehalten, zu seiner letzten Wohnstätte.
Hier erwarb er durch Vermittelung seines Freundes Lombarde
da Serico am 22, Juni 1370 ein massig grosses, mit Wein-
stöcken bestandenes Grundstück ^), auf welchem er ein behag-
liches Häuschen errichten und einen Garten anlegen Hess ^).
Wol wäre hier, inmitten der freundlichen Landschaft,
welche in ihrem Bilde südliehe mit nordischen Reizen vereint,
im Angesichte der im Schmucke der Olivenbäume und Wein-
^) Der Kaufcontract (abgedruckt b. Malmignati, a. a. 0. p. 91 ff.) ge-
währt einen interessanten Einblick in die Rechtsverhältnisse der damaligen
Zeit, namentlich aber veranschaulicht er, zu welchem entsetzlichen bar-
barischen Jargon das juristische Latein damals herabgesunken war.
-) Ep. Sen. XII 2. XIII 7. XIV 6. XV 5. — Eine Ansicht und einen
Plan des Hauses Petrarca's, sowie Abbildungen mehrerer ihm gehöriger
Mobilien (und auch von Petrarca's Katze!) gibt Tomasini im Petr. Rediv.
p. 153 ff. — lieber die Lage des Hauses vgl. Tommaseo b. Malmignati
p. 85 f. — Ueber Arquä überhaupt vgl u. a. von Reumont's Büchlein „Dichter-
gräber" (Berlin, 1846) (vgl. auch Augsb. Allg. Ztg. vom 9. Sept. 1874,
Beilage).
442 Siebentes Capitel.
reben immergrünenden Hügel und im Genüsse einer balsa-
mischen Luft 1) ein beglücktes Wohnen dem Dichter beschieden
gewesen, wenn anders nur die äusseren Umstände günstiger
gewesen wären. Nicht Jahre behaglichen und beschaulichen
Lebensgenusses, wie nach einem unruhvollen und vielfach mit
Leid erfüllten Leben sein Alter sie wol hätte fordern dürfen,
sondern Jahre schwerer Drangsal durchlebte Petrarca in Arquä.
Seine einst so kräftige Gesundheit war gänzlich gebrochen und
nur mühsam vermochte der noch jugendfrische Geist den hin-
fälligen Leib aufrecht zu erhalten. Fortwährend wurde der
Greis von Fieberanfällen heimgesucht und wiederholt von
schweren Ohnmächten betroffen. In allen seinen Briefen musste
er klagen, wie gebrechlich er geworden sei und wie er immer
an der Schwelle des Todes stehe — , mag immerhin bei diesen
Klagen einige Uebertreibung untergelaufen sein, die Wirklich-
keit war jedenfalls schlimm genug. Einen besonders schweren
Anfall hatte er aber am 8. Mai 1371 zu erleiden-'). Die in
aller Eile, theils von Francesco Carrara gesandten, theils aus
eigenem Antriebe herbeigekommenen Aerzte erklärten nach langer
Untersuchung, dass der Kranke Mitternacht nicht überleben
werde — es war aber bereits gegen 9 Uhr des Abends! —
und dass höchstens, wenn man durch Festbinden der Glieder
das Einschlafen zu verhindern suche, das Leben vielleicht noch
bis zum Tagesanbruch gefristet werden könne. Petrarca in
seiner grundsätzlichen Verachtung ärztlicher Vorschriften ver-
schmähte es, von diesem ihm thöricht scheinenden (und wol
auch in der That höchst thörichten) Mittel Gebrauch zu machen
und überliess sich gottvertrauend dem Schlummer, der ihn
denn auch wirklich erquickte und zeitweilige Genesung brachte.
Als am folgenden Morgen die Aerzte wieder kamen in der
sicheren Erwartung, eine Leiche anzutreffen, fanden sie zu
ihrem nicht geringen Erstaunen den Patienten leidlich munter
am Schreibtische sitzen.
^) Ep. Sen. XIV 10.
») Ep. Sen. XIII 8.
Die Jahre des Alters. 443
Uebrigens war Petrarca selbst nicht ganz ohne eigene
Schuld an dem traurigen Verfalle seiner Gesundheit. Die
Quelle seines Leidens war ohne Zweifel eine empfindliche
Schwächung der Verdauungsorgane. Gleichwol aber wollte er
sich auch den einfachsten und vernünftigsten diätetischen Vor-
schriften der Aerzte nicht fügen und nicht auf den Genuss des
kalten Wassers und des rohen Obstes, namentlich aber nicht
auf die strenge Beobachtung der kirchlich gebotenen Fasttage
verzichten. Er entwickelte in Bezug auf diese Dinge den
ganzen rechthaberischen Eigensinn eines alten und bigotten
Mannes und war unermüdlich, in umfangreichen Episteln seine
Ansichten als die einzig richtigen und vernunftgemässen zu
vertheidigen ').
Nicht aber allein von Krankheiten ward Petrarca heim-
gesucht in den Tagen seines Alters, sondern auch die Schrecken
des Krieges warfen auf dieselben ihre düsteren Schatten.
Zwischen dem Tyrannen von Padua und der Republik von San
Marco hatten schon lange, anlässlich des Salzhandels, in Bezug
auf welchen Padua sich der Abiuingigkeit von Venedig ent-
ziehen wollte, sowie wegen der freien Schifffahrt auf der Brenta,
welche die Venetianer beanspruchten, arge Misshelligkeiten
bestanden, welche sich endlich am Schlüsse des Jahres 1371
zu einem blutigen Conflicte zuspitzten. Ungeachtet dass Fran-
cesco di Carrara alle, auch die verwerflichsten Mittel, selbst
Meuchelmord und Bestechung, gegen die Venetianer anzu-
wenden sich nicht scheute, nahm doch der Krieg für ihn
sehr bald die ungünstigste Wendung : die venetianischen Söldner-
heere drangen in das paduanische Gebiet ein, verheerten das-
selbe mit Feuer und Schwert und besiegten die ihnen entgegen-
gesandten Truppen des Carraresen. Endlich musste Francesco
im September 1373 von der Republik sich einen schimpflichen
Frieden dictiren lassen : er musste Landabtretungen bewilligen,
ungeheuere Entschädigungssummen zahlen und, um die Demü-
^) vgl. namentl. die beiden Briefe an den Arzt Giovanni von Padua,
Ep. Sen. XII 1 u. 2.
444 Siebentes Capitel.
thigung vollständig zu machen, seinen eigenen Sohn nach Ve-
nedig senden, damit er vor dem grossen Rathe im Namen des
Vaters um Verzeihung bitte ^).
Petrarca hatte im Herst 1372 dem Kriegssturme weichen
und sein kaum begründetes ti-auliches Heim in Arquä verlassen
müssen. Am 14. November war er nach Padua zui-ückgekehrt,
nicht ohne Besorgniss, dass sein aufgegebenes ländliches Besitz-
thum dem Schicksale der Plünderung verfallen , vielleicht wol
gar in Brand gesteckt werden könnte. Ein Freund hatte ihm
zwar gerathen, sein Haus dadurch vor jeder Unbill zu schützen,
dass er seinen, jedem Italiener theueren Namen an die Ein-
gangspforte schreibe; doch hatte er diesen Vorschlag als un-
praktisch verworfen ^). Indessen schetnt es , dass sich keine
feindliche Hand an des Dichters Villa vergriffen habe, da dies
sonst wol in dem Brief berichtet sein würde. Jedenfalls, nach-
dem der Frieden wieder hergestellt war, bezog Petrarca sein
Landhaus aufs Neue, um es nun nicht mehr zu verlassen. Vor-
her aber, im September 1373, hatte er sich noch der lästigen
Mühe unterziehen müssen, Franceseo's Sohn, den jungen Fran-
cesco Novello di Carrara, auf der schimpflichen Bittfahrt nach
Venedig zu begleiten und in dessen Namen vor dem grossen
Rathe zu sprechen^). Wie eigenthümlich muss es Petrarca
ergriffen haben, jetzt in der Rolle eines Bittflehenden vor der-
selben Versammlung zu erscheinen, vor welche er einst als
der Abgesandte des mächtigen Erzbischofs Giovanni Visconti
getreten war! und wie seltsam auch muss es ihn bewegt haben,
wenn er jetzt, offenbar am Ende seiner diplomatischen Lauf-
bahn stehend, an den einstigen Beginn derselben zurückdachte,
als er vor nun gerade dreissig Jahren vom Papste an den
Königshof Neapels gesandt worden war! Sachlich freilich
konnte er kaum mit sonderlicher Befriedigung auf die zahl-
^) vgl. Leo, a. a. 0. HI p. 88 ".
•^) Ep. Sen. XIII 16 u. 17.
^) vgl. über die Reise die eingehende Untersuchung von R. Fulin in
dem Sammelwerke „Petrarca e Venezia" p. 310—327. Fulin ist geneigt,
die Reise in Zweifel zu ziehen.
Die Jahre des Alters. 445
reichen diplomatischen Missionen zurückblicken, mit denen er
im Laufe dieser Jahre betraut worden war, aber doch durfte
er sich eines Erfolges seiner politischen Thätigkeit rühmen:
er hatte bewirkt, dass der Humanismus auch im politischen
Verkehre Einfluss gewonnen hatte, dass das barbarische Kanzlei-
latein mehr und mehr verdrängt ward und dass der Diplomat
wieder, wie in den Zeiten des Alterthums, in Wahrheit ein
„Redner (orator)"' sein musste. Die Zeit sollte nicht mehr
fern sein, wo unter Umständen eine stylvoll redigirte Staats-
schrift, eine elegante Gesandtschaftsrede des Humanisten grös-
sere Erfolge errang, als das siegreiche Schwert eines Feld-
herren.
Nach Arquä zurückgekehrt nahm Petrarca, soweit seine
leidende Gesundheit es gestattete, das altgewohnte Leben wieder
auf. Er war unermüdlich in seiner litterarischen Thätigkeit,
wenn dieselbe sich jetzt auch allerdings fast nur auf die Epi-
stolographie , die Abfassung von Gelegenheitsschriften und die
Ueberarbeitung früherer Werke beschränkte. Aber auch neue
Bahnen veimochte sein immer reger Geist selbst noch im
Alter einzuschlagen. Es war ihm bis dahin, seltsam genug,
seines Freundes Boccaccio schönes Prosawerk, der Decamerone,
unbekannt geblieben. Jetzt erst, im Jahre 1373, lernte er es
kennen und besass noch jugendliche Geistesfrische genug,
um sich durch die Leetüre desselben fesseln zu lassen. Be-
sonders aber gefiel ihm die Novelle von der Griseldis , mit
welcher bekanntlich der Decamerone abschliesst, und geleitet
von dem Wunsche, dass sie auch weiteren Kreisen bekannt
werden möchte, als dies in ihrem italienischen Gewände mög-
lich gewesen wäre, entschloss er sich, sie in das Lateinische
zu übertragen. Er ahnte gewiss nicht, wie sein Wunsch in
schönster Weise sich erfüllen, wie Englands grosser Dichter
Chaucer, sein Zeitgenosse und vielleicht auch persönlich ihm
bekannt^), diese lateinische Bearbeitung zu einer der an-
') Die Erörterung dieser schwer zu beantwortenden Frage würde hier
zu weit führen und muss einem andern Orte vorbehalten bleiben, vgl. Hertz-
berg in der Einleitung zur Uebersetzung der Canterbury Tales (Hildburg-
446 Siebentes Capitel.
muthigsten Erzählungen der Canterbury-Geschichten gestalten
würde? Man ersieht hieraus recht deutlich, wie die von einem
grossen Geiste ausgestreuten Saamenkörner der Bildung oft weit-
hin vom Winde verweht werden, um dann auf fremdem Boden
noch hundertfältige Frucht zu tragen.
Was Petrarca's Latinisirung der Novelle i) selbst anlangt,
so ist dieselbe keineswegs eine Uebersetzung im eigentlichen
Sinne des Wortes, sondern durchaus eine freie lateinische Be-
arbeitung des gegebenen Stoffes, welche zu der Vennuthung
berechtigt, dass Petrarca ihn bereits aus einer anderen und zwar
älteren Quelle kannte ^). Im Wesentlichen stimmt indessen in
Bezug auf das Sachliche die Bearbeitung mit dem Originale
überein, hinzugefügt hat Petrarca nur mehrere moralische Re-
flexionen, namentlich einige Hindeutungen darauf, dass die
Handlungsweise des Marchese von Saluzzo eine rohe und durch
Nichts gerechtfertigte gewesen sei. Am Schlüsse der Novelle
fügt er noch die Erkläiiing hinzu, dass er sie wiedererzählt
habe nicht sowol, um die Frauen seiner Zeit zu einer gleichen
Ergebung in den Willen des Gatten, welche kaum nachgeahmt
werden könne, als vielmehr zur Ergebung in den Willen Gottes
zu ermahnen, denn Gott prüfe zuweilen die Seinen in ähnlicher
Weise wie der Marchese von Saluzzo seine Gemahlin.
Die Bearbeitung ist begleitet von zwei Briefen an Boc-
caccio , deren einer ihr voraus- , der andere ihr nachgeschickt
ist. In dem ersten erzählt Petrarca, dass er zufällig in den
Besitz des Decamerone gekommen sei und zwar, durch viele
Beschäftigungen und durch die unruhigen Zeiten gehindert,
das Buch nicht eigentlich gelesen, aber doch durchblättert
habe. Im Allgemeinen habe ihm bei dieser flüchtigen Durch-
sicht das Werk wohl gefallen, die hier und da allerdings her-
hausen 1870.) p. 43. Bemerkt sei hier nur, dass sich in Petrarca's Werken nir-
gends eine Andeutung persönlicher Bekanntschaft mit Chaucer findet, was
indessen keineswegs entscheidend ist.
^) Ep. Sen. XVII 3 (in den baseler Ausg. separat gedruckt u. d. T.
„de obedientia ac fide uxoria mythologia.")-
^) vgl. Hertzberg, Anmerkungen zu den Canterbury Tales, p. 625 f.
Die Jahre des Alters. 447
vortretende Lascivität entschuldige er gern mit dem jugend-
lichen Alter, in welchem der Dichter zur Zeit seiner Abfassung
gestanden habe, sowie mit den im Style und im Gebrauche
der Vulgarsprache enthaltenen Verlockungen und endlich mit
dem leichten Sinne des Leserkreises, für welchen derartige
Schriften bestimmt seien. Genauer habe er, wie dies ja zu
geschehen pflege, nur den Eingang und den Schluss des Buches
geprüft und beide hätten seinen vollen Beifall gefunden: in
dem ersteren habe er die Schilderung der Pest, in dem letz-
teren die sinnige Dichtung bewundert. Diese habe ihm so gut
gefallen, dass er sie in einem Freundeskreise wiedererzählt und
dann, um sie auch denen, welche der Vulgarsprache nicht kundig
seien, mitzutheilen, den Entschluss ihrer Uebersetzung in das
Lateinische gefasst habe. Er habe sich also dadurch zu Boccac-
cio's Uebersetzer gemacht und hoffe, dass, da er einem An-
deren diese Gefälligkeit nicht leicht erweise, Boccaccio sich
über seinen Entschluss freuen werde. Li der Uebersetzung
selbst habe er sich, ohne indessen die Erzählung selbst zu
ändern, nicht sklavisch an den Wortlaut gehalten, sondern die
Mahnung des Horaz sich zur Richtschnur genommen : „nee ver-
bum verbo curabis reddere fidus Interpres." (A. P. v. 133.)
In dem zweiten Briefe berichtet Petrarca zunächst über
den Eindruck, den die Leetüre der Novelle auf einige seiner
Freunde, die zugleich auch Boccaccio's Freunde seien, gemacht
habe. Ein veroneser Freund habe ihr den Vorwurf der Un-
wahrscheinlichkeit gemacht, doch habe er (Petrarca) sie da-
gegen vertheidigen zu müssen geglaubt, da man nicht Alles,
dessen man sich selbst wegen der eigenen moralischen Schwäche
nicht für fähig erachte, ohne Weiteres für unwahrscheinlich er-
klären dürfe : seien doch auch die Thaten eines Cui-tius , eines
Mucius und der Decier, einer Porcia, Hypsikratea und Alcestis
für die Menschen der Gegenwart viel zu hoch und unbegreif-
lich, und dennoch seien sie wirklich vollbracht worden.
Im weiteren Verlaufe des Briefes beklagt sich Petrarca
bitterlich über die neuerdings eingerissene Unsicherheit des
Briefverkehrs: die Briefe würden von den Dienern argwöhnischer
448 Siebentes Capitel.
oder neugieriger Machthaber erbrochen und von den letzteren
gelesen, wol auch abgeschrieben oder gar, wenn man sich diese
Mühe sparen wolle, einfach zurückbehalten \). Er werde dess-
halb in Zukunft darauf verzichten — so schwer auch ein sol-
cher Verzieht dem geschwätzigen Alter falle — , in seinen
Briefen mit Ausführlichkeit zu schreiben, sondern werde sich
auf das zum Verständnisse Nothwendige beschränken. —
Den am Schlüsse dieses Briefes ausgesprochenen Vorsatz
vermochte der unermüdliche Epistolograph freilich nicht zur
Ausführung zu bringen, sondern schrieb auch fernerhin noch
und fast bis zum letzten Athemzuge ausführliche Briefe ''). Er
blieb eben auch in den Beziehungen zu seinen Freunden jugend-
lich frisch und rührig. Der Kreis seiner alten Freunde freilich
war schon sehr gelichtet und lichtete sich immer mehr und
mehr. So war auch am 27. August 1372 zu Perugia, wo er
als päpstlicher Cardinallegat verweilte, Philipp von Cabassoles,
der vormalige Bischof von Cavaillon, gestorben, nachdem er
bereits früher einmal fälschlich todt gesagt worden war. Seit
dem Jahre 1353 hatte Petrarca den Freund nicht mehr ge-
sehen, denn dieser war im fernen Gallien verblieben, und als
er endlich im Jahre 1371 nach Italien gekommen war, hatte
Petrarca vergebens sich bemüht, ihn in Perugia aufzusuchen ■^).
Indessen, wenn auch die alten Freunde dahinstarben, der
greise Dichter blieb um desswillen nicht vereinsamt. Er wusste
sich immer neue Freunde in der Nähe und Ferne zu gewinnen,
und wenn naturgemäss auch sein Verhältniss zu ihnen ein
weniger vertrauliches sein konnte, als es einst etwa zu So-
crates, Laelius, Philipp und Simonides gewesen war, so fand
er doch darin die willkommene Ermögiichuno; des ihm zum
*) In der That kamen auch diese Briefe nicht in Boccaccio's Hände,
sondern gingen unterwegs verloren. Boccaccio erbat sich nach Petrarca's
Tode von Francesco da Brossano die Copien, vgl. Boccaccio's Briei b.
Mehus, p. 206.
-; In Petrarca's Todesjahr (1374) gehört namentlich die lange und
wichtige Epistel an Luca della Penna, Ep. Sen. XVI 1.
") Ep. Sen. XVI 4.
Die Jahre des Alters. 449
Bedüifnisse gewordenen mündlichen und brieflichen Gedanken-
austausches. Namentlich schloss sich jetzt eine Anzahl jün-
gerer Männer, welche ihm die Anregung und Anleitung zu
ihren wissenschaftlichen Studien verdankten, enger an ihn an
und verehrte ihn als Lehrer und Meister. So wurde
dem Begründer des Humanismus die Freude zu Theil, am
Abende seines arbeitsvollen Lebens noch beobachten zu können,
wie die von ihm ausgestreute Saat zur lebenskräftigen Pflanze
emporgewachsen war und ferneres Gedeihen für die Zukunft
versprach. Schon war der Humanismus eine anerkannte Macht
im geistigen Leben Italiens geworden, schon hatte er begonnen,
das Denken und Empfinden der Nation zu durchdringen und
auf die Umgestaltung der Culturverhältnisse bestimmend ein-
zuwirken. So durfte Petrarca sich sagen, dass er nicht ver-
gebens gelebt habe.
Aufgabe eines späteren Theiles unserer litterargeschicht-
lichen Erzählung wird es sein, die Ent Wickelung des Humanismus
eingehend darzulegen und bei den Schicksalen und der Wirk-
samkeit derjenigen Humanisten, welche als Petrarca's Schüler
sich bezeichnen lassen, länger zu verweilen. Dann wird sich
auch die geeigneteste Gelegenheit finden, nachzuweisen, in wie
weit und in welcher Art Petrarca auf die geistige Entwickelung
jener Männer eingewirkt hat, und in wie weit dieselben den
von ihm aufgestellten Grundsätzen und gegebenen Tradi-
tionen treu geblieben oder von ihnen abgewichen sind. Hier
genüge es, angedeutet zu haben, dass Petrarca, obwol er nie
eine Unterrichtsthätigkeit im eigentlichen Sinne ausgeübt, doch
eine humanistische Schule gebildet und, so lange er lebte, in-
direkt wenigstens auch geleitet hat. Er lässt sich in dieser
Beziehung fast mit dem Stifter einer Religion vergleichen, da
ja ein solcher auch weit mehr durch persönlichen Verkehr und
gelegentliche Mittheilung, als durch systematischen Unterricht
seine Lehren verbreitet, nichtsdestoweniger aber die nachhal-
tigsten Erfolge erzielt. Und es erscheint diese Vergleichung um
so berechtigter, als ja in der That der Humanismus eine Art
Pteligion zu nennen ist, denn er erfasste nicht bloss die In-
Körting, petrurta. 29
450 Siebentes Capitel.
telligenz, sondern, und vielleicht selbst in noch höherem Grade,
auch das Gemüth seiner Anhänger, er war keine theoretische
Lehre, kein wissenschaftliches System, sondern ein alle Gebiete
des Lebens in seine Sphäre einbeziehender Glaube, dessen
Grundprincip von dem Dogma gebildet ward, dass das clas-
sische Alterthum das Ideal des Daseins darstelle. Auch die
rasche Ausbreitung, welche der Humanismus fand, die Macht,
welche er über die Geraüther errang, und endlich die Ver-
folgungen, welche er zu erdulden hatte, erinnern lebhaft an
die Schicksale einer Religion in ihrem Jugendstadium. —
An diesem Orte werde von den Schülern Petrarea's nur
Einer genannt: der Paduaner Lombardo da (oder a) Serico
(oder dalla) Seta. Er war an sich einer der unbedeutendsten
Erstlingsjünger des Humanismus und entbehrte jeder schöpfe-
rischen Originalität, aber er stand in den vertrautesten per-
sönlichen Beziehungen zu Petrarca und hat diesen, wie kein
Anderer, zu reproduciren sich bestrebt. Er war ein Talent
in der Nachahmung und verstand es mit seltener Meisterschaft,
sich die Anschauungsweise seines Lehrers wenigstens dem
äusseren Scheine nach anzueignen. Es gelang ihm dies in
solchem Grade, dass ein von ihm verfasster Tractat, in w elchem
er nach dem Muster der „Vita Solitaria" Petrarea's ein in
Einsamkeit und Bedürfnisslosigkeit verbrachtes Leben pries,
anstandslos unter die Briefe Petrarea's aufgenommen worden
ist^). Bei schärferer Prüfung würde man freilich haben be-
merken können, dass in dieser Schrift Petrarea's Denk- und
Darstellungsweise von dem Nachahmer fast bis zu dem Grade
einer Travestie outrirt worden ist. Wie wenig indessen Lom-
bardo in den wahren Geist seines Lehrers eingedningen und
wie wenig er ihm geistig ebenbürtig war, beweist die von ihm
gelieferte Fortsetzung des noch von Petrarca selbst begonnenen
Auszuges aus dem Buche „über die berühmten Männer". Das
einzige bekannte Originalwerk Lombardo's aber, wenn anders
eine nüchterne Compilation also benannt w^erden kann, ein
1) vgl. S. 32, Anm. ').
Die Jahre des Alters. 451
Buch über diejenigen Frauen des Alterthums, welche sicli durch
wissenschaftliche oder kriegerische Thätigkeit ausgezeichnet
haben, ist herzlich unbedeutend und übrigens wol auch nur eine
schlechte Nachbildung von Boccaccio's Buche „über die be-
rühmten Frauen" ^). — —
Nicht also vereinsamt waren Petrarca's letzte, in Arquä
verlebte Jahre und keinen Grund besass er, dem Geschicke
zu zürnen. An einem der lieblichsten Orte der Erde durfte
er leben, im Schoosse der ländlichen Natur, die er immer so
innig geliebt, oft wurde er von theueren Freunden besucht
und Beweise hoher Verehrung und Anhänglichkeit wurden von
allen Seiten ihm gespendet, selbst die gewohnte und ihm un-
entbehrliche litterarische Thätigkeit konnte er, wenn auch
unter mancherlei Beschwerden, noch pflegen. Es war ein
würdig schöner Abschluss seines Lebens. Und doch konnte
er dieses Glückes sich nicht wahrhaft freuen. Sein siecher
Leib vermochte dem jugendfrisch gebliebenen Geiste nicht mehr
zu dienen und verbitterte ihm durch sich immer erneuerndes
und ebenso schmerzhaftes wie beängstigendes Leiden des Lebens
letzte Tage und liess ihn oft den Tod als einen Erlöser aus
der irdischen Qual herbeisehnen. Und das Glück sollte ihm
beschieden werden, dass dieser Erlöser ihm bald erschien, dass
er nicht verurtheilt war, in traurigem Siechthum des Greisen-
alters höchste und beschwerlichste Stufen zu erklimmen.
Am 18. Juli 2) 1374 hauchte Francesco Petrarca, des Hu-
*) Ueber Lombardo vgl. ßaldelli, p. 259 u. Fracassetti, Lett. fam. II
p. 347.
"^) In der Angabe des Todestages schwanken die Biographen. Fil.
Villani b. Mehus p. 197 sagt, dass P. an seinem Geburtstage (= 20. Juli)
gestorben sei. Den 18. Juli geben an z. B. : Domenicus Aretinus b. Mehus
p. 198) u. Lodovico Beccadello (b. Tomasini, Petr. Rediv. p. 226), den
19. Juli nennen z. B.: Sicco Polentone (b. Tomasini, p. 193) u. Paulus
Vergerius (ibid. p. 180), das Grabdenkmal zeigt den 18. Juli (b. Tomasini,
p. 157 f.). Villani's Angabe trägt den Stempel der Fiction an sich. Das
Schwanken der übrigen Biogi-aphen zwischen dem 18. und 19. Juli erklärt
sich wol daraus, dass Petrarca in der Nacht vom 18. zum 19. starb, ohne
dass sich eine genauere Angabe machen Hesse. Es diirfte sich empfehlen,
das Datum des Grabmales anzunehmen.
29*
452 Siebentes Capitel.
manismus Begründer und des .Xanzoniere" Dichter, seine edle
Seele aus, welche, so lange sie auf Erden wallte, wol oftmals
in menschlicher Schwäche gefehlt, aber doch immer mit ihrer
besten Kraft nach den ewigen, höchsten Idealen des Glaubens,
Wissens und Handelns gerungen hatte. Zwei von einander
abweichende Berichte sind uns über des grossen Mannes Tod
überliefert. Nach dem einen, welchen Yillani und Janozzus
Manettus (b. Tomasini, Petr. Rediv. p. 205) geben, ist Petrarca
in den Armen Lombardo's gestorben, und mit seinem letzten
Hauche entschwebte seinem Munde ein weisses Wölkchen,
welches bis zur Decke des Gemaches emporstieg, dort mehrere
Augenblicke verweilte und nur allmählich, in lichte Luft sich
auflösend, verschwand.
Nach dem zweiten Berichte, welcher dem Briefe eines Zeitge-
nossen entnommen ist, starb Petrarca in seinem Bibliothekzimmer
und als man ihn, dessen Tod Niemand im Hause geahnt hatte,
am Morgen entseelt vorfand, so glaubte man anfänglich,- er
habe nur zum Schlummer das Haupt auf das vor ihm liegende
Buch niedergebeugt ^).
Wenn diese letztere Ueberlieferung die richtige ist —
und es düifte solche Annahme die grösste Wahrscheinlichkeit
für sich haben — , so starb Petrarca den Tod, welcher seiner
am würdigsten war : er, der unermüdliche Arbeiter und Forscher
auf den Gebieten des gelehrten Wissens, wurde inmitten seiner
geliebten Bücher von dem letzten Schicksale betroffen und
vielleicht, während er noch eines lateinischen Dichters Verse
las, schloss ihm der Tod die Augen. So ist er bis zum letzten
Athemzuge seinem Streben treu geblieben und als ächter Ge-
lehrter, wie er gelebt hatte, ist er auch gestorben.
Das Begräbniss des Fürsten der Gelehrten und Dichter
fand am 24. Juli statt und war ein feierliches und würdiges.
Francesco da Carrara selbst und die Bischöfe von Padua, Ve-
^) Brief des Giovanni Manzini de la Motta (vom 1. Juli 1388) an
Andriolo de Ochis, publicirt von dem Pater Lazzeri in den Miscellanea ex
mss. libris CoUegii romani soc. Jesu (Rom 1754). Die betr. Stelle ist auch
von Fracassetti, Lett. fam. II p. 348, mitgetheilt.
I
Die Jahre des Alters. 453
rona, Vicenza und Treviso wohnten der ernsten Feier bei.
Sechszehn Doctoren der Rechtsgelehrsamkeit trugen die reicli
geschmückte Bahre, auf welcher die Leiche ruhte , bekleidet
mit dem Domherrenrock oder, wie Andere lierichten, mit dem
einst bei der Dichterkrönung getragenen Mantel König Roberts.
Die Leichenrede hielt der Augustiner Bonaventura da Peraga.
Petrarca hatte die Absicht gehabt, der heiligen Jungfrau
in Arquä eine Capelle erbauen zu lassen, welche zugleich ihm
als Begräbnissstätte dienen sollte. Die Verwirklichung dieses
Wunsches zu erreichen war ihm indessen nicht vergönnt ge-
wesen, und so wurde seine sterbliche Hülle auf Anordnung
seines Schwiegersohnes Francesco da Brossano zunächst in der
Dorfkirche beigesetzt, bis sie nach sechs Jahren in das ihm
inzwischen vor der Kirche errichtete stattliche Grabmal —
einen auf vier Pfeilern ruhenden grossen Sarkophag — über-
tragen wurde 1).
Der Schmerz über des grossen Mannes Hinscheiden war
ein allgemeiner und aufrichtiger. Keiner aber hat ihm einen
beredteren und ergreifenderen Ausdruck gegeben, als Boccaccio
in meinem an des verstorbenen Freundes Eidam gerichteten
Beileidsschreiben -), das Niemand ohne Rührung lesen wird.
lieber sein irdisches Besitzthum hatte der Dichter in sei-
nem am 4. April 1370 ausgestellten Testamente^') verfügt.
Sein Haupterbe wurde, wie natürlich, sein Schwiegersohn Fran-
cesco da Brossano, indessen wurden auch die Kirchen, die
Armen, die Freunde und die Diener nach Verhältniss reichlich
bedacht. Einzelne Vermächtnisse zeigen recht Petrarca's ge-
müthvollen Sinn und haben auch ein culturhistorisches Interesse.
So erhielt Francesco da Carrara ein Bild der heiligen Jung-
frau, „ein Werk des ausgezeichneten Malers Giotto", welches
Petrarca von seinem Freunde Michele Vanni in Florenz zum
Geschenk erhalten hatte, ,,ein Gemälde, dessen Schönheit Nicht-
^) vgl. Tomasini, Petr. Rediv. p. 157 ff., Malmignati, a. a. 0. p. 189,
Fracassetti, Lett. fam. II p. 348 f.
-) b. Mehus, p. 203 ff.
"•) b. Fracassetti, Ep. Farn. III p. 537—544.
454 Siebentes Capitel.
kenner nicht zu würdigen wissen, die Meister der Kunst aber
anstaunen." Boccaccio wurde mit fünfzig florentinischen Gold-
gulden bedacht, damit er sich einen warmen Winterroek an-
schaffen könne, dessen er für seine nächtlichen Studien bedürfe.
Dem Grammatiker Donato wurde die Geldsumme, welche er
Petrarca noch schuldete, erlassen. Lombardo da Serico da-
gegen sollte die Summe von 134 Goldducaten und 16 Soldi,
welche er für Petrarca ausgelegt hatte, sofort ausgezahlt er-
halten, ausserdem sollte er Petrarca's silbernen und vergol-
deten Trinkbecher erhalten, damit er daraus Wasser trinken
könne, denn das trinke er doch viel lieber als "Wein, auch
ein Pferd sollte er sich unter denen, die Petrarca etwa be-
sitzen würde, auswählen dürfen. Dem Magister Tommaso
Bambagio von Ferrara endlich vermachte Petrarca seine gute
Laute, damit er auf derselben nicht zur eitlen weltlichen Lust,
sondern zum Lobe des ewigen Gottes spiele.
Wir sehen gänzlich davon ab, an dieser Stelle, wie man
vielleicht erwarten könnte, ein Charakterbild Petrarca's ent-
werfen zu wollen, da wir ja doch nur dasjenige wiederholen
könnten, was gelegentlich in der vorstehenden Erzählung seines
Lebens mit aller Ausführlichkeit dargelegt worden ist; auch
wenn Avir im Folgenden Petrarca's Werke besprechen werden,
wird sich mehrfach geeignete Gelegenheit zur Beleuchtung
seines Charakters uns darbieten, besonders aber wird dies bei
der Betrachtung der Schrift „über die Verachtung der Welt"
geschehen.
Dagegen halten wir es für angemessen, einige Worte über
des Dichters leibliche Erscheinung hier hinzuzufügen,
Petrarca durfte Anspruch darauf erheben, für einen schönen
Mann zu gelten, und war sich in seiner Jugend dessen auch
wohl bewusst^). Er war hoch gewachsen und in der Jugend
war seine Gestalt auch schlank, wälirend sie im Alter freilich
*) Schilderungen des Aussehens Petrarca's geben in wesentlich über-
einstimmender Weise Boccaccio (b. Rossetti, p. 321), Villani (b. Mehus,
p. 196), Sicco Polentone (ibid. p. 199), Vergerius (b. Tomasini, p. 175;
und Janozzus Mauettus (ibid. p. 201).
Die Jahre des Alters. 455
einer zu grossen Leibesfülle zuneigte. Der Ausdruck seines
Gesichtes war heiter, ohne doch der Würde zu entbehren, sein
Blick lebhaft, durchdringend und doch mild, seine Stimme aber
so klangvoll und bezaubernd, dass, wer nur einmal ein Gespräch
mit ihm begonnen hatte, es gern weiter spann, nur um ihn
reden zu hören. Die Farbe seiner Haut war hell und zart,
ohne doch eines dem Manne wohl anstehenden Anfluges von
Bräune zu ermangeln. Nur das Haar contrastirte mit der
stattlichen und frischen Erscheinung : es war in früher Jugend,
fast zur selben Zeit, als der Bart zu sprossen begann, bereits
ergraut^!.
Petrarca ist während seines Lebens wiederholt gemalt
worden, so namentlich zweimal auf Veranlassung des ihm eng
befreundeten Pandolfo Malatesta von Pesaro ^) , indessen ist
keines dieser Portraits auf unsere Zeit gekommen. Die Bild-
nisse, welche uns in mehreren Handschriften des „Ganzoniere',
namentlich in zwei der florentiner Laurenziana gehörigen
überliefert sind 2), dürfen auf Portraitähnlichkeit keinen An-
spruch erheben. Dagegen darf vielleicht für authentisch er-
achtet werden das der Tradition nach von Guariento gemalte
Frescobild, welches sich früher im Wohnhause Petrarca's zu
Padua befand und seit 1816 in einen Saal des bischöflichen
Palastes dieser Stadt übertragen worden ist^). Bedauerlich
ist es, dass dieses Bild uns den Dichter mit einer seltsamen
und auf unsern Geschmack geradezu abstossend wirkenden
Kopfbedeckung angethan darstellt. Der Dichter trägt nämlich
auf dem Haupte nach der damaligen Sitte der Domherren
eine Art Kapuze, welche seinem Gesichte, zumal -da es bartlos
ist, einen ungemein weibischen Ausdruck gibt. Auch dass er
in der Stellung eines Betenden die Hände flach an einander
^) Ep. ad post. p. 2.
'■') Ep. Sen. I 6.
^) vgl. Fracassetti, Lett. fam. 11 p. 418.
*) vgl. über dieses Bild die eingehenden Bemerkungen von Marsand
in seiner Ausgabe der Rime (Mailand, 1819), welche in der Festschrift
„Padova a P." wieder abgedruckt worden sind.
456 Siebentes Capitel.
gelegt emporhebt, trägt nicht eben zur vortheilhaften Gesammt-
wirkung des Bildes bei. Vermag man es indessen, von diesen
störenden Nebenumständen zu abstrahiren, so wird man nicht
umhin können, die feinen und vergeistigten Züge, welche das
Antlitz zeigt, zu bewundern, wenn schon man freilich wird
eingestehen müssen, dass sich in ihnen auch eine gewisse Weich-
heit und selbst Weichlichkeit des Charakters ausspricht, welche
nicht eben sympathisch berührt.
Nicht bloss aber einer gefälligen Leibesgestalt, sondern
auch einer rüstigen Gesundheit erfreute sich Petrarca bis in
die Jahre seines Alters '). Noch über das sechzigste Jahr hin-
aus fühlte er sich rüstig und im Vollbesitze seiner Kraft, dann
freilich begann er, wie wir gesehen haben, von schweren Körper-
leiden heimgesucht zu werden, denen er, zumal er ärztlichen
Eath grundsätzlich verschmähte, bald erliegen sollte. In jün-
geren Jahren aber war er von Krankheiten fast gänzlich ver-
schont geblieben und hatte mühelos den Anstrengungen be-
schwerlicher Reisen und den physischen Nachtheilen eines
unstäten Wanderlebens zu widerstehen vermocht. Er gehörte
eben zu den Naturen, welche, ohne gerade sonderliche Leibes-
kräfte zu besitzen, doch ungemein zäh und ausdauernd sind.
Nachdem wir im Vorstehenden Petrarca"s Lebensschicksale
tlieils ausführlicher berichtet, theils wenigstens in ihren Haupt-
zügen skizzirt und in diese unsere Erzählung manche Betrach-
tungen über die Geistes- und Sittenzustände des Zeitalters
der beginnenden Renaissance eingeflochten haben, müssen wir
zur Darstellung des schriftstellerischen und dichterischen Schaf-
fens und Wirkens Petrarca's übergehen. Unsere Hauptaufgabe
wird hierbei nicht diejenige sein, ausführliche Analysen der
^) Ep. Sen. VII 1. XII 1. 2. Im Einzelneu werde hier erwähnt, dass
Petrarca sich besonders (obwol kaum mit Recht) noch im Alter rühmte,
einen guten Magen zu besitzen, dass er dagegen klagte, von der abnorm
hohen Temperatur seines Blutes oft belästigt worden zu sein (Sen. XI 2).
Seine Selikraft blieb ihm selbst im Alter ungeschwächt, so dass er der
Hülfe einer Brille nie bediu-fte. Ep. ad post. p. 2.
Die Jahre des Alters. 457
betreffenden Werke zu geben, als vielmehr nachzuweisen, was
an diesen Werken neu und eigenartig gewesen und was an
ihnen für die geistige Entwickelung der Folgezeit bedeutungs-
voll geworden ist. Allerdings glauben wir auch, zumal in An-
betracht dessen, dass Petrarca's lateinische Schriften für weitere
Kreise nahezu unbekannt sind, auf mehr oder weniger eingehende
Inhaltsangaben nicht verzichten zu dürfen, aber wir werden
diese Seite unserer Darstellung doch immer als die relativ
untergeordnete betrachten und das Hauptgewicht auf die litterar-
und culturhistorischen Betrachtungen legen, zu denen das Stu-
dium der Werke Petrarca's uns angeregt hat und auf welche
wir auch im weiteren Verlaufe dieser Geschichte der Renaissance-
litteratur Italiens wiederholt werden zurückkommen müssen.
Aus Gründen, welche zu naheliegend sind, als dass sie
einer besonderen Erörterung bedürften, beginnen wir die Dar-
stellung der schriftstellerischen Thätigkeit des Begründers des
' Humanismus mit einem einleitenden Capitel , in welchem der
Versuch gewagt werden soll, den Umfang des Wissens Pe-
trarca's zu zeichnen. Wird es hierbei auch erforderlich sein,
auf die Beantwortung einer Menge von Einzelfragen zu ver-
zichten, um nicht eine Reihe eingehender philologischer und
historischer Untersuchungen, welche dem Zwecke dieses Buches
fern liegen, führen zu müssen, so dürfte doch auch die von
uns allein beabsichtigte, nur skizzenhafte Behandlung des Stoffes,
weder des Nutzens noch des Interesses entbehren.
Achtes Capitel.
Der Umfang des Wissens Petrarca's ^).
-Cis erseheint angemessen, zunächst die wesentlichsten Ge-
sichtspunkte darzulegen, nach denen Petrarca's Wissen beur-
theilt und gewürdigt werden muss.
Petrarca besass, so vielseitig auch seine Interessen waren
und so verschiedene wissenschaftliche Gebiete er auch, wie wir
später sehen werden, selbstthätig berührt hat, doch durchaus kein
universales Wissen, obwol ein solches bei dem unentwickelten
Zustande der meisten Wissenschaften seiner Zeit noch ohne
allzu grosse Anstrengung erworben werden konnte. Seine
Kenntnisse waren durchaus nicht so umfangreich und allum-
fassend, wie z. B. diejenigen eines Thomas von Aquino oder
eines Vincenz von Beauvais oder selbst auch nur eines Jo-
hannes von Salisbury. Er ist eben auch in dieser Beziehung
aus dem Mittelalter herausgetreten und der erste Mensch
einer neuen Zeit geworden. Für das Mittelalter war die
Wissenschaft eine Einheit, und wer sich ihr widmete, umfasste
*) vgl. ausser den allbekannten, mehr oder weniger ausführlichen Be-
handlungen dieses Gegenstandes bei Tiraboschi, G. Voigt, Baldelli, Me-
zieres, Geiger u. A. die wenig bekannte, aber keineswegs werthlose und
uninteressante Dissertation von Lamers, de Fr. Petrarcae vita, moribus, in
bonas literas meritis. Trajecti ad Rhenum. 1842.
Der Umfang des Wissens Peü-arca's. 459
sie als eine Einheit und vermochte sie auch wirklich in ihrer
Gesammtheit zu erfassen. Für die Neuzeit dagegen hat sich
die Einheit der Wissenschaft zu einer Vielheit zertheilt, die
eine Wissenschaft hat sich aufgelöst in eine nachgerade bereits
unabsehbar gewordene und nichtsdestoweniger sich immer noch
mehr zergliedernde Reihe von Einzelwissenschaften, welche nur
noch von einem gar losen gemeinsamen Bande mit ein-
ander verknüpft werden, oder wol selbst auch, jede Gemein-
samkeit verleugnend, sich in anscheinend unversöhnbarer Feind-
lichkeit gegenüber stehen. Die Hoffnung, dass einstmals die
jetzt getrennten Einzelwissenschaften wieder zu einer einheit-
lichen Wissenschaft, zu einem harmonischen Wissenssysteme
sich vereinigen werden, mag an sich berechtigt erscheinen, aber,
wenn überhaupt, so wird sie erst in einer jedem menschlichen
Auge verhüllten, fernsten Zukunft sich erfüllen.
Bestechend kann für den ersten Blick der mittelalterlichen
Wissenschaft Einheit erscheinen. Man kann glauben, in ihr
einen fest gefügten Bau von gewaltiger Grossartigkeit zu er-
blicken. Solcher Glaube würde ein Wahn sein. Die mittel-
alterliche Wissenschaft war nur desshalb eine, weil sie im
letzten Grunde keine war. Das mittelalterliche Wissen war
nur eine Compilation, ein Conglomerat von Notizen, welche
von dem Alterthume dogmatisch übernommen worden waren.
Der mittelalterliche Mensch erfasste den Wissensstoff nur me-
chanisch, er erblickte in ihm nur Material, das an sich gegeben
und in seinem Bestände unanfechtbar sei, er durchdrang diesen
Stoft" nicht geistig, er durchdachte ihn nicht, er verarbeitete
ihn nicht , er durchforschte ihn nicht kritisch , er benutzte ihn
nicht als Basis zum Weiterschreiten in der Erkenntniss, son-
dern höchstens als Ausgangspunkt für eine, allerdings oft gross-
artige und hoch poetische, aber doch immer nur phantastische
und durchaus unwissenschaftliche theologisch - philosophische
Speculation. Der Gmndcharakter der mittelalterlichen Wissen-
schaft ist eben der Dogmatismus, welcher sich in den be-
fähigteren und edleren Köpfen zu einer tief gemüth vollen und
poetischen Intuition steigerte, für die grosse Masse der Durch-
460 Achtes Capitel. .
schnittsmenscheu aber zu einem wüsten Memorirstoffe und
einem inhaltsleeren Spiele mit dürren Formeln herabsank.
Erst der Humanismus erschuf die wahre Wissenschaft, in-
dem er zuerst lehrte, dass es nicht genüge, einen Wissensstoft"
äusserlich und mechanisch zu erfassen, sondern dass man den-
selben geistig durchdringen, ihn sich vollständig assimiliren, ihn
gewissermaassen in seiner Totalität und in allen seinen Be-
ziehungen in sich aufnehmen und dann neu schaffen müsse.
Erst der Humanismus strebte darnach, das Wissen zu begrün-
den und zu vertiefen, erst er trachtete nach dessen steter Er-
weiterung und Steigerung. Mit dieser Tendenz wurde das
Entstehen einer wahren, dieses Namens würdigen Wissenschaft
ermöglicht, zugleich aber wurde auch die Zerstörung der bis-
her bestandenen Einheit der Wissenschaft und ihre Zerlegung
in eine Vielheit nothwendig gemacht. Denn eines Menschen —
und wäre es auch der begabtesten einer — karg bemessene
psychische und physische Kraft vermag nicht mehrere verschie-
denartige Kategorien von Wissensobjecten zu durchdringen und
zum freien geistigen Besitze zu gestalten. Die Theilung der
Arbeit auf geistigem Gebiete wurde fortan eine Nothwendigkeit
und wird es bleiben, bis vielleicht einstmals, was nicht unmög-
lich sein dürfte, der ungeheuere Gesammtstoff des Wissens auf
einheitliche Grundprincipien zurückgeführt und durch einiache
Formeln ausgedrückt werden kann — ein gewaltiges Problem,
mit dessen Lösung sich noch auf unermesslich lange Zeit hinaus
nur die Ahnung, nicht aber die Forschung wird beschäftigen
können. Seitdem der Humanismus aufgetreten ist und festen
Boden gefasst hat, hat die Geschichte der Wissenschaften, mit
verschwindend wenigen Ausnahmen, nur noch Fachgelehrfe zu
verzeichnen, die Universalgenies und die Polyhistoren nach
mittelalterlichem Zuschnitte sind verschwunden oder es haftet
doch den wenigen, welche seitdem noch erschienen, der Makel
der Oberflächlichkeit und des Dilettantismus an. Vereinzelte
Ausnahmefälle können, wie immer, so auch hier die Regel nur
bestätigen. Der moderne Mensch muss eben dem schönen
AA^ahne entsagen, dass es möglich sei, die Wissenschaft als ein
I
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 461
Ganzes zu erfassen, und muss sich begnügen, ein Partikelchen
des Wissens sein zu nennen. Er ist aber um dieser engen
ihm gezogenen Grenzen willen nicht benachtheiligt gegenüber
dem mittelalterlichen Menschen, denn ihm ist vergönnt, was
diesem versagt war, die Bedingungen des Wissens zu erkennen
und ein Wissensobject mit vollem und ganzem Verständnisse
zum geistigen Eigenthum sich zu gewinnen, er besitzt das Glück,
den Reiz und den Segen selbstthätigen Forschens zu erfahren.
Die Urgründe des Wissens freilich bleiben dem modernen
Menschen ebenso verschlossen, wie sie für den mittelalterlichen
es waren — aber darf ihn das entmuthigen und von weiterem
Streben zurückhalten V
Freilich nicht mit einem Zauberschlage erschuf der Huma-
nismus die moderne Wissenschaft. In seinen Anfängen haftete
ihm vielmehr das mittelalterliche Element noch gar sehr an
und nur allmählich vermochte er von diesem sich zu befreien,
ja die Principien der modernen wissenschaftlichen Forschung
konnten in ihrem vollen Umfange erst gefunden und in ihrer
ganzen Schärfe erst angewandt werden, nachdem der Huma-
nismus selbst theilweise überwunden und aus der Alles be-
herrschenden Stellung, welche er sich errungen hatte, ver-
drängt worden war. Der Humanismus in seiner jugendlichen
Vollkraft war fast mehr eine Religion, als eine Wissenschaft
zu nennen, indem er nicht allein mit dem Verstände, sondern
in höherem Grade noch mit dem Gemüthe erfasst wurde und
nicht bloss eine auf Gründen der Vernunft beruhende Ueber-
zeugung, sondern auch gläubige Begeisterung und selbst Fana-
tismus zu erzeugen vermochte. Es war das eben ein mittel-
alterlicher Charakterzug seines Wesens. Ferner huldigte der
jugendliche Humanismus durchaus noch dem Wahne von der
Einheit der Wissenschaft und unterschied sich in dieser Be-
ziehung von der scholastischen Anschauung des Mittelalters
nur dadurch, dass er die Kenntniss des Alterthums und nicht,
wie jene, die Theologie zum Mittel- und Brennpunkte alles
Erkennens und Wissens zu machen bestrebt war. Das Trug-
bild des universalen Wissens hat noch gar vielen Humanisten
462 Achtes Capitel.
vorgeschwebt und auf verderbliche Abwege sie geführt, selbst
heute noch dürfte es in einzelnen Köpfen spuken und traurige
VerwiiTung anrichten, wenn es auch im Allgemeinen glück-
licherweise als geschwunden betrachtet werden kann.
Es war also der Humanismus noch mit gar manchen und
schwerwiegenden mittelalterlichen Elementen behaftet, gleich-
wol vermochte er die Bande der beengten wissenschaftlichen
Anschauungen des Mittelalters zu brechen, indem er lehrte,
dass man eine bestimmte Sphäre des Wissens sich wahrhaft
innerlich aneignen, geistig verarbeiten und in eigene Gedanken
umgesetzt reproduciren müsse: das sind die Vorbedingungen
des wirklich wissenschaftlichen Erkennens und, wo sie erfüllt
werden, kann nicht nur, sondern muss auch die wissenschaft-
liche Forschung sich entwickeln.
Petrarca war der erste Humanist: die Erkenntniss des
classischen, ganz vorwiegend allerdings nur des römischen
Alterthums in allen seinen einstigen Erscheinungsformen war das
erhabene Ziel, welchem er mit dem glühendsten Eifer und dem
unermüdlichsten Fleisse sein ganzes Leben hindurch nachstrebte.
Die übrigen Gebiete des Wissens bfesassen wol auch Interesse
für ihn, aber es konnte das naturgemäss nur ein untergeord-
netes und nebensächliches sein, denn wer mit ganzer und voller
Begeistemng einem Wissensgebiete sich widmet, wie ver-
möchte der der Einseitigkeit zu entgehen? Nur Dilettanten,
welche Alles nur halb und oberflächlich betreiben, vermögen
vielseitig zu sein. Nach dem heutigen Sprachgebrauche, wel-
cher allerdings sehr der Präcision entbehrt, würde man den
Gelehrten Petrarca als einen Philologen zu bezeichnen haben.
In ihren wesentlichsten Beständen waren jedenfalls seine
Kenntnisse philologischer Natur.
Wie aus dem Folgenden sich im Einzelnen ergeben wird,
waren nun Petrarca's philologische Kenntnisse keineswegs
sonderlich ausgedehnte, namentlich aber war der Umfang seiner
Leetüre ein relativ beschränkter. Jeder tüchtige Philolog
unserer Tage kennt — um von der giiechischen Litteratur
einmal ganz abzusehen — zahlreichere lateinische Autoren, als
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 463
der Vater des Humanismus. Jeder tüchtige Philolog unserer
Tage ferner schreibt ein ungleich correcteres Latein, besitzt
ungleich ausgedehntere Kenntnisse in Bezug auf Grammatik,
Metrik und Antiquitäten. Nicht also der Umfang des philo-
logischen Wissens Petrarca's ist zu bewundern, wohl aber im
höchsten Grade die Intensität desselben. In Bezug auf diese
dürfte keiner der modernen Philologen auch nur entfernt sich
mit ihm vergleichen können. Petrarca kannte nur einen ver-
hältnissmässig kleinen Theil der lateinischen Litteratur, aber
er beherrschte denselben mit einer erstaunlichen Sicherheit, er
hatte ihn sich zum vollständigen geistigen Eigenthume gemacht,
er hatte ihn seinem ganzen Umfange nach in sich aufgenom-
men. Bewiesen wird dies durch den ungeheueren Citaten-
reichthum in seinen lateinischen Schriften. Für Alles und Jedes
weiss er Belege und Analogien aus den Classikern beizubringen,
selbst für die entlegensten Dinge, von denen man kaum ver-
muthen sollte, dass sie jemals von einem römischen Autor be-
sprochen worden seien. Welcher heutige Philolog würde z. B.
nicht in einige Verlegenheit gerathen, wenn man ihm (und
zwar ohne dass er Indices und sonstige Nachschlagewerke
consultiren dürfte) zumuthen wollte, Beispiele für seltsame
Zahnbildungen aus dem Alterthume beizubringen? Petrarca
weiss, als er gelegentlich einmal auf die Sache zu sprechen
kommt 2), sogleich drei mit derartigen Abnormitäten behaftete
Persönlichkeiten zu nennen: eine Tochter des Königs Mithri-
dates, welche oben und unten doppelte Zahnreihen hatte, einen
Sohn des Königs Pmsias, der statt der unteren Zähne einen
einzigen, zusammenhängenden Zahnknochen besass, und endlich
die Zenobia, welche sich des Besitzes perlengleicher Zähne
rühmen durfte^). Und analoge Beispiele würden in grosser
^) Man erwäge namentlich, dass Petrarca mehrere Autoren, wie z. B.
Tacitus und Silius Italiens, gar nicht kennen konnte, da von ihnen damals
noch keine Handschriften aufgefunden worden waren. Andere Autoren,
wie z. B. Plautus, waren nur unvollständig bekannt.
*) de remed. utr. fort. II 94.
"•) Plin. H. N. Vn 69 u. Val. Max. I 8. ext. 12 u. 13.
464 Achtes Capitel.
Menge sich aufzählen lassen. Unsere Bewunderung für Pe-
trarca's innige Vertrautheit mit einem grossen Theile der la-
teinischen Litteratur Avird sich aber noch sehr erheblich stei-
gern müssen, wenn wir den damaligen Zustand des philo-
logischen Wissens überhaupt erwägen. Wenn einem Gelehrten
unserer Zeit daran gelegen ist, für einen bestimmten Fall eine
Anzahl Citate und Analogien aus lateinischen Classikern bei-
zubringen, so stehen ihm für die Beschaffung derselben zahl-
reiche und treffliche Hülfsmittel zu Gebote: übersichtlich an-
gelegte Ausgaben, versehen mit jeglichem nur wünschenswerthen
Apparate, reichhaltige, nach den verschiedensten Gesichts-
punkten ausgearbeitete Indices, Verbal- und Reallexica aller
Arten und in allen Formaten, bequeme Handbücher endlich
und was es an derartigen Werken etwa sonst noch gibt.
Wahrlich, wer von einem solchen massenhaften Rüstzeuge unter-
stützt wird, der hat leichtes Arbeiten und fast mühelos ver-
mag er, aus allen Ecken und Enden der lateinischen Litteratur
das Material, dessen er für einen bestimmten Zweck benöthigt
ist, zusammenzulesen. Anders aber, ganz anders lagen die Ver-
hältnisse zu Petrarca's Zeit: es kannte dieselbe die oben
genannten litterarischen Hülfsmittel entweder noch gar nicht
oder doch,iwie z. B. die Lexica, nur in ihrem rudimentärsten Zu-
stande. Fehlte doch meistentheils in den Handschriften der
damaligen Zeit selbst die anscheinend so kleine, nichtsdesto-
weniger aber so wesentliche Erleichterung der Vers-, Capitel-
und Paragraphenzählung! Während also der moderne Ge-
lehrte, um irgend einer Stelle eines Autors habhaft zu werden,
einfach irgend ein Nachschlagewerk zur Hand nimmt und da-
durch in den meisten Fällen jeder weiteren Mühe überhoben
wird, war Petrarca fast lediglieh auf sein Gedächtniss und, da
dieses unmöglich genügen konnte, auf seine eigenen Excerpte
und sonstigen Notizensammlungen angewiesen. Wer Petrarca's
lateinische Schriften, namentlich das compilatorische Buch
über die berühmten Männer, genauer kennt, wird keinen
Augenblick zweifeln, dass Petrarca sich planmässig geordnete
Collectaneen von dem beträchtlichsten Umfange angelegt hatte.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 4ß5
und welchen geduldigen Bienenfleiss, welche liebevolle Hin-
gebung derartige Sammelarbeiten erfordern , das weiss ein
Jeder zu ermessen, der nur irgend einmal etwas Aehnliches
unternommen hat. Wenn wir dies Alles erwägen, so werden
wir unsere Bewunderung dem Vater des Humanismus nicht
versagen , der sich die Hülfsmittel seines philologischen Stu-
diums erst selbst schaffen musste und gleichwol so Bedeuten-
des geleistet, den Hauptbestandtheil der römischen Litteratur
mit vollendeter Sicherheit beherrscht hat. Nicht also unter-
schätzt dürfen Petrarca's philologische Kenntnisse werden : was
ihnen an Umfang abging, Avard durch Gründlichkeit und Tiefe
reichlich ersetzt, nicht das Quantum ist an ihnen zu bewun-
dern, wohl aber im höchsten Grade das Quäle.
Haben wir in dem Vorstehenden die Frage erörtert, wie
Petrarca's philologisches Wissen zu demjenigen der Folgezeit
sich verhielt, so drängt sich nun die weitere Frage auf, in
welchem Verhältnisse dasselbe zu demjenigen der vor ihm
liegenden Zeit, also des Mittelalters, gestanden habe.
Es ist eine weit verbreitete, in populären Geschichts-
werken bis zum üeberdrusse wiederholte, nichtsdestoweniger
aber durchaus irrige Ansicht, dass dem Mittelalter die Schrift-
steller des römischen Alterthums so gut wie unbekannt ge-
wesen und dass dieselben erst von den Humanisten gleichsam
neu entdeckt worden seien. Man verbindet damit häufig noch
wohlfeile Declamationen der Entrüstung gegen die angeblich
durch und durch verdummten Mönche, welche von alten Per-
gamenten die Meisterwerke der classischen Autoren abgekratzt
und statt ihrer dann langweilige Predigten und geistlose Chro-
niken darauf geschrieben haben sollen ^).
In Wirklichkeit stand die Sachlage ganz anders. Das
^) Aehnliches mag allerdings nicht allzu selten vorgekommen sein, aber,
von ganz vereinzelten Fällen abgesehen, weder aus Böswilligkeit noch aus
Barbarei, wie man bei Wattenbach, Gesch. des Schriftwesens im Mittelalter
(2. Aufl.), p. 251 ff. nachlesen möge. Es handelte sich eben meist nur um
Pergamentmakulatur. Auch wir tragen ja kein Bedenken, lose Makulatur-
bogen classischer Werke etwa zur Dütenfabrikation zu verwenden.
Körting, Petrarca. 30
46Ö Achtes Capitel.
Mittelalter hat die grosse Mehrzahl der von uns gekannten latei-
nischen Autoren ebenfalls gekannt und hat dieselben fleissig ge-
lesen, zum Theil sogar sehr fleissig, viel fleissiger, als durchschnitt-
lich heutigen Tages geschieht. Dass hierbei freilich sehr beträcht-
liche zeitliche und örtliche Schwankungen und Gradverschieden-
heiten stattfanden, wie solche auch in der Gegenwart bestehen,
ist selbstverständlich und kann ebensowenig einen Grund ab-
geben, das Mittelalter in Bausch und Bogen der Barbarei zu
bezüchtigen, als ein solcher aus der sehr erklärlichen That-
sache abgeleitet werden kann, dass der Geschmack des Mittel-
alters in der Auswahl der mit Vorliebe gelesenen Autoren ein
von dem modernen weit verschiedener war. Wer sich über-
zeugen will, wie gut das Mittelalter mit der lateinischen
Litteratur bekannt war, der wird es leicht ermessen können,
wenn er etwa des Johanns von Salisbury Policraticus ^) oder
des Vincenz von Beauvais grosse Encyklopädie (speculum na-
turale, doctrinale und historiale nebst dem von anderer Hand
eingefügten speculum morale) ^) oder Brunetto Latini's „Tresor"
durchblättert und die darin so reichlich ausgestreuten Citate
mustert. Wiederholt auch und nicht immer erfolglos, wenn
auch meist mit grossem Ungeschicke, haben mittelalterliche
Schriftsteller antike Stylmuster, wie etwa Sallust oder Seneca,
nachzubilden versucht. Besonders geschah dies in jener denk-
würdigen Culturperiode des endenden zwölften und beginnen-
den dreizehnten Jahrhunderts, welche sieh als die Glanzzeit
der mittelalterlichen Bildung und zugleich als eine Zeit der
Vorrenaissance bezeichnen lässt und welche in dem anglo-franzö-
sischen Reiche Heinrichs H. und seiner nächsten Nachfolger
zu ihrer schönsten Entwickelung gelangte. Und will man end-
lich noch einen weiteren Beweis für die Vertrautheit des
1) Die Schreibweise Pohcraticus dürfte dui-ch den Inhalt des Buches
ebenso gerechtfertigt erscheinen, wie die an sich näher liegende Polycraticus.
"-) Ueber den reichen Inhalt und die hohe Bedeutung dieses Werkes
vgl. die treffliche Auseinandersetzung von R. von Liliencron in der lehr-
reichen Schrift: „Ueber den Inhalt der allgemeinen Bildung in der Zeit
der Scholastik'- (München, 1876), p. U ff.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 4C7
Mittelalters mit der antiken lateinischen Litteratur erbracht
sehen, so erinnere man sich daran, dass die volksthümliche
Dichtung aller westeuropäischen Länder, vornehmlich aber
Frankreichs, sich mit grosser Vorliebe der Behandlung antiker
Sagenstoffe — der Sagen von dem thebanischen und trojani-
schen Kriege, von Aeneas und Alexander d. Gr. — zugewandt
hat und dabei zum Theil allerdings auf späte und apokryphe
Werke, wie die des Pseudo-Kallisthenes, des Dictys und Dares,
zum Theil aber auch auf gut classische Autoren, wie Virgil und
Statins ^), zurückgegangen ist. Man erinnere sich endlich auch
daran, wie oftmals lateinische Autoren, vor allen aber Orosius
und Ovid, während des Mittelalters in die Volkssprachen über-
setzt worden sind.
Petrarca hat im Allgemeinen — auf das Einzelne einzu-
gehen, wird sich ja bald Gelegenheit finden — eben nur die-
jenigen Werke der lateinischen Litteratur gekannt, welche
auch bereits von dem Mittelalter gekannt und gelesen worden
waren. Der äussere Umfang seiner lateinischen Leetüre ist nur
um ein Weniges weiter, als er etwa bei Brunetto Latini und Dante
gewesen war ^). Es könnte demnach scheinen, als habe Petrarca,
als habe der Humanismus die classischen Studien nicht eben
sonderlich über den mittelalterlichen Horizont hinaus erweitert.
Und dennoch gähnt zwischen dem Mittelalter und dem
Humanismus eine himmelweite Kluft. Und dennoch hat Pe-
trarca einen so gewaltigen, tiefgreifenden Umschwung in den
classischen Studien vollzogen , dass er mit dem besten Rechte
ihr Neubegründer und selbst ihr Begründer genannt wer-
den muss.
Das Mittelalter las die lateinischen Autoren des Alter-
thums, aber es verstand dieselben nur äusserlich, nicht inner-
lich, da es nicht vermochte, sich aus seiner eigenen Denk- und
Anschauungssphäre in diejenige des Alterthums zu versetzen
^) Das Epitheton „gut classiscli" wird man in diesem Zusanmienliange
wol auch dem Statins unbedenklich ertheilen dürfen.
-) vgl, den Aufsatz von Schuck,' Dante' s classische Studien und Bru-
netto Latini in Jahns (Fleckeisen's und Masius') Jahrbb. Bd. 92 p. 253 ff.
30*
4»38 Achtes Capitel.
und nicht einmal das Streben darnach kannte. So musste der
Mensch des Mittelalters, so vielen classischen Bildungsstoff er
immerhin auch gedächtnissmässig und mechanisch in sich auf-
nehmen mochte , doch dem classischen Alterthume fremd und
kalt gegenüber stehen : er konnte es eben mit dem Gemüthe gaj-
nicht und mit dem Verstände auch nur höchst unvollkommen
erfassen. Die Gelehrten des Mittelalters lassen sich in Bezug
auf ihre humanistische Bildung — wenn man den eigentlich
hier unstatthaften Ausdmck gebrauchen darf — mit Schülern
vergleichen, welche wol erlernt haben, einen lateinischen Autor
leidlich geläufig zu übersetzen und ihm stylistisches und deco-
ratives Material für eigene Compositionen zu entnehmen, aber
dennoch, weil sie in das eigentliche Verständniss noch nicht
einzudringen und folglich auch für den Inhalt des Gelesenen
sich nicht zu begeistern vermögen, im Grunde der Seele bei
der Leetüre des Cicero oder Virgil sich herzlich langweilen
und, wenn sie zeitweilig oder dauernd aus dem Schulraume
entlassen sind, mit Behagen den classischen Staub von sich ab-
schütteln, um in der Atmosphäre des moderaen Lebens sich
zu tummeln. Das Mittelalter kannte eben nur die classischen
Autoren, aber weder verstand noch liebte es dieselben, das
einzige Gefühl, was es für sie empfand, war eine gewisse ver-
ehrungsvolle Scheu. Es hatten die Götter und die Autoren
des Alterthums im Mittelalter ein vielfach ähnliches Schicksal
zu erdulden: die Götter sanken zu Dämonen, zu gefürchteten
Spukgestalten herab, die Autoren aber, vor allen die Dichter
und von diesen wieder vorzugsweise Virgil, galten für mit
übermenschlicher Weisheit begabte, im letzten Grunde jedoch
unheimliche Zauberwesen ^).
"Wie wenig das Mittelalter die Werke der Schriftsteller
des classischen Alterthums, ungeachtet aller äusserlichen Be-
lesenheit in ihnen, wirklich verstand, erhellt schon daraus, dass
man über die Lebensverhältnisse derselben die absurdesten
^) vgl. über diese ganze Frage Comparetti's treffliches und inhaltreiches
Buch;-Virgilio nel medio evo. (Livorno, 1872).
Der Umfang' des Wissens Petrarca's. 4Ö'J
Fabeln gläubig als Wahrheit hinnahm und nie auch nur einen
Versuch der Kritik gewagt hat. Der vielgelesenste und viel-
bewundertste Dichter Virgil war für die Men&chen des Mittel-
alters der Held seltsamster und sinnlosester Mährchen gewor-
nen, welche unmöglich hätten entstehen und verbreitet werden
können, wenn man die Aeneis auch nur mit einigem inneren
Verständnisse gelesen und wenn man von den Zuständen des
augusteischen Zeitalters auch nur eine einigermaassen richtige
Kenntniss besessen hätte. Und will man einen weiteren Be-
weis dafür erbringen, wie unendlich fern das Mittelalter von
einem wirklichen Verständnisse des Alterthums war, so bietet
derselbe sich leicht und offenkundig dar. Wenn das Mittel-
alter antike Stoffe dichterisch behandelte — und wir bemerkten
oben, dass dies häufig geschehen sei — so wurden diese Stoffe
vollständig des antiken Gewandes entkleidet und es ward das
mittelalterliche Costüm ihnen angelegt, ohne dass man auch
nur geahnt hätte, wie unendlich bizarr und barock dieses Ver-
fahren war. So wurden z. B. die Helden des trojanischen
Krieges zu mittelalterlichen Rittern umgeformt, Priamus und
Agamemnon wurden zu Lehenskönigen, Kalchas ward zu einem
Bischöfe, Troja selbst wurde eine mittelalterliche Stadt mit
einer Fürstenburg und mit vielen Kirchen und Klösteni, die
trojanischen Frauen aber wurden Burgfrauen und Ritterfräu-
lein, welche mit den Helden zärtlicher Minne pflegten •), Aber
nicht bloss in Dichtungen, in denen man ja gern ein freies
Schalten mit überlieferten Stoffen als berechtigt anerkennen
wird, sondern auch in Werken, welche Anspruch auf den Cha-
rakter strenger Gelehrsamkeit erheben, findet sich die gleiche,
uns unglaulalich scheinende Naivetät, die gleiche Unfähigkeit
für das historische und ästhetische Erkennen des Alterthums.
Petrarca war der Erste, der das ganze und volle Ver-
^) Man lese zum Beweise des Gesagten irgend eine der mittelalter-
lichen Trojadichtungen ; am meisten dürfte die „historia Troiana" des Guido
de Columna sich empfehlen, da dieser die Prätention besitzt, ein ernster
Historiker zu sein. Man vgl. auch Joly's schön geschriebene Einleitung
zu seiner Ausgabe des Roman de Troie des Benoit de Ste-More (Paris, 1870).
470 Achtes Capitel.
ständniss des elassischen Altertlmms erstrebte und, soweit
dies bei den damaligen Zuständen des wissenschaftlichen Le-
bens überhaupt möglich war, auch wirklich erreichte. Er
unternahm es zum ersten Male, die Werke der lateinischen
Autoren aus sieh selbst heraus erklären und verstehen zu
wollen, er besass als der Erste die Fähigkeit, sich aus dem
Banne der mittelalterlichen Denkweise zu befreien und das
Alterthum unmittelbar anzuschauen. Er stand den antiken
Schriftstellern nicht mehr als ein Fremder, als der Sohn einer
anders gearteten Zeit gegenüber, sondern er bestrebte sich, in
ihre Zeit sich zurückzuversetzen, auf das gleiche Niveau
mit ihnen sich zu stellen, selbst zu werden, wie sie gewesen
waren. Die Autoren des. Alterthums wurden ihm geliebte
Freunde, für welche er schwärmte, ,zu denen er sprach, an
welche er Briefe richtete. Das Studium des Alterthums wurde
ihm eine Herzenssache, deren Betreibung er nicht nur mit dem
Verstände, sondeni auch mit dem Gemüthe, mit der ganzen Seele
sich hingab. Die lateinische Litteratur war für ihn nicht
mehr, wie für die Gelehrten des Mittelalters und selbst noch
für einen Dante, nur ein Bergwerk, aus dessen dunkeln
Schächten sich zerstreutes Edelmetall an Weisheitssprüchen
, und interessanten , aber zusammenhangslosen Notizen ge-
winnen Hess, sondern sie wurde für ihn zu einer herrlichen
Landschaft, welche er als ein Ganzes überschaute, welche er
zu seiner neuen Heimath sich erkor und in welcher sein be-
geistertes Auge bei weiterem Forschen immer neue Wunder
der Schönheit entdeckte. Einem solchen liebevollen Hinein-
versenken erschloss sich denn nun auch das classische Alter-
thum, es hörte fortan auf, für die Menschheit eine todte und
wirre Masse, ein wüstes Chaos zu sein, es gewann wieder Leben
und Gestalt und spendete mit vollen Händen den neugebornen
Völkern die bis dahin verborgenen Schätze seiner reichen Cul-
tur. Oder wollte man nach anderem Gleichnisse suchen, so
würde etwa das folgende sich ungezwungen darbieten. Für das
Mittelalter war die antike Welt ein ungeheuerer, in tiefe Däm-
merung gehüllter Steinbau, dessen gewaltige Dimensionen man
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 471
wohl dunkel zu ahnen und selbst auch ungefähr zu ermessen
vermochte, an welchem man aber gleichwol mit geheimem
Grausen vorüberging, ohne dass man auch nur den Gedanken
an weiteres Forschen zu hegen wagte. Petrarca zuerst trat,
erfüllt mit ahnender Begeisterung, an diesen Bau heran,
sich mühsam durch die Wildniss die Pfade zu ihm bahnend,
— und siehe da! der dämmernde Nebel, der bisher ihn ver-
hüllt, wich vor dem liebenden Blicke des Mannes und im
Sonnenglanze stand der Bau, wie entzaubert, vor ihm, herrlich
und schimmernd und mit dem erhabenen Giebel emporragend
zu dem heiteren Himmelsblau. Diese Entzauberung bewirkt
zu haben, das ist Petrarca's grosse That, das ist sein unsterb-
liches Verdienst, dadurch hat er den Humanismus, dadurch die
Cultur der Renaissance begründet. In Bezug auf die Masse ge-
lehrter Einzelkenntnisse haben Viele vor und mehr noch nach
ihm ihn weit überragt, aber Keiner vor ihm hat mit solcher
divinatorischer Intuition das classische Alterthum als ein
Ganzes erfasst und den Werth und die Bedeutung desselben
erkannt. Viele sind freilich nach ihm gekommen, die in noch
höherem Grade des Alterthums Wesen und Geist erkannt
haben, aber diese standen auf dem Boden, den er vorbereitet,
sie waren nur Fortsetzer des Werkes, welches er begonnen,
sie waren, wenn auch oft nur unbewusst, seine Schüler, er war
ihr Meister, ihr geistiger Ahnherr.
Petrarca ist nicht, der gelehrteste Humanist — denn un-
gleich gelehrtere hat es nach ihm gegeben, aber er ist nichts-
destoweniger nicht nur der erste, sondern auch der grösste
Humanist gewesen, denn die schwierigste Aufgabe des Huma-
nismus, den Bann mittelalterlichen Denkens zu brechen, hat
er gelöst, er hat die Atmosphäre erst geschaffen, in welcher
allein die Pflanze humanistischer Geistesbildung empor zu
wachsen vermochte. Petrarca hat verhältnissmässig nur wenige
Schriftwerke des classischen Alterthums gekannt, aber er hat
sie zuerst erkannt, und wer wird leugnen, dass erst durch
die Erkenntniss das Kennen Werth gewinnt?
Petrarca ist des classischen Alterthums Entdecker in des
472 Achtes Capitel.
Wortes höchstem Sinne geworden, obwol auch das Mittelalter
bereits das Alterthum kannte, denn er zuerst hat das innere
Wesen des Alterthums erkannt und zu erkennen gelehrt, er
zuerst hat es unternommen, den Bildungsstoff des Alterthums
zu einem Keubau der Cultur zu verwerthen.
Haben wir im Obigen den Versuch gewagt, die Bedeutung
und Eigenartigkeit der humanistischen Thätigkeit Petrarca's
darzulegen — ein Versuch, dessen sicher vorhandene Mangel-
haftigkeit man mit der ungeheueren Schwierigkeit dei- Aufgäbe
nachsichtsvoll entschuldigen möge — , so liegt uns nun die
Pflicht ob, den Umfang des gelehrten, und zwar zunächst und
zumeist des philologischen Wissens Petrarca's' im Einzelnen
nachzuweisen.
Die erste Frage, welche wir hierbei zu erörteni haben,
ist diejenige, ob und wie weit Petrarca mit griechischer Sprache
und Litteratur bekannt war. Bereits an anderer Stelle (S. 153 f.)
haben wir erzählt, wie Petrarca in den Jahren 1339 und 1342,
als der byzantinische Mönch Barlaam in Avignon weilte, von
diesem griechischen Unterricht sich ertheilen liess, ohne frei-
lich, da der Lehrer beide Male Avignon nach kurzer Anwesen-
heit wieder verliess, irgend welche erhebliche Resultate zu er-
zielen. Einen weiteren Versuch , der Sprache der Hellenen
mächtig zu werden, hat Petrarca, sei es. weil ihm die Gelegen-
heit mangelte, oder weil er, anderweitigen Studien hingegeben,
den Zeitaufwand scheute, nicht gewagt, und man wird ihm
dies nicht sonderlich verargen dürfen, wenn man erwägt,
welche riesenhafte Schwierigkeiten das Studium des Griechi-
schen damals bei dem gänzlichen Mangel aller didactischen
Hülfsmittel darbieten musste, zumal einem schon in reiferen
Jahren stehenden Manne. Es ist demnach der Begründer des
Humanismus nie über die ersten Elemente des Griechischen
hinausgekommen und, weit entfeint, dies zu verheimlichen oder
etwa gar, wie man ihn zuweilen beschuldigt hat \), mit einer
1) MüUer's thörichter Roman „Aus Petrarca's alten Tagen" basirt auf
dieser absurden Beschuldigung.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 4 73
Kenntniss zu prunken, welche er nicht besass, hat er viehnehr
seine Unkenntniss wiederholt offen eingestanden '). Wie wenig
er des Griechischen kundig war, beweisen schlagend die Ety-
mologien, welche er gelegentlich aufzustellen wagte, wie wenn
er „Mercurius" erklärte als aus ,.mercaturae kyrios (d. i. Herr
des Handels)" entstanden 2) , oder wenn er das Wort „Epi"
(eine allegorische Bezeichnung für „Kirche") vom griechischen
„epi" ableitete, nichtsdestoweniger aber die erste Silbe des-
selben als Länge maass ^).
Aus dem el)en Gesagten ergibt sich als selbstverständ-
lich, dass Petrarca eine auf eigener Leetüre der Originale be-
ruhende Kenntniss der griechischen Litteratur nicht besitzen
konnte. Was er von derselben vvusste. wusste er eben nur
aus den gelegentlichen Notizen und Citaten bei den lateini-
schen Autoren und, worül)er sogleich eingehender zu sprechen
sein wird, aus einzelnen lateinischen Uebersetzungen. So er-
klärt es sich denn auch leicht, dass er von dem Werthe der
griechischen Litteratur und von ihrem Verhältnisse zu der
lateinischen nie eine klare Vorstellung besessen, oder vielmehr
sich in sehr irrigen Vorstellungen bewegt hat. Er war geneigt,
anzunehmen, dass in der Dichtkunst die Lateiner den Griechen
gleichgekommen wären, ja sie sogar noch übertroffen hätten *),
und unbedenklich stellte er die philosophischen Dilettanten
Cicero und Seneca einem Aristoteles gleich^). Wie verhäug-
nissvoll eine derartige Ueberschätzung des Römerthums, welche
auch der spätere Humanismus trotz seiner näheren Bekannt-
schaft mit dem Griechenthume. nie wahrhaft zu überwinden
vermocht hat, füi- die ganze Entwickelung der Renaissance-
cultur geworden ist, darauf haben wir schon wiederholt Ge-
legenheit genommen hinzuweisen*^).
^) z. B. Ep. Fam. XVIII 2. XXIV 12.
■•') Invect. in med; p. 1202.
=) Ecl. VU.
*) Ep. Sen. XII 1.
s) vgl. oben S. 401.
«) vgl. oben S. 153 u. ö. 402.
474 Achtes Capitel.
Keinen Griechendichter fand Petrarca von den Lateinern
häufiger citirt und mehr gepriesen, als den Homer, so dass
er ahnen musste, welche gewaltige Bedeutung Ilias und Odyssee
für die ganze antike Cultur besessen hatten und wie gross
der ästhetische Werth dieser Dichtungen sei. Es wurde
daher der lebhafte Wunsch in ihm rege, den hoch gefeierten
Dichterheros durch eigene Anschauung kennen zu lernen.
Durch die Vermittelung des ihm bekannt gewordenen Byzan-
tiners Nikolaus Sigeros, welcher ungefähr im Jahre 1350 als
Gesandter des Kaisers Johannes Kantakuzenos nach dem Abend-
lande gekommen war ^), gelang es ihm auch wirklich , sich im
Jahre 1354 aus Constantinopel ein Exemplar des Homer zu
beschaffen, aber ach ! dies war für ihn ein verschlossenes Buch
und musste es bleiben, bis sich ein Dolmetsch fand. Ein be-
sonders glücklicher Zufall fügte es , dass wirklich ein Ueber-
setzer gefunden wurde. Boccaccio hatte einen calabresischen
Griechen Leonzio Pilato kennen gelernt und zur Niederlassung
in Florenz bewogen. Es war das ein seltsamer Mann, ein ge-
lehrter Abenteurer im übelsten Sinne des Wortes, der unstät
zwischen Byzauz und Italien hin- und herzog, am ersteren
Orte für einen Italiener sich ausgebend, im letzteren Lande
mit seiner griechischen Nationalität — denn er gab vor, in
Thessalonich geboren worden zu sein — sich brüstend, überall
jedoch durch seine unliebsamen Charaktereigenschaften, nament-
lich aber durch eine grenzenlose Arroganz, sich gleich verhasst
machend. Auch seine äussere Erscheinung war wenig liebens-
würdig : sein AntUtz war missgestaltet und wurde durch einen
langen ungepflegten Bart und stnippige schwarze Haare eben
nicht verschönt. Aber trotz alledem verstand er Griechisch
und das genügte, um Boccaccio und Petrarca zu bewegen,
ihren persönlichen Widerwillen^) gegen den Abenteurer nie-
') vgl. Fracassetti, Lett. fam. IV p 92.
2) Ep. Farn XVIII 2.
^) vgl. die Charakterbilder, welche Petrai-ca (Ep. Sen. III 6. V 3) u.
Boccaccio (b. de Sade, III p. 626 u. b. Fracassetti Lett. fam. IV p. 97, vgl.
Landau, a. a. 0. p. 189) von dem Griechen entworfen haben.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 475
derzukämpfen und sich um seine Freundschaft zu bewerben.
Boccaccio brachte sogar trotz seiner misslichen Vermögensver-
hältnisse das grosse Opfer, den Griechen drei Jahre lang bei
sich zu beherbergen, und der stolze Petrarca gewann es über
sich, mit Pilato freundschaftlich zu verkehren, als derselbe im
Jahre 1363 und 1364 sich längere Zeit in Venedig aufhielt.
Freilich war er herzlich froh, als der unruhige Calabrese im
Frühjahre 1364 nach Constantinopel absegelte.
Dieser Mann nun war es, welcher auf Boccaccio's und
Petrarca's Wunsch und auf des Letzteren Kosten i) es unter-
nahm, den Homer in das Lateinische zu übertragen. Wahr-
scheinlich im Jahre 1360 begann er das Werk und scheint es,
noch ehe er im Sommer 1363 Florenz verliess, beendet zu
haben. Aus dieser Uebersetzung also lernte Petrarca den
Vater der griechischen Dichtkunst kennen. Man wird leicht
ermessen können, wie mangelhaft das Bild sein musste, wel-
ches eine lateinische Prosaübertragung — denn eine solche
war es — von den homerischen Epen gewähren konnte. Be-
greiflich wird man es demnach finden, dass Petrarca's Enthu-
siasmus, als er endlich im Jahre 1365 das Werk erhalten
und kennen gelernt hatte, sich mit etwas frostigen Ausdrücken
begnügte ^). Er, der einst, ehe er noch die homerischen Dich-
tungen kannte, einen Brief voll überschwänglicher Begeisterung
an Homer gerichtet hatte ^), fand jetzt aller Wahrscheinlich-
keit nach seine hochgespannten Erwartungen sehr enttäuscht,
denn der Blüthenstaub hellenischer Poesie war natürlich in
der steifen lateinischen Prosaversion vollständig abgestreift.
So ist denn Petrarca zu einem wirklichen Verständnisse Ho-
mers nie gelangt und ist durch ihn weder zu einer höheren
Werthschätzung des Griechenthumes noch zu einer würdigeren
Auffassung der Poesie, welche er sich immer nur als Allegorie
^) Ep. Sen. III 6. XV (b. Fracassetti XVI) 1. Var. 25. vgl. Fracas-
setti, Lett. fam. IV p. 95 ff.
-) Ep. Sen VI 2.
") Ep. Fam. XXIV 12., vgl. VI S. u. Afr. IX v. 144 ff.
476 Achtes Capitel.
zu denken vermochte '), angeregt worden. Anders würde es
vermuthlich gekommen sein, wenn er schon als Jüngling und
nicht erst als Greis mit Homer näher bekannt geworden wäre:
dann hätte er sich gewiss von der auch in einer lateinischen
Prosaübertragung nicht völlig vernichteten Schönheit der ho-
merischen Dichtung stärker beeinflussen lassen und es würde
dadurch vielleicht seinem Denken und Schaffen eine wesent-
lich veränderte Pachtung gegeben worden sein. Ein schweres
Unglück, dessen Nachwehen bis auf den heutigen Tag zu
spüren sind, ist es für die Renaissancebildung gewesen, dass
ihr Begründer zu Homer in kein innigeres Verhältniss ge-
treten ist.
