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Full text of "Geschichte der Litteratur Italiens im Zeitalter der Renaissance"

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Geschichte 


der 


Litteratur  Italiens 


Zeitalter  der  Renaissance 


Dr.  Gustav  Koerting, 

ordentl.  Professor  der  romanischen  und  englischen  Philologie 
a.  d.  königl.  Akademie  zu  Münster  i.  W. 


Erster   Band. 
Petrarca's  Leben  und  Werke. 


Leipzig, 
F  u  e  s '  s    Verlag    (R.    R  e  i  s  1  a  n  d). 

1878. 


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Petrarca's 


Leben  und  Werke 


von 


Dr.  Grnstay  Koerting, 

ordentl.  Profe.-sor  cler  romanischen  und  englischen  Philologie 
a.  d.  königl.  Akademie  zu  Münster  i.  W. 


Leipzig, 
F  u  e  s '  s    Verlag     (R.    R  e  i  s  1  a  u  d). 

1878.  / 


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Das   Recht   der   Uebersetzung  in   fremde  Sprachen  bleibt  vorbehalten. 


Herrn 

Professor  Dr.  Adolf  Ebert 

in  Leipzig, 
seinem    hochverehrten   Lehrer, 

in  aufrichtigster  Dankbarkeit 

der  Verfasser. 


Vorwort. 


VV  ährend  äie  Geschichte  der  politischen  Verhältnisse,  der 
Cultur  und  namentlich  der  bildenden  Kunst  Italiens  in  dem 
Zeitalter  der  Renaissance  bereits  in  zahlreichen  und  vortreff- 
lichen Werken  erzählt  worden  ist,  ist  auffallenderweise  die 
Geschichte  der  Litteratur  Italiens  in  diesem  Zeitalter  noch 
niemals  zum  Gegenstande  einer  eingehenden  und  zusammen- 
hängenden Darstellung  gemacht  worden. 

Dies  soll  nun  in  dem  Werke  geschehen,  dessen  erster 
Band  hiermit  der  Oeflfentlichkeit  übergeben  wird. 

Ich  beabsichtige,  in  diesem  Werke  die  Geschichte  der 
Litteratur  Italiens  —  und  zwar  sowol  der  italienischen  wie 
der  lateinischen,  da  eine  Beschränkung  auf  die  eine  von  beiden 
mir  völlig  unstatthaft  erscheint  —  von  Petrarca  bis  zu  Tasso 
darzustellen.  Wohl  weiss  ich,  dass  das  Zeitalter  der  italie- 
nischen Renaissance  auch  anders  abgegrenzt  werden  kann, 
aber  ich  glaube,  unter  den  verschiedenen  Möglichkeiten  die 
berechtigteste  erwählt  zu  haben,  und  ich  hoffe,  dass  die  Kenner 
der  italienischen  Litteraturgeschichte  mir  darin  ohne  Bedenken 
beistimmen  werden,  wesshalb  ich  auf  eine  Darlegung  meiner 
Gründe  verzichte. 


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VIII  Vorwort. 

Es  erschien  mir  am  angemessensten,  den  beiden  ersten 
Bänden  meines  Werkes,  welche  Petrarca  und  Boccaccio  ge- 
widmet sein  sollen,  die  Form  einer  Biographie  zu  geben,  sowie 
ich  dies  auch  bei  dem  sechsten  und  letzten,  welcher  Torquato 
Tasso  behandeln  soll,  zu  thun  gedenke.  Auch  hier  sind  die 
Gründe,  welche  mich  zu  diesem  Verfahren  bestimmen,  zu  deut- 
lich erkennbar,  als  dass  sie  einer  Erörterung  bedürften. 

Da  ich  nicht  weiss,  ob  mir  eine  Weiterführung  meines 
Werkes  vergönnt  sein  werde,  so  sehnlichst  ich  dies  auch  wün- 
sche, so  habe  ich  diesem  ersten  Band  eine  abgeschlossene 
Form  gegeben,  so  dass  er  eine  Einheit  für  sich  bildet  und 
keiner  Fortsetzung  und  Ergänzung  benöthigt  ist. 

Ich  hatte  zuerst  beabsichtigt,  in  einer  ausführliehen  Ein- 
leitung allgemeine  Betrachtungen  über  das  Wesen,  die  Ent- 
stehung und  die  Wirkung  der  Renaissancebildung  zu  geben, 
indessen  habe  ich  es  später  vorgezogen,  dieselben  an  geeigneten 
Stellen  in  das  Werk  selbst  zu  verweben,  um  die  Leser  nicht 
durch  Wiederholungen  zu  ermüden. 

Da  ich  nicht  bloss  für  Litterarhistoriker  von  Fach,  son- 
dern für  das  gebildete  Publicum  überhaupt  schreiben  wollte, 
so  habe  ich  nach  Möglichkeit  sowol  alle  Specialuntersuchungen 
als  auch  alle  Polemik  von  dem  Buche  fern  gehalten  und  in 
Bezug  auf  die  Citate  mir  die  thunlichste  Beschränkung  auf- 
erlegt. Ich  hoffe  aber,  dass  man  nichtsdestoweniger  dem  Buche 
die  Anerkennung,  nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  und  mit 
Benutzung  der  einschlägigen  umfangreichen  Litteratur  gear- 
beitet zu  sein,  nicht  werde  vorenthalten  können.  Uebrigens 
behalte  ich  mir  vor,  eine  Reihe  von  Fragen,  welche  ich  jetzt 
nur  flüchtig  berühren  konnte,  später  monographisch  eingehend 
zu  erörtern. 

Aufrichtigen  Dank  habe  ich  den  Verwaltungen  der  König- 
lichen Bibliotheken  zu  Dresden  und  Göttingen  auszusprechen, 
welche   in   liberalster  Weise   ihre   Schätze   meiner  Benutzung 


Vorwort.  IX 

zugänglich  machten  und  mir  dadurch  ganz  wesentlich  die  Ab- 
fassung meines  Buches  erleichterten.  Zu  besonderem  Danke 
aber  bin  ich  dem  Bibliothekar  der  hiesigen  Paulina,  Herrn 
Dr.  J.  Ständer,  verpflichtet,  welcher  mit  der  grössten  Bereit- 
willigkeit und  Liebenswürdigkeit  jeden  von  mir  ausgesprochenen 
Wunsch  zu  erfüllen  sich  bemühte. 

Herzlichst  habe  ich  sodann  meinem  lieben  Freunde,  Herrn 
Dr.  Meltzer  in  Dresden,  zu  danken,  welcher  sich  in  auf- 
opfernder Weise  der  Durchsicht  der  Correcturbogen  unter- 
zogen hat. 

Zu  danken  habeich  endlich  auch,  meinem  verehrten  Herrn 
Verleger,  welcher  für  die  Ausstattung  des  Buches  in  würdigster 
Weise  gesorgt  hat  und  auf  alle  meine  Wünsche  bereitwillig 
eingegangen  ist. 

Möge  das  Buch  sachkundige  und  gerechte  Beurtheiler 
finden  und  von  ihnen  der  Fortsetzung  für  würdig  erachtet 
werden ! 

Möge  es  mir  vergönnt  gewesen  sein,  ein  Seherflein  beizu- 
steuern zur  Förderung  der  litterargeschichtlichen  Wissenschaft! 

Münster  in  Westfalen,  am  6.  März  1878. 

Der   Verfasser. 


Inhalt. 


Seite 

Erstes   Capitel. 
Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's 1 

Zweites   Capitel. 
Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend 41 

Drittes   Capitel. 
Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahi'e  in  Vaucluse     .     .      74 

Viertes   Capitel. 
Die  Dichterkrönung     . 155 

Fünftes  Capitel. 

Parma  und  Vaucluse 185 

Sechstes    Capitel. 

Petrarca  in  Mailand 292 

Siebentes  Capitel. 
Die  Jahre  des  Alters 356 

Achtes   Capitel. 
Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's 458 

Neuntes   Capitel. 
Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit 514 

Zehntes   Capitel, 

Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate 542 

Elftes   Capitel. 
Die  historischen  und  geographischen  Schriften 592 

Zwölftes   Capitel. 
Die  Streitschriften  (Petrarca  und  die  Aerzte) 618 

Dreizehntes   Capitel. 
Die  Bücher  über  die  Weltverachtung 629 

Vierzehntes   Capitel. 
Die  lateinischen  Dichtungen 650 

Fünfzehntes   Capitel. 
Die  italienischen  Dichtungen 684 


•Erstes  Capitel. 
Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's. 


Wer  den  Namen  Petrarca's  vernimmt,  gedenkt  dabei 
unwillkürlich  zunächst  des  Sängers  des  „Canzoniere",  des 
Dichters  jener  Sonette  und  Canzonen,  deren  klangvolle  Strophen 
Laura's  Schönheit  feiern  und  Laura's  Tod  betrauern.  Petrarca's 
Dichterruhm,  den  er  durch  seine  lyrischen  Poesien  sich  er- 
rungen, und  seine  romantische  Liebe  zu  Laura  sind  für  Viele 
und  darunter  auch  für  solche,  denen  der  Besitz  einer  höheren 
Bildung  nicht  abgesprochen  werden  kann,  die  einzigen  Dinge, 
welche  sie,  abgesehen  von  den  dürftigen  chronologischen  Daten 
des  Geburts-  und  Todesjahres,  über  das  Leben  und  Wirken 
des  grossen  Italieners  zu  berichten  wissen.  Dass  derselbe 
auf  einen  weit  höheren  Ruhm  Anspruch  erheben  darf,  als 
auf  denjenigen,  seines  Vaterlandes  grösster  Lyriker  gewesen 
zu  sein,  ist  eben,  so  nachdrücklich  auch  die  bewährtesten 
Litterar-  und  Culturhistoriker  wiederholt  darauf  hingewiesen 
haben,  für  die  grosse  Masse  des  sogenannten  gebildeten  Publi- 
cums  leider  noch  immer  eine,  wenn  auch  vielleicht  dunkel 
geahnte  und  vermuthete,  so  doch  nicht  zum  klaren  Bewusst- 
sein  gekommene  Thatsache. 

Petrarca  gehört  der  Zahl  jener  wenigen  wahrhaft  grossen 
Männer  an,   deren  Wirken  nicht  für  ein  einzelnes  Volk  noch 

Kört  i  ng,  Petrarca.  1 


2  Erstes  Capitel. 

für   ein   einzelnes   aus   wenigen  Jahrzehenden  sich  zusammen- 
setzendes Zeitalter,   sondern  für  die  ganze  Menschheit,   soweit 
sie  der  abendländischen  Culturwelt  angehört,  und  für  die  ganze 
noch    unabsehbare  Dauer    der   modernen  Cultur  bedeutungs- 
voll geworden  ist.   Nicht  dei-  „Canzoniere"  ist  die  wahre  Basis 
seines  unsterblichen  Ruhmes,  nicht  auf  dies  Liederbuch  giündet 
sich    die    weltgeschichtliche    Grösse   des  Mannes.      Allerdings 
würde  der  „Canzoniere"  auch  für  sich  allein  genügt  haben,  des 
Dichters  Namen  der  fernen  Nachwelt  zu  überliefern,    aber  es 
würde  dies  eine  Unsterblichkeit  anderer,    geringerer  Art,  eine 
Unsterblichkeit,  um  so  zu  sagen,  zweiten  Grades  gewesen  sein, 
eine   Unsterblichkeit,    welche    nur   der   litterargeschichtlichen 
Sphäre    angehört   haben    würde.      Ein    Petrarca,    der  Nichts 
weiter  gethan  hätte,   als  dass  er  die  melodischen  Lieder  des 
„Canzoniere"    gedichtet,    würde  eben   nur   für  die  Litteratur- 
geschichte   Italiens    eine    grössere  Bedeutung   besitzen,    aber 
selbst   auch  für  diese  eine  weit  geringere,    als  sie  dem  wirk- 
lichen Petrarca  thatsächlich  zukommt,   und  überdies,  was  noch 
wichtiger    ist,    eine    nicht   über  alle  Anfechtungen   erhabene. 
Es  ist  selbstverständlich  nicht  hier  der  Ort.    an  welchem  wir 
den  ästhetischen  AVerth   und   die  litterargeschichtliche  Bedeu- 
tung des  „Canzoniere"  zu  besprechen  haben,  aber  wir  müssen, 
um   das   eben   ausgesprochene  Uitheil  nicht  ganz  unbegründet 
zu  lassen,    doch  schon  jetzt  darauf  hinweisen,    dass  es  sehr 
fraglich  erscheinen  kann,    ob   der  Einfluss   des   „Canzoniere" 
auf  die  Entwickelung   der  italienischen  Lyrik  ein  vorwiegend 
förderlicher  und  vortheilhafter  gewesen  ist  oder  ob  nicht  viel- 
mehr gerade  durch  ihn  jener  oft  so  geistlose  Formalismus  und 
jene   oft   so   widerliche   Gefühlsspielerei,    an  welchen  fast  alle 
Lyriker  Italiens  seit  Petrarca's  Zeiten  gekrankt  haben,  erzeugt 
und  grossgezogen  worden  sind.     Die  „Petrarkisten"  sind  nach 
dem  Urtheile  besonnener  Kunstrichter  nicht  eben  die  glänzend- 
sten Vertreter  der  italienischen  Litteratur,  und  die  Behauptung, 
dass    durch   das   Weiterschreiten    auf   der  von  Petrarca   ein- 
geschlagenen Bahn   die  italienische  Lyrik  entnationalisirt  und 
zu  einer  künstlichen  Treibhauspflanze,  welche  aller  natürlichen 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  3 

Frische  und  urwüchsigen  Duftes  ermangele,  umgewandelt 
worden  sei,  dürfte  nicht  aller  Berechtigung  entbehren,  so  un- 
gereimt es  natürlich  auch  sein  würde,  Petrarca  selbst  für  die 
Geistlosigkeit  und  das  Ungeschick  seiner  Nachahmer  verant- 
wortlich machen  zu  wollen. 

Lassen  wir  indessen  die  Folgen,  welche  der  Einfluss  des 
„Canzoniere"  für  die  späteren  Schicksale  der  italienischen 
Lyrik  gehabt  hat,  ganz  dahingestellt,  so  ist  doch  das  Eine 
unzweifelhaft,  dass  der  „Canzoniere",  weil  selbst  nur  lyrische 
Poesien  umfassend,  eben  auch  nur  auf  die  Entwickelung  der 
italienischen  Lyrik  eine,  sei  es  nun  segensreiche,  sei  es  ver- 
derbliche, Einwirkung  auszuüben  vermochte.  Es  würde  dem- 
nach seinem  Verfasser,  wenn  derselbe  keine  w^eiteren  Leistungen 
aufzuweisen  hätte,  eine  litterargeschichtliche  Bedeutung  nur 
für  das  verhältnissmässig  beschränkte  Gebiet  der  Lyrik  zu- 
gestanden werden  können.  Nun  freilich  hat  Petrarca  in  seinem 
Alter  nach  dem  Vorbilde  der  „Göttlichen  Komödie"  Dante's 
auch  eine  epische  Dichtung,  die  ,,Trionfi",  verfasst,  aber  es 
würde  dieselbe,  so  wenig  wir  auch  ihre  eigenthümlichen  und 
grossartigen  Schönheiten  und  die  Tiefe  ihres  Gedankeninhaltes 
verkennen  wollen,  doch  wenig  geeignet  gewesen  sein,  ihm  ein 
Anrecht  auf  den  erhabenen  Rang  zu  verleihen,  welcher  ihm 
von  der  Litteraturgeschichte  mit  gutem  Gioinde  zuerkannt 
wird. 

Nicht  also  in  demjenigen,  was  er  selbst  poetisch  ge- 
schaffen, ist  Petrarca's  Grösse  und  eigenthümliches  Verdienst 
enttialten.  Als  Dichter  steht  er  an  schöpferischer  Kraft  und 
Originalität  des  Denkens  weit  hinter  Dante  und  selbst  auch 
hinter  Boccaccio  zurück,  so  sehr  er  dieselben  auch  und  nament- 
lich den  ersteren  in  der  kunstvollen  Beherrschung  der  Form 
und  in  der  Meisterschaft  über  eine  noch  nicht  gefügige  Sprache 
übertrifft.  Und  dennoch  hat  er  weit  Grösseres  gethan,  als 
Dante  und  Boccaccio,  Grösseres,  als  irgend  ein  anderer  Geistes- 
heros des  Alterthums  oder  der  Neuzeit:  er  ist  der  Schöpfer 
einer  neuen  Cultuiform,  der  Erzeuger  und  Begründer  der 
Renaissance  geworden  und  hat  dem  geistigen  Schaffen   nicht 


4  Erstes  Capitel. 

bloss  seines  Volkes,  sondern  aller  Ciüturuatiouen  des  Abend- 
landes auf  Jahrhunderte  hinaus  das  Gepräge  seines  Geistes 
aufgedrückt.  Es  kann  seinen  Ruhm  nicht  schmälern,  dass, 
als  er  das  gewaltige  Werk  der  Neusehöpfung  der  Cultur  theils 
vollzog  theils  doch  vorbereitete,  er  sich  der  folgenschweren 
Bedeutung  dessen,  was  er  that,  nur  unvollkommen  bewusst 
war  und  dass  er  selbst  mit  seiner  Persönlichkeit  sich  nie 
voll  und  ganz  auf  den  von  ihm  neugeschaffenen  Culturl)oden 
zu  stellen  wagte,  sondern  mit  seinem  Fühlen  und  Denken 
theilweise  immer  in  den  Anschauungen  der  früheren  Cultur- 
periode  verharrte,  die  Befreiung  also,  welche  er  den  Anderen 
brachte,  in  ihrem  ganzen  Umfange  an  sich  selbst  nie  voll- 
zog. Beides,  sowol  die  Unvollständigkeit  des  Bewusstseins  als 
auch  die  Scheu,  für  die  eigene  Person  die  letzten  Consequenzen 
der  gewonnenen  Erkenntniss  zu  ziehen,  war  durch  die  Schwäche 
der  menschlichen  Natur  bedingt.  Noch  hat  kein  Entdecker 
die  volle  Tragweite  seiner  Entdeckung  zu  ermessen  venuocht, 
noch  Niemand  die  Kraft  besessen,  sich  von  seiner  eigenen 
Vergangenheit  vollkommen  loszulösen.  Culturwandlungen  voll- 
ziehen sich  nicht  mit  einem  Schlage,  sondern  nur  langsam 
und  allmählich  weicht  die  ältere  ausgelebte  Form  der  Cultur, 
welche  die  Vergangenheit  beherrschte,  der  jüngeren  lebens- 
kräftigen, welcher  die  Zukunft  gehört.  Die  Menschen  solcher 
Uebergangszeiten  sind  selbst  auch  Uebergangsmenschen ,  je 
nach  der  Beschaffenheit  ihrer  individuellen  Natur^nlage  und 
dem  Grade  ihrer  geistigen  Entwickelung  mehr  oder  weniger 
der  einen  oder  der  anderen  der  beiden  mit  einander  ringenden 
Culturformen  sich  zuneigend,  immer  aber  beiden  gleich- 
zeitig angehörend.  Auch  die  gewaltigsten  Geister  und  selbst 
diejenigen,  welche  eine  neue  Culturform  erschaffen,  vermögen 
mit  ihrer  menschlich  beschränkten  Persönlichkeit  nicht,  diesem 
Naturgesetze  der  allmählichen  Entwickelung  sich  zu  entziehen 
und  den  ihnen  nothwendigerweise  anhaftenden  Charakter  einer 
gewissen  Halbheit  und  ünentschiedenheit  abzustreifen.  Von 
solchem  Gesichtspunkte  aus  will  auch  Petrarca  beurtheilt  sein 
und  man  wird   es  dann  nicht  nur  erklärlich,   sondern  selbst 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  5 

natürlich  finden,  class  sieh  in  seinem  Charakter  die  mittel- 
alterlichen und  die  modernen  Elemente  so  seltsam  mischen, 
wie  wir  oft  zu  beol)achten  Gelegenheit  finden  werden.  Er  ist 
der  Begründer  der  Renaissancecultur  und  steht  als  solcher 
nur  an  ihren  Eingangspforten ,  nicht  auf  ihren  Höhen ;  noch 
ein  ganzes  Jahrhundert  musste  nach  ihm  dahingehen,  l)evor 
im  Zeitalter  Lorenzo's  de'  Medici  die  Renaissancemenschen  im 
vollsten  Sinne  des  Wortes  die  Weltbühne  betraten. 

Auch  dadurch  kann  für  denjenigen,  welcher  gerecht  zu 
urtheilen  sich  bestrebt,  Petrarca's  Ruhm  nicht  verkleinert 
werden,  dass  an  der  Grundlegung  des  stolzen  Baues  der  Re 
naissancecultur  zum  Theil  vor,  zum  Theil  auch  neben  ihm 
unzählige  Andere  mitgearbeitet  hal)en.  Es  war  das  ja  in  der 
Natur  der  Sache  begründet.  Vorbedingung  für  jede  Cultur- 
wandelung  ist,  dass  die  Neigung  zu  derselben  und  die  grössere 
oder  geringeve  Befähigung,  für  ihre  Verwirklichung  zu  arbeiten, 
nicht  bloss  in  e  i  n  e  m  Individuum,  sondern  in  zahlreichen  Indi- 
viduen vorhanden  seien.  Auch  der  grösste  Genius  würde  ver- 
geblich sich  bemühen,  eine  neue  Culturform  zu  schaffen,  wenn 
der  Boden  für  dieselbe  noch  nicht  genügend  vorbereitet  und 
die  erforderliche  Zahl  verständnissvoller  Mitarbeiter  nicht  vor- 
handen ist.  Einem  solchen  Versuche  ist  das  Misslingen  und 
dem,  der  ihn  unternimmt,  das  Mai-tyrthum  gewiss  und  glück- 
lich mag  er  sich  preisen,  wenn  wenigstens  einige  der  Saamen- 
körner,  die  er  ausgestreut,  auf  fruchtbares  Erdreich  gefallen 
sind  und  Wachsthum  für  die  Zukunft  versprechen.  Mit  diesem 
tröstenden  Bewusstsein  durfte  ein  Sokrates  sterben,  während 
so  manchem  anderen  erleuchteten  Geiste,  der  einer  unreifen 
Zeit  rejfe  Gedankenfrüchte  liot,  selbst  dieser  Hoffnungsblick 
in  die  Zukunft  versagt  blieb.  Wie  ein  jeder  Feldherr  zum 
Siege  eines  Heeres  bedarf,  so  bedarf  ein  Jeder,  welcher  der 
Cultur  neue  Bahnen  anweisen  will,  zum  Erfolge  einer  Schaar 
rüstiger  Vor-  und  Mitarbeiter.  Noch  kein  gewaltiges  Cultur- 
«reigniss  —  nicht  die  Erfindung  der  Buchdruckerkunst,  nicht 
Amerika's  Entdeckung,  nicht  die  Reformation  der  Kirche,  um 
nur  einige  zu  nennen   —  ist  in  d'-m  Sinne  das  Werk  eines 


Q  Erstes  Capitel. 

einzigen  Mannes  gewesen,  dass  er  deren  Entwurf  und  Aus- 
führung lediglich  der  eigenen  Geisteskraft  zu  verdanken  ge- 
habt und  jeglicher  Unterstützung  durch  Andere  entbehrt  hätte. 
Es  haben  vielmehr  Gutenberg,  Columbus  und  Luther  ihre 
Vorgänger  gehabt,  denen  sie  zum  nicht  geringen  Theile 
ihre  Erfolge  verdankten,  und  Mitstreiter  standen  ihnen  zur 
Seite,  ohne  deren  Beihülfe  ihnen  das,  was  sie  unternahmen, 
unmöglich  gelungen  sein  würde.  Ihr  Ruhm  wird  um  dess- 
willen  nicht  gemindert,  ebensowenig  wie  dem  Feldherrn  der 
Lorbeerkranz  verweigert  wird,  weil  er,  um  den  Sieg  zu  er- 
ringen, der  thatkräftigen  Mitwirkung  seiner  Krieger  bedurfte. 
Der  siegreiche  Führer  einer  geistigen  Bewegung  darf"  mit  Fug 
und  Recht  auch  als  ihr  Schöpfer  gelten:  aus  dem  vorhandenen 
Gedankenmateriale  erschafft  er  ordnend,  sonderad,  ergänzend 
un<l  umgestaltend  einen  neuen  Ideenbau.  In  solchem  Sinne 
ist  Gutenberg  der  Erfinder  des  Drucks  mit  beweglichen  Let- 
tern, Columbus  der  Entdecker  Amerika's  und  Luther  der  Re- 
foraiator  der  Kirche  geworden.  In  solchem  Sinne  auch  ist 
Petrarca  der  Begründer  der  Renaissancecultur. 

Das  grosse  Werk  aber  der  Erschaffung  einer  neuen  Cultur- 
form  vollzog  nicht  der  Dichter,  sondern  der  Humanist  Petrarca, 
nicht  durch  den  vielgefeierten  „Canzoniere",  noch  auch  durch 
die  „Trionfi",  sondern  ganz  vorwiegend  durch  seine  so  oft  und 
so  viel  geschmähten  lateinischen  Schriften  hat  er  die  Re- 
naissancecultur und  folglich  auch  die  Renaissancelitteratur  be- 
gründet. Der  Beweis  hierfür  kann  nicht  an  dieser  Stelle 
geführt  werden,  sondern  muss  der  späteren  Darstellung  vor- 
behalten bleiben  und  wird  zum  Theil  deren  hauptsächlichsten 
Inhalt  bilden. 

Wer  also  die  Geschichte  der  italienischen  Litteratur  im 
Zeitalter  der  Renaissance  verstehen  will,  muss  der  humani- 
stischen Thätigkeit  Petrarca's  und  den  aus  derselben  hervor- 
gegangenen lateinischen  Werken  die  grösste  Aufmerksamkeit 
und  das  eingehendste  Studium  zuwenden:  es  ist  dies  die 
unerlässliche  Bedingung,  um  befähigt  zu  sein,  die  Wurzeln 
jener  Litteratur   zu  erkennen  und  für   die  Beurtheilung  der 


Die  Quellen  fiir  die  Biographie  Petrarca's.  7 

aus  ihnen  üppiji  erwachsenen  Geistesblumen  den  richtigen 
Standpunkt  zu  gewinnen.  Selbst  für  Petrarca's  eigene  italieni- 
sche Poesien  kann  das  volle  Verständniss  nur  durch  die  Ver- 
trautheit mit  seinen  lateinischen  Schriften  erlangt  werden. 
Und  wenn  diese  lateinisclien  Schriften  für  die  Erkenntniss  der 
Renaissancelitteratur  eine  so  hohe  Bedeutung  besitzen,  so  be- 
sitzen sie  eine  solche  natürlich  auch  für  die  Renaissancecultur 
überhaupt  und  vermögen  manche  anscheinend  räthselhafte  Er- 
scheinung derselben  zu  erklären.  Von  solchen  Erwägungen 
geleitet  werden  wir  in  diesem  ersten  Bande  eines  Werkes, 
welches  die  Geschichte  der  italienischen  Litteratur  im  Zeitalter 
der  Renaissance  erzählen  soll,  eine  eingehende  Betrachtung 
und  Würdigung  der  lateinischen  Werke  Petrarca's  geben,  um 
die  in  den  folgenden  Bänden  zu  entwerfende  litteraturgeschicht- 
liche  Darstellung  vorzubereiten  und  zu  begründen. 

Zuvor  aber  haben  wir  noch  einer  anderen  Aufgabe  uns 
zu  entledigen. 

Das  volle  Verständniss  der  Werke  eines  Schriftstellers 
oder  Dichters  ist  unmöglich  ohne  eine  eingehende  Kenntniss 
seines  Lebensganges.  Nur  eine  beklagenswerthe  Kurzsichtig- 
keit kann  dies  leugnen  und  die  biographischen  Berichte  als 
nicht  zur  Sache  gehörig  aus  der  Litteraturgeschichte  verbannen 
wollen.  Es  sind  die  Schriftsteller  und  Dichter  keine  abstracten 
Wesen,  welche,  losgelöst  von  den  Bedingungen  des  irdischen 
Daseins  und  unbeeinflüsst  von  den  vielverschlungenen  Strö- 
mungen der  menschlichen  Verhältnisse,  in  dem  Aether  der 
Ideen  leben  und  schaffen.  Sie  sind  vielmehr  Menschen  von 
Fleisch  und  Blut,  wie  die  anderen,  und  auch  ihre  Ent- 
wickelung  wird  bedingt,  wie  die  der  anderen,  von  Zuständen  der 
irdischen  Aussenwelt,  in  welcher  sie  leben,  und  ist  abhängig  von 
den  Zufälligkeiten  und  Wechseln  ihrer  menschlichen  Existenz. 
Der  grösste  Genius  vermag,  so  lange  er  in  seiner  irdischen 
Erscheinung  unter  der  Menschheit  wandelt,  den  über  die 
^Menschheit  waltenden  Entwickelungsgesetzen  sich  nicht  zu  ent- 
ziehen. Wie  die  Gestirne  des  Himmels,  so  wandeln  auch  die 
Menschen,  und   sell)st  die  grössten  unter  ihnen,  auf  vom  Ge- 


8  Erstes  Capitel. 

schicke  vorgezeichneten  Bahnen,  docli  sind  diese  Bahnen  weit 
genug,  um  der  individuellen  Selbständigkeit  eine  verhältniss- 
mässige  Freiheit  der  Bewegimg  zu  gestatten  und  das  Gesetz 
der  Schwere,  durch  welches  für  die  Materie  die  Schnelligkeit 
der  Fortbewegung  bedingt  wird,  verliert  seine  Geltung  auf 
dem  geistigen  Gebiete. 

Die  Kenntniss  von  dem  äusseren  Leben  des  Autors  und 
von  den  Zeitverhältnissen,  unter  welchen  es  sieh  abspielte,  gibt 
uns  den  Schlüssel  zu  dem  Verständnisse  seines  inneren  Leben? 
und  damit  zu  dem  Verständnisse  seiner  Schriften,  welche  ja 
des  inneren  Lebens  Ausflüsse  und  Ergüsse  sind. 

Wenn  der  ausgesprochene  Satz  allgemein  gültig  ist,  so 
besitzt  er  doch  in  Bezug  auf  Petrarca  noch  eine  ganz  be- 
sondere Gültigkeit.  Es  hat  Goethe  bekanntlich  einmal  ge- 
äussert, dass  ein  jedes  seiner  Gedichte  ein  Gelegenheitsgedicht 
sei.  Den  gegebenen  Wink  benutzend  haben  des  Dichters 
Verehrer  und  Erklärer  nun  keine  Mühe  gescheut,  für  ein  jedes 
Gedicht  die  äussere  Gelegenheit,  welche  seine  Mutter  war. 
aufzuspüren  und  daraus  Fingerzeige  und  Materialien  für  die 
Interpretation  zu  gewinnen.  Ein  jeder  Deutsche  weiss,  wie 
ergiebig  dies  Bemühen  gewesen  ist.  und  wie  mächtig  es  das 
Verständniss  unseres  grössten  Dichters;  gefördert  hat.  Das 
Gleiche  lässt  von  Petrarca  sich  sagen  und  auf  Petrarca  sich 
anwenden.  Fast  alle  seine  Schriften,  die  Dichtungen  natür- 
lich mit  inbegriffen,  sind  Gelegenheitsschriften  im  goethe'schen 
Sinne  des  Wortes,  fast  alle  verdanken  sie  einer  äusseren  Gele- 
genheit, einer  von  aussen  gegebenen  Anregung  das  Dasein. 
Wie  nöthig  also  ist  es  zu  ihrem  Verständnisse,  mit  diesen 
äusseren  Gelegenheiten,  das  ist  aber  mit  den  äusseren  Lebens- 
umständen und  Lebenszufällen  ihres  Verfassers,  bekannt  zu  sein! 

Noch  etwas  Anderes  kommt  hinzu.  Petrarca  war  eine 
weiche  und  durch  und  durch  subjective  Natur.  In  hohem 
\  Grade  gab  er  sieh  äusseren  Eindrücken  und  Einflüssen  liin, 
Hess  zum  grossen  Theile  sein  Fühlen  und  ürtheilen  davon  ab- 
hängen und  seine  Stimmung  vollends  wechselte  fast  mit  dem 
Wetter:    er    konnte    an   einem    Tage    den   schwermüthigsten 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  9 

Betrachtungen  über  des  Lebens  Nichtigkeit  und  Ziellosigkeit 
sich  hingeben  und  schon  an  dem  anderen  wieder  sprühen  von 
Lebenslust  und  Lebenskraft.  Dies  stäte  Schwanken  spiegelt 
sich  getreu  in  seinen  Werken  wieder  und  kann  demjenigen, 
der  mit  seinen  äusseren  Lebensverhältnissen  nicht  vertraut 
ist,  das  Bild  seines  Charakters  arg  verzerren,  in  jedem 
Falle  aber  das  Verständniss  erschweren  und  oft  selbst 
gänzlich  behindern.  Diese  Gefahr  ist  um  so  drohender,  als 
Petrarca^  vermöge  der  Subjectivität  seiner  Natur  Alles,  was  er 
schrieb,  wenn  er  es  auch  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmte, 
doch  -im  letzten  Grunde  nur  für  sich  selbst  schrieb  und  in  ^ 
Allem  auf  das  eigene  Ich  Bezug  nahm.  Die  Gabe  der  Ob- 
jectivität  war  ihm  versagt.  Er  war  sich  selbst  das  Maass 
aller  Dinge,  beurtheilte  Alles  vom  subjectivsten  Standpunkte 
aus.  Daher  sein  Glaube  an  den  eigenen  Genius,  der  ihn  be- 
fähigte, frei  von  wirklich  tiefen  Zweifeln  an  der  Richtigkeit 
des  Erkannten  und  Erstrebten,  neue  Pfade  der  Bildung  und 
des  Wissens  aufzusuchen.  Muss  doch  ein  Jeder,  der  Grosses 
vollführen  will,  zunächst  den  Glauben  an  sich  selbst  und  an 
die  eigene  üeberlegenheit  besitzen.  Der  an  sich  selbst  stets 
zweifelnden  Bescheidenheit,  die  ängstlich  nach  Objectivität 
ringt,  ist  noch  nie  Bedeutendes  gelungen. 

Wie  dem  aber  auch  sein. mag,  Petrarca's  unleugbare 
Subjectivität  in  Allem,  was  er  geschaffen,  legt  demjenigen, 
welcher  in  das  Verständniss  seiner  Werke  einzudringen  be- 
gehrt, die  unerlässliche  Pflicht  auf,  sich  zuvor  die  Kenntniss 
seines  Lebenslaufes  zu  erwerben.  Allzu  eng  verwachsen  ist 
Petrarca's  äusseres  Leben  mit  seinem  inneren  Leben,  mit 
seinem  ganzen  Dichten,  Denken  und  Wirken,  als  dass  das 
Eine  von  dem  Anderen  sich  sondeni,  dass  das  Eine  ohne  das 
Andere  sich  verstehen  Hesse. 

Wir  werden  demnach  zunächst  das  Leben  Petrarca's  er- 
zählen, bevor  wir  an  die  Analyse  und  Würdigung  seiner  Werke 
herantreten.  Wir  werden  hierbei  allerdings  darauf  verzichten 
müssen,  alle  Einzelheiten,  soweit  sie  nicht  litterar-  oder  cul- 
turgeschichtliche    Wichtigkeit    besitzen,     zur    Darstellung    zu 


10  Erstes  Capitel. 

bringen  und  was  wir  geben,  Avird  bei  aller  theilweisen  Aus- 
führlichkeit doch  immer  nur  den  Charakter  einer  Skizze  tragen 
und  nicht  darauf  Anspruch  erheben  dürfen,  eine  in  allen 
Punkten  abschliessende  und  kritische  Biographie  sein  zu  wollen, 
wie  eine  solche  denn  wol  auch  nur  von  einem  Italiener 
—  möchte  es  doch  ein  Fracassetti  oder  Villari  sein!  —  einst- 
mals wird  geschrieben  werden  können.  Der  Anlage  unseres 
Buches  nach  konnte  und  durfte  der  biographische  Theil  des- 
selben nicht  als  Selbstzweck,  sondern  nur  als  ein,  allerdings 
sehr  wichtiges,  Mittel  zum  Zwecke  des  Verständnisses  Petrar- 
ca's  aufgefasst  werden.  Nicht  aber  werden  wir  trotz  der  uns 
auferlegten  Beschränkung  es  uns  versagen,  die  biographische 
Darstellung  zuweilen  durch  litterar-  und  culturgeschichtliche 
Betrachtungen  allgemeiner  Art  zu  unterbrechen,  wenn  diese 
geeignet  erscheinen  sollten,  die  im  weiteren  Verlaufe  unseres 
Buches  zu  gebende  Darstellung  der  Geschichte  der  italienischen 

Renaissancelitteratur  vorzubereiten  und  zu  begründen. 

Die  meisten  derjenigen,  welche  es  unternehmen,  die 
Lebensgeschichte  eines  Dichters  oder  Denkers  der  fernen  Vor- 
zeit zu  erzählen ,  sind  vollberechtigt  zu  der  Klage ,  dass  sie 
durch  die  Spärlichkeit  und  Lückenhaftigkeit  des  überlieferten 
l)iographischen  Materiales  sich  auf  Schritt  und  Tritt  in  ihrer 
Darstellung  behindert  sehen  und  in  Folge  dessen  nur  allzu  oft 
zu  Hypothesen  ihre  Zuflucht  zu  nehmen  genöthigt  sind.  Um 
aus  der  Fülle  der  vorhandenen  nur  ein  Beispiel  herauszu- 
greifen, so  denke  man  daran,  wie  unendlich  Vieles  und  wie 
Wichtiges  in  Shakespeare's  Biographie  trotz  des  angestreng- 
testen Sammlerfleisses  und  des  bewundernswerthesten  Scharf- 
sinnes verdienstvoller  Forscher  noch  immer  unaufgehellt  und 
räthselhaft  ist  und  vermuthlich  für  alle  Folgezeit  auch  bleiben 
wird.  Im  höchsten  Grade  dürftig  ist  fürwahr  die  Summe 
dessen,  was  in  der  Lebensgeschichte  des  grössten  britischen 
Dichters  und  des  grössten  Dramatikers  der  modernen  Cultur- 
welt  als  authentische  und  urkundlich  belegbare  Wahrheit  be- 
zeichnet werden  darf  und  keine,  wenn  auch  noch  so  geistvollen 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  11 

Hypothesen  vermögen  uns  für  den  Mangel  positiver  Daten  zu 
entschädigen. 

Der  Biograph  Petrarca's  besitzt  kein  Recht  zu  solcher 
Klage  und  weit  entfernt,  dass  er  durch  die  Dürftigkeit  des 
vorhandenen  authentischen  Materiales  in  seiner  Arbeit  behin- 
dert würde,  wird  er  vielmehr  fast  durch  die  überreichliche 
Fülle  desselben  in  Verlegenheit  gesetzt.  Dies  Material  ist 
überdies  das  denkbar  werthvollste,  denn  es  besteht  aus  Briefen 
Petrarca's  selbst  und  zwar  aus  Briefen,  welche,  mit  ver- 
schwindend geringen  Ausnahmen,  in  Bezug  auf  ihre  Aechtheit 
in  keiner  Weise  angezweifelt  werden  können.  Es  umfassen 
die  uns  erhalteneu  Briefsammlungen  nahezu  600  Briefe  ^)  von 
zum  Theil  beträchtlichem  Umfange  und  es  sind  hierbei  die  in 
metrischer  Form  abgefassteu  Episteln,  deren  Zahl  67  beträgt, 
noch  nicht  mit  eingerechnet. 

Wenn  durch  irgend  Etwas,  so  erhält  Petrarca  durch  diese 
seine  umfangreiche  Correspondenz  ein  wohl  begründetes  An- 
recht auf  den  Ehrennamen  des  ersten  modernen  Menschen, 
Briefe  sehreibt  nur  wer  den  Drang  nach  Mittheilung  lebendig 
in  sich  fühlt,  wer  vermöge  eines  entwickelten  Bewusstseins 
von  der  eigenen  Individualität  das  subjective  Empfinden  und 
Fühlen  für  interessant  und  wichtig  genug  hält,  um  dasselbe 
schriftlich  zu  tixiren  und  der  Aussenwelt  mitzutheilen.  Die 
Epistolographie  findet  nur  in  solchen  Zeiten  eifrige  Pflege,  in 
denen  die  Individualitäten  streben,  in  ihrer  Eigenartigkeit  sich 
nach  aussen  hin  geltend  zu  machen  und  zur  Anerkennung  zu 
bringen,  in  denen  ferner  die  subjectiven  Empfindungen  und 
Gefühle  der  Individuen  so  stark  und  lebhaft  sind,  dass  sie  einer 
Expansion,   eines  Ergusses  nach  aussen  hin  bedürfen.     Solche 


^)  Epistolae  de  rebus  familiaribus  368,  Epistolae  Seniles  124,  Variae  69 
(wovon  in  Fracassetti's  Ausg.  4  dem  Appendix  zugewiesen  sind),  Epistolae 
sine  titulo  15  (in  den  baseler  Ausgaben  20,  von  denen  aber  Fracassetti 
vier  —  no.  2,  3,  4  und  7  —  in  den  Appendix  zu  den  Familiäres  und 
einen  —  no.  20  —  unter  die  Seniles  aufgenommen  hat,  wobei  zu  bemerken 
ist,  dass  in  der  baseler  Ausgabe  von  1581  in  der  Zählung  der  Epistolae 
sine  titulo  zwei  Versehen  stattgefunden  haben :  epist.  5  ist  als  4  bezeichnet 
und  epist.  8  gar  nicht  mitgezählt  worden). 


12  Erstes  Capitel. 

Zustände  haben  aber  nur  in  den  modernen  Zeiten  stattgefunden, 
während  sie  dem  Alterthume,  so  lange  dasselbe  den  eigentlich 
antiken  Charakter  bewahrte,  sowie  dem  Mittelalter,  abgesehen 
von  einer  einzigen  gleich  zu  erwähnenden  Ausnahme,  fiemd 
geblieben  sind  und  fremd  bleiben  mussten,  denn  die  Menschen 
sowol  der  altgriechischen  und  altrömischen  Culturperiode 
(welche  sich  einerseits  etwa  bis  zum  peloponnesi sehen  und 
andererseits  bis  zum  zweiten  punischen  Kriege  erstreckt)  als 
auch  diejenigen  des  Mittelalters  besassen  eine  zu  wenig  ent- 
Avickelte  Individualität  und  fühlten  sich  zu  sehr  als  dienende 
Glieder  grosser  staatlicher  und  religiöser  Verbände,  als  dass 
sie  das  Bedürfniss  empfunden  hätten,  ihren  subjectiven  Ge- 
fühlen Ausdruck  zu  verleihen  und,  wenn  sie  es  doch  empfan- 
den, so  wählten  sie  dafür  die  näher  liegenden  und  natür- 
licheren Formen  der  Lyrik,  nicht  die  im  Vergleich  damit  schwer- 
fällige und  zu  breiten  Reflexionen  herausfordernde  Form  des 
Briefes.  Zu  beachten  ist  ferner,  dass  auch  in  den  modernen 
Zeiten  die  Freude  am  Bi-iefschreiben  nicht  immer  gleich  stark 
gewesen  ist,  sondern  sehr  verschiedene  Grade  der  Intensität  be- 
sessen hat.  Am  üppigsten  blüht  die  Epistolographie  in  solchen 
Perioden,  in  denen  die  Cultur  bedeutende  Wandlungen  zu  voll- 
ziehen im  Begriffe  steht  und  in  denen  folglich  einei-seits  die 
Unzufriedenheit  mit  überlebten,  aber  noch  nicht  abgestorbenen 
Zuständen  und  andererseits  die  unbestimmte  halb  freudige  halb 
bange  Erwartung  einer  nahen,  aber  noch  nicht  in  scharfen 
Umrissen  sich  zeigenden  Neugestaltung  der  Dinge  besonders 
lebhaft  empfunden  werden.  Es  ergreift  dann  alle  Denkenden 
der  Drang,  sich  über  das,  was  das  Innere  so  mächtig  bewegt, 
auszusprechen  und  mitzutheilen,  den  überquellenden  Betrach- 
tungen des  reflectirenden  Verstandes  und  den  wechselnden 
Empfindungen  des  erregten  Herzens  eine  äussere  Ableitung  zu 
geben,  und  der  Brief  gewährt  der  Befriedigung  dieses  Bedürf- 
nisses die  bequemste  und  dehnbarste  Form.  Daher  die  leb- 
hafte Correspondenz  in  den  Zeitaltern  der  Renaissance,  der 
Reformation  und  der  philosophischen  Aulklärungsbewegung 
im  achtzehnten  Jahrhundert.     Auch  innerhalb  der  mittelalter- 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  13 

liehen  Cultur  findet  sich  einmal  ganz  isolirt  eine  ähnliche, 
freilich  rasch  vorübergehende  Periode,  es  ist  diejenige,  welche 
man  als  die  karolingische  Vorrenaissance  bezeichnen  könnte. 
Karl  der  Grosse  bemühte  sich,  germanisch  -  christliche  und 
antik-römische  Cultur  in  eine  höhere  Einheit  zu  verschmelzen. 
Das  grossartige  Unternehmen  hatte,  weil  es  um  viele  Jahr- 
hunderte verfrüht  war,  nur  einen  zeitweiligen  und  auf  enge 
Kreise  beschränkten  Erfolg,  indessen  war  die  durch  dasselbe 
angeregte  Bewegung  der  Geister  doch  stark  genug  gewesen, 
um  eine  Epistolographie  zu  erzeugen,  Avelche  in  Alcuins  Brief- 
sammlung eine  beachtenswerthe  Höhe  erstiegen  hat.  So  er- 
scheint die  Epistolographie  stets  zu  Zeiten,  in  denen  die 
moderne  Cultur  in  Geburtswehen  liegt  und  sie  vermag  einen 
nicht  verächtlichen  Gradmesser  für  die  Intensität  geistiger 
Bewegungen  und  Strömungen  abzugeben.  So  kann  auch  die 
Tiefe  jener  mächtigen  Geistesbewegung,  deren  Endergebniss  die 
Renaissancecultur  und  also  die  moderne  Cultur  überhaupt  war,  an 
der  Epistolographie  des  Humanismus  ermessen  werden.  Der  Brief 
war  für  die  Humanisten  die  beliebteste  Form  des  schriftlichen 
Oedankenausdruckes  und  kein  anderer  Zweig  der  Litteratur  ist 
von  ihnen  mit  grösserem  Eifer  gepflegt  worden.  Der  Brief  bot 
ihnen  die  Möglichkeit  rascher  und  bequemer  Gedankenüber- 
gänge, die  Möglichkeit,  viele  und  ungleichartige  Materien  mit 
einem  gemeinsamen  äusseren  Rahmen  zu  umfassen  und  nach 
subjectivem  Behagen  die  einen  nur  flüchtig  zu  streifen, 
die  anderen  dagegen  in  aller  Breite  und  Ausführlichkeit  zu 
erörtern,  er  bot  ihnen  endlich  die  Möglichkeit,  dem  Streben 
nach  Formenschönheit  zu  genügen  und  alle  Mittel  rhetorischer 
und  stylistischer  Kunst  in  reichem  Wechsel  zur  Anwendung 
zu  bringen.  Im  Briefe  auch  konnten  sie  den  ihnen  meist  nur 
allzu  sehr  anhaftenden  Mangel  wirklich  schöpferischer  Genialität 
und  Originalität  am  besten  verhüllen  und  am  leichtesten  sich 
selbst  und  Andere  mit  dem  Scheine  der  Productivität  täuschen, 
während  in  Wahrheit  doch  allermeist  nur  Reproduction 
stattfand. 


14  Erstes  Capitel. 

An  der  Spitze  der  Humanisten  und  also  am  Eingange  der 
modernen  Cultur  steht  auch  in  dieser  Beziehung  Petrarca. 

Petrarca's  Briefe,  soweit  er  selbst  sie  für  die  Nachwelt 
erhalten  wissen  wollte,  und  soweit  sie  auch  in  der  That  allein 
sich  erhalten  haben,  sind  in  ihrer  weit  überwiegenden  Mehrzahl 
durchaus  nicht  Briefe  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes, 
sie  waren  nicht  vorwiegend  dazu  bestimmt,  den  Adressaten 
Mittheilungen  über  die  äusseren  Lebensverhältnisse  ihres  Ver- 
fassers zu  machen.  Es  war  ein  ausdrücklich  ausgesprochener, 
wenn  auch  freilich  in  der  Praxis  oft  genug  verleugneter  Grund- 
satz Petrarca's,  die  Erörterung  häuslicher  und  rein  pei*sönlicher 
Angelegenheiten,  namentlich  aber  solcher,  welche  sich  auf 
finanzielle  Verhältnisse  bezogen,  aus  seinen  für  die  Oeffentlich- 
keit  bestimmten  Briefen  auszuschliessen  M ,  und  ebenso  wollte 
er  grundsätzlich  die  Namen  der  stwa  von  ihm  angegriffenen 
Persönlichkeiten  verschweigen  ^).  Konnte  er,  wenn  er  einem 
Freunde  schrieb,  es  nicht  vermeiden,  auch  hauswirthschaftliche 
Fragen  zu  besprechen,  so  that  er  dies,  um  den  stylvollen  Brief 
nicht  durch  solche  Quisquilien  zu  entwürdigen,  auf  einem  bei- 
gelegten Blättchen  und  vermuthlich  in  italienischer  Sprache  ^). 
Es  sollten  eben  seine  Briefe  keine  banalen  Privatbriefe,  sondern 
Schrifstücke  von  litterarischem  Werthe  und  allgemein  inter- 
essantem Inhalte  sein.  Seneca,  nicht  Cicero  war  in  dieser  Be- 
ziehung sein  Vorbild.  Um  die  litterarische  Bedeutung  seiner 
Episteln  auch  äusserlich  zum  Ausdruck  zu  bringen,  bediente 
er  sich  für  die  Abfassung  derselben  nicht  der  italienischen 
Vulgärsprache,  welche  von  ihm,  dem  Dichter  des  „Canzoniere", 
seltsam  genug  als  unwürdig  der  Verwendung  für  ernste 
Production  erachtet  ward,  sondern  durchaus  nur  des  Lateins, 
welches  er  möglichst  den  antiken  Stylmustern  nachzubilden 
strebte,  wenn  er  auch  freilich  aus  leicht  ersichtlichen  Gründen  in 
diesem  Streben  nicht  die  gleichen  Erfolge  erzielte  wie  die  späteren 
Humanisten.     Italienische  Briefe  Petrarca's   haben   sich  nicht 

^)  Ep.  Fam.  XVIU  7.  XX  2.    Sen.  XIII  12.  XIV  6. 
2)  Ep.  Sen.  XIV  14  (16). 
•'')  Ep.  Fam.  XVIII  7.  XX  2. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  15 

erhalten  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eben  auch  nie 
existirt;  diejenigen,  welche  man  ihm  hat  beilegen  wollen,  sind 
ohne  Ausnahme  apokryph  und  zum  Theil  Fälschungen  der 
plumpesten  Art^). 

Hätte  nun  Petrarca  an  dem  Grundsatze,  seine  Briefe 
jedes  privaten  Charakters  zu  entkleiden,  streng  festgehalten, 
so  würden  dieselben  eben  solche  moralphilosophische  Abhand- 
lungen und  Tractate  geworden  sein  wie  Seneca's  Episteln  an 
Lucilius  es  sind,  welche  mit  Briefen  eben  nur  das  gemein- 
sam haben,  dass  sie  eine  Adresse  an  ihrer  Spitze  tragen.  Der 
Biograph  würde  dann  aus  der  ganzen  so  umfangreichen  Corre- 
spondenz  nur  ein  höchst  kärgliches  Material  zu  gewinnen  ver- 
mögen. Glücklicherweise  indessen  besitzt  nur  ein,  wenn  auch 
nicht  unbeträchtlicher,  Theil  der  Briefe  diesen  Charakter  der 
von  allen  persönlichen  Beziehungen  abstrahirenden  Allgemein- 
heit, ein  grosser  Theil  dagegen  gibt,  wenn  auch  untermischt 
mit  breiten  moralphilosophischen  Reflexionen  und  Excursen, 
doch  auch  persönliche  Mittheilungen  in  wünschenswerthester 
Ausführlichkeit,  und  es  fehlen  auch  keineswegs  Briefe,  welche 
sieh  geradezu  als  gewöhnliche  Privatbriefe  bezeichnen  lassen. 
Es  war  eben  Petrarca  eine  viel  zu  subjective  Natur,  als  dass 
er  es  vermocht  hätte,  consequent  von  seiner  Persönlichkeit  zu 
abstrahiren,  und  viel  zu  sehr  war  er  von  der  Humanisteneitel- 
keit erfüllt,  als  dass  er  nicht  gern  jede  sich  darbietende 
Gelegenheit  benutzt  hätte,  um  von  seinem  eigenen  lieben  Ich 
und  dessen  Befinden  zu  reden,  selbst  in  seinen  wissenschaftlieh 
sein  sollenden  Schriften  hat  er  dieser  Versuchung  nicht  immer 
widerstehen  können.  Seiner  epistolographischen  Thätigkeit 
hat  übrigens  dies  Hineinziehen  der  eigenen  Persönlichkeit  den 
entschiedensten  Vortheil  gebracht:  es  haben  dadurch  die  Briefe 
Natürlichkeit,  Frische  und  Lebendigkeit  erhalten. 

Enthalten  sonach  Petrarca's  Briefe  werthvollstes  biogra- 
phisches Material  in  reicher  Fülle,  so  bleibt  doch  immerhin 
Eins  zu  beklagen:  Petrarca  sehrieb,  wie  dies  subjectiv  angelegte 


^)  vgl.  Fracassetti  in   der  prefaz.  zu  den  lett.  delle  cose  fam.  p.  6  ff. 


IQ  Erstes  Capitel. 

und  ihrer  eigenartigen  Individualität  sich  bewusste  Menschen 
stets  thun,  weit  mehr  für  sich  selbst,  als  für  seine  Adressaten. 
Man  könnte  seine  Briefe  niedergeschriebene  Selbstgespräche 
nennen,  welche  nur  zufällig  mit  einem  Briefcouvert  bekleidet 
sind.  Es  war  ihm  eben  bei  seiner  Correspondenz  nur  dämm 
zu  thun,  dem  eigenen  Drange  nach  Fixirung  der  ihn  bewegen- 
den Gedanken  zu  genügen,  und  wenig  kümmerte  es  ihn,  ob 
diese  Gedanken  auch  für  seine  Correspondenten  hinreichendes 
Interesse  haben  würden,  zumal  er  voraussetzen  durfte,  dass 
für  viele  seiner  Freunde  nicht  sowol  der  Inhalt,  als  die 
Form,  der  zierliche  Styl,  das  Wesentliche  sei.  So  vermisst 
man  denn  in  seinen  Briefen  durchaus  ein  liebevolles  und  ge- 
müthvolles  Eingehen  auf  die  Individualitäten  der  betreifenden 
Adressaten  und  ein  Anbequemen  an  die  verschiedenen  An- 
sehajurngs-  und  Gefühlsweisen  derselben.  Es  sind  diese 
Briefe  an  Personen  gerichtet,  welche  den  verschiedensten 
Ständen,  Lebensaltern  und  Berufen  angehörten  und  welche  zu 
Petrarca  in  den  verschiedenartigsten  Beziehungen  standen, 
nichtsdestoweniger  sind  sie,  von  wenigen  Ausnahmen  abgesehen, 
sämmtlich  in  dem  gleichen  Tone  abgefasst,  nur  dass  natürlich 
die  Conventionellen  Formen  der  Anrede  bald  mehr  bald  weniger 
vertrauliche  sind.  Die  individuelle  Färbung  fehlt  eben  gar 
sehr,  mag  sie  auch  hier  und  da  allerdings  zu  finden  sein. 
Es  ist  doch  höchst  bezeichnend,  dass  man  sich  selbst  von 
Männern,  wie  etwa  Socrates,  Laelius  und  Simonides,  welche 
ja  Petrarca  selbst  als  seine  vertrautesten  Freunde  bezeichnete 
und  welche  dies  in  gewissem  Sinne  wirklich  auch  gewesen 
sind,  auf  Grund  der  so  zahlreichen  an  sie  gerichteten  Briefe 
kein  lebensvolles  Charakterbild  zu  entwerfen  vermag;  sie  l)e- 
halten  für  unsere  Vorstellung  immer  etwas  Schattenhaftes 
und  Unbestimmtes  und  es  ist  uns  nicht  recht  möglich,  die 
Natur  ihrer  Beziehungen  zu  Petrarca  deutlich  zu  erkennen. 
Selbstverständlich  leidet  unter  diesem  Umstände  auch  unsere 
Keuntniss  der  Lebensverhältnisse  Petrarca's  ganz  wesentlich 
und  vermag  über  eine  gewisse  Einseitigkeit  nicht  hinwegzu- 
kommen:  wir   sehen  nur  immer  den   Helden  auf  der  Bühne, 


Die  Quellen  für  die  Biogi-aphie  Petrarca's.  17 

aber  nicht  den  Chor,  der  aus  dem  matten  Dämmerlichte  des 
Hintergrundes  nie  hervortritt;  wir  hören  nur  immer  den  Helden 
seine  Gedanken  und  Gefühle  aussprechen,  vermögen  dies  aber 
nicht  dadurch  zu  ei'gänzen ,  dass  wir  auch  über  das  Denken 
und  Fühlen  der  ihm  zunächst  stehenden  Genossen  uns  unter- 
richten, und  wir  entbehren  demnach  wichtiger  Momente  für 
die  allseitige  objective  Beurtheilung  unseres  Helden  selbst. 
Es  tritt  noch  ein  anderer  Umstand  störend  hinzu.  Trotz  aller 
seiner  Subjectivität  lässt  sich  Petrarca  in  seinen  Briefen  doch 
nur  selten  zu  wirklichen  Herzensergiessungen ,  zu  rückhalts- 
losen Selbstbekenntnissen  hinreissen,  er  bleibt  vielmehr  immer 
in  einer  gewissen  Reserve  und  ist  darauf  bedacht,  eine  theatra- 
lisch würdevolle  Haltung  sich  zu  bewahren,  es  widersteht 
seiner  Eitelkeit,  von  der  olympischen  Höhe  des  Parnasses  zu 
dem  Niveau  gemeiner  Menschlichkeit  herabzusteigen.  So 
tragen  denn  seine  Briefe,  mit  Ausnahme  der  wenigen,  in  denen 
er  den  Ausbruch  lebhafter  Gefühle  nicht  zurückzuhalten  ver- 
mocht hat,  immer  den  Charakter  des  auf  den  Effect  Berechneten 
und  Affectirten,  sie  sind  nicht  innerlich  wahr  und  natürlich 
genug  und  lassen  den  Leser  oftmals  im  Zweifel,  ob  sich  wirk- 
liche Empfindung  oder  nur  die  rhetorische  Nachahmung  einer 
solchen  in  ihnen  ausspricht,  ob  ihr  Verfasser  sein  wahres 
Antlitz  oder  die  Maske  des  declamirenden  Schauspielers  den 
Blicken  zeigt.  Natürlich  thut  diese  stete  Ungewissheit,  welche 
sich  leicht  bis  zum  sittlichen  Unwillen  über  den  ihr  zu  Grunde 
liegenden  Mangel  an  Wahrheitsgefühl  steigern  kann,  einer 
objectiven  Beurtheilung  Petrarca's  schweren  Eintrag  ,und  kann 
wol  selbst  zuweilen  die  Leetüre  der  Briefe  verleiden. 

Vermag  man  es  indessen  mit  dem  Geiste  selbstgefälliger 
Eitelkeit,  welcher  aus  diesen  Briefen  athmet,  sieh  zu  versöhnen, 
so  wird  man  schwerlich  eine  interessantere  und  abwechslungs- 
reichere Leetüre  finden  können ,  zum  mindesten  aber  keine, 
welche  für  die  Geschichte  der  Cultur  und  selbst  auch 
der  politischen  Verhältnisse  des  späteren  Mittelalters  reich- 
haltigere und  in  anmuthigerer  Form  gegebene  Belehrung  ge- 
währte.   "Wie  unendlich  weit  ist  der  Kreis  der  Dinge,   welche 

K •'; V  t  i  n  g ,  Petvaica.  2 


18  Erstes  Capitel. 

in   den  Briefen  theils  ausführlich  erörtert  theils  wenigstens  in 
ihren  Hauptbeziehungen  skizzirt  werden !  wie  unendlich  mannig- 
faltig   sind    die  besprochenen  Gegenstände!    da   werden  bald 
religiöse   oder  philosophische  oder   hochpolitische  Fragen   ein- 
gehend  behandelt,  bald   wieder  philologische   und  historische 
Untersuchungen  angestellt,   bald   auch  Vorkommnisse  des  all- 
täglichen Lebens  im  liebenswürdigsten  Plaudertone  erzählt.    So 
wechselt  der  Inhalt  bunt  und  unterhaltend  wie  die  vielfarbigen 
Bilder   eines  Kaleidoskopes   und  unmöglich   ist  es,    dass   den 
Leser   das  Gefühl  der  Langweile  beschleiche.     Je  weiter  man 
lesend  vordringt,  desto  lebhafter  wird  das  Interesse  erregt  und 
gespannt,   desto    anschaulicher   und  immer  vollständiger  tritt 
das   Bild    einer  fernen,    aber  bedeutungsvollen  Culturpeiiode 
vor  das  geistige  Auge.    Wahrlich,  in  dieser  Briefsammlung  liegt 
'das  werthvollste   und  zum  Theil   noch  unausgebeutete  cultur- 
geschichtliche  Material  in   solchen  Massen  aufgehäuft,  dass  auch 
wer    nur  blindlings    hineingi-eift    sein    Wissen    mit  köstlichen 
Fundstücken   bereichert.     Indessen  auch  abgesehen    von   dem 
Inhalte,    welches   Interesse  bietet  selbst   die  Form   dar!   wie 
mannigfach   sind   die   von   dem  Meister   der  Rhetorik  zur  An- 
wendung gebrachten   Gestaltungen  des  Styls!   wir  finden   alle 
Gattungen   desselben   vertreten   und,    wenn    auch  freilich  die 
ernste    und    gehobene,    etwas    auf   Stelzen    einherschreitende 
Diction    durchaus   vorherrscht,   so  fehlen   doch   die  leichteren 
und    gefälligeren    Arten   keineswegs,    selbst    die   gemüthliche 
Plauderei'),   der   schalkhafte  Humor  ^i  und  die  in  eleganteste 
Form  gefasste  Schmeichelei^)  sind  in  nicht  allzuwenigen  Bei- 
spielen vorhanden.    Die  Latinität  ist  freilich  nicht  eben  classisch 
zu  nennen  und  mag  dem  pedantischen   Philologen   oft  genug 
abstossend  erscheinen,    wer  aber  frei  von   einer  engherzigen 
Voreingenommenheit  sie  würdigt,    wird   nicht  umhin   können 
ihr    die    grossen   Vorzüge    anmuthiger   Geläufigkeit    und   aus- 


^  z.  B.  Ep,  Farn.  VII  3.  XX  9.    Var.  21.  56.     Sen.  IV  3  u.  a. 
2)  z.  B.  Ep.  Farn.  I  9.  10.  ÜI  13.  IX  3.  XX  1.  12.  XXI  10.    Var.  44. 
Sen.  V  3  u.  a. 

'•)  z.  B.  Ep.  Fam.  IV  3.  X  6.  XXI  1  u.  a. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  19 

geprägter  Individualität  zuzugestehen.  Petrarca  ahmte  nicht, 
wie  so  viele  der  späteren  Humanisten,  sklavisch  antike  Styl- 
inuster  nach ,  und  engte  sich  also  nicht  ein  auf  einen  streng 
zugemessenen  Vorrath  von  Wollen  und  Wortverbindungen, 
sondern,  sein  Schriftstellerrecht  im  vollsten  Maasse  brauchend, 
handhabte  er  das  Latein  als  eine  lebende  Sprache  und  schuf 
sich  in  ihm,  unbehemmt  von  ängstlicher  Scheu  vor  etwaigen  Bar- 
barismen, einen  individuellen  und  originalen  Styl,  auch  dadurch 
ein  Anrecht  auf  den  Ruhm,  der  Begründer  einer  neuen  Cultur 
zu  sein,  sich  erwerbend.  Die  Sprache  der  Schriftsteller  des 
Mittelalters  entbehrte,  wenn  wir  von  einigen  wenigen  Aus- 
nahmen, welche  die  Regel  nur  bestätigen,  liier  absehen  dürfen, 
der  individuellen  Färbung,  sie  war  conventioneil  und  formelhaft 
oder  aber  eine  ungeschickte  mechanische  Nachahmung  der 
Diction  irgend  eines  lateinischen  Autors.  Petrarca  zuerst  sprengte 
die  Fesseln  steifer  Convention  und  wagte  es,  auch  der  sprach- 
lichen Form  das  Gepräge  seiner  Individualität  aufzudrücken. 
Er  ist  dadurch,  obwol  er  nur  in  einem  Idiome  des  Altertimms 
geschrieben  hat,  doch  auch  für  die  Eiitwickelung  der  modernen 
Prosa  bedeutungsvoll  geworden:  er  hat  den  Weg  gewiesen, 
auf  welchem  die  prosaische  Rede  aus  den  Banden  todten 
Formelwesens  befreit,  vergeistigt  und  individualen  Neigungen 
und  Bedüfnissen  angepasst  werden  konnte.  Vielleicht  ist  selbst 
Petrarca's  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  Pi'osa  ein 
grösserer  oder  doch  ein  segensreicherer  gewesen,  als  derjenige, 
den  er  auf  die  Entwickelung  der  Poesie  ausgeübt  hat.  Leider 
traten  die  meisten  der  ihm  nachfolgenden  Humanisten  nicht 
in  die  von  ihm  vorgezeichnete  Bahn,  sondern  legten  sich,  auf 
Individualität  und  Freiheit  des  Styles  verzichtend,  die  Fesseln 
des  Ciceronianismus  an  und  schufen  so  ein  neues  Formelwesen, 
welches  sich  in  Bezug  auf  seine  Wirkung  nicht  eben  sehr  von 
dem  mittelalterlichen  unterschied  und  zu  dessen  Zerstörung 
dann  später  gewaltige  Anstrengungen  erforderlich  waren,  ja 
selbst  noch  gegenwärtig  erfordert  werden. 

Nachdem  wir  auf  den  vorangehenden  Seiten  die  Bedeutung 
der  Briefe  Petrarca's  in  biographischer  und  litterargeschicht- 


20  Erstes  Capitel. 

lieber  Beziehung  hoÖentlich  nicht  allzu  unzulänglich  skizzirt 
haben,  erübrigt  es  uns,  einige  Worte  über  die  Abfassungszeit, 
Eintheilung  und  Ueberlieferung  derselben  zu  sagen. 

Bereits  oben  wurde  bemerkt,  dass  Petrarca  selbst  seine 
lateinischen  Briefe  für  die  Oeffentlichkeit  oder,  um  diesen 
etwas  unbestimmten  Ausdruck  zu  vermeiden,  für  einen  weiteren 
Leserkreis,  nicht  etwa  bloss  für  den  einzelnen  Empfänger  be- 
stimmte. Es  geht  dies  —  ganz  abgesehen  von  der  inneren 
Beschaffenheit  der  Briefe,  welche,  wie  wir  oben  sahen,  dafür 
zeugt  —  aus  zwei  Stellen  unzweifelhaft  hervor.  Petrarca  gibt 
einmal  in  einer  Epistel  den  Geburtsort  seines  Freundes  Sokrates 
in  der  lateinischen  Namensform  .,Annea  Campiniae"  an  und 
wiederholt  dabei  den  letzteren  Namen  ganz  ausdrücklich, 
..damit  nicht  etwa  ein  unwissender  Leser  glaube,  es  sei 
Campanien  gemeint"  0-  Bezeichnender  noch  ist  die  zweite 
Stelle.  In  einer  Zuschrift  an  Sokrates  äussert  er,  dass  er  die 
Briefe,  welche  er  an  den  Cardinal  Talleyrand  und  zwar  auf 
dessen  ausdrücklichen  Wunsch  in  schmucklosem  Style  ge- 
schrieben habe,  nicht  weiter  verbreitet  sehen  möchte  und  aus 
diesem  Grunde  auch  keine  Copien  von  ihnen  aufgehoben 
habe  ^).  Auch  an  eine  später  zu  veranstaltende  Sammlung 
seiner  Briefe  hat  Petrarca  gewiss  von  vornherein  gedacht, 
denn  es  würde  sonst  zwecklos  gewesen  sein,  dass  er  sich  Ab- 
schriften derselben  aufbewahrte.  Jedenfalls  schätzte  er  selbst 
seine  Briefe  sehr  hoch  und  maass  ihnen  einen  bleibenden 
Werth  bei;  als  ihm  einmal  einer  derselben  abhanden  gekommen 
war,  war  er  darüber  ganz  untröstlich  und  erging  sich  in  so 
bitteren  Klagen,  als  wenn  es  sich  um  den  Verlust  eines  un- 
sterblichen Werkes  handelte  ^).  Noch  weit  höheren  Werth  aber 
besassen  die  Episteln  und  zwar,  wie  man  nicht  zweifeln  kann, 
hauptsächlich  ihres  zierlichen  Styles  wegen  in  den  Augen  der 
Freunde  und  Verehrer  Petrarca's,  ja  es  wurde  ein  solcher 
Cultus   mit  ihnen  getrieben,   dass  sogar  die  Sicherheit   ihrer 

^)  Ep.  Fam.  IX  2. 
")  Ep.  Fam.  XIV  2. 
^j  Ep.  Fam.  V  lö. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  21 

Beförderung  darunter  litt.  Der  Dichter  klaut  oft  schmerz- 
lich darüber,  dass  seine  Briefe,  bevor  sie  den  Bestimmungsort 
erreichten,  von  Briefliebhabern  aufgefangen  und  abgeschrieben, 
ja  auch  ganz  zurückbehalten  würden^). 

Interessant  würde  es  sein,  über  die  Art  und  Weise  der 
damaligen  Briefbeförderung  eingehende  Kenntniss  zu  besitzen, 
leider  aber  sind  wir  auf  einige  vereinzelte  Angaben  beschränkt. 
Eine  regelmässige  Postverbindung  gab  es  jedenfalls  damals 
nicht,  so  erwünscht  eine  solche  auch  für  den  blühenden  Handel 
und  den  regen  Briefverkehr  gewesen  sein  würde.  Man  war  ledig- 
lich auf  Boten  angewiesen,  welche  zum  Theil  wol  aus  der  Brief- 
beförderung ein  Gewerbe  machten,  zum  Theil  aber  sich  nur 
gelegentlich  damit  befassten.  Pilger,  wandernde  Mönche  und 
durchreisende  Couriere  ül)ernahmen  ebenfalls,  wenn  sie  darum 
ersucht  wurden,  die  Beförderung  von  Privatbriefschafteu.  So 
mag  im  Allgemeinen  namentlich  in  den  Mittelpunkten  des  poli- 
tischen und  kirchlichen  Lebens,  wie  Avignon,  Ptom,  Mailand 
und  Venedig,  immer  Gelegenheit  zur  Beförderung  der  Corre- 
spondenz  vorhanden  gewesen  sein,  doch  musste  man  freilich 
einer  verlässlichen  Eegelmässigkeit  entbehren.  Zuweilen  fehlte 
es  doch  an  Boten  ^) ,  und  die  Briefe  mussten  dann  entweder 
lange  liegen  bleiben^)  oder  es  galt  einen  Briefträger  zu  im- 
provisiren.  So  benutzte  Petrarca  einmal  seinen  Koch  als 
solchen*)  und  ein  anderes  Mal  bediente  er  sich  reisender 
Kaufleute ^).  Die  Beförderung  selbst  war,  da  sie  bei  der 
Mangelhaftigkeit  der  damaligen  Transportmittel  von  vielen  Zu- 
fälligkeiten abhing,  oft  eine  sehr  langsame.  So  war  einmal  ein 
Brief  von  Parma  nach  Mailand  vierzehn  Tage  unterwegs  ^)  und 
ein  anderes  Mal  traf  ein  am  3.  Februar  von  Avignon  abgegangener 


»)  Ep.  Fam.  XVIII  7.    XX  6.     Var.    4.     Ep.   Sen.  XVII   (nach  Fra- 
cassetti)  3. 

2)  Ep.  Fam.  XX  6.  XXII  13. 
^)  Ep.  Sen.  XVI.    1. 
*)  Ep.  Fam.  VIII  4. 
5)  Ep.  Sen.  I  3. 
«)  Var.  8. 


22  Erstes  Capitel. 

Brief  erst  am  23.  März  in  Arquä  bei  Padua  ein^).  Im  All- 
gemeinen jedoch  scheint  die  Bestellung  verhältnissmässig 
ziemlich  rasch  erfolgt  zu  sein,  da,  wäre  dies  nicht  der  Fall 
gewesen,  die  Correspondenz  der  damaligen  Zeit  kaum'  einen 
so  lebhaften  Aufschwung  genommen  haben  würde,  denn  auch 
der  leidenschaftlichste  Briefschreiber  wird  seiner  Liebhaberei 
überdrüssig,  wenn  er  nicht  auf  eine  leidlich  rasche  und  sichere 
Beförderung  seiner  Episteln  rechnen  kann.  Dem  blinden  Zu- 
fall mag  Niemand  die  Kinder  seines  Geistes  anvertrauen. 

Noch  einer  Aeusserlichkeit  werde  hier  gedacht.  Während 
des  Mittelalters  hatte  man  sich  im  Briefstyl  der  Anrede  in 
der  zweiten  Person  des  Plurals  „Vos"  bedient.  Petrarca  kehrte 
zu  dem  classischen  Singular  „Tu"  zurück'^)  und  wandte  ihn 
consequent  an,  nur  hier  und  da  liess  er  sich  durch  unumgängliche 
Rücksichten  auf  die  conventionellen  Verhältnisse  bestimmen, 
seinen  Grundsatz  zu  verleugnen^). 

Im  Jahre  1359  •*) ,  als  eine  durch  trübe  Zeitverhältnisse 
veranlasste  schwermüthige  Stimmung  ihm  den  Gedanken  an 
eine  Ordnung  seines  etwaigen  litterarischen  Nachlasses  nahe 
legte,  fasste  Petrarca  den  Plan,  seine  bis  dahin  verfassten 
Briefe,  soweit  sie  ihm  noch  der  Erhaltung  werth  erschienen  — 
denn  eine  grosse  Anzahl  überlieferte  er  nebst  anderen  Papieren 
den  Flammen  —  in  eine  Sammlung  zu  vereinigen  und  diese 
unter  dem  Namen  „Freundesbriefe  °) "  seinem  Jugendfreunde 
Sokrates  zu  widmen.  Mit  Hülfe  eines  sachkundigen  Freundes 
unternahm  er  es,  die  wüst  durch  einander  liegende  Masse 
seiner  Briefschaften  zu  ordnen  ^),  doch  erst  nach  zwei  Jahren, 
im  Beginn   des  Jahres  1361  ^),  kam  das  mühselige  Werk  zum 


0  -Ep.  Sen.  XV  1. 

■')  Ep.  Fam.  XXIII  14.     Var.  32.     Sen.  XV  1. 

")  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  336  f. 

*)  Zeitbestimmung  nach  Ep.  Fam.  XX  7 ,  wozu  Fracassetti's  Note 
Lett.  fam.  IV  p.  279  f.  zu  vergleichen. 

^)  So  dürfte  vielleicht  der  lat.  Titel:  „epistolae  de  rebus  familiaribus" 
am  kürzesten  und  besten  zu  übersetzen  sein. 

'')  Ep.  Fam.  praef.  und  XX  7. 

')  Ueber  die  Zeitbestimmung  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  201  f. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  23 

Abschlüsse  und  konnte  er  in  einem  Schlussbriefe  ^)  die  in 
einem  stattlichen  Bande  vereinigte  Sammlung  der  „Freundes- 
briefe"  aufs  Neue  seinem  Sokrates  widmen.  Da  indessen  der 
letztere  bereits  im  Mai  1361  starb ,  so  scheint  die  Absendung 
der  ihm  zugedachten  Gabe  unterblieben  und  sogar  durch 
irgend  welchen  Zufall  die  mühsam  zu  Stande  gebrachte  Samm- 
lung wieder  in  ihre  einzelnen  Bestände  aufgelöst,  wenn  nicht 
vernichtet  worden  zu  sein.  Denn  durch  eine  solche  Annahme 
allein  lässt  es  sich  erklären,  dass  Petrarca  einige  Jahre  später, 
wie  er  selbst  in  einem  höchst  wahrscheinlich  im  October  1365 
verfassten  Briefe  berichtet '),  abermals  mit  der  Sammlung  der 
Freundesbriefe  beschäftigt  war  und  diese  durch  einen  talent- 
vollen jungen  Mann,  den  er  in  sein  Haus  aufgenommen  hatte, 
ordnen  und  copiren  liess.  Es  würde  demnach  eine  doppelte 
Redaction  dieser  Briefsammlung,  eine  provisorische  in  den 
Jahren  1359 — 61  vorgenommene  und  eine  definitive  im  Jalire 
1365  vollzogene,  anzunehmen  sein,  wodurch  es  auch  be- 
greiflich werdeft  würde,  dass  sich  in  der  uns  vorliegenden 
Sammlung  eine  Anzahl  Briefe  befindet,  deren  Abfassung  mit 
grösserer  oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  in  die  Jahre 
1362—1365  anzusetzen  ist  3). 

Dass  die  Sammlung  der  „Freundesbriefe"  von  Petrarca 
selbst  in  vierundzwanzig  Bücher  eingetheilt  worden  sei,  ist 
höchst  wahrscheinlich,  da  bereits  Sicco  Polentone  in  seiner 
kurzen  Biographie  Petrarca's,  welche  er  bald  nach  dessen 
Tode  verfasste,  dieser  Eintheilung  ausdrücklich  erwähnt*). 
Die  Ordnung  der  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Briefe  sollte 
nach  Petrarca's  Absicht  die  chronologische  sein  •') ,  nur  die  an 
mehrere  berühmte  Männer  des  Alterthums  gerichteten  Episteln 
wurden   der   Gemeinsamkeit  ihres   Inhaltes  wegen  davon  aus- 


')  Ep.  Fam.  XXIV  13. 

'-)  Ep.   Fam.   XXIII  19,   vgl.   die  ausfuhrliche  Note  Fracassetti's  Lett. 
fam.  V  p.  91  ff. 

•■■)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  202. 
*)  Mehus,  Vit.  Ambr.  Camald.  p.  190. 
■)  Ep.  Fam.  XXIV  13. 


24  Erstes  Capitel. 

genommen  und  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Entstehungszeit  in 
das  24.  Buch  verwiesen.  Wie  uns  die  Briefe  gegenwärtig  in 
den  besten  Handschriften  vorliegen ,  ist  nun  allerdings  im 
Grossen  und  Ganzen  die  chronologische  Anordnung  gewahrt, 
im  Einzelnen  aber  finden  sieh  nachweisbar  zahlreiche  Al»- 
weichuugen,  welche  wol  durch  Irrungen  Petrarca's  selbst  ver- 
anlasst worden  sein  dürften,  denn,  da  die  meisten  Briefe  kein 
Jahresdatum  tragen,  so  war  selbst  für  ihren  Verfasser  die  Ge- 
fahr, sie  nach  unbestimmten  Erinnerungen  an  eine  falsche 
Stelle  einzureihen,  unleugbar  vorhanden. 

Eine  Anzahl  Briefe,  welche  in  Bezug  auf  die  Zeit  ihrer 
Abfassung  den  ,,Freundesbriefen"  hätten  eingefügt  werden 
müssen,  für  deren  Aufnahme  aber  der  Band,  in  welchen  die 
in  den  Jahren  1359—61  veranstaltete  Sammlung  eingetragen 
ward,  keinen  Raum  mehr  bot,  vereinigte  Petrarca  in  einen 
besonderen  Band  und  legte  ihnen  den  Namen  der  ..vennischten 
Briefe  (epistolae  variaej "  bei ,  vermuthlich  weil  er  bei  ihrer 
Zusammenstellung  auf  die  Chronologie  keine  Hücksicht  nahm 
und  Briefe  sehr  verschiedener  Entstehungszeiten  durcheinander 
mischte  ^). 

So  hatte  also  Petrarca  im  Jahre  1361,  bezugsweise  1365, 
seine  bis  zu  dieser  Zeit  geschriebenen  Briefe  in  eine  grosse 
Sammlung  und  einen  derselben  beigegebenen  Ergänzungsband 
vereinigt.  Da  er  aber  voraus  sah,  dass  er,  wenn  das  Leben 
ihm  erhalten  bleibe,  auch  fernerhin  noch  epistolographisch 
thätig  sein  werde,  so  beschloss  er,  die  nach  Abschluss  der 
„Freundesbriefe"  zu  sehreibenden  Episteln  zu  einer  neuen 
Sammlung,  welche  den  Titel  „Altersbriefe  (epistolae  de  rebus 
senilibus)"  führen  sollte,  zu  verbinden  und  dieselbe  seinem 
florentiner  Freunde  Francesco  Nelli  oder,  wie  er  ihn  vertrau- 
lich nannte,  Simonides  zuzueignen  -).  Noch  dreizehn  Jahre  hin- 
durch war  es  (seit  1361)  dem  unermüdlichen  Briefschreiber,  der 

^)  Ep.  Farn.  XXIV  13. 

2)  Ep.  Fam.  XXIV  1.3  und  Ep.  Sen.  I  1;  durch  den  bereits  im  Jahre 
1363  erfolgten  Tod  des  Simonides  wurde  die  Widmung  keineswegs  auf- 
gehoben, sondern  von  Petrarca  vielmehr  ausdrücklich  erneut.  Ep.  Sen.  III  1. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  25 

trotz  wiederholter  guter  Vorsätze  ^)  es  nie  vermochte.  Zahl  und 
Umfang  seiner  Episteln  zu  beschränken,  vergönnt,  für  die  neu  be- 
gründete Sammlung  Material  zu  liefern  und  sie  hat  in  Folge 
dessen  ebenfalls  einen  stattlichen  Umfang,  wenn  auch  bei 
weitem  nicht  den  gleichen  wie  die  „Freundesbriefe",  erreicht-). 
Die  Eintheilung  in  17  Bücher  ist,  da  sie  bereits  von  Sicco 
Polentone  erwähnt  wird^),  jedenfalls  auf  Petrarca  selbst  zu- 
rückzuführen. 

Zu  den  erwähnten  drei  Briefsammlungen  tritt  nun  noch 
eine  vierte,  allerdings  wenig  umfangreiche,  aber  inhaltlich 
interessante  hinzu.  Petrarca  war  in  der  Theorie  sein  ganzes 
Leben  hindurch  ein  leidenschaftlicher  Gegner  der  avigiionesischen 
Curie  und  verfolgte  sie  mit  erbittertem  Hasse,  während  er 
praktisch  immer  ein  leidlich  gutes  Verhältniss  mit  ihr  zu 
unterhalten  verstand.  Nichts  wäre  verkehrter,  als  —  was  es 
indessen  doch  bisweilen  geschehen  ist  —  Petrarca's  Erbitterung 
gegen  das  avignonesische  Papstthum  aus  tief  liegenden  Motiven 
ableiten  und  ihn  etwa  gar  als  einen  Vorläufer  der  Reformation 
betrachten  zu  wollen.  Er  ist  vielmehr,  wie  wir  späterhin  ein- 
gehender beweisen  werden,  stets  ein  guter  und  seiner  Kirche 
treuer,  ja  selbst  bigotter  Katholik  gewesen  und  nie  hat  er 
Zweifel  an  der  Wahrheit  der  kirchlichen  Dogmen  gehegt,  noch 
weniger  jemals  solche  ausgesprochen.  Auch  nicht  dem  Papst- 
thum an  sich  galt  sein  Hass.  sondern  er  galt  eben  lediglich  dem 
avignonesischen  Papstthume.  Den  für  Rom  und  dessen  welt- 
geschichtliche Bedeutung  bis  zur  Schwärmerei  begeisterten 
Humanisten  schmerzte  es  in  tiefster  Seele,  dass  die  ewige 
Stadt  wie  eine  verstossene  Gattin  in  trauriger  Vernachlässigung 
langsam  dahin  sterben  sollte,  während  ein  bis  dahin  fast  un- 
bekannter Flecken  an  der  provenzalischen  Rhone  zu  dem  er- 
habenen Range  einer  Hauptstadt  der  Christenheit  erhoben 
ward.  Das  war  es,  was  ihn  bekümmerte  und  d a s  hauptsäch- 
lich auch  war  es,  was  ihn  so  scharfsichtig  machte  für  das  ver- 


1)  Ep.  Farn.  XVI  11.    Ep.  Sen.  XI  4. 
"-)  vgl.  S.  11,  Anm. 
")  vgl.  S.  23,  Anm.  4. 


26  Erstes  Capitel. 

weltlichte  Gebahren  der  avignonesischen  Curie  und  das  aller- 
dings heillos  unsittliche  Leben  des  grössten  Theiles  ihres  Clerus. 
Einer  römischen  Curie  gegenüber  würde  er  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  nicht  als  strenger  Sittenrichter  aufgetreten 
sein,  zumal  er  in  derartigen  Dingen  nicht  eben  feinfühlig  war 
und  ruhig  lange  Jahre  an  dem  Hofe  solcher  Tyrannen  wie  der 
Correggi  und  der  Visconti  verbrachte,  ohne  an  den  entsetz- 
lichen Vorgängen,  welche  sich  dort  vor  seinen  Augen  abspielten, 
sonderliehen  Anstoss  zu  nehmen.  Persönlich  durchaus  ehren- 
haft und,  besonders  in  seinen  späteren  Jahren,  sittlichen 
Idealen  mit  allem  Ernste  nachstrebend,  war  Petrarca  doch  ein 
Kind  seiner  Zeit  und  als  solches  pflegte  er  an  die  Handlungen 
der  Menschen  nicht  den  moralischen  ^[aassstab  anzulegen. 
Die  Menschen  der  beginnenden  und  mehr  noch  der  entwickelten 
Renaissancecultur  urtheilten  vorwiegend  nach  ästhetischen, 
nicht  nach  ethischen  Normen.  Es  ist  das  eine  überaus  wichtige 
Thatsache,  auf  welche  wir  wiederholt  werden  zurückkommen 
müssen. 

Wie  dem  aber  auch  sein  möge,  der  sonst  so  duldsame 
Petrarca  hegte  gegen  die  Curie  von  Aviguon  den  leidenschaft- 
lichsten Hass,  war  indessen  klug  und  berechnend  genug, 
demselben  keinen  oft'enkundigen  Ausdmck ,  der  ihm  Gefahr 
hätte  bringen  können,  zu  verleihen.  Allerdings  gestattete  er 
sich  in  seinen  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmten  Briefen  sowie 
in  seinen  sonstigen  Schriften  und  Dichtungen  Ausfälle  genug 
gegen  das  ihm  verhasste  „Babel  des  Abendlandes",  aber  es 
waren  diese  doch  verhältnissmässig  zahm  und  Hessen  eine 
milde  Deutung  zu.  Die  ganze  Schaale  seiner  -sittlichen  Ent- 
rüstung leerte  er  in  einer  Reihe  von  Briefen  an  seine  ver- 
trautesten und  übrigens,  was  höchst  beachtenswerth  ist,  sämmt- 
lieh  dem  geistlichen  Stande  angehörigen  *)  Freunde,  welche 
Briefe  er  aus  Vorsicht  ^)  nicht  mit  Aufschriften  versah ,  nicht 
während   seines  Lebens  in   weiteren  Kreisen   bekannt  werden 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  69. 

-.)  vgl.  die  ausfühi-liche  Darlegung  Petrarca's  selbst  in  der  praefatio 
der  epist.  sine  tit. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  27 

lassen  wollte  und  sie  daher  auch  in  seine  grossen  Briefsamm- 
lungen  nicht  mit  aufnahm.  So  bilden  sie  denn  eine  kleine 
separate  Sammlung,  welche  für  die  Sitten-  und  Kirchen- 
geschichte der  avignonesischen  Periode  die  höchste  Wichtigkeit 
besitzt.  Für  Petrarca's  Biographie  hingegen  ist  sie  von  ge- 
ringer Bedeutung  und  seinem  Nachruhme  ist  sie  entschieden 
nachtheilig  gewesen,  indem  sie  darthut,  wie  sehr  ihm  der 
Muth  der  Ueberzeugung,  die  wahrhaft  sittliche  Grösse  mangelte. 
Hätte  er  die  schweren  und  sicherlich  gut  begründeten  An- 
schuldigungen, welche  er  in  diesen  Briefen  gegen  Curie  und 
Clerus  erhebt,  offen,  wenn  auch  in  maassvoller  Weise,  aus- 
gesprochen, so  würde  dies  eine  muthige  und  hoch  verdienst- 
liche That  gewesen  sein  und  er  würde  selbst  sich  schwerlich 
dadurch  einer  ernsten  Gefahr  ausgesetzt  haben.  Hatte  doch 
auch  Dante  mit  scharfen  Waffen  das  verweltlichte  Papstthum 
bekämpft  ohne  von  dessen  Rache  getroffen  zu  werden!  Und 
überdies,  darf  ein  sittlich  -tüchtiger  Mann  an  sein  Leben  und 
seine  äussere  Wohlfahrt  denken,  wenn  es  die  innere  Ueber- 
zeugung gilt?  Es  ist  wirklich  unerfreulich  und  betrübend, 
sich  vorstellen  zu  müssen,  wie  Petrarca  mit  der  Curie  stets  in 
gutem  äusseren  Einvernehmen  bleibt  und  es  nicht  verschmäht, 
Beneficien  von  ihr  sich  ertheilen  zu  lassen,  wol  auch,  min- 
destens indirect,  solche  zu  erbitten,  trotzdem  aber,  gleichsam 
hinterrücks,  sie  im  Geheimen  mit  allen  Waffen  einer  erbitterten 
Rhetorik  angreift  und  nicht  den  Muth  besitzt,  seinen  Namen 
unter  die  Kriegsschriften  zu  setzen.  Diese  Handlungsweise 
muss  unbedingt  als  feig  und  charakterlos  bezeichnet  werden, 
so  bereit  man  auch  sein  mag,  Entschuldigungsgründe  gelten 
zu  lassen,  deren  wichtigster  in  der  Erwägung  bestehen  dürfte, 
dass  Petrarca  mit  vollem  Rechte  sich  zu  einem  anderen  Werke 
berufen  meinen  mochte,  als  zu  dem  einer  kirchlichen  Reformation 
\uid  dass  er  in  dieser  Erkenntniss  sich  verpflichtet  glauben 
konnte,  ein  religiöses  Martyrthum  von  sich  abzuweisen. 
Jedoch,  wenn  er  empfand,  dass  ihm  die  Kraft  mangele,  eine 
sittliche  Reform  der  Kirche  selbt  nur  anzubahnen,  so  hätte  er 
auch  die   titellosen   Briefe  nicht  schreiben  sollen,   denn  ohne 


28  Erstes  Capitel. 

den  Hintergrund  eines  ernsten  sittlichen  Willens  ähneln  die- 
selben sehr  einer  chronique  scandaleuse.  Oder  meinte  er 
vielleicht,  die  von  ihm  immer  und  immer  wieder  angerathene 
Rückkehr  der  Curie  nach  Rom  würde  das  Heilmittel  gegen 
alle  ihre  Gebrechen  sein  ?  Dann  würde  man  seine  Kurzsichtig- 
keit beklagen  müssen,  aber  dennoch  ist  es  höchst  wahrschein- 
lich, dass  er  wirklich  solche  naive  Ueberzeugung  hegte. 

Kehren  wir  indessen  von  diesen  Fragen,  welche  später 
nochmals  in  einem  weiteren  Zusammenhange  zu  erörtern  sein 
werden,  zu  der  äusseren  Geschichte  der  Briefsammluugen 
Petrarca's  zurück.  Es  bietet  uns  dieselbe  in  ihrem  ferneren 
Verlaufe  ein  merkwürdiges  Beispiel  für  den  Wechsel  des 
litterarischen  Geschmackes  dar.  Wir  haben  oben  gesehen,  wie 
sehr  Petrarca's  Briefe  zur  Zeit  ihres  Entstehens  bewundert 
und  wie  eifrig  sie  gelesen  wurden.  Es  geschah  dies  auch  noch 
in  den  ersten  Jahrzehenden  nach  seinem  Tode,  wie  die  aus 
dieser  Zeit  stammenden  zahlreichen  Handschriften  beweisen. 
Selbst  Papst  Gregor  XI.  bemühte  sich,  wie  das  von  ihm  am 
11.  August  1374  an  den  Cardinaldiacon  Guglielmo  von  Sauf 
Angelo  gerichtete  Breve  bezeugt,  um  die  Erlangung  eines  voll- 
ständigen Exemplars  ^).  Bald  aber  erblich  des  lateinischen 
Stylisten  Petrarca's  Stern  vor  der  aufgehenden  Sonne  des 
Ciceronianismus.  Dem  jüngeren  Humanistengeschlechte  behagte 
der  eigenartige,  mit  dem  Makel  des  Barbarismus  behaftete 
Styl  des  Altmeisters  nicht  mehr  und  die  Mehrzahl  seiner 
lateinischen  Werke,  unter  diesen  die  Briefe,  gerieth  in 
halbe  Vergessenheit.  Die  Zahl  der  Gesammtausgaben  der 
lateinischen  Schriften  Petrarca's  ist,  wenn  man  sie  mit  der 
unabsehbaren  Ausgabenmenge  des  „Canzoniere"  vergleicht, 
eine  verschwindend^  geringe  ^)  und  kann  beweisen,  dass  selbst 
die  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  nicht  vermochte,  das 
Andenken  an   die  grossen  Verdienste  Petrarca's   um   die  Er- 


*)  vgl.  Fracassetti's  prefa/.  zu  den  Lett.  fam.  p.  4  Anni. 

2)  Ein  Verzeichniss  derselben  sowie  der  Specialausgaben  der  Brief- 
sammlungen b.  Fracassetti  in  dem  proleg.  p.  \T:I  ff.  der  lateinischen  und 
in  der  prefaz.  p.  19  ff.  der  ital.  Ausg.  der  Ep.  Fam. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  29 

weckung  des  Humanismus  in  gebührender  Weise  zu  beleben. 
Schlimmer  aber  noch  als  die  geringe  Zahl  dieser  Ausgaben 
war  ihre  innere  Beschaft'enheit :  veranstaltet  unter  gröbster 
Vernachlässigung  der  all  erelementarsten  Grundsätze  der  Text- 
kritik gaben  sie  einen  arg  verstümmelten  und  in  kläglichster 
Weise  entstellten  Text,  der  das  Verständniss  auf  Schritt  und 
Tritt  erschwerte,  ja  stellenweise  selbst  unmöglich  machte. 
Namentlich  die  bekannten  baseier  Ausgaben,  welche  in  den 
Jahren  1541,  1554  und  1584  erschienen,  sind  erfüllt  von  den  un- 
glaublichsten und  sinnstörendsten  Druckfehlern,  deren  fast  jede 
Seite  mehrere  Dutzende  aufweist.  Es  war  nur  eine  natürliche 
Folge  dieser  traurigen  Thatsache,  dass  sich  allmählich  immer 
mehr  und  mehr  die  landläufige  Meinung  von  der  Ungeniess- 
barkeit  und  Werthlosigkeit  der  lateinischen  Schriften  Petrarca's 
ausbildete  und  festsetzte. 

Selbst  noch  in  unserer,  den  litterarischen  Erzeugnissen 
der  Vorzeit  ein  so  eifriges  und  fruchtbringendes  Studium 
widmenden  Gegenwart  ist  die  Ehrenschuld  gegen  die  Manen 
Petrarca's,  eine  würdige  Gesammtausgabe  seiner  Werke  zu 
veranstalten,  noch  nicht  abgetragen  worden.  Ja  selbst  die 
Lieder  des  „Canzoniere"  harren  in  ihrer  grossen  Mehrzahl  noch 
einer  endgültigen  textkritischen  Feststellung,  denn  bis  jetzt 
ist  eine  solche  durch  Carducci's  sachkundige  Hand  nur  den 
„politischen  und  moralischen  Reimen"  zu  Theil  geworden  ^). 
Ein  günstiger  Stern  hat  es  indessen  gefügt,  dass  seit  einigen 
Jahren  wenigstens  die  Briefsammlungen  Petrarca's  zu  ihrem 
grössten  Theile  der  Verwahrlosung  entrissen  worden  sind,  in 
welcher  seine  übrigen  lateinischen  Werke,  mit  einziger  Aus- 
nahme der  „Africa"  ^)  und  des  überhaupt  erst  neuerdings  ver- 
öffentlichten Buches  über    die  berühmten   Männer  des  Alter- 


^)  Rime  di  Fr.  P.  sopra  argomenti  storici,  morali  e  diversi.  Saggio 
d'iui  testo  critico  etc.  ed.  Carducci.  Florenz  1876. 

-)  In  der  von  Con-adini  im  Auftrage  der  Stadt  Padua  herausgegebenen 
Festschrift  zum  .500jährigen  Petrarcajubiläum,  „Padova  a  Fr.  Petrarca". 
Padua  1874. 


30  Erstes  Capitel. 

thums  V),  noch  gegenwärtig  schmachten.  Giuseppe  Fracassetti. 
einer  der  hervorragendsten  Gelehrten  des  modernen  Italiens, 
hat  in  den  Jahren  1859—1863  die  „Freundesbriefe"  sowie  die 
„vermischten  Briefe"  in  dem  lateinischen  Urtexte  zum  ersten 
Male  vollständig  -)  auf  Grund  der  besten  Handschriften  heraus- 
gegeben ^j  und  sich  dadurch,  so  viel  auch  im  Einzelnen  an 
dem  von  ihm  gegebenen  Texte  kritisch  zu  bessern  sein  dürfte, 
das  hohe  Verdienst  erworl^en.  den  ersten  lesbaren  und  im 
Grossen  und  Ganzen  zuverlässigen  Text  der  beiden  hochwichtigen 
Biiefsammlungen  geboten  zu  haben.  Dieser  lateinischen  Aus- 
gabe folgte  als  Ergänzung  und  Erläuteiiing  eine  italienische 
Uebersetzung  auf  dem  Fusse  nach^).  Der  Hauptwerth  der 
letzteren  Arbeit  besteht  in  den  ausführlichen  Noten,  mit  denen 
der  Uebei-setzer  die  einzelnen  Briefe  begleitet  und  allseitig 
(erläutert  hat.  Es  ist  das  in  diesen  Anmerkungen  vei-streute 
Material  ein  so  überaus  reichhaltiges  und  werthvolles,  ein  von 
so  ausserordentlichem  Sammlerfleisse  und  bewundernswürdiger 
Detailkenntniss  zeugendes,  dass  man  beklagen  muss,  es  in  so 
verzettelter  Fonn  gegeben  zu  sehen:  zu  einem  einheitlichen 
und  zusammenhängenden  Ganzen  verbunden  würde  es  eine 
ebenso  vollständige  als  anziehend  geschriebene  Biographie 
Petrarca's  ergeben  haben.  Eine  Hauptaufgabe  Fracassetti's 
bestand  in  der  Feststellung  der  Abfassungszeit  der  einzelneu 
Briefe,  denn,  wie  bereits  einmal  bemerkt  ward,  entbehren  die 
meisten  derselben  eines  Jahresdatums.  Mag  man  nun  immer- 
hin eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  der  von  Fracassetti 
gegebenen  Datirungen  mit  gutem  Grunde  als  irrig  und  andere 
mindestens  als  nicht  genügend  erwiesen  bezeichnen  können,  so 
wird  man  doch  zugestehen  müssen,  dass  er  im  Wesentlichen  die 
schwierige    Arbeit    mit    Geschick    und   Besonnenheit    erledigt 


^)  de  viris  illustribus  vitae  ed.  L.  Razzolini.    Bologna  1874. 

-)  Früher  kannte  man  von  den  Ep.  Fara.  niu-  die  ersten  8  Bücher! 

•''j  Fr.  Petrarcae  epistolae  de  rebus  familiaribus  et  variae  ed.  Jos. 
Fracassetti.  Florenz  1859—63.    3  voll. 

*)  Lettere  delle  cose  femiliari  volgarizzat«  etc.  da  Gius.  Fracassetti. 
Florenz  1863—67,  5  Bde. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  31 

und  durch  sie  einen  festen  und  unverrückbaren  Grund  für  die 
Chronologie  des  Lebensganges  des  grossen  Dichters  gelegt  hat. 

Die  „Altersbriefe"  sind  von  Fracassetti  nur  in  italienischer 
Uebersetzung ,  welcher  wie  derjenigen  der  „Freundesbriefe" 
ein  eingehender  Commentar  beigefügt  ist,  herausgegeben 
worden  ^).  Für  den  lateinischen  Originaltext  ist  man  daher 
noch  immer  auf  die  jämmerlichen  baseler  Ausgaben  beschränkt. 
Diese  letzteren  geben  übiigens  die  Briefsammluug  nicht  einmal 
in  ihrem  ursprünglichen  Umfange  wieder,  indem  mehrere  der 
längeren  Episteln  ausgeschieden  und  als  selbständige  Tractate 
unter  Specialtiteln  den  Prosawerken  im  engeren  Sinne  ein- 
gereiht worden  sind  ^).  Die  Zahl  der  Bücher  ist  dadurch  von 
17  auf  16  reducirt  worden  3).  Von  einer  Herausgabe  der 
culturgeschichtlich  doch  so  wichtigen  und  interessanten  „Bnefe 
ohne  Aufschrift"  hat  Fracassetti  ganz  absehen  zu  müssen  ge- 
glaubt, weil  ein  solches  Unternehmen  „eines  katholischen  und 
verständigen  Mannes  unwürdig"  sei  (proleg.  p.  V).  Bei  aller 
Achtung  für  den  religiösen  und  sittlichen  Rigorismus  des 
hochverdienten  Gelehrten  meinen  wir  doch,  dass  sein  Verfahren 
ein  unbegründetes  war.  Die  katholische  Religion  würde  durch 
eine  neue  Herausgabe  der  Epistolae  sine  titulo,  da  diese  ja  die 
Dogmen  völlig  unangefochten  lassen,  nicht  im  mindesten  ge- 
schädigt, ebenso  wenig  die  öffentliche  Sittlichkeit  irgendwie 
gefährdet  werden  können  und  übrigens  wäre  auch  der  Schatten 
einer  Gefahr  beseitigt  worden,  sobald  der  Herausgeber  die 
Beifügung  einer  italienischen  Uebersetzung  unterlassen  hätte. 
Die  Wissenschaft  soll  über  engherzige  Bedenken  erhaben  sein. 

Nur  die  an  Cola  di  Rienzo  und  an  das  römische  Volk  ge- 
richteten  Episteln,   welche  bisher  fälschlich  den  „Briefen  ohne 


^)  Lettere  senili  di  Fr.  P.  volgarizzate  etc.  da  Gius.  Fracassetti. 
Florenz  1869—70,  2  Bde. 

-)  de  republica  optirae  administranda  =•=  Sen.  XIV  1,  de  officio  et 
virtutibus  iniperatoris  =  Sen.  IV  1,  de  obedientia  ac  fide  uxoria  mytho- 
logia  =  Sen.  XVII  3,  de  avaritia  vitanda  =  Sen.  VI  7  und  8. 

')  Das  14.  und  15.  Buch  der  ursprünglichen  Sammlung  sind  unter 
Auslassung  des  ersten  Briefes  des  14.  Buches  (de  republica  optime  ad- 
ministranda) zu  einem  Buche,  dem  14.,  verschmolzen. 


32  Erstes  Capitel. 

Aufschrift'"  beigezählt  ^vunlen,  hat  Fracassetti  in  einem  An- 
hange zu  der  lateinischen  Ausgabe  der  „Freundesbriefe"  ver- 
öffentlicht. In  diesen  „Appendix''  sind  ausserdem  noch  einige 
andere  bis  dahin  entweder  gar  nicht  oder  doch  nur  ungenügend 
veröffenttichte  Briefe  Petrarca's  sowie  dessen  Testament  auf- 
genommen worden  *). 

Es  ist  somit  durch  Fracassetti's  verdienstliche  Bemühungen 
nahezu  das  gesammte  umfangreiche  Material  der  Prosabriefe 
in  einer  mustergültig  zu  nennenden  Weise  neu  edirt  und 
commentirt  worden.  Künftigen  Forschern  bleibt  es  vorbehalten, 
Einzelnes  zu  berichtigen  und  zu  ergänzen. 

Als  eine  weitere  hochwichtige  Quelle  für  Petrarca's 
Biographie  tritt  die  in  drei  Bücher  geordnete  und  67  Briefe 
umfassende  Sammlung  seiner  lateinischen  poetischen  Episteln, 
welche  er  dem  neapolitanischen  Freunde  Barbato  von  Sulmo 
widmete,  hinzu.  Zu  beklagen  ist  nur,  dass  dieselbe  bis  jetzt 
noch  in  keiner  würdigen  und  selbst  auch  nur  bescheidenen 
Anforderungen  genügenden  Ausgabe  vorliegt,  denn  die  von 
Ptossetti  veranstaltete  und  mit  einer  italienischen  Uebersetzung 
sowie  mit  einem  Commentar  l)egleitete  ^)  leidet  an  den  wesent- 
lichsten inneren  und  äusseren  Mängeln,  namentlich  entbehrt 
sie  in  empfindlicher  Weise  jeder  Uebersichtlichkeit.  Einem 
anderen  Orte  müssen  wir  es  jedoch  vorbehalten,  die  poetischen 
Briefe  nach  Inhalt  und  Form  eingehender  zu  würdigen. 

Auch  die  übrigen  lateinischen  Werke  Petrarca's  können 
und  müssen  für  die  Geschichte  seines  Lebens  nutzbar  gemacht 
werden,  denn  in  allen  finden  sich  einzelne  nicht  unwichtige 
Angaben,  und  einige,  besonders  aber  die  Gespräche  „über  die 
Weltverachtung"  ^)    (eine     dem    heiligen    Augustin    abgelegte 


*)  Der  dritte  dieser  Briefe ,  die  beiden  Gespräche  „de  vitae  suae  dis- 
positione"  enthaltend  (t.  III  p.  506 — 513),  wird  von  Fracassetti  mit  Unrecht 
Petrarca  beigelegt,  er  ist  vielmehr  nach  Petrarca's  eigenem  Zeugnisse  (Sen. 
XrV  4  =  XV  3)  von  Lombarde  da  Serico  verfasst. 

-')  Poemata  minora  Fr.  P.  quae  extant  omnia  etc.  ed.  Dom.  Rossetti 
Mailand  1819,  1821  und  1824. 

^)  de  contemtu  mundi. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  33 

Beichte)  und  die  allegorischen  Dichtungen  der  „Bucolica"  i), 
gewähren  sogar  die  wichtigsten  Aufschlüsse  über  seinen  Ent- 
wickelungsgang  und  die  wechselnden  Phasen  seines  Seelen- 
lebens. Selbst  aus  den  italienischen  Dichtungen  kann  manches 
werthvolle  Material  entnommen  werden,  indessen  muss  man 
dabei  mit  der  grössten  Vorsicht  verfahren,  da  der  Dichter  nur 
allzusehr  bemüht  gewesen  ist,  die  Wirklichkeit  durch  die  Hülle 
der  Allegorie  zu  verbergen,  und  da  überdies  in  Liedern  be- 
richtete Vorgänge  und  ausgesprochene  Empfindungen  niemals 
als  schlechthin  wahr  angenommen  werden  dürfen.  Gerade  bei 
einem  so  durch  und  durch  subjectiven  Dichter  wie  Petrarca 
müssen  wir  uns  sehr  hüten,  die  Dichtungen  etwa  als  eine  Art 
Tagebuch  betrachten  zu  wollen.  Wenn  irgend  ein  Poet,  so 
verstand  es  der  Sänger  des  „Canzoniere",  Gefühle  sich  anzu- 
empfinden  und  Seelenstimmungen  künstlich  zu  erzeugen. 

Als  die  Hauptquellen  für  die  Kenntniss  des  Lebens 
Petrarca's  müssen  durchaus  die  verschiedenen  Sammlungen  der 
prosaischen  und  poetischen  Briefe  betrachtet  werden;  die 
übrigen  Werke  besitzen  nur  den  Werth  von  Nebenquellen, 
wenn  auch  allerdings  die  „Bucolica"  und  die  „Bücher  über  die 
Weltverachtung'-  sehr  wichtige  Nebenquellen  sind.  Selbst  eine 
noch  nicht  erwähnte  Schrift,  welcher  man  versucht  sein  könnte 
die  grösste  Wichtigkeit  für  die  Biographie  beizumessen,  besitzt 
doch  nur  einen  untergeordneten  Werth. 

Petrarca  tnig  sich  mindestens  seit  dem  Jahre  1855  2) 
mit  dem  Gedanken,  eine  Geschichte  des  eigenen  Lebens  zu 
schreiben,  jedoch  erst  im  späten  Alter,  jedenfalls  erst  nach 
dem  am  19.  December  1370  erfolgten  Tode  des  Papstes 
Urban  V.,  unternahm  er  die  Ausführung  und  es  war  ihm  nicht 
^vergönnt,  das  spät  begonnene  Werk  zu  vollenden :  vermuthlich 
durch  den  Tod  verhindert,  vermochte  er  die  Erzählung  nur 
bis  zu  seiner  im  Jahre  1351  erfolgten  Rückkehr  nach  Vaucluse 
fortzuführen.  ^ 


^)  Edirt  von  Rossetti  in  der  oben  citirten  Sammlung  t.  I. 
2)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  234  f. 

Körting,  Petrarca.  o 


34  Erstes  Capitel. 

Es  enthält  dies  Fragment  einer  SelbstbiogTaphie.  welches 
den  bezeichnenden  Titel  eines  „Briefes  an  die  Nachwelt" 
führt ^),  nur  wenige  Angaben,  welche  uns  nicht  durch  die 
..Freundesbriefe"  in  grösserer  Ausführlichkeit  überliefert 
würden,  und  es  ist  demnach  in  biographischer  Hinsicht  nicht 
eben  sonderlich  wichtig.  Eine  desto  grössere  Bedeutung 
darf  dasselbe  in  cultur-  und  litterargeschichtlicher  Beziehung  be- 
anspruchen. Petrarca,  als  er  sein  eigenes  Leben  zu  erzählen 
begann ,  that  etwas ,  was ,  wie  er  selbst  bemerkt  -') ,  vor  ihm 
Niemand  gethan  hatte,  mindestens  nicht  seit  den  Zeiten  des 
Alterthums.  Freilich  gibt  er  an,  die  Schrift  nur  verfassen  zu 
wollen,  um  sich  gegen  mancherlei  Vorwürfe,  welche  man  auf 
Grund  einiger  seiner  Handlungen,  namentlich  aber  wegen 
seines  langjährigen  Verweilens  an  dem  Hofe  der  Visconti 
gegen  seinen  sittlichen  Charakter  erhoben  hatte,  zu  recht- 
fertigen ^) ,  aber,  so  mitbestimmend  eine  solche  Absicht  auch 
immerhin  gewesen  sein  mag,  das  Hauptmotiv  war  sicherlich 
ein  anderes,  es  war  der  Wunsch,  das  Andenken  an  die  eigene 
Persönlichkeit  der  Nachwelt  zu  überliefern  und  dadurch  dem 
Nachruhme  eine  dauernde  Grundlage  zu  verleihen.  Unerträg- 
lich war  dem  das  eigene  Ich  selbstgefällig  bewundernden 
Manne,  dass  er,  der  im  Leben  so  hoch  Gefeierte,  er,  der  lor- 
beergekrönte Dichter,  er,  der  Erneuerer  des  Alterthums,  er, 
der  Freund  endlich  so  vieler  Fürsten,  nach  dem  Tode  etwa 
der  Vergessenheit  anheimfallen  könnte,  dass  die  Nachwelt  etwa 
nicht  mehr  sich  erinnern  würde,  wo  und  wann  Francesco  Petrarca 
geboren  worden  und  wie  tugendhaft  und  ruhmvoll  sein  Leben 
gewesen  sei.  Nicht  von  diesem  schrecklichen  Loose  betroffen 
und  der  mühsam  erstrebten  Unsterblichkeit  beraubt  zu  werden 
—  das  war  es ,  was  er  durch  den  Brief  an  die  Nachwelt  er- 
reichen w^ollte.  Daran  wird  Niemand  zweifeln,  wer  Petrarca 
aus  seinen  Werken  näher  kennt  oder  wer  auch  nur  eben  den 


^)  Epistola  ad  posteros,  enthalten  in  Fracassetti's  Ausg.  der  Ep.  Fam. 
I  p.  1—11  sowie  in  der  ital.  Uebersetzung  Lett.  fam.  I  p.  201—^:12. 
"-)  Ep.  Var.  25:  „quod  ante  me,  ut  arbitror,  fecit  nemo". 
*)  Invect.  in  med.  praefat  ;  Ep    Var.  25. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  35 

Brief  an  die  Nachwelt  aufmerksam  ^^elesen  und  wahrgenommen 
hat,  wie  aus  jeder  Zeile  desselben  Hochmuth  und  Eitelkeit 
unter  der  Maske  devoter  Bescheidenheit  hervorblicken. 

Die  Menschen  des  Mittelalters,  der  ausgeprägten  geistigen 
Individualität  und  mehr  noch  des  Bewusstseins  derselben  ent- 
behrend ,  waren  nicht  begierig  nach  jener  irdischen  Unsterb- 
lichkeit, welche  durch  das  Schwert  oder  die  Feder  errungen 
wird,  sie  trachteten  nur  der  himmlischen  nach.  Hochbegabte 
Dichter  und  Geschichtsschreiber  strebten  so  wenig,  im  An- 
denken der  Nachwelt  fortzuleben ,  dass  sie  oft  ihre  Werke 
nicht  einmal  mit  ihren  Namen  untei'zeichneten,  so  dass  wol  die 
ersteren,  nicht  aber  die  letzteren  uns  übei'liefert  worden  sind. 
Das  ist  auch  der  Grund,  wesshalb  das  Mittelalter  den  Begriff 
des  geistigen  Eigenthums  gar  nicht  kannte,  wesshalb  Dichter 
und  Geschichtsschreiber  so  ganz  unbedenklich  die  Werke  ihrer 
Vorgänger  fortsetzten  oder  selbst  umgestalteten  ohne  diese 
auch  nur  zu  nennen,  geschweige  dass  sie  den  ursprünglichen 
Verfassern  die  Ehre  der  Erfindung  und  Conception  zuerkannt 
hätten.  Man  betrachtete  eben  Geisteswerke  als  Dinge,  an 
denen  Niemandem  ein  Eigenthumsrecht  zustehe  und  mit  denen 
frei  zu  walten  und  zu  schalten  einem  Jeden  völlig  erlaubt  sei. 

Ganz  andere  Anschauungen  hegten  und  begründeten  für 
die  Folgezeit  die  Schöpfer  der  Renaissancelitteratur ,  die 
Humanisten.  Ihnen  war  die  durch  geistiges  Schaffen  errungene 
Unsterblichkeit  in  der  irdischen  Welt  das  höchste  der  Ziele, 
das  ruhmvolle  Fortleben  in  den  ungemessenen  Zeiten  der  Zu- 
kunft der  sehnlichste  Wunsch,  ruhmloser  Vergessenheit  an- 
heimzufallen die  quälendste  Furcht.  Sie,  die  Erwecker  der 
antiken  Welt,  dachten  und  empfanden  eben  auch  nach  antiker 
Weise  und  die  Begierde  nach  Ruhm,  welche  einst  die  Menschen 
des  Alterthums  beherrscht  und  zu  grossen  Thaten  begeistert 
hatte,  flammte  in  ihrer  Brust  zu  neuem  kraftvollen  Leben  auf. 
Wie  für  die  Menschen  des  Mittelalters  das  Seelenheil  im  Jen- 
seits, so  war  für  die  Menschen  der  Renaissance  der  Ruhm  bei 
der  Nachwelt  der  Zielpunkt  alles  Strebens  und  Trachtens  und 
es  wurden  für   sie   die  Begriffe  des  Ruhms   und   der  Tugend 

3* 


36  Erstes  Capitel. 

identisch:  wer  den  Ruhmeskranz  sich  errungen,  der  allein  galt 
als  der  tüchtige  Mann,  gleichviel  welcher  Mittel  er  sich  be- 
dient hatte.  Freilich  gal)  man  sich  oft  den  Anschein,  als  ver- 
achte man  in  philosophischer  Erhabenheit  den  Ruhm,  aber 
gerade  die  Geflissentlichkeit,  mit  welcher  man  dies  that,  ist 
der  stärkste  Beweis  für  das  Gegentheil,  denn  von  Dingen,  die 
man  Avirklich  geringschätzt,  pflegt  man  nicht  so  viel  zu 
sprechen.  Cicero's  „Traum  des  Scipio"  wurde  das  Evangelium 
des  Humanismus  und  der  Renaissance;  die  in  der  merkwür- 
digen Schrift  gepredigte  Lehre  von  einem  überirdischen  seligen 
Dasein,  in  welches  einzugehen  nur  dem  ruhmgekrönten  Manne 
vergönnt  ist,  der  über  die  verachtete  Masse  der  Durchschnitts- 
menschen sich  erhoben  hat,  verdrängte  mehr  und  mehr  den 
Glauben  an  das  christliche  Himmelreich,  welches  nur  den 
Armen  am  Geiste  sich  öff"nen  soll. 

Von  solchen  Vorstellungen  erfüllt  strebten  die  Menschen 
der  Renaissance,  die  irdische  Persönlichkeit  durch  Wort  und 
Schrift  im  Andenken  der  Nachwelt  zu  verewigen,  denn  der 
Ruhm  haftet  ja  an  der  Persönlichkeit:  schwindet  ein  Name  aus 
der  Menschen  Gedächtnisse,  so  schwindet  damit  auch  der 
Ruhm  dessen,  der  ihn  einst  getragen,  selbst  wenn  das  Werk, 
durch  welches  der  Ruhm  gewonnen  ward,  noch  fortbesteht. 
Die  Erkenntniss  freilich,  dass  nur  Lied  und  Schrift  dem 
Ruhme  Dauer  zu  verleihen  vermögen,  wai-  auch  dem  Mittel- 
alter nicht  fremd  und  sie  ist  von  den  Dichtern  desselben  oft 
genug  ausgesprochen  worden  ^),  aber  man  verwerthete  sie  meist 
nur  für  die  Vergangenheit  und,  um  so  zu  sagen,  im  collectiven 
Sinne:  man  feierte  die  Thaten  der  Voi-fahren  oder  diejenigen 
des  ganzen  Volkes  im  Gedichte,  auf  die  Verewigung  der 
eigenen  Persönlichkeit  aber  nahm  man  keinen  Bedacht  und 
bemühte  sich  nicht  darum.  Oft  genug  geschah  es,  dass  derselbe 
Dichter,  der  durch  sein  Lied  die  Namen  der  Helden  einer 
sagenhaften  Vorzeit  der  Nachwelt  überliefern  wollte  und  auch 
wirklich   überliefert  hat,    den   eigenen  Namen   nicht  nannte. 


^)  z.  B.  von  Wace  im  Eingänge  des  Roman  de  Rou. 


Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's.  37 

Wer  kennt  des  Rolandsliedes  oder  der  Nibelungen  Verfasser? 
Und  wenn  es  auch  der  gelehrten  Forschung  schon  gelungen 
sein  oder  noch  einstmals  gelingen  sollte,  ihre  Namen  zu 
entdecken,  so  wird  man  sie  sicherlich  nicht  in  dem  Texte 
der  Lieder  selbst  finden,  die  Dichter  haben  sich  eben  nicht 
genannt  *). 

So  war  denn  Petrarca  der  erste  seit  den  Tagen  des  Alter- 
thums,  welcher  durch  seinen  „Bi'ief  an  die  Nachwelt"  die  Ver- 
ewigung der  eigenen  Persönlichkeit  angestrebt  hat.  Er  eröffnet 
die  seitdem  unabsehbar  gewordene  Reihe  der  ruhmbegierigen 
Männer,  welche,  um  ja  nicht  etwa  des  Biographen  und  des 
.von  ihm  auszustellenden  Antheilscheines  auf  die  Unsterblich- 
keit zu  entbehren,  sich  der  Arbeit  selbst  unterziehen  und  ihre 
eigenen  Biographen  werden.  So  bildet  die  „Epistel  an  die 
Nachwelt"  einen  Markstein  in  der  Geistesgeschichte  der 
Menschheit,  sie  kennzeichnet  scharf  und  bestimmt  die  Scheide» 
zwischen  Mittelalter  und  Neuzeit.  Ihr  Verfasser  aber  ist  der 
erste  moderne  Mensch. 

Da,  wie  durch  das  bisher  Erörterte  genügend  klar  gelegt 
worden  sein  dürfte,  das  von  Petrarca  selbst  in  seinen  Brief- 
sammlungen und  sonstigen  Werken  für  seine  Biographie  ge- 
lieferte Material  mehr  als  hinreichend  genannt  werden  muss, 
um  darauf  eine  wahrheitsgetreue  und  vollständige  Erzählung 
seines  Lebensganges  zu  begründen,  so  befindet  sich  sein  Bio- 
graph, namentlich  wenn  er  nur  eine  Skizze  zu  entwerfen  beab- 
sichtigt, in  der  glücklichen  Lage,  auf  anderweitiges  Material 
im  Allgemeinen  verzichten  zu  dürfen,  wenn  auch  an  einzel- 
nen Stellen  die  Herbeiziehung  desselben  unerlässlich  sein 
wird.  Im  Wesentlichen  kann  und  muss  Petrarca's  Leben  auf 
Grund  seiner  eigenen  Angaben  erzählt  werden  und  das  soll 
denn  auch  auf  den  folgenden  Blättern  geschehen. 

Zahlreich  oder  vielmehr  zahllos  sind  die  Biographen, 
welche  Petrarca   von   dem  Jahre   seines  Todes  ab  bis  zur  Ge- 


^ )  Dass  der  am  Schlüsse  der  „Chanson  de  Roland"  genannte  Turoldus 
nicht  ihr  Verfasser  sein  kann,  wird  als  selbstverständlich  angenommen 


38  Erstes  Capitel. 

genwart   gefunden    hat.     Es   würde  zwecklos  sein,    hier  eine 
Liste    derselben    entwerten    zu  wollen  und   überdies  ist  eine 
solche   auch   bereits   mehrfach  gegeben  worden^).     Die   Bio- 
graphien des  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhunderts  können, 
da  sie  meist  nur  den  ., Brief  an   die  Nachwelt"  mit  grösserer 
oder  geringerer  Treue   reproduciren  und  ihn  höchstens  durch 
einige  Angaben  von  sehr  zweifelhafter  Zuverlässigkeit  ergänzen, 
als  so  ziemlich  werthlos  bezeichnet  werden  ^).     Selbst  die  von 
Boccaccio  verfasste  Vita  Petrarca's  (herausgegeben  von  Rossetti 
in  dem  Werke:  Petrarca,  Giulio  Celso  e  Boccaccio,  Triest  1828) 
ist  inhaltlich  herzlich  unbedeutend,  schon  um  desswillen,  weil  sie 
sich  nur  bis  zum  Jahre  1344  erstreckt,  und  sie  ist  weit  mehr  ein 
Panegyrikus  als  eine  Biographie  zu  nennen,   wie  sie  denn  wol 
auch  nur  dem  Zw^ecke  dienen  sollte,   Petrarca's  Rückberufung 
nach  Florenz  zu  veranlassen  (vgl.  Rossetti  p.  352).  —  Von  den 
Biograplien   des  sechzehnten  und  siebeuzehnten  Jahrhunderts 
verdienen   nur  Alessandro  Vellutello    (Vita  e  costumi   del   P. 
Venedig  1525),    Ludovico  Beccadelli  (ca.  1560,  seine  Vita  bei 
Tomasini  Petr.  Rediv.  p.  213),  'Filippo   Tomasini    (Petrarcha 
Redivivus.  Padua  1635  und  1650)  und  der  Deutsche  Schroderen 
oder  Schrödern  (Fr.  Petrarcae  etc.  vita.- Mannsfeld  1622)   eine 
besondere  Erwähnung.  —  Bedeutende  Fortschritte  machte  die 
Petrarcabiographie    im    achtzehnten    Jahrhunderte    durch   die 
fleissigen  und  kritikvollen  Abhandlungen  des  Barons  Joseph  de 
la  Bastie  (in  den  Mem.  de  TAcad.  des  inscript.  et  helles  lettres 


1)  Zuletzt  in  löblicher  Kürze  von  Fracassetti,  Lett.  fam.  I.  p.  32. 

")  Es  sind:  Domenico  Aretino  b.  Mebus  p.  131  flf.  u.  197,  CoUuccio 
Salutati  (dessen  Werk  verloren,  vgl.  Mehus  p.  228),  Filippo  Villani  b.  Me- 
bus p.  195  (ein  anderer  Text  separat  edirt  u.  d.  T.  Vitae  Dantis,  Petrarcae 
et  Boccacci.  Florenz  1826,  p.  41—66),  Paolo  Vergerio  b.  de  Sade  t.  III 
pieces  justif.  p.  13,  Sicco  Polentone  b.  Mebus  p.  198,  Leonardo  Bruno  Are- 
tino b.  Tomasini  Petr.  Rediv.  p.  207,  Giannozzo  Manetti  (ed.  Mehus.  Florenz 
1747  u.  d.  T.  Specimen  bist.  lit.  florent.),  Antonio  da  Tempo  ed.  Marsand 
in  der  Biblioteca  petrarchesca)  u.  Squarciafichi  (ed.  in  den  baseler  Ge- 
sammtausgaben)  —  Die  angebliche  Vita  von  Luigi  Peruzzi  b.  Bruce- Wbyte, 
bist,  des  lang.  rom.  (Paris  1841)  t.  III.  p.  370—380  ist  eine  grobe  Fäl- 
schung. 


Die  Quellen  fiir  die  Biographie  Petrarca's.  39 

t.  24  und  27)  und  namentlich  durch  das  grundlegende,  noch 
immer  unentbehrliche  Werk  des  Abbö  de  Sade  (Mämoires  pour 
la  vie  de  P.,  Amsterdam  1764 — 67.  3  Bde.  4),  dessen  Werth 
freilich  durch  die  Menge  der  darin  niedergelegten  wunder- 
lichen Hypothesen  und  die  theilweise  mehr  als  zweifelhafte 
Aechtheit  der  zu  Grunde  gelegten  Urkunden  wesentlich  be- 
einträchtigt wird  ^).  Die  zu  seiner  Zeit  zu  Tage  geförderten 
sicheren  p]rgebnisse  der  Forschungen  über  Petrarca's  Leben 
fasste  in  übersichtlicher  Form  und  mit  besonnener  Kritik 
Baldelli  zusammen  in  dem  Buche  „del  Petrarca  e  delle  sue 
opere"  (Florenz  1797).  • 

Unter  den  Biographien,  welche  in  unserem  Jahrhunderte, 
bevor  Fracassetti  die  Briefsammlungen  herausgab,  erschienen 
sind,  ist  die  von  L.  G.  Blanc  in  Ersch  und  Gruber's  Ency- 
clopädie  (Sect.  3.  Thl.  19.  p.  204—254  J.  1844)  gegebene 
zweifellos  die  tüchtigste  Arbeit.  Ambrogio  Levati's  Buch 
„Vi^ggi  di  Fr.  P."  (Mailand  1820.  5  Bde.)  ist  ein  interessanter 
Roman,  aber  kein  Geschichtswerk.  Des  Engländers  Thomas 
Campbeirs  Buch  „Life  and  times  ofP."  (London  1843.  2  Bde.) 
ist  völlig  werthlos. 

Auf  Grund  der  Fracassetti'schen  Ausgaben  und  Ueber- 
setzungen  der  Prosabriefe,  durch  welche  erst  eine  wirklich 
wissenschaftliche  Biographie  ermöglicht  worden  ist,  haben  geist- 
volle und  anziehend  geschriebene  Skizzen  des  Lebens  und  Wir- 
kens Petrarca's  entworfen  A.  Mezieres  (Petrar(|ue,  ötude  d'apres 
de  nouveaux  documents.  2eme  ^d.  Paris  1868)  und  Ludwig  Geiger 
(Petrarca.  Leipzig  1874).  Ein  sehr  inhaltsreiches  Essay  über 
Petrarca  hat  endlich  Feuerlein  neuerdings  in  der  Sybel'schen 
„Historischen  Zeitschrift"  (Bd.  38.  p.  103  ff.)  gegeben. 

Das  Petrarcajubiläum  des  Jahres  1874  veranlasste  das 
Erscheinen  mehrerer  sehr  werthvoller  Schriften  über  einzelne 


')  Einer  eingehenden  und  scharfen,  zuweilen  aber  auch  ungerechten 
Kritik  unterzog  das  trotz  aller  seiner  Schwächen  doch  hoch  verdienstliche 
Werk  des  gelehrten  Franzosen  Tiraboschi  im  fünften  Bande  seiner  Storia 
della  lett.  ital. 


40  Erstes  Capitel.  Die  Quellen  für  die  Biographie  Petrarca's. 

Episoden  des  Lebens  des  Dichters^)  sowie  die  Heraus^^abe 
einiger  seiner  bis  dahin  noch  nicht  veröffentlichten  lateinischen 
Schriften  ^),  denen  auch  für  die  Biographie  manches  interessante 
Material  zu  entnehmen  ist. 


^)  1.  C.  R 0 m u s s i ,  Petrarca  a  Milano.  2.  A.Roiichini,la  dimora  del 
P.  in  Parma.  3.  A.  Malmignati,  P.  a  Padova,  a  Venezia  e  ad  Arquä 
4.  (Cittadella  e  Corradini)  Padova  a  F.  P.  5.  Ateneo  Veneto)  P.  e  Venezia. 
vgl.  L.  Geiger  in  der  Beilage  der  AUg.  Ztg.  vom  26.  Febr.  1875. 

'^)  Scritti  inediti  di  Fr.  P.  ed.  A.  Hortis.    Triest  1874. 


Zweites  Capitel. 
Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend. 


Im  Septembermonate  des  Jahres  1301  leuchtete  an  dem 
westlichen  Himmel  über  Florenz  ein  Komet ,  deV  nach  dem 
Aberglauben  damaliger  Zeit  von  den  Astrologen  als  untrüg- 
liches Vorzeichen  schweren  Unheils  für  Italien  und  für  die 
Stadt  Florenz  insbesondere  betrachtet  wurde,  um  so  mehr,  als 
bereits  zwei  Mal  in  diesem  Jahre,  im  Januar  und  im  Mai,  die 
Planeten  Saturn  und  Mars  im  Zeichen  des  Löwen,  dem  Stern- 
bilde Italiens,  zusammengetroffen  waren  und  als  im  Januar 
der  Mond  ebenfalls  im  Zeichen  des  Löwen  sich  verfinstert 
hatte '). 

Und  der  Aberglaube  sollte  diesmal  Recht  behalten!  Das 
von  ihm  verkündete  und  gefürchtete  Unheil  nahte  rasch!  Am 
Allerheiligentage  desselben  Jahres  noch  zog  Karl  von  Valois, 
des  französischen  Königs  Philipp  des  Schönen  Bruder,  an  der 
Spitze  von  500  französischen  Rittei-n  in  Florenz  ein  und  liess 
sich  wenige  Tage  darauf  die  Herrschaft  über  die  Stadt  über- 
tragen 2).  Den  Frieden  sollte  er  dem  Auftrage  des  Papstes 
Bonifaz  VIE.  gemäss  dem  parteizerrissenen  Gemeinwesen  brin- 
gen, aber  in  Wahrheit  brachte  er  den  wildesten  Bürgerki-ieg, 


»)  Giov.  Villani,  lib.  VIII  c.  47  b.  Muratori  Script,  rer.  ital.  XIII.  p.  375. 
2)  Villani,  VIII  c.  48.  p.  375  f. 


42  Zweites  Capitel. 

sowie  er,  von  einer  gleichen  Ironie  des  Schicksals  verfolgt, 
auf  dem  im  April  des  nächsten  Jahres  unternommenen  Zuge 
nach  Sicilien  statt  des  erhofften  siegreichen  Kampfes  nur 
schimpflichen  Fneden  sich  zu  gewinnen  vermochte^). 

Die  Aufgabe  eines  Friedensvermittlers  fasste  der  fran- 
zösische Prinz  in  seltsam  verkehrter  Weise  auf,  denn,  statt  die 
streitenden  Parteien  der  Schwarzen  und  der  Weissen  zu  ver- 
söhnen, duldete  und  beförderte  er  es,  dass  die  erstere,  deren 
Haupt  der  aus  der  Verbannung  heimgekehrte  rachgierige  Corso 
Donati  war,  die  Herrschaft  an  sich  riss  und  in  bis  dahin  uner- 
hörter Weise  gegen  ihre  politischen  Gegner  wüthete.  Alle 
Weissen,  welche  irgendwie  durch  Geburt  oder  amtliche  Stellung 
oder  Vermögen  Bedeutung  besassen,  wurden  unter  den  nich- 
tigsten Voiwänden  und  unter  schamlosester  Verhöhnung  aller 
Ptechtsformen  geächtet,  in  die  Verbannung  getrieben  und  ihrer 
Güter  beraubt,  ja  selbst  ihre  Häuser  wurden  zerstört  und 
ihre  etwaige  Ptückkehr  auf  florentinisches  Gebiet  w^ard  mit  den 
härtesten  Leibesstrafen  nicht  bloss  bedroht,  sondern  vorkommen- 
den Falles  auch  wirklich  geahndet^). 

Unter  den  Hunderten,  welche  das  traurige  Loos  der  Ver- 
bannung traf,  befanden  sich  auch  Dante  Alighieri  %  der  bereits 
nach  wenigen  Jahren  und  dann  für  alle  Folgezeit  als  Italiens 
grösster  Dichter  gefeiert  werden  sollte,  und  Ser  Petracco,  des 
Parenzo  aus  Incisa  Sohn,  welcher  bestimmt  war,  dem  zweit- 
grössten  italienischen  Dichter  das  Leben  zu  geben :  an  dem 
gleichen  Tage,  dem  27,  Januar  1302,  verloren  Dante  und 
Petracco  ihre  schöne  Heimath  für  immer  ^). 


^)  Villani ,  VIII  c.  49.  p.  379 :  Messcre  Carlo  venne  in  Toscanii,  per 
paciaro  e  lascioUa  in  guerra  ed  andonne  in  Cicilia  per  giierra  fare  e  re- 
conne  vergognosa  pace. 

^)  Villani,  VIII  c.  48.  p.  375—378,  vgl.  Perrens,  Histoire  de  Florence 
(Paris  1877)  t.  III.  p.  66  ff. 

^)  Ueber  die  Schreibweise  des  Xamens  Alighieri  vgl.  Fraticelli,  Storia 
della  vita  di  Dante  (Florenz  1861),  c.  2.  p.  13—31. 

*)  Ueber  das  Datum  der  Verbannung  Dantes  vgl.  die  bei  Fraticelli 
a  a.  0.  p.  136  ff.  abgedruckten  Urkunden.    Petrarca  sagt  ausdrücklich,  dass 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  43 

Die  Vertriebenen  wandten  sich  tlieils  nach  Pistoja,  theils 
nach  Pisa,  theils  auch  nach  Arezzo  ^).  Wie  alle  diejenigen, 
welche  im  politischen  Parteikampfe  unterliegen,  glaubten  auch 
sie,  dass  ihre  Niederlage  nur  eine  zeitweilige  sei,  und  erhofften 
sie  eine  baldige  glückliche  Wendung  ihres  Geschickes.  An 
wiederholten  Versuchen,  mit  gewaffneter  Hand  sich  die  sieg- 
reiche Rückkehr  zu  erzwingen,  Hessen  sie  es  nicht  fehlen,  und 
einmal  schien  ihr  Streben  von  dem  Erfolge  gekrönt  werden 
zu  sollen.  Am  Morgen  des  20.  Juli  1304  gelang  es  den 
Weissen,  bis  zu  den  Thoren  von  Florenz;  ja  zum  Theil  bis  in 
die  Stadt  selbst  vorzudringen,  und,  wäre  ihr  Unternehmen 
überlegter  und  planmässiger  gewesen,  der  Sieg  würde  ihnen 
kaum  entgangen  sein,  während  in  Folge  dieses  Mangels  der  mit 
mehr  Kühnheit  als  Klugheit  gewagte  Versuch  kläglich  scheiterte 
und  mit  wirrer  Flucht  der  allzu  rasch  Entmuthigten  endete  % 
Nach  diesem  Schlage  konnten  die  Weissen  die  Rückkehr  in 
die  Vaterstadt  nur  etwa  noch  von  der  Hülfe  des  Kaisers  er- 
hoffen, doch  auch  diese  Hoffnung  erlosch,  als  am  24.  August 
1313  Heinrich  VII.  zu  Buonconvento  starb.  Die  Florentiner 
aber  feierten  seitdem  lange  Jahre  den  20.  Juli  als  öffentlichen 
Festtag'^),  sie  feierten  dadurch  ohne  ihr  Wissen  zugleich  den 
Geburtstag  eines  ihrer  grössten  Dichter,  — 

Ser  Petracco  hatte  in  der  altljerühmten ,  freundlich  gele- 
genen Etruskerstadt  Arezzo  eine  Zuflucht  gesucht  und  gefun- 
den. Hier  bewohnte  er  mit  seiner  Gattin  auf  einer  in  der 
inneren  Stadt  belegenen  Strasse,  „Gartenstrasse"  genannt^), 
ein  einfaches,   wenig  geräumiges  Haus  ^).     In   diesem   Hause 


sein  Vater  und  Dante  „uno  die  atque  uno  civili  turbine"  vertrieben  worden 
seien.  (Ep.  Fam.  XXI.  15.)  Nach  Dino  Compagni  freilich  (b.  Muratori,  IX 
p.  502)  wären  Dante  und  Petrarca  erst  im  April  verbannt  worden. 

-)  Villani,  VIII  48.  p.  378:  chi  n'andö  a  Pisa  e  chi  a  Arezzo  e  chi 
a  Pistoia. 

2)  Villani,  VIII  c.  72.  p.  405— 408,  vgl.  Perrens,  a.  a.  0.  Hl  p.  99  ff. 

3)  cf.  Ep.  Sen.  VIII  1. 

■*)  Epist.  Sen.  XIII  3:  „in  intim o  vico  civitatis,  qui  Hortus  vulgo 
dicitur". 

^)  Petrarca,  ibid:  „domus  haud  sane  ampla  seu  magnifica,  sed  qualis 
exulem  decuisset". 


44  Zweites  Capitel. 

wurde  ihm  an  demselben  20.  Juli  —  einem  Montage  und  dem 
Tage  der  heiligen  Margarethe  —  und  beinahe  in  derselben 
frühen  Morgenstunde,  als  die  Weissen  vor  und  in  Florenz  für 
ihre  Rückkehr  erfolglos  fochten,  ein  Sohn  geboren,  der  einst 
nach  nicht  ganz  vier  Jahrzehenden  als  der  gefeierte  Francesco 
Petrarca  die  Dichterkrone  auf  dem  Capitol  empfangen  sollte. 

Petrarca  nennt  das  Jahr  und  den  Tag  seiner  Geburt  zu 
wiederholten  Malen  i)  mit  solcher  Deutlichkeit  und  Genauig- 
keit, dass  an  der  Richtigkeit  dieser  Angabe  vernünftigerweise 
nicht  gezweifelt  werden  kann.  Am  ausführlichsten  spricht  er 
sich  über  seine  Geburt  und  die  sie  begleitenden  Umstände  in 
dem  Briefe  aus,  welchen  er  am  20.  Juli  1366,  also  an  seinem 
zweiundsechzigsten  Geburtstage,  an  Boccaccio  schrieb  (Epist. 
Sen.  VIII  1),  um  ihm  seinen  Eintritt  in  das  vermeintlich  so 
ominöse  dreiundsechzigste  Lebensjahr  zu  melden,  ein  Brief,  der 
in  vielfacher  Beziehung  hoch  interessant  ist. 

Seiner  im  Vergleiche  mit  Italiens  stolzen  Metropolen  kleinen 
und  ärmlichen,  wenn  auch  altehrwürdigen  Geburtsstadt  hat  Pe- 
trarca sich  nie  geschämt,  und  es  gereichte  ihm  zur  hohen 
Freude,  dass  er  sie  im  Jahre  1350.  als  er  von  Rom  zurück- 
reiste, zum  ersten  (und,  soviel  wir  wissen,  auch  letzten)  Male 
wiedersehen  konnte.  Die  Aretiner  alier  waren  stolz  auf  ihren 
rasch  berühmt  gewordenen  Landsmann  und  wussten  ihn  noch 
bei  seinen  Lebzeiten  gebührend  zu  ehren.  Noch  vor  dem  Jahre 
1350  ward  verfügt,  dass  sein  Geburtshaus  unverändert  zu  er- 
halten sei,  und  solche  Pietät  mag  den  Dichter,  als  er  bei  seiner 
Anwesenheit  in  dem  genannten  Jahre  davon  Kenntniss  erhielt, 
wol  noch  mehr  erfreut  haben,  als  der  festliclie  Empfang,  der 
ihm  bereitet  ward  -).  Bis  auf  den  heutigen  Tag  ist  das  Haus, 
in  welchem  Petrarca  geboren,  im  Wesentlichen  unversehrt  er- 
halten worden  und  im  Jahre  1810  ward  es  mit  einer  Gedenk- 
tafel würdig  einfachen  Inhaltes  geschmückt. 

Die  Verehrung,  welche   die  Aretiner  dem  grössten  Sohne 


»)  Epist.  ad  post,  Epist.  Sen.  VIII  1  und  XIII 
*)  Epist.  Sen.  XIII  3. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  45 

ihrer  Stadt  zollten,  bliel)  nicht  unbelohnt.  Als  Arezzo  nach 
der  Schlacht  bei  Marengo  den  Franzosen  noch  Widerstand  zu 
leisten  wagte,  eroberte  Napoleon  die  Stadt  mit  Sturm,  gewährte 
aber,  um  das  Andenken  Petrarca's  zu  ehren,  den  Bürgern  eine 
allgemeine  Amnestie  ^),  So  walteten  Petrarca's  Manen  schützend 
über  seine  Geburtsstadt. 

Es  wird  hier  der  geeignete  Ort  sein,  um  über  Petrarca's 
Vorfahren  und  Aeltern  das  Wenige  zu  sagen,  was  sich  über- 
haupt darüber  sagen  lässt. 

Von  seinen  Vorfahren  spricht  Petrarca,  der  in  seinen 
Briefen  und  auch  in  seinen  sonstigen  Schriften  so  gern  sich 
über  persönliche  Verhältnisse  verbreitet  und  so  redselig  bald 
diese,  bald  jene  Episode  aus  seinem  Lebensgange  berichtet, 
mit  einer  einzigen  gleich  zu  erwähnenden  Ausnahme  nie.  Es 
könnte  dies  auffallend  erscheinen  und  vielleicht  selbst  der  Ver- 
muthung  Raum  geben,  dass  Petrarca  seiner  Vorfahren  sich 
geschämt  habe,  wenn  nicht  zu  berücksichtigen  wäre,  dass  er 
während  seines  ganzen  Lebens  fern  von  der  florentinischen 
Heimath  geweilt  hat  und  in  Folge  dessen  in  keiner  näheren 
Verbindung  mit  seinen  dort  lebenden  väterlichen  und  mütter- 
lichen Verwandten  stehen  konnte,  wodurch  ihm  einerseits  die 
Kenntniss  etwa  vorhandener  Familientraditionen  sehr  erschwert 
und  andererseits  auch  sein  Interesse  an  der  Geschichte  der 
Familie  überhaupt  sehr  geschwächt  werden  musste.  Ueberdies 
hat  Petrarca  augenscheinlich  wenig  Familiensinn  besessen :  in 
jungen  Jahren  schon  älternlos  geworden  und  auf  sich  allein 
angewiesen,  von  Kindheit  an,  ja  noch  vor  der  Geburt,  losgelöst 
von  seiner  alten  Heimath,  ganz  neue  Bahnen  des  Lebens  und 
Denkens  einschlagend  und  das  berechtigte  Bewusstsein  in  sich 
tragend,  ausserhalb  der  Gedankenkreise  seiner  Zeit  zu  stehen 
—  wie  konnte  ihm  da  ein  behagliches  Zurückdenken  in  die 
Vergangenheit  seines  Geschlechtes  Bedürfniss  sein  und  wie 
konnte  es  ihm  irgend  welchen  Beiz  gewähren? 


1)  vgl.  Petrarque  ä  Vaucluse  et  histoire  de  cette  fontaine  par  un  ancien 
habitant  de  Vaucluse  (Paris  XIII  od.  1804)  p.  391. 


4ß  Zweites  Capitel. 

Der  einzige  Vorfahr,  dessen  Petrarca  gedenkt,  ist  sein 
väterlicher  Urgrossvater  Garzo.  Von  ihm  erzählt  er  einmal 
gelegentlich  ^) ,  dass  er  ein  frommer ,  rechtlicher  und ,  soweit 
dies  ohne  wissenschaftliche  Bildung  möglieh,  auch  ein  kluger 
Mann  gewesen  sei,  der  still  und  einfach  zu  Incisa  gelebt  habe, 
bis  er  in  dem  selten  hohen  Alter  von  104  Jahren  gerade  an 
seinem  Geburtstage  und  in  demselben  Zimmer,  in  welchem  er 
einst  das  Licht  der  Welt  erblickt  hatte,  friedlich  und  gott- 
ergeben entschlummert  sei. 

Der  Sohn  dieses  Garzo  war  Parenzo  und  des  Parenzo's 
Sohn  wiederum  Petracco,  Petrarca's  Vater  2). 

Auch  von  seinem  Vater  berichtet  Petrarca  nur  Weniges, 
und  es  lässt  sich  daraus  erschliessen,  dass  sein  Verhältniss  zu 
ihm  ein  wenig  vertrauliches  und  inniges  gewesen  ist.  Man- 
cherlei Ursachen  mögen  hierzu  mitgewirkt  haben:  zunächst 
der  äusserliche  Umstand,  dass  Petrarca  die  Jahre  seiner  Kind- 
heit und  die  ersten  Jünglingsjahre  nicht  unter  der  unmittel- 
baren väterlichen  Obhut  verbrachte,  ferner  der  Gegensatz 
der  Anschauungen ,  welcher  zwischen  Vater  und  Sohn  un- 
zweifelhaft bestand  und  der  sich  kurz  als  Gegensatz  des 
Realismus  und  des  Idealismus  bezeichnen  lassen  düifte,  endlich 
vielleicht  auch  —  wir  werden  das  demnächst  zu  erörtern  haben 
—  die  ungewöhnlich  grosse  Differenz  in  dem  beiderseitigen 
Lebensalter.  Hervorgehoben  muss  jedoch  werden,  dass,  wenn 
auch  das  Verhältniss  zwischen  Vater  und  Sohn  allem  Anschein 
nach  ein  etwas  kühles  und  wenig  herzliches  war,  dies  sich 
doch  nie  zu  einem  offenen  äusseren  Zerwürfnisse  gesteigert, 
dass  vielmehr,  soweit  wir  zu  urtheilen  vermögen,  Petracco 
seinem  Sohne  stets  die  väterliche  Liebe  und  dieser  wieder 
dem  Vater  stets  die  schuldige  Achtung  bewahrt  hat.  Gewiss 
ist  jedenfalls,  dass  Petracco  seine  Vaterpflichten  nie  verab- 
säumt und  dass  er  nach  bestem  Wissen  und  Vennögen  für  die 


1)  Epist.  Farn.  VI  3. 

^)  Weitere  genealogische  Einzelheiten  sehe  man  bei  Fracassetti,   Lett. 
fam.  I.  p.  214  f. 


Die  Jalu'e  der  Kindheit  und  ersten  Jugend  47 

Erziehung  und  Ausbildung  seines  Sohnes  Sorge  getragen  hat, 
wenn  auch  schwerlich  geleugnet  werden  kann,  dass,  als  er  den 
Sohn  für  die  juristische  Laufbahn  bestimmte,  er  dessen  geistige 
Anlagen  und  Neigungen  sehr  unrichtig  beurtheilte. 

Nach  alledem,  was  wir  von  Petrarca's  Biographen  erfahren, 
war  der  alte  Petracco  ein  durchaus  ehrenwerther  und  thätiger 
Mann  und  ein  tüchtiger  Jurist,  welcher  als  Notar  bei  dem 
florentinischen  Staatsarchive  delle  Riformagioni ')  ein  ange- 
sehenes Staatsamt  bekleidete  und  wegen  seiner  hervorragenden 
geistigen  Begabung  und  seltenen  Beredtsamkeit  wiederholt  mit 
Gesandtschaften  in  schwierigen  Angelegenheiten  betraut  wurde  2). 
Dass  Petracco  einer  höheren  wissenschaftlichen  Bildung  nicht 
entbehrte,  bezeugt  auch  Petrarca  selbst,  der  ihn  uns  als  einen 
grossen  Verehrer  Cicero's  schildert  und  urtheilt,  der  Vater 
habe  es  bei  seiner  reichen  Begabung  unter  günstigeren  äusseren 
Verhältnissen,  wenn  er  weniger  von  Familien-  und  Vermögens- 
sorgen belästigt  worden  wäre,  wol  viel  weiter  bringen  können 
in  humanistischer  Bildung  ^). 

Dass  aber  Petracco  auch ,  wie  sein  berühmter  Sohn, 
von  der  Schwäche  der  Eitelkeit  nicht  frei  war,  beweist  die 
folgende  kleine  von  Petrarca  erzählte  Anekdote.  In  seinem 
fünfzigsten  Jahre  entdeckte  Petracco  einzelne  graue  Haare  auf 
seinem  Haupte,  er  wurde  durch  diese  Wahrnehmung  ganz  be- 
stürzt und  verkündete  das  seiner  Meinung  nach  vorzeitige  Er- 
grauen den  Nachbarn  als  etwas  ganz  Merkwürdiges  und  Un- 
natürliches ^). 

Aus  den  vorstehenden  Angaben,  so  kärglich  sie  auch  sind, 
erkennt  man  doch,  dass  Petrarca  einige  Eigenschaften  wenig- 
stens im  Keime  von  seinem  Vater  ererbt  hat:  die  Liebe  zu 
humanistischen  Studien,  die  Beredtsamkeit  und  die  kleine 
Schwäche  der  Eitelkeit,  vielleicht  auch  eine    gewisse  —  von 


^)  lieber  dieses  Institut  vgl.  Perrens,  a.  a.  0.  III  p.  67.  Note  1. 
-)  vgl.  Fil.  Villani  b.  Mehus ,  p.  195,   Janozzus  Manettus  b.  Tomasini, 
p.  195  u.  Leonardo  Aretino,  ibid.  p.  207. 

3)  Epist.  Sen.  XV  (in  Fracassetti's  Uebersetzung  XVI)  1. 
*)  Epist.  Fam.  VI  3. 


48  Zweites  Capitel. 

ihm  selbst  freilich  immer  in  Abrede  gestellte  —  Neigung  zu 
geschäftlicher  Thätigkeit,  aus  welcher  es  sich  erklären  würde, 
dass  er  so  oft  die  ihm  theuere  Einsamkeit  von  Vaucluse  und 
Parma  mit  dem  geräuschvollen  Leben  an  fürstlichen  Höfen 
vertauschte  und  sich  wiederholt  zur  üebernahme  politischer 
Missionen  bestimmen  Hess. 

In  welchem  Jahre  Petracco  geboren  ward  und  wie  alt  er  folg- 
lich bei  der  Geburt  seines  Sohnes  war,  lässt  sich  leider  nicht  er- 
mitteln. Petrarca  nennt  einmal  ^)  seinen  Vater  jünger  als  den 
im  Jahre  1265  geborenen  Dante,  wonach  Petracco  im  Jahre 
1304  höchstens  etwa  39  Jahre  alt,  vermuthlich  aber  beträcht- 
lich jünger  gewesen  sein  würde.  Dem  widerspricht  indessen 
eine  andere  Angabe.  In  einem  jedenfalls  im  Jahre  1368  ge- 
schriebenen Briefe  ^)  an  seinen  Jugendfreund ,  den  Erzbischof 
Guido  Settimo  von  Genua,  gedenkt  Petrarca  eines  Ausfluges 
nach  Vaucluse,  den  er  als  Knabe  während  seines  Aufenthaltes 
in  Carpentras  unternommen  hatte,  und  erwähnt  hierbei,  dass 
sein  Vater  damals  ungefähr  ebenso  alt  gewesen  sei,  wie  er 
gegenwärtig  selbst.  Da  nun  Petrarca  im  Jahre  1368  64  Jahre 
alt  war  und  da  ferner  die  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Caipen- 
tras  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  die  Jahre  1315  — 1319 
fällt,  so  würde  demnach  Petracco's  Geburtsjahr  zwischen  1251 
und  1255  anzusetzen  sein  und  Petracco  wäre  folglich  bei  der 
Geburt  seines  Sohnes  schon  ein  älterer  Mann  von  49  bis  53 
Jahren  gewesen.  Man  sieht,  beide  Angaben,  welche  an  sich  ja 
für  gleich  authentisch  gelten  müssen,  lassen  sich  unmöglich 
mit  einander  vereinigen  und,  da  auch  auf  textkritischem  Wege 
der  Widerspruch  nicht  gehoben  werden  kann,  so  muss  es  sub- 
jectivem  Ermessen  anheimgestellt  bleiben,  welche  Angabe  man 
für  die  richtige  halten  will.  Wahrscheinlichkeitsgründe  würden 
sich  sowoV  für  die  eine  als  für  die  andere  geltend  machen  lassen. 
Sollte  Petracco  wirklich  gegen  fünfzig  Jahre  älter  gewesen  sein^ 
als  sein  Sohn,  so  wäre  es  leichter  erklärlich,  wenn  der  letztere 


^)  Ep.  Fam.  XXI  15. 
2}  Epist.  Sen.  X  2. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  49 

ZU  dem  Vater  nie  in  ein  recht  inniges  Verhältniss  zu  treten 
vermochte. 

Demjenigen,  was  im  Obigen  über  Petrarca's  Vater  gesagt 
worden  ist,  dürfte  sich  passend  eine  kurze  Bemerkung  über 
den  Namen  „Petrarca"  und  seine  Schreibweise  anschliesseu. 

Als  Sohn  des  Petracco  (familiäre  Namensform  für  Pietro) 
hätte  Petrarca  sich  Francesco  Petracchi  oder  Petracchi  allein 
nennen  müssen.  Warum  er  den  letzteren  Namen  in  Petrarca 
umänderte,  ist  völlig  unklar,  und  nur  vermuthen  lässt  sich, 
dass  er  es  des  Wohllautes  wegen  oder  um  dem  Namen  eine 
gewisse ,  nicht  mehr  zu  enträthselnde  symbolische  Bedeutung 
zu  verleihen,  gethan  habe  ^). 

Dass  aber  die  Schreibweise  Petrarca  mit  c  vor  derjenigen 
mit  ch  den  Vorzug  verdient,  geht,  trotz  aller  Argumente,  welche 
Fortunius  Licetus  in  seiner  weitschweifigen  Dissertation  in 
Tomasini's  „Petrarca  redivivus"  p.  249-270  zu  Gunsten  des 
ch  vorgebracht  hat,  unwiderleglich  aus  Petrarca's  von  ihm 
selbst  verfasster  Grabschrift  hervor,  in  welcher  der  Genetiv 
Petrar  c  a  e  in  dem  Reime  mit  p  a  r  c  e  und  a  r  c  e  steht  und  folg- 
lich uns    zur  Annahme   des    Nominativs  Petrarca    nöthigt^). 

Der  Schreibweise  der  Handschiiften ,  welche  allerdings 
wol  vorwiegend  Petrarcha  ist,  darf  dem  erwähnten  Beweise 
gegenüber  keine  Auctorität  beigelegt  werden,  zumal  uns  be- 
glaubigte Autogramme  des  Namens  fehlen.  — 

Weniger  noch  als  über  Petrarca's  Vater  wissen  wir  über 
seine  Mutter,  und  es  muss  das  in  Anbetracht  dessen,  dass  er 
seine  Kindheitsjahre  fast  ausschliesslich  unter  der  mütterlichen 
Pflege  und  Obhut  verbrachte,  recht  befremdlich  erscheinen. 
In  seinen  Briefen,  aus  denen  sich  für  so  viele  und  darunter 
zum  Theil  ihm  persönlich  ziemlich  fernstehende  Persönlichkeiten 
ein  reiches  biographisches  Material  gewinnen  lässt,  gedenkt 
Petrarca  seiner  Mutter  nur  zweimal  und  weiss  von  ihr  nichts 
w^eiter  zu  berichten,  als  dass  sie  ihn  unter  grossen  Schmerzen 


')  Vgl.  Janozzus  Manettus  b.  Tomasini,  Petr.  red.  p.  195  und  198. 
-)  Vgl.  Fracasetti,  Epist.  Fam.,  prolegom.  p.  I  Note. 

Körting,    Petrarca.  4 


50  Zweites  Capitel. 

und  mit  Gefährdung  ihres  eigenen  Lebens  geboren  habe,  also 
beinahe  nur  das  Selbstverständliche  ^).  Ausserdem  ist  noch 
ein  lateinisches  Gedicht  Petrarcas  auf  den  Tod  seiner  Mutter 
vorhanden  (in  den  baseler  Ausgaben  der  gesammten  Werke 
der  siebenten  poetischen  lateinischen  Epistel  des  ersten  Buches 
unmittelbar  angefügt),  aber  es  enthält  dasselbe  kaum  mehr 
als  eine  sehr  allgemein  gehaltene  und  schablonenmässige  Lob- 
preisung, welche  warme  und  natürliche  Empfindung  gar  sehr 
vermissen  lässt,  und  wir  können  daraus  an  positiven  Angaben  nur 
die  folgenden  entnehmen :  dass  Petrarcas  Mutter  mit  Vornamen 
Eletta  hiess,  denn  sie  wird  in  Vers  5  ,,electa  Dei  tam  nomine 
quam  re"  genannt,  dass  durch  ihren  Tod  Petrarca  und  sein 
Bruder  ganz  verwaist  wurden,  wie  aus  Vei-s  15  und  16  un- 
zweifelhaft hervorgeht  2),  dass  sie  folglich  ihren  Gatten  über- 
lebte und  dass  sie  endlich  ein  Lebensalter  von  nur  38  Jahren 
erreichte,  denn  Petrarca  erklärt  Vers  35  f.  —  eben  kein  poe- 
tischer und  feinfühliger  Gedanke!  — ,  ihr  so  viel  Verse  widmen 
zu  wollen,  als  die  Zahl  ihrer  Lebensjahre  betrage 3),  und  das 
Gedicht  besteht  aus  38  Hexametern. 

Der  gewöhnlichen,  aber  freilich  durch  nichts  beglaubigten 
Tradition  zufolge  hiess  Petrarca" s  Mutter  Eletta  Canigiani,  wo- 
nach sie  einer  sehr  angesehenen  Familie  —  war  doch  im  Jahre 
1297  ein  Cino  Canigiani  Gonfaloniere  von  Florenz  gewesen  — 
angehört  haben  würde,  und  ist  sie  kurze  Zeit  nach  ihrem 
Gatten,  etwa  im  Jahre  1326,  gestorben.  Diese  letztere  Angabe  com- 
binirt  mit  der  oben  erwähnten  Petrarca's  würde  als  ihr  Geburts- 
jahr das  Jahr  1288  ergeben,  sie  wäre  demnach,  als  sie  Fran- 
cesco's  Mutter  wurde,  erst  16  Jahre  alt  gewesen  und  ihre 
Vermählung  mit  Petracco  müsste,  da  sich  doch  kaum  glauben 
lässt,  dass  sie  erst  im  Exile  erfolgt  sei.  mindestens  zwei  bis 
drei  Jahre  früher  angesetzt  werden,  so  dass  Eletta  bereits  im 


*)  Epist.  fam.  praef.  und  Epist.  Sen.  X  2. 

*)  „me   fratremque  parens  dulcissima    fessos  Pjiihagorae    in    bivio  et 
rerum  sub  turbine  linquis". 

')  „versiculos  tibi  nunc  totidem,  quot  praebuit  annos  Vita,  damus". 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  51 

Alter  von  13  bis  14  Jahren  Frau  geworden  wäre,  was  nach 
italienischen  Verhältnissen,  namentlich  der  damaligen  Zeit,  aller- 
dings wohl  denkbar,  aber  doch  nicht  recht  wahrscheinlich  ist. 

Nun  aber  ist  in  dem  Archivio  generale  de'  contratti  zu 
Florenz  unter  den  Protokollen  des  Ser  Rustichello  di  Guido 
Bandino  da  Leccio  eine  vom  25.  Mai  1331  datirte  Urkunde 
gefunden  worden,  durch  welche  eine  „Nicolcsa,  Wittwe  des 
verstorbenen  Ser  Petracchi  Parenzi  aus  Ancisa  und  Tochter 
des  verstorbenen  Vannis  Cini  Sigoli",  einen  Specialbevollmäch- 
tigten ernennt  mit  dem  Auftrage,  dass  derselbe  in  ihrem  Namen 
alle  diejenigen  liegenden  Güter  ihres  verstorbenen  Gatten  in 
Besitz  nehmen  solle,  auf  denen  ihre  Mitgift  hypothekarisch  an- 
gelegt sei  ^). 

Wenn  diese  Urkunde  acht  ist,  was  füglich  nicht  in  Zweifel 
gezogen  werden  kann,  so  muss  man,  da  der  in  ihr  erwähnte 
Petracco  Parenzi  aus  Ancisa  doch  gewiss  mit  Petrarca's 
Vater  identisch  ist,  annehmen,  dass  Nicolosa  Petrarca's  Mutter 
gewesen  sei,  welche  hiernach  im  Jahre  1331  noch  gelebt  haben 
würde.  Etwa  zu  glauben,  dass  Nicolosa  eine  nach  dem  Tode 
der  Mutter  Petrarca's  geehelichte  zweite  Frau  Petracco's  sei, 
ist,  um  von  anderen  Gründen,  welche  dagegen  sprechen  würden, 
ganz  abzusehen,  schon  um  desswillen  unstatthaft,  weil  Petracco 
das  Vermögen  einer  zweiten  Gemahlin  nimmermehr  auf  seinen 
vom  Staate  confiscirten  Gütern  in  Florenz  hypothekarisch  hätte 
anlegen  können. 

Ist  hiernach,  wie  es  allen  Anschein  hat,  unter  Nicolosa 
wirklieh  Petrarca's  Mutter  zu  verstehen,  so  ist  sehr  schwer 
abzusehen,  wie  mit  den  Angaben  der  Urkunde  diejenigen  der 
gewöhnlichen  Tradition  und  Petrarca's  selbst  vereinbart  werden 
können. 

Die  Differenz  der  Namen  freilich  hat  de  Gubernatis  zu  er- 
klären versucht 2)*.    Davon  ausgehend,  dass  Nicolosa  offenbar 


*)  vgl.  über  diese  Urkunde  und  die  daran  sich  knüpfenden  Fragen  die 
lichtvolle  Untersuchung  Fracassetti's,  Lett.  fara.  I.  p.  217  iF. 

*)  vgl.  A.  Tobler  im  Jahrb.  f.  roman.  u.  engl.  Spr.  u.  Litt.  XV  4. 
p.  469. 

4* 


52  Zweites  Capitel. 

eine  Koseform  für  Nicola  sei,  hält  er  den  von  Boccaccio  über- 
lieferten Kamen  Lecta  (Lieta)  für  eine  Kürzung  einer  anderen 
Koseform  „Nicoletta''  desselben  Namens  Nicola,  die  von  Petrarca 
gegebene  Namensforni  Electa  aber  nur  für  eine  sinnige  Um- 
wandelung  von  Lecta.  Die  Formen  „Vannis  Cini"  italianisirt 
er,  was  gewiss  zulässig,  in  Vanni  oder  Gianni  (=  Giovanni)  di 
Cino  und  lässt  hieraus  durch  Umstellung  und  Verschmelzung 
den  Namen  Cinigiani  entstehen,  von  welchem  seiner  Meinung 
nacli  Canigiani  nur  eine  falsche  Lesung  wäre.  Der  Name 
„Sigoli"  bleibt  unerklärt. 

Unbeschadet  aller  Anerkennung,  welche  man  dem  unleug- 
baren Scharfsinne  de  Gubernatis'  zollen  mag,  wird  man  doch 
schwerlich  durch  seinen  etwas  gar  zu  künstlichen  und  noch 
dazu  unvollständigen  Erklärungsversuch  das  Problem  für  gelöst 
erachten  können. 

Grössere  Schwierigkeiten  noch  als  aus  der  Differenz  der 
Namen  erwachsen  aus  dem  Datum  der  Urkunde.  Wenn  Pe- 
trarca's  Mutter  im  Jahre  1331  wirklich  noch  unter  den  Lebenden 
war,  so  musste  sie,  selbst  wenn  sie  auch  noch  in  demselben 
Jahre  gestorben  sein  sollte,  bei  ihrem  Tode  doch  sicherlich  ein 
höheres  Alter,  als  das  von  38  Jahren,  erreicht  haben,  denn 
wir  würden  sonst  zu  der  absurden  Annahme  gedrängt  werden, 
dass  sie,  geboren  im  Jahre  1293,  bereits  um  1301  oder  spä- 
testens im  Januar  1302  ^),  also  in  einem  Alter  von  höchstens 
neun  Jahren,  Petracco's  Gattin  und  im  Alter  von  elf  Jahren 
Petrarca's  Mütter  geworden  sei. 

Wie  sind  diese  argen  Widersprüche  nun  zu  lösen?  Bei 
der  Kärglichkeit  des  uns  vorliegenden  Materials  bleibt  absolut 
nichts  Anderes  übrig,  als  entweder  die  Urkunde,  trotzdem  dass 
sie  die  diplomatischen  Merkmale  der  Aechtheit  an  sich  trägt. 
oder  Petrarca's  (Tedicht.  trotzdem  dass  auch  dieses  durchaus 
mit  keinem  Kennzeichen  einer  Fälschung  behaftet  ist,  für  unter- 


')  Bei  später  erfolgter  Verehelichung  würde  ihre  Mitgift  nicht  auf  den 
tlorentinischen  Gütern  ihres  Gatten  hypothekarisch  haben  angelegt  weiden 
können. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  53 

geschoben  zu  erklären  oder  aber,  und  das  düifte  immerhin  das 
Wahrscheinlichste  sein,  anzunehmen,  dass  Petrarca  sein  Ge- 
dicht entweder  nicht  vollendet  habe,  oder  dass  dasselbe  doch 
nur  unvollständig  überliefert  worden  sei,  dass  also  die  Zahl 
der  uns  vorliegenden  Verse  nicht  identisch  sei  mit  der  Zahl 
der  von  Eiecta  (oder  Nicolosa)  erreichten  Lebensjahre.  Für 
die  letztere  Annahme  würde  namentlich  der  Umstand  sprechen, 
dass  das  Gedicht  in  der  Fassung,  in  welcher  es  uns  überliefert 
ist,  offenbar  eines  angemessenen  Schlusses  entbehrt^). 

Verhehlen  darf  man  sich  aber  nicht,  dass  die  Annahme, 
Petrarca's  Mutter  habe  das  Jahr  1326  und  die  Kückkehr  ihres 
Sohnes  aus  Bologna  nach  Avignon  um  längere  Zeit  überlebt, 
gar  manche  Bedenken  gegen  sich  hat.  Wie  konnte  es,  muss 
man  fragen,  geschehen,  dass  Petrarca,  wenn  ihm  nach  1326 
die  Mutter  noch  mehrere  Jahre  erhalten  blieb,  ihrer  in  seinen 
uns  vorliegenden  Briefen,  deren  erster  doch  vom  18.  April 
spätestens  des  Jahres  1826  datirt  ist,  nirgends  gedenkt?  wie 
konnte  es  ferner  geschehen,  dass  Petrarca,  soviel  wir  wissen, 
nie  in  den  Besitz  seines  mütterlichen,  der  Urkunde  zufolge  in 
Florenz  fundirten  Erbes  eingetreten  ist?  wie  konnte,  als  die 
florentinische  Regierung  im  Jahre  1351  ihm  die  väterlichen 
Güter  zu  restituiren  beschloss  ^) ,  es  unerwähnt  bleiben ,  dass 
er  einen  Theil  derselben  als  Erbe  seiner  Mutter  bereits  besass 
oder  doch  ein  Anrecht  darauf  hatte?  oder  sollte  vielleicht 
Nicolosa  im  Jahre  1331  ihr  Recht  geltend  zu  machen  nicht 
vermocht  und  ihren  Specialbevollmächtigten  vergebens  ernannt 
haben?  Es  ist  das  nicht  recht  wahrscheinlich,  da  ihr  ja  bereits 
im  Jahre  1305  die  Rückkehr  nach  Incisa  gestattet  und  viel- 
leicht selbst  ein  dortiges  Landgut  ihres  Gatten  überlassen 
worden  war. 

Wir   stehen    hier    eben  vor    Räthseln,    welche   zu   lösen 

^)  Eine  noch  andere  Lösung  schlägt  Fracassetti  Lett.  fani.  I.  p.  221 
vor.  Er  will  die  Verszahl  des  Gedichtes  auf  Eletta's  Tod  auf  Petrarca's 
Lebensjahre  beziehen,  wonach  also  dies  Gedicht  im  Jahre  1342  abgefasst 
worden  und  Eletta  erst  damals  gestorben  wäre.  Gegen  diese  Annahme 
sprechen  lebhaft  die  im  Folgenden  erwähnten  Bedenken. 

-)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  III  p.  40. 


54  Zweites  Capital. 

wir  nur  dann  vermögen  werden,  wenn  etwa  durch  einen  glück- 
lichen Zufall  uns  neues  Material  geboten  werden  sollte. 

Soviel  indessen  darf  man  wol  auch  jetzt  schon  behaupten, 
dass  Petrarca  —  wir  müssen  uns  freilich  bescheiden,  zu  wissen, 
aus  welchen  Gründen  — ,  wie  zu  seinem  Vater,  so  auch  zu 
seiner  Mutter  in  keinem  näheren  und  vertraulicheren  Verhält- 
nisse stand.  Der  Vorwurf  der  Impietät  wird  ihm  kaum  er- 
spart bleiben  können,  denn,  möge  die  Mutter  auch  sonst  welche 
Fehler  besessen  haben,  Petrarca  hätte  ihrem  Andenken  wol 
herzlichere  Worte  widmen  sollen,  als  jene  frostigen  achtund- 
dreissig  Hexameter.  Welchen  Einfluss  die  Mutter  auf  die 
geistige  Beanlagung  und  Ausbildung  ihres  Sohnes  etwa  aus- 
geübt haben  mag,  lässt  sich,  da  alle  Anhaltspunkte  fehlen, 
nicht  einmal  vermuthen. 

Von  Petrarca's  Aeltern  wenden  wir  uns  zu  seinen  Ge- 
schwistern. Des  einen  Bruders  Petrarca's,  Gherardo,  werden 
wir  im  Laufe  der  folgenden  Erzählung  so  oft  gedenken  müssen, 
dass  wir  uns  hier  füglich  nähere  Angaben  über  ihn  ersparen 
können.  Nur  das  Eine  möge  bereits  hier  bemerkt  werden, 
dass  Gherardo  allem  Vermuthen  nach  einige  Jahre  jünger  ge- 
wesen ist  als  Francesco  und  vielleicht  im  Jahre  1307  zu  Incisa 
geboren  wurde  >).  Ausser  ihm  besass  Petrarca  noch  einen  zweiten 
Bruder,  der  aber  schon  in  sehr  zartem  Alter  wieder  verstarb  -), 
und  eine  Halbschwester,  Selvaggia,  welche  sich  bereits  im  Jahre 
1324  mit  einem  Florentiner,  Namens  Giovanni,  Sohn  des  ver- 
storbenen Tano  di  Summofonte,  vermählte  und  übrigens  nie 
mit  ihrem  berühmten  Halbbruder  irgend  welche  Beziehungen 
unterhalten  zu  haben  scheint  ^y. 

Nachdem  wir  uns  also  über  Petrarcas  Vorfahren,  Aeltern 
und  Geschwister  unterrichtet  haben,  nehmen  wir  den  kaum 
erst  angesponnenen  Faden  seiner  Lebensgeschichte  wieder  auf. 

In  seiner  Geburtsstadt  Arezzo  verbrachte  der  kleine  Fran- 
cesco oder  Checco,   wie   er  mit  acht  florentinischer  Koseform 


')  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  226. 

2)  Epist.  Fam.  II  1  u.  IX  2. 

■'')  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  224  f. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  55 

genannt  wurde  ^),  kaum  das  erste  Halbjahr  seines  Lebens,  denn 
bereits  im  Februar  1305  siedelte  seine  Mutter,  welcher  die 
Rückkehr  in  das  florentinische  Gebiet  gestattet  worden  war, 
nach  dem  nur  vierzehn  Miglien  von  Florenz  entfernten  Incisa 
über^).  Francesco  war  auf  der  Reise  der  Obhut  eines  kräf- 
tigen jungen  Knechtes  anvertraut,  welcher,  um  das  Knäblein 
nicht  beim  Reiten  zu  verletzen,  dasselbe  —  wie  einst  Metabus 
die  Camilla  (Virg.  Aen.  XI  552  ff.)  —  in  Tücher  eingewickelt 
an  einem  Knotenstocke  hängend  trug;  nichtsdestoweniger 
gerieth  das  Kind  in  die  grösste  Lebensgefahr,  als  bei  dem 
Durchreiten  des  Arno  das  Ross  des  Dieners  strauchelte,  dieser 
selbst  herabstürzte  und  beinahe  sammt  seiner  lebendigen  Last 
im  Strudel  ertrunken  wäre ;  nur  niit  Mühe  gelang  die  Rettung  '•^). 
So  wurde  Petrarca,  der  schon  bei  seinem  Eintritte  in  das  Leben 
von  Hebammen  und  Aerzten  als  todt  aufgegeben  worden  war^), 
zum  zweiten  Male  auf  wunderbare  Weise  dem  Leben  erhalten. 
Die  kleine  Stadt  Incisa,  südöstlich  von  Florenz  an  der  Strasse 
nach  Arezzo  im  Arnothale  gelegen,  war,  wie  bereits  erwähnt, 
Petracco's  Heimath,  und  hier  besass  derselbe  ein  Landgut, 
welches,  sei  es  nun,  weil  vielleicht  seine  Brüder  Graziauo  und 
Lapo  an  dem  Besitze  desselben  Antheil  hatten,  oder  weil 
vielleicht  das  Vermögen  seiner  Gattin  hypothekarisch  darauf 
stand  ^),  der  Confiscation  entgangen  war.  Auf  diesem  väter- 
lichen Besitzthume  und  also  auf  heimischem  Boden  verlebte 
Petrarca  die  nächstfolgenden  sechs  Jahre  und  vermuthlich  noch 
einige  Monate  darüber ''),  und  es  ist  dieser  Aufenthalt  in  der 
toscanischen  Heimath  gewiss  nicht  ohne  Einfluss  auf  seine  gei- 
stige Entwickelung,  besonders  aber  auf  die  sprachliche  gewesen. 
Sehr  sinnig  hebt  die  an  dem  noch  erhaltenen,  wenn  auch  sehr 

^)  vgl.  Leonardo  Aretino  b.  Tomasini,  p.  207. 

-)  Epist.  ad  post.  p.  4. 

■")  Ep.  Farn,  praef.  p.  18  f.    , 

*)  ibid. 

=)  Bekannt  ist  ja,  dass  auch  Dantes  Gattin  Gemma  der  Autenthalt  in 
Florenz  gestattet  wurde  und  ihr  ein  Theil  ihres  eigenen  oilcr  ihres  Gatten 
Vermögens  erhalten  blieb. 

*^)  Epist.  ad  post.  p.  4. 


56  Zweites  Capitel. 

ruinenhaften  Wohnhause  Petracco's  im  Jahre  1842  angebrachte 
Inschrift  hervor,  dass  innerhalb  seiner  Mauern  der  grosse 
Dichter  die  ersten  Laute  der  Muttersprache  habe  ertönen 
lassen  ^). 

Petrarca  stand  während  dieser  ersten  Kinderjahre  jeden- 
falls unter  der  alleinigen  Obhut  der  Mutter,  denn  der  Vater 
durfte  als  Geächteter  das  Gebiet  der  florentini sehen  Republik 
nicht  betreten,  wenn  auch  wol,  wie  in  der  oben  erwähnten 
Inschrift  es  geschehen,  sich  vermuthen  lässt,  dass  er  zuweilen, 
von  Gatten-  und  Vaterliebe  getrieben,  heimlich  in  die  Vater- 
stadt gekommen  sei,  um  Gemahlin  und  Kinder  zu  umarmen. 
Vielleicht  auch  reiste  Petrarca's  Mutter  öfters  zu  ihrem  Gatten, 
der  vermuthlich  während  dieser  Zeit  in  dem  Bestreben,  sich 
eine  neue  Lebensstellung  oder  auch  die  Rückkehr  nach  Florenz 
zu  erringen,  ein  unstätes  Wanderleben  führte.  Dass  jedenfalls 
das  Ehepaar  nicht  ausser  aller  Verbindung  stand,  wird  schon 
durch  die  höchst  wahrscheinlich  im  Jahre  1307  erfolgte  Geburt 
Gherardo's  bewiesen. 

Dauernd  vereinigt  wurde  die  Familie  aber  erst  im  Jahre 
1312  wieder,  als  Petracco  die  Seinen  und  also  auch  den  da- 
mals achtjährigen  Francesco  zu  sich  nach  Pisa  kommen  Hess. 
Eine  bleibende  Stätte  jedoch  sollte  den  Verbannten  hiei- 
nicht  gegönnt  sein  ^).  Petracco  fand  vermuthlich  in  Pisa  nicht 
die  Möglichkeit  des  Wirkens  und  Erwerbens,  wie  er  sie  wün- 
schen musste,  und  so  fasste  er  nach  kaum  einjährigem  Aufent- 
halte im  Jahre  1313  den  Entschluss,  das  Vaterland  ganz  zu 
verlassen  und  sein  Glück  im  fernen  Auslande,  jenseits  des 
Meeres,  in  Avignon  zu  suchen  ^).  Aus  welchem  Grunde  gerade 
Avignon  von  ihm  zur  neuen  Heimath  erkoren  wurde,  entzieht 
sich  jeder  Vermuthung.  Gemeinhin  wird  angenommen,  dass 
Petracco    in    der   päpstlichen   Residenz    reichlichen    Verdienst 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  214. 

-)  Jedenfalls  war  auch  der  Zug  Heinrich's  VII.  nach  Italien  ein  Motiv 
für  Petracco,  nach  dem  ghibellinischen  Pisa  überzusiedeln  und  ebenso  Hein- 
richs VII.  Tod  für  ihn  ein  Grund,  Italien  zu  verlassen. 

*)  Epist.  ad  post.  p.  4. 


Die  -Talire  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  57 

durch  juristische  Thätigkeit  gewinnen  zu  können  gehofft  habe  ^), 
aber  man  übersieht  hierbei,  dass  Avignon  im  Jahre  1313  gar 
nicht  päpstliche  Residenz  war.  Papst  Clemens  V.  hatte  wäh- 
rend seines  unruhvollen  Pontificates  (5.  Juni  1305  bis  20.  April 
1314)  abwechselnd  in  Bordeaux,  Lyon,  Poitiers,  Montpellier, 
Avignon  und-Carpentras  residirt  und  erst  sein  Nachfolger  Jo- 
hann XXII.  (erwählt  am  7,  August  1316  zu  Lyon)  verlegte  am 
2.  October  1316  den  Sitz  der  Curie  dauernd  nach  Avignon  ^). 
Möglich  ist  es  aber  allerdings,  dass  auch  schon  der  nur  zeit- 
weilige Aufenthalt  des  Papstes  Clemens  V.  in  Avignon  genügte, 
um  Petracco  die  Uebersiedelung  dorthin  als  vortheilhaft  er- 
scheinen zu  lassen.  Jedenfalls  muss  Avignon  schon  damals 
eine  Anziehungskraft  auf  erwerbslustige  Italiener  ausgeübt 
haben,  denn  wir  wissen,  dass  auch  der  Vater  Guido  Settimo's, 
des  Jugendfreundes  Petrarca's,  gleichzeitig  mit  Petracco  aus 
Luni  nach  Avignon  übersiedelte  ^). 

Wie  dem  auch  sein  mag,  Thatsache  ist,  dass  Petracco  im 
Winter  des  Jahres  1313,  als  sein  Sohn  Francesco  neun  Jahre 
alt  war*),  mit  seiner  Familie  nach  Avignon  sich  begab.  Die 
Reise  dahin,  für  welche  der  nähere  und  wohlfeilere  Seeweg 
gewählt  wurde,  war  nicht  ohne  Gefahr,  indem  in  der  Nähe 
von  Marseille  das  Schiff,  von  winterlichen  Nordstüraien  umher- 
getrieben, dem  Untergange  nahe  kam  °),  ein  Missgeschick,  von 
welchem  Petrarca  im  späteren  Leben  noch  öfters  heimgesucht 
werden  sollte  **)  und  wodurch  sich  seine  fast  krankhafte  Ab- 
neigung gegen  Seereisen';  leicht  erklärt. 


')  Sicco  Polentone  b.  Mehus  p.  199  lässt  ihn,  abgeschmackt  genug,  die 
Uebersiedelung  „mercaturae  gratia"  vornehmen. 

*)  vgl.  Christophe,  Geschichte  des  Papstthumes  im  vierzehnten  Jahr- 
hundert (aus  dem  Französischen  übersetzt  von  J.  Ritter.  Paderborn  1853), 
I  p.  144—242. 

^)  Ep.  Sen.  X  2. 

*)  Ep.  ad  post.  p.  4.  im  Widerspruche  damit  gibt  Petrarca  Ep.  Farn, 
praef.  p.  19  an.  dass  er  damals  erst  sieben  Jahre  alt  gewesen  sei,  was 
offenbar  auf  einem  Gedächtniss-  oder  Schreibfehler  beruht. 

^)  Ep.  Fam.  praef.  p.  19. 

•^j  de  Rem.  utr.  fort.  IIb.  II  praef. 

"•)  Ep.  Fam.  V  5  u.  Itin.  Syr.  praef. 


58  Zweites  Capitel. 

So  wurde  denn  Petrarca  noch  in  zarter  Jugend  aus  seiner 
italienischen  Heimath  nach  Frankreich  verpflanzt,  zu  welchem 
ein  eigenthümliches  Geschick  alle  die  drei  gi-ossen  italienischen 
Dichter  des  vierzehnten  Jahrhunderts  in  nahe  Beziehungen 
gesetzt  hat:  Dante  studirte  längere  Zeit  in  Paris ^j  und  Boc- 
caccio wurde  bekanntlich  in  Paris,  vermuthlich  von  einer  Fran- 
zösin, im  Jahre  1313  geboren  2).  Und  es  sind  diese  Bezie- 
hungen nicht  bloss  äusserliche  gewesen,  sondeni  es  lässt  sich 
unschwer  nachweisen,  dass  die  genannten  Dichterheroen  Ita- 
liens auch  in  ihrem  poetischen  Sehaffen  von  den  litterarisehen 
Einflüssen  Frankreichs,  welches  sich  ja  damals  des  Besitzes 
der  reichsten,  vielseitigsten  und  ausgebildetesten  Litteratur 
aller  westeuropäischen  Länder  rühmen  durfte,  keineswegs  un- 
berührt geblieben  sind,  wenn  sie  auch  freilich  mit  der  gewal- 
tigen Originalität  ihres  Geistes  sich  von  allen  Fesseln  sclavi- . 
scher  Nachahmung  frei  zu  halten  und  neue,  bisher  nie  betretene 
Pfade  des  Denkens  und  Dichtens  zu  erschliessen  vermocht 
haben.  Für  Petrarca  insbesondere  ist  es  gewiss  nicht  bedeu- 
tungslos gewesen,  in  das  Vaterland  der  Troubadourpoesie  ver- 
setzt worden  zu  sein,  denn  es  mag  dies,  wenigstens  in  Verbin- 
dung mit  anderen  Factoren,  dazu  beigetragen  haben,  dass  er 
als  Dichter  sich  vorzugsweise  der  Lyrik  zugewandt  und  in  dieser 
seine  unvergänglichsten  Lorbeeren  errungen  hat.  Freilich,  als 
Petrarca  den  südfranzösischen  Boden  betrat,  war  die  Blüthe 
der  provenzalischen  Poesie  längst  dahingewelkt  in  den  Stürmen 
der  wilden  Albingenserkriege,  durch  welche  die  Provence  ihrer 
politischen  Selbständigkeit  beraubt  und  die  Weiterentwickelung 
des  provenzalischen  Volkslebens  gehemmt  ward.  Indessen  die 
Sprache,  in  welcher  die  Troubadours  gesungen,  war  nicht  er- 
storben, sondern  lebte  noch  klangvoll  in  dem  Munde  des  Volkes, 
gewiss  noch  wenig  geschädigt  durch  das  Vordringen  des  nord- 
französischen Idiomes,  und  der  provenzalischen  Poesie  war  unter 
der  Pflege   der  Dichterakademieen  von  Toulouse  und  anderen 


1)  vgl.  Fraticelli,  Storia  della  vita  di  Dante,  p.  176. 

*)  vgl.  Landau,  Giovanni  Boccaccio  (Stuttgart  1877),  p.  3. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  59 

Städten  noch  eine  schöne  Nachblüthe  während  des  vierzehnten, 
ja  selbst  auch  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  beschieden ').  Frei- 
Hch  war  diese  nachgeborne  Poesie  der  Provenzalen  eine  künst- 
liche Schöpfung,  eine  Treibhauspflanze,  aber  es  würde  unge- 
recht sein,  ihr  allen  Werth  absprechen  zu  wollen,  und  nament- 
lich darf  man  nicht  vergessen,  dass  durch  sie  die  formale 
Technik  des  Dichtens  zu  einem  vorher  wol  noch  nie  und  nir- 
gends dagewesenen  kunstvollen  und  wohldurchdachten  Systeme 
ausgebaut  worden  ist,  dass  das  grosse  theoretische  Werk  der 
„Leys  d'amors"  eine  Schöpfung  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
ist  2),  wenn  auch  die  Bausteine  dazu  von  früheren  Zeiten  ge- 
liefert worden  sind.  Man  mag  ja  nun  mit  vollem  Rechte  tadeln, 
dass  bei  den  späteren  Provenzalen,  wie  dies  beim  Niedergange 
einer  Litteratur  stets  zu  geschehen  pflegt,  die  Verskunst  in 
Verskünstelei  ausgeartet  sei,  die  Thatsache,  dass  auch  noch 
diese  späteren  Provenzalen  die  Schöpfer  und  Lehrmeister  der 
festen  Formen  und  Gesetze  der  modernen  romanischen  Poesie 
gewesen  sind,  bleibt  nichtsdestoweniger  bestehen,  und  dass 
dies  ein  hohes  Verdienst  in  sich  schliesst,  wird  Niemand  leugnen 
wollen,  der  da  erwägt,  wie  sehr  die  romanischen  Sprachen  bei 
ihrer  Unfähigkeit  zu  einem  Versbaue  nach  den  einfacheren 
antiken  und  germanischen  Principien  derartiger  künstlicher 
Formen  und  Gesetze  für  Reim  und  Strophenbildung  bedurften, 
um  dem  poetischen  Gedankenausdrucke  Ebenmaass,  Piundung 
und  Klarheit  verleihen  zu  können.  Es  tmg  demnach  die  pro- 
venzalische  Poesie  auch  noch  im  vierzehnten  Jahrhundert  be- 
fruchtende Keime  in  sich  und  dem  werdenden  Dichter  Petrarca 
konnte  es  nur  zum  Vortheile  gereichen,  frühzeitig  mit  ihr  ver- 
traut zu  werden.  Nehmen  wir  an,  Petrarca  hätte,  statt  in 
dem  Lande  der  Troubadours,  in  Italien,  etwa  innerhalb  der 
florentinischen  Stadtmauern,  die  Jahre  seiner  Jugend  verlebt, 
würde  er  dann   wol   eben  der  Meister  der  Sprache    und  der 


*)  vgl.  K.  Bartsch,  Grundriss  zur  Geschichte  der  provenzalischen  Litte- 
ratur (Elberfeld  1872).  p.  72  ff. 

-)  Nach  K.  Bartsch  ibid.  p.  90  wurden  die  Leys  d'amors  noch  vor 
1347  begonnen  und  gegen  1350  beendet. 


60  Zweites  Capitel. 

poetischen  Form  geworden  sein,  als  welchen  wir  ihn  Ijewun- 
dem?  würde  es  ihm  dann  gelungen  sein,  auf  dem  Gebiete  der 
Lyrik  in  dieser  Beziehung  einen  Dante  zu  übertreffen,  der 
doch  sonder  Zweifel  der  gewaltigere  Geist  und  genialere  Sprach- 
bildner war?  Schwerlich  dürfte  Jemand  diese  Fragen  zu  be- 
jahen geneigt  sein,  dann  aber  wird  dadurch  indirekt  anerkannt, 
dass  Petrarca  seinen  Dichterruhm,  soweit  derselbe  auf  der 
FoiTnenvollendung  seiner  Poesien  beraht,  zum  nicht  geringen 
Theile  der  provenzalischen  Schule  verdankt. 

Wenn  oben  Petrarca's  Uebersiedelung  nach  Avignon  als 
eine  uebersiedelung  nach  Frankreich  bezeichnet  worden  war, 
so  ist  dies  nur  nach  der  heutigen,  nicht  aber  nach  der  da- 
maligen politischen  Geographie  richtig.  Die  Stadt  Avignon 
bildete  im  Jahre  1313  —  und  auch  noch  weiterhin,  bis  sie 
im  Jahre  1348  von  der  neapolitanischen  Königin  Johanna  für 
80,000  Goldgulden  dem  päpstlichen  Stuhle  verkauft  ward  2),  — 
einen  Bestandtheil  der  Grafschaft  Provence,  welche  selbst 
wieder,  freilich  eben  nur  dem  Namen  nach,  ein  Lehen  des 
arelatischen  Königreiches  war  und  folglich  der  Theorie  nach 
unter  der  Oberhoheit  des  römisch  -  deutschen  Reiches  stand  2). 
Graf  der  Provence  war  vom  Jahre  1309  ab,  um  es  bis  zum 
Jahre  1343  zu  bleiben,  der  König  Robert  von  Neapel,  der 
Enkel  jenes  Karl  von  Anjou,  welcher  einst  den  Hohenstaufen 
das  schöne  Reich  entrissen  hatte.  Es  war  sonach  der  neapoli- 
tanische König  Petrarca's  Landesherr,  ein  Umstand,  welcher 
wohl  beachtet  werden  muss,   wenn  man  die   späteren  intimen 


^)  Bei  dem  obigen  Raisonnement  ist  die  etwaige  Existenz  einer  origi- 
nalen, von  proveEzaliscliem  Einflüsse  unberührt  gebliebenen  Litteratur  im 
zwölften  Jahrhundert  (vgl.  Carlo  Baudi  di  Vesme  „di  Gherardo  da  Firenze 
8  di  Aldobrando  da  Siena",  Turin  1866,  und  Cesare  Guasti  „i  primi  poeti 
italiani'-  im  Archivio  stör.  ital.  III  7  p.  69—104)  unberücksichtigt  gebhebeU: 
■weil,  selbst  wenn  eine  solche  (was  doch  immer  noch  sehr  zweifelhaft  bleibt) 
wirklich  existirt  haben  sollte,  dieselbe  doch  bereits  zu  Dante's  Zeit  eine 
ganz  verschollene  war  (cf  Dante,  Vita  Nuova,  §.  25)  und  desshalb  auf  die 
weitere  litterarische  EntM'ickelung  keinen  Einfluss  auszuüben  vermochte. 
(Vgl.  Beilage  zur  AUg.  Ztg.  v.  12.  Mai  1877.) 

■-)  vgl.  Leo.  Geschichte  der  italienischen  Staaten,  IV  p.  673. 

")  vgl.  Höfler.  Die  Avignonesischen  Päpste  (Wien  1871),  p.  17. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  (31 

Beziehungen  des  Dichters  zu  dem  Fürsten  verstehen  will. 
Dass  übrigens  der  thatkräftige  König  Robert  nicht  etwa  bloss 
dem  Namen  nach  über  Avignon  herrschte,  wird  schon  dadurch 
bewiesen,  dass  er  in  den  Jahren  1318  bis  1324  daselbst  sogar 
seine  Residenz  aufschlugt). 

Avignon,  an  dem  linken  Ufer  der  Rhone  —  das  rechte 
Ufer  war  bereits  damals  französischei-  Herrschaft  unterworfen  — 
malerisch  gelegen,  ist  auch  heute  trotz  mancher  historisch 
interessanter  Baudenkmale,  welche  es  besitzt,  keineswegs  eine 
schöne  Stadt  zu  nennen'),  und  im  Jahre  1313  wird  dies,  wie 
leicht  zu  denken,  noch  weit  weniger  der  Fall  gewesen  sein. 
Auch  später  noch,  als  längst  die  Curie  es  zu  ihrem  Sitze  er- 
koren hatte,  war  es  eine  kleine,  schon  durch  ihre  Lage  auf 
eineni  Felsplateau  von  sehr  massigem  Umfange  eingeengte  Stadt, 
welche  sich  von  den  Verwüstungen  der  in  den  Albingenser- 
kriegen  erduldeten  dreimonatlichen  Belagerung  noch  immer 
nicht  zu  erholen  vermochte.  Nur  mit  Mühe  und  sehr  allmählich 
könnten  der  Papst,  die  Cardinäle  und  die  Curialbeamten  in 
ihr  geeignete  Wohnungen  linden  ^).  Die  Strassen  waren  eng, 
schmutzig  und  erfüllt  von  Übeln  Gerüchen.  Die  Schilderungen, 
welche  Petrarca  an  vielen  Stellen  seiner  Briefe  ^)  von  Avignon, 
dem  ,, Babylon"  seiner  Phantasie,  entwirft,  sind  in  den  düster- 
sten Farben  gemalt,  wobei  freilich  berücksichtigt  werden  muss, 
dass  Petrarca  Avignon  bitterlich  hasste,  weil  es  Rom  des  alten 
Vorrechtes,  der  Sitz  der  Curie  zu  sein,  beraubt  hatte. 

Petrarca's  Uebersiedelung>nach  Avignon  bildet,  da  mit 
ihr  zugleich  seine  erste  Kindheit  endet,  einen  so  natürlichen 
Abschnitt  in  seinem  Leben,  dass  man  hier  gern  einen  Augen- 
bhck  verweilt,  um  zu  forschen,  ob  vielleicht  über  sein  Kindes- 
alter irgend  welche  kleine  Anekdoten  überliefert  sind,  welche 

^)  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  IV  p.  652  f. 

-)  Eine  höchst  anschauliche  Schilderung  des  heutigen  Avignon  mit  ver- 
gleichenden Ruckblicken  in  die  Vergangenheit  gibt  Gregorovius  im  fünften 
Bande  seiner  , .Latinischen  Sommer". 

")  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  I  p.  179  f. 

'    z.  B.  Ep.  Farn.  XIII  8.  u.  XVI  10. 


Q2  Zweites  Capitel. 

uns  einen  Einblick  in  das  Jugendleben  des  berühmten  Mannes 
gestatten  würden.  Leider  aber  ist  das  Ergebniss  solchen  For- 
schens  ein  mehr  als  kärgliches,  denn,  so  geni  auch  Petrarca 
im  späteren  Alter  in  seinen  Briefen  sich  zurückversetzte  in  die 
schönen  Jahre  seiner  Jugend,  so  that  er  dies  doch  mit  ver- 
schwindend wenigen  Ausnahmen  immer  nur  in  allgemein  be- 
trachtender und  nicht  in  erzählender  Weise,  das  behagliche 
Ausplaudern  von  Begebenheiten  aus  der  Kindheit  und  Jugend, 
an  welchem  z.  B.  der  alterade  Goethe  seine  Freude  fand,  hat 
er  nicht  geübt,  er,  der  sonst  so  darauf  bedacht  gewesen,  auch 
die  äussere  Geschichte  seiner  eigenen  Persönlichkeit  der  Nach- 
welt zu  überliefern,  hat  doch  die  Anfänge  dieser  Geschichte 
im  Dunkel  verbleiben  lassen.  Möchte  er  doch  eine  „Vita  Nuova" 
geschrieben  haben  I  Nur  zwei  kleine  Begebenheiten  seiner  ersten 
Kindheit  sind  es,  welche  Petrarca  uns  überliefert.  In  einem 
Briefe  an  den  Kaiser  Karl  IV.  ^)  ei-zählt  er  gelegentlich .  wie 
ein  berühmter  Astrolog  ihm  als  Knaben  prophezeiht  habe,  er 
werde  sich  einst  die  Gunst  fast  aller  Fürsten  seines  Zeitalters 
gewinnen,  eine  Prophezeihung,  welche  sich  im  vollsten  Maasse 
bewahrheiten  sollte.  Auch  eine  andere  Hindeutung  auf  die 
Zukunft  sollte  sich  ei-füllen.  Als  Petracco  mit  den  Seinen  be- 
reits in  AvigTion  lebte,  wurde  ihm  die  Abbildung  eines  damals 
in  Florenz  geborenen  an  die  siamesischen  Zwillinge  erinneniden 
Monstrums  ^)  zugesandt ,  er  zeigte  dieselbe  dem  kleinen  Fran- 
cesco^) und  zupfte  ihn  dabei  am  Ohre,  damit  er  sich  die 
wundersame  Sache  hübsch  mea'ken  und  einst  seinen  Kindeni 
erzählen  solle.    Petrarca  hat  sie   denn   auch  wirklich,   indem 


»)  Ep.  Fam.  XXIII  2. 

2)  Es  war  (nach  Petrarca's  Schilderung  Rer.  mem.  lib.  IV  c.  9)  ein 
„puer  bicorpori  effigie,  geminis  capitibus,  quaternis  manibus,  circa  genitales 
partes  connexus,  sie  quod  non  amplius  quam  in  geminos  pedes  desineret.' 
Das  Monstrum  lebte  ,,decem  bis  totidemque  dies'-.  Ein  Steinbild  desselben 
wurde  an  der  Treppe  des  Hospitals  angebracht  und  mit  einer  von  Petrarca 
mitgetheilten  Inschrift  versehen. 

•''  Petrarca  bezeichnet  sich  als  ,,puer  septimum  annum  agens",  was 
den  positiven  Angaben  der  Epist.  ad  post.  gegenüber  unmöglich  richtig 
sein  kann,  so  auffallend  auch  die  Uebereinstimmung  mit  der  praef.  zu  den 
Ep.  Fam.  p.  19  ist.    Vgl.  S.  57  Anm.  4). 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  63 

er  ihr  einen  Platz  in  seinem  Buche  „von  den  merkwürdigen 
Dingen"  einräumte,  nicht  nur  seinen  Kindera,  sondern  auch 
den  Enkehi  und  den  fernsten  Nachkommen  erzählt. 

In  Folge  dei-  oben  hervorgehobenen  Kleinheit  der  Stadt 
Avignon  waren  jedenfalls  Familienwohnungen  daselbst  nur 
schwer  und  zu  hohen  Preisen  zu  erlangen,  zumal  da,  seitdem 
Papst  Clemens  V.  vorübergehend  in  Avignon  residirt  hatte, 
eine  grosse  Anzahl  von  Gebäuden  für  kirchliche  Zwecke  in 
Beschlag  genommen  und  der  privaten  Benutzung  entzogen 
worden  sein  mochten.  Es  war  demnach  eine  sehr  erklärliche 
Maassregel,  dass  der  gewiss  in  recht  dürftigen  finanziellen  \'er- 
hältnissen  lebende  Petracco  seine  Familie  aus  dem  theueren 
Avignon  nach  dem  nur  wenige  Stunden  nordöstlich  davon  ent- 
fernten Carpentras  übersiedeln  Hess,  während  er  selbst,  durch 
geschäftliche  Rücksichten  gebunden,  in  Avignon  verblieb^). 
Carpentras  war  eine  kleine,  aber  vermuthlich  sehr  freundliche, 
von  Papst  Clemens  V.  auf  mehrfache  Weise,  z.  B.  durch  die 
Anlage  von  Springbrunnen,  geschmückte  Stadt  ^i,  überdies 
auch  Hauptstadt  einer  kleinen  Provinz  ^).  Petrarca  sagt ,  dass 
das  Leben  daselbst  ungemein  ruhig,  angenehm  und  ungebunden 
gewesen  sei"^). 

Während  seines  vierjährigen  Aufenthaltes  in  Carpentras. 
welcher  wahrscheinlich  die  Jahre  1315 — 1319  umfasste,  em- 
pfing nun  Petrarca  auch  den  ersten  regelmässigen  Schul- 
unterricht ^). 

Es  unterhielt  damals  —  ein  Beweis,  dass  die  italienische 


^)  Epist.  ad  post.  p.  5. 

^1  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  I  p.  228. 

3)  Ep.  Sen.  X  2. 

*)  ibid. 

^)  Die  Zeit  des  Aufenthaltes  Petrarca's  in  Carpentras  lässt  sich  foi. 
gendermaassen  bestimmen:  im  Jahre  1326  verliess  er  nach  seiner  eigenen 
Angabe,  Epist.  ad  post.  p.  .5,  22  Jahre  alt  Bologna,  nachdem  er  dort  drei 
Jahre  (von  1323  abj  und  vorher  je  vier  Jahi-e  in  Montpellier  (vou  1819  ab) 
und  in  Carpentras  (von  1315)  zugebracht  hatte.  Hiernach  muss  die  Angabe 
Ep.  Fam.  XX  4,  wonach  er  bei  der  Uebersiedelung  nach  Montpellier  erst 
zwölf  Jahre  alt  gewesen  sein  würde,  als  iiTthümlich  erachtet  werden,  zumal 
sie  auch  an  innerer  Unwahrscheinlichkeit  leidet. 


»34  Zweites  C'apitel. 

Colonie  in  Avignon  und  Umgegend  schon  eine  recht  zahlreiche 
gewesen  sein  muss  —  ein  gewisser  Convennole  oder  Convene- 
vole  ^)  aus  Prato  in  Toscana  zu  Carpentras  eine  Elementar- 
und  Lateinschule,  deren  Schüler  nun  auch  Petrarca  wurde. 
Dieser  Convennole  war  so  recht  der  Typus  eines  Schulmeisters 
—  soll  er  doch  nacli  Petrarca's,  allerdings  wol  übertreibender 
Aussage^)  damals  bereits  sechzig  Jahre  lang  sein  Geschäft 
betrieben  haben  —  und  daneben  ein  originaler  Kauz,  der  den 
Ehrgeiz  besass,  unsterbliche  Werke  schreiben  zu  wollen ,  aber 
nie  mehr  als  die  hochtönenden  Titel  und  das  Vorwort  fertig 
brachte.  Doch  existirt  in  der  tiorentiner  Büchersammlung  der 
Magliabecchiana  handschriftlich  ein  grösseres  lateinisches  Ge- 
dicht, eine  Aufforderung  an  den  König  Robert  enthaltend,  das 
verfallende  Rom  zu  erretten,  welches  von  Mehus  (p.  208—211) 
nebst  anderen  Werken  mit  nicht  eben  überzeugenden  Gründen 
dem  Convennole  beigelegt  wird.  Sollte  Mehus  doch  das  Rich- 
tige gefunden  haben,  so  Avürde  durch  das  Carmen  das  Urtheil 
Villani's  bestätigt  werden,  wonach  der  Schulmeister  von  Prato 
und  Carpentras  eben  nur  ein  mittelmässiger  Dichter,  „vix  me- 
diocris  poeseos  peritus",  war^).  Wenn  aber  Convennole  auch 
keine  dichterische  Genialität  besass,  so  lebte  er  doch  wenig- 
stens in  einer  Weise,  wie  geniale  Dichter  leider  oft  gethan: 
er  war  unvermögend,  Ordnung  in  seinen  Finanzen  zu  halten 
und  musste,  um  seine  Existenz  zu  fristen,  oft  zu  Anleihen  bei 
den  Vätern  seiner  Schüler  seine  Zutiucht  nehmen.  Der  alte 
Petracco  unterstützte,  so  lange  er  lebte,  den  bedürftigen  Mann 
nach  Kräften  und  später  that  Petrarca  dasselbe,  da  er  jedoch 
oft  selbst  nicht  ü])er  hinreichende  Geldmittel  verfügte,  so  gab 
er  dem  alten  Lehrer  statt  des  Geldes  Bücher,  welche  dieser 
dann  verpfändete,  aber  nach  geraumer  Zeit  immer  wieder 
richtig  einlöste  und  ihrem  Besitzer  zurückbrachte.  Einmal 
aber,  als  Petrarca  ihm  die  von  Raimondo  Soranzio  erhaltene 

*J  Der  Name  ist  uns  nur  von  Fil.  Villani  (b.  Mehus  p.  195)  überliefert. 
'}  Epist.  Sen.  XV  1. 

••)  vgl.  über  Convennole's  lat.  Gedichte  auch  Tirabeschi,  Storia  della 
lett.  it.  V.  p.  799  ff. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  65 

Handschrift  der  Bücher  Cicero's  über  den  Ruhm,  sowie  einen 
anderen  werthvollen,  vom  Vater  ererbten  Cicerocodex  gegeben 
hatte,  Hess  sich  Convennole  durch  seine  Armuth  verleiten,  die 
Bücher  zu  verkaufen.  Vergebens  wartete  Petrarca  auf  die 
Rückgabe  seines  Eigenthums  und,  als  er  endlich  den  wahren 
Sachverhalt  und  zugleich  auch,  dass  Convennole  nach  seiner 
Heimath  Prato  zurückgereist  sei,  erfühl-,  waren  alle  seine  Be- 
mühungen, die  Bücher  wieder  zu  erlangen,  vergeblich^).  So 
sind  Cicero's  hochberühmte  „libri  de  gloria"  der  Nachwelt  ver- 
loren gegangen 2).  Convennole  starb,  vermuthlich  im  Jahre 
1340  oder  1344  ^j,  zu  Prato,  seine  Mitbürger  ehrten  ihn,  indem 
sie  ihm  den  Lorbeerkranz  des  Dichters  auf  den  Sarg  legten '') 
und  Petrarca  baten ,  ihm  die  Grabschrift  zu  verfassen  °). 

Dieser  Convennole  also  war  es,  welcher  den  Knaben  Pe- 
trarca zuerst  in  den  Elementargegenständen  und  später  in  der 
lateinischen  Grammatik  und  Rhetorik  unterrichtete*').  Sehr 
anregend  und  eindringend  ist  dieser  Unterricht,  der  sich  sicher- 
lich in  den  althergebrachten  pedantischen  Formen  mittelalter- 
lich scholastischer  Wissenschaft  bewegt  haben  wird,  keinesfalls 
gewesen,  vergleicht  doch  Petrarca  selbst  seinen  Lehrer  mit 
dem  horazischen  Wetzsteine,  welcher,  obwol  selbst  des  Schnei- 
dens nicht  fähig,  doch  das  Eisen  zu  schärfen  vermöge ') ,  ein 
Gleichniss,  in  welchem  allerdings  auch  ein  gewisses  Lob  der 
pädagogischen  Begabung  des  Lehrers  eingeschlossen  ist.  Trotz 
des  mangelhaften  Unterrichtes  machte  der  begabte  Knabe 
rasche  Fortschritte  und  las  bereits  eifrig  den  Cicero,  als  seine 


';  Episf  Sen.  XV  1. 

-")  Petrarca  wegen  seiner  dem  früheren  Lehrer  bewiesenen  Gefälligkeit 
der  leichtsinnigen  Verschleuderung  werthvoller  Handschriften  anzuklagen, 
wie  C.  Witte  gelegentlich  der  Anzeige  von  Landau's  Boccaccio  in  der  Augs- 
burger „Allg.  Zeitung"  vom  6.  Juli  1877  (Beilage)  gethan,  ist  doch  wol 
ungerechtfertigt. 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  454  und  die  dort  gegebenen  Citato. 

'')  Eine  Dichterkrönung  wurde  damit  nicht  vollzogen,  vgl.  Tiraboscbi, 
a.  a.  0.  p.  801. 

5)  Ep.  Sen.  XV  1. 

«^  ibid. 

')  ibid.,  cf.  Horat.  A.  P.  v.  304  f. 

Körting.  Petrarca.  5 


66  Zweites  Capitel. 

Mitschüler  noch  so  leichte  Autoren  wie  den  lateinischen  Aesop 
und  die  Weltchronik  des  Prosper  Aquitanus  (letztere  wol  nur 
in  einem  Auszuge)  traktirten ^) ;  den  Inhalt  dessen,  was  er 
las,  verstand  er  freilich  noch  nicht,  aber  es  fesselte  ihn  die 
„Süssigkeit"  der  Sprache  und  die  Klangfülle  des  Perioden- 
baues ^j,  für  welche  der  künftige  formengewandte  Dichter  und 
Stylist  ein  von  Natur  feingebildetes  Ohr  besessen  haben  muss. 
Petrarca's  Mitschüler  und  Jugendfreund  in  Carpentras 
war  Guido  Settimo,  der  Sohn  eines,  wie  schon  oben  (p.  57) 
erwähnt,  mit  Petracco  befreundeten  und  ebenfalls  nach  Avignon 
ausgewanderten  Genuesen  ^).  Die  Knaben  schlössen  hier  einen 
Freundesbund,  der  über  fünf  Jahrzehende  bis  zu  Guido's  Tode 

—  er  starb  im  Jahre  1368  als  Erzbischof  von  Genua  —  währte 
und  dessen  Innigkeit  durch  zahlreiche  erhaltene  Briefe  Pe- 
trarca's an  Guido  ^)  bezeugt  v'ird.  Petrarca  schildert  den 
Freund  als  einen  Mann,  in  dessen  gebrechlichem  Leibe  ein 
gewaltiger  Geist  wohne  und  der  ein  guter  Mann  im  vollsten 
Sinne  des  Wortes  sei^). 

Mit  Guido  vereint  unternahm  Petrarca  von  Cai-pentras 
aus  auch  den  ersten  Ausflug  nach  Vaucluse.  Es  war  einmal 
seiner  Gewohnheit  nach  Petrarca's  Vater  zum  Besuche  nach 
Carpentras  gekommen  und  mit  ihm  ein  Oheim  Guido's.  Den 
letzteren,    der  wahrscheinlich  der  Gegend  noch  unkundig  war 

—  Petrarca  nennt  ihn  einen  „Fremdling"  (advena)  —  überkam 
die  Lust,  die  schon  damals  ihrer  Schönheit  wegen  berühmte 
Quelle  der  Sorgue  zu  besuchen.  Als  die  Knaben  von  diesem 
Plane  hörten,  baten  sie  so  sehr,  an  dem  Ausflüge  theilnehmen 
zu  dürfen,  dass  man  ihnen  schliesslich  willfahrte.  Man  setzte 
sie  auf  Pferde  und  gab  einem  jeden  einen  handfesten  Knecht 
mit,   der  zur  Wacht  und  zum  Schutze  hinter  ihnen  aufsass. 

»)  Ep.  Sen.  XV  1. 

2)  ibid. 

3)  Ep.  Sen.  X  2. 

*)  Ep.  Farn.  V  16.  17.  18.  XVII  3.  4.  5.  XIX  8.  9.  10.  16.  17.  XXIII 
12.  Sen.  X  2.  Der  letztgenannte  Brief  enthält,  wie  man  bereits  bemerkt 
haben  wird,  die  werthvollsten  Angaben  über  Petrarca's  Lebensgang. 

^)  Ep.  Sen.  V  1. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  67 

So  ging  denn  die  Reise  vor  sich,  nicht  ohne  dass  Petrarca's  Mutter, 
deren  Einwilligung  nur  mit  Mühe  hatte  erlangt  werden  können, 
einige  Befürchtungen  und  Besorgnisse  äusserte^).  Als  man 
nach  Vaucluse  zur  Quelle  der  Sorgue  kam,  wurde  der  Knabe 
Petrarca  durch  die  so  eigenartige  Schönheit  des  Ortes  so 
mächtig  ergriffen,  dass  er  in  seinem  Herzen  sich  gelobte,  einst 
als  Mann  dies  stille  Thal  dem  Geräusche  der  Städte  vorziehen 
zu  wollen.  Des  Knaben  Gelübde  hat  der  Mann  später  auch 
wirklich  erfüllt,  und  noch  weit  mehr  hat  er  gethan:  er  hat 
dem  Thale  der  Sorgue  die  ewige  Weihe  verliehen  und  es  für 
alle  edlen  Herzen  zu  einer  heiligen  Stätte  gemacht.  —  Leider 
wissen  wir  ausser  dem  Wenigen,  was  so  eben  erzählt  ward, 
nichts  Weiteres  über  Petrarca's  Aufenthalt  in  Carpentras,  wel- 
cher als  seine  Gymnasialzeit  bezeichnet  werden  könnte  und 
vermuthlieh  bis  zum  Jahre  1319  ^)  währte. 

Der  Besuch  der  Hochschulen  war  damals  noch  nicht,  wie 
gegenwärtig,  an  die  Erfüllung  bestimmter  Vorbedingungen  und 
namentlich  an  den  Nachweis  eines  gewissen  Minimal maasses  ge- 
lehrter Kenntnisse  gebunden,  sondern  so  ziemlich  unbeschränkt 
dem  subjectiven  Ermessen  anheim  gestellt,  ein  Zustand,  welcher 
bei  der  vorwiegend  formalistischen  Natur  auch  des  höheren  Unter- 
richtes im  Mittelalter  und  den  von  den  heutigen  abweichenden 
Institutionen  der  Universitäten  nicht  eben  sonderlich  bedenk- 
lich war.  Als  daher  Petracco  wahrnahm,  dass  sein  Sohn  im 
Lateinischen  genügende  Kenntnisse  besitze,  hielt  er  es  für  an- 
gemessen, ihn,  trotz  seiner  grossen  Jugend,  doch  schon  die 
akademischen  Studien  beginnen  zu  lassen  und  sandte  ihn  zu 
diesem  Zwecke  auf  die  berühmte  Hochschule  des  benachbarten 
Montpellier.  Ueber  die  Wahl  des  Studiums  ist  der  fünfzehn- 
jährige Knabe  gewiss  nicht  befragt  worden  und,  wenn  es  ge- 
schehen, hätte  doch  mit  Fug  und  Recht  auf  sein  ohne  Sach- 
kenntniss  abgegebenes  Urtheil  kein  Werth  gelegt  werden  kön- 


')  Bei  der  Erzählung  dieses  kleinen  Abenteuers  hat  Petrarca  auch  ein- 
mal ein  herzliches  "Wort  für  seine  Mutter,  er  nennt  sie  „mater  omnium 
optima,  quas  quidem  viderim".    Ep.  Sen.  X  2. 

2)  vgl.  S.  63,  Anm.  5. 

5* 


68  Zweites  Capitel. 

nen.  Der  Vater  bestimmte  ihn  für  die  juristische  Laufbahn, 
sei  es,  dass  er  damit  den  Traditionen  der  Familie  und  eigener 
Vorliebe  folgte,  sei  es,  dass  er  dadurch,  was  ihm  bei  seinen 
misslichen  Vermögensverhältnissen  von  Bedeutung  sein  musste. 
den  Sohn  am  schnellsten  der  finanziellen  Selbständigkeit  zuführen 
zu  können  hoffte.  Das  Studium  der  Rechtswissenschaft  war 
damals  neben  demjenigen  der  Theologie  jedenfalls  dasjenige, 
welches  dem  nicht  durch  vornehme  Geburt  und  den  Besitz 
eines  beti'ächtlichen  Vermögens  Begünstigten  die  ehrenvollsten 
und  glänzendsten  Aussichten  eröffnete.  Petracco  sorgte  dem- 
nach vom  praktischen  Gesichtspunkte  ausgehend  in  bester 
Weise  für  Francesco's  Zukunft,  wenn  er  ihn  dieses  Studium 
ergreifen  Hess,  und  für  Petrarca's  spätere  äussere  Lebensver- 
hältnisse, für  seinen  so  eifrig  gepflegten  Verkehr  mit  fürst- 
lichen Persönlichkeiten  und  seine  mannigfache  Betheiligung  an 
Staatsgeschäften,  ist  es  gewiss  nur  vortheilhaft  gewesen,  dass 
er  in  seiner  Jugend  nach  des  Vaters  Wunsche  eine  juristische 
Bildung  empfangen  hatte. 

Montpellier,  avo  nun  Petrarca  die  ersten  vier  Jahre  seines 
akademischen  Lebens  zubrachte^),  war  damals  eine  sehr  blü- 
hende und  friedliche  Stadt,  welche,  mit  Ausnahme  eines  kleinen 
dem  französischen  Herrscher  gehörigen  Theiles,  unter  der  Bot- 
mässigkeit  des  Königs  der  Balearen  stand  2).  Es  ist  ein  ziem- 
lich vergebliches  Bemühen,  nachzufoi-schen,  welche  der  gefei- 
erten Rechtsgelehrten  damaliger  Zeit  wol  Petrarca's  Lehrer  in 
Montpellier  gewesen  sein  mögen,  vergeblich  nicht  bloss  des- 
halb ,  weil  bei  der  Kärglichkeit  des  betreffenden  Materials 
irgend  sichere  Schlüsse  nicht  gezogen  werden  können  —  die 
von  de  Sade  aufgestellten  Behauptungen  sind  reine  Phantasie- 
gebilde 2)  — ,  sondern  auch,  weil  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  keiner  der  Professoren,  deren  Vorlesungen  Petrarca  be- 
suchte, irgend  welchen  nachhaltigen  Einfluss  auf  seine  geistige 
Entwickelung  ausgeübt  hat.     Der  junge   Petrarca  ging  eben 


')  Epist.  ad  post.  p.  5.    (Vgl.  Savignj',  Gesch.  d.  röm.  Rechts  III  p.  352.) 

2)  Epist.  Sen.  X  2. 

^)  de  Sade,  Mem.  I  p.  37,  vgl.  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  686  f. 


Die  Jahre  ^er  Kindheit  und  ersten  Jugend.  69 

seine  eigenen  Bildungswege.  Mochte  er  auch  vielleicht,  als 
er  die  Hochschule  bezog,  sich  in  jugendlicher  Unkenntniss  der 
Verhältnisse  ohne  sonderliches  Widerstreben  dem  Wunsche 
des  Vaters  gefügt  haben,  er  fühlte  bald  instinctiv,  dass  er 
nicht  zum  Juristen,  sondern  zum  Humanisten  bestimmt  sei. 
und  vernachlässigte  über  der  Leetüre  der  Classiker  des  Alter- 
thums  die  Pandecten  und  das  Corpus  Juris.  Nicht,  dass  er 
gegen  die  Rechtswissenschaft  an  sich  eine  Abneigung  besessen, 
dass  er  ihre  hohe  Bedeutung  und  ihren  engen  Zusammenhang 
mit  der  Kenntniss  des  ihm  so  werthen  römischen  Alterthums 
verkannt  hätte,  —  nicht  dies  war  der  Fall,  die  Theorie  der 
Jurisprudenz  wusste  er  vielmehr  recht  wohl  zu  würdigen  und 
zu  schätzen,  aber  der  Gedanke,  einst  die  juristische  Praxis 
ausüben  und  sich  in  die  Fesseln  des  verknöchertesten  For- 
malismus, welche  die  damalige  Rechtswissenschaft  trug,  dauernd 
schlagen  lassen  zu  sollen,  flösste  ihm  einen  unbesiegbaren  Wider- 
willen ein  und  ganz  richtig  mochte  er  herausfühlen,  dass  seiner 
durchaus  ideal  und  subjectiv,  ja  sentimental  angelegten  Natur 
alle  diejenigen  Eigenschaften  fehlten,  welche  für  die  Geschäfts- 
praxis nun  einmal  erfordert  werden  ^).  Der  Jurist  muss,  soll 
er  tüchtig  in  seiner  Wissenschaft  und  von  seinem  Berufe  be- 
friedigt sein,  vorwiegend  Verstandesmensch  sein,  Petrarca  aber 
war  durchaus  Gemüthsmensch,  und  schweren  inneren  Zwiespalt 
hat  er  sich  dadurch  erspart,  dass  er  nach  erlangter  Selbstän- 
digkeit auf  die  juristische  Laufbahn  verzichtete.  Es  ist,  um 
Petrarca's  Handlungsweise  begreitlich,  ja  selbstverständlich  zu 
finden,  gar  nicht  einmal  nöthig,  besonderes  Gewicht  auf  die 
Zustände  der  damaligen  Zeit  zu  legen  und  hervorzuheben,  wie 
damals  die  Rechtswissenschaft  rein  formalistisch  aufgefasst  und 
nahezu  handwerksmässig  betrieben  wurde  '^) ,  auch  heute  noch 
unter  wesentlich  anderen  und  besseren  Verhältnissen  wird  ein 
wirklicher  Dichter  schwerlich  ein  guter  Jurist  sein  können :  der 
Pegasus  scheut  eben  die  Kanzleiluft  und  den  Actenstaub.    Auch 


^)  Epist.  ad  post.  p.  5.    Ep.  Fam.  IV  16. 
2)  vgl.  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  378  ff. 


70  Zweites  Capitel.   . 

darf  nicht  übersehen  werden,  wie  schon  Petrarca' s  fein  aus- 
gebildeter stylistischer  Formensinn  sich  schaudernd  abwandte 
von  der  Rohheit  und  Barbarei  des  juristischen  Lateins  ^). 

Es  ist  leicht  erklärlich,  dass  Petracco,  nach  Allem,  was 
wir  von  ihm  wissen,  ein  praktischer  Mann  und  tüchtiger  Jurist, 
die  Abneigung  seines  Sohnes  gegen  das  rechtswissenschaftliche 
Studium  mit  grossem  Verdrusse  bemerkte  und  möglichst  ener- 
gisch dagegen  einzuschreiten  suchte.  So  kam  er  einstmals  — 
es  ist  das  ja  die  bekannte  von  Petrarca  selbst  (Sen,  XV  1) 
so  anschaulich  erzählte  kleine  Familienscene  —  unverhofft  zu 
seinem  Sohne  nach  Montpellier  ^j,  um  ein  Exempel  zu  statuiren. 
Vergeblich  hatte  der  nichts  Gutes  ahnende  Petrarca  seine 
geliebten  Bücher  mögliehst  gut  versteckt,  der  Vater  fand  sie 
doch  und  warf  sie  in  das  Feuer,  nur  den  Virgil  und  Cicero's 
Rhetorik  entriss  er,  gerührt  durch  seines  Sohnes  heisse  Thränen, 
wieder  den  Flammen  und  gestattete  ihm,  wenn  auch  nicht  be- 
dingungslos, die  Leetüre  wenigstens  dieser  Schriften. 

Nach  vierjährigem  Aufenthalte  in  Montpellier  begab  sich 
Petrarca,  wahrscheinlich  im  Jahre  1323,  auf  Wunsch  seines 
Vaters,  zur  Fortsetzung  seines  juristischen  Studiums  auf  die 
nach  deijenigen  von  Paris  damals  bemhmtesten  Universität 
von  Bologna  und  hörte  hier  Vorlesungen  über  das  gesammte 
Civilreeht  ^).  Mit  dem  Herzen  aber  war  Petrarca  in  Bologna 
jedenfalls  ebenso  wenig  bei  dem  Rechtsstudium,  als  er  in 
Montpellier  es  gewesen  war,  und  er  wird  sich  jetzt  um  so 
lieber  so  viel  wie  nur  irgend  möglich  seinen  humanistischen 
Neigungen  überlassen  haben,  als  er  nun  eine  direkte  Ueber- 
wachung  von  Seiten  seines  Vaters  nicht  mehr  zu  befürchten 
hatte.  So  scheint  er  denn  auch  nur  zu  Einem  der  juristischen 
Professoren  in  nähere  Beziehungen  getreten  zu  sein.    Dieser 


*)  vgl.  die  hübsche  Erzählung  Petrarca's  Ep.  Fam.  XIII  5.  Dass  übrigens 
Petrarca,  wenn  es  sein  musste,  doch  juristisches  Latein  zu  schreiben  verstand, 
beweist  seine  Petition  an  den  venetianischen  Senat  b.  Fracassetti,  Lett.  fam. 
V  p.  376. 

-)  Petrarca  gibt  keinen  Ort  an,  aber  die  Wahrscheinlichkeit  spricht 
unbedingt  für  Montpellier,  vgl.  Tiraboschi,  a  a.  0.  V  p.  687.  Dagegen 
will  de  Sade  (I  p.  44)  die  Handlung  ohne  Grund  nach  Bologna  verlegen. 

^)  Epist.  ad  post.  p.  5. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  71 

Eine  war  der  hochgefeierte  Canonist  Giovanni  d' Andrea^). 
Petrarca  verblieb  auch  nach  seinem  Weggange  von  Bologna  mit 
ihm  noch  in  einem  Briefwechsel  ^) ,  der  freilich  ein  hässliches, 
für  beide  Parteien  wenig  rühmliches  Ende  nahm.  Ein  so  guter 
Kenner  des  Kirchenrechts  Giovanni  auch  war,  um  seine  Kennt- 
niss  des  classischen  Alterthums  war  es  mehr  als  misslich  be- 
stellt und  er  behauptete  in  dieser  Beziehung  in  seinen  Schriften 
und  wol  auch  in  seinen  Vorträgen  gelegentlich  Dinge,  welche 
allerdings  einem  jeden  Philologen  Entsetzen  einflössen  müssen. 
Dass  er  den  Anekdotensammler  Valerius  Maximus  unter  die 
Moralphilosophen  versetzte,  mag  noch  allenfalls  verzeihlich  ei-- 
seheinen,  aber  dass  er  Cicero  und  Plato  unter  die  Dichter 
zählte,  dass  er  Ennius  und  Papinius  Statins  für  Zeitgenossen 
hielt  und  dass  er  Plautus  und  Naevius  überhaupt  nicht  kannte, 
das  zeugt  allerdings  von  einer  grenzenlosen  Ignoranz.  In  einem 
an  Giovanni  gerichteten  Briefe  ^)  tadelte  Petrarca  diese  groben 
Irrthümer  und  rügte  zugleich,  dass  Giovanni,  statt  sich  mit 
seiner  Specialwissenschaft,  in  welcher  er  ja  Tüchtiges  leiste, 
zu  begnügen,  auch  in  andere  Wissensgebiete  hineinpfusche, 
um  mit  einer  übel  verdauten,  allumfassenden  Gelehrsamkeit 
und  kritiklos  zusammengelesenen  Citaten  pmnken  zu  können. 
Dass  Petrarca  hierbei  sachlich  vollkommen  im  Rechte  war,  ist 
ja  ganz  zweifellos,  nichtsdestoweniger  berührt  die  hochmüthige 
Art  und  Weise,  mit  welcher  er  sich  zum  Richter  über  den 
weit  älteren  und  trotz  aller  Schwächen  doch  hochverdienten 
Mann  aufwirft,  überaus  unangenehm. 

In  Bologna  führte  Petrarca,  jetzt  des  vollen  Jugendgenusses 
fähig  geworden,  gemeinsam  mit  seinem  Bruder  Gherardo,  der 
gewiss  auch  schon  in  Carpentras  und  Montpellier  sein  Studien- 
genosse gewesen  war,  ein  frohes  und  glückliches  Studenten- 
leben,  dessen  er  sich  noch   im  Alter  gern   erinnert  hat.     Es 


*)  vgl.  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  466—478;  Savigny,  a.  a.  0.  p.  582  ff. 

-)  Es  sind  an  Giovanni  d' Andrea  gerichtet  Ep.  Farn.  IV  15  u.  16. 
V  7.  8  u.  9.  Der  der  Ordnung  nach  erste  Brief  i;lV  15)  ist  ohne  Zweifel 
in  Wirklichkeit  der  letzte  gewesen. 

3)  Epist.  Farn.  IV  15. 


72  Zweites  Capitel. 

herrschten  damals,  was  in  jenen  Zeiten  wilder  und  wirrer 
Parteikämpfe  in  Italien  elien  nicht  häutig  geschah,  in  Bologna 
friedliche  und  behagliche  Zustände.  Die  Thore  der  Stadt 
blieben  —  so  ungefährdet  erschien  der  Friede  —  bis  in  die 
späte  Nacht  hinein  geöifnet,  so  dass  die  von  ländlichen  Strei- 
fereien heimkehrenden  Studiosen  immer  bequem  Eingang  fan- 
den, waren  sie  aber  ja  einmal  verschlossen,  so  wurde  der  ver- 
fallende Wall  von  den  Jünglingen  leicht  überklettert  und  keine 
Mauer  stellte  sich  ihnen  entgegen,  denn  einer  solchen  glaubte 
die  sich  sicher  fühlende  Stadt  nicht  zu  bedürfen  i).  Wie  sehr 
sollte  sich  dies  idyllische  Glück  Bologna' s  späterhin  in  das 
Gegentheil  wandeln !  Petrarca  sollte  es  noch  erleben,  dass  die 
Stadt,  von  Kriegselend  und  Seuchen  heimgesucht,  gänzlich  ver- 
armte und  verfiel  ^)  und  dass  ihre  berühmte  Hochschule  bei- 
nahe zu  existiren  aufliörte.  bis  sie  durch  Papst  Urban  V.  neu 
begründet  wurde  ^). 

Von  Bologna  unternahm  Petrarca  einmal  mit  einem  seiner 
Lehrer  —  vielleicht  Giovanni  d'Andrea  —  einen  Ausflug  nach 
Venedig^)  und  auch  hier  gewahrte  er  nur  glückliche  und  be- 
häbige Verhältnisse,  denn  die  stolze  Lagunenrepublik  stand 
damals,  noch  nicht  geschwächt  durch  den  furchtbaren  Kampf 
mit  Genua  (1350—1355),  auf  dem  Höhepunkte  ihrer  mittel- 
alterlichen Macht  und  Herrlichkeit. 

Von  Natur  sehr  geneigt,  Freundschaften  einzugehen  ^),  und 
treu  in  der  Bewahrung  derselben,  gewann  sich  Petrarca  wäh- 
rend seiner  Studienzeit  in  Bologna  mehrere  Freunde,  mit 
denen  er  dann  in  der  innigsten  und  durch  Briefwechsel  eifrig 
unterhaltenen  Verbindung  blieb.  Es  sind  unter  diesen  nament- 
lich zu  nennen  Tommaso  Caloria»^),  der  schon  im  Jahre  1341 
verstarb,    Luca   Cristiano.   der  spätere  Propst  der  Antonius- 


>)  Epist.  Sen.  X  2. 

■-)  Epist.  Sen.  X.  2. 

^)  Epist.  Sen.  VII  1. 

*)  Epist.  Sen.  X  2. 

'')  Epist.  Sen.  IX  2,  vgl.  Ep.  Farn.  XXI  9. 

«)  An  ihn  sind  gerichtet  Ep.  Farn.  I  1.  6.  T.  S.  9.  10.    III  1.  2. 


Die  Jahre  der  Kindheit  und  ersten  Jugend.  73 

kirclie  in  Piacenza^)  und  wol  auch  der  im  Jalire  1349  von 
Mörderhand  gefallene  Florentiner  Mainardo  Accursio,  von  Pe- 
trarca vertraulich  Olimpio  genannt").  An  Tommaso  Caloria  von 
Messina  richtete  Petrarca  den  ersten  seiner  uns  erhaltenen 
Briefe  ^),  in  welchem  sich  bereits  seine  ganze  charakteristische 
Denkweise  ausspricht  und  welcher  von  der  geistigen  Reife  des 
noch  nicht  zweiundzwanzigjährigen  Verfassers  ein  rühmliches 
Zeugniss  ablegt.  Auch  Giacomo  Colonna,  der  schon  nach 
wenigen  Jahren  zum  Bischof  von  Lombes  erhoben  werden 
sollte,  studirte  gleichzeitig  mit  Petrarca  in  Bologna,  ein  näheres 
Verhältniss  zwischen  den  beiden  jungen  Männern  bildete  sich 
jedoch  damals  noch  nicht.  Die  goldenen  Tage  von  Bologna 
erreichten  früher,  als  Petrarca  wol  vermuthet  haben  mochte 
ihr  Ende.  Die  Nachricht  von  dem  Tode  Petracco's,  ihres 
Vaters,  rief  Francesco  und  Gherardo  nach  Avignon  zurück, 
und  so  verliessen  sie  am  26.  April  1326^)  die  ihnen  lieb  ge- 
wordene Musenstadt  und  schieden  bald  darauf  zum  zweiten 
Male  von  ihrem  italienischen  Vaterlande. 

Petrarca' s  erste  Jugendjahre,  wenn  wir  dieses  Wort  im 
engeren  Sinne  fassen,  können  hiermit  als  abgeschlossen  betrachtet 
werden  und  es  beginnt  ein  neuer  Abschnitt  seines  Lebens. 


1)  An  ihn  sind  gerichtet  Ep.  Farn.  IX  6.  7.  14.    XIV  3.  4.    App.  6. 

2)  An  ihn  sind  gerichtet  Ep.  Fam.  VIII  2.  3.  4.  5.  (XI  12?) 
^)  Ep.  Fam.  1  1,  datirt  vom  18.  April,  jedenfalls  1325. 

*)  Epist.   ad  post.  p.  5.    Das  Datum  bestimmt  sich  nach  Epist.  Fam. 
IV  1. 


Drittes  Capitel. 

Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre 
in  Vaucluse. 

(1326—1341.) 


Durch  das  Ableben  Petracco's,  welchem  vermuthlich  seine 
Gattin  bald  im  Tode  nachfolgte^),  wurde  Petrarca  ganz  ver- 
waist und  die  Frage,  was  nun  zu  beginnen  sei,  trat  in  ihrer 
vollen  Schroffheit  an  ihn  heran.  Das  väterliche  Vermögen, 
ohnehin  kaum  massig  zu  nennen  ^) ,  wie  das  aus  Petracco's 
Lebensschicksalen,  seiner  Verbannung  und  seinem  Umher- 
irren in  der  Fremde,  ja  sehr  begreiflich  ist,  wurde  durch  die 
Habsucht  der  Testamentsvollstrecker  so  geschmälert,  dass  ihm 
wenig  mehr  übrig  blieb,  als  eine  schöne  Cicerohandschrift, 
einst  das  Lieblingsbueh  seines  Vaters,  welches  von  den  Ord- 
nern des  Nachlasses  als  werthlos  unbeachtet  geblieben  war^). 
Seine  juristischen  Kenntnisse,  welche  immerhin,  wie  spätere 
Vorkommnisse  beweisen,  nicht  ganz  unbeträchtlich  gewesen 
sein  mögen,  praktisch  zu  verwerthen,  mochte  und  konnte  der 
Jünghng  aus  den  oben  (S.~  69)  angegebenen  Giünden  sich  nicht 


^)  Vgl.  S,  50  ff.  Dass  Petrarca's  Mutter  nicht  etwa  während  seines 
Aufenthaltes  in  Montpellier  oder  Bologna  gestorben  sein  kann,  sondern 
dass  er  bei  ihrem  Tode  anwesend  war,  geht  aus  v.  37  des  oben  erwähnten 
„breve  panegyricum  defunctae  matris"  hervor. 

-)  Ep.  ad  post.  p.  2:  „fortuna  mediocris  et  (ut  verum  fateor)  ad  ino- 
piam  vergens". 

")  Ep.  Sen.  XV  1. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     75 

entschliessen.  Es  blieb  ihm  demnach  kaum  etwas  Anderes 
übrig,  als  in  den  geistlichen  Stand  einzutreten,  welcher  ihm 
bei  den  damaligen  gesellschaftlichen  und  kirchlichen  Zuständeii 
und  zumal  in  Avignon,  dem  Sitze  der  Curie,  jedenfalls  eine 
ehrenvolle  äussere  Stellung  und,  auch  ohne  Bekleidung  eines 
bestimmte  Pflichten  auferlegenden  Amtes,  eine  auskömmliche 
Existenz  sicherte.  So  empfing  er  denn  (und  mit  ihm  wahrschein- 
lich auch  sein  ja  in  gleicher  Lage  befindlicher  Bruder  Gherardo) 
die  geistlichen  Weihen  und  entschied  dadurch  über  seine  Zu- 
kunft. Es  ruht  ein  gewisses  seltsames  Dunkel  auf  diesem 
wichtigen  Schritte  Petrarca's:  er  selbst,  sonst  so  gesprächig, 
hat  sich  über  diesen  Punkt  nie  ausgesprochen  und  auch  seine 
Biographen  gehen  darüber  ausnahmslos  wie  über  etwas 
Selbstverständliches  ganz  flüchtig  hinweg.  Die  Thatsache  je- 
doch, dass  Petrarca  die  vollen  Priesterweihen  erhalten  hat, 
lässt  sich  schlechterdings  nicht  anzweifeln:  sie  wird  dadurch 
bewiesen,  dass  er  im  späteren  Leben  verschiedene  kirchliche 
Pfründen  und  Aemter  erlangte  und  dass  er  selbst  erzählt,  ein 
Bischofsstuhl  sei  ihm  wiederholt  nicht  bloss  angeboten,  sondern 
fast  auch  aufgedrungen  worden  i).  Würde  das  nicht  für  be- 
weiskräftig erachtet  werden,  so  Hessen  sich  leicht  noch  weitere 
Gründe  anführen,  so  z.  B.  Petrarca's  eigene  Angabe,  dass  er 
die  Messe  celebrirt  habe  2).  Ebenso  dürfte  es  unzweifelhaft 
sein,  dass  Veraiögenslosigkeit  Petrarca's  Hauptmotiv  für  die 
Annahme  der  Tonsur  gewesen  ist  3).  Vom  streng  moralischen 
Standpunkte  aus  mag  man  gewiss  ein  Recht  besitzen,  eine 
solche  Handlungsweise  als  leichtfertig  und  verwerflich  zu  be- 
zeichnen, doch  darf  man,  will  man  gerecht  urtheilen,  nicht 
übersehen,    dass  Petrarca  eine  von  Haus  aus  tief  und  auf- 


^)  Epist.  Sen.  IX  2.    Apol.  contra  cuiusd.  Gall.  calumn.  p.  1181. 

^)  de  otio  relig.  lib.  II  pag.  361  („accessit  opportuna  necessitas,  divinas 
laudes  atque  officium  quotidianum celebrandum"). 

^)  Vgl.  Dominicus  Aretinus  b.  Mehus  p.  197  und  Janozzus  Manettus 
b.  Tomasini  p.  199.  Der  erstere  führt  noch  einen  anderen  höchst  selt- 
samen Grund  an:  „ne  uxoris  voces  querulae hunc  sacris  Musis  dedi- 

tum  lacerarent",  als  wenn  man  nicht  auch  im  Laienstande  Cölibatär  sein 
könnte. 


76  Drittes  Capitel. 

richtig  religiös  angelegte  Natur  war^)  und  dass  demzufolge 
der  Eintritt  in  den  Priesterstand  nicht  eben  sehr  gegen 
seine  Neigung  und  keineswegs  gegen  seine  innere  Ueber- 
zeugung  erfolgt  sein  wird.  Dass  allerdings  Petrarca  nicht 
in  allen  und  namentlich  nicht  in  den  früheren  Perioden  seines 
Lebens  einen  priesterlich  ernsten  und  sittenstrengen  Lebens- 
wandel geführt  hat,  ist  vollkommen  richtig,  mag  aber  mit 
der  Anschauungsweise  damaliger  Zeit,  welche  an  den  geist- 
lichen Stand  rigorose  Anforderungen  nicht  zu  stellen  pflegte, 
und  auch  mit  der  allgemeinen  Schwäche  der  menschlichen 
Natur  billigerweise  entschuldigt  werden.  Grosse  Männer  darf 
man  nicht  nach  engherzigen  Grundsätzen  beurth eilen  wollen 
und  nicht  von  ihnen  fordern,  dass  sie  uns  in  allen  Beziehungen 
ein  nachahmungswürdiges  Vorbild  darbieten  sollen. 

Wahrscheinlich  noch  in  demselben  Jahre  2),  in  welchem 
Petrarca  seine  A eitern  verlor  und  in  dem  er  das  geistliche 
Kleid  anlegte,  trat  er  zuerst  in  nähere  Beziehungen  zu  einem 
Manne,  welcher  auf  die  Gestaltung  seines  späteren  Lebens  den 
grössten  Einfluss  ausüben  sollte.  Gleichzeitig  mit  Petrarca 
studirte  in  Bologna,  wie  wir  bereits  erwähnten.  Giacomo 
Colonna,  der  jüngste  und  siebente  Sohn  jenes  alten  Stefano 
Colonna,  der  damals,  nach  mannigfach  wechselnden  Schicksalen, 
an  der  Spitze  des  altberühmten,  für  die  Geschichte  der  Stadt 
Rom  so  bedeutungsvollen  adligen  colonnesischen  Geschlechtes 
stand.  Auch  das  wurde  bereits  oben  erwähnt,  dass  sich  ein 
näheres  Verhältniss  zwischen  den  beiden  jungen  Männern  in 
Bologna  nicht  gebildet  habe ,  hier  muss  aber  nun  hinzugefügt 
werden,  dass  Giacomo  damals  doch  Petrarca  wenigstens  ge- 
sehen, ihn  an  seiner  Kleidung  als  einen  Commilitonen  erkannt 


1)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  68—74;  quellenmässige  Beweise 
für  die  oben  aufgestellte  Behauptung  werden  in  einem  späteren  Abschnitte 
gegeben  werden. 

-)  Epist.  Sen.  XV   1    „circa  vigesimum   secundum  annura   dominorum 

Columnensium familiaritatem  domesticam  nactus  eram".     Die  Lesart 

ist  in  Zweifel  gezogen  und  „sextum"  für  secundum  vermuthet  worden  (vgl. 
Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  279  f.),  aber  doch  wol  mit  Unrecht,  vgl.  Epist. 
ad  post.  p.  6. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Yaucluse.     77 

und,  bestochen  von  der  körperlichen  Wohlgestalt  des  jungen 
Mannes,  ein  günstiges  Vorurtlieil  für  ihn  gefasst  hatte  ').  Es  war 
demnach  natürlich,  dass,  als  er  ihn  bald  darauf  in  Avignon 
wiedersah,  er  sich  für  ihn  interessirte  und  ihn  an  sich  zu 
ziehen  suchte,  zumal  wenn  er  erfahren  hatte,  dass  sein  Inter- 
esse einem  Landsmanne  und  einem  in  bedrängten  äusseren 
Verhältnissen  lebenden  angehenden  Dichter  gelte,  denn  dass 
Petrarca  damals  —  in  seinem  22.  Jahre  —  bereits  poetische 
Versuche  gewagt  hatte,  darf,  obwol  es  sich  nicht  streng  be- 
weisen lässt,  doch  als  selbstverständlich  angenommen  werden. 
Die  Gleichheit  des  Alters,  der  Studien  und  des  Standes 
—  denn  auch  Giacomo  hatte  dem  Rechtsstudium  obgelegen 
und  trug  das  priesterliche  Gewand  —  sowie  die  dadurch  theil- 
weis  bedingte  Gleichheit  des  Denkens  und  Empfindens  musste 
ebenfalls  dazu  beitragen,  die  Freundschaft  zwischen  dem  armen 
Kleriker  und  dem  Sohne  des  vornehmen  und  reichbegüterten 
adligen  Hauses  zu  knüpfen.  Vorläufig  freilich  wird  Giacomo 
kaum  in  der  Lage  gewesen  sein,  etwas  Erhebliches  für  seinen 
neugewonnenen  Freund  thun  zu  können,  da  ihn,  wie  wir  bald 
sehen  werden,  Aufträge  des  Papstes  nach  Italien  riefen.  Die 
Freundschaft  aber  zwischen  Giacomo  und  Petrarca  währte  bis 
zu  des  ersteren  bereits  im  Jahre  1341  erfolgten  Tode  und 
wird  durch  mehrere  noch  vorhandene  Briefe  Petrarca's  be- 
zeugt 2).  Noch  am  Spätabende  seines  Lebens,  lange  Jahre  nach 
des  Freundes  Tode,  entwarf  Petrarca  in  einem  vom  27.  April, 
vermuthlich  des  Jahres  1374,  datirten  Briefe  ein  Charakterbild 
Giacomo's,  wie  es  schöner  und  rühmlicher  nicht  gedacht  werden 
kann  ^). 

Während  wir  bei  dem  Entstehen  dieses  Freundschafts- 
bundes uns  einen  Augenblick  wenigstens  verweilten,  ^yollen 
wir,   wahrscheinlich  sehr  gegen  das  Erwarten  des  Lesers,   ein 


1)  Epist.  Sen.  XV  1. 

2)  Ep.  Farn.  I  5.  II  9.  IV  (5.  Ep.  poet.  lat.  I  7.  Der  letztgenannte 
Brief  ist  von  der  höchsten  "Wichtigkeit  und  beweist,  welches  Vertrauen 
Petrarca  dem  Colonnesen  schenkte. 

^)  Epist.  Sen.  XV  1.,  vgl.  XV  4  und  Farn.  IV  12. 


78  Drittes  Capitel. 

anderes  Ereigniss  nur  flüchtig  berühren,  obwol  es  mit  Recht 
als  das  folgenreichste  im  Leben  Petrarca's  und  als  das  bedeu- 
tungsvollste für  seinen  Dichterruhm  erscheinen  kann.  Am 
6.  April  des  Jahres  1327^)  —  seiner  eigenen,  nachweisbar 
aber  irrigen  Angabe  zufolge  2)  einem  Charfreitage  —  erblickte 
Petrarca  in  der  St.  Clarakirche  zu  Avignon  während  der  Früh- 
mette zum  ersten  Male  die  Frau 3),  deren  Namen  „Laura"  mit 
dem  seinen  sich  für  alle  Folgezeit  unlösbar  verbinden  sollte. 

Nicht  hier,  wo  wir  nur  die  äusseren  Umrisse  des  Lebens 
Petrarca's  zu  zeichnen  unternehmen,  scheint  uns  der  geeignete 
Ort  zu  sein,  um  seine  Liebe  zu  .Laura  zu  erzählen  und  die 
räthselhafte  Natur  derselben  zu  ergründen.  Wir  behalten  uns 
dies  für  denjenigen  Abschnitt  dieses  Buches  vor,  in  welchem 
wir  seine  italienischen  Dichtungen,  die  schönen  Fmchte  jener 
Herzensneigung,  zu  besprechen  gedenken.  Nur  insoweit  werden 
wir  bis  dahin  Laura's  und  der  ihr  vom  Dichter  gewidmeten 
Neigung  erwähnen,  als  die  letztere  auf  den  äusseren  Lebens- 
gang Petrarca's  von  Einfluss  gewesen  ist. 

Um  auf  diesen  Lebensgang  zurückzukommen,  müssen  wir 
einen  Blick  auf  einige  wichtige  politische  Ereignisse  des  Jahres 
1328  werfen. 

Am  17.  Januar  1328  setzte  der  deutsche  König  Ludwig 
der  Baier,  seinem  Widersacher  Papst  Johann  XXII.  trotzend, 
die  ihm  von  dem  römischen  Volke  dargebotene  Kaiserkrone 
unter  feierlichem  Gepränge  auf  sein  Haupt  und  am  18.  April 
wagte  er  es,  in  einem  Parlamente  den  Papst  als  Ketzer  und 
Antichrist  für  des  Stuhles  Petri  verlustig  zu  erklären  *).  Die 
Rache  des  so  schwer  beleidigten  Pontifex  liess  nicht  lange  auf 
sich  warten.     Am  22.  April   erschien   auf  dem  Platze  vor  der 


^)  Sonett  I  157,  Trionf.  della  Morte  I  v.  133  und  die  Postille  des 
Virgil  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  242  f. 

2)  Sonett  I  3  u.  40. 

^)  Bereits  hier  möge  bemerkt  werden,  dass  wir  die  immer  und  immer 
wieder,  zuletzt  noch  von  Geiger  aufgestellte  Hypothese  von  der  Jungfräu- 
lichkeit Laura's  durchaus  verwerfen. 

*)  Villani  X  c.  54  u.  68  b.  Muratori  XIII  p.  632  f  u.  p.  641  f.,  vgl. 
Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Rom  u.  s.  w.    VI  p.  146  f.  u.  154  f. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     79 

Kirche  San  Marcello  der  junge  Giacomo  Colonna,  päpstlicher 
Caplan  und  Canonicus  vom  Lateran,  verlas  vor  mehr  als 
tausend  Römern  die  gegen  den  Kaiser  und  dessen  Anhänger 
erlassene  Bannbulle,  erbot  sich,  die  Wahrheit  der  darin  aus- 
gesprochenen Anschuldigungen  gegen  Jedermann  und  nöthigen- 
falls  mit  dem  Schwerte  zu  erweisen  und  heftete  eigenhändig 
die  Bulle  an  die  Kirchenpforte.  Darauf  stieg  er  zu  Ross  und 
ritt  mit  seinen  vier  maskirten  Gefährten  nach  Palestrina  zurück, 
die  ihm  nachgesandten  Bewaffneten  des  Kaisers  vermochten 
nicht  mehr,  ihn  einzuholen^). 

Der  Papst  liess  die  kühne  That  des  jungen  Priesters  nicht 
unbelohnt:  er  verlieh  ihm,  sei  es  noch  1328  oder  in  dem 
darauf  folgenden  Jahre,  das  Bisthum  von  Lombes,  einer  kleinen 
Stadt,  südwestlich  von  Toulouse  und  südöstlich  von  Auch  in 
gleicher  Entfernung  von  ungefähr  je  zehn  Meilen  an  den 
Ufern  der  Save  und  an  den  äussersten  nördlichen  Ausläufern 
der  Pyrenäen  gelegen. 

So  wurde  Petrarca's  Freund,  noch  vor  Erreichung  des 
kanonischen  Alters,  zum  Bischof  erhoben.  Im  Frühjahre  1330  ^) 
rüstete  er  sich,  sein  Bisthum  zu  besuchen,  und  lud  Petrarca 
ein,  ihn  zu  begleiten,  welcher  Einladung  dieser  natürlich  gern 
Folge  leistete.  Die  Reise  nach  Lombes  war  trotz  des  oft 
trüben  Wetters  eine  sehr  heitere^)  und  wie  hätte  es  auch 
anders  sein  können,  wenn  zwei  geistvolle  und  froher  Lebens- 
lust geneigte  junge  Männer,  in  inniger  Freundschaft  verbunden 
und  aller  niederen  Sorgen  überhoben,  die  paradiesischen  und 
gerade  in  Frühlingspracht  erglänzenden  Gefilde  Südfrankreichs 
durchzogen?  Leider  müssen  wir  alle  Einzelheiten  der  Reise 
uns  aus  der  eigenen  Phantasie  ergänzen;  nur  das  Eine  lässt 
sich  mit  einiger  Bestimmtheit  vermuthen,  dass  zu  Toulouse, 
der  alten  Hauptstadt  der  Provence,    ein  längerer  Aufenthalt 


1)  Villani  X  69  b.  Muratori  XIII  p.  643,  vgl.  Gregorovius,  a.  a.  0. 
VI  p.  156  f. 

-)  Zeitbestimmung  nach  Sen.  X  2  („quarto  postquam  Bononia  redieram 
anno Pyrenaeos  colles  adii.") ;  Ep.  ad  post.  6. 

3)  Ep.  Sen.  X  2. 


80  Drittes  Capitel. 

genommen  wurde  ^),  und  gern  mögen  wir  uns  vorstellen,  mit 
welchem  lebhaften  Interesse  Petrarca  von  den  Bestrebungen 
der  dortigen,  sechs  Jahre  vorher  constituirten  Dichtergesellschaft 
des  consistori  de  la  gaya  sciensa  ^)  Kenntniss  nahm.  In  Lombes 
aber  verlebte  Petrarca  in  dem  Genüsse  der  schönen  Natur  ^), 
für  deren  Reize  er  ja  so  empfänglich  war,  einen,  wie  er  selbst 
sagt*),  beinahe  himmlischen  Sommer,  welcher  ihm  noch  da- 
durch verschönt  wurde,  dass  er  mit  zwei  treulichen  Männern, 
die  sich,  wie  er  selbst,  in  dem  Gefolge  des  Bischofs  befanden, 
damals  einen  innigen  Freundschaftsbund  für  das  Leben  schloss  % 
Die  neuen  Freunde,  welche  Petrarca  zu  Lombes  im  Hause 
des  Bischofs  sich  gewann,  waren  sehr  verschiedenen  Ländern 
entsprossen.  Der  Eine,  eigentlich  Ludwig  geheissen,  von 
Petrarca  aber,  wir  wissen  nicht  warum,  Sokrates  genannt, 
stammte  aus  einem  am  linken  Ufer  des  Rheines  gelegenen 
Orte  der  Niederlande,  Campinia  Annaea*^);  der  gewöhnlichen 
Annahme  nach,  die  sich  freilich  nicht  beweisen,  aber  auch 
nicht  widerlegen  lässt,  würde  darunter  der  Flecken  Kempen 
in  der  Nähe  von  Herzogenbusch  zu  verstehen  sein.  Von 
Geburt  war  also  Sokrates  nach  der  von  Petrarca  getheilten 
römischen  und  italienischen  Anschauung  jedenfalls  ein  Barbar, 
aber  durch  Erziehung  und  Lebensgang  war  er,  obwol  er  Italien, 
das  Land  seiner  Sehnsucht,  nie  betreten  zu  haben  scheint, 
völlig  zum  Italiener  geworden  und  wollte  selbst  als  solcher 
gelten').  Die  innige  und  vertrauensvolle  Freundschaft,  welche 
Petrarca  einunddreissig  Jahre  hindurch  mit  Sokrates  bis  zu 
dessen  im  Jahre  1361^)  erfolgten  Tode  unterhielt^),  beweist. 


^)  Ep.  Sen.  X  2. 

*)  V  1.  K.  Bartsch,  Grundriss  u.  s.  w.  p.  74. 

^)  vgl.  Rime  sopra  argomenti  storici  etc.  ed.  Carducci  (Livorno  1876), 
Sonett  2  (p.  5). 

*)  Epist.  ad  post.  p.  6. 

'')  Ep.  Sen.  I  2  (b.  Fracassetti). 

«)  Ep.  Fam.  IX  2. 

■)  Ep.  Fam.  IX  2.    Ep.  Sen.  I  2  (3). 

«)  Ep.  Sen.  I  1  (praef.). 

")  de  Vit.  sol.  II  10,  1.    Trionfo  d'am.  III  v.  68  ff. 


Die  Wanderjahre  der  Jagend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.      81 

dass  derselbe  ein  trefflicher  und  hochgebildeter  Mann  gewesen 
sein  muss.  Wol  keinem  Freunde,  höchstens  etwa  Giaconio 
Colonna  ausgenommen,  hat  Petrarca  ein  so  uneingeschränktes, 
Nichts  verbergendes  Vertrauen  geschenkt  wie  Sokrates,  an 
keinen  hat  er  so  viele  und  so  inhaltsvolle  Briefe  gerichtet  wie 
an  ihn^),  wie  er  denn  ja  auch  ihm  die  Sammlung  der  Epistolae 
familiäres  zugeeignet  hat.  Sokrates'  äusserer  Lebensgang  scheint 
vom  Jahre  1330  ab  ein  sehr  stiller  und  ereignissloser  gewesen 
zu  sein:  er  lebte  allem  Vermuthen  nach  dauernd  und  ruhig 
zu  Avignon,  vielleicht  irgend  ein  bescheidenes  Amt,  etwa  eine 
Secretairstelle  bei  einem  Prälaten  oder  einer  kirchlichen  Be- 
hörde bekleidend. 

Der  andere  der  neu  gewonnenen  Freunde  Petrarca's  war 
ein  Vollblutrömer  Namens  Lello,  von  Petrarca  aber  in  Erinne- 
rung an  die  Freunde  der  Scipionen  Laelius  genannt,  der  Sohn 
des  Pietro  Stefano  ^),  einer  alten  ghibellinischen  und  den  Co- 
lonnesen  treu  ergebenen  Adelsfamilie  Roms  angehörig  und  ein 
Günstling  des  greisen  Stefano  Colonna  ^).  Giacomo  Colonna 
hatte  sich  vermuthlich  im  Jahre  1328  während  seines  Aufent- 
haltes in  Italien  mit  Lelio  befreundet  und  ihn  dann  mit  sicli 
nach  Avignon  genommen,  ihm,  wie  es  scheint,  die  Stelle  eines 
Secretairs  übertragend,  denn  Lelio's  Werkzeug  war  die  Fedei-, 
wenn  er  sie  auch  zeitweilig  im  Getümmel  der  römischen  Stadt- 
kämpfe mit  dem  Schwerte  vertauschen  mochte"^).  Jedenfalls 
verblieb  Lelio  in  dem  Dienste  des  Bischofs  von  Lombes  bis 
zu  dessen  frühen  Tode  im  Jahre  1341.  Später  —  vermuthlich 
im  Jahre  1348  und  1349  nach  dem  Ableben  des  Cardinais 
Giovanni  Colonna  —  kehrte  er  für  immer  in  seine  römische 
Heimath  zurück,  in  welcher  er  Gatte  und  Vater  wurde-')  und 


^)  Es  sind  an  Sokrates  gerichtet:  Ep  Fam  I  praef.  V  13.  14.  1-5. 
VII  3.  6.  VIII  7.  IX  2.  9.  X  2.  XI  7.  XIV  2.  XVI  3.  7.  XX  15. 
XXI  9.  XXII  8.  9.  XXIII  13.  XXIV  13.  Var.  14.  Ep.  poet.  lat.  III  27. 
28.  32. 

2)  Ep.  Var.  49. 

8)  Ep.  Fam.  XIX  4. 

*)  Ep.  Fam.  III  20. 

•)  Ep.  Fam.  XVI  8. 

Kört  in  g,  Petrarca.  6 


82  Drittes  Capitel. 

als  Berather  des  jungen  Stefanello  Colonna  eine  nicht  unbe- 
deutende politische  Rolle  spielte*).  Auch  an  Lelio  hat  Pe- 
trarca zahlreiche  Briefe  gerichtet  2),  doch  scheint  sein  Verhält- 
niss  zu  ihm  ein  nicht  ganz  so  inniges  gewesen  zu  sein,  wie 
dasjenige  zu  Sokrates,  welcher  letztere  wol  die  weichere  ge- 
müthvollere  Natur  besass.  Gestorben  ist  Lelio  im  Jahre  1363^), 
über  das  Alter  jedoch,  welches  er  erreichte,  sind  wir  nur  auf 
Yermuthungen  angewiesen,  jedenfalls  ist  es  nicht  glaublich,  dass 
er  bedeutend  älter  gewesen  sei  als  Petrarca*).  Von  Sokrates 
dagegen  wissen  wir,  dass  er  gleichaltrig  mit  Petrarca  war^). 

Im  Herbste  1330  kehrte  der  Bischof  Giaeomo  mit  seinen 
Freunden  von  Lombes  nach  Avignon  zumck  und  hier  machte 
er  jetzt  Petrarca  mit  seinem  ältesten  Bruder,  dem  schon  im 
Jahr  1327  zum  Cardinale  erhobenen  Giovanni  Colonna  bekannt. 
Auch  den  alten  Stefano,  den  Vater  Giovanni's  und  Giacomo's, 
einen  Mann  von  altrömischer  Kraft,  Hochherzigkeit  und  StaiT- 
heit  des  Charakters,  lernte  Petrarca  im  Winter  1330 — 31 
kennen  ^).  So  befreundete  sich  Petrarca  immer  mehr  mit  der 
einflussreichsten  und  mächtigsten  Familie  des  römischen  Adels 
und,  da  dieselbe  ein  edles  Vergnügen  darin  fand,  eine  Mäcena- 
tenrolle  zu  spielen,  so  war  solche  Befreundung  ein  hohes  Glück 
zu  nennen ,  wie  er  auch  dies  stets  dankbar  anerkannt  hat '), 
selbst  als  er  später  durch  politische  Gründe  den  Colonnesen 
entfremdet  wurde.  Zum  grössten  Danke  aber  war  Petrarca 
gewiss  dem  Cardinal  Giovanni  verpflichtet.  Dieser  hoch- 
gebildete und  edle  Kirchenfürst  nahm  den  jungen  Dichter, 
ohne  ihm,  wie  es  scheint,  irgend  welche  bestimmte  Ver- 
pflichtungen aufzuerlegen,   ganz  in  sein  Haus  auf  und  befreite 


1)  Ep.  Fam.  XV  1.  vgl.  XIX  4. 

2)  Ep.  Fam.  HI  20.  21.  22.   IV  13.   VII  5.  IX  10.  XV  1.  8.  9.   XVI  8. 
XIX  3.  XX  12.  13.  14.   Sen.  H  4.  -5.    Ep.  poet.  lat.  II  8. 

3)  Ep.  Sen.  I  praef. 

*)  Ep.   Fam.  XX  12  kann  nicht,  wie  Fracassetti  Lett.  fam.  I  p.  479 
will,  für  die  gegentheilige  Behauptung  angeführt  werden. 
^)  Ep.  Fam.  IX  2. 

^)  Zeitbestimmung  nach  Ep.  Fam.  V  3. 
')  vgl.  z.  B.  Ep.  Fam.  VII  13. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauckise.     83 

ihn  dadurch  von  allen  Sorgen  um  die  äussere  Existenz^),  er- 
wies ihm  die  Güte  eines  Vaters  und  die  Liebe  eines  Bruders^) 
und  würdigte  ihn  des  ehrendesten  Vertrauens  ^).  Wie  innig 
sein  Verhältniss  zu  Petrarca  auch  dann  noch  blieb,  als  dieser 
sich  selbständig  gemacht  und  nach  Vaucluse  zurückgezogen 
hatte,  beweisen  so  manche  kleine  Züge,  die  wir  gelegentlich 
erfahren.  So  übersandte  Petrarca  einmal  dem  Cardinale  66 
kleine  Fische,  die  er  selbst  in  den  Gewässei*n  der  Sorgue  ge- 
fangen, und  fügte  ein  anmuthiges  lateinisches  Gedicht  von 
ebensoviel  Versen  bei^),  der  Cardinal  dagegen  machte  dem 
Dichter  einen  schönen  Hund  zum  Geschenke,  wofür  Petrarca 
dann  wieder  mit  einer  poetischen  Epistel  dankte^).  Die  Zahl 
der  Briefe  in  Prosa  und  Versen  an  den  Cardinal  ist  eine  be- 
trächtliche ^).  —  Giovanni  Colonna  starb  im  Sommer  des  Jahres 
1348  an  der  Pest. 

Durch  des  Cardinais  Edelmuth  vor  der  rauhen  Noth  des 
Lebens  völlig  gesichert,  konnte  sich  der  lebenskräftige  und  der 
Sinnenlust  durchaus  nicht  abgeneigte^)  Petrarca  nun  einem 
frohen  und  glückliehen  Jugendleben  überlassen,  dem  es  auch 
an  Uebermuth  und  Ausschreitungen  nicht  gefehlt  haben 
mag  und  auf  welches  der  gereifte  und  strengeren  sittlichen 
Grundsätzen  huldigende  Mann  später  nicht  mit  allseitiger  Be- 
friedigung zurückbhckte.  Ein  gar  anschauliches  Bild  von 
diesem  heiteren  und  mitunter  thörichten  Jugendtreiben  ent- 
wirft Petrarca  selbst  in  einem  an  seinen  Bruder  Gherardo  ge- 
richteten, vom  25.  September  höchst  wahrscheinlich  des  Jahres 
1348  ^)  datirten  Briefe  ^),  in  welchem  er  namentlich  der  gecken- 


^)  Epist.  ad  post.  p.  6. 
2)  ibid. 

^)  vgl.  den  Ep.  Fam.  V  2  erzählten  Vorfall. 
*)  Ep.  poet.  lat.  III  4. 
«)  Ep.  poet.  lat.  III  5. 

«)  Ep,  Fam.  I  3.  4.   II  12.  13.  14.  15.   IV  4.  5.  9.  12.    V  2.  3.  4.  5.  6. 
VII  13.    Ep.  poet.  lat.  I  10.    II  15.    III  1.  4.  5. 
')  Epist.  ad  post.  p.  2. 
^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  496. 
«)  Epist.  Fam.  X  3. 

6* 


84  Drittes  Capitel. 

haften  Sorgfalt  gedenkt,  die  von  ihm  und  seinem  Bruder 
damals  der  Toilette  gewidmet  wurde ;  in  kleinem  Rahmen  ent- 
wirft er  in  diesem  Briefe  ein  interessantes  Culturgemälde  und 
weiss  gar  trefflich  das  Porträt  des  avignoneser  Stutzers  zu 
zeichnen,  der,  um  durch  zierlich  frisirtes  Haar  und  gewählte 
Kleidung  natürliche  Vorziige  zur  grösseren  Geltung  zu  bringen 
und  schöne  Augen  an  seine  Erscheinung  zu  fesseln,  seinem 
Leibe  oft  arge  Qualen  auferlegt  und  z.  B.  manche  Nacht  auf 
den  Schlaf  verzichtet,  damit  nur  ja  die  kunstvoll  gebrannten 
Locken  nicht  gedrückt  und  beschädigt  werden. 

Gei-n  aber  dürfen  wir  glauben,  dass  bei  einem  Petrarca 
solche  Jugendlust  und  Jugendtändelei  sich  nicht  steigerte  bis 
zu  wüstem  Treiben  und  bis  zum  Vergessen  höheren  Strebens. 
Dass  Petrarca  auch  damals  sich  eifrig  gelehrten  Studien  wid- 
mete, beweist  die  staunenswerthe  Fülle  der  in  seinen  lateini- 
schen Schriften  niedergelegten  Kenntnisse:  solchen  Reich thum 
des  Wissens  vermochte  sich  nur  zu  erwerben,  wer  di«  Arbeits- 
fähigkeit der  Jugend  auszunützen  und  mit  der  Lust  den  Ernst 
zu  mischen  verstand.  Und  neben  der  strengen  Wissenschaft 
ward  damals  gewiss  auch  der  Poesie  ihr  Recht,  so  manches 
Sonett  und  so  manche  Canzone,  die  wir  jetzt  bewundenid  lesen, 
ohne  dass  wir  ihre  Abfassungszeit  zu  bestimmen  vermöchten, 
mag  damals  entstanden  sein,  sind  ja  doch  die  späteren  Jugend- 
jahre, in  denen  die  Phantasie  von  manchen  Schlacken  der 
ersten  Jugend  geläutert,  aber  von  dem  nüchternen  Verstände 
noch  nicht,  wie  dann  im  gereiften  Mannesalter,  in  ihrem  freien 
Fluge  gehemmt  wird,  so  recht  die  Zeit  der  dichterischen  Voll- 
kraft, so  recht  die  Zeit  der  höchsten  dichterischen  Frucht- 
barkeit. 

Zur  grössten  Förderung  aber  gereichte  dem  jungen  Ge- 
lehrten und  Dichter  der  Umstand,  dass  er  —  was  er  selbst 
freilich  in  seltsamer  Verblendung  oft  beklagt  hat  —  in  Avignon 
lebte  Hier  in  der  päpstlichen  Residenz,  auf  deren  Sti-assen 
Kleriker  und  Laien  hohen  und  niederen  Standes  aus  allen 
Landen    zusammentrafen     und    ein    buntes    hochinteressantes 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     85 

Völkergewühl  bildeten  ^) ,  fand  er  stete  geistige  Anregung 
und  erweiterte  sich  sein  Gesichtskreis  weit  hinaus  über  die 
mittelalterlich  kleinstädtischen  Grenzen;  hier  in  dem  gast- 
lichen Hause  des  Cardinais,  dem  Vereinigungspunkte  in  wissen- 
schaftlicher oder  politischer  Beziehung  bedeutender  Männer, 
wurde  ihm  gesellschaftliche  Unterhaltung  geboten,  wie  sie 
seiner  Neigung  entsprach  und  seinen  Studien  förderlich  war; 
hier  endlich  wurde  ihm  auch,  Dank  seiner  Verbindung  mit 
den  Colonnesen,  rasch  und  voll  die  äussere  Anerkennung  seiner 
Bestrebungen  und  Leistungen  zu  Theil,  deren  gerade  er  so 
sehr  bedurfte,  um  sich  zu  weiterem  Schaffen  ermuthigt  zu 
fühlen.  Alles  das  aber  war  unter  damaligen  Verhältnissen 
nur  in  Avignon  möglich;  denn  Avignon  war  eben  damals  die 
einzige  Weltstadt,  die  einzige  Stadt,  welche  in  Bezug  auf  ihre 
Bevölkerung  keinen  national  und  local  beschränkten,  sondern 
einen  kosmopolitischen  Charakter  trug.  In  jeder  anderen  Stadt, 
auch  in  seiner  Vaterstadt  Florenz,  hätte  Petrarca's  Genie  ver- 
kümmern müssen,  würde  nicht  in  seiner  Eigenartigkeit  sich 
haben  entfalten  können:  eingeengt  in  dem  Banne  klein- 
städtischer Anschauungen  und  kleinbürgerlichen  Treibens, 
hineingezogen  in  das  wirre,  von  engherzigen  Gesichtspunkten 
beherrschte  Leben  und  Kämpfen  der  Parteien,  würde  er  es 
nimmer  vermocht  haben,  der  Schöpfer  des  Humanismus  zu 
werden  und  dadurch  die  Fesseln  der  mittelalterlichen  Be- 
schränkung und  Gebundenheit  des  Denkens  zu  sprengen,  er 
würde  sich  vielmehr,  so  darf  man  vermuthen,  verloren  haben 
in  eifriger  Beschäftigung  mit  localpatriotischen  Interessen  und 
hätte  vielleicht  statt  der  wirklich  von  ihm  verfassten  lateini- 
schen Werke  eine  langathmige  Stadtchronik  oder  auch,  als 
muthmasslicher  Inhaber  eines  Canzlerpostens,  Berge  pomphafter 
Staatsschriften  producirt,  deren  Inhalt  in  dem  bekannten  lächer- 
lichen Mäuslein  des  Horaz  bestanden  haben  würde. 