Die äussere Kenntniss des Inhaltes der homerischen Epen
hat sich Petrarca indessen aus Pilato's Arbeit gewonnen, wie
durch eine Pteihe von Stellen in seinen späteren Schriften be-
wiesen wird. Besonders interessant hierfür ist eine längere
moralphilosophische Epistel, in welcher er das Laster des Geizes
bekämpft ^). Er kommt hierbei gelegentlich auf die Thatsache
zu sprechen, dass die Dichter von Alters her das Epitheton
,,golden'- in übertragenem Sinne allen Dingen beizulegen
pflegen, welche sie als besonders prächtig und herrlich schildern
wollen, und belegt dies mit einer Pteihe von Beispielen aus
Homer; es werden da genannt die goldenen Pforten mit den
goldenen Ringen des Palastes des Alkinoos und die von He-
phaistos kunstvoll verfertigten goldenen Hunde, welche zu bei-
den Seiten des Einganges lagern (Od. VH, 88 ff.); ferner die
goldenen Fackelträger im Saale des Palastes (ibid. v. 100 f.);
sodann die goldenen Scepter, welche Teiresias und Minos in
der Unterwelt tragen, und das goldene Wehrgehänge, mit
welchem des Herakles Schattenbild geschmückt ist (Od. XI,
91, 569 und 610); weiter finden Erwähnung die goldene Kette
1) vgl. oben Seite 181 u. dasjenige, was im vierzelinten Capitel dieses
Werkes gesagt werden wird.
■-) b. Fracassetti, Lett. Sen. VI 8 (in den baseler Ausgaben bildet diese
Epistel mit der vorausgehenden einen besonderen Tractat u. d. T. „de
avaritia vitanda eiusque magistris atque instrumentis fugiendis oratio.").
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 477
an welcher Here von dem erzürnten Zeus vom Himmel nieder-
gehangen wurde (IL XV, 20), die „goldene" Aphrodite (11. XXII,
470), der goldene Thron, welchen Here dem Hypnos verspricht
(II. XIV, 238) und zahlreiche andere als golden bezeichnete
Geräthschaften, welche im Einzelnen aufzuführen hier zu weit
führen würde. Man mag aus dieser Stelle erkennen nicht
nur wie sorgsam Petrarca den Homer gelesen hat, sondern
auch welche reichhaltigen lexicalischen Sammlungen er bei der
Leetüre sich angelegt haben muss, denn wie wäre es ihm
sonst möglich gewesen, diese Menge von Beispielen zu be-
schaffen? Wir dürfen also bei dieser Gelegenheit einen Blick
in Petrarca's Arbeitszimmer werfen, der uns mit Bewunderung
vor dem fleissigen Philologen erfüllen muss.
Von sonstigen homerischen Reminiscenzen sind etwa die
folgenden zu erwähnen. Citirt werden die Sentenzen: „ein
Rathsmann darf nicht die ganze Nacht schlafen (Ep. Sen. IX, 1 :
non oportet nocte quiescere consultorem virum == II. II, 61 :
ov XQYj itavvvxiov evdeiv ßovh']ffOQOv aröga), „nicht gut ist
die Menge der Götter, einer sei der Herr, einer der Herr-
seher" (de sui ips. et mult. ign. p. 1150: non bonum multi-
tudo numinum ^), unus dominus sit, unus Imperator = II. II,
204 1: ot'X ayad^ov 7tolv/.otQavlr]' eig/^oigavog I'gtoj, Elg ßaoi-
levg) und „nichts Elenderes ernährt die Erde als den Men-
schen-' (Ep. Sen. XIV, 4: nil miserius nutrit terra liomine
= Odyss. XVIII, 130: ovdh a/udvoTeQOv yaia TQacpei av&Qw-
noLo). Ausserdem werden einmal (de contemt. mundi III)
die Verse citirt:
— qui miser in campis errabat Aleis,
ipse suum cor edens, hominum vestigia vitans,
welche offenbar aus II. VI, 200 f.:
rjTOt 6 (sc. Bell£Q0(p6vTrjg) /.un Tieöloi rb u^h'jtov oiog
aläzo,
ov ^vi-ioi' -/Mzediov, ^täxop av'jQOj/cojr akteiviov^
^ Es liegt hier ein Uebersetzungs - oder Schreibfehler vor (numinum
statt dominorum).
478 Achtes Capitel.
übertragen sind, ohne dass mau angeben könnte, woher Pe-
trarca die metrische Uebersetzung genommen habe^); viel-
leicht, dass er sie selbst gefertigt hat. Andere Reminiscenzen
sind allgemeiner gehalten und verzichten auf den Wortlaut.
So wird einmal auf Patroldos' Tod angespielt (Ep. poet. lat. II.
14 V. 34 f.), ferner auf Hektors Abschied von Andromache
(de remed. utr. fort. I, 73), auf Hektors Ermordung durch
Achilleus (ibid. 72) und auf das Gastmahl des Alkinoos (Afr. III,
V. 375 f.), ein anderes Mal (invect. in med. II, p. 1208) wird
gelegentlich ganz richtig bemerkt, dass, wenn bei Virgil
Aeneas sich selbst preise ,,sum pius Aeneas fama super aethera
notus", dies nur in Nachahmung eines homerischen Brauches
geschehe.
Man sieht also, dass Petrarca eine wenigstens äusserliche
Kenntniss des Inhaltes der homerischen Epen besass. Eine
solche Kenntniss mag ja nun, absolut betrachtet, so ziemlich
werthlos erscheinen, relativ besass sie dennoch für die da-
malige Zeit hohen Werth und folgenreiche Bedeutung. Das
Mittelalter kannte die Trojasage nur durch die abenteuerlichen
und im Verhältniss zu der homerischen TJeberlieferung fratzen-
haft entstellten Erzählungen eines Dares Phrygius und Dietys
Cretensis und der aus diesen abgeleiteten Dichtungen, die
llias überdies aus der dürren Epitome des sogenannten Pin-
darus Thebanus. Durch Petrarca erst wurde dem Abendlande
die wirkliche Trojasage in ihrer einfachen Grossartigkeit er-
schlossen und damit eine reichströmende Quelle ächtester
Poesie eröffnet, an welcher die Geschlechter der Folgezeit sich
erquickt und gebildet haben. Es erwarb sich demnach Pe-
trarca immerhin ein grosses Verdienst, welches wesentlich er-
höht worden sein und noch weit segensreichere Nachwirkungen
gehabt haben w^ürde, wenn seine Bekanntschaft mit Homer
eine vertrautere gewesen wäre.
Homer war der einzige griechische Autor, welclien Petrarca
wenigstens einigermaassen näher kennen gelernt liat. Gern
^) b. Pindarus Thebanus finden sie sich nicht.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 479
Würde er auch die nähere Kenutniss Piatons sich erworben
haben, welchen er auf Grund dessen, was er von ihm und
über ihn bei den lateinischen Autoren, namentlich bei Cicero
und Apulejus ^), gelesen hatte, bewundernd verehrte '-), und es
war ihm auch wirklich gelungen, sich die Handschrift von un-
gefähr 16 platonischen Dialogen zu verschaffen ^) , aber bei
seiner Unkenntniss des Griechischen mussten diese für ihn ein
todter Schatz bleiben "*), und ein richtiges Gefühl hielt ihn da-
von ab, die Uebersetzung derselben veranstalten zu lassen,
bevor die Uebertragung des Homer vollendet war, als dies
Letztere aber endlich geschehen, wurde der Einzige, welcher
für diese Arbeit befähigt gewesen wäre, Leonzio Pilato. von
einem jähen Tode hingerafft. Der Abenteurer war, wie wir
oben (S. 475) erzählten, im Frühjahre 1364 aus Italien, das er
zu hassen vorgab, nach Constantinopel abgereist, dort hatte es
ihm indessen so wenig behagt, dass er nach kurzem Aufent-
halte die Rückkehr nach Italien beschloss. In der Nähe der
italienischen Küste aber ward das Schiff, dem er sich anver-
traut hatte, von einem Blitzstrahle getroffen, der die Mann-
schaft betäubte und Pilato's unstätes Leben endete ^). So
wurden Piatons Schriften für Petrarca nie entsiegelt und seine
Kenntniss platonischer Philosophie blieb demnach eine sehr
mangelhafte und fragmentarische, so dass er trotz aller Be-
wunderung für den grossen Philosophen doch gelegentlich recht
seltsame Dinge über ihn behaupten konnte, wie z. B. dass
Piaton unsittliche Ansichten über das Wesen der Liebe aufge-
stellt habe*^).
Während Petrarca mit Piaton sich gern näher befreundet
haben würde, wenn ihm die Möglichkeit dazu geboten worden
*) In der Schrift de dogmate (od. de habitudine) Piatonis, auf welcher
die von Petrarca in Rer. mem. lib. I, 2 (p. 451 ff.) gegebene Lebensskizze
Piatons und Charakteristik seiner Philosophie beruht.
2) vgl. Trionfo della fama III 4.
^) de sui ips. et mult. ign. p. 1162.
*) de contemt. mund. II.
5) Ep. Sen. VI 1.
'') Rem. utr. fort. I 69.
480 Achtes Capitel.
wäre, SO mied er dagegen geflissentlich das Studium des zweit-
grössten der griechischen Philosophen, des Aristoteles, obwol
ihm hierfür lateinische, freilich schwerfällige und vielfach ent-
stellte Uehersetzungen bequem zu Gebote gestanden hätten.
Es schreckte ihn der aller Zierlichkeit entbehrende, dürre
Styl des Stagiriten ^), sein Mangel an jeder „eloquentia". Des
Aristoteles nüchterne , von allem idealen Schwünge abstrahi-
rende, durchaus realistische und empiristische Philosophie aber
war dem Begründer des Humanismus verhasst, denn sie wider-
sti'ebte gar zu sehr seinem eigenen Idealismus, zumal in dem
averroistischen Gewände, mit welchem seine Zeitgenossen sie
bekleidet hatten. Wir haben ja oben ausführlicher dargelegt,
wie schroff Petrarca dem aveiToistischen Aristotelismus gegen-
über stand und wie leidenschaftlich er ihn bekämpfte ^). Wir
können uns demnach ein weiteres Plingehen auf diese Sache ,
hier ersparen.
Alle übrigen griechischen Autoren kannte Petrarca eben
nur dem Namen nach, falls er nicht über einzelne bei den
Lateinern mehr oder weniger ausführliche Nachrichten fand.
Einen reichhaltigen Katalog griechischer Schriftstellernamen,
freilich in unbeholfenster und wunderlichster allegorischer
Form, gibt er in der zehnten Ekloge, und man erkennt aus
den dort gemachten Angaben deutlich, dass er von den meisten
Autoren eben nur die Namen kannte und höchstens eine dunkle
Ahnung von dem Inhalte ihrer Werke besass. Auffällig ist die
hohe Lobpreisung, welche er dem Euripides zu Theil werden
lässt ^), indem er ihm den höchsten Eang nach Homer anweist.
Von Euripides und Sophokles bemühte er sich übrigens auch,
Handschriften zu erlangen, aber freilich in Folge des jähen
Todes des Leonzio Pilato. der sie ihm aus Byzanz hatte über-
bringen sollen, erfolglos.
Wir wenden uns nun zu Petrarcas Kenntniss der latei-
^) Rer. mem. II 2, vgl. ibid. I 2., de sui ips. et mult. ign. 1159.
-; vgl. oben S. 406—433.
=) Ecl. X V. 7.5 ff.
II
Der Umfang des "Wissens Petrarcas. 481
iiischen Litteratur, wo wir, wie bereits angedeutet worden, reicli-
haltigere Mittlieilungen werden machen können.
Unter den lateinischen Dichtern war — und es darf das
aus mancherlei Gründen fast als selbstverständlich erscheinen
— Virgil derjenige, welchen er am höchsten verehrte und am
innigsten liebte. Schon als Knabe hatte er sich für den Sänger
der Aeneis begeistei't '). und es war diese Begeisterung auch
dann nicht geschwunden, als er später hatte erkennen müssen,
in welchem engen Abhängigkeitsverhältnisse Virgil zu Homer
stand -), wobei man abei- zu berücksichtigen hat, dass Petrarca
eben aus seiner Prosaübersetzung des Homer den wahren
Geist homerischen Dichtens nicht zu erkennen vermochte.
Einige Scrupel machte sich Petrarca indessen doch darüber,
dass Virgil den Homer so vielseitig ausbeute und nachbilde,
ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu nennen, aber er tröstete
sich mit der seltsamen Annahme, dass Virgil der Verherr-
lichung Homers eine ganz besonders bevorzugte Stelle am
Schlüsse der Aeneis habe widmen .wollen, indessen durch den
Tod an der Einfügung derselben, wie an der Vollendung der
Aeneis überhaupt, verhindert worden sei^). So blieb denn
Petrarca unbeirrt in seiner Verehrung für den Sänger des
frommen Aeneas und erklärte ihn für den einzigen römischen
Autor, welchem man das Prädicat „wunderbar (mirabilis)" er-
theilen dürfe*). Indessen war er keineswegs blind gegen ein-
zelne Schwächen seines Lieblingsdichters. So tadelte er ein-
mal 5) sehr richtig die allzu grosse Sentimentalität und Weich-
lichkeit in dem Charakter des Aeneas, bekanntlieh der wundeste
Punkt der ganzen Aeneis; auch dass Virgil entgegen der
historischen Ueberlieferung die Dido die Treue üesen ihren
') Ecl. I V. 12. •
2) ibid. V. 26 ff.
=) Ep. Fam. XXIV 12.
*) Ep. Fam. XXIII 19, vgl. Rer. mem. lib. II, 2. und Ep. Farn. XXIV
11 (poetischer Brief an Virgil).
'') Ep. Farn. IV 12.
Körting, Petraron. 31
482 Achtes Capitel.
ersten Gemahl habe brechen und sie zur Buhlerin des Aeneas
habe herabsinken lassen, rügte er mit scharfen Worten ^).
Vielleicht prägt sich das Heraustreten Petrarca's aus der
mittelalterlichen Weise der Anschauung des classischen Alterthums
und überhaupt der ganze Gegensatz zwischen Humanismus und
Mittelalter nirgends so klar und scharf aus, wie in Petrarca's
Verhältnisse zu Virgil. Auch das Mittelalter hatte Virgil
hoch verehrt und eifrig gelesen, aber weit höher als den
Dichter hatte es den vermeintlichen Propheten und Zauberer
geschätzt. Es war Virgil für das Mittelalter zu einem geheim-
nissvollen, überirdischen Wesen geworden, halb umstrahlt von
der Glorie eines gotterwählten Heiligen und halb wieder um-
leuchtet von jenem unheimlichen Feuerscheine, in welchem
wol Magier ihr nächtliches Werk verrichten. So empfand man
denn vor ihm jene Scheu, welche der mittelalterliche Mensch
vor Allem empfand , was nur irgend mit dem Jenseitigen und
Ueberirdischen Beziehung zu haben schien, und so suchte man
denn auch in seinen Werken nicht ästhetischen Genuss, son-
dern die tiefsinnigen Lehren einer verborgenen Weisheit. Die
Aeneis und die Eklogen — weit weniger die Georgica, deren
realer Inhalt von einer näheren Beschäftigung mit ihnen ab-
schreckte — wurden als Zauber- und Orakelbücher betrachtet,
aus denen man Schutzmittel gegen allerlei Unheil herauslesen
und der Zukunft Geheimnisse enträthseln könne ^).
Von einer solchen Auffassung Virgils hat sich auch des
Mittelalters grösster Dichter, Dante, noch nicht zu befreien
vermocht, wenn er auch dieselbe, wie von ihm, den ja bereits
die erste Frühluft der Renaissance zu umwehen begann, nicht
anders erwartet werden kann, poetisch vergeistigt und verklärt
') Afr. III V. 424 ff.
^) Die weitere Ausführung dessen, was im Obigen eben nur angedeutet
werden konnte, findet man im Domenico Comparetti's trefflichem Werke
„Virgilio nel medio evo' (Livorno, 1872; in's Deutsche übers, von Hans
Dütschke, Leipzig, 1875), in E. du Meril's Essai „de Virgile l'enchanteur"
(in den Melanges archeol. et lit., Paris, 1850, p. 425—478), u. bei Vietor,
der Ursprung der Virgilsage, in der Zeitschr. f. roman. Philologie, I 165 ff.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 483
hat. Dante wählte zumeist nicht den Dichter Viigil, der den
frommen Aeneas besungen, sondern den Propheten Virgil, der
in der vierten Ekloge die bevorstehende Menschwerdung des
Herrn verkündet hatte, zu seinem Führer durch Hölle und
Fegefeuer ^). Der Virgil Dante's ist noch kein Dichter wie an-
dere Dichter, er ist noch kein einfach menschliches Wesen,
sondern er ist noch eine übermenschliche Gestalt, ein auser-
wählter, mit geheimnissvoller Kraft des Erkennens und Wissens
ausgerüsteter Vorsti-eiter für die Begründung des Gottes-
reiches.
Petrarca erst führte den Dichter der Aeneis aus der wun-
dersamen Höhe, auf welche eine halb gläuliige, halb abergläu-
bische Phantasie ihn erhoben hatte, zu dem Niveau schöner
Menschlichkeit zurück, Petrarca liebte und verehrte nur den
Dichter Virgil, den Zauberer und den Propheten kannte er
nicht mehr. Die vierte Ekloge bezog er ganz ebenso, wie
wenigstens in ähnlicher Weise die nüchterne Deutung der mo-
dernen Philologen es thut , auf Augustus ^j, höchstens dass er
ihr einen unbeabsichtigten prophetischen Sinn zugestand. Vir-
gils Zauberkünste aber leugnete er ganz often und entschieden,
als er einst von König Robert um seine Meinung darüber be-
fragt worden war^). Welch' ungeheuerer Fortschritt war da-
mit gethan und welch' gewaltiges Hinderniss für die Erkennt-
niss des römischen Alterthums war damit hinweggeräumt!
Nun erst war Virgil für die Litteraturgeschichte gewonnen,
nun erst war der Schlüssel zu dem Verständnisse seiner Poesie
gefunden.
Aber freilich Petrarca's Begeisterung für Virgil hat auch
eine beklagenswerthe Folge für die Litteratur der Renaissance
gehabt, so dass man fast wünschen müsste, sie möchte minder
^) vgl. die Dissertation von Job. Jacob, die Bedeutung der Fübi'er
Dante's in der Commedia divina etc. (Leipzig, 1874). Für Dante's Kenntnisse
von der griecbiscb-römiscben Litteratur und seine Auffassung derselben
vgl. man den überaus lehrreichen vierten Gesang des Inferno.
2) de ot. relig. I p. 344.
^) It. Syr. p. 621.
. 31*
484 Achtes Capitel.
gross gewesen sein. Durch Petrarca ist Virgil geradezu zur
Basis der Entwickelung der Renaissancepoesie gemacht wor-
den, und das ist unheilvoll genug gewesen, wie ein Jeder leicht
zu ermessen vermögen wird, der Yirgils Werke genauer kennt
und unbefangen sie würdigt. Es gehört Yirgil nicht zu den
gottbegnadeten und wahren Dichtern: Originalität des poeti-
schen Schaffens war ihm, wie allen Römern fast, versagt, die
Flamme des Genius glidite in ihm nicht und selbst das poeti-
sche Talent, welches ihm nicht abgesprochen werden kann,
war vorwiegend formaler Natur. Wie die ganze Litteratur und
selbst auch die Sprache des augusteischen Zeitalters die
künstliche und kunstvolle Schöpfung einer thatenmüden und in
geistreichem Spiele ihre Müsse vertändelnden Aristokratie und
Bourgeoisie war, so war auch Virgil ein Kunstdichter: mit be-
rechnender Ueberlegung wählte er seine Themata, mit emsigem
Fleisse sammelte er aus den Speichern sprachlicher und anti-
quarischer Gelehrsamkeit seine Materialien, mit gewissenhafter
Treue und doch mit gerade hinreichender Selbständigkeit, um
nicht zum geistlosen Copisten herabzusinken, bildete er seine
Muster — Homer, Theocrit, Hesiod, Aratus u. a. m. — nach,
mit ängstlicher Sorgfalt endlich meisselte er seine Sprache und
feilte er seine Verse aus. So entstanden in dem, was er
schrieb, formale Kunstwerke von regelrechter Eleganz und
makelloser Stylvolleudung, aber diese schönen Formen waren
frostig und entbehrten des Lebens, denn es sprach aus ihnen
kein sei es durch den Verstand, sei es durch die Phantasie
original schaffender Geist. Es wird, wenn man also urtheilt,
keineswegs ein hartes Verdammungsurtheil über den gefeierten
Dichter ausgesprochen: er leistete eben geschickt und fein-
fühlig, was in seiner Zeit und unter seinem Volke auf poeti-
schem Gebiete zu leisten möglich war, er hat den Besten seiner
Zeit genug gethan und damit sich ein hohes Verdienst und
ein Anrecht auf die Unsterblichkeit erworben; billigerweise
darf man von Niemandem fordern, dass er über die Sphäre
seines Zeitalters sich erhebe.. In relativem Sinne ist Virgil
ohne Zweifel ein grosser Dichtei*, nur in absolutem Sinne ist
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 485
er es durchaus niclit. Jedem Kenner der römischen Litteratur
ist nun. bekannt, welchen bestimmenden Einfluss Virgil auf die
Entwickelung der späteren lateinischen Epik ausgeübt hat und
wie wenig segensreich dieser Einfluss gewesen, wie in Folge
desselben die Epik immer mehr und mehr in rhetorischen
Formalismus versunken, wie sie immer mehr und mehr zur
geistlosen Copie geworden ist, bis sie endlich im letzten Sta-
dium des Verfalles in den Cento ausartete.
Nicht segensreicher konnte Virgils Einfluss auf die Re-
naissanceepik sein, als er für dieselbe durch Petrarca's Ein-
fluss zum Ideal erhoben worden war. Zur Nachahmung freilich
war die Epik der Renaissance, eben weil sie als Renaissance-
poesie nicht selbstthätig produciren, sondern nur reproduciren
durfte, ohnehin verurtheilt, aber hätte sie ein höheres Muster,
als Virgil sich erwählt, hätte sie an die directe Nachbildung Ho-
mers sich gewagt, so würde sie Höheres und Edleres erreicht
haben. Durch die Nachahmung Virgils aber wurde die Re-
naissanceepik immer mehr und mehr zur Unnatur und zur
Künstelei, zum Formalismus und zur Rhetorik hingedrängt,
und selbst so bedeutende Talente, wie etwa ein Polizian, ver-
mochten gegen diese Tendenz nicht anzukämpfen. Am meisten
und zugleich am verderblichsten machten die Wirkungen der
Nachahmung Virgils natürlich in der lateinischen Renaissance-
epik sich geltend. Hier wurde die Originalität fast gänzlich
erstickt, wie man schon an Petrarca's „Africa" beobachten
kann , und höchstens wenn ein Dichter auf die Behandlung
eines so abstrusen Stoff'es verfiel, wie etwa Fracostoro in seinem
Gedichte über die Syphilis, blieb ein Schatten originaler Con-
ception und Composition erhalten. Aber auch die Epik in
der Volkssprache wurde von dem Virgilianismus, wenn auch
in minderem Grade, so doch immerhin nachtheilig genug be-
einflusst, wie wir späterhin im Einzelnen darzulegen nur allzu
oft Gelegenheit finden werden. Von allen Epikern der Re-
naissance hat höchstens der' grosse Ariost, der die Kühnheit
besass, die Renaissance mit romantischen Elementen zu mischen,
von den Fesseln des Virgilianismus sich frei zu erhalten ver-
486 Aclites Capitel.
standen. Und weit über Italiens Grenzen hinaus, in dem
panzen das ^esammte westliche und theilweise auch das nörd-
liche Europa umfassenden Bereiche der Renaissancebildung
lastete der Druck des Virgilianismus auf der Epik. Es würde
z. B. unschwer nachzuweisen sein , wie sehr selbst der grosse
Camoens in dem fernen Portugal darunter gelitten hat. Der
Virgilianismus musste naturgemäss im weiteren Verlaufe zu
den Verirrungen des Marinismus, Gongorismus und Eu-
phuismus führen. —
Um nun auf die weiteren lateinischen Dichter zu kommen,
deren Werke Petrarca kannte und für seine Citatenspenden
ausbeutete, so sind zunächst Horaz und Ovid zu nennen. Den
ersteren bewunderte er sehr \), doch offenbar in weit geringerem
Grade, als den Virgil, dem er sich mit gutem Rechte viel con-
genialer fühlte. Mit dem letzteren dagegen, mit Ovid, konnte
Petrarca nicht sympathisiren: er erklärt ihn 2) für einen zwar
hochbegabten, aber durch und durch sittenlosen Dichter, der
sogar — was doch ganz entsetzlich sei — den frevelhaften
Wunsch ausgesprochen habe, dass der Tod ihn während des
Coitus treffen möge'^). Ein besonderer Stein des Anstosses
war dem frommen Humanisten des römischen Sängers leicht-
fertige „Liebeskunst", die er als ein unsittliches und über-
flüssiges Buch bezeichnet, wenn man auch einiges Nützliche
darin finde*). So erklärt es sich denn, dass Citate aus Ovid
von Petrarca nur sehr spärlich angewandt werden. Was von
ihm versäumt wurde, sollte aber von der späteren Renaissance
reichlich nachgeholt werden : ihr blieb es vorbehalten, Ovid im
eleganten Schmutze noch weit zu übertreffen.
Von Virgil, Horaz und Ovid kannte Petrarca, um dies
noch nachträglich zu bemerken, sämmtliche ülierhaupt vor-
handene Werke. Nur die kleineren, dem Virgil theils mit
Recht, theils mit Unrecht beigelegten Dichtungen (Culex, Mo-
^) vgl. die poetische Epistel an Horaz, Ep. Fam. XXIV 10.
'-) de Vit. sol. 11 7, 2 vgl. Ep. Sen. III 4.
•■') Ov. Am. II 10 V. 30.
*) de remed. utr. fort. I 27.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 487
retum etc.) werden von ihm nie citirt. Das während des
Mittelalters allgemein dem Ovid zugeschriebene „Carmen de
vetula" hielt er für unächt, und die moderne Philologie hat
sein Urtheil bestätigt^).
Ausser diesen drei Heroen der römischen Poesie kannte
nun Petrarca noch, wie mehr oder weniger häufige Citate be-
weisen, die folgenden Dichter. Von den Epikern war er ver-
traut mit Lucan, Statins, sowie mit Claudian und Auson, wenn
wir diese hierher zählen dürfen, Valerius Flaccus dagegen und,
was für die Beurtheilung der ,.Africa" wichtig ist, Silius Ita-
liens sind ihm unbekannt geblieben. Ferner hatte er, wie es
wenigstens scheint ^), des Lucrez Lehrgedicht „über die Natur
der Dinge" gelesen, während er die didaktische Dichtung des Ma-
uilius über die Gestirne nicht kannte. Die Satiren des Juvenal
undPersius citirte er mit grosser Vorliebe, so dass man daraus er-
schliessen darf, wie sympathisch ihm diese moralisirende und sar-
kastische Dichtung gewesen ist. Auch des Martial Epigramme
waren ihm nicht unbekannt. Dagegen ist allem Anscheine nach
seine Vertrautheit mit den Lyrikern eine überaus unvollkommene
gewesen: häufiger citirt werden nur die Silvae des Statius,
CatuU wird zweimal, aber nur in sehr unbestimmter Fassung
erwähnt^), Tibull und Properz werden, wenn wir uns recht
entsinnen, nie genannt. Was die Dramatiker anlangt, so war
ihm Terenz, nach den zahlreichen Citaten zu urtheilen, in
demselben Umfange, wie uns, bekannt, Plautus dagegen nur in
beschränktem Maasse^), von der „Casina" desselben gibt er
einmal eine kurze Inhaltsangabe ^), wobei er Gelegenheit nimmt,
die Kunst des Plautus in der Zeichnung der Charaktere zu
rühmen. Die Tragödien des Seneca kannte er ebenfalls, dass
er ihnen auch die „Octavia" beizählte, ist ein Irrthum, der
sehr vei-zeihlich erscheint.
^) Ep. Sen. II 4.
=^) de remed. utr. fort. I 5L
^) de remed. utr. fort. I 59. u. II praef.
*) vgl. oben S. 217, Anm.
5) Ep. Farn. V 14.
488 Acutes Capitel.
Zu den Dichtern darf man schliesslich wol auch den
Apulej zählen , aus dessen wunderlichem Romane „der goldene
Esel" (oder „die Verwandlungen") Petrarca einmal eine kleine
Scene anführt^), ob freilich auf Grund eigener Leetüre oder
eines fremden Citates, muss dahingestellt bleiben. Dass Apulej' s
Schrift „de dogmate Piatonis" die Hauptquelle war, aus welcher
Petrarca seine oberflächliche Kenntniss des Lebens und der Phi-
losophie Platon's schöpfte, wurde bereits oben (S. 479) erwähnt.
Von den Prosaisten war, wie sehr natürlich und worauf
wir bereits wiederholt hingewiesen, Cicero derjenige, welchen
Petrarca am höchsten bewunderte. Schon als er noch Knabe
war, hatte er sich durch den volltönenden Klan gdes cicero-
nianischen Periodenbaues fesseln lassen, und sein ganzes
Leben hindurch hat er nicht aufgehört, an Cicero's Latinität
sich zu erfreuen und dieselbe, so weit möglich, nachzuahmen.
„Himmlisch" nennt er Cicero's Beredtsamkeit und erklärt,
dass Niemand sie wirklich nachzubilden fähig sei 2), wesshalb
auch, während allen anderen Autoren fremde Schriften unter-
geschoben worden seien, bei Cicero und dem- gleich erhabenen
Virgil dies Niemand zu thun gewagt habe^). Sonach ist es
denn nicht zu verwundern, dass Petrarca in den überschwäng-
lichsten Lobeserhebungen Cicero's sich ergeht ^), und noch we-
niger, dass er sich eifrigst bemühte, die verlorenen Schriften ^)
desselben wieder aufzufinden, bei welchem Streben er keine
Beschwerden noch Kosten scheute und unablässig bemüht war,
durch seine zahlreichen, über ganz Europa verstreuten Freunde
und Correspondenten nach etwa vorhandenen Handschriften
^) de remed. utr. fort. 11 17.
■') Ep. Sen. XV (b. Fracassetti XVI) 2.
-'') Ep. Sen. II 4.
*) z. B. Ep. Fam. XXI 10. XXIV 4. Trionf. della fama III v. 19 ff.,
an der letzteren Steile wird Cicero dem Demosthenes vorgezogen! vgl. Ep.
Sen. XII 2.
• ) Als verlorene werden Ep. Fam. XXIV 4 folgende Schriften bezeichnet :
de re publica, de re familiari (vielleicht die Rede pro domo, vgl. apolog. contr.
GaU. calumn. p. 1194), de re militari (?), de laude (oder laudibus) philo-
sophiae, de consolatione, de gloria.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 489
forschen zu lassen i). Leider war sein Bestreben von sonder-
lichen Erfolgen nicht gekrönt. Von den verschollenen Werken
des Mannes, der seiner Meinung nach für alle Folgezeit uner-
reichbar bleiben würde 2), gelang es ihm nur, die Rede für den
Dichter Archias und eine Briefsammlung wieder aufzufinden,
die erstere in Deutschland, die letztere in Verona oder Ver-
celli, und diesem Gewinne stand der schmerzliche, durch Con-
vennole's Unredlichkeit verschuldete Verlust der Bücher „de
gloria" entgegen (vgl. oben S. 65). Ganz besonders eifrig,
aber vergeblich bemühte Petrarca ^ich um die Wiederbe-
schaffung der Schriften „de consolatione (Tröstung)" und „de
laudibus philosophiae (Lob der Philosophie)". Die letztere
Schrift, deren — übrigens apokryphen — Titel er nur durch
Augustins Anführungen kannte, glaubte er zweimal wirklich
wieder gefunden zu haben. Das eine Mal fiel ihm ein den
Titel „de laude philosophiae" tragendes Buch in die Hände,
aber der Inhalt bewies nur zu bald, dass er diesem Titel nicht
entspreche. Das andere Mal fand er in einem Codex, welcher
Augustins Bücher „de trinitate" enthielt, eine Schrift ange-
bunden, deren Styl es unzweifelhaft machte, dass sie wirklich
ciceronianisch sei, aber da die von Augustin gegebenen Ci-
tate sich in ihr nicht fanden, so konnte sie mit der Schrift
„de laude philosophiae" nicht identisch sein. Endlich löste
sich das Eäthsel: Petrarca erhielt bei seinem letzten Aufent-
halte in Neapel von Barbato da Sulmona eine Cicerohand-
schrift, an deren Ende sich der Anfang der Academica befand,
und dieses Bruchstück nun vergleichend mit der früher be-
sessenen, zweifellos ciceronianischen Handschrift, fand er, dass
dieselbe in Wahrheit das dritte und vierte oder zweite und
dritte Buch der Academica enthalte — dahingestellt muss
dabei bleiben, wie diese Angaben mit demjenigen in Einklang
^) Ep. Sen. XV (XVI) 2, welcher auch die folgenden Notizen ent-
nommen sind. Vgl. Rer. mem. I 2.
-) „nuUa saecula restituent", de rem. utr. fort. I 58.
=») Ep. Fam. XIII 6.
490 Achtes Capitel.
ZU bringen sind, was wir gegenwärtig über die Ueberlieferung
der Academica und über den Bestand derselben wissen.
Im Einzelnen kannte Petrarca, soweit man nach den Ci-
taten urtheilen kann, die folgenden Schriften Cicero's: 1. von
den rhetorischen nur die Rhetorica (= de inventione), Orator,
Partitiones und das Büchlein de optimo genere dicendi (wol
zweifellos identisch mit de optimo genere oratorum); Brutus,
de oratore etc. werden nicht citirt,- 2. von den Pteden: pro
Roscio Comoedo und pro Roscio Amerino, pro Flacco, pro lege
Manilia. pro Plancio, pro Milone, pro M. Marcello, pro Ligario
und die Philippicae, jedenfalls auch pro domo und die Catilina-
rien, endlich, wenigstens vermuthlich, wenn auch vielleicht nur
im Auszuge oder bruchstückweise, die Verrinen; 3. von den
philosophischen Schriften die Tusculanen, die Academica, de
legibus, de officiis, de finibus bonorum et malorum, die Para-
doxa, de natura deorum, de divinatione, das somnium Scipionis
(Fragment aus de re publica VI), de senectute (Cato Major)
und de amicitia (Laelius). 4. Eine schwierige und vielleicht
vorläufig überhaupt noch nicht zu lösende, mindestens durch
Detlefsens eingehende und jedenfalls verdienstUche Untei-su-
chung (in Jahn's Jahrb. 87, p. 551—573) noch nicht wirklich
gelöste Frage ist es, wie weit Petrarca mit Cicero's Briefen
bekannt war. Ausser Zweifel steht nur, dass er die Briefe ad
Quintum fratrera kannte i) und dass er im Jahre 1345 in Ve-
rona oder dessen Umgebung einen Codex, Briefe Cicero's ent-
haltend, auffand 2). Was aber dieser Codex enthielt und ob
Petrarca später, wie aus einer Angabe des Coluccio Salutato
zu schliessen, noch einen zweiten Codex zu Vercelli auffand,
lässt sich, da Petrarca sich darüber ausschweigt und nur ganz
im Allgemeinen von endlich gefundenen, lang gesuchten Briefen
spiicht, mit irgend welcher Bestimmtheit nicht angeben.
Wahrscheinlich will es uns dünken, dass Petrarca sowol die
Briefe ad familiäres, als auch diejenigen ad Atticum besessen
^) vgl. das Citat in de vit. sol. I 4, 8.
2) Ep. Farn. XXIV 3. vgl. oben S. 216.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 491
habe, womit ja auch die gewöhnliche Annahme, dass bestimmte
florentiner Codices dieser ßriefsammlungen von Petrarca ge-
fertigte Abschriften seien ^) , gut übereinstimmen würde. Die
Frage bedarf indessen durchaus noch einer abermaligen Er-
örterung, deren Ergebniss indessen für die classische Philo-
logie gi'össeren Werth als für die Geschichte der Renaissance
haben dürfte. Für die letztere genügt es so ziemlich, zu
wissen, dass Petrarca zum Mindesten eine der grossen Brief-
sammlungen Cicero's und zwar doch wahrscheinlich die der
Freundesbriefe 2) aufgefunden hat. Welchen bedeutenden Ein-
fluss die Auffindung der ciceronianischen Briefe auf die Ent-
wickelung der Renaissancebildung ausgeübt hat, haben wir
bereits weiter oben (S. 217 f.) darzulegen gesucht.
Eine Bemerkung, welche wir oben (S. 481) in Bezug auf
Virgil machten, muss hier in Bezug auf Cicero wiederholt wer-
den. Petrarca's Bewunderung für denselben, so gross und auf-
richtig sie auch immer war, war doch keine blinde und be-
dingungslose. Dem fanatischen Ciceroenthusiasmus, der bereits
damals sein Unwesen zu treiben begann, trat er erforderlichen-
falls mit Entschiedenheit entgegen (vgl. oben S. 277), und
Cicero's politische Handlungsweise, in welcher er Wankelrauth
und Rechthaberei zu finden glaubte, sein Ankämpfen gegen
Cäsar und Octavian, tadelte er mit grosser Offenheit^).
Nächst Cicero zollte Petrarca die höchste Verehrung dem
Philosophen Seneca, durch dessen moraltriefende und mit
üppigen Redeblumen reich durchflochtene Episteln und Trac-
tate ei' sich in seiner Schreib- und Anschauungsweise noch
weit mehr, als durch Cicero's Schriften hat beeinflussen lassen.
^) vgl. Teuffei, Gesch. d. röm. Litt., 3. Ausg., p. 333.
■-) Es scheint uns dies gerade aus der so unbestimmten Bezeichnung
„epistolas tuas (Petrarca redet nämlich in Ep. Farn. XXIV 3 Cicero direkt
an) diu multumque perquisitas" hervorzugehen, denn, wenn es sich um
die Epp. ad Att. handelte, so würde die specielle Benennung sich ganz von
selbst dargeboten haben. Auch die folgenden Worte .,audivi multa te di-
centem, multa deplorantem, multa variantem" scheinen am füglichsten
auf die Epp. ad fam. (h-üher auch, obwol fälschlich, ad diverses, ad varios
genannt) bezogen werden zu müssen.
") Ep. Fam. XXIY 4.
492 Achtes Capitel.
In Seneca erkannte er mit bestem Rechte einen nahen Geistes-
verwandten und er hat sich ganz ersichtlich bemüht, ihm nach-
zustreben und ihn zu reproduciren. Es hat das der Entwicke-
king der Renaissancebiklung schweren Xachtheil gebracht: in-
dem sie Seneca's oberflächlichen und leichten Eklekticismus
annahm, verlor sie die Fähigkeit, sich auf die Basis einer ge-
sunden und folgerichtigen Philosophie zu stellen, und durch
Seneca's Stylbombast wurde sie, ebenso wie durch den Vir-
gilianismus in der Poesie, so in der Prosa immer mehr und
mehr zur Unnatur, zu Schwulst und Künstelei, zu einer hohlen
und unwahren Rhetorik hingedrängt. Aehnlich freilich wirkte
auch der Ciceronianismus. Es war eben das Unheil der Re-
naissance, dass sie vorzugsweise auf die römische Nachahmung,
nicht auf die griechische Originalität sich gründete.
Trotz aller Bewunderung für Seneca hatte Petrarca doch
auch an diesem Ausstellungen zu machen, freilich solche, die
uns seltsam genug erscheinen. Er tadelte, dass Seneca den
jungen Nero (nach dem Zeugnisse Suetons) der Leetüre der
classischen Redner entfremdet, und mehr noch, dass er von
eben diesem Nero, der doch sein Herr und Kaiser gewesen
sei, gleichwol in der „Octavia" ein so abschreckendes Cha-
rakterbild entworfen habe. Letztere Beschuldigung allerdings,
meint er, würde hinfällig werden, wenn wirklich, wie Einige
behaupten, die Tragödien von einem anderen Seneca verfasst
worden wären ^). Auch die höhere Textkiitik Hess Petrarca
sich durch keine Bewunderung abhalten an Seneca's Werken
zu üben und erklärte einige derselben, welche ihm damals bei-
gelegt wurden (de quatuor virtutibus, de moribus, de prover-
biis), für unächt ^). Dagegen scheint er, vermuthlich aus re-
ligiöser Scheu, den angeblichen Briefwechsel zwischen Seneca
und dem Apostel Paulus ^) für authentisch gehalten zu haben ^).
1; Ep. Fam. XXIV 5.
-) Ep. Sen. II 4.
^) vgl. V. Baur, drei Abhandl. z. Gesch. d. alten Philos. (2. Ausg., bes.
V. Zeller, Lpz. 1876), p. 473 flf.
*) Ep. Fam. XXIV 5.
Der Umfang des Wissens Petrarcas. 493
Sehr ausgebreitet war Petrarca's Kenntniss der römischen
Historiker. Vor allen verehrte und bewunderte er den Li-
vius ^). von welchem nur die erste und dritte Dekade und
neun Bücher der vierten zu besitzen, die zweite aber auf König
Roberts Anregung vergebens gesuclit zu haben, er lebhaft be-
klagte 2). Bemerkt mag noch werden, dass Petrarca die Ein-
theilung des livianischen Geschichtswerkes in Dekaden für
nicht von Livius selbst vollzogen betrachtete^). Ausser Livius
kannte Petrarca Cäsars Commentare, Justins Epitome, Sallusts
geistvolle Monographien über Catilina's Verschwörung und den
jugurthinischen Krieg, Suetons Kaiserbiographien, Florus' Com-
pendium der römischen Geschichte, Gurtius' abenteuerlichen
Alexanderroman ^) und endlich die Geschichtsschreiber der spä-
teren Kaiserzeit Vopiscus, Aelius Lampridius und Spartian.
Auch die Anekdotensammlung des Valerius Maximus, obwol
kein eigentliches Geschichtswerk zu nennen , und des Orosius
Weltgeschichte, obwol bereits wegen ihrer christlichen Tendenz
mit grösserem Rechte der religiösen, als der profanen Litte-
ratur beizuzählen, mögen hier genannt werden. Endlich werde
hier auch erwähnt , was vielleicht besser früher bei der Be-
sprechung der griechischen Litteratur geschehen wäre, dass
Petrarca durch lateinische Uebersetzungen oder Auszüge auch
eine wenigstens oberflächliche Kenntniss der Geschichtswerke
des Josephus •'•) und des Plutarch besass. Von des letzteren
„Vitae parallelae" zählt er auf: Plato und Aristoteles- Varro,
Homer-Virgil, Demosthenes-Cicero, Alexander-Cäsar und be-
merkt dabei, dass Plutarch für Seneca kein Gegenstück habe
finden können ^). Verdächtig auch klingt Petrarca's Behauptung,
dass Plutarch den Seneca für einen grösseren ]\Ioralphilosophen
als den Aristoteles erklärt habe").
1) Ep. Farn. XXIV 8.
■-) Rer. mem. I 2, vgl. Ep. Farn. XXIV 8.
^) Rer. mem, I 2,
*) wenigstens höchst wahrscheinlich, vgl. remed. utr. fort. I 58 u. II 9.
•'"') vgl. remed, utr, fort. I 69 u. II 90,
*) Ep. Fam. XXIV 5 (ein Theil der genannten Vitae existirt nicht).
') apolog. contr. Gall, calumn. p. 1194.
494 Achtes Capitel.
In weitestem Maasse hat Petrarca die grossen Sammelwerke
des Plinius — natürlich ist hier die „historia naturalis" gemeint,
denn des jüngeren Plinius Briefe scheinen ihm unbekannt ge-
blieben zu sein — , des Macrobius, des Gellius, des Solinus, des schon
genannten Valerius Maximus, des Hygin und des Pomponius
Mela, wenn dessen bescheidenes Geographiebüchlein hier mit
genannt werden darf, für seine Zwecke ausgebeutet. Auf
ihnen beruhen zum grossen Theile seine Kenntnisse der realen
Verhältnisse des Alterthums, auf sie gehen auch ausnahmslos
alle Citate zurück, welche jetzt verlorenen oder nur fragmen-
tarisch erhaltenen Schriftstellern entnommen sind und welche
durch ihre Massenhaftigkeit denjenigen, welcher die nähere
Prüfung unterlässt, zu der Annahme verführen könnten, dass
Petrarca noch Vieles aus der lateinischen Litteratur besessen
habe, was nicht mehr zu besitzen v.'ir beklagen müssen. Von ge-
genwärtig verlorenen "Werken besass, abgesehen von den Büchern
Cicero's über den Ptuhm, auch Petrarca keins mehr — nur die
Briefe des Augustus kamen ihm, als er noch sehr jung war,
einmal in einem sehr schlecht erhaltenen Exemplare in die
Hände , indessen entschwand ihm das Buch wieder und alle
seine Bemühungen, seiner auf's Neue habhaft zu werden, waren
vergeblich^). Im Gegentheile besass Petrarca zahlreiche und
bedeutende Werke nicht, welche seitdem durch glückliche
Fügungen an das Licht gezogen worden sind — man denke
z. B. an Tacitus' Schriften, an Silius Italicus und Andere! —
andere aber besass er nur fragmentarisch, wie z. B. Quinti-
lians Institutionen.
Damit wäre ungefähr die Aufzählung dessen, was Petrarca
aus der profanen lateinischen Litteratur kannte, erschöpft 2).
und es bleibt nun noch übrig, einen Blick auf dasjenige zu
^) Rer. mem. I 2 praef. (p. 445).
-) Es bedarf wol kaum der Bemerkung, dass in der oben gegebenen
Skizze des philologischen Wissens Petrarca's aus nahe liegenden Gründen
nur das allgemein Interessante gegeben, auf philologische Einzelfragen aber
nicht eingegangen werden konnte. Das letztere zu thun, behält sich der
Verfasser für eine von ihm beabsichtigte Ausgabe der Bücher rerum vor.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 495
werfen, was ihm von der christlich-lateinischen Litteratur be-
kannt war.
In seiner Jugend hatte der Vater der humanistischen
Wissenschaft die Kirchenväter vei-achtet ^) ; wie er glaubte,
hatten ihn die „Einflüsterungen der Dämonen" zu solchem sträf-
lichen Thun verleitet, in Wahrheit aber wird sein für stylistischen
Wohlklang so empfängliches Ohr, dem der kirchlichen Autoren
rauhes und oft plebejisches Latein nicht behagen konnte,
der schuldige Theil gewesen sein. Bei Petrarca's frommer und
gläubiger Denkart, bei seiner tiefen Verehrung vor den Lehren
der katholischen Kirche konnte indessen solche halbketzerische
Sinnesweise nicht von Dauer sein. Durch die Leetüre der
Confessionen des heiligen Augustin wurde er zur kirchlichen
Litteratur hingeführt, und es währte nicht lange, dass er die-
selbe aufrichtig zu schätzen begann und zu der Erkenntniss
gelangte, wie er aus den christlichen Autoren freilich weniger
Redeblumen sammeln könne, als aus den heidnischen, wie aber
trotzdem ihm ihre Leetüre einen ungleich grösseren Gewinn
bringe. So widmete er denn fortan den Kirchenvätern ein
fleissiges Studium und sammelte eifrig ihre Werke, wenn auch
zuweilen eine Erneuerung des guten Vorsatzes vonNöthen war ^).
Der liebste aller christlichen Autoren blieb ihm aber immer Au-
gustin, dem er sich in gewisser Hinsicht geistesverwandt fühlen
durfte — denn auch Augustin war ein Mensch gewesen, der
wie Petrarca selbst, auf der Grenzscheide zweier Zeitalter ge-
standen hatte — , dessen Gelehrsamkeit er bewundern konnte^)
und dessen Schreibweise er endlich eine eigenthümliche Kraft
und Harmonie der Form zuerkennen musste, denn das augu-
stinische Latein, so sehr es auch von der Eleganz und dem
Purismus des ciceronianisehen sich entfernt, ist doch nicht
minder stylvoll und klangreich, als dieses, und besitzt überdies
den fesselnden Reiz hoher Originalität. Von allen Schriften
') Ep. Sen. XV (XVI) 1 u. Sen. VIII 10, der letzteren Epistel sind
auch die folgenden Notizen entnommen.
2) vgl. z. B. Ep. Fam. XXII 10.
3) Ep. Sen. XIV 6.
406 Achtes Capitel.
Augustinus schätzte Petrarca am höchsten die Confessioneu,
jene eigenthümliche , gedankenschwere und poetisch durch-
hauchte Seelenbeichte des grossen Kirchenlehrers, Das war
so recht ein Buch nach seinem Sinne, denn hatte er nicht in
einem älinlichen. wenn auch minder schweren Kampfe, wie
Augustin. mit sich selbst gerungen? hatte nicht auch er, wie
Augustin, mit selbstquälerischer Freude die innersten Falten
seines Herzens durchwühlt und seine geheimsten Gedanken zu
lielauschen, zu zergliedern und zu richten sich bestrebt? Aber
auch andere Schriften Augustin's liebte und sehätzte er, so
namentlich das Buch ..de vera religione": als es ihm zum
ersten Male in die Hände gekommen war, las er es mit der-
selben hastigen Begierde durch, mit welcher ein Wanderer,
der zum ersten Male eine hochberühmte Stadt betritt, die
Wunder derselben zu schauen sich beeilt ^).
Nächst denen des Augustin schätzte Petrarca am höchsten
des heiligen Ambrosius Schriften -) , vielleicht eben so sehr
wegen ihrer gewandten und feinen Latinität als wegen des
milden und ruhigen und doch glaubenseifrigen Geistes, der in
ihnen sich spiegelt. Einige andere kirchliche Autoren, dei'en
"Werken Petrarca gelegentlich mehr oder weniger zahlreiche
Citate entnommen und dadurch seine eingehende Beschäftigung
mit ihnen bekundet hat, genüge es einfach zu nennen : Lactanz,
Hieronymus, Gennadius, Sulpicius Severus, Prosper Aquitanus,
den grossen Gregor (I) und den heiligen Bernhard. Man sieht,
es ist eine stattliche Reihe, und leicht würde sie sich noch ver-
grössern lassen. Selbstverständlich muss es hiernach erscheinen,
dass er auch in der Bibel sehr belesen war, und wir haben
schon wiederholt Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen,
wie gern und in wie reicher Fülle er biblische Citate braucht 2).
Endlich müssen wir zu der christlichen Litteratur wol
auch wegen ihrer vermeintlichen Beziehungen auf das Christen-
^) de contemt. mund. III p. 352.
■-) vgl. de Vit. II 3, 2 u. II 9, 5.
=) vgl. z. B. S. 339 ff.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 497
thum die sogenannten Sibyllinischen Orakel zählen, deren
Authenticität, da sie von Kirchenvätern vertheidigt wurde,
Petrarca nicht mit voller Entschiedenheit anzuzweifeln wagte ^),
wie er denn überhaupt, was passend hier bemerkt werden
möge, die Sprüche der heidnischen Orakel nicht für eigentlich
trügerisch, aber wol für von bösen Dämonen — denn nichts
Anderes seien die Heidengötter gewesen — eingegeben
erachtete ^).
So vereinigte Petrarca eine, wenn auch nicht sehr aus-
gedehnte, doch überaus intensive Kenntniss der profanen latei-
nischen Litteratur mit einer grossen Belesenheit in den christlich-
lateinischen Autoren : durch die erstere ist er der Begründer des
Humanismus geworden, w^ährend er durch die letztere sich für
seine Person den Zusammenhang mit des Mittelalters religiöser
Bildung gewahrt hat. Es ist einleuchtend, dass eine solche
Verbindung zweier Wissens- und Anschauungssphären, welche
fast den Charakter der Bizarrerie an sich trug, auf die späteren
Humanisten sich nicht hat vererben können: viel zu disparat
waren die zur Einheit verbundenen Elemente. So hat denn
der Humanismus in der Folge auf die Beschäftigung mit
dem christlich-lateinischen Schriftenthume verzichtet — nur in
der Reformationszeit wurde diese vorübergehend wieder beliebt —
und es hat dabei bis auf den heutigen Tag so ziemlich sein Be-
wenden gehabt. Erklärlich und selbst nothwendig war gewiss
diese Beschränkung, nichtsdestoweniger ist sie für das wissen-
schaftliche Leben von nachtheiligen Folgen gewesen, denn die
christlich-lateinische Litteratur ist, so sehr man auch ihre Be-
deutung zu unterschätzen pflegt, von grösstem materialen und
formalen Werthe, und wer mit ihr nicht vertraut ist, wird auch
nie mit der Cultur und Litteratur des Mittelalters vertraut
werden können. Der Humanismus brach, indem er die christlich-
lateinischen Autoren in die Schatten der Vergessenheit verwies
und das Verdict des barbarischen Lateins über sie aussprach,
1) de ot. relig. I p. 343. Rer. mem. IV 3. p. 523 ft'.
■-) Rer. mem. IV 2. praef. p. 519.
Körting, Petrarca. 32
498 Achtes Capitel.
die Brücke ab, welche ihn mit der mittelalterlichen Bildung
hätte verbinden können. Er musste so revolutionär verfahren,
und keinen Vorwurf ist man ihm zu machen berechtigt, aber jedes
revolutionäre Vorgehen ist mit schweren Nachtheilen verbunden
und auch der humanistischen Revolution haben sie nicht gefehlt.
Der Neubau der Bildung mit Ignorirung der bisher lange
Jahrhunderte hindurch bestandenen Grundlage brachte natur-
gemäss Alles in's Schwanken und Manches ist dabei gestürzt,
was wol der Erhaltung werth gewesen wäre. An Stelle einer
stetigen Fortentwickelung, die unmöglich geworden war, trat
fortan vielfach ein Experimentiren, ein zielloses Umhertasten,
den Menschen wurde das Gefühl ,der Buhe, das wohlthuende
Bewusstsein von der Dauerhaftigkeit des Bestehenden geraubt,
und stete Unruhe, nimmer endende Ungewissheit über das,
was etwa kommen mag, ist seitdem ihr Loos geworden. — —
Legen wir uns ferner die Frage vor, welche fremde Sprachen
und Litteraturen Petrarca etwa ausser der lateinischen gekannt
habe, so erscheint es zunächst unzweifelhaft genug, um eines
besonderen Nachweises nicht zu bedürfen, dass er, der so lange
Jahre in der Provence lebte und an den Troubadours sein
poetisches Talent gebildet hatte, der provenzalischen Sprache
völlig mächtig war. Ein näheres Eingehen hierauf ist über-
flüssig. Die französische Spi'ache vermochte er, wie er selbst
eingestand ^), nicht geläufig zu sprechen , doch war er ihrer
so weit mächtig, dass er in ihr geschriebene Dichtungen lesen
konnte und wol auch vielfach gelesen hat, war ja doch damals
die französische Litteratur unter allen westeuropäischen weit-
aus die bedeutendeste und reichhaltigste, im gewissen Sinne
sogar eine wirkliche Weltlitteratur. Sicher ist es wenigstens,
dass Petrarca den „Roman von der Rose" gekannt hat ^). Ein
besonders günstiges Urtheil fällte er über diesen Roman, be-
kanntlich eins der bedeutendesten, wenn nicht das bedeutendeste
») vgl. oben S. 351.
-) Ep. poet. lat. III 30; er empfieMt in dieser Epistel den Koman dem
Guido Gonzaga von Mantua, welcher ihn um den Nachweis eines guten
Buches in der Vulgarsprache gebeten hatte.
I
Der Umfang des "Wissens Petrarca's. 499
"Werk der späteren altfranzösischen Poesie, freilich nicht und
meinte vielmehr, dass er bei weitem nicht an die Dichtungen der
Lateiner, ja selbst nicht einmal an diejenigen der neueren
Italiener heranreiche. Es ist das ein recht bemerkenswerthes
Urtheil, denn unleugbar zeigt sich in demselben, so weit man
auch davon entfernt sein mag, den „Roman de la Rose" für
ein absolutes Meisterwerk zu halten, schon etwas von jener
hochmüthigen Verachtung, welche der Humanismus später so
reichlich den Volkssprachen hat angedeihen lassen und wo-
durch er auf die Entwickelung der Nationallitteraturen so un-
sagbar zerstörend eingewirkt hat. — Hier ist endlich auch
Petrarca's Verhältniss zu der italienischen Litteratur kurz zu
erörtern. Dass er die Werke der lyrischen Dichter, welche
entweder seine Vorgänger gewesen waren oder mit denen er
als mit Zeitgenossen verkehrte, genau kannte, ist sowol als
selbstverständlich vorauszusetzen als es auch durch mehrere
Sonette, welche auf Cino da Pistoja, Antonio de' Beccari da
Ferrara und Stramazzo da Perugia Bezug haben, ausdrücklich
bezeugt wird. Eigenthümlich genug war dagegen Petrarca's
Verhältniss zu demjenigen Dichter, welchen bereits damals
Italien als seinen grössten verehrte und welchem der Sänger
des Canzoniere den ersten Platz auf dem italienischen Parnasse
nicht zu entreissen vermocht hat ^). Petrarca hat sich hierüber
selbst in einem ausführlichen Briefe ausgesprochen, den er an
Boccaccio richtete, wahrscheinlich als dieser ihm im Jahre 1359
ein selbst geschriebenes Exemplar^) der „Divina Commedia"
zugesandt und die Sendung mit einem lateinischen Gedichte^)
und einem Briefe begleitet hatte. "Wir geben um seiner Wichtig-
keit willen den Inhalt des Briefes Petrarca's *) in Kürze wieder.
^) vgl. hierüber die eingehende Untersuchung von Carducci , Studi let-
terari (Livorno, 1874), p. 329—370, vgl. Fracassetti, Lett. fam IV p. 399 ff.
-) Dass dasselbe nicht, wie oft behauptet ward, mit dem venetianischen
Codex no. 8199 identisch sein kann, hat Carducci 1. 1. p. 324 f. gezeigt.
^) abgedruckt in zwei Versionen b. Carducci 1. 1. p. 363 f., eine Ver-
sion auch b. Fracassetti 1. 1. p. 399 f., älterer Drucke nicht zu gedenken.
*) Ep. Fam. XXI 15.
32*
r^()C) Achtes Capitel.
Er beginnt mit der Klage, dass böswillige Mensehen von
ihm, Petrarca, die Meinung verbreitet hätten, dass er Dante
hasse und neidisch auf dessen Dichterruhm und Dichterei-folge
sei. Das sei eine vollständig irnge Annahme. Persönlich sei
er freilich mit Dante ^) nicht befreundet gewesen und nur als
Knabe habe er ihn einmal flüchtig gesehen, indessen habe er
stets die Standhaftigkeit bewundert, mit welcher dieser auch
in der Verbannung und unter mancherlei Drangsal der Dicht-
kunst treu geblieljen sei. Wahr sei es allerdings, dass er trotz
seiner Bücherliebhaberei sich nie die „Divina Commedia" an-
geschafft habe, doch habe er dies nur desshalb verabsäumt,
weil er durch die Leetüre dieser Dichtung allzu sehr beein-
flusst und in seiner eigenen dichterischen Originalität beein-
trächtigt zu werden gefürchtet hätte. Jetzt indessen, wo er
dem eigenen Dichten entsagt habe, widme er sich dem Studium
Dante' s mit ganzer Seele und gern erkenne er an, dass ihm
in der Meisterschaft der italienischen Sprache („vulgaris
eloquentia") die Palme gebühre, ja er bewundere und liebe ihn
aufrichtigst, und besser, als der grosse Schwärm der Dante-
verehrer, denen doch nur der Klang der Reime die Hauptsache
sei. vermöge wol er zu beurtheilen, worin die wahre Kunst
des grossen Dichters zu suchen sei; wenn Dante noch leben
würde, könnte derselbe kaum einen ergebeneren Freund als ihn
besitzen. Ein Jammer sei es übrigens, wie die Leute, welche
sich als eifrige Bewunderer Dante's geberden, die Verse des-
selben durch ihre Declamationen entstellen und verstümmeln,
und gern würde er, wenn er nur die Zeit dazu hätte, einmal
diesem Unwesen durch eine besondere Schrift steuern.
Noch einmal kommt dann Petrarca auf die ihm gemachte
Beschuldigung zurück, dass er Dante beneide. Dazu, meint
er, habe er nicht den geringsten Grund, denn wahrlich nicht
beneidenswerth sei Dante's Popularität, in Folge deren seine
Verse von „Walkera, Schenkwirthen und Wollwebern" 2) ge-
1) Seltsamerweise wird der Name Dante's nie genannt, doch kann nicht
der leiseste Zweifel obwalten, dass von ihm die Rede sei.
2) ,,lanistae", was Fracassetti mit „lanaiuoli" übersetzt, während es
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 501
feiert würden, und er, Petrarca, wünsche sich vielmehr Glück
dazu, dass er mit Homer und Virgil einer solchen Volkstliüm-
lichkeit entbehre.
Man erkennt aus diesem Briefe deutlich, dass Petrarca für
Dante eben nur eine kühle, akademische Bewunderung, aber
keine wirkliche Verehrung besass. Denn gewiss war es nicht
oder doch durchaus nicht allein die Befürchtung, an seiner
dichterischen Originalität Schaden zu erleiden, was ihn von
Dante fernhielt. Denn solche Befürchtung hätte ihn mindestens
von der Leetüre der gedanken tiefen lateinischen Schriften Dante' s
nicht abhalten können, und doch scheint er dieselbe nicht vorge-
nommen zu haben, mindestens nur in oberflächlichster Weise. Der
Dichter der „Divina Commedia" war eben, das ist gar nicht zu
bezweifeln, dem Sänger des „Canzoniere" unsympathisch. Auch ist
leicht einzusehen, warum. Dante war ein Dichter und Denker
des Mittelalters, ganz erfüllt von dessen Auschauungs- und Em-
pfindungsweise, Petrarca war der Begründer einer neuen, zu der
mittelalterlichen in scharfen Gegensatz tretenden Bildung. Was
war natürlicher, als dass er den Dichter, in welchem sich der
mittelalterliche Geist in seiner ganzen eigenartigen Grösse ver-
körpert hatte, nicht zu verstehen vermochte, dass er eine in-
stinetive Abneigung gegen ihn besass? Geistig bedeutende
Männer, welche entgegengesetzte Bildungstendenzen vertreten
und welche verschiedenen Culturformen , der eine einer sich
auslebenden, der andere einer neu entstehenden, angehören,
müssen sich ja naturgemäss in innerer Feindschaft gegenüber
stehen, zumal wenn nur erst ein geringer zeitlicher Zwischen-
raum sie trennt, wenn der eine den anderen noch als seinen
directen Nebenbuhler zu betrachten hat, wenn dem Kampfe
zwischen den von ihnen vertretenen entgegengesetzten Cultur-
principien die endgültige Entscheidung noch nicht gegeben
worden ist. So hat denn Petrarca erst in seinen späteren Jahren
und wahrscheinlich auch da nur veranlasst durch das Bewusst-
allerdings vielmehr „beccai (Fleischer)" bedeuten dürfte, vgl. Carducci, 1. I.
p. 357, Note.
502 Achtes Capitel.
sein, dass er einer litterarischen Anstandspflicht zu genügen
habe, zu einer eingehenderen Beschäftigung mit der „Divina
Commedia" sich zu überwinden vermocht. Gross ist seine Be-
geisterung für dieselbe gewiss auch da nicht gewesen. Aller-
dings könnte man dies daraus folgern wollen, dass er in der
Dichtung seines Alters, den „Trionfi", offenbar Dante's Styl
und Dichtungsform nachgeahmt hat. Aber sollte er das nicht
desshalb gethan haben, um seine Ebenbürtigkeit mit Dante zu
documentiren und denselben gerade auf dem Dichtungsgebiete
zu besiegen, auf welchem er, Dante, bis dahin als unerreich-
bares Muster gegolten hatte? Uns wenigstens will es bedünken,
als liege gerade den „Trionfi" das, doch gewiss von abgeneigter
Gesinnung eingegebene, Motiv zu Grunde, die „Divina Commedia"
noch überbieten und dadurch den Dichter derselben von dem
hohen Piedestale seines Ruhmes herabstürzen zu wollen.
, Anders freilich würde man urtheilen müssen, wenn die
angeblich von Petrarca verfasste lateinische Grabschrift Dante's ^)
für authentisch erachtet werden dürfte, aber dieselbe ist, wenn
nicht Alles trägt, eine Fälschung der gröbsten Art.
Zieht man nun noch in Betracht, dass Petrarca sich auch
über Dante's Charakter einmal gelegentlich nicht eben günstig
ausspricht 2) , indem er ihn der Rauhheit und rücksichtslosen
Offenheit zeiht, und dass Petrarca endlich, während ihm doch
so oft die Gelegenheit zu ausführlicheren Mittheilungen geboten
worden wäre, von Dante Nichts weiter zu berichten weiss, als
zwei ziemlich werthlose Anekdoten 2), so gewinnt man durch-
aus den Eindruck, dass Petrarca für den grössten Dichter seines
Vaterlandes keinerlei Sympathie besass und dass er sich sicht-
lich bemühte, die gigantische Gestalt desselben zu ignoriren
und, wenn möglich, in Dunkel zu verhüllen.
Ehe wir die von dem sprachlichen und litterarischen
^) Abgedi-uckt in dem Sammelwerke „Petrarca e Venezia'-, p. 128 f.
(vgl. eine kurze Bemerkung darüber in der Augsb. Allg. Ztg. 1875 no. 38
Beilage).
') Rer. mem. 11 4. p. 480, vgl. G. Papanti, Dante secondo la tradizione
etc. (Livorno 1873), p. 31 ff.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 503
Wissen Petrarca's entworfene Skizze absehliessen, ist es nöthig,
in aller Kürze die Frage zu beantworten, in w^elcher Weise
Petrarca litterarische Werke, besonders diejenigen der latei-
nischen Litteratur, gelesen habe.
Selbstverständlich ist es, dass der Begründer des Huma-
nismus die Leetüre vorzugsweise nach ästhetischen Gesichts-
punkten betrieb, in einer Weise also, welche heutigen Tages
nicht mehr dem Philologen von Fach, sondern höchstens etwa
noch dem gebildeten Laien, dem Dilettanten im guten Sinne
des Wortes geziemen würde, wobei freilich bemerkt werden
muss, dass es höchst wünschenswerth und zuträglich wäre,
wenn der ästhetische Gesichtspunkt von den modernen Philo-
logen nicht so gänzlich, wie es leider oftmals geschieht, ausser
Acht gelassen würde. Man hat durchaus nicht nöthig, über
Petrarca's dilettantenmässige, vor Allem nach Genuss strebende
Leetüre verächtlich die Achseln zu zucken. Mit einem der-
artigen Dilettantismus beginnt eine jede neu entstehende
Wissenschaft und muss damit beginnen, denn bevor nicht nach-
gewiesen ist, dass eine noch gar nicht oder nicht genügend
durchforschte Wissensmaterie des Wissens werth ist und ihrem
Erforscher Genuss verheisst, wird so leicht Niemand der Mühe
ihrer Erforschung sich unterziehen. Erst musste man den ästhe-
tischen Werth der Litteratur des Alterthums erkannt, erst die
classischen Autoren liebgewonnen und für sie sich begeistert
haben, ehe man Lust und Fähigkeit besitzen konnte, die
schwierigen Aufgaben einer nüchternen wissenschaftlichen Exe-
gese und Kritik zu lösen. —
Hiernach wird es uns nicht Wunder nehmen, dass, wenn
Petrarca zuweilen — denn nur in vereinzelten Fällen hat er
dies gethan — sich an die Interpretation eines Schriftstellers
oder einzelner Stellen desselben wagt, er dabei Erklärungen
gibt, welche uns höchst befremdlich erscheinen müssen, und
dass er noch ganz nach mittelalterlicher Weise auch in den
hamilosesten W^orten einen tief verborgenen Sinn sucht. Dass
z. B. Virgil's Aeneis in dreifacher Weise, historisch, physikalisch,
504 Achtes Capitel.
allegorisch auszulegen sei, war ihm feststehender Grundsatz ^)y
den er in der Praxis auch wirklich befolgte. So deutete er,
um nur ein Beispiel anzuführen, die schöne Stelle im ersten
Buche der Aeneis (v. 52 ff.), in welcher der widerwillige Gehor-
sam der Winde gegen Aeolus geschildert wird, folgendermaassen :
die Winde sind die menschlichen Leidenschaften, welche, wenn
sie nicht von der Vernunft (= Aeolus; gezügelt würden, den
irdischen Leib (= Erde, terras), den Lebenssaft {= die Meere,
maria) und die Seele (= Himmel, coeli^m) in's Verderben
reissen würden-). Indessen derartige wunderliche und in ihrem
Tiefsinn unsinnige Deutungen unternimmt Petrarca docli nur
selten und nur dann, wenn er, um so zu sagen, auf das Ka-
theder steigt und seine Gelehrsamkeit documentiren will, selbst
dann aber behält er noch so viel Vernunft, um zuzugestehen,
dass Virgil vielleicht gar keinen Doppelsinn in seinen Versen
beabsichtigt habe und dass diese also einfach dem W^ortlaute
nach zu verstehen seien 2). Es hat aber lange gewährt, ehe
die Sucht, jede Dichtung allegorisch auszudeuten, aus den
Köpfen schwand: auf keinem Gebiete des geistigen Lebens hat
das mittelalterliche Denken länger und hartnäckiger seine
Herrschaft behauptet.
Erfolgi'eicher dürfen Petrarca's Versuche in der Text-
kritik genannt werden. Freilich ist er hier, wie sehr na-
türlich , nicht über die allerersten Anfänge hinausgekommen
und ist auch nicht entfernt im Besitze einer festen Me-
thode gewesen, aber er hat doch wenigstens eine Ahnung
von der kritischen Kunst gehabt, und schon diese Thatsache,
wodurch bewiesen wird, dass er über den mittelalterlichen Autori-
tätsglauben sich erhob, gereicht ihm zur hohen Ehre und war
von segensreichen Folgen für die humanistische Wissenschaft.
Ein besonderes Augenmerk richtete Petrarca auf die Scheidung
') Ep. Sen. IV 5.
^) de contemt. mundi II p. 391 , wo auch noch andere Stellen (z. B.
Aen. II 622 f.) erklärt werden.
^) ibid.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 505
der ächten Schriften der chissischen Autoren von den uniichtea
Machwerken, welche die Ignoranz des Mittelalters für authen-
tisch anerkannt hatte, und wir haben bereits oben mehrfach
gesehen, wie er mit gutem Rechte mehrere dem Seneca, Ovid
und Anderen beigelegte Werke als unächt bezeichnet hat.
Freilich war sein einziges Kriterium für solche Scheidungen
die Beobachtung der Stylbildung und es mag dasselbe der
heutigen Wissenschaft als durchaus unzulänglich erscheinen,
zumal wenn es mehr auf das Sprachgefühl, als auf exacte
sprachliche Untersuchungen sich gründet, aber verkennen darf
man doch nicht, dass die Beobachtung des Styles ein sehr
wichtiges Kriterium abgibt und dass die Auffindung desselben
unzweifelhaft ein grosses Verdienst war. Uebrigens dehnte
Petrarca, sich nicht behindern lassend von religiöser Befangen-
heit, seine Kritik auch auf kirchliche Autoren aus. So sprach
er dem heiligen Ambrosius die Autorschaft eines Werkes ab
und legte sie dem Palladius bei ^).
Auch sachliche Kritik bemühte sich der Begründer des
Humanismus zu üben und scheute sich nicht, unter Umständen
eine von einem classischen Autor gemachte Angabe zu berich-
tigen, wie z. B. diejenige des Lucan über die Quellen des
Timavus ^) oder die bekannte Erzählung Virgils von der Liebe
der Dido zu Aeneas, von welcher er ausführlich nachwies, wie
sie historisch unmöglich sei ^). Er kannte eben in der Wissen-
schaft keinen Autoritätsglauben oder doch höchstens nur dann,
wenn die Aussage eines Kirchenvaters, wie z. B des Ambro-
sius, mit derjenigen eines profanen Autors in Widerspruch stand,
denn dann meinte er allerdings, die erstere trotz entgegen-
stehender Gründe als die richtige ansehen zu müssen'^). In-
dessen liess er sich durch keine Frömmigkeit abhalten, auch
an den Heiligenlegenden historische Kritik zu üben '").
*) Vit. Sol. II 6, 1. Ep. Sen. II 4.
"'} Ep. Sen. III 1.
3) Ep. Sen. IV 5. vgl. Trionf. della cast. v. 157 ff. u. v. 12.
*) Vit. Sol. n 9, 5.
5) Vit. Sol. II 3, 17. vgl. Ep. Fam. XXI 14.
506 Achtes Capitel.
Selbst der niederen Textkritik blieb Petrarca nicht fern,
denn er erkannte sehr wohl, wie sehr die Schriften des Alter-
thums durch die Abschreiber, deren Unzuverlässigkeit und Ge-
dankenfaulheit er ja aus eigener Erfahrung kannte und oft
genug beklagte^), entstellt und verderbt worden seien 2). So
wagte er hin und wieder Emendationen ^), welche freilich eine
noch ungeübte Hand verrathen.
Nachdem wir im Vorstehenden Alles mitgetheilt haben,
Avas uns in Bezug auf Petrarca's philologisches Wissen er-
wähnenswerth schien, haben wir noch einen Blick auf sein
Verhältniss zu den übrigen "Wissensgebieten zu werfen. Da
indessen das Verhältniss zur Rechtswissenschaft bereits früher
(S. 69) besprochen wurde und dasjenige zur Medicin besser
bei einer anderen Gelegenheit besprochen werden wird, so
bleibt nur noch in Kürze zu erörtern übrig, wie Petrarca sich
zur Theologie, zur Geschichtswissenschaft und zu den soge-
nannten exacten Wissenschaften oder, um den für das Mittel-
alter ungeeigneten Ausdruck zu meiden, zu den Naturwissen-
schaften verhielt.
Dass ein Mann, der so gläubig fromm und überdies in den
Kirchenvätern so bewandert war, wie Petrarca, der Theologie
sehr achtungsvoll und freundlich gegenüberstand, bedarf keines
weiteren Beweises. Den Theologen wies er denn auch in der That
den ersten Platz unter den Gelehrten an, aber freilich nur dann,
wenn sie frei von aller Sophisterei wären, eine ausgebreitete
wissenschaftliche Bildung besässen und Respect vor den Kirchen-
vätern hätten ■*). Irgend welche Bedenken, dass der Humanis-
mus etwa mit der Theologie unverträglich sein könnte — Be-
denken, welche sehr begründet gewesen wären — , kannte er
1) z. B. de remed. utr. fort. I 43. 11 praef. Ep. Farn. XXIII 12. de
vit. sol. praef. (= Ep. Sen. VI 5).
-) de contemt. mund. I p. 381.
") So wollte er Macrob. II 3, 5 statt Vatinius „Caninius" lesen (Ker.
mem. n 3 p. 469) und in der Cicerostelle „omnes ferme in hoc fallimur,
quod mortem non prospiciraus", welche aufzufinden uns leider nicht ge-
lungen ist, das j.non" streichen (de contemt. mund. I p. ^81).
*) Ep. Sen. XIV 1., vgl. XIV 6 u. V 3.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 507
nicht und lebte des vollsten naiven Glaubens, dass man gleich-
zeitig für die Wiederbelebung des classischen Alterthums
schwärmen und ein frommer Katholik sein könne ^). Dass der
Humanismus in seiner höchsten Potenz der naturgemässe Feind
des Chiistenthums sein müsse, dass die Renaissance unmöglich
vor den Kirchenpforten ehrfurchtsvoll Halt machen könne, dass
es unthunlich sei, auf allen anderen Gebieten den Autoritäts-
glauben zu stürzen, auf dem religiösen aber ihn festzuhalten —
das hat er nie begriffen oder, was wahrscheinlicher, nie begreifen
wollen. Er war eben zu schwach und zaghaft, um die letzten
Consequenzen seiner eigenen Lehren ziehen und aus der kirch-
lichen Gläubigkeit, welclie ihm Herzensbedürfniss war, heraus-
treten zu können.
Für die Geschichte und selbstverständlich namentlich für
die Geschichte des classischen Alterthums, besass Petrarca das
lebhafteste Interesse, welches er auch, wie wir sehen werden,
durch die Abfassung mehrerer historischer Werke bethätigt
hat. Auch in der Geschichte aber versuchte er Kritik zu üben.
Der Widerspruch, der so häufig zwischen den Aussagen ver-
schiedener Historiker besteht, entging ihm nicht ; wo ihm der-
selbe entgegentrat, Hess er sich entweder nach Maassgabe
der Wahrscheinlichkeit oder nach Maassgabe der Glaubwürdig-
keit der einzelnen Autoren für eine bestimmte Annahme ge-
winnen 2) — gewiss ein ganz richtiger Grundsatz, wenn er auch
in der praktischen Ausübung desselben oft genug sehr naiv
verfuhr. Als ein besonderes Verdienst muss an dieser Stelle
noch hervorgehoben werden, dass Petrarca auch den ersten Ver-
such in der Urkundenkritik gewagt hat^).
Geschichte und Geographie sind bis zu einem gewissen
Grade unlösbar verbunden, und so war es nur natürlich, dass
auch mit der letzteren Wissenschaft Petrarca sich eifi-igst be-
schäftigte. Die Angabe freilich, dass er in Gemeinschaft mit
1) Ep. Farn. II 9. XXI 10.
^) Ep, ad post. p. 4.
^) Ep. San. XV 5. Nähere Angaben müssen der politischen Geschichte
vorbehalten bleiben.
508 Achtes Capitel.
dem Könige Robert eine genaue Karte Italiens entworfen habe ^),
mag für sehr unglaubwürdig gelten müssen, aber hinlänglich
wird sein verständnissvolles Interesse für die geographische
Wissenschaft bezeugt durch das von ihm verfasste „syrische
Reisehandbuch", wenn also eine kurze Schilderung der Loca-
litäten, welche der Jerusalempilger auf seiner Fahrt längs der
Küsten des tyrrhenischen, jonischen und ägäischen Meeres be-
rührt, genannt werden darf; nicht minder wird dies Interesse
bewiesen durch manche in Petrarca's Werken sich findende
gelegentliche Bemerkung 2). Auch Petrarca's Wanderlust be-
ruhte, zum Theil wenigstens, auf dem ihm eingeborenen Triebe,
die Erde, so weit nur möglich, kennen lernen und ihre Wunder
mit eigenen Augen schauen zu wollen. „Kein Volk ist be-
gieriger den Erdkreis zu durchforschen", sagt Petrarca einmal
von den Italienern seiner Zeit^; und er war auch in dieser
Beziehung ein ächter Sohn seines Volkes: es lebte in ihm
etwas von dem Geiste eines Marco Polo und eines Columbus.
Nicht zufällig ist es übrigens, dass das Zeitalter der Renais-
sance zugleich auch das Zeitalter der grossen Entdeckungs-
reisen ist: es beseelte die Menschen jeuer Zeit der Drang
nach einer allseitigen Erweiterung ihrer Anschauungen, nach
einem allseitigen Heraustreten aus der Enge der mittelalter-
lichen Ideensphäre, und dieser Drang führte in zeitlicher Rich-
tung zu der Neubelebung des classischen Alterthums, während er
in der räumlichen den neuen Erdtheil America finden liess. —
Ein wenig freundliches war das Verhältniss Petrarca's zu
den Naturwissenschaften. Völlig unvermögend, den richtigen
Staudpunkt für die Würdigung derselben zu gewinnen, was
in Anbetracht der damaligen wissenschaftlichen Zustände sehr
verzeihlich ist, scheint er in ihnen nur eine wüste Anhäufung
zusammenhangloser und höchstens der Befriedigung einer müs-
sigen Neugier dienender Notizen erblickt zu haben, ^r meinte,
^) vgl. BaldelU, a. a. 0. p. 132.
2) z. B. Ep. Farn. III 1. Sen. III 1. Var. 39.
») Vit Sol. II 6. 2.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 509
ungleich wichtiger sei es für die Menschen, ihr eigenes Innere
und den Weg zur Tugend zu erkennen, als die Beschaffenheit
der Naturgegenstände mühsam zu erforschen ^). Selbst über
die Astronomie, welche ihn durch die Grossartigkeit ihrer
Objecte und Ziele wol am ehesten hätte reizen können, dachte
er in gleicher Weise, und als er einmal von einem Cardinale
aufgefordert worden war, ein astronomisches Gedicht zu schrei-
ben, lehnte er das Ansinnen sehr entschieden ab , ganz offen
bekennend, dass er astronomische Kenntnisse weder besitze
noch auch besitzen wolle 2). Wesentlich mochte zu solcher
Gesinnung beitragen, dass ihm, wie es scheint, die inhalts-
reiche Welt der mathematischen Begriffe stets völlig ver-
schlossen geblieben ist. Wol hatte er die „Mathesis" des
Julius Firmicus Matenius gelesen, aber er hatte aus dem
übrigens durchweg wunderlichen Buche nur das entnommen,
was gerade am geeignetsten war, die mathematische Wissen-
schaft ihm zu verleiden , den thörichten Aberglauben an un-
glückbringende Zahlen 3). So wurde ihm die Mathematik in
keiner Weise eine Basis für die Erkenntniss der Natur, und
dass die Leute, welche eine solche zu besitzen sich rühmten,
die averroistischen Aristoteliker, daraus eine Waffe gegen den
Kirchenglauben zu machen suchten, liess ihm vollends die Be-
schäftigung mit den Naturwissenschaften als eine werthlose,
ja unchristliche und gefährliche erscheinen.
Indessen muss hier doch, um Petrarca nicht einer unge-
rechten Beurtheilung anheim fallen zu lassen, ein Doppeltes
"bemerkt werden. Erstlich dass Petrarca, was bei einem Dichter
eigentlich als selbstverständlich Vorausgesetzt werden kann,
keineswegs ein trockener Stubenmensch und ein Feind der
lebendigen Natur war, sondern ganz im Gegentheile die grösste
Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur und die innigste
Liebe zu derselben besass, ja dass er geradezu zuerst wieder
') de sui ips, et mult. ign. p. 1144.
2) Ep. poet. lat. II 3.
3) vgl. oben S. 379.
510 Achtes Capitel.
die Freude an den eigenthümlichen Reizen der Landschaft em-
pfunden und für die Folgezeit entdeckt hat '). Zeuge dessen ist
sein ganzes Leben, dessen schönste Jahre er in frei gewählter länd-
licher Einsamkeit verbracht hat, Zeuge dessen sind die vielen
herrlichen Landschaftsschilderungen, welche sowol in seinen pro-
saischen als poetischen Schriften sich finden ^). Sodann ist nicht
zu übersehen, dass Petrarca trotz seiner feindseligen Stellung zu
den Naturwissenschaften dennoch einen reformatorischen Ein-
fluss auf dieselben ausgeübt hat. Es hatte das Mittelalter,
zum Theil als ein von dem classischen Alterthume über-
nommenes Erbe, eine zu einem vollständigen Systeme aus-
gebildete fabelhafte Naturgeschichte besessen, welche in zahl-
reichen Physiologis, Bestiarien, Lapidarien und ähnlichen Werken
niedergelegt war und ganz allgemein, selbst von Männern wie
etwa Vincenz von Beauvais oder Brünette Latini, gläubig als
Wahrheit hingenommen wurde. Ein wissenschaftlicher Fort-
schritt, eine rationelle Erkenntniss der Natur war selbstver-
ständlich unmöglich, bevor nicht dieser ungeheuerliche Fabel-
wust, so poetisch und tiefsinnig auch manche seiner Bestand-
theile gewesen sein mögen, hinweggeräumt worden war. Diese
nothwendige Vorarbeit hat nun Petrarca mindestens begonnen.
Er zuerst, so viel uns wenigstens bekannt, hat die wunder-
lichen Dinge, welche Plinius, Solinus und Andere in so reichlicher
Fülle über gewisse Thiere berichten, in Zweifel gezogen^) und
hat dadurch der rationellen Forschung die Bahn frei gemacht. Von
dem Standpunkte unserer Zeit aus mag dies freilich als etwas
Geringfügiges erscheinen, für die damalige Zeit aber war ein
solches Heraustreten aus dem überlieferten Autoritätsglauben
^) vgl. die ausführliche Erörterung, welche oben S. 105 ff. gegeben
worden ist.
-) z. B. Schilderung der Riviera Ep. Fam. III 1, womit Afr. VI v. 839 bis
913 zu vergleichen (man sehe dazu v. Reumonts Bemerkung in der Augsb.
AUg. Ztg., 1874, no. 252, Beilage), Besteigung des Mont Ventoux, Ep. Fam.
IV 1., Schilderung der Wasserfälle der Sorgue und des Nar de remed. utr.
fort. II 90.
^) Ep. Sen. II 1, de sui ips. et mult. ign. p. 1144. de remed. utr. fort.
II praef.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 511
eine gewaltige Geistesthat, welche überdies Petrarca als ein um
so grösseres Verdienste angerechnet werden muss, als er der
Autorität der von ihm so hoch verehrten lateinischen Schrift-
steller zu widersprechen wagte. So hat der grosse Humanist
auch auf einem Wissensgebiete, von welchem er grundsätz-
lich sich fern hielt, die den Fortschritt hemmende Schranke
niedergerissen und die Möglichkeit gedeihlicher Entwickelung
ihm verliehen. Diese Entwickelung ist denn auch nicht aus-
geblieben, und vielleicht Bedeutenderes und Dauernderes noch,
als in den humanistischen Wissenschaften, hat die Renaissance-
bildung auf dem Gebiete der exacten Wissenschaften geleistet;
sie hat in diesen das classische Alterthum unsagbar weit
überholt und ist zu Resultaten gelangt, welche wunderbar ge-
nannt werden müssen und deren letzte Consequenzen zu ziehen
erst eine ferne Zukunft vermögen wird. —
Demjenigen, was im Obigen über den Umfang des Wissens
Petrarca's gesagt worden ist, werden sich passend einige Worte
über sein Verhältniss zu den bildenden Künsten anschliessen.
Zu Petrarca's Zeit regte die bildende Kunst ihre ersten
Schwingen 1). Schon hatte die Sitte begonnen, die Säle und
Hallen der fürstlichen Paläste mit Gemälden zu schmücken,
nachdem bereits früher das Gefallen an Standbildern wieder
aufgelebt war 2), schon lebten Maler wie Giotto von Florenz
und Simone von Siena^), schon gab es Kunstkenner von Fach
und selbst auch Dilettanten, welche bummelnd umherzogen
und allenthalben mit erheuchelter Kennermiene die Marmor-
bildsäulen bewunderten, fehlten nicht*). Petrarca war nun
freilich weder ausübender Künstler noch besass er irgend
welche theoretische Kenntnisse oder auch nur das Verlangen
*) lieber die Anfänge der Kenaissancekunst vgl. ausser den allbe-
kannten Werken von Kugler, Crowe und Cavalcaselle, Lübke, Burckbardt
u. V. A., namentlich auch das Buch von J. A. Symonds, Renaissance in
Italy (London, 1877, 2 Bde.) Bd. 2, Fine Arts.
2) vgl. Gregorovius, a. a. 0. V p. 633 ff.
3) Ep. Farn. V 17.
*) Vit. Sol. praef.
512 Achtes Capitel.
nach solchen, aber er hatte ein natürliches Verständniss und
Interesse für die bildende Kunst und aufiichtige Freude an
ihren Werken ^). Freilich könnte hiergegen zu sprechen
scheinen , dass er einmal ^) gelegentlich das Gefallen an Ge-
mälden und Bildsäulen als eitel und thöricht bezeichnet und
statt dieser Kunstwerke die Werke der Natur zu betrachten
und in ihnen Gottes Macht zu bewundern anräth, aber diese
Stelle findet sich im Zusammenhange eines von asketischem
Geiste durchhauchten Werkes und ist nur als die augen-
blickliche Aeusserung einer forcirten religiösen Stimmung, nicht
als Ausdruck einer wirklichen Ueberzeugung zu betrachten.
Petrarca war ganz ohne Zweifel ein Freund der bildenden
Kunst. Einen directen Einfluss auf die Entwickelung derselben
hat er allerdings nicht ausgeübt und nicht ausüben können,
aber dennoch hat er indirect sie in hohem Grade gefördert,
denn er zuerst hat die Bau- und Bildwerke des römischen
Alterthums mit bewunderndem und verständnissvollem Auge
betrachtet und hat dadurch die bildende Kunst zu dem reich-
strömenden Borne der antiken Schönheit hingeleitet ^). Da-
durch und nicht minder durch seine humanistische Thätigkeit
ist er der Begründer der Kunst der Renaissance geworden,
deren Entstehen ja erst möglich wurde, nachdem das classische
Alterthum allseitig erschlossen worden war. — —
Wollen wir das Gesammtergebniss aus der in diesem
Capitel gegebenen ausführlichen Darstellung ziehen, so wird
sich dies in die Worte zusammenfassen lassen, dass Petrarca
den mittelalterlichen Autoritätsglauben auf dem Gebiete der
Wissenschaft zerstört, das classische Alterthum neu erschlossen
und dadurch eine neue Cultur geschaffen hat. In Anbetracht
dieses ungeheueren Geisteswerkes, dieser w^ahrhaft grossen
That muss es völlig unwesentlich erscheinen, dass seine Kennt-
nisse vielfach nur sehr einseitige und beschränkte gewesen
') Ep. Seil. V 1., vgl. Ep. Farn. XYI 14.
'^) de remed. utr. fort. I 40 u. 41.
^) vgl. oben S. 116 f.
Der Umfang des Wissens Petrarca's. 513
sind und dass er oftmals sowol in seinen Anschauungen als auch
in einzelnen gelehrten Angaben schwer geirrt hat ^). >Jicht schwer
wäre es, eine stattliche Liste der von ihm begangenen Irr-
thümer aus seineu Werken zusammenzustellen, aber ungemein
kleinlich würde ein solches Beginnen sein und nur die Wahr-
heit des Spruches bestätigen, dass, wo die Könige bauen, die
Kärrner zu thun haben. Der Schöpfer einer neuen Cultur
besitzt wahrlich ein Anrecht darauf, von einem höheren Ge-
sichtspunkte aus beurtheilt zu werden, als nur von demjenigen
der philologisch-historischen Akribie.
^) z. B. wenn er den Statins zum Gallier uiaclit (vgl. S. 396, Anm. 3)
oder wenn er den Mons Haemus nach Thessalien (statt nach Thracien)
verlegt (vgl. S. 104).
]v ö r t i n g, Petra ica ;
Neuntes Capitel.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit.
bchon aus dem, was in dem vorigen Capitel berichtet
worden ist, wird man leicht ermessen können, von welchem
unermüdlichen Fleisse und Wissensdrange Petrarca beseelt
war. Das Arbeiten, das Lesen und Schreiben war ihm ge-
radezu ein Lebensbedürfniss. Er wurde krank, wenn er nicht
Studiren konnte. Einmal während seines Aufenthaltes in Vau-
cluse hatte ihm ein Freund, der ihn gern für kurze Zeit von den
Büchern losreissen wollte, alle Bücher und Schreibmaterialien
eingeschlossen und ihm selbst zehn Tage Ferien auferlegt.
Der so wider Willen zur Müsse Verurtheilte hatte auch wirk-
lich den besten Willen, sich dem Gebote zu fügen, indessen
schon am zweiten Tage wurde er in Folge der erzwungenen
Unthätigkeit von Kopfschmerzen und am dritten Tage von
leichten Fieberbewegungen befallen, worauf der Freund ihm
die Schlüssel des Bücherschrankes und damit die Gesundheit
wiedergab ^). Selbst im höheren Alter, wo er sich doch gewiss
eine behagliche Müsse hätte gönnen dürfen, kannte er keine
Rast noch Ruhe und schonte sich in keiner Weise. Manchen
langen Brief hat er mit fiebernder Hand geschrieben 2), selbst
MEp. Fam. XIII 7, vgl. XVIII -3.
^) z. B. Ep. Sen XII 2.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 515
dann noch, als er von solcher Ueberanstrengung die ernstesten
Folgen befürchten musste. Während der in Mailand verlebten
Jahre, in denen er, da er sich den Abhaltungen des Hoflebens
gewiss nicht ganz entziehen konnte, freilich besonderen Grund
haben mochte, mit seiner Zeit haushälterisch zu sein, hatte
er seinen Schlaf auf sechs und die sonstige Mussezeit auf zwei
Stunden beschränkt, pflegte selbst während des Ankleidens und
Rasirens zu lesen oder sich vorlesen zu lassen, zu schreiben oder
zu dictiren, ja arbeitete selbst während des Speisens und
während des Reitens, so dass, wie er selbst sagt, manches seiner
Gedichte auf dem Rücken des Rosses entstanden ist; auf jeden
Tisch, der für ihn gedeckt wurde, musste auch ein Schreibzeug
hingestellt werden, und wenn er Nachts aufwachte, schrieb er
zuweilen — denn auch neben seinem Bette musste ein Schreib-
zeug sicli befinden — die ihm gerade einfallenden Gedanken
im Finstern nieder^). Und, wenn die Angabe richtig ist, dass
er inmitten seiner Bücher während des Studirens starb ^), so
hatte er wahr gesprochen, als er sagte, dass er dem Schreiben
nur zugleich mit dem Leben entsagen w^irde^).
Hervorgehoben muss hierbei werden, dass sich Petrarca's
Wissensdurst und Arbeitslust nicht, wie das gerade bei geistig
liesonders regen und empfänglichen Menschen nur allzu oft
gescl lieht, zur unruhigen Hast, welche natürlich zur Obei-fläch-
lichkeit führen muss, steigerte. Er strebte vor allen Dingen
nach Gründlichkeit des Wissens und oft genug hat er über
diejenigen gespottet, die mit dem pnmk enden Scheine der
Gelelirsamkeit sich begnügen und die da meinen, dass das
leicht zu erlangende Doctordiplom wirklicli ein tüchtiges Wissen
verbürge. Gar ergötzlich schildert er einmal das Unwesen der
leichtfertigen Doctorpromotionen seiner Zeit, die geräuschvoll
in Scene gesetzt wurden, ohne dass doch die Würdigkeit der
Candidaten dem aufgewandten Pompe entsprochen hätte, „Wie
1) Ep. Fam. XXI 12, vgl. Sen. XIV .5. XVI 1. :',. Farn. XII 7.
•-) s. oben S. 452.
"') Ep. Fam. praef. ad Socr.
83*
516 Neuntes Capitel.
glücklich ist doch unser Zeitalter, welches nicht bloss, wie
frühere Zeiten, einen oder zwei oder doch höchstens sieben
Weise, sondern in jeder Stadt ganze Heerden von Weisen
besitzt ! Das ist aber auch kein Wunder, da jetzt weise Männer
so mühelos fabricirt werden. Es kommt ein einfältiger Jüng-
ling zur akademischen Aula, seine Lehrer — sei es, dass sie
es aus Liebe oder aus Irrthum thun — preisen und rühmen ihn.
er selbst ist dabei natürlich ganz aufgeblasen von Wissens-
dünkel, das Volk gafft staunend zu, die Verwandten und Freunde
klatschen Beifall, der Candidat steigt auf das Katheder, von
dessen Höhe aus er verachtungsvoll herabblickt und irgend
eine verwirrte Rede murmelt. Nun erheben ihn die Profes-
soren '), als wenn er Wunder was Göttliches gesprochen hätte,
mit Lobeserhebungen bis zum Himmel, es ertönen inzwischen
die Glocken, es schallen die Trompeten, es blitzt der Doctor-
ring, es werden Küsse gegeben, auf das Haupt des Candidaten
wird ein schwarzer runder Hut gesetzt. Sodann steigt der,
welcher als einfältiger Jüngling hinaufgestiegen war, als weiser
Mann wieder herab , und eine wunderbare Verwandlung , die
nicht einmal Ovid kannte, hat sich vollzogen. So werden
heutigen Tages Weise fabrikmässig gemacht. Der wahre Weise
aber entsteht anders" ^). So kämpfte der Vater des Huma-
nismus auch mit den Waffen des Spottes gegen den anmaass-
lichen W^eisheitsdünkel , gegen das zopfige Gelehrtenthum , in
welches das mittelalterliche Wissen sich verknöchert hatte.
Besonders verhasst aber war ihm die auf Aristoteles und Aver-
roes sich berufende Scheinphilosophie der Dialektiker: gegen
diese, welche das Monopol des Wissens für sich in Anspruch
nahm und Alles, auch das Heiligste, wenn es dem dürren
Schematismus ihrer steifen Logik sich nicht fügen wollte, als
irrig zu verwerfen sich erfrechte, gegen diese Afterwissenschatt,
welche jedes Idealismus baar mit theils inhaltsleeren, theUs
missverstandenen Begriffen operirte und ein gefährliches Blend-
et Diese sind doch wol unter den „maiores" zu verstehen, oder viel-
leicht nur die DecaneV
^) de remed. utr. fort. I 12,
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 517
werk des Wissens sich schuf, richtete er die schärfsten Waffen
seines Geistes und ermüdete nicht, den Kampf gegen sie bis
zum letzten Athemzuge fortzuführen ^). Wir liaben über die
Gescliichte dieses Kampfes bereits oben^) ausführlicher ge-
sprochen und werden später noch einmal darauf zurückkommen
müssen, dürfen also hier auf ein weiteres Eingehen verzichten.
Nur daran möchten wir noch einmal ausdrücklich erinnern,
dass Petrarca keineswegs gegen den wirklichen Aristotelismus.
sondern \i\xy gegen eine widerliche Verzerrung desselben ge-
kämpft und dass er trotz seines Verharrens bei dem kirchlichen
Autoritätsglauben gegenüber den religionsfeindlichen Averroisten
dennoch einen freieren Standpunkt als diese eingenommen hat :
die Averroisten in ihrer schrankenlosen und blöden 'Bewunde-
rung des Pseudo- Aristoteles — denn so muss man wol den
Aristoteles nennen, der ihnen allein bekannt war — huldigten
in der Wissenschaft dem absolutesten Autoritätsglauben, Pe-
trarca hingegen erkannte in wissenschaftlichen Dingen, soweit
sie sein religiöses Gefühl nicht berührten, keine Autorität an
und vertrat das Princip der freien und selbständigen Forschung.
Wenn der Averroismus gesiegt hätte, würde die Wissenschaft
des Abendlandes zu einem dürren Mechanismus, zu einer geist-
losen Compilation von gelehrten Einzelnotizen, eingeschachtelt
in den starren Rahmen eines logischen Systems, herabgesunken
sein — der Humanismus siegte und die Wissenschaft schwang
sieh seitdem, aller Bande entledigt, empor zu den höchsten
Sphären des menschlichen Erkennens. Wer auf einem freien
Standpunkte religiösen Denkens steht, mag allerdings bedauern,
dass Petrarca nicht auch in richtiger Consequenz von dem
kirchlichen Autoritätsglauben sich losgesagt hat, aber Trost
wird er in der Erwägung finden, dass der Humanismus in
seiner weiteren Entwickelung die gläubige Engherzigkeit seines
Begründers nicht getheilt, sondern alle Fesseln der Kirchlich-
keit abgestreift hat. Freilich war es eine Freiheit von kurzer
^) de remed. utr. fort. I 46. Rer. mem. III 3. p. 512. de sui ips. et
mult, ign., invect. in med.
2) vgl. S. 414 ff.
518 Neuntes Capitel.
Dauer, denn Reformation und Gegenreformation — die eistere
allerdings nicht ihrem Principe, aber doch ihrem Etfecte nach
— haben wetteifernd und erfolgreich sich bemüht, die gestürzte
Autorität der Kirche wieder aufzurichten. Und so ist bis zum
heutigen Tage der Kampf zwischen der wissenschaftlichen
Forschung und dem Dogmenglauben noch nicht ausgekämpft. —
Alle normalen Menschen, welche in dem wissenschaftlichen
Studium ihre höchste Freude und Befriedigung finden, sind
von dem Drange beseelt , litterarisch productiv odei* ^doch re-
productiv zu sein, ein Drang, welcher der naturgemässe und
heilsame Abieiter derjenigen Nachtheile ist, von denen ein
fortgesetztes blosses Recipiren von Kenntnissen begleitet sein
müsste. Auch Petrarca empfand diesen Drang, aber er war
in seiner litterarischen Production frei von jener krankhaften
Hast, welche in rascher Folge Buch auf Buch in die Oeffent-
lichkeit zu schleudern und weit mehr die Masse, als den inneren
Gehalt des Geschriebenen zum Maassstabe der Beurtheilung
zu machen liebt. Ihm war nicht das Quantum, sondern das
Quäle dessen, was er schrieb, das Wesentliche. Die Viel-
schreiberei, eine auch zu seiner Zeit bereits epidemische Ge-
lehrtenpest, war ihm verhasst und oft genug hat er gegen sie
geeifert ^). Er hielt das Bücherschreiben für ein gar wichtiges,
schwieriges und eigenthümliches Geschäft, dem nur wenige
Menschen gewachsen seien und von welchem daher die meisten
besser sich fern halten sollten 2). Von diesem Gedanken aus-
gehend stellte er an den Schriftsteller hohe Anforderungen.
Vor allen Dingen verlangte er von ihm Selbständigkeit des
Denkens und stellte als Grundsatz auf, dass, auch wo nur eine
Reproduction beabsichtigt werde, das Beispiel der Bienen nach-
geahmt werden müsse, welche von allenthalben her die Stoffe
ihres Honigs entlehnen, aber dieselben mit eigener Kunst ver-
arbeiten und umgestalten, besser freilich noch sei jedenfalls
das selbstthätige Schaffen der Seidenwürmer ^). Wenn man
^) z. B de remed. utr. fort. I 44. Ker. mem. III 3. p. 512.
-) Ausführliche Auseinandersetzung darüber Ker. mem. III 3. p. 512.
") Ep. Farn. I 7.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 519
aber einmal über einen Gegenstand schreiben wolle, so überlege
man vorher reiflich, was man schreiben wolle, und bringe es dann
mit Bedacht und Vorsicht, aber auch mit Selbstvertrauen zu
Papier. In der Wahl der Worte sei man behutsam, denn nicht
einem Jeden zieme ein jedes Wort, die Worte müssten viel-
mehr der ganzen Individualität des Schreibenden angepasst
werden. Immer sei man der Möglichkeit eingedenk, dass das
Schriftwerk in die Hand neidischer und übelwollender Kritiker
fallen könne — denn alle strebenden Menschen finden ja der-
gleichen Kritikaster in der grossen Masse der trägen und jedes
Streben missgünstig betrachtenden Durchschnittsindividuen --
und man suche daher von vornherein alle Handhaben für
etwaigen Tadel zu entfernen ^). Ein anderes Mal stellt er die
Erfordernisse zur Schriftstellerei folgendermaassen zusammen:
„Vieles ist nöthig, um ein guter Schriftsteller zu sein: gei-
stige Begabung, tüchtige Schulung (disciplina) und die Kennt-
niss vieler wissenswerther Dinge; überdies — besonders für
Dichter — ein gewisser Schwung (Impetus) und eine gewisse
Begeisterung. Ausserdem noch eine gute leibliche Gesundheit,
ein massiges, sowol von Armuth als Reichthum fern stehendes
Vermögen, ein ruhiges Leben, eine behagliche, in edlen Ge-
danken sich bewegende Gemüthsstimmung, Einsamkeit, Müsse,
Freiheit, und andere derartige Bedingungen, deren Erfüllung
theils von uns abhängt, theils von uns unabhängig ist" ^). Für
sehr empfehlenswerth erklärt er es ferner, die Bücher mit
Sentenzen aus den classischen Autoren, die man bei der Leetüre
eifrig sammeln müsse, auszuschmücken ^) und ebenso Beispiele
aus der alten Geschichte häufig in den Text einzuweben, denn
auf diese Weise erhalte man sich in stetem Verkehre mit den
grossen Männern des Alterthums und könne des Umganges mit
den sittenlosen und geistesarmen Menschen der Jetztzeit, „diesen
zwar athmenden, aber widerlichen und entsetzlichen Leichnamen
(adhuc quidem spirantia, sed obscoena iam et horrenda cada-
') Ep. Sen. II 3.
2) Ep. Var. 54.
'*) de contemt. mundi III p. 395.
520 Neuntes Capitel.
Vera)" entbehren, endlich auch feuere man durch die Er-
zählung solcher Beispiele manche Leser zur Nachahmung der
antiken Tugend an ^).
Petrarca gehörte aber nicht zu denjenigen Gelehrten, von
denen er selbst einmal klagend bemerkt, dass ihr Leben zu
ihren Lehren in schreiendem Widerspruche stehe ^). Er be-
gnügte sich nicht damit, gute Lehren aufeustellen, sondern er
befolgte sie auch im vollsten Maasse bei der eigenen littera-
rischen Thätigkeit: er bemühte sieh i-edlich, das Ideal, welches
er von dem Schriftsteller sich entworfen hatte, zu erreichen,
und man darf wol sagen, dass ihm dies gelungen ist. Er war
ungemein sorgsam in seinen litterarischen Arbeiten, häufte für
sie ein massenhaftes Material zusammen, das er dann geschickt
zusammenzustellen oder einzuflechten verstand, corrigirte fort-
während an seinen Schriften und Gedichten, so dass er, wie
er selbst sagt, niemals eigentlich fertig werden konnte^).
Zur Veröffentlichung seiner Schriften und Gedichte konnte er
sich nu'^ sehr schwer entschliessen, es bedurfte erst dringen-
der Bitten seiner Freunde, bevor er sich zur Herausgabe eines
Werkes verstand, und auch dann that er es nur mit vielen
Vorbehalten und Cautelen^j. Einige Werke hat er, obwol sie
ganz oder nahezu vollendet waren, lange Jahre zurückgehalten
und noch andere überhaupt nicht veröffentlicht. So eitel er
auch war, die Eitelkeit vieler Autoren, alle Jahre durch frische
Waare auf dem Büchermarkte glänzen zu wollen, war ihm
fremd, er besass Selbstbeherrschung und Geduld genug, die be-
kannte horazische Frist („nonum prematur in annum") ab-
zuwarten und nicht dem flüchtigen Effecte, sondern dem dauern-
den Ruhme, den nur ernste und gewissenhafte Arbeit erringen
kann, nachzujagen. Freilich kamen auch äussere Umstände
hinzu, um ihm das Maasshalten im litteraiischen Produciren
zu erleichtern. An einen Geldverdienst durch litterarische und
^) Ep. Fam. VI 4.
2) de vit. sol. praef.
^) Ep. Sen. V. 5.
*) Ep. Sen. VI 5., vgl. V 5.
fetrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 521
poetische Thätigkeit war unter den damaligen Verhältnissen
gar nicht zu denken, und wäre es möglich gewesen, er würde
einen solchen Gedanken als seiner unwürdig zurückgewiesen
haben ^). Auch das rein mechanische Hinderniss, dass es oft
genug an tüchtigen Schreibern fehlte, welche die vielleicht
manchesmal schwer leserlichen Manuscripte in einer zierlichen
und deutlichen Handschrift zu copiren vermocht hätten, machte
sich zmveilen in empfindlicher Weise geltend ^).
Petrarca hat einmal ausdrücklich versichert, dass er in
Allem, Avas er schreibe, nicht sowol seinen Ruhm als den Nutzen,
d. h. die wissenschaftliche und sittliche Ausbildung, seiner Leser
erstrebe ^). Das können wir indessen doch wol nur für eine
schöne Fiction halten. In Wahrheit schrieb er gewiss zunächst,
um seinem natürlichen Drange nach eigener Production zu ge-
nügen, sodann aber um sich unsterblichen Ruhm zu erringen,
denn den Ruhm glühend zu lieben und ihm eifrig nachzu-
trachten, das hat er mit dankenswerther Offenheit oft genug
selbst bekannt*), erst in dritter Linie mag das vorgegebene
ethische Motiv maassgebend gewesen sein.
Dass jedenfalls Petrarca nicht aus reiner und uninteres-
sirter Menschenfreundlichkeit cl-icke Bücher geschrieben hat,
dürfte schon durch die seltsame Ansicht bewiesen werden,
welche er von der Würde des Schriftstellers und Dichters be-
sass. Der Gedanke, dass er ein populärer Autor werden
könnte, war ihm, in der Theorie wenigstens — denn in der
Praxis nahm er die Thatsaehe ganz gern hin — , entsetzlich :
er wollte grundsätzlich nicht für die grosse urtheilslose Menge
des Volkes, sondern nur für die auserwählte kleine Gemeinde
der Kenner und Gelehrten schreiben. „Das ürtheil der Volks-
masse", sagt er einmal, „habe ich immer so gering geschätzt
und schätze es noch so gering, dass ich lieber von ihr nicht
*) vgl. de Vit. sol. I 4, 1.
2) Ep. Sen. VI 5.
") de remed. utr. fort. I praef.
*) z. B. Ep. Farn. XIII 4. de vit, sol. II 10, 4. de contemt. mund. III
p. 408. Rer. mem. III .3 p. 512. Afr. VIII v. 598 ff.
522 Neuntes Capitel.
verstanden werden, als gelobt werden will, denn das Lob der
grossen Menge gilt bei gelehrten Männeni für eine Schande.
Oft habe ich in dieser Beziehung an Cicero's Ausspruch, der
in den Tusculanen sich findet, mich erinnert: „der beste Be-
weis, dass etwas geistlos gesagt worden ist, ist der, dass es
auch von den Ungelehrten mühelos verstanden und gelobt
wird" 0- Und an einem anderen Orte ^) sahen wir bereits, wie
er sich, in wunderlicher Selbsttäuschung befangen, glücklich
pries, nicht Dante's Loos zu theilen, dessen Lieder von „Wal-
kern, Schankwirthen und Fleischern", also von Leuten aus
den untersten Volksclassen, gesungen würden.
Es mag in dieser Verachtung der Volksthümlichkeit,
welche sich dann auf die ganze humanistische Bildung über-
tragen hat und geradezu ein hervorstechender Charakterzug
der Renaissancecultur geworden ist, unleugbar viel Affeetation
enthalten gewesen sein, aber im Grunde war sie leider auf-
richtig gemeint. Die Renaissance erneuerte eben mit dieser
principiellen Exclusivität, mit dieser von vornherein beabsich-
tigten Beschränkung auf die litterarisch oder, richtiger gesagt,
akademisch gebildeten Kreise ganz consequent und gleichsam
mit Naturnothwendigkeit den Bildungszustand des späteren
Römerthums, in welchem ja auch die Litteratur und selbst die
Schriftsprache das ausschliessliche Eigenthum der bevorzugten
Classen der Gesellschaft, der „oberen Zehntausend", geworden
waren. Diese Exclusivität der Reuaissancebildung aber ist,
namentlich dadurch, dass sie auch und zwar ebenfalls schon
von Petrarca auf die Poesie ausgedehnt wurde, in ihren näch-
sten Wirkungen für die Folgezeit höchst unheilvoll, ja geradezu
zu einem Fluche für die Völker des Abendlandes geworden.
Während des Mittelalters hatten innerhalb eines und desselben
Volkes alle Stände und Classen ungefähr wenigstens auf dem-
selben, wenn auch freilich niedrigen Niveau der Bildung und
Gesittung gestanden, denn selbst die Geistlichkeit, die Be-
^) Ep. Fam. XIV 2. vgl. Ep. poet. lat. III 17 v. 10
■-) vgl. oben S. 506.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 523
walireiin des gelehrten Wissens, war durch keine allzu weite
Kluft von der Masse des Volkes getrennt, sondern hing mit
derselben durch mancherlei verbindende Fäden, namentlich
aber durch die vielverzweigten Orden, noch ziemlich eng zu-
sammen; wohl gab es einzelne Gelehrte auch im Laienstande,
aber keinen eigentlichen, seiner Sonderstellung sich bewussten
Gelehrtenstand. Damals konnte es eine wirkliche Volks-
dichtung geben, an welcher Hoch und Niedrig in gleicher
Weise sich ergötzte und bildete: der fahi-ende Sänger sang
dasselbe Lied, wenn auch oft in ein wenig modificirter Gestalt
und Sprache, ebenso gut am Fürstenhofe wie auf den freien
Plätzen der Städte und ländlichen Ortschaften; ja selbst die-
jenigen Genres der Dichtung, welche ihrer grösseren Kunst-
mässigkeit wegen anfänglich im Alleinbesitz des Adels und
des Clerus sich befunden hatten, besassen doch so wenig einen
exclusiven Charakter, dass sie später ohne sonderliche Schwierig-
keit in die Pflege der bürgerlichen Gesellschaft, der Sänger-
zünfte, der Dichterakademien und Schauspielvereinigiingen,
übergehen konnten. Ein jeder Kenner der Litteraturgeschichte
weiss, wie förderlich dieser Zustand für die Entwickelung der
Litteratur gewesen ist, wie viel Grosses und Herrliches er auf (fem
Gebiete der Poesie, namentlich aber auf dem der dramatischen,
hervorgebracht hat. Die wunderbare Höhe, zu welcher das Drama
Englands und Spaniens in einem Shakespeare und Calderon
emporgestiegen ist, beruht ganz wesentlich darauf, dass in
jenen Ländern der historische Zusammenhang nicht so gänz-
lich, wie etwa in Italien, Frankreich und Deutschland, zerstört
wurde, dass dort wenigstens die dramatische Poesie ein Ge-
meingut des gesammten Volkes blieb und also ihren volks-
thümlichen Charakter zu bewahren, sich auf breitester Basis
und in organischer Weise weiter zu entwickeln vermochte.
Die Renaissance hat, indem sie die bis jetzt noch nicht über-
brückte weite Kluft zwischen den „Gebildeten" und „Unge-
bildeten" schuf, indem sie die Classe der „Gebildeten" als ein
Volk im Volke constituirte , die Einheit des Volkes zerrissen
und einen Zwiespalt erzeugt, dessen verderbliche Folgen theils
524 Neuntes Capitel.
schon zu Tage getreten sind, theils aber noch zu Tage treten
werden. Im Mittelalter schied sich das Volk in scharf ge-
sonderte Stände, aber es waren diese doch nur die organischen
Glieder eines grossen Ganzen, sie bildeten, schiehtenweise auf
einander lagernd, einen geschlossenen, einheitlichen Gesellschafts-
bau. Seit der Renaissance gibt es innerhalb eines "Volkes
zwei durch Bildung, Sprache, Sitte und theil weise selbst auch
durch den Glauben schroff getrennte und in stiller Verachtung
und Feindschaft einander gegenüber stehende Völker. Seit
der Renaissance steht derjenige, welcher am classischen Alter-
thume sich gebildet, auf ganz anderem Boden des Anschauens.
Empfindens und Denkens, als derjenige,, dem solche Bildung
versagt geblieben ist, und der eine kann den andern nur
schwer und unvollkommen oder auch gar nicht mehr verstehen :
die Söhne desselben Volkes sind einander geistig entfremdet
worden, wie etwa zwei Brüder, von denen der eine nach langem
Aufenthalte in dem fernen Süden heimgekehrt ist in den ihm
unverständlich gewordenen Norden. Seit der Renaissance ist
die grosse Masse des Volkes, da sie an der neuen Bildung
nicht participiren oder doch höchstens nur kärgliche Brocken
von ihr erhaschen konnte, ausgeschlossen von der auf die neue
Bildung sich gründenden Litteratur, der sich natürlich alle
befähigten Köpfe zuwenden; die alte, einst volksthümliche Lit-
teratur des Mittelalters aber ist, weil der sachkundigen Pflege
entbehrend und von den gebildeten Classen, wenigstens bis
zur Zeit der Romantik hin, verkannt, verachtet und grund-
sätzlich ignorirt ^), durchaus verwildert und vermag keinen
Bildungsstoff mehr zu spenden. Unbarmherzig hat die Renais-
sance die Blüthenbüsche der nationalen Litteratur zerstört
und exotische Treibhauspflanzen au ihre Stelle gesetzt, deren
Duft und Farbenpracht freilich nicht geleugnet werden kann
noch soll, an denen sieh aber zu erfreuen doch immer nur
*) Man erinnere sich z. B., wie geringschätzig Boileau in der „Art
Poetique" üher die ganze Litteratur vor Malherbe geui*theilt hat. Mau
denke auch an des grossen Friedrichs bekanntes Urtheil über die Nibe-
lungen.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 525
wenigen Auserwählten , nicht jedoch der Gesammtheit der
Nation vergönnt ist. Allbekannt ist, wie schwer die franzö-
sische Litteratur, welche sich während des Mittelalters so frei
bewegt, so schön und vielseitig sich entfaltet hatte, durch die
Renaissance geschädigt, wie sie durch diese in das beengende
Gewand einer erkünstelten Classicität eingeschnürt wurde.
Des grossen Corneille Genius, der, hätte er die Schwingen frei
regen dürfen, zur Sonnenhöhe eines Aeschylus sich erhoben
haben würde, ist unter diesem Zwange verkümmert; auch
Moliöre hat sichtlich darunter zu leiden gehabt, vielleicht selbst
— doch dies mag fraglich erscheinen — auch Racine. Nicht
minder bekannt ist, wie der völlige Bruch mit der historischen
Vergangenheit, der in Frankreich zunächst auf dem littera-
rischen Gebiete so schroff sich vollzog, dann auf das politische
und sociale Gebiet sich übeitrug, wie die Renaissance hier
mit entsetzlicher Consequenz nach einander in der centralisirten
Monarchie Ludwig's XI. und Ludwig's XIV. den römischen
Kaiserdespotismus, in der Herrschaft des Convents die fratzen-
haft verzerrte römisch-griechische Republik, in dem Napoleo-
nismus die cäsarische Dictatur, in der Commune endlich den
Catilinarismus reproducirt hat.
Unter verhältnissmässig günstigen Sternen hat in Italien
der Renaissanceprocess sich vollzogen : hier fand die Renais-
sancebildung einen gut vorbereiteten Boden, hier fand sie selbst
eine historische Tradition, an welche sie anknüpfen konnte,
hier erschien sie nicht als ein specifisch neuer, sondern wirk-
lich nur als ein wiederhergestellter alter Zustand der Dinge,
hier ist sie in Folge dessen, bis zu einem gewissen Grade
wenigstens, eine wirklich volksthümliche Bildungsform geworden.
Das italienische Volk war dem römischen Alterthume, dessen
bedeutendeste Ueberreste es zu hüten hatte, nie so völlig ent-
fremdet worden, wie etwa das französische oder spanische, es
war, um. so zu sagen, aus der römischen Bildung nie völlig
heraus- und in die mittelalterliche Cultur nie völlig hinein-
getreten. In Italien hatte 'die römische Bildungsform auch
während des Mittelalters als ein Schatten fortgelebt, und dess-
526 Neuntes Capitel.
halb konnte auch hier gerade der Schatten wieder zum Körper
werden und in seiner Verkörperung volksthümliche Züge tragen.
Daraus erklärt es sich, dass mehrere der Renaissancedichter, wie
vor allen Petrarca selbst, in Italien wirklich populär geworden
und gebliel)en sind, während z. B. ein Ronsard oder du Bellay
nach kurzem Ruhme rasch und völlig vergessen wurden. Aber
selbst auch in Italien hat die Renaissance giftige Pflanzen er-
zeugt: auf litterarischem Gebiete den Marinismus, auf dem
politischen den Machiavellismus.
Mit dem, was soeben erörtert worden ist, haben wir nur
culturhistorische Beobachtungen aussprechen wollen, nicht aber
etwa Klagen, dass die Renaissance erfolgt ist, oder gar den
Wunsch, dass sie nicht erfolgt sein möchte. Wer nicht an
die Leitung der Weltgeschicke durch einen blinden Zufall
glaubt, wird dem Gedanken huldigen, dass Alles, was wirklich
gescliehen, in seinen letzten Ursachen nothwendig und in seinen
letzten Ergebnissen segensreich ist. Und so ist auch die Renais-
sance nothwendig gewesen und hat trotz mancher schweren Ge-
brechen, die ihr wie allem Irdischen angehaftet haben, segensreich
gewirkt. Die mittelalterliche Cultur, welche immer etwas von der
Art eines Nothbaues, eines nur den augenblicklichen Bedürfnissen
angepassten Provisoriums an sich getragen, hatte frühzeitig —
wir müssen unerörtert lassen, aus welchen Gründen — sich
ausgelebt und innerlich zersetzt. Am Anfange des 14. Jahr-
hunderts erscheint sie, wenigstens in den romanischen Landen,
in voller Auflösung begriffen. Ein wüstes Chaos droht herein-
zubrechen, eine neue Barl)arei das Abendland zu umnacliten.
Der alte Culturbau, der bis dahin ein leidlich behagliches
Wohnen gewährt hatte, stürzt stückweise zusammen, die Völker
sind unfähig, eine neue originale Cultur zu schaffen. Der
einzige Ausweg aus der Wirrniss, der sich ihnen darbot, war,
eine frühere Cultui-form, diejenige der Antike, so weit es sich
ermöglichen liess, neu zu beleben. Das ist denn in der Re-
naissance auch wirklich geschehen, nur freilich konnte dieselbe,
wie natürlich, nicht consequent zur Durchführung und zur
alleinigen Geltung gelangen, sondern sah sich, namentlich als
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 527
in der Reformation und katholischen Reaction die mittelalter-
liche Kirchliclikeit wieder auflebte, genöthigt, mit den Resten
der mittelalterlichen Cultur einen Compromiss zu schliessen.
In diesem Compromisszustande zwischen Renaissance und Mittel-
alter, in welchem freilich die erstere weitaus überwiegt, leben
wir noch heute, er bildet el)en die sogenannte moderne Cultur.
Er ist übrigens weit davon entfernt, das Ideal der Cultur dar-
zustellen, denn er entbehrt der Originalität und der inneren Ein-
heitlichkeit, sondern er ist vielmehr nur ein Uebergangsstadium,
in welchem die Völker, gleichsam ihre Schulzeit durchmachend,
Bildungsstoffe sammeln und in langsamer Entwickelung zur gei-
stigen Reife, zum selbständigen Denken gelangen sollen, um sich
dann einst in einer noch jedem sterblichen Auge verhüllten Zu-
kunft eine wirklich originale und ideale Culturform schaffen zu
können. Wenn dies geschehen sein wird, dann wird auch die von
der Renaissance aufgerichtete verderbliche Schranke, welche
jetzt noch die „Gebildeten" von den „Ungebildeten" trennt, wieder
fallen, es wird ein jedes Volk wieder eine innere Einheit bilden,
es wird dann der Schriftsteller und der Dichter wieder zu dem
gesammten Volke, nicht mehr, wie jetzt, nur zu dem numerisch
kleineren Theile desselben reden. Der Petrarca dieser neuen
Culturform wird sich nicht in vornehmer Exclusivität von der
Masse seines Volkes scheiden wollen, er wird nicht den Beifall
der Menge verachten, sondern beglückt sein, wenn ihm solcher
zu Theil wird. Dann wird sich offenbaren, dass die unleug-
baren und schweren Gebrechen der Renaissancecultur nur vor-
übergehende waren — denn für die weltgeschichtliche Be-
trachtung erscheinen lange Jahrhunderte als ein geringfügiger
Zeitraum — , dass aber das Gute, welches diese Cultur erzeugt
und gefördert hat, bleibenden Werth besitzt und segensreich
fortwirkt für alle Folgezeit. Und hätte selbst die Renaissance
Nichts weiter vollbracht, als dass sie die Menschheit des Abend-
landes von den Fesseln des Autoritätsglaubens erlöste und sie
der freien wissenschaftlichen Forschung, dem eigenen Denken
zuführte, sie würde genug gethan haben und würde segensreich
zu nennen sein.
528 Neuntes Capitel.
So kehren wir denn nach dieser längeren, aber, wie es
uns schien, nothwendigen und hoffentlieh nicht ergebnisslosen
Abschweifung zu Petrarca zurück. Wir hatten dargelegt,
welch' ernsten und strengen Grundsätzen er in Bezug auf seine
schriftstellerische Thätigkeit huldigte, und werden es dem-
nach begreiflich finden, dass seine litterarische Productivität
in quantitativer Beziehung keine sonderlich bedeutende war,
Wohl füllen in den baseler Gesammtausgaben, obgleich diese
keineswegs vollständig sind und namentlich einen beträchtlichen
Theil der „Freundesbriefe" nicht umfassen, seine Schriften einen
stattlichen Folioband, aber es erscheint dies in Anbetracht der
langen Jahre seiner schriftstellerischen Wirksamkeit doch ge-
ring im Vergleiche zu der Menge dessen, was sowol vor als
nach ihm so manche bedeutende und noch mehr unbedeutende
Männer producirt haben. In Bezug auf Sprache, Form und
Inhalt lassen sich Petrarca's Werke am füglichsten in folgender
Weise eint heilen:
A. Lateinische Werke.
a. Prosawerke.
I. Moralphilosophische und religiöse Trac-
tate (vgl. Cap. 10).
1) Ueber die Heilmittel gegen Glück und Unglück (oder:
Trost im Glück und Unglück) (de remediis utriusque
fortunae).
2) Ueber das Leben in der Einsamkeit (de vita solitaria).
3) Ueber die Müsse der Mönche (de otio religiosorum).
Hierher gehören ferner die kleinen, in Briefform ge-
kleideten Abhandlungen :
4) Ueber die beste Staatsverwaltung (de re publica optirae
administranda) = Ep. Sen. XIV 1 (vgl. oben S. 434 ff.).
5) Ueber das Amt und die Tugenden eines Feldherren
(de officio et virtutibus imperatoris) = Ep. Sen. IV 1
(vgl. oben S. 368 fi".).
6) Ueber den Geiz (de avaritia vitanda) = Ep. Sen. VI
7 u. 8.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 529
7) Die beiden Gespräche über die wahre Weisheit (de
Vera sapientia dialogi).
IL Historische und geographische Werke
(vgl. Cap. 11).
1) Die vier Bücher über die denkwürdigen Dinge (rerum
memorandarum libri IV).
2) Die Lebensbeschreibungen berühmter Männer (de viris
illustribus vitae oder: virorum illustrium über).
3) Auszug aus den Lebensbeschreibungen berühmter
Männer (vitarum virorum iDustrium epitome).
4) Syrisches Reisehandbuch (itinerarium Syriacum).
III. Polemische Schriften (vgl. Cap. 12).
1) Vertheidigung gegen die Verleumdungen eines gewissen
anonymen Franzosen (contra cuiusdam anonymi Galli
calumnias apologia) (vgl. oben S. 388 ft'.).
2) Lieber seine eigene und vieler Anderer Unwissenheit
(de sui ipsius et multorum ignorantia) (vgl. oben
S. 417 ff.).
3) Vier Bücher Streitschriften gegen einen gewissen Arzt
(contra medicum quendam invectivarum libri IV).
IV. Uebersetzuug der Griseldis-Novelle des
Boccaccio (de obedientia ac fide uxoria mytho-
logia) = Ep. Sen. XVII 3 (vgl. oben S. 445).
V. Reden.
1) Die bei der Dichterkrönung am 8. April 1341 gehaltene
Rede (vgl. oben S. 178 ff.).
2) Die am 8. November 1353 zu Venedig gehaltene Rede
(vermuthlich nur in verkürzter und verderbter Form
überliefert, vgl. oben S. 303 ff", und den Aufsatz von
R. Fulin : „il Petrarca dinanzi alla signoria di Venezia"
in : Petrarca e Venezia p. 295 ff.).
3) Die am 7. October 1354 zu Mailand gehaltene Rede
(nur italienisch überliefert, doch zweifellos ursprünglich
lateinisch abgefasst, vgl. oben S. 311 ff.).
Körting, Petrarca. 34
530 Neuutes Capitel.
Die am 19. Juni 1358 zu Novara gehaltene Rede
(vgl. oben S. 339 ff.).
Die im Jahre 1360 zu Paris gehaltene Rede (vgl. oben
S. 351 flf.).
VI. Briefe.
1) Die Freundesbriefe (epistolarum de rebus familiaribus
libri XXIV) (vgl. oben S. 22 f.).
Die Altersbriefe (epistolarum de rebus senilibus libri
XVII) (vgl. oben S. 24 f.).
Die vermischten Briefe (epistolarum variai-um über)
(vgl. oben S. 24).
Die Briefe ohne Aufschrift (epistolarum sine titulo liber)
(vgl. oben S. 25 ff.).
VII. Beiträge zur Selbstbiographie.
Der Brief an die Nachwelt (epistola ad posteros) (vgl,
obön S. 33 ff.).
Die drei Gespräche über die Weltveraehtung (de con-
temtu mundi dialogi III) (vgl. Cap. 13).
Die Noten im Handexemplar des Virgil ^).
VIU. Asketische Schriften.
1) Gebete (b. Hortis, Scritti inediti etc. p. 367—372).
2) Sieben Busspsalmen (psalmi poenitentiales VU).
b. Diclituugen (vgl. Cap. 14).
1) Das Epos „Africa".
2j Die zwölf Eclogen oder das „Bucolicon".
(Hierzu in Prosa erläuternde Inhaltsangaben „epito-
mata super bucolicis suis" b. A. Hortis, Scritti in-
editi etc. p. 359—365).
3) Die drei Bücher poetischer Episteln.
*) Petrarca besass ein, jetzt nach mancherlei Schicksalen (vgl. Fracas-
setti, Lett. fam. 11 241) in den Besitz der Ambrosiana zu Mailand gelangtes
Exemplar der Aeneis, auf dessen Ränder er eine Anzahl tagebuchähnlicher
Notizen, namentlich Todesfälle u. dgl., verzeichnet hat. Die Aechtheit des
merkwürdigen Buches anzuzweifeln, liegt ein berechtigter Grund nicht vor.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 531
B. Italienische Schriften.
[a. Prosa -(vgl. A V 3).]
b. Poetische Werke (vgl. Cap. 15).
I. Lyrische Dichtungen (Canzoniere).
1) Rime in vita di Madonna Laura.
2) Rime in morte di Madonna Laura.
3) Rime sopra vari argomenti (storici, morali e diversi).
IL Epische Dichtung:
Trionfi.
Es kann die Frage sich aufdrängen, ob Petrarca nicht
ausser den hier aufgezählten Werken noch andere, uns nicht
mehr erhaltene verfasst habe. Diese Frage ist in Bezug auf
die lateinischen Schriften — die italienischen Dichtungen
wollen wir einstweilen von der Betrachtung ausschliessen
— mit Bestimmtheit zu verneinen, denn es erscheint undenk-
bar, dass Petrarca über irgend ein von ihm verfasstes Werk
in seiner umfangreichen Correspondenz keinerlei Mittheilung
gegeben haben sollte. Alle Werke, welche wir von ihm kennen,
finden sich in seinen Briefen und zwar zum grossen Theile an
wiederholten Stellen und mit ziemlicher Ausführlichkeit be-
sprochen: wie sollen wir da glauben, dass er irgend welche
auch nicht der kürzesten Erwähnung werth gehalten habe?
Eine derartige Bescheidenheit, ein solches Verzichtleisten auf
die möglichste Verbreitung und Steigerung seines litterarischen
Ruhmes lag seinem Charakter , gänzlich fern.
Nur ein Werk hat Petrarca allerdings verfasst, welches
uns leider nicht mehr erhalten ist, ein Werk, welches, wenn
überliefert, unzweifelhaft von dem höchsten Interesse sein und
uns den grossen Dichter von einer ganz neuen Seite zeigen
würde. Petrarca schrieb in seiner Jugend — jedenfalls vor
dem Jahre 1331 — , um seinen kränkelnden und verstimmten
Freund Giovanni Colonna di San Vito zu erheitern, eine Ko-
34*
532 Neuntes. Capitel.
mödie mit dem Titel „Philologia" 'j. Boccaccio kannte, als er
seine kurze Vita Petrarca's schrieb, die Dichtung vom Hören-
sagen und rühmte von ihr, dass man, wenn sie einst allge-
meiner bekannt werden sollte, ihren Verfasser dem Terenz
vorziehen würde -). Petrarca selbst hingegen scheint von sei-
nem Lustspiele nicht eben eine günstige Meinung besessen zu
haben, denn als ihn im Jahre 1349 Lapo di Castiglionchio um
die Uebersendung desselben gebeten hatte, weigerte er sich,
dem Freunde zu willfahren ^) , und er behielt doch sonst nicht
leicht eine einmal abgeschlossene Schrift in seinem Pulte zurück !
In Folge dieser Geringschätzung ist denn das Werk verloren
gegangen, und wir wissen von ihm Nichts weiter, als dass —
was Petrarca einmal gelegentlich (Ep. Fam. II 7) erwähnt —
in ihm ein gewisser Tranquillinus die Sentenz aussprach: „die
meisten Menschen sterben vor Ungeduld (maior pars hominum
expectando moritur)." Ohne Zweifel war die Dichtung eben
nur eine unbeholfene Nachbildung irgend einer terenzischen
Fabel, nichtsdestoweniger bleibt ihr Verlust sehr zu beklagen :
es würde einen eigenen Reiz haben, zu beobachten, wie der
uns als Lyriker und Epiker so wohl bekannte Petrarca als
Dramatiker sich ausnimmt. Dann würde man constatiren
können, ob die kühne Behauptung Rossetti's *) , dass Petrarca
der Neubegründer auch der dramatischen Poesie zu werden
vermocht hätte, irgend welche Berechtigung besitzt, woran
gegenwärtig stark gezweifelt werden muss. Wie dem aber
auch sein mag, jedenfalls ist die Thatsache bemerkenswerth,
dass Petrarca auch einen dramatischen Versuch gewagt hat,
denn auch darin spricht sieh, meinen wir, ein moderner Grund-
zug seines Wesens aus.
Es erübrigt uns noch, ein Wort über die stylistische
1) Ep. Farn. II 7. vgl. Sicco Polentone b. Melius, p. 199.
-) Boccaccio b. Rossetti, a. a. 0. p 324. Boccaccio nennt übrigens
die Komödie „Philostratus", offenbar aber meint er die von Petrarca als
„Philologia" bezeichnete.
") Ep. Fam. VII 16.
*) In der Ausgabe der Poemata minora, discorso prelini. p. XXXVI.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 533
Form der lateinischen Schriften und Dichtungen Petrarca's
— die Betrachtung der italienischen Poesien behalten wir
einem späteren Orte vor — zu sagen. Wir glauben dies am
besten thun zu können, wenn wir den Inhalt eines an Boc-
caccio gerichteten Briefes, in welchem Petrarca seine stylisti-
schen Grundsätze darlegt^), in Kürze wiedergeben.
Die Schriften des Cicero und Livius, die Dichtungen des
Virgil und Horaz habe er — sagt Petrarca — zu vielen Malen
und mit grösster Gründlichkeit von Jugend auf durchgelesen,
und sie seien ihm daher so in Fleisch und Blut überge-
gangen, dass er oft Gefahr laufe, unbewusst und unwillkürlich
aus ihnen Einzelnes zu entlehnen und dadurch, was er von
jeher auf das Aengstlichste habe vermeiden wollen, zum Pla-
giator zu werden. Mit den Schriften des Ennius ^), (Martianus)
Felix Capella, Plautus und Apulej könne ihm dies nicht ge-
schehen, denn diese habe er flüchtiger gelesen und ihr In-
halt sei ihm folglich immer etwas Fremdartiges geblieben.
Er habe stets darnach gestrebt, einen eigenthümlichen, seiner
individuellen geistigen Begabung angemessenen Styl zu schrei-
ben, selbst auf die Gefahr hin, dass derselbe ein roher und
abschreckender (incultus atque horridus) sei. Sein Ideal sei
eben schriftstellerische Originalität. Gern wolle er andere
Autoren als seine Vorgänger und Führer ansehen, aber er
wolle ihnen gegenüber stets sein selbständiges Urtheil sich
bewahren und um keinen Preis zum blinden Nachahmer
werden.
Petrarca bethätigte noch in diesem Briefe selbst, dass es
ihm Ernst sei mit seinem Streben nach Selbständigkeit, indem
er Boccaccio ersuchte, in dem Exemplar der zehnten Ekloge,
welches er ihm übersandt hatte, einige Correcturen vornehmen
zu wollen: er bat ihn, die Stelle „solio sublimis acerno", weil
sie zu sehr an diejenige Yirgils (Aen. VIII, 178) „solioque
1) Ep. Fam. XXII 2.
2) Petrarca kannte ihn ganz sicherlich nur aus den Citaten bei Cicero,
Gellius, Macrobius u. A.
534 Neuntes Capitel.
invitat acerno" in „e sede verendus acerna" umzuändern, und
ebenso möchte er die Worte „quid enini non"*carmina possint'',
welche er unwissentlich aus Ovid (Met. VII 167) entlehnt habe,
in „quid enim 'sira earminis aequet" umgewandelt wissen.
Selbständigkeit des Styles also war es, was Petrarca in
der Form seiner Schriften zumeist erstrebte. Nicht nach her-
gebrachten Formen, nach einem conventioneilen Stylschema
wollte er schreiben, sondern auch in dem sprachlichen Aus-
drucke seine Individualität zur vollen Geltung bringen, dem
Style das Gepräge geistiger Eigenart verleihen. Und wonach
er so eifrig gestrebt, das hat er erreicht: er hat sich einen in-
dividualen Styl geschaffen, er ist auch in formaler Beziehung
herausgetreten aus dem Geistesleben des Mittelalters und hat
auch in dieser Beziehung den Ruhm sich erworben, der erste
moderne Mensch gewesen zu sein. Man könnte vielleicht in Er-
wägung dessen, dass Petrarca als Prosaist nur der lateinischen
Sprache sich bedient hat, geneigt sein, zu meinen, dass er auf die
Entwickelung des italienischen Prosastyles keinen Einfluss aus-
geübt habe. Es würde das aber ein schwerer Irrthum sein.
Allerdings waren Petrarca's lateinische Abhandlungen nicht ge-
eignet, um der italienischen Prosa unmittelbare Stylmuster
darzubieten — das verbot sich ja eben durch die Verschieden-
heit der Sprache — , aber es überti-ug sich das in ihnen so
scharf hervortretende Streben nach Individualisirung auf den
italienischen Ausdruck und machte ihn freier, lebendiger, be-
weglicher, löste ihn, zum Theil wenigstens, von den Fesseln
einer lästigen Unbeholfenheit. Petrarca darf demnach neben
Boccaccio den Begründern der italienischen Prosa beigerechnet
werden, nur freilich mit der Einschränkung, dass sein Einfluss
auf deren Entwickelung kein directer, sondern ein bloss in-
directer gewesen ist.
Petrarca's stylistische Originalität war übrigens in Bezug
auf das Lateinische keineswegs eine absolute, sondern nur
eine relative. Wie hätte dem auch anders sein können? wie
vermöchte, wer in einer fremden, nur künstlich erlernten
Sprache schi-eibt, sich von jeder Imitation frei zu erhalten, wie
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 535
sollte er nicht vielmehr sich immer, wenn auch ohne sein
eigenes Wissen und Wollen, an bestimmte Stylmuster anlehnen
müssen? Und so ist denn auch in Petrarca's Latinität die
Nachahmung der Diction des Cicero und mehr noch des Seneca
in der Prosa und des Virgil in der Poesie ganz unverkennbar,
aber diese Nachahmung istkeine sklavische, keine auf das Detail,
auf das Stylcolorit sich erstreckende, sie ist eine so selbständig
sich bewegende und geberdende, dass sie mit vollem Rechte
individual und original genannt werden darf. Petrarca ent-
lehnt von seinen Stylmustern eben nur die allgemeinen Um-
risse und die Grundfarbe des Stylgemäldes, die Auszeichnung
und die Schattirung des Gemäldes aber sind sein eigenes,
selbständiges Werk.
Eine Klage darf indessen hier nicht unterdrückt werden.
So selbständig sich auch Petrarca in der Nachahmung Cicero's
und Seneca's bewegt hat, so ist dennoch diese Nachahmung von
verhängnissvoller Wirkung für die Folgezeit gewesen. Cicero's
Sprache mag man mit gutem Rechte kunstvoll nennen und man
mag ihr die gebührende Bewunderung zollen, aber wer frei
von Voreingenommenheit zu ihren Gunsten sie beurtheilt, wird
doch gestehen müssen, dass sie ein stark rhetorisches Gepräge
trägt, dass sie zur volltönenden, aber innerlich hohlen Phrase
sieh hinneigt, dass sie oft die Gedankenarmuth des Inhaltes
mit einem gleissenden Prunkgewande verhüllt und dass sie in
bedenklicher Weise der Grenze sich nähert, jenseits welcher
die Kunst aufhört, die Künstelei, die Manierirtheit beginnt
und die zierliche Phrase vollständig den Gedanken über-
wuchert. Diese Grenze aber ist nun von Seneca's Diction
weit überschritten worden, denn in dieser letzteren wird der
Rhythmus des Styles zur Tändelei, die Eleganz zurUeberladung,
die Kraft zur Weichlichkeit, die Freude am Wohlklange zum
Raffinement. Und gerade von dieser Diction , welche unleug-
bar einen eigenartigen und sich einschmeichelnden, aber um
so gefährlicheren Reiz besitzt, hat Petrarca sich ganz vorzugs-
weise beeinflussen lassen, und die ihm nachfolgenden Prosaisten
der Renaissancezeit nicht minder! Dadurch erhielt die Prosa
536 Neuntes' Capitel.
der Renaissance — zunächst die lateinische, aber dann auch
und in nicht geringerem Grade die italienische — von vorn-
herein die Tendenz, aller Natürlichkeit sich zu entkleiden und
in Manierirtheit unterzugehen. Das ist denn auch rasch genug
geschehen, denn auf abschüssigen Bahnen gleitet es sich schnell
dahin. Auch hier kann man wieder recht deutlich erkennen,
wie verderblich es war, dass zu dem Baue der Renaissanee-
bildung vorwiegend das Römerthum , und zwar das spätere,
entartete Römerthum, nicht das Hellenenthum , die Grund-
lage abgegeben hat. Wie ganz anders würde die Litte-
ratur der Renaissance sich entwickelt, wie ungleich werth-
vollere Früchte würde sie hervorgebracht haben, wenn sie
von Anfang an und mit möglichster Ausschliesslichkeit grie-
chischen Idealen nachgestrebt hätte! Eine hellenische Re-
naissance, wenn diesen kurzen Ausdruck zu gebrauchen ge-
stattet ist, würde der römischen ebenso überlegen gewesen
sein, wie das Griechenthum dem Römerthume überlegen ge-
wesen war. Freilich ein Vorwurf für Petrarca kann aus dem.
was eben gesagt ward, nicht abgeleitet werden: wenn er auf
die Basis des Römerthums sich stellte, Avenn er an Cicero.
Seneca und Virgil sich bildete, so that er eben nur, was unter
den gegebenen Verhältnissen allein zu thun möglich war. Und
es darf nicht übersehen werden, dass durch die Aufstellung
der genannten lateinischen Autoren als Stylmuster doch
mindestens der Sinn für Formenschönheit geweckt, eine ästhe-
tische Cultur begründet wurde. Es war immerhin ein höchst
bedeutender und heilsamer Fortschritt, von der Dürre des
mittelalterlichen Chronistenlateins und dem Schwulste der
theologischen Latinität überzugehen zu dem Ciceronianismus
und Virgilianismus und zu Seneca's zierlicher und glatter,
wenn auch überladener Diction. Es waren doch keine ganz
unwürdigen Muster, denen man nachstrebte, und Muster, welche
vielseitig genug waren — man denke daran, wie wechselvoll,
wenn auch demselben Grandtone stets treu bleibend, der sty-
listische Ausdruck in Cicero's, Seneca's und Virgils verschie-
denen Schriften ist! — , um der Individualität der Nach-
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 537
aliinenden freien Spielraum zu vergönnen und sie zur Schöpfung
eines, innerhalb gewisser Grenzen wenigstens, originalen Styles
anzuregen. —
Fassen wir das bisher über Petrarca's lateinischen Styl
Gesagte kurz zusammen, so könnte man denselben vielleicht
am besten, w^enn auch anscheinend paradox, als einen in der
Nachahmung originalen und individualen bezeichnen, womit
ihm ein hohes Verdienst zuerkannt sein würde. Bemerkt muss
hier noch werden, dass, wenn man Petrarca's lateinischen Styl
richtig beurtheilen will, man dafür nicht den Maassstab von
der classischen Philologie entlehnen darf. Petrarca's Latinität
ist keineswegs eine classische oder auch nur eine correcte zu
nennen, sondern sie leidet vielmehr an sehr wesentlichen Ge-
brechen und zeigt eine bedeutende Zahl von nicht bloss ver-
einzelt sich findenden, sondern auch consequent durchgeführten
Solöcismen, wie z. B. an einer durchgängigen Unsicherheit der
Unterscheidung zwischen dem Reflexivum (sui, sibi, se, suus)
und dem Pronomen der dritten Person. Wollte man Petrarca's
lateinische Schriften als Schülerpensa betrachten, so würden
sie dem Rothstifte des corrigirenden Lehrers reichliche Arbeit
gewähren und schwerlich mit guten Censuren ausgezeichnet
werden. Aber eine derartige Betrachtung wäre so verkehrt
wie nur möglich. Allerdings hat Petrarca auch nicht entfernt
ein so reines und zierliches Latein geschrieben ^), wie die spä-
teren Humanisten, oder auch wie gut geschulte Philologen
unserer Tage zu schreiben vermochten und vermögen, aber er
schrieb das Latein mit voller Gewandtheit wie eine lebende
Sprache; er wusste dasselbe jeder Materie und jeder Stimmung
anzupassen, er wusste in ihm für Alles einen adäquaten und
ungezwungenen Ausdruck zu finden^). Er hat dadurch eine
^) Petrarca wusste übrigens selbst recht gut, dass er nicht selten vom
classischen Sprachgebrauche abweiche (vgl. Ep. Farn. XVI 10), aber er
machte sich darüber keine Scrupel und war auch Anderen gegenüber weit
entfernt von kleinlicher Splitterrichterei (vgl. Ep. Farn. XVI 14).
-) Nur einmal war er darum verlegen. Es war, als er gelegentlich der
Schilderung der Festspiele zu Venedig (s. oben S. 373) die verschieden-
artigen Evolutionen der turnierenden Ritter lateinisch bezeichnen wollte.
538 Neuntes Capitel.
solche Meisterschaft über das lateinische Idiom bekundet, wie
sie vor ihm seit der Römerzeit Niemand besessen hatte und
wie sie auch nach ihm nicht allzu Viele besessen haben, denn
etwas Anderes ist es, correct, und etwas Anderes, mit natür-
licher Ungezwungenheit zu schreiben. —
Am Schlüsse dieses Capitels erscheint es angemessen, noch
Eins in Kürze zu erörtern, was vielleicht besser bereits früher
erörtert worden wäre. Es ist wiederholt die Frage aufge-
worfen worden: wodurch wurde Petrarca zu seiner wissen-,
schaftlichen und schriftstelleiischen Thätigkeit hingeführt,
durch welche er des Humanismus Begründer geworden ist?
Man hat auf diese Frage verschiedene, zum Theil anscheinend
sehr tiefsinnige Antworten gegeben, mit deren Reproduction
wir uns indessen nicht aufzuhalten nöthig haben. Uns erseheint
die ganze Frage höchst unberechtigt. Petrarca, als ei-, noch
ein Jüngling, dem Studium des Alterthums mit glühender Be-
geisterung sich hingab, besass hierfür kein ihm selbst deutlich
erkennbares Motiv, er verfolgte dabei kein klar vor ihm lie-
gendes Ziel : er gehorchte einzig jenem unergründbaren Drange,
der einen hochbegabten Geist, einen Genius, ergreift und den-
selben in geheimnissvoller, schöpferischer Arbeit zu ungeahnten
Zielen leitet. Die Frage, warum Petrarca der Begränder des
Humanismus ward, erscheint ebenso thöricht, als wenn mau
etwa fragen wollte, warum Shakespeare der grösste Drama-
tiker oder warum Goethe ein so bedeutender Dichter geworden
sei. Solche Fragen daif man gar nicht stellen, so lange nicht,
was aber nie geschehen dürfte, die Möglichkeit gegeben ist,
den menschlichen Geist überhaupt und den Genius insbeson-
dere zu analysiren. Petrarca wurde das, was er geworden,
weil er es eben werden musste, weil er ein Werkzeug in der
Hand der Vorsehung war , welche durch ihn eine Culturwan-
delung vollziehen wollte. Ja, er war selbst ein widerstreben-
des Werkzeug: Nichts lag seinem eigenen Wollen ferner, als
doch half er sich noch ganz leidlich mit „discursus" und „concursus".
Ep. Sen. IV 3.
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 539
die Begründung einer neuen Cultur, und hätte er seiner per-
sönlichen Neigung folgen dürfen, er würde gern ganz auf dem
Boden mittelalterlichen Denkens und Fühlens verblieben sein,
würde gern, wie sein Bruder Gherardo wirklich that, sich der
mittelalterlich gläubigen Beschaulichkeit hingegeben haben, denn
die Atmosphäre der von ihm geschaffenen neuen Zeit war ihm
persönlich unbehaglich und er athmete sie nur, weil er sie
athmen musste. Gewisse Thatsachen sowol im Natur- als im
Geistesleben muss man eben, wenigstens bei dem heutigen
Stande der Wissenschaft, einfach als gegeben hinnehmen, ohne
sie ergründen zu wollen. Kein Astronom verschwendet seine
Zeit damit, zu erforschen, warum etwa die Sonne gerade so
gross und nicht noch grösser oder auch kleiner ist, w^arum sie
gerade diese und nicht irgend eine andere Stelle im Welträume
einnimmt. So muss man auch in der Geistesgeschichte den
Genius als etwas Gegebenes betrachten und nicht darüber
gTübeln, durch welche Bedingungen er erzeugt sei und wamm
er gerade diese und nicht eine andere Bahn eingeschlagen
habe. Solches Grübeln ist ergebnisslos oder es sind doch
hohle Phrasen das einzige Ergebniss, das Höchste, was uns,
und auch das nur unter besonders günstigen Umständen, ver-
gönnt wird, ist, die Entwickelung des Genius belauschen und er-
kennen zu dürfen, wie er in stetem Ringen allmählich die
einengenden Schranken der realen Verhältnisse durchbricht
und den hohen Zielen zueilt, zu denen er instinctiv sich hin-
gezogen fühlt.
Einer der gründlichsten und geistreichsten Kenner der
modernen Litteraturgeschichte hat eine hoch interessante und
eine Fülle feiner Bemerkungen enthaltende Parallele gezogen
zwischen Petrarca und Boccaccio einerseits und den Heroen
der sogenannten Sturm- und Di^ang-periode andererseits *). Diese
Parallele hat für den ersten Augenblick sehr viel Bestechendes,
gleichwol scheint sie uns — wir sagen dies selbstverständlich
^) H. Hettner, Petrarca und Boccaccio als Begründer der italienischen
Renaissancebildung (Deutsche Rundschau, Bd. 11 p. 228—244),
540 Neuntes Capitel.
unbeschadet aller Hochachtung für den genialen Litteratur-
und Kunsthistoriker — unhaltbar zu sein. Wenn namentlich
speciell von Petrarca gesagt wii-d : „Petrarca wurde durch den-
selben tief innerlichen Drang nach innerer Selbstbefreiung und
Selbstbefriedigung zur begeisterten Erfassung des Alterthuras
geführt, durch welchen auch Goethe und Schiller bei dem Ab-
schluss ihrer stürmenden Jugendwirren zur begeisterten Er-
fassung des Alterthums geführt wurden", so ist dabei, dünkt
uns, übersehen worden, dass Goethe und Schiller mit vollem
Bewusstsein und mit klarer Erkenntniss dem classi sehen AI ter-
thume sich zuwandten, Petrarca aber ein solches Bewusstsein
und eine solche Erkenntniss nicht besass noch besitzen konnte.
Goethe und Schiller waren beide durch ihre Jugendbildung mit
dem classischen Alterthume vertraut geworden, hatten sieh
aber, weil anfangs unvermögend, den richtigen Gesichtspunkt
für die Würdigung desselben zu gewinnen, von ihm abgewandt
und waren auf den Pfaden romantischen Denkens und Schaffens
gewandelt, dann, erkennend, dass diese Pfade nicht, wie sie
gewähnt, den höchsten Idealen zuführten, und geistig reifer
geworden, kehrten sie zu dem classischen Alterthume und
zwar, was ihren genialen Blick bezeugt, vornehmlich zu dem
Griechenthume zurück, welches sich ihnen nun, von dem. rich-
tigen Gesichtspunkte aus betrachtet, als das Wunderland der
Ideale erschloss. Sie handelten demnach durchaus reflectirend,
fast wissenschaftlich verstandesmässig, sie verglichen methodisch
Romantik und Classicität und nach reiflicher Prüfung, die fast
ein Werk der Gelehrsamkeit zu nennen ist, entschieden sie
sich für die letztere. Ganz anders Petrarca. Er hatte in
seiner Jugend das Alter thum nur durch den trüben Schleier
scholastischer Bildung geschaut, er konnte nicht wissen, son-
dern höchstens dunkel ahnen, was es in Wahrheit enthalte,
er konnte nicht Alterthum und die Bildung seiner Zeit, welche
man ja vielleicht auch als Romantik bezeichnen dürfte, prü-
fend vergleichen und gegen einander abwägen; wenn er daher
dennoch dem Alterthume sich hingab und in ihm die Normen
des geistigen Schaffens zu finden hoffte, so war das lediglich
Petrarca's schriftstellerische Thätigkeit. 541
ein Werk der genialen Intuition, nicht der speculativen Re-
flexion. Das scheint uns einen höchst wesentlichen Unterschied
zu begründen, der sich also formuliren lassen dürfte: Goethe
und Schiller in ihrer Rückkehr zum classischen Alterthume
erneuerten für die deutsche Litteratur die Renaissance, Pe-
trarca dagegen schuf überhaupt erst die Renaissance. Goethe
und Schiller waren ohne Zweifel die höher gebildeten und
reiferen Geister, Petrarca aber war eben so zweifellos der
grössere Genius, denn Schaffen ist mehr, als Neuschaffen.
Im Folgenden wenden wir uns nun der Betrachtung der
Werke Petrarca's zu, soweit dieselben noch nicht im Vorher-
gehenden betrachtet worden sind. Wir werden dabei die oben
S. 528 ff. gegebene Eintheilung zur Basis nehmen, denn die
chronologische Anordnung, welche ja an sich gewiss die rich-
tigere wäre, würde oftmals nur auf Hypothesen beruhen
können, und verliert überdies ganz wesenthch dadurch an Be-
deutung, dass Petrarca an vielen seiner Werke lange Jahre,
ja Jahrzehende hindurch gearbeitet hat und dass folglich diese
nicht die Früchte einer abgeschlossenen Lebens- und Ent-
wickelungsperiode, sondern mehrerer solcher und also Lebens-
werke im eigentlichen Sinne des Wortes sind.
Zehntes Capitel.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate.
Lnter den in diesem Capitel zu behandelnden Werken
ist in Bezug auf den Umfang das bedeutendeste und in Bezug
auf den Inhalt eins der bedeutendesten der Tractat über die
Heilmittel gegen Glück und Unglück, welcher, wenn wir einer
anscheinend vollkommen glaubwürdigen Bemerkung in einer
venetianischen Handschrift^) vertrauen dürfen, am 4. October
des Jahres 1366 von Petrarca vollendet worden ist. Es ist
also diese Schrift, selbst auch wenn wir berücksichtigen, dass
Petrarca ohne Zweifel lange Jahre an ihr gearbeitet hat, ein
Werk des Alters, und in der That spricht sich auch in ihr
scharf jene dem höheren Alter so oft eigene, herbe Anschauungs-
^) Pergamentcodex, Z. L. 475, vgl. Petrarca e Yenezia p. 105 f. Die
betr. Note lautet: „Deo gracias. Scriptus et completus manu mea Fran-
cischini de Fossadulci, notai'ii, civis tarvisini. Tarvisii anno nati^itatis
dominice millesimo trecentesimo nonagesimo octavo. Indictione sexta. die
Mai'tis. Xn Kovembris. hora septima. Ex originali proprio scripto
manu indelende memorie domini francisci petrarce dignis-
simi laureati et per eum ipsum ad exitum perducti. Ticini.
Anno domini. 1366. III nonas octobris. hora tertia. Amen."
Hiermit stimmt gut zusammen die Angabe in Ep. Sen. V 5 (Pavia, 1. Sep-
tember, jedenfalls 1366), wonach Petrarca damals die Schrift bis II 97 (de
auditu perdito) fortgeführt hatte. Sonst vgl. man auch Ep. Sen. VIII 6
u. XY 9.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 543
weise aus, welche an dem Erdenleben nur die trübe Seite er-
blickt und das Vergängliche und Nichtige an ihm mit einer
Art von Schadenfreude hervorhebt, wie um der noch zum
Lebensgenüsse befähigten Jugend die Lust zu vergällen und
den Trübsinn des Greisenthums als die einzige wahre und tiefe
Lebensphilosophie erscheinen zu lassen.
Das Werk zerfällt, wie schon der Titel erschliessen lässt,
in zwei einander an Umfang ungefähr gleiche Theile: in dem
ersten derselben soll nachgewiesen werden , dass Alles , was
die Menschen für ein Glück und einen werthvollen Besitz er-
achten, in Wahrheit werthlos und nichtig sei, während in. dem
zweiten auseinander gesetzt wird, dass es in Wahrheit auch
kein Unglück und Leid gebe, sondern dass Alles, was man im
gewöhnlichen Leben als ein solches betrachte, von dem christ-
lichen Philosophen für eine Förderung des Seelenheiles gehalten
werden müsse. Der erste Theil umfasst 122, der zweite 132
Dialoge, denn das Werk ist in dialogische Form gekleidet,
aber freilich ist diese eine rein äusserliche und besteht einzig
darin, dass die „Hoffnung" und die „Freude" im ersten und
der „Schmerz" und die „Furcht" im zweiten Theile in kür-
zester Form die These aufstellen, dass irgend etwas ein Glück
oder Unglück sei, und dann in längerer Rede von der „Ver-
nunft" widerlegt werden. Diese letztere führt demnach fast
ausschliesslich das Wort und nur in ganz vereinzelten Fällen
kommt es zu einem einigermaassen erregten Wechselgespräch ^).
Dramatische Lebhaftigkeit fehlt aber durchaus, und man mag
daran ermessen, welch' weiten Weg die Renaissancebildung
noch zu durchmessen hatte, bevor dialogische Werke von so
acht platonischer Anmuth, wie etwa Castiglione's „Cortegiano",
entstehen konnten. Immerhin aber ist es bemerkenswerth,
dass Petrarca sich der dialogischen Form bedienen wollte,
denn höchst wahrscheinlich geschah dies in Nachahmung an-
tiker Vorbilder (Cicero , Seneca) ^)., obgleich man auch an die
0 Namentlich II dial. 114.
2) Die Bücher de remed. utr. fort, zeigen in ihrer äusseren Anlage
und in ihrer Tendenz grosse Aehnlichkeit mit den im Mittelalter so be-
544 Zehntes Capitel.
Nachahmung der theologischen Dialoge des Mittelalters (Anselm
V. Canterbury u. A.) denken könnte. Bemerkenswerth ist
auch die allegorische Färbung, welche das Werk durch das
Auftreten der Hoffnung, Freude, Vernunft, Furcht als redende
Personen erhält: es mahnt uns dies an die hervorragende
Rolle, welche die Allegorie damals in der Poesie und selbst
auch in der Wissenschaft spielte.
Vorausgeschickt ist dem ersten Theile ein Zueignungs-
brief an Azzo di Correggio , denn diesem seinem fürstlichen
Freunde wollte Petrarca das Werk widmen, und er hielt auch,
nachdem Azzo bereits im Jahre 1362 gestorben war ^j, an
dieser Absicht fest, wie er ja auch die Widmung der .,Älters-
briefe" an Francesco Nelli nach dessen Tode nicht zurückge-
nommen hat.
Der Inhalt dieser Epistel ist nun in Kürze folgender : Das
Leben der Menschen ist, weil von Leiden aller Art bedrängt,
mühselig und beschwerlich, zumal da dem Menschen die glück-
liche Unwissenheit über sein Schicksal, in welcher die übrigen
Geschöpfe sich befinden, abgeht "und er vielmehr vermöge
seiner Begabung mit Vernunft fortwährend mit einem drei-
köpfigen Cerberus, mit den Mühen der Gegenwart, mit der
Erinnerung an die Vergangenheit und mit der bangen Er-
wartung der Zukunft kämpfen muss. Den einzigen Trost in
den Widerwärtigkeiten des Lebens gewährt die Leetüre der
trefflichen, die wahre Philosophie überliefernden Schriftsteller
des Alterthums. Diese edle Beschäftigung liebt Azzo sehr,
aber da ihm die Zeit, sich ihr hinzugeben, mangelt, soll ihm
in diesem ihm gewidmeten Buche ein kleines Handbuch der
Lebensphilosophie, gleichsam eine tragbare Arznei gegen alle
liebten „Excerpta ex libris Senecae-' (Kurze Sätze in Dialogform, in denen
der eine Gesprächstheilnehmer eine Behauptung in Variationen aufstellt,
der andere aber nachweist, dass die behauptete Thatsache kein Uebel,
sondern ein Gut in sich schliesse oder doch mindestens indifferent sei und,
weil den Gesetzen der Natur gemäss, von dem Weisen mit Fassung er-
tragen werden müsse).
^) lieber die Zeitbestimmung vgl. Fracassetti, Lett. fam. I p. 532 f.
Die raoralphilosophischen und religiösen Tractate. 545
Wechselfälle des Lebens gegeben werden. Wer aber wäre
würdiger, die Widmung eines solchen Buches zu empfangen,
als Azzo, der die Unbeständigkeit des Glückes selbst
erprobt hat und welchem auch die traurigsten Erfahrungen —
schwere Krankheit, Verbannung, Tod der Angehörigen, treu-
loser Abfall der P'reunde — nicht erspart geblieben sind?
Das Buch aber soll nicht bloss Heilmittel gegen das Unglück
bieten, sondern auch gegen das Glück , welches, wiewol die
Meisten es nicht glauben wollen , schwerer zu ertragen und
gefährlicher ist, als das Unglück. Die Form der Schrift soll
die dialogische sein: die Schwesterpaare Hoffnung und Freude,
Furcht und Schmerz, welche die Mütter des Glückes und Un-
glückes geworden sind, werden den menschlichen Geist an-
greifen, ihnen wird die Vernunft, welche die „Burg" des
Hauptes besetzt hält , mit ihren Vertheidigungswaffen ent-
gegentreten. —
Nun werden in einer ziemlich bunten Reihenfolge, wenn
auch eine gewisse systematische Anlage nicht zu verkennen ist,
die verschiedenartigsten Dinge, welche gemeinhin für Glück
und werthvolles Besitzthum erachtet werden, durchgegangen
und es wird von ihnen nachgewiesen, wie sie in Wahrheit
nichtig und werthlos sind.
Ermüdend würde, für unsere Leser eine vollständige Wie-
dergabe des Inhaltes sein, ermüdend selbst auch eine blosse
Aufzählung der Dialogüberschriften, und wir begnügen uns
daher damit, einzelne Proben des Inhaltes zu geben.
Dass die leiblichen Güter, wie langes Leben, Schönheit,
Kraft, Gesundheit, für werthlos erklärt werden, ist am P.nde
wohl verständlich, denn von jeher hat eine engherzige und «in-
seitige Theologie in ihnen Hindernisse des Seelenheiles und Fall-
stricke des Teufels erblickt, befremdlich aber muss es er-
scheinen, dass auch über die geistigen Güter im Wesentlichen
der Stab gebrochen wird. Geistige Gaben, wird geurtheilt,
besitzen keinen Werth, wenn sie nicht zu guten Zwecken an-
gewandt werden , Tugend ist werthvoller . als grosse geistige
Begabung, aus welcher oft Fehltritte hervorgehen (Diäl. VII).
Körting, Petrarca. 35
546 Zehntes Capitel.
Ein gutes Gedächtniss gereicht oft zur Qual; Werth kann es
nur besitzen, wenn es zur Aufbewahrung guter Dinge dient,
leider aber vergisst ein gutes Gedächtniss oft die zum Seelen-
heile nothwendigsten Dinge. Man beweise sein gutes Ge-
dächtniss dadurch, dass man seiner Sündhaftigkeit, des Todes,
der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eingedenk
bleibe (Dial. VIII). Auch die Beredtsamkeit ist an sich nichts
Löbliches, da sie ebensowohl bösen als guten Zwecken dienen
kann, Werth besitzt sie nur, wenn sie mit der Weisheit und
Tugend verbunden ist (Dial. IX). Geistige Güter haben also
lediglich Werth, wenn sie in den Dienst der Ethik treten!
So wird auch über die Freiheit hart geurtheilt: Wahre
Freiheit wohnt nur im Grabe. Die irdische Freiheit ist ein
unsicheres Gut. Jeder Tag kann uns, auch wenn wir noch so
alt sind, einen Herrn geben. Sind doch mächtige Könige und
ruhmvolle Städte in Sklaverei gestürzt worden! Frei kann
sich nur derjenige nennen, welcher kein Knecht der Sünde
ist (Dial. XIV). — Thöricht ist der Stolz darauf, in einer
grossen oder berühmten Stadt geboren worden zu sein, wenn
man selbst namenlos und unbedeutend ist ^). In einer grossen
Stadt zu wohnen, hat wegen der weiten Entfernungen, welche
dort stattfinden, seine argen Schattenseiten. Aus einem kleinen
Orte in eine grosse Stadt übersiedeln, heisst, sich aus dem
ruhigen Hafen in ein stürmisches Meer stürzen; hat man es
aber einmal gethan, so strebe man darnach, durch seine Lei-
stungen aus der grossen Menschenmasse hervorzuragen (Dial.
XV). — Natürlich wird auch über den Geburtsadel das ver-
dammende Urtheil ausgesprochen: Da die Quelle des mensch-
lichen Lebens für Alle die gleiche ist, so gibt es keinen Ge-
burtsadel. Der wahre Edelmann wird nicht geboren , sondern
entspringt aus rühmlichen Thaten. Was wir Geburtsadel
nennen, ist ein werthloser Besitz, wenn wir ihm nicht durch
^) Hier folgt eine heftige Polemik gegen Piaton, weil dieser sich ge-
rühmt habe, in Athen und als Grieche geboren worden zu sein. Gelegent-
lich wird hier auch ein heftiger Ausfall gegen des Pythagoras Lehre von
der Seelenwanderung gemacht.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 547
eigene Tüchtiokeit Glanz verleihen. Die Reihe der erlauchten
Vorfahren ist immer nur eine kurze. Der Ursprung fürstlicher
Geschlechter geht vielfach auf den Hirten- und Bauernstand
zurück, und oftmals endet auch ihre Geschichte wieder am Aus-
gangspunkte, Das einzige Gute, welches adlige Abstammung
gewährt, ist, dass das Beispiel edler Vorfahren zur Nacheiferung
aufmuntert. Indessen ist doch selten eines hervorragenden
Mannes Sohn wieder ein hervorragender Mann. Oft ist der
adelige Stand eine Last für den, der ihm angehört (Dial. XVI).
Dass gegen Alles, w^as nur irgend als Luxus erscheinen
kann oder nur irgendwie an Luxus anstreift, mit grosser Er-
l)itterung geeifert wird, werden wir nur für folgerichtig halten
müssen. In diesem Feldzuge w^erden auch die kleinsten De-
tails nicht vergessen. So wird es z. B. als kindisch und thö-
richt getadelt, wenn sich Jemand Pfauen, Hühner, Tauben oder
Bienen, Affen oder sonstige possierliche Thiere oder gar Ele-
phanten und Kameele hält, und überall wird an dem betreifen-
den Thiere irgend eine Schattenseite herausgefunden , durch
welche jeder Vernünftige sich von dessen Zucht abschrecken
lassen sollte: die Pfauen sind schön, aber ihr Geschrei ist un-
erträglich; die Hühner scharren immer im Boden und verur-
sachen dadurch grossen Sehaden; die Tauben sind durch ihr
stetes Girren und Gurren lästig; die Bienen sind schwer zu
züchten und ihre Schwärme tiiegen oft davon; die Aften sind
völlig unnütz und durch ihre Menschenähnlichkeit widerlich :
Elephanten und Kameele endlich sind für unser Klima ganz
unbrauch])ar (Dial. LX, LXI, LXII).
Aber auch der edelste Luxus, die Werke der bildenden
Künste, finden vor dem asketischen Richter keine Gnade. Die
Freude an Gemälden ist, trotzdem dass die grössten Männer
des Alterthums ihr gehuldigt haben, eine eitele und thörichte —
viel besser ist es, an den Werken der Natur sich zu erfreuen
und in ihnen die Macht Gottes zu bewundern (Dial. XL). Auch
die im Alterthume ebenfalls sehr verbreitete Freude an Bild-
säulen ist eine thörichte und eitele. Uebrigens kommt es
Vielen, welche für Statuen zu schwärmen vorgeben, nicht so-
. 35*
548 Zehntes Capitel.
wol auf den Kunstwerth derselben als auf die Kostbarkeit des
Materials an (Dial. XLIj. Dass schön geschnittene Steine
einen Kunstwerth besitzen und erfreuen können, soll nicht ge-
leugnet Averden — aber soll man nicht statt an dem Glänze
und an den Farben der Edelsteine am Glänze der Sonne und
an den leuchtenden Farben des Himmels und der Bäume sich
erfreuen? und soll man nicht vielmehr die Weisheit des grössten
Künstlers, d. i. Gottes, nicht aber den Geist eines irdischen
Künstlers bewundern? (Dial. XXXIX). Dies und Aehnliches
ward von dem Begründer der Renaissancecultur geschrieben,
als dieselbe, auch auf dem Gebiete der bildenden Kunst, in vollem
Emporblühen begrilfen war! Man sieht, welch' harten Kampf
Petrarca in seinem Innern mit dem Geiste des Mittelalters zu
kämpfen hatte und wie der letztere sich oft genug;^ des Sieges
rühmen durfte ^).
Nicht besser, als der bildenden, ergeht es der darstellenden
Kunst. Sich an den Witzen eines Schauspielers zu erfreuen,
ist eines ernsten Mannes unwürdig. Allerdings erwarb sich der
Schauspieler Roscius die Gunst selbst des Sulla und des Cicero,
aber damals stand die dramatische Kunst hoch, während sie
jetzt tief gesunken ist und nur noch ein verderbter Geschmack
sich an ihr ergötzen kann. Die Schauspieler sind eine ebenso
unsittliche und gefährliche Menschenclasse wie die Parasiten
(Dial. XXVIII). Bei diesem Urtheile ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass im 14. Jahrhundert in Italien von einer Schauspiel-
kunst in der That nicht die Rede sein konnte und dass die
gewerbsmässigen Histrionen damaliger Zeit eben nur Possen-
reisser der gemeinsten Sorte waren, Dass Petrarca an Ring-
kampf, Schnelllauf, Wagenrennen, Fechterspielen und Thier-
hetzen wenig Gefallen fand (Dial. XXIX und XXX), wird man
ebenfalls verzeihlich linden.