Gewiss,  es  war  ein  hohes  Glück  für  Petrarca  und  für  die 


^)  vgL  Ep.  poet.  lat.  III  3  v.  13  ff.  Die  Schattenseiten   dieses  "Völker- 
gewühles sind  treffend  geschildert  in  Epist.  poet.  lat.  III  23  u.  II  2  v.  21  ü\ 


86  Drittes  Capitel. 

Nachwelt,  dass  er  frühzeitig  der  Kirchthurmspolitik  und  dem 
Factionsgezänk  seiner  Heiinath  entrissen  und  auf  eine  höhere 
Warte  des  Denkens  gestellt  wurde.  Nur  dadurch  hat  er  ver- 
mocht, seine  culturgeschichtliche  Mission  zu  ei-füllen.  Auch 
Dante  und  Boccaccio  mussten,  um  ihren  Platz  in  der  Welt- 
litteratur  erringen  und  Bedeutung  nicht  nur  für  das  italienische 
Volk,  sondern  für  die  gesaramten  Culturvölker  erlangen  zu 
können,  der  Enge  des  Weichbildes  von  Florenz  entrückt  werden. 

Mit  gutem  Grunde  löst  die  Vorsehung  die  begabtesten 
Geister  von  dem  Boden  ihrer  Heimath  los  und  gibt  ihnen  statt 
eines  beschränkten  Stadt-  oder  Landgebietes  die  ganze  Welt 
zum  Vaterlande,  einen  Theil  ihres  Erdenglückes  dadurch  aller- 
dings höheren  Zwecken  opfernd,  sie  aber  reichlich  entschädigend 
durch  den  Glanz  unsterblichen  Ruhmes. 

Es  drängt  die  Frage  sich  auf,  ob  Petrarca  nicht  etwa  in 
Avignon  ausser  den  oben  genannten  Freunden,  welche  ihm 
durch  ihre  Liebe  und  durch  die  Ermöglichung  eines  ange- 
nehmen Gedankenaustausches  das  Leben  wol  zu  verschönen, 
aber  bei  ihrer  unzweifelhaft  weit  geringeren  und  von 
keiner  reiferen  Lebenseifahrung  unterstützten  geistigen  Be- 
gabung keinen  bestimmenden  Einfluss  auf  seine  Entwickelung 
auszuüben  vermochten,  nicht  auch  Männer  gefunden  habe,  welche 
vermöge  ihrer  gereiften  Einsicht  und  einer  in  einem  laugen 
thätigen  Leben  erworbenen  Weisheit  fördernd  auf  sein  Streben 
einwirken  und  ihn  auf  die  seinem  Genius  angemessenen  Bahnen 
hinweisen  konnten.  Wenigstens  ein  solcher  Mann  kann  ge- 
nannt werden.  Es  war  dies  ein  gewisser  Giovanni  aus  Florenz, 
von  dessen  Lebensschicksalen  wir  freilich  nichts  weiter  sicher 
wissen,  als  dass  er  fünfzig  Jahre  hindurch  das  Amt  eines 
päpstlichen  Scriptors  bekleidete.  Petrarca  erwähnt  seiner  in 
einem  Biiefe  ^)  als  eines  durch  die  Lauterkeit  seines  Charakters, 
die  Freundlichkeit  seines  Wesens  und  seine  milde  Beredtsam- 
keit  ausgezeichneten  Mannes  und  gedenkt  dankbar  des 
heilsamen   Einflusses,    den    derselbe    auf   seine    innere   Ent- 

>)  Epist.  Sen.  XV  (b.  Fracassetti  XVI)  6. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     87 

Wickelung  und  seine  wissenschaftliche  Ausbildung  ausgeübt 
habe,  namentlich  aber  erinnert  er  sich  mit  Freuden  daran, 
wie  trefflich  Giovanni  es  verstand,  ihn,  wenn  er  zuweilen  muth- 
los  war  und  daran  verzagte,  sich  jemals  über  die  Mittelmässig- 
keit  erheben  und  etwas  Aussergewöhnliches  leisten  zu  können, 
zu  ermuthigen  und  ihm  zu  zeigen,  dass  gerade  durch  dies 
zeitweilige  Verzagen  und  die  Erkenntniss  der  eigenen  Schwäche 
und  Unwissenheit  die  Bürgschaft  für  das  Vorhandensein  eines 
tiefer  angelegten  und  höher  befähigten  Geistes  gegeben  sei. 

Und  noch  ein  zweiter  Mann  darf  berechtigten  Anspruch 
erheben,  hier  genannt  zu  werden.  Ein  greiser  Rechtsgelehrter 
in  Avignon,  Raimondo  Superanzio  oder  Soranzio  —  vielleicht 
ein  Angehöriger  des  bekannten  venetianischen  Adelsgeschlech- 
tes —  hatte  zu  dem  jungen  Petrarca  eine  väterliche  Zuneigung 
gefasst  und  verkehrte  viel  mit  ihm.  Freilich  war  Raimondo  in 
wissenschaftlicher  Beziehung  ein  ganz  einseitiger  Jurist,  der 
von  den  lateinischen  Autoren  nur  den  Livius  kannte  und  liebte, 
während  er  von  den  übrigen  nichts  wissen  wollte,  aber  er  war 
ein  durch  und  durch  ehrenhafter  Charakter,  ein  Mann,  der  in  der 
strengen  Geradheit  seines  Wesens  alle  krummen  Wege  ver- 
schmähte und  seine  Ansichten  mit  grösstem  Freimuthe  Jeder- 
mann ,  selbst  dem  Papste  gegenüber  aussprach  und  also  in 
dieser  Hinsicht  für  Petrarca  ein  edles  Vorbild  sein  konnte. 
Die  grosse  Bibliothek,  welche  er  besass,  stellte  er  seinem 
jungen  Freunde  in  der  liberalsten  Weise  zur  Verfügung  und 
schenkte  ihm  sogar  einige  Schriften  des  Varro  und  des 
Cicero,  unter  den  letzteren  die  Bücher  über  den  Ruhm,  welche 
dann  freilich  durch  Convennole's  Unredlichkeit  verloren  gingen 
(s.  S.  65)  1). 

So  verlebte  Petrarca  nach  allen  dem,  was  wir  so  eben  er- 
örtert haben,  in  Avignon  glückliche  Jahre  des  Genusses,  des 
Studiums,  des  poetischen  Schaffens  und  der  eigenen  Weiter- 
entwickelung. Auch  die  Liebe  zu  Laura  warf,  so  scheint  es, 
damals  noch  keinen  Schatten  in  sein  Lebensglück,   denn  noch 


1)  Ueber  Raimondo  Soranzio  vgl.  Ep.  Fam.XXIV  1.   Sen.  XV  (XVI)  1 
und  den  an  ihn  gerichteten  Brief  Farn.  I  2. 


88  Drittes  Capitel. 

hatte  er  nicht  durch  moralische  Reflexionen  jenen  Zwiespalt  in 
seinem  Inneren  erregt,  der  später  so  herbe  Seelenqual  ihm 
bereiten  sollte,  noch  waren  ihm  keine  Zweifel  aufgestiegen, 
ob  seine  Liebe  und  die  Hoffnung,  sie  belohnt  zu  sehen,  nicht 
etwa  ein  sündiges  Vergessen  seiner  Christen-  und  Priester- 
pflichten seien,  noch  glaubte  er  in  jugendlichem  Leichtmuth 
der  Neigung  seines  Herzens  sich  voll  und  ganz  hingeben  zu 
dürfen. 

Aber  dennoch  sehnte  sich  Petrarca  hinaus  aus  dem  glück- 
lichen Leben  in  Avignon:  sein  Geist  war  nicht  geschafien  zu 
langem  behaglichen  Verweilen  an  einem  Orte,  sondern  strebte 
immer  hinaus  in  die  Ferne  und  häufiger  Ortswechsel  war  ihm 
geradezu  Bedürfniss  ^).  Wie  von  innerer  Unruhe  getrieben  ist  er 
sein  ganzes  Leben  hindurch,  namentlich  in  den  Jahren  der  Jugend 
und  des  früheren  Mannesalters,  welche  sich  geradezu  als  die 
Wandeijahre  bezeichnen  lassen,  von  Ort  zu  Ort  gezogen,  sich 
nirgends  eine  bleibende  Heimath  gründend  und  immer,  um  so  zu 
sagen,  an  mehreren  Orten  gleichzeitig  wohnend.  Gewiss  haben 
ja  auch  äussere  Gründe,  darunter  nicht  zum  geringsten  die  Hoff- 
nung, noch  unbekannte  Handschriften  classischer  Autoren  auf- 
zufinden, zu  dieser  Unstätheit  des  Lebens  beigetragen,  aber 
als  hauptsächlichstes  Motiv  müssen  wir  doch  eine  angeborne 
Lust  am  Reisen  betrachten.  Petrarca  ist  eben,  wie  in  so 
vielen  anderen,  so  auch  in  dieser  Beziehung  der  erste  moderne 
Mensch.  Wie  noch  in  unserer  Gegenwart  alle  Menschen  der 
abendländischen  Culturwelt.  wenn  sie  sich  nur  ein  wenig  über 
.die  Trägheit  geistiger  Mittelmässigkeit  erheben,  den  Trieb  in 
sich  fühlen ,  immer  Fremdes  und  Neues  zu  sehen  und  ihrem 
Anschauungskreise  die  grösstmögliche  Universalität  zu  ver- 
leihen ,  wie  noch  wir  in  der  Jetztzeit ,  von  nervöser  Unruhe 
getrieben,  so  oft  als  nur  möglich  hinauseilen  in  die  Ferne  und 
gern  die  Beschwerden  und  Unbequemlichkeiten  der  Reise  ein- 
tauschen gegen  das  mhige  Verbleiben  im  behaglich  eingerich- 
teten Heim,  so  empfand  auch  Petrarca  diesen  Drang  und  ward 


0  vgl.  Ep.  Sen.  VI  2.  IX  2.    Farn.  XV  4. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     89 

von  derselben  Unruhe  beherrscht  und  das  um  so  mehr,  als 
er,  ein  Träger  neuer,  seinen  Zeitgenossen  noch  fremder,  ja 
selbst  unverständlicher  Ideen ,  sich  schon  deshalb  nirgends 
wirklich  heimisch  fühlen  konnte,  wenn  auch  vielleicht  dieser 
Grund  ihm  selbst  nie  klar  zum  Bewusstsein  gekommen  sein 
mag.  Er  war  eben  ein  Fremdling  in  der  Welt,  wie  sie  damals 
war,  der  Bürger  einer  neuen  Zeit,  die  erst  nach  ihm  kommen 
sollte,  und  dies  liess  ihn  nie  und  nirgends  zum  ruhigen  Be- 
hagen und  Verweilen  gelangen.  Ganz  ebenso  wie  er  streuten 
ja  auch  seine  geistigen  Erben  und  Nachkommen,  die  Huma- 
nisten des  fünfzehnten  und  sechzehnten  Jahrhunderts,  in  einem 
unstäten  Wanderleben  bald  hier,  bald  dort  die  Saat  humani- 
stischer Bildung  aus.  Wie  hätte  sonst  auch  die  Renaissance 
von  Italien  aus  so  rasch  die  gesamrate  romanische  und  germa- 
nische Culturwelt  zu  durchdringen  vermocht?  Sesshaftigkeit 
der  Humanisten  würde  den  Humanismus  bald  zu  einem  zopfigen 
italienischen  Gelehrtenthum  haben  verknöchern  lassen  und  die 
Keime  der  Renaissancebildung  würden  in  Italien  vertrocknet 
sein,  statt  befnichtend  über  weite  Lande  verweht  zu  werden 
und  üppigen  CulturpÜanzen  das  Dasein  zu  geben.  — 

Dem  inneren  Drange  folgend  und  von  der  „Begier  Vieles 
zu  sehen"  ^)  geleitet,  unternahm  also  Petrarca  im  Frühjahre 
1333 -)  seine  erste  grössere  Reise.  Allerdings,  dürften  wir  einer 
einzelnen  Stelle  ^)  folgen,  so  würde  er  bereits  in  seinem  fünfund- 
zwanzigsten Jahre,  also  1329,  einmal  nach  der  Schweiz  und 
Belgien  gereist  sein.  Da  jedoch  Petrarca  dieser  angeblichen 
Reise  sonst  nirgends  weiter  gedenkt,  da  es  ferner  sehr  auf- 
fallend sein  würde,  wenn  er  nach  kaum  vier  Jahren  zum  zweiten 
Male  nach  dem  damals  doch  wenig  anziehenden  Belgien 
gereist  sein  sollte ,  und  da  endlich  nachweisbar  Petrarca  sich 
mehrfach     chronologische    Irrthümer    in    selbstbiographischen 


')  Ep.  ad  post.  p.  6. 

'-)  Drei  Jahre  nach   dem   Aufenthalte  in  Lombes,  wie  Ep.  Farn.    I  5 
ausdrücklich  angegeben  wird,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam   I  p.  282. 
■'')  Ep.  Sen.  XY  (XVI)  1,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  208. 


90  Drittes  Capitel. 

Angaben  zu  Schulden  kommen  lässt^),  so  glauben  wir  voll- 
berechtigt zu  sein,  wenn  wir  auch  hier  einen  Rechnungsfehler 
annehmen,  jene  vermeintliche  Reise  vom  Jahre  1329  mit  der- 
jenigen vom  Jahre  1333  identificiren  und  demgemäss  die  erstere 
ebenso  in  das  Reich  der  Fabel  verweisen,  wie  etwa  die  selt- 
same Angabe  des  Janozzus  Manettus,  dass  Petrarca  nach  der 
Rückkehr  von  Bologna  vier  Jahre  lang  in  Toulouse  humani- 
stischen Studien  obgelegen  habe  2). 

Petrarca  hatte  die  Mittel  zu  seiner  Reise  sicherlich  von 
seinem  Gönner,  dem  Cardinal  Giovanni  Colonna,  erhalten  und 
erwies  sich  diesem  dadurch  dankbar,  dass  er  ihm  von  seinen 
Reiseeindrücken  und  Beobachtungen  häufige  und  ausführliche 
briefliche  Mittheilungen  machte,  denn  der  Cardinal  hatte  ge- 
wünscht, dass  Petrarca  ihm  über  Alles,  was  es  auch  sein  möge 
und  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  es  sich  lateinisch  stylvoll  aus- 
drücken lasse,  Bericht  erstatte^).  Es  ist  sehr  zu  beklagen, 
dass  von  diesen  Reisebriefen  Petrarca's  sich  nur  zwei*)  er- 
halten haben,  denn  man  kann  aus  denselben  ersehen,  welche 
gute  Beobachtungsgabe  er  für  das  Neue  und  Fremde,  das  er 
sah  und  hörte,  besass  und  wie  anschaulich  und  anziehend  er 
das  Beobachtete  darzustellen  verstand.  Eine  ganze  Reihe  sol- 
cher Briefe  würde  unschätzbaren  Werth  für  unsere  Kenntniss 
der  damaligen  Culturzustände  besitzen. 

Das  nächste  und  anfangs  vermuthlich  allein  in's  Auge  ge- 
fasste  Ziel  der  Reise  war  Paris,  schon  damals  eine  grosse  volk- 
reiche Stadt  und  Sitz  einer  hochberühmten  Universität,  welche 
der  Sage  nach  von  Alcuin,  Carls  d.  Gr.  Lehrer,  gegründet 
worden  war  ^).     Petrarca  betrat  die  Stadt,  von  welcher  er  so 


1)  vgl.  z.  B.  S.  62  Anm.  '')  u.  S.  03  Anm.  ^). 

")  b.  Tomasini,  p.  197.  Vermuthlich  hat  Manettus  die  Stelle  in  der 
Schrift  de  mult.  et  sui  ips.  ign.  p.  1148:  „mox  Bononiam,  post  Tolosam  et 
Parisios,  Pataviumque  et  Neapolim  (adii),  ubi  studia  tunc  florebant"  miss- 
verstanden. 

•■')  Ep.  Fam.  I  4  (ed.  Frac.  I  p.  47). 

*)  Ep.  Fam.  I  3  u.  4. 

^)  Ep.  Sen.  X  2;  apologia  contra  Galli  calumn.  p.  1191,  vgl.  Budinszky, 
Die  Universität  Paris  u.  s.  w.  (Berlin  1876),  p.  6  u.  10. 


Die  Waiiderjabre  der  Jugend  und  die  ersten  JaLre  in  Vaucluse.     91 

viele  Wunderdinge  gehört  hatte,  mit  derselben  hochgespannten 
Erwartung  wie  einst  „Apulejus  das  thessalische  Hypata"  und  wir 
dürfen  wol  annehmen,  dass  dieselbe  nicht  enttäuscht  wurde, 
denn  im  Vergleich  zu  Avignon  und  Bologna  mochte  Paris 
allerdings  auch  damals  schon  das  Bild  eines  imposanten 
Gegensatzes  gewähren.  So  durchwanderte  Petrarca  denn  eifrig 
die  Seinestadt  und  besichtigte  Alles,  was  nur  irgend  merk- 
würdig war;  Avenn  der  Tag  dazu  nicht  genügen  wollte,  nahm 
er  selbst  die  Nacht  zu  Hülfe  ^). 

An  angenehmem  Umgange  mit  gelehrten  und  ihm  sym- 
pathischen Männern  wird  es  ihm  während  seines  Aufenthaltes 
in  Paris  gewiss  nicht  gemangelt  haben.  Lehrten  doch  damals, 
wie  schon  stets  in  früheren  Zeiten  ^),  eine  Anzahl  italienischer 
Professoren  an  der  dortigen  Hochschule,  unter  ihnen  der  spätere 
Canzler  Roberto  de'  Bardi  aus  Florenz,  der  im  Jahre  1333 
„einer  der  drei  Provisoren  des  lombardischen  Collegiums  war  ^). 

Unter  diesen  italienischen  Gelehrten,  welche  Petrarca 
damals  kennen  lernte,  befand  sich-  einer,  der  auf  seine  weitere 
Entwickelung  einen  grossen  und  heilsamen  Einfluss  ausüben 
sollte.  Es  war  dies  der  Augustinermönch  Dionigi,  aus  dem  tos- 
canischen  Flecken  Borge  San  Sepolcro  gebürtig,  ein  trefflicher 
Mann,  dem  nicht  nur  eine  umfassende  Gelehrsamkeit  —  er 
trug  Theologie  und  Philosophie  an  der  Hochschule  vor  — , 
sondern  auch  die  Gabe  der  Weissagung  nachgerühmt  wurde  ^). 
Petrarca  wählte  ihn,  wie  sich  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
Yemiuthen,  wenn  auch  nicht  streng  beweisen  lässt  ^),  zu  seinem 
Beichtvater,  enthüllte  ihm  sein  innerstes  Fühlen  und  Denken 
und  bekannte  ihm  auch  seine  Liebe  zu  Laura  sowie  seine 
Zweifel  über  die  sittliche  Berechtigung  dieser  Leidenschaft, 
welche  jetzt,   vielleicht  in  Folge   des  Herausreissens  aus  dem 


')  Ep.  Fam.  I  3. 

-)  apolog.  contra  Galli  calumn.  p.  1191. 
^)  vgl.  Budinszky,  a.  a.  0.  p.  202  f. 

*)  Ep.  poet.  lat.  I  13.     Villani,  X  85  b.  Miu-atori  XIII  p.  654,   vgl. 
Tiraboschi  V  p.  184  flf.    Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  424  ff. 
^:  Ep.  Fam.  IV  1. 


92  Drittes  Capitel. 

gewohnten  Lebenskreise  und  der  sich  daraus  ergebenden  Re- 
flexionen ,  in  seinem  Herzen  aufzukeimen  begannen.  Dionigi 
tröstete  ihn  mit  mildem  Zuspräche,  forderte  ihn  auf,  seine 
Leidenschaft  thatkräftig  zu  bekämpfen  und  schenkte  ihm,  um 
ihm  einen  sicheren  Pfad  zur  Erlösung  von  einander  wider- 
streitenden Seelenbewegungen  zu  zeigen,  des  heiligen  Augusti- 
nus Confessionen  in  einer  schönen  Handschrift  kleinen  For- 
mates ^).  Petrarca  gewann  das  Buch  bald  sehr  lieb  —  mit 
vollem  Rechte  mochte  er  in  Augustin  einen  Geistesverwandten 
erkennen  —  und  trug  es  immer  bei  sich ;  erst  im  späten  Alter 
schenkte  er  das  von  Dionigi  erhaltene  Handexemplar  seinem 
jungen  Freunde  Luigi  Marsili  ^). 

Es  begann  jetzt  jener  Zwiespalt  in  dem  Innern  Petrarca's, 
der  sein  ganzes  späteres  Leben  hindurch  fortbestanden  und 
den  er  nie  wahrhaft  zu  überwinden  vermocht  hat,  so  oft  er  es 
sich  auch  mit  allen  Mitteln  der  Rhetorik  glauben  zu  machen 
versuchte.  Es  rangen  in  ihm  der  mittelalterliche  und  der 
modei-ne  Mensch.  Der  erstere  wollte  sich  bedingungslos  und 
zerknirscht  dem  religiösen  Gebote  beugen  und  fügen,  in  de- 
muthsvoller  Gläubigkeit  allein  sein  Seelenheil  erstreben  und 
einzig  den  Sinn  auf  das  Jenseits  richten,  während  der  letztere, 
auf  die  menschliche  Natur  und  auf  die  Rechte  der  Individuali- 
tät sich  berufend,  es  wagen  wollte,  im  modernen  Sinne  des 
Wortes  „Mensch"  zu  sein  und  auch  die  Dinge  des  Diesseits 
schön  und  begehrenswerth  zu  finden,  so  dass  derselbe  Mann 
fast  mit  demselben  Athemzuge  Liebe  und  Ruhm  als  die  höch- 
sten Güter  pries  und  dann  wieder  als  nichtigen  Tand  und  als 
einen  das  Seelenheil  hochhebst  gefährdenden  Teufelstrug  ver- 
dammte. Es  spricht  dieser  Zwiespalt  sich  in  allen  Schriften 
Petrarca's  aus,  nicht  zum  mindesten  auch  in  seinen  italienischen 
Dichtungen,  schärfer  jedoch  in  den  lateinischen  Werken  und 
am  entschiedensten  in  seinen  merkwürdigen  Selbstbekennt- 
nissen,  welche  in  den  „Gesprächen  über  die  Verachtung  der 


^)  Ep.  Fam.  IV  1. 

2)  Ep.  Sen.  XIV  6  (b.  Fracassetti  XV  7). 


Die  Wanderjalire  dei*  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.     9.) 

Welt"  niedergelegt  sind.  Petrarca  zeigt  uns  eben  —  es  ist 
dies  für  seine  Beiirtheilung  überaus  wichtig  und  wir  werden 
noch  öfter  und  eingehender  darauf  zurückkommen  müssen  — 
ein  Doppelgesicht,  das  eine  dem  Mittelalter,  das  andere  der 
Neuzeit  zugewandt,  keinem  der  beiden  so  grundverschiedenen 
Zeitalter  ganz  und  voll  angehörend,  sondern  die  Anschauungen 
und  Empfindungen  beider  in  seiner  Brust  vereinigend,  aber 
nicht  versöhnend.  Mit  Fug  und  Recht  darf  er  der  erste 
moderne  Mensch  genannt  werden,  weil  er  es  in  vielen  und 
wesentlichen  Beziehungen  gewesen  ist,  aber  es  fehlte  viel, 
dass  er  in  allen  Beziehungen  es  war:  starke  Bande,  die  er 
nicht  zerreissen  konnte  und  nicht  zu  zerreissen  strebte,  ver- 
knüpften ihn  noch  mit  dem  Denken  und  Empfinden  der 
mittelalterlichen  Zeiten  und  so  besitzen  denn  diese,  denen  er 
ja  dui-ch  die  Jahreszahlen  seines  Lebens  angehört,  auch  ein 
wirklich  begründetes  Anrecht  auf  ihn.  In  diesem  steten 
Schwanken  zwischen  zwei  verschiedenen  Zeiten,  in  diesem 
unentschieden  gebliebenen  inneren  Kampfe,  den  kein  Sieg  ge- 
krönt, ist  Petrarca's  höchste  Stärke,  zugleich  aber  auch 
seine  grösste  Schwäche  enthalten,  seine  ganze  so  eigenartige 
Stellung  und  Bedeutung. 

Kehren  wir  nun  zur  äusseren  Lebensgeschichte  Petrarca's 
zurück! 

Der  Aufenthalt  Petrarca's  in  Paris  kann,  da  ja  die  ganze 
weite  Reise  nur  wenige  Monate  währte,  ein  nur  kurz  be- 
messener gewesen  sein.  Im  Allgemeinen  scheint  die  fran- 
zösische Hauptstadt  keinen  allzu  günstigen  oder  doch  mindestens 
keinen  sympathischen  Eindruck  auf  den  Dichter  gemacht  zu 
haben,  denn,  obwol  er  ihre  Grossartigkeit  gern  zugestand,  so 
meinte  er  doch,  dass  ihr  Ruhm  übertrieben  sei  und  zum 
grossen  Theile  auf  französischer  Prahlerei  beruhe  ^) ,  und  der 
Gedanke  an  eine  etwaige  Uebersiedelung  nach  Paris  hatte  für 
ihn  durchaus  nichts  Verlockendes^),   wesshalb  er  auch  später 


^)   Ep.    Sen.    X   2:    „(^Lutetia)   licet-  semper    fama    inferior    et   multa 
suorum  mendaciis  debens,  magna  tarnen  haud  dubie  res  fuit". 
2)  vgl.  Ep.  Fam.  XV  8. 


94  Drittes  Capitel. 

wiederholten  Einladungen  des  französischen  Königs  keine 
Folge  leistete. 

Von  Paris  aus  ward  die  Reise  nach  dem  fernen  Nord- 
westen, nach  den  Niederlanden  und  Niederdeutschland,  fort- 
gesetzt. Es  ist  schwer  zu  sagen,  welcher  Beweggrund  eigent- 
lich Petrarca  in  diese  für  ihn,  den  Südländer,  so  entlegenen 
und  damals  höchstens  durch  ihren  lebhaften  Handel  und  ihren 
regen  Gewerbfleiss  sich  auszeichnenden  Lande  geführt  habe. 
Hatte  er  Aufträge  des  Cardinais  Giovanni  oder  der  Curie  dort 
zu  erledigen  V  oder  liess  er  sich  nur  von  jener  Reiselust  treiben, 
welcher  jedwedes  Ziel  willkommen  ist,  am  willkommensten 
aber  ein  solches,  dessen  Erreichung,  weil  mühevoll  und  be- 
schwerlich, höheren  Ruhm  verheisst? 

Wie  dem  auch  sein  mag,  die  Reise  ging  zunächst  nach 
Gent,  damals  eine  blühende  Handels-  und  Fabrikstadt,  welche, 
wie  Paris,  von  Julius  Cäsar  gegründet  zu  sein  sich  rühmte, 
und  sodann  durch  die  Webereibezirke  Flanderns  und  Brabants 
nach  Lüttich.  Hier  verweilte  sich  Petrarca  mit  seinen  Ge- 
fährten einige  Zeit,  um  zwei  ihm  noch  unbekannte  Reden  des- 
Cicero,  die  er  dort  auffand,  zu  copiren,  aber  es  ward  ihm 
schwer,  in  der  ,, guten  Barbarenstadt"  die  nöthige  Tinte  auf- 
zutreiben und,  als  er  endlich  solche  erhielt,  war  sie  schlecht 
und  crocusgelb  ^) ,  woraus  indessen  nicht,  wie  oft  geschehen, 
auf  den  tiefen  Verfall  der  Studien  vor  dem  Auftreten  der  Huma- 
nisten geschlossen  werden  darf,  da  die  Sache  sich  auf  andere 
Weise  befriedigend  erklären  lässt^).  Von  Lüttich  aus  begab 
sich  Petrarca  nach  Aachen,  dem  einstigen  Heri-schersitze  Karls 
des  Grossen,  dessen  Grab  in  der  Münsterkirche  er  besuchte. 
Hier  erzählten  ihm  die  ihn  führenden  Priester  die  anmuthi^e 
Sage  von  dem  Edelsteine,  durch  dessen  Zauberkraft  der  grosse 
Frankenherrscher  bewogen  wurde,  an  den  Aachener  Quellen 
seine  Residenz  zu  gründen.  Der  Stein  nämlich  besass  die 
Kraft,  Liebe  zu  demjenigen  zu  erwecken,  der  ihn  bei  sich  trug 


')  Ep.  Sen.  XV  (XVI)  1. 

^)  vgl.  Wattenbach,   Das  Schrift wesen  im  Mittelalter  (2.  Aufl.  Leipzig 
1875),  p.  200  f. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauduse.     95 

und  war,  nachdem  ihn  zuerst  eine  Frau  und  später  ein  Priester 
besessen  hatte,  von  dem  letzteren  in  eine  der  Quellen  versenkt 
worden,  in  Folge  dessen  nun  Karl  diesen  Ort  vor  allen  andern 
lieb  gewann  ^).  Die  nächste  grössere  Stadt,  in  welcher  Petrarca 
im  weiteren  Verlaufe  der  Reise  sich  länger  aufhielt,  war  Köln. 
Hier  sah  er  nicht  ohne  Staunen,  wie  am  Vorabende  des 
St.  Johannistages  die  Kölnerinnen  nach  altem  Brauche,  um 
alles  im  bevorstehenden  Jahre  drohende  Unheil  abzuspülen, 
Hände  und  Arme  in  der  Rheinfluth  wuschen,  und  er  bekennt, 
dass  die  Schönheit  dieser  Frauen  ihn  zu  fesseln  vermocht 
haben  würde,  wäre  sein  Herz  noch  frei  gewesen.  Mehrere 
Tage  hindurch  durchwanderte  er  die  alte,  von  Marcus  Agrippa , 
gegründete  Römerstadt,  bewunderte  den  damals  und  ja  auch 
heute  noch  unvollendeten  Dom  und  verglich  das  Kölner  Capitol 
mit  dem  römischen.  Am  30.  Juni  reiste  er  von  Köln  ab  bei  so 
sonnigem  und  staubigem  Wetter,  dass  er  nach  dem  von  Virgil  ^) 
besungenen  „Schnee  und  Frost  des  Rheines"  sich  sehnte.  Um 
nach  Frankreich  zurückzukehren,  durchritt  er,  unbekümmert 
um  die  von  Krieg  und  Räubern  drohenden  Gefahren,  den 
düsteren  Ardennerwald  und  vielleicht  dichtete  er  wirklich,  wie 
die  gewöhnliehe  Tradition  es  behauptet,  auf  diesem  Ritte  das 
herrliche  124.  Sonett.  Welch'  eigenartiges  Bild  darf  sich 
unsere  Phantasie  da  entwerfen !  Der  italienische  Dichter  reitet 
auf  ungebahntem  Pfade  in  dem  dunkeln  nordischen  Gebirgs- 
walde,  jeden  Augenblick  muss  er  gewärtig  sein,  von  wilden 
Kriegen!  überfallen  zu  werden  und  mit  dem  Schwerte  sein 
Leben  schützen  zu  müssen,  er  aber  reitet  ruhig  dahin,  in 
süsse  Träumereien  versunken,  der  fernen  Geliebten  gedenkt 
er,  ein  jeder  Baum  zaubert  ihm  ihre  Gestalt,  ein  jeder  Ton 
ihrer  Stimme  süssen  Klang  hei-vor! 


^)  Ep.  Fam.  I  3.,  vgl.  G.  Paris,  Histoire  poetique  de  Chai-lemagne 
(Paris  1865),  p.  384  f.  (Hierbei  sei  gelegentlich  bemerkt,  dass  das  Datum 
von  Ep.  Fam.  I  3:  XI  Kai.  Jun.  natürlich  dem  22.  Mai  und  nicht,  wie 
Fracassetti,  Lett.  Fam.  I  p.  167,  268  u.  272  angiebt,  dem  22.  oder 
21.  Juni  entspricht.) 

^)  Verg.  Ecl.  X  47. 


96  Drittes  Capitel. 

Ungefährdet  und  wohlbehalten  langte  Petrarca  am  8.  August 
in  Lyon  an,  von  wo  aus  er  am  folgenden  Tag  den  Brief  an 
den  Cardinal  Giovanni  richtete,  dem  die  oben  mitgetheilten 
Einzelheiten  über  seine  Reise  entnommen  sind  ^). 

Es  war  vereinbart  gewesen,  dass  Petrarca,  wenn  er  nach 
Avignon  zurückgekehrt  sei,  seinen  Freund,  den  Bischof  Giacomo 
von  Lombes ,  nach  Rom  begleiten  solle  ^) ,  indessen  in  Lyon 
erfuhr  er  durch  einen  Diener  des  Cardinais  Giovanni,  dass 
Giacomo  bereits  abgereist  sei,  um  seine  Familie,  die  Colonnesen, 
in  dem  Blutrachekriege  gegen  ihre  Erbfeinde,  die  Orsini,  welcher 
nach  dem  Kampfe  bei  Cesano  (oder  Castel  Cesario)  am  6.  Mai 
1333  entbrannt  war^),  mit  seinem  Rathe  zu  unterstützen. 

So  musste  denn  Petrarca,  wenn  auch  mit  schwerem  Herzen, 
auf  die  erhoffte  Romfalirt  vorläufig  verzichten  und  nach  Avignon 
zurückkehren,  wo  er  allem  Vermuthen  nach  in  der  früheren 
Weise  im  Hause  des  Cardinais  Giovanni  fortlebte,  nur  dass 
ihn  jetzt  nach  dem,  was  in  Paris  geschehen  war,  der  holde 
Leichtsinn  der  Jugend  verlassen  haben  und  grösserem  Ernste 
gewichen  sein  mochte.  Aus  dem  lebensfrohen  Jüngling  war 
jetzt  ein  nachdenklicher  Mann  geworden,  der,  obwol  vergeblich, 
seine  Jugendliebe  niederzukämpfen  sich  bemühte  und  allein 
die  höchsten  Ziele  des  menschlichen  Daseins,  sittliche  Voll- 
kommenheit und  unsterblichen  Ruhm,  fortan  erstreben  wollte. 

Es  war  in  einer  hocherregten  Zeit,  dass  Petrarca  nach 
Avignon  zurückkehrte.  Papst  Johann  XXH.  hatte  die  Absicht 
kund  gegeben,  den  Sitz  der  Curie,  wenn  auch  zunächst  noch 
nicht  nach  Rom,  so  doch  wenigstens  nach  Italien,  nach  Bologna, 


1)  Ep.  Fam.  I  4. 

2)  Ep.  Fam.  I  4  u.  5. 

•'')  vgl.  Rime  sopra  arg.  storici  etc.  ed.  Carducci  p.  16  f.;  Villani,  X 
c.  220  b.  Muratori  XIII  p.  734;  Gregorovius,  a.  a.  0.  VI  p.  187  f.,  Fra- 
cassetti,  Lett.  fam.  I  p.  412  f.;  der  letztere  und  Carducci  geben  fälschlich 
den  22.  Mai  als  den  Tag  des  Kampfes  bei  Cesano  an.  Der  Sieger  von 
Cesano  war  nach  Petrarca's  wol  zuverlässiger  Angabe  der  junge  Stefano 
Colonna,  nach  Villani  dagegen  Stefanuccio ,  der  Sohn  des  Pietro  Sciarretta 
und  Grossneffe  des  alten  Stefano  (siehe  den  Stammbaum  bei  Fracassetti, 
Lett.  fam.  II  281,  vgl.  III  p.  371  f.). 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.      97 

zurückzuverlegen ,  und  dei-  König  Philipp  VI.  von  Frankreich 
hatte  in  einem  am  26.  Juli  1333  abgehaltenen  grossen  Con- 
sistorium  durch  seine  Gesandten  feierlich  gelobt,  im  Jahre  1336 
mit  20,000  Reitern  und  50,000  unberittenen  Kriegern  einen 
Kreuzzug  in  das  Morgenland  unternehmen  zu  wollen^).  So 
glaubte  man  an  dem  Vorabende  grosser  Ereignisse  zu  stehen  und 
fromme  Gemüther  gaben  sich  überschwänglichen  Erwartungen 
hin.  Auch  Petrarca,  von  Jugend  auf  zu  religiösem  Enthusiasmus 
geneigt,  wurde  von  frohen  Hoffnungen  ergrifleu  und  verkündete 
in  einem  klangvollen  Sonette  ^),  dass  des  grossen  Karls  JN'ach- 
folger  bereits  die  Waffen  ergriffen  habe,  um  „Babels  Hörner 
zu  zerstücken",  und  dass  bald  Bologna  und  dann  das  edle 
Rom  den  Statthalter  Christi  in  seinen  Mauern  wiedersehen 
werde.  Indessen  weder  die  eine  noch  die  andere  Hoffnung 
sollte  sich  erfüllen.  Papst  Johann  XXII.  ^  starb  nach  einem 
beinahe  zwanzigjährigen  ereigniss vollen  Pontificate  am  4.  Decem- 
ber  1334  und,  wenn  auch  der  neue  Papst  Benedict  XII.,  er- 
wählt am  20.  December  1334  und  consecrirt  am  8.  Januar 
1335  ^) ,  sich  längere  Zeit  mit  dem  Gedanken  trug,  die  Pläne 
seines  Vorgängers,  insbesondere  die  Uebersiedelung  nach  Rom, 
zur  Ausführung  bringen  zu  können,  so  musste  er  doch  bald 
in  Folge  politischer  Ereignisse  davon  abstehen.  Vergebens 
war  es,  dass  Petrarca,  der  sein  ganzes  Leben  hindurch, 
in  einer  seltsamen  Mischung  von  kirchenpolitischem  Idealismus 
und  antiker  Romschwärmerei  befangen,  das  Verweilen  der 
Curie  in  Avignon  als  ein  schweres  Unheil  betrachtete,  den 
Papst  in  zwei  lateinischen  Episteln  ^)  beschwor,  nach  Rom  den 
Stuhl  Petri  zurückzuversetzen;  vergebens  führte  er  ihm  in  der 
ersten  dieser  Dichtungen  die  Stadt  Rom  allegorisch  als  eine 
trauernde  und  in  Gram  sich  verzehrende  Matrone  vor, 
welche   ihren   in   der    Ferne    weilenden    Gatten,    den  Papst, 


^)  vgl.   Christophe,    Geschichte    des    Papstthumes   pp.,   übersetzt   von 
F.  Ritter  (Paderhorn  1853)  I  p.  319  f.  und  II  18  f. 

-)  Rime  sopra  argom.  storici  etc.  ed.  Carducci  p.  19  f. 
')  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  30. 
*)  Ep.  poet.  lat.  I  2  und  5. 

K'irtinii-  Petraiva.  7 


98  Drittes  Capitel. 

flehentlicli  bittet,  endlich  doch  zu  ihr  zurückzukehren  und  ihr 
leidvolles  Wittthum  zu  enden.  Benedict  XII.  konnte  ebenso 
wie  seine  Naclifolgei;,  an  welche  Petrarca  Zuschriften  des 
gleichen  Inhaltes  richtete,  den  Bitten  des  Dichters  nicht  will- 
fahren, auch  dann  nicht,  als  endlich  der  von  Johann  XXII. 
entzündete  theologische  Streit  über  die  seligmachende  An- 
schauung ^)  durch  die  Bulle  „Benedictus  Dens"  vom  4  Februar 
1336  entschieden  worden  war  ^).  Die  wenig  friedlichen  viel- 
vei-worrenen  Verhältnisse  Italiens  konnten  mit  Becht  damals 
die  Rückkehr  der  Curie  nach  Rom  als  nicht  rathsam  erscheinen 
lassen.  So  verblieb  denn  der  Papst  nach  längerem  Schwanken 
definitiv  in  Avignon  und  gab  diesem  Entschlüsse  auch  dadurch 
äusseren  Ausdruck,  dass  er  von  italienischen  Meistern  einen 
Palast  von  grossartigen  Dimensionen  und  künstlerischer  Aus- 
schmückung für  die  päpstliche  Residenz  errichten  Hess.  Diesem 
Beispiele  folgend  erbauten  auch  die  Cardinäle  glänzende 
Paläste  theils  in  Avignon  theils  in  dem  nahen  Villeneuve  auf 
dem  gegenüberliegenden  französischen  Rhoneufer  und  die  Curie 
schien  sonach ,  zum  tiefsten  Schmerze  Petrarca's ,  für  ewige 
Zeiten  an  Avignon  gefesselt  ^).  Wenn  somit  Petrarca's  poetische 
Episteln  an  den  Papst  ihr  eigentliches  Ziel  verfehlten,  so  blieb 
doch  die  erste  derselben  in  anderer  Beziehung  nicht  ganz 
erfolglos.  Der  Papst  verlieh  dem  Dichter,  um  ihm  seinen 
Dank  und  sein  Wohlwollen  auszudräcken ,  durch  eine  Bulle 
vom  25.  Januar  1335  ein  Canonicat  zu  Lombes  •*).  So  empfing 
Petrarca  seine  erste  kirchliche  Präbende  und  damit  das  hohe 
Glück  finanzieller  Unabhängigkeit,  dessen  er  bis  dahin  hatte 
entbehren  müssen,  wenn  er  auch  keineswegs  durch  dieses 
Benefiz  (und  ebenso  wenig  durch  die  später  erhaltenen)  in  die 
Lage  versetzt  wurde,  Reichthümer  autliäufen  zu  können  ^). 


')  über  den  Inhalt  dieser  Streitfrage  vgl.  die  recht  bündige  und  klare 
Angabe  Petrarca's  Ep.  poet.  lat.  I  5.  v.  91  ff. 
-)  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  40  f. 
")  vgl.  Christophe,  .i.  a*  0.  II  p.  39  f. 
")  vgl.  de  Sade  I  p.  260  f.,  II  p.  39  f. 
•"')  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  52  f.  und  III  p.  313. 


i 


Die  Wanderjahre  iler  Jugend  und  die  ersten  Jabre  in  Vaucluse.      99 

In  demselben  Jahre  sollte  ein  politisches  Ereigniss,  welches 
sich  in  Parma  abspielte,  für  Petrarca  folgenreich  werden. 

Die  Herrschaft  über  die  Stadt  Parma  war  lange  Jahre  hin- 
durch der  Gegenstand  erbitterter  und  wechselvoller  Kiimpfe 
zwischen  den  beiden  mächtigen  Familien  der  Ptossi  und  der  Correggi 
gewesen  und  endlich  hatte  sich ,  wie  das  so  häufig  geschieht, 
ein  Dritter  der  schönen  Beute  bemächtigt.  Am  21.  Juni  war 
Alberto  della  Scala,  Bruder  des  Mastino  della  Scala,  Herren 
von  Verona,  an  der  Spitze  von  8000  Reitern  in  die  Stadt  ein- 
gezogen und  hatte  für  sich  und  seinen  Bruder  von  derselben 
Besitz  genommen  ^) ,  wodurch  Orlando  und  Marsilio  de'  Rossi 
aus  der  bis  dahin  innegehabten  Herrschaft  verdrängt  wurden. 
Die  Scaligeri  übertrugen  die  Regierung  der  neugewonnenen 
Stadt  dem  Guido  di  Correggio,  ihrem  Oheim  von  väterlicher 
Seite.  Die  besiegten  Orlando  und  Marsilio  de'  Rossi  aber, 
denen  sich  auch  ihr  Bruder  Ugolino,  der  Bischof  von  Parma, 
anschloss,  wandten  sich  nach  Avignon,  um  bei  dem  Papste  als 
dem  Oberlehnsherrn  des  mathildischen  Tusciens  gegen  die  Räu- 
ber ihrer  vermeintlichen  Rechte  Klage  zu  führen.  Infolge  dessen 
erachteten  es  auch  die  Scaligeri,  um  einem  etwaigen  ihnen 
ungünstigen  Schiedssprüche  des  Papstes  vorzubeugen,  für  an- 
gezeigt, ebenfalls  einen  Gesandten  und  Vertreter  ihrer  An- 
.sprüche  nach  Avignon  zu  senden  und  sie  erwählten  als  solchen 
Guido's  Bruder  Azzo  di  Correggio,  welchem  als  Begleiter  und 
vermuthlich  als  Wortführer  der  gelehrte  Guglielmo  da  Pastrengo 
beigegeben  wurde.  Die  beiden  Gesandten  wurden ,  wie 
leicht  erklärlich,  in  Avignon  mit  ihrem  Landsmanne  Petrarca 
bekannt  und  gewannen  von  dessen  Beredtsamkeit  eine  so 
günstige  Meinung,  dass  sie  ihn  baten,  die  Vertheidigung  ihrer 
Sache  vor  dem  päpstlichen  Consistorium  zu  übernehmen.  Man 
darf  wol  annehmen,  dass  der  Dichter,  dem  ja  alle  Juristerei 
und  advocatorische  Praxis  von  jeher  verhasst  gewesen  war, 
sich   gegen    ein    derartiges   Ansinnen    heftig   gesträubt  haben 


^)  vgl.    Joannes    de    Cornazanis,   liist.    Parni.    fragni.    b.    Muratori,    t. 
XII  p.  740. 


100  Drittes  Capitel. 

mag;  endlich  aber  willigte  er  doch  ein  und  verfocht  die  Rechte 
der  Scaligeri  so  geschickt,  obwol  in  maassvollster  Weise,  dass 
Alberto  und  Mastino  im  Besitze  Parma's  vom  Papste  bestätigt 
wurden  ^).  Es  ist  bedauerlich,  dass  uns  alle  nähere  Kenntniss 
von  dieser  juristischen  Thätigkeit  Petrarca's  abgeht  und  dass 
wir  demgemäss  nicht  zu  beurtheilen  vermögen,  ob  die  Argu- 
mente, welche  Petrarca  zu  Gunsten  seiner  Clienten  vorbrachte, 
wirklich  sachlich  begründete  oder,  wie  man  vermuthen  möchte, 
vorwiegend  rhetorische  waren.  Grosse  Kunst  und  Gewandt- 
heit werden  jedenfalls  erforderlich  gewesen  sein,  um  die  An- 
sprüche der  Scaligeri  als  berechtigt  erscheinen  zu  lassen,  und 
wir  dürfen  demnach  annehmen,  dass  Petrarca  die  Schulen  der 
Juristen  von  Montpellier  und  Bologna  doch  nicht  ohne  allen  Erfolg 
besucht  hatte.  Dass  er  aber  durch  seine  Theilnahme  an  diesem 
Rechtshandel  sich  die  Gunst  der  Scaligeri  und  Correggi  ge- 
wann ,  w^ar  ebenso  natürlich ,  als  dass  späterhin  der  Bischof 
Ugolino  ihm  nicht  eben  freundlich  gesinnt  war  und  eine  grosse 
Abneigung  gegen  ihn  fasste,  welche  auch  ein  langer  entschul- 
digender Brief  des  Dichters  (Ep.  Fam.  IX  5)  nicht  zu  zer- 
stören vermochte.  Die  Missstimmung  Ugolino's  gegen  ihn 
musste  Petrarca  um  so  peinlicher  empfinden,  als  er  später, 
nachdem  er  geistliche  Würden  in  Parma  erhalten  hatte,  zu 
demselben  in  ein  amtliches  Yerhältniss  trat  und  in  ihm  seinen 
directen  Vorgesetzten  anzuerkennen  hatte. 

Mit  Azzo  di  Correggio  und  Guglielmo  da  Pastrengo  aber 
sehloss  Petrarca  damals  einen  dauernden  Freundschaftsbund 
und  es  erscheint  daher  angemessen,  einen  Blick  auf  die  Per- 
sönlichkeit dieser  beiden  Männer  zu  werfen.  Von  Azzo  di 
Correggio  werden  wir  im  Laufe  unserer  Erzählung  noch 
wiederholt  sprechen  müssen  und  werden  dabei  Gelegenheit 
haben,  zu  sehen,  wie  er  im  politischen  Leben  eine  mindestens 
sehr  zweideutige,  jedenfalls  aber  sehr  abenteuerliche  Rolle 
spielte,  in  deren  Verlaufe  es  ihm  gelang,  sich  der  Herrschaft 
über  Parma  zu  bemächtigen  und  dieselbe  mehrere  Jahre  hin- 

1)  Ep.  Farn.  IX  5. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauchise.    101 

durch  zu  beliaupten.  Ein  günstiges  Urtheil  üßer  diesen  Mann 
zu  fällen,  welclior,  soweit  es  sich  ersehen  lässt,  in  seinem 
politischen  Handeln  einzig  von  dem  crassesten  Egoismus  sich 
leiten  Hess  und  jegliche  Moral  verhöhnte,  ist  vom  sittlichen 
Standpunkte  aus  unmöglich,  aber  nichtsdestoweniger  wird  man 
anerkennen  müssen,  dass  er  glänzende  Geistesgaben  besass 
und  im  Privatleben  manche  liebenswürdige  Eigenschaften  des 
Charakters  entfaltete,  denn  sonst  würden  das  reiche  Lob. 
welches  Petrarca  ihm  gespendet  ^),  und  die  treue  Freundschaft, 
welche  er  ihm  bewahrt  hat,  geradezu  unerklärlich  sein.  Mag 
man  immerhin  hierbei  auch  billig  in  Anrechnung  bringen, 
dass  Petrarca  für  so  manche  erwiesene  Wohlthat  Azzo  zu 
Dank  verpflichtet  gewesen  sei,  so  wird  man  doch  nimmermehr 
annehmen  dürfen ,  dass  er  mit  einem  gänzlich  unbedeutenden 
und  verächtlichen  Menschen  so  eng  sich  habe  befreunden 
können.  Wie  es  aber  geschehen  konnte,  dass  Petrarca  den 
Mangel  an  wahrer  Sittlichkeit  bei  dem  Freunde  so  gänzlich 
übersah,  das  wird,  hoffen  wir,  an  einem  anderen  Orte  sich  ge- 
nügend erklären.  Uebrigens  war  Azzo,  als  er  im  Jahre  1335 
zum  ersten  Male  nach  A\ignon  kam,  noch  Kleriker  und  ver- 
blieb auch  noch  mehrere  Jahre  hindurch,  mindestens  bis  1338, 
im  geistlichen  Stande  2),  trat  aber  später,  wir  wissen  nicht, 
wann  und  wie,  aus  demselben  aus  und  lebte  nun  ganz  nach 
Laienart,  wurde  auch  Gatte  und  Vater  mehrerer  Söhne.  Sein 
späteres  Leben  war,  wie  wir  schon  andeuteten,  ein  sehr  wechsel- 
volles, wie  das  so  vieler  der  kleinen  italienischen  Tyrannen 
damaliger  Zeit.  Nachdem  er  die  Herrschaft  über  Parma  ver- 
loren, lebte  er,  halb  Thronprätendent,  halb  politischer  Flüchtling, 
bald  an  dem  Hofe  der  Scaligeri  zu  Verona,  bald  an  dem  der 
Visconti  zu  Mailand,  immer  den  Träumen  eines  ruhelosen 
Ehrgeizes  sich  hingebend  und  kein  Mittel  zu  dessen  Befriedigung 


1)  vgl.  Ep.  Var.  19.  Ep.  poet.  lat.  TU  27.  v.  44—95  und  Cauzone  4. 
in  den  Rime  sopra  argomenti  storici  etc.  Bemerkt  muss  hierbei  werden, 
dass  Petrarca  die  gegen  Azzo  erhobene  schwere  Beschuldigung  eines  an 
Mastino  begangenen  Verrathes  für  unbegründet  erachtete,  vgl.  Ep.  Var.  19. 

-)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  526. 


102  Drittes  Capitel. 

scheuend,  aber  doch  selten  glückhch  in  der  Walil  seiner 
Mittel.  So  führte  er  ein  unbefriedigtes  und  unruhiges  Dasein, 
zeitweilig  emporgetragen  von  den  Wogen  des  Glückes,  meist 
aber  versinkend  in  der  Fluth  des  Missgeschickes,  bis  zu  seinem 
wahrscheinlich  im  Jahre  1362  ^)  erfolgten  Tode.  Mit  Recht 
konnte  Petrarca  sein  Buch  „über  die  Heilmittel  gegen  Glück 
und  Unglück"  gerade  diesem  Manne  widmen,  denn  in  höherem 
Grade  als  er  hat  kaum  Jemand  die  Launen  und  Wechselfälle 
des  Geschickes  erprobt.  Azzo  erscheint  uns  als  ein  Vorläufer 
jener  hochbegabten  und  eigenartigen,  zugleich  aber  durch  und 
durch  unsittlichen  oder  vielmehr  jedes  sittlichen  Bev.usstseins 
entbehrenden  Renaissancemenschen,  als  deren  vollendetster 
und  zugleich  abschreckendster  Typus  ein  Cesare  Borgia 
gelten  kann. 

Ein  Mann  ganz  anderer  Art,  obwol  auch  bereits  von  der 
Renaissanceluft  angehaucht,  war  Azzo's  Begleiter  Guglielmo, 
gebürtig  aus  dem  Flecken  Pastrengo  im  Veronesischen  -).  Er 
war,  so  scheint  es  wenigstens,  eine  stille  und  friedliche  Ge- 
lehrtennatur, fast  nach  der  Art  der  späteren  sesshaft  gewordenen 
Humanisten.  Nachdem  er  eine  gute  Jugendbildung  empfangen 
und  unter  des  berühmten  Oldrado  da  Ponte  ^)  Leitung  juri- 
stischen Studien  obgelegen  hatte,  übernahm  er  das  Amt  eines 
Notars  und  Richters  zu  Verona  und  wurde  von  den  Scaligeri 
wiederholt  in  schAvierigen  Angelegenheiten  als  Gesandter  nach 
Avignon  geschickt.  Sonst  führte  er  in  Verona  ein  behagliches 
den  Wissenschaften  und  der  Famihe  —  denn  er  war  glücklicher 
Gatte  und  Vater  —  gewidmetes  Stillleben,  dem  er  sich  nur 
ungern  enti'eissen  liess,  so  dass  selbst  der  Gedanke,  zum 
Jubelfeste  1350  nach  Rom  zu  wallfahrten,  wozu  Petrarca  ihn 
mit  eindringlichen  Bitten  bestimmen  wollte^),  wenig  Ver- 
lockendes  für  ihn  hatte.    In  seiner  wissenschaftlichen  Thätig- 


')  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fani.  I  p.  531   ff. 

■-■)  vgl.  über  ihn  die  ausfülirliche  Notiz  bei  Tirabosclii,  V  p.  .534--540. 

")  vgl.  Tirabosclii,  V.  p.  .530  ff. 

^)  Ep.  poet.  lat.  III  34. 


Die  WandtTJalire  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauchise.   10/') 

keit  verfolgte  Guglielmo  eine  eucyklopädische  Richtung.  Ab- 
gesehen von  mehreren  kleineren  lexikalischen  Werken  verfasste 
er  ein  Verzeichniss  der  profanen  und  kirchlichen  Schriftsteller 
aller  Zeiten  und  Völker,  also  ein  umfassendes  Schriftsteller- 
lexikon 1) ,  ein  Buch,  welches  selbstverständlich  lückenhaft  und 
unvollkommen  genug  ist,  für  die  damalige  Zeit  aber  jedenfalls 
hoch  verdienstlich  und  eine  bedeutende  Leistung  war. 

Das  Verhältniss  Petrarca's  zu  dem  veroneser  Gelehrten 
war  ein  sehr  vertrauliches.  Und  wie  hätte  das  auch  anders 
sein  können,  da  sie  beide  von  derselben  Liebe  zu  der  Litteratur 
des  classischen  Alterthums  beseelt  waren!  Im  Einzelnen 
mochten  freilich  Differenzen  genug  bestehen,  denn  allem  An- 
scheine nach  war  Guglielmo  eine  ebenso  real  als  Petrarca  eine 
ideal  angelegte  Natur,  aber  gerade  dies  mochte  sie  auch 
wieder  enger  an  einander  fesseln  und  das  Bewusstsein  in  ihnen 
erwecken,  dass  sie  sich  einander  trefflich  ergänzten.  Wenn 
Guglielmo  in  Avignon  oder  Petrarca  in  Verona  weilte,  haben 
sie  gewiss  genussvolle  Stunden  eines  regen  und  fruchtbaren 
Gedankenaustausches  verlebt  und  zugleich  heiterer  Lust  nicht 
vergessen.  Gar  anschaulich  schildert  Petrarca  in  einer  reizen- 
den poetischen  Epistel  ^)  einen  gemeinsam  mit  dem  Freunde 
im  lieblichen  Vaucluse  verbrachten  Tag,  wie  sie  auf  dem 
Rasendamme  oberhalb  des  klaren  Flusses  sassen,  Gespräche 
pflegend  über  die  Dichter  der  Vorzeit,  wie  sie  dann  in  trau- 
licher Unterhaltung  die  abendliche  ^lahlzeit  verlängerten  bis 
zum  Hereinbruch  der  Nacht,  wie  er  den  Freund  bis  zum  Aus- 
gange des  Thaies  geleitete  und  wie  er  endlich  auf  dem  'Rück- 
Avege  Gugliehno's  schöner  Geliebten  begegnete,  die  gewiss 
nur  in  der  Hoffnung  den  Freund  noch  zu  sehen  zu  so  später 
Stunde  an  den  Quell  gegangen  war.  Waren  aber  beide  Freunde 
von  einander  getrennt,  so  unterhielten  sie  einen  regen  Brief- 
wechsel, und  sehr  beträchtlich  ist  die  Anzahl  der  noch  erhaltenen 


^)  betitelt  „de  viris'  illustiibus"  oder  (weniger  gut)  „de  origine  rerum" 
und   unter  letzterem  Titel  von  Michelangiolo  Biondo  edirt  (Venedig  1547) 
■-)  Ep.  poet.  lat.  III  3. 


104  Drittes  Capitel. 

Briefe  Petrarca'«  an  Guglielrao  ^).  Einen  Beweis  hohen  Ver- 
trauens gab  Petrarca  dem  Freunde  auch  dadurch,  dass  er  ihm 
die  sittliche  Ausbildung  seines  Sohnes  übertrug  ^). 

Die  Früchte  der  mit  Azzo  und  Guglielmo  geschlossenen 
Freundesbündnisse  sollten  für  Petrarca-  indessen  erst  später 
reifen.  Vorläufig  lebte  er  nach  der  Abreise  der  neu  ge- 
wonnenen Freunde  in  der  gewohnten  "Weise  zu  Avignon  weiter 
und  es  lässt  sich  bis  zu  der  am  Ende  des  folgenden  Jahres 
(1336)  unternommenen  Romfahrt  höchstens  ein  bedeutenderes 
Ereigniss  seines  Lebens  hervorheben. 

Ungefähr  fünf  Meilen  in  nordwestlicher  Richtung  von 
Avignon  in  der  Nähe  der  kleinen  Stadt  Malaucene  erhebt  sich 
der  Mont  Ventoux,  ein  im  weiten  Umkreise  sichtbarer  bis  zu 
einer  Höhe  von  ungefähr  6225  Fuss^)  steil  ansteigender  Berg. 
Diesen  zu  ersteigen,  war  von  Jugend  auf  Petrarca's  Wunsch 
gewesen.  Hatte  er  doch  im  Livius  gelesen,  wie  König  Philipp 
von  Macedonien  Thessaliens  höchsten  Berg,  den  Mons  Haemus. 
erstieg,  von  dessen  Gipfel  aus,  wie  man  glaubte  und  wie  auch 
Pomponius  Mela  versichert,  sowol  das  adriatische  als  auch  das 
schwarze  Meer  erblickt  werden  konnte.  Sollte  ihm  nicht  der 
Mont  Ventoux  eine  ähnliche  Aussicht  in  die  weite  Ferne  ge- 
währen ?  und,  auch  abgesehen  hiervon,  musste  es  ihn  nicht  mit 
erhebendem  Gefühle  beseelen,  auf  einem  hochragenden  Gipfel 
zu  stehen,  den  seit  Menschengedenken  keines  Sterblichen  Fuss 
betreten  hatte?  Endlich,  am  26.  April  1336,  unternahm 
Petrarca  die  Ausführung  des  seit  Jahren  gehegten  Planes*). 
Lange  hatte  er  hin  und  her  erwogen,  wen  er  wol  als  Gefährten 
für    die    abenteuerliche  Fahrt    erwählen    sollte.     Keiner    der 


1)  Ep.  Fam.  IX  15.  16.  XIII  3.  XXII  11.  Var.  13.  30.  35.  Ep.  poet. 
lat.  II  19.  III  3.  III  11.  III  12.  III  20.  III  34. 

2)  Ep.  Fam.  XIII  3. 

•^)  vgl.  von  Klöden,  Handbuch  der  Erdkunde  (1861),  II  p.  346. 

*)  vgl.  über  diese  ganze  Episode  Petrarca's  ausführliche  Erzählung 
Ep.  Fam.  IV  1.  Nicht  recht  erklärlich  ist  es,  wie  Petrarca  die  beschwer- 
liche Bergbesteigung  an  einem  Tage  unternehmen  und  am  Abende  noch 
Zeit  und  Kraft  zur  Abfassung  eines  langen  Briefes  finden  konnte. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  105 

Freunde  dünkte  ihm  geeignet,  denn  einem  Jeden  schien 
irgend  eine  der  für  das  Wagniss  erforderlichen  Eigenschaften 
zu  mangeln.  Schliesslich  erkor  er  seinen  Bruder  Gherardo 
allein  zum  Begleiter.  So  machten  sich  denn  die  beiden  Brüder 
auf  den  Weg.  Am  Fusse  des  Berges  trafen  sie  einen  alten 
Hirten,  der  ihnen  dringend  von  der  Besteigung  abrieth,  er- 
zählend, wie  auch  er  einst  in  seiner  Jugend  sie  unternommen, 
aber  nichts  weiter  als  Aerger  über  die  gehabte  Anstrengung 
und  von  Dornen  und  Gestrüpp  zerfetzte  Kleider  und  Glieder 
zurückgebracht  habe.  Die  jungen  Männer  hörten  natürlich 
nicht  auf  seine  gut  gemeinte  Warnung  und,  nachdem  sie  sich 
von  ihm  über  den  einzuschlagenden  Weg  hatten  unterrichten 
lassen,  begannen  sie,  die  Höhe  zu  erklimmen.  Schwierig  und 
mühsam  war  der  Aufstieg  auf  den  ungebahnten  felsigen  Pfaden 
und  mehr  als  einmal  entschwand  ihnen  der  Muth ,  doch  der 
Ehrgeiz  wehrte  die  Rückkehr  vor  erreichtem  Ziele,  sie  drangen 
immer  von  Neuem  vorwärts  und  endlich  gelangten  sie  glück- 
lich auf  den  höchsten  Gipfel,  der  im  Volksmunde  als  „das 
Söhnlein"  bezeichnet  zu  werden  pflegte,  während  er  doch  — 
bemerkt  Petrarca  —  im  Gegentheile  wegen  seiner  alle  andern 
Gipfel  überragenden  Höhe  der  „Vater'-  der  umliegenden  Berge 
hätte  genannt  werden  sollen. 

Diese  Besteigung  eines  massig  hohen  Berges,  von  welcher 
Jemand,  der  sie  heute  unternähme,  nicht  das  mindeste  Auf- 
heben machen  würde,  während  Petrarca  sie  in  einem  langen 
Briefe  an  Dionisio  da  Borge  San  Sepolcro  höchst  pathetisch 
erzählt,  mag  auf  den  ersten  Blick  als  ein  völlig  bedeutungs- 
loses und  kaum  der  Erwähnung  würdiges  Ereigniss  erscheinen, 
und  doch  würde  nichts  irriger  sein  als  ein.e  solche  Betrachtungs- 
weise. Petrarca's  Besteigung  des  Mont  Ventoux  war  vielmehr 
eine  kühne  und  —  man  erlaube  den  hier  anscheinend  sinnlosen, 
Ausdruck!  —  eine  epochemachende  That,  welche  für  sich 
allein  schon  hinreichen  würde,  ihm  ein  Anrecht  auf  den 
Ehrennamen  des  ersten  modernen  Menschen  zu  verleihen. 

In  unseier  Gegenwart  reisen  Jahr  aus  Jahr  ein  viele 
Tausende  und  Abertausende  von  Menschen  hinaus  in  die  Ferne, 


106  Drittes  Capitel 

um  sich  an  den  Naturwundern  der  Alpenwelt  oder  an  der 
Anmuth  lieblicher  Flussthäler  oder  an  den  Reizen  ernster 
Waldlandschaiten  oder  heiterer  Rebengelände  zu  erfreuen 
und  zu  erfrischen.  Diese  Freude  aber  an  der  Schönheit 
der  Erde,  diese  Empfänglichkeit  für  die  landschaftlichen  Reize 
der  Natur,  mit  einem  Worte  dies  lebendige  und  tiefe  malerische 
Naturgefühl  ist  eine  durchaus  moderne  Empfindung,  welche 
dem  Mittelalter  völlig  fremd  war  und  wol  auch  dem  Griechen- 
und  Römerthume,  in  seiner  Blüthezeit  ^)  wenigstens,  nahezu 
fremd  gewesen  ist.  Kein  mittelalterlicher  Mensch  hat,  so  viel 
wir  wissen,  je  eine  Reise  unternommen,  um  den  Anblick 
schöner  Landschaften  zu  gemessen,  oder  einen  Berg  erstiegen, 
um  sich  an  der  malerischen  Fernsicht  zu  erfreuen.  Nicht 
freilich  eines  jeden  Naturgefühles  haben  die  Menschen  des 
Mittelalters  entbehrt,  aber  es  war  dasselbe  ein  eng  begrenztes, 
es  beschränkte  sich,  um  es  kurz  auszudrücken,  auf  Natur- 
erscheinungen und  erstreckte  sich  nicht  auf  Natur  b  i  1  d  e  r. 
In  den  lieblichsten  Tönen  und  oft  mit  ergreifender  Wahrheit 
der  Empfindung  haben  die  mittelalterlichen  Dichter  das  Er- 
wachen der  Natur  im  Frühling  und  ihr  Dahinsterben  im 
Herbste  besungen .  aber  Landschaftsbilder  zu  zeichnen  haben 
sie  nicht  versucht  und,  wenn  sie  es  doch  nothgedrungen,  um 
den  Schauplatz  irgend  einer  Handlung  zu  charakterisiren, 
hier  und  da  einmal  wagten,  da  sind  sie  über  dürftige  und 
monotone  Skizzen  nicht  hinausgekommen  ^).  Aehnliches  muss 
von  der  bildenden  Kunst  des  Mittelalters  gesagt  werden.  Hier 
löst  sich  die  Landschaft,  wenn  sie,  was  selten  genug  geschieht, 
Gegenstand  der  Darstellung  wird,  in  zusammenhangslose 
Einzelheiten  auf,  sie  wird  in  keine  von  einer  Idee  durchdrungene 

^)  Das  spätere  Griechen-  und  Römerthum  (Alexandrinisclie  Zeit, 
römische  Kaiserzeit)  dagegen  zeigt  auch  in  dieser  wie  in  so  vielen  anderen 
Beziehungen  bereits  völlig  moderne  Culturzustände,  vgl.  die  anziehend  ge- 
schriebene Abhandlung  von  W.  Röscher  „das  tiefe  Naturgefühl  der  Griechen 
und  Römer  in  seiner  historischen  Entwickeluug '  im  Programm  der  Meissener 
Fürstenschule  vom  Jahre  1875. 

-)  vgl.  A.  V.  Humboldt,  Kosmos  II  p.  33  ff.  (in  der  Cotta'schen  Ausg. 
von  1847). 


Die  Wanderjahi-e  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   107 

Totalität  zusamiiieiigefasst,  sie  ist  immer  nur  Staffage,  nie 
Selbstzweck :  dem  mittelalterlichen  Menschen  fehlte  eben 
der  Sinn  für  das  Malerische  der  Landschaft  und  er  musste 
ihm  fehlen,  denn  besitzen  kann  ihn  nur,  wer  in  solchem  Grade 
von  dem  naiven  Leben  in  der  Natur  sich  losgelöst  hat,  dass 
er  die  Sehnsucht  nach  der  Rückkehr  zu  demselben  empfindet 
und  in  dieser  Sehnsucht  die  Landschaft  poetisch  als  eine 
Einheit  zu  erfassen  und  zu  verklären  vermag.  Solche  Sehnsucht 
aber  kennt  weder  wer  so  ganz  in  und  mit  der  Natur  lebt  wie 
der  Landbewohner  des  Mittelalters  noch  auch  wer  so  hermetisch 
von  der  freien  Natur  sich  abschliesst  wie  der  hinter  Wall 
und  Mauer  sich  bergende  Bewohner  der  mittelalterlichen 
Städte,  sondern  es  kennt  sie  nur  wer  zwar  durch  den  Ein- 
fluss  hochgestiegener  Cultur  dem  Naturleben  entfremdet  ist, 
aber  doch  wenigstens  die  ideale  Möglichkeit  der  Rückkehr 
zu  demselben  besitzt.  Empfänglichkeit  für  die  Schönheit 
der  Landschaft  kann  bei  demjenigen  nicht  vorhanden  sein, 
der  mit  der  Landschaft  gewissermassen  verwachsen  und  selbst 
ein  Bestandtheil  derselben  geworden  ist,  und  ebenso  wenig 
natürlich  bei  demjenigen,  der  sich  systematisch  absperrt  von 
der  Natur  und  mit  Behagen  sich  einpfercht  in  künstliche 
Schranken,  sondern  nur  bei  dem,  welcher  zwar  iiuch  innerhalb 
solcher  künstlichen  Schranken  lebt,  aber  dies  Leben  als  einen 
Zwang  empfindet,  dem  er  sich,  in  der  Phantasie  wenigstens, 
durch  die  Rückflucht  zur  Natur  zu  entziehen  sucht.  Der 
naive  Naturmensch  besitzt  nur  Empfänglichkeit  für  die  elemen- 
taren Naturerscheinungen,  von  denen  ja  mehr  oder  weniger 
sein  körperliches  Wohlbefinden  beeinÜusst  wird:  das  Toben 
des  Gewittersturmes  erfüllt  ihn  mit  schaudernder  Bewunderung, 
dem  Nahen  des  rauhen  Winters  sieht  er,  wenn  im  Herbst  die 
Blätter  fallen  und  die  Nebel  steigen,  mit  banger  Schwermutli 
entgegen,  die  Wiederkehr  des  milden  blüthenreichen  Lenzes, 
dem,  wie  er  weiss,  der  warme  früchtespendende  Sommer  folgen 
wird,  begrüsst  er  mit  jauchzender  Freude.  Die  Landschaft 
aber  an  sich  lässt  ihn  kalt  und  interessirt  ihn  höchstens  in 
so    weit,    als   sie  etwa  in   Beziehungen  zu   dem   elementaren 


108  Drittes  Capitel. 

Naturlebeu  steht.  So  wird  er  beispielsweise  den  Wald  nicht 
um  desswillen  lieben,  weil  in  ihm  das  freie  Laben  und  Weben 
der  Natur  am  unverhülltesten  sich  kundgibt  und  noch  weniger, 
weil  derselbe  aus  ästhetisch  schönen  Bäumen  und  Baumgruppen 
sich  zusammensetzt,  sondern  nur  weil  er  im  Sonnenbrande  den 
willkommenen  Schatten  spendet  und  weil  in  seinen  wechselnden 
Erscheinungsformen  die  Wandelungen  der  Jahreszeiten  den 
sinnfälligsten  Ausdruck  finden.  Das  Malerische  in  der  Natur 
und  speciell  in  der  Landschaft  kann  eben  nicht  von  dem 
naiven,  sondern  nur  von  dem  sentimentalen  Standpunkte  der 
Naturbetrachtung  aus  empfunden  und  gewürdigt  werden.  Die 
sentimentale  Naturbetrachtung  aber  ist  nur  möglich  in  Zeiten 
einer  hohen  zur  Uebercivilisation  sich  hinneigenden  Civilisation, 
in  denen  die  Menschen,  der  Unnatur  künstlich  complicirter 
Lebensverhältnisse  überdrüssig,  sich  in  natürlich  einfache 
Lebensbedingungen  zurückzuversetzen  streben  und  in  diesem 
Streben  die  Natur  ästhetisch  betrachten  und  poetisch  verklären. 
Die  Landschaft  wird  für  den  Menschen  erst  dann  malerisch  schön, 
wenn  er  beginnt,  die  Städte  einförmig-hässlich  zu  finden.  Das 
aber  geschieht,  wie  gesagt,  nur  auf  hohen  Culturstufen  und 
auch  auf  diesen  nur  dann,  wenn  der  Zusannnenbruch  einer 
alten  Culturform  und  der  Aufbau  einer  neuen  nahe  bevorsteht 
und  von  den  Völkern  instinctiv  geahnt  wird.  Es  ist  als  ob 
sich  dann  die  Menschen  in  ihren  alten,  reich  geschmückten 
Städten  unbehaglich  und  beengt  fühlten,  als  ob  sie  ihre  feste 
Heimath  verloren  hätten  und  nun  von  dunkelm  Wanderdrange 
ergriffen  in  die  freie  Natur  hinausgetrieben  würden ,  um  sich 
in  ihrem  Schoosse  zu  einer  Neugeburt  und  einem  neuen  Cultui- 
leben  vorzubereiten  und  zu  verjüngen. 

Petrarca ,  den  Gipfel  des  Mont  Ventoux  ersteigend ,  um 
sich  der  schön,en  Aussicht  zu  erfreuen,  erscheint  als  der 
Apostel  einer  neuen  Zeit:  er  verkündet  —  freilich  ohne  es 
zu  wollen  noch  zu  wissen  —  den  Untergang  einer  alten  und 
den  Aufgang  einer  neuen  Cultur.  Es  mag  sicherlich  höchst 
paradox,  um  nicht  zu  sagen  absurd  klingen,  wenn  man  sagt : 
Petrarca    that  durch   seine   Bergbesteigung   etwas   Aehnliches 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   109 

wie  Luther  durcli  die  Verbrennung  der  päpstlichen  Bannbulle, 
aber  nichtsdestoweniger  besitzt  ein  solcher  Vergleich  die 
innere  Berechtigung,  denn  beide  Ereignisse  bezeichnen  die 
Ausgangspunkte  ganz  neuer  Denk-  und  Anschauungsweisen, 
beide  sind  Grenzsteine  in  der  Geschichte  der  inneren  Ent- 
wickelung  des  Menschengeschlechtes.  Als  selbstverständlich 
wird  hierbei  natürlich  vorausgesetzt,  dass  Luther,  der  mit 
vollem  Bewusstsein  von  der  Tragweite  seines  Schrittes  und 
mit  höchster  persönlicher  Aufopferung  handelte,  die  ganz 
ungleich  grössere  That  vollführt  hat. 

Von  dem  Plateau  des  Mont  Ventoux  aus  überschaute  Pe- 
trarca eine  weit  ausgedehnte  Landschaft:  zur  Rechten  die 
Höhenzüge  von  Lyon,  zur  Linken  das  Meer  von  Marseille  und 
das  einige  Tagereisen  weit  entfernte  Aiguesmortes,  auch  der 
Pthonefluss  zeigte  sich  seinen  Blicken.  Da,  auf  diesem  hoch- 
ragenden Gipfel  und  im  Genüsse  dieser  weiten  Umschau,  kam 
ihm  der  Gedanke,  die  Confessionen  des  heiligen  Augustin, 
v\'elche  er  in  dem  ihm  von  Dionisio  da  Borgo  San  Sepolcro  zu 
Paris  geschenkten  kleinen  Exemplare  immer  bei  sich  trug,  auf 
das  Geradewohl  aufzuschlagen.  Er  that  es  und  vermöge  eines 
seltsamen  Zufalles  fiel  sein  Blick  auf  folgende  Stelle  des  achten 
Capitels  im  zehnten  Buche :  „Und  es  gehen  die  Menschen  hin, 
um  die  Höhen  der  Berge  und  die  gewaltigen  Fluthen  des 
Meeres  und  die  breiten  Betten  der  Ströme  und  den  Umkreis 
des  Oceans  und  die  Bahnen  der  Gestirne  zu  bewundern, 
während  sie  ihr  eigenes  Innere  nicht  der  Betrachtung  für 
werth  halten."  Hatte  er  sich  schon  vorher  sentimentalen  Be- 
trachtungen hingegeben  und  mit  Wehmuth  sich  dessen  er- 
innert, dass  er  gerade  an  diesem  Tage  vor  zehn  Jahren  Bologna 
verlassen  und  seitdem  des  Lebens  schönste  und  kräftigste 
Jahre,  eitlem  Streben  und  thörichter  Leidenschaft  hingegeben, 
bereits  durchmessen  habe,  so  mussten  diese  so  merkwürdig 
auf  die  augenblickliche  Situation  passenden  Worte  ihn  zu  er- 
neuter Selbstprüfung  und  erbaulicher  Betrachtung  anregen  und, 
erfüllt  vom   frommen  Vorsatze,    fortan    eines   ernsteren  gott- 


110  Drittes  Capitel. 

gefälligeren  Lebenswandels  sich  zu  befleissigen,  trat  er  den 
Rückweg  an. 

Es  ist  das  ein  ganz  eigenthümliches  Bild:  Petrarca  auf 
der  Höhe  des  Mont  Ventoux  versunken  in  halb  sentimentale, 
halb  religiöse  Betrachtungen,  halb  ein  vom  Weltschmerz  an- 
gehauchter moderner  Tourist,  halb  ein  im  bedingungslosen 
Glauben  sein  Seelenheil  suchender  mittelalterlicher  Asket.  Die 
seltsame  Doppelstellung  des  grossen  Mannes,  der  auf  der 
Grenzscheide  zweier  innerlich  grundverschiedener  Zeitalter 
steht  und  beiden  gleichzeitig  angehört,  zeichnet  sich  scharf 
in  diesem  Bilde  ab.  So  spiegelt  sich  in  anscheinend  kleinen 
Ereignissen  der  Geist  der  Zeiten.  — 

Auf  der  Höhe  des  Mont  Ventoux  hatte  Petrarca  den 
Blick  sehnsuchtsvoll  nach  der  Himmelsrichtung  schweifen 
lassen,  in  welcher  jenseits  schneebedeckter  Alpen  sein  geliebtes 
Vaterland  Italien  lag.  Eher,  als  er  vielleicht  selbst  zu  hoffen 
gewagt  hatte,  sollte  sein  Sehnen  Befriedigung  finden:  bereits 
am  Ende  noch  desselben  Jahres  1336  ^)  konnte  er  die  schon 
seit  länger  als  drei  Jahren  geplante  Reise  nach  Rom  an- 
treten. 

Den  äusseren  Anlass  zu  dieser  Reise  gab  jedenfalls  eine, 
vermuthlich  von  den  erforderlichen  Geldmitteln  begleitete. 
Einladung  des  seit  1333  in  Rom  weilenden  Bischofs  Giacomo 
Colonna  von  Lombes.  Leicht  aber  ist  einzusehen,  wesshalb 
Petrarca  dieser  Einladung  freudig  entsprach.  Rom  zu  schauen, 
das  war  ja  für  ihn,  den  für  das  römische  Alterthum  bis  zur 
Schwärmerei  Begeisterten,  von  Jugend  auf  der  sehnlichste 
Wunsch  gewesen.  Er,  der  erste  Humanist,  empfand  ebendie- 
selbe Sehnsucht  nach  dem  Anblick  der  ewigen  Stadt  und  ihrer 
Wunder,  welche  seitdem  alle  humanistisch  Gebildeten  in  sich 
gefühlt  haben,  und  es  musste  seine  Sehnsucht  um  so  grösser 
sein,  als  für  ihn,  den  Italiener,  den  —  wie  er  meinte  — 
directen  Nachkommen  der  alten  Römer,  mit  der  humanistischen 


^)  Zeitbestimmung  nach  Ep.  poet.  lat.  I  7.   Ep.  Farn.  II  9.  VIII 1.   XI 1. 
vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  391  ft'. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   Hl 

Begeisterung  für  Rom  patriotischer  Stolz  sich  verband,  „Wenn 
Seneca  —  so  schreibt  er  kurz  vor  seiner  Abreise  dem  Freunde 
Giacomo  1)  —  freudig  jubelte,  dass  es  ihm  vergönnt  war,  in 
der  Villa  des  Scipio  Africanus  zu  weilen,  und  es  für  nichts 
Geringes  hielt,  den  Ort  geschaut  zu  haben,  an  welchem  ein  so 
grosser  Mann  in  der  Verbannung  gelebt  hatte  —  wenn  er, 
der  Spanier,  so  dachte,  was  soll  da  ich  als  Italiener  empfinden  ? 
Soll  ich  doch  bald  nicht  nur  Linternum  oder  des  Scipio  Gral), 
sondern  die  Stadt  Rom  selbst  schauen,  wo  Scipio  das  Licht 
der  Welt  erblickt  und  als  Kind  gelebt,  wo  er  als  Sieger  und 
als  Angeklagter  mit  gleichem  Ruhme  triumphirt  hat.  wo  ausser 
jenem  Einen  unzählige  andere  grosse  Männer  gelebt  haben, 
deren  Namen  ewig  dauern  werden.  Jene  Stadt  soll  ich  schauen, 
welcher  keine  jemals  gleich  kam  noch  gleich  kommen  wird  und 
die  auch  von  dem  Feinde  die  Stadt  der  Könige  genannt 
ward."  In  diesen  acht  humanistisch-modernen  Enthusiasmus 
aber  für  das  antike  Rom  mischt  sich  —  und  wir  erkennen 
hier  wieder  Petrarca's  eigenartige  aus  mittelalterlichen  und 
modernen  Elementen  sich  zusammensetzende  Doppelnatur  — 
eine  kaum  geringere  religiös-mittelalterliche  Begeisterung  für 
das  christliche  Rom,  für  die  Stadt,  welche  „den  Himmel  auf 
Erden  darstellt,  welche  mit  den  heiligen  Gebeinen  der  Märtyrer 
besät  und  mit  dem  kostbaren  Blute  der  Wahrheitszeugen  be- 
sprengt ist^)." 

Indessen  nicht  nur  diese  Doppelsehnsucht  nach  Rom, 
sondern  auch  noch  ein  anderes  Motiv  trieb  Petrarca  an,  die  weite 
Reise  zu  unternehmen.  Seit  er  in  Paris  dem  Pater  Dionisio 
da  Borge  San  Sepolcro  gebeichtet  hatte,  kämpfte  er  einen 
schweren  Kampf  in  seinem  Innern,  um  die  von  ihm  als  sündig 
erkannte  Liebe  zu  Laura  aus  seinem  Herzen  zu  bannen,  doch 
dem  qualenreichen  Ringen  der  Seele  fehlte  der  Sieg,  so  lange 
er  in  der  Geliebten  Nähe  weilte  und  ihrer  schönen  Augen  süsser 
Blick  ihn   trotz  seines  Widerstrebens  in   immer  neue  Fesseln 


')  Ep.  Fam.  II  9. 
■2)  ibid. 


112  Drittes  Capitel. 

schlug  ').  Was  blieb  ihm  da  übrig,  als  die  schon  von  Ovid  ^) 
für  solchen  Nothfall  angerathene  Flucht?  So  beschloss  er  denn, 
um  Laura' s  Zauberbanne  sich  zu  entziehen,  in  die  Ferne  zu 
flüchten,  und  leichter  mochte  der  schmerzliche  Entschluss  ihm 
werden,  da  es  ihm  vergönnt  ward,  sein  geliebtes  Rom  zum 
Orte  seines  Exiles  zu  erwählen. 

Welchen  Weg  nach  Rom  Petrarca  für  seine,  wie  bereits 
bemerkt,  jedenfalls  in  den  letzten  Tagen  des  Jahres  1336  be- 
gonnene Reise  sich  erkor,  lässt  sich  mit  Sicherheit  nicht  be- 
stimmen. Vermuthlich  jedoch  war  es  der  Seeweg  von  Mar- 
seille nach  Civitä  Yecchia,  welcher,  zumal  in  der  winterlichen 
Jahreszeit,  die  Vortheile  der  Kürze  und  der  relativ  grösseren 
Bequemlichkeit  darbot;  es  würde  diese  Vermuthung  zur  Ge- 
wissheit sich  steigern,  wenn  die  gewöhnliche  und  an  sich  recht 
glaubhafte  Annahme,  dass  die  beiden  Sonette  „l'aspetto  sacro 
della  terra  vostra"  und  „ben  sapev'  io  che  natural  consiglio", 
auf  dieser  ersten  Romreise  gedichtet  worden  seien,  wirklich 
bewiesen  werden  könnte. 

Wie  dem  auch  sein  mag,  jedenfalls  in  den  ersten  Tagen 
des  Jahres  1337  betrat  Petrarca  die  italienische  Küste,  jedoch 
reiste  er,  vermuthlich  weil  dies  bei  der  Unsicherheit  der  Wege 
unrathsam  war,  nicht  direct  nach  Rom  weiter,  sondern  ver- 
weilte längere  Zeit  in  Capranica  bei  dem  edlen  Grafen  Orso 
deir  Anguillara,  der  mit  Agnes,  einer  Tochter  des  alten  Stefano 
Colonna,  vermählt  war^).  Es  war  Capranica  zwar  ein  kleiner 
Ort  ohne  alle  eigene  Bedeutung,  aber  er  war  in  einer  ebenso 
malerischen  als  fruchtbaren  Landschaft  gelegen  und  umgeben 
von  altberühmten  Stätten:  nur  zwei  Meilen  entfernt  lag  Sutri, 
das  alte  Sutrium,  der  Ceres  Lieblingsstadt,  in  deren  Nähe  einst 
in  grauer  Vorzeit  Saturn  das  erste  Kornfeld  sprossen  liess. 
nicht  weit  davon  ragte  auch  der  Soracte  empor,  den  Horaz 
besungen  und  in  dessen  W^aldungen   dann   später   der  Papst 


0  vgl.  Ep.  poet.  lat.  I  7  v.  58—63. 

•-)  Ovid.  Remed.  Am.  v.  212  ff. 

^)  Dies  und  das  Nächstfolgende  nach  Ep.  Farn.  II  12  und  13  erzählt. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauduse.  113 

Sylvester  I.  als  Einsiedler  gelebt  hatte,  nicht  fern  davon  lag 
endlich  auch  der  Bergwald  Ciminus ,  dessen  Virgil  gedenkt  ^), 
mit  seinem  See.  Gern  mochte  Petrarca  dies  an  romantischer 
Schönheit  und  historischen  Erinnerungen  so  reiche  Land  durch- 
streifen, aber  er  sollte  hier  auch  die  trübste  Schattenseite 
damaligen  italienischen  Lebens  kennen  lernen,  die  zum  alltäg- 
lichen Zustande  gewordene  Friedlosigkeit.  Er  sollte  sehen, 
wie  der  Hirt  mit  den  Waffen  seine  Heerde  gegen  Räuber  mehr 
als  gegen  Wölfe  schützen  musste,  wie  der  Pfiüger  den  Panzer 
trug  und  statt  mit  dem  Stachel  die  Stiere  mit  dem  Speere 
antrieb,  wie  der  Vogelsteller  die  Netze  mit  dem  Schilde  deckte 
und  wie  der  Fischer  am  Schwerte  die  Angelschnur  befestigte, 
wie  eben  Alle  beständig  unter  den  Waffen  standen;  Nachts  aber 
vernahm  er  fortwährend  die  Allarmrufe  der  Wächter  auf  den 
Wällen  der  Burg:  Alles,  was  er  schaute  und  hörte,  mahnte  ihn 
daran ,  dass  in  diesem  Lande  der  Krieg  und  Hass  fest  ge- 
Avurzelt  und  verewigt  seien.  Unter  solchen  Verhältnissen 
mochte  ihm,  wenn  er  auch  persönlich  ungefährdet  und  furcht- 
los war,  der  Aufenthalt  in  Capranica  trotz  des  Grafen  Orso 
liebenswürdiger  Gastlichkeit  wenig  lockend  scheinen  und,  nach- 
dem er  gegen  drei  Wochen  dort  hatte  zubringen  müssen,  be- 
grüsste  er  gewiss  mit  herzlicher  Freude  seinen  Freund,  den 
Bischof  Giacomo,  als  dieser  am  26.  Januar  kam,  um  ihn  nach 
Rom  zu  geleiten.  Eine  Schaar  von  zweihundert  Reitern,  be- 
fehligt von  Giacomo's  ältestem  Bruder  Stefano,  sollte  die 
Reisenden  gegen  die  Angriffe  schützen,  welche  man  von  Seiten 
der  feindlichen  Orsini  zu  befürchten  hatte. 

Wir  wissen  leider  nicht,  an  welchem  Tage  Petrarca  zu- 
erst einzog  in  die  ewige  Stadt,  welche  vier  Jahre  später  der 
Schauplatz  seines  höchsten  Triumphes  werden  sollte.  Da  der 
Aufenthalt  in  Capranica  sich  noch  mehrere  Tage  über  den 
26.  Januar  hinaus  erstreckt  zu  haben  scheint  2),  so  darf  man 
wol  vermuthen,  dass  die  Ankunft  in  Rom  nicht  vor  den  ersten 


^)  Verg.  Aen.  VII  697. 

~)  vgl.  den  Schluss  von  Ep,  Fam.  II  13, 

Körting,  Petrarca . 


114  Drittes  Capitel. 

Tagen  des  Februar  stattfand  ^).  Der  erste  der  uns  erhaltenen 
von  Rom  aus  geschriebenen  Briefe  Petrarca's  (Ep.  Fam.  II  14) 
trägt  das  Datum:  „an  den  Iden  des  März,  auf  dem  Capitole", 
woraus  indessen  keineswegs  geschlossen  werden  darf,  dass 
Petrarca  etwa  auf  dem  Capitole  selbst  und  nicht,  wie  höchst 
wahrscheinlich,  im  Palaste  des  alten  Stefano  Colonna  gewohnt 
habe  ^j.  Es  wird  eben  dies  Datum  nur  als  Ausfluss  einer  ro- 
mantischen Laune  zu  betrachten  sein,  die  ihn  antrieb,  auf  der 
geweihten  Stätte  des  Capitols  einen  Brief  zu  schreiben  oder 
doch  zu  unterschreiben. 

Der  Cardinal  Giovanni  hatte  befürchten  zu  müssen  ge- 
glaubt, dass  Petrarca's  Begeisterung  für  Rom  erlöschen  würde, 
wenn  er  die  in  Trümmern  liegende  Stadt  selbst  erblicken  und 
sie  so  gar  nicht  seinem  aus  der  Leetüre  der  classischen  Autoren 
gebildeten  Ideale  gleichend  finden  würde.  Doch  das  Gegen- 
theil  geschah.  Petrarca  fand  alle  seine  Erwartungen  über- 
troffen und  begeistert  schi'ieb  er  dem  avignonesischen  Freunde 
in  dem  oben  erwähnten  Briefe  (Ep.  Fam.  II  14),  er  habe  aller- 
dings vorher  selbst  befürchtet ,  durch  den '  Anblick  Roms 
schmerzlich  enttäuscht  zu  werden,  nun  aber  erscheine  ihm  in 
der  Wirklichkeit  doch  Alles  noch  gTösser  und  herrlicher,  als 
er  es  sich  vorgestellt  habe,  und  nicht  mehr  bewundere  er, 
dass  der  Erdkreis  von  dieser  Stadt  überwunden  worden,  sondern 
nur,  dass  dies  erst  so  spät  geschehen  sei. 

Blind  freilich  war  Petrarca  keineswegs  gegen  den  trüb- 
seligen Zustand,  in  welchem  er  die  einst  weltbeherrschende 
Stadt  erblickte.  Konnte  er  doch  vermöge  seiner  grossen  Ver- 
trautheit mit  der  römischen  Litteratur  gerade  am  besten  den 
ungeheueren  Abstand  zwischen  Gegenwart  und  Vergangenheit 
ermessen,  konnte  doch  gerade  er  am  vollständigsten  die 
einstigen  Prachtbauten  aufzählen,  welche  schon  damals  ent- 
weder ganz   vom  Boden  verschwunden  oder  nur  in  kläglichen 


')  Gregorovius,  a  a.  0.  VI  p.  20-5  gibt  den  14.  Januar  1337  als  Datum 
der  Ankunft  Petrarca's  in  Rom  an,  während  doch  die  Abreise  von  Capra- 
nica  keinesfalls  vor  dem  26.  Januar  erfolgt  ist. 

')  vgl.  Gregorovius,  a.  a.  0.  p.  206  Note  1. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   115 

Trümmern  noch  vorhanden  waren  ^)!  Er  vermochte  es  gewiss 
am  tiefsten  und  schmerzlichsten  zu  empfinden,  wie  unsäglich 
jammervoll  es  war,  dass  römische  Adlige  sich  nicht  entblödeten, 
mit  den  Ruinen  der  grossen  Stadt,  mit  Marmorsäulen,  Tempel- 
schwellen und  Grabstatuen,  einen  schimpflichen  Handel  zu 
treiben  und  sie  nach  Neapel  hin  zu  verschachern,  wo  man 
damals  die  Reste  des  Alterthums  besser  zu  würdigen  ver- 
stand ^).  So  klagt  er  denn  auch  an  vielen  Stellen  seiner 
Werke  über  Roms  traurigen  Verfall  und  der  Römer  indolente 
Gleichgültigkeit  gegen  die  Geschichte  und  den  Ruhm  ihrer 
eigenen  Stadt  2)  und  versucht  seinen  Einfiuss  bei  römischen 
Adligen  dahin  geltend  zu  machen,  dass  wenigstens  weiterem 
Verfalle  gesteuert  und  auf  die  Erhaltung  der  Ruinen  Bedacht 
genommen  werde  '^). 

Petrarca  liebte  aber  auch  die  verfallene  Stadt  mit  dem 
ganzen  Enthusiasmus  eines  Humanisten  und  der  ganzen  Be- 
geisterung eines  gläubigen  Katholiken.  Für  ihn  verschmolz 
sich  in  Rom  das  heidnische  Alterthum  und  die  christliche 
Gegenwart  zu  einem  grossartigen  Gesammtbilde :  auf  den 
Schwingen  der  Phantasie  Hess  er  sich  in  die  ferne  Vergangen- 
heit zurücktragen  und  schwelgte  in  dem  Bewusstsein,  welt- 
historische Luft  zu  athmen,  auf  den  Fittigen  des  frommen 
Glaubens  versetzte  er  sich  zurück  in  die  Heroenzeit  des 
Christenthums ,  deren  Schauplatz  Rom  gewesen,  und  Hess 
sich  beseeligen  von  dem  Gefühle,  so  vielen  hochheiligen  Stätten 
nahe  zu  sein.  Er  theilte  die  Empfindungen,  mit  denen  vor 
ihm  in  den  langen  Jahrhunderten  des  Mittelalters  so  viele 
glaubensvolle  Pilger  den  römischen  Boden  betreten  hatten 
und  empfand  nicht  weniger  lebhaft  das  halb  freudige  halb 
wehmüthige  Entzücken,  mit  welchem  nach  ihm  bis  zur  gegen- 
wärtigen Stunde  so  viele  begeisterte  Freunde  des  Alterthums 
die    ewige   Stadt   durchwandelt   haben.      Man  mag  immerhin 

^)  Petrarca  gibt  eine  solche    sehr  interessante  Aufzählung   in  Remed. 
utr.  fort.  I  118. 
■^)  Ep.  Var.  48. 

^)  z.  B.  Ep.  poet.  lat.  II  13  v.  43  ff.,    Ep.  Fam.  XV  7.    Ep.  Var.  48. 
*)  vgl.  z.  B.  Ep.  poet.  lat.  II  13. 


116  Drittes  Capitel. 

über  diese  seltsame  Mischung  seiner  Gefühle  lächeln,  man 
mag  es  höchst  naiv  finden,  wenn  in  seinen  wiederholten  Schil- 
deningen Roms  ')  antike  und  christliche  Reminiscenzen  unver- 
mittelt neben  einandergestellt  sind  —  der  Ruhm  muss  ihm 
doch  un])estritten  verbleiben,  dass  er  Rom  zuerst  mit  moder- 
nem Auge  betrachtet,  dass  er  in  ihm  nicht  bloss  die  Stadt 
der  Apostelgräber  und  der  Märtyrer,  auch  nicht  allein,  wie 
Dante  -),  die  Hauptstadt  des  idealen  Weltkaiserreichs,  sondern 
auch  und  vor  allen  Dingen  die  Entwickelungsstätte  der  römi- 
schen Cultur,  die  grossartigste  Erscheinungsform  antiken 
Lebens  und  Denkens  und  die  durch  unzählige  classische  Tra- 
ditionen und  Denkmale  für  alle  Zeiten  geweihte  Stadt  verehrt 
hat.  Die  Pilger  des  Mittelalters  waren  an  den  Ruinen  Roms 
mit  geheimem  Grausen  vorüljergegangen ,  hatten  sich  von 
ihnen  seltsam  thörichte  Fabeln  erzählt  und  für  die  Werke 
von  Dämonen  und  Zaulierern  sie  gehalten  — ,  Petrarca  ver- 
scheuchte den  finstern  Spuck  und  sah  zuerst  in  diesen  Ruinen 
die  ehrwürdigen  Reste  und  Zeugen  einer  grossen  Vergangen- 
heit, einer  untergegangenen  wunderbaren  Cultur.  Nun  erst 
ward  eine  historische  und  künstlerische  Betrachtung  dessen 
möglich,  was  an  Bau-  und  Bildwerken  des  elassischen  Alter- 
thums  noch  erhalten  war  und  nun  erst  nach  erlangter  Mög- 
lichkeit einer  vollen  und  ganzen  Erkenntniss  der  Grösse 
und  Schönheit  des  elassischen  Alterthums  konnte  die  theil- 
weise  Neugeburt  desselben,  konnte  die  Renaissance  erfolgen. 

Allerdings,  Petrarca  schaute  Roms  Ruinen  nur  mit  be- 
wundernden, nicht  mit  künstlerisch  gebildeten  oder  gar  kri- 
tischen Augen  an,  er  war  in  seinBr  Betrachtung  durchaus  nur 
Humanist  und  Nichts  lag  ihm  ferner,  als  irgend  welche  Kunst- 
studien anzustellen  und  die  Gesetze  des  Schönen  zu  ei-forschen, 
ja  man  darf  wol  selbst  behaupten  —  wir  werden  später  hierauf 
ausführlicher  zurückkommen  müssen  — ,  dass  er  ein  tieferes 
Interesse  und  Verständniss  für   die  bildende  Kunst  nicht  be- 


^)  z.  B.  Ep.  Farn.  II  9.    VI  2.  IX  13. 

■^)  Convito,  IV  c.  5  p.  259—264  ed.  Fraticelli  (besonders  wichtig  sind 
die  Schlussworte  des  Capitels). 


I 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   117 

sass^),  aber  nichtsdestoweniger  muss  er  als  Urheber  auch 
der  Renaissance  der  Kunst  betrachtet  werden,  denn  wie  wäre 
diese  möglich  gewesen  ohne  das  Zurückgehen  auf  die  Bau- 
und  Bildwerke  des  Alterthums,  deren  wirkliches  Verständniss 
eben  er  zuerst  erschloss?  Das  eben  ist  ja  die  wunderbare 
Gabe  wahrhaft  grosser  Männer,  dass  sie  bei  weitem  nicht 
allein  durch  Lehre  und  Beispiel,  sondern  durch  ihr  ganzes 
Wesen  und  Dasein,  selbst  durch  ihre  Schwächen  befruclitend 
auf   ihre   Zeit    und   noch    auf   die   ferne    Zukunft   ein\yirken. 

Der  Begleiter  Petrarca'«  auf  den  Wanderungen  durch  die 
römischen  Trümmerstätten  war  Giovanni  Colonna  di  San  Vito, 
Herr  von  Gensano,  ein  Bruder  des  alten  Stefano  Golonua-). 
Diesen  Mann,  der  vielseitige  Kenntnisse,  auch  des  römischen 
Alterthumes,  besass  und  auf  ein  sehr  bewegtes  Leben  zurück- 
schaute —  er  hatte  in  seiner  Jugend,  vor  dem  Zorn  des 
Papstes  Bonifaz  VIIL  fliehend,  Aegypteu,  Persien  und  Arabien 
durchirrt^)  —  hatte  Petrarca  bereits  in  Avignon  kennen  ge- 
lernt und  sich  seines  anregenden  Umganges  erfreut,  wie  er 
denn  auch  späterhin  mit  ihm  in  freundschaftlichem  Verkehre, 
der  durch  eine  Reihe  erhaltener  Briefe  noch  jetzt  bezeugt 
wird*),  verblieb,  bis,  vermuthlich  im  Jahr  1343^),  der  Tod 
den  in  seinen  letzten  Lebensjahren  von  Körperleiden  und  Miss- 
muth  gequälten  *^)  und  in  ein  Mendicantenkloster  zu  Tivoli  ein- 
getretenen Colonnesen  den  Wechselfällen  des  irdischen  Daseins 
entriss. 

ZuAveilen  begleitete  auch  der  greise  Stefano  Colonna,  ein 
Mann,  in  welchem  die  Kraft  und  der  hochherzige  Heldensinn 
des    alten  Roms   neu  aufgelebt  zu   sein   schien  •),    in  eigener 


^)  vgl.  Remed.  utr,  fort.  I.    diai.  40  und  41. 

-)  vgl.  Ep.  Farn.  VI  2. 

•")  Ep.  Farn.  VI  3,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  367  f. 

*)  Ep.  Fam.  II  5.  6.  7.  8.    III  13.   VI  2.  3.  4. 

°)  vgl,  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  67. 

«)  Ep.  Fam.  VI  3. 

'•)  „vir  cuilibet  antiquorum  par"  Epist.  ad  post.  p.  6,  .,ex  cineribus 
veterum  renatus  phoenix"  Ep.  Sen.  X  2.  vgl.  Trionfo  della  fama  II  v.  162  f. 
und  Remed.  utr.  fort   I  dial.  35. 


118  Drittes  Capitel. 

Person  seinen  Gastfreund,  dem  er  mit  der  Liebe  eines  Vaters  zu- 
gethan  war  ^).  Es  mag  ein  eigenartiger,  tief  poetischer  Anblick 
gewesen  sein,  wenn  der  damals  in  der  Blüthe  männlicher  Jugend 
stellende  Petrarca  an  der  Seite  des  alten,  aber  noch  rüstigen 
Kriegshelden  die  römischen  Ruinenfelder  durchwanderte.  Wie 
mag  der  Colonnese,  der  eine  dunkle  Ahnung  von  Roms  einstiger 
Grösse  und  instinctive  Bewunderung  für  dieselbe  besass,  ge- 
lauscht haben ,  wenn  Petrarca  mit  beredtem  Worte  ihm  die 
Ruinen  deutete  und  ihm  erzählte  von  den  grossen  Thaten 
römischer  Vorzeit !  Und  wie  mag  wieder  Petrarca  bewundernd 
hingeblickt  haben  auf  die  vom  Alter  ungebrochene  Helden- 
gestalt seines  Wirthes  und  gewähnt  haben,  dass  ein  Marius 
oder  Pompejus  leibhaftig  vor  seinen  Augen  stehe!  —  Eines 
Abends  in  schon  später  Stunde  durchwanderten  sie  auch  so  die 
öden  Strassen  ^).  Dort,  wo  die  vom  colonnesischen  Palaste  zum 
Capitole  führende  Strasse  gekreuzt  wird  von  jener,  die  von 
den  Bergen  zum  Camillusbogen  und  weiterhin  zum  Tiber  nieder- 
steigt, blieben  sie  stehen  und  begannen,  an  ein  Mannorgrab- 
mal  sich  lehnend ,  ein  ernstes  Gespräch.  Der  alte  Stefano 
zürnte  seinem  Sohne,  dem  Bischöfe  Giacomo,  weil  dieser  es 
gewagt  hatte,  des  Vaters  unchristliche  Streit-  und  Fehdelust 
zu  rügen,  und  Petrarca  benutzte  nun  die  stille  Abendstunde, 
um  den  Greis  zu  bereden,  dem  Sohne  Verzeihung  zu  ge- 
währen und  dadurch  einen  unerquicklichen  Familienzwist  zu 
enden.  Stefano  willigte  ein,  indem  er  betheuerte,  dass  er 
selbst  Nichts  sehnlicher  wünsche,  als  seine  alten  Tage  in  Frieden 
verbringen  zu  können,  dass  er  jedoch  duich  den  Zwang  äusserer 
Verhältnisse  immer  und  immer  wieder  genöthigt  werde,  die 
W^ äffen  zu  ergreifen ;  dann  im  weiteren  Laufe  der  Unterredung 
that  er.  wie  von  prophetischem  Geiste  beseelt,  den  merkwür- 
digen Ausspruch,  er  sehe  voraus,  dass  er  der  Ordnung  der 
Natur  zuwider  alle  seine  Söhne  überleben  werde.  Und  er 
sollte  nur  allzu  wahr  gesprochen  haben!  er  überlebte,  selbst 
ein  Alter  von  beinahe  hundert  Jahren  erreichend,  wirklich  alle 

^)  Epist.  ad  post.  p.  6. 

^)  Die  ganze  folgende  Erzählung  nach  Ep.  Farn.  VIII  1. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Yaucluse.   119 

seine  sieben  Söhne:   zuerst  starb,    1341,  der  Bischof  Giacomo, 
zuletzt,  im  Sommer  1348,  der  Cardinal  Giovanni, 

Wie  lange  Petrarca  in  Rom  verweilte,  lässt  sich  nicht  mit 
Bestimmtheit  angeben.  Allzu  lange  kann  es  indessen  nicht 
gewesen  sein,  denn  in  einem  von  Avignon  aus  an  seinen  Freund 
Tommaso  Caloria  gerichteten  Brief),  der  das  Datum  des 
18.  August  (nach  Fracassetti's  Annahme  des  Jahres  1337) 
trägt,  berichtet  er  selbst,  dass  er  zwei  Tage  vorher,  also  am 
16.  August,  von  einer  weiten  Eeise  nach  Avignon  zurück- 
gekehrt sei. 

Auch  über  den  Weg,  welchen  Petrarca  für  seine  Rück- 
reise wählte,  fehlen  uns  bestimmte  Angaben.  Fast  scheint  es 
ein  seltsam  weiter  gewesen  zu  sein.  In  dem  eben  erwähnten 
Briefe  an  Tommaso  nämlich  erzählt  Petrarca,  dass  er,  des  ge- 
wohnten Aufenthaltortes  (Avignon)  und  der  daselbst  herrschenden 
Sitteulosigkeit  überdrüssig  und  von  der  Begierde.  Vieles  zu 
sehen,  getrieben,  Länder  und  Meere  durchschweift  habe  und 
sogar  bis  zu  den  Grenzen  der  Erde  vorgedrungen  sei,  bis 
ihn  die  grausame  Nothwendigkeit  zu  der  vor  zwei  Tagen  er- 
folgten Rückkehr  in  die  (avignonesische)  Heimath  veranlasst 
habe.  Ausführlicher  noch  spricht  er  von  einer  weiten  Reise, 
welche  er,  um  den  Fesseln  der  Liebe  zu  Laura  sich  zu  ent- 
reissen,  bis  in  den  fernsten  Westen  und  Norden  unternommen 
habe,  in  jenem  merkwürdigen  an  den  Bischof  Giacomo  ge- 
richteten Briefe ''),  in  welchem  er  die  Geschichte  seiner  Liebe 
erzählt.  „Unstät  durchirre  ich"  —  sagt  er  hier  —  „den 
ganzen  Erdkreis,  wage  die  stürmischen  Wellen  der  adriatischen 
und  tuscischen  See  zu  durchfurchen  und  scheue  mich  nicht, 
dies  dem  Joche  der  Liebe  entrissene  Haupt  der  gebrechlichen 
Barke  anzuvertrauen,  denn  warum  sollte  ich  einen  vorzeitigen 
Tod  fürchten,  der  ich  durch  Seelenqualen  erschöpft  und  des 
Lebens  müde  bin?  Nach  dem  Westen  wende  ich  mich  und  es 
erblickte   mich .    den   im  sonnigen  Grase  sich  bergenden .    der 


1)  Ep.  Farn.  lU  2. 

•-)  Ep.  poet.  lat.  I  7  v.  65—80. 


120  Drittes  Capitel. 

hochragende  Scheitel  des  Pyrenäengebirges;  es  erblickte  mich 
auch  der  Ocean  dort,  wo  der  von  seiner  Bahn  ermattete 
Sonnengott  den  Feuerwagen  abspült  in  der  hesperischen  Fluth 
und  wo  er,  herabschauend  auf  den  durch  der  Medusa  Anblick 
zu  Stein  verhärteten  Atlas,  die  steilen  Berggipfel  lange  Schatten 
werfen  lässt  und  die  Mauren  in  eilender  Nacht  verbirgt.  Von 
hier  wandere  ich  dem  Norden  und  dem  Boreas  zu  und  durch- 
wandle einsam  jene  Länder,  erfüllt  von  misstönender  Sprachen 
Gewirr,  wo  des  britannischen  Meeres  trübe  Welle  nur  erst 
halb  bekannte  Küsten  mit  wechselnder  Woge  bespült  und  wo 
der  eisige  Boden  dem  befreundeten  Pfluge  den  Gehorsam  ver- 
sagt und  den  Weinstock  von  den  Hügeln  fern  hält."  Wenn  wir 
glauben  könnten,  dass  diese  und  die  vorher  erwähnten  Stellen 
buchstäblich  zu  verstehen  seien,  so  müssten  wir  annehmen, 
dass  Petrarca  die  Meerenge  von  Gibraltar  durchfahren  habe, 
dann  auf  dem  atlantischen  Oceane  bis  an  die  englischen  odei' 
doch  bis  an  die  England  gegenüberliegenden  französischen 
Küsten  gereist  und  von  dort,  quer  durch  Frankreich,  auf  dem 
Landwege  nach  Avignon  zurückgekehrt  sei,  und  zwar  müssten 
wir  unbedingt  annehmen,  dass  diese  grosse  Reise  im  Sommer 
des  Jahres  1337,  also  von  Rom  aus,  stattgefunden  habe,  denn 
den  späteren  Lebensgang  Petrarca's  vermögen  wir  zu  genau 
zu  verfolgen,  als  dass  darin  ein  leerer  Raum  für  eine  so  weite 
Fahrt  sich  auffinden  liesse.  Wir  können  uns  indessen  überhaupt 
nicht  entschliessen,  an  eine  solche  seltsame  Reise  Petrarca's  zu 
glauben,  denn  äussere  und  innere  Gründe  scheinen  uns  da- 
gegen zu  sprechen.  Petrarca  kam,  wie  wir  sahen  ^),  jedenfalls 
nicht  vor  den  ersten  Tagen  des  Februar,  möglicherweise  aber 
noch  später,  in  Rom  an  und  ganz  gewiss  ist  sein  Aufenthalt 
daselbst  kein  allzu  kurz  bemessener  gewesen,  sondern  hat  sich 
sicherlich  über  mehrere  Monate  erstreckt.  Wie  sollte  Petrarca 
auch  die  Gelegenheit  nicht  wahrgenommen  haben,  sein  geliebtes 
Rom  sich  allseitig  zu  beschauen,  da  er  dies  als  Gast  der  ihm  so 
freundlich  gesinnten  Colonna  doch  gewiss  mit  aller  Behaglich- 

*j  vgl.  S.  lu. 


Die  Wandeijahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  121 

keit  und  aller  Sorgen  ledig  thiin  konnte?  ^lan  wir(l  schwer- 
lich fehl  gehen,  ja  vermiithlich  noch  zu  niedrig  greifen,  wenn 
man  die  Dauer  seines  Aufenthaltes  in  Rom  auf  mindestens 
drei  Monate  veranschlagt  und  seine  Abreise  von  Rom  etwa 
auf  Anfang  Mai  ansetzt.  Es  blieben  demnach,  wenn  er 
wirklich  bereits  am  16,  August  wieder  in  Avignon  ,eintraf,  nur 
etwa  weitere  drei  Monate  für  seine  Rückreise  verfügbar.  War 
es  nun,  muss  man  fragen,  bei  den  damaligen  noch  sehr  wenig 
entwickelten  Communicationsmitteln  möglich ,  in  verhältniss- 
mässig  so  kurzer  Zeit  eine  so  weite  Reise  zu  unternehmen, 
welche  selbst  heute  trotz  Dampfboot-  und  Eisenbahnverbindungen 
eine  ununterbrochene  Fahrt  von  mindestens  zehn  Tagen  er- 
fordern würde?  Und  es  ist  hierbei  doch  auch  zu  bedenken, 
dass  Petrarca,  wenn  er  wirklich  eine  solche  Reise  unternommen 
haben  sollte,  doch  ganz  gewiss  nicht  unablässig  sich  zu  Schilf 
oder  Wagen  oder  Ross  vorwärts  bewegen ,  sondern  auch  in 
seiner  Begierde ,  Vieles  zu  sehen ,  an  einzelnen  interessanten 
Orten  kürzere  oder  längere  Zeit  verweilen  wollte.  Wir  meinen 
also,  dass  innerhalb  des  beschränkten  Raumes  eines  Viertel- 
jahres —  und  möchten  es  auch  einige  Monate  mehr  gewesen 
sein  —  die  Ausfühmng  einer  derartigen  Reise  physisch  un- 
möglich war.  Es  kommt  überdies  noch  ein  innerer  Gegengrund 
in  Betracht.  Hätte  Petrarca  diese  weite  Seefahrt,  welche  nach 
damaligen  Begriffen  gewiss  dieselbe  Bedeutung  besessen  haben 
würde,  wie  etwa  heute  eine  Reise  nach  West-  oder  Ostindien, 
wirklich  unternommen,  wäre  es  da  nicht  mehr  als  auffallend, 
ja  geradezu  unerklärlich,  dass  er  dieser  Reise,  der  auf  ihr  ge- 
machten Beobachtungen  und  der  durch  sie  empfangenen  Ein- 
drücke in  seinen  Werken  mit  Ausnahme  der  beiden  erwähnten 
sehr  allgemein  gehaltenen  Stellen  nie  gedenkt,  während  er  so 
manchen  unbedeutenden  Ausflug,  so  manche  kleine  Landparthie 
ausführlich  beschreibt? 

Wir  glauben  demnach  zu  der  Annahme  berechtigt  zu  sein,, 
dass  diese  angeführten  Brieffragmente  nicht  buchstäblich  zu 
verstehen  seien.  Eine  buchstäbliche  Auffassung  des  letzt- 
genannten  derselben   würde  uns  überdies  zu  den  seltsamsten 


122  Drittes  Capitel. 

Schlüssen  führen,  so  müssten  wir  z.  B.  gestützt  auf  die  Worte 
„ich  wage  die  stürmischen  Wellen  des  adriatischen  und  tus- 
cischen  Meeres  zu  durchfurchen'^'  ^)  eine  ganz  sinnlose  Reise- 
route Petrarca' s,  die  ihn  von  Rom  aus  zunächst  in  das  adria- 
tische  Meer  und  dann  aus  diesem  wieder  in  das  tyrrhenische 
geführt  \m\^e,  annehmen,  und,  wollten  wir  den  Satz  „ich 
durchwandle  einsam  die  Länder,  wo  der  eisige  Boden  den 
Weinstock  von  den  Hügeln  fernhält",  so  müssten  wii-  sogar 
glauhen,  dass  Petrarca  über  die  Zone  des  Weinbaues,  welche 
sich  im  Mittelalter  bekanntlich  viel  weiter  nördlich  als  heut  zu 
Tage  erstreckte^),  hinausgekommen  sei;  auch  würden  wir 
nicht  recht  erklären  können,  wie  es  möglich  war,  dass  er,  ob- 
wol  er  die  Meerenge  von  Gibraltar  durchfuhr,  doch  „im  An- 
gesicht des  hochragenden  Scheitels  des  Pyrenäengebirgs  in  das 
sonnige  Gras  sich  lagern"  konnte. 

Gewiss  will  der  in  der  erwähnten  poetischen  Epistel  ge- 
gebene Reisebericht  nichts  Anderes  besagen,  als  dass  Petrarca 
nach  damaligen  Begriffen  weit  gen  Westen  und  Norden  vor- 
gedrungen sei,  eine  einfache  Thatsache,  welche  nach  Dichter- 
braueh  mit  hochtönenden  Hyperbeln  verhüllt  und  verbrämt 
wird.  Petrarca  mag  wirklich  einerseits  bis  zur  spanischen  und 
andererseits  bis  in  die  Nähe  der  englischen  Küste  gelangt  sein 
und  mit  dichterischer  Phantasie  gestaltete  er  daraus  Fahrten 
nach  dem  fernsten  Westen  und  Norden  und  mochte  sich  viel- 
leicht wirklich  selbst  mit  dem  Gedanken  schmeicheln,  den 
Atlas  und  die  britannischen  Inseln  von  ferne  erblickt  zu  haben. 
Ist  doch  in  solcher  Beziehung  Leuten  von  lebhafter  Einbildungs- 
kraft gar  Vieles  möglich,  zumal  wenn  ihre  geographischen 
Vorstellungen  nicht  sonderlich  exacte  sind.  Nichts  aber  zwingt 
uns  Petrarca's  weitestes  Vordringen  nach  Westen  und  Norden 
als  auf  ein  und  derselben  Reise  erfolgt  zu  betrachten,  denn 
der  Ausdruck  „von  hier  (hinc)"    in  der  poetischen  Epistel^), 


')  „Adriacas  Tuscasqiie  ausus  sulcare  procellas"  (v.  65\ 

-)  vgl.  Kordhoff,  der  vormalige  Weinbau  Norddeutschlan<!s.    Münster 
1877. 

'')  V.  76,  vgl.  die  Uebersetziuig  S.  120. 


Die  "Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   123 

durch  welchen  von  der  West-  zur  Nordreise  übergeleitet  wird, 
dient  doch  wol  nur  zur  stylistischen  Verbindung  und  kann 
unmöglich  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  aufgefasst  werden, 
weil  sonst,  da  ja  das  „hier"  streng  genommen  nur  den  Ort,- 
an  welchem  der  Sprechende  sich  befindet,  bezeichnen  kann, 
gefolgert  werden  niüsste,  dass  Petrarca  zur  Zeit  der  Abfas- 
sung der  Epistel  sich  noch  im  fernen  Westen  befunden  habe, 
was,  wie  aus  dem  Schlusstheile  derselben  hervorgeht,  durchaus 
unzulässig  ist. 

Sollte  nicht  vielleicht  in  Bezug  auf  die  in  Frage  stehen- 
den Reisen  Petrarca's  folgende  Auffassung  statthaft  sein?  Wir 
haben  oben  (S.  98)  gesehen,  dass  Papst  Benedict  XII.  Petrarca 
im  Jahre  1335  ein  Canonicat  zu  Lombes  verliehen  hatte.  Rück- 
sichten des  kirchlichen  Anstandes ,  vielleicht  auch  finanzielle 
Erwägungen  mochten  es  Petrarca  wünschenswerth  erscheinen 
lassen,  sich  einmal  persönlich  nach  Lombes  zu  begeben  und  von 
seiner  dortigen  Pfründe  Besitz  zu  ergreifen.  Bischof  Giacomo  hatte 
ihm  das  vielleicht  in  Rom  nahe  gelegt  und  ihm  zugleich  Auf- 
träge für  den  Clerus  seines  Sprengeis  ertheilt,  dem  er  ja  seit  nun 
bereits  vier  Jahren  entrückt  war.  So  entschloss  sich  denn  Pe- 
trarca —  meinen  wir  —  die  Reise  nach  Lombes  direct  von 
Rom  aus  anzutreten  und  wählte  hierfür,  vielleicht  eine  sich 
gerade  bequem  darbietende  Schiflfsgelegenheit  benutzend  und 
zugleich  seinem  Reisedrange  folgend,  den  Weg  über  Spanien, 
indem  er  nach  einem  catalonischen  Hafen,  vermuthlich  Barce- 
lona, überfuhr  und  dann  über  die  Pyrenäen  seinem  an  deren 
Nordabhange  gelegenen  Bestimmungsorte  zueilte,  von  wo  aus 
er  nach  Avignon  zurückkehrte.  Wir  erhalten  durch  diese  Hy- 
pothese ein  vernünftiges  Motiv  für  Petrarca's  Reise  nach  dem 
Westen,  zumal  der  Weg  von  Rom  über  Barcelona  nach  Lombes 
nicht  eben  sonderlich  weiter  sein  dürfte  als  derjenige  über 
Avignon  und  Toulouse  und  sich  gewiss  innerhalb  einiger  Monate 
bequem  zurücklegen  hess. 

Die  noch  zu  erklärende  Reise  nach  Norden  aber  ist,  glau- 
ben wir,  keine  andere  gewesen,  als  die  im  Jahre  1333  nach 
Paris,  den  Niederlanden  und  Niederdeutschland  unternommene, 


124  Drittes  Capitel. 

auf  welcher  ja  leicht  ein  Abstecher  nach  einem  an  dem  Canal 
gelegenen  Hafen  gemacht  worden  sein  kann.  Der  „an  den 
Küsten  des  britannischen  Oceans"  geschriebene  und  an  Tommaso 
Caloria  gerichtete  Briefe),  den  Fracassetti 2)  ohne  zwingen- 
den Grund  im  Jahre  1337  verfasst  worden  sein  lässt,  wäre 
dann  eben  bereits  im  Jahre  1333  geschrieben  worden,  was  recht 
wohl  möglich  ist,  da  der  in  diesem  Briefe  erwähnte  zweite 
Gesandtschaftsaufenthalt  des  Engländers  Richard  von  Bury  in 
Avignon  bereits  im  Beginne  des  Jahres  1333  stattgefunden 
hatte.  Dem  scheint  allerdings  zu  widersprechen,  dass  auch  die 
Erhebung  Richards  zur  Bischofswürde,  welche  erst  im  Decem- 
ber  1333  erfolgte  ^) ,  erwähnt  und  dass  der  doch  erst  im  Jahre 
1339  zum  offenen  Ausbruch  gelangte  Krieg  zwischen  England  und 
Frankreich  als  begonnen  und  noch  andauernd  geschildert  wird. 
Wollte  man  aber  hierauf  Gewicht  legen,  so  müsste  man  annehmen, 
dass  der  Brief  frühestens  im  Jahre  1340  verfasst  worden  sei  '^)  und 
das  ist  schon  um  desswillen  höchst  unwahrscheinlich,  als  Tommaso 
Caloria  bereits  im  Jahre  1341  starb  °).  Wir  werden  uns  eben  noth- 
gedrungen  entschliessen  müssen,  die  Anspielungen  auf  die  nach 
dem  Jahre  1333  fallenden  Zeitbegebenheiten  für  Zusätze  zu 
halten,  welche  Petrarca  bei  einer  späteren  Durchsicht  seiner 
Briefe  anbrachte,  zumal  uns  auch  der  ganze  in  Frage  stehende 
Brief  die  Spuren  einer  späteren  Ueberarbeitung  an  sich  zu 
tragen  scheint.  Wir  können  demnach  recht  wohl  diesen  Brief 
für  bereits  im  Jahre  1333  verfasst  erachten,  sobald  wir  nur 
annehmen,  wozu  wir  ein  volles  Recht  besitzen,  dass  die  Ge- 
stalt, in  welcher  er  gegenwärtig  vorliegt,  nicht  seine  ursprüng- 
liche ist. 

Noch   eine   Schwierigkeit   aber  scheint  entgegenzustehen. 
In  dem  von   Avignon  aus  am   18.  August   (nach  Fracassetti's 


')  Ep.  Farn.  III  1. 

2)  Lett.  fam.  I  p.  407  f. 

^)  vgl.  Fracassetti,  ibid. 

*)  Man  beachte  auch,  dass  der  Krieg  ein  „langwieriger  (diuturnum)" 
genannt  wird,  was,  besonders  nach  mittelalterlichem  Begriffe,  doch  füglich 
erst  nach  Verlauf  mehrerer  Kriegsjahre  geschehen  konnte. 

■•)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  262. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.   125 

Annahme  des  Jahres  1337)  an  Tommaso  Caloria  gerichteten 
Brief  nimmt  Petrarca  Bezug  auf  ein  ausführliches  Sehreiben 
das  er  von  „den  Grenzen  der  Erde"  aus,  von  welchen  er  erst 
vor  zwei  Tagen  zurückgekehrt  sei ,  an  den  Freund  gerichtet 
habe  ^).  Es  liegt  nahe,  diese  Worte  auf  den  unmittelbar  "voraus- 
gehenden Brief,  das  aber  ist  eben  der  an  den  Küsten  des 
britischen  Oceans  geschriebene ,  zu  beziehen ,  wonach  dann 
natürlich,  falls  Fracassetti's  Datirung  18.  August  1337  richtig 
ist,  Petrarca's  Aufenthalt  im  fernen  Norden  doch  in  das  Jahr 
1337  verlegt  werden  müsste.  Indessen  ist,  soviel  wir  sehen 
können,  die  Annahme  eines  so  engen  Verhältnisses  zwischen 
den  beiden  Briefen,  so  sehr  sich  diese  auch  an  sich  empfehlen 
möchte,  doch  durch  Nichts  unbedingt  geboten  und  es  steht 
kein  Grund  entgegen,  wesshalb  wir  nicht  die  betreffenden 
Worte  des  zweiten  Briefes  auf  einen  andern ,  uns  nicht  mehr 
erhaltenen  Brief,  der  im  Jahre  1337  etwa  von  Spanien  aus 
geschrieben  wäre,  beziehen  könnten,  denn  der  Ausdruck  „von 
den  Grenzen  der  Erde"  ist  ja  ein  ganz  unbestimmter  und 
würde  übrigens  weit  besser  von  Spanien,  dem  zu  Petrarca's 
Zeit  westlichsten  bekannten  Lande ,  als  von  den  Küsten  des 
britischen  Oceanes,  über  welche  hinaus  ja  eben  noch  Britannien 
lag  und  also  die  Erde  sich  noch  weiter  erstreckte,  verstanden 
werden. 

Wir  habeij  bisher  immer  an  Fracassetti's  Annahme  fest- 
gehalten, dass  der  Brief  vom  18.  August  im  Jahre  1337  ge- 
sehrieben worden  sei.  Es  muss  aber  schliesslich  bemerkt 
werden,  dass  diese  Annahme  eben  nur  auf  einer,  an  sich  aller- 
dings recht  wahrscheinlichen,  Vermuthung  beruht,  und  dass 
Nichts  uns  verbietet,  die  Abfassung  des  Briefes  ebenfalls  in 
das  Jahr  1333  zu  verlegen.  Petrarca  würde  ihn  dann  nach 
seiner  Rückkehr  von  der  nordischen  Reise,  welche  ja  ebenfalls 
im  Augustmonate  erfolgte  —  am  8.  August  schrieb  er  von 
Lyon  aus  dem  Cardinal  Giovanni  (vgl.  S.  96)  — ,  geschrieben 


^)  „ad  extrema  terrarum  me  voluptas  traxit  ...  et  cum  multa  inde  tibi 
scripserim  ..." 


126  Drittes  Capitel. 

haben  und  es  würde  damit  die  Beziehung  dieses  Briefes  zu 
dem  von  den  Küsten  des  britischen  Oceanes  aus  und  nach 
unserer  Meinung  ebenfalls  im  Jahre  1333  geschriebenen  wieder- 
hergestellt werden.  Freilich  würde,  falls  der  Brief  vom  IS.August 
wirkheh  schon  im  Jahre  1333  und  nicht  erst  1337  geschrieben 
worden  sein  sollte,  sich  das  Datum  der  Rückkehr  Petrar- 
ca's  nach  Avignon  nicht  auf  den  16.  August  1333  fixiren  lassen 
und  es  würde  damit  auch  das  eine,  auf  die  Beschränktheit  der 
verfügbaren  Zeit  sich  stützende  Argumenl,  welches  wir  gegen 
die  vermeintliche  grosse  Reise  vom  Jahre  1337  vorgebracht 
haben,  in  Wegfall  konunen,  ohne  dass  jedoch  dadurch  unsere 
Beweisführung  wesentlich  geschwächt  würde. 

Es  erscheint  angemessen,  die  bis  jetzt  gegebene  weit- 
läufige Auseinandersetzung  noch  einmal  in  ihren  wesentlichsten 
Punkten  kurz  zusammenzufassen. 

Die  Annahme,  dass  Petrarca  von  Rom  aus  im  Jahre  1337 
eine  weite  Seereise  durch  die  Äleerenge  von  Gibraltar  auf  dem 
atlantischen  Oceane  bis  an  die  Küsten  des  britischen  Meeres 
d.  h.  des  Canales  unternommen  habe,  stützt  sich  lediglich  auf 
eine  in  dem  von  Avignon  18.  August  datirten  Briefe  an  Tom- 
maso  Caloria  sich  findende  Stelle  und  auf  eine  andere  längei-e 
Stelle  in  einer  poetischen  Epistel  an  den  Bischof  Giacomo. 
Die  erstere  jedoch  verliert  —  abgesehen  davon,  dass  sie  nur 
ganz  allgemein  einer  Reise  bis  an  die  Grenzen  der  Erde  er- 
wähnt —  jede  Beweiskraft  dadurch,  dass  die  Abfassung  des 
Briefes  im  Jahre  1337  durchaus  nicht  strenge  bewiesen  werden 
kann.  Die  letztere  Stelle  ist  allerdings  bestimmter  gehalten, 
leidet  indessen  an  inneren  AYidersprüchen  und  ist  offenbar 
derartig  mit  poetischen  Hyperbeln  überladen,  dass  sich  aus  ihr 
Kichts  weiter  mit  Sicherheit  folgern  lässt,  als  dass  Petrarca  in 
westlicher  und  nördlicher  Richtung  weite  Reisen  unternommen 
hat.  Es  müssen  diese  Reisen,  da  wir  vom  Jahre  1338  ab 
Petrarca's  Lebensgeschichte  fast  Tag  für  Tag  verfolgen  können.. 
ohne  dass  wir  sie  verzeichnet  fänden,  vor  dem  Jahre  1338 
stattgefunden  haben,  doch  sind  wir  nicht  genöthigt  anzunehmen, 
dass  sie  unmittelbar  auf  einander  gefolgt  seien. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  127 

Es  ist  innerlich  durchaus  unwahrscheinlich,  dass  Petrarca 
im  Jahre  1337  eine  weit  ausgedehnte  Seereise  auf  dem  Oceaue 
unternommen  liabe,  da  er  einer  solchen  mit  Ausnahme  der 
eben  beleuchteten  Stelle  in  der  poetischen  Epistel  nirgends 
gedenkt,  ein  Umstand,  welcher  bei  der  sonstigen  Redseligkeit 
Petrarca's  über  die  Ereignisse  seines  Lebens  die  grösste  Be- 
weiskraft besitzt. 

Es  tritt  hierzu,  falls  der  Brief  vom  18.  August,  wie  Fra- 
cassetti  annimmt,  erst  im  Jahre  1337  verfasst  ist,  der  äussere 
Gegengrund ,  dass  dann  innerhalb  der  kurzen  Zeit ,  welche 
Petrarca  in  diesem  Falle  für  die  Piückkehr  übrig  geblieben  sein 
würde,  die  Ausführung  einer  weiten  Seereise  unter  den  da- 
maligen Verhältnissen  physisch  unmöglich  gewesen  sein  dürfte. 

Endlich  darf  auch  nicht  übersehen  werden,  dass  Petrarca 
bei  seiner  fast  krankhaften  Abneigung  gegen  Seereisen  wol 
kaum  gewagt  haben  würde,  eine  Fahrt  in  den  weiten  Ocean 
hinaus  zu  unternehmen. 

Wir  besitzen  demnach  keinen  einzigen  Beweis  für  eine  im 
Sommer  1337  unternommene  weite  Seereise  Petrarca's,  wol 
aber  drei  mehr  oder  weniger  beweiskräftige  Gegengründe.  Bei 
solcher  Sachlage  spricht  doch  gewiss  die  Wahrscheinlichkeit 
dafür,  dass  diese  Reise  eben  nicht  stattgefunden  hat. 

Andererseits  dagegen  kann  es  nicht  in  Zweifel  gezogen 
werden,  dass  Petrarca  für  die  damaligen  Verhältnisse  aus- 
gedehnte Reisen  in  nördlicher  und  westlicher  Richtung  unter- 
nommen hat.  Dass  er  namentlich  bis  zu  den  Küsten  des 
britischen  Meeres  vordrang,  wird  durch  den  von  dort  aus 
datirten  Brief  bewiesen,  nur  verlegen  wir  die  Abfassung  des- 
selben nicht,  wie  Fracassetti  will,  erst  in  das  Jahr  1337, 
sondern,  unter  der  statthaften  und  auch  bei  der  Fracassetti'- 
schen  Datirung  erforderlichen  Annahme  einer  späteren  Ueber- 
arbeitung,  in  das  Jahr  1333  und  glauben  also,  dass  Petrarca 
gelegentlich  seiner  grossen  Reise  nach  den  Niederlanden  auch 
die  Küsten  des  Ganais  erreicht  habe. 

Nach  Westen  drang  Petrarca  am  weitesten  vor.  als  er 
—  wie  wir   annehmen   zu   dürfen  glauben  —  sich  im  Sommer 


128  Drittes  Capitel. 

1337  von  Rom  zunächst  auf  dem  Seewege  nach  Barcelona  und 
sodann  über  die  Pyrenäen  nach  Lombes  begab,  um  von  seinem 
dortigen  Canonicate  Besitz  zu  ergreifen. 

Die  Meerenge  von  Gibraltar  aber  —  meinen  wir  —  hat 
Petrarca  nie  passirt  und  ebenso  wenig  hat  er  jemals  den  at- 
lantischen Ocean  befahren. 

Es  mag  gar  manchem  Leser  die  Mühe,  welche  wir  auf- 
gewandt haben,  um  dies  anscheinend  geringfügige  Ergebniss 
zu  erzielen,  als  eine  arge  Verschwendung  des  Ptaumes  er- 
scheinen und  ihn  vielleicht  selbst  an  die  kreissenden  Berge 
und  das  von  ihnen  geborene  Mäuslein  des  Horaz  erinnern. 
Wir  glauben  indessen  nicht,  dass  die  geführte  Untersuchung 
zwecklos  war,  denn  nicht  so  unwesentlich  dünkt  es  uns,  zu 
entscheiden,  ob  Petrarca  die  ihm  beigelegte  weite  Reise,  nach 
mittelalterlichen  Begriffen  beinahe  eine  Reise  um  die  Welt, 
wirklich  gemacht  habe  oder  nicht.  In  dem  ersteren  Falle. 
wenn  wir  wüssten,  dass  er  wirklich,  nur  um  Heilung  für 
seinen  Liebesschmerz  zu  suchen ,  planlos  hinausgefahren  sei  in 
ferne  Meere  und  zu  entlegenen  Küsten,  so  würden  wir  bei  dem 
grossen  Dichter  das  Vorhandensein  einer  sonst  an  ihm  unbe- 
kannten romantischen  Ueberspanntheit  constatiren  müssen,  und 
es  würde  das  eine  nicht  unwesentliche  Aenderung  unserer  Ge- 
sammtanschauung  von  seinem  Wesen  bedingen,  da  wir  sonst 
zu  glauben  und  zu  behaupten  geneigt  sind,  dass  er  wol  bis 
zur  modernen  Sentimentalität,  aber  nicht  bis  zur  hyper- 
modernen Bizarrerie  vorgedrungen  sei  und  dass  er  wol  die 
Melancholie,  aber  nicht  den  Spleen  gekannt  habe.  In  dem 
anderen  Falle,  wenn  wir  annehmen,  dass  Petrarca  sich  zur 
Erreichung  eines  reellen  Zweckes,  um  von  seinem  Canonicate 
Besitz  zu  ergreifen,  auf  dem  Seewege  von  Rom  aus  über 
Spanien  nach  Lombes  begeben  habe,  erscheint  er  uns  als  eben 
der  besonnene  und,  wenn  nöthig,  auch  praktisch  denkende 
Mann,  als  welcher  er  auch  sonst  sich  zeigt,  wobei  man  ja 
gern  der  Reiselust  und  selbst  dem  Liebesschmerze  einen  An- 
theil  an  seiner  Entschliessung,  den  weiteren  statt  des  näheren 
Weges  nach  Lombes  zu  wählen,  zugestehen  mag. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vauduse.    129 

Der  Zeitpunkt  der  Rückkehr  Petrarca's  nach  Avignon 
lässt  sich  nach  dem,  was  wir  oben  erörtert  haben,  nicht  genau 
bestimmen:  sie  erfolgte  am  16.  August,  falls  Fracassetti's 
Datirung  des  Briefes  vom  18.  August  richtig  ist,  während  wir 
sonst  lediglich  auf  Vermuthungen  angewiesen  sind  und  nur 
etwa  annehmen  dürften,  dass  sie  gewiss  noch  vor  Anbruch  der 
rauheren  Jahreszeit  stattgefunden  habe. 

Zurückgekehrt  aus  der  Wunder  weit  Roms  mochte  Petrarca 
an  dem  Aufenthalte  in  Avignon  weniger  als  jemals  Gefallen 
finden.  Konnte  doch  auch  kaum  ein  stärkerer  Contrast  gedacht 
werden  als  das  stille  Rom  und  das  lärmende  Avignon!  Rom. 
so  reich  an  den  grossartigsten  historischen  Erinnerungen  und 
Denkmalen,  so  recht  eine  Stadt  der  Vergangenheit,  einladend  zu 
idealen  Träumen  und  zum  Vergessen  einer  kleinlichen  Gegen- 
wart —  Avignon,  eine  Stadt  ohne  jede  bedeutende  Vorzeit, 
ganz  erfüllt  von  jenem  unruhvollen  wilden  Treiben,  wie  es 
Orten  eigen  ist,  welche,  ohne  durch  ihre  Vorgeschichte  oder 
ihre  geographische  Lage  dazu  prädestinirt  zu  sein,  plötzlich 
zu  Mittelpunkten  eines  regen  politischen  Lebens  erhoben 
werden.  Man  kann  sich  die  Unbehaglichkeit  des  Aufenthaltes 
im  damaligen  Avignon  leicht  vorstellen.  Die  Stadt,  bis  dahin 
eine  unbedeutende  und  überdies  durch  die  Albingenserkriege 
in  ihrem  Gedeihen  schwer  geschädigte  Provinzialstadt,  sah 
sieh  so  zu  sagen  über  Nacht  zur  kirchlichen  Welthauptstadt  er- 
hoben und  vermochte  natürlich  den  äussei'en  Anforderungen 
an  eine  solche  nur  im  unvollkommensten  Maasse  zu  genügen. 
Die  Tausende  und  Abertausende  von  Menschen ,  welche  zu 
dauerndem  oder  zeitweiligem  Aufenthalte  in  die  päpstliche 
Residenz  zusammenströmten,  mussten  sich  auf  kleinem  Räume 
zusammendrängen  und  dadurch  alle  stark  bevölkerten  Orten 
eigene  Schattenseiten  um  so  schroffei-  hervortreten  lassen. 
Schon  daraus  erkläi't  sich  zur  Genüge,  dass  eine  zur  Beschau- 
lichkeit und  Sentimentalität  sich  neigende  Natur,  wie  diejenige 
Petrarca's,  in  solcher  Umgebung  sich  nicht  wohl  zu  fühlen  ver- 
mochte. Andere  Gründe  des  Missbehagens  mochten  hinzutreten. 
Wie  wir  sahen .  wohnte  Petrarca  in  dem  Hause  des  Cardinais 

Körting,   Pftrarc;i.  9 


X30  Drittes  Capitel. 

Giovanni  Colonna.  Daraus  entsprangen  für  ihn  jedenfalls 
gewisse,  wenn  nicht  rechtliche,  so  doch  moralische  Ver- 
pflichtungen ,  oder  es  wurden  ihm  doch  zum  mindesten  be- 
stimmte gesellschaftliche  Ptücksichten  auferlegt,  welche  er,  je 
länger  dies  Verhältniss  währte ;,  immer  mehr  als  drückende 
Fesseln  und  als  lästige  Einschränkungen  seiner  Freiheit  em- 
pfinden mochte.  Und  hatte  er  nicht  auch  endlich  zu  be- 
fürchten, dass  ihm  noch  schwerere  Fesseln  von  anderer  Seite 
her  in  Avignon  angelegt  w^erden  würden?  Um  sich  dem 
Joche  der  Liebe  zu  entziehen,  hatte  er  Länder  und  Meere 
durchirrt;  gerettet  und  geheilt  glaubte  er  zurückgekehrt  zu 
sein,  aber  musste  er  nicht  erwarten,  dass  in  Avignon,  wo  er 
der  einst  Geliebten  zu  begegnen  und  mit  ihr  zu  verkehren 
nicht  vermeiden  konnte,  die  kaum  gebändigte  Leidenschaft 
mit  neuer  ]\Iacht  in  seiner  Brust  emporflammen  und  dass  er 
aufs  Neue  Laura's  schöner  Augen  Zauberkraft  erliegen  würde? 
Wenige  Tage  schon  des  Verweilens  in  Avignon  mochten  hin- 
gereicht haben,  ihm  zu  beweisen,  wie  gegründet  solche  Befürch- 
tung sei  und  wie  nur  rasche  Flucht  vielleicht  noch  ihn  retten 
oder,  richtiger  gesagt,  ihn  zum  zweiten  Male  heilen  könne  ^). 
So  beschloss  er  denn,  aus  dem  städtischen  Getümmel  und  aus 
Laura's  gefahrdrohender  Nähe  in  die  ländliche  Einsamkeit  zu 
flüchten,  damit  zugleich  auch  einem  inneren  Drange  seiner 
Seele  Genüge  thuend.  Als  willkommener  und  bequem  ge- 
legener Zufluchtsort  bot  sich  ihm  jenes  Thal  Vaucluse  dar,  in 
welchem  einst  seinen  Wohnsitz  aufzuschlagen  er  sich  bereits 
als  Knabe  bei  seinem  ersten  Besuche  gelobt  hatte  -).  So  er- 
warb er  denn  dort  an  den  Quellen  der  Sorgue  ein  kleines 
Grundstück  mit  einem  sehr  bescheidenen  Häuschen,  welches 
er,  allerdings  mit  sehr  beträchtlichen  Unterbrechungen,  sechs- 
zehn Jahre  hindurch  (1337 — 1353)  bewohnt  hat. 

Die    landschaftlichen    Reize    des     romantisch    gelegenen 
Vaucluse  hat  Petrarca  an  zahllosen  Stellen  seiner  lateinischen 


1)  vgl.  Ep.  poet.  lat.  I  7.  v.  95  ff. 
■')  Ep.  Sen.  X  2.,  vgl.  S.  66  f. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  131 

"Werke  in  Versen  und  in  Prosa  begeistert  geschilrtert  und 
dadurch  auf  das  Schönste  seinen  lebhaften  Sinn  für  Natur- 
schönheit bekundet.  Wir  können  es  uns  nicht  versagen, 
einige  dieser  Stellen  in  Uebersetzung  hier  wiederzugeben,  und 
halten  dies  für  um  so  angemessener,  als  wir  darauf  verzichten 
wollen  und  müssen,  Vaucluse  auf  Grund  eigener  Anschauung 
zu  schildern.  „Vaucluse"  —  sagt  Petrarca  ^)  —  „ist  fünfzehn- 
tausend Schritt  von  dem  geräuschvollen  Avignon  und  dem  linken 
Rhoneufer  entfernt,  aber  trotz  dieser  geringen  Entfernung  ist 
der  Ort  von  der  genannten  Stadt  so  grundverschieden,  dass  ich 
jedesmal,  wenn  ich  von  dort  dahin  komme,  aus  dem  entlegensten 
Abendland  in  das  fernste  Morgenland  gekommen  zu  sein 
glaube.  Mit  Ausnahme  des  Himmels,  der  sich  über  beide  Orte 
wölbt,  ist  Alles  verschieden:  das  Aussehen  der  Menschen,  der 
Gewässer,  der  Landschaft.  Hier  fliesst  die  Sorgue,  einer  der 
klarsten  und  kältesten  Ströme,  ausgezeichnet  durch  die  Krystall- 
helle  ihrer  Flutheu,  den  smaragdenen  Glanz  ihres  Wasser- 
spiegels und  die  beispiellos  wechselnde,  bald  zu-  bald  ab- 
nehmende Stärke  ihrer  Quelle,  von  der  es  mich  nur  wundert,  dass 
Plinius  sie  unter  die  Merkwürdigkeiten  der  narbonensischen 
Provinz  versetzt  hat,  während  sie  doch  in  der  arelatensischen 
sich  befindet  2).  Diese  ländliche  Gegend,  in  welcher  mich  das 
Gebot  einer  eisernen  Nothwendigkeit  ausserhalb  Italiens  zu 
verweilen  nöthigt,  ist  für  meine  Studien  und  Bestrebungen  so 
geeignet  wie  nur  möglich:  die  Hügel  werfen  am  Morgen  und 
am  Abend  willkommene  Schatten,  in  den  Thälern  finden  sich 
sonnendurchwärmte  Schluchten,  weit  und  breit  erstreckt  sich 
eine  einsame  Landschaft,  in  welcher  man  häufigere  Spuren 
von  den  Thieren  des  Waldes  als  von  Menschen  erblickt; 
tiefes  und  ungestörtes  Stillschweigen  herrscht  ringsumher,  nur 
dass  man  etwa  dann  und  wann  das  Gemurmel  des  dahin- 
rieselnden  Wassers  oder  das  Gebrüll  der  auf  den  Uferwiesen 
grasenden  Rinder  oder  den  Gesang  der  Vögel   vernimmt."  — 


1)  Ep.  Var.  42. 

^)  vgl.  Plin.  Hist.  Nat.  XVIII  22. 


132  Drittes  Capitel. 

,,Die  Luft  in  Vaucluse",  sagt  er  ein  anderes  MaP),  ..ist  mild 
und  die  Winde  wehen  hier  sanft,  die  Landschaft  ist  sonnig, 
die  Quellen  sind  klar,  Fische  bietet  der  Strom,  Schatten  der 
Hain,  es  finden  sich  hier  kühle  Grotten,  Schluchten  mit  üppigem 
Pllanzenwuchs  und  lachende  Wiesen.  Man  vernimmt  das  Ge- 
brüll der  Einder,  den  Gesang  der  Vögel  und  das  Dahinrieseln 
der  Gewässer.  Das  Thal  ist  anmuthig  und  tief  versteckt,  so 
dass  es  in  Wahrheit  den  Xamen  Vaucluse  (=  Vallis  clausa 
d.  h.  geschlossenes  Thal)  verdient,  im  Umkreise  aber  grünen 
auf  den  Hügeln  die  Weinstöcke  und  Olivenbäume.  Alles,  dessen 
man  zu  des  Leibes  Nothdurft  und  Lust  nur  irgend  bedarf, 
wird  hier  von  der  Erde  und  dem  Wasser  so  reichlich  erzeugt, 
dass  man,  um  mit  den  Theologen  zu  reden,  im  Paradiese, 
und,  um  mit  den  Dichtern  zu  sprechen,  in  den  elysischen  Ge- 
filden sich  zu  befinden  glaubt,  und,  wenn  ja  irgend  ein  mensch- 
licher Genusssucht  dienendes  Produkt  der  Landschaft  fehlen 
sollte,  so  lässt  es  sich  mit  leichter  Mühe  aus  dem  Pieichthume 
der  Umgegend  beschaffen,"  —  Poetischer  noch  lautet  eine 
dritte  Stelle-):  „Hier  spielen  in  den  glashellen  Fluthen 
silberfarbige  Fische,  fern  auf  den  Wiesen  brüllen  vereinzelte 
Rinder,  es  säuseln  in  den  leicht  bewegten  Wipfeln  der  Bäume 
heilsame  Winde,  buntgefiederte  Vögel  singen  in  den  Zweigen, 
nächtlich  klagt  die  Nachtigall,  es  weint  die  Turteltaube  um 
ihre  Freundin  und  sich  her^'orstürzend  aus  dem  klaren  Quell 
murmelt  der  Bach.  Der  Landmann  aber  liegt  schweigend 
seiner  Arbeit  ob  und  sich  niederbeugend  zur  Erde  entlockt 
er  seinem  vielgebrauchten  Spaten  hellen  Eiseuklaug  und 
sprühende  Funken.  Um  mit  einem  Worte  Alles  zu  sagen: 
es  ist  hier  ein  beglücktes  Wohnen." 

Inmitten  dieses  lieblichen  Thaies  und  seiner  anmuthsvollen 
Umgebung  lebte  nun  Petrarca,  theils  seinen  geliel)ten  Studien 
theils    dem   Genüsse    der  Natur    sich  widmend,   ein  idyllisch 


1)  Ep.  Farn.  XVI  6. 

-)  Ep.   Farn.  XYII  5,  weitere  ähnliche  Stellen  sind  z.  B.  Ep.  poet.  lat. 
I  7.  V.  156  flf,,  I  8.,  de  Vit.  Sol.  II  10,  2.    Ep.  Farn.  XI  4. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  133 

einfaches  und  behagliches  Leben,  welches  er  selbst  wiederholt 
eingehend  geschildert  hat^).  „Noch  mitten  in  der  Nacht", 
erzählt  er  einmal  '■^),  „stehe  ich  schon  auf ;  am  frühen  Morgen 
verlasse  ich  das  Haus  und  studire,  denke,  lese  und  schreibe 
unter  dem  freien  Himmel  gerade  so,  als  wenn  ich  mich  im 
Hause  befände.  So  weit  es  möglich  ist,  halte  ich  den  Schlaf 
von  den  Augen,  die  Schlatfheit  vom  Leibe,  die  sinnlichen  Be- 
gierden von  der  Seele,  und  die  Trägheit  von  der  Arlieit  fern. 
Ganze  Tage  lang  wandle  ich  auf  den  sonnigen  Bergen,  in  den 
thaufrischen  Thälern  und  Grotten  umher.  Beide  Ufer  der 
Rhone  durchmesse  ich  oft  auf  Spaziergängen,  auf  denen  mir 
kein  Ueberliistiger  begegnet  und  Niemand  mich  begleitet  noch 
leitet,  nur  meine  Sorgen  begleiten  mich,  doch  werden  sie  von 
Tag  zu  Tag  weniger  scharf  und  drückend."  Weit  ausführ- 
licher und  an  Einzelheiten  reicher  ist  eine  andere  Schildenmg  ^) 
seines  damaligen  Lebens,  welche  sich  etwa  folgendermaassen 
in  Kürze  wiedergeben  lässt:  „Ich  muss  hier  auf  alle  musika- 
lischen Töne,  durch  welche  ich  mich  so  gern  entzücken  lasse, 
verzichten,  denn  ich  höre  Nichts,  als  das  Brüllen  der  Rinder, 
das  Blöcken  des  Kleinviehs  und  das  Genmrmel  der  Gewässer. 
Oft  bin  ich  den  ganzen  Tag  über  zum  Schweigen  verurtheilt, 
weil  ich  Niemanden  um  mich  habe,  mit  dem  ich  sprechen 
könnte.  Meine  Kost  ist  sehr  einfach:  häufig  theile  ich  mit 
dem  Rinderhirten  das  grobe  schwarze  Brot  und  überlasse  das 
weisse,  wenn  mir  solches  etwa  aus  der  Stadt  überbracht  wird,  den 
überbringenden  Dienern.  Trauben,  Feigen,  Nüsse  und  Mandeln 
bilden  meine  einzigen  Leckerbissen.  Auch  an  kleinen  Fischen 
delectire  ich  mich  und  beschäftige  mich  selbst  mit  deren 
Fang.  Meine  Kleidung  ist  eben  so  einfach  wie  ländlich, 
während  ich  doch  früher,  wie  bekannt,  durch  Eleganz  der 
Toilette    mich    auszuzeichnen    bestrebt    war-^).      In    meinem 


1)  vgl.  namentlich  Ep.  Fam.  VI  3.  VIII  3.  XIE  8.  XV  3. 

2)  Ep.  Fam.  XV  3. 
')  Ep.  Fam.  XIH  8. 

*)  Ep.  Fam.  X  3,  vgl.  S.  84. 


134  Drittes  Capitel. 

schlichten  Häuschen  wohne  ich  mit  einem  Hunde  und  zwei 
Knechten  allein,  der  Oekonom  wohnt  in  einem  Nebenhäuschen, 
welches  von  dem  Hauptgebäude  aus  durch  eine  Verbindungsthür 
zugänglich  ist.  Meine  besondere  Freude  sind  zwei  Gärtchen, 
von  denen  ich  nur  bedaure,  dass  sie  nicht  in  Italien  liegen. 
Das  eine,  welches  ich  meinen  Musenberg  jenseits  der  Alpen 
zu  nennen  pflege,  liegt  hart  unterhalb  der  Quelle  der 
Sorgue.  deren  gegenüberliegendes  Ufer  von  unzugänglichen 
Felsparthien  eingefasst  wird,  das  zweite  —  ein  Wein-  und 
Ziergärtchen  —  ist  nahe  am  Hause  auf  einer  Insel  des  schön 

*und  schnell  fliessenden  Stromes  angelegt.  Am  Flusse  selbst 
befindet  sich  eine  Steingrotte,  in  deren  immer  kühlem  Schatten 

,  die  sommerliche  Hitze  nicht  empfunden  ^Yird  und  welche  in 
Folge  dessen  ein  einladender  Studiensitz  ist.  So  verbringe 
ich  denn  die  Mittagsstunden  in  dieser  Grotte*^  den  Morgen 
aber  auf  den  Hügeln  und  die  Abende  in  deiii  wildromantischen 
Berggärtchen  an  der  Sorguequelle.  Bei  diesen  Annehmlich- 
keiten würde  ich  in  Vaucluse  ganz  glücklich  leben  können, 
wenn  ich  nicht  dem  geliebten  Italien  so  fern,  dem  verhassten 
Avignon  aber  so  nahe  wäre." 

Schwierig  war  es  für  Petrarca,  Dienstboten  zu  finden, 
welche  gewillt  waren,  seinen  ländlichen  Aufenthalt  mit  ihm 
zu  theilen,  denn  seine  städtischen  Diener  hatten  ihn  sehr 
bald  verlassen  ^).  Ein  grosses  Glück  war  es  für  ihn  also,  dass 
er  eine  tüchtige  Wirthschafterin  und  einen  braven  Verwalter  fand, 
welche  sein  bescheidenes  Hauswesen,  mit  dem  vermuthlich 
eine  kleine  Oekonomie  verbunden  war,  treu  und  umsichtig 
leiteten.  Mit  vielem  Humor,  aber  auch  mit  vieler  Herzlich- 
keit hat  Petrarca  ein  Charakterbild  seiner  alten  Wirthschafterin 
entworfen,  welches  wir  als  so  recht  bezeichnend  für  seinen 
auch  in  kleinen  Dingen  gemüthvollen  Sinn  und  zugleich  für 
seine  Darsteljungsgabe  unsern  Lesern  nicht  vorenthalten  wollen. 
„Wenn  du  meine  Wirthschafterin  sähest",  schreibt  er  einem 
Freunde  2),  „so   würdest   du  die  libysche  oder  die  äthiopische 


^)  Ep.  poet.  lat.  I  7.  v.  156  ff. 
2)  Ep.  Farn.  XIII.  S. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Yaucluse.  135 

Wüste  zu  erblicken  glauben:  so  ausgedörrt  und  sonnenver- 
brannt ist  ihr  Gesicht,  da  ist  keine  Spur  mehr  von  Frische 
und  Saft  vorhanden.  Wahrscheinlich,  wenn  Helena  ein  solches 
Gesicht  gehabt  hätte,  Troja  würde  noch  heute  stehen,  und. 
wenn  Lucretia  und  Virginia  ebenso  hässlich  gewesen  wären, 
so  wäre  weder  Tarquinius  vertrieben  w^orden  noch  Appius  im 
Kerker  gestorljen.  Aber,  damit  ich  ihr  nach  dieser  abschrecken- 
den Personalbeschreibung  das  verdiente  Lob  des  Charakters 
nicht  vorenthalte,  so  muss  ich  sagen:  ihre  Seele  ist  eben  so 
rein  wie  ihr  Gesicht  schwarz.  Das  Frauenzimmer  ist  wirklich 
ein  merkwürdiges  Beispiel  dafür,  dass  Hässlichkeit  dem  guten 
Charakter  keinen  Eintrag  thut,  w^orüber  ich  vielleicht  ein- 
gehender sprechen  würde,  wenn  nicht  Seneca  bereits  in  seinen 
Briefen  in  Betreft'  des  Claranus  diesen  Punkt  behandelt  hätte. 
Meine  Wirthschafterin  hat  übrigens  noch  das  Besondere,  dass, 
während  doch  Leibesschöuheit  mehr  ein  Vorzug  des  weiblichen 
als  des  männlichen  Geschlechtes  ist,  sie  den  Mangel  an  der- 
selben so  wenig  empfinden  lässt,  dass  man  ihre  Hässlichkeit 
beinahe  wieder  schön  findet.  Es  gibt  kein  treueres,  kein 
anspruchsloseres,  kein  arbeitsameres  Wesen,  als  sie  ist.  Bei 
der  brennendsten  Sonnengluth,  wenn  selbst  die  Cicaden  kaum 
mehr  die  Hitze  aushalten,  bringt  sie  ganze  Tage  auf  dem  Felde 
zu  und  verachtet  mit  ihrer  zu  Leder  gewordenen  Haut  die 
hochsommerlichen  Sternbilder  des  Krebses  und  Löwen.  Kommt 
das  Mütterchen  dann  spät  Abends  nach  Hause  zurück,  so  ist 
ihr  zusammengeschrumpftes,  dürftiges  Körperchen  bei  allen 
möglichen  häuslichen  Geschäften  noch  so  frisch  und  behend, 
wie  nur  irgend  ein  junges  Mädchen,  wenn  es  eben  aus  dem 
Bette  kommt.  Dabei  murrt  und  klagt  sie  niemals  und  zeigt 
auch  keine  Spuren  geistiger  Schwachheit,  sondern  sorgt  für 
ihren  Mann  und  ihre  Kinder,  für  mein  Gesinde  und  die  zu 
mir  kommenden  Gäste  mit  unglaublicher  Rührigkeit  und  mit 
seltener  Selbstaufopferung.  Dies  Weiblein  mit  so  eisenfester 
Gesundheit  schläft  auf  einer  blossen  Streu  auf  dem  Fussbodeu, 
ihre  fast  einzige  Speise  ist  grobes  Brot,  schwarz  wie  Erde, 
und    ihr   fast   einziges  Getränk    essigsaurer   mit  Wasser  ge- 


136  Drittes  Capitel. 

miscliter  Wein.  Setzt  man  ihr  bessere  Nahrung  vor,  so  mundet 
ihr  dieselbe  in  Folge  der  langen  Entwöhnung  nicht  einmal 
mehr  und  widerlich  erscheint  ihr,  was  gut  schmeckt.'' 

Nicht  geringeres  Lob  spendet  Petrarca  seinem  Gutsver- 
walter, der  zugleich  die  Dienste  eines  Bibliothekdieners  versah. 
„Es  war",  so  charakterisirt  er  den  treuen  Diener,  als  derselbe 
im  Januar  1353  hochbetagt  gestorben  war^),  „ein  Mann  aus 
dem  Bauernstande,  aber  von  grösserem  Geschicke  und  grösserer 
Gewandtheit  im  Umgange,  als  mancher  Städter  besitzt.  Ein 
treueres  Geschöpf  als  ihn  hat,  glaube  ich,  die  Erde  nie  her- 
vorgebracht. Was  soll  ich  viel  sagen?  für  die  Ungeschick- 
lichkeit und  Untreue  aller  übrigen  Diener,  über  welche  ich 
mich  nicht  nur  tagtäglich  mündlich  beklage,  sondern  auch  in 
meinen  Schriften  mich  zuweilen  beklagt  habe,  hat  er  allein 
durch  seine  vorzügliche  Treue  mich  reichlich  entschädigt.  Ihm 
konnte  ich  mich  selbst  und  alle  meine  Habseligkeiten  und 
Bücher,  die  ich  in  Frankreich  besitze,  ruhig  anvertrauen. 
Obwol  ich  eine  grosse  Menge  von  Büchern  in  allen  möglichen 
Formaten,  Miniaturbändchen  sowol  wie  grosse  Codices  in 
Folio,  besitze,  so  dass  bei  dem  Aufräumen  der  Bibliothek  wol 
leicht  Verwirrung  hätte  entstehen  können,  so  fand  ich  doch, 
auch  wenn  ich  zuweilen  nach  langer  Abwesenheit  heimkehrte, 
nicht  ein  einziges  Buch  auf  einen  unrichtigen  Platz  gestellt 
oder  gar  abhanden  gekommen.  Obwol  er  jeglicher  wissen- 
schaftlichen Bildung  entbehrte,  liebte  er  doch  die  Wissen- 
schaften, und  diejenigen  Bücher,  von  denen  er  wusste,  dass  sie 
mir  vorzugsweise  theuer  seien,  hütete  er  mit  ganz  besonderer 
Sorgfalt.  Ja,  durch  lange  Uebung  war  er  so  weit  gelangt, 
dass  er  die  Werke  der  alten  Classiker  mit  Namen  kannte  und 
auch  meine  eigenen  Werkchen  zu  unterscheiden  wusste.  Er 
strahlte  immer  vor  Freuden,  wenn  ich  ihm,  wie  das  ja  vor- 
kommt, ein  Buch  übergab,  um  es  an  Ort  und  Stelle  zu  setzen, 
er  drückte  dann  seufzend  das  Buch  an  die  Brust  und  nannte 
wol  auch  leise  den  Namen  des  Verfassers.    Wunderbar!  durch 


^)  Ep.  Fam.  XVI  1.  vgl.  Ep.  Sen.  IX  2. 


Die  Wauderjabre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    137 

die  blosse  Beriihrun.u'  und  den  Anblick  der  Bücher  glaubte  er 
gelehrter  und  glücklicher  zu  werden." 

Petrarca  gedachte  noch  in  seinem  Testamente  des  treuen 
Dieners :  er  vermachte  den  Söhnen  desselben  sein  Landgütchen 
zu  Vaucluse  für  den  Fall,  dass  es  für  einen  wohlthätigen  Zweck 
nicht  verwendbar  erscheine.  Aus  dem  Testamente  erfahren 
wir  auch  den  Namen  und  den  Geburtsort  des  braven  Mannes : 
es  war  Raimund  Monet  aus  Clermont, 

Wenn  Petrarca  an  einer  der  oben  angeführten  Stellen 
seiner  Briefe  über  die  Einsamkeit  seines  Aufenthaltes  in  Vau- 
cluse sich  beklagt,  so  darf  man  das  nicht  zu  buchstäblich  ver- 
stehen. Mit  den  Bewohnern  von  Vaucluse  selbst  freilich  konnte 
er  in  näheren  Verkehr  nicht  treten,  denn  das  waren  einfache 
Land-,  Wein-  und  Oelbauern  und  Fischer  ^),  aber  deshalb  war 
er  doch  nicht  von  allem  menschlichen  Umgange  ausgeschlossen: 
viel  zu  nahe  lag  ja  Avignon ,  als  dass  nicht  seine  dort 
wohnenden  Freunde,  vor  allen  Sokrates  und  Laelius,  ihn  häufig 
in  seiner  ländlichen  Zurückgezogenheit  besucht  haben  sollten. 
Ausserdem  jedoch  verstand  es  Petrarca,  sich  in  noch  grösserer 
Nähe  neue  Freunde  zu  gewinnen.  Es  gehörte  in  kirchlicher 
Beziehung  Vaucluse  zu  dem  Sprengel  des  Bischofs  von  Ca- 
vaillon  und  es  war  daher  für  Petrarca,  den  Kleriker,  eine  ein- 
fache Pflicht  des  gesellschaftlichen  Anstandes,  diesem  geist- 
lichen Würdenträger  einen  Besuch  abzustatten.  Er  that  dies 
und  die  Folge  davon  war,  dass  zwischen  beiden  Männern  ein 
inniges,  ihr  ganzes  Leben  hindurch  währendes  Freundschafts- 
band angeknüpft  wurde.  Bischof  von  Cavaillon  war  damals 
Philipp  von  Cabassoles,  der,  als  Sohn  einer  altangesehenen 
Adelsfamilie  im  Jahre  1305  geboren,  bereits  im  Jahre  1333, 
also  lange  vor  erreichtem  canonischen  Alter,  zu  dieser  Würde 
emporgestiegen  war.  Dank  den  engen  Beziehungen,  in  denen 
er  zu  dem  angovinischen  Königshause  Neapels  von  Jugend  an 
gestanden  hatte.  Er  sollte  in  der  Folge  noch  eine  weit  glän- 
zendere Laufbahn   durchmessen.    Durch  Testamentsverfügimg 


*)  vgl.  Ep.  Farn.  XI  12. 


138  Drittes  Capitel. 

König  Roberts  wurde  er  nach  dessen  im  Jahre  1343  erfolgtem 
Tode  als  Reichsverweser  nach  Neapel  berufen,  in  welcher  Stel- 
lung er  freilich  so  wenig  Erfreuliches  erlebte,  dass  er  ihr  bereits 
im  December  1345  wieder  entsagte.  Später  ward  er  wieder- 
holt, in  den  Jahren  1352  und  1357,  als  päpstlicher  Legat  mit 
wichtigen  Gesandtschaftsreisen  nach  Deutschland  betraut.  Im 
Jahre  1361  wurde  er  zum  Patriarchen  von  Jerusalem,  1368 
zum  Verwalter  der  Marseiller  Kirche  und  endlich  am  22.  üe- 
cember  desselben  Jahres  zum  Cardinal  erhoben,  als  welcher 
er  1369  das  Bisthum  Sabina  zuertheilt  erhielt  und  1371  von 
Papst  Gregor  XI.  mit  der  Verwaltung  der  Legationen  Umbrien 
und  Sabina  betraut  wurde.  Er  starb  67  Jahre  alt  zu  Perugia 
am  27.  August  1372  ^).  Mit  diesem  ihm  fast  gleichalterigen 
Manne  also,  den  jedenfalls  eine  hohe  geistige  Begabung  aus- 
zeichnete, unterhielt  Petrarca  's^ährend  seines  Aufenthaltes  in 
Vaucluse  einen  lel)haften  und  vertraulichen  Verkehr  -).  Oft 
besuchte  Petrarca  ihn  ohne  alle  Förmlichkeit  in  dem  alten  und 
stillen  Cavaillon,  wobei  ihn  wol  gelegentlich  sein  Freund  So- 
krates  begleitete  ^).  Oft  auch  kam  der  Bischof  herüber  nach 
dem  nahe  gelegenen  Vaucluse.  Dann  brachten  die  beiden 
Freunde,  in  Gespräche  über  religiöse  oder  wissenschaftliche 
Fragen  versunken  und  Alles  um  sich  her  vergessend,  wol  den 
ganzen  Tag  in  den  Wäldern  oder  an  der  Sorguequelle  zu, 
mitunter  so  verborgen  in  der  Einsamkeit,  dass  die  Diener  um 
die  Mittagszeit  vergebens  sie  aufzusuchen  sich  bemühten ;  oder 
sie  sassen  auch  ganze  Nächte  hindurch,  des  Schlafes  unein- 
gedenk ,  bis  zur  Morgenröthe  bei  den  Büchern  und  tauschten 
in  anregender  Unterhaltung  ihre  Gedanken  über  das  Gelesene 
aus*).  War  aber  zeitweilig  und  in  den  späteren  Jahren  auf 
die  Dauer  ein  solcher  reger  persönlicher  Verkehr  aus  äusseren 
Gründen  nicht  möglich,  so  ward  er,  so  weit  es  geschehen 
konnte,   durch   einen   lebhaften  Briefwechsel  ersetzt  und  eine 


^)  diese  Notizen  nach  Fracassetti,  Lett.  fani.  I  p.  324  f. 

^)  vgl.  Ep.  Var.  64. 

^)  vgl.  Ep.  Farn.  VI  9. 

*)  Ep.  Sen.  Xm  11  und  XV  4. 


Die  Wandeljahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  139 

beträchtliche  Anzahl  der  Briefe  Petrarca's  ist  noch  erhalten '), 
Briefe,  welche  um  so  wichtiger  und  interessanter  sind,  als 
gerade  in  ihnen  Petrarca  dem  Freunde  über  sein  innerstes 
Denken  und  Fühlen  Aufschluss  gibt  mit  einer  Aufrichtigkeit, 
welche  sich  in  gleichem  Maasse  höchstens  in  den  Briefen  an 
Sokrates,  Laelius  und  Giacomo  Colonna  wiederfindet.  Nicht 
minder  lebhaft  war  der  litterarische  Verkehr  der  beiden  Freunde. 
Dem  Bischof  von  Cavaillon,  damals  freilich  schon  zum  Patri- 
archen von  Jerusalem  erhoben,  widmete  Petrarca  sein  grosses 
Werk  über  die  Einsamkeit  -'),  in  welchem  Buche  er  Gelegenheit 
nahm,  die  Annehmlichkeiten  des  Lebens  in  Cavaillon  zu  schil- 
dern und  den  Schutzpatron  der  Stadt,  den  heiligen  Veranus, 
zu  preisen  ^) ;  ihm,  dem  Bischof,  übersandte  er  auch,  seine  zum 
Preise  von  Vaucluse  verfassten  Verse  ^)  sowie  sein  Gedicht 
auf  die  heilige  Margarethe  ^).  Der  Bischof  dagegen  interessirte 
sich  auf  das  Lebhafteste  für  Alles,  was  Petrarca  schrieb,  und. 
wenn  er,  wie  mitunter  geschah,  in  dessen  Abwesenheit  nach 
Vaucluse  kam  und  der  Diener  ihm  im  Bibliothekzimmer  etwa 
Handschriften  des  Plato  oder  Cicero  zur  Leetüre  vorlegte,  so 
wies  er  diese  zurück  und  verlangte  Petrarca"s  neueste  Schriften 
zu  sehen  •■).  An  dem  ihm  gewidmeten  Buche  über  das  Leben 
in  der  Einsamkeit  aber  fand  er  ein  solches  Gefallen,  dass  er 
sich  sogar  bei  Tische  daraus  vorlesen  liess^).  Man  kann  leicht 
ermessen,  wie  gross  Petrarca's  Schmerz  war,  als  er,  vermuth- 
lich  im  Jahre  1368,  das,  sich  freilich  bald  als  irrig  erweisende. 
Gerücht  von  des  alten  Freundes  Tod  vernehmen  musste  ^). 

1)  Ep.  Fam.  II  1.  VI  9.  XI  4.  10.  11.  15.  XII  6.  XV  11.  12.  13. 
XXII  5.  XXIV  1.  Sen.  VI  5.  9.  XI  15.  XIII  11.  XV  14.  15.  XVI  4. 
Var.  41.  55.  64.  Ausserdem  richtete  Petrarca  an  den  Bischof  wenigstens 
eine,  vermuthlich  aber  mehrere  der  Epistolae  sine  titulo,  vgl.  Ep.  Fam. 
XV  12. 

-)  Vit.  Sol.  praef.  und  Ep.  Sen.  YL  5. 

^)  Vit.  Sol.  II  10,  2. 

*}  Ep.  Fam.  XI  4. 

ß)  Ep.  Sen.  XIV  15  (17). 

<*)  Vit.  Sol.  II  10,  1. 

')  Ep.  Sen.  XIII  11. 

«)  Ep.  Sen.  XI  3. 


140  Drittes  Capitel. 

Bischof  Philipp  war  nicht  der  einzige  Freund,  den  Petrarca 
in  Cavaillon  fand,  er  traf  viehnehr  als  Propst  der  dortigen 
Kirche  einen  alten  Jugendgenossen  wieder,  Pontius  Simson 
(Sansonio),  den  er  als  einen  durch  Charakterstärke  und  litte- 
rarische Bildung  gleich  ausgezeichneten  Mann  schildert^).  In- 
dessen scheinen  seine  Beziehungen  zu  ihm  weniger  intimer 
Natur  gewesen  zu  sein,  denn  die  beiden  einzigen  Briefe,  welche 
er,  soviel  wir  wissen,  an  ihn  gerichtet  hat  2),  sind  im  Wesent- 
lichen nur  Höflichkeitsschreiben. 

Die  Jahre,  welche  Petrarca  zu  Vaucluse  inmitten  einer 
lieblichen  Natur  und  eines  traulichen  Freundeskreises  und  im 
Yollgenusse  seiner  Kraft  verlebte,  waren  jedenfalls  die  glück- 
lichsten seines  Lebens  und  sie  waren  zugleich  die  Jahre  seines 
fruchtbarsten  litteraiischen  und  dichterischen  Schaffens.  Damals 
begann  er,  wie  er  selbst  berichtet  ^)  und  worauf  wir  sehr  bald 
ausführlicher  werden  zurückkommen  müssen,  seine  „Afiica", 
in  Vaucluse  schrieb  er  einen  grossen  Theil  seiner  Briefe  in 
gebundener  und  ungebundener  Rede,  dort  veifasste  er,  und 
zwar  in  unglaublich  kurzer  Zeit,  fast  seine  sämmtlichen  Eklogen, 
dort  fasste  er  den  Gedanken,  das  grosse  Werk  „über  die  be- 
rühmten Männer"  zu  schreiben,  dort  entwarf  er  in  ihren  Um- 
rissen die  Schriften  über  „die  Müsse  der  Mönche"  und  „über 
das  Leben  in  der  Einsamkeit",  dort  endlich  entstanden  die 
meisten  seiner  italienischen  Liebeslieder,  denn  eben  die  Ein- 
samkeit, von  welcher  er  die  Heilung  seiner  Leidenschaft  erhoift 
hatte,  entflammte  dieselbe  aufs  Neue.  So  hat  er  denn  seinem 
eigenen  Geständnisse  nach  in  Vaucluse  allein  mehr  producirt, 
als  an  allen  den  zahlreichen  anderen  Orten,  an  denen  er  vor- 
her oder  nachher  sich  aufgehalten,  zusammengenommen.  Am 
liebsten  arbeitete  er  in  dem  an  der  Sorguequelle  gelegenen 
Gärtchen  bei  dem  Murmeln  der  Wellen  und  beschattet  von 
überhangenden  Felsen"*;,    Wol  kann  man  es   begi-eifen,  dass 


1)  Vit.  Soi.  n  10,  1. 

2)  Ep.  Fam.  XIV  8  und  XV  10. 

3)  Ep.  Fam.  VIH  3. 

<)  Vit.  Sol.  II  10,  2  und  de  otio  relig.  II  p.  358. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  141 

er  sich  im  späteren  Leben  immer  und  immer  wieder  nach 
Vaucluse  zurücksehnte  und  seine  alten  Tage  dort  zu  verbringen 
wünschte  i),  ein  Wunsch,  dessen  Erfüllung  ihm  freilieh  versagt 
bleiben  sollte.  Nicht  wenig  auch  mochte  zur  Annehmlichkeit 
des  Aufenthaltes  in  Vaucluse  beitragen,  dass  damals  dort  — 
ein  im  vierzehnten  Jahrhundert  nicht  eben  häufig  anzutreffender 
Zustand  —  der  tiefste  Friede,  die  grösste  Sicherheit  des  Eigen- 
thums  herrschte  und  selbst  von  wilden  Thieren  keinerlei  Ge- 
fahr drohte  ^j.  Völlig  ungefährdet  konnte  Petrarca  selbst  in 
der  Nacht  und  selbst  auf  den  einsamsten  Pfaden  der  umlie- 
genden romantischen  Wildniss  Spaziergänge  unternehmen: 
keines  Räubers  oder  Mörders  Angriff  hatte  er  zu  befürchten 
und  völlig  sorglos  durfte  er  seinen  Gedanken  und  Phantasien 
sich  hingeben;  der  grosse  Hund,  den  ihm  der  Cardinal  Giovanni 
geschenkt  hatte,  erwies  ihm  höchstens  den  Dienst,  dass  er 
die  Landleute  fern  hielt,  welche  sich  sonst  wol  zuweilen  dem 
Dichter  zu  nahen  und  ihn  in  vielleicht  manchmal  zudringlicher 
Weise  um  seinen  Rath  über  Familienangelegenheiten  zu  bitten 
pflegten^).  Eigenthümlich  genug  war  es,  dass  diese  fried- 
lichen Zustände  sich  zum  Bösen  änderten,  sobald  Petrarca 
Vaucluse  dauernd  verlassen  hatte  (1353):  es  schien,  als  wenn 
mit  ihm  auch  der  gute  Genius  des  Ortes  geschieden  sei.^  Diebs- 
banden und  Wölfe  machten  seitdem  das  stille  Thal  unsicher 
und  am  W^eihnachtstage,  vermuthlich  des  Jahres  1353^),  wagten 
es  Räuber,  das  verlassene  Häuschen  des  Dichters  auszuplündera 
und  in  Brand  zu  stecken^). 

So  lebte  denn  Petrarca  zu  Vaucluse  ein  theils  dem  Ge- 
nüsse der  Natur  und  dem  geselligen  Verkehre,  theils  ernsten 
Studien  und  der  Poesie  gewidmetes  Leben,  ganz  ähnlich,  wie 
einst  etwa  Cicero  auf  seinem  Tusculum  gelebt  haben  mag,  oder 
auch  wie   so  manche  moderne  Dichter  und  Denker   —   man 


1)  Ep.  Farn.  XVII  5  und  XXII  5. 

2)  Ep.  Sen.  X  2. 

^1  vgl.  Ep.  poet.  lat.  HI  5. 

*)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  306. 

5)  Ep.  Sen.  X  2.    Yar.  25. 


142  Drittes  Capitel. 

erinnere  sich  z.  B.  an  Voltaires  Aufenthalt  zu  Ferney  am 
Genfersee  oder  auch  an  Schiller's  Sommerfrischen  in  Gohlis  und 
Loschwitz  —  kürzere  oder  längere  Villeggiaturen  gehalten  und 
während  derselben  sich  vorzugsweise  zum  geistigen  Schaffen 
angeregt  gefühlt  haben.  Wir  Menschen  der  Neuzeit  sind  völlig 
daran  gewöhnt  und  halten  es  für  etw^as  ganz  Selbstverständ- 
liches, dass  litterarisch  thätige,  überhaupt  geistig  arbeitende 
Männer  sich  aus  dem  Gewühle  des  städtischen  Lebens  zeit- 
weilig oder  dauernd  in  die  ländliche  Stille  zurückziehen,  und 
wir  möchten  daher  leicht  geneigt  sein,  der  Handlungsweise 
Petrarca's,  als  er  aus  Avignon  nach  Vaucluse  übersiedelte, 
keine  tiefere  Bedeutung  beizumessen.  Anders  aber,  ganz 
anders  wird  unser  Urtheil  sich  gestalten  müssen,  wenn  wir 
uns,  wie  nöthig,  in  die  Denkweise  der  Zeitgenossen  Petrarca's, 
also  der  Menschen  des  Mittelalters,  versetzen,  wir  werden 
dann  erkennen,  dass  Petrarca  durch  seine  scheinbar  so  harm- 
lose üebersiedelung  in  das  Sorguethal,  ebenso  wie  früher  durcli 
seine  Besteigung  des  Moni  Ventoux,  völlig  herauszutreten  wagte 
aus  der  Gedanken-  und  Empfindungssphäre  seiner  Zeit  und 
sich  als  der  erste  moderne  Mensch  bekundete.  Ebenso  wenig 
—  wir  haben  das  ja  früher  erörtert  ^)  —  wie  für  die  Schönheit 
der  Landschaft  besass  der  mittelalterliche  Mensch  für  die  Pteize 
des  Landlebens  Empfänglichkeit  und  Verständniss:  er  lebte 
auf  dem  Lande  nur  aus  wirthschaftlichen  oder  allenfalls,  etwa 
in  Zeiten  der  Pest,  aus  hygienischen  Gründen;  blieb  ihm  die 
freie  Wahl  des  Wohnsitzes  überlassen,  so  zog  er  es  vor,  sich 
in  enge  Stadtmauern  einzupferchen.  Wir  enthalten  uns  in- 
dessen hier  weiterer  Betrachtungen  über  diese  culturgeschicht- 
lich  so  interessante  Frage,  um  dieselbe  für  einen  späteren 
geeigneteren  Ort  aufzubewahren. 

Als  wir  oben  (S.  129  f.)  die  Gründe  besprachen,  durch 
welche  Petrarca  zum  Verlassen  Avignons  bestimmt  worden  zu 
sein  scheint,  haben  wir  absichtlich  ein  Ereigniss  verschwiegen, 
aus  welchem  mehrere  neuere  Biographen  sogar  die  Nothwen- 

^)  vgl.  S.  105  ff. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.  143 

digkeit  haben  fol.Liern  wollen,  dass  er  sich  für  einige  Zeit  aus 
der  päpstlichen  Residenz  habe  zurückziehen  müssen.  Petrarca 
war  in  eben  dem  Jahre  1337  Vater  eines  Sohnes  geworden^). 
Wer  die  Mutter  dieses  Knaben  gewesen ,  ist  völlig  unbekannt, 
und  nur  das  Eine  wissen  wir,  dass  es  eine  ledige  Frau  war,  denn 
in  der  von  Papst  Clemens  VI.  am  9.  September  1348  ausgestellten 
Bulle,  durch  welche  Petrarca's  Sohn  legitimirt  wurde,  wird  sie 
ausdrücklich  als  solche  (,,soluta")  bezeichnet  -).  Vermuthlich  war 
es  dieselbe  Frau,  welche  einige  Jahre  später,  wahrscheinlich  im 
Jahre  1343^),  ihm  auch  eine  Tochter  gebar  und  vermuthlich 
ebenfalls  dieselbe,  welche  im  Jahre  1351,  als  Petrarca  das 
Verhältniss  mit  ihr  abgebroche*  hatte  und  nach  mehrjähriger 
Abwesenheit  aus  Italien  nach  Avignon  und  Vaucluse  zurück- 
kehrte, vergebens  ihre  alten  Rechte  geltend  zu  machen  suchte  ^). 
Wir  haben  wol  alles  Recht ,  zu  glauben ,  dass  dieses  Weib 
einer  sehr  niedrig  stehenden  Classe  von  Frauen  angehörte  und 
dass  Petrarca  bei  ihr  eben  Nichts  suchte,  als  Befriedigung 
seiner  sinnlichen  Leidenschaft,  denn  würden  sich  nicht,  wenn 
sein  Herz  bei  diesem  Verhältniss  betheiligt  gewesen  wäre, 
Zeugnisse  dafür  in  seinen  Werken,  namentlich  auch  in  seinen 
Liedern  auffinden  lassen?  Die  Bekanntschaft  dieser  Frau 
machte  er  jedenfalls  in  Avignon,  wo  feile  ]\Iädchen  zweifels- 
ohne in  Ueberfluss  sich  fanden;  nach  Vaucluse  aber  ist  die 
Buhlerin  sicherlich  nie  gekommen  s).     Dieses  ganze  unsittliche 


^)  Zeitbestimmung  nach  Ep.  Sen.  I  3,  wo  Petrarca  angibt,  dass  er 
schon  sieben  Jahre  vor  der  Geburt  seines  Sohnes  mit  Sokrates  sich  be- 
freundet habe;  letzteres  aber  war. im  Jahre  1330  geschehen. 

-)  de  Sade,  II  pieces.  justif.  no.  19.,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  iam.  II 
p.  256  f. 

^)  vgl.  Fracassetti,  ibid.  p.  260. 

*)  Ep.  Fam.  IX  3. 

^)  Wenn  Carriere,  die  Kunst  im  Zusammenhang  der  Culturentwickelung 
(Leipzig  1868)  III  2  p.  496  sagt:  „Petrarca  tröstete  sich  über  das  versagte 
Glück  in  Laura's  Armen  durch  eine  wilde  Ehe  auf  dem  Lande",  so  ist 
das  schon  deshalb  falsch,  weil  Petrarca  frühestens  im  Herbst  1337  nach 
Vaucluse  übersiedelte,  die  Geburt  seines  Sohnes  aber  aus  naheliegenden 
Gründen  (man  bedenke,  dass  er  im  Winter  1336  nach  Italien  gereist  war!) 
früher  erfolgt  sein  muss.  Eine  Maitressenwirthschaft  in  Vaucluse  anzu- 
nehmen, haben  wir  auch  nicht  die  leiseste  Berechtigung. 


144  Drittes  Capitel. 

Verhältniss  wirft  unleugbar  einen  hässUclien  Flecken  auf  den 
Charakter  Petrarca's  und  als  besonders  unedel  und  verwerflich 
muss  es  uns  erscheinen,  dass  er  die  Mutter  seiner  Kinder,  welche 
—  möge  sie  sonst  auch  noch  so  wenig  achtungswerth  gewesen 
sein  —  in  dieser  Eigenschaft  doch  gewiss  ein  Anrecht  auf 
seine  Neigung  und  Achtung  besass,  consequent  verleugnet  und 
später  in  harter  Weise  Verstössen  zu  haben  scheint.  Eine 
Rechtfertigung  ist  hier  unmöglich  und  höchstens  durch  das 
feurige  und  sinnliche  Temperament,  welches  zu  besitzen  Pe- 
trarca oft  beklagte  ^)  und  welches  er  erst  im  reiferen  Mannes- 
alter zu  bändigen  vermochte,  kann  sein  Fehltritt  einigermaassen 
entschuldigt  werden  und  als  «eine  verzeihliche  menschliche 
Schwäche  erscheinen. 

Indessen  die  sittliche  Anschauungsweise  der  damaligen 
Zeit  war  von  der  unseren  in  dieser  Beziehung  sehr  verschieden. 
Niemand  nahm  damals  an  derartigen  unmoralischen  Verhält- 
nissen, sogar  wenn  dadurch  ein  Ehebruch  begangen  wurde,  ein 
ernstes  Aergerniss,  und  selbst  die  Kirche,  so  sehr  sie  natürlich 
auch  in  der  Theorie  gegen  dergleichen  Vorkommnisse  eifern 
und  sie  mit  den  kräftigsten  Ausdrücken  benennen  mochte,  sah 
doch  in  der  Praxis  über  menschliche  Schwächen  ihrer  Diener 
gern  hinweg  und  war  sich  bewusst,  dass  die  schweren  Pflichten 
des  Cölibats  nur  von  wenigen  Auserwählten  wirklich  erfüllt 
werden  können.  Uns  muss  —  um  von  dem  Lauraverehrer 
Petrarca  ganz  zu  schweigen,  da  wir  diesen  Punkt  einer  spä- 
teren Besprechung  vorbehalten  wollen  —  der  Mensch  und 
Priester  Petrarca,  welcher  mit  einer  Buhlerin  Jahre  lang  Be- 
ziehungen unterhält  und  mehrere  Kinder  mit  ihr  zeugt,  gewiss 
in  einem  sehr  fragwürdigen  und  wenig  erbaulichen  Lichte  er- 
scheinen, die  Zeitgenossen  dagegen,  welche  tagtäglich  viel 
ärgere  Dinge  in  geistlichen  Kreisen  sich  abspielen  sahen,  nahmen 
an  einem  so  menschlich  einfachen  Vergehen  eines  Priesters 
nicht  den  geringsten  Anstoss.  Es  erhellt  dies  schon  daraus, 
dass,    obwol   Petrarca's    doppelte   Vaterschaft    sicherlich   ein 


1)  z.  B.  Ep.  ad  post.  p.  2. 


Die  "Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    145 

offenkundiges  Geheimniss  war,  doch  auch  seine  erbittertesten 
Feinde  darauf  niemals  eine  Anklage  gegen  seine  Sittlichkeit 
zu  begründen  versucht  haben,  während  sie  sonst  alle  möglichen 
und  unmöglichen  Beschuldigungen  gegen  ihn  zu  schleudern 
kein  Bedenken  trugen.  Auch  Petrarca  selbst,  der  es  doch 
meisterhaft  verstand,  sich  mit  religiösen  und  moralischen  Scrupeln 
selbst  zu  peinigen,  scheint  sich  wegen  des  Bruches  des  Cöli- 
bates  nie  irgend  welche  Gewissensbisse  gemacht  zu  haben, 
denn  in  der  so  aufrichtigen  Selbstbeichte,  welche  er  in  seiner 
Schrift  „über  die  Verachtung  der  Welt"  ablegt,  gedenkt  er 
dieses  Vergehens  nicht  mit  einem  einzigen  Worte,  während  er 
der  durch  seine  Liebe  zu  Laura  seiner  Meinung  nach  began- 
genen Gedankensünde  lange  Seiten  widmet.  Nach  alledem  ist 
es  höchst  unwahrscheinlich,  dass,  wie  z.  B.  Blanc  vermuthet  ^), 
„das  durch  die  Geburt  seines  Sohnes  erregte  nachtheilige  Ur- 
theil  der  Welt  dazu  beigetragen  habe,  ihm  die  Entfernung  aus 
Avignon  wünsch enswerth  zu  machen." 

Petrarca  erlebte  übrigens,  wie  wir  später  eingehender  be- 
richten werden,  an  seinem  Sohne,  dessen  Erziehung  er  selbst 
übernahm,  wenig  Freude  und  es  bestätigte  sich  an  ihm  wieder 
einmal  die  oft  gemachte  Erfahrung,  dass  berühmte  Männer 
missrathene  und  geistig  verkommene  Söhne  haben.  Zu  einem 
grossen  Theile  trug  Petrarca  gewiss  selbst  die  Schuld  dai-an, 
denn  er  war,  das  dürfte  nicht  zu  bezweifeln  sein,  der  unge- 
eigneteste Erzieher,  der  sich  nur  denken  lässt.  Immer  nur 
mit  seinen  eigenen  Gedanken  und  Phantasien,  litterarischen 
Entwürfen  und  Arbeiten  beschäftigt,  widmete  er  der  Erziehung 
und  dem  Unterrichte  des  Knaben  gewiss  nur  kärglich  zuge- 
messene und  zusammenhangslose  Stunden,  konnte  in  Folge 
dessen  keine  nachhaltigen  Erfolge  erzielen  und  Hess  sich  da- 
durch wiederum,  wie  das  ja  der  gewöhnhche  Fehler  unge- 
schickter Erzieher  ist,  zur  Heftigkeit  hinreissen  und  zur  un- 
gerechten Beurtheilung  und  Behandlung  seines  Zöglings  be- 
stimmen.    Auch  das  unstäte  Wanderleben,    welches  er  später 


^)  in  Ersch  und  Grubers  Encyklopädie  Sect.  III,  Th.  19  p.  213. 

Körting,  Petrarca.  10 


146  ■       Drittes  Capitel. 

mehrere  Jahre  hindurch  führte,  und  der  dadurch  bedingte 
häufige  Wechsel  seines  Aufenthaltes  mochten  viel  dazu  bei- 
tragen, eine  planmilssige  und  gedeihliche  Erziehung  unmöglich 
zu  machen  und,  als  er  dann  endlich  den  Knaben  fremder  Für- 
sorge anzuvertrauen  sich  entschloss,  war  es  bereits  zu  spät 
und  das  Versäumte  nicht  mehr  wieder  gut  zu  machen. 

In  weit  erfreulicherer  Weise  als  Petrarca's  Sohn  Giovanni 
entwickelte  sich  seine  Tochter  Francesca,  weil  er  vermuthlich 
deren  Erziehung  von  vornherein  sachkundigen  Händen  über- 
geben hatte. 

Indem  wir  nun  die  Erzählung  des  äusseren  Lebensganges 
Petrarca's  wieder  aufnehmen,  haben  wir  zunächst  einer  kleinen 
Reise  zu  gedenken,  welche  er  ungefähr  ein  Jahr  nach  seiner 
Uebersiedelung  nach  Vaucluse  unternahm  und  welche,  wenn 
solche  Kürze  des  Ausdruckes  gestattet  ist,  zu  der  modernen 
Besteigung  des  Mont  Ventoux  das  mittelalterliche  Gegenstütk 
bildet,  so  dass  Avir  in  einer  Gesammtbetrachtung  dieser  beiden 
Ausflüge  so  recht  deutlich  Petrarca's  halb  mittelalterliche  halb 
moderne  Doppelnatur  zu  erkennen  vermögen. 

Gegen  Ende  des  Jahres  1338  war,  um  mit  dem  Papste 
in  einer  kirchlichen  Angelegenheit  zu  verhandeln,  der  letzte 
souveraine  Dauphin,  Humbert  IL,  eine  der  originellsten  Cha- 
raktergestalten unter  den  Fürsten  des  ganzen  Mittelalters '), 
nach  .^vignon  gekommen.  Sei  es  nun,  dass  er  Petrarca,  dessen 
Dichterruhm  sich  schon  weiter  verbreitet  haben  mochte,  in 
Vaucluse  aufgesucht,  sei  es,  dass  er  ihn  zufällig  in  Avignon 
kennen  gelernt  hatte,  —  genug,  er  befreundete  sich  mit  ihm 
und  forderte  ihn  auf,  ihn  auf  einer  Wallfahrt  nach  der  Grotte 
von  Ste.  Baume  bei  Marseille,  in  welcher  einer  alten  Tradition 
zufolge  die  heilige  Maria  Magdalena  ihre  letzten  Lebensjahre 
zugebracht  haben  soll  ^),  zu  begleiten.  Petrarca  leistete,  obwol 
der  Dauphin,  von  dessen   geistiger  Begabung  er  keine  sonder- 


^)  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  10  f. 

-)  vgl.  über  diese  Legende  die  eingehende  Untersucluing  von  Matthias 
Thorz,  die  heilige  Maria  Magdalena  (Troppau  1866),  p.  187  ff. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    147 

lieh  günstige  Meinung  liesass,  -ihm  sehr  wenig  sympathisch  war, 
doch,  weil  der  Cardinal  Giovanni  Colonna  es  wünschte,  dieser 
Aiifforderang  Folge  und  verbrachte,  wie  er  selbst  gesteht,  unter 
herzlicher  Langweile  drei  Tage  und  drei  Nächte  mit  dem 
Fürsten  in  dieser  Grotte  oder  in  deren  Umgebung,  die  Zeit, 
welche  die  Andachtsübungen  übrig  Hessen ,  damit  ausfüllend, 
dass  er  seine  abwesenden  Freunde  sich  leibhaftig  zu  vergegen- 
wärtigen suchte  und  dass  er  ein  lateinisches  Gedicht  von  sieben- 
unddreissig  Hexametern  auf  die  heilige  Magdalena  verfasste, 
womit  er  den  Bischof  Philipp  von  Cavaillon,  der  dieser  Heiligen 
eine  besondere  Verehrung  widmete,  erfreuen  wollte.  Es  ver- 
gingen indessen  lange  Jahre,  ehe  er  es  ihm  übersandte,  ver- 
muthlich  weil  ihm  der  Pergamentstreifen  abhanden  gekommen 
war;  erst  im  Jahre  1372  fand  er  ihn,  halbzerrissen  und  ver- 
stäubt, wieder  auf  und  schickte  ihn  nun  endlich  mit  einem 
Briefe,  welchem  die  vorstehenden  Angaben  entnommen  sind^), 
an  Philipp  ab. 

Die  ferneren  Schicksale  des  Fürsten,  als  dessen  Begleiter 
Petrarca  die  Wallfahrt  nach  Ste.  Baume  unternommen  hatte, 
waren  zu  seltsam,  als  dass  wir  ihrer  nicht  in  aller  Kürze  ge- 
denken sollten.  Der  im  Jahre  1339  zwischen  Philipp  VI.  von 
Frankreich  und  Eduard  HI.  von  England,  welcher  letztere  mit 
dem  deutschen  Kaiser  verbündet  war,  ausgebrochene  Krieg  ver- 
setzte den  Dauphin ,  der  gleichzeitig  des  französischen  Königs 
und  des  deutschen  Kaisers  Vassall  war,  in  die  misslichste  Lage. 
Nicht  wissend,  welchem  seiner  beiden  Lehnsherren  er  den 
schuldigen  Kriegsbeistand  leisten  sollte,  zog  er  es  vor,  voll- 
ständigste Neutralität  zu  beobachten  und  vergebens  war  es, 
dass  Petrarca,  welcher  wie  alle  gut  päpstlich  gesinnten  Kle- 
riker in  diesem  Kampfe  französische  Sympathien  hatte,  ihn 
durch  einen  höchst  pathetischen  Briefe)  zum  Kampfe  gegen 
die  Engländer  aufforderte.  Den  verderblichen  Folgen,  welche 
seine  passive  Politik    für  ihn  etwa  hätte  haben  können,    ent- 


Ep.  Sen.  XIV  17  (b.  Fracassetti  XV  15) 
Ep.  Farn.  III  10. 

10^ 


148  Drittes  Capitel. 

ging  Humbert  dadurch,  dass  er  im  Jahre  1349  seine  Staaten 
dem  Könige  von  Frankreich  abtrat,  nachdem  er  bereits  sechs 
Jahre  vorher  diesem  die  (indireete)  Nachfolge  zugesichert  hatte. 
Er  selbst  trat  in  ein  Dominicanerkloster  ein  und  Hess  sich  am 
Weihnachtstage  1351  alle  sieben  Weihen  hinter  einander  er- 
theilen,  worauf  er  nach  Verlauf  von  nur  acht  Tagen  zum 
Bischof  und  Patriarchen  von  Alessandria  erhoben  wurde.  Im 
Besitze  dieser  Würde  endete  er  bereits  am  22.  März  1355. 
erst  dreiundvierzig  Jahre  alt,   sein  seltsam  bewegtes  Leben i). 

In  demselben  Jahre,  in  welchem  Petrarca  mit  dem  Dau- 
phin bekannt  geworden,  sollte  er  noch  in  Beziehungen  mit 
einem  anderen  Fürsten  treten,  welche  ihn  mit  weit  grösserer 
Befriedigung  erfüllten  und  weit  glänzendere  Fracht  ihm  trugen. 

Petrarca's  Landesherr  war,  wie  wir  bereits  früher  einmal 
erwähnten  (vgl.  S.  60),  als  Graf  der  Provence  der  König  Robert 
von  Neapel,  der  damals,  im  Jahre  1338,  bereits  hochbetagt 
war  und  auf  eine  nahezu  dreissigj ährige  Regierung  zurück- 
blickte. Mag  man  vom  politischen  Standpunkte  aus  vielleicht 
über  diesen  Fürsten  ein  nicht  ganz  günstiges  Urtheil  fällen 
müssen,  ein  unbedeutender  Mann  war  er,  der  Jahrzehende 
hindurch  die  Guelfen  Italiens  mit  Energie  und  Klugheit  leitete, 
keinesfalls  und  das  reiche  Lob,  welches  Petrarca  den  glänzen- 
den Eigenschaften  seines  Geistes  und  Herzens  spendet  2),  ist, 
wenn  auch  gewiss  als  übertrieben,  so  doch  mit  Nichten  als  der 
werthlose  Ausdruck  einer  unwürdigen  Schmeichelei  zu  be- 
trachten, wie  unseres  Erachtens  schon  dadurch  bewiesen  wird, 
dass  der  grösste  Theil  der  betreffenden  Stellen  erst  lauge 
Jahre  nach  Roberts  Tode  geschrieben  worden  ist.  Der  Ruhm, 
ein  Freund  und  Gönner  der  Wissenschaften  und  Künste  ge- 
wesen zu  sein,  gebührt  dem  Könige  trotz  aller  Einwendungen, 


^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  438  und  die  dort  angeführten 
Belegstellen. 

2)  Ep.  Fam.  I  1.  III  7.  IV  2.  3.  7.  Ep.  poet.  lat.  H  7  v.  1-21.  II  9. 
II  11  V.  92  ff.  Ecl.  II.  Rer,  mem.  12,  2.  EI  p.  513.  Afr.  prooem. 
Trionf.  della  fama  11  v.  160.  u.  s.  w. 


« 


Die  "Wanderjalire  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    ]49 

die  man  dagegen  erheben  mag^)  und  welche  schliesslich  doch 
nichts  wesentlich  Anderes  besagen,  als  dass  der  König  in  seinem 
Mäcenatenthume  nicht  jene  Munificenz  entfaltet  hat,  welche 
z.  B.  einen  Lorenzo  de'Medici  oder  Ludwig  XIV.  auszeichnete. 
Will  man  aber  gerecht  urtheilen,  so  darf  man  Robert  in  dieser 
Beziehung  nicht  mit  dem  Maassstabe  späterer  Zeiten  messen, 
sondern  muss  sieh  erinnern,  dass  ihm  eben  nur  die  erste 
Morgenröthe  der  Renaissance  zu  schauen  vergönnt  war.  Wahr- 
liaft  gross  und  acht  königlich  ist  jedenfalls  gewesen,  was  er 
an  Petrarca  gethan  hat,  als  er  ihn  zur  Dichterkrönung  mit 
dem  eigenen  Purpurmantel  bekleidete.  Ein  Fürst,  der  also 
handelte,  verstand  es,  geistige  Grösse  zu  ehren,  wenn  auch 
vielleicht  nicht,  sie  zu  besolden. 

Petrarca  hatte  von  Jugend  auf  den  König  Robert  be- 
wundert: schon  in  dem  ersten  seiner  uns  erhaltenen  Briefe, 
den  er  wahrscheinlich  im  Jahre  1325  noch  als  Student  in 
Bologna  schrieb,  preist  er  Neapel  als  glücklich  und  beneidens- 
werth  ob  des  Besitzes  eines  solchen  Fürsten,  durch  welchen 
es  zu  einer  hehren  Burg  der  Wissenschaften  erhoben  werde. 
In  irgend  welche  Beziehungen  mit  dem  gefeierten  Monarchen, 
dei-  zugleich  sein  Landesherr  war,  zu  treten  war  ihm  indessen 
nicht  vergönnt  gewesen  und  vennuthlich  kannte  er  ihn  bis  zum 
Jahre  1341  nicht  einmal  von  Angesicht.  Allerdings  hatte 
Robert  während  der  Jahre  1318  —  1324  in  Avignon  residirt 
und  hatte  in  dieser  Zeit  auch  einmal  mit  seiner  Gattin  Saneia 
und  seiner  Enkelin  Clemenza  ein  ländliches  Fest  in  Vaucluse 
gefeiert  und  zum  Angedenken  dieses  Tages  daselbst  eine  Pappel 
gepflanzt 2),  aber  Petrarca  M-eilte  ja  gerade  damals,  seinen 
Studien  obliegend,  fern  von  Avignon  und  Vaucluse  in  Mont- 
pellier und  Bologna. 

Wie  erfreut  musste  demnach  Petrarca  sein  und  wie  hoch- 
geehrt  musste    er   sich  fühlen,   als  ihm  im   Jahre   1338   der 


1)  vgl.  Landau,  Boccaccio,  p.   8  f.    Ueber  Koberts    angebliche  Ver- 
achtung der  Poesie  vgl.  S.  164. 
")  Ep.  poet.  lat.  I  4. 


150  Drittes  Capitel. 

König  die  (vermuthlich  poetische)  Grabschrift  zusandte,  welche 
er,  der  König  selbst,  für  seine  im  Jahre  1328  verstorbene 
Enkelin  Clemenza,  AVittwe  des  französischen  Königs  Ludwig  X.. 
verfasst  hatte,  und  ihn  um  die  Beurtheilung  derselben  bat. 
Man  wird  es  dem  äusseren  Anerkennungen  sehr  zugänghchen 
Dichter,  dem  in  solcher  Weise  geschmeichelt  wurde,  gewiss 
verzeihen  diiifen ,  wenn  er  in  seinem  Antwortsschreiben  ^) 
überschwänglicher  Ausdrücke  sich  bediente.  „Ein  ungewohnter 
Glanz",  so  begann  er  dasselbe,  „hat  mein  Auge  geblendet! 
Glückselig  die  Feder,  welcher  solche  Worte  anvertraut  wurdenl 
Was  soll  ich  zuerst  bewundern?  die  classische  Kürze  des  Aus- 
druckes oder  die  Erhabenheit  der  Gedanken  oder  die  göttliche 
Anmuth  der  Beredtsamkeit?  Niemals,  o  mhmvoller  König, 
habe  ich  geglaubt,  dass  ein  so  erhabener  Gegenstand  mit 
solcher  Kürze,  Würde  und  Formenschönheit  behandelt  werden 
könne:  etwas  Derartiges  erwartete  ich  nimmer  von  einem  mensch- 
lichen Geiste." 

Strenge  Moralisten  mögen  über  solches  rhetorisches  Ueber- 
maass  des  gespendeten  Lobes  bedauernd  die  Achsel  zucken 
und  als  über  einen  feilen  Schmeichler  den  Stab  über  den 
brechen,  der  solche  Worte  schrieb.  Wir  thuen  es  nicht,  sondern 
erblicken  —  ohne  freilich  die  Thatsache  der  Schmeichelei 
schlechterdings  in  Abrede  stellen  zu  wollen  —  in  den  über- 
reichen Lobeserhebungen,  welche  der  Dichter  seinem  könig- 
lichen Gönner  zollte,  den  Ausdrack  einer  edlen  und  aufrichtigen 
Begeisterung  für  einen  hochherzigen  Monarchen,  der  seinen 
Zeitgenossen  als  das  verkörperte  Ideal  eines  Fürsten  erschien. 

Da  man  füglich  nicht  annehmen  kann,  dass  Petrarea's 
Dichterruhm  im  Jahre  1338  bereits  bedeutend  genug  gewesen 
sei,  um  auf  den  eigenen  Schwingen  bis  nach  Neapel  getragen 
zu  werden,  so  muss  man  fi-agen,  wem  das  Verdienst  gebühre, 
König  Roberts  Aufmerksamkeit  zuerst  auf  den  Dichter  hin- 
gelenkt zu  haben.  Wenn  nicht  Alles  trügt,  so  besitzt  den  be- 
rechtigtesten Anspruch   darauf  Petrarea's    väterlicher  Freund 

»)  Ep.  Fam.  IV  3. 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    151 

Dionisio  da  Borgo  San  Sepolcro,  welcher  im  Jahre  1338,  nach- 
dem er  von  seinem  Lehramte  an  der  Pariser  Hochschule  zur 
liickgetreten  und  auf  der  Durchreise  nach  Italien  in  Avignon 
und  Vaucluse  gewesen  war  ^) ,  zu  Neapel  am  Hofe  des  Königs 
lebte,  der  ihn  im  März  1339  zum  Bischof  von  Monopoli  er- 
nannte. 

"Wenn  einem  Manne  eine  ehrende  Anerkennung  von  be- 
währter Seite  zu  Theil  wird  und  er  bei  aufrichtiger  Selbst- 
prüfung sich  eingestehen  muss,  dass  dieselbe  noch  keine  voll- 
verdiente ist  und  dass  sie  weit  mehr  dem  gilt,  was  man  von 
ihm  erst  erhofft,  als  dem,  was  er  bereits  geleistet,  so  wird  da- 
durch sein  Charakter  auf  eine  ernste  Probe  gestellt.  Minder 
edle  Naturen  lassen  sich  durch  solche  Anerkennung  leicht  zur 
Selbstüberschätzung  und  zum  Stolze  verleiten  und  meinen,  in 
ihr  einen  sie  zur  Trägheit  und  zum  Ausruhen  auf  den  er- 
rungenen Lorbeeren  berechtigenden  Freibrief  erhalten  zu  haben, 
während  wirklich  tüchtige  Charaktere  in  ihr  nur  einen  Sporn 
zu  erneutem  Vorwärtsstreben  und  zu  verdoppelter  Anstrengung 
erblicken. 

Es  ist  demnach  ein  vollgültiger  Beweis  für  die  innere 
Tüchtigkeit  und  den  Seelenadel  Petrarca's,  dass  der  ihm  so 
hohe  Ehre  spendende  Brief  König  Roberts  für  ihn  nicht  zu 
einem  Faulbette  w^urde,  sondern  dass  er  ihn  als  eine  Mahnung 
betrachtete,  fortan  nach  den  höchsten  Zielen  zu  ringen.  Man 
darf  von  dem  Briefe  König  Pvoberts  ab  eine  neue  Periode  der 
inneren  Entwickelung  Petrarca's  datiren:  erst  jetzt  ward  er  sich 
seiner  vollen  Kraft  bewusst,  erst  jetzt  ahnte  er,  dass  er  eine 
weltgeschichtliche  Aufgabe  zu  erfüllen  habe,  erst  jetzt  schaute 
er  die  beseeligenden  Ideale,  welche  fortan  ihn  durch  das  Leben 
begleiten  sollten.    Ohne  des  Königs  Brief  wäre  er  vermuthlich 

^)  Fracassetti  in  der  „Cronologia  comparata  etc."  (Lett.  fam.  1  p.'  169) 
setzt  den  Besuch  Dionisio's  in  Avignon  in  das  Jahr  1339,  er  übersieht 
aber  hierbei,  dass  der  an  Dionisio  gerichtete  Brief  Ep.  Fam.  IV  2,  welcher 
höchst  wahrscheinlich  am  4.  Januar  1889  geschrieben  wurde  (vgl.  Lett. 
lam.  I  p.  503),  bereits  auf  den  Aufenthalt  Dionisio's  an  dem  königlichen 
Hofe  zu  Neapel  Bezug  nimmt. 


152  Drittes  Capitel. 

aufgegangen  in  dem  geschäftigen  Müssiggange  zu  Vaucluse, 
würde  sich  nie  über  den  Dilettantismus  erhoben  und  der  Nach- 
welt Nichts  weiter  Mnterlassen  haben  als  ein  fragmentarisches 
Liederbuch  und  vielleicht  die  Tractate  über  das  Leben  in  der 
Einsamkeit  und  über  die  Müsse  der  Mönche,  der  grosse  Humanist 
aber,  der  Erwecker  einer  alten  und  zugleich  der  Begründer 
einer  neuen  Culturform,  der  Vater  der  Renaissance  wäre  er 
gewiss  nie  geworden,  sondern  einer  ihrer  vielen  Vorläufer  ge- 
blieben. Der  Brief  König  Roberts  war  der  zündende  Funke, 
der  Petrarca's  Geist  erglühen  Hess  in  der  flammenden  Sehn- 
sucht nach  dem  Ruhme  der  Unsterblichkeit  und  ihm  das 
dämmernde  Halbbewusstsein  der  eigenen  Kraft  zum  klaren 
Bewusstsein  erhellte. 

Zwei  Wege,  welche  die  Unsterblichkeit  verjiiessen,  standen 
der  individuellen  geistigen  Begabung  Petrarca's  offen:  als  Ziel 
des  einen  winkte  der  Lorbeerkranz  des  Dichters,  der  andere 
versprach  ihm  den  vielleicht  noch  höheren  Ruhm  einer  all- 
umfassenden Gelehrsamkeit.  Es  zeugt  von  der  geistigen  Voll- 
kraft Petrarca's,  dass  er  beide  Wege  gleichzeitig  zu  wandeln 
und  nach  dem  vereinten  Ruhme  eines  Virgil  und  eines  Varro 
zu  streben  wagte.  Ein  freundliches  Geschick  aber  hat  es  ihm 
vergönnt,  dass  das  Urtheil  der  Nachwelt  wirklich  beide  Ruhmes- 
kränze, wenn  auch  freilich  nicht  ganz  so  blüthenreich ,  wie  er 
sie  erträumt  hatte,  auf  seinem  Haupte  vereinigt. 

Durch  welche  Dichtung  er  den  Ruhm  eines  Virgil  sich 
erringen  wollte,  das  zu  berichten  müssen  wir  uns  füglich  für 
das  nächste  Capitel,  zu  welchem  wir  in  Bälde  übergehen  wer- 
den, vorbehalten.  Hier  werde  nur  noch  erzählt,  welch'  neuen 
Ruhm  er  auf  dem  Gebiete  des  Wissens,  freilich  leider  ver- 
gebens, für  sich  erstrebte. 

Petrarca  wollte  das  classische  Alterthum  ganz  und  voll 
erfassen  und  in  sich  aufnehmen,  indessen  nur  in  Bezug  auf  das 
römische  fand  er  für  sein  edles  Streben  die  Pfade  einiger- 
maassen  geebnet:  die  lateinische  Sprache  in  einem  seltenen 
Grade  der  Vollkommenheit  zu  erlernen,  war  ihm  durch  den 
Jugendunterricht,     dessen     er    sich    erfreut    hatte,    ermög- 


Die  Wanderjahre  der  Jugend  und  die  ersten  Jahre  in  Vaucluse.    153 

licht  worden,  die  bedeutenderen  Werke  der  römischen  Schrift- 
steller und  Dichter  waren  ihm  entweder  von  vornherein  leicht 
zugänglich  oder  doch  seinem  Spürsinne  auffindbar  gewesen 
und  selbst  ein  längeres  Verweilen  auf  den  Trümmerstätten 
altrömischer  Herrlichkeit  hatte  die  Gunst  der  Verhältnisse 
ihm  gewährt.  Das  griechische  Alterthum  dagegen  war  ihm 
verschlossen,  so  lange  er  die  Kenntniss  griechischer  Sprache 
nicht  besass  und  dieselbe  sich  zu  erwerben  hing  bei  den  da- 
maligen Verhältnissen  nicht  von  seinem  Willen  allein  ab,  ja 
musste  fast  als  eine  Unmöglichkeit  erscheinen.  Da  schien 
plötzlich  ein  gütiges  Schicksal  das  vermeintlich  Unmögliche 
ihm  doch  ermöglichen  zu  wollen.  Als  Gesandter  des  griechischen 
Kaisers  Andronicus  kam  im  Jahre  1339  der  Abt  des  Erlöser- 
klosters in  Constantinopel  Barlaam,  ein  hochgelehrter  Mann  i), 
nach  Avignon,  um  mit  dem  Papste  über  die  Wiedervereinigung 
der  getrennten  griechischen  und  lateinischen  Kirche  zu  ver- 
handeln und  dadurch  dem  von  den  Muselmanen  bedrängten 
Byzanz  den  Beistand  des  Abendlandes  zu  gewinnen  ^).  Petrarca 
nutzte  die  Gelegenheit  und  Hess  sich  von  dem  byzantinischen 
Mönche  Unterweisung  in  der  griechischen  Sprache  ertheilen, 
welche  indessen  in  Folge  der  schon  nach  wenigen  Monaten 
erfolgten  Abreise  des  Lehrers  nach  dem  Oriente  viel  zu  km*ze 
Zeit  währte,  als  dass  sie  hätte  erfolgreich  sein  können.  Barlaam 
kehrte  allerdings,  des  theologischen  Gezänkes  mit  den  Palamiten 
über  das  heilige  Licht  müde,  bereits  im  Jahre  1342  aus 
Constantinopel  nach  Avignon  zurück,  und  begann  aufs  Neue 
Petrarca  zu  unterrichten,  aber  auch  dieser  zweite  Aufenthalt 
war  nur  von  kurzer  Dauer,  indem  Petrarca  selbst,  in  edel- 
müthiger  Weise  die  eigenen  Interessen  vergessend,  seinen  Ein- 
fluss  bei  der  Curie  dazu  verwandte,  dass  seinem  zur  römischen 
Kirche  übergetretenen  Lehrer  der  Bischofsstuhl  von  Geraci 
verliehen  wurdet).    Dort  in  seinem   Heimathslande   —    denn 


^)  vgl.  Boccaccio,  de  genealog.  deor.  XV  6. 
-}  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  54. 

^)  Ep.  Farn.  XVIII  2.     Ueher  Barlaam  vergleiche  sonst  noch  Ep.  Sen. 
XI  9  und  de  sui  ips.  et  mult.  ign.  p.  1162. 


154  Drittes  Capitel.  Die  "Wanderjahre  d.  Jugeod  u.  d.  ersten  Jahre  in  Vauclu  se . 

er  war  in  der  griechischen  Colonie  Seminara  in  der  Nähe  von 
Reggio  geboren  worden  —  starb  Barlaam  bereits  im  Jahre  1348  ^. 
So  ist  Petrarca  nie  über  die  elementarsten  Kenntnisse  des 
Griechischen  hinausgekommen  und  die  Schätze  der  griechischen 
Litteratur  sind  ihm  in  Folge  dessen  nie  erschlossen  worden. 
Wie  ganz  anders  hätte  sich  doch  der  Entwickelungsgang  der 
Renaissance  gestaltet,  wäre  es  Petrarca  vergönnt  gewesen,  in 
das  Geistesleben  der  Hellenen  einzudringen!  denn,  da  man 
nicht  zweifeln  darf,  dass  er  die  unendliche  Ueberlegenheit  des 
hellenischen  Geistes  über  den  römischen  und  das  sklavische 
Abhängigkeitsverhältniss  der  lateinischen  Litteratur,  vorzüglich 
aber  der  Poesie,  von  der  griechischen  erkannt  haben  würde, 
so  lässt  sich  auch  nicht  bezweifeln,  dass  er  dann  von  vornherein 
dem  Griechenthume  den  hervorragendesten  Antheil  an  der 
Renaissancebildung  verliehen  und  es,  soweit  nur  irgend  möglich, 
zu  deren  Basis  gemacht  haben  sollte.  In  Wirklichkeit  dagegen 
ist  der  stolze  Bau  der  Renaissancebildung  und  Renaissance- 
kunst auf  einer  fast  durchaus  römischen  Grundlage  errichtet 
worden  und  hat  den  römischen  Charakter  dauernd  ])ewahrt, 
so  viele  hellenische  Bildungssteine  auch  nachträglich  hinein- 
gesetzt wurden.  Das  Grundwesen  der  Renaissance  ist  römisch 
geblieben  bis  auf  den  heutigen  Tag,  ihre  griechischen  Elemente 
sind  mehr  oder  weniger  nur  ein  schmückendes  Aussenwerk. 
Die  Renaissance  war  ein  Wiederaufleben  des  Römerthums,  nicht 
des  Hellenenthums  und  das  ist  folgenschwer  geworden  für  die 
ganze  Culturentwickelung.  —  Der  Grieche  Barlaam,  als  er 
durch  seinen  raschen  Weggang  von  Avignon  Petrarca  der 
Möglichkeit  einer  tieferen  Kenntniss  hellenischer  Sprache  und 
Bildung  beraubte,  zerstörte  einen  stolzen  Zukunftsbau  und 
entschied  für  Jahrhunderte  das  Schicksal  der  Völker  Europa's. 
Kleine  Ursachen,  grosse  Wirkungen! 

1)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  93  f. 


Viertes  Capitel. 
Die  Dichterkrönung. 


JJer  römische  Kaiser  Domitian  (81—96  n.  Chr.)  hatte, 
olfenbar  in  Nachahmung  der  olympischen  und  pythischen  Fest- 
spiele Griechenlands,  angeordnet,  dass  zu  Ehren  des  Jupiter 
Capitolinus  nach  Ablauf  eines  jeden  Lustrums  ein  Wettkampf 
in  den  musischen  und  gymnischen  Künsten  abgehalten  werden 
solle ^).  Gar  mannigfaltig  waren  die  Genüsse,  welche  solch 
ein  Wettkampf  oder  Agon,  wie  man  mit  dem  griechischen 
Fremdworte  ihn  benannte,  dem  zuschauenden  Publicum  bot. 
Im  Wagenlenken  und  im  Schnelllauf,  an  welchem  letzteren 
auch  Jungfrauen  sich  betheiligen  durften ,  sowie  in  anderen 
Leibeskünsten  rang  man  um  den  Preis,  Citherspieler  und 
andere  Musiker  zeigten  ihre  Kunst,  Schriftsteller  und  Dichter  -) 
trugen  in  griechischer  und  lateinischer  Sprache  ihre  Werke  vor : 
der  Sieger  aber  in  einem  jeden  Kampfe  wurde  mit  einem  Kranze 


^)  Sueton.  Domit.  c.  4. 

-)  Sueton  sagt  allerdings  nur  „certabant  enim  et  prosa  oratioue 
graece  latineque",  dass  aber  wenigstens  sehr  bald,  wenn  nicht  von  Anfang 
an,  auch  poetische  Wettkämpfe  stattfanden,  bezeugt  Statius,  welcher  in 
einem  solchen  unterlegen  zu  sein  selbst  berichtet  (Silv.  III  5  v.  31  ff.,  V 
3  V.  231  ff.).  Sollte  vielleicht  im  Text  des  Sueton  zwischen  „enim"  (wofür 
andere  Handschriften  etiam  bieten)  und  „et"  etwas  ausgefallen  sein? 


156  Viertes  Capitel. 

aus  Eichenlaub  gekrönt  ^).  Der  Kaiser  selbst  führte  bei  diesen 
Spielen  den  Vorsitz,  bekleidet  mit  einem  griechischen  Purpur- 
gewande  und  auf  dem  Haupte  einen  goldenen,  mit  den  Bild- 
nissen des  Jupiter,  der  Juno  und  der  Minerva  geschmückten 
Kranz  tragend.  Ausserdem  feierte  Domitian  alljährlich  auf 
seiner  albanischen  Villa  ein  fünftägiges  Fest  der  Minerva, 
welches  ausser  durch  Jagddarstellungen  und  Schauspielauf- 
führungen auch  durch  Wettkämpfe  der  Redner  und  Dichter 
verherrlicht  wurde  ^).  Der  Preis  bestand  hier  in  einem  Oliven- 
kranze.    Statins  hat  ihn  zu  wiederholten  Malen  errungen  2). 

Diese  von  Domitian  eingesetzten  Festspiele  erhielten  sich 
Jahrhunderte  hindurch,  ja  vermuthlich  wurden  sie,  namentlich 
die  capitolinischen,  welche  sich  gewiss  zu  sehr  volksthümlichen 
Festen  gestaltet  hatten,  so  lange  gefeiert,  als  das  römische 
Reich  bestand  und  vielleicht  —  wie  ja  auch  die  circensischen 
Spiele  den  Fall  Westroms  weit  überdauerten  —  noch  lange 
darüber  hinaus,  obwol  sich  dies  urkundlich  nicht  belegen  lässt^j. 

Eine  dunkle  Erinnerung  an  die  einst  auf  dem  Capitole  voll- 
zogenen Dichterkrönungen  muss  sich  während  des  Mittelalters 
erhalten  haben.  Als  nun  seit  dem  Ende  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts die  Erinnerungen  an  das  römische  AI terthum  lebendiger 
wurden  in  den  Gemüthern  der  Italiener  und  sich  zuweilen  in 
der,  freilich  oft  fratzenhaft  verzerrten,  Neubelebung  antiker 
Institutionen  verkörperten,  da  ward  auch  die  Sitte  der  Dichter- 
krönung erneuert,  nur  verlieh  man  jetzt  einen  Lorbeerkranz 
statt  des  Kranzes  aus  Eichenlaub ,  sieh  dessen  erinnernd, 
dass  der  Lorbeer  als  der  dem  Gotte  der  Dichtkunst  geweihte 
Baum  galt.    Durch  eine  solche  Krönung  wurde  z.  B.  im  Jahre 


^)  vgl.  die  Inschrift  bei  J.  Orelli,  inscript.  Lat.  no.  2603  (Pauly's  Real- 
Encycl.  VI  2  S.  2364),  in  welcher  die  Krönung  des  dreizehnjähiügen 
Pudens  berichtet  wird.  Dass  der  Kranz  ein  Kranz  aus  Eichenlaub  gewesen 
sei,  erwähnt  Martial  Epigr.  54. 

2)  Sueton  1.  1. 

•■')  Statins,  Silv.  III  5  v.  28  ff. 

*)  vgl.  Tiraboschi,  V  p.  704. 


Die  Dichterkröming.  157 

1314  der  berühmte  Staatsmann,  Geschichtsschreiber  und  Poet 
Albertino  Mussato  von  Padua  ausgezeichnet^). 

Diese  Dichterkrone  nun,  an  welcher  der  ganze  Zauber  des 
Alterthums  haftete,  zu  empfangen  und  zwar  sie  zu  empfangen 
an  möglichst  bedeutungsvoller  Stätte  und  mit  möglichst  grossem 
Gepränge,  das  war  das  höchste  Ziel,  welches  der  Ehrgeiz 
Petrarca's  sich  vorgesetzt  hatte  und  welchem  er  mit  glühender 
Sehnsucht  nachtrachtete.  Durch  den  Besitz  des  Lorbeerkranzes 
glaubte  er,  zugleich  als  Dichter  und  als  Humanist  die  höchste 
Ehre  und  unbedingteste  Anerkennung  erwerben  zu  können 
und  gleichgestellt  zu  werden  den  grossen  Männern  des  Alter- 
thums, deren  Stirn  die  Nachwelt  mit  dem  unverwelklichen 
Lorbeerzweige  umflochten  hatte.  Sein  ganzes  Denken  ging  in 
einem  nahezu  an  Monomanie  grenzenden  Grade  auf  in  dem 
Streben  nach  dem  Lorbeer,  der  Laurus  der  Römer,  und  mit 
diesem  Streben  verflocht  sich  seine  Liel)e  zu  Laura  in  so  selt- 
sam wunderbarer  Weise,  dass  der  Lorbeer  (lauro)  und  Laura 
für  seine  Phantasie  zu  einer  Einheit  sich  verschmolzen,  dass 
er  in  Laura  den  Lorbeer  und  im  Lorbeer  Laura  zu  lieben 
glaubte.  Die  Liebe  zum  Lorbeer  steigerte  sich  in  ihm  bis  zu 
einer  fast  krankhaften  Schwärmerei,  bis  zu  einer  beinahe  aber- 
gläubischen Verehrung  und  erreichte  eine  Intensität,  welche 
sich  nur  mit  der  tief  innerlichen  mystisch-religiösen  Begeisterung 
mittelalterlicher  Asketen  vergleichen  lässt.  So  mischen  sich 
auch  hier  wieder  die  mittelalterlichen  und  modernen  Elemente 
in  Petrarca's  Charakter:  er  schwärmt  in  mittelalterlich  ver- 
zückter Weise  für  einen  Ruhm,  den  nur  moderne  Menschen 
schätzen.  Der  Dichter  des  Mittelalters  kannte  das  Streben 
nach  persönlichem  Ruhme  nicht  oder  doch  nur  in  Ausnahme- 
fällen und  legte  meist  nicht  einmal  darauf  Gewicht,  dass  seine 
Dichtung  seinen  Namen  trage  und  original  sich  abhebe  von  den 
Werken  der  Vorgänger  und  Nachfolger,  höchstens,  dass  er 
seinen  Namen  in  die  Dichtung  einflocht,  um  den  Gönnern,  für 
welche  er  sang,  gleichsam  die  Adresse  anzugeben,   an  welche 


1)  vgl.  Tiraboschi,  V  p.  572  f. 


158  Viertes  Capitel. 

etwaige  klingende  Beweise  der  Erkenntlichkeit  einzusenden 
seien.  Dem  ideal  gesinnten  Dichter  des  Mittelalters  war  das 
Lied  selbst,  das  aus  seiner  Kehle  drang,  der  schönste  Lohn, 
der  materieller  gesinnte  Hess  sich  an  den  äusseren  Vortheilen 
genügen,  welche  sein  Gesang  ihm  einbrachte,  —  der  persön- 
liche Ruhm  aber  kümmerte  den  einen  so  wenig  wie  den  anderen, 
beide  sorgten  sich  nicht  um  das  Fortleben  ihres  Namens  in 
einer  fernen  Nachwelt.  Das  Streben,  den  individuellen  Namen, 
das  Andenken  an  ihre  vergängliche  Erscheinungsform  verewigen 
zu  wollen,  ist  nur  modernen  Menschen  eigen,  welche,  aus  der 
naiven  Weltanschauung  heraustretend,  über  ihr  Ich  reflectiren, 
das  Bewusstsein  einer  scharf  ausgeprägten  Individualität  be- 
sitzen und  sich  mit  Recht  oder  Unrecht  über  die  Durchschnitts- 
masse der  Menschheit  erhaben  glauben.  Auch  in  diesem  Sinne 
ist  Petrarca  der  erste  moderne  Mensch. 

Wenn  man  dies  erwägt  und  beherzigt,  wird  man  Petrarca's 
Streben  nach  dem  Lorbeer  nicht  so  schlechthin  als  den  Aus- 
druck einer  kindischen  und  überspannten  Eitelkeit  betrachten 
dürfen,  wie  man  oft  gethan,  sondern  wird  vielmehr  geneigt 
sein,  darin  das  an  sich  völlig  berechtigte  Ringen  nach  An- 
erkennung seiner  Individualität  und  individualen  Begabung  zu 
erblicken,  ein  Ringen,  das  sich  allerdings  in  nach  unseren  Be- 
griffen wunderlichen  und  excentrischen  Formen  kundsab  und 
den  Charakter  mittelalterlich  religiöser  Ekstase  an  sich  trug.  — 

Vollgültigen  Anspruch  auf  die  Erlangung  der  Dichterkrone 
glaubte  Petrarca  durch  eine  lateinische  Dichtung  zu  erwerben, 
durch  welche  er  mit  keinem  Geringeren  als  mit  Virgil  selbst 
zu  wetteifern  unternommen  hatte. 

Als  er  einst  an  einem  Charfreitage,  höchst  wahrscheinlich 
des  Jahres  1339,  auf  den  Bergen  von  Vaucluse  umherschweifte, 
war  ihm  wie  durch  plötzliche  Eingebung  der  Gedanke  gekommen, 
die  Heldenthaten  des  „Sternenjünglings'-  Scipio  Africanus,  des 
hochherzigen  Besiegers  Hannibals  und  Carthago's,  in  einem 
grossen  lateinischen  Epos  zi^  feiern  ^).     Dem  Gedanken  folgte 


^)  Epist.  ad  post.  p.  7. 


Die  Dichterkrönung.  159 

die  Ausführung'  und  ein  Theil  der  Dichtung  entstand  vermuth- 
lich  schon  in  den  nächstfolgenden  Monaten. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  über  die  ferneren  Schicksale 
des  seltsamen  Dichterwerkes  zu  berichten.  Wir  werden  später 
an  geeigneterer  Stelle  sehen,  wie  dasselbe,  nachdem  es  zu  ver- 
schiedenen Malen  in  Angriff  genommen  worden  und  Jahre 
lang  Gegenstand  der  eifrigsten  Beschäftigung  des  Dichters  ge- 
wesen war,  schliesslich  doch  nicht  zur  Vollendung  gelangte, 
sondern  innerlich  und  vielleicht  auch  selbst  äusserlich  ohne 
Abschluss  blieb.  Ebensowenig  wollen  wir  hier  ein  Urtheil  über 
die  Dichtung  abgeben,  wir  behalten  uns  dies  vielmehr  eben- 
falls für  eine  spätere  passendere  Gelegenheit  vor  und  begnügen 
uns  hier,  zu  bemerken,  dass  die  „Africa"  —  denn  so  betitelte 
Petrarca  sein  Epos  —  bei  den  Zeitgenossen,  selbst  auf  Grund 
der  wenigen  Bruchstücke ,  welche  allein  bei  Petrarca's  Leb- 
zeiten in  weiteren  Kreisen  von  ihr  bekannt  wurden,  als  ein  der 
Aeneis  des  Virgil  vollkommen  ebenbürtiges  Meisterwerk  galt. 
Das  blosse  Gerücht  schon,  dass  Petrarca  mit  der  Abfassung 
eines  grossen  lateinischen  Epos  beschäftigt  sei,  genügte,  ihm 
den  Ruhm  des  grössten  Dichters  zu  verbürgen.  "Wie  hätte 
ihm  also  die  Erreichung  seines  Lieblingswunsches,  die  Erlangung 
der  Dichterkrone,  unmöglich  scheinen  sollen? 

Nicht  aber  an  irgend  einem  beliebigen  Orte,  nicht  etwa 
in  dem  ihm  verhassten  Avignon  wollte  Petrarca  die  ehrende 
Feier  an  sich  vollziehen  lassen.  Nur  Paris,  durch  seine 
Universität  damals  die  wissenschaftliche  Hauptstadt  des  west- 
lichen Europii's,  und  das  altehrwürdige,  ihm  so  theuere  Rom 
schienen  ihm  eine  würdige  Stätte  hierfür  bieten  zu  können. 
Der  Zufall  fügte  es,  dass  er  in  beiden  Städten  Verbindungen 
mit  einflussreichen  Personen  besass,  welche  die  Verwirklichung 
seines  heissen  Wunsches  vermitteln  konnten.  Zu  Paris  war  er 
befreundet  mit  dem  hochgelehrten  Canzler  der  Universität, 
seinem  Landsmanne  Roberto  de'Bardi  ^) ,  und  gewiss  auch  mit 
manchem    anderen  Lehrer  der  Hochschule,    den  er  während 

1)  vgl.  Ep.  poet.  lat.  II  18. 


160  Viertes  Capitel. 

seines  dortigen  Aufenthaltes  kennen  gelernt  haben  mochte. 
In  Rom  aber  war  ihm  die  mächtige  Verwendung  der  ihm  so 
gewogenen  Colonnesen  gewiss.  Mehr  als  alles  dies  jedoch  wog 
die  Gunst  des  Königs  Robert,  welche  ihm  durch  Dionisio  da 
Borge  San  Sepolcro  gewonnen  worden  war,  und  Petrarca  selbst 
hat  es  offen  anerkannt,  dass  er  ihr  zumeist  den  Lorbeer  ver- 
danke 1). 

„Was  mich  anbetrifft,"  schrieb  Petrarca  am  4.  Januar 
1339  an  Dionisio  -'),  „so  sei  überzeugt,  dass  ich  Dir  bald  nach 
Neapel  nachkommen  werde.  Du  weisst  ja,  was  ich  in  Betreff 
des  Lorbeerkranzes  denke,  den  ich  nach  reiflicher  Ei-wägiing 
keinem  Menschen  sonst  als  eben  diesem  Könige,  von  welchem 
wir  sprechen,  zu  verdanken  beschlossen  habe.  Sollte  ich  so 
viel  bei  ihm  gelten,  dass  er  selbst  mich  ruft,  so  ist  es  gut. 
Sonst  werde  ich  irgend  etwas  gehört  zu  haben  fingiren  oder 
wie  im  Zweifel  über  den  Sinn  des  Briefes,  den  er  in  so  gnädiger 
Werthschätzung  meiner,  des  ihm  ganz  unbekannten  Menschen, 
an  mich  zu  richten  geruht  hat,  werde  ich  ihn  so  auslegen, 
dass  ich  gerufen  zu  sein  scheine." 

Es  gewährt  uns  diese  Stelle  einen  so  offenen  Einblick  in 
Petrarca's  Denk-  und  Handlungsweise  wie  wir  ihn  besser  gar 
nicht  wünschen  können.  Wir  ersehen  aus  ihr,  dass  Petrarca, 
sobald  er  die  wohlwollende  Zuschrift  des  Königs  empfangen 
hatte,  beschloss,  diese^^e  mit  Dionisio's  Hülfe  als  Brücke  zur 
Erreichung  seines  Lieblingswunsches  zu  benutzen  und  dass  er, 
um  dies  zu  eimöglichen ,  selbst  nicht  abgeneigt  war,  des  un- 
würdigen Mittels  einer  zudringlichen  Heuchelei  sich  zu  bedienen. 

Wenn  Petrarca  aber  betheuert,  er  wolle  nur  von  König 
Robert  den  Lorbeer  empfangen,  so  erblicken  wir  hierin  Nichts 
als  eine  wohlberechnete  Kriegslist  und  hüten  uns  wohl,  es  ihm 
zu  glauben,  sind  vielmehr  überzeugt,  dass  er  den  Lorbeer 
ebenso  gern  aus  den  Händen  Roberto's  de'  Bardi  oder  —  wie 
ja  auch  schliesslich  geschehen  —  aus  den  Händen  eines  rörai- 


^)  vgl.   Ecl.  X  V.  357   ff.    (Argus  ist   nach    der  in  den   Belogen  ge- 
brauchten allegorischen  Sprache  König  Robert,  cf.  Ecl.  II). 
")  Ep.  Fam.  IV  2. 


Die  Dichterkrönung.  \Q\ 

sehen  Senators  entgegenzunehmen  gesonnen  war  und  dass  er 
sowol  in  Paris  als  in  Rom  in  diesem  Sinne  Verhandlungen  an- 
knüpfte, denn  ganz  gewiss  bot  weder  Roberto  noch  der  römische 
Senat  aus  eigenem  Antriebe  ihm  die  Krönung  an.  Wir  er- 
kennen demnach  jedenfalls,  Petrarca's  Lorbeerkrone  war  nicht 
ein  ihm  ohne  eigenes  Zuthun  gespendeter  Lohn  seiner  dichte- 
rischen Leistungen,  sondern  die  schwer  errungene  Frucht  seiner 
planvoll  angelegten  und  geschickt  geleiteten  Bemühungen, 
welche  man  fast  versucht  ist,  Intriguen  zu  nennen.  Das  ist 
es,  was  einen  hässlichen  Schatten  auf  diesen  Dichterkranz  und 
auf  den  Charakter  des  Dichters  wirft.  Nicht  dass  er  diese 
Auszeichnung  erstrebte,  darf  ihm  billigerweise  zum  Vorwurfe 
gemacht  werden,  wol  aber,  dass  er  ihr  auf  krummen  Wegen 
nachtrachtete,  zumal  er  vermuthlich  sie  bald  auf  geradem 
Wege  erlangt  haben  würde. 

Der  Gang  der  Sache  war,  wie  sich  vermuthen  lässt,  folgen- 
der. Petrarca  warb  gleichzeitig  in  Paris,  Rom  und  Neapel 
um  den  Lorbeer.  An  dem  letzteren  Orte  wirkte  Dionisio  für 
ihn  und  gab  in  seinem  Auftrage  dem  Könige  zu  verstehen, 
dass  die  Krönung  in  Rom  am  freudigsten  aufgenommen  werden 
würde.  In  Folge  dessen  sah  Robert  davon  ab,  die  Feierlichkeit, 
wie  er  wol  sonst  gethan  haben  würde,  in  Neapel  selbst  zu 
vollziehen  und  machte  seinen  schwerwiegenden  Einfluss  in  Rom 
geltend,  damit  sie  dort  unter  seinen  Auspicien  erfolgen  könne. 

Die  betreffenden  Verhandlungen  scheinen  indessen  erst 
zum  Ziele  geführt  zu  haben,  als  im  Sommer  1340  der  Graf 
Orso  deirAuguillara,  des  alten  Stefano  Colonna  Schwiegersohn 
und,  wie  man  sich  erinnern  wird,  einst  Petrarca's  Wirth  in 
Capranica,  zum  Senator  von  Rom  neben  Giordano  Orsini 
designirt  worden  war.  Orso  mochte  als  ein  Freund  der  Dicht- 
kunst und  Bewunderer  geistvoller  Männer  i)  sich  persönlich 
für  die  Angelegenheit  interessiren  und  so  gelangte  sie  denn 
im  Sommer   1340   zum  Abschluss.    Wie   dem  auch   sein  mag. 


^)  „Pieridum  familiarissimus  et  excellentium  ingeniorum    mirator  ele- 
gantissimus  ac  laudator."    Ep.  Fam.  II  13. 

Körting,   Petrarca.  JJ 


1(32  Viertes  Capitel. 

jedenfalls  wurden  Petrarca's  Bemühungen  um  den  Lorbeerkranz 
von  einem  Erfolge  gekrönt,  der  gewiss  seine  kühnsten  Er- 
wartungen übertraf,  und  ein  glücklicher  Tag  ward  ihm  be- 
schieden. 

Am  1.  September  ')  1340,  als  er  gegen  9  Uhr  des  Morgens 
einsam  im  Haine  von  Vaucluse  lustwandelte,  erhielt  er  ein 
Schreiben  des  römischen  Senates,  welches  ihn  in  den  dringen- 
desten Ausdrücken  zur  Dichterkrönung  nach  Rom  einlud ;  und 
in  der  sechsten  Stunde  des  Nachmittags,  als  er  auf  den  Wiesen 
an  den  Ufern  der  Sorgue  sich  erging,  traf  ihn  ein  Bote  aus 
Paris  mit  einem  Briefe  Roberto's  de'Bardi,  der  ihn  aufforderte, 
den  Lorbeer  in  Paris  zu  empfangen  ^). 

Noch  an  dem  Abende  desselben  Tages  theilte  Petrarca 
das  Geschehene  seinem  Gönner,  dem  Cardinal  Giovanni  Colonna. 
mit  und  bat  ihn  um  seinen  Rath,  ob  er  Paris  oder  Rom 
den  Vorzug  geben  solle.  Der  Cardinal  entschied  sich,  wit^ 
vorauszusehen  war,  für  Rom  und  Petrarca  fugte  sich  diesem 
Rathe  nicht  mehr  als  gern,  denn  wie  hätte  der  Gedanke,  die 
Dichterkrone  auf  dem  Capitole  empfangen  zu  dürfen,  wo  — 
so  glaubte  er  wenigstens  —  die  grossen  Dichter  des  Alter- 
thums  sie  empfangen  hatten ,  nicht  einen  unwiderstehlichen 
Reiz  auf  seine  erregbare  Phantasie  ausüben  sollen?  Nur  das 
Eine  bekümmerte  ihn,  wie  er  die  Bevorzugung  Roms  vor  Paris 
bei  seinem  Freunde  Roberto  de'Bardi  entschuldigen  solle,  doch 
tröstete  er  sich  damit,  dass  bei  der  demnächst  zu  erwartenden 
persönlichen  Anwesenheit  desselben  in  Avignon  die  Sache  sich 
leicht  mündlich  ausgleichen  lassen  würde  ^). 

Sei  es  nun,  dass  die  Dichterkrönung  zu  Rom  von  vorn- 
herein auf  den  Ostersonntag  des  folgenden  Jahres  angesetzt 
worden  war,  oder  dass  sie  für  einen  früheren  Tag  bestimmt 
gewesen   war,    aber  in  Folge  irgend  welcher  Umstände  hatte 


^)  über  die  Bestimmung  des  Tages  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  506. 
Bisher  wurde  gewöhnlich  nach  de  Sade  der  23.  August  angenommen,  Gre- 
gorovius  (a.  a.  0.  VI  p.  208)  gibt  den  30.  August  an. 

2)  Ep.  Fam.  IV  4.  cf.  Ep.  ad  post.  p.  8. 

"}  Ep.  Fam.  IV  5. 


Die  Dicliterkrönuiig.  163 

verschoben  werden  müssen,  Petrarca  trat  erst  am  16.  Februar 
1341  seine  Reise  an  \),  deren  nächstes  Ziel  indessen  nicht  Rom, 
sondern  Neapel  war.  Von  Azzo  da  Correggio  begleitet,  den 
diplomatische  Geschäfte  nach  Avignon  geführt  hatten  und  nun 
nach  Neapel  führten  —  vermuthlich  wollte  er  sich  der  Zu- 
stimmung König  Roberts  zu  dem  l)ald  zu  erzählenden  Staats- 
streiche in  Parma  versichern  — ,  schiffte  er  sich  in  Marseille 
ein  und  gelangte  in  den  ersten  Tagen  des  März  nach  Neapel. 
Ein  seltsamer  Grund  hatte  Petrarca  bewogen,  die  weite  Fahrt 
nach  der  unteritalischen  Hauptstadt  zu  unternehmen.  Er  wollte 
sieh  nicht  nur,  wie  das  ja  begreiflich  und  geziemend  war,  dem 
Könige,  seinem  Landesherrn,  vorstellen  und  ihm  für  das  be- 
wiesene grosse  Wohlwollen  danken,  sondern  wollte  sich  auch 
von  ihm,  dem  Könige  der  Philosophen,  „dem  einzigen  Könige 
seiner  Zeit,  der  ein  Freund  der  Wissenschaft  und  Tugend  war", 
in  den  Wissenschaften  prüfen  lassen,  um  dadurch  die  Berechtigung 
seines  Anspruches  auf  die  Lorbeerkrone  vor  aller  Welt  offen- 
kundig zu  beweisen  ^).  Der  greise  Monarch ,  der  sich  durch 
des  Dichters  Wunsch  sehr  geschmeichelt  fühlte,  war  gern  be- 
reit, darauf  einzugehen,  und  hielt  mit  ihm  eine  dreitägige,  jedes- 
mal von  Mittag  bis  zum  Abend  währende  Prüfung  ab,  nach 
deren  Beendigung  er  Petrarca  für  des  Lorbeers  durchaus 
würdig  erklärte  und  ihm  dies  auch  durch  ein  an  den  römischen 
Senat  gerichtetes  Schreiben  ausdrücklich  bezeugte^).  „Das 
seltsame  p]xamen,  welches  ein  Poet  vor  einem  Könige  bestand, 
war" ,  nach  Gregorovius'  treffendem  Ausdrucke  •^) ,  „für  beide 
Theile  gleich  ehrenvoll;  es  musste  die  Aufmerksamkeit  der 
ganzen  wissenschaftlichen  Welt  auf  sich  ziehen."  Mag  immer- 
hin sowol  bei  demjenigen,  welcher  die  Priifung  bestand,  als 
auch  bei  dem,  der  sie  abhielt,  eine  starke  Dosis  Eitelkeit  mit- 


1)  Ep.  Fam.  IV  5. 

")  Epist.  ad  post.  p.  8. 

^)  Epist.  ad  post.  p.  8  f.  Nach  Boccaccio  (bei  Rossetti  p.  344)  währte 
die  Prüfling  nur  zwei  Tage  und  wurde  an  dem  ersten  nur  privatim,  an 
dem  zweiten  aber  in  Gegenwart  der  Grossen  des  Hofes  abgehalten. 

*)  Gregorovius,  a.  a.  0.  VI  p.  210. 

11* 


164  Viertes  Capitel. 

gewirkt  haben,  beide  bezeugten  durch  ihre  Handlungsweise 
eine  voller  Anerkennung  würdige  Hochachtung  vor  der  Wissen- 
schaft. Das  Examen  aber  als  „pedantisch"  zu  brandmarken, 
wie  manche  Litterarhistoriker  gethan  ^),  liegt  nicht  die  mindeste 
Berechtigung  vor:  weder  Petrarca  noch  König  Robert  haben 
je  die  Wissenschaft  pedantisch  behandelt,  sie  waren  beide,  der 
Dichter  wie  der  Fürst,  in  der  Wissenschaft  Dilettanten  im 
besten  Sinne  des  Wortes. 

Petrarca  las  seinem  königlichen  Gönner  die  „Africa"  vor, 
so  weit  sie  damals  vollendet  war,  und  erntete  reiches  Lob 
dafür ,  ja  es  ward  ihm  die  Anerkennung  zu  Theil ,  dass  König 
Robert  sich  die  Widmung  des  Gedichtes  von  ihm  erbat  2). 
Yiele  Gespräche  auch  über  wissenschaftliche  Fragen  pflog  der 
allezeit  lernbegierige  MoDarch  mit  seinem  gelehrten  Gaste, 
namentlich  aber  Hess  er  sich  von  ihm  über  das  Wesen  und 
die  Ziele  der  Poesie  unterrichten,  mit  welcher  er  sich  bisher 
nur  oberflächlich  beschäftigt  hatte  und  welche  er  wol  nur  als 
eine  Art  geistvoller  Spielerei  betrachtet  haben  mochte.  Von 
Petrarca  eines  Besseren  belehrt,  sprach  er  sein  Bedauern  aus, 
dass  ihn  jetzt  sein  Alter  verhindere,  sich  noch  der  Dichtkunst 
widmen  zu  können,  was  er,  hätte  er  früher  einen  richtigeren 
Begi'iff  von  ihrem  Werthe  besessen,  gewiss  gethan  haben  würde  ^). 

Am  neapolitanischen  Hofe  lenite  Petrarca  damals  auch 
zwei  Männer  kennen,  mit  denen  er  dauernde  und  nicht  un- 
wichtige Freundschaftsbeziehungen  anknüpfte. 

Der  Eine  war  des  Königs  Canzler  Barbato,  aus  dem  pelig- 
nischen  Sulmo,  der  Vaterstadt  Ovids,  gebürtig.     Petrarca  zollt 


*)  z.  B.  Landau,  Boccaccio  p.  9. 

-)  Epist.  ad  post.  p.  9. 

3)  vgl.  Rer.  mem.  lib.  I  2,  26  (p.  405  f.),  eine  Stelle,  welche  für  die 
Beurtheilung  Roberts  und  seines  Verhältnisses  zu  Petrarca  überaus  wichtig 
ist,  und  Boccaccio,  de  genealog.  deor.  XIV  Schlusä.  Kerneswegs  hatte 
Robert  aber  vor  seinem  Verkehre  mit  Petrarca  die  Dichtkunst  verachtet, 
denn  sonst  würde  er  nicht  sie  selbst  praktisch  ausgeübt  haben,  wie  er 
doch  that,  als  er  im  Jahre  1338  das  Epitaph  auf  seine  Enkelin  Clemenza 
verfasste,  vgl.  Tiraboschi,  V  p.  26  ff. 


Die  Dichterkrönung.  265 

ihm  das  hohe  Lob,  dass  die  Sonne  keinen  liebenswürdigeren, 
unbescholteneren  und  reineren  Charakter  gesehen  habe,  er 
preist  die  begeisterte  Liebe  zu  den  Wissenschaften,  von  welcher 
er  beseelt  gewesen  sei  und  die  ihn  alle  sinnlichen  Vergnügungen 
habe  vergessen  lassen,  er  rühmt  endlich  seine  hohen  geistigen 
Fähigkeiten  und  insbesondere  seine  grosse  poetische  Begabung, 
welche  ihn  zu  einem  würdigen  Nebenbuhler  Ovids  mache  ^). 
Der  persönliche  Verkehr  Petrarca's  mit  Barbato  war  freilich  auf 
die  wenigen  Wochen  seines  zweimaligen  Aufenthaltes  in  Neapel  in 
den  Jahren  1341  und  1343  beschränkt,  und  seit  letzterem  Jahre 
sahen  sich  die  Freunde  bis  zu  dem  im  Jahre  1363  ^)  erfolgten 
Tode  Barbato's  überhaupt  nicht  mehr  wieder,  desto  eifriger 
aber  war  ihr  Briefwechsel  ^j,  ja  Petrarca  widmete  dem  Freunde 
die  ganze  Sammlung  seiner  poetischen  lateinischen  Episteln^), 
und  ihm  allein  auch  überliess  er  ein  Fragment  der  sonst  ängst- 
lich vor  der  Oeffentlichkeit  gehüteten  „  Africa"  ^),  welches  Ver- 
trauen freilich,  wenn  auch  ohne  Barbato's  directes  Verschulden, 
sehr  üble  Folgen  für  den  Dichter  haben  sollte,  wie  wir  später 
zu  erzählen  Gelegenheit  finden  werden.  —  Der  andere  der  in 
Neapel  neu  gewonnenen  Freunde  Petrarca's  war  Giovanni 
Barili  aus  Capua,  ein  am  königlichen  Hofe  einflussreicher  und 
mit  wichtigen  Geschäften  betrauter  Eitter*'),  der  auch  nach 
König  Roberts  Tode  eine  wichtige  Rolle  in  den  Hof-  und 
Staatshändeln  spielte.  Petrarca's  Beziehungen  zu  ihm  waren 
indessen  weit  weniger  intim  als  diejenigen  zu  Barbato ,  wie 
sieh  das  ja  aus  der  Verschiedenheit  des  Standes  und  der  Be- 
strebungen hinreichend  erklärt,  denn  Barili,  obwol  ein  Freund 
der  Musen,  war   doch  in  erster  Linie  Kriegs-   und  Hofmann. 


1)  Ep.  Sen.  III  4  u.  Ep.  poet.  lat.  II  16  v.  87—94. 

")  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  522. 

3)  Briefe  Petrarca's  an  Barbato:  Ep.  Fam.  IV  8.  V  1.  10.  VI  5.  VII  1. 
XII  7.  XX  5.  XXII  3.  4.  Var.  22.  49.  Ep.  poet.  lat.  I  1.  II  7.  II  17.  III 
18  u.  19. 

*)  Ep.  Fam.  XXII  3. 

5)  Ep.  Sen.  II  1. 

«)  Ep.  poet.  lat.  II  16  v.  82—86  u.  III  13. 


166  Viertes  Capitel. 

So  ist  denn  aucli  die  Zalil  der  von  Petrarca  an  ihn  gerichteten 
Briefe  verhältnissmässig  gering  i). 

Im  Verkehre  mit  solchen  Freunden  und  mit  seinem  könig- 
liehen Beschützer  verlebte  Petrarca  in  dem  schönen  Neapel 
genussvolle  und  anregende  Tage  und  Wochen.  Endlich  rüstete 
er  sicli  zum  Aufbruche.  Vergebens  wollte  der  König  ihn  zu 
längerem  Bleiben  bewegen  und  ihn  bereden,  den  Lorbeer  in 
Neapel  selbst  zu  empfangen,  Petrarca  blieb,  durch  seine  Liebe 
zu  Rom  bestimmt,  dem  ersten  Entschlüsse  treu  ^).  Gern  hätte 
Robert  nun  dem  Dichter  das  Geleit  nach  Rom  gegeben,  um  mit 
eigener  Hand  ihm  den  Lorbeerkranz  aufs  Haupt  zu  setzen, 
doch  die  Beschwerden  des  Alters  gestatteten  es  ihm  nicht  und 
so  musste  er  sich  l)egnügen,,  Giovanni  Barili  nebst  einem 
anderen  Ritter  mit  seiner  Stellvertretung  zu  beauftragen  3). 
Grössere  Ehre  aber  erwies  er  Petrarca  noch  dadurch,  dass  er 
ihm  das  eigene  Purpurkleid  schenkte,  damit  es  ein  würdiges 
Krönungsgewand  sei"*),  und  dass  er  ihn  zu  seinem  Hofcaplan 
ernannte^).  Als  der  Dichter  endlich  Abschied  nahm,  küsste 
der  König  ihn  und  bat  nochmals,  dass  die  „Africa"  nach  ihrer 
Vollendung  ihm  gewidmet  werden  möge  ^).  So  trat  denn  Pe- 
trarca, vermuthlich  am  2.  ApriP).  die  Reise  nach  seinem  er- 
habenen Ziele  an.  Wir  aber  wenden  unsern  Blick  nocli  ein- 
mal zurück  auf  das,  was  wir  soeben  erzählt. 


^)  Ep.  Farn.  XII  14.  XIII  10.  Var.  57.  Ep.  poet.  lat.  II  1.  111 
13  u.  21. 

2)  Epist.  ad  post.  p.  9. 

")  Ep.  poet.  lat.  II  1.    Ep.  Farn.  IV  7. 

^'  Ep.  poet.  lat.  II  1  V.  60  f. 

"■)  Das  Patent  darüber,  vom  2.  April  1341  ausgestellt,  bei  de  Sa  de, 
III  pieces  justif.  no.  XVI. 

«)  Ep.  poet.  lat.  II  11  V.  95  flf.    Rer.  mera.  lib.  I  3  p.  513. 

■=)  Zur  Begi-ündung  dieser  Zeitangabe  sowie  der  weiterhin  gegebenen 
sei  Folgendes  bemerkt.  Petrarca  wurde  am  Ostersonntage,  den  8.  April, 
gekrönt,  wie  sowol  die  Angabe  Boccaccio's  bei  Rossetti  p.  344  (VI.  Idus 
Apriles)  als  auch  der  Wortlaut  des  Dicbterdiplomes  („bodierno  solemni- 
tatis  Pascbalis  die")  in  der  baseler  Ausgabe  vom  Jahre  1581  tom.  HI  p.  6 
bezeugt.  Gegenüber  so  bestimmten  Angaben  müssen  alle  Bedenken,  die 
man  etwa   aus   dem  unterschriebenen  Datum   des  Dichterdiploms   „V.  Id. 


Die  Dichterkrönung.  167 

Kaum  in  irgend  einer  anderen  Erscheinung  des  denkwür- 
digen vierzehnten  Jahrhunderts  erkennen  wir  den  damals  sich 
vollziehenden  Bruch  mit  der  specifisch  mittelalterlichen  An- 
schauungs-  und  Denkweise  so  deutlich  wie  in  dem  schönen 
Verhältnisse  edler  Vertraulichkeit,  welches  zwischen  dem  Könige 
Robert  und  dem  Dichter-Gelehrten  Petrarca  bestand.  Innerhalb 
des  mittelalterlichen  Culturlebens  mit  seiner  streng  durchgefülir- 
ten  Gliederung  und  Scheidung  der  Stände  wäre  ein  solches  Ver- 
hältniss  unmöglich  gewesen;  es  wäre  undenkbar  gewesen,  dass  ein 
stolzer  und  mächtiger  König  den  Sohn  eines  schlichten  Bürgers, 
den  armen  Kleriker  ohne  Rang  und  Vermögen,  als  einen  Eben- 
bürtigen, ja  als  einen  Ueberlegenen  anerkannt,  dass  er  ihn  mit 
dem  eigenen  Purpurmantel,  dem  Zeichen  fürstlicher  Gewalt, 
bekleidet  hätte.  Derartiges  musste  unerhört  sein,  so  lange  man 
nicht  die  geistige  Grösse  als  das  Höchste  zu  verehren  und 
den  Menschen  nach  seiner  geistigen  Tüchtigkeit  allein,  nicht 
nach  seinem  Range  und  Stande,  zu  schätzen  gelernt  hatte,  so 
lange  nicht  die  Emancipation  des  Individuums  von  den  Fesseln 
des  Standes  erfolgt  war.  Wenn  Fürsten  des  Mittelalters 
Gelehrte  und  Dichter  ehren  wollten,  so  gaben  sie  ihnen  kost- 
bare Gefässe  oder  schöne  Gewänder  oder  edle  Rosse  oder  sonst 
irgend  welche  Gegenstände,  welche  einen  realen  Werth  be- 
lassen und  sich  leicht  in  baares  Geld  umsetzen  Hessen.  Es 
ward  damit  indirect  ausgesprochen ,  dass  die  Leistungen  des 
Gelehrten  und  Dichters  in  ähnlicher  Weise  abgeschätzt  und 
mit  klingender  Münze  bezahlt  werden  könnten,  wie  etwa  die 
Leistungen  der  Handwerker,  dass  also  der  Gelehrte  und 
Dichter  eben  auch  nur  ein  Handwerker,  wenn  auch  ein  etwas 
Tomehmerer  sei,  der  um  des  materiellen  Gewinnes  willen  pro- 
ducire.    Man  erblickt  gemeinhin  die  reichen  Geschenke,  welche 


Apr."  (=  9.  April)  und  aus  dem  Datum  „Idibus"  (=  13.  April)  Ep.  Fam. 
IV  7  schöpfen  könnte,  schwinden.  Die  Ankunft  in  Rom  erfolgte  am  dritten 
Tage  vor  der  Krönung  nach  der  bestimmten  Angabe  in  Ep.  poet.  lat.  II  1 
V.  24,  also  am  6.  April.  Die  Reise  von  Neapel  nach  Rom  erforderte  un- 
gefähr vier  Tage  nach  Ep.  poet.  lat.  II  16  v.  145  f.  und  muss  folglich  am 
2.,  spätestens  am  3.  April  angetreten  worden  sein. 


168  Viertes  Capitel. 

Trouveres  und  Troubadours  von  ihren  vornehmen  Gönnern  er- 
hielten, in  einem  sehr  poetischen  Lichte  und  glaubt  darin  einen 
Beweis  zu  besitzen  für  die  hohe  Ehre,  welche  der  Dichtkunst  im 
Mittelalter  gezollt  ward.  Es  ist  das  völlig  verkehrt.  Diese 
reichen  Gaben  waren  das  Prosaischste  von  der  Welt,  sie  waren 
ein  in  Naturalien  gespendeter  Sold  und  im  letzten  Grunde  ein 
Zeichen  der  Missachtung  der  Poesie  und  der  Poeten.  Auch 
hatten  die  Trouveres  und  Troubadours  selbst  kaum  eine  höhere 
Meinung  von  ihrer  Kunst  und  oft  genug  bettelten  sie  unver- 
hohlen, öfters  noch  versteckt  um  ein  Trinkgeld^).  Es  ist 
ferne  von  uns,  um  desswillen  die  Menschen  des  Mittelalters 
verdammen  zu  wollen:  sie  huldigten  eben  einer  Anschauungs- 
weise, welche  in  naiven  Zeitaltern  ihre  völlige  Berechtigung^ 
besitzt. 

König  Robert  schenkte  Petrarca  keinen  Werthgegenstand 
ausser  dem  Purpurmantel,  aber  auch  diesen  nicht  etwa,  damit 
der  Beschenkte  ihn  tagtäglich  tragen  oder  gar  durch  den 
Verkauf  desselben  sich  ein  Stück  Geld  verdienen  solle,  sondern 
lediglich  um  ihm  ein  äusseres  Zeichen  seiner  höchsten  Aner- 
kennung zu  verleihen.  Man  hat  Robert  oft  desshalb  des  Geizes 
angeklagt  und  gemeint,  er  habe  Petrarca  doch  z.  B.  durch 
Gewähi-ung  einer  Pension  nachhaltig  belohnen  können  2),  aber 
wir  meinen  —  abgesehen  davon,  dass  Petrarca  wol  kaum 
einer  materiellen  Unterstützung  damals  bedürftig  war  —  der 
König  hat  den  Dichter  eben  dadurch  am  höchsten  und  wahr- 
sten geehrt,  dass  er  ihm  weder  direct  noch  indirect  einen 
Lohn  in  klingender  Münze  zahlte.  Dem  unbesoldeten  Dichter 
konnte  er  seine  Freundschaft  schenken,  dem  besoldeten  hätte 
er  höchstens  nur  seine  Gnade  gewähren  können,  der  unbesol- 
dete Petrarca  durfte  dem  Könige  als  geistig  Ebenbürtiger  frei 
und  often  gegenüber  treten,  der  besoldete  wäre  zum  Fürsten- 
diener und  Hofdichter  herabgesunken. 

Seit  den  entlegenen  Zeiten  des  Alterthums  oder  doch  seit 


^)  vgl.  z.  B.  Wace,   Roman  de  Rou   ed.   Andresen.     II  v.  1357  ff.  u. 
4422  f. 

^)  vgl.  Landau,  Boccaccio  p.  9. 


Die  Dichterkrönung.  169 

den  Tagen  Karls  des  Grossen  und  Alcuins,  die  ja  eine  rasch 
vorübergehende  Periode  der  Vorrenaissance  darstellen,  waren 
Robert  der  erste  Fürst  und  Petrarca  der  erste  Dichter,  welche 
über  die  hemmenden  Schraiiken  der  Standesungleicliheit  hinweg 
sich  die  Hände  zu  einem  Freundschaftsbunde  reichten.  Zum 
ersten  Male  wieder  ging  der  Sänger  mit  dem  Könige.  Nicht 
mehr  hatte  fortan  der  Dichter  nöthig,  zu  dem  Fürsten  als  zu 
seinem  Brod-  und  Lohnherni  schüchtern  emporzublicken  und 
seine  Lyra  nach  fürstlichen  Launen  zu  stimmen  —  nein,  der 
Fürst  schaute  jetzt  zu  dem  Dichter  empor  als  zu  dem  gott- 
begnadeteren Manne,  der  Fürst  der  Erde  beugte  sich  vor  dem 
Fürsten  des  Geistes,  vor  der  Strahlenkrone  des  Genius  erblich 
der  Glanz  des  königlichen  Diadems.  Wie  ganz  anders  war 
doch  Petrarca's  Verhältniss  zu  Robert,  als  noch  dasjenige  des 
grossen  Dante  zu  Cane  della  Scala  in  Verona  gewesen  war  ^) ! 
wie  Avar  es  doch  um  so  viel  würdiger  und  idealer!  Die  Herr- 
schaft des  Geistes  hatte  jetzt  begonnen  und  zertrümmerte  den 
engen  Bau  der  mittelalterlichen  Gesellschaft.  Es  war  das  eine 
der  ersten  und  schönsten  Früchte  der  Cultur  der  Renaissance. 
Und  noch  eine  weitere  Betrachtung  müssen  wir  hieran  knüpfen. 
Der  Fürst  des  jMittelalters  hatte  sich  begnügt  und  begnügen 
müssen,  der  Kriegsherr  und  oberste  Leiter,  der  erste  Richter 
und  der  Gesetzgeber  seines  Volkes  zu  sein.  Er  erfüllte  dem- 
nach nur  die  nothwendigsten  und,  um  so  zu  sagen,  niederen 
Functionen  seines  Berufes.  Die  Cultur  der  Renaissance  musste, 
da  sie  die  Werthschätzung  geistiger  Güter  lehrte,  in  segens- 
reichster Weise  diese  enge  Sphäre  fürstlicher  Thätigkeit  er- 
weitern, indem  sie  die  bis  dahin  der  Kirche  überlassen  gewe- 
sene Pflege  der  Wissenschaft  und  Kunst  auf  das  Staatsober- 
haupt übertrug.  Erst  hierdurch  wurde  fürstlichem  Ehrgeize 
ein  würdiges  und  wahrhaft  ideales  Ziel  gegeben,  erst  hierdurch 
ein  Zeitalter  höherer  Gesittung  und  Humanität  wenigstens  vor- 
bereitet, erst  hierdurch  ward  der  Fürst  zu  dem  gemacht,  was 
er  sein  soll,   zu  einem  Hohenpriester  der  Bildung,    zu  einem 


^)  vgl.  Fraticelli,  Storia  della  Vita  di  Dante  p.  234  ff. 


170  Viertes  Capitei. 

Bannerträger  in  dem  Ringen  nach  den  höchsten  Geistesgütern 
der  Menschheit.  Zugleich  erwarb  sich  der  Fürst,  dieser  höch- 
sten Aufgabe  sich  unterziehend,  ein  Anrecht,  losgesprochen  zu 
werden  von  der  kirchlichen  Bevormundung  und  Leitung,  welche 
bis  dahin  innerhalb  gewisser  Grenzen  eine,  freilich  von  den 
Trägern  kirchlicher  Gewalt  oft  gemissbrauchte,  Nothwendigkeit 
gewesen  war.  So  wurden  die  Fürsten  mündig  und  mit  ihnen 
allmählig  auch  die  Völker.  König  Robert  war  der  erste, 
welcher  in  die  neu  eröifnete  Arena  fürstlicher  Thätigkeit  her- 
niederstieg, und  es  gebührt  ihm  hierfür  der  Dank  der  Nachwelt. 
Sein  Beispiel  fand  eifrige  Nachfolge.  Die  Correggi  in 
Parma,  die  Carrara  in  Padua,  die  Visconti  in  Mailand,  die 
Scaligeri  in  Verona,  die  Este  in  Ferrara,  die  Medici  in  Florenz 
—  sie  alle,  so  uneinig  und  einander  so  unähnlich  in  vielen 
Dingen,  waren  einig  in  der  Begeisterung  füi'  die  neu  ent- 
stehende Cultur  und  rangen  gemeinsam  nach  hohen  Bildungs- 
idealen, Es  ist  ja  gewiss  unzweifelhaft,  dass  es  vielen  dieser 
kleinen  Fürsten  und  Tyrannen  nicht  eben  heiliger  Ernst  war 
mit  ihrem  Mäcenatenthume ,  sondern  dass  sie  sich  desselben 
oft  genug  als  eines  Deckmantels  innerer  Hohlheit  und  unlau- 
terer Bestrebungen  bedienten,  dass  ihre  zur  Schau  getragene 
Begeisterung  für  Wissenschaft  und  Kunst  bei  genauerer  Be- 
trachtung nur  als  das  kunstvolle  Product  raffinii  tester  Heuchelei 
sich  darstellt  —  nichtsdestoweniger  haben  auch  sie  als  un- 
freiwillige Arbeiter  dazu  beigetragen,  den  stolzen  Tempel  der 
Renaissance  zu  erbauen  und  zu  schmücken.  Die  Schönheit  eines 
Gebäudes  aber  wird  dadurch  nicht  beeinträchtigt,  dass  ein  Theil 
der  Werkleute  nur  mit  innerem  Widerstreben  und  nothgedrungen 
die  Steine  zusammengetragen  und  auf  einander  gefügt  hat. 
Ungleich  schlimmer  war  es  und  schwer  geschädigt,  ja  geradezu 
vergiftet  hat  es  den  innersten  Kern  der  Renaissancecultur, 
dass  sich  in  der  Brust  vieler  ihrer  Träger  und  Förderer  (und 
durchaus  nicht  der  fürstlichen  allein)  mit  nicht  erheuchelter 
Begeisterung  für  Wissenschaft  und  Kunst  die  tiefste  Unsitt- 
lichkeit  seltsam  mischte  -  doch  davon  zu  reden,  wird  sich 
später  nur  allzu  oft  Gelegenheit  bieten. 


Die  Dichterkrönung:.  271 

Wir  nehmen  nach  diesen  Betrachtungen  den  Faden  unserer 
Erzählung  wieder  auf. 

Petrarca  langte  am  6,  April  1341  in  Rom  an.  Vergebens 
forschte  er  dort  nach  seinem  Freunde,  dem  königlichen  Bevoll- 
mächtigten Giovanni  Barili,  welcher  sich  unterwegs  aus  unbe- 
kanntem Grunde  von  ihm  getrennt,  aber  noch  vor  ihm  in  Rom 
einzutreffen  versprochen  hatte  ^).  Die  Sache  war  unangenehm 
genug,  da  die  Krönung  einerseits  nicht  füglich  ohne  ihn  voll- 
zogen, andererseits  aber  auch  nicht  über  den  nahe  bevor- 
stehenden Ostersonntag,  den  8.  April,  hinaus  verschoben  werden 
konnte,  indem  mit  diesem  Tage  Orso's  dall'  Anguillara  sena- 
torische Gewalt  ablieft).  Petrarca  sandte  noch  am  Ostersonn- 
abende, um  Barili  aufzusuchen,  einen  Boten  aus,  aber  dieser 
kehrte  nach  langem  Ritte  an  den  campanischen  Küsten  er- 
müdet und  un verrichteter  Dinge  zurück:  Barili  war  nicht  zu 
linden,  er  war,  wie  man  später  erfuhr,  in  der  Nähe  von 
Anagni  in  Räuberhände  gefallen,  aus  denen  er  nicht  so  rasch 
sich  zu  lösen  vermochte.  So  musste  Petrarca  nothgedrungen 
sich  entschliessen,  die  Feierlichkeit  trotz  der  Abwesenheit  des 
einen  der  königlichen  Stellvertreter  vor  sich  gehen  zu  lassen 
und  sie  wurde  denn  auch,  wie  bestimmt,  am  Ostersonntage 
vollzogen. 

Es  ist  auffällig  genug,  dass  Petrarca  den  höchsten  Ehren- 
tag seines  Lebens,  den  Tag,  den  er  so  heiss  ersehnt  hatte  und 
auf  den  er  wol  stets  mit  freudiger  Genugthuung  zurückblickte, 
niemals,  so  viel  wir  wissen,  einer  eingehenden  Erzählung  ge- 
würdigt hat.  Sollte  er  vielleicht  das  betreffende  Schriftstück 
im   späteren  Alter   bei  einer  Durchsicht  seiner  Papiere  ver- 

^)  Dies  und  das  nächst  Folgende  nach  Ep.  poet.  lat.  II  1  erzählt. 