Interessant ist es zu erfahren, wie der Lauraschwärraer
und Laurasänger, der Dichter dei- lieblichen Sonette und Can-
zonen, über Frauenliebe, eheliches Glück und Vaterschaft dachte
') üeber Petrarca's wahres Verhältniss zur bildenden Kunst vgl. S. 511 f.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 549
oder doch zu denken vorgab. Unsere Leser -werden sehr ent-
täuscht sein, aber ihr Staunen wird sich später noch gewaltig
steigern : Petrarca war, wenigstens in seinem Alter und wenig-
stens in der Theorie, der grimmigste Weiberfeind und Ehe-
hasser, der eingefleischteste und fanatischste Cölibatär.
Dem Weisen ziemt — lehrt er, indem er Cicero's (Tusc.
IV 32 — 35) Anschauung etwas verworren reproducirt — nur
die rein geistige, von aller Leidenschaft freie Liebe zu Gott, zu
geistigen Dingen und zu Freunden. Jede Liebe hingegen, welcher,
wenn auch nur versteckt, ein sinnliches Motiv zu Grunde liegt,
ist ein Uebel, besonders wenn sie Gegenliebe erweckt hat. Wer
Liebesschmerz durch Lieder zu heilen vermeint, ist in argem
Wahne befangen, denn er steigert nur durch die poetische Thä-
tigkeit sein Uebel. Durch andere Mittel allein, wie z. B. durch
Entfernung, Beschäftigung, neue Liebe, lässt die Liebe sich heilen,
die wirksamsten Gegenmittel aber sind eintretende Krankheit.
Hässlichkeit und Alter. Die Frauen aber sind es übrigens
gar nicht werth. dass man sie liebt, denn sie sind
ein lüsternes, leichtsinniges Geschlecht, dem das Lügen und
Betrügen zur Gewohnheit und zur eifrig betriebenen Beschäf-
tigung geworden sind ^Dial. LXIX). Die Ehelosigkeit ist daher
der Ehe bei weitem vorzuziehen. "Slit einer Frau kommen
steter Zank und Unfrieden in das Haus, namentlich wenn die
Frau reich und vornehmen Geschlechtes ist. Der Mann wird
stets der Sklave der Frau und, ist dieselbe gar eifersüchtig,
so wird seine Sklaverei geradezu unerträglich (Dial. LXV) ^) ;
besonders schlimm gestaltet sich auch die Lage des Ehemannes,
wenn seine Frau sehr schön ist fDial. LXII). Wer • einmal
schon verheirathet gewesen ist und zu einer zweiten Ehe
schreitet, ist ein Thor, und wer seinen Kindern eine Stiefmutter
gibt, schleudert mit eigener Hand eine Brandfackel in sein
^) Es enthält dieser Dialog eine drastische Declamation gegen die
Ehe und die Frauen . der es nicht an komisch ^virkenden Zügen fehlt,
welche aber doch von feiner Menschenkenntniss und guter Beobachtung
des Lebens zeugt.
550 Zehntes Capitel.
Haus. Besser als eine zweite Ehe ist — wenn es nur keine
Sünde und von Gott verboten wäre — das Leben im Concubi-
nate (Dial. LXXVI). Kinder sind in Wahrheit eine „süsse
Last," denn sie sind die Quelle steter Sorge und Unruhe. Auf
Lebensgenuss muss, wer Kinder hat, verzichten, denn er sorgt
nicht nur für die Gegenwart, sondern sogar noch für eine Zu-
kunft, welcher er selber nicht mehr angehören wird (Dial. LXX).
Allerdings gewährt ein munteres Kind, wenn es z. B, seine
ersten Sprechversuche macht, eine reizende Unterhaltung, deren
man sich wohl freuen darf. Aber man möge immer bedenken,
dass das Kind rasch wegsterben kann , und auch , dass ein
netter Knabe sich oft zu einem bösen Jüngling entwickelt
(Dial. LXXI). Man wünsche nicht, schöne Kinder zu besitzen,
denn diese, namenthch aber die Mädchen, würden eben durch
ihre Schönheit vielen Gefahren ausgesetzt werden. Schönheit
ist ganz hübsch, aber ein Höcker ist besser (!). Uebrigens ist
die Schönheit ein vergängliches Gut (Dial. LXXH). Einen
tapferen und hochherzigen Sohn zu besitzen, ist ein Unglück,
denn eben diese Eigenschaften werden ihn in viele Gefahren
bringen, in denen er leicht seinen Tod finden kann (Dial. LXXHl).
Besitzt man eine wirklich keusche Tochter, so hat man sehr
zu befürchten, dass sie das Opfer der schlimmsten Nachstellungen
werde, und auch, dass sie selbst endlich einmal ihre Tugend über-
drüssig bekomme und dann dem Laster um so ärger fröhne:
keusche Mädchen werden ja in der Regel geile alte Weiber
(Dial. LXXIV).
Wir brechen hiermit, um unsere sich des Lebensgenusses
freuenden Leser nicht zu ermüden und zu erzürnen, unsere
Proben ab und wenden uns dem zweiten Theile zu. Dieser
wird mit einer Vorrede eingeleitet, welche wol zu dem Besten
gehört, was Petrarca überhaupt geschrieben hat: es ist in ihr
ein würdiger philosophischer Gedanke mit Consequenz durch-
geführt und erörtert, und es ist, was nicht das geringste Ver-
dienst des Autors ist, der philosophischen Untersuchung eine
anziehende Form gegeben worden, welche bald von dem Hauche
tiefsinniger Sentimentalität erfüllt ist, bald von dem leichten
Die moralphilosophisclien und religiösen Tractate. 551
Spiele anmuthigen Humors belebt wird. Der Inhalt lässt sich
etwa folgen dermaassen in Kürze zusammenfassen:
Petrarca erklärt, dass ihm von Allem, was er je gehört
und gelesen, Nichts mehr gefallen und Nichts grösseren P^in-
druck auf ihn gemacht habe, als der Ausspruch des Heraklit,
dass der Streit der Vater aller Dinge sei („omnia secundun\
litem fieri"). Er beweist nun eingehend und mit Anführung
einer Fülle von Beispielen^), wie die Wahrheit dieses Satzes
im ganzen Leben der Natur sowie im äusseren und inneren
Leben der Menschen alltäglich handgreiflich zu Tage trete.
Nachdem er dies beendet, bespricht er nochmals den Inhalt
und die Tendenz seines Werkes. Das ganze menschliche Leben
werde unaufhörlich von dem Widerstreite der Leidenschaften,
der Hoffnungen und der Befürchtungen bewegt. Er wolle nun
die Nichtigkeit derselben und damit auch die Nichtigkeit des
Glücks und Unglücks nachweisen. Wohl wisse er, dass man
darüber sowol in ausführlicherer als auch in kürzerer Form
sprechen könne, als er es thue, aber er habe einen Mittelweg
innehalten, sich weder der Breite noch lästiger Kürze der Dar-
stellung schuldig machen, den Leser weder mit Stoff überhäufen
noch auch ihm denselben zu kärglich zumessen wollen. Man möge
sich nicht darüber wundern, dass er nicht nur in dem Titel des
Buches, sondern auch im Buche selbst sich des Wortes „Glück"
bediene, er thue dies nur, um nicht vom gewöhnlichen Sprach-
gebrauche abzuweichen und dadurch für die weniger Gelehrten
unverständlich zu werden, er selbst wisse recht gut, dass es,
wie der heilige Hieronymus sage, weder ein Glück (fortuna)
noch ein Schicksal (fatum) gebe ^).
Nach Beendigung dieser Vorrede geht nun der Autor zu
der ihm noch übrigen Aufgabe über, nachzuweisen, dass Alles,
^) Die zahlreichen, der Naturgeschichte entlehnten, Beispiele sind aus
Plinius' „Historia Naturalis" zusammengetragen, 2. B. was in dieser VII
10. VIII 52. X 169. XI 111, XVII 220-240 u. XXXII 2 ff. erzählt wird.
-) Man erkennt hieraus, dass Petrarca trotz seiner zur Schau getra-
genen Exclusivität (vgl. oben S. .522 f.), in praxi doch nicht für die Ge-
lehrten allein schreiben wollte.
552 Zehntes Capitel.
was von den Menschen für ein Unglück erachtet werde, in
"Wahrheit ein Segen sei. Offenbar war diese Aufgabe ungleicli
schwieriger, als diejenige, welche im ersten Theile gelöst ward
oder doch gelöst werden sollte, denn weit leichter lässt sich
das Glück hinwegdisputiren , als das Unglück, dessen eherne
Schwere von den ^Menschen nur allzu wesenhaft empfunden
wird. So ist es denn sehr erklärlich, dass Petrarca's Ausfüh-
rungen oftmals nicht bloss an das Paradoxe, sondern auch an
das Absurde streifen, dass sie dem modernen Leser vielfach
geradezu als hochkomisch erscheinen und auf ihn eine der
beabsichtigten ganz entgegengesetzte Wirkung machen.
Krankheiten und körperliche Schmerzen w-erden wol von
Allen als sehr reale Uebel betrachtet. Hören wir, wie Petrarca
auch ihnen eine eifreuliche Seite abzugewinnen versteht! Be-
ginnen wir mit einem kleinen, aber doch sehr lästigen Uebel.
den Zahnschmerzen: durch die Krankheiten und Schmerzen
der Zähne werden wir sowol an die Güte Gottes, welcher wir
unsere Zähne verdanken, als auch an unsere Hinfälligkeit er-
innert. Werden die Zähne schlecht und fallen sie nach und
nach aus, so werden wir dadurch zu grösserer Massigkeit und
Schweigsamkeit genöthigt und vor der Gefahr bewahrt, leicht-
sinnig zu küssen. Werden wir endlich ganz zahnlos, so möge
uns dies eine heilsame Mahnung daran sein, dass wir bald dahin
gehen werden, wo man keiner Zähne mehr bedarf (Dial. XCIV).
Aber auch für schlimmere Dinge erhalten wir Trost, Leiden
wir z. B. an Schlaflosigkeit, so sollen wir uns freuen, dass wir
dadurch mehr Zeit zur Arbeit gewinnen und also unser
Leben verlängern können; auch entrinnen wir dadurch den
Schrecknissen der Träume. Der verlorene Schlaf wird sich
schon wieder herbeilocken lassen, wo nicht, so wird der Tod
ihn uns wiedergeben (Dial. LXXXVI). Auch die Krätze hat
ihre Vortheile: indem sie uns immer hübsch munter erhält,
ersetzt sie uns eine Weckuhr und bietet uns eine vortreff-
liche Gelegenheit, unsere Geduld zu erproben. Von der
Krätze des Leibes machen die Menschen viel Aufhebens, wäh-
rend sie um die Krätze der Seele, Habsucht und Wollust, sich
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 553
meist gar nicht kümmern (Dial. LXXXV). Unleugi)ar schmerz-
haft ist der Gelenkrheumatismus^), aber der Kranke, der
übrigens sein Leiden meist selbstverschuldet hat, möge sich damit
trösten, dass er sich in's Bett lege und daran denke, wie er
vielleicht bald im Grabe liegen werde. Das wird seiner Seele
nützen (Dial. XCV). Das Podagra hindert uns nur an körper-
licher Bewegung, nicht aber an edler geistiger Thätigkeit. Besser
ist es, dass die Füsse kranken, als das Haupt. Durch Massig-
keit und Enthaltsamkeit können wir übrigens das Podagra be-
kämpfen (Dial. LXXXIV). Endlich wird auch die Pest be-
sprochen : Vor einer Pest kann sich nur fürchten, wer den Tod
fürchtet. Stirbt man an der Pest, so hat man wenigstens den
Trost, mit Vielen zugleich zu sterben. TJebrigens verschont
auch die grimmigste Pest noch viele Menschen (Dial. XCII).
Selbst für alle „kleinen Leiden'' des menschlichen Daseins
weiss unser praktischer Lebensphilosoph Rath. So tröstet er
uns über das Ungemach einer engen Wohnung: Ein kleines
Haus hat vor einem grossen manchen Vorzug, so sichert es
z. B. vor Dieben. Die Engigkeit des Hauses ist für den Be-
Avohner kein Hinderniss, hohen Ruhm zu erwerben. Viele be-
rühmte Männer haben enge Häuser bewohnt. Das Haus mag
noch so eng sein, enger noch wird der Sarg sein, und schon
wälirend des Lebens muss unsere Seele in der engen und
schmutzigen Behausung des Leibes wohnen (Dial. LXHI). In
einem anderen Abschnitte folgt ein ganzes Register von allerlei
verdriesslichen Dingen sammt den entsprechenden Trostgründen :
L Das wirre und lärmende Reden der Menschen — flüchte
Dich in die Einsamkeit aufs Land oder suche Dich an
das Lärmen zu gewöhnen, wie man ja auch an das Tosen
eines Wasserfalles sich gewöhnen kann. 2. Das Bellen der
Hunde — wer an das Lärmen der Menschen sich gewöhnt
hat, kann auch das Bellen der Hunde ertragen. 3. Ein wildes
Pferd, ein störrischer Sklave-) — beide „Thiere" kann ent-
^) So darf man vielleicht „aegritudo tibiarum" übersetzen. /
'-) Dass es zu Petrarcas Zeit in Italien, namentlich in Venedig, noch
554 Zehntes Capitel.
b ehren, wer Hände und Füsse hat. 4. Fliegen und Flöhe —
diese Thiere sowie das sonstige Ungeziefer sind von Gott er-
schaffen worden, um uns an unsere menschliche Schwäche zu
erinnern und zur Demuth zu eraiahnen. Wenn es keine Flöhe
gäbe, so würden wir zu gut schlafen und zu übermüthig werden.
Wer sich gegen die Fliegen, Gottes Geschöpfe, zu sehr ereifert,
läuft Gefahr, in die Gewalt des Fliegengottes, d. h. des Teufels,
zu gerathen. 5. Das Geschrei der Nachtvögel — es ist Aber-
glaube, das Schreien des Käuzchens oder der Nachteule für
vorbedeutungsvoll zu halten. 6. Mäuse im Zimmer — die
Mäuse wohnten eher als Du im Zimmer und können sich daher
mit grösserem Rechte über Dein Eindringen beschweren, als
Du Dich über das ihre. Mäuse, Spinnen und alle derartige
lästige Thiere sind von Gott erschaffen worden, damit uns nicht
etwa das irdische Leben zu angenehm werde und wir aufhören,
uns nach dem himmlischen zu sehnen. 7. Das Gequack der
Frösche und das Zirpen der Cicaden — man bilde sich fest
ein, dass diese Töne schön klingen und man wird seine Freude
daran haben. Die Frösche und Cicaden müssen nun einmal
dem Gebote der Natur nach ihre Musik machen, und diese ist
bei weitem keine so grosse Plage, als die Schlechtigkeiten und
Leiden, welche die Menschen selbst sich gegenseitig anthun-).
8. Die Hitze — der Winter wird Hülfe bringen. 9. Die Kälte —
durch Feuer, Kleidung, Bedachung, Arbeit, Körperbewegung
und Speise kann ihr abgeholfen werden. 10. Das unbeständige,
bald heisse, bald kalte, bald feuchte Wetter — man muss nicht
so weichlich und so empfindsam gegen Witterungseinflüsse sein
und nicht immer gegen die von Gott gelenkte Natur klagen.
Die Witterungserscheinungen (Wolken, Winde, Hagel, Blitz,
Sklaven gab, wenn auch jedenfalls nur in geringer Zahl , wird z. B. durch
eine Bemerkung in Ep. Sen. X 2 bewiesen.
^) Petrarca nimmt hier Gelegenheit, bitterlich über das Räuberunwesen
zu klagen, welches die Fürsten selbst (die er ironisch „patres patriae"
nennt) um schnöden Geldgewinnes willen begünstigen und welches das
schönste Vergnügen, das Reisen, verleidet und selbst unmöglich macht.
Ueber das Tyrannenunwesen vgl. man auch 11 Dial. 39.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 555
Donner) mahnen uns an unsere Ohnmacht und der Donner
verkündet uns Gottes Zorn. 11. Das Zusammentreffen mit
Betrunkenen — man meide die öffentlichen Plätze der Stadt
und die Schenken. 12. Das Gedränge der Menschen — nur
der crasseste Egoist kann wünschen, dass die Bevölkerung der
Stadt aussterbe: der, dem das Gedränge unleidlich ist, kann
ja aufs Land tlüchten. 13. Processe — man sorge dafür, dass
man keine Processe habe, und das ist leicht zu erreichen, wenn
man nur der Habsucht entsagt (Dial. XCj.
Nach dem, was wir oben von Petrarca's Weiber- und Ehe-
hass erfahren haben, wird es uns nicht befremden, dass er
den Verlust einer Braut, einer Gattin, eines Kindes nicht eben
für ein sonderliches Unglück erachtet, aber staunen werden
wir doch, dass sich dieser Hass bis zur vollen Rohheit und
Herzlosigkeit steigern konnte.
Verliert man seine Braut in Folge einer gerichtlichen Ent-
scheidung, so mag man sich damit trösten, dass es besser ist,
die Braut, als die. Gattin zu verlieren, dass es besser ist, in
einem Processe, als in einem Waftenkampfe, bei welchem man
obendrein auch das Leben verlieren kann, zu unterliegen, und
dass es endlich ein Glück ist, vor der Verheirathung und ihren
Folgen bewahrt zu bleiben (Dial. XVH). Ueber den Tod der
Gattin muss man sich freuen, nicht trauern: wird man doch
dadurch von schweren Fesseln befreit und erhält seine Freiheit
und die ungehinderte Verfügung über seine Zeit wieder. Es
hat ja auch keinen Zweck, dass die Ehe bis zu dem Zeit-
punkte ausgedehnt werde, in welchem die Frau aufhört, liebens-
würdig zu sein und Kinder zu gebären. Ein Thor aber ist
jedenfalls, wer nach Lösung der ersten Ehe zu einer zweiten
schreitet. Am glücklichsten ist ohne Frage der Hagestolz : be-
neidenswerth ist seine Unabhängigkeit! (Dial. XVIII) ^). —
^) Wir geben eine Stelle aus diesem Dialoge als besonders charakte-
ristisch wieder: „Ich habe meine Frau verloren. — 0 du Thor! Nim ist
es Zeit, den Hochzeitsreigen anzustimmen und Dich zu bekränzen (NB. die
Stelle ist in den baseler Drucken arg verdei'bt, doch kann der Sinn nicht
zweifelhaft sein), in einem grossen Kampfe hast Du gesiegt und von einer
556 Zehntes. Capitel
Gegen ein böses Weib hilft nur Prüjzel , oder -wenn diese er-
folglos bleibt, die Geduld. Am besten ist es, unvennählt zu
bleiben (Dial. XIX). — Wird Einem die Frau entführt, so
muss man dem Verführer dankbar sein wie einem Arzte, der
uns von einem schweren Leiden befreit hat (Dial. XX). —
Die Unfruchtbarkeit der Frau hat viele Vortheile: sie macht
die Frau bescheiden und demüthig, sie erspart manche häus-
liche Unannehmlichkeiten (Wochenbett, Ammengezänk etc.),
sie bewahrt vor dem Schmerze, schlechte Kinder zu haben,
und vor der Schande, Bastardkinder aufzuziehen. Uebrigens
aber trägt oft genug der Mann die Schuld an der Unfrucht-
barkeit der Frau (Dial. XXII). — Bei dem Verluste eines
Sohnes, welcher allerdings, namentlich wenn der Sohn gut war.
überaus schmerzlich sein kann, tröste sich der Vater mit dem
Gedanken, dass er dem Sohne in Bälde nachfolgen werde, und
auch damit, dass er durch den Todesfall von einer schweren
Sorge befrdt worden ist (Dial. XXXXVIII).
Indessen darf man doch nicht meinen, dass das ganze
Buch sich aus derartigen, theils absurden theils das sittliche
Gefühl verletzenden Paradoxen zusammensetze. Es finden sich
auch wirklich tief durchdachte Capitel, in denen ein ernster
Gedanke in anmuthiger, ja selbst poetischer Form entwickelt
wird. So z, B. Dial. XCIII, in welchem der Autor den Welt-
schmerz („dolendi quaedam voluptas") bekämpft und dabei
Gelegenheit nimmt, die Pracht der Natur und die Macht des
Menschengeistes in schwuntivollster Rede zu feiern. Die hier
gegebene Schilderung von der w'underbaren geistigen Begabung
des Menschen kann an den das gleiche Thema behandelnden
Chorgesang des Sophokles in der Antigene („sro^.Aa zu. öeivo.
vMvdtv av&QWTTor öeivöteqov TitLu etc.") erinnern. Aber
freilich sind derartige Perlen spärlich verstreut in einer er-
drückenden Stoffmasse, welche dem unbefangenen Beurtheiler
langen Belagerung bist Du befreit. — Ich habe meine Frau verloren. — In
dem Sinne, wie man das Fieber oder die Krätze verliert, zuweilen ist der
Verlust eine Art des Gewinns." Und in diesem mehr als cynischen Tone
geht es ungefähr eine Tolioseite weiter.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 557
als ein wunderlicher Wust erscheinen muss. Einigermaassen
erträglicher wird indessen die Leetüre auch des zweiten Theiles
dadurch gemacht, dass nicht selten culturhistorisch oder psy-
chologisch interessante Anekdoten eingeflochten (z. B. Dial. XC,
CXX, CXXl) und dass mitunter auch Begebenheiten aus der
Zeitgeschichte erzählt werden (z. B. Dial. LXXI, CXVII). —
Welches Gesammturtheil soll man nun über das seltsame
Werk abgeben? Auf den ersten Anblick könnte es scheinen,
dass es, und zwar ohne einer sonderlichen Auszeichnung ge-
würdigt zu werden, in eine Reihe gestellt werden müsse mit
jenen asketischen Werken über die Nichtigkeit des mensch-
lichen Lebens, welche die mittelalterliche Prosalitteratur, zumal
seitdem der grosse Innocenz IIL die „drei Bücher über die
Verachtung der Welt oder über das Elend des menschlichen
Lebens" ^) geschrieben hatte — welches Buch Petrarca übri-
gens einmal fortzusetzen aufgefordert wurde, sich aber dessen
weigerte (Ep. Sen. XVI 9) — , in so reicher Fülle und sowol
in Latein als in den Volkssprachen hervorbrachte. Und in
der That kann eine innere Verwandtschaft der ,, Heilmittel
gegen Glück und Unglück" mit jenen Werken nicht geleugnet
werden: sie sind im Wesentlichen von demselben Geiste der
düsteren und weltfeindlichen Askese des Mittelalters erfüllt
und sie sind ohne Frage dasjenige Buch, durch welches ihr
auf der Grenzscheide zweier Zeitalter stehender Verfasser am
nachdrücklichsten bekundet hat, dass er nicht nur ein Bürger
der Neuzeit, sondern auch noch ein Bürger des Mittelalters
gewesen ist. Trotzdem aber würde es ein Irrthum sein, zu
meinen, dass Petrarca in der Abfassung dieses Werkes die
Eigenschaft des Begründers der humanistischen Bildung völlig
verleugnet habe. Das Buch mag uns modernen Menschen,
^) de contemtu mundi sive de miseria humanae conditionis libri tres"
(zuletzt herausgegeben von J. J. Achterfeld, Bonn, 18ü5). Ueber den Ein-
fluss dieses Buches auf die mittelalterliche Litteratur vgl. den schönen Auf-
satz von R. Köhler , ., Quellennachweise zu Richard Rolle's von Hampole
Gedicht ,The Pricke of Conscience' in dem Jahrb. f. rom. u. engl. Litt. VI
p. 196 ff."
558 Zehntes Capitel.
die wir — abgesehen von vereinzelten Fanatikern und
seltsamen Schwärmern — mit der asketischen Anschauung
des Mittelalters gänzlich gebrochen und eben in Folge der
Renaissance einer heiteren Lebensauffassung uns zugewandt
haben, gar sehr mittelalterlich- asketisch erscheinen, Petrarca's
Zeitgenossen aber, den noch im Mittelalter stehenden oder eben
erst aus demselben heraustretenden Menschen, ist es unzweifel-
haft als ungemein modern und höchst freisinnig erschienen.
Dies Buch nämlich , welches wir ohne nähere Prüfung einfach
als ein Erbauungsbuch und zwar als ein höchst finster gehal-
tenes bezeichnen würden, will doch durchaus kein Erbauungs-
buch, keine asketische Schrift sein, sondern erhebt Anspruch
darauf, als ein ganz profanes Werk, als ein Handbuch der
Lebensphilosophie betrachtet zu werden. Daher hält es sich
auch so fern von aller systematischen Theologie, abstrahirt von
jeder Bezugnahme auf formulirte Dogmen und Lehrsätze, be-
helligt uns nicht mit Erörterungen über die Ei'bsünde, die
Tod- und lässlichen Sünden, die sieben Sacramente, die fünf
Freuden der heiligen Jungfrau und ähnliche theologische Spe-
cialitäten. Wohl ist der Verfasser erfüllt von dem asketischen
Geiste mittelalterlich -katholischen Kirchenthums , aber dem-
ungeachtet bemüht er sich sichtlich, seinem Werke einen pro-
fanen Charakter zu verleihen: wohl citirt er die Bibel und
die Kirchenväter, aber eigentlich doch nur dann, wenn' er aus
profanen Autoren kein recht geeignetes Citat oder doch keine
grössere Anzahl derselben aufzutreiben weiss, wenn nur irgend
möglich, entnimmt er seine Citate den lateinischen Classikern,
und man merkt ihm die herzliche Freude an, mit welcher er
die Früchte seiner profanen Belesenheit uns vorsetzt. Man
erkennt daraus zur Genüge, dass es doch auch der Humanist
Petrarca gewesen ist, der dieses Buch geschrieben; das Buch
ist gleichsam das Werk eines Doppelwesens, des mittelalter-
lichen Petrarca und des humanistischen Petrarca, wenn wir
uns dieser kurzen Bezeichnungen Ijedienen dürfen: der mittel-
alterliche Petrai-c;i wollte einmal allein Schriftstellern und
machte dazu ganz gewaltige Anstrengungen, aber dennoch
Die moralphilosophischea und religiösen Tractate. 559
fjelang es ihm nicht, denn der humanistische Petrarca brachte
ihm immer das Concept aus der Ordnung, flüsterte ihm zwischen
die erbaulichen Phrasen immer Sätze aus den alten Heiden zu,
auch etliche recht heidnische Gedanken, kurz, er Hess es sich
nicht nehmen, ebenfalls seinen Theil zu dem Werke seines
Mit-Ichs beizutragen. So entstand denn ein in sich selbst
zwiespältiges Buch, dictirt vom Geiste des Mittelalters, aber
corrigirt und ergänzt vom Geiste des Humanismus, ein Buch,
welches, wie sein Verfasser, auf der Grenze zweier Zeitalter
steht, sowol der untergehenden als auch der emporsteigenden
Culturform angehört. Und noch durch etwas Anderes bekundet
das Werk seine eigenartige Zwitternatur. Petrarca wollte vom
christlichen Standpunkte aus des Lebens Nichtigkeit darlegen,
aber da er unvermögend war, sich mit ganzer Seele auf diesen
Standpunkt zu stellen, und da der Humanist in ihm immer
den christlichen Asketen durchkreuzte, so ist er, freilich ohne
es gewollt noch gewusst zu haben, zu einem sehr verschieden-
artigen Ergebnisse gelangt. In dem Buche spricht sich —
wenigstens wenn man den Gesammteindruck sich vergegen-
wärtigt — ein sehr unchristlicher Pessimismus aus, der sich
selbst bis zum Nihilismus steigert. Das ganze Erdendasein
wird als absolut werthlos dargestellt, das Vorhandensein sowol
des Guten als des Bösen in der realen Welt wird geleugnet
und damit indirekt die Lehre von dem öden Nichts gepredigt.
Wenn der Verfasser folgerichtig zu Werke gegangen wäre,
so hätte er — ähnlich wie etwa Schopenhauer und E. v. Hart-
mann — die Verzweiflung am Dasein als die einzig berech-
tigte Weisheit und die Aufhebung des individuellen Seins
durch den Selbstmord als eine That überlegener Einsicht hin-
stellen müssen. Das thut er freilich keineswegs, sondern er
ereifert sich vielmehr (H 98) in salbungsvollen Worten gegen
den Selbstmord und spricht gar Vieles und Erbauliches von
Gottes Güte und Weisheit, von Tugend und Sünde, von der
ewigen Seligkeit und der ewigen Verdammniss. Indessen,
das Alles ist nur eine fromme Hülle, welche Petrarca in seiner,
allen Gemüthsmensehen eigenen Scheu, die letzten und gefähr-
560 Zehntes Capitel.
liebsten Consequeiizen seines Denkens zu ziehen, gebraucht,
um sich selbst zu betrügen und nicht in der süssen Gewohn-
heit des inneren Daseins durch unbehagliche Zweifel gestört
zu werden. Der Grundgedanke des Werkes ist durchaus un-
christlich und schliesst von vornherein jede Möglichkeit aus,
dass er mit dem Glauben an die göttliche Güte und Weisheit,
an Tugend und Sünde, an ewige Seligkeit und Verdammniss
vereinbar sei, denn diese Begriffe können nur dann einen Sinn
haben, wenn man in der realen Welt die Existenz des Bösen
und Guten annimmt, wenn man den realen Dingen einen posi-
tiven oder negativen Werth beilegt : wie soll aber der Mensch
an Gottes Güte und Weisheit glauben können, wenn für ihn
die Werthlosigkeit alles dessen, was er besitzen, erwerben,
geni essen und erfahren kann, ein Axiom ist? Wie ist ferner
Tugend und Sünde praktisch überhaupt denkbar, wenn ihnen
ihr Substrat, der den realen Dingen gemeinhin beigemessene
Werth, entzogen wird? denn wie dürfte man dann z. B. die
Ehrlichkeit als eine Tugend, den Diebstahl als ein Laster be-
zeichnen, die erstere anempfehlen, vor dem letzteren aber warnen
wollen, da sie doch beide nur an Gegenständen zur Ausübung
kommen könnten, welche, weil an sich absolut werthlos, jede
an ihnen vollzogene Handlung sittlich indifferent machen
müssten? ja, würde nicht, wenn die Anschauung von der
Werthlosigkeit der realen Dinge allgemeine Geltung besässe,
jede Befassung mit denselben aufhören, damit aber natürlich
auch jede Tugend und Sünde? was würden aber endlich für
derartige Menschen, wenn überhaupt deren zu existiren ver-
möchten, die ewige Seligkeit und die ewige Verdammniss noch
für einen Sinn besitzen? würden sie nicht völlig unfähig sein,
sowol die eine sich zu erwerben als auch der anderen sich
schuldig zu machen?
Indem Petrarca eine Anschauungsweise aussprach, welche
in ihren, von ihm selbst freilich — wir dürfen wol sagen: nur
zufällig — nicht gezogenen Consequenzen zu derartigen Er-
gebnissen führte, trat er heraus aus den Gedankenkreisen des
Mittelalters und des Christenthums. Mittelalter imd Christen-
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 561
thum — beide Begriffe decken sich in dieser Beziehung —
kennen wohl den relativen, aber nicht den absoluten Pessi-
mismus, d, h. sie lehren wohl, dass die irdischen Dinge werthlos
seien im Vergleiche zu den himmlischen und ewigen, aber sie
sind weit davon entfernt, den ersteren jeden VYertli absprechen
zu wollen. Die vom Christenthume anempfohlene ufld im Mittel-
alter so eifrig praktisch geübte Weltentsagung konnte doch
nur dann einen Sinn haben, wenn man die irdischen Dinge
für verlockend genug erachtete, um das Menschenherz an sich
fesseln zu können, verlocken kann aber nur das, was einen
wenigstens relativen Werth besitzt. Der absolute Pessimismus
predigt keine Entsagung der Welt, denn natürlicherweise kann
er Verzichtleistung auf ein absolut Werthloses nicht für ver-
dienstlich erachten.
So tritt uns also in Petrarca's anscheinend so mittelaltei--
lichem und so erbaulichem Werke zum ersten Male der mo-
derne Pessimismus entgegen, und es wird dadurch dieses Werk
zu einem interessanten und wichtigen Denkmale der Geistes-
geschichte.
Wie konnte es aber geschehen, dass der Begründer der
anscheinend so heiteren und lebensfrohen Renaissance zugleich
der Begründer des lebensfeindlichen absoluten Pessimismus ge-
worden ist^)? Es scheint uns dies leicht erklärlich. Der
Humanismus und »die Renaissance involvirten ein Sichlossagen
von der christlichen Anschauungsweise, die Befreiung vom
Dogma, das Sichstellen des Menschen auf sich selbst. Nun
weist erfahrungsgemäss das irdische Leben düstere Schatten-
seiten auf; der christliche Glaube, der floffnung auf ein bes-
seres Jenseits und einen in demselben erfolgenden grossen Aus-
gleich ergeben, vermag sie zu ertragen und auch in ihnen
Gottes Weisheit und Güte zu erkennen. Wer aber den Boden
des christlichen Glaubens verlassen, der gewahrt gar zu leicht
^) Für Petrarca's Hinneigung zu einer pessimistischen Lebensauffassung
sprechen zahlreiche Stellen seiner Schriften, man vgl. z. B. Ep. Fam. "VlII
8. XXI 1. Sen. I 5. Ep. poet. lat. I 14, v. 1—28, 98 ff. Vit. Sol. praef.
u. I 6, 6; II 2, 8.
Körting, Petrarca. 36
562 Zehntes Capitel.
nur die Schattenseiten des Lebens, übersieht die Lichtseiten
und lässt sich dadurch zu einer pessimistischen Gesammtauf-
fassung bestimmen. Es ist das eine Gefahr, welche gerade
den edelsten, am zartesten besaiteten Gemüthern droht, weil
sie die Dissonanzen des Daseins, den schroffen Widerspruch
zwischen Re'kl und Ideal am schmerzlichsten empfinden. Auch
Petrarca ist dieser Gefahr nicht entgangen, denn so sehr er
auch mit seinem Gemüthe an dem christlichen Glauben fest-
zuhalten sich bestrebte, so trat er doch, sich selbst unbewusst.
heraus aus den Kreisen christlichen Denkens und trat ein in
die Sphäre philosophischer Betrachtung, wohl wollte er zunächst
und vor allen Dingen Christ und nur neljenbei Philosoph sein,
aber die natürliche Logik der Dinge war stärker als er und
bewirkte, dass er dennoch, freilich ohne es selbst zu wissen,
der christlichen Anschauung sich innerlich bis zu einem ge-
wissen Grade entfremdete. Und noch etwas Anderes kam
hinzu. Seine eifrige Beschäftigung mit dem classischen, be-
sonders mit dem römischen Alterthume gab ihm einen idealen
Maassstab, welcher, angelegt an die vielfach kleinlichen, ver-
worrenen und kläglichen Verhältnisse seiner Zeit, ihm diese
letztere als höchst unbefriedigend erscheinen lassen musste. Was
Wunder, wenn eine pessimistische Stimmung sich seiner be-
mächtigte und wenn er überhaupt an dem Werthe des Seien-
den zu verzweifeln begann? Endlich darf man auch nicht
übersehen, wieviele Trübsale er persönlich erfahren, wieviel
Elend in den langen Jahren der Pest und der Kriegsnoth er
geschaut hatte ^). Wer solche traurige Eindrücke in sich auf-
genommen hatte, der konnte wohl sich berechtigt fühlen, das
Menschenleben „einen Platz der Mühsale, eine Schule der Ge-
fahren, eine Bühne der Täuschungen, ein Labyrinth der Irr-
thümer, eine Spielstätte der Betrüger" zu nennen 2).
^) Man vergegenwärtige sich nur die unsäglich verworrenen und jammer-
vollen politischen Verhältnisse Italiens im Zeitalter Petrarca's ^vgl. We-
runsky, Ital. Politik Papst Innocenz VI. und König Karl lY. Wien, 1878,
p. 17—57) und man wird Petrarca's Pessimismus leicht begreifen.
2) Ep. Fam. VIII 8.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 563
Wie aber konnte es geschehen, dass die von Petrarca be-
gründete Renaissancecultur dem ungeachtet den Charakter
heiterer Lebensfreudigkeit an sich trägt? Auch das lässt sich
unschwer erklären. Die Renaissancecultur brach mit der
mittelalterlich-christlichen Anschauung, wonach das Erdenleben
nur eine Vorbereitung auf das Leben im Jenseits und dieses
letztere das einzig wahre, des Namens würdige Leben war,
sie begnügte sich mit dem Diesseits. Es war ihr nun die Wahl
gegeben, auch das Diesseits zu verachten und dem Pessimismus
der Verzweiflung sich zu überlassen, oder aber mit dem Dies-
seits sich auszusöhnen , dasselbe za nehmen wie es eben ist,
in ihm sich möglichst behaglich einzurichten, in ihm Befrie-
digung zu erstreben. Theoretisch wäre das Eine ebenso be-
rechtigt gewesen wie das Andere, praktisch möglich aber war
nur das letztere, die Aussöhnung mit dem Diesseits und die
optimistische Auffassung desselben. Und so haben denn die
Menschen der Renaissance, auf das ungewisse Jenseits ver-
zichtend, mit ganzer und voller Seele dem Erdenleben und
seinen Freuden sich hingegeben, haben das irdische Dasein
als Selbstzweck betrachtet und dasselbe möglichst schön zu
gestalten, möglichst idealer Vollkommenheit anzunähern ver-
sucht. Aber freilich der düsteren Ahnung, dass es einst aus
sein könne mit aller dieser Erdenherrlichkeit, dass dem Rausche
der Freude die Ernüchterung der Reue folgen werde, haben
sie sich nie ganz entschlagen können, und in manchem Dichter-
werk der Renaissance hat sie schmerzlichen Ausdruck gefunden.
So z. B. wenn der grosse Lorenzo de' Medici in seinem herr-
lichen Carnevalsgesang ^) jede Strophe mit der Mahnung schliesst :
„W^er fröhlich sein will, sei es heut', für morgen gibt es
keine Sicherheit ! " Und auch die äussere Geschichte der Re-
naissance wird von einzelnen Episoden unterbrochen, in denen
die ganze dem Jenseits zugewandte Glaubensinnigkeit des
Mittelalters in ihrer vollen Gluth wieder erwacht und die
^; „Canto carnascialesco" in „Tutti i trionfi, carri etc. andati per Fi-
renze dal tempo del Magnifico Lorenzo de' Medici fino all' anno 1559."
2. Ausg. Cosmopoli 1750. I p. 1.
36*
564 Zehntes Capitel.
Renaissancecultur zu stürzen wagt. So geschah es vor allen
jn der merkwürdigen, von Savonarola vollzogenen Bewegung,
die unmittelbar nach Lorenzo's Hinscheiden das heitere Flo-
renz, die Hauptstätte der Renaissancebildung, vorübergehend
der Askese dienstbar machte. Der glaubenseifrige Geist des
Mittelalters war eben von der Renaissance nur zurückgedrängt,
nicht ertödtet worden. In der katholischen Reaction des sechs-
zehnten Jahrhunderts und zum Theil auch in der Reformation,
namentlich in der Gestaltung, welche späterhin das orthodoxe
Lutherthum annahm, lebte er mit ungeahnter Kraft wieder
auf und begann einen Kampf gegen Humanismus und Renais-
sance, der bis zur gegenwärtigen Stunde noch nicht endgültig
geschlichtet worden ist.
Wir wenden uns hiernach der Betrachtung des Werkes
„Ueber das Leben in der Einsamkeit" zu.
Der Gedanke, durch eine eigene Schrift die Berechtigung
und die Vorzüge eines in ländlicher Einsamkeit verbrachten
Lebens nachzuweisen, musste Petrarca sich nothwendigerweise
aufdrängen, als er sich im Herbste 1337 aus dem geräusch-
vollen Avignon in das stille Thal von Vaucluse zurückgezogen
und durch diesen für seine Zeit ganz ungewöhnlichen Schritt
das Aufsehen und Befremden seiner Freunde erregt hatte. Und
in der That hat er sich seit seiner Uebersiedelung nach Vau-
cluse sogleich mit diesem Gedanken getragen^). Zur Aus-
führung seines Vorhabens schritt er jedoch erst im Jahre 1346
in der Fastenzeit ^). Xach seiner Gewohnheit währte es aber
ziemlich lange Zeit, bevor das Werk auch nur im ersten Ent-
würfe vollendet war: in seinem Garten zu Vaucluse, an der
murmelnden Quelle der Sorgue, hatte er es zu schreiben be-
gonnen 2) und erst zu Mailand in der stillen Wohnung an der
Ambrosiuskirche vollendete er es. Als er in den letzten Tagen
des Jahres 1354 zu Mantua bei dem deutschen Könige weilte,
^) Ep. Farn. III 5 (vom 5. Mai, höchst wahrscheinlich des Jahres 1338).
"-) Ep. Sen. VI 5, vgl. Ep. Farn. VIII 3. (Sen. XIV 15).
■•) Vit. Sol. II 10, 12.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 565
konnte er diesem mittheilen, class er das Werkchen unlängst
herausgegeben habe ^). Aber auch jetzt fehlte noch viel, dass
er mit dem Buche abgeschlossen hätte. Unablässig war er
beschäftigt, daran zu feilen, durch Zusätze und Ergänzungen
es zu bereichern ^). Noch kurz vor seinem Tode fügte er auf
Bitten eines ihm befreundeten Camaldulenserpriors ein Capitel
über den heiligen Romualdus ein und beabsichtigte auch noch
die Einfügung eines weiteren über den Eremiten Johannes von
Vallombrosa ^).
Es war ein sehr natürliches und berechtigtes Gefühl, durch
welches Petrarca angeregt wurde, die Schrift „Ueber das
Leben in der Einsamkeit" seinem Freunde Philipp von Ca-
bassoles, in dessen Sprengel die Einsiedelei von Yaucluse be-
legen war, gleichsam als einen litterarischen Zehnten zu-
zueignen *). Aber Philipp musste , selbst auch nachdem
das Buch bereits erschienen war, noch lange Jahre sich ge-
dulden, bevor er das ihm zugedachte Exemplar erhielt. Erst
im Juni 1366 ward ihm, der inzwischen längst Cavaillon ver-
lassen hatte und damals den Titel eines Patriarchen von Jeru-
salem führte, bald aber mit der Cardinalswürde bekleidet
ward, das Widmungsexemplar von Petrarca zugesandt und auch
dann erst, als er den säumigen Verfasser durch Boccaccio an
seine Pflicht hatte mahnen lassen ^). Petrarca suchte sein
Zögern mit allen möglichen Gründen — mit seiner Langsam-
keit im Fertigwerden, mit der Unmöglichkeit, einen geeigneten
Copisten finden zu können — zu entschuldigen, der wahre
Grund aber kann nur der gewesen sein, dass er sich dem alten
Jugendfreunde, der zu so hohen Würden emporgestiegen war,
entfremdet gefühlt hatte. Uebrigens Hess Philipp die Saum-
seligkeit des Verfassers dem Buche nicht entgelten, er widmete
^) Ep. Fam. XIX 3; hiernach ist Fracassetti's sonst treffliche Unter-
suchung, Lett. fam, V p. 245 ff., zu ergänzen.
•-) Ep. Var. 4 u. 12.
■") Ep. Sen. XV (XVI) 3.
*) Ep. Sen. VI 5 u. Vit. Sol. praef.
5) Ep. Sen. VI 5.
566 Zehntes Capitel.
vielmehr demselben eine eifrige Leetüre — selbst bei Tische
Hess er gegen seine sonstige Gewohnheit sich daraus vorlesen
— und zollte ihm hohe Bewunderung ^) , welche letztere auch
von anderen hohen geisthchen Würdenträgern, ja selbst von
dem Papste Urban V. getheilt ward 2),
Wir geben nun im Folgenden eine gedrängte Analyse des
Inhaltes des in zwei Bücher sich gliedernden Werkes, wobei
wir die ihm vorausgeschickte kurze Vorrede desselben als für
unsere Zwecke interesselos übergehen dürfen. Vorausgesandt
muss aber die Bemerkung werden, dass Petrarca unter dem
von ihm gefeierten Leben in der Einsamkeit nicht etwa ein
müssiges und einsiedlerisches, sondern ein durch edele geistige
Thätigkeit, namentlich auch durch wissenschaftliche Studien
ausgefülltes und durch den Verkehr mit Freunden belebtes
verstanden wissen will ^). Das Werk beginnt mit der einlei-
tenden Behauptung, dass ein edler Geist, da er von der Sinnes-
lust nicht gefesselt werden könne und nur in Gott, in sich
selbst und in der Freundschaft mit einem mögliehst Gleich-
gesinnten dauernde Befriedigung zu finden vermöge, sich mög-
lichst weit von dem Gewühle der Mensehen und Städte zurück-
ziehen müsse.
Sodann betheuert Petrarca die Selbständigkeit seiner
Arbeit: „Ich habe bei dieser Abhandlung zum grossen Theile
auf die eigene Erfahrung mich stützen können und keinen
anderen Führer aufgesucht, noch auch würde ich einen solchen,
wenn er sich mir angeboten hätte, angenommen haben, denn
mit freierem Schritte, wenn auch vielleicht unbedachtsam,
folge ich den Eingebungen des eigenen Geistes, als fremden
Fussspuren."
Hierauf, gleichsam als Beschluss der einleitenden Vorbe-
merkungen, skizzirt der Verfasser den Inhalt und die Tendenz
seines Werkes: er will die Vorzüge des Lebens in der Ein-
1) Ep. Sen. Xm 11.
2) Ep. Sen. VI y.
">) Vit. Sol. n 9, 6.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 567
samkeit zur Darstellung bringen, indem er die einzelnen Ver-
hältnisse und Scenen desselben mit denen des Lebens in der
(Städtischen) Gesellschaft vergleicht. Er versichert, dass er
die Menschen nicht hasse, da ja das Evangelium sie zu lieben
befehle, und dass er die Einsamkeit und die Stille nicht sowol
um ihrer selbst willen, als um desswillen liebe, weil sie Müsse
und Freiheit gewähren, wogegen das gesellige Leben der
Städter mit lästiger Sorge und Unruhe erfüllt sei. Würde
ihm — was freilich einem Wunder gleich zu achten wäre —
ein angenehmes und Müsse gewährendes Gesellschaftsleben dar-
geboten,, so würde er an ihm gern theilnehmen und es einer
trübseligen und bekümmerten Einsamkeit vorziehen.
Nun wird, um die Vorzüge des Lebens in der Einsamkeit
möglichst anschaulich zu entwickeln, eine bis in das Einzelnste
gehende Parallele gezogen zwischen dem Tageslaufe des „Viel-
beschäftigten (Occupatus)" d. h. des inmitten des öffentlichen
und gesellschaftlichen, Lebens stehenden Städters und des
„Einsamen (Solitarius)" d. h des von Geschäften zurückgezo-
genen, in beschaulicher Einsamkeit lebenden Landbewohners.
Der Vielbeschäftigte steht, von bösen Träumen ge-
schreckt oder von Sorgen oder auch von dem Lärmen der
dienten geweckt, schon mitten in der Nacht auf und begibt
sich, noch ehe der Tag graut, an sein entweder ärgerliches
und mühevolles oder unnützes und frivoles Tagewerk. Der
Einsame steht ebenfalls früh auf, oft geweckt vom lieblichen
Gesänge der Nachtigall, aber er ist von dem massigen Schlummer
gestärkt und erfrischt. Nachdem er aufgestanden, spricht er
zunächst ein frommes Gebet, betrachtet den Himmel und die
Sterne (!), erinnert sich daran, dass dort oben sein wahres
Vaterland ist, nimmt dann eine nützliche Leetüre vor und er-
wartet, nachdem er auch ein wohlschmeckendes Frühmahl ein-
genommen, den Morgen. — Der Vielbeschäftigte wird
sofort nach Tagesanbruch von Feind und Freund mit Klagen
oder Bitten bestürmt. Noch am frühen Morgen muss er auf
das Forum eilen, um in verdriesslichen Gerichtsverhandlungen,
in denen er entweder für seine eigene Schande oder für das
568 Zehntes Capitel.
Verderben Anderer sich abmüht ^), den Vormittag zu verbringen,
und wenn er endlich Mittags nach Hause zurückgekehrt ist.
niuss er sich vor dem Andränge seiner Clienten schimpflicli
verstecken. Der Einsame geht, wenn es ihm beliebt, hinaus
in den Wald oder ersteigt einen Hügel, bewundert die schöne
Natur, preist in Gebeten Gott, der sie geschaffen, und bittet
ihn, ihm die Reinheit des Herzens zu bewahren, ihn vor Leiden-
schaften zu schützen und ihm eine gesunde Seele im gesunden
Leibe zu verleihen. — Der Vielbeschäftigte speist in
einem prächtigen Saale, umgeben von zahlreicher und lärmen-
der Dienerschaft und essgierigen Hausgenossen, seine Tafel ist
mit fremdartigen Speisen besetzt und ausländische, mit Ge-
würzen gemischte Weine erglänzen in prächtigen Gefässen:
Alles ist bis zum Ekel pikant zubereitet^). Der Vielbeschäf-
tigte sitzt aber verstimmt und ohne Appetit bei Tische, gequält
von geschäftlichen Sorgen. Der Einsame dagegen nimmt
heiter und wohlgerauth sein einfaches Mahl ^) ein und ein Dank-
gebet zu Gott ist seine Tafelmusik. — Nach dem Mahle be-
ginnt im Hause des Vielbeschäftigten ein wüstes und
wildes Treiben und schon das Estrich des Speisesaals mit den
umhergestreuten Speiseresten gewährt einen ekelhaften An-
blick. In der Behausung des Einsamen wird die Behag-
lichkeit nicht gestört, er selbst hat von seinem einfachen Mahle
keine Beschwerden und kann die Stunden nach Tische nütz-
lichen und edlen Beschäftigungen und Studien widmen. — Der
Vielbeschäftigte in seiner Gier, reich zu werden, arbeitet
bis zur Abenddämmerung an Trug und Ränken mit ungedul-
diger Hast. Der Einsame sieht den Tag und die Zeit ruhig
entfliehen, denn sein Gottvertrauen verleiht ihm heitere Zu-
versicht. — Der Vielbeschäftigte verlässt am Abend noch
*) Hier findet sich im Original ein hübsches Wortspiel: „potius d^serti
famem, quam d/serti famam concupiscit et arator quam orator esse maluerit.'"
-) Die Tafelschilderung ist offenbar ganz nach den von Horaz, Juvenal
u. A. gegebenen Typen entworfen.
•") Hier Etymologie von prandium: ut maioribus placet a parando, quasi
paranidiim.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 569
einmal sein Haus, um seinen sündhaften Werken nachzugehen ;
erst am Abend spät kehrt er heim , vielleicht arm an Gold,
das er im Spiel verloren, aber beladen mit Schmach und Sünde.
Der Einsame verbringt den Abend am sonnigen Quell oder
am grasigen Ufer des Baches oder am Meeresstrande und
betet zu Gott, dass er ihn in der nahenden Nacht gegen die
Versuchungen des Teufels und gegen sündhafte und schlüpfrige
Traumbilder schützen möge. Der Vielbeschäftigte hält
eine mit der Pracht eines Leichenzuges ausgerüstete Abend-
mahlzeit, überladet sich den Magen und bereitet sich Uebel-
keit für den folgenden Tag vor. Der Einsame speist ent-
weder gar nicht am Abend oder doch nur so massig, dass er
de§ platonischen Spruches eingedenk bleibt: ich will nicht
zweimal an einem Tage satt werden. — Der Vielbeschäf-
tigte legt sich halbberauscht und von Sorgen gequält zu
Bette, in welchem er eine unruhige Nacht verbringt, verfolgt
von bösen Träumen, die ihm die Schreckbilder der Opfer
seiner Schandthaten zeigen. Der Einsame erfreut sich eines
gesunden Schlafes, der durch liebliche Traumbilder und beseli-
gende Visionen verschönt wird.
Man sieht, die Farben in diesem Doppelgemälde sind
stark aufgetragen und nicht eben die Logik hat des Malers
Pinsel geführt. Der „Vielbeschäftigte" ist ein unnatürliches
Zerrbild, schon um desswillen, weil Schwelger, wie er einer
sein soll, nicht diese ihm eigene hartnäckige Arbeitswuth be-
sitzen: es sind in dem Porträt zwei Figuren durch einander
gemalt, der wollüstige Lebemann, der bei den römischen Sa-
tyrikern eine stereotype Carricatur ist, und der habgierige und
gewissenlose, aber unermüdlich thätige Advocat. Eine ebenso
unnatürliche Gestalt, wie der „Vielbeschäftigte", ist auch der
„Einsame", der als ein Wesen dargestellt wird, von dem man
sich höchlichst wundem muss, dass ihm nicht die Engelsflügel
zum Fluge gen Himmel wachsen. Und dann, welche unge-
heuere Einseitigkeit ist es, das Zerrbild des ,, Vielbeschäftigten' '
als den Typus der Beschäftigten, der Städter, überhaupt hin-
zustellen, das Leben der Beschäftigten als ein nothwendiger-
570 Zehntes Capitel.
weise in ärgster Schlemmerei und Sünde versunkenes zu be-
zeichnen! Petrarca selbst musste empfinden, dass er doch
etwas gar zu weit gegangen sei, denn er beeilt sich, seinen
Sittenbildern das Zugeständniss folgen zu lassen, es gebe aller-
dings auch unter den Vielbeschäftigten einige wenige gute
Männer, und wenn es möglich sei, die Tugend mit der Be-
schäftigung zu vereinbaren, so sei allerdings das beschäftigte
Leben dem in der Einsamkeit verbrachten vorzuziehen, da es
uns Gelegenheit biete, unsern Mitmenschen zu nützen — was
aber sei beseligender und des Menschen würdiger und Gott
ähnlicher, als möglichst Vielen Unterstützung und Heil zu ge-
währen? Indessen diese vernünftige Einsicht ist nicht von
langer Dauer, und Petrarca fällt sofort wieder in seine ein-
seitige Verherrlichung des Lebens in der Einsamkeit zurück.
Er rühmt diesem nach, dass es die mhige Heiterkeit des
Geistes, eine besondere Gabe Gottes, verleihe, denn da der
Geist sich nicht gleichzeitig verschiedenen Bestrebungen zu
widmen vermöge, so lassen sich die Tugend, die Vorbedingung
dieser Heiterkeit, und die Beschäftigung nur schwer und selten
vereinigen; er weiss ferner hervorzuheben — nicht ahnend,
dass er damit einen crassen Egoismus predigt — , wie sehr das
Leben in der Einsamkeit vor Gefahren schütze : ein Hirt z. B.
lebe sicher und werde nur von wenigen Gefahren bedroht,
während etwa ein Arzt oder ein Todtengräber (!) stets der
Gefahr der Ansteckung ausgesetzt seien. Geistige Uebel aber,
die Sünden, enthalten ein noch weit stärkeres contagiöses
Gift, als die leiblichen, und doch könne man sich, wenn man
unter Menschen lebe, kaum von ihnen frei erhalten. Desshalb
erklärt er (Petrarca) — und eine solche Erklärung zu hören,
muss uns für die Erkenntniss seines Charakters sehr will-
kommen sein — , habe er auch für seine Person das Leben
in der Einsamkeit erwählt: gern zwar möchte er möglichst
Vielen nützen, aber er fühle sich zu schwach und müsse sich
begnügen, die Hülfe desjenigen anzuflehen, der allein zu ge-
währen vermöge, was auch immer gefordert werde.
Wir erhalten durch dieses Selbstbekenntniss Petrarca's
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 571
wenigstens einen Schlüssel zur Erklärung seiner Uebersiede-
lung nach Vaucluse: es veranlasste ihn dazu die Erkenntniss,
dass er den im öffentlichen Leben, etwa in Avignon, an ihn
herantretenden Versuchungen nur schwer widerstehen könne,
und in diesem Bewusstsein sittlicher Schwäche flüchtete er in
die Einsamkeit, in dieser Beziehung ganz mittelalterlicher
Denkweise folgend und nicht erwägend, dass die Flucht vor
der Sünde im letzten Grunde nur ein unverdienstlicher Act
der Feigheit ist, dass nur der muthige, wenn auch beschwer-
liche Kampf gegen die Sünde ein Anrecht auf sittliches Ver-
dienst verleiht. Freilich war das Einsiedlerleben in Vaucluse
zum nicht geringen Theile das Product auch noch anderer
Factoren, namentlich auch war es von Petrarca, wie er kurz
darauf bekennt ^) , gewählt worden aus dem Bedürfnisse nach
Ruhe für seine Studien und Betrachtungen.
Uebrigens erkennt unser für das Leben in der Einsamkeit
schwärmender Autor doch selbst an, dass nicht ein Jeder für
dasselbe geeignet sei und dass, wer es erwählen wolle, sich
ernstlich selbst prüfen müsse. Auch, betheuert er, sei es fern
von ihm, seine subjective Ansicht Anderen aufdrängen zu
wollen, denn „keine Freiheit ist wichtiger als die Denkfreiheit,
diese nehme ich für mich selbst in Anspruch und spreche sie
den Anderen nicht ab" ^) — ein schönes Zeugniss für seine
wenigstens theoretische Toleranz und so recht ein Ausspruch,
um ihn als den Mann zu kennzeichnen, der mit dem Autori-
tätsglauben des Mittelalters grundsätzlich gebrochen und die
Freiheit des Individuums begründet hat. Gern darf man dabei
entschuldigen, dass in der Praxis Petrarca sich oft genug von
der Toleranz gegen Andersdenkende entfernt, dass er die
Vertreter einer der seinigen entgegengesetzten Anschauung,
wie z. B. die Averroisten, mit scharfen und nicht immer ehr-
^) I 4, 3. Die Stelle, auf welche vorhin Bezug genommen wurde, ist
I 3, 3.
^' I 4, 4: „nuUa maior quam iudicii libertas, hanc itaque mihi vindico,
ut aliis non negem" (eine ähnliche Sentenz I 5, 1).
572 Zehntes Capitel.
liehen Waffen bekämpft hat. Nur eben wenige Menschen
vermögen es, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen. —
Im weiteren Verlaufe der Schrift weiss nun der Verfasser
immer neue Reize des Lebens in der Einsamkeit zu entdecken.
Dies Leben regt zu frommen Gedanken an und erfüllt mit
Vertrauen auf Gott: es verleiht den Besitz derjenigen Tugen-
den, welche die ]\Ienschenseele von den Leidenschaften zu rei-
nigen vermögen ^) ; es gewährt die beglückendste Hoffnung und
Erwartung der himmlischen Seligkeit und bietet uns schon auf
Erden die Möglichkeit, mit Geistern verkehren, Visionen haben
und mit Christus selbst sprechen zu können. Man ersieht
hieraus, dass der Begründer der Renaissance doch noch so
festen Fuss im Mittelalter hatte, um sich von dessen Mystik
anhauchen zu lassen. Aber bald darauf tritt uns wieder der
Humanist Petrarca entgegen, wenn er das Leben in der Ein-
samkeit auch um desswillen anempfiehlt, weil es uns ermög-
liche, mit den grossen Männern des Alterthums zu verkehren
und darüber das Elend der Gegenwart zu vergessen, zu lesen,
was die bedeutendesten Geister geschrieben haben, und zu
schreiben, was die unbedeutendesten lesen werden. Besonders
aber gewähre uns die Einsamkeit die erforderliche Müsse, um
behaglich denken und litterarisch producii-en zu können, nament-
lich für Geschichtsschreiber und Philosophen sei es äusserst
angenehm, in der Einsamkeit der freien Xatur Gedanken
sammeln und ausspinnen ^) und dieselben dann im Zimmer
schriftlich bearbeiten zu können, die Dichter freilich, welche
ja bei ihrer Production in der Regel keines litterarischen Appa-
rates bedürfen, müsse man ganz ihrer Stimmung überlassen,
denn sie würden an jedem Orte, wo es ihnen gerade behage,
produciren können, sei es in der freien Natur, sei es in einem
geschlossenen Räume.
^) Hier {I 4, 5) gibt Petrarca nach Macrobius der wieder aus Plotin
schöpfte) eine Eintheilung der Tugenden (virtutes politicae, v. purgatoriae,
V. animi purgati, v. exemplares).
■-) Petrarca berichtet bei dieser Gelegenheit (I 4, 11 u. 12), dass er
selbst gerade im Freien am besten und leichtesten zu produciren vermöge.
Die moralphilosophisclien und religiösen Tractate. 573
Dann kommt Petrarca, um die Berechtigung des Lebens
in der Einsamkeit endgültig nachzuweisen, noch einmal auf
die Beschwerden und sittlichen Gefahren des städtischen Lebens
zu sprechen, wobei er Gelegenheit nimmt, seiner sittlichen
Entrüstung über die Putzsucht, den häufigen Wechsel und die
nationale Unselbständigkeit der Kleidermoden, die Eitelkeit
und die kleinliehe Gesinnung seiner italienischen Zeitgenossen
einen schönen und volltönenden Ausdruck zu verleihen ') und
die Grösse der römischen Vergangenheit mit der erbärmlichen
Kleinheit der Gegenwart wehmuthsvoll zu vergleichen. Und
einmal angeregt zu pessimistischen Betrachtungen ruft er kla-
gend aus (I 6, 6): „Alles neigt sich allüberall auf der Erde
dem Schlechteren zu, alle guten Sitten haben eine kurze Lebens-
dauer, die bösen aber sind unsterblich'- (man vgl. auch II 2, 6),
Wenn das erste Buch, welches mit dieser schmerzlichen Klage
abschliesst, gewissermaassen eine Theoiie des Lebens in der
Einsamkeit aufstellt, so gibt das nun beginnende zweite die
praktischen Belege für die Theorie. Es sollen die berühmten
Männer aufgezählt werden, welche dem Leben in der Einsam-
keit sich ergeben und diesem dadurch die höhere Weihe ertheilt
haben. Zunächst werden mehrere der bekanntesten Einsiedler
aus den ersten Zeiten des Christenthums genannt, wie z. ?>.
Antonius und Hilarion. Dann'aber wird zu „weniger bekannten'
Beispielen übergegangen. Begonnen wird dabei, wie billig,
mit den Männern der Bibel. Zuerst tritt Adam auf, der nur
so lange, als er in der Einsamkeit, d. h. ohne Eva lebte, voll-
kommen glücklich gewesen sei ^) , es folgen Abraham , Isaac,
Moses, Elias, Jeremias. Sodann werden mehrere berühmte
Eremiten des früheren und späteren Mittelalters genannt, dar-
unter freilich auch manche, deren Anrecht höchst zweifelhaft
erscheinen muss, wie z. B. der heilige Ambrosius und der
heilige Bernhard. Selbstverständlich entnahm Petrarca die
^1 Es findet sich in diesem Capitel (I 6, 3) manches culturhistorisch
recht Interessante.
■-) Dieser Gedanke ist dem Briefe des heiligen Ambrosius an Sabinus
entnommen.
574 Zehntes Capitel.
Notizen, deren er bedurfte, den reichlich vorhandenen Heiligen-
leben , indessen begnügte er sich nicht mit einer blossen Ee-
production, sondern bemühte sich — und das ist recht be-
achtenswerth — auch hier die geschichtliche Wahrheit aus-
findig zu machen und wenigstens einige historische Kritik zu
üben. So fand er z. B. verschiedene Angaben über das Leben
des Petrus Damianus, und um zu erfahren, welche er für die
richtigen zu halten habe, sandte er Boten in das Kloster, dem
Damianus einst angehört hatte, und liess die dortigen Mönche
befragen (II 3, 17). Aehnlich hatte er früher einmal bei einer
anderen Gelegenheit in Bezug auf den heiligen Simplicianus
gehandelt^). Der Begründer der modernen Kritik konnte es
sich eben nicht versagen, auch auf kirchliche Schriften den
Grundsatz freier Forschung anzuwenden, er brach auch hier
mit dem blinden Autoritätsglauben des Mittelalters.
Der ganze Abschnitt über die für die Einsamkeit wirklich
oder angeblich begeistert gewesenen Heiligen ist von Petrarca
augenscheinlich mit grosser Liebe abgefasst worden, auch hat
gerade dieser Abschnitt, durch welchen die Localeitelkeit zahl-
reicher Städte und Klöster in der Verherrlichung ihres Schutz-
patrons oder Stifters sich . geschmeichelt fühlte , am meisten
dazu beigetragen, das Buch populär zu machen. Mehrfach be-
mühten sich geistliche Genossenschaften, noch nachträglich
ihrem Specialheiligen einen Platz eingeräumt zu erhalten, und
Petrarca fügte sich, wenn möglich, diesen Wünschen, so z. B.
in Bezug auf den heiligen Romualdus, einige freilich konnte er,
wenn er nicht inconsequent sein wollte, nicht erfüllen, so
musste er z. B., was ihm von manchen Seiten sehr verübelt
ward, dem heiligen Dominicus die Aufnahme versagen, weil
dieser ja grundsätzlich das Klosterleben aus der ländlichen
Einsamkeit in das Geräusch der Städte verpflanzt hatte '^). —
Unter den heiligen Einsiedlern wird auch der Papst Cö-
lestin aufgeführt (H 3, 18), und interessant ist es hierbei, die
^) Ep. Fam. XXI 14.
2) Ep. Sen. XV 3.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 575
Verschiedenheit der Auffassung' Petrarca's von derjenigen
Dante's zu constatiren. Der letztere hat bekanntlich jenen
Papst verdammt, weil er „aus Feigheit den grossen Verzicht"
geleistet^), Petrarca, milder und zugleich richtiger urtheilend,
preist es höchlichst, dass der in den Geschäften der Welt ganz
unerfahrene Eremit von dem Stuhle Petri zur stillen Clause
zurückzukehren sich entschloss.
Es folgt nun, mit dem Vorhergehenden nur lose verknüpft
— die Erwähnung des Peter von Amiens, des Kreuzzugpre-
digers, dient als verbindende Brücke — ein kirchenpolitischer
Excurs, in welchem der Verfall des römischen Kaiserthums,
das immer weitere Umsichgreifen des Islams und die Laster-
haftigkeit der Fürsten in warm empfundenen und ergreifenden
Worten beklagt wird (II 4, 1—8).
Fernere Beispiele heiliger Personen, welche, zeitweilig
wenigstens, die Einsamkeit geliebt, werden angeführt: Johannes
der Täufer, die heilige Maria Magdalena, König David und
vor allen Christus selbst.
Nun wird ein Ausflug in den fernen Orient unternommen.
Petrarca hatte theils durch die Schriften der Kirchenväter —
l)esonders aber durch das dem heiligen Ambrosius beigelegte
Buch ,,de vita Brachmanorum" -') — theils durch Berichte ihm
persönlich bekannter Reisenden ^) von den indischen Einsiedlern
und Büssern Kunde erhalten und konnte es sich nicht ver-
sagen , auch dieser Einsamkeitsfanatiker zu gedenken. Die
Verachtung der irdischen Güter, welcher die Brahmanen hul-
digen, und ihre Liebe zur Einsamkeit billigte er vollkommen,
aber er tadelte die übertriebene und cynische Strenge in ihrer
Lebensweise, denn, meint er, auch im äusseren Leben müsse
man die von Cicero (de off. I 36, 130) anempfohlene Mittel-
strasse innehalten. Man beachte, dass damit indirekt auch
1) Inf. III 62.
■^) Petrarca sprach indessen dem Ambrosius die Verfasserschaft ab und
legte sie dem Palladius bei (II 6, 1).
") II 6, 2; in erster Reihe darf man wol an den weit gereisten Gio-
vanni Colonna di San Vito denken.
576 Zehntes Capitel.
ein Verdammungsurtheil über das christliche Klosteiieben aus-
gesprochen wird. So sympathisch Petrarca sich auch in seinem
Gemüthe von der stillen und frommen Beschaulichkeit des
Klosters angezogen fühlte, seinem ästhetischen Sinne wider-
strebte durchaus die rauhe und jeder Schönheit baare Er-
scheinungsform des Mönchsthums. und die diesem anhaftende
Neigung zur Excentricität. Man erkennt auch in diesem Zuge
wieder einmal den Begründer der nach Harmonie und Schön-
heit auch der äusseren Daseinsformen strebenden Renaissance-
oultur. Nach den Indiern werden, damit ja Nichts ausgelassen
werde, die fabelhaften Völker der Hyperboreer, der Arim-
phäer, der Hibernier, der Einwohner Thule's und der glück-
seligen Inseln besprochen, welche alle die Einsamkeit lieben
sollen. Das Material zu diesen wunderlichen Notizen ist dem
Pomponius Mela, dem Solin und besonders dem älteren Pli-
nius ^) entlehnt worden.
Hiernach werden Philosophen der alten und neuen Zeit ge-
nannt, welche irgend wie dem Leben in der Einsamkeit sich zu-
geneigt bewiesen haben. Wir finden da in ziemlich bunter Reihen-
folge Piaton und Plotin, Pythagoras und Demokrit, Parmenides
und — unser Autor folgt einer wunderlichen Ueberlieferung
des späteren Alterthums — Atlas. Auch Prometheus erscheint
hier, denn die bekannte Fabel von seiner Anschmiedung im
Kaukasus soll dadurch entstanden sein, dass er, um ausschliess-
lich der Erforschung der Naturgeheimnisse sich zu widmen,
in dieses Gebirge sich zurückzog. Schliesslich wird auch, unter
kurzer Hindeutung auf sein trauriges Schicksal, Abälard er-
wähnt und als ,,ein Mann von, wie Einige meinen, verdächtiger
Rechtgläubigkeit, aber wahrlich nicht von geringer Begabung"
bezeichnet (H 7, 1).
Nun kommen die berühmten Männer des Alterthums an
die Reihe, welche Freunde des Lebens in der Einsamkeit ge-
wesen sein sollen. Darunter werden nun freilich manche
genannt, welche in Wirklichkeit durchaus keine einsiedlerischen
^) vgl. Hist. Nat. IV 89 ff. u. VI 35 ff
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 577
Neigungen belassen: es wird eben von unserem Autor ein
Jeder als willkommene Beute betrachtet, der nur irgend ein-
mal direkt oder indirekt ein Wort zum Lobe der Einsamkeit
hat fallen lassen. Den Reigen eröffnet Seneca „aus Corduba,
römischer Bürger und Senator, weil er im Monologe des zweiten
Actes der ,Octavia' mit nicht geringer Wehmuth an die Ein-
samkeit von Corsica zurückdenkt." Dann kommen Cicero und
Demosthenes und, um die früher gegebene Philosophenliste zu
vervollständigen, Anaxagoras , Xenokrates, Zeno und Karnea-
des; gern würde Petrarca auch den Fassbewohner Diogenes
für sein Register gewonnen haben, aber er wagte dies nicht
zu thun, weil der heilige Hieronymus positiv versichert, dass
Diogenes in Städten sich aufgehalten habe. — ^ Hiernach werden als
weitere Freunde des Lebens in der Einsamkeit in einer selt-
sam verwirrten Reihenfolge Cäsar und Augustus, Diocletian
und Antoninus Pius, Numa Pompilius, Achilles, Hercules und
die Scipionen aufgezählt.
Es folgt nun ein Abschnitt, der speciell nur auf den Mann,
welchem das Buch gewidmet ist, den Bischof Philipp von Ca-
vaillon, Bezug nimmt, Petrarca zählt die Annehmlichkeiten
auf, welche das Wohnen in dem einsamen, malerisch gelegenen
Cavaillon dem Bischöfe darbietet, und setzt ihm auseinander,
dass durch dies einsame Leben die Ausübung der bischöflichen
Pflichten keineswegs beeinträchtigt werden könnte.
Schliesslich widerlegt der Autor kurz die scheinbaren Ein-
wände, welche auf Grund einiger Stellen der Bibel, des Ari-
stoteles und des Cicero gegen das Leben in der Einsamkeit
vielleicht erhoben werden könnten. Auch den Einwand be-
müht er sich zu widerlegen, dass, wenn Alle seinem Rathe
folgen und in die Einsamkeit fliehen würden, die Städte ver-
öden und die Staaten sich auflösen müssten. Das sei, meint
er, durchaus nicht zu befürchten, denn sein Mahnruf werde
sicherlich nicht von dem grossen Haufen beherzigt werden,
sondern nur von einigen Wenigen; wenn sich aber dennoch
wirklich Viele zur Wahl der Einsamkeit bestimmen lassen
würden, so würde die Einsamkeit eben aufhören, einsam zu
Körting, Petrarca. 37
578 Zehntes Capitel.
sein, und die Menschen würden sich in neuen Städten zusam-
menfinden. Wer sich übrigens einmal zu dem Leben in der
Einsamkeit entschliesse, der müsse dies mit aller Entschieden-
heit thun und von vornherein alle Gedanken an die Rückkehr
in die Stadt verbannen. Die Stadt müsse man den Leuten
überlassen, welche schnödem Gewinne nachjagen ^). Dann wird
nochmals das Unglück oder doch nur scheinbare Glück der
Städter mit dem Glücke der in der Einsamkeit Lebenden kurz
verglichen und damit das Buch beschlossen. Verwoben ist
in diese Schlussbetrachtung die bemerkenswerthe Behauptung,
dass die antiken Schriftsteller allerdings zu ergötzen, aber,
da sie der christlichen Wahrheit entbehrten, dem Geiste
nicht den erhabenen und dauernden Frieden zu verleihen
vermögen. — —
Durch keine Schrift Petrarca's wird, so meinen wir wenig-
stens, sein Heraustreten aus dem Kreise mittelalterlichen Den-
kens und Lebens so nachdrucksvoll bezeugt, wie durch die
eben besprochene. Denn was ist, wenn man ihren Kern von
der etwas wunderlich erscheinenden Schaale löst, ihr wesent-
licher Inhalt? Doch wol die Lehre, dass der Mensch, um
glücklich zu sein, keinem geschlossenen Stande, keinem das
eigene Ich beschränkenden Amte angehören dürfe, sondern
dass er im Vollbewusstsein seiner Individualität sich loslösen
müsse von der grossen Masse, dass er in stolzer Selbstgenüg-
samkeit ein nur den eigenen Interessen gewidmetes Leben im
Schoosse der malerischen, ländlichen Natur führen und darin
allein die innere Harmonie und Zufriedenheit erstreben solle.
Es ist der Individualismus und verfeinerte Egoismus, den der
Verfasser predigt, mag er auch noch so sehr bemüht sein, die
im letzten Grunde unsittliche Lehre vor sich selbst und dem
*) Hier wird eine culturWstoriscli interessante Aufzählung der städti-
schen Berufsarten gegeben: mercatores, advocati, proxenetae, foeneratores,
publicani, tabelliones, medici, unguentarii, laciones, coci, pistoi'es, sartores,
alchyraistae, fuUones, fabri, textores, architecti, statuarii, pictores, mimi,
saltatores, citharoedi, circulatores, lenones, fures, malefici. adulteri, parasiti,
hospites, circumscriptores, scurrae (II 10, 8).
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 579
Leser durch allerlei frommes Beiwerk zu verhüllen. Der Ein-
samkeitsfreund Petrarca's ist — ähnlich wie die glücklichen
Menschen des Horaz, denen fern von den Geschäften zu leben
vergönnt wird — ein humanistisch gebildeter Egoist, welcher,
während die Mehrzahl der Menschen im Geräusch der Städte
den harten Kampf um's Dasein kämpfen und unaufhörlich mit
sittlichen Versuchungen ringen muss, in behaglicher ländlicher
Abgeschiedenheit dahinlebt, nur mit der Sorge beschäftigt, das
eigene Ich möglichst gut zu unterhalten und zu conserviren.
Es ist dieser Einsamkeitsfreund so recht der Typus jener ernst
im späteren Römerthume so zahlreichen und dann eben von
der Renaissance zu neuem Leben erweckten Classe von Men-
schen, welche in einer mit jedem leiblichen und geistigen
Comfort ausgestatteten Villeggiatur einem verfeinerten Epi-
kureismus huldigen und sich, soweit ihnen äussere Verhältnisse
keine Rücksichten auferlegen, aller Pflichten gegen Menschheit
und Staat vornehm überheb-en, ja Anspruch darauf machen, für
die einzigen des Namens würdigen Menschen, wenn nicht gar
für die Götter der Erde zu gelten.
Auch im Mittelalter Hüchteten viele Tausende aus dem
Geräusche der Welt in die Stille der Einsamkeit, aber sie
thaten dies — wenigstens der Theorie nach — in dem Streben,
ihre Individualität ganz zu ertödten und ganz aufzugehen in
der grossen Allgemeinheit der Kirche und speciell der klöster-
lichen Genossenschaft, sie wollten das eigene Selbst verleugiren
und nur der Erfüllung der Pflichten der Gottesliebe und der
Nächstenliebe leben. Sie schlössen sich daher auch, von ver-
einzelten Ausnahmen abgesehen, nicht grundsätzlich von ein-
ander ab , sondern verbanden sich vielmehr grundsätzlich zu
einer festgeschlossenen und gegliederten Standesgemeinschaft,
sie wollten nicht ein Jeder für sich ein selbstgenügsames Einzel-
dasein führen, sondern vielmehr jedem Rechte auf Vereinzelung
und auf Selbstbestimmung entsagen.
Der Einsamkeitsfreund Petrarca's dagegen flieht das Treiben
der Städte, weil er schmerzlich empfindet, dass durch dasselbe
seine Individualität vielfach eingeengt und in ihrer freien Ent-
37*
580 Zehntes Capitel.
Wickelung behindert wird. Er sucht in der Einsamkeit den
Vollgenuss der persönlichen Freiheit, die Erlösung von allem
gesellschaftliehen Zwange. Daher isolirt er sich auch, soviel
er nur vermag, und schliesst sich stolz ab von der grossen
Masse der Menschheit, auf welche mit Verachtung herabzu-
^chauen er sich im Bewusstsein seiner überlegenen Bildung
für berechtigt hält. Sein eigenes Selbst wird ihm zum Ziel-
punkt alles Strebens und Trachtens, dies Selbst möglichst
scharf und eigenartig sich abheben zu lassen von der Durch-
schnittsmenschheit ist sein eifrigstes Begehren.
Man sieht, wie schroff Mittelalter und Renaissance ein-
ander gegenüber stehen: das erstere trachtet nach Vernichtung,
die letztere nach möglichster Entwickelung und Geltendmachung
der Individualitäten, das erstere will die Menschheit in die
Kategorien von Ständen als gleichartige Massen zusammen-
fassen, die letztere die Menschheit auflösen in eine Menge sich
ihrer selbst möglichst bewusster Einzelwesen. Daher hat das
Mittelalter scharf abgegrenzte Stände geschaffen, aus denen
sich, wie aus einzelnen über einander lagernden Schichten, der
Staat aufbaute, die Renaissance dagegen hat die Idee des all-
gemeinen Staatsbürgerthums erzeugt, die Idee, dass ein jeder
Einzelne dem Anderen gleichberechtigt sei und dieser Gleich-
berechtigung die äussere Anerkennung zu beschaffen sich be-
streben müsse, nur freilich ward für die praktische Verwirk-
lichung dieser Idee höchst verhängnissvoll, dass durch die Re-
naissance, wie wir früher (S. 522 ff.) einmal ausführlich darlegten,
die Einheit des Volksthums in die Zweiheit der gebildeten und
ungebildeten Stände zerrissen wurde.
Die Tendenz der Renaissance nach Individualisirung hat
nun unleugbar ihre schweren Schattenseiten gehabt, unter
deren Nachwirkungen die Völker des westlichen Europa's noch
jetzt leiden und noch lange Jahre leiden werden, nichtsdesto-
weniger aber stellt sie gegenüber der Tendenz des Mittelalters
nach Aufhebung der Individualität einen höchst segensreichen
Fortschritt dar, denn eine wirkliche Entwickelung der Mensch-
heit ist nur möglich, wenn ein jedes Individuum in regsamem
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 581
Selbstbewusstsein den Vollgenuss des Daseins erstrebt. Auch
daif man nicht übersehen, dass die mit der Tendenz nach In-
dividiialisirung verbundenen Gefahren durch die realen Ver-
hältnisse wesentlich eingeschränkt werden. Den wenigsten
Menschen gestattet es das praktische Leben, die Individualisirung
so weit zu treiben, dass sie, wie Petrarca's Einsamkeitsfreund.*
aus dem Verbände der bürgerlichen Geselligkeit ausscheiden
und in grundsätzlichem Egoismus einem confortablen Einsiedler-
thume sich überlassen. Das Streben nach Individualisirung
findet weit eher seine natürlichen Grenzen, als dasjenige nach
Aufhebung der Individualität.
So ist denn die Schrift „über das Leben in der Einsam-
keit" wichtig und interessant als die erste litterarische Ur-
kunde , durch welche der Bruch mit dem mittelalterlichen
Denken und der Beginn des modernen Denkens bezeugt wird.
Aber auch in einer noch anderen Beziehung besitzt sie hohes
Interesse.
Die Menschen des Mittelalters, welche aus dem Treiben
der Welt in die Einsamkeit sich flüchteten, suchten mit Vor-
liebe Oerthchkeiten auf, an denen die Natur der Landschaft
in ihrer reizlosesten Erscheinung sich darstellt: in öden Thal-
schluchten, auf kahlen Berghöhen, inmitten düsterer, jegliche
Aussicht behemmender Wälder entstanden die Klöster. Zum
Mindesten legte man keinen Werth auf die malerische Schön-
heit der Landschaft. Man erkannte dieselbe eben nicht, besass
kein Auge, kein Gefühl für sie, stand ihr gleichgültig, viel-
leicht selbst feindselig gegenüber, denn Alles, was etwa den
Menschen an diese Erde zu fesseln vermag, das galt ja als
eine Versuchung, welche überwunden, niedergekämpft wer-
den müsse.
Petrarca's Einsamkeitsfreund ist anderer Denkweise zu-
gethan. Er erwählt zur Stätte seines genussvollen Einsiedler-
thums eine liebliche Gegend, wo er längs eines murmelnden
Baches auf grünenden Wiesen und in blühenden Hainen sich
ergehen, wo er von der Höhe eines Hügels einer schönen Aus-
sieht sich erfreuen, wo er mit einem Worte die Natur der
582 Zehntes Capitel.
Landschaft in ihrer anmuthigsten Gestaltung schauen kann.
Dieser Einsiedler Petrarca's ist ganz erfüllt von der modernen
Freude an der malerischen Schönheit der Natur, er ist beseelt
von ganz demselben Gefühle, welches noch jetzt zur Sommer-
zeit die Menschen hinauslockt aus dem Qualme der Städte in
die reizvolle Stille der ländlichen Natur, ja er kennt selbst
auch schon jene Sentimentalität, welche das Landleben im
Lichte einer poetischen Verklärung schaut und dasselbe für
die einzige mit der Sittlichkeit vereinbare Form menschlichen
Daseins erachtet. So bezeichnet Petrarca's Schrift scharf und
l)estimmt den Beginn einer neuen Denk- und Gefühlsströmung,
welche in ihrer weiteren Entwickelung ausserordentlich ein-
flussreich und geradezu zu einem Hauptfactor der modernen
Cultur werden sollte. Denn wie gewaltig hat, um nur Eins
zu berühren, dies neu erwachte Naturgefühl auf die Umbildung
der socialen Verhältnisse eingewirkt, wie sehr hat es dazu
beigetragen, die festgeschlossene Stadtgemeinde des Mittel-
alters zu zerstören und die früher bestandene Schranke zwischen
Bürgerthum und landbautreibender Bevölkerung aufzuheben!
Und wie wesentlich ist, um auch dies noch wenigstens anzu-
deuten, das neue erwachte Naturgefühl für die Entwickelung
der Poesie geworden! wie hat es derselben eine ganz neue
und weite Sphäre eröffnet, wie hat es sie mit neuen Anschau-
ungen, Motiven, Bildern und Darstellungsnüancen bereichert!
Man denke sich einmal das landschaftliche Element aus der
modernen Poesie hinweg und man wird sofort gewahren, welche
klaffende Lücke entsteht.
Indessen in so wichtigen Beziehungen auch die Schrift
„über das Leben in der Einsamkeit" als das erste Litteratur-
denkmal des modernen Geistes betrachtet werden kann, so
verleugnet sie doch keineswegs den allen Werken Petrarca's
eigenthümlichen Charakterzug eines Schwankens zwischen
Mittelalter und Neuzeit, einer ganz seltsamen inneren Zwie-
spältigkeit. Man sieht eben, wie der Autor selbst zweien
Culturformen gleichzeitig angehört, wie er aus der einen noch
nicht völlig herausgetreten und in die andere noch nicht völlig
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 583
eingetreten ist. Es mischen sich in dem Buche die mittel-
alterlichen und die modernen Elemente bizarr genug. Der
Einsamkeitsfreund selbst ist eine Proteusgestalt : bald erscheint
er als moderner Genussmensch, der die feineren Freuden des
Daseins mit kundiger Zunge auszukosten versteht und sich zu
einem egoistischen Epikureismus bekennt, bald aber verwan-
delt er sich in einen mittelalterlichen Asketen, der das Auf-
gehen in Gott als höchste Seligkeit erstrebt und der seine
Glaubensinnigkeit bis zu visionären Verzückungen zu steigern
vermag. — —
Wir wenden uns nun der dritten hier zu besprechenden
Schrift Petrarca's zu, dem Tractate „lieber die Müsse der
Mönche".