-)  Petrarca  sagt  dies  ganz  ausdrücklich  in  der  erwähnten  Epistel 
V.  22—26  und  es  muss  die  Annahme  eines  von  ihm  begangenen  Irrthums 
vernünftigerweise  ausgeschlossen  bleiben.  Nach  der  von  Gregorovius  (VI 
p.  201  Note  3)  angeführten  päpstlichen  Urkunde  blieben  jedoch  Orso  und 
Giordano  Orsini  mindestens  bis  zum  23.  Juli  1341  in  ihrem  Amte.  Es  ist 
nicht  recht  abzusehen,  wie  dieser  Widerspruch  zu  lösen  sei.  Sollten  viel- 
leicht Orso  und  Orsini  ihre  Gewalt  oder  doch  den  executiven  Theil  der- 
selben alternirend  ausgeübt  haben? 


172  Viertes  Capitel. 

nichtet  haben,  um  ein  gravirendes  Denkmal  seiner  Eitelkeit 
zu  zerstören  ?  Möglich  ist  das ,  aber  nicht  recht  glaublich. 
Die  allgemeinen  Vorgänge  der  Krönung  schildert  er  in  einer 
poetischen  Epistel  (11  1),  welche  an  Giovanni  Barili  gerichtet 
ist,  und  dann  noch  einmal  in  der  dritten  Ekloge,  hier  aber 
unter  der  Hülle  einer  schwer  verständlichen  Allegorie.  In 
einem  nach  der  Krönung  an  den  König  Robert  gerichteten 
Briefe  ^)  gedenkt  er  der  Feierlichkeit  nur  mit  wenigen  Worten, 
den  König  auf  den  mündlichen  Bericht  seines  zweiten  Stellver- 
treters verweisend.  So  sind  wir  über  die  Einzelheiten  der  merk- 
würdigen Feier  leider  nicht  authentisch  unterrichtet  und,  was  wir 
von  ihnen  wissen,  können  wir  einzig  aus  dem  sehr  summari- 
schen und  etwas  verworrenen  Berichte  entnehmen,  den  Lodovico 
Monaldesco  in  seinen,  übrigens  nicht  eben  sonderlich  glaubwür- 
digen, „römischen  Annalen"  darüber  gibt  ^)  und  welcher  in  der 
Uebersetzung  ungefähr  folgendermassen  lautet:  „In  dieser  Zeit 
vollzog  Messer  Urso  die  Krönung  des  Messer  Francesco  Petrarca, 
des  edlen  Dichters  und  Gelehrten,  und  sie  ging  auf  dem  Gapi- 
tole  in  folgender  Weise  vor  sich^  Zwölf  Knaben,  in  Scharlach 
gekleidet,  ein  jeder  fünfzehn  Jahre  alt  und  alle  Söhne  vor- 
nehmer Edelleute  und  Bürger,  (gingen  an  der  Spitze  des  Fest- 
zuges und)  ^)  declamirten  viele  Verse,  von  eben  diesem  Petrarca 
gedichtet,  zum  Ruhme  des  (römischen)  Volkes.  Nach  ihnen 
kamen  sechs  Bürger  *) ,  in  grünes  Tuch  gekleidet  und  Kränze 
von  verschiedenartigen  Blumen  tragend.  Dann  schritt  der 
Senator  einher,  das  Haupt  mit  einem  Lorbeerkranze  ge- 
schmückt, und,  nachdem  er  sich  auf  den  Sitz  im  Saale  des 
Assettamento  niedergesetzt  hatte,  wurde  Messer  Francesco 
Petrarca  unter  Trompeten-   und  Pfeifenschall  gerufen  und  er 


*)  Ep.  Farn.  IV  7. 

-)  bei  Muratori,  XII  p.  540. 

^)  Die  in  Klammern  eingeschlossenen  Worte  sind  ergänzende  Zusätze, 
welche,  um  den  Zusammenhang  besser  hervortreten  zu  lassen,  von  uns  ein- 
gefügt worden  sind  und  deren  Inhalt  übrigens  als  selbstverständlich  be- 
trachtet werden  darf. 

■*)  Monaldesco  nennt  die  Geschlechtsnamen  der  einzelnen  Bürger  sowie 
vorher  der  Knaben,  wir  lassen  sie  als  für  unsem  Zweck  unwesentlich  aus. 


Die  Lichterkrönung.  173 

trat  hervor,  angethan  mit  einem  langen  Gewände,  und  rief 
dreimal :  ,es  lebe  das  römische  Volk,  es  leben  seine  Senatoren 
und  Gott  erhalte  sie  bei  ihrer  Freiheit!'  und  dann  Hess  er  sieh 
vor  dem  Senator  auf  das  Knie  nieder;  dieser  aber  sagte:  ,ich 
kröne  zuerst  die  Tugend'  und  nahm  den  Kranz  von  seinem 
Haupte  und  setzte  ihn  dem  Messer  Francesco  auf  und  dieser 
declamirte  ein  schönes  Sonett  zum  Preise  der  tapferen  alten 
Eömer.  Und  es  ward  die  Feier  geendet  zum  grossen  Ruhme 
des  Dichters,  denn  das  ganze  Volk  rief:  ,es  lebe  das  Capitol 
und  der  Dichter ! '  " 

Die  grosse  Lückenhaftigkeit  dieses  Berichtes,  der  eben  nur 
auf  vagen  Jugenderinnerungen  des  vermuthlich  um  1327  ge- 
borenen^) Monaldesco  zu  beruhen  scheint,  wird  man  am  besten 
erkennen,  wenn  man  damit  Petrarca's  eigene,  freilich,  wie 
schon  bemerkt,  sehr  allgemein  gehaltene  Schilderung  vergleicht, 
welche  er  in  der  oben  angeführten  poetischen  Epistel  an 
Giovanni  Barili  entwirft:  „Es  strömen  die  plötzlich  gerufenen 
Römer  zusammen  und  das  Capitol  ertönt  von  dem  Gewirre 
froher  Stimmen,  selbst  seine  Mauern  und  sein  altergraues  Dach 
scheinen  sich  zu  freuen.  Es  ertönten  die  Trompeten:  das 
schaulustige  Volk  drängt  sich  eifrig  in  dichten  Schaaren  zu- 
sammen und,  wenn  ich  mich  nicht  täusche,  sah  ich  da,  wie 
Thränen  freudiger  Rührung  den  Freunden  die  AVangen  be- 
netzten. Ich  steige  die  Stufen  empor:  die  Trompeten  schwiegen 
und  das  Gemurmel  der  Menschenmassen  verstummte  mit  einem 
Male.  Ein  Spruch  Virgils,  der  in  den  Sinn  mir  kam,  gab 
Anlass  mir  zu  kurzer  Rede Hierauf  begann  der  be- 
redte Orso  zu  sprechen  und  endlich  krönte  er  mich  unter  den 
Jubelrufen  des  Volks  der  Quiriten  mit  dem  delphischen  Zweige. 
Sodann  erhob  mich  Stefano  ^j  —  keinen  grösseren  Mann  als 
ihn  hat  in  unserer  Zeit  das  Geschick,  keinen  Rom  hervor- 
gebracht —  mit  ehrendem  Lobe.  Schamgefühl  bedrängte  hier- 
bei mein  Herz   und  röthete  mein  Antlitz,   denn   solche  hohe 


>)  vgl.  Muratori  XH  p.  527. 

-)  Es  ist  natürlich  der  alte  Stefano  Colonna  gemeint. 


174  Viertes  Capitel. 

Ehren  belasteten  meine  ihrer  unwürdige  Brust  und  erfreuten 
sie  doch  zugleich,  denn  Alles  galt  ja  Siciliens  Könige,  nicht 
mir,  denn  wer  bin  ich?  aber  doch  war  ich  durch  sein  er- 
habenes Urtheil  für  würdig  erklärt  worden.  Es  bekleidete 
mich  an  diesem  festlichen  Tage  des  Königs  wallendes  Gewand, 
welches  er  von  den  eigenen  Schulteni  genommen  und  mir  zu 
tragen  verliehen  hatte,  es  erinnerte  mich  nun  an  meinen 
Herrn   und   war   mir   ein  ehrendes  Zeugniss  seinei*  so  grossen 

Gunst. Gemeinsam  steigen  wir,  nachdem  Alles  vollendet, 

vom  Capitole  herab  und  ziehen  von  da  zu  St.  Peters  Schwelle 
und  es  hängt  nun  mein  Lorbeerkranz  an  dem  heiligen  Altare 
als  ein  Gott  erfreuendes  Erstlingsopfer  i)."  Beschlossen  wurde 
die  ganze  Feier  mit  einem  festlichen  Mahle,  welches  der  greise 
Stefano  Colonna  in  seinem  Palaste  bei  der  Apostelkirche  hatte 
zurüsten  lassen^).  So  endete  eine  Feierlichkeit,  in  welcher 
sich  antike,  mittelalterliche  und  moderne  Elemente  so  seltsam 
mischen,  dass  sie  als  eine  wunderliche  theatralische  Scene  er- 
scheinen könnte,  wenn  sie  nicht  bei  alledem  doch  so  erhal)en 
wäre.  Petrarca's  Dichterkrönung  ist  ein  Ereigniss,  welches 
einzig  dasteht  in  den  Annalen  nicht  etwa  nur  der  Stadt  Rom, 
sondern  des  ganzen  Menschengeschlechtes,  sie  ist  ein  welthisto- 
risches Ereigniss  im  vollsten  Sinne  des  Wortes.  Wohl  haben 
Dichterkrönungen  auch  vor  und  mehr  noch  nach  dem  8.  April  1341 
stattgefunden,  aber  es  waren  dieselben  ausnahmslos  entweder 
schablonenhaft  ertheilte  akademische  Auszeichnungen  oder 
localpatiiotische  Feierlichkeiten  oder  auch  steife  Hofceremonien, 
und  wie  sehr  sie  jedei-  tieferen  inneren  Bedeutung  ermangelten, 
erhellt  schon  daraus,  dass  die  Litteraturgeschichte  die  Namen 
der  meisten  gekrönten  Dichter  entweder  gar  nicht  oder  doch 
nur    mit    wenig    ehrenvollen    Bemerkungen    verzeichnet    hat. 


^)  Wir  unterlassen  es  absichtlich,  die  beiden  im  Texte  gegebenen 
Schilderungen  zu  einem  einheitlichen  Gesammtbilde  zu  verschmelzen,  da 
dies  bereits  von  Gregorovius  (VI  p.  211  ff.)  so  meisterhaft  gethan  worden 
ist,  dass  jeder  weitere  Versuch  nur  eine  unvollkommene  Xachahmung  sein 
könnte. 

-)  Diar.  gentil.  Delph.  bei  Muratori  III  2.  p.  843. 


Die  Dichterkrönung.  175 

Pedantische  Correctheit  dei-  Form  und  Conectheit  der  politi- 
schen, beziigsweise  der  religiösen  Gesinnung,  das  sind  fast  die 
einzigen  Eigenschaften,  durch  welche  sich  die  grosse  Mehrzahl 
der  zahllosen  lorbeergeschmückten  Poeten  in  höchst  zweifel- 
hafter Weise  ausgezeichnet  hat.  Der  Lorbeer  ward  geradezu 
eine  Prämie  der  geistlosen  schulmeisterlichen  Mittelmässigkeit. 
Ganz  anders  aber  verhält  es  sich  mit  Petrarca's  Krö- 
nung, welche  schon  dadurch  eine  eigenartige  hohe  Bedeutung" 
gewann,  dass  sie  in  Rom,  der  idealen  Hauptstadt  des  Abend- 
landes, der  Krönungsstadt  der  römischen  Kaiser  vollzogen 
ward,  obwol  Petrarca  weder  durch  seine  Geburt  noch  durch 
seinen  Wohnsitz  Rom  angehörte.  Es  trat  dadurch  die  Feier- 
lichkeit aus  dem  engen  Rahmen  eines  localen  und  selbst  auch 
eines  nationalen  Festes  heraus  und  erhielt  einen  universalen 
Charakter.  Es  ward  in  Petrarca  nicht  der  römische,  auch  nicht 
der  italienische  Dichter  auf  dem  Capitole  gekrönt,  sondern  der 
Dichter,  der  der  ganzen  Menschheit  angehört  und,  aller  Liebe 
zu  seinem  Vaterlande  unbeschadet,  sich  nicht  einpfercht  in  die 
den  Genius  beengenden  Schranken  einer  Nationalität  oder  gar 
eines  städtischen  Weichbildes.  Es  könnte  dem  zu  wider- 
sprechen scheinen,  dass  nach  Monaldesco's  Berichte,  wie  wir 
sahen  (S.  172),  die  Knaben  Verse  zum  Preise  Roms  declamirten, 
welche  Petrarca  gedichtet  hatte.  Indessen,  abgesehen  davon, 
dass  Monaldesco's  Zeugniss  nichts  weniger  als  zuverlässig  ist, 
so  muss  durchaus  bezweifelt  werden,  dass  diese  Verse  etwa 
italienischen  Gedichten  Petrarca's  entnommen  gewesen  seien, 
denn  solche,  welche  Rom  ausschliesslich  verherrlichen,  finden  sich 
im  ganzen  Canzoniere  nicht  und  haben  auch  wol  nie  existirt, 
von  den  beiden  patriotischen  Canzonen  aber  „Italia  mia"  und 
„Spirto  gentil",  an  welche  man,  da  sie  indirect  wenigstens  Roms 
Grösse  feiern ,  erinnert  wird ,  war  die  erstere  im  Jahre  1341 
noch  nicht  gedichtet^),  die  letztere  aber  wegen  ihrer  gar  zu 
speciellen    Beziehungen    auf    den   jungen    Stefano    Colonna  -) 

')  vgl.   Carducci,   Rime   di  Fr.   P.   sopra   argom.   stör,  moral.   e  div., 
p.  104. 

-)  Dass  sie  an  diesen   (und  nicht,   wie  gewöhnlich  angenommen  wird, 


176  Viertes  Capitel. 

schwerlieh  zum  öffentlichen  Vortrage  geeignet;  ferner  aber 
scheint-  es  uns  selbstverständlich,  dass  die  ganze  Feierlichkeit, 
welche  ja  eine  Erneuerung  altrömischer  Sitte  sein  sollte,  in  der 
damals  ohnehin  bei  öffentlichen  Acten  allgemein  üblichen 
lateinischen  Sprache  vollzogen  wurde.  Wir  meinen  demnach, 
dass,  wenn  wirklich  von  jenen  Knaben  „viele  Verse  Petrarca's 
zum  Preise  Roms"  declamirt  worden  sein  sollten,  dies  lateinische 
Verse  waren,  welche  man  vermuthlich  den  beiden  poetischen 
Episteln  an  Papst  Benedict  XIP)  um  so  lieber  entnommen 
hatte,  als  in  ihnen  der  sehnsüchtige  Wunsch  der  Römer  nach  der 
ihnen  materielle  Vortheile  verheissenden  Rückkehr  der  Curie 
so  beredten  Ausdruck  fand.  In  diesen  Gedichten  aber  wird 
Rom  nicht  von  einem  localpatriotischen ,  sondern  von  einem 
universalhistorischen  und  humanistischen  Standpunkte  aus  ver- 
herrlicht und  es  konnte  demnach  ihr  Vortrag  auch  der  Feier 
durchaus  keinen  communal  beschränkten  und  engheizigen  Cha- 
rakter aufdrücken.  Petrarca's  Krönung  besass  eben  eine  univer- 
sale Bedeutung:  man  verherrlichte  durch  sie  symbolisch  den 
Wiedererwecker  einer  alten  und  den  Begründer  einer  neuen 
Cultur,  man  feierte  die  Neugeburt  der  abendländischen  Welt, 
von  welcher  man  ahnte,  dass  sie  bald  sich  vollziehen  werde. 
Es  war  ein  Frühlingsfest  der  Menschheit,  an  welchem  man 
zuerst  die  erquickende  Luft  edler  Gesittung  athmete  und  das 
erste,  noch  scheue.  Entfalten  herrlicher  Blüthen  der  Bildung 
mehr  noch  ahnte,  als  schaute. 

Die  oft  aufgeworfene  Frage,  ob  Petrarca  des  Dichter- 
lorbeers ,  den  der  grosse  Dante  vergebens  erstrebt  hatte  ''^), 
würdig  gewesen  sei,  muss  sowol  verneint  als  auch  bejaht 
werden,  je  nachdem  man  sie  im  engeren  oder  im  weiteren  Sinne 
fasst.  Erwägt  man,  dass  von  Petrarca's  Dichtungen  damals 
erst  Weniges  vorlag,  zumal  von  seinen  lateinischen,  welche 
doch  in  erster  Reihe  in  Betracht  kamen,  dass  er  Nichts  weiter 


an  Cola  di  Rienzo)  gerichtet  und  um  1335  gedichtet  ist,  hat  nun  wol,  nach 
Salvatore  Betti's  Vorgang,  Carducci  1.  1.  p.  42—63  endgültig  bewiesen. 

^)  Ep.  poet.  lat.  I  2  u.  5. 

2)  Parad.  I  v.  25  f.  u.  XXV  7  ff. 


Die  Dichterkrönung.  |77 

geschrieben  hatte,  als  ein  Bruchstück  der  „Africa",  einige 
lateinische  Episteln  in  Versen  und  einen  leider  nicht  genau  zu 
bestimmenden,  aber  sicherlich  nicht  beträchtlichen  ^)  Theil  des 
Canzoniere,  so  wird  man  nicht  umhin  können,  zu  sagen,  dass 
ihm  der  Lorbeer  mindestens  vorzeitig  verliehen  wurde,  wie  er 
später  auch  selbst  es  einmal  bekannt  hat  -).  Ganz  anders 
aber  wird  unser  Urtheil  sich  gestalten  müssen,  wenn  wir  es 
von  einem  freieren  und  minder  einseitigen  Standpunkte  aus 
abgeben.  Der  Lorbeerkranz  wurde  —  das  darf  man  nicht 
vergessen  —  durchaus  nicht  allein  dem  Dichter,  sondern  auch 
dem  Gelehrten,  dem  „Historiker"  Petrarca  zugesprochen,  wie 
das  Dichterdiplom  ausdrücklich  bezeugt.  Man  wollte  nicht 
nur  den  Mann  ehren,  den  die  Musen  liebten  und  mit  der  Gabe 
lieblichen  Gesanges  begnadet  hatten,  sondern  ebenso  auch  und 
vielleicht  mehr  noch  den  begeisterten  Forscher,  der  eine  halb- 
vergessene grosse  Vergangenheit  aufs  Neue  zu  erschliessen  und 
in  beredten  Worten  den  Zeitgenossen  zu  schildern  verstand, 
den  grossen  Gelehrten,  der  zuerst  wieder  die  Schriftwerke  des 
Alterthums  mit  vollem  Verständnisse  las  und  ihre  hohe  Idea- 
lität erkannte,  den  Hohenpriester  der  Wissenschaft  endlich, 
welcher  der  staunenden  Welt  ein  neues  Evangelium  der 
Bildung  verkündete  und  neue  Pfade  der  Cultur  ihr  anwies. 
Der  Vater  des  Humanismus  war  es,  der  Begründer  der  Re- 
naissancebildung, welcher  auf  dem  Capitole  die  Krone  eines 
geistigen  Königthumes  empfing,  —  und  wer  möchte  verneinen, 
dass  Petrarca  dieser  Krone  würdig  war? 

Vorbedeutend  war  es,  dass,  so  viel  wir  wissen,  bei  dem 
Feste  auf  dem  Capitole  kein  Priester  thätig  war.  Die  neu  ent- 
stehende Cultur,  deren  Wiegenfest  man  feierte,  sollte  ja  die 
mündig  gewordene  oder  doch  sich  mündig  glaubende  Mensch- 
heit loslösen  von  den  Fesseln  kirchlicher  Autorität,  der  naive 
fromme  Glaube  sollte  schwinden  und   der  sich  selbst  wieder- 


*)  Man  beachte,  dass  iui  Jahre  1341  der  schönste  Theil  des  Canzo- 
niere, die  Rime  in  morte  di  Madonna  Laura,  noch  gar  nicht  gedichtet 
sein  konnte. 

-)  Trionfo  d'amore  III  v.  80. 

Körting,  Petrarca.  12 


178  Viertes  Capitel. 

gegebene  Mensch,  der  eigenen  Kraft  vertrauend,  auf  den 
Schwingen  der  Vernunft  den  hohen  Zielen  des  Erkennens  nach- 
streben, zu  denen  ihn  bisher  die  Kirche  auf  den  Fittigen  der 
religiös  erregten  Phantasie  getragen  hatte.  Petrarca  freilich, 
persönlich  fromm  nach  mittelalterlicher  Art,  weihte  nach  be- 
endeter Feier  seinen  Lorbeerkranz  dem  Altare  St.  Peters. 
Ward  damit  vorgedeutet,  dass  der  durch  die  Renaissance  aus 
der  mittelalterlichen  Kirche  herausgetretene  Mensch  einst  nach 
langem  Ringen  aus  freier  Entschliessung  zu  ihr  zurückkehren 
werde,  dass  der  Glaub enslosigkeit  ein  um  so  innigerer  Glaube 
folgen  werde?  warf  das  sechszehnte  Jahrhundert,  das  Zeitalter 
der  glaubensstarken  Reformation  und  der  glaubenseifrigen  Ge- 
genreformation, im  Voraus  seine  Schatten  V 

Monaldesco  berichtet,  wie  wir  sahen  (8. 173),  dass  Petrar- 
ca, nachdem  er  den  Kranz  empfangen,  ein  schönes  Sonett  zum 
Preise  der  tapfern  alten  Römer  vorgetragen  habe.  Diese 
Nachricht  scheint  uns  höchst  unglaubwürdig.  Ein  derartiges 
Sonett  findet  sich  nicht  in  Petrarca's  Liedersammlung  und  es 
wäre  höchst  auffallend,  wenn  es  in  diese  nicht  aufgenommen 
worden  sein  sollte.  Ueberdies  ist  es  in  Anbetracht  der  dama- 
ligen Zeitverhältnisse  wenig  glaublich,  dass  Petrarca  bei  einer 
so  feierlichen  Gelegenheit  in  anderer  Sprache  als  in  lateinischer 
gesprochen  haben  sollte,  zumal  er  immer  eine  Verachtung  der 
A'ulgärsprache  affectirte.  Es  wird  ein  Irrthum  Monaldesco's 
anzunehmen  sein,  der  sich  leicht  daraus  erklären  lässt,  dass 
man  sehr  bald  nach  Petrarca's  Tode  in  ihm  nur  noch  den 
grossen  Dichter  bewunderte  und  demnach  recht  gut  glauben 
konnte,  er  müsse  bei  seiner  Krönung  zum  Mindesten  ein  italieni- 
sches Sonett  declamirt  haben. 

Die  lateinische  Rede,  welche  Petrarca  auf  dem  Capitole 
Tor  dem  Senator  und  der  versammelten  Menge  hielt,  ist  uns 
erhalten,  indessen  erst  neuerdings,  bei  Gelegenheit  des 
Erinnerungsfestes  im  Jahre  1874,  herausgegeben  worden^). 
Als   Thema   für   dieselbe   erwählte   sich   Petrarca   die   Worte 

M  Scritti  inediti  di  Fr.  P.  ed.  A.  Hortis  (Triest  1874),   p.  311—328. 


Die  Dichterkrönung.  179 

Virgils:  „sed  ine  Parnassi  deserta  per  aidua  dulcis  Raptat 
amor"  '),  er  feierte  also  die  Liebe  zur  Dichtkunst,  welche  den 
wahren  Dichter  antreibt,  auch  Schwieriges  zu  unternehmen 
und  durchzuführen. 

Diese  Rede  nun,  sicherlich  keine  Frucht  augenblicklicher 
Eingebung,  sondern,  wie  schon  die  massenhaften  Citate  aus 
lateinischen  Autoren  beweisen,  das  Product  einer  wohl  durch- 
dachten Arbeit,  ist  in  formaler  Beziehung  wenig  erquicklich, 
indem  auf  sie  der  mittelalterliche  pedantische  Schematismus 
gekünstelter  und  spitzfindiger  Partitionen  und  Distinctionen 
angewandt  ist  und  überdies  ihre  Latinität  sich  durchaus  nicht 
durch  Eleganz  und  harmonischen  Fluss  auszeichnet.  Desto 
interessanter  ist  sie  in  Bezug  auf  ihren  Inhalt,  indem  sie  uns 
lehrt,  wie  Petrarca  über  das  Wesen  und  den  Werth  der  Poesie 
dachte  und  mit  welchen  Gründen  er  seine  Bewerbung  um  den 
Dichterlorbeer  vor  den  Augen  der  Welt  rechtfertigen  wollte. 
Wir  können  es  um  desswillen  uns  nicht  versagen,  sie  in  einem 
kurzen  Auszuge,  jedoch  mit  völliger  Beiseitelassung  der  sche- 
matischen Form,  hier  wiederzugeben. 

Drei  Gründe  —  so  beginnt  Petrarca  nach  einigen  allge- 
meinen Bemerkungen  und  nach  Anrufung  des  göttlichen  Namens 
und  der  heiligen  Jungfrau  —  hätten  ihn  von  der  Betreibung 
der  Dichtkunst  zurückschrecken  können.  Zunächst  der  Um- 
stand, dass  die  Poesie  weit  schwieriger  sei,  als  die  übrigen 
Künste  ^),  denn,  während  für  die  erfolgreiche  Betreibung  der 
letzteren  nur  Fleiss  und  Studium  erforderlich  seien,  werde  für 
die  erstere  auch  eine  innere  göttliche  Begabung  erfordert,  Fei'ner 
sei  hindernd,  dass,  während  einst,  namentlich  unter  des  Augustus 
Regierung,  die  Dichter  hoch  geehrt  worden  seien,  in  der 
Gegenwart  die  Lage  derselben  eine  sehr  bedrängte  sei.  End- 
lich sei  gerade  ihm  persönlich  die  Ausübung  der  Dichtkunst 
besonders  erschwert  worden,  da  er  mit  materieller  Noth  habe 


1)  Verg.  Georg.  III  291  f. 

^)  Es  ist  hierbei  zu  berücksichtigen,   dass   das  lateinische  ,,ars"  einen 
viel  weiteren  Sinn  besitzt  als  das  deutsche  „Kunst*". 

12* 


180  Viertes  Cai^itel. 

ringen  müssen,  der  Dichter  aber  für  sein  Schaffen  bekanntlich 
einer  behaglichen  äusseren  Lebensstellung  dringend  bedürfe. 
AVie  also  die  genannten  drei  Gründe  ihn  von  der  Pflege  der 
Dichtkunst  hätten  abhalten  müssen,  so  beruhe  die  Liebe,  mit 
Avelcher  er  nichtsdestoweniger  sie  betrieben  habe,  ebenfalls 
auf  drei  Gründen,  welche  seien  das  Interesse  für  die  Ehre  des 
Staates,  das  Streben  nach  eigenem  Ruhme  und  der  Wunsch, 
Andere  zur  Thätigkeit  anzuspornen. 

Dem  römischen  Staate  und  insbesondere  der  Stadt  Rom^ 
welche  nach  Cicero  „aller  Länder  Herrscherburg"  sei,  gereiche 
es  zur  hohen  Ehre,  dass  die  lang  vergessene  Sitte  der  Dichter- 
krönung wieder  auflebe,  nachdem  zuletzt,  vor  dreizehn  Jahr- 
hunderten, Papinius  Statius^)  zur  Zeit  Domitians  die  Krone 
empfangen  habe.  Auch  freue  er  sich,  dass  es  gerade  ihm  be- 
schieden sei,  den  alten  schönen  Brauch  wieder  zu  erneuen,  und 
mit  besonderer  Freude  erfülle  es  ihn,  dass  er  dies  in  Piom 
thun  dürfe,  avo  so  viele  berühmte  Dichter  gelebt  hätten.  Dess- 
halb  habe  er  auch,  als  er  gleichzeitig  nach  Rom  und  Paris  zur 
Krönung  eingeladen  worden  sei,  dem  ersteren  den  Vorzug 
gegeben.  So  glaube  er  für  die  Ehre  des  römischen  Staates 
gesorgt  zu  haben. 

Die  Begierde  nach  Ruhm  und  die  Liebe  zu  demselben  sei 
so  allgemein,  dass  er  sich  des  Bekenntnisses,  dass  auch  er  sie 
besitze,  nicht  schäme.  Er  hoffe  aber,  dass  die  seinem  Streben 
zu  Theil  gewordene  Auszeichnung  auch  Andere  zu  dem  gleichen 
Streben  anregen  werde.  Es  würden  demnach  die  drei  Gründe, 
welche  ihm  die  Beschäftigung  mit  der  Dichtkunst  widerriethen, 
durch  drei  Gegengründe  aufgewogen,  und  dass  er  diese  habe 
auffinden  können,  halte  er  für  einen  Beweis  des  ihm  von  Gott, 
„dem  Meister  jeder  Kunst  und  Spender  des  Geistes" ,  wie 
Persius  ihn  nenne,  verliehenen  Ingeniums.   Hierajif  wendet  sich 


^)  Im  lat.  Texte  steht  ,,Statius  Panipineus",  ein  grober  Schnitzer,  den 
man  nicht  Petrarca,  sondern  nur  den  Abschreibern  zur  Last  legen  darf. 
Uebrigens  beweist  die  Stelle,  wie  selbst  Petrarca  von  den  Dichterkrönungen 
des  Alterthums  nur  eine  sehr  unbestimmte  Keuntniss  besass. 


Die  Dichterkrönung.  131 

Petrarca  dazu,  die  Aufgabe,  welche  der  Dichter  zu  lösen  habe, 
darzulegen.  Er  bestimmt  diese,  ausgehend  von  einer  von 
Lactanz\)  aufgestellten  Definition,  dahin,  dass  der  Dichter 
physische  oder  moralische  oder  historische  Thatsachen  mit  dem 
Schleier  der  Fiction  verhüllen  d.  h.  also  allegorisch  darstellen 
solle,  so  dass  zwischen  ihm.  dem  Dichter,  einerseits  und  dem 
Historiker  oder  dem  Moralphilosophen  oder  auch  dem  Physiker 
andererseits  derselbe  Unterschied  bestehe  wie  zwischen  dem 
heiteren  und  dem  bewölkten  Himmel :  in  beiden  Zuständen  des 
Himmels  sei  das  Sonnenlicht  an  sich  gleich  klar  und  intensiv, 
aber  dem  Auge  des  Beschauers  erscheine  es  verschieden.  Die 
Poesie  sei  um  so  „süsser",  je  schwieriger  die  in  ihr  verborgene 
Wahrheit  aufzufinden  sei,  denn  das  mit  Mühe  Gefundene  er- 
freue am  meisten.  Einem  Dichter,  der  so  zu  dichten  ver- 
stehe, werde  als  Lohn  der  Ruhm  und  seines  Namens  Unsterb- 
lichkeit zu  Theil.  Hohes  Verdienst  erwerben  sich  die  Dichter 
überdies  dadurch .  dass  sie  die  Namen  und  Thaten  tüchtiger 
Männer  vor  der  Vergessenheit  bewahren.  Es  haben  daher  viele 
grosse  Männer  und  Helden  die  Dichter  geehrt,  um  durch  sie 
unsterblichen  Ruhm  zu  erlangen;  diejenigen  aber,  welche  die 
Sänger  verachteten  oder  ihrer  entbehren  mussten,  sind  ruhm- 
los dunkler  Nacht  des  Vergessens  anheimgefallen. 

Den  Schlusstheil  der  Rede  bildet  eine  Darlegung  der 
Gründe,  wesshalb  gerade  der  Lorbeer  geeignet  erscheine,  eine 
Auszeichnung  der  Dichter  zu  sein. 

Der  Duft,  den  der  Lorbeer  aushauche,  sei  ein  Symbol  des 
edlen  Ruhmes  und  daher  gebühre  der  Lorbeerkranz  den  Herr- 
schern und  Dichtern,  denn  beide  erstreben  den  Ruhm,  wenn 
auch  auf  verschiedenen  Wegen,  indem  die  ersteren  durch 
körperliche,  die  letzteren  durch  geistige  Tüchtigkeit  ihn  zu  er- 
Jangen  suchen. 


^)  Lactant.  Institut.  I:  „(Aufgabe  des  Dichters  ist)  ut  ea,  quae  vere 
gesta  sunt,  in  alia  specie  obliquis  figur  ationibus  cum  decore 
aliquo  con versa  traducat,  totum  autem,  quod  referat,  fingere,  id  est 
ineptura  esse  et  mendacem  potius  quam  poetam".  Eine  überaus  wichtige 
Stelle,  auf  welche  wir  noch  später  werden  ziu-ückkoraraeii  müssen. 


182  Viertes  Capitel. 

Ein  weiterer  Grund  sei,  dass  der  Lorbeer  reichlichen 
Schatten  spende  und  zur  Ruhe  einlade:  so  gewähre  er  den 
Herrschern  nach  mühevollen  Kämpfen,  den  Dichtern  nach  an- 
strengenden Arbeiten  die  ersehnte  Rast. 

Die  Blätter  des  heiligen  und  ehrwürdigen  Lorbeerbaumes 
seien  sowol  selbst  jedem  Verderben  unzugänglich  als  auch  be- 
wahren sie  Bücher  und  andere  Gegenstände,  in  welche  sie 
eingelegt  werden,  vor  dem  Verderben:  so  auch  schützen  die 
Gesänge  des  Dichters  den  eigenen  und  den  fremden  Ruhm  vor 
dem  Untergange. 

Wer  unter  dem  Lorbeerbaum  entschlummere,  schaue 
wahre  Träume :  daher  sei  er  so  recht  der  Baum  der  Dichter,, 
von  denen  man  ja  sage,  dass  sie  auf  dem  Parnass  zu  träumen 
pflegen. 

Der  Lorbeerbaum  sei  dem  Apollo,  dem  Gotte  der  Dichter, 
geweiht:  sollte  er  nicht  schon  um  desswillen  der  Baum  der 
Dichter  sein? 

Der  Lorbeerbaum  sei  immergrün :  daher  gewähre  er  Herr- 
schern und  Dichtern  einen  passenden  Schmuck ,  denn  das 
Immergrün  sei  das  Symbol  der  Unsterblichkeit  des  Ruhmes. 

Der  Lorbeerbaum  werde  nicht  vom  Blitze  getroffen:  auch 
diese  Eigenschaft  sei  ein  Symbol  der  Unsterblichkeit  und  mache 
ihn  geeignet,  Herrscher  und  Dichter  geziemend  zu  schmücken. 

Aus  allen  diesen  Gründen  sei  denn  der  Lorbeer  von  den 
alten  Römern  zur  Krönung  der  Herrscher  und  Dichter  an- 
gewandt worden,  wie  durch  unzählige  Zeugnisse  bewiesen 
werde.  Noch  Vieles,  schloss  Petrarca  seine  Rede,  sei  zu  sagen 
über  die  Arten  und  Ursprünge  der  Poesie,  doch  er  wolle  ab- 
brechen, um  die  Geduld  seiner  Zuhörer  nicht  allzu  lange  in 
Anspruch  zu  nehmen  und  erbitte  sich  aus  den  Händen  des 
Senators  den  Lorbeerkranz. 

Gar  Manches  mag  uns  in  dieser  Rede  seltsam,  um  nicht 
zu  sagen  absurd,  erscheinen,  wenn  wir  dieselbe  von  dem  Stand- 
punkte des  heutigen  Geschmackes  aus  beurtheilen  wollen. 
Legen   wir   aber  an   sie,    wie   es   sich  gebührt,   den  objectiv- 


j 


Die  Dichterkrönung.  183 

historischen  Maassstab,  so  werden  wir  nicht  umhin  können,  in 
ihr  ein  merkwürdiges  Litteraturdenkmal  zu  erblicken,  welches, 
halb  das  Gepräge  des  Mittelalters  halb  dasjenige  der  Re- 
naissance an  sich  tragend,  als  ein  Grenz-  und  Markstein  auf 
der  Scheide  zweier  Bildungszeitalter  steht. 

Ueber  die  vollzogene  Dichterkrönung  stellten  die  römischen 
Senatoren  Petrarca  ein  Diplom  aus,  durch  welches  ihm  zugleich 
das  römische  Bürgerrecht  verliehen  und  die  Befugniss  ertheilt 
wurde,  sowol  in  Rom  als  auch  anderwärts  die  Dichtkunst  und 
die  Kunst  der  Geschichtschreibung  sowie  die  dazu  gehörigen 
Diseiplinen  vollkommen  frei  und  ungehindert  in  Wort  und 
Schrift  zu  lehren,  die  Schriftsteller  des  Alterthums  zu  erklären 
und  eigene  Schriften  zu  verfassen  und  zu  veröffentlichen.  Man 
sieht,  die  Dichterkrönung  besass  auch  eine  recht  praktische 
Bedeutung:  sie  war  eine  Art  Habilitation,  indem  sie  dem  Ge- 
krönten die  in  damaliger  Zeit  unter  Umständen  materiell  sehr 
einträglichen  Berechtigungen  eines  Universitätslehrers  verlieh. 
Es  ist  das  Dichterdiplom  aber  auch  noch  in  anderer  Hinsicht 
merkwürdig.  Wir  haben  es  da  mit  keinem  trockenen,  in  her- 
gebrachten Formeln  abgefassten  Actenstücke  zu  thun,  sondern 
finden  darin  auch  eine  Untersuchung  über  den  Werth  und  das 
Wesen  der  Poesie  sowie  über  die  Motive  des  Vollzugs  der 
Dichterkrönung.  Was  darin  gesagt  wird,  stimmt  mit  den  von 
Petrarca  selbst  in  seiner  Rede  aufgestellten  Sätzen  zu  auffallend 
überein,  als  dass  hier  bloss  das  Spiel  des  Zufalls  gewaltet 
haben  könnte  und  die  Vermuthung  liegt  nahe,  dass  das 
Diplom  unter  Zugrundelegung  der  Rede  verfasst  worden  sei, 
worauf  auch  das  Datum  V  Id.  Apr.  =  9.  April  hinzudeuten 
scheint  ^). 

So  hatte  denn  Petrarca  als  Dichter  und  als  Gelehrter  den 
Meisterbrief  empfangen  und  den  Gipfel  äusserer  Ehre  erstiegen, 
freilich  aber  musste  er  bald  empfinden,  dass  die  Lorbeerkrone 
auf  seinem  Haupte  auch  schmerzliche  Dornen  an  sich  trage  und 


^)  vgl.  oben  Seite  166.  Anm.  7.    Das  Diplom  ist  unter  dem  Titel  „Pri- 
vilegium laureae  receptae"  in  den  baseler  Ausgaben  abgedruckt. 


184  Viertes  Capitel    Die  Dichterkrönung. 

musste  lernen,  dass,  wer  über  die  grosse  Menge  der  Durch- 
schnittsmenschen sich  erhebt,  den  Pfeilen  des  Neides  und  der 
Verleumdung  bloss  gestellt  wird^).  Solche  Erfahrung  mochte 
für  ihn  um  so  herber  sein,  als  er  trotz  der  affectirten  Ver- 
achtung des  Dichterkranzes,  die  er  zur  Schau  zu  tragen 
liebte  %  doch  den  Besitz  desselben  als  ein  hohes  Gut  und  ein 
wirkliches  Glück  betrachtete  ^)  und  im  Ernst  wol  nie  gezweifelt 
hat,  solcher  ehrender  Auszeichnung  würdig  zu  sein,  wenn  ihm 
auch  einmal  das  Geständniss  entschlüpfte,  dass  er  vielleicht 
den  Lorbeer  zu  früh  empfangen  habe^j. 


1)  vgl.  Ep.  Fam.  IV  4.  5.  6.  7.  8.  9. 

2)  z.  B.  de  remed.  utr.  fort.  I  46. 
^)  vgl.  de  cont.  mundi  III  p.  403. 
*)  Trionfo  damore  III  v.  80. 


Fünftes  Capitel. 
Parma  und  Vaucluse- 


k^chon  wiederholt  sind  wir  in  unserer  Erzählung  der  frag- 
würdigen Gestalt  Azzo's  di  Correggio  1)egegnet  und  jetzt  tritt 
sie  aufs  Neue  an  uns  heran. 

Der  ruhelose  Ehrgeiz  dieses  Mannes  missgönnte  den 
Scaligeri  die  Herrschaft  über  Parma  und  es  dünkte  ihm  ein 
erstrebenswerthes  Ziel ,  selbst  zu  dem ,  wenu  auch  nur  zeit- 
w^eiligen  und  getheilten,  Besitze  der  Tyrannis  zu  gelangen. 
Die  Verwirklichung  dieses  Wunsches  war  nicht  allzu  schwer, 
da  von  den  italienischen  Fürsten  die  anwachsende  Macht  der 
veronesischen  Tyrannen  mit  Neid  und  Besorgniss  betrachtet 
und  von  den  Parmensern  selbst  der  harte  Druck  der  Fremd- 
herrschaft nur  unwillig  ertragen  ward.  So  fand  denn  Azzo,  als 
er  im  Beginn  des  Jahres  1341  den  König  Robert  von  Neapel, 
die  Gonzaga  von  Mantua,  mit  denen  er  sich  verschwägert 
hatte,  und  Luchino  Visconti  von  Mailand  für  seinen  Plan  zu 
gewinnen  suchte,  bereitwilliges  Gehör  und  der  mailänder 
Herrscher  versprach  ihm  sogar  materielle  Unterstützung,  wo- 
gegen Azzo  freilich  seinerseits  geloben  musste,  Parma  nach 
vier  Jahren  dem  Visconti  abzutreten  —  ein  seltsamer  Vertrag, 
der  recht  deutlich  zeigt,  wie  ein  kurzsichtiger  Ehrgeiz  um 
eines  augenblicklichen  Vortheiles  willen  die  ganze  Zukunft  zu 


186  Fünftes  Capitel. 

opfern  geneigt  ist.  Auch  des  Papstes  Gunst  verstand  Azzo 
sich  zu  gewinnen,  wahrscheinlich,  indem  er  zu  erkennen  gal)^ 
dass  er  ein  fügsamerer  Lehnsträger  der  Kirche  sein  werde^ 
als  die  stolzen  Scaligeri  es  waren.  Während  Azzo  auswärts 
thätig  war,  bereiteten  seine  Brüder  Giovanni,  Guido  und 
Simone  in  der  Stadt  Alles  zur  Erhebung  vor.  So  kam  denn 
endlich  in  der  Nacht  vom  22.  zum  23.  Mai  1341  das  seit 
lange  und,  wie  es  scheint,  mit  grosser  Umsicht  geplante  Unter- 
nehmen zur  Ausführung.  Zunächst  entstand  unter  Giovanni's 
di  Correggio  Führung  ein  Volksauflauf  au  der  Brücke  San 
Gervasio,  doch  ward  dieser  von  dem  energischen  veronesischen 
Podestä  Boneto,  der  sofort  mit  600  Bewaffneten  herbeieilte,^ 
unschwer  unterdrückt  und  Giovanni  selbst  gefangen  genommen. 
Doch  auch  an  einem  anderen  Punkte  der  Stadt,  in  der  Nähe 
der  alten  Arena,  war  die  Empörung  ausgebrochen  und  hatten 
sich  die  Rebellen,  von  Guido  und  Simone  di  Correggio  geleitet, 
bereits  der  Porta  San  Michele  bemächtigt.  Boneto  begab  sich 
unverzüglich  mit  seiner  siegreiechn  Schaar  dorthin.  Bis  zur 
Morgenröthe  wogte  der  Kampf  unentschieden  hin  und  her,  da 
verbreitete  sich  plötzlich  der  Ruf,  dass  Azzo  mit  seinen  aus- 
wärts gesammelten  Truppen  in  die  Stadt  eindringe,  und 
Boneto  musste  sich  nun  zum  Rückzuge  entschliessen  und  durch 
die  Porta  Nuova  die  Stadt  verlassen;  er  begab  sich,  von  Niemand 
verfolgt,  nach  Lucca.  So  war  denn  die  Stadt  von  dem  Joche 
der  Scaligeri  befreit  und  die  vier  Correggi  ergriffen  gemein- 
sam die  Zügel  der  Herrschaft^). 

Unter  denen,  welche  am  Morgen  des  23.  Mai  ^)  1341  mit 
Azzo  in  das  befreite  und  jubelnde  Parma  einzogen,  befand  sich 
auch   der  neu   gekrönte  Dichter   Petrarca   und   er  ist  es,  der 


^)  vgl.  Joann.  de  Cornazanis ,  bist.  Parm.  frgm.  bei  Muratori  XII 
p.  742  f. 

2)  Dies  Datum  ergibt  sich  aus  Ep.  Fam.  IV  9,  womit  sich  sehr  gut 
vereinigen  lässt,  dass  Joannes  de  Cornazanis  den  22.  Mai  als  den  Tag  der 
Niederlage  der  Scaligeri  angiebt,  denn  er  berichtet  selbst,  dass  der  Kampf 
um  die  erste  Nachtstunde  (circa  la  prima  hora  della  notte)  des  22.  Mai 
begann  und  in  der  Frühe  (also  des  23.  Mai)  endete. 


i 


Parma  und  Vancluse.  |87 

durch  die  Canzone  „quel  e'ha  nostra  natura  in  se  piü  degno" 
diesem  Tage  eine  unverdiente  Unsterblichkeit  verliehen  hat. 

Petrarca  hatte  nach  seiner  Dichterkrönung  nur  wenige 
Tage  —  eine  bestimmtere  Angabe  zu  machen,  ist  nicht  mög- 
lich —  in  Rom  zugebracht,  war  jedoch  genöthigt  gewesen, 
wider  seinen  Willen  bald  nach  seiner  Abreise  dahin  zurück- 
zukehren: bewaffnete  Räuber  hatten  ihn  unweit  der  Mauern 
Roms  überfallen,  und  nur  mit  Mühe  war  er  vor  ihrem  Angriffe 
in  die  Stadt  entronnen.  Welch'  grelles  Streiflicht  wirft  das 
doch  auf  die  Zustände  der  damaligen  Zeit!  Nichts  konnte  mit 
dem  am  vorausgegangenen  8.  April  auf  dem  Capitole  gefeierten 
Feste  schärfer  contrastiren  als  dieser  Zwischenfall.  Der  eben 
gekrönte  Dichter  wird  fast  vor  den  Thoren  eben  der  Stadt, 
in  welcher  er  unter  dem  jubelnden  Zurufe  der  Bürger  die 
Krone  empfangen,  von  i'uchlosen  Banditen  überfallen  und  muss 
sich  glücklich  preisen,  sein  Leben  retten  zu  können!  Nichts 
ist  aber  auch  geeigneter  als  dieser  Zwischenfall,  um  die 
Dichterkrönung  als  eine  einzig  dastehende  und  grossartige 
ideale  Feier  inmitten  eines  Zeitalters  wilder  Barbarei  erscheinen 
zu  lassen  und  ihr  dadurch  eine  höhere  Bedeutung  zu  verleihen : 
sie  erscheint  nun  dem  Auge  des  Betrachters  wie  ein  meteor- 
artiger strahlender  Lichtglanz,  rasch  aufsteigend  und  rasch 
wieder  schwindend,  inmitten  einer  dunkeln  Nacht,  oder  auch 
wie  ein  leuchtender  Stern,  der  bereits  lange  Stunden  vor  der 
Sonne  Aufgang  den  einstigen  Morgen  kündet. 

Begleitet  von  einer  stattlichen  Schaar  Bewaffneter  trat 
Petrarca  am  Tage  nach  seiner  unfreiwilligen  Rückkehr  zum 
zweiten  Male  seine  Reise  an  ^)  und  gelangte  nun  ungefährdet 
nach  Pisa,  von  wo  aus  er  am  21.  April  dem  Könige  Robert 
und  ebenso  am  29.  April  dem  Freunde  Barbato  di  Sulmona 
kurzen  Bericht  über  seine  Krönung  erstattete  2).  Wie  und 
wo  er  im  weiteren  Verlaufe  seiner  Reise,  deren  ursprüngliches 
Ziel    doch  gewiss   Avignon  war,    mit   Azzo  di    Correggio   zu- 


^)  Ep.  Farn.  IV  8. 

»)  Ep.  Fam.  IV  7  u.  8. 


188  Fünftes  Capitel. 

sammentraf,  ob  dies  zufällig  oder  in  Folge  einer  bestimmten 
Verabredung  erfolgte,  entzieht  sich  jeder  Vermuthung  —  genug. 
es  geschah  und  Petrarca  zog,  wie  wir  bereits  erzählten,  ge- 
meinsam mit  Azzo  in  Parma  ein,  um,  den  Bitten  der  Correggi 
willfahrend,  längere  Zeit  daselbst  zu  verweilen. 

Wer  mit  Petrarca's  Charakter  und  mit  der  Geschichte 
der  Renaissance  nicht  vertraut  ist,  den  mag  es  mit  Recht 
äusserst  befremden,  dass  Petrarca  sich  mit  den  Correggi  und 
insbesondere  mit  dem  ränkevollen  und  ehrgeizigen  Usurpator 
Azzo  so  eng  befreundete ,  und  das  überschwängliche  Lob, 
welches  in  der  oben  erwähnten  Canzone  „quel  c'ha  nostra 
natura  etc."  Azzo  gespendet  wird,  möchte  —  so  könnte  es 
scheinen  —  sogar  an  Petrarca's  eigener  Sittlichkeit  uns  zweifeln 
lassen.  Wer  indessen  die  einschlagenden  Verhältnisse  genauer 
berücksichtigt,  wird  es  nicht  für  angezeigt  finden,  des  Dichters 
Handlungsweise  als  unsittlich  zu  brandmarken.  Petrarca  lebte 
und  webte  in  den  Vorstellungskreisen  des  antiken  Römerthums 
und  hatte  sich  dermaassen  in  dieselben  eingesponnen,  dass  er 
auch  die  Verhältnisse  der  Gegenwart,  selbst  unwillkürlich,  sich, 
um  den  Ausdruck  zu  brauchen,  in  das  Antike  übersetzte  und 
Alles,  was  um  ihn  her  vorging,  in  dem  Lichte  der  Antike 
betrachtete  und  mit  dem  aus  dem  Alterthume  entlehnten  Maass- 
stabe maass.  Was  war  da  natürlicher,  als  dass  ihm  ein  Azzo 
di  Correggio,  der  Parma  von  der  Fremdherrschaft  der  Scaligeri 
befreite .  als  ein  moderner  Brutus  erschien  und  dass  er  ihn 
als  einen  solchen  verherrlichen  zu  müssen  glaubte?  Es  war 
solche  Anschauungsweise  um  so  entschuldbarer,  als  die  Scaligeri 
wirklich  hart  und  grausam  in  Parma  gewaltet  hatten,  während 
die  Correggi  in  dem  ersten  Jahre  ihrer  gemeinsamen  Regierung 
die  Stadt  nach  dem  Ausdrucke  des  Chronisten  0  wie  Väter 
beherrschten  und  demnach  in  der  That  als  rettende  Befreier 
von  einem  Tyrannenjoche  erscheinen  konnten.  Leicht  also 
mochte  Petrarca  sich  täuschen  lassen  von  der  bestehenden 
Aussenseite,   welche  das  Unternehmen  der  Correggi   an  sich 


*)  Joann.  de  Cornazanis  a.  a.  0.  p.  743. 


Parma  uml  Vaucluse.  189 

trug,  und  dabei  übersehen,  dass  dasselbe  im  Grunde  doch 
nichts  Anderes,  als  ein  vom  nacktesten  Egoismus  eingegebener 
treuloser  Gewaltstreich,  eine  Usurpation  der  gewöhnlichsten 
Art  war.  Der  idealistische  Nebel,  in  welchem  er  lebte,  ver- 
hüllte seinem  Blicke  das  Wesen  der  Dinge  und  Hess  ihn  nicht 
wahrnehmen;  dass  das  unglückliche  Parma  nun  statt  zweier 
vier  Tyrannen  hatte,  und  dass  ein  Azzo  um  keinen  Deut  besser 
war  als  ein  Mastino.  In  einer  ganz  ähnlichen,  wenn  auch 
freilich  weit  verzeihlicheren  Selbsttäuschung  war  er  befangen, 
als  er  einige  Jahre  später  den  toll  gewordenen  Schwärmer 
Cola  di  Rienzo^)  als  den  Wiederhersteller  altrömischer  Grösse 
und  Herrlichkeit  feierte.  Es  bedarf  ja  nun  keines  Beweises,  dass 
derartige  grundfalsche,  weil  alle  realen  Verhältnisse  ignorirende 
Anschauungsweisen  Petrarca's  Befähigung  für  die  praktische 
Politik  in  einem  sehr  zweifelhaften  Lichte  erscheinen  lassen, 
indessen  darf  dabei  nicht  übersehen  werden,  dass  eben  auf 
diesem  einseitigen  Idealismus  auch  Petrarca's  Grösse  beruht: 
er  würde  nimmer  der  Wiedererwecker  des  römischen  Altei- 
thums  geworden  sein,  wenn  er  sich  nicht  völlig  in  dasselbe 
versenkt  und  darüber  der  eigenen  Gegenwart  entfremdet  hätte. 
Mag  man  immerhin  lächeln  über  des  Dichters  naive  Träume, 
welche  einen  Azzo  di  Correggio  und  einen  Cola  di  Rienzo  ver- 
herrlichten, man  wird  doch  zugestehen  müssen,  dass  solche 
Träume  eben  nur  aus  einem  für  das  Ideale  begeisterten 
Haupte  entspringen  konnten,  und  das  genügt,  um  jeden  Makel 
von  ihnen  abzuwenden. 

Da  wir  indessen  wiederholt  die  Thatsache  zu  berichten 
haben  werden,  dass  Petrarca  mit  sittlich  niedrig  stehenden 
Menschen  intim  verkehrte  und  zwar  ohne  dass  seine  Phantasie  in 
ihnen,  wie  dies  bei  Azzo  und  Cola  di  Ilienzo  der  Fall  gewesen,  die 
Träger  grosser  politischer  Ideen  erblickt  zu  haben  scheint  — 
wir  denken  hier  namentlich  an  die  Carrara  von  Padua  — , 
so  möge  noch  eine  Aveitere  Bemerkung  hier  Platz  finden,  welche 
diese  uns  auffallende  Erscheinung  zwar  nicht  eigentlich  recht- 


^)  Dies  und  nicht  Rienzi  ist  die  richtige  Namensform. 


190  Fünftes  Capitel. 

fertigen,  aber  doch  erklären  kann.  Die  Menschen  der  Renaissance 
bildeten  durch  ihre  intensive  Beschäftigung  mit  der  formalen 
Seite  des  classischen  Alterthums  —  denn  die  materiale  Seite 
ward  je  länger  je  mehr  aus  nicht  hier  zu  erörternden  Gründen 
vernachlässigt  —  das  ästhetische  Urtheilsvermögen,  die  Em- 
pfindungsfähigkeit für  das  Schöne  und  Harmonische  in  allen 
seinen  Erscheinungsformen,  bis  zur  hohen  Feinheit  aus.  Daher 
die  Formenvollendung,  die  heitere  Anmuth  und  Grazie,  welche 
die  Schöpfungen  sowol  der  Litteratur  als  der  bildenden  Kunst 
der  Renaissance  fast  ausnahmslos  zeigen,  während  ihnen  nur 
gar  zu  oft  ein  ernsterer  und  tieferer  Gedankeninhalt  mangelt. 
Während  sich  so  das  ästhetische  Vermögen  zur  grossen  Voll- 
kommenheit entwickelte,  verkümmerte  das  ethische  Gefühl, 
schwand  das  sittliche  Bewusstsein.  Es  geschah  das  nicht  etwa, 
weil  ästhetische  und  ethische  Bildung  unvereinbar  mit  ein- 
ander wären  —  im  Gegentheile,  die  ästhetische  Bildung  in 
ihrer  höchsten  Potenz,  wie  sie  nicht  die  Renaissancezeit,  wol 
aber  das  Griechenthum  erreicht  hat  und  vielleicht  ein  beglücktes 
Menschengeschlecht  der  Zukunft  wieder  einmal  erreichen  wird, 
kann  sich  nur  auf  einer  tief  ethischen  Grundlage  entwickeln, 
da  ja  Ethik  und  Aesthetik  in  ihrem  innersten  Wesen  wie  in 
ihren  letzten  Consequenzen  identisch  sind.  Der  Grund  des 
Verfalls  der  Sittlichkeit  im  ästhetisch  hochgebildeten  Zeitalter 
der  Renaissance  war  ein  anderer. 

Wir,  die  wir  in  unserer  GegenAvart  zu  einer  höheren 
Bildung  zu  gelangen  streben,  betreiben  eifrig  die  humanistischen 
Studien,  aber  wir  betrachten  sie  doch  nur  als  ein,  allerdings 
vorzüglich  geeignetes  Mittel,  um  das  Ziel  der  Allgemeinbildung 
zu  erreichen,  und  sie  bilden  für  die  Meisten,  welche  sich  ihnen 
überhaupt  widmen,  eben  nur  das  in  früher  Jugend  zu  durch- 
messende Durchgangsstadium  zu  irgend  einer  wissenschaftlichen 
Fachbildung.  Diejenigen  aber,  welche  das  Studium  der 
Sprachen  und  Litteraturen  des  Alterthums  berufsmässig  be- 
treiben, sind  von  der  unsere  Zeit  charakterisirenden  Neigung 
zur  Kritik  und  Analyse  viel  zu  sehr  beherrscht,  als  dass  sie 
einer  enthusiastischen  Begeisterung  für  die  Antike  fähig  wären 


Parma  und  Vaucluse.  191 

und  in  einer  solchen  die  reale  Gegenwart  zu  vergessen  ver- 
möchten :  es  sind  —  abgesehen  von  den  leider  zahlreichen 
studirten  Handwerkern,  denen  die  Wissenschaft  nur  ein  Mittel 
zum  Broterwerbe  ist  —  ernste  und  nüchterne  Arbeiter  auf 
dem  Felde  der  Wissenschaft,  welche  den  Gelehrten  von  dem 
Menschen  wohl  zu  sondern  wissen  und  durch  ihre  gelehrten 
Studien  sich  im  praktischen  Leben  nicht  beeinflussen  lassen. 
Wir  betreiben  eben,  wenn  man  sich  in  Kürze  so  ausdrücken 
darf,  die  Altertliumsstudien  nur  theoretisch,  nur  mit  dem  Ver- 
stände, nicht  aber  mit  dem  Gemüthe  und  ohne  die  Tendenz, 
die  Ergebnisse  unserer  Studien  für  die  Gestaltung  unserer  öffent- 
lichen und  privaten  Lebensverhältnisse  praktisch  zu  verwerthen, 
ohne  die  vorgefasste  Meinung  endlich,  dass  das  classische 
Alterthum  uns  für  alle  Gebiete  des  Lebens  die  nachahmungs- 
Averthen  Ideale  darbiete:  es  verbietet  uns  solchen  Glauben 
•die  objectiv-historische  Betrachtungsweise  der  Vergangenheit, 
welche  uns  anerzogen  worden  ist.  Wir  sind,  wenn  wir  das 
Alterthum  und  seine  Zustände  uns  zu  vergegenwärtigen  suchen, 
nur  mit  der  einen  Plälfte  unserer  Seele  bei  diesem  Geschäfte, 
mit  der  anderen  und  grösseren  Hälfte  verbleiben  wir  in  unserer 
Gegenwart  und  hegen  immer  den  Hintergedanken,  dass  diese 
doch  in  vielen  Beziehungen  dem  Alterthume  unendlich  über- 
legen sei.  Wir  sind  stolz  darauf,  dass  wir  es  so  herrlich  weit 
gebracht,  bemühen  uns,  es  noch  viel  weiter  zu  bringen,  und 
perhorresciren  den  Gedanken,  eine  Vergangenheit,  deren 
Schattenseiten  wir  kritisch  zu  erkennen  glauben,  neubeleben 
zu  wollen.  In  Folge  dessen  bringen  heute  die  humanistischen 
Studien  unserem  religiösen  und  nationalen  Leben  nicht  die  ge- 
ringste Gefahr,  während  dies  früher  allerdings  der  Fall  gewesen 
ist:  sie  sind  für  uns  ein  vortreffliches  pädagogisches  Jugendbil- 
dungsmittel und  ein  Object  gelehrter  Arbeit,  aber  ISichts  weiter. 
Niemand  wird  heutzutage,  weil  er  humanistisch  gebildet  ist, 
der  Gegenwart  sich  entfremden  oder  gar  mit  ihr  zerfallen. 

Ganz  anders  waren  die  Verhältnisse  des  Zeitalters  der 
Kenaissauce,  als  der  Humanismus  jugendkräftig  war.  Die 
damaligen  Menschen  gaben  sich  dem  Studium  des  Alterthums 


192  Fünftes  Capitel. 

mit  ungetlieilter  Kraft,  mit  glühendester  Begeisterung  und  mit 
ganzer  und  voller  Seele  hin;  für  sie  war  es  ein  Dogma,  dass 
das  Alterthum  für  alle  Lebensgebiete  die  höchsten  Ideale 
aufgestellt  habe,  und  für  heilige  Pflicht  hielten  sie  es  demnach, 
die  nach  ihrer  Ansicht  durchweg  verfallenen  und  barbarischen 
Zustände  der  Gegenwart  durch  die  Neubelebung  antiker  Ver- 
hältnisse zu  beseitigen.  Nicht  partiell,  sondern  in  seiner  Totalität 
sollte  das  Alterthum  wiedererweckt  werden,  nicht  Bildungs- 
elemente sollte  es  liefern,  sondern  das  einzige  Lebenselement 
sollte  es  werden,  nicht  befruchten  sollte  es  die  moderne  Zeit, 
sondern  die  moderne  Zeit  sollte  in  rückläufiger  Bewegung 
wieder  zur  antiken  werden,  der  moderne  Staat  und  das  moderne 
städtische  Gemeinwesen  sollte  wieder  zur  römischen  respublica 
und  civitas  sich  gestalten,  der  moderne  Mensch  sollte  zum 
Ptömer  sich  umformen  und  römisch  denken,  empfinden  und 
sprechen.  Es  leuchtet  ein,  dass  Menschen,  Melche  solchem 
Glauben  und  solchem  Streben  huldigten,  welche  mit  der  ganzen, 
doch  vorzugsweise  auf  christlicher  Basis  beruhenden  Cultur 
ihrer  Gegenwart  brachen,  natürlich  damit  auch,  obschon  un- 
bewusst  und  jedenfalls  unabsichtlich,  mit  dem  Christenthume 
selbst  und  seiner  religiös  ethischen  Weltanschauung  innerlich 
zerfielen.  Christenthum  und  Antike  sind,  wie  die  Weltgeschichte 
gelehrt  hat,  unvereinbar  und  negiren  sich  gegenseitig,  man 
konnte  also  unmöglich  auf  allen  anderen  Lebensgebieten  zur 
Antike  zurückkehren  und  auf  dem  religiösen,  doch  gewiss  dem 
wichtigsten ,  bei  dem  der  Antike  feindlichen  Christenthume 
beharren,  sondern  entweder  die  Renaissance  konnte  nicht  zum 
Abschlüsse  gelangen  oder  aber  sie  musste  auch  die  Kirche 
zerstören.  Der  Abfall  vom  Christenthume  und  die  Restauration 
eines  irgendwie  philosophisch  aufgestutzten  Polytheismus  war 
die  nothwendige  Consequenz  der  Renaissance.  Nun  ist  aller- 
dings diese  Consequenz  äusserlich  nicht  realisirt  worden,  weil 
das  Christenthum  sich  als  zu  widerstandsfähig  erwies  und, 
weit  entfernt  der  Renaissance  zu  erliegen,  in  dem  Kampfe 
gegen  sie  neue  Lebenskraft  und  die  Fähigkeit  einer  Verjüngung 
in  neuen  festen  Formen  sich  gewann.     Die  Wogen  der  Renais- 


Parma  und  Vancluse.  193 

sance  brachen  sich  an  dem  Preisen  der  christlichen  Kirche, 
den  man  für  unterhöhlt  und  morsch  gehalten  hatte,  und  die 
Kirche  verstand  es,  den  Humanismus  selbst  ihren  eigenen 
Zwecken  dienstbar  zu  machen.  Indessen,  was  iiusserlich,  von 
ganz  vereinzelten  Fällen  abgesehen  ^),  nicht  eintrat,  der  Abfall 
vom  Christenthume,  das  musste  im  Innern  der  Herzen  nur 
allzu  oft  geschehen.  Man  wird  wol  nicht  irre  gehen,  wenn 
man  behauptet,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Humanisten 
des  15.  und  des  beginnenden  16.  Jahrhunderts,  also  derjenigen 
Zeit,  in  welcher  die  Renaissance  ihrem  Abschlüsse  am  nächsten 
war,  nur  äusserlicli  und  auch  dies  nur  aus  Rücksichten  welt- 
licher Klugheit  oder  Bequemlichkeit  sich  noch  zur  christlichen 
Kirche  bekannte,  während  sie  innerlich  derselben  durchaus 
entfremdet  war  und  ihr  entweder  indifferent  oder  skeptisch, 
wenn  nicht  geradezu  feindlich  gegenüber  stand.  Obwol  nun 
ein  solcher  Zustand  der  nur  äusserlichen  und  also  erlogenen 
Zugehörigkeit  zu  einer  von  dem  Herzen  nicht  mehr  anerkannten 
Kirche  an  sich  schon  tief  unsittlich  ist,  so  würde  er  doch  vielleicht 
in  ethischer  Beziehung  nicht  allzu  schlimm  eingewirkt  haben, 
wenn  nur  an  Stelle  der  aufgegebenen  christlich-ethischen  Basis 
des  Lebens  eine  andere  gefunden  worden  wäre.  Das  geschah 
aber  nicht.  Der  Polytheismus  und  Pantheismus  des  Alterthums 
bot  eine  solche  nicht  dar.  In  einzelnen  philosophischen  Systemen, 
im  Piatonismus  und  Stoicismus,  würde  man  sie  allerdings  ent- 
deckt haben ,  aber  der  die  Renaissance  kennzeichnende  philo- 
sophische Eklekticismus  und  Dilettantismus  verschmähte  es, 
ein  bestimmtes  System  sich  voll  und  enist  anzueignen,  und 
zur  Schöpfung  einer  neuen,  sittliche  Principien  aufstellenden 
Philosophie  war  er  vollends  unfähig.  So  wurde  dem  Humanis- 
mus der  sittliche  Grund  und  Boden  entzogen,  die  moralischen 
Begi-iffe  geriethen,  zumal  da  sie  von  keinen  stabilen  staat- 
lichen und  socialen  Einrichtungen  gestützt  und  geschützt 
wurden,  in  Schwanken  und  Verwirrung,  wurden  irrig  aufgefasst 


^)  vgl.  J.   Burckhardt,  die  Cultur   der  Renaissance  in  Italien  (2.  Aufl. 
1869),  p.  409  f. 

Körting,  Petrarca.  13 


194  Fünftes  Capitel. 

oder  auch  ganz  geleugnet.  Der  Egoismus,  der  immer  in  solchen 
Zeiten  an  die  Stelle  des  moralischen  Bewusstseins  tritt,  wurde 
zum  System  ausgebildet,  Ruhm  und  Lebensgenuss  wurden  ein- 
gestand enermaassen  als  die  höchsten  Ziele  menschlichen  Handelns 
betrachtet  und  als  gleichgültig  die  Mittel,  durch  welche  man 
ihnen  nachstrebte.  Auf  Ruhm  und  heiteren  Genuss  des  Daseins 
war  das  ganze  Trachten  der  Menschen  der  Renaissance  in 
letzter  Instanz  gerichtet,  doch  die  hoch  entwickelte  ästhetische 
Bildung  Hess  dasselbe  nicht  in  seiner  hässlichen  Nacktheit 
erscheinen,  sondern  umkleidete  es  mit  einem  bestechenden 
idealen  Schimmer. 

Selbstverständlich  ist  es,  dass  bei  derartigen  sittlichen 
Zuständen  jeder  Einzelne  mehr  oder  minder,  oft  völlig  den 
ethischen  Maassstab  für  die  Beurtheilung  der  Charaktere  und 
Handlungen  der  Anderen  verlor.  Man  beurtheilte  diese  vor- 
wiegend ästhetisch,  nicht  ethisch.  Ebenso  wenig  wie  von  sich 
selbst  forderte  man  von  den  Anderen,  dass  ihr  Handeln  von  mora- 
lischen Motiven  sich  bestimmen  lasse,  aber  wohl  verlangte  man,  dass 
es  ein  planvoll  angelegtes,  einem  bestimmten  Ziele  consequent 
und  energisch  nachstrebendes,  in  sich  abgeschlossenes  und 
harmonisches  sei.  Man  betrachtete  das  Leben  als  ein  Kunst- 
werk, welches  allen  Anforderungen  genüge,  wenn  es  durch 
seine  grossartigen  äusseren  Constructionen  einen  nachhaltigen 
ästhetischen  Eindruck  zu  machen  geeignet  sei.  Nicht  kümmerte 
man  sich  um  die  Sittlichkeit  der  Motive,  aus  denen  eine 
Handlung  unternommen,  noch  um  die  Sittlichkeit  der  Mittel, 
mit  denen  eine  Handlung  ausgeführt  ward  —  es  war  genug, 
wenn  diese  Handlung  das  Gepräge  des  Aussergewöhnlichen 
und  Grossartigen  an  sich  trug  und  wenn  sie  den  Handelnden 
als  einen  genialen  Mann  und  Helden  kennzeichnete,  um 
sie  als  eine  des  Lobes  und  der  Bewunderung  würdige  erscheinen 
zu  lassen.  Der  Heroismus  des  Lasters  ward  ebenso  laut  ge- 
priesen wie  der  Heroismus  der  Tugend,  denn,  von  allen  ethischen 
Principien  abstrahirend ,  erblickte  man  in  dem  einen  wie  in 
dem  anderen  den  entzückenden  Ausdruck  einer  kraftvollen 
und   sich   ihrer  selbst  bewussten  Individualität.     So   konnten 


Parma  und  Vaucluse.  195 

■sittliche  Ungeheuer  wie  der  Papst  Alexander  VI.  Borgia  und 
sein  noch  entsetzlicherer  Sohn  Cesare  aufi-ichtige  Bewunderer 
selbst  unter  ernsten  und  persönlich  ehrenhaften  Männern 
■finden  ^). 

Das  so  eben  Erörterte  besitzt  nun  allerdings  in  seinem 
vollen  Umfange  keine  Geltung  für  Petrarca's  Zeit  und  noch 
weniger  für  Petrarca's  Person.  Petrarca  war  allerdings  der 
Begründer  der  Renaissance,  er  war  aber  durchaus  nicht  ihr 
vollendeter  Typus,  sondern,  worauf  wir  schon  wiederholt  hin- 
gewiesen haben,  in  vieler,  namentlich  aber  in  religiöser  Be- 
ziehung, ein  Mensch  des  Mittelalters  und  stand  noch  fest  oder 
wollte  doch  wenigstens  fest  stehen  auf  dem  Boden  der  ethischen 
Anschauungen  des  Christenthums,  Indessen  angehaucht  war 
doch  auch  er  bereits  von  dem  Geiste  der  Renaissance,  wie  diese 
sich  später  entwickelte,  auch  er  lief  bereits  Gefahr,  den  Ruhm 
an  sich  ohne  Rücksicht  auf  die  Motive,  aus  denen  er  erstrebt, 
und  auf  die  Mittel,  mit  denen  er  gewonnen  ward,  als  das 
Höchste  zu  bewundern  und  zu  betrachten,  auch  er  schon  liess 
sich  leicht  blenden  von  der  äusserlich  grossartigen  Erscheinung 
eines  reich  begabten  und  seine  Ziele  planvoll  verfolgenden 
Charakters,  welcher  der  sittlichen  Wahrheit  und  Tiefe  entbehrte. 
Ideal  angelegt,  wie  er  war,  und  in  seinen  Gedanken  immer  in 
eine  ideale  Welt  sich  versetzend,  jagte  er  begierig  jedem  Schimmer 
des  Idealen  nach,  den  er  in  der  realen  Welt  zu  erblicken 
wähnte,  und  freute  sich  seines  vermeintlichen  Glanzes,  nicht 
bemerkend,  dass  derselbe  kein  wirklich  existirender ,  sondern 
nur  der  trügerische  Reflex  seines  eigenen  Idealismus  war. 
Aus  dieser  seiner  subjectiven  Selbsttäuschung,  die  allerdings 
einer  gewissen  sittlichen  Schwäche  entsprang,  erklärt  es  sich, 
dass  er  seine  Bewunderung  und  seine  Freundschaft  zuweilen 
Menschen  geschenkt  hat,  welche  im  Lichte  einer  objectiven 
Beurtheilung  als  solcher  Ehre  höchst  unwürdig  erscheinen 
müssen. 

Nach  dieser  längeren,  aber,  wie  wir  meinen,  nothwendigen 


^)  vgl.  Gregorovius,  Lucrezia  Borgia  I-  p.  91  flf. 

13^ 


196  Fünftes  Capitel. 

Abschweifung  kehren  wir  zu  unseres  Dichters  äusserem  Lebens- 
gange zurück. 

Ueber  Petrarca's  ersten  Aufenthalt  in  Parma,  bis  zu  dessen 
Beginne  wir  unsere  Erzählung  geführt  hatten,  ist  uns  nur 
Weniges  bekannt  ^),  und  dieses  Wenige  beschränkt  sich  auf  zwei 
anekdotenhafte  Vorfälle,  die  jedoch  des  Interesses  nicht  ent- 
behren, indem  der  eine  uns  zeigt,  welcher  Berühmtheit  selbst 
auch  in  den  unteren  Schichten  des  Volkes  der  Dichter  schon 
damals  —  in  seinem  37.  Lebensjahre  —  sich  erfreute,  der 
andere  aber  uns  beweist,  wie  wenig  sein  erleuchteter  Geist 
von  thörichtem  Aberglauben  beherrscht  ward. 

Zu  Pontremoli  im  Gebiete  von  Perugia  lebte  ein  alter 
und  erblindeter  Grammatiker  und  Schulmann,  der  sich  wol 
auch  einmal  dilettantenhaft  mit  der  Poesie  beschäftigt  hatte  ^). 
Dieser  hegte  für  Petrarca,  obwol  er  von  ihm  doch  nur  die 
wenigen  damals  bereits  veröffentlichten  italienischen  Lieder 
kennen  konnte,  eine  solche  Bewunderung,  dass  er  im  Jahre 
1341  auf  die  Kunde  von  des  Dichters  Anwesenheit  in  Neapel 
ihn  persönlich  aufzusuchen  beschloss.  So  trat  er  denn,  gestützt 
auf  den  Arm  seines  einzigen  Sohnes,  die  weite  Reise  an  und 
gelangte  nach  Neapel.  Petrarca  hatte  indessen  die  Stadt  be- 
reits wieder  verlassen.  König  Robert,  der  von  der  Ankunft 
des  greisen,  aber  noch  so  jugendlich  begeisterten  Wanderers 
gehört  hatte,  liess  ihn  zu  sich  rufen  und  ertheilte  ihm  den 
Rath ,  er  möge ,  wenn  er  Petrarca  noch  in  Italien  antreffen 
wolle,  ihm  schleunigst  nachreisen,  denn  sonst  werde  er  ihn  in 
Frankreich  aufsuchen  müssen ,  worauf  ihm  der  Blinde  ent- 
üegnete,  er  werde  den  verehrten  Dichter,  wenn  es  nöthig  sei, 
selbst  in  Indien  zu  finden  wissen.  Von  dem  Könige  gross- 
müthig  mit  Reisegeld  unterstützt,  wanderte  der  Greis  nun 
nach  Rom,   doch  auch   hier  traf  er  den,   welchen   er  suchte, 

^)  Ueber  Petrarca's  Aufenthalt  in  Parma  vgl.  Konchini,  la  dimora  del 
P.  in  Parma.    Modeua  1874. 

')  Nach  der  von  Carducci  für  glaubhaft  befundenen  Vermuthung  Lelio's 
dei  Leli  wäre  dieser  Blinde  derselbe  Stramazzo  da  Perugia  gewesen,  an 
welchen  Petrarca  das  Antwortosonett :  „se  l'onorata  fronte,  che  prescrive" 
gerichtet  hat  (cf.  Carducci,  Rime  etc.  p.  8  flf.). 


Parma  und  Vaucluse.  197 

nicht  mehr  an.  Nicht  wissend,  wo  er  jetzt  Petrarca  finden 
solle,  kehrte  er  nach  Pontremoli  zurück,  doch,  sobald  er  er- 
fahren hatte,  dass  der  Dichter  in  Parma  weile,  l)rach  er,  jetzt 
ausser  von  seinem  Sohne  noch  von  einem  Schüler  begleitet, 
dahin  auf  und  überschritt  mitten  im  Winter  den  schneebedeckten 
Apennin.  Wie  gross  war  seine  Freude,  als  er  endlich  den 
lang  Gesuchten  gefunden  hatte!  Drei  Tage  lang  wich  er  nicht 
von  Petrarca's  Seite,  immer  und  immer  wieder  begeistert  das 
Haupt  und  die  Hand  dessen  küssend,  der  die  Lieder,  die  ihn 
so  entzückt,  gedichtet- und  niedergeschrieben  hatte,  und  ihm 
versichernd,  dass  er  trotz  seiner  Blindheit  ihn  klarer  zu  er- 
kennen vermöge,  als  Andere  mit  sehenden  Augen.  Von  Azzo 
da  Correggio  reich  beschenkt,  kehrte  der  Alte  endlich  in  seine 
Heimath  zurück '). 

Musste  das  eben  erzählte  kleine  Ereigniss  Petrarca  innig 
erfreuen,  so  musste  das  andere,  welches  wir  nun  zu  berichten 
haben,  ihn  ebenso  innig  betrüben. 

Giacomo  Colonna,  den  er  zuletzt  im  Jahre  1337  zu  Rom 
gesehen  und  bei  seiner  Dichterkrönung  schmerzlich  vermisst 
hatte-),  war  im  Jahre  1340  nach  siebenjähriger  Abwesenheit 
nach  seinem  Bischofssitze  Lombes  zurückgekehrt,  aber  nur, 
um  dort,  wahrscheinlich  in  Folge  des  rauhen  Klima's,  in 
schweres  Siechthum  zu  verfallen,  welches  ihn  rasch  einem 
frühen  Tode  entgegenführte.  Petrarca  hatte  in  Parma  gerücht- 
weise Kunde  von  des  Freundes  Erkrankung  erhalten,  indessen 
in  so  unbestimmter  Form,  dass  er  die  Hoffnung  auf  Genesung 
für  nicht  ausgeschlossen  hielt.  Da  geschah  es,  dass  er,  als  er 
in  seinem  Gartenhause  zu  Parma  weilte,  in  einer  Nacht 
träumte,  der  Freund  trete  plötzlich  und  ohne  Begleitung  in 
seinen  Garten  ein.  Er  eilte  ihm  —  so  spann  sein  Traum  sich 
weiter  —  überrascht  entgegen  und  frug  ihn  nach  der  Ursache 
seines  unverhofften  Kommens.  Der  Freund  antwortete  nicht 
darauf,  sondern  begnügte  sich,   lächelnd  zu  sagen:  „Erinnerst 


')  Ep.  Sen.  XV  (b.  Fracassetti  XYD  7. 
*)  Ep.  Fam.  IV  6. 


298  Fünftes  Capitel. 

Du  Dich  noch,  wie  lästig  Dir,  als  Du  einst  jenseits  der  Garonne 
bei  mir  verweiltest,  die  rauhe  Witterung  in  den  Pyrenäen 
war?  Ich  bin  jetzt  ihrer  müde  geworden  und  gehe  auf  Nimmer- 
wiederkehr nach  Rom".  So  sprechend  eilte  er  dem  Ausgange 
des  Gartens  zu  und  lehnte  des  Freundes  Begleitung  mit  den 
Worten  ab :  „Lass  es  gut  sein,  jetzt  will  ich  Deine  Begleitung 
nicht".  Petrarca  schaute  hierauf  den  Freund  an  und  erkannte^ 
dass  dessen  Antlitz  mit  der  Blässe  des  Todes  bedeckt  sei. 
Von  Furcht  und  Schmerz  ergrilfen  schrie  er  so  laut  auf,  dass 
er  darüber  erwachte  und  selbst  noch  den  Schrei  verhallen 
hörte.  Er  behielt  das  Datum  des  Tages  im  Gedächtnisse  und 
nach  Verlauf  mehrerer  Wochen  eifuhr  er,  dass  der  Freund 
gestorben  und  zwar  am  selben  Tage  und  zur  selben  Stunde^ 
in  welcher  er  das  Traumgesicht  erblickt.  Giacomo's  sterbliche 
Ueberreste  wurden,  wie  der  Traum  symbolisch  verkündet, 
mehrere  Jahre  später  nach  Rom  überführt^). 

Es  wäre  nach  diesem  seltsamen  Erlebnisse  wahrlich  er- 
klärlich gewesen,  wenn  Petrarca  dem  Glauben  an  vorbedeutende 
Träume  und  Ahnungen  gehuldigt  hätte,  zumal  da  ihm  auch 
ein  anderer  Traum  auf  gleich  merkwürdige  Art  in  Erfüllung 
gegangen  war.  Wenn  er  daher  gleiehwol  sich  von  allem 
solchen  Aberglauben  frei  erhielt  und  wiederholt  jede  Traum- 
deuterei  als  arge  Thorheit  kennzeichnete  und  auf  das  eifrigste 
dagegen  polemisirte  -),  so  legt  das  ein  überaus  rühmliches  Zeug- 
niss  ab  für  seinen  aufgeklärten  und  helldenkenden  Sinn  und 
verleiht  ihm  auch  in  dieser  Beziehung  ein  Anrecht  auf  den 
Ehrennamen  des  ersten  modernen  Menschen.  Vielleicht  trat 
Petrarca  durch  Nichts  so  scharf  und  entschieden  aus  seinem 
noch  in  dem  Banne  finsterer  Geistesnacht  liegenden  Zeitalter 
heraus,  als  durch  diese  gänzliche  Freiheit  vom  Aberglauben, 
und  er  erhob  sich  dadurch  selbst  noch  weit  über  den  geistigen 
Horizont  der  späteren  Renaissance,  in  welcher,  wie  das  sehr 
erklärlich  und  durchaus  folgerichtig  war,  die  ganze  ungeheuer- 


1)  Ep.  Farn.  V  7. 

2)  vgl.  namentlich  Eer.  mem.  lib.  IV  4.  p.  525  u.  531. 


Parma  und  Vaucluse.  199 

liehe  Superstition  des  römischen  Alterthums  neu  auflebte 
und  sich  mit  dem  mittelalterlichen  Teufels-  und  Dämonen- 
glauben zu  einem  widerlichen  und  unheilvollen  Gemische 
vereinigte '). 

Den  Aufenthalt  in  Parma  unterbrach  Petrarca  zeitweilig 
durch  eine  Villeggiatur  in  dem  bei  Pteggio  gelegenen  reizenden 
Selvapiana.  .Als  er  dort  einst  in  dem  dichtbelaubten,  herrlichen 
Walde  lustwandelte,  ergriff  ihn  die  Sehnsucht,  durch  eine 
grossartige  Dichtung  sich  der  Lorbeerkrone,  mit  welcher  er 
kurz  zuvor  geschmückt  worden  war,  aufs  Neue  würdig  zu 
erweisen.  Nicht  besser  glaubte  er  diesem  Drange  genügen 
zu  können,  als  durch  die  Weiterführung  seiner  „Africa"^  So 
begann  er,  abermals  Hand  an  die  grosse  Dichtung  zu  legen, 
und  brachte  sie  wirklich  mit  eifriger  Arbeit  in  kurzer  Zeit 
ihrer  Vollendung  nahe  ^) ,  wie  er  damals  wenigstens  meinte, 
während  er  später  freilich  erkennen  musste,  dass  es  eine 
Täuschung  gewesen  sei  und  dass  das  Werk,  welches  seines 
Ruhmes  unvergängliche  Gnindlage  bilden  sollte,  überhaupt 
nicht  wahrhaft  innerlich  vollendet  werden  könne.  — 

Im  Frühjahre  1342  verliess  Petrarca  nach  einjährigem 
Aufenthalte  Parma,  um  nach  Avigiion  und  Vaucluse  zurück- 
zukehren. Wir  kennen  das  Motiv  nicht,  welches  ihn  zur  Rück- 
reise bestimmte,  haben  aber  auch  nicht  nöthig,  uns  mit  künst- 
lichen Vermuthungen  darül)er  abzuquälen  ^).  Nichts  war  natür- 
licher, als  dass  der  Dichter  nach  langer  Abwesenheit  wieder 
einmal  sein  Heimwesen  in  Vaucluse  aufsuchte,  was  ihm  jeden- 
falls, selbst  wenn  er  gern  noch  länger  sich  in  Italien  verweilt 
hätte,  schon  aus  finanziellen  Rücksichten  als  rathsam  erscheinen 
mochte.  Ein  anderer  Grund  konnte  leicht  noch  bestimmend 
mitwirken.    Am   25.  April  1342  war  Papst  Benedict  XH.  ge- 


1)  vgl.  J.  Burckhardt,  a.  a.  0.  p.  410—439. 

2)  Ep.  ad  post.  p.  9  f.    Ep.  poet.  lat.  II.  17. 

")  Die  an  Barbato  da  Sulmona  gericlitete  poetische  Epistel  III  19  kann 
sich  keinesfalls,  wie  Fracassetti  Lett.  fam.  I  p.  5.30  u.  V  p.  456  annimmt, 
auf  diese  Rückreise  nach  Avignon  beziehen,  wie  namentlich  vv.  43  ff.  un- 
zweifelhaft beweisen. 


200  Fünftes  Capitel. 

storbeii,  von  Petrarca  gewiss  wenig  betrauert,  wenn  anders  das 
harte  ürtheil,  welches  er  über  ihn  gefällt  und  wodurch  er  ihn 
als  einen  tnink-  und  schlafsüchtigen  Menschen  bezeichnet  hat '), 
der  Ausdmck  einer  wahren  Ueberzeugung  und  nicht  bloss  der 
rhetorische  Ausfluss  einer  augenblicklichen  persönlichen  Ver- 
stimmung war''').  Zum  Nitchfolger  Benedicts  wurde  der  aus 
einem  südfranzösischen  Adelsgeschlechte  entsprossene  Cardinal 
Pierre  Roger,  der  den  Namen  Clemens  VI.  annahm,  am  7.  Mai 
erwählt  und  zwölf  Tage  später  in  der  Dominikanerkirche  zu 
Avignou  mit  bis  dahin  noch  nie  gesehener  Pracht  gekrönt^). 
Diese  Neubesetzung  des  päpstlichen  Stuhles  musste  für  Petrarca 
grosse  Wichtigkeit  besitzen  und  wir  können  uns  leicht  vor- 
stellen, dass  er  seine  Abreise  von  Parma  beschleunigte,  um 
sieh  dem  neuen  Kirchenfürsten  möglichst  rasch  vorzustellen 
und  sich  der  Gunst  desselben  zu  versichern.  Auch  Dichter 
sind  Menschen  mit  menschlichen  materiellen  Bedürfnissen,  und 
kein  billig  Urtheilender  wird  es  tadeln,  dass  auch  Petrarca 
nach  einer  sorgenfreien  äusseren  Existenz  strebte,  die  ihm 
durch  das  Canonicat  in  Lombes  gewiss  noch  nicht  hinreichend 
gesichert  worden  war,  und  dass  er  also  durch  des  Papstes 
Gunst  irgend  eine  einträgliche  Präbende  zu  gewinnen  sich  be- 
mühte. Man  wird  dies  um  so  weniger  als  eine  niedrige  und 
unwürdige  Stellenjägerei  bezeichnen  können,  als  man  zu  er- 
wägen hat,  dass  Petrarca  vermöge  seiner  Individualität  zur 
Bekleidung  irgend  eines  geistlichen  oder  weltlichen  Amtes,  wie 
er  dies  selbst  sehr  wohl  empfand,  kaum  befähigt  war  oder 
doch,  wenn  ei-  zur  Uebernahme  eines  solchen  sich  entschlossen 
hätte,  zugleich  seiner  litterarischen  Thätigkeit,  also  seinem 
eigentlichsten   Berufe,    hätte   entsagen   müssen  und   dass   ihm 


^)  Epist,  sine  tit.  1. 

-)  Man  darf  doch  nicht  übersehen,  dass  Petrarca  in  der  Theorie  jeden 
avignonesischen  Papst  verdammte.  Die  objective  Geschichte  wird  über 
Benedict-  XII.  nicht  ungünstig  urtheilen  können  und  mindestens  anerkennen 
müssen,  dass  er  den  redlichen  Willen  besass ,  die  Pflichten  seines  hohen 
Amtes  zu  erfüllen. 

^)  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  t>3  f. 


Parma  und  Vaucluse.  201 

demnacli  in  einem  Zeitalter,  welches  Biichhändleihonorare  nicht 
kannte  und  seine  Dichter  weder  durch  Subscriptionen  noch 
durch  Ehrensolde  unterstützte,  nur  der  Besitz  einer  kirchliclien 
Pfründe  die  Möglichkeit  einer  1)ehaglichen  Existenz,  wie  er 
deren  für  sein  geistiges  Schaffen  bedurfte,  zu  gewähren  ver- 
mochte. Auch  darf  man  hierbei  nicht  vergessen,  dass  die 
Kirche  des  Mittelalters  den  Beruf  für  sich  in  Anspruch  nahm, 
die  Pflegerin  und  Schützerin  der  Wissenschaft  und  Kunst  zu 
sein,  und  dass  demnach  der  Genius  ohne  sich  zu  erniedrigen 
und  mit  gutem  Rechte  von  ihr  materielle  Unterstützung  fordern 
durfte.  Wenn  die  Kirche  Petrarca  Pfründen  verlieh,  so  er- 
füllte sie  nur  ihre  Pflicht  und  der  Dichter  empfing  nur,  was 
ihm  gebührte. 

Es  ist  mehrfach  behauptet  worden^;,  Petrarca  sei  ein  j\Iit- 
glied  jener  Gesandtschaft  gewesen,  welche  die  Römer  nach 
Clemens'  VI.  Inthronisation  nach  Avignon  abgehen  liessen,  um 
den  neuen  Papst  zu  beglückwünschen  und  ihn  um  die  Zurück- 
verlegung  des  heiligen  Stuhles  nach  Rom  zu  bitten,  sowie  ihm 
die  Würde  und  die  Amtsgewalt  eines  römischen  Senators  zu 
übertragen.  Beweisen  lässt  sich  diese  Behauptung  keineswegs  2), 
aber  man  wird  geni  bekennen,  dass  sie  die  Wahrscheinlichkeit 
in  hohem  Grade  für  sich  hat,  denn  warum  hätten  die  Römer 
es  verabsäumen  sollen,  die  Beredtsamkeit  des  gefeierten  Dich- 
ters, dem  sie  unlängst  ihr  Bürgerrecht  verliehen  hatten,  für 
ihr  Unternehmen  sich  zu  gewinnen?  und  warum  hätte  Petrarca 
sich  nicht  gern  für  eine  Sache  gewinnen  lassen  sollen,  für  die 
er  selbst  stets  begeistert  gewesen  war,  und  zu  deren  Aus- 
führung nun  als  Mitwirkender  berufen  zu  werden  seiner  Eitel- 
keit schmeicheln  mussteV  Im  Falle,  dass  Petrarca  wirklich 
als  einer  der  Gesandten  des  römischen  Volkes  nach  Avignon 
gekommen   ist,    würde    —    ein    merkwürdiges,    folgenreiches 


^)  NamentlicL  von  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V.  p.  709. 
2)  Die  von  Fracassetti   Lett.   fam.  I  p.  ü30  angeführte   Stelle  ist  nicht 
bestimmt  genug. 


202  Fünftes  Capitel. 

Zusammentreffen  der  Umstände !  —  Cola  di  Rienzo  sein  Reise- 
und  Amtsgenosse  gewesen  sein  ^). 

Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  möge  Petrarca  ein  officielles 
Mandat  von  Seiten  des  römischen  Volkes  erhalten  haben  oder 
nicht,  er  verfocht  jedenfalls  eifrigst  die  Interessen  seiner 
römischen  Mitbürger.  Wie  einst  an  Benedict  XII.,  so  richtete 
er  jel;zt  an  Clemens  VI.  eine  lange  poetische  Epistel  -) ,  in 
welcher  er  durch  den  Mund  der  Stadt  Rom  selbst,  die  er 
redend  einführte,  den  Papst  ermahnte,  er  möge  doch  nach 
Rom ,  das  so  viele  hochheilige  Reliquien  in  seinem  Schoosse 
berge,  zurückkehren  und  das  Beispiel  Trajans  nachahmen, 
welcher,  beim  Antritte  eines  Heereszuges  von  einer  Wittwe 
um  Gerechtigkeit  angefleht,  seinen  Zug  so  lange  unterbrach,^ 
bis  er  der  Richterpflicht  genügt  hatte;  wenn  er  aber  trotz 
alledem  in  Avignou  verbleiben  wolle,  so  möge  er  wenigstens 
die  durch  Elementarereignisse  und  die  Verheerungen  der  Zeit 
schwer  beschädigten  Kirchen  Roms  wiederherstellen  und  im 
Jahre  1350  das  grosse  Jubelfest  feiern  lassen. 

Clemens  VI.  konnte  aus  triftigen  Rücksichten  der  kirch- 
lichen Politik  ebenso  wenig  wie  einst  Benedict  XII.  dem  durch 
Petrarca  so  beredt  ausgesprochenen  Wunsche  der  Römer  nach 
der  Verlegung  des  Sitzes  der  Curie  nach  Rom  willfahren,  wäh- 
rend er  die  ihm  angetragene  senatorische  Macht  über  die 
Stadt  anzunehmen  gern  bereit  war  und  auch  die  Feier  des 
Jubelfestes  für  das  Jahr  1350  bereitwillig  zugestand.  Petrarca 
ward  überdies  für  seine  Epistel  durch  Verleihung  eines  Prio- 
rates  zu  Migliarino  in  der  Diöcese  von  Pisa  belohnt  2). 

In  Vaucluse  gab  sich  nun  Petrarca  wieder  seinem  frühereu, 
der  Wissenschaft,  der  Poesie  und  dem  Naturgenusse  gewid- 
meten Stillleben  iiin,  aber  freilich  wurde  er  in  seiner  Ein- 
samkeit mannigfach  gestört  und   er  musste  in  oft  recht  ver- 


')  vgl.  die  von  Zefii'ino  Re  (Florenz  1854)  edirte  anonyme  Vita  di  Cola 
di  Rienzo  p.  18  f. 

-)  Ep.  poet.  lat.  II  5;  sie  zählt  270  Verse. 
3)  Reg.  Clem.  VI.  t.  I  f.  285. 


V 


Parma  und  Vaucluse.  203 

driessliclier  Weise  erfahren,  dass  man  nicht  ungestraft  ein  be- 
rühmter Mann  ist.  Niclit  nur  wurde  er  von  einer  wahren 
Sündfluth  von  Briefen  und  poetischen  Zusendungen  aus  allen 
Theilen  der  Welt,  selbst  aus  Griechenland  und  England,  über- 
schwemmet, sondern  auch  von  Schaaren  von  Bewunderern  in 
seiner  Einsamkeit  aufgesucht^).  Für  die  zahlreichen  Fremden 
höheren  Standes,  die  in  Avignon  zusammenströmten,  gehörte 
es  zum  guten  Tone,  eine  Wallfahrt  nach  der  Dichtereinsiedelei 
von  Vaucluse  zu  unternehmen.  Mochte  sich  auch  darunter 
mancher  tüchtige  Mann  befinden,  dessen  persönliche  Bekannt- 
schaft zu  machen  für  Petrarca  erwünscht  sein  musste  —  wie 
z.  B.  jener  Abt  Pierre  le  Bercheur  von  Poitiers,  der  gelehrte 
Verfasser  eines  encyclopädischen  Werkes  („reductorium  morale") 
und  erste  französische  Uebersetzer  des  Livius^)  — ,  in  der 
grossen  Mehrzahl  waren  es  doch  gewiss  lästige  Menschen,  von 
welchen  sich  begaffen  und  ausfragen  zu  lassen  dem  Dichter 
peinlich  genug  sein  musste  und  wofür  ihn  auch  die  etwa  vor- 
ausgeschickten oder  mitgebrachten  kostbaren  Geschenke  ^)  nicht 
schadlos  halten  konnten.  Ein  anderes  Leidwesen  kam  hinzu. 
Eine  wahre  Dichtermanie  begann  in  Avignon  und  Umgegend 
epidemisch  sich  zu  verbreiten;  die  geistlichen  Würdenträger, 
Rechtsgelehrte  und  Aerzte  an  der  Curie  wurden  vom  poetischen 
Fieber  ergriffen  und  drechselten  Verse,  aber  selbst  auch  schlichte 
Bürger,  Handwerker  und  Bauern  fühlten  plötzlich  den  Dichter- 
beruf in  sich  und  verlegten  sich  auf  das  Reimeschmieden. 
Kaum  durfte  Petrarca  mehr  wagen  auszugehen,  denn,  zeigte 
er  sich  öffentlich,  so  ward  er  von  den  Menschen  angegafft, 
umdrängt  und  ausgefragt;  Dichterlinge  erbaten  auf  offener 
Strasse  stürmisch  sein  Urtheil  über  ihre  Productionen  und, 
so    vorsichtig    er    bei    der    Abgabe    eines    solchen    immerhin 


^)  Ep.  Farn.  XIII  7.  Dieser  Brief  gehört  allerdings  einer  späteren 
Zeit  (1352?)  an,  aber  die  darin  so  anschaulich  geschilderten  Zustände 
■waren  jedenfalls  schon  lange  vorher  vorhanden. 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  497.  —  Briefe  Petrarca's  an  Pierre: 
Ep.  Fam.  XXII  13.  14. 

")  Ep.  Sen.  XV  (b.  Fracassetti  XVI)  7. 


204  Fünftes  Capitel. 

sein  mochte,  so  konnte  er  es  doch  kaum  vermeiden,  nach 
irgend  einer  Seite  hin  anzustossen  i).  Zuweilen  wurden  ihm 
aber  auch  ernstere  Verlegenheiten  bereitet.  So  wurde  einmal 
ein  als  kirchlicher  Jurist  und  Diplomat  mhmlich  bekannter 
Cardinal,  Bernard  d'Aube,  Bisehof  von  Rhodez  ^),  von  der  poe- 
tischen Wuth  befallen  und,  vermeinend,  dass  Massenhaftigkeit 
der  Production  genüge,  um  Dichterruhm  zu  erwerben,  verfasste 
er  unendlich  lange,  der  Metrik  und  dem  Menschenverstände 
gleich  Hohn  sprechende  Carmina ,  über  welche  er  Petrarca's 
Urtheil  zu  hören  verlangte.  Natürlich  bedurfte  Petrarca  seiner 
ganzen  Geschicklichkeit,  um  die  zudringlichen  und  sinnlosen 
Anforderungen  des  vornehmen  Dilettanten  abzuwehren  und  ihm 
mit  feiner  Ironie  anzudeuten,  dass  nicht  ein  Jeder,  der  Verse 
zu  Papier  bringe,  auch  ein  Dichter  sei  "')•  Wie  ansteckend  die 
poetische  Wuth  war,  lieweist  auch  folgender  Vorfall.  Es  kam 
einmal  ein  alter  Mann  zu  Petrarca  und  machte  ihm  untei- 
Thränen  heftige  Vorwürfe,  dass  er  durch  das  Beispiel,  welches 
er  gegeben,  es  verschuldet  habe,  dass  sein  (des  Alten)  Sohn  das 
Rechtsstudium  aufgegeben  und  sich  der  Dichtkunst  gewidmet 
habe,  ohne  doch  für  dieselbe  Befähigung  zu  besitzen'*).  Wen 
erinnern  derartige  Vorkommnisse  nicht  an  ähnliche  Erschei- 
nungen in  der  deutschen  Litteraturgeschichte  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  ? 

Aber  auch  in  anderer,  ernsterer  Weise  wurde  Petrarca  in 
der  ruhigen  Behaglichkeit  seines  Lebens  in  Vaucluse  gestört. 
Sein  geliebter  Bruder  Gherardo,  der  treue  Gefährte  seiner 
Jugend,  entsagte  im  Jahre  1342^)  dem  weltlichen  Leben  und 
trat  in  das  Carthäuserkloster  zu  Montrieu  bei  Marseille  ein. 
Den  äusseren  Anlass  zu   dieser  Entschliessung   hatte  der  Tod 


•    ')  Ep.  Fam.  XIII  7. 

*)  vgl.  über  ihn  Fracassetti,  Lett.  fam.  III  p.  254  f. 

*)  Ep.  poet.  lat.  II  2.  3  u.  4.  Wahrscheinlich  bezieht  sich  auch  Ecl.  4 
auf  diese  Episode. 

*)  Ep.  Fam.  XIII  7. 

^)  Ueber  die  Zeitbestimmung  vgl.  die  eingehende  und  scharfsinnige 
Untersuchung  Fracassetti's,  Lett.  fam.  II  p.  496  ff. 


Parma  und  Vaucluse.  205 

der  Geliebten  Gherardo's  gegeben^),  indessen  wird  man  wol 
vermutlien  dürfen,  dass  auch  ohne  dieses  Ereigniss  dennoch 
der  gleiche  Schritt,  wenn  auch  später,  gethan  worden  wäre. 
Gherardo  scheint,  ohne  seines  Bruders  hohe  geistige  Begabung 
zu  besitzen,  mit  ihm  jene  weiche  und  gemüthvolle  Natur  ge- 
meinsam gehabt  zu  haben,  welche,  verletzt  und  verwirrt  von 
dem  Geräusche  des  Lebens,  am  liebsten  in  die  Einsamkeit 
sich  zurückzieht  und  ihre  völligste  Befriedigung  findet  in  der 
glaubensvollen  Hingabe  an  ein  religiöses  Ideal.  Es  ist  das 
eben  diejenige  Seite  seines  Charakters,  durch  welche  Petrarca 
am  engsten  mit  dem  Mittelalter,  von  dem  er  sonst  in  so  vielen 
Beziehungen  sich  loszulösen  vermochte,  verbunden  blieb.  Es 
besass  Petrarca  eine  starke  Hinneigung  zur  Askese^),  welche 
mit  den  zunehmenden  Jahren  sich  immer  mehr  steigerte,  und 
welche  für  eine  unwahre  und  nur  zur  Schau  getragene  zu 
halten  ein  schwerer  Irrthum  sein  würde,  obschon  nicht  ge- 
leugnet w^erden  kann  noch  soll,  dass  Petrarca,  wie  mit  anderen 
Dingen,  so  auch  mit  seiner  Frömmigkeit  und  Askese  gern 
kokettirte  und  sie  mit  grossei-  Absichtlichkeit  vor  den  Augen 
der  Welt  zu  entfalten  liebte.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
würde  Petrarca,  namentlich  nach  dem  Tode  Laura's,  durch 
seine  Neigung  zur  Beschaulichkeit  sich  ebenso  wie  sein  Bruder 
haben  bestimmen  lassen,  Trost  und  inneren  Frieden  in  der  Stille 
einer  Klosterzelle  zu  suchen,  wenn  dem  nicht  seine  glühende 
Begierde  nach  Ruhm,  welche  doch  nur  innerhalb  des  Avelt- 
lichen  Lebens  Befriedigung  erhoßen  durfte,  entgegengestanden 
hätte.  Bei  Gherardo,  der  frei  von  jedem  Ehrgeize  gewesen 
zu  sein  scheint,  fiel  dieser  Gegengrund  hinweg  und  so  konnte 
er  seinem  religiösen  Drange  volle  Genüge  thun,  während  sein 
reich  begabter,  aber  innerlich  mit  sich  selbst  zwiespältiger 
Bruder  bald  an  glänzenden  Fürstenhöfen  dem  Phantome  des 
Ruhmes   nach    Humanistenweise    nachjagte    und   bald   wieder 


^)  Ep.  Farn.  X  3. 

2)  vgl.  z.  B.  Ep.  Farn.  IV  1.  X  3.  5.  Ep.  Sen.  VIII  6.  IX  2.  XII  1. 
Ep.  poet.  lat.  II  19.  de  remed.  utr.  fort.  II  1.  Die  Schrift  „de  otio  religio- 
sorum  ist  Nichts  als  eine  Verherrlichung  des  Klosterlebens." 


206  Fünftes  Capitel. 

von  einsamen  Landsitzen  aus  nach  Art  eines  mittelalterlichen 
Glaubenshelden  die  Verachtung  alles  Irdischen  predigte^). 

Nach  dem,  was  wir  soeben  kurz  erörterten,  wird  es  uns 
nicht  wundernehmen,  dass  Petrarca  sich  über  die  Entschliessung 
seines  Bruders  sehr  beifällig  aussprach  und  ihn  von  Herzen 
zu  derselben  beglückwünschte,  ja  dass  er  sie  sogar  —  man 
liest  dies  aus  den  betreffenden  Briefen  ^)  deutlich  heraus  — 
mit  einem  gewissen  Neide  betrachtete  und  es  schmerzlich 
empfand,  vermöge  seiner  ganzen  Individualität  von  der  Nach- 
ahmung ausgeschlossen  zu  sein. 

Das  Verhältniss  zwischen  den  beiden  Brüdern  verblieb  das 
beste,  wenn  auch,  wie  das  füglich  nicht  anders  sein  konnte, 
ihr  Briefwechsel  nur  ein  beschränkter  war  und  oft  lange  Jahre 
hindurch  unterbrochen  wurde  ^).  Die  seltenen  Briefe  wurden 
zuweilen  von  Geschenken  begleitet.  So  erhielt  Petrarca  ein- 
mal von  Gherardo,  der  im  Kloster  seine  bis  dahin  recht 
mangelhafte  wissenschaftliche  Bildung  rasch  vervollkommnet 
hatte,  ein  von  diesem  selbst  verfasstes  Büchlein  moralischen 
Inhalts  *) ,  ein  anderes  Mal  ein  aus  Buchsbaum  gedrechseltes 
Büchschen,  des  Bruders  eigenhändige  Arbeit;  als  Gegengaben 
übersandte  er  Gherardo  seinerseits  die  erste  der  von  ihm  ge- 
dichteten Eklogen°)  und  ein  Exemplar  der  Confessionen  des 
AugTistin '^),  auch  Geld  bot  er  ihm  wenigstens  an'^).  Zweimal 
besuchte  Petrarca  den  Bruder  in  der  Carthause  zu  Montrieu  *), 
zum  letzten  Male  im  April  1353,  kurz  vor  seiner  Abreise  nach 
Italien,  welche  seine  dauernde  Niederlassung  daselbst  zur  Folge 


^)  Den  zwischen  ihm  und  seinem  Bruder  trotz  aller  Verwandtschaft 
der  Charaktere  bestehenden  inneren  Gegensatz  hat  Petrarca  selbst  in  der 
ersten  Ekloge  anschaulich  geschildert. 

2)  Ep.  Fam.  X  3  u.  5. 

•")  Briefe  Petrarca's  an  Gherardo :  Ep.  Fam.  III  18.  X  3.  4.  5.  XYI    2 
XVII  1.  XVIII  5.    Sen.  XIV  6. 

*)  Ep.  Fam.  XVII  1. 

s)  Ep.  Fam.  X  4. 

")  Ep.  Fam.  XVIII  5. 

')  Ep    Sen.  XIV  6. 

«)  Ep.  Fam.  XVI  8.  9. 


Parma  und  Vaucliise.  207 

liaben  sollte.  Die  Brüder  sahen  sich  seitdem  nicht  wieder, 
ohne  jedoch  einander  zu  vergessen.  Noch  in  seinem  Testamente 
gedachte  Petrarca  liebend  Gherardo's  und  setzte  ihm  ein  be- 
deutendes Legat  aus  ^). 

Gherardo  ^Yurde  —  und  das  beweist  am  besten  die  Auf- 
richtigkeit und  Innigkeit  seiner  religiösen  Ueberzeugung  —  ein 
]\Iönch  im  edelsten  Sinne  des  Wortes  und  fasste  die  Pflichten 
seines  neuen  Standes  in  der  erhabensten  Weise  auf.  Als  ein- 
mal die  Pest  in  seinem  Kloster  wüthete^),  gab  er  ein  seltenes 
Beispiel  acht  christlichen  Heldenmuthes.  Trotz  des  Zuredens 
seines  Priors,  der  vor  der  Seuche  flüchtete  und  auch  ihn 
dazu  bestimmen  wollte,  harrte  er  in  dem  Kloster  aus,  ver- 
pflegte und  begrub  seine  sämmtlichen  vierunddreissig  Mit- 
brüder, welche  von  der  schrecklichen  Krankheit  befallen  und 
dahingeraff't  wurden,  und  bewachte  dann  während  des  ganzen 
Sommers  allein  das  verwaiste  Kloster  vor  räuberischen  An- 
griffen, bis  er  nach  dem  Erlöschen  der  Pest  für  dessen  Neube- 
siedelung  Sorge  tragen  konnte  3).  Von  hoher  Freude  ward 
Petrarca  erfüllt,  als  er  von  zwei  wandernden  Carthäusermönchen, 
die  er  zufällig  in  Padua  bei  dem  Bischöfe  Hildebrand  traf, 
des  Bruders  hochherzige  Handlungsweise  erfuhr  und  in  einem 
Tvarmempfundenen  Briefe  sprach  er  ihm  seine  bewundernde 
Anerkennung  aus. 

Gherardo  überlebte  seinen  Bruder,  ohne  dass  wir  jedoch 
wüssten,  um  wieviele  Jahre.  In  stiller  Verborgenheit  hatte 
er  nach  eigener  Wahl  den  grössten  Theil  seines  Lebens  zuge- 
bracht, in  stiller  Verborgenheit  ist  er  auch  gestorben.  Der 
Biograph  Petrarca's  aber  darf  an  seiner  anspruchslosen  Gestalt 
nicht  achtlos  vorübergehen ,  denn  sie  kann  ihm  zeigen ,  was 
aus  Petrarca,  wenn  der  Götterfunke  des  Genius  nicht  in  ihm 
geglüht  hätte,  geworden  sein  würde:  ein  schlichter,  glaubens- 
inniger Mensch.  Gherardo  repräsentirt  die  zum  Abschlüsse  ge- 


^)  cf.  Petrarca's  Testament  in  der  Ausgabe  der  Ep.  Farn,  von  Fracas- 
setti,  t.  III  p.  544. 

-)  Walirsclieinlich  im  Jabre  1351,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  417. 
=>)  Ep.  Fam.  XVI  2. 


208  Fünftes  Capitel. 

brachte  Entwickelung  der  seelischen  Granrtnatur  Petrarca's, 
welche  in  diesem  selbst,  durch  die  Entfaltung  der  intellectuellen 
Kräfte  eingeengt,  nicht  zur  vollen  Reife  und  alleinigen  Geltung 
gelangen  konnte.  Gherardo  ist  ein  rein  mittelalterlicher 
Charakter,  dessen  Grundzug  die  Passivität  ist,  während  Petrarca 
uns  das  Bild  eines  aus  mittelalterlichen  und  modernen  Ele- 
menten sich  eigenartig  zusammensetzenden  Charakters  darbietet, 
in  welchem  der  ursprüngliche  passive  Gnindzug  durch  das  neu 
hinzutretende  Streben  nach  thätiger  Geltendmachung  der  Indi- 
vidualität zurückgedrängt  ist.  Gherardo  trat  nach  mittelalter- 
licher "Weise  in  einen  geschlossenen  Stand  ein,  der  das  Auf- 
geben oder  richtiger  das  Nichtvorhandensein  der  Individualität 
verlangte,  Petrarca  bewahrte  sich,  wenn,  auch  unter  schweren 
Seelenkämpfen  und  Zweifeln,  nach  moderner  Weise  eine  freie 
Stellung,  wie  sie  seiner  Individualität  entsprach,  und  trat  aus  der 
ständisch  gegliederten  socialen  Welt  seiner  Zeit  heraus. 

Niemals  hat  wol  jenes  Schwanken  zwischen  dem  Aufenthalte 
in  ländlicher  Einsamkeit  und  demjenigen  in  geräuschvollen 
Grossstädteu  und  an  leidenschaftsbewegten  Fürstenhöfen,  welches 
Petrarca's  ganzes  äusseres  Leben  kennzeichnet,  einen  so  schar- 
fen Ausdruck  gefunden  wie  im  Jahre  1343,  als  er  aus  dem 
stillen  Vaucluse  plötzlich  an  den  wild  erregten  Königshof  von 
Neapel  versetzt  wurde. 

Im  Januar  ^)  1343  starb  hochbetagt  nach  vierunddreissig- 
jähriger  Regierung  Petrarca's  erlauchter  Gönner,  der  König 
Robert  von  Neapel.  Da  sein  einziger  Sohn,  der  Herzog  Carl 
von  Calabrien,  bereits  lange  Jahre  vor  ihm  (1328)  gestorben 
war,  so  wurde  dessen  jugendliche  Tochter  Giovanna,  welche 
bereits  mit  ihrem  noch  jüngeren  Vetter  Andreas,  dem  Sohne 
Caroberts  und  dem  Enkel  Carl  Martells  von  Ungarn,  vermählt 
war,  zur  Nachfolge  berufen.  Dem  jungen  Herrscherpaare  sollte 
nach  Roberts  letztem  Willen  ein  Regentschaftsrath  unter  des 
Bischofs  Philipp   von  Cavaillon  Vorsitz  zur  Seite  stehen,    bis 


.  ^)  Die  Angaben  des  Tages  schwanken  in  den  Quellen   zwischen  dem 
14.  und  21.  Januar. 


Parma  und  Vaucluse.  209 

Giovanna  das  fünfundzwanzigste  Jahr  erreicht  und  damit  die  zur 
Selbstregierung  erforderliehe  Reife  erlangt  haben  würde.  Diese 
Maassregel  der  Vorsicht  erwies  sich  als  völlig  vergeblich.  Kaum 
hatte  Robert  die  Augen  geschlossen,  als  an  dem  königlichen 
Hofe  ein  wilder,  mit  allen  Mitteln  südlicher  Leidenschaft  ge- 
führter Parteikampf  entbiannte,  dessen  Flammen  von  ehr- 
geizigen Frauen  und  Mönchen  geschürt  wurden  und  in  welchem 
der  Regentschaftsrath  zu  einer  ohnmächtigen  und  unwürdigen 
Zuschauerrolle  sich  vei-urtheilt  sah  '). 

Dem  Papste  als  dem  Oberlehnsherni  des  Königreichs  der 
beiden  Sicilien  konnte  die  in  Neapel  entstehende  wüste  Anar- 
chie nicht  gleichgültig  sein  und,  um  derselben  zu  steuern  und 
zugleich  seinen  oberherrlichen  Rechten,  welche  durch  die  Ein- 
setzung des  Regentschaftsi-athes  l)eeinträchtigt  erscheinen  muss- 
ten,  grössere  Anerkennung  zu  verschaffen,  hielt  er  es  für  rath- 
sam,  einen  Gesandten  nach  Neapel  abzuschicken.  Zur  Ueber- 
nahme  dieser  schwierigen  Mission,  welche  ebensoviel  Klugheit 
als  Kühnheit  erforderte,  wurde,  vennuthlich  auf  Empfehlung 
des  Cardinais  Giovanni,  Petrarca  ausersehen,  welcher  veraiöge 
seiner  einstigen  intimen  Beziehungen  zum  Könige  Robert  als  eine 
vorzugsweise  geeignete  Persönlichkeit  erscheinen  konnte.  Leider 
fehlen  uns  über  die  Instructionen,  welche  Petrarca  empfing, 
alle  näheren  Nachrichten,  gewiss  aber  ist,  dass  er  ausser  mit 
den  Aufträgen  des  Papstes  auch  mit  einem  privaten  Auftrage 
seines  Gönners,  des  Cardinais  Giovanni,  betraut  wurde:  er 
sollte  die  Befreiung  einiger  gefangen  gehaltener  neapolitanischer 
Edelleute  ^),  welche  zu  den  Colonnesen  in  näheren  Beziehungen 
gestanden  zu  haben  scheinen,  auszuwirken  suchen. 

So  trat  denn  Petrarca,  der  zur  Uebernahme  einer  derar- 
tigen diplomatischen   Mission   sich  gewiss  sehr  bereitwillig  ge- 


')  vgl.  das  Chronicon  des  Dominicus  de  Gravina  b.  Mm-atori  XII 
p.  553  ff.  ^man  sehe  auch  Leo,  Geschichte  der  ital.  Staaten  IV  p.  ö62  ff.). 

^)  Vermuthlich  waren  es  die  drei  Söhne  des  Nicola  da  Barletta,  die 
Grafen  Gioan-Pipino  von  Minerbino,  Luigi  von  Potenza  und  Pietro  von  No- 
cera,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  11  p.  15  und  Dominicus  de- Gravina  1.  1. 
p.  551  ff. 

Körting,  Petrarca.  14 


210  Fünftes  Capitel. 

zeigt  hatte,  die  weite  Reise  au.  In  Nizza  schiffte  er  sich  ein :  da 
jedoch  die  Heerfahrt  durch  widrige  Winde  sehr  erschwert  wurde, 
so  beschloss  er  in  Porto  San  Maurizio  zu  Lande  weiterzureisen. 
Ein  glücklicher  Zufall  fügte  es,  dass  er  mehrere  kräftige 
deutsche  Pferde  kaufen  konnte,  und  auf  diesen  setzte  er,  nur 
von  einem  einzigen  Gefährten  begleitet,  die  Reise  fort,  während 
seine  Dienerschaft  mit  dem  Gepäcke  auch  weiterhin  das  Schiff 
benutzte.  Bald  aber  sollte  der  Ritt  sein  Ziel  finden.  Der 
damals  zwischen  Mailand  und  Pisa  wüthende  Kriegt)  machte 
die  Strassen  dermaassen  unsicher,  dass  Petrarca,  als  er  bis 
Lerici  gekommen  war  —  der  gerade  Weg,  welcher  ihn  ühev 
Lavenza  geführt  haben  würde,  war  ihm  durch  die  Lager  der 
beiden  feindlichen  Heere  versperrt  worden  — ,  es  vorzog,  sich 
abemials  den  Wellen  anzuvertrauen  und  bis  in  die  Nähe  von 
Mutrone  zur  See  zu  reisen.  Von  dort  ab  setzte  er  die  Reise 
über  Pisa,  Siena,  Perugia,  Todi  und  Narni  wieder  zu  Lande 
fort  und  gelangte  am  4.  October  in  später  Abendstunde  nach 
Rom.  Nur  einen  Tag  verweilte  er  sich  hier  im  Verkehr  mit 
dem  gTeisen  Stefano  Colonna,  dann  brach  er  nach  Neapel  auf, 
welches  er  ohne  jeden  Zwischenfall  glücklich  erreichte  ^). 

Die  Eindrücke,  welche  Petrarca  in  Neapel  empfing,  waren  die 
denkbar  ungünstigsten.  Am  Königshofe  w^urde  er  Zeuge  des 
unsittlichsten  und  ränkevollsten  Treibens  und  musste  sehen,  wie 
ein  verschmitzter  Franciscanermönch ,  der  einst  des  jungen 
Andreas  Lehrer  gewesen  war,  statt  des  jugendhchen  Fürsten- 
paares herrschte  ^).  Auf  den  Strassen  der  Stadt  aber  gewahrte 
er  ein  rohes  und  verwildertes  Volk,  das  sich  noch,  wie  einst 
in  der  Römerzeit,  an  Gladiatorenspielen  ergötzte,  und  Nachts 
sah  er  vornehme  junge  Leute  bewaffnet  die  Stadt  durch- 
sehwärmen und  allen  Ausschreitungen  eines  zügellosen  Jugend- 
übermuthes    sich  hingeben*).     War   es  ein  Wunder,   dass  er 

1)  vgl.  Giov.  ViUaui  XII  c.  25  und  37. 

2)  Ep.  Fam.  V  3. 

3)  Ep.  Fam.  V  3. 

*)  Ep.  Fam.  V  6.  Das  Entsetzen,  mit  welchem  Petrarca  von  dem  Fort- 
bestehen der  Gladiatorenspiele  spricht,  gereicht  seinem  sittlichen  Geföhle 
zur  hohen  Ehre. 


Parma  und  Vaucluse.  211 

bei  solcher  Sachlage  sich  sehr  unglücklich  fühlte  in  der  schönen 
Stadt,  welche  er  zwei  Jahre  vorher  unter  so  ganz  anderen 
Verhältnissen  zum  ersten  Male  besucht  hatte,  dass  er  fort- 
während wehmüthige  Vergleiche  anstellte  zwischen  dem  Einst 
und  Jetzt  und  dass  er  König  Roberts  Walten  überall  schmerz- 
lich vermisste ')? 

Es  schien,  als  wenn  sich  auch  die  Elemente  verschworen 
hätten,   dem  Dichter  den  Aufenthalt  in  Neapel  zu  verleiden. 

Ein  Bischof  hatte  für  den  25.  November  ein  Erdbeben  vor- 
ausgesagt und  mit  banger  Erwartung  sah  man  dem  gefürchteten 
Tage  entgegen.  Und  die  Prophezeihung  sollte,  wenn  auch  nicht 
buchstäblich,  so  doch  in  unheilvollster  Aehnlichkeit  sich  bewahr- 
heiten. Ein  furchtbares  Unwetter  tobte  an  diesem  Tage,  bedrohte 
die  Stadt  mit  dem  Untergange  und  zertrümmerte  die  meisten  der 
im  Hafen  liegenden  Schiffe.  Mitten  in  der  Nacht  begann  das 
Toben  des  furchtbaren  Sturmes.  Petrarca,  der  in  dem  Lorenzo- 
kloster  wohnte,  hatte  sich  spät  zur  Ruhe  begeben,  als  plötz- 
lich unter  dem  entsetzlichen  Tosen  der  entfesselten  Windsbraut 
die  Mauern  und  das  Gewölbe  des  festen  Gebäudes  zu  wanken 
begannen.  Der  Prior  des  Klosters  und  die  Mönche,  Avelche  zum 
üblichen  Nachtgebete  sich  erhoben  hatten,  stüi'zten  von  Entsetzen 
ergriffen  mit  Angstgeschrei  in  Petrarca's  Zimmer.  Dieser  suchte 
ihnen  Muth  einzuflössen  und  begab  sich  mit  ihnen  in  die  Kirche, 
wo  sie  vereint  unter  Gebet  und  Seufzen  auf  den  Knieen  liegend 
die  Schreckensnacht  verbrachten,  jeden  Augenblick  erwartend, 
unter  den  Trümmern  begraben  zu  werden.  Als  der  Tag  zu 
grauen  begann,  traten  die  Priester  in  ihren  Amtsgewändern  an 
die  Altäre  und  brachten  das  heilige  Messopfer  dar,  während 
die  Uebrigen  noch  zagend  am  Boden  liegen  blieben  und  den 
Blick  nicht  zum  Himmel  zu  erheben  wagten.  Das  Tageslicht 
erschien  endlich,  obwol  nur  verhüllt  und  nur  um  Weniges  von 
der  düstern  Nacht  verschieden;  da  verstummte  plötzlich  das 
Angstgeschrei,   welches  man  bis  dahin   von  der  oberen  Stadt 


■»)  vgl.  Ep.  poet.  lat.  II  0.  II  7  v.  1-21.  II  16. 

14* 


212  Fünftes  Capitel. 

her  vernommen  hatte,  aber  um  so  lauter  und  erschütternder 
ertönte  es  jetzt  vom  Hafen  her.  Begierig  zu  erfahren,  was 
dort  vorgehe,  und  kühner  geworden,  begab  sich  Petrarca  mit 
seinen  Gefährten  an  den  Meeresstrand  und  wurde  hier  Zeuge 
eines  schrecklichen  Schauspieles.  Mitten  im  Hafen  zertrümmerte 
die  empörte  See  die  Schiffe,  die  sich  dort  sicher  gewähnt 
hatten,  die  armen  Schiffbrüchigen  fanden  einen  kläglichen  Tod 
in  den  wild  erregten  Wellen  und  ihre  verstümmelten  Leichname 
wurden  an  das  Gestade  geschleudert.  Ein  einziges  Schiff  entkam 
der  Wuth  des  Orkans  und  seltsamer  Weise  war  es  ein  solches, 
dessen  Bemannung  aus  zum  Kriegsdienste  begnadigten  Ver- 
brechern bestand.  Dies  eigenthümliche  Zusammentreffen  hätte 
Petrarca's  Glauben  an  die  göttliche  Gerechtigkeit  erschüttern 
können,  doch  fand  er  dafür  Erklärungsgründe  bei  Lucan  und 
Virgil  und  übersah ,  wie  oberflächlich  diese  waren  ^).  Wir 
sehen  auch  hierin  die  seltsame  Mischung  der  Elemente  der 
Renaissancecultur:  die  heidnische  Philosophie  will  das  Christen- 

thum  suppliren. 

Um  sich  den  ihm  immer  unerträglicher  werdenden  Auf- 
enthalt in  Neapel  abzukürzen,  wollte  Petrarca  im  Deceiiiber 
den  Mons  Garganus  und  das  Küstenland  von  Brindisi  besuchen, 
es  ward  ihm  jedoch  dies  Vorhaben  von  der  älteren  Königin, 
der  Wittwe  Roberts,  widerrathen,  weil  die  Wege  zu  unsicher 
seien.  So  begnügte  er  sich  denn  mit  einem  Ausfluge  nach  dem 
alten  Bajae  und  dessen  Umgebung,  den  er  mit  seinen  Freunden 
Giovanni  Barili  und  Barbato  da  Sulmona  unternahm.  Die 
kleine  Reise  befriedigte  ihn  ungemein,  da  sie  ihm  Gelegenheit 
bot,  viele  der  von  Homer ')  und  Virgil  besungenen  sowie  der 
aus  der  römischen  Kaisergeschichte  bekannten  Oertlichkeiten 
Campaniens  zu  besuchen,  so  namentlich  die  Grotte  der  Sibylle 
und  den  Avernersee.     Auch   eine  moderne  Amazone  sollte  er 


^)  Ep.  Farn.  V  5.  Die  Schilderung  des  Sturmes,  welche  Petrarca  in 
diesem  Briefe  gibt,  zählt  zu  den  schönsten  Meisterwerken  seiner  latei- 
nischen Prosa. 

-)  Bekanntlich  verlegten  die  Alten  den  Wohnsitz  der  Circe  an  die 
campanische  Küste. 


Parma  und  Vaucluse.  213 

auf  dieser  Lustfahrt  kennen  lernen.  In  Pozzuuli  lebte  ein 
Mildchen  Namens  Maria,  welches  mit  unglaublichen  Köiper- 
kräften  begabt  war  und  nach  Männerai't  sich  in  den  Waffen 
iibte.  Auf  Petrarca' s  und  seiner  Freunde  Wunsch  legte  die 
Jungfrau  vor  ihnen  einige  Proben  ihrer  Stärke  ab ,  indem  sie 
schwere  Steine  und  Speere  schleuderte.  Petrarca  glaubte  nun 
in  ihr  die  wieder  erstandene  Camilla  Virgirs  zu  sehen  i). 

Endlich,  verrnuthlicli  am  Ende  des  Decembers,  konnte 
oder  musste  Petrarca  die  ihm  so  unliebsam  gewordene  Stadt 
verlassen.  An  äusseren  Ehren  hatte  es  ihm  während  seines 
dortigen  Aufenthaltes  nicht  gefehlt  und  die  Königin  Giovanna 
hatte  ihn  sogar  zu  ihrem  Hofcaplan  ernannt 2),  aber,  was  er 
durch  seine  Mission  hatte  erreichen  sollen,  hatte  er  nicht  zu 
erreichen  vermocht.  Die  Warnungen  und  Kathschläge  des 
Papstes,  deren  Ueberbringer  er  war,  verhallten  ungehört  in 
dem  tollen  Treiben  des  Hofes,  das  rasch  einer  jähen  Kata- 
strophe zueilen  sollte.  Der  Dichter  war  entweder  ein  unge- 
schickter oder,  was  wahrscheinlicher,  ein  unglücklicher  Diplomat 
gewesen.  Nicht  einmal  die  von  dem  Cardinal  Giovanni  Colonna 
gewünschte  Befreiung  der  drei  gefangenen  Grafen  scheint 
man  ihm  zugestanden  zu  haben ,  wenigstens  widersetzte  sich 
der  allgewaltige  Franciscaner  Robert  derselben  mit  allen 
Mitteln  ^)  und  gewiss  nicht  erfolglos. 

Wahrscheinlich  waren  es  Schaam  und  Unmuth  über  die 
Ergebnisslosigkeit  seiner  diplomatischen  Sendung,  welche  Pe- 
trarca bestimmten,  nicht,  wie  doch  sonst  wol  erforderlich  ge- 
wesen wäre,  direct  nach  Avignon  zurückzukehren,  sondern 
abermals  einen  längeren  Aufenthalt  in  Parma  zu  nehmen. 
Aber  auch  hier  sollte  er  die  Verhältnisse  sehr  zum  Ungünstigen 
verändert  finden. 


1)  Ep.  Farn.  V  4. 

-)  vgl.  de  Sade,  II  p.  147. 

")  Ep.  Farn.  V  6.  Die  Grafen  wurden  später  allerdings  befreit,  aber, 
wie  es  scheint,  durch  die  freie  Entschliessung  des  jungen  Andreas,  welcher 
durch  diesen  unklugen  Schritt  sein  eigenes  Verderben  vorbereitete,  vgl. 
Dominicus  de  Gravina  b.  Muratori  XII  p.  554. 


214  Fünftes  Capitel. 

Jubelnd  hatten  Parma's  Bürger  die  Correggi,  als  sie  am 
23.  Mai  1341  nach  Vertreibung  der  Scaligeri  in  die  Stadt  ein- 
gezogen waren,  als  ihre  Befreier  begrüsst,  und  die  milde  Art 
und  Weise,  mit  welcher  die  neuen  Herrscher  anfänglich  die 
erlangte  Macht  gebrauchten,  schien  solchen  Jubel  zu  recht- 
fertigen. Die  Enttäuschung  sollte  aber  nicht  lange  auf  sich 
warten  lassen.  Die  Coireggi  legten  bald  die  Befreiermaske  ab 
und  herrschten  nach  der  gewöhnlichen  Willkürart  der  Usur- 
patoren ,  eine  Tyrannis ,  die  um  so  drückender  erscheinen 
musste,  als  die  Stadt  auch  äussere  Bedrängniss  zu  erleiden 
hatte,  indem  Mastino  della  Scala,  nach  ihrem  Wiedererwerbe 
trachtend,  ihr  Gebiet  mit  Krieg  überzog.  Schlimmer  noch  ge- 
stalteten sich  die  Verhältnisse,  als  der  ehrgeizige  Azzo  nach 
dem  im  November  1344  erfolgten  Tode  seines  ältesten  Bruders 
Simone  mit  seinen  beiden  überlebenden  Brüdern  Guido  und 
Giovanni  sich  verfeindete,  sie  aus  der  Stadt  vertrieb  und,  um 
ihnen  jede  Antheilschaft  an  der  Signorie  zu  rauben,  schliess- 
lich die  Herrschaft  über  Parma  an  den  Marchese  Obizzo  voa 
Este,  Herren  von  Ferrara,  um  den  Preis  von  60,000  Gulden 
verkaufte.  Durch  diesen  unwürdigen  Handel,  der  sich  am 
wenigsten  für  den  Mann  ziemte,  welcher  von  Petrarca  als  ein 
neuer  Brutus  und  als  ein  Wohlthäter  des  Vaterlandes  gepriesen 
worden  war,  wurde  das  Anrecht  Luchino's  Visconti  von  Mailand 
verletzt,  welchem  ja  Azzo  nach  vier  Jahren  die  Signorie  zu 
überlassen  hatte  geloben  müssen  ^),  und  so  ward  denn  Parma 
gegen  Ende  des  Jahres  1344  von  einem  mailändischen  Heere, 
dem  sich  zahlreiche  Bundesgenossen  der  Visconti  angeschlossen 
hatten,  eng  umlagert^). 

Petrarca,  der,  wie  leicht  begreiflich,  mit  keiner  der  beiden 
streitenden  Parteien  zu  sympathisiren  vermochte,  musste  den 
mit  vielen  Beschwerden  verbundenen  Aufenthalt  in  der  ein- 
geschlossenen Stadt  sehr  lästig  empfinden  und  der  Gedanke 
reizte  ihn,  sich  durch  eine  kühne  Flucht  wieder  in  den  Besitz 

»)  vgl.  oben  S.  185. 

-)  vgl.   Joann.   Cornaz.  bist.  Parm.  b.  Muratori  XII  p.  744  f.     Leo^ 
Geschichte  der  ital,  Staaten  III  p.  292  f. 


Parma  und  Vaucluse  215 

der  ihm  so  theuern  Freiheit  zu  setzen.  Am  Abend  des 
23.  Februars  1345  ^)  verliess  er ,  nur  von  wenigen  Gefährten 
begleitet,  heimlich  Parma,  das  er  einst  so  hoffnungsvoll  be- 
treten hatte,  und  es  gelang  ihm,  ungefährdet  das  feindliche 
Lager  zu  durchwandern.  Als  aber  die  Flüchtlinge  gegen 
Mitternacht  sich  den  Mauern  der  feindlichen  Stadt  Reggio 
näherten,  wurden  sie  von  einer  Schaar  von  Räubern,  welche 
aus  einem  Hinterhalte  hervorbrachen,  angegriffen  und  konnten 
nur  durch  die  schleunigste  Flucht  sich  retten.  Auch  Petrarca 
spornte  sein  Ross  zur  raschen  Flucht  und  ritt  ohne  sicheres 
Ziel  in  die  dunkle  Nacht  hinein,  immer  fürchtend,  von  den 
Verfolgern  erreicht  zu  werden.  Endlich  glaubte  er  in  Sicher- 
heit zu  sein,  als  plötzlich  sein  treues  Ross  stürzte,  ihn  abwarf 
und  dann  ein  Stück  Weges  fortschleifte.  Nur  mit  Aufljietung 
aller  Kräfte  gelang  es  ihm,  sich  zu  erheben  und  wieder  in  den 
Sattel  zu  schwingen,  aber  die  ihn  begleitenden  beiden  P'ührer 
hatten  in  der  wirren  Flucht  den  Weg  verloren  und  vermochten 
ihn  im  nächtlichen  Dunkel  nicht  wieder  aufzufinden ;  müde  und 
furchtsam  geworden  verlangten  sie,  dass  man  unter  freiem 
Himmel  an  derselben  Stelle,  wo  man  sich  eben  befand, 
übernachtete,  trotzdem  dass  man  dort  die  Rufe  der  feindlichen 
Wachposten  vernehmen  konnte.  So  brachte  denn  Petrarca, 
dem  in  Folge  des  Sturzes  mit  dem  Pferde  der  rechte  Arm 
stark  angeschwollen  war,  auf  dem  nackten  und  harten  Boden 
—  denn  kein  Rasen,  kein  belaubter  Zweig,  keine  schützende 
Felsgrotte  war  dort  zu  finden  —  eine  wahre  Höllennacht  zu, 
deren  Schrecken  noch  durch  heftiges  Unwetter  und  strömen- 
den Regen  gesteigert  wurden.  Beim  ersten  unsicheren  Lichte 
der  Morgenröthe  ward  die  beschwerliche  Reise  fortgesetzt  und 
man  gelangte  glücklich  nach  dem  befreundeten  Scandiano,  wo 
Petrarca  erfuhr,  wie  er  es  nur  dem  plötzlich  ausgebrochenen 
Unwetter  verdanke,  dass  er  einem  Hinterhalte  entgangen  sei, 
der  in  der  Nähe  der  Stadt  auf  ihn  gelauert  habe.  Allmählich 
fanden  sieh  auch  seine   Gefährten   auf  verschiedenen  Wegen, 


^)  Ueber  die  Zeitbestimmung  vgl.   die   Untersuchung  von  Fracassetti^ 
Lett.  fam.  II  p.  51  f. 


216  Fünftes  Capitel. 

aber  alle  wohlbehalten  wieder  zusammen  und,  da  der  Aufent- 
halt in  Scandiano  nicht  recht  sicher  zu  sein  schien,  so  ent- 
schloss  man  sich,  nachdem  Petrarca's  Arm  nothdürftig  ver- 
bunden worden  war,  auf  Bergpfaden  nach  Modena  weiterzureisen. 
Von  dort  aus  begab  sich  Petrarca  am  folgenden  Tage  nach 
Bologna    und    hier    dictirte   er  denn   selbst  zu  schreiben 

gestattete  ihm  der  Zustand  seines  verletzten  Armes  nicht  — 
den  an  seinen  iFreund  Barbato  von  Sulmo  gerichteten  Brief, 
in  welchem  er  die  überstandenen  Gefahren  der  glücklich  aus- 
geführten Flucht  anschaulich  und  lebendig  erzählte  ^). 

Nur  spärlich  sind  wir  über  Petrarca's  Schicksale  während 
der  nächsten  Monate  unterrichtet.  Ein  unstätes  Leben  auf 
fortgesetzter  Reise  und  mehr  vielleicht  noch  die  am  Anne 
erlittene  Verletzung  scheint  ihm  in  dieser  Zeit  die  gewohnte 
Thätigkeit  des  Briefschreibens  unmöglich  gemacht  und  dadurch 
die  in  der  Briefsammlung  an  der  betreffenden  Stelle  vorhandene 
Lücke  verschuldet  zu  haben.  Indessen  ist  doch  soviel  wenig- 
stens gewiss,  dass  Petrarca  seinen  Rückweg  nach  Frankreich 
über  Verona  nahm,  woselbst  er  bei  Guglielmo  da  Pastrengo 
und  wol  auch  bei  dem  nach  seiner  Aussöhnung  mit  Mastino 
della  Scala  dort  lebenden  Azzo  da  Correggio  gastfreundliche 
Aufnahme  gefunden  zu  haben  scheint.  Dieser  Aufenthalt  Pe- 
trarca's in  Verona  ist  für  die  Geschichte  des  Humanismus  und 
der  Renaissance  überaus  folgenreich  und  bedeutungsvoll  ge- 
worden, indem  damals  die  Handschrift  der  Briefe  Cicero's  „ad 
familiäres"  von  Petrarca  aufgefunden  wurde  ^j.  Irrig  wäre  es 
freilich  zu  meinen,  dass  durcli  diese  Entdeckung  die  Vorliebe 
der  Humanistenzeit  für  die  Epistolographie  erst  erweckt  worden 
sei.  denn  ein  Blick  auf  die  stattliche  Anzahl  von  Briefen, 
welche  Petrarca  selbst  vor  dem  16.  Juni  1345  vei-fasst  hat, 
würde   genügend    beAv eisen,    dass  es   damals  keines  äusseren 


0  Ep.  Fam.  V  10,  datirt  vom  25.  Februar  (1345). 

")  Ep  Fam.  XXIV  3.;  der  Brief  ist  datirt:  Verona,  16.  Juni  1345  und 
ist  somit  beweisend  für  Petrarca's  Aufenthalt  zu  Verona  im  Jahre  1345.  — 
Ueber  die  Schicksale  des  von  Petrarca  aufgefundenen  Codex  vgl.  Detlefseu 
in  Jahns  Jahrbb.,  Bd.  87,  p.  550  fif. 


Parma  und  Vauduse.  217 

Anstosses  mehr  bedurfte,  um  den  Drang  zum  Gedankenaus- 
tausche |in  Briefform  erwachen  zu  lassen,  sondern  dass  dieser 
Drang  bereits  vorhanden,  wenn  auch  allerdings  einer  Steigening 
fähig  warj  Die  eifrige  Pflege  der  Epistolographie,  welche  den 
Humanismus  kennzeichnet,  hat  tiefere  Gründe,  als  die  zufällige 
Auffindung  einer  antiken  Mustersammlung,  und  höchst  wahr- 
scheinlich würden  im  vierzehnten,  fünfzehnten  und  sechszehnten 
Jahrhundert  genau  ebenso  viele  lateinische  Episteln  geschrieben 
worden  sein,  auch  wenn  Cicero's  Freundesbriefe  nicht  entdeckt 
worden  wären.  Aber,  selbst  wenn  man  verkennen  wollte,  wie 
das  üppige  Gedeihen  der  Epistolographie  im  Zeitalter  der 
Renaissance  eine  von  äusseren  Zufälligkeiten  unabhängige 
psychologische  und  culturgeschichtliche  Nothwendigkeit  war,  und 
dasselbe  durchaus  aus  einer  bestimmten  äusseren  Thatsache  ab- 
leiten zu  müssen  vermeinte,  so  vergesse  man  nicht,  dass,  bevor 
noch  Petrarca  Cicero's  Episteln  aus  dem  Dunkel  einer  Bibliothek 
in  das  Licht  der  Oeftentlichkeit  zog,  doch  bereits  eine  umfang- 
reiche lateinische  Briefsammlung  vorhanden  und  allgemein 
bekannt  war,  des  Seneca  Episteln  an  Lucilius.  Keineswegs  also 
hat  die  glückliche  Entdeckung  Petrarca's  die  Epistolographie 
des  Humanismus  begründet,  aber  sie  hat  andere  weittragende 
Folgen  nach  sich  gezogen.  Ehe  man  Cicero's  Freundesbriefe 
kannte,  besass  man  —  abgesehen  von  Terentius'  Comödien  ^), 
welche  indessen  aus  mancherlei  Gründen ,  selbst  ihrer  me- 
trischen Form  wegen,  keine  recht  durchgreifende  Wirkung  aus- 
zuüben vermochten  —  kein  einziges  Schriftwerk  grösseren 
Umfanges,  welches  ein  Muster  der  eleganten  römischen  Um- 
gangssprache, die  ja  auch  die  Sprache  der  vertraulichen 
Correspondenz  war,  dargeboten  hätte.     Seneca's  Briefe  geben 


^)  Plautus,  von  welchem  man  übrigens  bis  zum  Anfang  des  fünfzehnten 
Jahi'hunderts  nur  die  ersten  acht  Stücke  kannte  (vgl.  Ritschi,  Opusc.  II 
p.  236  ff.),  konnte  wegen  seiner  archaistischen  Sprache  und  der  eigenthüm- 
lichen  Schwierigkeiten,  welche  diese  sowie  die  Metrik  bekanntlich  dem 
Verständnisse  bietet,  als  Stylmuster  nicht  in  Betracht  kommen;  er  musste 
erst  durch  eine  im  fünfzehnten  Jahrhundert,  vermuthlich  durch  Antonius 
von  Palermo,  vollzogene  Umarbeitung  dem  Renaissancepublicum  mundgerecht 
gemacht  werden  (vgl.  Teuffei,  Rom.  Litteraturgesch.  3.  Aufl.  p.  164.). 


218  Fünftes  Capitel. 

ein  solches  nicht,  denn  nur  in  sofern  sind  sie  Briefe, 
als  sie  eine  Adresse  an  ihrer  Spitze  tragen,  in  Wahrheit  sind 
sie  moralphilosophische  Abhandlungen  und  Monologe,  und  der 
in  ihnen  zur  Anwendung  gebrachte  Styl  ist  durchaus  der  rhe- 
torische und  von  der  famihären  Rede  durch  eine  weite  Kluft 
geschieden.  Die  durch  Petrarca  vermittelte  Bekanntschaft  mit 
Cicero's  Briefen  füllte  demnach  eine  Lücke  aus,  welche,  wenn 
sie  länger  fortbestanden  hätte,  überaus  schmerzlich  empfunden 
worden  sein  würde ,  ja  durch  welche ,  man  darf  es  kühn  be- 
haupten, der  Renaissance  beträchtlich  engere  Grenzen  gezogen 
worden  wären.  Erst  Cicero's  Briefe  lieferten  den  erforderlichen 
Schatz  von  Worten  und  Redewendungen,  um  die  latinisirende 
Renaissance  auch  auf  das  litterarische  Privatleben  übei-tragen 
zu  können,  erst  durch  sie  ward  die  Unterhaltung  und  die 
Correspondenz  über  die  Dinge  und  Verhältnisse  des  alltäglichen 
Lebens  ermöglicht.  Hätten  die  Humanisten  dieses  trefflichen 
Hülfsmittels  entbehren  müssen,  so  wären  sie  genöthigt  ge^vesen, 
auf  die  lateinische  Umgangssprache  des  Mittelalters  zu  recur- 
riren,  und  sie  wären  demnach,  um  so  zu  sagen,  immer  mit 
einem  Fusse  in  der  litterarischen  Barbarei  stecken  geblieben, 
hätten  das  Ideal  einer  stylistisch  abgerundeten  und  formen- 
schönen Darstellung  nie  allseitig  und  völlig  zu  erreichen  ver- 
mocht. Die  Wahrheit  dieser  Behauptung  wird  durch  Petrarca's 
eigene  Briefe,  deren  Latinität  zu  so  manchen  sehr  begründeten 
Ausstellungen  Anlass  gibt  und  theilweise  geradezu  noch  ein 
mittelalterliches  Gewand  trägt,  auf  das  schlagendste  bestätigt, 
denn  der  glückliche  Finder  der  „epistolae  ad  familiäres"  war, 
als  ihm  im  Jahre  1345  der  grosse  Fund  zu  Theil  ward,  be- 
reits zu  alt  und  hatte  sieh  schon  eine  zu  individuell  gefestete 
Schreibweise  gebildet,  als  dass  er  die  Frucht  seiner  eigenen 
Entdeckung  zu  pflücken  und  ciceronianiseh  gewandten  und 
eleganten  Briefstyl  sich  anzueignen  vermocht  hätte.  So  kommt 
es,  das  Petrarca's  Episteln,  wo  ihre  Latinität  eine  leidliche  ist, 
das  unverkennbare  Gepräge  der  Rhetorik  Seneca's  an  sich 
tragen,  dagegen  stark  an  mittelalterliche  theologische  Tractate 
erinnern,  wo  ihr  Latein,  eines  antiken  Musters,  das  als  Stütze 


Parma  und  Vaucluse.  219 

hätte  dienen  können,  entbehrend,  in  bedenklichen  Solöcismen  und 
Barbavismen  einherschwankt.  Petrarca  hat  eben  das  gelobte  Land 
eines  für  alle  Bedürfnisse  verwendbaren  eleganten  lateinischen 
Styles  nur  entdeckt,  er  hat  es  aber  nicht  erforscht  und  seine 
Schätze  nicht  ausgebeutet.  Das  blieb  erst  seinen  Nachfolgern, 
den  späteren  Humanisten,  vorbehalten.  Der  Ruhm  aber  und 
das  Verdienst  des  grossen  Begründers  des  Humanismus  und 
der  Renaissance  wird  durch  diese  Thatsache  in  keiner  Weise 
geschmälert,  denn  wie  darf  man  fordern,  dass  derjenige,  welcher 
neue  Culturformen  schafft,  dieselben  zugleich  noch  selbst  zu 
ihrer  höchsten  Vollendung  ausbilde?  Zu  solchem  Werke  reicht 
das  karge  Maass  menschlicher  Lebenszeit  und  Lebenskraft 
nicht  hin.  —  — 

Während  seines  Aufenthaltes  in  Verona  scheint  Petrarca 
auch  für  die  Erziehung  seines  Sohnes  Giovanni  Sorge  getragen 
zu  haben  ^).  Der.  wie  wir  sahen,  im  Jahre  1337  geborene 
Knabe  war  nun  acht  Jahre  geworden  und  es  wurde  demnach 
erforderlich,  ihm  einen  regelrechten  wissenschaftlichen  Unter- 
richt angedeihen  zu  lassen.  Petrarca  mochte  mit  gutem  Grunde 
empfinden ,  dass  ihm  jede  Lust  und  Befähigung  zu  einer  päda- 
gogischen Thätigkeit  abgehe,  und  überdies  auch  aus  nahe 
liegenden  persönlichen  Gründen  nicht  wünschen,  dass  sein  mit 
dem  Makel  der  Illegitimität  behafteter  Sohn  dauernd  bei  ihm 
bleibe.  Er  entschloss  sich  daher,  des  Knaben  Erziehung  und 
Ausbildung  der  Sorge  des  tüchtigen  Grammatikers  Rinaldo 
aus  Villafranca  anzuvertrauen  und  ihn  in  Verona  zurückzulassen. 
Leider  führte  Petrarca  diese  heilsame  Maassregel  nicht  mit  der 
erforderlichen  Consequenz  durch,  sondern  nahm  schon  wenige 
Jahre  darauf  (1348)  seinen  Sohn  wieder  zu  sich,  die  Erziehung 
desselben  theils  selbst  leitend  theils  sie  der  Fürsorge  des 
Grammatikers  Gilberto  überlassend^).  Dieser  Missgriff  sollte 
sich  schwer  rächen.  In  Folge  des  wiederholten  Wechsels  seines 
Aufenthaltes  und  seiner  Erzieher  gelangte  der  junge  Giovanni 


ij  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  257  ff. 
-j  Ep.  Fam.  VII  17. 


220  Fünftes  Capitel. 

ZU  keiner  zusammenhängenden  wissenschaftlichen  Bildung  und 
noch  weniger  zu  einem  festen  moralischen  Bewusstsein.  Er 
wuchs  zur  Last  und  zur  Bekümmemiss  des  Vaters  heran  und 
würde,  wäre  ein  längeres  Leben  ihm  beschieden  gewesen,  wol 
dessen  ruhmvollen  Namen  mit  Schmach  bedeckt  haben.  So  be- 
stätigte auch  er  die  alte  Erfahrung,  dass  grosse  Männer  in  der 
Regel  als  Väter  wenig  glücklich  sind. 

Nachdem  er,  wie  es  scheint,  in  Verona  längere  Zeit  sich 
verweilt  hatte,  setzte  Petrarca  endlich  seine  Reise  nach  der 
französischen  Heimath  fort.  Guglielmo  gab  ihm  bis  zu  dem 
malerisch  gelegenen  Peschiera  das  Geleite  ^).  Hier  verbrachten 
die  beiden  Freunde  in  traulichen  Gesprächen  die  Nacht  nach 
ihrer  Ankunft.  Kein  Schlaf  kam  in  ihre  Augen.  Beim  ersten 
Morgenschimmer,  als  die  Strahlen  der  Sonne  das  düstere  Ge- 
wölk noch  nicht  durchbrochen  hatten  und  das  nächtige  Dunkel 
noch  nicht  geschwunden  war,  bestiegen  sie  wieder  zum  weiteren 
Ritte  die  Rosse.  Als  sie  nun  die  Stadt  verlassen  hatten  und 
plötzlich  im  freien  Felde  sich  befanden  und  im  jungen  Morgen- 
lichte auf  der  einen  Seite  die  ruhigen  Fluthen  des  Gardasee's, 
auf  der  anderen  ein  dichtbelaubter  Wald  vor  ihren  Blicken 
lagen,  da  wurde  Petrarca  tief  ergriffen  von  der  wunderbaren 
Anmuth  der  Landschaft  und  der  Entschluss,  ein  so  schönes 
Land  zu  verlassen,  mochte  ihn  bitterlich  reuen.  Nun  kamen 
sie  an  einen  kleinen  Hügel,  der  das  Gebiet  Verona' s  von  dem- 
jenigen Brescia's  scheidet,  und  hier  mussten  die  Freunde  sich 
trennen.  Mit  innigster  Rührung  umarmte  Petrarca  Guglielmo 
und  ihn  umfassend  sprach  er  mit  zitternder  Stimme:  „Ich 
scheide  nun  von  Dir,  o  süsser  Freund,  und  ziehe  in  ein  fremdes 
Land,  nicht  weiss  ich,  ob  jemals  meine  Augen  Dich  wieder- 
sehen werden.  Treu  aber  wird  in  meiner  Brust  die  Liebe  zu 
Dir  fortleben  und  weder  die  Entfernung  noch  die  Zeit  werden 
jemals  unsere  wahre  Freundschaft  zu  mindern  vermögen.  Sei 
dessen  eingedenk,   dass  ich  ganz  Dir  angehöre  sowie  Du  mir. 


^)  vgl.  den  Brief  Guglielmo's  b.  Fracassetti  II  p.  439  f.,  welcher  jeden- 
falls in  das  Jahr  1345  zu  setzen  ist. 


Parma  und  Vaucluse.  221 

Lebe  wohl!  Liebe  mich  wie  ich  Dich  liebe  und  nochmals 
empfange  ein  zärtliches  Lebewohl!"  Auf  diese  mit  Thränen 
begleiteten  Worte  vermochte  Guglielmo.  nicht  minder  gerührt 
und  von  Schmerz  ergriffen,  Nichts  weiter  zu  erwidern,  als  ein 
stammelndes  „Ja".  Nach  solchem  Abschiede  sprengte  Petrarca 
davon,  Guglielmo  aber  schaute  ihm  lange  unverwandten  Blickes 
nach  und  gedachte  schmerzlich  der  Beschwerden  und  Gefahren, 
die  der  Freund  auf  der  weiten  Keise  noch  zu  bestehen  habe; 
endlich  trat  er  den  Rückweg  an,  aber  den  ganzen  Tag  über 
war  er  in  seiner  Wehmuth  unvermögend,  ein  Wort  zu  sprechen, 
und  nur  erst  allmählich  vermochte  er,  Ruhe  und  Fassung 
wieder  zu  gewinnen. 

Wir  haben  dem  Leser  diese  Abschiedsscene  nicht  vorent- 
halten zu  dürfen  geglaubt,  da  sie  besser,  als  lange  Deductionen 
es  vermögen,  zeigen  kann,  wie  hoch  entwickelt  schon  in  der 
Frühzeit  der  Renaissance  die  modernen  Gefühlszustände  der 
sentimentalen  Natur-  und  Freundschaftsschwärmerei  waren, 
und  es  ist  diese  Scene,  welche  recht  wohl  einem  Briefe  der 
Hainbunds-  und  Wertherperiode  entnommen  zu  sein  scheinen 
könnte,  um  so  beweiskräftiger,  als  sie  nicht  etwa  von  Petrarca 
selbst,  sondern  von  Guglielmo  da  Pastrengo  beschrieben  worden 
ist,  uns  also  zeigt,  wie  der  moderne  Geist  sich  bereits  in 
weiteren  Kreisen  Eingang  verschafft  hatte.  Das  Mittelalter  kennt 
wohl  naiv  rührende,  aber  nicht  sentimental  aufgeputzte  Abschieds- 
scenen,  in  welche  letztere  Kategorie  doch  sicherlich  die  unsere 
zu  zählen  ist,  zumal  wenn  man  erwägt,  dass  das  Freundschafts- 
bündniss  zwischen  Petrarca  und  Guglielmo  nach  Allem,  was 
uns  darüber  bekannt,  ein  allerdings  aufrichtiges  und  herzliches, 
aber  doch  keineswegs  schwärmerisch  inniges  war,  und  dass  demnach 
der  grosse  Schmerz  bei  einer  überdies  nur  zeitweiligen  Ti-ennung 
in  der  Natur  der  Verhältnisse  kaum  begründet,  sondern  zum 
guten  Theile  nur  durch  sentimentale  Anempfindelei  erzeugt 
sein  konnte.  Es  ist  Guglielmo's  Brief,  der  den  Abschied  er- 
zählt, also  eine  merkwürdige  Urkunde  für  das  erwachende 
moderne  überschwängliche  Gefühlsleben,  welches  einfach  natür- 
liche Empfindungen    mittelst  einer  bewussten  selbstgefälligen 


222  Fünftes  Capitel. 

Reflexion  künstlich  steigert  und  überreizt.  Erst  der  moderne 
Mensch  findet  eine  geheime  Lust  in  dem  prüfenden  Betasten 
und  Ergründen  der  noch  offenen  Wunden  des  eigenen  Herzens 
und,  um  solcher  in  möglichst  hohem  Grade  theilhaft  zu 
werden,  erweitert  er  wol  sogar  mit  eigener  Hand  die  vom 
Geschick  ihm  geschlagenen  Wunden  oder  schafft  er  sich  selbst, 
wenn  das  Geschick  ihn  verschont,  künstliche  Qualen.  Man  hat 
gewiss  ein  volles  und  gutes  Recht,  diese  Erscheinung,  nament- 
lich w^enn  sie,  wie  in  geistig  besonders  erregten  Zeiten  stets 
geschieht,  zu  hässlichem  Uebermaasse  sich  steigert,  zu  beklagen 
und  selbst  als  unsittlich  zu  verdammen,  aber  man  darf  dabei 
doch  nicht  vergessen,  dass  sie  die  nothwendige  Folge  einer 
höheren  Entwickelung  des  Geisteslebens  ist  und  demnach  nicht 
weggewünscht  werden  kann,  ohne  dass  man  die  ganze  höhere, 
auf  der  Entfesselung  der  Subjectivität  beruhende  Cultur  hin- 
wegwünschen müsste.  Bedenken  muss  man  stets,  dass  an  einem 
Baume,  welcher  viele  edle  Fnichte  trägt,  nach  alter  Erfahrung 
immer  auch  einige  wunnstichige  und  faule  Früchte  hängen. 
Dass  das  Gute  mit  dem  Bösen  sich  mischt,  ist  eine  Thatsache, 
welche  sich  nimmer  in  dieser  irdischen  Welt  wird  beseitigen 
lassen.  Thorheit  wäre  es  also,  das  Gute  zu  verkennen 
und  zu  leugnen,  weil  Böses  mit  ihm  untrennbar  verbunden 
ist.  Die  Renaissance  ohne  Weiteres  um  desswillen  verdammen 
und,  wo  möglich,  ungeschehen  machen  zu  wollen,  kann  nur  die 
Absicht  der  blödesten  Beschränktheit  sein.  Verkehrt  ist 
es  sicherlich,  die  düsteru  Schattenseiten  einer  Cultuiform 
nicht  zu  erkennen,  weit  verkehrter  noch  aber  ist  es,  nur  die 
Schattenseiten  zu  erkennen  und  vor  den  doch  ebenso  bedeu- 
tungsvollen Lichtseiten  den  Blick  zu  verschliessen.  Eine  ein- 
sichtsvolle und  objective  Betrachtung  zieht  gleichmässig  Schatten 
und  Licht  in  ihren  Gesichtskreis  und  lässt  ihr  Urtheil  weder 
durch  den  einen  verdüstern  noch  durch  das  andere  blenden. 
So  werden  wir  uns  bei  der  Betrachtung  des  Briefes  Guglielmo's 
an  der  Sentimentalität,  von  welcher  er  durchhaucht  ist,  nicht 
eben  erfreuen,  wohl  aber  an  dem  Gedanken,  dass  diese  neu 
erscheinende  psychische  Krankheit  eine  schon  hoch  entwickelte 


Parma  und  Vaucluse.  223 

Oeistes-  und  Herzenscultur  zur  Quelle  hat  und  also,  wenn  auch 
an  sich  ungesund,  doch  das  Symptom  einer  wenigstens  rela- 
tiven Gesundheit  und  Entwickelungsfähigkeit  des  Cultur- 
lebens  ist.  — 

Ueber  den  ferneren  Verlauf  der  Reise  Petrarca's  fehlen 
uns  alle  weiteren  Nachrichten,  jedenfalls  aber  ging  sie  glücklich 
Ton  statten  und  erreichte  er  wohlbehalten  Vaucluse  und 
Avignon,  an  welchem  letzteren  Orte  er  einem  Briefdatum  zu- 
folge sich  jedenfalls  am  19.  December  1345  befand  ^).  In 
Vaucluse  nahm  er  gewiss  sein  früheres  dem  Naturgenusse,  den 
Studien  und  der  Poesie  gewidmetes  Leben  wieder  auf  und  er- 
neuerte den  vertraulichen  Verkehr  mit  seinem  alten  Gönner, 
dem  Cardinale  Giovanni,  den  er  durch  poetische  Episteln  über 
alle  die  kleinen  Vorkommnisse  seiner  Villeggiatur  auf  dem 
Laufenden  erhielt.  So  schilderte  er  ihm  einmal  in  zwei  Briefen  -) 
mit  eben  soviel  Humor  als  Anschaulichkeit  den  schweren 
Kampf,  den  er  mit  den  Nymphen  von  Vaucluse  zu  bestehen 
hatte.  Es  war  nämlich  des  Dichters  Landbesitz  den  Ueber- 
schwemmungen  der  in  den  Wiutermonaten  hoch  anschwellenden 
AYogen  der  Sorgue  ausgesetzt  und,  um  sich  dagegen  zu  sichern, 
hatte  er  mit  vielen  Kosten  und  mancher  Beschwerlichkeit  einen 
Damm  aufführen  lassen.  Schon  hoifte  er,  hierdurch  die  Macht 
der  feindlichen  Nymphen  gebrochen  zu  haben,  als  im  nächsten 
Winter  die  Wellen  das  mühsam  errichtete  Werk  unterwühl- 
ten und  vernichteten. 

Launig  bekannte  Petrarca  seine  Ohnmacht  in  dem  Kampfe 
mit  dem  feuchten  Elemente  und  verzichtete  auf  weitere  Ver- 
suche, gegen  dasselbe  anzukämpfen,  sich  damit  zufrieden  gebend, 
•dass  wenigstens  sein  kleiner  Dichtergarten,  sein  „Parnass", 
den  überhangende  Felsen  geschützt  hatten,  von  den  Wellen 
verschont  geblieben  war. 

Der  Versuchung,  aus  seiner  stillen  Einsamkeit  heraus- 
zutreten auf  die  bewegte  Bühne  des  geschäftlichen  Lebens  und 


0  Ep.  Farn.  XXIV  4. 

•-)  Ep.  poet.  lat.  III.  1  u.  2. 


224  Fünftes  Capitel. 

mit  der  Bürde  eines  verantwortungsreichen  Amtes  sich  zu  be- 
lasten, eine  Versuchung,  welcher  er  erlegen  war,  als  er  mit 
der  fnichtlosen  Mission  nach  Neapel  sich  betrauen  liess,  Pe- 
trarca widerstand  ihr  muthig  und  einsichtsvoll,  als  sie  aber- 
mals und  in  verlockender  Form  an  ihn  herantrat.  Papst 
Clemens  VI.  bot  im  Jahre  1346  dem  Dichter  die  einflussreiche 
und  einträgliche  Stellung  eines  päpstlichen  Secretairs  und 
Protonotars  an  ^).  Petrarca  schlug  den  verführerischen  Antrag 
aus,  auch  als  er  im  Laufe  der  Jahre  noch  mehrfach  wieder- 
holt wurde  2),  in  der  richtigen  Erkenntniss,  dass  seine  Indivi- 
dualität nicht  dazu  angelegt  sei,  um  sich  in  die  Fesseln  und 
Rücksichten,  die  ein  jedes  Amt  auferlegt,  zu  fugen,  und 
dass  durch  materielle  Vortheile  der  unschätzbare  Besitz  einer 
völligen  Unabhängigkeit  nicht  aufgehoben  werde.  Dei-  Papst 
zürnte  dem  Dichter  nicht  ob  seiner  Weigerung  imd,  gleichsam 
um  ihn  zu  entschädigen  für  den  Verlust  des  Einkommens, 
welches  er  ihm  mit  dem  Amte  geboten  haben  würde,  verlieh 
er  ihm  im  October  1346  ein  Canonicat  zu  Parma  und  wenige 
Jahre  später  (vermuthlich  1348)  ^)  ein  Archidiaconat  in  der- 
selben Stadt.  Da  nach  mittelalterlich  kirchlichem  Brauche  es 
keineswegs  erforderlich  war,  dass  derartige  geistliche  Aemter 
von  ihrem  Inhaber  persönlich  vei-waltet  wurden,  so  beschränk- 
ten sie  Petrarca's  Freiheit  in  keiner  Weise,  während  sie  ihm 
doch  eine,  freilich  keineswegs  überreiche*),  immerhin  aber 
nennenswerthe  Einnahme  gewährten,  und  dazu  beitrugen,  seine 
Existenz  zu  einer  von  materiellen  Sorgen  freien  zu  gestalten. 
Ehre  aber  dem  Andenken  des  Papstes,  der  den  grossen  Dichter 
niederer  Sorge  entriss  und  die  Unabhängigkeit  des  geistigen 
Schaffens  ihm  wahrte !  Eine  vielleicht  noch  grössere  Gunst  erwies 

^)  Ep.  Fam.  XIII  4,  vgl.  Fracassetti's  Note  zu  diesem  Briefe,  Lett. 
fam.  III  p.  316. 

'')  Ep.  Sen.  I  2  u.  4.  vgl.  Fam.  IX  5.  XX  14.  Sen.  XIII  12  u.  13. 

^)  Ueber  die  schwierige  Zeitbestimmung  vgl.  die  trefflichen  Bemer- 
kungen von  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  527  f. 

*)  Die  mit  dem  Archidiaconat,  also  der  einträglichsten  Pfilinde,  ver- 
bundenen Einkünfte  betrugen  nach  Fracassetti's  (Lett.  fam.  III  p.  313.) 
Berechnung  370  Lire  =  296  Mark. 


Parma  und  Vaucluse.  225 

Clemens  VI.  Petrarca,  als  er  durch  ein  am  9.  September  1348 
ausgestelltes  Breve  ^)  dessen  Sohn  Giovanni  legitimirte  und 
dadurch  den  schweren  Makel  unehelicher  Geburt  von  ihm 
nahm. 

Der  ruhige  Aufenthalt  in  dem  lieblichen  Vaucluse  sollte 
Petrarca  bald  durch  ein  unerwartetes  Ereigniss  verleidet  werden. 

Am  20.  Mai  1347  vollzog  Cola  di  Rienzo  jene  merkwür- 
dige Revolution,  durch  welche  Rom  von  der  Tyrannenherrschaft 
der  Adelsgeschlechter  erlöst  und  die  altrömische  Freiheit 
wiederhergestellt,  ja  ganz  Italien  wieder  zu  einem  einheitlichen 
Staatswesen  unter  eines  neuen  Imperators  Scepter  vereint 
werden  sollte. 

Wir  müssen  hier  gänzlich  darauf  verzichten,  die  Geschichte 
dieser  seltsamen  Umwälzung  zu  schreiben,  denn  allzu  weit  würde 
ein  solches  Beginnen  von  unserer  eigentlichen  Aufgabe  uns 
entfernen,  und  überdies,  ist  nicht  diese  Geschichte  bereits 
wiederholt  von  Meisterhand  geschrieben  worden?  Mehr  als 
vermessen  wahrlich  würde  es  sein,  das  noch  einmal  erzählen  zu 
wollen,  was  ein  Papencordt  und  ein  Gregorovius  bereits  so 
beredt  erzählt  haben.  Auch  ist,  seitdem  Zefirino  Re  die  alte, 
dem  vierzehnten  Jahrhundert  entstammende  Biographie  Rienzo's 
herausgegeben  und  mit  reichhaltigen  Noten  begleitet  hat  2), 
die  wichtigste  und  interessanteste  Quellenschrift  der  allgemeinen 
Benutzung  erschlossen  worden. 

Nicht  aber  können  und  dürfen  wir  es  uns  versagen,  einige 
Reflexionen  über  das  merkwürdige  Ereigniss  dem  Gange  unserer 
Erzählung  einzureihen,  wäre  es  auch  nur,  um  Petrarca's  leb- 
hafte Theilnahme  an  demselben  verständlich  zu  machen. 

Einer  nur  äusserlichen  Betrachtung  mag  gar  leicht  Rienzo's 
thatenreiches  Tribunat,  welches  des  mittelalterlichen  Roms 
wirre   Geschichte  in  so   seltsamer  Weise  unterbricht,    als  ein 


^)  vgl.  de  Sade,  II  pieces  justif.  no.  XIX. 

-)  La  vita  di  Cola  di  Rienzo  scritta  da  incerto  autore  nel  secolo  XIV, 
ridotta  a  migliore  lezione  ed  illustrata  con  note  ed  osservazioni  storico- 
critiche  da  Zefirino  Re.    Florenz  1854. 

Körting.  Petrarca.  15 


226  Fünftes  Capitel. 

ganz  isolirt  dastehendes  Ereigniss  und  als  eine  räthselhafte 
Episode,  zu  deren  Verständnisse  der  Schlüssel  fehlt,  erscheinen, 
ja  es  mag  selbst  gleichsam  für  einen  wüsten  Traum  der  Welt- 
geschichte, für  einen  missrathenen  Schöpfungs versuch  des  welt- 
gestaltenden Schicksales  gelten.  Aus  der  Wirrniss  des  Mittel- 
alters tritt  —  so  scheint  es  —  ganz  unvermittelt  und  plötzlich 
ein  Mann  hervor,  der  das  Wagniss  unternimmt,  das  Rad  der 
Weltgeschichte  um  mehr  als  ein  Jahrtausend  zurückzurollen 
und  dem  altersmüden  Rom  eine  neue  Jugendherrlichkeit  zu  ver- 
leihen. Wie  ein  Meteor  steigt  dieser  Mann  aus  dem  Nichts  empor, 
wie  ein  Meteor  sinkt  er,  nachdem  er  strahlend  eine  kurze 
Bahn  durchmessen,  wieder  in  sein  Nichts  zurück,  keine 
bleibende  Spur  des  Wirkens  hinterlassend,  und  es  lagern  sich 
nach  seinem  Falle  aufs  Neue  die  Schatten  des  Mittelalters 
über  die  ewige  Stadt.  Nicht  minder  kann  in  anderer  Beziehung 
des  letzten  Tribunen  Gestalt  räthselhaft  und  fragwürdig  er- 
scheinen :  auf  das  Seltsamste  mischen  sich  in  seinem  Charakter- 
bilde die  Züge  hoher  Genialität  mit  denen  bizarrer  Narrheit 
und  auf  das  Wundersamste  kreuzen  sich  in  seinem  Thun  antike 
und  moderne  Gedanken.  So  scheint  er  in  doppelter  Beziehung 
ein  Janusgesicht  zu  tragen :  das  eine  Antlitz  geschmückt  durch 
die  Majestät  ernsten  und  erhabenen  Denkens,  das  andere  ent- 
stellt durch  eine  fratzenhafte  Narrenmaske,  und  wiederum  mit 
dem  einen  Antlitze  zurückschauend  in  eine  entlegene  Vergangen- 
heit und  mit  dem  anderen  vorwärts  blickend  in  eine  noch 
ferne  Zukunft. 

Das  Räthsel  dieser  Erscheinung  löst  sich  bei  näherer  Be- 
trachtung ,  sobald  man  erwägt ,  dass  Rienzo  Petrarca's  Zeit- 
genosse und  Geistesverwandter,  ja  vielleicht  selbst  in  gewissem 
Sinne  dessen  Schüler  war,  denn  Nichts  verbietet  uns,  anzu- 
nehmen, dass  schon  vor  dem  Jahre  1347,  sei  es  in  Rom  sei  es 
zu  Avignon,  zwischen  beiden  Männern  persönliche  Berührungen 
stattfanden,  durch  welche  Rienzo  mit  Petrarca's  politischen  Ideen 
und  Träumen  bekannt  ward.  In  noch  erhöhtem  Maasse  würde 
dies  habcii  der  Fall  sein  können,  wenn  wirklich,  wie  mehrfach 
behauptet  worden  ist,  auch  Petrarca  einer  der  Gesandten  des 


Parma  und  Vaucluse.  227 

römischen  Volkes  war,  welche,  und  unter  ihnen  Rienzo,  im 
Frühjahr  1342  nach  Avignon  sich  begaben,  um  des  Papstes 
Rückkehr  nach  Rom  zu  erbitten  ^).  Jedenfalls,  Petrarca  und 
Rienzo  waren  Zwillingsbrüder  im  Geiste,  congenial  angelegte 
Naturen  und  nur  darin  verschieden,  dass  der  erstere  ebenso 
zur  beschaulichen  Reflexion  wie  der  letztere  zum  energischen 
Handeln  sich  hinneigte.  Der  schüchterne  Petrarca  war  ein 
idealer  Träumer,  der  vor  der  activen  Beschäftigung  mit  den 
realen  Dingen  instinctiv  zurückscheute,  Rienzo  war  auch  ein 
idealer  Träumer,  aber  ein  solcher,  der  seine  Traumgebilde  für 
Wirklichkeiten  ansah  und  nach  ihnen  die  reale  Welt  in  toll- 
kühnem Schaffen  umzugestalten  sich  vermaass.  Petrarca  be- 
gnügte sich  mit  der  Theorie,  in  der  Praxis  verzichtete  er  gern 
auf  jede  Weltverbesserung,  die  einen  grösseren  Kraftaufwand 
als  Declamationen  erforderte,  und  bereitwillig  nahm  er  im 
eigenen  persönlichen  Leben  mit  der  gemeinen  Wirklichkeit 
vorlieb  — ,  Rienzo's  thatkräftige  und  thatendurstige  Natur 
konnte  sich  nicht  an  dem  theoretischen  Schauen  genügen  lassen, 
sondern  strebte,  die  Theorie  in  Praxis,  die  Ideale  in  Realitäten 
umzusetzen,  sich  nicht  bekümmernd,  ob  solches  Beginnen 
möglich  und  vernunftgemäss,  ob  es  in  Wahrheit  segenbringend 
sei.  Der  weisere  und  besonnenere  Mann  von  beiden  war  zweifels- 
ohne Petrarca,  der  die  Saamenkörner  einer  neuen  besseren 
Zeit  ausstreute  und  das  Reifen  derselben  ruhig  der  Zukunft 
überliess,  doch  war  vielleicht  Rienzo,  der  nicht  erst  die  späten 
Nachkommen,  sondern  schon  die  Zeitgenossen  von  dem  Alp- 
druck überlebter  Culturzustände  erlösen  wollte,  der  wärmer 
und  edler  fühlende  Mensch.  Die  Geschichte,  welche,  was  man 
auch  sagen  mag,  in  letzter  Instanz  nur  nach  den  Erfolgen, 
nicht  nach  den  Motiven  urtheilen  kann,  hat  Petrarca  Recht 
gegeben  und  seinen  Namen  als  den  des  BegTünders  der  Re- 
naissancecultur  für  alle  Zeit  auf  ihre  Tafeln  eingegraben, 
Rienzo  aber  lebt  nur  noch  als  phantastische  Märchengestalt  in 


^)  Ueber  Petrarca's   Beziehungen  zu  Rienzo  vor  dem  Jahre  1347  vgl. 
Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  193  ff. 

15* 


228  Fünftes  Capitel. 

der  ErinneiTing  der  Völker  und  sein  ephemeres  Wirken  hat  ihn 
mit  dem  Fluche  der  Lächerlichkeit  beladen. 

Nicht  aber  darf  uns  die  Thatsache,  dass  die  Nachwelt 
Petrarca  und  Rienzo  so  verschiedene  Plätze  angewiesen  und 
ersteren  mit  dem  Lorbeer  gekrönt,  letzteren  mit  dem  Narren- 
gewande  bekleidet  hat,  verleiten,  die  ursprüngliche  Gleichartig- 
keit der  Natur  beider  Männer  zu  vergessen.  Beide  sind 
die  ersten  Menschen  der  Renaissance,  Rienzo  vielleicht  selbst 
in  höherem  Grade  noch,  als  Petrarca,  da  er  die  Renaissance 
in  das  praktische  Staatsleben  uneingeschränkt  zu  übertragen 
wagte,  ein  vorzeitiger  Versuch,  der  naturgemäss  scheitern 
musste.  Beide,  Petrarca  wie  Rienzo,  waren  erfüllt  von  der- 
selben schwärmerischen  Begeisterung  für  das  römische  Alter- 
thum  und  beide  in  dem  Wahne  befangen,  dass  dasselbe  zu 
neuem  Leben  sich  erwecken  und  mit  dem  Christenthume  sich 
vereinbaren  lasse.  Beide  betrachteten  Rom  als  die  prädestinirte 
Welthauptstadt  und  Weltbeherrscherin  und  vermeinten,  dass 
in  Rom  zunächst  die  grosse  Weltwandelung  in  das  römische, 
aber  modernisirte  und  christianisirte  Alterthum  zurück  voll- 
zogen werden  müsse.  Die  Wege,  auf  denen  Petrarca  und 
Rienzo  zu  ihren  Anschauungen  des  römischen  Alterthums  und 
dessen  Wiederbelebungsfähigkeit  gelangt  waren,  mochten  sehr 
verschiedene  gewesen  sein,  aber  die  Anschauungen  selbst  waren 
dieselben  und  auch  einander  ungefähr  gleich  an  Klarheit  und 
Unklarheit.  Die  beiden  Männer  glichen  und  ergänzten  sich 
in  der  wundersamsten  Weise,  sie  bildeten  gleichsam  ein  Doppel- 
wesen mit  einem  Arme  und  mit  einem  Kopfe.  Rienzo  be- 
sass  die  Thatkraft,  welche  Petrarca  fehlte,  und  Petrarca  hin- 
wiederum die  Besonnenheit  und  Selbstbeherrschung,  deren 
Rienzo  so  gänzlich  entbehrte,  dass  er  in  Folge  dessen  zum 
Narren  ward.  Rienzo,  der  ein  Staatsmann  sein  wollte,  handelte 
wie  von  poetischer  Raserei  ergriffen  und  dichtete  in  seinen 
Thaten  unabsichtlich  eine  erschütternde  Tragikomödie,  Petrarca, 
der  ein  Dichter -war,  handelte  vorsichtig  und  zögernd  wie  ein 
kluger  Staatsmann.  Es  war  verhängnissvoll  für  Italien,  dass 
beide  Männer,  in  ihrem  Grundwesen  einander  so  gleich,  doch 


Parma  und  Vaucluse.  229 

wechselseitig  je  einer  wesentlichen  Eigenschaft  entbehren  mussten : 
ein  Petrarca  begabt  mit  Rienzo's  Thatkraft  oder  ein  Rienzo 
ausgerüstet  mit  Petrarca's  Besonnenheit  würde  die  politische 
Wiedergeburt  und  Einigung  Italiens  vollzogen  haben,  aber 
freilich  drängt  die  schwerlich  zu  bejahende  Frage  sich  auf,  ob 
auch  in  einem  politisch  geeinigten  Italien  die  Cultur  der 
Renaissance  sich  zu  entfalten  vermocht  haben  würde. 

Nach  dem  Gesagten  wird  sich  ermessen  und  begreifen 
lassen,  mit  welcher  innigen  Antheilnahme  und  Begeisterung 
Petrarca  Rienzo's  Unternehmen  begrüssen  und  begleiten  musste, 
so  lange  dasselbe  noch  nicht  das  Gepräge  wilder  Abenteuer- 
lichkeit und  narrenhafter  üeberspanntheit  angenommen  hatte. 
In  dem,  was  Rienzo  that,  glaubte  er  das  verwirklicht  zu  sehen, 
was  er  selbst  seit  langen  Jahren  erträumt  und  erhofft  hatte; 
die  Visionen  von  einer  Erneuerung  altrömischer  Bürgertugend 
und  Herrlichkeit,  welche  er  bei  der  Leetüre  des  Livius  und 
Cäsar  geschaut  hatte,  sie  wurden  plötzlich  —  so  glaubte  er 
wenigstens  —  zur  sichtbaren  und  greifbaren  Wahrheit.  Es 
war  das  ein  bald  geschwundener  Wahn,  aber  ein  schöner 
Wahn  und  ein  verzeihlicher  auch  und  Petrarca  war  nicht  der 
einzige  ernste  Mann,  der  von  dem  Trugbilde  sich  blenden 
Hess.  Ideal  angelegte  Seelen,  wie  die  seine  es  war,  meinen 
bei  jedem  unerwarteten  und  den  Zauber  des  Ungewöhnlichen 
an  sich  tragenden  Ereignisse,  dass  es  die  Pforten  jener  goldenen 
Zukunft  erschliessen  werde,  deren  Bild  sie  vorausahnend  in 
sich  tragen  und  deren  Herniedersteigen  in  das  unbefriedigende 
reale  Leben  sie  fort  und  fort  sehnsuchtsvoll  erwarten.  So 
haben  auch,  als  die  grosse  französische  Revolution  noch  nicht 
ihr  dämonisches  Antlitz  enthüllt  hatte,  gerade  die  edelsten 
Geister  sich  ihr  gläubig  zugewandt  und  sie  als  die  lang  er- 
sehnte Morgenröthe  eines  Sonnentages  der  Völkerfreiheit  und 
des  Völkerglücks  begrüsst. 

Die  freudigen  Gefühle,  welche  ihn  erfüllten,  als  er  ver- 
nahm, dass  Rienzo  auf  dem  Capitole  die  Neugeburt  der 
römischen  Republik  vollzogen  habe,  verschloss  Petrarca  nicht 
in  sich,  sondern  lieh  ihnen  beredten  Ausdruck  in  Briefen  und 


230  Fünftes  Capitel. 

Dichtungen,  welche  er  an  den  Tribunen  und  unter  dessen 
Adresse  an  das  Volk  der  Römer  richtete  ^).  Die  ganze  merk- 
würdige Episode  der  von  Rienzo  geleiteten  Revolution  spiegelt 
sich  getreu  mit  allen  ihren  Schwankungen  in  diesen  Schrift- 
stücken wieder:  wir  sehen  Petrarca  jauchzen  über  das  neu 
geborene  Rom  und  in  eindringlichen  Worten  seine  römischen 
Mitbürger  mahnen,  dass  sie  die  errungene  Freiheit  männlich 
behaupten  und  sich  ihrer  würdig  zeigen  sollen,  dann  sehen 
wir  ihn  beben,  als  der  Tribun  in  thörichter  Vermessenheit 
phantastischen  Zielen  tollkühn  nachstrebt,  und  endlich  sehen 
wir  ihn  trauern,  als  das  glänzende  Phantom  kläglich  zerstiebt 
und  verlischt  und  die  öde  Wirklichkeit  ihr  Recht  wieder 
geltend  macht.  Und  es  war  kein  flüchtig  vorübergehender 
Rausch,  dem  Petrarca  sich  überliess,  als  er  die  Sache  des 
Tribunen  mit  seiner  machtvollen  Beredtsamkeit  verfocht.  Nicht 
bloss  dem  sieg-  und  mhmgekrönten  Herren  Roms  huldigte  er, 
sondern  auch  dem  Gestürzten,  Gefangenen,  von  der  Welt  Ge- 
ächteten und  Verhöhnten  bewahrte  er  die  Achtung  und  Freund- 
schaft und  dies  selbst  noch  über  das  Grab  hinaus.  Wohl  er- 
kannte er  Rienzo's  Fehler  und  Schwächen  und  vor  Allem  tadelte 
er  seinen  Mangel  an  Standhaftigkeit,  aber  die  Anerkennung, 
Grosses  erstrebt  und  kühn  gewagt  zu  haben,  versagte  er  ihm 
nie,  selbst  dann  nicht,  als  vielleicht  die  Klugheit  ihm  dazu 
hätte  rathen  können.  Wenn  irgendwo,  so  hat  Petrarca  in 
seinem  Verhältnisse  zu  Rienzo  Ueb erzeugungstreue  und  Ge- 
sinnungstüchtigkeit bewiesen.  Zugleich  aber  wird  durch  die 
fortdauernde  Anerkennung,  welche  Petrarca  dem  Andenken 
Rienzo's  zollte,  bezeugt,  dass  dieser  nicht  der  Narr  gewesen 
sein  kann,   als  welcher  er  oft  geschildert  wird,   sondera  dass 


ij  Briefe  Petrarca's  an  Rienzo :  Fam.  VII  7.  Var.  38.  40.  42.  48.  App.  4, 
8,  nach  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  199  auch  App.  2.  Verherrlichung  Ri- 
enzo's in  Ecl.  V,  namentlich  v.  117 — 133.  Dagegen  ist  die  berühmte  Can- 
zone  „Spirto  gentil"  gewiss  nicht  an  Rienzo,  sondern  an  den  jüngeren 
Stefano  Colonna  gerichtet  (vgl.  Carducci,  a.  a.  0.  p.  42 — 61)  —  Urtheile 
Petrarca's  über  Rienzo  Fam.  VII  7.  XIII  6.  XVIII  1.  Var.  38.  de  remed. 
utr.  fort.  I  89.  apolog.  contr.  Galü  calumn.  p.  1181. 


Parma  und  Vaucluse.  231 

er  Eigenschaften  besessen  haben  muss,  welche  ihn  den  grössten 
Geistern  seiner  Zeit  ebenbürtig  erscheinen  Hessen. 

Wie  frei  Petrarca's  Begeisterung  für  Rienzo's  Unternehmen 
von  allen  egoistischen  Motiven  war,  ergibt  sich  schon  daraus, 
dass  er,  wie  er  gewiss  selbst  von  Anfang  an  klar  erkannte, 
sieh  durch  dieselbe  den  Aufenthalt  in  Vaucluse  und  Avignon 
mindestens  für  die  nächste  Zeit  unmöglich  machte  und  zu  einem 
neuen  Wanderleben  sich  durch  den  Zwang  der  Verhältnisse 
verurtheilt  sah. 

Wir  haben  früher  gesehen,  in  welchen  innigen  Beziehungen 
Petrarca  zu  der  Familie  der  Colonnesen  und  insbesondere  zu 
dem  Cardinale  Giovanni  gestanden  hatte  und  wie  ihm  durch 
dieselben  so  manche  äussere  Vortheile  zu  Theil  geworden  waren. 
Dies  schöne  Verhältniss  musste  unwiderruflich  von  dem  Augen- 
blicke an  sich  lösen,  wo  der  Dichter  sich  offen  als  Pdenzo's 
Freund  und  Parteigänger  in  Wort  und  Schrift  bekannte,  um 
so  mehr,  als  er  dies  in  der  schroffsten  Weise  that  und  wieder 
holt  in  seinen  politischen  Episteln  an  den  Tribunen  und  die 
Römer  die  Colonnesen  nicht  minder  wie  die  Orsini  als  Barbaren 
und  Usurpatoren  bezeichnete,  deren  Vertreibung  aus  Rom  eine 
unerlässliehe  Nothwendigkeit  und  patriotische  That  sei  ^).  Wie 
aber  hätte  Petrarca  es  ertragen  können,  nachdem  er  mit  seinem 
Gönner ,  dem  Cardinale  Giovanni ,  innerlich  so  unheilbar  sich 
entzweit  hatte,  noch  fernerhin  vertrauliche  Beziehungen  mit 
ihm  zu  unterhalten,  und  wie  hätte  der  Cardinal  es  vermocht, 
dem  zum  Widersacher  gewordenen  Schützling  noch  weiterei 
Wohlwollen  zu  bewahren?  Es  war  in  diesem  Fall  nicht,  wie 
es  sonst  wol  oft  geschehen  mag,  ein  äusserlicher  Fortbestand 
des  alten  Freundschaftsverhältnisses  möglich,  der  Bruch  konnte 
nicht  ein  halber,  er  musste  ein  ganzer  sein.  So  trennte  hier 
der  Zwang  der  Verhältnisse  zwei  Männer,  deren  Herzen  zwanzig 
Jahre  lang  warm  und  treu  für  einander  geschlagen  hatten  und 
in  einer  idealen  Welt  immer  für  einander  geschlagen  haben 
würden.    Man   hat  Petrarca    wegen   seines  Bruches   mit   den 


^)  vgl.  namentlicli  Ecl.  V. 


232  Fünftes  Capitel. 

Colonnesen  oft  der  Undankbarkeit  und  der  Herzlosigkeit  an- 
geklagt, aber  man  hat  dal^ei  nicht,  wie  billig  gewesen  wäre, 
der  Collision  der  Pflichten  Rechnung  getragen,  welche  den 
Dichter  bedrängte.  Das  theuere  Vaterland  rief  ihn  ( —  so 
glaubte  er  wenigstens  — )  und  forderte  seine  Hülfe,  —  sollte 
er  ihm  diese  verweigern,  nur  um  mit  einer  befreundeten  Familie 
sich  nicht  zu  entzweien?  sollte  er  in  einer  kritischen  Stunde, 
in  welcher  Italiens,  Roms  politisches  Sein  oder  Kichtsein  sich 
entscheiden  musste,  die  persönlichen  Rücksichten  auf  die 
Colonnesen  höher  stellen,  als  die  heilige  Pflicht  gegen  das 
Vaterland"?  sollte  er,  nur  um  einen  Giovanni  und  Stefano 
nicht  zu  kränken,  da  schweigen,  wo  sein  Wort  mächtig  und 
heilbringend  wirken  konnte?  sollte  er  mit  heuchlerischem 
Gleichmuthe  zu  Avignon  in  des  Cardinais  Giovanni  Hause  ver- 
kehren, während  in  Rom  ein  kühner  Mann  das  zu  verwirk- 
lichen sich  bestrebte,  was  er  selbst  so  sehnend  erhofft  hatte? 
Wahrlich  die  Lage  der  Verhältnisse  gestattete  Petrarca,  wenn 
er  anders  nicht  seine  ganze  Vergangenheit  und  sein  eigenes 
besseres  Selbst  verleugnen  wollte,  gar  keine  Wahl,  er  musste 
offen  auf  Rienzo's  Seite  treten,  er  musste  mit  den  Colonnesen 
brechen,  er  musste  dem  Vaterlande  das  Opfer  persönlicher 
Neigung  bringen.  Dass  ihm  dies  Opfer  nicht  leicht  geworden, 
sondern  schwere  Seelenkämpfe  gekostet  hat,  bezeugt  seine 
achte,  „Scheidung"  überschriebene  Ekloge,  mit  welcher  er 
unter  der  Hülle  der  Allegorie  von  Giovanni  Abschied  nahm 
und  die  Beweggründe  seines  Handelns  darlegte.  Der  Hirt 
Amyclas  sagt  —  das  ist  in  Kürze  der  Inhalt  der  ergreifenden 
Dichtung  —  seinem  Gefährten  Ganymedes,  nachdem  er  vier 
Lustren  in  traulichem  Verkehre  mit  ihm  gestanden,  Lebewohl, 
denn  der  fernere  Aufenthalt  auf  dem  bisherigen  Weideplatze 
ist  ihm  verleidet.  Vergebens  versucht  Ganymed,  den  Freund 
zum  Bleiben  zu  bewegen:  allzu  mächtig  ist  in  Amyclas  der 
Drang  zur  Freiheit  und  die  Liebe  zum  Vaterlande.  „Frei  möge 
wenigstens  mein  Alter  sein"  —  entgegnet  er  auf  Ganymedes" 
Bitten  — ,  „die  Knechtschaft  der  Jugend  ist  beendet,  das  in 
der   Sklaverei    verbrachte    Leben   beschliesse   wenigstens   ein 


Parma  und  Vaucluse.  233 

freier  Tod.  —  Die  mächtige  Liebe  zum  Vaterlande,  das  mich 
zurückruft,  erkenn*  ich,  es  blühen  dort  in  der  Heimath  lieb- 
licher die  Veilchen  im  thauigen  Grase  und  schöner  dort  glühen 
und  duften  im  Gebüsche  die  Rosen,  klarer  rieselt  dort  durch 
die  Gefilde  der  heimische  Bach,  und  süsser  selbst  ist  der  Duft 
des  ausonischen  Grases.  —  Lang  fesselte  mich  Widerstreben- 
den hier  die  verderbliche  Gewohnheit,  die  Liebe  zu  Dir  und 
meines  Mädchens  reizende  Gestalt,  aber,  wie  mit  der  Zeit  all- 
gemach Alles  sich  wandelt,  so  missfällt  nun  dem  Alter,  was 
der  Jugend  gefiel,  und  mit  dem  ergrauenden  Haare  wechseln 
die  Sorgen"  ^). 

Wer  erkennt  nicht,  dass  in  Aniyclas  der  Dichter  sich  selbst 
geschildert  und  seines  Herzens  Falten  bloss  gelegt  hat? 

Vaterlandsliebe  also  war  es  zumeist,  welche  Petrarca  an- 
trieb, von  Giovanni  und  Avignon-Vaucluse  zu  scheiden,  und 
nie  wol  hat  der  Dichter  sich  so  wahrhaft  gross  und  hochherzig 
gezeigt,  wie  damals,  als  er  um  des  Vaterlandes  willen  theuere 
Freundschaftsbande  löste  und  die  liebgewordene  Wohnstätte 
verliess,  um  abermals  den  Wanderstab  zu  ergreifen  und  einer 
ungewissen  Zukunft  entgegen  zu  gehen.  Es  war  das  eine 
Handlungsweise  von  wirklich  antiker  Grösse,  würdig  des  Mannes, 
der  zuerst  wieder  des  römischen  Alterthumes  Geist  ganz  und 
voll  erfasste.  Dass  neben  der  Vaterlandsliebe  noch  andere 
Beweggründe  auf  Petrarca's  EntSchliessung  einwirkten,  dass 
er  der  Abhängigkeit,  in  welcher  er  bisher  zu  dem  Cardinale 
Giovanni  gestanden,  nicht  ungern  sich  entzog,  dass  er  ebenso 
nicht  ungern  von  einem  Orte  schied,  an  welchem  er  immer 
und  immer  wieder  in  die  Fesseln  einer  seinem  Alter  nicht  mehr 
ziemenden  Neigung  zurückfiel,  das  wird  durch  die  angeführten 
Verse  der  Ekloge  selbst  bezeugt  und  ist  an  sich  auch  sehr 
begreiflich;  nicht  minder  würde  es  sich  als  sehr  menschlich 
begreifen  lassen,  wenn  der  Dichter  vielleicht  —  wofür  übrigens 
nicht  der  geringste  positive  Beweis  vorliegt  —  mit  der  Hoffnung 
sich  getragen  hätte,  in  Rom  neben  Rienzo  eine  politische  Rolle 


1)  Ecl.  VIII  V.  17  ff.,  V.  56—60  u.  v.  74—78. 


234  Fünftes  Capitel. 

spielen  und  als  Mitbegründer  der  römischen  Freiheit  sich  feiern 
lassen  zu  können.  Alle  derartige  Motive  aber,  falls  sie  wirk- 
lich vorhanden  waren,  können  nur  nebensächliche  gewesen 
sein,  das  wirklich  bestimmende  und  wesentliche  war  gewiss 
einzig  und  allein  die  Liebe  zum  Yaterlande. 

So  brach  denn  Petrarca  am  20.  November  1347  ^)  aber- 
mals nach  Italien  auf,  ohne  Zweifel  gewillt,  möglichst  rasch 
Rom  zu  erreichen.  Es  sollte  indessen  anders  kommen.  Noch 
im  Beginn  der  Reise  ereilten  ihn  Nachiichten  aus  Avignon, 
dass  es  übel  bestellt  sei  mit  des  römischen  Tribunen  Sache 
und  dass  dieser,  durch  Selbstüberschätzung  und  die  Einflüste- 
rungen übler  Rathgeber  verblendet,  raschen  Schrittes  seinem 
Falle  zueile  -).  Unter  solchen  Verhältnissen  mochte  Petrarca 
es  unräthlich  erscheinen,  sich  nach  Rom  zu  begeben  und  dort 
Zeuge  der  unabwendbaren  Katastrophe  zu  werden,  er  begnügte 
sich  daher  von  Genua  aus  einen  warnenden  Brief  an  Rienzo 
zu  richten  ^j  und  begab  sich,  offenbar  um  die  weitere  Entwicke- 
lung  der  Dinge  ruhig  abzuwarten  und  zugleich  um  das  ihm 
verliehene  Canonicat  in  Besitz  zu  nehmen,  nach  dem  ihm 
von  früher  her  so  wohl  bekannten  Parma. 

In  rein  äusserlichen  Beziehungen  hätte  der  Aufenthalt  in 
Parma  damals  für  den  Dichter  recht  angenehm  sein  können. 
Die  verworrenen  politischen  Verhältnisse,  durch  welche  er 
wenige  Jahre  zuvor  vertrieben  worden  war,  hatten  in  der 
Zwischenzeit  sich  geklärt  und  geordnet.  Luchino  Visconti  von 
Mailand  war  im  September  1346  durch  einen  Kaufvertrag  mit 
Obizzo  von  Este,  zu  welchem  auch  Azzo  von  Correggio  seine 
Zustimmung  gab,  in  den  unbestrittenen  Besitz  der  vielbegehrten 
Stadt  gelangt^)  und  hatte  ihr  die  lang  entbehrte  Ruhe  wieder- 
gegeben.   Ebensowenig   wie  Sorge  um  die  persönhche  Sicher- 


^)  Zeitbestimmung  nacli  Ep.  Farn.  VII  5  (22.  November):  Petrarca  sagt 
im  Eingange,  dass  er  seit  dem  Antritte  seiner  Reise  bereits  die  dritte 
Nacht  schlaflos  zubringe. 

■-)  Ep.  Fam.  VII  5. 

■■)  Ep.  Fam.  VII  7  (29.  November). 

*)  Tgl.  Joann.  de  Cornazanis,  Hist.  Parm.  b.  Mui'atori  XII  p.  745  f. 


Parma  und  Vaucluse.  235 

lieit  konnte  Sorge  um  die  materielle  Existenz  in  Parma  an 
Petrarca  herantreten :  es  schützten  ihn  dagegen  seine  geistlichen 
Pfründen,  deren  Ertrag  nach  den  Verhältnissen  der  damaligen 
Zeit  ein  leidlich  bedeutender  gewesen  sein  muss.  Der  Dichter 
befand  sich  sogar  in  der  glücklichen  Lage,  ein  eigenes  Häuschen 
sich  erbauen  lassen  zu  können  ^) ,  ein  Unternehmen ,  das  ihn 
lebhaft  beschäftigte  und  über  welches  er  nicht  verschmähte, 
in  einer  anmuthigen  poetischen  Epistel  an  Guglielmo  da  Pa- 
strengo  ausführlichen  Bericht  zu  erstatten  ^).  Als  Bauverständiger 
freilieh  hat  er  sich  hierbei  nicht  bewährt,  denn  die  Befürchtung, 
welche  er  hegte,  dass  die  Grundmauern  nicht  solid  genug  auf- 
geführt seien  und  dadurch  der  ganze  Bau  gefährdet  werde,  ist. 
durch  die  Folgezeit  durchaus  nicht  bestätigt  worden:  das 
Häuschen  steht  noch  heute  an  der  Ecke  des  Borgo  di  San 
Giovanni  und  des  vicolo  di  Sto  Stefano  und  verspricht,  noch 
manches  Jahrzehend  foi-tzubestehen.  Mit  dem  Hause  war  ein 
Garten  verbunden,  in  welchem  der  Dichter  selbst  feinere  Obst- 
sorten züchtete  und  besonders  gut  gerathene  Proben  seiner 
Kunst  dann  wol ,  zuweilen  von  zierlichen  lateinischen  Episteln 
begleitet,  an  den  Herrn  der  Stadt,  Luchino  Visconti,  zum  Ge- 
schenk einsandte  3). 

Aber  nicht  idyllische  Zeiten,  sondern  Jahre  banger  Er- 
regimg und  schweren  Leides  sollte  Petrarca  in  Parma  durch- 
leben. Zunächst  musste  die  Sorge  um  die  sich  immer  unheil- 
voller gestaltende  Entwickelung  der  Dinge  in  Rom  schwer  auf 
seinem  Herzen  lasten.  Mit  welchen  seltsam  gemischten  und 
bewegten  Gefühlen  wird  er  die  Kunde  von  dem  am  20.  Nov. 
1347  vor  den  Thoren  Pioms  stattgefundenen  gewaltigen  Kampfe 
und  von  der  furchtbaren  Niederlage  des  ihm  einst  so  eng  ver- 
bundenen Geschlechtes  der  Colonnesen  vernommen  haben !  und 
wie  mag  er  in  tiefster  Seele  erschüttert  worden  sein,  als  er 
hören  musste,   dass  der  Tribun  kläglich  gestürzt  und  das  ge- 


^)  Vielleicht  gehört  allerdings   dieser  Hausbau   schon  jeinem   früheren 
Jahre  (1345)  an,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I.  p.  528. 
-)  Ep.  poet.  lat.  II  19. 
••')  Ep.  poet.  lat.  II  12.  vgl.  Ep.  Fam.  VII  15. 


236  Fünftes  Capitel. 

liebte  Rom  nach  kurzer  Freiheitslust  abermals  der  Gewalt- 
herrschaft der  Barone  überliefert  worden  sei!  Wahrlich  mau 
begreift  es,  dass  er  nach  so  schmerzlichster  Enttäuschung,  nach 
dem  Niedersturze  seines  schönsten  Ideales  in  jene  lebensmüde 
Schwermuth  versank,  welcher  er  in  der  bereits  erwähnten 
Epistel  an  Guglielmo  da  Pastrengo  so  ergreifenden  Ausdruck 
verliehen  hat.  „Du  fragst,  was  ich  treibe"  —  schreibt  er  ihm 
—  „ich  leide  Mühsal  wie  das  ganze  Älenschengeschlecht.  Wo- 
rauf ich  sinne?  nach  Ruhe.  Welche  Hoffnung  ich  hege?  keine 
auf  Ruhe.  Wo  ich  umherwandle?  hierhin  und  dorthin.  Wo- 
hin ich  strebe?  auf  geradem  Pfade  eile  ich  rasch  dem  Tode  zu. 
Mit  welcher  Gesinnung?  Unerschrocken  und  sehr  bereit,  aus 
dem  schweren  Kerker  mich  erlösen  zu  lassen.  Wer  mich  be- 
gleitet? das  Menschengeschlecht.  Was  ist  das  Endziel?  das 
Grab,  Was  folgt  darnach?  der  Himmel  oder,  wenn  dort  der 
Eingang  verwehrt  ist,  der  Abgrund  der  Hölle,  doch  das,  flehe 
ich  Euch  an,  haltet  fern  von  mir,  Ihr  Himmlischen!  Wo  ich 
jetzt  mich  befinde?  In  Parma.  Wo  ich  den  Tag  über  mich 
aufhalte?  Im  Garten  oder  in  der  Kirche,  wenn  nicht  der 
Hain  mich  aus  der  Stadt  lockt.  Wie  meine  Lebensweise  ist? 
die  gewöhnliche  einfache,  obwol  das  Glück,  freigebiger  geworden, 
mir  beide  Hände  darreicht  und  zum  Genüsse  mich  einladet. 
Wie  mein  Antlitz  ausschaut?  Nicht  eben  heiter.  Womit  ich 
im  Geist  mich  beschäftige?  mit  der  Africa.  Wonach  ich  am 
eifrigsten  trachte?  nach  nichtigem  Ruhme,  denn  den  wahren 
erwirbt  die  Tugend  allein"  ^).  Zu  dieser  inneren  Beklemmung 
gesellte  sich  bald  auch  äussere  Bedräugniss  der  schlimmsten  Art. 
Die  schreckliche  Krankheit  des  Mittelalters,  die  Pest,  begann  im 
Frühjahr  1348  —  vermuthlich  durch  Kaufleute  aus  Indien  über 
Constantinopel  eingeschleppt  -)  —  ihren  grauenvollen  Umzug 
durch  die  Lande  Europa's  zu  halten  und  allül)erall,  namentlich 
aber  in  Italien  und  Frankreich,  unzählige  Tausende  und  Aber- 


1)  Ep.  poet.  lat.  II  19  v.  1—15. 

')  Das  ist  wenigstens  Petrarca's  in  der  neunten  Ekloge  ausgesprochene 
Meinung. 


Parma  und  Vaucluse.  237 

tausende  von  Menschen  dahinzuraffen.  Es  war  eine  ganz  ent- 
setzliche Zeit.  Das  Ende  aller  Dinge  schien  der  zagenden  und 
geängstigten  Menschheit  gekommen  zu  sein.  Alle  Schutzmittel 
gegen  die  furchtbare  Seuche  erwiesen  sich  als  vergeblich. 
Nichts  vermochte  ihr  Wüthen  zu  hemmen,  hiilflos  erlagen  ihr 
die  Menschen  und  starben  dahin,  bald  unter  langsamen  Qualen, 
bald  wenigstens  mit  einem  raschen  Tode  begnadet;  ganze 
Städte  wurden  entvölkert,  weite  blühende  Landschaften  ver- 
ödet, alle  Bande  der  bürgerlichen  Ordnung,  des  staatlichen 
Gemeinwesens  lösten  sich,  die  Sinneslust  und  das  Laster  feierten 
im  Angesicht  des  allgemeinen  Elends  und  des  unabwendbar 
scheinenden  Verderbens  verzweiflungsvolle  Orgien,  während 
fromme  Gemüther,  welche  sich  im  Glauben  an  das  göttliche 
Walten  nicht  beirren  liessen,  in  düsterer  Askese  und  grausamer 
Selbstpeinigung  Trost  und  Rettung  suchten  —  es  war  eine 
Zeit  der  Wirrniss  und  des  Schreckens,  wie  sie  in  solcher  Aus- 
dehnung die  Weltgeschichte  wol  weder  vorher  noch  nachher 
jemals  wieder  geschaut  hat.  Es  wäre  ein  vergebliches  Beginnen, 
ein  Bild  jener  entsetzlichen  Zeit  entw^erfen  zu  wollen,  denn 
selbst  die  lebendigste  Phantasie  vermöchte  die  Gesammtheit 
dessen,  was  damals  grausige  Wirklichkeit  war,  nicht  zu  er- 
fassen. Wem  aber  daran  gelegen  ist,  wenigstens  die  Umrisse 
des  Schreckensgemäldes  zu  schauen,  der  lese  die  von  Boccaccio's 
Meisterhand  im  Eingange  des  Decamerone  entworfene  Skizze. 
Dass  ein  jeder  Einzelne,  auch  wenn  er  glücklich  genug 
war,  von  der  Pest  gänzlich  verschont  zu  bleiben,  doch  von 
den  Ereignissen  der  furchtbaren  Zeit  auf's  Tiefste  berührt 
wurde,  ist  selbstverständlich.  Der  tägliche  Anblick  des  Todes, 
die  entsetzlichen  Lücken,  welche  die  Seuche  Tag  für  Tag  in 
die  Kreise  der  Befreundeten  und  Bekannten  riss,  die  bange 
und  fast  bis  zur  Gewissheit  gesteigerte  Erwartung,  dass  auch 
das  eigene  Leben  plötzlich  dem  Würgengel  verfallen  werde  — 
alles  dies  musste  einen  Jeden,  der  nicht  leichtsinnig  genug 
war,  das  Furchtbare  zu  vergessen,  den  gewohnten  Bahnen  des 
Lebens  und  Denkens  gewaltsam  entreissen  und  zur  ernsten 
Einkehr  in  sich  selbst  mahnen.     Auch  in  Petrarca  vollzog  sich 


238  Fünftes  Capitel. 

unter  dem  Eindrucke  dieser  Schreckensjahre  —  denn  Jahre 
hindurch  wüthete  die  Pest,  wenn  auch  mit  wechselnder  Inten- 
sität —  und  des  Hinsterbens  zahh'eicher  Freunde  eine  Sinnes- 
wandelung. Schon  früher  hatte  er  einer  schwermüthigen  Auf- 
fassung des  Lebens  sich  zugeneigt,  jetzt  nach  so  vielen  herben 
Erfahrungen  steigerte  sich  dieselbe  bis  zur  düstersten  Melancholie, 
welche  sich  in  seinen  Briefen  und  Dichtungen  oft  einen  schmerz- 
lich ergreifenden  Ausdruck  schatft,  wie  wenn  er  einmal  aus- 
ruft: „das  ganze  Leben  ist  ein  grosser  Schmerz  ^1"  Seine 
Lebensfreudigkeit  ward  gebrochen,  wenn  auch  nicht  vernichtet, 
mehr  und  mehr  wandten  sich  seine  Gedanken  dem  Ueberirdischen 
und  Jenseitigen  zu,  mehr  und  mehr  trat  er  auf  den  Boden 
streng  kirchlicher  Gläubigkeit  und  mehr  und  mehr  suchte  er 
mit  der  Leetüre  der  römischen  Classiker  diejenige  der  christ- 
lichen Kirchenväter  zu  vereinbaren.  Es  mischten  sich,  wie 
wir  oft  schon  hervorgehoben,  in  Petrarca's  Natur  seltsam  die 
mittelalterlichen  und  die  antik-modenien  Elemente,  aber  diese 
Mischung  war  keine  constante,  sondern  auf-  und  niederwogten 
unter  den  wechselnden  Einflüssen  der  äusseren  Lebensverhält- 
nisse bald  die  mittelalterlichen  bald  die  antik-modernen  An- 
schauungen und  Strebungen,  wie  dies  begreiflich  ist  bei  einem 
Manne,  welcher,  nach  seinem  eigenen  Ausdrucke  2)  auf  der 
Grenzscheide  zweier  Zeitalter  stehend,  den  Widerstr^t  beider 
in  seiner  Brust  auskämpfen  musste.  Lu  Allgemeinen  daif  man 
jedoch  sagen,  dass  vom  Jahre  1348  ab  in  Petrarca  je  älter  er 
wurde,  um  desto  mehr  die  mittelalterliche  Lebensanschauung 
die  Oberhand  gewann,  so  dass  der  Begründer  der  Renaissance- 
cultur  in  seiner  eigenen  Persönlichkeit  ein  merkwürdiges  Vor- 
bild für  die  Entwickelung  der  Pienaissance  überhaupt  darbietet, 
welche  ja  auch  in  der  Restauration  des  strengen  Kathohcismus 
und,  zum  Theil  wenigstens,  auch  in  der  Reformation  sich  zum 
Mittelalter  wieder  zurückwandte.  Nur  freilich  ist  Petrarca 
niemals  voll   und  ganz   in   das  Mittelalter  zurückgetreten,   er 


*)  „magnus  dolor  est  vivere"  Var.  25. 
■^)  Rer.  mem.  lib.  I  2,  7. 


Parma  und  Vaucluse.  230 

that  es  nur  mit  dem  Gemüthe  in  einer  Art  Gewissensangst, 
nicht  aber  mit  dem  Verstände,  niemals  ist  er  seinen  humanisti- 
schen Bestrebungen  untreu  geworden,  nie  hat  er  der  Begeiste- 
rung für  die  Antike  entsagt,  nie  seine  Liebe  zu  dem  Alterthume 
verleugnet,  nie  hat  er  verbrannt,  was  er  angebetet,  und  nie  au- 
gebetet, was  er  verbrannt  hatte,  sondern  bei  aller  kirchlichen 
Gläubigkeit  ist  er  nie  weiter  gegangen,  als  dass  er  nach  einer 
Vermittelung  und  Versöhnung  zwischen  Christenthum  und 
Antike  strebte  und  eine  solche  für  seine  Person  in  der,  sei  es 
thatsächlichen  sei  es  nur  scheinbaren,  Uebereinstimmung  der 
heidnischen  Philosophie  mit  der  christlichen  Ethik  auch  wirk- 
lich fand. 

Wenn  es  erklärlich  ist,  dass  das  Unheilsjahr  1348  auf 
Petrarca's  innere  Entwickelung  bestimmend  und  nachhaltig 
einwirkte,  so  ist  es  nicht  minder  begreiflich,  dass  auch  sein 
äusseres  Leben  von  den  Schreckensereignissen  nicht  unl)erührt 
blieb.  Wenn  er  auch  in  ruhigen  Zeiten  seinen  Aufenthaltsort 
häufig  zu  ändern  liebte,  so  steigerte  sich  jetzt,  wo  ihn  Furcht 
vor  Ansteckung  und  innere  Angst  quälen  und  jede  zusammen- 
hängende Arbeit  unmöglich  machen  mussten,  sein  Wandertrieb 
in  fieberhafter  Weise.  Unstät  zog  er  Jahre  lang  von  Ort  zu 
Ort  umher,  zu  Parma  immer  nur  einen  zeitweiligen  Aufenthalt 
nehmend,  nirgends  längere  Zeit  bleibend,  nirgends  sich  mit 
dem  Gedanken  einer  dauernden  Niederlassung  tragend.  Es 
waren  trübselige  Jahre,  werche  der  Dichter  von  Stadt  zu  Stadt 
umherwandelnd  und  immer  neue  Schreckenskunden  vernehmend 
verbrachte,  Jahre,  welche  seine  geistige  Spannkraft  hätten 
brechen  können,  wenn  diese  nicht  eine  ungewöhnlich  grosse 
und  ausdauernde  gewesen  wäre. 

Schwer  ist  es  trotz  des  reichlich  vorhandenen  Briefmateriales 
dem  Dichter  auf  seinen  unstäten  Wanderungen  zu  folgen,  doch 
dürfte  sich  Folgendes  als  ungefähr  sicher  ergeben  ')• 

Lu  Beginn  des  Jahres  1348  begab  sich  Petrarca  nach 
A^'erona,  wo  er  gewiss,  wie  früher,  bei  Guglielmo  da  Pastreugo 


')  vgl.  die  treffliche  Untersuchung  von  Fr.^.cassetti,  Lett.  fam.  II  p.  240  ff. 


240  Fünftes  Capitel. 

und  Azzo  di  Correggio  gastfreundliche  Aufnahme  fand.  Hier 
wurde  er  Zeuge  eines"  gewaltigen  Naturereignisses.  Ruhig  sass 
er  am  25.  Januar  im  Bibliothekszimmer,  als  plötzlich  der  Boden 
unter  seinen  Füssen  wankte  und  die  Bücher  von  den  Gestellen 
herabstürzten:  es  war  ein  furchtbares  Erdbeben,  welches  an 
diesem  Tage  Italien  und  einen  Theil  Deutschlands  verheerte  ^). 
Aber  noch  schwereres  Unheil  sollte  ihn  während  seines  Auf- 
enthaltes in  Verona,  wohin  er  nach  einer  im  ^lärz  an  die  Ufer 
des  Po  unternommenen  Reise -)  zurückgekehrt  war,  betreffen, 
obwol  er  die  Kunde  desselben  erst  später  erhielt:  es.  starb  am 
6.  April  in  Avignon  seine  geliebte  Laura.  „An  demselben 
Tage  des  Jahres  1348,  an  welchem  ich  sie  einundzwanzig 
Jahre  zuvor  in  der  St.  Clarakirche  zu  Avignon  erblickt  hatte"  — 
mit  diesen  Worten  berichtet  er  das  traurige  Ereigniss^)  — 
„wurde  das  Licht  meines  Lebens  dem  Lebenslichte  entrissen, 
als  ich  zufällig  und  ach  I  meines  Geschickes  unkundig  in  Verona 
weilte.  Die  unglückselige  Kunde  ereilte  mich  dann  durch  einen 
Brief  meines  Sokrates  in  demselben  Jahre  am  Morgen  des 
neunzehnten  Tages  des  Maimonates.  Die  irdische  Hülle  der 
so  keuschen  und  schönen  Frau  ward  noch  am  Abende  des 
Todestages  in  der  Minoritenkirche  beigesetzt.  Dass  ihre  Seele, 
wie  Seneca  von  der  des  Africanus  sagt,  in  den  Himmel,  von 
wo  sie  stammte,  zurückgekehrt  sei,  bin  ich  fest  überzeugt. 
Das  aber  glaubte  ich  gerade  an  dieser  Stelle,  die  mir  oft  vor 
Augen  kommt,  zur  traurigen  Erinnerung  in  schmerzlich  süsser 
Wehmuth  verzeichnen  zu  müssen,  damit  mir  fernerhin  Nichts 
mehr  im  Leben  gefalle  und  ich,  nachdem  das  stärkste  Band, 
welches  an  die  Welt  mich  knüpfte,  zerrissen  ist,  durch  den 
häufigen  Anblick  dieser  Zeilen  und  durch  die  Erwägung  der 
Hinfälligkeit  alles  Irdischen  daran  gemahnt  werde,  dass  es 
Zeit  sei,  aus  dem  Babylon  des  Weltlebens  zu  fliehen,  was  mir 
mit  Gottes  Gnade  leicht  werden   wird,   wenn  ich  eindringlich 


')  Ep.  Sen.  X  2. 

')  Ep.  Farn.  VII  10. 

"j  Note  im  Handexemplar  des  Virgil  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  242. 


Parma  und  Vaucluse  241 

und  männlich  bedenke,  wie  vergeblich  die  früheren  Sorgen, 
wie  nichtig  die  Hoffnungen  und  wie  unerwartet  der  Aus- 
gang sei." 

So  endete  des  Dichters  lang  fest  gehaltener  Liebestraum 
und,  wenn  irgend  etwas,  so  musste  dies  dazu  beitragen,  das  Jahr 
1348  zu  einem  Wendepunkte  für  sein  inneres  Leben  zu  machen. 
Die  Freundschaft  mit  den  Colonnesen,  die  Liebe  zu  Laura  — 
das  waren  die  beiden  Sterne  seiner  Jugend  gewesen ,  jetzt 
waren  sie  nun  beide  rasch  hinter  einander  erloschen,  verein- 
samt fand  er  sich  in  einer  düstein,  leidbedrängten  Welt  und 
von  der  Erde,  die  ihre  schönsten  Reize  für  ihn  verloren,  wandte 
er  mehr  und  mehr  den  Blick  zum  Himmel  empor. 

Unmittelbar  nach  dem  6.  April  muss  Petrarca  nach  Parma 
zurückgekehrt  sein,  aber  nicht  in  der  Stadt  selbst,  sondern 
vermuthlich  in  dem  Landhäuschen,  welches  er  in  der  nah  ge- 
legenen Ortschaft  Ciano  in  der  Ebene  von  Selvapiana  besass  ^), 
Wohnung  genommen  haben,  denn  am  10.  April  richtete  er  „aus  dem 
ruhigen  Thale  bei  Parma"  einen  Brief  an  den  ihm  befreundeten 
und,  wie  sich  mit  gutem  Grunde  vermuthen  lässt,  auch  ver- 
wandten Prior  des  St.  Marcusklosters  zu  Florenz,  Giovanni  von 
Incisa  -).  In  diesem^  Briefe  ^)  sprach  er  eine  frohe  Erwartung 
aus,  w^elcher  aber  bald  eine  um  so  schmerzlichere  Enttäuschung 
nachfolgen  sollte.  Zu  den  wenigen  Verwandten,  mit  denen 
Petrarca  vertraulichere  Beziehungen  unterhielt,  gehörte  in 
erster  Reihe  Francesco  degli  Albizzi  aus  Florenz,  ein  reich- 
begabter  junger  Mann,  der  mit  Erfolg  auch  nach  dem  Dichter- 
lorbeer strebte^).  Dieser  hatte  seinen  berühmten  Vetter  im 
Jahre  1345  in  Avignon  aufgesucht  und  ungefähr  zwei  Jahre 
sich  bei  ihm  aufgehalten,  dann  hatte  er  sich,  sei  es  von  Reise- 
lust oder  von  Wissensdrang  getrieben,  nach  Paris  begeben,  in- 


^)  vgl.  AUodi,  Serie  cronologica  de'  vescovi  di  Parma  I  p.  635  b.  Fra- 
cassetti,  Lett.  fam.  I  p.  528. 

^)  vgl.  über  ihn  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  463  f. 

')  Ep.  Fam.  Vn  11. 

*)  Petrarca  nennt  ihn  (Tiionfo  d'amore  III  v.  37)  neben  Sennuccio  del 
Bene,  vgl.  Tiraboschi,  V  p.  748  ff. 

Kör  ti  ng  ,  Petrarca.  16 


242  Fünftes  Capitel. 

dessen  bereits  im  Frühjahr  1348  sich  zur  Rückkehr  nacli 
Avignon  entschlossen.  Dort  angelangt  traf  er  Petrarca  nicht 
mehr  an  und  setzte,  um  ihn  zu  erreichen,  ohne  Zögern  die 
Reise  nach  Italien  fort,  den  Weg  über  Marseille  einschlagend, 
welche  Stadt  er  denn  auch  nach  mancherlei  Gefahren  und  Be- 
schwerden glücklich  erreichte.  Petrarca  von  der  bevorstehen- 
den Ankunft  seines  Verwandten  benachrichtigt,  sah  derselben 
mit  freudiger  Ungeduld  entgegen  und  erhoffte  stündlich  der 
frolien  Hoffnung  Verwirklichung,  hatte  er  ja  doch  den  talent- 
vollen Jüngling,  der  sich  ihm  mit  jugendlicher  Begeisterung 
angeschlossen  hatte,  innigst  lieb  gewonnen  und  durfte  von  dem 
erneuten  Verkehre  mit  ihm  genussreiche  Stunden  erwarten! 
Schon  glaubte  er,  als  er  am  10.  April  den  oben  erwähnten 
Brief  an  Giovanni  richtete,  dass  der  ersehnte  Tag  gekommen 
sei  oder  doch  nahe  bevorstehe,  schon  meinte  er  jedesmal,  wenn 
ein  Besucher  an  die  Thür  seines  Hauses  klopfte,  dass  der  liebe 
Gast  hereintreten  werde  ^)  — ,  als  ihm  plötzlich  die  Schreckens- 
kunde überbracht  wurde,  dass  Francesco,  sei  es  den  An- 
strengungen der  Reise,  sei  es  den  Einwirkungen  eines  unge- 
sunden Klimans  erliegend,  ganz  plötzlich  zu  Savona  gestorben 
sei  ^).  Des  schwer  heimgesuchten  Dichters  Schmerz  war  grenzen- 
los, musste  er  doch  in  dem  Verstorbenen  nicht  nur  einen  leib- 
lich ,  sondern  auch  einen  geistig  Verwandten ,  einen  trauten 
Freund  und  einen  zu  schönster  Hoffnung  berechtigenden  Ge- 
nossen seines  dichterischen  Strebens  betrauern.  Man  hat. 
seltsam  genug,  Petrarca  oft  als  einen  herzlosen,  einer  wahren 
Liebe  und  Freundschaft  unzugänglichen  Egoisten  darstellen 
wollen  -  man  lese  den  Brief,  in  welchem  er  Fi'ancesco's  Tod 
beklagt^),  und  urtheile  dann,  ob  der,  welcher  ihn  schrieb, 
wirklich  wahrer  und  tiefer  Empfindungen  unfähig  war! 

Ein  Unglück   kommt  selten  allein:  bald  sollte   Petrarca, 
wie  wir  bereits  sahen,  die  schmerzliche  Nachricht  von  Laura's 


')  Ep.  Fam.  VII  12. 
•-)  Ep.  Fam.  VII  18. 
'j  Ep   Fam.  VII  12. 


Parma  und  Vaucluse.  243 

Hinscheiden  erhalten,  bald  auch  abermals  eines  theueren Freundes 
jähen  Tod  betrauern  müssen,  — 

Nach  verschiedenen  kleinen  Reisen,  welche  er  an  mehrere 
Fürstenhöfe  Ober-  und  Mittelitaliens  —  nach  Ferrara  zu  den 
Estensen,  nach  Carpi  zu  Manfredi  Pio  und  nach  Padua  zu 
Jacopo  da  Carrara  —  unternommen  hatte  ^),  war  Petrarca  am 
5.  Mai  1349  nach  Parma  zurückgekehrt.  Er  musste  bedauern, 
nicht  früher  gekommen  zu  sein.  Zwei  seiner  Jugendfreunde, 
Mainardo  Accursio  und  Luca  Cristiano  ^) .  hatten  wenige  Tage 
zuvor,  auf  einer  Reise  von  Avignon  nach  Florenz  und  Rom 
begriffen ,  bei  ihm  vorgesprochen  und ,  nachdem  sie  einen  Tag 
lang  vergeblich  seine  Rückkunft  erwartet,  ihre  Reise  fortgesetzt. 
ihm  durch  zurückgelassene  Briefe  ihren  Besuch  auf  der  bald 
anzutretenden  Rückreise  versprechend.  Einer  von  ihnen  sollte 
nimmer  wiederkehren. 

Petrarca,  dem  abermaligen  Besuche  seiner  Freunde  mit 
Bestimmtheit  entgegensehend,  entwarf  in  der  Zwischenzeit  einen 
seltsamen,  für  seine  Denkweise  ungemein  charakteristischen 
Plan  für  sein  und  seiner  nächsten  Freunde  Zukunftsleben. 
Warum  —  so  dachte  er  —  sollten  sie,  Socrates,  Mainardo, 
Luca  und  vielleicht  noch  Andere,  die  sie  alle  mit  ihm  durch 
innige  Bande  einer  gegenseitigen,  auf  gleichen  Anschauungen, 
Erinnerungen  und  Bestrebungen  beruhenden  Neigung  so  eng  ver- 
bunden waren,  fernerhin  von  einander  und  von  ihm  getrennt 
leben?  warum  sollten  sie  nicht  die  etwa  noch  übrigen  Jahre 
des  schon  im  Niedergange  begriffenen  Lebens  in  traulichem 
Vereine,  in  andauerndem  geselligen  Verkehre,  in  gemeinsamen 
Studien  und  gemeinsamen  Andachtsübungen  verbringen  können  ? 
waren  sie  nicht  alle,  da  kein  Amt,  kein  Eheband  sie  fesselte, 
unabhängig  genug,  um  sich  die  Weise  ihres  Lebens  frei  wählen 
zu  dürfen  ?  Er  machte  also  in  mehreren  sehr  ausführlichen 
Briefen  an  Olimpio    seinen   Freunden   alles  Ernstes   den  Vor- 


^)  Ep.  Sen.  X  2.  Farn.  IX  1.  Das  Datum  der  Rückkehr  Petrarca's  er- 
gibt sich  aus  Ep.  Fam.  VIII  2,  womit  auch  App.  6  (b.  Fracassetti,  Lett. 
fam.  II  309)  übereinstimmt. 

-)  vgl.  S.  72  f. 

16* 


244  Fünftes  Capitel. 

schlag,  sie  möchten  sich  mit  ihm  zu  einem  gemeinsamen  Leben  in 
einer  beliebigen  Stadt  des  oberen  oder  mittleren  Italiens,  deren 
Wahl  er  ihnen  überlasse,  vereinigen;  finanzielle  Bedenken  — 
fügte  er  hinzu,  um  auch  die  praktische  Seite  der  Sache  nicht 
unerörtert  zu  lassen,  —  könnten  der  Ausführung  des  Planes 
nicht  ernstlich  im  Wege  stehen,  denn,  wenn  sie  ihre  Vermögens- 
bestände und  Einkünfte  zusammenlegten,  so  würde  dies  eine 
hinlängliche  Summe  ergeben,  um  die  Kosten  eines  gemeinsamen 
und,  wenn  'Tnch  einfachen,  so  doch  anständigen  und  behaglichen 
Haushaltes  zu  bestreiten. 

Man  sieht,  dieser  originelle  Plan  läuft  auf  nichts  Anderes 
hinaus,  als  auf  die  Gründung  eines  humanistischen  Klosters 
und  zeigt  recht  deutlich,  wie  sehr  in  gewissen  Beziehungen 
Petrarca  noch  in  den  Anschauungen  des  Mittelalters  befangen 
war.  In  der  individualen  Isolirtheic,  in  der  unbeschränkten 
persönlichen  Freiheit,  welche  die  modernen  Menschen  für 
keinen  Preis  entbehren  möchten,  befindet  er  sich,  wenigstens 
zu  Zeiten,  nicht  wohl,  es  verlangt  ihn  nach  Anschluss  an  eine 
corporative  Gemeinschaft  und  nach  jener  Beruhigung,  welche 
das  Bewusstsein  gewährt,  das  Glied  eines  grösseren  Ganzen 
zu  sein.  Dem  Vater  der  Pienaissance  wollte  eben  im  privaten 
Leben  die  Luft  der  neuen  Zeit  noch  nicht  recht  behagen,  er 
fühlte  sich  wohler  und  heimischer  in  der  mittelalterlichen 
Klosterzellenatmosphäre  und  würde,  wenn  er  nur  seinem  Ge- 
fühle gehorcht  hätte,  gewiss  dem  Beispiele  seines  Bruders 
Gherardo  gefolgt  sein.  Auch  das  ist  an  dem  erwähnten  Plane 
als  beachtenswerth  hervorzuheben,  dass  er  von  jeder  Wirksam- 
keit nach  aussen  hin  gänzlich  absieht.  Die  Mitglieder  des 
projectirten  Bundes  sollen  eben  nur  für  sich,  für  ihre  eigene 
Weiterbildung,  Erbauung  und  Unterhaltung  leben,  nicht  etwa 
durch  Unterricht  und  litterarische  Thätigkeit  befruchtend  und 
anregend  für  die  Menschheit  wirken.  In  dieser  auffallenden 
Lücke  des  Planes  offenbart  sich  gleichzeitig  die  mittelalter- 
liche Scheu  vor  der  Oeifentlichkeit  wie  der  herzlose  Egoismus 
der  Renaissancecultur.  Es  war  gewiss  für  Petrarca  selbst  und 
seinen  Nachruhm  ein  grosses  Glück,  dass  der  Plan  scheiterte, 


I 


Parma  und  Vaucluse.  245 

denn,  wenn  irgend  etwas,  so  würde  das  Gelingen  desselben 
geeignet  gewesen  sein,  ihn  seiner  humanistischen  Culturmission 
zu  entfremden:  aus  dem  Humanisten  wäre  in  einem  Conven- 
tikel  ohne  Zweifel  mehr  und  mehr  ein  betender  Mönch  ge- 
worden, das  Brevier  hätte  gesiegt  über  Cicero  und  Virgil. 

Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  Petrarca  erfasste  den 
merkwürdigen  Gedanken  mit  grossem  Eifer  und  legte  ihn  in 
mehreren  sehr  ausführlichen  Briefen^)  an  Mainardo  und  Luca 
dar.  Am  19.  Mai  hatte  er  diese  Schreiben  beendet  und,  da 
ihm  augenblicklich  eine  andere  Gelegenheit  der  Beförderung 
mangelte,  beauftragte  er  seinen  Koch  Gebelino,  sie  an  die 
Adressaten  nach  Florenz  zu  überbringen.  Der  improvisirte 
Briefbote  kehrte  aber  bereits  am  26.  Mai  mit  der  schrecklichen 
Nachricht  zurück,  dass  die  Freunde  in  den  Schluchten  der 
Apenninen  von  einer  Räuberbande  überfallen  worden  seien, 
welche  Mainardo  seiner  Baarschaft  von  2000  Goldgulden  be- 
raubt und  dann  ermordet  habe,  während  Luca,  Dank  der 
Schnelligkeit  seines  Rosses,  zwar  entflohen,  aber  auch  seitdem 
verschollen  sei  ^).  Wie  erschütternd  musste  für  Petrarca  diese 
Kunde  sein,  welche  ihm  so  unbarmherzig  einen  liebgewonnenen 
Zukunftstraum  zerstörte !  wie  schmerzlich  musste  es  ihn  er- 
greifen, seinen  geliebten  Mainardo,  den  trauten  Genossen  aus 
den  schönen  Tagen  von  Bologna,  so  wider  alles  Erwarten 
durch  Mörderhand  verloren  zu  haben!  Aber  auch  in  anderer 
Beziehung  beklagte  er  bitter  das  unglückselige  Ereigniss.  Als 
italienischer  Patriot  empfand  er  lebhaft  das  Schmachvolle  der 
Zustände  seines  Vaterlandes,  welche  harmlosen  Reisenden  nicht 
einmal  die  Sicherheit  der  Strassen  zu  verbürgen  vermochten, 
und  in  einer  flammenden  Zuschrift  an  die  Florentiner  forderte 
er  mit  hinreissender  Beredtsamkeit  sie  auf,  durch  strenge  Be- 
strafung der  auf  ihrem  Gebiete  begangenen  TJnthat  den  ihrem 


1)  Ep.  Fam.  VIII  4  u.  5.    App.  6. 

-)  Luca  rettete  sich  und  Petrarca  hat  nachmals  noch  wiederholte  Briefe 
an  ihn  gerichtet,  ihm  auch  ein  Canonicat  zu  Modena  abgetreten,  vgl.  Ep. 
Fam.  XIV  4. 


246  Fünftes  Capitel. 

Gemeinwesen  angetlianen  Schimpf  zu  rächen  und  fortan  dafür 
zu  sorgen,  dass  gleiche  Frevel  nicht  wieder  verübt  werden 
könnten,  in  sehr  geschickter  Weise  dabei  hervorhebend,  wie 
sehr  Florenz  auch  materiell  benachtheiligt  werden  müsste, 
wenn  in  dem  bevorstehenden  Jubeljahre  die  Pilgerzüge  aus 
Furcht  vor  räuberischen  Anfällen  das  Weichbild  ihrer  Stadt 
umgehen  würden  ^). 

Francesco  und  jVIainardo  waren  nicht  die  einzigen  Freunde, 
deren  Hinscheiden  Petrarca  in  den  Schreckensjahren  1348  und 
1349  zu  betrauern  hatte.  Sie  waren  vielmehr,  durch  ungewöhn- 
liche Zufälle  vom  Tode  betroffen,  nur  gleichsam  ein  ausser- 
ordentlicher Tribut,  den  Petrarca  an  das  Geschick  zu  zahlen 
hatte,  eine  weit  grössere  Zahl  der  Freunde  ward  von  der  all- 
gemeinen Würgerin,  der  Pest,  dahingerafft.  Es  starb  unter 
Anderen  Roberto  de'  Bardi  in  Paris ,  von  dem  einst  Petrarca 
zur  Dichterkrönung  berufen  worden  war;  es  starb  in  Florenz 
der  Dichter  Sennuccio  del  Bene,  mit  welchem  Petrarca  so 
manches  Sonett  gewechselt  hatte,  es  starb  in  Parma  selbst 
der  Herr  der  Stadt,  Luchino  Visconti,  Petrarca's  fürstlichei" 
Gönner,  am  25.  Januar  1349 -);  es  starb  auch  am  Morgen  des 
23.  Mai  1349,  nachdem  er  noch  den  Abend  vorher  gesund 
und  heiter  in  Petrarca's  Gesellschaft  verbracht  hatte,  Paganino 
Bessozzi,  der  Podestä  der  Visconti  in  Parma,  mit  welchem 
Petrarca  innig  befreundet  gewesen  war. 

Auch  der  Cardinal  Giovanni  Colonna  war  im  Sommer  1348 
der  Pest  zu  Avignon  erlegen,  und  gewiss  hat  sein  Tod  Petrarca 
schmerzlich  beriihrt ,  wenn  auch  freilich  nicht  in  der  Weise, 
wie  man  es  nach  den  langjährigen  und  so  innigen  Beziehungen, 
welche  zwischen  beiden  bestanden  hatten,  hätte  erwarten 
dürfen.  Es  war  eben ,  wie  weiter  oben  dargelegt  worden  ist, 
in  Folge  der  grundverschiedenen  politischen  Anschauungen 
eine    durch     Nichts    zu    überbrückende    Kluft    zwischen    den 


1)  Ep.  Var.  53. 

*)  Joann.  de  Cornazanis   a.  a.  0.  p.  747   und  Note  im  Handexemplar 
des  Yirgil  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  243. 


Parma  und  Vaiicluse.  247 

einstigen  Freunden  entstanden.  Petrarca  ward,  wenn  er  die 
Gebote  des  einfachsten  gesellschaftlichen  Anstandes  nicht  ver- 
letzen wollte,  durch  Giovanni's  Tod  in  die  peinliche  Lage  ver- 
setzt, an  den  greisen  Stefano  Colonna,  der  nun  wirklich,  wie 
er  einst  schmerzlich  geahnt  hatte,  alle  seine  Söhne  vor  sich 
hatte  sterben  sehen,  ein  theilnehmendes  Schreiben  richten  zu 
müssen.  Wie  schwer  mag  es  ihm  angekommen  sein,  jetzt  an  den 
einst  so  hoch  verehrten  Mann  zu  schreiben,  von  dem  er  vor- 
aussetzen musste,  dass  er  ihn  als  einen  Undankbaren  betrachte 
und  ihm  ob  der  Betheiligung  an  Rienzo's  Unternehmen  schwer 
grolle !  So  ist  es  denn  begreiflich,  dass  der  Dichter  sich  mög- 
lichst lange  der  drückenden  Pflicht  zu  entziehen  strebte 
und  erst  am  8.  September  1349  der  Abfassung  des  nicht  zu 
umgehenden  Briefes  sich  unterzog.  Es  war  ein  entsetzlicher 
Trostbrief,  den  er  schrieb  0-  Grausam  zergliederte  er  den 
ganzen  Jammer,  der  den  alten  Colonna  betroffen,  in  allen  seinen 
Einzelheiten  und  richtete  unter  Beibringung  nichtssagender 
philosophischer  Gemeinplätze  die  Mahnung  an  ihn,  das  Ge- 
schehene zu  vergessen  und  gutes  Muthes  zu  sein.  Wenn 
irgend  einer,  so  ist  dieser  Brief  herzlos  im  vollsten  Sinne  des 
Wortes  und  macht  seinem  Verfasser  wenig  Ehre.  Er  liefert 
ein  trauriges  Zeugniss  dafür,  wie  politische  Leidenschaft  und 
eine  veränderte  Anschauung  auch  in  gemüthvoll  angelegten 
Naturen  eine  anscheinend  über  alle  Anfechtungen  erhabene 
Freundsehaftsneigung  zu  entwurzeln  und  Lieblosigkeit  zu  er- 
zeugen vermögen. 

Falsch  aber  wäre  es,  aus  diesem  Briefe,  der  eben  unter 
dem  Drucke  ganz  eigenthümlicher  äusserer  Verhältnisse  ge- 
schrieben ward,  einen  allgemeinen  Schluss  auf  Petrarca's 
Charakter  ziehen  und  ihn  der  Herzlosigkeit  bezüchtigen  zu 
wollen.  Gegenbeweise  würden,  wie  wir  schon  einmal  bemerkten, 
in  Fülle  beigebracht  werden  können.  Man  lese  z.  B.,  um  sich 
davon   zu    überzeugen,    einmal    den   Brief    an  Sokrates  vom 


1}  Ep.  Fam.  VIII  1. 


248  Fünftes  Capitel. 

22.  Juni  13491),  in  welchem  der  Dichter  mit  wahrhaft  vom 
Herzen  kommender  Wehmuth  und  in  ergreifender  Sprache  das 
Hinsterben  so  vieler  Freunde  und  das  Wüthen  der  furchtbaren 
Pest  betrauert.  Und  dass  er  auch  selbst  in  dem  Verhältnisse 
zu  den  Colonnesen  nicht  immer  die  alte  Freundschaft  zu  unter- 
drückenvermochte, bezeugt  der,  vermuthlich  im  Beginne  des  Jahres 
1348,  aus  Anlass  der  furchtbaren,  für  die  römischen  Barone  so  un- 
heilvollen Schlacht  vom  20.  November  1347  an  den  Cardinal 
Giovanni  gerichtete  Trostbrief  2).  Freilich  erhält  man  auch 
hier  die  Empfindung,  dass  der  Schreiber  sein  eigentliches 
Thema  nur  mit  Widerwillen  behandelt  und  eben  nur,  weil  der 
Anstand  es  so  erfordert,  banale  Trostgründe  an  einander  reiht, 
aber  wie  ein  Sonnenblick  bricht  doch  aus  dem  Nebel  der  ob- 
ligaten Phrasen  das  herzliche  Eingeständniss  hervor:  „Ich 
werde  immer  bekennen,  dass  ich  Dir  Alles  verdanke,  meine 
geistige  Begabung  sowol  als  auch  den  Leib,  den  mein  Geist 
als  Herberge  bewohnt,  und  was  ich  etwa  an  irdischen  Gütern 
besitze.  Der  Aufenthalt  in  Deinem  Hause  ist  für  meinen  Geist 
nicht  minder  vortheilhaft  gewesen,  als  für  meinen  Leib  uud 
für  mein  Vermögen". 

Was  sollte  Petrarca,  nachdem  er  in  Parma  so  vieles 
Schmerzliche  hatte  erleben  und  so  erschütternde  Trauerkunden 
hatte  vernehmen  müssen,  noch  ferner  daselbst  verweilen?  So 
begab  er  sich  denn  aus  der  für  ihn  verödeten  Stadt  und  aus  dem 
Hause,  das  ihm  die  Stätte  so  herber  Enttäuschungen  geworden 
war,  aufs  Neue  auf  die  Wanderung  und  durchirrte  abermals 
die  Städte  Oberitaliens,  bald  bei  den  Gonzaga  in  Mantua  ver- 
weilend und  von  dort  aus  Virgils  Geburtsstätte  besuchend  ^), 
bald  in  Verona  mit  Guglielmo  di  Pastrengo  die  alte  Freund- 
schaft erneuernd,  bald  und  zumeist  endlich  in  Padua  sich 
aufhaltend. 

In  letz;J;erer  Stadt  herrschte  seit  1345  Jacopo  II.  von  Carrara, 


^;i  Ep.  Farn.  YIII  7. 
"-}  Ep.  Fam.  VII  13. 
3)  Ep.  Farn.  XXIV  11. 


Parma  und  Vaucluse.  249 

in  dessen  Persönlichkeit  sich  uns  wieder,  wie  schon  früher  in 
Azzo  di  Correggio,  ein  Prototyp  der  Tyrannen  der  späteren 
Renaissancezeit  darstellt.  Durch  einen  Mord  war  er  zur 
Herrschaft  gelangt  —  er  hatte  seinen  erbberechtigten  Vetter 
Marsilio,  den  Naclifolger  des  wollüstigen,  aber  staatsklugen 
Ubertino,  getödtet  ^)  —  und  durch  einen  Mord  sollte  er  sie  wieder 
Yerlieren,  die  Gebote  der  Moral  kannte  er  nicht,  wenn  es 
den  Besitz  oder  die  Behauptung  der  Macht  galt,  aber  bei  aller 
Immoralität  war  er  ein  staatskluger  Fürst,  der  das  materielle 
Wohl  seines  kleinen  Reiches  verständig  und  thätig  förderte, 
und  nicht  minder  ein  begeisterter  Verehrer  der  Wissenschaften. 
Bald  nach  seinem  Regierungsantritte  hatte  er  mit  Petrarca, 
den  er  bis  dahin  nur  einmal  flüchtig  gesehen,  Beziehungen 
anzuknüpfen  gesucht  2)  und  als  derselbe,  vermuthlich  dringen- 
der Einladung  Folge  leistend,  im  Ausgange  des  Jahres  1348 
zu  längerem  Aufenthalte  nach  Padua  gekommen  war,  hatte  er 
ihm,  um  ihn  dauernd  an  sich  zu  fesseln,  am  Sonnabende  nach 
dem  Osterfeste  1349  3)  ein  Canonicat  verliehen.  Es  war  da- 
durch Padua  dem  Dichter  eine  neue  Heimath  geworden  und 
wir  werden  sehen,  wie  er  später  sich  dauernd  dort  niederliess, 
zumal  da  ihm  Giacomo's  Sohn  und  Nachfolger  Francesco  die 
gleiche  Verehrung  zollte,  wie  der  Vater.  Staunen  mögen  wir 
billig  vom  Standpunkte  unserer  heutigen  Anschauungsweise 
aus,  dass  Petrarca,  der  in  seinen  Schriften  einer  fast  über- 
trieben strengen  Sittlichkeit  huldigte  und  auch  in  seinem 
Leben  stets  den  Geboten  der  Ehrenhaftigkeit  treu  blieb,  einem 
Fürsten,  der  mit  dem  Verbrechen  des  Mordes  sich  befleckt 
hatte,  seine  Freundschaft  schenkte,  Wohlthaten  von  ihm  an- 
nahm und  mit  Lobsprüchen  ihn  überhäufte,  die,  weil  zum 
Theil  erst  dem  Todten  gespendet,  offenbar  mehr,  als  conven- 
tioneile Phrasen  sind  ^ ).  Indessen  die  Menschen  der  Renais- 
sance  —    wir    haben    dies   bereits    einmal    ausführlicher    er- 


1)  Cortus.  Patav.  bist.  IX  1  b.  Muratori  XII  p.  915. 

2)  Ep.  Sen.  X  2. 
')  App.  6. 

*)  App.  6.    Ep.  Sen.  X  2.    Ep.  Farn.  XI  3.  Epist.  ad  Post. 


250  Fünftes  Capitel. 

örtert^)  —  maassen  sich  einander  nicht  mit  dem  ethischen, 
sondern  mit  dem  ästhetischen  Maassstabe,  sie  urtheilten  nicht 
nach  den  Motiven  und  Vollzugsweisen,  sondern  lediglich  nach 
den  Erfolgen  der  Handlungen,  ihren  Beifall  erwarb  ein  Jeder, 
der,  gleichgültig  mit  welchen  Mitteln,  etwas  vollbrachte,  was 
gross  und  gew^altig  erschien,  was  die  Phantasie  durch  das  Un- 
gewöhnliche seiner  Erscheinung  bestach,  was  endlich  nur 
irgendwie  mit  einer  Art  idealen  Schimmers  umgeben  war. 

Wie  lange  Petrarca  seinen  im  Jahre  1349  begonnenen 
Aufenthalt  in  Padua  ausdehnte,  entzieht  sich  der  genaueren 
Bestimmung ,  doch  ist  so  viel  gewiss,  dass  er  ihn  nicht  vor 
dem  beginnenden  Frühjahre  1350  abgebrochen  haben  kann, 
denn  am  15.  Februar  1350  —  dem  Tage,  an  welchem  der 
Cardinallegat  Guido  von  Boulogne  die  feierliche  Translation 
der  Gebeine  des  heiligen  Antonius  von  Padua  vollzog  — 
datirte  er  von  dort  aus  noch  einen  Brief  2)  an  den  päpstlichen 
Caplan  Philipp  von  Vitry,  dem  späteren  Bischof  von  Meaux^). 
Seltsam  genug  war  des  Briefes  Inhalt.  Der  französische 
Priester  hatte  gelegentlich  den  Cardinal  beklagt,  dass  er  fern 
vom  schönen  Frankreich  und  von  den  Genüssen  Avignons  das 
reizlose  und  rohe  Italien  durchreisen  müsse.  Petrarca  fühlte 
sich  durch  solches  thörichtes  Bedauern  in  seinem  Patriotis- 
mus verletzt  und  glaubte  sich  verpflichtet,  die  absurde  Ver- 
unglimpfung seines  schönen  Vaterlandes  abzuwehren  und  den 
Ankläger  durch  eine  lange  Epistel  seines  sträflichen  Irrthums 
zu  übelführen. 

So  war  das  Jahr  1350  herangekommen,  ein  Jahr  des 
Segens  im  Vergleich  mit  den  vorangegangenen  Jahren  des 
Unheils.  Die  Pest  war,  wenn  auch  noch  nicht  erloschen,  so 
doch  dem  zeitweiligen  Erlöschen  nahe,  und  die  geängsteten 
Völker  durften  den  Versuch  wagen,  in  die  gewohnten  Gleise 
des  Lebens  zurückzukehren.  Es  schien  die  Gottheit  selbst 
nach  langem   Zürnen    mit   der  Menschheit  sich  versöhnen  zu 


1)  s.  S.  190  ff. 

2)  Ep.  Fam.  IX  13. 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  430. 


Parma  und  Vaucluse.  251 

wollen.  lu  Rom  ward  das  grosse  Jubelfest  gefeiert,  welches 
jedem  Gläubigen,  der  dem  Apostelgrabe  nahte,  vollkommene 
Vergebung  der  Sünden  verhiess.  In  ungezählten  Schaaren 
wallfahrteten  die  der  Pest  Entronnenen  aus  allen  Landen  nach 
Rom,  denn  es  ist  ja  eine  vielfach  durch  die  Erfahrung  be- 
stätigte Thatsache,  dass  nach  Zeiten  schwerer  Trübsal  der 
religiöse  Drang  in  der  Menschenbrust  am  lebhaftesten  sieh 
geltend  macht,  dass  dann  die  Glaubensinnigkeit  und  der  Eifer, 
den  kirchlichen  Pflichten  Genüge  zu  thun,  weit  grösser  sind,  als 
in  den  Jahren  des  Glücks.  Es  lehrt  eben,'  wie  das  alte 
Spruch  wort  sagt,  Noth  beten.  Hatte  vor  den  Jahren  der 
Pest  vielfach  ein  gewisser  religiöser  Indifferentismus  geherrscht, 
so  war  dieser  jetzt  nach  der  schweren  Leidenszeit  in  das 
Gegen theil  umgeschlagen,  und  schwerlich  ist  die  Menschheit 
des  Abendlandes  jemals  aufrichtig  gläubiger  gewesen,  als  da- 
mals. In  den  germanischen  Ländern,  wo  ja  zu  allen  Zeiten 
das  religiösere  Gefühl  ein  lebendigeres  und  tieferes  gewesen 
ist  als  bei  den  Romanen,  steigerte  die  neu  erwachte  Glaubens- 
innigkeit sich  bis  zu  einem  mystischen  Fanatismus.  Es  bil- 
deten sich  dort  zahlreiche  Genossenschaften,  welche  durch  die 
grausame  Selbstpeinigung  der  Geisselung  ihr  Seelenheil  zu 
erringen  vermeinten,  das  Christenthum  auf  diese  Weise  zu 
dem  indischen  Büsserthume  erniedrigend.  Milder  w^aren  die 
Aeusserungen  der  neubelebten  Kirchlichkeit  in  den  romanischen 
Ländern  und  insbesondere  in  Italien,  wo  die  schon  einflussreich 
gewordene  humanistische  Geistesströnmng  und  eine  gewisse 
Neigung  zur  Skepsis  im  Nationalcharakter  das  Erwachen  des 
Fanatismus  unmöglich  machten.  Hier  begnügte  man  sich  mit 
der  Wallfahrt  und  mit  der  Erfüllung  der  sonstigen  kirchlichen 
Formen.  Die  Strassen  Roms  füllten  sich  mit  Pilgern,  deren 
Zahl  zeitweise  weit  eine  Million  überstiegen  haben  soll.  Das 
Gedränge  an  den  heiligen  Stätten  war  so  gross,  dass  wieder- 
holt Menschen  erstickt  wurden  und  das  Fortkommen  auf  den 
Strassen  fast  unmöghch  gemacht  wurde'). 

^)  vgl.  Christophe,  Geschichte  des  Papstthums,  übersetzt  von  Ritter.    11 
p.  154  f. 


252  Fünftes  Capitel. 

Auch  Petrarca  ward  von  der  allgemeinen  religiösen  Be- 
geisterung und  dem  Wallfahrtsdrange  ergriffen.  Nachdem  er 
Padua  verlassen  und  vorübergehend  in  Mantua  sich  aufgehalten 
hatte  1) ,  vielleicht  auch  zu  kurzem  Verweilen  nach  Panna 
zurückgekehrt  war^),  trat  er  im  Herbst  die  Pilgerreise  nach 
Rom  an.  Mit  beweglichen  Worten  hatte  er  in  einer  poetischen 
Epistel  Guglielmo  di  Pastrengo  aufgefordert  ihn  zu  begleiten  ^), 
dieser  aber  war,  durch  Familienbande  gefesselt,  ruhig  in 
Verona  verblieben. 

Petrarca  nahm  seinen  Weg  über  Florenz,  wo  er  veraiuth- 
lich  in  den  ersten  Tagen  des  Octobers^)  bei  schon  winterlich  ge- 
wordener Witterung  im  Zwielichte  des  hereinbrechenden  Abends 
anlangte  ^).  Mit  welchen  Gefühlen  musste  er  die  vorher  noch 
nie  gesehene  Stadt  betreten,  welche  die  Heimath  seiner 
Aeltern  gewesen  war  und  im  noimalen  Laufe  der  Dinge  auch 
seine  eigene  Vaterstadt  geworden  sein  würde !  Der  Vater  war 
schimpflich  aus  Florenz  vertrieben  und  nie  war  die  Rückkehr 
ihm  gestattet  worden,  jetzt  zog  der  Sohn  ein,  von  den  er- 
lesensten Bürgern  der  Stadt  jubelnd  begrüsst  als  ein  Fürst 
im  Reiche  des  Geistes!  Nach  dem  Buchstaben  des  Gesetzes 
wäre  Petrarca,  dem  Sohne  des  Geächteten  und  Verbannten, 
der  Eintritt  in  Florenz  verboten  gewesen,  aber  Niemand  dachte 
daran,  gegen  den  gefeierten  Dichter  ein  veraltetes  Recht 
geltend  zu  machen:  unbehindert  durfte  er  jetzt  wie  auf  der 
Rückreise  in  der  Stadt  verweilen,  und  bald  sollte  ihm  selbst 
die  ehrende  Genugthuung  einer  formellen  Rückberufung  zu 
Theil  werden. 

Der  erste,  von  welchem  Petrarca  in  Florenz  begi-üsst  und 
gastlich  aufgenommen  ward,  war  der  Mann,  welchen  das  Ur- 


^)  Ep.  Farn.  IX  10,  datirt  aus  Suzara  b.  Mautua  vom  28.  Juni  1350. 

2)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  527.  Hinfällig  freilich  wird  die  An- 
nahme, wenn,  wie  Fracassetti  selbst  als  wahrscheinlich  hinstellt,  Petrai'ca 
das  Archidiaconat  bereits  1348  und  nicht  erst  1350  verliehen  erhielt. 

^)  Ep.  poet.  lat.  III  34. 

*)  Das  Datum  ergibt  sich  ungefähr  aus  einer  Angabe  in  Ep.  Fam,  XI  1. 

■■^j  Ep.  Fam.  XXI  15. 


I 


Parma  und  Vaucluse.  253 

theil  der  Nachwelt  mit  Dante  und  Petrarca  selbst  auf  die 
Höhen  des  italienischen  Parnasses  gestellt  hat,  es  war  kein 
geringerer  als  Giovanni  Boccaccio,  der  Begründer  der  italie- 
nischen Prosa.  Nicht  hier  scheint  uns  der  Ort  zu  sein,  ein- 
gehender über  die  Beziehungen  zu  sprechen,  welche  zwischen 
den  beiden  Dichterheroen  obwalteten;  wir  glauben,  dass  dies 
besser  demjenigen  Orte  vorbehalten  bleibe,  an  welchem  wir 
im  weiteren  Verlaufe  unseres  Werkes  Boccaccio's  Leben  und 
Entwickelungsgang  darzulegen  gedenken,  denn,  wie  wir  meinen 
und  wie  dies  schon  aus  den  Altersverhältnissen  der  beiden 
Männer  1)  sich  erklärt,  hat  nicht  Boccaccio  auf  Petrarca,  wol 
aber  dieser  auf  jenen  einen  bestimmenden  Einfluss  ausgeübt. 
Es  mögen  daher  hier  nur  die  nöthigsten  Bemerkungen  Platz 
finden. 

Petrarca  und  Boccaccio  sahen  sich,  wie  wenigstens  der 
erstere  versichert  %  im  October  1350  zum  ersten  Male,  doch 
ist  dies  vielleicht  dahin  einzuschränken,  dass  sie  sich  damals 
zum  ersten  Male  persönlich  näher  kennen  lernten  und  zum 
ersten  Male  Freundschaftsversicherungen  von  ]\Iund  zu  Mund 
austauschten ,  denn  der  Umstand ,  dass  Boccaccio  in  seiner 
kurzen  Vita  Petrarca's,  welche  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
vor  dem  Jahre '1350  geschrieben  ist  3),  das  leibliche  Aussehen 
desselben  eingehend  schildert,  beweist  doch  wol,  dass  er  ihn 
bereits  vor  1350,  wenn  auch  nur  flüchtig  und  von  ferne,  ge- 
sehen hatte,  vermuthlich  im  Jahre  1341  zu  Neapel*).  Als 
ganz  unzweifelhaft  aber  darf  angenommen  werden,  dass  die 
beiden  Männer  bereits  lange  Jahre  vor  Petrarca's  Besuch  in 
Florenz  sich  gegenseitig  aus  ihren  Dichtungen  und  sonstigen 
Schriften  lieben  und  achten  gelernt  hatten,  denn  wie  hätte 
dem  wol  anders  sein  können?  So  waren  sie,  als  sie  in  Florenz 
zusammentrafen,  einander  längst  geistig  vertraut  und  ihrer 
inneren  Zusammengehörigkeit  sich  bewusst  geworden,  und  auf 


^)  Boccaccio  war  neun  Jahre  jünger  als  Petrarca,  vgl.  Ep.  Seu.  VIII  1. 

2)  Ep,  Fam.  XXI  1-5  (vgl.  Landau,  a.  a.  0.  p.   113  ff.). 

^)  vgl.  S.  38. 

*)  vgl.  Ptossetti,  Giulio  Celso,  Petrarca  e  Boccaccio  p.  351. 


254  Fünftes  Capitel. 

dieser  Grundlage  entwickelte  sich  nun  zwischen  ihnen  nach 
der  vollzogenen  näheren  persönlichen  Bekanntschaft  die  herz- 
lichste und  innigste  Freundschaft,  als  deren  Zeugniss  wir  noch 
zahlreiche  und  inhaltsvolle  Briefe  besitzen ').  Mit  keinem 
Anderen  hat  Petrarca  in  einem  so  innigen  und,  um  diesen 
Ausdruck  zu  brauchen,  so  menschlichen  Freundschaftsverhält- 
nisse gestanden  wie  mit  Boccaccio.  Wohl  waren  auch  Sokrates 
und  Laelius  seine  vertrauten  Freunde  und  die  Ausdrücke, 
mit  denen  er  sie  seiner  Neigung  versichert,  lassen  an  Ueber- 
schwänglichkeit  Nichts  zu  wünschen  übrig;  aber  trotz  alledem 
war  doch,  wenn  nicht  Alles  trügt,  seine  Freundschaft  zu  ihnen 
zum  guten  Theile  nur  ein  Product  seiner  eigenen  Phantasie; 
in  jugendlicher  Liebesbedürftigkeit,  im  Drange,  ideale  Freund- 
schaftsbündnisse nach  antikem  Vorbilde  anzuknüpfen,  hatte  er 
sich  ihnen  angeschlossen  und  ideale  Eigenschaften  ihnen  an- 
gedichtet, die  sie  in  Wirklichkeit  nicht  besassen;  er  hatte 
diese  nach  Allem,  was  wir  von  ihnen  wissen,  schlichten  und 
ihm  nicht  entfernt  geistig  ebenbürtigen  Männer  in  seiner 
Schwärmerei  auf  ein  ideales  Piedestal  erhoben  und  einen 
Freundschaftstempel  ihnen  errichtet,  dessen  Götterbilder  seine 
eigenen  Geschöpfe  waren.  Ideal  angelegte  Naturen  haben 
eben  das  Bedürfniss,  einen  Seelenbund  mit  ihnen  gleichgesinnten 
Menschen  zu  schliessen  und ,  wenn  sie  solche  in  der  Wirklich- 
keit nicht  finden,  erheben  sie  in  beglückender  Selbsttäuschung 
ihrer  Phantasie  diejenigen  zu  Idealen,  mit  denen  die  Fügung 
des  Zufalls  sie  in  nähere  äussere  Verbindung  setzt.  Gewiss 
hat  Petrarca  in  späteren  Jahren,  als  der  jugendliche  Idealismus 
zum  Theile  einer  realistischen  Auffassung  der  Dinge  gewichen 
war,  es  selbst  empfunden,  dass  der  vergötterte  Sokrates  und 
Laelius  keineswegs  die  idealen  Menschen  seien,  als  welche 
seine  Phantasie  sie  ihm  einst  dargestellt  hatte ,  nun  aber 
machte  die  Gewohnheit  ihre  Rechte  geltend  und  der  Umstand, 


^)  Briefe   Petrarca's   an   Boccaccio:   Ep.    Fam.   XI    1.  2.   6.  XII    10. 

XVIII  3.  4.  15     XXI  15.  XXII  2.    XXIII  19.     Sen.  I  5.     II  1.  lU   1.  2. 

5.  (i.    Y.  1.  2.  3.     VI  1.  2.     VIII  1.  8.    XV  8.     XVII  1.  I.  3.  4.  Var.  25. 
Ep.  poet.  lat.  III  17. 


Parma  und  Vaucluse.  255 

dass  er  meist  in  weiter  Ferne  von  den  Freunden  leiste,  ermög- 
lichte um  so  leichter  den  ungestörten  Fortbestand  eines  im 
innersten  Grunde  unwahren  Verhältnisses.  Es  blieben  ihm 
Sokrates  und  Laelius  liebe  und  vertraute  Jugendgenossen  und 
ganz  besonders  hochwillkommene  Adressaten  für  seine  lang- 
athmigen  moralphilosophischen  Episteln.  Man  möchte  Sokrates 
und  Laelius  die  stummen  Personen  in  Petrarca's  Freundschafts- 
leben nennen,  sie  haben  —  soweit  man  zu  urtheilen  vermag  — 
immer  nur  von  ihm  empfangen,  niemals  aber  ihm  ihrerseits 
etwas  gegeben ,  das  für  seine  Entwickelung  werthvoll  und  be- 
deutend geworden  w^äre.  Es  sind  uns  ihre  Briefe  an  Petrarca 
nicht  erhalten,  schwerlich  aber  ist  in  litteraturgeschichtlicher 
Hinsicht  ihr  Verlust  zu  beklagen  —  so  schmerzlich  er  auch  für 
die  äussere  Biographie  sein  mag  — ,  denn  allem  Vermuthen 
nach  ward  ihr  Hauptinhalt  von  Mittheilungen  der  trivialsten 
Art ,  zum  guten  Theile  von  avignonesischem ,  bezugsweise 
römischem  Stadtklatsche,  gebildet.  Wenn  es  unbestreitbar 
ist  -  -  und  wer  möchte  das  leugnen '?  — ,  dass  eine  wahre  und 
fruchtbringende  Freundschaft  nur  möglich  ist  zwischen  Men- 
schen, welche  auf  einem  ungefähr  gleichen  Niveau  der  geistigen 
Entwickelung  stehen,  so  w^ar  eine  solche  zwischen  Sokrates 
oder  Laelius  und  Petrarca  allerdings  nicht  möglich,  im  vollsten 
Maasse  dagegen  zwischen  dem  letzteren  und  Boccaccio. 

In  Boccaccio  fand  Petrarca  eine  der  seinigen  in  jeder 
Beziehung  ebenbürtige  und  in  vieler  Hinsicht  geistig  ver- 
wandte Natur  und  ein  mit  dem  seinigen  vielfach  überein- 
stimmendes Streben,  und,  da  Boccaccio  zugleich  bescheiden 
und  geschmeidig  genug  war,  um  sich  dem  älteren  Dichter  be- 
reitwillig unterzuordnen  und  ihn  als  den  weit  Ueberlegenen 
anzuerkennen,  so  waren  alle  Vorbedingungen  für  eine  heil- 
bringende Entwickelung  und  unzerstörbare  Dauer  ihrer 
Freundschaft  gegeben.  •  Es  hat  die  italienische  Litteratur  iu 
ihrer  doch  so  reichen  und  ruhmvollen  Geschichte  kein  schöneres 
Blatt  aufzuweisen,  als  dasjenige,  auf  welchem  die  Freundschaft 
zwischen  dem  Sänger  des  Canzoniere  und  dem  Dichter  des 
Decamerone  verzeichnet  steht.     Nur  einmal  hat  in  der  Folge 


256  Fünftes  Capitel. 

zeit  das  erhebende  Schauspiel  eines  so  innigen  Herzensbünd- 
nisses zwischen  zwei  einander  ebenbürtigen  Geistesheroen  sich 
erneut:  es  war,  als  in  Jena  1794  Goethe  und  Schiller  ihren 
Freundschaftsbund  schlössen.  Beklagen  kann  man  nur,  dass 
Petrarca  und  Boccaccio  nicht  schon  früher,  in  der  Periode 
jugendlich  reger  Empfänglichkeit ,  in  nähere  Verbindung  mit 
einander  getreten  sind:  sie  würden  sich  gegenseitig  auf  das 
Segensreichste  beeinflusst  und  auf  das  Trefflichste  ergänzt,  viel- 
leicht selbst  auch  zu  einem  gemeinsamen  Schaffen  im  eigent- 
lichen Sinne  des  "Wortes  vereinigt  haben.  Das  Schicksal  hat 
es  anders  gefügt  und  dieser  Fügung  ist  es  zum  guten  Theile 
zuzuschreiben,  dass  nach  der  beiden  Dichterfürsten  Tode  die 
italienische  Poesie  sich  nicht  stetig  weiter  entwickelte,  sondern 
ein  Jahrhundert  lang  selbst  in  der  Gefahr  schwebte,  von  dem 
überwuchernden  Humanismus  erstickt  zu  werden :  sie  entbehrte 
eben  einer  einheitlichen  Grundlage,  welche  breit  genug  ge- 
wesen wäre,  einen  normal  aufgeführten  Bau  zu  tragen  und 
gegen  feindliche  Strömungen  auszudauern.  Ungleich  unheil- 
voller noch  würde  aber  ohne  Zweifel  ihr  Geschick  gewesen 
sein ,  wenn  Petrarca  und  Boccaccio  nicht  wenigstens  einige 
Jahrzehende  hindurch  treu  und  gesinnungsinnig  zusammen- 
gestanden und  zusammengestrebt  hätten.  Man  stelle  sich 
einmal  vor,  welch'  tödtlicher  Zwiespalt  in  die  junge  Litteratur 
hineingetragen  worden  wäre ,  wenn  die  beiden  Dichter  etwa 
von  Neid  und  Eifersucht  erfüllt  sich  und  ihr  Schaffen  gegen- 
seitig verlästert  und  verketzert  hätten!  Ein  verächtliches 
Urtheil  Petrarca's  über  Boccaccio"s  Styl  hätte  wahrscheinlich 
die  italienische  Prosa  in  ihrer  Wiege  ermordet,  und  ebenso 
wahrscheinlich  eine  satyrische  Bemerkung  Boccaccio's  über 
Petrarca's  Reime  die  italienische  Lyrik  nach  kaum  entfalteter 
Blüthe  ertödtet.  da  hierdurch  den  einseitigen  Humanisten  der 
späteren  Zeit  willkommene  Handhaben  geboten  worden  wären, 
ihre  Verachtung  der  poetischen  Production  in  der  Vulgär- 
sprache auf  unanfechtbare  Autoritäten  zu  stützen,  und  in  noch 
höherem  Grade,  als  ohnehin  geschah,  alle  besseren  Köpfe  von 
ihr  als  von  einer  unwürdigen  Beschäftigung  abzuwenden. 


Parma  und  Vaucluse.  257 

Wie  wir  bereits  oben  bemerkten ,  vemiochte  Boccaccio 
allerdings  einen  bestimmenden  Einfluss  auf  Petrarca's  innere 
Entwickelung ,  welche  überhaupt  mit  dem  Jahre  1348  als  im 
Wesentlichen  abgeschlossen  betrachtet  werden  kann,  nicht 
mehr  auszuüben,  aber,  irren  wir  uns  nicht,  so  ge- 
bührt ihm  das  Verdienst,  durch  das  lebhafte  und  sachver- 
ständige Interesse,  welches  er  an  Petrarca's  humanistischen 
Bestrebungen  nahm,  dazu  beigetragen  zu  haben,  dass  Petrarca 
denselben  beständig  treu  blieb  und  sich  nicht,  wie  er  sonst 
wol  bei  vorgerückterem  Alter  gethan  haben  würde,  rückhalts- 
los der  kirchlichen  Gläubigkeit  in  die  Aime  warf. 

Boccaccio  that  für  Petrarca,  was  nur  irgend  ein  Freund 
für  den  andern  thun  kann.  Er  unternahm  wiederholt  —  wir 
werden  darauf  noch  ausführlicher  zurückkommen  müssen  — 
weite  Reisen,  um  ihn  zu  besuchen,  und  verweilte  verschiedene 
Male  längere  Zeit  bei  ihm,  er  vertheidigte  ihrr  öffentlich  durch 
eine  Apologie  gegen  boshafte  Angriffe  ^),  er  erfreute  ihn  durch 
werthvolle  litterarische  Geschenke,  einmal  ihm  einige  Schriften 
des  Cicero  und  Varro  ^) ,  ein  anderes  Mal  ein  Werk  des 
heiligen  Augustin  ^),  einmal  endlich  auch  ein  Exemplar  von 
Dante's  „göttlicher  Komödie"  übersendend*).  Den  grössten 
und  schönsten  Dienst  aber  erwies  er  dem  Freunde  gewiss 
durch  seine  erfolgreichen  Bemühungen  um  das  Zustandekommen 
einer  lateinischen  Uebersetzung  des  Homer  ^). 

Petrarca  seinerseits  benutzte  nicht  minder  jede  sich  dar- 
bietende Gelegenheit,  um  Boccaccio  seine  freundschaftliche 
Gesinnung  zu  bethätigen.  Er  ermuthigte  ihn,  als  ihn  Zweifel 
an  dem  eigenen  Dichterwerthe  bestürmten  %  er  tröstete  ihn, 
als    die   Prophezeihung   eines   seltsamen   Fanatikers    ihn    ge- 


0  Ep.  Sen.  XIV  (b.  Fracassetti  XV)  8. 
'^)  Ep.  Farn.  XVIII  4. 
3)  Ep.  Fam.  XVIII  3. 

*)  Beccadello  in  Tomasini's   Petrarca   rediv.  p.  232,   vgl.  Fracassettfs 
Note  zu  Ep.  Fam.  XXI  15. 

s)  vgl.  Fracassetti's  Note  zu  Ep.  Fam.  XVIII  2. 
«)  Ep.  Fam.  XVIII  15. 

Körting,  Petrarca.  17 


258  Fünftes  Gapitel. 

schreckt  hatte  ^) ,  und  er  erfreute  ihn  durch  die  Uebersetzung. 
der  Griselda-Novelle  des  Decamerone  in  das  Lateinische  -). 

So  gewährt  uns  die  Geschichte  der  mehrere  Jahrzehende 
hindurch  währenden  Beziehungen  zwischen  Petrarca  und 
Boccaccio  das  wohlthuende  Bild  einer  innigen,  durch  keine 
kleinliche  Rivalität  getrübten  Freundschaft  zweier  hochbegabter 
geistesverwandter  Männer. 

Glücklich  fürwahr  ist  Italiens  Volk  zu  preisen,  welches 
an  den  Eingangspforten  und  zugleich  auf  den  Höhen  seiner 
Litteratur  ein  solches  edles  Dioskurenpaar  besitzt! 

Wir  aber  wenden  uns  nun  den  übrigen  Freunden  zu, 
welche  Petrarca  bei.  seinem  ersten  Besuche  in  Florenz  sich, 
wenn  nicht  gewann,  so  doch  fester  verband. 

An  erster  Stelle  ist  da  Zanobi  da  Strada  zu  nennen^). 
Als  Sohn  eines  Grammatikers  und  Schullehrers  wurde  er  im 
Jahre  1312  zu  Strada,  einem  Flecken  sechs  Miglien  von 
Florenz,  geboren.  Durch  Vermögenslosigkeit  gedrängt  über- 
nahm er  im  Jahre  1332  nach  des  Vaters  Tode  die  von  diesem 
geleitete  Schule.  Zwanzig  Jahre  lang  blieb  er  dem  beschei- 
denen Lehranite  treu,  bis  ihn  endlich  im  Jahre  1352  plötzlich 
Petrarca's  Wohlwollen  aus  der  niederen,  seiner  hohen  Be- 
gabung unwürdigen  Stellung  erlöste,  indem  er  auf  des  ein- 
fiussreichen  Freundes  Verwendung  von  dem  Grossseneschall 
Acciaiuoli  als  königlicher  Secretär  an  den  neapolitanischen 
Hof  berufen  ward  ^).  Und  noch  weit  grössere  Ehre  sollte  ihm 
zu  Theil  werden,  eine  Ehre,  deren  sich  seit  dem  8.  April 
1341  bis  zum  Ablauf  des  Jahrhunderts  ausser  ihm  nur  noch 
Petrarca  selbst  rühmen  durfte.  Als  er  im  Jahre  1355  in 
Acciaiuoli's  Begleitung  aus  Anlass  einer  diplomatischen  Mission 


1)  Ep.  Sen.  I  .5. 

'^)  b.  Fracassetti,  Ep.  Sen.  XVII  3. 

")  vgl.  über  ihn  Tiraboschi.  a.  a.  0.  p.  804—812.  Mehus,  a.  a.  0. 
p.  189—192.  Petrarca's  Briefe  an  ihn:  Ep.  Farn.  XH  3.  15.  16.  18.  XV  3. 
XVI  9.  10.  XIX  2.  XXU  6.  Sen.  VI  6  (vielleicht  auch  7  u.  8).  Var.  2. 
Ep.  poet.  lat.  III  8.  9. 

*)  Ep.  Fani.  XII  2.  3.  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  III  p.  127, 


Parma  und  Vaucluse.  259 

nach  Pisa  gekommen  war,  verlieh  ihm  der  damals  dort  weilende 
Kaiser  Karl  IV.  in  feierlicher  Weise  die  Dichterkrone  ^).  Der 
beredteste  Beweis,  dass  er  solcher  Auszeichnung  nicht  unwürdig 
war,  ist  wol  darin  enthalten,  dass  der  sonst  auf  seinen  Lorbeer 
eifersüchtige  Petrarca  dem  neugekrönten  Dichter  die  Freund- 
schaft bewahrte,  wenn  er  auch  eine  gelegentliche  Aeusserung 
des  Verdrusses,  dass  ein  Deutscher  sich  zum,  Richter  über 
italienischen  Geist  aufgeworfen  habe,  nicht  zu  unterdrücken 
vermochte  ^j.  Die  Dichterkrone  war  aber  noch  nicht  die  letzte 
Gabe,  welche  das  Glück,  frühere  Vernachlässigung  reich  er- 
setzend, dem  einstigen  Schullehrer  spendete.  Als  im  Jahre 
1359  das  päpstliche  Secretariat  erledigt  war,  ward  dies  ehren- 
volle und  einfiussreiche,  überdies  auch  höchst  einträgliche 
Amt,  nachdem  Petrarca  es  ausgeschlagen  und  den  Freund 
dafür  in  Vorschlag  gebracht  hatte,  Zanobi  übertragen,  welcher 
es  denn  auch  bis  zu  seinem  schon  im  Jahre  1361  erfolgten 
Tode  bekleidete. 

Es  ist  zu  beklagen,  dass  uns  die  lateinischen  Dichtungen 
Zanobi's  —  und  nur  solche  scheint  er  verfasst  zu  haben  —  bis  auf' 
ein  kärgliches  Bruchstück  von  fünf  Versen  ^)  verloren  gegangen 
sind,  und  dass  wir  in  Folge  dessen  über  den  Werth  derselben  ein 
Urtheil  zu  fällen  nicht  vermögen.  Man  wird  indessen  schwerlich 
fehl  gehen,  wenn  man  ihn  als  einen  Vorläufer  jener  späteren 
Humanisten  betrachtet,  welche  formengewandte  und  anmuthige 
lateinische  Verse  ohne  jeden  tieferen  und  oiiginalen  Gedanken- 
inhalt producirten,  oder  vielmehr  auf  Grund  einer  liebevoll 
und  intensiv  betriebenen  Leetüre  der  classisch  lateinischen 
Dichter  reproducirten.  Jedenfalls  war  Zanobi  nur  ein  Talent 
und  kein  Genie  und  stand,  vielleicht  sich  selbst  unbewusst, 
im  engsten  Abhängigkeitsverhältnisse  zu  Petrarca,  mit  welchem 
er  sogar,  angeblich  freilich  unwissentlich,  in  einem  Epos  über 
Scipio  Africanus  den  Jüngeren  zu  wetteifern  wagte.  — 


1)  Chron.  Pis.  b.  Muratori  XV  p.  1031. 

^)  Invect.  in  med.  praef. 

^)  mitgetheilt  von  Mehus  1.  1.  p.  190. 

17' 


260  Fünftes  Capitel. 

Inniger  noch  als  mit  Zanobi  befreundete  Petrarca  sich 
mit  Francesco  Nelli,  einem  Florentiner,  dem  angesehenen  Hause 
der  Rinucci  angehörig  und  im  Jahre  1350  das  Amt  eines 
Priors  an  der  Apostelkirche  bekleidend.  An  ihn  hat  Petrarca 
nicht  nur  eine  grosse  Anzahl  von  Briefen  gerichtet^),  sondern 
auch  ihm,  den  er  seinen  „Simonides"  nannte  2),  die  Sammlung 
der  „Altersbriefe"  zugeeignet.  Auch  sein  äusseres  Glück  hatte 
Nelli,  wie  Zanobi,  dem  berühmten  Freunde  zu  danken:  er 
wurde  auf  dessen  Empfehlung  im  Jahre  1359  von  Acciaiuoli 
als  Zanobi's  Nachfolger  nach  Neapel  berufen  und,  wäre  es 
nach  Petrarca's  Wunsch  gegangen ,  so  würde  er  auch  im 
päpstlichen  Secretariate  Zanobi  nachgefolgt  sein  ^).  Das  Lebens- 
ziel war  ihm  kurz  gesteckt;  bereits  im  Jahre  1363  raifte  ihn 
zu  Neapel  die  damals  von  Neuem  in  Italien  wüthende  Pest 
hinweg,  sein  Tod  aber  ward  von  Petrarca  mit  den  Worten 
des  innigsten  Schmerzes  betrauert"^). 

Petrarca's  Verhältniss  zu  Nelli  scheint  demjenigen  zu 
Sokrates  und  Laelius  sehr  ähnlich  gewesen  zu  sein.  Eine 
wirkliche,  auf  geistige  Ebenbürtigkeit  begründete  Freundschaft 
ist  es  kaum  gewesen,  denn,  so  weit  es  sich  erkennen  lässt,  besass 
NelH  keine  hervorragende  geistige  Begabung  und  keine  Origi- 
nalität des  Denkens.  Er  hat  sich  allerdings  als  Dichter  und 
Schriftsteller  versucht,  und  seine  hinterlassenen  Schriften  hat 
Petrarca  selbst  zu  sammeln  sich  bemüht,  indessen  berechtigt 
uns  Nichts  zu  der  Annahme,  dass  seine  (jetzt  mit  einer  gleich 
zu  erwähnenden  Ausnahme  spurlos  verlorenen)  Weirke  irgend 
welchen  bedeutenden  Gedankeninhalt  besessen  hätten,  ja  es 
scheint  ihnen   selbst  die  Eleganz  der  Form  gefehlt  zu  haben. 


1)  Ep.  Farn.  XII  4.  5.  9.  12.  13.  XIII  5.  0.  8.  XV  2.  XVI  11.  12. 
13.  14.  XVIII  7.  8.  9.  10.  11.  XIX  6.  7.  13  14.  15.  XX  6.  7.  XXI  12. 
13.  14.  XXII  10.  Sen.  I  1.  2.  3.  Var.  29.  44.  56.  Ep.  poet.  lat.  III 
22.  23.  33. 

'^)  Erklärung  dieses  Namens  Ep.  Sen.  I  1  „optimo  iure  tu  mihi  Simo- 
nides, et  sacerdos  et  vates  et  utrumque  pariter  sacer  vates",  cf.  Ep.  Fam. 
XXIII  18. 

•■')  Ep.  Sen.  I  2. 

*)  Ep.  Sen.  III  1, 


Parma  und  Vaucluse.  261 

denn  seine  Briefe  an  Petrarca,  von  denen  eine  beträchtliche 
Anzahl  in  einer  Pariser  Handschrift  sich  erhalten  hat,  zeigen 
eine  rohe  und  überladene  lateinische  Diction  ^),  und  dass  er 
auch  über  grammatische  Schnitzer  nicht  erhaben  war,  wird 
uns  von  Petrarca  selbst  bezeugt^).  Es  war  also  Nelli  für 
Petrarca  vennuthlich  nur  das,  was  wir  einen  Brieffreund 
nennen  möchten,  ein  bequemer  Adressat  und  unterhaltender 
Correspondent.  Für  Menschen,  welche,  wie  Petrarca  es  war, 
von  einem  unwiderstehlichen  Drange  nach  Mittheilung  erfüllt 
sind  und  welche  ihre  höchste  Befriedigung  in  der  schriftlichen 
Fixirung  auch  ihrer  nur  augenblicklichen  Gedankenströmungen 
finden,  ist  das  Briefschreiben  geradezu  ein  Bedürfniss  und,  da 
es  nun  nicht  Jedermanns  Sache  ist,  unausgesetzte,  von  persön- 
lichen Beziehungen  fast  gänzlich  entblösste  Briefe  an  sich 
richten  zu  lassen,  so  wählen  sie  zu  ihren  Adressaten  mit  in- 
stinctiver  Vorliebe  passive  Naturen,  welche  gutmüthig  genug 
sind,  um  nicht  einzusehen,  wie  ihr  schreibeifriger  Freund  sich 
ihrer  als  eines  Abzugscanais  für  seinen  Mittheilungsdrang  bedient, 
und  welche  vielleicht  gar  noch  die  ungeheuere  Naivetät  besitzen, 
um  auf  Briefe,  welche  der  Verfasser  im  Grunde  gar  nicht  an 
sie,  sondern  an  sich  selbst  geschrieben  hatte,  ausführlich  zu 
antworten  und  dadurch  der  Correspondenz  eine  ihrem  Urheber 
sehr  willkommene  Abwechselung  zu  verleihen.  Ein  solcher 
Adressenfreund  war  Nelli,  wenn  wir  uns  nicht  ganz  täuschen, 
für  Petrarca,  und  man  darf  sich  durch  die  überschwänglichen 
Freundschaftsversicherungen  des  letzteren  nicht  beirren  lassen 
und  nicht  vergessen,  dass  die  zärtliche  Phrase  am  leichtesten 
im  Briefwechsel  eine  behagliche  Stätte  findet.  Wir  bestreiten 
hiermit  keineswegs,   dass   Petrarca  für  Nelli,   zumal   da  ihm 


^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  HI  p.  140.  Wenn  übrigens  Fracassetti 
im  „Indice"  der  Lett.  fam.  V  p.  512  angibt,  Petrarca  habe  Nelli  das  Lob, 
„elegante  nello  scrivere"  zu  sein,  ertheilt,  und  dabei  Ep.  Fam.  XX  7  citirt, 
so  beruht  dies  offenbar  auf  einem  leicht  verzeihlichen  Missverständuisse 
der  ersten  Worte  dieses  Briefes. 

■^)  Ep.  Fam.  XVI  14.  Nelli  hatte  das  Perfect  „perflui"  für  „perfluxi" 
gebildet. 


262  Fünftes  Capitel. 

dieser  sicherlich  den  Zoll  der  Bewunderung  und  Verehrung^ 
reichhch  darbrachte,  in  der  That  aufrichtige  und  innige  Ge- 
fühle der  Freundschaft  gehegt  hat,  sondern  wir  leugnen  nur, 
dass,  wie  man  dem  Anscheine  nach  zu  glauben  geneigt  sein 
könnte,  zwischen  beiden  Männern  ein  wirkliches  Seelenbündniss 
bestand. 

Ein  weit  bedeutenderer  Mann,  als  Zanobi  und  Nelli,  wenn 
auch  in  nicht  so  vertraulichen  Beziehungen  wie  diese  zu 
Petrarca  stehend,  war  der  berühmte  florentinische  Rechtslehrer 
Lapo  da  Castiglionchio^l  Wir  werden  das  wechselvolle  Leben 
und  das  folgenreiche  Wirken  dieses  merkwürdigen  Mannes, 
welcher  eine  der  interessantesten  Erscheinungen  in  der  Litterar- 
geschichte  der  Frührenaissance  darstellt,  an  einer  andern  Stelle 
unseres  Werkes  ausführlich  erzählen  müssen  und  dürfen  jetzt 
um  so  eher  auf  alle  Angaben  darüber  verzichten,  als  Lapo  in 
ein  näheres  Verhältniss  zu  dem  ihm  an  Jahren  muthmasslich 
weit  überlegenen  Petrarca  nicht  getreten  ist,  wie  denn  auch 
nur  wenige  Briefe  Petrarca's  an  ihn  vorhanden  sind  2).  Es 
lässt  sich  denken,  dass  Lapo  eine  zu  eigenartige  und  in  sich 
zu  abgeschlossene  Natur  war,  als  dass  er  sich  trotz  aller  seiner 
Begeisterung  für  den  Humanismus  zu  einer  einige  Selbst- 
verleugnung erfordernden  Brieffreundschaft  mit  Petrarca  hätte 
bequemen  mögen ,  und  dieser  hinwiederum  konnte  wol  eine 
gewisse  Antipathie  gegen  den  Juristen  und  seine  unerbittliche 
Logik  nie  ganz  überwinden.  Dies  hinderte  indessen  nicht,  dass 
das  äusserliche  Einvernehmen  zwischen  beiden  Männern  das 
beste  war  und  dass  sie  die  Schätze  ihrer  Bibliotheken  leih- 
oder  schenkweise  gegenseitig  austauschten.  So  verheb  Lapo 
an  Petrarca  die  Handschiiften  mehrerer  ciceronianischen  Reden 
(pro  Milone,  pro  Plancio  und  die  Philippicae)  ^j,  und  schenkte 
ihm  einen,  allerdings  unvollständigen,  Codex  der  Institutionen 

1)  vgl.  über  ihn:  Mehus,  Epistola  di  L.  da  C.  colla  vita  del  medesimo. 
Bologna  1753,  u.  Vita  Ambr.  p.  241,  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  503-510. 
Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  247  ff. 

*)  Ep.  Fam.  VII   16.    XII  8.    XVIII  12.    Var.  45. 

")  Ep.  Fam.  VII  16.    Var.  45. 


Parma  und  Vaucluse.  263 

des  Quintilian ') ,  Petrarca  aber  übersandte  ihm  die  Kede 
Cicero's  für  den  Dichter  Archias,  welche  er  einst  selbst  auf 
seiner  Jugendreise  in  Deutschland  aufgefunden  hatte.  —  — 
Einen  Freund  aber  traf  Petrarca  in  Florenz  nicht  mehr  an. 
Es  war  das  der  junge  Bruno  di  Casino,  der  einst  Petrarca  mit 
einer  poetischen  Epistel  nach  Florenz  eingeladen  hatte  und 
von  ihm  mit  einer  poetischen  Antwort,  später  auch  noch  mit 
einem  Briefe  in  Prosa  belohnt  worden  war  2).  Es  sollte  dem 
hochbegabten  Jüngling  nicht  beschieden  sein,  die  Verwirklichung 
seines  Wunsches  zu  erleben  und  den  verehrten  Dichter  in 
Florenz  begrUssen  zu  können:  er  ward,  wie  so  viele  andere 
seiner  Mitbürger,  von  der  schrecklichen  Seuche  des  Jahres 
1348  dahingerafft.  In  ihm  starb,  wenn  wir  anders  dem  Zeug- 
nisse Filippo  Villani's  2)  trauen  dürfen,  ein  Meister  der  rhetorischen 
Kunst,  welcher  bei  längerem  Leben  sich  wol  eine  hervorragende 
Stellung  unter  den  Humanisten  des  Trecento  errungen  haben 
würde  ^). 

Auch  einen  anderen  Freund,  mit  welchem  er  bereits 
poetische  Briefe  gewechselt  hatte  ^),  Pietro,  den  Sohn  des  grossen 
Dante,  traf  Petrarca  vermuthlich  in  Florenz  nicht  an,  da  der- 
selbe seit  langen  Jahren  sich  in  Verona  als  Sachwalter  nieder- 
gelassen hatte ";. 

Mochte  aber  auch  immerhin  Petrarca  in  dem  Freundes- 
kreise, der  in  Boccaccio's  gastlichem  Hause  sich  um  ihn  ver- 
sammelte, den  Einen  oder  den  Andern  vermissen,  den  er  gern 
gesehen  haben  würde,  so  waren  doch  ohne  Zweifel  die  in 
Florenz  verlebten  Tage  für  ihn  im  höchsten  Grade  genussreich 
und  anregend  und  der  Abschied  mag  ihm,  wenn  er  auch  die 
Hotfmmg  baldigen  Wiedersehens  hegen  durfte,  nicht  leicht  ge- 
worden sein. 


»)  Ep.  Farn.  XXIV  7. 

■^)  Ep.  Fam.  VII  10.  14.     Ep.  poet.  lat.  III  10. 
3)  Vite  d'illustr.  Fiorent.  p.  60  (citirt  von  Tiraboschi  V  p.  837). 
*)  vgl.  über  ihn  Mehus,  Vit.  Ambr.  p.  186,   Tiraboschi  V.  p.  836  &., 
Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  232  ff. 

5)  Ep.  Fam.  VII  10.    Ep.  poet.  lat.  III  7. 
•^j  Fraticelli,  Vita  di  Dante,  p.  298  f. 


264  Fünftes  Capitel. 

Indessen  schon  nach  wenigen  Tagen  ^)  setzte  er  seine 
Pilgerreise  fort.  Es  fügte  sich,  dass  er  unterwegs  leidlich  an- 
genehme Gesellschaft  traf,  welche  aus  einem  durch  sein  Alter 
ehrwürdigen  Abte,  einem  ebenso  verständigen  als  gesprächigen 
Manne,  und  mehreren  reisegewandten  und  dienstfertigen  Leuten 
bestand.  Mit  diesen  Gefährten  legte  Petrarca  den  Weg  bis 
Bolsena  ohne  jedes  Missgeschick  zurück,  als  ihn  ganz  unver- 
muthet  ein  tückischer  Unfall  treffen  sollte.  Er  war  mit  seinen 
Genossen  von  Bolsena  ausgeritten ,  aber  in  tiefe  Gedanken 
versunken  nahm  er  an  ihren  Gesprächen  nicht  Theil.  Er  ge- 
dachte daran,  dass  er  nun  binnen  vierzehn  Jahren  bereits  zum 
fünften  Male  nach  Rom  reise  ^),  und  wie  verschieden  die  Ver- 
anlassung und  der  Verlauf  der  vier  früheren  Reisen  gewesen 
seien.  Und  wohl  konnte  solches  Zurückschweifen  in  die  ver- 
gangenen Jahre  ihm  reichen  Stoff  der  Betrachtung  dar- 
bieten! Er  mochte  daran  gedenken,  wie  er  einst,  fast  noch 
ein  Jüngling,  zum  ersten  Male  nach  Rom  zog,  das  Hera  er- 
füllt von  heissem  Sehnen ,  die  Herrlichkeit  der  ewigen  Stadt 
zu  schauen,  und  wie  er  damals  von  den  Colonnesen  so  gast- 
lich aufgenommen  ward.  Welcher  Gegensatz  zwischen  dem 
Damals  und  dem  Jetzt!  Jetzt  pilgerte  er  nicht  gen  Rom, 
um  im  Anblick  der  Denkmale  einer  grossen  Vergangenheit  zu 
schwelgen,  jetzt  strebte  er.  ein  an  des  Alters  Schwelle  stehen- 
der und  von  so  manchem  schweren  Leide,  so  mancher  herben 
Enttäuschung  niedergebeugter  Mann,  einzig  darnach,  vor 
St.  Peters  Altar  niederzuknieen  zu  inbrünstigem  Gebete  — 
und  die  Colonnesen?  längst  schon  war  Giacomo  gestorben  und 
auch  Giovanni  bereits  ihm  nachgefolgt,  die  Anderen  aber  waren 
in  jener  Mordschlacht  vor  den  Thoren  Roms  gefallen,  höchstens 


^)  Am  2.  November  befand  er  sieb  bereits  seit  vierzehn  Tagen  in  Rom, 
die  Reise  dahin  hatte  von  Viterbo  aus  drei  Tage  erfordert  (Ep.  Fam.  XI 
1),  und  gewiss  ebensoviel  Zeit  erforderte  die  Strecke  von  Florenz  bis  Vi- 
terbo.   Die  Abreise  von  Florenz  muss  also  etwa  am  12.  October  erfolgt  sein. 

-)  Die  erste  Romreise  unternahm  er  1337 ,  die  zweite  (zur  Dichter- 
krönung) im  Jahre  1341 ,  zum  dritten  und  vierten  Male  besuchte  er  Rom 
auf  der  Hin-  und  Rückreise  nach  und  von  Neapel  im  Jahre  1843. 


Parma  und  Vaucluse.  265 

der  alte  Stefano  lebte  noch,  greisenhaftem  Wahnsinne  verfallen, 
ein  klägliches  Schattenbild  vergangener  Grösse;  des  einst  so 
stolzen  und  machtvollen  Geschlechtes  Herrlichkeit  war  ge- 
brochen, sein  Glanz  erloschen  und  er,  er,  Petrarca  selbst, 
hatte  zum  nicht  geringen  Theile  es  verschuldet,  dass  es  so 
gekommen  war,  denn  hatte  er  dem  Tribunen  nicht  den  ge- 
wichtigen Beistand  seines  Wortes  geliehen?  —  Ein  anderes 
Bild  mochte  nun  an  seiner  Seele  vorüberziehen.  Er  sah  sich 
auf  dem  Capitole,  der  Senator  setzt  ihm  den  ersehnten  Lorbeer- 
kranz auf's  Haupt,  es  jauchzt  ihm  das  Volk  der  Quirlten  seinen 
Beifall  zu.  Wie  gross  fühlte  er  sich  damals,  wie  sicher  der 
Unsterblichkeit,  wie  bewegten  gewaltige  Entwürfe  künftigen 
Dichtens  seine  Brust!  Und  jetzt?  er  hatte  zur  Genüge  erfahren, 
wie  dornenvoll  eine  Dichterkrone  sei,  und  hatte  wol  auch 
erkennen  müssen,  dass  er  vergeblich  durch  die  „Africa"  den 
Ruhm  eines  Virgils  erstrebe,  ohne  doch,  in  seltsamer  Selbst- 
täuschung befangen ,  zu  ahnen ,  dass  die  Nachwelt  ihm ,  dem 
Sänger  des  Canzoniere,  einen  anderen  und  schöneren  Ruhmes- 
kranz flechten  werde.  —  Und  wieder  andere  Erinnerungen 
mochten  sich  ihm  aufdrängen!  Schon  zwei  Jahre,  nachdem  er 
den  Lorbeer  empfangen,  kommt  er,  um  als  Abgesandter  des 
Papstes  nach  Neapel  zu  eilen,  abermals  nach  Rom,  er  träumt 
von  einer  glänzenden  Zukunft,  denn,  wenn  die  ihm  übertragene 
Mission  ihren  Erfolg  erreicht,  wird  ihm  das  der  Papst  nicht 
lohnen?  sollte  ihm  dann  nicht  ein  Bischofssitz,  vielleicht  selbst 
der  Cardinalshut  beschieden  sein?  doch  siehe  da!  nur  wenige 
Monate  vergehen  und  er  ist  wieder  in  Rom,  seine  Sendung  ist 
kläglich  gescheitert,  missmuthig  und  verstimmt  bricht  er  nach 
Parma  auf,  um  fern  von  Avignon  und  der  Curie  in  der  Ein- 
samkeit Trost  und  neue  Kraft  sich  zu  gewinnen. 

So  zogen  wol  die  Bilder  der  Vergangenheit  an  Petrarca's 
geistigem  Auge  vorüber,  als  er  plötzlich  in  rauhester  Weise  aus 
seinen  Träumen  in  die  Wirklichkeit  zurückgerufen  Avurde.  Das 
Ross  des  Abtes,  welcher  ihm  zur  Linken  ritt,  schlug  aus,  um 
des  Dichters  Ross  zu  treffen,  traf  aber  diesen  selbst  und  ver- 
letzte ihn  so  schwer  am  Knie,  dass  er  nur  unter  den  grössten 


266  Fünftes  Capitel. 

Schmerzen  und  Beschwerden  die  Reise  nach  Viterbo  und 
weiterhin  nach  Rom  fortzusetzen  vermochte.  Als  er  endlich 
am  dritten  Tag  dort  anlangte,  war  der  Zustand  der  vernach- 
lässigten Wunde  ein  so  bedenklicher  geworden,  dass  er  sofort 
ärztliche  Hülfe  in  Anspruch  nehmen  und,  was  für  ihn  ungemein 
peinlich  war,  länger  als  vierzehn  Tage  auf  jeden  Ausgang  ver- 
zichten musste.  Von  seinem  Schmerzenslager  aus  richtete  er 
an  Boccaccio  einen  ausführlichen  Brief,  in  welchem  er  ihm 
über  seine  Reise  und  das  erlittene  Missgeschick  Bericht  er- 
stattete^). Es  ist  der  erste  seiner  an  Boccaccio  gerichteten 
Briefe,  ein  Beweis,  dass  er  sich  eben  erst  in  Florenz  persön- 
lich mit  ihm  befreundet  hatte,  und  zugleich  mag  uns  der  Um- 
stand, dass  er  von  Rom  aus  eben  nur  an  Boccaccio,  nicht  an 
Zanobi  noch  an  Nelli  oder  Lapo  schrieb,  bezeugen,  dass  er 
sich  eben  an  Boccaccio  enger,  als  an  die  übrigen  angeschlossen 
hatte. 

Petrarca  scheint  in  Rom  wirklich,  wie  der  eigentliche 
Zweck  seiner  Reise  es  erforderte,  wenn  auch  nicht  ausschliess- 
lich, so  doch  vorwiegend  nur  dem  Besuche  der  Kirchen  und 
anderen  Andachtsübungen  sich  gewidmet  zu  haben.  Wenigstens 
spricht  er  in  einem  Briefe^)  an  seinen  Freund  Barbato  von 
Sulmo ,  welcher  kurz  vor  ihm  ebenfalls  in  Rom  gewesen  war, 
seine  Befriedigung  darüber  aus,  ihn  nicht  mehr  in  Rom  an- 
getroffen zu  haben,  da  sie  sonst  gewiss,  profanen  Alterthums- 
studien  sich  hingebend,  gemeinsam  die  Strassen  der  Stadt 
durchwandert  und  darüber  ihr  Seelenheil  vernachlässigt  haben 
würden.  Dass  indessen  sein  Denken  durch  die  kirchlichen 
Pflichten  des  Jubelfestes  nicht  gänzlich  von  dem  geliebten 
Alterthume  abgezogen  wurde,  beweist  der  seltsame  Brief,  den 
er  am  1.  November  an  den  grossen  römischen  Polyhistor 
M.  Terentius  Varro  schrieb  ^).  Hierbei  muss  man  wirklich  mit 
Horaz  ausrufen:  „naturam  expellas  furca,  tarnen  usque  redibit" ! 


')  Ep.  Fam.  XI  1. 
•-)  Ep.  Fam.  XII  7. 
'')  Ep.  Fam.  XXIV  6. 


Parma  und  Vaucluse.  267 

Petrarca  hatte  damals  gewiss  den  ernstesten  Willen,  einmal 
nur  religiösen  Betrachtungen  nachzuhängen,  und  doch  ver- 
mochte er  seinem  humanistischen  Streben  nicht  völlig  zu  ent- 
sagen und  konnte  nicht  vergessen,  dass  neben  dem  kirch- 
lichen Rom  noch  ein  anderes,  ihm  im  innersten  Herzen 
theuereres  Rom,  das  Rom  des  classischen  Alterthumes,  existire. 
Und  mag  es  uns  auch  als  ungemein  naiv,  um  nicht  zu  sagen 
absurd  erscheinen,  dass  er  an  einen  Römer  des  grauen  Alter- 
thums  wie  an  einen  Lebenden  schrieb,  so  dünkt  uns  doch, 
dass  er  durch  Nichts  nachdrücklicher  die  Intensität  seiner 
Begeisterung  für  das  römische  Alterthum  hätte  bezeugen  können. 

Nicht  lange  währte  des  Dichters  Aufenthalt  in  der  ewigen 
Stadt.  Das  Getümmel,  welches  sie  damals  in  Folge  der  so 
massenhaft  zusammengeströmten  Pilger  erfüllte,  mochte  ihm 
wenig  behagen,  und  so  verliess  er  sie  bereits  in  den  ersten 
Tagen  des  Decembers,  vielleicht  selbst  schon  zu  Ende  des 
Novembers.  Er  ahnte  wol  nicht,  dass  er  das  geliebte  Rom 
nie  wieder  sehen  sollte. 

Am  7.  December  war  er  wieder  in  Florenz,  wie  der  von 
diesem  Tage  datirte  Brief  an  Quintilian  '),  dessen  Institutionen 
ihm  in  einer,  allerdings  lückenhaften,  Handschrift  Lapo  damals 
geschenkt  hatte,  hinreichend  beweisen  kann.  Einen  Monat 
später,  am  7,  Januar  1351,  schrieb  er  bereits  wieder  von 
Padua,  seiner  neugewählten  Heimath,  aus  an  Boccaccio  ^). 

Ein  trauriges  Ereigniss,  welches  wenige  Tage  entweder 
vor  oder  nach  seiner  Rückkehr  sich  zugetragen  hatte,  musste 
er  berichten.  Sein  fürstlicher  Wohlthäter  und  Gönner,  Jacopo  II, 
von  Carrara ,  war  nicht  mehr !  Es  hatte  den  gewissenlosen 
Tyrannen  das  rächende  Verhängniss  ereilt  und,  wie  er  einst 
durch  einen  Mord  den  Weg  zum  Fürstenstuhle  sich  gebahnt 
hatte,  so  starb  er  am  22,  December  1350  durch  den  Dolch 
eines  Mörders  3),     Es  ist  bezeichnend  für  Petrarca's   Verhält- 


1)  Ep.  Farn.  XXIV  7. 

2)  Ep.  Farn.  XI  2. 

■•')  Cortus.  bist.  Patav.  X  4  b.  Muratori  XII  p.  933  f. 


268  Fünftes  Capitel. 

niss  zu  dem  Carraresen  und  für  die  Einseitigkeit  seiner  sitt- 
lichen Anschauung,  dass  er  für  den  Getödteten  nur  Worte  des 
innigsten  Bedauerns  und  hoher  Anerkennung  besass.  „Des 
Vaterlandes  Vater,  Hoffnung  und  Heil"  nennt  er  ihn  in  der 
lateinischen  Grabschrift,  welche  er  ihm  widmete^);  gänzlich 
übersah  er  die  düstern  Schattenseiten  in  dem  Charakter  des 
gepriesenen  Mannes  und  erkannte  nicht  oder  wollte  nicht  er- 
kennen, wie  ein  gerechtes  Schicksal  ihm  den  gebührenden 
Lohn  für  früheren  argen  Frevel  ertheilt  hatte.  — 

In  den  äusseren  Verhältnissen  Petrarca's  änderte  das 
tragische  Begebniss  zunächst  Nichts.  Jacopo's  Nachfolger,  sein 
Bruder  Giacomino  und  sein  Sohn  Francesco,  von  denen  der 
letztere  nach  einigen  Jahren  die  Alleinherrschaft  an  sich  riss  ^), 
erwiesen  ihm  dieselbe  Gunst  wie  ihr  Vorgänger  und  werden 
gewiss  Nichts  versäumt  haben,  um  ihn  dauernd  an  sich  zu 
fesseln.  Gleichwol  ist  es  begreiflich,  dass  der  Dichter  bei  der 
neuen  Lage  der  Dinge  einiges  Unbehagen  empfand,  und  nach 
einer  Veränderung  seines  Aufenthaltsortes  sich  zu  sehnen  be- 
gann. Da  schien  das  Schicksal  selbst  ihm  eine  neue  Heimath 
bereiten  zu  wollen. 

Wenn  irgend  etwas,  so  musste  Petrarca  dies  im  tiefsten 
Herzen  schmerzlich  empfinden,  dass  er  trotz  der  Lorbeer- 
krone, die  er  sich  ermngen,  und  trotz  des  strahlenden  Kuhmes, 
den  er  sich  erworben,  noch  immer,  wenn  auch  nicht  thatsach- 
lieh,  so  doch  rechtlich  aus  Florenz  verbannt  und  dass  das 
einst  seinem  Vater  angethane  Unrecht  noch  immer  nicht  ge- 
sühnt war.  So  viele  Städte  Italiens,  vor  allen  Rom  selbst  und 
Neapel,  hatten  ihn  so  hoch  geehrt  und  mit  Stolz  unter  die 
Zahl  ihrer  Bürger  aufgenommen,  selbst  fremde  Reiche,  Frank- 
reich und  Britannien,  hatten  ihn  für  sich  zu  gewinnen  ver- 
sucht —  Florenz  allein  hatte,  wenn  es  ihm  auch  den  zeit- 
weiligen Aufenthalt  in  seinen  Mauern  verstattete,  sich  noch 
nicht  um  ihn  bemüht,  ihn  noch  nicht  aus  der  Liste  der  Ver- 


*)  abgedruckt  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  UI  p.  33. 

2)  Cortus.  bist.  Patav.  X  5  u.  XI  7  b.  Muratori  XII  p.  934  u.  947. 


I 


Parma  und  Vaucluse.  269 

bannten   gestrichen^)!     Jetzt  endlich  sollte  ihm  auch  diese  so 
lang  ersehnte  Genugthuung  zu  Theil  werden. 

Petrarca's  wiederholte  Anwesenheit  in  Florenz  im  Herbst 
und  Winter  1350  hatte  ohne  Zweifel  Anlass  gegeben ,  dass 
seine  Rückberufung  von  den  Machthabern  der  Stadt  in  Er- 
wägung gezogen  wurde.  Auch  ohne  dass  man  ein  urkundliches 
Zeugniss  dafür  beizubringen  vermöchte,  darf  man  gewiss  mit 
Bestimmtheit  annehmen,  dass  die  schon  zahlreichen  florentiner 
Humanisten,  Boccaccio  und  Lapo  an  ihrer  Spitze,  ihren  ganzen 
Einfluss  —  und  es  ist  dieser  sicherlich  kein  geringer  gewesen 
—  zu  Gunsten  ihres  verehrten  Meisters  aufboten,  besonders 
wenn  dieser  ihnen,  wie  sich  vermuthen  lässt,  angedeutet  haben 
sollte,  wie  angenehm  ihm  die  Rückkehr  nach  Florenz  sein 
würde.  Allzu  schwierig  wird  die  Arbeit  der  Freunde  Petrarca's 
kaum  gewesen  sein  und  grosser  Ueberredungskunst  werden  sie 
nicht  bedurft  haben,  um  die  Herzen  ihrer  Mitbürger  dem 
Sänger  der,  wie  nicht  zu  bezweifeln,  schon  damals  allbekannten 
patriotischen  Canzonen  und  lieblichen  Sonette  geneigt  zu 
machen.  Ein  äusserer  Umstand  trat  überdies  hinzu,  der 
selbst  vom  Standpunkte  der  Nützlichkeit  aus,  welcher  ja  für 
städtische  Behörden  so  oft  der  allein  maassgebende  ist,  die 
Rückberufung  Petrarca's  als  rathsam  erscheinen  liess.  Florenz 
besass  seit  dem  Jahre  1348  eine  nach  mittelalterlicher  Art 
nur  in  zwei  Facultäten,  die  juristische  und  die  medicinische, 
sich  gliedernde  Hochschule,  welche  indessen  unter  dem  Drucke 
der  jüngstvergangenen  schweren  Zeiten  noch  zu  keiner  Blüthe 
hatte  gelangen  können.  Wie  hätte  man  nun  die  Entwicke- 
lung  der  jungen  Anstalt  besser  und  nachhaltiger  zu  fördern 
vermocht,  als  wenn  man  an  ihr  dem  jugendlich  aufstrebenden 
und  immer  weitere  Kreise  für  sich  begeisternden  Humanismus 
eine  Stätte  bereitete?  musste  Florenz  nicht,  wenn  es  durch  so 
richtiges  Erkennen  der  Zeichen  der  Zeit  an  die  Spitze  einer 
neuen,  von  Tag  zu  Tag  gewaltiger  werdenden  Culturbewegung 
trat,   die   geistige  Hegemonie  über  Italien,  ja  über  das  ganze 


1)  vgl.  Ep.  poet.  lat.  III  9. 


270  Fünftes  Capitel. 

Abendland  erlangen?  wer  aber  hätte  geeigneter  sein  können, 
der  Vertreter  und  Lehrer  des  Humanismus  an  der  Hochschule 
zu  sein,  als  der  Mann,  aus  dessen  für  das  classische  Alter- 
thum  begeistertem  Haupte  die  neue  Geistesströmung  hervorge- 
gangen war  und  der  seit  langen  Jahren  als  Apostel  eines  Evan- 
geliums völkerbeglückender  Bildung  Italien  durchwanderte? 
wie  hätte  man  einen  Anderen  berufen  können,  als  den  ge- 
feierten Petrarca? 

Von  solchen  Erwägungen  geleitet  richteten  denn  am  Ende 
des  Februars  oder  im  Beginne  des  März ')  „die  Vorsteher  der 
Zünfte  und  der  Bannerträger  der  Gerechtigkeit  des  Volkes 
und  der  Gemeinde  .von  Florenz"  an  den  „ehrwürdigen  Mann, 
den  Herrn  Franciscus  Petrarca,  Canonicus  zu  Padua  und 
lorbeergekrönten  Dichter,  ihren  sehr  tl teueren  Mitbürger"  ein 
Schreiben 2),  in  welchem  sie  ihn  baten,  seinem  unstäten  Um- 
herwandern ein  Ende  zu  machen  und  in  die  ihn  hochver- 
ehrende Vaterstadt  zurückzukehren,  wo  ihm  der  väterliche 
Grundbesitz  wiedererstattet  und  ein  Lehramt,  welches  er  jedoch 
ganz  nach  freier  Neigung  werde  verwalten  können,  über- 
tragen  werden  solle. 

Dies  Schreiben  ist  nach  Inhalt  und  Form  eine  merkwürdige 
und  werthvolle  Urkunde,  welche  höchstens  in  dem  von  den 
römischen  Senatoren  am  9.  April  1341  ausgestellten  Dichter- 
diplome ein  entsprechendes  Seitenstück  besitzt  ^).  Es  weht  in 
diesem  Schriftstücke  die  volle  Luft  der  Renaissauce.  Der 
altübliche  trockne  und  barbarische  Canzleistyl  ist  in  ihm  auf- 
gegeben und,  wenn  auch  noch  nicht  eben  eifolgreich.  der  Ver- 
such gewagt  worden,  einen  kunst-  und  schwungvollen  Perioden- 
bau an  die  Stelle  der  früheren  steifen  Formeln  treten  zu  lassen. 
Allgemeine  Betrachtungen  über   den  Werth  der  Wissenschaft 


^)  Ueber  die  Zeitbestimmung  vgl.  Meneghelli  b.  Fracassetti,  Lett.  fam. 
III  p.  43. 

-)  Mitgetheilt  von   de  8ade,  t.  II  pieces  justif.  29,  u.  t.  III  p.  124  f. 
im  Auszuge  b.  Mebus,  Vit.  Ambr.  p.  243,  in  ital.  Uebersetzung  1)   Fracas- 
setti, Lett.  fam.  III  p.  40  ff. 

-)  vgl.  S.  183. 


Parma  und  Vaucluse.  271 

und  Poesie  sowie  Citate  aus  classischen  Autoren  sind  in  den 
Text  eingewebt,  so  dass  das  Ganze  mehr  einer  akademischen 
Prunkrede,  als  einem  amtlichen  Schreiben  ähnelt.  Man  er- 
kennt, dass  die  Zeit  nicht  mehr  fern  ist,  in  welcher  die  Eleganz 
des  Styles  das  wichtigste  Erforderniss  für  Staatsschriften  wird 
und  demgemäss  mit  deren  Abfassung  ausschliesslich  die  Meister 
der  ciceronianischen  Latinität,  die  Humanisten,  betraut  werden. 
So  tritt  der  Humanismus  aus  der  einsamen  Studierzelle  hinaus 
auf  die  Bühne  des  öffentlichen  Lebens,  und  der  durch  ihn  er- 
weckte Sinn  für  die  Schönheit  der  Form  erringt  auch  auf 
einem  Gebiete  die  Herrschaft,  welches  sich  naturgemäss  ihm 
am  sprödesten  verschloss. 

Den  Auftrag  zur  Ueb  erb  ringung  des  Berufungsschreibens 
an  den  Adressaten  erhielt  —  und  welche  bessere  Wahl  hätte 
man  treffen  können  ?  —  Boccaccio  ^) ,  welcher  sich  desselben 
durch  eine  im  April  nach  Padua  unternommene  Reise  erledigte. 

Mit  welcher  freudigen  Genugthuung  musste  Petrarca  die 
Botschaft,  welche  der  Freund  ihm  überbrachte,  entgegennehmen ! 
Wurde  doch  durch  dieselbe  endlich  ein  Makel  von  ihm  ge- 
nommen, der  ihm  seit  der  Geburt  angehaftet  hatte  und  den 
er,  namentlich  in  früheren  Jahren,  im  bürgerlichen  Leben  oft 
genug  schmerzlich*  empfunden  haben  mochte;  er  war  fernerhin 
kein  Verbannter  und  Ausgestossener  mehr,  die  Vaterstadt  rief 
ihn  reuig  in  ihren  Schooss  zurück  und  sühnte  bereitwillig  und 
in  ehrendester  Weise  das  alte  Unrecht,  das  sie  einst  an  ihm 
begangen ,  er  besass  nun  endlich  wieder  eine  wahre  Heimath 
und  auf  seines  Vaters  Namen  lastete  nicht  mehr  die  schw^ere 
Verunglimpfung,  mit  welcher  verblendete  Parteiwuth  ihn  be- 
fleckt hatte. 

In  freudiger  Erlegung  richtete  der  beglückte  Dichter  an 
seine  neuen  Mitbürger  ein  w^arm  empfundenes  Dankschreiben  ^), 
in  welchem  er  seine  Rückkehr,  wenn  auch  nicht  förmlich  zu- 
sagte, so  doch  als  sehr  wahrscheinlich  in  Aussicht  stellte.    Das 


*)  Ep.  Fam.  XI  5  sub  fin. 
2)  Ep.  Fam.  XI  -5. 


272  Fünftes  Capitel.  ^ 

Nähere  hierüber  sowol  als  auch  über  die  eventuelle  Annahme 
des  angebotenen  Lehramtes  sollte  der  „edle  Mann"  Giovanni 
Boccaccio  mündlich  berichten. 

Wer  hätte  nun  nicht  erwarten  sollen,  dass  Petrarca  in 
der  That  dem  Rufe  der  Florentiner  folgen  und  in  die  Heimath 
zurückkehren  würde?  Getragen  hat  er  sich  auch  jedenfalls 
im  ersten  Rausche  der  ihm  zu  Theil  gewordenen  Ehre  mit 
diesem  Gedanken,  ausgeführt  aber  hat  er  ihn  gleich wol  nie. 
Bei  nüchterner  Betrachtung  der  Sache  mussten  ihm  sehr  ge- 
wichtige Gründe  dagegen  zu  sprechen  scheinen,  und  so  an- 
genehm ihm  der  zeitweilige  Aufenthalt  in  Florenz  auch  gewesen 
war,  so  wenig  verkannte  er  doch  gewiss  die  bedenklichen 
Schattenseiten,  welche  die  dauernde  Niederlassung  daselbst 
für  ihn  haben  musste.  Jahrzehende  lang  hatte  er  nun  ein. 
unstätes  Wanderleben  geführt,  welches  ja  gewiss  schwere  Nach- 
theile für  ihn  hatte  und  dessen  er  zeitweilig  herzlich  über- 
drässig  werden  mochte,  welches  ihm  aber  andererseits  das 
hohe  Gut  vollkommener  Unabhängigkeit  und  Freiheit  gewährte 
und  es  ihm  ermöglichte,  im  parteizerrissenen  Italien  eine 
wenigstens  annähernd  dem  Parteileben  entrückte  Stellung  ein- 
zunehmen. Sollte  er  nun  sesshalter  Bürger  einer  Stadt  werden, 
deren  politische  Verhältnisse,  wie  er  oft  beklagt  hatte  ^) ,  jeg- 
licher Stabilität  entbehrten,  und  sollte  er,  der  bisher  auf  einer 
höheren  Warte  gestanden  hatte,  sich  jetzt,  wie  doch  kaum  zu 
vermeiden  gewesen  wäre,  in  das  kleinliche  Treiben  der  städti- 
schen Factionen  hineinzerren  lassen,  um  vielleicht  dann  Dante's 
oder  seines  eigenen  Vaters  Schicksal  zu  erleiden?  Wahrlich 
er  hätte  nicht  Petrarca  sein  müssen,  wenn  er  sich  zur  Ver- 
tauschung seines  Weltbürgerthumes  mit  dem  Bürgerthume 
einer  einzelnen  Stadt  —  und  wenn  diese  Stadt  auch  Florenz 
hiess  —  hätte  entschliessen  können.  Anderes  kam  noch  hin- 
zu. Die  florentinische  Republik  litt,  wie  einst  ihr  antikes 
Ebenbild  Athen,  an  dem  schweren  Krebsübel  aller  Demokratien, 


I 


^)  vgl.  Ep.  Sen.  X  2.    Ep.  poet.   lat.   II  12  v.  42  ff.,   de  remed.  utr. 
fort.  11  71. 


Parma  und  Vaucluse.  273 

an  jener  Missgimst  und  Eifersucht,  welche  keine  Grösse  dulden 
mag  und  Alles  auf  das  Niveau  gemeiner  Mittelmässigkeit  her- 
abzudrücken sich  bestrebt.  Jedes  Verdienst,  das  einer  ihrer 
Mitbürger  sich  erwarb  —  so  urtheilt  Petrarca  selbst  ^)  — 
pflegten  die  Florentiner  mit  missgünstigen  Augen  zu  betrachten, 
so  dass  sie  unter  Umständen  es  vorgezogen  haben  würden, 
sich  f  on  einem  Feinde  besiegen  zu  lassen,  als  einem  Mitbürger 
den  Ruhm  des  Sieges  zu  gönnen.  Wie  hätte  Petrarca  er- 
warten düifen,  von  den  Pfeilen  des  Hasses  und  Neides  ver- 
schont zu  bleiben?  Er  mit  seinem  stolzen  Selbstbewusstsein  und 
seiner  instinctiven  Abneigung  gegen  alle  wirkliche  Demokratie 
und  alles  Plebejerthum  war  wahrlich  nicht  zum  Bürger  einer 
Republik  wie  Florenz  geschaffen.  Und,  wenn  irgendwo,  so 
drohte  seinem  Dichterruhme,  den  er  so  eifersüchtig  hütete,  in 
Florenz  Gefahr.  Das  geistreiche  Völkchen  am  Arno,  das  sich 
seiner  cultur-  und  litterargeschichtlichen  Mission  immer  be- 
wusster  wurde,  kannte  keine  Scheu  vor  Autoritäten,  mit 
scharfem  Urtheile  und  noch  schärferer  Zunge  begabt,  zudem 
auch  mit  einer  reichlichen  Dosis  Arroganz  ausgerüstet,  zer- 
pflückte es  keck  Ruhmeskränze,  an  welche  zu  tasten  ander- 
wärts für  Frevel  gegolten  haben  würde.  Auch  dem  Dichter 
des  Canzoniere  würde  kein  Privilegium  der  Unverletzlichkeit 
zugestanden  worden  sein.  In  der  That  wurde  ja  später  seine 
„Africa",  für  welche  man  sonst  allüberall  nur  Ausdrücke  einer 
begeisterten  Bewunderung  besass,  von  florentinischen  Kunst- 
richtern einer  Kritik  unterzogen,  welche  nichts  weniger  als 
schmeichelhaft  war  und  den  Betroffenen  in  gewaltige  Erbitte- 
rung versetzte  =^).  Konnte  es  da  Petrarca  gelüsten,  sich  persön- 
lich auf  einen  so  gefährlichen  Boden  zu  begeben  und  seinen 
Ruhm  den  bedenklichsten  Anfechtungen  auszusetzen?  Gerade- 
zu entscheidend  aber  musste  endlich  eine  weitere  Erwägung 
für  ihn  sein.  Wenn  er  zur  Rückkehr  nach  Florenz  sich  ent- 
schloss,  so  musste  er  auch,  wollte  er  nicht  seine  Stellung  dort 


1)  Ep.  Sen.  II  1. 

2)  ibid. 

Körting,   Petrarca.  18 


274  Fünftes  Capitel. 

von  vornherein  untergraben,  zur  Uebernahme  des  akade- 
mischen Lehramtes,  für  welches  man  ihn  gewinnen  wollte,  sich 
entschliessen.  Wie  aber  wäre  das  ihm  möglich  gewesen? 
Selbst  in  den  Jahren  der  Jugend  und  des  kräftigsten  Mannes- 
alters  hatte  er,  dem  inneren  Drange  nach  ungehemmter  indi- 
vidueller Freiheit  folgend,  grundsätzlich  es  vermieden,  von 
irgend  eines  Amtes  Pflichten  sich  fesseln  zu  lassen,  selbst 
lockenden  Versuchungen  hatte  er  beharrlich  widerstanden,  und 
während  es  ihm,  wenn  er  das  ihm  angetragene  päpstliche  Secre- 
tariat  übernommen  hätte,  ein  Leichtes  gewesen  sein  würde, 
Keiehthümer  zu  sammeln,  war  er  in  der  freigewählten,  an 
Armuth  grenzenden  Vermögenslosigkeit  verblieben.  Und  jetzt, 
wo  er  bereits  des  Lebens  Höhe  überschritten  hatte,  sollte  er 
seine  innerste  Neigung  und  seinen  lang  festgehaltenen  Grund- 
satz verleugnen  und  mit  den  Fesseln  sich  belasten,  welchen 
zu  entgehen  bisher  sein  eifriges,  keine  Opfer  scheuendes 
Streben  gewesen  war?  Amtliche  Pflichten,  und  mögen  sie 
noch  so  leicht  sein,  drücken  stets,  am  meisten  aber  denjenigen, 
der  erst  in  späten  Jahren  und  ihrer  gänzlich  ungewohnt  sich 
ihnen  unterzieht,  einem  Petrarca  würden  sie  sicherlich  bald 
unerträglich  geworden  sein  und  am  wenigsten  war  er  dazu 
gemacht,  Mitglied  eines  vielköpfigen  Collegiums  und,  wenn 
auch  in  der  mildesten  Form,  der  Bedienstete  noch  vielköpfigerer 
städtischer  Behörden  zu  sein. 

Dies  Alles  mochte  er  bei  sich  erwägen  und  durch  dies 
Alles  sich  bestimmen  lassen,  auf  die  Rückkehr  nach  Florenz 
Verzicht  zu  leisten. 

Es  leidet  keinen  Zweifel,  dass  er,  als  er  diesen  Entschluss 
fasste,  dasjenige  that,  was  ihm  selbst  und  seinem  Nachruhme 
am  förderlichsten  war  und  wofür  auch  die  Nachwelt  ihm  zu 
Dank  verpflichtet  ist.  Die  Annahme  mag  seltsam  klingen, 
scheint  uns  aber  nichtsdestoweniger  vollkommen  gerecht- 
fertigt: Petrarca  als  akademischer  Lehrer,  wenn  er  überhaupt 
in  diesen  Beraf  sich  einzuleben  vermocht  hätte,  würde  dem 
Humanismus  untreu  geworden  und  in  die  beengenden  Fesseln 
des  mittelalterlichen  Gelehrtenthums  zurückgefallen  sein.     Die 


Parma  und  Vaucluse.  275 

humanistische  Wissenschaft,  noch  fern  von  ihrer  späteren  Aus- 
bildung und  noch  jeder  festen  Methode  entbehrend,  noch  weit 
mehr  ein  Dilettantismus,  wenn  auch  im  besten  Sinne  des 
Wortes,  als  strenge  Wissenschaft  zu  nennen,  war  bei  Weitem 
noch  nicht  reif  für  die  systematische  Behandlung,  wie  sie  der 
akademische  Unterricht,  selbst  wenn  er  sich  in  den  freiesten 
Formen  bewegt,  erfordert,  sie  hätte,  wäre  sie  zu  einer  solchen 
vorzeitig  gedrängt  worden,  die  Formen  der  mittelalterlichen 
Scholastik  entlehnen  müssen  und  würde  in  diesen  erstickt  sein. 
Man  werfe,  um  von  der  Wahrheit  des  Gesagten  sich  zu  über- 
zeugen und  dasselbe  für  keine  hohle  Phantasie  zu  halten,  einen 
Blick  in  diejenigen  Werke  Petrarca's,  in  denen  er  seiner  Dar- 
stellung eine  systematisch -wissenschaftliche  Form  zu  geben 
versucht  hat,  und  man  wird  finden,  dass  diese  Form  im  Wesent- 
lichen durchaus  die  scholastische  ist.  Der  Begründer  des 
Humanismus,  der  überdies  in  seinem  Innern  noch  fortwährend 
mit  dem  Mittelalter  schwer  zu  ringen  hatte,  war  mit  der 
Materie  des  Wissens  viel  zu  sehr  beschäftigt,  als  dass  er  gleich- 
zeitig die  Form  zu  schaffen  und  zu  beherrschen  vermocht 
hätte,  und  auch  nach  ihm  sollten  noch  Jahrhunderte  vergehen, 
bevor  das  von  ihm  neu  entdeckte  Wissen  wirklich  feste  Formen 
und  Methoden  fand ,  ja  manchen  kritischen  Beurtheiler  des 
heutigen  Standes  der  humanistischen  Wissenschaften  will  es 
bedünken,  als  ob  selbst  gegenwärtig  in  dieser  Beziehung  noch 
viel  zu  thun  übrig  und  die  Herrschaft  der  Scholastik  noch 
nicht  vollständig  gebrochen  sei. 

So  entsagte  denn  Petrarca  zu  seinem  eigenen  Heile  dem 
Gedanken  an  eine  Rückkehr  nach  Florenz,  welches  er  über- 
haupt nie  wieder  betreten  hat,  und  leistete  damit  auch  —  ein 
Beweis,  dass  er  in  seinen  Handlungen  nicht  von  dem  mate- 
riellen Vortheile  sich  bestimmen  liess  —  auf  die  Wieder- 
erlangung der  väterlichen  Güter  Verzicht,  denn  dass  diese  ihm 
im  Falle  seines  Nichtkommens  nie  ausgeliefert  werden  würden, 
konnte  er  unschwer  voraussehen. 

Wenn  er  aber  auch  auf  die  Uebersiedelung  nach  Florenz 
verzichtete,   so  fasste    er  doch  nichts  desto  weniger  den  Ent- 

18* 


276  Fünftes  Capitel. 

schluss,  Paclua  zu  verlassen.  Unter  den  veränderten  Ver- 
hältnissen, welche  dort  nach  Jacopo's  Tod  eingetreten  waren, 
unter  der  aller  Festigkeit  entbehrenden  Doppelherrschaft 
Giacomino's  und  Francesco's  konnte  ihm  der  Aufenthalt  da- 
selbst nicht  mehr  behagen^).  Wohin  aber  sollte  er  sich 
wenden?  Parma,  seine  einstige  Heimstätte,  musste  ihm  ver- 
ödet erscheinen,  seitdem  Luchino  Visconti,  Paganino  und  so  viele 
andere  seiner  einst  dort  wohnenden  Freunde  gestorben  waren, 
und  das  gespannte  Verhältniss,  in  welchem  er  wahrscheinlich 
schon  in  früherer  Zeit  zu  deni  Bischöfe  dieser  Stadt,  Ugolino 
de'  Rossi,  dem  alten  Feinde  der  Correggi,  stand,  konnte  un- 
möglich dazu  beitragen,  ihm  die  Rückkehr  dahin  als  verlockend 
erscheinen  zu  lassen  -).  So  entschloss  er  sich  denn,  abermals, 
wenn  auch  nur  zeitweilig,  die  alte  Einsamkeit  von  Vaucluse 
aufzusuchen.  Oft  zw^ar  hatte  er  früher  den  dortigen  Aufent- 
halt verwünscht  und  jetzt  beklagte  er  auch,  dass  die  Er- 
neuerung desselben  ihn  von  Italien,  seinem  geliebten  Vaterlande, 
entferne  und  wieder  in  die  Nähe  des  „abendländischen  Babylons" 
zurückführe  ^).  Indessen  trotz  dieser  Bedenken  fühlte  er  sich 
doch  gewiss  im  innersten  Herzen  wieder  zu  dem  stillen  Thale 
hingetrieben,  in  welchem  er  die  glücklichsten  und  fruchtbarsten 
Jahre  seines  Lebens  verbracht  hatte.  Wie  hätte  er  sich  nicht 
sehnen  sollen,  die  Stätten  wiederzusehen,  welche  seiner  ver- 
götterten Laura  vielgepriesene  Heimath  gewesen  waren  und 
denen  er  selbst  die  poetische  Weihe  verliehen  hatte?  Aber 
selbst  auch  Erwägungen  rein  praktischer  Natur  mussten  ihm 
zu  einer  zeitweiligen  Rückkehr  nach  Vaucluse  rathen.  Dort 
hatte  er  gewiss  noch  den  grössten  Theil  seiner  Bibliothek 
zurückgelassen,  dort  musste  in  seinem  Heimwesen  sicherlich 
Manches  geordnet  werden  und  seine  persönliche  Gegenwart 
war  dafür  ohne  Zweifel  erforderlich,  wenn  er  nicht  empfind- 
liche Einbussen  in  seinem  ohnehin  nicht  bedeutenden  Ver- 
mögensbestande erleiden  sollte.    Gerade  wenn  er  seine  Absicht 


*)  vgl.  den  Schluss  der  Epist.  ad  post. 
2)  Ep.  Farn.  IX  5.     XI  6. 
«)  Ep.  Farn.  XI  6. 


Parma  und  Vaucluse.  277 

einer  späteren  dauernden  Niederlassung  in  Italien  in  gedeih- 
licher Weise  zur  Ausführung  bringen  wollte,  musste  er  vorher 
einmal  noch  die  frühere  Heimath  besuchen,  um  die  dortigen 
Angelegenheiten  mit  aller  Müsse  zu  regeln  und  definitive  An- 
ordnungen über  seine  dasige  bewegliche  und  unbewegliche  Habe 
treffen.  Endlich  gebot  es  ihm  wol  auch  die  Klugheit,  sich  nach 
längerer  Abwesenheit  wieder  einmal  an  der  päpstlichen  Curie 
sehen  zu  lassen,  um  dort  nicht  ganz  in  Vergessenheit  zu  ge- 
rathen  und  bei  etwaigen  Pfründenvertheilungen  unbeachtet  zu 
bleiben. 

So  brach  er  denn,  nachdem  er  den  ursprünglich  auf  den 
18.  April  festgesetzten  Termin  der  Abreise  immer  und  immer 
wieder  hatte  verschieben  müssen,  endlich  am  4.  Mai  von  Padua 
auf^).  Gegen  Sonnenuntergang  gelangte  er  an  die  Thore  von 
Vicenza  und,  obwol  er  ursprünglich  eine  weitere  Tagesroute 
sich  vorgenommen  hatte,  entsehloss  er  sich  doch,  dort  die 
Nacht  zu  verbringen.  Er  (juartierte  sich  in  einer  Vorstadt  ein 
und  hatte  gehofft,  dass  seine  Ankunft  unbemerkt  bleiben  werde. 
Allein  es  sollte  anders  kommen.  Das  Gerücht  von  dem  Ein- 
treffen des  berühmten  Gastes  verbreitete  sich  rasch,  und  bald 
sah  er  sich  von  einem  Kreise  humanistischer  Freunde  um- 
ringt, in  deren  Kreise  den  Abend  zu  verbringen  er  sich  nicht 
■weigern  durfte.  Wie  sehr  begreiflich,  kam  man  im  Laufe  der 
Unterhaltung  auch  auf  Cicero  zu  sprechen  und  Petrarca,  viel- 
leicht im  halben  Scherze,  vielleicht  auch  aus  einer  gewissen 
Freude  am  Paradoxen,  sprach,  während  alle  Uebrigen  in  den 
überschwänglichsten  Lobeserhebungen  des  grossen  Römers  sich 
ergingen,  einige  Bedenken  gegen  den  sittlichen  Charakter 
desselben  aus,  wie  er  sie  ja  auch  in  dem  ersten  seiner  beiden 
Briefe  an  Cicero  ^)  geäussert  hat.  Die  meisten  der  Anw^esenden 
waren  anfänglich  über  solche  vermeintliche  humanistische  Ketze- 
rei ganz  betroffen  und  wussten  nicht,  was  sie  darauf  erwidern 
sollten,   doch  bei  näherer  Erwägung  der  Frage  glaubten  sie, 


1)  Ep.  Farn.  XI  6. 
*)  Ep.  Fam.  XXIV  3. 


278  Fünftes  Capitel. 

Petrarca  beistimmen  zu  müssen.  Nur  ein  Greis,  der  für  Cicero 
enthusiastisch  begeistert  war,  widersprach  entschieden  und  be- 
hauptete, man  könne  an  Cicero  überhaupt  keinen  Fehler  ent- 
decken, ja  auf  Petrarca's  Frage,  ob  nach  seiner  Ansicht  Cicero 
ein  Gott  oder  ein  Mensch  gewesen  sei,  entgegnete  er  rasch:  „ein 
Gott",  wenn  er  auch  sogleich  vorsichtig  hinzusetzte:  „ein  Gott 
der  Beredtsamkeit".  „Wenn  dem  so  ist,  so  verstumme  ich, 
denn  dass  ein  Gott  nicht  fehlen  kann,  ist  gewiss,  aber,  soviel 
ich  weiss,  wurde  er  von  Niemand  für  einen  Gott  gehalten. 
Wahr  ist,  dass  Cicero  den  Piaton  seinen  Gott  nennt,  und  Du 
würdest  auf  gleiche  Weise  Cicero  Deinen  Gott  nennen  können, 
wenn  uns  die  Religion  nicht  verböte,  uns  nach  unserem  Belieben 
Götter  zu  erschaffen."  —  „Ich  sagte  es  auch  nur  im  Scherz", 
war  die  Antwort  des  Greises,  „und  weiss  wohl,  dass  Tullius  ein 
Mensch  war,  aber  ich  halte  dafür,  dass  er  ein  göttliches  Inge- 
nium besass."  —  „Dann  sind  wir  einverstanden",  so  beschloss 
Petrarca  das  unerquickliche  Gespi-äch,  „auch  Quintilian  nannte 
ihn  ja  einen  göttlichen  Mann,  aber  ein  Mensch  war  er  doch 
immer  und  folglich  konnte  er  irren,  wie  er  in  der  That  auch 
geirrt  hat."  Der  greise  Ciceroschwärmer  konnte  hierauf  zwar 
Nichts  entgegnen,  war  aber  noch  keineswegs  überzeugt  und 
konnte  nur  schwer  seine  tiefe  Verstimmung  verbergen:  an 
Cicero  zu  mäkeln  schien  ihm  eine  wahre  Gotteslästerung  zu 
sein.  So  hatte  Petrarca  einen  Mann  gefunden,  der  selbst  ihn 
in  der  Begeisterung  für  Cicero  übertraft). 

Diese  Anekdote  mag  immerhin  ziemlich  pointelos  erscheinen, 
sie  ist  dennoch  für  die  Culturgeschichte  und  für  die  Kenntniss 
des  Charakters  Petrarca's  nicht  unwichtig.  Sie  zeigt  uns  in 
der  Gestalt  des  für  Cicero  begeisterten  Alten,  wie  vorbereitet 
der  geistige  Boden  in  Italien  für  die  Aufnahme  der  Saat  des 
Humanismus  war,  und  zeigt  uns  zugleich,  was  wir  später  noch 
eingehender   erörtern  müssen,   wie  sehr  Petrarca  trotz  seiner 


1)  Die  ganze  Erzählung  nach  Ep.  Farn.  XXIV  2.  Ueber  die  Berech- 
tigung als  Datum  dieses  Briefes  den  13.  Mai  1351  anzusetzen  vgl.  Fracas- 
setti,  Lett.  fam.  V  p.  138  f. 


Parma  und  Vaucluse.  279 

glühenden  Liebe  für  die  Classiker  des  römischen  Alterthums 
doch  von  einer  maass-  und  kritiklosen  Verehrung  derselben 
weit  entfernt  war,  viel  entfernter,  als  so  manche  der  ihm  nach- 
folgenden Humanisten.  In  dem  Geiste  seines  Begründers  war 
der  Humanismus  noch  nicht,  wie  später  so  oft  geschehen,  zu 
einem  neuen  Evangelium  und  unerschütterlichen  Dogmen- 
glauben geworden.  Es  raussten  viele  Jahrzehende  vergehen, 
bevor  man  in  der  Beurtheilung  Cicero's  dieselbe  Unbefangen- 
heit zeigte,  die  Petrarca  in  diesem  Gespräche  und  in  seinem 
erwähnten  Briefe  bekundet  hatte.  Endlich  aber  wollen  wir 
die  Bemerkung  nicht  unterdrücken,  wie  der  erzählte  Vorfall 
recht  deutlich  beweist,  dass  der  gTOsse  Petrarca  auch  eine  sehr 
menschliche  Schwäche  besass,  dass  er  Widerspruch  nicht  leicht 
ertragen  konnte,  sondern  mit  grosser  Gereiztheit  und  in  nicht 
eben  feinen  Formen  ihn  zu  unterdrücken  sich  bestrebte. 

Von  Vicenza  aus  setzte  Petrarca  am  folgenden  Tage 
die  Reise  bis  nach  Verona  fort.  Hier  nahm  er  bei  seinem 
alten  Freunde  Guglielmo  einen  längeren  Aufenthalt,  welcher 
mindestens  bis  zum  1 .  Juni  sich  ausdehnte  ^) ,  vermuthlich  in- 
dessen durch  Ausflüge  nach  Mantua,  Parma  2),  Piacenza  ^)  unter- 
brochen wurde;  von  dem  letzteren  Orte  aus  richtete  der 
Dichter  am  11.  Juni  an  seinen  Freund  Sokrates  einen  Brief, 
erfüllt  mit  düsteren  Betrachtungen  über  die  unheilvollen  Erd- 
beben, von  denen  kurz  zuvor  Piom  heimgesucht  worden  war. 
Am  20,  Juni  überschritt  er  endlich  auf  der  über  den  Mont 
Genevre  führenden  Strasse  die  Alpen  ^)  und  wenige  Tage  dar- 
auf muss  er  in  Vaucluse  eingetroffen  sein,  denn  bereits  am 
27.  Juni  meldete  er  seinem  alten  Freunde,  dem  Bischof  Philipp 
von  Cavaillon,  durch  ein  Billet  die  glücklich  erfolgte  Ankunft  ^). 

Mit  welchen  Empfindungen  musste  der  Dichter   das  ihm 


^)  Ep.  Farn.  XI  6. 
2)  ibid. 

•'')  Ep.  Fam.  XI  7. 

*)  Ep.  Fam.  XI  9.    (Ueber  das  Ortsdatum  dieses  Briefes  vgl.  Fracas- 
setti's  Note  in  der  lat.  Ausg.  der  Epp.  Fam.  t.  II  p.  135). 
"•)  Ep.  Fam.  XI  10. 


280  Fünftes  Capitel. 

einst  so  liebe  Thal  jetzt  begrüssen !  Vor  vier  Jahren  hatte  er  es 
verlassen,  in  der  Blüthe  des  kraftvollsten  Mannesalters  stehend, 
die  Liebe  zu  Laura  im  Herzen  tragend  und  die  Brust  erfüllt 
mit  stolzen  Hoffnungen.  Er  war  ausgezogen  mit  der  Zuver- 
sicht, in  dem  zu  neuer  Herrlichkeit  erstandenen  Rom ,  an  des 
Befreiers  Cola  di  Rienzo  Seite,  seine  politischen  Ideale  verwirk- 
licht, seine  kühnsten  Träume  erfüllt  zu  sehen.  Wie  ganz 
anders  war  es  doch  gekommen!  Die  römische  Freiheit  hatte 
ein  eben  so  rasches  als  klägliches  Ende  gefunden,  schwerer 
als  jemals  lastete  auf  der  ewigen  Stadt  der  Doppeldruck  der 
feudalen  und  kirchlichen  Zwingherrschaft,  der  Tribuü  selbst 
war  im  fernen  Böhmen  des  Kaisers  Gefangener  und  musste 
nach  menschlicher  Voraussicht  eines  noch  schlimmeren  Looses 
gewärtig  sein.  In  tiefster  Seele  musste  Petrarca  den  Schmerz 
solcher  Enttäuschung  empfinden.  Aber  noch  Schwereres  hatte 
ihn  betroffen.  Theure  Freunde  waren  durch  Pest  oder  Mörder- 
hand ihm  entrissen  worden,  seine  Laura  war  ihm  gestorben 
und  er  selbst  war  unter  der  niederbeugenden  Last  so  viel- 
fachen Leides  ein  Anderer  geworden;  der  heitere  Muth  und 
das  freudige  Selbstvertrauen  der  Jugend  waren  von  ihm  ge- 
wichen, die  entsetzlichen  Unglücksjahre,  die  er  durchlebt, 
hatten  ilm  schwermüthig  und  ernst  gestimmt  und  das  Bewusst- 
sein  in  ihm  wachgerufen,  dass  er  bereits  an  der  Schwelle  des 
Alters  stehe.  Freilich  war  seine  Kraft  nur  gebeugt  und  nicht 
gebrochen,  seine  elastische  Natur  vermochte  gar  bald  zu  neuem 
Hoffen  und  Wirken  sich  empor  zu  raffen,  aber,  als  er  einzog 
in  Vaucluse,  als  er  nun  die  Stätten  wieder  sah,  an  denen  er 
einst  seines  Lebens  glücklichste  Jahre  verlebt  und  in  der  Liebe 
zu  Laura  seines  Lebens  schönsten  Traum  geträumt  hatte,  da 
mochte  er  gewiss  von  tiefster  Wehmuth  sich  ergriffen  fühlen 
und  daran  verzweifeln,  dass  er  jemals  wieder  frohe  Stunden 
schauen  werde.  Und  wie  seltsam  musste  in  solch'  tmber  Stim- 
mung es  ihm  erscheinen,  als  er  allseitig  gedrängt  ward,  in  die 
heiteren  Kreise  des  früheren  Lebens  wieder  einzutreten,  als 
die  Jugendfreunde  seine  Thür  belagerten  und  ihn  einluden, 
mit  ihnen  die  Gesellschaft  edler  Damen  aufzusuchen,  oder  als 


Parma  und  Vaucluse.  281 

gar  die  einstige  Freundin  zu  nächtlicher  Stunde  an  seine  Pforte 
kam  und  ihn  beschwor,  das  frühere  Verhältniss  zu  erneuern  '). 
Für  ihn  lag  zwischen  dem  Einst  und  Jetzt  ein  nicht  mehr  zu 
überbrückender  Abgrund,  und  nun  wollte  man  ihn  bestimmen, 
dass  er,  uneingedenk  des  Entsetzlichen,  was  er  erfahren  und 
erlitten,  die  Gegenwart  mit  der  Vergangenheit  tändelnd  ver- 
knüpfe, man  wollte  ihm  nicht  gestatten,  dem  holden  Leicht- 
sinn der  Jugend  zu  entsagen!  Wahrlich,  unter  solchen  Ver- 
hältnissen konnte  der  Dichter  unmöglich  in  Vaucluse  behag- 
liche Tage  verleben  und  musste  zu  einem  baldigen  abermaligen 
Scheiden  sich  innerlich  gedrängt  fühlen. 

Aeussere  Verhältnisse  traten  hinzu,  um  ihm  den  Aufent- 
halt in  der  alten  Heimath  vollends  zu  verleiden.  Der  Papst 
hatte,  um  den  anarchischen  Zuständen,  unter  denen  Rom  seit 
des  Tribunen  Sturz  seufzte,  ein  Ende  zu  machen,  eine  aus  vier 
Cardinälen  bestehende  Commission  mit  der  Ausarbeitung  eines 
Verfassungsentwurfes  beauftragt  und  diese  hatte  wiederum 
Petrarca's  Gutachten  eingefordert,  sei  es  nun,  weil  sie  ihn  für 
vertraut  mit  den  römischen  Verhältnissen  erachtete,  oder,  was 
wol  wahrscheinlicher  ist,  weil  sie  damit  eine  PÜicht  der  Schick- 
lichkeit gegen  den  lorbeergekrönten  römischen  Ehrenbürger 
zu  erfüllen  glaubte.  Dichter  sind  selten  gute  Diplomaten, 
kaum  aber  hat  jemals  einer  grösseres  politisches  Ungeschick 
bewiesen,  als  Petrarca  bei  dieser  Gelegenheit.  Ohne  im  min- 
desten die  Lehren  zu  beherzigen,  welche  die  Ereignisse  der 
letzten  Jahre  doch  wahrlich  vernehmbar  genug  gepredigt  hatten, 
und  ohne  irgendwie  den  thatsächlichen  Verhältnissen  Rech- 
nung zu  tragen,  entwarf  er  in  einem  langen  Schreiben  an  die 
Commission,  welchem  er  bald  darauf  noch  ein  zweites  folgen 
liess  ^),  eine  ebenso  ideale  als  im  Einzelnen  unklare,  jedenfalls 
aber  völlig  unausführbare  Verfassung,  w^elche  im  Wesentlichen 
darin  gipfelte,  dass  die  l^arone  von  der  Herrschaft  über  Rom, 


^)  Ep.  Farn.  IX  3;  dass  dieser  Brief,  wie  Fracassetti,  Lett.  fam.  II 
p.  369  ff.  annimmt,  am  25.  Sept.  1351  geschrieben  worden  sei,  scheint  mir 
nicht  bezweifelt  werden  zu  dürfen. 

2)  Ep.  Fam.  XI  16  u.  17. 


282  Fünftes  Capitel. 

zeitweilig  wenigstens  ausgeschlossen,  und  dem  Volke  seine  ein- 
stigen Gewalten  zurückgegeben  werden  sollten.  Mit  rückhalt- 
losem und,  wenn  auch  an  sich  löblichem,  so  doch  überaus  un- 
zeitgemässem  Freimuthe  erging  sich  der  Dichter  in  den  hef- 
tigsten Anklagen  gegen  die  herrschenden  Adelsgeschlechter 
und  scheute  sich  nicht,  selbst  die  Colonna  und  Orsini  als 
fremde  Eindringlinge  zu  bezeichnen,  denn  die  ersteren  seien 
von  den  Ufern  des  Rheins,  die  letzteren  von  Spoleto  her  nach 
Rom  gekommen  und  folglich  in  Wahrheit  ohne  ein  Anrecht 
auf  den  Römernamen.  Allerdings  sei  ihm  persönlich  keine 
andere  fürstliche  Familie  so  theuer  wie  die  der  Colonnesen, 
aber  theurer  noch  sei  ihm  das  Vaterland,  und  dessen  Heil  er- 
fordere die  Ausschliessung  aller  Adligen  von  den  öffentlichen 
Aemtern.  Das  römische  Volk  müsse  so  frei  sein,  wie  einst  im 
Alterthume  es  gewesen,  und  dürfe  nicht  von  solchen  sich  be- 
herrschen lassen,  welche  ihrer  Abstammung  nach  Barbaren  seien. 
Man  erkennt  hieraus,  wie  unheilbar  befangen  Petrarca  in  sei- 
nem humanistischen  Idealismus  war,  wenn  er  solche  Ansichten 
aussprechen  und  auch  jetzt  noch,  nachdem  er  doch  hatte  sehen 
müssen,  wie  gänzlich  unfähig  und  unwürdig  das  kläglich  ver- 
kommene Volk  der  Römer  der  Freiheit  war,  von  einer  Wieder- 
herstellung der  römischen  Republik  träumen  konnte  ^). 

Es  ist  uns  nicht  überliefert,  welchen  Eindruck  des  Dich- 
ters wunderlicher  Reformvorschlag  auf  die  Gardinäle  gemacht 
hat,  aber  wie  sollte  man  daran  zweifeln  können ,  dass  es  der 
denkbar  ungünstigste  gewesen  sein  muss?  Waren  doch  die 
Gardinäle  mehr  oder  weniger  mit  den  römischen  Adelsge- 
schlechtern durch  die  Bande  verwandtschaftlicher  Beziehungen 
und  gemeinsamer  Interessen  verbunden  und  gewiss  von  der 
Ueberzeugung  durchdrungen,  dass  die  Aufrichtung  einer  rö- 
mischen Republik  ebenso  für  die  päpstliche  Herrschaft  ver- 
derblich als  auch  an  und  für  sich  unsinnig  sein  würde.  Jedenfalls 
konnten  die  persönlichen  Beziehungen  Petrarca's  zu  den  hohen 


^)  Bemerkt  sei  jedoch,   dass   Gregorovius  a.  a.  0.  VI  p.  325  f.  nicht 
ungünstig  über  Petrarca's  politische  Ideen  urtheilt. 


Parma  und  Vaucluse.  283 

geistlichen  Würdenträgern  nun,  nachdem  er  so  revolutionäre 
Ansichten  offen  kundgegeben  hatte,  nicht  mehr  so  angenehme 
und  vertrauliche  sein,  wie  dies  früher  der  Fall  gewesen  war. 
Es  muss  demnach  befremdend  erscheinen,  dass  Petrarca  den- 
noch bald  darauf  mit  dem  Amte  eines  päpstlichen  Secretärs 
betraut  werden  sollte.  In  einem  Briefe  vom  9.  August  1352  i) 
erzählt  er,  wie  er  von  zwei  ihm  befreundeten  Cardinälen  ^)  ge- 
drängt worden  sei,  sich  um  das  erledigte  Amt  zu  bewerben, 
und  wie  er,  da  alle  seine  Weigerungen  vergeblich  blieben,  sich 
endlich  dazu  verstanden  habe,  die  erforderliche  lateinische 
Probeschrift,  durch  welche  er  seine  Vertrautheit  mit  dem 
Curialstyle  beweisen  sollte,  abzufassen,  wie  aber  diese  Schrift 
von  ihm  absichtlich,  damit  er  doch  noch  den  drohenden  Fes- 
seln einer  amtlichen  Stellung  entgehen  könne,  in  einem  so 
eleganten  und  schwungvollen  Style  abgefasst  worden  sei,  dass 
die  Cardinäle  ihn  für  unfähig  zur  Handhabung  des  einfachen 
und  oft  halbbarbarischen  Curialstyles  und  also  auch  für  zum 
Secretariate  ungeeignet  erklärt  hätten.  Es  klingt  dieser  Be- 
richt höchst  unwahrscheinlich  und  ist  ganz  darnach  angethan,  den 
Verdacht  zu  erwecken,  als  sei  er  mindestens  theilweise  er- 
funden. Der  wahre  Thatbestand  dürfte  doch  wol  einfach  der 
gewesen  sein,  dass  Petrarca's  Bewerbung  um  das  Secretariat, 
zu  welcher  er  immerhin  von  zwei  Cardinälen  gedrängt  worden 
sein  mag,  desshalb  zurückgewiesen  ward,  weil  er  sich  in  der 
römischen  Angelegenheit  allzusehr  compromittirt  hatte;  die 
Eleganz  des  Styles  kann  vielleicht  einen,  wenn  auch  ziemlich 
absurden,  so  doch  bequemen  Vorwand  abgegeben  haben ,  und 
Petrarca  beeilte  sich,  den  erlittenen  Misserfolg  seinen  aus- 
wärtigen Freunden  als  einen  von  ihm  selbst  beabsichtigten 
und  im  letzten  Grunde  für  ihn  rühmlichen  dai'zustellen.  Der 
Vorfall  beweist,  dass  der  Dichter  damals  an  der  Curie  nicht 
eben  viele  einflussreiche  Freunde  mehr  besessen  haben  kann. 


^)  Ep.  Fam.  XIII  5.  Dass  der  Brief  in  das  Jahr  1352  anzusetzen  ist, 
hat  die  höchste  innere  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 

^)  Jedenfalls  die  Cardinäle  von  Boulogne  und  Talleyrand,  vgl.  Fra- 
cassetti,  Lett.  fam.  III  p.  225  f. 


284  Fünjptes  Capitel. 

War  Petrarca  demnach  zu  der  ihm  früher  so  gewogenen 
Curie  in  ein  gespanntes  Verhältniss  getreten,  so  musste  seine 
gesellschaftliche  Stellung  in  Avignon  eine  noch  misslichere 
werden,'  als  er  sich  mit  der  einflussreichen  Zunft  der  Aerzte 
oifen  überworfen  hatte. 

Papst  Clemens  VI.  war  im  Januar  1352  bedenklich  er- 
krankt ').  Auf  die  Kunde  hiervon  richtete  Petrarca  an  ihn 
einen  Brief,  in  welchem  er  ihn  ermahnte,  dass  er,  wenn  er 
anders  zu  genesen  wünsche,  sich  nicht  der  zweifelhaften  Kunst 
der  Aerzte  anvertrauen  möge  ^) ,  denn  gar  Mancher  sei  schon 
durch  die  Unwissenheit  seines  Arztes  gemordet  worden.  Die 
seltsame  Epistel  kam  zur  Kenntniss  der  päpstlichen  Leibärzte 
und  ward  von  diesen  natürlich  in  nicht  eben  feinen  Gegen- 
schriften erwidert.  So  entspann  sich  die  wunderliche  und 
langwierige  Fehde  Petrarca's  mit  den  Aerzten,  auf  welche  wir, 
da  sie  eine  der  merkwürdigsten  culturgeschichtlichen  Episoden 
jener  Zeit  bildet,  späterhin  ausführlicher  werden  zurückkommen 
müssen.  Hier  nur  die  Bemerkung,  dass  sich  der  Hass  gegen 
die  Aerzte  in  Petrarca  bis  zu  einer  wahren  und  ihm  bis  zum 
Tode  anhaftenden  Idiosynkrasie  steigerte,  — 

Seinen  Jugendfreunden  entfremdet,  mit  der  Curie  halb 
zerfallen,  mit  den  Aerzten  arg  verfeindet,  wie  hätte  unter 
solchen  Verhältnissen  Petrarca  sich  wohl  fühlen  können  in 
Vaucluse  und  Avignon,  zumal  da  auch  Laura  ihn  nicht  mehr 
dort  fesselte? 

So  beschloss  er  denn,  wieder  nach  Italien  überzusiedeln. 
Hielt  ihn  doch  Nichts  mehr  in  Avignon  zurück,  denn  auch 
eine  Streitsache,  welche  ihn  lange  beschäftigt  hatte,  war  end- 
lich zum  befriedigenden  Austrage  gebracht  worden.  Petrarca 
hatte  es,  als  er  noch  in  Italien  weilte,  durch  seinen  Einfluss 
bewirkt,  dass  ein  ihm  befreundeter  Mönch,  Don  Ubertino,  zum 
Abte  des  ßenedictinerkl osters  Corvara  bei  Bologna  ernannt 
worden  war.    Bald  darauf  hatte  indessen  der  Abt  von  Vallom- 


•)  Ep.  Fam.  XII  4  u.  5. 
2)  Ep.  Fam.  V  19. 


Parma  und  Vaucluse.  285 

brosa  bei  Florenz,  welchem  die  Vergebung  der  ervvälmten 
Stelle  zustand,  seinen  Sinn  geändert  und  dieselbe,  uneingedenk 
der  bereits  erfolgten  Ernennung  des  Don  Ubertino,  einem  ge- 
wissen Don  Guido  verliehen  ^).  Die  Angelegenheit  wurde  nun, 
da  Don  Ubertino  seinem  Ansprüche  nicht  entsagte,  der  päpst- 
lichen Curie  zur  Entscheidung  überwiesen.  Petrarca,  inzwischen 
nach  Frankreich  zurückgekehrt  2),  nahm  sich  der  Sache  seines 
Freundes  mit  Eifer  an  und  verwerthete  für  sie,  wie  einst  im 
Interesse  Azzo's  di  Correggio,  seine  juristischen  Kenntnisse, 
ohne  dass  er  indessen  zunächst  etwas  zu  erreichen  vermocht 
hätte.  Erst  im  April  1352  gelang  es  ihm,  eine  für  Don  Uber- 
tino günstige  Entscheidung  zu  erzielen  ^). 

So  brach  denn  der  Dichter,  durch  Nichts  mehr  an  Frank- 
reich gefesselt,  am  16.  November  1352  von  Vaucluse  nach 
Italien  auf.  Er  hatte  kein  bestimmtes  Reiseziel,  sondern  beab- 
sichtigte, erst  später  sich  den  künftigen  Aufenthaltsort  zu  wählen. 
Wollte  er  auch  in  Florenz  und  in  Parma  sich  nicht  nieder- 
lassen, so  war  er  doch  in  Verona,  in  Partua,  in  Rom  einer 
freundlichen  Aufnahme  gewiss.  Auch  Neapel  hätte  ihn  locken 
können,  wohin  er  von  dem  Seneschall  Niccolo  Acciaiuoli,  dem 
Bruder  des  ihm  befreundeten  Bischofs  von  Florenz,  Angelo 
Acciaiuoli,  dessen  Besuch  er  erst  kürzlich  in  Vaucluse  em- 
pfangen hatte  ^),  in  ebenso  schmeichelhafter  als  liebenswürdiger 
Weise  eingeladen  worden  war^). 

Indessen  sollte  die  geplante  Reise  schon  in  ihrem  Beginne 
unterbrochen  und  zunächst  vereitelt  werden. 

Petrarca  hatte  sich  von  Vaucluse  aus  zuerst  nach  dem 
nahe  gelegenen  Cavaillon  begeben,  um  dort  von  seinem  Freunde, 
dem  Bischöfe  Philipp,  Abschied  zu  nehmen.    Bei  einem  völlig 


*)  Epist.  Fam.  XII  4,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  m  p.  138. 

^)  Fracassetti  gelit  gewiss  zu  weit,  wenn  er  1.  1.  meint,  dass  diese  An- 
gelegenheit wol  der  Hauptgrund  gewesen  sein  möchte,  wesshalb  Petrarca  im 
Juni  1352  nach  Avignon  zurückkehrte. 

3)  Ep.  Fam.  XII  13. 

*)  Ep.  Fam.  XII  12. 

s)  Ep.  Fam.  XIII  9. 


286  Fünftes  Capitel. 

heitern  und  milden  "Wetter,  wie  es  in  diesem  ganzen  Herbste 
geherrscht  hatte,  war  er  ausgezogen,  aber  nur  erst  eine  kurze 
Strecke  hatte  er  zurückgelegt,  als  plötzlich  der  Himmel  sich 
zu  bewölken  und  ein  starker  Regen  zu  fallen  begann.  So  ge- 
langte er  nach  Cavaillon,  wo  ihn  der  Bischof,  obwol  krank  und 
bettlägerig,  in  freundschaftlichster  Weise  aufnahm  und  ihn  be- 
redete, die  Nacht  bei  ihm  zuzubringen.  An  Schlaf  war  in- 
dessen für  Petrarca  nicht  viel  zu  denken.  Die  Krankheit  des 
Hausherrn  hielt  die  Dienerschaft  wach,  draussen  tobte  ein 
furchtbares  Unwetter  und  überdies  traf  die  Kunde  ein,  dass 
die  Alpenpässe  der  nach  Nizza  und  Genua  führenden  Strassen 
von  bewaffneten  Schaaren  —  man  wusste  nicht,  in  wessen 
Auftrag  —  gesperrt  seien.  In  Rücksicht  auf  letzteren  Umstand 
bat  der  Bischof  am  Morgen  seinen  Gast,  die  Reise  einstweilen 
als  zu  gefahrvoll  aufzuschieben.  Petrarca  schwankte  noch :  er 
hatte  die  Strasse  nach  Nizza  nur  gewählt,  um  in  Montrieu 
seinen  Bruder,  den  er  seit  fünf  Jahren  nicht  gesehen  hatte, 
zu  besuchen,  und  war  nun  einen  Augenblick  geneigt,  einen 
anderen  Weg  einzuschlagen.  Der  sündfluthartige  Regen  in- 
dessen, der  unablässig  herabströmte  und  den  werthvollsten 
Bestandtheil  seines  Reisegepäckes,  die  Bücherp ackete ,  mit 
schwerer  Beschädigung  bedrohte,  bestimmte  ihn  endlich,  die 
Reise  vorläufig  aufzugeben.  Er  sandte  einige  Diener  mit  den 
entbehrlichen  Gepäckstücken  nach  Italien  voraus,  um  seine 
spätere  Ankunft  den^  dortigen  Freunden  zu  melden,  und  wandte 
sich  selbst  zur  Umkehr  nach  Vaucluse.  Ein  seltsames  Spiel 
des  Zufalls  wollte,  dass  fast  in  demselben  Augenblicke  —  es 
hätte  sein  Ruf  noch  die  weiter  reisenden  Diener  erreichen 
können  —  der  Regen  aufhörte  und  die  Sonne  wieder  hell  und 
klar  aus  dem  Gewölke  hervortrat.  Doch  liess  er  sich  dadurch 
in  dem  einmal  gefassten  Entschlüsse  nicht  beirren,  sondern 
setzte  den  Weg  nach  Vaucluse  fort  ^).  Dort  eingetroffen,  nahm, 
er  seine  frühere,  theils  den  Studien,  theils  beschaulichem  Natur- 
genusse  gewidmete  Lebensweise  wieder  auf,   doch,   wenn  ihm 

^)  Die  ganze  ErzäUung  nach  Ep.  Farn.  XV  2  u.  3. 


Parma  und  Vaucluse.  287 

bereits  vorher  das  Verweilen  an  den  einst  so  geliebten  Quellen 
der  Sorgue  durch  mancherlei  Verhältnisse  verleidet  worden 
war,  so  musste  dies  Missbehagen  durch  das,  was  in  der  Folge 
geschah,  noch  gesteigert  werden. 

Am  3.  December  1352  starb  Papst  Clemens  VI.,  dei- 
schweren  Krankheit,  von  welcher  er  seit  Beginn  des  Jahres 
heimgesucht  worden  war,  erliegend.  Sein  Nachfolger  wurde 
der  Cardinal  Etienne  Aubert  (Stefano  Albertij,  bisher  Bischof 
von  Ostia  und  Velletri  ^\  ein  redlicher,  aber  geistig  beschränkter 
Mann.  Der  neue  Papst  war  Petrarca  nicht  sonderlich  gewogen, 
ja  er  hielt  ihn  sogar  wegen  seiner  eifrigen  Beschäftigung  mit 
Virgil  für  einen  Zauberer  2).  Der  Aufenthalt  des  Dichters  in 
der  unmittelbaren  Nähe  der  Curie,  zu  welcher  er  doch  nicht 
alle  Beziehungen  abbrechen  durfte,  musste  bei  solcher  Sach- 
lage ein  peinlicher  sein  und  konnte  selbst  ein  gefährlicher 
werden,  denn  wer  bürgte  dafür,  dass  Innocenz  den  vermeint- 
lichen Zauberer  nicht  vor  das  kirchliche  Gericht  rufen  liessV 
Der  finstere  Geist  des  Mittelalters,  der  in  Innocenz  noch  ein- 
mal den  päpstlichen  Stuhl  bestiegen  hatte,  war  ja  der  natür- 
liche Feind  des  Humanismus.  Petrarca  konnte  befürchten, 
seines  Freundes  Cola  di  Rienzo  Schicksal  th eilen  zu  müssen. 
Der  einstige  Tribun  weilte  seit  einigen  Monaten  als  Gefangener 
des  Papstes  in  Avignon,  nachdem  er  lange  Zeit  des  Kaisers 
Gefangener  in  Böhmen  gewesen  war^).  Sein  Leben  zwar 
schien  gesichert,  das  seltsame  Gerücht,  dass  er  ein  grosser 
Dichter  sei,  schützte  ihn*),  denn  an  einem  solchen  sich  zu 
vergreifen,  wäre  damals,  wo  die  poetische  Raserei  in  Avignon 
nicht  bloss  die  Masse  des  Volkes,  sondern  selbst  die  Curie 
ergriffen  hatte  ^),  als  ein  Frevel  erschienen,  aber  dass  er  jemals 


^)  vgl.  Christophe  a.  a.  0.  II  p.  167  ff. 

2)  Ep.  Sen.  I  2  u.  4. 

3)  Ueber  die  vielfach  hoch  interessanten  Beziehungen  Karls  lY.  zu 
Cola  vgl.  ausser  dem,  was  Papencordt  darüber  mittheilt,  die  schöne  Dar- 
stellung b.  Friedjung,  Kaiser  Karl  IV.  und  sein  Antheil  an  dem  geistigen 
Leben  seiner  Zeit  (Wien,  1876)  p.  285—296. 

*)  Ep.  Fam.  XIII  6. 
5)  ibid. 


288  Fünftes  Capitel. 

S 

die  Freiheit  wieder  erlangen  würde,   konnte  von  Niemandem 

erwartet  werden. 

So  wenig  indessen  Petrarca  bei  dem  neuen  Papste  auf 
eine  freundliche  Aufnahme  rechnen  konnte,  so  wollte  und 
durfte  er  doch  die  Pflicht  der  Schicklichkeit  nicht  versäumen 
und  begab  sich,  wahrscheinlich  auch  von  seinen  Gönnern,  den 
Cardinälen  von  Boulogne  und  Talleyrand,  dazu  ermuntert,  am 
3.  Januar  1353  nach  Avignon ,  um  sich  Innocenz  VI.  vor- 
zustellen. Ehe  er  indessen  noch  sein  Vorhaben  hatte  aus- 
führen können,  wurde  er  durch  eine  Trauerkunde,  welche  er 
am  Abende  des  folgenden  Tages  empfing,  nach  Vaucluse  zu- 
zückgerufen:  sein  alter  Hausverwalter  und  Bibliotheksdiener, 
Raimund  Monet,  war  gestorben^).  Gewiss  blieb  auch  dies 
an  sich  nebensächlich  erscheinende  Ereigniss  nicht  ohne  Ein- 
fluss  auf  Petrarca's  EntSchliessungen.  Der  Tod  des  treuen 
Dieners  musste  für  ihn,  den  alternden  Junggesellen,  mancherlei 
äussere  Unbequemlichkeiten  zur  Folge  haben  und  den  Wunsch 
in  ihm  erwecken,  der  lästigen  Sorgen  für  den  verwaisten 
Haushalt  möglichst  bald  überhoben  zu  werden.  So  entschloss 
er  sich  denn,  die  Reise  nach  Italien  abermals  anzutreten. 

Zunächst  aber  brachte  er,  um  nicht  wieder  in  seinen 
Reisedispositionen  behindert  zu  werden,  den  lang  beabsichtigten 
Besuch  im  Kloster  Montrieu  zur  Ausführung.  Um  die  Mitte 
des  April  brach  er  dahin  auf  Unterwegs  hatte  er  am  19.  April, 
als  er  auf  der  Strasse  von  Aix  nach  St.  Maximin  sich  befand, 
die  Freude,  einer  Gesellschaft  römischer  Damen  zu  begegnen, 
welche  nach  San  Jago  wallfahrteten  und  von  denen  er  über 
das  Befinden  seines  Freundes  Laelius  sowie  über  die  letzten 
politischen  Vorgänge  in  Rom  unterrichtet  wurde  ^).  Beim 
Abschied  wollte  er  den  gefälligen  Frauen  ein  Geldgeschenk 
aufdringen,  diese  aber  verweigerten  beharrlich  dessen  Annahme 
und  der  Dichter  erhielt  von  ihnen  den  wohlthuenden  Eindruck, 
dass  sie  nicht  nur  an  Wuchs  und  Haltung,  sondern  auch  an 
Gesinnung    den  Römerinnen  des   Alterthums    glichen.     Nicht 


^)  Ep.  Fam.  XVI  1. 
2)  Ep.  Fam.  XVI  8. 


Parma  und  Vaucluse.  289 

minder  angenehme  Eindrücke  gewann  er  von  seinem  Aufent- 
halte in  der  Karthause:  er  fand  seinen  Bruder,  der  nun  be- 
reits beinahe  zehn  Jahre  dem  strengen  Orden  angehörte,  sehr 
zum  Vortheile  verändert:  aus  dem  wankelmüthigen  und  leicht- 
sinnigen Jünglinge  war  ein  ernster  Mann  geworden,  welcher 
eifrig  und  standhaft  sittlicher  Vervollkommnung  nachstrebte. 
Hatte  Petrarca  einst  Sorgen  und  Befürchtungen  um  seines 
Bruders  Entwickelung  gehegt,  so  musste  er  jetzt  von  auf- 
richtiger Freude  und  Bewunderung  erfüllt  werden.  Selbst 
nicht  ohne  einen  gewissen  Neid  mochte  er  auf  das  Loos  des 
Bruders  schauen,  der  in  stiller  Clause  den  inneren  Frieden 
gefunden  und  auf  das  nichtige  Treiben  der  Welt  verzichten 
gelernt  hatte,  während  er  selbst  noch  unstät  und  von  Hoff- 
nungen und  Wünschen  erregt  umhertrieb  auf  dem  bewegten 
Meere  des  Lebens  und  gerade  jetzt  wieder  einer  unsicheren 
Zukunft  entgegen  ging.  Es  sollten  die  beiden  Brüder  sich 
fortan  nicht  wieder  sehen. 

Die  freundliche  Aufnahme,  welche  Petrarca  jetzt  wie 
schon  einmal  früher  in  dem  Kloster  gefunden  hatte,  säumte 
er  nicht,  in  angemessener  Weise  zu  vergelten.  Die  Karthause, 
welche  als  zur  Grafschaft  Provence  gehörig  damals  unter  der 
Oberhoheit  der  Anjou's  von  Neapel  stand,  hatte  unter  den 
anarchischen  Zuständen,  denen  das  sicilisch - provenzalische 
Reich  seit  dem  Tode  des  grossen  Robert  verfallen  war,  schwer 
zu  leiden,  indem  ihr  Grundbesitz  der  Gegenstand  unaufliör- 
licher  räuberischer  Angriffe  von  Seiten  der  umwohnenden 
Barone  wurde,  oline  dass  der  Bischof  von  Marseille  dagegen 
seine  geistliche  Autorität  geltend  gemacht  hätte.  Petrarca 
richtete  daher  an  seinen  Freund  Zanobi  von  Florenz,  welcher 
seit  kurzem  des  Seneschalls  Acciaiuoli  Secretär  geworden,  ein 
Schreiben,  in  welchem  er  ihn  aufforderte,  dass  er  seinen  Ein- 
fluss  bei  dem  Seneschall  aufbieten  möge,  um  den  bedrängten 
Klosterbrüdern  die  schmerzlich  vermisste  Rechtssicherheit 
wieder  zu  verleihen  i). 


')  Ep.  i^am.  XVI  9. 

Körting,  Petrarca.  19 


290  Fünftes  Capitel. 

Nach  kurzem  Aufenthalte  in  Montrieu  reiste  Petrarca  nach 
Vaucluse  zurück,  begab  sich  dann  am  26.  April  noch  einmal  — 
zum  letzten  Male  ~  nach  Avignon,  hielt  sich  hierauf  noch 
etwa  acht  Tage  zur  Ordnung  seiner  häuslichen  Angelegenheiten 
in  Vaucluse  auf^)  und  trat  endlich  an  einem  der  ersten  Tage 
des  Mai  die  Reise  nach  Italien  an  -).  Mit  welchen  Gefühlen 
mochte  er  dieses  Mal,  nach  den  Erlebnissen  der  letzten  Jahre, 
von  Vaucluse  scheiden!  Ob  er  wol  ahnte,  dass  er  die  einst 
ihm  so  theueren  und  bereits  durch  ihn  berühmt  gewordenen 
Stätten  seiner  Jugend  und  seiner  Liebe  nie  wieder  schauen 
werde?  Und,  wenn  er  auch  wiedergekehrt  wäre,  sein  trau- 
liches Häuschen  an  den  Quellen  der  Sorgue,  in  welclrem  er 
so  manche  freudevolle  und  so  manche  leidvolle  Stunde  ver- 
lebt und  so  manchen  durch  Geburt  oder  Geist  ausgezeichneten 
Mann  als  Gast  empfangen  hatte,  würde  er  doch  nicht  wieder- 
gefunden haben,  denn  am  Weihnachtstage  desselben  Jahres  noch 
ward  es  von  Räubern  verwüstet  und  in  Brand  gesteckt^). 

Wir  wissen  nicht,  auf  welcher  Strasse  der  Dichter,  dem  gal- 
lischen Babel  entronnen,  dem  geliebten  Italien  zueilte,  doch  lässt 
sich  vermuthen,  dass  er  den  Weg  über  den  Mont  Genevre  wählte, . 
denn  es  scheint,  als  habe  er  nur  damals  das  herrhche  latei- 
nische Lied  dichten  können,  mit  welchem  er  von  den  Höhen 
dieses  Berges  aus  die  vor  ihm  liegenden  herrlichen  Gefilde 
seines  Heimathslandes  begrüsste:  „Sei  gegrüsst,  Du  heiliges 
Land,  Du  von  Gott  geliebtes!  sei  gegrüsst.  Du  Land,  das  den 
Edeln  Schutz  gewährt,  doch  furchtbar  den  Frevlern  ist!  Du 
Land,  das  Du  edler  bist,  als  viele  berühmte  Lande,  frucht- 
barer, als  alle,  und  schöner,  als  irgend  ein  and'res!  Vom 
Doppelmeere  wirst  Du  umgürtet  und  es  »schmückt  Dich  das 
weit  berühmte  Gebirge;  der  Waffen  und  der  Gesetze  Heimath 
bist  Du  und  doch  zugleich   auch  der  heiligen  Musen  Sitz;  an 


0  Diese  Daten  nach  Ep.  Farn.  XVI  10. 

*)  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  181  setzt  den  1.  Mai  als  Tag  der  Abreise 
an ,  ohne  dies  indessen  belegen  zu  können,  denn  Epist.  poet.  111  24,  welche 
citirt  wird,  bietet  keinen  Anhalt. 

■'')  vgl.  oben  S.  141. 


Parma  und  Vaucluse.  291 

Schätzen  bist  Du  reich  und  an  tapferen  Mannen.  Zu  Deinem 
Preise  haben  Natur  und  Kunst  sich  verbündet  und  Dich  zur 
Heriin  der  Welt  erhoben.  —  Nach  langer  Entfernung  kehre 
ich  jetzt  sehnsuchtsvoll  zu  Dir  zurück,  um  fortan  immer  bei 
Dir  zu  weilen.  Dem  lebensmüden  Wanderer  wirst  Du  der 
Käst  ersehnte  Stätte  gewähren  und  wirst  ihm  einst  so  viel 
Erde  spenden,  als  nöthig  ist,  um  den  Leib  zu  bedecken.  — 
Dich,  Italien,  schau'  ich  jetzt  froh  von  der  Höhe  des  Genövre- 
berges!  Die  düsteren  Wolken  bleiben  nun  fern,  ein  milder 
Lufthauch  fächelt  mein  Antlitz  und  kühlt  es  mit  lieblichen 
Schwingen.  —  Ich  erkenne  mein  Vaterland  wieder  und  be- 
grüsse  es  freudig.  Sei  mir  gegrüsst,  schöne  Muttererde!  Du 
ruhmvollstes  dei-  Länder,  sei  gegi'üsst  0 ! " 

So  betrat  Petrarca  das  Vaterland  mit  jenem  Hochgefühle 
der  Freude,  welches  ein  dem  düsteren  Kerker  Entronnener 
empfindet,  wenn  ihm  zum  ersten  Male  wieder  die  Luft  der 
Freiheit  zu  athmen  vergönnt  ist.  Auch  diese  lebendige  und 
innige  Liebe  zum  Vaterlande,  sich  gründend  auf  die  Bewunde- 
rung seiner  natürlichen  Schönheit  und  seiner  grossen  geschicht- 
lichen Vergangenheit,  ist  ein  erst  durch  die  Renaissance  wieder 
erwecktes,  dem  Mittelalter  fremdes  Gefühl.  Die  Renaissance 
erst  hat  dem  Menschen  ein  wirkliches  Vaterland  auf  Erden 
wiedergegeben  und  ihn  die  Liebe  zu  demselben  gelehrt. 


^)  Ep.  poet.  lat.  III  24. 


19  = 


Sechstes  Capitel. 
Petrarca  in  Mailand^). 


X  etrarca  scheint  seine  Reise  nach  Italien  unternommen 
zu  haben,  ohne  über  den  Zielpunkt  derselben  im  Voraus  zu 
einem  bestimmten  Entschlüsse  gekommen  zu  sein.  Früher 
jedoch,  als  er  wol  selbst  erwartet  hatte,  sollte  er  ein  Ziel 
und  für  lange  Jahre  einen  festen  Aufenthaltsort  finden. 

In  Mailand  herrschte  seit  dem  am  25.  Januar  1349  erfolgten 
Tode  Luchino's  dessen  Bruder  Giovanni  Visconti,  mit  der 
weltlichen  Macht  zugleich  die  erzbischöfliche  Würde  vereinend 
und,  ti-eu  den  alten  Traditionen  seines  Hauses,  mit  allen 
Mitteln  einer  hinterlistigen  und  keine  sittlichen  Bedenken 
kennenden  Politik  nach  Befestigung  und  Erweiterung  seiner 
Herrschaft  erfolgreich  strebend.  So  hart  man  auch  vom  sitt- 
lichen Standpunkte  aus  über  diesen  Mann  zu  urtheilen  be- 
rechtigt sein  mag,  so  wird  man  doch  nicht  leugnen  können, 
dass  er  unter  den  Menschen  seiner  Zeit  eine  hervorragende 
Erscheinung  war  und,  namentlich  verglichen  mit  den  späteren 
Visconti,  einer  gewissen  Charaktergrösse  nicht  entbehrte.  Es 
lebte   in   diesem    Priester    etwas    von   dem    staatenbildenden 


*)  vgl.  C.  Romussi,  Petrarca  a  Milano.  Studi  storici  Mailand  1874 
u.  A.  Hortis ,  „Petrarca  e  i  Visconti'  u.  „Petrarca  alla  corte  di  Galeazzo 
Visconti"  in  den  „Scritti  inediti  di  Fr.  P."  p.  43—84  u.  135—182. 


Petrarca  in  Mailand.  293 

Geiste  eines  Richelieu  und  er  darf  auf  den  Ruhm  Anspruch 
erheben ,  noch  vor  einem  Ludwig  XL  den  ersten  modernen 
Staat  begründet  oder  doch  dessen  Gründung  vorbereitet 
zu  haben. 

Petrarca  hatte  durch  seine  freundschaftlichen  Beziehungen 
zu  Luchino  schon  seit  langer  Zeit  zu  den  Visconti  in  näherem 
Verhältnisse  gestanden  und  mochte  in  Folge  dessen,  als  er 
von  Frankreich  aus  nach  Mailand  gekommen  war ,  sich  für 
verpflichtet  halten,  den  Erzbischof  aufzusuchen. 

Dem  klugen  Kirchenfürsten  konnte  es  unmöglich  entgehen, 
"wie  vortheilhaft  es  für  ihn  sein  müsste,  den  berühmten  Dichter 
dauernd  an  seinen  Hof  zu  fesseln.  War  doch  der  jugendliche 
Humanismus  bereits  eine  Macht  geworden,  mit  welcher  man  zu 
rechnen  hatte,  welche  man  erfolgreich  für  politische  Zwecke  be- 
nutzen konnte.  Schon  hatte  die  Zeit  begonnen,  wo  Staatsreden 
und  Staatsschriften,  abgefasst  in  den  volltönenden  Klängen  eines 
eiceronianischen  Lateins,  eine  unwiderstehliche  Gewalt  auf  Leser 
und  Hörer  ausübten  und  durch  ihre  zierliche  Form  mehr  als 
durch  ihren  Inhalt  zu  wirken  oder  doch  dem  letzteren  einen 
leichteren  Zugang  in  die  Gemüther  zu  verschaffen  vermochten. 
Wie  mächtig  also  musste  es  die  Ziele  der  ehrgeizigen  Politik 
der  Visconti  fördern,  wenn  künftighin  ein  Petrarca,  der  ge- 
feierteste Meister  des  Styls,  ihr  seine  beredte  Zunge  und  noch 
beredtere  Feder  lieh!  Und  mehr  noch!  Die  Tyrannis  der 
Visconti  musste  in  den  Augen  der  Italiener  eine  Art  höherer 
Weihe  erlangen,  mit  einer  gewissen  Legitimität  bekleidet 
werden,  wenn  ein  Mann  wie  Petrarca,  der  seine  glühende 
Vaterlandsliebe  so  oft  mit  Wort  und  That  bekundet  hatte, 
sich  in  Mailand  dauernd  niederliess.  Das  Fürstenhaus,  in 
dessen  Dienste  zu  treten  ein  Petrarca  sich  bestimmen  Hess, 
musste  dem  Volke  Italiens  als  dasjenige  erscheinen,  von 
welchem  am  ehesten  die  ersehnte  Neugeburt  des  Vaterlandes 
erwartet  werden  durfte. 

Von  solchen  Erwägungen  wurde  allem  Vermuthen  nach 
der  Erzbischof  geleitet,  als  er  an  Petrarca  das  Ansuchen 
richtete,  seinen  Wohnsitz  fortan  in  Mailand  nehmen  zu  wollen. 


294  Sechstes  Capitel. 

Der  überraschte  Dichter  sträubte  sich  anfänglich,  denn  er 
musste  befürchten,  dass  er  in  eine  drückende  Abhängigkeit  ge- 
rathen  und  in  der  geräuschvollen  Stadt  mancher  bisher  ge- 
nossenen Annehmliclikeit  des  äusseren  Lebens  beraubt  werden 
könnte,  indessen,  als  der  Visconti  ihm  in  der  verbindlichsten 
Form  alle  nur  irgend  wünschenswerthen  Zusicherungen  gab, 
willigte  er  ein  und  verblieb  in  Mailand.  Der  Erzbischof  hielt, 
was  er  versprochen.  Er  erwies  seinem  berühmten  Gaste  jede 
denkbare  Rücksicht  und  Aufmerksamkeit  und  that  Alles,  um 
ihm  den  Uebergang  in  das  neue  Lebensverhältniss  zu  erleichtern. 
Petrarca's  Abneigung  gegen  das  städtische  Leben  kennend, 
wies  er  ihm  im  äussersten  Westen  der  Stadt  gegenüber  der 
Kirche  des  heiligen  Ambrosius  eine  geräumige  und  bequeme 
Wohnung  an,  welche  fast  die  Annehmlichkeiten  eines  Land- 
aufenthaltes, namentlich  auch  eine  entzückende  Fernsicht  auf 
die  nahen  Alpen  gewährte  ^).  Petrarca  fühlte  sich  denn  auch 
in  derselben  sehr  behaglich  und  lebte,  fast  wie  er  es  in  Vau- 
cluse  gewohnt  gewesen  war,  vorwiegend  den  eigenen  Studien 
und  dem  Genüsse  der  Natur;  weder  zu  einem  regelmässigen 
Erscheinen  am  fürstlichen  Hofe  noch  zu  bestimmten  amtlichen 
Geschäften  war  er  verpflichtet,  wenn  es  auch  stillschweigende 
Vereinbarung  sein  mochte,  dass  er  bei  gegebener  Gelegenheit 
bereit  war,  dem  Fürstenhause  mit  Rath  und  That  zu  dienen, 
namentlich  aber  die  Abfassung  wichtiger  Staatsschriften  und 
die  Ausführung  diplomatischer  Missionen  zu  übernehmen.  Es 
war  kein  Ruheposten,  den  er  als  Rath  des  mailändischen 
Fürsten  bekleidete,  oft  genug  ward  er  mit  schwierigen  Auf- 
trägen und  beschwerlichen  Gesandtschaftsreisen  in  das  ferne 
Ausland  betraut,  aber  es  blieb  ihm  doch  das  drückende  Ge- 
fühl erspart,  dauernd  der  freien  Verfügung  über  seine  Zeit 
beraubt  zu  sein  und  von  den  Launen  eines  fortwährende 
Dienstbarkeit  fordernden  Herreu  abzuhängen,  und  für  die 
Mühwaltungen ,  denen  er  zeitweilig  sich  unterziehen  musste, 
konnten  ihn  die  ehrenden  Auszeichnungen  entschädigen,  welche 

')  Ep.  Fam.  XVI  1.    Ep.  poet.  lat.  lU  18. 


Petrarca  in  Mailand.  295 

ihm  von  Seiten  des  Fürstenhauses  wiederholt  erwiesen  wurden. 
So  hat  er  denn  in  Mailand  Jahre  verlebt,  welche  ihm  die  mit 
einem  hohen  Staatsamte  verbundenen  ansehnlichen  Vortheile  in 
reichlichem  Maasse  gewährten,  ohne  ihn  doch  die  sonst  in 
solcher  Stellung  unvermeidlichen  Lasten  allzu  sehr  empfinden  zu 
lassen,  und  es  kann  uns  daher  nicht  Wunder  nehmen,  dass  er, 
der  sonst  so  schwer  zu  befriedigen  war  und  an  keinem  Orte 
lange  zu  verweilen  vermochte,  noch  nach  fünf  Jahren  sieh 
über  den  Aufenthalt  in  Mailand  sehr  befriedigt  aussprach '), 
wie  er  ihn  denn  auch  endlich  nur  durch  äussere  Umstände 
genöthigt  aufgegeben  hat. 

So  war  denn  das  Unglaubliche  geschehen.  Petrarca,  der 
so  oft  und  so  nachdrucksvoll  erklärt  hatte,  wie  er  das  städtische 
Leben  verabscheue,  ja  als  geradezu  unsittlich  betrachte,  und 
wie  er  nur  in  ländlicher  Einsamkeit  sich  wohl  zu  fühlen  ver- 
möge, war  jetzt  Bürger  einer  Grossstadt  geworden,  welche  als 
ein  Centralpunkt  des  damaligen  politischen  und  mercantilen 
Lebens  an  geräuschvollem  Treiben  gewiss  alle  übrigen  Städte 
Italiens,  Neapel  vielleicht  ausgenommen,  weit  übertraf.  Und 
mehr  noch.  Er,  der  so  oft  betheuert  hatte,  dass  er  seine 
persönliche  Freiheit  als  sein  höchstes  Gut  betrachte  und  dass 
er  nimmer  das  unwürdige  Joch  einer  abhängigen  Stellung  auf 
sich  nehmen  werde,  hatte  sich  jetzt  doch  dazu  verstanden,  in 
den  Dienst  eines  Fürsten  einzutreten,  und  er,  der  so  oft  die 
Herrschaft  der  kleinen  Tyrannen  als  Italiens  schwerstes  Unheil 
beklagt  hatte  ^),  war  jetzt  selbst,  wenn  nicht  dem  Namen,  so 
doch  der  That  nach  der  Diener  eines  solchen  und  zwar  des 
gefährlichsten  unter  ihnen  geworden. 

Unleugbar  enthielt  des  Dichters  Handlungsweise  eine 
schwere  Inconsequenz  und  konnte  nicht  verfehlen,  seine 
Freunde  in  schmerzliche  Bestürzung  zu  versetzen  und  selbst 
an  der  Lauterkeit  seines  Charakters  zweifeln  zu- lassen.  War 
doch  Petrarca  in   den  Augen    seiner  Bewunderer  eine  Ideal- 


')  Ep.  Farn.  XIS  16. 

-)  vgl.  A.  Hortis,  a.  a.  0.  p.  68  f. 


296  Sechstes  Capitel. 

gestalt  gewesen  und  hatte  er  doch  selbst  sich  durch  seine 
moralphilosophisehen  Diatriben  eifrigst  bemüht,  sich  der  Welt 
als  weit  erhaben  über  das  Trachten  nach  irdischen  Gütern 
und  als  einzig  idealen  Zielen  nachstrebend  darzustellen.  Jetzt 
war  das  Ideal  zu  dem  Niveau  der  gemeinen  Menschlichkeit 
herabgestiegen,  der  gefeierte  Halbgott  erschien  als  ein  mit 
den  gewöhnlichen  Schwächen  der  Menschheit  behafteter 
Sterblicher, 

Allerdings  versuchte  Petrarca,  sich  gegen  die  mehr  oder 
weniger  offen  ausgesprochenen  Anklagen  und  Vorwürfe  seiner 
Freunde  zu  vertheidigen,  doch  kann  man  nicht  eben  behaupten, 
dass  ihm  seine  Rechtfertigung  gelungen  sei.  Er  kam,  wie 
das  ja  auch  der  Natur  der  Sache  nach  gar  nicht  anders  sein 
konnte,  über  allgemeine  und  trotz  ihrer  Klangfülle  inhaltslose 
Redensarten  nicht  hinaus  ')  und  er  vermochte  nicht,  die  Ver- 
legenheit um  Beweismittel  unter  der  Hülle  volltönender  Perioden 
zu  verbergen.  Das  beste  Argument,  von  welchem  er  Gebrauch 
machte,  bestand  wol  noch  darin,  dass  er  betheuerte,  es  sei 
ihm  unmöglich  gewesen,  den  Bitten  des  „Grössten  der  Italiener" 
zu  widerstehen  =').  Darin  mochte  Wahrheit  enthalten  sein. 
Giovanni  Visconti  war  wirklich  eine  gewaltige  Persönlichkeit  ^). 
Es  wäre  also  erklärlich  gewesen,  wenn  Petrarca,  dessen  lebhafte 
Phantasie  sich  rasch  Ideale  erschuf,  in  dem  mächtigen  Fürst- 
bischöfe, der  in  den  wenigen  Jahren  seiner  HeiTSchaft  bereits 
so  Grosses  gethan  hatte  und  Grösseres  noch  plante,  das  Ideal 
eines  Staatenlenkers  erblickt  hätte.  Bot  sich  uns  doch  schon 
wiederholt  die  Gelegenheit  zu  der  Bemerkung  dar,  dass  die 
Menschen  der  Renaissance  nicht  ethisch,  sondern  ästhetisch 
urtheilten  und  dem  Eindrucke  einer  über  das  Durchschnittsmaass 
der  Befähigung  sich  erhebenden  und  überdies  von  grossen  Er- 
folgen emporgetragenen  Persönlichkeit  nicht  zu  widerstehen  ver- 
mochten.   Ein  jeder  Charakter,  der  auch  nur  den  Schein  des 


»}  Ep.  Fam.  XVI  11.  12.  XVII  10.    Var.  7.  25.    App.  5. 

2;  Ep.  Fam.  XVI  11. 

^  vgl.  A.  Hortis  a.  a.  0.  p.  63  ff. 


Petrarca  in  Mailand.  297 

Grossen  und  Aussergewöhnlichen  an  sich  trug  und  in  sich 
harmonisch  abgeschlossen  erschien,  erweckte  Bewunderung  und 
Beifall.  Und  Giovanni  Visconti  war  zweifellos  ein  solcher 
Charakter  und  war  es  in  weit  höherem  Maasse,  als  ein  Jacopo  IL 
von  Carrara  oder  gar  ein  Azzo  von  Coi'reggio  es  gewesen. 
Begreiflich  war  es  also,  dass  der  Idealist  Petrarca  ihm  auf- 
richtige Hochachtung  zollte  und  zum  Verbleiben  bei  ihm  sich 
bestimmen  liess. 

Aber  auch  durch  einen  anderen  und  zwar  sehr  prosaischen 
Grund,  den  er  den  Freunden  zu  bekennen  sich  schämte,  ist 
Petrarca,  wie  man  vermutlien  darf,  zu  dem  Aufenthalte  in 
Mailand  bewogen  worden.  Es  befand  sich  der  Dichter  damals 
in  keineswegs  glänzenden,  wenn  auch  nicht  gerade  ärmlichen 
Vermögensverhältnissen.  Die  Einnahmen,  welche  er  aus  seinen 
verschiedenen  geistlichen  Präbenden  bezog,  waren  selbst  nach 
den  Geldverhältnissen  der  damaligen  Zeit  durchaus  nicht  hohe 
zu  nennen  und  bestanden  überdies  zum  Theil  aus  Naturalien, 
deren  Werth  für  einen  abwesenden  Nutzniesser  sich  sehr  ver- 
ringern musste^).  War  nun  auch  Petrarca  für  seine  Person 
bedürfnisslos  genug,  so  bedurfte  er  doch  zur  Führung  seines 
Haushaltes  um  desswillen  grösserer  Summen,  als  er  mehrere 
Copisten  in  seinem  Dienste  hatte  und  bei  seinen  häufigen 
Reisen  auch  mindestens  zwei  Pferde  zu  unterhalten  genöthigt 
war  -).  Sich  in  dieser  Beziehung  Beschränkungen  auferlegen 
zu  müssen,  würde  ihm  sehr  empfindlich  gewesen  sein,  und  auf 
die  Dienste  der  Bücherabschreiber  konnte  er  bei  den  da- 
maligen litterarischen  Zuständen  auch  wirklich  nicht  verzichten, 
so  lange  er  selbst  in  der  gewohnten  Weise  litterarisch  thätig 
sein  wollte.  Ferner  war  es  für  ihn  wie  für  einen  Jeden,  der 
sich  nicht  des  Besitzes  eines  beträchtlichen  Vermögens  erfreut, 
ein   Gebot   der  Klugheit,   im  Voraus  für  die  Tage  des  Alters 


')  vgl.  A.  Malmignati,  Petrarca  a  Padova,  a  Venezia  e  ad  Arquä 
(Padua  1874)  p.  24  ff.  Petrarca  hat  sich  selbst  wiederholt  über  seine 
Vermögensverhältnisse  sehr  offen  -  ausgesprochen.  Ep.  Fam.  XIV  4.  XVI 
3.  XIX  17.  XX  8.  XXII  12.     Var.  15. 

■')  Ep.  Var.  15. 


298  Sechstes  Capitel. 

zu  sorgen,  zumal  da  er  wol  befürchten  konnte,  seiner  Präben- 
den  einmal  ganz  oder  theilweise  durch  politische  Ereignisse 
oder  auch  durch  die  Launen  eines  ihm  übelwollenden  Papstes, 
wie  Innocenz  VI.  es  war,  beraubt  zu  werden.  Endlich  aber 
war  er  auch  verpflichtet,  die  Zukunft  seiner  beiden  Kinder 
materiell  sicher  zu  stellen.  Sein  Sohn  Giovanni  hatte  aller- 
dings im  Jahre  1352  von  den  Scaligeri  ein  Canonicat  zu 
Verona  verliehen  erhalten^),  aber  es  war  das,  wie  die  Er- 
fahrung lehrte,  ein  sehr  unsicherer  Besitz,  Es  musste  ihm 
demnach  hochwillkommen  sein ,  in  eine  Stellung  eintreten  zu 
können,  welche  ihn  aller  finanziellen  Sorgen  überhob  und  in 
Avelcher  er,  wenn  auch  nicht  eben  Schätze  sammeln,  so  doch 
ein  Sümmchen  für  etwaige  spätere  Nothfälle  erübrigen  konnte ; 
dass  aber  seine  Lage  in  Mailand  in  pecuniärer  Beziehung  eine 
recht  günstige  war,  ist  unzweifelhaft,  denn  er  würde  sonst  bei 
seiner  Wanderlust  gewiss  nicht  so  lange  dort  verweilt  haben. 

Sicherlich  wird  kein  billig  Urtheilender  es  tadeln  wollen, 
wenn  Petrarca,  der  eben  auch  nur  ein  Mensch  mit  mensch- 
lichen Bedürfnissen  war,  auch  finanziellen  Erwägungen  Einfluss 
auf  seine  "EntSchliessungen  verstattet  haben  sollte.  Nichts 
wäre  ungerechter,  als  um  desswillen  die  Anklage  der  Habsucht 
gegen  den  Dichter  zu  schleudern.  Wie  frei  er  von  diesem 
Laster  war,  hat  er  durch  manche  schöne  Handlung  seines 
Lebens  bewiesen,  namentlich  aber  durch  die  Abtretung  eines 
ihm  im  Jahre  1352  vom  Papste  verliehenen  Canonicates  zu 
Modena  an  seinen  alten  Freund  Luca  Cristiano^). 

Indessen  so  erklärlich  und  entschuldbar  es  immerhin  auch 
sein  mag,  dass  Petrarca  die  glänzenden  Anerbietungen  des 
Erzbischofs  von  Mailand  annahm,  so  daif  doch  nicht  geleugnet 
werden,  dass  er  dadurch  einen  Beweis  der  Charakterschwäche 
und  des  Mangels  an  wahrer  sittlicher  Grösse  gegeben  hat, 
den    man  gern   aus  seiner  Lebensgeschichte  hinwegwünschen 


')  Ep.  Farn.  XIII  2. 

-)  Ep.  Fam.  XIV  4.  (Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  181  setzt  irrig  diesen 
Vorfall  in  das  Jahr  1354). 


I 


Petrarca  in  Mailand.  299 

würde.     Wenn   er  sich  selbst  treu  bleiben  und  die  Aufrichtig- 
keit seiner  so   oft   zur  Schau  getragenen  sittlichen  und  politi- 
schen  Ueberzeugungen    bekunden    wollte,    so    durfte    er    um 
keinen  Preis  in  Mailand  bleiben.    Dass  er  dies  dennoch  gethan 
hat,  ist  für  die  Entwickelung  des  Humanismus  von  übler  Vor- 
bedeutung gewesen:   wie  der  Meister  haben  dann,  nur  freilich 
in    ungleich   anstössigerer  Weise,   auch  die  Schüler  gehandelt, 
sie  haben  die  Gaben  ihres  Geistes  an  den  Meistbietenden  ver- 
kauft,  ohne   auf  die   Sittlichkeit  des  Käufers   und   der  Sache, 
welche   er  vertrat,  irgend  welchen  Werth  zu  legen.    Fürwahr, 
Grosses  und  Herrliches  haben  auf  den  Gebieten  des   Wissens 
und  der  Kunst,   des  privaten   vmd  des  staatlichen  Lebens  der 
Humanismus  und  die  Renaissance  geschaffen,  aber  —  und  das 
war  ihre   düstere   Schattenseite  —  grosse  und  wahrhaft   sitt- 
liche Charaktere  haben  sie  nicht  hervorgebracht.    Dazu  fehlte 
ihnen  die  sittliche   Grundlage.    Von   dem  Christenthume   sich 
innerlich   loslösend   gaben  sie  auch  dessen  Ethik  auf  und  ver- 
mochten nicht  dieselbe  irgendwie  zu  ersetzen.    Die  eklektische 
Philosophie  und  späterhin  der  von  dem  realen  Leben  abstrahirende 
Piatonismus ,   denen   sie   huldigten ,  waren  dessen  nicht  fähig, 
eine    entschiedene   Annahme    der  Sittenlehre   der  Stoa   aber, 
welche  wenigstens   annähernden  Ersatz  geboten  haben  würde, 
war  aus   eben  demselben  Grunde  nicht  möglich,   welcher  das 
Festhalten  an   der  christlichen   Heilslehre  unmöglich  machte: 
die  stoische  Philosophie  wie  das  Christenthum  verlangen  eine 
Hingabe  der  Individualität  an  die  sittlichen  Ideen,  welche  mit 
dem  nach  der  vollsten   Freiheit   des   Individuums   strebenden 
Geiste  des  Humanismus  und  der  Renaissance  unvereinbar  war. 
Wenig  fehlte  übrigens,  dass  Petrarca  nicht  schon  in  den  ersten 
Tagen   seines  Aufenthaltes   in   Mailand   einen  plötzlichen  Tod 
gefunden  hätte.     Am  14.  September  1353  hielt  der  Cardinal- 
legat   Egidio    Albornoz,     welcher    vom    Papste    zur    Wieder- 
gewinnung  des  Kirchenstaates  ausgesandt  worden  war,  seinen 
Einzug  in  Mailand,   festlich   eingeholt  vom  Fürstbischöfe  und 
von  der  Bürgerschaft.     Auch  Petrarca   hatte   sich    dem   Zuge 
angeschlossen,  zur  Seite  Galeazzo's  Visconti,   eines  Neffen  des 


300  Sechstes  Capitel. 

Erzbischofs,  reitend.  Vom  grellen  Sonnenlichte  und  dem 
wirbelnden  Staube  geblendet  und  von  dem  Lärmen  der 
wogenden  Volksmenge  geschreckt  scheute  plötzlich  des  Dichters 
Ross  und  warf  seinen  Reiter  ab.  Der  Sturz  hätte  tödtlich 
werden  können,  doch  ein  glücklicher  Zufall  fügte  es,  dass  Pe- 
trarca unbeschädigt  blieb  und,  von  Galeazzo  unterstützt,  sich 
sofort  wieder  zu  erheben  vermochte.  In  seiner  Frömmigkeit 
aber  glaubte  er,  dass  er  nur  durch  Christi  unmittelbare  Hülfe 
gerettet  worden  sei  ^). 

Bei  der  Anwesenheit  des  Cardinallegaten  in  Mailand  hatte 
sich  Petrarca  mit  der  Rolle  eines  Zuschauers  und  Theilnehmers 
an  den  Festlichkeiten  begnügen  dürfen,  bald  aber  sollte  er 
bei  Gelegenheit  einer  anderen,  ungleich  wichtigeren  Staats- 
action  zu  einer  eigenen  politischen  Thätigkeit  berufen  werden. 

Seit  dem  Jahre  1350  bereits  wüthete  ein  für  ganz  Italien 
unheilvoller  Krieg  zwischen  den  beiden  mächtigen  Handels- 
republiken Venedig  und  Genua  ^),  deren  jede  den  Handel  mit 
Byzanz  und  der  Levante  allein  zu  beherrschen  strebte.  Ver- 
gebens hatten  die  Päpste  Clemens  VI.  und  Innocenz  VI. 
wiederholt  ihre  Vermittelung  zur  Beilegung  des  unseligen 
Kampfes  angeboten.  Vergebens  hatte  auch  Petrarca  in  mehr- 
fachen beredten  Schreiben  an  die  Dogen  von  Venedig^)  und 
Genua*)  im  Namen  des  Vaterlandes  die  kämpfenden  Parteien 
beschworen,  dem  brudermörderischen  Streite  ein  Ende  zu 
machen  und  die  beiderseitig  so  tapfer  geführten  Waffen  lieber 
gegen  auswärtige  Feinde,  wie  Byzanz  oder  Aragonien,  zu 
kehren.  In  dem  wilden  Kriegslärme  verhallten  seine  patrioti- 
schen Ermahnungen  ungehört.  Der  verderbliche  Kampf,  der, 
wie  er  auch  enden  mochte,  die  Entwickelung  der  sich  eben 
erst  bildenden  gesammtitalienischen  Nationalität  schwer 
schädigen  musste,   nahm  seinen  Fortgang,  und  von  den  spani- 


')  Ep.  Var.  56. 

")  vgl.  A.  Hortis,  „Petrarca  e  le  guerre  tra  Genova  e  Venezia"  iu  den 
„Scritti  inediti"  p.  85—134. 
3)  Ep.  Fam.  XI  8.     XV  4. 
*)  Ep.  Fam.  XIV  5  u.  6. 


Petrarca  in  Mailand  301 

sehen  Küsten  bis  zu  den  Gestaden  Aegyptens  und  der  Pontus- 
länder  bedeckten  sich  die  Meere  mit  den  Trümmern  vernichteter 
Flotten  und  dem  Blute  italienischer  Seehelden.  Anfangs 
schwankte  das  Kriegsglück  unstät  hin  und  her,  bald  Venetianer, 
bald  Genuesen  begünstigend ,  allmählich  aber  begann  es  sich 
dem  über  eine  fester  gegründete  Macht  und  grössere  Hülfs- 
mittel  verfügenden  Venedig  zuzuneigen.  In  der  furchtbaren 
Seeschlacht  von  Loiera  oder  Algheri  an  der  sardinischen  Küste 
erlitten  die  Genuesen  am  29.  August  1353  eine  entscheidende 
Niederlage.  Innere  Zerwürfnisse  und  Parteikämpfe,  welche  so 
häufig  in  Republiken  die  Begleiter  militärischer  Misserfolge 
sind,  vollendeten  Geuua's  Unglück  und  die  einst  so  stolze  Stadt 
hielt  die  freiwillige  Unterwerfung  unter  des  mailändischen 
Tyrannen  Schutzherrschaft  für  die  einzig  mögliche  Rettung 
aus  ihrer  Bedrängniss  ^). 

So  kamen  denn  bald  darauf  Gesandte  der  Genuesen  nach 
Mailand,  um  ihre  Stadt  und  deren  ganzes  Gebiet  unter  be- 
stimmten Bedingungen  dem  mächtigen  Schutze  des  Erzbischofs 
zu  übergeben.  Petrarca  war  von  einem  der  erzbischöflichen 
Räthe  aufgefordert  worden,  die  Beantwortung  der  von  den 
Gesandten  gehaltenen  Rede  zu  übernehmen,  doch  glaubte  er 
dies  ablehnen  zu  müssen,  theils  weil  ihm  nicht  die  genügende 
Zeit  zur  Vorbereitung  vergönnt  worden  wäre,  theils  aber  auch, 
weil  er  es  für  angemessener  hielt,  dass  Giovanni  Visconti  in 
eigener  Person  zu  den  Genuesen  spreche,  wie  denn  auch 
wirklich  geschah  ^).  Selbstverständlich  war  es,  dass  der  ehr- 
geizige Fürstbischof  die  ihm  vermuthlich  nicht  ohne  eigenes 
Zuthun  angetragene  Schutzherrlichkeit  über  einen  der  bedeu- 
tendsten italienischen  Staaten  gern  übernahm.  Er  sandte  seinen 
Feldhauptmann,  den  Marchese  Guglielmo  Pallavicino  von 
Cassano,  als  seinen  Bevollmächtigten  nach  Genua  und  Hess 
durch  denselben  am  10.  October  die  Stadt  in  Besitz  nehmen  '^). 


')  vgl.  Leo,    Geschichte  der  ital.   Staaten  III  p.  78  fi'.,  sowie  Fracas- 
setti's  ausführliche  Noten  zu  den  oben  citirten  Brieten  Petrarca's. 
-)  Ep.  Fam.  XVII  4. 
^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  148  ff. 


302  Sechstes  Capitel. 

Durch  diese  Erweiterung  seiner  Macht  wurde  dem 
Tyrannen  von  Mailand  natürlich  auch  die  Pflicht  auferlegt, 
den  Frieden  zwischen  seinen  neuen  Schutzbefohlenen  und  den 
Venetianem  zu  vermitteln,  eine  Pflicht,  deren  Eifüllung  ihm 
auch  durch  sein  eigenstes  Inteiesse  nahe  gelegt  wurde,  da  die 
noch  unabhängigen  Staaten  Oberitaliens,  eifersüchtig  auf  die 
so  rasch  anwachsende  Macht  Mailands,  sich  gegen  dasselbe 
verbündeten  und  selbst  den  Kaiser  Karl  IV.  für  sich  zu  ge- 
winnen strebten.  Der  drohenden  Gefahr  glaubte  Giovanni 
Visconti  nicht  besser  zuvorkommen  zu  können,  als  dadurch, 
dass  er  einerseits  den  Kaiser  einlud,  die  lombardische  Krone 
in  Mailand  zu  empfangen,  und  andrerseits  Petrarca  an  der 
Spitze  einer  Gesandtschaft  nach  Venedig  schickte,  um  dort 
den  Abschluss  des  Friedens  zu  betreiben^). 

So  begab  sich  denn  Petrarca,  nachdem  er  im  October  in 
dem  lieblich  gelegenen  San  Colombano  eine  kurze  Villegiatur 
gehalten  hatte  ^) ,  zu  Anfang  des  Novembers  nach  der  stolzen 
Lagunenstadt,  w^elche  er  seit  langen  Jahren,  seit  seiner 
Studienzeit  in  Bologna  ^),  zum  ersten  Male  wieder  betrat.  Am 
8.  November  hielt  er  vor  dem  Dogen  Andrea  Dandolo  und 
dem  grossen  Rathe  die  ihm  obliegende  Staatsrede,  deren  In- 
halt so,  wie  er  in  einer  Handschrift  der  kaiserlichen  Bibliothek 
zu  Wien  uns  überliefert  ist  ^),  in  Kürze  hier  folgen  möge. 

Noch  nie  —  so  begann  der  Piedner  —  habe  er  es  so 
schmerzlich  wie  an  dem  heutigen  Tage  empfunden,  dass  die 
menschliche  Sprache  nicht  genüge,  um  alle  Empfindungen  der 
Seele  vollständig  zum  Ausdruck  zu  bringen,  er  hoff'e  jedoch 
auf  die  Barmherzigkeit  dessen ,  welcher ,  als  er  gen  Himmel 
fuhr,  uns  nicht  irdische  Schätze  noch  die  Befriedigung  sinn- 
licher Lüste,  sondern  seinen  Frieden  verliehen  habe:  er  werde 
auch   jetzt    aus    der    kärglichen   Saat    der   Worte  die  reiche 


1)  Ep.  Farn.  XVIII  16.  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  148  ff. 

2)  Ep.  Fam.  XVII  5. 

3)  Ep.  Sen.  X  2. 

*)  herausgegeben  von  A.    Hortis  in  den    „Scritti   inediti    di    Fr.    P.'' 
p.  329 — 333.     (vgl.  aber  Fulin  in  ,, Petrarca  e  Venezia"  p.  295  ff.) 


Petrarca  in  Mailand.  303 

Ernte  des  ersehnten  Friedens  hervorgehen  lassen.  Auch 
dürfe  der  Redner  viel  von  der  P^insicht  seiner  Zuhörer  er- 
wai'ten,  da  diese  ja  mit  der  Befähigung  ausgerüstet  seien,  aus 
Wenigem  Vieles  zu  entnehmen.  Besondere  Hoffnung  aber 
setze  er  auf  den  Dogen,  dem  er  seine  Ansicht  über  die  Ver- 
derblichkeit des  Krieges  bereits  in  mehreren  Briefen  ausein- 
andergesetzt und  welcher,  was  das  Wesentlichste  sei,  erkannt 
habe,  von  welcher  aufrichtigen  Gesinnung  er,  der  Redner, 
beseelt  sei.  So  möge  man  denn  dem ,  was  er  jetzt  sagen 
wolle,  ein  geneigtes  Ohr  leihen. 

Der  Erzbischof  von  Mailand ,  in  dessen  Auftrage  er  mit 
den  übrigen  Gesandten  erschienen  sei,  erbitte  eine  für  den 
ganzen  Erdkreis,  besonders  aber  für  Italien  heilsame  Sache, 
den  Frieden,  und  zwar  erbitte  er  ihn  von  Männern,  mit  denen 
er  niemals  Krieg  geführt  habe,  und  erbitte  ihn  in  fremdem 
Auftrage.  Zu  diesem  Schritte  werde  er  veranlasst  durch  seine 
Tugenden  und  namentlich  durch  seine  weltbekannte  Gerechtig- 
keit, mit  welcher  er  nicht  nur  seine  Vaterstadt,  sondern  auch 
viele  entlegene  Provinzen  beherrsche.  Als  ein  Nacheiferer 
der  alten  römischen  Gerechtigkeit  aber  müsse  er  auch  die 
alten  römischen  Künste  pflegen,  deren  erste  die  Erhaltung 
des  Friedens  sei,  wie  Virgil  sage: 

„Du  aber,  Römer,  gedenke,  in  Herrschaft  die  Völker  zu  halten 
(dies  soll  sein  Deine  Kunst)  und  des  Friedens  Sitte  zu  wahren"  ^). 

Ein  besonderer  Beweggrund  zu  dem  Versuche  einer  Friedens- 
vermittelung müsse  übrigens  für  den  Erzbischof  der  Umstand 
sein,  dass  Genua  sich  seiner  Herrschaft  unterworfen  habe,  ein 
Ereigniss,  welches  die  Venetianer  gewiss  mit  Freuden  begrüsseri 
würden,  da  sie  selbst  zur  Erreichung  desselben  ihm  eine  Flotte 
ijnd  Kriegsmittel  angeboten  hätten.  Auch  die  Erinnerung  daran, 
dass  einst  des  Erzbischofs  Vater  den  Frieden  zwischen  Venedig 


*)  Verg.  Aen.  "VI  851  f.:  tu  regere  imperio  populos,  Romane,  memento, 
(Haec  tibi  erunt  artes)  pacisque  iniponere  morem.  Für  pacis  ist  bessere 
(aber  von  Petrarca  nicht  gekannte)  Lesart  paci. 


304  Sechstes  Capitel. 

und  Genua  vermittelt  habe  ^),  trage  dazu  bei,  ihm  (dem  Erz- 
bischofe)  die  Rolle  des  Friedensstifters  nahe  zu  legen.  Die 
Venetianer  rnöcliten  bedenken,  dass  eben  nur  der  Fiiede  von 
ihnen  gefordert  werde  und  zwar  zu  einem  Zeitpunkte,  wo  sie 
ihn  unter  den  für  sich  ehrenvollsten  und  günstigsten  Bedingungen 
gewähren  könnten,  so  dass  jetzt  gelte,  was  Hannibal  bei 
Livius  den  Römern  sage:  „Dieser  Krieg  hat  bewirkt,  dass 
ihr  den  Frieden,  den  ihr  selbst  vorher  unter  günstigen  Be- 
dingungen angenommen  hättet,  jetzt  unter  solchen  anbieten 
könnt  ^)." 

Guter  Männer  Grundsatz  sei  es,  nur  um  d esswill en  Krieg 
zu  führen,  damit  sie  ohne  Anfechtungen  in  Ruhe  leben 
könnten.  Da  die  Venetianer  gegenwärtig  diesen  Zweck  er- 
reicht hätten,  so  müssten  sie  nun  auch  Frieden  schliessen. 
Gemeinhin  seien  freilich  die  Menschen  unersättlich  und  nach 
Rache  und  gänzlicher  Besiegung  eines  Erbfeindes  begieiig, 
doch  sollten  die  Venetianer  bedenken,  dass  Gott  die  allzu 
gewaltsamen  Entschlüsse  verabscheue  und  dass  das  Kriegs- 
glück wandelbar  sei,  sie  möchten  sich  daher  des  Ausspnichs 
Hannibals  erinnern :  „besser  und  vortheilhafter  ist  ein  sicherer 
Frieden,  als  ein  nur  erhoffter  Sieg')."  Sie  möchten  ferner 
das  Beispiel  der  Römer  nachahmen,  welche  nach  der  Be- 
siegung des  Antiochus  diesem  keine  härteren  Friedens- 
bedingungen auferlegten,  als  sie  vorher  ihm  angeboten  hatten. 
Auch  der  grosse  Scipio  Africanus  habe  in  gleicher  Weise  ge- 
handelt. Diese  Beispiele  aber  müssten  die  Venetianer  um  so 
bereitwilliger  nachahmen,  als  sie  nicht  mit  einem  ausländischen, 
sondern  mit  einem  italienischen  Staate  Krieg  geführt  hätten. 
Sie  möchten  also  Frieden  schliessen  und  dadurch  beweisen, 
dass  sie  ihres  Sieges  würdig  seien  und  ihn  nicht  sowol  durch 
Glück   als   durch   Tugend   errungen  hätten.     Keinen  grösseren 


\  Matteo  Visconti  vermittelte  im  Jahre  1299  den  Frieden  zwischen 
Venedig  und  Genua,  vgl.  Leo,  Gesch.  d.  ital.  Staaten  III  p.  52. 

'^,  Die  Sentenz  ist  nur  dem  Sinne,  nicht  dem  Wortlaute  nach  ent- 
nommen aus  Liv.  XXX  30. 

3)  Liv.  XXX  30. 


Petrarca  in  Mailand.  305 

Sieg  gebe  es,  als  nach  des  Feindes  Besiegung  sich  selbst  zu 
besiegen.  — 

Wenn  diese  Rede  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  uns 
überliefert  worden  ist,  woran  vielleicht  schon  in  Hinsicht  auf 
ihren  geringen  Umfang  gezweifelt  werden  darf,  so  begreift  sich 
leicht,  dass  sie  auf  die  siegesfrohen  venetianischen  Nobili 
keinen  sonderlichen  Eindruck  machen  konnte.  Es  waren 
diese  keinen  moralphilosophischen  Reflexionen,  sondern  nur 
handelspolitischen  Erwägungen  zugänglich  und  als  ein  Gebot 
der  Klugheit  musste  es  ihnen  erscheinen,  den  Krieg  bis  zur 
völligen  Niederwerfung  der  verhassten  Nebenbuhlerin  fort- 
zusetzen, zumal  da  die  Erreichung  dieses  Zieles  nicht  allzu 
schwierig  schien.  Wenn  irgendwo,  so  betrieb  man  an  den  La- 
gunen Realpolitik.  Auch  ein  Privatbrief,  den  Petrarca  wenige 
Monate  später  im  Interesse  des  Friedens  an  den  Dogen  Andrea 
Dandolo  richtete  ^) ,  blieb  wirkungslos.  Der  blutige  Kampf 
entbrannte  aufs  Neue  und  in  gewaltigeren  Dimensionen,  um 
endgültig  erst  im  Jahre  1381  durch  den  Frieden  von  Turin 
beigelegt  zu  werden.  Der  Erfolg  lehrte,  dass  der  Idealist 
Petrarca  in  diesem  Falle  doch  nicht  bloss  die  patriotischere, 
sondern  auch  die  praktisch  vortheilhaftere  Politik  anempfohlen 
hatte.  Venedig  vermochte  trotz  seiner  grössten  Anstrengungen 
nicht  die  vollständige  Besiegung  Geniva's  zu  erzwingen  und 
ging,  wenn  auch  mit  einigen  äusseren  Vortheilen,  so  doch 
innerlich  geschwächt  aus  dem  langwierigen  Kampfe  hervor, 
welcher,  wenn  irgend  etwas,  dazu  beigetragen  hatte,  den 
bald  beginnenden  Verfall  der  Republik  von  San  Marco  vor- 
zubereiten. 

In  Folge  des  Scheiterns  der  Friedensverhandlungen  wurde 
nun  auch  Mailand  zu  einem  Kriege  gegen  Venedig  genöthigt, 
welcher  indessen  von  beiden  Theilen  lau  und  ohne  sonderliche 
Erfolge  geführt  ward. 

Dagegen  gelang  es  den  Genuesen,  welche  sich  unter  des 
Erzbischofs     Schutzherrschaft     wunderbar     rasch    von    ihrer 


')  Ep.  Fam.  XVEI  16. 

Körting,  Petrarca.  20 


306  Seclistes  Capitel. 

Niederlage  erholten,  neue  Vortheile  über  die  Venetianer  zu 
erringen,  wodurch  die  letzteren  sich  im  Januar  1355  zur  Ein- 
"gehung  eines  Waffenstillstandes  und  im  Juni  desselben  Jahres 
zum  Abschlüsse  eines  Friedens,  welcher  freilich  nur  von 
kurzer  Dauer  sein  sollte,  bestimmen  Hessen  ^).  Weder  Andrea 
Dandolo  noch  Giovanni  Visconti  erlebten  des  Friedens  Wieder- 
herstellung. Der  erstere  starb  schon  im  September  1354  und 
der  letztere  folgte  ihm  am  5.  October  im  Tode  nach.  Wie 
hart  man  auch  immer  des  Erzbischofs  egoistische  und  aller 
sittlichen  Grundsätze  baare  Politik  beurtheilen  mag,  so  darf  man 
ihm  doch  den  Kuhm  nicht  bestreiten,  dass  er  ein  Mann  war, 
welcher  hohes  Verständniss  für  die  geistigen  Interessen  seines 
Zeitalters  besass  und  sich  um  die  Förderung  derselben 
manches  Verdienst  erwarb. 

Die  Nachfolge  des  inmitten  grosser  Pläne  dem  Leben 
entrissenen  Fürstbischofs  traten,  ohne  dass  irgend  welcher 
Widerspruch  erhoben  worden  wäre,  seine  drei  Neffen  Matteo, 
Bernabö  und  Galeazzo  an,  welche  die  Herrschaft  über  die 
Provinzen  unter  sich  theilten,  während  sie  die  Oberhoheit  über 
Mailand  und  Genua  gemeinsam  ausübten  ^).  Matteo  starb  be- 
reits im  September  des  folgenden  Jahres,  nachdem  er  kurz 
vorher  die  Herrschaft  über  Bologna  verloren  hatte.  Die 
beiden  überlebenden  Brüder  regierten  bis  zum  Jahre  1378,  in 
welchem  Galeazzo  starb,  gemeinsam  und  Bernabö  herrschte 
dann  noch  sieben  Jahre,  bis  er  im  Jahre  1385  von  seinem 
Neffen  Giovanni,  dem  Sohne  Galeazzo's,  verdrängt  wurde  und 
bald  darauf  im  Kerker  starb. 

Galeazzo  und  Bernabö  zeigen  schon  ganz  jenen  ab- 
schreckenden Typus  der  Tjrannen  der  Renaissancezeit,  einen 
Typus,  welcher,  wenigstens  für  den  mit  der  Pienaissancecultur  nicht 
Vertrauten,  eins  der  merkwürdigsten  psychologischen  Probleme 
bildet.  Mit  einer  reichen  geistigen  Begabung,  durch  welche 
sie  befähigt  wurden,  in  den  schwierigsten  Lagen  und  gegen 


"■)  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  p.  82  u.  301. 
2)  Leo,  a.  a.  0.  p.  300  f. 


I 


Petrarca  in  Mailand.  307 

sich  immer  erneuernde  Bündnisse  mächtiger  Widersacher 
die  usurpirte  Herrschaft  ihres  Hauses  siegreich  zu  behaupten, 
und  mit  einer  nicht  erheuchelten  Liebe  zu  Wissenschaft  und 
Kunst  vereinigten  sie  den  entsetzhchsten  Mangel  an  jedem 
sittlichen  Gefühl  und  eine  Wollust  der  Grausamkeit,  welche 
den  Cäsarenwahnsinn  auch  der  schlimmsten  römischen  Impe- 
ratoren weit  überbietet.  Dieselben  Männer,  welche  Künstler 
und  Gelehrte  um  sich  sammelten,  Hochschulen  gründeten  und 
Prachtbauten  errichteten,  welche  mit  verständnissvollem  Ge- 
nüsse den  stylgewandten  Reden  ihrer  Hofrhetoren  lauschten 
und  ihre  Residenzen  mit  Kunstwerken  schmückten,  scheuten 
in  dem  ränkevollen  Spiele  ihrer  Politik  vor  keiner  Frevelthat 
zurück,  bedrückten  ihre  Unterthanen  mit  den  unerschwinglichsten, 
unsinnigsten  Steuern  und  Hessen  um  geringfügiger  Ursachen 
willen  erbarmungslos  zahllose  Menschen  unter  den  entsetzlichsten 
Martern  langsam  hinsterben.  Die  raffinirten  Folterreglements, 
welche  Galeazzo  und  Bernabö  verfassten  oder  doch  genehmigten, 
sind  wol  das  Scheusslichste,  was  der  Menschengeist  je  ersonnen 
hat ').  Schaudernd  erkennt  man,  mit  welcher  sittlichen  Ver- 
worfenheit und  Herzensrohheit  sich  Geistesbefähigung  und 
Geistesbildung  zu  paaren  vermögen  und  wie  eine  Cultur, 
welche  der  ethischen  Grundlage  entbehren  zu  können  vermeint, 
zwar  einerseits  Grosses  und  Herrliches  zu  schaffen,  andrer- 
seits aber  auch  den  Menschen  in  den  Abgrund  der  wildesten 
Barbarei  zurückzustossen  vermag.  Wie  so  oft,  so  berühren 
sich  auch  hier  die  Extreme,  aber  nirgends  anderswo  ist  ihre  Be- 
riihrung  eine  so  unvermittelte  und  eine  so  verderbenbringende. 
Durch  Nichts  wird  der  hohe  Grad,  welchen  die  Ab- 
stumpfung des  sittlichen  Gefühles  bereits  in  der  Zeit  der  erst 
beginnenden  Renaissance  erreicht  hatte,  schärfer  gekennzeichnet, 
als  durch  das  ruhige  Verbleiben  Petrarca's  an  dem  Hofe  der 
fürstlichen  Henker  von  Mailand  und  durch  die  freundschaft- 
lichen Beziehungen,  welche  er  mit  denselben  auch  selbst  dann 
noch,  als  er  Mailand  —  aus   Angst  vor  der  Pest,  nicht  etw^a 


')  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  p.  311  f. 

20^ 


308  Sechstes  Capitel. 

aus  Abscheu  vor  der  dort  herrschenden  verruchten  Tyrannei !  — 
bereits  verlassen  hatte,  eifrig  unterhielt.  Seltsam  genug! 
Derselbe  Mann,  der  sich  der  Curie  von  Avignon  gegenüber 
zum  gestrengen  Sittenrichter  aufgeworfen  und  gegen  das  gott- 
vergessene Treiben  im  abendländischen  Babel  mit  hochsitt- 
lichem Pathos  geeifert  hatte,  er  fand  kein  Wort  des  Tadels  für 
die  greuelvollen  Thaten  der  Visconti,  auch  nicht  das  leiseste 
Wörtlein  der  MissbilHgung  entschlüpft  in  den  zahlreichen 
Briefen  den  Lippen  des  sonst  doch  so  Beredten,  selbst  dann 
nicht,  als  er  in  Padua  oder  Venedig  es  ohne  jede  Scheu  vor 
den  etwaigen  P'olgen  hätte  thun  können.  Derselbe  Mann,  der, 
um  seine  politischen  Träume  zu  verwirklichen,  kühne  Briefe  an 
Päpste  und  Kaiser  gerichtet  hatte,  war  stumm,  als  es  galt,  in 
Mailand  die  heiligsten  Rechte  der  Menschheit  zu  vertheidigen, 
nicht  den  schüchternsten  Versuch  wagte  er,  dej:  doch  die  Römer 
mit  Feuerworten  zur  Freiheit  aufgerufen  hatte,  um  den  unglück- 
seligen Bürgern  Mailands  nicht  etwa  die  Freiheit,  sondern  nur 
eine  menschliche  Form  des  Despotismus  zu  erwerben,  die 
Bestialität  der  sie  bedrückenden  Tyrannei  zu  mildern.  Nicht 
genug  aber,  dass  Petrarca  durch  sein  Verbleiben  in  Mailand 
und  durch  sein  Schweigen  die  Handlungen  der  Visconti  billigte, 
er  Hess  sich  sogar  gewissermaassen  in  den  Familienkreis  dieser 
gekrönten  Ungeheuer  aufnehmen  und  schmeichelte  ihnen  in 
der  unwürdigsten  Weise.  Bei  dem  Sohne  Bernabö's  vertrat 
er  Pathenstelle  und  schenkte  dem  Täufling  als  Angebinde 
einen  goldenen  Becher,  diese  Gabe  mit  einer  poetischen  Epistel 
begleitend,  in  welcher  die  edlen  Marceller  Roms  als  die  Vor- 
bilder der  Tyrannen  Mailands  dargestellt  werden  i).  In  einer 
anderen  Epistel  ^)  preist  er   Galeazzo  ^)   als  den    mächtigsten 


^)  Ep.  poet.  lat.  III  29.  Die  Epistel  zeigt  im  Uebrigen  die  anmu- 
thigste  Form  u.  könnte ,  wäre  sie  an  einen  Würdigern  gerichtet ,  für  ein 
Meisterwerk  poetischer  Kunst  gelten. 

■-)  Ep.  poet.  lat.  III  6. 

•"')  Die  Beziehung  ist  allerdings  nicht  ganz  deutlich  ausgesprochen  und 
könnte  daher  vielleicht  auch  der  Erzbischof  Giovanni  als  Adressat  be- 
trachtet werden 


Petrarca  in  Mailand.  309 

und  edelsten  Fürsten  Italiens,  welcher  die  römischen  Regenten- 
künste, Schonung  der  Unterworfenen  und  Besiegung  der 
Frevler '),  nach  Mailand  verpflanzt  habe.  Man  sieht,  Petrarca 
entbehrte  in  dieser  Beziehung  der  wahren  Sittlichkeit.  In  dem 
Petrarca,  der  sich  völlig  unempfindlich  zeigt  gegen  die  be- 
stialischen Barbareien  der  Visconti  und  gegen  die  Leiden  des 
unglücklichen  mailändischen  Volkes,  erkennt  man  den  Mann 
wieder,  der  einst  die  herzlosen  Worte  schrieb:  „die  Aerzte 
können  nicht  mehr  die  Gebildeten,  sondern  nur  noch  die  un- 
gebildete Masse  des  Volkes  betrügen  und  morden,  um  diese 
aber  ist  es  nicht  im  Geringsten  Schade^)",  und  der  einmal  in 
einer  Streitschrift  ein  Schmähwort,  von  welchem  er  wusste, 
dass  es  den  Widersacher  besonders  schwer  kränken  müsse, 
geflissentlich  wiederholte,  um  nur  eben  denselben  möglichst 
zu  ärgern  ^).  In  den  Humanisten  lebte  eben  die  traurige 
Denkweise  des  römischen  Alterthums  wieder  auf:  nur  die 
oberen,  die  litterarisch  gebildeten,  zu  Herrschaft  und  Lebens- 
genuss  berufenen  Stände  des  Volkes  bilden  die  dieses  Namens 
\Xürdige  Menschheit,  nur  für  diese  gibt  es  ein  Recht,  nur  für 
den  Verkehr  mit  und  unter  ihnen  gelten  die  moralischen  Ge- 
bote ;  alle  übrigen  Menschen  aber  sind  ein  verächtlicher  Pöbel- 
haufe, sind  rechtlose  Sklaven,  deren  Wohl  und  Weh  den  auf 
der  Höhe  der  Bildung  und  der  gesellschaftlichen  Rangordnung 
Stehenden  nicht  kümmern  darf.  In  den  Zeiten  des  finstersten 
Mittelalters  ist  die  Menschenwürde  nicht  in  solchem  Grade 
und  in  so  grundsätzlicher  Weise  missachtet  worden  wie  in  den 
glanzvollsten  Perioden  der  Renaissancecultur.  Auch  in  der 
humanistischen  Litteratur  zeigt  sich  diese  Tendenz  der  Ex- 
clusivität.  Die  Humanisten  wollten  principiell  nur  für  die 
litterarisch  gebildeten  Kreise  schreiben,  der  Gedanke,  dass 
ihre  Productionen  etwa  populär  im  weiteren  Sinne  werden 
könnten,  erfüllte  sie  mit  Schrecken.   Daher  auch  ihre  geflissent- 


^)  „parcere  subiectis  et  debellare  superbos." 

")  Invect.   in   med.    II   (p.  1211):    „ —  —   ceterorum   strages   minima 
flenda  est." 

^)  Invect.  in  med.  II  (p.  1213). 


310  Sechstes  Capitel. 

lieh  zur  Schau  getragene  Verachtung  der  italienischen  Sprache, 
ihre  bis  zum  Unverstand  getriebene  Vorliebe  für  das  Latein. 
Am  liebsten  würden  sie  das  Italienische  selbst  als  Umgangs- 
sprache ,  wenigstens  für  die  litterarisch  Gebildeten ,  ganz 
verdrängt  und  durch  das  Lateinische  ersetzt  haben.  In  der 
That  wurde  ja  auch  die  Entwickelung  der  nationalen  Sprache 
und  Litteratur  durch  den  Humanismus  wesentlich  geschädigt, 
ja  eine  Zeit  lang  geradezu  in  Frage  gestellt.  Die  Gefahr, 
dass  die  Sprache,  in  welcher  Dante  seine  unsterblichen 
Dichtungen  geschaffen,  zu  einem  Jargon  der  ungebildeten 
Volksmassen  herabsinken  könnte,  war  ungefähr  ein  Jahr- 
hundert hindurch  wirklich  vorhanden,  und  beseitigt  wurde  sie 
nur  durch  eine  künstliche  Annäherung  des  Schriftitalienischen 
an  das  Lateinische,  eine  sprachliche  Keaction,  welche  sich  mit 
der  einst  von  Ennius  und  seinen  Nachfolgern  innerhalb  des 
Lateins  vollzogenen  vergleichen  lässt.  Auch  in  diesen  eben 
erwähnten  Beziehungen  steht  Petrarca  an  der  Spitze  der 
Humanisten.  Das  Latein  gilt  ihm  als  die  für  ernste  Production 
einzig  verwendbare  Sprache,  des  Italienischen  bedient  er  sich 
nur  zur  Abfassung  seiner  Lieder,  die  er  für  eigentlich  seiner 
unwürdige  Spielereien  hält  oder  doch  sie  dafür  zu  halten  vor 
der  Welt  sich  den  Anschein  geben  will  ^).  Die  Popularität 
ist  ihm  in  der  Theorie  wenigstens  —  denn  in  der  Praxis  war 
sie  ihm  nicht  eben  so  unangenehm  —  durchaus  verhasst. 
Ausdrücklich  erklärt  er,  dass  er  nicht  für  die  grosse  Menge, 
sondern  nur  für  die  wenigen  Gelehrten  schreibe  ^).  Selbst  auf 
seine  italienischen  Dichtungen  erstreckt  er  diesen  Grundsatz. 
Er  preist  sich  einmal  glücklich,  dass  er  nicht  Dante's  Schick- 
sal theile,  dessen  Verse  selbst  von  Leuten  aus  den  niedrigsten 
Ständen,  von  „Walkern,  Schenkwirthen  und  Wollwebern"  ge- 
sungen würden  ^). 

Doch  von  diesen  Abschweifungen  auf  Fragen,   welche  wir 


1)  vgl.  z.  B.  Ep.  poet.  lat.  I  1.  v.  34  ff. 

•2)  Ep.  Fam.  XIV  2.  XXI  15.    Ep.  poet.  lat.  III  17.  v.  10  ff. 

^)  Ep.  Fam.  XXI  15. 


Petrarca  in  Mailand.  311 

später  in  einem  anderen  Zusammenhange  eingehender  behandeln 
werden,  kehren  wir  jetzt  zu  unserer  Erzählung  der  Lebens- 
geschichte des  Dichters  zurück.  Die  neuen  Herren  von  Mai- 
land ergriffen  am  7.  October  1354  förmlichen  Besitz  von  der 
ererbten  Fürstenmacht.  Petrarca  wurde  beauftragt,  dem  vei- 
sammelten  Volke  den  Regierungswechsel  durch  eine  Rede  an- 
zuzeigen. Er  unterzog  sich  dieser  Obliegenheit,  wurde  aber 
mitten  in  seiner  Rede  von  dem  Hofastrologen  unterbrochen, 
der  da  behauptete,  dass  die  günstige  Stunde  für  die  Krönung 
selbst  gekommen  sei  und  nicht  versäumt  werden  dürfe.  Aus 
Rücksicht  auf  den  Aberglauben  des  Volkes  fügte  sich  Petrarca 
dem  thörichten  Gebote,  nicht  aber  ohne  später  in  einem  Briefe 
über  den  Sterndeuter  zu  spotten ,  der  officiell  sein  Geschäft 
mit  solcher  ostensiblen  Wichtigkeit  betreibe,  während  er  doch 
in  einer  vertraulichen  Stunde  selbst  erklärt  habe,  dass  die  ganze 
Astrologie  eitel  Lug  und  Trug  sei  ^).  Vielleicht  war  es  indessen 
dem  Dichter  nicht  eben  unangenehm ,  gerade  bei  dieser  Ge- 
legenheit durch  die  Bedenklichkeit  des  Astrologen  unterbrochen 
und  dadurch  einer  lästigen  Pflicht  überhoben  zu  werden,  denn 
er  bezeigte  wenigstens  keine  Neigung,  die  begonnene  Rede 
fortzusetzen,  als  der  Astrologe  bald  darauf  erklärte,  dass  es 
dazu  noch  Zeit  sei.  An  den  erwähnten  Vorfall  aber  knüpft  sich 
eine  schwierige  kritische  Frage.  In  den  im  J.  1874  heraus- 
gegebenen ,,Scritti  inediti",  welche  zu  erwähnen  wir  bereits  oft 
Gelegenheit  fanden,  ist  von  Attilio  Hortis  auch  der  italienische 
Text  einer  Rede  veröffentlicht  worden  ^) ,  welche  in  der  be- 
treffenden Handschrift  ausdrücklich  als  die  von  Petrarca  zu 
Mailand  in  Anlass  des  Regierungswechsels  gehaltene  bezeichnet 
wird.  Wenn  dieser  Text  ohne  Weiteres  als  authentisch  an- 
genommen werden  dürfte,  so  besässe  er  eine  ausserordentliche 
Wichtigkeit,  denn  er  würde  die  einzige  uns  erhaltene  ita- 
lienische Prosaschrift  Petrarca's  darstellen.  Aus  dem  Inhalte 
können  unseres  Erachtens  keine  Argumente  gegen,  aber  wohl 


1)  Ep.  Sen.  III  1. 
■-)  p.  335—340. 


312  Sechstes  Capitel. 

solche  für  die  Aechtheit  des  Schriftstückes  hergeleitet  werden. 
In  ihrer  ganzen  Anlage  erinnert  diese  Rede  gar  sehr  an  die 
im  J.  1356  von  Petrarca  zu  Novara  gehaltene  i),  deren  Authen- 
ticität  man  schwerlich  anzuzweifeln  vermögen  dürfte:  wie  die 
letztere  behandelt  sie  einen  Bibeltext  und  wie  die  letztere  ist 
sie  nach  Petrarca's  Gewohnheit  erfüllt  mit  Citaten  aus  classi sehen 
Autoren.  Die  streng  systematische  Disposition  zeigt  auch  mit 
der  in  der  Krönungsrede  (vgl.  S.  179  ff.)  angewandten  grosse 
Aehnliehkeit.  Dessen  ungeachtet  mögen  wir  an  die  Aechtheit 
der  mailänder  Rede  in  der  Fassung,  in  welcher  sie  uns  vorliegt, 
nicht  glauben,  denn  die  Annahme,  dass  man  sich  damals  bei 
einer  feierlichen  Staatshandlung  der  Volkssprache  bedient  habe, 
erscheint  uns  unstatthaft.  Die  officielle  Sprache  war  durchaus 
die  lateinische.  Auch  auf  dem  Capitole  zu  Rom  und  ebenso 
in  Kovara  redete  Petrarca  lateinisch  zu  dem  Volke.  Der  Ein- 
wand, dass  dadurch  ja  die  grosse  Masse  des  Volkes  von  dem 
Verständnisse  ausgeschlossen  worden  sei,  ist  an  sich  allerdings 
berechtigt,  vermag  aber  an  dem  Thatbestande  Nichts  zu  än- 
dern. Uebrigens  muss  man  bedenken,  dass  das  Latein,  wenn 
italienisch  ausgesprochen  und  in  eine  leichtere  syntaktische 
Form  gekleidet,  auch  dem  nicht  litterarisch  gebildeten  Italiener 
leicht  verständlich  werden  kann.  Wir  möchten  daher  und 
auch  aus  sprachlichen  Gründen,  welche  zu  entwickeln  hier 
nicht  der  geeignete  Ort  sein  würde,  Romussi's  Ansicht  bei- 
stimmen, dass  der  erhaltene  italienische  Text  die  Uebersetzung 
eines  verlorenen  lateinischen  Originales  sei  ^).  Es  wird  dadurch 
die  Aechtheit  wenigstens  des  Inhaltes  gerettet,  der  freilich  auf 
einen  besonderen  Weith  keinen  Anspruch  erheben  darf,  son- 
dern im  Gegentheil  eher  Petrarca's  Nachruhm  zu  schädigen 
geeignet  ist.  Denn  was  sollen  wir  von  dem  Manne  denken, 
der  sich  erdreistet,  Giovanni  Visconti  weit  über  Piaton  zu  er- 


1)  Scritti  inediti,  p.  341—358. 

^)  Romussi,  Petrarca  a  Milano  p.  42,  Anm.  1.  Wenn  Geiger  (Beilage 
der  Allg.  Ztg.  1874  no.  199)  meint,  die  erhaltene  Rede  könne  keinesfalls 
mit  der  von  Petrarca  wirklich  gehaltenen  identisch  sein,  so  bleibt  er  den 
Beweis  dafür  schuldig. 


Petrarca  in  Mailand.  313 

heben,  weil  der  letztere  nur  an  der  Spitze  einiger  hundert 
Schüler  gestanden,  der  erstere  dagegen  viele  Länder  und 
Völker  beherrscht  habe?  — 

Dasselbe  so  ereignissvolle  Jahr  1354  sollte  Petrarca  noch 
die,  freilich  rasch  als  eine  Täuschung  sich  erweisende,  Erfüllung 
einer  Hoffnung  bringen,  welche  er  seit  Jahren  lieiss  ersehnt 
hatte.  Der  deutsche  König  Karl  IV.  trat  endlich  nach  langem 
Zögern  den  Römerzug  an  und  kam  nach  Italien,  um  dort  die 
lombardische  und  die  römische  Krone  zu  empfangen. 

Wir  werden  in  der  Erzählung  der  Beziehungen  des  Dichters 
zu  dem  Fürsten  uns  der  möglichsten  Kürze  befleissigen  dürfen, 
da  dieselben  erst  neuerdings  in  einem  vortrefflichen  Werke  aus- 
führlich dargestellt  worden  sind^).  Bevor  wir  aber  zu  unserer 
Erzählung  übergehen ,  erscheint  es  angemessen ,  einige  Be- 
merkungen über  Petrarca's  politische  Ansichten  und  Ideale 
vorauszuschicken. 

Dass  Petrarca,  wie  die  Dichter  meist,  ein  schlechter  prak- 
tischer Politiker  war,  fanden  wir  bereits  öfters  Anlass  zu  be- 
obachten. Diplomatische  Missionen,  wie  die  nach  Neapel  und 
später  nach  Venedig,  auf  denen  es  der  Erreichung  eines 
schwierigen  Zieles  galt,  missglückten  ihm  so  gründlich  wie 
möglich,  da  er  offenbar,  ganz  abgesehen  von  seiner  voraus- 
zusetzenden Geschäftsunkenntniss,  die  realen  Verhältnisse,  über 
welche,  und  die  Menschen,  mit  welchen  er  zu  verhandeln  hatte, 
gar  nicht  zu  beurtheilen  verstand,  sondern  sich  in  Bezug  auf 
sie  den  wunderlichsten  idealistischen  Illusionen  hingab.  Wenn 
aber  seine  späteren  Gesandtschaftsreisen  nach  Prag  und  Paris 
besseren  Erfolg  hatten,  so  war  das  nicht  sein  Verdienst,  son- 
dern die  Folge  günstiger  Umstände.  Es  mag  befremdlich  er- 
scheinen, dass  der  Dichter  trotz  seiner  wiederholten  Misserfolge 
und  trotzdem,  dass  er  im  innersten  Grunde  des  Herzens  doch 
empfinden  mochte ,   ein  wie  schlechter  Politiker  er  sei  ^) ,  sich 


^)  Friedjung,  Kaiser  Karl  IV.  und  sein  Antlieil  am  geistigen  Leben 
seiner  Zeit  (Wien  1876),  p.  296—321. 

^)  Wemgstens  entschlüpft  ihm  einmal  das  Geständniss:  ,,nihilo  melior 
oeconomicus  quam  politicus  sum."    Ep.  Farn.  XXII  12. 


314  Sechstes  Capitel. 

immer  wieder  mit  politischen  Geschäften  betrauen  Hess,  ja 
sich  zur  Uebernahme  solcher  mit  einer  gewissen  Geflissentlich- 
keit drängte  oder  doch  wenigstens  nie  darauf  verzichten  wollte, 
auch  eine  politische  Rolle  zu  spielen  und  den  politischen  Vor- 
gängen mit  lebhafter  Antheilnahme  zu  folgen  ^).  Es  erklärt 
sich  das  aber  zu  einem  Theile  aus  seiner  aufrichtigen  Vater- 
landsliebe und  zu  einem  anderen  aus  seiner  Ueberzeugung  von 
der  Macht  der  Beredtsamkeit.  Wenn  er  unaufgefordert  lange 
Episteln  an  Fürsten  und  Päpste  schrieb  und  ihnen  die  Normen 
ihrer  Politik  vorzuschreiben  unternahm,  so  meinte  er  gewiss 
—  und  wer  möchte  behaupten,  dass  das  irrig  gewesen  sei  ?  — 
eine  patriotische  Pflicht  zu  erfüllen  und  schliesslich  doch  den 
Geschicken  seines  Vaterlandes  eine  Wendung  zum  Besseren 
geben  zu  können.  Er  handelte  wie  jetzt  ein  überzeugungs- 
treuer Publicist  handelt,  welcher  fest  beharrend  auf  dem  ein- 
mal als  richtig  erkannten  Standpunkte  und  unbeirrt  durch  den 
äusseren  Gang  der  Ereignisse  nicht  müde  wird,  eine  Aenderung 
der  bestehenden  Verhältnisse  den  Regierenden  als  unbedingt 
erforderlich  anzurathen.  Man  kann  Petrarca's  politische 
Episteln  und  Reden  geradezu  als  Leitartikel  betrachten,  durch 
welche  er  die  öffentliche  Meinung  zu  beeinflussen  suchte.  In 
unserer  Zeit  lebend  würde  er  die  Monarchen  mit  directen  Zu- 
schriften verschonen  und  sich  der  politischen  Pi-esse  als  des 
geeignetsten  Organes  bedienen,  um  für  seine  Anschauungen 
Propaganda  zu  machen. 

Besondere  Klarheit  kann  man  den  politischen  Ansichten 
Petrarca's  eben  nicht  nachrühmen.  Er  war  auch  in  der  Politik 
Idealist  im  vollsten  Sinne  des  Wortes.  Freilich  fällte  er  über 
die  politischen  Verhältnisse  seiner  Zeit  gelegentlich  ganz 
treffende  Urtheile,  so  wenn  er  das  römisch-deutsche  Reich 
als  einen  „leeren  Namen"  bezeichnete  -),  oder  wenn  er  richtig 
erkannte,  dass  das  Papstthum  nie  ein  wirkliches  Kaiserthum 
neben  sich  aufkommen  lassen  werde,  ,,w'eil  keine  Gewalt  einen 


1)  Ep.  Fam.  XIX  9. 

'-)  de  remed.  utr.  fort.  I  116,  vgl.  auch  die  höhnende  Vergleichung  des 
römischen  Reiches  seiner  Zeit  mit  dem  des  Alterthums  de  vit.  solit.  II  4,  4. 


I 


Petrarca  in  Mailand.  315 

Theilhaber  dulde"  ^).  Das  aber  hinderte  ihn  nicht,  doch  auch 
wieder  die  realen  Verhältnisse  aufs  Aergste  zu  verkennen  und 
mit  gänzlicher  Ignorirung  derselben  sich  den  verworrensten 
Träumen  der  politischen  Phantasie  hinzugeben.  Unmöglich 
auch  konnte  er  zur  Klarheit  gelangen  in  einer  Zeit,  in  welcher 
die  verschiedenartigsten  politischen  Ideen  und  Elemente  wie 
in  einem  Hexenkessel  sich  mischten  und  auch  das  scharf- 
sinnigste Auge  nicht  abzusehen  vermochte,  wie  der  gewaltige 
Gährungsprocess  einst  enden  werde.  Das  mittelalterliche  Staats- 
system war  damals  schon  im  raschen  Absterben,  das  moderne 
Staatensystem  aber  erst  im  langsamen ,  kaum  erkennbaren 
Werden  begriffen.  Allgemein  war  die  Ueberzeugung  von  der 
Unhaltbarkeit  der  herrschenden  Zustände  vorhanden,  aber  über 
die  vorzunehmende  Neugestaltung  der  Dinge  gingen  die  An- 
sichten so  weit  wie  nur  möglich  aus  einander.  Welche  unend- 
liche Kluft  liegt  doch  zwischen  den  Anschauungen,  welche 
Dante  in  seiner  „Monarchie"  aussprach,  und  den  kühnen 
Lehren  eines  Marsilius,  in  denen  prophetisch  die  Volks- 
souveränität gepredigt  ward  ^).  — 

Von  der  Thatsache  ausgehend,  dass  Hellenen  und  Römer 
den  Höhepunkt  ihrer  Entwickelung  in  der  Blüthezeit  ihrer 
republikanischen  Institutionen  erstiegen,  nach  dem  Uebergange 
zur  monarchischen  Staatsform  'aber  raschem  Verfalle  zueilten, 
möchte  man  sich  zu  der  Annahme  berechtigt  halten ,  das 
Staatsideal  des  nach  der  Erneuerung  der  antiken  Zustände 
strebenden  Humanismus  sei  die  Republik  gewesen,  das  war 
indessen  keineswegs  der  Fall,  namentlich  nicht  zur  Zeit  des 
erst  entstehenden ,  vom  griechischen  Einflüsse  fast  noch  un- 
berührten Humanismus.  Dieser  erachtete  durchaus  —  mochte 
er  immerhin  von  dem  Worte  „Freiheit"  einen  reichlichen 
rhetorischen  Gebrauch  machen  —  die  Monarchie  für  die  beste 
Staatsform   und   hat  denn  auch  in   der   That   wesentlich  dazu 


1)  Ep.  Fam.  XIX  2. 

-)  vgl.  F.  V.  Bezold,    die  Lehre  von  der  Volkssouveränität  im  Mittel- 
alter.    V.  Sybel's  bist.  Zeitschr.  XXXVI  a876),  p.  313—367. 


316  Sechstes  Capitel. 

beigetragen,  dass  einerseits  der  mittelalterliche,  ständisch  ge- 
gliederte Feudalstaat,  und  andererseits  die  mittelalterliche 
Commune  durch  den  modernen  centralistischen  und  natur- 
gemäss  dem  Absolutismus  sich  zuneigenden  Staatsorganismus 
ersetzt  wurde.  Die  Renaissancecultur  hat  nirgends  Republiken 
gegründet,  wohl  aber  in  Florenz,  Mailand  und  anderwärts 
Republiken  zerstöil. 

Diese  auf  den  ersten  Anblick  befremdende  Erscheinung 
ist  nichtsdestoweniger  leicht  zu  erklären. 

Die  ursprüngliche  Basis  des  Humanismus  war  ganz  vor- 
zugsweise die  lateinische  Litteratur  des  ciceronianischen  und 
augusteischen  Zeitalters,  eine  Litteratur  also,  welche  erfüllt 
ist  von  der  grossen  Idee  des  römischen  Weltreiches,  der 
Universalmonarchie,  und  in  welcher  die  gewaltigen  Gestalten 
eines  Pompejus,  Cäsar  und  Octavian  im  vollen  Glänze  idealer 
Verklärung  dargestellt  werden.  Wahrlich  nicht  zur  Begeisterung 
für  die  republikanische  Staatsform  konnte  der  Humanist  ent- 
flammt werden,  der  in  Sallusts  und  Cicero's  Schriften  die  trüb- 
selige Geschichte  von  dem  kläglichen  Hinsterben  der  römischen 
Freiheit  in  allen  ihren  traurigen  Einzelheiten  las.  Begeistern 
musste  er  sich  hingegen  für  einen  Cäsar,  der  zuerst  mit  der 
überlegenen  Kraft  des  Genius  das  Wirrsal  endete,  und  für 
einen  Octavian,  der  dem  abermals  zerrütteten  Weltreiche  end- 
gültig den  Frieden  gab  und  für  die  unter  einem  Scepter  ver- 
einten Völker  vom  Euphrat  bis  zum  Rheine  ein  goldenes  Zeit- 
alter der  Ruhe  und  des  Glückes  zu  begründen  schien.  Wie 
herrlich  hatten  doch  Virgil  und  Horaz  und  Ovid  den  Augustus 
gefeiert  als  den  Sprossen  und  den  Liebling  der  seligen  Götter, 
der  berufen  sei,  der  Erdenwelt  das  lang  entbehrte  Heil  zu  bringen, 
allen  Streit  und  alle  Zwietracht  zu  enden  und  in  einem  ewigen 
Frieden  die  Geschicke  der  Kationen  mit  Weisheit  und  Gerechtig- 
keit zu  leiten!  Und  wie  grossartig,  wie  ideal  erscheinen  auch 
in  den  Büchern  der  Geschichtsschreiber  die  Gestalten  der 
römischen  Cäsaren!  selbst  der  finstere  Tiberius,  der  wahnwitzige 
Caligula,  der  blutige  Nero  zeigten  in  den  Charakterbildern, 
die  Sueton  von  ihnen  entworfen,   eine  das  gemeine  Menschen- 


Petrarca  in  Mailand.  317 

maass  weit  ül)erschreiten(le  Grösse,  welche  eines  gewissen 
poetischen  Glanzes  nicht  entbehrte.  Rühmlicher  musste  es 
scheinen,  der  Unterthan  eines  solchen  gigantischen  Frevlers 
zu  sein,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  von  ihm  zerschmettert  zu 
werden,  als  unter  dem  Joche  eines  kleinen,  aber  nicht  minder 
bösartigen  Tyrannen  zu  schmachten. 

Sehr  begreiflich  war  es  demnach,  dass  die  Humanisten  in 
dem  römischen  Kaiserreiche  das  Ideal  des  Staates  erblickten 
und  von  einem  neuen  Augustus  das  Heil  der  Welt  erwarteten^). 
Dieser  Glaube  war  ein  um  so  natürlicherer,  als  er  im  Grunde 
nur  eine  Modificirung  der  mittelaltei-lichen  Staatsidee  darstellte, 
welche  ja  ebenfalls  an  dem  römischen  Reiche  festhielt,  wenn 
auch  dasselbe  in  engste  Beziehung  zu  dem  Gottesreiche  und 
dessen  irdischer  Erscheinungsform,  der  Kirche,  setzend.  Auf 
dem  eigentlichen  politischen  Gebiete  bestand  zwischen  den 
specifisch  mittelalterlichen  Staatsrechtslehrern  und  den  Huma- 
nisten kein  wirklich  fundamentaler  Unterschied  der  Auffassung, 
wie  man  leicht  durch  eine  Vergleichung  der  politischen  Schriften 
Petrarca's  mit  Dante's  im  J.  1311  veröffentlichter  „Monarchie" 
erkennen  kann-):  beide,  der  Vertreter  des  Mittelalters  wie 
derjenige  des  Humanismus,  fordern  die  Universalmonarchie  mit 
einem  wirklichen  Kaiser  an  der  Spitze,  beide  fordern,  dass 
Rom  die  Reichshauptstadt  sei.  Erst  auf  dem  kirchenpolitischen 
Gebiete  gehen  die  Ansichten  wesentlich  auseinander,  denn  der 
Humanismus  vermochte,  wie  sehi-  begreiflich,  nicht  dem  Papst- 
thume  eine  bestimmte  Stellung  innerhalb  der  Weltmonarchie 
zuzuweisen. 

Noch  erklärlicher  wird  die  Hinneigung  des  Humanismus 
zu  dem  Ideale  des  universalen  Kaiserthums,  wenn  man  einen 
Blick  auf  die  politische  Lage  Westeuropa's,  in  Sonderheit 
Italiens,  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  wirft.  Krieg  und 
Wirrniss  finden  wir  da  überall.     Die  beiden  grossen  Leuchten 


^)  vgl.  J.  Bryce,  the  lioly  Roman  Empire  (6  ed.  London  1876)  p.  255  f., 
265  f. 

-j  vgl.  Fraticelli's  Dissertazione  sulla  monarchia  in  der  Ausg.  der 
Opere  minori  di  Dante  II  p.  257  ff. 


318  Sechstes  Capitel. 

des  frühei'en  mittelalterlichen  Lebens,  Papstthum  und  Kaiser- 
thiim,  sind  erblichen  und  spenden  der  bedrängten  Menschheit 
ferner  keinen  Schutz.  Völlig  recht-  und  schutzlos  steht  der 
Einzelne  den  zahllosen  kleinen  Tyrannen  gegenüber,  welche 
allenthalben  ihr  Haupt  erheben  und  mit  der  wilden  Gier  un- 
ersättlicher Raubthiere  Gebiet  auf  Gebiet  unter  ihr  Joch 
zwingen  In  den  wenigen  communalen  Republiken  aber,  welche 
ihre  staatliche  Freiheit  noch  gegen  die  Söldnerbanden  der 
Tyrannen  zu  behaupten  vermögen,  tobt  unablässig  der  wildeste 
Parteikampf  mit  allen  seinen  Schrecken  und  raubt  den  Bürgern 
des  Lebens  behaglichen  Genuss.  Wie  hätten  die  Söhne  eines 
solchen  Zeitalters  nicht  innigst  wünschen  sollen,  dass  ein  mäch- 
tiger Fürst,  wie  einst  Cäsar  und  Augustus,  den  entfesselten 
Leidenschaften  mit  starker  Hand  Ruhe  gebiete  und  dem  so 
schwer  heimgesuchten  Erdkreise  eine  neue  Aera  des  Friedens 
und  Wohlstandes  eröffene? 

Zu  alledem  trat  aber  noch  ein  innerer  Grund  hinzu.  Der 
Humanismus  strebte  nach  einer  freien  Entwickelung  der  Indi- 
vidualität. Eine  solche  aber  ist  bei  den  so  äusserst  com- 
plicirten  gesellschaftlichen  Verhältnissen  der  modernen  Zeit 
nicht  mehr  in  der  Republik,  sondern  nur  innerhalb  der  Mon- 
archie möglich.  Die  Republik,  wenn  sie  eine  W^ahrheit  und 
nicht  eine  leere  äussere  Form  sein  soll,  muss,  indem  sie  alle 
Bürger  zur  thätigen  Theilnahme  an  der  Staatsleitung  beruft, 
von  ihnen  eine  theilweise  Verzichtleistung  auf  die  eigene  In- 
dividualität und  eine  bedingungslose  Hingabe  an  die  Staats- 
idee fordern,  sie  muss  darnach  streben,  dass  eine  gewisse 
Gleichartigkeit  der  Anschauung  und  Bildung  aller  Bürger  statt- 
habe, dass  sich  nicht  einzelne  Persönlichkeiten  in  eigenartiger 
Grösse  über  das  allgemeine  Durchschnittsniveau  erheben.  Das 
geschah  denn  auch  wirklich  im  alten  Sparta  und  Athen,  nicht 
minder  im  alten  Rom,  in  welchen  letzteren  Freistaaten  eine 
freie  Entwickelung  der  Individualität  erst  ermöglicht  ward, 
als  die  republikanische  Staatsform  unter  dem  gewaltigen  Ein- 
flüsse eines  Perikles  und  eines  Scipio  sich  thatsächlich  der 
monarchischen  oder  doch  der  oligarchischen  zu  nähern  begann. 


Petrarca  in  Mailand,  319 

Moderne  Menschen,  wie  sie  der  Humanismus  bildete,  mögen  und 
können  sich  den  Fesseln,  welche  die  Republik  den  Individuen 
auferlegt,  nicht  mehr  fügen  und  streben  durch  innere  Noth- 
wendigkeit  der  Monarchie  zu,  welche  ihnen,  da  sie  den  Einzelnen 
von  den  Geschäften  der  Allgemeinheit  entlastet,  behaglichere 
Müsse  und  einen  freieren  Spielraum  der  Thätigkeit  gewährt. 
Nach  dem,-  was  bisher  erörtert  worden  ist,  wird  es  be- 
greiflich erscheinen,  dass  Petrarca  durchaus  ein  Anhänger  der 
Monarchie  war  und  in  derselben  die  beste  Staatsform  er- 
kannte ^).  Persönliche  Gründe  mochten  dazu  beitragen,  ihn  in 
dieser  Anschauung  zu  bestärken.  Der  Mann,  welchem  die 
Parteiwuth  der  Bürger  eines  Freistaates  noch  vor  der  Geburt 
seine  Heimath  geraubt  hatte,  konnte  unmöglich  für  eine 
Republik  schwärmen.  So  meinte  er  denn,  dass  die  Tyrannei 
eines  einzelnen  Mannes  sich  leichter  ertragen  lasse  ^),  als  die 
von  einem  ganzen  Volke  ausgeübte.  Sein  Ideal  aber  war  die 
Wiederaufrichtung  des  römischen  Universalreiches,  dessen 
Hauptstadt  Rom  sein  3)  und  dessen  Kaiser  sich  als  Römer 
fühlen  soll,  denn  von  den  deutschen  Kaisern  ist  nicht  viel  zu 
erwarten:  ,,dorl  (im  Norden)  ist  Alles  kalt  und  starr,  da  ist 
keine  edle  Begeisterung,  keine  Lebenswärme  für  das  Reich  zu 
finden"'^).  Am  liebsten  würde  er  es  ohne  Zweifel  gesehen 
haben,  dass  ein  Römer  von  Geburt  an  der  Spitze  des  Reiches 
stehe.  So  erklärt  sich  seine  Begeisterung  für  Cola's  di  Rienzo 
phantastisches  Unternehmen.  Man  sieht,  in  dieser  Denkweise 
traf  der  Humanist,  vielleicht  ohne  sich  dessen  klar  bewusst 
zu  werden ,  mit  dem  italienischen  Patrioten  zusammen :  der 
erstere  verabscheute  die  Deutschen  als  nordische  Barbaren,  der 
letztere  hasste  sie  als  unliebsame  Herren.  Ueberhaupt  ver- 
band Petrarca  mit  der  Begeisterung  für  die  Universalmonarchie 
nach  augusteischem  Zuschnitte   die  feurigste  Liebe  zu  seinem 


1)  Ep.  Farn.  III  7.    Sen.  VI  2. 

2)  Wie  man  sich  unter  der  Herrschaft  eines  Tyrannen   zu  benehmen 
habe,  lehrt  Petrarca  ausführlich  Var.  32. 

^)  App.  ep.  1. 

*)  Ep.  Fam.  XX  2. 


320  Sechstes  Capitel. 

schönen  Vaterlande  und  er  hat  ihr  ja,  wie  bekannt,  in  einer 
Reihe  italienischer  und  lateinischer  Dichtungen  den  beredtesten 
Ausdruck  gegeben.  Theoretisch  freilich  wollte  er  die  Vater- 
landsliebe nur  dann  als  berechtigt  anerkennen,  wenn  sie  einem 
tugendhaften  Lande  gelte  ^),  praktisch  aber  hat  wol  Niemand 
vor  ihm  und  nach  ihm  das  damals  nichts  weniger  als  tugend- 
hafte Italien  inniger  geliebt  als  er.  Italien  war  ihm  das  Cen- 
trum des  politischen  Lebens,  so  dass  er  meinte,  dass,  wenn 
nur  dort  Friede  und  Eintracht  wiederhergestellt  würden,  dies 
der  ganzen  Welt  zum  Heile  gereichen  müsse  ^).  Dass  aber 
Italiens  staatliche  \Yiedergeburt  und  die  Herstellung  seiner 
früheren  Macht  erfolgen  werde,  erhoffte  er  mit  Bestimmtheit  ^). 
Er  fühlte  sich  durch  und  durch  als  Italiener  und  jede  kosmo- 
politische Schwärmerei  war  ihm ,  wie  dem  früheren  Humanis- 
mus überhaupt,  durchaus  fremd.  Man  erkennt  daraus,  wie  der 
Humanismus,  wenn  er  sein  politisches  Ideal  hätte  verwirklichen 
können,  in  Wahrheit  etwas  ganz  Anderes  erschaffen  hätte, 
als  ein  neurömisches  Weltreich,  dass  vielmehr  ein  Grossitalien 
sich  als  Product  seiner  Bestrebungen  ergeben  haben  würde. 
Der  Römer  des  Alterthums  war  nicht  für  Italien,  von  welchem 
ihm  ja  weite  Gebiete  geradezu  als  gallisches  und  griechisches 
Ausland  (Gallia  cisalpina  und  Graecia  magna)  galten,  sondern 
nur  eben  für  Rom  begeistert,  er  besass  kein  Vaterland,  son- 
dern nur  eine  Vaterstadt,  die  Urbs.  Die  Möglichkeit,  dass 
ganz  Italien  eine  nationale  und  politische  Einheit  bilden  könne, 
ist  von  den  alten  Römern  nie  geahnt  und  ihre  Herstellung  nie 
angestrebt  worden.  Die  italienische  Nationalität  bildete  sich  erst 
in  Folge  des  Gegensatzes  zu  den  germanischen  Eroberern, 
Gothen,  Langobarden,  Franken  und  Deutschen,  und  wenn  der 
Humanismus  diese  Nationalität  als  einen  Factor  in  seine  Zu- 
kunftsberechnungen mit  aufnahm,  so  machte  er,  ohne  es  zu 
wissen  und  zu  wollen,  die  wirkliche  politische  Renaissance  des 


0  de  Vit.  solit.  II  4,  8. 

-)  App.  ep.  4. 

=^)  Ep.  Fam.  VII  1. 


II 


Petrarca  in  Mailand.  321 

Alterthums  von  vornherein  unmöglich  und  erstrebte  die  Schaffung 
eines  specifisch  neuen  staatlichen  Zustandes.  Es  geschieht  dies 
ja  immer,  wenn  die  Wiederbelebung  abgestorbener  Zustände 
versucht  wird.  Vergebliches  Bemühen  ist  es,  die  Weltgeschichte 
rückläufig  machen  zu  wollen. 

Fügen  wir  dem  Gesagten  noch  hinzu,  dass  Petrarca  eifrigst 
die  Zerstörung  des  schismatischen  byzantinischen  Reiches  befür- 
wortete ^)  und  dass  er  nach  mittelalterlicher  Weise  für  einen 
zur  Wiedergewinnung  des  einst  christlichen  Morgenlandes  zu 
unternehmenden  Kreuzzug  schwärmte  ^),  so  haben  wir  im  Wesent- 
lichen seine  politischen  Theorien  auseinandergesetzt.  Erwähnen 
liesse  sich  höchstens  noch,  dass  er  an  die  Fürsten  die  höchsten 
sittlichen  Anforderungen  stellte  3)  und  nach  Art  aller  idealen 
Schwärmer  wünschte,  dass  immer  der  tugendhafteste  Mann 
zur  Herrschaft  berufen  werde,  wie  auf  der  Insel  Taprobane 
wirklich  geschehe*). 

Man  sieht,  Petrarca  zeichnet  nur  in  den  allgemeinsten 
Umrissen  den  seiner  Meinung  nach  aufzuführenden  W^eltstaats- 
bau.  Wie  diese  Chimäre  etwa  im  Einzelnen  auszuführen,  wie 
sie  mit  den  realen  Verhältnissen  irgendwie  zu  vereinbaren  sei, 
darum  kümmert  er  sich  absolut  nicht.  Sobald  die  Theorie  mit 
der  Praxis  sich  berührt,  ist  es  mit  seinen  Plänen  zu  Ende, 
denn  es  fehlte  ihm  eben  jede  wirkliche  politische  Productivität. 
Ja  er  verwickelt  sich  in  seinen  Theorien  selbst  in  die  heil- 
losesten Widersprüche.  So  wenn  er  sein  ganzes  Leben  hin- 
durch für  die  Idee  einer  Piückkehr  der  Curie  nach  Rom  eifrigst 
kämpfte,  während  er  doch  bei  einer  auch  nur  flüchtigen  Er- 
wägung der  Dinge  erkennen  musste,  dass,  wenn  er  sein  Ziel 
erreiche,  eben  dadurch  die  Wiederaufrichtung  eines  wirklichen 
römischen  Kaiserthumes  völlig  unmöglich  gemacht  werde.  Die 
Frage,  wie  Kaiserthum  und  Papstthum  in  ihrem  gegenseitigen 


')  Er  versuchte,  die  Genuesen  dazu  anzuregen.    Ep.  Fam.  XIV  5,  vgl. 
Sen.  VII  1  u.  de  vit.  sollt.  II  4,  3. 

*)  de  vit.  sollt.  II  4,  5.  ' 

3)  Ep.  Fam.  XII  2.     Sen.  Xin  1. 
*)  de  remed.  utr.  fort.  II  78. 

Körting,  Petrarca.  21 


322  Sechstes  Capitel. 

Verhältnisse  zu  bestimmen  seien,  eine  Frage,  welche  doch  die 
eminenteste  Wichtigkeit  besass  und  von  deren  Lösung  geradezu 
Alles  abhing,  hat  ihn  nie  enistlich  beschäftigt.  Ganz  nach  Art 
eines  träumerischen  Idealisten  hüpfte  er  über  die  ungeheuerste 
Schwierigkeit  leichten  Fusses  hinweg.  Nirgends  wol  hat  <ler 
grosse  Mann  sich  kleiner  gezeigt,  als  auf  dem  Gebiete  der  Politik, 
so  dass  er  auf  diesem  von  gar  manchen  nicht  nur  seiner  Zeit- 
genossen, sondern  auch  der  Vorlebenden  weit  überragt  wurde. 
Die  Verwirklichung  seiner  politischen  Ideale  hatte  Petrarca 
zunächst  von  Cola  di  Pienzo  erhofft.  Der  klägliche  Sturz  des 
Tribunen  hatte  ihm  diese  Hoffnung  zerstört.  Sein  Blick  wandte 
sich  nun  auf  den  im  Jahre  1347  zur  Herrschaft  gelangten 
deutschen  König  Karl  IV.,  der  einen  Theil  seiner  Jugend  in 
Italien  verbracht  und  dadurch  sowie  durch  seine  bekannte 
litterarische  Bildung  sich  in  den  Augen  der  Italiener  von  dem 
Makel  des  Barbarenthums  gereinigt  hatte.  An  diesen  Fürsten 
nun  richtete  der  Dichter  am  24.  Februar  1351  von  Padua  aus 
einen  Briefe),  in  welchem  er  ihn  mit  beredten  Worten  auf- 
forderte, nach  Italien  zu  kommen,  die  Kaiserkrone  zu  em- 
pfangen und  das  alte  Imperium  wieder  aufzurichten.  Kein 
rhetorisches  Mittel  ward  gespart,  um  des  Königs  Herz  zu  er- 
schüttern. Die  Manen  der  grossen  Vorgänger  Karls  auf  dem 
Kaiserthrone  wurden  heraufbeschworen,  um  ihn  zur  Nach- 
ahmung ihrer  Thaten  anzufeuern.  Italien  selbst  wurde  in  Ge- 
stalt einer  ehrwürdigen,  in  Bettlertracht  gehüllten  Matrone 
redend  eingeführt  und  flehte  um  Erlösung  aus  seiner  traurigen 
Verlassenheit.  —  Petrarca  hatte  sich  in  dem  deutschen 
Herrscher  arg  verrechnet.  Karl  IV.  war  eine  durch  und  durch 
nüchterne  und  realistisch  angelegte  Natur,  und  abhold  jed- 
wedem schwärmerischen  Idealismus,  verfolgte  er  in  seiner 
Politik  nur  eng  begrenzte,  eiTeichbare  und  praktische  Ziele  -). 
Nicht  im  Mindesten   gelüstete  es  ihn  nach  dem  Ruhme,   des 


^)  Ep.  Fam.  X  1.  Das  Jahresdatum  hat  gegen  Fracassetti,  der  es  als 
1350  ansetzte,  scharfsinnig  bestimmt  K.  Palm  in  seiner  Dissertation:  Italie- 
nische Ereignisse  in  den  ersten  Jahren  Karls  IV.  (Göttingen,  1873)  p.  58  ff. 

-)  vgl.  die  treffliche  Charakteristik  Karls   b.  Friedjung,  a.  a.  0.  77  ff. 


Petrarca  in  Mailand.  323 

römischen  Reiches  Regenerator  zu  werden,  sein  Ehrgeiz  be- 
schränkte sich  darauf,  den  Wohlstand  seines  angestammten 
Königreiches  Böhmen  zu  fördern,  seine  Hausmacht  zu  befestigen 
und  zu  erweitern  und  in  Deutschland  geordnete  Verfassungs- 
zustände  zu  begründen.  Darüber  hinaus  strebte  er  nicht  und 
namentlich  lag  ihm  der  Gedanke  fern,  in  die  italienischen 
Verhältnisse  energisch  einzugreifen  und  das  Ansehen  der 
Reichsgewalt  dort  wiederherzustellen.  Für  die  Grundidee  des 
Humanismus  besass  er  trotz  seines  hohen  Interesses  für  Wissen- 
schaft und  Litteratur  nicht  das  geringste  Verständniss ,  und 
obwol  in  manchen  Beziehungen  aus  den  Gedankenkreisen  des 
Mittelalters  heraustretend  und  moderner  Geistesrichtung  sich 
zuneigend,  war  er  doch  im  Wesentlichen  unberührt  geblieben  von 
dem  Hauche  des  neuen  geistigen  Lebens  seiner  Zeit;  fast 
scheint  es,  als  wenn  er  sich  demselben  grundsätzlich  ver- 
schlossen habe,  weil  er,  durch  und  durch  Verstandesmensch 
wie  er  war,  die  Gefahren  scheute,  welche  das  Experimentiren 
mit  neuen  Ideen  stets  mit  sich  bringt.  Es  war  eine  eigene 
Fügung  des  Schicksals,  dass  gerade  ein  solcher  Fürst  an  der 
Spitze  der  abendländischen  Christenheit  stand,  als  eine  neue 
Culturform  die  bisher  bestandene  mittelalterliche  zu  ersetzen 
strebte.  Ganz  ähnlich  geschah  es  im  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts, als  Deutschlands  Herrscher  Karl  V.,  sonst  ein  hoch- 
begabter und  tüchtiger  Fürst,  doch  für  die  weltbewegende  Idee 
seiner  Zeit ,  die  Reformation ,  ganz  unempfänglich  war.  Wie 
ganz  anders  —  ob  freilich  besser,  mag  billig  unentschieden 
bleiben  —  würde  der  Lauf  der  Weltgeschichte  sich  gestaltet 
haben,  wenn  statt  Karls  IV.  ein  für  den  Humanismus  und  statt 
Karls  V.  ein  für  die  Reformation  begeisterter  Fürst  auf  Deutsch- 
lands Throne  gesessen  hätte!  In  beiden  Fällen  würde  ver- 
muthlich  die  Weltmonarchie  begründet  worden  sein. 

Petrarca  war  nicht  der  erste  gewesen,  welcher  den  König 
für  das  politische  Ideal  des  Humanismus  zu  gewinnen  versucht 
hatte.  Cola  di  Rienzo,  der  ja  als  Gefangener  mehrere  Jahre 
in  Böhmen  verl)ringen  musste,  hatte  dies  bereits  gewagt,  selbst- 
verständlich aber  ohne  jeden  Erfolg,  wenn  auch,   was  uns  be- 

21* 


324  Sechstes  Capitel. 

fremdlich  genug  erscheinen  muss,  Karl  den  phantastischen 
Schwärmer  nicht  einfach  abwies,  sondern  sich  mit  ihm  in  eine 
brieflich  geführte  Polemik  einliess  ^).  Es  war  das  wol  nur  ein 
Zugeständniss,  welches  er  der  dem  ehemaligen  Tribunen  günstigen 
öffentlichen  Meinung  machen  zu  müssen  glaubte.  Wenn  aber 
aus  solchem  Grunde  ein  Rienzo  sich  nicht  ignoriren  liess,  so 
war  dies  bei  dem  hoch  gefeierten  Petrarca  noch  weniger  mög- 
lich, und  überdies  mochte  Karl  gern  die  Gelegenheit  ergreifen, 
mit  dem  geistig  bedeutendsten  Mann  seiner  Zeit  in  nähere 
Berührung  zu  treten.  So  beantwortete  er  denn  des  Dichters 
Brief  mit  einem  ausführlichen  und  in  den  ehrendsten  Aus- 
drücken abgefassten  Schreiben  2)  ^  in  welchem  er  sich  aus- 
einanderzusetzen bemühte,  wie  die  Aufrichtung  des  römischen 
Reiches,  welche  einst  im  Alterthume  möglich  gewesen  sei, 
jetzt  unter  den  gänzlich  veränderten  Verhältnissen  der  Gegen- 
wart und  namentlich  bei  den  heillos  verwirrten  Zuständen 
Italiens  sich  nimmermehr  bewerkstelligen  lasse. 

Wenn  aber  dieser  Brief  auch  seinem  Inhalte  nach  eine 
directe  Absage  an  die  politische  Idee  des  Humanismus  ent- 
hielt, so  machte  er  doch  wenigstens  in  der  Form  demselben 
ein  bemerkenswerthes  Zugeständniss :  der  König  strebte  in  ihm 
sichtlich,  ein  elegantes  Latein  zu  schreiben  oder  schreiben  zu 
lassen.  So  hatte  der  Humanismus  nun  Bürgerrecht  erlangt  in 
der  kaiserlichen  Canzlei  und  begann  den  barbarischen  Styl 
des  Mittelalters  auch  aus  den  amtlichen  Schriftstücken  zu  ver- 
drängen. Die  Zeit  brach  an,  in  welcher  von  einem  Canzler 
vor  allen  Dingen  Stylgewandtheit  erfordert  ward  und  in  Folge 
dessen  nur  Humanisten  zu  solchem  Amte  berufen  wurden. 

Irgend  ein  böser  Zufall  verschuldete  es,  dass  Karls  Brief, 
der  vermuthlich  im  Frühjahr  1351  abgefasst  wurde,  erst  nach 
beinahe  drei  Jahren  in   die  Hände  des  Adressaten  gelangte^). 


^)  Das  Nähere  über  die  sehr  interessanten  Beziehungen  Karls  zu  dem 
Extribunen  sehe  man  bei  Friedjung,  a.  a.  0.  p.  284 — 296. 

")  Bei  de  Sade  II  pieces  justif.  XXXIV,  in  ital.  Uebersetzung  b.  Fra- 
cassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  85  ff. 

«)  Ep.  Fam.  XVIII  1. 


Petrarca  in  Mailand.  325 

welcher  inzwischen  bereits,  wahrscheinlich  im  April  oder  Mai 
1352  ^),  eine  zweite  Epistel  ^}  ähnhchen  Inhaltes  an  den  Kaiser 
gerichtet  hatte  Endlich  aber  im  Besitze  der  königlichen  Ant- 
wort zögerte  Petrarca  nicht,  am  23.  November  1353^)  einen 
dritten  Brief  ■*)  an  den  deutschen  Herrscher  abgehen  zu  lassen. 
Der  unverbesserliche  Idealist,  der  blind  gegen  alle  realen  Ver- 
hältnisse war,  beharrte  auf  dem  Gedanken,  aus  dem  nüchternen 
und  praktisch  denkenden  Fürsten  einen  Nachfolger  des  phan- 
tastischen Cola  machen  zu  können,  zugleich  aber  Hess  er 
sich  die  Gelegenheit  nicht  entgehen,  in  schulmeisterndem  Tone 
Karl  darüber  zu  belehren,  dass  der  von  diesem  in  seinei- 
Epistel  angewandte  Ausspruch,  die  Herrschaft  sei  ein  Un- 
geheuer, nicht,  wie  er  angegeben  habe,  von  Augustus,  sondern 
von  Tiberius-')  zuerst  gethan  worden  sei.  Mit  welchem  be- 
rechtigten Lächeln  verständiger  Ueberlegenheit  mag  Karl  die 
pathetischen  Episteln  des  Dichters  gelesen  haben!  Gleichwol 
las  er  sie  sicherlich  mit  grossem  Genüsse  des  eleganten  und 
klangvollen  Baues  ihrer  Perioden  und  der  Originalität  der  in 
ihnen  ausgesprochenen  Gedanken  wegen,  und  es  steigerte  sich 
in  Folge  dessen  sein  wolilwollendes  Interesse  für  ihren  Ver- 
fasser immer  mehr. 

Im  Geheimen  mochte  Petrarca  sich  mit  dem  Gedanken 
schmeicheln,  dass  der  König  doch  schliesshch  von  seinen  so 
beredten  Ermahnungen  sich  habe  bestimmen  lassen,  als  der- 
selbe im  Herbst  1354  aus  Beweggründen,  deren  Darlegung 
der  politischen  Geschichte  überlassen  bleiben  muss,  sich  end- 
lich zur  Ausführung  seines  lang  geplanten  Römerzuges  ent- 
schloss.  Kaum  hatte  Karl  die  Alpen  überschritten,  als  er  von 
dem  Dichter  mit  einer  begeisterten  Zuschrift  begrüsst  ward  '^), 


^)  Jahresdatum  nach  Palm  (vgl.  S.  322,  Anm.  1),  p.  59. 

2)  Ep.  Fam.  XII  1. 

3)  Fracassetti  Lett.  fam.  IV  p.  87  setzt  1354  als  Jahresdatum  an,  es 
ist  das  aber  schon  um  desswillen  unstatthaft,  weil  Karl  um  diese  Zeit 
bereits  auf  dem  Römerzuge  begriffen  war. 

*)  Ep.  Fam.  XVIII  1. 
^)  Suet.  Tib.  c.  24. 
«)  Ep.  Fam.  XIX  1. 


326  Sechstes  Capitel, 

in  welcher  er  mit  keinem  Geringeren  verglichen  ward,  als  mit 
Aeneas,  der,  allen  Gefahren  trotzend,  seinen  Vater  Anchises 
in  der  Unterwelt  aufsucht.  —  Befremdlich  mag  es  vielleicht 
erscheinen,  dass  Petrarca  durch  seine  Begeisterung  für  den 
König  und  die  von  ihm  vertretene  Idee  sich  nicht  die  Gunst 
seiner  Brodherren,  der  Visconti,  verscherzte.  Das  erklärt  sich 
indessen  leicht  genug.  Die  Tyrannen  von  Mailand  wünschten 
damals  sehnlichst,  in  gute  Beziehungen  zu  dem  Könige  zu 
treten,  und  nicht  unwillkommen  mochte  es  ihnen  sein,  dass 
der  von  ihnen  besoldete  gefeierte  Dichter  sich  als  begeisterter 
Anhänger  des  Königs  bekannte.  Ueberdies  kannten  sie  aber 
gewiss  Karls  Charakter  genau  genug,  um  zu  wissen,  wie  auch 
nicht  die  leiseste  Gefahr  vorhanden  sei,  dass  er  sich  von  Pe- 
trarca's  schwärmerischen  Ermahnungen  irgendwie  beeinflussen 
lassen  werde.  Warum  also  sollten  sie  nicht  dem  Dichter  die 
harmlose  Schwärmerei  gestatten,  die  ihnen  und  ihrer  Politik 
nicht  nur  keinen  Nachtheil,  wohl  aber  Förderung  bringen 
konnte?  Tyrannen  geben  sich  gern  den  Anschein  der  Frei- 
sinnigkeit in  politischen  Dingen,  so  lange  es  sich  um  bloss 
akademische  Erörterungen  handelt. 

Im  November  kam  Karl  IV.  nach  Mantua.  Hier  nahm  er 
längeren  Aufenthalt,  denn,  bevor  er  seine  Keise  weiter  fort- 
setzte, musste  er  seine  Beziehungen  zu  den  oberitalienischen 
Staaten  ordnen.  Die  Gegner  der  Visconti,  die  Mitglieder  der 
lombardisch-venetianischen  Liga,  hatten  erwartet,  der  König 
werde  sich  ihnen  anschliessen  und  gemeinsam  mit  ihnen  die 
übermächtig  gewordenen  Tyrannen  Mailands  bekämpfen.  Karl 
aber  dachte  nicht  daran,  wie  ihm  überhaupt  jeder  Gedanke 
an  eine  auf  Wiederherstellung  der  Reichsgewalt  gerichtete 
thätige  Einmischung  in  die  italienischen  Verhältnisse  fern  lag. 
Das  Kaiserthum  hatte  eben  aufgehört  eine  politische  Macht 
zu  sein  und  war  nur  noch  eine  politische  Idee  ^).  Wenn  aber 
Karl  wünschte,  jeden  Conflict  mit  den  Herrschern  von  Mailand 


*)  vgl.  Th.  Sickel,  das  Vicariat  der  Visconti  (in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akad.  d.  Wissensch.,  PMlos.-hist.  Gl.,  Bd.  30)  p.  32. 


Petrarca  in  Mailand.  327 

ZU  vermeiden,  so  wünschten  diese  nicht  minder,  der  Gunst  des 
Königs  sich  zu  versichern,  denn  allseitig  von  erbitterten  Feinden 
bedrängt,  wie  sie  es  waren,  mussten  sie  Werth  darauf  legen,  dass 
nicht  etwa  noch  durch  deutsche  Macht  die  Kraft  ihrer  Wider- 
sacher verstärkt  werde.  So  sandten  sie  denn  eine  Gesandt- 
schaft an  den  König  nach  Mantua,  um  von  ihm,  mit  dem  sie 
sich  bis  dahin  im  Kriegszustande  befunden  hatten,  den  Frieden 
zu  erbitten.  Dieser  kam  denn  auch,  wie  bei  Karls  friedfertigen 
Dispositionen  nicht  anders  zu  erwarten  war,  mühelos  zu  Stande, 
ja  Karl  übertrug  sogar  den  Visconti  das  Reichsvicariat  für  die 
Gebiete  von  Mailand  und  Genua,  wogegen  diese  sich  zur 
Zahlung  der  beträchtlichen  Summe  von  200,000  Goldgulden 
verpflichten  mussten').  Karl  benutzte  eben  als  praktischer 
Mann  den  Rest  seiner  königlichen  Autorität,  der  ihm  in  Italien 
noch  geblieben  war,  als  einträgliche  Finanzquelle,  und  es 
glich  nur  allzu  sehr  sein  ganzer  Römerzug  der  Handelsreise 
eines  schachernden  Kaufmannes. 

Petrarca  hatte  sieh  unter  jenen  nach  Mantua  abgeschickten 
Gesandten  nicht  befunden.  Die  Visconti,  der  in  Venedig  mit 
dem  politisirenden  Dichter  gemachten  Erfahrung  sich  erinnernd, 
mochten  allen  Grund  haben,  sich  für  das  wichtige  Geschäft 
des  Friedensschlusses  gewandterer  Diplomaten  zu  bedienen. 
So  wurden  denn  „Privatgründe"  vorgeschützt,  um  seine  Aus- 
schliessung von  der  ehrenvollen  Mission  zu  rechtfertigen  ^). 
Für  diese  Zurücksetzung,  welche  seine  Eitelkeit  schmerzlich 
verletzen  musste,  sollte  er  indessen  bald  glänzend  entschädigt 
werden.  "Wenige  Tage  nach  der  Rückkehr  der  mailändischen 
Gesandten  empfing  er  eine  feierliche  Einladung  des  Königs, 
ihn  in  Mantua  aufzusuchen.  Selbstverständlich  zögerte  er  nicht, 
der  ehrenden  Aufforderung  Folge  zu  leisten.  Am  12.  December^) 
brach  er  von  Mailand  auf.  Die  Witterung  war  für  Italien  un- 
gewöhnlich winterlich  —  man  sagte,  der  nordische  Fürst  habe 

')  vgl.  Sickel,  a.  a.  0.  p.  24  f. 
-)  Ep.  Fam.  XIX  3.,  vgl.  A.  Hortis  a.  a.  0.  p.  130, 
•■')  II  Idus  Decerabris,  was  Fracassetti   Lett.  fam.  IV  p.  160  irrig  mit 
agli  undici  di  decembre  übersetzt. 


328  Sechstes  Capitel. 

auch  den  nordischen  "Winter  über  die  Alpen  gebracht  —  und 
der  Ritt  auf  den  mit  Schnee  und  Eis  bedeckten  Strassen  war 
nicht  ohne  Gefahr.  Endlich  in  der  vierten  Nacht  erreichte 
Petrarca  seinen  Bestimmungsort.  Der  König  empfing  den 
Dichter  in  der  wohlwollendesten  und  gütigsten  Weise  und  brachte 
zuweilen  den  ganzen  Tag  in  seiner  Gesellschaft  zu.  Vergebens 
indessen  bemühte  sieh  der  Humanist,  den  HeiTScher  für  seine 
politischen  Ideen  zu  begeistern,  vergebens  war  es,  dass  er  ihm 
die  Widmung  seines  Buches  über  die  berühmten  Männer  ver- 
sprach, wenn  er  sich  derselben  durch  Tugend  würdig  mache, 
vergebens,  dass  er  ihm  auf  alten  Münzen  die  Bildnisse  römischer 
Imperatoren  zeigte  und  ihn  in  freimüthigster  Rede  aufforderte, 
dem  Beispiele  dieser  seiner  Vorfahren  auf  dem  Throne  nach- 
zueifern. Karl  war  für  solche  Phantasien  nicht  empfänglich, 
und  ohne  auf  eine  Widerlegung  derselben,  die  den  Dichter  ge- 
kränkt und  doch  nicht  überzeugt  hätte,  sich  einzulassen,  ver- 
stand er  es,  das  Gespräch  auf  andere  Gegenstände  zu  lenken. 
Er  befragte  Petrarca  nach  seinem  Lebensgange  und  begann 
mit  ihm  ein  gewiss  nicht  ernst  gemeintes  Wortgefecht  über 
den  Werth  des  von  dem  Dichter  so  gepriesenen  Lebens  in  der 
Einsamkeit  ^). 

Höchst  befriedigt  von  seinem  Aufenthalte  in  Mantua,  der 
ungefähr  zehn  Tage  gewährt  haben  mag^),  kehrte  Petrarca 
nach  Mailand  zurück  '^).  Die  Befriedigung,  welche  seiner  Eitel- 
keit durch  die  so  gütige  Aufnahme  bei  dem  Könige  gewährt 
worden  war,  hatte  ihn  für  eine  objective  Auffassung  der  Ver- 
hältnisse vollends  blind  gemacht.  Er  glaubte  in  allem  Ernste. 
Karl  IV.  für  seine  Anschauungen  gewonnen  zu  haben,  und  gab 
sich  den  kühnsten  Hoffnungen  für  die  Zukunft  hin,  die  nur 
allzu  bald  enttäuscht  werden  sollten. 

Es  lässt  sich  die  Frage  aufwerfen,  ob  Karl  mit  Petrarca's 
Berufung  nach  Mantua  etwa  eine  politische  Berechnung  ver- 
bunden habe,   ob  er  vielleicht  durch  das  Wohlwollen,  welches 


^)  Die  ausführliche   Erzählung  seines  Verkehrs   mit   dem    Könige   hat 
Petrarca  Ep.  Farn.  XIX  3.  gegeben,  vgl.  Friedjung,  a.  a.  0.  p.  305  ff. 

-;  Vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  157. 


Petrarca  in  Mailand.  329 

«r  dem  Dichter  in  so  liebenswürdiger  Weise  zeigte,  die  Ge- 
müther der  Italiener  sich  gewinnen  wollte.  Diese  Frage  dürfte 
indessen  wol  zu  verneinen  sein,  wenn  man  erwägt,  wie  eilig 
und  ohne  irgend  etwas  gethan  zu  haben  Karl  bald  darauf, 
unbekümmert  um  die  ihm  entgegen  getragenen  lebhaften 
Sympathien  des  italienischen  Volkes,  über  die  Alpen  zurück- 
ging. Nicht  politische  Pläne  verfolgte  Karl,  als  er  die  Be- 
gegnung von  Mantua  veranstaltete,  sondern  um  die  Erfüllung 
eines  persönlichen  "Wunsches  allein  war  es  ihm  zu  thun:  er, 
der  für  geistige  Interessen  so  viel  Theilnahme  und  Verständ- 
niss  besass,  wollte  den  seltenen  Mann  kennen  lernen,  der  nach 
dem  Urtheile  der  Zeitgenossen  die  höchsten  Höhen  des  ge- 
lehrten Wissens  sowol  als  des  poetischen  Schaffens  erstiegen 
hatte.  In  seinem  Verhältnisse  zu  Petrarca  war  Karl  nur 
Mensch,  nicht  Fürst.  Daraus  begreift  es  sich  auch,  dass  er 
dem  Dichter  auch  dann  sein  Wohlwollen  unverändert  bewahrte, 
als  dieser  ihn  wegen  des  kläglichen  Verlaufes  des  Römerzuges 
mit  den  bittersten  Vorwürfen  überhäuft  hatte,  denn  diese 
Vorwürfe,  nur  gegen  die  Handlungsweise  des  Fürsten,  nicht 
gegen  den  Charakter  des  Menschen  gelichtet,  konnten  eben 
nur  den  Fürsten,  nicht  aber  den  Menschen  verletzen. 

Wie  einst  schon  Petrarca's  Aufenthalt  an  dem  Hofe  des  Königs 
Robert,  so  bezeichnet  auch  sein  Aufenthalt  bei  dem  in  Mantua 
weilenden  deutschen  Herrscher  den  Beginn  einer  neuen  Cultur- 
periode.  Fortan  übernahmen  die  Fürsten  das  Ehrenamt, 
Förderer  und  Pfleger  der  Wissenschaft  und  Kunst  zu  sein, 
eine  Pflicht,  welcher  sich  die  Fürsten  des  Mittelalters  nur  in 
vereinzelten  Fällen  und  in  beschränktem  Umfange  unterzogen 
hatten.  Fortan  galt,  theoretisch  wenigstens,  der  Gelehrte, 
der  Dichter,  der  Künstler  als  den  Höchstgeborenen  ebenbürtig, 
der  Adel  des  Geistes  ward  anerkannt  und  die  Idee,  dass 
geistiges  Schaffen  das  edelste  Schäften  sei,  gelangte  endlich 
zur  Geltung,  wenn  sie  auch  freilich  noch  oft  verleugnet  wurde 
und  noch  oft  auch  verleugnet  werden  wird.  — 

Nachdem  Karl  sich  mit  den  Visconti  verglichen,  stand  der 
Fortsetzung  seiner  Romfahrt  kein  weiteres  Hinderniss  entgegen. 


330  Sechstes  Capitel. 

Zuücächst  begab  er  sich,  einer  Einladung  der  Visconti  Folge  leistend, 
nach  Mailand,  wo  er  am  4.  Januar  1B55  einzog,  von  den  Ty- 
rannen mit  Pracht  und  anscheinender  Unterwürfigkeit,  aber  doch 
auch  mit  schlecht  verborgenem  Misstrauen  empfangen.  Am  6. 
Januar  empfing  er  in  der  Kirche  des  heihgen  Ambrosius  ^)  aus 
den  Händen  des  Erzbischofs  Robert  Visconti  die  eiserne  Krone. 
Dann  brach  er  nach  einem  Aufenthalte  von  wenigen  Tagen 
gen  Rom  auf.  Er  hatte  gewünscht,  dass  Petrarca  ihn  dorthin 
begleiten  möchte,  und  dieser  würde  gewiss  sehr  bereit  dazu  ge- 
wesen sein,  denn  was  hätte  seiner  Eitelkeit  mehr  schmeicheln 
können,  als  an  der  Seite  des  Königs  einzuziehen  in  die  ewige  Stadt 
und  sich  dort  als  den  geistigen  Erneuerer  der  Kaiserherrlich- 
keit feiern  zu  lassen?  Indessen  in  seiner  abhängigen  Stellung 
war  er  nicht  Herr  seiner  EntSchliessungen  und  jedenfalls  durch 
Rücksichtnahme  auf  die  Politik  der  Visconti  liess  er  sich  be- 
stimmen, des  Königs  Antrag  abzulehnen.  Er  begnügte  sich, 
KarFn  bis  fünf  Miglien  über  Piacenza  hinaus  das  Geleite  zu 
geben  und  kehrte  dann  nach  Mailand  zurück.  Er  hatte  jedoch  die 
ihm  durch  die  Verhältnisse  aufgenöthigte  Entsagung  nicht  zu 
bereuen.  Die  am  4.  April  erfolgende  Kaiserkrönung  nahm 
bekann tUch  einen  so  kläglichen  Verlauft),  dass  der  Idealist 
sich  Glück  wünschen  musste,  dem  die  Idee  des  Kaiserthums 
so  tief  entwürdigenden  Schauspiele  nicht  beigewohnt  zu  haben. 
Noch  tiefer  aber  musste  ihn  schmerzen,  was  nachdem  geschah. 
Der  neugekrönte  Kaiser,  für  alle  Bitten  der  Römer  taub  und 
nur  den  päpstlichen  Wünschen  nachzukommen  sich  beeifernd, 
verliess  noch  am  Tage  der  Krönung  Rom  und  trat  mit  würde- 
loser Hast  die  Rückreise  an,  die  fast  eine  Flucht  zu  nennen 
war  und  ihm  manche  Demüthigungen  brachte.  Der  Hohn  und 
die  nur  allzu  berechtigte  Entrüstung  der  in  ihren  schönsten  Hoft- 
nungen-betrogeneu  Italiener  verfolgte  den  kaiserlichen  Geschäfts- 
reisenden, der  statt  auf  die  Wiederherstellung  des  Imperiums 
nur   auf  die   Füllung   seiner  Börse  bedacht  gewesen  war,  und 


1)  Ep.  Fam.  XX  14. 

"-)  Das  Nähere  sehe  man  b.  Gregorovius,  a.  a.  0.  VI  p.  375  f. 


Petrarca  in  Mailand.  331 

die  Autorität  des  Keiches  in  Italien,  welche  damals,  so  scheint 
es  wenigstens,  einer  für  ganz  Europa  heilsamen  Kräftigung 
fähig  gewesen  wäre,  wurde  unwiederbringlich  zerstört.  Das 
römische  Reich,  das  doch  bis  dahin  noch  schattenhaft  wenigstens 
bestanden  hatte,  war  fortan  ein  leerer  Name.  Deutschland 
und  Italien  betraten  seitdem  gesonderte  Bahnen  der  Ent- 
wickelung,  welche  aber  für  beide  Jahrhunderte  hindurch  gleich 
unheilvoll  sein  sollten 

Petrarca,  endlich  grausam  genug  enttäuscht,  verlieh  seinem 
Schmerze  beredten  Ausdruck  in  einem  vorwurfsvollen  Briefe, 
den  er  an  den  Kaiser  richtete  0-  „Was  meinst  Du"  —  redete 
er  ihn  an  —  „das  Dein  Vater  (Johann  von  Böhmen)  und 
Dein  Ahn  (Heinrich  VII.)  Dir  sagen  würden,  wenn  sie  auf  den 
Höhen  der  Alpen  Dir  begegnen  könnten?  So  höre  es  denn 
von  mir !  Herrliches  fürwahr  hast  Du  vollführt,  grosser  Cäsar, 
durch  Deinen  so  lange  Jahre  hindurch  verschobenen  Zug  nach 
Italien  und  durch  Deinen  hastigen  Rückzug!  Du  bringst  end- 
lich die  eiserne  und  die  goldene  Krone  heim,  zugleich  aber 
auch  den  leeren  Namen  des  Imperiums.  Kaiser  der  Römer 
wirst  Du  genannt  werden,  während  Du  in  Wahrheit  nur 
Böhmens  König  bist.  Möchtest  Du  doch  auch  dies  nicht  sein, 
damit  die  zu  höherem  Streben  gezwungene  Tugend  in  Dir  er- 
wachte und  Armuth  des  Besitzes  Dich  antriebe,  das  Erbe 
der  Väter  nicht  zu  vernachlässigen." 

Diese  kühnen  Worte  gereichen  dem,  der  sie  auszusprechen 
wagte,  zur  hohen  Ehre,  indem  sie  beweisen,  dass  er,  wenn  es 
seine  Ideale  galt,  persönliche  Rücksichten  zu  vergessen  ver- 
mochte und,  in  der  Rede  wenigstens,  den  Muth  der  üeber- 
zeugung  besass.  Nicht  minder  aber  gereicht  es  dem  Fürsten  zur 
Ehre,  dass  er  dem,  der  solche  Worte  an  ihn  zu  richten  sich 
vermaass,  ein  unverändeites  Wohlwollen  bewahrte  und  von 
kleinlicher  Empfindlichkeit  sich  frei  erhielt.  Karl  IV.  war  in 
sehr  vielen  Dingen  ein  kleinhch  gesinnter  Mensch,  hier  hat 
er  sich  aber  einmal  wahrhaft  hochgesinnt  gezeigt. 

»)  Ep.  Farn.  XIX  12. 


332  Sechstes  Capitel. 

Indem  Karl,  seines  kaiserlichen  Berufes  uneingedenk, 
durch  seine  hastige  Rückkehr  Italien  sich  selbst  überlassen 
hatte,  loderte  in  dem  unglücklichen  Lande  bald  wieder  der 
verheerende  Brand  des  Bürgerkrieges  empor.  Zwar  in  Mittel- 
italien herrschte  verhältiiissmässige  Ruhe,  da  die  starke  Hand 
des  päpstlichen  Cardinallegaten  Egidio  d'Albornoz  die 
Tyrannen  bändigte  und  da  auch  Rom  selbst,  nachdem  der  auf 
kurze  Zeit  wieder  zur  Macht  gelangte  Tribun  Cola  di  Rienzo 
am  8.  October  1354  ein  seiner  früheren  Thaten  unwürdiges 
Ende  gefunden  hatte,  sich,  wenn  auch  widerwillig,  dem  kirch- 
lichen Regimente  wieder  fügen  musste.  Oberitalien  dagegen 
wurde  der  Schauplatz  wüster  und  wilder  Kämpfe.  Der  un- 
längst zwischen  Venedig  und  Mailand  abgeschlossene  Frieden 
blieb  allerdings  unangefochten,  da  die  Lagunenrepublik  durch 
innere  Wirren  an  einer  Action  nach  aussen  behindert  war, 
aber  die  kleinen  Tyrannen  der  Lombardei,  welche  von  der 
immer  mehr  anwachsenden  Macht  Mailands  vernichtet  zu 
werden  befürchteten  —  die  Este,  die  Gonzaga,  die  Carrara,  die 
Scaligeri,  der  Markgraf  Giovanni  von  Montferrat  — ,  ver- 
bündeten sich  auf's  Keue  gegen  ihre  gemeinsamen  Feinde,  die 
Visconti.  Diese  letzteren,  von  so  vielen  Gegnern  bedrängt 
und  überdies  durch  das  Gerücht  erschreckt,  dass  der  König 
von  Ungarn  sich  zu  einem  Zuge  nach  Italien  rüste,  wollten 
zum  Mindesten  ihre  Bedrängniss  nicht  noch  dadurch  steigern, 
dass  etwa  auch  der  Kaiser  dem  Bunde  ihrer  Feinde  sich  zu- 
geselle. Dass  dieses  aber  geschehen  werde,  hatten  sie  allen 
Grund  zu  befürchten,  wenn  sie  sich  erinnerten,  wie  schimpf- 
lich dem  aus  Rom  zurückkelirenden  Kaiser  von  ihnen  begegnet 
worden  war.  Hatten  sie  ihm  doch  damals  den  Einzug  in  ihre 
Städte  verweigert  oder  nur  unter  demüthigenden  Bedingungen 
zugestanden! 

Um  also,  wenn  es  möglich  sei,  den  Zorn  des  schwer- 
gekränkten Lehnsherrn  zu  besänftigen,  beschlossen  die  Tyrannen, 
Petrarca  an  Karls  Hoflager  nach  Prag  zu  senden.  Gerade  für 
diese  Mission,  bei  welcher  es  weniger  auf  diplomatische  Ge- 
wandtheit und  Geschäftskenntniss,   als  auf  Beredtsamkeit  und 


I 


Petrarca  in  Mailand.  333 

gewinnende  persönliche  Eigenschaften  ankam,  konnte  der 
Dichter  als  eine  sehr  geeignete  Persönlichkeit  erscheinen,  zumal 
er  bereits  in  so  vertraulichen  Beziehungen  zu  Karl  gestanden 
hatte.  Seufzend,  seinem  behaglichen  Stillleben  entrissen  zu  wer- 
den, wenn  auch  gewiss  gleichzeitig  des  ehrenden  Auftrages  sich 
freuend,  trat  Petrarca  am  20.  Mai  1356  die  weite  Reise  an  ^). 
Sein  Begleiter  auf  derselben  war  in  Folge  irgend  eines  zu- 
fälligen Zusammentreffens  ein  gewisser  Sacramore  di  Pommiers, 
ein  Mann,  der  die  beschwerlichen  Functionen  eines  Cabinets- 
couriers  versah  und  zuw^eilen  siebenmal  in  einem  Jahre  zwischen 
Böhmen  und  Italien  hin-  und  herreiste  ^).  Petrarca  hatte  ihn 
bereits  im  December  1354  kennen  gelernt  —  denn  er  war 
der  Bote  gewesen,  welcher  dem  Dichter  die  kaiserliche  Ein- 
ladung nach  Mantua  überbrachte,  —  und  er  befreundete  sich 
späterhin  innig  mit  ihm,  empfahl  ihn  auch  angelegentlich  dem 
Kaiser  und  dessen  Käthen  ^j.  Wir  dürfen  demnach  wol  ver- 
muthen,  dass  Sacramore  trotz  seines  anscheinend  unter- 
geordneten Amtes  ein  Mann  von  Geist  und  Bildung  war. 
Sein  fernerer  Lebenslauf  war  übrigens  seltsam  genug:  der 
reisegewandte  Courier  wurde  im  Jahre  1367  oder  1368  durch 
plötzliche  EntSchliessung  ein  frommer  Carthäusermönch ,  ein 
Lebens  Wechsel,  der  ihm  Petrarca's  Zuneigung  in  noch  höherem 
Grade  gewann^). 

Die  Reisenden  nahmen  ihren  Weg  nach  Basel,  denn  hier 
hoffte  Petrarca  mit  dem  Kaiser,  der  dorthin  zu  kommen  be- 
ahsichtigt  hatte,  zusammentreffen  zu  können.  Als  diese  Hoff- 
nung, obgleich  er  einen  ganzen  Monat  wartete,  sich  nicht  er- 
füllte, musste  er  sich  zur  Weiterreise  nach  Prag  entschliessen. 
Er  verliess  also  gegen  Ende  Juni  Basel  (welche  Stadt  einige 
Tage  nach  seiner  Abreise  wie  das  ganze  Rheinland  von  einem 


J)  Ep.  Fam.  XIX  13.     Der  Brief  ist  am  19.  Mai  unter  dem  Lärmen 
des  Kofferpackens  („inter  tumultum  sarcinulas  stringentium")  geschrieben. 
■-)  Ep.  Fam.  XXI  7.     Sen.  X  1. 
••)  Ep.  Fam.  XXI  5.  6.  7. 
*)  Ep.  Sen.  X  1. 


334  Sechstes  Capitel. 

furchtbaren  Erdbeben  verheert  wurde,  ^)  und  begab  sich  nach 
Prag,  wo  er  vermuthlich  in  den  ersten  Tagen  des  Juli  ein- 
traf und  von  dem  Kaiser  sehr  ehrenvoll  empfangen  wurde. 
Leider  fehlt  uns  alle  nähere  Kunde  über  Petrarca's  Aufenthalt 
in  Deutschland  und  insbesondere  in  der  Hauptstadt  Böhmens, 
nicht  minder  auch  müssen  wir  uns  zu  wissen  bescheiden, 
w^elchen  Eindruck  die  fremdartige  Natur  des  Nordens  auf  des 
Dichters  Gemüth  machte.  Ein  allzu  angenehmer  kann  es 
indessen  nicht  gewesen  sein,  denn  Petrarca  bekennt  wieder- 
holt, dass  er  erst  in  Deutschland  die  wunderbare  Schönheit 
seiner  italienischen  Heimath  recht  erkennen  und  würdigen  ge- 
lernt habe  ^).  Sehr  beklagenswerth  ist  es,  dass  der  Dichter 
seine  Absicht,  eine  ausführliche  Beschreibung  seiner  Reise  in 
einer  besonderen  Schrift  zu  geben  ^) ,  nicht  zur  Ausführung 
gebracht  hat.  Wie  interessant  und  werthvoll  würde  eine 
solche  Schrift  für  uns  geworden  sein !  Vermag  man  doch  schon 
aus  dem  „Itinerarium  Syriacum",  obwol  dies  nur  eine  tingirte 
Reise  erzählt,  zu  erkennen,  welch'  ein  gewandter  Reisebeschreiber 
Petrarca  ist  und  wie  geschickt  er  aus  der  Fülle  des  Stoifes 
das  Wesentliche  und  allgemein  Interessante  herauszuheben 
weiss. 

In  Prag  machte  Petrarca  die  Bekanntschaft  mehrerer  am 
kaiserlichen  Hofe  weilender  hochgebildeter  Kirchenfürsten,  des 
Erzbischofs  Ernst  von  Prag,  des  Bischofs  Johann  Ocko  von 
Olmütz  und  des  Canzlers  Johann  von  Neum.arkt,  welcher  da- 
mals Bischof  von  Leitmeritz  war'^).  Nicht  ohne  Staunen 
mochte  der  italienische  Humanist  bemerken,  wie  es  auch  in 
dem  sonst  von  ihm  so  verachteten  barbarischen  Norden  ge- 
lehrte und  fein  gebildete  Männer  gebe,  wie   man   auch  dort 


^)  Ep.  San.  X  2. 

2)  Ep.  Fam.  XIX  14  u.  15. 

=>)  Ep.  Fam.  XIX  14. 

*)  Mit  allen  diesen  Männern  unterhielt  Petrarca  später  einen  Brief- 
wechsel, der  indessen  wenig  inhaltsvoll  war  und  nur  dadurch  für  die  Nach- 
welt Interesse  besitzt,  dass  er  zeigt,  was  schon  die  ersten  Humanisten  in 
gegenseitiger  Lobesberäucherung  zu  leisten  vermochten.  Näheres  sehe  man 
b.  Friedjung,  a.  a.  0.  p.  311  ff.  und  bei  Mehus,  a.  a.  0.  p.  221—224. 


Petrarca  iu  Mailand.  335 

die  classischen  Studien  bereits  zu  pflegen  und  zu  fördeni  be- 
ginne, aber  er  ahnte  wol  nicht,  dass  Deutschland  einst  Italien 
ebenbürtig,  ja  überlegen  werden  würde  in  humanistischer 
Bildung. 

Wenn  Petrarca  mit  der  Aufnahme,  welche  er  persönlich 
bei  dem  Kaiser  und  dessen  Käthen  fand,  vollauf  zufrieden  sein 
konnte,  so  hatte  er  weit  weniger  Ursache,  sich  des  Erfolges 
seiner  politischen  Mission  zu  freuen.  Das  freilich  mochte  der 
Kaiser  dem  Abgesandten  der  Visconti  versichern,  dass  weder 
von  ihm  noch  von  dem  Könige  Ungarns  ein  Zug  nach  Italien 
beabsichtigt  werde,  aber  es  war  solche  Versicherung  werth- 
los,  da  sie  indirect  gebrochen  wurde.  Der  Kaiser  überschritt 
allerdings  die  Alpen  nicht,  aber  sein  Vicar  in  Toscana,  der 
Bischof  Marquard  von  Augsburg,  ergriff  offen  Partei  gegen  die 
Visconti,  agitirte  auf  das  Lebhafteste  gegen  sie  und  wagte  es 
sogar,  sie  wie  gemeine  Verbrecher  vor  seinen  Kichterstuhl 
zu  laden.  Die  mailändischen  Tyrannen  beantworteten  des 
Vicars  Aufforderung  mit  einem  in  maasslos  erbitterten  Aus- 
drücken abgefassten  Pamphlete  ^),  doch  gaben  sie  sich,  um  den 
offenen  Bruch  mit  dem  Kaiser  zu  meiden,  den  Anschein,  als 
glaubten  sie,  dass  Marquard  ohne  Auftrag  seines  Herrn  ge- 
handelt habe. 

Nach  einem  Aufenthalte  von  etwa  eines  Monats  Dauer 
reiste  Petrarca  wieder  von  Prag  ab.  Jedenfalls  that  er  es 
in  nicht  eben  gehobener  Stimmung,  denn  es  konnte  ihm  un- 
möglich entgehen,  dass  seine  Sendung  im  Grunde  eine  erfolg- 
lose gewesen  sei,  und  ebenso  hatte  er  nun  wol  endgültig  einsehen 
müssen,  dass  Karl  IV.  nimmermehr  für  eine  ideale  Politik  sich 
werde  gewinnen  lassen.  Die  Reise  hat  ihm  also  nur  Ent- 
täuschungen und   Beschwerden  gebracht,   für  welche  ihm  die 


^)  Man  hat  die  Verfasserschaft  dieser  Schmähschrift  (=  Ep.  Var.  59) 
Petrarca  beilegen  wollen  und  noch  Hortis  a.  a.  0.  p.  163  neigt  sich  dieser 
Ansicht  zu,  indessen  ist  es  schwer  glaublich,  dass  Petrarca  fast  unmittelbar 
nach  seiner  Rückkehr  vom  kaiserlichen  Hofe  —  das  Pamphlet  ist  vom 
9.  Oct.  1356  datirt  —  einen  kaiserlichen  Statthalter  in  so  rücksichtsloser 
Weise  angegriffen  haben  sollte.    Vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  464  ff. 


336  Sechstes  Capitel. 

empfangenen  reichen  Ehrenbezeugungen  doch  nur  unvollkommen 
entschädigen  konnten.  Er  hätte  wohl  Grund  gehabt,  dem 
Kaiser  zu  grollen,  der  ihm  seine  schönsten  Hoffnungen  zerstört 
hatte.  Und  dem  Fürsten  Karl  grollte  er  auch  in  der  That, 
mit  dem  Menschen  Karl  jedoch  fuhr  er  fort,  die  freundschaft- 
lichsten Beziehungen  zu  untei-halten.  Es  besassen  Karl  und 
Petrarca  trotz  ihrer  grundverschiedenen  Denkungsart  doch  zu 
viele  geistige  Berührungspunkte,  als  dass  sie,  nachdem  sie  sich 
einmal  genähert,  wieder  einander  hätten  entfremden  können. 
Beide  hatten  das  Bewusstsein,  ausserhalb  der  Gedankenkreise 
ihrer  Zeit  auf  einsamer  Höhe  zu  stehen,  einem  erst  werdenden 
Zeitalter  anzugehören  und  folglich  auf  einander  angewiesen 
zu  sein.  So  blieb  ihr  persönliches  Verhältniss  zu  einander 
das  beste  und  nahm  selbst  einen  vertraulichen  Charakter  an. 
Petrarca  wurde  fast  wie  ein  Mitglied  der  kaiserlichen  Familie 
betrachtet  und  von  den  dieselbe  betreffenden  Ereignissen  direct 
benachrichtigt.  Auch  an  äusseren  Gunstbezeugungen  Hess 
es  der  Kaiser  nicht  fehlen :  er  verlieh  dem  Dichter  die  Würde 
eines  Pfalzgi-afen  ^) ,  machte  ihm  kostbare  Geschenke  ^)  und 
lud  ihn  zum  bleibenden  Aufenthalte  an  seinem  Hofe  wieder- 
holt und  dringend  ein 3).  Petrarca,  welcher  sich  in  seiner 
Eitelkeit  durch  diese  Gunstbeweise  überaus  geschmeichelt 
fühlte,  dankte  dem  kaiserlichen  Gönner  in  stylvollen  Briefen  •*), 
in  denen  er  es  natürlich  nicht  an  Weihrauchspenden  fehlen 
Hess.  Er  hatte  selbst  Augenblicke,  wo  er  den  alten  Illusionen 
sich  wieder  hingab  und  Karl'n  aufs  Neue  für  seine  politischen 
Ideale  zu  begeistern  suchte  =j,  doch  merkt  man  es  den  be- 
treffenden Briefen  an,  dass  ihr  Verfasser  nicht  mehr  mit  der 
früheren  freudigen  Zuversicht  erfüllt  ist  und  selbst  nicht  mehr 
ernstlich  an  die  Möglichkeit  einer  Erneuerung  der  römischen 
Herrlichkeit  glaubt. 


*)  Ep.  Farn.  XXI  2. 
2)  Ep^  Fam.  XXIII  8. 
"j  Ep.  Fam.  XXIII  2.  8.  9. 

*)  Briefe  Petrarca's  an  Karl  IV.  (ausser  den  bereits  früher  citirten)  XXI 
7.  XXIII  2.  3.  8.  9.  15.  21.    Sen.  XVI  5. 
^)  Ep.  Fam.  XXI  il  2  u.  15. 


Petrarca  in  Mailand.  337 

So  erfüllte  sich  denn  in  dem  Freundschaftsbunde  Karls  IV. 
mit  Petrarca  der  schöne  Spruch,  dass  der  Sänger  mit  dem 
Fürsten  gehen  solle,  und  es  ward  dadurch  der  Welt  bekundet, 
dass  eine  neue  Zeit  begonnen  habe.  — 

Am  20.  September  konnte  Petrarca  seinem  Freunde 
Francesco  Nelli  die  glücklich  erfolgte  Rückkehr  nach  Mailand 
melden  ^). 

Traurige  Zeiten  hatten  für  den  mailändischen  Staat  be- 
gonnen. Seit  dem  Frühjahre  war  der  Krieg  zwischen  den 
Visconti  und  der  lombardischen  Liga  in  voller  Wuth  ent- 
brannt, und  nur  mit  grosser  Mühe  vermochten  die  ersteren 
sich  der  Angriffe  ihrer  zahlreichen  und  kriegsgewandten 
Gegner  zu  erwehren.  Zuchtlose  deutsche  Söldnerbanden,  von 
einem  Abenteuerer,  dem  Grafen  Conrad  Wirtinger  von  Landau  2), 
befehligt  und  im  Dienste  der  Verbündeten  stehend,  verheerten 
weite  Strecken  des  mailändischen  Gebietes  mit  Mord  und 
Brand.  Wichtige  Städte  wurden  den  Visconti  entrissen  und 
auch  Genua,  das  erst  unlängst  freiwillig  sich  ihnen  unter- 
worfen hatte,   gewann  sich  neu  erstarkt  seine  Freiheit  zurück. 

Das  Seltsamste  aber  begab  sich  zu  Pavia.  Hier  rief 
ein  junger  Augustinermönch  Jacopo  Bussolari,  ein  Mann  von 
seltener  Begabung  und  erfüllt  mit  Begeistemng  für  demokra- 
tische Ideen,  das  Volk  erfolgreich  zur  Freiheit  auf  und  ver- 
theidigte,  von  dem  Markgrafen  von  Montferrat  unterstützt, 
eben  so  muthvoll  als  gewandt  die  Stadt  gegen  das  mailändische 
Belagerungsheer,  über  welches  er  am  27.  Mai  1356  einen 
vollständigen  Sieg  davontrugt). 

An  diesen  Demagogen  richtete  Petrarca  am  25.  März 
1357  im  Auftrage  Galeazzo's  Visconti  ein  langes  Schreiben*), 
in  welchem  er  ihn  aufforderte,  der  angemassten  Herrschaft  zu 
entsagen  und,   wie  es  seinem  geistlichen  Stande  gezieme,  zur 


1)  Ep.  Fam.  XIX  14. 

■^)  Es  ist  derselbe,  mit  welchem  verwandt  zu  sein,  der  Verfasser  des 
„Giovanni  Boccaccio"  p.  19  Aum.  „bescheiden  ablehnt". 
")  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  p.  304  flf. 
•*)  Ep.  Fara.  XIX  18. 

Körting,  Petrarca.  22 


338  Sechstes  Capitel. 

Wiederherstellung  des  Friedens  mitzuwirken.  Selbstverständ- 
lich hatte  der  wunderliche  Brief  nicht  den  geringsten  Erfolg. 
Der  muthige  Mönch  fuhr  fort,  die  Freiheit  Pavia's  zu  ver- 
theidigen,  bis  er  endlich  im  November  1359,  durch  die  Ueber- 
macht  der  Visconti  bedrängt,  die  Stadt  an  Galeazzo  übergeben 
und,  da  er  für  seine  persönliche  Sicherheit  zu  sorgen  verab- 
säumt hatte,  sein  kühnes  Unternehmen  mit  lebenslänglicher 
Klosterhaft  büssen  musste.  Der  hochbegabte  Mann  wäre  eines 
besseren  Looses  würdig  gewesen.  Bezeichnend  aber  ist  es  für 
Petrarca's  Charakter  und  Denkungsart,  dass  er,  der  einst  fiir 
einen  Cola  di  Eienzo  sich  begeistert  hatte,  für  einen  Bussolari 
nicht  ein  Wort  der  Anerkennung  besass  und  ihn  im  Auftrage 
eines  Tyrannen  wie  einen  gemeinen  Verbrecher  verunglimpfte. 
Man  erkennt  hieraus  recht  deutlich,  wie  für  den  Begründer 
des  Humanismus  die  Freiheit  des  Volkes  ein  inhaltsleerer  Be- 
griff war,  wie  wenig  er  in  politischer  Beziehung  den  Geist  des 
römischen  Alterthums  erfasst  hatte.  Des  Humanismus  politi- 
sches Ideal  war  eben  das  römische  Kaiserreich,  nicht  die 
römische  Republik.  In  Cola  di  Rienzo  erblickte  und  feierte 
Petrarca  nur  den  Befreier  Roms  von  der  Fremdherrschaft 
der  eingewanderten  Barone  und  den  Wiederhersteller  der  Un- 
abhängigkeit Roms  von  ausländischer  Beeinflussung,  nicht  aber 
den  Befreier  des  Volkes  vom  Drucke  tyrannischer  Gewalt.  Ein 
Fürst,  der  sich  als  Römer  fühlte,  sollte  seinem  Wunsche  nach 
über  Rom,  über  Italien,  über  den  Erdkreis  heiTSchen  —  das 
war  ihm  genug,  wie  gegen  eines  solchen  Fürsten  etwaiges 
despotisches  Regiment  die  Freiheit  des  Volkes  zu  schützen  sei, 
das  kümmerte  ihn  nicht.  —  Noch  einmal  wurde  Petrarca  durch 
die  Ereignisse  des  Krieges  zu  einer  politischen  Thätigkeit, 
wenn  auch  anderer  Art,  veranlasst. 

Im  Juni  1358  war  Galeazzo  wieder  in  den  Besitz  der 
Stadt  Novara  gelangt,  welche  ihm  von  dem  Markgrafen  von 
Montferrat  entrissen  worden  war.  Mit  grossem  Gepränge  zog 
er  in  die  Stadt  ein  ^)  und  wünschend,  die  Bewohner  derselben 


^)  vgl.  A.  Hortis,  a.  a.  0.  p.  165  f. 


Petrarca  in  Mailand.  339 

für  sieh  zu  gewinnen,  beauftragte  er  Petrarca,  durch  eine  Rede 
die  Bürger  zum  Gehorsam  gegen  den  früheren  und  nun  wieder 
in  seine  Rechte  eintretenden  Herren  zu  ermahnen,  Petrarca 
kam  diesem  Auftrage  nach  und  hielt  am  19.  Juni  vor  dem 
versammelten  Volke  eine  Rede^),  welcher  er  das  Psalmen- 
wort: „es  wird  dies  mein  Volk  sich  bekehren"  ='),  als  Text  zu 
Grunde  legte  und  deren  Inhalt  im  Folgenden  kurz  skizziii; 
werden  soll. 

In  Rücksicht  auf  die  Gegenwart  des  Herrschers  —  so 
begann  der  Redner  —  und  auf  die  schon  vorgerückte  Stunde  sowie 
in  Erwägung  dessen,  dass  er  nur  ein  schlechter  Redner  sei, 
wolle  er  nach  Anrufung  des  heiligen  Geistes,  ohne  welchen 
ja  Nichts  gethan  noch  gedacht  werden  könne,  in  aller  Kürze 
einiges  Wenige  sagen,  welches  dem  Herrn  Jesus  Christus  zum 
Ruhme,  dem  weltlichen  hier  anwesenden  Fürsten  zur  Ehre 
und  dieser  kriegsmüden  Stadt  zum  Frieden  und  zur  Ruhe 
gereichen  solle.  Die  "Worte :  „es  wird  dies  mein  Volk  sich  be- 
kehren", welche  einst  David  in  Bezug  auf  das  Volk  Israel 
gesprochen  habe  und  welche  jetzt  Galeazzo  in  Bezug  auf  sein 
Volk  von  Novara  anwenden  könne,  lassen  sich  in  zwei  Theile 
gliedern:  1)  „es  wird  sich  bekehren"  —  Worte,  welche  eine 
lobenswerthe  Handlung  der  Besserung,  2)  „dies  mein  Volk"  — 
Worte,  welche  eine  huldvolle  Besitznahme  bezeichneten.  Das 
Beste  sei  allerdings,  nie  zu  sündigen  und  zu  straucheln,  doch, 
da  dies  ja  den  Menschen  unmöglich  sei,  so  sei  es  wenigstens 
lobenswerth,  nach  begangenen  Fehltritten  auf  den  rechten 
Weg  zurückzukommen  und  sieh  zu  bekehren. 


')  b.  Hortis,  a.  a.  0.  p.  341 — 358.  In  der  Handschrift  wird  angegeben, 
dass  die  Rede  am  19.  Juni  1356  gehalten  worden  sei,  welche  Jahresangabe 
offenbar  irrig  ist,  vgl.  Hortis  p.  166,  Anm.  3.  —  Die  Aechtheit  der  Rede 
dürfte  sich  nicht  anzweifeln  lassen.  Befremdlich  kann  es  allerdings  schei- 
nen, dass  Petrarca  in  seinen  Briefen  ihrer  nirgends  erwähnt,  doch  erklärt 
sich  dies  daraus,  dass  er  seine  Servilität  gegen  die  Visconti  möglichst  zu 
verbergen  sich  bestrebte. 

2)  Ps.  72  V.  10  (nach  Zählung  der  Vulgata,  b.  Luther  73,  10).  P. 
riss  übrigens  diese  Worte  ganz  aus  ihrem  Zusammenhange  und  legte  ihnen 
einen  Sinn  unter,  den  sie  an  der  betreffenden  Stelle  gar  nicht  besitzen. 

22* 


340  Sechstes  Capitel. 

Huldvoll  sei  auch  die  Besitzergreifung",  welche  der  Herr 
von  Mailand  jetzt  vollziehe,  indem  er,  der  doch  über  so  viele 
Völker  gebiete,  gerade  zu  den  Novaresen  sage:  „dieses  mein 
Volk."  Wenn  man  überdies  diese  gnädigen  Worte  genauer 
betrachte,  so  werde  man  finden,  dass  ein  jedes  einzelne  ein 
Unterpfand  der  Ehre  und  Liebe  in  sich  schliesse. 

1)  „Volk":  was  bedeute  dieses  Wort?  bedeute  es  jede  Ver- 
einigung der  Menschen  (coetus  hominum)?  Dann  wären  die 
Seeräubervereinigungen  und  die  bewaffneten  Sklavenbanden  der 
Römerzeit  auch  Völker  gewesen,  dann  müssten  auch  die  Söldner- 
schaaren,  welche  neuerdings,  die  Zwietracht  der  Italiener  be- 
nutzend, Italien  verwüsteten  und  die  „grosse  Compagnien"  ge- 
nannt wurden,  ein  Volk  sein.  Ein  Volk  sei  nur  eine  durch  die 
Bande  des  Rechts  und  der  Gerechtigkeit  zusammengehaltene  Ge- 
meinschaft :  so  hätten  Cicero  im  dritten  Buche  seiner  Schrift  vom 
Staate  und  der  heilige  Augustin  im  zweiten  Buche  vom  Gottes- 
staate den  Begriff  definiit  und  damit  sei  Cicero's  Ausspruch  im 
Traume  des  Scipio  zu  vergleichen :  „Nichts  ist  jenem  obersten 
Gotte,  welcher  diese  gemeinsame  Welt  regiert,  auf  Erden  an- 
genehmer, als  Rathsversammlungen  und  durch  das  Recht  ver-  ^ 
bundene  Vereinigungen  der  Menschen".  Daher  sei  die  Anrede 
„Volk"  eine  ehrenvolle. 

2)  Das  Wort  „mein"  zeige  einen  Besitz  an,  denn  es  sei  ein 
Possessivpronomen.  Mit  vollem  Rechte  brauche  es  Galeazzo 
in  Bezug  auf  die  Novaresen,  wie  diese  selbst  es  besser  wissen 
müssten,  als  er,  der  Redner,  denn  er  sei  erst  später  in  diesen 
Staat  eingewandert,  während  sie  die  betreffenden  Ereignisse  selbst 
durchlebt  oder  doch  von  Augenzeugen  erfahren  hätten.  Es 
habe  über  Novara  zuerst  mit  Recht  und  Gerechtigkeit  Matteo 
Visconti,  sodann  dessen  Sohn  Galeazzo  (des  anwesenden 
Galeazzo  Oheim)  und  dann  wieder  dessen  Sohn  Azzo  (des  an- 
wesenden Galeazzo  Cousin)  geherrscht.  Der  Erzbischof  Gio- 
vanni Visconti  aber,  der  späterhin  die  Herrschaft  übernommen, 
habe  die  Stadt  geliebt  und  mit  Wohlthaten  überhäuft.  Diesen 
Vorgängern  nun  folge  der  hier  anwesende  Galeazzo  nach,  der 
die  Novaresen   nicht   minder  liebe   und,  so  lange  sie  seiner 


Petrai'ca  in  Mailand.  341 

Liebe  sich  würdig  zeigen  würden,  immer  lieben  werde.  In 
dem  „mein"  sei  aber  zugleich  auch  eine  freundschaftliche  An- 
eignung mit  ausgedrückt. 

3)  „Dies."  Das  Wort  sei  ein  Demonstrativpronomen.  Die 
Zuhörer  möchten  sich  einmal  einen  Mann  vorstellen,  der  zwar 
viele  Verwandte  und  Freunde,  aber  nur  einen  einzigen  Sohn 
besitze  und  von  diesem  letzteren  sage  „dies'  ist  mein  Sohn", 
so  sei  es  unzweifelhaft,  dass  mit  dem  „dies"  ein  Vorzug  an- 
gedeutet werden  solle.  So  habe  auch  Gott  von  seinem  Sohne 
bei  dessen  Taufe  und  ebenso  bei  dessen  Verklärung  gesprochen. 
Auch  sie,  die  Zuhörer,  selbst  gehörten  Gott  an  und  besässen 
die  Möglichkeit,  Gottes  Söhne  zu  werden i).  Nicht  minder 
bediene  sich  Virgil  des  Pronomens  „dieser"  zur  besonderen, 
ehrenden  Hervorhebung,  wie  durch  die  Verse  791  und  857  des 
sechsten  Buches  der  Aeneis  bewiesen  werde.  Auch  Terenz 
verfahre  in  gleicher  Weise. 

Nun  gelte  es,  die  Worte  „es  wird  sich  dies  mein  Volk 
bekehren"  in  ihrer  Gesammtbedeutung  zu  besprechen.  Sehr 
Vieles  lasse  sich  darüber  sagen,  doch  er  wolle  sich,  weil  ihn 
der  Herr  darum  ersucht  habe,  in  seiner  Rede  möglichst  kurz 
fassen. 

Kein  Mensch  sei  frei  von  Sünde,  nur  der  eine  sei  es  ge- 
wesen, der  Mensch  und  Gott  zugleich  war.  Daher  sei  die 
gegentheilige  Meinung  der  Brahmanenphilosophen  des  Morgen- 
landes, welche  Ambrosius  im  dritten  Buche  2)  überliefere, 
falsch  und  widerstreite  dem  Ausspruche  des  Apostels:  „wenn 
wir  sagen,  dass  wir  ohne  Sünde  sind,  so  betrügen  wir  uns 
selbst  und  die  Wahrheit  ist  nicht  in  uns",  womit  auch  ein 
heidnischer  Dichter  übereinstimme,  wenn  er  sage: 

„Keiner  der  Menschen  ist  frei  von  den  Lastern,  der  beste  ist  jener, 

welcher  die  kleinsten  besitzt." 


^)  Es  folgt  hier  im  Text  ein  Schwall  von  biblischen  Citaten:  Ev.  Joh. 
1,  12.  Galat.  3,  26.  Rom.  7,  14.  Ephes.  1,  5.  Matth.  3,  17  u.  17,  5. 
Marc.  9,  10. 

^)  Eine  nähere  Bezeichnung  des  Werkes  wird  nicht  gegeben. 


342  Sechstes  Capitel. 

Aber  nicht  bloss  geboren,  sondern  auch  selbst  schon  em- 
pfangen werde  der  Mensch  in  Sünden,  wie  es  im  Psalm 
heisse:  „Sieh!  im  Unrecht  ward  ich  erzeugt  und  in  Sünden 
hat  mich  meine  Mutter  empfangen."  Wenn  wir  daher  im  ge- 
wöhnlichen Leben  Jemand  einen  „guten",  einen  Anderen  einen 
„besseren"  und  einen  Dritten  einen  „sehr  guten  Mann"  nennen, 
so  beziehe  sich  dies  nur  auf  die  relativ  grössere  oder  geringere 
Freiheit  von  Sünde,  wie  auch  Cicero  in  dem  Buche  über  die 
Freundschaft  sage:  „wir  müssen  das  berücksichtigen,  was  im 
gewöhnlichen  Leben  wirklich  vorkommt,  nicht  aber  das,  was 
nur  vorgestellt  oder  gewünscht  wird."  —  Das  Bewusstsein  der 
eigenen  Sündhaftigkeit  aber  müsse  uns  veranlassen,  über  die 
Sünden  Anderer  mild  zu  urtheilen  und  Nachsieht  gegen  sie  zu 
üben,  jedoch  erst  dann,  wenn  der  Sünde  die  Reue,  dem  Hochmuthe 
die  Demuth  und  der  "Widersetzlichkeit  die  Unterwerfung  nach- 
gefolgt sei,  wie  ja  auch  Virgil  die  Unterworfenen  zu  schonen 
und  die  Uebermüthigen  zu  entwaffnen  gebiete.  Unter  dieser 
Voraussetzung  werde  auch  Galeazzo  Visconti,  obwol  er  von 
den  Bürgern  Novara's  schwer  beleidigt  worden  sei,  dennoch 
ihnen  verzeihen  und  ihnen  seine  Gnade  wieder  schenken.  AVenn 
er  das  letztere  thue,  so  thue  er  noch  mehr  als  nur  verzeihen, 
denn  es  begründe  einen  Unterschied,  ob  Jemand  einen  Anderen, 
ohne  früher  zu  ihm  in  einem  näheren  Verhältnisse  gestanden 
zu  haben,  Beleidigungen  zufüge,  oder  ob  er  sich  dessen 
gegen  einen  früheren  Herrn  und  Wohlthäter  schuldig  gemacht 
habe.  So  sage  Seneca  (Ep.  81):  „demjenigen,  welchem  man, 
bevor  man  sich  Verdienste  um  ihn  erworben  hatte,  verzeihen 
musste ,  wird ,  wenn  er  eine  empfangene  Wohlthat  mit  Be- 
leidigung vergalt,  mehr  als  Verzeihung  erwiesen."  Der  hoch- 
herzige Fürst  jedoch  werde  auch  diesen  Ruhm  sich  nicht  ent- 
reissen  lassen.  Die  alten  Philosophen  freilich  hätten  darüber 
gestritten,  ob  das  Mitleid  (misericordia)  eine  Tugend  sei.  So 
sage  Cicero  (Tusc.  IV  8):  „das  Mitleid  ist  ein  (geistiges)  Un- 
behagen, welches  durch  den  Anblick  eines  unschuldig 
Leidenden  erzeugt  wird",  und  Seneca  behaupte  sogar,  (de 
Clement.    II    4):    „das  Mitleid    ist   eine    Krankheit   des  Ge- 


Petrarca  in  Mailand.  343 

müthes".  Auch  Aristoteles  zähle  das  Mitleid  zu  den  Leiden- 
schaften (passiones).  Der  katholische  Glaube  jedoch  könne 
hierüber  nicht  zweifelhaft  sein  und  betrachte  das  Mitleid  (oder 
die  Barmherzigkeit)  nicht  bloss  als  eine  menschliche,  sondern 
auch  als  eine  göttliche  Tugend,  wie  durch  viele  Bibelstellen 
bezeugt  werde.  Uebrigens  stelle  auch  Cicero  trotz  seiner 
oben  angegebenen  Definition  doch  das  Mitleid  sehr  hoch,  wie 
aus  mehreren  Stellen  seiner  Reden  (pro  Lig.  12,  37  f.  und 
pro  Mareen.  3,  8)  hervorgehe,  und  er  halte  den,  der  es  aus- 
übe, für  gottähnlich.  Hiermit  stimme  auch  Augustin  überein, 
der  im  neunten  Buche  des  Gottesstaates  sage:  ,,das  Mitleid 
ist  nicht  nur  eine  Tugend,  sondern  auch  eine  wunderbare  und 
entzückende  Tugend".  Diese  Tugend  nun  würde  auch  Galeazzo 
üben,  wenn  er  nicht  eine  noch  grössere  zu  üben  sich  vor- 
genommen hätte:  er  wolle  nämlich  die  ihm  angethanen  Be- 
leidigungen vergessen,  also  das  Beispiel  Cäsars  nachahmen 
(vgl.  Cic.  pro  Lig.  12,  34)  und,  wie  es  scheine,  nach  den 
Worten  des  Psalmes  (Vulg.  24,  6 f.)  handeln:  „Gedenke,  Herr,  an 
Deine  Barmherzigkeit  und  an  Deine  Gnade,  die  von  der  Welt 
her  gewesen  ist.  Gedenke  nicht  der  Sünden  meiner  Jugend 
und  meiner  Uebertretung".  Er  handele  also  ebenso,  wie  einst 
Scipio  Africanus  in  Spanien  gegen  das  meuterische  Heer  ge- 
than  (vgl.  Liv.  VIII  29).  Aber  Galeazzo  thue  sogar  noch 
mehr;  er  wolle  es  gar  nicht  anerkennen,  dass  er  von  den 
Novaresen  beleidigt  worden  sei,  sondern  vertheidige  und  ent- 
schuldige vielmehr  ihre  Handlungsweise.  Der  Aufstand  der 
Stadt  sei  seiner  Meinung  nach  durch  das  ungeschickte  Vor- 
gehen und  die  Verblendung  der  mailändischen  Beamten  her- 
vorgerufen worden,  es  sei  geschehen,  was  Jeremias  verkündet 
habe  (50,  6):  „mein  Volk  ist  wie  eine  verlorene  Heerde;  ihre 
Hirten  haben  sie  veiführet  und  auf  den  Bergen  in  der  Irre 
gehen  lassen",  und  nicht  minder  hätten  Verleumdungen  dazu 
beigetragen,  das  Volk  seinem  alten  Herrn  zu  entfremden  und 
einem  anderen  zuzuführen,  der  durch  Furcht  Gehorsam  er- 
zwungen habe.  Jetzt  erkenne  er  deutlich  an  dem  ganzen 
Betragen  und  Benehmen  der  Bürger,  dass  sie  ihm  im  Herzen 


344  Sechstes  Capitel. 

doch  immer  die  Treue  bewahrt  hätten  und  nun  zu  ihm,  dem 
alten  Hen-n,  mit  eben  solchem  vollen  Vertrauen  zurück- 
kehrten, wie  es  einst  den  Römern  von  den  Faliskern  bewiesen 
worden  sei  (vgl.  Liv.  V  27).  Denn  freudig  umständen  die  Bürger 
der  Stadt  ihren  ihnen  wiedergegebenen  Herrn  und  könnten 
sich  an  seinem  Anblicke  kaum  sättigen.  Daher  wolle  nun 
er  —  der  Redner  — ,  die  von  dem  Virgilcommentator  Servius 
gegebene  Regel:  „wenn  etwas  Grosses  versprochen  wird,  muss 
man  mit  dem  Wichtigsten  beginnen"  umkehrend,  seine  An- 
sprache mit  dem  "Wichtigsten  schliessen,  was  sich  in  den  Vers 
Virgil's  (Aen.  I  562)  zusammenfassen  lasse: 

„Löst  von  der  Furcht  nun  die  Herzen,  o  Teuerer,  ver- 
scheuchet die  Sorgen!" 

Das  gesammte  Volk  aber  möge  mit  Tobias  (3, 14)  sprechen: 
„Zu  Dir,  mein  Herr,  kehre  ich  mein  Angesicht,  zu  Dir  hebe 
ich  meine  Augen  auf",  worauf  er  mit  den  Worten  des  Deutero- 
nomiums  (26,  18)  antworte:  „der  HeiT  hat  Dich  heute  er- 
wählt, dass  Du  sein  eigenes  Volk  sein  sollst".  So  bitte  er 
denn  Gott,  dass  er  den  HeiTseher  und  die  Bürger  der  Stadt  mit 
seiner  Weisheit  erleuchten  möge:  das  gewähre  Christus  in 
Gnaden!  — 

Es  ist  diese  Rede,  wie  wol  auch  die  gegebene  Skizze 
gezeigt  hat,  in  mehrfacher  Beziehung  hoch  interessant.  Sie 
zeigt  uns  in  vollem  Maasse  jene  seltsame,  fast  bizarre  Mischung 
humanistischer  und  theologischer  Elemente,  welche  für  Pe- 
trarca's  lateinische  Werke,  namentlich  für  die  seinem  späteren 
Alter  angehörenden,  so  charakteristisch  ist  und  welche  uns  so 
deutlich  vergegenwärtigt,  wie  schwer,  ja  wie  unmöglich  es  dem 
BegTünder  des  Humanismus  war,  sich  aus  den  Fesseln  der 
scholastisch  -  theologischen  Anschauungen  des  Mittelalters  zu 
lösen.  Sie  zeigt  uns  ferner,  wie  ausserordentlich  belesen  der 
Dichter  sowol  in  der  classischen  Litteratur  des  Alterthums  als 
auch  in  der  Bibel  und  in  den  kirchlichen  Autoren  war  und 
wie  er  von  überallher  Citate  für  seine  Zwecke  aufzuhäufen 
verstand.    Sie  zeigt  uns  endlich  auch  —  und  das  ist  ihre  sehr 


Peü'arca  in  Mailand.  345 

wenig  erfreuliche  Seite  — ,  welcher  mehr  als  byzantinischen 
Schmeichelei  auch  schon  der  erst  entstehende  Humanismus 
fähig  war,  und  wie  er  die  Enieuerung  der  widerlichen  Fürsten- 
apotheose der  römischen  Kaiserzeit  anstrebte. 