Verfasst oder doch wenigstens in ihren Grundzügen ent-
worfen worden ist diese Schrift in der Fastenzeit des Jahres
1347 ^j, als Petrarca noch unter dem Eindrucke des Besuches
stand, den er kurz zuvor seinem Bruder Gherardo zu Montrieu
gemacht hatte, und als er den Wunsch hegte, den Mönchen
der dortigen Carthause seinen Dank für die ihm erwiesene
Gastfreundschaft durch eine litterarische Gabe zu bezeugen.
Indessen auch zur Vollendung dieser, obwol nicht eben um-
fangreichen Arbeit 2) bedurfte Petrarca einer langen Zeit, denn
er hat sie keinesfalls vor dem Ende des Jahres 1356 zum
Abschlüsse gebracht ^).
Es ist leicht erklärlich, dass diese Schrift, an Mönche
gerichtet und für deren Erbauung bestimmt, einen streng reli-
giösen und asketischen Charakter tragen musste. Und in der
That ist sie unter allen Werken Petrarca's dasjenige, welches
noch am meisten das Gepräge des Mittelalters an sich trägt
und am unberührtesten geblieben ist von den Einwirkungen
moderner Denkweise. Nur die zahlreichen in die Schrift ein-
1) Ep. Sen. VI 5.
^) Sie umfasst in den baseler Ausgaben ungefähr 32 Folioseiten.
^) Es wird dies dadurch bewiesen, dass p. 355 auf die Gefangennahme
Johanns des Guten von Frankreich (Schlacht b. Maupertuis, 15. Sept. 1356)
Bezug genommen wird.
584 Zehntes Capitel.
gestreuten Citate aus lateinischen Classikern erinnern uns
daran, dass sie von dem Begründer des Humanismus vei-fasst
worden ist.
Wir geben im Folgenden in Kürze den Inhalt wieder.
Der ganze Inhalt, die ganze Hoffnung, das ganze Streben
und das ganze Ziel des Mönchslebens ist eingeschlossen in den
Psalmenworten „Vacate et videte" (Ps. 45, 11 nach der Vulg.,
46, 11 b. Luther) ^) d. h. — so müssen wir hier wenigstens
in Rücksicht auf den Zusammenhang übersetzen — „nihet
(von den Geschäften der Welt) und seid wachsam ! " Durch
die Ruhe von den nichtigen Werken der Erde, durch beschau-
liche Betrachtung erwerben die Mönche sich die ewige Ruhe
und das Schauen der göttlichen Seligkeit. Wie glücklich ist
also der Mönche Loos! Sie sollen ruhen, während die Welt-
menschen— die Schiffer, Krieger, Kaufleute, die Gelehrten und
Handwerker — sich abmühen in beständiger Arbeit und doch
dadurch Nichts erwerben als die ewige Arbeit im Jenseits,
denn ein Jeder wird einst durch eben dasjenige bestraft wer-
den, wodurch er im irdischen Leben gesündigt hat, Sünde
aber ist es, sich keine Müsse für die Betrachtung Gottes und
göttlicher Dinge zu vergönnen. — Hiernach wird nun der Be-
griff des „Ruhen" näher erklärt. Die Mönche sollen ruhen
von allen Bestrebungen und Mühen des weltlichen Lebens und
sollen ruhen von allen Leidenschaften, sie sollen einzig an
ihrem Seelenheile arbeiten und dabei wohl erkennen, welchen
Feind, d. h. welche Leidenschaft, sie in ihrem Innern zumeist
zu bekämpfen haben, sie sollen beständig streiten gegen die
Fallstricke der Welt, gegen die Lockungen des Fleisches und
gegen die Hinterlist der Dämonen. In diesem Kampfe wider
das Böse und den Teufel dürfen die Mönche sieh nie in falsche
Sicherheit einwiegen lassen und des Streites überhoben zu sein
wähnen: Rom war nur so lange gross, als es noch Carthago
^) Den Gedanken zur Behandlung dieser Psalmenworte hat Petrarca
jedenfalls aus Augustin de civit. Dei XXII 30 entlehnt.
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 585
ZU fürchten hatte, und es sank, als es sich für ganz unge-
fährdet hielt.
Aber das „Ruhen" hat auch noch eine andere, tiefere
Bedeutung, Wir sollen auch ruhen von allen Zweifeln an der
Wahrheit der Glaubenslehren.
Nur an Christus können wir vernünftigerweise glauljen.
Unbelebte Gegenstände (Stein, Holz etc.) zu verehren, ist der
Heiden Thorheit. Die Juden warten, verblendet genug, noch
auf den Messias, der schon längst erschienen ist und an wel-
chem sie selbst sich so schwer versündigt haben, dass zur
Strafe ihre Stadt Jerusalem zerstört und ihr Volk in alle
Lande verstreut wurde. Die Lehren Mahomeds aber und
ebenso diejenigen des Averroes, des Photinus, des Manichäus
(sie!) und des Arius sind Nichts als ein unentwirrbares und
trugvolles Gewebe sich einander widersprechender Irrthümer.
Die Herabkunft Christi wurde nicht nur von den Propheten,
sondern auch von den heidnischen Sibyllen und Dichtern vor-
ausverkündet und dadurch wird sie unwiderleglich bewiesen.
Wohl waren diejenigen glücklich, denen es vergönnt war, den
menschgewordenen Christus von Angesicht zu Angesicht zu
schauen, aber glücklicher noch sind die Jetztlebenden, weil der
Glaube jetzt weit allgemeiner verbreitet ist, so dass, Vv^ährend
zu Christi Zeit selbst der Apostel Thomas noch Unglauben
hegen konnte, jetzt nicht einmal mehr der einfache Mann an
Christi Göttlichkeit zweifelt. Weit glücklicher aber auch sind
wir, als selbst die Weisesten und Gelehrtesten unter den alten
Griechen und Römern (Piaton, Cicero etc.), denn das grösste
Weltgeheimniss, welches jene nicht einmal zu ahnen vermochten,
hat für uns sich vollzogen : die in Christo vor sich gegangene
Vereinigung des Himmels und der Erde, des Göttlichen und
des Menschlichen. —
Hierauf erklärt Petrarca noch einmal die Bedeutung des
„Ruhen" ^), ohne jedoch dem früher Gesagten etwas Wesent-
^) Petrarca erwähnt hierbei gelegentlich, dass ausser der Bibelüber-
setzung des Hieronymus noch eine ältere existire, nach welcher Augustin
586 Zehntes Capitel.
liches hinzuzufügen. Er warnt vor der Meinung, als sei die
Erfüllung der Gebote Gottes die menschliche Kraft überstei-
gend oder als genüge es, erst im Alter gottesfürchtig zu werden.
Das seien Einflüsterungen des Teufels, denen man sich ver-
schliessen müsse. Auch dürfe man nicht den Glauben neu
bewiesen oder durch neue Wunder bekräftigt haben wollen,
sondern es müssen uns zum Glauben der Glaube der Apostel
und der Märtyrer und die früher geschehenen Wunder ge-
nügen. Ebensowenig dürfen wir fordern, dass die Zukunft
uns offenbaret werde, denn das würde ja für uns selbst ver-
derblich sein.
Der Inhalt des zweiten Buches der Schrift — denn in zwei
Bücher gliedert sich dieselbe und das eben Berichtete bildet
des ersten Buches wesentlichen Inhalt — setzt sich in der
Hauptsache aus theologischen Gemeinplätzen zusammen: es
wird die Bedeutung des „Ruhen (vacare)" weiter erörtert und,
wie im ersten Buche dargelegt worden war, dass das „vacare"
auch ein Freisein von Zweifeln gebiete, so soll nun ausein-
andergesetzt werden, dass ein Freisein von weltlichen Gedanken
und Geschäften ebenso erforderlich sei. Diesen zu entsagen,
muss uns um so leichter werden, als ja alles Irdische so liin-
fällig und vergänglich ist — ein Thema, welches nun unter
Anwendung gut gewählter und drastisch wirkender Beispiele
(z. B. Fürstengräber glänzen äusserlich von Gold und Marmor
und bergen im Innern die schauerlich entstellten Leichen)
ausführlich behandelt wird. Im Kampfe gegen die Welt und
ihre Lust dürfen wir nur Gottes und Christi Hülfe erflehen,
dem muthigen Kämpfer aber wird im Jenseits ein herrlicher
Lohn in der ewigen Seligkeit beschieden sein.
Sehr unvermittelt und eingestaudenermaassen nur aus dem
äusseren Grunde, weil in der Bibliothek der Carthause kein
Exemplar des Lactanz sich befand, Petrarca aber doch die
Mönche mit diesem Autor möglichst bekannt machen wollte.
citire und in welcher es statt „vacate" heisse „otium agite" (aber Aug. de
civ. Dei XXII 30 ed. Dombart t. II p. 555 steht „vacate").
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 587
werden nun am Schlüsse des Werkes umfangreiche Citate aus
Lactanz' Institutionen ausgeschrieben und es Avird auf Grund
derselben sowie auf Grund anderweiter Citate aus Cicero's
Büchern „de natura deorum" und „de consolatione" ^) der Ver-
such gemacht, eine euhemeristische Auffassung der antiken
Götterlehre zu begründen und dadurch die Unhaltbarkeit der
letzteren nachzuweisen. —
Wir enthalten uns jeder weiteren Bemerkung über die
oben analysirte Schrift: legt sie doch laut genug selbst Zeug-
niss für sich ab. Nur darauf sei in Kürze hingewiesen, wie
in ihr, so durch und durch mittelalterliches Gepräge sie auch
zu tragen scheint, doch ein Hauch der Renaissance vernehmbar
zu spüren ist: nicht nur aus den zahlreichen, den lateinischen
Autoren entnommenen Citaten weht er uns entgegen, sondern
auch aus dem so sichtlich hervortretenden Bestreben, die
Zweifel an der Wahrheit der Glaubensdogmen zu zerstören,
denn wo derartige Zweifel vorausgesetzt wurden, da waren
sie gewiss auch wirklich vorhanden, dies Vorhandensein aber
kündet uns an, dass die Zeit des Autoritätsglaubens ihrem
Ende sich naht und dass die Zeit des freien Denkens beginnt.
So gewinnen wir denn auch hier das Bewusstsein, an Petrarca's
Hand in eine neue Periode des geistigen Lebens einzutreten.
Es bleiben uns nun noch einige der kleineren moralphilo-
sophischen Schriften Petrarca's zu besprechen übrig, die „zwei
Gespräche über die wahre Weisheit" und die beiden Briefe
über die Habsucht (de avaritia vitanda = Ep. Sen. VI 7 u. 8).
Das erste der beiden „Gespräche über die wahre Weis-
heit'- ist nur eine weitere Ausführung, th eilweise sogar eine
wörtliche Wiederholung ^j des zwölften Dialogs des ersten
Buches der „Heilmittel gegen Glück und Unglück", nur ist die
Besetzung der Gesprächsrollen eine andere: an Stelle der
„Freude" tritt der „Redner^' und an Stelle der „Vernunft"
tritt der „Einfältige (idiota)" ein. Der letztere belehrt den auf
^) Es ist hier die unächte Schrift dieses Titels gemeint.
'^) von ,,sapientiam attamen consecutus sum" p. 365 bis ,,humilitas
operosa" p. 366.
588 Zehntes Capitel.
seine Weisheit stolzen „Redner (orator)", dass die wahre Weis-
heit die Selbsterkenntniss und die Gottesfurcht zur Vorbe-
dingung habe und dass der wahrhaft Weise, weil er seines
Nichtwissens sich bewusst sei, sich niemals selbst für weise
halten werde. Das Gespräch wird als auf dem Forum vor
sich gehend gedacht, und als es geendet ist, begeben sich die
redenden Personen auf den Wunsch des vom Idiota über-
zeugten und nach weiterer Belehrung begierigen Orator in den
Laden eines Barbiers, um dort ihr Gespräch in Müsse fortzu-
setzen. Es dünkt uns dieser, wenn auch noch sehr unvoll-
kommene Versuch, durch eine angemessene Scenerie den Dialog
dramatisch zu beleben, recht beachtenswerth: das an sich herz-
lich unbedeutende Gespräch erhält dadurch doch ein klein
wenig platonisch-künstlerisches Colorit und kündet uns dadurch
an, dass gerade die Kunst des Dialoges durch die Renaissance
zu einem neuen, herrlichen Leben erweckt werden sollte.
Der zweite Dialog ist inhaltlich und formal noch weit un-
bedeutender als der erste: er ist eine fast ausschliesslich dem
Idiota in den Mund gelegte und in scholastischen Fonnen sich
bewegende Untersuchung über die wahre Weisheit. Als Resultat
ergibt sich: die Weisheit ist die von allem Sinnlichen los-
gelöste, einfachste und unbegrenzte Form des Begrifflichen,
sie ist die eigentliche Nahrung des Geistes, welcher, je reiner
er von sinnlichen und sündigen Elementen ist, in desto i-ei-
cherem Maasse sie in sich aufzunehmen vennag. Bei Menschen
von solcher Reinheit des Geistes, wie die Heiligen es waren.
steigert sich diese Fähigkeit nahezu bis zu einer Entrückung
aus den Banden des Körpers, woraus sich auch erklärt, dass
sie sich gegen körperliche Schmerzen unempfindlich zeigten,
indessen vermag der Mensch doch nie mehr, als einen „Vorge-
schmack (praegustatio)" der wahren Weisheit sich zu erwerben.
— Bemerkt mag noch werden, dass die Untersuchung in fast
sokratischer Weise an Dinge des alltäglichen Lebens, nämlich an
die Geschäfte des Marktes (Zählen, Messen, Wägen) anknüpft ^).
^) Hier mögen zwei sprachliche Notizen Platz finden: p. 368 findet
sich zur Bezeichnung des kleinsten Hohlmaasses das Wort „petitum" ge-
Die moralphilosophischen und religiösen Traciate. 589
Beide Dialoge sind, wenn sie überhaupt Petrarca's eigene
Werke sein sollten, was wir aus sprachlichen Gründen bezweifeln
möchten, offenbar nur Bruchstücke, welche zur Einreihung in
ein grösseres Werk bestimmt gewesen waren, aber aus irgend
welchem Grunde in ihrer Vereinzelung belassen worden sind.
Man könnte versucht sein, die in den Dialogen gegebene
Untersuchung über das Wiesen der Weisheit für sehr tiefsinnig
zu halten, wenn man nur bei näherer Betrachtung nicht ge-
wahren würde, dass der Autor nichts Eigenes uns bietet, son-
dern bloss eine einstudirte Rolle uns vordeclamirt, eine Lection
hersagt, die er bei den Kirchenvätern, besonders aber bei
Augustin (de vera religione) auswendig gelernt hat ^).
Von den beiden Episteln über das Laster des Geizes und
der Habsucht 2), welche nach Fracassetti's ansprechender Ver-
muthung^) an Zanobi da Strada gerichtet wurden, als dieser
in Begriff stand, das gewinnbringende Amt eines päpstlichen
Secretärs anzunehmen*), trägt nur die erste einen moralphilo-
sophischen Charakter, während die zweite fast eine streng
philologische Untersuchung über die Anwendung des Epitheton
„golden" ist°). Der Inhalt der ersten Epistel ist in Kürze
folgender :
Zunächst wird die glückliche Lage des Geldbesitzenden
mit der überaus ungünstigen und gedrückten Situation des
Armen verglichen, natürlich mit dem ironischen Hintergedanken,
dass eine derartige Parallele im Grunde nur von geizigen
Leuten gezogen werden könne und dass sie in Wahrheit gar
braucht, offenbar das Stammwort des französischen „petit". — p. 369 werden
in kühner Weise Adjectiva auf -bilis gebildet, z. B. inscibilis, imaginabilis,
innegabilis, incogitabilis etc. (vgl. die zahlreich gehäuften Femininbildungen
auf -trix in Vit. Sei. II 2, 8). Nicht eben die Bildungen an sich sind be-
merkenswerth (denn ein grosser Theil dieser Worte findet sich bereits vor
Petrarca gebraucht) , aber wohl der geschickte Gebrauch , der von ihnen
zur Erreichung eines bestimmten stylistischen Effectes gemacht wird.
^) Tgl. Feuerlein in v. Sybel's histor. Zeitschr. Bd. 38, p. 213.
2) Das lat. Wort „avaritia" vereinigt bekanntlich beide Begriffe in sich.
••) Lett. sen. I p. 354.
") vgl. oben S. 2-59.
■') vgl. oben S. 476 f.
590 Zehntes Capitel.
nicht bereclitigt sei. Das Geld, meint der Autor, sei eben
nach der gemeinen Ansicht der Menschen allmächtig und ver-
möge alle Hindernisse zu überwinden. Für viele Menschen
sei das Geld sogar ein Gott geworden, und desshalb habe ihm
auch Augustin eine Stelle unter den Göttern der Heiden ein-
geräumt.
Am häufigsten findet sich die Habsucht — das ist des
Briefes weiterer Inhalt — bei Greisen, bei reichen Leuten und
bei Herrschern und sie ist bei diesen Menschenclassen ein um
so schlimmeres Laster, als ihr Ziel bei ihnen ja nur der mora-
lisch so gefährliche Ueberfluss des Besitzes sein kann. Be-
sonders thöricht aber ist die Habsucht bei Greisen, da diese
ja nur noch eine kurze Lebenszeit vor sich haben, indessen
lässt sie sich wenigstens unschwer daraus erklären, dass —
wie Aristoteles in der Rhetorik sagt — die Greise durch ihr
langes Leben gedemüthigt und kleinmüthig geworden sind und
aus Erfahrung wissen , wie schwer es ist , den Besitz zu er-
halten, wie leicht aber, ihn zu verlieren. Jedoch lassen sich
auch andere Ursachen der Habsucht denken. Eine der ofien-
barsten und wichtigsten liegt in dem Erfahrungssatze ent-
halten, dass man, je mehr man besitzt, um so mehr zu be-
gehren pflegt. Am widerlichsten aber sind Habsucht und Geiz
bei den Königen, insbesondere der Geiz, welcher sich in dem
Verhalten gegen Andere geltend macht, denn denjenigen Geiz,
welcher nur die möglichste Beschränkung der eigenen Bedürf-
nisse anstrebt und der sonach mit der Massigkeit verwandt
ist, kann man noch am ehesten gelten lassen. Ueberaus
schimpflich jedoch ist es, wenn ein Fürst seinen Unterthanen
gegenüber geizt, und doch handeln jetzt alle Fürsten so! —
Geiz und Habsucht sind Laster, welche sowol durch die Auto-
rität der Bibel als durch diejenige der profanen Schriftsteller
aufs Schärfste verurtheilt werden. AVie aber können wir uns
wundern, dass diese Laster so weit verbreitet sind, da doch
das Gold allen Dingen vorgezogen wird und da selbst die
Dichter allen Gegenständen, welche sie preisen wollen, das
Epitheton „golden" beilegen? Und nun folgt eben die oben
Die moralphilosophischen und religiösen Tractate. 591
erwähnte Untersuchung über den Gebrauch des Epitheton
„golden".
Man sieht, der Inhalt der kleinen Schrift ist herzlich un-
bed^tend und bewegt sich nur in ziemlich abgedroschenen
Gemeinplätzen, Erfreulich aber ist die in ihr ausgesprochene
Gesinnung, die Geringschätzung des Mammons, das Erhabensein
über die ängstliche Liebe zum Geldbeutel, die leider so vielen
Sterblichen anhaftet. Und diese Gesinnung hat Petrarca auch
praktisch bethätigt: er hat zwar irdisches Gut, dessen er eben,
wie ein jeder Andere, zum physischen Leben bedurfte, nicht
verschmäht und hat sich seines Besitzes insofern gefreut, als
er darin das Mittel zu einem von niederen Sorgen freien Da-
sein erblickte, aber er hat nie darnach getrachtet. Schätze zu
sammeln, er hat sich nie zur Anbetung des goldenen Kalbes
erniedrigt, er hat nie über dem Nichtigen das Erhabene, übei*
dem Vergänglichen das Unvergängliche vergessen. Der Be-
gründer der Renaissancecultur war in manchen Beziehungen
nicht frei von sittlichen Schwächen, aber er besass doch die
sittliche Grösse, nicht irdischen Gütern, sondern idealen Zielen
ernst und eifrig nachzustreben.
Und mit diesem wohlthuenden Eindrucke scheiden wir nun
von Petrarca's moralphilosophischen und religiösen Schriften.
Elftes Capitel.
Die historischen und geographischen Schriften.
Auf zwei Werke vor allen gedachte Petrarca seinen Ruhm
für alle Zeit zu begründen : auf seine epische Dichtung „ Africa"
und auf eine Biographiensammlung, welche er das ,,Bueh der
berühmten Männer" benannte. Das erstere Werk sollte ihm
den Lorbeerkranz des, Dichters gewinnen, das letztere ihm
eine heiTorragende Stellung unter den Gelehrten und Geschichts-
schreibern sichern ^).
Das „Buch über die berühmten Männer" war so recht
das wissenschaftliche Lebenswerk Petrarca's, an welchem er
unverdrossen lange Jahrzehende gearbeitet hat, ohne es doch
— so meinen wir wenigstens — zum Abschluss bringen zu
können. Wann das Buch begonnen wurde, lässt sich nicht
bestimmen. Jedenfalls aber fasste Petrarca den ersten Ge-
danken dazu während seines Aufenthaltes in Vaucluse, der ja
überhaupt für seine litterarische Thätigkeit so anregend und
fruchtbar gewesen ist^). Seine ursprüngliche Absicht ging
dahin, die berühmten Männer aller Länder und Zeiten in Bio-
graphien zu schildern 3). Bald aber wurde dieser ungeheuere
>) Afr. IX V. 216—268, besonders aber v. 257 ff.
*) Ep. Fam. VIII 3.
^) „ex Omnibus terris ac saeculis illustres viros in unum con-
Die historischen und geographischen Schriften. 593
und für die Kraft eines Mannes viel zu weit angelegte Plan
dahin eingeschränkt, dass nur die Lebensbeschreibungen der
berühmten Römer von Romulus ab bis zu Titus hinauf gegeben
werden sollten ^), und zwar sollten nur diejenigen Männer be-
rücksichtigt werden, welche sich durch kriegerische Thaten
oder durch staatsmännische Grösse ausgezeichnet hätten^);
ein etwas befremdliches Programm, denn man sollte meinen,
dass es dem Begründer des Humanismus näher gelegen hätte,
den litterarischen Grössen des Römerthums einen Ruhmes-
tempel zu errichten, vielleicht aber, dass er der letzteren
Pflicht durch seine „Briefe an die berühmten Männer" genügen
zu können meinte. Jedenfalls ist es bezeichnend für den
Geist der Renaissancecultur, dass ihr Begründer gerade die
Kriegshelden und Staatsmänner des Alterthums zum Vorwurfe
eines grossen biographischen Werkes sicherwählte: man erkennt
daraus, dass in den Augen der Menschen der Renaissance der Held
oder der Staatenlenker, der im kühnen Ringen blendende, wenn
auch oft rasch vergängliche äussere Erfolge gewinnt, doch noch
höher stand als der Dichter oder Denker, dessen Leben meist
in einförmiger Stille dahinfliesst, dessen geistiges Schaffen aber
oft von so weittragender und nachhaltiger Bedeutung ist. Leicht
ist es, diese Thatsache zu erklären, und leicht auch, zu er-
kennen, welche tief greifende Schlüsse sich aus ihr ziehen
lassen, indessen hierauf näher einzugehen, wird sich an einem
anderen Orte unserer litterargeschichtlichen Erzählung passen-
dere Gelegenheit finden ^).
Ueber die Anlage und die Tendenz des „Buches über die
berühmten Männer" werden wir uns am besten unterrichten,
wenn wir die Vorrede, mit welcher der Verfasser das Werk »
trahendi illa mihi solitudo dedit animum." Ep. Fam. VIII 3 (der Brief
datirt vom 5. Mai, wahrscheinlich des Jahres 1349).
') de contemt. mundi III p. 411.
-) „qui helHcis virtutibus aut magno rei publicae studio florueruut."
Invect. in med. p. 1209.
") in der Darstellung des Zeitalters Lorenzo's de' Medici, welche wir
im dritten Bande dieses Werkes geben zu können hoffen.
Körting, Petraroo. 38
594 Elftes Capitel.
seinem fürstlichen Freunde Francesco di Carrara widmete, in
der Uebersetzung folgen lassen ^).
„Auf Deine Bitten, erhabener Staatslenker (plaustrifer).
der Du anspruchslos und doch gebietend allein das Scepter
über Padua's i*uhmvolle Stadt führst, habe ich mich entschlossen,
die Lebensbeschreibungen einiger berühmter Männer (deren
Ruhm hochbegabte und hochgelehrte Schriftsteller der Nachwelt
überliefert, deren Lebensgeschichten aber sie in verschiedenen,
Werken gleichsam zerstreut und zerstückt fast, erzählt haben)
in einem Werke zusammenzufassen und gewissermaassen zu-
sammenzuhäufen. Geschichte zu schreiben ist meine Absicht:
desshalb muss ich die berühmtesten Autoren zu meinen Füh-
rern erwählen, will ihnen jedoch nicht den Wortlaut der Dar-
stellung, sondern nur das Material der Thatsachen entlehnen.
Es entgeht mir nicht, welch' schwierige Arbeit es sein wird,
die Würde des Styles zu wahren. Denn, wenn ich derselben
Worte, wie meine Quellen, mich nicht bedienen darf, bessere
aber zu finden nicht vermag, so weiss ich nicht, was noch
übrig bleibt. Es möge aber, bitte ich, ein jeder Leser auf die
Anordnung und Zusammenstellung des verschiedenartigen In-
haltes achten: denn, obwol dasjenige, was ich schreiben will,
anderen Autoren entlehnt ist, so findet man es doch bei denselben
nicht in derselben Ordnung. Einiges nämlich, was bei dem
einen der Quellenschriftsteller etwa fehlt, habe ich aus einem
anderen entnommen. Einiges habe ich kürzer, Einiges wieder
klarer. Einiges auch, was durch die kurze Erzählung der Quelle
schwerer verständlich wurde, ausführlicher erzählt^), Einiges
endlich, was bei verschiedenen Autoren zerstreut ist, habe ich
vereinigt und so verschiedene Belichte zu einem verschmolzen.
Hierbei habe ich geglaubt, die gedankenlose und unnöthige
^) Wer da weiss , wie misslich es ist , so bombastisches Latein , wie
dasjenige dieser praefatio, in verständliches Deutsch zu übertragen, wird
es entschuldigen, dass der Uebersetzer mehr dem Sinne als dem Wortlaute
folgen zu müssen glaubte.
-) im lat. Texte fehlt dieses Verbum, welches durch den Zusammen-
hans erfordert wird.
Die historischen und geographischen Schriften. 595
Gewissenhaftigkeit derjenigen vermeiden zu müssen, welche
die Berichte aller Geschichtsschreiber sammeln und, damit
es ja nicht scheine, als ob sie etwas vergessen hätten, wenn
verschiedene Autoren sich widersprechen, diese abweichenden
Berichte neben einander stellen und dadurch den Text ihrer
eigenen Erzählung mit dunkler Weitschweifigkeit und unlös-
baren Schwierigkeiten erfüllen. Ich will weder die Berichte
aller Geschichtsschreiber sammeln noch etwa einander wider-
sprechende in Einklang zu bringen versuchen, sondern will
denjenigen Autoren folgen, welche entweder die grössere Wahr-
scheinlichkeit oder die höhere Glaubwürdigkeit für sich haben.
Desshalb, wenn etwa Jemand, der mit solcher Leetüre ver-
traut ist, finden sollte, dass bei mir bald das Eine, bald das
Andere anders erzählt wird, als sie es zu hören oder zu lesen
gewohnt sind, so bitte und ermahne ich sie, dass sie nicht
sofort ein absprechendes Urtheil fällen, wie Halbgebildete es
zu thun pflegen , sondern dass sie den Widerstreit der ver-
schiedenen Quellenschriftsteller berücksichtigen mögen, der ja
selbst den doch den Ereignissen viel näher stehenden Titus
Livius oft genug verlegen gemacht hat. Ich habe die Absicht,
mich der Kürze und Uebersichtlichkeit zu befleissigen, und werde
daher Vieles auslassen, was, wie ich oben bemerkte, den Leser
eher verwirren, als ihm zur Bequemlichkeit gereichen könnte.
Bei mir soll nur dasjenige berücksichtigt werden, was auf die
Tugenden oder die Laster Bezug hat, denn, wenn ich mich
nicht täusche, ist es der Geschichtsschreiber fruchtbarste Auf-
gabe, Beispiele zu geben, welche den Leser entweder zur Nach-
eiferung anzureizen oder von derselben abzuschrecken geeignet
sind. Wer über diese Aufgabe hinaus zu gehen beabsichtigt,
der wisse, dass er sich in ein fremdes Gebiet begibt, und
denke daran, unverzüglich dasselbe wieder zu verlassen, er
müsste denn gerade die Absicht haben, für die Unterhaltung
der Leser Sorge zu tragen und bisweilen behagliche Ruhe-
punkte für die Erzählung aufzusuchen. Und ich leugne nicht,
dass ich selbst mitunter, den gleichen Gedanken hegend, von
der eigentlichen Aufgalie mich etwas weiter entfernte, da ich
38*
596 Elftes Capitel.
Vergnügen daran fand, von dem Charakter der berühmten
Männer, von ihrem Privatleben, von ihren entweder scharf-
sinnigen oder gedankenschweren Aussprüchen^) und auch von
ihrer Leibesgestalt, von den Umständen ihrer Geburt und ihres
Todes den Lesern Mittheilung zu machen. "Wenn mir dies in
geringerem Grade,' als ich es beabsichtigt hatte, gelungen sein
sollte, so verzeihe es mir, wer Du auch immer mein Buch
liesest, denn über meinen Erfolg stelle ich Dir das Urtheil
anheim und wünsche nur, dass Du mir in Bezug auf die Ab-
sicht glaubst. Wenn Du aber finden solltest, dass etwas bis
zum Ueberdruss weitschweifig oder aber unliebsam kurz er-
zählt worden sei , so schreibe den Fehler entweder meiner
Geistesarmuth oder den meine Aufmerksamkeit zerstreuenden
Sorgen zu. Wenn aber vielleicht die Arbeit meines Fleisses
den Durst Deiner Erwartung gestillt haben sollte, so fordere
ich keine andere Belohnung, als von Dir geliebt zu werden,
möge ich auch Dir vielleicht persönlich unbekannt sein, viel-
leicht selbst schon im Grabe liegen und zu Asche geworden
sein. So habe auch ich diejenigen, durch deren Mühen ich
mich gefördert fühlte, nicht nur noch nach ihrem Tode, son-
dern selbst noch tausend Jahre nach ihrer völligen Auflösung
geliebt ^)."
Mit den Grundsätzen, von welchen Petrarca in dieser Vor-
rede sich bei seiner Arbeit leiten zu lassen erklärt, wird man
nicht umhin können, einverstanden zu sein, denn es sind eben
solche, welche noch heute jeder verständige Compilator, der
für das grosse gebildete Publicum schreibt, befolgen müssen
würde. Auch die ethische Tendenz des Buches, welche Pe-
trarca so ostensibel hervorhebt, wird man schliesslich in An-
betracht des gewissermaassen pädagogischen Zieles, welches
das Werk verfolgte, billigen müssen, so sehr man sich auch
*) im Texte (des cod. Vat. 4523) steht sinnlos „verba nee peracuta
nee gravia."
'^) Dieser Satz, der in der Uebersetzung nothwendigerweise fast unver-
ständlich wird, bezieht sich natürlich auf die Schriftsteller des Alterthums.
— Den letzten Satz der praefatio lassen wir als unwesentlich aus.
Die historischen und geographischen Schriften. 597
im Principe dagegen zu verwahren haben wird, dass die
Geschichtsschreibung zur Dienstmagd der Moral erniedrigt
werde. —
Das „Buch der berühmten Männer" gibt folgende einund-
dreissig Biographien :
1. Romulus. 2. Numa Pompilius. 3'. Tullus Hostilius.
4. Ancus Marcius. 5. Junius Brutus. 6. Horatius Codes. 7.
L. Q. Cincinnatus. 8. M. F. Camillus. 9. P. Decius Mus (der
sich in der Schlacht am Vesuv opferte). 10. T. Manlius Tor-
quatus. 11. M. Valerius Corvinus. 12. L. Papirius Cursor.
13. Alexander der Grosse. 14. L. Fabricius. 15. M'. Curius
Dentatus. 16. Pyrrhus. 17. Q. Fabius Maximus Cunctator.
18. Claudius Nero und Livius Salinator. 19. M. Claudius Mar-
cellus. 20. T. Quinctius Flamininus. 21. L. Scipio Asiaticus.
22. Hannibal. 23. P. Cornelius Scipio (der ältere Africamis).
24. Paulus Aemilius (richtiger Aemilius Paullus). 25. Cornelius
Scipio Nasica. 26. M. Porcius Cato Censorius. 27. P. Cor-
nelius Scipio Aemilianus (der jüngere Africanus). 28. C. Marius.
29. Q. Caecilius Metellus. 30. Cn. Pompejus Magnus. 31. C.
Juhus Caesar.
Wie man aus diesem Verzeichnisse ersieht, sind es mit Aus-
nahme Alexanders d. G., des Pyrrhus und des Hannibal nur Römer,
welche Petrarca der Aufnahme in die biographische Ruhmes-
halle für würdig erachtete — wieder ein Beweis, wie einseitig
sich von vornherein Humanismus und Renaissance auf das
Römerthum gründeten, während doch wenigstens in der Ge-
schichtsschreibung eine grössere Berücksichtigung des Griechen-
thums recht wohl möglich gewesen wäre.
Zahlreiche Handschriften sind von dem „Buche der be-
rühmten Männer" erhalten ^) , aber fast alle sind mehr oder
minder verstümmelt und nur eine einzige, eine vaticanische
(cod. Vat. no. 4523), bietet einen vollständigen Text. Aber
auch diese letztere, relativ beste Handschrift leidet an einem
^) Aufzählung derselben b. D. Rossetti, Petrarca, Giulio Celso e Boc-
caccio (Triest, 1828), p. 102 ff.
598 Elftes Capitel.
auffallenden Fehler: die einzelnen Biographien folgen in ihr
nicht in der oben angegebenen, chronologischen Ordnung'),
sondern es sind, um von kleineren, leicht entschuldbaren Ver-
stössen abzusehen, die acht Biographien: T. Quinctius Flami-
ninus (20), L. Scipio Asiaticus (21), Cornelius Scipio Nasica (25),
Paulus Aemilius (24), Q. Caecilius Metellus (29), P. Cornelius
Scipio Aemilianus (27), C. Marius (28), und Cn. Porapejus
Magnus (30) derjenigen Caesars (31) nachgestellt worden, so
dass diese letztere unmittelbar hinter das Leben des M. Por-
cius Cato (2(3) zu stehen kommt.
Man sieht, es wird durch diese Umstellung eine ziemliche
Verwirrung angerichtet, und es fragt sich, wie wir dieselbe zu
beurtheilen haben. Dass Petrarca die einzelnen Biographien
bei einer endgültigen Piedaction in chronologischer Ordnung
aneinander zu reihen beabsichtigte, halten wir für geradezu
selbstverständlich, und das wird überdies, meinen wir, auch da-
durch bewiesen, dass sowol Lombarde da Serico als auch Donato
degli Albanzani , welche sicherlich über Petrarca's Intentionen
gut unterrichtet waren, der erstere in der Epitome, der letztere
in der Uebersetzung des Buches die chronologische Reihenfolge
hergestellt haben. Aber fraglich muss es erscheinen, ob Pe-
trarca zu einer endgültigen Redaction seines Werkes gelangt
ist, und feiner, ob er die einzelnen Lebensbilder in ihrer chro-
nologischen Ordnung geschrieben hat. Wir glauben, das Eine
wie das Andere verneinen zu müssen. Dass Petrarca zu keinem
wirklichen Abschlüsse des Werkes gelangte, wird unseres Er-
achtens dadurch bezeugt, dass er dasselbe bis zu Titus zu
führen beabsichtigte^), in Wahrheit aber nur bis Caesar ge-
*) Aufgestellt von Rossetti, p. 206 (prospetto comparativo).
2) de contemt. mundi III p. 411 (vgl. oben S. 593). Wir meinen übri-
gens, dass an dieser Stelle statt Titus: Traianus gelesen werden muss, da
Trajans Regierung einen weit besseren Abschluss bildete, als diejenige des
Titus, und da in der That Lombardo da Serico seine Fortsetzung bis
Trajan geführt bat. — Aus einer Stelle in Rer. mem. lib. IV (10, praef ),
wo Petrarca erklärt, er wolle in diesem Buche nur von denkwürdigen"
Dingen, nicht von berühmten Männern sprechen, was er in einem anderen
Werke gethan habe ,„quod alio volumine feci"), könnte man vielleicht fol-
Die historischen und geographischen Schriften. 590
fühlt hat; wie würde wol auch Lombardo da Serico auf den
Gedanken gekommen sein, die Biographien des Octavian, des
Vespasian, des Titus und des Trajan dem Werke noch hinzu-
zufügen, wenn er nicht durch die ihm bekannte Unvollständig-
keit desselben, vielleicht auch durch einen von Petrarca aus-
drücklich ausgesprochenen Wunsch die Berechtigung zu solchem
Verfahren zu besitzen geglaubt hätte? Hätte im Gegentheile
Lombardo gewusst, dass der Meister selbst sein Werk mit
Cäsar hatte abschliessen wollen, so würde ihm schon die Pietät
die Weiterführung untersagt haben, oder er hätte doch gewiss
dieselbe in Form eines selbständigen Buches gegeben, wofür
er überdies in der Gestalt des ersten römischen Kaisers
(Octavianus Augustus) den denkbar bequemsten Ausgangspunkt
gefunden haben würde. — Die Annahme ferner, dass Petrarca
die Biographien in chronologischer Ordnung geschrieben habe,
scheint uns eine so systematische, um nicht zu sagen mecha-
nische Art des Arbeitens vorauszusetzen, wie sie Petrarca
kaum jemals geübt hat. Wir meinen, dass Petrarca die Lebens-
bilder in ungezwungener Pteihenfolge verfasste, je nachdem
ihn Stimmung und der Gang seiner sonstigen wissenschaftlichen
Thätigkeit bald besonders zu der einen und bald wieder zu
der anderen Heldengestalt hinzogen, dass er sich aber vor-
behielt, später nach Vollendung des ganzen Cyclus die einzelnen
Bestandtheile desselben, gleichsam die einzelnen Hefte des
Buches, chronologisch zusammenzustellen. Auch die Ver-
öffentlichung des Werkes erfolgte, wie es uns scheinen will,
theilweise oder, wie man fast sagen möchte, lieferungsweise.
Zunächst wurden, begleitet von der Widmung an den Carra-
resen, die ersten 22 Biographien des Vaticanus (Romulus bis
M. Porcius Cato) publicirt, sodann die umfängliche, ein Werk
für sich bildende Biographie Caesars und endlich die acht
letzten Vitae des Vaticanus (T. Quinctius Flamininus bis Cn.
gern wollen, dass Petrarca damals die „viri illustres" bereits vollendet
hatte, aber, genau genommen, besagen jene Worte doch nur, dass er da-
mals die „viri illustres" schon zu schreiben begonnen hatte.
600 Elftes Capitel.
Pompeius), deren Bearbeitung, weil sie doch, mit Ausnahme
des Pompeius, mehr untergeordnete Persönlichkeiten behandeln.
Petrarca sich gern möglichst lange hinausgeschoben haben wird.
Aus der eben aufgestellten Hypothese würden sich mehrfache,
sonst überaus auffallende Thatsachen erklären lassen: zunächst
die eigenthümliche Anordnung des Vaticanus selbst, welche
darnach uns das Werk in der von Petrarca hinterlassenen, nicht
abgeschlossenen Gestalt zeigen würde, sodann die Un Voll-
ständigkeit der sämmtlichen Codices mit Ausnahme des Vati-
canus, in denen wir nun gewissermaassen erste und zweite Aus-
gaben (gegenüber der dritten des Vaticanus und der vierten,
nach dem Tode des Verfassers von Lombardo besorgten) zu
erblicken hätten, endlich die eigenthümlichen Eingangsworte
in der Biographie des Quinctius Flamininus^), welche sich nur
dann verstehen lassen, wenn man annimmt, dass sie an der Spitze
einer einen neuen Cyclus eröffnenden Vita standen. Befremdlich
ist es, dass Ptossetti in seinem fieissigen und verdienstlichen
Buche „Petrarca, Giulio Celso e Boccaccio", in welchem er sich
mit der Ueberlieferung des Buches so eingehend beschäftigt hat,
doch die Frage nach der Erklärung der seltsamen Reihenfolge
der Vitae im Vaticanus nur in einer sehr flüchtigen und wenig
befriedigenden Weise beantwortet (p. 65), Razzolini aber ist
in der Vorrede zu seiner Ausgabe auf die Frage gar nicht ein-
gegangen.
Es kann ferner gefragt werden, wann Petrarca wol die
drei einzelnen und nach unserer Ansicht gesondert erschiene-
nen Theile des grossen Geschichtswerkes veröffentlicht habe.
Eine bestimmte Antwort lässt sich hierauf bei dem Mangel
aller Anhaltspunkte nicht geben. Nur so viel lässt sich mit
Gewissheit sagen, dass vor dem Jahre 1355 auch selbst der
erste Theil des Werkes nicht erschienen sein kann, denn als
in den letzten Tagen des Jahres 1354 Petrarca bei dem Könige
^) „Quoniam T. Quintius Flaminius (sie!; praeoccurrens de se nar-
randi et memorandarum rerum suarum copiam facit, tanti ac diutini (sie!)
belli, unde exordiar, certiorem causam attingam." ed. Razzolini, p. 314.
Die historischen und geographischen Schriften. 601
Karl IV. in Mantua weilte , erklärte er diesem ganz ausdrück-
lieh, dass das Werk noch unvollendet (inexpletum) sei und dass
es zu seiner Vollendung noch vieler Mühe und Arbeit bedürfen
werde, auch erklärte er sich bedingungsweise dazu bereit, das
Buch dem Könige widmen zu wollen ^). Wir möchten glauben,
dass der erste Theil erst nach Petrarca's definitiver Ueber-
siedelung von Venedig nach Padua herausgegeben worden sei.
Darauf scheint uns die Widmung an Francesco da Carrara hin-
zudeuten, zu welcher Petrarca sich erst dann veranlasst fühlen
konnte, als er, zum dauernden Bleiben in Padua entschlossen,
zu Francesco wieder in nähere Beziehungen getreten war.
Hätte er das Buch noch während seines Aufenthaltes in Mailand
edirt, so würde er es aus Schicklichkeitsgründen jedenfalls
dem Galeazzo Visconti haben zueignen müssen, und ebenso
würde er während seines Verweilens in Venedig wol geziemen-
der dem ihm so freundlich gesinnten Dogen, als dem mit Ve-
nedig immer auf gespanntem Fusse stehenden Tyrannen von
Padua die Huldigung der Dedication erwiesen haben. Gerade
bei einem Petrarca, der sich so gewandt in den höchsten
Sphären des Gesellschaftslebens zu bewegen wusste, muss man
voraussetzen, dass er conventionelle Rücksichten nicht miss-
achtete. —
Auf den Inhalt des „Buches über die berühmten Männer"
näher einzugehen, versagen wir uns um desswillen, weil das
Buch ja nicht ein Original werk, sondern nur eine Compilation
darstellt. Interessant genug freilich würde es sein, im Einzelnen
zu beobachten, in welcher Weise Petrarca compilirt, wie er die
einzelnen Quellen ^) ausbeutet und wie er die verschiedenen
Berichte mit einander zu verschmelzen oder unter ihnen eine
Auswahl zu treffen versucht hat. Aber, um solche Beobachtungen
anstellen zu können, müssten wir gleichzeitig auf eine Menge
theils textkritischer theils historischer Einzelfragen eingehen
1) Ep. Fam. XIX 3.
-1 Hauptquelle war natürlich Livius, daneben Valerius Maximus, Sue-
ton, Justin, Caesar u. A.
602 Elftes Capitel.
und eine Reihe philologisch-historischer Untersuchungen führen,
welche den Rahmen dieses litt er arge schichtlichen
Werkes weit überschreiten würden und welche wir daher einer
besonderen, am füglichsten in einer Fachzeitschrift zu publi-
cirenden Arbeit vorbehalten zu müssen glauben. Hier be-
gnügen wir uns mit einigen kurzen allgemeinen Bemerkungen.
Die Behandlung der einzelnen Biographien ist in Be-
zug auf den Umfang eine überaus ungleiche. Während einige
nur wenige Seiten füllen, bilden andere, namentlich diejenigen
des älteren Scipio Africanus und des Caesar förmliche Bücher
und wirkliche Monographien. Es erklärt sich diese Verschieden-
heit ja sehr leicht erstlich aus der grösseren oder geringeren
Bedeutung der einzelnen Persönlichkeiten, sodann aus der
grösseren oder geringeren Menge des verfügbaren biographischen
Materiales und endlich aus der grösseren oder geringeren Sym-
pathie, welche der Verfasser für den einen oder den anderen
Helden hegte. Die Darstellung dagegen trägt einen einheit-
lichen Charakter, den man vielleicht am besten und am kür-
zesten als gemüthvoll bezeichnen könnte. Der Verfasser er-
zählt mit behaglicher Breite, die mitunter an Herodot zu
erinnern vermag, und mit einer den Leser sympathisch be-
rührenden Wärme der Empfindung; man fühlt es recht deut-
lich heraus, welche Lust Petrarca selbst am Erzählen hat, wie
froh er ist, die Grossthaten seiner geliebten Römer verkünden
zu können, und wie er sich des Gedankens freut, dass durch
des Alterthums litterarische Wiederbelebung vielleicht die Ver-
hältnisse der kläglichen Gegenwart gebessert werden möchten.
Ein Hauch edelster Begeisterung durchzieht das ganze Werk,
es ist der Frühlingshauch, der den Beginn des humanistischen
Völkerfrühlings uns kündet. —
Vom Standpunkte unserer Zeit aus urtheilend möchte
man geneigt sein, einem compilatorischen Werke, wie das
„Buch über die berühmten Männer" es ist, und wenn es auch
noch vollendeter ausgeführt und von einer noch so edlen Ten-
denz beseelt wäre, allen höheren litterarischen Werth abzu-
sprechen. Und nicht ohne Berechtigung würde man in der That
Die historischen und geographischen Schriften. 603
Über eine in unserer Zeit veifasste ähnliche Compilation ein
derartiges Urtheil fällen können, denn heutiges Tages ist eben
das Compiliren so unendlich leicht gemacht, dass man es
füglich nur als eine formale Kunst und als eine nur unter-
geordneten, originaler Production unfähigen Geistern angemessene
Beschäftigung erachten kann. Und wer etwa gar gegenwärtig
Biographien römischer Helden schreiben wollte, ohne dabei
eine methodische und einschneidende historische Kritik zu
üben, nun der würde im besten Falle ein pädagogisch brauch-
bares Schul- und Lesebuch liefern, aber nicht den geringsten
Anspruch darauf besitzen, unter die hervorragenden Schrift-
steller gezählt zu werden.
Ganz anders aber steht die Sache bei Petrarca's Werke:
dieses besass eine eminente litterarische Bedeutung, war eine
litterarische Grossthat im vollsten Sinne des Wortes. Schon
der Gedanke des Buches war für die damalige Zeit neu, durch-
aus original und gross, die Ausführung aber ein Werk gewal-
tiger Gelehrsamkeit und hoher stylistischer Kunst. Das Buch
war seit den Tagen des Alterthums das erste plastische Ge-
schichtswerk, das erste Geschichtswerk, welches mehr sein wollte
und ein höheres Ziel anstrebte, als eine nüchterne, allenfalls
mit erbaulichen Reflexionen untermischte Relation von Ereig-
nissen. Es ist durch dieses Buch geradezu die Kunst der mo-
dernen Geschichtsschreibung begründet worden, nicht zum Min-
desten auch dadurch, dass in ihm die bis dahin vorherrschende
FoiTii der Chronik aufgegeben worden war. Fortan ward es eine
der Hauptaufgaben des Geschichtsschreibers, nach übersichtlicher
Gliederung^ des Stoffes, nach Plastik der Darstellung und nach
Anmuth der Form zu streben. Wie sehr durch ein solches
Streben die Entwickelung der Prosa, auch der italienischen
Prosa, gefördert werden niusste, liegt klar vor Augen, und
man wird es demnach gerechtfertigt finden, dass wir einmal
früher (S. 19) Petrarca, obwol er aller Wahrscheinlichkeit nach
keine Zeile italienischer Prosa für die Oeffentlichkeit geschrieben
hat, doch das Verdienst zuerkannten, auch auf die Entwickelung
dieser einen grossen und segensreichen Einfluss geübt zu haben.
604 Elftes Capitel.
Schwerlich würden im Zeitalter der Renaissance die Geschichts-
schreibung und Geschichtsphilosophie in Italien zu so herr-
licher Blüthe gelangt sein, wenn nicht Petrarca den Anstoss
dazu gegeben hätte. Wenigstens sehen wir in den Ländern,
in denen nicht schon in der Frühzeit des Humanismus ein be-
deutendes historisches Werk und dadurch eine Basis für den
weiteren Aufbau geschaffen wurde, die Geschichtsschreibung
im Zeitalter der Renaissane eher verkommen, als empor-
blühen. In Frankreich, in Portugal, in Deutschland und England
wenigstens — in Ländern also, in welchen die Renaissance auf
anderen Gebieten so herrliche und denen der italienischen gieich-
werthige Früchte gezeitigt hat — ist kein Geschichtsschreiber
auferstanden, der mit Machiavelli sich messen dürfte. Es fehlte
eben dort ein Buch, wie das Petrarca's, welches vorbereitend
hätte wirken, den Sinn für die hohe Bedeutung und Kunst der
Geschichtsschreibung hätte wecken können.
Von weittragender Bedeutung war es auch, dass Petrarca
das Leben berühmter Männer gerade des Alterthums und nicht
etwa der neueren Zeit zu erzählen unternahm. Humanismus
und Renaissance mussten so lange gleichsam in der Luft
schweben, ehe nicht die Kenntniss der geschichtlichen Ver-
hältnisse des Alterthums das Gemeingut aller Gebildeten, ja.
bis zu einem gewissen Grade selbst der ganzen Nation ge-
worden war, und zwar war dabei erforderlich, dass diese
Kenntniss nicht bloss mit dem Verstände, sondern auch mit
dem Gemüthe erfasst wurde, dass man sie mit Liebe und selbst
mit Begeisterung in sich aufnahm. Das alles konnte eben nur
durch ein solches Buch geschehen, wie Petrarca es sclfrieb, denn
selbst zu den Quellen niedei-zusteigen , war natürlich nur den
Wenigsten möglich, die bisher vorhandenen Compilationen aber
gaben im günstigsten Falle zwar das historische Material, je-
doch in einer Form, die, weil überaus nüchtern, geistlos und
schematisch, nicht im Mindesten zu fesseln und Begeisterung
zu erzeugen vermochte. So ist Petrarca's Buch recht eigentlich
die Grundlage des italienischen Humanismus geworden, und es
Die historischen und geographischen Schriften. 605
hat sich an ihm vornehmlich das italienische Volk für die Re-
naissancecultur herangebildet.
Das „Buch der berühmten Männer" war, weil es einem
in weiten Kreisen vorhandenen und lebhaft empfundenen Bedürf-
nisse entgegenkam, ein überaus zeitgemässes Werk und erlangte
rasch grosse Volksthümlichkeit. Das wird bezeugt durch die
zahlreichen Handschriften, welche wir von ihm oder richtiger
von seinen einzelnen Theilen besitzen, mehr aber noch durch
die beachtenswerthe Thatsache, dass dieses Buch allein von
allen lateinischen Werken Petrarca's noch im Zeitalter des
Humanismus selbst in das Italienische übertragen und dadurch
der Gesammtheit des italienischen Volkes zugänglich gemacht
wurde. Der Uebersetzer war kein anderer als Petrarca's
Freund Donato degli Albanzani da Pratovecchio (Apenninigena),
und er widmete seine Arbeit dem Marchese Niccolö d'Este, als
dieser sich im Jahre 1397 mit der Enkelin Francesco's da
Carrara vermählte ^}, Es ist diese in vielen und theilweise auch
guten Handschriften sowie in zwei alten Drucken (Polliano 1476
und Venedig 1527) überlieferte Uebersetzung ein wichtiges
Denkmal der älteren italienischen Prosa , dessen sprachliche
Bedeutung von der Akademie della Crusca in gebührender
Weise anerkannt worden ist, und zugleich ist sie auch ein
wichtiges Hülfsmittel für die kritische Constituirung des latei-
nischen Textes, welches freilich noch nicht zur methodischen
Anwendung gebracht worden ist.
Uebrigens hat sicherlich das Vorhandensein einer Ueber-
setzung viel dazu beigetragen, das lateinische Original in Ver-
gessenheit zu bringen, zumal dasselbe, je mehr der Humanismus
erstarkte und immer zahlreichere Jünger sich gewann, um so
entbehrlicher wurde. So ward es denn, nachdem es seinen
propädeutischen Zweck erfüllt hatte, so vollständig vergessen,
dass es weder in die Gesammtausgaben aufgenommen noch
auch einzeln jemals bis auf die neueste Zeit hin gedruckt
^) vgl. Razzolini in der Vorrede zu seiner Ausgabe p. XVIII.
606 Elftes Capitel.
worden ist. Ja, es fiel solcher Verschollenheit anheim, dass
selbst seine Existenz bezweifelt wurde und dass man geneigt
war, es mit der gleich zu erwähnenden Epitome für identisch
zu halten. Nur die Biographie Caesar's ward nicht völlig ver-
gessen, aber durch eine seltsame Fügung des bekanntlich auch
über die Bücher waltenden Fatums hielt man dieselbe lange
Zeit hindurch für ein Werk des apokryphen Julius Celsus, den
mittelalterliche Unwissenheit statt des Schriftstellers Julius
Caesar substituirt hatte, und erst durch Rossetti's und C. F. Chr.
Schneider's ^) Bemühungen wurde sie ihrem wahren Verfasser
zurückgestellt.. Rossetti u. Schneider lenkten auch zuerst wieder
die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt auf das verschol-
lene Gesammtwerk ; der erstere durch sein mit wahrem Bienen-
fleisse gearbeitetes Buch „Petrarca, Giulio Celso e Boccaccio'"
(Triest 1828), der letztere aber dadurch, dass er die Biographien
Romulus bis M. Porcius Cato zum ersten Male auf Grund einer
breslauer Handschrift edirte -). Bei Gelegenheit des Petrarca-
Jubiläums im Jahre 1874 hat dann endlich Piazzolini säm.mt-
liche Biographien (mit Ausschluss jedoch derjenigen Caesar's) im
Original und in der Uebersetzung Donato's herausgegeben^^)
und sich dadurch jedenfalls ein Verdienst erworben, welches
er ireilich wesentlich erhöht haben würde, wenn er den Text
mit methodischer Kritik behandelt und ihm eine weniger ober-
liächliche Einleitung beigegeben hätte.
Wenigstens hingewiesen werde noch darauf, dass Petrarca
in seinem „Buche über die berühmten Männer" ein ähnliches
Werk schuf, wie einst Plutarch in seinen bekannten Parallel-
biographien. Beide Werke sind würdig, mit einander verglichen
zu werden, sowie auch ihre Verfasser sich recht wohl mit
^) Fr. Petrarchae historia Julii Caesaris ed. C. F. Chr. Schneider.
Leipzig, 1827. Wichtig sind in diesem Buche namentlich die im prooemium
niedergelegten sprachlichen Untersuchungen.
'^) In den Programmen der breslauer Universität. 1829. 1831. 1833
und 1834.
•'') Die Ausgabe bildet einen Bestandtheil der werthvoUen bologneser
„CoUezione di opere inedite e rare dei primi tre secoli della lingua."
Die historischen und geographischen Schriften. 607
einander vergleichen lassen und überraschende Züge geistiger
Verwandtschaft darbieten. An eine Nachahmung Plutarch's
von Seiten Petrarca's ist aber nicht zu denken, und überhaupt
verdient es noch besonders hervorgehoben zu werden , dass
Petrarca, so viel wir zu urtheilen vermögen, in der Anlage
seines Werkes ganz selbständig verfahren ist, denn selbst Sueton
bot ihm kein geeignetes Muster dar, eher hätte dies Cornelius
Xepos thun können, doch scheint er denselben gar nicht ge-
kannt zu haben und, wenn er ihn dennoch gekannt haben
sollte, so würde er ihn unendlich übertroffen haben. Praktische
Schulmänner sollten einmal die Frage in Erwägung ziehen, ob
es sich nicht empfehlen würde, statt des bekanntlich in vielen
Beziehungen bedenklichen Cornelius Nepos einzelne Vitae der
viri illustres, natürlich in einer sachgemässen stylistischen
Ueberarbeitung, als einleitenden lateinischen Lesestoff zu ver-
werthen, —
Petrarca begann auf Wunsch Francesco's da Carrara aus
seinem grossen Werke einen kurzen Auszug (Epitome) zu ver-
anstalten. Es sollte derselbe nur einem praktischen Zwecke
dienen. Francesco hatte in einem Saale seines Palastes — und
man möge . darin das Erwachen der Kunstliebe schon im Be-
ginne der Renaissance nicht verkennen! — die Bildnisse der-
jenigen berühmten Römer malen lassen^), welche Petrarca in
seiner Sammlung entweder schon verherrlicht hatte oder doch
noch verherrlicheo wollte, und wünschte nun, dass, um dem
Beschauer das Verständniss zu erleichtern, einem jeden Bilde
ein kurzer Auszug aus der betreffenden Biographie unter-
geschrieben würde. Petrarca unterzog sich der Arbeit, diesen
Auszug abzufassen, vermochte jedoch nur, sie bis zur vier-
^) Francesco Hess offenbar im Voraus eben so viele Bilder malen, als
Petrarca Biographien geben wollte und wird sich sicherlich mit diesem
in genaues Einvernehmen gesetzt haben. Es dürfte auch hierdurch bewiesen
werden, dass Petrarca sein Werk bis auf Trajan auszudehnen beabsich-
tigte, denn, als dann Lombardo da Serico die Fortsetzung des Werkes
übernahm, waren die Bilder von Octavian, Vespasian, Titus und Trajan
bereits gemalt. Vgl. oben S. 598, Anm. 2.
608 Elftes Capitel.
zehnten Biographie (L. Fabricius) zu führen, von wo ab sie
dann Lombardo da Serico mit mehr gutem Willen, als Geschick
bis zum Schlüsse (Trajan) fortgeführt hat. Es braucht nicht
erst bemerkt zu werden, dass auch der von Petrarca selbst
verfasste Theil der Epitome keinen höheren litterargeschicht-
lichen Werth besitzt.
Ein würdiges Seitenstück zu dem :,Buche der berühmten
Männer" bilden die „Bücher der denkwürdigen Dinge",
ja es ist dies letztere Werk nach noch grossartigeren Dimen-
sionen angelegt. Der Absicht seines "Verfassers nach sollte
es eine Anekdotensammlung (wobei das Wort „Anekdote"
natürlich in seinem ursprünglichen allgemeinen Sinne zu ver-
stehen ist) der umfassendesten Art werden, gewissermaassen
eine grosse historische, nach Stich worten geordnete Encyklo-
pädie. Es lässt sich gar nicht absehen, welchen Umfang das
Werk, wenn es in der gleichen Weise, wie es begonnen, fort-
geführt worden wäre, erreicht haben würde, ganz ohne Zweifel
aber hätte es eine äusserst beträchtliche Ausdehnung gewonnen,
denn schon die allein vollendeten vier Bücher füllen mehr als
hundert Folioseiten der baseler Ausgaben. Die Abfassungszeit
des Werkes lässt sieh nicht bestimmen, jedenfalls ^ber war es
ein Lebenswerk im vollsten Sinne des Wortes und entstand
ganz allmählich ^us den Collectaneen, Excerpten und Notizen,
welche Petrarca bei seiner Leetüre auf Zetteln ausschrieb,
die er dann nach bestimmten Paibriken ordnete. Den Gedanken
zu dem Werke und das System der Anlage desselben ent-
lehnte er der bekannten Anekdotensammlung des Lateiners
Valerius Maximus : wie dieser stellte er die einzelnen Anekdoten
nach sachlichen, besonders moralischen Kategorien zusammen
und wie dieser schied er dann innerhalb der einzelnen Ab-
theilungen die Römer von den „Auswärtigen (extenii)", nur
fügte er noch eine dritte, freilich leider etwas stiefmütterlich
bedachte Abtheilung, Anekdoten aus der neueren Geschichte
(„recentiores"), hinzu. Aber wenn Petrarca auch in der An-
lage des ganzen Werkes durchaus den lateinischen Autor nach-
Die historischeu und geographischen Schriften. (509
bildete, so suchte er doch in der Darstellung selbst die vollste
Selbständigkeit sieh zu bewahren, und es ist recht interessant,
zu beobachten, wie er zwar sich nicht scheut, den Stoff ganz
vorwiegend aus Valerius Maximus zu entlehnen, wie er es aber
doch geflissentlich vermeidet, in eine wörtliche Wiederholung
zu verfallen, sondern sich lieber irgend einer, wenn auch ge-
zwungenen Paraphrase bedient. Ausser Valerius Maximus sind
indessen noch zahlreiche andere lateinische Autoren — Cicero,
Sueton, Justin, Plinius, Macrobius, Gellius u. A. — für die
Lieferung des Materiales herangezogen worden. Die Zurück-
führung der einzelnen Erzählungen auf ihre Quellen ist im
Allgemeinen leicht und nur für einige wenige ist sie uns bis
jetzt nicht gelungen '). Indem wir uns die Darlegung dieser
Quellennachweise, weil dieselbe eine rein philologisch-historische
Arbeit ist, für eine von uns beabsichtigte Ausgabe des "Werkes
vorbehalten, werfen wir hier nur einen flüchtigen Blick auf
den bunten Inhalt.
Das erste Buch beginnt mit einem Capitel über die
„Müsse (otium)", welchem eine kurze, aber beaehtenswerthe
Einleitung vorausgeschickt ist. Petrarca erklärt in derselben,
dass, da er nur dann wirklich gelebt zu haben glaube, wenn
er in der Müsse und Einsamkeit gelebt habe, und da er in
dieser Lebensweise immer die höchste Befriedigulig gefunden
habe, er um desswillen auch das Buch mit der Müsse beginnen
wolle. Er verstehe aber unter der Müsse nicht etwa ein unwür-
diges und unthätiges Sich -Lebendigbegraben auf den Land-
^) z. B. III 3, 37 (p. 501 Pittacus Mytilenaeus) , wo mau an Entleh-
nung aus Auson., lud. sept. sap. denken könnte, wenn nicht Auson den
Wahlspruch des Pittacus „yiyvbjaxf y.ceicöv '■'• mit „venito in tempore",
Petrarca dagegen richtiger mit „tempus agnosce", wiedergäbe. — IV 1, 2
Q. Metellus), IV 1, 3 (Scipio Nasica), und Anfang von IV 2, 9 (das del-
phische Orakel erklärt, nicht zu wissen, ob es den Lykm-g den Menschen
oder den Göttern beizählen solle. — II 4, 16 (Philipp II. von Macedonieu).
— III 3, 47 (Aussprüche des Epikur: „numquam volui populo placere,
nam quae scio, non probat populus, quae probat, ego nescio" und ,,si ad
naturam vives, numquam dives eris").
Körting, Petrar-a. 39
610 Elftes Capitel.
gutem, wie träge und lichtscheue Menschen es lieben, sondern
nur die durch die Liebe zur Wissenschaft und zur Tugend
veranlasste und durch eine edle Thätigkeit, namentlich aber
durch Studien ausgefüllte Zurückgezogenheit in ländlicher Stille,
Man sieht, es ist wieder der Verfasser „des Lebens in der
Einsamkeit", der zu uns spricht, und man erkennt wieder das
Lebensideal der Renaissance: ein behagliches, in geistigen
Genüssen verbrachtes und einem feinen Egoismus gewidmetes,
von allen bestimmten Pflichten gegen Staat und Gesellschaft
abstrahirendes Villenleben. — Das zweite Capitel (de studio
et doctrina) gibt dann zahlreiche Beispiele von Männern, welche
sich durch ihre Liebe zur Wissenschaft und ihre Gelehrsamkeit
ausgezeichnet haben. Hier nimmt der Autor auch Gelegenheit,
seinem fürstlichen Freunde, dem Könige Robert, ein begeistertes
Lob zu spenden.
Das erste Capitel des zweiten Buches bespricht die
Fälle eines ungewöhnlich guten Gedächtnisses, wobei unter
Anderem erzählt wird, dass Papst Clemens VL sein ausser-
ordentlich starkes Gedächtniss erst erhalten habe, als er einmal
einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen hatte (!). —
Sodann werden im zweiten Capitel Beispiele einer seltenen
wissenschaftlichen Begabung aufgezählt, was, wie leicht erklär-
lich, bequeme Gelegenheit zur Lobpreisung der hervorragenden
Gelehrten und Schriftsteller des Alterthums bietet. — In den
folgenden drei Capiteln (3, 4, 5) werden eine Reihe witziger,
launiger und ironischer Aussprüche mitgetheilt, wobei den-
jenigen, welche von Leuten niederen Standes (Sklaven, Hand-
werkern u. s. w.) gethan wurden . eine besondere Rubrik ein-
geräumt wird. Hier werden auch aus der neueren Geschichte
mehrfache Anekdoten erzählt, von denen einige, wie die von
Dino von Florenz (3, 22), Donato von Padua (3, 23) und
Dante (4, 20)^), gar nicht ohne Interesse sind.
Die beiden ersten Capitel des dritten Buches berichten
^) vgl. Papanti, Dante secondo la tradizione etc. (Livorno, 1873),
p. 31.
Die historischen und geographischen Schriften. ßH
Beispiele einer besonderen List und Verschlagenheit. Das
dritte Capitel erzählt eine grosse Anzahl weiser Aussprüche
und Thaten. Mancherlei nicht uninteressante Bemerkungen
und Betrachtungen werden hierbei gelegentlich eingestreut. So
bemerkt Petrarca einmal, dass der bekannte Ausspruch „omnia
mecum porto" von Cicero dem Blas, von Seneca aber dem
Stilpon beigelegt werde, und dass er sich ohne weiteres für
Cicero's Autorität entscheiden würde, wenn dieser nicht selbst
seine Behauptung durch ein beigefügtes „ut opinor" einschränkte,
wesshalb doch vielleicht Seneca's Meinung nicht unbedingt zu
verwerfen sei (p. 500). Ein anderes Mal lässt sich Petrarca
zu einem heftigen Ausfall gegen die Ehe hinreissen und be-
zeichnet dieselbe als ein Bündniss, welches von fortwährendem
Streite und Argwohn erfüllt sei (p. 502). Wieder ein anderes
Mal legt Petrarca ausführlich dar, wie er die Wahrheit der
Sentenz des Epikur: „wenn du naturgemäss leben willst, darfst
du niemals reich sein" aus eigener Erfahrung erkannt und wie
er diesen Spruch zu seinem Lebensgrundsatze gemacht habe,
von welchem ihn alle Gegenreden unverständiger und über-
lästiger Freunde nicht abzubringen vermögen würden (p. 506).
Und wie sehr Petrarca immer mit seiner Person in den Vor-
dergrund tritt, wie unfähig er ist, in bescheidener Objectivität
sich hinter seinem Werke zu verbergen, mag man daraus er-
kennen, dass er einmal dem Leser sogar die Notiz nicht vor-
enthält, dass er die betreffende Stelle mit einer ganz verzweifelt
schlechten Feder schreibe, die er nun schon dreimal habe
schneiden („ferro castigare") müssen (p. 508)! Dann wird
auch einmal wieder König Robert gepriesen und das Vor-
haben ausgesprochen, das Leben desselben zum Gegenstande
eines besonderen, sei es historischen sei es poetischen Werkes
machen zu wollen (p. 513). Am interessantesten ist aber wol
folgende autobiographische Notiz : ,,Ich habe an mir selbst em-
pfunden, dass man vergeblich der Natur zu widerstehen sucht:
wie sehr hatten mich meine Aeltern angetrieben, dass ich, um
zu Vermögen zu gelangen, das bürgerliche Recht studiren
sollte! Und in der That machte ich. so lange sie lebten, in
39*
612 Elftes Capitel.
dieser Wissenschaft einige Fortschritte, sobald ich aber mir
selbst überlassen war, kehrte ich zu den Studien zurück ^X denen
ich meine innere Neigung nie entzogen hatte^^ Gern hätte ich
den Willen der Aeltern erfüllt, aber die Natur trieb mich auf
eine andere Bahn und ich habe, da Alle es wissen, nicht nöthig
zu sagen, wie weit diese von dem Willen der Aeltern entfernt
war (p. 515)." Es sind diesem, wie man sieht, überaus reich-
haltigen Capitel auch eine Zahl von volksthümlichen Spiiich-
wörtern angereiht; denn Petrarca erkennt wohl, wieviel ächte
Weisheitskörner das Volk, als dessen Vertreter er den „schreck-
haften Bauer und die zitternde alte Frau (horrens villicus et tre-
mens anus)" nennt, in diesen Sprüchen niedergelegt hat. Das
Sprüchwort „ein Jeder übe die Kunst, welche er versteht" gibt
ihm hierbei Gelegenheit zu einer langen Diatribe gegen die
Sucht zu Schriftstellern, von welcher so viele eitele und halb-
gebildete Leute befallen werden (p. 512).
Das vierte Buch erzählt zunächst in dem ersten Capitel
Beispiele von Klugheit, dann aber behandelt es in einer ganzen
Reihe von Capiteln (2—9 einschliesslich) mit grosser Ausführ-
lichkeit den Glauben an Orakel, Träume, Weissagungen, Ein-
geweide- und Vogelschau, Vorbedeutungen (omina) und An-
zeichen (portenta). Petrarca zeigt sich hier als der entschie-
denste und schlagfertigste Gegner jeglichen Aberglaubens,
überall ist er bemüht, die angeblichen Wunder in ihrer Nichtig-
keit nachzuweisen oder sie als ganz natürliche Ereignisse zu
erklären, und nicht selten thut er dies mit feiner Ironie und
vielem Humor. So erzählt er einmal das neuerdings vor-
gefallene Prodigium, dass ein Wolf einem Wächter das Schwert
aus der Scheide gerissen haben sollte, und bemerkt dazu, das
sei doch gar Nichts weiter, habe doch sein (Petrarca's) eigener
Hund einmal einem Manne das Schwert nicht bloss aus der
') Hieraus darf man wol schliessen, dass, wie auch die gewöhnliche
Tradition es angibt, Petrarca's Aeltern kurz nach einander starben, vgl.
oben S. 50 ff.
Die historischen und geographischen Schriften. 613
Scheide, sondern sogar auch aus der Hand gerissen! Diese
gänzliche Freiheit von Aberglauben^) ist eine der schönsten
Seiten in Petrarca's Charakter und eine von denen, welche ihn
so recht als über das Mittelalter erhaben und der aufgeklärten
Neuzeit angehörig kennzeichnet. Und es ist diese aufgeklärte
Denkweise des ersten Humanisten um so rühmlicher anzu-
erkennen, als die eifrige und liebevolle Beschäftigung mit dem
Römerthume ihn nur allzu leicht zur crassesten Superstition
hätte verleiten können, wie sie viele der späteren Humanisten
in der That dazu verleitet hat. Petrarca, jedes Hineinragen
des Ueberirdischen in die Sinnes weit leugnend, erhob sich nicht
nur über das Mittelalter, sondern auch über das Zeitalter des
Humanismus selbst -).
Mit dem zehnten Capitel, welches'Beispiele der Bescheiden-
heit erzählen sollte, deren aber nur zwei berichtet, bricht das
Werk plötzlich ab, auf diese "Weise zu einem kolossalen Torso
sich gestaltend, aus dem man erkennen mag, welche gigan-
tische Dimensionen das Ganze angenommen haben würde.
Ueber „die Bücher der denkwürdigen Dinge" muss man ganz
ähnlich urtheilen, wie über das „Buch der berühmten Männer".
Würde das Werk heutzutage geschrieben, so würde man dem-
selben, wenn man es auch immerhin eine beachtenswerthe und
ganz brauchbare wissenschaftliche Arbeit nennen müsste, doch
eine besondere litterargeschichtliche Bedeutung nicht zuer-
kennen dürfen. Für Petrarca's Zeit indessen besass es eine
solche im höchsten Grade und es hat, indem es die Kenntniss
der politischen und culturgeschichtlichen Verhältnisse des Alter-
') Nur die Orakel des Alterthums wagte Petrarca nicht anzuzweifeln,
sondern hielt sie für theilweis auf Wahrheit beruhende Eingebungen der
Dämonen. Das lässt sich jedoch kaum als Aberglauben bezeichnen. Von
einem Aberglauben aber war allerdings Petrarca, wenigstens als er in
dem betreffenden Jahre stand, nicht frei: er glaubte an die Ominosität des
63. Jahres, vgl, oben S. 374,
'-) Wie üppig zu Petrarca's Zeit der Aberglaube blühte, beweisen die
von ihm in diesem Capitel ziemlich zahlreich mitgetheilten und theilweise
gar nicht interesselosen Anekdoten.
614 Elftes Capitel.
thiims popularisirte und gewissermaassen ein übersichtliches
Register für die alte Geschichte gab, ungemein viel dazu bei-
getragen, dem Humanismus die für seine Entwickelung erfor-
derliche breite Basis zu schaffen. Vielleicht haben in dieser
Beziehung ,,die denkwürdigen Dinge" eine noch mächtigere
Wirkung ausgeübt, als „die berühmten Männer''. Es war dem-
nach auch dieses Werk Petrarca's hoch verdienstlich und be-
deutend.
Es bleibt uns nun hier noch eine an Umfang kleine, aber
nichtsdestoweniger interessante Schrift Petrarca's zu besprechen
übrig: es ist dies „das syrische Reisehandbuch (itinerarium
syriacum)", wie wir wol in Kürze sie nennen dürfen. Wodurch er
zur Abfassung dieses, seiner Arbeitssphäre, wie es auf den
ersten Anblick scheinen ' könnte , ganz fernliegenden Werk-
chens veranlasst wurde, berichtet uns Petrarca selbst in der
Vorrede.
Ein Freund — wir müssen uns bescheiden, zu wissen,
welcher, und können einer gelegentlichen Xotiz nur soviel ent-
nehmen, dass er in einer in der Nähe von Lodi gelegenen
Stadt wohnhaft war (p. 623) ^) — hatte Petrarca aufgefordert,
ihn auf einer Pilgerfahrt nach .Jerusalem zu begleiten. Petrarca
erklärt, dass, wenn er nur seiner Herzensneigung folgen dürfte,
er dieser Aufforderung gern nachkommen würde , dass er aber
durch viele Gründe sich daran behindert sehe, besonders
halte ihn die ilmi angeborene Abneigung gegen Seereisen davon
zurück, wenn auch der Freund durchaus nicht glauben solle,
dass diese Abneigung etwa in der Furcht vor dem Tode be-
gründet sei. Er verzichte also darauf, den Freund zu begleiten,
statt eines Bildnisses aber, um welches dieser ihn gebeten
habe, wolle er ihm in der folgenden Schrift gleichsam ein
geistiges Bildniss als Reisegabe widmen, und er meine, der
Freund werde mit diesem Tausche gern einverstanden sein,
^) Nach Tiraboschi, a. a. 0. V p. 112 war es ein mailändischer Edel-
mann Giovanni da Mandello.
Die historischen und geographischen Schriften. 615
denn ein Porträt biete ja nur ein Bild des fortwährenden Ver-
änderungen unterworfenen Leibes, während eine Schrift ein
wenigstens theilweises Abbild des Geistes darbiete.
Die Schrift gibt nun eine Anweisung, welchen Weg ein
Palästinapilger von Genua aus einzuschlagen habe, um auf
dem kürzesten Seewege sein Ziel zu erreichen und dann wieder,
eventuell über Aegypten, nach Italien zurückzukehren. Die
speciell geographischen Angaben, auf welche wir übrigens
nicht näher eingehen wollen, sind im Allgemeinen exact,
namentlich soweit sie sich auf Italien beziehen, in Bezug auf
den griechischen Archipel und Kleinasien finden sich dann
allerdings mehrfache Irrthümer, so wird z. B., um wenigstens
einen zu erwähnen, Bithynien in den Süden Kleinasiens
verlegt.
Vielleicht in keiner anderen Schrift offenbart es sich so
deutlich, wie in dem Itinerarium, dass Petrarca trotz aller
mittelalterlichen Elemente in seinem Charakter doch im inner-
sten Grunde seines Wesens der Neuzeit angehört, dass er der
BegTünder einer neuen Cultur ist. Die Schrift soll einem
praktisch religiösen Zwecke dienen , ein Pilger soll auf seiner
frommen Wallfahrt sie benutzen, musste da nicht, wenn sie
überhaupt mehr sein wollte, als ein blosses Verzeichniss von
OertJ ichkeiten und Entfernungen, unbedingt das religiöse Ele-
ment in den Vordergrund treten? musste da nicht, wie es ja
sonst in mittelalterlichen' Itinerarien wirklich geschieht, vor-
zugsweise auf Alles hingewiesen werden, was auf die Kirche Bezug
hatte und geeignet war, den Pilger zu frommen Betrachtungen
anzuregen, also namentlich auf die durch die biblische Ge-
schichte oder die Legende denkwürdigen Stätten ? Petrarca ver-
säumt dies nun zwar nicht ganz, aber er thut es doch nur neben-
sächlich und in einer Weise, welche erkennen lässt, wie ihm im
innersten Herzen die profane Geschichte doch ungleich in-
teressanter war, als die heilige. Mit sichtlicher Vorliebe
macht er seinen Reisenden auf die historischen und künst-
lerischen Merkwürdigkeiten der Städte, welche er passiren
616 Elftes Capitel.
werde, aufmerksam und ermahnt ihn dringend, dass er ja
nicht versäumen solle, dieselben in Augenschein zu nehmen.
So soll z. B. der Pilger zu Neapel die Gemälde betrachten, mit
denen der erste der lebenden Maler, ein Florentiner — es kann
nur Giotto gemeint sein — die Capelle des königlichen Palastes
geschmückt habe, und ebenso soll er die architektonisch inter-
essante Marienkirche besuchen, in Alexandrien aber soll er die
Grabmäler Alexander's d. Gr. und des Pompejus, falls sie noch
erhalten seien, besichtigen.
Ueberall werden die historischen und mythologischen Be-
züge angegeben : z. B. die Insel Elba war im Alterthume durch
ihre Mineralschätze berühmt (Verg. Aen. X 174); in der Nähe
von Corneto lag das alte Tarquinii und noch jetzt sind Ruinen
davon zu schauen: auf dem Vorgebirge Circeii in Latium^)
wohnte die Circe; die kleine Insel Procida war die Geburts-
stätte jenes gewaltigen Mannes (Johann v. Procida), der Karl
von Anjou einer Krone beraubte; am Vorgebirge Misenum
soll Aeneas seinen Gefährten Misenus ermordet haben (sie!) und
hier befand sich einst die eine der beiden römischen Flotten-
stationen, während die andere zu Ravenna war; Bajae hat
von dem dort begrabenen Baius, einem Gefährten (j^es Ulixes,
seinen Namen erhalten; in Capri hauste einst der greise Ty-
rann Tiberius; in Tarent — doch wir brechen ab, denn wir
laufen sonst Gefahr, das ganze Buch auszuschreiben. Auch
unterlässt Petrarca nicht auf landschaftliche Schönheiten hin-
zudeuten, so verherrlicht er namentlich die Reize der Riviera
und erwähnt, dass er dieselben auch in seiner „Africa" be-
sungen habe, und ferner schildert er gar anmuthig, wie das
Meeresufer bei Gaeta von immer grünenden und duftenden
Lorbeer- und Citronenhainen bedeckt ist. — Durch alle diese
Hinweise erhält die Schrift einen ungemein modernen Charakter
und wird geradezu einem modernen Reisehandbuche nach Art
der Bädeker'schen oder Gsell-Fels'schen ähnlich. Ganz un-
1) Durch einen lapsus calami haben wir oben S. 212, Anm. 2 Circeii
an die campanische Küste versetzt, was hiermit berichtigt werden möge.
Die historischen und geographischen Schriften. 617
mittelbar drängt sich dem Leser die Empfindung auf, dass der
Pilger im Begrifi' steht, sich in einen profanen Touristen um-
zuwandeln, dass das im Mittelalter fast allein herrschende re-
ligiöse Interesse von der Freude an Kunst- und Naturschönheiten
und an historischen Reminiscenzen verdrängt wird. Die volle
Luft der Neuzeit also weht uns aus diesem Buche entgegen,
welches schon um desswillen grössere Beachtung beanspruchen
darf, als ihm bis jetzt zu Theil geworden ist. Was Petrarca
aber in dieser Schrift geben wollte, das hat er in Wahrheit
gegeben: ein Abbild seines neue Bahnen des Denkens und
des Fühlens suchenden und findenden Geistes.
Zwölftes Capitel.
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte^).
JJa wir von denjenigen Schriften, welche sich als Streit-
schriften bezeichnen lassen, zwei — die „Apologie gegen
die Verleumdungen eines gewissen Franzosen" und den „Traetat
über die Unwissenheit seiner selbst und vieler Anderer" —
bereits gesprochen haben (S. 388 ff. u. 418 ff,), so bleiben uns
nur noch die „vier Bücher Invectiven gegen einen Arzt" zu
besprechen übrig. Wir werden uns hierbei die grösste Kürze
gestatten und namentlich auf eine Analyse des Inhaltes der
Schrift verzichten dürfen, da dieselbe eine höhere litterar-
geschichtliche Bedeutung nicht besitzt, auf die Entwickelung
der Renaissancecultur einen sonderlichen Einfluss nicht aus-
geübt hat und, wie Petrarca's Streit gegen die Aerzte über-
haupt, zu einem guten Theile mit dem Charakter der Bizarrerie,
um nicht zu sagen der Verschrobenheit behaftet ist. Auch sind
die Invectiven für sich allein nicht recht verständlich, sondern
^) vgl. K. Sprengel, Versuch einer pragmatisclien Geschichte der Arzney-
kunde, 3. Aufl. (Halle, 1823), Bd. 2, p. 600 f. und Henschel im Janus,
Zeitschr. f. Geschichte und Litteratur der Medicin, Bd. I (Breslau, 1846),
p. 183 ff.
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte. 619
Würden dies nur sein, wenn uns auch die Schriften der Gegen-
partei erhalten wären, in welchem Falle wir in ähnlicher Weise,
wie wir es bei dem Streite Petrarea's gegen die Verleumdungen
eines gewissen Franzosen thaten, der litterarischen Fehde in
allen ihren Einzelheiten würden folgen und ihr ein grösseres
Interesse würden abgewinnen können. Endlich aber — und
das ist der Hauptgrund, der uns zu möglichster Kürze nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet — enthalten die vier
Bücher der Invectiven so gut wie gar nichts Sachliches, sondern
eben nur Persönliches: nicht etwa gegen die Medicin an sich
wird in ihnen gekämpft und nicht etwa gegen diese werden
mehr oder weniger begründete Angriffe gerichtet, sondern es
werden lediglich gegen einen bestimmten Arzt Verunglimpfungen
und Schmähungen geschleudert und zwar zum Theil solche der
gemeinsten Art. Den Inhalt eines solchen Buches zu repro-
duciren könnte höchstens für die Geschichte und Statistik des
Schimpfens Werth besitzen, für uns aber hat es kein Interesse.
Es ist ein höchst unerquicklicher Krieg, den Petrarca als Ver-
fasser der Invectiven führte, ein Krieg, der seiner und seines
Ruhmes völlig unwürdig war : gewinnt man doch, wenn man die
Invectiven zu lesen beginnt, den Eindruck, als wenn der sonst
so würdige und moraleifrige Petrarca, wie von einem plötz-
lichen Wahnsinn befallen, nach Art eines verwilderten Menschen
mit Steinen und Scherben um sich würfe. Nimmt man nun
noch hinzu, dass in dieser Schrift unter der Maske einer ein-
studirten Bescheidenheit die unglaublichste Eitelkeit sich selbst-
gefällig spreizt, so wird man aus ihr die nicht eben erfreuliche
Ueberzeugung gewinnen, dass der grosse Mann, den wir so
gern als ein Ideal verehren möchten, doch höchst bedenkliche
sittliche Schwächen besass — es ist dies ein Beitrag zur psycho-
logischen Pathologie, der uns daran gemahnen mag, dass eben
in der irdischen Welt etwas Vollkommenes nicht existirt.