Welchen  Eindruck  die  Rede  auf  die  Gemüther  der  an- 
geblich so  reuigen  Sünder  von  Novara  machte,  wird  uns  nicht 
tiberliefert.  Irren  wird  man  indessen  schwerlich,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  Novaresen  von  den  schönen  Citaten  und 
Phrasen,  welche  der  Hofrhetor  von  Mailand  ihnen  vertrag, 
wenig  gerährt  wurden  und  sich  nicht  sonderlich  für  den  edeln 
Tyrannen   Galeazzo  zu  begeistern  vermochten.  — 

Abgesehen  von  den  beiden  im  Vorhergehenden  erzählten 
Ereignissen,  wurde  Petrarca  während  der  Kriegsjahre  1357  und 

1358  von  den  Visconti  nicht  für  irgend  welche  politische  Thätig- 
keit  in  Ansprach  genommen  und  ebensowenig  dürfte  dies  im  Jahre 

1359  der  Fall  gewesen  sein.  Es  war  ihm  vielmehr  vergönnt, 
ruhig  in  Mailand  seinen  geliebten  Studien  leben  und,  wie  es 
seiner  Keigung  entsprach,  litterarisch  thätig  sein  zu  können  ^). 
Mehrere  seiner  bedeutendsten  Werke  sind  gerade  während 
dieser  Zeit  verfasst  oder  doch  begonnen  worden.  In  der 
Sommerszeit  flüchtete  er  aus  der  heissen  und  staubigen  Stadt 
in  die  ländliche  Einsamkeit  des  nah  gelegenen  Garignano^), 
wo  er  in  der  Nähe  der  von  Giovanni  Visconti  neu  gegründeten 
Carthause  eine  Villa  bewohnte,  welche  er  sein  Linternum  zu 
nennen  pflegte  ^j.  Zuweilen  unternahm  er  wol  auch  kleinere 
Reisen  nach  Padua  und  Venedig^);  grösseren  Genuss  aber 
noch  als  diese  mochte  ihm  ein  Ausflug  nach  Bergamo  ge- 
währen, zu  welchem  er  sich  durch  einen  eigenthümlichen 
Umstand  bestimmen  Hess. 

In  Bergamo  lebte  ein  Goldschmied  Namens  Enrico  Capra. 
Dieser  schon  in  höheren  Jahren  stehende  Mann  hegte  eine  solche 


'-)  Ep.  Farn.  XIX  16. 

*)  lieber  die  Lage  von  Garignano  u.  Linterno   vgl.  Romussi,  a.  a.  0. 
p.  64  ff. 

•'')  Ep.  Var.  46. 

*)  vgl.  RomuKsi,  a.  a.  0.  p.  76  f. 


346  Sechstes  Capitel. 

Begeisteiiing  für  Petrarca,  dass  er  kein  Mittel  unversucht  liess, 
um  die  persönliche  Bekanntschaft  des  Gefeierten  zu  machen. 
Endlich  gelang  ihm  dies  und  er  hatte  die  hohe  Genugthuung, 
vo^n  Petrarca  in  freundlichster  Weise  aufgenommen  zu  werden. 
Nun  aber  wurde  seine  Schwärmerei  erst  recht  gesteigert.  Er 
begann  sich  seines  Handwerkes  zu  schämen  und  fasste,  zumal 
da  es  ihm  an  finanziellen  Mitteln  nicht  fehlte,  den  Entschluss, 
sich  trotz  seines  vorgerückten  Alters  noch  den  wissenschaftlichen 
Studien  zu  widmen.  Er  führte  dies  auch  wirklich  aus  und,  wie 
es  scheint,  nicht  ganz  ohne  Erfolg.  Der  sehnlichste  Wunsch 
seines  Ehrgeizes  aber  war,  dass  es  ihm  vergönnt  sein 
möchte,  den  von  ihm  so  hochverehrten  Petrarca  einmal  als 
seinen  Gast  in  Bergamo  selbst  empfangen  zu  können.  Er  be- 
*stürmte  daher  den  Dichter  mit  dringenden  Einladungen.  Dieser 
zögerte  mehrere  Jahre,  denselben  Folge  zu  leisten,  endlich 
aber  konnte  er  sich  dem  nicht  länger  entziehen  und  begab 
sich  am  11.  October  (wahrscheinlich  1358)  nach  Bergamo.  An 
den  Thoren  der  Stadt  wurde  er  von  den  Behörden  und  Würden- 
trägern der  Commune  feierlich  empfangen  und  ersucht,  sein 
Absteigequartier  in  dem  Stadtpalaste  oder  in  der  Wohnung 
eines  der  vornehmsten  Bürger  nehmen  zu  wollen.  Schon 
zitterte  der  Goldschmied,  dass  ihm  der  berühmte  Gast  ent- 
gehen könnte,  Petrarca  aber  blieb  ihm  treu  und  stieg  in  seinem 
Hause  ab.  Auch  hatte  er  dies  nicht  zu  bereuen,  denn  der 
Goldschmied  bewirthete  ihn  mit  wahrhaft  fürstlicher  Pracht 
und  in  der  ehrenvollsten  Weise.  Ein  König  hätte  nicht  mit 
grösserem  Pompe  aufgenommen  werden  können^). 

Der  kleine  Vorfall  zeigt  uns,  wie  gross  bereits  damals 
Petrarca's  Popularität  selbst  in  den  unteren  Schichten  des 
Volkes  war  und  wie  er  sich  dieselbe  trotz  seiner  zur  Schau 
getragenen  Verachtung  der  niederen  Volksclassen  doch  gern 
gefallen  liess.  Seine  Eitelkeit  fühlte  sich  eben  durch  jedwede 
ihr  erwiesene  Huldigung  geschmeichelt.  — 

Es  konnte  nicht  fehlen,   dass   Petrarca   in   Mailand   die 


^)  Ep.  Farn.  XXI  11. 


Petrarca  in  Mailand.  347 

Besuche  zahlreicher  Freunde  und  Verehrer  empfing.  Lag  doch 
Mailand  an  einer  von  Italien  nach  Frankreich  führenden 
Strasse  und  wurde  folglich  von  vielen  deijenigen  passirt, 
welche  die  Reise  nach  oder  von  der  päpstlichen  Residenz 
Avignon  zu  Lande  unternehmen  wollten.  So  kam  im  April 
1359  auch  Boccaccio  nach  Mailand  und  verbrachte  einige  Tage 
bei  dem  Freunde^),  den  er  seit  beinahe  zehn  Jahren  nicht 
gesehen  hatte.  Im  folgenden  Jahre  empfing  Petrarca  sogar 
den  Besuch  seines  alten  Gönners,  des  neapolitanischen  Gross- 
seneschalls  Acciaiuoli,  und  wurde  ganz  entzückt  von  der  Lie- 
benswürdigkeit, mit  welcher  der  hochgestellte  Würdenträger 
mit  ihm  verkehrte  2). 

Indessen  neben  diesen  erfreulichen  Ereignissen  fehlten,  wie 
immer  im  menschlichen  Leben,  auch  die  unerfreulichen  nicht. 
Ein  Vorkommniss  fi-eilich  hatte  bei  aller  Verdriesslichkeit  doch 
auch  eine  heitere  Seite.  Petrarca  besass  Cicero's  Briefe  in 
einem  stattlichen  Bande.  Dieses  Buch  fiel  ihm  von  ungefähr 
wiederholt  von  der  Höhe  des  Büchergestelles  auf  den  linken 
Fuss  und  verletzte  denselben.  Da  nun  die  kleine  Wunde  von 
ihm,  wie  natürlich,  nicht  weiter  beachtet  ward,  verschlimmei-te 
sie  sich  und  begann  zu  eitern.  Der  Dichter  wurde  gezwungen, 
mehrere  Tage  liegend  zu  verbringen  und  die  Hülfe  der  Aerzte 
in  Anspmch  zu  nehmen,  behielt  aber  Humor  genug,  den 
kleinen  Unfall,  den  sein  lieber  Cicero  ihm  bereitet,  in  einem 
Briefe  ^)  ausführlich  und  launig  zu  erzählen.  Diesem  kleinen 
Unglück  sollte  bald  ein  grösseres  nachfolgen.  Im  October  1359 
oder  1360*)  wurde  Petrarca  in  einer  Nacht  von  seinen  eigenen 


^)  Ep.  Fam.  XX  7. 

•-)  Ep.  Farn  XXII  6. 

"■)  Ep.  Fam.  XXI  10. 

*)  Für  das  erstere  Datum  spricht  Ep.  Fam.  XXI  14,  wo  Petrarca  sagt, 
dass,  als  er  das  Haus  an  der  Ambro siuskir che  verliess,  er  schon  im  sie- 
benten Jahre  dort  gewohnt  habe  („mihi  iam  septimus  annus  agebatur"). 
das  siebente  Jahr  begann  aber  im  Sommer  1359;  das  Datum  1360  dagegen 
wird  daduixh  wahrscheinlich  gemacht,  dass  Petrarca  den  Diebstahl  in  einem 
Briefe  (Ep.  Fam.  XXII  12)  erzählt,   der  am  26.  October  des  Jahres   136C" 


348  Sechstes  Capitel. 

Dienern  arg  bestohlen,  das  Haus  wurde  geradezu  ausgeräumt 
und  ihm,  wie  er  sich  ausdrückt,  nur  sein  Leben  und  seine 
Bücher  gelassen.  Was  ihn  aber  mehr  als  alles  Andere  dabei 
sehmerzen  musste,  war,  dass  höchst  wahrscheinlich  sein  Sohn 
Giovanni  mit  den  Uebelthätern  gemeinsame  Sache  gemacht 
und  also  den  eigenen  Vater  geplündert  hatte.  Er  sah  sich 
wenigstens  damals  genöthigt,  den  ungerathenen  Sohn,  der  ihn 
schon  immer  durch  Unfleiss  und  Neigung  zu  Ausschweifungen 
betrübt  hatte,  ganz  aus  seinem  Hause  zu  Verstössen. 

Es  war  nur  erklärlich,  wenn  dem  Dichter  durch  diesen 
Vorfall  die  Wohnung  an  der  Ambrosiuskirche,  die  ihm  bis  da- 
hin so  lieb  gewesen  war,  verleidet  wurde.  Er  gab  sie  daher 
auf  und  nahm  in  dem  ausserhalb  der  Stadt  gelegenen  Bene- 
dictinerkloster  des  heiligen  Simplicianus  Quartier.  Die  neue 
Wohnung,  welche  er  am  3.  November  (1359  oder  1360)  bezog, 
bot  ihm  die  Annehmlichkeit  einer  mehr  ländlichen  Umgebung 
und  den  Vortheil,  lästigen  Besuchern  durch  ein  Hinterpförtchen 
entschlüpfen  zu  können.  Freilich  wurden  damals  die  vor- 
städtischen Bezirke  durch  umlierstreifende,  unbotmässige  Söld- 
nerschaaren  der  Visconti  und  durch  Banden  von  der  „grossen 
Compagnie"  des  Condottiere  Landau  arg  beunruhigt,  er  Hess 
sich  aber  dadurch  an  der  Uebersiedelung  nicht  behindern,  er 
mochte  darauf  vertrauen,  dass  ihn  sein  Ruhm  und  der  Gottes- 
frieden des  Klosters  schützen  würden,    (vgl.  Ep.  Fam.  XXI 14.) 

Im  Winter  des  Jahres  1360  musste  Petrarca  abermals  in 
Galeazzo's  Auftrage  eine  beschwerliche  Reise  über  die  Alpen 
unternehmen.    Der  Anlass  zu  derselben  war  folgender. 

Der  langwierige  Kampf  zwischen  Frankreich  und  England 
hatte  vor  Kurzem  einen  für  das  erstere  Reich  ebenso  nach- 
theiligen als  unrühmlichen  Abschluss  gefunden.  In  der  Schlacht 
bei  Maupertuis  am  17.  September  1356  war  der  französische 
König  Johann  der  Gute  von  dem  schwarzen  Prinzen  nicht  nur 
völlig  geschlagen  worden,  sondern  auch  selbst  in  die  Gefangen- 


geschrieben worden   sein  muss,   und   dessen  Abfassung  der  Begebenheit 
jedenfalls  rasch  nachfolgte. 


Petrarca  in  Mailand.  349 

Schaft  der  Engländer  gefallen^).  Erst  durch  den  am  8.  Mai 
1360  zu  Bretigny  abgeschlossenen  Frieden  erlangte  er  unter 
schweren  Bedingungen  die  Freiheit  wieder  und  konnte  am 
13.  December  desselben  Jahres  in  seine  Hauptstadt  Paris  ein- 
ziehen. 

Galeazzo  Visconti  hatte  mit  jener  speculirenden  Schlauheit, 
welche  für  die  italienischen  Tyrannen  der  Renaissancezeit  so 
charakteristisch  ist,  aus  dem  Unglücke  des  französischen  Herr- 
schers Nutzen  zu  ziehen  verstanden.  Die  drückendste  der 
demselben  auferlegten  Friedensbedingungen  war  die  binnen  sechs 
Jahren  zu  leistende  Zahlung  eines  Lösegeldes  von  drei  Millionen 
Goldgulden.  Dem  durch  den  Krieg  und  durch  die  inneren 
AVirren  der  Jacquerie  tief  erschöpften  Frankreich  war  die 
Aufbringung  dieser  für  die  damalige  Zeit  ungeheueren  Summe 
unmöglich.  Dem  französischen  Könige  war  es  demnach  hoch 
willkommen,  dass  Galeazzo  sich  bereit  erklärte,  ihm  600,000 
Gulden  vorstrecken  zu  wollen,  und  er  willigte,  was  er  ohne  seine 
Nothlage  gewiss  nimmer  gethan  haben  würde,  in  die  mit  diesem 
Darlehen  verbundene  Bedingung,  dass  seine  Tochter  Isabella 
sich  mit  Galeazzo's  Sohne  Gian  Galeazzo  vermählen  sollte. 
Die  Prinzessin  ward,  geleitet  von  dem  Herzoge  Amadeus  von 
Savoyen,  ohne  Verzug  nach  Mailand  gebracht  und  hier  im 
October  1860  die  Vermählung  mit  grossem  Pompe  gefeiert, 
obschon  sowol  die  Braut  als  auch  der  Bräutigam  das  zum  Voll- 
zuge der  Ehe  erforderliche  Alter  bei  Weitem  noch  nicht  er- 
reicht hatten. 

So  hatte  sieh  denn  der  Emporkömmling  Galeazzo  mit 
einem  der  ältesten  Herrscherhäuser  Europa's  verschwägert  und 
war  dadurch  förmlich  in  die  Reihe  der  Fürsten  eingetreten, 
wenn  er  auch  vorläufig  noch  des  herzoglichen  Titels,  der  erst 
seinem  Sohne  beschieden  sein  sollte*,  entbehren  musste.    Die 


^)  Galeazzo  richtete  in  Anlass  dessen  sowol  an  den  Dauphin  als  auch 
an  den  mit  dem  Königshause  verwandten  Cardinal  Guido  von  Boulogne 
Beileidsclireiben  (Ep.  Var.  6  u.  63),  welche  vielleicht  von  Petrai'ca  ver- 
fasst  worden  sind,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  222. 


350  Sechstes  Capitel. 

französische  Heirath  knüpfte  zuerst  jene  engen  Beziehungen 
zwischen  Mailand  und  Frankreich,  welche  dann  Jahrhunderte 
hindurch  fortbestehen,  aber  freilich  weder  dem  einen  noch  dem 
anderen  Lande  zum  Segen  gereichen  sollten, 

•  Dem  mailändischen  Herrscher,  der  also  in  ein  so  nahes 
verwandtschaftliches  Verhältniss  zu  dem  französischen  Könige 
eingetreten  war,  musste  es  als  eine  unabweisbare  Pflicht  der 
Schicklichkeit  erscheinen,  den  Schwiegervater  seines  Sohnes 
zur  Wiedererlangung  der  Freiheit  beglückwünschen  zu  lassen, 
und  er  beschloss  demnach,  eine  Gesandtschaft  nach  Paris  ab- 
zuschicken. Zum  Führer  derselben  erwählte  er  mit  gutem 
Bedachte  Petrarca,  denn  schwerlich  konnte  für  diese  Mission, 
bei  welcher  kein  eigentlich  politisches  Ziel  zu  erreichen,  son- 
dern nur  eine  Aufgabe  der  Beredtsamkeit  zu  lösen  war,  eine 
geeignetere  Persönlichkeit  gefunden  werden.  Ueberdies  hatte 
Johann  der  Gute,  der  sich  für  Wissenschaft  und  Litteratur 
lebhaft  interessirte  und  dessen  Aufmerksamkeit  vielleicht  durch 
französische  Cardinäle  auf  Petrarca  gelenkt  worden  war,  be- 
reits seit  Jahren  mit  demselben  freundliche  Beziehungen  unter- 
halten und  ihn  sogar  einmal  schon,  obwol  erfolglos,  nach  Paris 
eingeladen  ^) ;  es  war  demnach  vorauszusetzen ,  dass  er  den 
Dichter  gern  als  seinen  Gast  begrüssen  würde. 

Petrarca  trat  demnach  vermuthlich  noch  im  December, 
also  in  der  ungünstigsten  Jahreszeit,  die  weite  und  beschwer- 
liche Reise  nach  Paris  an,  wo  er  etwa  in  den  Weihnachtstagen 
angekommen  sein  mag^).  Unterwegs  hatte  er  nur  allzuviel 
Gelegenheit  gehabt,  zu  beobachten,  wie  schwer  Frankreich  noch 
an  den  Folgen  des  Krieges  zu  leiden  hatte  und  wie  sehr  der 
einst  so  blühende  Zustand  des  Landes,  den  er  selbst  auf  seiner 
vor  nun  siebenundzwanzig  Jahren  unternommenen  ersten  Reise 
nach  Paris  hatte  wahrnehmen  können,  jetzt  in  das  traurige 
Gegentheil  verkehrt  worden  war  2). 


^)  Ep.  Farn.  XV  8. 

-)  Ueber  Petrarca's  Aufenthalt  in  Paris  vgl.  A.  Hortis:  Petrarca  alla 
Corte  di,Francia  in  den  Scritti  inediti  p.  187 — 219. 
")  Ep.  Fam.  XXIII  14. 


Petrarca  in  Mailand.  351 

Die  Rede,  welche  er  vor  dem  Könige  zu  halten  beauf- 
tragt war^),  begann  Petrarca,  was  recht  bemerkenswerth  ist, 
damit,  dass  er  sich  entschuldigte,  nicht  in  französischer  Sprache 
sprechen  zu  können,  da  er  derselben  nicht  mächtig  sei  Gern 
habe  er  desshalb  das  Amt  des  Sprechens  einem  Anderen  über- 
lassen wollen,  doch  sei  dies  nicht  möglich  gewesen,  und  so  be- 
finde er  sich  nun  in  der  Nothwendigkeit ,  lateinisch  reden  zu 
müssen.  Es  tröste  ihn  jedoch  hierbei  der  Gedanke,  dass  er 
von  mehreren  Freunden  erfahren  habe,  wie  der  König  seit 
seiner  Jugend  die  Wissenschaften  geliebt  und  ganz  besonders 
auch  mit  dem  Studium  der  lateinischen  Sprache  sich  eifrig 
beschäftigt  habe,  wenn  auch  freilich  zu  befürchten  sei,  dass  die 
Last  der  Geschäfte  und  Sorgen  der  Regierung  diesen  Eifer 
habe  erkalten  lassen. 

Nach  diesem  Eingange  wandte  sich  der  Redner  dem  be- 
quem zu  behandelnden  Thema  der  Veränderlichkeit  des  Glückes 
zu.  Fortuna  habe  sich,  sagte  er,  noch  nie  so  gewaltig  gezeigt, 
als  damals,  wo  sie  des  erhabensten  und  mächtigsten  Königs 
Geschick  so  unheilvoll  wandte.  Dies  Unglück  habe  alle  Treuen 
und  Guten  schmerzlich  berührt,  am  schmerzlichsten  des  Redners 
erhabenen  und  dem  französischen  Könige  treu  ergebenen  Herrn, 
den  Gebieter  von  Mailand;  ganz  Italien  könne  dies  bezeugen, 
denn  verdüstert  habe  es  Galeazzo's  Antlitz  geschaut,  so  lange  des 
Königs  Missgeschick  währte,  und  dann  sofort  erheitert,  als 
dieses  schwand.  Jetzt  nun  habe  der  erlauchte  Fürst  ihn,  den 
Redner,  zu  des  Königs  Majestät  gesandt,  um  derselben  die 
aufrichtigsten  Glückwünsche  darzubringen  und  die  volle  Bereit- 
willigkeit zu  allen  guten  Diensten  und  jeder  Hülfsleistung  zu 
erklären.  Des  Königs  Tochter  aber  —  dies  füge  er  in 
Galeazzo's  Namen  noch  hinzu  —  könne  sich  nirgends  wohler 
befinden  und   ehrenvoller  behandelt  werden,   als  in  Mailand, 


^)  Es  ist  diese  Rede  in  einer  Handschrift  der  kaiserlichen  Bibliothek  zu 
Wien  erhalten  und  sie  ist  von  Barbeu  du  Rocher  in  den  Mem.  presentes 
par  divers  savants  ä  l'Acad.  des  Inscr.  etc.  III  p.  214 — 225  edirt  worden 
(vgl.  Hortis  p.  208  ff.,  wo  ein  Auszug  gegeben  wird). 


352  Sechstes  Capitel. 

und  habe  es  daher  ihr  Vater  nicht  zu  bereuen,   dass  er  sie 
mit  keinem  mächtigeren  Fürsten  vermählt  habe. 

Am  Schlüsse  der  Rede  überreichte  Petrarca  im  Auftrage 
seines  Herrn  dem  König  zwei  kostbare  Ringe.  Der  eine  der- 
selben, einen  Pyropus  von  hohem  Werthe  enthaltend,  war 
früher  bereits  Eigenthum  des  Königs  gewesen,  von  diesem 
aber  in  der  Schlacht  bei  Maupertuis  verloren  und  von  Galeazzo 
erworben  worden  ^) ,  der  nun ,  die  günstige  Gelegenheit  be- 
nutzend, ihn  dem  ehemaligen  Eigen thümer  zuiilckschenkte. 

Petrarca  fand  an  dem  französischen  Hofe  die  wohl- 
wollendeste und  •  ehrenvollste  Aufnahme.  Der  König  über- 
schüttete ihn  mit  Beweisen  der  Huld  und  wollte  ihn  durchaus 
zum  Verbleiben  in  Paris  bewegen,  wie  er  denn  auch  noch,  als 
der  Dichter  bereits  abgereist,  ihn  durch  nachgesandte  Boten 
und  Briefe  zuräckzurufen  und  zum  dauernden  Aufenthalte,  an 
seinem  Hofe  zu  bereden  versuchte^).  Nicht  minder  als  der  König 
interessirte  sich  auch  dessen  Sohn,  der  hochgebildete  Dauphin 
Karl,  für  den  Dichter. 

König  und  Dauphin  hatten  gewünscht,  von  Petrarca 
Näheres  über  seine  Auffassung  des  Begriffes  „Glück  (fortuna)" 
zu  erfahren,  da  sie  nicht  glauben  konnten,  dass  er  denselben 
wirklich  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  verstehe,  wie  er  in  seiner 
Rede  sich  den  Anschein  gegeben  hatte.  Petrarca  erkläi-te  sich 
bereit,  an  einem  bestimmten  Tage  seine  Ansicht  in  einem 
Vortrage  auseinanderzusetzen,  ein  Anerbieten,  das  mit  Freuden 
angenommen  ward.  Indessen  fand  sich  in  dem  bewegten  Hof- 
leben nicht  die  erforderliche  Mussestunde  und  der  Dichter 
reiste  ab,  ohne  den  Vortrag  gehalten  zu  haben,  konnte  es  sich 
aber  nicht  versagen,  einige  Zeit  nachher  das  Thema  in  einem 
längeren  Briefe  an  seinen  alten  Freund  Pierre  le  Bercheur 
von  Poitiers  ^)  eingehend  zu  behandeln.  Er  legte  dar.  wie  das 


^)  de  remed.  utr.  fort.  I  dial.  37. 
•2)  Ep.  Fam.  XXIII  2. 

^)  Peti-arca  hatte  ihn  bereits   in  Avignon  kennen  gelernt.     Ep.  Sen. 
XVI  7. 


Petrarca  in  Mailand.  353 

„Glück"  nichts  Wesenhaftes,  sondern  nur  ein  inhaltsleeres 
Wort  sei,  dessen  man  sich  jedoch  recht  füglich  in  der 
Sprache  des  alltäglichen  Lebens  im  herkömmlichen  Sinne  be- 
dienen dürfe  ^). 

Im  Febniar  1361  trat  Petrarca  die  Rückreise  nach  Mailand 
an,  welche  er  in  kleinen  Tagesrouten  gemacht  zu  haben 
scheint.  Wenigstens  hatte  er  auf  dem  Wege  so  viel  Müsse, 
dass  er  an  Pierre  von  Poitiers  eine  lange  Epistel  sehreiben 
konnte,  in  welcher  er  die  Gründe  auseinanderzusetzen  sich 
bestrebte,  wesshalb  das  Kriegswesen  bei  den  Alten  zu  so  hoher 
Blüthe  gelangt,  bei  den  modernen  Italienern  dagegen  in  so 
tiefen  Verfall  gerathen  sei.  Es  ist  dieser  Briefe),  der  an  ein 
Capitel  der  „Considerations"  Montesquieu's  erinnert,  ein  schönes 
Denkmal  sowol  seiner  eindringenden  Geschichtsbetrachtung  als 
auch  seiner  patriotischen  Gesinnung.  — 

Trübe  Zeiten  begannen  für  den  Dichter,  als  er  endlich 
im  März  von  der  weiten  Reise  nach  Mailand  zurückgekehrt 
war.  Der  unersättliche  Ehrgeiz  der  Visconti  hatte  aufs  Neue 
die  kaum  erloschene  Kriegsfackel  entzündet,  und  die  schönen 
Fluren  des  oberen  Italiens  wurden  abeiTtials  mit  Schwert  und 
Feuer  verwüstet.  Der  Markgraf  von  Montferrat,  der  mai- 
ländischen  Tyrannen  erbittertster  und  gefährlichster  Gegner, 
führte  die  durch  den  Frieden  von  Bretigny  in  Frankreich  be- 
schäftigungslos gewordenen  Söldnercompagnien  über  die  Alpen, 
und  diese  wilden  Banden,  in  langen  Kämpfen  gegen  jedes 
Gefühl  der  Menschlichkeit  abgestumpft,  brachten  unsägliches 
Elend  über  das  Land,  gegen  welches  sie  entfesselt  worden 
waren  3).  Zu  den  Leiden  des  Krieges  gesellte  sich  eine  noch 
weit  schlimmere  Plage.  Die  entsetzliche  Pest,  welche  seit  dem 
Schreckensjahr  1848  zwar  noch  nie  ganz  erloschen,  aber  doch 
dem  Erlösehen  nahe  gewesen  war,  erhob  sich  auf's  Neue  in  ihrer 


1)  Ep.  Fam.  XXII  13. 

-)  Ep.  Fam.  XXII  14.     Der  Brief  kam  an  Petrarca  ziu-ück,  da  der 
Adressat  inzwischen  verstorben  war. 
••)  Ep.  Fam.  XXIII  1. 

Körting,  Petra ica.  23 


354  Sechstes  Capitel. 

ganzen  Furchtbarkeit,  und  gerade  das  bis  dahin  so  ziemlich 
von  ihr  verschont  gebliebene  Mailand  war  jetzt  der  Ort,  wo 
sie  am  gi-ässlichsten  hauste.  An  77,000  Menschen  soll  sie 
nach  eines  Chronisten  Berechnung  im  Laufe  eines  Jahres  da- 
hingerafft haben'),  eine  Angabe,  welche,  so  übertrieben  sie 
auch  sein  mag,  uns  doch  einen  Schluss  auf  die  verheerende 
Gewalt  der  Seuche  und  zugleich  auf  die  Dichtigkeit  der  Be- 
völkerung Mailands  gestattet.  Auch  Petrarca's  Sohn  Giovanni 
fiel,  kaum  vierundzwanzig  Jahre  alt,  in  der  Nacht  vom  9.  zum 
10.  Juli  1361  ^)  der  mörderischen  Seuche  zum  Opfer.  Wenig 
Freude  wahrlich  hatte  der  Vater  an  ihm  erlebt  3),  und  wenn 
auch  des  Kindes  Hinscheiden  ihn  natürlich  mit  Schmerz  ei- 
füllte,  so  mochte  Petrarca  doch  sich  durch  dasselbe  von  einer 
schweren  Bürde  und  Sorge  erlöst  glauben.  Er  hatte  es  eben, 
wie  das  ja  gerade  bei  geistig  bedeutenden  Männeni  leider  so 
häufig  geschieht,  durchaus  nicht  verstanden,  des  Sohnes  Er- 
ziehung zu  leiten  und  dessen  Entwickelung  in  heilsame  Bahnen 
zu  lenken,  er  mochte  sich  dieses  Fehlers  auch  bewusst  genug  sein 
und  die  ihm  auferlegte  Verantwortlichkeit  schwer  empfinden. 
So  athmete  er  denn  erleichtert  auf,  als  des  Sohnes  Tod  ihm 
die  drückende  Gewissenslast  abnahm  *).  Eigenthümlich  genug 
war  es,  dass  Giovrnni  gerade  an  demselben  Tage  starb,  an 
welchem  ihm  das  Canonicat  zu  Verona,  welches  ihm  früher 
von  den  Scaligeri  übertragen,  dann  aber  nach  einigen  Jahren 
wieder  entzogen  worden  war,  aufs  Neue  verliehen  wuixle  ^). 

Bald  hatte  Petrarca  auch  einen  anderen,  schwereren  Ver- 
lust zu  beklagen.  Am  8.  August  erhielt  er  zuerst  gerücht- 
weise, dann  aber  bald  die  bestimmte  Kunde,  dass  sein  alter 
Freund  Sokrates  in  Avignon  verstorben   sei  ^).    Dieser  Schlag 

^)  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  p.  309. 

^)  Postille  zum  Virgil  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  242,  vgl.  Ep. 
Var.  35.    Sen.  I  2.  3. 

''l  Ep.  Fam.  XIII  2.  XIX  17.  XXII  7.  XXIII  12. 

*)  „Deo  gratias,  qui  me  longo  labore,  sed  non  sine  dolore  liberant'' 
sagt  er  über  seines  Sohnes  Tod.    Ep.  Var.  35. 

'")  Ep.  Var.  35. 

*)  Postille  zum  Virgil  b.  Fracassetti,  Lett  fam.  n  p.  242  f. 


Petrarca  in  Mailand.  355 

traf  ihn  überaus  schmerzlich  und  trug  mehr  als  alles  Andere 
dazu  bei,  seine  Stimmung  zu  verdüstern  und  das  Bewusstsein 
in  ihm  zu  erwecken,  dass  auch  er  des  Lebens  Höhepunkt  be- 
reits überschritten  habe  und  mit  raschem  Schritte  dem  Alter 
und  dem  Grabe  zueile  \).  Solchen  trüben  Gedanken  hingegeben, 
schloss  er  jetzt  endgültig  die  Sammlung  der  „Freundesbriefe" 
und  begann  „die  Briefe  des  Alters",  Die  Drangsale  der  Zeit 
hatten  ihn  vorzeitig  zum  Greis  gemacht. 
— -  • 

1)  Ep.  Sen.  I  1.  2.  3. 


23^ 


Siebentes  Capitel. 
Die  Jahre  des  Alters^). 


Jl  etrarca  weilte  nicht  mehr  in  Mailand,  als  ihm  seines 
Sohnes  und  seines  Jugendfreundes  Hinscheiden  gemeldet  wurde. 
Er  war  bereits  im  Anfang  des  Juli  1361,  um  der  von  der  Pest 
drohenden  Gefahr  sich  zu  entziehen,  nach  Padua  übergesiedelt, 
denn  so  sehr  er  auch  in  der  Theorie  sich  der  Todesverachtung 
rühmte  und  oftmals  philosophisch  auseinandersetzte,  wie  man 
dem  Tode  nimmermehr  entfliehen  könne  2),  so  war  er  doch 
praktisch  sehr  auf  die  Erhaltung  seines  irdischen  Daseins  be- 
dacht und  keineswegs  gewillt,  dasselbe  unnöthigerweise  zu  ge- 
fährden. Trotz  aller  seiner  Klagen  über  des  Lebens  Beschwer- 
lichkeiten und  Leiden  liebte  er  das  Leben  doch  recht  sehr 
und  wünschte  dessen  möglichste  Verlängerung.  — 

Aber  auch  nach  Padua  drang  die  Pest  und  bedrohte  den 
Aufenthalt  daselbst  mit  Gefahren.  Petrarca  war  genöthigt, 
einen  anderen  Zufluchtsort  sich  zu  suchen.  Er  beschloss  nach 
Vaucluse  zurückzukehren:  dort,  wo  er  seines  Lebens  glück- 
lichste Jahre  verbracht  hatte,  wollte  er  auch  seine  Tage  be- 
schliessen.    Und  der  Hauptgrund,  der  ihn  wol  einst  von  dort 


^)  vgl.  A.  Malmignati,   Petrarca  a  Padova,   a  Venezia  e  ad  Arquä. 
Padua  1874.    Barozzi,  Petrarca  e  Venezia,  p.  281 — 294. 
•^)  z.  B.  Ep.  Fam.  XXII  12. 


Die  Jahre  des  Alters.  357 

vertrieben  hatte,  war  jetzt  hinweggefallen.  Papst  Innocenz  VI. 
grollte  ihm  nicht  mehr  und  hatte  ihm  sogar  neuerdings  zwei- 
mal, im  Jahre  1359  und  1361,  das  Amt  eines  päpstlichen 
Secretairs  angetragen^),  freilich  ohne  dass  Petrarca  sich  zur 
Annahme  desselben  hätte  bestimmen  lassen,  wie  er  denn  auch 
im  folgenden  Jahre,  1362,  das  zum  dritten  Male  wiederholte 
Anerbieten  ^)  ablehnte. 

Am  10.  Januar  1362  trat  der  greise  Dichter  die  Reise 
nach  der  alten  Heimath  jenseits  der  Alpen  an,  aber  schon  in 
Mailand  wurde  er  genöthigt,  auf  die  Ausführung  seines  Planes 
zu  verzichten,  denn  er  musste  erfahren,  dass  die  Strassen  durch 
das  umherstreifende  Kriegsvolk  für  den  friedlichen  Wanderer 
gesperrt  seien.  So  kehrte  er  denn  schmerzlich  enttäuscht, 
nachdem  er  sich  längere  Zeit  in  Mailand  aufgehalten,  am 
11.  Mai  nach  Padua  zurück,  mit  dem  Entschlüsse,  nun  den 
wiederholten  dringenden  Einladungen  Kaiser  Karls  IV.  Folge 
zu  leisten  und  sich  nach  Prag  zu  begeben  '^).  Doch  auch  dieser 
Gedanke  sollte  vereitelt  werden.  Petrarca  fand,  als  er  um 
die  Mitte  des  Mai  nach  Norden  aufbrach,  ebenfalls  alle  Strassen 
von  bewaffneten  Schaaren  besetzt  und  begab  sich,  unter  solchen 
misslichen  Umständen  auf  die  geplante  Reise  verzichtend,  nach 
Venedig,  um  von  dort  noch  vor  Ende  des  Mai  nach  Padua 
zurückzukehren  *). 

So  schien  es  des  Himmels  Wille  zu  sein,  dass  Italiens 
grosser  Dichter  seines  Vaterlandes  Grenzen  nicht  wieder  über- 
sehreiten, sondern  auf  heimischer  Erde  altern  und  sterben 
sollte,  nachdem  er  so  viele  Jahre  der  Jugend  in  fremden  Landen 
verbracht  hatte.  Nicht  bedeutungslos  ist,  so  dünkt  es  uns, 
diese  letzte  Wendung  in  Petrarca's  vielbewegtem  Leben  ge- 
wesen. Hätte  er  die  beschaulichen  Tage  des  Alters  im  fernen 
Auslande,  losgelöst  von  Italiens  Boden,   durchlebt,  er   würde 


^)  Ep.  Farn.  XX  14  u.  San.  I  2  u.  4,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  III 
p.  216. 

»)  Ep.  Sen.  II  2. 

■■)  Ep.  Sen.  I  3  (vgl.  Ep.  Fam.  XXIII  8.  9.  10.  14). 

*)  Ep.  Fam.  XXIII  14.    Sen.  I  3. 


358  Siebentes  Capitel. 

seinem  Volke  sich  entfremdet  haben  und  würde,  in  seinem 
Innern  gestört  und  erregt  durch  die  sich  ihm  aufdrängenden 
Eindrücke  der  fremden  Umgebung,  schwerlich  zu  jener  ruhigen 
Klärung  und  Läuterung  seines  ganzen  Wesens  gelangt  sein, 
welche  uns  in  den  „Altersbriefen"  und  in  den  „Trionfi"  so 
wohlthuend  entgegentritt.  Wenn  Petrarca  trotz  aller  seiner 
Universalität  und  seines  über  die  Schranken  einer  Nationalität 
sich  erhebenden  humanistischen  Strebens  von  den  Italienern 
mit  Recht  als  ein  Angehöriger  ihres  Volkes  und  zwar  nicht 
bloss  unter  Berufung  auf  seine  Geburt,  sondern  auch  auf  sein 
Empfinden  und  Denken  in  Anspruch  genommen  wird,  so  ist 
dies  nur  desshalb  möglich,  weil  das  Schicksal  es  verhütet  hat, 
dass  er  dem  Lande  seiner  Abstammung  auf  die  Dauer  und 
namentlich  dass  er  ihm  nicht  im  Alter  entfremdet  worden  ist. 
Auch  für  die  Entwickelung  des  Humanismus  ist  Petrarca's 
Verbleiben  in  Italien  bedeutungsvoll  gewesen.  Es  war  die- 
selbe naturgemäss  zum  guten  Theile  von  dem  Aufenthaltsorte 
des  geistigen  Vaters  der  ganzen  Pienaissancecultur  bedingt. 
Man  kann  unschwer  beobachten,  wie  an  allen  denjenigen  Orten, 
an  denen  Petrarca,  namentlich  seitdem  er  zur  vollen  Tiefe 
seiner  Anschauungen  gelangt  war,  längere  Zeit  verweilte, 
humanistische  Kreise,  Schulen  und  Pflanzstätten  der  Renaissance- 
bildung entstanden,  so  namentlich  in  Mailand,  Verona,  Padua 
und  Venedig.  Gleiches  geschah  selbst  auch  an  den  Orten,  an 
welchen  er  nur  indirect  durch  die  Vermittelung  seiner  in  seinem 
Geiste  arbeitenden  Freunde  zu  wirken  vermochte,  so  in  Flo- 
renz, Rom  und  Neapel.  Besonders  fruchtbar  aber  für  das 
Emporblühen  des  Humanismus  war  Petrarca's  Wirksamkeit  in 
dem  letzten  Jahrzehende  seines  Lebens.  Nehmen  wir  nun  an, 
dass  er  diese  Zeit  etwa  im  fernen  Böhmen  an  Karls  IV.  Hofe 
verbracht  hätte,  so  erscheint  es  sehr  fraglich,  ob  auch  dann 
Italien  der  Ausgangs-  und  Mittelpunkt  der  humanistischen 
Geistesbewegung  geworden  oder  ob  nicht  vielmehr  derselbe, 
falls  er  überhaupt  sich  zu  bilden  vermocht  hätte,  nach  dem 
Norden  verlegt  worden  wäre.  Wahrscheinlich  wäre  der  in 
Italien  bis  dahin  ausgestreuete  und  bereits  im  Aufkeimen  l)e- 


Die  Jahre  des  Alters.  359 

gritfene  Saamen  der  Renaissancebildung  aus  Mangel  an  Pflege 
■wieder  abgestorben,  ohne  Blüthe  noch  Frucht  zu  tragen,  Italien 
wäre  nicht  das  Mutter-  und  Centralland  der  modernen  Bildung 
geworden,  und  schwerlich  würde  ein  anderes  dafür  einzutreten 
befähigt  gewesen  sein,  am  wenigsten  aber  das  slavische  Böhmen. 
Dort  hätte  der  Humanismus  höchstens,  wie  einst  am  Hofe  des 
grossen  Karl,  nur  zu  einer  künstlichen  und  vorübergehenden 
Blüthe  gelangen,  nur  die  Hofkreise  beschäftigen,  nicht 
aber  breitere  Schichten  der  Bevölkerung  ergreifen  können. 
Vielleicht  dass  dennoch  Böhmen  und  mit  ihm  Deutschland 
durch  die  Macht  der  neuen  Bildung  für  kurze  Zeit  befähigt 
worden  wären,  die  geistige  Hegemonie  des  westhchen  Europa's 
zu  übernehmen,  aber  diese  würde  gewiss,  da  die  Geistes- 
bewegung, auf  welche  sie  sich  gründete,  feste  Wurzeln  nicht 
zu  fassen  vermocht  hätte,  nur  von  kurzer  Dauer  gewesen  und 
ihr  ein  chaotischer  Zustand  der  Cultur  nachgefolgt  sein.  Petrarca, 
als  er  in  Italien  verblieb  und  seinen  mächtigen  Einfluss  dort 
zur  Geltung  brachte,  bereitete  dem  entstehenden  Humanismus 
eine  feste  Stätte,  in  welcher  allein  dieser  die  für  seine  Ent- 
wickelung  und  Lebensfähigkeit  erforderlichen  historischen  Be- 
dingungen erfüllt  fand.  Es  ist  eins  der  interessantesten  Schau- 
spiele, welche  die  Culturgeschichte  darbietet,  zu  beobachten, 
wie  gleichsam  unter  den  Fittigen  des  Geistes  Petrarca's  der 
Humanismus  allenthalben  in  Italiens  Städten  emporspriesst  und 
aus  zarten  Anfängen  zur  üppigen,  blüthen-  und  fruchtreichen 
Pflanze  heranwächst.  Diese  in  ihrer  Art  einzige  Entwickelung 
im  Einzelnen  zu  betrachten  und  zu  veriolgen  wird  uns  im 
weiteren  Verlaufe  unserer  litterargeschichtlichen  Erzählung  eine 
ebenso  wichtige  als  dankbare  Aufgabe  sein.  — 

Unmittelbar  nach  seinem  Wiedereintreffen  in  Padua  wurde 
Petrarca  durch  eine  seltsame,  ja  unheimliche  Begebenheit  ver- 
anlasst, einen  langen  Brief  an  seinen  Freund  Boccaccio  zu 
richten  ^). 

Zu  Boccaccio  war  unlängst  ein  Karthäusermönch  Gioachiiio 


')  Ep.  Sen.  I  5  ,28.  Mai  1362). 


360  Siebentes  Capitel. 

Ciani  gekommen,  hatte  ihn  eindringlich  ennahnt,  sein  sündiges 
Leben  zu  ändern  und  ihm  zugleich,  wenn  er  dies  nicht  zu  thun 
gewillt  sei,  den  baldigen  Tod  verkündet.  Den  Auftrag  zu 
solcher  Botschaft  gab  er  an  von  einem  jüngst  im  Geruch  der 
Heiligkeit  gestorbenen  und  ihm  befreundet  gewesenen  Kloster- 
bruder Pietro  Petroni  erhalten  zu  haben,  dem  solches  durch 
eine  unmittelbare  Offenbarung  Christi  geboten  worden  sei^). 
Die  gleiche  Mahnung  wie  an  Boccaccio  sollte  er  auch,  fügte 
er  hinzu,  an  mehrere  andere  berühmte  Gelehrte  Italiens, 
Frankreichs  und  Deutschlands,  zuletzt  aber  auch  an  Petrarca, 
richten.  Auf  den  empfindsamen  und  weichen  Boccaccio  machte 
diese  mei'kwürdige  Mahnung  zur  Busse,  dies  anscheinende 
Hineinragen  der  überirdischen  Welt  iü  das  Erdenleben,  den 
tiefsten  Eindruck,  zumal  da  er  sich  bewusst  sein  musste,  dass 
sein  bisheriges  Leben  und  mehr  noch  seine,  des  Verfassers  des 
Deeamerone,  bisherige  schriftstellerische  Thätigkeit  keineswegs 
von  sittlichem  Makel  frei  sei.  Er  gelobte  sich ,  ein  anderes, 
besseres  Leben  zu  beginnen  und  sogar,  um  sich  ungestört  und 
ausschliesslich  religiösen  Betrachtungen  und  Uebungen  widmen 
zu  können,  seine  profanen  Bücher  zu  verkaufen  und  jeder  Be- 
schäftigung mit  Poesie  und  Litteratur  zu  entsagen.  In  der 
Angst  seiner  Seele  sclmeb  er  an  Petrarca,  theilte  ihm  mit, 
was  er  erlebt  und  beschlossen  habe,  und  bat  ihn  um  seinen 
Rath  2). 

Petrarca  antwortete  dem  Freunde  in  dem  oben  erwähnten, 
sehr  ausführlichen  Briefe,  welcher  in  mehr  als  einer  Beziehung 
höchst  bemerkenswerth  ist.  Es  wäre  gewiss  nur  begreiflich 
und  verzeihlich  gewesen,  wenn  der  alternde  und  durch  die 
traurigen  Ereignisse,  die  er  in  letzter  Zeit  durchlebt,  gemüth- 
lich  tief  ergriffene  Mann  sich  in  der  Beurtheiluug  des  sonder- 
baren Vorfalles  von  abergläubischer  Furcht  befangen  gezeigt 
hätte,  besonders  da  auch  ihm  das  Erscheinen  des  unheimlichen 
Busspredigers  in  Aussicht  gestellt  war.  Aber  der  Vater  des 
Humanismus  handelte,  wie  es  seiner  würdig  war,   und  bewies. 


^)  vgl.  Acta  Sanctorum,  29.  Mai. 

")  vgl.  Landau,  Giovanni  Boccaccio  p.  205  ff. 


Die  Jahre  des  Alters.  361 

dass  er  über  mittelalterlichen  Aberglauben  erhaben  sei.  Die 
Möglichkeit  freilich  einer  solchen  göttlichen  Offenbarung,  wie 
sie  Pietro  Petroni  zu  Theil  geworden  sein  sollte,  leugnete  er 
nicht,  aber  er  machte  den  Freund  darauf  aufmerksam,  wie 
leicht  in  dem  vorliegenden  Falle  ein  Betrug  vorliegen  könne 
und  wie  Gioachino  Ciani  seine  Sendung  erst  noch  unwiderleg- 
licher, als  bisher  geschehen,  nachzuweisen  habe.  Er  legte 
ferner  mit  eindringlichen  Worten  beredt  dar,  wie  die  Be- 
schäftigung mit  humanistischer  Wissenschaft  keineswegs  dem 
christlichen  Glauben  widerstreite  und  wie  Gelehrsamkeit  nicht 
die  Erlangung  der  Seligkeit  im  Jenseits  verhindern  könne. 
Er  gab  demnach  der  Hoffnung  Ausdruck,  dass  Boccaccio  sich 
nicht  zu  einer  Verzichtleistung  auf  wissenschaftliche  und 
poetische  Studien  dauernd  bestimmen  lassen  werde,  wenn  aber 
dies,  fügte  er  hinzu,  und  das  ist  bezeichnend  für  den  leiden- 
schaftlichen Bücherfreund,  wider  Erwarten  doch  geschehen 
solle,  so  möge  er  wenigstens  seine  Bibliothek  nur  an  ihn  ver- 
kaufen, damit  sie  nicht  etwa  zersplittert  werde  oder  in  un- 
würdige Hände  übergehe. 

Es  hatte  dieser  Brief  wenigstens  theilweisen  Erfolg.  Boc- 
caccio, ermuthigt  durch  des  hochverehrten  Freundes  Zuspruch, 
blieb  den  humanistischen  Studien  treu,  doch  die  frühere  Un- 
befangenheit und  Heiterkeit  des  Gemüthes  gewann  er  nicht 
mehr  wieder,  er  wurde  nachdenklich  und  begann,  sich  einer 
asketischen  Denkweise  zuzuneigen.  So  tiefe  Wellen  schlug 
das  Mittelalter  noch  in  dem  vollen  Quellenstrome  des  Humanis- 
mus !  Auch  später  sollte  noch  oft  genug  des  -Mittelalters  Geist 
das  neue  Geschlecht  gespensterhaft  erschrecken. 

Wahrscheinlich  schon  bei  seinem  Verweilen  in  Venedig, 
im  Mai,  hatte  Petrarca  den  Entschluss  gefasst,  seinen  bleiben- 
den Aufenthalt  in  der  Lagunenstadt  zu  nehmen,  deren  geord- 
nete politische  Zustände  behagliches  Wohnen  zu  verbürgen 
und  deren  maritime  Lage  Sicherheit  vor  ansteckenden  Seuchen 
zu    gewähren  schienen^),   und   er  brachte   diesen   Entschluss 

^)  Ep.  Sen.  III  1. 


362  Siebentes  Capitel. 

denn  auch  nach  wenigen  Monaten  zur  Ausführung.  Um  sieh 
in  der  theueren  Stadt  eine  angemessene 'Wohnung  ohne  eigenen 
Kostenaufwand  zu  sichern,  machte  er  durch  Vermittelung  des 
ihm  befreundeten  Grosskanzlers  der  Republik  dem  venetianischen 
Senate  das  Anerbieten,  dass  er  denselben  oder  vielmehr,  wie 
der  officielle  Ausdruck  lautete,  den  heiligen  Evangelisten  Mar- 
cus zum  Erben  aller  der  Bücher,  welche  er  gegenwärtig  be- 
sitze und  künftig  etwa  noch  besitzen  werde,  einsetzen  wolle, 
wenn  ihm  dagegen  die  Nutzniessung  eines  „nicht  umfang- 
reichen, aber  anständigen"  Hauses  gewährt  und  wenn  nach 
seinem  Tode  seine  Bibliothek  weder  verkauft  noch  zersplittert, 
sondern  in  einem  angemessenen,  vor  den  Unbilden  der  Witterung 
geschützten  Räume  aufgestellt  werde  ^j.  Die  venetianische 
Regierung  nahm  das  Anerbieten,  welches  bei  dem  verhältniss- 
mässig  grossen  Umfange  der  Bibliothek  Petrarca's  und  bei  dem 
damaligen  hohen  Werthe  der  Bücher  höchst  vortheilhaft  für 
sie  war,  denn  auch  dankend  an.  „In  Anbetracht  dessen,'- 
heisst  es  in  der  betreffenden,  vom  4.  September  datirten,  Zu- 
schrift 2)  an  Petrarca  in  unbeholfenem  Latein,  „wie  sehr  das 
Anerbieten  des  Herrn  Franciscus  Petrarca  (dessen  Ruhm  auf 
dem  ganzen  Erdkreise  heute  so  gross  ist,  dass  es  nach 
Menschengedenken  keinen  Moralphilosophen  und  Dichter  ge- 
geben hat  noch  gibt,  welcher  mit  ihm  verglichen  werden 
könne)  zum  Lobe  Gottes  und  des  heiligen  Evangelisten  Mar- 
cus und  zur  Ehre  und  zum  Ruhme  unserer  Stadt  gereichen 
wird,  soll  dies  Anerbieten  unter  den  von  ihm  eigenhändig 
niedergeschriebellen  Bedingungen  angenommen  werden,"  Der 
Vertrag  gelangte  in  seinen  wesentlichsten  Bestimmungen  zur 
Ausführung.  Petrarca  erhielt  als  Wohnung  den  „Palast  der 
beiden  Thürme  (palazzo  delle  due  Torri)"  an  der  Riva  degli 
Schiavoni  überwiesen  ^),  und  seine  Büchersammlung  ging  wenig- 

^)  Die  betr.  Urkunde  ist  in  ihrem  Wortlaute  von  Fracassetti,  Lett. 
fam.  V  p.  376  f.  mitgetheilt.    Vgl.  Petrarca  e  Venezia,  p.  47  ff.  u.  p.  281  ff. 

'^)  im  Wortlaute  z.  ß.  bei  Fracassetti  1,  1. 

")  vgl.  Malmignati  a.  a.  0.  p.  65  u.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  381. 
Das  Haus  ist,  wenn  auch  in  seinem  Baue  wesentlich  verändert,  noch  heute 
erhalten  und  durch  eine  Inschrift  kenntlich  gemacht. 


Die  Jahre  des  Alters.  363 

stens  theilweise  nach  seinem  Tode  in  den  Besitz  der  Republik 
über,  freilich  aber  nur,  um  traurigster  Verwahrlosung  anheim- 
zufallen ').  — 

So  siedelte  denn  Petrarca  im  Herbst  1362  nach  Venedig 
über  und  nahm  daselbst  für  die  nächsten  fünf  Jahre  seinen 
bleibenden  Aufenthalt.  Er  fühlte  sich,  wenigstens  während  der 
ersten  Zeit,  sehr  wohl  und  zufrieden  in  seinem  neuen  Wohn- 
sitze in  der  Stadt,  welche  er  als  die  einzige  Stätte  der  Frei- 
heit, des  Friedens  und  der  Gerechtigkeit,  als  die  einzige 
Zuflucht  der  Guten  und  als  den  einzigen  Port  bezeichnete, 
welchen  die  durch  die  allenthalben  wüthenden  Stürme  der 
Tyrannei  und  des  Krieges  schwer  geschädigten  Lebensschifte 
der  nach  einem  behaglichen  Leben  Strebenden  aufsuchen 
könnten  -).  Das  rege  Leben  und  Treiben  in  der  blühenden 
Handelsstadt,  das  stete  Ein-  und  Auslaufen  der  verschieden- 
artigsten Schiffe  interessirte  ihn  ungemein  und  manche  mond- 
helle Nacht  konnte  er  damit  verbringen,  von  seinem  Fenster 
aus  die  wechselnden  Vorgänge  im  Hafen  zu  beobachten  3).  Es 
erschloss  sich  für  ihn,  der  bis  dahin  nur  im  Binnenlande  ge- 
lebt und  auf  seinen  Seereisen  das  Meer  nur  von  der  furcht- 
baren und  gefahrbringenden  Seite  kennen  gelernt  hatte,  so- 
zusagen eine  neue  Welt,  und  er  begann  zu  ahnen ,  dass  der 
Menschengeist  auch  auf  anderen  Gebieten,  als  denen  des 
wissenschaftlichen  und  poetischen  Schaffens,  Wunderbares  her- 
vorbringen könne,  dass  auch  das  im  Handel  und  Gewerbbetriebe 
sich  kundgebende  Streben  nach  materiellen  Gütern  seine  Be- 
rechtigung und  seine  Grösse  besitze.  Sonst  war  ihm  der 
Aufenthalt  in  grossen  Städten  verhasst  gewesen,  jetzt  söhnte 
er  sich  mit  ihm  aus  und  erkannte,  dass  er  auch  vortheilhafte 
und  angenehme  Seiten  habe.  Wesentlich  erleichtert  mochte 
ihm  solche  Sinnesänderung  allerdings  dadurch  werden,  dass 
Venedig    trotz    seines  grossstädtischen  Treibens    doch.    Dank 


1)  Das  Nähere  sehe  man  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  381.  b.  Malmig- 
nati  p.  81  u.  Petrarca  e  Yenezia,  p.  41  ff. 
-)  Ep.  Sen.  IV  3. 
")  Ep.  Sen.  IV  2. 


364  Siebentes  Capitel. 

seiner  eigentliümlichen  Lage,  von  dem  sonst  damit  verbundenen 
nervenerschüttemden  Geräusche  der  rasselnden  Wagen  und 
stampfenden  Rosse  frei  war  und  in  Folge  dessen  selbst  grössere 
äussere  Ruhe  als  manche  kleine  Landstadt  gewähren  konnte. 
Die  Annehmlichkeit  seines  neuen  Aufenthaltes  wurde  für 
den  Dichter  noch  dadurch  erhöht,  dass  er  daselbst  reiche 
Gelegenheit  fand,  mit  geistvollen  und  gelehrten  Männern  zu 
verkehren.  Venedig  war  schon  damals,  was  es  später  in  noch 
höherem  Grade  werden  sollte,  ein  Centralpunkt  humanistischen 
Strebens,  und  selbst  hohe  Staatsbeamte  waren  Freunde  und 
Förderer  der  neu  entstehenden  Bildung.  So  vor  allen  der 
Grosskanzler  der  Republik ,  Benintendi  de'  Ravegnani ') ,  der 
sich  als  Geschichtsschreiber  einen  rühmlichen  Namen  erworben 
hat,  so  auch  selbst  der  Doge  Lorenzo  Celso,  dem  Petrarca 
ein  warm  empfundenes  Lob  spendet  ^j.  Am  innigsten  aber  be- 
freundete Petrarca  sich  mit  dem  aus  Pratovecchio  im  Apenninen- 
lande  gebürtigen  und  daher  Apenninigena  genannten  Gramma- 
tiker Donato  degli  Albanzani^).  Zwischen  beiden  Männern 
bildete  sich  trotz  der  Ungleichheit  ihres  Alters  —  Donato 
war  der  beträchtlich  Jüngere  —  das  vertraulichste  Verhält- 
niss,  so  dass  sie  selbst  auch  in  gewisse  Familienbeziehungen 
zu  einander  traten  und  an  dem,  was  in  dem  Kreise  der  Ihrigen 
geschah,  den  herzlichsten  Antheil  nahmen.  Donato  that  Alles, 
was  ihm  nur  möglich  war,  um  dem  verehrten  Freunde  seine 
Anhänglichkeit  und  Ergebenheit  zu  bezeugen,  ja  er  ging  in 
diesem  Streben  wol  zu  weit:  er  überhäufte,  obschon  er  keines- 
wegs vermögend  war,  Petrarca  fortwährend  mit  Geschenken, 
so  dass  dieser  wiederholt  und  ernstlich  dagegen  protestiren 
musste^).  Petrarca  aber  unterstützte  den  Freund,  der 
trotz  oder  vielmehr  wegen   seiner  Freigebigkeit  sich  öfters  in 


^)  vgl.  über  ihn  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p.  198  ff. 

2)  Ep.  Sen.  rV  3. 

^)  vgl.  über  ihn  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  238  und  die  dort  citirten 
Schriften. 

*)  Ep.  Sen.  XIV  (XV)  9.  —  Briefe  Petrarca's  an  Donato :  Sen.  V  5. 
6.  7.    Vni  6.    X  4.  5     XIV  9. 


Die  Jahre  des  Alters.  365 

Geldverlegenheit  befand,  mit  Darlehen  und  entband  ihn  testa- 
mentarisch von  der  Pflicht  der  Kückzahlung,  für  welche  Gross- 
muth  Donato  wieder  sich  dadurch  dankbar  bewies,  dass  er 
Petrarca's  Buch  über  die  berühmten  Männer  in's  Italienische 
übersetzte.  Es  hat  gerade  im  Verkehre  mit  Donato  Petrarca 
sich  von  seiner  menschlich  schönen  Seite  gezeigt  und  ist  in 
demselben,  was  nicht  eben  oft  geschehen,  einmal  herabgestiegen 
aus  der  sonst  eifersüchtig  behaupteten  olympischen  Höhe  zu 
dem  Niveau  der  Menschlichkeit:  er  war  Donato  gegenüber 
wirklich  Freund,  nicht  bloss  Rhetor,  und  betrachtete  ihn  als 
wirklichen  Freund,  nicht  bloss  als  einen  passenden  Adressaten 
für  stylvolle  Episteln. 

Die  Familienverhältnisse  des  greisen  Dichters  gestalteten  sich 
in  Venedig  zunächst  recht  freundlich.  Schon  in  Mailand  hatte, 
wahrscheinlich  im  letzten  Jahre  seines  dortigen  Aufenthaltes,  seine 
Tochter  Francesca  sich  mit  einem  jungen  EdelmanneFranceschino 
d'Amicolo  da  Brossano^)  vermählt  und  das  junge  Ehepaar, 
das  in  bester  Hai-monie  gelebt  zu  haben  scheint  2),  war  eben- 
falls nach  Venedig  gezogen.  Hier  wurde  ihm  —  nachdem  be- 
reits ein  Töchterchen,  welches  den  Namen  der  Urgrossmutter 
Eletta  erhielt,  vorausgegangen  war  —  im  Februar  1366  ein 
Söhnlein  geboren,  welches  von  Donato  degli  Albanzani  aus 
der  Taufe  gehoben  und  nach  seinem  mütterlichen  Grossvater 
Francesco  benannt  wurde.  Dies  Kind  wiirde  Petrarca's  Lieb- 
ling und  glich  ihm  in  seinen  Zügen  in  ganz  auffälliger  Weise. 
Unsäglich  war  des  Grossvaters  Schmerz,  als  ihm  nach  kaum 
zweiundeinhalb  Jahren,  am  15.  Juni  1368,  der  Enkel  durch 
den  Tod  wieder  geraubt  wurde  % 


^)  Petrarca  charakterisirt  ihn  Ep.  Sen.  V  7  (8)  als  „quo  nemo  adole- 
scens  melior,  caritatis  et  constantiae  plenus". 

^)  vgl.  Boccaccio  b.  de  Sade,  III  p.  724. 

^)  Ep.  Sen.  X  4.  XI  3.  Petrarca  widmete  dem  verstorbenen  Liebling 
eine  poetische  Grabschrift  (b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  11  p.  262),  in  vrelcher 
das  Alter  des  Kindes  als  zwei  Jahre  und  vier  Monate  betragend  angegeben 
■wird.  Das  im  Eingange  der  Grabschrift  bezeichnete  Datum  des  Todestages 
XIV  Kai.  Jun.  aber  ist  nach  Ep.  Sen.  X  4  offenbar  falsch,  wenn  die  ge- 
wöhnliche Tradition  richtig  sein  soll,  dass  das  Kind  zu  Pana  starb,   wäh- 


366  Siebentes  Capitel. 

So  hatte  Petrarca  binnen  wenigen  Jahren  den  Sohn  und 
den  Enkel  verloren  und  zu  diesen  beiden  Verlusten  gesellte 
sich  noch  ein  dritter,  der  ihn  vielleicht  noch  schmerzlicher 
berührte. 

Er  hatte  im  Jahre  1364  *)  einen  Jüngling  als  Schüler  in 
sein  Haus  aufgenommen,  um  dessen  weitere  wissenschaftliche 
Ausbildung  zu  leiten,  nachdem  er  vorher  des  Donato  Unterricht 
genossen  hatte.  Der  junge  Mann,  ein  geborner  Ravennate, 
zeigte  die  glänzendste  Befähigung  für  die  humanistischen  Stu- 
dien und  erfüllte  seinen  Lehrer  mit  den  stolzesten  Hoffnungen. 
..Er  ist  arm  und  vermögenslos"  —  so  charakterisirt  ihn 
Petrarca  in  einem  Briefe  an  Boccaccio  ^)  —  „aber  seine  Be- 
dürfnisslosigkeit  und  sein  ernstes  Wesen  würden  auch  einem 
Greise  zum  Lobe  gereichen.  Er  fasst  rasch  auf,  uitheilt  mit 
Scharfsinn  und  besitzt  ein  umfassendes  und,  was  das  Wichtigste 
ist,  auch  festes  Gedächtniss.  Meine  zwölf  Eklogen  hat  er 
binnen  elf  auf  einander  folgenden  Tagen  auswendig  gelernt 
und  sie  so  im  Gedächtnisse  behalten ,  dass  er  mir  täglich  am 
Abende  eine  Ekloge  hersagen  konnte  und  zwar  die  beiden 
letzten  so  wörtlich  und  ohne  Anstoss,  als  wenn  er  das  Buch 
vor  den  Augen  hätte.  Er  besitzt  überdies,  was  ja  in  unserer 
Zeit  so  selten  ist,  eine  grosse  Erfindungsgabe,  einen  edeln 
Drang  zur  eigenen  Productivität  und  poetische  Anlage,  so  dass 
er  schon  eigene  Gedichte  verfasst  und,  wenn  ei-  leben  bleibt 
und,  wie  ich  hoffe,  sich  günstig  fortentwickelt,  einmal  Bedeu- 
tendes leisten  wird.  —  —  Seine  sittliche  Aufführung  ist  eine 
solche,  dass  ich  ihn  ebenso  wie  einen  leiblichen  Sohn  liebe 
und  vielleicht  mehr  noch,  da  ja  ein  Sohn,  wie  unsere  Jünglinge 
nun  einmal  sind,  den  Vater  zu  beherrschen  begehrt,  dieser 
aber  nur  zu  gehorchen  bestrebt  ist  und  sich  nicht  seinen  Ver- 


rend  Petrarca  gerade  dem  Hochzeitsfeste  der  Violante  Visconti  mit  dem 
Herzoge  Lionel  von  Clarence  beiwohnte.  Diese  Tradition  scheint  indessen 
sehr  schlecht  begriirdet  zu  sein. 

^)  lieber  die  schwierige  Zeitbestimmung  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V 
p.  93  ff. 

^  Ep.  Fam.  XXHI  19. 


Die  Jahre  des  Alters.  367 

guügungeii,  sondern  den  Arbeiten  für  mich  widmet  und  zwar 
nicht  etwa  aus  Geldgier  oder  in  der  Hoffnung  auf  eine  Be- 
lohnung, sondei-n  einzig  aus  Liebe  zu  mir  und  in  dem  Glauben, 
dass  er  durch  den  Umgang  mit  mir  besser  werden  kann." 
Im  ferneren  Verlaufe  des  Briefes  hebt  Petrarca  auch  rühmend 
hervor,  wie  wesentliche  Dienste  ihm  Giovanni  —  so  hiess  der 
junge  Mann  —  als  Copist  leiste,  zumal  er  eine  sehr  schöne 
und  deutliche  Handschrift  besitze,  welche  die  Schreibweise  der 
gewerbsmässigen  Schreiber  weit  übertreffe. 

Wie  schmerzlich  überrascht  musste  also  Petrarca  sein,  als 
ihm  nach  kaum  drei  Jahren  Giovanni  ganz  plötzlich  und  mit 
der  grössten  Bestimmtheit  erklärte,  er  wolle  Venedig  ver- 
lassen, um  in  der  Fremde,  etwa  in  Unteritalien  oder  in 
Avignon,  weitere  Studien  zu  machen  und  namentlich  Gelegen- 
heit zur  Erlernung  des  Griechischen  zu  finden.  Was  den  Jüng- 
ling zu  diesem  Entschlüsse  bestimmt  haben  mag,  lässt  sich 
leicht  veraiuthen.  Er  war  es  offenbar  müde  geworden,  für 
Petrarca  beschwerliche  Schreiberdienste  zu  verrichten  und  seine 
Zeit  mit  dem  Ordnen  und  Copiren  der  „Freundesbriefe", 
womit  er  beauftragt  worden  war,  zu  verlieren,  ohne  dass  ihm 
dafür  von  Petrarca  ein  regelmässiger  und  geordneter  Unter- 
richt ertheilt  wurde.  So  beharrte  er  denn  trotz  aller  Zureden 
und  Vorstellungen  Petrarca's  auf  seinem  Vorhaben  und  dem 
letzteren  blieb  schliesslich  Nichts  übrig,  als  sich  in  das  Unver- 
meidliche zu  fügen  und  seinen  Schüler,  nachdem  er  ihn  mit 
Reisegeld  ausgestattet  hatte,  zu  entlassen^).  Vorläufig  kam 
indessen  Giovanni  nicht  weit,  sondern  kehrte  nach  mancherlei 
nicht  eben  angenehmen  Abenteuera  und  nachdem  sein  Reise- 
geld ihm  ausgegangen  war,  in  sehr  abgerissenem  Zustande  und 
in  reumüthiger  Stimmung  zu  Petrarca  zurück,  der  ihn  mit 
offenen  Armen  aufnahm  2).  Bald  aber  erwachte  des  Jünglings 
Reiselust  auf's  Neue,  er  verliess  seinen  alten  Lehrer  abermals 
und   gelangte  nun   glückhch  nach  Rom,   wohin   ihm   Petrarca 


')  Ep.  Sen.  V  5. 
*    Ep.  Sen.  V  6. 


368  Siebentes  Capitel. 

einmal  später  einen  väterlich  herzlichen  Brief  schrieb  ^),  so  wie 
er  ihn  auch  schon  fiüher  wohlwollend  an  mehrere  einflussreiche 
Männer  empfohlen  hatte-).  Was  ferner  aus  dem  talentvollen 
Jünglinge  geworden,  ist  unbekannt.  Einige  Forscher  haben 
ihn,  aber,  wie  es  scheint,  mit  Unrecht  mit  dem  berühmten 
Humanisten  Giovanni  de'  Malpaghini  identificiren  wollen,  wel- 
cher am  Ende  des  vierzehnten  und  am  Beginne  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  eine  Professur  an  der  Hochschule  von  Florenz 
bekleidete^).  —  — 

Wie  immer,  so  verfolgte  Petrarca  auch  in  Venedig  den 
Gang  der  politischen  Ereignisse  mit  eben  so  grosser  Aufmerk- 
samkeit als  Theilnahme  und  suchte  in  dieselben,  so  weit  es 
ihm  vergönnt  war,  zu  Gunsten  der  ihm  so  gastfreundlichen 
Republik  einzugreifen.  Eine  Gelegenheit  hierzu  bot  sich  ihm 
bald  dar. 

Es  war  im  Jahre  1363  auf  der  damals  dem  Lagunenstaate 
unterworfenen  Insel  Gandia  eine  Empörung  gegen  die  venetia- 
nische  Herrschaft  ausgebrochen,  welche  in*Folge  der  gi-ossen 
Verbreitung,  die  siesowol  unter  denvenetianischenColonisten  als 
auch  unter  den  griechischen  Einwohnern  fand,  und  nicht  minder 
in  Folge  der  eigenthümlichen  Terrainbeschaffenheit  des  Landes 
einen  bedrohlichen  Charakter  annahm  ^).  Die  Venetianer  waren 
bemüht,  für  die  Niederwerfung  des  Aufstandes  die  Dienste  des 
ei-probten  veronesischen  Condottiere  Luchino  del  Verme  zu 
gewinnen,  und  der  Doge  ersuchte  in  Folge  dessen  Petrarca, 
welcher  sich  an  dem  Hofe  der  Visconti  mit  Luchino  befreundet 
hatte,  an  diesen  ein  Schreiben  zu  richten,  welches  ihn  zur 
Uebernahme  des  angetragenen  Oberbefehles  bestimmen  möchte. 
Gern  entsprach  Petrarca  dieser  Aufforderung  und  richtete  an 
Luchino  eine  lange  Epistel  „über  das  Amt  und  die  Tugenden 


')  Ep.  San.  XV  12. 

2)  Ep.  Sen.  XI  8  u.  9. 

^)  vgl.  über  diese  Frage  die  weitläufige  Untersuchung  bei  Tiraboschi, 
V  p.  851 — 862.  —  Giovanni  ist  von  Otto  Müller  zum  Helden  des  absurden 
und  dui-cli  und  durch  unhistorischen  Romans  „Aus  Petrarca's  alten  Tagen" 
gemacht  worden. 

*)  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  p.  85  ff. 


Die  Jahre  des  Alters.  369 

eines  Feldherrn"  ^).  Er  begann  dieselbe  mit  einem  volltönen- 
den Lobe  der  Tapferkeit  Luchino's,  der  fast  sein  ganzes  Leben 
unter  den  Waffen  zugebracht  habe  und  jetzt  auf  Beschluss 
eines  mächtigen  Freistaates  zur  Durehfühining  eines  schwierigen 
Kampfes  nach  Candia,  dem  alten  Greta,  gesandt  werden  solle. 
Er  schildert  sodann  die  Grösse  dieser  Insel,  die  Terrainhinder- 
nisse ,  welche  sie  der  Kriegführung  entgegenstelle  und  die  alt- 
bekannte Treulosigkeit  ihrer  Bewohner.  Alle  Hindernisse 
jedoch  werde  Luchino's  ei-probte  Tapferkeit  sowie  die  Gerechtig- 
keit der  Sache,  welche  er  verfechte,  siegreich  überwinden. 
Während  nun  vielleicht  Andere  dem  in  den  Krieg  ziehenden 
Feldherrn  Rosse  und  kostbare  Waffen  zum  Geschenke  dar- 
brächten, könne  er,  Petrarca,  in  seiner  Armuth  ihm  als  Ab- 
schiedsgabe nur  den  Spnich  bieten :  „Im  Namen  Christi  erhebe 
Dich  und  gehe  hin!"  Luchino  solle  sich  Gott  zu  seinem 
Führer  und  die  heiligen  Engel  zu  seinen  Bannerträgern  er- 
wählen, dann  werde  er  die  auf  Seite  der  Feinde  kämpfenden 
Dämonen  der  Hölle  leicht  überwinden.  Im  Uebrigen  werde 
ihm  die  Erinnerung  an  seine  eigenen  früheren  Heldenthaten 
Kraft  verleihen,  nicht  minder  auch  die  Erinnerung  au  den 
Metellus  Creticus,  der  ja  einst  ebenfalls  das  aufständische, 
damals  aber  ungleich  mächtigere  Greta  besiegt  habe. 

Hierauf  geht  Petrarca  zu  der  Erörterung  der  Tugenden 
über,  welche  ein  Feldherr  besitzen  müsse,  denn  seine  Absicht 
sei,  sagt  er,  dem  Luchino  gleichsam  einen  Spiegel  vorzuhalten, 
in  welchem  dieser  sich  selbst  erkennen  solle. 

Alles,  dessen  ein  Feldherr  bedürfe,  sei  in  dem  Satze 
Cicero's  ausgedrückt:  „ich  meine,  dass  ein  grosser  Feldherr 
folgende  vier  Eigenschaften  besitzen  muss:  Kenntniss  des 
Kriegswesens,  Tüchtigkeit  (virtus),  pei-sönliches  Ansehen  und 
Glück"  ^).     In  dem  Besitze  dieser  vier  Eigenschaften  aber  be- 


*)  Ep.  Sen.  IV  1.  In  den  baseler  Ausgaben  bildet  diese  Epistel  einen 
selbständigen  Tractat. 

^)  „ego  sie  existimo,  in  summo  imperatore  quatuor  has  res  inesse  opor- 
tere.  scientiam  rei  militaris,  virtutem,  auctoritatem,  felicitatem".  Cic.  pro 
leg.  Manil.  10,  28. 

Körting,  Petrarca.  24 


370  Siebentes  Capitel. 

linde  Luchino  sich  bereits  oder  könne  doch,  wenn  er  in  Bezug 
auf  irgend  eine  noch  etwas  vermissen  sollte,  leicht  durch  sein 
edles  Streben  in  den  Besitz  desselben  gelangen.  Die  Kriegs- 
kunst werde  theils  durch  theoretisches  Studium,  namentlich 
auch  der  lateinischen  und  griechischen  Werke  über  die 
Strategik,  von  denen  Luchino  einige  in  Abschrift  zu  besitzen 
gewünscht  habe,  theils  aber  durch  die  Praxis,  durch  Beispiele 
und  durch  die  Belehrung  von  Seiten  der  Veteranen  erlangt; 
sie  sei  eine  vielseitige,  viele  Regeln  umfassende  Wissenschaft, 
welche,  wie  die  römische  Geschichte  beweise,  die  grösste  Wichtig- 
keit für  das  Wohl  der  Staaten  besitze.  Aus  drei  Haupttheilen 
setze  sie  sich  zusammen,  indem  sie  lehre,  was  vor,  was  in 
und  was  nach  der  Schlacht  gethan  werden  müsse.  Ein  guter 
Feldherr  werde  für  seine  Ausbildung  Praxis  und  Theorie 
innig  verbinden,  die  eine  durch  die  andere  zu  stützen  und  zu 
ergänzen  suchen.  Die  römischen  Feldherren  seien,  mit  einziger 
Ausnahme  des  Marius,  alle  wissenschaftlich  gebildet  und 
Freunde  der  Wissenschaften  gewesen,  dagegen  seien  die  gegen- 
wärtigen Feldherren  und  Fürsten  meist  rohe  Gesellen  und 
Verächter  der  Studien:  daher  auch  die  grossen  Eifolge  der 
Alten  und  die  kläglichen  Misserfolge  oder  doch  nur  kleinlichen 
Erfolge  der  Neueren.  Luchino  bilde  in  dieser  Beziehung  eine 
rühmliche  Ausnahme.  Uebrigens  jedoch  habe  der  Feldherr 
durchaus  nicht  nöthig,  sich  etwa  mit  Philosophie  oder  Poesie 
zu  beschäftigen,  es  genüge  vielmehr,  dass  er  denjenigen 
Wissenszweigen,  welche  zu  dem  Kriegswesen  in  unmittelbarer 
Beziehung  stehen,  ein  stätiges  Studium  widme. 

Die  Tüchtigkeit  sei  eine  zweifache:  eine  körperliche  und 
eine  geistige.  Der  Feldherr  müsse,  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  wenigstens,  leiblich  stark  und  gesund  §ein.  Wichtiger 
sei  jedoch  für  ihn  die  geistige  Tüchtigkeit.  Es  bestehe  die- 
selbe: 1)  in  Verschlagenheit  und  Klugheit,  deren  der  Feldherr 
z.  B.  bei  Verhandlungen  mit  dem  Feinde  dringend  bedürfe; 
2)  in  todesverachtendem  Muthe;  3)  in  der  Gerechtigkeit,  deren 
Vorschriften  der  Feldherr  sowol  seinen  Feinden  als  namentlich 
auch   seinen  Mitbürgern  und  Bundesgenossen  gegenüber  ehren 


Die  Jahre  des  Alters,  371 

müsse;  4)  in  der  Bescheidenheit  und  Mässigung,  welche 
namentlich  in  der  Beherrschung  sinnlicher  Gelüste  zu  beweisen 
seien.  Zu  allem  diesen  aber  müsse  nun  noch  die  Fähigkeit 
hinzutreten,  mit  den  Kriegern  in  leutseliger  Weise  verkehren 
zu  können.  Nicht  minder  auch  bedürfe  der  Feldherr  der 
Geduld,  sowol  um  die  körperlichen  Schmerzen,  welche  aus 
etwaigen  Verwundungen  entspringen,  als  auch  um  die  miss- 
günstigen Urtheile  der  grossen  Menge  ertragen  zu  können. 
Von  grösster  Wichtigkeit  aber  sei  es,  dass  der  Feldherr  sieh 
das  Vertrauen  seiner  Krieger  zu  erwerben  verstehe. 

Seien  die  eben  besprochenen  Eigenschaften  in  einem 
Feldherrn  vereinigt,  so  werde  er  das  persönliche  Ansehen, 
die  Autorität,  sich  leicht  erwerben,  zumal  wenn  noch  hinzu- 
komme, dass  er  edelem  Geschlechte  entsprossen  und  Träger 
eines  edelen  Namens  sei,  dass  er  ein  gewinnendes  Aeussere 
besitze  und  dass  er  über  kriegerische  Beredtsamkeit  verfüge. 

Das  Glück  freilich  könne  Niemand  sich  selbst  verleihen, 
noch  dasselbe,  wer  es  besitze,  beliebig  steigern,  nichtsdesto- 
weniger sei  es  für  den  Feldherrn  ein  unbedingtes  Erforderniss, 
denn  nur  einem  glücklichen  Führer  folgen  die  Krieger  mit 
Vertrauen. 

Der  Brief  schliesst  damit,  dass  Luchino  ein  ruhmvoller 
Sieg  und  eine  glückliche  Heimkehr  gewünscht  wird. 

Luchino  nahm  das  ihm  angetragene  Commando  an.  Man 
wird  billig  bezweifeln  dürfen,  dass  Petrarca's  pathetisches  und 
schulmeisterliches  Schreiben  auf  den  Entschluss  des  tapfern 
Haudegens  sonderlichen  Einfluss  ausgeübt  hat,  und  wird  viel- 
mehr zu  glauben  geneigt  sein,  dass  andere,  namentlich  aber 
klingende  Gründe  für  den  Condottiere  weit  maassgebender 
waren.  Nichtsdestoweniger  ist  Petrarca's  Epistel  ein  be- 
merkenswerthes  Schriftstück.  Sie  zeigt  uns,  wie  der  damals 
doch  noch  so  jugendliche  Humanismus  dennoch  sich  bereits 
stark  genug  fühlte,  um  seinen  Einfluss  auch  auf  Gebieten  geltend 
zu  machen,  welche  seinem  eigentlichen  Wesen  doch  sehr  fern 
lagen.  Der  Humanist  am  Schreibtische  stellt  aus  classischen 
Reminiscenzen  Verhaltungsmaassregeln  für  den  sehlachtgeübten 

24» 


372  Siebentes  Capitel. 

Condottiere  zusammen!  Das  Publicum  aber  findet  das  nicht 
etwa  wunderlich  und  komisch,  sondein  ganz  in  der  Ordnung 
und  vernünftig.  Bald  sollte  die  Zeit  kommen,  in  denen  man 
die  Kriege  ganz  akademisch  und  schaehspielmässig  nach  den 
Regeln  der  antiken  Taktik  und  Strategik  zu  führen  mindestens 
eifrig  bestrebt  war,  wenn  auch  leicht  ersichtliche  äussere 
Gründe  eine  vollkommene  Realisiioing  dieses  Strebens  nicht 
gestatteten.  Es  ist  die  Einwirkung  des  Humanismus  auf  das 
Kriegswesen  eine  sehr  bedeutende  und  bis  auf  die  Gegenwart 
nachhaltige  gewesen.  Auch  die  Kriegskunst  hat,  ganz  wie  die 
bildenden  Künste,  mit  denen  sie  sieh  ja  auf  dem  Gebiete  der 
Architektur  nahe  berührt,  ihre  Renaissance  gehabt,  deren 
Specialgeschichte  zu  erzählen  eine  ebenso  interessante  als 
belehrende  Aufgabe  sein  würde. 

Petrarca  konnte  Luchino  bald  zu  dem  errungenen  Siege 
beglückwünschen^),  denn  der  kriegsgeübte  Feldherr  warf,  wie 
man  es  von  ihm  erwartet  hatte,  den  Aufstand  der  Kretenser 
in  übeiTasehend  kurzer  Zeit  nieder.  In  der  sechsten  Stunde  ^) 
des  4.  Juni  1364  stand  Petrarca  mit  einem  bei  ihm  zu  Besuch 
weilenden  Freunde,  dem  Erzbischofe  Bartolomeo  Papazzum 
von  Patras,  am  Fenster  und  blickte  auf  das  vor  ihm  liegende 
Meer  hinaus.  Da  sah  man  plötzlich  eine  laubbekränzte  Galeere 
mit  eilenden  Ruderschlägen  dem  Hafen  zusteuern  und  bald  in 
denselben  einlaufen.  Begierig  zu  erfahren,  was  das  Fahrzeug 
bringe,  strömte  das  Volk  auf  den  Molo  zusammen,  und  man 
vernahm  denn  die  für  den  ersten  Augenblick  unglaublich 
klingende,  aber  nichtsdestoweniger  verbürgte  Kunde,  dass  die 
Candioten  von  Luchino  gänzlich  besiegt  und  der  venetianischen 
Herrschaft  aufs  Neue  unterworfen  worden  seien.  Unglaublich 
war  die  Freude  der  von  schwerer  Sorge  befreiten  Bürger  der 
Lagimenstadt :   von  ihrem  Dogen  geleitet  zogen  sie»  zunächst 


0  Ep.  Sen.  IV  2. 

*)  d.  i.   nach   damaliger  Rechnung  Vormittags    zwischen    neun   und 
zehn  Uhr. 


Die  Jahre  des  Alters.  373 

zur  Marcuskirche,  um  dort  Gott  zu  danken  für  die  erwiesene 
Gnade '). 

Dann  aber,  als  inzwischen  auch  der  siegreiche  Feldherr 
selbst  mit  den  erbeuteten  Trophäen  heimgekehrt  war,  rüstete 
man  sich,  den  errungenen  Sieg  durch  festliche  Spiele  zu 
verherrlichen.  Die  grossartigsten  Vorbereitungen  wurden 
hierzu  getroffen.  Endlich  vom  4.  bis  7,  August  fand  das 
prächtige  Fest  statt.  Edle  Jünglinge  und  Krieger  führten 
auf  dem  Marcusplatze  ritterliche  Wettkämpfe  und  Turniere 
auf  mit  all'  dem  Glänze,  den  das  endende  Mittelalter  solchen 
Festlichkeiten  zu  verleihen  pflegte.  Reiche  Preise,  über  deren 
Zuertheilung  die  bestellten  Kampfrichter  —  der  Doge,  Luchino 
und  die  dem  Feste  beiwohnenden  fremden  Ritter  —  zu  ent- 
scheiden hatten,  waren  ausgesetzt,  als  erster,  den  ein  Venetianer 
sich  gewann,  eine  goldene,  mit  Edelsteinen  besetzte  Krone, 
als  zweiter,  mit  welchem  ein  Ferrarese  beliehen  Avurde,  ein 
silbernes  Wehrgehänge  von  köstlicher  Arbeit.  Der  ganze 
Marcusplatz  aber,  soweit  er  nicht  als  Turnierstätte  diente, 
war  so  dicht  mit  Zuschauern  besetzt,  dass  auch  nicht  ein 
MaiskeiTi  hätte  zur  Erde  niederfallen  können.  Von  einer 
Tribüne  aus  schauten  auch  vierhundert  der  vornehmsten  und 
schönsten  Frauen  den  in  dem  rossearmen  Venedig  so  seltenen 
Ritterspielen  zu.  Der  Doge  aber  hatte  in  der  Marmorloge  der 
Vorhalle  der  Marcuskirche  mit  seinem  Gefolge  Platz  genommen; 
die  ehrende  Auszeichnung,  zur  Rechten  des  Fürsten  zu  sitzen, 
wurde  Petrarca  zu  Theil,  welcher  auf  diese  Weise  selbst  vor 
mehreren  anwesenden  englischen  Rittern  vom  höchsten  Range, 
Verwandten  des  Königs,  bevorzugt  wurde  —  ein  schöner  Be- 
weis, wie  hoch  damals  geistiger  Adel  geschätzt  ward. 

So  lebte  der  Dichter  im  schönen  Venedig  ein  behagliches, 
an  Freuden  und  Ehren  reiches  Leben.  Auch  sein  körperliches 
Befinden  war  mit  Ausnahme  dessen,  dass  er  einmal  im  Jahre 
1365  fünf  Monate  lang  von  einer  lästigen  Hautkrankheit  ge- 


^)  Dies  und  das  Nächstfolgende  nach  Ep.  Sen.  IV  3. 


374  Siebentes  Capitel. 

plagt  wurde  ^),  das  beste  und  die  Beschwerden  des  Greisen- 
alters machten  sich  ihm  noch  nicht  fühlbar.  Bangen  Befürch- 
tungen hatte  er  sich  hingegeben,  als  er  am  20.  Juli  1366  in 
das  63.  Lebensjahr  eingetreten  war,  denn  während  er  sonst 
so  frei  von  Aberglauben  war  2),  konnte  er  doch  sich  des  Ge- 
dankens nicht  erwehren,  dass  dieses  Lebensjahr  ein  ominöses 
sei,  wie  mehrere  römische  Autoren  —  Gellius  in  den  „Noctes 
Atticae",  Censorinus  in  dem  „liber  de  saeculis"  2)  und  Julius 
Firmicus  Maternus  im  vierten  Buche  seiner  „Mathesis"  —  es 
behauptet  hatten.  Da  nämlich,  so  lautete  des  letztgenannten 
Autors  seltsame  Beweisführung,  das  7.  und  9.  Lebensjahr  er- 
fahrungsmässig  kritische  seien,  so  müsse  das  68.,  welches 
das  Product  von  7  mal  9  darstelle,  es  im  doppelten  Grade 
sein*).  Indessen  am  20.  Juli  1367  konnte  Petrarca  seinem 
Freunde  Boccaccio,  welchem  er  vorher  seine  trüben  Ahnungen 
mitgetheilt  hatte,  die  tröstliche  Nachricht  zukommen  lassen^), 
dass  das  gefürchtete  Jahr  ihm  nicht'  das  geringste  Unheil  ge- 
bracht und  dass  er  sogar  sich  nie  körperlich  wohler  als 
während  desselben  gefühlt  habe,  ja  es  seien  ihm  in  diesem 
selbst  zwei  gi'osse  Freuden  bereitet  worden:  die  Eroberung 
Alexandriens  durch  den  König  von  Cypern  und  die  Rückkehr 
des  Papstes  nach  Rom.  Während  wir  das  erste  der  beiden 
hier  genannten  Ereignisse  als  für  unsere  Erzählung  nicht  minder 
wie  für  die  allgemeine  Geschichte  bedeutungslos  übergehen 
wollen'^),  müssen  wir  uns  bei  dem  zweiten,  welches  sowol  für 
das  äussere  Leben  als  auch  für  die  litterarische  Thätigkeit 
Petrarca's  bedeutungsvoll  wurde,  etwas  länger  verweilen. 

Papst  Innocenz  VL  war  am  12.  September  1362  gestorben. 
Sein  Nachfoker  wurde  durch  die  Wahl  eines  stürmisch  be- 


1)  Ep.  Sen.  m  3. 
•^)  vgl.  S.  197  ff.  u.  360  f. 
")  Gell.  XV  7.   Censorin.  de  die  natali  c   14. 
4)  Ep.  Sen.  VIII  1. 
«)  Ep.  Sen.  VIII  8  (b.  Fracassetti  7). 

•)  Eine  kurze  Notiz  darüber  gibt  Fracassetti,  Lett.  sen.  I  p.  497,  vgl. 
auch  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  262  f. 


Die  Jahre  des  Alters.  375 

wegten  Conclave  ein  ausserhalb  des  Cardinalates  stehender 
Prcälat,  Wilhelm  Grimoard,  Abt  des  St.  Victorklosters  von 
Marseille,  welcher  am  6.  November  gekrönt  wurde  und  den 
Namen  Urban  V.  annahm  ^). 

Petrarca,  noch  immer  den  festen  Glauben  hegend,  dass 
nur  Rom  die  des  Nachfolgers  Christi  würdige  Residenz  sein 
könne,  richtete  an  den  neuen  Papst,  wie  einst  an  Benedict  XII. 
und  Clemens  VI.,  ein  Schreiben,  in  welchem  er  ihn  mit  beredten 
Worten  —  doch  ohne  poetische  Umkleidung  —  zur  Rückkehr 
nach  Rom  aufforderte^). 

Er  begann  diese  bemerkenswerthe  Epistel,  welche  in  Wahr- 
heit vielmehr  ein  kirchenpolitischer  Tractat  zu  nennen  ist, 
damit,  dass  er  erklärte,  sein  Freund,  der  Patriarch  Philipp 
von  Jerusalem  (der  frühere  Bischof  von  Cavaillon),  habe  ihm 
die  Anregung  und  Ennuthigiing  zur  Abfassung  derselben  ge- 
geben. Sodann  lobt  er  des  Papstes  energische  kirchenreforma- 
torische  Bestrebungen,  lobt,  dass  er  den  in  Avignon  müssig 
weilenden  Bischöfen  befohlen  habe,  in  ihre  Sprengel  zurück- 
zukehren und  sich  an  ihren  Pfründen  genügen  zu  lassen,  dass 
er  die  unsinnigen  Modetrachten  von  seinem  Hofe  verbannt 
habe  —  die  Schnabelschuhe,  die  Federhüte  ^),  die  nach  Weiber- 
art zierlich  abgetheilten  Scheitel,  die  unzüchtigen  Gewänder, 
die  den  Unterleib  beengenden  Schnürleiber  — ,  dass  er  sich 
die  Wiederaufrichtung  der  durch  den  Krieg  zerrütteten  Universi- 
tät Bologna  angelegen  sein  lasse  und  dass  er  endlieh  die 
Straflosigkeit  der  in  den  Häusern  der  Cardinäle  ein  Asvl 
suchenden  Verbrecher  aufgehoben  habe.  Nur  in  einem 
Punkte  handele  der  sonst  so  weise  Papst  nicht  recht  und 
darauf  erlaube  er  sich,  ihn  mit  aller  Offenheit,  aber  auch  in 
aller  Demuth  aufmerksam  zu  machen.  Habe  er  doch  auch  an 
den  Kaiser  mit  der  gleichen  Offenheit  Ermahnungen  und  Vor- 
stellungen zu   richten  gewagt,  nicht   weil   er   ein  Recht  dazu 


*)  vgl.  Christophe  a.  a.  0.,  II  p.  249  ff. 
"-)  Ep.  Sen.  VII  1. 
')  pennati  vertices? 


376  Siebentes  Capitel. 

besitze,  sondern  weil  er  glaube,  es  sei  seine  Pflicht,  in  solchen 
Fällen  zu  reden,  wenn  alle  Anderen  und  auch  die  zum  Reden 
Berechtigten  schwiegen.  Uebrigens  habe  auch  der  Kaiser  seine 
Mahnungen  immer  freundlich  aufgenommen.  Dies  Eine,  in 
Bezug  auf  welches  der  Papst  nicht  recht  handele,  sei,  dass  er 
seine  Braut  d.  h.  Rom  fortdauernd  im  Stiche  lasse.  Aller- 
dings könne  man  ja  einwenden,  des  Papstes  Braut  sei  die 
ganze  Kirche  und  der  Papst  dürfe  an  jedem  beliebigen  Orte, 
wo  er  nur  immer  wolle,  residiren.  Das  sei  an  sich  auch  ganz 
richtig,  aber  nicht  weniger  richtig  sei  trotzdem,  dass  Rom  in 
ganz  besonderem  Sinne  des  Papstes  Braut  sei,  denn  wie  alle 
bedeutenderen  Städte  ihren  Bischof  besässen,  so  habe  Rom 
den  Papst  zu  seinem  Bischöfe  und  folglich  sei  dieser  ver- 
pflichtet, dort  zu  residiren.  Jetzt  werde  Rom,  wie  eine  aime 
verlassene  Wittwe,  von  höchster  Noth  bedrückt.  Schon  sei 
die  Laterankirche  ihres  Daches  beraubt  und  stehe  aller  Unbill 
der  Witterung  offen,  die  Kirche  der  Apostel  Peter  und  Paul 
aber  sei  zu  einer  Ruine  und  einem  unfönnlichen  Steinhaufen 
geworden.  Wie  könne  ein  Papst,  der  sich  „Urbanus"  (d.  h. 
der  Städtische)  nenne,  sich  von  der  „Urbs"  (d.  h.  der  Stadt 
Rom)  fern  halten  wollen?  Habe  doch  Gott  selbst  Rom  zur 
Hauptstadt  der  Kirche  auserwählt.  Das  müsse  der  Papst  um 
so  mehr  beherzigen,  als  er  nicht  leugnen  könne,  dass  sieh 
gerade  in  seiner  Erhebung  auf  den  Stuhl  Petri  Gottes  Fügung 
recht  sichtbarlich  erkennen  lasse,  denn  dieselbe  sei  ja  eigent- 
lich gegen  den  Willen  der  Cardinäle  erfolgt:  diese  nämlich 
erwählten  sonst  grundsätzlich  nur  einen  aus  ihrer  Mitte  — 
am  liebsten  möchte  ein  Jeder  sich  selbst  wählen  —  und 
würden  durch  eigene  Eingebung  gewiss  nicht  darauf  verfallen 
sein,  einem  schlichten  Abte  den  Vorzug  zu  geben.  Gott  selbst 
habe  ihre  Wahl  gerade  auf  ihn  gelenkt,  damit  er  die  Rück- 
verlegung des  päpstlichen  Stuhles  nach  Rom  ausführen  solle. 
Welche  Schuld  häufe  also  der  Papst  auf  sich,  wenn  er  dieser 
Absicht  Gottes  nicht  entspreche!  Frühere  Päpste  hätten  sich 
durch  verschiedene,  oft  sehr  unwürdige  Beweggründe  zum 
Verbleiben  in  Avignon  bestimmen  lassen,  zum  Theil  weil  sie 


Die  Jahre  des  Alters.  377 

Italien  gar  nicht  kannten  und  ein  Vonirtheil  gegen  dieses 
Land  hegten:  habe  doch  einmal  Benedict  XII.,  als  ihm  Aale 
aus  dem  Bolsener  See  von  vorzüglichem  Geschmacke  zugesandt 
worden  waren,  sehr  naiv  geäussert,  er  habe  gar  nicht  geglaubt, 
dass  aus  Italien  etwas  so  Gutes  kommen  könne.  Der  gegen- 
wärtige Papst  aber  kenne  Italien  aus  eigener  Anschauung^). 

Ganz  unbegründet  sei  es,  zu  glauben,  dass  in  Rom  die 
persönliche  Sicherheit  des  Papstes  und  der  Cardinäle  irgendwie 
gefährdet  sei.  Viele  Cardinäle  aber  zögen  Avignon  nur  dess- 
halb  vor,  weil  sie  dort  Paläste  und  liegendes  Vermögen  be- 
sässen  —  ein  ganz  unwürdiger  Beweggrund!  Und  wie  häss- 
lich  wohne  es  sich  doch  an  den  stets  windigen,  schmutzigen 
und  felsigen  Ufern  der  Rhone!  —  Auch  das  sei  schon  vor- 
bedeutungsvoll gewesen  und  ein  Anzeichen  des  göttlichen 
Willens,  dass  Urban  gerade  zur  Zeit  seines  Aufenthaltes  in 
Italien  erwählt  worden  sei.  In  Rom  werde  der  Papst,  wenn 
er,  Gottes  Willen  gehorchend,  dahin  zurückkehre,  mit  der 
grössten  Ehrerbietung  und  Freude  empfangen  werden,  ja  die 
Engel  Gottes  selbst  würden  bei  seinem  Einzüge  ihn  begrüssen. 
In  Avignon  dagegen  könne  der  Papst  nicht  weiter  mit  Sicher- 
heit wohnen:  sei  er  doch  schon  von  Kriegerbanden  heim- 
gesucht und  zur  Loskaufung  gezwungen  worden,  eine  Schmach, 
welche  weit  grösser  und  namentlich  auch  unverdienter  sei, 
als  diejenige,  welche  einst  Bonifaz  VIII.  zu  Anagni  habe 
erdulden  müssen. 

Nun  gibt  Petrarca  eine  begeisterte  Schilderung  der  Schön- 
heit und  des  Reichthums  Italiens.  „Sage  nur  Deinen  Cardi- 
l^älen,''  redet  er  den  Papst  an,  „dass  Italien  nicht  so  beschaffen 
ist,  wie  sie  meinen,  sondern  dass  es  vielmehr  nach  dem  ein- 
stimmigen Urtheile  berühmter  Schriftsteller  der  schönste  und 
ruhmvollste  Theil  der  Erde  sei.  Es  würde  ein  geradezu  un- 
vergleichliches Land  sein,  dem  kein  Uebel  anhaften  und  kein 


^)  Urban  war  von  Innocenz  VI.  als  Nuntius  nach  Neapel  gesandt  wor- 
den; bevor  er  indessen  noch  seinen  Bestimmungsort  erreicht  hatte,  erhielt 
er  zu  Cometo  die  Nachricht  von  der  auf  ihn  gefallenen  Wahl. 


378  Siebentes  Capitel. 

Gut  mangeln  würde,  wenn  es  nur  den  Frieden  besässe.  Diesen 
aber  wird  Deine  Gegenwart  ihm  bringen.  Sage  Deinen  Car- 
dinälen,  dass  es  in  diesem  Lande  die  edelsten  und  herrlichsten 
Städte  gibt,  mit  denen  verglichen  das  stinkende  Avignon  ganz 
armselig  erscheint,  dass  das  Klima  daselbst  äusserst  gesund 
ist  und  zwischen  Hitze  und  Kälte  eine  angenehme  Mitte  hält, 
dass  es  dort  so  viele  und  so  grosse  fischreiche  Seeen  gibt,  wie 
sonst  nirgends  auf  einem  gleich  kleinen  Räume,  dass  dort 
auch  Flüsse  vorhanden  sind,  welche  durch  die  weise  Fügung 
der  Natur  in  so  vielfachen  Krümmungen  dahin  strömen,  dass 
in  einem  grossen  Theile  Italiens,  in  Ligurien  und  Venetien, 
in  der  Aemilia  und  Flaminia,  kaum  ein  bedeutender  Ort  ge- 
funden werde,  der  nicht  an  einer  Wasserstrasse  liege.  Sage 
ihnen,  dass  ein  von  zahlreichen  Häfen  und  altberühmten 
Städten  umkränztes  Doppelmeer  das  Land  umfliesst  und  dass 
viele  grosse  Ströme  sich  in  dasselbe  ergiessen,  so  dass  fast 
ganz  Italien  auf  Wasserpfaden  mühelos  durchreist  werden 
kann.  Wo  aber  das  Meer  nicht  strömt,  da  stellen  sich  die 
bis  in  die  Wolken  ragenden  Alpen  der  Wuth  der  Barbaren 
entgegen.  In  der  Mitte  des  Landes  findet  man  grünende 
Hügel  und  sonnige  Thäler  und  fruchtbare  Gefilde,  der  Apennin 
aber,  der  Vater  der  Berge,  durchschneidet  ganz  Italien  der 
Länge  nach  mit  seinen  waldreichen  Höhen,  silberhelle  Bäche 
strömen  von  ihm  aus  und  mannigfache  heilsame  Gewässer, 
kalte  und  warme  Quellen,  aus  denen  zu  trinken  für  die 
Dürstenden  erquickend,  für  die  Gesunden  ergötzlich  und  für 
die  Kranken  heilkräftig  ist.  Reichhaltige  Adern  aller  Metalle 
durchziehen  das  Gebirge  und  Heerden  von  kampflustigeij^ 
Rindern  weiden  auf  seinen  Triften.  —  Auf  allen  ]\Ieeren  ge- 
bieten Italiens  Schiff"e,  so  dass  dieses  ganze  Mittelmeer  gegen 
den  Willen  der  Italiener  von  keinem  anderen  Volke  befahren 
werden  kann.  Hier  in  Italien  gibt  es  eine  unerschöpfliche 
Menge  von  Getreide,  Wein  und  Oel,  von  Bäumen,  Früchten 
und  Obstsorten,  die  anderswo  unbekannt  sind,  von  Holzarten, 
von   Nutzthieren    und   Wild,    von    Fischen    und    Vögeln    und 


Die  Jahre  des  Alters.  379 

Speisen  aller  Art,  so  dass  Deine  Cardinäle  nicht  den  Hunger- 
tod zu  fürchten  brauchen." 

Auf  die  Anpreisung  der  materiellen  Genüsse,  welche 
Rom  den  Cardinälen  bieten  würde,  kommt  Petrarca  dann  noch 
einmal  zurück  und  hebt  nachdrücklich  hervor,  dass  man  dort 
alle  nur  denkbaren  Leckerbissen  erhalten  und,  wenn  doch 
etwa  der  eine  oder  der  andere  fehlen  sollte,  er  leicht  durch 
die  bequemen  Handelsverbindungen  beschafft  werden  könne  — 
man  ersieht  hieraus,  wie  kläglich  und  widerlich  verweltlicht 
die  Denkweise  der  hohen  Kirchenfürsten  war.  Aber  auch  an 
ernsten  Mahnungen  und  Vorstellungen  lässt  er  es  nicht  fehlen. 
Mit  grossem  Freimuthe  legt  er  dar,  wie  unwürdig  es  sei, 
wenn  die  Cardinäle  durch  kleinliche  Gründe  zum  Verbleiben 
in  Avignon  sich  bestimmen  Hessen  und  ein  kleines  persönliches 
Opfer  für  Rom  zu  bringen  sich  scheuten,  während  doch 
mehrere  römische  Kaiser,  welche  durch  ihre  Geburt  aus- 
wärtigen Ländern,  wie  Spanien,  Syrien  oder  Africa  angehört 
hätten,  bestrebt  gewesen  seien,  Rom  zu  Liebe  ihre  Nationalität 
zu  vergessen  und  zu  Römern  zu  werden.  Bei  den  Cardinälen 
aber  müsse  als  ein  Motiv  für  die  Rückkehr  nach  Rom  noch 
hinzutreten,  dass  man  nirgends  so  andächtig  sein  könne,  wie 
in  dieser  durch  die  Apostelfürsten  und  Märtyrer  geweihten 
Stadt. 

Auch  einen  politischen  Grund  endlich  macht  Petrarca  zu 
Gunsten  der  Uebersiedelung  der  Curie  nach  Rom  geltend: 
der  Papst  müsse  jetzt  dem  griechischen  Morgenlande,  welches 
von  den  Türken  bedrängt  werde,  näher  sein,  um  ihm  Hülfe 
bringen  zu  können.  Schimpflich  sei  es  auch,  wie  die  wahre 
katholische  Kirche  von  den  Griechen  verachtet  und  geschmäht 
werde.  Diese  Schmach  dürfe  die  rechtgläubige  Christenheit 
nicht  länger  dulden  und  leicht  sei  es  auch,  ihr  zu  wehren: 
die  Venetianer  und  Genuesen  würden,  wenn  der  Papst  es  nur 
wolle,  das  schwache  byzantinische  Reich  mühelos  zerstören 
oder  doch  seine  Bewohner  zum  Katholicismus  überführen. 

Den  grössten  Freimuth  indessen  zeigt  Petrarca  am  Schlüsse 
des    Briefes.     Er   habe    gehört,   sagt    er   da.   dass  der  Papst 


380  Siebentes  Capitel. 

einen  bestimmten  Theil  seines  Palastes  „Rom"  benenne  und 
durch  einen  zeitweiligen  Aufenthalt  in  demselben  seiner  Pflicht, 
in  Piom  zu  residiren,  zu  genügen  glaube.  Wenn  das  wahr 
sei,  so  heisse  das  Gott  verspotten  und  versuchen. 

Schliesslich  erinnert  der  kühne  Brief  schreib  er  den  Papst 
an  die  Verantwortung,  welche  er  einst  am  Tage  des  jüngsten 
Gerichtes  Christus  und  St.  Peter  über  sein  Verbleiben  in  Rom 
zu  geben  haben  Averde,  und  macht  ihn  darauf  aufmerksam, 
dass  man  wol  nirgends  seliger  sterben  und  auferstehen  könne 
als  in  Rom,  wo  so  viele  Heilige  rahen.  Wolle  aber  Urban  V. 
trotz  alledem  nicht  nach  Rom  zurückkehren,  nun,  so  möge  er 
wenigstens  veranlassen,  dass  der  Kaiser  dort  seine  Residenz 
aufschlage,  denn  einer  von  beiden,  der  Papst  oder  der  Kaiser, 
müsse  unbedingt  in  der  Hauptstadt  der  christlichen  Welt 
seinen  Sitz  haben. 

Es  ist  ein  merkwürdiger  Brief,  dessen  wesentlichster  In- 
halt im  Obigen  kurz  wiedergegeben  worden  ist.  Merkwürdig 
durch  den  Freimuth,  mit  welchem  in  ihm  der  rombegeisterte 
Humanist  zu  dem  Oberhaupte  der  Christenheit  spricht;  merk- 
würdig ferner  durch  das  grelle  Streiflicht,  das  er  auf  die  da- 
maligen Zustände  der  Kirche  wirft ;  merkwürdig  auch  dadurch, 
dass  er  zeigt,  wie  damals  noch  der  Sinn  für  Naturschönheit 
in  solchem  Grade  unentwickelt  war,  dass  Petrarca  die  gegen- 
wärtig von  Allen  gekannten  und  gepriesenen  Reize  Italiens 
erst  gleichsam  entdecken  musste;  merkwürdig  endlich  auch 
durch  den  weiten  und  richtigen  Blick,  welchen  der,  sonst  in 
so  seltsamen  Illusionen  befangene,  Idealist  Petrarca  hier  einmal 
beweist.  Nicht  nur,  dass  er,  was  allerdings  so  ziemlich  hand- 
greiflich war,  erkennt  der  natürliche  und  historisch  allein  be- 
rechtigte Sitz  des  Papstthums  könne  einzig  in  Rom  sein,  sondern 
er  schaut  auch  weiter  und  weist  mit  prophetischem  Blicke  das 
Papstthum  und  das  Abendland  auf  die  Aufgabe  hin,  die  damals 
für  sie  im  Osten  gestellt  ward.  Er  weist  darauf  hin,  dass 
dem  Vordringen  der  Osmanen  Einhalt  gethan  werden  müsse, 
dass  das  byzantinische  Reich  sich  nicht  länger  mehr  halten 
könne  und  dass  die  italienischen  Seestaaten  zu  dessen  Erbschaft 


Die  Jahre  des  Alters  381 

bemfen  seien.  Wie  ganz  anders  und,  soweit  menschliches  Er- 
messen zu  urtheilen  vermag,  um  wieviel  besser  würde  die 
Weltgeschichte  sich  gestaltet  haben,  wenn  Petrarca's  Ideen 
verwirklicht  worden  wären!  Die  orientalische  Frage,  deren 
Lösung  schon  so  viele  Ströme  Blutes  gekostet  hat  und  noch 
kosten  wird,  wäre  vermuthlich  Europa  erspart  oder  doch  im 
Keime  erstickt  worden.  Die  Republiken  Italiens  aber  würden, 
anstatt  in  selbstmörderischen  Wechselkämpfen  sich  zu  zerrütten, 
im  Osten  ein  würdiges  Feld  für  ihre  überschüssige  Thatki-aft 
gefunden  und  das  Morgenland  mit  dem  Abendlande  zu  einer 
gi-ossen  Cultureinheit  verbunden  haben. 

Es  bedurfte  der  Epistel  ^)  Petrarca's  nicht  mehr,  um  den 
Papst  zur  Rückkehr  nach  Rom  zu  bestimmen.  Andere 
Gründe  waren  bereits  für  Urban  V.  maassgebend  gewesen. 
Er  empfand  es  zu  deutlich,  dass  das  Papstthum  in  seiner 
Giaindlage  schwanke,  so  lange  es  in  A^^gnon  ausserhalb  seiner 
natürlichen  Atmosphäre  weile.  Er  empfand  auch,  dass  die 
äussere  Lage  der  Curie  an  den  Ufern  der  Rhone  eine  äusserst 
gefährdete  geworden  sei,  seitdem  Frankreich  die  Beute  der  um- 
herstreifenden Söldnercompagnien -)  geworden  war.  War  es 
doch  bereits  geschehen,  dass  er  sieh  gezwungen  gesehen  hatte,  von 
einer  solchen  Compagnie  den  Frieden  mit  Geld  und  Ablass- 
eitheilung  zu  erkaufen.  Solchen  Schimpf  hatte  er  in  Rom 
nicht  zu  befürchten.  LTnd  wenn  man  früher  wol  gemeint 
hatte,  in  Avignon  sei  ein  gesünderes  Wohnen,  als  in  Roms 
Malarialuft,  so  war  dieser  Glaube  unhaltbar  geworden,  seitdem 
in  den  Jahren  1348  und  1361  die  Pest  in  Avignon  grauen- 
haft gewüthet  hatte. 

So  beschloss  denn  Urban  V.  die  Rückkehr  nach  der  alt- 
ehrwürdigen   Stadt  der   Apostelgräber.     Am   30.  April   1367 


^)  Es  ist  diese  Epistel  „Venedig,  den  29.  Juni"  datirt,  jedenfalls  des 
Jahres  1366. 

^)  Durch  den  Frieden  von  Bretigny  waren  grosse  Söldnerschaaren  be- 
schäftigungslos geworden,  welche  nun  in  fest  organisirten  Kameradschaften 
auf  eigene  Faust  plündernd  und  brandschatzend  Frankreich,  Italien  und 
einen  Theil  Deutschlands  Jahre  lang  verheerten. 


382  Siebentes  Capitel. 

verliess  er  Avignon,  ungeachtet  des  lebhaften  Widerspruches 
der  französischen  Cardinäle,  fuhr  sodann  am  20.  Mai  von 
Marseille  nach  Corneto  über,  wo  er  am  4.  Juni  eintraf,  und 
setzte  von  dort  aus  seine  Reise  zu  Lande  nach  Viterbo  fort. 
In  dieser  Stadt,  welche  er  am  9.  Juni  erreichte,  nahm  er 
einen  längeren  Aufenthalt,  der  freilich  durch  zwei  unheilvolle 
Ereignisse,  den  Tod  des  grossen  Cardinallegaten  Egidio  d' Albornoz, 
des  ^Yiederherstellers  des  Kirchenstaates,  und  einen  Volks- 
aufstand verdüstert  wurde.  Endlich  am  14.  October  brach 
der  Papst  nach  Rom  auf  und  zog  am  Morgen  des  16.  mit 
festlichem  Gepränge  dort  ein  ^). 

Petrarca,  ob  des  Papstes  That  mit  höchster  Freude  er- 
füllt, richtete  an  denselben  ungesäumt  eine  lange  beglück- 
wünschende Epistel  2) ,  in  welcher  er  zum  Theil  die  in  dem 
früheren  Schreiben  zu  Gunsten  Roms  vorgebrachten  Argu- 
mente wiederholte.  Abermals  erging  er  sich  im  Lobe  Italiens, 
dessen  politische  Bedeutsamkeit  und  Machtfülle  sowie  die  Grösse 
und  Blüthe  seiner  zum  Theil  alten,  zum  Theil,  wie  namentlich 
Venedig,  noch  jugendlichen  Städte.  Sodann  wandte  er  sich 
zum  besonderen  Lobe  Roms.  Allerdings,  bekennt  er,  sei  Rom 
sehr  verfallen,  aber  desto  schöner  und  würdiger  sei  für  Urban 
die  Aufgabe,  die  Stadt  Avieder  zu  erheben.  Rom  sei  der  Ort, 
an  welchem  der  Papst  Gott  am  meisten  gefallen  und  den 
Menschen  am  meisten  nützen  könne,  er  dürfe  daher  auch  ver- 
nünftigerweise nicht  daran  denken,  die  Stadt  wieder  zu  ver- 
lassen. Das  würde  heissen,  eine  Sache  herrlich  beginnen  und 
kläglich  enden.  Man  sage,  Rom  sei  ungesund,  und  das  möge 
zum  Theil  auch  wahr  sein,  aber  ungesund  sei  es  nur,  weil  es 
entvölkert  sei ;  werde  ihm  nun  durch  die  Residenz  des  Papstes 
wieder  eine  grössere  Bevölkerung  gegeben,  so  würde  auch 
zweifelsohne  sein  sanitärer  Zustand  sich  wieder  bessern.  Für 
seine   persönliche  Sicherheit  habe  der  Papst  in  Rom  Nichts 


^)  vgl.  über   diese   ganze  Episode  Gregorovius,  a.  a.  0.  VI  p.  415  ff. 
u.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p.  280  ff. 
')  Ep.  Sen.  IX  1. 


Die  Jahre  des  Alters.  383 

ZU  befürchten,  denn  der  Tumult  in  Viterbo  sei  nur  das  Werk 
eines  vereinzelten  Bösewichtes  gewesen. 

Nicht  unbekannt  konnte  es  bleiben,  wie  eifrig  Petrarca 
für  des  Papstes  Rückkehr  nach  Rom  gewirkt  hatte,  und  es 
war  nur  natürlich,  dass  der  Zorn  der  französischen  Prälaten, 
die  nur  mit  dem  äussersten  Widersti'eben  das  heimathliche 
Avignon  mit  dem  verfallenen  Rom  vertauschten,  sich  haupt- 
sächlich auch  gegen  ihn  richtete.  Einer  der  erbitterten 
Franzosen  schleuderte  eine  heftige  Schmähschrift  ^)  gegen  den 
rombegeisterten  Humanisten,  von  welcher  wir  hier,  um  den 
Ton,  in  welchem  damals  litterarische  Fehden  ausgefochten 
wurden,  zu  veranschaulichen,  eine  kurze  Analyse  folgen  lassen. 

„Es  war  ein  Mensch,  der  ging  von  Jerusalem  hinab  gen 
Jericho  und  fiel  unter  die  Mörder  (Ev.  Luc.  10,  30)."  Der 
Mensch  ist  der  Papst,  Jerusalem  das  friedfertige  Gallien, 
Jericho  das  wankelmüthige  Rom.  Rom  lässt  sich  mit  dem 
blonde  vergleichen:  so  hat  seine  Macht,  allmählich  bis  zum 
vollen  Glänze  zu-,  dann  bis  zum  völligen  Verschwinden  ab- 
genommen. Jetzt  ist  Rom  ein  wesenloser  Schatten,  ein  Nichts. 
Am  Boden  liegen  seine  Scepter,  am  Boden  seine  einst  so  stolzen 
Paläste  und  des  erhabenen  Cäsar  Haus  ist  zu  einer  Hütte  für 
die  Armen  geworden.  Wie  ganz  anders  steht  dagegen  Gallien 
da,  das  von  Petrarca  geschmähte  I  Keineswegs  ist  es  unfrucht- 
bar, wie  Petrarca  ihm  vorgeworfen,  vielmehr  ist  derjenige 
Theil,  in  welchem  Avignon  liegt,  ebenso  fruchtbar,  wenn  nicht 
fruchtbarer,  als  die  römische  Landschaft.  Und  übrigens  be- 
darf man  ja  weniger  Dinge  zu  einem  glücklichen  Leben,  Den 
Italieneni  fehlt  eben  die  Genügsamkeit,  immer  trachten  sie 
nach  Geld  und  Gewinn  und  desshalb  sind  sie  auch  immer  arm. 
Schon  Orosius  nannte  Rom  „einen  unersättlichen,  Alles  ver- 
schhngenden,  immer  hungrigen  Bauch". 

Nun  will  der  Anonymus  die  Worte:  „und  er  fiel  unter 
die  Mörder"    erklären.    Gern  freilich,   bekennt  er,   würde  er 


^)  abgedruckt  unter  der  Bezeichnung   „Galli  cuiusdam  anonj-mi  in  Fr. 
P.  invectiva"  in  den  baseler  Ausgaben. 


384  Siebentes  Capitel. 

davon  absehen,  wenn  ihn  nicht  Petrarca  dazu  nöthige,  indem 
er  den  Weggang  des  Papstes  von  Avignon  als  „den  Auszug 
Israels  aus  Aeg\pten"  bezeichnet  habe.  Israel  solle  dabei 
ofifenbar  die  Kirche,  Aegypten  aber  Gallien  und  das  Barbaren- 
volk, von  welchem  Petrarca  weiterhin  spreche,  die  Franzosen 
bedeuten.  Das  Alles  sei  aber  so  verkehrt  wie  nur  möglich. 
Glaube  nämlich  Petrarca  im  Eniste,  dass  Gallien  Aegypten 
sei,  so  sei  dies  ja  einfach  unrichtig,  spreche  er  aber  nur  gleich- 
nissweise, so  sei  es  grundfalsch,  denn  Aegypten  bedeute  so  viel 
als,„Finsterniss",  Gallien  dagegen,  dessen  Name  sich  vom  griechi- 
schen yaha,  d.  h.  Milch,  ableite  „das  weisse,  leuchtende  Land", 
Freilich  werde  Aegypten  auch  erklärt  als  ,,Bedrängniss,  Be- 
kümmerniss"  ^),  und  in  diesem  Sinne  habe  Petrarca  es  jeden- 
falls verstanden  wissen  wollen.  Aber  habe  nicht  die  Kirche 
in  Gallien  sich  der  grössten  Ruhe,  des  tiefsten  Friedens  er- 
freut? Das  Aergste  jedoch  sei,  dass  Petrarca  die  Franzosen 
als  ein  Barbarenvolk  bezeichnet  habe.  Seien  dieselben  doch 
vielmehr  ein  wohlgebildetes,  feingesittetes  und  mit  hohen 
Tugenden  geschmücktes  Volk.  Die  Barbarei  der  Römer  hin- 
gegen sei  ausser  Zweifel:  sie  werde  bezeugt  durch  das  Urtheil, 
welches  der  heilige  Bernhard  in  einem  Briefe  an  den  Papst 
Eugen  über  sie  ausgesprochen  habe  und  mehr  noch  durch 
Juvenal's  beissende  Satyre.  Wenn  also  der  Papst  sich  zu 
solchen  Leuten  begebe,  wie  die  Römer  nach  Juvenal's  Schilde- 
mng  seien,  so  könne  man  in  Wahrheit  sagen,  dass  er  Mördeni 
in  die  Hände  falle. 

Im  Folgenden  will  nun  der  Anonymus  noch  folgende  vier 
Punkte  erörtern:  1)  dass  Petrarca  den  Papst  zur  Rückkehr 
nach  Rom  beglückwünsche;  2)  dass  er  ihn  und  die  Cardinäle 
zur  Tugend  ermahne;  3)  dass  er  den  südfranzösischen  Wein, 
namentlich  den  benuenser  Wein,  schmähe,  und  4)  dass  er 
Gallien  herabsetze,  Italien  hingegen  lobend  erhebe. 

Was  Petrarca's  Glückwunsch  anlange,  so  sei  derselbe 
sehr  thöricht,  denn,  wenn  der  Papst  glücklich  werde,  so  werde 


^)  Der  hebräische  Name   3'!'^3t73  klingt  an  "12273  „Bedrängniss"  an 


Die  Jahre  des  Alters.  385 

er  dies  nur  durch  seine  Tugend,  die  Reise  nach  Rom  aber 
könne  einzig  bewirken,  dass  sein  inneres  Glück  durch  äussere 
Widerwärtigkeiten,  Sorgen  und  Bekümmernisse  getrübt  werde. 
Dies  werde  ganz  sicher  nicht  ausbleiben,  sehe  man  doch  schon 
die  wüthende  Zusammenrottung  der  Viterbosen,  die  beleidigende 
Aufregung  der  Römer,  die  Rebellion  der  Perusiner  und  den 
gehässigen  Widerspruch  der  Tyrannen.  —  Weitläufig  bemüht 
sich  dann  der  Anonymus  in  diesem  Abschnitte,  den  Begriff 
„Glück"  in  scholastischer  Manier  zu  definiren. 

Petrarca's  Ermahnung,  die  er  an  die  Cardinäle  gerichtet 
habe,  sei  eine  unerhörte  Frechheit,  denn  wie  könne  er  sich 
unterfangen,  das  heilige  Collegium  für  verblendet  und  unwissend 
zu  halten?  Und  verräth  es  nicht  seine  eigene  höchste  Un- 
wissenheit und  Gewissenlosigkeit,  wenn  er  dem  Papst  zur 
Reise  in  ein  Land  räth,  in  welchem  alle  Laster  herrschen,  in 
welchem  man  vom  Raube  lebt  und  in  welchem  schliesslich  die 
Pest  der  Gottlosigkeit  wüthet?  Steht  doch  in  Mailand  das 
aus  weissem  Marmor  gefertigte  Standbild  eines  Reiters  auf 
dem  Altäre^)! 

Wer  aber  sollte  nicht  schaudern,  wenn  er  den  so  präch- 
tigen benuenser  Wein  schmähen  hört?  Freilich  aber  sei  die 
Curie  nicht  dieses  Weines  wegen  nach  Avignon  übergesiedelt, 
sondern  nur  um  den  Verfolgungen,  denen  sie  in  Rom  aus- 
gesetzt gewesen,  zu  entgehen.  Und  überdies  dürfe  der  Papst 
seinen  Sitz  aufschlagen,  wo  es  ihm  beliebe:  ubi  Papa,  ibi 
Roma. 

Die  Schmähungen  endlich,  welche  Petrarca  gegen  Gallien 
schleudere,  seien  leicht  zu  widerlegen.  Welch'  schönes  Land 
Gallien  sei,  werde  schon  dadurch  bezeugt,  dass  einst  die 
Phocenser,  durch  seine  Reize  gefesselt,  dort  die  Colonie 
Massilia  gründeten,  von  welcher  Rom  selbst  nach  seiner  Zer- 
störung  durch   die   Gallier  Wohlthaten  empfangen  habe.     Bei 


^)  Es  ist  nicht  ersichtlich,  worauf  sich  diese  sicherlich  auf  einem  Miss- 
verständnisse beruhende  Anspielung  beziehen  soll.  Hatte  der  Franzose 
•slelleicht  eine  Statue  des  heil.  Georg,  des  Drachentödters ,  in  einer  Kirche 
gesehen  und  missdeutet? 

Körting,  Petrarcu.  25 


386  Siebentes  Capitel. 

den  alten  Historikern,  namentlich  bei  Justin,  sei  viel  von  der  Menge 
und  von  der  furchtbaren  Tapferkeit  der  Gallier  zu  lesen,  während 
andererseits  von  ihnen  bezeugt  werde,  dass  Italien  wüst  liegen 
würde,  wenn  es  nicht  theils  von  den  Galliern,  theils  von  den  Grie- 
chen besiedelt  worden  wäre.  Geradezu  lächerlich  aber  sei  es,  wenn 
Petrarca  behauptet  habe,  ausserhalb  Italiens  sei  kein  Gelehrter 
und  Dichter  zu  finden.  Leicht  sei  es,  zahlreiche  Schriftsteller 
sowol  der  alten  wie  der  neuen  Zeit  aufzuzählen,  welche  in 
Gallien  geboren  worden  seien.  Auch  sei  nicht  zu  vergessen, 
dass  die  antike  Litteratur  keineswegs  eine  ausschliesslich 
römische  genannt  werden  könne  und  dass,  so  vortreftlich  auch 
Vieles  in  der  römischen  Litteratur  sei,  dies  sich  doch  nicht 
mit  des  Aristoteles  Werken  vergleichen  lasse.  Welche  Stadt 
aber  könne  sich  in  Bezug  auf  die  Blüthe  des  wissenschaftlichen 
Lebens  mit  Paris  vergleichen?  preise  es  doch  selbst  der  fran- 
zosenfeindliche Joannes  Anglicus  in  seinem  Architrivium !  — 
Wenn  Petrarca  Rom  die  „heilige"  Stadt  nenne,  so  erklärt  der 
Anonymus,  dies  nur  dann  begreiflich  finden  zu  können,  wenn 
er  an  die  Kirchen  und  Reliquien  Roms  denke,  denn  sonst 
sei  an  Rom  nichts  Heiliges  zu  finden,  sondern  eher  sei  man 
versucht,  es  mit  Juvenal  die  „grausige  (saeva)"  Stadt  zu 
nennen,  denn  welche  Greuelthaten  seien  doch  in  Rom  verübt 
worden  und  mit  welchem  Undanke  hätten  die  Römer  gerade 
ihre  besten  Bürger  und  überdies  auch  viele  heilige  Männer 
belohnt!  namentlich  aber  sei  die  Urgeschichte  Roms  erfüllt 
von  Blut  und  Mord.  Allerdings  hätten  in  Rom  auch  ausge- 
zeichnete Männer  gelebt,  aber  die  gegenwärtigen  Römer  hätten 
nicht  deren  Tugenden  ererbt,  wohl  aber  die  Laster  der  scheuss- 
lichsten  ihrer  Vorfahren.  Nachdem  der  Anonymus  hiermit  die 
Behandlung  seines  Thema's,  sowie  er  dieselbe  sich  entworfen 
hatte,  beendet  hat,  erklärt  er  am  Schlüsse  seines  Tractates 
mit  Emphase,  dass  er  den  Papst  weder  zum  Verbleiben  in 
Avignon  noch  zur  Rückkehr  nach  Rom  auffordern,  sondern 
die  Entscheidung  dieser  Frage  ganz  seinem  eigenen  Urtheile 
überlassen  wolle.  —  — 

Man  wird  erkannt  haben,    dass   diese  Schrift  nicht  ohne 


Die  Jahre  des  Alters.  3S7 

Gewandtheit  abgefasst  ist  und  die  Blossen,  welche  Petrarca 
in  seinem  Plaidoyer  für  Rom  sich  gegeben  hatte,  ganz  geschickt 
zu  treffen  weiss.  Einzelne  Bemerkungen  des  Anonymus,  wie 
z.  B.  seinen  Hinweis  darauf,  dass  die  lateinische  Litteratur  durch- 
aus nicht  allein  eine  specifisch  römische  ist,  muss  man  geradezu 
geistreich  und  treffend  nennen.  Interessant  ist  die  Schrift 
auch  dadurch,  dass  sie,  obwol  gegen  den  Begründer  des  Hu- 
manismus und  auch  gegen  den  Humanismus  selbst,  insofern 
dieser  Romschwärmerei  war,  gerichtet,  doch  von  der  schon 
fest  gewurzelten  INTacht  der  humanistischen  Geistesrichtung  be- 
redtes Zeugniss  ablegt.  Der  Anonymus  bemüht  sich  sichtlich, 
seiner  Abhandlung  ein  humanistisches  Colorit  zu  verleihen,  er 
strebt,  freilich  erfolglos,  nach  einer  guten  Latinität  und  häuft 
aus  allen  möglichen  classischen  oder  doch  lateinischen  Autoren 
Citate  auf.  Terenz,  Virgll,  Horaz ,  Ovid,  Juvenal,  Seneca 
(in  seinen  Tragödien)  und  Claudian  unter  den  Dichtern,  Justin, 
Valerius  Maximus,  Solin,  Augustin,  Orosius,  Boethius  und 
Julius  Celsus  (d.  h,  Julius  Cäsar  de  hello  gallico)  unter  den 
Prosaisten  müssen  ihm  Belegstellen  liefern,  ausserdem  auch 
die  lateinische  üebersetzung  der  aristotelischen  Ethik.  Man 
sieht,  es  ist  ein  stattliches  Material,  das  hier  zu  polemischen 
Zwecken  aufgehäuft  ist,  aber  bei  der  Leetüre  der  Schrift  er- 
kennt man  doch,  dass  der  Verfasser  die  gelehrten  Waffen  noch 
nicht  mit  voller  Fertigkeit  zu  handhaben  versteht,  dass  sie 
ihm  noch  zu  schwer  sind  und  dass  er  sich  ihrer  mehr  zum 
Prunke  als  zum  Kampfe  bedient.  — 

Gegen  Nichts  war  Petrarca,  besonders  im  höheren  Altei-, 
empfindlicher,  als  gegen  litterarische  Angriffe.  Ein  solcher 
konnte  ihn  in  helle  Wuth  versetzen  und  zu  den  maasslosesten 
Entgegnungen,  zu  einem  Vergessen  aller  Schranken  der  Billig- 
keit und  Schicklichkeit  verleiten.  Er  war  auch  in  dieser  Be- 
ziehung das  Prototyp  der  späteren  Humanisten,  von  denen  — 
mit  wenigen  el\renwerthen  Ausnahmen  —  ein  Jeder  in  eitelster 
Selbstüberschätzung  befangen  war,  ein  Jeder  sich  selbst  ver- 
götterte und  auf  Unfehlbarkeit   lauten  Anspnich  erhob,    ein 

25* 


388  Siebentes  Capitel. 

Jeder  endlich  im  Bewusstseiu  der  eigenen  Herrlichkeit  mit 
Geringschätzung  auf  den  Anderen  herabblickte  und ,  wenn 
dieser,  wie  natürlich,  für  solche  Geringschätzung  sich  in  gleicher 
Weise  rächte,  ihn  mit  allen  Waffen  einer  giftigen  und  sophi- 
stischen Rhetorik  bekämpfte.  Es  war  dies  eben  die  widerliche, 
übrigens  leicht  erklärliche  Schattenseite  des  Humanismus,  dass 
er  Duldsamkeit  gegen  das  Denken  Anderer  nicht  kannte.  Alle 
in  ihrer  Eigenartigkeit  stark  ausgeprägten  Individualitäten  .sind 
despotisch  und  streben  darnach,  sich  alleinige  Geltung  zu  er- 
ringen, namentlich  aber  dann,  wenn,  wie  dies  bei  dem  Huma- 
nismus der  Fall,  die  Intelligenz  der  Leitung  durch  das  ethische 
Bewusstsein  entbehrt. 

So  rüstete  sich  Petrarca,  als  ihm  im  Jahre  1372')  die 
französische  Streitschrift  durch  Vermittelung  des  Legaten 
Uguccione  di  Tiene  bekannt  geworden  war,  unverzüglich  zur 
energischen  Gegenwehr  und  verfasste  eine  geharnischte  „Ver- 
theidigung  gegen  die  Verleumdungen  eines  gewissen  anonymen 
Franzosen"^).  Auch  von  dieser  Schrift,  welche  des  Interes- 
santen Manches  enthält  und  zu  mancherlei  Betrachtungen  an- 
regt, lassen  wir  hier  eine  gedrängte  Uebersicht  des  Inhaltes 
folgen. 

Zunächst  spricht  Petrarca  seine  Verwunderung  darüber 
aus,  dass  der  Anonymus  erst  jetzt  den  doch  bereits  vor  vier 
Jahren  geschriebenen  Brief  an  Urban  V.  beantworte  ^).  Schon 
durch  dieses  lange  Zögern  verrathe  der  Anonymus,  wie  schwach 


^)  üeber  die  Zeitbestimmung  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  V  p.  213  ff. 

2)  Petrarcae  contra  cujusdam  anonymi  GaHi  calumnias  apologia,  abge- 
druckt in  den  baseler  Ausgaben  der  opp.  omnia. 

")  Das  war  siclierlich  nur  eine  Fiction  Petrarca's,  denn  die  Invective 
des  Franzosen  ist  ohne  Zweifel  im  Jahre  1368  verfasst  worden,  als  sie  noch 
dem  praktischen  Zwecke,  den  Papst  zum  Verbleiben  in  Avignon  oder  zur 
Rückkehr  dahin  zu  bewegen,  dienen  konnte.  Im  Jahre  1371  oder  1372, 
nachdem  Urban  V.  bereits  im  September  1370  nach  Avignon  »urückgekehrt 
war  und  sein  Nachfolger,  Gregor  XL,  erst  im  Jahre  1374  wieder  an  die 
Uebersiedelimg  nach  Rom  dachte,  wäre  die  Abfassung  der  Invective  völlig 
sinnlos  gewesen;  auch  macht  sie  ganz  den  Eindruck,  noch  unter  Urban's  V. 
Pontificate  geschrieben  worden  zu  sein. 


Die  Jahre  des- Alters.  389 

es  um  seine  Sache  bestellt  sei.  Nun  endlich  habe  er  mit  Zu- 
hülfenahme  aller  möglichen  Bücher — oder  vielleicht  auch  nur 
(man  bemerke  den  giftigen  Streich!)  mit  Hülfe  eines  Com- 
pendiums,  etwa  einer  Anthologie  (manipulum  florum),  wie  sie 
ja  bei  den  Franzosen  so  beliebt  sei  —  und  mit  acht  scho- 
lastischer Schwerfälligkeit  eine  Schrift  zu  Stande  gebracht, 
welche  den  Leser  auch  mitten  im  Winter  schwitzen  machen 
könne  und  an  das  Sprüchwort  mahne :  „Nichts  ist  lästiger  als 
ein  gelehrter  Mann."  Der  Autor  aber  dürfe  mit  Nero  aus- 
rufen:  „0  verstände  ich  doch  nicht  zu  schreiben!" 

Wie  albern  sei  der  Text,  den  der  Anonymus  für  seine 
Predigt  sich  gewählt:  „Es  war  ein  Mensch,  der  ging  von 
Jerusalem  hinab  gen  Jericho."  Wie  könne  man  die  tiefe 
Lasterhöhle  Avignon,  den  scheusslichsten  Gestank  des  ganzen 
Erdkreises,  mit  Jerusalem,  die  Welt-  und  Reichshauptstadt 
Rom  aber;  die  Burg  des  kathohschen  Glaubens,  mit  Jericho 
vergleichen!  Wie  könne  sich  ferner  der  Anonymus  gegen  die 
Bezeichnung  der  Franzosen  als  Barbaren  ereifern!  Möge  er 
nur  seine  Bücher  wälzen,  so  werde  er  finden,  dass  alle  Histo- 
riker und  Cosmographen  die  Gallier  also  benennen.  Wie 
lächerlich  aber  und  wie  verlogen  sei  es,  wenn  der  Anonymus 
aus  der  Massigkeit  der  Franzosen  in  Leibesgenüssen  folgern 
wolle,  dass  sie  keine  Barbaren  seien!  Bezeuge  doch  Sulpicius 
SeveiTis,  der  beredteste  aller  Gallier,  ausdrücklich  die  Gefrässig- 
keit  seiner  Landsleute. 

Nun  gibt  Petrarca  eine  kurze  Charakteristik  der  mpdernen 
Franzosen,  welche,  mit  mehreren  späterhin  folgenden  Stellen 
zu  einem  Gesammtbilde  vereinigt,  einen  interessanten  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Völkerpsychologie  darbietet  und  desshalb 
hier  folgen  möge. 

Die  Franzosen  sind  ein  bewegliches  und  witziges  Volk  ^), 
welches,  in  angenehmer  Weise  sich  selbst  betrügend,  über 
sich  selbst  sehr  günstig,  über  alle  anderen  Nationen  aber  sehr 
ungünstia-  urtheilt.    In  Wahrheit  freilich  kommen  sie  in  Bezug 


^)  gens  promptula  et  argutula,  p.  1191. 


390  Siebentes  Capitel. 

auf  geistige  Befähigung  anderen  Völkern  nicht  gleich,  aii  Ruhm- 
sucht und  Geschwätzigkeit  aber  übertreffen  sie  selbst  die  (byzan- 
tinischen) Griechen.  Im  Uebrigen  sind  sie  Leute,  die  zu  leben 
verstehen,  die  sich  gern  amüsiren  und  die  Sorgen  durch 
Spiel,  Scherz,  Gesang,  Schmausen  und  Zechen  zu  verscheuchen 
wissen.  Ihre  hervorstechendste  Charaktereigenschaft  aber  ist 
der  Leichtsinn.  Wahrlich,  Pilatus  würde  nicht  so  eilig  und 
leichtmüthig  seine  Hände  in  Unschuld  gewaschen  haben,  wenn 
er  nicht  ein  Gallier  gewesen  wäre  ^) !  Mögen  übrigens  die 
Franzosen  sein,  wie  sie  wollen  —  fährt  Petrarca  fort  —  und 
immerhin  glauben,  dass  sie  keine  Barbaren  seien,  an  der 
Wahrheit  könne  dies  doch  Nichts  ändern,  wenn  man  auch  gern 
zugestehen  dürfe,  dass  sie  die  gesittetsten  aller  Barbaren  seien. 

Von  den  Schmähungen,  welche  der  Verfasser  der  Invective 
nach  Art  eines  Rasenden  gegen  Rom  ausgespieen  habe,  will 
Petrarca  die  meisten  mit  Stillschweigen  übergehen  und  nur 
einige  zurückweisen.  Der  Anonymus  habe  Rom  die  Wande- 
lungen seiner  Geschicke  vorgeworfen  und  es  um  dieser  willen  mit 
dem  Monde  verglichen.  Aber  haben  andere  berühmte  Städte  nicht 
noch  jähere  Schicksalswechsel  erlitten?  Rom  sei  doch  wenig- 
stens immer  bestehen  geblieben  und  der  Ruhm  der  erhabenen 
Stadt  werde  dauern  bis  zum  Ende  aller  Dinge.  Und  übrigens, 
stürzen  könne  nur,  was  hoch  stehe:  Rom  habe  daher  stürzen 
können,  während  für  Avignon  freilich  dies  nimmer  möglich  sein 
werde.  Grosse  Männer,  welche  nicht  Römer  gewesen  seien, 
hätten  für  von  Römern  abstammend  gelten  wollen  —  nur 
solche  kleine  und  geistig  beschränkte  Leute  wie  der  Anonymus 
fühlen  sich  wohl  in  dem  Schmutze  ihrer  obscuren  Heimath. 

Der  Anonymus  leugne,  dass  die  Kirche  in  Avignon  Drang- 
sal habe  erdulden  müssen.  0  über  den  geistig  Tauben  und 
Blinden !  Er  weiss  also  nicht,  dass  in  Avignon  der  Zusammen- 
bmch  der  alten  guten  Sitten  der  Kirche  erfolgt  ist!  Jeden- 
falls aber  stelle  er  sich  nur,  als  wisse  er  es  nicht  und  schmei- 


^ !  Der  alten  Legende  zufolge  war  Pontius  Pilatus  aus  Gallien  gebürtig, 
vgl.  Willi.  Creizenacli,  Legenden  und  Sagen  von  Pilatus,  in  Paul's  und 
Brauue's  Beitr.  zur  Gesell,  der  deutschen  Spr.  u.  Litt.  I  p.  94. 


I 


Die  Jahre  des  Alters.  391 

chele  der  Curie,  um  den  Bischofshut  zu  erhaschen,  den  ihm 
Petrarca  gern  gönnen  wolle.  Die  Wuth,  welche  der  Anonynms 
gegen  Rom  zeige,  gleiche  der  Wuth,  mit  welcher  ein  entlaufener 
Sklave  gegen  seinen  früheren  Herrn  schimpfe.  Aber  noch  sei 
llom  stark  und  könne  sich  leicht  zur  Züchtigung  rebellischer 
Barbaren  aufraffen.  Unbegreiflich  dumm  sei  es  auch,  wenn 
der  Anonymus  sich  anstelle,  als  könne  er  nicht  begreifen,  wess- 
halb  Rom  die  „heilige"  Stadt  genannt  werde.  Bekanntlich  sei 
nach  dem  Gesetze  ein  jeder  Begräbnissplatz,  selbst  der  eines 
Sklaven,  heilig,  Rom  aber  sei  die  Grabstätte  so  vieler  berühmter 
und  so  vieler  heiliger  Männer,  so  vieler  Apostel  und  Märtyrer, 
und  überdies  sei  es  auch  heilig  als  die  Mutterstadt  der  römi- 
schen Gesetzgebung. 

Der  Anonymus  vermöge  in  seiner  Beschränktheit  nicht 
einzusehen,  wesshalb  Petrarca  die  Rückkehr  des  Papstes  nach 
Rom  als  ein  Glück  betrachtet  habe.  Als  wenn  es  nicht  ein 
Glück  gewesen  wäre,  dass  die  Kirche  aus  der  Verbannung  in 
ihren  rechtmässigen  Sitz  zurückgeführt  und  aus  dem  blutge- 
tränkten Schlamme  Avignons  erlöst  worden  sein  würde!  Zu 
tadeln  habe  Petrarca  nur,  dass  Urban  V.  nicht  beständig  ge- 
wesen sei,  sondern  noch  kurz  vor  dem  Tode  sein  Gewissen 
mit  der  Rückkehr  nach  Avignon  beschwert  habe  — ,  besser 
w^ürde  es  für  ihn  gewesen  sein,  wenn  er  sich  auf  seinem  Sterbe- 
bette vor  den  Altar  der  Peterskifche  hätte  tragen  lassen. 
Dass  übrigens  Urban  selbst  die  Uebersiedelung  nach  Rom  nicht 
als  ein  Unglück  betrachtet  habe,  werde  durch  seine  beiden 
eigenhändigen  Briefe  bewiesen,  in  denen  er  Petrarca's  Mah- 
nungen beantwortet,  ihm  dafür  gedankt  und  ihn  dringend  zu 
einem  Besuche  nach  Rom  eingeladen  habe.  Die  Zeit  werde 
bald  nahen,  in  welcher  Diejenigen,  die  jetzt,  nachdem  sie  durch 
alle  möglichen  Einflüsterungen  den  Papst  zur  Rückkehr  nach 
Avignon  beschwatzt,  wieder  in  der  Erdenhölle  den  benuenser 
Wein  trinken,  das  verdiente  Verderben  ereilen  werde.  — 

Fern  sei  es  von  ihm,  erklärt  Petrarca,  dem  Papste  einen 
Aufenthaltsort  anweisen  zu  wollen,  und  er  wisse  sehr  wohl, 
dass,  wo  der  Papst  sei,  in  gewissem  Sinne  auch  Rom  sei,  aber 


392  Siebentes  Capitel. 

er  könne  es  sich  nicht  versagen,  auszusprechen,  dass  der  Papst 
in  Rom  sowol  sicherer  als  auch  ehrenvoller  wohnen  würde. 
Keiner  Schaar  von  Bewaffneten  bedürfe  der  Papst,  um  die 
Rückkehr  nach  Rom  zu  ermöghchen:  sein  Ansehen,  seine 
Heiligkeit  und  seine  geistlichen  Waffen  würden  allein  genügen. 
Rom  sei  keine  „grausige  (saeva)"  Stadt  und,  wenn  der  Saty- 
riker  sie  so  nenne,  so  brauche  er  das  Epitheton  ,,saevus"  im 
Sinne  von  „magnus  (gross)",  wie  auch  Virgil  mehrfach  gethan 
habei). 

Der  Anonymus  behaupte,  dass  die  Römer  zur  Zeit,  als 
sie  noch  vorwiegend  Heiden  waren,  viele  heilige  Männer  ge- 
tödtet  hätten.  Das  Gleiche  sei  aber  auch  in  Galhen  geschehen 
und,  wenn  allerdings  die  Zahl  der  römischen  Märtyrer  grösser 
sei,  als  die  der  gallischen,  so  erkläre  sich  dies  daraus,  dass 
Rom  die  Hauptstadt  des  Reiches  war  und  dass  Christus  die 
künftige  Wohnstadt  seines  Stellvertreters  mit  reichlicherem 
Martyrerblute  befruchten  wollte.  Und  haben  einst  die  Römer 
die  Heiligen  gemordet,  so  haben  sie  auch  die  Heiligen  wieder 
gerächt.  — 

Wenn  der  Anonymus  ferner  einen  leisen  Zweifel  Petrarca's 
an  der  Güte  des  benuenser  Weines  als  eine  Lästerung  auf- 
fasse, so  erkenne  man  daraus  sogleich,  wess'  Geistes  Kind  er 
sei  und  wie  er  zu  denen  gehöre,  welchen  der  Bauch  ihr  Gott 
ist.  Uebrigens  habe  Petrarca  sich  auch  weniger  gegen  den 
Wein  ereifert,  als  gegen  die  Trunkenheit,  welche  derselbe  bei 
manchen  geistlichen  Würdenträgern  zum  Schaden  der  Kirche 
zu  erzeugen  pflege.  Wenn  ihm  nun  der'  Anonymus  zur  Strafe 
für  seine  angebliche  Schmähung  wünsche,  dass  nie  ein  Tropfen 
guten  Weines  seine  Kehle  benetzen  möge,  so  ertrage  er  diesen 
Fluch  mit  grossem  Gleichmuthe,  denn  obwol  er  den  Wein, 
wenn  er  ihn  haben  könne,  ganz  gerne  trinke,  so  sei  er  doch 
für  ihn,  der  sich  ein  römischer  Bürger  zu  sein  rühme ^), 
nicht,  wie  für  den  Gallier,  ein  Lebensbedürfniss  und  er  könne 
desselben  nöthigeufalls  leicht  entbehren. 


')  z.  B.  saevus  Hector.  Aen.  I  99.  sae^^as  Aeneas  Aen.  XII  107. 
')  Romanus  civis  esse  glorior  p.  1185. 


Die  Jalue  des  Alters.  393 

Der  Anonymus  fiihre  als  einen  Beweis  für  die  Schlechtig- 
keit der  Römer  auch  das  an,  was  der  heilige  Bernhard  in  seinem 
Briefe  an  den  Papst  Eugen  gegen  dieselben  gesehrieben  habe. 
Allerdings  nun  habe  leider  St.  Bernhard  diesen  harten  Tadel 
ausgesprochen,  und  es  sei  recht  bedauerlich,  dass  er  dies  gethan. 
Aber  mit  dieser  Thatsache  werde  doch  Nichts  bewiesen.  Die 
gegenwärtige  Heiligkeit  St.  Bernhards  sei  freilich  über  alle 
Zweifel  erhaben,  aber,  als  er  den  betreffenden  Brief  schrieb, 
sei  er  doch  noch  kein  Heiliger  gewesen,  sondern  nur  ein 
Mensch  und  als  solcher  menschlichen  Leidenschaften  unter- 
worfen; möglich  also  sei  es,  dass  er  aus  irgend  einem  Grunde 
den  Römern  zürnte  und,  beeinflusst  von  diesem  Zorne,  über 
sie  urtheilte.  Das  sei  um  so  denkbarer,  als  die  Neigung  zum 
Zorn  ein  Nationalcharakterzug  der  Gallier  sei.  Dem  Tadel 
des  heiligen  Bernhard  könne  man  übrigens  die  Lobeserhebungen 
entgegen  stellen,  welche  Ambrosius  im  Proömium  seiner  Epistel 
an  die  Römer  und  Hieronymus  im  zweiten  Buche  seines 
Commentars  zu  dem  Galaterb riefe  den  Römern  spendeten. 

Wenn  der  x4nonymus  den  Römern  Treulosigkeit  und 
Leichtsinn  vorwerfe,  so  werde  durch  die  Geschichte  gerade 
ihre  Treue  und  Bedächtigkeit  bezeugt,  und  selbst  Feinde,  wie 
Kineas  und  Pyrrhus,  hätten  der  Tugend  der  Römer  ihre  An- 
erkennung nicht  versagt  Ferner  wärme  der  Anonymus  den 
Vorwurf  ^yieder  auf,  den  einst  der  heilige  Bernhard  den 
Römern  gemacht,  dass  sie  grosssprecherisch  und  doch  dabei 
kleinlich  seien.  Das  Erstere  aber  sei  nie  eine  Eigenschaft 
der  mehr  auf  Thaten  als  auf  Worte  bedachten  Römer,  sondern 
nur  der  Griechen  und  Gallier  gewesen,  das  Letztere  aber  sei 
augenscheinlich  unwahr,  denn  nirgends  habe  eine  höhere  Gross- 
artigkeit sich  entfaltet  als  in  Rom.  Weiter  tadele  der  Ver- 
fasser der  Livective  an  den  Römern,  dass  sie  unfähig  zum 
Frieden  und  nur  immer  nach  Krieg  begierig  gewesen  seien. 
Diese  Behauptung  lasse  sich  freilich  nicht  widerlegen ,  denn 
die  ganze  Geschichte  von  Numa  ab  bis  zu  Cäsar  hinauf  (sie!) 
bestätige  sie.  Aber  alle  ihre  Kriege  führten  die  Römer  mit 
Gerechtigkeit   und   überhaupt  entfalteten  sie  in   ihren  steten 


394  Siebentes  Capitel. 

Kämpfen  so  heiTliclie  Tugenden,  dass  ihre  Geschichte  zugleich 
eine  ununterbrochene  Verherrlichung  ihres  Namens  sei.  End- 
lich auch  mache  der  Anonymus  den  Römern  Unverschämtheit 
in  ihren  Forderungen  und  Undankbarkeit  für  empfangene 
Dienste  zum  Vorwurfe.  Die  erste  Beschuldigung  sei  leicht  zu 
widerlegen:  bezeugen  doch  zahlreiche  und  glänzende,  von 
Livius  erzählte  Thatsachen  die  Uneigennützigkeit  der  Fiömer. 
Ganz  ähnlich  verhalte  es  sich  auch  mit  der  zweiten  Anklage, 
wenn  auch  allerdings  einzelne  Fälle  von  Undank  nicht  ab- 
zuleugnen seien.  Wende  man  nun  etwa  gegen  die  sittliche 
Tüchtigkeit  der  Römer  ein,  dass  in  Rom  immer  nur  einzelne 
Männer  Beispiele  hervorragender  Tugenden  gegeben  haben, 
so  sei  dies  freilich  richtig,  aber  dasselbe  sei,  und  zwar  in  weit 
ungünstigerem  Verhältnisse,  überall  der  Fall.  Ueberdies  dürfe 
man  auch  hier  nicht  vergessen,  dass  Rom  die  Mutterstadt  der 
römischen  Gesetzgebung  und  die  Welthauptstadt  sei,  wie  es 
der  Jurist  Salvius  Julianus  genannt  habe. 

Aber  der  Anonymus,  der  sich  gleichzeitig  im  Besitze  eines 
Hahnenkammes  ^j  und  einer  Gänsezunge  befindet,  wird  gegen 
dies  Alles  den  Einwand  erheben:  „die  Zeiten  und  die  Menschen 
haben  sich  geändert !"  Freilich  ändere  sich  Alles  mit  der  Zeit 
und  man  empfinde  das  in  der  verkommenen  Gegenwart  nur 
gar  zu  deutlich.  Aber  dennoch  seien  auch  jetzt  noch  die 
Römer  tüchtige  Männer  und,  wenn  sie  freundlich  und  nicht 
tyrannisch  behandelt  würden,  so  könne  man  sehr  angenehm 
mit  ihnen  verkehren.  Nur  in  einem  Punkte  verständen  sie 
keinen  Scherz :  sie  Hessen  sich  ihre  Weiber  nicht  so  leicht  ent- 
reissen  wie  die  Bewolmer  des  Jemsalems  an  der  Rhone.  — 
Sehr  mit  Unrecht  beschuldige  man  die  Römer  der  Gewinn- 
sucht: gebe  es  doch  in  keiner  grossen  Stadt  verhältnissmässig 
so  wenig  Kaufleute  wie  in  Rom.  Gewiss  würde  selbst  auch 
der  Anonymus  nicht  so  hart  über  die  Römer  urtheilen,  wenn 
er  nicht  von  einem  ererbten  Hasse  gegen  sie  beseelt  wäre. 


^)  In  der  ganzen  Schrift  wird  von  dem  wohlfeilen  Wortspiele  zwischen 
gallus  (Hahn)  und  Gallus  (Franzose)  ein  ausgiebiger  und  wenig  geistvoller 
Gebrauch  gemacht. 


Die  Jahi-e  des  Alters.  395 

Der  Anonymus  wolle  nicht  begreifen,  dass  zu  Avignon 
die  Kirche  sich  im  Exile  befinde.  Aber  Südgallien  diente  doch 
schon  im  Alterthume  als  Verbannungsort!  So  seien  Archelaus, 
des  Herodes  Sohn,  und  Herodes  Antipater  nach  Vienue,  ein 
anderer  Herodes  und  Pilatus  nach  Lyon  verbannt  worden. 

Petrarca  bestreitet,  behauptet  zu  haben  —  wie  der  Gegner 
es  ihm  unterschiebe  —  dass  es  in  Gallien  keine  Gelehrten 
gebe,  er  habe  vielmehr  nur  behauptet,  dass  von  den  vier  grossen 
„Lehrern  der  Kirche  (doctores  eeclesiae)"  keiner  Gallien  an- 
gehört habe.  In  seinem  Eifer,  möglichst  viele  gallische  Ge- 
lehrte aufzuzählen,  habe  aber  der  Anonymus  nicht  nur  einige 
ganz  obscure  Leute  mitgenannt,  sondern  auch  den  Sachsen 
Hugo  von  St.  Victor  für  Gallien  annectirt.  Wenn  er  aber 
die  Universität  Paris  so  hoch  rühme,  so  sei  dabei  doch  zu  be- 
denken, dass  die  berühmtesten  Lehrer  an  derselben  sämmtlich 
Ausländer  gewesen  seien  und  zwar  zum  grossen  Theile  Italiener, 
so  z.  B.  Aegidius  Colonna,  Petrus  Lombardus,  Thomas  von 
Aquino,  Bonaventura  de  Balneo  Regio  ^).  Die  Gallier  seien 
von  Natur  ungelehrig,  wie  schon  Hilarius  erklärt  und  später 
auch  Hieronymus  bezeugt  habe. 

Sein  Gegner  rühme  ferner  die  grosse  Volksmenge  der 
Gallier.  Das  möge  immerhin  wahr  sein,  aber  auch  die  Mücken 
und  andere  unedle  Thiere  seien  zahlreich.  Eben  so  wenig  sei 
es  für  die  Gallier  ein  Buhm,  im  Alterthume  morgenländischen 
Fürsten  als  Söldner  gedient  zu  haben.  Zeitweilig  hätten  die 
Gallier  allerdings  in  Italien  und  Giiechenland  weite  Land- 
striche vßrheert  und  erobert,  aber  aus  beiden  Ländern  seien 
sie  bald  wieder  schimpflich  vertrieben,  wenn  nicht  vorher  aus- 
gerottet worden. 


^)  Es  ist  jedenfalls  der  im  Jahre  1482  heilig  gesprochene  Bonaventura 
(Johannes  Fidanza)  geb.  1221  zu  Bagnarea  gemeint,  welcher  im  Jahre  12-31 
mit  Thomas  von  Aquino  die  theologische  Doctorwürde  erlangte.  Ein 
anderer  Bonaventura,  mit  dem  Beinamen  Baduarius,  geb.  1332  zu  Padua, 
lehrte  in  den  fünfziger  Jahren  an  der  pariser  Hochschule;  er  war  mit  Pe- 
trarca befi-eundet  und  hat  auch  dessen  Leichenrede  gehalten.  Vgl.  Budinszky, 
die  Universität  Paris  etc.  p.  184  f. 


396  Siebentes  Capitel. 

Wenn  der  Anonymus  die  Blüthe  der  Stadt  Massilia  zum 
Ruhme  Galliens  ausbeuten  wolle,  so  schlage  er  damit  sich 
selbst,  denn  die  Geschichtsschreiber  berichten  ausdrücklieh, 
dass  die  griechischen  Colonisten  in  Gallien  ein  rohes  und 
barbarisches  Volk  vorfanden. 

Nun  kommt  Petrarca  auf  die  litterarischen  Fragen  zu 
sprechen,  welche  der  Verfasser  der  Invective  bezüglich  der 
Nationalität  einzelner  lateinischer  Dichter  und  der  zwischen 
römischer  und  lateinischer  Litteratur  bestehenden  Differenz 
angeregt  hatte. 

Wenn  der  Anonymus  den  Dichter  Claudian  aus  Vienne 
stammen  lasse,  so  verwechsle  er  ihn  offenbar  mit  dem  Pres- 
l)yter  Claudian,  welcher  aber  freilich  auch  nicht  aus  Vienne, 
sondern  aus  Lyon  gebürtig  sei^).  Woher  der  Dichter  Claudian 
aber  stamme,  das  wolle  er  (Petrarca)  nicht  sagen,  um  sich 
nicht  den  Anschein  zu  geben,  als  beabsichtige  'er,  sein  ohnehin 
schon  ruhmreiches  Vaterland  durch  die  Hinzuzählung  eines 
Dichters  zu  bereichern  ^).  Statins  sei  allerdings  seiner  Ab- 
stammung nach  ein  Gallier  gewesen  ^) ,  seiner  Sprache  nach 
aber  ein  Römer,  ebenso  wie  der  Spanier  Lucan.  —  Die  Unter- 
scheidung zwischen  römischer  und  lateinischer  Litteratur, 
welche  der  Anonymus  zu  machen  beliebe,  habe  keinen  Sinn, 
denn  auch  die  Römer  seien  Lateiner  gewesen.  (Man  bemerke, 
wie  sophistisch  Petrarca  hier  verfährt!) 

Was  solle  denn  ferner  die  Frage  des  Anonymus  bedeuten ; 
„hat  Cicero  etwa  (wie  Aristoteles)  Physika  oder  Varro  Meta- 
physika  geschrieben?",  womit  er  die  Inferiorität  der  Römer 
andeuten  wolle?  Sei  denn  Aristoteles  etwa  ein  Gallier  gewesen? 


^)  Nichtsdestoweniger  darf  Glaudianus  Mamertus  recht  füglich  als 
Viennensis  bezeichnet  werden,  da  er  Presbyter  der  Kirche  von  Vienne 
war  und  als  solcher  vorzugsweise  wirkte,  vgl.  Gennadius,  vir.  ill.  c.  83  b. 
Teuffei,  Gesch.  der  röm.  Lit.  3.  Ausg.  §.  468,  3.,  Ebert,  Gesch.  der  christl.- 
lat.  Lit.  (Leipzig,  1874),  p.  450. 

-)  Es  scheint,  als  ob  Petrarca  nicht  gewusst  habe,  dass  der  Dichter 
Claudian  aus  Aiexandria  gebürtig  war. 

■")  Ein  auffallender  Irrthum !  Statius  stammte  bekanntlich  aus  Neapel, 
vgl.  Teuffei,  a.  a.  0.  §.  321. 


Die  Jahre  des  Alters.  397 

Zu  einem  Spanier  wenigstens  habe  ihn  ein  Mönehlein  in  einem 
grammatischen,  „Prosodion"  betitelten  Schriftchen  schon  ein- 
mal machen  wollen.  Allerdings  habe  Cicero  keine  Physika 
verfasst,  aber  dafür  andere  und  nicht  minder  gute  Bücher, 
z.  B.  de  ofiiciis,  de  legibus,  de  re  militari,  de  re  familiari,  de 
laude  philosophiae  ^),  welche  ebenfalls  moralphilosophischen 
Inhaltes  und  von  grösserer  Eindringlichkeit  seien  als  des 
Aristoteles  gelehrte,  aber  trockene  Schriften,  Auch  Seneca 
dürfe  als  Moral philosoph  dem  Stagiriten  an  die  Seite  gestellt 
werden.  Varro  aber  habe  25  Bücher  über  die  menschlichen 
und  16  Bücher  über  die  göttlichen  Dinge  geschrieben  2). 

Nach  dieser  Erörterung,  welche  entschieden  den  weitaus 
schwächsten  und  anfechtbarsten  Theil  der  ganzen  Schrift  bildet, 
widerlegt  Petrarca  noch  einige  von  dem  Anonymus  zu  Gunsten 
Galliens  und  zu  Ungunsten  Italiens   vorgebrachte  Argumente. 

Nicht  geleugnet  könne  es  werden,  dass  viele  italienische 
Städte  von  Fremden  gegründet  worden  seien,  aber  anderer- 
seits hätten  auch  die  Italer  viele  Städte  ausserhalb  Italiens 
gegründet,  so  in  Germanien,  Gallien  und  Hispanien;  selbst 
Troja .  Roms  Mutterstadt,  sei  die  Gründung  des  Italers  Dar- 
danus  gewesen.  Richtig  möge  es  auch  sein,  dass  die  Massi- 
lioten  nach  der  Eroberung  Roms  durch  die  Gallier  den  Römern 
Geld  geschickt  haben,  aber  nicht  durch  dieses  Gold  seien  die 
Römer  errettet  worden,  sondern  durch  das  Schwert  —  das  be- 
zeuge Livius.  —  Dass  es  in  Rom  viele  Bösewichte  gegeben 
habe,  stehe  ausser  Zweifel,  aber  kommen  nicht  überall  tausend 
böse  Menschen  auf  einen  guten?  Ebenso  sei  es  zweifellos, 
dass  die  Römer  oft  undankbar  gegen  ausgezeichnete  Mitbürger 
gehandelt  haben,  abei-  Dankbarkeit  sei  überall  nur  die  Tugend 
Weniger.  Allerdings  sei  ein  solclres  Scheusal  wie  Catilina  ein 
Römer  gewesen,    aber  er  war  doch  wenigstens  grossartig  und 


*)  Bemerkungen  über  diese  seltsamen  Titel  mögen  dem  achten  Capitel 
dieses  Buches  vorbehalten  bleiben. 

"-)  Es  sind  natürlich  die  41  antiquitatum  libri  gemeint.  Die  betreffende 
Kenntniss  hat  Petrarca  jedenfalls  nur  aus  Augustin.  de  civ.  Dei  VI  3 
geschöpft. 


398  Siebentes  Capitel. 

heldenhaft  in  seinem  Verb  rech  evthume  —  Gallien  dagegen 
sei  unvermögend,  selbst  auch  nur  einen  grossen  Bösewicht  zu 
erzeugen,  es  sei  das  Land  der  im  Guten  wie  im  Bösen  schwäch- 
lichen Charaktere.  Und  neben  dem  Frevler  Catilina  lebten 
ja  in  Rom  so  ausgezeichnete  Männer  wie  Cato,  Cicero,  Pom- 
pejus  u.  A. !  Wenn  in  dem  grossen  Rom  die  beiden  von 
Juvenal  genannten  Kuppler  Arcturius  und  Catulusihr  schmutziges 
Gewerbe  trieben,  was  solle  das  weiter  für  die  Sittenlosigkeit 
der  Stadt  beweisen,  da  doch  in  dem  kleinen  Avignon  elf  solcher 
Menschen  existiren? 

Der  Anonymus  werfe  den  Italienern  vor,  dass  sie  die 
Herrschaft  der  Tyrannen  ertrügen,  aber  erfreue  sich  denn  irgend 
ein  Land  auf  dem  Erdkreise  der  Freiheit?  Wie  unsäglich 
thöricht  sei  ferner  des  Invectivenschreibers  Behauptung,  dass 
in  Mailand  eine  Reiterstatue  wie  ein  Götzenbild  auf  dem  Altare 
sich  befinde !  Nicht  auf,  sondern  neben  dem  Altare  stehe  diese 
Bildsäule,  dagegen  seien  in  Paris  die  Chöre  berühmter  Kirchen 
so  angefüllt  mit  Büsten  von  Männern  und  Frauen,  dass  kaum 
noch  ein  Durchgang  übrig  bleibe. 

Der  Anonymus  in  seiner  Thorheit  begehe  auch  die  Ab- 
surdität, des  älteren  Brutus  That  als  grausam  zu  bezeichnen 
und  den  Römern  den  Raub  der  Sabinerinnen  vorzuwerfen. 
Aber,  was  Brutus  gethan,  sei  nach  allgemeinem  Urtheile  be- 
wundernswerth  —  des  Orosius  absprechendes  ürtheil  könne, 
weil  von  einem  einseitig  christlichen  Standpunkte  aus  gefällt, 
hier  nicht  in  Betracht  kommen  —  der  Raub  der  Sabinerinnen 
jedoch  lasse  sich  als  eine  Handlung  der  Nothwendigkeit  ent- 
schuldigen. Romulus  möge  immerhin  ein  wilder  Mann  gewesen 
sein,  zur  Gründung  eines  Staates  bedurfte  es  gerade  eines 
solchen. 

Endlich  sticht  Petrarca  recht  schulmeisterhaft  kleinlich 
seinem  Gegner  noch  zwei  Fehler  auf:  die  Worte  des  Lucan 
„humanum  paucis  vivit  genus"  habe  er  falsch  erklärt,  indem 
er  , .paucis",  welches  Dativ  sei,  als  Ablativ  fasse,  und  ferner 
lasse  er  den  Numitor  statt  des  Amulius  von  seinem  Keifen 
getödtet  werden. 


Die  Jahre  des  Alters.  '399 

Am  Schlüsse  wendet  sich  Petrarca  wieder  an  seinen  Freund 
Ugiiccione  di  Tiene,  dem  er  die  Schrift  zugeeignet,  erklärt 
ihm,  dass  er  jederzeit  unbekümmert  um  persönliche  Rück- 
sichten und  um  den  Hass,  den  er  sich  etwa  zuziehen  könne, 
die  Wahrheit  vertheidigt  habe  und  auch  fernerhin  vertheidigen 
werde,  und  bittet  ihn,  diese  Apologie  zur  Kenntniss  des 
Anonymus,  gegen  den  sie  gerichtet,  bringen  zu  wollen,  -r- 
Datirt  ist  das  Werkchen  „Padua,  d.  1.  März"  (wahrscheinlich 
des  Jahres  1372,  vergl.  oben  S.  388  Anm.  i). 

Der  Eindruck,  welchen  man  von  dieser  ziemlich  umfang- 
reichen (20  Folioseiten  umfassenden)  Schrift  bei  objectiver  Be- 
trachtung gewinnt,  ist  durchaus  kein  vortheilhafter  und  nur,  soweit 
sie  eben  gegen  das  Verbleiben  der  Curie  in  Avignon  gerichtet  ist, 
wird  man  ihren  Inhalt  rückhaltslos  billigen  können.  Sonst  ist 
sie  eben  kein  glänzendes  Zeugniss  für  den  Charakter  und  auch 
nicht  einmal  für  die  Gelehrsamkeit  ihres  Verfassers.  Man  er- 
kennt, wie  Petrarca  sich  nicht  scheut,  mit  giftigen  und  unehr- 
lichen Waffen  zu  streiten,  wenn  es  der  Bekämpfung  eines  seinen 
Kimbus  antastenden  Gegners  gilt;  man  erkennt  auch,  wie  er 
sich  bestrebt,  über  den  eigentlichen  Kernpunkt  der  Streitfragen 
hinwegzugleiten  und  den  Krieg  auf  nebensächliche  Gebiete  zu 
spielen,  wo  dann  kleine  Versehen  des  Gegners  zu  Capital- 
verbrechen  der  Unwissenheit  aufgebauscht  werden;  man  er- 
kennt endlich  —  und  das  ist  entschieden  das  Wichtigste  — 
wie  beschränkt  und  einseitig  Petrarca's  Humanismus  in  doppelter 
Beziehung  war.  Einmal  vermag  er  gar  nicht  zu  einer  objectiven 
Betrachtung  und  Erkenntniss  der  Geschichte  zu  gelangen  und 
ist  ganz  unfähig,  eine  Scheidung  der  Perioden  vorzunehmen: 
Alterthum  und  Neuzeit  vermischen  sieh  für  ihn  zu  einem 
Ganzen,  die  Neuzeit  ist  nur  eine  Fortsetzung  des  Alterthums, 
gleichsam  ein  degenerirtes  Alterthum,  welches  nun  Mieder  voll 
regenerirt  werden  soll,  das  Dazwischenliegen  des  Mittelalters 
wird  dabei  völlig  ignorirt,  die  Existenz  der  doch  so  eigenartigen 
und  alle  Verhältnisse  umfassenden  mittelalterlichen  Cultur 
wird  gar  nicht  beachtet.  Am  schroffsten  tritt  diese  einseitige 
Auffassung  in  Bezug  auf  Rom  hervor:  für  den  Humanisten  ist 


40(>  Siebentes  Capitel. 

die  Siebenhügelstadt  trotz  aller  Wandelungen,  die  sie  seit 
Cicero's  oder  auch  nur  seit  Trajans  Zeiten  erlitten  und  durch 
welche  sie,  ganz  abgesehen  von  der  äusseren  Form,  ihr  innerstes 
Wesen  verändert  hatte,  immer  noch  die  alte  weltbeherrschende 
und  zur  Weltherrschaft  berechtigte  Stadt  und  ihre  Bürger  sind 
die  unzweifelhaft  echten  und  rechten  Nachkommen  und  Erben 
der  alten  Römer.  Nur  die  Eömer  und  mit  ihnen  allenfalls 
auch  die  übrigen  Italiener  sind  wirkliche,  höherer  Bildung 
wahrhaft  fähige  und  daher  allein  zur  Herrschaft  benifene  Voll- 
menschen,  die  übrigen  Völker  aber  sind  ihnen  gegenübei- 
nur  Barbaren,  die  von  Rechtswegen  dem  römischen  Joche  sich 
als  Sklaven  beugen  und  ob  dieses  Schicksales  sich  noch  glück- 
lich preisen  müssen.  Das  Naivste  bei  dieser  ganzen  Anschau- 
ungsweise ist,  dass  der  Humanist  gar  nicht  bemerkt,  wie  er 
damit  in  Wahrheit  einem  Gefühle  huldigt,  das  mit  der 
antiken  Anschauungsweise,  welche  er  doch  zu  reproduciren 
vermeint,  im  grellsten  Widerspruche  steht:  es  ist  das  italienische 
Nationalitätsbewusstsein ,  dem  er  Ausdruck  verleiht,  ein 
Gefühl,  welches  der  Römer  des  Alterthums  nicht  kennen  konnte 
noch  wollte.  Der  Italiener  Petrarca  bekämpft  den  Fran- 
zosen, der  die  Invective  gesehrieben.  Der  Humanismus  zeigt 
sich  national  beschränkt,  er  ist  nicht  kosmopolitisch.  Und  in 
der  That  ist  kaum  durch  irgend  e'twas  Anderes  die  Scheidung 
der  westeuropäischen  Völker  in  scharf  abgegrenzte  und  ein- 
ander feindlich  gegenüberstehende  Nationen  mehr  befördert 
worden,  als  durch  den  Humanismus  und  überhaupt  durch  die 
Renaissance,  wie  wir  zu  beobachten  noch  häufige  Gelegenheit 
finden  werden.  Es  ist  dies  ein  merkwürdiger  Rückschlag  der 
Weltgeschichte.  Einst  hatte  im  Alterthume  Rom  alle  die 
Nationalitäten,  welche  in  den  Bereich  seiner  Weltherrschaft 
und  seines  Cultureinflusses  gezogen  wurden,  innerlich  zerstört 
und  zu  einer,  wenigstens  dem  äusseren  Anscheine  nach,  gleich- 
artigen Menschheitsmasse  verschmolzen,  hatte  einen  gewaltigen 
Amälgamirungsprocess  zwischen  allen  das  Mittelmeer  um- 
wohnenden Völkern  bis  tief  in  das  Binnenland  hinein  mehr 
oder  weniger  nachhaltig  vollzogen.     Die  im  Humanismus  und 


I 


Die  Jahre  des  Alters.  401 

der  Renaissance  versuchte  Wiederbelebung-  des  Alterthums  da- 
gegen übte  die  entgegengesetzte  Wirkung  aus :  sie  zerstörte 
die  Einheit,  welche  während  des  Mittelalters  die  auf  dem 
Boden  des  altrömischen  Imperiums  —  soweit  derselbe  nicht 
im  Besitze  der  Byzantiner  und  der  Muselmanen  sich  befand  — 
und  in  dessen  Grenzländern  wohnenden  Völker  wenigstens  im 
Ganzen  und  Grossen  verbunden  hatte,  und  schied  aus  den- 
selben die  Sonderexistenzen  der  Nationalitäten  aus.  Die  Re- 
naissance zeigte  eben  auch  in  Bezug  auf  das  Völkerleben,  wie 
in  ihrem  Wirken  auf  die  einzelnen  Menschen,  die  Tendenz 
nach  Individualisirung.  Individuen  und  Völker  waren  selbst- 
verständlich auch  im  Mittelalter  vorhanden  gewesen,  aber 
gleichsam  nur  latent  und  ihres  Sonderdaseins  sich  nicht  be- 
wusst,  die  Renaissance  erst  gab  ihnen,  indem  sie  ihrem 
ganzen  Denken  eine  aus  den  gewohnten  Gleisen  heraustretende 
freie  Richtung  verlieh  und  die  bis  dahin  bestandene  Autorität 
des  Glaubens  vernichtete,  das  Bewusstsein  ihrer  Individualität 
und  damit  zugleich  das  Streben,  dieselbe  auch  äusserlich  zum 
Ausdruck  und  zur  Geltung  zu  bringen.  — 

Die  zweite  Einseitigkeit  in  Petrarca's  humanistischer  Denk- 
weise, welche  wir  aus  der  Apologie  zu  erkennen  vermögen, 
ist  die  Unterschätzung  des  Werthes  der  griechischen  Litteratur, 
denn  wir  sehen,  wie  er  ohne  alles  Bedenken  den  eklektischen 
und  im  letzten  Grunde  doch  seichten  Philosophen  Cicero  neben 
und  selbst  noch  über  den  originalen  Denker  Aristoteles  stellt. 
Auch  diese  Einseitigkeit,  welche  bei  Petrarca  freilich  sich  aus 
und  mit  seiner  Unkenntniss  des  Griechischen  erklären  und 
entschuldigen  lässt,  blieb,  selbst  als  die  Kenntniss  des 
Griechischen  sich  in  weiteren  Kreisen  verbreitet  hatte,  dem 
Humanismus  mehr  oder  weniger  immer  anhaften  ^).  Die  latei- 
nische Litteratur  und  die  römische  Kunst  wurden  und  blieben 
die  eigentliche  Basis  des  Baues  der  Renaissancel)ildung,  grie- 
chische Elemente  wurden  ihm  erst  nachträglich  und  nur  aussei^ 


^)  vgl.  J.  Burckhardt,   Cultur   der   Renaissance,   3.  Aufl.  besorgt  von 
L.  Geiger  (Leipzig,  1877),  S.  240,  Anm.  4  (S.  322). 

Körting,   Petrarca.  26 


402  Siebentes  Capitel 

lieh  eingefügt,  mehr  als  decorativer  Schmuck,  denn  als  das 
innere  Wesen  beeinflussender  Bestandtheil.  Und  dabei  hat  es 
ja  auch  in  der  Folgezeit  sein  Bewenden  gehabt  und  noch  wir 
in  unserer  Gegenwart  betrachten  das  Lateinische,  nicht  das 
Griechische,  als  die  eigentliche  Grundlage  jeder  höheren  Bil- 
dung —  eine  Verkehrtheit,  welche  sich  in  unserer  Cultur- 
entwickelung  schon  schwer  bestraft  hat  und  noch  bestrafen 
wird^). 

Wir  sind  bei  der  Erzählung  der  litterarischen  Fehde  über 
den  Sitz  der  Curie  bereits  über  die  Jahre  des  Aufenthaltes 
Petrarca's  in  Venedig  hinausgeeilt  jand  müssen  daher  in  Kürze 
zu  demselben  zuriickkehren. 

Schon  aus  dem,  was  im  Vorhergehenden  dargelegt  worden 
ist ,  lässt  sich  ersehen ,  wie  Petrarca  auch  in  Venedig  eifrig 
humanistischen  Studien  und  litterarischem  Schaffen  sich  hingab, 
trotzdem  dass  ihm  jetzt  seine  Jahre  wol  ein  Recht  zu  behag- 
lichem Ausnihen  verliehen  hätten.  Das  Bedüriniss  aber  nach 
Ruhe  kannte  er  nicht,  derselbe  Feuereifer,  der  ihn  in  der 
Jugend  bei  seinen  Studien  beseelt  hatte,  blieb  ihm  auch  im 
Alter  eigen.  Die  BegTiffe  des  Lebens  und  Schreibens  waren 
für  ihn  identisch  und  er  glaubte  in  allem  Ernste,  dass  er 
sterben  müsste,  wenn  er  zu  studiren  aufhörte  ^).  Er  verjüngte 
sich  im  Studium  und  bewahrte  sich  immer  die  geistige  Frische, 
selbst  dann,  als  er  bereits  leiblich  geschwächt  war  und  der 
nahen  Auflösung  entgegensehen  musste  ^).  Wenn  irgend  wo. 
so  musste  übrigens  in  Venedig  das  litterarische  Arbeiten 
leicht  und  behaglich  sein,  denn  kaum  gab  es  damals  eine 
Stadt,  in  welcher  so  viel  geistige  Anregung  geboten  worden 
wäre,  wie  gerade  dort.  Abgesehen  davon,  dass  eine  gi'osse 
Anzahl  geistig  gebildeter  und  strebender  Männer  ihren  blei- 
benden Wohnsitz  in  Venedig  hatte,  wurde  die  Lagunenstadt 
in  Folge  ihrer  zwischen  dem  Morgen-  und  Abendlande  centralen 


^)  vgl.  oben  S.  158  f. 

";  Ep.  Sen.  XVI  (XVII)  2,  vgl.  Ep.  Farn,   praef.:   „scribendi  mihi  vi- 
vendique  unus  finis  erit." 

3j  Ep.  Sen,  XIV  5  (b.  Fracassetti  XV  4)  u.  XVI  (b.  Fracassetti  XVII)  1. 


Die  Jahre  des  Alters.  403 

Lage  und  ihrer  maritimen  Verbindungen  von  Durchreisenden 
viel  besucht.  Petrarca  kam  oft  genug  in  die  Lage,  liebe  Gäste 
in  seinem  Hause  bewirthen  zu  können,  kein  Besuch  aber  wird 
ihn  mehr  erfreut  haben,  als  derjenige  seines  Freundes  und 
geistigen  Bruders  Boccaccio,  der  im  Jahre  1363  zu  ihm  kam 
und  drei  Monate  bei  ihm  verweilte  ^).  Mit  Boccaccio  war  zu- 
gleich der  Gneche  Leonzio  Pilato  nach  Venedig  gekommen, 
über  dessen  nicht  unwichtige  Beziehungen  zu  Petrarca  wir 
demnächst  zu  sprechen  haben  werden.  Welche  anregende  Ge- 
spräche mögen  damals  der  Dichter  des  „Canzoniere"  und  der 
Verfasser  des  „Decamerone",  der  Vater  des  Humanismus  und 
sein  ihm  geistig  ebenbürtiger  Schüler  geführt  haben!  Die 
Geschichte  weist  wenige  so  erfreuende  Bilder  auf,  wie  dies  des  in 
Eintracht,  herzlicher  Liebe  und  gegenseitiger  Verehrung  ver- 
bundenen Freundespaares  Petrarca  und  Boccaccio.  Selten  halien 
zwei  einander  geistig  annähernd  gleichstehende  und  denselben 
Zielen  zustrebende  Männer  so  neidlos  mit  einander  verkehrt, 
wie  diese  Beiden.  Boccaccio  gestand  willig  dem  älteren  Freunde 
die  Ueberlegenheit  im  wissenschaftlichen  und  dichterischen 
Schaffen  zu,  Petrarca  aber  erkannte  gern  Boccaccio  als  hoch 
befähigten  Dichter  an  und  wollte  ihm  sogar  den  Platz  un- 
mittelbar nach  Dante  zugestehen,  sich  selbst  mit  dem  dritten 
begnügend 2).  Es  ist  demnach  begreiflich,  dass  Petrarca  ein 
dauerndes  Zusammenleben  mit  Boccaccio  wünschte  und  ihn 
dringend  zur  Uebersiedelung  nach  Venedig  einlud,  namentlich 
als  die  Pest  abermals  Florenz  furchtbar  heimsuchte  3).  — 

Ebensowenig  wie  seinem  Arbeitsdrange  vermochte  Pe- 
trarca in  Venedig  auch,  trotz  seines  vorgerückteren  Alters, 
der  ihm  angeborenen  Reiselust  zu  widerstehen.  Es  war  ihm 
unmöglich,    ruhig  an   einem   Orte  zu  verharren.     Nicht  nur, 


0  Ep.  Sen.  III  1.  V  6. 

-)  Ep.  Sen.  V  2.  —  Weiteres  über  Boccaccio's  Beziehungen  zu  Pe- 
trarca zu  sagen,  behalten  wir  uns  für  einen  späteren,  Boccaccio  zu  wid- 
menden Theil  unseres  Werkes  vor.  Man  vergleiche  übrigens  die  hübsche 
Skizze,  welche  Landau  a.  a.  0.  p.  111  ff.  gegeben  hat. 

")  Ep.  Seu.  I  5.  III  1. 

26* 


404  Siebentes  Capitel. 

dass  er  von  Venedig  häufig  nach  dem  nahen  Padua  sich  begabt 
wohin  ihn  ja  zeitweilig,  namentlich  zur  Osterzeit,  die  Pflichten 
seines  Amtes  riefen,  auch  weitere  Ausflüge  wurden  noch  von 
ihm  unternommen.  Die  Sommer  verbrachte  er  meist  als  Gast 
Galeazzo's  Visconti  in  dem  lieblich  gelegenen  und  gesunden 
Pavia^),  wo  sich  der  mailändische  Tyrann,  nachdem  er  die 
Stadt  wieder  gewonnen,  einen  prachtvollen  Palast  hatte  er- 
bauen lassen.  Im  Jahre  1364  reiste  er  auch  einmal  nach  Bo- 
logna, um  den  dort  weilenden  Cardinallegaten  Androino  de  la 
Roche  zu  begrüssen  ^).  — 

So  angenehm  und  behaglich  die  in  Venedig  verbrachten 
Jahre  auch  im  Allgemeinen  für  Petrarca  waren,  so  blieben  ihm 
während  derselben  doch  nicht  alle  Bekümmernisse,  Sorgen 
und  Verdriesslichkeiten  erspart.  Er  wurde  von  wiederholten 
Trauernachrichten  heimgesucht,  indem  gerade  in  dieser  Zeit 
der  Tod  eine  reiche  Ernte  unter  seinen  Freunden  hielt.  In 
einem  Jahre,  1363,  starben  an  der  immer  noch  wüthenden 
Pest  Lelio  in  Rom,  Francesco  Nelli  (Simonides)  in  Florenz  und 
Barbato  in  Salmo,  nachdem  ihnen  Azzo  di  Correggio  wahr- 
scheinlich schon  im  Jahre  vorher  im  Tode  vorangegangen  war. 

Von  den  Jugendfreunden  des  greisen  Dichters  war  nun 
fast  nur  noch  Philipp  von  Cabassoles,  der  frühere  Bischof  von 
Cavaillon,  am  Leben,  aber  auch  von  ihm  verbreitete  sich  im 
Jahre  1368  das  Gerücht,  dass  er  gestorben  sei,  doch  wurde 
es  glücklicherweise  bald  widerrufen.  So  musste  Petrarca  sich 
mehr  und  mehr  vereinsamt  fühlen  inmitten  einer  heran- 
gewachsenen neuen  Generation,  deren  Anschauungen  den  sei- 
nigen, namentlich  in,  Bezug  auf  religiöse  Dinge,  vielfach  schroff 
widersprachen. 

Aber  Petrarca  hatte  nicht  l^loss  den  Tod  vieler  seiner 
Freunde,  sondern  auch,  so  seltsam  dies  immerhin  klingen  mag, 
seinen  eigenen  Tod  oder,  genauer  gesprochen,  das  Gei-ücht  von 


^)  Ep.  SeD.  V  1.  Petrarca  gibt  in  diesem  Briefe  auch  eine  sehr  ein- 
gehende und  vielfach  interessante  Beschi'eibung  Pavia's  und  seiner  Um- 
gebung. 

■^  Ep.  Sen.  X  2. 


Die  Jahre  des  Alters.  405 

«einem  Tode  zu  l)eklagen.  Er  gehörte  zu  den  Leuten,  welche 
das  eigenthümliche  Schicksal  haben,  wiederholt  todt  gesagt  zu 
werden.  Zum  ersten  Male  war  ihm  dies  geschehen,  als  er  im 
Jahre  1343  von  Neapel  zurückkehrte.  Es  war  damals  die 
Kunde  von  seinem  Tode  in  so  bestimmter  Form  aufgetreten, 
dass  der  Dichter  Antonio  de'  Beceari  von  Ferrara  bereits  eine 
€anzone  auf  den  vermeintlich  Gestorbenen  verfasst  hatte,  welche 
•der  Todtgesagte  dann  ungesäumt  mit  dem  schönen  Sonette 
„quelle  pietose  rime,  in  ch'io  m'accorsi  \)"  beantwortete.  Seit- 
dem war  ihm,  wol  hauptsächlich  in  Folge  seines  häufigen  Orts- 
wechsels ,  Aehnliches  fast  alle  Jahre  begegnet  ^),  ohne  ihn  in- 
dessen sonderlich  zu  verstimmen  oder  zu  benachtheiligen.  Ver- 
driesslich  im  höchsten  Grade  wurde  aber  die  Sache  für  ihn, 
als  sie  sich  im  Jahre  1365  nochmals  wiederholte.  Das  Gerücht 
fand  nämlich  bei  der  Curie  in  Avignon  festen  Glauben,  und 
da  es  dort  nie  an  Stellenjägern  fehlte,  so  vertheilte  der  Papst 
unverzüglich  die  von  Petrarca  besessenen  geistlichen  Pfründen 
^n  darnach  lüsterne  Kleriker.  Selbstverständlich  wurden  nun  zwar, 
sobald  das  Gerücht  sich  als  trügerisch  erwies,  diese  Gaben  hiu- 
fällig,  soweit  sie  die  von  Peti-arca  factiseh  besessenen  Beneficien 
betrafen,  aber  immerhin  hatte  der  Dichter  den  Nachtheil,  dass 
ein  Canonicat  zu  Carpentras,  welches  ihm  vom  Papste 
schon  zugedacht  und  zugesagt ,  aber  noch  nicht  officiell  über- 
tragen worden  war,  ihm  nun ,  als  bereits  einem  Anderen  über- 
geben, nicht  mehr  verliehen  werden  konnte.  Diese  Einbusse, 
für  welche  er  auch  anderweitig  nicht  entschädigt  ward,  war 
für  Petrarca  um  so  empfindlicher,  als  seine  Vermögenslage 
keineswegs  eine  glänzende  war,  während  ihn  doch  mancherlei 
Verhältnisse  und  Pvücksichten  zur  P'ührung  eines  ziemlich  grossen 
und  kostspieligen  Haushaltes  nöthigten.  Er  besass  allerdings, 
wie  er  einmal  ausführlich  darlegt  3),  Einnahmen  genug,  um  für 


*)  Sonett  15  in  den  Rime  sopra  argomenti  storici  etc.  ed.  Carducci. 

2)  vgl.  über  diese  ganze  Sache  Ep.  Sen.  III  7  u.  IX  2. 

^)  Ep.  Var.  15.  Weitere,  mehr  oder  weniger  detaillirte  Nachrichten 
über  Petrarca's  Vermögensverhältnisse  findet  man:  Ep.  Fam.  III  14.  XIV 
4.  XVI  3.  XIX  17.  XX  8.    Var.  55. 


406  Siebentes  Capitel. 

seine  Person  sorgenfrei  und  angenehm  leben  zu  können,  da 
namentlich  die  Präbende  zu  Padua  eine  ziemlich  einträgliche 
war,  aber  er  musste,  um  bei  dem  damaligen  Büchermangel 
mit  Erfolg  litterarisch  thätig  sein  zu  können,  sich  immer  eine 
Anzahl  Abschreiber  halten,  er  musste  auch  mehrere  Diener 
und,  für  seine  häutigen  Reisen,  selbst  zwei  Pferde  halten,  er 
hatte  ferner  für  mehrere  dürftige  Freunde  zu  sorgen,  wol  auch 
seinen  Schwiegersohn,  der  nicht  eben  begütert  gewesen  zu 
sein  scheint,  zu  unterstützen,  und  häufige  und  zahlreiche  Gäste 
zu  bewirthen.  Dazu  kam,  dass  die  Einnahmen  aus  seinen 
Pfründen  zum  grossen  Theile  aus  Naturalien  bestanden,  deren 
Werth,  wenn  er  nicht  an  Ort  und  Stelle  sie  verzehren  konnte, 
sehr  veiTingert  werden  musste.  In  Padua  hatte  er  als  Cano- 
nicus  freie  Wohnung  aber  da  er  in  der  finsteren  Stadt  dau- 
ernd zu  verweilen  seiner  Naturanlage  nach  nicht  vermochte, 
so  war  sie  ihm  von  geringem  Nutzen.  So  war  er  denn  in 
seinen  alten  Tagen,  besonders,  da  er  sich  ein  kleines  Capital 
ansammeln  wollte,  um  der  heiligen  Jungfrau,  wie  er  gelobt, 
eine  Capelle  eriichten  zu  können  ^) ,  oft  genug  in  finanzieller 
Bedrängniss  und  sah  sich  genöthigt,  durch  Verraittelung  des 
ihm  befreundeten  apostolischen  Secretärs  Francesco  BiTini 
wiederholt  die  Unterstützung  des  Papstes  nachzusuchen,  fi-eilich 
ohne  den  gewünschten  Erfolg. 

Am  schmerzlichsten  aber  wurde  Petrarca  während  seines 
venetianischen  Aufenthaltes  von  dem  im  Folgenden  zu  erzäh- 
lenden Vorkommnisse  betroffen.  Wir  haben  wiederholt  schon. 
Gelegenheit  gehabt^)  und  werden  deren  noch  weitere  finden,^ 
zu  beobachten,  dass  Petrarca  ganz  nach  mittelalterlicher  Weise 
religiös  und  gut  katholisch-kirchlich  gesinnt  war,  ja  selbst  eine 
starke  Neigung  zur  Askese  besass,  so  dass  er  allen  kirch- 
lichen Pflichten  gewissenhaft  nachkam  und  namentlich  eifrig, 
auch  regelmässig  zu  bestimmten  Stunden  der  Nacht,  betete 
und  zu  den  gebotenen  Zeiten  streng  fastete  ^).    Mag  mau  hier- 


»)  Vit.  Sol.  II  10,  2.    Ep.  Var.  15. 

2)  vgl.  namentlich  oben  S.  205  ff. 

•'')  Ep.  Sen.  IX  2.  XII  1.,   vgl.   sonst  noch  z.  B.  Ep.  Fam.  X  3  u.  5. 


Die  Jahre  des  Alters.  407 

bei  auch  gern  eingestehen,  dass  diese  Frömmigkeit  zum  Theil 
nicht  das  Erzeugniss  einer  wirklich  festen  Ueberzeugung,  son- 
dern nur  einer  gewissen  Schwäche  und  eines  Hanges  zu  senti- 
mentaler Beschaulichkeit  war,  und  mag  man  ferner  auch  ein- 
räumen, dass  sie  von  Koketterie  und  Ostentation  keineswegs  frei 
und  also  nicht  so  tief  innerlich  war,  wie  es  wol  scheinen  könnte, 
so  ist  sie  doch  durchaus  nicht  etwa  für  eine  consequent  durch- 
geführte Heuchelei  zu  halten,  sondern  sie  muss  als  eine  im 
Wesentlichen  aufrichtige  und  wahre  anerkannt  werden.  Pe- 
trarca war  viel  zu  sehr  Gemüthsmensch,  als  dass  er  die  Kraft 
besessen  hätte,  des  Glaubens  zu  entbehren  oder  gar  demsel- 
bigen  feindlich  gegenüberzutreten.  Niemals  hat  er,  soviel  wir 
wissen,  an  den  Dogmen  seiner  Kirche  gezweifelt,  und  selbst 
die  Göttlichkeit  des  Papstthums  ist,  so  sehr  er  auch  dessen 
schmachvolle  Verweltlichung  zu  Avignon  beklagt  und  mit  den 
schärfsten  Worten  gerügt  hat,  doch  nie  von  ihm  auch  nur  ent- 
fernt in  Zweifel  gezogen  oder  gar  bestritten  worden.  Petrarca 
stand  eben  auf  einem  religiösen  Standpunkte,  welchen  man  in 
unseren  Tagen  als  orthodox,  wenn  nicht  als  ultramontan  be- 
zeichnen würde.  Allerdings  beschäftigte  er  sich  eifrig  mit 
Philosophie  und  hegte  Interesse  für  ihre  Probleme,  aber  diese 
Beschäftigung  war  nie  eine  systematische,  sondern  immer  nur 
eine,  wenn  auch  im  guten  Sinne,  dilettantische  und  eklektische, 
die,  um  so  zu  sagen,  nur  den  lieblichen  Schaum  des  philo- 
sophischen Wissens  abschöpfte  und  vor  einem  tieferen 
Eindringen  in  die  Bedingungen  des  Erkennens  zurück- 
scheute, namentlich  aber  jeden  Gedanken  daran,  dass  die  Er- 
kenntniss  des  Philosophen  mit  dem  Glauben  des  Christen  in 
Conflict  gerathen  könne,  vielleicht  gar  gerathen  müsse,  mit 
aller  Entschiedenheit  perhorrescirte.  Petrarca  selbst  hat  seinen 
philosophischen  Standpunkt  wiederholt  mit  wünschenswerthester 
Deutlichkeit  dargelegt  und  wir  halten  es  für  angezeigt,  einige 
der  betreffenden  Stellen  hier  wiederzugeben. 


Sen.  VIII  6.   de  remed.  utr.   fort.  11  1.    Ep.  poet.  lat.  II  19.,  namentlich 
aber  die  Schrift  de  otio  relig. 


408  '  Siebentes  Capitel. 

„Das  Wort  „Philosophie",  sagt  er  e'inmal  ^),  bedeutet  Liebe 
zur  Weisheit,  wenn  wir  es  übersetzen  wollen.  Wenn  nun  Gott, 
durch  welchen  Alles  erschaffen  worden  ist,  die  Weisheit  ist, 
wie  die  göttliche  Autorität  und  Wahrheit  es  dargethan  hat, 
so  ist  nur  derjenige,  welcher  Gott  liebt,  ein  wahrer  Philosoph, 
wozu  ich  noch  unbedenklich  hinzufügen  möchte,  dass  bei  uns, 
welche  wir  an  Christi  Göttlichkeit  glauben,  folgerichtig  und 
wahrheitsgemäss  geschlossen  werden  muss,  dass  nur  ein  wahrer 
Christ  ein  wahrer  Philosoph  sein  kann."  „Du  kennst  meine 
peripatetische  Gewohnheit  des  Umherschweifens",  bekennt  er 
ein  anderes  Mal  seinem  Freunde  Giovanni  Colonna  di  San  Vito  2), 
„sie  gefällt  mir  eben  und  sagt  meiner  Natur  und  meinem  Cha- 
rakter am  meisten  zu.  Von  den  Meinungen  der  Philosophen 
haben  einige  meinen  Beifall,  andere  wieder  gar  nicht.  Ich 
liebe  nicht  die  Secten,  sondern  die  Wahrheit.  Daher  bin  ich 
bald  Peripatetiker,  bald  Stoiker,  dazwischen  auch  einmal  Aka- 
demiker ;  oft  aber  gehöre  ich  keiner  von  allen  Philosophenschulen 
an,  so  oft  mir  nämlich  bei  ihnen  etwas  entgegentritt,  was  dem 
wahren  und  selig  machenden  Glauben  als  feindlich  oder  doch 
als  verdächtig  erscheint.  Denn  nur  dann  darf  man  die  Schulen 
der  Philosophen  lieben  und  ihnen  beistimmen,  wenn  sie  von 
der  Wahrheit  nicht  abirren,  wenn  sie  uns  von  unserem  wesent- 
lichsten Ziele  nicht  abwendig  machen.  Wo  sie  das  etwa  ver- 
suchen, so  mögen  sie,  mag  es  auch  Plato  oder  Aristoteles, 
Varro  oder  Cicero  sein,  ungescheut  allesammt  verachtet  und 
mit  Füssen  getreten  werden  (sie!).  Kein  Scharfsinn  der  Be- 
weisführung, keine  Anmuth  der  Sprache,  keine  Berühmtheit 
der  Namen  darf  uns  berücken:  sie  sind  allesammt  doch  nur 
Menschen  gewesen,  welche  allerdings,  soweit  es  durch  mensch- 
liches Forschen  geschehen  konnte,  gelehrt  waren,  nicht  minder 
auch  hervorragend  durch  Beredtsamkeit  und  mit  glücklichen 
Naturanlagen  begabt,  aber  bedauernswerth  dennoch,  weil  be- 
raubt des  höchsten  und  unaussprechlichen  Denkobjectes  (d.  h. 


1)  Ep.  Fam.  XVII  1. 

2)  Ep.  Fam.  VI  2. 


Die  Jahre  des  Alters.  409 

Gottes).  Da  sie  nur  den  eigenen  Kräften  vertrauten  und  dem 
wahren  Lichte  nicht  zustrebten,  so  stiessen  sie  oft  nach  Art 
der  Blinden  an  einen  Stein  und  glitten  aus.  Daher  dürfen 
wir  nur  insoweit  ihre  geistigen  Gaben  bewundern,  um  den 
zu  verehren,  der  sie  ihnen  verliehen  hatte,  aber  mit  ihren 
Irrthümern  müssen  wir  solches  Mitleid  haben,  dass  wir  uns 
ob  der  uns  verliehenen  göttlichen  Gnade  Glück  wünschen  und 
erkennen,  wir  seien  ohne  unsere  Würdigkeit  und  irgend  wel- 
ches Verdienst  im  Vergleich  mit  unseren  Vorfahren  von  dem 
geehrt  und  bevorzugt  worden,  welcher  sein  Geheimniss,  das  er 
den  Weisen  verbirgt,  den  Kindlein  zu  offenbaren  geruht  hat. 
Kurz,  wir  sollen  so  philosophiren ,  dass  wir,  wie  der  Name 
„Philosophie"  lehrt,  die  Weisheit  lieben.  Die  wahre  Weisheit 
Gottes  ist  Christus,  daher  müssen  wir,  um  in  Wahrheit  Philo- 
sophen zu  sein,  ihn  vor  allen  lieben  und  verehren.  Vor  allen 
Dingen  müssen  wir  Christen  sein  —  dann  mögen  wir  sein, 
was  wir  wollen.  Philosophische,  poetische,  historische  Schriften 
sollen  wir  so  lesen,  dass  uns  immer  Christi  Evangelium  an 
das  Ohr  des  Herzens  töne.  Durch  dieses  allein  können  wir 
gelehrt  und  glücklich  werden,  ohne  dasselbe  werden  wir,  je 
mehr  wir  gelernt  haben,  um  so  unwissender  und  unglücklicher 
sein,  auf  das  Evangelium  als  auf  die  erhabenste  Veste  der 
Wahrheit  müssen  wir  Alles  beziehen,  auf  dasselbe  als  auf  den 
einzigen  unbeweglichen  Grund  der  wahren  Wissenschaft  baut 
der  menschliche  Fleiss  sicher  sein  Wissen  auf.  Wenn  wir  zu 
der  Kenntniss  vom  Evangelium  andere,  ihm  nicht  feindselige 
Kenntnisse  eifrig  häufen,  so  wird  man  uns  keineswegs  tadeln 
dürfen,  denn,  wenn  auch  vielleicht  nur  Weniges  zu  dem  \sich- 
tigsten  Wissen,  werden  wir  doch  zur  Ergötzung  des  Geistes 
und  einer  gesitteteren  Gestaltung  des  Lebens  sehr  Bedeutendes 
beigetragen  zu  haben  scheinen." 

Man  erkennt   aus  diesen  Stellen,  denen  sich  leicht  noch 
weitere  beifügen  liessen  ^),  dass  Petrarca  keineswegs  ein  wahrer 


^)  z.  B.  Ep.  Fam.  XII  13.  XXIII  12.    Rer.  mem.  lib.  IV.  5.  de  con- 
temt.  mundi  I  1.,  vgl.  namentl.  auch  de  otio  reüg.  p.  340—344  u.  348—352. 


410  Siebentes  Capitel. 

Philosoph  gewesen  ist,  soudern  dass  er  freiwillig  und  absiehtr 
lieh  sein  philosophisches  Denken  eingezäunt  hat  in  die  engen 
Schranken  des  christliehen  Dogmatismus.  Ehrenwerth  und 
folgerichtig  mag,  wer  selbst  auf  dem  Boden  christlicher  Welt- 
anschauung steht,  Petrarca's  Denkweise  mit  vollstem  Rechte 
nennen,  aber  eingestehen  wird  er  müssen,  dass  durch  dieselbe 
die  Philosophie  geradezu  ertödtet  oder  doch  zu  einem  müssigen 
Spiele  des  Verstandes,  wenn  nicht  der  Phantasie,  herabgewür- 
digt wird.  Denn  was  bedarf  es  noch  des  philosophischen  Den- 
kens, wenn  die  Räthsel  des  menschhchen  Daseins  als  durch 
die  göttliche  Offenbarung  bereits  gelöst  betrachtet  werden  und 
wenn  ein  Widerstreit  des  Erkennens  mit  dem  Dogma  des  Glau- 
bens von  vornherein  als  unberechtigt  dargestellt  wird?  Bleibt 
doch  dann  der  Philosophie  höchstens  noch  die  ebenso  undank- 
bare als  unwürdige  Aufgabe  übrig,  die  Probe  auf  ein  bereits 
ausgerechnetes  Exempel  zu  machen,  an  dessen  Ergebniss  zu 
zweifeln  untersagt  ist. 

Sein  Verhältniss  zur  Philosophie  und  zur  Religion  ist  — 
wie  wir  bereits  wiederholt  Gelegenheit  fanden,  zu  bemerken  — 
derjenige  Punkt  in  Petrarca's  geistigem  Leben,  in  Bezug  auf 
welchen  er  sich  aus  den  Fesseln  des  gebundenen  mittelalter- 
lichen Denkens  nicht  nur  nicht  zu  befreien  vennochte,  sondern 
auch  in  denselben  mit  einer  gewissen  Absichtlichkeit  und  Ge- 
flissentlichkeit verharrte.  Er,  sonst  in  so  wesentlichen  Bezie- 
hungen ein  moderner  Mensch,  verblieb  in  religiösen  Dingen 
mittelalterlich  befangen,  und  während  er  auf  allen  anderen 
Gebieten  die  Antike  neu  zu  beleben  bestrebt  war,  wollte  er 
in  seltsamer  Inconsequenz  die  religiöse  Form,  das  Christenthum 
und  das  Papstthum,  unangetastet  lassen.  Die  europäische 
Welt,  reconstruirt  nach  Petrarca's  Idealen,  würde  ein  bizarres 
Mixtum  compositum  abgegeben  haben:  ein  römisches  Kaiser- 
reich mit  dem  Papste  als  geistlichem  Oberhaupte,  Consuln  und 
Bischöfe  friedlich  neben  einander,  Klöster  mit  betenden  und 
büssenden  Mönchen  inmitten  von  Städten,  deren  Bürger  nach 
altrömischer  Weise  die  Freiheit  lieben  und  dem  Ruhme  nach- 
trachten.    Kurz,    alle  Klarheit   des  Denkens   hörte   für   den 


Die  Jahre  des  Alters.  411 

Begründer  der  Renaissance  auf,  sobald  auch  nur  entfernt  reli- 
giöse Dinge  in  Frage  kamen;  er  sah  nicht  und  wollte  nicht 
sehen,  dass  eine  Culturumgestaltung  nicht  halb  vollzogen,  dass 
bei  einer  allgemeinen  Wandelung  der  Verhältnisse  nicht  ein 
so  wichtiges  Lebensgebiet,  wie  das  des  religiösen  Glaubens, 
inselartig  ausgeschieden  und  in  seinem  alten  Zustande  conser- 
virt  werden  kann.  Es  war  eben  für  ihn  die  Religion  ein  „Noli 
nie  tangere",  das  kein  Humanismus  ihm  antasten  durfte. 

Diese  befremdliche  Einseitigkeit  und  Befangenheit  Pe- 
trarea's  lässt  sieh  unschwer  erklären.  Er  war,  wie  schon  oben 
bemerkt,  vorwiegend  Gemüthsmensch  und  entbehrte  jeder  spe- 
cifisch  philosophischen  Beanlagung.  Er  war  lyrischer  Dichter 
auch  in  seinem  Denken  und  als  einem  solchen  waren  philo- 
sophische Abstractionen  ihm  nur  insoweit  sympathisch,  als  sie 
von  einem  idealen  Inhalte  erfüllt  waren,  wie  etwa  Piatons 
Ideen,  während  sie  ihm  verhasst  waren,  wenn  sie  ihm  als  an- 
scheinend inhaltlose  und  trockene  logische  Formeln  entgegen- 
traten. Sein  poetischer  Sinn  fasste  auch  Philosophie  und  Reli- 
gion poetisch  auf,  und  da  war  es  nur  natürlich,  dass  die  christ- 
liche Heilslehre  mit  ihrer  Mystik  und  tief  innerlichen  Weise 
mehr  ihn  entzückte,  als  der  scholastische  Aristotelismus ,  die 
herrschende  Philosophie  seines  Zeitalters,  Was  ihn  aber  ent- 
zückte und  begeisterte,  das  hielt  er  eben  desshalb  auch  für 
wahr,  denn  die  Wahrheit  fasste  er  nicht  als  ein  Ergebniss 
verstandesmässiger  Deductionen,  sondern  als  die  intuitiv  ge- 
wonnene Ueberzeugung  des  Gemüthes  auf.  Andere  Gründe 
kamen  hinzu,  um  ihn  der  wirklichen  Philosophie  zu  entfremden 
oder  vielmehr  ihn  von  dieser  fern  zu  halten.  Er  hatte  die 
griechische  Philosophie  nie  an  ihren  Quellen  erkannt,  sondern, 
was  er  von  ihr  wusste,  war  ein  aus  den  römischen  Autoren 
zusammengelesenes,  mehr  als  dürftiges  Stückwerk.  Es  war 
ihm  nie  vergönnt  gewesen,  ein  bedeutendes  und  tief  durch- 
dachtes philosophisches  System  in  seiner  Totalität  betrachten 
und  sich  in  dasselbe  hineindenken,  es  in  den  eigenen  Geist 
aufnehmen  zu  können.  Eine  solche  unentbehrliche  Schulung 
des  philosophischen  Denkens  war  ihm  versagt  geblieben  und 


412  Siebentes  Capitel. 

er  war  hingedrängt  worden  zu  dem  römischen  Eklekticismus 
eines  Cicero  und  Seneca,  ja  selbst  auch  —  soweit  bei  diesen 
Autoren  noch  von  Philosophie  die  Rede  sein  kann  —  eines 
Augustin  und  Lactanz ;  eine  einheitliche  und  harmonische  philo- 
sophische Weltanschauung  trat  ihm  hier  nicht  entgegen,  son- 
dern nur  geistvollen,  mehr  oder  weniger  weitläufig  ausgespon- 
nenen Sentenzen  begegnete  er  hier,  deren  Mehrzahl  eine  prak- 
tisch-ethische Pointe  besass.  Eine  wirkliche,  in  sich  geschlossene 
Philosophie  konnte  er  aus  diesem  zerrissenen  Materiale  nicht 
sich  gewinnen  —  was  Wunder,  wenn  er  sich  dem  rehgiösen 
Glauben  hingab,  der  sich  ihm  in  einer  festen  und  abgeschlos- 
senen Fonn  darstellte?  Zu  solcher  Handlungsweise  mochte 
er  selbst  auch  eine  wissenschaftliche  Berechtigung  zu  besitzen 
wähnen ,  da  es  ihm  nicht  entgehen  konnte,  dass  in  der  antiken 
Philosophie,  wie  er  sie  bei  den  Römeni  kennen  lernte,  eine 
monotheistische  oder  doch,  was  für  das  ungeübte  philosophische 
Denken  so  ziemlich  identisch  ist,  eine  pantheistische  Tendenz 
vorherrschte.  Da  konnte  es  ihm  denn  leicht  scheinen,  als  sei  die 
geoffenbarte  Religion  nur  die  natürliche  Ergänzung  philoso- 
phischer Speculation,  als  seien  diese  letztere  und  jene  erstere 
im  letzten  Grunde  übereinstimmend  oder  doch  leicht  in  Ueber- 
einstimmung  zu  bringen.  Er  hegte  damit  eben  den  schönen 
Wahn,  dem  sich  seitdem  so  viele  edle  und  wohlmeinende 
Männer  hingegeben  haben,  die  da  glaubten,  dass  die  zwischen 
philosophischer  Erkenntniss  und  frommem  Glauben  gähnende 
breite  'Kluft  sich ,  wenn  man  nur  wolle ,  leicht  überbrücken 
lasse,  dass  der  Widerspruch  zwischen  beiden  nur  ein  schein- 
barer und  wohl  zu  versöhnender  sei.  Es  ist  das  jene  nebelhafte, 
unklare  und  verschwommene  Anschauungsweise  religiöser  und 
philosophischer  Dinge,  die  so  leicht  bei  Menschen  sich  aus- 
bildet, welche,  weil  eines  scharfen  und  folgerichtigen  Denkens 
unfähig  oder  dasselbe  aus  Gemüthsschwäche  scheuend,  meinen, 
dass  dies  überhaupt  entbehrlich  sei,  da  sich  ja  Alles  mit  Hülfe 
der  Phantasie  und  einiger  Rhetorik  so  herrlich  erklären  und 
zusammen  deuten  lässt. 

Petrarca's  wenis  fruchtbringendes  Verhältniss  zur  Philo- 


Die  Jahre  des  Alters.  413 

Sophie  war  voi-bedeutend  für  die  ganze  Entwickelung  des  Hu- 
manismus und  der  Renaissance  überhaupt.  Da  dieselbe,  wie 
wir  bereits  wiederholt  angedeutet  ^),  ganz  vorwiegend  in  einer 
Wiederbelebung  des  römischen,  nicht  aber  des  hellenischen 
Alterthums  bestand,  so  blieb  auch  die  philosophische  Bildung 
der  Renaissance  vorwiegend  durchaus  nach  römischer  Weise 
eine  eklektische  und  vermochte  nicht  zur  wirklichen  Repro- 
duction  eines  einheitlichen  philosophischen  Systems  des  Alter- 
thums—  wozu  es  einer  so  innigen  Vertrautheit  mit  dem  helleni- 
schen Geiste  bedurft  hätte,  wie  sie  keiner  oder  doch  höchstens 
nur  der  eine  oder  der  andere  vereinzelte  Humanist  besass  — , 
noch  viel  weniger  aber  zu  dem  Aufbau  eines  neuen,  eigenthüm- 
lichen  Systems  zu  gelangen.  Der  Piatonismus  wurde  allerdings  in 
gewisser  Weise  reproducirt,  aber  es  war  diese  Reproduction 
mehr  ein  Werk  der  ästhetisch  schaffenden  Phantasie,  als  des 
mit  Ernst  und  Nüchternheit  arbeitenden,  nach  hohen  Zielen 
ringenden  Verstandes.  Man  griff  von  Piatons  Lehren  haupt- 
sächlich diejenigen  auf,  welche  von  dem  Hauche  der  Poesie 
erfüllt  waren,  und  diese  vereinigte  man  zu  einem  Complexe 
von  Ideen,  welcher  eher  eine  philosophische  Dichtung,  als  ein 
philosophisches  System  genannt  werden  muss.  Die  Renais- 
sance war  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  mit  nahezu  völliger 
Unfruchtbarkeit  geschlagen-):  sie  hat  eine  Reihe  geistvoller 
philosophischer  Dilettanten,  aber  keinen 'einzigen  grossen  und 
selbständigen  Denker  hervorgebracht,  der  sich  mit  den  Philo- 
sophen Griechenlands  oder  auch  mit  denen  Frankreichs,  Eng- 
lands und  Deutschlands  im  siebenzehnten,  achtzehnten  und 
neunzehnten  Jahrhunderte  selbst  nur  entfernt  in  Parallele  setzen 
Hesse  —  man  müsste  denn  gerade  die  letztgenannten  noch  als 
Söhne  der  Renaissance  betrachten  wollen,  was  in  gewissem 
Sinne  allerdings  berechtigt  scheinen  kann.  Die  philosophische 
Unfruchtbarkeit   der   Renaissance  —  letzteren  Begriff  hier  in 


^)  vgl.  oben  S.  152  u.  S.  401  f. 

-)  Die  weitere  Ausführuiig  und  Begründung  der  im  Obigen  ausgespro- 
chenen Gedanken  behalten  wir  dem  dritten  Bande  dieses  Werkes  vor.  Hier 
muss  es  genügen,  einzelne  Andeutungen  gegeben  zu  haben. 


414  Siebentes  Capitel. 

seinem  engeren  Sinne  genommen  —  ist  von  den  weittragend- 
sten Folgen  gewesen:  sie  hat  es  verschuldet,  dass  die  Renais- 
sance immer  der  wahren  inneren  Vertiefung  entbehrt  hat  und 
dass  sie  zu  keiner  wirklichen  Originalität  des  geistigen  Pro- 
ducirens  gelangt  ist,  namentlich  nicht  auf  poetischem  Gebiete, 
denn  Originalität  der  geistigen  Production  ist  nur  möglich, 
indem  und  nachdem  ein  originales  philosophisches  System  ge- 
schaffen wird  oder  geschaffen  worden  ist.  Noch  empfindlicher 
machte  die  philosophische  Unfruchtbarkeit  der  Renaissance 
sich  um  desswillen  geltend,  als  dadurch,  nachdem,  was  an  sich 
ganz  folgerichtig  war,  der  Humanismus  für  seine  Anhänger 
das  Christenthum  innerlich  beseitigt  hatte,  der  neuen  Bildungs- 
form die  ethische  Basis  entzogen  wurde  —  doch  hiember 
haben  wir  bereits  an  einer  früheren  Stelle  eingehender  ge- 
sprochen ^). 

Durch  seine  eigenthümliche  religiös  -  philosophische  Denk- 
weise, welche  sich,  wie  natürlich,  mit  den  zunehmenden  Jahren 
immer  mehr  und  fast  bis  zur  Bigotterie  steigerte,  trat  Pe- 
trarca in  einen  schroffen  Gegensatz  zu  der  Modephilosophie 
seiner  Zeit.  Diese  bestand  in  einem  scholastischen  Formalis- 
mus, welcher  sich  auf  des  Aristoteles  Schriften  stützte,  na- 
mentlich auf  diejenigen,  welche  der  Araber  Ibn-Roschd 
(1126—1198)  aus  Cordova,  von  den  christlichen  Abendländern 
in  seltsam  latinisirter  Namensform  AveiToes  genannt,  über- 
tragen und  commentirt  hatte  und  welche  in  der  lateinischen 
Uebersetzung  des  Michael  Scotus  (ca.  1230)  dem  christlichen 
Abendlande  zugänglich  gemacht  worden  waren  2).  An  sich 
war  nun  diese  philosophische  Richtung  dem  christlichen  Dogma 
weder  günstig  noch  ungünstig,  sondern,  eben  weil  sie  vor- 
wiegend nur  Formalismus  war,  gewissermaassen  neutral,  aber 
sie  hatte  im  Laufe  der  Zeit,  wie  ja  jedem  philosophischen 
Systeme    die  Tendenz,   das  Dogma  zu  verdrängen,   innewohnt 


^)  vgl.  oben  S.  190  ff. 

*J  lieber  Averroes,  seine  Lehren  und  Schriften  und  deren  Einfluss 
auf  die  christliche  Philosophie  vgl.  das  treflfUche  Buch  von  E.  Renan,  Aver- 
roes et  TAverroisme  (3.  Ausg ,  Paris,  1866). 


Die  Jahre  des  Alters.  415 

und  innewohnen  muss,  eine  dem  dogmatischen  Christenthume 
feindselige  Stellung  eingenommen  und  sich,   wenn   auch  mit 
aller  durch  die  Zeitverhältnisse  gebotenen  Vorsicht,  einer  ma- 
terialistischen Denkweise  zugeneigt.    Wie  jede  neue  philoso- 
phische Lehre,    die  den  Reiz  des  Pikanten  an  sich  trägt  und 
gegen  die  herrschende  Kirche  Opposition  macht,  gewann  auch 
der  materialistisch  angehauchte  Averroismus  rasch   zahlreiche 
Anhänger,   namentlich,   wie  leicht  erklärlich,   in  den  Kreisen 
der  Aerzte,  und  er   erlangte   für  die  damalige  Zeit   ungefähr 
dieselbe  Verbreitung  und  Bedeutung,  wie  in  unseren  Tagen 
der  Darwinismus,  mit  welchem  er  auch  in  seinem  Wesen  mehr 
als  einen  Berührungspunkt  gemeinsam  hat.     Der  Idealist  und 
mehr  noch  der  Christ  Petrarca  musste  selbstverständlich  ein 
principieller  Gegner  dieser  materialistischen  Philosophie  sein. 
Er  hatte  aber  auch  noch  einen  besonderen  Grund,  sie  verab- 
scheuungswerth   zu   finden.     Die   furchtbare  Waffe  der   Aver- 
roisten    war    die    Dialektik,    also  jene  Kunst,   durch  formal 
(wenigstens  dem  Ungeübten)  unanfechtbare  Schlüsse  und  Schluss- 
folgerungen irgend  welche  Behauptungen  als  logisch  richtig  und 
unwiderleglich  zu  erweisen.     Seiner  ganzen  Naturanlage    nach 
hasste  Petrarca  diese  fragwürdige  Kunst  aus  tiefster  Seele  und 
das  um  so  mehr,   als   er  sich   ihr  gegenüber  wehrlos  fühlte, 
denn  sein    poetischer  Geist    vermochte    sich  in  den  vielver- 
schlungenen Gängen   spitzfindiger  Logik   nicht  zurecht  zu  fin- 
den.    Er  urtheilte  über  die  Dialektik  ebenso,    wie  heute  so 
Mancher,  der  keine  mathematische  Begabung  besitzt,  über  die 
Mathematik:   er  erklärte  sie  für  eine   dem  jucendlichen  Alter 
angemessene  Beschäftigung  und  eine  löbliche  Vorbereitung  auf 
ernstere  Studien,  aber  er  tadelte  es  heftig,  dass  sie  von  Vielen 
auch  um  ihrer  selbst  willen  betrieben  und  zum  Studium  auch 
des   reiferen  Alters   gemacht   werde;    solche  Dialektiker  von 
Profession   seien,   meinte  er,   ebenso  lächerlich,   wie   Greise, 
welche  noch   an  dem  Reiten  auf  dem  Steckenpferde  (arundo 
tremula)  Vergnügen  fänden  ')• 

i)Ep.  Farn.  I  6. 


416  Siebentes  Capitel. 

Feindselige  Berührungen  Petrarca's  mit  den  Averroisten 
konnten  bei  solcher  Sachlage  gar  nicht  ausbleiben.  Schon  sein 
Streit  mit  den  Aerzten,  den  er  im  Jahre  1353  begonnen  hatte 
und  den  er  sein  ganzes  Leben  hindurch  mit  einer  schwer  be- 
greiflichen Verbissenheit  durchführte,  entsprang  in  seinem 
letzten  Grunde  dem  Widerwillen  gegen  den  Averroismus.  Er- 
bitterter aber  noch  sollte  der  Kampf  entbrennen,  als  Petrarca 
nach  Venedig  übergesiedelt  war.  Die  Universität  von  Padua 
war  einer  der  Hauptsitze  des  Averroismus  geworden  ^)  und 
von  dort  aus  hatte  er,  wie  das  bei  der  Nähe  der  beiden 
Städte  nur  natürlich  war  —  Padua  war  ja  nach  Renan's 
treffendem  Ausdrucke  das  „Quartier  latin"  Venedigs  — ,  auch 
in  Venedig  festen  Fuss  gefasst.  Wollte  nun  Petrarca  nicht 
auf  den  Umgang  mit  wissenschaftlich  gebildeten  Männern  ver- 
zichten oder  doch  in  demselben  sich  empfindliche  Einschrän- 
kungen auferlegen,  so  konnte  er  den  Verkehr  mit  Averroisten 
gar  nicht  vermeiden.  Das  führte  denn  nun  zuweilen  uner- 
quickliche Scenen  herbei,  denn  der  alternde  Dichter  war  über- 
aus reizbar,  wenn  seinen  religiösen  Ansichten  zu  nahe  getreten 
ward,  und  nicht  alle  Averroisten  waren  tactvoll  genug,  auf 
diese  Schwäche  die  gebührende  Rücksicht  zu  nehmen.  So 
entwickelte  einmal  Einer  derselben,  den  er  wohlwollend  in 
seinem  Hause  empfangen  hatte,  so  ketzerische  Ansichten  in 
so  schroffer  Form,  dass  Petrarca,  erzürnt  und  in  seinen 
heiligsten  Gefühlen  verletzt,  den  Religionsspötter  eigenhändig 
zum  Hause  hinaus  beförderte  '^).  Andererseits  war  es  natür- 
lich, dass  dieselbe  Abneigung,  welche  Petrarca  gegen  die  Aver- 
roisten empfand,  vielfach  von  diesen  gegen  ihn  gehegt  wurde. 
Namentlich  die  jugendlichen  Hitzköpfe  unter  den  Bekennern  der 
modischen  Philosophie  zeichneten  sich  in  dieser  Hinsicht  durch 
Maasslosigkeit  aus.  Sie  besassen  keine  Achtung  für  Petrarca's 
hohe  dichterische  und  wissenschaftliche  Verdienste,  sie  ver- 
gassen,  dass  er  es  gewesen,  der  den  Canzoniere  gedichtet,  dass 


^)  vgl.  Renan,  a.  a.  0.  p.  322  £f. 
2)  Ep.  Sen.  V  3. 


Die  Jahre  des  Alters.  417 

er  die  hunmuistische  Wissenschaft  geschatieii ,  sie  hatten  nur 
ein  Auge  für  des  alten  Mannes  Scli wachen,  für  seme  Unwissen- 
heit in  naturwissenschaftlichen  Dingen,  für  seine  ihnen  alt- 
väterisch  erscheinende  streng  kirchliche  Gesinnung  und  für 
seine  Unduldsamkeit  gegen  Andersdenkende.  Vier  junge 
Männer,  welche  viel  in  Petrarca's  Hause  verkehrt  hatten  und 
von  ihm  immer  wohlwollend  aufgenommen  worden  waren,  ent- 
blödeten sich  sogar  nicht,  über  den  greisen  Dichter  und  Hu- 
manisten, über  den  von  allen  einsichtsvollen  Männern  des 
ganzen  Europa  hochgeehrten  und  bewunderten  Gelehrten  ein 
förmliches  Gericht  abzuhalten  und  ihn  für  einen  .,guten,  aber 
unwissenden  Mann"  zu  erklären  ^).  Man  kann  sich  vorstellen, 
wie  empfindlich  Petrarca  betroffen  wurde,  als  er  von  diesem 
tollen  Gebahren  eines  jugendlich  übermüthigen  TVeisheits- 
dünkels  Kenntniss  erhielt.  Hatten  die  Frechen  es  doch  ge- 
wagt, seinen  Gelehrtenruhm  anzutasten,  den  er  so  mühevoll 
sich  erworben  und  über  welchen  seine  Eitelkeit  eifersüchtig 
wachte!  Und  wer  möchte  ihm  auch  seinen  Zorn  verargen? 
Handelte  es  sich  hier  doch  nicht  um  einen  einfachen  Angriff 
auf  die  persönliche  Gelehrtenehre,  sondern  es  war  dieser  An- 
giift*  mit  unleugliarer  Perfidie  und  überlegter  Bosheit  geführt 
und  nicht  allein  gegen  die  Person,  sondern  auch  gegen  die 
von  dieser  Person  vertretene  Sache,  den  christliehen  Glauben, 
gezielt  worden.  Der  schwer  gekränkte  Humanist  konnte  und 
wollte  die  ihm  und  seinen  Ueberzeugungen  angethane  Schmä- 
hung nicht  ungerächt  lassen,  sondern  richtete  gegen  seine  Be- 
leidiger eine  erbitterte  Streitschrift,  deren  Inhalt  wir  hier,  da 
er  für  die  Kenntniss  sowol  der  wissenschaftlichen  Anschau- 
ungen als  auch  des  Charakters  Petrarca's  von  höchster  Wich- 
tigkeit ist,  auszugsweise  im  Folgenden  wiedergeben. 

Betitelt   ist   diese   Schrift    „Petrarca's   Buch    über  seine 


*)  Die  Namen  dieser  vier  jungen  Männer  waren:  Leonardo  Dandolo, 
Tommaso  Talenti,  Zaccaria  Contarini  und  Guido  di  Bagnolo.  Ueber  ihre, 
übrigens  nichts  sonderlich  Interessantes  bietenden  Lebensverhältnisse  vgl. 
die  ausführliche  Notiz  b.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  360  ff. 

Körting,  Petrarca.  27 


418  Siebentes  Capitel. 

eigene  und  vieler  (Anderer)  Unwissenheit  ^)",  und  wir  erkennen 
schon  in  dieser  Aufschrift  jene  erheuchelte  Deniuth  ihres  Ver- 
fassers, von  welcher  wir  im  Verlaufe  unserer  Analyse  so  manche 
weitere  Beweise  finden  werden.  Petrarca  trug  eben  nicht 
selten  und  nicht  ungern  den  zerlumpten  Mantel  des  Cynikers 
Antisthenes,  aus  dessen  Löchern  der  Stolz  hervorschaute. 
Vorausgeschickt  ist  dem  Werkchen  ein  aus  „Padua  vom  13.  Ja- 
nuar^; in  der  elften  Stunde  der  Nacht  (d.  i.  zwischen  4  und 
5  Uhr  des  Morgens)  auf  meinem  Schmerzenslager"  datirter 
Brief  an  den  Grammatiker  Donato  Apenninigena  in  Venedig 
(vgl.  S.  364  f.).  Petrarca  erzählt  in  demselben,  dass  er  die 
Schrift  während  einer  nach  Pavia  gerichteten  Fahrt  auf  dem 
Poflusse  abgefasst  habe  und  dass  sie  demnach  von  Flüchtig- 
keiten nicht  frei  sei  und  mehr  den  zwanglosen  Charakter  eines 
Briefes  oder  eines  Gespräches,  als  denjenigen  eines  ernsten 
Buches  an  sich  trage.  Wenn  er  sie  gleichwol  ein  „Buch" 
nenne,  so  thue  er  das  nur,  um  durch  den  prunkvolleren  Titel 
der  dem  Freunde  übersandten  Gabe  ein  stattlicheres  Aussehen 
zu  geben,  wie  man  ja  auch  etwa  wohlfeiles  Obst  in  ein  sil- 
bernes Gefäss  oder  in  weisse  Leinwand  gelegt  Freunden  zum 
Geschenke  zu  überreichen  pflege.  Er  bittet  ferner,  das  nach- 
lässige, weil  durch  Correcturen  und  Rasuren  entstellte  Aeussere 
der  Schrift  entschuldigen  zu  wollen,  und  meint,  diese  Bitte 
könne  um  so  eher  berücksichtigt  werden,  als  gerade  diese 
Vernachlässigung  ihres  Aeusseren  eine  sichere  Bürgschaft  für 
die  Aechtheit  der  Schrift  gewähre,  indem  dadurch  bezeugt 
werde,  dass  sie  von  ihm  selbst  geschrieben  und  nicht  von 
einem  Schreiber  copirt  worden  sei.  —  Im  Eingange  der  Schrift 
selbst  beklagt  Petrarca,  dass  ihm  selbst  jetzt,  wo  sein  Lebens- 
alter  sich    bereits  stark   abwärts    neige,  niemals  Ruhe  noch 


')  „Petrarcae  de  sui  ipsius  et  multorum  ignorantia  über";  abgedruckt 
ist  die  Schrift  natürlich  in  allen  Gesammtausg. ;  in  das  Italienische  hat  sie 
Fracassetti  (Venedig,  1858)  übersetzt. 

-)  Jedenfalls  des  Jahres  1368,  vgl.  Ep.  Sen.  XV  8.  Die  Abfassung 
der  Schrift  selbst  fand  im  Jahre  1367,  der  sie  veranlassende  Vorfall  im 
Jahre  13ö6  statt. 


Die  Jahre  des  Alters.  419 

Rast  vergönnt  sei,  sondern  dass  er  in  immer  neue  litterarische 
Fehden  verwickelt  werde.  Jetzt  werde  ihm  sogar,  was  er 
bisher  noch  nie  erfahren,  durch  missgünstige  Freundschaft  oder 
durch  freundschaftliche  Missgunst  die  Feder  zur  Vertheidigung 
in  die  Hand  gedrückt  und  es  werde  ihm  damit  die  schwere 
Aufgabe  gestellt,  die  Missgunst  zu  besiegen  und  doch  die 
Freundschaft  unverletzt  zu  erhalten.  Vier  Freunde  seien  es, 
welche  ihn  immer  je  zwei  und  zwei  besuchen,  auf  das  Freund- 
lichste mit  ihm  verkehren,  von  den  besten  Gesinnungen,  wie 
er  selbst  gern  glauben  wolle,  gegen  ihn  erfüllt  seien  und 
welche  ihn  nichtsdestoweniger  beneiden.  Warum  aber  beneiden 
sie  ihn?  Wahrlich  nicht  um  sein  mehr  als  bescheidenes  Ver- 
mögen, auch  nicht  um  seine  Freunde,  nicht  um  seine  Schön- 
heit, welche,  wenn  sie  überhaupt  je  vorhanden  war,  jetzt  vom 
Alter  ganz  zerstört  sei,  ebenso  wenig  um  seine  Wissenschaft 
und  seine  Beredtsamkeit,  welch'  letztere  sie  ja  nach  der  mo- 
dernen Philosophen  Art  —  ganz  im  Gegensatze  zu  Piaton  — 
gering  schätzen,  nicht  endlich  um  seine  Tugend,  welche  sie 
ihm  nur  allzu  bereitwillig  und  uneingeschränkt  zugestehen,  — 
sie  beneiden  ihn  einzig  und  allein  um  des  Ruhmes  willen. 
welcher  ihm,  was  selten  geschehe,  schon  bei  Lebzeiten  zu 
Theil  geworden  sei  und  den  er  als  eine  nie  versiegende  Quelle 
schweren  Aergernisses  erfunden  habe.  Die  Missgunst  jener 
vier  Freunde  aber  sei  um  so  heftiger,  als  sie  selbst  gar  fleissig 
Studiren  und  bei  der  nächtlichen  Lampe  schwitzen,  wenn  auch 
freilich  dessen  ungeachtet  der  erste  von  ihnen  gar  keine  litte- 
rarischen Kenntnisse  besitze,  der  zweite  nur  geringe,  der  dritte 
nicht  viele,  der  vierte  allerdings  bedeutende,  aber  so  ver- 
worrene, dass  er  besser  gar  keine  besässe,  denn  sein  Wissen 
beschränke  sich  im  Wesentlichen  auf  die  Kenntniss  einer 
Menge  Einzelheiten  aus  der  Naturgeschichte,  welche  überdies, 
wie  Beobachtungen  an  Ort  und  Stelle  gelehrt  hätten,  zum 
grossen  Theile  in  das  Gebiet  der  Fabel  gehörten.  Und  was 
nütze  ee  auch,  die  Natur  der  Thiere  zu  erkennen,  die  Natur 
des  Menschen  aber  und  die  Frage  nach  seiner  Herkunft  und 
den  Zielen  seines  Daseins  zu  ignoriren?    Diese  Meinung  nun 

27' 


420  Siebentes  Capitel. 

habe  er  (Petrarca)  seinen  Freunden  oft  unverliolilen  ausge- 
sprochen und  dadurch  ihre  Eitelkeit  verletzt.  So  seien  sie 
denn  einmal  zusammen  gekommen  und  hätten  Gericht  über 
die  Frage  gehalten,  ob  er  (Petrarca)  des  Ruhmes  würdig  sei. 
Die  Thatsache  seiner  Berühmtheit  hätten  sie  nun  freilich  nicht 
in  Abrede  stellen  können,  aber  sie  hätten  dieselbe  für  bedeu- 
tungslos erklärt,  weil  das  Urtheil  der  grossen  Menge,  auf  wel- 
chem sie  beruhe,  trügerisch  sei.  Auch  hätten  sie  nicht  leugnen 
können,  dass  er  (Petrarca)  von  Königen^  wie  namentlich  einst 
von  König  Robert,  von  Päpsten,  wie  noch  gegenwärtig  von 
Papst  Urban  V.,  und  anderen  hochgestellten  Männern  hoch 
geehrt  und  geschätzt  worden  sei ,  aber  sie  hätten  dies  damit 
zu  erklären  gesucht,  dass  diese  vornehmen  Personen,  welclie 
theilweise  selbst  keine  wissenschaftliche  Bildung  besässen,  ent- 
weder eben  nur  der  Volksmeinung  blindlings  folgten,  oder  dass 
sie  an  den  Geschichtchen ,  welche  Petrarca  zu  erzählen  ver- 
stehe, Gefallen  fänden.  Endlich  hätten  sie  allerdings  auch 
seine  (Petrarca's)  Beredtsamkeit  eingestehen  müssen,  aber  ge- 
rade daraus  auf  die  Mangelhaftigkeit  seiner  Kenntnisse  ge- 
schlossen, denn  nach  dem  Sprüchworte  ..multum  loquentiae, 
panim  sapientiae  (d.  h.  viel  Geschwätz,  wenig  Weisheit)"  ver- 
trage sich  Sprechfertigkeit  nicht  mit  Weisheit.  So  sei  denn 
ihr  Schlussurtheil  dahin  ausgefallen,  dass  er  (Petrarca)  ein 
guter  Mann  ohne  litterarische  Bildung  und  folglich  seines 
Ruhmes  unwürdig  sei.  —  Mit  diesem  Urtheilspruche  nun,  er- 
klärt Petrarca,  würde  er  sehr  zufrieden  sein,  wenn  er  nur 
wirklich  das  Prädicat  „gut"  für  sich  in  Anspruch  nehmen 
könnte,  denn  —  und  er  rufe  Christus  hierfür  zum  Zeugen  an  — 
trotz  aller  seiner  Ruhmbegierde,  die  er  nicht  leugnen  könne, 
habe  er  doch  stets  lieber  gut  als  gelehrt  sein  wollen.  Möchte 
ihm  doch  nur  Gott  statt  -alles  Wissens  die  Tugend  verleihen! 
So  sehr  er  nun  aber  auch  überzeugt  sei,  dass  ihm  die  Gelehr- 
samkeit mit  Recht  abgesprochen  werden  könne,  so  glaube  er 
doch  allerdings  nicht,  dass  diejenigen,  welche  es  gethan,  die 
hierzu  competenten  Richter  gewesen  seien,  denn  nicht  Un- 
wissenden komme  es  zu,   eines  Anderen  Unwissenheit  zu  con- 


Die  Jahre  des  Alters.  421 

statiren,  ebenso  wenig  wie  ein  Hässlicher  das  Verdict  der 
Hässlichkeit  ü])er  Etwas  auszusprechen  befugt  sei.  Jeder  Ver- 
ständige hingegen  wei-de  unschwer  selbst  erkennen,  wie  ge- 
ring sein  Wissen  sei,  und  das  nicht  etwa  bloss  verglichen  mit 
dem  Wissen  Gottes,  sondern  auch  mit  demjenigen  anderer 
Menschen,  und  je  gelehrter  Jemand  wirklich  sei,  desto  eher 
werde  er  zu  dieser  Selbsterkenntniss  gelangen.  Gleichwol,  ge- 
steht Petrarca,  berühre  ihn  das  absprechende  Urtheil  der 
Freunde  überaus  schmerzlich,  denn  es  gemahne  ihn  daran, 
dass  er  nun  auch  bereits  geistig  gealtert  sei.  Sein  ganzes 
Leben  hindurch  habe  er  sich  bemüht,  Kenntnisse  zu  sammeln, 
und  er  sei  wirklich  einst  für  einen  Gelehrten  gehalten  worden : 
in  Montpellier  und  Bologna,  dann  in  Toulouse  und  Paris,  Pa- 
dua  und  Neapel  —  alles  Städte,  in  denen»die  Wissenschaften 
blühten  —  habe  er  sich  aufgehalten,  um  gelehrter  zu  werden, 
in  Neapel  habe  ihn  der,  trotz  Allem,  was  man  dagegen  sagen 
möge,  hochgelehrte  König  Robert  eines  vertraulichen  Verkehrs 
gewürdigt,  am  päpstlichen  Hofe,  dem  Sammelpunkte  der  ge- 
lehrtesten Männer,  habe  er  sich  vielfach  aufgehalten  und  jede 
Gelegenheit  des  Lernens  benutzt,  endlich  habe  er  die  langen, 
in  der  ländlichen  Einsamkeit  an  der  Quelle  der  Sorgue  ver- 
brachten Jahre  ernsten  wissenschaftlichen  Studien  gewidmet, 
bedeutende  Männer  hätten  ihn  seiner  Kenntnisse  wegen  hoch- 
geschätzt und  seinen  Umgang  gesucht  —  und  nun  sprächen 
in  Venedig  vier  junge  Leute  ihm,  dem  mehr  als  Sechzig- 
jährigen, alle  Kenntnisse  ab!  Gern  freilich  lasse  er  sieh  den 
Ruhm  entreissen,  denn  derselbe  sei  nur  eine  Last  und  erfor- 
dere eine  stete  beschwerliche  Vertheidigung ,  und  ganz  zu- 
frieden sei  er,  wenn  ihm,  wie  ja  geschehe,  nur  das  Prädicat 
„gut"  belassen  werde,  und  er  hoffe,  dasselbe  durch  eifriges, 
bis  zum  letzten  Hauche  fortgesetztes  Streben  nach  Tugend 
verdienen  zu  können,  da  ja  hier  der  Wille  die  That  zu  er- 
setzen vermöge. 

Nach  diesem  Eingange  erklärt  nun  Petrarca,  wie  es  habe 
geschehen  können,  dass  seine  Freunde  eine  so  geringe  Mei- 
nung   von   seiner   Gelehrsamkeit    erhalten    hätten.      Er   habe 


422  Siebentes  Capitel. 

nämlich,  wenn  sie  ihn  besuchten,  im  vollen  Vertrauen  auf  sein 
freundschaftliches  Verhältniss  mit  ihnen  ganz  unbefangen  und 
harmlos  alle  möglichen  Dinge  besprochen  und  dabei  weder 
auf  den  Inhalt  noch  auf  die  Fonn  seiner  Rede  sonder- 
lich geachtet ,  so  dass  allerdings  der  erstere  oft  trivial ,  die 
letztere  oft  nachlässig  gewesen  sei.  Ganz  besonders  aber  habe 
er  sie  dadurch  gereizt,  dass  er  Zweifel  an  der  Autorität  des 
.  von  ihnen  göttlich  verehrten  Aristoteles  geäussert  und  ihre 
Manier,  über  die  Geheimnisse  des  christHchen  Glaubens  zu 
disputiren  dder  wol  gar  dieselben  durch  Spott  zu  lästern,  miss- 
billigt  habe.  Er  könne  nun  einmal  kein  blinder  Anhänger 
des  Aristoteles  sein,  obgleich  er  die  Schriften  desselben  recht 
gut  kenne,  sondern  er  ziehe  den  christlichen  Glauben  bei 
weitem  den  aristotelischen  Lehren  vor  und  nehme  die  Dogmen 
des  ersteren  als  gegebene  Wahrheiten  an,  über  welche  man 
nicht  grübeln  dürfe.  Und  er  gebe  sich  diesem  Glauben  um 
so  fester  hin,  als  ja  auch  die  aufgeklärten  Heiden  die  Vielheit 
der  Götter  verspottet  und  den  Glauben  an  einen  Gott  ge- 
lehrt hätten.  Zum  Beweise  für  diese  Behauptung  führt  nun 
Petrarca  eine  ganze  Reihe  von  Belegstellen  aus  Cicero's  phi- 
losophischen Schriften,  namentlich  aus  dem  Buche  „über  die 
Natur  der  Götter",  an,  und  da  diese  in  extenso  gegebenen 
Citate  mehrere  Seiten  füllen,  so  entschuldigt  er  diese  Aus- 
beutung fremden  Geistesschatzes  damit,  dass  er  ja  nun,  nach- 
dem ihm  alles  eigene  Wissen  abgesprochen  worden,  sich  ge- 
nöthigt  sehe,  mit  fremden  Federn  sich  zu  schmücken,  und 
überdies  sei  das,  was  er  von  Cicero  angeführt,  so  überaus 
herrlich  und  dem  christlichen  Glauben  so  entsprechend,  dass 
es  sich  nahezu  mit  dem  Apostelworte  vergleichen  lasse.  Wel- 
cher Schade,  dass  Cicero  nicht  Christ  sein  konnte!  Indessen 
sei  doch  auch  nicht  zu  übersehen,  dass  er  (Cicero)  nicht  con- 
sequent  bleibe,  sondern  öfters  in  das  Heidenthum  zurückfalle 
und  von  Göttern  statt  von  einem  Gotte  spreche,  wie  z.  B. 
de  natur.  deor.  II,  28,  71.  Mit  dem  einmal  von  ihm  gelegent- 
lieh ausgesprochenen  Lehrsatze,  dass  die  verschiedenen  Götter 
nur  verschiedene  Namen   für  verschiedene  Daseinsfornien  des 


Die  Jahre  des  Alters.  423 

einen  Gottes  seien,  lasse  sieh  dies  nicht  entschuldigen,  denn 
es  sei  ein  solcher  Satz  ebenso  unlogisch,  wie  die  Annahme, 
dass  es  mehrere  Götter  des  gleichen  Namens  gebe  oder  dass 
einem  Gotte  die  Schicksale  und  Thaten  eines  gleichnamigen 
Menschen  beigelegt  worden  seien.  In  Bezug  auf  die  etwa 
wünschenswerthe  weitere  Ausführung  der  hiermit  angeregten 
Gedanken  verweist  Petrarca  auf  die  Institutionen  des  Lactanz 
und  wirft  sodann  die  principielle  Frage  auf:  solle  man  etwa 
nun  die  Schriftwerke  des  Heidenthums  gar  nicht  lesen ,  weil 
sie  von  derartigen  thörichten  Vorstellungen  erfüllt  seien?  Wo- 
rauf er  antwortet,  man  müsse  sie  gerade  um  desswillen  lesen, 
denn,  erst  wenn  man  die  ganze  Thorheit  des  heidnischen  Götter- 
glaubens an  den  Quellen  erkannt  habe,  lerne  man  die  Leuchte 
der  christlichen  Wahrheit  recht  lieben  und  schätzen.  Freilich 
finde  man  zuweilen  in  den  Schriften  der  Heiden  so  thörichte 
Dinge  behauptet,  dass  man  mit  Ekel  und  Widerwillen  erfüllt 
werde,  wie  z.  B,  wenn  Pythagoras  —  sonst  ein  so  hoch  be- 
deutender Mann  —  die  alberne  Lehre  von  der  Seelenwande- 
rung aufgestellt  habe,  die  ja  von  Lactanz  (Instit.  III,  18)  in 
ihrer  Thorheit  nachgewiesen  worden  sei,  oder  wenn  Demokrit 
oder  Epikur  die  Lehre  von  den  Atomen  zu  begründen  suchen, 
auch  die  Behauptungen  von  der  Unendlichkeit  der  Welten 
oder  von  der  Unvergänglichkeit  der  Welt  gehörten  in  die 
gleiche  Kategorie  des  Unsinns.  Eben  desshalb  aber,  weil  er 
(Petrarca)  ein  Feind  aller  sogenannten  philosophischen  Hypo- 
thesen über  die  Entstehung  der  Welt  sei  und  gläubig  an  der 
mosaischen  Schöpfungsgeschichte  und  an  der  katholischen 
Lehre  festhalte,  werde  er  von  seinen  aristotelischen  Freunden, 
denen  das  Christenthum  etwas  Verächtliches  sei,  als  unwissend 
verschrieen  —  könnten  doch  solche  Leute  keine  von  der  ihren 
abweichende  Meinung  vertragen!  Und  gehe  doch  ihre  Ver- 
achtung der  christlichen  Religion  so  weit,  dass  sie  bei  öffent- 
lichen Disputationen,  da  sie  ja  doch  ihren  Irrglauben  nicht 
offen  zu  predigen  wagen,  im  Voraus  erklären,  dass  sie  mit 
Beiseitesetzung  der  Religion  „  sequestrata  ac  seposita  fide" 
disputiren  würden :  sei  diese  „Beiseitesetzung"  ernsthaft  gemeint, 


424  Siebentes  Capitel. 

SO  sei  sie  ein  ungeheuerer  Frevel,  sei  sie  aber  nur  eine  rhe- 
torische Formel,  so  sei  sie  ein  sträfliches  Spiel  mit  einer  hei- 
ligen Sache.  Ja,  diese  Aristotelesschwärmer  gehen  sogar  so 
weit,  unseren  Herrn  und  Meister  Christus  einen  ungebildeten 
Menschen  (idiota)  zu  nennen !  Sie  selbst  aber,  diese  allweisen 
Leute,  suchen  ihren  Ruhm  in  einer  dunkeln  und  verworrenen 
und  desshalb  Niemandeiii.  nicht  einmal  ihnen  selbst  verständ- 
lichen Ausdrucksweise,  einem  gelehrten  Kauderwelsch,  nicht 
bedenkend,  dass  Klarheit  des  Ausdruckes  das  wichtigste  Kenn- 
zeichen des  Geistes  und  Wissens  sei,  wie  ihr  gefeierter  Ari- 
stoteles selbst  im  ersten  Buche  der  Metaphysik  angebe.  Das 
Schlimmste  aber  sei,  dass  sie  auf  Alle  und  so  auch  auf  ihn 
(Petrarca),  welche  nicht  die  Dunkelheit,  sondern  die  Klarheit 
der  Rede  lieben,  mit  Verachtung  herabsehen  und  dieser  ihrer 
■  Ansicht  einen  allzu  schroffen  Ausdruck  geben. 

Hiernach  kommt  Petrarca  wieder  auf  die  philosophischen 
Ansichten  seiner  aristotelischen  Freunde  über  die  ^Yeltent- 
stehung  zu  sprechen,  natürlich  aber  nur  um  seiner  Entrüstung 
über  solche  Thorheiten  und  gefälii-liche  Irrthümer  Ausdruck  zu 
geben,  besonders  aber  ereifert  er  sich  gegen  die  Annahme, 
dass  die  Welt  ebenso  ewig  sei  wie  Gott.  Sodann,  zu  dem 
Punkte  zurückkehrend,  von  welchem  er  ausgegangen  war, 
wiederholt  er,  seine  Ueberzeugung ,  dass  Aristoteles  auch  in 
rein  menschlichen  Dingen  keine  unfehlbare  Autorität  besitze, 
sei  für  seine  aristotelischen  Freunde ,  welche  da  glauben ,  Ari- 
stoteles habe  Alles,  was  nur  Menschen  zu  erkennen  veimögen, 
auch  wirklich  richtig  erkannt,  der  hauptsächlichste  Grund  zu 
ihrem  geringschätzigen  ürtheile  über  ihn  oder  doch  mindestens 
der  Vorwand  dazu  gewesen.  Er  (P.)  könne  aber  nun  einmal 
nicht  der  blinde  Anhänger  eines  Philosophen  sein  und  nicht 
Alles  an  Aristoteles  bewundern,  so  namentlich  nicht  seinen  Styl, 
wie  er  in  der  gangbaren,  sicherlich  sehr  entstellten  Bearbeitung 
seiner  Schriften  sich  zeige;  auch  hätten  ihn  die  ethischen 
Schriften  des  Aristoteles  durchaus  nicht  befriedigt,  und  er  habe 
nicht  gefunden,  dass  er  durch  das  Studium  derselben  besser 
geworden   sei ,    wie  doch  hätte  geschehen  sollen.     Aristoteles 


Die  Jahre  des  Alters.  425 

definii'ie  die  Tugend  allerdings  recht  gut  und  verstehe  es,  eine 
Theorie  dieser,  sowie  auch  des  Lasters  zu  entwerfen:  aber  es 
fehle  ihm  ganz  oder  beinahe  ganz  jene  eindringliche  und 
packende  sittliche  Begeisterung,  welche  die  moralischen  Schriften 
Cicero's  und  Seneca"s  und  selbst  auch  des  Horaz  auszeichne  und 
die  Leetüre  derselben  so  fesselnd  mache.  Denn  nicht  sowol 
in  dem  Erkennen  als  in  dem  Wollen  des  Guten  bestehe  unsere 
sittliche  Aufgabe,  ebenso  wie  die  Liebe  zu  Gott  besser  sei,  als 
die  (auf  Erden  ohnehin  nur  sehr  unvollkommen  mögliche) 
Gotteserkenntniss.  Keinesfalls  aber  könne  nun  Jemand  bloss 
desshalb ,  weil  er  an  Aristoteles  Manches  auszusetzen  habe, 
der  Unwissenheit  bezüchtigt  werden.  Sei  es  doch  unbestreit- 
bar, dass  man  auch  anderswoher ,  als  aus  des  Aristoteles 
Schriften,  etwas  Tüchtiges  lernen  könne  und  dass  es  auch 
schon  vor  Aristoteles  gescheidte  Leute  gegeben  habe,  so  vor  allen 
Piaton,  welchem  nicht  allein  von  den  bedeutendsten  heidnischen 
Autoren,  sondern  auch  von  den  Kirchenvätern  Augustin,  Am- 
brosius  und  Hieronymus  das  Primat  unter  den  Philosophen  zu- 
erkannt werde,  während  dem  Aristoteles  die  gleiche  Ehre  nur 
von  Seiten  des  thörichten  und  lärmenden  Haufens  der  Scho- 
lastiker wiederfahre.  Wenn  ihm  auch  Averroes  solche  Ehre 
zu  Theil  werden  lasse,  so  wolle  das  nicht  viel  bedeuten,  da 
Averroes  des  Aristoteles  Schriften  commentirt  habe  und  be- 
kanntlich jeder  Kaufmann  seine  Waare  lobe.  Gebe  es  doch 
Leute  genug,  w^ eiche,  da  sie  nichts  Selbständiges  zu  produciren 
vermögen,  durch  Schreiben  über  die  Schriften  Anderer  Ruhm 
zu  erwerben  trachten  und  dabei  natürlich  die  zum  Vorwurf 
genommenen  Schriften  nach  Kräften  und  oft  über  Gebühr 
herausstreichen.  Man  denke  z.  B.  an  das  überschwängliche 
Lob,  w^elches  Macrobius  dem  „Traume  des  Scipio",  also  dem 
kleinen  Bruch theile  eines  ciceronianischen  Werkes  spende,  in- 
dem er  von  demselben  nichts- Geringeres  sage,  als  dass  es  die 
gesammte  Philosophie  in  sich  schliesse! 

Da  er,  sagt  Petrarca  weiter,  doch  durch  den  Ausspruch 
seiner  Freunde  der  furcht,  durch  ein  unbesonnenes  Urtheil 
seinem   Gelehrtenrufe   schaden  zu   können,   bereits  überhoben 


426  Siebentes  Capitel. 

sei,  so  wolle  er  einmal  ganz  offen  aussprechen,  wie  er  über 
Piaton  und  Aristoteles  denke.  Beide  seien  ganz  ohne  Zweifel 
grosse  Geister,  des  Lobes  vieler  und  bedeutender  Männer 
würdig,  und  der  Streit,  welcher  von  Beiden  grösser  sei,  könne, 
wie  alle  solche  Streitfragen,  nicht  definitiv  entschieden  werden. 
Thatsache  sei  indessen,  dass  Piaton  von  noch  bedeutenderen 
Männern  gepriesen  worden  sei,  als  Aristoteles,  während  der 
letztere  allerdings  die  grössere  Zahl  von  Anhängern  besitze. 
Thatsache  sei  auch,  dass  Piaton  in  den  höchsten,  die  Gottheit 
betreffenden  Fragen  der  Philosophie  sich  höher  und  dem 
Christenthum  näher  emporgeschwungen  habe,  als  Aristoteles. 
Bei  dieser  Gelegenheit  will  Petrarca  zugleich  die  irrthümliche 
Meinung  seiner  Freunde,  dass  Piaton  nur  wenige  Bücher  ge- 
schiieben  habe,  berichtigen:  besitze  er  (P.)  doch  selbst  sechs- 
zehn Schriften  Piatons  in  seiner  Bibliothek  und  mehrere  noch 
habe  er  bei  seinem  Freunde  und  Lehrer,  dem  Calabresen  Bar- 
laam,  gesehen. 

Petrarca  wiederholt  —  und  man  erkennt  daraus  recht 
deutlich,  was  er  als  den  Kernpunkt  der  ganzen  Schrift  be- 
trachtet wissen  wollte  —  zum  dritten  Male,  dass  der  Haupt- 
grund, wesshalb  seine  Freunde  ihn  anfeinden  und  der  Unwissen- 
heit beschuldigen,  nur  darin  zu  suchen  sei,  dass  er  christlich 
denke  und  sich  als  Christ  fühle.  Und  er  wolle  in  der  That 
vor  allen  Dingen  Christ  sein,  wodurch  freilich  nicht  ausge- 
schlossen werde,  dass  er,  noch  in  irdischer  Schwäche  befangen, 
auch  die  heidnischen  Autoren,  vielleicht  selbst  mehr  als  billig, 
liebe.  Das  Studium  Cicero's  allerdings,  den  er  vor  allen 
Uebrigen  bewundere  und  schätze,  halte  er  für  ganz  unbedenk- 
lich: das  könne  seinem  Seelenheile  nicht  schaden,  sondern  nur 
nützen,  da  ja  auch  die  grossen  Kirchenväter  Augustin  und 
Hieronymus  diesen  Autor  hoch  geschätzt  und  eifrig  gelesen 
hätten,  und  da  ja  ohne  Zweifel  Cicero  selbst  Christ  geworden 
sein  würde,  wenn  ihm  die  Möglichkeit  dazu  geboten  worden 
wäre.  Doch  in  jedem  Falle  ziehe  er  auch  dem  Cicero  den 
christlichen  Glauben  vor.  Schlimm  aber,  sehr  schlimm  sei  es, 
dass  ein  Jeder ,    der  seinen  Christenglauben  bekenne  und  ihn 


Die  Jahre  des  Alters.  427 

Über  die  heidnische  Philosophie  erhebe,  als  dumm  und  un- 
wissend verschrieen  werde,  und  dass  man  schon  so  weit  ge- 
kommen sei,  litterarische  Bildung  und  (Gläubigkeit  für  un- 
vereinbar zu  halten.  Das  sei  indessen  eine  alte  Sache: 
schon  Victorinus,  Augustin  und  selbst  der  Apostel  Paulus 
hätten,  als  sie  das  Christenthum  annahmen,  es  sich  gefallen 
lassen  müssen,  für  Dummköpfe  und  verrückte  Menschen  ge- 
halten zu  werden.  Nicht  wundern  könne  er  sich  daher,  wenn 
auch  er  von  seinen  Freunden  seiner  Gläubigkeit  wegen  der 
Unwissenheit  angeklagt  werde. 

Allerdings  aber  werde  er  auch  noch  aus  anderen  Gründen 
von  den  Freunden  angefeindet.  Da  komme  vor  allen  Dingen 
ihr  Neid  in  Betracht,  so  ungeheuerlich  und  kaum  glaubhaft  es 
auch  sei,  dass  Freunde  den  Freund  beneiden.  Vielleicht  aller- 
dings bestehe  ihr  Neid  nicht  sowol  darin,  dass  sie  ihm  seinen 
Ruhm  missgönnen,  als  dass  es  ihnen  schmerzlich  sei,  nicht  den 
gleichen  Ruhm  zu  besitzen.  Da  sie  denselben  aber  auch  je- 
mals erlangen  zu  können  nicht  hoffen  dürften ,  so  möchten  sie 
nun  die  gestörte  Gleichheit  in  der  Freundschaft  dadurch  wieder 
herstellen,  dass  sie  ihn  (P.)  in  dieselbe  Dunkelheit  hinabzu- 
ziehen versuchten,  in  welcher  sie  selbst  sich  befänden.  Aber 
eine  derartige  Gleichheit  sei  durchaus  kein  Erforderniss  der 
Freundschaft  und  in  hochberühmten  Freundschaftsbündnissen, 
wie  in  dem  des  Theseus  und  Pirithous,  des  Hercules  und  Phi- 
loctet,  des  Achill  und  Patroclus,  des  Scipio  und  Lälius,  sei  sie 
nicht  vorhanden  gewesen.  Indessen  er  sei,  wie  schon  gesagt, 
gern  bereit,  das  über  ihn  ausgesprochene  Verdict  der  Un- 
wissenheit hinzunehmen ,  zumal  da  ihm  dies  ja  die  ersehnte 
Ruhe,  welche  bisher  immer  durch  seinen  Ruhm  gestört  worden 
sei,  bringen  werde,  jedoch  befürchte  er,  dass  es  vielen 
"Widerspruch  finden  und  auf  das  Haupt  der  Richter  selbst  zu- 
rückfallen könnte.  Nur  vielleicht  in  eben  der  Stadt,  in  welcher 
es  gefällt  worden  sei,  werde  es,  da  daselbst  ein  zahlreicher  Pöbel 
existire,  der  nach  Rabenart  auf  berühmte  Namen  loszuhacken 
pflege,  eine  allgemeinere,  wenn  auch  nicht  allseitige  Aner- 
kennung zu  finden  vermögen. 


428  Siebentes  Capitel. 

Indem  nun  Petrarca  schliesslich  von  seiner  eigenen  Un- 
wissenheit auf  diejenige  Anderer  zu  sprechen  kommt,  gesteht 
er,  nirgends  eine  grössere  entdeckt  zu  haben,  als  bei  seinen 
anmaasslichen  Richtern  selbst.  Und  überhaupt  wie  beschränkt 
und  wie  schwankend  sei  alles  menschliche  Wissen!  wie  haben 
gerade  die  gelehrtesten  Männer  die  ungeheuere  Lückenhaftig- 
keit ihres  Wissens  erkennen  müssen!  Gern  wolle  er  daher 
auf  den  Ruhm  der  Gelehrsamkeit  verzichten  und  sehr  zufrie- 
den sein,  wenn  er  nur  so  viel  wisse,  als  zum  Seelenheile  er- 
fordert werde.  Und  übrigens  werde  ja  die  unparteiische 
Nachwelt  entscheiden,  in  wie  weit  er  den  Ruhm  eines  Ge- 
lehrten verdiene  oder  nicht.  Der  Nachwelt  also  stelle  er  die 
Entscheidung  darüber  anheim,  der  Nachwelt,  bei  der  seine, 
schon  bei  Lebzeiten  kaum  in  der  Nachbarschaft  bekannten 
Richter  sicherlich  vergessen  sein  würden.  Den  Freunden  aber 
zürae  er  nicht:  wisse  er  doch,  dass  sie  nur  vom  Neide  über- 
wältigt und  also  nicht  mit  Bewusstsein  gehandelt  hätten.  Auch 
tröste  er  sich  mit  der  Erwägung,  dass  es  den  grössten  Männern 
nicht  an  Neidern  gefehlt,  dass  ein  Thersites  den  Agamemnon 
und  Achilles,  ein  Pescennius  Niger  das  Scipionengeschlecht  zu 
schmähen  gewagt  habe,  um  anderer  Beispiele  nicht  zu  ge- 
denken. Möchten  ihn  also  immerhin  seine  Freunde  für  unge- 
lehrt halten,  wenn  sie  ihn  nur  als  einen  guten  und  wohl- 
wollend gesinnten  Mann  lieben  wollten! 

Es  macht  die  Schrift,  welche  wir  soeben  analysirt  haben, 
in  Bezug  auf  den  Charakter  ihres  Verfassers  —  um  zunächst 
dies  zu  erwähnen  —  einen  überaus  ungünstigen  Eindruck,  in- 
dem sie  zeigt,  wie  Petrarca  in  litterarischen  Fehden,  sobald 
seine  Eigenliebe  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird,  sich  des  Ge- 
brauchs keiner  Waffe  schämt  und  die  Gebote  der  höheren 
Sittlichkeit  vollständig  missachtet.  Der  Angriff  seiner  Gegner 
war,  das  ist  rückhaltslos  zuzugeben,  perfid  gewesen;  aber  die 
Art  seiner  Vertheidigung  mit  ihrer  gleissenden  Freundlichkeit 
und  erheuchelten  Bescheidenheit  war  es  nicht  minder,  nament- 
lich wenn  man  bedenkt,  dass  sein  Ruhm  doch  schwerHch  durch 
das  Yerdict  der  vier  jungen  AveiToisten   ernstlich   gefährdet 


Die  Jahre  des  Alters.  429 

erscheinen  konnte  nnd  er  sich  also  kaum  in  der  Lage  der 
Nothwehr  befand.  Besonders  widerlich  aber  berührt  es,  wie 
er  seine  Gegner,  während  er  sie  doch  immer  seine  ., Freunde" 
nennt,  nachdrücklichst  als  Atheisten  und  Religionsspötter 
bezeichnet.  Das  war  unter  den  damaligen  Zeitverhältnissen 
eine  Denunciation,  welche  —  denn  man  bedenke,  dass  es  eine 
kirchliche  Inquisition  gab,  welche  bereits  mehr  als  einen 
Ketzer  verbrannt  hatte!  —  die  gefährlichsten  Folgen  haben 
konnte.  Fast  scheint  es,  als  würde  es  Petrarca  gar  nicht  un- 
lieb gewesen  sein,  wenn  seinen  „Freunden"  der  peinliche 
Process  gemacht  worden  wäre.  Man  sieht  eben,  der  grosse 
Mann  war,  wenn  seine  Eitelkeit  gereizt  wurde,  ein  recht  kleiner 
Charakter:  jeder  noch  so  unbedeutende  Nadelstich  konnte  seine 
Empfindlichkeit  reizen  und  ihn  in  die  unbändigste  Wuth  ver- 
setzen, in  welcher  er  dann  alle  die  sittlichen  Ideale,  mit  denen 
er  so  gern  zu  prunken  pflegte,  völlig  vergass.  So  hatte  ein- 
mal Jemand,  vermuthlich  ein  eifersüchtiger  Dichter,  an  Pe- 
trarca's  Dichtungen  und  Dichterkrönung  gemäkelt  —  sofort 
schleuderte  der  Lorbeergekrönte  zwei  lange  Episteln  gegen 
den  „Zoilus",  der  Solches  gewagt,  und  entwarf  in  ihnen  mit 
giftgetränkter  Feder  ein  abschreckendes  Bild  von  seinem 
Gegner  ^).  P'ast  noch  schlimmer  erging  es  einem  Anderen, 
welcher  Petrarca  einen  prosodischen  Schnitzer  nachgewiesen 
hatte  oder  nachgewiesen  zu  haben  glaubte.  Petrarca  über- 
häufte den  Aermsten  in  einer  poetischen  Epistel^)  mit  allen 
erdenklichen  Schmähungen:  er  bezeichnete  ihn  als  einen  unzu- 
rechnungsfähigen, weil  immer  in  Trunkenheit  und  Unzucht 
versunkenen  Menschen,  er  nannte  ihn  einen  tollen  Hund,  eine 
betrunkene  Elster ,  die  mit  den  Musen  streiten ,  einen  Affen, 
der  den  Tiger  reizen,  eine  Spinne,  die  mit  der  Minerva  in  der 
Webekunst  wetteifern,  und  endlich  einen  Raben,  der  die 
Schwäne  verhöhnen  wolle!  Wer  erinnert  sich  bei  solchen 
Expectorationen  nicht  an  jene  keifenden  Mönche   des  Mittel- 

1)  Ep.  poet.  lat.  II  11  u.  18. 

2)  Ep.  poet.  lat.  III  26. 


430  Siebentes  Capitel. 

alters,  welche,  wenn  ihnen  von  irgend  Jemandem  ein  Fehler 
aufgestochen  worden  war,  in  förmliche  Raserei  geriethen  und 
dickleibige  Volumina  mit  den  ärgsten  Schimpfwörtersamm- 
lungen gegen  den  Kritikus  verfassten?  Und  in  der  That 
scheint  Petrarca  etwas  von  der  den  klösterlichen  Cölibatären 
so  oft  eigenen  Gallsucht  in  sich  gehabt  zu  haben.  Aber  seine 
Reizbarkeit  hatte  noch  einen  anderen  Grund.  Nicht  ohne  eine 
gewisse  Berechtigung  betrachtete  er  die  humanistische  Wissen- 
schaft als  seine  Domaine,  als  ein  Gebiet,  über  welches  ihm 
allein  die  souveräne  Herrschaft  zustehe,  und  er  wies  demnach 
jeden  Eingriff  eines  Anderen  in  dasselbe  als  einen  Angriff  auf 
sein  rechtmässiges  Eigenthum  zurück.  Aehnlich  haben  ja  zu 
jeder  Zeit  Alle  gehandelt,  welche  ein  neues  Gebiet  des  Wissens 
erschlossen,  und  es  ist  im  letzten  Grunde  eine  solche  Hand- 
lungsweise nur  eine  nothwendige,  wenn  auch  sittlich  nicht  er- 
fi-euliche  Erscheinungsform  des  vielbesprochenen  „  Kampfes 
um  das  Dasein". 

Dieselbe  Reizbarkeit  und  Empfindlichkeit,  wie  ihrem 
Meister  Petrarca,  war  auch  seinen  Nachfolgern,  den  späteren 
Humanisten,  eigen.  Unter  ihnen  entbrannte  geradezu  der 
Krieg  Aller  gegen  Alle:  Keiner  wollte  den  Anderen  anerkennen 
und  gelten  lassen,  ein  Jeder  suchte  den  Anderen  mit  allen 
den  vergifteten  Waffen  einer  sophistischen  Rhetorik  zu  be- 
kämpfen und  zu  verdrängen,  ein  Jeder  hegte  gegen  den  An- 
deren dieselbe  boshafte  Missgunst.  So  unerfreulich  und  ver- 
dammenswerth  indessen  auch  vom  sittlichen  Standpunkte  aus 
ein  solches  Treiben  ohne  Frage  war,  so  muss  doch  bemerkt 
werden,  dass  ohne  diesen  steten  Kampf,  der  die  Kräfte  der 
Streitenden  entwickelte  und  stärkte,  der  Humanismus  sich 
schwerlich  in  gedeihlicher  Weise  zu  entwickeln  vermocht  hätte. 
Denken  wir  uns,  dass  die  Humanisten  in  einem  friedlichen  und 
freundlichen  collegialischen  Verhältnisse  zu  einander  gestanden 
hätten,  so  würden  sie  sich  vermuthlich  zu  einer  gelehrten 
Zunft  verknöchert  und  es  würde  in  derselben  die  bornirte 
Mittelmässigkeit  dominirt  haben. 

Wie  soll   man  über  Petrarca's   Antagonismus  gegen  die 


Die  Jahre  des  Alters.  431 

Aristoteliker  urtlieilen?  welche  Partei  besass  in  dem  so  er- 
bittert ijefülirten  Kampfe  das  höhere  Recht?  Schwierig  für- 
wahr ist  der  Frage  Entscheidung,  doch  dürfte  vielleicht  fol- 
gende Bemerkung  ungefähr  das  Richtige  treffen.  Unter  den 
wissenschaftlichen  Verhältnissen,  wie  sie  damals  bestanden, 
war  Petrarca's  Kampf  gegen  den  Aristotelismus  voll  berechtigt, 
denn  dieser  hätte,  da  er  bei  der  geistigen  Unreife  der  da- 
maligen Generation  und  dem  noch  so  kindlich  niederen 
Stande  der  Naturwissenschaften  nur  mechanisch  erfasst,  nicht 
aber  geistig  durchdacht  und  ausgebildet  werden  konnte,  zu 
einem  Formalismus  der  schlimmsten  Art  führen  und  das 
geistige  Denken  ertödten  müssen  Aeusserlich  betrachtet,  mag 
allerdings  der  averroistische  Aristotelismus,  der  gegen  das 
Christenthum  Opposition  zu  machen  und  die  Ewigkeit  der 
Materie  zu  behaupten  wagte,  gegenüber  der  Religionsphiloso- 
phie Petrarca's  die  freiere  Richtung  des  Denkens  darzustellen 
scheinen,  aber  in  Wahrheit  war  doch  auch  er  durch  und  durch 
dogmatisch,  denn  seine  Lehrsätze  waren  von  ihren  Bekennern 
nicht  durch  selbständiges  Forschen  gefunden  worden,  sondern 
sie  wurden,  und  zwar  theil weise  recht  unverstanden,  dem 
griechischen  Meister  und  dessen  arabischem  Commentator  nach- 
gebetet. Für  die  Menschen  des  vierzehnten  Jahrhunderts, 
welche  nun  einmal  den  Dogmatismus  nicht  innerlich  zu  über- 
winden vermochten,  war  entschieden  Peti-arca's  eklektische 
und  religiös  durchhauchte,  jedes  Systems  entbehrende  Philo- 
sophie die  ungleich  bessere,  weil  anregendere  und  vom  Drucke 
des  Formelwesens  erlösende  Denkweise.  Ganz  anders  freilich 
gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  man  von  einem  allgemeineren 
Standpunkte  aus  sie  betrachtet  und'  beurtheilt.  Sehr  schlimm 
wäre  es  gewesen,  wenn  Petrarca's  Anschauungsweise  und  sein 
Widerwille  gegen  die  materialistische  Weltanschauung  auch 
für  die  Folgezeit  maassgebend  geblieben  sein  wlirde.  Es  würde 
damit  jede  Entwickelung  der  Erfahrangswissenschaften  von 
vom  herein  unmöglich  gemacht,  die  Menschheit  nie  aus  einem 
träumerischen  Idealismus  erweckt  worden  sein.  Zum  Glück 
ist   es   nicht  also  gekommen.     Die  Menschen  lernten  in   der 


432  Siebentes  Capitel. 

Schule  des  Humanismus  denken  und  Kritik  üben  und,  nach- 
dem sie  dies  gelernt,  konnten  sie  vom  Banne  des  Dogmatismus 
sich  lösen.  Kein  Zufall  ist  es,  dass  nach  dem  Zeitalter  der 
Renaissance  im  engeren  Sinne  die  grossen  Philosophen  und 
Naturforscher  auftreten.  Freilich  fehlte  auch  die  Gegenströ- 
mung nicht.  Reformation  und  Gegenreformation  bemühten 
sich  wetteifernd  und  erfolgreich  um  die  Wiederherstellung  des 
Dogmatismus,  und  noch  wogt  der  Kampf  unentschieden  hin  und 
her,  um  vielleicht,  ja  wahrscheinlich  nie  entschieden  zu  werden. 