Besser als durch eine Analyse der Invectiven werden wir
Petrarea's feindliches Verhältniss zu den Aerzten und zu der
Heilkunde seiner Zeit durch eine gedrängte Wiedergabe des
Inhaltes einiger seiner „Altersbriefe" zu veranschaulichen und
620 Zwölftes Capitel.
zugleich auch zu erklären vermögen. Zunächst kommt da
der vierte (b. Fracassetti dritte) Brief des fünften Buches in
Betracht.
Boccaccio hatte einmal nach einer überstandenen Krank-
heit an Petrarca geschrieben, dass er durch Gottes Gnade und
durch die Hülfe des Arztes genesen sei. Darauf äussert ihm
Petrarca seine Verwunderung, dass ein so aufgeklärter Mann,
wie Boccaccio, an Hülfe von Seiten eines Arztes glauben könne:
Gott und die gute Natur hätten Alles gethan, der Arzt aber
absolut gar Nichts, ausser dass er den Patienten durch sein
fades Geschwätz gelangweilt hätte. Der beste Weg, zur Ge-
sundheit zu gelangen, sei der, keinen Arzt zu haben, denn die
meisten Aerzte befördern, gewissenlos genug, in ihrem Inter-
esse die Krankheiten, die wenigen guten und gewissenhaften
aber begnügen sich, die Zuschauer der Naturprocesse abzu-
geben und, wenn diese günstig enden, sich selbst den Sieg zu-
zuschreiben. Sodann rügt Petrarca die prunkende Tracht der
Aerzte, die Gewänder von flammendem Purpur und mit buntem
Besätze, die blitzenden Ringe und die goldenen Sporen, welche
sie tragen, um die Augen der ^Menschen zu blenden. Solche
Tracht zieme sich nicht für „Handwerker (mechanici)", wie sie
seien, und die Obrigkeit sollte sie ihnen untersagen. Die
Aerzte sind geradezu die Mörder ihrer Mitbürger. Seien doch
einige von ihnen so thöricht, dass sie ihren Patienten den
Genuss bestimmter Obstarten und Gemüse verbieten, ohne
welche doch die Mahlzeiten unschmackhaft würden, andere
seien wieder so albern, den Aderlass zu untersagen und zu
lehren, dass das Blut ein kostbarer Schatz sei, den man zu-
sammenhalten müsse. Er (Petrarca) würde von seinem Blute
geradezu erdrückt werden, wenn er nicht regelmässig im Früh-
jahr und im Herbst eine reichliche Abzapfung vornehmen Hesse.
Wieder andere Aerzte verdammen — vielleicht weil sie selbst
feurige Weine lieben — das Wasser, welches doch ein so ge-
sundes Getränk sei. Er (Petrarca) würde gar nicht mehr leben,
wenn er nicht in den Winternächten (sie !) grosse Massen kalten
Wassers tränke. Uebrigens gestehen selbst auch renommirte
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte. 621
Aerzte in Privatgesprächen offen ein, dass ihre Kunst an sich
werthlos sei und nur auf das Geldmachen hinauslaufe. End-
lich lassen viele Leute den Arzt auch nur desshalb rufen,
damit sie nicht für geizig gehalten werden. — Petrarca er-
wähnt sodann, um zu beweisen, wie er den tüchtigen Menschen
auch im Arzte zu schätzen wisse , dass er gegenwärtig noch
vier Aerzte zu seinen Freunden zähle, je einen von ihnen in
Venedig und in Mailand und zwei in Padua: es seien das ge-
lehrte und umgängliche Männer, welche wenigstens mit An-
rauth (,,satis colorate") zu morden verständen (!) und dafür auch
eine leidliche Entschuldigung vorzubringen wüssten. Diese,
welche übrigens alles Andere besser verständen, als gerade die
Medicin, lasse er denn auch in Krankheitsfällen zu sich, nicht
als Aerzte, sondern als Freunde, denn Nichts befördere die
Genesung mehr, als freundschaftlicher Besuch; wenn sie ihm
etwas verordneten, was mit seinen eigenen Meinungen über-
einstimme, so befolge er es, sonst aber kümmere er sich gar nicht
darum und stelle vielmehr Alles Gott und der Natur anheim,
da ja doch die von dem ersteren gesteckten Lebensgrenzen
nicht überschritten werden könnten. Im ferneren Verlaufe des
Briefes erzählt Petrarca mit vielem Humor, wie ein allgemein
renommirter Wunderdoctor. als er Galeazzo Visconti von dem
Podagra heilen sollte, sich gründlichst blamirte und schliesslich
seine Zuflucht zur Magie nahm. Endlich aber werden die
griechischen und arabischen Kunstausdrücke, deren sich die
damaligen Aerzte zu bedienen pflegten, launig verspottet.
Ganz ähnlichen Inhaltes ist der dem eben analysirten fol-
gende, an Donato gerichtete Brief (Ep. Sen. V 5, b. Frac. 4),
und höchstens die eine nicht uninteressante Mittheilung fügt
er dem Gesagten hinzu, dass Petrarca einmal als junger Mensch
aus Freude, von einem hitzigen Fieber befreit worden zu sein,
ein Dankgedicht auf seinen Arzt verfasste ^), dass er also nicht
immer ein so abgesagter Feind der ärztlichen Kunst war.
') Das Gedicht scheint nicht erhalten zu sein, denn an Ep. poet. lat.
III 12 kann man doch kaum denken.
622 Zwölftes Capitel.
Von liöchstem Interesse dagegen sind die beiden Briefe,
welche Petrarca am 13. Juli und am 17. November 1370 an den
ihm befreundeten berühmten Arzt Giovanni Dondi von Padua —
auch einer der bedeutendsten Mechaniker seiner Zeit und von
einem Planetarium, welches er construirt hatte, „dalP Orologio"
zubenannt ^) — richtete. Giovanni hatte dem schon damals
kränkelnden greisen Dichter brieflich empfohlen, die folgenden
sechs diätetischen Vorschriften zu beobachten: Enthaltsamkeit
von Salzfleisch , von Salzfischen , von Gemtisen , von Obst, von
kaltem Wasser und schliesslich von dem kirchlichen Fasten. In
seinem Antwortschreiben erklärt nun Petrarca, den ersten drei
Vorschriften sich ohne weiteres fügen zu wollen, da er selbst
schon beobachtet habe, dass die betreffenden Speisen ihm nicht
mehr zusagten. Auf das Fasten aber könne er nicht verzichten,
denn, möge auch eine Zweitheilung der Mahlzeiten 2) an sich
vielleicht vernünftiger sein, so führe eine solche doch nur allzu
leicht zur Völlerei, und jedenfalls widerstreite ein derartiges
Es -sich -bequem -machen dem göttlichen Gebote. Er glaube
auch nicht, dass das von Gott gebotene Fasten der Gesundheit
nachtheilig sein könne, denn Gott stehe dem Fastenden mit
seiner Gnade bei, und Thatsache sei es, dass viele heilige
Männer trotz eifrigen Fastens und kärglicher Nahrung ein
hohes Alter erreicht hätten. — Wie könne ferner das Obst
schädlich sein, jene köstliche Gabe der Natur, welche Augen,
Geruch und Geschmack zugleich erfreue? Dass freilich das
Obst in Uebermaass genossen schade, sei unleugbar, aber das-
selbe sei mit allen Speisen der Fall. — Das frische Wasser
aber zu untersagen, sei geradezu Thorheit : sei doch das Wasser
das gesündeste Getränk, und Menschen, die stets nur Wasser,
niemals Wein genossen hätten, seien steinalt geworden. Er
selbst sei immer ein Freund des Wassers gewesen und habe
es dem Weine vorgezogen, habe sich auch in Bezug auf seine
^) vgl. über ihn Tiraboschi, a. a. 0. V p. 315 ff.
"-) An den kirchlich gebotenen Fasttagen der Katholiken darf nur ein-
mal täglich eine sättigende Mahlzeit eingenommen werden.
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte. 623
Verdauung sehr wohl dabei befunden, wenn er sich aber doch
einmal nicht ganz wohl gefühlt habe, dann sei ihm gerade ein
Trunk frischen Wassers die beste Medicin gewesen. Wohl
werde ihm jetzt immer von seinen Freunden vorgeworfen, dass
er sich durch seinen Ungehorsam gegen die Aerzte das Leben
kürzen werde, aber das wolle er gern verantworten, und übri-
gens sei er nicht nach längerem Leben begierig und gern
bereit, von der Bühne der Welt abzutreten, wenn es Gott so
gefalle: er habe genug gelebt und das Leben biete ihm keine
Freude mehr, wohl aber den Schmerz, sehen zu müssen, wie
das Laster sich immer mehr und mehr ausbreite und wie Italien
die von Norden her eindringenden Barbarensitten immer will-
fähriger annehme.
Noch grössere Wichtigkeit besitzt der zweite, jetzt zu be-
sprechende Brief.
Petrarca erklärt in ihm, er könne und wolle den Aerzten
besonders um desswillen nicht vertrauen, weil er oft beobachtet
habe, dass dieselben bei eigenen Erkrankungen sich selbst
nicht zu helfen wissen, sondern ebenso, wie andere Menschen,
sterben. — Die diätetischen Vorschriften der Aerzte aber halte
er für persönliche Marotten, so habe z. B. ein ihm bekannter
Arzt alle Obstsorten verabscheut mit Ausnahme der Feigen
und in Folge dessen habe er nun allen seinen Patienten jeg-
liches andere Obst streng verboten, die Feigen dagegen ihnen
dringend anempfohlen. Falsch sei es auch durchaus, wenn die
Aerzte nach dem Alter der Patienten generelle Vorschriften
ertheilten, denn hier sei durchaus die Individualität der
Kranken, nicht die Zahl ihrer Lebensjahre maassgebend:
mancher Greis habe noch die Kräfte eines Jünglings und
wiederum sei mancher junge Mann greisenhaft hinfällig. —
Mit den Berufungen auf die Autorität der arabischen und
griechischen Aerzte möge man ihn verschonen. Die Araber
könne er nun einmal nicht leiden, das ganze Volk sei ihm
verhasst, selbst die arabischen Dichter seien ihm zuwider,
denn Nichts sei süsslicher, weibischer, weichlicher und sitten-
624 Zwölftes Capitel.
loser ^), er vermöge nimmermehr zu glauben, das8 aus
Arabien irgend etwas Gutes gekommen sei. — Auf's Schärfste
tadelt Petrarca sodann den Ausspruch eines Arztes (Giovanni
di Parma), dass nach den arabischen Aerzten hinfort kein
Lateiner (d. h. Italiener) über ^ledicin zu schreiben wagen
dürfe, da er nimmermehr sie zu erreichen oder gar zu über-
treffen vennögen würde. Hätten die Lateiner doch auch nach
den Griechen noch mit Erfolg zu schreiben gewagt und diese
erreicht oder übertroffen! Denn in der Philosophie kämen
Varro und Cicero dem Piaton und Aristoteles gleich, in der
Beredtsamkeit Cicero dem Demosthenes, in der Poesie Yirgil
dem Homer, in der Geschichtsschreibung Hessen Livius und
Sallust den Herodot und Thukydides weit („quam longissime")
hinter sich, in der Jurisprudenz hätten die Römer die Griechen
bedeutend überholt, in der Mathematik habe Severinus mit
ihnen gewetteifert, den vier griechischen Kirchenvätern endlich
ständen vier grössere lateinische gegenüber.
Bemerkenswerth ist übrigens der milde, versöhnliche und
fi-eundschaftliche Ton, in welchem die beiden zuletzt bespro-
chenen Briefe abgefasst sind und welcher wohlthuend absticht
gegen die massive Kraftsprache der Invectiven. Es berührt
in diesen Briefen sehr angenehm, zu bemerken, wie Petrarca
hier einmal Person und Sache zu trennen, die erstere i-ück-
sichtsvoll und die letztere wenigstens einigermaassen objectiv
zu behandeln sich bemüht. —
Man erkennt aus dem mitgetheilten Inhalte der ol)igen
Episteln unschwer, auf welchen Gründen Petrarca's Abneigung
gegen Medicin und Mediciner beruhte und dass sie weit mehr
eine Sache des Gefühls als des Verstandes war. Die iMedicin
war ihm um desswillen verhasst, weil sie ihren Stütz- und
Ausgangspunkt ausserhalb des von ihm so geliebten classischen
*) Woher mag Petrarca arabische Dichter kennen gelernt haben? oder
soll man glauben, dass er nur nach Hörensagen urtheilte? Anzunehmen,
dass er etwa Arabisch verstanden habe, scheint uns aus mehrfachen Gründen
durchaus unstatthaft.
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte. 625
Alterthums bei den verabscheuten Arabern suchte, sie war
ihm ferner verhasst, weil er in ihr — und für seine Zeit mochte
dies nicht unbegründet sein — ein Conglomerat von jeder
rationellen Basis entbehrenden Dogmen und subjectiven Schrullen
erblickte, sie war ihm endlich auch verhasst, weil sie für sich
eine Unfehlbarkeit in Anspruch nahm, welche ihm, dem Feinde
eines jeden Autoritätsglaubens auf dem Gebiete der "Wissen-
schaft, sinnlos und verderblich erscheinen musste. Andere
Gründe mehr persönlicher Art traten hinzu: dem Dichter er-
schien das Geschäft der Aerzte mit seinen damals in rohester
Weise geübten Verrichtungen des Schneidens und Brennens,
des Schröpfens und Purgirens als unendlich, prosaisch, hand-
werksmässig und ekelhaft, den Humanisten aber verdross es
in tiefster Seele, dass nicht humanistisch gebildete und einem
vermeintlich rein mechanischen Gewerbe lebende Leute, wie
die Aerzte, gleichwol als den Humanisten ebenbürtige Gelehrte
betrachtet zu werden in anspruchsvollster Weise forderten.
Endlich aber wirkten%wol auch noch zwei weitere Motive mit.
Petrarca erfreute sich bis in sein Alter hinein einer festen und
widerstandsfähigen Gesundheit. Kerngesunde Leute aber lassen
sich nur gar zu leicht im Vollgefühle ihrer Lebenskraft von
einer instinctiven Abneigung gegen die Aerzte bestimmen,
indem sie, weil selbst der Hülfe derselben nicht bedürftig, in
ihnen höchst überflüssige Persönlichkeiten und lästige Mahner
an den doch einst unvermeidlichen Tod erblicken. In den
Krankheitsjahren seines Alters aber, als keine Heilkunst mehr
ihm Hülfe zu bringen vermochte, da konnten Petrarca die
Aerzte gar leicht als unleidliche Quäler und Dränger erscheinen,
die ohne Zweck noch Mutzen ihm seine persönliche Freiheit
verkümmern und in liebgewordenen Gewohnheiten des Lebens
ihn stören wollten. So waren ihm weder in der Jugend noch im
Alter die Aerzte sympathisch, und er fühlte sich um so be-
rechtigter, ihre Wissenschaft verachten zu dürfen, als er an
einigen Stellen der lateinischen Autoren sehr abfällige Urtheile
über dieselbe ausgesprochen fand.
Indessen in früheren Jahren war Petrarca's Abneigung
Körting, Petiarca. 40
626 Zwölftes Capitel.
gegen die Aerzte gewissermaassen nur latent gewesen, und sie
würde es vielleicht immer geblieben sein, wenn nicht ein un-
glücklicher Zufall dazwischen getreten wäre. Papst Clemens VI.
war im Jahre 1352 lebensgefährlich erkrankt und Petrarca,
offenbar ohne sich etwas Arges dabei zu denken, und nur von
den besten Absichten beseelt, nahm die Gelegenheit wahr,
seinen hochgestellten Gönner in einem Briefe vor der zweifel-
haften Kunst der Aerzte zu warnen. Der Brief kam aber zur
Kenntniss eines der päpstlichen Hofärzte und dieser hielt sich für
verpflichtet, den gegen seine Wissenschaft und, wie er meinte,
auch gegen seine persönliche Ehre gerichteten Angriff des
Dichters durch eine Gegenschrift abzuwehren , in welcher er
es — das darf man bei den damaligen litterarischen Zu-
ständen als unzweifelhaft voraussetzen — an giftgetränkten
Bemerkungen über Petrarca und dessen poetisches Schaffen
nicht wird haben fehlen lassen. Nun wissen wir ja, wie über-
aus empfindlich Petrarca gegen litterarische Angriffe war
(vgl. oben S. 429), und werden es dejnnach begreiflich fin-
den, dass er gegen den „wahnsinnigen und frechen Arzt",
der ihn zu verunglimpfen gewagt hatte , eine wuthschäu-
mende Epistel schleuderte, welche, was nicht sonderlich zu
beklagen sein wird, nicht mehr erhalten ist. Da nun der, wie
es scheint, sehr streitbare und federgewandte Arzt nicht schwieg,
so spann die litterarische Fehde sich weiter fort, und ihre Frucht
sind eben die vier Bücher der Invectiven. Petrarca aber, je
hartnäckiger er mit seinem medicinischen Gegner zu streiten
hatte, ereiferte sich zu immer grösserer Wuth gegen die Aerzte
überhaupt, und diese Wuth steigerte sich wirklich bis zu einer
Idiosynkrasie, welche dem objectiv denkenden Beurtheiler wun-
derlich und verkehrt genug erscheinen muss, zumal wenn er
bedenkt, dass Petrarca nach seinem eigenen Eingeständnisse ^)
nicht die geringsten positiven Kenntnisse in der Medicin besass.
Allerdings darf man, um Petrarca's Handlungsweise nicht
gar zu verkehrt zu finden, zwei Dinge nicht übersehen. Einmal
') Ep. Sen. XII 1.
Die Streitschriften. Petrarca und die Aerzte. ' 627
ist ZU erwägen, class die Medicin des vierzehnten Jahrhunderts
in der That einen sehr handwerksmässigen Charakter trug
und der wahren Wissenschaftliehkeit durchaus entbehrte, dass
somit Petrarca's Kampf gegen sie im letzten Grunde doch ein
Kampf gegen ein verknöchertes und pedantisches Gelehrten-
thum war und als solcher eine innere Begründung und Be-
rechtigung besass. Petrarca's Streit geg'en die Aerzte war,
freilich ohne dass es den kämpfenden Parteien zum klaren
Bewusstsein gekommen wäre, ein Streit der nach freier Wissen-
schaftlichkeit ringenden Neuzeit gegen das zunftmässig beengte
und autoritative Wissen des Mittelalters. Sodann aber muss
man auch berücksichtigen, dass Petrarca's ärztlicher Gegner die
vergiftetsten Waffen der Schmähung und Verleumdung gegen
ihn brauchte — indem er z. B. seine Pv,echtgläubigkeit ver-
dächtigte und seine poetische Thätigkeit als kindische Tändelei
darstellte — Waffen also, welche wol das Recht zu einer
rücksichtslosen Gegenwehr verleihen konnten. Immerhin aber
bildet Petrarca's Kampf gegen die Aerzte die unerfreulichste
Episode seines Lebens, die seinen Nachruhm eher beeinträch-
tigt, als gefördert hat. Und wenn irgend etwas in Petrarca's
Bestrebungen, so ist sein Streit gegen Medicin und Mediciner
ergebnisslos gewesen und hat der Nachwirkung auf die Folge-
zeit entbehrt. Der Humanismus hat die von seinem Begrün-
der so leidenschaftlich geführte Fehde fallen lassen und hat
stillschweigend Frieden geschlossen mit der Medicin, diese
aber hat sich ebenfalls mit dem Humanismus ausgesöhnt und
hat ihm einen nicht unbedeutenden Einfluss auf ihre weitere
Entwickelung gestattet. Nicht vernichtet oder auch nur ge-
schwächt, sondern vielmehr gestärkt und verjüngt wurde die
Heilkunde durch die Renaissancebildung, und während sie zu
Petrarca's Zeit kaum den Anspruch auf den Namen einer wah-
ren Wissenschaft erheben durfte, hat sie sich im Zeitalter der
Renaissance die volle und unbestrittene Ebenbürtigkeit mit den
übrigen Wissenschaften erworben und ist sogar manchen der-
selben in vielfacher Beziehung weit vorausgeeilt. Petrarca's
Fehler war es gewesen, nicht erkannt zu haben, dass das
40*
628 Zwölftes Capitel.
medicinische Wissen seiner Zeit trotz der wüsten und ab-
stossenden Hülle, von welcher es bedeckt und entstellt
war, doch einen werthvollen und höchst entwickelungsfähigen
Kern in sich barg: wenn er dies erkannt hätte, würde er gewiss
die wunderliche Fehde gegen die Aerzte, in welcher er doch ein
klein wenig die seiner unwürdige Rolle eines Don Quijote ge-
spielt hat, entweder gar nicht oder doch nicht in einer so
zelotischen und in Folge dessen fast an das Burleske anstrei-
fenden Form geführt haben.
Dreizehntes Capitel.
Die Bücher über die Weltverachtung.
JJa wir von denjenigen Schriften Petrarca's, welche sich
in Kürze als selbstbiographische d, h. als Beiträge zu der
äusseren und inneren Geschichte seines Lebens bezeichnen
lassen, die verschiedenen Briefsammlungen sowie ,,die Epistel an
die Nachwelt" und die Postille zum Handexemplar des Virgil
bereits früher mit einer, wie wir meinen, hinreichenden Aus-
führlichkeit besprochen haben, so bleiben uns nur noch die
„drei Bücher über die Weltverachtung" zur Besprechung übrig.
Wir geben zunächst eine gedrängte Uebersicht des Inhaltes
der überaus merkwürdigen Schrift, wobei wir es entschuldi-
gen zu wollen bitten , dass dies in einer etwas abgerissenen
und wenig eleganten Form geschehen wird. Die Analyse
gerade dieses Werkes Petrarca's bietet nämlich ganz eigen-
thümliche Schwierigkeiten dar, welche immer besiegt zu haben
wir eben nicht hoffen dürfen. Ja, fast ist es geradezu un-
möglich, eine einigermaassen verständliche Analyse zu geben,
und wären nicht schliesslich äussere Rücksichten auf den schon
allzu beträchtlich angewachsenen Umfang unseres Buches
maassgebend gewesen, so würden wir es vorgezogen haben,
nicht eine Inhaltsangabe, sondern eine vollständige Uebersetzung
an dieser Stelle einzureihen.
630 Dreizehntes Capitel.
Der Inhalt der dem Werke vorausgeschickten Vorrede
ist, wenn wir Petrarca redend einführen dürfen, in Kürze fol-
gender: Ich quälte mich viel mit dem Gedanken, wie ich in
dieses Leben eingetreten sei und wie ich es wieder verlassen
würde. Da, als ich einmal schlaflos lag, erschien mir eine
herrliche Frauengestalt, welche ich an Gestalt und Kleidung
als eine Jungfrau erkannte. „Fürchte dich nicht," sprach sie
zu mir, „ich bin, mich deiner erbarmend und um dir Hülfe
zu bringen, vom Himmel herabgestiegen, ich bin diejenige,
welche du in deinem Gedichte „Africa" gefeiert und ihr einen
Palast auf den Höhen des Atlas erbaut hast." An diesen
Worten erkannte ich, dass es die Wahrheit sei, denn diese
hatte ich besungen, und nun bemerkte ich auch, dass sich in
ihrer Begleitung ein ehrwürdiger Mann befand, von dem es
mir, noch ehe die Wahrheit mir seinen Namen genannt hatte,
gewiss war, dass es kein anderer sein könne, als mein theurer
Lehrer, der heilige Augustin. Die Wahrheit beauftragte ihn,
sich mit mir zu unterhalten und durch seinen Zuspruch meine
Seele zu beruhigen, und nach anfänglicher Weigerung erklärte
er sich hierzu bereit. So verbrachten wir an einem einsamen
Orte drei Tage in ernsten Gesprächen, und was in denselben
mich persönlich betraf, habe ich in diesem Buche aufgezeichnet,
dem ich, um die Rede nicht durch ein fortwährend eingescho-
benes „sagte ich" und „sagte er" zu unterbrechen, die dia-
logische Form gegeben und welches ich nicht, wie meine an-
deren Werke, für die Veröffentlichung , sondern nur für meine
eigene Erinnerung bestimmt habe.
Der Inhalt des nun zwischen Augustin und Petrarca be-
ginnenden ersten Gespräches dürfte sich uagefähr folgender-
maassen zusammenfassen lassen.
Als unzweifelhafte und feststehende Wahrheiten stellt Augu-
stin folgende Sätze auf: Xur die Tugend kann glücklich, nur
das Laster unglücklich machen. Daher kann Niemand ohne
sein eigenes Wollen und Mitwirken glücklich oder unglücklich
sein oder werden. — Um sich aus der Enge dieses sterblichen
Lebens erheben zu können, müssen der Gedanke an den Tod
Die Bücher über die Weltverachtung. 631
und an das menschliche Elend sowie die innige Sehnsucht nach
Erhebung („desiderium vehemens studiumque surgendi") als
Vorstufen vorausgehen. — Es ist ein überaus verderblicher
Fehler der Menschen sich selbst zu täuschen.
Petrarca will diese Sätze in Bezug auf seine Person nicht
gelten lassen und meint, dass er wohl den Willen, aber nicht
die Kraft zur Erhebung aus seinem Elend besessen habe — Zeuge
dessen seien seine Thränen — , dass er also gegen sein Wollen
und Streben unglücklich sei. ^ Augustin behauptet nichtsdesto-
weniger, dass es Petrarca am rechten und energischen Wollen
habe fehlen lassen, findet aber Petrarca's Irrthum entschuldbar,
indem er sich daran erinnert, dass auch er selbst (Augustin)
sich einst ebenso über sein Inneres getäuscht habe, bevor er
unter dem Feigenbaume zu Mailand den ernsten Entschluss
der inneren Bekehrung fasste ^). Nach längerem Hin- und Her-
reden gesteht Petrarca endlich ein, dass er in seinem Streben
nach Erhebung etwas lau gewesen sei, und bittet Augustin,
ihm den Weg zu weisen, wie er ein guter Mensch werden
könne. Augustin erklärt, dass dies allerdings ein schwieriges
Unternehmen sei, denn, um davon zu schweigen, aus wie vielen
positiven Elementen diese Sehnsucht sich zusammensetzen
müsse, enthalte sie auch viele negative Elemente, d. h. fordere
die Verzichtleistung auf viele Dinge des Lebens, denn wenn
uns die Sehnsucht nach dem höchsten Glücke wirklich erfüllen
soll, so müssen alle auf andere Dinge gerichteten Wünsche und
Begierden aufgegeben werden, das aber hat noch Niemand im
vollen Umfange zu thun vermocht, denn Niemand hat sich wol
so gänzlich von allen irdischen Wünschen loslösen können.
Die unerlässliche Vorbedingung hierzu sei die Erinnerung an
den Tod, und dieser habe sich Petrarca — trotzdem dass er
das Gegentheil versichere — bis jetzt viel zu saumselig hin-
gegeben. Allerdings werden ja alle Menschen durch Krank-
heiten, durch Todesfälle in ihrem Bekanntenkreise und durch
ungewöhnliche unglückliche Ereignisse oft genug, ja tagtäglicli
') Aug. Conf. VIII 8.
632 Dreizehntes Capitel.
an den Tod erinnert, aber, verhärtet in ihren weltlichen Lebens-
gewohnheiten, lassen sie diesen Gedanken nicht tiefer in ihr
Herz eindringen. Nur wer stets seiner Sterblichkeit eingedenk
ist und demgemäss, das Irdische verschmähend, nach dem Ewi-
gen trachtet, kann mit Kecht auf den Namen eines guten Men-
schen Anspruch erheben, aber nur Wenige befinden sich in
dieser glücklichen Lage. Petrarca erklärt, dass er bis jetzt
geglaubt habe, zu diesen Wenigen zu gehören. Augustin gibt
zu, dass Petrarca, schon in Fol^e seiner vielseitigen Leetüre.
oft an den Tod gedacht haben möge, meint aber doch, dass
der Gedanke nicht tief genug Wurzel in ihm gefasst habe.
Petrarca fragt, was unter dem „tiefe Wurzeln fassen" zu ver-
stehen sei. Augustin erklärt dies, indem er sagt, man müsse
sich zunächst alle Einzelheiten des Todes, womöglich mit Zu-
hülfenahme von Erinnerungsbildern, vergegenwärtigen, und er
entwirft hierbei in schauerlicher, acht mittelalterlich realisti-
scher Detaillirung eine Schilderung der Phänomene und Symptome
des Sterbens. Petrarca bittet hierauf um ein Zeichen, an wel-
chem er erkennen könne, ob der Todesgedanke bei ihm wirk-
lich ein eindringender und nachhaltiger sei. Augustin ant-
wortet, es werde dies daran erkannt, dass man, wenn man
sieh die Gewissheit des Todes und der ihm nachfolgenden
ewigen und entsetzlichen Höllenqualen lebhaft vergegenwärtigt
und an die Unabänderlichkeit des am jüngsten Gerichte zu fällen-
den götthchen Urtheilsspruches denkt, dennoch ruhig zu bleiben
und die Sehnsucht nach Erhebung sowie das Vertrauen auf die
göttliche Gnade zu bewahren vermöge. Petrarca erzählt dann,
er vergegenwärtige sich, namentlich in den Nächten, den Mo-
ment seines Sterbens oft so lebhaft, dass das Denken fast zur
Vision sich steigere und dass er, wie im letzten Augenblicke,
Christus um Hülfe anrufe ^j, trotzdem aber fühle er sich nicht
glücklicher, als die anderen, derartiger Gedanken sich ent-
M Er erzählt hierbei, dass er dies mit Versen des Virgil (Aen. VI
365 u. 370 f.) thue — welche seltsame Verquickung des Chi-istlichen mit
dem Heidnischen!
Die Bücher über die Weltverachtung. 633
schlagenden Menschen, sondern vielmehr unglücklicher, denn
der Todesgedanke verbittere ihm alle Lebensfreude und bringe
ihm somit nur Mühsal und Schrecken: wodurch werde dies ver-
ursacht? was verhindere ihn, Freude aus diesem Gedanken zu
gewinnen? Augustin antwortet, es liege dies vielleicht daran,
dass Petrarca seinen Tod als etwas noch sehr Fernliegendes,
als ein erst nach langen Jahren zu erwartendes Ereigniss be-
trachte, was eine sehr irrige und die Pein der Ungewissheit
mit sich bringende Anschauung sei. Petrarca jedoch leugnet
sehr entschieden, dieses Fehlers sich schuldig zu machen, und
erklärt, wohl zu wissen und stets dessen eingedenk zu sein,
dass ihn der Tod in jedem Augenblicke treffen könne. Augu-
stin erklärt nun , dass die Schuld , wesshalb der Todesgedanke
bei Petrarca keine erfreuliche Frucht trage, wol darin zu suchen
sei. dass Petrarca sich zu vielen Beschäftigungen, zu verschieden-
artigen Bestrebungen und Sorgen hingebe und unstät zwischen
den einen und den anderen hin- und herschwanke, in Folge
dessen werde der Todesgedanke, wenn er auch einmal Wurzel
gefasst habe, immer wieder von andei-en Gedanken überwuchert
und unfruchtbar gemacht ^).
Hiermit endet das erste Gespräch, und es beginnt, nach-
dem, wie fingirt wird. Augustin und Petrarca durch eine län-
gere Pause sich genügend erholt haben , der zweite Dialog.
Augustin setzt in längerer Rede die Werthlosigkeit der irdi-
schen Güter auseinander. Das menschliche Wissen ist immer
nur ein klägliches Stückwerk , da die Summe des Nichtge-
wussten diejenige des Gewussten stets bei weitem übersteigt. Die
Beredtsamkeit bleibt ebenso stets unvollkommen, denn auch
der Beredteste vermag nicht seine Gedanken ihrem ganzen Um-
fange nach in Worte zu kleiden. Haben sich doch selbst Rom
und Griechenland, trotzdem dass sie das Höchste in der Be-
redtsamkeit erreichten, gegenseitig Wortarnmth vorgeworfen!
Die Güter des Lebens aber (Kraft, Gesundheit, Schönheit) sind
' ,i Hier wird eine treffliche, psychologisch wahre Schilderung des Seelen-
zustandes Petrarca's entworfen.
634 Dreizehntes Capitel.
im höchsten Grade hinfällig: ein Lufthauch, der Biss eines kleinen
Insectes vermag sie zu zerstören. Petrarca stellt in Erwiderung
des von Augustin Gesagten mit grosser Entschiedenheit in Ab-
rede, dass er irgendwie auf seine Gelehrsamkeit oder seine Be-
redtsamkeit oder gar auf seine körperlichen Vorzüge stolz sei,
er wisse vielmehr am besten, in wie geringem Grade er diese
Eigenschaften besitze. Augustin jedoch klagt Petrarca der
Selbsttäuschung an, wobei er Gelegenheit nimmt, die Thorheit
derjenigen zu geissein, welche ihr besseres Selbst bei der
Pflege des sterblichen Leibes vergessen, er vergleicht dieselben
mit Leuten, welche, in ein schmutziges und ekelhaftes Ge-
fängniss hinabgestossen . auf dessen Ausschmückung die mög-
lichste Mühe ganz zwecklos verschwenden, anstatt einzig auf
ihre Befreiung zu sinnen. Als nun Petrarca nochmals seine
Unschuld betheuert, bemerkt Augustin, es sei ein weit schlim-
merer Fehler, auf Andere geringschätzend herabzublicken , als
sich selbst hochmüthig zu erheben, das erstere halje Petrarca
gethan, während doch sich selbst zu verachten das Richtige,
Andere zu verachten aber gefährlich sei. Auch der Habsucht
und des Ehrgeizes klagt Augustin den Peti-arca an. Petrarca,
über solche Anklage verwundert, betheuert, dass er sich von
diesen Lastern ganz frei wisse, gibt aber zu, dass er sich
seinen Freunden viel widme und dass er auch die Bücher sehr
liebe. Augustin urtheilt, dass dies entweder eine thörichte
Handlungsweise sei, indem Petrarca wegen seiner Freunde das
eigene Beste vergesse , oder aber die ganze Angabe sei nur
ein Vorwand; auch wii-ft er Petrarca heftig vor, dass er das
stille und einfache Landleben, dessen Reize er doch aus eigener
Erfahrung so gut kenne, aufgegeben habe und des Gelderwerbes
wegen in eine grosse Stadt gezogen sei. Petrarca gesteht ein,
dass er allerdings für sein Alter sich etwas zu erwerben be-
strebe, und findet darin nichts Tadelnswerthes. Augustin aber
rügt die Thorheit, sich im Voraus, höherer Ziele vergessend,
für eine Zeit abzumühen, welche vielleicht nie kommen und,
wenn sie komme, nur kurze Zeit währen werde. Petrarca
fragt verwundert, ob denn Augustin damit die Armuth empfehlen
Die Bücher über die Weltverachtung. 635
wolle, worauf Augustin entgegnet, zwischen Reichthum und Ar-
muth gebe es eine richtige Mitte, und fern sei es von ihm,
Petrarca's tägliche Kost etwa auf Brot und Wasser herabsetzen
zu wollen. Zu einem bescheidenen und behaglichen Leben
habe Petrarca bereits ein hinlängliches Vermögen besessen,
er habe aber mehr erwerben wollen, und das eben sei tadelns-
werth, denn lasse man der Habgier einmal ihren Lauf, so
sei dann kein Ziel und keine Schranke abzusehen. Petrarca
gibt an, sein Ziel sei, dahin zu gelangen, dass er, ohne in
Ueberfluss zu leben, doch bedürfnisslos und Anderen weder
über- noch untergeordnet sei. Augustin erklärt hierauf, um
dies Ziel zu erreichen, müsse Petrarca Gott werden, denn als
Mensch werde er immer Bedürfoisse haben. Daher möge Pe-
trarca bescheiden und ruhig das allgemeine Loos der Mensch-
lichkeit, welches zu Bedürfnissen und Wünschen nöthige,
ertragen, Befreiung von dem Joche der Leidenschaften aber
könne er nur durch die Tugend erlangen. Eben durch die Sorge
um irdische Güter werde Petrarca immer von dem Gedanken
an den Tod abgezogen, er möge also solche weltliche Sorgen
abschütteln und lieber seiner eigenen Natur, welche zur stillen
Betrachtung neige, Folge leisten. Petrarca verspricht, dass
er dies gern thun werde, und verlangt, nachdem hiermit die
Anklage der Habgier erledigt ist, zu erfahren, wesshalb Augustin
ihn des Ehrgeizes anklage, sei er sich doch bewusst, sich von
dem öffentlichen Leben zurückgezogen gehalten und immer die
ländliche Stille aufgesucht zu haben. Augustin entgegnet, wenn
Petrarca nicht nach Ehren im öffentlichen Leben getrachtet
habe, so sei dies nur geschehen, weil er sich bewusst gewesen
sei, die dazu erforderliche Geschicklichkeit nicht zu besitzen;
keineswegs aber habe Petrarca, wie er vorgebe, den Ehrgeiz
verachtet, sondern er habe vielmehr dem Ruhme nur auf einem
Seitenwege statt auf der gewöhnlich betretenen Strasse nach-
gestrebt. Dagegen gesteht Augustin zu, dass Petrarca der
Schlemmerei abhold sei und dass er, wenn er auch leicht heftig
aufbrause, sich doch in Folge seiner natürlichen Herzensgüte leicht
wieder besänftigen lasse. Andererseits aber klagt Augustin den
636 Dreizehntes Capitel.
Petrarca grosser Sinnlichkeit an, und Petrarca wagt nicht, dem
7x\ widersprechen. Das einzige Mittel gegen diese Sünde sei.
bemerkt Augustin, Gott um die Kraft der Enthaltsamkeit zu
bitten, denn man könne diese eben nur durch die göttliche
Gnade erlangen. Petrarca antwortet, dass er dies schon oft,
aber vergebens gethan habe. Dann könne das Gebet nicht
ganz aufrichtig gewesen sein, entgegnete Augustin, sondern
habe wahrscheinlich — er wisse dies aus eigener Erfahrung —
den Hintergedanken gehabt, Gott möge mit der Verleihung
der Enthaltsamkeit noch etwas zögern, da ja die kräftige
Jugend noch nicht vorüber sei. Petrarca müsse ernstlich beten
und stets des platonischen Ausspruches sich erinnern, dass der
Gotteserkenntniss Nichts hinderlicher sei, als fleischliche Be-
gierde und brünstige Wollust. Und nun bringt Augustin end-
lich die stärkste Anklage gegen Petrarca vor: Petrarca lasse
sich von der geistigen Krankheit der „acidia" ^j mit einer ge-
wissen Freude überwältigen. Petrarca bekennt schaudernd
diese Schuld und schildert selbst die Symptome der „acidia",
eine Schilderang, welche uns lehrt, dass sich die „acidia" am
besten und kürzesten als Weltschmerz bezeichnen lässt: sie ist
ein selbstgefälliges Wühlen in allen Wunden des Herzens und
in allen Zweifelsqualen des Verstandes, eine Art Melancholie,
welche durch die Betrachtung alles dem Menschendasein an-
haftenden Elendes, durch die Erinnerung an vergangene Leiden
und durch die Furcht vor künftigem Unglück hervorgerufen
wird und welche fast l)is zur Verzweiflung sich steigert.
Augustin e)-klärt, dass dies ein schwer auszurottendes, weil
nach vorübergehender Heilung immer wiederkehrendes Uebel
sei, und meint, dass dauernde Heilung wol nur dann erreicht
werden könne, wenn die einzelnen Ursachen des geistigen
') acidia = griech. dxrjiyHd, bedeutet eigentlich Sorglosigkeit. In der
katholischen Moraltheologie bezeichnet acidia (oder acedia) das der Tugen«!
„Caritas" entgegengesetzte Laster, d. h. die Trägheit zum Guten und die
Unlust und Gleichgültigkeit an demselben und gegen dasselbe (Thom. Aquin.
8. th. 2. 2. qu. .35 a 3: „acedia est tristitia de bono spirituali, in quantum
est bonura divinum", vgl. J. Schwane, Handbuch der katholischen Moral-
theologie t I jp. 113).
Die Bücher über die Weltverachtung. 637
Schmerzes erörtert und beseitigt würden, er fragt also Petrarca,
was ihn zumeist bekümmere Alles, was er sehe und was er
höre, antwortet Petrarca, sowol seine eigenen als die fremden
Verhältnisse. Augustin beginnt mit Petrarca's persönlichen Ver-
hältnissen. Wenn Petrarca sich über sein Geschick beklage,
so solle er doch bedenken, dass Vielen ein weit schlimmeres
Loos bescliieden sei. Petrarca habe doch z. B. noch nie-
mals Hunger oder Durst leiden müssen. Petrarca beklagt
sich nun, dass ihm nicht einmal die Erreichung der ganz be-
scheidenen Ziele, die er sich vorgesetzt habe — denn nach
hohen Stellungen habe er, der Sorgen, welche sie mit sich
bringen, wohl eingedenk, nie gestrebt — vergönnt gewesen sei,
dass er sich der „goldenen Mitte (aurea mediocritas)" nicht er-
freuen dürfe. Augustin bemerkt hierauf, dass Petrarca ver-
muthlich eine zu hohe „mediocritas" im Sinne habe und in
Folge dessen nicht bemerke, wie die wahre „mediocritas" von
ihm längst erreicht, ja überschritten worden sei. Petrarca will
eingestehen, dass er genug besitze, aber wer verbürge ihm,
dass ihm dieser Besitz erhalten bleibe? Die Angst vor einem
möglichen Verlust quäle ihn unaufhörlich. Augustin verweist
Petrarca die Anmaassung, welche darin liege, dass er auf ein
sorgenfreies Leben Anspruch erhebe und nur sich selbst leben
zu können verlange: das sei noch Niemandem beschieden
gewesen. Indem nun Augustin die Untersuchung auf andere
Punkte ausdehnt, erklärt Petrarca, dass er mit seiner Leibes-
gesundheit recht zufrieden sein könne, höchstens könne er es
bedauern, der Sterblichkeit, der Müdigkeit und anderen mensch-
lichen Schwächen unterworfen zu sein, aber bitterlich müsse
er es beklagen, dass die Grausamkeit des stiefmütterlichen
Geschickes durch einen ruchlosen Schlag seinen Besitz und
seine Hoffnungen niedergeschlagen habe ^).
Wenn Königreiche und Königsburgen stürzen, erwidert
^) Nach dem Wortlaute des Textes kann es kaum zweifelhaft sein,
dass an eine Feuersbrunst zu denken ist: im Winter, wahrscheinlich des
Jahres 1353, wurde Petrarca's Häuschen in Vaucluse von Räubern geplün-
dert und in Brand gesteckt, vgl. oben S. 141.
638 Dreizehntes Capitel.
Augustin, so dürfe Petrarca sich nicht beschweren, dass sein
Häuschen einmal abgebrannt sei. Nun bringt Petrarca den
täglichen Lebensekel und Lebensüberdruss zur Sprache, der
ihn quäle und der durch die Widerlichkeit und Unbehaglich-
keit seiner Umgebung — im Einzelnen werden hier die lär-
menden Menschenmassen, di6 wüthenden Hunde, die schmutzigen
Schweine, die rasselnden Wagen und die durchgehenden Pferde
als störende Elemente genannt — veranlasst wird. Mangel an
innerer Ruhe sei es, antwortet Augustin, der diese äusseren
Störungen für Petrarca so empfindlich mache. Wenn Petrarca
die Seelenruhe' besässe, würde er an den Lärm seiner Um-
gebung sich gewöhnen, wie an das Rauschen eines Wasserfalles.
Um solche Seelenruhe zu erlangen, empfiehlt er Petrarca die
Leetüre philosophischer Schriften, wie z. B. der Tusculanen
des Cicero, und gibt ihm den Rath, sich aus denselben die
Sentenzen nach bestimmten Rubriken zu excerpiren, um an
einer derartigen Sammlung eine Waffe gegen den Trübsinn
bereit zu haben. Petrarca bekennt hierauf, dass ihm die Vor-
stellungen und Malmungen Augustinus Trost gebracht haben und
dass er sich jetzt, wenn er mit anderen Menschen sich ver-
gleiche, weniger elend vorkomme. — W^as nun noch zu be-
sprechen übrig bleibt, will Augustin der vorgerückten Zeit wegen
auf eine dritte Unterhaltung verschieben, und Petrarca erklärt
sich damit sehr einverstanden, da er für die Dreizahl aus
religiösen Gründen eine besondere Verehrung habe. —
Noch zwei Ketten — so beginnt Augustin das dritte Ge-
spräch — halten Petrarca gefesselt und hindei-n ihn an der
Betrachtung des Lebens und des Todes. Augustin will diese
Fesseln, wie die frühern, zerbrechen, befürchtet aber, dass
Petrarca sellist von ihnen nicht befreit sein wolle, da er sie,
ergötzt durch ihre Schönheit, nicht für Fesseln, sondern für
Reichthümer halte und sich ihrer sogar rühme. Diese beiden
Fesseln seien die Liebe und der Ruhm.
Petrarca gesteht, dass er Liel)e und Ruhm allerdings für
sehr edle Güter halte und sich ihrer nicht berauben lassen
möchte. Augustin, um die von Petrarca ausgesprochene Meinung
Die Bücher über die Weltverachtung. 639
ZU widerlegen, unternimmt es, die Begriffe Liebe und Ruhm
eingehender zu untersuchen; er beginnt mit der Liebe und
fragt Petrarca, ob er dieselbe nicht für die grösste Raserei
halte. Petrarca antwortet, dass allerdings die Liebe je nach
der Verschiedenheit ihres Objectes entweder für die schlimmste
Leidenschaft oder für die edelste Seelenthätigkeit gehalten
werden könne, er selbst wenigstens kenne nichts Glückseligeres,
als eine einem liebenswürdigen Gegenstande gewidmete und
zur Tugend leitende Liebe, und wenn Augustin auch über eine
solche ungünstig urtheile, so sei es wol am besten, dass ein Jeder
seine eigene Ansicht behalte, denn es seien ja vei'schiedene
Auffassungsweisen berechtigt: er wenigstens wolle sich seine
Ansicht, und wenn sie auch ein Irrthum wäre, nicht entreissen
lassen. Augustin besteht indessen darauf, dass Petrarca der
Heilung bedürftig sei, und spricht sein Erstaunen darüber aus,
dass ein Mann von Petrarca's Talent einen grossen Theil seines
Jjebens in der Bewunderung und Verehrung eines sterblichen
Weibes habe hinbringen können. Petrarca antwortet nur mit
einer begeisterten Lobpreisung seiner Geliebten. Augustin
aber verkündet Petrarca, dass, wenn er seine Geliebte einst
todt und starr sehen werde, er seiner Leidenschaft sich schämen
werde. Petrarca entgegnet, er hoffe, dass ihm dieser entsetz-
liche Anblick erspart bleiben werde, da er ja der ältere sei.
Augustin erinnert Petiarca daran, dass er (Petrarca) selbst
einst anders gedacht und sogar bereits ein Lied auf den Tod
der noch lebenden Geliebten gedichtet habe. Die damals von
Petrarca gehegte bange Befürchtung könne sich nun aber um
so leichter erfüllen, als der Leib der Geliebten durch Krank-
heiten und Bekümmernisse sehr geschwächt sei ^). Petrarca
* ) Es ist dies die bekannte Stelle p. 399 : „corpus illud egregiura morbis
ac crebris perturbationibus exliaustum multum pristiui vigoris amisit", an
welcher de Sade statt ,perturbationibus' ,partubus' lesen und daraus einen
Beweis für Laura's häufige Mutterschaft gewinnen wollte. Die Lesart „par-
tubus" wird indessen nur durch die Autorität zweier pariser Handschriften
(welche die Abbreviatur ptbus zeigen) gestützt, alle übrigen Handschriften
und Drucke haben „perturbationibus", und das letztere Wort ist das dern
logischen Zusammenhange der Stelle einzig entsprechende.
640 Dreizehntes Capitel.
entgegnet, auch seine Gesundheit sei durch Sorgen zerrüttet
und somit habe er doch Hotfnung, früher als die Geliebte zu
sterben. Augustin aber nennt dergleichen Berechnungen
thöricht und weist darauf hin, wie es doch jedenfalls möglich
und denkbar sei, dass Petrarca's Geliebte vor ihm sterbe ; eine
Thorheit sei es demnach, wenn Petrarca einer einem sterb-
lichen Wesen gewidmeten Leidenschaft sich überlasse. Petrarca,
welchem Augustin's Auseinandersetzungen höchst peinlich sind,
betheuert, dass er in seiner Geliebten nicht den sterblichen Leib,
sondern die unsterbliche Seele liebe und dass er daher, wenn
(was schon zu hören ihm schmerzlich sei) die Geliebte vor ihm
sterben sollte, er doch noch ihre Tugend und ihre Seele lieben
werde. Augustin, da er einsieht, dass Petrarca es nicht erträgt,
ihn gegen seine Geliebte reden zu hören, will einmal zugeben,
dass dieselbe ganz vollkommen, ja eine Göttin sei, aber, meint
er, auch das Schönste könne auf unziemliche Weise (turpiter)
geliebt werden. Petrarca betheuert die Reinheit seiner Liebe
und glaubt, dass in Nichts, als in ihrem Uebermaasse ihr eine
Schuld anhafte. Alles, was er geworden sei, allen Ruhm, den
er erworben habe, verdanke er seiner Geliebten, ihr verdanke
er es, dass der schwache Tugendkeim, den die Natur in
seine Brust gelegt, sich entfaltet habe, denn sie sei ja der
Spiegel der Tugend, und Liebe besitze die Macht, den Lieben-
den dem geliebten Wesen ähnlich zu machen. Augustin er-
klärt Petrarca's Glauben an den wohlthätigen Einfiuss der
Liebe für eine grosse und gefährliche Täuschung. Nicht die
Liebe, sondern die Natur habe Petrarca seine Begabung ver-
liehen, wohl aber habe die Liebe ihn auf eine falsche Bahn
geführt. Es möge sein, dass die Liebe ihn vor mancherlei
Lockungen der Sünde bewahrt habe, dafür aber habe sie ihm
eine tödtliche Wunde beigebracht, und endlich sei er dadurch,
dass er einzig die Geliebte liebe, zur Verachtung allei- übrigen
Menschen und Dinge verführt und damit in einen gefähr-
lichen Abgrund gestürzt worden. Irdische Liebe habe Petrarca
von der Liebe zum Himmlischen entfernt, und statt des
Schöpfers liebe er ein Geschöpf — das aber sei der gerade
Die Bücher über die Weltverachtung. 641
Weg zum Tode. Petrarca betheuert dagegen, die Liebe zur
Geliebten erst habe ihn Gott lieben gelehrt. Augustin aber
behauptet, dies sei unmöglich, denn dann würde körperliclie
Schönheit die vollkommenste Schönheit sein. Petrarca be-
theuert hiergegen abermals, dass er nicht den Leib, sondern
die Seele der Geliebten liebe, wie schon daraus hervorgehe,
dass, je mehr mit dem zunehmenden Alter der Leib der Ge-
liebten hinwelke, der Geist aber immer schöner sich entfalte,
desto inniger auch seine Liebe werde. Dass dies keineswegs
wahr sei, erweist Augustin, indem er an Petrarca die Frage
richtet, ob er die Geliebte auch geliebt haben würde, wenn
sie hässlich gewesen wäre. Petrarca ist aufrichtig genug, zu
erwidern, dass er dies doch nur dann gethan haben würde,
wenn die Schönheit des Geistes sich irgendwie in den Augen
dargestellt hätte. „Also," folgert hieraus Augustin, „hast Du
den den Augen sichtbaren Leib geliebt, wenn ich auch gern
zugeben will, dass die geistigen Vorzüge deiner Geliebten zur
Wahrung und Erhaltung der Liebe beigetragen haben und
überdies ist für Dich auch schon der Name der Geliebten
wegen seines Gleichklanges mit dem Lorbeer (Laura und lauro)
sehr bestimmend gewesen. Petrarca gesteht denn nun endlich
ein, dass er die Seele mit dem Leibe geliebt habe. Augustin
fordert, dass er dann auch bekennen müsse, dass er weder
Seele noch Leib maassvoll und geziemend geliebt habe, und
dass er durch diese Liebe in grosses Elend gestürzt worden
sei. Als Petrarca sich weigert, dies zuzugeben, erklärt Augustin,
dass Petrarca bald genug es freiwillig eingestehen werde, und
fragt ihn, ob er sich noch seiner Kindheit und Jugend erinnere.
.,Wie an den gestrigen Tag," antwortet Petrarca. Dann aber
müsse er auch wissen, fährt Augustin fort, wie gross damals
seine Gottesfurcht, sein Eingedenksein des Todes, seine Liebe
zur Religion und zur Ehrenhaftigkeit gewesen sei, um wieviel
grösser, als gegenwärtig. Petrarca gesteht seufzend, dass sein
sittlicher Fall mit dem Entstellen seiner Liebe zeitlich zusammen-
treffe. Augustin fragt nun, wie es doch gekommen sei, dass
die Geliebte ihn nicht zur Tugend emporgezogen habe. Petrarca
Körting, Petrarca. 41
642 Dreizehntes Capitel.
antwortet, sie habe gethan, was sie nur habe thun können,
wie schon daraus hervorgehe, dass sie allen seinen Verführungs-
versuchen beharrlich widerstanden habe; jetzt aber sei er von
seinen Verirrungen und unlauteren Wünschen zurückgekommen
und wisse der Geliebten Dank für ihre Sprödigkeit. Augustin
erwidert, gerade in Folge der Tugendhaftigkeit der Geliebten
falle alle Schuld auf Petrarca allein und es sei also dieselbe eine
um desto grössere, auch sei seine sinnliche Leidenschaft wol
gemildert, aber noch keineswegs erloschen. In längerer Rede
setzt nun Augustin auseinander, dass es keine heftigere Leiden-
schaft, als die Liebe gebe und dass keine mehr zur Gottver-
achtung und Gottvergessenheit führe, das habe sich an Petrai-ca
vollkommen bewahrheitet: sei es doch so weit mit ihm gekom-
men, dass sogar sein körperliches Wohlbefinden von der An-
oder Abwesenheit der Geliebten abhänge, dass er die Nächte
schlaflos oder in unruhigen Träumen verbringe, dass er ab-
magere und sonst auch leiblich verfalle. Ja, Petrarca sei bis
zu dem Grade der Thorheit vorgeschritten, dass er, um des
Anblickes der Geliebten nie zu entbehren , sich ein Porträt
derselben hal)e malen lassen und dasselbe immer bei sich
trage, dass er sogar Alles liebe, was an ihren Namen
anklinge, so namentlich den Lorbeerbaum. Wie könne man
bei solcher Leidenschaft noch Gottes eingedenk sein? Petrarca
gibt, tief erschüttert, die Wahrheit alles dessen zu, was Augustin
ihm vorgehalten, und fragt, was er nun thun solle, ob er
nicht vielleicht gar an seinem Heile verzweifeln müsse. Augu-
stin antwortet, bevor man verzweifeln dürfe, müsse man alle
anderen Mittel versuchen. Petrarca möge sich doch zu Nutze
machen, was er selbst in den alten Schriftstellern gelesen, da
gebe es ja mancherlei Recepte gegen die Liebe. Cicero z. B.
bemerke, dass Liebe am ehesten durch Gegenliebe vertrieben
werde, was nun freilich eben kein schönes und würdiges Mittel
sei. Petrarca beeilt sich denn auch zu erklären, dass er zur
Anwendung dieses Mittels unmöglich sich würde verstehen
können. Als ein anderes Mittel, fährt Augustin fort, empfehle
Cicero die Ortsveränderung. „Ach!" entgegnet Petrarca, „ver-
Die Bücher über die Weltverachtung. 643
gebens habe ich den Westen und den Norden bis zu des
Oceans Grenzen weit und breit durchwandert, dem verwun-
deten Hirsche gleich trug ich meine Wunde immer mit mir.
und sie heilte nimmer." Augustin findet das sehr begreiflich,
da Petrarca die Reisen eben ohne die uöthige Vorbereitung
angetreten habe, denn Reisen können nur dann nützen, wenn
man sie mit dem festen p]ntschlusse unternimmt, nicht rückwärts
zu scliauen und mit der Vergangenheit zu brechen, eben dann
nur sei das Reisen förderlich und schütze vor Rückfällen. Er
empfiehlt daher Petrarca nochmals dringend eine Ortsver-
änderung, und dieser erklärt, dass er selbst von deren Noth-
wendigkeit überzeugt sei und sie auszuführen beabsichtige.
Auf die Frage, wohin er sich wenden solle, räth Augustin eine
Reise nach Italien an, denn ein schöneres Land gebe es nicht ^),
doch solle er sich nicht an einen Ort binden und so lange
er sich nicht völlig geheilt fühle, die Einsamkeit meiden und sich
in den Städten aufhalten. Hierauf fragt Petrarca, ob es nicht
noch andere Heilmittel der Liebe gebe. Augustin entgegnet,
Cicero nenne als solche den Ueberdruss, die Schaam und die
Ueberlegung (satietas, pudor, cogitatio). Der erstere freilich
könne, wie er wohl wisse, bei Petrarca nicht eintreten, dagegen
lasse sich über die beiden anderen vielleicht sprechen. Er
fragt hierauf Petrarca plötzlich, ob er sich öfters im Spiegel
gesehen habe, und als Petrarca dies, ein wenig verwundert
über die Frage, bejaht hat, fügt er hinzu, ob Petrarca keine
Veränderungen an sich wahrgenommen habe. Petrarca gesteht,
dass er an seinen Schläfen graue Haare bemerkt habe, ohne
dass er indessen darüber erstaunt gewesen sei, da er bei seinen
Altersgenossen die gleiche Beobachtung gemacht hätte und da
überdies graue Haare kein Anzeichen des Alters seien, wie
ja z. B. Numa Pompilius von Jugend an grau gewesen sein
solle. Augustin tadelt es sehr, dass Petrarca durch derartige
Betrachtungen sich über sein zunehmendes Alter zu täuschen
suche, besser wäre es, dass er sich durch den Spiegel recht
eindringlich an sein Alter erinnern Hesse und dann bedächte,
\) Im Texte folgt hier eine begeisterte Lobpreisung Italiens (p. 406).
41*
644 Dreizehntes Capitel.
wie er zur Rolle des Verliebten bereits zu alt sei. Wenn
Petrarca, wie er sage, darin einen Trost finde, dass die Ge-
liebte mit ihm altere, so bessere das die Sache keineswegs,
denn es sei jedenfalls schimpflich, wenn der Geist mit den
Wandlungen des Leibes nicht Schritt halten könne, und es
müsse sich daher ohne Zweifel Petrarca seiner unzeitgemässen
Leidenschaft schämen. Noch stärkere Gründe gegen dieselbe
müsse aber Petrarca in der ,,Ueberlegung" finden. Er möge
die Hoheit des Geistes, die Hinfälligkeit des Leibes, die Kürze
des Lebens bedenken, er möge sich der Rücksichten erinnern,
welche er seiner äusseren Stellung schuldig sei, er möge ferner
erwägen, wie spröde die Geliebte sich gegen ihn erwiesen, er
möge endlich auch beherzigen, dass er seine Zeit zu besseren
Dingen, als zu Liebeständeleien verwenden könne, zumal er
noch so viele Werke unvollendet daliegen habe, vor allen
Dingen aber möge er darauf Bedacht nehmen, dass er, wenn
er einmal der Leidenschaft entsagt habe, nicht wieder in
dieselbe zurückfalle, sondern dass er entschlossen und völlig
mit der Vergangenheit und seinem bisherigen Denken und
Fühlen breche.
Augustin, nun zu einem anderen Seelenleiden Petrarcas
übergehend, wirft ihm vor, dass er allzu sehr nach Ruhm und
Unsterblichkeit des Namens trachte und dass zu befürchten
sei, er werde über diese irdische die wahre Unsterblichkeit
vergessen. Petrarca gesteht dies unumwunden ein. Uebrigens,
fährt Augustin fort, scheine Petrarca nur den Namen, nicht
aber das Wesen des Ruhmes zu kennen, da er ihn sonst gewiss
nicht so heftig begehren würde. Der Ruhm sei Nichts, als
das über Jemanden verbreitete und durch viele Zungen aus-
gestreute Gerücht. Daraus ergebe sich seine Unbeständigkeit
und Werthlosigkeit , und Petrarca's Handeln stehe demnach
mit seinem Denken in einem seltsamen Widerspruche, denn
während er theoretisch das Urtheil des grossen Haufens ver-
achte, mühe er praktisch sich ab, dessen Beifall zu gewinnen
und pfiücke, um den Ohren seiner Hörer zu schmeicheln, alle
Blümlein (flosculi) aus dem Garten der römischen Wohlreden-
Die Bücher über die Weltverachtung. 645
heit und Dichtkunst. Grosse Werke, wie eine römische Ge-
schichte von Romulus bis auf Titus. und eine Dichtung, wie
die „Africa", beginne er, des Todes uneingedenk. Petrarca
gesteht ein, dass ihn allerdings die Beschäftigung mit seiner
„Africa" ganz erfülle und dass ihm, wenn sich ihm der Tod
bald nahen sollte, der Gedanke, das Gedicht unvollendet lassen
zu müssen, quälend sein würde. Augustiu will es nun unter-
nehmen, die Nichtigkeit eines solchen litterarischen Strebens
darzulegen. Petrarca bittet ihn im Voraus, dass er ihn mit
Argumenten verschonen möge , welche die Werthlosigkeit des
Ruhmes aus der Kleinheit der Erde und der Vergänglichkeit
der Menschen und des Menschengeschlechtes beweisen sollen:
ihm sei der gewöhnliche Menschenruhm gerade genügend und
er habe eifrige Sehnsucht, ihn zu erlangen, wenn er auch um
desswillen nicht, wie Augustin meine, das Streben nach dem
Ewigen aufgebe, sondern es höchstens verschiebe. Augustin
al)er erwidert, eine solche Handlungsweise schliesse die höchste
Thorheit in sich, denn das Leben sei kurz und stets vom Tode
bedroht, aber selbst wenn es sehr lang wäre, sei es unverant-
wortlich, die besten Jahre nichtigen Eitelkeiten zu widmen.
Petrarca will sein Verfahren entschuldigen, indem er behauptet,
es sei logisch, dass man in der irdischen Welt sich zunächst
um das Irdische, also auch um den irdischen Ruhm sorge und
dann erst das Ewige nachfolgen lasse. Hierauf entgegnet
Augustin, das heisse sehr verkehrt handeln und unzählige
Menschen seien bei solchen Versuchen, den einen Fuss im
Himmel und den anderen auf der Erde zu haben, in den Orcus
hinabgestürzt. Auch möge Petrarca nicht allzu sehr auf die
göttliche Gnade vertrauen, denn Gott hasse die leichtsinnig
Hoffenden. Augustin setzt hierauf in längerer Rede die Ver-
gänglichkeit des Ruhmes auseinander, wobei er sich im Wesent-
lichen der von Ciceio im „Traum des Scipio" entwickelten
Beweise bedient (Kleinheit und nur theilweise Bewohnbarkeit
der Erde, kurze Dauer des Daseins der Menschheit u. dgl.),
derselben also, welche Petrarca im Voi'aus sich verbeten hatte.
Petrarca fragt, nachdem Augustin geendet hat, ob denn nun
646 Dreizehntes Capitel.
Augustin im vollen Ernste von ihm fordere, dass er ruhmlos
durch's Leben gehen solle oder ob er nicht vielleicht einen
Mittelweg anzurathen wisse. Augustin entgegnet, keineswegs
fordere er die Ruhmlosigkeit, er verlange nur, dass Petrarca
nicht den Ruhm der Tugend vorziehe, der wahre Ruhm sei der
Schatten der Tugend, erwerbe also Petrarca die letztere, so
werde ihm auch der erstere ganz sicher zu Theil werden.
Durch irdische Bestrebungen aber, wie z. B. durch das Bücher-
schreiben, werde nur ein klägliches und nichtiges Scheinbild
des Ruhmes erlangt und thöricht sei es, einem solchen nach-
zujagen; Petrarca solle daher ruhig sein Geschiehtswerk und
seine „Africa" unvollendet liegen lassen und endlich einmal
beginnen, über den unausweichbar nahenden Tod und über die
Vergänglichkeit alles Irdischen Betrachtungen anzustellen.
Hiermit endet das Gespräch, nur dankt Petrarca noch
der Wahrheit und Augustin für die ertheilten Belehrungen und
gelobt, ihnen Folge leisten zu wollen, doch wolle er zuvor die
irdischen Geschäfte erledigen, um sich dann desto ungestörter
der Betrachtung des Ewigen widmen zu können.
Wir haben nicht nöthig, über das merkwürdige Buch,
dessen Inhalt wir so eben skizzirt haben, weitläufige Betrach-
tungen anzustellen. Ein Jeder wird unschwer erkennen, worin
des Buches Bedeutung zu suchen ist. Wir sehen — so darf
man vielleicht in Kürze sich ausdrücken — in diesem Buche
die schweren Geburtswehen sich vollziehen, unter denen der
moderne Mensch von dem mittelalterlichen sich losrang. Wir
schauen als Leser dieses Buches dem gewaltigen Kampfe zu, der
zwischen zwei einander schroff gegenüberstehenden Cultur- und
Denkformen im Innern der Menschenbrust gekämpft werden
musste, wir sehen, wie das moderne Streben nach Lebensgenuss
und irdischem Lebensglück sich seine Berechtigung erstreiten
will gegen das mittelalterliche Streben nach Weltentsagung
und nach der Seligkeit im Jenseits. Man könnte das Buch
geradezu die Gründungsurkunde des Humanismus und der
Renaissance und einen Absagebrief an das Mittelalter nennen.
Scheinen möchte es freilich, als trete Petrarca, der Begründer
Die Bücher über die Weltverachtung. 647
des Humanismus, indem er den Mahnungen Augustin's Folge
zu leisten gelobt, auf den Boden der mittelalterlich-asketischen
Anschauungsweise zurück, aber es ist dies eben nur ein
Schein, denn man erkennt deutlich, wie das Gelöbniss Petrarca's
nur ein mit der Zunge, nicht mit dem Herzen gegebenes ist,
wie er denn ja auch ausdrücklich erklärt, sich zunächst dem
Irdischen und erst später, d. h. in einer ganz unbestimmten
und nicht herbeigewünschten Zukunft, dem Ewigen widmen zu
wollen. Petrarca entsagt trotz aller seiner Zerknirschung nicht
seiner Liebe und nicht dem Streben nach Ruhm, und wenn er
auch aus persönlicher Schwäclie zu einem äusserlichen Zuge-
ständnisse an das mittelalterliche Denken und Empfinden sich
versteht, so bleibt er doch in seinem Innern dem modernen
Denken und Empfinden, dessen erster Vertreter er ist, getreu.
Das wird schon durch die Thatsache selbst bezeugt, dass er dieses
Büchlein geschrieben hat. Denn der Gedanke sowol wie die
Ausführung desselben sind durchaus modern. Nur ein moderner,
d. h. seiner Individualität sich vollbewusster und derselben sich
freuender Mensch konnte den Gedanken fassen, sein eigenes Ich
zum Objecte einer halb kritischen halb selbstgefälligen Betrach-
tung zu machen, nur ein moderner Mensch konnte Befriedigung
darin finden, die Gefühle und Strebungen seines Inneren zu
lielauschen und sie bis in ihre feinsten Fasern hinein anatomisch
zu zergliedern. Ein Mensch des Mittelalters wäre zu solchem
Thun unfähig gewesen. Auch durch die Einzelheiten , welche
wir in dem Buche lesen, wird der moderne Charakter des
Denkens und Empfindens Petrarca's bestätigt. So erkennen
wir namentlich an den von ihm so anschaulich geschilderten
Symptomen, dass sein Seelenleiden, die „acidia", nichts Anderes,
als der Weltschmerz ist, also jene für die moderne Cultur
geradezu charakteristische Krankheit des seelischen Lebens.
Und interessant ist es hierbei zu beobachten, wie er eben ganz
augenscheinlich das erste Opfer dieser Krankheit ist und wie
er selbst das deutliche Bewusstsein hat, von einem Seelenleiden
gequält zu werden, welches neu und eigenartig und keinem der
mitlebenden Menschen bekannt ist, daher legt er ihm auch so
648 Dreizehntes Capitel.
grosse Bedeutung bei und verweilt so lange bei seiner Beschrei-
bung: er stellt sich eben selbst die Diagnose und verschreibt
sich als sein eigener Arzt die psychischen Recepte, wobei man
freilich erkennt, dass die von ihm angewandte Therapie noch
eine sehr unvollkommene ist.
Es war ein überaus glücklicher und einer wirklich genialen
Intuition entsprungener Gedanke Petrarca's, dem heiligen
Augustin seine Seelenbeichte abzulegen. Kein Anderer, als
der Verfasser der Confessionen war geeigneter ,' das Amt des
Beichtigers an dem Begründer der Renaissancecultur zu voll-
ziehen. Hatte doch Augustin einst ebenso, wie damals Petrarca,
auf der Grenzscheide zweier innerlich scharf geschiedener Zeit-
alter gestanden und hatte er doch einen ähnlichen, nur freilich
noch gewaltigeren Seelenkampf, wie Petrarca, durchkämpfen
müssen. In Augustins Confessionen vollzog sich die Wandelung
des antiken in den mittelalterlichen Menschen, inPetrarcas Selbst-
gesprächen aber die Entwandelung des mittelalterlichen Men-
schen in den modenien. In den Confessionen strebt das letzte
bedeutende Individuum des Alterthums nach Ertödtung der
Individualität und nach weltentsagender Beschaulichkeit, in
den Dialogen über die Weltverachtung ringt der erste moderne
Mensch nach Lösung der Individualität und nach irdischem
Lebensglück. So stehen diese beiden Bücher, gleich gewaltigen
Denkmalen der Menschheitsgeschichte, an den Eingangspforten
zweier bedeutungsvoller Culturperioden.
Keiner Darlegung Ijedarf es, wie wichtig die „Gespräche
über die Weltverachtung" für die Erkenntniss des Charakters
Petrarca's sind. Das innerste Denken und Fühlen des grossen
Mannes erscheint uns hier rückhaltslos bloss gelegt. Vielleicht
allerdings dürfte das psychologische Secirmesser mit etwas ein-
studirter Kunst und mit dem Bestreben, die Präparate recht
zierlich und interessant zuzuschneiden, gehandhabt worden sein,
aber unmöglich ist es doch, zu verkennen, dass der Seelen-
anatom die Wahrheit ergründen und die Selbstzergliederung mit
Aufrichtigkeit vollziehen wollte. Wahrlich, eine solche Schrift,
in welcher die verborgensten Falten seines Herzens aufgedeckt
Die Bücher über die Weltverachtung. 649
wurden, konnte der Verfasser mit Recht „sein Geheimniss",
oder „das Buch von dem Widerstreite seiner Sorgen (de con-
flictii curaruni suarum)" nennen. —
Die Frage, wann und wo die merkwürdige Schrift abge-
fasst worden sei, lässt eine doppelte Beantwortung zu. Die
ausdrückliche Angabe im zweiten Gespräche (p. 398), dass
Petrarca's Liebe zu Laura nun bereits in das sechszehnte Jahr
hinein — so viele Jahre, als einst Hannibal in Italien weilte-
— währte, führt uns, da Petrarca's Leidenschaft mit dem 6,
April 1327 begann, in das Jahr 1342 und Petrarca würde dem-
nach die Schrift in Vaucluse abgefasst haben, womit gut über-
einstimmt, dass ihm von Augustin als ein Heilmittel gegeji
seine Leidenschaft eine Reise nach Italien anempfohlen wird
(vgl. oben S. 643). Wenn dagegen auf den frühestens im
Winter 1353 stattgefundenen Brand des Häuschens Petrarca's
in Vaucluse Bezug genommen wird (vgl. oben S. 637) und wenn
Augustin Petrarca tadelt, dass er das Landleben aufgegeben
habe und des Gelderwerbes wegen in einer grossen Stadt sich
aufhalte (vgl. oben S. 634), so können wir frühestens das Jahr
1354 als Zeit und Mailand als Ort der Abfassung annehmen.
Wie mag dieser Widerspruch zu lösen sein ? Wol nur dadurch,
dass man annimmt, die Schrift sei ursprünglich im Jahre 1342
zu Vaucluse verfasst und dann später, vielleicht 1354, zu
Mailand überarbeitet worden, wie ja Petrarca an allen seinen
Schriften Jahrzehende hindurch gearbeitet und gebessert hat.
Auffallend muss es freilich erscheinen, dass Petrarca bei der
präsumtiven Ueberarbeitung keinen Bezug auf den inzwischen
erfolgten Tod Laura's genommen hat, indessen muss anderer-
seits berücksichtigt werden, dass er dies nicht thun konnte,
ohne die ganze Anlage der Schrift zu zerstören. Vielleicht
auch l)eschränkte sich die Ueberarbeitung eben nur auf den
Einschub des betreffenden Passus über die Habgier, welchen
hinzuzufügen Petrarca bei aufrichtiger Selbstprüfung wol in
Mailand, nicht aber in Vaucluse sich veranlasst fühlen musste.
Wir schliessen hiermit die Betrachtung der Prosaschriften
Petrarca's und wenden uns seinen Dichtungen zu.
Vierzehntes Capitel.
Die lateinischen Dichtungen.
Xetvarca fasste, und es ist dies ausserordentlich wichtig
für die Beurtheilung seiner Poesien, die Aufgabe und das
Wesen der Dichtung anders auf, als wir modernen Menschen
es zu thun pflegen. Die Dichtung sollte nach seiner ^Meinung
durchaus allegorisch sein und moralischen Tendenzen dienen.
„Die Aufgabe des Dichters", sagt er^) „ist zu täuschen, d. h.
zusammenzusetzen und auszuschmücken und die Realität der
irdischen oder allgemein natürlichen oder irgend welcher Dinge
mit kunstvollen Schilderungen zu umschreiben und mit dem
Schleier anmuthiger Täuschung zu verhüllen, so dass, wenn
derselbe entfernt wird, die Wahrheit leuchtend hervortritt und
um so lieblicher erscheint, je schwieriger sie zu finden war".
Ganz ähnlich sagt er ein anderes Mal -) : „Das Bestreben des
Dichters ist es, die Wahrheit der Dinge mit lieblichen Hüllen
^) Ep. Sen. XII 2: „officium (poetae) est fingere id est componere
atque ornare et veritatem rerum vel mortalium vel naturalium vel quarum-
libet aliarum artificiosis adumbrare coloribus, velo amoenae fictionis obnu-
bere, quo remoto veritas elucescat, eo gratior inventu quo difficilior sit
quaesitu." Ganz ähnlich de remed. utr. fort. I 46. Man vgl. auch Ep.
poet. lat. II 11 V. 15.5 flt. u. 190 ff., sowie II 2 v. 24 ff. Vgl. oben S. 180 f.
-J Invect in med. I p. 1205 u. III p. 1219, an welcher letzteren Stelle
eine ziemlich ausführliche Erörterung gegeben wird.
Die lateinischen Dichtungen. 651
auszuschmücken, so dass sie der ungebildeten grossen Masse
vulgTis insulsum) verborgen bleibt, den geistvollen und streb-
samen Lesern aber um so reizender aufzufinden ist, als sie
schwierig zu suchen war". Petrarca hat diese Definition nicht
geschaffen, er fand sie bereits fast wörtlich bei den christlich-
lateinischen Autoren, namentlich bei Lactanz (Inst. I. p. 36 ed.
Bipont.) und von dort her'hat er sie sich angeeignet. Und er
mochte um so mehr an ihre Eichtigkeit glauben, als er die
allegorische Tendenz bereits in der späteren römischen Poesie,
ja selbst schon bei Virgil (besonders in den Eklogen), herrschen
sah und also meinen konnte, dass die Allegorie wirklich ein
nothwendiges Erforderniss der Poesie sei. Ueberdies lebte er,
um so zu sagen, in der vollen Atmosphäre der Allegorie. Die
Dichtkunst seines Zeitalters war durch und durch allegorisch.
Sein nächster Vorgänger auf dem italienischen Parnasse hatte
in der „Divina Commedia" das vollendete Meisterwerk alle-
gorisirender Dichtung geschaffen, in Frankreich herrschte der
von Allegorie geradezu strotzende Roman von der Ptose, selbst
im fernen England hatte die Allegorie durch William Langley's
tiefsinnige Dichtung von Peter dem Pflüger (Piers Ploughman)
die unbestrittene Vorherrschaft auf dem poetischen Gebiete
errungen.
Zwei Factoren hatten zusammengewirkt, um während des
späteren Mittelalters der Allegorie eine so hervorragende und
allgemeine Geltung zu verleihen. Der eine war der noch mäch-
tige Einfluss der christlichen Weltanschauung, welche in allem
Irdischen , selbst in der Thier- und Pflanzenwelt ') , nur ein
Symbol des Ewigen erblickte und allüberall Hindeutungen auf
die Heilsgeschichte fand. Der andere aber bestand in einer
psychologischen Thatsache, welche auch anderwärts, namentlich
aber im Römerthume, sich geltend gemacht hat. Wenn die
^j Ueber die hochinteressante und namentlich auch für das Verständniss
der bildenden Kunst des Mittelalters wichtige christliche Thiersymbolik
vgl. man den schönen Aufsatz von E. Kollof „die sagenhafte und sym-
bolische Thiergeschichte des Mittelalters" in Raumers histor. Taschenhuche.
4. Folge. Bd. VII (1867) p. 177 ff.
ß52 Vierzehntes Capitel.
dichterisclie Phantasie aus irgend welchem Grunde sich nicht
voll zu entwickeln vermag, wie dies bei den Piöraern geschehen
ist, oder wenn sie, wie bei den alternden Völkern des späteren
Mittelalters, zu erlahmen beginnt, so verbindet sie sich mit
dem reflectirenden Verstände und die Frucht dieses Bandes
ist die Allegorie: der reflectirende und nach bestimmten, meist
ethischen Zielen strebende Verstand ist ihr Vater, die nicht
zur Vollreife gelangte oder nach angestrengter Tliätigkeit
ermattete Phantasie ist ihre Mutter. Wohl ist auch in der
Allegorie die Phantasie noch thätig, aber sie vermag nur noch
unter der Leitung des Verstandes zu arbeiten, oder wenn sie
ja zuweilen noch selbstthätig zu sein wagt, da vermag^ sie nur
noch unklare, verschwommene und nebelhafte, höchstens unge-
heuerliche und verzerrte Gestalten zu erzeugen, die aller
Plastik und Harmonie entbehren und die Gesetze der Schönheit
verhöhnen. — Es möge hier genügen, dies angedeutet zu haben,
denn eine eingehendere Untersuchung darüber zu führen,
würde, so sehr der Gegenstand auch reizen mag, doch nicht
hier der geeignete Ort sein.
So verblieb denn Petrarca in seiner Anschauung von der
Poesie, wenigstens in der Theorie, durchaus und grundsätzlich
auf dem Standpunkte des späteren Mittelalters: es waren für
ihn Poesie und Allegorie zu einer Art von mystischer, nur den
Eingeweihten verständlicher Einheit verbunden und in letzter
Instanz war ihm die Poesie nur das Mittel für den Zweck der
Belehrung, nur die Hülle, mit welcher die Lehren der Weis-
heit in geistvollem Spiele umgeben werden sollten, um in an-
muthiger Form dem Gemüthe sich einzuprägen. Er, der
Wiederbeleber des classischen Alterthums, er, der Begründer
der modernen Cultur, er, der begeisterte Freund der ländlichen
Katur, erkannte nicht, dass Natürlichkeit die Grundbedingung
und das Grundwesen jeder wahren Poesie sein müsse und dass
die wahre Poesie ertödtet wird, sobald sie aufhört, sich Selbst-
zweck zu sein, und anderen, ausser ihrer selbst liegenden
Zwecken zu dienen beginnt. Der grosse und unleugbar poetisch
hochbegabte Mann hat hier eine merkwürdige und für seine
Die lateinischen Dichtungen. (553
eigene dichterische Thätigkeit höchst nachtheilig gewordene
Befangenheit des Blickes gezeigt, welche sich nur dadurch er-
klären lässt, dass er in den fast immer bestimmte Tendenzen
verfolgenden und oft auch schon allegorisirenden Kunstpoeten
des Römerthums seine Muster und Meister erblickte und nicht
in den die Natur als ihre erhabene Lehrerin verehrenden
Dichtern des Hellenenthums — es zeigt sich eben auch hier
wieder das nachtheilige Vorwiegen des römischen Einflusses in
der Renaissancebildung. Aber auch durch seinen Hang zur
unbedingten kirchlichen Gläubigkeit und zur religiösen Mystik
mochte Petrarca bestärkt und festgehalten werden in seiner
Meinung von dem unlöslichen Verbundensein der Poesie mit der
Allegorie. Indessen blieb diese Meinung — es darf dies durch-
aus nicht übersehen werden — in ihrer vollen Schärfe nur
eine theoretische, in der Praxis hat er sie, wie ja in einem
gesunden Geiste die Natur stets die Fesseln einer vermeint-
lichen Kunst zu durchbrechen vermag, oft genug verlaugnet,
und gar manche poetische Episteln, gar manche Lieder hat er ge-
dichtet, welche durchweht sind von dem Hauche einer frischen
und gesunden Natürlichkeit. Auch in der Theorie ging er in
dem Verlangen, dass die Poesie Wahrheit schildern solle,
keineswegs so weit, dass er einem geistlosen Copiren der Natur,
einem nüchternen Realismus das Wort geredet hätte, sondern
er forderte vielmehr ausdrücklich, dass der Dichter,, wie der
Maler die Natur idealisiren und dass die poetische Wahrheit
der realen zwar ähnlich, jedoch nicht congruent sein solle').
Von der Würde der Poesie aber besass er eine sehr hohe
Meinung und vertheidigte sie mit warmer Beredtsamkeit gegen
gelegentliche Anfechtungen 2) , nur die dramatische Dichtkunst
wagte er, da Piaton, wie Augustin (deciv.DeiU. 14) auseinander-
setze, sie verurtheiit habe, nicht zu vertheidigen, sondern er-
klärte sie für eine unwürdige und selbst unsittliche Kunst ^),
1) Ep. Fam. XXIII 19.
-) Ep. Sen. XIV 11. Invect. in med. II p. 1215 ff.
") Man sehe die eben citirte, sehr ausführliche Stelle in den Invectiven.
654 Vierzehntes Capitel.
wobei man berücksichtigen muss, dass zu seiner Zeit die
dramatische Poesie der Italiener in der That kaum ein besseres
Urtheil verdiente.
Indem wir nun Petrarca' s lateinische Dichtungen näher
betrachten wollen, tritt uns zunächst sein grosses Epos „Africa''
entgegen, durch welches er sich die Unsterblichkeit erringen
zu können gehofft hatte. Zum Helden dieser Dichtung, welcher
er den Namen „Africa" in Ei'innerung dessen beilegte, dass
einst der Kaiser Augustus ein Epos „Sicilia" verfasst hatte ^),
erkor er sich den ,, Sternenjüngling" Scipio Africanus, den hoch-
herzigen Besieger HannibaFs und Carthago's. Wir haben früher
erzählt, wie er einst an einem Charfreitage , wahrscheinlich
des Jahres 1339, den ersten Gedanken dieser Dichtung gefasst
(vgl. oben S. 158) und wie er dann, als er im Jahre 1341
auf der Rückkehr von der Dichterkrönung im lieblichen
Selvapiana weilte, sie vollendet zu haben gemeint hatte (vgl.
oben S. 199). Es war dies ein Wahn gewesen, die Dichtung
blieb, innerlich wenigstens, unvollendet, obwol Petrarca noch
lange Jahre sich mit ihr beschäftigte und noch im Jahre 1852 den
Gedanken an ihre Vollendung festhielt^). Schliesslich aber
musste der Dichter doch erkennen , dass er der Aufgabe . die
er sich gestellt, nicht gewachsen oder auch dass diese Aufgabe
falsch gewählt sei, und er entsagte seinem Werke, das er einst
für das • Lieblingskind seiner Muse gehalten hatte. Ja, die
frühere Liebe zu der Dichtung verwandelte sich in Abneigung,
und in den Jahren seines Alters schämte er sich sogar des
Jugendwerkes und wurde peinlich berührt,- wenn man davon
sprach ^). So wurde die „Africa"' während des Dichters Lebens-
zeit, mit der gleich zu besprechenden Ausnahme eines gering-
fügigen Bruchtheiles , nie veröffentlicht, doch kaum hatte
Petrarca die Augen geschlossen, als Boccaccio und Coluccio
Salutato, später auch Paolo Vergerio sich um eine Abschrift
^) Suet. Aug. c. 85, cf. Rer. mem. 1 2.
'^) Ep. Fam. XIII 11.
^) Vergerius b. Tomasini, Petr. Rediv. p. 183.
Die lateinischen Dichtungen. 655
bemühten ^), nachdem die Befürchtung, dass der Verfasser, dem
Beispiele Virgil's folgend, die Vernichtung des unbeendeten
Werkes testamentarisch verfügt habe 2), sich als unbegründet
erwiesen hatte.