Sonach  würde  zu  urtheilen  sein,  dass  Petrarca  das  relative, 
der  Aristotelismus  das  absolute  Recht  auf  seiner  Seite  hatte, 
und  damit  ist  Petrarca  ein  grosses  Verdienst  vindicirt,  denn 
selbstverständlich  darf  von  einem  ]\Ianne  nur  gefordert  werden, 
dass  er  das  für  seine  Zeit  Heilsame  verficht.  Das  that  Pe- 
trarca und  das  ist  sein  Verdienst.  Freilich  aber  wird  man 
nicht  leugnen  können,  dass  er  sich  dasselbe  halb  unbewusst 
erwarb.  Deutlich  nämlich  erkennt  man,  wie  seine  Opposition 
gegen  den  Aristotelismus  weit  mehr  eine  Sache  des  Gemüthes» 
als  des  Verstandes  war:  unbequem  war  es  ihm,  in  seinen  re- 
ligiösen Ueberzeugungen  gestört  zu  werden  und  seinem  aesthe- 
tischeu  Empfinden  war  es  unmöglich,  sich  mit  dem  styllosen 
Aristoteles  zu  befreunden,  unbehaglich  auch  im  höchsten  Grade 
war  ihm  der  Gedanke,  dass  der  Araber  x\verroes  ein  grosser 
Philosoph  sein  sollte,  denn  Alles,  was  nicht  griechisch  und 
römisch  imd  nicht  italienisch  war,  galt  ihm  von  vornherein  als 
etwas  Barbarisches,  das  unmöglich  bewundernswerth  sein 
könne,  ganz  besonders  aber  waren  ihm  die  ungläubigen  Araber 
verhasst  ^). 

Gern  würde  Petrarca  den  Kampf  gegen  die  Averroisten 
im  gi'össeren  Maassstabe  aufgenommen  und  ihre  Irrlehre  durch 
ein  umfangreiches  Werk  widerlegt  haben.  Anderweitige  Be- 
schäftigungen aber  und  die  Beschwerden  des  Alters  gestatteten 
ihm  dies   nicht  und  so   forderte  er   einen  jungen  Freund  auf^ 

')  vgl.  Ep.  Sen.  XII  2. 


II 


Die  Jahre  des  Alters.  433 

für  ihn  einzutreten  ^),  docli  Luigi  Marsili  —  das  war  des 
jungen  Mannes  I^ame  —  leistete  dieser  Mahnung  keine  Folge. 

Nachdem  er  in  Venedig  so  schwer  gekränkt  worden  war, 
mochte  Petrarca  sieh  daselbst  nicht  mehr  recht  wohl  fühlen 
und  siedelte  daher  nach  Padua  über,  das  er  ja  wegen  der 
von  ihm  dort  besessenen  kirchlichen  Pfründe  als  eine  Art 
Heimath  betrachten  konnte,  um  so  mehr,  als  er  sich  in  dieser 
Stadt  wiederholt  längere  Zeit  aufgehalten  hatte.  Wann  seine 
Uebersiedelung  dorthin  erfolgte,  lässt  sich  nicht  mit  voller 
Sicherheit  angeben,  indessen  da  er  den  die  Schrift  „de  sui 
ipsius  etc.  ignorantia"  begleitenden  Brief  an  Donato  „Padua, 
13.  Januar  (1368)"  datirte,  so  wird  man  annehmen  düifen, 
dass  er  bereits  am  Schlüsse  des  Jahres  1367,  etwa  in  der 
Weihnachtszeit,  nach  Padua  gekommen  sei.  Vermuthlich  er- 
folgte, wie  das  bei  der  Nähe  der  beiden  Städte  begreiflich  war, 
die  Uebersiedelung  von  Venedig  nach  Padua  nur  allmählich, 
so  dass  Petrarca  eine  Zeit  lang  abwechselnd  bald  in  der  einen, 
bald  in  der  anderen  Stadt  lebte,  bevor  «r  sich  zur  gänzlichen 
Aufgabe  des  Aufenthaltes  in  Venedig  entschloss. 

Padua  bot  Manches  dar,  was  dem  greisen  Dichter  das 
Verweilen  daselbst  angenehm  machen  konnte.  Namentlich 
aber  fehlte  es  dort  nicht  an  geistiger  Anregung,  denn  die  be- 
rühmte Universität  zälilte  gerade  damals  eine  Anzahl  der  be- 
deutendsten Männer  unter  ihren  Lehrern  2).  Der  Fürst  der 
Stadt,  Francesco  da  Carrara,  des  im  Jahre  1350  ermordeten 
Giacomo  II.  ältester  Sohn,  war  selbst  ein  Freund  der  Wissen- 
schaften und  Künste  und  förderte  sie  nach  bestem  Vermögen  2), 
durch  welches  edle  Streben  er  sich  ein  Anrecht  auf  ein  günsti- 
geres Urtheil  der  Nachwelt  erworben  hat,,  als  ihm  sonst  in 
Hinblick  auf  seine  politische  Thätigkeit  —  denn  in  dieser 
waltete  er  nach  der  gewöhnlichen  Tyrannenart  —  zuerkannt  wer- 
den könnte.    Petrarca  hatte  einst,  wie  wir  sahen  (S.  249  f.),  der 


>)  Ep.  Sen.  XV  6. 

■^)  vgl.  Malmignati,  Petrnrca  a  Padova  etc.  p.  36  f. 

•■')  vgl.  Malmignati,  1   1. 

Körting,  Petrarca.  28 


434  Siebentes  Capitel. 

Gunst  des  Vaters  Francesco's  sich  erfreut  und  dieselbe  mit 
aufrichtigster  Zuneigung  erwidert,  jetzt  wurde  ihm  von  Seiten 
des  Sohnes  die  gleiche  ehrende  Gunst  zu  Theil  und  er  lohnte 
sie  mit  der  gleichen  dankbaren  Zuneigung.  Das  Verhältniss 
zwischen  dem  greisen  Dichter  und  dem  noch  jugendlichen 
Fürsten  war  ein  überaus  inniges  und  über  die  conventioneilen 
Schranken  der  Standesungleichheit  sich  hinwegsetzendes,  es 
gemahnt  in  manchen  Zügen  an  das  herrliche  Freundschafts- 
bünduiss  Karl  August's  von  Weimar  mit  Goethe.  Francesco 
erwies  Petrarca  die  Liebe  und  Aufmerksamkeit  eines  Sohnes, 
und  Petrarca  wiederum  war  dem  Fürsten  mit  väterlicher 
Freundschaft  zugethan.  Ein  schönes  Denkmal  dieses  edlen 
Verhältnisses  zwischen  dem  Fürsten  und  dem  Dichter  ist  der 
Brief,  welchen  der  letztere  an  den  ersteren  richtete,  um  seine 
Ansichten  über  die  beste  Art  der  Staatsverwaltung  ihm  darzu- 
legen ')•  Wir  theilen  den  Inhalt  dieser  in  mancher  Beziehung 
interessanten  Epistel  in  Kurie  mit. 

Vor  allen  Dingen,  lehrt  Petrarca,  solle  der  Fürst  nach 
der  Liebe  seiner  Unterthanen  trachten  und  zu  erreichen 
suchen,  dass  er  nur  von  den  Bösen  gefürchtet  werde:  denn 
ganz  thöricht  sei  die  Handlungsweise  derjenigen  Herrscher  ge- 
wesen, welche  von  allen  ihren  Unterthanen  hätten  gefürchtet 
sein  wollen  ^).  Das  Mittel  aber ,  um  Liebe  zu  erwerben ,  sei 
nur  die  Liebe  selbst.  Der  Füi*st  solle  eben  alle  seine  Unter- 
thanen lieben,  wenn  auch  nicht  ebenso  wie  seine  Söhne 
(„quantum  filios"),  was  der  Natur  der  Sache  nach  nicht  aus- 
führbar sei,  so  doch  gleichwie  seine  Söhne  („sicut  filios");  er 
solle  den  Staat  als  einen  Köi-per  und  sich  selbst  als  dessen 
Haupt  ansehen.  Der  Fürst  müsse  darnach  streben,  dass  er 
selbst  einst  ruhig  sterben  könne,  von  seinen  Unterthanen  aber 
sein  Tod  als  ein  schweres  Unglück  betrachtet  werde.  Um  das 
zu  erreichen ,   müsse  er  wohlwollend .  gütig  und  gnädig  sein, 


*)  Ep.  San.  XIV  1.  —  In  den  baseler  Ausg.  als  selbständiger  Tractat 
u.  d.  T.  „de  republica  optime  administranda  über"  gedruckt. 
-)  Dieser  ganze  Gedanke  ist  aus  Cic.  off.  2,  7  entlehnt. 


Die  Jahre  des  Alters.  435 

letzteres  freilich  nicht  gegen  die  Bösen,  da  dies  ein  den  Guten 
angethanes  Unrecht  sein  würde.  Ferner  solle  der  Fürst  Frei- 
gebigkeit üben,  wenn  nicht  gegen  die  einzelnen  Unterthanen, 
so  doch  gegen  die  Gesammtheit  derselben,  was  er  dadurch  er- 
reichen könne,  dass  er  Kirchen  und  sonstige  für  die  öffentliche 
Benutzung  bestimmte  Gebäude  errichten,  Befestigungswerke 
anlegen  und  Strassen  erbauen  oder  wiederherstellen  lasse. 
Petrarca  nimmt  hierbei  Gelegenheit,  sich  direet  an  Francesco 
mit  der  Bitte  zu  wenden,  er  möchte  die  Strassen  seines  Lan- 
des in  guten  Stand  setzen  lassen,  namentlich  aber  auch  dafür 
Sorge  tragen,  dass  nicht  mehr  so  zahlreiche  Schweine  auf  den 
Gassen  der  Stadt  frei  umherlaufen  dürften,  sowie  auch,  dass  die 
Sümpfe  in  den  euganeischen  Bergen  ausgetrocknet  würden,  zu 
dem  letzteren  Unternehmen  wolle  er  (Petrarca)  selbst  eine 
Geldsumme  beisteuern.  —  Im  Falle  einer  Theuerung,  fährt 
Petrarca  in  seinen  allgemeinen  Vorschriften  fort,  solle  der 
Fürst  nach  Cäsars  und  Augustus'  Beispiel  auch  für  die  Be- 
schaffung des  Getreides  sorgen.  Sei  ein  Herrscher  genöthigt, 
seinem  Volke  Steuerlasten  aufzulegen,  so  thue  er  dies  in  solcher 
Weise,  dass  Alle  erkennen  können,  dass  er  es  nur  nothge- 
drungen  und  ungern  thue,  und  steuere  auch  selbst  von  dem 
Seinigen  bei.  Ein  weiteres  Mittel,  sich  die  Liebe  der  Unter- 
thanen zu  erwerben,  seien  theilnehmende  Besuche  bei  ihnen 
und  ein  freundlicher  Verkehr  mit  ihnen.  —  Grausamkeit  und 
Habsucht  müsse  der  Fürst  gänzlich  meiden,  und  er  müsse 
Sorge  dafür  tragen,  dass  auch  in  seiner  Umgebung  nur  tüch- 
tige und  gute  Leute  sich  befinden;  schon  mancher  Fürst  sei 
ja  nur  durch  die  Schlechtigkeit  seiner  Vertrauten  dem  Volke 
verhasst  geworden.  Ueberhaupt  solle  daher  der  Fürst  sich 
hüten,  seine  Günstlinge  Einfluss  auf  die  Regiemng  gewinnen 
zu  lassen.  Gegen  die  Seinigen  solle  der  Fürst  bescheiden, 
gegen  die  Feinde  hochherzig  sein.  Glück  solle  er  mit  Demuth, 
Unglück  mit  Würde  ertragen.  Diese  Tugenden  zu  üben,  werde 
Francesco  nicht  schwer  fallen,  besonders  was  die  Bescheiden- 
heit anlange,  denn  er  sei  ja  schon  jetzt  so  bescheiden,  dass 
er  sich  einfach  mit  seinem  Namen,  ohne  irgend  welchen  Titel 

28* 


436  Siebentes  Capitel. 

hinzuzufügen,  unterzeichne  und  dass  er  von  sieh  nur  im 
Singular,  nicht  im  pluralis  majestaticus ,  spreche.  Der  Fürst 
solle  endlich  alle  tüchtigen  Männer  ehren,  namentlich  aber 
bedeutende  Gelehrte,  Schriftsteller  und  Dichter.  —  Zum 
Schlüsse  richtet  Petrarca  an  seinen  Landesherrn  wieder  eine 
persönliche  Bitte :  er  möchte  doch  die  Unsitte  abstellen  lassen, 
dass  bei  Leichenzügen  die  Leidtragenden  Strassen  und  Kirche 
mit  lautem  Klagegeschrei  erfüllen. 

Man  sieht,  es  ist  ein  durchaus  ethisches  Fürstenideal, 
welches  Petrarca  in  dieser  EpisteP)  aufstellt.  Mit  einem  sol- 
chen also  begann  die  Renaissance,  um  dann  mit  dem  von  aller 
Ethik  abstrahirenden  „Principe"  Machiavelli's  zu  enden.  Welche 
anscheinend  unermesslich  weite  Kluft  gähnt  zwischen  Petrarca 
und  Machiavelli !  und  doch  genügte  ein  Entwickelungsgang  der 
Renaissancecultur  von  nicht  ganz  zwei  Jahrhunderten,  um 
diese  Kluft  zu  übersehreiten  —  gewiss  ein  Beweis,  auf  welcher 
furchtbar  abschüssigen  Bahn  die  Renaissancecultur  in  ethi- 
scher Beziehung  sich  bewegte.  Noch  eine  weitere  lehrreiche 
Beobachtung  ergibt  sich  aus  der  Vergleichung  Petrarca's  mit 
Machiavelli :  der  erstere  zeigt  sich  als  ein  wohlmeinender,  aber 
unpraktischer  Idealist,  der  letztere  dagegen  als  ein  eminent 
praktischer  und  staatskluger  Realist.  So  trieb  die  Renais- 
sance von  dem  Idealismus  rasch  dem  Realismus  zu,  sie  ver- 
liess  die  Wolken  der  Ideen  und  betrat  den  festen  Boden  der 
wirklichen  Verhältnisse. 

So  angenehm  indessen  Petrarca  in  Padua  auch  durch  seine 
freundschaftlichen  Beziehungen  zu  dem  Herrn  der  Stadt  wohnen 
mochte,  ein  ruhiges  Bleiben,  wie  es  seinem  Alter  und  seiner 
allgemach  verfallenden  Gesundheit  angemessen  gewesen  wäre, 
kannte  er  auch  jetzt  noch  nicht.  Dauernd  in  der  Stadt  zu 
wohnen,  war  ihm  unmöglich.  Hatte  er  doch  immer  für  das  Land- 
leben geschwärmt  und  die  kleinen  Unannehmlichkeiten,  welche 
das  geräuschvolle  städtische  Treiben  mit   sich  bringt,    schwer 


^    Datirt  ist  dieselbe:  Arquä,  den  28.  November  (jedenfalls  des  Jabres 
1373),  sie  ist  also  eine  der  letzten  Arbeiten  Petrarca's. 


Die  Jahre  des  Alters.  437 

empfunden !  Mit  dem  Alter  hatte  sich  diese  ADneigung  gegen 
das  Stadtleben  noch  gesteigert  und  war  zur  krankhaften  Ner- 
vosität geworden,  jeder  Lärm  konnte  ihn  stören,  jede  an  sich 
noch  so  unbedeutende  Unbequemlichkeit  ihn  reizen :  wir  sahen, 
wie  er  sich  über  das  Geschrei  der  Leidtragenden  bei  Begräb- 
nissen und  über  das  Umherlaufen  der  Schweine  beklagte,  aber 
selbst  das  Hasseln  der  Wagen  war  ihm  unerträglich.  So 
flüchtete  er  denn  schon  im  Jahre  1369^)  wieder  in  die  länd- 
liche Einsamkeit.  Sein  Zufluchtsort  war  das  Dörfchen  Arquä, 
2V2  deutsche  Meilen  südwärts  von  Padua  in  einer  lieblichen 
Landschaft  der  euganeischen  Hügel  gelegen  2).  Hier  nahm  er 
vorläufig  in  dem  daselbst  befindlichen  Augustinerkloster  seine 
AVohnung. 

Auch  auf  das  Reisen  konnte  der  unermüdliche  Wanderer 
noch  nicht  Verzicht  leisten,  und  es  war  ihm  dies  um  so  un- 
möglicher, als  er  von  allen  Seiten  her  ehrende  und  dringende 
Einladungen  empfing.  Kaum  war  er  nach  Padua  übergesiedelt, 
als  er  von  Galeazzo  Visconti  im  Frühjahre  1368  aufgefoideit 
wurde,  sich  nach  Pavia  zu  begeben,  um  an  den  dort  geführten 
Friedensverhandlungen  Galeazzo's  mit  der  Curie  theilzunehmen. 
Er  folgte  dieser  Aufforderung,  verliess  am  25.  Mai  Padua  und 
traf  am  30.  in  Pavia  ein  2).  Nachdem  er  über  einen  Monat 
sich  dort  verweilt  hatte,  wollte  er  zurückkehren,  aber  dies 
wurde  ihm  durch  die  obwaltenden  Zeitverhältnisse  fast  un- 
möglich gemacht.    Die  fortdauernden  Kriegswirren,  von  denen 


^)  Zeitbestimmung  nach  Ep.  Sen.  XI  14.  Dieser  Brief,  dätirt  vom 
1.  November,  beklagt  den  Tod  des  Bonsembiante  Badoario,  welcher  am 
28.  October  1369  (nicht  1366,  wie  b.  Fracassetti,  Lett.  sen.  II  p.  184  irr- 
thümlich  gedruckt  ist)  starb. 

^)  vgl.  die  Angaben  über  Arquä  in  der  Recension  von  Geiger's  „Pe- 
trarcha"  in  der  Beilage  der  Augsb.  Allgem.  Ztg.  vom  11.  Juli  1874.  Aus- 
führliche Schilderung  von  Arquä  in  Tomasini's  Petrarca  Redivivus,  p.  116  ff. 

3)  Dies  und  das  Folgende  nach  Ep.  Sen.  XI  2.;  dass  Petrarca,  wie 
gewöhnlich  angenommen  wird,  von  Pavia  aus  sich  auch  nach  Mailand  be- 
geben und  an  der  Hochzeitsfeier  der  Tochter  Galeazzo's  theilgenommen 
habe,  ist  höchst  unwahrscheinlich,  da  er  dessen  nie  erwähnt,  ßaldelli, 
p.  246,  stützt  sich  nur  auf  das  wenig  verlässliche  Zeugniss  Corio's. 


438  Siebentes  Capitel. 

das  unglückliche  Oberitalien  noch  immer  heimgesucht  wurde, 
Hessen  die  Benutzung  des  Landweges  als  unthunlich  erscheinen, 
aber  selbst  auch  die  relativ  sichere  Rückfahrt  auf  dem  Po- 
flusse,  welche  dann  als  einzige  Möglichkeit  noch  übrig  blieb, 
schien  doch  so    bedenklich,    dass  Petrarca  trotz  wochenlangen 
Harrens   keinen    zur    Fahrt   bereiten    Schiifer  finden   konnte. 
Endlich  erbot  sich  der  Besitzer  einer  Barke,  das  Wagniss  zu 
unternehmen,  und  Petrarca  reiste  also  ab,  trotzdem  dass  seine 
Freunde  ihn  ob  seiner   veiineintlichen  Tollkühnheit  tadelten. 
Jedem  Anderen  würde  auch  in  der  That  die  Fahrt  gefährlich 
genug  geworden  sein  und  wol  sicheres  Verderben  gebracht  haben, 
den  Dichter  aber,    dessen  Namen   die  Italiener  schon  längst 
mit   Ehrfurcht    nannten,   schützte  sein  Ruhm:   die  feindlichen 
Fahrzeuge,  welche  den  Strom,  die  feindlichen  Schaaren,  welche 
die  Ufer  bedeckten,  Hessen  den  Lorbeergekrönten  nicht  nur  un- 
gehindert passiren,  sondeni  die  feindlichen  FeldheiTen  sandten 
ihm  wetteifernd  reiche  Geschenke   an  Wein,  Obst  und  sonsti- 
gen Lebensmitteln   zu.    So   glich   des   Dichters  Fahrt  einem 
Ti-iumphzuge,  und  wahrlich,  es  war  auch  ein  erhabener  Triumph, 
den   hier   geistige  Grösse  inmitten   eines  Zeitalters  der  rohen 
Gewalt  feierte!    Am  Abend  des  19.  Juli  traf  Petrarca  unter 
strömendem   Regen  wieder  in  Padua  ein,   und   auch  hier  em- 
pfing er   einen  neuen  Beweis  der  hohen  Verehrung,  die  man 
ihm    zollte:     noch    in    später    Abendstunde    kam    der    Fürst 
der  Stadt  zu  ihm,  um  ihn  persönlich  zu  bewillkommnen,  und 
verweilte  längere  Zeit  bei  ihm  in  vertraulichem  Gespräche. 

Doch  trotz  des  glücklichen  Ausgangs  dieser  Fahrt  sollte  der 
greise  Dichter  bald  erfahren  müssen,  dass  die  Zeit  des  Wan- 
derns  für  ihn  vorüber  sei  und  dass  das  Alter  gebieterisch 
seine  Rechte  geltend  machen  könne. 

Papst  Urban  V.  hatte,  seitdem  er  wieder  in  Rom  residirte, 
Petrarca  wiederholt  und  in  dringendster  Weise  zu  sich  einge- 
laden, und  wie  hätte  dieser  einem  so  ehrenden  und  seiner 
eigenen  Neigung  so  entsprechenden  Rufe  widerstehen  können? 
wie  hätte  ihn   der  Gedanke  nicht  reizen  sollen,   sein  heissge- 


Die  Jahre  des  Alters.  439 

liebtes  Rom  jetzt,  wo  es  die  lang  entbehrte  Ehre  der  päpst- 
lichen Residenz  wiedererlangt  hatte,  noch  einmal  zu  sehen? 

So  entschloss  er  sich  denn,  die  beschwerliche  Reise  zu 
unternehmen;  indessen  seine  immer  hinfälliger  werdende  Ge- 
sundheit hielt  ihn  lange  zurück.  War  er  doch  im  Jahre  1369 
von  einem  schweren  und  langwierigen  Fieber  heimgesucht  und 
durch  dasselbe  so  entkräftet  worden,  dass  er  nicht  mehr  auf 
den  Füssen  zu  stehen,  sondern  selbst  den  Weg  zur  nahen 
Kirche  nur  mit  fremder  Unterstützung  zurückzulegen  ver- 
mochte').  Endlich  im  Frühjahr  1370  glaubte  er,  hinreichend 
genesen  zu  sein,  und  trat  die  Reise  an,  jedoch  nicht  ohne  vor- 
her, am  4.  April,  sein  Testament  aufgesetzt  zu  haben.  Es 
fehlte  wenig,  so  würde  die  düstere  Ahnung,  mit  welcher  er 
auszog,  sich  bewahrheitet  haben.  Der  durch  Alter  und  Krank- 
heit geschwächte  Körper  war  den  Anstrengungen  der  Reise 
nicht  mehr  gewachsen.  In  Ferrara  angekommen,  wurde  der 
Greis  von  einer  schweren,  todähnlichen  Ohnmacht  befallen, 
welche  mehrere  Stunden  lang  andauerte,  so  dass  sich  bereits 
allüberallhin  das  Gerücht  von  seinem  Hinscheiden  verbreitete. 
Durch  die  sorgsame  Pflege,  welche  er  im  Hause  der  Este,  der 
Herren  von  Ferrara,  fand,  wieder  in's  Leben  zurückgerufen, 
wurde  er  durch  das  ernste  Gebot  der  Aerzte  genöthigt,  auf 
die  Fortsetzung  der  Reise  zu  verzichten,  und  musste  sich,  noch 
immer  zwischen  Tod  und  Leben  schwebend,  in  einem  Boote 
nach  Padua  zurückbringen  lassen,  wo  ihn  Francesco  und  die 
Bürgerschaft  mit  fi-eudigem  Staunen,  wie  einen  aus  dem  Grabe 
Erstandenen,  empfingen^). 

Es  war  für  Petrarca  gewiss  ein  Glück,  dass  er  Rom  nicht 
mehr  erreichte.  Er  würde  dort  die  schmerzlichste  Enttäuschung 
haben  erfahren  müssen.  Urban  V.  und  seine  französischen 
Cardinäle  vermochten  in  dem  wüsten  Rom,  wo  sie  unaufhörlich 
von  den  kleinlichen  Wirren  der  italienischen  Staatshändel  be- 
drängt wurden,   sich   nicht  wohl   zu  fühlen  und   sehnten  sich 


1)  Ep.  Sen.  XI  15  u.  16. 
■')  Ep.  Sen.  XI  17. 


440  Siebentes  Capitel. 

zurück  nach  den  heimischen  Ufern  der  Rhone,  So  fasste  denn  ■ 
der  Papst,  nachdem  er  auch  in  Viterbo  und  Montefiascone  ver- 
gebens eine  ihm  zusagende  Residenz  gesucht  hatte,  schon  im 
Mai  1370  den  Entschluss,  nach  Frankreich  zurückzukehren, 
und  bald  brachte  er  ihn,  aller  flehentlichen  Bitten  der  Römer 
ungeachtet,  zur  Ausführung.  Am  5.  September  verliess  er, 
im  Hafen  von  Corneto  nach  der  Provence  sich  einsehiifend, 
Italien  für  immer  und  zog  am  24.  unter  dem  Jubelrufe  der 
Bevölkerung  wieder  in  Avignon  ein.  Schon  nach  wenigen  Mo- 
naten aber,  am  19.  December,  starb  der  Papst,  einer  furcht- 
baren Krankheit  erliegend.  Fromme  Seelen  glaubten,  dass 
sein  Tod  die  göttliche  Strafe  für  das  Verlassen  Roms  sei  und 
dass  sich  damit  eine  Vision  der  heiligen  Brigitta  erfüllt  habe  ^). 
Petrarca  aber,  so  sehr  er  auch  den  Waukelmuth  des  Papstes 
beklagte,  der  nicht  die  Festigkeit  besessen  hatte,  im  heiligen 
Rom  auszuharren,  betrauerte  sein  Ableben  doch  aufrichtig  und 
bewahrte  ihm  ein  dankbares  und  ehrendes  Andenken  ^j;  auch 
begab  er  sich,  trotz  seines  leidenden  Gesundheitszustandes, 
mit  Francesco  di  Carrara  nach  Bologna,  um  den  für  den  Ver- 
storbenen am  3.  Januar  1371  abgehaltenen  Exequien  beizu- 
wohnen 3). 

Urban's  V.  Nachfolger  wurde  durch  die  am  30.  December 
abgehaltene  Wahl  des  Conclave  der  fromme  Cardinal  Pierre 
von  Beaufort,  der  bei  seiner  am  4.  Januar  1371  erfolgten  Krö- 
nung den  Namen  Gregor  XL  annahm^).  Auch  dieser  erwies, 
wie  alle  seine  Vorgänger  seit  Benedict  XII.,  Petrarca  das 
gi-össte  Wohlwollen  und  lud  ihn  durch  einen  eigenhändigen 
Brief  nach  Avignon  ein^).  Willkommener  freilich  als  eine 
solche  Einladung,  welcher  er  doch  nicht  folgen  konnte,  wäre 
dem  greisen  Dichter  eine  materielle  Unterstützung  von  Seiten 
des  Papstes  gewesen,  um  eine  solche  jedoch  bemühte  er  sich 


1)  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  II  p,  293  ff. 

2)  Ep.  Sen.  XIU  13. 

')  vgl.  de  Sade,  lU  773. 

*)  vgl.  Christophe,  a.  a.  0.  p.  311  ff. 

»j  Ep.  Sen.  XIII  13  XV  3. 


Die  Jahre  des  Alters.  441 

vergebens  und  selbst  die  Vermittelung  des  ihm  eng  befreun- 
deten apostolischen  Secretärs  Francesco  Bruni  vermochte  nicht, 
sie  ihm  auszuwirken.  Vermuthlich  sorgten  die  Stellenjäger  in 
Avignon  eifrigst  dafür,  dass  kein  Auswärtiger  so  leicht  ein 
Benefiz  erlangen  konnte. 

Immerhin  aber  durfte  Petrarca  mit  gerechtem  Stolze  sich 
rühmen,  die  Gunst  und  das  Wohlwollen  von  fünf  Päpsten  ge- 
nossen zu  haben  —  denn  auch  der  ihm  anfänglich  abgeneigte 
Innocenz  VI.  hatte  sich  ja  später  ihm  freundlich  gesinnt  er- 
wiesen —  ,  und  durch  diese  Thatsache  allein  schon  wird  die 
oft  aufgestellte  Behauptung  widerlegt,  dass  der  Begründer  des 
Humanismus  ein  Feind  des  Papstthums  und  dadurch  indirekt 
ein  Vorläufer  der  Reformation  gewesen  sei.  —  — 

Nachdem  die  nach  Rom  angetretene  Reise  so  traurig  unter- 
brochen worden  war,  musste  Petrarca  erkennen,  dass  er  fortan 
auf  das  Reisen  Verzicht  leisten  und  zu  einem  ruhigen  Ver- 
bleiben an  einem  Orte  sich  entschliessen  müsse.  Er  erwählte 
das  lieblich  gelegene  Arquä,  in  welchem  er  bereits  einmal 
(1369)  eine  Villeggiatur  gehalten,  zu  seiner  letzten  Wohnstätte. 
Hier  erwarb  er  durch  Vermittelung  seines  Freundes  Lombarde 
da  Serico  am  22,  Juni  1370  ein  massig  grosses,  mit  Wein- 
stöcken bestandenes  Grundstück  ^),  auf  welchem  er  ein  behag- 
liches Häuschen  errichten  und  einen  Garten  anlegen  Hess  ^). 

Wol  wäre  hier,  inmitten  der  freundlichen  Landschaft, 
welche  in  ihrem  Bilde  südliehe  mit  nordischen  Reizen  vereint, 
im  Angesichte  der  im  Schmucke  der  Olivenbäume  und  Wein- 


^)  Der  Kaufcontract  (abgedruckt  b.  Malmignati,  a.  a.  0.  p.  91  ff.)  ge- 
währt einen  interessanten  Einblick  in  die  Rechtsverhältnisse  der  damaligen 
Zeit,  namentlich  aber  veranschaulicht  er,  zu  welchem  entsetzlichen  bar- 
barischen Jargon  das  juristische  Latein  damals  herabgesunken  war. 

-)  Ep.  Sen.  XII  2.  XIII  7.  XIV  6.  XV  5.  —  Eine  Ansicht  und  einen 
Plan  des  Hauses  Petrarca's,  sowie  Abbildungen  mehrerer  ihm  gehöriger 
Mobilien  (und  auch  von  Petrarca's  Katze!)  gibt  Tomasini  im  Petr.  Rediv. 
p.  153  ff.  —  lieber  die  Lage  des  Hauses  vgl.  Tommaseo  b.  Malmignati 
p.  85  f.  —  Ueber  Arquä  überhaupt  vgl  u.  a.  von  Reumont's  Büchlein  „Dichter- 
gräber" (Berlin,  1846)  (vgl.  auch  Augsb.  Allg.  Ztg.  vom  9.  Sept.  1874, 
Beilage). 


442  Siebentes  Capitel. 

reben  immergrünenden  Hügel  und  im  Genüsse  einer  balsa- 
mischen Luft  1)  ein  beglücktes  Wohnen  dem  Dichter  beschieden 
gewesen,  wenn  anders  nur  die  äusseren  Umstände  günstiger 
gewesen  wären.  Nicht  Jahre  behaglichen  und  beschaulichen 
Lebensgenusses,  wie  nach  einem  unruhvollen  und  vielfach  mit 
Leid  erfüllten  Leben  sein  Alter  sie  wol  hätte  fordern  dürfen, 
sondern  Jahre  schwerer  Drangsal  durchlebte  Petrarca  in  Arquä. 
Seine  einst  so  kräftige  Gesundheit  war  gänzlich  gebrochen  und 
nur  mühsam  vermochte  der  noch  jugendfrische  Geist  den  hin- 
fälligen Leib  aufrecht  zu  erhalten.  Fortwährend  wurde  der 
Greis  von  Fieberanfällen  heimgesucht  und  wiederholt  von 
schweren  Ohnmächten  betroffen.  In  allen  seinen  Briefen  musste 
er  klagen,  wie  gebrechlich  er  geworden  sei  und  wie  er  immer 
an  der  Schwelle  des  Todes  stehe  — ,  mag  immerhin  bei  diesen 
Klagen  einige  Uebertreibung  untergelaufen  sein,  die  Wirklich- 
keit war  jedenfalls  schlimm  genug.  Einen  besonders  schweren 
Anfall  hatte  er  aber  am  8.  Mai  1371  zu  erleiden-').  Die  in 
aller  Eile,  theils  von  Francesco  Carrara  gesandten,  theils  aus 
eigenem  Antriebe  herbeigekommenen  Aerzte  erklärten  nach  langer 
Untersuchung,  dass  der  Kranke  Mitternacht  nicht  überleben 
werde  —  es  war  aber  bereits  gegen  9  Uhr  des  Abends!  — 
und  dass  höchstens,  wenn  man  durch  Festbinden  der  Glieder 
das  Einschlafen  zu  verhindern  suche,  das  Leben  vielleicht  noch 
bis  zum  Tagesanbruch  gefristet  werden  könne.  Petrarca  in 
seiner  grundsätzlichen  Verachtung  ärztlicher  Vorschriften  ver- 
schmähte es,  von  diesem  ihm  thöricht  scheinenden  (und  wol 
auch  in  der  That  höchst  thörichten)  Mittel  Gebrauch  zu  machen 
und  überliess  sich  gottvertrauend  dem  Schlummer,  der  ihn 
denn  auch  wirklich  erquickte  und  zeitweilige  Genesung  brachte. 
Als  am  folgenden  Morgen  die  Aerzte  wieder  kamen  in  der 
sicheren  Erwartung,  eine  Leiche  anzutreffen,  fanden  sie  zu 
ihrem  nicht  geringen  Erstaunen  den  Patienten  leidlich  munter 
am  Schreibtische  sitzen. 


^)  Ep.  Sen.  XIV  10. 
»)  Ep.  Sen.  XIII  8. 


Die  Jahre  des  Alters.  443 

Uebrigens  war  Petrarca  selbst  nicht  ganz  ohne  eigene 
Schuld  an  dem  traurigen  Verfalle  seiner  Gesundheit.  Die 
Quelle  seines  Leidens  war  ohne  Zweifel  eine  empfindliche 
Schwächung  der  Verdauungsorgane.  Gleichwol  aber  wollte  er 
sich  auch  den  einfachsten  und  vernünftigsten  diätetischen  Vor- 
schriften der  Aerzte  nicht  fügen  und  nicht  auf  den  Genuss  des 
kalten  Wassers  und  des  rohen  Obstes,  namentlich  aber  nicht 
auf  die  strenge  Beobachtung  der  kirchlich  gebotenen  Fasttage 
verzichten.  Er  entwickelte  in  Bezug  auf  diese  Dinge  den 
ganzen  rechthaberischen  Eigensinn  eines  alten  und  bigotten 
Mannes  und  war  unermüdlich,  in  umfangreichen  Episteln  seine 
Ansichten  als  die  einzig  richtigen  und  vernunftgemässen  zu 
vertheidigen '). 

Nicht  aber  allein  von  Krankheiten  ward  Petrarca  heim- 
gesucht in  den  Tagen  seines  Alters,  sondern  auch  die  Schrecken 
des  Krieges  warfen  auf  dieselben  ihre  düsteren  Schatten. 
Zwischen  dem  Tyrannen  von  Padua  und  der  Republik  von  San 
Marco  hatten  schon  lange,  anlässlich  des  Salzhandels,  in  Bezug 
auf  welchen  Padua  sich  der  Abiuingigkeit  von  Venedig  ent- 
ziehen wollte,  sowie  wegen  der  freien  Schifffahrt  auf  der  Brenta, 
welche  die  Venetianer  beanspruchten,  arge  Misshelligkeiten 
bestanden,  welche  sich  endlich  am  Schlüsse  des  Jahres  1371 
zu  einem  blutigen  Conflicte  zuspitzten.  Ungeachtet  dass  Fran- 
cesco di  Carrara  alle,  auch  die  verwerflichsten  Mittel,  selbst 
Meuchelmord  und  Bestechung,  gegen  die  Venetianer  anzu- 
wenden sich  nicht  scheute,  nahm  doch  der  Krieg  für  ihn 
sehr  bald  die  ungünstigste  Wendung :  die  venetianischen  Söldner- 
heere drangen  in  das  paduanische  Gebiet  ein,  verheerten  das- 
selbe mit  Feuer  und  Schwert  und  besiegten  die  ihnen  entgegen- 
gesandten Truppen  des  Carraresen.  Endlich  musste  Francesco 
im  September  1373  von  der  Republik  sich  einen  schimpflichen 
Frieden  dictiren  lassen :  er  musste  Landabtretungen  bewilligen, 
ungeheuere  Entschädigungssummen  zahlen  und,  um  die  Demü- 


^)  vgl.  namentl.  die  beiden  Briefe  an  den  Arzt  Giovanni  von  Padua, 
Ep.  Sen.  XII  1  u.  2. 


444  Siebentes  Capitel. 

thigung  vollständig  zu  machen,  seinen  eigenen  Sohn  nach  Ve- 
nedig senden,  damit  er  vor  dem  grossen  Rathe  im  Namen  des 
Vaters  um  Verzeihung  bitte  ^). 

Petrarca  hatte  im  Herst  1372  dem  Kriegssturme  weichen 
und  sein  kaum  begründetes  ti-auliches  Heim  in  Arquä  verlassen 
müssen.  Am  14.  November  war  er  nach  Padua  zui-ückgekehrt, 
nicht  ohne  Besorgniss,  dass  sein  aufgegebenes  ländliches  Besitz- 
thum  dem  Schicksale  der  Plünderung  verfallen ,  vielleicht  wol 
gar  in  Brand  gesteckt  werden  könnte.  Ein  Freund  hatte  ihm 
zwar  gerathen,  sein  Haus  dadurch  vor  jeder  Unbill  zu  schützen, 
dass  er  seinen,  jedem  Italiener  theueren  Namen  an  die  Ein- 
gangspforte schreibe;  doch  hatte  er  diesen  Vorschlag  als  un- 
praktisch verworfen  ^).  Indessen  schetnt  es ,  dass  sich  keine 
feindliche  Hand  an  des  Dichters  Villa  vergriffen  habe,  da  dies 
sonst  wol  in  dem  Brief  berichtet  sein  würde.  Jedenfalls,  nach- 
dem der  Frieden  wieder  hergestellt  war,  bezog  Petrarca  sein 
Landhaus  aufs  Neue,  um  es  nun  nicht  mehr  zu  verlassen.  Vor- 
her aber,  im  September  1373,  hatte  er  sich  noch  der  lästigen 
Mühe  unterziehen  müssen,  Franceseo's  Sohn,  den  jungen  Fran- 
cesco Novello  di  Carrara,  auf  der  schimpflichen  Bittfahrt  nach 
Venedig  zu  begleiten  und  in  dessen  Namen  vor  dem  grossen 
Rathe  zu  sprechen^).  Wie  eigenthümlich  muss  es  Petrarca 
ergriffen  haben,  jetzt  in  der  Rolle  eines  Bittflehenden  vor  der- 
selben Versammlung  zu  erscheinen,  vor  welche  er  einst  als 
der  Abgesandte  des  mächtigen  Erzbischofs  Giovanni  Visconti 
getreten  war!  und  wie  seltsam  auch  muss  es  ihn  bewegt  haben, 
wenn  er  jetzt,  offenbar  am  Ende  seiner  diplomatischen  Lauf- 
bahn stehend,  an  den  einstigen  Beginn  derselben  zurückdachte, 
als  er  vor  nun  gerade  dreissig  Jahren  vom  Papste  an  den 
Königshof  Neapels  gesandt  worden  war!  Sachlich  freilich 
konnte  er  kaum   mit  sonderlicher  Befriedigung  auf  die  zahl- 


^)  vgl.  Leo,  a.  a.  0.  HI  p.  88  ". 

•^)  Ep.  Sen.  XIII  16  u.  17. 

^)  vgl.  über  die  Reise  die  eingehende  Untersuchung  von  R.  Fulin  in 
dem  Sammelwerke  „Petrarca  e  Venezia"  p.  310—327.  Fulin  ist  geneigt, 
die  Reise  in  Zweifel  zu  ziehen. 


Die  Jahre  des  Alters.  445 

reichen  diplomatischen  Missionen  zurückblicken,  mit  denen  er 
im  Laufe  dieser  Jahre  betraut  worden  war,  aber  doch  durfte 
er  sich  eines  Erfolges  seiner  politischen  Thätigkeit  rühmen: 
er  hatte  bewirkt,  dass  der  Humanismus  auch  im  politischen 
Verkehre  Einfluss  gewonnen  hatte,  dass  das  barbarische  Kanzlei- 
latein mehr  und  mehr  verdrängt  ward  und  dass  der  Diplomat 
wieder,  wie  in  den  Zeiten  des  Alterthums,  in  Wahrheit  ein 
„Redner  (orator)"'  sein  musste.  Die  Zeit  sollte  nicht  mehr 
fern  sein,  wo  unter  Umständen  eine  stylvoll  redigirte  Staats- 
schrift, eine  elegante  Gesandtschaftsrede  des  Humanisten  grös- 
sere Erfolge  errang,  als  das  siegreiche  Schwert  eines  Feld- 
herren.   

Nach  Arquä  zurückgekehrt  nahm  Petrarca,  soweit  seine 
leidende  Gesundheit  es  gestattete,  das  altgewohnte  Leben  wieder 
auf.  Er  war  unermüdlich  in  seiner  litterarischen  Thätigkeit, 
wenn  dieselbe  sich  jetzt  auch  allerdings  fast  nur  auf  die  Epi- 
stolographie ,  die  Abfassung  von  Gelegenheitsschriften  und  die 
Ueberarbeitung  früherer  Werke  beschränkte.  Aber  auch  neue 
Bahnen  veimochte  sein  immer  reger  Geist  selbst  noch  im 
Alter  einzuschlagen.  Es  war  ihm  bis  dahin,  seltsam  genug, 
seines  Freundes  Boccaccio  schönes  Prosawerk,  der  Decamerone, 
unbekannt  geblieben.  Jetzt  erst,  im  Jahre  1373,  lernte  er  es 
kennen  und  besass  noch  jugendliche  Geistesfrische  genug, 
um  sich  durch  die  Leetüre  desselben  fesseln  zu  lassen.  Be- 
sonders aber  gefiel  ihm  die  Novelle  von  der  Griseldis ,  mit 
welcher  bekanntlich  der  Decamerone  abschliesst,  und  geleitet 
von  dem  Wunsche,  dass  sie  auch  weiteren  Kreisen  bekannt 
werden  möchte,  als  dies  in  ihrem  italienischen  Gewände  mög- 
lich gewesen  wäre,  entschloss  er  sich,  sie  in  das  Lateinische 
zu  übertragen.  Er  ahnte  gewiss  nicht,  wie  sein  Wunsch  in 
schönster  Weise  sich  erfüllen,  wie  Englands  grosser  Dichter 
Chaucer,  sein  Zeitgenosse  und  vielleicht  auch  persönlich  ihm 
bekannt^),    diese   lateinische   Bearbeitung   zu   einer    der   an- 

')  Die  Erörterung  dieser  schwer  zu  beantwortenden  Frage  würde  hier 
zu  weit  führen  und  muss  einem  andern  Orte  vorbehalten  bleiben,  vgl.  Hertz- 
berg in  der  Einleitung  zur  Uebersetzung  der  Canterbury  Tales  (Hildburg- 


446  Siebentes  Capitel. 

muthigsten  Erzählungen  der  Canterbury-Geschichten  gestalten 
würde?  Man  ersieht  hieraus  recht  deutlich,  wie  die  von  einem 
grossen  Geiste  ausgestreuten  Saamenkörner  der  Bildung  oft  weit- 
hin vom  Winde  verweht  werden,  um  dann  auf  fremdem  Boden 
noch  hundertfältige  Frucht  zu  tragen. 

Was  Petrarca's  Latinisirung  der  Novelle  i)  selbst  anlangt, 
so  ist  dieselbe  keineswegs  eine  Uebersetzung  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes,  sondern  durchaus  eine  freie  lateinische  Be- 
arbeitung des  gegebenen  Stoffes,  welche  zu  der  Vennuthung 
berechtigt,  dass  Petrarca  ihn  bereits  aus  einer  anderen  und  zwar 
älteren  Quelle  kannte  ^).  Im  Wesentlichen  stimmt  indessen  in 
Bezug  auf  das  Sachliche  die  Bearbeitung  mit  dem  Originale 
überein,  hinzugefügt  hat  Petrarca  nur  mehrere  moralische  Re- 
flexionen, namentlich  einige  Hindeutungen  darauf,  dass  die 
Handlungsweise  des  Marchese  von  Saluzzo  eine  rohe  und  durch 
Nichts  gerechtfertigte  gewesen  sei.  Am  Schlüsse  der  Novelle 
fügt  er  noch  die  Erkläiiing  hinzu,  dass  er  sie  wiedererzählt 
habe  nicht  sowol,  um  die  Frauen  seiner  Zeit  zu  einer  gleichen 
Ergebung  in  den  Willen  des  Gatten,  welche  kaum  nachgeahmt 
werden  könne,  als  vielmehr  zur  Ergebung  in  den  Willen  Gottes 
zu  ermahnen,  denn  Gott  prüfe  zuweilen  die  Seinen  in  ähnlicher 
Weise  wie  der  Marchese  von  Saluzzo  seine  Gemahlin. 

Die  Bearbeitung  ist  begleitet  von  zwei  Briefen  an  Boc- 
caccio ,  deren  einer  ihr  voraus- ,  der  andere  ihr  nachgeschickt 
ist.  In  dem  ersten  erzählt  Petrarca,  dass  er  zufällig  in  den 
Besitz  des  Decamerone  gekommen  sei  und  zwar,  durch  viele 
Beschäftigungen  und  durch  die  unruhigen  Zeiten  gehindert, 
das  Buch  nicht  eigentlich  gelesen,  aber  doch  durchblättert 
habe.  Im  Allgemeinen  habe  ihm  bei  dieser  flüchtigen  Durch- 
sicht das  Werk  wohl  gefallen,  die  hier  und  da  allerdings  her- 


hausen 1870.)  p.  43.  Bemerkt  sei  hier  nur,  dass  sich  in  Petrarca's  Werken  nir- 
gends eine  Andeutung  persönlicher  Bekanntschaft  mit  Chaucer  findet,  was 
indessen  keineswegs  entscheidend  ist. 

^)  Ep.  Sen.  XVII  3  (in  den  baseler  Ausg.  separat  gedruckt  u.  d.  T. 
„de  obedientia  ac  fide  uxoria  mythologia.")- 

^)  vgl.  Hertzberg,  Anmerkungen  zu  den  Canterbury  Tales,  p.  625  f. 


Die  Jahre  des  Alters.  447 

vortretende  Lascivität  entschuldige  er  gern  mit  dem  jugend- 
lichen Alter,  in  welchem  der  Dichter  zur  Zeit  seiner  Abfassung 
gestanden  habe,  sowie  mit  den  im  Style  und  im  Gebrauche 
der  Vulgarsprache  enthaltenen  Verlockungen  und  endlich  mit 
dem  leichten  Sinne  des  Leserkreises,  für  welchen  derartige 
Schriften  bestimmt  seien.  Genauer  habe  er,  wie  dies  ja  zu 
geschehen  pflege,  nur  den  Eingang  und  den  Schluss  des  Buches 
geprüft  und  beide  hätten  seinen  vollen  Beifall  gefunden:  in 
dem  ersteren  habe  er  die  Schilderung  der  Pest,  in  dem  letz- 
teren die  sinnige  Dichtung  bewundert.  Diese  habe  ihm  so  gut 
gefallen,  dass  er  sie  in  einem  Freundeskreise  wiedererzählt  und 
dann,  um  sie  auch  denen,  welche  der  Vulgarsprache  nicht  kundig 
seien,  mitzutheilen,  den  Entschluss  ihrer  Uebersetzung  in  das 
Lateinische  gefasst  habe.  Er  habe  sich  also  dadurch  zu  Boccac- 
cio's  Uebersetzer  gemacht  und  hoffe,  dass,  da  er  einem  An- 
deren diese  Gefälligkeit  nicht  leicht  erweise,  Boccaccio  sich 
über  seinen  Entschluss  freuen  werde.  Li  der  Uebersetzung 
selbst  habe  er  sich,  ohne  indessen  die  Erzählung  selbst  zu 
ändern,  nicht  sklavisch  an  den  Wortlaut  gehalten,  sondern  die 
Mahnung  des  Horaz  sich  zur  Richtschnur  genommen :  „nee  ver- 
bum  verbo  curabis  reddere  fidus  Interpres."  (A.  P.  v.  133.) 

In  dem  zweiten  Briefe  berichtet  Petrarca  zunächst  über 
den  Eindruck,  den  die  Leetüre  der  Novelle  auf  einige  seiner 
Freunde,  die  zugleich  auch  Boccaccio's  Freunde  seien,  gemacht 
habe.  Ein  veroneser  Freund  habe  ihr  den  Vorwurf  der  Un- 
wahrscheinlichkeit  gemacht,  doch  habe  er  (Petrarca)  sie  da- 
gegen vertheidigen  zu  müssen  geglaubt,  da  man  nicht  Alles, 
dessen  man  sich  selbst  wegen  der  eigenen  moralischen  Schwäche 
nicht  für  fähig  erachte,  ohne  Weiteres  für  unwahrscheinlich  er- 
klären dürfe :  seien  doch  auch  die  Thaten  eines  Cui-tius ,  eines 
Mucius  und  der  Decier,  einer  Porcia,  Hypsikratea  und  Alcestis 
für  die  Menschen  der  Gegenwart  viel  zu  hoch  und  unbegreif- 
lich, und  dennoch  seien  sie  wirklich  vollbracht  worden. 

Im  weiteren  Verlaufe  des  Briefes  beklagt  sich  Petrarca 
bitterlich  über  die  neuerdings  eingerissene  Unsicherheit  des 
Briefverkehrs:  die  Briefe  würden  von  den  Dienern  argwöhnischer 


448  Siebentes  Capitel. 

oder  neugieriger  Machthaber  erbrochen  und  von  den  letzteren 
gelesen,  wol  auch  abgeschrieben  oder  gar,  wenn  man  sich  diese 
Mühe  sparen  wolle,  einfach  zurückbehalten  \).  Er  werde  dess- 
halb  in  Zukunft  darauf  verzichten  —  so  schwer  auch  ein  sol- 
cher Verzieht  dem  geschwätzigen  Alter  falle  — ,  in  seinen 
Briefen  mit  Ausführlichkeit  zu  schreiben,  sondern  werde  sich 
auf  das  zum  Verständnisse  Nothwendige  beschränken.  — 

Den  am  Schlüsse  dieses  Briefes  ausgesprochenen  Vorsatz 
vermochte  der  unermüdliche  Epistolograph  freilich  nicht  zur 
Ausführung  zu  bringen,  sondern  schrieb  auch  fernerhin  noch 
und  fast  bis  zum  letzten  Athemzuge  ausführliche  Briefe '').  Er 
blieb  eben  auch  in  den  Beziehungen  zu  seinen  Freunden  jugend- 
lich frisch  und  rührig.  Der  Kreis  seiner  alten  Freunde  freilich 
war  schon  sehr  gelichtet  und  lichtete  sich  immer  mehr  und 
mehr.  So  war  auch  am  27.  August  1372  zu  Perugia,  wo  er 
als  päpstlicher  Cardinallegat  verweilte,  Philipp  von  Cabassoles, 
der  vormalige  Bischof  von  Cavaillon,  gestorben,  nachdem  er 
bereits  früher  einmal  fälschlich  todt  gesagt  worden  war.  Seit 
dem  Jahre  1353  hatte  Petrarca  den  Freund  nicht  mehr  ge- 
sehen, denn  dieser  war  im  fernen  Gallien  verblieben,  und  als 
er  endlich  im  Jahre  1371  nach  Italien  gekommen  war,  hatte 
Petrarca  vergebens  sich  bemüht,  ihn  in  Perugia  aufzusuchen  ■^). 

Indessen,  wenn  auch  die  alten  Freunde  dahinstarben,  der 
greise  Dichter  blieb  um  desswillen  nicht  vereinsamt.  Er  wusste 
sich  immer  neue  Freunde  in  der  Nähe  und  Ferne  zu  gewinnen, 
und  wenn  naturgemäss  auch  sein  Verhältniss  zu  ihnen  ein 
weniger  vertrauliches  sein  konnte,  als  es  einst  etwa  zu  So- 
crates,  Laelius,  Philipp  und  Simonides  gewesen  war,  so  fand 
er  doch  darin  die  willkommene  Ermögiichuno;  des   ihm   zum 


*)  In  der  That  kamen  auch  diese  Briefe  nicht  in  Boccaccio's  Hände, 
sondern  gingen  unterwegs  verloren.  Boccaccio  erbat  sich  nach  Petrarca's 
Tode  von  Francesco  da  Brossano  die  Copien,  vgl.  Boccaccio's  Briei  b. 
Mehus,  p.  206. 

-;  In  Petrarca's  Todesjahr  (1374)  gehört  namentlich  die  lange  und 
wichtige  Epistel  an  Luca  della  Penna,  Ep.  Sen.  XVI  1. 

")  Ep.  Sen.  XVI  4. 


Die  Jahre  des  Alters.  449 

Bedüifnisse  gewordenen  mündlichen  und  brieflichen  Gedanken- 
austausches. Namentlich  schloss  sich  jetzt  eine  Anzahl  jün- 
gerer Männer,  welche  ihm  die  Anregung  und  Anleitung  zu 
ihren  wissenschaftlichen  Studien  verdankten,  enger  an  ihn  an 
und  verehrte  ihn  als  Lehrer  und  Meister.  So  wurde 
dem  Begründer  des  Humanismus  die  Freude  zu  Theil,  am 
Abende  seines  arbeitsvollen  Lebens  noch  beobachten  zu  können, 
wie  die  von  ihm  ausgestreute  Saat  zur  lebenskräftigen  Pflanze 
emporgewachsen  war  und  ferneres  Gedeihen  für  die  Zukunft 
versprach.  Schon  war  der  Humanismus  eine  anerkannte  Macht 
im  geistigen  Leben  Italiens  geworden,  schon  hatte  er  begonnen, 
das  Denken  und  Empfinden  der  Nation  zu  durchdringen  und 
auf  die  Umgestaltung  der  Culturverhältnisse  bestimmend  ein- 
zuwirken. So  durfte  Petrarca  sich  sagen,  dass  er  nicht  ver- 
gebens gelebt  habe. 

Aufgabe  eines  späteren  Theiles  unserer  litterargeschicht- 
lichen  Erzählung  wird  es  sein,  die  Ent Wickelung  des  Humanismus 
eingehend  darzulegen  und  bei  den  Schicksalen  und  der  Wirk- 
samkeit derjenigen  Humanisten,  welche  als  Petrarca's  Schüler 
sich  bezeichnen  lassen,  länger  zu  verweilen.  Dann  wird  sich 
auch  die  geeigneteste  Gelegenheit  finden,  nachzuweisen,  in  wie 
weit  und  in  welcher  Art  Petrarca  auf  die  geistige  Entwickelung 
jener  Männer  eingewirkt  hat,  und  in  wie  weit  dieselben  den 
von  ihm  aufgestellten  Grundsätzen  und  gegebenen  Tradi- 
tionen treu  geblieben  oder  von  ihnen  abgewichen  sind.  Hier 
genüge  es,  angedeutet  zu  haben,  dass  Petrarca,  obwol  er  nie 
eine  Unterrichtsthätigkeit  im  eigentlichen  Sinne  ausgeübt,  doch 
eine  humanistische  Schule  gebildet  und,  so  lange  er  lebte,  in- 
direkt wenigstens  auch  geleitet  hat.  Er  lässt  sich  in  dieser 
Beziehung  fast  mit  dem  Stifter  einer  Religion  vergleichen,  da 
ja  ein  solcher  auch  weit  mehr  durch  persönlichen  Verkehr  und 
gelegentliche  Mittheilung,  als  durch  systematischen  Unterricht 
seine  Lehren  verbreitet,  nichtsdestoweniger  aber  die  nachhal- 
tigsten Erfolge  erzielt.  Und  es  erscheint  diese  Vergleichung  um 
so  berechtigter,  als  ja  in  der  That  der  Humanismus  eine  Art 

Pteligion  zu  nennen  ist,   denn   er  erfasste  nicht  bloss  die  In- 
Körting, petrurta.  29 


450  Siebentes  Capitel. 

telligenz,  sondern,  und  vielleicht  selbst  in  noch  höherem  Grade, 
auch  das  Gemüth  seiner  Anhänger,  er  war  keine  theoretische 
Lehre,  kein  wissenschaftliches  System,  sondern  ein  alle  Gebiete 
des  Lebens  in  seine  Sphäre  einbeziehender  Glaube,  dessen 
Grundprincip  von  dem  Dogma  gebildet  ward,  dass  das  clas- 
sische  Alterthum  das  Ideal  des  Daseins  darstelle.  Auch  die 
rasche  Ausbreitung,  welche  der  Humanismus  fand,  die  Macht, 
welche  er  über  die  Geraüther  errang,  und  endlich  die  Ver- 
folgungen, welche  er  zu  erdulden  hatte,  erinnern  lebhaft  an 
die  Schicksale  einer  Religion  in  ihrem  Jugendstadium.  — 

An  diesem  Orte  werde  von  den  Schülern  Petrarea's  nur 
Einer  genannt:  der  Paduaner  Lombardo  da  (oder  a)  Serico 
(oder  dalla)  Seta.  Er  war  an  sich  einer  der  unbedeutendsten 
Erstlingsjünger  des  Humanismus  und  entbehrte  jeder  schöpfe- 
rischen Originalität,  aber  er  stand  in  den  vertrautesten  per- 
sönlichen Beziehungen  zu  Petrarca  und  hat  diesen,  wie  kein 
Anderer,  zu  reproduciren  sich  bestrebt.  Er  war  ein  Talent 
in  der  Nachahmung  und  verstand  es  mit  seltener  Meisterschaft, 
sich  die  Anschauungsweise  seines  Lehrers  wenigstens  dem 
äusseren  Scheine  nach  anzueignen.  Es  gelang  ihm  dies  in 
solchem  Grade,  dass  ein  von  ihm  verfasster  Tractat,  in  w  elchem 
er  nach  dem  Muster  der  „Vita  Solitaria"  Petrarea's  ein  in 
Einsamkeit  und  Bedürfnisslosigkeit  verbrachtes  Leben  pries, 
anstandslos  unter  die  Briefe  Petrarea's  aufgenommen  worden 
ist^).  Bei  schärferer  Prüfung  würde  man  freilich  haben  be- 
merken können,  dass  in  dieser  Schrift  Petrarea's  Denk-  und 
Darstellungsweise  von  dem  Nachahmer  fast  bis  zu  dem  Grade 
einer  Travestie  outrirt  worden  ist.  Wie  wenig  indessen  Lom- 
bardo in  den  wahren  Geist  seines  Lehrers  eingedningen  und 
wie  wenig  er  ihm  geistig  ebenbürtig  war,  beweist  die  von  ihm 
gelieferte  Fortsetzung  des  noch  von  Petrarca  selbst  begonnenen 
Auszuges  aus  dem  Buche  „über  die  berühmten  Männer".  Das 
einzige  bekannte  Originalwerk  Lombardo's  aber,  wenn  anders 
eine  nüchterne  Compilation  also  benannt  w^erden  kann,   ein 


1)  vgl.  S.  32,  Anm.  '). 


Die  Jahre  des  Alters.  451 

Buch  über  diejenigen  Frauen  des  Alterthums,  welche  sicli  durch 
wissenschaftliche  oder  kriegerische  Thätigkeit  ausgezeichnet 
haben,  ist  herzlich  unbedeutend  und  übrigens  wol  auch  nur  eine 
schlechte  Nachbildung  von  Boccaccio's  Buche  „über  die  be- 
rühmten Frauen"  ^).  —  — 

Nicht  also  vereinsamt  waren  Petrarca's  letzte,  in  Arquä 
verlebte  Jahre  und  keinen  Grund  besass  er,  dem  Geschicke 
zu  zürnen.  An  einem  der  lieblichsten  Orte  der  Erde  durfte 
er  leben,  im  Schoosse  der  ländlichen  Natur,  die  er  immer  so 
innig  geliebt,  oft  wurde  er  von  theueren  Freunden  besucht 
und  Beweise  hoher  Verehrung  und  Anhänglichkeit  wurden  von 
allen  Seiten  ihm  gespendet,  selbst  die  gewohnte  und  ihm  un- 
entbehrliche litterarische  Thätigkeit  konnte  er,  wenn  auch 
unter  mancherlei  Beschwerden,  noch  pflegen.  Es  war  ein 
würdig  schöner  Abschluss  seines  Lebens.  Und  doch  konnte 
er  dieses  Glückes  sich  nicht  wahrhaft  freuen.  Sein  siecher 
Leib  vermochte  dem  jugendfrisch  gebliebenen  Geiste  nicht  mehr 
zu  dienen  und  verbitterte  ihm  durch  sich  immer  erneuerndes 
und  ebenso  schmerzhaftes  wie  beängstigendes  Leiden  des  Lebens 
letzte  Tage  und  liess  ihn  oft  den  Tod  als  einen  Erlöser  aus 
der  irdischen  Qual  herbeisehnen.  Und  das  Glück  sollte  ihm 
beschieden  werden,  dass  dieser  Erlöser  ihm  bald  erschien,  dass 
er  nicht  verurtheilt  war,  in  traurigem  Siechthum  des  Greisen- 
alters höchste  und  beschwerlichste  Stufen  zu  erklimmen. 

Am  18.  Juli  2)  1374  hauchte  Francesco  Petrarca,  des  Hu- 


*)  Ueber  Lombardo  vgl.  ßaldelli,  p.  259  u.  Fracassetti,  Lett.  fam.  II 
p.  347. 

"^)  In  der  Angabe  des  Todestages  schwanken  die  Biographen.  Fil. 
Villani  b.  Mehus  p.  197  sagt,  dass  P.  an  seinem  Geburtstage  (=  20.  Juli) 
gestorben  sei.  Den  18.  Juli  geben  an  z.  B. :  Domenicus  Aretinus  b.  Mehus 
p.  198)  u.  Lodovico  Beccadello  (b.  Tomasini,  Petr.  Rediv.  p.  226),  den 
19.  Juli  nennen  z.  B.:  Sicco  Polentone  (b.  Tomasini,  p.  193)  u.  Paulus 
Vergerius  (ibid.  p.  180),  das  Grabdenkmal  zeigt  den  18.  Juli  (b.  Tomasini, 
p.  157  f.).  Villani's  Angabe  trägt  den  Stempel  der  Fiction  an  sich.  Das 
Schwanken  der  übrigen  Biogi-aphen  zwischen  dem  18.  und  19.  Juli  erklärt 
sich  wol  daraus,  dass  Petrarca  in  der  Nacht  vom  18.  zum  19.  starb,  ohne 
dass  sich  eine  genauere  Angabe  machen  Hesse.  Es  diirfte  sich  empfehlen, 
das  Datum  des  Grabmales  anzunehmen. 

29* 


452  Siebentes  Capitel. 

manismus  Begründer  und  des  .Xanzoniere"  Dichter,  seine  edle 
Seele  aus,  welche,  so  lange  sie  auf  Erden  wallte,  wol  oftmals 
in  menschlicher  Schwäche  gefehlt,  aber  doch  immer  mit  ihrer 
besten  Kraft  nach  den  ewigen,  höchsten  Idealen  des  Glaubens, 
Wissens  und  Handelns  gerungen  hatte.  Zwei  von  einander 
abweichende  Berichte  sind  uns  über  des  grossen  Mannes  Tod 
überliefert.  Nach  dem  einen,  welchen  Yillani  und  Janozzus 
Manettus  (b.  Tomasini,  Petr.  Rediv.  p.  205)  geben,  ist  Petrarca 
in  den  Armen  Lombardo's  gestorben,  und  mit  seinem  letzten 
Hauche  entschwebte  seinem  Munde  ein  weisses  Wölkchen, 
welches  bis  zur  Decke  des  Gemaches  emporstieg,  dort  mehrere 
Augenblicke  verweilte  und  nur  allmählich,  in  lichte  Luft  sich 
auflösend,  verschwand. 

Nach  dem  zweiten  Berichte,  welcher  dem  Briefe  eines  Zeitge- 
nossen entnommen  ist,  starb  Petrarca  in  seinem  Bibliothekzimmer 
und  als  man  ihn,  dessen  Tod  Niemand  im  Hause  geahnt  hatte, 
am  Morgen  entseelt  vorfand,  so  glaubte  man  anfänglich,-  er 
habe  nur  zum  Schlummer  das  Haupt  auf  das  vor  ihm  liegende 
Buch  niedergebeugt  ^). 

Wenn  diese  letztere  Ueberlieferung  die  richtige  ist  — 
und  es  düifte  solche  Annahme  die  grösste  Wahrscheinlichkeit 
für  sich  haben  — ,  so  starb  Petrarca  den  Tod,  welcher  seiner 
am  würdigsten  war :  er,  der  unermüdliche  Arbeiter  und  Forscher 
auf  den  Gebieten  des  gelehrten  Wissens,  wurde  inmitten  seiner 
geliebten  Bücher  von  dem  letzten  Schicksale  betroffen  und 
vielleicht,  während  er  noch  eines  lateinischen  Dichters  Verse 
las,  schloss  ihm  der  Tod  die  Augen.  So  ist  er  bis  zum  letzten 
Athemzuge  seinem  Streben  treu  geblieben  und  als  ächter  Ge- 
lehrter, wie  er  gelebt  hatte,  ist  er  auch  gestorben. 

Das  Begräbniss  des  Fürsten  der  Gelehrten  und  Dichter 
fand  am  24.  Juli  statt  und  war  ein  feierliches  und  würdiges. 
Francesco  da  Carrara  selbst  und  die  Bischöfe  von  Padua,  Ve- 


^)  Brief  des  Giovanni  Manzini  de  la  Motta  (vom  1.  Juli  1388)  an 
Andriolo  de  Ochis,  publicirt  von  dem  Pater  Lazzeri  in  den  Miscellanea  ex 
mss.  libris  CoUegii  romani  soc.  Jesu  (Rom  1754).  Die  betr.  Stelle  ist  auch 
von  Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  348,  mitgetheilt. 


I 


Die  Jahre  des  Alters.  453 

rona,  Vicenza  und  Treviso  wohnten  der  ernsten  Feier  bei. 
Sechszehn  Doctoren  der  Rechtsgelehrsamkeit  trugen  die  reicli 
geschmückte  Bahre,  auf  welcher  die  Leiche  ruhte ,  bekleidet 
mit  dem  Domherrenrock  oder,  wie  Andere  lierichten,  mit  dem 
einst  bei  der  Dichterkrönung  getragenen  Mantel  König  Roberts. 
Die  Leichenrede  hielt  der  Augustiner  Bonaventura  da  Peraga. 

Petrarca  hatte  die  Absicht  gehabt,  der  heiligen  Jungfrau 
in  Arquä  eine  Capelle  erbauen  zu  lassen,  welche  zugleich  ihm 
als  Begräbnissstätte  dienen  sollte.  Die  Verwirklichung  dieses 
Wunsches  zu  erreichen  war  ihm  indessen  nicht  vergönnt  ge- 
wesen, und  so  wurde  seine  sterbliche  Hülle  auf  Anordnung 
seines  Schwiegersohnes  Francesco  da  Brossano  zunächst  in  der 
Dorfkirche  beigesetzt,  bis  sie  nach  sechs  Jahren  in  das  ihm 
inzwischen  vor  der  Kirche  errichtete  stattliche  Grabmal  — 
einen  auf  vier  Pfeilern  ruhenden  grossen  Sarkophag  —  über- 
tragen wurde  1). 

Der  Schmerz  über  des  grossen  Mannes  Hinscheiden  war 
ein  allgemeiner  und  aufrichtiger.  Keiner  aber  hat  ihm  einen 
beredteren  und  ergreifenderen  Ausdruck  gegeben,  als  Boccaccio 
in  meinem  an  des  verstorbenen  Freundes  Eidam  gerichteten 
Beileidsschreiben  -),  das  Niemand  ohne  Rührung  lesen  wird. 

lieber  sein  irdisches  Besitzthum  hatte  der  Dichter  in  sei- 
nem am  4.  April  1370  ausgestellten  Testamente^')  verfügt. 
Sein  Haupterbe  wurde,  wie  natürlich,  sein  Schwiegersohn  Fran- 
cesco da  Brossano,  indessen  wurden  auch  die  Kirchen,  die 
Armen,  die  Freunde  und  die  Diener  nach  Verhältniss  reichlich 
bedacht.  Einzelne  Vermächtnisse  zeigen  recht  Petrarca's  ge- 
müthvollen  Sinn  und  haben  auch  ein  culturhistorisches  Interesse. 
So  erhielt  Francesco  da  Carrara  ein  Bild  der  heiligen  Jung- 
frau, „ein  Werk  des  ausgezeichneten  Malers  Giotto",  welches 
Petrarca  von  seinem  Freunde  Michele  Vanni  in  Florenz  zum 
Geschenk  erhalten  hatte,  ,,ein  Gemälde,  dessen  Schönheit  Nicht- 


^)  vgl.  Tomasini,   Petr.  Rediv.  p.  157  ff.,   Malmignati,  a.  a.  0.  p.  189, 
Fracassetti,  Lett.  fam.  II  p.  348  f. 
-)  b.  Mehus,  p.  203  ff. 
"•)  b.  Fracassetti,  Ep.  Farn.  III  p.  537—544. 


454  Siebentes  Capitel. 

kenner  nicht  zu  würdigen  wissen,  die  Meister  der  Kunst  aber 
anstaunen."  Boccaccio  wurde  mit  fünfzig  florentinischen  Gold- 
gulden bedacht,  damit  er  sich  einen  warmen  Winterroek  an- 
schaffen könne,  dessen  er  für  seine  nächtlichen  Studien  bedürfe. 
Dem  Grammatiker  Donato  wurde  die  Geldsumme,  welche  er 
Petrarca  noch  schuldete,  erlassen.  Lombardo  da  Serico  da- 
gegen sollte  die  Summe  von  134  Goldducaten  und  16  Soldi, 
welche  er  für  Petrarca  ausgelegt  hatte,  sofort  ausgezahlt  er- 
halten, ausserdem  sollte  er  Petrarca's  silbernen  und  vergol- 
deten Trinkbecher  erhalten,  damit  er  daraus  Wasser  trinken 
könne,  denn  das  trinke  er  doch  viel  lieber  als  "Wein,  auch 
ein  Pferd  sollte  er  sich  unter  denen,  die  Petrarca  etwa  be- 
sitzen würde,  auswählen  dürfen.  Dem  Magister  Tommaso 
Bambagio  von  Ferrara  endlich  vermachte  Petrarca  seine  gute 
Laute,  damit  er  auf  derselben  nicht  zur  eitlen  weltlichen  Lust, 
sondern  zum  Lobe  des  ewigen  Gottes  spiele. 

Wir  sehen  gänzlich  davon  ab,  an  dieser  Stelle,  wie  man 
vielleicht  erwarten  könnte,  ein  Charakterbild  Petrarca's  ent- 
werfen zu  wollen,  da  wir  ja  doch  nur  dasjenige  wiederholen 
könnten,  was  gelegentlich  in  der  vorstehenden  Erzählung  seines 
Lebens  mit  aller  Ausführlichkeit  dargelegt  worden  ist;  auch 
wenn  Avir  im  Folgenden  Petrarca's  Werke  besprechen  werden, 
wird  sich  mehrfach  geeignete  Gelegenheit  zur  Beleuchtung 
seines  Charakters  uns  darbieten,  besonders  aber  wird  dies  bei 
der  Betrachtung  der  Schrift  „über  die  Verachtung  der  Welt" 
geschehen. 

Dagegen  halten  wir  es  für  angemessen,  einige  Worte  über 
des  Dichters  leibliche  Erscheinung  hier  hinzuzufügen, 

Petrarca  durfte  Anspruch  darauf  erheben,  für  einen  schönen 
Mann  zu  gelten,  und  war  sich  in  seiner  Jugend  dessen  auch 
wohl  bewusst^).  Er  war  hoch  gewachsen  und  in  der  Jugend 
war  seine  Gestalt  auch  schlank,  wälirend  sie  im  Alter  freilich 


*)  Schilderungen  des  Aussehens  Petrarca's  geben  in  wesentlich  über- 
einstimmender Weise  Boccaccio  (b.  Rossetti,  p.  321),  Villani  (b.  Mehus, 
p.  196),  Sicco  Polentone  (ibid.  p.  199),  Vergerius  (b.  Tomasini,  p.  175; 
und  Janozzus  Mauettus  (ibid.  p.  201). 


Die  Jahre  des  Alters.  455 

einer  zu  grossen  Leibesfülle  zuneigte.  Der  Ausdruck  seines 
Gesichtes  war  heiter,  ohne  doch  der  Würde  zu  entbehren,  sein 
Blick  lebhaft,  durchdringend  und  doch  mild,  seine  Stimme  aber 
so  klangvoll  und  bezaubernd,  dass,  wer  nur  einmal  ein  Gespräch 
mit  ihm  begonnen  hatte,  es  gern  weiter  spann,  nur  um  ihn 
reden  zu  hören.  Die  Farbe  seiner  Haut  war  hell  und  zart, 
ohne  doch  eines  dem  Manne  wohl  anstehenden  Anfluges  von 
Bräune  zu  ermangeln.  Nur  das  Haar  contrastirte  mit  der 
stattlichen  und  frischen  Erscheinung :  es  war  in  früher  Jugend, 
fast  zur  selben  Zeit,  als  der  Bart  zu  sprossen  begann,  bereits 
ergraut^!. 

Petrarca  ist  während  seines  Lebens  wiederholt  gemalt 
worden,  so  namentlich  zweimal  auf  Veranlassung  des  ihm  eng 
befreundeten  Pandolfo  Malatesta  von  Pesaro  ^) ,  indessen  ist 
keines  dieser  Portraits  auf  unsere  Zeit  gekommen.  Die  Bild- 
nisse, welche  uns  in  mehreren  Handschriften  des  „Ganzoniere', 
namentlich  in  zwei  der  florentiner  Laurenziana  gehörigen 
überliefert  sind  2),  dürfen  auf  Portraitähnlichkeit  keinen  An- 
spruch erheben.  Dagegen  darf  vielleicht  für  authentisch  er- 
achtet werden  das  der  Tradition  nach  von  Guariento  gemalte 
Frescobild,  welches  sich  früher  im  Wohnhause  Petrarca's  zu 
Padua  befand  und  seit  1816  in  einen  Saal  des  bischöflichen 
Palastes  dieser  Stadt  übertragen  worden  ist^).  Bedauerlich 
ist  es,  dass  dieses  Bild  uns  den  Dichter  mit  einer  seltsamen 
und  auf  unsern  Geschmack  geradezu  abstossend  wirkenden 
Kopfbedeckung  angethan  darstellt.  Der  Dichter  trägt  nämlich 
auf  dem  Haupte  nach  der  damaligen  Sitte  der  Domherren 
eine  Art  Kapuze,  welche  seinem  Gesichte,  zumal -da  es  bartlos 
ist,  einen  ungemein  weibischen  Ausdruck  gibt.  Auch  dass  er 
in  der  Stellung   eines  Betenden  die  Hände   flach  an  einander 


^)  Ep.  ad  post.  p.  2. 

'■')  Ep.  Sen.  I  6. 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  11  p.  418. 

*)  vgl.  über  dieses  Bild  die  eingehenden  Bemerkungen  von  Marsand 
in  seiner  Ausgabe  der  Rime  (Mailand,  1819),  welche  in  der  Festschrift 
„Padova  a  P."  wieder  abgedruckt  worden  sind. 


456  Siebentes  Capitel. 

gelegt  emporhebt,  trägt  nicht  eben  zur  vortheilhaften  Gesammt- 
wirkung  des  Bildes  bei.  Vermag  man  es  indessen,  von  diesen 
störenden  Nebenumständen  zu  abstrahiren,  so  wird  man  nicht 
umhin  können,  die  feinen  und  vergeistigten  Züge,  welche  das 
Antlitz  zeigt,  zu  bewundern,  wenn  schon  man  freilich  wird 
eingestehen  müssen,  dass  sich  in  ihnen  auch  eine  gewisse  Weich- 
heit und  selbst  Weichlichkeit  des  Charakters  ausspricht,  welche 
nicht  eben  sympathisch  berührt. 

Nicht  bloss  aber  einer  gefälligen  Leibesgestalt,  sondern 
auch  einer  rüstigen  Gesundheit  erfreute  sich  Petrarca  bis  in 
die  Jahre  seines  Alters ').  Noch  über  das  sechzigste  Jahr  hin- 
aus fühlte  er  sich  rüstig  und  im  Vollbesitze  seiner  Kraft,  dann 
freilich  begann  er,  wie  wir  gesehen  haben,  von  schweren  Körper- 
leiden heimgesucht  zu  werden,  denen  er,  zumal  er  ärztlichen 
Eath  grundsätzlich  verschmähte,  bald  erliegen  sollte.  In  jün- 
geren Jahren  aber  war  er  von  Krankheiten  fast  gänzlich  ver- 
schont geblieben  und  hatte  mühelos  den  Anstrengungen  be- 
schwerlicher Reisen  und  den  physischen  Nachtheilen  eines 
unstäten  Wanderlebens  zu  widerstehen  vermocht.  Er  gehörte 
eben  zu  den  Naturen,  welche,  ohne  gerade  sonderliche  Leibes- 
kräfte zu  besitzen,    doch  ungemein  zäh  und  ausdauernd  sind. 


Nachdem  wir  im  Vorstehenden  Petrarca"s  Lebensschicksale 
tlieils  ausführlicher  berichtet,  theils  wenigstens  in  ihren  Haupt- 
zügen skizzirt  und  in  diese  unsere  Erzählung  manche  Betrach- 
tungen über  die  Geistes-  und  Sittenzustände  des  Zeitalters 
der  beginnenden  Renaissance  eingeflochten  haben,  müssen  wir 
zur  Darstellung  des  schriftstellerischen  und  dichterischen  Schaf- 
fens und  Wirkens  Petrarca's  übergehen.  Unsere  Hauptaufgabe 
wird  hierbei  nicht  diejenige  sein,    ausführliche  Analysen   der 


^)  Ep.  Sen.  VII  1.  XII  1.  2.  Im  Einzelneu  werde  hier  erwähnt,  dass 
Petrarca  sich  besonders  (obwol  kaum  mit  Recht)  noch  im  Alter  rühmte, 
einen  guten  Magen  zu  besitzen,  dass  er  dagegen  klagte,  von  der  abnorm 
hohen  Temperatur  seines  Blutes  oft  belästigt  worden  zu  sein  (Sen.  XI  2). 
Seine  Selikraft  blieb  ihm  selbst  im  Alter  ungeschwächt,  so  dass  er  der 
Hülfe  einer  Brille  nie  bediu-fte.    Ep.  ad  post.  p.  2. 


Die  Jahre  des  Alters.  457 

betreffenden  Werke  zu  geben,  als  vielmehr  nachzuweisen,  was 
an  diesen  Werken  neu  und  eigenartig  gewesen  und  was  an 
ihnen  für  die  geistige  Entwickelung  der  Folgezeit  bedeutungs- 
voll geworden  ist.  Allerdings  glauben  wir  auch,  zumal  in  An- 
betracht dessen,  dass  Petrarca's  lateinische  Schriften  für  weitere 
Kreise  nahezu  unbekannt  sind,  auf  mehr  oder  weniger  eingehende 
Inhaltsangaben  nicht  verzichten  zu  dürfen,  aber  wir  werden 
diese  Seite  unserer  Darstellung  doch  immer  als  die  relativ 
untergeordnete  betrachten  und  das  Hauptgewicht  auf  die  litterar- 
und  culturhistorischen  Betrachtungen  legen,  zu  denen  das  Stu- 
dium der  Werke  Petrarca's  uns  angeregt  hat  und  auf  welche 
wir  auch  im  weiteren  Verlaufe  dieser  Geschichte  der  Renaissance- 
litteratur  Italiens  wiederholt  werden  zurückkommen  müssen. 

Aus  Gründen,  welche  zu  naheliegend  sind,  als  dass  sie 
einer  besonderen  Erörterung  bedürften,  beginnen  wir  die  Dar- 
stellung der  schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Begründers  des 
'  Humanismus  mit  einem  einleitenden  Capitel ,  in  welchem  der 
Versuch  gewagt  werden  soll,  den  Umfang  des  Wissens  Pe- 
trarca's zu  zeichnen.  Wird  es  hierbei  auch  erforderlich  sein, 
auf  die  Beantwortung  einer  Menge  von  Einzelfragen  zu  ver- 
zichten, um  nicht  eine  Reihe  eingehender  philologischer  und 
historischer  Untersuchungen,  welche  dem  Zwecke  dieses  Buches 
fern  liegen,  führen  zu  müssen,  so  dürfte  doch  auch  die  von 
uns  allein  beabsichtigte,  nur  skizzenhafte  Behandlung  des  Stoffes, 
weder  des  Nutzens  noch  des  Interesses  entbehren. 


Achtes  Capitel. 
Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's  ^). 


-Cis  erseheint  angemessen,  zunächst  die  wesentlichsten  Ge- 
sichtspunkte darzulegen,  nach  denen  Petrarca's  Wissen  beur- 
theilt  und  gewürdigt  werden  muss. 

Petrarca  besass,  so  vielseitig  auch  seine  Interessen  waren 
und  so  verschiedene  wissenschaftliche  Gebiete  er  auch,  wie  wir 
später  sehen  werden,  selbstthätig  berührt  hat,  doch  durchaus  kein 
universales  Wissen,  obwol  ein  solches  bei  dem  unentwickelten 
Zustande  der  meisten  Wissenschaften  seiner  Zeit  noch  ohne 
allzu  grosse  Anstrengung  erworben  werden  konnte.  Seine 
Kenntnisse  waren  durchaus  nicht  so  umfangreich  und  allum- 
fassend, wie  z.  B.  diejenigen  eines  Thomas  von  Aquino  oder 
eines  Vincenz  von  Beauvais  oder  selbst  auch  nur  eines  Jo- 
hannes von  Salisbury.  Er  ist  eben  auch  in  dieser  Beziehung 
aus  dem  Mittelalter  herausgetreten  und  der  erste  Mensch 
einer  neuen  Zeit  geworden.  Für  das  Mittelalter  war  die 
Wissenschaft  eine  Einheit,  und  wer  sich  ihr  widmete,  umfasste 


*)  vgl.  ausser  den  allbekannten,  mehr  oder  weniger  ausführlichen  Be- 
handlungen dieses  Gegenstandes  bei  Tiraboschi,  G.  Voigt,  Baldelli,  Me- 
zieres,  Geiger  u.  A.  die  wenig  bekannte,  aber  keineswegs  werthlose  und 
uninteressante  Dissertation  von  Lamers,  de  Fr.  Petrarcae  vita,  moribus,  in 
bonas  literas  meritis.     Trajecti  ad  Rhenum.     1842. 


Der  Umfang  des  Wissens  Peü-arca's.  459 

sie  als  eine  Einheit  und  vermochte  sie  auch  wirklich  in  ihrer 
Gesammtheit  zu  erfassen.  Für  die  Neuzeit  dagegen  hat  sich 
die  Einheit  der  Wissenschaft  zu  einer  Vielheit  zertheilt,  die 
eine  Wissenschaft  hat  sich  aufgelöst  in  eine  nachgerade  bereits 
unabsehbar  gewordene  und  nichtsdestoweniger  sich  immer  noch 
mehr  zergliedernde  Reihe  von  Einzelwissenschaften,  welche  nur 
noch  von  einem  gar  losen  gemeinsamen  Bande  mit  ein- 
ander verknüpft  werden,  oder  wol  selbst  auch,  jede  Gemein- 
samkeit verleugnend,  sich  in  anscheinend  unversöhnbarer  Feind- 
lichkeit gegenüber  stehen.  Die  Hoffnung,  dass  einstmals  die 
jetzt  getrennten  Einzelwissenschaften  wieder  zu  einer  einheit- 
lichen Wissenschaft,  zu  einem  harmonischen  Wissenssysteme 
sich  vereinigen  werden,  mag  an  sich  berechtigt  erscheinen,  aber, 
wenn  überhaupt,  so  wird  sie  erst  in  einer  jedem  menschlichen 
Auge  verhüllten,  fernsten  Zukunft  sich  erfüllen. 

Bestechend  kann  für  den  ersten  Blick  der  mittelalterlichen 
Wissenschaft  Einheit  erscheinen.  Man  kann  glauben,  in  ihr 
einen  fest  gefügten  Bau  von  gewaltiger  Grossartigkeit  zu  er- 
blicken. Solcher  Glaube  würde  ein  Wahn  sein.  Die  mittel- 
alterliche Wissenschaft  war  nur  desshalb  eine,  weil  sie  im 
letzten  Grunde  keine  war.  Das  mittelalterliche  Wissen  war 
nur  eine  Compilation,  ein  Conglomerat  von  Notizen,  welche 
von  dem  Alterthume  dogmatisch  übernommen  worden  waren. 
Der  mittelalterliche  Mensch  erfasste  den  Wissensstoff  nur  me- 
chanisch, er  erblickte  in  ihm  nur  Material,  das  an  sich  gegeben 
und  in  seinem  Bestände  unanfechtbar  sei,  er  durchdrang  diesen 
Stoft"  nicht  geistig,  er  durchdachte  ihn  nicht,  er  verarbeitete 
ihn  nicht ,  er  durchforschte  ihn  nicht  kritisch ,  er  benutzte  ihn 
nicht  als  Basis  zum  Weiterschreiten  in  der  Erkenntniss,  son- 
dern höchstens  als  Ausgangspunkt  für  eine,  allerdings  oft  gross- 
artige und  hoch  poetische,  aber  doch  immer  nur  phantastische 
und  durchaus  unwissenschaftliche  theologisch  -  philosophische 
Speculation.  Der  Gmndcharakter  der  mittelalterlichen  Wissen- 
schaft ist  eben  der  Dogmatismus,  welcher  sich  in  den  be- 
fähigteren und  edleren  Köpfen  zu  einer  tief  gemüth vollen  und 
poetischen  Intuition  steigerte,  für  die  grosse  Masse  der  Durch- 


460  Achtes  Capitel.     . 

schnittsmenscheu  aber  zu  einem    wüsten    Memorirstoffe    und 
einem  inhaltsleeren  Spiele  mit  dürren  Formeln  herabsank. 

Erst  der  Humanismus  erschuf  die  wahre  Wissenschaft,  in- 
dem er  zuerst  lehrte,  dass  es  nicht  genüge,  einen  Wissensstoft" 
äusserlich  und  mechanisch  zu  erfassen,  sondern  dass  man  den- 
selben geistig  durchdringen,  ihn  sich  vollständig  assimiliren,  ihn 
gewissermaassen  in  seiner  Totalität  und  in  allen  seinen  Be- 
ziehungen in  sich  aufnehmen  und  dann  neu  schaffen  müsse. 
Erst  der  Humanismus  strebte  darnach,  das  Wissen  zu  begrün- 
den und  zu  vertiefen,  erst  er  trachtete  nach  dessen  steter  Er- 
weiterung und  Steigerung.  Mit  dieser  Tendenz  wurde  das 
Entstehen  einer  wahren,  dieses  Namens  würdigen  Wissenschaft 
ermöglicht,  zugleich  aber  wurde  auch  die  Zerstörung  der  bis- 
her bestandenen  Einheit  der  Wissenschaft  und  ihre  Zerlegung 
in  eine  Vielheit  nothwendig  gemacht.  Denn  eines  Menschen  — 
und  wäre  es  auch  der  begabtesten  einer  —  karg  bemessene 
psychische  und  physische  Kraft  vermag  nicht  mehrere  verschie- 
denartige Kategorien  von  Wissensobjecten  zu  durchdringen  und 
zum  freien  geistigen  Besitze  zu  gestalten.  Die  Theilung  der 
Arbeit  auf  geistigem  Gebiete  wurde  fortan  eine  Nothwendigkeit 
und  wird  es  bleiben,  bis  vielleicht  einstmals,  was  nicht  unmög- 
lich sein  dürfte,  der  ungeheuere  Gesammtstoff  des  Wissens  auf 
einheitliche  Grundprincipien  zurückgeführt  und  durch  einiache 
Formeln  ausgedrückt  werden  kann  —  ein  gewaltiges  Problem, 
mit  dessen  Lösung  sich  noch  auf  unermesslich  lange  Zeit  hinaus 
nur  die  Ahnung,  nicht  aber  die  Forschung  wird  beschäftigen 
können.  Seitdem  der  Humanismus  aufgetreten  ist  und  festen 
Boden  gefasst  hat,  hat  die  Geschichte  der  Wissenschaften,  mit 
verschwindend  wenigen  Ausnahmen,  nur  noch  Fachgelehrfe  zu 
verzeichnen,  die  Universalgenies  und  die  Polyhistoren  nach 
mittelalterlichem  Zuschnitte  sind  verschwunden  oder  es  haftet 
doch  den  wenigen,  welche  seitdem  noch  erschienen,  der  Makel 
der  Oberflächlichkeit  und  des  Dilettantismus  an.  Vereinzelte 
Ausnahmefälle  können,  wie  immer,  so  auch  hier  die  Regel  nur 
bestätigen.  Der  moderne  Mensch  muss  eben  dem  schönen 
AA^ahne  entsagen,  dass  es  möglich  sei,  die  Wissenschaft  als  ein 


I 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  461 

Ganzes  zu  erfassen,  und  muss  sich  begnügen,  ein  Partikelchen 
des  Wissens  sein  zu  nennen.  Er  ist  aber  um  dieser  engen 
ihm  gezogenen  Grenzen  willen  nicht  benachtheiligt  gegenüber 
dem  mittelalterlichen  Menschen,  denn  ihm  ist  vergönnt,  was 
diesem  versagt  war,  die  Bedingungen  des  Wissens  zu  erkennen 
und  ein  Wissensobject  mit  vollem  und  ganzem  Verständnisse 
zum  geistigen  Eigenthum  sich  zu  gewinnen,  er  besitzt  das  Glück, 
den  Reiz  und  den  Segen  selbstthätigen  Forschens  zu  erfahren. 
Die  Urgründe  des  Wissens  freilich  bleiben  dem  modernen 
Menschen  ebenso  verschlossen,  wie  sie  für  den  mittelalterlichen 
es  waren  —  aber  darf  ihn  das  entmuthigen  und  von  weiterem 
Streben  zurückhalten  V 

Freilich  nicht  mit  einem  Zauberschlage  erschuf  der  Huma- 
nismus die  moderne  Wissenschaft.  In  seinen  Anfängen  haftete 
ihm  vielmehr  das  mittelalterliche  Element  noch  gar  sehr  an 
und  nur  allmählich  vermochte  er  von  diesem  sich  zu  befreien, 
ja  die  Principien  der  modernen  wissenschaftlichen  Forschung 
konnten  in  ihrem  vollen  Umfange  erst  gefunden  und  in  ihrer 
ganzen  Schärfe  erst  angewandt  werden,  nachdem  der  Huma- 
nismus selbst  theilweise  überwunden  und  aus  der  Alles  be- 
herrschenden Stellung,  welche  er  sich  errungen  hatte,  ver- 
drängt worden  war.  Der  Humanismus  in  seiner  jugendlichen 
Vollkraft  war  fast  mehr  eine  Religion,  als  eine  Wissenschaft 
zu  nennen,  indem  er  nicht  allein  mit  dem  Verstände,  sondern 
in  höherem  Grade  noch  mit  dem  Gemüthe  erfasst  wurde  und 
nicht  bloss  eine  auf  Gründen  der  Vernunft  beruhende  Ueber- 
zeugung,  sondern  auch  gläubige  Begeisterung  und  selbst  Fana- 
tismus zu  erzeugen  vermochte.  Es  war  das  eben  ein  mittel- 
alterlicher Charakterzug  seines  Wesens.  Ferner  huldigte  der 
jugendliche  Humanismus  durchaus  noch  dem  Wahne  von  der 
Einheit  der  Wissenschaft  und  unterschied  sich  in  dieser  Be- 
ziehung von  der  scholastischen  Anschauung  des  Mittelalters 
nur  dadurch,  dass  er  die  Kenntniss  des  Alterthums  und  nicht, 
wie  jene,  die  Theologie  zum  Mittel-  und  Brennpunkte  alles 
Erkennens  und  Wissens  zu  machen  bestrebt  war.  Das  Trug- 
bild des  universalen  Wissens   hat  noch  gar  vielen  Humanisten 


462  Achtes  Capitel. 

vorgeschwebt  und  auf  verderbliche  Abwege  sie  geführt,  selbst 
heute  noch  dürfte  es  in  einzelnen  Köpfen  spuken  und  traurige 
VerwiiTung  anrichten,  wenn  es  auch  im  Allgemeinen  glück- 
licherweise als  geschwunden  betrachtet  werden  kann. 

Es  war  also  der  Humanismus  noch  mit  gar  manchen  und 
schwerwiegenden  mittelalterlichen  Elementen  behaftet,  gleich- 
wol  vermochte  er  die  Bande  der  beengten  wissenschaftlichen 
Anschauungen  des  Mittelalters  zu  brechen,  indem  er  lehrte, 
dass  man  eine  bestimmte  Sphäre  des  Wissens  sich  wahrhaft 
innerlich  aneignen,  geistig  verarbeiten  und  in  eigene  Gedanken 
umgesetzt  reproduciren  müsse:  das  sind  die  Vorbedingungen 
des  wirklich  wissenschaftlichen  Erkennens  und,  wo  sie  erfüllt 
werden,  kann  nicht  nur,  sondern  muss  auch  die  wissenschaft- 
liche Forschung  sich  entwickeln. 

Petrarca  war  der  erste  Humanist:  die  Erkenntniss  des 
classischen,  ganz  vorwiegend  allerdings  nur  des  römischen 
Alterthums  in  allen  seinen  einstigen  Erscheinungsformen  war  das 
erhabene  Ziel,  welchem  er  mit  dem  glühendsten  Eifer  und  dem 
unermüdlichsten  Fleisse  sein  ganzes  Leben  hindurch  nachstrebte. 
Die  übrigen  Gebiete  des  Wissens  bfesassen  wol  auch  Interesse 
für  ihn,  aber  es  konnte  das  naturgemäss  nur  ein  untergeord- 
netes und  nebensächliches  sein,  denn  wer  mit  ganzer  und  voller 
Begeistemng  einem  Wissensgebiete  sich  widmet,  wie  ver- 
möchte der  der  Einseitigkeit  zu  entgehen?  Nur  Dilettanten, 
welche  Alles  nur  halb  und  oberflächlich  betreiben,  vermögen 
vielseitig  zu  sein.  Nach  dem  heutigen  Sprachgebrauche,  wel- 
cher allerdings  sehr  der  Präcision  entbehrt,  würde  man  den 
Gelehrten  Petrarca  als  einen  Philologen  zu  bezeichnen  haben. 
In  ihren  wesentlichsten  Beständen  waren  jedenfalls  seine 
Kenntnisse  philologischer  Natur. 

Wie  aus  dem  Folgenden  sich  im  Einzelnen  ergeben  wird, 
waren  nun  Petrarca's  philologische  Kenntnisse  keineswegs 
sonderlich  ausgedehnte,  namentlich  aber  war  der  Umfang  seiner 
Leetüre  ein  relativ  beschränkter.  Jeder  tüchtige  Philolog 
unserer  Tage  kennt  —  um  von  der  giiechischen  Litteratur 
einmal  ganz  abzusehen  —  zahlreichere  lateinische  Autoren,  als 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  463 

der  Vater  des  Humanismus.  Jeder  tüchtige  Philolog  unserer 
Tage  ferner  schreibt  ein  ungleich  correcteres  Latein,  besitzt 
ungleich  ausgedehntere  Kenntnisse  in  Bezug  auf  Grammatik, 
Metrik  und  Antiquitäten.  Nicht  also  der  Umfang  des  philo- 
logischen Wissens  Petrarca's  ist  zu  bewundern,  wohl  aber  im 
höchsten  Grade  die  Intensität  desselben.  In  Bezug  auf  diese 
dürfte  keiner  der  modernen  Philologen  auch  nur  entfernt  sich 
mit  ihm  vergleichen  können.  Petrarca  kannte  nur  einen  ver- 
hältnissmässig  kleinen  Theil  der  lateinischen  Litteratur,  aber 
er  beherrschte  denselben  mit  einer  erstaunlichen  Sicherheit,  er 
hatte  ihn  sich  zum  vollständigen  geistigen  Eigenthume  gemacht, 
er  hatte  ihn  seinem  ganzen  Umfange  nach  in  sich  aufgenom- 
men. Bewiesen  wird  dies  durch  den  ungeheueren  Citaten- 
reichthum  in  seinen  lateinischen  Schriften.  Für  Alles  und  Jedes 
weiss  er  Belege  und  Analogien  aus  den  Classikern  beizubringen, 
selbst  für  die  entlegensten  Dinge,  von  denen  man  kaum  ver- 
muthen  sollte,  dass  sie  jemals  von  einem  römischen  Autor  be- 
sprochen worden  seien.  Welcher  heutige  Philolog  würde  z.  B. 
nicht  in  einige  Verlegenheit  gerathen,  wenn  man  ihm  (und 
zwar  ohne  dass  er  Indices  und  sonstige  Nachschlagewerke 
consultiren  dürfte)  zumuthen  wollte,  Beispiele  für  seltsame 
Zahnbildungen  aus  dem  Alterthume  beizubringen?  Petrarca 
weiss,  als  er  gelegentlich  einmal  auf  die  Sache  zu  sprechen 
kommt  2),  sogleich  drei  mit  derartigen  Abnormitäten  behaftete 
Persönlichkeiten  zu  nennen:  eine  Tochter  des  Königs  Mithri- 
dates,  welche  oben  und  unten  doppelte  Zahnreihen  hatte,  einen 
Sohn  des  Königs  Pmsias,  der  statt  der  unteren  Zähne  einen 
einzigen,  zusammenhängenden  Zahnknochen  besass,  und  endlich 
die  Zenobia,  welche  sich  des  Besitzes  perlengleicher  Zähne 
rühmen  durfte^).    Und   analoge  Beispiele   würden   in  grosser 


^)  Man  erwäge  namentlich,  dass  Petrarca  mehrere  Autoren,  wie  z.  B. 
Tacitus  und  Silius  Italiens,  gar  nicht  kennen  konnte,  da  von  ihnen  damals 
noch  keine  Handschriften  aufgefunden  worden  waren.  Andere  Autoren, 
wie  z.  B.  Plautus,  waren  nur  unvollständig  bekannt. 

*)  de  remed.  utr.  fort.  II  94. 

"•)  Plin.  H.  N.  Vn  69  u.  Val.  Max.  I  8.  ext.  12  u.  13. 


464  Achtes  Capitel. 

Menge  sich  aufzählen  lassen.  Unsere  Bewunderung  für  Pe- 
trarca's  innige  Vertrautheit  mit  einem  grossen  Theile  der  la- 
teinischen Litteratur  Avird  sich  aber  noch  sehr  erheblich  stei- 
gern müssen,  wenn  wir  den  damaligen  Zustand  des  philo- 
logischen Wissens  überhaupt  erwägen.  Wenn  einem  Gelehrten 
unserer  Zeit  daran  gelegen  ist,  für  einen  bestimmten  Fall  eine 
Anzahl  Citate  und  Analogien  aus  lateinischen  Classikern  bei- 
zubringen, so  stehen  ihm  für  die  Beschaffung  derselben  zahl- 
reiche und  treffliche  Hülfsmittel  zu  Gebote:  übersichtlich  an- 
gelegte Ausgaben,  versehen  mit  jeglichem  nur  wünschenswerthen 
Apparate,  reichhaltige,  nach  den  verschiedensten  Gesichts- 
punkten ausgearbeitete  Indices,  Verbal-  und  Reallexica  aller 
Arten  und  in  allen  Formaten,  bequeme  Handbücher  endlich 
und  was  es  an  derartigen  Werken  etwa  sonst  noch  gibt. 
Wahrlich,  wer  von  einem  solchen  massenhaften  Rüstzeuge  unter- 
stützt wird,  der  hat  leichtes  Arbeiten  und  fast  mühelos  ver- 
mag er,  aus  allen  Ecken  und  Enden  der  lateinischen  Litteratur 
das  Material,  dessen  er  für  einen  bestimmten  Zweck  benöthigt 
ist,  zusammenzulesen.  Anders  aber,  ganz  anders  lagen  die  Ver- 
hältnisse zu  Petrarca's  Zeit:  es  kannte  dieselbe  die  oben 
genannten  litterarischen  Hülfsmittel  entweder  noch  gar  nicht 
oder  doch,iwie  z.  B.  die  Lexica,  nur  in  ihrem  rudimentärsten  Zu- 
stande. Fehlte  doch  meistentheils  in  den  Handschriften  der 
damaligen  Zeit  selbst  die  anscheinend  so  kleine,  nichtsdesto- 
weniger aber  so  wesentliche  Erleichterung  der  Vers-,  Capitel- 
und  Paragraphenzählung!  Während  also  der  moderne  Ge- 
lehrte, um  irgend  einer  Stelle  eines  Autors  habhaft  zu  werden, 
einfach  irgend  ein  Nachschlagewerk  zur  Hand  nimmt  und  da- 
durch in  den  meisten  Fällen  jeder  weiteren  Mühe  überhoben 
wird,  war  Petrarca  fast  lediglieh  auf  sein  Gedächtniss  und,  da 
dieses  unmöglich  genügen  konnte,  auf  seine  eigenen  Excerpte 
und  sonstigen  Notizensammlungen  angewiesen.  Wer  Petrarca's 
lateinische  Schriften,  namentlich  das  compilatorische  Buch 
über  die  berühmten  Männer,  genauer  kennt,  wird  keinen 
Augenblick  zweifeln,  dass  Petrarca  sich  planmässig  geordnete 
Collectaneen  von  dem  beträchtlichsten  Umfange  angelegt  hatte. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  4ß5 

und  welchen  geduldigen  Bienenfleiss,  welche  liebevolle  Hin- 
gebung derartige  Sammelarbeiten  erfordern ,  das  weiss  ein 
Jeder  zu  ermessen,  der  nur  irgend  einmal  etwas  Aehnliches 
unternommen  hat.  Wenn  wir  dies  Alles  erwägen,  so  werden 
wir  unsere  Bewunderung  dem  Vater  des  Humanismus  nicht 
versagen ,  der  sich  die  Hülfsmittel  seines  philologischen  Stu- 
diums erst  selbst  schaffen  musste  und  gleichwol  so  Bedeuten- 
des geleistet,  den  Hauptbestandtheil  der  römischen  Litteratur 
mit  vollendeter  Sicherheit  beherrscht  hat.  Nicht  also  unter- 
schätzt dürfen  Petrarca's  philologische  Kenntnisse  werden :  was 
ihnen  an  Umfang  abging,  Avard  durch  Gründlichkeit  und  Tiefe 
reichlich  ersetzt,  nicht  das  Quantum  ist  an  ihnen  zu  bewun- 
dern, wohl  aber  im  höchsten  Grade  das  Quäle. 

Haben  wir  in  dem  Vorstehenden  die  Frage  erörtert,  wie 
Petrarca's  philologisches  Wissen  zu  demjenigen  der  Folgezeit 
sich  verhielt,  so  drängt  sich  nun  die  weitere  Frage  auf,  in 
welchem  Verhältnisse  dasselbe  zu  demjenigen  der  vor  ihm 
liegenden  Zeit,  also  des  Mittelalters,  gestanden  habe. 

Es  ist  eine  weit  verbreitete,  in  populären  Geschichts- 
werken bis  zum  üeberdrusse  wiederholte,  nichtsdestoweniger 
aber  durchaus  irrige  Ansicht,  dass  dem  Mittelalter  die  Schrift- 
steller des  römischen  Alterthums  so  gut  wie  unbekannt  ge- 
wesen und  dass  dieselben  erst  von  den  Humanisten  gleichsam 
neu  entdeckt  worden  seien.  Man  verbindet  damit  häufig  noch 
wohlfeile  Declamationen  der  Entrüstung  gegen  die  angeblich 
durch  und  durch  verdummten  Mönche,  welche  von  alten  Per- 
gamenten die  Meisterwerke  der  classischen  Autoren  abgekratzt 
und  statt  ihrer  dann  langweilige  Predigten  und  geistlose  Chro- 
niken darauf  geschrieben  haben  sollen  ^). 

In   Wirklichkeit    stand    die  Sachlage  ganz    anders.     Das 


^)  Aehnliches  mag  allerdings  nicht  allzu  selten  vorgekommen  sein,  aber, 
von  ganz  vereinzelten  Fällen  abgesehen,  weder  aus  Böswilligkeit  noch  aus 
Barbarei,  wie  man  bei  Wattenbach,  Gesch.  des  Schriftwesens  im  Mittelalter 
(2.  Aufl.),  p.  251  ff.  nachlesen  möge.  Es  handelte  sich  eben  meist  nur  um 
Pergamentmakulatur.  Auch  wir  tragen  ja  kein  Bedenken,  lose  Makulatur- 
bogen classischer  Werke  etwa  zur  Dütenfabrikation  zu  verwenden. 

Körting,   Petrarca.  30 


46Ö  Achtes  Capitel. 

Mittelalter  hat  die  grosse  Mehrzahl  der  von  uns  gekannten  latei- 
nischen Autoren  ebenfalls  gekannt  und  hat  dieselben  fleissig  ge- 
lesen, zum  Theil  sogar  sehr  fleissig,  viel  fleissiger,  als  durchschnitt- 
lich heutigen  Tages  geschieht.  Dass  hierbei  freilich  sehr  beträcht- 
liche zeitliche  und  örtliche  Schwankungen  und  Gradverschieden- 
heiten stattfanden,  wie  solche  auch  in  der  Gegenwart  bestehen, 
ist  selbstverständlich  und  kann  ebensowenig  einen  Grund  ab- 
geben, das  Mittelalter  in  Bausch  und  Bogen  der  Barbarei  zu 
bezüchtigen,  als  ein  solcher  aus  der  sehr  erklärlichen  That- 
sache  abgeleitet  werden  kann,  dass  der  Geschmack  des  Mittel- 
alters in  der  Auswahl  der  mit  Vorliebe  gelesenen  Autoren  ein 
von  dem  modernen  weit  verschiedener  war.  Wer  sich  über- 
zeugen will,  wie  gut  das  Mittelalter  mit  der  lateinischen 
Litteratur  bekannt  war,  der  wird  es  leicht  ermessen  können, 
wenn  er  etwa  des  Johanns  von  Salisbury  Policraticus  ^)  oder 
des  Vincenz  von  Beauvais  grosse  Encyklopädie  (speculum  na- 
turale, doctrinale  und  historiale  nebst  dem  von  anderer  Hand 
eingefügten  speculum  morale)  ^)  oder  Brunetto  Latini's  „Tresor" 
durchblättert  und  die  darin  so  reichlich  ausgestreuten  Citate 
mustert.  Wiederholt  auch  und  nicht  immer  erfolglos,  wenn 
auch  meist  mit  grossem  Ungeschicke,  haben  mittelalterliche 
Schriftsteller  antike  Stylmuster,  wie  etwa  Sallust  oder  Seneca, 
nachzubilden  versucht.  Besonders  geschah  dies  in  jener  denk- 
würdigen Culturperiode  des  endenden  zwölften  und  beginnen- 
den dreizehnten  Jahrhunderts,  welche  sieh  als  die  Glanzzeit 
der  mittelalterlichen  Bildung  und  zugleich  als  eine  Zeit  der 
Vorrenaissance  bezeichnen  lässt  und  welche  in  dem  anglo-franzö- 
sischen  Reiche  Heinrichs  H.  und  seiner  nächsten  Nachfolger 
zu  ihrer  schönsten  Entwickelung  gelangte.  Und  will  man  end- 
lich   noch    einen    weiteren    Beweis   für    die  Vertrautheit   des 


1)  Die  Schreibweise  Pohcraticus  dürfte  dui-ch  den  Inhalt  des  Buches 
ebenso  gerechtfertigt  erscheinen,  wie  die  an  sich  näher  liegende  Polycraticus. 

"-)  Ueber  den  reichen  Inhalt  und  die  hohe  Bedeutung  dieses  Werkes 
vgl.  die  treffliche  Auseinandersetzung  von  R.  von  Liliencron  in  der  lehr- 
reichen Schrift:  „Ueber  den  Inhalt  der  allgemeinen  Bildung  in  der  Zeit 
der  Scholastik'-  (München,  1876),  p.  U  ff. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  4C7 

Mittelalters  mit  der  antiken  lateinischen  Litteratur  erbracht 
sehen,  so  erinnere  man  sich  daran,  dass  die  volksthümliche 
Dichtung  aller  westeuropäischen  Länder,  vornehmlich  aber 
Frankreichs,  sich  mit  grosser  Vorliebe  der  Behandlung  antiker 
Sagenstoffe  —  der  Sagen  von  dem  thebanischen  und  trojani- 
schen Kriege,  von  Aeneas  und  Alexander  d.  Gr.  —  zugewandt 
hat  und  dabei  zum  Theil  allerdings  auf  späte  und  apokryphe 
Werke,  wie  die  des  Pseudo-Kallisthenes,  des  Dictys  und  Dares, 
zum  Theil  aber  auch  auf  gut  classische  Autoren,  wie  Virgil  und 
Statins  ^),  zurückgegangen  ist.  Man  erinnere  sich  endlich  auch 
daran,  wie  oftmals  lateinische  Autoren,  vor  allen  aber  Orosius 
und  Ovid,  während  des  Mittelalters  in  die  Volkssprachen  über- 
setzt worden  sind. 

Petrarca  hat  im  Allgemeinen  —  auf  das  Einzelne  einzu- 
gehen, wird  sich  ja  bald  Gelegenheit  finden  —  eben  nur  die- 
jenigen Werke  der  lateinischen  Litteratur  gekannt,  welche 
auch  bereits  von  dem  Mittelalter  gekannt  und  gelesen  worden 
waren.  Der  äussere  Umfang  seiner  lateinischen  Leetüre  ist  nur 
um  ein  Weniges  weiter,  als  er  etwa  bei  Brunetto  Latini  und  Dante 
gewesen  war  ^).  Es  könnte  demnach  scheinen,  als  habe  Petrarca, 
als  habe  der  Humanismus  die  classischen  Studien  nicht  eben 
sonderlich  über  den  mittelalterlichen  Horizont  hinaus  erweitert. 

Und  dennoch  gähnt  zwischen  dem  Mittelalter  und  dem 
Humanismus  eine  himmelweite  Kluft.  Und  dennoch  hat  Pe- 
trarca einen  so  gewaltigen,  tiefgreifenden  Umschwung  in  den 
classischen  Studien  vollzogen ,  dass  er  mit  dem  besten  Rechte 
ihr  Neubegründer  und  selbst  ihr  Begründer  genannt  wer- 
den muss. 

Das  Mittelalter  las  die  lateinischen  Autoren  des  Alter- 
thums,  aber  es  verstand  dieselben  nur  äusserlich,  nicht  inner- 
lich, da  es  nicht  vermochte,  sich  aus  seiner  eigenen  Denk-  und 
Anschauungssphäre  in   diejenige   des  Alterthums  zu   versetzen 


^)  Das  Epitheton  „gut  classiscli"  wird  man  in  diesem  Zusanmienliange 
wol  auch  dem  Statins  unbedenklich  ertheilen  dürfen. 

-)  vgl,  den  Aufsatz  von  Schuck,' Dante' s  classische  Studien  und  Bru- 
netto Latini  in  Jahns  (Fleckeisen's  und  Masius')  Jahrbb.  Bd.  92  p.  253  ff. 

30* 


4»38  Achtes  Capitel. 

und  nicht  einmal  das  Streben  darnach  kannte.  So  musste  der 
Mensch  des  Mittelalters,  so  vielen  classischen  Bildungsstoff  er 
immerhin  auch  gedächtnissmässig  und  mechanisch  in  sich  auf- 
nehmen mochte ,  doch  dem  classischen  Alterthume  fremd  und 
kalt  gegenüber  stehen :  er  konnte  es  eben  mit  dem  Gemüthe  gaj- 
nicht  und  mit  dem  Verstände  auch  nur  höchst  unvollkommen 
erfassen.  Die  Gelehrten  des  Mittelalters  lassen  sich  in  Bezug 
auf  ihre  humanistische  Bildung  —  wenn  man  den  eigentlich 
hier  unstatthaften  Ausdmck  gebrauchen  darf  —  mit  Schülern 
vergleichen,  welche  wol  erlernt  haben,  einen  lateinischen  Autor 
leidlich  geläufig  zu  übersetzen  und  ihm  stylistisches  und  deco- 
ratives  Material  für  eigene  Compositionen  zu  entnehmen,  aber 
dennoch,  weil  sie  in  das  eigentliche  Verständniss  noch  nicht 
einzudringen  und  folglich  auch  für  den  Inhalt  des  Gelesenen 
sich  nicht  zu  begeistern  vermögen,  im  Grunde  der  Seele  bei 
der  Leetüre  des  Cicero  oder  Virgil  sich  herzlich  langweilen 
und,  wenn  sie  zeitweilig  oder  dauernd  aus  dem  Schulraume 
entlassen  sind,  mit  Behagen  den  classischen  Staub  von  sich  ab- 
schütteln, um  in  der  Atmosphäre  des  moderaen  Lebens  sich 
zu  tummeln.  Das  Mittelalter  kannte  eben  nur  die  classischen 
Autoren,  aber  weder  verstand  noch  liebte  es  dieselben,  das 
einzige  Gefühl,  was  es  für  sie  empfand,  war  eine  gewisse  ver- 
ehrungsvolle Scheu.  Es  hatten  die  Götter  und  die  Autoren 
des  Alterthums  im  Mittelalter  ein  vielfach  ähnliches  Schicksal 
zu  erdulden:  die  Götter  sanken  zu  Dämonen,  zu  gefürchteten 
Spukgestalten  herab,  die  Autoren  aber,  vor  allen  die  Dichter 
und  von  diesen  wieder  vorzugsweise  Virgil,  galten  für  mit 
übermenschlicher  Weisheit  begabte,  im  letzten  Grunde  jedoch 
unheimliche  Zauberwesen  ^). 

"Wie  wenig  das  Mittelalter  die  Werke  der  Schriftsteller 
des  classischen  Alterthums,  ungeachtet  aller  äusserlichen  Be- 
lesenheit in  ihnen,  wirklich  verstand,  erhellt  schon  daraus,  dass 
man   über   die  Lebensverhältnisse    derselben  die    absurdesten 


^)  vgl.  über  diese  ganze  Frage  Comparetti's  treffliches  und  inhaltreiches 
Buch;-Virgilio  nel  medio  evo.    (Livorno,  1872). 


Der  Umfang'  des  Wissens  Petrarca's.  4Ö'J 

Fabeln  gläubig  als  Wahrheit  hinnahm  und  nie  auch  nur  einen 
Versuch  der  Kritik  gewagt  hat.  Der  vielgelesenste  und  viel- 
bewundertste  Dichter  Virgil  war  für  die  Men&chen  des  Mittel- 
alters der  Held  seltsamster  und  sinnlosester  Mährchen  gewor- 
nen,  welche  unmöglich  hätten  entstehen  und  verbreitet  werden 
können,  wenn  man  die  Aeneis  auch  nur  mit  einigem  inneren 
Verständnisse  gelesen  und  wenn  man  von  den  Zuständen  des 
augusteischen  Zeitalters  auch  nur  eine  einigermaassen  richtige 
Kenntniss  besessen  hätte.  Und  will  man  einen  weiteren  Be- 
weis dafür  erbringen,  wie  unendlich  fern  das  Mittelalter  von 
einem  wirklichen  Verständnisse  des  Alterthums  war,  so  bietet 
derselbe  sich  leicht  und  offenkundig  dar.  Wenn  das  Mittel- 
alter antike  Stoffe  dichterisch  behandelte  —  und  wir  bemerkten 
oben,  dass  dies  häufig  geschehen  sei  —  so  wurden  diese  Stoffe 
vollständig  des  antiken  Gewandes  entkleidet  und  es  ward  das 
mittelalterliche  Costüm  ihnen  angelegt,  ohne  dass  man  auch 
nur  geahnt  hätte,  wie  unendlich  bizarr  und  barock  dieses  Ver- 
fahren war.  So  wurden  z.  B.  die  Helden  des  trojanischen 
Krieges  zu  mittelalterlichen  Rittern  umgeformt,  Priamus  und 
Agamemnon  wurden  zu  Lehenskönigen,  Kalchas  ward  zu  einem 
Bischöfe,  Troja  selbst  wurde  eine  mittelalterliche  Stadt  mit 
einer  Fürstenburg  und  mit  vielen  Kirchen  und  Klösteni,  die 
trojanischen  Frauen  aber  wurden  Burgfrauen  und  Ritterfräu- 
lein, welche  mit  den  Helden  zärtlicher  Minne  pflegten  •),  Aber 
nicht  bloss  in  Dichtungen,  in  denen  man  ja  gern  ein  freies 
Schalten  mit  überlieferten  Stoffen  als  berechtigt  anerkennen 
wird,  sondern  auch  in  Werken,  welche  Anspruch  auf  den  Cha- 
rakter strenger  Gelehrsamkeit  erheben,  findet  sich  die  gleiche, 
uns  unglaulalich  scheinende  Naivetät,  die  gleiche  Unfähigkeit 
für  das  historische  und  ästhetische  Erkennen  des  Alterthums. 
Petrarca    war    der  Erste,    der   das  ganze  und  volle  Ver- 


^)  Man  lese  zum  Beweise  des  Gesagten  irgend  eine  der  mittelalter- 
lichen Trojadichtungen ;  am  meisten  dürfte  die  „historia  Troiana"  des  Guido 
de  Columna  sich  empfehlen,  da  dieser  die  Prätention  besitzt,  ein  ernster 
Historiker  zu  sein.  Man  vgl.  auch  Joly's  schön  geschriebene  Einleitung 
zu  seiner  Ausgabe  des  Roman  de  Troie  des  Benoit  de  Ste-More  (Paris,  1870). 


470  Achtes  Capitel. 

ständniss   des    elassischen  Altertlmms    erstrebte    und,    soweit 
dies   bei   den  damaligen  Zuständen  des  wissenschaftlichen  Le- 
bens  überhaupt   möglich   war,    auch    wirklich    erreichte.     Er 
unternahm   es   zum    ersten   Male,   die  Werke  der  lateinischen 
Autoren    aus    sieh   selbst   heraus   erklären    und   verstehen  zu 
wollen,   er  besass   als  der  Erste  die  Fähigkeit,  sich  aus  dem 
Banne  der  mittelalterlichen   Denkweise   zu  befreien  und   das 
Alterthum  unmittelbar   anzuschauen.     Er    stand   den    antiken 
Schriftstellern  nicht  mehr  als  ein  Fremder,  als  der  Sohn  einer 
anders  gearteten  Zeit  gegenüber,  sondern  er  bestrebte  sich,  in 
ihre    Zeit   sich    zurückzuversetzen,    auf   das    gleiche    Niveau 
mit  ihnen  sich  zu  stellen,  selbst  zu  werden,  wie  sie  gewesen 
waren.     Die   Autoren    des.  Alterthums    wurden    ihm    geliebte 
Freunde,   für  welche   er  schwärmte,  ,zu  denen  er  sprach,  an 
welche  er  Briefe  richtete.    Das  Studium  des  Alterthums  wurde 
ihm  eine  Herzenssache,  deren  Betreibung  er  nicht  nur  mit  dem 
Verstände,  sondeni  auch  mit  dem  Gemüthe,  mit  der  ganzen  Seele 
sich   hingab.     Die   lateinische   Litteratur    war   für    ihn    nicht 
mehr,  wie  für   die  Gelehrten  des  Mittelalters  und  selbst  noch 
für    einen  Dante,    nur    ein    Bergwerk,    aus    dessen    dunkeln 
Schächten   sich   zerstreutes   Edelmetall  an   Weisheitssprüchen 
,  und    interessanten ,    aber    zusammenhangslosen    Notizen    ge- 
winnen  Hess,   sondern   sie  wurde  für  ihn  zu   einer  herrlichen 
Landschaft,   welche  er  als  ein  Ganzes  überschaute,    welche  er 
zu  seiner  neuen  Heimath  sich  erkor  und  in   welcher  sein  be- 
geistertes Auge   bei  weiterem  Forschen  immer  neue  Wunder 
der   Schönheit  entdeckte.    Einem   solchen  liebevollen  Hinein- 
versenken  erschloss  sich   denn  nun  auch   das  classische  Alter- 
thum, es  hörte  fortan  auf,   für  die  Menschheit  eine  todte  und 
wirre  Masse,  ein  wüstes  Chaos  zu  sein,  es  gewann  wieder  Leben 
und  Gestalt  und  spendete  mit  vollen  Händen  den  neugebornen 
Völkern  die  bis  dahin  verborgenen  Schätze  seiner  reichen  Cul- 
tur.     Oder   wollte   man   nach  anderem  Gleichnisse  suchen,   so 
würde  etwa  das  folgende  sich  ungezwungen  darbieten.    Für  das 
Mittelalter  war  die  antike  Welt  ein  ungeheuerer,  in  tiefe  Däm- 
merung gehüllter  Steinbau,  dessen  gewaltige  Dimensionen  man 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  471 

wohl  dunkel  zu  ahnen  und  selbst  auch  ungefähr  zu  ermessen 
vermochte,  an  welchem  man  aber  gleichwol  mit  geheimem 
Grausen  vorüberging,  ohne  dass  man  auch  nur  den  Gedanken 
an  weiteres  Forschen  zu  hegen  wagte.  Petrarca  zuerst  trat, 
erfüllt  mit  ahnender  Begeisterung,  an  diesen  Bau  heran, 
sich  mühsam  durch  die  Wildniss  die  Pfade  zu  ihm  bahnend, 
—  und  siehe  da!  der  dämmernde  Nebel,  der  bisher  ihn  ver- 
hüllt, wich  vor  dem  liebenden  Blicke  des  Mannes  und  im 
Sonnenglanze  stand  der  Bau,  wie  entzaubert,  vor  ihm,  herrlich 
und  schimmernd  und  mit  dem  erhabenen  Giebel  emporragend 
zu  dem  heiteren  Himmelsblau.  Diese  Entzauberung  bewirkt 
zu  haben,  das  ist  Petrarca's  grosse  That,  das  ist  sein  unsterb- 
liches Verdienst,  dadurch  hat  er  den  Humanismus,  dadurch  die 
Cultur  der  Renaissance  begründet.  In  Bezug  auf  die  Masse  ge- 
lehrter Einzelkenntnisse  haben  Viele  vor  und  mehr  noch  nach 
ihm  ihn  weit  überragt,  aber  Keiner  vor  ihm  hat  mit  solcher 
divinatorischer  Intuition  das  classische  Alterthum  als  ein 
Ganzes  erfasst  und  den  Werth  und  die  Bedeutung  desselben 
erkannt.  Viele  sind  freilich  nach  ihm  gekommen,  die  in  noch 
höherem  Grade  des  Alterthums  Wesen  und  Geist  erkannt 
haben,  aber  diese  standen  auf  dem  Boden,  den  er  vorbereitet, 
sie  waren  nur  Fortsetzer  des  Werkes,  welches  er  begonnen, 
sie  waren,  wenn  auch  oft  nur  unbewusst,  seine  Schüler,  er  war 
ihr  Meister,  ihr  geistiger  Ahnherr. 

Petrarca  ist  nicht,  der  gelehrteste  Humanist  —  denn  un- 
gleich gelehrtere  hat  es  nach  ihm  gegeben,  aber  er  ist  nichts- 
destoweniger nicht  nur  der  erste,  sondern  auch  der  grösste 
Humanist  gewesen,  denn  die  schwierigste  Aufgabe  des  Huma- 
nismus, den  Bann  mittelalterlichen  Denkens  zu  brechen,  hat 
er  gelöst,  er  hat  die  Atmosphäre  erst  geschaffen,  in  welcher 
allein  die  Pflanze  humanistischer  Geistesbildung  empor  zu 
wachsen  vermochte.  Petrarca  hat  verhältnissmässig  nur  wenige 
Schriftwerke  des  classischen  Alterthums  gekannt,  aber  er  hat 
sie  zuerst  erkannt,  und  wer  wird  leugnen,  dass  erst  durch 
die  Erkenntniss  das  Kennen  Werth  gewinnt? 

Petrarca  ist  des  classischen  Alterthums  Entdecker  in  des 


472  Achtes  Capitel. 

Wortes  höchstem  Sinne  geworden,  obwol  auch  das  Mittelalter 
bereits  das  Alterthum  kannte,  denn  er  zuerst  hat  das  innere 
Wesen  des  Alterthums  erkannt  und  zu  erkennen  gelehrt,  er 
zuerst  hat  es  unternommen,  den  Bildungsstoff  des  Alterthums 
zu  einem  Keubau  der  Cultur  zu  verwerthen. 

Haben  wir  im  Obigen  den  Versuch  gewagt,  die  Bedeutung 
und  Eigenartigkeit  der  humanistischen  Thätigkeit  Petrarca's 
darzulegen  —  ein  Versuch,  dessen  sicher  vorhandene  Mangel- 
haftigkeit man  mit  der  ungeheueren  Schwierigkeit  dei-  Aufgäbe 
nachsichtsvoll  entschuldigen  möge  —  ,  so  liegt  uns  nun  die 
Pflicht  ob,  den  Umfang  des  gelehrten,  und  zwar  zunächst  und 
zumeist  des  philologischen  Wissens  Petrarca's'  im  Einzelnen 
nachzuweisen. 

Die  erste  Frage,  welche  wir  hierbei  zu  erörteni  haben, 
ist  diejenige,  ob  und  wie  weit  Petrarca  mit  griechischer  Sprache 
und  Litteratur  bekannt  war.  Bereits  an  anderer  Stelle  (S.  153  f.) 
haben  wir  erzählt,  wie  Petrarca  in  den  Jahren  1339  und  1342, 
als  der  byzantinische  Mönch  Barlaam  in  Avignon  weilte,  von 
diesem  griechischen  Unterricht  sich  ertheilen  liess,  ohne  frei- 
lich, da  der  Lehrer  beide  Male  Avignon  nach  kurzer  Anwesen- 
heit wieder  verliess,  irgend  welche  erhebliche  Resultate  zu  er- 
zielen. Einen  weiteren  Versuch ,  der  Sprache  der  Hellenen 
mächtig  zu  werden,  hat  Petrarca,  sei  es.  weil  ihm  die  Gelegen- 
heit mangelte,  oder  weil  er,  anderweitigen  Studien  hingegeben, 
den  Zeitaufwand  scheute,  nicht  gewagt,  und  man  wird  ihm 
dies  nicht  sonderlich  verargen  dürfen,  wenn  man  erwägt, 
welche  riesenhafte  Schwierigkeiten  das  Studium  des  Griechi- 
schen damals  bei  dem  gänzlichen  Mangel  aller  didactischen 
Hülfsmittel  darbieten  musste,  zumal  einem  schon  in  reiferen 
Jahren  stehenden  Manne.  Es  ist  demnach  der  Begründer  des 
Humanismus  nie  über  die  ersten  Elemente  des  Griechischen 
hinausgekommen  und,  weit  entfeint,  dies  zu  verheimlichen  oder 
etwa  gar,  wie  man  ihn  zuweilen   beschuldigt  hat  \),  mit  einer 


1)  MüUer's  thörichter  Roman  „Aus  Petrarca's  alten  Tagen"  basirt  auf 
dieser  absurden  Beschuldigung. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  4  73 

Kenntniss  zu  prunken,  welche  er  nicht  besass,  hat  er  viehnehr 
seine  Unkenntniss  wiederholt  offen  eingestanden  ').  Wie  wenig 
er  des  Griechischen  kundig  war,  beweisen  schlagend  die  Ety- 
mologien, welche  er  gelegentlich  aufzustellen  wagte,  wie  wenn 
er  „Mercurius"  erklärte  als  aus  ,.mercaturae  kyrios  (d.  i.  Herr 
des  Handels)"  entstanden  2) ,  oder  wenn  er  das  Wort  „Epi" 
(eine  allegorische  Bezeichnung  für  „Kirche")  vom  griechischen 
„epi"  ableitete,  nichtsdestoweniger  aber  die  erste  Silbe  des- 
selben als  Länge  maass  ^). 

Aus  dem  el)en  Gesagten  ergibt  sich  als  selbstverständ- 
lich, dass  Petrarca  eine  auf  eigener  Leetüre  der  Originale  be- 
ruhende Kenntniss  der  griechischen  Litteratur  nicht  besitzen 
konnte.  Was  er  von  derselben  vvusste.  wusste  er  eben  nur 
aus  den  gelegentlichen  Notizen  und  Citaten  bei  den  lateini- 
schen Autoren  und,  worül)er  sogleich  eingehender  zu  sprechen 
sein  wird,  aus  einzelnen  lateinischen  Uebersetzungen.  So  er- 
klärt es  sich  denn  auch  leicht,  dass  er  von  dem  Werthe  der 
griechischen  Litteratur  und  von  ihrem  Verhältnisse  zu  der 
lateinischen  nie  eine  klare  Vorstellung  besessen,  oder  vielmehr 
sich  in  sehr  irrigen  Vorstellungen  bewegt  hat.  Er  war  geneigt, 
anzunehmen,  dass  in  der  Dichtkunst  die  Lateiner  den  Griechen 
gleichgekommen  wären,  ja  sie  sogar  noch  übertroffen  hätten  *), 
und  unbedenklich  stellte  er  die  philosophischen  Dilettanten 
Cicero  und  Seneca  einem  Aristoteles  gleich^).  Wie  verhäug- 
nissvoll  eine  derartige  Ueberschätzung  des  Römerthums,  welche 
auch  der  spätere  Humanismus  trotz  seiner  näheren  Bekannt- 
schaft mit  dem  Griechenthume.  nie  wahrhaft  zu  überwinden 
vermocht  hat,  füi-  die  ganze  Entwickelung  der  Renaissance- 
cultur  geworden  ist,  darauf  haben  wir  schon  wiederholt  Ge- 
legenheit genommen  hinzuweisen*^). 


^)  z.  B.  Ep.  Fam.  XVIII  2.  XXIV  12. 

■•')  Invect.  in  med;  p.  1202. 

=)  Ecl.  VU. 

*)  Ep.  Sen.  XII  1. 

s)  vgl.  oben  S.  401. 

«)  vgl.  oben  S.  153  u.  ö.  402. 


474  Achtes  Capitel. 

Keinen  Griechendichter  fand  Petrarca  von  den  Lateinern 
häufiger  citirt  und  mehr  gepriesen,  als  den  Homer,  so  dass 
er  ahnen  musste,  welche  gewaltige  Bedeutung  Ilias  und  Odyssee 
für  die  ganze  antike  Cultur  besessen  hatten  und  wie  gross 
der  ästhetische  Werth  dieser  Dichtungen  sei.  Es  wurde 
daher  der  lebhafte  Wunsch  in  ihm  rege,  den  hoch  gefeierten 
Dichterheros  durch  eigene  Anschauung  kennen  zu  lernen. 
Durch  die  Vermittelung  des  ihm  bekannt  gewordenen  Byzan- 
tiners Nikolaus  Sigeros,  welcher  ungefähr  im  Jahre  1350  als 
Gesandter  des  Kaisers  Johannes  Kantakuzenos  nach  dem  Abend- 
lande gekommen  war  ^),  gelang  es  ihm  auch  wirklich ,  sich  im 
Jahre  1354  aus  Constantinopel  ein  Exemplar  des  Homer  zu 
beschaffen,  aber  ach !  dies  war  für  ihn  ein  verschlossenes  Buch 
und  musste  es  bleiben,  bis  sich  ein  Dolmetsch  fand.  Ein  be- 
sonders glücklicher  Zufall  fügte  es ,  dass  wirklich  ein  Ueber- 
setzer  gefunden  wurde.  Boccaccio  hatte  einen  calabresischen 
Griechen  Leonzio  Pilato  kennen  gelernt  und  zur  Niederlassung 
in  Florenz  bewogen.  Es  war  das  ein  seltsamer  Mann,  ein  ge- 
lehrter Abenteurer  im  übelsten  Sinne  des  Wortes,  der  unstät 
zwischen  Byzauz  und  Italien  hin-  und  herzog,  am  ersteren 
Orte  für  einen  Italiener  sich  ausgebend,  im  letzteren  Lande 
mit  seiner  griechischen  Nationalität  —  denn  er  gab  vor,  in 
Thessalonich  geboren  worden  zu  sein —  sich  brüstend,  überall 
jedoch  durch  seine  unliebsamen  Charaktereigenschaften,  nament- 
lich aber  durch  eine  grenzenlose  Arroganz,  sich  gleich  verhasst 
machend.  Auch  seine  äussere  Erscheinung  war  wenig  liebens- 
würdig :  sein  AntUtz  war  missgestaltet  und  wurde  durch  einen 
langen  ungepflegten  Bart  und  stnippige  schwarze  Haare  eben 
nicht  verschönt.  Aber  trotz  alledem  verstand  er  Griechisch 
und  das  genügte,  um  Boccaccio  und  Petrarca  zu  bewegen, 
ihren  persönlichen  Widerwillen^)  gegen   den   Abenteurer  nie- 


')  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  IV  p   92. 

2)  Ep.  Farn   XVIII  2. 

^)  vgl.  die  Charakterbilder,  welche  Petrai-ca  (Ep.  Sen.  III  6.  V  3)  u. 
Boccaccio  (b.  de  Sade,  III  p.  626  u.  b.  Fracassetti  Lett.  fam.  IV  p.  97,  vgl. 
Landau,  a.  a.  0.  p.  189)  von  dem  Griechen  entworfen  haben. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  475 

derzukämpfen  und  sich  um  seine  Freundschaft  zu  bewerben. 
Boccaccio  brachte  sogar  trotz  seiner  misslichen  Vermögensver- 
hältnisse das  grosse  Opfer,  den  Griechen  drei  Jahre  lang  bei 
sich  zu  beherbergen,  und  der  stolze  Petrarca  gewann  es  über 
sich,  mit  Pilato  freundschaftlich  zu  verkehren,  als  derselbe  im 
Jahre  1363  und  1364  sich  längere  Zeit  in  Venedig  aufhielt. 
Freilich  war  er  herzlich  froh,  als  der  unruhige  Calabrese  im 
Frühjahre  1364  nach  Constantinopel  absegelte. 

Dieser  Mann  nun  war  es,  welcher  auf  Boccaccio's  und 
Petrarca's  Wunsch  und  auf  des  Letzteren  Kosten  i)  es  unter- 
nahm, den  Homer  in  das  Lateinische  zu  übertragen.  Wahr- 
scheinlich im  Jahre  1360  begann  er  das  Werk  und  scheint  es, 
noch  ehe  er  im  Sommer  1363  Florenz  verliess,  beendet  zu 
haben.  Aus  dieser  Uebersetzung  also  lernte  Petrarca  den 
Vater  der  griechischen  Dichtkunst  kennen.  Man  wird  leicht 
ermessen  können,  wie  mangelhaft  das  Bild  sein  musste,  wel- 
ches eine  lateinische  Prosaübertragung  —  denn  eine  solche 
war  es  —  von  den  homerischen  Epen  gewähren  konnte.  Be- 
greiflich wird  man  es  demnach  finden,  dass  Petrarca's  Enthu- 
siasmus, als  er  endlich  im  Jahre  1365  das  Werk  erhalten 
und  kennen  gelernt  hatte,  sich  mit  etwas  frostigen  Ausdrücken 
begnügte  ^).  Er,  der  einst,  ehe  er  noch  die  homerischen  Dich- 
tungen kannte,  einen  Brief  voll  überschwänglicher  Begeisterung 
an  Homer  gerichtet  hatte  ^),  fand  jetzt  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  seine  hochgespannten  Erwartungen  sehr  enttäuscht, 
denn  der  Blüthenstaub  hellenischer  Poesie  war  natürlich  in 
der  steifen  lateinischen  Prosaversion  vollständig  abgestreift. 
So  ist  denn  Petrarca  zu  einem  wirklichen  Verständnisse  Ho- 
mers nie  gelangt  und  ist  durch  ihn  weder  zu  einer  höheren 
Werthschätzung  des  Griechenthumes  noch  zu  einer  würdigeren 
Auffassung  der  Poesie,  welche  er  sich  immer  nur  als  Allegorie 


^)  Ep.  Sen.  III  6.  XV  (b.  Fracassetti  XVI)  1.    Var.  25.  vgl.  Fracas- 
setti,  Lett.  fam.  IV  p.  95  ff. 
-)  Ep.  Sen    VI  2. 
")  Ep.  Fam.  XXIV  12.,  vgl.  VI  S.  u.  Afr.  IX  v.  144  ff. 


476  Achtes  Capitel. 

zu  denken  vermochte '),  angeregt  worden.  Anders  würde  es 
vermuthlich  gekommen  sein,  wenn  er  schon  als  Jüngling  und 
nicht  erst  als  Greis  mit  Homer  näher  bekannt  geworden  wäre: 
dann  hätte  er  sich  gewiss  von  der  auch  in  einer  lateinischen 
Prosaübertragung  nicht  völlig  vernichteten  Schönheit  der  ho- 
merischen Dichtung  stärker  beeinflussen  lassen  und  es  würde 
dadurch  vielleicht  seinem  Denken  und  Schaffen  eine  wesent- 
lich veränderte  Pachtung  gegeben  worden  sein.  Ein  schweres 
Unglück,  dessen  Nachwehen  bis  auf  den  heutigen  Tag  zu 
spüren  sind,  ist  es  für  die  Renaissancebildung  gewesen,  dass 
ihr  Begründer  zu  Homer  in  kein  innigeres  Verhältniss  ge- 
treten ist. 

Die  äussere  Kenntniss  des  Inhaltes  der  homerischen  Epen 
hat  sich  Petrarca  indessen  aus  Pilato's  Arbeit  gewonnen,  wie 
durch  eine  Pteihe  von  Stellen  in  seinen  späteren  Schriften  be- 
wiesen wird.  Besonders  interessant  hierfür  ist  eine  längere 
moralphilosophische  Epistel,  in  welcher  er  das  Laster  des  Geizes 
bekämpft  ^).  Er  kommt  hierbei  gelegentlich  auf  die  Thatsache 
zu  sprechen,  dass  die  Dichter  von  Alters  her  das  Epitheton 
,,golden'-  in  übertragenem  Sinne  allen  Dingen  beizulegen 
pflegen,  welche  sie  als  besonders  prächtig  und  herrlich  schildern 
wollen,  und  belegt  dies  mit  einer  Pteihe  von  Beispielen  aus 
Homer;  es  werden  da  genannt  die  goldenen  Pforten  mit  den 
goldenen  Ringen  des  Palastes  des  Alkinoos  und  die  von  He- 
phaistos  kunstvoll  verfertigten  goldenen  Hunde,  welche  zu  bei- 
den Seiten  des  Einganges  lagern  (Od.  VH,  88  ff.);  ferner  die 
goldenen  Fackelträger  im  Saale  des  Palastes  (ibid.  v.  100  f.); 
sodann  die  goldenen  Scepter,  welche  Teiresias  und  Minos  in 
der  Unterwelt  tragen,  und  das  goldene  Wehrgehänge,  mit 
welchem  des  Herakles  Schattenbild  geschmückt  ist  (Od.  XI, 
91,  569  und  610);  weiter  finden  Erwähnung  die  goldene  Kette 

1)  vgl.  oben  Seite  181  u.  dasjenige,  was  im  vierzelinten  Capitel  dieses 
Werkes  gesagt  werden  wird. 

■-)  b.  Fracassetti,  Lett.  Sen.  VI  8  (in  den  baseler  Ausgaben  bildet  diese 
Epistel  mit  der  vorausgehenden  einen  besonderen  Tractat  u.  d.  T.  „de 
avaritia  vitanda  eiusque  magistris  atque  instrumentis  fugiendis  oratio."). 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  477 

an  welcher  Here  von  dem  erzürnten  Zeus  vom  Himmel  nieder- 
gehangen  wurde  (IL  XV,  20),  die  „goldene"  Aphrodite  (11.  XXII, 
470),  der  goldene  Thron,  welchen  Here  dem  Hypnos  verspricht 
(II.  XIV,  238)  und  zahlreiche  andere  als  golden  bezeichnete 
Geräthschaften,  welche  im  Einzelnen  aufzuführen  hier  zu  weit 
führen  würde.  Man  mag  aus  dieser  Stelle  erkennen  nicht 
nur  wie  sorgsam  Petrarca  den  Homer  gelesen  hat,  sondern 
auch  welche  reichhaltigen  lexicalischen  Sammlungen  er  bei  der 
Leetüre  sich  angelegt  haben  muss,  denn  wie  wäre  es  ihm 
sonst  möglich  gewesen,  diese  Menge  von  Beispielen  zu  be- 
schaffen? Wir  dürfen  also  bei  dieser  Gelegenheit  einen  Blick 
in  Petrarca's  Arbeitszimmer  werfen,  der  uns  mit  Bewunderung 
vor  dem  fleissigen  Philologen  erfüllen  muss. 

Von  sonstigen  homerischen  Reminiscenzen  sind  etwa  die 
folgenden  zu  erwähnen.  Citirt  werden  die  Sentenzen:  „ein 
Rathsmann  darf  nicht  die  ganze  Nacht  schlafen  (Ep.  Sen.  IX,  1 : 
non  oportet  nocte  quiescere  consultorem  virum  ==  II.  II,  61 : 
ov  XQYj  itavvvxiov  evdeiv  ßovh']ffOQOv  aröga),  „nicht  gut  ist 
die  Menge  der  Götter,  einer  sei  der  Herr,  einer  der  Herr- 
seher" (de  sui  ips.  et  mult.  ign.  p.  1150:  non  bonum  multi- 
tudo  numinum  ^),  unus  dominus  sit,  unus  Imperator  =  II.  II, 
204  1:  ot'X  ayad^ov  7tolv/.otQavlr]'  eig/^oigavog  I'gtoj,  Elg  ßaoi- 
levg)  und  „nichts  Elenderes  ernährt  die  Erde  als  den  Men- 
schen-' (Ep.  Sen.  XIV,  4:  nil  miserius  nutrit  terra  liomine 
=  Odyss.  XVIII,  130:  ovdh  a/udvoTeQOv  yaia  TQacpei  av&Qw- 
noLo).  Ausserdem  werden  einmal  (de  contemt.  mundi  III) 
die  Verse  citirt: 

—  qui  miser  in  campis  errabat  Aleis, 

ipse  suum  cor  edens,  hominum  vestigia  vitans, 
welche  offenbar  aus  II.  VI,  200  f.: 

rjTOt    6   (sc.    Bell£Q0(p6vTrjg)    /.un   Tieöloi   rb    u^h'jtov   oiog 
aläzo, 

ov  ^vi-ioi'  -/Mzediov,  ^täxop  av'jQOj/cojr  akteiviov^ 


^    Es  liegt   hier   ein  Uebersetzungs  -  oder  Schreibfehler  vor  (numinum 
statt  dominorum). 


478  Achtes  Capitel. 

übertragen  sind,  ohne  dass  mau  angeben  könnte,  woher  Pe- 
trarca die  metrische  Uebersetzung  genommen  habe^);  viel- 
leicht, dass  er  sie  selbst  gefertigt  hat.  Andere  Reminiscenzen 
sind  allgemeiner  gehalten  und  verzichten  auf  den  Wortlaut. 
So  wird  einmal  auf  Patroldos'  Tod  angespielt  (Ep.  poet.  lat.  II. 
14  V.  34  f.),  ferner  auf  Hektors  Abschied  von  Andromache 
(de  remed.  utr.  fort.  I,  73),  auf  Hektors  Ermordung  durch 
Achilleus  (ibid.  72)  und  auf  das  Gastmahl  des  Alkinoos  (Afr.  III, 
V.  375  f.),  ein  anderes  Mal  (invect.  in  med.  II,  p.  1208)  wird 
gelegentlich  ganz  richtig  bemerkt,  dass,  wenn  bei  Virgil 
Aeneas  sich  selbst  preise  ,,sum  pius  Aeneas  fama  super  aethera 
notus",  dies  nur  in  Nachahmung  eines  homerischen  Brauches 
geschehe. 

Man  sieht  also,  dass  Petrarca  eine  wenigstens  äusserliche 
Kenntniss  des  Inhaltes  der  homerischen  Epen  besass.  Eine 
solche  Kenntniss  mag  ja  nun,  absolut  betrachtet,  so  ziemlich 
werthlos  erscheinen,  relativ  besass  sie  dennoch  für  die  da- 
malige Zeit  hohen  Werth  und  folgenreiche  Bedeutung.  Das 
Mittelalter  kannte  die  Trojasage  nur  durch  die  abenteuerlichen 
und  im  Verhältniss  zu  der  homerischen  TJeberlieferung  fratzen- 
haft entstellten  Erzählungen  eines  Dares  Phrygius  und  Dietys 
Cretensis  und  der  aus  diesen  abgeleiteten  Dichtungen,  die 
llias  überdies  aus  der  dürren  Epitome  des  sogenannten  Pin- 
darus  Thebanus.  Durch  Petrarca  erst  wurde  dem  Abendlande 
die  wirkliche  Trojasage  in  ihrer  einfachen  Grossartigkeit  er- 
schlossen und  damit  eine  reichströmende  Quelle  ächtester 
Poesie  eröffnet,  an  welcher  die  Geschlechter  der  Folgezeit  sich 
erquickt  und  gebildet  haben.  Es  erwarb  sich  demnach  Pe- 
trarca immerhin  ein  grosses  Verdienst,  welches  wesentlich  er- 
höht worden  sein  und  noch  weit  segensreichere  Nachwirkungen 
gehabt  haben  w^ürde,  wenn  seine  Bekanntschaft  mit  Homer 
eine  vertrautere  gewesen  wäre. 

Homer  war  der  einzige  griechische  Autor,  welclien  Petrarca 
wenigstens    einigermaassen    näher  kennen    gelernt  liat.     Gern 


^)  b.  Pindarus  Thebanus  finden  sie  sich  nicht. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  479 

Würde  er  auch  die  nähere  Kenutniss  Piatons  sich  erworben 
haben,  welchen  er  auf  Grund  dessen,  was  er  von  ihm  und 
über  ihn  bei  den  lateinischen  Autoren,  namentlich  bei  Cicero 
und  Apulejus  ^),  gelesen  hatte,  bewundernd  verehrte '-),  und  es 
war  ihm  auch  wirklich  gelungen,  sich  die  Handschrift  von  un- 
gefähr 16  platonischen  Dialogen  zu  verschaffen  ^) ,  aber  bei 
seiner  Unkenntniss  des  Griechischen  mussten  diese  für  ihn  ein 
todter  Schatz  bleiben  "*),  und  ein  richtiges  Gefühl  hielt  ihn  da- 
von ab,  die  Uebersetzung  derselben  veranstalten  zu  lassen, 
bevor  die  Uebertragung  des  Homer  vollendet  war,  als  dies 
Letztere  aber  endlich  geschehen,  wurde  der  Einzige,  welcher 
für  diese  Arbeit  befähigt  gewesen  wäre,  Leonzio  Pilato.  von 
einem  jähen  Tode  hingerafft.  Der  Abenteurer  war,  wie  wir 
oben  (S.  475)  erzählten,  im  Frühjahre  1364  aus  Italien,  das  er 
zu  hassen  vorgab,  nach  Constantinopel  abgereist,  dort  hatte  es 
ihm  indessen  so  wenig  behagt,  dass  er  nach  kurzem  Aufent- 
halte die  Rückkehr  nach  Italien  beschloss.  In  der  Nähe  der 
italienischen  Küste  aber  ward  das  Schiff,  dem  er  sich  anver- 
traut hatte,  von  einem  Blitzstrahle  getroffen,  der  die  Mann- 
schaft betäubte  und  Pilato's  unstätes  Leben  endete  ^).  So 
wurden  Piatons  Schriften  für  Petrarca  nie  entsiegelt  und  seine 
Kenntniss  platonischer  Philosophie  blieb  demnach  eine  sehr 
mangelhafte  und  fragmentarische,  so  dass  er  trotz  aller  Be- 
wunderung für  den  grossen  Philosophen  doch  gelegentlich  recht 
seltsame  Dinge  über  ihn  behaupten  konnte,  wie  z.  B.  dass 
Piaton  unsittliche  Ansichten  über  das  Wesen  der  Liebe  aufge- 
stellt habe*^). 

Während  Petrarca  mit  Piaton  sich  gern  näher  befreundet 
haben  würde,  wenn  ihm  die  Möglichkeit  dazu  geboten  worden 

*)  In  der  Schrift  de  dogmate  (od.  de  habitudine)  Piatonis,  auf  welcher 
die  von  Petrarca  in  Rer.  mem.  lib.  I,  2  (p.  451  ff.)  gegebene  Lebensskizze 
Piatons  und  Charakteristik  seiner  Philosophie  beruht. 

2)  vgl.  Trionfo  della  fama  III  4. 

^)  de  sui  ips.  et  mult.  ign.  p.  1162. 

*)  de  contemt.  mund.  II. 

5)  Ep.  Sen.  VI  1. 

'')  Rem.  utr.  fort.  I  69. 


480  Achtes  Capitel. 

wäre,  SO  mied  er  dagegen  geflissentlich  das  Studium  des  zweit- 
grössten  der  griechischen  Philosophen,  des  Aristoteles,  obwol 
ihm  hierfür  lateinische,  freilich  schwerfällige  und  vielfach  ent- 
stellte Uehersetzungen  bequem  zu  Gebote  gestanden  hätten. 
Es  schreckte  ihn  der  aller  Zierlichkeit  entbehrende,  dürre 
Styl  des  Stagiriten  ^),  sein  Mangel  an  jeder  „eloquentia".  Des 
Aristoteles  nüchterne ,  von  allem  idealen  Schwünge  abstrahi- 
rende,  durchaus  realistische  und  empiristische  Philosophie  aber 
war  dem  Begründer  des  Humanismus  verhasst,  denn  sie  wider- 
sti'ebte  gar  zu  sehr  seinem  eigenen  Idealismus,  zumal  in  dem 
averroistischen  Gewände,  mit  welchem  seine  Zeitgenossen  sie 
bekleidet  hatten.  Wir  haben  ja  oben  ausführlicher  dargelegt, 
wie  schroff  Petrarca  dem  aveiToistischen  Aristotelismus  gegen- 
über stand  und  wie  leidenschaftlich  er  ihn  bekämpfte  ^).  Wir 
können  uns  demnach  ein  weiteres  Plingehen  auf  diese  Sache  , 
hier  ersparen. 

Alle  übrigen  griechischen  Autoren  kannte  Petrarca  eben 
nur  dem  Namen  nach,  falls  er  nicht  über  einzelne  bei  den 
Lateinern  mehr  oder  weniger  ausführliche  Nachrichten  fand. 
Einen  reichhaltigen  Katalog  griechischer  Schriftstellernamen, 
freilich  in  unbeholfenster  und  wunderlichster  allegorischer 
Form,  gibt  er  in  der  zehnten  Ekloge,  und  man  erkennt  aus 
den  dort  gemachten  Angaben  deutlich,  dass  er  von  den  meisten 
Autoren  eben  nur  die  Namen  kannte  und  höchstens  eine  dunkle 
Ahnung  von  dem  Inhalte  ihrer  Werke  besass.  Auffällig  ist  die 
hohe  Lobpreisung,  welche  er  dem  Euripides  zu  Theil  werden 
lässt  ^),  indem  er  ihm  den  höchsten  Eang  nach  Homer  anweist. 
Von  Euripides  und  Sophokles  bemühte  er  sich  übrigens  auch, 
Handschriften  zu  erlangen,  aber  freilich  in  Folge  des  jähen 
Todes  des  Leonzio  Pilato.  der  sie  ihm  aus  Byzanz  hatte  über- 
bringen sollen,  erfolglos. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  Petrarcas  Kenntniss   der  latei- 


^)  Rer.  mem.  II  2,  vgl.  ibid.  I  2.,  de  sui  ips.  et  mult.  ign.  1159. 
-;  vgl.  oben  S.  406—433. 
=)  Ecl.  X  V.  7.5  ff. 


II 


Der  Umfang  des  "Wissens  Petrarcas.  481 

iiischen  Litteratur,  wo  wir,  wie  bereits  angedeutet  worden,  reicli- 
haltigere  Mittlieilungen  werden  machen  können. 

Unter  den  lateinischen  Dichtern  war  —  und  es  darf  das 
aus  mancherlei  Gründen  fast  als  selbstverständlich  erscheinen 
—  Virgil  derjenige,  welchen  er  am  höchsten  verehrte  und  am 
innigsten  liebte.  Schon  als  Knabe  hatte  er  sich  für  den  Sänger 
der  Aeneis  begeistei't ').  und  es  war  diese  Begeisterung  auch 
dann  nicht  geschwunden,  als  er  später  hatte  erkennen  müssen, 
in  welchem  engen  Abhängigkeitsverhältnisse  Virgil  zu  Homer 
stand  -),  wobei  man  abei-  zu  berücksichtigen  hat,  dass  Petrarca 
eben  aus  seiner  Prosaübersetzung  des  Homer  den  wahren 
Geist  homerischen  Dichtens  nicht  zu  erkennen  vermochte. 
Einige  Scrupel  machte  sich  Petrarca  indessen  doch  darüber, 
dass  Virgil  den  Homer  so  vielseitig  ausbeute  und  nachbilde, 
ohne  ihn  auch  nur  ein  einziges  Mal  zu  nennen,  aber  er  tröstete 
sich  mit  der  seltsamen  Annahme,  dass  Virgil  der  Verherr- 
lichung Homers  eine  ganz  besonders  bevorzugte  Stelle  am 
Schlüsse  der  Aeneis  habe  widmen  .wollen,  indessen  durch  den 
Tod  an  der  Einfügung  derselben,  wie  an  der  Vollendung  der 
Aeneis  überhaupt,  verhindert  worden  sei^).  So  blieb  denn 
Petrarca  unbeirrt  in  seiner  Verehrung  für  den  Sänger  des 
frommen  Aeneas  und  erklärte  ihn  für  den  einzigen  römischen 
Autor,  welchem  man  das  Prädicat  „wunderbar  (mirabilis)"  er- 
theilen  dürfe*).  Indessen  war  er  keineswegs  blind  gegen  ein- 
zelne Schwächen  seines  Lieblingsdichters.  So  tadelte  er  ein- 
mal 5)  sehr  richtig  die  allzu  grosse  Sentimentalität  und  Weich- 
lichkeit in  dem  Charakter  des  Aeneas,  bekanntlieh  der  wundeste 
Punkt  der  ganzen  Aeneis;  auch  dass  Virgil  entgegen  der 
historischen  Ueberlieferung  die  Dido  die   Treue  üesen    ihren 


')  Ecl.  I  V.  12.      • 
2)  ibid.  V.  26  ff. 
=)  Ep.  Fam.  XXIV  12. 

*)  Ep.  Fam.  XXIII  19,  vgl.  Rer.  mem.  lib.  II,  2.  und  Ep.  Farn.  XXIV 
11  (poetischer  Brief  an  Virgil). 
'')  Ep.  Farn.  IV  12. 

Körting,  Petraron.  31 


482  Achtes  Capitel. 

ersten  Gemahl  habe  brechen  und  sie  zur  Buhlerin  des  Aeneas 
habe  herabsinken  lassen,  rügte  er  mit  scharfen  Worten  ^). 

Vielleicht  prägt  sich  das  Heraustreten  Petrarca's  aus  der 
mittelalterlichen  Weise  der  Anschauung  des  classischen  Alterthums 
und  überhaupt  der  ganze  Gegensatz  zwischen  Humanismus  und 
Mittelalter  nirgends  so  klar  und  scharf  aus,  wie  in  Petrarca's 
Verhältnisse  zu  Virgil.  Auch  das  Mittelalter  hatte  Virgil 
hoch  verehrt  und  eifrig  gelesen,  aber  weit  höher  als  den 
Dichter  hatte  es  den  vermeintlichen  Propheten  und  Zauberer 
geschätzt.  Es  war  Virgil  für  das  Mittelalter  zu  einem  geheim- 
nissvollen, überirdischen  Wesen  geworden,  halb  umstrahlt  von 
der  Glorie  eines  gotterwählten  Heiligen  und  halb  wieder  um- 
leuchtet von  jenem  unheimlichen  Feuerscheine,  in  welchem 
wol  Magier  ihr  nächtliches  Werk  verrichten.  So  empfand  man 
denn  vor  ihm  jene  Scheu,  welche  der  mittelalterliche  Mensch 
vor  Allem  empfand ,  was  nur  irgend  mit  dem  Jenseitigen  und 
Ueberirdischen  Beziehung  zu  haben  schien,  und  so  suchte  man 
denn  auch  in  seinen  Werken  nicht  ästhetischen  Genuss,  son- 
dern die  tiefsinnigen  Lehren  einer  verborgenen  Weisheit.  Die 
Aeneis  und  die  Eklogen  —  weit  weniger  die  Georgica,  deren 
realer  Inhalt  von  einer  näheren  Beschäftigung  mit  ihnen  ab- 
schreckte —  wurden  als  Zauber-  und  Orakelbücher  betrachtet, 
aus  denen  man  Schutzmittel  gegen  allerlei  Unheil  herauslesen 
und  der  Zukunft  Geheimnisse  enträthseln  könne  ^). 

Von  einer  solchen  Auffassung  Virgils  hat  sich  auch  des 
Mittelalters  grösster  Dichter,  Dante,  noch  nicht  zu  befreien 
vermocht,  wenn  er  auch  dieselbe,  wie  von  ihm,  den  ja  bereits 
die  erste  Frühluft  der  Renaissance  zu  umwehen  begann,  nicht 
anders  erwartet  werden  kann,  poetisch  vergeistigt  und  verklärt 


')  Afr.  III  V.  424  ff. 

^)  Die  weitere  Ausführung  dessen,  was  im  Obigen  eben  nur  angedeutet 
werden  konnte,  findet  man  im  Domenico  Comparetti's  trefflichem  Werke 
„Virgilio  nel  medio  evo'  (Livorno,  1872;  in's  Deutsche  übers,  von  Hans 
Dütschke,  Leipzig,  1875),  in  E.  du  Meril's  Essai  „de  Virgile  l'enchanteur" 
(in  den  Melanges  archeol.  et  lit.,  Paris,  1850,  p.  425—478),  u.  bei  Vietor, 
der  Ursprung  der  Virgilsage,  in  der  Zeitschr.  f.  roman.  Philologie,  I  165  ff. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  483 

hat.  Dante  wählte  zumeist  nicht  den  Dichter  Viigil,  der  den 
frommen  Aeneas  besungen,  sondern  den  Propheten  Virgil,  der 
in  der  vierten  Ekloge  die  bevorstehende  Menschwerdung  des 
Herrn  verkündet  hatte,  zu  seinem  Führer  durch  Hölle  und 
Fegefeuer  ^).  Der  Virgil  Dante's  ist  noch  kein  Dichter  wie  an- 
dere Dichter,  er  ist  noch  kein  einfach  menschliches  Wesen, 
sondern  er  ist  noch  eine  übermenschliche  Gestalt,  ein  auser- 
wählter, mit  geheimnissvoller  Kraft  des  Erkennens  und  Wissens 
ausgerüsteter  Vorsti-eiter  für  die  Begründung  des  Gottes- 
reiches. 

Petrarca  erst  führte  den  Dichter  der  Aeneis  aus  der  wun- 
dersamen Höhe,  auf  welche  eine  halb  gläuliige,  halb  abergläu- 
bische Phantasie  ihn  erhoben  hatte,  zu  dem  Niveau  schöner 
Menschlichkeit  zurück,  Petrarca  liebte  und  verehrte  nur  den 
Dichter  Virgil,  den  Zauberer  und  den  Propheten  kannte  er 
nicht  mehr.  Die  vierte  Ekloge  bezog  er  ganz  ebenso,  wie 
wenigstens  in  ähnlicher  Weise  die  nüchterne  Deutung  der  mo- 
dernen Philologen  es  thut ,  auf  Augustus  ^j,  höchstens  dass  er 
ihr  einen  unbeabsichtigten  prophetischen  Sinn  zugestand.  Vir- 
gils  Zauberkünste  aber  leugnete  er  ganz  often  und  entschieden, 
als  er  einst  von  König  Robert  um  seine  Meinung  darüber  be- 
fragt worden  war^).  Welch'  ungeheuerer  Fortschritt  war  da- 
mit gethan  und  welch'  gewaltiges  Hinderniss  für  die  Erkennt- 
niss  des  römischen  Alterthums  war  damit  hinweggeräumt! 
Nun  erst  war  Virgil  für  die  Litteraturgeschichte  gewonnen, 
nun  erst  war  der  Schlüssel  zu  dem  Verständnisse  seiner  Poesie 
gefunden. 

Aber  freilich  Petrarca's  Begeisterung  für  Virgil  hat  auch 
eine  beklagenswerthe  Folge  für  die  Litteratur  der  Renaissance 
gehabt,  so  dass  man  fast  wünschen  müsste,  sie  möchte  minder 


^)  vgl.  die  Dissertation  von  Job.  Jacob,  die  Bedeutung  der  Fübi'er 
Dante's  in  der  Commedia  divina  etc.  (Leipzig,  1874).  Für  Dante's  Kenntnisse 
von  der  griecbiscb-römiscben  Litteratur  und  seine  Auffassung  derselben 
vgl.  man  den  überaus  lehrreichen  vierten  Gesang  des  Inferno. 

2)  de  ot.  relig.  I  p.  344. 

^)  It.  Syr.  p.  621. 

.        31* 


484  Achtes  Capitel. 

gross  gewesen  sein.  Durch  Petrarca  ist  Virgil  geradezu  zur 
Basis  der  Entwickelung  der  Renaissancepoesie  gemacht  wor- 
den, und  das  ist  unheilvoll  genug  gewesen,  wie  ein  Jeder  leicht 
zu  ermessen  vermögen  wird,  der  Yirgils  Werke  genauer  kennt 
und  unbefangen  sie  würdigt.  Es  gehört  Yirgil  nicht  zu  den 
gottbegnadeten  und  wahren  Dichtern:  Originalität  des  poeti- 
schen Schaffens  war  ihm,  wie  allen  Römern  fast,  versagt,  die 
Flamme  des  Genius  glidite  in  ihm  nicht  und  selbst  das  poeti- 
sche Talent,  welches  ihm  nicht  abgesprochen  werden  kann, 
war  vorwiegend  formaler  Natur.  Wie  die  ganze  Litteratur  und 
selbst  auch  die  Sprache  des  augusteischen  Zeitalters  die 
künstliche  und  kunstvolle  Schöpfung  einer  thatenmüden  und  in 
geistreichem  Spiele  ihre  Müsse  vertändelnden  Aristokratie  und 
Bourgeoisie  war,  so  war  auch  Virgil  ein  Kunstdichter:  mit  be- 
rechnender Ueberlegung  wählte  er  seine  Themata,  mit  emsigem 
Fleisse  sammelte  er  aus  den  Speichern  sprachlicher  und  anti- 
quarischer Gelehrsamkeit  seine  Materialien,  mit  gewissenhafter 
Treue  und  doch  mit  gerade  hinreichender  Selbständigkeit,  um 
nicht  zum  geistlosen  Copisten  herabzusinken,  bildete  er  seine 
Muster  —  Homer,  Theocrit,  Hesiod,  Aratus  u.  a.  m.  —  nach, 
mit  ängstlicher  Sorgfalt  endlich  meisselte  er  seine  Sprache  und 
feilte  er  seine  Verse  aus.  So  entstanden  in  dem,  was  er 
schrieb,  formale  Kunstwerke  von  regelrechter  Eleganz  und 
makelloser  Stylvolleudung,  aber  diese  schönen  Formen  waren 
frostig  und  entbehrten  des  Lebens,  denn  es  sprach  aus  ihnen 
kein  sei  es  durch  den  Verstand,  sei  es  durch  die  Phantasie 
original  schaffender  Geist.  Es  wird,  wenn  man  also  urtheilt, 
keineswegs  ein  hartes  Verdammungsurtheil  über  den  gefeierten 
Dichter  ausgesprochen:  er  leistete  eben  geschickt  und  fein- 
fühlig, was  in  seiner  Zeit  und  unter  seinem  Volke  auf  poeti- 
schem Gebiete  zu  leisten  möglich  war,  er  hat  den  Besten  seiner 
Zeit  genug  gethan  und  damit  sich  ein  hohes  Verdienst  und 
ein  Anrecht  auf  die  Unsterblichkeit  erworben;  billigerweise 
darf  man  von  Niemandem  fordern,  dass  er  über  die  Sphäre 
seines  Zeitalters  sich  erhebe..  In  relativem  Sinne  ist  Virgil 
ohne  Zweifel  ein   grosser  Dichtei*,  nur  in  absolutem  Sinne  ist 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  485 

er  es  durchaus  niclit.  Jedem  Kenner  der  römischen  Litteratur 
ist  nun.  bekannt,  welchen  bestimmenden  Einfluss  Virgil  auf  die 
Entwickelung  der  späteren  lateinischen  Epik  ausgeübt  hat  und 
wie  wenig  segensreich  dieser  Einfluss  gewesen,  wie  in  Folge 
desselben  die  Epik  immer  mehr  und  mehr  in  rhetorischen 
Formalismus  versunken,  wie  sie  immer  mehr  und  mehr  zur 
geistlosen  Copie  geworden  ist,  bis  sie  endlich  im  letzten  Sta- 
dium des  Verfalles  in  den  Cento  ausartete. 

Nicht  segensreicher  konnte  Virgils  Einfluss  auf  die  Re- 
naissanceepik sein,  als  er  für  dieselbe  durch  Petrarca's  Ein- 
fluss zum  Ideal  erhoben  worden  war.  Zur  Nachahmung  freilich 
war  die  Epik  der  Renaissance,  eben  weil  sie  als  Renaissance- 
poesie nicht  selbstthätig  produciren,  sondern  nur  reproduciren 
durfte,  ohnehin  verurtheilt,  aber  hätte  sie  ein  höheres  Muster, 
als  Virgil  sich  erwählt,  hätte  sie  an  die  directe  Nachbildung  Ho- 
mers sich  gewagt,  so  würde  sie  Höheres  und  Edleres  erreicht 
haben.  Durch  die  Nachahmung  Virgils  aber  wurde  die  Re- 
naissanceepik immer  mehr  und  mehr  zur  Unnatur  und  zur 
Künstelei,  zum  Formalismus  und  zur  Rhetorik  hingedrängt, 
und  selbst  so  bedeutende  Talente,  wie  etwa  ein  Polizian,  ver- 
mochten  gegen  diese  Tendenz  nicht  anzukämpfen.  Am  meisten 
und  zugleich  am  verderblichsten  machten  die  Wirkungen  der 
Nachahmung  Virgils  natürlich  in  der  lateinischen  Renaissance- 
epik sich  geltend.  Hier  wurde  die  Originalität  fast  gänzlich 
erstickt,  wie  man  schon  an  Petrarca's  „Africa"  beobachten 
kann ,  und  höchstens  wenn  ein  Dichter  auf  die  Behandlung 
eines  so  abstrusen  Stoff'es  verfiel,  wie  etwa  Fracostoro  in  seinem 
Gedichte  über  die  Syphilis,  blieb  ein  Schatten  originaler  Con- 
ception  und  Composition  erhalten.  Aber  auch  die  Epik  in 
der  Volkssprache  wurde  von  dem  Virgilianismus,  wenn  auch 
in  minderem  Grade,  so  doch  immerhin  nachtheilig  genug  be- 
einflusst,  wie  wir  späterhin  im  Einzelnen  darzulegen  nur  allzu 
oft  Gelegenheit  finden  werden.  Von  allen  Epikern  der  Re- 
naissance hat  höchstens  der' grosse  Ariost,  der  die  Kühnheit 
besass,  die  Renaissance  mit  romantischen  Elementen  zu  mischen, 
von  den  Fesseln    des  Virgilianismus  sich  frei  zu  erhalten  ver- 


486  Aclites  Capitel. 

standen.  Und  weit  über  Italiens  Grenzen  hinaus,  in  dem 
panzen  das  ^esammte  westliche  und  theilweise  auch  das  nörd- 
liche Europa  umfassenden  Bereiche  der  Renaissancebildung 
lastete  der  Druck  des  Virgilianismus  auf  der  Epik.  Es  würde 
z.  B.  unschwer  nachzuweisen  sein ,  wie  sehr  selbst  der  grosse 
Camoens  in  dem  fernen  Portugal  darunter  gelitten  hat.  Der 
Virgilianismus  musste  naturgemäss  im  weiteren  Verlaufe  zu 
den  Verirrungen  des  Marinismus,  Gongorismus  und  Eu- 
phuismus  führen.  — 

Um  nun  auf  die  weiteren  lateinischen  Dichter  zu  kommen, 
deren  Werke  Petrarca  kannte  und  für  seine  Citatenspenden 
ausbeutete,  so  sind  zunächst  Horaz  und  Ovid  zu  nennen.  Den 
ersteren  bewunderte  er  sehr  \),  doch  offenbar  in  weit  geringerem 
Grade,  als  den  Virgil,  dem  er  sich  mit  gutem  Rechte  viel  con- 
genialer  fühlte.  Mit  dem  letzteren  dagegen,  mit  Ovid,  konnte 
Petrarca  nicht  sympathisiren:  er  erklärt  ihn  2)  für  einen  zwar 
hochbegabten,  aber  durch  und  durch  sittenlosen  Dichter,  der 
sogar  —  was  doch  ganz  entsetzlich  sei  —  den  frevelhaften 
Wunsch  ausgesprochen  habe,  dass  der  Tod  ihn  während  des 
Coitus  treffen  möge'^).  Ein  besonderer  Stein  des  Anstosses 
war  dem  frommen  Humanisten  des  römischen  Sängers  leicht- 
fertige „Liebeskunst",  die  er  als  ein  unsittliches  und  über- 
flüssiges Buch  bezeichnet,  wenn  man  auch  einiges  Nützliche 
darin  finde*).  So  erklärt  es  sich  denn,  dass  Citate  aus  Ovid 
von  Petrarca  nur  sehr  spärlich  angewandt  werden.  Was  von 
ihm  versäumt  wurde,  sollte  aber  von  der  späteren  Renaissance 
reichlich  nachgeholt  werden :  ihr  blieb  es  vorbehalten,  Ovid  im 
eleganten  Schmutze  noch  weit  zu  übertreffen. 

Von  Virgil,  Horaz  und  Ovid  kannte  Petrarca,  um  dies 
noch  nachträglich  zu  bemerken,  sämmtliche  ülierhaupt  vor- 
handene Werke.  Nur  die  kleineren,  dem  Virgil  theils  mit 
Recht,  theils  mit  Unrecht  beigelegten  Dichtungen  (Culex,  Mo- 


^)  vgl.  die  poetische  Epistel  an  Horaz,  Ep.  Fam.  XXIV  10. 
'-)  de  Vit.  sol.  11  7,  2  vgl.  Ep.  Sen.  III  4. 
•■')  Ov.  Am.  II  10  V.  30. 
*)  de  remed.  utr.  fort.  I  27. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  487 

retum  etc.)  werden  von  ihm  nie  citirt.  Das  während  des 
Mittelalters  allgemein  dem  Ovid  zugeschriebene  „Carmen  de 
vetula"  hielt  er  für  unächt,  und  die  moderne  Philologie  hat 
sein  Urtheil  bestätigt^). 

Ausser  diesen  drei  Heroen  der  römischen  Poesie  kannte 
nun  Petrarca  noch,  wie  mehr  oder  weniger  häufige  Citate  be- 
weisen, die  folgenden  Dichter.  Von  den  Epikern  war  er  ver- 
traut mit  Lucan,  Statins,  sowie  mit  Claudian  und  Auson,  wenn 
wir  diese  hierher  zählen  dürfen,  Valerius  Flaccus  dagegen  und, 
was  für  die  Beurtheilung  der  ,.Africa"  wichtig  ist,  Silius  Ita- 
liens sind  ihm  unbekannt  geblieben.  Ferner  hatte  er,  wie  es 
wenigstens  scheint  ^),  des  Lucrez  Lehrgedicht  „über  die  Natur 
der  Dinge"  gelesen,  während  er  die  didaktische  Dichtung  des  Ma- 
uilius  über  die  Gestirne  nicht  kannte.  Die  Satiren  des  Juvenal 
undPersius  citirte  er  mit  grosser  Vorliebe,  so  dass  man  daraus  er- 
schliessen  darf,  wie  sympathisch  ihm  diese  moralisirende  und  sar- 
kastische Dichtung  gewesen  ist.  Auch  des  Martial  Epigramme 
waren  ihm  nicht  unbekannt.  Dagegen  ist  allem  Anscheine  nach 
seine  Vertrautheit  mit  den  Lyrikern  eine  überaus  unvollkommene 
gewesen:  häufiger  citirt  werden  nur  die  Silvae  des  Statius, 
CatuU  wird  zweimal,  aber  nur  in  sehr  unbestimmter  Fassung 
erwähnt^),  Tibull  und  Properz  werden,  wenn  wir  uns  recht 
entsinnen,  nie  genannt.  Was  die  Dramatiker  anlangt,  so  war 
ihm  Terenz,  nach  den  zahlreichen  Citaten  zu  urtheilen,  in 
demselben  Umfange,  wie  uns,  bekannt,  Plautus  dagegen  nur  in 
beschränktem  Maasse^),  von  der  „Casina"  desselben  gibt  er 
einmal  eine  kurze  Inhaltsangabe  ^),  wobei  er  Gelegenheit  nimmt, 
die  Kunst  des  Plautus  in  der  Zeichnung  der  Charaktere  zu 
rühmen.  Die  Tragödien  des  Seneca  kannte  er  ebenfalls,  dass 
er  ihnen  auch  die  „Octavia"  beizählte,  ist  ein  Irrthum,  der 
sehr  vei-zeihlich  erscheint. 


^)  Ep.  Sen.  II  4. 

=^)  de  remed.  utr.  fort.  I  5L 

^)  de  remed.  utr.  fort.  I  59.  u.  II  praef. 

*)  vgl.  oben  S.  217,  Anm. 

5)  Ep.  Farn.  V  14. 


488  Acutes  Capitel. 

Zu  den  Dichtern  darf  man  schliesslich  wol  auch  den 
Apulej  zählen ,  aus  dessen  wunderlichem  Romane  „der  goldene 
Esel"  (oder  „die  Verwandlungen")  Petrarca  einmal  eine  kleine 
Scene  anführt^),  ob  freilich  auf  Grund  eigener  Leetüre  oder 
eines  fremden  Citates,  muss  dahingestellt  bleiben.  Dass  Apulej' s 
Schrift  „de  dogmate  Piatonis"  die  Hauptquelle  war,  aus  welcher 
Petrarca  seine  oberflächliche  Kenntniss  des  Lebens  und  der  Phi- 
losophie Platon's  schöpfte,  wurde  bereits  oben  (S.  479)  erwähnt. 

Von  den  Prosaisten  war,  wie  sehr  natürlich  und  worauf 
wir  bereits  wiederholt  hingewiesen,  Cicero  derjenige,  welchen 
Petrarca  am  höchsten  bewunderte.  Schon  als  er  noch  Knabe 
war,  hatte  er  sich  durch  den  volltönenden  Klan  gdes  cicero- 
nianischen  Periodenbaues  fesseln  lassen,  und  sein  ganzes 
Leben  hindurch  hat  er  nicht  aufgehört,  an  Cicero's  Latinität 
sich  zu  erfreuen  und  dieselbe,  so  weit  möglich,  nachzuahmen. 
„Himmlisch"  nennt  er  Cicero's  Beredtsamkeit  und  erklärt, 
dass  Niemand  sie  wirklich  nachzubilden  fähig  sei  2),  wesshalb 
auch,  während  allen  anderen  Autoren  fremde  Schriften  unter- 
geschoben worden  seien,  bei  Cicero  und  dem-  gleich  erhabenen 
Virgil  dies  Niemand  zu  thun  gewagt  habe^).  Sonach  ist  es 
denn  nicht  zu  verwundern,  dass  Petrarca  in  den  überschwäng- 
lichsten  Lobeserhebungen  Cicero's  sich  ergeht  ^),  und  noch  we- 
niger, dass  er  sich  eifrigst  bemühte,  die  verlorenen  Schriften  ^) 
desselben  wieder  aufzufinden,  bei  welchem  Streben  er  keine 
Beschwerden  noch  Kosten  scheute  und  unablässig  bemüht  war, 
durch  seine  zahlreichen,  über  ganz  Europa  verstreuten  Freunde 
und  Correspondenten   nach    etwa   vorhandenen    Handschriften 


^)  de  remed.  utr.  fort.  11  17. 

■')  Ep.  Sen.  XV  (b.  Fracassetti  XVI)  2. 

-'')  Ep.  Sen.  II  4. 

*)  z.  B.  Ep.  Fam.  XXI  10.  XXIV  4.  Trionf.  della  fama  III  v.  19  ff., 
an  der  letzteren  Steile  wird  Cicero  dem  Demosthenes  vorgezogen!  vgl.  Ep. 
Sen.  XII  2. 

• )  Als  verlorene  werden  Ep.  Fam.  XXIV  4  folgende  Schriften  bezeichnet : 
de  re  publica,  de  re  familiari  (vielleicht  die  Rede  pro  domo,  vgl.  apolog.  contr. 
GaU.  calumn.  p.  1194),  de  re  militari  (?),  de  laude  (oder  laudibus)  philo- 
sophiae,  de  consolatione,  de  gloria. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  489 

forschen  zu  lassen  i).  Leider  war  sein  Bestreben  von  sonder- 
lichen Erfolgen  nicht  gekrönt.  Von  den  verschollenen  Werken 
des  Mannes,  der  seiner  Meinung  nach  für  alle  Folgezeit  uner- 
reichbar bleiben  würde  2),  gelang  es  ihm  nur,  die  Rede  für  den 
Dichter  Archias  und  eine  Briefsammlung  wieder  aufzufinden, 
die  erstere  in  Deutschland,  die  letztere  in  Verona  oder  Ver- 
celli,  und  diesem  Gewinne  stand  der  schmerzliche,  durch  Con- 
vennole's  Unredlichkeit  verschuldete  Verlust  der  Bücher  „de 
gloria"  entgegen  (vgl.  oben  S.  65).  Ganz  besonders  eifrig, 
aber  vergeblich  bemühte  Petrarca  ^ich  um  die  Wiederbe- 
schaffung der  Schriften  „de  consolatione  (Tröstung)"  und  „de 
laudibus  philosophiae  (Lob  der  Philosophie)".  Die  letztere 
Schrift,  deren  —  übrigens  apokryphen  —  Titel  er  nur  durch 
Augustins  Anführungen  kannte,  glaubte  er  zweimal  wirklich 
wieder  gefunden  zu  haben.  Das  eine  Mal  fiel  ihm  ein  den 
Titel  „de  laude  philosophiae"  tragendes  Buch  in  die  Hände, 
aber  der  Inhalt  bewies  nur  zu  bald,  dass  er  diesem  Titel  nicht 
entspreche.  Das  andere  Mal  fand  er  in  einem  Codex,  welcher 
Augustins  Bücher  „de  trinitate"  enthielt,  eine  Schrift  ange- 
bunden, deren  Styl  es  unzweifelhaft  machte,  dass  sie  wirklich 
ciceronianisch  sei,  aber  da  die  von  Augustin  gegebenen  Ci- 
tate  sich  in  ihr  nicht  fanden,  so  konnte  sie  mit  der  Schrift 
„de  laude  philosophiae"  nicht  identisch  sein.  Endlich  löste 
sich  das  Eäthsel:  Petrarca  erhielt  bei  seinem  letzten  Aufent- 
halte in  Neapel  von  Barbato  da  Sulmona  eine  Cicerohand- 
schrift, an  deren  Ende  sich  der  Anfang  der  Academica  befand, 
und  dieses  Bruchstück  nun  vergleichend  mit  der  früher  be- 
sessenen, zweifellos  ciceronianischen  Handschrift,  fand  er,  dass 
dieselbe  in  Wahrheit  das  dritte  und  vierte  oder  zweite  und 
dritte  Buch  der  Academica  enthalte  —  dahingestellt  muss 
dabei  bleiben,  wie  diese  Angaben  mit  demjenigen  in  Einklang 


^)  Ep.  Sen.  XV  (XVI)  2,   welcher  auch  die  folgenden  Notizen   ent- 
nommen sind.    Vgl.  Rer.  mem.  I  2. 

-)  „nuUa  saecula  restituent",  de  rem.  utr.  fort.  I  58. 
=»)  Ep.  Fam.  XIII  6. 


490  Achtes  Capitel. 

ZU  bringen  sind,  was  wir  gegenwärtig  über  die  Ueberlieferung 
der  Academica  und  über  den  Bestand  derselben  wissen. 

Im  Einzelnen  kannte  Petrarca,  soweit  man  nach  den  Ci- 
taten  urtheilen  kann,  die  folgenden  Schriften  Cicero's:  1.  von 
den  rhetorischen  nur  die  Rhetorica  (=  de  inventione),  Orator, 
Partitiones  und  das  Büchlein  de  optimo  genere  dicendi  (wol 
zweifellos  identisch  mit  de  optimo  genere  oratorum);  Brutus, 
de  oratore  etc.  werden  nicht  citirt,-  2.  von  den  Pteden:  pro 
Roscio  Comoedo  und  pro  Roscio  Amerino,  pro  Flacco,  pro  lege 
Manilia.  pro  Plancio,  pro  Milone,  pro  M.  Marcello,  pro  Ligario 
und  die  Philippicae,  jedenfalls  auch  pro  domo  und  die  Catilina- 
rien,  endlich,  wenigstens  vermuthlich,  wenn  auch  vielleicht  nur 
im  Auszuge  oder  bruchstückweise,  die  Verrinen;  3.  von  den 
philosophischen  Schriften  die  Tusculanen,  die  Academica,  de 
legibus,  de  officiis,  de  finibus  bonorum  et  malorum,  die  Para- 
doxa, de  natura  deorum,  de  divinatione,  das  somnium  Scipionis 
(Fragment  aus  de  re  publica  VI),  de  senectute  (Cato  Major) 
und  de  amicitia  (Laelius).  4.  Eine  schwierige  und  vielleicht 
vorläufig  überhaupt  noch  nicht  zu  lösende,  mindestens  durch 
Detlefsens  eingehende  und  jedenfalls  verdienstUche  Untei-su- 
chung  (in  Jahn's  Jahrb.  87,  p.  551—573)  noch  nicht  wirklich 
gelöste  Frage  ist  es,  wie  weit  Petrarca  mit  Cicero's  Briefen 
bekannt  war.  Ausser  Zweifel  steht  nur,  dass  er  die  Briefe  ad 
Quintum  fratrera  kannte  i)  und  dass  er  im  Jahre  1345  in  Ve- 
rona oder  dessen  Umgebung  einen  Codex,  Briefe  Cicero's  ent- 
haltend, auffand  2).  Was  aber  dieser  Codex  enthielt  und  ob 
Petrarca  später,  wie  aus  einer  Angabe  des  Coluccio  Salutato 
zu  schliessen,  noch  einen  zweiten  Codex  zu  Vercelli  auffand, 
lässt  sich,  da  Petrarca  sich  darüber  ausschweigt  und  nur  ganz 
im  Allgemeinen  von  endlich  gefundenen,  lang  gesuchten  Briefen 
spiicht,  mit  irgend  welcher  Bestimmtheit  nicht  angeben. 
Wahrscheinlich  will  es  uns  dünken,  dass  Petrarca  sowol  die 
Briefe  ad  familiäres,   als  auch  diejenigen  ad  Atticum  besessen 


^)  vgl.  das  Citat  in  de  vit.  sol.  I  4,  8. 
2)  Ep.  Farn.  XXIV  3.  vgl.  oben  S.  216. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  491 

habe,  womit  ja  auch  die  gewöhnliche  Annahme,  dass  bestimmte 
florentiner  Codices  dieser  ßriefsammlungen  von  Petrarca  ge- 
fertigte Abschriften  seien  ^) ,  gut  übereinstimmen  würde.  Die 
Frage  bedarf  indessen  durchaus  noch  einer  abermaligen  Er- 
örterung, deren  Ergebniss  indessen  für  die  classische  Philo- 
logie gi'össeren  Werth  als  für  die  Geschichte  der  Renaissance 
haben  dürfte.  Für  die  letztere  genügt  es  so  ziemlich,  zu 
wissen,  dass  Petrarca  zum  Mindesten  eine  der  grossen  Brief- 
sammlungen Cicero's  und  zwar  doch  wahrscheinlich  die  der 
Freundesbriefe  2)  aufgefunden  hat.  Welchen  bedeutenden  Ein- 
fluss  die  Auffindung  der  ciceronianischen  Briefe  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Renaissancebildung  ausgeübt  hat,  haben  wir 
bereits  weiter  oben  (S.  217  f.)  darzulegen  gesucht. 

Eine  Bemerkung,  welche  wir  oben  (S.  481)  in  Bezug  auf 
Virgil  machten,  muss  hier  in  Bezug  auf  Cicero  wiederholt  wer- 
den. Petrarca's  Bewunderung  für  denselben,  so  gross  und  auf- 
richtig sie  auch  immer  war,  war  doch  keine  blinde  und  be- 
dingungslose. Dem  fanatischen  Ciceroenthusiasmus,  der  bereits 
damals  sein  Unwesen  zu  treiben  begann,  trat  er  erforderlichen- 
falls mit  Entschiedenheit  entgegen  (vgl.  oben  S.  277),  und 
Cicero's  politische  Handlungsweise,  in  welcher  er  Wankelrauth 
und  Rechthaberei  zu  finden  glaubte,  sein  Ankämpfen  gegen 
Cäsar  und  Octavian,  tadelte  er  mit  grosser  Offenheit^). 

Nächst  Cicero  zollte  Petrarca  die  höchste  Verehrung  dem 
Philosophen  Seneca,  durch  dessen  moraltriefende  und  mit 
üppigen  Redeblumen  reich  durchflochtene  Episteln  und  Trac- 
tate  ei'  sich  in  seiner  Schreib-  und  Anschauungsweise  noch 
weit  mehr,  als  durch  Cicero's  Schriften  hat  beeinflussen  lassen. 

^)  vgl.  Teuffei,  Gesch.  d.  röm.  Litt.,  3.  Ausg.,  p.  333. 

■-)  Es  scheint  uns  dies  gerade  aus  der  so  unbestimmten  Bezeichnung 
„epistolas  tuas  (Petrarca  redet  nämlich  in  Ep.  Farn.  XXIV  3  Cicero  direkt 
an)  diu  multumque  perquisitas"  hervorzugehen,  denn,  wenn  es  sich  um 
die  Epp.  ad  Att.  handelte,  so  würde  die  specielle  Benennung  sich  ganz  von 
selbst  dargeboten  haben.  Auch  die  folgenden  Worte  .,audivi  multa  te  di- 
centem,  multa  deplorantem,  multa  variantem"  scheinen  am  füglichsten 
auf  die  Epp.  ad  fam.  (h-üher  auch,  obwol  fälschlich,  ad  diverses,  ad  varios 
genannt)  bezogen  werden  zu  müssen. 

")  Ep.  Fam.  XXIY  4. 


492  Achtes  Capitel. 

In  Seneca  erkannte  er  mit  bestem  Rechte  einen  nahen  Geistes- 
verwandten und  er  hat  sich  ganz  ersichtlich  bemüht,  ihm  nach- 
zustreben und  ihn  zu  reproduciren.  Es  hat  das  der  Entwicke- 
king  der  Renaissancebiklung  schweren  Xachtheil  gebracht:  in- 
dem sie  Seneca's  oberflächlichen  und  leichten  Eklekticismus 
annahm,  verlor  sie  die  Fähigkeit,  sich  auf  die  Basis  einer  ge- 
sunden und  folgerichtigen  Philosophie  zu  stellen,  und  durch 
Seneca's  Stylbombast  wurde  sie,  ebenso  wie  durch  den  Vir- 
gilianismus  in  der  Poesie,  so  in  der  Prosa  immer  mehr  und 
mehr  zur  Unnatur,  zu  Schwulst  und  Künstelei,  zu  einer  hohlen 
und  unwahren  Rhetorik  hingedrängt.  Aehnlich  freilich  wirkte 
auch  der  Ciceronianismus.  Es  war  eben  das  Unheil  der  Re- 
naissance, dass  sie  vorzugsweise  auf  die  römische  Nachahmung, 
nicht  auf  die  griechische  Originalität  sich  gründete. 

Trotz  aller  Bewunderung  für  Seneca  hatte  Petrarca  doch 
auch  an  diesem  Ausstellungen  zu  machen,  freilich  solche,  die 
uns  seltsam  genug  erscheinen.  Er  tadelte,  dass  Seneca  den 
jungen  Nero  (nach  dem  Zeugnisse  Suetons)  der  Leetüre  der 
classischen  Redner  entfremdet,  und  mehr  noch,  dass  er  von 
eben  diesem  Nero,  der  doch  sein  Herr  und  Kaiser  gewesen 
sei,  gleichwol  in  der  „Octavia"  ein  so  abschreckendes  Cha- 
rakterbild entworfen  habe.  Letztere  Beschuldigung  allerdings, 
meint  er,  würde  hinfällig  werden,  wenn  wirklich,  wie  Einige 
behaupten,  die  Tragödien  von  einem  anderen  Seneca  verfasst 
worden  wären  ^).  Auch  die  höhere  Textkiitik  Hess  Petrarca 
sich  durch  keine  Bewunderung  abhalten  an  Seneca's  Werken 
zu  üben  und  erklärte  einige  derselben,  welche  ihm  damals  bei- 
gelegt wurden  (de  quatuor  virtutibus,  de  moribus,  de  prover- 
biis),  für  unächt  ^).  Dagegen  scheint  er,  vermuthlich  aus  re- 
ligiöser Scheu,  den  angeblichen  Briefwechsel  zwischen  Seneca 
und  dem  Apostel  Paulus  ^)  für  authentisch  gehalten  zu  haben  ^). 


1;  Ep.  Fam.  XXIV  5. 
-)  Ep.  Sen.  II  4. 

^)  vgl.  V.  Baur,  drei  Abhandl.  z.  Gesch.  d.  alten  Philos.  (2.  Ausg.,  bes. 
V.  Zeller,  Lpz.  1876),  p.  473  flf. 
*)  Ep.  Fam.  XXIV  5. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarcas.  493 

Sehr  ausgebreitet  war  Petrarca's  Kenntniss  der  römischen 
Historiker.  Vor  allen  verehrte  und  bewunderte  er  den  Li- 
vius  ^).  von  welchem  nur  die  erste  und  dritte  Dekade  und 
neun  Bücher  der  vierten  zu  besitzen,  die  zweite  aber  auf  König 
Roberts  Anregung  vergebens  gesuclit  zu  haben,  er  lebhaft  be- 
klagte 2).  Bemerkt  mag  noch  werden,  dass  Petrarca  die  Ein- 
theilung  des  livianischen  Geschichtswerkes  in  Dekaden  für 
nicht  von  Livius  selbst  vollzogen  betrachtete^).  Ausser  Livius 
kannte  Petrarca  Cäsars  Commentare,  Justins  Epitome,  Sallusts 
geistvolle  Monographien  über  Catilina's  Verschwörung  und  den 
jugurthinischen  Krieg,  Suetons  Kaiserbiographien,  Florus'  Com- 
pendium  der  römischen  Geschichte,  Gurtius'  abenteuerlichen 
Alexanderroman  ^)  und  endlich  die  Geschichtsschreiber  der  spä- 
teren Kaiserzeit  Vopiscus,  Aelius  Lampridius  und  Spartian. 
Auch  die  Anekdotensammlung  des  Valerius  Maximus,  obwol 
kein  eigentliches  Geschichtswerk  zu  nennen ,  und  des  Orosius 
Weltgeschichte,  obwol  bereits  wegen  ihrer  christlichen  Tendenz 
mit  grösserem  Rechte  der  religiösen,  als  der  profanen  Litte- 
ratur  beizuzählen,  mögen  hier  genannt  werden.  Endlich  werde 
hier  auch  erwähnt ,  was  vielleicht  besser  früher  bei  der  Be- 
sprechung der  griechischen  Litteratur  geschehen  wäre,  dass 
Petrarca  durch  lateinische  Uebersetzungen  oder  Auszüge  auch 
eine  wenigstens  oberflächliche  Kenntniss  der  Geschichtswerke 
des  Josephus  •'•)  und  des  Plutarch  besass.  Von  des  letzteren 
„Vitae  parallelae"  zählt  er  auf:  Plato  und  Aristoteles- Varro, 
Homer-Virgil,  Demosthenes-Cicero,  Alexander-Cäsar  und  be- 
merkt dabei,  dass  Plutarch  für  Seneca  kein  Gegenstück  habe 
finden  können  ^).  Verdächtig  auch  klingt  Petrarca's  Behauptung, 
dass  Plutarch  den  Seneca  für  einen  grösseren  ]\Ioralphilosophen 
als  den  Aristoteles  erklärt  habe"). 


1)  Ep.  Farn.  XXIV  8. 

■-)  Rer.  mem.  I  2,  vgl.  Ep.  Farn.  XXIV  8. 

^)  Rer.  mem,  I  2, 

*)  wenigstens  höchst  wahrscheinlich,  vgl.  remed.  utr.  fort.  I  58  u.  II  9. 

•'"')  vgl.  remed,  utr,  fort.  I  69  u.  II  90, 

*)  Ep.  Fam.  XXIV  5  (ein  Theil  der  genannten  Vitae  existirt  nicht). 

')  apolog.  contr.  Gall,  calumn.  p.  1194. 


494  Achtes  Capitel. 

In  weitestem  Maasse  hat  Petrarca  die  grossen  Sammelwerke 
des  Plinius  —  natürlich  ist  hier  die  „historia  naturalis"  gemeint, 
denn  des  jüngeren  Plinius  Briefe  scheinen  ihm  unbekannt  ge- 
blieben zu  sein  — ,  des  Macrobius,  des  Gellius,  des  Solinus,  des  schon 
genannten  Valerius  Maximus,  des  Hygin  und  des  Pomponius 
Mela,  wenn  dessen  bescheidenes  Geographiebüchlein  hier  mit 
genannt  werden  darf,  für  seine  Zwecke  ausgebeutet.  Auf 
ihnen  beruhen  zum  grossen  Theile  seine  Kenntnisse  der  realen 
Verhältnisse  des  Alterthums,  auf  sie  gehen  auch  ausnahmslos 
alle  Citate  zurück,  welche  jetzt  verlorenen  oder  nur  fragmen- 
tarisch erhaltenen  Schriftstellern  entnommen  sind  und  welche 
durch  ihre  Massenhaftigkeit  denjenigen,  welcher  die  nähere 
Prüfung  unterlässt,  zu  der  Annahme  verführen  könnten,  dass 
Petrarca  noch  Vieles  aus  der  lateinischen  Litteratur  besessen 
habe,  was  nicht  mehr  zu  besitzen  v.'ir  beklagen  müssen.  Von  ge- 
genwärtig verlorenen  "Werken  besass,  abgesehen  von  den  Büchern 
Cicero's  über  den  Ptuhm,  auch  Petrarca  keins  mehr  —  nur  die 
Briefe  des  Augustus  kamen  ihm,  als  er  noch  sehr  jung  war, 
einmal  in  einem  sehr  schlecht  erhaltenen  Exemplare  in  die 
Hände ,  indessen  entschwand  ihm  das  Buch  wieder  und  alle 
seine  Bemühungen,  seiner  auf's  Neue  habhaft  zu  werden,  waren 
vergeblich^).  Im  Gegentheile  besass  Petrarca  zahlreiche  und 
bedeutende  Werke  nicht,  welche  seitdem  durch  glückliche 
Fügungen  an  das  Licht  gezogen  worden  sind  —  man  denke 
z.  B.  an  Tacitus'  Schriften,  an  Silius  Italicus  und  Andere!  — 
andere  aber  besass  er  nur  fragmentarisch,  wie  z.  B.  Quinti- 
lians  Institutionen. 

Damit  wäre  ungefähr  die  Aufzählung  dessen,  was  Petrarca 
aus  der  profanen  lateinischen  Litteratur  kannte,  erschöpft 2). 
und   es  bleibt   nun   noch  übrig,   einen  Blick  auf   dasjenige  zu 


^)  Rer.  mem.  I  2  praef.  (p.  445). 

-)  Es  bedarf  wol  kaum  der  Bemerkung,  dass  in  der  oben  gegebenen 
Skizze  des  philologischen  Wissens  Petrarca's  aus  nahe  liegenden  Gründen 
nur  das  allgemein  Interessante  gegeben,  auf  philologische  Einzelfragen  aber 
nicht  eingegangen  werden  konnte.  Das  letztere  zu  thun,  behält  sich  der 
Verfasser  für  eine  von  ihm  beabsichtigte  Ausgabe  der  Bücher  rerum  vor. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  495 

werfen,  was  ihm  von  der  christlich-lateinischen   Litteratur  be- 
kannt war. 

In  seiner  Jugend  hatte  der  Vater  der  humanistischen 
Wissenschaft  die  Kirchenväter  vei-achtet  ^) ;  wie  er  glaubte, 
hatten  ihn  die  „Einflüsterungen  der  Dämonen"  zu  solchem  sträf- 
lichen Thun  verleitet,  in  Wahrheit  aber  wird  sein  für  stylistischen 
Wohlklang  so  empfängliches  Ohr,  dem  der  kirchlichen  Autoren 
rauhes  und  oft  plebejisches  Latein  nicht  behagen  konnte, 
der  schuldige  Theil  gewesen  sein.  Bei  Petrarca's  frommer  und 
gläubiger  Denkart,  bei  seiner  tiefen  Verehrung  vor  den  Lehren 
der  katholischen  Kirche  konnte  indessen  solche  halbketzerische 
Sinnesweise  nicht  von  Dauer  sein.  Durch  die  Leetüre  der 
Confessionen  des  heiligen  Augustin  wurde  er  zur  kirchlichen 
Litteratur  hingeführt,  und  es  währte  nicht  lange,  dass  er  die- 
selbe aufrichtig  zu  schätzen  begann  und  zu  der  Erkenntniss 
gelangte,  wie  er  aus  den  christlichen  Autoren  freilich  weniger 
Redeblumen  sammeln  könne,  als  aus  den  heidnischen,  wie  aber 
trotzdem  ihm  ihre  Leetüre  einen  ungleich  grösseren  Gewinn 
bringe.  So  widmete  er  denn  fortan  den  Kirchenvätern  ein 
fleissiges  Studium  und  sammelte  eifrig  ihre  Werke,  wenn  auch 
zuweilen  eine  Erneuerung  des  guten  Vorsatzes  vonNöthen  war  ^). 
Der  liebste  aller  christlichen  Autoren  blieb  ihm  aber  immer  Au- 
gustin, dem  er  sich  in  gewisser  Hinsicht  geistesverwandt  fühlen 
durfte  —  denn  auch  Augustin  war  ein  Mensch  gewesen,  der 
wie  Petrarca  selbst,  auf  der  Grenzscheide  zweier  Zeitalter  ge- 
standen hatte  — ,  dessen  Gelehrsamkeit  er  bewundern  konnte^) 
und  dessen  Schreibweise  er  endlich  eine  eigenthümliche  Kraft 
und  Harmonie  der  Form  zuerkennen  musste,  denn  das  augu- 
stinische  Latein,  so  sehr  es  auch  von  der  Eleganz  und  dem 
Purismus  des  ciceronianisehen  sich  entfernt,  ist  doch  nicht 
minder  stylvoll  und  klangreich,  als  dieses,  und  besitzt  überdies 
den   fesselnden  Reiz  hoher  Originalität.    Von   allen  Schriften 


')  Ep.  Sen.  XV  (XVI)  1  u.  Sen.  VIII  10,  der  letzteren  Epistel  sind 
auch  die  folgenden  Notizen  entnommen. 

2)  vgl.  z.  B.  Ep.  Fam.  XXII  10. 

3)  Ep.  Sen.  XIV  6. 


406  Achtes  Capitel. 

Augustinus  schätzte  Petrarca  am  höchsten  die  Confessioneu, 
jene  eigenthümliche ,  gedankenschwere  und  poetisch  durch- 
hauchte Seelenbeichte  des  grossen  Kirchenlehrers,  Das  war 
so  recht  ein  Buch  nach  seinem  Sinne,  denn  hatte  er  nicht  in 
einem  älinlichen.  wenn  auch  minder  schweren  Kampfe,  wie 
Augustin.  mit  sich  selbst  gerungen?  hatte  nicht  auch  er,  wie 
Augustin,  mit  selbstquälerischer  Freude  die  innersten  Falten 
seines  Herzens  durchwühlt  und  seine  geheimsten  Gedanken  zu 
lielauschen,  zu  zergliedern  und  zu  richten  sich  bestrebt?  Aber 
auch  andere  Schriften  Augustin's  liebte  und  sehätzte  er,  so 
namentlich  das  Buch  ..de  vera  religione":  als  es  ihm  zum 
ersten  Male  in  die  Hände  gekommen  war,  las  er  es  mit  der- 
selben hastigen  Begierde  durch,  mit  welcher  ein  Wanderer, 
der  zum  ersten  Male  eine  hochberühmte  Stadt  betritt,  die 
Wunder  derselben  zu  schauen  sich  beeilt  ^). 

Nächst  denen  des  Augustin  schätzte  Petrarca  am  höchsten 
des  heiligen  Ambrosius  Schriften  -) ,  vielleicht  eben  so  sehr 
wegen  ihrer  gewandten  und  feinen  Latinität  als  wegen  des 
milden  und  ruhigen  und  doch  glaubenseifrigen  Geistes,  der  in 
ihnen  sich  spiegelt.  Einige  andere  kirchliche  Autoren,  dei'en 
"Werken  Petrarca  gelegentlich  mehr  oder  weniger  zahlreiche 
Citate  entnommen  und  dadurch  seine  eingehende  Beschäftigung 
mit  ihnen  bekundet  hat,  genüge  es  einfach  zu  nennen :  Lactanz, 
Hieronymus,  Gennadius,  Sulpicius  Severus,  Prosper  Aquitanus, 
den  grossen  Gregor  (I)  und  den  heiligen  Bernhard.  Man  sieht, 
es  ist  eine  stattliche  Reihe,  und  leicht  würde  sie  sich  noch  ver- 
grössern  lassen.  Selbstverständlich  muss  es  hiernach  erscheinen, 
dass  er  auch  in  der  Bibel  sehr  belesen  war,  und  wir  haben 
schon  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  darauf  hinzuweisen, 
wie  gern  und  in  wie  reicher  Fülle  er  biblische  Citate  braucht  2). 

Endlich  müssen  wir  zu  der  christlichen  Litteratur  wol 
auch  wegen  ihrer  vermeintlichen  Beziehungen  auf  das  Christen- 


^)  de  contemt.  mund.  III  p.  352. 
■-)  vgl.  de  Vit.  II  3,  2  u.  II  9,  5. 
=)  vgl.  z.  B.  S.  339  ff. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  497 

thum  die  sogenannten  Sibyllinischen  Orakel  zählen,  deren 
Authenticität,  da  sie  von  Kirchenvätern  vertheidigt  wurde, 
Petrarca  nicht  mit  voller  Entschiedenheit  anzuzweifeln  wagte  ^), 
wie  er  denn  überhaupt,  was  passend  hier  bemerkt  werden 
möge,  die  Sprüche  der  heidnischen  Orakel  nicht  für  eigentlich 
trügerisch,  aber  wol  für  von  bösen  Dämonen  —  denn  nichts 
Anderes  seien  die  Heidengötter  gewesen  —  eingegeben 
erachtete  ^). 

So  vereinigte  Petrarca  eine,  wenn  auch  nicht  sehr  aus- 
gedehnte, doch  überaus  intensive  Kenntniss  der  profanen  latei- 
nischen Litteratur  mit  einer  grossen  Belesenheit  in  den  christlich- 
lateinischen Autoren :  durch  die  erstere  ist  er  der  Begründer  des 
Humanismus  geworden,  w^ährend  er  durch  die  letztere  sich  für 
seine  Person  den  Zusammenhang  mit  des  Mittelalters  religiöser 
Bildung  gewahrt  hat.  Es  ist  einleuchtend,  dass  eine  solche 
Verbindung  zweier  Wissens-  und  Anschauungssphären,  welche 
fast  den  Charakter  der  Bizarrerie  an  sich  trug,  auf  die  späteren 
Humanisten  sich  nicht  hat  vererben  können:  viel  zu  disparat 
waren  die  zur  Einheit  verbundenen  Elemente.  So  hat  denn 
der  Humanismus  in  der  Folge  auf  die  Beschäftigung  mit 
dem  christlich-lateinischen  Schriftenthume  verzichtet  —  nur  in 
der  Reformationszeit  wurde  diese  vorübergehend  wieder  beliebt  — 
und  es  hat  dabei  bis  auf  den  heutigen  Tag  so  ziemlich  sein  Be- 
wenden gehabt.  Erklärlich  und  selbst  nothwendig  war  gewiss 
diese  Beschränkung,  nichtsdestoweniger  ist  sie  für  das  wissen- 
schaftliche Leben  von  nachtheiligen  Folgen  gewesen,  denn  die 
christlich-lateinische  Litteratur  ist,  so  sehr  man  auch  ihre  Be- 
deutung zu  unterschätzen  pflegt,  von  grösstem  materialen  und 
formalen  Werthe,  und  wer  mit  ihr  nicht  vertraut  ist,  wird  auch 
nie  mit  der  Cultur  und  Litteratur  des  Mittelalters  vertraut 
werden  können.  Der  Humanismus  brach,  indem  er  die  christlich- 
lateinischen Autoren  in  die  Schatten  der  Vergessenheit  verwies 
und  das  Verdict  des  barbarischen  Lateins  über  sie  aussprach, 


1)  de  ot.  relig.  I  p.  343.    Rer.  mem.  IV  3.  p.  523  ft'. 
■-)  Rer.  mem.  IV  2.  praef.  p.  519. 

Körting,  Petrarca.  32 


498  Achtes  Capitel. 

die  Brücke  ab,  welche  ihn  mit  der  mittelalterlichen  Bildung 
hätte  verbinden  können.  Er  musste  so  revolutionär  verfahren, 
und  keinen  Vorwurf  ist  man  ihm  zu  machen  berechtigt,  aber  jedes 
revolutionäre  Vorgehen  ist  mit  schweren  Nachtheilen  verbunden 
und  auch  der  humanistischen  Revolution  haben  sie  nicht  gefehlt. 
Der  Neubau  der  Bildung  mit  Ignorirung  der  bisher  lange 
Jahrhunderte  hindurch  bestandenen  Grundlage  brachte  natur- 
gemäss  Alles  in's  Schwanken  und  Manches  ist  dabei  gestürzt, 
was  wol  der  Erhaltung  werth  gewesen  wäre.  An  Stelle  einer 
stetigen  Fortentwickelung,  die  unmöglich  geworden  war,  trat 
fortan  vielfach  ein  Experimentiren,  ein  zielloses  Umhertasten, 
den  Menschen  wurde  das  Gefühl  ,der  Buhe,  das  wohlthuende 
Bewusstsein  von  der  Dauerhaftigkeit  des  Bestehenden  geraubt, 
und  stete  Unruhe,  nimmer  endende  Ungewissheit  über  das, 
was  etwa  kommen  mag,  ist  seitdem  ihr  Loos  geworden.  —  — 
Legen  wir  uns  ferner  die  Frage  vor,  welche  fremde  Sprachen 
und  Litteraturen  Petrarca  etwa  ausser  der  lateinischen  gekannt 
habe,  so  erscheint  es  zunächst  unzweifelhaft  genug,  um  eines 
besonderen  Nachweises  nicht  zu  bedürfen,  dass  er,  der  so  lange 
Jahre  in  der  Provence  lebte  und  an  den  Troubadours  sein 
poetisches  Talent  gebildet  hatte,  der  provenzalischen  Sprache 
völlig  mächtig  war.  Ein  näheres  Eingehen  hierauf  ist  über- 
flüssig. Die  französische  Spi'ache  vermochte  er,  wie  er  selbst 
eingestand  ^),  nicht  geläufig  zu  sprechen ,  doch  war  er  ihrer 
so  weit  mächtig,  dass  er  in  ihr  geschriebene  Dichtungen  lesen 
konnte  und  wol  auch  vielfach  gelesen  hat,  war  ja  doch  damals 
die  französische  Litteratur  unter  allen  westeuropäischen  weit- 
aus die  bedeutendeste  und  reichhaltigste,  im  gewissen  Sinne 
sogar  eine  wirkliche  Weltlitteratur.  Sicher  ist  es  wenigstens, 
dass  Petrarca  den  „Roman  von  der  Rose"  gekannt  hat  ^).  Ein 
besonders  günstiges  Urtheil  fällte  er  über  diesen  Roman,  be- 
kanntlich eins  der  bedeutendesten,  wenn  nicht  das  bedeutendeste 


»)  vgl.  oben  S.  351. 

-)  Ep.  poet.  lat.  III  30;  er  empfieMt  in  dieser  Epistel  den  Koman  dem 
Guido  Gonzaga  von  Mantua,  welcher  ihn  um  den  Nachweis  eines  guten 
Buches  in  der  Vulgarsprache  gebeten  hatte. 


I 


Der  Umfang  des  "Wissens  Petrarca's.  499 

"Werk  der  späteren  altfranzösischen  Poesie,  freilich  nicht  und 
meinte  vielmehr,  dass  er  bei  weitem  nicht  an  die  Dichtungen  der 
Lateiner,  ja  selbst  nicht  einmal  an  diejenigen  der  neueren 
Italiener  heranreiche.  Es  ist  das  ein  recht  bemerkenswerthes 
Urtheil,  denn  unleugbar  zeigt  sich  in  demselben,  so  weit  man 
auch  davon  entfernt  sein  mag,  den  „Roman  de  la  Rose"  für 
ein  absolutes  Meisterwerk  zu  halten,  schon  etwas  von  jener 
hochmüthigen  Verachtung,  welche  der  Humanismus  später  so 
reichlich  den  Volkssprachen  hat  angedeihen  lassen  und  wo- 
durch er  auf  die  Entwickelung  der  Nationallitteraturen  so  un- 
sagbar zerstörend  eingewirkt  hat.  —  Hier  ist  endlich  auch 
Petrarca's  Verhältniss  zu  der  italienischen  Litteratur  kurz  zu 
erörtern.  Dass  er  die  Werke  der  lyrischen  Dichter,  welche 
entweder  seine  Vorgänger  gewesen  waren  oder  mit  denen  er 
als  mit  Zeitgenossen  verkehrte,  genau  kannte,  ist  sowol  als 
selbstverständlich  vorauszusetzen  als  es  auch  durch  mehrere 
Sonette,  welche  auf  Cino  da  Pistoja,  Antonio  de'  Beccari  da 
Ferrara  und  Stramazzo  da  Perugia  Bezug  haben,  ausdrücklich 
bezeugt  wird.  Eigenthümlich  genug  war  dagegen  Petrarca's 
Verhältniss  zu  demjenigen  Dichter,  welchen  bereits  damals 
Italien  als  seinen  grössten  verehrte  und  welchem  der  Sänger 
des  Canzoniere  den  ersten  Platz  auf  dem  italienischen  Parnasse 
nicht  zu  entreissen  vermocht  hat  ^).  Petrarca  hat  sich  hierüber 
selbst  in  einem  ausführlichen  Briefe  ausgesprochen,  den  er  an 
Boccaccio  richtete,  wahrscheinlich  als  dieser  ihm  im  Jahre  1359 
ein  selbst  geschriebenes  Exemplar^)  der  „Divina  Commedia" 
zugesandt  und  die  Sendung  mit  einem  lateinischen  Gedichte^) 
und  einem  Briefe  begleitet  hatte.  "Wir  geben  um  seiner  Wichtig- 
keit willen  den  Inhalt  des  Briefes  Petrarca's  *)  in  Kürze  wieder. 


^)  vgl.  hierüber  die  eingehende  Untersuchung  von  Carducci ,  Studi  let- 
terari  (Livorno,  1874),  p.  329—370,  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam  IV  p.  399  ff. 

-)  Dass  dasselbe  nicht,  wie  oft  behauptet  ward,  mit  dem  venetianischen 
Codex  no.  8199  identisch  sein  kann,  hat  Carducci  1.  1.  p.  324  f.  gezeigt. 

^)  abgedruckt  in  zwei  Versionen  b.  Carducci  1.  1.  p.  363  f.,    eine  Ver- 
sion auch  b.  Fracassetti  1.  1.  p.  399  f.,  älterer  Drucke  nicht  zu  gedenken. 

*)  Ep.  Fam.  XXI  15. 

32* 


r^()C)  Achtes  Capitel. 

Er  beginnt  mit  der  Klage,  dass  böswillige  Mensehen  von 
ihm,  Petrarca,  die  Meinung  verbreitet  hätten,  dass  er  Dante 
hasse  und  neidisch  auf  dessen  Dichterruhm  und  Dichterei-folge 
sei.  Das  sei  eine  vollständig  irnge  Annahme.  Persönlich  sei 
er  freilich  mit  Dante  ^)  nicht  befreundet  gewesen  und  nur  als 
Knabe  habe  er  ihn  einmal  flüchtig  gesehen,  indessen  habe  er 
stets  die  Standhaftigkeit  bewundert,  mit  welcher  dieser  auch 
in  der  Verbannung  und  unter  mancherlei  Drangsal  der  Dicht- 
kunst treu  geblieljen  sei.  Wahr  sei  es  allerdings,  dass  er  trotz 
seiner  Bücherliebhaberei  sich  nie  die  „Divina  Commedia"  an- 
geschafft habe,  doch  habe  er  dies  nur  desshalb  verabsäumt, 
weil  er  durch  die  Leetüre  dieser  Dichtung  allzu  sehr  beein- 
flusst  und  in  seiner  eigenen  dichterischen  Originalität  beein- 
trächtigt zu  werden  gefürchtet  hätte.  Jetzt  indessen,  wo  er 
dem  eigenen  Dichten  entsagt  habe,  widme  er  sich  dem  Studium 
Dante' s  mit  ganzer  Seele  und  gern  erkenne  er  an,  dass  ihm 
in  der  Meisterschaft  der  italienischen  Sprache  („vulgaris 
eloquentia")  die  Palme  gebühre,  ja  er  bewundere  und  liebe  ihn 
aufrichtigst,  und  besser,  als  der  grosse  Schwärm  der  Dante- 
verehrer, denen  doch  nur  der  Klang  der  Reime  die  Hauptsache 
sei.  vermöge  wol  er  zu  beurtheilen,  worin  die  wahre  Kunst 
des  grossen  Dichters  zu  suchen  sei;  wenn  Dante  noch  leben 
würde,  könnte  derselbe  kaum  einen  ergebeneren  Freund  als  ihn 
besitzen.  Ein  Jammer  sei  es  übrigens,  wie  die  Leute,  welche 
sich  als  eifrige  Bewunderer  Dante's  geberden,  die  Verse  des- 
selben durch  ihre  Declamationen  entstellen  und  verstümmeln, 
und  gern  würde  er,  wenn  er  nur  die  Zeit  dazu  hätte,  einmal 
diesem  Unwesen  durch  eine  besondere  Schrift  steuern. 

Noch  einmal  kommt  dann  Petrarca  auf  die  ihm  gemachte 
Beschuldigung  zurück,  dass  er  Dante  beneide.  Dazu,  meint 
er,  habe  er  nicht  den  geringsten  Grund,  denn  wahrlich  nicht 
beneidenswerth  sei  Dante's  Popularität,  in  Folge  deren  seine 
Verse  von  „Walkera,  Schenkwirthen  und   Wollwebern"  2)  ge- 


1)  Seltsamerweise  wird  der  Name  Dante's  nie  genannt,  doch  kann  nicht 
der  leiseste  Zweifel  obwalten,  dass  von  ihm  die  Rede  sei. 

2)  ,,lanistae",   was   Fracassetti  mit   „lanaiuoli"   übersetzt,  während   es 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  501 

feiert  würden,  und  er,  Petrarca,  wünsche  sich  vielmehr  Glück 
dazu,  dass  er  mit  Homer  und  Virgil  einer  solchen  Volkstliüm- 
lichkeit  entbehre. 

Man  erkennt  aus  diesem  Briefe  deutlich,  dass  Petrarca  für 
Dante  eben  nur  eine  kühle,  akademische  Bewunderung,  aber 
keine  wirkliche  Verehrung  besass.  Denn  gewiss  war  es  nicht 
oder  doch  durchaus  nicht  allein  die  Befürchtung,  an  seiner 
dichterischen  Originalität  Schaden  zu  erleiden,  was  ihn  von 
Dante  fernhielt.  Denn  solche  Befürchtung  hätte  ihn  mindestens 
von  der  Leetüre  der  gedanken tiefen  lateinischen  Schriften  Dante' s 
nicht  abhalten  können,  und  doch  scheint  er  dieselbe  nicht  vorge- 
nommen zu  haben,  mindestens  nur  in  oberflächlichster  Weise.  Der 
Dichter  der  „Divina  Commedia"  war  eben,  das  ist  gar  nicht  zu 
bezweifeln,  dem  Sänger  des  „Canzoniere"  unsympathisch.  Auch  ist 
leicht  einzusehen,  warum.  Dante  war  ein  Dichter  und  Denker 
des  Mittelalters,  ganz  erfüllt  von  dessen  Auschauungs-  und  Em- 
pfindungsweise, Petrarca  war  der  Begründer  einer  neuen,  zu  der 
mittelalterlichen  in  scharfen  Gegensatz  tretenden  Bildung.  Was 
war  natürlicher,  als  dass  er  den  Dichter,  in  welchem  sich  der 
mittelalterliche  Geist  in  seiner  ganzen  eigenartigen  Grösse  ver- 
körpert hatte,  nicht  zu  verstehen  vermochte,  dass  er  eine  in- 
stinetive  Abneigung  gegen  ihn  besass?  Geistig  bedeutende 
Männer,  welche  entgegengesetzte  Bildungstendenzen  vertreten 
und  welche  verschiedenen  Culturformen ,  der  eine  einer  sich 
auslebenden,  der  andere  einer  neu  entstehenden,  angehören, 
müssen  sich  ja  naturgemäss  in  innerer  Feindschaft  gegenüber 
stehen,  zumal  wenn  nur  erst  ein  geringer  zeitlicher  Zwischen- 
raum sie  trennt,  wenn  der  eine  den  anderen  noch  als  seinen 
directen  Nebenbuhler  zu  betrachten  hat,  wenn  dem  Kampfe 
zwischen  den  von  ihnen  vertretenen  entgegengesetzten  Cultur- 
principien  die  endgültige  Entscheidung  noch  nicht  gegeben 
worden  ist.  So  hat  denn  Petrarca  erst  in  seinen  späteren  Jahren 
und  wahrscheinlich  auch  da  nur  veranlasst  durch  das  Bewusst- 


allerdings  vielmehr  „beccai  (Fleischer)"  bedeuten  dürfte,  vgl.  Carducci,  1.  I. 
p.  357,  Note. 


502  Achtes  Capitel. 

sein,  dass  er  einer  litterarischen  Anstandspflicht  zu  genügen 
habe,  zu  einer  eingehenderen  Beschäftigung  mit  der  „Divina 
Commedia"  sich  zu  überwinden  vermocht.  Gross  ist  seine  Be- 
geisterung für  dieselbe  gewiss  auch  da  nicht  gewesen.  Aller- 
dings könnte  man  dies  daraus  folgern  wollen,  dass  er  in  der 
Dichtung  seines  Alters,  den  „Trionfi",  offenbar  Dante's  Styl 
und  Dichtungsform  nachgeahmt  hat.  Aber  sollte  er  das  nicht 
desshalb  gethan  haben,  um  seine  Ebenbürtigkeit  mit  Dante  zu 
documentiren  und  denselben  gerade  auf  dem  Dichtungsgebiete 
zu  besiegen,  auf  welchem  er,  Dante,  bis  dahin  als  unerreich- 
bares Muster  gegolten  hatte?  Uns  wenigstens  will  es  bedünken, 
als  liege  gerade  den  „Trionfi"  das,  doch  gewiss  von  abgeneigter 
Gesinnung  eingegebene,  Motiv  zu  Grunde,  die  „Divina  Commedia" 
noch  überbieten  und  dadurch  den  Dichter  derselben  von  dem 
hohen  Piedestale  seines  Ruhmes  herabstürzen  zu  wollen. 

,  Anders  freilich  würde  man  urtheilen  müssen,  wenn  die 
angeblich  von  Petrarca  verfasste  lateinische  Grabschrift  Dante's  ^) 
für  authentisch  erachtet  werden  dürfte,  aber  dieselbe  ist,  wenn 
nicht  Alles  trägt,  eine  Fälschung  der  gröbsten  Art. 

Zieht  man  nun  noch  in  Betracht,  dass  Petrarca  sich  auch 
über  Dante's  Charakter  einmal  gelegentlich  nicht  eben  günstig 
ausspricht  2) ,  indem  er  ihn  der  Rauhheit  und  rücksichtslosen 
Offenheit  zeiht,  und  dass  Petrarca  endlich,  während  ihm  doch 
so  oft  die  Gelegenheit  zu  ausführlicheren  Mittheilungen  geboten 
worden  wäre,  von  Dante  Nichts  weiter  zu  berichten  weiss,  als 
zwei  ziemlich  werthlose  Anekdoten  2),  so  gewinnt  man  durch- 
aus den  Eindruck,  dass  Petrarca  für  den  grössten  Dichter  seines 
Vaterlandes  keinerlei  Sympathie  besass  und  dass  er  sich  sicht- 
lich bemühte,  die  gigantische  Gestalt  desselben  zu  ignoriren 
und,  wenn  möglich,  in  Dunkel  zu  verhüllen. 

Ehe    wir    die    von    dem    sprachlichen    und    litterarischen 


^)  Abgedi-uckt  in  dem  Sammelwerke  „Petrarca  e  Venezia'-,  p.  128  f. 
(vgl.  eine  kurze  Bemerkung  darüber  in  der  Augsb.  Allg.  Ztg.  1875  no.  38 
Beilage). 

')  Rer.  mem.  11  4.  p.  480,  vgl.  G.  Papanti,  Dante  secondo  la  tradizione 
etc.  (Livorno  1873),  p.  31  ff. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  503 

Wissen  Petrarca's  entworfene  Skizze  absehliessen,  ist  es  nöthig, 
in  aller  Kürze  die  Frage  zu  beantworten,  in  w^elcher  Weise 
Petrarca  litterarische  Werke,  besonders  diejenigen  der  latei- 
nischen Litteratur,  gelesen  habe. 

Selbstverständlich  ist  es,  dass  der  Begründer  des  Huma- 
nismus die  Leetüre  vorzugsweise  nach  ästhetischen  Gesichts- 
punkten betrieb,  in  einer  Weise  also,  welche  heutigen  Tages 
nicht  mehr  dem  Philologen  von  Fach,  sondern  höchstens  etwa 
noch  dem  gebildeten  Laien,  dem  Dilettanten  im  guten  Sinne 
des  Wortes  geziemen  würde,  wobei  freilich  bemerkt  werden 
muss,  dass  es  höchst  wünschenswerth  und  zuträglich  wäre, 
wenn  der  ästhetische  Gesichtspunkt  von  den  modernen  Philo- 
logen nicht  so  gänzlich,  wie  es  leider  oftmals  geschieht,  ausser 
Acht  gelassen  würde.  Man  hat  durchaus  nicht  nöthig,  über 
Petrarca's  dilettantenmässige,  vor  Allem  nach  Genuss  strebende 
Leetüre  verächtlich  die  Achseln  zu  zucken.  Mit  einem  der- 
artigen Dilettantismus  beginnt  eine  jede  neu  entstehende 
Wissenschaft  und  muss  damit  beginnen,  denn  bevor  nicht  nach- 
gewiesen ist,  dass  eine  noch  gar  nicht  oder  nicht  genügend 
durchforschte  Wissensmaterie  des  Wissens  werth  ist  und  ihrem 
Erforscher  Genuss  verheisst,  wird  so  leicht  Niemand  der  Mühe 
ihrer  Erforschung  sich  unterziehen.  Erst  musste  man  den  ästhe- 
tischen Werth  der  Litteratur  des  Alterthums  erkannt,  erst  die 
classischen  Autoren  liebgewonnen  und  für  sie  sich  begeistert 
haben,  ehe  man  Lust  und  Fähigkeit  besitzen  konnte,  die 
schwierigen  Aufgaben  einer  nüchternen  wissenschaftlichen  Exe- 
gese und  Kritik  zu  lösen.  — 

Hiernach  wird  es  uns  nicht  Wunder  nehmen,  dass,  wenn 
Petrarca  zuweilen  —  denn  nur  in  vereinzelten  Fällen  hat  er 
dies  gethan  —  sich  an  die  Interpretation  eines  Schriftstellers 
oder  einzelner  Stellen  desselben  wagt,  er  dabei  Erklärungen 
gibt,  welche  uns  höchst  befremdlich  erscheinen  müssen,  und 
dass  er  noch  ganz  nach  mittelalterlicher  Weise  auch  in  den 
hamilosesten  W^orten  einen  tief  verborgenen  Sinn  sucht.  Dass 
z.  B.  Virgil's  Aeneis  in  dreifacher  Weise,  historisch,  physikalisch, 


504  Achtes  Capitel. 

allegorisch  auszulegen  sei,  war  ihm  feststehender  Grundsatz  ^)y 
den  er  in  der  Praxis  auch  wirklich  befolgte.  So  deutete  er, 
um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  die  schöne  Stelle  im  ersten 
Buche  der  Aeneis  (v.  52  ff.),  in  welcher  der  widerwillige  Gehor- 
sam der  Winde  gegen  Aeolus  geschildert  wird,  folgendermaassen : 
die  Winde  sind  die  menschlichen  Leidenschaften,  welche,  wenn 
sie  nicht  von  der  Vernunft  (=  Aeolus;  gezügelt  würden,  den 
irdischen  Leib  (=  Erde,  terras),  den  Lebenssaft  {=  die  Meere, 
maria)  und  die  Seele  (=  Himmel,  coeli^m)  in's  Verderben 
reissen  würden-).  Indessen  derartige  wunderliche  und  in  ihrem 
Tiefsinn  unsinnige  Deutungen  unternimmt  Petrarca  docli  nur 
selten  und  nur  dann,  wenn  er,  um  so  zu  sagen,  auf  das  Ka- 
theder steigt  und  seine  Gelehrsamkeit  documentiren  will,  selbst 
dann  aber  behält  er  noch  so  viel  Vernunft,  um  zuzugestehen, 
dass  Virgil  vielleicht  gar  keinen  Doppelsinn  in  seinen  Versen 
beabsichtigt  habe  und  dass  diese  also  einfach  dem  W^ortlaute 
nach  zu  verstehen  seien  2).  Es  hat  aber  lange  gewährt,  ehe 
die  Sucht,  jede  Dichtung  allegorisch  auszudeuten,  aus  den 
Köpfen  schwand:  auf  keinem  Gebiete  des  geistigen  Lebens  hat 
das  mittelalterliche  Denken  länger  und  hartnäckiger  seine 
Herrschaft  behauptet. 

Erfolgi'eicher  dürfen  Petrarca's  Versuche  in  der  Text- 
kritik genannt  werden.  Freilich  ist  er  hier,  wie  sehr  na- 
türlich ,  nicht  über  die  allerersten  Anfänge  hinausgekommen 
und  ist  auch  nicht  entfernt  im  Besitze  einer  festen  Me- 
thode gewesen,  aber  er  hat  doch  wenigstens  eine  Ahnung 
von  der  kritischen  Kunst  gehabt,  und  schon  diese  Thatsache, 
wodurch  bewiesen  wird,  dass  er  über  den  mittelalterlichen  Autori- 
tätsglauben sich  erhob,  gereicht  ihm  zur  hohen  Ehre  und  war 
von  segensreichen  Folgen  für  die  humanistische  Wissenschaft. 
Ein  besonderes  Augenmerk  richtete  Petrarca  auf  die  Scheidung 


')  Ep.  Sen.  IV  5. 

^)  de  contemt.  mundi  II  p.  391 ,  wo    auch  noch   andere  Stellen  (z.  B. 
Aen.  II  622  f.)  erklärt  werden. 
^)  ibid. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  505 

der  ächten  Schriften  der  chissischen  Autoren  von  den  uniichtea 
Machwerken,  welche  die  Ignoranz  des  Mittelalters  für  authen- 
tisch anerkannt  hatte,  und  wir  haben  bereits  oben  mehrfach 
gesehen,  wie  er  mit  gutem  Rechte  mehrere  dem  Seneca,  Ovid 
und  Anderen  beigelegte  Werke  als  unächt  bezeichnet  hat. 
Freilich  war  sein  einziges  Kriterium  für  solche  Scheidungen 
die  Beobachtung  der  Stylbildung  und  es  mag  dasselbe  der 
heutigen  Wissenschaft  als  durchaus  unzulänglich  erscheinen, 
zumal  wenn  es  mehr  auf  das  Sprachgefühl,  als  auf  exacte 
sprachliche  Untersuchungen  sich  gründet,  aber  verkennen  darf 
man  doch  nicht,  dass  die  Beobachtung  des  Styles  ein  sehr 
wichtiges  Kriterium  abgibt  und  dass  die  Auffindung  desselben 
unzweifelhaft  ein  grosses  Verdienst  war.  Uebrigens  dehnte 
Petrarca,  sich  nicht  behindern  lassend  von  religiöser  Befangen- 
heit, seine  Kritik  auch  auf  kirchliche  Autoren  aus.  So  sprach 
er  dem  heiligen  Ambrosius  die  Autorschaft  eines  Werkes  ab 
und  legte  sie  dem  Palladius  bei  ^). 

Auch  sachliche  Kritik  bemühte  sich  der  Begründer  des 
Humanismus  zu  üben  und  scheute  sich  nicht,  unter  Umständen 
eine  von  einem  classischen  Autor  gemachte  Angabe  zu  berich- 
tigen, wie  z.  B.  diejenige  des  Lucan  über  die  Quellen  des 
Timavus  ^)  oder  die  bekannte  Erzählung  Virgils  von  der  Liebe 
der  Dido  zu  Aeneas,  von  welcher  er  ausführlich  nachwies,  wie 
sie  historisch  unmöglich  sei  ^).  Er  kannte  eben  in  der  Wissen- 
schaft keinen  Autoritätsglauben  oder  doch  höchstens  nur  dann, 
wenn  die  Aussage  eines  Kirchenvaters,  wie  z.  B  des  Ambro- 
sius, mit  derjenigen  eines  profanen  Autors  in  Widerspruch  stand, 
denn  dann  meinte  er  allerdings,  die  erstere  trotz  entgegen- 
stehender Gründe  als  die  richtige  ansehen  zu  müssen'^).  In- 
dessen liess  er  sich  durch  keine  Frömmigkeit  abhalten,  auch 
an  den  Heiligenlegenden  historische  Kritik  zu  üben '"). 


*)  Vit.  Sol.  II  6,   1.    Ep.  Sen.  II  4. 

"'}  Ep.  Sen.  III  1. 

3)  Ep.  Sen.  IV  5.  vgl.  Trionf.  della  cast.  v.  157  ff.  u.  v.  12. 

*)  Vit.  Sol.  n  9,  5. 

5)  Vit.  Sol.  II  3,  17.  vgl.  Ep.  Fam.  XXI  14. 


506  Achtes  Capitel. 

Selbst  der  niederen  Textkritik  blieb  Petrarca  nicht  fern, 
denn  er  erkannte  sehr  wohl,  wie  sehr  die  Schriften  des  Alter- 
thums  durch  die  Abschreiber,  deren  Unzuverlässigkeit  und  Ge- 
dankenfaulheit er  ja  aus  eigener  Erfahrung  kannte  und  oft 
genug  beklagte^),  entstellt  und  verderbt  worden  seien 2).  So 
wagte  er  hin  und  wieder  Emendationen  ^),  welche  freilich  eine 
noch  ungeübte  Hand  verrathen. 

Nachdem  wir  im  Vorstehenden  Alles  mitgetheilt  haben, 
Avas  uns  in  Bezug  auf  Petrarca's  philologisches  Wissen  er- 
wähnenswerth  schien,  haben  wir  noch  einen  Blick  auf  sein 
Verhältniss  zu  den  übrigen  "Wissensgebieten  zu  werfen.  Da 
indessen  das  Verhältniss  zur  Rechtswissenschaft  bereits  früher 
(S.  69)  besprochen  wurde  und  dasjenige  zur  Medicin  besser 
bei  einer  anderen  Gelegenheit  besprochen  werden  wird,  so 
bleibt  nur  noch  in  Kürze  zu  erörtern  übrig,  wie  Petrarca  sich 
zur  Theologie,  zur  Geschichtswissenschaft  und  zu  den  soge- 
nannten exacten  Wissenschaften  oder,  um  den  für  das  Mittel- 
alter ungeeigneten  Ausdruck  zu  meiden,  zu  den  Naturwissen- 
schaften verhielt. 

Dass  ein  Mann,  der  so  gläubig  fromm  und  überdies  in  den 
Kirchenvätern  so  bewandert  war,  wie  Petrarca,  der  Theologie 
sehr  achtungsvoll  und  freundlich  gegenüberstand,  bedarf  keines 
weiteren  Beweises.  Den  Theologen  wies  er  denn  auch  in  der  That 
den  ersten  Platz  unter  den  Gelehrten  an,  aber  freilich  nur  dann, 
wenn  sie  frei  von  aller  Sophisterei  wären,  eine  ausgebreitete 
wissenschaftliche  Bildung  besässen  und  Respect  vor  den  Kirchen- 
vätern hätten  ■*).  Irgend  welche  Bedenken,  dass  der  Humanis- 
mus etwa  mit  der  Theologie  unverträglich  sein  könnte  —  Be- 
denken, welche  sehr  begründet  gewesen   wären  — ,  kannte  er 


1)  z.  B.  de  remed.  utr.  fort.  I  43.  11  praef.  Ep.  Farn.  XXIII  12.  de 
vit.  sol.  praef.  (=  Ep.  Sen.  VI  5). 

-)  de  contemt.  mund.  I  p.  381. 

")  So  wollte  er  Macrob.  II  3,  5  statt  Vatinius  „Caninius"  lesen  (Ker. 
mem.  n  3  p.  469)  und  in  der  Cicerostelle  „omnes  ferme  in  hoc  fallimur, 
quod  mortem  non  prospiciraus",  welche  aufzufinden  uns  leider  nicht  ge- 
lungen ist,  das  j.non"  streichen  (de  contemt.  mund.  I  p.  ^81). 

*)  Ep.  Sen.  XIV  1.,  vgl.  XIV  6  u.  V  3. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  507 

nicht  und  lebte  des  vollsten  naiven  Glaubens,  dass  man  gleich- 
zeitig für  die  Wiederbelebung  des  classischen  Alterthums 
schwärmen  und  ein  frommer  Katholik  sein  könne  ^).  Dass  der 
Humanismus  in  seiner  höchsten  Potenz  der  naturgemässe  Feind 
des  Chiistenthums  sein  müsse,  dass  die  Renaissance  unmöglich 
vor  den  Kirchenpforten  ehrfurchtsvoll  Halt  machen  könne,  dass 
es  unthunlich  sei,  auf  allen  anderen  Gebieten  den  Autoritäts- 
glauben zu  stürzen,  auf  dem  religiösen  aber  ihn  festzuhalten  — 
das  hat  er  nie  begriffen  oder,  was  wahrscheinlicher,  nie  begreifen 
wollen.  Er  war  eben  zu  schwach  und  zaghaft,  um  die  letzten 
Consequenzen  seiner  eigenen  Lehren  ziehen  und  aus  der  kirch- 
lichen Gläubigkeit,  welclie  ihm  Herzensbedürfniss  war,  heraus- 
treten zu  können. 

Für  die  Geschichte  und  selbstverständlich  namentlich  für 
die  Geschichte  des  classischen  Alterthums,  besass  Petrarca  das 
lebhafteste  Interesse,  welches  er  auch,  wie  wir  sehen  werden, 
durch  die  Abfassung  mehrerer  historischer  Werke  bethätigt 
hat.  Auch  in  der  Geschichte  aber  versuchte  er  Kritik  zu  üben. 
Der  Widerspruch,  der  so  häufig  zwischen  den  Aussagen  ver- 
schiedener Historiker  besteht,  entging  ihm  nicht ;  wo  ihm  der- 
selbe entgegentrat,  Hess  er  sich  entweder  nach  Maassgabe 
der  Wahrscheinlichkeit  oder  nach  Maassgabe  der  Glaubwürdig- 
keit der  einzelnen  Autoren  für  eine  bestimmte  Annahme  ge- 
winnen 2)  —  gewiss  ein  ganz  richtiger  Grundsatz,  wenn  er  auch 
in  der  praktischen  Ausübung  desselben  oft  genug  sehr  naiv 
verfuhr.  Als  ein  besonderes  Verdienst  muss  an  dieser  Stelle 
noch  hervorgehoben  werden,  dass  Petrarca  auch  den  ersten  Ver- 
such in  der  Urkundenkritik  gewagt  hat^). 

Geschichte  und  Geographie  sind  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  unlösbar  verbunden,  und  so  war  es  nur  natürlich,  dass 
auch  mit  der  letzteren  Wissenschaft  Petrarca  sich  eifi-igst  be- 
schäftigte.    Die  Angabe  freilich,   dass  er  in  Gemeinschaft  mit 


1)  Ep.  Farn.  II  9.  XXI  10. 
^)  Ep,  ad  post.  p.  4. 

^)  Ep.  San.  XV  5.    Nähere  Angaben  müssen  der  politischen  Geschichte 
vorbehalten  bleiben. 


508  Achtes  Capitel. 

dem  Könige  Robert  eine  genaue  Karte  Italiens  entworfen  habe  ^), 
mag  für  sehr  unglaubwürdig  gelten  müssen,  aber  hinlänglich 
wird  sein  verständnissvolles  Interesse  für  die  geographische 
Wissenschaft  bezeugt  durch  das  von  ihm  verfasste  „syrische 
Reisehandbuch",  wenn  also  eine  kurze  Schilderung  der  Loca- 
litäten,  welche  der  Jerusalempilger  auf  seiner  Fahrt  längs  der 
Küsten  des  tyrrhenischen,  jonischen  und  ägäischen  Meeres  be- 
rührt, genannt  werden  darf;  nicht  minder  wird  dies  Interesse 
bewiesen  durch  manche  in  Petrarca's  Werken  sich  findende 
gelegentliche  Bemerkung  2).  Auch  Petrarca's  Wanderlust  be- 
ruhte, zum  Theil  wenigstens,  auf  dem  ihm  eingeborenen  Triebe, 
die  Erde,  so  weit  nur  möglich,  kennen  lernen  und  ihre  Wunder 
mit  eigenen  Augen  schauen  zu  wollen.  „Kein  Volk  ist  be- 
gieriger den  Erdkreis  zu  durchforschen",  sagt  Petrarca  einmal 
von  den  Italienern  seiner  Zeit^;  und  er  war  auch  in  dieser 
Beziehung  ein  ächter  Sohn  seines  Volkes:  es  lebte  in  ihm 
etwas  von  dem  Geiste  eines  Marco  Polo  und  eines  Columbus. 
Nicht  zufällig  ist  es  übrigens,  dass  das  Zeitalter  der  Renais- 
sance zugleich  auch  das  Zeitalter  der  grossen  Entdeckungs- 
reisen ist:  es  beseelte  die  Menschen  jeuer  Zeit  der  Drang 
nach  einer  allseitigen  Erweiterung  ihrer  Anschauungen,  nach 
einem  allseitigen  Heraustreten  aus  der  Enge  der  mittelalter- 
lichen Ideensphäre,  und  dieser  Drang  führte  in  zeitlicher  Rich- 
tung zu  der  Neubelebung  des  classischen  Alterthums,  während  er 
in  der  räumlichen  den  neuen  Erdtheil  America  finden  liess.  — 

Ein  wenig  freundliches  war  das  Verhältniss  Petrarca's  zu 
den  Naturwissenschaften.  Völlig  unvermögend,  den  richtigen 
Staudpunkt  für  die  Würdigung  derselben  zu  gewinnen,  was 
in  Anbetracht  der  damaligen  wissenschaftlichen  Zustände  sehr 
verzeihlich  ist,  scheint  er  in  ihnen  nur  eine  wüste  Anhäufung 
zusammenhangloser  und  höchstens  der  Befriedigung  einer  müs- 
sigen Neugier  dienender  Notizen  erblickt  zu  haben,    ^r  meinte, 


^)  vgl.  BaldelU,  a.  a.  0.  p.  132. 

2)  z.  B.  Ep.  Farn.  III  1.    Sen.  III  1.    Var.  39. 

»)  Vit  Sol.  II  6.  2. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  509 

ungleich  wichtiger  sei  es  für  die  Menschen,  ihr  eigenes  Innere 
und  den  Weg  zur  Tugend  zu  erkennen,  als  die  Beschaffenheit 
der  Naturgegenstände  mühsam  zu  erforschen  ^).  Selbst  über 
die  Astronomie,  welche  ihn  durch  die  Grossartigkeit  ihrer 
Objecte  und  Ziele  wol  am  ehesten  hätte  reizen  können,  dachte 
er  in  gleicher  Weise,  und  als  er  einmal  von  einem  Cardinale 
aufgefordert  worden  war,  ein  astronomisches  Gedicht  zu  schrei- 
ben, lehnte  er  das  Ansinnen  sehr  entschieden  ab ,  ganz  offen 
bekennend,  dass  er  astronomische  Kenntnisse  weder  besitze 
noch  auch  besitzen  wolle  2).  Wesentlich  mochte  zu  solcher 
Gesinnung  beitragen,  dass  ihm,  wie  es  scheint,  die  inhalts- 
reiche Welt  der  mathematischen  Begriffe  stets  völlig  ver- 
schlossen geblieben  ist.  Wol  hatte  er  die  „Mathesis"  des 
Julius  Firmicus  Matenius  gelesen,  aber  er  hatte  aus  dem 
übrigens  durchweg  wunderlichen  Buche  nur  das  entnommen, 
was  gerade  am  geeignetsten  war,  die  mathematische  Wissen- 
schaft ihm  zu  verleiden ,  den  thörichten  Aberglauben  an  un- 
glückbringende Zahlen  3).  So  wurde  ihm  die  Mathematik  in 
keiner  Weise  eine  Basis  für  die  Erkenntniss  der  Natur,  und 
dass  die  Leute,  welche  eine  solche  zu  besitzen  sich  rühmten, 
die  averroistischen  Aristoteliker,  daraus  eine  Waffe  gegen  den 
Kirchenglauben  zu  machen  suchten,  liess  ihm  vollends  die  Be- 
schäftigung mit  den  Naturwissenschaften  als  eine  werthlose, 
ja  unchristliche  und  gefährliche  erscheinen. 

Indessen  muss  hier  doch,  um  Petrarca  nicht  einer  unge- 
rechten Beurtheilung  anheim  fallen  zu  lassen,  ein  Doppeltes 
"bemerkt  werden.  Erstlich  dass  Petrarca,  was  bei  einem  Dichter 
eigentlich  als  selbstverständlich  Vorausgesetzt  werden  kann, 
keineswegs  ein  trockener  Stubenmensch  und  ein  Feind  der 
lebendigen  Natur  war,  sondern  ganz  im  Gegentheile  die  grösste 
Empfänglichkeit  für  die  Schönheit  der  Natur  und  die  innigste 
Liebe  zu  derselben  besass,  ja  dass  er  geradezu  zuerst  wieder 


')  de  sui  ips,  et  mult.  ign.  p.  1144. 

2)  Ep.  poet.  lat.  II  3. 

3)  vgl.  oben  S.  379. 


510  Achtes  Capitel. 

die  Freude  an  den  eigenthümlichen  Reizen  der  Landschaft  em- 
pfunden und  für  die  Folgezeit  entdeckt  hat ').  Zeuge  dessen  ist 
sein  ganzes  Leben,  dessen  schönste  Jahre  er  in  frei  gewählter  länd- 
licher Einsamkeit  verbracht  hat,  Zeuge  dessen  sind  die  vielen 
herrlichen  Landschaftsschilderungen,  welche  sowol  in  seinen  pro- 
saischen als  poetischen  Schriften  sich  finden  ^).  Sodann  ist  nicht 
zu  übersehen,  dass  Petrarca  trotz  seiner  feindseligen  Stellung  zu 
den  Naturwissenschaften  dennoch  einen  reformatorischen  Ein- 
fluss  auf  dieselben  ausgeübt  hat.  Es  hatte  das  Mittelalter, 
zum  Theil  als  ein  von  dem  classischen  Alterthume  über- 
nommenes Erbe,  eine  zu  einem  vollständigen  Systeme  aus- 
gebildete fabelhafte  Naturgeschichte  besessen,  welche  in  zahl- 
reichen Physiologis,  Bestiarien,  Lapidarien  und  ähnlichen  Werken 
niedergelegt  war  und  ganz  allgemein,  selbst  von  Männern  wie 
etwa  Vincenz  von  Beauvais  oder  Brünette  Latini,  gläubig  als 
Wahrheit  hingenommen  wurde.  Ein  wissenschaftlicher  Fort- 
schritt, eine  rationelle  Erkenntniss  der  Natur  war  selbstver- 
ständlich unmöglich,  bevor  nicht  dieser  ungeheuerliche  Fabel- 
wust, so  poetisch  und  tiefsinnig  auch  manche  seiner  Bestand- 
theile  gewesen  sein  mögen,  hinweggeräumt  worden  war.  Diese 
nothwendige  Vorarbeit  hat  nun  Petrarca  mindestens  begonnen. 
Er  zuerst,  so  viel  uns  wenigstens  bekannt,  hat  die  wunder- 
lichen Dinge,  welche  Plinius,  Solinus  und  Andere  in  so  reichlicher 
Fülle  über  gewisse  Thiere  berichten,  in  Zweifel  gezogen^)  und 
hat  dadurch  der  rationellen  Forschung  die  Bahn  frei  gemacht.  Von 
dem  Standpunkte  unserer  Zeit  aus  mag  dies  freilich  als  etwas 
Geringfügiges  erscheinen,  für  die  damalige  Zeit  aber  war  ein 
solches  Heraustreten  aus  dem  überlieferten  Autoritätsglauben 


^)  vgl.  die  ausführliche  Erörterung,  welche  oben  S.  105  ff.  gegeben 
worden  ist. 

-)  z.  B.  Schilderung  der  Riviera  Ep.  Fam.  III  1,  womit  Afr.  VI  v.  839  bis 
913  zu  vergleichen  (man  sehe  dazu  v.  Reumonts  Bemerkung  in  der  Augsb. 
AUg.  Ztg.,  1874,  no.  252,  Beilage),  Besteigung  des  Mont  Ventoux,  Ep.  Fam. 
IV  1.,  Schilderung  der  Wasserfälle  der  Sorgue  und  des  Nar  de  remed.  utr. 
fort.  II  90. 

^)  Ep.  Sen.  II  1,  de  sui  ips.  et  mult.  ign.  p.  1144.  de  remed.  utr.  fort. 
II  praef. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  511 

eine  gewaltige  Geistesthat,  welche  überdies  Petrarca  als  ein  um 
so  grösseres  Verdienste  angerechnet  werden  muss,  als  er  der 
Autorität  der  von  ihm  so  hoch  verehrten  lateinischen  Schrift- 
steller zu  widersprechen  wagte.  So  hat  der  grosse  Humanist 
auch  auf  einem  Wissensgebiete,  von  welchem  er  grundsätz- 
lich sich  fern  hielt,  die  den  Fortschritt  hemmende  Schranke 
niedergerissen  und  die  Möglichkeit  gedeihlicher  Entwickelung 
ihm  verliehen.  Diese  Entwickelung  ist  denn  auch  nicht  aus- 
geblieben, und  vielleicht  Bedeutenderes  und  Dauernderes  noch, 
als  in  den  humanistischen  Wissenschaften,  hat  die  Renaissance- 
bildung auf  dem  Gebiete  der  exacten  Wissenschaften  geleistet; 
sie  hat  in  diesen  das  classische  Alterthum  unsagbar  weit 
überholt  und  ist  zu  Resultaten  gelangt,  welche  wunderbar  ge- 
nannt werden  müssen  und  deren  letzte  Consequenzen  zu  ziehen 
erst  eine  ferne  Zukunft  vermögen  wird.  — 

Demjenigen,  was  im  Obigen  über  den  Umfang  des  Wissens 
Petrarca's  gesagt  worden  ist,  werden  sich  passend  einige  Worte 
über  sein  Verhältniss  zu  den  bildenden  Künsten  anschliessen. 

Zu  Petrarca's  Zeit  regte  die  bildende  Kunst  ihre  ersten 
Schwingen  1).  Schon  hatte  die  Sitte  begonnen,  die  Säle  und 
Hallen  der  fürstlichen  Paläste  mit  Gemälden  zu  schmücken, 
nachdem  bereits  früher  das  Gefallen  an  Standbildern  wieder 
aufgelebt  war  2),  schon  lebten  Maler  wie  Giotto  von  Florenz 
und  Simone  von  Siena^),  schon  gab  es  Kunstkenner  von  Fach 
und  selbst  auch  Dilettanten,  welche  bummelnd  umherzogen 
und  allenthalben  mit  erheuchelter  Kennermiene  die  Marmor- 
bildsäulen bewunderten,  fehlten  nicht*).  Petrarca  war  nun 
freilich  weder  ausübender  Künstler  noch  besass  er  irgend 
welche  theoretische  Kenntnisse   oder  auch  nur  das  Verlangen 


*)  lieber  die  Anfänge  der  Kenaissancekunst  vgl.  ausser  den  allbe- 
kannten Werken  von  Kugler,  Crowe  und  Cavalcaselle,  Lübke,  Burckbardt 
u.  V.  A.,  namentlich  auch  das  Buch  von  J.  A.  Symonds,  Renaissance  in 
Italy  (London,  1877,  2  Bde.)  Bd.  2,  Fine  Arts. 

2)  vgl.  Gregorovius,  a.  a.  0.  V  p.  633  ff. 

3)  Ep.  Farn.  V  17. 
*)  Vit.  Sol.  praef. 


512  Achtes  Capitel. 

nach  solchen,  aber  er  hatte  ein  natürliches  Verständniss  und 
Interesse  für  die  bildende  Kunst  und  aufiichtige  Freude  an 
ihren  Werken  ^).  Freilich  könnte  hiergegen  zu  sprechen 
scheinen ,  dass  er  einmal  ^)  gelegentlich  das  Gefallen  an  Ge- 
mälden und  Bildsäulen  als  eitel  und  thöricht  bezeichnet  und 
statt  dieser  Kunstwerke  die  Werke  der  Natur  zu  betrachten 
und  in  ihnen  Gottes  Macht  zu  bewundern  anräth,  aber  diese 
Stelle  findet  sich  im  Zusammenhange  eines  von  asketischem 
Geiste  durchhauchten  Werkes  und  ist  nur  als  die  augen- 
blickliche Aeusserung  einer  forcirten  religiösen  Stimmung,  nicht 
als  Ausdruck  einer  wirklichen  Ueberzeugung  zu  betrachten. 
Petrarca  war  ganz  ohne  Zweifel  ein  Freund  der  bildenden 
Kunst.  Einen  directen  Einfluss  auf  die  Entwickelung  derselben 
hat  er  allerdings  nicht  ausgeübt  und  nicht  ausüben  können, 
aber  dennoch  hat  er  indirect  sie  in  hohem  Grade  gefördert, 
denn  er  zuerst  hat  die  Bau-  und  Bildwerke  des  römischen 
Alterthums  mit  bewunderndem  und  verständnissvollem  Auge 
betrachtet  und  hat  dadurch  die  bildende  Kunst  zu  dem  reich- 
strömenden Borne  der  antiken  Schönheit  hingeleitet  ^).  Da- 
durch und  nicht  minder  durch  seine  humanistische  Thätigkeit 
ist  er  der  Begründer  der  Kunst  der  Renaissance  geworden, 
deren  Entstehen  ja  erst  möglich  wurde,  nachdem  das  classische 
Alterthum  allseitig  erschlossen  worden  war.  —  — 

Wollen  wir  das  Gesammtergebniss  aus  der  in  diesem 
Capitel  gegebenen  ausführlichen  Darstellung  ziehen,  so  wird 
sich  dies  in  die  Worte  zusammenfassen  lassen,  dass  Petrarca 
den  mittelalterlichen  Autoritätsglauben  auf  dem  Gebiete  der 
Wissenschaft  zerstört,  das  classische  Alterthum  neu  erschlossen 
und  dadurch  eine  neue  Cultur  geschaffen  hat.  In  Anbetracht 
dieses  ungeheueren  Geisteswerkes,  dieser  w^ahrhaft  grossen 
That  muss  es  völlig  unwesentlich  erscheinen,  dass  seine  Kennt- 
nisse  vielfach    nur   sehr  einseitige   und    beschränkte  gewesen 


')  Ep.  Seil.  V  1.,  vgl.  Ep.  Farn.  XYI  14. 
'^)  de  remed.  utr.  fort.  I  40  u.  41. 
^)  vgl.  oben  S.  116  f. 


Der  Umfang  des  Wissens  Petrarca's.  513 

sind  und  dass  er  oftmals  sowol  in  seinen  Anschauungen  als  auch 
in  einzelnen  gelehrten  Angaben  schwer  geirrt  hat  ^).  >Jicht  schwer 
wäre  es,  eine  stattliche  Liste  der  von  ihm  begangenen  Irr- 
thümer  aus  seineu  Werken  zusammenzustellen,  aber  ungemein 
kleinlich  würde  ein  solches  Beginnen  sein  und  nur  die  Wahr- 
heit des  Spruches  bestätigen,  dass,  wo  die  Könige  bauen,  die 
Kärrner  zu  thun  haben.  Der  Schöpfer  einer  neuen  Cultur 
besitzt  wahrlich  ein  Anrecht  darauf,  von  einem  höheren  Ge- 
sichtspunkte aus  beurtheilt  zu  werden,  als  nur  von  demjenigen 
der  philologisch-historischen  Akribie. 

^)  z.  B.  wenn  er  den  Statins  zum  Gallier  uiaclit  (vgl.  S.  396,  Anm.  3) 
oder  wenn  er  den  Mons  Haemus  nach  Thessalien  (statt  nach  Thracien) 
verlegt  (vgl.  S.  104). 


]v ö r t i n g,   Petra ica ; 


Neuntes  Capitel. 
Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit. 


bchon  aus  dem,  was  in  dem  vorigen  Capitel  berichtet 
worden  ist,  wird  man  leicht  ermessen  können,  von  welchem 
unermüdlichen  Fleisse  und  Wissensdrange  Petrarca  beseelt 
war.  Das  Arbeiten,  das  Lesen  und  Schreiben  war  ihm  ge- 
radezu ein  Lebensbedürfniss.  Er  wurde  krank,  wenn  er  nicht 
Studiren  konnte.  Einmal  während  seines  Aufenthaltes  in  Vau- 
cluse  hatte  ihm  ein  Freund,  der  ihn  gern  für  kurze  Zeit  von  den 
Büchern  losreissen  wollte,  alle  Bücher  und  Schreibmaterialien 
eingeschlossen  und  ihm  selbst  zehn  Tage  Ferien  auferlegt. 
Der  so  wider  Willen  zur  Müsse  Verurtheilte  hatte  auch  wirk- 
lich den  besten  Willen,  sich  dem  Gebote  zu  fügen,  indessen 
schon  am  zweiten  Tage  wurde  er  in  Folge  der  erzwungenen 
Unthätigkeit  von  Kopfschmerzen  und  am  dritten  Tage  von 
leichten  Fieberbewegungen  befallen,  worauf  der  Freund  ihm 
die  Schlüssel  des  Bücherschrankes  und  damit  die  Gesundheit 
wiedergab  ^).  Selbst  im  höheren  Alter,  wo  er  sich  doch  gewiss 
eine  behagliche  Müsse  hätte  gönnen  dürfen,  kannte  er  keine 
Rast  noch  Ruhe  und  schonte  sich  in  keiner  Weise.  Manchen 
langen  Brief  hat  er  mit  fiebernder  Hand  geschrieben  2),  selbst 


MEp.  Fam.  XIII  7,  vgl.  XVIII  -3. 
^)  z.  B.  Ep.  Sen   XII  2. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  515 

dann  noch,  als  er  von  solcher  Ueberanstrengung  die  ernstesten 
Folgen  befürchten  musste.  Während  der  in  Mailand  verlebten 
Jahre,  in  denen  er,  da  er  sich  den  Abhaltungen  des  Hoflebens 
gewiss  nicht  ganz  entziehen  konnte,  freilich  besonderen  Grund 
haben  mochte,  mit  seiner  Zeit  haushälterisch  zu  sein,  hatte 
er  seinen  Schlaf  auf  sechs  und  die  sonstige  Mussezeit  auf  zwei 
Stunden  beschränkt,  pflegte  selbst  während  des  Ankleidens  und 
Rasirens  zu  lesen  oder  sich  vorlesen  zu  lassen,  zu  schreiben  oder 
zu  dictiren,  ja  arbeitete  selbst  während  des  Speisens  und 
während  des  Reitens,  so  dass,  wie  er  selbst  sagt,  manches  seiner 
Gedichte  auf  dem  Rücken  des  Rosses  entstanden  ist;  auf  jeden 
Tisch,  der  für  ihn  gedeckt  wurde,  musste  auch  ein  Schreibzeug 
hingestellt  werden,  und  wenn  er  Nachts  aufwachte,  schrieb  er 
zuweilen  —  denn  auch  neben  seinem  Bette  musste  ein  Schreib- 
zeug sicli  befinden  —  die  ihm  gerade  einfallenden  Gedanken 
im  Finstern  nieder^).  Und,  wenn  die  Angabe  richtig  ist,  dass 
er  inmitten  seiner  Bücher  während  des  Studirens  starb  ^),  so 
hatte  er  wahr  gesprochen,  als  er  sagte,  dass  er  dem  Schreiben 
nur  zugleich  mit  dem  Leben  entsagen  w^irde^). 

Hervorgehoben  muss  hierbei  werden,  dass  sich  Petrarca's 
Wissensdurst  und  Arbeitslust  nicht,  wie  das  gerade  bei  geistig 
liesonders  regen  und  empfänglichen  Menschen  nur  allzu  oft 
gescl lieht,  zur  unruhigen  Hast,  welche  natürlich  zur  Obei-fläch- 
lichkeit  führen  muss,  steigerte.  Er  strebte  vor  allen  Dingen 
nach  Gründlichkeit  des  Wissens  und  oft  genug  hat  er  über 
diejenigen  gespottet,  die  mit  dem  pnmk enden  Scheine  der 
Gelelirsamkeit  sich  begnügen  und  die  da  meinen,  dass  das 
leicht  zu  erlangende  Doctordiplom  wirklicli  ein  tüchtiges  Wissen 
verbürge.  Gar  ergötzlich  schildert  er  einmal  das  Unwesen  der 
leichtfertigen  Doctorpromotionen  seiner  Zeit,  die  geräuschvoll 
in  Scene  gesetzt  wurden,  ohne  dass  doch  die  Würdigkeit  der 
Candidaten  dem  aufgewandten  Pompe  entsprochen  hätte,    „Wie 


1)  Ep.  Fam.  XXI  12,  vgl.  Sen.  XIV  .5.  XVI  1.  :',.    Farn.  XII  7. 

•-)  s.  oben  S.  452. 

"')  Ep.  Fam.  praef.  ad  Socr. 

83* 


516  Neuntes  Capitel. 

glücklich  ist  doch  unser  Zeitalter,  welches  nicht  bloss,  wie 
frühere  Zeiten,  einen  oder  zwei  oder  doch  höchstens  sieben 
Weise,  sondern  in  jeder  Stadt  ganze  Heerden  von  Weisen 
besitzt !  Das  ist  aber  auch  kein  Wunder,  da  jetzt  weise  Männer 
so  mühelos  fabricirt  werden.  Es  kommt  ein  einfältiger  Jüng- 
ling zur  akademischen  Aula,  seine  Lehrer  —  sei  es,  dass  sie 
es  aus  Liebe  oder  aus  Irrthum  thun  —  preisen  und  rühmen  ihn. 
er  selbst  ist  dabei  natürlich  ganz  aufgeblasen  von  Wissens- 
dünkel, das  Volk  gafft  staunend  zu,  die  Verwandten  und  Freunde 
klatschen  Beifall,  der  Candidat  steigt  auf  das  Katheder,  von 
dessen  Höhe  aus  er  verachtungsvoll  herabblickt  und  irgend 
eine  verwirrte  Rede  murmelt.  Nun  erheben  ihn  die  Profes- 
soren '),  als  wenn  er  Wunder  was  Göttliches  gesprochen  hätte, 
mit  Lobeserhebungen  bis  zum  Himmel,  es  ertönen  inzwischen 
die  Glocken,  es  schallen  die  Trompeten,  es  blitzt  der  Doctor- 
ring,  es  werden  Küsse  gegeben,  auf  das  Haupt  des  Candidaten 
wird  ein  schwarzer  runder  Hut  gesetzt.  Sodann  steigt  der, 
welcher  als  einfältiger  Jüngling  hinaufgestiegen  war,  als  weiser 
Mann  wieder  herab ,  und  eine  wunderbare  Verwandlung ,  die 
nicht  einmal  Ovid  kannte,  hat  sich  vollzogen.  So  werden 
heutigen  Tages  Weise  fabrikmässig  gemacht.  Der  wahre  Weise 
aber  entsteht  anders"  ^).  So  kämpfte  der  Vater  des  Huma- 
nismus auch  mit  den  Waffen  des  Spottes  gegen  den  anmaass- 
lichen  W^eisheitsdünkel ,  gegen  das  zopfige  Gelehrtenthum ,  in 
welches  das  mittelalterliche  Wissen  sich  verknöchert  hatte. 
Besonders  verhasst  aber  war  ihm  die  auf  Aristoteles  und  Aver- 
roes  sich  berufende  Scheinphilosophie  der  Dialektiker:  gegen 
diese,  welche  das  Monopol  des  Wissens  für  sich  in  Anspruch 
nahm  und  Alles,  auch  das  Heiligste,  wenn  es  dem  dürren 
Schematismus  ihrer  steifen  Logik  sich  nicht  fügen  wollte,  als 
irrig  zu  verwerfen  sich  erfrechte,  gegen  diese  Afterwissenschatt, 
welche  jedes  Idealismus  baar  mit  theils  inhaltsleeren,  theUs 
missverstandenen  Begriffen  operirte  und  ein  gefährliches  Blend- 


et Diese   sind  doch  wol  unter  den  „maiores"  zu  verstehen,  oder  viel- 
leicht nur  die  DecaneV 

^)  de  remed.  utr.  fort.  I  12, 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  517 

werk  des  Wissens  sich  schuf,  richtete  er  die  schärfsten  Waffen 
seines  Geistes  und  ermüdete  nicht,  den  Kampf  gegen  sie  bis 
zum  letzten  Athemzuge  fortzuführen  ^).  Wir  liaben  über  die 
Gescliichte  dieses  Kampfes  bereits  oben^)  ausführlicher  ge- 
sprochen und  werden  später  noch  einmal  darauf  zurückkommen 
müssen,  dürfen  also  hier  auf  ein  weiteres  Eingehen  verzichten. 
Nur  daran  möchten  wir  noch  einmal  ausdrücklich  erinnern, 
dass  Petrarca  keineswegs  gegen  den  wirklichen  Aristotelismus. 
sondern  \i\xy  gegen  eine  widerliche  Verzerrung  desselben  ge- 
kämpft und  dass  er  trotz  seines  Verharrens  bei  dem  kirchlichen 
Autoritätsglauben  gegenüber  den  religionsfeindlichen  Averroisten 
dennoch  einen  freieren  Standpunkt  als  diese  eingenommen  hat : 
die  Averroisten  in  ihrer  schrankenlosen  und  blöden  'Bewunde- 
rung des  Pseudo- Aristoteles  —  denn  so  muss  man  wol  den 
Aristoteles  nennen,  der  ihnen  allein  bekannt  war  —  huldigten 
in  der  Wissenschaft  dem  absolutesten  Autoritätsglauben,  Pe- 
trarca hingegen  erkannte  in  wissenschaftlichen  Dingen,  soweit 
sie  sein  religiöses  Gefühl  nicht  berührten,  keine  Autorität  an 
und  vertrat  das  Princip  der  freien  und  selbständigen  Forschung. 
Wenn  der  Averroismus  gesiegt  hätte,  würde  die  Wissenschaft 
des  Abendlandes  zu  einem  dürren  Mechanismus,  zu  einer  geist- 
losen Compilation  von  gelehrten  Einzelnotizen,  eingeschachtelt 
in  den  starren  Rahmen  eines  logischen  Systems,  herabgesunken 
sein  —  der  Humanismus  siegte  und  die  Wissenschaft  schwang 
sieh  seitdem,  aller  Bande  entledigt,  empor  zu  den  höchsten 
Sphären  des  menschlichen  Erkennens.  Wer  auf  einem  freien 
Standpunkte  religiösen  Denkens  steht,  mag  allerdings  bedauern, 
dass  Petrarca  nicht  auch  in  richtiger  Consequenz  von  dem 
kirchlichen  Autoritätsglauben  sich  losgesagt  hat,  aber  Trost 
wird  er  in  der  Erwägung  finden,  dass  der  Humanismus  in 
seiner  weiteren  Entwickelung  die  gläubige  Engherzigkeit  seines 
Begründers  nicht  getheilt,  sondern  alle  Fesseln  der  Kirchlich- 
keit abgestreift  hat.    Freilich  war  es  eine  Freiheit  von  kurzer 


^)  de  remed.  utr.  fort.  I  46.    Rer.  mem.  III  3.  p.  512.  de  sui   ips.  et 
mult,  ign.,  invect.  in  med. 
2)  vgl.  S.  414  ff. 


518  Neuntes  Capitel. 

Dauer,  denn  Reformation  und  Gegenreformation  —  die  eistere 
allerdings  nicht  ihrem  Principe,  aber  doch  ihrem  Etfecte  nach 
—  haben  wetteifernd  und  erfolgreich  sich  bemüht,  die  gestürzte 
Autorität  der  Kirche  wieder  aufzurichten.  Und  so  ist  bis  zum 
heutigen  Tage  der  Kampf  zwischen  der  wissenschaftlichen 
Forschung  und  dem  Dogmenglauben  noch  nicht  ausgekämpft.  — 
Alle  normalen  Menschen,  welche  in  dem  wissenschaftlichen 
Studium  ihre  höchste  Freude  und  Befriedigung  finden,  sind 
von  dem  Drange  beseelt ,  litterarisch  productiv  odei*  ^doch  re- 
productiv  zu  sein,  ein  Drang,  welcher  der  naturgemässe  und 
heilsame  Abieiter  derjenigen  Nachtheile  ist,  von  denen  ein 
fortgesetztes  blosses  Recipiren  von  Kenntnissen  begleitet  sein 
müsste.  Auch  Petrarca  empfand  diesen  Drang,  aber  er  war 
in  seiner  litterarischen  Production  frei  von  jener  krankhaften 
Hast,  welche  in  rascher  Folge  Buch  auf  Buch  in  die  Oeffent- 
lichkeit  zu  schleudern  und  weit  mehr  die  Masse,  als  den  inneren 
Gehalt  des  Geschriebenen  zum  Maassstabe  der  Beurtheilung 
zu  machen  liebt.  Ihm  war  nicht  das  Quantum,  sondern  das 
Quäle  dessen,  was  er  schrieb,  das  Wesentliche.  Die  Viel- 
schreiberei, eine  auch  zu  seiner  Zeit  bereits  epidemische  Ge- 
lehrtenpest, war  ihm  verhasst  und  oft  genug  hat  er  gegen  sie 
geeifert  ^).  Er  hielt  das  Bücherschreiben  für  ein  gar  wichtiges, 
schwieriges  und  eigenthümliches  Geschäft,  dem  nur  wenige 
Menschen  gewachsen  seien  und  von  welchem  daher  die  meisten 
besser  sich  fern  halten  sollten  2).  Von  diesem  Gedanken  aus- 
gehend stellte  er  an  den  Schriftsteller  hohe  Anforderungen. 
Vor  allen  Dingen  verlangte  er  von  ihm  Selbständigkeit  des 
Denkens  und  stellte  als  Grundsatz  auf,  dass,  auch  wo  nur  eine 
Reproduction  beabsichtigt  werde,  das  Beispiel  der  Bienen  nach- 
geahmt werden  müsse,  welche  von  allenthalben  her  die  Stoffe 
ihres  Honigs  entlehnen,  aber  dieselben  mit  eigener  Kunst  ver- 
arbeiten und  umgestalten,  besser  freilich  noch  sei  jedenfalls 
das   selbstthätige  Schaffen    der  Seidenwürmer  ^).     Wenn  man 


^)  z.  B    de  remed.  utr.  fort.  I  44.    Ker.  mem.  III  3.  p.  512. 

-)  Ausführliche  Auseinandersetzung  darüber  Ker.  mem.  III  3.  p.  512. 