Als Petrarca im Jahre 1343 als Gesandter des Papstes in
Neapel weilte , hatte er seinem Freunde Barbato da Sulmona
auf dessen dringende Bitten eine Abschrift von 34 Versen des
sechsten Buches (v. 885 — 919, Tod des Mago) zu nehmen ge-
stattet. Er sollte diese freundstliaftliche Willfährigkeit bitter
zu bereuen haben. Barbato blieb dem Versprechen, die Verse
in keiner Weise weiter verbreiten zu wollen, nicht treu und
bald gelangten Abschriften des Bruchstückes all überallhin, so-
weit der jugendliche Humanismus vorgedrungen war. Natür-
lich wurde es auch in Florenz bekannt, und einige der dortigen
Kunstrichter erlaubten sich, ungeblendet von dem Ruhme des
lorbeergekrönten Dichters, das Fragment zum Gegenstande einer
scharfen Kritik zu machen. Sie warfen es Petrarca als eine
Ungereimtheit vor, dass er den sterbenden Mago eine so lange
und weisheittriefende Rede halten lasse , die ein Sterbender
aus physischem Unvermögen und ein junger Mann (iuvenis),
als welcher Mago bezeichnet werde, aus psychologischen Gründen
gar nicht halten könne ; sie tadelten es ferner als einen Ana-
chronismus, dass diese Rede ein christliches Colorit trage.
Man kann sich denken, wie heftig der gegen alle litterarische
Angriffe so überaus empfindliche Dichter aufbrauste, als er
von dieser Kritik Kenntniss erhielt. Trotzdem dass er da-
mals ^ es war im Jahre 1363 — gewiss schon längst selbst
Zweifel an der Vortrelflichkeit seiner „Africa" hegte, hielt er
es doch für nöthig, in einer geharnischten Epistel an seinen
tiorentiner Freund Francesco Bruni die erhobenen kritischen
Bedenken zurückzuweisen, freilich ohne dass ihm dies sonder-
^) Das Nähere hierüber und über die Handschrift der „Africa" über-
haupt sehe man b. Mehus, p. 337 u. b. Corradini in dem prooemium zu
seiner Ausgabe (in ,Padova a Petrarca' p. 83 ff.).
-) Villani b. Mehus, p. 196.
656 ' Vierzehntes Capitel.
lieh gelungen wäre ^j. Jene 34 Verse sollten ülnigens noch nach
vier Jahrhunderten für Petrarca verhängnissvoll werden. Der
französische Philologe J. B. Lefebvre de Villebrune, welcher
im Jahre 1781 eine Ausgabe der „Punica" des Silius Italicus
mit französischer Uebersetzung veranstaltete, hatte dies Bruch-
stück der ,,Africa" in einem pariser Miscellancodex entdeckt,
für einen Bestandtheil der ., Punica" gehalten, sie in das
16. Buch derselben nach v. 28 eingereiht und Petrarca kühn
des Plagiates bezüchtigt ^j. Schon am Style hatte er zu er-
kennen veimeint - und man möge daraus ersehen, wie trüg-
lich solche ästhetische Urtheile sein können — , dass diese
Verse nicht von Petrarca geschrieben seien, denn er fand, dass
sie unter den übrigen Versen desselben hervorragten ,,wie
Cypressen unter trägem Gesträuche." 2) Es genügt, um Le-
febvre's leichtfertige Anklage zu widerlegen, auf die Thatsache
hinzuweisen, dass erst im Jahre 1417 von Poggio oder vielmehr
von Bartholomaeus Politianus zu St. Gallen eine Handschrift
der „Punica" aufgefunden worden ist^).
Wir geben nun im Folgenden zunächst eine üebersicht
des Inhaltes der „Africa" ^), wobei wir uns jedoch im Interesse
unserer Leser der kürzesten, registerartigen Form bedienen
und auch nur in einzelnen Fällen auf die Quellen der Dichtung
hinweisen werden, denn selbstverständlich ist es ja, dass
Petrarca, soweit er historischen Stoif reproducirte, sich auf die
römischen Geschichtsschreiber des zweiten punischen Krieges,
vor allen auf Livius und Florus, stützen musste; eingehende
Quellennachweise würden, wie wir meinen, sowol an sich
^) Diese ganze Erzählung nach Ep. Sen. II 1.
'^) vgl. Corradini in ,Padova a Petrarca' p. 455 und Fracassetti, Lett.
fam. V p. 290 ff.
^) „quantum lenta solent inter viburna cupressi" Verg. Ecl. I 25.
*) vgl. Teuffei. a. a. 0. § 320, 5 u. Occioni, Cajo Silio Italico e il suo
poe.Tna (2. ed. Florenz 1871), p. 116 ff.
"') Eine eingehende Analyse der „Africa" hat Bruce- Whyte im dritten
Bande seines wunderlichen Werkes Hist. des lang. rom. et de leur litt.
(Paris, 1841) gegeben.
Die lateinischen Dichtungen. 657
ziemlich zwecklos als auch dem allgemein litterargeschichtlichen
Charakter unseres Buches unangemessen sein.
Erstes Buch. Anrufung der Musen (v. 1 — 10) und
Christi (v. 10—18). Schön motivirte und in die eleganteste
Form gekleidete Widmung des Werkes an König Robert
(v. 19 — 70). Die Ursachen des zweiten panischen Krieges
(v. 71-109, vgl. Liv. XXI 1 und Flor. 1 22); kurze Charak-
teristik der drei punischen Kriege (v. 110—114, vgl. Flor. I
31 [II 15]).
Scipio („sidereus iuvenis") hatHispanien von den Carthagern
l>efreit. Hasdrubal ist vor ihm entflohen und glaubt sich erst
in Sicherheit, als er das maurische Gestade erreicht hat
(v. 115 — 126). Scipio, an den Ufern des Oceans genöthigt,
die Verfolgung des Feindes aufzugeben, beklagt diese ihm von
der Natur auferlegte Nothwendigkeit um so mehr, als, während
er in Spanien Siege erficht, Rom selbst von Hannibal noch
bedrängt wird, und Carthago noch aufrecht steht (v. 127— 153).
Nach einer soi'genvollen Nacht ist er bei Anbruch der Morgen-
ilämmerung endlich eingeschlafen. Im Traume erscheint ihm
sein Vater, zeigt ihm die Stadt Carthago und verheisst ihm,
dass er sie einst zerstören werde (v. 154—198, vgl. Cic. de
republ. VI 11 = Somn. Scip. 2). Scipio kann sich bei dem
Anblicke seines wundenbedeckten Vaters der Thränen nicht
enthalten und bricht in Klagen aus. Der Chor der Seligen —
ileun in deren Wohnstätte ist Scipio an der Hand seines Vaters
versetzt worden — staunt über diese ihm längst fremd gewordenen
irdischen Klagetöne (v. 199—223). Der ältere Scipio erzählt
seinem Sohne seinen und seines Bruders (Gnaeus) Tod (v. 224
bis 330 , vgl. Liv. XXV 33—36 , doch i§t die Erzählung von
Petrarca sehr beträchtlich und sehr selbständig erweitert und
ausgeschmückt worden). Scipio fragt seinen Vater, ob er denn
wirklich, nachdem er doch auf Erden gestorben, noch lebe,
worauf dieser ihn belehrt, dass eben erst das Leben nach dem
irdischen Tode in der Wohnstätte der Seligen das wahre Leben
sei, und deutet zum Beweise auf die sich nahenden Schaaren
Körting, Petrarca. 42
658 Vierzehntes Capitel.
der Verklärten hin. Der jüngere Scipio bittet seinen Vater, ihm
die Namen der Verklärten, von denen viele ihm bekannt erscheinen,
nennen zu wollen (v. 331—359, vgl. Cic. de republ. VI 14 =
Somn. Scip, 3). Der ältere Scipio zeigt seinem Sohne die ver-
klärten Gestalten des Marcellus, des Crispinus, des Fabius
Maximus Cunctator und des Aemilius Paulus (v. 360—418).
Der ältere Scipio lehrt seinen Sohn , dass das irdische Leben
nicht freiwillig verlassen werden dürfe, wenn man zu dem
Sitze der Seligen gelangen wolle, sondern dass nur die beharr-
liche und ausdauernde Uebung der Tugend, zumal im Dienste
des Vaterlandes ^) , den Weg zum Himmel bahne (v, 419 bis
500, vgl. Cic. de republ. VI 13 und 15 = Somn. Scip. 3 von
„quaeso inquam quem video" und von „nihil est — appellan-
tur"). Der ältere Scipio zeigt seinem Sohne die verklärten
Gestalten der sechs ersten römischen Könige (v. 501 — 536),
indem er hinzufügt, dass der siebente König (Tarquinius Super-
bus), der in der Reihe vermisst werde, seiner Laster wegen
nicht in den Himmel aufgenommen, sondern in die Unterwelt
hinabgestossen worden sei (v. 537—548), ferner zeigt er ihm
die verklärten Gestalten der drei Horatier und des Valerius
Publicola. Als nun der jüngere Scipio noch über andere Persön-
lichkeiten unterrichtet sein will , bricht sein Vater unter Hin-
weis auf den anbrechenden Tag das Gespräch ab, womit auch
das Buch beschlossen wird (v. 549—594).
Zweites Buch. Das Gespräch zwischen den beiden
Scipionen wird auf des jüngeren Bitten nochmals aufgenommen,
und der ältere prophezeiht nun seinem Sohne, der Enthüllungen
über die Zukunft zu erlangen wünscht, zunächst die ihm be-
vorstehenden eigenen Schicksale, namentlich den Sieg über
Hannibal, sodann entwirft er ihm in gedrängten Zügen ein
Bild der römischen Geschichte bis zum Triumphe des Vespasian
und Titus über das besiegte Judäa (v, 1 — 278, als Vorbild hat
natürlich die bekannte Prophetie des Anchises im 6. Buche
^) Indessen schränkt Petrarca dies ein: „— quae debita virtus Magna
patri, patriae niaior, sed maxima summo Ac perfecta Deo."
Die lateinischen Dichtungen. 659
der Aeneis gedient). ') Hiernach weissagt er (der ältere Scipio)
den einstigen Verfall Roms und den Uebergang des Imperiums
an syrische, gallische, griechische und schliesslich an deutsche
Herrscher: es werde eine Zeit kommen, in welcher es keinen
wahren römischen Bürger mehr geben ^i und in welcher Koni
altersschwach dahinsiechen werde, nichtsdestoweniger aber
werde auch das alternde Rom noch die Königin der Welt
bleiben und diesen heiligen Titel immer bewahren (v. 279—383).
Der ältere Scipio erinnert seinen Sohn unter Hinweis auf die
Kleinheit des bewohnbaren Erdenraumes und auf die Hinfällig-
keit alles Irdischen an die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des
Nachruhmes und lehrt ihn, dass er einzig nach der Seligkeit
des Himmels, welche allein durch die Tugend erlangt werden
könne, streben müsse, bei welchem Handeln ihm übrigens der
Ruhm ganz von selbst, wie ein Schatten, nachfolgen werde.
Schliesslich macht Scipio den Sohn noch mit den ihm bevor-
stehenden späteren Lebensschicksalen, namentlich mit seiner
Verbannung, bekannt, ermahnt ihn jedoch zugleich, seine un-
dankbaren Mitbürger nicht anders zu bestrafen, als durch die
Weigerung, sein Grab auf dem Boden der Heimath zu suchen.
Hierauf erwacht der jüngere Scipio aus seinem Traume
(V. 334-557, vgl. Cic. de republ. VI 20 = Somn. Scip. 6
und Schlusssatz von de republ. VI 16 = Somn. Scip. 3).
Der Dichter hat es sich in diesem Abschnitte nicht versagen
können, sich selbst zu verherrliclien : er lässt den fiteren Scipio
^) Im Einzelnen werden in diesem Abschnitte genannt: Scipio Asiaticus,
Glabrio, Mummius, Flamininus, die Scauri, Drusi und Metelli, die Neronen
und die Aemilier (von denen der jüngere Scipio Africanus besonders her-
vorgehoben wird, V. 145 ff.j, Sulla, Marius (v. 156 — 165), Pompejus Magnus
(v. 166—218), Caesar (v. 218— 240\ dessen Streben nach Alleinherrschaft
getadelt wird (v. 228 ff.), Augustus (v. 240—260', Vespasian und Titus.
Wir haben hier vermuthlich die Liste derjenigen „viri illustres" vor uns,
welche Petrarca nach seinem ersten Plane in seinem Geschichtswerke zu
behandeln beabsichtigte, (während er später wahrscheinlich bis zu Trajan
zu gehen beabsichtigte, vgl. oben S. 598 u. 607).
-) v. 305 ff.: „tempus adhuc veniet, cum vix romanus in urbe
civis erit verus, sed terras lecta per omnes
faex hominum."
42^
660 Vierzehntes Capitel.
verkünden, class einst er, Petrarca, in Etrurien (Toscana) werde
geboren werden und als ein zweiter Ennius die sclion aus Italien
fliehenden Musen dorthin zurückrufen und die Thaten der
Scipionen besingen werde (v. 441 ff.).
Drittes Buch. Scipio erwacht und beklagt das Ent-
schwinden des schönen Traumes; er erwägt sodann die Be-
deutung der von ihm bisher in Spanien errungenen Erfolge
und findet , dass sie werthlos seien , so lange als Hannibal in
Italien Rom selbst noch bedrohe. Er beräth daher mit seinem
herbeigerufenen Freunde Lälius die Möglichkeit einer Landung
in Africa und beschliesst, um die Ausführung derselben vor-
zubereiten, den Lälius zu dem Könige Syphax von Numidien
zu senden (v. 1 - 82). Lälius durchfährt die Meerenge und
gelangt zu dem Königspalaste des Syphax. Schilderung des
reichen Aussenschmuckes desselben Sieben Edelsteine, von
Atlas dem Baue eingefügt, sind das Symbol der sieben Planeten.
Die zwölf Zeichen des Thierkreises sind an dem Palaste bild-
lich dargestellt, ebenso die folgenden Götter, Heroen und
Fabelwesen sammt den traditionellen Attributen: Jupiter,
Saturn, Neptun mit den Tritonen und Nymphen, Apollo, die
Musen, Mercur mit seiner jungen Gattin (d. h. mit der Philologie
nach Martianus Capella), die Gorgo, Perseus, der Pegasus,
Mars, Vulcan, Pan, Juno, Venus, Diana, Pluto und Proserpina
mit ihrer unterweltlichen Umgebung; ausserdem noch, als Be-
gleiter des Apollo, ein räthselhaftes, aus Hund, Wolf, Löwe
und Schlange sich zusammensetzendes Monstrum^) (v. 83 — 262;
Vorbilder zu dieser ganz allegorisch gehaltenen Bilderschilderung
boten das 1. und 6. Buch der Aeneide und die Beschreibung
des Palastes des Sonnengottes im zweiten Buche der Meta-
morphosen Ovid's) 2). Lälius richtet Scipio's Botschaft an Syphax
*) V. 160 ff. Nach Corradini, p. 427, soll es die drei Zeitalter dar-
stellen, was doch sehr fraglich erscheint.
2) Derartige allegorische Schilderungen phantastischer Prachtbauten
sind ein Lieblingsthema der mittelalterlichen Poesie, namentlich der spä-
teren (vgl. Roman de Troie, Roman de la Rose, les Echecs Amoureux,
Chaucer's House of Fame u. Assemble of Fowls u. v. a.).
Die lateinischen Dichtungen. 661
aus, trägt ihm unter dem Versprechen einer bedeutenden Ge-
bietserweiterung das Bündniss mit den Römern an, wobei er
besonders die römische Treue hervorhebt und preist, und über-
bringt ihm zugleich die Geschenke Scipio's, ein apulisches
Ross und eine prächtige Rüstung (v. 263 — 332). Syphax ant-
wortet gütig, erklärt aber, ein Bündniss nur mit Scipio selbst
abschliessen zu wollen, wenn dieser persönlich zu ihm komme
(y. 333—363). Hiernach lässt Syphax ein prachtvolles Mahl
rüsten, welches durch das Lied eines Sängers verschönt wird.
Inhalt des Liedes : Preis des Hercules, der durch die Besiegung
des Antäus Nordafrica erst wieder bewohnbar machte und als
Denkmal seiner Wanderung die Säulen an der Meerenge auf-
richtete. Atlas, von Hercules im Tragen des Himmelsgewölbes
abgelöst, wird durch den Anblick des Medusenhauptes in einen
Berg versteinert. Perseus erlegt die Medusa, das Blut, welches
von ihrem Haupte herabträufelt, vergiftet den libyschen Boden.
Dido gründet Carthago und tödtet sich, um der Ehe mit einem
Nachbarfürsten zu entgehen und ihrem verstorbenen Gatten
die Treue zu bewahren i). Wachsthum Carthago's. Opfertod
der philänischen Brüder, welche unter die Götter versetzt
werden. Preis des Hannibal, der die Alpen zu überschreiten
wagte und die Römer in Italien selbst bedrängt. Ihm steht
„der von den Sternen herabgesandte Jüngling" entgegen, der
allein den Sturz seines Vaterlandes aufhält. Noch ist das
Geschick der beiden Feldherren nicht erfüllt, aber das Schick-
sal bereitet eine nahe, gewaltige Entscheidung vor (v. 364 bis
451, das Vorbild für dieses Lied fand Petrarca gewiss in dem
Gesänge des Jopas b. Verg. Aen. I. 740 ff.). Lälius, von
Syphax aufgefordert, die Geschichte der Römer zu erzählen,
lehnt dies ab, da der Stoff ein zu umfangreicher und gross-
artiger sei, indem er jedoch ablehnt, berichtet er doch die
Anfänge Roms und erzählt, um ein Seitenstück zu dem Opfer-
tode der philänischen Brüder zu geben, ausführlich die Selbst-
1) Hierbei v. 474 ff. Polemik gegen Virgil, der Dido den Kuhm der
Keuschheit habe entreissen wollen, vgl. oben S. 505.
(562 Vierzehntes Capitel.
aufopferang der drei Decier, des Curtius und des Regulus
(v. 452 — 642) 0. Auf Syphax" Verlangen erzählt Lälius hierauf
noch die Vertreibung der Könige, den Tod der Lucretia, die
Strenge des Brutus gegen seine Söhne und seinen Heldentod
in der Schlacht (v. 643—802).
Viertes Buch. Dies ganze, nur aus 388 Versen be-
stehende Buch bildet inhaltlich einen einzigen Abschnitt : Lälius
gibt, einer Aufforderung des Syphax folgend, eine — natürlich
ganz panegyrische Schilderung der Persönlichkeit und des
Charakters Scipio's und seiner hauptsächlichsten bisherigen
Thaten. [Scipio ein Sohn Jupiters, wesshalb er auch oft ein-
sam lange Zeit in dessen Tempel verweilt v. 104— 147 ; sein
Plan, Carthago selbst anzugreifen v. 148—165; Scipio rettet
seinen Vater v. 166—179; er zwingt nach der Schlacht bei
Cannae den Q Metellus und dessen Genossen, dem feigen Ge-
danken an eine Auswanderung zu entsagen v. 180 — 240; er
erobert Neucarthago v. 259—329; er schlichtet auf kluge Weise
einen durch einen Streit um die Ehre der Mauerkrone ent-
standenen Zwist unter seinen Kriegern v. 330—374; er gibt
einen glänzenden Beweis seiner Keuschheit und Enthaltsam-
keit V. 375—388.]
Zwischen diesem Fragmente des vierten und dem Beginne
des fünften Buches klafft nun, wie der Zusammenhang sofort
zeigt, eine sehr beträchtliche Lücke, welche aber bereits in
der von Francesco da Brossano an Coluccio übersandten ersten
Abschrift vorhanden war und demnach zweifellos auf Petrarca
selbst zurückgeführt werden muss. Der hiermit fehlende Theil
der Dichtung dürfte sich auf etwa 3^/2 Bücher bemessen lassen,
denn wir meinen, dass Petrarca seinen Stoff' nach dem Vor-
bilde der Aeneis in 12 Bücher zu gliedern beabsichtigt hatte,
und der Inhalt der fehlenden Bücher müsste natürlich in der
Erzählung der Ereignisse von der Rückkehr des Lälius bis zur
^) Diese Erzählung des Lälius bildet einen hervorragenden Glanzpunkt
der ganzen Dichtung, besonders schön aber ist die Charakteristik der
Römer v. 484 ff. u. v. 637 ff.
Die lateinischen Dichtungen. 663
Eroberung Cirta's durch Massinissa bestanden haben ^). Die
Frage, ob Petrarca die fehlenden Bücher gar nicht gedichtet
habe, oder ob er sie, wie Coluccio annahm und auch Corradini
zu glauben geneigt ist, zwar gedichtet, aber zum Behufe einer
Umarbeitung wieder aus dem handschriftlichen Convolute des
Gesammtwerkes herausgenommen habe, wodurch dann, da die
Ueberarbeitung unterblieb, ihr Abhandenkommen verursacht
worden sei, diese Fi-age dünkt uns müssig zu sein, da uns
alle Handhaben für ihre Beantwortung fehlen. Denn wenn
Petrarca auch im Briefe an die Nachwelt (p. 10) sagt, dass
er während der Villeggiatur zu Selvapiana (1341) die Dichtung
zu Ende geführt habe, so scheint uns damit kein Beweis für
die wirklich erfolgte Vollendung gegeben zu werden, da er sich
dieses Ausdrucks füglich auch bedienen konnte, wenn er das
Gedicht bis zu seinem beabsichtigten Endpunkte führte, aber
einstweilen in der Mitte eine später auszufüllende, jedoch nie
ausgefüllte Lücke bestehen liess^).
Wir nehmen hiernach die Inhaltsangabe wieder auf.
Fünftes Buch, Massinissa zieht als Sieger in das er-
oberte Cirta ein. Nachdem er Wachen an den Thoren zurück-
gelassen hat, begibt er sich in die Königsburg des Syphax.
Hier tritt ihm Sophonisbe, Syphax' Gattin, entgegen und fleht
ihn an, ihr den Tod geben zu wollen, damit sie nicht in die
Gewalt der Römer falle. Massinissa wird sofort von glühender
Liebe zu dem wunderbar schönen Weilte ergriflen und wirbt
um ihre Hand. Sophonisbe antwortet ausweichend unter Hin-
deutung auf ihre unglückliche Lage und bittet abermals um
den Tod. Massinissa zieht sich in die inneren Gemächer des
Palastes zurück und erwägt dort seine Lage: so sehr er auch
den Zorn des Scipio fürchtet, so ist es ihm doch unmöglich, gegen
seine Leidenschaft anzukämpfen, und da er schliesslich hofft,
dass Scipio, weil selbst noch ein jugendfrischer Mann, eine
^) Eine Aufzählung derselben gibt Coluccio b. Corradini, p. 435.
-) Noch weniger lässt sich unseres Erachtens aus Ep. poet. lat. II 17
u. Ep. Farn. XII 7 die wirkliche Vollendung folgern.
664 Vierzehntes Capitel.
rasche Jünglingsthat verzeihen werde, so fasst er eleu Ent-
schluss, sich ungesäumt mit Sophonisbe zu vermählen, was
denn auch wirklich mit Anbruch der Nacht geschieht (v. 1 bis
252)^). Massinissa feiert mit Sophonisbe die Brautnacht: er
wagt eine glückliche Zukunft zu erhoffen, während sie von
bangen Befürchtungen und Todesahnungen gequält und in den-
selben durch unglückverheissende Träume bestärkt wird. Das
Gerücht von Massinissa's i-ascher und pflichtwidriger Vermäh-
lung dringt in die Oeffentlichkeit und kommt auch zu Scipio's
Kenntniss, der es mit Unwillen vernimmt (v 253 — 292). Der
gefangene Syphax wird, mit Ketten belastet, in das römische
Lager gebracht Alle staunen über den erschütternden Glücks-
wechsel, der ihn betroffen. Scipio empfängt den Gefangenen
gütig und fragt ihn, wesshalb er, das geschlossene Bündniss
brechend, die Römer bekriegt habe. Syphax -antwortet, er
habe dies lediglich auf den Antiieb seiner Gattin Sophonisbe
gethan (v. 293—379). Massinissa und Lälius kommen in das
römische Lager. Scipio macht Massinissa auf das Unwürdige
seiner Handlungsweise aufmerksam und fordert von ihm, dass
er die Sophonisbe, da sie nach Kriegsrecht Eigenthum der
Römer sei, ausliefere. Massinissa entschliesst sich nach einer
bangen , in schwerstem Seelenkampfe ^) verbrachten Nacht, da
er keinen andern Weg der Rettung findet, seiner Gattin Gift
zu senden , um sie so der Auslieferung an die Römer zu ent-
ziehen. Sophonisbe empfängt die Todesbotschaft mit Ruhe
und Würde und leert gefasst den Giftbecher, nachdem sie die
Götter gebeten hat, dem Scipio ein freudloses Alter und den
Tod in der Verbannung , dem Massinissa aber , wenn er bei
dem Bündnisse mit den Römern beharre, Gram und eine un-
^) In der Schilderung der Schönheit Sophonisbe's ist Petrarca sehr
ausführlich und manche Einzelheiten gemahnen dabei an ähnliche Stellen
in den „Rime" (CoiTadini hat in den Noten diese Parallelstellen gesam-
melt), ein recht plastisches Bild wird jedoch nicht gegeben. Trefflich sind
einzelne psychologische Schilderungen in diesem Abschnitte (v. 154 ff., 226 ff.).
-) Die Schilderung dieses Seelenkampfes (v. 534—718) ist ein Meister-
werk sowol der Poesie als der psychologischen Kunst.
Die lateinischen Dichtungen. 665
würdige Kachkommenscliaft zu Theil werden zu lassen (v. 380
bis 773).
Sechstes Buch. Sophonisbe kommt in die Unterwelt.
Alle Schatten l)ewundern ihre Schönheit. Minos und Rhada-
manthus wollen ihr den zweiten Kerker, den Aufenthalt der
Selbstmörder, anweisen, aber Aeacus erinnert daran, dass ihr,
da sie das Leben nur gezwungen und der Liebe wegen ver-
lassen habe, das dritte, mildere Gefängniss gebühre, und
dringt mit seiner Ansicht durch (v. 1 — 36). Sophonisbe kommt
nun in die dritte, für die unglücklich Liebenden bestimmte
Abtheiiung der Unterwelt, wo sie Iphis, Byblis, Myrrha, Orpheus,
Paris, Achilles, Oenone, Turnus, Lavinia und deren Mutter er-
blickt (v. 37 — 80; dieser und der vorhergehende Abschnitt
Nachahmung von Verg. Aen. VL 442 if). Scipio tröstet den
Massinissa über den erlittenen Verlust und sucht ihn von un-
heilvollen Entschlüssen abzuhalten. Am folgenden Tage ver-
sammelt Scipio das Heer und erklärt in längerer Rede, dass
die Liebe zum Vaterlande der einzige Beweggrund seiner
Handlungen sei und dass er Carthago selbst anzugreifen und
Hannibal zu vernichten beabsichtige. Hierauf verleiht er dem
Massinissa zum Dank für seine treue und tapfere Hülfe die
triumphalischen Ehren und dem Lälius einen goldenen Kranz:
den letzteren beauftragt er zugleich, die Gefangenen nach
Rom zu geleiten (v. 81 — 207). Die römische Flotte unter des
Lälius Befehl macht sich zur Fahrt nach Rom segelfertig. Der
gefangene Syphax bricht in heftige Klagen über sein Geschick
aus und schleudert Vei'wünschungen gegen Dido, die Gründerin
Carthago's, gegen Hamilkar, den Vater Hannibal's, gegen
Hannibal selbst und endlich auch gegen Sophonisbe (v. 208
bis 287). Scipio bricht mit seinem Heere gegen Carthago auf
und nimmt bei Tunes eine feste Stellung ein. Die Carthager
senden Gesandte ab, um Hannibal aus Unteritalien, Mago aus
Ligurien herbeizurufen. Der letztere bricht sogleich auf
(v. 288 — 306). Die Carthager schicken dreissig Gesandte an
Scipio, um den Frieden zu erbitten, indem sie die Urheber-
schaft des Krieges auf Hannibal abzuwälzen suchen. Scipio
666 Vierzehntes Capitel.
tlieilt die Bedingungen mit, unter denen er den Frieden be-
willigen wolle (v. 307-372, getreu nach Liv. XXX 16;. Das
carthagische Volk erklärt sich mit den Friedensbedingungen
einverstanden, um bis zu Hannibal's Ankunft Zeit zu gewinnen
(v. 373—387). Die carthagischen Gesandten bitten Hannibal,
nach Africa zurückzukehren. Dieser gibt nothgedrungen ihren
Bitten nach und segelt ab , nachdem er im Tempel der Juno
Lacinia zu Croton') eine grosse Anzahl Italer, welche ihm
nicht folgen wollten, hat ermorden lassen (v, 388—560, getreu
nach Liv. XXX 20). Hannibars Rückfahrt: seine Gespräche
mit seinen Bc^gleitern während der Nacht. Ein alter Steuer-
mann erzählt den Sieg des Xanthippus über den Ptegulus,
Xanthippus' Ermordung durch die treulosen Carthager und die
unglückliche Seeschlacht bei den ägatischen Inseln, welche
Erzählung in Hannibal und seinen Gefährten trübe Ahnungen
erweckt (v. 561 — 700, über Xanthippus' Tod vergi. Val. Max.
IX 6 ext. 1). Carthagische Gesandte kommen, um Frieden
bittend, nach Rom. In Folge dessen wird Lälius, der bereits
wieder auf der Reise nach Africa begriffen war, zurückgerufen..
Senatssitzung im Tempel der Bellona. Dreifache Meinungs-
verschiedenheit der Senatoren. Auf Antrag des Lälius werden
endlich die Gesandten ohne Antwort entlassen und wird Scipio
mit der Fortführung des Krieges beauftragt (v. 701 — 751, ge-
treu nach Liv. XXX 21. 22. 23). Die Carthager bemächtigen
sich trotz des Waffenstillstandes der Transportschiffe von der
Flotte des Consuls Cn. Octavius, welche ein Sturm an ihre
Küste verschlagen hatte (v. 752—784, sachlich getreu, aber
beträchtlich gekürzt nach Liv. XXX 24). Scipio sendet, um
Genugthuung zu fordern , drei Gesandte nach Carthago . diese
\") Petrarca benutzt hier die Gelegenheit, des von Zeuxis gemalten, in
diesem Tempel befindlichen Bildes zu gedenken, in welchem der Künstler
die Schönheit von fünf Mädchen zu einem Ganzen verschmolzen hatte.
Nach Petrarca stellte dieses Bild die Juno dar, nach Cicero (de invent.
II init.) die Helena, Plinius (H. N. IX 33 u. 36) nennt keinen Namen
und Livius <XXIV 3) erwähnt das Gemälde gar nicht. Petrarca wählte
vermuthlich die Juno, weil der Tempel ihr gewidmet war.
Die lateinischen Dichtungen. 667
aber weiden in der Stadt verhöhnt und auf der Rückfahrt zur
See von carthaginiensischen Schiffen angegriffen, denen sie nur
mit grosser Mühe zu entrinnen vermögen (v, 785 — 816, getreu
nach Liv. XXX 25). Lälius und die carthaginiensischen Gesandten
kehren aus Rom nach Africa zurück; letztere werden von
Scipio gütig empfangen und erhalten sicheres Geleit (v, 817
bis 838, vgl. Liv. XXX 25). Mago, obgleich schwer verwundet,
verlässt Italien. Ausführliche Schilderung der Küsten (Riviera)
von Sestri di Levante bis zur Tibermündung, an denen seine
Fahrt ihn vorbeiführt. Mago stirbt; sterbend beklagt er die
Nichtigkeit des irdischen Lebens und die Erfolglosigkeit der
menschlichen Bestrebungen (v. 839 - 913) ^).
Siebentes Buch. Hannibal, das Schicksal des Mago
nicht ahnend und mit Plänen und Sorgen um ihn beschäftigt,
segelt nach Africa und landet unter einem ungünstigen Vor-
zeichen — das Schiff nimmt die Richtung nach einem Grab-
male — bei Leptis (v. 1 — 30, vgl. Liv. XXX 25 extr.). Die
Römer freuen sich über den Abzug der Carthager aus Italien,
besorgen aber zugleich, dass Hannibal in Africa erst recht
furchtbar und gefährlich werden werde, wie Fabius es voraus-
gesagt hatte. So schweben sie zwischen Furcht und Hoffnung,
doch bringen sie den Göttern ein fünftägiges Dankfest dar
(v. 31—89, vgl. Liv. XXX 21 und 28). Scipio lässt gefangen
genommene Spione der Carthager in seinem Lager herumführen
und ihnen Alles zeigen, worauf er sie an Hannibal zurück-
sendet (V. 90-123, vgl. Liv. XXX 29 init.). Zusammenkunft
HannibaFs mit Scipio. Die beiderseitigen Reden (v. 124—458,
vgl. Liv. XXX 29, 30 und 31, Petrarca's Darstellung ist jedoch
etwas erweitert und ausgeschmückt; der Rede des Scipio ist
vom Dichter eigenthümlicher Weise durch die wiederholte Be-
rufung auf Gott, cf. V. 377 ff., und einmal auch auf die Un-
sterblichkeit der Seele eine gewisse religiöse Färbung gegeben
worden. Zusatz des Dichters sind die von Hannibal für die
^) Diese Episode bietet eine Fülle schöner und hochpoetischer Stellen
dar, namentlich sind v. 898 flf. wahrhaft ergreifend.
6(58 Vierzehntes Capitel.
Wandelbarkeit des Glückes angeführten Beispiele: Cyrus,
Pyrrhus, Regulus und Hannibal selbst v. 300—325. Einmal
hat Petrarca den lateinischen Text seltsam missverstanden, in-
dem er den Satz des Liviiis XXX 30 sub fin. : „vestri quoque
patres [i. e. senatores] nonnihil etiam ob hoc, quia parum
dignitatis in legatione erat, negaverant pacem" übersetzt v.
335 flf. : „Et vos , nisi falsa relatu Audivi , pactum foedus
sprevistis a vor um Tempore, quod minime dignis auctoribus
ictum Esse videretur,"). Beide Feldherren berichten ihren
Kriegern das Ergebniss der Unterredung und machen sie auf
die Bedeutung des bevorstehenden Kampfes aufmerksam. Die
Krieger rüsten sich zur Schlacht (459 - 499, vgl. Liv. XXX 31
extr. und 32 init.). Die Göttinnen Rom und Carthago 'Personi-
ficationen der Städte) steigen in der Nacht vor dem Ent-
scheidungskampfe in den Himmelssaal empor und flehen Jupiter
(welcher als der christliche Gott aufzufassen ist) um Schutz
und Hülfe an, Rom mit Hinweis darauf, dass die Enkel der
jetzigen Römer Gott einst im wahren Glauben verehren würden.
Jupiter enthüllt hierauf die Zukunft, indem er erklärt, dass
das Treiben fast aller Menschen ein sündhaftes und ihm miss-
fälliges sei, und dass er, bevor noch das zehnte Saturnjahr
vergehen werde, zur Erlösung der Menschheit Menschengestalt
annehmen und sogar den Tod erdulden wolle. Jetzt aber sei
Rom der Sieg beschieden und dort werde auch künftig für alle
Zeiten derselbe seinen bevorzugten Sitz sich erwählen (v. 500
bis 728). Scipio stellt sein Heer in Schlachtordnung und
feuert es durch eine siegverheissende Rede an (v. 728—833,
vgl. Liv. XXX 32 extr. und 33 init.). Hannibal ordnet sein
Heer und ermuthigt es ebenfalls durch eine Rede (v. 834— 915,
vgl. Liv. XXX 33, die Rede Hannibal's ist zum Theile Er-
findung des Dichters). Beschreibung der Schlacht von Zama.
Lange wogt der Kampf unentschieden hin und her, da beide
Feldherren alle Kunst aufbieten, den Sieg zu erringen. End-
lich weichen die Carthager. Hannibal selbst flieht nach Hadru-
metuni, von wo er sich, vom Senate herbeigerufen, nach
Carthago begibt (v. 916—1080, vgl. Liv. XXX 33, 34, 35).
Die lateinischen Dichtungen. 669
Achtes Buch. Seipio erobert das carthaginiensische
Lager und bemächtigt sich der dasell)st aufgehäuften Schätze
(v. 1—38, vgl. Liv. XXX 36 init). Seipio, Massinissa und
Lälius bringen einen grossen Theil der Nacht in vertraulichen
Gesprächen hin, deren Inhalt die Wechselfälle der geschlagenen
Schlacht, die Flucht Hannibal's und die Beurtheilung desselben
als Feldherrn bilden. Seipio wird nicht müde, die Tüchtig-
keit und die hohe Begabung seines Gegners, für welche nament-
lich auch noch seine Disposition für die Schlacht Zeugniss ab-
lege (dies nach Liv. XXX 35) zu preisen und ihn für selbst
dem grossen Alexander, der doch nur verweichlichte Orientalen be-
siegt und nie Gelegenheit zur Erprobung seines Talentes auch
im Unglück gehabt habe, weit überlegen zu erklären. End-
lich begeben sie sich zur Ruhe. Am folgenden Morgen reist
Lälius als Siegesbote nach Rom ab (v. 39 — 247, vgl. Liv. XXX
36 , doch ist im Wesentlichen diese Episode ein Werk selb-
ständiger Schöpfung des Dichters). Bestürzung in Carthago,
Berathu ngdes dortigen Senates. Hannibal, um sein Gutachten
befragt, räth dringend zum Frieden. Hierauf entflieht er mit
seinen Schätzen nach Ephesus zum Könige Antiochus von
Syrien. Genaue geographische Beschreibung des Weges, den
er nimmt. An der sicilischen Küste tödtet Hannibal seinen
Steuermann Pelorus, weil er sich von ihm verrathen glaubt
(v. 248—358, vgl. Liv. XXX 35 und Val. Max. IX 8 ext. 1).
Seipio und Octavius rücken gegen Carthago vor. Friedens-
gesandtschaft der Carthager. Seipio recognoscirt die Lage und
die Befestigungen Carthago's. Besiegung des Vermina, Sohnes
des Syphax. Abermalige Friedensgesandtschaft der Carthager
(v. 359—458, vgl. Liv. XXX 36). Wunderzeichen geschehen
in Rom und ganz Italien. Der Consul Ti. Claudius, auf Scipio's
Kriegsruhm eifersüchtig und begierig, denselben nnt ihm zu theilen,
rüstet sich, nach Africa überzusetzen. Ein gewaltiger Sturm
aber zerstreut und vernichtet zum Theil seine Flotte, er selbst
wird mit wenigen Schiffen nach Sardinien verschlagen und
muss dort den Winter verbringen, so dass während dessen
sein Amtsjahr abläuft (v. 459-546, vgl. Liv. XXX 38, 39 und
670 Vierzehntes Capitel.
44 init.). Die Kunde von dem bei Zama erfochtenen Siege
gelangt nach Rom. Allgemeine Freude daselbst. Der neue
Consul Corn. Lentulus strebt darnach, Africa als Provinz zu-
gewiesen zu erhalten und sich dann den Rubm der Beendigung
des Krieges zu erwerben v, 547 — 611, vgl. Liv. XXX 40)^).
Abermalige Friedensbotschaft der Carthager an Scipio. Dieser
bewilligt endlich den Frieden unter den bekannten Bedingungen,
zu denen noch die (unmöglich gewordene) Auslieferung Hanni-
bal's hinzugefügt und motivirt wird. Die Carthager nehmen
nothgedrungen diese Bedingungen an [da Petrarca oben,
V. 248 — 358, die von Liv. XXX 35 extr. gegebene Variante
von der Flucht Hannibal's reproducirt und mit der bei Liv.
XXX 37 med. gegebenen Erzählung verschmolzen hat, so kann
er in diesem Abschnitte Hannibal nicht mehr, wie bei Livius.
als zum Frieden rathend auftreten lassen]. Reise der cartha-
gischen Gesandten nach Rom. Rede des Hasdrubal Haedus im
Senate (vgl. Liv. XXX 42). Der Senat bewilligt den Frieden.
Dank der Gesandten. Hasdrubal erhält die Erlaubniss, die
Stadt Rom zu betreten, um die carthagischen Kriegsgefangenen
zu besuchen rvgl. Liv. XXX 43) 2,. Zusammenkunft Hasdrubal's,
nachdem er die Stadt durchwandert, nüt den Kriegsgefangenen.
Zweihundert der letzteren werden vom Senate bedingungsweise
freigegeben Rückreise der Gesandten nach Africa (v. 612
bis 1004). Die Gesandten kehren zu Scipio zurück. Der
Friede wird feierlich geschlossen, Scipio belolmt den Massinissa,
bestraft die Ueberläufei-; kommt nach Carthago, richtet an die
^) Der Dichter nimmt hier Anlass, über die Nachtheile zu klagen,
welche die römische Verfassung durch die Theihmg der Macht unter zwei,
oft auf einander eifersüchtige und überdies schon nach Jahresfrist von
anderen abzulösende Consuln für die Staatsverwaltung und die Kriegfüh-
rung mit sich brachte. Besser als die Doppelherrschaft sei die Monarchie,
in welcher nur ein Wille herrsche. Vgl. oben S. 319.
"-) Dies gibt dem Dichter Gelegenheit, eine ausführliche Beschreibung
des antiken Roms zu entwerfen (v. 862 — 951), welche, wenn auch manche
Irrthümer und Anachronismen aufweisend, im Wesentlichen doch richtig
ist und ein ehrendes Zeugniss von Petrarca's topographischen Studien
ablegt.
Die lateinischen Dichtungen. 671
Carthager — ziemlich naive Ermahnungen, sich künftig mit
ihrem Landbesitze zu begnügen und auf die Seefahrt und See-
herrschaft zu verzichten, wesshalb auch zu ihrem eigenen Heile
ihre Flotte verbrannt werden solle. Die Verbrennung der
Flotte wird ausgeführt (v. 1005—1084, vgl. Liv. XXX 43, die
Rede des Scipio ist Zusatz des Dichters).
Neuntes Buch. Scipio segelt heimwärts, das Meer ist
ruhig, der Himmel heiter. Auf dem Decke des Schiffes sitzt
schweigend Ennius, Scipio's steter Begleiter. Scipio redet ihn
freundlich an und fordert ihn auf, ihm die sorgenbeladene
Brust durch den Vortrag eines Liedes zu erleichtern (v. 1 — 22).
Ennius preist die Grösse der Thaten Scipio's und verheisst ihm
ewigen Ruhm, aber er beklagt, dass nur er (Ennius), der des
Lateinischen nicht völlig Kundige, der Herold dieser grossen
Thaten sein solle, doch werde in später Zukunft ein begabterer
Dichter (d. i. Petrarca selbst) ihn besingen (v. 23— 64). Scipio
wünscht von Ennius zu erfahren , wesshalb der Lorbeer das
Ehrenzeichen der Sieger und Dichter sei. Bevor Ennius hier-
auf antwortet, erörtert ei-, von welchen Grundsätzen in seinem
Schaffen der Dichter sich leiten lassen müsse — Grundsätze, welche
mit den im Eingange dieses Capitels (S. 650 f.) dargelegten
vollkommen übereinstimmen — , und dann legt er dar, aus
welchen Gründen der Lorbeer als Auszeichnung der Helden
und Dichtei- gewählt worden sei — es sind dieselben Gründe,
welche auch in der Krönungsrede (vgl. oben S. 181 f.) aus-
führlich entwickelt worden sind (v. 65 — 123). Nun erzählt
Ennius den wunderbaren Traum, den er in der Nacht vor der
Schlacht bei Zama gehabt habe: Homer, den er über alle
Männer der Vorzeit verehre, sei ihm als blinder Greis er-
schienen, habe ihm den bevorstehenden Sieg der Römer ver-
kündet und zugleich — es ist aber zwischen dem Vorhergehenden
und dem Folgenden (v. 215 u. 216) sicherlich eine beträcht-
liche Lücke anzunehmen — ihm auch prophezeiht, dass einst
Petrarca den Scipio besingen und mit dem Lorbeer sich krönen
werde, eine Prophezeihung, bei welcher der Dichter es an
einer, allerdings mit grosser Naivetät vorgenommenen, starken
672 Vierzehntes Capitel.
Selbstberäuclierung nicht fehlen lässt und namentlich nicht
darauf hinzuweisen vergisst, welch" ein unsterbliches Werk er
einst in dem Buche über die berühmten Männer schreiben werde
(v. 124 — 289, die auf Petrarca selbst bezüglichen Stellen sind v.
216—268 und v. 273—283;. Beschreibung der Fahrt nach Itahen
und des von Scipio in Rom gefeierten, glänzenden Triumphes
(V. 290-409, vgl. Liv. XXX 45). Hinweis auf die späteren
traurigen Schicksale Scipio's, die der Dichter nicht besingen
will (v. 410 — 420). Schluss des Gedichtes: Klage um König
Robert's Tod. Mahnung an die Dichtung, sich, so lange die
gegenwärtigen trüben und den Musen abholden Zeiten währen,
möglichst verborgen zu halten und erst, wenn ein besseres
Jahrhundert gekommen sein wird, an die Oeffentlichkeit zu
treten (v. 421—477).
Welches Urtheil sollen wir nun über die eben skizzirte,
umfangreiche^) epische Dichtung fällen? Vielleicht dürften
folgende Bemerkungen nicht allzuweit von der Wahrheit sich
entfernen.
Als Ganzes, als eine einheitliche Composition betrachtet, ist
das Gedicht als ein durchaus verfehltes Werk zu bezeichnen, und
gewiss würde dies Urtheil auch abgegeben werden müssen, wenn
wir das Epos in einer lückenlosen und vollständig abgeschlosse-
nen Gestalt besässen (vgl. oben S. 662 i) , denn die fehlenden
Bücher hätten gerade den sprödesten Stoff behandeln müssen,
dessen Bewältigung dem Dichter noch weniger gelungen sein
würde, als die Verarbeitung der verhältnissmässig gefügigen
Materien, welche die erhaltenen Gesänge zum Gegenstande haben.
Die Schuld . dass das Epos als Ganzes so wenig befriedigt,
liegt keineswegs hauptsächlich etwa daran, dass der Dichter
Virgil's Aeneis allzu ängstlich nachgeahmt hätte. Nach-
geahmt hat er sie allerdings, aber die Nachahmung ist keine
sklavische und wird nirgends zur geschmacklosen Copie. der
Dichter hat es vollkommen verstanden, sieh eine genügende
Originalität zu wahren und nimmt neben Virgil doch ungefähr
^) Die „Africa" zählt 6723 Verse (Virgil's Aeneis 10098 Verse .
Die lateinischen Dichtungen. 673
dieselbe Stellung ein, wie dieser neben Homer. Auch hat man
ja zu berücksichtigen, dass der Begriff der „Nachahmung"
nicht allzuweit ausgedehnt werden darf^), dass man nicht be-
rechtigt ist, einen jeden Vers der „Africa", welcher an einen
Vers Virgil's anklingt, ohne Weiteres für nachgeahmt zu halten,
sondern zu erwägen hat, dass diese Aehnlichkeit auch vielfach
eine in der Natur der Sache selbst begründete sein kann. Die
Schuld des Misslingens der „Africa" ist anderwärts zu suchen.
Zunächst in dem Dichter selbst. Es war eine arge Selbst-
täuschung Petrarca's, dass er sich zur epischen Dichtung be-
rufen glaubte, denn ihm, der so durch und durch subjectiv
angelegt war und so sehr der Objectivität entbehrte, fehlte für
das Epos jede Begabung und überdies war sein unleugbares
poetisches Talent doch bei weitem nicht ausreichend, um eine
gTOsse Composition beherrschen zu können. Sodann aber, wie
wäre es überhaupt möglich gewesen , dass der Begründer des
Humanismus und der Renaissance ein wahres Epos zu schaffen
vermocht hätte? Das wahre Epos hat seine Wurzeln im Volks-
leben, ist ein Product des Volksgeistes, ja die bedeutendsten
Epen sind dies in einem solchen Grade, dass sie geradezu
Werke eines Volkes und nicht eines Individuums sind und dass
wir eben einfach um desswillen die Namen ihrer Verfasser
nicht kennen, weil sie nicht durch die Hand individualer
Dichter, sondern nur durch diejenige ordnender Redactoren die
Gestalt, in welcher sie uns vorliegen, erhalten haben. Wahre
Epen können nur da entstehen, wo ein lebenskräftiges, seiner
Vergangenheit sich freuendes und des Zusammenhanges mit
derselben sich bewusstes Volksthum besteht, nur da, wo eine
einschneidende Stöning und Unterbrechung der volksthüm-
lichen Culturentwickelung nicht stattgefunden hat. Humanis-
mus und Renaissance aber brachen grundsätzlich mit der Ver-
gangenheit, sie wollten die bestehende Culturform möglichst
^) vgl. den inhaltsreichen Aufsatz (Recension der Dissertation Wezel's
.,de C. Silii Italici cum fontibus tum exemplis" von Blass in Fleckeisen's Jahr-
büchern für Philologie, Bd. 109 (1874), p. 471-512.
Körting, Petrarca . 4u
674 Vierzehntes Capitel.
vollständig zerstören und eine neue oder vielmehr eine neu-
belebte alte an ihre Stelle setzen , sie wollten die Cultur-
entwickelung der Völker in andere, von den bisherigen durchaus
divergirende Bahnen leiten. Dadurch ward jede volksthümliche
Poesie immer mehr und mehr untergraben, je festeren Boden
die Renaissancebildung gewann und je weiter sie ihre Kreise
zog, dadurch ward namentlich dem Epos die Axt an die Wurzel
gelegt. Ein wahres Epos konnte im Bereich der Renaissance
nicht existiren, nur das Kunstepos, welches mehr ein Product
der Gelehisamkeit, als der Poesie ist, vermochte fortan seine
Blüthen zu treiben, an deren exotischem Dufte und Farben-
glanze nur wenige Auserwählte sich zu erfreuen befähigt
waren. Man wende nicht ein, dass doch auch Bojardo's und
Ariost's entschieden volksthümliche Rolandsdichtungen und
Tasso's befreites Jerusalem Schöpfungen der Renaissance seien.
Diese Werke treten , obwol chronologisch der Renaissancezeit
angehörig (und selbst dies könnte man bei Tasso's Dichtung
vielleicht bezweifeln), doch aus der Renaissance heraus, indem
sie sich die von der strengen Renaissance verpönte Mischung
mit mittelalterlich-romantischen Elementen gestattet haben, und
überdies sind die Rolandsdichtungen eher Cyclen an einander
gereihter anmuthiger Episoden, als Epen im eigentlichen
Sinne des Wortes zu nennen, Tasso's Jerusalem aber ist recht
eigentlich die poetische Verherrliclmng der beginnenden katho-
lischen Reaktion gegen die Renaissancebildung und erhält
hauptsächlich dadurch seine hervorragende litterargeschichtliche
Bedeutung. Die wirklichen Renaissanceepen sind durchaus
Kunstdichtungen gewesen und haben als solche nie volks-
thümlieh werden können. Das wurde schon durch die Natur
ihrer Stotfe zur Nothwendigkeit gemacht. Der Epiker der Re-
naissance musste nothgedriingen nur antike Stotfe behandeln,
oder wenn er ja etwa über das eigentliche Alterthum hinaus-
reichende historische Stoffe zu behandeln wagte, wie z. B.
Trissino gethan hat, so musste er dieselben mit einem anti-
kisirenden Gewände bekleide» und sie dadurch kläglichst ver-
unstalten, alle wirklich volksthümlichen Stoffe aber waren ihm
Die lateinischen Dichtungen. 675
ein verbotenes Gebiet und aus dem reichen Borne der Sage
durfte er nicht schöpfen, höchstens wahrte er sich noch das
an sich so ergiebige Feld der - christlichen Legende, aber für
eine fruchtbringende Behandlung desselben fehlte wieder ihm und
seinem Publicum die nothwendigste Vorbedingung, der naive
Glaube. So tragen denn mit Naturnothwendigkeit die Re-
naissanceepen den Charakter des Frostigen, Akademischen und
Reflectirenden an sich, es fehlt ihnen Wärme, Lebendigkeit
und Fi'ische, denn, so begeistert der humanistische Dichter
auch für die Antike sein mochte, diese Begeisterung war doch
immer nur, um so zu sagen, eine augelernte und verstands-
mässig erzeugte, und das gelangt denn auch in ihren Schöpfungen
zum Ausdruck.
Auch Petrarca's „Africa" erhebt sich, als Ganzes betrachtet,
nicht über den allgemeinen Charakter der Renaissanceepen,
deren lange Reihe sie eröffnet. Die Wahl ihres Stoffes war eine
verhältnissmässig sehr geschickte zu nennen , und es ist nicht
zu bezweifeln, dass, wenn das Römerthum einen wirklichen
Epiker hervorgebracht hätte, derselbe in der Wahl der Schluss-
episode des gewaltigen zweiten punischen Krieges einen über-
aus glücklichen Griff gethan und ein wahrhaft nationales Epos
zu schaffen vermocht haben würde. Aber ein solcher Epiker
hätte nicht allzu lange Zeit nach den von ihm zu besingenden
Ereignissen leben dürfen, noch inmitten der lebendigen Tradition
stehen müssen. Schon Silius Italiens, übrigens ein sehr mittel-
mässiges Talent, kam viel zu spät und vermochte — was freilich
auch aus anderen Gründen das einzig Mögliche war — eben
nur ein Kunstepos ohne Leben und Farbenfrische zu schaffen.
Und in wieviel höherem Grade musste dies nun bei Petrarca
der Fall sein, zwischen dessen Zeitalter und demjenigen des
Scipio die gewaltige Kluft von fünfzehn Jahrhunderten gähnte!
Mochte der Dichter der „Africa" sich noch so sehr bemühen,
das Römerthum sich zu assimiliren, als Römer zu denken und
zu fühlen, es konnte ihm dies natürlich nidit gelingen und
vollends nicht, da er weder den Willen noch die Kraft besass,
von der christlichen Lebensanschauung zu abstrahiren und ihr
43*
676 Vierzehntes Capitel.
die römisch -heidnische zu substituiren. So musste das Werk
von vornherein eine Fehl- und Missgeburt werden und das hat
schliesslich ohne Zweifel auch der Verfasser selbst begriffen
und schmerzlich empfunden.
Wir brechen also über die „Africa'', insofern sie den An-
sprach erhebt, ein wirkliches Epos zu sein, unbedenklich den
Stab. Keineswegs indessen wollen wir damit die Dichtung in
ihrer Totalität in Bausch und Bogen verdammen: als ein
Ganzes ist sie misslungen, aber viele ihrer einzelnen Theile
sind vortrefflich. Es besitzt die „Africa" eine grosse Anzahl
von Episoden, welche geradezu Meisterwerke der poetischen
Kunst genannt werden müssen ') , sie weist eine Fülle von
Naturschilderungen und Gleichnissen 2) auf, deren sich auch
der bedeutendste Epiker nicht zu schämen haben würde. Je-
denfalls war der Dichter der „Africa" ein hochbegabter Dichter,
wenn auch eben nicht ein Epiker ersten Ranges, und die
„Africa" ist trotz der fundamentalen Fehler ihrer Composition
doch eine bedeutende und des Lesens wohl würdige Dichtung,
ja es wird sie ein Jeder lesen müssen und übrigens auch mit
vielem Genüsse lesen können, dem daran gelegen ist, sich ein
Gesammturtheil über Petrarca's poetische Befähigung zu bilden.
W^enn in früheren Zeiten über die „Africa" so äusserst ungün-
stige ürtheile gefällt worden sind und dieselbe als ein in jeder
Beziehung misslungenes und ungeniessbares Machwerk bezeich-
net worden ist, so dürfte die Schuld zum grossen Theile daran
gelegen haben, dass die Dichtung bis auf die neueste Zeit nur
in entsetzlich verwahrlosten Ausgaben vorlag, in denen sie
^) Wir erinnern nochmals an die Episode der Liebe Massinissa's und
Sophonisbe's, welche eingehend zu würdigen schon um desswillen interessant
ist, als an dem gleichen Stoffe sich bekanntlich auch das Renaissancedrama
versucht hat.
2) Eine eingehende Beti-achtung der zahlreichen von Petrarca in der
„Africa" gebrauchten Gleichnisse und Bilder würde sehr mannigfache und
interessante Ergebnisse liefern, wir müssen sie uns indessen hier aus Rück-
sicht auf den Raum versagen. Nur kurz hinweisen wollen wir auf einige
der originellsten Gleichnisse: I 209 ff. 266 ff. 401 ff. III 668 ff. V 6 ff.
189 ff 498 ff. YII 1.5 ff. 450 ff. VIII 1081 ff. IX 290 ff u. v. a
Die lateinischen Dichtungen. 677
wirklich als geradezu unlesbar bezeichnet werden muss. Selbst
die Ausgabe von Pingaud (Paris, 1872) Hess noch sehr Vieles
zu wünschen übrig. Erst Corradini's Bemühungen ist es ge-
lungen, einen, wenn auch w^ol nicht überall unanfechtbaren,
so doch im Allgemeinen correcten und lesbaren Text her-
zustellen, und es darf nun wol gehofft werden, dass dasjenige
Gedicht, auf welches zumeist Petrarca seinen Ruhm begründen
wollte, fortan fleissiger gelesen und richtiger gewürdigt werde,
als bisher geschehen ist. —
Haben wir uns, wie billig, bei der „Africa" etwas länger
verweilt, so dürfen und können wir die übrigen lateinischen
Dichtungen um so kürzer besprechen.
Die zwölf Eklogen müssen als das unerquicklichste Er-
zeugniss der Muse Petrarca's bezeichnet werden. In ihnen hat
sich der Dichter der Allegorie in der maasslosesten Weise be-
dient und dadurch den poetischen Gedanken oft geradezu erstickt,
fast immer aber bis zur Unkenntlichkeit verschleiert, so dass
er selbst einen Commentar zu schreiben sich veranlasst sah ^).
Es ist dies um so mehr zu beklagen, als Petrarca gerade in
diesen Gedichten häufig sein innerstes Denken und Fühlen aus-
sprechen und seine Handlungen rechtfertigen wollte. Man er-
kennt an diesen Dichtungen recht deutlich, wie unheilvoll die
Allegorie zu wirken, wie arg sie die wahre Poesie zu über-
w^uchern vermag. Bekanntlich geben schon Virgil's Eklogen
Anlass zu solcher Beobachtung und Klage, diejenigen Petrar-
ca's aber, welcher, wie ein Nachahmer meist, den Fehler seines
Vorbildes in's Ungemessene steigert, thuen dies in noch weit
höherem Grade. — Der Inhalt der einzelnen Eklogen, welche
übrigens fast alle und zwar in rascher Aufeinanderfolge in
Vaucluse geschrieben w^urden^), ist in Kürze folgender:
^) Ueber den dunkeln Styl der Eklogen hat Petrarca sich selbst Ep.
Farn. X 4 u. Ep. Sen II 1 ausgesprochen; er fühlte wohl den Fehler, den
er begangen, wollte aber, befangen in einer falschen Theorie, ihn nicht
eingestehen.
■') Ep. Farn. VIII 3.
678 Vierzehntes Capitel.
Ekl. 1 (124 Verse). Petrarca (= Silvius) erklärt, wesshalb
er nicht, wie sein Bruder Gherardo (= Monicus), dem be-
schaulichen geistlichen Leben sich widmen könne, sondern den
Musen dienen und den göttergleichen Jüngling (Seipio) besingen
wolle.
Ekl. 2 (124 Verse). Klage über den Tod des Königs
Robert.
Ekl. 3 (164 Verse). Allegorische Schilderung der Liebe
Petrarca' s zur Poesie und Erzählung der Dichterkrönung.
Ekl. 4 (75 Verse). Erörterung der Frage, wesshalb die
Italiener in der Poesie die Franzosen übertreffen (nahezu un-
verständlich, vgl. aber die Epitome b. Hortis, Scritti inediti
p. 361 ; im Einzelnen finden sich manche sehr poetische Stellen,
wie z. B. die Verherrlichung der Dichtkunst in v. 45 ff. u.
56 ff.).
Ekl. 5 (141 Verse). Polemik gegen die Colonna und Or-
sini, Verherrlichung des römischen Volkes und seines Befreiers
Cola di Rienzo.
Ekl. 6 (210 Verse) und Ekl. 7 (144 Verse). Heftige Pole-
mik gegen das avignonesische Papstthum.
Ekl. 8 (128 Verse). Petrarca nimmt Abschied von dem
Cardinale Giovanni Colonna (vgl. oben S. 232).
Ekl. 9 (111 Verse). Klage über die Verwüstungen der
Pest des Jahres 1348.
Ekl. 10 (401 Verse). Klage über den Sturz eines dem
Dichter lieben Lorbeerbaumes ; der Lorbeerbaum ist hier, wie
so oft, sowol das Symbol für die Dichtkunst als auch für Laura.
Der Dichter beklagt also zugleich den Verfall der Poesie und
den Tod Laura's. Der Grundgedanke des Gedichtes ist tief
poetisch, aber leider vermag er unter dem Wüste der Allegorie
nicht zu seiner Geltung zu gelangen^).
Ekl. 11 (102 Verse). Klage um Laura's Tod.
^) Ein besonderes Interesse erhält diese Ekloge noch dadurch, dass
Petrarca in ihr, freilich zum Theil unter den seltsamsten Umschreibungen,
105 Dichter des Alterthums aufzählt, die ihm dem Namen nach bekannt
waren.
Die lateinischen Dichtungen. 679
Ekl. 12 (160 Verse). Betrachtungen über den Krieg
zwischen König Johann dem Guten von Frankreich und
Eduard III. von England ; kurzer Bericht über die Schlacht
von Poitiers.
Wie aus einer dunkelen Grotte in ein sonnenhelles und
1)lumengeschmücktes Gemach treten wir von den Eklogen zu
den poetischen Episteln. Diese sieben und sechzig kleinen
Dichtungen ^) bilden einen Blüthenstrauss von Poesien, der sich
an Duft und Lieblichkeit kühn mit dem „Canzoniere" ver-
gleichen darf, ja vielleicht sogar denselben an Frische und
natürlichem Reize übertreffen mag. Aus diesen poetischen
Episteln ist die Allegorie verbannt oder, wo sie erscheint, er-
scheint sie doch nur in anmuthig leichter, nicht in mystisch
dunkler Form, und gerade um desswillen sind sie so schön und
so erfüllt vom Hauche w^ahrer Poesie. Hier wollte der Dichter
nicht prunken mit tiefsinnigen Gedanken, geistvollen Anti-
thesen und gelehrtem Wissen, hier wollte er die Wahrheit
nicht mit einem kunstvollen und nur von dem Eingeweihten
zu durchschauenden Schleier der Fiction verhüllen, hier wagte
er es, Mensch zu sein und, unbeirrt von einer abstrusen Theorie,
seinem natürlichen Genius zu folgen : er w^agte dies , weil er
in diesen Episteln nur poetisch spielen, nur seinem Mittheilungs-
drange, der in den Prosabriefen noch nicht genügende Be-
friedigung fand , auch in dem melodischen Klange der Verse
Ausdruck geben, nicht aber ein für die Unsterblichkeit be-
rechnetes, grosses poetisches Werk schaffen wollte. Wir meinen
gerade aus diesen Episteln, in denen der Dichter die augen-
blicklichen Eingebungen seiner Muse, ungetrübt und unbe-
schwert von verstandesmässigen Reflexionen, fixirt hat, lässt
sich am besten, besser noch als aus dem„Canzoniere", erkennen,
welch' hohe poetische Begabung Petrarca besass, und wenn man
dies erkennt , so kann man nicht umhin , zu beklagen , dass
dieser Dichtergenius in seinen umfangreicheren Schöpfungen
sich beengen und beirren liess von wunderlichen theoretischen
>) Buch I: 14 Episteln; Buch II: 19 Episteln; Buch III: 34 Episteln.
680 Vierzehntes Capitel.
Yoistellungen über das Wesen der Poesie. "Was würde Pe-
trarca zu leisten vermocht haben, wenn er immer so natürlich ge-
dichtet hätte, wie in seinen Episteln ! wie ungleich poetisch werth-
voller würden dann namentlich seine Liebeslieder geworden
sein ! Den grössten Lyrikern aller Zeiten, selbst einem Goethe,
wäre er dann ebenbürtig geworden und auf eine weit höhere
Stellung in der Geschichte der Weltpoesie, als ihm jetzt zu-
erkannt werden kann, würde er dann berechtigten Anspruch
besitzen.
Auch das hat wesentlich dazu beigetragen, die Episteln zu
poetischen Meisterwerken zu gestalten, dass der Dichter sich
in ihnen eng begrenzte Themata zur Behandlung erwählt hat
und Themata , welche stets in Beziehung standen zu seinem
persönlichen Denken und Empfinden. Für weit umfassende
Aufgaben reichte Petrarca's Talent nicht aus — wir sahen dies
bei der Betrachtung der .,Afi'ica'" — . am wenigsten aber ver-
mochte er Themata zu behandeln, welche Objectivität und
Ruhe der Darstellung erforderten. Petrarca in seiner durch
und durch subjectiven Natur war nicht für das Epos, sondern
nur für die Lyrik geschaffen, er scheiterte stets, wenn er gross-
artige und kühne Compositionen entwerfen wollte, aber be-
währte sich als ein Meister, wenn er sich begnügte, Stimmungs-
bilder zu zeichnen und Seelenzustände zu schildern. Wäre er
ein Maler gewesen, so würde er nur in der Landschafts- und
Genremalerei Grosses zu schaffen vermocht haben, während
ihm Historiengemälde ohne Zweifel missglückt sein würden.
Man wende hiergegen nicht ein, dass doch auch die Episteln,
weil in dem heroischen Verse der Lateiner geschrieben, dem
epischen Gebiete angehören, denn nicht die Form kann hier
das Entscheidende sein. Mögen immerhin die Episteln das
metrische Gewand der Epik tragen, in ihrem Wesen sind sie,
wenige Ausnahmen abgerechnet, durchaus lyrisch.
Ein wesentlicher Vorzug der Episteln, dem sie zum gi'ossen
Theile ihre Vollendung verdanken, ist die Verschiedenartigkeit
ihres Inhaltes. Es wird in ihnen nicht, wie dies im Grossen
und Ganzen im „Canzoniere" geschehen ist, immer ein und
Die lateinischen Dichtungen. 681
dasselbe Thema in zahlreichen und, wenn auch an sich an-
ziehenden und reizvollen, so doch auf die Länge ermüdenden
Variationen abgehandelt, sondern in buntem und anmuthigem
Wechsel lassen sie die mannigfachsten Bilder an unserem
Auge vorüberziehen : bald sind es alle möglichen Scenen aus des
Dichters Privatleben in Vaucluse, Parma und Mailand, welche
uns vorgeführt werden, bald wieder werden uns die Schilderungen
Staats- und kirchenpolitischer Situationen entrollt, und andere
Dichtungen endlich versetzen uns in die litterarischen Zustände
und Fehden des Zeitalters der beginnenden Ptenaissance ; in
der einen Epistel finden wir ein flüchtig hingeworfenes Billet,
das etwa eine Einladung zu einem Mittagsmahle enthält, in
einer anderen einen vertraulichen und ausführlichen Freundes-
brief, in einer dritten eine in poetische Form gekleidete Staats-
schrift, in einer vierten endlich eine geharnischte metrische
Streitschrift, die einen böswilligen Kritiker vernichten soll. Es
muss genügen, hingedeutet zu haben, auf diese Vielseitigkeit
des poetischen Epistolariums, denn allzuweit würde ein näheres
Eingehen auf diesen Gegenstand uns führen, und wir dürfen
auch um so eher uns desselben für überhoben erachten,
als wir bereits in unserer Biographie des Dichters an ge-
eigneten Stellen den Inhalt so mancher Epistel reproducirt
haben ^).
Es erübrigt noch ein Wort über die metrische Form der
lateinischen Dichtungen Petrarca's zu sagen. Es muss hier
Aehnliches bemerkt werden, wie über die lateinische Prosa
(vgl. oben S. 537 t) bemerkt worden ist. Petrarca's lateini-
sche Versification ist, vom philologischen Standpunkte aus be-
^ ) Hier wollen wir wenigstens die schönsten und interessantesten Episteln
bezeichnen: I 2 u. 5 (Ermahnung an Benedict XII. zur Rückkehr nach
Rom), I 7 (Geschichte der Liebe Petrarca's zu Laura), I 14 (Verwüstungen
der Pest), II 1 (Dichterkrönung), II 11 u. 18 (gegen „Zoilus" über den
Werth der Poesie), II 17 (Aufenthalt in Selvapiana), 11 19 (Aufenthalt in
Parma), II 26 (Rechtfertigung wegen eines prosodischen Fehlers), III 3
(Zusammensein mit Guglielmo da Pastrengo), III 24 (schönes patriotisches
Gedicht, ebenso II 12), III 27 (Aufenthalt in Parma), III 29 (Pathenbriei
an Marco Visconti).
682 Vierzehntes Capitel.
urtheilt, keineswegs eine tadellose und correcte, sondern weist
Verstösse gegen Prosodie und Metrik in ziemlicher Zahl auf,
selbst, auch principiell durchgeführte Solöcismen i) , aber sie
muss nichtsdestoweniger als glatt, ge^Yan^lt und elegant be-
zeichnet werden. Die Verse machen nie den Eindruck des
Gekünstelten und mühsam Hervorgebrachten, sondern strömen
in natürlichem und freiem Flusse dahin und lassen dadurch
erkennen, wie sie nicht das Product einer ängstlich arbeitenden
Gelehrsamkeit, sondern die leicht von statten gehende Schöpfung
einer keine sprachlichen Schwierigkeiten kennenden poetischen
Thätigkeit sind. Dass Ausnahmen vorkommen — sie sind na-
mentlich in der „Africa" zu finden — , ist nahezu selbstver-
ständlich , aber sie sind doch immer nur vereinzelt und ver-
mögen den allgemeinen Eindnick der Anmuth und Formen-
vollendung, den vdr aus den lateinischen Dichtungen gewinnen,
nicht abzuschwächen.
Seltsam genug ist es, dass Petrarca sich für seine latei-
nische Poesie ausschliesslich des Hexameters bedient, den Ge-
brauch des Distichons dagegen, welches doch dem lyrischen
Grundcharakter der meisten Episteln und Eklogen weit ange-
messener gewesen wäre, consequent verschmäht und ebenso die
eigentlich lyrischen Metren nie angewandt hat ^). Vielleicht
glaubte er sich in der poetischen Form von Virgil nicht
entfernen zu dürfen. Im Baue des Hexameters hat er sich,
und das ist sehr beachtenswerth, die beliebten mittelalterlichen
Spielereien des End- und Binnenreimes, des Akrostichons u. dgl.,
von einer einzigen Ausnahme abgesehen ^) , niemals gestattet,
sondern sich der classischen Einfachheit befleissigt. Zuweilen
hat er — aber auch hierin sind ihm die classischen Dichter
Koms vorangegangen — von der Allitteration Gebrauch ge-
macht (z. B. Afr in 348, IV 163). — In der „Africa" finden
sich in nicht ganz unbeträchtlicher Zahl Halbverse (z. B. III 63« >,
') Das Nähere sehe man b. Corradini, p. 92 f
^) Nur der Brief an Horaz (Ep. Fam. XXIV 7) ist in asklepiadeischem
Metrum geschrieben.
■"•) Ep. I 6 ist in gereimten Hexametern geschrieben.
Die lateinischen Dichtungen. 683
IV 58 u. 388, VI 396, 741 u. 830), wol in Nachahmung der
bekannten Halbverse in der Aeneis und vermuthlich dazu be-
stimmt, Sinnespausen in nachdrucksvoller Weise zu kennzeichnen.
Wir scheiden hiermit von den lateinischen Dichtungen ^),
indem wir hoffen, es werde uns gelungen sein, nachzu-
weisen, dass auch diese einen hohen poetischen und litterar-
geschichtlichen W^erth besitzen und dass die absprechenden
Urtheile, welche man über sie oft fällen zu müssen gemeint
hat ^), durchaus der Berechtigung entbehren.
^) Von einer Besprechung der „sieben ßusspsalmen" dürfen wir ab-
sehen, da dieselben nur aus aneinander gereihten Eeminiscenzen der bib-
lischen Busspsalmen bestehen. Ebenso haben wir keinen Anlass, die „Ge-
bete" Petrarca's (b. Hortis, p. 367 ff.) zu besprechen.
-) Es haben dies z. B. Grillparzer in den „Aesthetischen Studien"
(Sämmtl. Werke, Bd. 9, Abth. 2) und noch neuerdings K. Frenzel in seinem
Buche „Renaissance und Rococo" (Berlin, 1876), welches auch ein Essay
über Petrarca enthält, gethan.
Fünfzelintes Capitel.
Die italienischen Dichtungen.
In der Architektur geschieht es zuweilen, dass die Rück-
sichten auf die Symmetrie mit denen auf das praktische Be-
düifniss in Widerspruch gerathen, dass z. B. die ersteren das
Vorhandensein eines Fensters an einer Stelle erfordern , an
welcher die letzteren das ununterbrochene Fortlaufen des
Mauerwerkes als nothwendig erscheinen lassen. In einem der-
artigen Falle hilft sich dann der Baumeister wol mit dem
Auswege, dass er ein Scheinfenster anbringen lässt und dadurch,
ohne die Rücksicht auf das praktische Bedürfniss zu schädigen,
doch auch den Anforderungen der Symmetrie wenigstens äusser-
lich Genüge leistet. •
Zu einem ähnlichen Verfahren sehen wir uns in diesem
Capitel veranlasst. Eine Betrachtung auch der italienischen
Dichtungen Petrarca's durfte diesem Buche nicht gänzlich
fehlen, wenn wir uns nicht dem Vorwurfe sträflicher Un-
vollständigkeit , der vermuthlich von jedem Leser sofort er-
hoben worden wäre, aussetzen wollten, andererseits aber konnten
wir uns nicht entschliessen , dieses Capitel mit der gleichen
Ausführlichkeit, wie die früheren, zu behandeln. Mehrfache
theils innere theils äussere Gründe Messen es uns vielmehr als
Die italienischen Dichtungen. 685
rathsam und gerechtfertigt erscheinen, uns im Folgenden mit
einigen kurzen und aphoristischen Bemerkungen zu begnügen.
Ueber Petrarca's italienische Dichtungen, über seine Liebe
zu Laura und über Laura's Persönlichkeit ist, namentlich seit-
dem durch de Sade's grosses Werk die Erörterung dieser Fragen
in ein neues Stadium getreten war, bereits so unendlich Vieles
und darunter so Vortreffliches gesagt worden, dass wir, wie wir
gern eingestehen, uns unvermögend fühlen, etwas wesentlich
Neues zu sagen, mit der Wiederholung aber des bereits von
Anderen Gesagten sowol die Leser zu ermüden als auch nutz-
los den bereits nahezu übermässigen Umfang dieses Buches
noch mehr zu erweitern befürchten.
Es kommt hinzu, dass die Kenntniss der in unzähligen
Ausgaben und trefflichen Uebersetzungen verbreiteten italieni-
schen Poesien eine so allgemeine geworden ist, dass ein näheres
Eingehen auf ihren Inhalt und die ausführliche Begründung
eines aesthetischen Urtheiles über sie, wenigstens an diesem
Orte, geradezu Raumverschwendung zu nennen sein würde.
Und überdies werden wir, wenn wir im weiteren Verlaufe
unserer litterargeschichtlichen Erzählung die Lyrik der späteren
Renaissance eingehend besprechen werden, noch einmal auf
Petrarca's Bedeutung für die italienische Dichtkunst zurück-
kommen müssen und wir meinen, dass wir dann erst dieselbe
richtig zu würdigen vermögen werden. Bei der Beurtheilung
der „Petrarkisten" erst werden wir den Maassstab auch für
die Beurtheilung des italienischen Lyrikers Petrarca finden,
denn in den Poesien der ersteren werden wir die charakteristischen
Elemente der Poesie des letzteren im Zustande der vollen
Entwickelung erblicken. Petrarca als italienischer Dichter
darf, wenn der Beurtheiler nicht in Einseitigkeit und schweren
Irrthum verfallen will, nicht für sich allein, sondern nur im
Zusammenhange mit seinen Nachfolgern und Nachahmern be-
trachtet werden. Das Wort „an ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen" gilt in seiner vollen Schärfe auch für Petrarca's
italienische Poesie : nur an ihren Früchten kann sie richtig er-
kannt werden, diese Früchte aber reiften erst später im
586 Fünfzehntes Capitel.
Petrarkismus, und es würde also, ehe wir nicht zu dessen Be-
trachtung gelangt sind, unser Erkennen nur ein sehr mangel-
haftes sein können. — Endlich aber sei auch noch an Eins
erinnert, was wir bereits im Eingange dieses Buches dargelegt
haben. Nicht durch den „Canzoniere"' noch durch die ,,Trionfi",
sondern durch seine lateinischen Schriften ist Petrarca der
Begründer des Humanismus und der Renaissance geworden,
und es besitzen demnach für den Litterarhistoriker der Re-
naissance die erstgenannten italienischen Dichtungen nur eine
verhältnissmässig untergeordnete Bedeutung.
In Erwägung also der soeben dargelegten Gründe, welche
man holfentlich als berechtigt anerkennen wird, verzichten wir.
wenigstens an dieser Stelle, auf eine eingehende Beschäftigung
mit den italienischen Poesien Petrarca"s und beschränken uns
auf die nothwendigsten Bemerkungen. Bei anderen Humanisten,
welche zugleich auch italienische Dichter waren, selbst schon
bei Boccaccio, werden wir uns der gleichen Einseitigkeit nicht
schuldig machen und nicht schuldig machen dürfen, denn bei
diesen würden wir nicht das Recht besitzen, einfach auf die
Arlieiten Anderer verweisen zu können: wie Vieles und Herr-
liches ist über Petrarca's „Rime" und „Trionfi" geschrieben
worden, wie vergleichsweise Weniges und wenig Erschöpfendes
aber etwa über Boccaccio's „Fiammetta" , .,Teseide" und
„Filostrato-'! —
Die unter dem Gesammtnamen des „Canzoniere'" oder der
„Rime" vereinigten lyrischen Dichtungen Petrarca's zerfallen
in 317 Sonette, 29 Canzonen, 9 Sestinen, 7 Ballaten und 4
Madrigale. Von dieser ansehnlichen Gedichtmasse behandeln
nur 26 Sonette und 5 Canzonen \) nicht-erotische Themata,
alle übrigen Lieder aber sowie überdies noch die epischen
Gesänge der „Trionfi'' sind der Verherrlichung Laura's ge-
weiht -). Petrarca's Lyiik ist also ganz vorzugsweise eine
^1 Nach Carducci's Ausg. der ..Rime sopra argomenti storici, morali
e diversi."
-) Hier mögen auch die besten deutschen Uebersetzungen des , .Can-
zoniere ' genannt werden: 1. von Förster 3. Aufl., Leipzig, 1851). 2. von
Die italienischen Dichtungen. 687
Lyrik der Liebe und er selbst wird, insofern er italienischer
Dichter ist, sehr passend der Sänger der Liebe genannt. Selt-
samer Widerspruch, welcher, anscheinend wenigstens, uns hier
entgegentritt! Derselbe Mann, der sich uns in so manchem
seiner lateinischen Werke als ein bis zur Askese strenger
Moralist zeigt und einen bis zur Rohheit sich steigernden
Frauenhass bekennt, er preist in zärtlichen Weisen eines Weibes
Schönheit und Liebreiz ! und derselbe Mann, der mit redlichem
Mühen und angestrengtestem Fleisse den höchsten Zielen des
Wissens nachstrebt und ernste, grundgelehrte Bücher schreibt,
er findet Zeit, Liebessehnen und Liebesschmerz zu empfinden
und in harmonischen Versen sie austönen zu lassen! Wie
ist dieser Widerspruch zu lösen? welcher Art war die Liebe,
welche Petrarca zu seiner Laura empfand? und vor allen
Dingen, wer war diese Laura, welche den gewaltigen Mann ein
und zwanzig Jahre hindurch zu fesseln vermochte und welche
selbst noch nach ihrem Tode lange Jahre hindurch sein innerstes
Empfinden beherrschte? Denn dass diese Laura wirklich und
leibhaftig existirt hat, dass sie nicht bloss eine Abstraction der
dichterischen Phantasie, ein allegorisches Bild des Lorbeer-
baumes (laurus) und der Poesie, oder auch der Tugend oder
der Philosophie gewesen ist, das darf als ganz unzweifelhaft
vorausgesetzt werden. Petrarca selbst hat einmal, als sein
Freund Giacomo Colonna, aber wol auch nur im Scherze,
Laura's reale Existenz angezweifelt hatte, sehr entschieden
gegen die Annahme protestirt, dass er nur eine Schöpfung der
eigenen Phantasie so begeistert Hebe^). Aber freilich er, der
sonst so Gesprächige und in zahlreichen Episteln so gern und
so beredtsam sich Mittheilende, ist überaus zurückhaltend mit
Mittheilungen über seine Liebe und deren Gegenstand. Kaum
dass sich in seinen Freundesbriefen einzelne halb verstohlene
Andeutungen finden, so karg und allgemein gehalten, dass sie
Krigar (2. Aufl., Hannover, 1866). 3. von Kekule u. Biegeleben (Stuttgart,
1844). 4. J. Hübner, Hundert ausgewählte Sonette Petrarca's (Berlinj 1868).
*) Ep. Fam. II 9.
688 Fünfzehntes Capitel.
uns irgend welche Aufklärung nicht gewähren. Auch das in
einigen Eklogen Ausgesprochene geht im Wesentlichen über
vage Allgemeinheiten nicht hinaus und ist überdies so mit
Allegorie durchwoben und verquickt, dass eine Ausschälung
des Sachlichen vielfach ganz unmöglich ist. Verschiedene
Gründe mochten den Dichter zu solcher Zurückhaltung be-
stimmen. In den früheren Jahren, so lange Laura noch lebte,
mochte es zumeist eine leicht erklärliche Rücksicht auf die
Geliebte selbst und deren Familie sein, welche ihm Schweigen
auferlegte, zumal wenn Laura, wie wir annehmen zu müssen
glauben, verheirathet war; in den späteren Jahren aber, nach
Laura's Tode, mochte noch hinzutreten, dass für ihn selbst
Laura immer mehr und mehr von ihrer irdischen Leibhaftig-
keit verlor und sich ihm zu einem Idealwesen verklärte, wobei
ihm dann die Erinnerung an alles Persönliche als unwesentlich
und für seine nunmehrige Auffassung störend erscheinen niusste.
Auch hat man nicht ausser Acht zu lassen, dass kein sittlicher
Mensch seine Jugendliebe dem Publicum in ihrer nackten
Realität enthüllen, sondern bestrebt sein wird, den Schleier
des Mysteriums über sie zu breiten, in ein gewisses geheim-
nissvolles Dunkel sie zu hüllen und sie als etwas Heiliges dar-
zustellen, das man profanen Blicken nicht offenbaren dürfe.
Unseres Wissens wenigstens hat noch kein wahrer Dichter
weder des Alterthums noch der Neuzeit der Mit- und Nach-
welt rückhaltslose Angaben über die Lebens- und Familien-
verhältnisse seiner Geliebten gemacht. Dinge, welche das zar-
teste Empfinden betreffen und dasselbe mit der Realität des
Lebens verbinden, bewahrt überhaupt gern ein Jeder in der
eigenen Brust, und oftmals würde er selbst gern darauf ver-
zichten, sie zu wissen und sich dadurch an die Prosa der All-
täglichkeit erinnern zu lassen.
Nur zweimal hat Petrarca sein Schweigen gebrochen und
ausführlichere, wenn auch immerhin sehr vorsichtig bemessene
Mittheilungen über Laura's Persönlichkeit und über die wahre
Natur seines Verhältnisses zu der Geliebten gemacht. Das
eine Mal, wie wir sahen, in seiner dem heiligen Augustin ab-
Die italienischen Dichtungen. 689
gelegten Seelenbeiclite (vgl. oben S. 639 ff.), das andere Mal aber
in einer für die Kenntniss seines inneren Lebens überaus wich-
tigen poetischen Epistel an seinen vertrauten Jugendfreund
Giacomo Colonna^), welche seltsamerweise von den bisherigen
Biographen des Dichters noch nicht nach Gebühr berücksich-
tigt worden ist,
„Ueberaus theuer ist mir," sagt er in dieser Epistel (v.
37 ff.) 2), „eine Frau (mulier), welche bekannt ist durch ihre
Tugend und ihr altes Geschlecht (sanguine vetusto), meine
Lieder haben sie verherrlicht und weithin ihren Ruhm ver-
breitet. Immer wieder kehrt mein Sinn zu ihr zurück und mit
immer neuem Liebesschmerze bestürmt sie mich und nicht
scheint es, als werde sie auf die Herrschaft über mich ver-
zichten. Nicht durch Künste der Gefallsucht^), sondern durch
natürliche Anmuth und seltene Schönheit der Gestalt hatte
sie mich einst gefesselt. Schon hatte ich ein Jahrzehend mit
ermattetem Nacken die schwere Kette getragen, zürnend, so
lange Jahre das Joch einer Frau erduldet zu haben, schon
war ich durch die schleichende Krankheit der Seele abgezehrt
und zu einem Anderen geworden, schon war die Liebesgluth
mir bis in das innerste Mark gedrungen, schon wünschte ich
den Tod herbei und vermochte kaum noch die entkräfteten
Glieder zu schleppen, da ergriff die Sehnsucht nach Freiheit
des unglücklich Liebenden Herz : ich raffte mich auf und ver-
suchte, gewaltsam das Joch abzuschütteln. Ein schweres Unter-
^) Ep. poet. 17; für unseren Zweck kommen namentlich die Verse
37—116 in Betracht. Als Abfassungszeit der Epistel, deren Text übrigens,
wie er in den baseler Ausgaben vorliegt, ein arg entstellter ist, muss mit
grösster Wahrscheinlichkeit das Jahr 1338 (das Jahr nach Petrarca's Rück-
kehr von der ersten Romreise und seiner Uebersiedelung nach Vaucluse)
angesetzt werden.