")  Ep.  Farn.  I  7. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  519 

aber  einmal  über  einen  Gegenstand  schreiben  wolle,  so  überlege 
man  vorher  reiflich,  was  man  schreiben  wolle,  und  bringe  es  dann 
mit  Bedacht  und  Vorsicht,  aber  auch  mit  Selbstvertrauen  zu 
Papier.  In  der  Wahl  der  Worte  sei  man  behutsam,  denn  nicht 
einem  Jeden  zieme  ein  jedes  Wort,  die  Worte  müssten  viel- 
mehr der  ganzen  Individualität  des  Schreibenden  angepasst 
werden.  Immer  sei  man  der  Möglichkeit  eingedenk,  dass  das 
Schriftwerk  in  die  Hand  neidischer  und  übelwollender  Kritiker 
fallen  könne  —  denn  alle  strebenden  Menschen  finden  ja  der- 
gleichen Kritikaster  in  der  grossen  Masse  der  trägen  und  jedes 
Streben  missgünstig  betrachtenden  Durchschnittsindividuen  -- 
und  man  suche  daher  von  vornherein  alle  Handhaben  für 
etwaigen  Tadel  zu  entfernen  ^).  Ein  anderes  Mal  stellt  er  die 
Erfordernisse  zur  Schriftstellerei  folgendermaassen  zusammen: 
„Vieles  ist  nöthig,  um  ein  guter  Schriftsteller  zu  sein:  gei- 
stige Begabung,  tüchtige  Schulung  (disciplina)  und  die  Kennt- 
niss  vieler  wissenswerther  Dinge;  überdies  —  besonders  für 
Dichter  —  ein  gewisser  Schwung  (Impetus)  und  eine  gewisse 
Begeisterung.  Ausserdem  noch  eine  gute  leibliche  Gesundheit, 
ein  massiges,  sowol  von  Armuth  als  Reichthum  fern  stehendes 
Vermögen,  ein  ruhiges  Leben,  eine  behagliche,  in  edlen  Ge- 
danken sich  bewegende  Gemüthsstimmung,  Einsamkeit,  Müsse, 
Freiheit,  und  andere  derartige  Bedingungen,  deren  Erfüllung 
theils  von  uns  abhängt,  theils  von  uns  unabhängig  ist"  ^).  Für 
sehr  empfehlenswerth  erklärt  er  es  ferner,  die  Bücher  mit 
Sentenzen  aus  den  classischen  Autoren,  die  man  bei  der  Leetüre 
eifrig  sammeln  müsse,  auszuschmücken  ^)  und  ebenso  Beispiele 
aus  der  alten  Geschichte  häufig  in  den  Text  einzuweben,  denn 
auf  diese  Weise  erhalte  man  sich  in  stetem  Verkehre  mit  den 
grossen  Männern  des  Alterthums  und  könne  des  Umganges  mit 
den  sittenlosen  und  geistesarmen  Menschen  der  Jetztzeit,  „diesen 
zwar  athmenden,  aber  widerlichen  und  entsetzlichen  Leichnamen 
(adhuc  quidem  spirantia,   sed  obscoena  iam  et  horrenda  cada- 


')  Ep.  Sen.  II  3. 

2)  Ep.  Var.  54. 

'*)  de  contemt.  mundi  III  p.  395. 


520  Neuntes  Capitel. 

Vera)"  entbehren,  endlich  auch  feuere  man  durch  die  Er- 
zählung solcher  Beispiele  manche  Leser  zur  Nachahmung  der 
antiken  Tugend  an  ^). 

Petrarca  gehörte  aber  nicht  zu  denjenigen  Gelehrten,  von 
denen  er  selbst  einmal  klagend  bemerkt,  dass  ihr  Leben  zu 
ihren  Lehren  in  schreiendem  Widerspruche  stehe  ^).  Er  be- 
gnügte sich  nicht  damit,  gute  Lehren  aufeustellen,  sondern  er 
befolgte  sie  auch  im  vollsten  Maasse  bei  der  eigenen  littera- 
rischen Thätigkeit:  er  bemühte  sieh  i-edlich,  das  Ideal,  welches 
er  von  dem  Schriftsteller  sich  entworfen  hatte,  zu  erreichen, 
und  man  darf  wol  sagen,  dass  ihm  dies  gelungen  ist.  Er  war 
ungemein  sorgsam  in  seinen  litterarischen  Arbeiten,  häufte  für 
sie  ein  massenhaftes  Material  zusammen,  das  er  dann  geschickt 
zusammenzustellen  oder  einzuflechten  verstand,  corrigirte  fort- 
während an  seinen  Schriften  und  Gedichten,  so  dass  er,  wie 
er  selbst  sagt,  niemals  eigentlich  fertig  werden  konnte^). 
Zur  Veröffentlichung  seiner  Schriften  und  Gedichte  konnte  er 
sich  nu'^  sehr  schwer  entschliessen,  es  bedurfte  erst  dringen- 
der Bitten  seiner  Freunde,  bevor  er  sich  zur  Herausgabe  eines 
Werkes  verstand,  und  auch  dann  that  er  es  nur  mit  vielen 
Vorbehalten  und  Cautelen^j.  Einige  Werke  hat  er,  obwol  sie 
ganz  oder  nahezu  vollendet  waren,  lange  Jahre  zurückgehalten 
und  noch  andere  überhaupt  nicht  veröffentlicht.  So  eitel  er 
auch  war,  die  Eitelkeit  vieler  Autoren,  alle  Jahre  durch  frische 
Waare  auf  dem  Büchermarkte  glänzen  zu  wollen,  war  ihm 
fremd,  er  besass  Selbstbeherrschung  und  Geduld  genug,  die  be- 
kannte horazische  Frist  („nonum  prematur  in  annum")  ab- 
zuwarten und  nicht  dem  flüchtigen  Effecte,  sondern  dem  dauern- 
den Ruhme,  den  nur  ernste  und  gewissenhafte  Arbeit  erringen 
kann,  nachzujagen.  Freilich  kamen  auch  äussere  Umstände 
hinzu,  um  ihm  das  Maasshalten  im  litteraiischen  Produciren 
zu  erleichtern.     An  einen  Geldverdienst  durch  litterarische  und 


^)  Ep.  Fam.  VI  4. 

2)  de  vit.  sol.  praef. 

^)  Ep.  Sen.  V.  5. 

*)  Ep.  Sen.  VI  5.,  vgl.  V  5. 


fetrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  521 

poetische  Thätigkeit  war  unter  den  damaligen  Verhältnissen 
gar  nicht  zu  denken,  und  wäre  es  möglich  gewesen,  er  würde 
einen  solchen  Gedanken  als  seiner  unwürdig  zurückgewiesen 
haben  ^).  Auch  das  rein  mechanische  Hinderniss,  dass  es  oft 
genug  an  tüchtigen  Schreibern  fehlte,  welche  die  vielleicht 
manchesmal  schwer  leserlichen  Manuscripte  in  einer  zierlichen 
und  deutlichen  Handschrift  zu  copiren  vermocht  hätten,  machte 
sich  zmveilen  in  empfindlicher  Weise  geltend  ^). 

Petrarca  hat  einmal  ausdrücklich  versichert,  dass  er  in 
Allem,  Avas  er  schreibe,  nicht  sowol  seinen  Ruhm  als  den  Nutzen, 
d.  h.  die  wissenschaftliche  und  sittliche  Ausbildung,  seiner  Leser 
erstrebe  ^).  Das  können  wir  indessen  doch  wol  nur  für  eine 
schöne  Fiction  halten.  In  Wahrheit  schrieb  er  gewiss  zunächst, 
um  seinem  natürlichen  Drange  nach  eigener  Production  zu  ge- 
nügen, sodann  aber  um  sich  unsterblichen  Ruhm  zu  erringen, 
denn  den  Ruhm  glühend  zu  lieben  und  ihm  eifrig  nachzu- 
trachten,  das  hat  er  mit  dankenswerther  Offenheit  oft  genug 
selbst  bekannt*),  erst  in  dritter  Linie  mag  das  vorgegebene 
ethische  Motiv  maassgebend  gewesen  sein. 

Dass  jedenfalls  Petrarca  nicht  aus  reiner  und  uninteres- 
sirter  Menschenfreundlichkeit  cl-icke  Bücher  geschrieben  hat, 
dürfte  schon  durch  die  seltsame  Ansicht  bewiesen  werden, 
welche  er  von  der  Würde  des  Schriftstellers  und  Dichters  be- 
sass.  Der  Gedanke,  dass  er  ein  populärer  Autor  werden 
könnte,  war  ihm,  in  der  Theorie  wenigstens  —  denn  in  der 
Praxis  nahm  er  die  Thatsaehe  ganz  gern  hin  — ,  entsetzlich : 
er  wollte  grundsätzlich  nicht  für  die  grosse  urtheilslose  Menge 
des  Volkes,  sondern  nur  für  die  auserwählte  kleine  Gemeinde 
der  Kenner  und  Gelehrten  schreiben.  „Das  ürtheil  der  Volks- 
masse", sagt  er  einmal,  „habe  ich  immer  so  gering  geschätzt 
und  schätze  es  noch  so  gering,   dass  ich  lieber  von  ihr  nicht 


*)  vgl.  de  Vit.  sol.  I  4,  1. 
2)  Ep.  Sen.  VI  5. 
")  de  remed.  utr.  fort.  I  praef. 

*)  z.  B.  Ep.  Farn.  XIII  4.  de  vit,  sol.  II  10,  4.  de  contemt.  mund.  III 
p.  408.    Rer.  mem.  III  .3  p.  512.    Afr.  VIII  v.  598  ff. 


522  Neuntes  Capitel. 

verstanden  werden,  als  gelobt  werden  will,  denn  das  Lob  der 
grossen  Menge  gilt  bei  gelehrten  Männeni  für  eine  Schande. 
Oft  habe  ich  in  dieser  Beziehung  an  Cicero's  Ausspruch,  der 
in  den  Tusculanen  sich  findet,  mich  erinnert:  „der  beste  Be- 
weis, dass  etwas  geistlos  gesagt  worden  ist,  ist  der,  dass  es 
auch  von  den  Ungelehrten  mühelos  verstanden  und  gelobt 
wird"  0-  Und  an  einem  anderen  Orte  ^)  sahen  wir  bereits,  wie 
er  sich,  in  wunderlicher  Selbsttäuschung  befangen,  glücklich 
pries,  nicht  Dante's  Loos  zu  theilen,  dessen  Lieder  von  „Wal- 
kern, Schankwirthen  und  Fleischern",  also  von  Leuten  aus 
den  untersten  Volksclassen,  gesungen  würden. 

Es  mag  in  dieser  Verachtung  der  Volksthümlichkeit, 
welche  sich  dann  auf  die  ganze  humanistische  Bildung  über- 
tragen hat  und  geradezu  ein  hervorstechender  Charakterzug 
der  Renaissancecultur  geworden  ist,  unleugbar  viel  Affeetation 
enthalten  gewesen  sein,  aber  im  Grunde  war  sie  leider  auf- 
richtig gemeint.  Die  Renaissance  erneuerte  eben  mit  dieser 
principiellen  Exclusivität,  mit  dieser  von  vornherein  beabsich- 
tigten Beschränkung  auf  die  litterarisch  oder,  richtiger  gesagt, 
akademisch  gebildeten  Kreise  ganz  consequent  und  gleichsam 
mit  Naturnothwendigkeit  den  Bildungszustand  des  späteren 
Römerthums,  in  welchem  ja  auch  die  Litteratur  und  selbst  die 
Schriftsprache  das  ausschliessliche  Eigenthum  der  bevorzugten 
Classen  der  Gesellschaft,  der  „oberen  Zehntausend",  geworden 
waren.  Diese  Exclusivität  der  Reuaissancebildung  aber  ist, 
namentlich  dadurch,  dass  sie  auch  und  zwar  ebenfalls  schon 
von  Petrarca  auf  die  Poesie  ausgedehnt  wurde,  in  ihren  näch- 
sten Wirkungen  für  die  Folgezeit  höchst  unheilvoll,  ja  geradezu 
zu  einem  Fluche  für  die  Völker  des  Abendlandes  geworden. 
Während  des  Mittelalters  hatten  innerhalb  eines  und  desselben 
Volkes  alle  Stände  und  Classen  ungefähr  wenigstens  auf  dem- 
selben, wenn  auch  freilich  niedrigen  Niveau  der  Bildung  und 
Gesittung  gestanden,   denn  selbst  die  Geistlichkeit,    die   Be- 


^)  Ep.  Fam.  XIV  2.  vgl.  Ep.  poet.  lat.  III  17  v.  10 
■-)  vgl.  oben  S.  506. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  523 

walireiin  des  gelehrten  Wissens,  war  durch  keine  allzu  weite 
Kluft  von  der  Masse  des  Volkes  getrennt,  sondern  hing  mit 
derselben  durch  mancherlei  verbindende  Fäden,  namentlich 
aber  durch  die  vielverzweigten  Orden,  noch  ziemlich  eng  zu- 
sammen; wohl  gab  es  einzelne  Gelehrte  auch  im  Laienstande, 
aber  keinen  eigentlichen,  seiner  Sonderstellung  sich  bewussten 
Gelehrtenstand.  Damals  konnte  es  eine  wirkliche  Volks- 
dichtung geben,  an  welcher  Hoch  und  Niedrig  in  gleicher 
Weise  sich  ergötzte  und  bildete:  der  fahi-ende  Sänger  sang 
dasselbe  Lied,  wenn  auch  oft  in  ein  wenig  modificirter  Gestalt 
und  Sprache,  ebenso  gut  am  Fürstenhofe  wie  auf  den  freien 
Plätzen  der  Städte  und  ländlichen  Ortschaften;  ja  selbst  die- 
jenigen Genres  der  Dichtung,  welche  ihrer  grösseren  Kunst- 
mässigkeit  wegen  anfänglich  im  Alleinbesitz  des  Adels  und 
des  Clerus  sich  befunden  hatten,  besassen  doch  so  wenig  einen 
exclusiven  Charakter,  dass  sie  später  ohne  sonderliche  Schwierig- 
keit in  die  Pflege  der  bürgerlichen  Gesellschaft,  der  Sänger- 
zünfte, der  Dichterakademien  und  Schauspielvereinigiingen, 
übergehen  konnten.  Ein  jeder  Kenner  der  Litteraturgeschichte 
weiss,  wie  förderlich  dieser  Zustand  für  die  Entwickelung  der 
Litteratur  gewesen  ist,  wie  viel  Grosses  und  Herrliches  er  auf  (fem 
Gebiete  der  Poesie,  namentlich  aber  auf  dem  der  dramatischen, 
hervorgebracht  hat.  Die  wunderbare  Höhe,  zu  welcher  das  Drama 
Englands  und  Spaniens  in  einem  Shakespeare  und  Calderon 
emporgestiegen  ist,  beruht  ganz  wesentlich  darauf,  dass  in 
jenen  Ländern  der  historische  Zusammenhang  nicht  so  gänz- 
lich, wie  etwa  in  Italien,  Frankreich  und  Deutschland,  zerstört 
wurde,  dass  dort  wenigstens  die  dramatische  Poesie  ein  Ge- 
meingut des  gesammten  Volkes  blieb  und  also  ihren  volks- 
thümlichen  Charakter  zu  bewahren,  sich  auf  breitester  Basis 
und  in  organischer  Weise  weiter  zu  entwickeln  vermochte. 
Die  Renaissance  hat,  indem  sie  die  bis  jetzt  noch  nicht  über- 
brückte weite  Kluft  zwischen  den  „Gebildeten"  und  „Unge- 
bildeten" schuf,  indem  sie  die  Classe  der  „Gebildeten"  als  ein 
Volk  im  Volke  constituirte ,  die  Einheit  des  Volkes  zerrissen 
und  einen  Zwiespalt  erzeugt,  dessen  verderbliche  Folgen  theils 


524  Neuntes  Capitel. 

schon  zu  Tage  getreten  sind,  theils  aber  noch  zu  Tage  treten 
werden.  Im  Mittelalter  schied  sich  das  Volk  in  scharf  ge- 
sonderte Stände,  aber  es  waren  diese  doch  nur  die  organischen 
Glieder  eines  grossen  Ganzen,  sie  bildeten,  schiehtenweise  auf 
einander  lagernd,  einen  geschlossenen,  einheitlichen  Gesellschafts- 
bau. Seit  der  Renaissance  gibt  es  innerhalb  eines  "Volkes 
zwei  durch  Bildung,  Sprache,  Sitte  und  theil weise  selbst  auch 
durch  den  Glauben  schroff  getrennte  und  in  stiller  Verachtung 
und  Feindschaft  einander  gegenüber  stehende  Völker.  Seit 
der  Renaissance  steht  derjenige,  welcher  am  classischen  Alter- 
thume  sich  gebildet,  auf  ganz  anderem  Boden  des  Anschauens. 
Empfindens  und  Denkens,  als  derjenige,, dem  solche  Bildung 
versagt  geblieben  ist,  und  der  eine  kann  den  andern  nur 
schwer  und  unvollkommen  oder  auch  gar  nicht  mehr  verstehen : 
die  Söhne  desselben  Volkes  sind  einander  geistig  entfremdet 
worden,  wie  etwa  zwei  Brüder,  von  denen  der  eine  nach  langem 
Aufenthalte  in  dem  fernen  Süden  heimgekehrt  ist  in  den  ihm 
unverständlich  gewordenen  Norden.  Seit  der  Renaissance  ist 
die  grosse  Masse  des  Volkes,  da  sie  an  der  neuen  Bildung 
nicht  participiren  oder  doch  höchstens  nur  kärgliche  Brocken 
von  ihr  erhaschen  konnte,  ausgeschlossen  von  der  auf  die  neue 
Bildung  sich  gründenden  Litteratur,  der  sich  natürlich  alle 
befähigten  Köpfe  zuwenden;  die  alte,  einst  volksthümliche  Lit- 
teratur des  Mittelalters  aber  ist,  weil  der  sachkundigen  Pflege 
entbehrend  und  von  den  gebildeten  Classen,  wenigstens  bis 
zur  Zeit  der  Romantik  hin,  verkannt,  verachtet  und  grund- 
sätzlich ignorirt  ^),  durchaus  verwildert  und  vermag  keinen 
Bildungsstoff  mehr  zu  spenden.  Unbarmherzig  hat  die  Renais- 
sance die  Blüthenbüsche  der  nationalen  Litteratur  zerstört 
und  exotische  Treibhauspflanzen  au  ihre  Stelle  gesetzt,  deren 
Duft  und  Farbenpracht  freilich  nicht  geleugnet  werden  kann 
noch   soll,    an    denen  sieh   aber  zu   erfreuen  doch  immer  nur 


*)  Man  erinnere  sich  z.  B.,  wie  geringschätzig  Boileau  in  der  „Art 
Poetique"  üher  die  ganze  Litteratur  vor  Malherbe  geui*theilt  hat.  Mau 
denke  auch  an  des  grossen  Friedrichs  bekanntes  Urtheil  über  die  Nibe- 
lungen. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  525 

wenigen  Auserwählten ,  nicht  jedoch  der  Gesammtheit  der 
Nation  vergönnt  ist.  Allbekannt  ist,  wie  schwer  die  franzö- 
sische Litteratur,  welche  sich  während  des  Mittelalters  so  frei 
bewegt,  so  schön  und  vielseitig  sich  entfaltet  hatte,  durch  die 
Renaissance  geschädigt,  wie  sie  durch  diese  in  das  beengende 
Gewand  einer  erkünstelten  Classicität  eingeschnürt  wurde. 
Des  grossen  Corneille  Genius,  der,  hätte  er  die  Schwingen  frei 
regen  dürfen,  zur  Sonnenhöhe  eines  Aeschylus  sich  erhoben 
haben  würde,  ist  unter  diesem  Zwange  verkümmert;  auch 
Moliöre  hat  sichtlich  darunter  zu  leiden  gehabt,  vielleicht  selbst 
—  doch  dies  mag  fraglich  erscheinen  —  auch  Racine.  Nicht 
minder  bekannt  ist,  wie  der  völlige  Bruch  mit  der  historischen 
Vergangenheit,  der  in  Frankreich  zunächst  auf  dem  littera- 
rischen Gebiete  so  schroff  sich  vollzog,  dann  auf  das  politische 
und  sociale  Gebiet  sich  übeitrug,  wie  die  Renaissance  hier 
mit  entsetzlicher  Consequenz  nach  einander  in  der  centralisirten 
Monarchie  Ludwig's  XI.  und  Ludwig's  XIV.  den  römischen 
Kaiserdespotismus,  in  der  Herrschaft  des  Convents  die  fratzen- 
haft verzerrte  römisch-griechische  Republik,  in  dem  Napoleo- 
nismus die  cäsarische  Dictatur,  in  der  Commune  endlich  den 
Catilinarismus  reproducirt  hat. 

Unter  verhältnissmässig  günstigen  Sternen  hat  in  Italien 
der  Renaissanceprocess  sich  vollzogen :  hier  fand  die  Renais- 
sancebildung einen  gut  vorbereiteten  Boden,  hier  fand  sie  selbst 
eine  historische  Tradition,  an  welche  sie  anknüpfen  konnte, 
hier  erschien  sie  nicht  als  ein  specifisch  neuer,  sondern  wirk- 
lich nur  als  ein  wiederhergestellter  alter  Zustand  der  Dinge, 
hier  ist  sie  in  Folge  dessen,  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
wenigstens,  eine  wirklich  volksthümliche  Bildungsform  geworden. 
Das  italienische  Volk  war  dem  römischen  Alterthume,  dessen 
bedeutendeste  Ueberreste  es  zu  hüten  hatte,  nie  so  völlig  ent- 
fremdet worden,  wie  etwa  das  französische  oder  spanische,  es 
war,  um.  so  zu  sagen,  aus  der  römischen  Bildung  nie  völlig 
heraus-  und  in  die  mittelalterliche  Cultur  nie  völlig  hinein- 
getreten. In  Italien  hatte  'die  römische  Bildungsform  auch 
während  des  Mittelalters  als  ein  Schatten  fortgelebt,  und  dess- 


526  Neuntes  Capitel. 

halb  konnte  auch  hier  gerade  der  Schatten  wieder  zum  Körper 
werden  und  in  seiner  Verkörperung  volksthümliche  Züge  tragen. 
Daraus  erklärt  es  sich,  dass  mehrere  der  Renaissancedichter,  wie 
vor  allen  Petrarca  selbst,  in  Italien  wirklich  populär  geworden 
und  gebliel)en  sind,  während  z.  B.  ein  Ronsard  oder  du  Bellay 
nach  kurzem  Ruhme  rasch  und  völlig  vergessen  wurden.  Aber 
selbst  auch  in  Italien  hat  die  Renaissance  giftige  Pflanzen  er- 
zeugt: auf  litterarischem  Gebiete  den  Marinismus,  auf  dem 
politischen  den  Machiavellismus. 

Mit  dem,  was  soeben  erörtert  worden  ist,  haben  wir  nur 
culturhistorische  Beobachtungen  aussprechen  wollen,  nicht  aber 
etwa  Klagen,  dass  die  Renaissance  erfolgt  ist,  oder  gar  den 
Wunsch,  dass  sie  nicht  erfolgt  sein  möchte.  Wer  nicht  an 
die  Leitung  der  Weltgeschicke  durch  einen  blinden  Zufall 
glaubt,  wird  dem  Gedanken  huldigen,  dass  Alles,  was  wirklich 
gescliehen,  in  seinen  letzten  Ursachen  nothwendig  und  in  seinen 
letzten  Ergebnissen  segensreich  ist.  Und  so  ist  auch  die  Renais- 
sance nothwendig  gewesen  und  hat  trotz  mancher  schweren  Ge- 
brechen, die  ihr  wie  allem  Irdischen  angehaftet  haben,  segensreich 
gewirkt.  Die  mittelalterliche  Cultur,  welche  immer  etwas  von  der 
Art  eines  Nothbaues,  eines  nur  den  augenblicklichen  Bedürfnissen 
angepassten  Provisoriums  an  sich  getragen,  hatte  frühzeitig  — 
wir  müssen  unerörtert  lassen,  aus  welchen  Gründen  —  sich 
ausgelebt  und  innerlich  zersetzt.  Am  Anfange  des  14.  Jahr- 
hunderts erscheint  sie,  wenigstens  in  den  romanischen  Landen, 
in  voller  Auflösung  begriffen.  Ein  wüstes  Chaos  droht  herein- 
zubrechen, eine  neue  Barl)arei  das  Abendland  zu  umnacliten. 
Der  alte  Culturbau,  der  bis  dahin  ein  leidlich  behagliches 
Wohnen  gewährt  hatte,  stürzt  stückweise  zusammen,  die  Völker 
sind  unfähig,  eine  neue  originale  Cultur  zu  schaffen.  Der 
einzige  Ausweg  aus  der  Wirrniss,  der  sich  ihnen  darbot,  war, 
eine  frühere  Cultui-form,  diejenige  der  Antike,  so  weit  es  sich 
ermöglichen  liess,  neu  zu  beleben.  Das  ist  denn  in  der  Re- 
naissance auch  wirklich  geschehen,  nur  freilich  konnte  dieselbe, 
wie  natürlich,  nicht  consequent  zur  Durchführung  und  zur 
alleinigen  Geltung  gelangen,  sondern  sah  sich,   namentlich  als 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  527 

in  der  Reformation  und  katholischen  Reaction  die  mittelalter- 
liche Kirchliclikeit  wieder  auflebte,  genöthigt,  mit  den  Resten 
der  mittelalterlichen  Cultur  einen  Compromiss  zu  schliessen. 
In  diesem  Compromisszustande  zwischen  Renaissance  und  Mittel- 
alter, in  welchem  freilich  die  erstere  weitaus  überwiegt,  leben 
wir  noch  heute,  er  bildet  el)en  die  sogenannte  moderne  Cultur. 
Er  ist  übrigens  weit  davon  entfernt,  das  Ideal  der  Cultur  dar- 
zustellen, denn  er  entbehrt  der  Originalität  und  der  inneren  Ein- 
heitlichkeit, sondern  er  ist  vielmehr  nur  ein  Uebergangsstadium, 
in  welchem  die  Völker,  gleichsam  ihre  Schulzeit  durchmachend, 
Bildungsstoffe  sammeln  und  in  langsamer  Entwickelung  zur  gei- 
stigen Reife,  zum  selbständigen  Denken  gelangen  sollen,  um  sich 
dann  einst  in  einer  noch  jedem  sterblichen  Auge  verhüllten  Zu- 
kunft eine  wirklich  originale  und  ideale  Culturform  schaffen  zu 
können.  Wenn  dies  geschehen  sein  wird,  dann  wird  auch  die  von 
der  Renaissance  aufgerichtete  verderbliche  Schranke,  welche 
jetzt  noch  die  „Gebildeten"  von  den  „Ungebildeten"  trennt,  wieder 
fallen,  es  wird  ein  jedes  Volk  wieder  eine  innere  Einheit  bilden, 
es  wird  dann  der  Schriftsteller  und  der  Dichter  wieder  zu  dem 
gesammten  Volke,  nicht  mehr,  wie  jetzt,  nur  zu  dem  numerisch 
kleineren  Theile  desselben  reden.  Der  Petrarca  dieser  neuen 
Culturform  wird  sich  nicht  in  vornehmer  Exclusivität  von  der 
Masse  seines  Volkes  scheiden  wollen,  er  wird  nicht  den  Beifall 
der  Menge  verachten,  sondern  beglückt  sein,  wenn  ihm  solcher 
zu  Theil  wird.  Dann  wird  sich  offenbaren,  dass  die  unleug- 
baren und  schweren  Gebrechen  der  Renaissancecultur  nur  vor- 
übergehende waren  —  denn  für  die  weltgeschichtliche  Be- 
trachtung erscheinen  lange  Jahrhunderte  als  ein  geringfügiger 
Zeitraum  — ,  dass  aber  das  Gute,  welches  diese  Cultur  erzeugt 
und  gefördert  hat,  bleibenden  Werth  besitzt  und  segensreich 
fortwirkt  für  alle  Folgezeit.  Und  hätte  selbst  die  Renaissance 
Nichts  weiter  vollbracht,  als  dass  sie  die  Menschheit  des  Abend- 
landes von  den  Fesseln  des  Autoritätsglaubens  erlöste  und  sie 
der  freien  wissenschaftlichen  Forschung,  dem  eigenen  Denken 
zuführte,  sie  würde  genug  gethan  haben  und  würde  segensreich 
zu  nennen  sein. 


528  Neuntes  Capitel. 

So  kehren  wir  denn  nach  dieser  längeren,  aber,  wie  es 
uns  schien,  nothwendigen  und  hoffentlieh  nicht  ergebnisslosen 
Abschweifung  zu  Petrarca  zurück.  Wir  hatten  dargelegt, 
welch'  ernsten  und  strengen  Grundsätzen  er  in  Bezug  auf  seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  huldigte,  und  werden  es  dem- 
nach begreiflich  finden,  dass  seine  litterarische  Productivität 
in  quantitativer  Beziehung  keine  sonderlich  bedeutende  war, 
Wohl  füllen  in  den  baseler  Gesammtausgaben,  obgleich  diese 
keineswegs  vollständig  sind  und  namentlich  einen  beträchtlichen 
Theil  der  „Freundesbriefe"  nicht  umfassen,  seine  Schriften  einen 
stattlichen  Folioband,  aber  es  erscheint  dies  in  Anbetracht  der 
langen  Jahre  seiner  schriftstellerischen  Wirksamkeit  doch  ge- 
ring im  Vergleiche  zu  der  Menge  dessen,  was  sowol  vor  als 
nach  ihm  so  manche  bedeutende  und  noch  mehr  unbedeutende 
Männer  producirt  haben.  In  Bezug  auf  Sprache,  Form  und 
Inhalt  lassen  sich  Petrarca's  Werke  am  füglichsten  in  folgender 
Weise  eint  heilen: 

A.    Lateinische  Werke. 
a.   Prosawerke. 

I.  Moralphilosophische  und   religiöse  Trac- 
tate  (vgl.  Cap.  10). 

1)  Ueber  die  Heilmittel  gegen  Glück  und  Unglück  (oder: 
Trost  im  Glück  und  Unglück)  (de  remediis  utriusque 
fortunae). 

2)  Ueber  das  Leben  in  der  Einsamkeit  (de  vita  solitaria). 

3)  Ueber  die  Müsse  der  Mönche  (de  otio  religiosorum). 
Hierher  gehören   ferner  die  kleinen,  in  Briefform  ge- 
kleideten Abhandlungen : 

4)  Ueber  die  beste  Staatsverwaltung  (de  re  publica  optirae 
administranda)  =  Ep.  Sen.  XIV  1  (vgl.  oben  S.  434  ff.). 

5)  Ueber  das  Amt  und  die  Tugenden  eines  Feldherren 
(de  officio  et  virtutibus  imperatoris)  =  Ep.  Sen.  IV  1 
(vgl.  oben  S.  368  fi".). 

6)  Ueber  den  Geiz  (de  avaritia  vitanda)  =  Ep.  Sen.  VI 
7  u.  8. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  529 

7)  Die  beiden  Gespräche  über  die  wahre  Weisheit  (de 
Vera  sapientia  dialogi). 

IL  Historische  und  geographische  Werke 
(vgl.  Cap.  11). 

1)  Die  vier  Bücher  über  die  denkwürdigen  Dinge  (rerum 
memorandarum  libri  IV). 

2)  Die  Lebensbeschreibungen  berühmter  Männer  (de  viris 
illustribus  vitae  oder:  virorum  illustrium  über). 

3)  Auszug  aus  den  Lebensbeschreibungen  berühmter 
Männer  (vitarum  virorum  iDustrium  epitome). 

4)  Syrisches  Reisehandbuch  (itinerarium  Syriacum). 

III.  Polemische  Schriften  (vgl.  Cap.  12). 

1)  Vertheidigung  gegen  die  Verleumdungen  eines  gewissen 
anonymen  Franzosen  (contra  cuiusdam  anonymi  Galli 
calumnias  apologia)  (vgl.  oben  S.  388  ft'.). 

2)  Lieber  seine  eigene  und  vieler  Anderer  Unwissenheit 
(de  sui  ipsius  et  multorum  ignorantia)  (vgl.  oben 
S.  417  ff.). 

3)  Vier  Bücher  Streitschriften  gegen  einen  gewissen  Arzt 
(contra  medicum  quendam  invectivarum  libri  IV). 

IV.  Uebersetzuug  der  Griseldis-Novelle  des 
Boccaccio  (de  obedientia  ac  fide  uxoria  mytho- 
logia)  =  Ep.  Sen.  XVII  3  (vgl.  oben  S.  445). 

V.   Reden. 

1)  Die  bei  der  Dichterkrönung  am  8.  April  1341  gehaltene 
Rede  (vgl.  oben  S.  178  ff.). 

2)  Die  am  8.  November  1353  zu  Venedig  gehaltene  Rede 
(vermuthlich  nur  in  verkürzter  und  verderbter  Form 
überliefert,  vgl.  oben  S.  303  ff",  und  den  Aufsatz  von 
R.  Fulin :  „il  Petrarca  dinanzi  alla  signoria  di  Venezia" 
in :  Petrarca  e  Venezia  p.  295  ff.). 

3)  Die  am  7.  October  1354  zu  Mailand  gehaltene  Rede 
(nur  italienisch  überliefert,  doch  zweifellos  ursprünglich 
lateinisch  abgefasst,  vgl.  oben  S.  311  ff.). 

Körting,  Petrarca.  34 


530  Neuutes  Capitel. 

Die   am   19.   Juni   1358    zu    Novara   gehaltene   Rede 

(vgl.  oben  S.  339  ff.). 

Die  im  Jahre  1360  zu  Paris  gehaltene  Rede  (vgl.  oben 

S.  351  flf.). 
VI.   Briefe. 
1)    Die  Freundesbriefe   (epistolarum  de  rebus  familiaribus 

libri  XXIV)  (vgl.  oben  S.  22  f.). 

Die  Altersbriefe   (epistolarum  de  rebus  senilibus  libri 

XVII)  (vgl.  oben  S.  24  f.). 

Die   vermischten  Briefe   (epistolarum   variai-um   über) 

(vgl.  oben  S.  24). 

Die  Briefe  ohne  Aufschrift  (epistolarum  sine  titulo  liber) 

(vgl.  oben  S.  25  ff.). 
VII.   Beiträge  zur  Selbstbiographie. 

Der  Brief  an  die  Nachwelt  (epistola  ad  posteros)  (vgl, 

obön  S.  33  ff.). 

Die  drei  Gespräche  über  die  Weltveraehtung  (de  con- 

temtu  mundi  dialogi  III)  (vgl.  Cap.  13). 

Die  Noten  im  Handexemplar  des  Virgil  ^). 
VIU.    Asketische  Schriften. 

1)  Gebete  (b.  Hortis,  Scritti  inediti  etc.  p.  367—372). 

2)  Sieben  Busspsalmen  (psalmi  poenitentiales  VU). 

b.    Diclituugen  (vgl.  Cap.  14). 

1)    Das  Epos  „Africa". 

2j    Die  zwölf  Eclogen  oder  das  „Bucolicon". 

(Hierzu  in  Prosa  erläuternde  Inhaltsangaben  „epito- 
mata  super  bucolicis  suis"  b.  A.  Hortis,  Scritti  in- 
editi etc.  p.  359—365). 

3)  Die  drei  Bücher  poetischer  Episteln. 


*)  Petrarca  besass  ein,  jetzt  nach  mancherlei  Schicksalen  (vgl.  Fracas- 
setti,  Lett.  fam.  11  241)  in  den  Besitz  der  Ambrosiana  zu  Mailand  gelangtes 
Exemplar  der  Aeneis,  auf  dessen  Ränder  er  eine  Anzahl  tagebuchähnlicher 
Notizen,  namentlich  Todesfälle  u.  dgl.,  verzeichnet  hat.  Die  Aechtheit  des 
merkwürdigen  Buches  anzuzweifeln,   liegt  ein  berechtigter  Grund  nicht  vor. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  531 

B.    Italienische  Schriften. 

[a.    Prosa -(vgl.  A  V  3).] 
b.    Poetische  Werke  (vgl.  Cap.  15). 
I.    Lyrische  Dichtungen  (Canzoniere). 

1)  Rime  in  vita  di  Madonna  Laura. 

2)  Rime  in  morte  di  Madonna  Laura. 

3)  Rime  sopra  vari  argomenti  (storici,   morali  e  diversi). 

IL   Epische  Dichtung: 
Trionfi. 

Es  kann  die  Frage  sich  aufdrängen,  ob  Petrarca  nicht 
ausser  den  hier  aufgezählten  Werken  noch  andere,  uns  nicht 
mehr  erhaltene  verfasst  habe.  Diese  Frage  ist  in  Bezug  auf 
die  lateinischen  Schriften  —  die  italienischen  Dichtungen 
wollen  wir  einstweilen  von  der  Betrachtung  ausschliessen 
—  mit  Bestimmtheit  zu  verneinen,  denn  es  erscheint  undenk- 
bar, dass  Petrarca  über  irgend  ein  von  ihm  verfasstes  Werk 
in  seiner  umfangreichen  Correspondenz  keinerlei  Mittheilung 
gegeben  haben  sollte.  Alle  Werke,  welche  wir  von  ihm  kennen, 
finden  sich  in  seinen  Briefen  und  zwar  zum  grossen  Theile  an 
wiederholten  Stellen  und  mit  ziemlicher  Ausführlichkeit  be- 
sprochen: wie  sollen  wir  da  glauben,  dass  er  irgend  welche 
auch  nicht  der  kürzesten  Erwähnung  werth  gehalten  habe? 
Eine  derartige  Bescheidenheit,  ein  solches  Verzichtleisten  auf 
die  möglichste  Verbreitung  und  Steigerung  seines  litterarischen 
Ruhmes  lag  seinem  Charakter ,  gänzlich  fern. 

Nur  ein  Werk  hat  Petrarca  allerdings  verfasst,  welches 
uns  leider  nicht  mehr  erhalten  ist,  ein  Werk,  welches,  wenn 
überliefert,  unzweifelhaft  von  dem  höchsten  Interesse  sein  und 
uns  den  grossen  Dichter  von  einer  ganz  neuen  Seite  zeigen 
würde.  Petrarca  schrieb  in  seiner  Jugend  —  jedenfalls  vor 
dem  Jahre  1331  — ,  um  seinen  kränkelnden  und  verstimmten 
Freund  Giovanni  Colonna  di  San  Vito  zu  erheitern,   eine  Ko- 

34* 


532  Neuntes.  Capitel. 

mödie  mit  dem  Titel  „Philologia"  'j.  Boccaccio  kannte,  als  er 
seine  kurze  Vita  Petrarca's  schrieb,  die  Dichtung  vom  Hören- 
sagen und  rühmte  von  ihr,  dass  man,  wenn  sie  einst  allge- 
meiner bekannt  werden  sollte,  ihren  Verfasser  dem  Terenz 
vorziehen  würde  -).  Petrarca  selbst  hingegen  scheint  von  sei- 
nem Lustspiele  nicht  eben  eine  günstige  Meinung  besessen  zu 
haben,  denn  als  ihn  im  Jahre  1349  Lapo  di  Castiglionchio  um 
die  Uebersendung  desselben  gebeten  hatte,  weigerte  er  sich, 
dem  Freunde  zu  willfahren  ^) ,  und  er  behielt  doch  sonst  nicht 
leicht  eine  einmal  abgeschlossene  Schrift  in  seinem  Pulte  zurück ! 
In  Folge  dieser  Geringschätzung  ist  denn  das  Werk  verloren 
gegangen,  und  wir  wissen  von  ihm  Nichts  weiter,  als  dass  — 
was  Petrarca  einmal  gelegentlich  (Ep.  Fam.  II  7)  erwähnt  — 
in  ihm  ein  gewisser  Tranquillinus  die  Sentenz  aussprach:  „die 
meisten  Menschen  sterben  vor  Ungeduld  (maior  pars  hominum 
expectando  moritur)."  Ohne  Zweifel  war  die  Dichtung  eben 
nur  eine  unbeholfene  Nachbildung  irgend  einer  terenzischen 
Fabel,  nichtsdestoweniger  bleibt  ihr  Verlust  sehr  zu  beklagen : 
es  würde  einen  eigenen  Reiz  haben,  zu  beobachten,  wie  der 
uns  als  Lyriker  und  Epiker  so  wohl  bekannte  Petrarca  als 
Dramatiker  sich  ausnimmt.  Dann  würde  man  constatiren 
können,  ob  die  kühne  Behauptung  Rossetti's  *) ,  dass  Petrarca 
der  Neubegründer  auch  der  dramatischen  Poesie  zu  werden 
vermocht  hätte,  irgend  welche  Berechtigung  besitzt,  woran 
gegenwärtig  stark  gezweifelt  werden  muss.  Wie  dem  aber 
auch  sein  mag,  jedenfalls  ist  die  Thatsache  bemerkenswerth, 
dass  Petrarca  auch  einen  dramatischen  Versuch  gewagt  hat, 
denn  auch  darin  spricht  sieh,  meinen  wir,  ein  moderner  Grund- 
zug seines  Wesens  aus. 

Es    erübrigt   uns    noch,    ein  Wort   über   die   stylistische 


1)  Ep.  Farn.  II  7.  vgl.  Sicco  Polentone  b.  Melius,  p.  199. 

-)  Boccaccio  b.  Rossetti,  a.  a.  0.  p  324.  Boccaccio  nennt  übrigens 
die  Komödie  „Philostratus",  offenbar  aber  meint  er  die  von  Petrarca  als 
„Philologia"  bezeichnete. 

")  Ep.  Fam.  VII  16. 

*)  In  der  Ausgabe  der  Poemata  minora,  discorso  prelini.  p.  XXXVI. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  533 

Form  der  lateinischen  Schriften  und  Dichtungen  Petrarca's 
—  die  Betrachtung  der  italienischen  Poesien  behalten  wir 
einem  späteren  Orte  vor  —  zu  sagen.  Wir  glauben  dies  am 
besten  thun  zu  können,  wenn  wir  den  Inhalt  eines  an  Boc- 
caccio gerichteten  Briefes,  in  welchem  Petrarca  seine  stylisti- 
schen Grundsätze  darlegt^),  in  Kürze  wiedergeben. 

Die  Schriften  des  Cicero  und  Livius,  die  Dichtungen  des 
Virgil  und  Horaz  habe  er  —  sagt  Petrarca  —  zu  vielen  Malen 
und  mit  grösster  Gründlichkeit  von  Jugend  auf  durchgelesen, 
und  sie  seien  ihm  daher  so  in  Fleisch  und  Blut  überge- 
gangen, dass  er  oft  Gefahr  laufe,  unbewusst  und  unwillkürlich 
aus  ihnen  Einzelnes  zu  entlehnen  und  dadurch,  was  er  von 
jeher  auf  das  Aengstlichste  habe  vermeiden  wollen,  zum  Pla- 
giator zu  werden.  Mit  den  Schriften  des  Ennius  ^),  (Martianus) 
Felix  Capella,  Plautus  und  Apulej  könne  ihm  dies  nicht  ge- 
schehen, denn  diese  habe  er  flüchtiger  gelesen  und  ihr  In- 
halt sei  ihm  folglich  immer  etwas  Fremdartiges  geblieben. 
Er  habe  stets  darnach  gestrebt,  einen  eigenthümlichen,  seiner 
individuellen  geistigen  Begabung  angemessenen  Styl  zu  schrei- 
ben, selbst  auf  die  Gefahr  hin,  dass  derselbe  ein  roher  und 
abschreckender  (incultus  atque  horridus)  sei.  Sein  Ideal  sei 
eben  schriftstellerische  Originalität.  Gern  wolle  er  andere 
Autoren  als  seine  Vorgänger  und  Führer  ansehen,  aber  er 
wolle  ihnen  gegenüber  stets  sein  selbständiges  Urtheil  sich 
bewahren  und  um  keinen  Preis  zum  blinden  Nachahmer 
werden. 

Petrarca  bethätigte  noch  in  diesem  Briefe  selbst,  dass  es 
ihm  Ernst  sei  mit  seinem  Streben  nach  Selbständigkeit,  indem 
er  Boccaccio  ersuchte,  in  dem  Exemplar  der  zehnten  Ekloge, 
welches  er  ihm  übersandt  hatte,  einige  Correcturen  vornehmen 
zu  wollen:  er  bat  ihn,  die  Stelle  „solio  sublimis  acerno",  weil 
sie    zu    sehr    an   diejenige  Yirgils   (Aen.  VIII,  178)  „solioque 


1)  Ep.  Fam.  XXII  2. 

2)  Petrarca  kannte  ihn  ganz  sicherlich  nur  aus  den  Citaten  bei  Cicero, 
Gellius,  Macrobius  u.  A. 


534  Neuntes  Capitel. 

invitat  acerno"  in  „e  sede  verendus  acerna"  umzuändern,  und 
ebenso  möchte  er  die  Worte  „quid  enini  non"*carmina  possint'', 
welche  er  unwissentlich  aus  Ovid  (Met.  VII  167)  entlehnt  habe, 
in  „quid  enim  'sira  earminis  aequet"  umgewandelt  wissen. 

Selbständigkeit  des  Styles  also  war  es,  was  Petrarca  in 
der  Form  seiner  Schriften  zumeist  erstrebte.  Nicht  nach  her- 
gebrachten Formen,  nach  einem  conventioneilen  Stylschema 
wollte  er  schreiben,  sondern  auch  in  dem  sprachlichen  Aus- 
drucke seine  Individualität  zur  vollen  Geltung  bringen,  dem 
Style  das  Gepräge  geistiger  Eigenart  verleihen.  Und  wonach 
er  so  eifrig  gestrebt,  das  hat  er  erreicht:  er  hat  sich  einen  in- 
dividualen  Styl  geschaffen,  er  ist  auch  in  formaler  Beziehung 
herausgetreten  aus  dem  Geistesleben  des  Mittelalters  und  hat 
auch  in  dieser  Beziehung  den  Ruhm  sich  erworben,  der  erste 
moderne  Mensch  gewesen  zu  sein.  Man  könnte  vielleicht  in  Er- 
wägung dessen,  dass  Petrarca  als  Prosaist  nur  der  lateinischen 
Sprache  sich  bedient  hat,  geneigt  sein,  zu  meinen,  dass  er  auf  die 
Entwickelung  des  italienischen  Prosastyles  keinen  Einfluss  aus- 
geübt habe.  Es  würde  das  aber  ein  schwerer  Irrthum  sein. 
Allerdings  waren  Petrarca's  lateinische  Abhandlungen  nicht  ge- 
eignet, um  der  italienischen  Prosa  unmittelbare  Stylmuster 
darzubieten  —  das  verbot  sich  ja  eben  durch  die  Verschieden- 
heit der  Sprache  — ,  aber  es  überti-ug  sich  das  in  ihnen  so 
scharf  hervortretende  Streben  nach  Individualisirung  auf  den 
italienischen  Ausdruck  und  machte  ihn  freier,  lebendiger,  be- 
weglicher, löste  ihn,  zum  Theil  wenigstens,  von  den  Fesseln 
einer  lästigen  Unbeholfenheit.  Petrarca  darf  demnach  neben 
Boccaccio  den  Begründern  der  italienischen  Prosa  beigerechnet 
werden,  nur  freilich  mit  der  Einschränkung,  dass  sein  Einfluss 
auf  deren  Entwickelung  kein  directer,  sondern  ein  bloss  in- 
directer  gewesen  ist. 

Petrarca's  stylistische  Originalität  war  übrigens  in  Bezug 
auf  das  Lateinische  keineswegs  eine  absolute,  sondern  nur 
eine  relative.  Wie  hätte  dem  auch  anders  sein  können?  wie 
vermöchte,  wer  in  einer  fremden,  nur  künstlich  erlernten 
Sprache  schi-eibt,  sich  von  jeder  Imitation  frei  zu  erhalten,  wie 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  535 

sollte  er  nicht  vielmehr  sich  immer,  wenn  auch  ohne  sein 
eigenes  Wissen  und  Wollen,  an  bestimmte  Stylmuster  anlehnen 
müssen?  Und  so  ist  denn  auch  in  Petrarca's  Latinität  die 
Nachahmung  der  Diction  des  Cicero  und  mehr  noch  des  Seneca 
in  der  Prosa  und  des  Virgil  in  der  Poesie  ganz  unverkennbar, 
aber  diese  Nachahmung  istkeine  sklavische,  keine  auf  das  Detail, 
auf  das  Stylcolorit  sich  erstreckende,  sie  ist  eine  so  selbständig 
sich  bewegende  und  geberdende,  dass  sie  mit  vollem  Rechte 
individual  und  original  genannt  werden  darf.  Petrarca  ent- 
lehnt von  seinen  Stylmustern  eben  nur  die  allgemeinen  Um- 
risse und  die  Grundfarbe  des  Stylgemäldes,  die  Auszeichnung 
und  die  Schattirung  des  Gemäldes  aber  sind  sein  eigenes, 
selbständiges  Werk. 

Eine  Klage  darf  indessen  hier  nicht  unterdrückt  werden. 
So  selbständig  sich  auch  Petrarca  in  der  Nachahmung  Cicero's 
und  Seneca's  bewegt  hat,  so  ist  dennoch  diese  Nachahmung  von 
verhängnissvoller  Wirkung  für  die  Folgezeit  gewesen.  Cicero's 
Sprache  mag  man  mit  gutem  Rechte  kunstvoll  nennen  und  man 
mag  ihr  die  gebührende  Bewunderung  zollen,  aber  wer  frei 
von  Voreingenommenheit  zu  ihren  Gunsten  sie  beurtheilt,  wird 
doch  gestehen  müssen,  dass  sie  ein  stark  rhetorisches  Gepräge 
trägt,  dass  sie  zur  volltönenden,  aber  innerlich  hohlen  Phrase 
sieh  hinneigt,  dass  sie  oft  die  Gedankenarmuth  des  Inhaltes 
mit  einem  gleissenden  Prunkgewande  verhüllt  und  dass  sie  in 
bedenklicher  Weise  der  Grenze  sich  nähert,  jenseits  welcher 
die  Kunst  aufhört,  die  Künstelei,  die  Manierirtheit  beginnt 
und  die  zierliche  Phrase  vollständig  den  Gedanken  über- 
wuchert. Diese  Grenze  aber  ist  nun  von  Seneca's  Diction 
weit  überschritten  worden,  denn  in  dieser  letzteren  wird  der 
Rhythmus  des  Styles  zur  Tändelei,  die  Eleganz  zurUeberladung, 
die  Kraft  zur  Weichlichkeit,  die  Freude  am  Wohlklange  zum 
Raffinement.  Und  gerade  von  dieser  Diction ,  welche  unleug- 
bar einen  eigenartigen  und  sich  einschmeichelnden,  aber  um 
so  gefährlicheren  Reiz  besitzt,  hat  Petrarca  sich  ganz  vorzugs- 
weise beeinflussen  lassen,  und  die  ihm  nachfolgenden  Prosaisten 
der  Renaissancezeit  nicht  minder!    Dadurch   erhielt  die  Prosa 


536  Neuntes'  Capitel. 

der   Renaissance  —  zunächst  die  lateinische,   aber  dann  auch 
und  in   nicht  geringerem  Grade   die  italienische  —  von  vorn- 
herein die  Tendenz,  aller  Natürlichkeit  sich  zu  entkleiden  und 
in  Manierirtheit  unterzugehen.   Das  ist  denn  auch  rasch  genug 
geschehen,  denn  auf  abschüssigen  Bahnen  gleitet  es  sich  schnell 
dahin.    Auch  hier  kann  man   wieder  recht  deutlich  erkennen, 
wie  verderblich  es  war,    dass  zu   dem  Baue  der  Renaissanee- 
bildung   vorwiegend   das  Römerthum ,    und  zwar  das  spätere, 
entartete  Römerthum,    nicht  das  Hellenenthum ,    die    Grund- 
lage   abgegeben    hat.      Wie    ganz    anders    würde    die    Litte- 
ratur  der  Renaissance   sich   entwickelt,    wie  ungleich    werth- 
vollere    Früchte    würde    sie    hervorgebracht  haben,    wenn  sie 
von  Anfang   an   und  mit   möglichster  Ausschliesslichkeit  grie- 
chischen  Idealen    nachgestrebt    hätte!    Eine  hellenische   Re- 
naissance,   wenn   diesen  kurzen  Ausdruck  zu  gebrauchen  ge- 
stattet   ist,    würde  der    römischen  ebenso   überlegen  gewesen 
sein,  wie  das  Griechenthum   dem  Römerthume  überlegen  ge- 
wesen war.     Freilich  ein  Vorwurf  für  Petrarca  kann  aus  dem. 
was   eben   gesagt   ward,  nicht  abgeleitet  werden:  wenn  er  auf 
die  Basis  des  Römerthums   sich  stellte,  Avenn   er  an  Cicero. 
Seneca  und  Virgil  sich  bildete,  so  that  er  eben  nur,  was  unter 
den  gegebenen  Verhältnissen  allein  zu  thun  möglich  war.    Und 
es  darf  nicht  übersehen   werden,    dass  durch  die  Aufstellung 
der    genannten    lateinischen    Autoren     als    Stylmuster    doch 
mindestens  der  Sinn  für  Formenschönheit  geweckt,  eine  ästhe- 
tische Cultur  begründet  wurde.     Es  war  immerhin  ein  höchst 
bedeutender  und    heilsamer  Fortschritt,    von  der  Dürre   des 
mittelalterlichen    Chronistenlateins    und    dem    Schwulste    der 
theologischen   Latinität  überzugehen  zu  dem  Ciceronianismus 
und   Virgilianismus    und    zu    Seneca's  zierlicher  und   glatter, 
wenn   auch  überladener  Diction.    Es  waren  doch  keine  ganz 
unwürdigen  Muster,  denen  man  nachstrebte,  und  Muster,  welche 
vielseitig  genug  waren  —  man  denke  daran,   wie  wechselvoll, 
wenn  auch  demselben  Grandtone  stets  treu  bleibend,  der  sty- 
listische Ausdruck  in   Cicero's,    Seneca's  und  Virgils  verschie- 
denen  Schriften   ist!   — ,    um    der   Individualität   der    Nach- 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  537 

aliinenden  freien  Spielraum  zu  vergönnen  und  sie  zur  Schöpfung 
eines,  innerhalb  gewisser  Grenzen  wenigstens,  originalen  Styles 
anzuregen.  — 

Fassen  wir  das  bisher  über  Petrarca's  lateinischen  Styl 
Gesagte  kurz  zusammen,  so  könnte  man  denselben  vielleicht 
am  besten,  w^enn  auch  anscheinend  paradox,  als  einen  in  der 
Nachahmung  originalen  und  individualen  bezeichnen,  womit 
ihm  ein  hohes  Verdienst  zuerkannt  sein  würde.  Bemerkt  muss 
hier  noch  werden,  dass,  wenn  man  Petrarca's  lateinischen  Styl 
richtig  beurtheilen  will,  man  dafür  nicht  den  Maassstab  von 
der  classischen  Philologie  entlehnen  darf.  Petrarca's  Latinität 
ist  keineswegs  eine  classische  oder  auch  nur  eine  correcte  zu 
nennen,  sondern  sie  leidet  vielmehr  an  sehr  wesentlichen  Ge- 
brechen und  zeigt  eine  bedeutende  Zahl  von  nicht  bloss  ver- 
einzelt sich  findenden,  sondern  auch  consequent  durchgeführten 
Solöcismen,  wie  z.  B.  an  einer  durchgängigen  Unsicherheit  der 
Unterscheidung  zwischen  dem  Reflexivum  (sui,  sibi,  se,  suus) 
und  dem  Pronomen  der  dritten  Person.  Wollte  man  Petrarca's 
lateinische  Schriften  als  Schülerpensa  betrachten,  so  würden 
sie  dem  Rothstifte  des  corrigirenden  Lehrers  reichliche  Arbeit 
gewähren  und  schwerlich  mit  guten  Censuren  ausgezeichnet 
werden.  Aber  eine  derartige  Betrachtung  wäre  so  verkehrt 
wie  nur  möglich.  Allerdings  hat  Petrarca  auch  nicht  entfernt 
ein  so  reines  und  zierliches  Latein  geschrieben  ^),  wie  die  spä- 
teren Humanisten,  oder  auch  wie  gut  geschulte  Philologen 
unserer  Tage  zu  schreiben  vermochten  und  vermögen,  aber  er 
schrieb  das  Latein  mit  voller  Gewandtheit  wie  eine  lebende 
Sprache;  er  wusste  dasselbe  jeder  Materie  und  jeder  Stimmung 
anzupassen,  er  wusste  in  ihm  für  Alles  einen  adäquaten  und 
ungezwungenen  Ausdruck  zu  finden^).     Er  hat  dadurch  eine 


^)  Petrarca  wusste  übrigens  selbst  recht  gut,  dass  er  nicht  selten  vom 
classischen  Sprachgebrauche  abweiche  (vgl.  Ep.  Farn.  XVI  10),  aber  er 
machte  sich  darüber  keine  Scrupel  und  war  auch  Anderen  gegenüber  weit 
entfernt  von  kleinlicher  Splitterrichterei  (vgl.  Ep.  Farn.  XVI  14). 

-)  Nur  einmal  war  er  darum  verlegen.  Es  war,  als  er  gelegentlich  der 
Schilderung  der  Festspiele  zu  Venedig  (s.  oben  S.  373)  die  verschieden- 
artigen Evolutionen  der  turnierenden  Ritter  lateinisch   bezeichnen  wollte. 


538  Neuntes  Capitel. 

solche  Meisterschaft  über  das  lateinische  Idiom  bekundet,  wie 
sie  vor  ihm  seit  der  Römerzeit  Niemand  besessen  hatte  und 
wie  sie  auch  nach  ihm  nicht  allzu  Viele  besessen  haben,  denn 
etwas  Anderes  ist  es,  correct,  und  etwas  Anderes,  mit  natür- 
licher Ungezwungenheit  zu  schreiben.        — 

Am  Schlüsse  dieses  Capitels  erscheint  es  angemessen,  noch 
Eins  in  Kürze  zu  erörtern,  was  vielleicht  besser  bereits  früher 
erörtert  worden  wäre.  Es  ist  wiederholt  die  Frage  aufge- 
worfen worden:  wodurch  wurde  Petrarca  zu  seiner  wissen-, 
schaftlichen  und  schriftstelleiischen  Thätigkeit  hingeführt, 
durch  welche  er  des  Humanismus  Begründer  geworden  ist? 
Man  hat  auf  diese  Frage  verschiedene,  zum  Theil  anscheinend 
sehr  tiefsinnige  Antworten  gegeben,  mit  deren  Reproduction 
wir  uns  indessen  nicht  aufzuhalten  nöthig  haben.  Uns  erseheint 
die  ganze  Frage  höchst  unberechtigt.  Petrarca,  als  ei-,  noch 
ein  Jüngling,  dem  Studium  des  Alterthums  mit  glühender  Be- 
geisterung sich  hingab,  besass  hierfür  kein  ihm  selbst  deutlich 
erkennbares  Motiv,  er  verfolgte  dabei  kein  klar  vor  ihm  lie- 
gendes Ziel :  er  gehorchte  einzig  jenem  unergründbaren  Drange, 
der  einen  hochbegabten  Geist,  einen  Genius,  ergreift  und  den- 
selben in  geheimnissvoller,  schöpferischer  Arbeit  zu  ungeahnten 
Zielen  leitet.  Die  Frage,  warum  Petrarca  der  Begränder  des 
Humanismus  ward,  erscheint  ebenso  thöricht,  als  wenn  mau 
etwa  fragen  wollte,  warum  Shakespeare  der  grösste  Drama- 
tiker oder  warum  Goethe  ein  so  bedeutender  Dichter  geworden 
sei.  Solche  Fragen  daif  man  gar  nicht  stellen,  so  lange  nicht, 
was  aber  nie  geschehen  dürfte,  die  Möglichkeit  gegeben  ist, 
den  menschlichen  Geist  überhaupt  und  den  Genius  insbeson- 
dere zu  analysiren.  Petrarca  wurde  das,  was  er  geworden, 
weil  er  es  eben  werden  musste,  weil  er  ein  Werkzeug  in  der 
Hand  der  Vorsehung  war ,  welche  durch  ihn  eine  Culturwan- 
delung  vollziehen  wollte.  Ja,  er  war  selbst  ein  widerstreben- 
des Werkzeug:   Nichts  lag  seinem  eigenen  Wollen  ferner,  als 


doch  half  er  sich   noch  ganz   leidlich  mit  „discursus"  und   „concursus". 
Ep.  Sen.  IV  3. 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  539 

die  Begründung  einer  neuen  Cultur,  und  hätte  er  seiner  per- 
sönlichen Neigung  folgen  dürfen,  er  würde  gern  ganz  auf  dem 
Boden  mittelalterlichen  Denkens  und  Fühlens  verblieben  sein, 
würde  gern,  wie  sein  Bruder  Gherardo  wirklich  that,  sich  der 
mittelalterlich  gläubigen  Beschaulichkeit  hingegeben  haben,  denn 
die  Atmosphäre  der  von  ihm  geschaffenen  neuen  Zeit  war  ihm 
persönlich  unbehaglich  und  er  athmete  sie  nur,  weil  er  sie 
athmen  musste.  Gewisse  Thatsachen  sowol  im  Natur-  als  im 
Geistesleben  muss  man  eben,  wenigstens  bei  dem  heutigen 
Stande  der  Wissenschaft,  einfach  als  gegeben  hinnehmen,  ohne 
sie  ergründen  zu  wollen.  Kein  Astronom  verschwendet  seine 
Zeit  damit,  zu  erforschen,  warum  etwa  die  Sonne  gerade  so 
gross  und  nicht  noch  grösser  oder  auch  kleiner  ist,  w^arum  sie 
gerade  diese  und  nicht  irgend  eine  andere  Stelle  im  Welträume 
einnimmt.  So  muss  man  auch  in  der  Geistesgeschichte  den 
Genius  als  etwas  Gegebenes  betrachten  und  nicht  darüber 
gTübeln,  durch  welche  Bedingungen  er  erzeugt  sei  und  wamm 
er  gerade  diese  und  nicht  eine  andere  Bahn  eingeschlagen 
habe.  Solches  Grübeln  ist  ergebnisslos  oder  es  sind  doch 
hohle  Phrasen  das  einzige  Ergebniss,  das  Höchste,  was  uns, 
und  auch  das  nur  unter  besonders  günstigen  Umständen,  ver- 
gönnt wird,  ist,  die  Entwickelung  des  Genius  belauschen  und  er- 
kennen zu  dürfen,  wie  er  in  stetem  Ringen  allmählich  die 
einengenden  Schranken  der  realen  Verhältnisse  durchbricht 
und  den  hohen  Zielen  zueilt,  zu  denen  er  instinctiv  sich  hin- 
gezogen fühlt. 

Einer  der  gründlichsten  und  geistreichsten  Kenner  der 
modernen  Litteraturgeschichte  hat  eine  hoch  interessante  und 
eine  Fülle  feiner  Bemerkungen  enthaltende  Parallele  gezogen 
zwischen  Petrarca  und  Boccaccio  einerseits  und  den  Heroen 
der  sogenannten  Sturm-  und  Di^ang-periode  andererseits  *).  Diese 
Parallele  hat  für  den  ersten  Augenblick  sehr  viel  Bestechendes, 
gleichwol   scheint  sie  uns  —  wir  sagen  dies  selbstverständlich 


^)  H.  Hettner,  Petrarca  und  Boccaccio  als  Begründer  der  italienischen 
Renaissancebildung  (Deutsche  Rundschau,  Bd.  11  p.  228—244), 


540  Neuntes  Capitel. 

unbeschadet  aller  Hochachtung  für  den  genialen  Litteratur- 
und  Kunsthistoriker  —  unhaltbar  zu  sein.  Wenn  namentlich 
speciell  von  Petrarca  gesagt  wii-d :  „Petrarca  wurde  durch  den- 
selben tief  innerlichen  Drang  nach  innerer  Selbstbefreiung  und 
Selbstbefriedigung  zur  begeisterten  Erfassung  des  Alterthuras 
geführt,  durch  welchen  auch  Goethe  und  Schiller  bei  dem  Ab- 
schluss  ihrer  stürmenden  Jugendwirren  zur  begeisterten  Er- 
fassung des  Alterthums  geführt  wurden",  so  ist  dabei,  dünkt 
uns,  übersehen  worden,  dass  Goethe  und  Schiller  mit  vollem 
Bewusstsein  und  mit  klarer  Erkenntniss  dem  classi sehen  AI ter- 
thume  sich  zuwandten,  Petrarca  aber  ein  solches  Bewusstsein 
und  eine  solche  Erkenntniss  nicht  besass  noch  besitzen  konnte. 
Goethe  und  Schiller  waren  beide  durch  ihre  Jugendbildung  mit 
dem  classischen  Alterthume  vertraut  geworden,  hatten  sieh 
aber,  weil  anfangs  unvermögend,  den  richtigen  Gesichtspunkt 
für  die  Würdigung  desselben  zu  gewinnen,  von  ihm  abgewandt 
und  waren  auf  den  Pfaden  romantischen  Denkens  und  Schaffens 
gewandelt,  dann,  erkennend,  dass  diese  Pfade  nicht,  wie  sie 
gewähnt,  den  höchsten  Idealen  zuführten,  und  geistig  reifer 
geworden,  kehrten  sie  zu  dem  classischen  Alterthume  und 
zwar,  was  ihren  genialen  Blick  bezeugt,  vornehmlich  zu  dem 
Griechenthume  zurück,  welches  sich  ihnen  nun,  von  dem.  rich- 
tigen Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  als  das  Wunderland  der 
Ideale  erschloss.  Sie  handelten  demnach  durchaus  reflectirend, 
fast  wissenschaftlich  verstandesmässig,  sie  verglichen  methodisch 
Romantik  und  Classicität  und  nach  reiflicher  Prüfung,  die  fast 
ein  Werk  der  Gelehrsamkeit  zu  nennen  ist,  entschieden  sie 
sich  für  die  letztere.  Ganz  anders  Petrarca.  Er  hatte  in 
seiner  Jugend  das  Alter thum  nur  durch  den  trüben  Schleier 
scholastischer  Bildung  geschaut,  er  konnte  nicht  wissen,  son- 
dern höchstens  dunkel  ahnen,  was  es  in  Wahrheit  enthalte, 
er  konnte  nicht  Alterthum  und  die  Bildung  seiner  Zeit,  welche 
man  ja  vielleicht  auch  als  Romantik  bezeichnen  dürfte,  prü- 
fend vergleichen  und  gegen  einander  abwägen;  wenn  er  daher 
dennoch  dem  Alterthume  sich  hingab  und  in  ihm  die  Normen 
des  geistigen  Schaffens  zu  finden  hoffte,    so  war  das  lediglich 


Petrarca's  schriftstellerische  Thätigkeit.  541 

ein  Werk  der  genialen  Intuition,  nicht  der  speculativen  Re- 
flexion. Das  scheint  uns  einen  höchst  wesentlichen  Unterschied 
zu  begründen,  der  sich  also  formuliren  lassen  dürfte:  Goethe 
und  Schiller  in  ihrer  Rückkehr  zum  classischen  Alterthume 
erneuerten  für  die  deutsche  Litteratur  die  Renaissance,  Pe- 
trarca dagegen  schuf  überhaupt  erst  die  Renaissance.  Goethe 
und  Schiller  waren  ohne  Zweifel  die  höher  gebildeten  und 
reiferen  Geister,  Petrarca  aber  war  eben  so  zweifellos  der 
grössere  Genius,   denn  Schaffen  ist  mehr,  als  Neuschaffen. 

Im  Folgenden  wenden  wir  uns  nun  der  Betrachtung  der 
Werke  Petrarca's  zu,  soweit  dieselben  noch  nicht  im  Vorher- 
gehenden betrachtet  worden  sind.  Wir  werden  dabei  die  oben 
S.  528  ff.  gegebene  Eintheilung  zur  Basis  nehmen,  denn  die 
chronologische  Anordnung,  welche  ja  an  sich  gewiss  die  rich- 
tigere wäre,  würde  oftmals  nur  auf  Hypothesen  beruhen 
können,  und  verliert  überdies  ganz  wesenthch  dadurch  an  Be- 
deutung, dass  Petrarca  an  vielen  seiner  Werke  lange  Jahre, 
ja  Jahrzehende  hindurch  gearbeitet  hat  und  dass  folglich  diese 
nicht  die  Früchte  einer  abgeschlossenen  Lebens-  und  Ent- 
wickelungsperiode,  sondern  mehrerer  solcher  und  also  Lebens- 
werke im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  sind. 


Zehntes  Capitel. 
Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate. 


Lnter  den  in  diesem  Capitel  zu  behandelnden  Werken 
ist  in  Bezug  auf  den  Umfang  das  bedeutendeste  und  in  Bezug 
auf  den  Inhalt  eins  der  bedeutendesten  der  Tractat  über  die 
Heilmittel  gegen  Glück  und  Unglück,  welcher,  wenn  wir  einer 
anscheinend  vollkommen  glaubwürdigen  Bemerkung  in  einer 
venetianischen  Handschrift^)  vertrauen  dürfen,  am  4.  October 
des  Jahres  1366  von  Petrarca  vollendet  worden  ist.  Es  ist 
also  diese  Schrift,  selbst  auch  wenn  wir  berücksichtigen,  dass 
Petrarca  ohne  Zweifel  lange  Jahre  an  ihr  gearbeitet  hat,  ein 
Werk  des  Alters,  und  in  der  That  spricht  sich  auch  in  ihr 
scharf  jene  dem  höheren  Alter  so  oft  eigene,  herbe  Anschauungs- 


^)  Pergamentcodex,  Z.  L.  475,  vgl.  Petrarca  e  Yenezia  p.  105  f.  Die 
betr.  Note  lautet:  „Deo  gracias.  Scriptus  et  completus  manu  mea  Fran- 
cischini  de  Fossadulci,  notai'ii,  civis  tarvisini.  Tarvisii  anno  nati^itatis 
dominice  millesimo  trecentesimo  nonagesimo  octavo.  Indictione  sexta.  die 
Mai'tis.  Xn  Kovembris.  hora  septima.  Ex  originali  proprio  scripto 
manu  indelende  memorie  domini  francisci  petrarce  dignis- 
simi  laureati  et  per  eum  ipsum  ad  exitum  perducti.  Ticini. 
Anno  domini.  1366.  III  nonas  octobris.  hora  tertia.  Amen." 
Hiermit  stimmt  gut  zusammen  die  Angabe  in  Ep.  Sen.  V  5  (Pavia,  1.  Sep- 
tember, jedenfalls  1366),  wonach  Petrarca  damals  die  Schrift  bis  II  97  (de 
auditu  perdito)  fortgeführt  hatte.  Sonst  vgl.  man  auch  Ep.  Sen.  VIII  6 
u.  XY  9. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  543 

weise  aus,  welche  an  dem  Erdenleben  nur  die  trübe  Seite  er- 
blickt und  das  Vergängliche  und  Nichtige  an  ihm  mit  einer 
Art  von  Schadenfreude  hervorhebt,  wie  um  der  noch  zum 
Lebensgenüsse  befähigten  Jugend  die  Lust  zu  vergällen  und 
den  Trübsinn  des  Greisenthums  als  die  einzige  wahre  und  tiefe 
Lebensphilosophie  erscheinen  zu  lassen. 

Das  Werk  zerfällt,  wie  schon  der  Titel  erschliessen  lässt, 
in  zwei  einander  an  Umfang  ungefähr  gleiche  Theile:  in  dem 
ersten  derselben  soll  nachgewiesen  werden ,  dass  Alles ,  was 
die  Menschen  für  ein  Glück  und  einen  werthvollen  Besitz  er- 
achten, in  Wahrheit  werthlos  und  nichtig  sei,  während  in. dem 
zweiten  auseinander  gesetzt  wird,  dass  es  in  Wahrheit  auch 
kein  Unglück  und  Leid  gebe,  sondern  dass  Alles,  was  man  im 
gewöhnlichen  Leben  als  ein  solches  betrachte,  von  dem  christ- 
lichen Philosophen  für  eine  Förderung  des  Seelenheiles  gehalten 
werden  müsse.  Der  erste  Theil  umfasst  122,  der  zweite  132 
Dialoge,  denn  das  Werk  ist  in  dialogische  Form  gekleidet, 
aber  freilich  ist  diese  eine  rein  äusserliche  und  besteht  einzig 
darin,  dass  die  „Hoffnung"  und  die  „Freude"  im  ersten  und 
der  „Schmerz"  und  die  „Furcht"  im  zweiten  Theile  in  kür- 
zester Form  die  These  aufstellen,  dass  irgend  etwas  ein  Glück 
oder  Unglück  sei,  und  dann  in  längerer  Rede  von  der  „Ver- 
nunft" widerlegt  werden.  Diese  letztere  führt  demnach  fast 
ausschliesslich  das  Wort  und  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen 
kommt  es  zu  einem  einigermaassen  erregten  Wechselgespräch  ^). 
Dramatische  Lebhaftigkeit  fehlt  aber  durchaus,  und  man  mag 
daran  ermessen,  welch'  weiten  Weg  die  Renaissancebildung 
noch  zu  durchmessen  hatte,  bevor  dialogische  Werke  von  so 
acht  platonischer  Anmuth,  wie  etwa  Castiglione's  „Cortegiano", 
entstehen  konnten.  Immerhin  aber  ist  es  bemerkenswerth, 
dass  Petrarca  sich  der  dialogischen  Form  bedienen  wollte, 
denn  höchst  wahrscheinlich  geschah  dies  in  Nachahmung  an- 
tiker Vorbilder  (Cicero ,  Seneca)  ^).,  obgleich  man  auch  an  die 


0  Namentlich  II  dial.  114. 

2)  Die  Bücher  de  remed.  utr.  fort,   zeigen  in    ihrer  äusseren  Anlage 
und  in  ihrer  Tendenz  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  im  Mittelalter  so  be- 


544  Zehntes  Capitel. 

Nachahmung  der  theologischen  Dialoge  des  Mittelalters  (Anselm 
V.  Canterbury  u.  A.)  denken  könnte.  Bemerkenswerth  ist 
auch  die  allegorische  Färbung,  welche  das  Werk  durch  das 
Auftreten  der  Hoffnung,  Freude,  Vernunft,  Furcht  als  redende 
Personen  erhält:  es  mahnt  uns  dies  an  die  hervorragende 
Rolle,  welche  die  Allegorie  damals  in  der  Poesie  und  selbst 
auch  in  der  Wissenschaft  spielte. 

Vorausgeschickt  ist  dem  ersten  Theile  ein  Zueignungs- 
brief an  Azzo  di  Correggio ,  denn  diesem  seinem  fürstlichen 
Freunde  wollte  Petrarca  das  Werk  widmen,  und  er  hielt  auch, 
nachdem  Azzo  bereits  im  Jahre  1362  gestorben  war  ^j,  an 
dieser  Absicht  fest,  wie  er  ja  auch  die  Widmung  der  .,Älters- 
briefe"  an  Francesco  Nelli  nach  dessen  Tode  nicht  zurückge- 
nommen hat. 

Der  Inhalt  dieser  Epistel  ist  nun  in  Kürze  folgender :  Das 
Leben  der  Menschen  ist,  weil  von  Leiden  aller  Art  bedrängt, 
mühselig  und  beschwerlich,  zumal  da  dem  Menschen  die  glück- 
liche Unwissenheit  über  sein  Schicksal,  in  welcher  die  übrigen 
Geschöpfe  sich  befinden,  abgeht  "und  er  vielmehr  vermöge 
seiner  Begabung  mit  Vernunft  fortwährend  mit  einem  drei- 
köpfigen Cerberus,  mit  den  Mühen  der  Gegenwart,  mit  der 
Erinnerung  an  die  Vergangenheit  und  mit  der  bangen  Er- 
wartung der  Zukunft  kämpfen  muss.  Den  einzigen  Trost  in 
den  Widerwärtigkeiten  des  Lebens  gewährt  die  Leetüre  der 
trefflichen,  die  wahre  Philosophie  überliefernden  Schriftsteller 
des  Alterthums.  Diese  edle  Beschäftigung  liebt  Azzo  sehr, 
aber  da  ihm  die  Zeit,  sich  ihr  hinzugeben,  mangelt,  soll  ihm 
in  diesem  ihm  gewidmeten  Buche  ein  kleines  Handbuch  der 
Lebensphilosophie,  gleichsam  eine   tragbare  Arznei  gegen  alle 


liebten  „Excerpta  ex  libris  Senecae-'  (Kurze  Sätze  in  Dialogform,  in  denen 
der  eine  Gesprächstheilnehmer  eine  Behauptung  in  Variationen  aufstellt, 
der  andere  aber  nachweist,  dass  die  behauptete  Thatsache  kein  Uebel, 
sondern  ein  Gut  in  sich  schliesse  oder  doch  mindestens  indifferent  sei  und, 
weil  den  Gesetzen  der  Natur  gemäss,  von  dem  Weisen  mit  Fassung  er- 
tragen werden  müsse). 

^)  lieber  die  Zeitbestimmung  vgl.  Fracassetti,  Lett.  fam.  I  p.  532  f. 


Die  raoralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  545 

Wechselfälle  des  Lebens  gegeben  werden.  Wer  aber  wäre 
würdiger,  die  Widmung  eines  solchen  Buches  zu  empfangen, 
als  Azzo,  der  die  Unbeständigkeit  des  Glückes  selbst 
erprobt  hat  und  welchem  auch  die  traurigsten  Erfahrungen  — 
schwere  Krankheit,  Verbannung,  Tod  der  Angehörigen,  treu- 
loser Abfall  der  P'reunde  —  nicht  erspart  geblieben  sind? 
Das  Buch  aber  soll  nicht  bloss  Heilmittel  gegen  das  Unglück 
bieten,  sondern  auch  gegen  das  Glück  ,  welches,  wiewol  die 
Meisten  es  nicht  glauben  wollen ,  schwerer  zu  ertragen  und 
gefährlicher  ist,  als  das  Unglück.  Die  Form  der  Schrift  soll 
die  dialogische  sein:  die  Schwesterpaare  Hoffnung  und  Freude, 
Furcht  und  Schmerz,  welche  die  Mütter  des  Glückes  und  Un- 
glückes geworden  sind,  werden  den  menschlichen  Geist  an- 
greifen, ihnen  wird  die  Vernunft,  welche  die  „Burg"  des 
Hauptes  besetzt  hält ,  mit  ihren  Vertheidigungswaffen  ent- 
gegentreten. — 

Nun  werden  in  einer  ziemlich  bunten  Reihenfolge,  wenn 
auch  eine  gewisse  systematische  Anlage  nicht  zu  verkennen  ist, 
die  verschiedenartigsten  Dinge,  welche  gemeinhin  für  Glück 
und  werthvolles  Besitzthum  erachtet  werden,  durchgegangen 
und  es  wird  von  ihnen  nachgewiesen,  wie  sie  in  Wahrheit 
nichtig  und  werthlos  sind. 

Ermüdend  würde,  für  unsere  Leser  eine  vollständige  Wie- 
dergabe des  Inhaltes  sein,  ermüdend  selbst  auch  eine  blosse 
Aufzählung  der  Dialogüberschriften,  und  wir  begnügen  uns 
daher  damit,  einzelne  Proben  des  Inhaltes  zu  geben. 

Dass  die  leiblichen  Güter,  wie  langes  Leben,  Schönheit, 
Kraft,  Gesundheit,  für  werthlos  erklärt  werden,  ist  am  P.nde 
wohl  verständlich,  denn  von  jeher  hat  eine  engherzige  und  «in- 
seitige Theologie  in  ihnen  Hindernisse  des  Seelenheiles  und  Fall- 
stricke des  Teufels  erblickt,  befremdlich  aber  muss  es  er- 
scheinen, dass  auch  über  die  geistigen  Güter  im  Wesentlichen 
der  Stab  gebrochen  wird.  Geistige  Gaben,  wird  geurtheilt, 
besitzen  keinen  Werth,  wenn  sie  nicht  zu  guten  Zwecken  an- 
gewandt werden ,  Tugend  ist  werthvoller .  als  grosse  geistige 
Begabung,  aus  welcher  oft  Fehltritte  hervorgehen  (Diäl.  VII). 

Körting,  Petrarca.  35 


546  Zehntes  Capitel. 

Ein  gutes  Gedächtniss  gereicht  oft  zur  Qual;  Werth  kann  es 
nur  besitzen,  wenn  es  zur  Aufbewahrung  guter  Dinge  dient, 
leider  aber  vergisst  ein  gutes  Gedächtniss  oft  die  zum  Seelen- 
heile nothwendigsten  Dinge.  Man  beweise  sein  gutes  Ge- 
dächtniss dadurch,  dass  man  seiner  Sündhaftigkeit,  des  Todes, 
der  göttlichen  Gerechtigkeit  und  Barmherzigkeit  eingedenk 
bleibe  (Dial.  VIII).  Auch  die  Beredtsamkeit  ist  an  sich  nichts 
Löbliches,  da  sie  ebensowohl  bösen  als  guten  Zwecken  dienen 
kann,  Werth  besitzt  sie  nur,  wenn  sie  mit  der  Weisheit  und 
Tugend  verbunden  ist  (Dial.  IX).  Geistige  Güter  haben  also 
lediglich  Werth,  wenn  sie  in  den  Dienst  der  Ethik  treten! 

So  wird  auch  über  die  Freiheit  hart  geurtheilt:  Wahre 
Freiheit  wohnt  nur  im  Grabe.  Die  irdische  Freiheit  ist  ein 
unsicheres  Gut.  Jeder  Tag  kann  uns,  auch  wenn  wir  noch  so 
alt  sind,  einen  Herrn  geben.  Sind  doch  mächtige  Könige  und 
ruhmvolle  Städte  in  Sklaverei  gestürzt  worden!  Frei  kann 
sich  nur  derjenige  nennen,  welcher  kein  Knecht  der  Sünde 
ist  (Dial.  XIV).  —  Thöricht  ist  der  Stolz  darauf,  in  einer 
grossen  oder  berühmten  Stadt  geboren  worden  zu  sein,  wenn 
man  selbst  namenlos  und  unbedeutend  ist  ^).  In  einer  grossen 
Stadt  zu  wohnen,  hat  wegen  der  weiten  Entfernungen,  welche 
dort  stattfinden,  seine  argen  Schattenseiten.  Aus  einem  kleinen 
Orte  in  eine  grosse  Stadt  übersiedeln,  heisst,  sich  aus  dem 
ruhigen  Hafen  in  ein  stürmisches  Meer  stürzen;  hat  man  es 
aber  einmal  gethan,  so  strebe  man  darnach,  durch  seine  Lei- 
stungen aus  der  grossen  Menschenmasse  hervorzuragen  (Dial. 
XV).  —  Natürlich  wird  auch  über  den  Geburtsadel  das  ver- 
dammende Urtheil  ausgesprochen:  Da  die  Quelle  des  mensch- 
lichen Lebens  für  Alle  die  gleiche  ist,  so  gibt  es  keinen  Ge- 
burtsadel. Der  wahre  Edelmann  wird  nicht  geboren ,  sondern 
entspringt  aus  rühmlichen  Thaten.  Was  wir  Geburtsadel 
nennen,   ist  ein  werthloser  Besitz,  wenn  wir  ihm  nicht  durch 

^)  Hier  folgt  eine  heftige  Polemik  gegen  Piaton,  weil  dieser  sich  ge- 
rühmt habe,  in  Athen  und  als  Grieche  geboren  worden  zu  sein.  Gelegent- 
lich wird  hier  auch  ein  heftiger  Ausfall  gegen  des  Pythagoras  Lehre  von 
der  Seelenwanderung  gemacht. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  547 

eigene  Tüchtiokeit  Glanz  verleihen.  Die  Reihe  der  erlauchten 
Vorfahren  ist  immer  nur  eine  kurze.  Der  Ursprung  fürstlicher 
Geschlechter  geht  vielfach  auf  den  Hirten-  und  Bauernstand 
zurück,  und  oftmals  endet  auch  ihre  Geschichte  wieder  am  Aus- 
gangspunkte, Das  einzige  Gute,  welches  adlige  Abstammung 
gewährt,  ist,  dass  das  Beispiel  edler  Vorfahren  zur  Nacheiferung 
aufmuntert.  Indessen  ist  doch  selten  eines  hervorragenden 
Mannes  Sohn  wieder  ein  hervorragender  Mann.  Oft  ist  der 
adelige  Stand  eine  Last  für  den,  der  ihm  angehört  (Dial.  XVI). 

Dass  gegen  Alles,  w^as  nur  irgend  als  Luxus  erscheinen 
kann  oder  nur  irgendwie  an  Luxus  anstreift,  mit  grosser  Er- 
l)itterung  geeifert  wird,  werden  wir  nur  für  folgerichtig  halten 
müssen.  In  diesem  Feldzuge  w^erden  auch  die  kleinsten  De- 
tails nicht  vergessen.  So  wird  es  z.  B.  als  kindisch  und  thö- 
richt  getadelt,  wenn  sich  Jemand  Pfauen,  Hühner,  Tauben  oder 
Bienen,  Affen  oder  sonstige  possierliche  Thiere  oder  gar  Ele- 
phanten  und  Kameele  hält,  und  überall  wird  an  dem  betreifen- 
den Thiere  irgend  eine  Schattenseite  herausgefunden ,  durch 
welche  jeder  Vernünftige  sich  von  dessen  Zucht  abschrecken 
lassen  sollte:  die  Pfauen  sind  schön,  aber  ihr  Geschrei  ist  un- 
erträglich; die  Hühner  scharren  immer  im  Boden  und  verur- 
sachen dadurch  grossen  Sehaden;  die  Tauben  sind  durch  ihr 
stetes  Girren  und  Gurren  lästig;  die  Bienen  sind  schwer  zu 
züchten  und  ihre  Schwärme  tiiegen  oft  davon;  die  Aften  sind 
völlig  unnütz  und  durch  ihre  Menschenähnlichkeit  widerlich : 
Elephanten  und  Kameele  endlich  sind  für  unser  Klima  ganz 
unbrauch])ar  (Dial.  LX,  LXI,  LXII). 

Aber  auch  der  edelste  Luxus,  die  Werke  der  bildenden 
Künste,  finden  vor  dem  asketischen  Richter  keine  Gnade.  Die 
Freude  an  Gemälden  ist,  trotzdem  dass  die  grössten  Männer 
des  Alterthums  ihr  gehuldigt  haben,  eine  eitele  und  thörichte  — 
viel  besser  ist  es,  an  den  Werken  der  Natur  sich  zu  erfreuen 
und  in  ihnen  die  Macht  Gottes  zu  bewundern  (Dial.  XL).  Auch 
die  im  Alterthume  ebenfalls  sehr  verbreitete  Freude  an  Bild- 
säulen ist  eine  thörichte  und  eitele.  Uebrigens  kommt  es 
Vielen,  welche  für  Statuen  zu  schwärmen  vorgeben,   nicht  so- 

.    35* 


548  Zehntes  Capitel. 

wol  auf  den  Kunstwerth  derselben  als  auf  die  Kostbarkeit  des 
Materials  an  (Dial.  XLIj.  Dass  schön  geschnittene  Steine 
einen  Kunstwerth  besitzen  und  erfreuen  können,  soll  nicht  ge- 
leugnet Averden  —  aber  soll  man  nicht  statt  an  dem  Glänze 
und  an  den  Farben  der  Edelsteine  am  Glänze  der  Sonne  und 
an  den  leuchtenden  Farben  des  Himmels  und  der  Bäume  sich 
erfreuen?  und  soll  man  nicht  vielmehr  die  Weisheit  des  grössten 
Künstlers,  d.  i.  Gottes,  nicht  aber  den  Geist  eines  irdischen 
Künstlers  bewundern?  (Dial.  XXXIX).  Dies  und  Aehnliches 
ward  von  dem  Begründer  der  Renaissancecultur  geschrieben, 
als  dieselbe,  auch  auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst,  in  vollem 
Emporblühen  begrilfen  war!  Man  sieht,  welch'  harten  Kampf 
Petrarca  in  seinem  Innern  mit  dem  Geiste  des  Mittelalters  zu 
kämpfen  hatte  und  wie  der  letztere  sich  oft  genug;^  des  Sieges 
rühmen  durfte  ^). 

Nicht  besser,  als  der  bildenden,  ergeht  es  der  darstellenden 
Kunst.  Sich  an  den  Witzen  eines  Schauspielers  zu  erfreuen, 
ist  eines  ernsten  Mannes  unwürdig.  Allerdings  erwarb  sich  der 
Schauspieler  Roscius  die  Gunst  selbst  des  Sulla  und  des  Cicero, 
aber  damals  stand  die  dramatische  Kunst  hoch,  während  sie 
jetzt  tief  gesunken  ist  und  nur  noch  ein  verderbter  Geschmack 
sich  an  ihr  ergötzen  kann.  Die  Schauspieler  sind  eine  ebenso 
unsittliche  und  gefährliche  Menschenclasse  wie  die  Parasiten 
(Dial.  XXVIII).  Bei  diesem  Urtheile  ist  allerdings  zu  berück- 
sichtigen, dass  im  14.  Jahrhundert  in  Italien  von  einer  Schauspiel- 
kunst in  der  That  nicht  die  Rede  sein  konnte  und  dass  die 
gewerbsmässigen  Histrionen  damaliger  Zeit  eben  nur  Possen- 
reisser  der  gemeinsten  Sorte  waren,  Dass  Petrarca  an  Ring- 
kampf, Schnelllauf,  Wagenrennen,  Fechterspielen  und  Thier- 
hetzen  wenig  Gefallen  fand  (Dial.  XXIX  und  XXX),  wird  man 
ebenfalls  verzeihlich  linden. 

Interessant  ist  es  zu  erfahren,  wie  der  Lauraschwärraer 
und  Laurasänger,  der  Dichter  dei-  lieblichen  Sonette  und  Can- 
zonen,  über  Frauenliebe,  eheliches  Glück  und  Vaterschaft  dachte 


')  üeber  Petrarca's  wahres  Verhältniss  zur  bildenden  Kunst  vgl.  S.  511  f. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  549 

oder  doch  zu  denken  vorgab.  Unsere  Leser  -werden  sehr  ent- 
täuscht sein,  aber  ihr  Staunen  wird  sich  später  noch  gewaltig 
steigern :  Petrarca  war,  wenigstens  in  seinem  Alter  und  wenig- 
stens in  der  Theorie,  der  grimmigste  Weiberfeind  und  Ehe- 
hasser, der  eingefleischteste  und  fanatischste  Cölibatär. 

Dem  Weisen  ziemt  —  lehrt  er,  indem  er  Cicero's  (Tusc. 
IV  32 — 35)  Anschauung  etwas  verworren  reproducirt  —  nur 
die  rein  geistige,  von  aller  Leidenschaft  freie  Liebe  zu  Gott,  zu 
geistigen  Dingen  und  zu  Freunden.  Jede  Liebe  hingegen,  welcher, 
wenn  auch  nur  versteckt,  ein  sinnliches  Motiv  zu  Grunde  liegt, 
ist  ein  Uebel,  besonders  wenn  sie  Gegenliebe  erweckt  hat.  Wer 
Liebesschmerz  durch  Lieder  zu  heilen  vermeint,  ist  in  argem 
Wahne  befangen,  denn  er  steigert  nur  durch  die  poetische  Thä- 
tigkeit  sein  Uebel.  Durch  andere  Mittel  allein,  wie  z.  B.  durch 
Entfernung,  Beschäftigung,  neue  Liebe,  lässt  die  Liebe  sich  heilen, 
die  wirksamsten  Gegenmittel  aber  sind  eintretende  Krankheit. 
Hässlichkeit  und  Alter.  Die  Frauen  aber  sind  es  übrigens 
gar  nicht  werth.  dass  man  sie  liebt,  denn  sie  sind 
ein  lüsternes,  leichtsinniges  Geschlecht,  dem  das  Lügen  und 
Betrügen  zur  Gewohnheit  und  zur  eifrig  betriebenen  Beschäf- 
tigung geworden  sind  ^Dial.  LXIX).  Die  Ehelosigkeit  ist  daher 
der  Ehe  bei  weitem  vorzuziehen.  "Slit  einer  Frau  kommen 
steter  Zank  und  Unfrieden  in  das  Haus,  namentlich  wenn  die 
Frau  reich  und  vornehmen  Geschlechtes  ist.  Der  Mann  wird 
stets  der  Sklave  der  Frau  und,  ist  dieselbe  gar  eifersüchtig, 
so  wird  seine  Sklaverei  geradezu  unerträglich  (Dial.  LXV)  ^) ; 
besonders  schlimm  gestaltet  sich  auch  die  Lage  des  Ehemannes, 
wenn  seine  Frau  sehr  schön  ist  fDial.  LXII).  Wer  •  einmal 
schon  verheirathet  gewesen  ist  und  zu  einer  zweiten  Ehe 
schreitet,  ist  ein  Thor,  und  wer  seinen  Kindern  eine  Stiefmutter 
gibt,   schleudert   mit   eigener  Hand    eine   Brandfackel   in  sein 


^)  Es  enthält  dieser   Dialog    eine    drastische  Declamation    gegen    die 

Ehe   und   die  Frauen .  der   es  nicht  an   komisch  ^virkenden  Zügen  fehlt, 

welche  aber  doch   von   feiner  Menschenkenntniss  und  guter  Beobachtung 
des  Lebens  zeugt. 


550  Zehntes  Capitel. 

Haus.  Besser  als  eine  zweite  Ehe  ist  —  wenn  es  nur  keine 
Sünde  und  von  Gott  verboten  wäre  —  das  Leben  im  Concubi- 
nate  (Dial.  LXXVI).  Kinder  sind  in  Wahrheit  eine  „süsse 
Last,"  denn  sie  sind  die  Quelle  steter  Sorge  und  Unruhe.  Auf 
Lebensgenuss  muss,  wer  Kinder  hat,  verzichten,  denn  er  sorgt 
nicht  nur  für  die  Gegenwart,  sondern  sogar  noch  für  eine  Zu- 
kunft, welcher  er  selber  nicht  mehr  angehören  wird  (Dial.  LXX). 
Allerdings  gewährt  ein  munteres  Kind,  wenn  es  z.  B,  seine 
ersten  Sprechversuche  macht,  eine  reizende  Unterhaltung,  deren 
man  sich  wohl  freuen  darf.  Aber  man  möge  immer  bedenken, 
dass  das  Kind  rasch  wegsterben  kann ,  und  auch ,  dass  ein 
netter  Knabe  sich  oft  zu  einem  bösen  Jüngling  entwickelt 
(Dial.  LXXI).  Man  wünsche  nicht,  schöne  Kinder  zu  besitzen, 
denn  diese,  namenthch  aber  die  Mädchen,  würden  eben  durch 
ihre  Schönheit  vielen  Gefahren  ausgesetzt  werden.  Schönheit 
ist  ganz  hübsch,  aber  ein  Höcker  ist  besser  (!).  Uebrigens  ist 
die  Schönheit  ein  vergängliches  Gut  (Dial.  LXXH).  Einen 
tapferen  und  hochherzigen  Sohn  zu  besitzen,  ist  ein  Unglück, 
denn  eben  diese  Eigenschaften  werden  ihn  in  viele  Gefahren 
bringen,  in  denen  er  leicht  seinen  Tod  finden  kann  (Dial.  LXXHl). 
Besitzt  man  eine  wirklich  keusche  Tochter,  so  hat  man  sehr 
zu  befürchten,  dass  sie  das  Opfer  der  schlimmsten  Nachstellungen 
werde,  und  auch,  dass  sie  selbst  endlich  einmal  ihre  Tugend  über- 
drüssig bekomme  und  dann  dem  Laster  um  so  ärger  fröhne: 
keusche  Mädchen  werden  ja  in  der  Regel  geile  alte  Weiber 
(Dial.  LXXIV). 

Wir  brechen  hiermit,  um  unsere  sich  des  Lebensgenusses 
freuenden  Leser  nicht  zu  ermüden  und  zu  erzürnen,  unsere 
Proben  ab  und  wenden  uns  dem  zweiten  Theile  zu.  Dieser 
wird  mit  einer  Vorrede  eingeleitet,  welche  wol  zu  dem  Besten 
gehört,  was  Petrarca  überhaupt  geschrieben  hat:  es  ist  in  ihr 
ein  würdiger  philosophischer  Gedanke  mit  Consequenz  durch- 
geführt und  erörtert,  und  es  ist,  was  nicht  das  geringste  Ver- 
dienst des  Autors  ist,  der  philosophischen  Untersuchung  eine 
anziehende  Form  gegeben  worden,  welche  bald  von  dem  Hauche 
tiefsinniger  Sentimentalität  erfüllt  ist,   bald  von  dem  leichten 


Die  moralphilosophisclien  und  religiösen  Tractate.  551 

Spiele  anmuthigen  Humors  belebt  wird.  Der  Inhalt  lässt  sich 
etwa  folgen dermaassen  in  Kürze  zusammenfassen: 

Petrarca  erklärt,  dass  ihm  von  Allem,  was  er  je  gehört 
und  gelesen,  Nichts  mehr  gefallen  und  Nichts  grösseren  P^in- 
druck  auf  ihn  gemacht  habe,  als  der  Ausspruch  des  Heraklit, 
dass  der  Streit  der  Vater  aller  Dinge  sei  („omnia  secundun\ 
litem  fieri").  Er  beweist  nun  eingehend  und  mit  Anführung 
einer  Fülle  von  Beispielen^),  wie  die  Wahrheit  dieses  Satzes 
im  ganzen  Leben  der  Natur  sowie  im  äusseren  und  inneren 
Leben  der  Menschen  alltäglich  handgreiflich  zu  Tage  trete. 
Nachdem  er  dies  beendet,  bespricht  er  nochmals  den  Inhalt 
und  die  Tendenz  seines  Werkes.  Das  ganze  menschliche  Leben 
werde  unaufhörlich  von  dem  Widerstreite  der  Leidenschaften, 
der  Hoffnungen  und  der  Befürchtungen  bewegt.  Er  wolle  nun 
die  Nichtigkeit  derselben  und  damit  auch  die  Nichtigkeit  des 
Glücks  und  Unglücks  nachweisen.  Wohl  wisse  er,  dass  man 
darüber  sowol  in  ausführlicherer  als  auch  in  kürzerer  Form 
sprechen  könne,  als  er  es  thue,  aber  er  habe  einen  Mittelweg 
innehalten,  sich  weder  der  Breite  noch  lästiger  Kürze  der  Dar- 
stellung schuldig  machen,  den  Leser  weder  mit  Stoff  überhäufen 
noch  auch  ihm  denselben  zu  kärglich  zumessen  wollen.  Man  möge 
sich  nicht  darüber  wundern,  dass  er  nicht  nur  in  dem  Titel  des 
Buches,  sondern  auch  im  Buche  selbst  sich  des  Wortes  „Glück" 
bediene,  er  thue  dies  nur,  um  nicht  vom  gewöhnlichen  Sprach- 
gebrauche abzuweichen  und  dadurch  für  die  weniger  Gelehrten 
unverständlich  zu  werden,  er  selbst  wisse  recht  gut,  dass  es, 
wie  der  heilige  Hieronymus  sage,  weder  ein  Glück  (fortuna) 
noch  ein  Schicksal  (fatum)  gebe  ^). 

Nach  Beendigung  dieser  Vorrede  geht  nun  der  Autor  zu 
der  ihm  noch  übrigen  Aufgabe  über,  nachzuweisen,  dass  Alles, 


^)  Die  zahlreichen,  der  Naturgeschichte  entlehnten,  Beispiele  sind  aus 
Plinius'  „Historia  Naturalis"  zusammengetragen,  2.  B.  was  in  dieser  VII 
10.  VIII  52.  X  169.   XI  111,  XVII  220-240  u.  XXXII  2  ff.   erzählt  wird. 

-)  Man  erkennt  hieraus,  dass  Petrarca  trotz  seiner  zur  Schau  getra- 
genen Exclusivität  (vgl.  oben  S.  .522  f.),  in  praxi  doch  nicht  für  die  Ge- 
lehrten allein  schreiben  wollte. 


552  Zehntes  Capitel. 

was  von  den  Menschen  für  ein  Unglück  erachtet  werde,  in 
"Wahrheit  ein  Segen  sei.  Offenbar  war  diese  Aufgabe  ungleicli 
schwieriger,  als  diejenige,  welche  im  ersten  Theile  gelöst  ward 
oder  doch  gelöst  werden  sollte,  denn  weit  leichter  lässt  sich 
das  Glück  hinwegdisputiren ,  als  das  Unglück,  dessen  eherne 
Schwere  von  den  ^Menschen  nur  allzu  wesenhaft  empfunden 
wird.  So  ist  es  denn  sehr  erklärlich,  dass  Petrarca's  Ausfüh- 
rungen oftmals  nicht  bloss  an  das  Paradoxe,  sondern  auch  an 
das  Absurde  streifen,  dass  sie  dem  modernen  Leser  vielfach 
geradezu  als  hochkomisch  erscheinen  und  auf  ihn  eine  der 
beabsichtigten  ganz  entgegengesetzte  Wirkung  machen. 

Krankheiten  und  körperliche  Schmerzen  w-erden  wol  von 
Allen  als  sehr  reale  Uebel  betrachtet.  Hören  wir,  wie  Petrarca 
auch  ihnen  eine  eifreuliche  Seite  abzugewinnen  versteht!  Be- 
ginnen wir  mit  einem  kleinen,  aber  doch  sehr  lästigen  Uebel. 
den  Zahnschmerzen:  durch  die  Krankheiten  und  Schmerzen 
der  Zähne  werden  wir  sowol  an  die  Güte  Gottes,  welcher  wir 
unsere  Zähne  verdanken,  als  auch  an  unsere  Hinfälligkeit  er- 
innert. Werden  die  Zähne  schlecht  und  fallen  sie  nach  und 
nach  aus,  so  werden  wir  dadurch  zu  grösserer  Massigkeit  und 
Schweigsamkeit  genöthigt  und  vor  der  Gefahr  bewahrt,  leicht- 
sinnig zu  küssen.  Werden  wir  endlich  ganz  zahnlos,  so  möge 
uns  dies  eine  heilsame  Mahnung  daran  sein,  dass  wir  bald  dahin 
gehen  werden,  wo  man  keiner  Zähne  mehr  bedarf  (Dial.  XCIV). 
Aber  auch  für  schlimmere  Dinge  erhalten  wir  Trost,  Leiden 
wir  z.  B.  an  Schlaflosigkeit,  so  sollen  wir  uns  freuen,  dass  wir 
dadurch  mehr  Zeit  zur  Arbeit  gewinnen  und  also  unser 
Leben  verlängern  können;  auch  entrinnen  wir  dadurch  den 
Schrecknissen  der  Träume.  Der  verlorene  Schlaf  wird  sich 
schon  wieder  herbeilocken  lassen,  wo  nicht,  so  wird  der  Tod 
ihn  uns  wiedergeben  (Dial.  LXXXVI).  Auch  die  Krätze  hat 
ihre  Vortheile:  indem  sie  uns  immer  hübsch  munter  erhält, 
ersetzt  sie  uns  eine  Weckuhr  und  bietet  uns  eine  vortreff- 
liche Gelegenheit,  unsere  Geduld  zu  erproben.  Von  der 
Krätze  des  Leibes  machen  die  Menschen  viel  Aufhebens,  wäh- 
rend sie  um  die  Krätze  der  Seele,  Habsucht  und  Wollust,  sich 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  553 

meist  gar  nicht  kümmern  (Dial.  LXXXV).  Unleugi)ar  schmerz- 
haft ist  der  Gelenkrheumatismus^),  aber  der  Kranke,  der 
übrigens  sein  Leiden  meist  selbstverschuldet  hat,  möge  sich  damit 
trösten,  dass  er  sich  in's  Bett  lege  und  daran  denke,  wie  er 
vielleicht  bald  im  Grabe  liegen  werde.  Das  wird  seiner  Seele 
nützen  (Dial.  XCV).  Das  Podagra  hindert  uns  nur  an  körper- 
licher Bewegung,  nicht  aber  an  edler  geistiger  Thätigkeit.  Besser 
ist  es,  dass  die  Füsse  kranken,  als  das  Haupt.  Durch  Massig- 
keit und  Enthaltsamkeit  können  wir  übrigens  das  Podagra  be- 
kämpfen (Dial.  LXXXIV).  Endlich  wird  auch  die  Pest  be- 
sprochen :  Vor  einer  Pest  kann  sich  nur  fürchten,  wer  den  Tod 
fürchtet.  Stirbt  man  an  der  Pest,  so  hat  man  wenigstens  den 
Trost,  mit  Vielen  zugleich  zu  sterben.  TJebrigens  verschont 
auch  die  grimmigste  Pest  noch  viele  Menschen  (Dial.  XCII). 

Selbst  für  alle  „kleinen  Leiden''  des  menschlichen  Daseins 
weiss  unser  praktischer  Lebensphilosoph  Rath.  So  tröstet  er 
uns  über  das  Ungemach  einer  engen  Wohnung:  Ein  kleines 
Haus  hat  vor  einem  grossen  manchen  Vorzug,  so  sichert  es 
z.  B.  vor  Dieben.  Die  Engigkeit  des  Hauses  ist  für  den  Be- 
Avohner  kein  Hinderniss,  hohen  Ruhm  zu  erwerben.  Viele  be- 
rühmte Männer  haben  enge  Häuser  bewohnt.  Das  Haus  mag 
noch  so  eng  sein,  enger  noch  wird  der  Sarg  sein,  und  schon 
wälirend  des  Lebens  muss  unsere  Seele  in  der  engen  und 
schmutzigen  Behausung  des  Leibes  wohnen  (Dial.  LXHI).  In 
einem  anderen  Abschnitte  folgt  ein  ganzes  Register  von  allerlei 
verdriesslichen  Dingen  sammt  den  entsprechenden  Trostgründen : 
L  Das  wirre  und  lärmende  Reden  der  Menschen  —  flüchte 
Dich  in  die  Einsamkeit  aufs  Land  oder  suche  Dich  an 
das  Lärmen  zu  gewöhnen,  wie  man  ja  auch  an  das  Tosen 
eines  Wasserfalles  sich  gewöhnen  kann.  2.  Das  Bellen  der 
Hunde  —  wer  an  das  Lärmen  der  Menschen  sich  gewöhnt 
hat,  kann  auch  das  Bellen  der  Hunde  ertragen.  3.  Ein  wildes 
Pferd,   ein  störrischer  Sklave-)  —  beide  „Thiere"    kann  ent- 


^)  So  darf  man  vielleicht  „aegritudo  tibiarum"  übersetzen.  / 

'-)  Dass  es  zu  Petrarcas  Zeit  in  Italien,  namentlich  in  Venedig,  noch 


554  Zehntes  Capitel. 

b ehren,  wer  Hände  und  Füsse  hat.  4.  Fliegen  und  Flöhe  — 
diese  Thiere  sowie  das  sonstige  Ungeziefer  sind  von  Gott  er- 
schaffen worden,  um  uns  an  unsere  menschliche  Schwäche  zu 
erinnern  und  zur  Demuth  zu  eraiahnen.  Wenn  es  keine  Flöhe 
gäbe,  so  würden  wir  zu  gut  schlafen  und  zu  übermüthig  werden. 
Wer  sich  gegen  die  Fliegen,  Gottes  Geschöpfe,  zu  sehr  ereifert, 
läuft  Gefahr,  in  die  Gewalt  des  Fliegengottes,  d.  h.  des  Teufels, 
zu  gerathen.  5.  Das  Geschrei  der  Nachtvögel  —  es  ist  Aber- 
glaube, das  Schreien  des  Käuzchens  oder  der  Nachteule  für 
vorbedeutungsvoll  zu  halten.  6.  Mäuse  im  Zimmer  —  die 
Mäuse  wohnten  eher  als  Du  im  Zimmer  und  können  sich  daher 
mit  grösserem  Rechte  über  Dein  Eindringen  beschweren,  als 
Du  Dich  über  das  ihre.  Mäuse,  Spinnen  und  alle  derartige 
lästige  Thiere  sind  von  Gott  erschaffen  worden,  damit  uns  nicht 
etwa  das  irdische  Leben  zu  angenehm  werde  und  wir  aufhören, 
uns  nach  dem  himmlischen  zu  sehnen.  7.  Das  Gequack  der 
Frösche  und  das  Zirpen  der  Cicaden  —  man  bilde  sich  fest 
ein,  dass  diese  Töne  schön  klingen  und  man  wird  seine  Freude 
daran  haben.  Die  Frösche  und  Cicaden  müssen  nun  einmal 
dem  Gebote  der  Natur  nach  ihre  Musik  machen,  und  diese  ist 
bei  weitem  keine  so  grosse  Plage,  als  die  Schlechtigkeiten  und 
Leiden,  welche  die  Menschen  selbst  sich  gegenseitig  anthun-). 
8.  Die  Hitze  —  der  Winter  wird  Hülfe  bringen.  9.  Die  Kälte  — 
durch  Feuer,  Kleidung,  Bedachung,  Arbeit,  Körperbewegung 
und  Speise  kann  ihr  abgeholfen  werden.  10.  Das  unbeständige, 
bald  heisse,  bald  kalte,  bald  feuchte  Wetter  —  man  muss  nicht 
so  weichlich  und  so  empfindsam  gegen  Witterungseinflüsse  sein 
und  nicht  immer  gegen  die  von  Gott  gelenkte  Natur  klagen. 
Die  Witterungserscheinungen    (Wolken,  Winde,  Hagel,   Blitz, 


Sklaven  gab,  wenn  auch  jedenfalls  nur  in  geringer  Zahl ,  wird  z.  B.  durch 
eine  Bemerkung  in  Ep.  Sen.  X  2  bewiesen. 

^)  Petrarca  nimmt  hier  Gelegenheit,  bitterlich  über  das  Räuberunwesen 
zu  klagen,  welches  die  Fürsten  selbst  (die  er  ironisch  „patres  patriae" 
nennt)  um  schnöden  Geldgewinnes  willen  begünstigen  und  welches  das 
schönste  Vergnügen,  das  Reisen,  verleidet  und  selbst  unmöglich  macht. 
Ueber  das  Tyrannenunwesen  vgl.  man  auch  11  Dial.  39. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  555 

Donner)  mahnen  uns  an  unsere  Ohnmacht  und  der  Donner 
verkündet  uns  Gottes  Zorn.  11.  Das  Zusammentreffen  mit 
Betrunkenen  —  man  meide  die  öffentlichen  Plätze  der  Stadt 
und  die  Schenken.  12.  Das  Gedränge  der  Menschen  —  nur 
der  crasseste  Egoist  kann  wünschen,  dass  die  Bevölkerung  der 
Stadt  aussterbe:  der,  dem  das  Gedränge  unleidlich  ist,  kann 
ja  aufs  Land  tlüchten.  13.  Processe  —  man  sorge  dafür,  dass 
man  keine  Processe  habe,  und  das  ist  leicht  zu  erreichen,  wenn 
man  nur  der  Habsucht  entsagt  (Dial.  XCj. 

Nach  dem,  was  wir  oben  von  Petrarca's  Weiber-  und  Ehe- 
hass  erfahren  haben,  wird  es  uns  nicht  befremden,  dass  er 
den  Verlust  einer  Braut,  einer  Gattin,  eines  Kindes  nicht  eben 
für  ein  sonderliches  Unglück  erachtet,  aber  staunen  werden 
wir  doch,  dass  sich  dieser  Hass  bis  zur  vollen  Rohheit  und 
Herzlosigkeit  steigern  konnte. 

Verliert  man  seine  Braut  in  Folge  einer  gerichtlichen  Ent- 
scheidung, so  mag  man  sich  damit  trösten,  dass  es  besser  ist, 
die  Braut,  als  die.  Gattin  zu  verlieren,  dass  es  besser  ist,  in 
einem  Processe,  als  in  einem  Waftenkampfe,  bei  welchem  man 
obendrein  auch  das  Leben  verlieren  kann,  zu  unterliegen,  und 
dass  es  endlich  ein  Glück  ist,  vor  der  Verheirathung  und  ihren 
Folgen  bewahrt  zu  bleiben  (Dial.  XVH).  Ueber  den  Tod  der 
Gattin  muss  man  sich  freuen,  nicht  trauern:  wird  man  doch 
dadurch  von  schweren  Fesseln  befreit  und  erhält  seine  Freiheit 
und  die  ungehinderte  Verfügung  über  seine  Zeit  wieder.  Es 
hat  ja  auch  keinen  Zweck,  dass  die  Ehe  bis  zu  dem  Zeit- 
punkte ausgedehnt  werde,  in  welchem  die  Frau  aufhört,  liebens- 
würdig zu  sein  und  Kinder  zu  gebären.  Ein  Thor  aber  ist 
jedenfalls,  wer  nach  Lösung  der  ersten  Ehe  zu  einer  zweiten 
schreitet.  Am  glücklichsten  ist  ohne  Frage  der  Hagestolz :  be- 
neidenswerth  ist    seine   Unabhängigkeit!    (Dial.   XVIII)  ^).   — 


^)  Wir  geben  eine  Stelle  aus  diesem  Dialoge  als  besonders  charakte- 
ristisch wieder:  „Ich  habe  meine  Frau  verloren.  —  0  du  Thor!  Nim  ist 
es  Zeit,  den  Hochzeitsreigen  anzustimmen  und  Dich  zu  bekränzen  (NB.  die 
Stelle  ist  in  den  baseler  Drucken  arg  verdei'bt,  doch  kann  der  Sinn  nicht 
zweifelhaft  sein),  in  einem  grossen  Kampfe  hast  Du  gesiegt  und  von  einer 


556  Zehntes.  Capitel 

Gegen  ein  böses  Weib  hilft  nur  Prüjzel ,  oder  -wenn  diese  er- 
folglos bleibt,  die  Geduld.  Am  besten  ist  es,  unvennählt  zu 
bleiben  (Dial.  XIX).  —  Wird  Einem  die  Frau  entführt,  so 
muss  man  dem  Verführer  dankbar  sein  wie  einem  Arzte,  der 
uns  von  einem  schweren  Leiden  befreit  hat  (Dial.  XX).  — 
Die  Unfruchtbarkeit  der  Frau  hat  viele  Vortheile:  sie  macht 
die  Frau  bescheiden  und  demüthig,  sie  erspart  manche  häus- 
liche Unannehmlichkeiten  (Wochenbett,  Ammengezänk  etc.), 
sie  bewahrt  vor  dem  Schmerze,  schlechte  Kinder  zu  haben, 
und  vor  der  Schande,  Bastardkinder  aufzuziehen.  Uebrigens 
aber  trägt  oft  genug  der  Mann  die  Schuld  an  der  Unfrucht- 
barkeit der  Frau  (Dial.  XXII).  —  Bei  dem  Verluste  eines 
Sohnes,  welcher  allerdings,  namentlich  wenn  der  Sohn  gut  war. 
überaus  schmerzlich  sein  kann,  tröste  sich  der  Vater  mit  dem 
Gedanken,  dass  er  dem  Sohne  in  Bälde  nachfolgen  werde,  und 
auch  damit,  dass  er  durch  den  Todesfall  von  einer  schweren 
Sorge  befrdt  worden  ist  (Dial.  XXXXVIII). 

Indessen  darf  man  doch  nicht  meinen,  dass  das  ganze 
Buch  sich  aus  derartigen,  theils  absurden  theils  das  sittliche 
Gefühl  verletzenden  Paradoxen  zusammensetze.  Es  finden  sich 
auch  wirklich  tief  durchdachte  Capitel,  in  denen  ein  ernster 
Gedanke  in  anmuthiger,  ja  selbst  poetischer  Form  entwickelt 
wird.  So  z,  B.  Dial.  XCIII,  in  welchem  der  Autor  den  Welt- 
schmerz („dolendi  quaedam  voluptas")  bekämpft  und  dabei 
Gelegenheit  nimmt,  die  Pracht  der  Natur  und  die  Macht  des 
Menschengeistes  in  schwuntivollster  Rede  zu  feiern.  Die  hier 
gegebene  Schilderung  von  der  w'underbaren  geistigen  Begabung 
des  Menschen  kann  an  den  das  gleiche  Thema  behandelnden 
Chorgesang  des  Sophokles  in  der  Antigene  („sro^.Aa  zu.  öeivo. 
vMvdtv  av&QWTTor  öeivöteqov  TitLu  etc.")  erinnern.  Aber 
freilich  sind  derartige  Perlen  spärlich  verstreut  in  einer  er- 
drückenden Stoffmasse,   welche  dem  unbefangenen  Beurtheiler 

langen  Belagerung  bist  Du  befreit.  —  Ich  habe  meine  Frau  verloren.  —  In 
dem  Sinne,  wie  man  das  Fieber  oder  die  Krätze  verliert,  zuweilen  ist  der 
Verlust  eine  Art  des  Gewinns."  Und  in  diesem  mehr  als  cynischen  Tone 
geht  es  ungefähr  eine  Tolioseite  weiter. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  557 

als  ein  wunderlicher  Wust  erscheinen  muss.  Einigermaassen 
erträglicher  wird  indessen  die  Leetüre  auch  des  zweiten  Theiles 
dadurch  gemacht,  dass  nicht  selten  culturhistorisch  oder  psy- 
chologisch interessante  Anekdoten  eingeflochten  (z.  B.  Dial.  XC, 
CXX,  CXXl)  und  dass  mitunter  auch  Begebenheiten  aus  der 
Zeitgeschichte  erzählt  werden  (z.  B.  Dial.  LXXI,  CXVII).  — 
Welches  Gesammturtheil  soll  man  nun  über  das  seltsame 
Werk  abgeben?  Auf  den  ersten  Anblick  könnte  es  scheinen, 
dass  es,  und  zwar  ohne  einer  sonderlichen  Auszeichnung  ge- 
würdigt zu  werden,  in  eine  Reihe  gestellt  werden  müsse  mit 
jenen  asketischen  Werken  über  die  Nichtigkeit  des  mensch- 
lichen Lebens,  welche  die  mittelalterliche  Prosalitteratur,  zumal 
seitdem  der  grosse  Innocenz  IIL  die  „drei  Bücher  über  die 
Verachtung  der  Welt  oder  über  das  Elend  des  menschlichen 
Lebens"  ^)  geschrieben  hatte  —  welches  Buch  Petrarca  übri- 
gens einmal  fortzusetzen  aufgefordert  wurde,  sich  aber  dessen 
weigerte  (Ep.  Sen.  XVI  9)  —  ,  in  so  reicher  Fülle  und  sowol 
in  Latein  als  in  den  Volkssprachen  hervorbrachte.  Und  in 
der  That  kann  eine  innere  Verwandtschaft  der  ,,  Heilmittel 
gegen  Glück  und  Unglück"  mit  jenen  Werken  nicht  geleugnet 
werden:  sie  sind  im  Wesentlichen  von  demselben  Geiste  der 
düsteren  und  weltfeindlichen  Askese  des  Mittelalters  erfüllt 
und  sie  sind  ohne  Frage  dasjenige  Buch,  durch  welches  ihr 
auf  der  Grenzscheide  zweier  Zeitalter  stehender  Verfasser  am 
nachdrücklichsten  bekundet  hat,  dass  er  nicht  nur  ein  Bürger 
der  Neuzeit,  sondern  auch  noch  ein  Bürger  des  Mittelalters 
gewesen  ist.  Trotzdem  aber  würde  es  ein  Irrthum  sein,  zu 
meinen,  dass  Petrarca  in  der  Abfassung  dieses  Werkes  die 
Eigenschaft  des  Begründers  der  humanistischen  Bildung  völlig 
verleugnet  habe.      Das  Buch    mag   uns    modernen  Menschen, 


^)  de  contemtu  mundi  sive  de  miseria  humanae  conditionis  libri  tres" 
(zuletzt  herausgegeben  von  J.  J.  Achterfeld,  Bonn,  18ü5).  Ueber  den  Ein- 
fluss  dieses  Buches  auf  die  mittelalterliche  Litteratur  vgl.  den  schönen  Auf- 
satz von  R.  Köhler ,  ., Quellennachweise  zu  Richard  Rolle's  von  Hampole 
Gedicht  ,The  Pricke  of  Conscience'  in  dem  Jahrb.  f.  rom.  u.  engl.  Litt.  VI 
p.  196  ff." 


558  Zehntes  Capitel. 

die  wir  —  abgesehen  von  vereinzelten  Fanatikern  und 
seltsamen  Schwärmern  —  mit  der  asketischen  Anschauung 
des  Mittelalters  gänzlich  gebrochen  und  eben  in  Folge  der 
Renaissance  einer  heiteren  Lebensauffassung  uns  zugewandt 
haben,  gar  sehr  mittelalterlich- asketisch  erscheinen,  Petrarca's 
Zeitgenossen  aber,  den  noch  im  Mittelalter  stehenden  oder  eben 
erst  aus  demselben  heraustretenden  Menschen,  ist  es  unzweifel- 
haft als  ungemein  modern  und  höchst  freisinnig  erschienen. 
Dies  Buch  nämlich ,  welches  wir  ohne  nähere  Prüfung  einfach 
als  ein  Erbauungsbuch  und  zwar  als  ein  höchst  finster  gehal- 
tenes bezeichnen  würden,  will  doch  durchaus  kein  Erbauungs- 
buch, keine  asketische  Schrift  sein,  sondern  erhebt  Anspruch 
darauf,  als  ein  ganz  profanes  Werk,  als  ein  Handbuch  der 
Lebensphilosophie  betrachtet  zu  werden.  Daher  hält  es  sich 
auch  so  fern  von  aller  systematischen  Theologie,  abstrahirt  von 
jeder  Bezugnahme  auf  formulirte  Dogmen  und  Lehrsätze,  be- 
helligt uns  nicht  mit  Erörterungen  über  die  Ei'bsünde,  die 
Tod-  und  lässlichen  Sünden,  die  sieben  Sacramente,  die  fünf 
Freuden  der  heiligen  Jungfrau  und  ähnliche  theologische  Spe- 
cialitäten.  Wohl  ist  der  Verfasser  erfüllt  von  dem  asketischen 
Geiste  mittelalterlich -katholischen  Kirchenthums ,  aber  dem- 
ungeachtet  bemüht  er  sich  sichtlich,  seinem  Werke  einen  pro- 
fanen Charakter  zu  verleihen:  wohl  citirt  er  die  Bibel  und 
die  Kirchenväter,  aber  eigentlich  doch  nur  dann,  wenn'  er  aus 
profanen  Autoren  kein  recht  geeignetes  Citat  oder  doch  keine 
grössere  Anzahl  derselben  aufzutreiben  weiss,  wenn  nur  irgend 
möglich,  entnimmt  er  seine  Citate  den  lateinischen  Classikern, 
und  man  merkt  ihm  die  herzliche  Freude  an,  mit  welcher  er 
die  Früchte  seiner  profanen  Belesenheit  uns  vorsetzt.  Man 
erkennt  daraus  zur  Genüge,  dass  es  doch  auch  der  Humanist 
Petrarca  gewesen  ist,  der  dieses  Buch  geschrieben;  das  Buch 
ist  gleichsam  das  Werk  eines  Doppelwesens,  des  mittelalter- 
lichen Petrarca  und  des  humanistischen  Petrarca,  wenn  wir 
uns  dieser  kurzen  Bezeichnungen  Ijedienen  dürfen:  der  mittel- 
alterliche Petrai-c;i  wollte  einmal  allein  Schriftstellern  und 
machte    dazu    ganz    gewaltige   Anstrengungen,    aber    dennoch 


Die  moralphilosophischea  und  religiösen  Tractate.  559 

fjelang  es  ihm  nicht,  denn  der  humanistische  Petrarca  brachte 
ihm  immer  das  Concept  aus  der  Ordnung,  flüsterte  ihm  zwischen 
die  erbaulichen  Phrasen  immer  Sätze  aus  den  alten  Heiden  zu, 
auch  etliche  recht  heidnische  Gedanken,  kurz,  er  Hess  es  sich 
nicht  nehmen,  ebenfalls  seinen  Theil  zu  dem  Werke  seines 
Mit-Ichs  beizutragen.  So  entstand  denn  ein  in  sich  selbst 
zwiespältiges  Buch,  dictirt  vom  Geiste  des  Mittelalters,  aber 
corrigirt  und  ergänzt  vom  Geiste  des  Humanismus,  ein  Buch, 
welches,  wie  sein  Verfasser,  auf  der  Grenze  zweier  Zeitalter 
steht,  sowol  der  untergehenden  als  auch  der  emporsteigenden 
Culturform  angehört.  Und  noch  durch  etwas  Anderes  bekundet 
das  Werk  seine  eigenartige  Zwitternatur.  Petrarca  wollte  vom 
christlichen  Standpunkte  aus  des  Lebens  Nichtigkeit  darlegen, 
aber  da  er  unvermögend  war,  sich  mit  ganzer  Seele  auf  diesen 
Standpunkt  zu  stellen,  und  da  der  Humanist  in  ihm  immer 
den  christlichen  Asketen  durchkreuzte,  so  ist  er,  freilich  ohne 
es  gewollt  noch  gewusst  zu  haben,  zu  einem  sehr  verschieden- 
artigen Ergebnisse  gelangt.  In  dem  Buche  spricht  sich  — 
wenigstens  wenn  man  den  Gesammteindruck  sich  vergegen- 
wärtigt —  ein  sehr  unchristlicher  Pessimismus  aus,  der  sich 
selbst  bis  zum  Nihilismus  steigert.  Das  ganze  Erdendasein 
wird  als  absolut  werthlos  dargestellt,  das  Vorhandensein  sowol 
des  Guten  als  des  Bösen  in  der  realen  Welt  wird  geleugnet 
und  damit  indirekt  die  Lehre  von  dem  öden  Nichts  gepredigt. 
Wenn  der  Verfasser  folgerichtig  zu  Werke  gegangen  wäre, 
so  hätte  er  —  ähnlich  wie  etwa  Schopenhauer  und  E.  v.  Hart- 
mann —  die  Verzweiflung  am  Dasein  als  die  einzig  berech- 
tigte Weisheit  und  die  Aufhebung  des  individuellen  Seins 
durch  den  Selbstmord  als  eine  That  überlegener  Einsicht  hin- 
stellen müssen.  Das  thut  er  freilich  keineswegs,  sondern  er 
ereifert  sich  vielmehr  (H  98)  in  salbungsvollen  Worten  gegen 
den  Selbstmord  und  spricht  gar  Vieles  und  Erbauliches  von 
Gottes  Güte  und  Weisheit,  von  Tugend  und  Sünde,  von  der 
ewigen  Seligkeit  und  der  ewigen  Verdammniss.  Indessen, 
das  Alles  ist  nur  eine  fromme  Hülle,  welche  Petrarca  in  seiner, 
allen  Gemüthsmensehen  eigenen  Scheu,  die  letzten  und  gefähr- 


560  Zehntes  Capitel. 

liebsten  Consequeiizen  seines  Denkens  zu  ziehen,  gebraucht, 
um  sich  selbst  zu  betrügen  und  nicht  in  der  süssen  Gewohn- 
heit des  inneren  Daseins  durch  unbehagliche  Zweifel  gestört 
zu  werden.  Der  Grundgedanke  des  Werkes  ist  durchaus  un- 
christlich und  schliesst  von  vornherein  jede  Möglichkeit  aus, 
dass  er  mit  dem  Glauben  an  die  göttliche  Güte  und  Weisheit, 
an  Tugend  und  Sünde,  an  ewige  Seligkeit  und  Verdammniss 
vereinbar  sei,  denn  diese  Begriffe  können  nur  dann  einen  Sinn 
haben,  wenn  man  in  der  realen  Welt  die  Existenz  des  Bösen 
und  Guten  annimmt,  wenn  man  den  realen  Dingen  einen  posi- 
tiven oder  negativen  Werth  beilegt :  wie  soll  aber  der  Mensch 
an  Gottes  Güte  und  Weisheit  glauben  können,  wenn  für  ihn 
die  Werthlosigkeit  alles  dessen,  was  er  besitzen,  erwerben, 
geni essen  und  erfahren  kann,  ein  Axiom  ist?  Wie  ist  ferner 
Tugend  und  Sünde  praktisch  überhaupt  denkbar,  wenn  ihnen 
ihr  Substrat,  der  den  realen  Dingen  gemeinhin  beigemessene 
Werth,  entzogen  wird?  denn  wie  dürfte  man  dann  z.  B.  die 
Ehrlichkeit  als  eine  Tugend,  den  Diebstahl  als  ein  Laster  be- 
zeichnen, die  erstere  anempfehlen,  vor  dem  letzteren  aber  warnen 
wollen,  da  sie  doch  beide  nur  an  Gegenständen  zur  Ausübung 
kommen  könnten,  welche,  weil  an  sich  absolut  werthlos,  jede 
an  ihnen  vollzogene  Handlung  sittlich  indifferent  machen 
müssten?  ja,  würde  nicht,  wenn  die  Anschauung  von  der 
Werthlosigkeit  der  realen  Dinge  allgemeine  Geltung  besässe, 
jede  Befassung  mit  denselben  aufhören,  damit  aber  natürlich 
auch  jede  Tugend  und  Sünde?  was  würden  aber  endlich  für 
derartige  Menschen,  wenn  überhaupt  deren  zu  existiren  ver- 
möchten, die  ewige  Seligkeit  und  die  ewige  Verdammniss  noch 
für  einen  Sinn  besitzen?  würden  sie  nicht  völlig  unfähig  sein, 
sowol  die  eine  sich  zu  erwerben  als  auch  der  anderen  sich 
schuldig  zu  machen? 

Indem  Petrarca  eine  Anschauungsweise  aussprach,  welche 
in  ihren,  von  ihm  selbst  freilich  —  wir  dürfen  wol  sagen:  nur 
zufällig  —  nicht  gezogenen  Consequenzen  zu  derartigen  Er- 
gebnissen führte,  trat  er  heraus  aus  den  Gedankenkreisen  des 
Mittelalters  und  des  Christenthums.    Mittelalter  imd  Christen- 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  561 

thum  —  beide  Begriffe  decken  sich  in  dieser  Beziehung  — 
kennen  wohl  den  relativen,  aber  nicht  den  absoluten  Pessi- 
mismus, d,  h.  sie  lehren  wohl,  dass  die  irdischen  Dinge  werthlos 
seien  im  Vergleiche  zu  den  himmlischen  und  ewigen,  aber  sie 
sind  weit  davon  entfernt,  den  ersteren  jeden  VYertli  absprechen 
zu  wollen.  Die  vom  Christenthume  anempfohlene  ufld  im  Mittel- 
alter so  eifrig  praktisch  geübte  Weltentsagung  konnte  doch 
nur  dann  einen  Sinn  haben,  wenn  man  die  irdischen  Dinge 
für  verlockend  genug  erachtete,  um  das  Menschenherz  an  sich 
fesseln  zu  können,  verlocken  kann  aber  nur  das,  was  einen 
wenigstens  relativen  Werth  besitzt.  Der  absolute  Pessimismus 
predigt  keine  Entsagung  der  Welt,  denn  natürlicherweise  kann 
er  Verzichtleistung  auf  ein  absolut  Werthloses  nicht  für  ver- 
dienstlich erachten. 

So  tritt  uns  also  in  Petrarca's  anscheinend  so  mittelaltei-- 
lichem  und  so  erbaulichem  Werke  zum  ersten  Male  der  mo- 
derne Pessimismus  entgegen,  und  es  wird  dadurch  dieses  Werk 
zu  einem  interessanten  und  wichtigen  Denkmale  der  Geistes- 
geschichte. 

Wie  konnte  es  aber  geschehen,  dass  der  Begründer  der 
anscheinend  so  heiteren  und  lebensfrohen  Renaissance  zugleich 
der  Begründer  des  lebensfeindlichen  absoluten  Pessimismus  ge- 
worden ist^)?  Es  scheint  uns  dies  leicht  erklärlich.  Der 
Humanismus  und  »die  Renaissance  involvirten  ein  Sichlossagen 
von  der  christlichen  Anschauungsweise,  die  Befreiung  vom 
Dogma,  das  Sichstellen  des  Menschen  auf  sich  selbst.  Nun 
weist  erfahrungsgemäss  das  irdische  Leben  düstere  Schatten- 
seiten auf;  der  christliche  Glaube,  der  floffnung  auf  ein  bes- 
seres Jenseits  und  einen  in  demselben  erfolgenden  grossen  Aus- 
gleich ergeben,  vermag  sie  zu  ertragen  und  auch  in  ihnen 
Gottes  Weisheit  und  Güte  zu  erkennen.  Wer  aber  den  Boden 
des  christlichen  Glaubens  verlassen,  der  gewahrt  gar  zu  leicht 


^)  Für  Petrarca's  Hinneigung  zu  einer  pessimistischen  Lebensauffassung 
sprechen  zahlreiche  Stellen  seiner  Schriften,  man  vgl.  z.  B.  Ep.  Fam.  "VlII 
8.  XXI  1.  Sen.  I  5.  Ep.  poet.  lat.  I  14,  v.  1—28,  98  ff.  Vit.  Sol.  praef. 
u.  I  6,  6;  II  2,  8. 

Körting,   Petrarca.  36 


562  Zehntes  Capitel. 

nur  die  Schattenseiten  des  Lebens,  übersieht  die  Lichtseiten 
und  lässt  sich  dadurch  zu  einer  pessimistischen  Gesammtauf- 
fassung bestimmen.  Es  ist  das  eine  Gefahr,  welche  gerade 
den  edelsten,  am  zartesten  besaiteten  Gemüthern  droht,  weil 
sie  die  Dissonanzen  des  Daseins,  den  schroffen  Widerspruch 
zwischen  Re'kl  und  Ideal  am  schmerzlichsten  empfinden.  Auch 
Petrarca  ist  dieser  Gefahr  nicht  entgangen,  denn  so  sehr  er 
auch  mit  seinem  Gemüthe  an  dem  christlichen  Glauben  fest- 
zuhalten sich  bestrebte,  so  trat  er  doch,  sich  selbst  unbewusst. 
heraus  aus  den  Kreisen  christlichen  Denkens  und  trat  ein  in 
die  Sphäre  philosophischer  Betrachtung,  wohl  wollte  er  zunächst 
und  vor  allen  Dingen  Christ  und  nur  neljenbei  Philosoph  sein, 
aber  die  natürliche  Logik  der  Dinge  war  stärker  als  er  und 
bewirkte,  dass  er  dennoch,  freilich  ohne  es  selbst  zu  wissen, 
der  christlichen  Anschauung  sich  innerlich  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  entfremdete.  Und  noch  etwas  Anderes  kam 
hinzu.  Seine  eifrige  Beschäftigung  mit  dem  classischen,  be- 
sonders mit  dem  römischen  Alterthume  gab  ihm  einen  idealen 
Maassstab,  welcher,  angelegt  an  die  vielfach  kleinlichen,  ver- 
worrenen und  kläglichen  Verhältnisse  seiner  Zeit,  ihm  diese 
letztere  als  höchst  unbefriedigend  erscheinen  lassen  musste.  Was 
Wunder,  wenn  eine  pessimistische  Stimmung  sich  seiner  be- 
mächtigte und  wenn  er  überhaupt  an  dem  Werthe  des  Seien- 
den zu  verzweifeln  begann?  Endlich  darf  man  auch  nicht 
übersehen,  wieviele  Trübsale  er  persönlich  erfahren,  wieviel 
Elend  in  den  langen  Jahren  der  Pest  und  der  Kriegsnoth  er 
geschaut  hatte  ^).  Wer  solche  traurige  Eindrücke  in  sich  auf- 
genommen hatte,  der  konnte  wohl  sich  berechtigt  fühlen,  das 
Menschenleben  „einen  Platz  der  Mühsale,  eine  Schule  der  Ge- 
fahren, eine  Bühne  der  Täuschungen,  ein  Labyrinth  der  Irr- 
thümer,  eine  Spielstätte  der  Betrüger"  zu  nennen  2). 


^)  Man  vergegenwärtige  sich  nur  die  unsäglich  verworrenen  und  jammer- 
vollen politischen  Verhältnisse  Italiens  im  Zeitalter  Petrarca's  ^vgl.  We- 
runsky,  Ital.  Politik  Papst  Innocenz  VI.  und  König  Karl  lY.  Wien,  1878, 
p.  17—57)  und  man  wird  Petrarca's  Pessimismus  leicht  begreifen. 

2)  Ep.  Fam.  VIII  8. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  563 

Wie  aber  konnte  es  geschehen,  dass  die  von  Petrarca  be- 
gründete Renaissancecultur  dem  ungeachtet  den  Charakter 
heiterer  Lebensfreudigkeit  an  sich  trägt?  Auch  das  lässt  sich 
unschwer  erklären.  Die  Renaissancecultur  brach  mit  der 
mittelalterlich-christlichen  Anschauung,  wonach  das  Erdenleben 
nur  eine  Vorbereitung  auf  das  Leben  im  Jenseits  und  dieses 
letztere  das  einzig  wahre,  des  Namens  würdige  Leben  war, 
sie  begnügte  sich  mit  dem  Diesseits.  Es  war  ihr  nun  die  Wahl 
gegeben,  auch  das  Diesseits  zu  verachten  und  dem  Pessimismus 
der  Verzweiflung  sich  zu  überlassen,  oder  aber  mit  dem  Dies- 
seits sich  auszusöhnen ,  dasselbe  za  nehmen  wie  es  eben  ist, 
in  ihm  sich  möglichst  behaglich  einzurichten,  in  ihm  Befrie- 
digung zu  erstreben.  Theoretisch  wäre  das  Eine  ebenso  be- 
rechtigt gewesen  wie  das  Andere,  praktisch  möglich  aber  war 
nur  das  letztere,  die  Aussöhnung  mit  dem  Diesseits  und  die 
optimistische  Auffassung  desselben.  Und  so  haben  denn  die 
Menschen  der  Renaissance,  auf  das  ungewisse  Jenseits  ver- 
zichtend, mit  ganzer  und  voller  Seele  dem  Erdenleben  und 
seinen  Freuden  sich  hingegeben,  haben  das  irdische  Dasein 
als  Selbstzweck  betrachtet  und  dasselbe  möglichst  schön  zu 
gestalten,  möglichst  idealer  Vollkommenheit  anzunähern  ver- 
sucht. Aber  freilich  der  düsteren  Ahnung,  dass  es  einst  aus 
sein  könne  mit  aller  dieser  Erdenherrlichkeit,  dass  dem  Rausche 
der  Freude  die  Ernüchterung  der  Reue  folgen  werde,  haben 
sie  sich  nie  ganz  entschlagen  können,  und  in  manchem  Dichter- 
werk der  Renaissance  hat  sie  schmerzlichen  Ausdruck  gefunden. 
So  z.  B.  wenn  der  grosse  Lorenzo  de'  Medici  in  seinem  herr- 
lichen Carnevalsgesang  ^)  jede  Strophe  mit  der  Mahnung  schliesst : 
„W^er  fröhlich  sein  will,  sei  es  heut',  für  morgen  gibt  es 
keine  Sicherheit ! "  Und  auch  die  äussere  Geschichte  der  Re- 
naissance wird  von  einzelnen  Episoden  unterbrochen,  in  denen 
die  ganze  dem  Jenseits  zugewandte  Glaubensinnigkeit  des 
Mittelalters   in   ihrer   vollen    Gluth   wieder   erwacht   und    die 


^;  „Canto  carnascialesco"  in  „Tutti  i  trionfi,  carri  etc.  andati  per  Fi- 
renze  dal  tempo  del  Magnifico  Lorenzo  de'  Medici  fino  all'  anno  1559." 
2.  Ausg.     Cosmopoli  1750.  I  p.  1. 

36* 


564  Zehntes  Capitel. 

Renaissancecultur  zu  stürzen  wagt.  So  geschah  es  vor  allen 
jn  der  merkwürdigen,  von  Savonarola  vollzogenen  Bewegung, 
die  unmittelbar  nach  Lorenzo's  Hinscheiden  das  heitere  Flo- 
renz, die  Hauptstätte  der  Renaissancebildung,  vorübergehend 
der  Askese  dienstbar  machte.  Der  glaubenseifrige  Geist  des 
Mittelalters  war  eben  von  der  Renaissance  nur  zurückgedrängt, 
nicht  ertödtet  worden.  In  der  katholischen  Reaction  des  sechs- 
zehnten Jahrhunderts  und  zum  Theil  auch  in  der  Reformation, 
namentlich  in  der  Gestaltung,  welche  späterhin  das  orthodoxe 
Lutherthum  annahm,  lebte  er  mit  ungeahnter  Kraft  wieder 
auf  und  begann  einen  Kampf  gegen  Humanismus  und  Renais- 
sance, der  bis  zur  gegenwärtigen  Stunde  noch  nicht  endgültig 
geschlichtet  worden  ist. 

Wir  wenden  uns  hiernach  der  Betrachtung  des  Werkes 
„Ueber  das  Leben  in  der  Einsamkeit"  zu. 

Der  Gedanke,  durch  eine  eigene  Schrift  die  Berechtigung 
und  die  Vorzüge  eines  in  ländlicher  Einsamkeit  verbrachten 
Lebens  nachzuweisen,  musste  Petrarca  sich  nothwendigerweise 
aufdrängen,  als  er  sich  im  Herbste  1337  aus  dem  geräusch- 
vollen Avignon  in  das  stille  Thal  von  Vaucluse  zurückgezogen 
und  durch  diesen  für  seine  Zeit  ganz  ungewöhnlichen  Schritt 
das  Aufsehen  und  Befremden  seiner  Freunde  erregt  hatte.  Und 
in  der  That  hat  er  sich  seit  seiner  Uebersiedelung  nach  Vau- 
cluse sogleich  mit  diesem  Gedanken  getragen^).  Zur  Aus- 
führung seines  Vorhabens  schritt  er  jedoch  erst  im  Jahre  1346 
in  der  Fastenzeit  ^).  Xach  seiner  Gewohnheit  währte  es  aber 
ziemlich  lange  Zeit,  bevor  das  Werk  auch  nur  im  ersten  Ent- 
würfe vollendet  war:  in  seinem  Garten  zu  Vaucluse,  an  der 
murmelnden  Quelle  der  Sorgue,  hatte  er  es  zu  schreiben  be- 
gonnen 2)  und  erst  zu  Mailand  in  der  stillen  Wohnung  an  der 
Ambrosiuskirche  vollendete  er  es.  Als  er  in  den  letzten  Tagen 
des  Jahres  1354  zu  Mantua  bei  dem  deutschen  Könige  weilte, 


^)  Ep.  Farn.  III  5  (vom  5.  Mai,  höchst  wahrscheinlich  des  Jahres  1338). 
"-)  Ep.  Sen.  VI  5,  vgl.  Ep.  Farn.  VIII  3.  (Sen.  XIV  15). 
■•)  Vit.  Sol.  II  10,  12. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  565 

konnte  er  diesem  mittheilen,  class  er  das  Werkchen  unlängst 
herausgegeben  habe  ^).  Aber  auch  jetzt  fehlte  noch  viel,  dass 
er  mit  dem  Buche  abgeschlossen  hätte.  Unablässig  war  er 
beschäftigt,  daran  zu  feilen,  durch  Zusätze  und  Ergänzungen 
es  zu  bereichern  ^).  Noch  kurz  vor  seinem  Tode  fügte  er  auf 
Bitten  eines  ihm  befreundeten  Camaldulenserpriors  ein  Capitel 
über  den  heiligen  Romualdus  ein  und  beabsichtigte  auch  noch 
die  Einfügung  eines  weiteren  über  den  Eremiten  Johannes  von 
Vallombrosa  ^). 

Es  war  ein  sehr  natürliches  und  berechtigtes  Gefühl,  durch 
welches  Petrarca  angeregt  wurde,  die  Schrift  „Ueber  das 
Leben  in  der  Einsamkeit"  seinem  Freunde  Philipp  von  Ca- 
bassoles,  in  dessen  Sprengel  die  Einsiedelei  von  Yaucluse  be- 
legen war,  gleichsam  als  einen  litterarischen  Zehnten  zu- 
zueignen *).  Aber  Philipp  musste ,  selbst  auch  nachdem 
das  Buch  bereits  erschienen  war,  noch  lange  Jahre  sich  ge- 
dulden, bevor  er  das  ihm  zugedachte  Exemplar  erhielt.  Erst 
im  Juni  1366  ward  ihm,  der  inzwischen  längst  Cavaillon  ver- 
lassen hatte  und  damals  den  Titel  eines  Patriarchen  von  Jeru- 
salem führte,  bald  aber  mit  der  Cardinalswürde  bekleidet 
ward,  das  Widmungsexemplar  von  Petrarca  zugesandt  und  auch 
dann  erst,  als  er  den  säumigen  Verfasser  durch  Boccaccio  an 
seine  Pflicht  hatte  mahnen  lassen  ^).  Petrarca  suchte  sein 
Zögern  mit  allen  möglichen  Gründen  —  mit  seiner  Langsam- 
keit im  Fertigwerden,  mit  der  Unmöglichkeit,  einen  geeigneten 
Copisten  finden  zu  können  —  zu  entschuldigen,  der  wahre 
Grund  aber  kann  nur  der  gewesen  sein,  dass  er  sich  dem  alten 
Jugendfreunde,  der  zu  so  hohen  Würden  emporgestiegen  war, 
entfremdet  gefühlt  hatte.  Uebrigens  Hess  Philipp  die  Saum- 
seligkeit des  Verfassers  dem  Buche  nicht  entgelten,  er  widmete 


^)  Ep.  Fam.  XIX  3;   hiernach   ist  Fracassetti's   sonst  treffliche  Unter- 
suchung, Lett.  fam,  V  p.  245  ff.,  zu  ergänzen. 
•-)  Ep.  Var.  4  u.  12. 
■")  Ep.  Sen.  XV  (XVI)  3. 
*)  Ep.  Sen.  VI  5  u.  Vit.  Sol.  praef. 
5)  Ep.  Sen.  VI  5. 


566  Zehntes  Capitel. 

vielmehr  demselben  eine  eifrige  Leetüre  —  selbst  bei  Tische 
Hess  er  gegen  seine  sonstige  Gewohnheit  sich  daraus  vorlesen 
—  und  zollte  ihm  hohe  Bewunderung  ^) ,  welche  letztere  auch 
von  anderen  hohen  geisthchen  Würdenträgern,  ja  selbst  von 
dem  Papste  Urban  V.  getheilt  ward  2), 

Wir  geben  nun  im  Folgenden  eine  gedrängte  Analyse  des 
Inhaltes  des  in  zwei  Bücher  sich  gliedernden  Werkes,  wobei 
wir  die  ihm  vorausgeschickte  kurze  Vorrede  desselben  als  für 
unsere  Zwecke  interesselos  übergehen  dürfen.  Vorausgesandt 
muss  aber  die  Bemerkung  werden,  dass  Petrarca  unter  dem 
von  ihm  gefeierten  Leben  in  der  Einsamkeit  nicht  etwa  ein 
müssiges  und  einsiedlerisches,  sondern  ein  durch  edele  geistige 
Thätigkeit,  namentlich  auch  durch  wissenschaftliche  Studien 
ausgefülltes  und  durch  den  Verkehr  mit  Freunden  belebtes 
verstanden  wissen  will  ^).  Das  Werk  beginnt  mit  der  einlei- 
tenden Behauptung,  dass  ein  edler  Geist,  da  er  von  der  Sinnes- 
lust nicht  gefesselt  werden  könne  und  nur  in  Gott,  in  sich 
selbst  und  in  der  Freundschaft  mit  einem  mögliehst  Gleich- 
gesinnten dauernde  Befriedigung  zu  finden  vermöge,  sich  mög- 
lichst weit  von  dem  Gewühle  der  Mensehen  und  Städte  zurück- 
ziehen müsse. 

Sodann  betheuert  Petrarca  die  Selbständigkeit  seiner 
Arbeit:  „Ich  habe  bei  dieser  Abhandlung  zum  grossen  Theile 
auf  die  eigene  Erfahrung  mich  stützen  können  und  keinen 
anderen  Führer  aufgesucht,  noch  auch  würde  ich  einen  solchen, 
wenn  er  sich  mir  angeboten  hätte,  angenommen  haben,  denn 
mit  freierem  Schritte,  wenn  auch  vielleicht  unbedachtsam, 
folge  ich  den  Eingebungen  des  eigenen  Geistes,  als  fremden 
Fussspuren." 

Hierauf,  gleichsam  als  Beschluss  der  einleitenden  Vorbe- 
merkungen, skizzirt  der  Verfasser  den  Inhalt  und  die  Tendenz 
seines  Werkes:    er  will    die  Vorzüge   des  Lebens  in  der  Ein- 


1)  Ep.  Sen.  Xm  11. 

2)  Ep.  Sen.  VI  y. 
">)  Vit.  Sol.  n  9,  6. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  567 

samkeit  zur  Darstellung  bringen,  indem  er  die  einzelnen  Ver- 
hältnisse und  Scenen  desselben  mit  denen  des  Lebens  in  der 
(Städtischen)  Gesellschaft  vergleicht.  Er  versichert,  dass  er 
die  Menschen  nicht  hasse,  da  ja  das  Evangelium  sie  zu  lieben 
befehle,  und  dass  er  die  Einsamkeit  und  die  Stille  nicht  sowol 
um  ihrer  selbst  willen,  als  um  desswillen  liebe,  weil  sie  Müsse 
und  Freiheit  gewähren,  wogegen  das  gesellige  Leben  der 
Städter  mit  lästiger  Sorge  und  Unruhe  erfüllt  sei.  Würde 
ihm  —  was  freilich  einem  Wunder  gleich  zu  achten  wäre  — 
ein  angenehmes  und  Müsse  gewährendes  Gesellschaftsleben  dar- 
geboten,, so  würde  er  an  ihm  gern  theilnehmen  und  es  einer 
trübseligen  und  bekümmerten  Einsamkeit  vorziehen. 

Nun  wird,  um  die  Vorzüge  des  Lebens  in  der  Einsamkeit 
möglichst  anschaulich  zu  entwickeln,  eine  bis  in  das  Einzelnste 
gehende  Parallele  gezogen  zwischen  dem  Tageslaufe  des  „Viel- 
beschäftigten (Occupatus)"  d.  h.  des  inmitten  des  öffentlichen 
und  gesellschaftlichen,  Lebens  stehenden  Städters  und  des 
„Einsamen  (Solitarius)"  d.  h  des  von  Geschäften  zurückgezo- 
genen,  in  beschaulicher  Einsamkeit  lebenden  Landbewohners. 

Der  Vielbeschäftigte  steht,  von  bösen  Träumen  ge- 
schreckt oder  von  Sorgen  oder  auch  von  dem  Lärmen  der 
dienten  geweckt,  schon  mitten  in  der  Nacht  auf  und  begibt 
sich,  noch  ehe  der  Tag  graut,  an  sein  entweder  ärgerliches 
und  mühevolles  oder  unnützes  und  frivoles  Tagewerk.  Der 
Einsame  steht  ebenfalls  früh  auf,  oft  geweckt  vom  lieblichen 
Gesänge  der  Nachtigall,  aber  er  ist  von  dem  massigen  Schlummer 
gestärkt  und  erfrischt.  Nachdem  er  aufgestanden,  spricht  er 
zunächst  ein  frommes  Gebet,  betrachtet  den  Himmel  und  die 
Sterne  (!),  erinnert  sich  daran,  dass  dort  oben  sein  wahres 
Vaterland  ist,  nimmt  dann  eine  nützliche  Leetüre  vor  und  er- 
wartet, nachdem  er  auch  ein  wohlschmeckendes  Frühmahl  ein- 
genommen, den  Morgen.  —  Der  Vielbeschäftigte  wird 
sofort  nach  Tagesanbruch  von  Feind  und  Freund  mit  Klagen 
oder  Bitten  bestürmt.  Noch  am  frühen  Morgen  muss  er  auf 
das  Forum  eilen,  um  in  verdriesslichen  Gerichtsverhandlungen, 
in  denen  er  entweder  für  seine  eigene  Schande  oder  für  das 


568  Zehntes  Capitel. 

Verderben  Anderer  sich  abmüht  ^),  den  Vormittag  zu  verbringen, 
und  wenn  er  endlich  Mittags  nach  Hause  zurückgekehrt  ist. 
niuss  er  sich  vor  dem  Andränge  seiner  Clienten  schimpflicli 
verstecken.  Der  Einsame  geht,  wenn  es  ihm  beliebt,  hinaus 
in  den  Wald  oder  ersteigt  einen  Hügel,  bewundert  die  schöne 
Natur,  preist  in  Gebeten  Gott,  der  sie  geschaffen,  und  bittet 
ihn,  ihm  die  Reinheit  des  Herzens  zu  bewahren,  ihn  vor  Leiden- 
schaften zu  schützen  und  ihm  eine  gesunde  Seele  im  gesunden 
Leibe  zu  verleihen.  —  Der  Vielbeschäftigte  speist  in 
einem  prächtigen  Saale,  umgeben  von  zahlreicher  und  lärmen- 
der Dienerschaft  und  essgierigen  Hausgenossen,  seine  Tafel  ist 
mit  fremdartigen  Speisen  besetzt  und  ausländische,  mit  Ge- 
würzen gemischte  Weine  erglänzen  in  prächtigen  Gefässen: 
Alles  ist  bis  zum  Ekel  pikant  zubereitet^).  Der  Vielbeschäf- 
tigte sitzt  aber  verstimmt  und  ohne  Appetit  bei  Tische,  gequält 
von  geschäftlichen  Sorgen.  Der  Einsame  dagegen  nimmt 
heiter  und  wohlgerauth  sein  einfaches  Mahl  ^)  ein  und  ein  Dank- 
gebet zu  Gott  ist  seine  Tafelmusik.  —  Nach  dem  Mahle  be- 
ginnt im  Hause  des  Vielbeschäftigten  ein  wüstes  und 
wildes  Treiben  und  schon  das  Estrich  des  Speisesaals  mit  den 
umhergestreuten  Speiseresten  gewährt  einen  ekelhaften  An- 
blick. In  der  Behausung  des  Einsamen  wird  die  Behag- 
lichkeit nicht  gestört,  er  selbst  hat  von  seinem  einfachen  Mahle 
keine  Beschwerden  und  kann  die  Stunden  nach  Tische  nütz- 
lichen und  edlen  Beschäftigungen  und  Studien  widmen.  —  Der 
Vielbeschäftigte  in  seiner  Gier,  reich  zu  werden,  arbeitet 
bis  zur  Abenddämmerung  an  Trug  und  Ränken  mit  ungedul- 
diger Hast.  Der  Einsame  sieht  den  Tag  und  die  Zeit  ruhig 
entfliehen,  denn  sein  Gottvertrauen  verleiht  ihm  heitere  Zu- 
versicht. —  Der  Vielbeschäftigte  verlässt  am  Abend  noch 


*)  Hier  findet  sich  im  Original  ein  hübsches  Wortspiel:  „potius  d^serti 
famem,  quam  d/serti  famam  concupiscit  et  arator  quam  orator  esse  maluerit.'" 

-)  Die  Tafelschilderung  ist  offenbar  ganz  nach  den  von  Horaz,  Juvenal 
u.  A.  gegebenen  Typen  entworfen. 

•")  Hier  Etymologie  von  prandium:  ut  maioribus  placet  a  parando,  quasi 
paranidiim. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  569 

einmal  sein  Haus,  um  seinen  sündhaften  Werken  nachzugehen ; 
erst  am  Abend  spät  kehrt  er  heim ,  vielleicht  arm  an  Gold, 
das  er  im  Spiel  verloren,  aber  beladen  mit  Schmach  und  Sünde. 
Der  Einsame  verbringt  den  Abend  am  sonnigen  Quell  oder 
am  grasigen  Ufer  des  Baches  oder  am  Meeresstrande  und 
betet  zu  Gott,  dass  er  ihn  in  der  nahenden  Nacht  gegen  die 
Versuchungen  des  Teufels  und  gegen  sündhafte  und  schlüpfrige 
Traumbilder  schützen  möge.  Der  Vielbeschäftigte  hält 
eine  mit  der  Pracht  eines  Leichenzuges  ausgerüstete  Abend- 
mahlzeit, überladet  sich  den  Magen  und  bereitet  sich  Uebel- 
keit  für  den  folgenden  Tag  vor.  Der  Einsame  speist  ent- 
weder gar  nicht  am  Abend  oder  doch  nur  so  massig,  dass  er 
de§  platonischen  Spruches  eingedenk  bleibt:  ich  will  nicht 
zweimal  an  einem  Tage  satt  werden.  —  Der  Vielbeschäf- 
tigte legt  sich  halbberauscht  und  von  Sorgen  gequält  zu 
Bette,  in  welchem  er  eine  unruhige  Nacht  verbringt,  verfolgt 
von  bösen  Träumen,  die  ihm  die  Schreckbilder  der  Opfer 
seiner  Schandthaten  zeigen.  Der  Einsame  erfreut  sich  eines 
gesunden  Schlafes,  der  durch  liebliche  Traumbilder  und  beseli- 
gende Visionen  verschönt  wird. 

Man  sieht,  die  Farben  in  diesem  Doppelgemälde  sind 
stark  aufgetragen  und  nicht  eben  die  Logik  hat  des  Malers 
Pinsel  geführt.  Der  „Vielbeschäftigte"  ist  ein  unnatürliches 
Zerrbild,  schon  um  desswillen,  weil  Schwelger,  wie  er  einer 
sein  soll,  nicht  diese  ihm  eigene  hartnäckige  Arbeitswuth  be- 
sitzen: es  sind  in  dem  Porträt  zwei  Figuren  durch  einander 
gemalt,  der  wollüstige  Lebemann,  der  bei  den  römischen  Sa- 
tyrikern  eine  stereotype  Carricatur  ist,  und  der  habgierige  und 
gewissenlose,  aber  unermüdlich  thätige  Advocat.  Eine  ebenso 
unnatürliche  Gestalt,  wie  der  „Vielbeschäftigte",  ist  auch  der 
„Einsame",  der  als  ein  Wesen  dargestellt  wird,  von  dem  man 
sich  höchlichst  wundem  muss,  dass  ihm  nicht  die  Engelsflügel 
zum  Fluge  gen  Himmel  wachsen.  Und  dann,  welche  unge- 
heuere Einseitigkeit  ist  es,  das  Zerrbild  des  ,, Vielbeschäftigten' ' 
als  den  Typus  der  Beschäftigten,  der  Städter,  überhaupt  hin- 
zustellen, das  Leben  der  Beschäftigten  als  ein  nothwendiger- 


570  Zehntes  Capitel. 

weise  in   ärgster  Schlemmerei  und  Sünde  versunkenes  zu  be- 
zeichnen!   Petrarca    selbst    musste  empfinden,   dass   er    doch 
etwas  gar  zu  weit  gegangen  sei,   denn  er  beeilt  sich,   seinen 
Sittenbildern  das  Zugeständniss  folgen  zu  lassen,  es  gebe  aller- 
dings auch   unter   den   Vielbeschäftigten    einige    wenige   gute 
Männer,  und   wenn   es  möglich  sei,   die  Tugend  mit  der  Be- 
schäftigung  zu  vereinbaren,   so  sei  allerdings  das  beschäftigte 
Leben  dem  in  der  Einsamkeit  verbrachten  vorzuziehen,  da  es 
uns  Gelegenheit  biete,  unsern  Mitmenschen  zu  nützen  —  was 
aber  sei   beseligender  und  des   Menschen  würdiger  und  Gott 
ähnlicher,  als  möglichst  Vielen  Unterstützung  und  Heil  zu  ge- 
währen?    Indessen    diese  vernünftige  Einsicht   ist    nicht  von 
langer  Dauer,  und  Petrarca  fällt  sofort  wieder  in   seine   ein- 
seitige Verherrlichung  des  Lebens  in   der  Einsamkeit  zurück. 
Er   rühmt    diesem   nach,    dass   es   die  mhige  Heiterkeit   des 
Geistes,   eine  besondere  Gabe  Gottes,    verleihe,    denn  da  der 
Geist  sich    nicht   gleichzeitig  verschiedenen   Bestrebungen  zu 
widmen  vermöge,  so  lassen  sich  die  Tugend,  die  Vorbedingung 
dieser  Heiterkeit,  und  die  Beschäftigung  nur  schwer  und  selten 
vereinigen;   er  weiss  ferner  hervorzuheben  —  nicht   ahnend, 
dass  er  damit  einen  crassen  Egoismus  predigt  — ,  wie  sehr  das 
Leben  in  der  Einsamkeit  vor  Gefahren  schütze :  ein  Hirt  z.  B. 
lebe  sicher    und   werde   nur  von  wenigen  Gefahren    bedroht, 
während  etwa  ein   Arzt  oder  ein   Todtengräber  (!)   stets  der 
Gefahr  der  Ansteckung  ausgesetzt  seien.    Geistige  Uebel  aber, 
die  Sünden,    enthalten   ein    noch   weit    stärkeres   contagiöses 
Gift,  als  die  leiblichen,  und  doch  könne  man  sich,   wenn  man 
unter  Menschen  lebe,  kaum  von  ihnen  frei  erhalten.    Desshalb 
erklärt  er  (Petrarca)  —  und  eine  solche  Erklärung  zu  hören, 
muss  uns  für   die  Erkenntniss    seines   Charakters   sehr   will- 
kommen sein  — ,  habe   er  auch   für  seine  Person  das  Leben 
in  der  Einsamkeit  erwählt:   gern  zwar   möchte   er  möglichst 
Vielen  nützen,  aber  er  fühle  sich  zu  schwach    und  müsse  sich 
begnügen,   die  Hülfe  desjenigen   anzuflehen,  der  allein  zu  ge- 
währen vermöge,  was  auch  immer  gefordert  werde. 

Wir  erhalten    durch    dieses    Selbstbekenntniss  Petrarca's 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  571 

wenigstens  einen  Schlüssel  zur  Erklärung  seiner  Uebersiede- 
lung  nach  Vaucluse:  es  veranlasste  ihn  dazu  die  Erkenntniss, 
dass  er  den  im  öffentlichen  Leben,  etwa  in  Avignon,  an  ihn 
herantretenden  Versuchungen  nur  schwer  widerstehen  könne, 
und  in  diesem  Bewusstsein  sittlicher  Schwäche  flüchtete  er  in 
die  Einsamkeit,  in  dieser  Beziehung  ganz  mittelalterlicher 
Denkweise  folgend  und  nicht  erwägend,  dass  die  Flucht  vor 
der  Sünde  im  letzten  Grunde  nur  ein  unverdienstlicher  Act 
der  Feigheit  ist,  dass  nur  der  muthige,  wenn  auch  beschwer- 
liche Kampf  gegen  die  Sünde  ein  Anrecht  auf  sittliches  Ver- 
dienst verleiht.  Freilich  war  das  Einsiedlerleben  in  Vaucluse 
zum  nicht  geringen  Theile  das  Product  auch  noch  anderer 
Factoren,  namentlich  auch  war  es  von  Petrarca,  wie  er  kurz 
darauf  bekennt  ^) ,  gewählt  worden  aus  dem  Bedürfnisse  nach 
Ruhe  für  seine  Studien  und  Betrachtungen. 

Uebrigens  erkennt  unser  für  das  Leben  in  der  Einsamkeit 
schwärmender  Autor  doch  selbst  an,  dass  nicht  ein  Jeder  für 
dasselbe  geeignet  sei  und  dass,  wer  es  erwählen  wolle,  sich 
ernstlich  selbst  prüfen  müsse.  Auch,  betheuert  er,  sei  es  fern 
von  ihm,  seine  subjective  Ansicht  Anderen  aufdrängen  zu 
wollen,  denn  „keine  Freiheit  ist  wichtiger  als  die  Denkfreiheit, 
diese  nehme  ich  für  mich  selbst  in  Anspruch  und  spreche  sie 
den  Anderen  nicht  ab"  ^)  —  ein  schönes  Zeugniss  für  seine 
wenigstens  theoretische  Toleranz  und  so  recht  ein  Ausspruch, 
um  ihn  als  den  Mann  zu  kennzeichnen,  der  mit  dem  Autori- 
tätsglauben des  Mittelalters  grundsätzlich  gebrochen  und  die 
Freiheit  des  Individuums  begründet  hat.  Gern  darf  man  dabei 
entschuldigen,  dass  in  der  Praxis  Petrarca  sich  oft  genug  von 
der  Toleranz  gegen  Andersdenkende  entfernt,  dass  er  die 
Vertreter  einer  der  seinigen  entgegengesetzten  Anschauung, 
wie  z.  B.  die  Averroisten,   mit  scharfen  und  nicht  immer  ehr- 


^)  I  4,  3.  Die  Stelle,  auf  welche  vorhin  Bezug  genommen  wurde,  ist 
I  3,  3. 

^'  I  4,  4:  „nuUa  maior  quam  iudicii  libertas,  hanc  itaque  mihi  vindico, 
ut  aliis  non  negem"  (eine  ähnliche  Sentenz  I  5,  1). 


572  Zehntes  Capitel. 

liehen  Waffen  bekämpft  hat.  Nur  eben  wenige  Menschen 
vermögen  es,  Theorie  und  Praxis  in  Einklang  zu  bringen.  — 
Im  weiteren  Verlaufe  der  Schrift  weiss  nun  der  Verfasser 
immer  neue  Reize  des  Lebens  in  der  Einsamkeit  zu  entdecken. 
Dies  Leben  regt  zu  frommen  Gedanken  an  und  erfüllt  mit 
Vertrauen  auf  Gott:  es  verleiht  den  Besitz  derjenigen  Tugen- 
den, welche  die  ]\Ienschenseele  von  den  Leidenschaften  zu  rei- 
nigen vermögen  ^) ;  es  gewährt  die  beglückendste  Hoffnung  und 
Erwartung  der  himmlischen  Seligkeit  und  bietet  uns  schon  auf 
Erden  die  Möglichkeit,  mit  Geistern  verkehren,  Visionen  haben 
und  mit  Christus  selbst  sprechen  zu  können.  Man  ersieht 
hieraus,  dass  der  Begründer  der  Renaissance  doch  noch  so 
festen  Fuss  im  Mittelalter  hatte,  um  sich  von  dessen  Mystik 
anhauchen  zu  lassen.  Aber  bald  darauf  tritt  uns  wieder  der 
Humanist  Petrarca  entgegen,  wenn  er  das  Leben  in  der  Ein- 
samkeit auch  um  desswillen  anempfiehlt,  weil  es  uns  ermög- 
liche, mit  den  grossen  Männern  des  Alterthums  zu  verkehren 
und  darüber  das  Elend  der  Gegenwart  zu  vergessen,  zu  lesen, 
was  die  bedeutendesten  Geister  geschrieben  haben,  und  zu 
schreiben,  was  die  unbedeutendesten  lesen  werden.  Besonders 
aber  gewähre  uns  die  Einsamkeit  die  erforderliche  Müsse,  um 
behaglich  denken  und  litterarisch  producii-en  zu  können,  nament- 
lich für  Geschichtsschreiber  und  Philosophen  sei  es  äusserst 
angenehm,  in  der  Einsamkeit  der  freien  Xatur  Gedanken 
sammeln  und  ausspinnen  ^)  und  dieselben  dann  im  Zimmer 
schriftlich  bearbeiten  zu  können,  die  Dichter  freilich,  welche 
ja  bei  ihrer  Production  in  der  Regel  keines  litterarischen  Appa- 
rates bedürfen,  müsse  man  ganz  ihrer  Stimmung  überlassen, 
denn  sie  würden  an  jedem  Orte,  wo  es  ihnen  gerade  behage, 
produciren  können,  sei  es  in  der  freien  Natur,  sei  es  in  einem 
geschlossenen  Räume. 


^)  Hier  {I  4,  5)  gibt  Petrarca  nach  Macrobius  der  wieder  aus  Plotin 
schöpfte)  eine  Eintheilung  der  Tugenden  (virtutes  politicae,  v.  purgatoriae, 
V.  animi  purgati,  v.  exemplares). 

■-)  Petrarca  berichtet  bei  dieser  Gelegenheit  (I  4,  11  u.  12),  dass  er 
selbst  gerade  im  Freien  am  besten  und  leichtesten  zu  produciren  vermöge. 


Die  moralphilosophisclien  und  religiösen  Tractate.  573 

Dann  kommt  Petrarca,  um  die  Berechtigung  des  Lebens 
in  der  Einsamkeit  endgültig  nachzuweisen,  noch  einmal  auf 
die  Beschwerden  und  sittlichen  Gefahren  des  städtischen  Lebens 
zu  sprechen,  wobei  er  Gelegenheit  nimmt,  seiner  sittlichen 
Entrüstung  über  die  Putzsucht,  den  häufigen  Wechsel  und  die 
nationale  Unselbständigkeit  der  Kleidermoden,  die  Eitelkeit 
und  die  kleinliehe  Gesinnung  seiner  italienischen  Zeitgenossen 
einen  schönen  und  volltönenden  Ausdruck  zu  verleihen ')  und 
die  Grösse  der  römischen  Vergangenheit  mit  der  erbärmlichen 
Kleinheit  der  Gegenwart  wehmuthsvoll  zu  vergleichen.  Und 
einmal  angeregt  zu  pessimistischen  Betrachtungen  ruft  er  kla- 
gend aus  (I  6,  6):  „Alles  neigt  sich  allüberall  auf  der  Erde 
dem  Schlechteren  zu,  alle  guten  Sitten  haben  eine  kurze  Lebens- 
dauer, die  bösen  aber  sind  unsterblich'-  (man  vgl.  auch  II  2,  6), 
Wenn  das  erste  Buch,  welches  mit  dieser  schmerzlichen  Klage 
abschliesst,  gewissermaassen  eine  Theoiie  des  Lebens  in  der 
Einsamkeit  aufstellt,  so  gibt  das  nun  beginnende  zweite  die 
praktischen  Belege  für  die  Theorie.  Es  sollen  die  berühmten 
Männer  aufgezählt  werden,  welche  dem  Leben  in  der  Einsam- 
keit sich  ergeben  und  diesem  dadurch  die  höhere  Weihe  ertheilt 
haben.  Zunächst  werden  mehrere  der  bekanntesten  Einsiedler 
aus  den  ersten  Zeiten  des  Christenthums  genannt,  wie  z.  ?>. 
Antonius  und  Hilarion.  Dann'aber  wird  zu  „weniger  bekannten' 
Beispielen  übergegangen.  Begonnen  wird  dabei,  wie  billig, 
mit  den  Männern  der  Bibel.  Zuerst  tritt  Adam  auf,  der  nur 
so  lange,  als  er  in  der  Einsamkeit,  d.  h.  ohne  Eva  lebte,  voll- 
kommen glücklich  gewesen  sei  ^) ,  es  folgen  Abraham ,  Isaac, 
Moses,  Elias,  Jeremias.  Sodann  werden  mehrere  berühmte 
Eremiten  des  früheren  und  späteren  Mittelalters  genannt,  dar- 
unter freilich  auch  manche,  deren  Anrecht  höchst  zweifelhaft 
erscheinen  muss,  wie  z.  B.  der  heilige  Ambrosius  und  der 
heilige   Bernhard.      Selbstverständlich    entnahm    Petrarca    die 


^1  Es  findet  sich  in  diesem  Capitel  (I  6,  3)  manches  culturhistorisch 
recht  Interessante. 

■-)  Dieser  Gedanke  ist  dem  Briefe  des  heiligen  Ambrosius  an  Sabinus 
entnommen. 


574  Zehntes  Capitel. 

Notizen,  deren  er  bedurfte,  den  reichlich  vorhandenen  Heiligen- 
leben ,  indessen  begnügte  er  sich  nicht  mit  einer  blossen  Ee- 
production,  sondern  bemühte  sich  —  und  das  ist  recht  be- 
achtenswerth  —  auch  hier  die  geschichtliche  Wahrheit  aus- 
findig zu  machen  und  wenigstens  einige  historische  Kritik  zu 
üben.  So  fand  er  z.  B.  verschiedene  Angaben  über  das  Leben 
des  Petrus  Damianus,  und  um  zu  erfahren,  welche  er  für  die 
richtigen  zu  halten  habe,  sandte  er  Boten  in  das  Kloster,  dem 
Damianus  einst  angehört  hatte,  und  liess  die  dortigen  Mönche 
befragen  (II  3,  17).  Aehnlich  hatte  er  früher  einmal  bei  einer 
anderen  Gelegenheit  in  Bezug  auf  den  heiligen  Simplicianus 
gehandelt^).  Der  Begründer  der  modernen  Kritik  konnte  es 
sich  eben  nicht  versagen,  auch  auf  kirchliche  Schriften  den 
Grundsatz  freier  Forschung  anzuwenden,  er  brach  auch  hier 
mit  dem  blinden  Autoritätsglauben  des  Mittelalters. 

Der  ganze  Abschnitt  über  die  für  die  Einsamkeit  wirklich 
oder  angeblich  begeistert  gewesenen  Heiligen  ist  von  Petrarca 
augenscheinlich  mit  grosser  Liebe  abgefasst  worden,  auch  hat 
gerade  dieser  Abschnitt,  durch  welchen  die  Localeitelkeit  zahl- 
reicher Städte  und  Klöster  in  der  Verherrlichung  ihres  Schutz- 
patrons oder  Stifters  sich .  geschmeichelt  fühlte ,  am  meisten 
dazu  beigetragen,  das  Buch  populär  zu  machen.  Mehrfach  be- 
mühten sich  geistliche  Genossenschaften,  noch  nachträglich 
ihrem  Specialheiligen  einen  Platz  eingeräumt  zu  erhalten,  und 
Petrarca  fügte  sich,  wenn  möglich,  diesen  Wünschen,  so  z.  B. 
in  Bezug  auf  den  heiligen  Romualdus,  einige  freilich  konnte  er, 
wenn  er  nicht  inconsequent  sein  wollte,  nicht  erfüllen,  so 
musste  er  z.  B.,  was  ihm  von  manchen  Seiten  sehr  verübelt 
ward,  dem  heiligen  Dominicus  die  Aufnahme  versagen,  weil 
dieser  ja  grundsätzlich  das  Klosterleben  aus  der  ländlichen 
Einsamkeit  in  das  Geräusch   der  Städte  verpflanzt  hatte  '^).  — 

Unter  den  heiligen  Einsiedlern  wird  auch  der  Papst  Cö- 
lestin  aufgeführt  (H  3,  18),  und  interessant  ist  es  hierbei,  die 


^)  Ep.  Fam.  XXI  14. 
2)  Ep.  Sen.  XV  3. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  575 

Verschiedenheit  der  Auffassung'  Petrarca's  von  derjenigen 
Dante's  zu  constatiren.  Der  letztere  hat  bekanntlich  jenen 
Papst  verdammt,  weil  er  „aus  Feigheit  den  grossen  Verzicht" 
geleistet^),  Petrarca,  milder  und  zugleich  richtiger  urtheilend, 
preist  es  höchlichst,  dass  der  in  den  Geschäften  der  Welt  ganz 
unerfahrene  Eremit  von  dem  Stuhle  Petri  zur  stillen  Clause 
zurückzukehren  sich  entschloss. 

Es  folgt  nun,  mit  dem  Vorhergehenden  nur  lose  verknüpft 
—  die  Erwähnung  des  Peter  von  Amiens,  des  Kreuzzugpre- 
digers, dient  als  verbindende  Brücke  —  ein  kirchenpolitischer 
Excurs,  in  welchem  der  Verfall  des  römischen  Kaiserthums, 
das  immer  weitere  Umsichgreifen  des  Islams  und  die  Laster- 
haftigkeit der  Fürsten  in  warm  empfundenen  und  ergreifenden 
Worten  beklagt  wird  (II  4,  1—8). 

Fernere  Beispiele  heiliger  Personen,  welche,  zeitweilig 
wenigstens,  die  Einsamkeit  geliebt,  werden  angeführt:  Johannes 
der  Täufer,  die  heilige  Maria  Magdalena,  König  David  und 
vor  allen  Christus  selbst. 

Nun  wird  ein  Ausflug  in  den  fernen  Orient  unternommen. 
Petrarca  hatte  theils  durch  die  Schriften  der  Kirchenväter  — 
l)esonders  aber  durch  das  dem  heiligen  Ambrosius  beigelegte 
Buch  ,,de  vita  Brachmanorum"  -')  —  theils  durch  Berichte  ihm 
persönlich  bekannter  Reisenden  ^)  von  den  indischen  Einsiedlern 
und  Büssern  Kunde  erhalten  und  konnte  es  sich  nicht  ver- 
sagen ,  auch  dieser  Einsamkeitsfanatiker  zu  gedenken.  Die 
Verachtung  der  irdischen  Güter,  welcher  die  Brahmanen  hul- 
digen, und  ihre  Liebe  zur  Einsamkeit  billigte  er  vollkommen, 
aber  er  tadelte  die  übertriebene  und  cynische  Strenge  in  ihrer 
Lebensweise,  denn,  meint  er,  auch  im  äusseren  Leben  müsse 
man  die  von  Cicero  (de  off.  I  36,  130)  anempfohlene  Mittel- 
strasse innehalten.     Man  beachte,   dass  damit  indirekt  auch 


1)  Inf.  III  62. 

■^)  Petrarca  sprach  indessen  dem  Ambrosius  die  Verfasserschaft  ab  und 
legte  sie  dem  Palladius  bei  (II  6,  1). 

")  II  6,  2;  in  erster  Reihe  darf  man  wol  an  den  weit  gereisten  Gio- 
vanni Colonna  di  San  Vito  denken. 


576  Zehntes  Capitel. 

ein  Verdammungsurtheil  über  das  christliche  Klosteiieben  aus- 
gesprochen wird.  So  sympathisch  Petrarca  sich  auch  in  seinem 
Gemüthe  von  der  stillen  und  frommen  Beschaulichkeit  des 
Klosters  angezogen  fühlte,  seinem  ästhetischen  Sinne  wider- 
strebte durchaus  die  rauhe  und  jeder  Schönheit  baare  Er- 
scheinungsform des  Mönchsthums.  und  die  diesem  anhaftende 
Neigung  zur  Excentricität.  Man  erkennt  auch  in  diesem  Zuge 
wieder  einmal  den  Begründer  der  nach  Harmonie  und  Schön- 
heit auch  der  äusseren  Daseinsformen  strebenden  Renaissance- 
oultur.  Nach  den  Indiern  werden,  damit  ja  Nichts  ausgelassen 
werde,  die  fabelhaften  Völker  der  Hyperboreer,  der  Arim- 
phäer,  der  Hibernier,  der  Einwohner  Thule's  und  der  glück- 
seligen Inseln  besprochen,  welche  alle  die  Einsamkeit  lieben 
sollen.  Das  Material  zu  diesen  wunderlichen  Notizen  ist  dem 
Pomponius  Mela,  dem  Solin  und  besonders  dem  älteren  Pli- 
nius  ^)  entlehnt  worden. 

Hiernach  werden  Philosophen  der  alten  und  neuen  Zeit  ge- 
nannt, welche  irgend  wie  dem  Leben  in  der  Einsamkeit  sich  zu- 
geneigt bewiesen  haben.  Wir  finden  da  in  ziemlich  bunter  Reihen- 
folge Piaton  und  Plotin,  Pythagoras  und  Demokrit,  Parmenides 
und  —  unser  Autor  folgt  einer  wunderlichen  Ueberlieferung 
des  späteren  Alterthums  —  Atlas.  Auch  Prometheus  erscheint 
hier,  denn  die  bekannte  Fabel  von  seiner  Anschmiedung  im 
Kaukasus  soll  dadurch  entstanden  sein,  dass  er,  um  ausschliess- 
lich der  Erforschung  der  Naturgeheimnisse  sich  zu  widmen, 
in  dieses  Gebirge  sich  zurückzog.  Schliesslich  wird  auch,  unter 
kurzer  Hindeutung  auf  sein  trauriges  Schicksal,  Abälard  er- 
wähnt und  als  ,,ein  Mann  von,  wie  Einige  meinen,  verdächtiger 
Rechtgläubigkeit,  aber  wahrlich  nicht  von  geringer  Begabung" 
bezeichnet  (H  7,  1). 

Nun  kommen  die  berühmten  Männer  des  Alterthums  an 
die  Reihe,  welche  Freunde  des  Lebens  in  der  Einsamkeit  ge- 
wesen sein  sollen.  Darunter  werden  nun  freilich  manche 
genannt,  welche  in  Wirklichkeit  durchaus  keine  einsiedlerischen 

^)  vgl.  Hist.  Nat.  IV  89  ff.  u.  VI  35  ff 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  577 

Neigungen  belassen:  es  wird  eben  von  unserem  Autor  ein 
Jeder  als  willkommene  Beute  betrachtet,  der  nur  irgend  ein- 
mal direkt  oder  indirekt  ein  Wort  zum  Lobe  der  Einsamkeit 
hat  fallen  lassen.  Den  Reigen  eröffnet  Seneca  „aus  Corduba, 
römischer  Bürger  und  Senator,  weil  er  im  Monologe  des  zweiten 
Actes  der  ,Octavia'  mit  nicht  geringer  Wehmuth  an  die  Ein- 
samkeit von  Corsica  zurückdenkt."  Dann  kommen  Cicero  und 
Demosthenes  und,  um  die  früher  gegebene  Philosophenliste  zu 
vervollständigen,  Anaxagoras ,  Xenokrates,  Zeno  und  Karnea- 
des;  gern  würde  Petrarca  auch  den  Fassbewohner  Diogenes 
für  sein  Register  gewonnen  haben,  aber  er  wagte  dies  nicht 
zu  thun,  weil  der  heilige  Hieronymus  positiv  versichert,  dass 
Diogenes  in  Städten  sich  aufgehalten  habe. — ^  Hiernach  werden  als 
weitere  Freunde  des  Lebens  in  der  Einsamkeit  in  einer  selt- 
sam verwirrten  Reihenfolge  Cäsar  und  Augustus,  Diocletian 
und  Antoninus  Pius,  Numa  Pompilius,  Achilles,  Hercules  und 
die  Scipionen  aufgezählt. 

Es  folgt  nun  ein  Abschnitt,  der  speciell  nur  auf  den  Mann, 
welchem  das  Buch  gewidmet  ist,  den  Bischof  Philipp  von  Ca- 
vaillon,  Bezug  nimmt,  Petrarca  zählt  die  Annehmlichkeiten 
auf,  welche  das  Wohnen  in  dem  einsamen,  malerisch  gelegenen 
Cavaillon  dem  Bischöfe  darbietet,  und  setzt  ihm  auseinander, 
dass  durch  dies  einsame  Leben  die  Ausübung  der  bischöflichen 
Pflichten  keineswegs  beeinträchtigt  werden  könnte. 

Schliesslich  widerlegt  der  Autor  kurz  die  scheinbaren  Ein- 
wände, welche  auf  Grund  einiger  Stellen  der  Bibel,  des  Ari- 
stoteles und  des  Cicero  gegen  das  Leben  in  der  Einsamkeit 
vielleicht  erhoben  werden  könnten.  Auch  den  Einwand  be- 
müht er  sich  zu  widerlegen,  dass,  wenn  Alle  seinem  Rathe 
folgen  und  in  die  Einsamkeit  fliehen  würden,  die  Städte  ver- 
öden und  die  Staaten  sich  auflösen  müssten.  Das  sei,  meint 
er,  durchaus  nicht  zu  befürchten,  denn  sein  Mahnruf  werde 
sicherlich  nicht  von  dem  grossen  Haufen  beherzigt  werden, 
sondern  nur  von  einigen  Wenigen;  wenn  sich  aber  dennoch 
wirklich  Viele  zur  Wahl  der  Einsamkeit  bestimmen  lassen 
würden,  so  würde  die  Einsamkeit  eben  aufhören,  einsam  zu 

Körting,  Petrarca.  37 


578  Zehntes  Capitel. 

sein,  und  die  Menschen  würden  sich  in  neuen  Städten  zusam- 
menfinden. Wer  sich  übrigens  einmal  zu  dem  Leben  in  der 
Einsamkeit  entschliesse,  der  müsse  dies  mit  aller  Entschieden- 
heit thun  und  von  vornherein  alle  Gedanken  an  die  Rückkehr 
in  die  Stadt  verbannen.  Die  Stadt  müsse  man  den  Leuten 
überlassen,  welche  schnödem  Gewinne  nachjagen  ^).  Dann  wird 
nochmals  das  Unglück  oder  doch  nur  scheinbare  Glück  der 
Städter  mit  dem  Glücke  der  in  der  Einsamkeit  Lebenden  kurz 
verglichen  und  damit  das  Buch  beschlossen.  Verwoben  ist 
in  diese  Schlussbetrachtung  die  bemerkenswerthe  Behauptung, 
dass  die  antiken  Schriftsteller  allerdings  zu  ergötzen,  aber, 
da  sie  der  christlichen  Wahrheit  entbehrten,  dem  Geiste 
nicht  den  erhabenen  und  dauernden  Frieden  zu  verleihen 
vermögen.  —  — 

Durch  keine  Schrift  Petrarca's  wird,  so  meinen  wir  wenig- 
stens, sein  Heraustreten  aus  dem  Kreise  mittelalterlichen  Den- 
kens und  Lebens  so  nachdrucksvoll  bezeugt,  wie  durch  die 
eben  besprochene.  Denn  was  ist,  wenn  man  ihren  Kern  von 
der  etwas  wunderlich  erscheinenden  Schaale  löst,  ihr  wesent- 
licher Inhalt?  Doch  wol  die  Lehre,  dass  der  Mensch,  um 
glücklich  zu  sein,  keinem  geschlossenen  Stande,  keinem  das 
eigene  Ich  beschränkenden  Amte  angehören  dürfe,  sondern 
dass  er  im  Vollbewusstsein  seiner  Individualität  sich  loslösen 
müsse  von  der  grossen  Masse,  dass  er  in  stolzer  Selbstgenüg- 
samkeit ein  nur  den  eigenen  Interessen  gewidmetes  Leben  im 
Schoosse  der  malerischen,  ländlichen  Natur  führen  und  darin 
allein  die  innere  Harmonie  und  Zufriedenheit  erstreben  solle. 
Es  ist  der  Individualismus  und  verfeinerte  Egoismus,  den  der 
Verfasser  predigt,  mag  er  auch  noch  so  sehr  bemüht  sein,  die 
im  letzten  Grunde  unsittliche  Lehre  vor  sich  selbst  und  dem 


*)  Hier  wird  eine  culturWstoriscli  interessante  Aufzählung  der  städti- 
schen Berufsarten  gegeben:  mercatores,  advocati,  proxenetae,  foeneratores, 
publicani,  tabelliones,  medici,  unguentarii,  laciones,  coci,  pistoi'es,  sartores, 
alchyraistae,  fuUones,  fabri,  textores,  architecti,  statuarii,  pictores,  mimi, 
saltatores,  citharoedi,  circulatores,  lenones,  fures,  malefici.  adulteri,  parasiti, 
hospites,  circumscriptores,  scurrae  (II  10,  8). 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  579 

Leser  durch  allerlei  frommes  Beiwerk  zu  verhüllen.  Der  Ein- 
samkeitsfreund Petrarca's  ist  —  ähnlich  wie  die  glücklichen 
Menschen  des  Horaz,  denen  fern  von  den  Geschäften  zu  leben 
vergönnt  wird  —  ein  humanistisch  gebildeter  Egoist,  welcher, 
während  die  Mehrzahl  der  Menschen  im  Geräusch  der  Städte 
den  harten  Kampf  um's  Dasein  kämpfen  und  unaufhörlich  mit 
sittlichen  Versuchungen  ringen  muss,  in  behaglicher  ländlicher 
Abgeschiedenheit  dahinlebt,  nur  mit  der  Sorge  beschäftigt,  das 
eigene  Ich  möglichst  gut  zu  unterhalten  und  zu  conserviren. 
Es  ist  dieser  Einsamkeitsfreund  so  recht  der  Typus  jener  ernst 
im  späteren  Römerthume  so  zahlreichen  und  dann  eben  von 
der  Renaissance  zu  neuem  Leben  erweckten  Classe  von  Men- 
schen, welche  in  einer  mit  jedem  leiblichen  und  geistigen 
Comfort  ausgestatteten  Villeggiatur  einem  verfeinerten  Epi- 
kureismus  huldigen  und  sich,  soweit  ihnen  äussere  Verhältnisse 
keine  Rücksichten  auferlegen,  aller  Pflichten  gegen  Menschheit 
und  Staat  vornehm  überheb-en,  ja  Anspruch  darauf  machen,  für 
die  einzigen  des  Namens  würdigen  Menschen,  wenn  nicht  gar 
für  die  Götter  der  Erde  zu  gelten. 

Auch  im  Mittelalter  Hüchteten  viele  Tausende  aus  dem 
Geräusche  der  Welt  in  die  Stille  der  Einsamkeit,  aber  sie 
thaten  dies  —  wenigstens  der  Theorie  nach  —  in  dem  Streben, 
ihre  Individualität  ganz  zu  ertödten  und  ganz  aufzugehen  in 
der  grossen  Allgemeinheit  der  Kirche  und  speciell  der  klöster- 
lichen Genossenschaft,  sie  wollten  das  eigene  Selbst  verleugiren 
und  nur  der  Erfüllung  der  Pflichten  der  Gottesliebe  und  der 
Nächstenliebe  leben.  Sie  schlössen  sich  daher  auch,  von  ver- 
einzelten Ausnahmen  abgesehen,  nicht  grundsätzlich  von  ein- 
ander ab ,  sondern  verbanden  sich  vielmehr  grundsätzlich  zu 
einer  festgeschlossenen  und  gegliederten  Standesgemeinschaft, 
sie  wollten  nicht  ein  Jeder  für  sich  ein  selbstgenügsames  Einzel- 
dasein führen,  sondern  vielmehr  jedem  Rechte  auf  Vereinzelung 
und  auf  Selbstbestimmung  entsagen. 

Der  Einsamkeitsfreund  Petrarca's  dagegen  flieht  das  Treiben 

der  Städte,  weil  er  schmerzlich  empfindet,  dass  durch  dasselbe 

seine  Individualität  vielfach  eingeengt  und  in  ihrer  freien  Ent- 

37* 


580  Zehntes  Capitel. 

Wickelung  behindert  wird.  Er  sucht  in  der  Einsamkeit  den 
Vollgenuss  der  persönlichen  Freiheit,  die  Erlösung  von  allem 
gesellschaftliehen  Zwange.  Daher  isolirt  er  sich  auch,  soviel 
er  nur  vermag,  und  schliesst  sich  stolz  ab  von  der  grossen 
Masse  der  Menschheit,  auf  welche  mit  Verachtung  herabzu- 
^chauen  er  sich  im  Bewusstsein  seiner  überlegenen  Bildung 
für  berechtigt  hält.  Sein  eigenes  Selbst  wird  ihm  zum  Ziel- 
punkt alles  Strebens  und  Trachtens,  dies  Selbst  möglichst 
scharf  und  eigenartig  sich  abheben  zu  lassen  von  der  Durch- 
schnittsmenschheit ist  sein  eifrigstes  Begehren. 

Man  sieht,  wie  schroff  Mittelalter  und  Renaissance  ein- 
ander gegenüber  stehen:  das  erstere  trachtet  nach  Vernichtung, 
die  letztere  nach  möglichster  Entwickelung  und  Geltendmachung 
der  Individualitäten,  das  erstere  will  die  Menschheit  in  die 
Kategorien  von  Ständen  als  gleichartige  Massen  zusammen- 
fassen, die  letztere  die  Menschheit  auflösen  in  eine  Menge  sich 
ihrer  selbst  möglichst  bewusster  Einzelwesen.  Daher  hat  das 
Mittelalter  scharf  abgegrenzte  Stände  geschaffen,  aus  denen 
sich,  wie  aus  einzelnen  über  einander  lagernden  Schichten,  der 
Staat  aufbaute,  die  Renaissance  dagegen  hat  die  Idee  des  all- 
gemeinen Staatsbürgerthums  erzeugt,  die  Idee,  dass  ein  jeder 
Einzelne  dem  Anderen  gleichberechtigt  sei  und  dieser  Gleich- 
berechtigung die  äussere  Anerkennung  zu  beschaffen  sich  be- 
streben müsse,  nur  freilich  ward  für  die  praktische  Verwirk- 
lichung dieser  Idee  höchst  verhängnissvoll,  dass  durch  die  Re- 
naissance, wie  wir  früher  (S.  522  ff.)  einmal  ausführlich  darlegten, 
die  Einheit  des  Volksthums  in  die  Zweiheit  der  gebildeten  und 
ungebildeten  Stände  zerrissen  wurde. 

Die  Tendenz  der  Renaissance  nach  Individualisirung  hat 
nun  unleugbar  ihre  schweren  Schattenseiten  gehabt,  unter 
deren  Nachwirkungen  die  Völker  des  westlichen  Europa's  noch 
jetzt  leiden  und  noch  lange  Jahre  leiden  werden,  nichtsdesto- 
weniger aber  stellt  sie  gegenüber  der  Tendenz  des  Mittelalters 
nach  Aufhebung  der  Individualität  einen  höchst  segensreichen 
Fortschritt  dar,  denn  eine  wirkliche  Entwickelung  der  Mensch- 
heit ist  nur  möglich,  wenn  ein  jedes  Individuum  in  regsamem 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  581 

Selbstbewusstsein  den  Vollgenuss  des  Daseins  erstrebt.  Auch 
daif  man  nicht  übersehen,  dass  die  mit  der  Tendenz  nach  In- 
dividiialisirung  verbundenen  Gefahren  durch  die  realen  Ver- 
hältnisse wesentlich  eingeschränkt  werden.  Den  wenigsten 
Menschen  gestattet  es  das  praktische  Leben,  die  Individualisirung 
so  weit  zu  treiben,  dass  sie,  wie  Petrarca's  Einsamkeitsfreund.* 
aus  dem  Verbände  der  bürgerlichen  Geselligkeit  ausscheiden 
und  in  grundsätzlichem  Egoismus  einem  confortablen  Einsiedler- 
thume  sich  überlassen.  Das  Streben  nach  Individualisirung 
findet  weit  eher  seine  natürlichen  Grenzen,  als  dasjenige  nach 
Aufhebung  der  Individualität. 

So  ist  denn  die  Schrift  „über  das  Leben  in  der  Einsam- 
keit" wichtig  und  interessant  als  die  erste  litterarische  Ur- 
kunde ,  durch  welche  der  Bruch  mit  dem  mittelalterlichen 
Denken  und  der  Beginn  des  modernen  Denkens  bezeugt  wird. 
Aber  auch  in  einer  noch  anderen  Beziehung  besitzt  sie  hohes 
Interesse. 

Die  Menschen  des  Mittelalters,  welche  aus  dem  Treiben 
der  Welt  in  die  Einsamkeit  sich  flüchteten,  suchten  mit  Vor- 
liebe Oerthchkeiten  auf,  an  denen  die  Natur  der  Landschaft 
in  ihrer  reizlosesten  Erscheinung  sich  darstellt:  in  öden  Thal- 
schluchten, auf  kahlen  Berghöhen,  inmitten  düsterer,  jegliche 
Aussicht  behemmender  Wälder  entstanden  die  Klöster.  Zum 
Mindesten  legte  man  keinen  Werth  auf  die  malerische  Schön- 
heit der  Landschaft.  Man  erkannte  dieselbe  eben  nicht,  besass 
kein  Auge,  kein  Gefühl  für  sie,  stand  ihr  gleichgültig,  viel- 
leicht selbst  feindselig  gegenüber,  denn  Alles,  was  etwa  den 
Menschen  an  diese  Erde  zu  fesseln  vermag,  das  galt  ja  als 
eine  Versuchung,  welche  überwunden,  niedergekämpft  wer- 
den müsse. 

Petrarca's  Einsamkeitsfreund  ist  anderer  Denkweise  zu- 
gethan.  Er  erwählt  zur  Stätte  seines  genussvollen  Einsiedler- 
thums  eine  liebliche  Gegend,  wo  er  längs  eines  murmelnden 
Baches  auf  grünenden  Wiesen  und  in  blühenden  Hainen  sich 
ergehen,  wo  er  von  der  Höhe  eines  Hügels  einer  schönen  Aus- 
sieht sich   erfreuen,  wo   er   mit  einem  Worte   die  Natur  der 


582  Zehntes  Capitel. 

Landschaft  in  ihrer  anmuthigsten  Gestaltung  schauen  kann. 
Dieser  Einsiedler  Petrarca's  ist  ganz  erfüllt  von  der  modernen 
Freude  an  der  malerischen  Schönheit  der  Natur,  er  ist  beseelt 
von  ganz  demselben  Gefühle,  welches  noch  jetzt  zur  Sommer- 
zeit die  Menschen  hinauslockt  aus  dem  Qualme  der  Städte  in 
die  reizvolle  Stille  der  ländlichen  Natur,  ja  er  kennt  selbst 
auch  schon  jene  Sentimentalität,  welche  das  Landleben  im 
Lichte  einer  poetischen  Verklärung  schaut  und  dasselbe  für 
die  einzige  mit  der  Sittlichkeit  vereinbare  Form  menschlichen 
Daseins  erachtet.  So  bezeichnet  Petrarca's  Schrift  scharf  und 
l)estimmt  den  Beginn  einer  neuen  Denk-  und  Gefühlsströmung, 
welche  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  ausserordentlich  ein- 
flussreich und  geradezu  zu  einem  Hauptfactor  der  modernen 
Cultur  werden  sollte.  Denn  wie  gewaltig  hat,  um  nur  Eins 
zu  berühren,  dies  neu  erwachte  Naturgefühl  auf  die  Umbildung 
der  socialen  Verhältnisse  eingewirkt,  wie  sehr  hat  es  dazu 
beigetragen,  die  festgeschlossene  Stadtgemeinde  des  Mittel- 
alters zu  zerstören  und  die  früher  bestandene  Schranke  zwischen 
Bürgerthum  und  landbautreibender  Bevölkerung  aufzuheben! 
Und  wie  wesentlich  ist,  um  auch  dies  noch  wenigstens  anzu- 
deuten, das  neue  erwachte  Naturgefühl  für  die  Entwickelung 
der  Poesie  geworden!  wie  hat  es  derselben  eine  ganz  neue 
und  weite  Sphäre  eröffnet,  wie  hat  es  sie  mit  neuen  Anschau- 
ungen, Motiven,  Bildern  und  Darstellungsnüancen  bereichert! 
Man  denke  sich  einmal  das  landschaftliche  Element  aus  der 
modernen  Poesie  hinweg  und  man  wird  sofort  gewahren,  welche 
klaffende  Lücke  entsteht. 

Indessen  in  so  wichtigen  Beziehungen  auch  die  Schrift 
„über  das  Leben  in  der  Einsamkeit"  als  das  erste  Litteratur- 
denkmal  des  modernen  Geistes  betrachtet  werden  kann,  so 
verleugnet  sie  doch  keineswegs  den  allen  Werken  Petrarca's 
eigenthümlichen  Charakterzug  eines  Schwankens  zwischen 
Mittelalter  und  Neuzeit,  einer  ganz  seltsamen  inneren  Zwie- 
spältigkeit. Man  sieht  eben,  wie  der  Autor  selbst  zweien 
Culturformen  gleichzeitig  angehört,  wie  er  aus  der  einen  noch 
nicht  völlig  herausgetreten  und  in  die  andere  noch  nicht  völlig 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  583 

eingetreten  ist.  Es  mischen  sich  in  dem  Buche  die  mittel- 
alterlichen und  die  modernen  Elemente  bizarr  genug.  Der 
Einsamkeitsfreund  selbst  ist  eine  Proteusgestalt :  bald  erscheint 
er  als  moderner  Genussmensch,  der  die  feineren  Freuden  des 
Daseins  mit  kundiger  Zunge  auszukosten  versteht  und  sich  zu 
einem  egoistischen  Epikureismus  bekennt,  bald  aber  verwan- 
delt er  sich  in  einen  mittelalterlichen  Asketen,  der  das  Auf- 
gehen in  Gott  als  höchste  Seligkeit  erstrebt  und  der  seine 
Glaubensinnigkeit  bis  zu  visionären  Verzückungen  zu  steigern 
vermag.   —  — 

Wir  wenden  uns  nun  der  dritten  hier  zu  besprechenden 
Schrift  Petrarca's  zu,  dem  Tractate  „lieber  die  Müsse  der 
Mönche". 

Verfasst  oder  doch  wenigstens  in  ihren  Grundzügen  ent- 
worfen worden  ist  diese  Schrift  in  der  Fastenzeit  des  Jahres 
1347  ^j,  als  Petrarca  noch  unter  dem  Eindrucke  des  Besuches 
stand,  den  er  kurz  zuvor  seinem  Bruder  Gherardo  zu  Montrieu 
gemacht  hatte,  und  als  er  den  Wunsch  hegte,  den  Mönchen 
der  dortigen  Carthause  seinen  Dank  für  die  ihm  erwiesene 
Gastfreundschaft  durch  eine  litterarische  Gabe  zu  bezeugen. 
Indessen  auch  zur  Vollendung  dieser,  obwol  nicht  eben  um- 
fangreichen Arbeit  2)  bedurfte  Petrarca  einer  langen  Zeit,  denn 
er  hat  sie  keinesfalls  vor  dem  Ende  des  Jahres  1356  zum 
Abschlüsse  gebracht  ^). 

Es  ist  leicht  erklärlich,  dass  diese  Schrift,  an  Mönche 
gerichtet  und  für  deren  Erbauung  bestimmt,  einen  streng  reli- 
giösen und  asketischen  Charakter  tragen  musste.  Und  in  der 
That  ist  sie  unter  allen  Werken  Petrarca's  dasjenige,  welches 
noch  am  meisten  das  Gepräge  des  Mittelalters  an  sich  trägt 
und  am  unberührtesten  geblieben  ist  von  den  Einwirkungen 
moderner  Denkweise.     Nur  die  zahlreichen  in  die  Schrift  ein- 

1)  Ep.  Sen.  VI  5. 

^)  Sie  umfasst  in  den  baseler  Ausgaben  ungefähr  32  Folioseiten. 

^)  Es  wird  dies  dadurch  bewiesen,  dass  p.  355  auf  die  Gefangennahme 
Johanns  des  Guten  von  Frankreich  (Schlacht  b.  Maupertuis,  15.  Sept.  1356) 
Bezug  genommen  wird. 


584  Zehntes  Capitel. 

gestreuten  Citate  aus  lateinischen  Classikern  erinnern  uns 
daran,  dass  sie  von  dem  Begründer  des  Humanismus  vei-fasst 
worden  ist. 

Wir  geben  im  Folgenden  in  Kürze  den  Inhalt  wieder. 

Der  ganze  Inhalt,  die  ganze  Hoffnung,  das  ganze  Streben 
und  das  ganze  Ziel  des  Mönchslebens  ist  eingeschlossen  in  den 
Psalmenworten  „Vacate  et  videte"  (Ps.  45,  11  nach  der  Vulg., 
46,  11  b.  Luther)  ^)  d.  h.  —  so  müssen  wir  hier  wenigstens 
in  Rücksicht  auf  den  Zusammenhang  übersetzen  —  „nihet 
(von  den  Geschäften  der  Welt)  und  seid  wachsam ! "  Durch 
die  Ruhe  von  den  nichtigen  Werken  der  Erde,  durch  beschau- 
liche Betrachtung  erwerben  die  Mönche  sich  die  ewige  Ruhe 
und  das  Schauen  der  göttlichen  Seligkeit.  Wie  glücklich  ist 
also  der  Mönche  Loos!  Sie  sollen  ruhen,  während  die  Welt- 
menschen—  die  Schiffer,  Krieger,  Kaufleute,  die  Gelehrten  und 
Handwerker  —  sich  abmühen  in  beständiger  Arbeit  und  doch 
dadurch  Nichts  erwerben  als  die  ewige  Arbeit  im  Jenseits, 
denn  ein  Jeder  wird  einst  durch  eben  dasjenige  bestraft  wer- 
den, wodurch  er  im  irdischen  Leben  gesündigt  hat,  Sünde 
aber  ist  es,  sich  keine  Müsse  für  die  Betrachtung  Gottes  und 
göttlicher  Dinge  zu  vergönnen.  —  Hiernach  wird  nun  der  Be- 
griff des  „Ruhen"  näher  erklärt.  Die  Mönche  sollen  ruhen 
von  allen  Bestrebungen  und  Mühen  des  weltlichen  Lebens  und 
sollen  ruhen  von  allen  Leidenschaften,  sie  sollen  einzig  an 
ihrem  Seelenheile  arbeiten  und  dabei  wohl  erkennen,  welchen 
Feind,  d.  h.  welche  Leidenschaft,  sie  in  ihrem  Innern  zumeist 
zu  bekämpfen  haben,  sie  sollen  beständig  streiten  gegen  die 
Fallstricke  der  Welt,  gegen  die  Lockungen  des  Fleisches  und 
gegen  die  Hinterlist  der  Dämonen.  In  diesem  Kampfe  wider 
das  Böse  und  den  Teufel  dürfen  die  Mönche  sieh  nie  in  falsche 
Sicherheit  einwiegen  lassen  und  des  Streites  überhoben  zu  sein 
wähnen:  Rom  war  nur  so  lange  gross,   als  es  noch  Carthago 


^)  Den  Gedanken  zur  Behandlung  dieser  Psalmenworte   hat  Petrarca 
jedenfalls  aus  Augustin  de  civit.  Dei  XXII  30  entlehnt. 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  585 

ZU  fürchten  hatte,  und  es  sank,  als  es  sich  für  ganz  unge- 
fährdet hielt. 

Aber  das  „Ruhen"  hat  auch  noch  eine  andere,  tiefere 
Bedeutung,  Wir  sollen  auch  ruhen  von  allen  Zweifeln  an  der 
Wahrheit  der  Glaubenslehren. 

Nur  an  Christus  können  wir  vernünftigerweise  glauljen. 
Unbelebte  Gegenstände  (Stein,  Holz  etc.)  zu  verehren,  ist  der 
Heiden  Thorheit.  Die  Juden  warten,  verblendet  genug,  noch 
auf  den  Messias,  der  schon  längst  erschienen  ist  und  an  wel- 
chem sie  selbst  sich  so  schwer  versündigt  haben,  dass  zur 
Strafe  ihre  Stadt  Jerusalem  zerstört  und  ihr  Volk  in  alle 
Lande  verstreut  wurde.  Die  Lehren  Mahomeds  aber  und 
ebenso  diejenigen  des  Averroes,  des  Photinus,  des  Manichäus 
(sie!)  und  des  Arius  sind  Nichts  als  ein  unentwirrbares  und 
trugvolles  Gewebe  sich  einander  widersprechender  Irrthümer. 
Die  Herabkunft  Christi  wurde  nicht  nur  von  den  Propheten, 
sondern  auch  von  den  heidnischen  Sibyllen  und  Dichtern  vor- 
ausverkündet und  dadurch  wird  sie  unwiderleglich  bewiesen. 
Wohl  waren  diejenigen  glücklich,  denen  es  vergönnt  war,  den 
menschgewordenen  Christus  von  Angesicht  zu  Angesicht  zu 
schauen,  aber  glücklicher  noch  sind  die  Jetztlebenden,  weil  der 
Glaube  jetzt  weit  allgemeiner  verbreitet  ist,  so  dass,  Vv^ährend 
zu  Christi  Zeit  selbst  der  Apostel  Thomas  noch  Unglauben 
hegen  konnte,  jetzt  nicht  einmal  mehr  der  einfache  Mann  an 
Christi  Göttlichkeit  zweifelt.  Weit  glücklicher  aber  auch  sind 
wir,  als  selbst  die  Weisesten  und  Gelehrtesten  unter  den  alten 
Griechen  und  Römern  (Piaton,  Cicero  etc.),  denn  das  grösste 
Weltgeheimniss,  welches  jene  nicht  einmal  zu  ahnen  vermochten, 
hat  für  uns  sich  vollzogen :  die  in  Christo  vor  sich  gegangene 
Vereinigung  des  Himmels  und  der  Erde,  des  Göttlichen  und 
des  Menschlichen.    — 

Hierauf  erklärt  Petrarca  noch  einmal  die  Bedeutung  des 
„Ruhen"  ^),  ohne  jedoch  dem  früher  Gesagten    etwas  Wesent- 


^)  Petrarca  erwähnt  hierbei  gelegentlich,   dass  ausser  der  Bibelüber- 
setzung des  Hieronymus  noch  eine   ältere  existire,  nach  welcher  Augustin 


586  Zehntes  Capitel. 

liches  hinzuzufügen.  Er  warnt  vor  der  Meinung,  als  sei  die 
Erfüllung  der  Gebote  Gottes  die  menschliche  Kraft  überstei- 
gend oder  als  genüge  es,  erst  im  Alter  gottesfürchtig  zu  werden. 
Das  seien  Einflüsterungen  des  Teufels,  denen  man  sich  ver- 
schliessen  müsse.  Auch  dürfe  man  nicht  den  Glauben  neu 
bewiesen  oder  durch  neue  Wunder  bekräftigt  haben  wollen, 
sondern  es  müssen  uns  zum  Glauben  der  Glaube  der  Apostel 
und  der  Märtyrer  und  die  früher  geschehenen  Wunder  ge- 
nügen. Ebensowenig  dürfen  wir  fordern,  dass  die  Zukunft 
uns  offenbaret  werde,  denn  das  würde  ja  für  uns  selbst  ver- 
derblich sein. 

Der  Inhalt  des  zweiten  Buches  der  Schrift  —  denn  in  zwei 
Bücher  gliedert  sich  dieselbe  und  das  eben  Berichtete  bildet 
des  ersten  Buches  wesentlichen  Inhalt  —  setzt  sich  in  der 
Hauptsache  aus  theologischen  Gemeinplätzen  zusammen:  es 
wird  die  Bedeutung  des  „Ruhen  (vacare)"  weiter  erörtert  und, 
wie  im  ersten  Buche  dargelegt  worden  war,  dass  das  „vacare" 
auch  ein  Freisein  von  Zweifeln  gebiete,  so  soll  nun  ausein- 
andergesetzt werden,  dass  ein  Freisein  von  weltlichen  Gedanken 
und  Geschäften  ebenso  erforderlich  sei.  Diesen  zu  entsagen, 
muss  uns  um  so  leichter  werden,  als  ja  alles  Irdische  so  liin- 
fällig  und  vergänglich  ist  —  ein  Thema,  welches  nun  unter 
Anwendung  gut  gewählter  und  drastisch  wirkender  Beispiele 
(z.  B.  Fürstengräber  glänzen  äusserlich  von  Gold  und  Marmor 
und  bergen  im  Innern  die  schauerlich  entstellten  Leichen) 
ausführlich  behandelt  wird.  Im  Kampfe  gegen  die  Welt  und 
ihre  Lust  dürfen  wir  nur  Gottes  und  Christi  Hülfe  erflehen, 
dem  muthigen  Kämpfer  aber  wird  im  Jenseits  ein  herrlicher 
Lohn  in  der  ewigen  Seligkeit  beschieden  sein. 

Sehr  unvermittelt  und  eingestaudenermaassen  nur  aus  dem 
äusseren  Grunde,  weil  in  der  Bibliothek  der  Carthause  kein 
Exemplar  des  Lactanz  sich  befand,  Petrarca  aber  doch  die 
Mönche  mit  diesem  Autor  möglichst   bekannt  machen  wollte. 


citire  und  in  welcher  es  statt  „vacate"  heisse  „otium  agite"  (aber  Aug.  de 
civ.  Dei  XXII  30  ed.  Dombart  t.  II  p.  555  steht  „vacate"). 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  587 

werden  nun  am  Schlüsse  des  Werkes  umfangreiche  Citate  aus 
Lactanz'  Institutionen  ausgeschrieben  und  es  Avird  auf  Grund 
derselben  sowie  auf  Grund  anderweiter  Citate  aus  Cicero's 
Büchern  „de  natura  deorum"  und  „de  consolatione"  ^)  der  Ver- 
such gemacht,  eine  euhemeristische  Auffassung  der  antiken 
Götterlehre  zu  begründen  und  dadurch  die  Unhaltbarkeit  der 
letzteren  nachzuweisen.  — 

Wir  enthalten  uns  jeder  weiteren  Bemerkung  über  die 
oben  analysirte  Schrift:  legt  sie  doch  laut  genug  selbst  Zeug- 
niss  für  sich  ab.  Nur  darauf  sei  in  Kürze  hingewiesen,  wie 
in  ihr,  so  durch  und  durch  mittelalterliches  Gepräge  sie  auch 
zu  tragen  scheint,  doch  ein  Hauch  der  Renaissance  vernehmbar 
zu  spüren  ist:  nicht  nur  aus  den  zahlreichen,  den  lateinischen 
Autoren  entnommenen  Citaten  weht  er  uns  entgegen,  sondern 
auch  aus  dem  so  sichtlich  hervortretenden  Bestreben,  die 
Zweifel  an  der  Wahrheit  der  Glaubensdogmen  zu  zerstören, 
denn  wo  derartige  Zweifel  vorausgesetzt  wurden,  da  waren 
sie  gewiss  auch  wirklich  vorhanden,  dies  Vorhandensein  aber 
kündet  uns  an,  dass  die  Zeit  des  Autoritätsglaubens  ihrem 
Ende  sich  naht  und  dass  die  Zeit  des  freien  Denkens  beginnt. 
So  gewinnen  wir  denn  auch  hier  das  Bewusstsein,  an  Petrarca's 
Hand  in  eine  neue  Periode  des  geistigen  Lebens   einzutreten. 

Es  bleiben  uns  nun  noch  einige  der  kleineren  moralphilo- 
sophischen Schriften  Petrarca's  zu  besprechen  übrig,  die  „zwei 
Gespräche  über  die  wahre  Weisheit"  und  die  beiden  Briefe 
über  die  Habsucht  (de  avaritia  vitanda  =  Ep.  Sen.  VI  7  u.  8). 

Das  erste  der  beiden  „Gespräche  über  die  wahre  Weis- 
heit'- ist  nur  eine  weitere  Ausführung,  th eilweise  sogar  eine 
wörtliche  Wiederholung  ^j  des  zwölften  Dialogs  des  ersten 
Buches  der  „Heilmittel  gegen  Glück  und  Unglück",  nur  ist  die 
Besetzung  der  Gesprächsrollen  eine  andere:  an  Stelle  der 
„Freude"  tritt  der  „Redner^'  und  an  Stelle  der  „Vernunft" 
tritt  der  „Einfältige  (idiota)"  ein.    Der  letztere  belehrt  den  auf 

^)  Es  ist  hier  die  unächte  Schrift  dieses  Titels  gemeint. 
'^)  von  ,,sapientiam    attamen    consecutus   sum"  p.   365    bis   ,,humilitas 
operosa"  p.  366. 


588  Zehntes  Capitel. 

seine  Weisheit  stolzen  „Redner  (orator)",  dass  die  wahre  Weis- 
heit die  Selbsterkenntniss  und  die  Gottesfurcht  zur  Vorbe- 
dingung habe  und  dass  der  wahrhaft  Weise,  weil  er  seines 
Nichtwissens  sich  bewusst  sei,  sich  niemals  selbst  für  weise 
halten  werde.  Das  Gespräch  wird  als  auf  dem  Forum  vor 
sich  gehend  gedacht,  und  als  es  geendet  ist,  begeben  sich  die 
redenden  Personen  auf  den  Wunsch  des  vom  Idiota  über- 
zeugten und  nach  weiterer  Belehrung  begierigen  Orator  in  den 
Laden  eines  Barbiers,  um  dort  ihr  Gespräch  in  Müsse  fortzu- 
setzen. Es  dünkt  uns  dieser,  wenn  auch  noch  sehr  unvoll- 
kommene Versuch,  durch  eine  angemessene  Scenerie  den  Dialog 
dramatisch  zu  beleben,  recht  beachtenswerth:  das  an  sich  herz- 
lich unbedeutende  Gespräch  erhält  dadurch  doch  ein  klein 
wenig  platonisch-künstlerisches  Colorit  und  kündet  uns  dadurch 
an,  dass  gerade  die  Kunst  des  Dialoges  durch  die  Renaissance 
zu  einem  neuen,  herrlichen  Leben  erweckt  werden  sollte. 

Der  zweite  Dialog  ist  inhaltlich  und  formal  noch  weit  un- 
bedeutender als  der  erste:  er  ist  eine  fast  ausschliesslich  dem 
Idiota  in  den  Mund  gelegte  und  in  scholastischen  Fonnen  sich 
bewegende  Untersuchung  über  die  wahre  Weisheit.  Als  Resultat 
ergibt  sich:  die  Weisheit  ist  die  von  allem  Sinnlichen  los- 
gelöste, einfachste  und  unbegrenzte  Form  des  Begrifflichen, 
sie  ist  die  eigentliche  Nahrung  des  Geistes,  welcher,  je  reiner 
er  von  sinnlichen  und  sündigen  Elementen  ist,  in  desto  i-ei- 
cherem  Maasse  sie  in  sich  aufzunehmen  vennag.  Bei  Menschen 
von  solcher  Reinheit  des  Geistes,  wie  die  Heiligen  es  waren. 
steigert  sich  diese  Fähigkeit  nahezu  bis  zu  einer  Entrückung 
aus  den  Banden  des  Körpers,  woraus  sich  auch  erklärt,  dass 
sie  sich  gegen  körperliche  Schmerzen  unempfindlich  zeigten, 
indessen  vermag  der  Mensch  doch  nie  mehr,  als  einen  „Vorge- 
schmack (praegustatio)"  der  wahren  Weisheit  sich  zu  erwerben. 
—  Bemerkt  mag  noch  werden,  dass  die  Untersuchung  in  fast 
sokratischer  Weise  an  Dinge  des  alltäglichen  Lebens,  nämlich  an 
die  Geschäfte  des  Marktes  (Zählen,  Messen,  Wägen)  anknüpft  ^). 

^)  Hier  mögen  zwei  sprachliche  Notizen   Platz   finden:   p.  368  findet 
sich  zur  Bezeichnung   des  kleinsten  Hohlmaasses   das  Wort  „petitum"  ge- 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Traciate.  589 

Beide  Dialoge  sind,  wenn  sie  überhaupt  Petrarca's  eigene 
Werke  sein  sollten,  was  wir  aus  sprachlichen  Gründen  bezweifeln 
möchten,  offenbar  nur  Bruchstücke,  welche  zur  Einreihung  in 
ein  grösseres  Werk  bestimmt  gewesen  waren,  aber  aus  irgend 
welchem  Grunde  in  ihrer  Vereinzelung  belassen  worden  sind. 

Man  könnte  versucht  sein,  die  in  den  Dialogen  gegebene 
Untersuchung  über  das  Wiesen  der  Weisheit  für  sehr  tiefsinnig 
zu  halten,  wenn  man  nur  bei  näherer  Betrachtung  nicht  ge- 
wahren würde,  dass  der  Autor  nichts  Eigenes  uns  bietet,  son- 
dern bloss  eine  einstudirte  Rolle  uns  vordeclamirt,  eine  Lection 
hersagt,  die  er  bei  den  Kirchenvätern,  besonders  aber  bei 
Augustin  (de  vera  religione)  auswendig  gelernt  hat  ^). 

Von  den  beiden  Episteln  über  das  Laster  des  Geizes  und 
der  Habsucht  2),  welche  nach  Fracassetti's  ansprechender  Ver- 
muthung^)  an  Zanobi  da  Strada  gerichtet  wurden,  als  dieser 
in  Begriff  stand,  das  gewinnbringende  Amt  eines  päpstlichen 
Secretärs  anzunehmen*),  trägt  nur  die  erste  einen  moralphilo- 
sophischen Charakter,  während  die  zweite  fast  eine  streng 
philologische  Untersuchung  über  die  Anwendung  des  Epitheton 
„golden"  ist°).  Der  Inhalt  der  ersten  Epistel  ist  in  Kürze 
folgender : 

Zunächst  wird  die  glückliche  Lage  des  Geldbesitzenden 
mit  der  überaus  ungünstigen  und  gedrückten  Situation  des 
Armen  verglichen,  natürlich  mit  dem  ironischen  Hintergedanken, 
dass  eine  derartige  Parallele  im  Grunde  nur  von  geizigen 
Leuten   gezogen  werden   könne  und  dass   sie  in  Wahrheit  gar 


braucht,  offenbar  das  Stammwort  des  französischen  „petit".  —  p.  369  werden 
in  kühner  Weise  Adjectiva  auf  -bilis  gebildet,  z.  B.  inscibilis,  imaginabilis, 
innegabilis,  incogitabilis  etc.  (vgl.  die  zahlreich  gehäuften  Femininbildungen 
auf  -trix  in  Vit.  Sei.  II  2,  8).  Nicht  eben  die  Bildungen  an  sich  sind  be- 
merkenswerth  (denn  ein  grosser  Theil  dieser  Worte  findet  sich  bereits  vor 
Petrarca  gebraucht) ,  aber  wohl  der  geschickte  Gebrauch ,  der  von  ihnen 
zur  Erreichung  eines  bestimmten  stylistischen  Effectes  gemacht  wird. 

^)  Tgl.  Feuerlein  in  v.  Sybel's  histor.  Zeitschr.  Bd.  38,  p.  213. 

2)  Das  lat.  Wort  „avaritia"  vereinigt  bekanntlich  beide  Begriffe  in  sich. 

••)  Lett.  sen.  I  p.  354. 

")  vgl.  oben  S.  2-59. 

■')  vgl.  oben  S.  476  f. 


590  Zehntes  Capitel. 

nicht  bereclitigt  sei.  Das  Geld,  meint  der  Autor,  sei  eben 
nach  der  gemeinen  Ansicht  der  Menschen  allmächtig  und  ver- 
möge alle  Hindernisse  zu  überwinden.  Für  viele  Menschen 
sei  das  Geld  sogar  ein  Gott  geworden,  und  desshalb  habe  ihm 
auch  Augustin  eine  Stelle  unter  den  Göttern  der  Heiden  ein- 
geräumt. 

Am  häufigsten  findet  sich  die  Habsucht  —  das  ist  des 
Briefes  weiterer  Inhalt  —  bei  Greisen,  bei  reichen  Leuten  und 
bei  Herrschern  und  sie  ist  bei  diesen  Menschenclassen  ein  um 
so  schlimmeres  Laster,  als  ihr  Ziel  bei  ihnen  ja  nur  der  mora- 
lisch so  gefährliche  Ueberfluss  des  Besitzes  sein  kann.  Be- 
sonders thöricht  aber  ist  die  Habsucht  bei  Greisen,  da  diese 
ja  nur  noch  eine  kurze  Lebenszeit  vor  sich  haben,  indessen 
lässt  sie  sich  wenigstens  unschwer  daraus  erklären,  dass  — 
wie  Aristoteles  in  der  Rhetorik  sagt  —  die  Greise  durch  ihr 
langes  Leben  gedemüthigt  und  kleinmüthig  geworden  sind  und 
aus  Erfahrung  wissen ,  wie  schwer  es  ist ,  den  Besitz  zu  er- 
halten, wie  leicht  aber,  ihn  zu  verlieren.  Jedoch  lassen  sich 
auch  andere  Ursachen  der  Habsucht  denken.  Eine  der  ofien- 
barsten  und  wichtigsten  liegt  in  dem  Erfahrungssatze  ent- 
halten, dass  man,  je  mehr  man  besitzt,  um  so  mehr  zu  be- 
gehren pflegt.  Am  widerlichsten  aber  sind  Habsucht  und  Geiz 
bei  den  Königen,  insbesondere  der  Geiz,  welcher  sich  in  dem 
Verhalten  gegen  Andere  geltend  macht,  denn  denjenigen  Geiz, 
welcher  nur  die  möglichste  Beschränkung  der  eigenen  Bedürf- 
nisse anstrebt  und  der  sonach  mit  der  Massigkeit  verwandt 
ist,  kann  man  noch  am  ehesten  gelten  lassen.  Ueberaus 
schimpflich  jedoch  ist  es,  wenn  ein  Fürst  seinen  Unterthanen 
gegenüber  geizt,  und  doch  handeln  jetzt  alle  Fürsten  so!  — 
Geiz  und  Habsucht  sind  Laster,  welche  sowol  durch  die  Auto- 
rität der  Bibel  als  durch  diejenige  der  profanen  Schriftsteller 
aufs  Schärfste  verurtheilt  werden.  AVie  aber  können  wir  uns 
wundern,  dass  diese  Laster  so  weit  verbreitet  sind,  da  doch 
das  Gold  allen  Dingen  vorgezogen  wird  und  da  selbst  die 
Dichter  allen  Gegenständen,  welche  sie  preisen  wollen,  das 
Epitheton  „golden"   beilegen?     Und  nun  folgt  eben  die  oben 


Die  moralphilosophischen  und  religiösen  Tractate.  591 

erwähnte  Untersuchung  über  den  Gebrauch  des  Epitheton 
„golden". 

Man  sieht,  der  Inhalt  der  kleinen  Schrift  ist  herzlich  un- 
bed^tend  und  bewegt  sich  nur  in  ziemlich  abgedroschenen 
Gemeinplätzen,  Erfreulich  aber  ist  die  in  ihr  ausgesprochene 
Gesinnung,  die  Geringschätzung  des  Mammons,  das  Erhabensein 
über  die  ängstliche  Liebe  zum  Geldbeutel,  die  leider  so  vielen 
Sterblichen  anhaftet.  Und  diese  Gesinnung  hat  Petrarca  auch 
praktisch  bethätigt:  er  hat  zwar  irdisches  Gut,  dessen  er  eben, 
wie  ein  jeder  Andere,  zum  physischen  Leben  bedurfte,  nicht 
verschmäht  und  hat  sich  seines  Besitzes  insofern  gefreut,  als 
er  darin  das  Mittel  zu  einem  von  niederen  Sorgen  freien  Da- 
sein erblickte,  aber  er  hat  nie  darnach  getrachtet.  Schätze  zu 
sammeln,  er  hat  sich  nie  zur  Anbetung  des  goldenen  Kalbes 
erniedrigt,  er  hat  nie  über  dem  Nichtigen  das  Erhabene,  übei* 
dem  Vergänglichen  das  Unvergängliche  vergessen.  Der  Be- 
gründer der  Renaissancecultur  war  in  manchen  Beziehungen 
nicht  frei  von  sittlichen  Schwächen,  aber  er  besass  doch  die 
sittliche  Grösse,  nicht  irdischen  Gütern,  sondern  idealen  Zielen 
ernst  und  eifrig  nachzustreben. 

Und  mit  diesem  wohlthuenden  Eindrucke  scheiden  wir  nun 
von  Petrarca's  moralphilosophischen  und  religiösen  Schriften. 


Elftes  Capitel. 
Die  historischen  und  geographischen  Schriften. 


Auf  zwei  Werke  vor  allen  gedachte  Petrarca  seinen  Ruhm 
für  alle  Zeit  zu  begründen :  auf  seine  epische  Dichtung  „  Africa" 
und  auf  eine  Biographiensammlung,  welche  er  das  ,,Bueh  der 
berühmten  Männer"  benannte.  Das  erstere  Werk  sollte  ihm 
den  Lorbeerkranz  des,  Dichters  gewinnen,  das  letztere  ihm 
eine  heiTorragende  Stellung  unter  den  Gelehrten  und  Geschichts- 
schreibern sichern  ^). 

Das  „Buch  über  die  berühmten  Männer"  war  so  recht 
das  wissenschaftliche  Lebenswerk  Petrarca's,  an  welchem  er 
unverdrossen  lange  Jahrzehende  gearbeitet  hat,  ohne  es  doch 
—  so  meinen  wir  wenigstens  —  zum  Abschluss  bringen  zu 
können.  Wann  das  Buch  begonnen  wurde,  lässt  sich  nicht 
bestimmen.  Jedenfalls  aber  fasste  Petrarca  den  ersten  Ge- 
danken dazu  während  seines  Aufenthaltes  in  Vaucluse,  der  ja 
überhaupt  für  seine  litterarische  Thätigkeit  so  anregend  und 
fruchtbar  gewesen  ist^).  Seine  ursprüngliche  Absicht  ging 
dahin,  die  berühmten  Männer  aller  Länder  und  Zeiten  in  Bio- 
graphien zu  schildern  3).     Bald  aber  wurde  dieser  ungeheuere 


>)  Afr.  IX  V.  216—268,  besonders  aber  v.  257  ff. 

*)  Ep.  Fam.  VIII  3. 

^)  „ex  Omnibus  terris   ac  saeculis  illustres  viros  in  unum  con- 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  593 

und  für  die  Kraft  eines  Mannes  viel  zu  weit  angelegte  Plan 
dahin  eingeschränkt,  dass  nur  die  Lebensbeschreibungen  der 
berühmten  Römer  von  Romulus  ab  bis  zu  Titus  hinauf  gegeben 
werden  sollten  ^),  und  zwar  sollten  nur  diejenigen  Männer  be- 
rücksichtigt werden,  welche  sich  durch  kriegerische  Thaten 
oder  durch  staatsmännische  Grösse  ausgezeichnet  hätten^); 
ein  etwas  befremdliches  Programm,  denn  man  sollte  meinen, 
dass  es  dem  Begründer  des  Humanismus  näher  gelegen  hätte, 
den  litterarischen  Grössen  des  Römerthums  einen  Ruhmes- 
tempel zu  errichten,  vielleicht  aber,  dass  er  der  letzteren 
Pflicht  durch  seine  „Briefe  an  die  berühmten  Männer"  genügen 
zu  können  meinte.  Jedenfalls  ist  es  bezeichnend  für  den 
Geist  der  Renaissancecultur,  dass  ihr  Begründer  gerade  die 
Kriegshelden  und  Staatsmänner  des  Alterthums  zum  Vorwurfe 
eines  grossen  biographischen  Werkes  sicherwählte:  man  erkennt 
daraus,  dass  in  den  Augen  der  Menschen  der  Renaissance  der  Held 
oder  der  Staatenlenker,  der  im  kühnen  Ringen  blendende,  wenn 
auch  oft  rasch  vergängliche  äussere  Erfolge  gewinnt,  doch  noch 
höher  stand  als  der  Dichter  oder  Denker,  dessen  Leben  meist 
in  einförmiger  Stille  dahinfliesst,  dessen  geistiges  Schaffen  aber 
oft  von  so  weittragender  und  nachhaltiger  Bedeutung  ist.  Leicht 
ist  es,  diese  Thatsache  zu  erklären,  und  leicht  auch,  zu  er- 
kennen, welche  tief  greifende  Schlüsse  sich  aus  ihr  ziehen 
lassen,  indessen  hierauf  näher  einzugehen,  wird  sich  an  einem 
anderen  Orte  unserer  litterargeschichtlichen  Erzählung  passen- 
dere Gelegenheit  finden  ^). 

Ueber  die  Anlage  und  die  Tendenz  des  „Buches  über  die 
berühmten  Männer"  werden  wir  uns  am  besten  unterrichten, 
wenn  wir  die  Vorrede,   mit   welcher  der  Verfasser  das  Werk   » 


trahendi  illa  mihi  solitudo  dedit  animum."  Ep.  Fam.  VIII  3  (der  Brief 
datirt  vom  5.  Mai,  wahrscheinlich  des  Jahres  1349). 

')  de  contemt.  mundi  III  p.  411. 

-)  „qui  helHcis  virtutibus  aut  magno  rei  publicae  studio  florueruut." 
Invect.  in  med.  p.  1209. 

")  in  der  Darstellung  des  Zeitalters  Lorenzo's  de'  Medici,  welche  wir 
im  dritten  Bande  dieses  Werkes  geben  zu  können  hoffen. 

Körting,  Petraroo.  38 


594  Elftes  Capitel. 

seinem  fürstlichen  Freunde  Francesco   di  Carrara  widmete,  in 
der  Uebersetzung  folgen  lassen  ^). 

„Auf  Deine  Bitten,  erhabener  Staatslenker  (plaustrifer). 
der  Du  anspruchslos  und  doch  gebietend  allein  das  Scepter 
über  Padua's  i*uhmvolle  Stadt  führst,  habe  ich  mich  entschlossen, 
die  Lebensbeschreibungen  einiger  berühmter  Männer  (deren 
Ruhm  hochbegabte  und  hochgelehrte  Schriftsteller  der  Nachwelt 
überliefert,  deren  Lebensgeschichten  aber  sie  in  verschiedenen, 
Werken  gleichsam  zerstreut  und  zerstückt  fast,  erzählt  haben) 
in  einem  Werke  zusammenzufassen  und  gewissermaassen  zu- 
sammenzuhäufen.  Geschichte  zu  schreiben  ist  meine  Absicht: 
desshalb  muss  ich  die  berühmtesten  Autoren  zu  meinen  Füh- 
rern erwählen,  will  ihnen  jedoch  nicht  den  Wortlaut  der  Dar- 
stellung, sondern  nur  das  Material  der  Thatsachen  entlehnen. 
Es  entgeht  mir  nicht,  welch'  schwierige  Arbeit  es  sein  wird, 
die  Würde  des  Styles  zu  wahren.  Denn,  wenn  ich  derselben 
Worte,  wie  meine  Quellen,  mich  nicht  bedienen  darf,  bessere 
aber  zu  finden  nicht  vermag,  so  weiss  ich  nicht,  was  noch 
übrig  bleibt.  Es  möge  aber,  bitte  ich,  ein  jeder  Leser  auf  die 
Anordnung  und  Zusammenstellung  des  verschiedenartigen  In- 
haltes achten:  denn,  obwol  dasjenige,  was  ich  schreiben  will, 
anderen  Autoren  entlehnt  ist,  so  findet  man  es  doch  bei  denselben 
nicht  in  derselben  Ordnung.  Einiges  nämlich,  was  bei  dem 
einen  der  Quellenschriftsteller  etwa  fehlt,  habe  ich  aus  einem 
anderen  entnommen.  Einiges  habe  ich  kürzer,  Einiges  wieder 
klarer.  Einiges  auch,  was  durch  die  kurze  Erzählung  der  Quelle 
schwerer  verständlich  wurde,  ausführlicher  erzählt^),  Einiges 
endlich,  was  bei  verschiedenen  Autoren  zerstreut  ist,  habe  ich 
vereinigt  und  so  verschiedene  Belichte  zu  einem  verschmolzen. 
Hierbei  habe  ich   geglaubt,   die  gedankenlose  und   unnöthige 


^)  Wer  da  weiss ,  wie  misslich  es  ist ,  so  bombastisches  Latein ,  wie 
dasjenige  dieser  praefatio,  in  verständliches  Deutsch  zu  übertragen,  wird 
es  entschuldigen,  dass  der  Uebersetzer  mehr  dem  Sinne  als  dem  Wortlaute 
folgen  zu  müssen  glaubte. 

-)  im  lat.  Texte  fehlt  dieses  Verbum,  welches  durch  den  Zusammen- 
hans erfordert  wird. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  595 

Gewissenhaftigkeit  derjenigen  vermeiden  zu  müssen,  welche 
die  Berichte  aller  Geschichtsschreiber  sammeln  und,  damit 
es  ja  nicht  scheine,  als  ob  sie  etwas  vergessen  hätten,  wenn 
verschiedene  Autoren  sich  widersprechen,  diese  abweichenden 
Berichte  neben  einander  stellen  und  dadurch  den  Text  ihrer 
eigenen  Erzählung  mit  dunkler  Weitschweifigkeit  und  unlös- 
baren Schwierigkeiten  erfüllen.  Ich  will  weder  die  Berichte 
aller  Geschichtsschreiber  sammeln  noch  etwa  einander  wider- 
sprechende in  Einklang  zu  bringen  versuchen,  sondern  will 
denjenigen  Autoren  folgen,  welche  entweder  die  grössere  Wahr- 
scheinlichkeit oder  die  höhere  Glaubwürdigkeit  für  sich  haben. 
Desshalb,  wenn  etwa  Jemand,  der  mit  solcher  Leetüre  ver- 
traut ist,  finden  sollte,  dass  bei  mir  bald  das  Eine,  bald  das 
Andere  anders  erzählt  wird,  als  sie  es  zu  hören  oder  zu  lesen 
gewohnt  sind,  so  bitte  und  ermahne  ich  sie,  dass  sie  nicht 
sofort  ein  absprechendes  Urtheil  fällen,  wie  Halbgebildete  es 
zu  thun  pflegen ,  sondern  dass  sie  den  Widerstreit  der  ver- 
schiedenen Quellenschriftsteller  berücksichtigen  mögen,  der  ja 
selbst  den  doch  den  Ereignissen  viel  näher  stehenden  Titus 
Livius  oft  genug  verlegen  gemacht  hat.  Ich  habe  die  Absicht, 
mich  der  Kürze  und  Uebersichtlichkeit  zu  befleissigen,  und  werde 
daher  Vieles  auslassen,  was,  wie  ich  oben  bemerkte,  den  Leser 
eher  verwirren,  als  ihm  zur  Bequemlichkeit  gereichen  könnte. 
Bei  mir  soll  nur  dasjenige  berücksichtigt  werden,  was  auf  die 
Tugenden  oder  die  Laster  Bezug  hat,  denn,  wenn  ich  mich 
nicht  täusche,  ist  es  der  Geschichtsschreiber  fruchtbarste  Auf- 
gabe, Beispiele  zu  geben,  welche  den  Leser  entweder  zur  Nach- 
eiferung anzureizen  oder  von  derselben  abzuschrecken  geeignet 
sind.  Wer  über  diese  Aufgabe  hinaus  zu  gehen  beabsichtigt, 
der  wisse,  dass  er  sich  in  ein  fremdes  Gebiet  begibt,  und 
denke  daran,  unverzüglich  dasselbe  wieder  zu  verlassen,  er 
müsste  denn  gerade  die  Absicht  haben,  für  die  Unterhaltung 
der  Leser  Sorge  zu  tragen  und  bisweilen  behagliche  Ruhe- 
punkte  für  die  Erzählung  aufzusuchen.  Und  ich  leugne  nicht, 
dass  ich  selbst  mitunter,  den  gleichen  Gedanken  hegend,  von 
der  eigentlichen  Aufgalie  mich  etwas  weiter  entfernte,   da  ich 

38* 


596  Elftes  Capitel. 

Vergnügen  daran  fand,  von  dem  Charakter  der  berühmten 
Männer,  von  ihrem  Privatleben,  von  ihren  entweder  scharf- 
sinnigen oder  gedankenschweren  Aussprüchen^)  und  auch  von 
ihrer  Leibesgestalt,  von  den  Umständen  ihrer  Geburt  und  ihres 
Todes  den  Lesern  Mittheilung  zu  machen.  "Wenn  mir  dies  in 
geringerem  Grade,'  als  ich  es  beabsichtigt  hatte,  gelungen  sein 
sollte,  so  verzeihe  es  mir,  wer  Du  auch  immer  mein  Buch 
liesest,  denn  über  meinen  Erfolg  stelle  ich  Dir  das  Urtheil 
anheim  und  wünsche  nur,  dass  Du  mir  in  Bezug  auf  die  Ab- 
sicht glaubst.  Wenn  Du  aber  finden  solltest,  dass  etwas  bis 
zum  Ueberdruss  weitschweifig  oder  aber  unliebsam  kurz  er- 
zählt worden  sei ,  so  schreibe  den  Fehler  entweder  meiner 
Geistesarmuth  oder  den  meine  Aufmerksamkeit  zerstreuenden 
Sorgen  zu.  Wenn  aber  vielleicht  die  Arbeit  meines  Fleisses 
den  Durst  Deiner  Erwartung  gestillt  haben  sollte,  so  fordere 
ich  keine  andere  Belohnung,  als  von  Dir  geliebt  zu  werden, 
möge  ich  auch  Dir  vielleicht  persönlich  unbekannt  sein,  viel- 
leicht selbst  schon  im  Grabe  liegen  und  zu  Asche  geworden 
sein.  So  habe  auch  ich  diejenigen,  durch  deren  Mühen  ich 
mich  gefördert  fühlte,  nicht  nur  noch  nach  ihrem  Tode,  son- 
dern selbst  noch  tausend  Jahre  nach  ihrer  völligen  Auflösung 
geliebt  ^)." 

Mit  den  Grundsätzen,  von  welchen  Petrarca  in  dieser  Vor- 
rede sich  bei  seiner  Arbeit  leiten  zu  lassen  erklärt,  wird  man 
nicht  umhin  können,  einverstanden  zu  sein,  denn  es  sind  eben 
solche,  welche  noch  heute  jeder  verständige  Compilator,  der 
für  das  grosse  gebildete  Publicum  schreibt,  befolgen  müssen 
würde.  Auch  die  ethische  Tendenz  des  Buches,  welche  Pe- 
trarca so  ostensibel  hervorhebt,  wird  man  schliesslich  in  An- 
betracht des  gewissermaassen  pädagogischen  Zieles,  welches 
das  Werk  verfolgte,   billigen  müssen,    so  sehr  man   sich  auch 


*)  im  Texte  (des  cod.  Vat.  4523)  steht  sinnlos  „verba  nee  peracuta 
nee  gravia." 

'^)  Dieser  Satz,  der  in  der  Uebersetzung  nothwendigerweise  fast  unver- 
ständlich wird,  bezieht  sich  natürlich  auf  die  Schriftsteller  des  Alterthums. 
—  Den  letzten  Satz  der  praefatio  lassen  wir  als  unwesentlich  aus. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  597 

im  Principe  dagegen  zu  verwahren  haben  wird,  dass  die 
Geschichtsschreibung  zur  Dienstmagd  der  Moral  erniedrigt 
werde.  — 

Das  „Buch  der  berühmten  Männer"  gibt  folgende  einund- 
dreissig  Biographien : 

1.  Romulus.  2.  Numa  Pompilius.  3'.  Tullus  Hostilius. 
4.  Ancus  Marcius.  5.  Junius  Brutus.  6.  Horatius  Codes.  7. 
L.  Q.  Cincinnatus.  8.  M.  F.  Camillus.  9.  P.  Decius  Mus  (der 
sich  in  der  Schlacht  am  Vesuv  opferte).  10.  T.  Manlius  Tor- 
quatus.  11.  M.  Valerius  Corvinus.  12.  L.  Papirius  Cursor. 
13.  Alexander  der  Grosse.  14.  L.  Fabricius.  15.  M'.  Curius 
Dentatus.  16.  Pyrrhus.  17.  Q.  Fabius  Maximus  Cunctator. 
18.  Claudius  Nero  und  Livius  Salinator.  19.  M.  Claudius  Mar- 
cellus.  20.  T.  Quinctius  Flamininus.  21.  L.  Scipio  Asiaticus. 
22.  Hannibal.  23.  P.  Cornelius  Scipio  (der  ältere  Africamis). 
24.  Paulus  Aemilius  (richtiger  Aemilius  Paullus).  25.  Cornelius 
Scipio  Nasica.  26.  M.  Porcius  Cato  Censorius.  27.  P.  Cor- 
nelius Scipio  Aemilianus  (der  jüngere  Africanus).  28.  C.  Marius. 
29.  Q.  Caecilius  Metellus.  30.  Cn.  Pompejus  Magnus.  31.  C. 
Juhus  Caesar. 

Wie  man  aus  diesem  Verzeichnisse  ersieht,  sind  es  mit  Aus- 
nahme Alexanders  d.  G.,  des  Pyrrhus  und  des  Hannibal  nur  Römer, 
welche  Petrarca  der  Aufnahme  in  die  biographische  Ruhmes- 
halle für  würdig  erachtete  —  wieder  ein  Beweis,  wie  einseitig 
sich  von  vornherein  Humanismus  und  Renaissance  auf  das 
Römerthum  gründeten,  während  doch  wenigstens  in  der  Ge- 
schichtsschreibung eine  grössere  Berücksichtigung  des  Griechen- 
thums  recht  wohl  möglich  gewesen  wäre. 

Zahlreiche  Handschriften  sind  von  dem  „Buche  der  be- 
rühmten Männer"  erhalten  ^) ,  aber  fast  alle  sind  mehr  oder 
minder  verstümmelt  und  nur  eine  einzige,  eine  vaticanische 
(cod.  Vat.  no.  4523),  bietet  einen  vollständigen  Text.  Aber 
auch  diese  letztere,   relativ  beste  Handschrift  leidet  an  einem 


^)  Aufzählung  derselben  b.  D.  Rossetti,  Petrarca,  Giulio  Celso  e  Boc- 
caccio (Triest,  1828),  p.  102  ff. 


598  Elftes  Capitel. 

auffallenden  Fehler:  die  einzelnen  Biographien  folgen  in  ihr 
nicht  in  der  oben  angegebenen,  chronologischen  Ordnung'), 
sondern  es  sind,  um  von  kleineren,  leicht  entschuldbaren  Ver- 
stössen abzusehen,  die  acht  Biographien:  T.  Quinctius  Flami- 
ninus  (20),  L.  Scipio  Asiaticus  (21),  Cornelius  Scipio  Nasica  (25), 
Paulus  Aemilius  (24),  Q.  Caecilius  Metellus  (29),  P.  Cornelius 
Scipio  Aemilianus  (27),  C.  Marius  (28),  und  Cn.  Porapejus 
Magnus  (30)  derjenigen  Caesars  (31)  nachgestellt  worden,  so 
dass  diese  letztere  unmittelbar  hinter  das  Leben  des  M.  Por- 
cius  Cato  (2(3)  zu  stehen  kommt. 

Man  sieht,  es  wird  durch  diese  Umstellung  eine  ziemliche 
Verwirrung  angerichtet,  und  es  fragt  sich,  wie  wir  dieselbe  zu 
beurtheilen  haben.  Dass  Petrarca  die  einzelnen  Biographien 
bei  einer  endgültigen  Piedaction  in  chronologischer  Ordnung 
aneinander  zu  reihen  beabsichtigte,  halten  wir  für  geradezu 
selbstverständlich,  und  das  wird  überdies,  meinen  wir,  auch  da- 
durch bewiesen,  dass  sowol  Lombarde  da  Serico  als  auch  Donato 
degli  Albanzani ,  welche  sicherlich  über  Petrarca's  Intentionen 
gut  unterrichtet  waren,  der  erstere  in  der  Epitome,  der  letztere 
in  der  Uebersetzung  des  Buches  die  chronologische  Reihenfolge 
hergestellt  haben.  Aber  fraglich  muss  es  erscheinen,  ob  Pe- 
trarca zu  einer  endgültigen  Redaction  seines  Werkes  gelangt 
ist,  und  feiner,  ob  er  die  einzelnen  Lebensbilder  in  ihrer  chro- 
nologischen Ordnung  geschrieben  hat.  Wir  glauben,  das  Eine 
wie  das  Andere  verneinen  zu  müssen.  Dass  Petrarca  zu  keinem 
wirklichen  Abschlüsse  des  Werkes  gelangte,  wird  unseres  Er- 
achtens  dadurch  bezeugt,  dass  er  dasselbe  bis  zu  Titus  zu 
führen  beabsichtigte^),   in  Wahrheit   aber  nur  bis  Caesar  ge- 

*)  Aufgestellt  von  Rossetti,  p.  206  (prospetto  comparativo). 

2)  de  contemt.  mundi  III  p.  411  (vgl.  oben  S.  593).  Wir  meinen  übri- 
gens, dass  an  dieser  Stelle  statt  Titus:  Traianus  gelesen  werden  muss,  da 
Trajans  Regierung  einen  weit  besseren  Abschluss  bildete,  als  diejenige  des 
Titus,  und  da  in  der  That  Lombardo  da  Serico  seine  Fortsetzung  bis 
Trajan  geführt  bat.  —  Aus  einer  Stelle  in  Rer.  mem.  lib.  IV  (10,  praef ), 
wo  Petrarca  erklärt,  er  wolle  in  diesem  Buche  nur  von  denkwürdigen" 
Dingen,  nicht  von  berühmten  Männern  sprechen,  was  er  in  einem  anderen 
Werke  gethan  habe  ,„quod  alio  volumine  feci"),  könnte  man  vielleicht  fol- 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  590 

fühlt  hat;  wie  würde  wol  auch  Lombardo  da  Serico  auf  den 
Gedanken  gekommen  sein,  die  Biographien  des  Octavian,  des 
Vespasian,  des  Titus  und  des  Trajan  dem  Werke  noch  hinzu- 
zufügen, wenn  er  nicht  durch  die  ihm  bekannte  Unvollständig- 
keit  desselben,  vielleicht  auch  durch  einen  von  Petrarca  aus- 
drücklich ausgesprochenen  Wunsch  die  Berechtigung  zu  solchem 
Verfahren  zu  besitzen  geglaubt  hätte?  Hätte  im  Gegentheile 
Lombardo  gewusst,  dass  der  Meister  selbst  sein  Werk  mit 
Cäsar  hatte  abschliessen  wollen,  so  würde  ihm  schon  die  Pietät 
die  Weiterführung  untersagt  haben,  oder  er  hätte  doch  gewiss 
dieselbe  in  Form  eines  selbständigen  Buches  gegeben,  wofür 
er  überdies  in  der  Gestalt  des  ersten  römischen  Kaisers 
(Octavianus  Augustus)  den  denkbar  bequemsten  Ausgangspunkt 
gefunden  haben  würde.  —  Die  Annahme  ferner,  dass  Petrarca 
die  Biographien  in  chronologischer  Ordnung  geschrieben  habe, 
scheint  uns  eine  so  systematische,  um  nicht  zu  sagen  mecha- 
nische Art  des  Arbeitens  vorauszusetzen,  wie  sie  Petrarca 
kaum  jemals  geübt  hat.  Wir  meinen,  dass  Petrarca  die  Lebens- 
bilder in  ungezwungener  Pteihenfolge  verfasste,  je  nachdem 
ihn  Stimmung  und  der  Gang  seiner  sonstigen  wissenschaftlichen 
Thätigkeit  bald  besonders  zu  der  einen  und  bald  wieder  zu 
der  anderen  Heldengestalt  hinzogen,  dass  er  sich  aber  vor- 
behielt, später  nach  Vollendung  des  ganzen  Cyclus  die  einzelnen 
Bestandtheile  desselben,  gleichsam  die  einzelnen  Hefte  des 
Buches,  chronologisch  zusammenzustellen.  Auch  die  Ver- 
öffentlichung des  Werkes  erfolgte,  wie  es  uns  scheinen  will, 
theilweise  oder,  wie  man  fast  sagen  möchte,  lieferungsweise. 
Zunächst  wurden,  begleitet  von  der  Widmung  an  den  Carra- 
resen,  die  ersten  22  Biographien  des  Vaticanus  (Romulus  bis 
M.  Porcius  Cato)  publicirt,  sodann  die  umfängliche,  ein  Werk 
für  sich  bildende  Biographie  Caesars  und  endlich  die  acht 
letzten  Vitae  des  Vaticanus  (T.  Quinctius  Flamininus  bis  Cn. 


gern  wollen,  dass  Petrarca  damals  die  „viri  illustres"  bereits  vollendet 
hatte,  aber,  genau  genommen,  besagen  jene  Worte  doch  nur,  dass  er  da- 
mals die  „viri  illustres"  schon  zu  schreiben  begonnen  hatte. 


600  Elftes  Capitel. 

Pompeius),  deren  Bearbeitung,  weil  sie  doch,  mit  Ausnahme 
des  Pompeius,  mehr  untergeordnete  Persönlichkeiten  behandeln. 
Petrarca  sich  gern  möglichst  lange  hinausgeschoben  haben  wird. 
Aus  der  eben  aufgestellten  Hypothese  würden  sich  mehrfache, 
sonst  überaus  auffallende  Thatsachen  erklären  lassen:  zunächst 
die  eigenthümliche  Anordnung  des  Vaticanus  selbst,  welche 
darnach  uns  das  Werk  in  der  von  Petrarca  hinterlassenen,  nicht 
abgeschlossenen  Gestalt  zeigen  würde,  sodann  die  Un Voll- 
ständigkeit der  sämmtlichen  Codices  mit  Ausnahme  des  Vati- 
canus, in  denen  wir  nun  gewissermaassen  erste  und  zweite  Aus- 
gaben (gegenüber  der  dritten  des  Vaticanus  und  der  vierten, 
nach  dem  Tode  des  Verfassers  von  Lombardo  besorgten)  zu 
erblicken  hätten,  endlich  die  eigenthümlichen  Eingangsworte 
in  der  Biographie  des  Quinctius  Flamininus^),  welche  sich  nur 
dann  verstehen  lassen,  wenn  man  annimmt,  dass  sie  an  der  Spitze 
einer  einen  neuen  Cyclus  eröffnenden  Vita  standen.  Befremdlich 
ist  es,  dass  Ptossetti  in  seinem  fieissigen  und  verdienstlichen 
Buche  „Petrarca,  Giulio  Celso  e  Boccaccio",  in  welchem  er  sich 
mit  der  Ueberlieferung  des  Buches  so  eingehend  beschäftigt  hat, 
doch  die  Frage  nach  der  Erklärung  der  seltsamen  Reihenfolge 
der  Vitae  im  Vaticanus  nur  in  einer  sehr  flüchtigen  und  wenig 
befriedigenden  Weise  beantwortet  (p.  65),  Razzolini  aber  ist 
in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  auf  die  Frage  gar  nicht  ein- 
gegangen. 

Es  kann  ferner  gefragt  werden,  wann  Petrarca  wol  die 
drei  einzelnen  und  nach  unserer  Ansicht  gesondert  erschiene- 
nen Theile  des  grossen  Geschichtswerkes  veröffentlicht  habe. 
Eine  bestimmte  Antwort  lässt  sich  hierauf  bei  dem  Mangel 
aller  Anhaltspunkte  nicht  geben.  Nur  so  viel  lässt  sich  mit 
Gewissheit  sagen,  dass  vor  dem  Jahre  1355  auch  selbst  der 
erste  Theil  des  Werkes  nicht  erschienen  sein  kann,  denn  als 
in  den  letzten  Tagen  des  Jahres  1354  Petrarca  bei  dem  Könige 


^)  „Quoniam  T.  Quintius  Flaminius  (sie!;  praeoccurrens  de  se  nar- 
randi  et  memorandarum  rerum  suarum  copiam  facit,  tanti  ac  diutini  (sie!) 
belli,  unde  exordiar,   certiorem  causam  attingam."  ed.  Razzolini,  p.  314. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  601 

Karl  IV.  in  Mantua  weilte ,  erklärte  er  diesem  ganz  ausdrück- 
lieh, dass  das  Werk  noch  unvollendet  (inexpletum)  sei  und  dass 
es  zu  seiner  Vollendung  noch  vieler  Mühe  und  Arbeit  bedürfen 
werde,  auch  erklärte  er  sich  bedingungsweise  dazu  bereit,  das 
Buch  dem  Könige  widmen  zu  wollen  ^).  Wir  möchten  glauben, 
dass  der  erste  Theil  erst  nach  Petrarca's  definitiver  Ueber- 
siedelung  von  Venedig  nach  Padua  herausgegeben  worden  sei. 
Darauf  scheint  uns  die  Widmung  an  Francesco  da  Carrara  hin- 
zudeuten, zu  welcher  Petrarca  sich  erst  dann  veranlasst  fühlen 
konnte,  als  er,  zum  dauernden  Bleiben  in  Padua  entschlossen, 
zu  Francesco  wieder  in  nähere  Beziehungen  getreten  war. 
Hätte  er  das  Buch  noch  während  seines  Aufenthaltes  in  Mailand 
edirt,  so  würde  er  es  aus  Schicklichkeitsgründen  jedenfalls 
dem  Galeazzo  Visconti  haben  zueignen  müssen,  und  ebenso 
würde  er  während  seines  Verweilens  in  Venedig  wol  geziemen- 
der dem  ihm  so  freundlich  gesinnten  Dogen,  als  dem  mit  Ve- 
nedig immer  auf  gespanntem  Fusse  stehenden  Tyrannen  von 
Padua  die  Huldigung  der  Dedication  erwiesen  haben.  Gerade 
bei  einem  Petrarca,  der  sich  so  gewandt  in  den  höchsten 
Sphären  des  Gesellschaftslebens  zu  bewegen  wusste,  muss  man 
voraussetzen,  dass  er  conventionelle  Rücksichten  nicht  miss- 
achtete. — 

Auf  den  Inhalt  des  „Buches  über  die  berühmten  Männer" 
näher  einzugehen,  versagen  wir  uns  um  desswillen,  weil  das 
Buch  ja  nicht  ein  Original  werk,  sondern  nur  eine  Compilation 
darstellt.  Interessant  genug  freilich  würde  es  sein,  im  Einzelnen 
zu  beobachten,  in  welcher  Weise  Petrarca  compilirt,  wie  er  die 
einzelnen  Quellen  ^)  ausbeutet  und  wie  er  die  verschiedenen 
Berichte  mit  einander  zu  verschmelzen  oder  unter  ihnen  eine 
Auswahl  zu  treffen  versucht  hat.  Aber,  um  solche  Beobachtungen 
anstellen  zu  können,  müssten  wir  gleichzeitig  auf  eine  Menge 
theils    textkritischer  theils  historischer  Einzelfragen   eingehen 


1)  Ep.  Fam.  XIX  3. 

-1  Hauptquelle  war  natürlich  Livius,  daneben  Valerius  Maximus,  Sue- 
ton,  Justin,  Caesar  u.  A. 


602  Elftes  Capitel. 

und  eine  Reihe  philologisch-historischer  Untersuchungen  führen, 
welche  den  Rahmen  dieses  litt  er  arge  schichtlichen 
Werkes  weit  überschreiten  würden  und  welche  wir  daher  einer 
besonderen,  am  füglichsten  in  einer  Fachzeitschrift  zu  publi- 
cirenden  Arbeit  vorbehalten  zu  müssen  glauben.  Hier  be- 
gnügen wir  uns  mit  einigen  kurzen  allgemeinen  Bemerkungen. 

Die  Behandlung  der  einzelnen  Biographien  ist  in  Be- 
zug auf  den  Umfang  eine  überaus  ungleiche.  Während  einige 
nur  wenige  Seiten  füllen,  bilden  andere,  namentlich  diejenigen 
des  älteren  Scipio  Africanus  und  des  Caesar  förmliche  Bücher 
und  wirkliche  Monographien.  Es  erklärt  sich  diese  Verschieden- 
heit ja  sehr  leicht  erstlich  aus  der  grösseren  oder  geringeren 
Bedeutung  der  einzelnen  Persönlichkeiten,  sodann  aus  der 
grösseren  oder  geringeren  Menge  des  verfügbaren  biographischen 
Materiales  und  endlich  aus  der  grösseren  oder  geringeren  Sym- 
pathie, welche  der  Verfasser  für  den  einen  oder  den  anderen 
Helden  hegte.  Die  Darstellung  dagegen  trägt  einen  einheit- 
lichen Charakter,  den  man  vielleicht  am  besten  und  am  kür- 
zesten als  gemüthvoll  bezeichnen  könnte.  Der  Verfasser  er- 
zählt mit  behaglicher  Breite,  die  mitunter  an  Herodot  zu 
erinnern  vermag,  und  mit  einer  den  Leser  sympathisch  be- 
rührenden Wärme  der  Empfindung;  man  fühlt  es  recht  deut- 
lich heraus,  welche  Lust  Petrarca  selbst  am  Erzählen  hat,  wie 
froh  er  ist,  die  Grossthaten  seiner  geliebten  Römer  verkünden 
zu  können,  und  wie  er  sich  des  Gedankens  freut,  dass  durch 
des  Alterthums  litterarische  Wiederbelebung  vielleicht  die  Ver- 
hältnisse der  kläglichen  Gegenwart  gebessert  werden  möchten. 
Ein  Hauch  edelster  Begeisterung  durchzieht  das  ganze  Werk, 
es  ist  der  Frühlingshauch,  der  den  Beginn  des  humanistischen 
Völkerfrühlings  uns  kündet.  — 

Vom  Standpunkte  unserer  Zeit  aus  urtheilend  möchte 
man  geneigt  sein,  einem  compilatorischen  Werke,  wie  das 
„Buch  über  die  berühmten  Männer"  es  ist,  und  wenn  es  auch 
noch  vollendeter  ausgeführt  und  von  einer  noch  so  edlen  Ten- 
denz beseelt  wäre,  allen  höheren  litterarischen  Werth  abzu- 
sprechen.  Und  nicht  ohne  Berechtigung  würde  man  in  der  That 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  603 

Über  eine  in  unserer  Zeit  veifasste  ähnliche  Compilation  ein 
derartiges  Urtheil  fällen  können,  denn  heutiges  Tages  ist  eben 
das  Compiliren  so  unendlich  leicht  gemacht,  dass  man  es 
füglich  nur  als  eine  formale  Kunst  und  als  eine  nur  unter- 
geordneten, originaler  Production  unfähigen  Geistern  angemessene 
Beschäftigung  erachten  kann.  Und  wer  etwa  gar  gegenwärtig 
Biographien  römischer  Helden  schreiben  wollte,  ohne  dabei 
eine  methodische  und  einschneidende  historische  Kritik  zu 
üben,  nun  der  würde  im  besten  Falle  ein  pädagogisch  brauch- 
bares Schul-  und  Lesebuch  liefern,  aber  nicht  den  geringsten 
Anspruch  darauf  besitzen,  unter  die  hervorragenden  Schrift- 
steller gezählt  zu  werden. 

Ganz  anders  aber  steht  die  Sache  bei  Petrarca's  Werke: 
dieses  besass  eine  eminente  litterarische  Bedeutung,  war  eine 
litterarische  Grossthat  im  vollsten  Sinne  des  Wortes.  Schon 
der  Gedanke  des  Buches  war  für  die  damalige  Zeit  neu,  durch- 
aus original  und  gross,  die  Ausführung  aber  ein  Werk  gewal- 
tiger Gelehrsamkeit  und  hoher  stylistischer  Kunst.  Das  Buch 
war  seit  den  Tagen  des  Alterthums  das  erste  plastische  Ge- 
schichtswerk, das  erste  Geschichtswerk,  welches  mehr  sein  wollte 
und  ein  höheres  Ziel  anstrebte,  als  eine  nüchterne,  allenfalls 
mit  erbaulichen  Reflexionen  untermischte  Relation  von  Ereig- 
nissen. Es  ist  durch  dieses  Buch  geradezu  die  Kunst  der  mo- 
dernen Geschichtsschreibung  begründet  worden,  nicht  zum  Min- 
desten auch  dadurch,  dass  in  ihm  die  bis  dahin  vorherrschende 
FoiTii  der  Chronik  aufgegeben  worden  war.  Fortan  ward  es  eine 
der  Hauptaufgaben  des  Geschichtsschreibers,  nach  übersichtlicher 
Gliederung^  des  Stoffes,  nach  Plastik  der  Darstellung  und  nach 
Anmuth  der  Form  zu  streben.  Wie  sehr  durch  ein  solches 
Streben  die  Entwickelung  der  Prosa,  auch  der  italienischen 
Prosa,  gefördert  werden  niusste,  liegt  klar  vor  Augen,  und 
man  wird  es  demnach  gerechtfertigt  finden,  dass  wir  einmal 
früher  (S.  19)  Petrarca,  obwol  er  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
keine  Zeile  italienischer  Prosa  für  die  Oeffentlichkeit  geschrieben 
hat,  doch  das  Verdienst  zuerkannten,  auch  auf  die  Entwickelung 
dieser  einen  grossen  und  segensreichen  Einfluss  geübt  zu  haben. 


604  Elftes  Capitel. 

Schwerlich  würden  im  Zeitalter  der  Renaissance  die  Geschichts- 
schreibung und  Geschichtsphilosophie  in  Italien  zu  so  herr- 
licher Blüthe  gelangt  sein,  wenn  nicht  Petrarca  den  Anstoss 
dazu  gegeben  hätte.  Wenigstens  sehen  wir  in  den  Ländern, 
in  denen  nicht  schon  in  der  Frühzeit  des  Humanismus  ein  be- 
deutendes historisches  Werk  und  dadurch  eine  Basis  für  den 
weiteren  Aufbau  geschaffen  wurde,  die  Geschichtsschreibung 
im  Zeitalter  der  Renaissane  eher  verkommen,  als  empor- 
blühen. In  Frankreich,  in  Portugal,  in  Deutschland  und  England 
wenigstens  —  in  Ländern  also,  in  welchen  die  Renaissance  auf 
anderen  Gebieten  so  herrliche  und  denen  der  italienischen  gieich- 
werthige  Früchte  gezeitigt  hat  —  ist  kein  Geschichtsschreiber 
auferstanden,  der  mit  Machiavelli  sich  messen  dürfte.  Es  fehlte 
eben  dort  ein  Buch,  wie  das  Petrarca's,  welches  vorbereitend 
hätte  wirken,  den  Sinn  für  die  hohe  Bedeutung  und  Kunst  der 
Geschichtsschreibung  hätte  wecken  können. 

Von  weittragender  Bedeutung  war  es  auch,  dass  Petrarca 
das  Leben  berühmter  Männer  gerade  des  Alterthums  und  nicht 
etwa  der  neueren  Zeit  zu  erzählen  unternahm.  Humanismus 
und  Renaissance  mussten  so  lange  gleichsam  in  der  Luft 
schweben,  ehe  nicht  die  Kenntniss  der  geschichtlichen  Ver- 
hältnisse des  Alterthums  das  Gemeingut  aller  Gebildeten,  ja. 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  selbst  der  ganzen  Nation  ge- 
worden war,  und  zwar  war  dabei  erforderlich,  dass  diese 
Kenntniss  nicht  bloss  mit  dem  Verstände,  sondern  auch  mit 
dem  Gemüthe  erfasst  wurde,  dass  man  sie  mit  Liebe  und  selbst 
mit  Begeisterung  in  sich  aufnahm.  Das  alles  konnte  eben  nur 
durch  ein  solches  Buch  geschehen,  wie  Petrarca  es  sclfrieb,  denn 
selbst  zu  den  Quellen  niedei-zusteigen ,  war  natürlich  nur  den 
Wenigsten  möglich,  die  bisher  vorhandenen  Compilationen  aber 
gaben  im  günstigsten  Falle  zwar  das  historische  Material,  je- 
doch in  einer  Form,  die,  weil  überaus  nüchtern,  geistlos  und 
schematisch,  nicht  im  Mindesten  zu  fesseln  und  Begeisterung 
zu  erzeugen  vermochte.  So  ist  Petrarca's  Buch  recht  eigentlich 
die  Grundlage  des  italienischen  Humanismus  geworden,  und  es 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  605 

hat  sich  an  ihm  vornehmlich  das  italienische  Volk  für  die  Re- 
naissancecultur  herangebildet. 

Das  „Buch  der  berühmten  Männer"  war,  weil  es  einem 
in  weiten  Kreisen  vorhandenen  und  lebhaft  empfundenen  Bedürf- 
nisse entgegenkam,  ein  überaus  zeitgemässes  Werk  und  erlangte 
rasch  grosse  Volksthümlichkeit.  Das  wird  bezeugt  durch  die 
zahlreichen  Handschriften,  welche  wir  von  ihm  oder  richtiger 
von  seinen  einzelnen  Theilen  besitzen,  mehr  aber  noch  durch 
die  beachtenswerthe  Thatsache,  dass  dieses  Buch  allein  von 
allen  lateinischen  Werken  Petrarca's  noch  im  Zeitalter  des 
Humanismus  selbst  in  das  Italienische  übertragen  und  dadurch 
der  Gesammtheit  des  italienischen  Volkes  zugänglich  gemacht 
wurde.  Der  Uebersetzer  war  kein  anderer  als  Petrarca's 
Freund  Donato  degli  Albanzani  da  Pratovecchio  (Apenninigena), 
und  er  widmete  seine  Arbeit  dem  Marchese  Niccolö  d'Este,  als 
dieser  sich  im  Jahre  1397  mit  der  Enkelin  Francesco's  da 
Carrara  vermählte  ^},  Es  ist  diese  in  vielen  und  theilweise  auch 
guten  Handschriften  sowie  in  zwei  alten  Drucken  (Polliano  1476 
und  Venedig  1527)  überlieferte  Uebersetzung  ein  wichtiges 
Denkmal  der  älteren  italienischen  Prosa ,  dessen  sprachliche 
Bedeutung  von  der  Akademie  della  Crusca  in  gebührender 
Weise  anerkannt  worden  ist,  und  zugleich  ist  sie  auch  ein 
wichtiges  Hülfsmittel  für  die  kritische  Constituirung  des  latei- 
nischen Textes,  welches  freilich  noch  nicht  zur  methodischen 
Anwendung  gebracht  worden  ist. 

Uebrigens  hat  sicherlich  das  Vorhandensein  einer  Ueber- 
setzung viel  dazu  beigetragen,  das  lateinische  Original  in  Ver- 
gessenheit zu  bringen,  zumal  dasselbe,  je  mehr  der  Humanismus 
erstarkte  und  immer  zahlreichere  Jünger  sich  gewann,  um  so 
entbehrlicher  wurde.  So  ward  es  denn,  nachdem  es  seinen 
propädeutischen  Zweck  erfüllt  hatte,  so  vollständig  vergessen, 
dass  es  weder  in  die  Gesammtausgaben  aufgenommen  noch 
auch  einzeln   jemals   bis    auf  die  neueste    Zeit  hin  gedruckt 


^)  vgl.  Razzolini  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  p.  XVIII. 


606  Elftes  Capitel. 

worden  ist.  Ja,  es  fiel  solcher  Verschollenheit  anheim,  dass 
selbst  seine  Existenz  bezweifelt  wurde  und  dass  man  geneigt 
war,  es  mit  der  gleich  zu  erwähnenden  Epitome  für  identisch 
zu  halten.  Nur  die  Biographie  Caesar's  ward  nicht  völlig  ver- 
gessen, aber  durch  eine  seltsame  Fügung  des  bekanntlich  auch 
über  die  Bücher  waltenden  Fatums  hielt  man  dieselbe  lange 
Zeit  hindurch  für  ein  Werk  des  apokryphen  Julius  Celsus,  den 
mittelalterliche  Unwissenheit  statt  des  Schriftstellers  Julius 
Caesar  substituirt  hatte,  und  erst  durch  Rossetti's  und  C.  F.  Chr. 
Schneider's  ^)  Bemühungen  wurde  sie  ihrem  wahren  Verfasser 
zurückgestellt..  Rossetti  u.  Schneider  lenkten  auch  zuerst  wieder 
die  Aufmerksamkeit  der  wissenschaftlichen  Welt  auf  das  verschol- 
lene Gesammtwerk ;  der  erstere  durch  sein  mit  wahrem  Bienen- 
fleisse  gearbeitetes  Buch  „Petrarca,  Giulio  Celso  e  Boccaccio'" 
(Triest  1828),  der  letztere  aber  dadurch,  dass  er  die  Biographien 
Romulus  bis  M.  Porcius  Cato  zum  ersten  Male  auf  Grund  einer 
breslauer  Handschrift  edirte  -).  Bei  Gelegenheit  des  Petrarca- 
Jubiläums  im  Jahre  1874  hat  dann  endlich  Piazzolini  säm.mt- 
liche  Biographien  (mit  Ausschluss  jedoch  derjenigen  Caesar's)  im 
Original  und  in  der  Uebersetzung  Donato's  herausgegeben^^) 
und  sich  dadurch  jedenfalls  ein  Verdienst  erworben,  welches 
er  ireilich  wesentlich  erhöht  haben  würde,  wenn  er  den  Text 
mit  methodischer  Kritik  behandelt  und  ihm  eine  weniger  ober- 
liächliche  Einleitung  beigegeben  hätte. 