-) Wir übersetzen absichtlich nicht wortgetreu, was bei der Wieder-
gabe lateinischer Verse bekanntlich leicht zu Entstellungen des Sinnes,
jedenfalls aber zu einer überaus unbeholfenen Ausdrucksweise führen kann,
indessen hoffen wir, den Sinn getreu wiederzugeben.
^) Im Texte (v. 40) steht artibus haec ullis, dass aber dafür artibus
haec nullis zu lesen sei, ist geradezu selbstverständlich.
Körting, Petrarca. 44
690 Fünfzehntes Capitel.
nehmen wahrlich war es, die Herrin aus dem zehn Jahre inne-
gehabten Sitze des Herzens zu vertreiben und die mächtige
Feindin anzugreifen mit schon geschwächten Kräften. Den-
noch wagt' ich den Angriff, und Gott selbst stand mir bei und
verlieh es mir, den Nacken aus der alten Fessel zu befreien
und aus dem gewaltigen Kampfe als Sieger hervorzugehen.
Die Geliebte aber eilt mir nach wie einem entlaufenen Sklaven
und stürmt trauernd auf mich ein, verborgene Fackeln und
lockende Waffen gebrauchend — ach! wie oft brachte sie den
Schwankenden auf dem betretenen Pfade zu Falle! was sollte
ich nun thun? mit welcher Kunst mich vertheidigen ? wie mich
der drohenden, noch härteren Fesseln, die sie für mich rüstet,
erwehren? Ich fliehe, unstät durchirre ich den ganzen Erd-
kreis, wage die stürmischen Wellen der adriatischen und tus-
cischen See zu durchfurchen und scheue mich nicht, dies dem
Joche der Liebe entrissene Haupt der gebrechlichen Barke
anzuvertrauen, denn warum sollte ich einen vorzeitigen Tod
fürchten, der ich durch Seelenqualen erschöpft und des Lebens
müde bin? Nach dem Westen wende ich mich, und es er-
blickte mich, den im sonnigen Grase sich bergenden, der hoch-
ragende Scheitel des Pyrenäengebirges; es erblickte mich auch
der Ocean dort, wo der von seiner Bahn ermattete Sonnengott
den Feuerwagen abspült in der hesperischen Fluth und wo er,
herabschaiiend auf den durch der Medusa Anblick zu Stein
verhärteten Atlas, die steilen Berggipfel lange Schatten werfen
lässt und die Mauren in eilender Nacht verbirgt. Von hier
wandere ich dem Norden und dem Boreas zu und durchwandle
einsam jene Länder, erfüllt von misstönender Sprachen Gewirr,
wo des britannischen Meeres trübe Welle nur erst halb be-
kannte Küsten mit wechselnder Woge bespült und wo dei-
eisige Boden dem befreundeten Pfluge den Gehorsam versagt
und den Weinstock von den Hügeln fern hält^). Allmählich
besänftigte sich mir auf der Reise der Leidenschaft Woge;
^) Diese Stelle („unstät durcbiire ich — fern hält") haben wir bereits
oben (S. 119 f) in einem anderen Zusammenhange citirt und besprochen.
Die italienischen Dichtungen. 691
Schmerz, Zorn und Furcht begannen zu schwinden, zuweilen
schon schloss mir ein ruhiger Schlummer die feuchten Augen-
lider und ein ungewohntes Lächeln erhellte mein Antlitz, schon
lebte in meiner Erinnerung weniger bedrohend und weniger
gebietend der verlassenen Geliebten Bild. Ach! was soll ich
das berichten? Doch Du zwingst mich dazu. Schon glaubte
ich, vor der sinnbethörenden Liebe gesichert zu sein und die
schmerzende Wunde und den Stachel der Leidenschaft ver-
achten zu dürfen: es täuschte mich die oberflächlich vernarbte
Wunde und die ungewohnte Unterbrechung des Schmerzes.
Zum sicheren Tode kehrt' ich zurück: so wollte es das grau-
same Verhängniss, so stürzte mein Irren meinen Geist in's
Verderben. Kaum hatte ich das Gebiet der theuren Stadt
wieder betreten, als die frühere Sorgenlast wieder die freie
Brust umfing, als die rasende Krankheit aufs Neue mich befiel.
Was soll ich sagen ? womit soll ich Elender des zweiten thränen-
reichen Leides Erzählung beginnen? denn wer würde mir es
glauben und durch welche Kunst des Gesanges vermöchte ich
es zu berichten, wie oft der Schmerz mich antrieb, den Tod
herbeizuflehen und auf Schlimmeres noch zu sinnen, und welche
Pein mir das abermalige Eingen nach Erlösung schuf? Ich
halte also inne — aber nachdem ich endlich die letzten Fesseln
von meinem Nacken abgestreift, ist meine ganze Hoffnung einzig
auf die Flucht gewandt, und nicht fürchtet mit solchem Ent-
setzen der Schiffer in der Naclit eine Klippe, wie ich jetzt der
Geliebten Antlitz und ihr herzbewegendes Sprechen, ihr gold-
gelocktes Haupt und ihren schneeweissen Hals, den eine Kette
schmückt, ihren reizenden Nacken und ihre süssen Tod spen-
denden Augen. Denn was sollte ich beginnen und welcher
erzürnten Gottheit zum dritten Male vergebliche Gelübde
weihen ? Während ich von solchen Sorgen belastet im Gemüthe
Alles bedachte, erschaute ich von fern an verborgenem Ge-
stade diesen Fels und glaubte hier in meinem Schiffbruch
Sicherheit zu finden. Hierher also richtete ich die Fahrt und
beweine nun im abgeschiedenen Thale die Jahre der ver-
gangenen Zeit. Doch die Geliebte verfolgt mich auch hier und
44*
692 Fünfzehntes Capitel.
mich als ihr Gebiet beanspruchend ^) , erscheint sie bald des
Wachenden Augen und bald wieder scheucht sie in traum-
haftem Schrecken mit drohendem Antlitz den flüchtigen Schlum-
mer, Oft auch tritt sie — wunderbar! — trotz der dreifach
verschlossenen Pforte -) um Mitternacht in mein Schlafgemach
und fordert siegesbewusst mich als ihren Sklaven zurück. Dann
erstarren mir die Glieder und aus allen Adern strömt mein
Blut zum Schutze des Herzens zusammen, und ich zweifle
nicht, dass, wenn Jemand mit einer Leuchte an mich heran-
träte, er in meinem Angesichte grauenhafte Blässe entdecken
würde und wahrnehmen, wie die Seele das Nahen neuen Un-
heiles schaudernd empfindet. Erschreckt erwache ich, in Thrä-
nen gebadet, und springe vom Lager empor und, bevor noch
die Morgenröthe den Himmel erleuchtet, verlasse ich das mir
furchtbar gewordene Haus, durchirre Berge und Haine und
blicke immer scheu mich um, ob nicht etwa die, welche den
Schlummernden aufscheuchte, auch dem Wandelnden begegene.
Kaum wird man es glauben dürfen, wenn ich dieser Verfolgung
jemals entrinnen sollte! Oft, wenn ich in unwegsamen Wäldern
ganz allein zu sein vermeine, da zeigen mir die im Lufthauch
schwankenden Gebüsche und der Stamm der einsam stehen-
den Eiche ihr Angesicht, aus der Fluth der Quelle taucht mir
ihr Bild empor, in den Wolken, in der leeren Luft und selbst
im harten Gesteine glaube ich sie zu erblicken, und Furcht
hemmt meinen zweifelnden Schritt, Solche Netze stellt Amor
mir und keine Hoffnung darf ich ferner hegen, wenn nicht der
allmächtige Gott mich, den in der wirbelnden Fluth Ermatteten,
erlöst und, nachdem er der Macht des Feindes mich entrissen,
mir wenigstens in diesem Verstecke Sicherheit vergönnt."
Wer w-ar nun diese schöne Feindin des Dichters, aus deren
Fesseln er so vergebens sich zu lösen strebte?
1) So darf man vielleicht „sua rura retentans" übersetzen , denn unter
„sua rura" Vaucluse verstehen zu wollen, was an sich näher läge, würde
unstatthaft sein, da uns Nichts zu der Annahme berechtigt, dass Laura,
bezw. ihr Gatte, in Vaucluse Landbesitz gehabt habe.
-) Für „ter lumine clauso" des Textes lesen wir „ter limine clauso".
1
Die italienischen Dichtungen. 693
Mannigfache Vermuthiingen , welche hier zu wiederholen
ebenso zwecklos als ermüdend sein würde, sind hierüber von
den früheren Biographen und Erklärern Petrarca's aufgestellt
worden, Vermuthungen, welche schon um desswillen unhaltbar
sein mussten, weil sie sich lediglich entweder auf jeder Be-
glaubigung entbehrende Localtraditionen in Avignon-Vaucluse
oder auf mehr oder minder willkürliche Deutungen einzelner
Stellen des „Canzoniere" und vielleicht auch der Eklogen und
Episteln stützten. Eine wirklich begründete Beantwortung
der Frage hat zuerst de Sade in seinem bekannten Werke
über Petrarca (1764—67, vergl. oben S. 39) zu geben versucht.
Die von ihm aufgestellte Hypothese lässt sich etwa folgender-
maassen kurz zusammenfassen.
Laura wurde als Tochter eines Edelmannes Audibert de
Noves ^) und dessen Gattin Ermessende ungefähr im Jahre 1307
geboren. Am 16. Januar 1325 vermählte sie sich mit einem
gewissen Hugo de Sade, dem Sohne eines angesehenen und
wiederholt mit dem Amte eines städtischen Syndicus betrauten
Mannes zu Avignon. Die Trauung erfolgte in der Marienkirche
zu Avignon, und als Mitgift erhielt Laura in Folge testamen-
tarischer Verfügung ihres bereits etwa im Jahre 1320 ver-
storbenen Vaters die erkleckliche Summe von .,6000 tournois
ä l'o rond'' ^) sowie zwei Anzüge (einen grünen und einen
scharlachfarbenen) , einen silbernen Kranz im Werthe von
20 Goldgulden, ein Bett und Alles, was sonst zur standes-
gemässen Ausstattung gehörte. Laura gebar ihrem Gatten
11 Kinder und starb nach einer 23jährigen Ehe am 6. April
1348 zu Avignon als ein Opfer der damals grassirenden Pest,
nachdem sie am 3. April ihr Testament gemacht hatte. Be-
graben wurde sie in der vorstädtisehen Franciscanerkirche ^).
^) Noves „gros bourg situe en Provence, ä deux lieues d' Avignon, dont
il est separe par la Durance". de Sade I p. 128.
'^) de Sade setzt diese Summe derjenigen von 80,000 Livres gleich
(es würden dies ungefähr 60,000 Mark sein).
^) Auf das letztere deutet auch Petrarca selbst Ekl. 11, v. 10 ff. hin.
Im Jahre 1533 soll Laura's Grab von dem Florentiner Geronimo Manelli
694 Fünfzehntes Capitel.
Den Beweis seiner Behauptungen gründet de Sade auf
zahlreiche Urkunden, welche er in dem Archive seiner Familie
aufgefunden zu haben versichert und welche er in den seinem
Werke beigegebenen „pieces justificatives" im Wortlaute mit-
theilt. Es ist aber mit diesen Urkunden eine sehr missliche
Sache : man kann ihre Aechtheit nicht gerade mit ganz posi-
tiven und unwiderleglichen Gründen anzweifeln, schon desshalb
nicht, weil die Originale nicht mehr vorhanden sind, aber eben-
sowenig lässt sich ihre Authenticität irgendwie erhärten und
beweisen, denn dass de Sade selbst die Documente von Rechts-
gelehrten und angesehenen Bürgern Avig-nons als acht be-
glaubigen liess , ist weit eher geeignet , Misstrauen , als Ver-
trauen zu erwecken, oder kann uns, wenn wir den Stand der
Urkundenkritik im achtzehnten Jahrhunderte bedenken, doch
mindestens nicht als eine genügende Gewähr erscheinen. Ver-
dächtig ist gerade die grosse Ausführlichkeit der Documente
und ihre schöne Uebereinstimmung mit allen den Angaben
über Laura's Persönlichkeit und Schicksale, welche man —
es bleibe dahingestellt, mit welchem Rechte — aus dem
.,Canzoniere" und den „Trionfi" hat herauslesen wollen. Arg-
wöhnisch muss auch der Umstand machen, dass de Sade ein-
gestandenermaassen in dem Nachweise, dass Petrarca's Laura
die Aeltermutter seines eigenen Geschlechtes sei, die Befrie-
digung eines persönlichen Ehrgeizes suchte und fand. Verdachts-
gründe liegen also gewiss vor, und so hart es auch scheinen
mag, zu argwöhnen, dass ein ohne allen Zweifel hochgelehrter
und jedenfalls auch um die Wissenschaft sehr verdienter Mann,
wie de Sade, gleichwol ein Betrüger gewesen sein könnte, so
muss man andererseits doch bedenken, dass die historische
Kritik sich eben nur von sachlichen Gründen und nicht von
wieder entdeckt und geöffnet worden sein Im Inneren fand man angeblich
ein auf einem Pergamentstreifen geschriebenes Sonett, dessen poetischer
und sprachlicher Werth ein überaus fragwürdiger ist. In demselben Jahre
soll auch König Franz I. das Grab wieder haben eröffnen lassen und bei
dieser Gelegenheit das bekannte kleine Gedicht zu Ehren Laura's verfasst
haben. Das Nähere sehe man bei Blanc, a. a. 0. p. 231.
Die italienischen Dichtungen. 695
Gefühlen leiten lassen darf, mögen diese an sieh auch noch so
löblich und ehrenwerth sein, und ferner hat man zu erwägen,
dass Beispiele von zu Betrügern gewordenen Gelehrten leider
in der Geschichte der Wissenschaft keineswegs so selten sind,
und dass demnach de Sade's Tugend mindestens nicht als ein
Axiom und als etwas über jeden Zweifel Erhabenes voraus-
gesetzt werden darf. Wir nehmen indessen, so wenig wir auch
an die Aechtheit der de Sade'schen Documente zu glauben
vermögen, doch aus zwei Gründen davon Abstand, eine An-
klage auf Fälschung gegen de Sade zu richten. Einmal, weil
es uns sehr wohl möglich erscheint, dass de Sade nicht der
Betrüger, sondern der Betrogene war. Die Tradition nämlich,
dass Laura der Familie der de Sade angehört habe , ist eine
sehr alte — bereits im Beginne des sechszehnten Jahrhunderts
fand sie Alessandro Vellutello in Avignon festgewurzelt — und
denkbar ist es also, dass, um sie zu stützen, bereits frühzeitig
Documente, vielleicht mit Zugrundelegung vorhandener ächter,
geschmiedet wurden, welche dann der Petrarcabiograph de Sade
in der That in seinem Familienarchive finden und in gutem
Glauben für authentisch halten konnte. Sodann aber ist die
Frage nach der Aechtheit oder Unächtheit der betreffenden
Urkunden im letzten Grunde für die Sache ganz gegenstands-
los. Denn im Falle der unzweifelhaften Aechtheit der Docu-
mente wird durch diese doch nichts weiter bewiesen, als dass
eine gewisse Laura de Sade, geborene de Noves, als Mutter
von elf Kindern (sieben Söhnen und vier Töchtern) am 6. April
1348 im Alter von 41 Jahren zu Avignon starb, dass aber
diese Laura oder Laurette de Sade mit der von Petrarca be-
sungenen identisch sei, ist damit noch durchaus nicht fest-
gestellt, so gern man auch zugeben mag, dass eine solche
Annahme sehr naheliegend und selbst bis zu einem gewissen
Grade wahrscheinlich sei, zumal, wie bereits erwähnt ward,
eine alte Tradition Laura zu einer de Sade macht, obschon
dabei doch auch zu bedenken ist, dass bekanntlich sehr häufig
in einer und derselben Familie der gleiche Vorname von ver-
schiedenen Gliedern getragen wird.
696 Fünfzehntes Capitel.
Die Hypothese de Sade's ist, weil sie die einzige war.
welche wenigstens den Schein einer urkundlichen Begründung
für sich hatte , bis auf die neueste Zeit hin so ziemlich all-
gemein — selbst von Männern wie Tiraboschi, Baldelli, Fra-
cassetti, Zefirino Re und Mezieres — angenommen worden, in-
dessen hat es ihr doch auch an Widerspruch nicht gefehlt.
Namentlich haben mehrere der bedeutendsten Forscher, vor-
zugsweise wol durch ein gewisses ästhetisches Gefühl be-
stimmt, daran Anstoss genommen, dass Laura eine verheirathete
Frau und Mutter zahlreicher Kinder gewesen sein soll, und
sind in Folge dessen mit scharfen und gewandt geführten
Waffen für die Jungfräulichkeit Laura's in die Schranken ge-
treten, so namentlich der Engländer Lord Woodhouselee ^), der
grosse Petrarcakenner und Petrarcabibliograph Marsand ^) ,
Blanc in seiner vortrefflichen biographischen Skizze (Ersch und
Gruber's Encycl. S. IIL Th. 19 S. 228 tf.) und ganz neuerdings
noch L. Geiger in seinem trefflichen Buche über Petrarca
(S. 215 ff. u. 274 f.) ^); wir meinen indessen doch, dass dieser
zu Gunsten der Jungfräulichkeit unternommene Feldzug ein
ergebnissloser gewesen ist, und wenn von irgend einer der von
de Sade aufgestellten Thatsachen, so sind wir davon überzeugt,
dass Laura verheirathet war. Wir verzichten bei der Be-
gründung dieser unserer Ueberzeugung gern darauf, uns auf
die oben (S. 639) besprochene Stelle des dritten Gespräches
über die Weltverachtung zu berufen, durch welche, wenn die
Lesart „partubus" als die richtige angenommen werden könnte,
wenigstens Laura's Mutterschaft unwiderleglich bewiesen sein
würde, wir verzichten auch darauf, in den Kränzen, edlen
Steinen und Perlen , mit denen Petrarca in verschiedenen So-
netten seine Geliebte geschmückt sein lässt, einen Beweis ihres
Frauenthums zu erblicken, wie in sehr anfechtbarer Weise
*) In der Schi'ift ,,An historical and critical essay on the life and clia-
racter of Petrarch" (Edinburgh, 1810).
*) Biblioteca petrarchesca (Mailand, 1826), p. 231 ff.
^) Ausserdem seien noch genannt Costaing de Pusignan und Salvator
Betti (La Laura del P., Modena, 1866).
Die italienischen Dichtungen. 607
de Sade es gethan hat, und wir verzichten endlich darauf,
aus der Begleitung Laura's im „trionfo della castitä" irgend
welche Folgerungen ziehen zu wollen. Für entscheidend da-
gegen halten wir die wiederholt^) ausgesprochene Klage des
Dichters, dass die Eifersucht eines Anderen ihm des Anblicks
der Geliebten beraube, denn wer könnte dieser Andere wol
sonst sein, als eben ein eifersüchtiger Gatte? Von grossem
Gewichte scheint es uns ferner zu sein, dass Laura an mehre-
ren Stellen, besonders aber in der oben (S. 689) mitgetheilten
Epistel an Giacomo Colonna, von Petrarca ausdrücklich als
„mulier" bezeichnet wird. Allerdings braucht Petrarca mehr-
fach auch Bezeichnungen, welche für die Jungfräulichkeit zu
sprechen scheinen, aber, ganz abgesehen davon, dass Renaissance-
dichter oft genug verheirathete Frauen als Jungfrauen be-
zeichnet haben, so lassen die betreffenden einzelnen Stellen
sämmtlich eine leichte Erklärung zu^), so dass auf sie der
Beweis für Laura's Jungfräulichkeit sich schwerlich fernerhin
wird stützen können. Wir glauben demnach, dass Laura in
der That vermählt gewesen ist, und können dann auch Nichts
erblicken, was irgendwie auffällig oder anstössig wäre. Nach
unserer gegenwärtigen deutschen Auffassung und Anschauungs-
weise mag es uns ja allerdings seltsam genug" erscheinen, dass
ein Dichter eine verheirathete Frau und nicht ein junges Mäd-
chen zum Gegenstande seiner Verehrung macht und unver-
1) Son. 144. 162 u. 167.
-) Wenn in Ekl. VIII v. 75 der Hirt Amyclas (= Petrarca) seine Ge-
liebte (= Laura) „puella" nennt, so geschieht das eben der Fiction zu
Liebe und nach dem Vorgange Virgil's, der in seinen Eklogen die Hirten
stets nur Mädchen, nicht Frauen lieben lässt. In Ekl. III konnte, wenn
der Dichter nicht gegen alle Mythologie sich versündigen wollte, Daphne
selbstverständlich nur als Mädchen dargestellt werden. Wenn im dritten
Gespräche über die Weltverachtung Augustin die jugendliche Laura „ado-
lescentula" nennt, so geschieht dies offenbar nur, weil ein anderer Gegen-
satz zu dem vorhergehenden „anus" nicht vorhanden war, denn „mulier-
cula" hätte einen komischen Beigeschmack gehabt. Die Hindin in Sonett
188 (157) soll nur frei von der Liebe sein, nicht von der Ehe. In Canzone
12 (15) v. 49 ff. aber sagt Petrarca nur, dass er Laura's Schönheit besser
als irgend ein Anderer erkannt habe.
698 Fünfzehntes Capitel.
(Irossen Liebeslieder an sie richtet, denn wii- müssen sofort
daran denken, dass eine solche Liebe unter normalen Ver-
hältnissen und unter der Voraussetzung der Sittlichkeit auf
beiden Seiten von vornherein eine hoffnungslose ist und bleiben
muss. Aber man erinnere sich, dass Petrarca und Laura nicht
in Deutschland und nicht im neunzehnten Jahrhundert, sondern
in Frankreich und im vierzehnten Jahrhundert lebten, und das
Räthsel wird sich mühelos lösen. In Frankreich und überhaupt
in den romanischen Ländern ist es, wenigstens in den so-
genannten besseren Ständen, noch gegenwärtig herrschende
Sitte, dass die jungen Mädchen ihre Erziehung in einem Kloster
erhalten und, wenn sie nach Beendigung derselben das Kloster
verlassen, oft sehr bald eine Convenienzehe eingehen. Die
jungen Mädchen werden hierdurch von dem gesellschaftlichen
Leben fern gehalten und treten erst als junge Frauen in dieses
ein. Die natürliche Folge hiervon ist, dass die Huldigungen
der Männerwelt vorzugsweise den jungen Frauen gewidmet
werden, welche denn auch, da sie nicht nach eigener Wahl
und Neigung sich vermählen durften, oft nur allzu bereit sind,
Liebesanträge zu erhören. Das Herz will eben sein Recht
haben, und wird ihm dieses vor der Ehe nicht gewährt, so er-
hebt es später nur um so lauter seine Ansprüche. Bekannt
ist ja, dass, während der deutsche Roman meist mit der Heirath
abzuschliessen pflegt, der französische in dei' Regel damit be-
ginnt und dann freilich den Ehebruch erzählt. So ist es in der
Gegenwart und so war es, nur in noch erhöhtem Grade, im Mittel-
alter. Die Troubadours und die Minnesänger haben fast aus-
nahmslos nur den Frauen, nicht den Mädchen, ihr Herz und ihr
Lied geweiht. Vielfach freilich war dieser Minnedienst nur eine
conventioneile Form, oft genug aber war er auch ernsthaft
gemeint, im letzteren Falle steigerte er sich bei idealen Naturen
zum schwärmerischen Piatonismus, während er bei leiden-
schaftlichen Sinnesmenschen einfach mit dem Ehebruche endete
und enden musste.
Wenn also Petrarca für eine verheirathete Frau glühte, so
war dies ganz angemessen dem Geiste und den Verhältnissen
Die italienischen Diebtungen. 699
der Zeit und des Landes, in welcher und in welchem er lebte, und
weit entfernt, dass seine Handlungsweise etwas Auffälliges gehabt
hätte, würde sie vielmehr auffällig gewesen sein, wenn sie anders
gewesen wäre, wenn seine Liebe einem Mädchen gegolten hätte. Er
selbst scheint sich darüber, dass er die Gattin eines Anderen liebte,
nie irgend welche Gewissensbedenken gemacht zu haben, nur die
Liebe selbst erschien ihm in melancholischen Stunden als etwas
Sündiges, von dem er sich seines Seelenheiles wegen befreien
müsse. Den Gedanken aber, Laura etwa ihrem Gatten zu ent-
reissen und selbst mit ihr die Ehe einzugehen — Avas er viel-
leicht, trotzdem dass er dem geistlichen Stande angehörte, bei
den damaligen kirchlichen Zuständen durch die Vermittelung
der Curie hätte ermöglichen können — , diesen Gedanken hat
er ganz sicherlich nie gehegt, ja man darf wol mit der grössten
Zuversicht behaupten, dass, wenn etwa eine gütige Fee ihm
seine angebetete Laura als Gattin hätte zuführen wollen, er
dagegen eifrig und entschieden protestii-t haben würde. Er
war viel zu sehr Egoist, als dass er in der Ehe, welche ja
stets eine gewisse Selbstverleugnung und Selbstaufopferungs-
fähigkeit zur Pflicht macht, ein Glück hätte erblicken können,
und er betrachtete dieselbe vielmehr als unvereinbar mit einem
der Wissenschaft und idealen Bestrebungen gewidmeten Leben
und als eine überaus lästige Beschränkung der persönlichen
Freiheit ^). Er war ein begeisterter , ja geradezu fanatischer
Cölibatär.
Beklagt muss es aber doch werden, dass Petrarca, der in
so vielen und wesentlichen Beziehungen aus den Anschauungen
seines Zeitalters heraustrat, dies nicht auch in Beziehung auf
die Liebe gethan hat. Seine hoffnungslose Liebe zu der ver-
heiratheten Laura war doch im letzten Grunde eine unnatür-
liche und selbst unsittliche Leidenschaft, deren Einwirkung
auf ihn und sein poetisches Schaffen vielfach keine heilsame
sein konnte : diese Leidenschaft musste, und das gerade um so
') vgl. oben S. 549 f. u. 555 f.; man vgl. ferner Ep. Farn. V 14 XX
4. XXII 1. Sen. X 3 u. XIV 4.
700 Fünfzehntes Capitel.
mehr, je aufrichtiger sie war, ihn mit sich selbst in Zwiespalt
bringen, sein Inneres zerreissen und ihm die Möglichkeit be-
nehmen, zu einem wirklich harmonischen und ihn selbst be-
friedigenden Abschlüsse seiner Entwickelung zu gelangen. Eine
reine Liebe zu einem Mädchen würde, selbst wenn sie ohne
Gegenliebe geblieben wäre und ihr naturgemässes Ziel, die
Ehe, nicht erreicht hätte, läuternd und versöhnend auf ihn
eingewirkt und ihn noch mehr, als er selbst ohne dies es
zu thun vermocht hat, zu der Höhe der Menschheit erhoben
haben. —
V/ir kehren zu Laura's Persönlichkeit zurück. Was wir
über dieselbe wirklich wissen, lässt sich nach dem früher Er-
örterten in folgende, wenige Worte zusammenfassen: sie stammte
aus vornehmem Geschlecht, sie war verheirathet — doch lässt
sich weder angeben, wer ihr Gatte, noch ob sie Mutter w^ar — .
Petrarca sah sie zum ersten Male am 6. April 1327, welcher
Tag aber, wie chronologisch feststeht, kein Charfreitag war, in
der St. Clarakirche zu Avignon und widmete ihr bis zu ihrem
Tode, einundzwanzig Jahre hindurch, seine Liebe; sie bewies
sich gegen den Dichter freundlich und verkehrte mit ihm
zwanglos in den damals üblichen geselligen Formen, aber ohne
jemals ihm Gegenliebe zu gewähren oder doch ihm dieselbe ein-
zugestehen, wenn sie auch mindestens freundschaftliche Zunei-
gung für ihn gefühlt und ihm dies auch nicht verheimlicht hat:
sie starb am 6. April. 1348 zu Avignon und wurde noch am Abend
desselben Tages in der Minoritenkirche begraben'). Hierzu
kommen noch vereinzelte und zum Theil widerspruchsvolle, jeden-
falls aber für die Litteraturgeschichte höchst gleichgültige An-
gaben über die Farbe ihrer Haare und Augen, über ihren
Kopfschmuck und ihre Kleidung, über die Lage ihres Wohn-
^) Laura's Geburtsort nennt Petrarca niemals ausdrücklich, aber er
bezeichnet ihn Son. 4 als „picciol borgo" u. Trionf. della morte II v. 165
als „troppo umil terren". Wir meinen, dass dies verächtliche Bezeich-
nungen für das dem Dichter so verhasste Avignon sein sollen: es missfiel
Petrarca, dass die Geliebte dort und nicht in Rom oder doch in Italien
geboreri worden war.
Die italienischen Dichtungen. 701
hauses, über gelegentliche kleine Erkrankungen u. dgl. , An-
gaben, welche sämnitlich im „Canzoniere" sich finden und auf
welche näher einzugehen hier, wo wir nicht einen Commentar
zu demselben schreiben wollen, unsere Aufgabe nicht sein
kann. Petrarca hatte sich von dem berühmten Maler Simone
Memmi aus Siena, als dieser im Jahre 1336 oder 1339, mit
Aufträgen des Papstes betraut, in Avignon sich aufhielt, ein
Bildniss Laura's malen lassen, welches er immer bei sich trug
(vgl. Son. 49, 50 u. 86, und oben S. 642). Von den drei ge-
genwärtig noch erhaltenen Bildnissen Laura's — ein grösseres
Gemälde auf einer Holztafel, jetzt im Besitz der Signora
Isabella Bellanti zu Florenz befindlich, ein der Famihe Peruzzi
gehöriges Marmorbasrelief und endlich ein Miniaturbild in einem
Canzoniere-Codex der florentiner Laurenziana — kann, schon
aus leicht ersichtlichen äusseren Gründen, keins mit dem von
Memmi gefertigten identisch sein und folglich auch keins darauf
Anspruch erheben, uns die Züge der gefeierten Frau in authen-
tischer Weise zu vergegenwärtigen ^).
Die Geschichte der Liebe Petrarca's würde mit grosser
Ausführlichkeit sich erzählen lassen, wenn es nur möglich wäre,
die ursprüngliche chronologische Ordnung der einzelnen Lieder
wiederherzustellen. Dies aber muss, trotzdem dass eine nicht
geringe Anzahl vom Dichter selbst datirt ist, als völlig un-
möglich bezeichnet werden, wenigstens haben alle Versuche,
welche bis jetzt dazu gemacht worden sind, nur zu phanta-
stischen Hypothesen geführt und den Ausgangspunkt für ganz
romanhafte Erzählungen abgegeben.
Höchst wahrscheinlich hat der Dichter selbst, der lange
Jahre an diesen Liedern feilte, die chronologische Reihenfolge
derselben verschoben, zum Theil vielleicht absichtlich, um dem
Gesammtwerke eine grössere innere Einheit zu geben und es
nicht als ein blosses poetisches Tagebuch erscheinen zu lassen,
zum Theil aber vielleicht auch unwissentlich, da ihm in späteren
Jahren die Erinnerung an alle die kleinen Einzelheiten seines
^) vgl. Fracassetti, Lett. Farn. II 383 ff. und die dort citirten Bücher.
702 Fünzfehntes Capitel.
längst abgeschlossen hinter ihm liegenden Liebeslebens nicht
mehr durchgängig treu sein konnte.
Wir müssen demnach darauf verzichten, die Geschichte
der Liebe Petrarca's zu schreiben, nicht jedoch darauf, diese
Liebe in Kürze zu charakterisiren *).
Petrarca liebte Laura wahr und aufrichtig und mit jener
vollen sinnlichen Leidenschaft, welche wir bei einem Manne,
der so oft über sein heisses Blut und seinen Hang zur Sinnlich-
keit geklagt hat ^) , als selbstverständlich voraussetzen dürfen.
Nicht sein Verdienst wahrlich ist es gewesen, dass das Liebes-
verhältniss ein platonisches blieb und nicht zu einem ver-
brecherischen wurde, sondern allein Laura's Tugend hatte er,
wie er selbst offen bekannt hat (vgl. oben S. 642), die Er-
haltung der eigenen Tugend zu danken und nur nothgedrungen
und sehr gegen seinen Willen musste er am Piatonismus der
Neigung sich genügen lassen. Aber nicht ungestraft wider-
strebt man der Natur. Indem Petrarca's Leidenschaft, wie er
von vornherein erkennen musste, weder in der Ehe ihren natur-
gemässesten und sittlichsten Abschluss erreichen, noch auch, wie
er nach langem, vergeblichen Hoffen sich doch endlich über-
zeugen musste, ausser der Ehe eine wenigstens natürliche Be-
friedigung finden konnte, wurde sie ihm zur inneren Qual und
Pein. Die Liebe war für ihn , so lange er noch nicht jeden
Wunsch unterdrückt hatte, nicht die mild erwärmende, das
Leben freudvoll erleuchtende Flamme, sondern eine sein Lmeres
brennende und verzehrende Gluth, die ihm nicht Ruh' noch
liast gönnte und vor welcher er vergebens in die Einsamkeit
sich flüchtete, welche vergebens auf weiten Reisen zu kühlen und
zu verlöschen er sich bemühte. Angstvoll strebte er immer nach
') lieber die Art der Liebe Petrarca's vgl. u. A. namentlich Mezieres,
p. 40 — 41, Geiger, p. 220 — 231, u. Henri Blaze de Bury, ,,Laure de Noves"
in der Revue des Deux Mondes v. 15. Juli 1874; selbstverständlich auch
de Sade, Ginguene u. Meneghelli (Opere t. III Padua, 1831). Am besten
hat aber das Thema wol behandelt F. de Sanctis in seinem „Saggio critico
sul Petrarca" (Neapel, 1869), nur ist leider die Form dieses Buches etwas
wunderlich und verworren.
') vgl. besonders Ep. ad post. p. 2 f.
Die italienischen Dichtungen. 703
Heilung, aber immer, wenn er gewähnt hatte, dass sie ihm
beschieden worden sei, musste er erkennen, wie trügerisch
sein Glaube gewesen, und musste fühlen, wie die Wunde,
kaum oberflächlich vernarbt, bei der geringsten Berührung
wieder aufriss und um so empfindlicher schmerzte. Anderes
noch kam hinzu, seine Qual zu steigern. Die Liebe zu dem
sterblichen Weibe erschien ihm , dem in mittelalterlicher
Gläubigkeit Befangenen, als eine Sünde, als ein Verbrechen
gegen Gott, der allein ein Recht auf seine Liebe und auf
seinen Dienst besitze. So rang er mit der ganzen Verzweiflung
eines von Gewissenspein gequälten Herzens nach Erlösung von
seiner Leidenschaft, und doch wurde diese Erlösung ihm nie
zu Theil und konnte ihm nicht zu Theil werden , denn so
gläubig er auch war und sein wollte, er war doch nicht gläubig
genug, um die menschliche Natur in sich besiegen, um das
eigene Ich ertödten zu können. Es kämpften in ihm der
mittelalterliche und der moderne Mensch und keiner durfte des
vollen Sieges sich rühmen, und gerade das machte den Kampf
so schwer und schmerzensreich. Auch in seiner Liebe, in
seinem innersten Fühlen, stand Petrarca auf der Grenze zweier
Zeitalter, und auch in seiner Liebe mischten sich seltsam die
mittelalterlichen und die modernen Elemente. Daher das
Räthselhafte, Dunkele und Vieldeutige, welches Petrarca's Liebes-
leben, wie es im „Canzoniere" sich offenbart, an sich trägt:
viele Lieder sind so klar und durchsichtig, sie reden so un-
mittelbar zu unserem Herzen und leihen nur solchen Gefühlen
Ausdruck, welche auch wir in der eigenen Brust empfinden,
wenn wir je geliebt ; in anderen Liedern dagegen ist der Gedanke
für uns wie mit einem dichten Schleier umsponnen, und wenn es
uns gehngt, diesen Schleier zu heben, so erscheint uns der
Gedanke so fremdartig und seltsam , lässt uns so kalt und
theilnahmlos und kann uns sogar fast irre machen an dem be-
wunderten Dichter. Der „Canzoniere" ist eben ein zwiespältiges
W^erk, an welchem der mittelalterliche und der moderne Mensch
in Petrarca gleichen Antheil haben. Gewiss wird durch diese
Zwiespältigkeit das ästhetische Behagen an Petrarca's „Birne"
704 Fünfzehntes Capitel.
verkümmert — es wird kaum einen Petrarcaverehrer geben,
dem alle Sonette und Canzonen sympathisch sind, sondern es
trifft eben ein Jeder seine Auswahl — . aber andererseits ge-
winnen dieselben eben dadurch eine eminente Wichtigkeit für
die Geistesgeschichte der abendländischen Menschheit: sie sind
das einzige poetische Denkmal einer hochbedeutenden Ueber-
gangszeit. Wir sehen im „Canzoniere" den üebergangsprocess
vom mittelalterlichen zum modernen Empfinden vor unsern
Augen sich vollziehen.
In die Unmöglichkeit versetzt , ihren naturgemässen Zielen
nachstreben zu dürfen, wurde Petrarca's Liebe auf Bahnen ab-
gelenkt, welche geradezu als ungesund bezeichnet werden
müssen. Wo berechtigte physische Strebungen gewaltsam unter-
drückt werden, da krankt dann auch das psychische Empfin-
den. So steigerte sich Petrarca's ursprünglich gesundes und
natürliches Fühlen allmählich zu einer hyperidealen und mysti-
schen Schwärmerei, welche nur gar zu sehr an den in Kloster-
zellen so üppig gedeihenden schwärmerischen und visionären
Mysticismus erinnert. Die Geliebte hörte für ihn auf ein Weib
und ein Mensch zu sein, sie wurde zur Göttin, zur Heiligen,
zu einer Abstraction alles Gutei' und Schönen erhoben, und als
sie gestorben war, da lebte sie als überirdisches Wesen für den
Dichter fort, sie erschien ihm in verklärter Gestalt, sie stieg
gleich einem Schutzengel aus dem Himmel zu ihm nieder und
spendete ihm mit liebevollem Zuspruch Trost und Mahnung.
Das war eine Apotheose, welche, wenn sie auch vielleicht
Einigen hochpoetisch erscheinen mag, in Wirklichkeit doch
eine arge psychische und poetische Verirrung war. Die
mystische Schwärmerei zeugte aber noch anderes Unheil, in-
dem sie sich einerseits mit der Allegorie und andererseits mit
dem reflectirenden Verstände verband. Dadurch wurden Ele-
mente in Petrarca's Liebespoesie hineingetragen, welche sie
mit dem Fluche der Unnatur behalten und sie zu einem fro-
stigen Spiele mit Bildern, Sentenzen und Worten herabwürdi-
gen mussten. Eben hierdurch ist die Gesammtwirkung Pe-
trarca's auf die Penaissancelvrik eine so nachtheilige gewor-
Die italienischen Dichtungen. 705
den , denn die Nachahmung lehnte sich , wie dies stets ge-
schieht, ganz vorwiegend an die Schwächen des "Originals an
und steigerte diese bis zur ärgsten und widerlichsten Verzer-
iiing. Und auch schon bei Petrarca selbst wirkt das Ueber-
maass von Allegorie und Reflexion , an welchem so viele Ge-
dichte leiden, auf den natürlich empfindenden Leser störend
und abstossend genug. Denn nimmermehr wird man es schön
und poetisch finden können, wenn in einzelnen Sonetten ein
geistvoll sein sollendes, in Wahrheit aber nahezu läppisches
Spiel mit dem Namen Laura getrieben wird, oder wenn in
anderen Laura und der Lorbeerbaum (lauro), der Dichtkunst
und des Dichterruhmes Symbol, dermaassen mit einander ver-
schmolzen und durch einander gewirrt werden, dass man oft
in der That nicht weiss, ob die Geliebte oder der Baum be-
sungen werden sollte, ob die erstere oder der letztere dem
Dichter theuerer war, oder wenn endlich in noch anderen
Dichtungen Laura in den seltsamsten Gestalten, etwa als Hin-
din, erscheint oder auch ihrerseits an dem Dichter die wunder-
lichsten Verwandlungen vollzieht, ihn zum Schwane, zum Fel-
sen, zum Kiesel, zur Quelle werden lässt. Dergleichen ist eben
einfach Unnatur und Unnatur ist niemals schön und wenn sie
auch mit dem schönsten poetischen Schleier umwoben ist ^).
So wurde Petrarca's Liebe krankhaft, doch war sie es
durchaus nicht immer, sondern oft genug gewann der Dichter
sich zeitweise die Gesundheit seines Empfindens zurück.
Namentlich gelang ihm dies in seinen späteren Jahren nach
Laura's Tod. Da sänftigte und verklärte sich in glücklichen
Stunden seine Leidenschaft und sein Schmerz zur milden Weh-
muth, deren wahre Natürlichkeit sich nicht beirren liess durch
phantastische Allegorien oder verstandeskühle Abstractionen
und Reflexionen. In solchen glücklichen Stunden sind die
schönsten der Sonette und Canzonen auf Laura's Tod gedichtet,
*)'Wir geben hier absichtlich keine Belege, da dieselben, selbst auch
nur bei einem flüchtigen Durchblättern des „Canzoniere", von einem Jeden
leicht gefunden werden können.
Körting, Petrarca. 45
706 Fünfzehntes Capitel.
in solchen Stunden hat Petrarca es verstanden, Töne anzu-
schlagen, welche in jeder fühlenden Brust sympathisch und
ergreifend wiederhallen, in solchen Stunden endlich hat er
Unvergängliches und Unvergleichliches gesungen.
Ob Laura die ihr gewidmete Liebe mit, wenn auch uu-
eingestandener, Gegenhebe lohnte? Wir wissen es nicht, der
Dichter aber hat es geglaubt ^), so oft auch sein Glaube durch
Zweifel erschüttert wurde. Ob er sich aber nicht dennoch ge-
täuscht hat ? Wer mag es sagen ? Vermuthen möchte man in-
dessen doch, dass Laura, da sie den Dichter mit manchem
freundlichen Blick und manchem huldreichen Worte beglückt
hat, für ihn ein wärmeres Gefühl, als nur das freundschaftlicher
Zuneigung empfand. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte,
so werden wir unsere hohe Achtung der Frau nicht versagen
können, welche die Kraft ernster und strenger Sittlichkeit be-
sass, und wir werden bekennen müssen, dass sie des Ruhmes
würdig war, mit welchem Petrarca's Liebe sie für alle Zeiten
umstrahlt hat. Aber auch den Dichter werden wir ehi-en
müssen, der eine so sittlich strenge Frau zu seinem Ideale
erkor und auch dann noch ihr treu seine Neigung bewahrte, als er
hatte erkennen müssen, dass er nie auf eine Erfüllung seiner
Wünsche hoffen dürfe.
Die Liebe zu Laura war Petrarca's einzige Liebe, denn
das Verhältniss zu jener Frau, welche die Mutter seiner
Kinder ward, war, wenn nicht Alles trügt, keine Sache des
Herzens, sondern nur ein Tribut an die gemeine Schwäche
der Menschlichkeit. Kein Lied findet sich im „Canzoniere",
keine Stelle in den zahlreichen Episteln, woraus wir entnehmen
könnten, dass der Dichter sich jemals noch von anderen Reizen,
als denen Laura' s habe fesseln lassen. Nur eine Ausnahme
ist allerdings zuzugestehen. In einem Sonette 2) bekennt der
Dichter, dass nach Laura's Tode Amor ihn in neue Bande
habe schlagen wollen, dass aber der Tod (der Geliebten) den
1) Beweisend hierfür ist namentlich Trionfo della Morte II, v. 88 ff.
-) „l'ardente nodo, ov'io fui d'ora in ora."
Die italienischen Dichtungen. 707
entstehenden Liebesbund gelöst habe, noch ehe er eigentlich
geknüpft worden sei. Auf jede Vermuthung, wer etwa diese even-
tuelle Nachfolgerin Laura's gewesen sei, muss man verziehten. —
Dass der ästhetische Werth der einzelnen Lieder des
„Canzoniere" ein sehr ungleicher ist, geht sowol aus dem
oben Erörterten hervor als auch ist es geradezu selbstverständ-
lich. Wenn nach Horaz' bekannter und treffender Bemerkung
zuweilen selbst der „gute Vater Homer" schläft, so muss es
dem Lyriker, der in mehr als dreihundert Gedichten immer
nur eine und dieselbe Frau besingt, noch leichter und häufiger
begegnen, dass er ermattet. Das Thema der Liebe mag immerhin
für unerschöpflich gelten, aber wenn es immer nur nach einer
Richtung hin behandelt wird, so ist es nicht anders denkbar, als
dass es, zeitweise wenigstens, aufhört, ergiebig zu sein, dass
der Dichter unfähig wird , etwas Neues zu sagen , und sich in
endlosen Variationen und Wiederholungen bewegt, ja dass er
selbst trivial oder noch öfters, im krampfhaften Streben nach
einer unmöglichen Originalität, manierirt wird. Und in einem
lange Jahrzehende hindurch fortgesetzten Minnedienste, zumal
wenn diesem die Hoffnung auf endlichen Lohn versagt bleibt,
kann unmöglich die Leidenschaft immer eine wahre und natür-
liche sein, sondern oft genug wird ein erkünsteltes Spiel mit
Gefühlen, ein Anempfind en an ihre Stelle treten, und auf einem
solchen Boden können dann keine natürlichen, sondern nur
künstliche Blumen der Poesie emporspriessen , ja fast wäre
man versucht, von Eisblumen zu sprechen. Das ist denn auch
bei Petrarca nicht selten geschehen, und daher machen so
manche seiner Lieder einen so frostigen Eindruck und lassen
uns so theilnahmlos : man merkt ihnen eben an, dass der Dichter
hier mit seinem Herzen spielt und dass er sich künstlich in
Gefühle hineinredet, welche er in Wahrheit gar nicht empfindet,
ja man kann dann geneigt sein, humoristische Parallelen zu
ziehen zwischen dem Dichter Petrarca, der, weil er es sich
nun einmal so angewöhnt hat, in seinen Versen so verzweifelnd
sich geberdet, und dem Menschen Petrarca, der, wie man viel-
leicht in gleichzeitigen Briefen lesen kann, in seiner Villeggiatur
45*
708 Fünfizehntes Capitel.
ZU Vaucluse sich höchst behaglich befindet und nicht entfernt
daran denkt, verzweifelnd und lebensmüde zu sein.
Unerreichbar gross und schön aber ist Petrarca da, wo er
wahr und natürlich ist, wo er nur das ausspricht, was er wirk-
lich empfindet. Durch diese empfindungswahren Lieder hat er
sich als poetischer Genius bewährt, durch sie hat er die Lyrik
von dem mittelalterlichen Formalismus, in welchem sie erstarrt
war, zurückgeleitet zu dem Borne der Natur, durch sie eben
hat er die Lyrik neu erschaffen. Die Poesie der Troubadours
und Minnesänger pflegt man bewundernd zu preisen, und ge-
wiss auch ist sie in vieler Beziehung solcher Bewunderung
werth, aber verkennen darf man doch nicht, dass diese Poesie,
namentlich in ihrer späteren Gestaltung, der Naturwahrheit
und Naturfrische entbehrte, dass sie nur ein Spiel der Galanterie
war und dass ihr die seelische Tiefe fehlte. Nur allzu oft
betete der Liebessänger des Mittelalters seine Dame bloss mit
den Lippen, nicht mit dem Herzen an, so dass dieses letztere
Nichts wusste von dem Inhalte der zärtlichen Verse, welche
die ersteren sangen. Petrarca zuerst brach in seinen besseren
Liedern mit dieser Unnatur, er zuerst wieder hat, wie Hettner
so schön und treffend sagt, „sein Herz entdeckt", er zuerst
stieg wieder zu den Tiefen der eigenen Brust und fand dort
das lautere Gold wahrer Empfindung, das er dann ausprägte
in ergreifenden und melodischen Tönen. Es verschlägt Nichts,
dass solcher Lieder nicht allzu viele im „Canzoniere" sieh
finden, es genügt, dass sie darin gefunden werden, um Petrarca's
Anspruch auf den immergrünenden Dichterlorbeer als voll-
berechtigt erscheinen zu lassen. Und übrigens gründet sich
nicht eines jeden Dichters Unsterblichkeit nur auf einen ver-
hältnissmässig kleinen Theil dessen, was er geschaffen?
Im Allgemeinen wird man urtheilen müssen, dass, im
Grossen und Ganzen genommen, die der gestorbenen Laura
gewidmeten Lieder diejenigen, in denen die lebende besungen
wurde, an innerem Werthe beträchtlich übertreffen. Auch ist
leicht einzusehen, wesshalb: die Trauer des Dichters um die
Dahingeschiedene war eine aufrichtige, und in den Schmerz
Die italienischen Dichtungen. 709
um die verlorene Geliebte mischte sich die wehmuthsvolle Be-
trachtung, dass nun auch die eigene Jugend entschwunden sei
und dass das eigene Leben dem Abende sich nahe. Das waren
natürliche Gefühle, welche leicht auch den natürlichen Aus-
druck zu finden vermochten. Wer findet die Klage um die
gestorbene Laura nicht natürlicher und erklärlicher, als das
aussichtslose und desshalb schliesslich gar nicht mehr ernst
gemeinte Werben um die Lebende?
Indessen, wie man auch über den inneren Werth der
Lieder des „Canzoniere" urth eilen möge, einen Ruhm wird
man ihnen allen uneingeschränkt zugestehen müssen, den
Rulim vollendeter Formenschönheit. Petrarca hat sich in dem
sprachlichen und metrischen Baue seiner Sonette und Canzonen.
Sestinen und Balladen als ein Künstler ersten Ranges gezeigt :
ein jedes Lied ist in formaler Beziehung ein Kunstwerk im
vollsten Sinne des Wortes. Man vergleiche einmal ein Sonett
oder eine Canzone Petr^rca's mit einer gleichen Dichtung eines
der früheren italienischen Poeten — wir möchten selbst Dante
nicht ausnehmen, der in der Form seiner Lyrik uns mehr als
gelehrte]- Theoretiker, denn als wirklicher Künstler erscheint —
und man wird sofort den ungeheueren Abstand merken. Eher
lassen die späteren Troubadours, deren Schüler Petrarca in Bezug
auf die poetische Form unleugbar ist, zum Vergleiche sich her-
anziehen, aber bei ihnen wird die Kunst zu oft und zu sehr
zur Künstelei, während Petrarca die Grenzen der wahren Kunst
nie überschreitet, wenn er auch zuweilen sich ihnen bedenk-
lich nähert. Die Nachahmer freilich, die Petrarkisten, wurden,
wie das die Natur der Verhältnisse mit sich brachte, sofort
über diese Grenzen hinausgedrängt und fielen wieder in künst-
lichen Formalismus zurück. Als besonders bewundernswerth
muss der Bau der Sonette Petrarca's bezeichnet werden, denn
seine Canzone ist meist zu ausgedehnt, als dass sie eine
künstlerische Einheit bilden könnte, und löst sich in die
Kunsteinheiten der einzelnen Strophen auf. Selbstverständlich
gewinnt das Sonett noch an Werth, wenn mit der schönen
Form ein entsprechender Inhalt sich paart, es entstehen dann.
710 Fünfzehntes Capitel.
nach Ebert's ^) treffendem Ausdrucke, „kleine architektonische
Kunstwerke, von einem entsprechenden Inhalt erfüllt: indem
die Idee, oder das Bild, symmetrisch mit dem fliehenden und
wieder zurückkehrenden Reime, in Antithesen sich auflöst,
diese aber nur zu einem volleren Accorde schliesslich ver-
schmelzen." — Wir müssen es hier bei diesen allgemeinen
Bemerkungen bewenden lassen, denn wollten wir sie näher be-
gründen, so müssten wir eingehende sprachliche und metrische
Untersuchungen führen, welche, so interessant und wichtig sie
auch sein würden, doch in den Rahmen dieses unseres Werkes
nicht gehören, sondern an einem anderen Orte gegeben werden
müssen ^).
Nicht unwesentlich ist die gemachte Beobachtung der
künstlerischen Formvollendung der lyrischen Dichtungen
Petrarca's. Wir erkennen darin nicht nur die künstlerische
Beanlagung des Dichters, sondern auch ein Anzeichen für die
bedeutungsvolle Rolle, welche die Kunst in der gesaramten
Cultur der Renaissance zu spielen berufen war. Formeji=-
_vollßiid«fig"ist ja auf allen Gebieten, selbst auf dem des staat-
lichen und gesellschaftlichen Lebens, das Ideal der Renaissance-
bildung gewesen, und vielfach hat sie wirklich dieses Ideal er-
reicht. Darin ist der Zauber begründet, den sie in ihren
Schöpfungen auch auf die nachgeborenen Geschlechter noch
ausübt, darin aber zugleich auch unleugbar ihre Schwäche,
denn wo die Form gepflegt und entwickelt wird, da wird nur
gar zu leicht verabsäumt, auch für den entsprechenden Ge-
dankeninhalt zu sorgen, und es tritt dadurch oftmals ein Miss-
verhältniss zwischen Form und Gedanken ein : die erstere wird
zur Herrin, während sie eigentlich dem letzteren dienen sollte,
^) Handbuch der italienischen Nationallitteratur (Frankfurt a. M., 1864),
p. 18.
-) So viel auch über Petrarca als italienischen Dichter geschrieben
worden ist, so fehlen doch leider noch immer eingehende und philologisch
exacte Untersuchungen über Petrarca's Sprache und Metrik und selbst zu
einer kritischen Ausgabe des „Canzoniere" ist von Carducci nur eben erst
ein Anfang gemacht worden. Möchten doch allerwärts sich fleissige und
geschickte Hände rühren, um endlich diese alte Schuld abzutragen!
Die italienischen Dichtungen. 711
und statt von ihm bestimmt zu werden, bestimmt sie ihn.
So besteht denn Formenreichthum und Gedankendürftigkeit
neben einander, wir bewundern gleichzeitig die eine und be-
klagen die andere. Nur einigen wenigen auserwählten Geistern
der Renaissancecultur ist es gelungen, der Hellenen unsterb-
lichen Ruhm zu erneuen und den erhabenen Gedanken mit
der erhabenen Form zu vermählen.
Es bedarf kaum der Bemerkung, dass Petrarca nur durch
musikalische Begabung zu dem melodischen Baue seiner Lieder
])efähigt war. Und in der That hat er sich wiederholt als
einen begeisterten Freund der Musik bekannt ^), und seine zeit-
genössischen Biographen haben ihm nachgerühmt, dass er ein
Freund der Musik und des Gesanges und auch selbst ein vor-
trefflicher Lautenspieler gewesen sei^). Und die Benaissance-
bildung hat ihres Begründers Freude an der Kunst der Töne
beibehalten, hat die Pflege der kunstmässigen Musik zu einem
integrirenden Bestandtheile der Jugenderziehung und des ge-
sellschaftlichen Lebens erhoben ^) und hat in der Ausbildung
der Tonkunst nicht Geringeres, als in derjenigen der bildenden
Künste geleistet, wie eine noch zu schreibende Geschichte der
Musik im Zeitalter der Renaissance gewiss mit Leichtigkeit
würde nachweisen können. Man darf, will man die Renaissance-
cultur gerecht würdigen, das musikalische Element in derselben
nicht übersehen und nicht unterschätzen.
Wie schon früher bemerkt ward, enthält der „Canzoniere"
nur wenige Lieder nicht-erotischen Inhaltes, aber gerade diese
Lieder — wir denken besonders an die patriotischen Canzonen
„Spirto gentil" und „Italia mia" — gehören nach dem Urtheile
Aller zu den schönsten Perlen der ganzen Sammlung, und tief
muss man es beklagen, dass der Dichter lateinische Dichtungen
») Ep. Fam. XIII 8; de remed. utr. fort. I 23, vgl. Test. b. Fracassetti,
Ep. Fam. III p. 542.
-) vgl. Boccaccio bei Rossetti, a. a. 0. p. 323 u. Villani bei Mehus
p. 196.
^) Man lese z. B., welche wichtige Rolle der Musik in Castiglione's
„Cortegiano" zugetheilt wird.
712 Fünfzehntes Capitel.
ähnlichen Inhaltes nicht ebenfalls in der Muttersprache ver-
fasst hat. Hätte Petrarca auch nur seine poetischen Episteln
statt in das lateinische in das italienische Gewand gekleidet.
so würde die italienische Litteratur ein Werk besitzen, das
dem „Canzoniere" völlig ebenbürtig wäre, und ein Stern erster
Grösse mehr würde am Himmel der Poesie Italiens erglänzen.
Man hat Petrarca oft vorgeworfen, die Troubadours sklavisch
copirt zu haben. Kein Vorwurf kann unberechtigter sein.
Wohl hat Petrarca — und wie wäre dies bei seinem langen
Aufenthalte auf dem Boden der Provence anders möglich ge-
wesen? — die Gesänge der Troubadours gekannt^) und wohl
hat er zum guten Theile seine Formenkunst ihrer Schule zu
(lanken, aber in allen höheren Beziehungen ist er nicht ihr
Nachahmer gewesen, sondern er hat selbständige Bahnen des
poetischen Schaffens gesucht und gefunden. Dass hier und da
im „Canzoniere" einmal ein Gedanke sich findet, den bereits
ein Troubadour ausgesprochen, oder ein Bild, das bereits ein
Troubadour gebraucht hat, das kann dabei bereitwillig zu-
gestanden werden, aber es braucht um desswillen noch keine
bewusste oder unbewusste Entlehnung von Seiten Petrarca' s
angenommen zu werden, und selbst wenn auch die Entlehnung
sich sollte nachweisen lassen, so würde dadurch die dichterische
Originalität Petrarca's noch lange nicht zweifelhaft werden. —
Ebenso selbständig wie den Troubadours steht Petrarca
auch den ihm entweder vorangegangenen oder zeitgenössischen
italienischen Lyrikern gegenüber: er hat keinen von ihnen zu
seinem Vorbilde genommen, keinen nachgeahmt, und man darf
wol sagen, dass er ganz ebenso, wie er wirklich gedichtet hat,
auch dann gedichtet haben würde, wenn er überhaupt der zeitlich
erste Lyriker gewesen wäre. Er nahm eben neue Ausgangspunkte
und Ziele, abweichend von denen der lyrischen Poeten Italiens
vor ihm, er bediente sich neuer Kunstmittel und selbst einer
neuen Sprache, denn die seine trug nicht, wie die der früheren
^) Trionf. d'ain. III v. 40—54 gibt er eine ausfiihrliche Aufzählung
der bedeutendsten Troubadours.
Die italienischen Dichtungen. 713
Sänger, eine dialektische Färbung. Daher ist es gekommen,
dass Petrarca für die gewöhnliche, nicht gelehrte Litteratur-
geschichte auch wirklich für den zeitlich ersten italienischen
Lyriker gilt und dass die Namen und Lieder der Lyriker vor
ihm dem Volksbewusstsein längst entschwimden sind. Daher
ist es auch möglich und statthaft, Petrarca's poetische Werke
zu besprechen und zu würdigen, ohne vorher die Geschichte
der italienischen Lyrik von ihren Anfängen bis auf seine Zeit
erzählt zu haben. Er trat eben aus der bisherigen Entwicke-
lung heraus und eröffnete eine von der früheren genetisch ver-
schiedene Bahn der Entwickelung : er hat allerdings nicht die
italienische Lyrik im allgemeinen Sinne des Wortes, aber die
nationale und moderne Lyrik Italiens begründet: vor ihm gab
es nur provinziale und nach mittelalterlicher Schablone dichtende
Lyriker, wenn auch gern bekannt werden soll, dass manche
ihrer Lieder noch heute mit Genuss sich lesen lassen; höchstens
der grosse Dante nimmt unter den Lyrikern vor Petrarca eine
Ausnahmestellung ein, aber er war zu sehr Theoretiker und
Mystiker in seinen lyrischen Poesien, als dass er ein achter
Lyriker, und zu universal angelegt, als dass er national hätte
sein können.
Die einzelnen Lieder des „Canzoniere" wurden jedenfalls,
wenigstens zum grösseren Theile, der Oeffentlichkeit übergeben,
sobald sie entstanden waren. Schon zur Zeit der Dichter-
krönung sind ganz sicher zahlreiche Lieder Petrarca's in Um-
lauf gewesen, wie z. B. durch die Anekdote von dem Blinden
von Pontremoli (vgl. oben S. 196 f.) bewiesen wird ^). In
späteren Jahren waren so viele Gedichte in zum Theil sehr
entstellten Exemplaren verbreitet, dass Petrarca selbst be-
zweifelte, ob es einem Sammler gelingen würde, seiner sämmt-
lichen Dichtungen habhaft zu werden ^). Selbst untergeschobene
italienische Gedichte (ebenso wie untergeschobene lateinische
Werke) cursirten bereits während seines Lebens^). Das war
^) vgl. auch Ep. poet. lat. I 1 v. 30 ff.
•-) Ep. Sen. XIII 4.
=) Ep. Sen. II 4.
714 Fünfzehntes Capitel.
auch leicht erklärlieh. War doch ein Lied oder eine
Schrift des berühmten Petrarca ein Besitz, der sich unter
Umständen auch materiell gut verwerthen liess. Wenigstens
kamen wiederholt fahrende Sänger zu Petrarca und bettelten
ihn um ein Lied an, mit dessen Vortrag sie so viel sich zu
erwerben verstanden, dass sie, die arm und zerlumpt zu ihm
gekommen waren, sich nach kurzer Zeit als wohlhabende und
feingekleidete Männer ihm wieder zeigen konnten ^). Den Ge-
danken, seine Lieder selbst zu einer Sammlung zu vereinigen,
scheint Petrarca erst in seinen letzten Lebensjahren gefasst
zu haben, wenigstens wissen wir nur einen einzigen Fall, dass
er einen Freund mit der Uebersendung einer italienischen
Gedichtsammlung beehrte: es geschah dies aber am 4. Januar
1373 ^) und der so reich Beschenkte war Pandolfo Malatesta ^).
Durch die Veröffentlichung seiner Gedichte meinte übri-
gens Petrarca der Pflicht, dieselben zu verbessern, keineswegs
überhoben zu sein, sondern feilte unverdrossen mit einer Sorg-
falt an ihnen herum, welche beinahe kleinlich genannt werden
muss und vielleicht nicht immer den Dichtungen zum Vortheil
gereicht hat. Es wird uns dies bewiesen durch das Fragment
einer Originalhandschrift, welches sich in der Vaticana befindet
und von Ubaldini herausgegeben worden ist^). Hier sind ein-
zelne Verse und Worte oft mehrfach corrigirt und umgestellt,
und es sind diesen Emendationen immer kurze lateinische Be-
merkungen beigefügt mit genauer Angabe des Tages und der
Stunde ihrer Niederschrift. Man sieht, Petrarca war auch als
Dichter Philolog, und man sieht ferner, dass seine Dichtungen
das Werk nicht bloss des Genius, sondern auch des ange-
1) Ep. Sen. V 3.
-) Ueber die Zeitbestimmung vgl. Fracassetti, Lett, fam. V p. 281.
^) Ep. Sen. Xin 10 (u. Var. 9, letztere Epistel ist nur ein Brouillon
der ersteren).
*) Rime di M. Fr, P. estratte da un suo originale (Rom, 1642), vgl.
Carducci's Mittheilungen daraus in der prefazione. Die letzte Note des
Fragmentes ist vom Jahre 1369.
Die italienischen Dichtungen. 715
strengten Fleisses, dass sie nicht Kunstwerke aus einem Gusse,
sondern Mosaikarbeiten der feinsten und saubersten Art sind.
Diese den italienischen Liedern gewidmete Sorgfalt be-
weist unwiderleglich, dass Petrarca die Kinder seiner Muse,
selbst noch in späteren Jahren, liebte und sie nach Verdienst
zu schätzen wusste. Wir werden ihm daher nicht glauben
dürfen, wenn er einmal seine italienischen Gedichte für werthlos
erklärt und den Wunsch ausspricht, sie verbrennen zu können,
falls damit noch die Vernichtung zu erreichen wäre^). Es
war das eben eine Redensart der Bescheidenheit, welche ge-
legentlich wol jeder Dichter einmal braucht, oder es war doch
höchstens der ihn zeitweilig befallende Stolz des auf alles
Nichtlateinische verächtlich herabblickenden Humanisten, der
ihn so sprechen Hess. Weit eher werden wir ihm glauben
können, wenn er uns einmal erzählt, dass er in seiner Jugend
den Wunsch und die Absicht gehabt habe, sich ausschliesslich
der italienischen Poesie zu widmen, aber davon durch die Er-
wägung der für ein solches Vorhaben ungünstigen Zeitverhält-
nisse abgebracht worden sei 2).
Es lässt sich die Frage aufwerfen, ob Petrarca noch andere,
im „Canzoniere" nicht aufgenommene lyrische Gedichte ver-
fasst habe. Diese Frage ist wol unbedenklich zu bejahen,
da Petrarca, als er, wie oben erwähnt, seine Gedichtsammlung
an Pandolfo Malatesta übersandte, ausdrücklich in dem Begleit-
schreiben erwähnte, dass er noch viele, nicht in die Sammlung
aufgenommene Lieder, zum Theil freilich in verwahrlosten und
altersgrauen Manuscripten, besitze und vielleicht später einmal
das eine oder andere derselben zur Herausgabe zurecht machen
wolle, wie er dies auch bisher dann und wann gethan habe. Eine
ganz andere Frage aber ist, ob derartige Dichtungen auf unsere
Zeit gekommen sind. Wir bezweifeln es sehr und stehen nicht
an, alle die zahlreichen Sonette und Canzonen, welche vom
sechszehnten Jahrhundert ab bis auf diesen Tag — neuerdings
') Ep. Sen. XIII 10 (vgl. V 3).
^) Ep. Sen. V. 3.
716 Fünfeehntes Capitel.
namentlicli von Thomas^), Ferrato^) und Capparozzo^) —
Petrarca beigelegt worden sind, für die wenig glücklichen
Schöpfungen von Petrarkisten und nicht Petrarca's zu halten.
Den Beweis freilich für diese Behauptung müssen wir, weil er
nur auf hier nicht mittheilbare sprachliche, metrische und sach-
liche Beobachtungen sich stützen kann, einstweilen noch schuldig
bleiben, hoffen aber, an geeigneter Stelle ihn nachtragen zu
können.
Es erübrigt noch ein Wort über die „Trionfi" zu sagen,
denn näher auf diese Dichtung einzugehen erscheint unnöthig,
einmal, weil sie für die Litteraturgeschichte keine sonderliche
Bedeutung besitzt, und dann, weil sie in einer trefflichen
deutschen Uebersetzung*) vorliegt, auf Grund deren sich ein
Jeder leicht mit ihrem Inhalte bekannt machen kann. Auch
diese Dichtung, das Werk des alternden Petrarca — denn es
wurde vermuthlich nicht vor dem Jahre 1356 begonnen und
erst kurz vor des Dichters Tode im Jahre 1374 äusserlich abge-
schlossen^) — und ein unverkennbar nach dem Vorbilde der
„Divina Commedia", auch in dem gleichen Metrum, wie diese,
geschriebenes^) allegorisches Epos, soll Laura verherrlichen:
so fest hielt der Greis an dem Ideale seiner Jugend! Man
pflegt über diese Dichtung, welche freilich ganz offenbar in
^) In den ,Monumeuta Saecularia' der königl. bayerischen Academie
der Wissenschaften (München, 1859). Für die Unächtheit der darin mit-
getheilten Sonette dürfte schon das Eine entscheidend sein, dass sich in
ihnen vielfach Anklänge an Dante finden (vgl. Thomas, p. X). Nichts ist
aber bei dem Verhältnisse Petrarca's zu Dante (vgl. oben S. 499 ff.) un-
wahrscheinlicher, als dass der erstere sich von dem letzteren habe beein-
flussen lassen.
-) Rime attribuite a Fr. P. ed. Ferrato (Padova. 1874«.
^) Rime (d. h. 3 Sonette) del P. etc. ed. (per le nozze Mangilli-Lam-
pertico) Capparozzo (Vicenza, 1876).
*) Als Anhang zur Uebersetzung des ,,Canzoniere" von Kekule und
Biegeleben (Tübingen und Stuttgart, 1844).
•') vgl. I. Trionfi etc. ed. Pasqualigo (Venedig, 1874), p. 6 u. 10 (Mit-
tbeilungen aus dem vaticanischen Fragmente). NB. Eine andere neuere
Ausgabe der „Trionfi'' ist die von Cr. Giannini (Fen-ara, 1874).
«) vgl. oben S. .502.
Die italienischen Dichtungen. 717
einer innerlich unfertigen Gestalt uns vorliegt, oft ein sehr ge-
ringschätziges ürtheil zu fällen, aber, wie es uns scheinen
will, sehr mit Unrecht. Es ist in ihr ein würdiger und er-
habener Gedanke^) durchgeführt — Laura's (und unter Laura
darf man auch die Menschenseele verstehen) Sieg über die
Lockungen der Sinnlichkeit und über den Tod und ihre Er-
hebung aus der Nichtigkeit des Erdendaseins zur Verklärung
der Ewigkeit — und diesem Gedanken ist als Gewand eine
würdige poetische Form gegeben worden. Wenn irgendwo,
so besass hier die Anwendung der Allegorie ihre volle Be-
rechtigung, und übrigens hat sich der Dichter derselben in
maassvoller Weise bedient und ist niemals, wie ihm dies in
seiner Lyrik zuweilen begegnet ist, in Geschmacklosigkeit und
Uebertreibung verfallen. Einzelne Episoden aber (wie z. B.
das zweite Capitel des Trionfo della Morte) sind von ergreifender
Schönheit und gehören zu dem Herrlichsten, was Petrarca je
geschrieben. Besonders ist jedoch die künstlerische Anlage der
einzelnen Triumphzüge zu beachten: es werden uns hier eine
Reihe von Idealgruppen vorgeführt, welche, wenn man sie sich
als Gemälde oder Reliefbilder versinnlicht denkt, eine gewaltige
Wirkung ausüben und uns recht deutlich erkennen lassen,
welche hohe künstlerische Begabung der Begründer der Re-
naissance besass und wie diese letztere von ihrem Ursprünge an
der bildenden Kunst als demjenigen Gebiete zustrebte, in wel-
chem sie sich zu dem edelsten und eigenartigsten Schaflfen
befähigt fühlte. Auch haben in der That die .,Trionfi" auf die
Entwickelung der bildenden Kunst einen nicht zu unterschätzen-
den Einfluss ausgeübt, welchen im Einzelnen darzulegen wir
freilich gern und willig dem berufenen Kunsthistoriker über-
lassen.
^) Angeregt zu der Dichtung und speciell zu dem Trionfo dell' amore
wurde Petrarca vermuthlich durch eine Stelle des Lactanz (Instit. I 11),
vgl. Liebrecht im Jahrb. f. rom. u. engl. Litt. VIII p. 354 ff.
718 Fünfzehntes Capitel. Die italienischen Dichtungen.
Wir stehen am Ende der langen Bahn, welche wir in
diesem Buche durchmessen haben. Möge der Leser es nach-
sichtig beurtheilen, wenn Einiges allzu ausführlich und Anderes
wieder zu wenig ausführlich erzählt worden sein sollte! Ein
gewaltiger Stoff, wie der in diesem Buche bearbeitete es war.
fügt sich schwer dem künstlerischen Ebenmaasse, und vielleicht
lassen überhaupt nur bei einer wiederholten Bearbeitung sieh
die richtigen Proportionen gewinnen. Seinen höchsten Lohn
aber würde der Verfasser in der Anerkennung finden, dass es
ihm gelungen sei, auch schon in diesem ersten Bande seines
Werkes neue Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Geschichte
der Litteratur Italiens im Zeitalter der Renaissance zu er-
schliessen.
Register.
Die Zahlen verweisen auf die Seiten. — P. = Petrarca; R. = Renaissance.
Die lateinischen Werke Petrarca's sind mit ihrem lateinischen Titel
aufgeführt.
Aachen 94.
Aberglauben 198, 360, 374, 613.
Abneigung P.'s gegen Aemter 224.
Acciaiuoli 285, 347.
Acidia (acedia) 636.
Adel 546.
Aeltern P.'s 48 ff.
Aerzte 618 ff.
Africa 654 ff.
Allegorie 651 f.
.Imbrosius (St.) 496.
Andi-ea (di Bologna) 71.
Apologia contra cuiusdam anonymi
Galli calumnias 388 ff.
-\raber 623 f.
.\rbeitslust P.'s 514.
Arezzo 44.
Aristoteles 396 f. •
Arquä 441.
Askese, P.'s Neigung zur A. 205.
Astrologie 811.
Astronomie 509.
Aufgeklärte Ansichten P.'s 198, 360,
374, 613.
Augustin (St.) 495 f.
Aussehen , leibliches Aussehen P.'s
454 f.
Averroes u. Averroismus 414 ff.
Avignon 84 f , 129 f.
Azzo s. Correggio.
Barbato di Sulmona 164 f.
Barlaam 153.
Benedict XII., Papst 97.
Benintendi 364.
Beredtsamkeit 47, 546.
Bernard d'Aube 204.
Berühmtheit P.'s 196, 345 ff., 438, 444.
Bibel 496.
Bildnisse P.'s u. Laura's 455 f., 701.
Boccaccio 253 ff., 360 f., 445 ff.
Bologna 71 ff.
Brahmanen 341. 575.
Briefbestellung 21.
Briefe P.'s, s. Episteln.
Briefstyl P.'s 18 f.
Briefwechsel P.'s 14 ff.
Bucolicon s. Eklogen.
Bücherliebhaberei P.'s 361, 488.
Bücherabschreiber 406, 521.
Byzantinisches Reich 321, 379.
Canzoniere 686 ff.
Carpentras 63.
Carrara s. Francesco u. Giacomo.
Cavaillon 137, 577.
Charakter P.'s 247, 299, 307 f, 591.
Cicero 216, 277, 488.
Citate P.'s 463 £
Clemens VI., Papst 200 ff., 284.
Cola s. Rienzo.
720
Kegister.
Colonna, Giacomo 73, 76 ff.
— Giovanni 82 f.
— Giovanni di S. Vito 117.
— Stefanello 230.
— Stefano 76, 117.
Concubine P.'s 143.
(de) contemptu mundi 629 ff.
Convennole od. Convenevole 64 f.
Correggio, Azzo di 991, 185 ff., 544.
Dandolo, Andrea 302.
Dante 499 ff.
Dialektik 415.
Dichterkrönung P.'s 171 ff.
Dichtkunst 650 ff.
Dienstboten P.'s 34 ff.
Dionisio da Borgo S. Sepolcro 91 f.
Donato Apenninigena da Pratovecchio
364 f., 605.
Dramatische Poesie 653 f.
Ehe und Ehelosigkeit 549 f., 555 f.,
611, 699.
Einsamkeit 566.
Eitelkeit P.'s 47, 84.
Eklogeu 677 ff.
Empfindlichkeit P.'s 429.
Enkel P.'s 365.
Enrico Capra 345 ff.
Episteln P.'s 14 ff.
Epistolae de rebus familiaribus 22 f.
Epistolae de rebus senilibus 24 f.
Epistolae poeticae (metricae) 32, 679 ff
Epistolae sine titulo 26 f.
— variae 24.
Erdbeben 211, 240.
Euripides 480.
Fasten 622.
Filippo de Cabassoles (Bischof von
Cavaillon etc.^ 137 ff.
Florenz 252, 268 ff.
Franceschino degli Albizzi 241 f.
Francesco de' SS. Apostoli s. Simo-
nides. .
— da Brossano 365.
— di Carrara 433.
Franzosen 389.
Französische Litteratur 498.
Frauen (Urtheil über die Frauen) 549.
Freunde P.'s 80, 253, 258 ff.
Freundschaft, Neigung P.'s zui- F.,
72.
Frömmigkeit P.'s 407.
Fürstenideal 434 ff.
Geiz 589 ff
Gelehrsamkeit P.'s 458 ff.
Genua 300 ff.
Geographie, P.'s Interesse für G. 507 f.
Geschichte 507.
Gesundheit P.'s 442, 456.
Gherardo, P.'s Bruder 54, 204 ff.
Giacomo di Carrara 248 f., 267 f.
Giotto von Florenz 453, 616.
Giovanni Barili 165.
— Malpaghini 368.
— da Padova 622.
Gläubigkeit P.'s 205 f., 407 f.
Greisenalter P.'s 356 ff.
Griechisch, P.'s Kenntniss d. Gr. 472.
Griechische Litteratur 473 ff.
Guglielmo da Pastrengo 102 f.
Guido Settimo 66.
Habsucht 298, 589 ff.
Homer 473 f.
Horaz 486.
Humanismus 309, 316 f., 358, 430,
461.
Humbert, Dauphin 146 f.
Humor 18, 134.
Ignorantia, de sui ipsius et multorum
ign. 417 ff.
Innocenz VI. 287.
Interpretation classischer Autoren
503 f.
Invectivarum in medicum libri IV 618 ff.
Italien 290.
Italienische Dichtungen P.'s 682 ff.
Jacopo Bussolari 337.
Johann d. Gute 348 fi\
Johannes von Florenz 86.
Register.
721
Jugend P.'s 68 ff.
Jurisprudenz 69.
Karl IV., Kaiser 322 ff.
Kinder P.'s 143.
Klosterleben 584.
Köln 95.
Krätze 552.
Ki'iegswesen 353, 369 ff.
Kritik 504 ff.
Künste, bildende 511 f., 547 f.
Laelius s. Lelio.
Landschaftsschilderungen 510.
Lapo di Castiglionchio 262.
Lateinische Dichtungen P.'s 650 ff.
— Litteratur 481 ff., 624.
— Werke P.'s 542 ff
Latinität P.'s 533 ff.
Laura 688 ff.
Lebensweise P.'s 133 ff.
Lelio 81 f.
Liber rerum memorandarum 608 ff.
— de viris illustribus 592 ff.
Liebe P.'s zu Laura 702 ff.
Linterno 345.
Livius 493.
Lombardo a Serico 450. ^
Lorbeer 181 f.
Luca 72, 245.
Luchino del Verme 368.
Ludovico Marsili 433L.
Lüttich 94.
Magdalenengrotte v. Ste. Beaume 146 f.
Mailand 292 ff. .
Mainardo Accursio 73, 245.
Mantua 327 f.
Mathematik 509.
Marquard v. Augsburg 335.
Medicin 624 ff.
Melancholie P.'s 236 ff, 561 f.
Moden 375.
Montpellier 68.
Montrieu 204, 288 f.
Mont Ventoux 104 ff.
Moralität s. Sittlichkeit.
Körting, Petrarca.
Musik 711.
Mutter P.'s 49 ff
Mystik 572, 704.
iName P.'s 49.
Naturschönheit, P.'s Sinn f. N. 105 ff.,
509 f.
Naturwissenschaft, P.'s V. z. den N.
508 f.
Neapel 163 f., 210 ff.
Nelli s. Simonides.
Novara 338 ff
Olimpio s. Mainardo Accursio.
Orakel 613.
Orakel, sibyllinische 497.
Orosius 493.
(de) otio religiosorum 583 ff.
Ovid 486 f.
Padua 250, 268, 433.
Paganino 246.
Pandolfo Malatesta 455, 714.
Papstthum 26 f., 321.
Paris 90 ff., 350.
Parma 186 ff, 213 f., 234 ff.
Pavia 337, 437.
Pessimismus P.'s 561 f.
Pest 236 ff., 3.53 f., 553.
„Philologia", Komödie P.'s 532.
Philologisches Wissen P.'s 463 ff.
Philosophie P.'s 410 ff.
— der R. 413 f.
Pierre v. Ppitiers 203, 353.
Pilato, Leonzio 474 f.
Piaton 479.
Plautus 217, 487.
Plinius 494.
Plutarch 493.
Poetische Theorien P.'s 650 ff.
Politische Ansichten P.'s 313 ff.
Ponzio Sansone 140.
Popularität P.'s 196, 345 ff., 438.
— P.'s Abneigung gegen die P. 521 ff.
Prag 334.
Psalmen P.'s 683.
Pythagoras 423.
46
722
Register.
Quintilian 267.
Raimondo Soranz(i)o 87.
Ravennate, der junge R. 366 ff.
Reisen, die R. P.'s 89 ff.
Reiselust P.'s 88, 403.
Religiösitcät P.'s 205 f., 407 ff.
(de) remediis utriusque fortunae 542 ff.
Rienzo, Cola di 225 ff.
Robert, König von Neapel 148 ff.,
163 f., 208.
Rom 97, 113 ff., 266 f., 375 ff.
Roman de la Rose 498 f.
Ruhm 521.
Sacramore di Pommiers 333.
Schauspiele 210, 548.
Schicksal (P.'s Ansicht über d. Seh.)
352 f.
Schmeichelei P.'s 18, 308.
Schriftstellerische Grundsätze P.'s
518 ff.
— Thätigkeit P.'s 528 ff.
Schwester P.'s 54.
Seereisen, P.'s Abneigung gegen S.
57, 614.
Selbstmord 559.
Seneca 487, 491 f., 535.
Sentenzen 519, 638.
Simone Memmi v. Siena 701.
Sittlichkeit der R. 190 ff., 299, 307 ff.
Simonides 260 f.
Sohn P.'s 143, 354.
Sokrates 80 f.
Sophokles 480.
Sprüchwörter 612.
Stylistische Grundsätze 533 ff.
Theologie 506 f.
Tochter P.'s 143, 365.
Tod P.'s, angeblicher und vermeint-
licher 404 f.
— P.'s, wirklich erfolgter 452.
Toleranz P.'s 571.
Tommaso di Messina 72.
Trionfi 716.
Troubadours 712.
Urban V., Papst 375, 440.
Varro 266.
Vater P.'s 46 f.
Vaterland 320.
VaterlandsUebe P.'s 232 f., 290, 319 f.
Vaucluse 66, 130 ff.
Venedig 72, 302, 361 ff., 444.
Vermögensverhältnisse P.'s 74, 297.
406.
Virgil 468 f., 481 ff.
Visconti, Bernabö 306.
— Galeazzo 306.
— Giovanni 292 ff.
— Luchino 246.
— Marco 308.
(de) Aata solitaria 564 ff.
Vorfahren P.'s 46.
Vorzeichen 612 f.
Wissen P.'s 458 ff.
Wissenschaftliche Verhältnisse
Zeitalter P.'s 515 ff.
Zanobi da Strada 258 ff.
Zauberei 287.
Zoilo 429.
im
Zusätze und Bericlitiii-ungen.
S. 37, Z. 7 V. oben ff. Hierzu mag ausdrücklich bemerkt werden, dass es
allerdings einige mittelalterliche Autobiographen gibt (z. B. Giraldus
Cambrensis), dass dieselben aber nicht sowol die Verewigung des
eigenen Ich erstrebten als vielmehr nur die Erzählung interessanter
Selbsterlebnisse beabsichtigten.
S. 38, Anm. 2. In der hier gegebenen Aufzählung der Petrarcabiographen
des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts ist keine Vollständigkeit
beabsichtigt worden — es hätten sonst weit mehr Namen genannt
werden müssen — sondern es sollten nur die vdchtigsten hervorge-
hoben Averden.
S. 25, Z. 15 V. oben streiche „es" am Schlüsse der Zeile.
S. 28, Z. 11 V. unten (im Texte) statt Petrarca's lies Petrarca.
S. 46, Z. 10 V. oben für Parenzo's lies Parenzo.
S. 64. Ueber Convennole's Gedicht vgl. den Aufsatz von d' Ancona in der
Riv. ital. 15. April 1874.
S. 213, Z. 1 V. oben für Pozzuoli lies Puzzuoli.
S. 251, Z. 17 V. oben statt religiösere lies religiöse.
S. 302, Z. 16 V. oben für Villegiatur lies Villeggiatur.
S. 456, Anm. Das hier Gesagte ist einzuschränken: Petrarca war nach
seinem sechzigsten Jahre allerdings einer Brille benöthigt, vgl. Ep. ad
post. p. 2.
S. 458. Zu diesem Capitel vgl. noch: Villari, Niccolö Machiavelli, Bd. I
(Florenz, 1877), p. 88—100.
S. 481, vgl. A. Zingerle, Petrarca's Verhältniss zu den römischen Dichtern
(in „Kleine philologische Abhandlungen." Innsbruck, 1871).
S. 499 ff. Ueber Petrarca's Verhältniss zu Dante vgl. Cipolla im Arch.
Ven. t. VII, p. II.
S. 511, Z. 2 V. oben für Verdienste lies Verdienst.
S. 700 ff. Ueber Laura vgl. noch: Nardi, Petrarca e Laura (Mailand, 1873)
u. G. Grion in den Atli del R. Ist. Ven. S. IV t. 3.
Pierer'sche Hofbuclidrnck-erei. Stephan Geibel & Co. in Altenbnrg.
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