Wenigstens  hingewiesen  werde  noch  darauf,  dass  Petrarca 
in  seinem  „Buche  über  die  berühmten  Männer"  ein  ähnliches 
Werk  schuf,  wie  einst  Plutarch  in  seinen  bekannten  Parallel- 
biographien. Beide  Werke  sind  würdig,  mit  einander  verglichen 
zu    werden,   sowie   auch  ihre   Verfasser  sich  recht  wohl   mit 


^)  Fr.  Petrarchae  historia  Julii  Caesaris  ed.  C.  F.  Chr.  Schneider. 
Leipzig,  1827.  Wichtig  sind  in  diesem  Buche  namentlich  die  im  prooemium 
niedergelegten  sprachlichen  Untersuchungen. 

'^)  In  den  Programmen  der  breslauer  Universität.  1829.  1831.  1833 
und  1834. 

•'')  Die  Ausgabe  bildet  einen  Bestandtheil  der  werthvoUen  bologneser 
„CoUezione  di  opere  inedite  e  rare  dei  primi  tre  secoli  della  lingua." 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  607 

einander  vergleichen  lassen  und  überraschende  Züge  geistiger 
Verwandtschaft  darbieten.  An  eine  Nachahmung  Plutarch's 
von  Seiten  Petrarca's  ist  aber  nicht  zu  denken,  und  überhaupt 
verdient  es  noch  besonders  hervorgehoben  zu  werden ,  dass 
Petrarca,  so  viel  wir  zu  urtheilen  vermögen,  in  der  Anlage 
seines  Werkes  ganz  selbständig  verfahren  ist,  denn  selbst  Sueton 
bot  ihm  kein  geeignetes  Muster  dar,  eher  hätte  dies  Cornelius 
Xepos  thun  können,  doch  scheint  er  denselben  gar  nicht  ge- 
kannt zu  haben  und,  wenn  er  ihn  dennoch  gekannt  haben 
sollte,  so  würde  er  ihn  unendlich  übertroffen  haben.  Praktische 
Schulmänner  sollten  einmal  die  Frage  in  Erwägung  ziehen,  ob 
es  sich  nicht  empfehlen  würde,  statt  des  bekanntlich  in  vielen 
Beziehungen  bedenklichen  Cornelius  Nepos  einzelne  Vitae  der 
viri  illustres,  natürlich  in  einer  sachgemässen  stylistischen 
Ueberarbeitung,  als  einleitenden  lateinischen  Lesestoff  zu  ver- 
werthen,  — 

Petrarca  begann  auf  Wunsch  Francesco's  da  Carrara  aus 
seinem  grossen  Werke  einen  kurzen  Auszug  (Epitome)  zu  ver- 
anstalten. Es  sollte  derselbe  nur  einem  praktischen  Zwecke 
dienen.  Francesco  hatte  in  einem  Saale  seines  Palastes  —  und 
man  möge .  darin  das  Erwachen  der  Kunstliebe  schon  im  Be- 
ginne der  Renaissance  nicht  verkennen!  —  die  Bildnisse  der- 
jenigen berühmten  Römer  malen  lassen^),  welche  Petrarca  in 
seiner  Sammlung  entweder  schon  verherrlicht  hatte  oder  doch 
noch  verherrlicheo  wollte,  und  wünschte  nun,  dass,  um  dem 
Beschauer  das  Verständniss  zu  erleichtern,  einem  jeden  Bilde 
ein  kurzer  Auszug  aus  der  betreffenden  Biographie  unter- 
geschrieben würde.  Petrarca  unterzog  sich  der  Arbeit,  diesen 
Auszug  abzufassen,   vermochte  jedoch  nur,   sie  bis  zur  vier- 


^)  Francesco  Hess  offenbar  im  Voraus  eben  so  viele  Bilder  malen,  als 
Petrarca  Biographien  geben  wollte  und  wird  sich  sicherlich  mit  diesem 
in  genaues  Einvernehmen  gesetzt  haben.  Es  dürfte  auch  hierdurch  bewiesen 
werden,  dass  Petrarca  sein  Werk  bis  auf  Trajan  auszudehnen  beabsich- 
tigte, denn,  als  dann  Lombardo  da  Serico  die  Fortsetzung  des  Werkes 
übernahm,  waren  die  Bilder  von  Octavian,  Vespasian,  Titus  und  Trajan 
bereits  gemalt.    Vgl.  oben  S.  598,  Anm.  2. 


608  Elftes  Capitel. 

zehnten  Biographie  (L.  Fabricius)  zu  führen,  von  wo  ab  sie 
dann  Lombardo  da  Serico  mit  mehr  gutem  Willen,  als  Geschick 
bis  zum  Schlüsse  (Trajan)  fortgeführt  hat.  Es  braucht  nicht 
erst  bemerkt  zu  werden,  dass  auch  der  von  Petrarca  selbst 
verfasste  Theil  der  Epitome  keinen  höheren  litterargeschicht- 
lichen  Werth  besitzt. 

Ein  würdiges  Seitenstück  zu  dem  :,Buche  der  berühmten 
Männer"  bilden  die  „Bücher  der  denkwürdigen  Dinge", 
ja  es  ist  dies  letztere  Werk  nach  noch  grossartigeren  Dimen- 
sionen angelegt.  Der  Absicht  seines  "Verfassers  nach  sollte 
es  eine  Anekdotensammlung  (wobei  das  Wort  „Anekdote" 
natürlich  in  seinem  ursprünglichen  allgemeinen  Sinne  zu  ver- 
stehen ist)  der  umfassendesten  Art  werden,  gewissermaassen 
eine  grosse  historische,  nach  Stich worten  geordnete  Encyklo- 
pädie.  Es  lässt  sich  gar  nicht  absehen,  welchen  Umfang  das 
Werk,  wenn  es  in  der  gleichen  Weise,  wie  es  begonnen,  fort- 
geführt worden  wäre,  erreicht  haben  würde,  ganz  ohne  Zweifel 
aber  hätte  es  eine  äusserst  beträchtliche  Ausdehnung  gewonnen, 
denn  schon  die  allein  vollendeten  vier  Bücher  füllen  mehr  als 
hundert  Folioseiten  der  baseler  Ausgaben.  Die  Abfassungszeit 
des  Werkes  lässt  sieh  nicht  bestimmen,  jedenfalls  ^ber  war  es 
ein  Lebenswerk  im  vollsten  Sinne  des  Wortes  und  entstand 
ganz  allmählich  ^us  den  Collectaneen,  Excerpten  und  Notizen, 
welche  Petrarca  bei  seiner  Leetüre  auf  Zetteln  ausschrieb, 
die  er  dann  nach  bestimmten  Paibriken  ordnete.  Den  Gedanken 
zu  dem  Werke  und  das  System  der  Anlage  desselben  ent- 
lehnte er  der  bekannten  Anekdotensammlung  des  Lateiners 
Valerius  Maximus :  wie  dieser  stellte  er  die  einzelnen  Anekdoten 
nach  sachlichen,  besonders  moralischen  Kategorien  zusammen 
und  wie  dieser  schied  er  dann  innerhalb  der  einzelnen  Ab- 
theilungen die  Römer  von  den  „Auswärtigen  (extenii)",  nur 
fügte  er  noch  eine  dritte,  freilich  leider  etwas  stiefmütterlich 
bedachte  Abtheilung,  Anekdoten  aus  der  neueren  Geschichte 
(„recentiores"),  hinzu.  Aber  wenn  Petrarca  auch  in  der  An- 
lage des  ganzen  Werkes  durchaus  den  lateinischen  Autor  nach- 


Die  historischeu  und  geographischen  Schriften.  (509 

bildete,  so  suchte  er  doch  in  der  Darstellung  selbst  die  vollste 
Selbständigkeit  sieh  zu  bewahren,  und  es  ist  recht  interessant, 
zu  beobachten,  wie  er  zwar  sich  nicht  scheut,  den  Stoff  ganz 
vorwiegend  aus  Valerius  Maximus  zu  entlehnen,  wie  er  es  aber 
doch  geflissentlich  vermeidet,  in  eine  wörtliche  Wiederholung 
zu  verfallen,  sondern  sich  lieber  irgend  einer,  wenn  auch  ge- 
zwungenen Paraphrase  bedient.  Ausser  Valerius  Maximus  sind 
indessen  noch  zahlreiche  andere  lateinische  Autoren  —  Cicero, 
Sueton,  Justin,  Plinius,  Macrobius,  Gellius  u.  A.  —  für  die 
Lieferung  des  Materiales  herangezogen  worden.  Die  Zurück- 
führung  der  einzelnen  Erzählungen  auf  ihre  Quellen  ist  im 
Allgemeinen  leicht  und  nur  für  einige  wenige  ist  sie  uns  bis 
jetzt  nicht  gelungen ').  Indem  wir  uns  die  Darlegung  dieser 
Quellennachweise,  weil  dieselbe  eine  rein  philologisch-historische 
Arbeit  ist,  für  eine  von  uns  beabsichtigte  Ausgabe  des  "Werkes 
vorbehalten,  werfen  wir  hier  nur  einen  flüchtigen  Blick  auf 
den  bunten  Inhalt. 

Das  erste  Buch  beginnt  mit  einem  Capitel  über  die 
„Müsse  (otium)",  welchem  eine  kurze,  aber  beaehtenswerthe 
Einleitung  vorausgeschickt  ist.  Petrarca  erklärt  in  derselben, 
dass,  da  er  nur  dann  wirklich  gelebt  zu  haben  glaube,  wenn 
er  in  der  Müsse  und  Einsamkeit  gelebt  habe,  und  da  er  in 
dieser  Lebensweise  immer  die  höchste  Befriedigulig  gefunden 
habe,  er  um  desswillen  auch  das  Buch  mit  der  Müsse  beginnen 
wolle.  Er  verstehe  aber  unter  der  Müsse  nicht  etwa  ein  unwür- 
diges und  unthätiges   Sich -Lebendigbegraben   auf  den  Land- 


^)  z.  B.  III  3,  37  (p.  501  Pittacus  Mytilenaeus) ,  wo  mau  an  Entleh- 
nung aus  Auson.,  lud.  sept.  sap.  denken  könnte,  wenn  nicht  Auson  den 
Wahlspruch  des  Pittacus  „yiyvbjaxf  y.ceicöv '■'•  mit  „venito  in  tempore", 
Petrarca  dagegen  richtiger  mit  „tempus  agnosce",  wiedergäbe.  —  IV  1,  2 
Q.  Metellus),  IV  1,  3  (Scipio  Nasica),  und  Anfang  von  IV  2,  9  (das  del- 
phische Orakel  erklärt,  nicht  zu  wissen,  ob  es  den  Lykm-g  den  Menschen 
oder  den  Göttern  beizählen  solle.  —  II  4,  16  (Philipp  II.  von  Macedonieu). 
—  III  3,  47  (Aussprüche  des  Epikur:  „numquam  volui  populo  placere, 
nam  quae  scio,  non  probat  populus,  quae  probat,  ego  nescio"  und  ,,si  ad 
naturam  vives,  numquam  dives  eris"). 

Körting,   Petrar-a.  39 


610  Elftes  Capitel. 

gutem,  wie  träge  und  lichtscheue  Menschen  es  lieben,  sondern 
nur  die  durch  die  Liebe  zur  Wissenschaft  und  zur  Tugend 
veranlasste  und  durch  eine  edle  Thätigkeit,  namentlich  aber 
durch  Studien  ausgefüllte  Zurückgezogenheit  in  ländlicher  Stille, 
Man  sieht,  es  ist  wieder  der  Verfasser  „des  Lebens  in  der 
Einsamkeit",  der  zu  uns  spricht,  und  man  erkennt  wieder  das 
Lebensideal  der  Renaissance:  ein  behagliches,  in  geistigen 
Genüssen  verbrachtes  und  einem  feinen  Egoismus  gewidmetes, 
von  allen  bestimmten  Pflichten  gegen  Staat  und  Gesellschaft 
abstrahirendes  Villenleben.  —  Das  zweite  Capitel  (de  studio 
et  doctrina)  gibt  dann  zahlreiche  Beispiele  von  Männern,  welche 
sich  durch  ihre  Liebe  zur  Wissenschaft  und  ihre  Gelehrsamkeit 
ausgezeichnet  haben.  Hier  nimmt  der  Autor  auch  Gelegenheit, 
seinem  fürstlichen  Freunde,  dem  Könige  Robert,  ein  begeistertes 
Lob  zu  spenden. 

Das  erste  Capitel  des  zweiten  Buches  bespricht  die 
Fälle  eines  ungewöhnlich  guten  Gedächtnisses,  wobei  unter 
Anderem  erzählt  wird,  dass  Papst  Clemens  VL  sein  ausser- 
ordentlich starkes  Gedächtniss  erst  erhalten  habe,  als  er  einmal 
einen  heftigen  Schlag  auf  den  Kopf  bekommen  hatte  (!).  — 
Sodann  werden  im  zweiten  Capitel  Beispiele  einer  seltenen 
wissenschaftlichen  Begabung  aufgezählt,  was,  wie  leicht  erklär- 
lich, bequeme  Gelegenheit  zur  Lobpreisung  der  hervorragenden 
Gelehrten  und  Schriftsteller  des  Alterthums  bietet.  —  In  den 
folgenden  drei  Capiteln  (3,  4,  5)  werden  eine  Reihe  witziger, 
launiger  und  ironischer  Aussprüche  mitgetheilt,  wobei  den- 
jenigen, welche  von  Leuten  niederen  Standes  (Sklaven,  Hand- 
werkern u.  s.  w.)  gethan  wurden .  eine  besondere  Rubrik  ein- 
geräumt wird.  Hier  werden  auch  aus  der  neueren  Geschichte 
mehrfache  Anekdoten  erzählt,  von  denen  einige,  wie  die  von 
Dino  von  Florenz  (3,  22),  Donato  von  Padua  (3,  23)  und 
Dante  (4,  20)^),  gar  nicht  ohne  Interesse  sind. 

Die  beiden  ersten  Capitel  des  dritten  Buches  berichten 


^)  vgl.   Papanti,    Dante   secondo   la  tradizione  etc.    (Livorno,    1873), 
p.  31. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  ßH 

Beispiele  einer  besonderen  List  und  Verschlagenheit.  Das 
dritte  Capitel  erzählt  eine  grosse  Anzahl  weiser  Aussprüche 
und  Thaten.  Mancherlei  nicht  uninteressante  Bemerkungen 
und  Betrachtungen  werden  hierbei  gelegentlich  eingestreut.  So 
bemerkt  Petrarca  einmal,  dass  der  bekannte  Ausspruch  „omnia 
mecum  porto"  von  Cicero  dem  Blas,  von  Seneca  aber  dem 
Stilpon  beigelegt  werde,  und  dass  er  sich  ohne  weiteres  für 
Cicero's  Autorität  entscheiden  würde,  wenn  dieser  nicht  selbst 
seine  Behauptung  durch  ein  beigefügtes  „ut  opinor"  einschränkte, 
wesshalb  doch  vielleicht  Seneca's  Meinung  nicht  unbedingt  zu 
verwerfen  sei  (p.  500).  Ein  anderes  Mal  lässt  sich  Petrarca 
zu  einem  heftigen  Ausfall  gegen  die  Ehe  hinreissen  und  be- 
zeichnet dieselbe  als  ein  Bündniss,  welches  von  fortwährendem 
Streite  und  Argwohn  erfüllt  sei  (p.  502).  Wieder  ein  anderes 
Mal  legt  Petrarca  ausführlich  dar,  wie  er  die  Wahrheit  der 
Sentenz  des  Epikur:  „wenn  du  naturgemäss  leben  willst,  darfst 
du  niemals  reich  sein"  aus  eigener  Erfahrung  erkannt  und  wie 
er  diesen  Spruch  zu  seinem  Lebensgrundsatze  gemacht  habe, 
von  welchem  ihn  alle  Gegenreden  unverständiger  und  über- 
lästiger Freunde  nicht  abzubringen  vermögen  würden  (p.  506). 
Und  wie  sehr  Petrarca  immer  mit  seiner  Person  in  den  Vor- 
dergrund tritt,  wie  unfähig  er  ist,  in  bescheidener  Objectivität 
sich  hinter  seinem  Werke  zu  verbergen,  mag  man  daraus  er- 
kennen,  dass  er  einmal  dem  Leser  sogar  die  Notiz  nicht  vor- 
enthält, dass  er  die  betreffende  Stelle  mit  einer  ganz  verzweifelt 
schlechten  Feder  schreibe,  die  er  nun  schon  dreimal  habe 
schneiden  („ferro  castigare")  müssen  (p.  508)!  Dann  wird 
auch  einmal  wieder  König  Robert  gepriesen  und  das  Vor- 
haben ausgesprochen,  das  Leben  desselben  zum  Gegenstande 
eines  besonderen,  sei  es  historischen  sei  es  poetischen  Werkes 
machen  zu  wollen  (p.  513).  Am  interessantesten  ist  aber  wol 
folgende  autobiographische  Notiz :  ,,Ich  habe  an  mir  selbst  em- 
pfunden, dass  man  vergeblich  der  Natur  zu  widerstehen  sucht: 
wie  sehr  hatten  mich  meine  Aeltern  angetrieben,  dass  ich,  um 
zu  Vermögen  zu  gelangen,  das  bürgerliche  Recht  studiren 
sollte!     Und  in  der  That  machte  ich.   so  lange  sie  lebten,   in 

39* 


612  Elftes  Capitel. 

dieser  Wissenschaft  einige  Fortschritte,  sobald  ich  aber  mir 
selbst  überlassen  war,  kehrte  ich  zu  den  Studien  zurück  ^X  denen 
ich  meine  innere  Neigung  nie  entzogen  hatte^^  Gern  hätte  ich 
den  Willen  der  Aeltern  erfüllt,  aber  die  Natur  trieb  mich  auf 
eine  andere  Bahn  und  ich  habe,  da  Alle  es  wissen,  nicht  nöthig 
zu  sagen,  wie  weit  diese  von  dem  Willen  der  Aeltern  entfernt 
war  (p.  515)."  Es  sind  diesem,  wie  man  sieht,  überaus  reich- 
haltigen Capitel  auch  eine  Zahl  von  volksthümlichen  Spiiich- 
wörtern  angereiht;  denn  Petrarca  erkennt  wohl,  wieviel  ächte 
Weisheitskörner  das  Volk,  als  dessen  Vertreter  er  den  „schreck- 
haften Bauer  und  die  zitternde  alte  Frau  (horrens  villicus  et  tre- 
mens anus)"  nennt,  in  diesen  Sprüchen  niedergelegt  hat.  Das 
Sprüchwort  „ein  Jeder  übe  die  Kunst,  welche  er  versteht"  gibt 
ihm  hierbei  Gelegenheit  zu  einer  langen  Diatribe  gegen  die 
Sucht  zu  Schriftstellern,  von  welcher  so  viele  eitele  und  halb- 
gebildete Leute  befallen  werden  (p.  512). 

Das  vierte  Buch  erzählt  zunächst  in  dem  ersten  Capitel 
Beispiele  von  Klugheit,  dann  aber  behandelt  es  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Capiteln  (2—9  einschliesslich)  mit  grosser  Ausführ- 
lichkeit den  Glauben  an  Orakel,  Träume,  Weissagungen,  Ein- 
geweide- und  Vogelschau,  Vorbedeutungen  (omina)  und  An- 
zeichen (portenta).  Petrarca  zeigt  sich  hier  als  der  entschie- 
denste und  schlagfertigste  Gegner  jeglichen  Aberglaubens, 
überall  ist  er  bemüht,  die  angeblichen  Wunder  in  ihrer  Nichtig- 
keit nachzuweisen  oder  sie  als  ganz  natürliche  Ereignisse  zu 
erklären,  und  nicht  selten  thut  er  dies  mit  feiner  Ironie  und 
vielem  Humor.  So  erzählt  er  einmal  das  neuerdings  vor- 
gefallene Prodigium,  dass  ein  Wolf  einem  Wächter  das  Schwert 
aus  der  Scheide  gerissen  haben  sollte,  und  bemerkt  dazu,  das 
sei  doch  gar  Nichts  weiter,  habe  doch  sein  (Petrarca's)  eigener 
Hund   einmal  einem  Manne   das  Schwert  nicht  bloss  aus  der 


')  Hieraus  darf  man  wol  schliessen,  dass,  wie  auch  die  gewöhnliche 
Tradition  es  angibt,  Petrarca's  Aeltern  kurz  nach  einander  starben,  vgl. 
oben  S.  50  ff. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  613 

Scheide,  sondern  sogar  auch  aus  der  Hand  gerissen!  Diese 
gänzliche  Freiheit  von  Aberglauben^)  ist  eine  der  schönsten 
Seiten  in  Petrarca's  Charakter  und  eine  von  denen,  welche  ihn 
so  recht  als  über  das  Mittelalter  erhaben  und  der  aufgeklärten 
Neuzeit  angehörig  kennzeichnet.  Und  es  ist  diese  aufgeklärte 
Denkweise  des  ersten  Humanisten  um  so  rühmlicher  anzu- 
erkennen, als  die  eifrige  und  liebevolle  Beschäftigung  mit  dem 
Römerthume  ihn  nur  allzu  leicht  zur  crassesten  Superstition 
hätte  verleiten  können,  wie  sie  viele  der  späteren  Humanisten 
in  der  That  dazu  verleitet  hat.  Petrarca,  jedes  Hineinragen 
des  Ueberirdischen  in  die  Sinnes  weit  leugnend,  erhob  sich  nicht 
nur  über  das  Mittelalter,  sondern  auch  über  das  Zeitalter  des 
Humanismus  selbst  -). 

Mit  dem  zehnten  Capitel,  welches'Beispiele  der  Bescheiden- 
heit erzählen  sollte,  deren  aber  nur  zwei  berichtet,  bricht  das 
Werk  plötzlich  ab,  auf  diese  "Weise  zu  einem  kolossalen  Torso 
sich  gestaltend,  aus  dem  man  erkennen  mag,  welche  gigan- 
tische Dimensionen  das  Ganze  angenommen  haben  würde. 

Ueber  „die  Bücher  der  denkwürdigen  Dinge"  muss  man  ganz 
ähnlich  urtheilen,  wie  über  das  „Buch  der  berühmten  Männer". 
Würde  das  Werk  heutzutage  geschrieben,  so  würde  man  dem- 
selben, wenn  man  es  auch  immerhin  eine  beachtenswerthe  und 
ganz  brauchbare  wissenschaftliche  Arbeit  nennen  müsste,  doch 
eine  besondere  litterargeschichtliche  Bedeutung  nicht  zuer- 
kennen dürfen.  Für  Petrarca's  Zeit  indessen  besass  es  eine 
solche  im  höchsten  Grade  und  es  hat,  indem  es  die  Kenntniss 
der  politischen  und  culturgeschichtlichen  Verhältnisse  des  Alter- 


')  Nur  die  Orakel  des  Alterthums  wagte  Petrarca  nicht  anzuzweifeln, 
sondern  hielt  sie  für  theilweis  auf  Wahrheit  beruhende  Eingebungen  der 
Dämonen.  Das  lässt  sich  jedoch  kaum  als  Aberglauben  bezeichnen.  Von 
einem  Aberglauben  aber  war  allerdings  Petrarca,  wenigstens  als  er  in 
dem  betreffenden  Jahre  stand,  nicht  frei:  er  glaubte  an  die  Ominosität  des 
63.  Jahres,  vgl,  oben  S.  374, 

'-)  Wie  üppig  zu  Petrarca's  Zeit  der  Aberglaube  blühte,  beweisen  die 
von  ihm  in  diesem  Capitel  ziemlich  zahlreich  mitgetheilten  und  theilweise 
gar  nicht  interesselosen  Anekdoten. 


614  Elftes  Capitel. 

thiims  popularisirte  und  gewissermaassen  ein  übersichtliches 
Register  für  die  alte  Geschichte  gab,  ungemein  viel  dazu  bei- 
getragen, dem  Humanismus  die  für  seine  Entwickelung  erfor- 
derliche breite  Basis  zu  schaffen.  Vielleicht  haben  in  dieser 
Beziehung  ,,die  denkwürdigen  Dinge"  eine  noch  mächtigere 
Wirkung  ausgeübt,  als  „die  berühmten  Männer''.  Es  war  dem- 
nach auch  dieses  Werk  Petrarca's  hoch  verdienstlich  und  be- 
deutend. 

Es  bleibt  uns  nun  hier  noch  eine  an  Umfang  kleine,  aber 
nichtsdestoweniger  interessante  Schrift  Petrarca's  zu  besprechen 
übrig:  es  ist  dies  „das  syrische  Reisehandbuch  (itinerarium 
syriacum)",  wie  wir  wol  in  Kürze  sie  nennen  dürfen.  Wodurch  er 
zur  Abfassung  dieses,  seiner  Arbeitssphäre,  wie  es  auf  den 
ersten  Anblick  scheinen  '  könnte ,  ganz  fernliegenden  Werk- 
chens veranlasst  wurde,  berichtet  uns  Petrarca  selbst  in  der 
Vorrede. 

Ein  Freund  —  wir  müssen  uns  bescheiden,  zu  wissen, 
welcher,  und  können  einer  gelegentlichen  Xotiz  nur  soviel  ent- 
nehmen, dass  er  in  einer  in  der  Nähe  von  Lodi  gelegenen 
Stadt  wohnhaft  war  (p.  623)  ^)  —  hatte  Petrarca  aufgefordert, 
ihn  auf  einer  Pilgerfahrt  nach  .Jerusalem  zu  begleiten.  Petrarca 
erklärt,  dass,  wenn  er  nur  seiner  Herzensneigung  folgen  dürfte, 
er  dieser  Aufforderung  gern  nachkommen  würde ,  dass  er  aber 
durch  viele  Gründe  sich  daran  behindert  sehe,  besonders 
halte  ihn  die  ilmi  angeborene  Abneigung  gegen  Seereisen  davon 
zurück,  wenn  auch  der  Freund  durchaus  nicht  glauben  solle, 
dass  diese  Abneigung  etwa  in  der  Furcht  vor  dem  Tode  be- 
gründet sei.  Er  verzichte  also  darauf,  den  Freund  zu  begleiten, 
statt  eines  Bildnisses  aber,  um  welches  dieser  ihn  gebeten 
habe,  wolle  er  ihm  in  der  folgenden  Schrift  gleichsam  ein 
geistiges  Bildniss  als  Reisegabe  widmen,  und  er  meine,  der 
Freund  werde  mit   diesem   Tausche  gern   einverstanden  sein, 


^)  Nach  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  112  war  es  ein  mailändischer  Edel- 
mann Giovanni  da  Mandello. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  615 

denn  ein  Porträt  biete  ja  nur  ein  Bild  des  fortwährenden  Ver- 
änderungen unterworfenen  Leibes,  während  eine  Schrift  ein 
wenigstens  theilweises  Abbild  des  Geistes  darbiete. 

Die  Schrift  gibt  nun  eine  Anweisung,  welchen  Weg  ein 
Palästinapilger  von  Genua  aus  einzuschlagen  habe,  um  auf 
dem  kürzesten  Seewege  sein  Ziel  zu  erreichen  und  dann  wieder, 
eventuell  über  Aegypten,  nach  Italien  zurückzukehren.  Die 
speciell  geographischen  Angaben,  auf  welche  wir  übrigens 
nicht  näher  eingehen  wollen,  sind  im  Allgemeinen  exact, 
namentlich  soweit  sie  sich  auf  Italien  beziehen,  in  Bezug  auf 
den  griechischen  Archipel  und  Kleinasien  finden  sich  dann 
allerdings  mehrfache  Irrthümer,  so  wird  z.  B.,  um  wenigstens 
einen  zu  erwähnen,  Bithynien  in  den  Süden  Kleinasiens 
verlegt. 

Vielleicht  in  keiner  anderen  Schrift  offenbart  es  sich  so 
deutlich,  wie  in  dem  Itinerarium,  dass  Petrarca  trotz  aller 
mittelalterlichen  Elemente  in  seinem  Charakter  doch  im  inner- 
sten Grunde  seines  Wesens  der  Neuzeit  angehört,  dass  er  der 
BegTünder  einer  neuen  Cultur  ist.  Die  Schrift  soll  einem 
praktisch  religiösen  Zwecke  dienen ,  ein  Pilger  soll  auf  seiner 
frommen  Wallfahrt  sie  benutzen,  musste  da  nicht,  wenn  sie 
überhaupt  mehr  sein  wollte,  als  ein  blosses  Verzeichniss  von 
OertJ  ichkeiten  und  Entfernungen,  unbedingt  das  religiöse  Ele- 
ment in  den  Vordergrund  treten?  musste  da  nicht,  wie  es  ja 
sonst  in  mittelalterlichen' Itinerarien  wirklich  geschieht,  vor- 
zugsweise auf  Alles  hingewiesen  werden,  was  auf  die  Kirche  Bezug 
hatte  und  geeignet  war,  den  Pilger  zu  frommen  Betrachtungen 
anzuregen,  also  namentlich  auf  die  durch  die  biblische  Ge- 
schichte oder  die  Legende  denkwürdigen  Stätten  ?  Petrarca  ver- 
säumt dies  nun  zwar  nicht  ganz,  aber  er  thut  es  doch  nur  neben- 
sächlich und  in  einer  Weise,  welche  erkennen  lässt,  wie  ihm  im 
innersten  Herzen  die  profane  Geschichte  doch  ungleich  in- 
teressanter war,  als  die  heilige.  Mit  sichtlicher  Vorliebe 
macht  er  seinen  Reisenden  auf  die  historischen  und  künst- 
lerischen  Merkwürdigkeiten    der    Städte,    welche    er  passiren 


616  Elftes  Capitel. 

werde,  aufmerksam  und  ermahnt  ihn  dringend,  dass  er  ja 
nicht  versäumen  solle,  dieselben  in  Augenschein  zu  nehmen. 
So  soll  z.  B.  der  Pilger  zu  Neapel  die  Gemälde  betrachten,  mit 
denen  der  erste  der  lebenden  Maler,  ein  Florentiner  —  es  kann 
nur  Giotto  gemeint  sein  —  die  Capelle  des  königlichen  Palastes 
geschmückt  habe,  und  ebenso  soll  er  die  architektonisch  inter- 
essante Marienkirche  besuchen,  in  Alexandrien  aber  soll  er  die 
Grabmäler  Alexander's  d.  Gr.  und  des  Pompejus,  falls  sie  noch 
erhalten  seien,  besichtigen. 

Ueberall  werden  die  historischen  und  mythologischen  Be- 
züge angegeben :  z.  B.  die  Insel  Elba  war  im  Alterthume  durch 
ihre  Mineralschätze  berühmt  (Verg.  Aen.  X  174);  in  der  Nähe 
von  Corneto  lag  das  alte  Tarquinii  und  noch  jetzt  sind  Ruinen 
davon  zu  schauen:  auf  dem  Vorgebirge  Circeii  in  Latium^) 
wohnte  die  Circe;  die  kleine  Insel  Procida  war  die  Geburts- 
stätte jenes  gewaltigen  Mannes  (Johann  v.  Procida),  der  Karl 
von  Anjou  einer  Krone  beraubte;  am  Vorgebirge  Misenum 
soll  Aeneas  seinen  Gefährten  Misenus  ermordet  haben  (sie!)  und 
hier  befand  sich  einst  die  eine  der  beiden  römischen  Flotten- 
stationen, während  die  andere  zu  Ravenna  war;  Bajae  hat 
von  dem  dort  begrabenen  Baius,  einem  Gefährten  (j^es  Ulixes, 
seinen  Namen  erhalten;  in  Capri  hauste  einst  der  greise  Ty- 
rann Tiberius;  in  Tarent  —  doch  wir  brechen  ab,  denn  wir 
laufen  sonst  Gefahr,  das  ganze  Buch  auszuschreiben.  Auch 
unterlässt  Petrarca  nicht  auf  landschaftliche  Schönheiten  hin- 
zudeuten, so  verherrlicht  er  namentlich  die  Reize  der  Riviera 
und  erwähnt,  dass  er  dieselben  auch  in  seiner  „Africa"  be- 
sungen habe,  und  ferner  schildert  er  gar  anmuthig,  wie  das 
Meeresufer  bei  Gaeta  von  immer  grünenden  und  duftenden 
Lorbeer-  und  Citronenhainen  bedeckt  ist.  —  Durch  alle  diese 
Hinweise  erhält  die  Schrift  einen  ungemein  modernen  Charakter 
und  wird  geradezu  einem  modernen  Reisehandbuche  nach  Art 
der  Bädeker'schen  oder  Gsell-Fels'schen   ähnlich.     Ganz  un- 


1)  Durch  einen  lapsus  calami  haben  wir  oben  S.  212,  Anm.  2  Circeii 
an  die  campanische  Küste  versetzt,  was  hiermit  berichtigt  werden  möge. 


Die  historischen  und  geographischen  Schriften.  617 

mittelbar  drängt  sich  dem  Leser  die  Empfindung  auf,  dass  der 
Pilger  im  Begrifi'  steht,  sich  in  einen  profanen  Touristen  um- 
zuwandeln, dass  das  im  Mittelalter  fast  allein  herrschende  re- 
ligiöse Interesse  von  der  Freude  an  Kunst-  und  Naturschönheiten 
und  an  historischen  Reminiscenzen  verdrängt  wird.  Die  volle 
Luft  der  Neuzeit  also  weht  uns  aus  diesem  Buche  entgegen, 
welches  schon  um  desswillen  grössere  Beachtung  beanspruchen 
darf,  als  ihm  bis  jetzt  zu  Theil  geworden  ist.  Was  Petrarca 
aber  in  dieser  Schrift  geben  wollte,  das  hat  er  in  Wahrheit 
gegeben:  ein  Abbild  seines  neue  Bahnen  des  Denkens  und 
des  Fühlens  suchenden  und  findenden  Geistes. 


Zwölftes  Capitel. 
Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte^). 


JJa  wir  von  denjenigen  Schriften,  welche  sich  als  Streit- 
schriften bezeichnen  lassen,  zwei  —  die  „Apologie  gegen 
die  Verleumdungen  eines  gewissen  Franzosen"  und  den  „Traetat 
über  die  Unwissenheit  seiner  selbst  und  vieler  Anderer"  — 
bereits  gesprochen  haben  (S.  388  ff.  u.  418  ff,),  so  bleiben  uns 
nur  noch  die  „vier  Bücher  Invectiven  gegen  einen  Arzt"  zu 
besprechen  übrig.  Wir  werden  uns  hierbei  die  grösste  Kürze 
gestatten  und  namentlich  auf  eine  Analyse  des  Inhaltes  der 
Schrift  verzichten  dürfen,  da  dieselbe  eine  höhere  litterar- 
geschichtliche  Bedeutung  nicht  besitzt,  auf  die  Entwickelung 
der  Renaissancecultur  einen  sonderlichen  Einfluss  nicht  aus- 
geübt hat  und,  wie  Petrarca's  Streit  gegen  die  Aerzte  über- 
haupt, zu  einem  guten  Theile  mit  dem  Charakter  der  Bizarrerie, 
um  nicht  zu  sagen  der  Verschrobenheit  behaftet  ist.  Auch  sind 
die  Invectiven  für  sich  allein  nicht  recht  verständlich,  sondern 


^)  vgl.  K.  Sprengel,  Versuch  einer  pragmatisclien  Geschichte  der  Arzney- 
kunde,  3.  Aufl.  (Halle,  1823),  Bd.  2,  p.  600  f.  und  Henschel  im  Janus, 
Zeitschr.  f.  Geschichte  und  Litteratur  der  Medicin,  Bd.  I  (Breslau,  1846), 
p.  183  ff. 


Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte.  619 

Würden  dies  nur  sein,  wenn  uns  auch  die  Schriften  der  Gegen- 
partei erhalten  wären,  in  welchem  Falle  wir  in  ähnlicher  Weise, 
wie  wir  es  bei  dem  Streite  Petrarea's  gegen  die  Verleumdungen 
eines  gewissen  Franzosen  thaten,  der  litterarischen  Fehde  in 
allen  ihren  Einzelheiten  würden  folgen  und  ihr  ein  grösseres 
Interesse  würden  abgewinnen  können.  Endlich  aber  —  und 
das  ist  der  Hauptgrund,  der  uns  zu  möglichster  Kürze  nicht 
nur  berechtigt,  sondern  auch  verpflichtet  —  enthalten  die  vier 
Bücher  der  Invectiven  so  gut  wie  gar  nichts  Sachliches,  sondern 
eben  nur  Persönliches:  nicht  etwa  gegen  die  Medicin  an  sich 
wird  in  ihnen  gekämpft  und  nicht  etwa  gegen  diese  werden 
mehr  oder  weniger  begründete  Angriffe  gerichtet,  sondern  es 
werden  lediglich  gegen  einen  bestimmten  Arzt  Verunglimpfungen 
und  Schmähungen  geschleudert  und  zwar  zum  Theil  solche  der 
gemeinsten  Art.  Den  Inhalt  eines  solchen  Buches  zu  repro- 
duciren  könnte  höchstens  für  die  Geschichte  und  Statistik  des 
Schimpfens  Werth  besitzen,  für  uns  aber  hat  es  kein  Interesse. 
Es  ist  ein  höchst  unerquicklicher  Krieg,  den  Petrarca  als  Ver- 
fasser der  Invectiven  führte,  ein  Krieg,  der  seiner  und  seines 
Ruhmes  völlig  unwürdig  war :  gewinnt  man  doch,  wenn  man  die 
Invectiven  zu  lesen  beginnt,  den  Eindruck,  als  wenn  der  sonst 
so  würdige  und  moraleifrige  Petrarca,  wie  von  einem  plötz- 
lichen Wahnsinn  befallen,  nach  Art  eines  verwilderten  Menschen 
mit  Steinen  und  Scherben  um  sich  würfe.  Nimmt  man  nun 
noch  hinzu,  dass  in  dieser  Schrift  unter  der  Maske  einer  ein- 
studirten  Bescheidenheit  die  unglaublichste  Eitelkeit  sich  selbst- 
gefällig spreizt,  so  wird  man  aus  ihr  die  nicht  eben  erfreuliche 
Ueberzeugung  gewinnen,  dass  der  grosse  Mann,  den  wir  so 
gern  als  ein  Ideal  verehren  möchten,  doch  höchst  bedenkliche 
sittliche  Schwächen  besass  —  es  ist  dies  ein  Beitrag  zur  psycho- 
logischen Pathologie,  der  uns  daran  gemahnen  mag,  dass  eben 
in  der  irdischen  Welt  etwas  Vollkommenes  nicht  existirt. 

Besser  als  durch  eine  Analyse  der  Invectiven  werden  wir 
Petrarea's  feindliches  Verhältniss  zu  den  Aerzten  und  zu  der 
Heilkunde  seiner  Zeit  durch  eine  gedrängte  Wiedergabe  des 
Inhaltes  einiger  seiner  „Altersbriefe"  zu  veranschaulichen  und 


620  Zwölftes  Capitel. 

zugleich  auch  zu  erklären  vermögen.  Zunächst  kommt  da 
der  vierte  (b.  Fracassetti  dritte)  Brief  des  fünften  Buches  in 
Betracht. 

Boccaccio  hatte  einmal  nach  einer  überstandenen  Krank- 
heit an  Petrarca  geschrieben,  dass  er  durch  Gottes  Gnade  und 
durch  die  Hülfe  des  Arztes  genesen  sei.  Darauf  äussert  ihm 
Petrarca  seine  Verwunderung,  dass  ein  so  aufgeklärter  Mann, 
wie  Boccaccio,  an  Hülfe  von  Seiten  eines  Arztes  glauben  könne: 
Gott  und  die  gute  Natur  hätten  Alles  gethan,  der  Arzt  aber 
absolut  gar  Nichts,  ausser  dass  er  den  Patienten  durch  sein 
fades  Geschwätz  gelangweilt  hätte.  Der  beste  Weg,  zur  Ge- 
sundheit zu  gelangen,  sei  der,  keinen  Arzt  zu  haben,  denn  die 
meisten  Aerzte  befördern,  gewissenlos  genug,  in  ihrem  Inter- 
esse die  Krankheiten,  die  wenigen  guten  und  gewissenhaften 
aber  begnügen  sich,  die  Zuschauer  der  Naturprocesse  abzu- 
geben und,  wenn  diese  günstig  enden,  sich  selbst  den  Sieg  zu- 
zuschreiben. Sodann  rügt  Petrarca  die  prunkende  Tracht  der 
Aerzte,  die  Gewänder  von  flammendem  Purpur  und  mit  buntem 
Besätze,  die  blitzenden  Ringe  und  die  goldenen  Sporen,  welche 
sie  tragen,  um  die  Augen  der  ^Menschen  zu  blenden.  Solche 
Tracht  zieme  sich  nicht  für  „Handwerker  (mechanici)",  wie  sie 
seien,  und  die  Obrigkeit  sollte  sie  ihnen  untersagen.  Die 
Aerzte  sind  geradezu  die  Mörder  ihrer  Mitbürger.  Seien  doch 
einige  von  ihnen  so  thöricht,  dass  sie  ihren  Patienten  den 
Genuss  bestimmter  Obstarten  und  Gemüse  verbieten,  ohne 
welche  doch  die  Mahlzeiten  unschmackhaft  würden,  andere 
seien  wieder  so  albern,  den  Aderlass  zu  untersagen  und  zu 
lehren,  dass  das  Blut  ein  kostbarer  Schatz  sei,  den  man  zu- 
sammenhalten müsse.  Er  (Petrarca)  würde  von  seinem  Blute 
geradezu  erdrückt  werden,  wenn  er  nicht  regelmässig  im  Früh- 
jahr und  im  Herbst  eine  reichliche  Abzapfung  vornehmen  Hesse. 
Wieder  andere  Aerzte  verdammen  —  vielleicht  weil  sie  selbst 
feurige  Weine  lieben  —  das  Wasser,  welches  doch  ein  so  ge- 
sundes Getränk  sei.  Er  (Petrarca)  würde  gar  nicht  mehr  leben, 
wenn  er  nicht  in  den  Winternächten  (sie !)  grosse  Massen  kalten 
Wassers  tränke.     Uebrigens  gestehen  selbst  auch  renommirte 


Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte.  621 

Aerzte  in  Privatgesprächen  offen  ein,  dass  ihre  Kunst  an  sich 
werthlos  sei  und  nur  auf  das  Geldmachen  hinauslaufe.  End- 
lich lassen  viele  Leute  den  Arzt  auch  nur  desshalb  rufen, 
damit  sie  nicht  für  geizig  gehalten  werden.  —  Petrarca  er- 
wähnt sodann,  um  zu  beweisen,  wie  er  den  tüchtigen  Menschen 
auch  im  Arzte  zu  schätzen  wisse ,  dass  er  gegenwärtig  noch 
vier  Aerzte  zu  seinen  Freunden  zähle,  je  einen  von  ihnen  in 
Venedig  und  in  Mailand  und  zwei  in  Padua:  es  seien  das  ge- 
lehrte und  umgängliche  Männer,  welche  wenigstens  mit  An- 
rauth  (,,satis  colorate")  zu  morden  verständen  (!)  und  dafür  auch 
eine  leidliche  Entschuldigung  vorzubringen  wüssten.  Diese, 
welche  übrigens  alles  Andere  besser  verständen,  als  gerade  die 
Medicin,  lasse  er  denn  auch  in  Krankheitsfällen  zu  sich,  nicht 
als  Aerzte,  sondern  als  Freunde,  denn  Nichts  befördere  die 
Genesung  mehr,  als  freundschaftlicher  Besuch;  wenn  sie  ihm 
etwas  verordneten,  was  mit  seinen  eigenen  Meinungen  über- 
einstimme, so  befolge  er  es,  sonst  aber  kümmere  er  sich  gar  nicht 
darum  und  stelle  vielmehr  Alles  Gott  und  der  Natur  anheim, 
da  ja  doch  die  von  dem  ersteren  gesteckten  Lebensgrenzen 
nicht  überschritten  werden  könnten.  Im  ferneren  Verlaufe  des 
Briefes  erzählt  Petrarca  mit  vielem  Humor,  wie  ein  allgemein 
renommirter  Wunderdoctor.  als  er  Galeazzo  Visconti  von  dem 
Podagra  heilen  sollte,  sich  gründlichst  blamirte  und  schliesslich 
seine  Zuflucht  zur  Magie  nahm.  Endlich  aber  werden  die 
griechischen  und  arabischen  Kunstausdrücke,  deren  sich  die 
damaligen  Aerzte  zu  bedienen  pflegten,  launig  verspottet. 

Ganz  ähnlichen  Inhaltes  ist  der  dem  eben  analysirten  fol- 
gende, an  Donato  gerichtete  Brief  (Ep.  Sen.  V  5,  b.  Frac.  4), 
und  höchstens  die  eine  nicht  uninteressante  Mittheilung  fügt 
er  dem  Gesagten  hinzu,  dass  Petrarca  einmal  als  junger  Mensch 
aus  Freude,  von  einem  hitzigen  Fieber  befreit  worden  zu  sein, 
ein  Dankgedicht  auf  seinen  Arzt  verfasste  ^),  dass  er  also  nicht 
immer  ein  so  abgesagter  Feind  der  ärztlichen  Kunst  war. 


')  Das  Gedicht  scheint  nicht  erhalten  zu  sein,    denn  an  Ep.  poet.  lat. 
III  12  kann  man  doch  kaum  denken. 


622  Zwölftes  Capitel. 

Von  liöchstem  Interesse  dagegen  sind  die  beiden  Briefe, 
welche  Petrarca  am  13.  Juli  und  am  17.  November  1370  an  den 
ihm  befreundeten  berühmten  Arzt  Giovanni  Dondi  von  Padua  — 
auch  einer  der  bedeutendsten  Mechaniker  seiner  Zeit  und  von 
einem  Planetarium,  welches  er  construirt  hatte,  „dalP  Orologio" 
zubenannt  ^)  —  richtete.  Giovanni  hatte  dem  schon  damals 
kränkelnden  greisen  Dichter  brieflich  empfohlen,  die  folgenden 
sechs  diätetischen  Vorschriften  zu  beobachten:  Enthaltsamkeit 
von  Salzfleisch ,  von  Salzfischen ,  von  Gemtisen ,  von  Obst,  von 
kaltem  Wasser  und  schliesslich  von  dem  kirchlichen  Fasten.  In 
seinem  Antwortschreiben  erklärt  nun  Petrarca,  den  ersten  drei 
Vorschriften  sich  ohne  weiteres  fügen  zu  wollen,  da  er  selbst 
schon  beobachtet  habe,  dass  die  betreffenden  Speisen  ihm  nicht 
mehr  zusagten.  Auf  das  Fasten  aber  könne  er  nicht  verzichten, 
denn,  möge  auch  eine  Zweitheilung  der  Mahlzeiten 2)  an  sich 
vielleicht  vernünftiger  sein,  so  führe  eine  solche  doch  nur  allzu 
leicht  zur  Völlerei,  und  jedenfalls  widerstreite  ein  derartiges 
Es -sich -bequem -machen  dem  göttlichen  Gebote.  Er  glaube 
auch  nicht,  dass  das  von  Gott  gebotene  Fasten  der  Gesundheit 
nachtheilig  sein  könne,  denn  Gott  stehe  dem  Fastenden  mit 
seiner  Gnade  bei,  und  Thatsache  sei  es,  dass  viele  heilige 
Männer  trotz  eifrigen  Fastens  und  kärglicher  Nahrung  ein 
hohes  Alter  erreicht  hätten.  —  Wie  könne  ferner  das  Obst 
schädlich  sein,  jene  köstliche  Gabe  der  Natur,  welche  Augen, 
Geruch  und  Geschmack  zugleich  erfreue?  Dass  freilich  das 
Obst  in  Uebermaass  genossen  schade,  sei  unleugbar,  aber  das- 
selbe sei  mit  allen  Speisen  der  Fall.  —  Das  frische  Wasser 
aber  zu  untersagen,  sei  geradezu  Thorheit :  sei  doch  das  Wasser 
das  gesündeste  Getränk,  und  Menschen,  die  stets  nur  Wasser, 
niemals  Wein  genossen  hätten,  seien  steinalt  geworden.  Er 
selbst  sei  immer  ein  Freund  des  Wassers  gewesen  und  habe 
es  dem  Weine  vorgezogen,  habe  sich  auch  in  Bezug  auf  seine 


^)  vgl.  über  ihn  Tiraboschi,  a.  a.  0.  V  p.  315  ff. 
"-)  An  den  kirchlich  gebotenen  Fasttagen  der  Katholiken  darf  nur  ein- 
mal täglich  eine  sättigende  Mahlzeit  eingenommen  werden. 


Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte.  623 

Verdauung  sehr  wohl  dabei  befunden,  wenn  er  sich  aber  doch 
einmal  nicht  ganz  wohl  gefühlt  habe,  dann  sei  ihm  gerade  ein 
Trunk  frischen  Wassers  die  beste  Medicin  gewesen.  Wohl 
werde  ihm  jetzt  immer  von  seinen  Freunden  vorgeworfen,  dass 
er  sich  durch  seinen  Ungehorsam  gegen  die  Aerzte  das  Leben 
kürzen  werde,  aber  das  wolle  er  gern  verantworten,  und  übri- 
gens sei  er  nicht  nach  längerem  Leben  begierig  und  gern 
bereit,  von  der  Bühne  der  Welt  abzutreten,  wenn  es  Gott  so 
gefalle:  er  habe  genug  gelebt  und  das  Leben  biete  ihm  keine 
Freude  mehr,  wohl  aber  den  Schmerz,  sehen  zu  müssen,  wie 
das  Laster  sich  immer  mehr  und  mehr  ausbreite  und  wie  Italien 
die  von  Norden  her  eindringenden  Barbarensitten  immer  will- 
fähriger annehme. 

Noch  grössere  Wichtigkeit  besitzt  der  zweite,  jetzt  zu  be- 
sprechende Brief. 

Petrarca  erklärt  in  ihm,  er  könne  und  wolle  den  Aerzten 
besonders  um  desswillen  nicht  vertrauen,  weil  er  oft  beobachtet 
habe,  dass  dieselben  bei  eigenen  Erkrankungen  sich  selbst 
nicht  zu  helfen  wissen,  sondern  ebenso,  wie  andere  Menschen, 
sterben.  —  Die  diätetischen  Vorschriften  der  Aerzte  aber  halte 
er  für  persönliche  Marotten,  so  habe  z.  B.  ein  ihm  bekannter 
Arzt  alle  Obstsorten  verabscheut  mit  Ausnahme  der  Feigen 
und  in  Folge  dessen  habe  er  nun  allen  seinen  Patienten  jeg- 
liches andere  Obst  streng  verboten,  die  Feigen  dagegen  ihnen 
dringend  anempfohlen.  Falsch  sei  es  auch  durchaus,  wenn  die 
Aerzte  nach  dem  Alter  der  Patienten  generelle  Vorschriften 
ertheilten,  denn  hier  sei  durchaus  die  Individualität  der 
Kranken,  nicht  die  Zahl  ihrer  Lebensjahre  maassgebend: 
mancher  Greis  habe  noch  die  Kräfte  eines  Jünglings  und 
wiederum  sei  mancher  junge  Mann  greisenhaft  hinfällig.  — 
Mit  den  Berufungen  auf  die  Autorität  der  arabischen  und 
griechischen  Aerzte  möge  man  ihn  verschonen.  Die  Araber 
könne  er  nun  einmal  nicht  leiden,  das  ganze  Volk  sei  ihm 
verhasst,  selbst  die  arabischen  Dichter  seien  ihm  zuwider, 
denn  Nichts  sei  süsslicher,  weibischer,  weichlicher  und  sitten- 


624  Zwölftes  Capitel. 

loser ^),  er  vermöge  nimmermehr  zu  glauben,  das8  aus 
Arabien  irgend  etwas  Gutes  gekommen  sei.  —  Auf's  Schärfste 
tadelt  Petrarca  sodann  den  Ausspruch  eines  Arztes  (Giovanni 
di  Parma),  dass  nach  den  arabischen  Aerzten  hinfort  kein 
Lateiner  (d.  h.  Italiener)  über  ^ledicin  zu  schreiben  wagen 
dürfe,  da  er  nimmermehr  sie  zu  erreichen  oder  gar  zu  über- 
treffen vennögen  würde.  Hätten  die  Lateiner  doch  auch  nach 
den  Griechen  noch  mit  Erfolg  zu  schreiben  gewagt  und  diese 
erreicht  oder  übertroffen!  Denn  in  der  Philosophie  kämen 
Varro  und  Cicero  dem  Piaton  und  Aristoteles  gleich,  in  der 
Beredtsamkeit  Cicero  dem  Demosthenes,  in  der  Poesie  Yirgil 
dem  Homer,  in  der  Geschichtsschreibung  Hessen  Livius  und 
Sallust  den  Herodot  und  Thukydides  weit  („quam  longissime") 
hinter  sich,  in  der  Jurisprudenz  hätten  die  Römer  die  Griechen 
bedeutend  überholt,  in  der  Mathematik  habe  Severinus  mit 
ihnen  gewetteifert,  den  vier  griechischen  Kirchenvätern  endlich 
ständen  vier  grössere  lateinische  gegenüber. 

Bemerkenswerth  ist  übrigens  der  milde,  versöhnliche  und 
fi-eundschaftliche  Ton,  in  welchem  die  beiden  zuletzt  bespro- 
chenen Briefe  abgefasst  sind  und  welcher  wohlthuend  absticht 
gegen  die  massive  Kraftsprache  der  Invectiven.  Es  berührt 
in  diesen  Briefen  sehr  angenehm,  zu  bemerken,  wie  Petrarca 
hier  einmal  Person  und  Sache  zu  trennen,  die  erstere  i-ück- 
sichtsvoll  und  die  letztere  wenigstens  einigermaassen  objectiv 
zu  behandeln  sich  bemüht.  — 

Man  erkennt  aus  dem  mitgetheilten  Inhalte  der  ol)igen 
Episteln  unschwer,  auf  welchen  Gründen  Petrarca's  Abneigung 
gegen  Medicin  und  Mediciner  beruhte  und  dass  sie  weit  mehr 
eine  Sache  des  Gefühls  als  des  Verstandes  war.  Die  iMedicin 
war  ihm  um  desswillen  verhasst,  weil  sie  ihren  Stütz-  und 
Ausgangspunkt  ausserhalb  des  von  ihm  so  geliebten  classischen 


*)  Woher  mag  Petrarca  arabische  Dichter  kennen  gelernt  haben?  oder 
soll  man  glauben,  dass  er  nur  nach  Hörensagen  urtheilte?  Anzunehmen, 
dass  er  etwa  Arabisch  verstanden  habe,  scheint  uns  aus  mehrfachen  Gründen 
durchaus  unstatthaft. 


Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte.  625 

Alterthums  bei  den  verabscheuten  Arabern  suchte,  sie  war 
ihm  ferner  verhasst,  weil  er  in  ihr  —  und  für  seine  Zeit  mochte 
dies  nicht  unbegründet  sein  —  ein  Conglomerat  von  jeder 
rationellen  Basis  entbehrenden  Dogmen  und  subjectiven  Schrullen 
erblickte,  sie  war  ihm  endlich  auch  verhasst,  weil  sie  für  sich 
eine  Unfehlbarkeit  in  Anspruch  nahm,  welche  ihm,  dem  Feinde 
eines  jeden  Autoritätsglaubens  auf  dem  Gebiete  der  "Wissen- 
schaft, sinnlos  und  verderblich  erscheinen  musste.  Andere 
Gründe  mehr  persönlicher  Art  traten  hinzu:  dem  Dichter  er- 
schien das  Geschäft  der  Aerzte  mit  seinen  damals  in  rohester 
Weise  geübten  Verrichtungen  des  Schneidens  und  Brennens, 
des  Schröpfens  und  Purgirens  als  unendlich,  prosaisch,  hand- 
werksmässig  und  ekelhaft,  den  Humanisten  aber  verdross  es 
in  tiefster  Seele,  dass  nicht  humanistisch  gebildete  und  einem 
vermeintlich  rein  mechanischen  Gewerbe  lebende  Leute,  wie 
die  Aerzte,  gleichwol  als  den  Humanisten  ebenbürtige  Gelehrte 
betrachtet  zu  werden  in  anspruchsvollster  Weise  forderten. 
Endlich  aber  wirkten%wol  auch  noch  zwei  weitere  Motive  mit. 
Petrarca  erfreute  sich  bis  in  sein  Alter  hinein  einer  festen  und 
widerstandsfähigen  Gesundheit.  Kerngesunde  Leute  aber  lassen 
sich  nur  gar  zu  leicht  im  Vollgefühle  ihrer  Lebenskraft  von 
einer  instinctiven  Abneigung  gegen  die  Aerzte  bestimmen, 
indem  sie,  weil  selbst  der  Hülfe  derselben  nicht  bedürftig,  in 
ihnen  höchst  überflüssige  Persönlichkeiten  und  lästige  Mahner 
an  den  doch  einst  unvermeidlichen  Tod  erblicken.  In  den 
Krankheitsjahren  seines  Alters  aber,  als  keine  Heilkunst  mehr 
ihm  Hülfe  zu  bringen  vermochte,  da  konnten  Petrarca  die 
Aerzte  gar  leicht  als  unleidliche  Quäler  und  Dränger  erscheinen, 
die  ohne  Zweck  noch  Mutzen  ihm  seine  persönliche  Freiheit 
verkümmern  und  in  liebgewordenen  Gewohnheiten  des  Lebens 
ihn  stören  wollten.  So  waren  ihm  weder  in  der  Jugend  noch  im 
Alter  die  Aerzte  sympathisch,  und  er  fühlte  sich  um  so  be- 
rechtigter, ihre  Wissenschaft  verachten  zu  dürfen,  als  er  an 
einigen  Stellen  der  lateinischen  Autoren  sehr  abfällige  Urtheile 
über  dieselbe  ausgesprochen  fand. 

Indessen  in   früheren   Jahren   war    Petrarca's   Abneigung 

Körting,  Petiarca.  40 


626  Zwölftes  Capitel. 

gegen  die  Aerzte  gewissermaassen  nur  latent  gewesen,  und  sie 
würde  es  vielleicht  immer  geblieben  sein,  wenn  nicht  ein  un- 
glücklicher Zufall  dazwischen  getreten  wäre.  Papst  Clemens  VI. 
war  im  Jahre  1352  lebensgefährlich  erkrankt  und  Petrarca, 
offenbar  ohne  sich  etwas  Arges  dabei  zu  denken,  und  nur  von 
den  besten  Absichten  beseelt,  nahm  die  Gelegenheit  wahr, 
seinen  hochgestellten  Gönner  in  einem  Briefe  vor  der  zweifel- 
haften Kunst  der  Aerzte  zu  warnen.  Der  Brief  kam  aber  zur 
Kenntniss  eines  der  päpstlichen  Hofärzte  und  dieser  hielt  sich  für 
verpflichtet,  den  gegen  seine  Wissenschaft  und,  wie  er  meinte, 
auch  gegen  seine  persönliche  Ehre  gerichteten  Angriff  des 
Dichters  durch  eine  Gegenschrift  abzuwehren ,  in  welcher  er 
es  —  das  darf  man  bei  den  damaligen  litterarischen  Zu- 
ständen als  unzweifelhaft  voraussetzen  —  an  giftgetränkten 
Bemerkungen  über  Petrarca  und  dessen  poetisches  Schaffen 
nicht  wird  haben  fehlen  lassen.  Nun  wissen  wir  ja,  wie  über- 
aus empfindlich  Petrarca  gegen  litterarische  Angriffe  war 
(vgl.  oben  S.  429),  und  werden  es  dejnnach  begreiflich  fin- 
den, dass  er  gegen  den  „wahnsinnigen  und  frechen  Arzt", 
der  ihn  zu  verunglimpfen  gewagt  hatte ,  eine  wuthschäu- 
mende  Epistel  schleuderte,  welche,  was  nicht  sonderlich  zu 
beklagen  sein  wird,  nicht  mehr  erhalten  ist.  Da  nun  der,  wie 
es  scheint,  sehr  streitbare  und  federgewandte  Arzt  nicht  schwieg, 
so  spann  die  litterarische  Fehde  sich  weiter  fort,  und  ihre  Frucht 
sind  eben  die  vier  Bücher  der  Invectiven.  Petrarca  aber,  je 
hartnäckiger  er  mit  seinem  medicinischen  Gegner  zu  streiten 
hatte,  ereiferte  sich  zu  immer  grösserer  Wuth  gegen  die  Aerzte 
überhaupt,  und  diese  Wuth  steigerte  sich  wirklich  bis  zu  einer 
Idiosynkrasie,  welche  dem  objectiv  denkenden  Beurtheiler  wun- 
derlich und  verkehrt  genug  erscheinen  muss,  zumal  wenn  er 
bedenkt,  dass  Petrarca  nach  seinem  eigenen  Eingeständnisse  ^) 
nicht  die  geringsten  positiven  Kenntnisse  in  der  Medicin  besass. 
Allerdings  darf  man,  um  Petrarca's  Handlungsweise  nicht 
gar  zu  verkehrt  zu  finden,  zwei  Dinge  nicht  übersehen.    Einmal 

')  Ep.  Sen.  XII  1. 


Die  Streitschriften.    Petrarca  und  die  Aerzte.     '  627 

ist  ZU  erwägen,  class  die  Medicin  des  vierzehnten  Jahrhunderts 
in  der  That  einen  sehr  handwerksmässigen  Charakter  trug 
und  der  wahren  Wissenschaftliehkeit  durchaus  entbehrte,  dass 
somit  Petrarca's  Kampf  gegen  sie  im  letzten  Grunde  doch  ein 
Kampf  gegen  ein  verknöchertes  und  pedantisches  Gelehrten- 
thum  war  und  als  solcher  eine  innere  Begründung  und  Be- 
rechtigung besass.  Petrarca's  Streit  geg'en  die  Aerzte  war, 
freilich  ohne  dass  es  den  kämpfenden  Parteien  zum  klaren 
Bewusstsein  gekommen  wäre,  ein  Streit  der  nach  freier  Wissen- 
schaftlichkeit ringenden  Neuzeit  gegen  das  zunftmässig  beengte 
und  autoritative  Wissen  des  Mittelalters.  Sodann  aber  muss 
man  auch  berücksichtigen,  dass  Petrarca's  ärztlicher  Gegner  die 
vergiftetsten  Waffen  der  Schmähung  und  Verleumdung  gegen 
ihn  brauchte  —  indem  er  z.  B.  seine  Pv,echtgläubigkeit  ver- 
dächtigte und  seine  poetische  Thätigkeit  als  kindische  Tändelei 
darstellte  —  Waffen  also,  welche  wol  das  Recht  zu  einer 
rücksichtslosen  Gegenwehr  verleihen  konnten.  Immerhin  aber 
bildet  Petrarca's  Kampf  gegen  die  Aerzte  die  unerfreulichste 
Episode  seines  Lebens,  die  seinen  Nachruhm  eher  beeinträch- 
tigt, als  gefördert  hat.  Und  wenn  irgend  etwas  in  Petrarca's 
Bestrebungen,  so  ist  sein  Streit  gegen  Medicin  und  Mediciner 
ergebnisslos  gewesen  und  hat  der  Nachwirkung  auf  die  Folge- 
zeit entbehrt.  Der  Humanismus  hat  die  von  seinem  Begrün- 
der so  leidenschaftlich  geführte  Fehde  fallen  lassen  und  hat 
stillschweigend  Frieden  geschlossen  mit  der  Medicin,  diese 
aber  hat  sich  ebenfalls  mit  dem  Humanismus  ausgesöhnt  und 
hat  ihm  einen  nicht  unbedeutenden  Einfluss  auf  ihre  weitere 
Entwickelung  gestattet.  Nicht  vernichtet  oder  auch  nur  ge- 
schwächt, sondern  vielmehr  gestärkt  und  verjüngt  wurde  die 
Heilkunde  durch  die  Renaissancebildung,  und  während  sie  zu 
Petrarca's  Zeit  kaum  den  Anspruch  auf  den  Namen  einer  wah- 
ren Wissenschaft  erheben  durfte,  hat  sie  sich  im  Zeitalter  der 
Renaissance  die  volle  und  unbestrittene  Ebenbürtigkeit  mit  den 
übrigen  Wissenschaften  erworben  und  ist  sogar  manchen  der- 
selben in  vielfacher  Beziehung  weit  vorausgeeilt.  Petrarca's 
Fehler   war   es   gewesen,   nicht  erkannt  zu  haben,   dass  das 

40* 


628  Zwölftes  Capitel. 

medicinische  Wissen  seiner  Zeit  trotz  der  wüsten  und  ab- 
stossenden  Hülle,  von  welcher  es  bedeckt  und  entstellt 
war,  doch  einen  werthvollen  und  höchst  entwickelungsfähigen 
Kern  in  sich  barg:  wenn  er  dies  erkannt  hätte,  würde  er  gewiss 
die  wunderliche  Fehde  gegen  die  Aerzte,  in  welcher  er  doch  ein 
klein  wenig  die  seiner  unwürdige  Rolle  eines  Don  Quijote  ge- 
spielt hat,  entweder  gar  nicht  oder  doch  nicht  in  einer  so 
zelotischen  und  in  Folge  dessen  fast  an  das  Burleske  anstrei- 
fenden Form  geführt  haben. 


Dreizehntes  Capitel. 
Die  Bücher  über  die  Weltverachtung. 


JJa  wir  von  denjenigen  Schriften  Petrarca's,  welche  sich 
in  Kürze  als  selbstbiographische  d,  h.  als  Beiträge  zu  der 
äusseren  und  inneren  Geschichte  seines  Lebens  bezeichnen 
lassen,  die  verschiedenen  Briefsammlungen  sowie  ,,die  Epistel  an 
die  Nachwelt"  und  die  Postille  zum  Handexemplar  des  Virgil 
bereits  früher  mit  einer,  wie  wir  meinen,  hinreichenden  Aus- 
führlichkeit besprochen  haben,  so  bleiben  uns  nur  noch  die 
„drei  Bücher  über  die  Weltverachtung"  zur  Besprechung  übrig. 
Wir  geben  zunächst  eine  gedrängte  Uebersicht  des  Inhaltes 
der  überaus  merkwürdigen  Schrift,  wobei  wir  es  entschuldi- 
gen zu  wollen  bitten ,  dass  dies  in  einer  etwas  abgerissenen 
und  wenig  eleganten  Form  geschehen  wird.  Die  Analyse 
gerade  dieses  Werkes  Petrarca's  bietet  nämlich  ganz  eigen- 
thümliche  Schwierigkeiten  dar,  welche  immer  besiegt  zu  haben 
wir  eben  nicht  hoffen  dürfen.  Ja,  fast  ist  es  geradezu  un- 
möglich, eine  einigermaassen  verständliche  Analyse  zu  geben, 
und  wären  nicht  schliesslich  äussere  Rücksichten  auf  den  schon 
allzu  beträchtlich  angewachsenen  Umfang  unseres  Buches 
maassgebend  gewesen,  so  würden  wir  es  vorgezogen  haben, 
nicht  eine  Inhaltsangabe,  sondern  eine  vollständige  Uebersetzung 
an  dieser  Stelle  einzureihen. 


630  Dreizehntes  Capitel. 

Der  Inhalt  der  dem  Werke  vorausgeschickten  Vorrede 
ist,  wenn  wir  Petrarca  redend  einführen  dürfen,  in  Kürze  fol- 
gender: Ich  quälte  mich  viel  mit  dem  Gedanken,  wie  ich  in 
dieses  Leben  eingetreten  sei  und  wie  ich  es  wieder  verlassen 
würde.  Da,  als  ich  einmal  schlaflos  lag,  erschien  mir  eine 
herrliche  Frauengestalt,  welche  ich  an  Gestalt  und  Kleidung 
als  eine  Jungfrau  erkannte.  „Fürchte  dich  nicht,"  sprach  sie 
zu  mir,  „ich  bin,  mich  deiner  erbarmend  und  um  dir  Hülfe 
zu  bringen,  vom  Himmel  herabgestiegen,  ich  bin  diejenige, 
welche  du  in  deinem  Gedichte  „Africa"  gefeiert  und  ihr  einen 
Palast  auf  den  Höhen  des  Atlas  erbaut  hast."  An  diesen 
Worten  erkannte  ich,  dass  es  die  Wahrheit  sei,  denn  diese 
hatte  ich  besungen,  und  nun  bemerkte  ich  auch,  dass  sich  in 
ihrer  Begleitung  ein  ehrwürdiger  Mann  befand,  von  dem  es 
mir,  noch  ehe  die  Wahrheit  mir  seinen  Namen  genannt  hatte, 
gewiss  war,  dass  es  kein  anderer  sein  könne,  als  mein  theurer 
Lehrer,  der  heilige  Augustin.  Die  Wahrheit  beauftragte  ihn, 
sich  mit  mir  zu  unterhalten  und  durch  seinen  Zuspruch  meine 
Seele  zu  beruhigen,  und  nach  anfänglicher  Weigerung  erklärte 
er  sich  hierzu  bereit.  So  verbrachten  wir  an  einem  einsamen 
Orte  drei  Tage  in  ernsten  Gesprächen,  und  was  in  denselben 
mich  persönlich  betraf,  habe  ich  in  diesem  Buche  aufgezeichnet, 
dem  ich,  um  die  Rede  nicht  durch  ein  fortwährend  eingescho- 
benes „sagte  ich"  und  „sagte  er"  zu  unterbrechen,  die  dia- 
logische Form  gegeben  und  welches  ich  nicht,  wie  meine  an- 
deren Werke,  für  die  Veröffentlichung ,  sondern  nur  für  meine 
eigene  Erinnerung  bestimmt  habe. 

Der  Inhalt  des  nun  zwischen  Augustin  und  Petrarca  be- 
ginnenden ersten  Gespräches  dürfte  sich  uagefähr  folgender- 
maassen  zusammenfassen  lassen. 

Als  unzweifelhafte  und  feststehende  Wahrheiten  stellt  Augu- 
stin folgende  Sätze  auf:  Xur  die  Tugend  kann  glücklich,  nur 
das  Laster  unglücklich  machen.  Daher  kann  Niemand  ohne 
sein  eigenes  Wollen  und  Mitwirken  glücklich  oder  unglücklich 
sein  oder  werden.  —  Um  sich  aus  der  Enge  dieses  sterblichen 
Lebens  erheben  zu  können,  müssen  der  Gedanke  an  den  Tod 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  631 

und  an  das  menschliche  Elend  sowie  die  innige  Sehnsucht  nach 
Erhebung  („desiderium  vehemens  studiumque  surgendi")  als 
Vorstufen  vorausgehen.  —  Es  ist  ein  überaus  verderblicher 
Fehler  der  Menschen  sich  selbst  zu  täuschen. 

Petrarca  will  diese  Sätze  in  Bezug  auf  seine  Person  nicht 
gelten  lassen  und  meint,  dass  er  wohl  den  Willen,  aber  nicht 
die  Kraft  zur  Erhebung  aus  seinem  Elend  besessen  habe  —  Zeuge 
dessen  seien  seine  Thränen  — ,  dass  er  also  gegen  sein  Wollen 
und  Streben  unglücklich  sei.  ^  Augustin  behauptet  nichtsdesto- 
weniger, dass  es  Petrarca  am  rechten  und  energischen  Wollen 
habe  fehlen  lassen,  findet  aber  Petrarca's  Irrthum  entschuldbar, 
indem  er  sich  daran  erinnert,  dass  auch  er  selbst  (Augustin) 
sich  einst  ebenso  über  sein  Inneres  getäuscht  habe,  bevor  er 
unter  dem  Feigenbaume  zu  Mailand  den  ernsten  Entschluss 
der  inneren  Bekehrung  fasste  ^).  Nach  längerem  Hin-  und  Her- 
reden gesteht  Petrarca  endlich  ein,  dass  er  in  seinem  Streben 
nach  Erhebung  etwas  lau  gewesen  sei,  und  bittet  Augustin, 
ihm  den  Weg  zu  weisen,  wie  er  ein  guter  Mensch  werden 
könne.  Augustin  erklärt,  dass  dies  allerdings  ein  schwieriges 
Unternehmen  sei,  denn,  um  davon  zu  schweigen,  aus  wie  vielen 
positiven  Elementen  diese  Sehnsucht  sich  zusammensetzen 
müsse,  enthalte  sie  auch  viele  negative  Elemente,  d.  h.  fordere 
die  Verzichtleistung  auf  viele  Dinge  des  Lebens,  denn  wenn 
uns  die  Sehnsucht  nach  dem  höchsten  Glücke  wirklich  erfüllen 
soll,  so  müssen  alle  auf  andere  Dinge  gerichteten  Wünsche  und 
Begierden  aufgegeben  werden,  das  aber  hat  noch  Niemand  im 
vollen  Umfange  zu  thun  vermocht,  denn  Niemand  hat  sich  wol 
so  gänzlich  von  allen  irdischen  Wünschen  loslösen  können. 
Die  unerlässliche  Vorbedingung  hierzu  sei  die  Erinnerung  an 
den  Tod,  und  dieser  habe  sich  Petrarca  —  trotzdem  dass  er 
das  Gegentheil  versichere  —  bis  jetzt  viel  zu  saumselig  hin- 
gegeben. Allerdings  werden  ja  alle  Menschen  durch  Krank- 
heiten, durch  Todesfälle  in  ihrem  Bekanntenkreise  und  durch 
ungewöhnliche  unglückliche  Ereignisse  oft  genug,  ja  tagtäglicli 


')  Aug.  Conf.  VIII  8. 


632  Dreizehntes  Capitel. 

an  den  Tod  erinnert,  aber,  verhärtet  in  ihren  weltlichen  Lebens- 
gewohnheiten, lassen  sie  diesen  Gedanken  nicht  tiefer  in  ihr 
Herz  eindringen.  Nur  wer  stets  seiner  Sterblichkeit  eingedenk 
ist  und  demgemäss,  das  Irdische  verschmähend,  nach  dem  Ewi- 
gen trachtet,  kann  mit  Kecht  auf  den  Namen  eines  guten  Men- 
schen Anspruch  erheben,  aber  nur  Wenige  befinden  sich  in 
dieser  glücklichen  Lage.  Petrarca  erklärt,  dass  er  bis  jetzt 
geglaubt  habe,  zu  diesen  Wenigen  zu  gehören.  Augustin  gibt 
zu,  dass  Petrarca,  schon  in  Fol^e  seiner  vielseitigen  Leetüre. 
oft  an  den  Tod  gedacht  haben  möge,  meint  aber  doch,  dass 
der  Gedanke  nicht  tief  genug  Wurzel  in  ihm  gefasst  habe. 
Petrarca  fragt,  was  unter  dem  „tiefe  Wurzeln  fassen"  zu  ver- 
stehen sei.  Augustin  erklärt  dies,  indem  er  sagt,  man  müsse 
sich  zunächst  alle  Einzelheiten  des  Todes,  womöglich  mit  Zu- 
hülfenahme  von  Erinnerungsbildern,  vergegenwärtigen,  und  er 
entwirft  hierbei  in  schauerlicher,  acht  mittelalterlich  realisti- 
scher Detaillirung  eine  Schilderung  der  Phänomene  und  Symptome 
des  Sterbens.  Petrarca  bittet  hierauf  um  ein  Zeichen,  an  wel- 
chem er  erkennen  könne,  ob  der  Todesgedanke  bei  ihm  wirk- 
lich ein  eindringender  und  nachhaltiger  sei.  Augustin  ant- 
wortet, es  werde  dies  daran  erkannt,  dass  man,  wenn  man 
sieh  die  Gewissheit  des  Todes  und  der  ihm  nachfolgenden 
ewigen  und  entsetzlichen  Höllenqualen  lebhaft  vergegenwärtigt 
und  an  die  Unabänderlichkeit  des  am  jüngsten  Gerichte  zu  fällen- 
den götthchen  Urtheilsspruches  denkt,  dennoch  ruhig  zu  bleiben 
und  die  Sehnsucht  nach  Erhebung  sowie  das  Vertrauen  auf  die 
göttliche  Gnade  zu  bewahren  vermöge.  Petrarca  erzählt  dann, 
er  vergegenwärtige  sich,  namentlich  in  den  Nächten,  den  Mo- 
ment seines  Sterbens  oft  so  lebhaft,  dass  das  Denken  fast  zur 
Vision  sich  steigere  und  dass  er,  wie  im  letzten  Augenblicke, 
Christus  um  Hülfe  anrufe  ^j,  trotzdem  aber  fühle  er  sich  nicht 
glücklicher,   als  die   anderen,    derartiger  Gedanken  sich  ent- 


M  Er  erzählt  hierbei,  dass  er  dies  mit  Versen  des  Virgil  (Aen.  VI 
365  u.  370  f.)  thue  —  welche  seltsame  Verquickung  des  Chi-istlichen  mit 
dem  Heidnischen! 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  633 

schlagenden  Menschen,  sondern  vielmehr  unglücklicher,  denn 
der  Todesgedanke  verbittere  ihm  alle  Lebensfreude  und  bringe 
ihm  somit  nur  Mühsal  und  Schrecken:  wodurch  werde  dies  ver- 
ursacht? was  verhindere  ihn,  Freude  aus  diesem  Gedanken  zu 
gewinnen?  Augustin  antwortet,  es  liege  dies  vielleicht  daran, 
dass  Petrarca  seinen  Tod  als  etwas  noch  sehr  Fernliegendes, 
als  ein  erst  nach  langen  Jahren  zu  erwartendes  Ereigniss  be- 
trachte, was  eine  sehr  irrige  und  die  Pein  der  Ungewissheit 
mit  sich  bringende  Anschauung  sei.  Petrarca  jedoch  leugnet 
sehr  entschieden,  dieses  Fehlers  sich  schuldig  zu  machen,  und 
erklärt,  wohl  zu  wissen  und  stets  dessen  eingedenk  zu  sein, 
dass  ihn  der  Tod  in  jedem  Augenblicke  treffen  könne.  Augu- 
stin erklärt  nun ,  dass  die  Schuld ,  wesshalb  der  Todesgedanke 
bei  Petrarca  keine  erfreuliche  Frucht  trage,  wol  darin  zu  suchen 
sei.  dass  Petrarca  sich  zu  vielen  Beschäftigungen,  zu  verschieden- 
artigen Bestrebungen  und  Sorgen  hingebe  und  unstät  zwischen 
den  einen  und  den  anderen  hin-  und  herschwanke,  in  Folge 
dessen  werde  der  Todesgedanke,  wenn  er  auch  einmal  Wurzel 
gefasst  habe,  immer  wieder  von  andei-en  Gedanken  überwuchert 
und  unfruchtbar  gemacht  ^). 

Hiermit  endet  das  erste  Gespräch,  und  es  beginnt,  nach- 
dem, wie  fingirt  wird.  Augustin  und  Petrarca  durch  eine  län- 
gere Pause  sich  genügend  erholt  haben ,  der  zweite  Dialog. 
Augustin  setzt  in  längerer  Rede  die  Werthlosigkeit  der  irdi- 
schen Güter  auseinander.  Das  menschliche  Wissen  ist  immer 
nur  ein  klägliches  Stückwerk ,  da  die  Summe  des  Nichtge- 
wussten  diejenige  des  Gewussten  stets  bei  weitem  übersteigt.  Die 
Beredtsamkeit  bleibt  ebenso  stets  unvollkommen,  denn  auch 
der  Beredteste  vermag  nicht  seine  Gedanken  ihrem  ganzen  Um- 
fange nach  in  Worte  zu  kleiden.  Haben  sich  doch  selbst  Rom 
und  Griechenland,  trotzdem  dass  sie  das  Höchste  in  der  Be- 
redtsamkeit erreichten,  gegenseitig  Wortarnmth  vorgeworfen! 
Die  Güter  des  Lebens  aber  (Kraft,  Gesundheit,  Schönheit)  sind 


'  ,i  Hier  wird  eine  treffliche,  psychologisch  wahre  Schilderung  des  Seelen- 
zustandes  Petrarca's  entworfen. 


634  Dreizehntes  Capitel. 

im  höchsten  Grade  hinfällig:  ein  Lufthauch,  der  Biss  eines  kleinen 
Insectes  vermag  sie  zu  zerstören.  Petrarca  stellt  in  Erwiderung 
des  von  Augustin  Gesagten  mit  grosser  Entschiedenheit  in  Ab- 
rede, dass  er  irgendwie  auf  seine  Gelehrsamkeit  oder  seine  Be- 
redtsamkeit  oder  gar  auf  seine  körperlichen  Vorzüge  stolz  sei, 
er  wisse  vielmehr  am  besten,  in  wie  geringem  Grade  er  diese 
Eigenschaften  besitze.  Augustin  jedoch  klagt  Petrarca  der 
Selbsttäuschung  an,  wobei  er  Gelegenheit  nimmt,  die  Thorheit 
derjenigen  zu  geissein,  welche  ihr  besseres  Selbst  bei  der 
Pflege  des  sterblichen  Leibes  vergessen,  er  vergleicht  dieselben 
mit  Leuten,  welche,  in  ein  schmutziges  und  ekelhaftes  Ge- 
fängniss  hinabgestossen .  auf  dessen  Ausschmückung  die  mög- 
lichste Mühe  ganz  zwecklos  verschwenden,  anstatt  einzig  auf 
ihre  Befreiung  zu  sinnen.  Als  nun  Petrarca  nochmals  seine 
Unschuld  betheuert,  bemerkt  Augustin,  es  sei  ein  weit  schlim- 
merer Fehler,  auf  Andere  geringschätzend  herabzublicken ,  als 
sich  selbst  hochmüthig  zu  erheben,  das  erstere  halje  Petrarca 
gethan,  während  doch  sich  selbst  zu  verachten  das  Richtige, 
Andere  zu  verachten  aber  gefährlich  sei.  Auch  der  Habsucht 
und  des  Ehrgeizes  klagt  Augustin  den  Peti-arca  an.  Petrarca, 
über  solche  Anklage  verwundert,  betheuert,  dass  er  sich  von 
diesen  Lastern  ganz  frei  wisse,  gibt  aber  zu,  dass  er  sich 
seinen  Freunden  viel  widme  und  dass  er  auch  die  Bücher  sehr 
liebe.  Augustin  urtheilt,  dass  dies  entweder  eine  thörichte 
Handlungsweise  sei,  indem  Petrarca  wegen  seiner  Freunde  das 
eigene  Beste  vergesse ,  oder  aber  die  ganze  Angabe  sei  nur 
ein  Vorwand;  auch  wii-ft  er  Petrarca  heftig  vor,  dass  er  das 
stille  und  einfache  Landleben,  dessen  Reize  er  doch  aus  eigener 
Erfahrung  so  gut  kenne,  aufgegeben  habe  und  des  Gelderwerbes 
wegen  in  eine  grosse  Stadt  gezogen  sei.  Petrarca  gesteht  ein, 
dass  er  allerdings  für  sein  Alter  sich  etwas  zu  erwerben  be- 
strebe, und  findet  darin  nichts  Tadelnswerthes.  Augustin  aber 
rügt  die  Thorheit,  sich  im  Voraus,  höherer  Ziele  vergessend, 
für  eine  Zeit  abzumühen,  welche  vielleicht  nie  kommen  und, 
wenn  sie  komme,  nur  kurze  Zeit  währen  werde.  Petrarca 
fragt  verwundert,  ob  denn  Augustin  damit  die  Armuth  empfehlen 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  635 

wolle,  worauf  Augustin  entgegnet,  zwischen  Reichthum  und  Ar- 
muth  gebe  es  eine  richtige  Mitte,  und  fern  sei  es  von  ihm, 
Petrarca's  tägliche  Kost  etwa  auf  Brot  und  Wasser  herabsetzen 
zu  wollen.  Zu  einem  bescheidenen  und  behaglichen  Leben 
habe  Petrarca  bereits  ein  hinlängliches  Vermögen  besessen, 
er  habe  aber  mehr  erwerben  wollen,  und  das  eben  sei  tadelns- 
werth,  denn  lasse  man  der  Habgier  einmal  ihren  Lauf,  so 
sei  dann  kein  Ziel  und  keine  Schranke  abzusehen.  Petrarca 
gibt  an,  sein  Ziel  sei,  dahin  zu  gelangen,  dass  er,  ohne  in 
Ueberfluss  zu  leben,  doch  bedürfnisslos  und  Anderen  weder 
über-  noch  untergeordnet  sei.  Augustin  erklärt  hierauf,  um 
dies  Ziel  zu  erreichen,  müsse  Petrarca  Gott  werden,  denn  als 
Mensch  werde  er  immer  Bedürfoisse  haben.  Daher  möge  Pe- 
trarca bescheiden  und  ruhig  das  allgemeine  Loos  der  Mensch- 
lichkeit, welches  zu  Bedürfnissen  und  Wünschen  nöthige, 
ertragen,  Befreiung  von  dem  Joche  der  Leidenschaften  aber 
könne  er  nur  durch  die  Tugend  erlangen.  Eben  durch  die  Sorge 
um  irdische  Güter  werde  Petrarca  immer  von  dem  Gedanken 
an  den  Tod  abgezogen,  er  möge  also  solche  weltliche  Sorgen 
abschütteln  und  lieber  seiner  eigenen  Natur,  welche  zur  stillen 
Betrachtung  neige,  Folge  leisten.  Petrarca  verspricht,  dass 
er  dies  gern  thun  werde,  und  verlangt,  nachdem  hiermit  die 
Anklage  der  Habgier  erledigt  ist,  zu  erfahren,  wesshalb  Augustin 
ihn  des  Ehrgeizes  anklage,  sei  er  sich  doch  bewusst,  sich  von 
dem  öffentlichen  Leben  zurückgezogen  gehalten  und  immer  die 
ländliche  Stille  aufgesucht  zu  haben.  Augustin  entgegnet,  wenn 
Petrarca  nicht  nach  Ehren  im  öffentlichen  Leben  getrachtet 
habe,  so  sei  dies  nur  geschehen,  weil  er  sich  bewusst  gewesen 
sei,  die  dazu  erforderliche  Geschicklichkeit  nicht  zu  besitzen; 
keineswegs  aber  habe  Petrarca,  wie  er  vorgebe,  den  Ehrgeiz 
verachtet,  sondern  er  habe  vielmehr  dem  Ruhme  nur  auf  einem 
Seitenwege  statt  auf  der  gewöhnlich  betretenen  Strasse  nach- 
gestrebt. Dagegen  gesteht  Augustin  zu,  dass  Petrarca  der 
Schlemmerei  abhold  sei  und  dass  er,  wenn  er  auch  leicht  heftig 
aufbrause,  sich  doch  in  Folge  seiner  natürlichen  Herzensgüte  leicht 
wieder  besänftigen  lasse.    Andererseits  aber  klagt  Augustin  den 


636  Dreizehntes  Capitel. 

Petrarca  grosser  Sinnlichkeit  an,  und  Petrarca  wagt  nicht,  dem 
7x\  widersprechen.  Das  einzige  Mittel  gegen  diese  Sünde  sei. 
bemerkt  Augustin,  Gott  um  die  Kraft  der  Enthaltsamkeit  zu 
bitten,  denn  man  könne  diese  eben  nur  durch  die  göttliche 
Gnade  erlangen.  Petrarca  antwortet,  dass  er  dies  schon  oft, 
aber  vergebens  gethan  habe.  Dann  könne  das  Gebet  nicht 
ganz  aufrichtig  gewesen  sein,  entgegnete  Augustin,  sondern 
habe  wahrscheinlich  —  er  wisse  dies  aus  eigener  Erfahrung  — 
den  Hintergedanken  gehabt,  Gott  möge  mit  der  Verleihung 
der  Enthaltsamkeit  noch  etwas  zögern,  da  ja  die  kräftige 
Jugend  noch  nicht  vorüber  sei.  Petrarca  müsse  ernstlich  beten 
und  stets  des  platonischen  Ausspruches  sich  erinnern,  dass  der 
Gotteserkenntniss  Nichts  hinderlicher  sei,  als  fleischliche  Be- 
gierde und  brünstige  Wollust.  Und  nun  bringt  Augustin  end- 
lich die  stärkste  Anklage  gegen  Petrarca  vor:  Petrarca  lasse 
sich  von  der  geistigen  Krankheit  der  „acidia"  ^j  mit  einer  ge- 
wissen Freude  überwältigen.  Petrarca  bekennt  schaudernd 
diese  Schuld  und  schildert  selbst  die  Symptome  der  „acidia", 
eine  Schilderang,  welche  uns  lehrt,  dass  sich  die  „acidia"  am 
besten  und  kürzesten  als  Weltschmerz  bezeichnen  lässt:  sie  ist 
ein  selbstgefälliges  Wühlen  in  allen  Wunden  des  Herzens  und 
in  allen  Zweifelsqualen  des  Verstandes,  eine  Art  Melancholie, 
welche  durch  die  Betrachtung  alles  dem  Menschendasein  an- 
haftenden Elendes,  durch  die  Erinnerung  an  vergangene  Leiden 
und  durch  die  Furcht  vor  künftigem  Unglück  hervorgerufen 
wird  und  welche  fast  l)is  zur  Verzweiflung  sich  steigert. 
Augustin  e)-klärt,  dass  dies  ein  schwer  auszurottendes,  weil 
nach  vorübergehender  Heilung  immer  wiederkehrendes  Uebel 
sei,  und  meint,  dass  dauernde  Heilung  wol  nur  dann  erreicht 
werden    könne,    wenn    die   einzelnen    Ursachen    des   geistigen 


')  acidia  =  griech.  dxrjiyHd,  bedeutet  eigentlich  Sorglosigkeit.  In  der 
katholischen  Moraltheologie  bezeichnet  acidia  (oder  acedia)  das  der  Tugen«! 
„Caritas"  entgegengesetzte  Laster,  d.  h.  die  Trägheit  zum  Guten  und  die 
Unlust  und  Gleichgültigkeit  an  demselben  und  gegen  dasselbe  (Thom.  Aquin. 
8.  th.  2.  2.  qu.  .35  a  3:  „acedia  est  tristitia  de  bono  spirituali,  in  quantum 
est  bonura  divinum",  vgl.  J.  Schwane,  Handbuch  der  katholischen  Moral- 
theologie t   I  jp.  113). 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  637 

Schmerzes  erörtert  und  beseitigt  würden,  er  fragt  also  Petrarca, 
was  ihn  zumeist  bekümmere  Alles,  was  er  sehe  und  was  er 
höre,  antwortet  Petrarca,  sowol  seine  eigenen  als  die  fremden 
Verhältnisse.  Augustin  beginnt  mit  Petrarca's  persönlichen  Ver- 
hältnissen. Wenn  Petrarca  sich  über  sein  Geschick  beklage, 
so  solle  er  doch  bedenken,  dass  Vielen  ein  weit  schlimmeres 
Loos  bescliieden  sei.  Petrarca  habe  doch  z.  B.  noch  nie- 
mals Hunger  oder  Durst  leiden  müssen.  Petrarca  beklagt 
sich  nun,  dass  ihm  nicht  einmal  die  Erreichung  der  ganz  be- 
scheidenen Ziele,  die  er  sich  vorgesetzt  habe  —  denn  nach 
hohen  Stellungen  habe  er,  der  Sorgen,  welche  sie  mit  sich 
bringen,  wohl  eingedenk,  nie  gestrebt  —  vergönnt  gewesen  sei, 
dass  er  sich  der  „goldenen  Mitte  (aurea  mediocritas)"  nicht  er- 
freuen dürfe.  Augustin  bemerkt  hierauf,  dass  Petrarca  ver- 
muthlich  eine  zu  hohe  „mediocritas"  im  Sinne  habe  und  in 
Folge  dessen  nicht  bemerke,  wie  die  wahre  „mediocritas"  von 
ihm  längst  erreicht,  ja  überschritten  worden  sei.  Petrarca  will 
eingestehen,  dass  er  genug  besitze,  aber  wer  verbürge  ihm, 
dass  ihm  dieser  Besitz  erhalten  bleibe?  Die  Angst  vor  einem 
möglichen  Verlust  quäle  ihn  unaufhörlich.  Augustin  verweist 
Petrarca  die  Anmaassung,  welche  darin  liege,  dass  er  auf  ein 
sorgenfreies  Leben  Anspruch  erhebe  und  nur  sich  selbst  leben 
zu  können  verlange:  das  sei  noch  Niemandem  beschieden 
gewesen.  Indem  nun  Augustin  die  Untersuchung  auf  andere 
Punkte  ausdehnt,  erklärt  Petrarca,  dass  er  mit  seiner  Leibes- 
gesundheit recht  zufrieden  sein  könne,  höchstens  könne  er  es 
bedauern,  der  Sterblichkeit,  der  Müdigkeit  und  anderen  mensch- 
lichen Schwächen  unterworfen  zu  sein,  aber  bitterlich  müsse 
er  es  beklagen,  dass  die  Grausamkeit  des  stiefmütterlichen 
Geschickes  durch  einen  ruchlosen  Schlag  seinen  Besitz  und 
seine  Hoffnungen  niedergeschlagen  habe  ^). 

Wenn   Königreiche   und   Königsburgen   stürzen,    erwidert 


^)  Nach  dem  Wortlaute  des  Textes  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein, 
dass  an  eine  Feuersbrunst  zu  denken  ist:  im  Winter,  wahrscheinlich  des 
Jahres  1353,  wurde  Petrarca's  Häuschen  in  Vaucluse  von  Räubern  geplün- 
dert und  in  Brand  gesteckt,  vgl.  oben  S.  141. 


638  Dreizehntes  Capitel. 

Augustin,  so  dürfe  Petrarca  sich  nicht  beschweren,  dass  sein 
Häuschen  einmal  abgebrannt  sei.  Nun  bringt  Petrarca  den 
täglichen  Lebensekel  und  Lebensüberdruss  zur  Sprache,  der 
ihn  quäle  und  der  durch  die  Widerlichkeit  und  Unbehaglich- 
keit  seiner  Umgebung  —  im  Einzelnen  werden  hier  die  lär- 
menden Menschenmassen,  di6  wüthenden  Hunde,  die  schmutzigen 
Schweine,  die  rasselnden  Wagen  und  die  durchgehenden  Pferde 
als  störende  Elemente  genannt  —  veranlasst  wird.  Mangel  an 
innerer  Ruhe  sei  es,  antwortet  Augustin,  der  diese  äusseren 
Störungen  für  Petrarca  so  empfindlich  mache.  Wenn  Petrarca 
die  Seelenruhe' besässe,  würde  er  an  den  Lärm  seiner  Um- 
gebung sich  gewöhnen,  wie  an  das  Rauschen  eines  Wasserfalles. 
Um  solche  Seelenruhe  zu  erlangen,  empfiehlt  er  Petrarca  die 
Leetüre  philosophischer  Schriften,  wie  z.  B.  der  Tusculanen 
des  Cicero,  und  gibt  ihm  den  Rath,  sich  aus  denselben  die 
Sentenzen  nach  bestimmten  Rubriken  zu  excerpiren,  um  an 
einer  derartigen  Sammlung  eine  Waffe  gegen  den  Trübsinn 
bereit  zu  haben.  Petrarca  bekennt  hierauf,  dass  ihm  die  Vor- 
stellungen und  Malmungen  Augustinus  Trost  gebracht  haben  und 
dass  er  sich  jetzt,  wenn  er  mit  anderen  Menschen  sich  ver- 
gleiche, weniger  elend  vorkomme.  —  W^as  nun  noch  zu  be- 
sprechen übrig  bleibt,  will  Augustin  der  vorgerückten  Zeit  wegen 
auf  eine  dritte  Unterhaltung  verschieben,  und  Petrarca  erklärt 
sich  damit  sehr  einverstanden,  da  er  für  die  Dreizahl  aus 
religiösen  Gründen  eine  besondere  Verehrung  habe.  — 

Noch  zwei  Ketten  —  so  beginnt  Augustin  das  dritte  Ge- 
spräch —  halten  Petrarca  gefesselt  und  hindei-n  ihn  an  der 
Betrachtung  des  Lebens  und  des  Todes.  Augustin  will  diese 
Fesseln,  wie  die  frühern,  zerbrechen,  befürchtet  aber,  dass 
Petrarca  sellist  von  ihnen  nicht  befreit  sein  wolle,  da  er  sie, 
ergötzt  durch  ihre  Schönheit,  nicht  für  Fesseln,  sondern  für 
Reichthümer  halte  und  sich  ihrer  sogar  rühme.  Diese  beiden 
Fesseln  seien  die  Liebe  und  der  Ruhm. 

Petrarca  gesteht,  dass  er  Liel)e  und  Ruhm  allerdings  für 
sehr  edle  Güter  halte  und  sich  ihrer  nicht  berauben  lassen 
möchte.   Augustin,  um  die  von  Petrarca  ausgesprochene  Meinung 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  639 

ZU  widerlegen,  unternimmt  es,  die  Begriffe  Liebe  und  Ruhm 
eingehender  zu  untersuchen;  er  beginnt  mit  der  Liebe  und 
fragt  Petrarca,  ob  er  dieselbe  nicht  für  die  grösste  Raserei 
halte.  Petrarca  antwortet,  dass  allerdings  die  Liebe  je  nach 
der  Verschiedenheit  ihres  Objectes  entweder  für  die  schlimmste 
Leidenschaft  oder  für  die  edelste  Seelenthätigkeit  gehalten 
werden  könne,  er  selbst  wenigstens  kenne  nichts  Glückseligeres, 
als  eine  einem  liebenswürdigen  Gegenstande  gewidmete  und 
zur  Tugend  leitende  Liebe,  und  wenn  Augustin  auch  über  eine 
solche  ungünstig  urtheile,  so  sei  es  wol  am  besten,  dass  ein  Jeder 
seine  eigene  Ansicht  behalte,  denn  es  seien  ja  vei'schiedene 
Auffassungsweisen  berechtigt:  er  wenigstens  wolle  sich  seine 
Ansicht,  und  wenn  sie  auch  ein  Irrthum  wäre,  nicht  entreissen 
lassen.  Augustin  besteht  indessen  darauf,  dass  Petrarca  der 
Heilung  bedürftig  sei,  und  spricht  sein  Erstaunen  darüber  aus, 
dass  ein  Mann  von  Petrarca's  Talent  einen  grossen  Theil  seines 
Jjebens  in  der  Bewunderung  und  Verehrung  eines  sterblichen 
Weibes  habe  hinbringen  können.  Petrarca  antwortet  nur  mit 
einer  begeisterten  Lobpreisung  seiner  Geliebten.  Augustin 
aber  verkündet  Petrarca,  dass,  wenn  er  seine  Geliebte  einst 
todt  und  starr  sehen  werde,  er  seiner  Leidenschaft  sich  schämen 
werde.  Petrarca  entgegnet,  er  hoffe,  dass  ihm  dieser  entsetz- 
liche Anblick  erspart  bleiben  werde,  da  er  ja  der  ältere  sei. 
Augustin  erinnert  Petiarca  daran,  dass  er  (Petrarca)  selbst 
einst  anders  gedacht  und  sogar  bereits  ein  Lied  auf  den  Tod 
der  noch  lebenden  Geliebten  gedichtet  habe.  Die  damals  von 
Petrarca  gehegte  bange  Befürchtung  könne  sich  nun  aber  um 
so  leichter  erfüllen,  als  der  Leib  der  Geliebten  durch  Krank- 
heiten  und  Bekümmernisse  sehr  geschwächt   sei  ^).     Petrarca 


* )  Es  ist  dies  die  bekannte  Stelle  p.  399 :  „corpus  illud  egregiura  morbis 
ac  crebris  perturbationibus  exliaustum  multum  pristiui  vigoris  amisit",  an 
welcher  de  Sade  statt  ,perturbationibus'  ,partubus'  lesen  und  daraus  einen 
Beweis  für  Laura's  häufige  Mutterschaft  gewinnen  wollte.  Die  Lesart  „par- 
tubus"  wird  indessen  nur  durch  die  Autorität  zweier  pariser  Handschriften 
(welche  die  Abbreviatur  ptbus  zeigen)  gestützt,  alle  übrigen  Handschriften 
und  Drucke  haben  „perturbationibus",  und  das  letztere  Wort  ist  das  dern 
logischen  Zusammenhange  der  Stelle  einzig  entsprechende. 


640  Dreizehntes  Capitel. 

entgegnet,  auch  seine  Gesundheit  sei  durch  Sorgen  zerrüttet 
und  somit  habe  er  doch  Hotfnung,  früher  als  die  Geliebte  zu 
sterben.  Augustin  aber  nennt  dergleichen  Berechnungen 
thöricht  und  weist  darauf  hin,  wie  es  doch  jedenfalls  möglich 
und  denkbar  sei,  dass  Petrarca's  Geliebte  vor  ihm  sterbe ;  eine 
Thorheit  sei  es  demnach,  wenn  Petrarca  einer  einem  sterb- 
lichen Wesen  gewidmeten  Leidenschaft  sich  überlasse.  Petrarca, 
welchem  Augustin's  Auseinandersetzungen  höchst  peinlich  sind, 
betheuert,  dass  er  in  seiner  Geliebten  nicht  den  sterblichen  Leib, 
sondern  die  unsterbliche  Seele  liebe  und  dass  er  daher,  wenn 
(was  schon  zu  hören  ihm  schmerzlich  sei)  die  Geliebte  vor  ihm 
sterben  sollte,  er  doch  noch  ihre  Tugend  und  ihre  Seele  lieben 
werde.  Augustin,  da  er  einsieht,  dass  Petrarca  es  nicht  erträgt, 
ihn  gegen  seine  Geliebte  reden  zu  hören,  will  einmal  zugeben, 
dass  dieselbe  ganz  vollkommen,  ja  eine  Göttin  sei,  aber,  meint 
er,  auch  das  Schönste  könne  auf  unziemliche  Weise  (turpiter) 
geliebt  werden.  Petrarca  betheuert  die  Reinheit  seiner  Liebe 
und  glaubt,  dass  in  Nichts,  als  in  ihrem  Uebermaasse  ihr  eine 
Schuld  anhafte.  Alles,  was  er  geworden  sei,  allen  Ruhm,  den 
er  erworben  habe,  verdanke  er  seiner  Geliebten,  ihr  verdanke 
er  es,  dass  der  schwache  Tugendkeim,  den  die  Natur  in 
seine  Brust  gelegt,  sich  entfaltet  habe,  denn  sie  sei  ja  der 
Spiegel  der  Tugend,  und  Liebe  besitze  die  Macht,  den  Lieben- 
den dem  geliebten  Wesen  ähnlich  zu  machen.  Augustin  er- 
klärt Petrarca's  Glauben  an  den  wohlthätigen  Einfiuss  der 
Liebe  für  eine  grosse  und  gefährliche  Täuschung.  Nicht  die 
Liebe,  sondern  die  Natur  habe  Petrarca  seine  Begabung  ver- 
liehen, wohl  aber  habe  die  Liebe  ihn  auf  eine  falsche  Bahn 
geführt.  Es  möge  sein,  dass  die  Liebe  ihn  vor  mancherlei 
Lockungen  der  Sünde  bewahrt  habe,  dafür  aber  habe  sie  ihm 
eine  tödtliche  Wunde  beigebracht,  und  endlich  sei  er  dadurch, 
dass  er  einzig  die  Geliebte  liebe,  zur  Verachtung  allei-  übrigen 
Menschen  und  Dinge  verführt  und  damit  in  einen  gefähr- 
lichen Abgrund  gestürzt  worden.  Irdische  Liebe  habe  Petrarca 
von  der  Liebe  zum  Himmlischen  entfernt,  und  statt  des 
Schöpfers   liebe   er   ein  Geschöpf  —   das   aber  sei  der  gerade 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  641 

Weg  zum  Tode.  Petrarca  betheuert  dagegen,  die  Liebe  zur 
Geliebten  erst  habe  ihn  Gott  lieben  gelehrt.  Augustin  aber 
behauptet,  dies  sei  unmöglich,  denn  dann  würde  körperliclie 
Schönheit  die  vollkommenste  Schönheit  sein.  Petrarca  be- 
theuert hiergegen  abermals,  dass  er  nicht  den  Leib,  sondern 
die  Seele  der  Geliebten  liebe,  wie  schon  daraus  hervorgehe, 
dass,  je  mehr  mit  dem  zunehmenden  Alter  der  Leib  der  Ge- 
liebten hinwelke,  der  Geist  aber  immer  schöner  sich  entfalte, 
desto  inniger  auch  seine  Liebe  werde.  Dass  dies  keineswegs 
wahr  sei,  erweist  Augustin,  indem  er  an  Petrarca  die  Frage 
richtet,  ob  er  die  Geliebte  auch  geliebt  haben  würde,  wenn 
sie  hässlich  gewesen  wäre.  Petrarca  ist  aufrichtig  genug,  zu 
erwidern,  dass  er  dies  doch  nur  dann  gethan  haben  würde, 
wenn  die  Schönheit  des  Geistes  sich  irgendwie  in  den  Augen 
dargestellt  hätte.  „Also,"  folgert  hieraus  Augustin,  „hast  Du 
den  den  Augen  sichtbaren  Leib  geliebt,  wenn  ich  auch  gern 
zugeben  will,  dass  die  geistigen  Vorzüge  deiner  Geliebten  zur 
Wahrung  und  Erhaltung  der  Liebe  beigetragen  haben  und 
überdies  ist  für  Dich  auch  schon  der  Name  der  Geliebten 
wegen  seines  Gleichklanges  mit  dem  Lorbeer  (Laura  und  lauro) 
sehr  bestimmend  gewesen.  Petrarca  gesteht  denn  nun  endlich 
ein,  dass  er  die  Seele  mit  dem  Leibe  geliebt  habe.  Augustin 
fordert,  dass  er  dann  auch  bekennen  müsse,  dass  er  weder 
Seele  noch  Leib  maassvoll  und  geziemend  geliebt  habe,  und 
dass  er  durch  diese  Liebe  in  grosses  Elend  gestürzt  worden 
sei.  Als  Petrarca  sich  weigert,  dies  zuzugeben,  erklärt  Augustin, 
dass  Petrarca  bald  genug  es  freiwillig  eingestehen  werde,  und 
fragt  ihn,  ob  er  sich  noch  seiner  Kindheit  und  Jugend  erinnere. 
.,Wie  an  den  gestrigen  Tag,"  antwortet  Petrarca.  Dann  aber 
müsse  er  auch  wissen,  fährt  Augustin  fort,  wie  gross  damals 
seine  Gottesfurcht,  sein  Eingedenksein  des  Todes,  seine  Liebe 
zur  Religion  und  zur  Ehrenhaftigkeit  gewesen  sei,  um  wieviel 
grösser,  als  gegenwärtig.  Petrarca  gesteht  seufzend,  dass  sein 
sittlicher  Fall  mit  dem  Entstellen  seiner  Liebe  zeitlich  zusammen- 
treffe. Augustin  fragt  nun,  wie  es  doch  gekommen  sei,  dass 
die  Geliebte  ihn  nicht  zur  Tugend  emporgezogen  habe.    Petrarca 

Körting,  Petrarca.  41 


642  Dreizehntes  Capitel. 

antwortet,  sie  habe  gethan,  was  sie  nur  habe  thun  können, 
wie  schon  daraus  hervorgehe,  dass  sie  allen  seinen  Verführungs- 
versuchen beharrlich  widerstanden  habe;  jetzt  aber  sei  er  von 
seinen  Verirrungen  und  unlauteren  Wünschen  zurückgekommen 
und  wisse  der  Geliebten  Dank  für  ihre  Sprödigkeit.  Augustin 
erwidert,  gerade  in  Folge  der  Tugendhaftigkeit  der  Geliebten 
falle  alle  Schuld  auf  Petrarca  allein  und  es  sei  also  dieselbe  eine 
um  desto  grössere,  auch  sei  seine  sinnliche  Leidenschaft  wol 
gemildert,  aber  noch  keineswegs  erloschen.  In  längerer  Rede 
setzt  nun  Augustin  auseinander,  dass  es  keine  heftigere  Leiden- 
schaft, als  die  Liebe  gebe  und  dass  keine  mehr  zur  Gottver- 
achtung und  Gottvergessenheit  führe,  das  habe  sich  an  Petrai-ca 
vollkommen  bewahrheitet:  sei  es  doch  so  weit  mit  ihm  gekom- 
men, dass  sogar  sein  körperliches  Wohlbefinden  von  der  An- 
oder Abwesenheit  der  Geliebten  abhänge,  dass  er  die  Nächte 
schlaflos  oder  in  unruhigen  Träumen  verbringe,  dass  er  ab- 
magere und  sonst  auch  leiblich  verfalle.  Ja,  Petrarca  sei  bis 
zu  dem  Grade  der  Thorheit  vorgeschritten,  dass  er,  um  des 
Anblickes  der  Geliebten  nie  zu  entbehren ,  sich  ein  Porträt 
derselben  hal)e  malen  lassen  und  dasselbe  immer  bei  sich 
trage,  dass  er  sogar  Alles  liebe,  was  an  ihren  Namen 
anklinge,  so  namentlich  den  Lorbeerbaum.  Wie  könne  man 
bei  solcher  Leidenschaft  noch  Gottes  eingedenk  sein?  Petrarca 
gibt,  tief  erschüttert,  die  Wahrheit  alles  dessen  zu,  was  Augustin 
ihm  vorgehalten,  und  fragt,  was  er  nun  thun  solle,  ob  er 
nicht  vielleicht  gar  an  seinem  Heile  verzweifeln  müsse.  Augu- 
stin antwortet,  bevor  man  verzweifeln  dürfe,  müsse  man  alle 
anderen  Mittel  versuchen.  Petrarca  möge  sich  doch  zu  Nutze 
machen,  was  er  selbst  in  den  alten  Schriftstellern  gelesen,  da 
gebe  es  ja  mancherlei  Recepte  gegen  die  Liebe.  Cicero  z.  B. 
bemerke,  dass  Liebe  am  ehesten  durch  Gegenliebe  vertrieben 
werde,  was  nun  freilich  eben  kein  schönes  und  würdiges  Mittel 
sei.  Petrarca  beeilt  sich  denn  auch  zu  erklären,  dass  er  zur 
Anwendung  dieses  Mittels  unmöglich  sich  würde  verstehen 
können.  Als  ein  anderes  Mittel,  fährt  Augustin  fort,  empfehle 
Cicero  die  Ortsveränderung.    „Ach!"  entgegnet  Petrarca,  „ver- 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  643 

gebens  habe  ich  den  Westen  und  den  Norden  bis  zu  des 
Oceans  Grenzen  weit  und  breit  durchwandert,  dem  verwun- 
deten Hirsche  gleich  trug  ich  meine  Wunde  immer  mit  mir. 
und  sie  heilte  nimmer."  Augustin  findet  das  sehr  begreiflich, 
da  Petrarca  die  Reisen  eben  ohne  die  uöthige  Vorbereitung 
angetreten  habe,  denn  Reisen  können  nur  dann  nützen,  wenn 
man  sie  mit  dem  festen  p]ntschlusse  unternimmt,  nicht  rückwärts 
zu  scliauen  und  mit  der  Vergangenheit  zu  brechen,  eben  dann 
nur  sei  das  Reisen  förderlich  und  schütze  vor  Rückfällen.  Er 
empfiehlt  daher  Petrarca  nochmals  dringend  eine  Ortsver- 
änderung, und  dieser  erklärt,  dass  er  selbst  von  deren  Noth- 
wendigkeit  überzeugt  sei  und  sie  auszuführen  beabsichtige. 
Auf  die  Frage,  wohin  er  sich  wenden  solle,  räth  Augustin  eine 
Reise  nach  Italien  an,  denn  ein  schöneres  Land  gebe  es  nicht  ^), 
doch  solle  er  sich  nicht  an  einen  Ort  binden  und  so  lange 
er  sich  nicht  völlig  geheilt  fühle,  die  Einsamkeit  meiden  und  sich 
in  den  Städten  aufhalten.  Hierauf  fragt  Petrarca,  ob  es  nicht 
noch  andere  Heilmittel  der  Liebe  gebe.  Augustin  entgegnet, 
Cicero  nenne  als  solche  den  Ueberdruss,  die  Schaam  und  die 
Ueberlegung  (satietas,  pudor,  cogitatio).  Der  erstere  freilich 
könne,  wie  er  wohl  wisse,  bei  Petrarca  nicht  eintreten,  dagegen 
lasse  sich  über  die  beiden  anderen  vielleicht  sprechen.  Er 
fragt  hierauf  Petrarca  plötzlich,  ob  er  sich  öfters  im  Spiegel 
gesehen  habe,  und  als  Petrarca  dies,  ein  wenig  verwundert 
über  die  Frage,  bejaht  hat,  fügt  er  hinzu,  ob  Petrarca  keine 
Veränderungen  an  sich  wahrgenommen  habe.  Petrarca  gesteht, 
dass  er  an  seinen  Schläfen  graue  Haare  bemerkt  habe,  ohne 
dass  er  indessen  darüber  erstaunt  gewesen  sei,  da  er  bei  seinen 
Altersgenossen  die  gleiche  Beobachtung  gemacht  hätte  und  da 
überdies  graue  Haare  kein  Anzeichen  des  Alters  seien,  wie 
ja  z.  B.  Numa  Pompilius  von  Jugend  an  grau  gewesen  sein 
solle.  Augustin  tadelt  es  sehr,  dass  Petrarca  durch  derartige 
Betrachtungen  sich  über  sein  zunehmendes  Alter  zu  täuschen 
suche,  besser  wäre  es,  dass  er  sich  durch  den  Spiegel  recht 
eindringlich  an  sein  Alter  erinnern   Hesse  und  dann  bedächte, 

\)  Im  Texte  folgt  hier  eine  begeisterte  Lobpreisung  Italiens  (p.  406). 

41* 


644  Dreizehntes  Capitel. 

wie  er  zur  Rolle  des  Verliebten  bereits  zu  alt  sei.  Wenn 
Petrarca,  wie  er  sage,  darin  einen  Trost  finde,  dass  die  Ge- 
liebte mit  ihm  altere,  so  bessere  das  die  Sache  keineswegs, 
denn  es  sei  jedenfalls  schimpflich,  wenn  der  Geist  mit  den 
Wandlungen  des  Leibes  nicht  Schritt  halten  könne,  und  es 
müsse  sich  daher  ohne  Zweifel  Petrarca  seiner  unzeitgemässen 
Leidenschaft  schämen.  Noch  stärkere  Gründe  gegen  dieselbe 
müsse  aber  Petrarca  in  der  ,,Ueberlegung"  finden.  Er  möge 
die  Hoheit  des  Geistes,  die  Hinfälligkeit  des  Leibes,  die  Kürze 
des  Lebens  bedenken,  er  möge  sich  der  Rücksichten  erinnern, 
welche  er  seiner  äusseren  Stellung  schuldig  sei,  er  möge  ferner 
erwägen,  wie  spröde  die  Geliebte  sich  gegen  ihn  erwiesen,  er 
möge  endlich  auch  beherzigen,  dass  er  seine  Zeit  zu  besseren 
Dingen,  als  zu  Liebeständeleien  verwenden  könne,  zumal  er 
noch  so  viele  Werke  unvollendet  daliegen  habe,  vor  allen 
Dingen  aber  möge  er  darauf  Bedacht  nehmen,  dass  er,  wenn 
er  einmal  der  Leidenschaft  entsagt  habe,  nicht  wieder  in 
dieselbe  zurückfalle,  sondern  dass  er  entschlossen  und  völlig 
mit  der  Vergangenheit  und  seinem  bisherigen  Denken  und 
Fühlen  breche. 

Augustin,  nun  zu  einem  anderen  Seelenleiden  Petrarcas 
übergehend,  wirft  ihm  vor,  dass  er  allzu  sehr  nach  Ruhm  und 
Unsterblichkeit  des  Namens  trachte  und  dass  zu  befürchten 
sei,  er  werde  über  diese  irdische  die  wahre  Unsterblichkeit 
vergessen.  Petrarca  gesteht  dies  unumwunden  ein.  Uebrigens, 
fährt  Augustin  fort,  scheine  Petrarca  nur  den  Namen,  nicht 
aber  das  Wesen  des  Ruhmes  zu  kennen,  da  er  ihn  sonst  gewiss 
nicht  so  heftig  begehren  würde.  Der  Ruhm  sei  Nichts,  als 
das  über  Jemanden  verbreitete  und  durch  viele  Zungen  aus- 
gestreute Gerücht.  Daraus  ergebe  sich  seine  Unbeständigkeit 
und  Werthlosigkeit ,  und  Petrarca's  Handeln  stehe  demnach 
mit  seinem  Denken  in  einem  seltsamen  Widerspruche,  denn 
während  er  theoretisch  das  Urtheil  des  grossen  Haufens  ver- 
achte, mühe  er  praktisch  sich  ab,  dessen  Beifall  zu  gewinnen 
und  pfiücke,  um  den  Ohren  seiner  Hörer  zu  schmeicheln,  alle 
Blümlein  (flosculi)  aus  dem  Garten  der  römischen  Wohlreden- 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  645 

heit  und  Dichtkunst.  Grosse  Werke,  wie  eine  römische  Ge- 
schichte von  Romulus  bis  auf  Titus.  und  eine  Dichtung,  wie 
die  „Africa",  beginne  er,  des  Todes  uneingedenk.  Petrarca 
gesteht  ein,  dass  ihn  allerdings  die  Beschäftigung  mit  seiner 
„Africa"  ganz  erfülle  und  dass  ihm,  wenn  sich  ihm  der  Tod 
bald  nahen  sollte,  der  Gedanke,  das  Gedicht  unvollendet  lassen 
zu  müssen,  quälend  sein  würde.  Augustiu  will  es  nun  unter- 
nehmen, die  Nichtigkeit  eines  solchen  litterarischen  Strebens 
darzulegen.  Petrarca  bittet  ihn  im  Voraus,  dass  er  ihn  mit 
Argumenten  verschonen  möge ,  welche  die  Werthlosigkeit  des 
Ruhmes  aus  der  Kleinheit  der  Erde  und  der  Vergänglichkeit 
der  Menschen  und  des  Menschengeschlechtes  beweisen  sollen: 
ihm  sei  der  gewöhnliche  Menschenruhm  gerade  genügend  und 
er  habe  eifrige  Sehnsucht,  ihn  zu  erlangen,  wenn  er  auch  um 
desswillen  nicht,  wie  Augustin  meine,  das  Streben  nach  dem 
Ewigen  aufgebe,  sondern  es  höchstens  verschiebe.  Augustin 
al)er  erwidert,  eine  solche  Handlungsweise  schliesse  die  höchste 
Thorheit  in  sich,  denn  das  Leben  sei  kurz  und  stets  vom  Tode 
bedroht,  aber  selbst  wenn  es  sehr  lang  wäre,  sei  es  unverant- 
wortlich, die  besten  Jahre  nichtigen  Eitelkeiten  zu  widmen. 
Petrarca  will  sein  Verfahren  entschuldigen,  indem  er  behauptet, 
es  sei  logisch,  dass  man  in  der  irdischen  Welt  sich  zunächst 
um  das  Irdische,  also  auch  um  den  irdischen  Ruhm  sorge  und 
dann  erst  das  Ewige  nachfolgen  lasse.  Hierauf  entgegnet 
Augustin,  das  heisse  sehr  verkehrt  handeln  und  unzählige 
Menschen  seien  bei  solchen  Versuchen,  den  einen  Fuss  im 
Himmel  und  den  anderen  auf  der  Erde  zu  haben,  in  den  Orcus 
hinabgestürzt.  Auch  möge  Petrarca  nicht  allzu  sehr  auf  die 
göttliche  Gnade  vertrauen,  denn  Gott  hasse  die  leichtsinnig 
Hoffenden.  Augustin  setzt  hierauf  in  längerer  Rede  die  Ver- 
gänglichkeit des  Ruhmes  auseinander,  wobei  er  sich  im  Wesent- 
lichen der  von  Ciceio  im  „Traum  des  Scipio"  entwickelten 
Beweise  bedient  (Kleinheit  und  nur  theilweise  Bewohnbarkeit 
der  Erde,  kurze  Dauer  des  Daseins  der  Menschheit  u.  dgl.), 
derselben  also,  welche  Petrarca  im  Voi'aus  sich  verbeten  hatte. 
Petrarca  fragt,   nachdem  Augustin  geendet  hat,   ob  denn  nun 


646  Dreizehntes  Capitel. 

Augustin  im  vollen  Ernste  von  ihm  fordere,  dass  er  ruhmlos 
durch's  Leben  gehen  solle  oder  ob  er  nicht  vielleicht  einen 
Mittelweg  anzurathen  wisse.  Augustin  entgegnet,  keineswegs 
fordere  er  die  Ruhmlosigkeit,  er  verlange  nur,  dass  Petrarca 
nicht  den  Ruhm  der  Tugend  vorziehe,  der  wahre  Ruhm  sei  der 
Schatten  der  Tugend,  erwerbe  also  Petrarca  die  letztere,  so 
werde  ihm  auch  der  erstere  ganz  sicher  zu  Theil  werden. 
Durch  irdische  Bestrebungen  aber,  wie  z.  B.  durch  das  Bücher- 
schreiben, werde  nur  ein  klägliches  und  nichtiges  Scheinbild 
des  Ruhmes  erlangt  und  thöricht  sei  es,  einem  solchen  nach- 
zujagen; Petrarca  solle  daher  ruhig  sein  Geschiehtswerk  und 
seine  „Africa"  unvollendet  liegen  lassen  und  endlich  einmal 
beginnen,  über  den  unausweichbar  nahenden  Tod  und  über  die 
Vergänglichkeit  alles  Irdischen  Betrachtungen  anzustellen. 

Hiermit  endet  das  Gespräch,  nur  dankt  Petrarca  noch 
der  Wahrheit  und  Augustin  für  die  ertheilten  Belehrungen  und 
gelobt,  ihnen  Folge  leisten  zu  wollen,  doch  wolle  er  zuvor  die 
irdischen  Geschäfte  erledigen,  um  sich  dann  desto  ungestörter 
der  Betrachtung  des  Ewigen  widmen  zu  können. 

Wir  haben  nicht  nöthig,  über  das  merkwürdige  Buch, 
dessen  Inhalt  wir  so  eben  skizzirt  haben,  weitläufige  Betrach- 
tungen anzustellen.  Ein  Jeder  wird  unschwer  erkennen,  worin 
des  Buches  Bedeutung  zu  suchen  ist.  Wir  sehen  —  so  darf 
man  vielleicht  in  Kürze  sich  ausdrücken  —  in  diesem  Buche 
die  schweren  Geburtswehen  sich  vollziehen,  unter  denen  der 
moderne  Mensch  von  dem  mittelalterlichen  sich  losrang.  Wir 
schauen  als  Leser  dieses  Buches  dem  gewaltigen  Kampfe  zu,  der 
zwischen  zwei  einander  schroff  gegenüberstehenden  Cultur-  und 
Denkformen  im  Innern  der  Menschenbrust  gekämpft  werden 
musste,  wir  sehen,  wie  das  moderne  Streben  nach  Lebensgenuss 
und  irdischem  Lebensglück  sich  seine  Berechtigung  erstreiten 
will  gegen  das  mittelalterliche  Streben  nach  Weltentsagung 
und  nach  der  Seligkeit  im  Jenseits.  Man  könnte  das  Buch 
geradezu  die  Gründungsurkunde  des  Humanismus  und  der 
Renaissance  und  einen  Absagebrief  an  das  Mittelalter  nennen. 
Scheinen  möchte  es  freilich,  als  trete  Petrarca,  der  Begründer 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  647 

des  Humanismus,  indem  er  den  Mahnungen  Augustin's  Folge 
zu  leisten  gelobt,  auf  den  Boden  der  mittelalterlich-asketischen 
Anschauungsweise  zurück,  aber  es  ist  dies  eben  nur  ein 
Schein,  denn  man  erkennt  deutlich,  wie  das  Gelöbniss  Petrarca's 
nur  ein  mit  der  Zunge,  nicht  mit  dem  Herzen  gegebenes  ist, 
wie  er  denn  ja  auch  ausdrücklich  erklärt,  sich  zunächst  dem 
Irdischen  und  erst  später,  d.  h.  in  einer  ganz  unbestimmten 
und  nicht  herbeigewünschten  Zukunft,  dem  Ewigen  widmen  zu 
wollen.  Petrarca  entsagt  trotz  aller  seiner  Zerknirschung  nicht 
seiner  Liebe  und  nicht  dem  Streben  nach  Ruhm,  und  wenn  er 
auch  aus  persönlicher  Schwäclie  zu  einem  äusserlichen  Zuge- 
ständnisse an  das  mittelalterliche  Denken  und  Empfinden  sich 
versteht,  so  bleibt  er  doch  in  seinem  Innern  dem  modernen 
Denken  und  Empfinden,  dessen  erster  Vertreter  er  ist,  getreu. 
Das  wird  schon  durch  die  Thatsache  selbst  bezeugt,  dass  er  dieses 
Büchlein  geschrieben  hat.  Denn  der  Gedanke  sowol  wie  die 
Ausführung  desselben  sind  durchaus  modern.  Nur  ein  moderner, 
d.  h.  seiner  Individualität  sich  vollbewusster  und  derselben  sich 
freuender  Mensch  konnte  den  Gedanken  fassen,  sein  eigenes  Ich 
zum  Objecte  einer  halb  kritischen  halb  selbstgefälligen  Betrach- 
tung zu  machen,  nur  ein  moderner  Mensch  konnte  Befriedigung 
darin  finden,  die  Gefühle  und  Strebungen  seines  Inneren  zu 
lielauschen  und  sie  bis  in  ihre  feinsten  Fasern  hinein  anatomisch 
zu  zergliedern.  Ein  Mensch  des  Mittelalters  wäre  zu  solchem 
Thun  unfähig  gewesen.  Auch  durch  die  Einzelheiten ,  welche 
wir  in  dem  Buche  lesen,  wird  der  moderne  Charakter  des 
Denkens  und  Empfindens  Petrarca's  bestätigt.  So  erkennen 
wir  namentlich  an  den  von  ihm  so  anschaulich  geschilderten 
Symptomen,  dass  sein  Seelenleiden,  die  „acidia",  nichts  Anderes, 
als  der  Weltschmerz  ist,  also  jene  für  die  moderne  Cultur 
geradezu  charakteristische  Krankheit  des  seelischen  Lebens. 
Und  interessant  ist  es  hierbei  zu  beobachten,  wie  er  eben  ganz 
augenscheinlich  das  erste  Opfer  dieser  Krankheit  ist  und  wie 
er  selbst  das  deutliche  Bewusstsein  hat,  von  einem  Seelenleiden 
gequält  zu  werden,  welches  neu  und  eigenartig  und  keinem  der 
mitlebenden  Menschen  bekannt  ist,  daher  legt  er  ihm  auch  so 


648  Dreizehntes  Capitel. 

grosse  Bedeutung  bei  und  verweilt  so  lange  bei  seiner  Beschrei- 
bung: er  stellt  sich  eben  selbst  die  Diagnose  und  verschreibt 
sich  als  sein  eigener  Arzt  die  psychischen  Recepte,  wobei  man 
freilich  erkennt,  dass  die  von  ihm  angewandte  Therapie  noch 
eine  sehr  unvollkommene  ist. 

Es  war  ein  überaus  glücklicher  und  einer  wirklich  genialen 
Intuition  entsprungener  Gedanke  Petrarca's,  dem  heiligen 
Augustin  seine  Seelenbeichte  abzulegen.  Kein  Anderer,  als 
der  Verfasser  der  Confessionen  war  geeigneter ,' das  Amt  des 
Beichtigers  an  dem  Begründer  der  Renaissancecultur  zu  voll- 
ziehen. Hatte  doch  Augustin  einst  ebenso,  wie  damals  Petrarca, 
auf  der  Grenzscheide  zweier  innerlich  scharf  geschiedener  Zeit- 
alter gestanden  und  hatte  er  doch  einen  ähnlichen,  nur  freilich 
noch  gewaltigeren  Seelenkampf,  wie  Petrarca,  durchkämpfen 
müssen.  In  Augustins  Confessionen  vollzog  sich  die  Wandelung 
des  antiken  in  den  mittelalterlichen  Menschen,  inPetrarcas  Selbst- 
gesprächen aber  die  Entwandelung  des  mittelalterlichen  Men- 
schen in  den  modenien.  In  den  Confessionen  strebt  das  letzte 
bedeutende  Individuum  des  Alterthums  nach  Ertödtung  der 
Individualität  und  nach  weltentsagender  Beschaulichkeit,  in 
den  Dialogen  über  die  Weltverachtung  ringt  der  erste  moderne 
Mensch  nach  Lösung  der  Individualität  und  nach  irdischem 
Lebensglück.  So  stehen  diese  beiden  Bücher,  gleich  gewaltigen 
Denkmalen  der  Menschheitsgeschichte,  an  den  Eingangspforten 
zweier  bedeutungsvoller  Culturperioden. 

Keiner  Darlegung  Ijedarf  es,  wie  wichtig  die  „Gespräche 
über  die  Weltverachtung"  für  die  Erkenntniss  des  Charakters 
Petrarca's  sind.  Das  innerste  Denken  und  Fühlen  des  grossen 
Mannes  erscheint  uns  hier  rückhaltslos  bloss  gelegt.  Vielleicht 
allerdings  dürfte  das  psychologische  Secirmesser  mit  etwas  ein- 
studirter  Kunst  und  mit  dem  Bestreben,  die  Präparate  recht 
zierlich  und  interessant  zuzuschneiden,  gehandhabt  worden  sein, 
aber  unmöglich  ist  es  doch,  zu  verkennen,  dass  der  Seelen- 
anatom die  Wahrheit  ergründen  und  die  Selbstzergliederung  mit 
Aufrichtigkeit  vollziehen  wollte.  Wahrlich,  eine  solche  Schrift, 
in  welcher  die  verborgensten  Falten  seines  Herzens  aufgedeckt 


Die  Bücher  über  die  Weltverachtung.  649 

wurden,  konnte  der  Verfasser  mit  Recht  „sein  Geheimniss", 
oder  „das  Buch  von  dem  Widerstreite  seiner  Sorgen  (de  con- 
flictii  curaruni  suarum)"  nennen.  — 

Die  Frage,  wann  und  wo  die  merkwürdige  Schrift  abge- 
fasst  worden  sei,  lässt  eine  doppelte  Beantwortung  zu.  Die 
ausdrückliche  Angabe  im  zweiten  Gespräche  (p.  398),  dass 
Petrarca's  Liebe  zu  Laura  nun  bereits  in  das  sechszehnte  Jahr 
hinein  —  so  viele  Jahre,  als  einst  Hannibal  in  Italien  weilte- 
—  währte,  führt  uns,  da  Petrarca's  Leidenschaft  mit  dem  6, 
April  1327  begann,  in  das  Jahr  1342  und  Petrarca  würde  dem- 
nach die  Schrift  in  Vaucluse  abgefasst  haben,  womit  gut  über- 
einstimmt, dass  ihm  von  Augustin  als  ein  Heilmittel  gegeji 
seine  Leidenschaft  eine  Reise  nach  Italien  anempfohlen  wird 
(vgl.  oben  S.  643).  Wenn  dagegen  auf  den  frühestens  im 
Winter  1353  stattgefundenen  Brand  des  Häuschens  Petrarca's 
in  Vaucluse  Bezug  genommen  wird  (vgl.  oben  S.  637)  und  wenn 
Augustin  Petrarca  tadelt,  dass  er  das  Landleben  aufgegeben 
habe  und  des  Gelderwerbes  wegen  in  einer  grossen  Stadt  sich 
aufhalte  (vgl.  oben  S.  634),  so  können  wir  frühestens  das  Jahr 
1354  als  Zeit  und  Mailand  als  Ort  der  Abfassung  annehmen. 
Wie  mag  dieser  Widerspruch  zu  lösen  sein  ?  Wol  nur  dadurch, 
dass  man  annimmt,  die  Schrift  sei  ursprünglich  im  Jahre  1342 
zu  Vaucluse  verfasst  und  dann  später,  vielleicht  1354,  zu 
Mailand  überarbeitet  worden,  wie  ja  Petrarca  an  allen  seinen 
Schriften  Jahrzehende  hindurch  gearbeitet  und  gebessert  hat. 
Auffallend  muss  es  freilich  erscheinen,  dass  Petrarca  bei  der 
präsumtiven  Ueberarbeitung  keinen  Bezug  auf  den  inzwischen 
erfolgten  Tod  Laura's  genommen  hat,  indessen  muss  anderer- 
seits berücksichtigt  werden,  dass  er  dies  nicht  thun  konnte, 
ohne  die  ganze  Anlage  der  Schrift  zu  zerstören.  Vielleicht 
auch  l)eschränkte  sich  die  Ueberarbeitung  eben  nur  auf  den 
Einschub  des  betreffenden  Passus  über  die  Habgier,  welchen 
hinzuzufügen  Petrarca  bei  aufrichtiger  Selbstprüfung  wol  in 
Mailand,  nicht  aber  in  Vaucluse  sich  veranlasst  fühlen  musste. 

Wir  schliessen  hiermit  die  Betrachtung  der  Prosaschriften 
Petrarca's  und  wenden  uns  seinen  Dichtungen  zu. 


Vierzehntes  Capitel. 
Die  lateinischen  Dichtungen. 


Xetvarca  fasste,  und  es  ist  dies  ausserordentlich  wichtig 
für  die  Beurtheilung  seiner  Poesien,  die  Aufgabe  und  das 
Wesen  der  Dichtung  anders  auf,  als  wir  modernen  Menschen 
es  zu  thun  pflegen.  Die  Dichtung  sollte  nach  seiner  ^Meinung 
durchaus  allegorisch  sein  und  moralischen  Tendenzen  dienen. 
„Die  Aufgabe  des  Dichters",  sagt  er^)  „ist  zu  täuschen,  d.  h. 
zusammenzusetzen  und  auszuschmücken  und  die  Realität  der 
irdischen  oder  allgemein  natürlichen  oder  irgend  welcher  Dinge 
mit  kunstvollen  Schilderungen  zu  umschreiben  und  mit  dem 
Schleier  anmuthiger  Täuschung  zu  verhüllen,  so  dass,  wenn 
derselbe  entfernt  wird,  die  Wahrheit  leuchtend  hervortritt  und 
um  so  lieblicher  erscheint,  je  schwieriger  sie  zu  finden  war". 
Ganz  ähnlich  sagt  er  ein  anderes  Mal  -) :  „Das  Bestreben  des 
Dichters  ist  es,  die  Wahrheit  der  Dinge  mit  lieblichen  Hüllen 


^)  Ep.  Sen.  XII  2:  „officium  (poetae)  est  fingere  id  est  componere 
atque  ornare  et  veritatem  rerum  vel  mortalium  vel  naturalium  vel  quarum- 
libet  aliarum  artificiosis  adumbrare  coloribus,  velo  amoenae  fictionis  obnu- 
bere,  quo  remoto  veritas  elucescat,  eo  gratior  inventu  quo  difficilior  sit 
quaesitu."  Ganz  ähnlich  de  remed.  utr.  fort.  I  46.  Man  vgl.  auch  Ep. 
poet.  lat.  II  11  V.  15.5  flt.  u.  190  ff.,  sowie  II  2  v.  24  ff.    Vgl.  oben  S.  180  f. 

-J  Invect  in  med.  I  p.  1205  u.  III  p.  1219,  an  welcher  letzteren  Stelle 
eine  ziemlich  ausführliche  Erörterung  gegeben  wird. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  651 

auszuschmücken,  so  dass  sie  der  ungebildeten  grossen  Masse 
vulgTis  insulsum)  verborgen  bleibt,  den  geistvollen  und  streb- 
samen Lesern  aber  um  so  reizender  aufzufinden  ist,  als  sie 
schwierig  zu  suchen  war".  Petrarca  hat  diese  Definition  nicht 
geschaffen,  er  fand  sie  bereits  fast  wörtlich  bei  den  christlich- 
lateinischen  Autoren,  namentlich  bei  Lactanz  (Inst.  I.  p.  36  ed. 
Bipont.)  und  von  dort  her'hat  er  sie  sich  angeeignet.  Und  er 
mochte  um  so  mehr  an  ihre  Eichtigkeit  glauben,  als  er  die 
allegorische  Tendenz  bereits  in  der  späteren  römischen  Poesie, 
ja  selbst  schon  bei  Virgil  (besonders  in  den  Eklogen),  herrschen 
sah  und  also  meinen  konnte,  dass  die  Allegorie  wirklich  ein 
nothwendiges  Erforderniss  der  Poesie  sei.  Ueberdies  lebte  er, 
um  so  zu  sagen,  in  der  vollen  Atmosphäre  der  Allegorie.  Die 
Dichtkunst  seines  Zeitalters  war  durch  und  durch  allegorisch. 
Sein  nächster  Vorgänger  auf  dem  italienischen  Parnasse  hatte 
in  der  „Divina  Commedia"  das  vollendete  Meisterwerk  alle- 
gorisirender  Dichtung  geschaffen,  in  Frankreich  herrschte  der 
von  Allegorie  geradezu  strotzende  Roman  von  der  Ptose,  selbst 
im  fernen  England  hatte  die  Allegorie  durch  William  Langley's 
tiefsinnige  Dichtung  von  Peter  dem  Pflüger  (Piers  Ploughman) 
die  unbestrittene  Vorherrschaft  auf  dem  poetischen  Gebiete 
errungen. 

Zwei  Factoren  hatten  zusammengewirkt,  um  während  des 
späteren  Mittelalters  der  Allegorie  eine  so  hervorragende  und 
allgemeine  Geltung  zu  verleihen.  Der  eine  war  der  noch  mäch- 
tige Einfluss  der  christlichen  Weltanschauung,  welche  in  allem 
Irdischen ,  selbst  in  der  Thier-  und  Pflanzenwelt ') ,  nur  ein 
Symbol  des  Ewigen  erblickte  und  allüberall  Hindeutungen  auf 
die  Heilsgeschichte  fand.  Der  andere  aber  bestand  in  einer 
psychologischen  Thatsache,  welche  auch  anderwärts,  namentlich 
aber  im   Römerthume,   sich  geltend  gemacht  hat.     Wenn   die 

^j  Ueber  die  hochinteressante  und  namentlich  auch  für  das  Verständniss 
der  bildenden  Kunst  des  Mittelalters  wichtige  christliche  Thiersymbolik 
vgl.  man  den  schönen  Aufsatz  von  E.  Kollof  „die  sagenhafte  und  sym- 
bolische Thiergeschichte  des  Mittelalters"  in  Raumers  histor.  Taschenhuche. 
4.  Folge.     Bd.  VII  (1867)  p.  177  ff. 


ß52  Vierzehntes  Capitel. 

dichterisclie  Phantasie  aus  irgend  welchem  Grunde  sich  nicht 
voll  zu  entwickeln  vermag,  wie  dies  bei  den  Piöraern  geschehen 
ist,  oder  wenn  sie,  wie  bei  den  alternden  Völkern  des  späteren 
Mittelalters,  zu  erlahmen  beginnt,  so  verbindet  sie  sich  mit 
dem  reflectirenden  Verstände  und  die  Frucht  dieses  Bandes 
ist  die  Allegorie:  der  reflectirende  und  nach  bestimmten,  meist 
ethischen  Zielen  strebende  Verstand  ist  ihr  Vater,  die  nicht 
zur  Vollreife  gelangte  oder  nach  angestrengter  Tliätigkeit 
ermattete  Phantasie  ist  ihre  Mutter.  Wohl  ist  auch  in  der 
Allegorie  die  Phantasie  noch  thätig,  aber  sie  vermag  nur  noch 
unter  der  Leitung  des  Verstandes  zu  arbeiten,  oder  wenn  sie 
ja  zuweilen  noch  selbstthätig  zu  sein  wagt,  da  vermag^  sie  nur 
noch  unklare,  verschwommene  und  nebelhafte,  höchstens  unge- 
heuerliche und  verzerrte  Gestalten  zu  erzeugen,  die  aller 
Plastik  und  Harmonie  entbehren  und  die  Gesetze  der  Schönheit 
verhöhnen.  —  Es  möge  hier  genügen,  dies  angedeutet  zu  haben, 
denn  eine  eingehendere  Untersuchung  darüber  zu  führen, 
würde,  so  sehr  der  Gegenstand  auch  reizen  mag,  doch  nicht 
hier  der  geeignete  Ort  sein. 

So  verblieb  denn  Petrarca  in  seiner  Anschauung  von  der 
Poesie,  wenigstens  in  der  Theorie,  durchaus  und  grundsätzlich 
auf  dem  Standpunkte  des  späteren  Mittelalters:  es  waren  für 
ihn  Poesie  und  Allegorie  zu  einer  Art  von  mystischer,  nur  den 
Eingeweihten  verständlicher  Einheit  verbunden  und  in  letzter 
Instanz  war  ihm  die  Poesie  nur  das  Mittel  für  den  Zweck  der 
Belehrung,  nur  die  Hülle,  mit  welcher  die  Lehren  der  Weis- 
heit in  geistvollem  Spiele  umgeben  werden  sollten,  um  in  an- 
muthiger  Form  dem  Gemüthe  sich  einzuprägen.  Er,  der 
Wiederbeleber  des  classischen  Alterthums,  er,  der  Begründer 
der  modernen  Cultur,  er,  der  begeisterte  Freund  der  ländlichen 
Katur,  erkannte  nicht,  dass  Natürlichkeit  die  Grundbedingung 
und  das  Grundwesen  jeder  wahren  Poesie  sein  müsse  und  dass 
die  wahre  Poesie  ertödtet  wird,  sobald  sie  aufhört,  sich  Selbst- 
zweck zu  sein,  und  anderen,  ausser  ihrer  selbst  liegenden 
Zwecken  zu  dienen  beginnt.  Der  grosse  und  unleugbar  poetisch 
hochbegabte  Mann  hat  hier   eine   merkwürdige  und  für  seine 


Die  lateinischen  Dichtungen.  (553 

eigene  dichterische  Thätigkeit  höchst  nachtheilig  gewordene 
Befangenheit  des  Blickes  gezeigt,  welche  sich  nur  dadurch  er- 
klären lässt,  dass  er  in  den  fast  immer  bestimmte  Tendenzen 
verfolgenden  und  oft  auch  schon  allegorisirenden  Kunstpoeten 
des  Römerthums  seine  Muster  und  Meister  erblickte  und  nicht 
in  den  die  Natur  als  ihre  erhabene  Lehrerin  verehrenden 
Dichtern  des  Hellenenthums  —  es  zeigt  sich  eben  auch  hier 
wieder  das  nachtheilige  Vorwiegen  des  römischen  Einflusses  in 
der  Renaissancebildung.  Aber  auch  durch  seinen  Hang  zur 
unbedingten  kirchlichen  Gläubigkeit  und  zur  religiösen  Mystik 
mochte  Petrarca  bestärkt  und  festgehalten  werden  in  seiner 
Meinung  von  dem  unlöslichen  Verbundensein  der  Poesie  mit  der 
Allegorie.  Indessen  blieb  diese  Meinung  —  es  darf  dies  durch- 
aus nicht  übersehen  werden  —  in  ihrer  vollen  Schärfe  nur 
eine  theoretische,  in  der  Praxis  hat  er  sie,  wie  ja  in  einem 
gesunden  Geiste  die  Natur  stets  die  Fesseln  einer  vermeint- 
lichen Kunst  zu  durchbrechen  vermag,  oft  genug  verlaugnet, 
und  gar  manche  poetische  Episteln,  gar  manche  Lieder  hat  er  ge- 
dichtet, welche  durchweht  sind  von  dem  Hauche  einer  frischen 
und  gesunden  Natürlichkeit.  Auch  in  der  Theorie  ging  er  in 
dem  Verlangen,  dass  die  Poesie  Wahrheit  schildern  solle, 
keineswegs  so  weit,  dass  er  einem  geistlosen  Copiren  der  Natur, 
einem  nüchternen  Realismus  das  Wort  geredet  hätte,  sondern 
er  forderte  vielmehr  ausdrücklich,  dass  der  Dichter,,  wie  der 
Maler  die  Natur  idealisiren  und  dass  die  poetische  Wahrheit 
der  realen  zwar  ähnlich,  jedoch  nicht  congruent  sein  solle'). 
Von  der  Würde  der  Poesie  aber  besass  er  eine  sehr  hohe 
Meinung  und  vertheidigte  sie  mit  warmer  Beredtsamkeit  gegen 
gelegentliche  Anfechtungen  2) ,  nur  die  dramatische  Dichtkunst 
wagte  er,  da  Piaton,  wie  Augustin  (deciv.DeiU.  14)  auseinander- 
setze, sie  verurtheiit  habe,  nicht  zu  vertheidigen,  sondern  er- 
klärte sie  für   eine  unwürdige  und  selbst  unsittliche  Kunst  ^), 


1)  Ep.  Fam.  XXIII  19. 

-)  Ep.  Sen.  XIV  11.    Invect.  in  med.  II  p.  1215  ff. 

")  Man  sehe  die  eben  citirte,  sehr  ausführliche  Stelle  in  den  Invectiven. 


654  Vierzehntes  Capitel. 

wobei  man  berücksichtigen  muss,  dass  zu  seiner  Zeit  die 
dramatische  Poesie  der  Italiener  in  der  That  kaum  ein  besseres 
Urtheil  verdiente. 

Indem  wir  nun  Petrarca' s  lateinische  Dichtungen  näher 
betrachten  wollen,  tritt  uns  zunächst  sein  grosses  Epos  „Africa'' 
entgegen,  durch  welches  er  sich  die  Unsterblichkeit  erringen 
zu  können  gehofft  hatte.  Zum  Helden  dieser  Dichtung,  welcher 
er  den  Namen  „Africa"  in  Ei'innerung  dessen  beilegte,  dass 
einst  der  Kaiser  Augustus  ein  Epos  „Sicilia"  verfasst  hatte  ^), 
erkor  er  sich  den  ,, Sternenjüngling"  Scipio  Africanus,  den  hoch- 
herzigen Besieger  HannibaFs  und  Carthago's.  Wir  haben  früher 
erzählt,  wie  er  einst  an  einem  Charfreitage ,  wahrscheinlich 
des  Jahres  1339,  den  ersten  Gedanken  dieser  Dichtung  gefasst 
(vgl.  oben  S.  158)  und  wie  er  dann,  als  er  im  Jahre  1341 
auf  der  Rückkehr  von  der  Dichterkrönung  im  lieblichen 
Selvapiana  weilte,  sie  vollendet  zu  haben  gemeint  hatte  (vgl. 
oben  S.  199).  Es  war  dies  ein  Wahn  gewesen,  die  Dichtung 
blieb,  innerlich  wenigstens,  unvollendet,  obwol  Petrarca  noch 
lange  Jahre  sich  mit  ihr  beschäftigte  und  noch  im  Jahre  1852  den 
Gedanken  an  ihre  Vollendung  festhielt^).  Schliesslich  aber 
musste  der  Dichter  doch  erkennen ,  dass  er  der  Aufgabe .  die 
er  sich  gestellt,  nicht  gewachsen  oder  auch  dass  diese  Aufgabe 
falsch  gewählt  sei,  und  er  entsagte  seinem  Werke,  das  er  einst 
für  das  •  Lieblingskind  seiner  Muse  gehalten  hatte.  Ja,  die 
frühere  Liebe  zu  der  Dichtung  verwandelte  sich  in  Abneigung, 
und  in  den  Jahren  seines  Alters  schämte  er  sich  sogar  des 
Jugendwerkes  und  wurde  peinlich  berührt,- wenn  man  davon 
sprach  ^).  So  wurde  die  „Africa"'  während  des  Dichters  Lebens- 
zeit, mit  der  gleich  zu  besprechenden  Ausnahme  eines  gering- 
fügigen Bruchtheiles ,  nie  veröffentlicht,  doch  kaum  hatte 
Petrarca  die  Augen  geschlossen,  als  Boccaccio  und  Coluccio 
Salutato,  später  auch  Paolo  Vergerio   sich   um  eine  Abschrift 


^)  Suet.  Aug.  c.  85,  cf.  Rer.  mem.  1  2. 

'^)  Ep.  Fam.  XIII  11. 

^)  Vergerius  b.  Tomasini,  Petr.  Rediv.  p.  183. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  655 

bemühten  ^),  nachdem  die  Befürchtung,  dass  der  Verfasser,  dem 
Beispiele  Virgil's  folgend,  die  Vernichtung  des  unbeendeten 
Werkes  testamentarisch  verfügt  habe  2),  sich  als  unbegründet 
erwiesen  hatte. 

Als  Petrarca  im  Jahre  1343  als  Gesandter  des  Papstes  in 
Neapel  weilte ,  hatte  er  seinem  Freunde  Barbato  da  Sulmona 
auf  dessen  dringende  Bitten  eine  Abschrift  von  34  Versen  des 
sechsten  Buches  (v.  885 — 919,  Tod  des  Mago)  zu  nehmen  ge- 
stattet. Er  sollte  diese  freundstliaftliche  Willfährigkeit  bitter 
zu  bereuen  haben.  Barbato  blieb  dem  Versprechen,  die  Verse 
in  keiner  Weise  weiter  verbreiten  zu  wollen,  nicht  treu  und 
bald  gelangten  Abschriften  des  Bruchstückes  all  überallhin,  so- 
weit der  jugendliche  Humanismus  vorgedrungen  war.  Natür- 
lich wurde  es  auch  in  Florenz  bekannt,  und  einige  der  dortigen 
Kunstrichter  erlaubten  sich,  ungeblendet  von  dem  Ruhme  des 
lorbeergekrönten  Dichters,  das  Fragment  zum  Gegenstande  einer 
scharfen  Kritik  zu  machen.  Sie  warfen  es  Petrarca  als  eine 
Ungereimtheit  vor,  dass  er  den  sterbenden  Mago  eine  so  lange 
und  weisheittriefende  Rede  halten  lasse ,  die  ein  Sterbender 
aus  physischem  Unvermögen  und  ein  junger  Mann  (iuvenis), 
als  welcher  Mago  bezeichnet  werde,  aus  psychologischen  Gründen 
gar  nicht  halten  könne ;  sie  tadelten  es  ferner  als  einen  Ana- 
chronismus, dass  diese  Rede  ein  christliches  Colorit  trage. 
Man  kann  sich  denken,  wie  heftig  der  gegen  alle  litterarische 
Angriffe  so  überaus  empfindliche  Dichter  aufbrauste,  als  er 
von  dieser  Kritik  Kenntniss  erhielt.  Trotzdem  dass  er  da- 
mals ^  es  war  im  Jahre  1363  —  gewiss  schon  längst  selbst 
Zweifel  an  der  Vortrelflichkeit  seiner  „Africa"  hegte,  hielt  er 
es  doch  für  nöthig,  in  einer  geharnischten  Epistel  an  seinen 
tiorentiner  Freund  Francesco  Bruni  die  erhobenen  kritischen 
Bedenken  zurückzuweisen,  freilich  ohne  dass  ihm  dies  sonder- 


^)  Das  Nähere  hierüber  und  über  die  Handschrift  der  „Africa"  über- 
haupt sehe  man  b.  Mehus,  p.  337  u.  b.  Corradini  in  dem  prooemium  zu 
seiner  Ausgabe  (in  ,Padova  a  Petrarca'  p.  83  ff.). 

-)  Villani  b.  Mehus,  p.  196. 


656  '  Vierzehntes  Capitel. 

lieh  gelungen  wäre  ^j.  Jene  34  Verse  sollten  ülnigens  noch  nach 
vier  Jahrhunderten  für  Petrarca  verhängnissvoll  werden.  Der 
französische  Philologe  J.  B.  Lefebvre  de  Villebrune,  welcher 
im  Jahre  1781  eine  Ausgabe  der  „Punica"  des  Silius  Italicus 
mit  französischer  Uebersetzung  veranstaltete,  hatte  dies  Bruch- 
stück der  ,,Africa"  in  einem  pariser  Miscellancodex  entdeckt, 
für  einen  Bestandtheil  der  ., Punica"  gehalten,  sie  in  das 
16.  Buch  derselben  nach  v.  28  eingereiht  und  Petrarca  kühn 
des  Plagiates  bezüchtigt  ^j.  Schon  am  Style  hatte  er  zu  er- 
kennen veimeint  -  und  man  möge  daraus  ersehen,  wie  trüg- 
lich  solche  ästhetische  Urtheile  sein  können  — ,  dass  diese 
Verse  nicht  von  Petrarca  geschrieben  seien,  denn  er  fand,  dass 
sie  unter  den  übrigen  Versen  desselben  hervorragten  ,,wie 
Cypressen  unter  trägem  Gesträuche." 2)  Es  genügt,  um  Le- 
febvre's  leichtfertige  Anklage  zu  widerlegen,  auf  die  Thatsache 
hinzuweisen,  dass  erst  im  Jahre  1417  von  Poggio  oder  vielmehr 
von  Bartholomaeus  Politianus  zu  St.  Gallen  eine  Handschrift 
der  „Punica"  aufgefunden  worden  ist^). 

Wir  geben  nun  im  Folgenden  zunächst  eine  üebersicht 
des  Inhaltes  der  „Africa"  ^),  wobei  wir  uns  jedoch  im  Interesse 
unserer  Leser  der  kürzesten,  registerartigen  Form  bedienen 
und  auch  nur  in  einzelnen  Fällen  auf  die  Quellen  der  Dichtung 
hinweisen  werden,  denn  selbstverständlich  ist  es  ja,  dass 
Petrarca,  soweit  er  historischen  Stoif  reproducirte,  sich  auf  die 
römischen  Geschichtsschreiber  des  zweiten  punischen  Krieges, 
vor  allen  auf  Livius  und  Florus,  stützen  musste;  eingehende 
Quellennachweise   würden,     wie   wir    meinen,    sowol    an  sich 


^)  Diese  ganze  Erzählung  nach  Ep.  Sen.  II  1. 

'^)  vgl.  Corradini  in  ,Padova  a  Petrarca'  p.  455  und  Fracassetti,  Lett. 
fam.  V  p.  290  ff. 

^)  „quantum  lenta  solent  inter  viburna  cupressi"  Verg.  Ecl.  I  25. 

*)  vgl.  Teuffei.  a.  a.  0.  §  320,  5  u.  Occioni,  Cajo  Silio  Italico  e  il  suo 
poe.Tna  (2.  ed.  Florenz  1871),  p.  116  ff. 

"')  Eine  eingehende  Analyse  der  „Africa"  hat  Bruce- Whyte  im  dritten 
Bande  seines  wunderlichen  Werkes  Hist.  des  lang.  rom.  et  de  leur  litt. 
(Paris,  1841)  gegeben. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  657 

ziemlich  zwecklos  als  auch  dem  allgemein  litterargeschichtlichen 
Charakter  unseres  Buches  unangemessen  sein. 

Erstes  Buch.  Anrufung  der  Musen  (v.  1 — 10)  und 
Christi  (v.  10—18).  Schön  motivirte  und  in  die  eleganteste 
Form  gekleidete  Widmung  des  Werkes  an  König  Robert 
(v.  19 — 70).  Die  Ursachen  des  zweiten  panischen  Krieges 
(v.  71-109,  vgl.  Liv.  XXI  1  und  Flor.  1  22);  kurze  Charak- 
teristik der  drei  punischen  Kriege  (v.  110—114,  vgl.  Flor.  I 
31  [II  15]). 

Scipio  („sidereus  iuvenis")  hatHispanien  von  den  Carthagern 
l>efreit.  Hasdrubal  ist  vor  ihm  entflohen  und  glaubt  sich  erst 
in  Sicherheit,  als  er  das  maurische  Gestade  erreicht  hat 
(v.  115 — 126).  Scipio,  an  den  Ufern  des  Oceans  genöthigt, 
die  Verfolgung  des  Feindes  aufzugeben,  beklagt  diese  ihm  von 
der  Natur  auferlegte  Nothwendigkeit  um  so  mehr,  als,  während 
er  in  Spanien  Siege  erficht,  Rom  selbst  von  Hannibal  noch 
bedrängt  wird,  und  Carthago  noch  aufrecht  steht  (v.  127— 153). 
Nach  einer  soi'genvollen  Nacht  ist  er  bei  Anbruch  der  Morgen- 
ilämmerung  endlich  eingeschlafen.  Im  Traume  erscheint  ihm 
sein  Vater,  zeigt  ihm  die  Stadt  Carthago  und  verheisst  ihm, 
dass  er  sie  einst  zerstören  werde  (v.  154—198,  vgl.  Cic.  de 
republ.  VI  11  =  Somn.  Scip.  2).  Scipio  kann  sich  bei  dem 
Anblicke  seines  wundenbedeckten  Vaters  der  Thränen  nicht 
enthalten  und  bricht  in  Klagen  aus.  Der  Chor  der  Seligen  — 
ileun  in  deren  Wohnstätte  ist  Scipio  an  der  Hand  seines  Vaters 
versetzt  worden  —  staunt  über  diese  ihm  längst  fremd  gewordenen 
irdischen  Klagetöne  (v.  199—223).  Der  ältere  Scipio  erzählt 
seinem  Sohne  seinen  und  seines  Bruders  (Gnaeus)  Tod  (v.  224 
bis  330 ,  vgl.  Liv.  XXV  33—36 ,  doch  i§t  die  Erzählung  von 
Petrarca  sehr  beträchtlich  und  sehr  selbständig  erweitert  und 
ausgeschmückt  worden).  Scipio  fragt  seinen  Vater,  ob  er  denn 
wirklich,  nachdem  er  doch  auf  Erden  gestorben,  noch  lebe, 
worauf  dieser  ihn  belehrt,  dass  eben  erst  das  Leben  nach  dem 
irdischen  Tode  in  der  Wohnstätte  der  Seligen  das  wahre  Leben 
sei,   und   deutet  zum  Beweise  auf  die  sich  nahenden  Schaaren 

Körting,  Petrarca.  42 


658  Vierzehntes  Capitel. 

der  Verklärten  hin.  Der  jüngere  Scipio  bittet  seinen  Vater,  ihm 
die  Namen  der  Verklärten,  von  denen  viele  ihm  bekannt  erscheinen, 
nennen  zu  wollen  (v.  331—359,  vgl.  Cic.  de  republ.  VI  14  = 
Somn.  Scip,  3).  Der  ältere  Scipio  zeigt  seinem  Sohne  die  ver- 
klärten Gestalten  des  Marcellus,  des  Crispinus,  des  Fabius 
Maximus  Cunctator  und  des  Aemilius  Paulus  (v.  360—418). 
Der  ältere  Scipio  lehrt  seinen  Sohn ,  dass  das  irdische  Leben 
nicht  freiwillig  verlassen  werden  dürfe,  wenn  man  zu  dem 
Sitze  der  Seligen  gelangen  wolle,  sondern  dass  nur  die  beharr- 
liche und  ausdauernde  Uebung  der  Tugend,  zumal  im  Dienste 
des  Vaterlandes  ^) ,  den  Weg  zum  Himmel  bahne  (v,  419  bis 
500,  vgl.  Cic.  de  republ.  VI  13  und  15  =  Somn.  Scip.  3  von 
„quaeso  inquam  quem  video"  und  von  „nihil  est  —  appellan- 
tur").  Der  ältere  Scipio  zeigt  seinem  Sohne  die  verklärten 
Gestalten  der  sechs  ersten  römischen  Könige  (v.  501  —  536), 
indem  er  hinzufügt,  dass  der  siebente  König  (Tarquinius  Super- 
bus), der  in  der  Reihe  vermisst  werde,  seiner  Laster  wegen 
nicht  in  den  Himmel  aufgenommen,  sondern  in  die  Unterwelt 
hinabgestossen  worden  sei  (v.  537—548),  ferner  zeigt  er  ihm 
die  verklärten  Gestalten  der  drei  Horatier  und  des  Valerius 
Publicola.  Als  nun  der  jüngere  Scipio  noch  über  andere  Persön- 
lichkeiten unterrichtet  sein  will ,  bricht  sein  Vater  unter  Hin- 
weis auf  den  anbrechenden  Tag  das  Gespräch  ab,  womit  auch 
das  Buch  beschlossen  wird  (v.  549—594). 

Zweites  Buch.  Das  Gespräch  zwischen  den  beiden 
Scipionen  wird  auf  des  jüngeren  Bitten  nochmals  aufgenommen, 
und  der  ältere  prophezeiht  nun  seinem  Sohne,  der  Enthüllungen 
über  die  Zukunft  zu  erlangen  wünscht,  zunächst  die  ihm  be- 
vorstehenden eigenen  Schicksale,  namentlich  den  Sieg  über 
Hannibal,  sodann  entwirft  er  ihm  in  gedrängten  Zügen  ein 
Bild  der  römischen  Geschichte  bis  zum  Triumphe  des  Vespasian 
und  Titus  über  das  besiegte  Judäa  (v,  1 — 278,  als  Vorbild  hat 
natürlich   die   bekannte  Prophetie   des  Anchises   im  6.  Buche 


^)  Indessen  schränkt  Petrarca  dies  ein:   „—  quae  debita  virtus  Magna 
patri,  patriae  niaior,  sed  maxima  summo  Ac  perfecta  Deo." 


Die  lateinischen  Dichtungen.  659 

der  Aeneis  gedient). ')  Hiernach  weissagt  er  (der  ältere  Scipio) 
den  einstigen  Verfall  Roms  und  den  Uebergang  des  Imperiums 
an  syrische,  gallische,  griechische  und  schliesslich  an  deutsche 
Herrscher:  es  werde  eine  Zeit  kommen,  in  welcher  es  keinen 
wahren  römischen  Bürger  mehr  geben  ^i  und  in  welcher  Koni 
altersschwach  dahinsiechen  werde,  nichtsdestoweniger  aber 
werde  auch  das  alternde  Rom  noch  die  Königin  der  Welt 
bleiben  und  diesen  heiligen  Titel  immer  bewahren  (v.  279—383). 
Der  ältere  Scipio  erinnert  seinen  Sohn  unter  Hinweis  auf  die 
Kleinheit  des  bewohnbaren  Erdenraumes  und  auf  die  Hinfällig- 
keit alles  Irdischen  an  die  Nichtigkeit  und  Vergänglichkeit  des 
Nachruhmes  und  lehrt  ihn,  dass  er  einzig  nach  der  Seligkeit 
des  Himmels,  welche  allein  durch  die  Tugend  erlangt  werden 
könne,  streben  müsse,  bei  welchem  Handeln  ihm  übrigens  der 
Ruhm  ganz  von  selbst,  wie  ein  Schatten,  nachfolgen  werde. 
Schliesslich  macht  Scipio  den  Sohn  noch  mit  den  ihm  bevor- 
stehenden späteren  Lebensschicksalen,  namentlich  mit  seiner 
Verbannung,  bekannt,  ermahnt  ihn  jedoch  zugleich,  seine  un- 
dankbaren Mitbürger  nicht  anders  zu  bestrafen,  als  durch  die 
Weigerung,  sein  Grab  auf  dem  Boden  der  Heimath  zu  suchen. 
Hierauf  erwacht  der  jüngere  Scipio  aus  seinem  Traume 
(V.  334-557,  vgl.  Cic.  de  republ.  VI  20  =  Somn.  Scip.  6 
und  Schlusssatz  von  de  republ.  VI  16  =  Somn.  Scip.  3). 

Der  Dichter  hat  es  sich  in  diesem  Abschnitte  nicht  versagen 
können,  sich  selbst  zu  verherrliclien :  er  lässt  den  fiteren  Scipio 


^)  Im  Einzelnen  werden  in  diesem  Abschnitte  genannt:  Scipio  Asiaticus, 
Glabrio,  Mummius,  Flamininus,  die  Scauri,  Drusi  und  Metelli,  die  Neronen 
und  die  Aemilier  (von  denen  der  jüngere  Scipio  Africanus  besonders  her- 
vorgehoben wird,  V.  145  ff.j,  Sulla,  Marius  (v.  156  —  165),  Pompejus  Magnus 
(v.  166—218),  Caesar  (v.  218— 240\  dessen  Streben  nach  Alleinherrschaft 
getadelt  wird  (v.  228  ff.),  Augustus  (v.  240—260',  Vespasian  und  Titus. 
Wir  haben  hier  vermuthlich  die  Liste  derjenigen  „viri  illustres"  vor  uns, 
welche  Petrarca  nach  seinem  ersten  Plane  in  seinem  Geschichtswerke  zu 
behandeln  beabsichtigte,  (während  er  später  wahrscheinlich  bis  zu  Trajan 
zu  gehen  beabsichtigte,  vgl.  oben  S.  598  u.  607). 

-)  v.  305  ff.:      „tempus  adhuc  veniet,  cum  vix  romanus  in  urbe 
civis  erit  verus,  sed  terras  lecta  per  omnes 
faex  hominum." 

42^ 


660  Vierzehntes  Capitel. 

verkünden,  class  einst  er,  Petrarca,  in  Etrurien  (Toscana)  werde 
geboren  werden  und  als  ein  zweiter  Ennius  die  sclion  aus  Italien 
fliehenden  Musen  dorthin  zurückrufen  und  die  Thaten  der 
Scipionen  besingen  werde  (v.  441  ff.). 

Drittes  Buch.  Scipio  erwacht  und  beklagt  das  Ent- 
schwinden des  schönen  Traumes;  er  erwägt  sodann  die  Be- 
deutung der  von  ihm  bisher  in  Spanien  errungenen  Erfolge 
und  findet ,  dass  sie  werthlos  seien ,  so  lange  als  Hannibal  in 
Italien  Rom  selbst  noch  bedrohe.  Er  beräth  daher  mit  seinem 
herbeigerufenen  Freunde  Lälius  die  Möglichkeit  einer  Landung 
in  Africa  und  beschliesst,  um  die  Ausführung  derselben  vor- 
zubereiten, den  Lälius  zu  dem  Könige  Syphax  von  Numidien 
zu  senden  (v.  1  -  82).  Lälius  durchfährt  die  Meerenge  und 
gelangt  zu  dem  Königspalaste  des  Syphax.  Schilderung  des 
reichen  Aussenschmuckes  desselben  Sieben  Edelsteine,  von 
Atlas  dem  Baue  eingefügt,  sind  das  Symbol  der  sieben  Planeten. 
Die  zwölf  Zeichen  des  Thierkreises  sind  an  dem  Palaste  bild- 
lich dargestellt,  ebenso  die  folgenden  Götter,  Heroen  und 
Fabelwesen  sammt  den  traditionellen  Attributen:  Jupiter, 
Saturn,  Neptun  mit  den  Tritonen  und  Nymphen,  Apollo,  die 
Musen,  Mercur  mit  seiner  jungen  Gattin  (d.  h.  mit  der  Philologie 
nach  Martianus  Capella),  die  Gorgo,  Perseus,  der  Pegasus, 
Mars,  Vulcan,  Pan,  Juno,  Venus,  Diana,  Pluto  und  Proserpina 
mit  ihrer  unterweltlichen  Umgebung;  ausserdem  noch,  als  Be- 
gleiter des  Apollo,  ein  räthselhaftes,  aus  Hund,  Wolf,  Löwe 
und  Schlange  sich  zusammensetzendes  Monstrum^)  (v.  83  —  262; 
Vorbilder  zu  dieser  ganz  allegorisch  gehaltenen  Bilderschilderung 
boten  das  1.  und  6.  Buch  der  Aeneide  und  die  Beschreibung 
des  Palastes  des  Sonnengottes  im  zweiten  Buche  der  Meta- 
morphosen Ovid's)  2).   Lälius  richtet  Scipio's  Botschaft  an  Syphax 


*)  V.  160  ff.  Nach  Corradini,  p.  427,  soll  es  die  drei  Zeitalter  dar- 
stellen, was  doch  sehr  fraglich  erscheint. 

2)  Derartige  allegorische  Schilderungen  phantastischer  Prachtbauten 
sind  ein  Lieblingsthema  der  mittelalterlichen  Poesie,  namentlich  der  spä- 
teren (vgl.  Roman  de  Troie,  Roman  de  la  Rose,  les  Echecs  Amoureux, 
Chaucer's  House  of  Fame  u.  Assemble  of  Fowls  u.  v.  a.). 


Die  lateinischen  Dichtungen.  661 

aus,  trägt  ihm  unter  dem  Versprechen  einer  bedeutenden  Ge- 
bietserweiterung das  Bündniss  mit  den  Römern  an,  wobei  er 
besonders  die  römische  Treue  hervorhebt  und  preist,  und  über- 
bringt ihm  zugleich  die  Geschenke  Scipio's,  ein  apulisches 
Ross  und  eine  prächtige  Rüstung  (v.  263 — 332).  Syphax  ant- 
wortet gütig,  erklärt  aber,  ein  Bündniss  nur  mit  Scipio  selbst 
abschliessen  zu  wollen,  wenn  dieser  persönlich  zu  ihm  komme 
(y.  333—363).  Hiernach  lässt  Syphax  ein  prachtvolles  Mahl 
rüsten,  welches  durch  das  Lied  eines  Sängers  verschönt  wird. 
Inhalt  des  Liedes :  Preis  des  Hercules,  der  durch  die  Besiegung 
des  Antäus  Nordafrica  erst  wieder  bewohnbar  machte  und  als 
Denkmal  seiner  Wanderung  die  Säulen  an  der  Meerenge  auf- 
richtete. Atlas,  von  Hercules  im  Tragen  des  Himmelsgewölbes 
abgelöst,  wird  durch  den  Anblick  des  Medusenhauptes  in  einen 
Berg  versteinert.  Perseus  erlegt  die  Medusa,  das  Blut,  welches 
von  ihrem  Haupte  herabträufelt,  vergiftet  den  libyschen  Boden. 
Dido  gründet  Carthago  und  tödtet  sich,  um  der  Ehe  mit  einem 
Nachbarfürsten  zu  entgehen  und  ihrem  verstorbenen  Gatten 
die  Treue  zu  bewahren  i).  Wachsthum  Carthago's.  Opfertod 
der  philänischen  Brüder,  welche  unter  die  Götter  versetzt 
werden.  Preis  des  Hannibal,  der  die  Alpen  zu  überschreiten 
wagte  und  die  Römer  in  Italien  selbst  bedrängt.  Ihm  steht 
„der  von  den  Sternen  herabgesandte  Jüngling"  entgegen,  der 
allein  den  Sturz  seines  Vaterlandes  aufhält.  Noch  ist  das 
Geschick  der  beiden  Feldherren  nicht  erfüllt,  aber  das  Schick- 
sal bereitet  eine  nahe,  gewaltige  Entscheidung  vor  (v.  364  bis 
451,  das  Vorbild  für  dieses  Lied  fand  Petrarca  gewiss  in  dem 
Gesänge  des  Jopas  b.  Verg.  Aen.  I.  740  ff.).  Lälius,  von 
Syphax  aufgefordert,  die  Geschichte  der  Römer  zu  erzählen, 
lehnt  dies  ab,  da  der  Stoff  ein  zu  umfangreicher  und  gross- 
artiger sei,  indem  er  jedoch  ablehnt,  berichtet  er  doch  die 
Anfänge  Roms  und  erzählt,  um  ein  Seitenstück  zu  dem  Opfer- 
tode der  philänischen  Brüder  zu  geben,  ausführlich  die  Selbst- 


1)  Hierbei  v.  474  ff.   Polemik   gegen  Virgil,    der  Dido    den  Kuhm  der 
Keuschheit  habe  entreissen  wollen,  vgl.  oben  S.  505. 


(562  Vierzehntes  Capitel. 

aufopferang  der  drei  Decier,  des  Curtius  und  des  Regulus 
(v.  452 — 642)  0.  Auf  Syphax"  Verlangen  erzählt  Lälius  hierauf 
noch  die  Vertreibung  der  Könige,  den  Tod  der  Lucretia,  die 
Strenge  des  Brutus  gegen  seine  Söhne  und  seinen  Heldentod 
in  der  Schlacht  (v.  643—802). 

Viertes  Buch.  Dies  ganze,  nur  aus  388  Versen  be- 
stehende Buch  bildet  inhaltlich  einen  einzigen  Abschnitt :  Lälius 
gibt,  einer  Aufforderung  des  Syphax  folgend,  eine  —  natürlich 
ganz  panegyrische  Schilderung  der  Persönlichkeit  und  des 
Charakters  Scipio's  und  seiner  hauptsächlichsten  bisherigen 
Thaten.  [Scipio  ein  Sohn  Jupiters,  wesshalb  er  auch  oft  ein- 
sam lange  Zeit  in  dessen  Tempel  verweilt  v.  104—  147 ;  sein 
Plan,  Carthago  selbst  anzugreifen  v.  148—165;  Scipio  rettet 
seinen  Vater  v.  166—179;  er  zwingt  nach  der  Schlacht  bei 
Cannae  den  Q  Metellus  und  dessen  Genossen,  dem  feigen  Ge- 
danken an  eine  Auswanderung  zu  entsagen  v.  180 — 240;  er 
erobert  Neucarthago  v.  259—329;  er  schlichtet  auf  kluge  Weise 
einen  durch  einen  Streit  um  die  Ehre  der  Mauerkrone  ent- 
standenen Zwist  unter  seinen  Kriegern  v.  330—374;  er  gibt 
einen  glänzenden  Beweis  seiner  Keuschheit  und  Enthaltsam- 
keit V.  375—388.] 

Zwischen  diesem  Fragmente  des  vierten  und  dem  Beginne 
des  fünften  Buches  klafft  nun,  wie  der  Zusammenhang  sofort 
zeigt,  eine  sehr  beträchtliche  Lücke,  welche  aber  bereits  in 
der  von  Francesco  da  Brossano  an  Coluccio  übersandten  ersten 
Abschrift  vorhanden  war  und  demnach  zweifellos  auf  Petrarca 
selbst  zurückgeführt  werden  muss.  Der  hiermit  fehlende  Theil 
der  Dichtung  dürfte  sich  auf  etwa  3^/2  Bücher  bemessen  lassen, 
denn  wir  meinen,  dass  Petrarca  seinen  Stoff'  nach  dem  Vor- 
bilde der  Aeneis  in  12  Bücher  zu  gliedern  beabsichtigt  hatte, 
und  der  Inhalt  der  fehlenden  Bücher  müsste  natürlich  in  der 
Erzählung  der  Ereignisse  von  der  Rückkehr  des  Lälius  bis  zur 


^)  Diese  Erzählung  des  Lälius  bildet  einen  hervorragenden  Glanzpunkt 
der  ganzen  Dichtung,  besonders  schön  aber  ist  die  Charakteristik  der 
Römer  v.  484  ff.  u.  v.  637  ff. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  663 

Eroberung  Cirta's  durch  Massinissa  bestanden  haben  ^).  Die 
Frage,  ob  Petrarca  die  fehlenden  Bücher  gar  nicht  gedichtet 
habe,  oder  ob  er  sie,  wie  Coluccio  annahm  und  auch  Corradini 
zu  glauben  geneigt  ist,  zwar  gedichtet,  aber  zum  Behufe  einer 
Umarbeitung  wieder  aus  dem  handschriftlichen  Convolute  des 
Gesammtwerkes  herausgenommen  habe,  wodurch  dann,  da  die 
Ueberarbeitung  unterblieb,  ihr  Abhandenkommen  verursacht 
worden  sei,  diese  Fi-age  dünkt  uns  müssig  zu  sein,  da  uns 
alle  Handhaben  für  ihre  Beantwortung  fehlen.  Denn  wenn 
Petrarca  auch  im  Briefe  an  die  Nachwelt  (p.  10)  sagt,  dass 
er  während  der  Villeggiatur  zu  Selvapiana  (1341)  die  Dichtung 
zu  Ende  geführt  habe,  so  scheint  uns  damit  kein  Beweis  für 
die  wirklich  erfolgte  Vollendung  gegeben  zu  werden,  da  er  sich 
dieses  Ausdrucks  füglich  auch  bedienen  konnte,  wenn  er  das 
Gedicht  bis  zu  seinem  beabsichtigten  Endpunkte  führte,  aber 
einstweilen  in  der  Mitte  eine  später  auszufüllende,  jedoch  nie 
ausgefüllte  Lücke  bestehen  liess^). 

Wir  nehmen  hiernach  die  Inhaltsangabe  wieder  auf. 
Fünftes  Buch,  Massinissa  zieht  als  Sieger  in  das  er- 
oberte Cirta  ein.  Nachdem  er  Wachen  an  den  Thoren  zurück- 
gelassen hat,  begibt  er  sich  in  die  Königsburg  des  Syphax. 
Hier  tritt  ihm  Sophonisbe,  Syphax'  Gattin,  entgegen  und  fleht 
ihn  an,  ihr  den  Tod  geben  zu  wollen,  damit  sie  nicht  in  die 
Gewalt  der  Römer  falle.  Massinissa  wird  sofort  von  glühender 
Liebe  zu  dem  wunderbar  schönen  Weilte  ergriflen  und  wirbt 
um  ihre  Hand.  Sophonisbe  antwortet  ausweichend  unter  Hin- 
deutung auf  ihre  unglückliche  Lage  und  bittet  abermals  um 
den  Tod.  Massinissa  zieht  sich  in  die  inneren  Gemächer  des 
Palastes  zurück  und  erwägt  dort  seine  Lage:  so  sehr  er  auch 
den  Zorn  des  Scipio  fürchtet,  so  ist  es  ihm  doch  unmöglich,  gegen 
seine  Leidenschaft  anzukämpfen,  und  da  er  schliesslich  hofft, 
dass  Scipio,   weil  selbst  noch   ein  jugendfrischer   Mann,   eine 


^)  Eine  Aufzählung  derselben  gibt  Coluccio  b.  Corradini,  p.  435. 
-)  Noch  weniger  lässt  sich  unseres  Erachtens  aus  Ep.  poet.  lat.  II  17 
u.  Ep.  Farn.  XII  7  die  wirkliche  Vollendung  folgern. 


664  Vierzehntes  Capitel. 

rasche  Jünglingsthat  verzeihen  werde,  so  fasst  er  eleu  Ent- 
schluss,  sich  ungesäumt  mit  Sophonisbe  zu  vermählen,  was 
denn  auch  wirklich  mit  Anbruch  der  Nacht  geschieht  (v.  1  bis 
252)^).  Massinissa  feiert  mit  Sophonisbe  die  Brautnacht:  er 
wagt  eine  glückliche  Zukunft  zu  erhoffen,  während  sie  von 
bangen  Befürchtungen  und  Todesahnungen  gequält  und  in  den- 
selben durch  unglückverheissende  Träume  bestärkt  wird.  Das 
Gerücht  von  Massinissa's  i-ascher  und  pflichtwidriger  Vermäh- 
lung dringt  in  die  Oeffentlichkeit  und  kommt  auch  zu  Scipio's 
Kenntniss,  der  es  mit  Unwillen  vernimmt  (v  253 — 292).  Der 
gefangene  Syphax  wird,  mit  Ketten  belastet,  in  das  römische 
Lager  gebracht  Alle  staunen  über  den  erschütternden  Glücks- 
wechsel, der  ihn  betroffen.  Scipio  empfängt  den  Gefangenen 
gütig  und  fragt  ihn,  wesshalb  er,  das  geschlossene  Bündniss 
brechend,  die  Römer  bekriegt  habe.  Syphax  -antwortet,  er 
habe  dies  lediglich  auf  den  Antiieb  seiner  Gattin  Sophonisbe 
gethan  (v.  293—379).  Massinissa  und  Lälius  kommen  in  das 
römische  Lager.  Scipio  macht  Massinissa  auf  das  Unwürdige 
seiner  Handlungsweise  aufmerksam  und  fordert  von  ihm,  dass 
er  die  Sophonisbe,  da  sie  nach  Kriegsrecht  Eigenthum  der 
Römer  sei,  ausliefere.  Massinissa  entschliesst  sich  nach  einer 
bangen ,  in  schwerstem  Seelenkampfe  ^)  verbrachten  Nacht,  da 
er  keinen  andern  Weg  der  Rettung  findet,  seiner  Gattin  Gift 
zu  senden ,  um  sie  so  der  Auslieferung  an  die  Römer  zu  ent- 
ziehen. Sophonisbe  empfängt  die  Todesbotschaft  mit  Ruhe 
und  Würde  und  leert  gefasst  den  Giftbecher,  nachdem  sie  die 
Götter  gebeten  hat,  dem  Scipio  ein  freudloses  Alter  und  den 
Tod  in  der  Verbannung ,  dem  Massinissa  aber ,  wenn  er  bei 
dem  Bündnisse  mit  den  Römern  beharre,  Gram  und  eine  un- 


^)  In  der  Schilderung  der  Schönheit  Sophonisbe's  ist  Petrarca  sehr 
ausführlich  und  manche  Einzelheiten  gemahnen  dabei  an  ähnliche  Stellen 
in  den  „Rime"  (CoiTadini  hat  in  den  Noten  diese  Parallelstellen  gesam- 
melt), ein  recht  plastisches  Bild  wird  jedoch  nicht  gegeben.  Trefflich  sind 
einzelne  psychologische  Schilderungen  in  diesem  Abschnitte  (v.  154 ff.,  226  ff.). 

-)  Die  Schilderung  dieses  Seelenkampfes  (v.  534—718)  ist  ein  Meister- 
werk sowol  der  Poesie  als  der  psychologischen  Kunst. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  665 

würdige  Kachkommenscliaft  zu  Theil  werden  zu  lassen  (v.  380 
bis  773). 

Sechstes  Buch.  Sophonisbe  kommt  in  die  Unterwelt. 
Alle  Schatten  l)ewundern  ihre  Schönheit.  Minos  und  Rhada- 
manthus  wollen  ihr  den  zweiten  Kerker,  den  Aufenthalt  der 
Selbstmörder,  anweisen,  aber  Aeacus  erinnert  daran,  dass  ihr, 
da  sie  das  Leben  nur  gezwungen  und  der  Liebe  wegen  ver- 
lassen habe,  das  dritte,  mildere  Gefängniss  gebühre,  und 
dringt  mit  seiner  Ansicht  durch  (v.  1 — 36).  Sophonisbe  kommt 
nun  in  die  dritte,  für  die  unglücklich  Liebenden  bestimmte 
Abtheiiung  der  Unterwelt,  wo  sie  Iphis,  Byblis,  Myrrha,  Orpheus, 
Paris,  Achilles,  Oenone,  Turnus,  Lavinia  und  deren  Mutter  er- 
blickt (v.  37 — 80;  dieser  und  der  vorhergehende  Abschnitt 
Nachahmung  von  Verg.  Aen.  VL  442  if).  Scipio  tröstet  den 
Massinissa  über  den  erlittenen  Verlust  und  sucht  ihn  von  un- 
heilvollen Entschlüssen  abzuhalten.  Am  folgenden  Tage  ver- 
sammelt Scipio  das  Heer  und  erklärt  in  längerer  Rede,  dass 
die  Liebe  zum  Vaterlande  der  einzige  Beweggrund  seiner 
Handlungen  sei  und  dass  er  Carthago  selbst  anzugreifen  und 
Hannibal  zu  vernichten  beabsichtige.  Hierauf  verleiht  er  dem 
Massinissa  zum  Dank  für  seine  treue  und  tapfere  Hülfe  die 
triumphalischen  Ehren  und  dem  Lälius  einen  goldenen  Kranz: 
den  letzteren  beauftragt  er  zugleich,  die  Gefangenen  nach 
Rom  zu  geleiten  (v.  81 — 207).  Die  römische  Flotte  unter  des 
Lälius  Befehl  macht  sich  zur  Fahrt  nach  Rom  segelfertig.  Der 
gefangene  Syphax  bricht  in  heftige  Klagen  über  sein  Geschick 
aus  und  schleudert  Vei'wünschungen  gegen  Dido,  die  Gründerin 
Carthago's,  gegen  Hamilkar,  den  Vater  Hannibal's,  gegen 
Hannibal  selbst  und  endlich  auch  gegen  Sophonisbe  (v.  208 
bis  287).  Scipio  bricht  mit  seinem  Heere  gegen  Carthago  auf 
und  nimmt  bei  Tunes  eine  feste  Stellung  ein.  Die  Carthager 
senden  Gesandte  ab,  um  Hannibal  aus  Unteritalien,  Mago  aus 
Ligurien  herbeizurufen.  Der  letztere  bricht  sogleich  auf 
(v.  288 — 306).  Die  Carthager  schicken  dreissig  Gesandte  an 
Scipio,  um  den  Frieden  zu  erbitten,  indem  sie  die  Urheber- 
schaft   des  Krieges  auf  Hannibal   abzuwälzen  suchen.    Scipio 


666  Vierzehntes  Capitel. 

tlieilt  die  Bedingungen  mit,  unter  denen  er  den  Frieden  be- 
willigen wolle  (v.  307-372,  getreu  nach  Liv.  XXX  16;.  Das 
carthagische  Volk  erklärt  sich  mit  den  Friedensbedingungen 
einverstanden,  um  bis  zu  Hannibal's  Ankunft  Zeit  zu  gewinnen 
(v.  373—387).  Die  carthagischen  Gesandten  bitten  Hannibal, 
nach  Africa  zurückzukehren.  Dieser  gibt  nothgedrungen  ihren 
Bitten  nach  und  segelt  ab ,  nachdem  er  im  Tempel  der  Juno 
Lacinia  zu  Croton')  eine  grosse  Anzahl  Italer,  welche  ihm 
nicht  folgen  wollten,  hat  ermorden  lassen  (v,  388—560,  getreu 
nach  Liv.  XXX  20).  Hannibars  Rückfahrt:  seine  Gespräche 
mit  seinen  Bc^gleitern  während  der  Nacht.  Ein  alter  Steuer- 
mann erzählt  den  Sieg  des  Xanthippus  über  den  Ptegulus, 
Xanthippus'  Ermordung  durch  die  treulosen  Carthager  und  die 
unglückliche  Seeschlacht  bei  den  ägatischen  Inseln,  welche 
Erzählung  in  Hannibal  und  seinen  Gefährten  trübe  Ahnungen 
erweckt  (v.  561 — 700,  über  Xanthippus'  Tod  vergi.  Val.  Max. 
IX  6  ext.  1).  Carthagische  Gesandte  kommen,  um  Frieden 
bittend,  nach  Rom.  In  Folge  dessen  wird  Lälius,  der  bereits 
wieder  auf  der  Reise  nach  Africa  begriffen  war,  zurückgerufen.. 
Senatssitzung  im  Tempel  der  Bellona.  Dreifache  Meinungs- 
verschiedenheit der  Senatoren.  Auf  Antrag  des  Lälius  werden 
endlich  die  Gesandten  ohne  Antwort  entlassen  und  wird  Scipio 
mit  der  Fortführung  des  Krieges  beauftragt  (v.  701 — 751,  ge- 
treu nach  Liv.  XXX  21.  22.  23).  Die  Carthager  bemächtigen 
sich  trotz  des  Waffenstillstandes  der  Transportschiffe  von  der 
Flotte  des  Consuls  Cn.  Octavius,  welche  ein  Sturm  an  ihre 
Küste  verschlagen  hatte  (v.  752—784,  sachlich  getreu,  aber 
beträchtlich  gekürzt  nach  Liv.  XXX  24).  Scipio  sendet,  um 
Genugthuung  zu  fordern ,  drei  Gesandte  nach  Carthago .  diese 


\")  Petrarca  benutzt  hier  die  Gelegenheit,  des  von  Zeuxis  gemalten,  in 
diesem  Tempel  befindlichen  Bildes  zu  gedenken,  in  welchem  der  Künstler 
die  Schönheit  von  fünf  Mädchen  zu  einem  Ganzen  verschmolzen  hatte. 
Nach  Petrarca  stellte  dieses  Bild  die  Juno  dar,  nach  Cicero  (de  invent. 
II  init.)  die  Helena,  Plinius  (H.  N.  IX  33  u.  36)  nennt  keinen  Namen 
und  Livius  <XXIV  3)  erwähnt  das  Gemälde  gar  nicht.  Petrarca  wählte 
vermuthlich  die  Juno,  weil  der  Tempel  ihr  gewidmet  war. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  667 

aber  weiden  in  der  Stadt  verhöhnt  und  auf  der  Rückfahrt  zur 
See  von  carthaginiensischen  Schiffen  angegriffen,  denen  sie  nur 
mit  grosser  Mühe  zu  entrinnen  vermögen  (v,  785  —  816,  getreu 
nach  Liv.  XXX  25).  Lälius  und  die  carthaginiensischen  Gesandten 
kehren  aus  Rom  nach  Africa  zurück;  letztere  werden  von 
Scipio  gütig  empfangen  und  erhalten  sicheres  Geleit  (v,  817 
bis  838,  vgl.  Liv.  XXX  25).  Mago,  obgleich  schwer  verwundet, 
verlässt  Italien.  Ausführliche  Schilderung  der  Küsten  (Riviera) 
von  Sestri  di  Levante  bis  zur  Tibermündung,  an  denen  seine 
Fahrt  ihn  vorbeiführt.  Mago  stirbt;  sterbend  beklagt  er  die 
Nichtigkeit  des  irdischen  Lebens  und  die  Erfolglosigkeit  der 
menschlichen  Bestrebungen  (v.  839  -  913)  ^). 

Siebentes  Buch.  Hannibal,  das  Schicksal  des  Mago 
nicht  ahnend  und  mit  Plänen  und  Sorgen  um  ihn  beschäftigt, 
segelt  nach  Africa  und  landet  unter  einem  ungünstigen  Vor- 
zeichen —  das  Schiff  nimmt  die  Richtung  nach  einem  Grab- 
male —  bei  Leptis  (v.  1  —  30,  vgl.  Liv.  XXX  25  extr.).  Die 
Römer  freuen  sich  über  den  Abzug  der  Carthager  aus  Italien, 
besorgen  aber  zugleich,  dass  Hannibal  in  Africa  erst  recht 
furchtbar  und  gefährlich  werden  werde,  wie  Fabius  es  voraus- 
gesagt hatte.  So  schweben  sie  zwischen  Furcht  und  Hoffnung, 
doch  bringen  sie  den  Göttern  ein  fünftägiges  Dankfest  dar 
(v.  31—89,  vgl.  Liv.  XXX  21  und  28).  Scipio  lässt  gefangen 
genommene  Spione  der  Carthager  in  seinem  Lager  herumführen 
und  ihnen  Alles  zeigen,  worauf  er  sie  an  Hannibal  zurück- 
sendet (V.  90-123,  vgl.  Liv.  XXX  29  init.).  Zusammenkunft 
HannibaFs  mit  Scipio.  Die  beiderseitigen  Reden  (v.  124—458, 
vgl.  Liv.  XXX  29,  30  und  31,  Petrarca's  Darstellung  ist  jedoch 
etwas  erweitert  und  ausgeschmückt;  der  Rede  des  Scipio  ist 
vom  Dichter  eigenthümlicher  Weise  durch  die  wiederholte  Be- 
rufung auf  Gott,  cf.  V.  377  ff.,  und  einmal  auch  auf  die  Un- 
sterblichkeit der  Seele  eine  gewisse  religiöse  Färbung  gegeben 
worden.     Zusatz   des  Dichters   sind   die   von  Hannibal   für  die 


^)  Diese  Episode  bietet  eine  Fülle  schöner  und  hochpoetischer  Stellen 
dar,  namentlich  sind  v.  898  flf.  wahrhaft  ergreifend. 


6(58  Vierzehntes  Capitel. 

Wandelbarkeit  des  Glückes  angeführten  Beispiele:  Cyrus, 
Pyrrhus,  Regulus  und  Hannibal  selbst  v.  300—325.  Einmal 
hat  Petrarca  den  lateinischen  Text  seltsam  missverstanden,  in- 
dem er  den  Satz  des  Liviiis  XXX  30  sub  fin. :  „vestri  quoque 
patres  [i.  e.  senatores]  nonnihil  etiam  ob  hoc,  quia  parum 
dignitatis  in  legatione  erat,  negaverant  pacem"  übersetzt  v. 
335  flf. :  „Et  vos ,  nisi  falsa  relatu  Audivi ,  pactum  foedus 
sprevistis  a  vor  um  Tempore,  quod  minime  dignis  auctoribus 
ictum  Esse  videretur,").  Beide  Feldherren  berichten  ihren 
Kriegern  das  Ergebniss  der  Unterredung  und  machen  sie  auf 
die  Bedeutung  des  bevorstehenden  Kampfes  aufmerksam.  Die 
Krieger  rüsten  sich  zur  Schlacht  (459  -  499,  vgl.  Liv.  XXX  31 
extr.  und  32  init.).  Die  Göttinnen  Rom  und  Carthago  'Personi- 
ficationen  der  Städte)  steigen  in  der  Nacht  vor  dem  Ent- 
scheidungskampfe  in  den  Himmelssaal  empor  und  flehen  Jupiter 
(welcher  als  der  christliche  Gott  aufzufassen  ist)  um  Schutz 
und  Hülfe  an,  Rom  mit  Hinweis  darauf,  dass  die  Enkel  der 
jetzigen  Römer  Gott  einst  im  wahren  Glauben  verehren  würden. 
Jupiter  enthüllt  hierauf  die  Zukunft,  indem  er  erklärt,  dass 
das  Treiben  fast  aller  Menschen  ein  sündhaftes  und  ihm  miss- 
fälliges sei,  und  dass  er,  bevor  noch  das  zehnte  Saturnjahr 
vergehen  werde,  zur  Erlösung  der  Menschheit  Menschengestalt 
annehmen  und  sogar  den  Tod  erdulden  wolle.  Jetzt  aber  sei 
Rom  der  Sieg  beschieden  und  dort  werde  auch  künftig  für  alle 
Zeiten  derselbe  seinen  bevorzugten  Sitz  sich  erwählen  (v.  500 
bis  728).  Scipio  stellt  sein  Heer  in  Schlachtordnung  und 
feuert  es  durch  eine  siegverheissende  Rede  an  (v.  728—833, 
vgl.  Liv.  XXX  32  extr.  und  33  init.).  Hannibal  ordnet  sein 
Heer  und  ermuthigt  es  ebenfalls  durch  eine  Rede  (v.  834— 915, 
vgl.  Liv.  XXX  33,  die  Rede  Hannibal's  ist  zum  Theile  Er- 
findung des  Dichters).  Beschreibung  der  Schlacht  von  Zama. 
Lange  wogt  der  Kampf  unentschieden  hin  und  her,  da  beide 
Feldherren  alle  Kunst  aufbieten,  den  Sieg  zu  erringen.  End- 
lich weichen  die  Carthager.  Hannibal  selbst  flieht  nach  Hadru- 
metuni,  von  wo  er  sich,  vom  Senate  herbeigerufen,  nach 
Carthago  begibt  (v.  916—1080,  vgl.  Liv.  XXX  33,  34,  35). 


Die  lateinischen  Dichtungen.  669 

Achtes  Buch.  Seipio  erobert  das  carthaginiensische 
Lager  und  bemächtigt  sich  der  dasell)st  aufgehäuften  Schätze 
(v.  1—38,  vgl.  Liv.  XXX  36  init).  Seipio,  Massinissa  und 
Lälius  bringen  einen  grossen  Theil  der  Nacht  in  vertraulichen 
Gesprächen  hin,  deren  Inhalt  die  Wechselfälle  der  geschlagenen 
Schlacht,  die  Flucht  Hannibal's  und  die  Beurtheilung  desselben 
als  Feldherrn  bilden.  Seipio  wird  nicht  müde,  die  Tüchtig- 
keit und  die  hohe  Begabung  seines  Gegners,  für  welche  nament- 
lich auch  noch  seine  Disposition  für  die  Schlacht  Zeugniss  ab- 
lege (dies  nach  Liv.  XXX  35)  zu  preisen  und  ihn  für  selbst 
dem  grossen  Alexander,  der  doch  nur  verweichlichte  Orientalen  be- 
siegt und  nie  Gelegenheit  zur  Erprobung  seines  Talentes  auch 
im  Unglück  gehabt  habe,  weit  überlegen  zu  erklären.  End- 
lich begeben  sie  sich  zur  Ruhe.  Am  folgenden  Morgen  reist 
Lälius  als  Siegesbote  nach  Rom  ab  (v.  39 — 247,  vgl.  Liv.  XXX 
36 ,  doch  ist  im  Wesentlichen  diese  Episode  ein  Werk  selb- 
ständiger Schöpfung  des  Dichters).  Bestürzung  in  Carthago, 
Berathu  ngdes  dortigen  Senates.  Hannibal,  um  sein  Gutachten 
befragt,  räth  dringend  zum  Frieden.  Hierauf  entflieht  er  mit 
seinen  Schätzen  nach  Ephesus  zum  Könige  Antiochus  von 
Syrien.  Genaue  geographische  Beschreibung  des  Weges,  den 
er  nimmt.  An  der  sicilischen  Küste  tödtet  Hannibal  seinen 
Steuermann  Pelorus,  weil  er  sich  von  ihm  verrathen  glaubt 
(v.  248—358,  vgl.  Liv.  XXX  35  und  Val.  Max.  IX  8  ext.  1). 
Seipio  und  Octavius  rücken  gegen  Carthago  vor.  Friedens- 
gesandtschaft der  Carthager.  Seipio  recognoscirt  die  Lage  und 
die  Befestigungen  Carthago's.  Besiegung  des  Vermina,  Sohnes 
des  Syphax.  Abermalige  Friedensgesandtschaft  der  Carthager 
(v.  359—458,  vgl.  Liv.  XXX  36).  Wunderzeichen  geschehen 
in  Rom  und  ganz  Italien.  Der  Consul  Ti.  Claudius,  auf  Scipio's 
Kriegsruhm  eifersüchtig  und  begierig,  denselben  nnt  ihm  zu  theilen, 
rüstet  sich,  nach  Africa  überzusetzen.  Ein  gewaltiger  Sturm 
aber  zerstreut  und  vernichtet  zum  Theil  seine  Flotte,  er  selbst 
wird  mit  wenigen  Schiffen  nach  Sardinien  verschlagen  und 
muss  dort  den  Winter  verbringen,  so  dass  während  dessen 
sein  Amtsjahr  abläuft  (v.  459-546,  vgl.  Liv.  XXX  38,  39  und 


670  Vierzehntes  Capitel. 

44  init.).  Die  Kunde  von  dem  bei  Zama  erfochtenen  Siege 
gelangt  nach  Rom.  Allgemeine  Freude  daselbst.  Der  neue 
Consul  Corn.  Lentulus  strebt  darnach,  Africa  als  Provinz  zu- 
gewiesen zu  erhalten  und  sich  dann  den  Rubm  der  Beendigung 
des  Krieges  zu  erwerben  v,  547 — 611,  vgl.  Liv.  XXX  40)^). 
Abermalige  Friedensbotschaft  der  Carthager  an  Scipio.  Dieser 
bewilligt  endlich  den  Frieden  unter  den  bekannten  Bedingungen, 
zu  denen  noch  die  (unmöglich  gewordene)  Auslieferung  Hanni- 
bal's  hinzugefügt  und  motivirt  wird.  Die  Carthager  nehmen 
nothgedrungen  diese  Bedingungen  an  [da  Petrarca  oben, 
V.  248 — 358,  die  von  Liv.  XXX  35  extr.  gegebene  Variante 
von  der  Flucht  Hannibal's  reproducirt  und  mit  der  bei  Liv. 
XXX  37  med.  gegebenen  Erzählung  verschmolzen  hat,  so  kann 
er  in  diesem  Abschnitte  Hannibal  nicht  mehr,  wie  bei  Livius. 
als  zum  Frieden  rathend  auftreten  lassen].  Reise  der  cartha- 
gischen  Gesandten  nach  Rom.  Rede  des  Hasdrubal  Haedus  im 
Senate  (vgl.  Liv.  XXX  42).  Der  Senat  bewilligt  den  Frieden. 
Dank  der  Gesandten.  Hasdrubal  erhält  die  Erlaubniss,  die 
Stadt  Rom  zu  betreten,  um  die  carthagischen  Kriegsgefangenen 
zu  besuchen  rvgl.  Liv.  XXX  43)  2,.  Zusammenkunft  Hasdrubal's, 
nachdem  er  die  Stadt  durchwandert,  nüt  den  Kriegsgefangenen. 
Zweihundert  der  letzteren  werden  vom  Senate  bedingungsweise 
freigegeben  Rückreise  der  Gesandten  nach  Africa  (v.  612 
bis  1004).  Die  Gesandten  kehren  zu  Scipio  zurück.  Der 
Friede  wird  feierlich  geschlossen,  Scipio  belolmt  den  Massinissa, 
bestraft  die  Ueberläufei-;  kommt  nach  Carthago,  richtet  an  die 


^)  Der  Dichter  nimmt  hier  Anlass,  über  die  Nachtheile  zu  klagen, 
welche  die  römische  Verfassung  durch  die  Theihmg  der  Macht  unter  zwei, 
oft  auf  einander  eifersüchtige  und  überdies  schon  nach  Jahresfrist  von 
anderen  abzulösende  Consuln  für  die  Staatsverwaltung  und  die  Kriegfüh- 
rung mit  sich  brachte.  Besser  als  die  Doppelherrschaft  sei  die  Monarchie, 
in  welcher  nur  ein  Wille  herrsche.    Vgl.  oben  S.  319. 

"-)  Dies  gibt  dem  Dichter  Gelegenheit,  eine  ausführliche  Beschreibung 
des  antiken  Roms  zu  entwerfen  (v.  862  —  951),  welche,  wenn  auch  manche 
Irrthümer  und  Anachronismen  aufweisend,  im  Wesentlichen  doch  richtig 
ist  und  ein  ehrendes  Zeugniss  von  Petrarca's  topographischen  Studien 
ablegt. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  671 

Carthager  —  ziemlich  naive  Ermahnungen,  sich  künftig  mit 
ihrem  Landbesitze  zu  begnügen  und  auf  die  Seefahrt  und  See- 
herrschaft zu  verzichten,  wesshalb  auch  zu  ihrem  eigenen  Heile 
ihre  Flotte  verbrannt  werden  solle.  Die  Verbrennung  der 
Flotte  wird  ausgeführt  (v.  1005—1084,  vgl.  Liv.  XXX  43,  die 
Rede  des  Scipio  ist  Zusatz  des  Dichters). 

Neuntes  Buch.  Scipio  segelt  heimwärts,  das  Meer  ist 
ruhig,  der  Himmel  heiter.  Auf  dem  Decke  des  Schiffes  sitzt 
schweigend  Ennius,  Scipio's  steter  Begleiter.  Scipio  redet  ihn 
freundlich  an  und  fordert  ihn  auf,  ihm  die  sorgenbeladene 
Brust  durch  den  Vortrag  eines  Liedes  zu  erleichtern  (v.  1 — 22). 
Ennius  preist  die  Grösse  der  Thaten  Scipio's  und  verheisst  ihm 
ewigen  Ruhm,  aber  er  beklagt,  dass  nur  er  (Ennius),  der  des 
Lateinischen  nicht  völlig  Kundige,  der  Herold  dieser  grossen 
Thaten  sein  solle,  doch  werde  in  später  Zukunft  ein  begabterer 
Dichter  (d.  i.  Petrarca  selbst)  ihn  besingen  (v.  23— 64).  Scipio 
wünscht  von  Ennius  zu  erfahren ,  wesshalb  der  Lorbeer  das 
Ehrenzeichen  der  Sieger  und  Dichter  sei.  Bevor  Ennius  hier- 
auf antwortet,  erörtert  ei-,  von  welchen  Grundsätzen  in  seinem 
Schaffen  der  Dichter  sich  leiten  lassen  müsse  —  Grundsätze,  welche 
mit  den  im  Eingange  dieses  Capitels  (S.  650  f.)  dargelegten 
vollkommen  übereinstimmen  — ,  und  dann  legt  er  dar,  aus 
welchen  Gründen  der  Lorbeer  als  Auszeichnung  der  Helden 
und  Dichtei-  gewählt  worden  sei  —  es  sind  dieselben  Gründe, 
welche  auch  in  der  Krönungsrede  (vgl.  oben  S.  181  f.)  aus- 
führlich entwickelt  worden  sind  (v.  65 — 123).  Nun  erzählt 
Ennius  den  wunderbaren  Traum,  den  er  in  der  Nacht  vor  der 
Schlacht  bei  Zama  gehabt  habe:  Homer,  den  er  über  alle 
Männer  der  Vorzeit  verehre,  sei  ihm  als  blinder  Greis  er- 
schienen, habe  ihm  den  bevorstehenden  Sieg  der  Römer  ver- 
kündet und  zugleich  —  es  ist  aber  zwischen  dem  Vorhergehenden 
und  dem  Folgenden  (v.  215  u.  216)  sicherlich  eine  beträcht- 
liche Lücke  anzunehmen  —  ihm  auch  prophezeiht,  dass  einst 
Petrarca  den  Scipio  besingen  und  mit  dem  Lorbeer  sich  krönen 
werde,  eine  Prophezeihung,  bei  welcher  der  Dichter  es  an 
einer,  allerdings  mit  grosser  Naivetät  vorgenommenen,  starken 


672  Vierzehntes  Capitel. 

Selbstberäuclierung  nicht  fehlen  lässt  und  namentlich  nicht 
darauf  hinzuweisen  vergisst,  welch"  ein  unsterbliches  Werk  er 
einst  in  dem  Buche  über  die  berühmten  Männer  schreiben  werde 
(v.  124 — 289,  die  auf  Petrarca  selbst  bezüglichen  Stellen  sind  v. 
216—268  und  v.  273—283;.  Beschreibung  der  Fahrt  nach  Itahen 
und  des  von  Scipio  in  Rom  gefeierten,  glänzenden  Triumphes 
(V.  290-409,  vgl.  Liv.  XXX  45).  Hinweis  auf  die  späteren 
traurigen  Schicksale  Scipio's,  die  der  Dichter  nicht  besingen 
will  (v.  410 — 420).  Schluss  des  Gedichtes:  Klage  um  König 
Robert's  Tod.  Mahnung  an  die  Dichtung,  sich,  so  lange  die 
gegenwärtigen  trüben  und  den  Musen  abholden  Zeiten  währen, 
möglichst  verborgen  zu  halten  und  erst,  wenn  ein  besseres 
Jahrhundert  gekommen  sein  wird,  an  die  Oeffentlichkeit  zu 
treten  (v.  421—477). 

Welches  Urtheil  sollen  wir  nun  über  die  eben  skizzirte, 
umfangreiche^)  epische  Dichtung  fällen?  Vielleicht  dürften 
folgende  Bemerkungen  nicht  allzuweit  von  der  Wahrheit  sich 
entfernen. 

Als  Ganzes,  als  eine  einheitliche  Composition  betrachtet,  ist 
das  Gedicht  als  ein  durchaus  verfehltes  Werk  zu  bezeichnen,  und 
gewiss  würde  dies  Urtheil  auch  abgegeben  werden  müssen,  wenn 
wir  das  Epos  in  einer  lückenlosen  und  vollständig  abgeschlosse- 
nen Gestalt  besässen  (vgl.  oben  S.  662  i) ,  denn  die  fehlenden 
Bücher  hätten  gerade  den  sprödesten  Stoff  behandeln  müssen, 
dessen  Bewältigung  dem  Dichter  noch  weniger  gelungen  sein 
würde,  als  die  Verarbeitung  der  verhältnissmässig  gefügigen 
Materien,  welche  die  erhaltenen  Gesänge  zum  Gegenstande  haben. 
Die  Schuld .  dass  das  Epos  als  Ganzes  so  wenig  befriedigt, 
liegt  keineswegs  hauptsächlich  etwa  daran,  dass  der  Dichter 
Virgil's  Aeneis  allzu  ängstlich  nachgeahmt  hätte.  Nach- 
geahmt hat  er  sie  allerdings,  aber  die  Nachahmung  ist  keine 
sklavische  und  wird  nirgends  zur  geschmacklosen  Copie.  der 
Dichter  hat  es  vollkommen  verstanden,  sieh  eine  genügende 
Originalität  zu  wahren  und  nimmt  neben  Virgil  doch  ungefähr 

^)  Die  „Africa"  zählt  6723  Verse  (Virgil's  Aeneis  10098  Verse  . 


Die  lateinischen  Dichtungen.  673 

dieselbe  Stellung  ein,  wie  dieser  neben  Homer.  Auch  hat  man 
ja  zu  berücksichtigen,  dass  der  Begriff  der  „Nachahmung" 
nicht  allzuweit  ausgedehnt  werden  darf^),  dass  man  nicht  be- 
rechtigt ist,  einen  jeden  Vers  der  „Africa",  welcher  an  einen 
Vers  Virgil's  anklingt,  ohne  Weiteres  für  nachgeahmt  zu  halten, 
sondern  zu  erwägen  hat,  dass  diese  Aehnlichkeit  auch  vielfach 
eine  in  der  Natur  der  Sache  selbst  begründete  sein  kann.  Die 
Schuld  des  Misslingens  der  „Africa"  ist  anderwärts  zu  suchen. 
Zunächst  in  dem  Dichter  selbst.  Es  war  eine  arge  Selbst- 
täuschung Petrarca's,  dass  er  sich  zur  epischen  Dichtung  be- 
rufen glaubte,  denn  ihm,  der  so  durch  und  durch  subjectiv 
angelegt  war  und  so  sehr  der  Objectivität  entbehrte,  fehlte  für 
das  Epos  jede  Begabung  und  überdies  war  sein  unleugbares 
poetisches  Talent  doch  bei  weitem  nicht  ausreichend,  um  eine 
gTOsse  Composition  beherrschen  zu  können.  Sodann  aber,  wie 
wäre  es  überhaupt  möglich  gewesen ,  dass  der  Begründer  des 
Humanismus  und  der  Renaissance  ein  wahres  Epos  zu  schaffen 
vermocht  hätte?  Das  wahre  Epos  hat  seine  Wurzeln  im  Volks- 
leben, ist  ein  Product  des  Volksgeistes,  ja  die  bedeutendsten 
Epen  sind  dies  in  einem  solchen  Grade,  dass  sie  geradezu 
Werke  eines  Volkes  und  nicht  eines  Individuums  sind  und  dass 
wir  eben  einfach  um  desswillen  die  Namen  ihrer  Verfasser 
nicht  kennen,  weil  sie  nicht  durch  die  Hand  individualer 
Dichter,  sondern  nur  durch  diejenige  ordnender  Redactoren  die 
Gestalt,  in  welcher  sie  uns  vorliegen,  erhalten  haben.  Wahre 
Epen  können  nur  da  entstehen,  wo  ein  lebenskräftiges,  seiner 
Vergangenheit  sich  freuendes  und  des  Zusammenhanges  mit 
derselben  sich  bewusstes  Volksthum  besteht,  nur  da,  wo  eine 
einschneidende  Stöning  und  Unterbrechung  der  volksthüm- 
lichen  Culturentwickelung  nicht  stattgefunden  hat.  Humanis- 
mus und  Renaissance  aber  brachen  grundsätzlich  mit  der  Ver- 
gangenheit,   sie    wollten    die  bestehende  Culturform  möglichst 


^)  vgl.  den  inhaltsreichen  Aufsatz  (Recension  der  Dissertation  Wezel's 
.,de  C.  Silii  Italici  cum  fontibus  tum  exemplis"  von  Blass  in  Fleckeisen's  Jahr- 
büchern für  Philologie,  Bd.  109  (1874),  p.  471-512. 

Körting,  Petrarca .  4u 


674  Vierzehntes  Capitel. 

vollständig  zerstören  und  eine  neue  oder  vielmehr  eine  neu- 
belebte alte  an  ihre  Stelle  setzen ,  sie  wollten  die  Cultur- 
entwickelung  der  Völker  in  andere,  von  den  bisherigen  durchaus 
divergirende  Bahnen  leiten.  Dadurch  ward  jede  volksthümliche 
Poesie  immer  mehr  und  mehr  untergraben,  je  festeren  Boden 
die  Renaissancebildung  gewann  und  je  weiter  sie  ihre  Kreise 
zog,  dadurch  ward  namentlich  dem  Epos  die  Axt  an  die  Wurzel 
gelegt.  Ein  wahres  Epos  konnte  im  Bereich  der  Renaissance 
nicht  existiren,  nur  das  Kunstepos,  welches  mehr  ein  Product 
der  Gelehisamkeit,  als  der  Poesie  ist,  vermochte  fortan  seine 
Blüthen  zu  treiben,  an  deren  exotischem  Dufte  und  Farben- 
glanze  nur  wenige  Auserwählte  sich  zu  erfreuen  befähigt 
waren.  Man  wende  nicht  ein,  dass  doch  auch  Bojardo's  und 
Ariost's  entschieden  volksthümliche  Rolandsdichtungen  und 
Tasso's  befreites  Jerusalem  Schöpfungen  der  Renaissance  seien. 
Diese  Werke  treten ,  obwol  chronologisch  der  Renaissancezeit 
angehörig  (und  selbst  dies  könnte  man  bei  Tasso's  Dichtung 
vielleicht  bezweifeln),  doch  aus  der  Renaissance  heraus,  indem 
sie  sich  die  von  der  strengen  Renaissance  verpönte  Mischung 
mit  mittelalterlich-romantischen  Elementen  gestattet  haben,  und 
überdies  sind  die  Rolandsdichtungen  eher  Cyclen  an  einander 
gereihter  anmuthiger  Episoden,  als  Epen  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes  zu  nennen,  Tasso's  Jerusalem  aber  ist  recht 
eigentlich  die  poetische  Verherrliclmng  der  beginnenden  katho- 
lischen Reaktion  gegen  die  Renaissancebildung  und  erhält 
hauptsächlich  dadurch  seine  hervorragende  litterargeschichtliche 
Bedeutung.  Die  wirklichen  Renaissanceepen  sind  durchaus 
Kunstdichtungen  gewesen  und  haben  als  solche  nie  volks- 
thümlieh  werden  können.  Das  wurde  schon  durch  die  Natur 
ihrer  Stotfe  zur  Nothwendigkeit  gemacht.  Der  Epiker  der  Re- 
naissance musste  nothgedriingen  nur  antike  Stotfe  behandeln, 
oder  wenn  er  ja  etwa  über  das  eigentliche  Alterthum  hinaus- 
reichende historische  Stoffe  zu  behandeln  wagte,  wie  z.  B. 
Trissino  gethan  hat,  so  musste  er  dieselben  mit  einem  anti- 
kisirenden  Gewände  bekleide»  und  sie  dadurch  kläglichst  ver- 
unstalten, alle  wirklich  volksthümlichen  Stoffe  aber  waren  ihm 


Die  lateinischen  Dichtungen.  675 

ein  verbotenes  Gebiet  und  aus  dem  reichen  Borne  der  Sage 
durfte  er  nicht  schöpfen,  höchstens  wahrte  er  sich  noch  das 
an  sich  so  ergiebige  Feld  der  -  christlichen  Legende,  aber  für 
eine  fruchtbringende  Behandlung  desselben  fehlte  wieder  ihm  und 
seinem  Publicum  die  nothwendigste  Vorbedingung,  der  naive 
Glaube.  So  tragen  denn  mit  Naturnothwendigkeit  die  Re- 
naissanceepen den  Charakter  des  Frostigen,  Akademischen  und 
Reflectirenden  an  sich,  es  fehlt  ihnen  Wärme,  Lebendigkeit 
und  Fi'ische,  denn,  so  begeistert  der  humanistische  Dichter 
auch  für  die  Antike  sein  mochte,  diese  Begeisterung  war  doch 
immer  nur,  um  so  zu  sagen,  eine  augelernte  und  verstands- 
mässig  erzeugte,  und  das  gelangt  denn  auch  in  ihren  Schöpfungen 
zum  Ausdruck. 

Auch  Petrarca's  „Africa"  erhebt  sich,  als  Ganzes  betrachtet, 
nicht  über  den  allgemeinen  Charakter  der  Renaissanceepen, 
deren  lange  Reihe  sie  eröffnet.  Die  Wahl  ihres  Stoffes  war  eine 
verhältnissmässig  sehr  geschickte  zu  nennen ,  und  es  ist  nicht 
zu  bezweifeln,  dass,  wenn  das  Römerthum  einen  wirklichen 
Epiker  hervorgebracht  hätte,  derselbe  in  der  Wahl  der  Schluss- 
episode des  gewaltigen  zweiten  punischen  Krieges  einen  über- 
aus glücklichen  Griff  gethan  und  ein  wahrhaft  nationales  Epos 
zu  schaffen  vermocht  haben  würde.  Aber  ein  solcher  Epiker 
hätte  nicht  allzu  lange  Zeit  nach  den  von  ihm  zu  besingenden 
Ereignissen  leben  dürfen,  noch  inmitten  der  lebendigen  Tradition 
stehen  müssen.  Schon  Silius  Italiens,  übrigens  ein  sehr  mittel- 
mässiges  Talent,  kam  viel  zu  spät  und  vermochte  —  was  freilich 
auch  aus  anderen  Gründen  das  einzig  Mögliche  war  —  eben 
nur  ein  Kunstepos  ohne  Leben  und  Farbenfrische  zu  schaffen. 
Und  in  wieviel  höherem  Grade  musste  dies  nun  bei  Petrarca 
der  Fall  sein,  zwischen  dessen  Zeitalter  und  demjenigen  des 
Scipio  die  gewaltige  Kluft  von  fünfzehn  Jahrhunderten  gähnte! 
Mochte  der  Dichter  der  „Africa"  sich  noch  so  sehr  bemühen, 
das  Römerthum  sich  zu  assimiliren,  als  Römer  zu  denken  und 
zu  fühlen,  es  konnte  ihm  dies  natürlich  nidit  gelingen  und 
vollends  nicht,  da  er  weder  den  Willen  noch  die  Kraft  besass, 
von  der  christlichen  Lebensanschauung  zu  abstrahiren  und  ihr 

43* 


676  Vierzehntes  Capitel. 

die  römisch -heidnische  zu  substituiren.  So  musste  das  Werk 
von  vornherein  eine  Fehl-  und  Missgeburt  werden  und  das  hat 
schliesslich  ohne  Zweifel  auch  der  Verfasser  selbst  begriffen 
und  schmerzlich  empfunden. 

Wir  brechen  also  über  die  „Africa'',  insofern  sie  den  An- 
sprach erhebt,  ein  wirkliches  Epos  zu  sein,  unbedenklich  den 
Stab.  Keineswegs  indessen  wollen  wir  damit  die  Dichtung  in 
ihrer  Totalität  in  Bausch  und  Bogen  verdammen:  als  ein 
Ganzes  ist  sie  misslungen,  aber  viele  ihrer  einzelnen  Theile 
sind  vortrefflich.  Es  besitzt  die  „Africa"  eine  grosse  Anzahl 
von  Episoden,  welche  geradezu  Meisterwerke  der  poetischen 
Kunst  genannt  werden  müssen ') ,  sie  weist  eine  Fülle  von 
Naturschilderungen  und  Gleichnissen  2)  auf,  deren  sich  auch 
der  bedeutendste  Epiker  nicht  zu  schämen  haben  würde.  Je- 
denfalls war  der  Dichter  der  „Africa"  ein  hochbegabter  Dichter, 
wenn  auch  eben  nicht  ein  Epiker  ersten  Ranges,  und  die 
„Africa"  ist  trotz  der  fundamentalen  Fehler  ihrer  Composition 
doch  eine  bedeutende  und  des  Lesens  wohl  würdige  Dichtung, 
ja  es  wird  sie  ein  Jeder  lesen  müssen  und  übrigens  auch  mit 
vielem  Genüsse  lesen  können,  dem  daran  gelegen  ist,  sich  ein 
Gesammturtheil  über  Petrarca's  poetische  Befähigung  zu  bilden. 
W^enn  in  früheren  Zeiten  über  die  „Africa"  so  äusserst  ungün- 
stige ürtheile  gefällt  worden  sind  und  dieselbe  als  ein  in  jeder 
Beziehung  misslungenes  und  ungeniessbares  Machwerk  bezeich- 
net worden  ist,  so  dürfte  die  Schuld  zum  grossen  Theile  daran 
gelegen  haben,  dass  die  Dichtung  bis  auf  die  neueste  Zeit  nur 
in  entsetzlich  verwahrlosten  Ausgaben  vorlag,    in  denen   sie 


^)  Wir  erinnern  nochmals  an  die  Episode  der  Liebe  Massinissa's  und 
Sophonisbe's,  welche  eingehend  zu  würdigen  schon  um  desswillen  interessant 
ist,  als  an  dem  gleichen  Stoffe  sich  bekanntlich  auch  das  Renaissancedrama 
versucht  hat. 

2)  Eine  eingehende  Beti-achtung  der  zahlreichen  von  Petrarca  in  der 
„Africa"  gebrauchten  Gleichnisse  und  Bilder  würde  sehr  mannigfache  und 
interessante  Ergebnisse  liefern,  wir  müssen  sie  uns  indessen  hier  aus  Rück- 
sicht auf  den  Raum  versagen.  Nur  kurz  hinweisen  wollen  wir  auf  einige 
der  originellsten  Gleichnisse:  I  209  ff.  266  ff.  401  ff.  III  668  ff.  V  6  ff. 
189  ff   498  ff.     YII  1.5  ff.    450  ff.    VIII  1081  ff.    IX  290  ff  u.  v.  a 


Die  lateinischen  Dichtungen.  677 

wirklich  als  geradezu  unlesbar  bezeichnet  werden  muss.  Selbst 
die  Ausgabe  von  Pingaud  (Paris,  1872)  Hess  noch  sehr  Vieles 
zu  wünschen  übrig.  Erst  Corradini's  Bemühungen  ist  es  ge- 
lungen, einen,  wenn  auch  w^ol  nicht  überall  unanfechtbaren, 
so  doch  im  Allgemeinen  correcten  und  lesbaren  Text  her- 
zustellen, und  es  darf  nun  wol  gehofft  werden,  dass  dasjenige 
Gedicht,  auf  welches  zumeist  Petrarca  seinen  Ruhm  begründen 
wollte,  fortan  fleissiger  gelesen  und  richtiger  gewürdigt  werde, 
als  bisher  geschehen  ist.  — 

Haben  wir  uns,  wie  billig,  bei  der  „Africa"  etwas  länger 
verweilt,  so  dürfen  und  können  wir  die  übrigen  lateinischen 
Dichtungen  um  so  kürzer  besprechen. 

Die  zwölf  Eklogen  müssen  als  das  unerquicklichste  Er- 
zeugniss  der  Muse  Petrarca's  bezeichnet  werden.  In  ihnen  hat 
sich  der  Dichter  der  Allegorie  in  der  maasslosesten  Weise  be- 
dient und  dadurch  den  poetischen  Gedanken  oft  geradezu  erstickt, 
fast  immer  aber  bis  zur  Unkenntlichkeit  verschleiert,  so  dass 
er  selbst  einen  Commentar  zu  schreiben  sich  veranlasst  sah  ^). 
Es  ist  dies  um  so  mehr  zu  beklagen,  als  Petrarca  gerade  in 
diesen  Gedichten  häufig  sein  innerstes  Denken  und  Fühlen  aus- 
sprechen und  seine  Handlungen  rechtfertigen  wollte.  Man  er- 
kennt an  diesen  Dichtungen  recht  deutlich,  wie  unheilvoll  die 
Allegorie  zu  wirken,  wie  arg  sie  die  wahre  Poesie  zu  über- 
w^uchern  vermag.  Bekanntlich  geben  schon  Virgil's  Eklogen 
Anlass  zu  solcher  Beobachtung  und  Klage,  diejenigen  Petrar- 
ca's aber,  welcher,  wie  ein  Nachahmer  meist,  den  Fehler  seines 
Vorbildes  in's  Ungemessene  steigert,  thuen  dies  in  noch  weit 
höherem  Grade.  —  Der  Inhalt  der  einzelnen  Eklogen,  welche 
übrigens  fast  alle  und  zwar  in  rascher  Aufeinanderfolge  in 
Vaucluse  geschrieben  w^urden^),  ist  in  Kürze  folgender: 


^)  Ueber  den  dunkeln  Styl  der  Eklogen  hat  Petrarca  sich  selbst  Ep. 
Farn.  X  4  u.  Ep.  Sen  II  1  ausgesprochen;  er  fühlte  wohl  den  Fehler,  den 
er  begangen,  wollte  aber,  befangen  in  einer  falschen  Theorie,  ihn  nicht 
eingestehen. 

■')  Ep.  Farn.  VIII  3. 


678  Vierzehntes  Capitel. 

Ekl.  1  (124  Verse).  Petrarca  (=  Silvius)  erklärt,  wesshalb 
er  nicht,  wie  sein  Bruder  Gherardo  (=  Monicus),  dem  be- 
schaulichen geistlichen  Leben  sich  widmen  könne,  sondern  den 
Musen  dienen  und  den  göttergleichen  Jüngling  (Seipio)  besingen 
wolle. 

Ekl.  2  (124  Verse).  Klage  über  den  Tod  des  Königs 
Robert. 

Ekl.  3  (164  Verse).  Allegorische  Schilderung  der  Liebe 
Petrarca' s  zur  Poesie  und  Erzählung  der  Dichterkrönung. 

Ekl.  4  (75  Verse).  Erörterung  der  Frage,  wesshalb  die 
Italiener  in  der  Poesie  die  Franzosen  übertreffen  (nahezu  un- 
verständlich, vgl.  aber  die  Epitome  b.  Hortis,  Scritti  inediti 
p.  361 ;  im  Einzelnen  finden  sich  manche  sehr  poetische  Stellen, 
wie  z.  B.  die  Verherrlichung  der  Dichtkunst  in  v.  45  ff.  u. 
56  ff.). 

Ekl.  5  (141  Verse).  Polemik  gegen  die  Colonna  und  Or- 
sini,  Verherrlichung  des  römischen  Volkes  und  seines  Befreiers 
Cola  di  Rienzo. 

Ekl.  6  (210  Verse)  und  Ekl.  7  (144  Verse).  Heftige  Pole- 
mik gegen  das  avignonesische  Papstthum. 

Ekl.  8  (128  Verse).  Petrarca  nimmt  Abschied  von  dem 
Cardinale  Giovanni  Colonna  (vgl.  oben  S.  232). 

Ekl.  9  (111  Verse).  Klage  über  die  Verwüstungen  der 
Pest  des  Jahres  1348. 

Ekl.  10  (401  Verse).  Klage  über  den  Sturz  eines  dem 
Dichter  lieben  Lorbeerbaumes ;  der  Lorbeerbaum  ist  hier,  wie 
so  oft,  sowol  das  Symbol  für  die  Dichtkunst  als  auch  für  Laura. 
Der  Dichter  beklagt  also  zugleich  den  Verfall  der  Poesie  und 
den  Tod  Laura's.  Der  Grundgedanke  des  Gedichtes  ist  tief 
poetisch,  aber  leider  vermag  er  unter  dem  Wüste  der  Allegorie 
nicht  zu  seiner  Geltung  zu  gelangen^). 

Ekl.  11  (102  Verse).     Klage  um  Laura's  Tod. 


^)  Ein  besonderes  Interesse  erhält  diese  Ekloge  noch  dadurch,  dass 
Petrarca  in  ihr,  freilich  zum  Theil  unter  den  seltsamsten  Umschreibungen, 
105  Dichter  des  Alterthums  aufzählt,  die  ihm  dem  Namen  nach  bekannt 
waren. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  679 

Ekl.  12  (160  Verse).  Betrachtungen  über  den  Krieg 
zwischen  König  Johann  dem  Guten  von  Frankreich  und 
Eduard  III.  von  England ;  kurzer  Bericht  über  die  Schlacht 
von  Poitiers. 

Wie  aus  einer  dunkelen  Grotte  in  ein  sonnenhelles  und 
1)lumengeschmücktes  Gemach  treten  wir  von  den  Eklogen  zu 
den  poetischen  Episteln.  Diese  sieben  und  sechzig  kleinen 
Dichtungen  ^)  bilden  einen  Blüthenstrauss  von  Poesien,  der  sich 
an  Duft  und  Lieblichkeit  kühn  mit  dem  „Canzoniere"  ver- 
gleichen darf,  ja  vielleicht  sogar  denselben  an  Frische  und 
natürlichem  Reize  übertreffen  mag.  Aus  diesen  poetischen 
Episteln  ist  die  Allegorie  verbannt  oder,  wo  sie  erscheint,  er- 
scheint sie  doch  nur  in  anmuthig  leichter,  nicht  in  mystisch 
dunkler  Form,  und  gerade  um  desswillen  sind  sie  so  schön  und 
so  erfüllt  vom  Hauche  w^ahrer  Poesie.  Hier  wollte  der  Dichter 
nicht  prunken  mit  tiefsinnigen  Gedanken,  geistvollen  Anti- 
thesen und  gelehrtem  Wissen,  hier  wollte  er  die  Wahrheit 
nicht  mit  einem  kunstvollen  und  nur  von  dem  Eingeweihten 
zu  durchschauenden  Schleier  der  Fiction  verhüllen,  hier  wagte 
er  es,  Mensch  zu  sein  und,  unbeirrt  von  einer  abstrusen  Theorie, 
seinem  natürlichen  Genius  zu  folgen :  er  w^agte  dies ,  weil  er 
in  diesen  Episteln  nur  poetisch  spielen,  nur  seinem  Mittheilungs- 
drange,  der  in  den  Prosabriefen  noch  nicht  genügende  Be- 
friedigung fand ,  auch  in  dem  melodischen  Klange  der  Verse 
Ausdruck  geben,  nicht  aber  ein  für  die  Unsterblichkeit  be- 
rechnetes, grosses  poetisches  Werk  schaffen  wollte.  Wir  meinen 
gerade  aus  diesen  Episteln,  in  denen  der  Dichter  die  augen- 
blicklichen Eingebungen  seiner  Muse,  ungetrübt  und  unbe- 
schwert von  verstandesmässigen  Reflexionen,  fixirt  hat,  lässt 
sich  am  besten,  besser  noch  als  aus  dem„Canzoniere",  erkennen, 
welch'  hohe  poetische  Begabung  Petrarca  besass,  und  wenn  man 
dies  erkennt ,  so  kann  man  nicht  umhin ,  zu  beklagen ,  dass 
dieser  Dichtergenius  in  seinen  umfangreicheren  Schöpfungen 
sich  beengen  und  beirren  liess  von  wunderlichen  theoretischen 


>)  Buch  I:  14  Episteln;  Buch  II:  19  Episteln;  Buch  III:  34  Episteln. 


680  Vierzehntes  Capitel. 

Yoistellungen  über  das  Wesen  der  Poesie.  "Was  würde  Pe- 
trarca zu  leisten  vermocht  haben,  wenn  er  immer  so  natürlich  ge- 
dichtet hätte,  wie  in  seinen  Episteln !  wie  ungleich  poetisch  werth- 
voller  würden  dann  namentlich  seine  Liebeslieder  geworden 
sein !  Den  grössten  Lyrikern  aller  Zeiten,  selbst  einem  Goethe, 
wäre  er  dann  ebenbürtig  geworden  und  auf  eine  weit  höhere 
Stellung  in  der  Geschichte  der  Weltpoesie,  als  ihm  jetzt  zu- 
erkannt werden  kann,  würde  er  dann  berechtigten  Anspruch 
besitzen. 

Auch  das  hat  wesentlich  dazu  beigetragen,  die  Episteln  zu 
poetischen  Meisterwerken  zu  gestalten,  dass  der  Dichter  sich 
in  ihnen  eng  begrenzte  Themata  zur  Behandlung  erwählt  hat 
und  Themata ,  welche  stets  in  Beziehung  standen  zu  seinem 
persönlichen  Denken  und  Empfinden.  Für  weit  umfassende 
Aufgaben  reichte  Petrarca's  Talent  nicht  aus  —  wir  sahen  dies 
bei  der  Betrachtung  der  .,Afi'ica'"  — .  am  wenigsten  aber  ver- 
mochte er  Themata  zu  behandeln,  welche  Objectivität  und 
Ruhe  der  Darstellung  erforderten.  Petrarca  in  seiner  durch 
und  durch  subjectiven  Natur  war  nicht  für  das  Epos,  sondern 
nur  für  die  Lyrik  geschaffen,  er  scheiterte  stets,  wenn  er  gross- 
artige und  kühne  Compositionen  entwerfen  wollte,  aber  be- 
währte sich  als  ein  Meister,  wenn  er  sich  begnügte,  Stimmungs- 
bilder zu  zeichnen  und  Seelenzustände  zu  schildern.  Wäre  er 
ein  Maler  gewesen,  so  würde  er  nur  in  der  Landschafts-  und 
Genremalerei  Grosses  zu  schaffen  vermocht  haben,  während 
ihm  Historiengemälde  ohne  Zweifel  missglückt  sein  würden. 
Man  wende  hiergegen  nicht  ein,  dass  doch  auch  die  Episteln, 
weil  in  dem  heroischen  Verse  der  Lateiner  geschrieben,  dem 
epischen  Gebiete  angehören,  denn  nicht  die  Form  kann  hier 
das  Entscheidende  sein.  Mögen  immerhin  die  Episteln  das 
metrische  Gewand  der  Epik  tragen,  in  ihrem  Wesen  sind  sie, 
wenige  Ausnahmen  abgerechnet,  durchaus  lyrisch. 

Ein  wesentlicher  Vorzug  der  Episteln,  dem  sie  zum  gi'ossen 
Theile  ihre  Vollendung  verdanken,  ist  die  Verschiedenartigkeit 
ihres  Inhaltes.  Es  wird  in  ihnen  nicht,  wie  dies  im  Grossen 
und   Ganzen  im  „Canzoniere"   geschehen  ist,   immer  ein  und 


Die  lateinischen  Dichtungen.  681 

dasselbe  Thema  in  zahlreichen  und,  wenn  auch  an  sich  an- 
ziehenden und  reizvollen,  so  doch  auf  die  Länge  ermüdenden 
Variationen  abgehandelt,  sondern  in  buntem  und  anmuthigem 
Wechsel  lassen  sie  die  mannigfachsten  Bilder  an  unserem 
Auge  vorüberziehen :  bald  sind  es  alle  möglichen  Scenen  aus  des 
Dichters  Privatleben  in  Vaucluse,  Parma  und  Mailand,  welche 
uns  vorgeführt  werden,  bald  wieder  werden  uns  die  Schilderungen 
Staats-  und  kirchenpolitischer  Situationen  entrollt,  und  andere 
Dichtungen  endlich  versetzen  uns  in  die  litterarischen  Zustände 
und  Fehden  des  Zeitalters  der  beginnenden  Ptenaissance ;  in 
der  einen  Epistel  finden  wir  ein  flüchtig  hingeworfenes  Billet, 
das  etwa  eine  Einladung  zu  einem  Mittagsmahle  enthält,  in 
einer  anderen  einen  vertraulichen  und  ausführlichen  Freundes- 
brief, in  einer  dritten  eine  in  poetische  Form  gekleidete  Staats- 
schrift, in  einer  vierten  endlich  eine  geharnischte  metrische 
Streitschrift,  die  einen  böswilligen  Kritiker  vernichten  soll.  Es 
muss  genügen,  hingedeutet  zu  haben,  auf  diese  Vielseitigkeit 
des  poetischen  Epistolariums,  denn  allzuweit  würde  ein  näheres 
Eingehen  auf  diesen  Gegenstand  uns  führen,  und  wir  dürfen 
auch  um  so  eher  uns  desselben  für  überhoben  erachten, 
als  wir  bereits  in  unserer  Biographie  des  Dichters  an  ge- 
eigneten Stellen  den  Inhalt  so  mancher  Epistel  reproducirt 
haben  ^). 

Es  erübrigt  noch  ein  Wort  über  die  metrische  Form  der 
lateinischen  Dichtungen  Petrarca's  zu  sagen.  Es  muss  hier 
Aehnliches  bemerkt  werden,  wie  über  die  lateinische  Prosa 
(vgl.  oben  S.  537  t)  bemerkt  worden  ist.  Petrarca's  lateini- 
sche Versification  ist,  vom  philologischen  Standpunkte  aus  be- 


^ )  Hier  wollen  wir  wenigstens  die  schönsten  und  interessantesten  Episteln 
bezeichnen:  I  2  u.  5  (Ermahnung  an  Benedict  XII.  zur  Rückkehr  nach 
Rom),  I  7  (Geschichte  der  Liebe  Petrarca's  zu  Laura),  I  14  (Verwüstungen 
der  Pest),  II  1  (Dichterkrönung),  II  11  u.  18  (gegen  „Zoilus"  über  den 
Werth  der  Poesie),  II  17  (Aufenthalt  in  Selvapiana),  11  19  (Aufenthalt  in 
Parma),  II  26  (Rechtfertigung  wegen  eines  prosodischen  Fehlers),  III  3 
(Zusammensein  mit  Guglielmo  da  Pastrengo),  III  24  (schönes  patriotisches 
Gedicht,  ebenso  II  12),  III  27  (Aufenthalt  in  Parma),  III  29  (Pathenbriei 
an  Marco  Visconti). 


682  Vierzehntes  Capitel. 

urtheilt,  keineswegs  eine  tadellose  und  correcte,  sondern  weist 
Verstösse  gegen  Prosodie  und  Metrik  in  ziemlicher  Zahl  auf, 
selbst,  auch  principiell  durchgeführte  Solöcismen i) ,  aber  sie 
muss  nichtsdestoweniger  als  glatt,  ge^Yan^lt  und  elegant  be- 
zeichnet werden.  Die  Verse  machen  nie  den  Eindruck  des 
Gekünstelten  und  mühsam  Hervorgebrachten,  sondern  strömen 
in  natürlichem  und  freiem  Flusse  dahin  und  lassen  dadurch 
erkennen,  wie  sie  nicht  das  Product  einer  ängstlich  arbeitenden 
Gelehrsamkeit,  sondern  die  leicht  von  statten  gehende  Schöpfung 
einer  keine  sprachlichen  Schwierigkeiten  kennenden  poetischen 
Thätigkeit  sind.  Dass  Ausnahmen  vorkommen  —  sie  sind  na- 
mentlich in  der  „Africa"  zu  finden  — ,  ist  nahezu  selbstver- 
ständlich ,  aber  sie  sind  doch  immer  nur  vereinzelt  und  ver- 
mögen den  allgemeinen  Eindnick  der  Anmuth  und  Formen- 
vollendung, den  vdr  aus  den  lateinischen  Dichtungen  gewinnen, 
nicht  abzuschwächen. 

Seltsam  genug  ist  es,  dass  Petrarca  sich  für  seine  latei- 
nische Poesie  ausschliesslich  des  Hexameters  bedient,  den  Ge- 
brauch des  Distichons  dagegen,  welches  doch  dem  lyrischen 
Grundcharakter  der  meisten  Episteln  und  Eklogen  weit  ange- 
messener gewesen  wäre,  consequent  verschmäht  und  ebenso  die 
eigentlich  lyrischen  Metren  nie  angewandt  hat  ^).  Vielleicht 
glaubte  er  sich  in  der  poetischen  Form  von  Virgil  nicht 
entfernen  zu  dürfen.  Im  Baue  des  Hexameters  hat  er  sich, 
und  das  ist  sehr  beachtenswerth,  die  beliebten  mittelalterlichen 
Spielereien  des  End-  und  Binnenreimes,  des  Akrostichons  u.  dgl., 
von  einer  einzigen  Ausnahme  abgesehen  ^) ,  niemals  gestattet, 
sondern  sich  der  classischen  Einfachheit  befleissigt.  Zuweilen 
hat  er  —  aber  auch  hierin  sind  ihm  die  classischen  Dichter 
Koms  vorangegangen  —  von  der  Allitteration  Gebrauch  ge- 
macht (z.  B.  Afr  in  348,  IV  163).  —  In  der  „Africa"  finden 
sich  in  nicht  ganz  unbeträchtlicher  Zahl  Halbverse  (z.  B.  III 63«  >, 


')  Das  Nähere  sehe  man  b.  Corradini,  p.  92  f 

^)  Nur  der  Brief  an  Horaz  (Ep.  Fam.  XXIV  7)  ist  in  asklepiadeischem 
Metrum  geschrieben. 

■"•)  Ep.  I  6  ist  in  gereimten  Hexametern  geschrieben. 


Die  lateinischen  Dichtungen.  683 

IV  58  u.  388,  VI  396,  741  u.  830),  wol  in  Nachahmung  der 
bekannten  Halbverse  in  der  Aeneis  und  vermuthlich  dazu  be- 
stimmt, Sinnespausen  in  nachdrucksvoller  Weise  zu  kennzeichnen. 
Wir  scheiden  hiermit  von  den  lateinischen  Dichtungen  ^), 
indem  wir  hoffen,  es  werde  uns  gelungen  sein,  nachzu- 
weisen, dass  auch  diese  einen  hohen  poetischen  und  litterar- 
geschichtlichen  W^erth  besitzen  und  dass  die  absprechenden 
Urtheile,  welche  man  über  sie  oft  fällen  zu  müssen  gemeint 
hat  ^),  durchaus  der  Berechtigung  entbehren. 

^)  Von  einer  Besprechung  der  „sieben  ßusspsalmen"  dürfen  wir  ab- 
sehen, da  dieselben  nur  aus  aneinander  gereihten  Eeminiscenzen  der  bib- 
lischen Busspsalmen  bestehen.  Ebenso  haben  wir  keinen  Anlass,  die  „Ge- 
bete" Petrarca's  (b.  Hortis,  p.  367  ff.)  zu  besprechen. 

-)  Es  haben  dies  z.  B.  Grillparzer  in  den  „Aesthetischen  Studien" 
(Sämmtl.  Werke,  Bd.  9,  Abth.  2)  und  noch  neuerdings  K.  Frenzel  in  seinem 
Buche  „Renaissance  und  Rococo"  (Berlin,  1876),  welches  auch  ein  Essay 
über  Petrarca  enthält,  gethan. 


Fünfzelintes  Capitel. 
Die  italienischen  Dichtungen. 


In  der  Architektur  geschieht  es  zuweilen,  dass  die  Rück- 
sichten auf  die  Symmetrie  mit  denen  auf  das  praktische  Be- 
düifniss  in  Widerspruch  gerathen,  dass  z.  B.  die  ersteren  das 
Vorhandensein  eines  Fensters  an  einer  Stelle  erfordern ,  an 
welcher  die  letzteren  das  ununterbrochene  Fortlaufen  des 
Mauerwerkes  als  nothwendig  erscheinen  lassen.  In  einem  der- 
artigen Falle  hilft  sich  dann  der  Baumeister  wol  mit  dem 
Auswege,  dass  er  ein  Scheinfenster  anbringen  lässt  und  dadurch, 
ohne  die  Rücksicht  auf  das  praktische  Bedürfniss  zu  schädigen, 
doch  auch  den  Anforderungen  der  Symmetrie  wenigstens  äusser- 
lich  Genüge  leistet.  • 

Zu  einem  ähnlichen  Verfahren  sehen  wir  uns  in  diesem 
Capitel  veranlasst.  Eine  Betrachtung  auch  der  italienischen 
Dichtungen  Petrarca's  durfte  diesem  Buche  nicht  gänzlich 
fehlen,  wenn  wir  uns  nicht  dem  Vorwurfe  sträflicher  Un- 
vollständigkeit ,  der  vermuthlich  von  jedem  Leser  sofort  er- 
hoben worden  wäre,  aussetzen  wollten,  andererseits  aber  konnten 
wir  uns  nicht  entschliessen ,  dieses  Capitel  mit  der  gleichen 
Ausführlichkeit,  wie  die  früheren,  zu  behandeln.  Mehrfache 
theils  innere  theils  äussere  Gründe  Messen  es  uns  vielmehr  als 


Die  italienischen  Dichtungen.  685 

rathsam  und  gerechtfertigt  erscheinen,  uns  im  Folgenden  mit 
einigen  kurzen  und  aphoristischen  Bemerkungen  zu  begnügen. 

Ueber  Petrarca's  italienische  Dichtungen,  über  seine  Liebe 
zu  Laura  und  über  Laura's  Persönlichkeit  ist,  namentlich  seit- 
dem durch  de  Sade's  grosses  Werk  die  Erörterung  dieser  Fragen 
in  ein  neues  Stadium  getreten  war,  bereits  so  unendlich  Vieles 
und  darunter  so  Vortreffliches  gesagt  worden,  dass  wir,  wie  wir 
gern  eingestehen,  uns  unvermögend  fühlen,  etwas  wesentlich 
Neues  zu  sagen,  mit  der  Wiederholung  aber  des  bereits  von 
Anderen  Gesagten  sowol  die  Leser  zu  ermüden  als  auch  nutz- 
los den  bereits  nahezu  übermässigen  Umfang  dieses  Buches 
noch  mehr  zu  erweitern  befürchten. 

Es  kommt  hinzu,  dass  die  Kenntniss  der  in  unzähligen 
Ausgaben  und  trefflichen  Uebersetzungen  verbreiteten  italieni- 
schen Poesien  eine  so  allgemeine  geworden  ist,  dass  ein  näheres 
Eingehen  auf  ihren  Inhalt  und  die  ausführliche  Begründung 
eines  aesthetischen  Urtheiles  über  sie,  wenigstens  an  diesem 
Orte,  geradezu  Raumverschwendung  zu  nennen  sein  würde. 

Und  überdies  werden  wir,  wenn  wir  im  weiteren  Verlaufe 
unserer  litterargeschichtlichen  Erzählung  die  Lyrik  der  späteren 
Renaissance  eingehend  besprechen  werden,  noch  einmal  auf 
Petrarca's  Bedeutung  für  die  italienische  Dichtkunst  zurück- 
kommen müssen  und  wir  meinen,  dass  wir  dann  erst  dieselbe 
richtig  zu  würdigen  vermögen  werden.  Bei  der  Beurtheilung 
der  „Petrarkisten"  erst  werden  wir  den  Maassstab  auch  für 
die  Beurtheilung  des  italienischen  Lyrikers  Petrarca  finden, 
denn  in  den  Poesien  der  ersteren  werden  wir  die  charakteristischen 
Elemente  der  Poesie  des  letzteren  im  Zustande  der  vollen 
Entwickelung  erblicken.  Petrarca  als  italienischer  Dichter 
darf,  wenn  der  Beurtheiler  nicht  in  Einseitigkeit  und  schweren 
Irrthum  verfallen  will,  nicht  für  sich  allein,  sondern  nur  im 
Zusammenhange  mit  seinen  Nachfolgern  und  Nachahmern  be- 
trachtet werden.  Das  Wort  „an  ihren  Früchten  sollt  ihr  sie 
erkennen"  gilt  in  seiner  vollen  Schärfe  auch  für  Petrarca's 
italienische  Poesie :  nur  an  ihren  Früchten  kann  sie  richtig  er- 
kannt  werden,    diese   Früchte    aber   reiften    erst    später    im 


586  Fünfzehntes  Capitel. 

Petrarkismus,  und  es  würde  also,  ehe  wir  nicht  zu  dessen  Be- 
trachtung gelangt  sind,  unser  Erkennen  nur  ein  sehr  mangel- 
haftes sein  können.  —  Endlich  aber  sei  auch  noch  an  Eins 
erinnert,  was  wir  bereits  im  Eingange  dieses  Buches  dargelegt 
haben.  Nicht  durch  den  „Canzoniere"'  noch  durch  die  ,,Trionfi", 
sondern  durch  seine  lateinischen  Schriften  ist  Petrarca  der 
Begründer  des  Humanismus  und  der  Renaissance  geworden, 
und  es  besitzen  demnach  für  den  Litterarhistoriker  der  Re- 
naissance die  erstgenannten  italienischen  Dichtungen  nur  eine 
verhältnissmässig  untergeordnete  Bedeutung. 

In  Erwägung  also  der  soeben  dargelegten  Gründe,  welche 
man  holfentlich  als  berechtigt  anerkennen  wird,  verzichten  wir. 
wenigstens  an  dieser  Stelle,  auf  eine  eingehende  Beschäftigung 
mit  den  italienischen  Poesien  Petrarca"s  und  beschränken  uns 
auf  die  nothwendigsten  Bemerkungen.  Bei  anderen  Humanisten, 
welche  zugleich  auch  italienische  Dichter  waren,  selbst  schon 
bei  Boccaccio,  werden  wir  uns  der  gleichen  Einseitigkeit  nicht 
schuldig  machen  und  nicht  schuldig  machen  dürfen,  denn  bei 
diesen  würden  wir  nicht  das  Recht  besitzen,  einfach  auf  die 
Arlieiten  Anderer  verweisen  zu  können:  wie  Vieles  und  Herr- 
liches ist  über  Petrarca's  „Rime"  und  „Trionfi"  geschrieben 
worden,  wie  vergleichsweise  Weniges  und  wenig  Erschöpfendes 
aber  etwa  über  Boccaccio's  „Fiammetta" ,  .,Teseide"  und 
„Filostrato-'!  — 

Die  unter  dem  Gesammtnamen  des  „Canzoniere'"  oder  der 
„Rime"  vereinigten  lyrischen  Dichtungen  Petrarca's  zerfallen 
in  317  Sonette,  29  Canzonen,  9  Sestinen,  7  Ballaten  und  4 
Madrigale.  Von  dieser  ansehnlichen  Gedichtmasse  behandeln 
nur  26  Sonette  und  5  Canzonen  \)  nicht-erotische  Themata, 
alle  übrigen  Lieder  aber  sowie  überdies  noch  die  epischen 
Gesänge  der  „Trionfi''  sind  der  Verherrlichung  Laura's  ge- 
weiht -).    Petrarca's   Lyiik    ist    also    ganz    vorzugsweise    eine 


^1  Nach  Carducci's  Ausg.  der  ..Rime  sopra  argomenti  storici,  morali 
e  diversi." 

-)  Hier  mögen  auch  die  besten  deutschen  Uebersetzungen  des  , .Can- 
zoniere '  genannt  werden:    1.  von  Förster    3.  Aufl.,  Leipzig,  1851).    2.  von 


Die  italienischen  Dichtungen.  687 

Lyrik  der  Liebe  und  er  selbst  wird,  insofern  er  italienischer 
Dichter  ist,  sehr  passend  der  Sänger  der  Liebe  genannt.  Selt- 
samer Widerspruch,  welcher,  anscheinend  wenigstens,  uns  hier 
entgegentritt!  Derselbe  Mann,  der  sich  uns  in  so  manchem 
seiner  lateinischen  Werke  als  ein  bis  zur  Askese  strenger 
Moralist  zeigt  und  einen  bis  zur  Rohheit  sich  steigernden 
Frauenhass  bekennt,  er  preist  in  zärtlichen  Weisen  eines  Weibes 
Schönheit  und  Liebreiz !  und  derselbe  Mann,  der  mit  redlichem 
Mühen  und  angestrengtestem  Fleisse  den  höchsten  Zielen  des 
Wissens  nachstrebt  und  ernste,  grundgelehrte  Bücher  schreibt, 
er  findet  Zeit,  Liebessehnen  und  Liebesschmerz  zu  empfinden 
und  in  harmonischen  Versen  sie  austönen  zu  lassen!  Wie 
ist  dieser  Widerspruch  zu  lösen?  welcher  Art  war  die  Liebe, 
welche  Petrarca  zu  seiner  Laura  empfand?  und  vor  allen 
Dingen,  wer  war  diese  Laura,  welche  den  gewaltigen  Mann  ein 
und  zwanzig  Jahre  hindurch  zu  fesseln  vermochte  und  welche 
selbst  noch  nach  ihrem  Tode  lange  Jahre  hindurch  sein  innerstes 
Empfinden  beherrschte?  Denn  dass  diese  Laura  wirklich  und 
leibhaftig  existirt  hat,  dass  sie  nicht  bloss  eine  Abstraction  der 
dichterischen  Phantasie,  ein  allegorisches  Bild  des  Lorbeer- 
baumes (laurus)  und  der  Poesie,  oder  auch  der  Tugend  oder 
der  Philosophie  gewesen  ist,  das  darf  als  ganz  unzweifelhaft 
vorausgesetzt  werden.  Petrarca  selbst  hat  einmal,  als  sein 
Freund  Giacomo  Colonna,  aber  wol  auch  nur  im  Scherze, 
Laura's  reale  Existenz  angezweifelt  hatte,  sehr  entschieden 
gegen  die  Annahme  protestirt,  dass  er  nur  eine  Schöpfung  der 
eigenen  Phantasie  so  begeistert  Hebe^).  Aber  freilich  er,  der 
sonst  so  Gesprächige  und  in  zahlreichen  Episteln  so  gern  und 
so  beredtsam  sich  Mittheilende,  ist  überaus  zurückhaltend  mit 
Mittheilungen  über  seine  Liebe  und  deren  Gegenstand.  Kaum 
dass  sich  in  seinen  Freundesbriefen  einzelne  halb  verstohlene 
Andeutungen  finden,  so  karg  und  allgemein  gehalten,  dass  sie 


Krigar  (2.  Aufl.,  Hannover,  1866).    3.  von  Kekule  u.  Biegeleben  (Stuttgart, 
1844).  4.   J.  Hübner,  Hundert  ausgewählte  Sonette  Petrarca's  (Berlinj  1868). 
*)  Ep.  Fam.  II  9. 


688  Fünfzehntes  Capitel. 

uns  irgend  welche  Aufklärung  nicht  gewähren.  Auch  das  in 
einigen  Eklogen  Ausgesprochene  geht  im  Wesentlichen  über 
vage  Allgemeinheiten  nicht  hinaus  und  ist  überdies  so  mit 
Allegorie  durchwoben  und  verquickt,  dass  eine  Ausschälung 
des  Sachlichen  vielfach  ganz  unmöglich  ist.  Verschiedene 
Gründe  mochten  den  Dichter  zu  solcher  Zurückhaltung  be- 
stimmen. In  den  früheren  Jahren,  so  lange  Laura  noch  lebte, 
mochte  es  zumeist  eine  leicht  erklärliche  Rücksicht  auf  die 
Geliebte  selbst  und  deren  Familie  sein,  welche  ihm  Schweigen 
auferlegte,  zumal  wenn  Laura,  wie  wir  annehmen  zu  müssen 
glauben,  verheirathet  war;  in  den  späteren  Jahren  aber,  nach 
Laura's  Tode,  mochte  noch  hinzutreten,  dass  für  ihn  selbst 
Laura  immer  mehr  und  mehr  von  ihrer  irdischen  Leibhaftig- 
keit verlor  und  sich  ihm  zu  einem  Idealwesen  verklärte,  wobei 
ihm  dann  die  Erinnerung  an  alles  Persönliche  als  unwesentlich 
und  für  seine  nunmehrige  Auffassung  störend  erscheinen  niusste. 
Auch  hat  man  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  kein  sittlicher 
Mensch  seine  Jugendliebe  dem  Publicum  in  ihrer  nackten 
Realität  enthüllen,  sondern  bestrebt  sein  wird,  den  Schleier 
des  Mysteriums  über  sie  zu  breiten,  in  ein  gewisses  geheim- 
nissvolles Dunkel  sie  zu  hüllen  und  sie  als  etwas  Heiliges  dar- 
zustellen, das  man  profanen  Blicken  nicht  offenbaren  dürfe. 
Unseres  Wissens  wenigstens  hat  noch  kein  wahrer  Dichter 
weder  des  Alterthums  noch  der  Neuzeit  der  Mit-  und  Nach- 
welt rückhaltslose  Angaben  über  die  Lebens-  und  Familien- 
verhältnisse seiner  Geliebten  gemacht.  Dinge,  welche  das  zar- 
teste Empfinden  betreffen  und  dasselbe  mit  der  Realität  des 
Lebens  verbinden,  bewahrt  überhaupt  gern  ein  Jeder  in  der 
eigenen  Brust,  und  oftmals  würde  er  selbst  gern  darauf  ver- 
zichten, sie  zu  wissen  und  sich  dadurch  an  die  Prosa  der  All- 
täglichkeit erinnern  zu  lassen. 

Nur  zweimal  hat  Petrarca  sein  Schweigen  gebrochen  und 
ausführlichere,  wenn  auch  immerhin  sehr  vorsichtig  bemessene 
Mittheilungen  über  Laura's  Persönlichkeit  und  über  die  wahre 
Natur  seines  Verhältnisses  zu  der  Geliebten  gemacht.  Das 
eine  Mal,  wie  wir  sahen,  in  seiner  dem  heiligen  Augustin  ab- 


Die  italienischen  Dichtungen.  689 

gelegten  Seelenbeiclite  (vgl.  oben  S.  639  ff.),  das  andere  Mal  aber 
in  einer  für  die  Kenntniss  seines  inneren  Lebens  überaus  wich- 
tigen poetischen  Epistel  an  seinen  vertrauten  Jugendfreund 
Giacomo  Colonna^),  welche  seltsamerweise  von  den  bisherigen 
Biographen  des  Dichters  noch  nicht  nach  Gebühr  berücksich- 
tigt worden  ist, 

„Ueberaus  theuer  ist  mir,"  sagt  er  in  dieser  Epistel  (v. 
37 ff.) 2),  „eine  Frau  (mulier),  welche  bekannt  ist  durch  ihre 
Tugend  und  ihr  altes  Geschlecht  (sanguine  vetusto),  meine 
Lieder  haben  sie  verherrlicht  und  weithin  ihren  Ruhm  ver- 
breitet. Immer  wieder  kehrt  mein  Sinn  zu  ihr  zurück  und  mit 
immer  neuem  Liebesschmerze  bestürmt  sie  mich  und  nicht 
scheint  es,  als  werde  sie  auf  die  Herrschaft  über  mich  ver- 
zichten. Nicht  durch  Künste  der  Gefallsucht^),  sondern  durch 
natürliche  Anmuth  und  seltene  Schönheit  der  Gestalt  hatte 
sie  mich  einst  gefesselt.  Schon  hatte  ich  ein  Jahrzehend  mit 
ermattetem  Nacken  die  schwere  Kette  getragen,  zürnend,  so 
lange  Jahre  das  Joch  einer  Frau  erduldet  zu  haben,  schon 
war  ich  durch  die  schleichende  Krankheit  der  Seele  abgezehrt 
und  zu  einem  Anderen  geworden,  schon  war  die  Liebesgluth 
mir  bis  in  das  innerste  Mark  gedrungen,  schon  wünschte  ich 
den  Tod  herbei  und  vermochte  kaum  noch  die  entkräfteten 
Glieder  zu  schleppen,  da  ergriff  die  Sehnsucht  nach  Freiheit 
des  unglücklich  Liebenden  Herz :  ich  raffte  mich  auf  und  ver- 
suchte, gewaltsam  das  Joch  abzuschütteln.    Ein  schweres  Unter- 


^)  Ep.  poet.  17;  für  unseren  Zweck  kommen  namentlich  die  Verse 
37—116  in  Betracht.  Als  Abfassungszeit  der  Epistel,  deren  Text  übrigens, 
wie  er  in  den  baseler  Ausgaben  vorliegt,  ein  arg  entstellter  ist,  muss  mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit  das  Jahr  1338  (das  Jahr  nach  Petrarca's  Rück- 
kehr von  der  ersten  Romreise  und  seiner  Uebersiedelung  nach  Vaucluse) 
angesetzt  werden. 

-)  Wir  übersetzen  absichtlich  nicht  wortgetreu,  was  bei  der  Wieder- 
gabe lateinischer  Verse  bekanntlich  leicht  zu  Entstellungen  des  Sinnes, 
jedenfalls  aber  zu  einer  überaus  unbeholfenen  Ausdrucksweise  führen  kann, 
indessen  hoffen  wir,  den  Sinn  getreu  wiederzugeben. 

^)  Im  Texte  (v.  40)  steht  artibus  haec  ullis,  dass  aber  dafür  artibus 
haec  nullis  zu  lesen  sei,  ist  geradezu  selbstverständlich. 

Körting,  Petrarca.  44 


690  Fünfzehntes  Capitel. 

nehmen  wahrlich  war  es,  die  Herrin  aus  dem  zehn  Jahre  inne- 
gehabten Sitze  des  Herzens  zu  vertreiben  und  die  mächtige 
Feindin  anzugreifen  mit  schon  geschwächten  Kräften.  Den- 
noch wagt'  ich  den  Angriff,  und  Gott  selbst  stand  mir  bei  und 
verlieh  es  mir,  den  Nacken  aus  der  alten  Fessel  zu  befreien 
und  aus  dem  gewaltigen  Kampfe  als  Sieger  hervorzugehen. 
Die  Geliebte  aber  eilt  mir  nach  wie  einem  entlaufenen  Sklaven 
und  stürmt  trauernd  auf  mich  ein,  verborgene  Fackeln  und 
lockende  Waffen  gebrauchend  —  ach!  wie  oft  brachte  sie  den 
Schwankenden  auf  dem  betretenen  Pfade  zu  Falle!  was  sollte 
ich  nun  thun?  mit  welcher  Kunst  mich  vertheidigen  ?  wie  mich 
der  drohenden,  noch  härteren  Fesseln,  die  sie  für  mich  rüstet, 
erwehren?  Ich  fliehe,  unstät  durchirre  ich  den  ganzen  Erd- 
kreis, wage  die  stürmischen  Wellen  der  adriatischen  und  tus- 
cischen  See  zu  durchfurchen  und  scheue  mich  nicht,  dies  dem 
Joche  der  Liebe  entrissene  Haupt  der  gebrechlichen  Barke 
anzuvertrauen,  denn  warum  sollte  ich  einen  vorzeitigen  Tod 
fürchten,  der  ich  durch  Seelenqualen  erschöpft  und  des  Lebens 
müde  bin?  Nach  dem  Westen  wende  ich  mich,  und  es  er- 
blickte mich,  den  im  sonnigen  Grase  sich  bergenden,  der  hoch- 
ragende Scheitel  des  Pyrenäengebirges;  es  erblickte  mich  auch 
der  Ocean  dort,  wo  der  von  seiner  Bahn  ermattete  Sonnengott 
den  Feuerwagen  abspült  in  der  hesperischen  Fluth  und  wo  er, 
herabschaiiend  auf  den  durch  der  Medusa  Anblick  zu  Stein 
verhärteten  Atlas,  die  steilen  Berggipfel  lange  Schatten  werfen 
lässt  und  die  Mauren  in  eilender  Nacht  verbirgt.  Von  hier 
wandere  ich  dem  Norden  und  dem  Boreas  zu  und  durchwandle 
einsam  jene  Länder,  erfüllt  von  misstönender  Sprachen  Gewirr, 
wo  des  britannischen  Meeres  trübe  Welle  nur  erst  halb  be- 
kannte Küsten  mit  wechselnder  Woge  bespült  und  wo  dei- 
eisige  Boden  dem  befreundeten  Pfluge  den  Gehorsam  versagt 
und  den  Weinstock  von  den  Hügeln  fern  hält^).  Allmählich 
besänftigte    sich   mir    auf   der  Reise  der  Leidenschaft  Woge; 


^)  Diese  Stelle  („unstät  durcbiire  ich  —  fern  hält")  haben  wir  bereits 
oben  (S.  119  f)  in  einem  anderen  Zusammenhange   citirt  und  besprochen. 


Die  italienischen  Dichtungen.  691 

Schmerz,  Zorn  und  Furcht  begannen  zu  schwinden,  zuweilen 
schon  schloss  mir  ein  ruhiger  Schlummer  die  feuchten  Augen- 
lider und  ein  ungewohntes  Lächeln  erhellte  mein  Antlitz,  schon 
lebte  in  meiner  Erinnerung  weniger  bedrohend  und  weniger 
gebietend  der  verlassenen  Geliebten  Bild.  Ach!  was  soll  ich 
das  berichten?  Doch  Du  zwingst  mich  dazu.  Schon  glaubte 
ich,  vor  der  sinnbethörenden  Liebe  gesichert  zu  sein  und  die 
schmerzende  Wunde  und  den  Stachel  der  Leidenschaft  ver- 
achten zu  dürfen:  es  täuschte  mich  die  oberflächlich  vernarbte 
Wunde  und  die  ungewohnte  Unterbrechung  des  Schmerzes. 
Zum  sicheren  Tode  kehrt'  ich  zurück:  so  wollte  es  das  grau- 
same Verhängniss,  so  stürzte  mein  Irren  meinen  Geist  in's 
Verderben.  Kaum  hatte  ich  das  Gebiet  der  theuren  Stadt 
wieder  betreten,  als  die  frühere  Sorgenlast  wieder  die  freie 
Brust  umfing,  als  die  rasende  Krankheit  aufs  Neue  mich  befiel. 
Was  soll  ich  sagen  ?  womit  soll  ich  Elender  des  zweiten  thränen- 
reichen  Leides  Erzählung  beginnen?  denn  wer  würde  mir  es 
glauben  und  durch  welche  Kunst  des  Gesanges  vermöchte  ich 
es  zu  berichten,  wie  oft  der  Schmerz  mich  antrieb,  den  Tod 
herbeizuflehen  und  auf  Schlimmeres  noch  zu  sinnen,  und  welche 
Pein  mir  das  abermalige  Eingen  nach  Erlösung  schuf?  Ich 
halte  also  inne  —  aber  nachdem  ich  endlich  die  letzten  Fesseln 
von  meinem  Nacken  abgestreift,  ist  meine  ganze  Hoffnung  einzig 
auf  die  Flucht  gewandt,  und  nicht  fürchtet  mit  solchem  Ent- 
setzen der  Schiffer  in  der  Naclit  eine  Klippe,  wie  ich  jetzt  der 
Geliebten  Antlitz  und  ihr  herzbewegendes  Sprechen,  ihr  gold- 
gelocktes Haupt  und  ihren  schneeweissen  Hals,  den  eine  Kette 
schmückt,  ihren  reizenden  Nacken  und  ihre  süssen  Tod  spen- 
denden Augen.  Denn  was  sollte  ich  beginnen  und  welcher 
erzürnten  Gottheit  zum  dritten  Male  vergebliche  Gelübde 
weihen  ?  Während  ich  von  solchen  Sorgen  belastet  im  Gemüthe 
Alles  bedachte,  erschaute  ich  von  fern  an  verborgenem  Ge- 
stade diesen  Fels  und  glaubte  hier  in  meinem  Schiffbruch 
Sicherheit  zu  finden.  Hierher  also  richtete  ich  die  Fahrt  und 
beweine  nun  im  abgeschiedenen  Thale  die  Jahre  der  ver- 
gangenen Zeit.    Doch  die  Geliebte  verfolgt  mich  auch  hier  und 

44* 


692  Fünfzehntes  Capitel. 

mich  als  ihr  Gebiet  beanspruchend  ^) ,  erscheint  sie  bald  des 
Wachenden  Augen  und  bald  wieder  scheucht  sie  in  traum- 
haftem Schrecken  mit  drohendem  Antlitz  den  flüchtigen  Schlum- 
mer, Oft  auch  tritt  sie  —  wunderbar!  —  trotz  der  dreifach 
verschlossenen  Pforte  -)  um  Mitternacht  in  mein  Schlafgemach 
und  fordert  siegesbewusst  mich  als  ihren  Sklaven  zurück.  Dann 
erstarren  mir  die  Glieder  und  aus  allen  Adern  strömt  mein 
Blut  zum  Schutze  des  Herzens  zusammen,  und  ich  zweifle 
nicht,  dass,  wenn  Jemand  mit  einer  Leuchte  an  mich  heran- 
träte, er  in  meinem  Angesichte  grauenhafte  Blässe  entdecken 
würde  und  wahrnehmen,  wie  die  Seele  das  Nahen  neuen  Un- 
heiles schaudernd  empfindet.  Erschreckt  erwache  ich,  in  Thrä- 
nen  gebadet,  und  springe  vom  Lager  empor  und,  bevor  noch 
die  Morgenröthe  den  Himmel  erleuchtet,  verlasse  ich  das  mir 
furchtbar  gewordene  Haus,  durchirre  Berge  und  Haine  und 
blicke  immer  scheu  mich  um,  ob  nicht  etwa  die,  welche  den 
Schlummernden  aufscheuchte,  auch  dem  Wandelnden  begegene. 
Kaum  wird  man  es  glauben  dürfen,  wenn  ich  dieser  Verfolgung 
jemals  entrinnen  sollte!  Oft,  wenn  ich  in  unwegsamen  Wäldern 
ganz  allein  zu  sein  vermeine,  da  zeigen  mir  die  im  Lufthauch 
schwankenden  Gebüsche  und  der  Stamm  der  einsam  stehen- 
den Eiche  ihr  Angesicht,  aus  der  Fluth  der  Quelle  taucht  mir 
ihr  Bild  empor,  in  den  Wolken,  in  der  leeren  Luft  und  selbst 
im  harten  Gesteine  glaube  ich  sie  zu  erblicken,  und  Furcht 
hemmt  meinen  zweifelnden  Schritt,  Solche  Netze  stellt  Amor 
mir  und  keine  Hoffnung  darf  ich  ferner  hegen,  wenn  nicht  der 
allmächtige  Gott  mich,  den  in  der  wirbelnden  Fluth  Ermatteten, 
erlöst  und,  nachdem  er  der  Macht  des  Feindes  mich  entrissen, 
mir  wenigstens  in  diesem  Verstecke  Sicherheit  vergönnt." 

Wer  w-ar  nun  diese  schöne  Feindin  des  Dichters,  aus  deren 
Fesseln  er  so  vergebens  sich  zu  lösen  strebte? 


1)  So  darf  man  vielleicht  „sua  rura  retentans"  übersetzen ,  denn  unter 
„sua  rura"  Vaucluse  verstehen  zu  wollen,  was  an  sich  näher  läge,  würde 
unstatthaft  sein,  da  uns  Nichts  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  Laura, 
bezw.  ihr  Gatte,  in  Vaucluse  Landbesitz  gehabt  habe. 

-)  Für  „ter  lumine  clauso"  des  Textes  lesen  wir  „ter  limine  clauso". 


1 


Die  italienischen  Dichtungen.  693 

Mannigfache  Vermuthiingen ,  welche  hier  zu  wiederholen 
ebenso  zwecklos  als  ermüdend  sein  würde,  sind  hierüber  von 
den  früheren  Biographen  und  Erklärern  Petrarca's  aufgestellt 
worden,  Vermuthungen,  welche  schon  um  desswillen  unhaltbar 
sein  mussten,  weil  sie  sich  lediglich  entweder  auf  jeder  Be- 
glaubigung entbehrende  Localtraditionen  in  Avignon-Vaucluse 
oder  auf  mehr  oder  minder  willkürliche  Deutungen  einzelner 
Stellen  des  „Canzoniere"  und  vielleicht  auch  der  Eklogen  und 
Episteln  stützten.  Eine  wirklich  begründete  Beantwortung 
der  Frage  hat  zuerst  de  Sade  in  seinem  bekannten  Werke 
über  Petrarca  (1764—67,  vergl.  oben  S.  39)  zu  geben  versucht. 
Die  von  ihm  aufgestellte  Hypothese  lässt  sich  etwa  folgender- 
maassen  kurz  zusammenfassen. 

Laura  wurde  als  Tochter  eines  Edelmannes  Audibert  de 
Noves  ^)  und  dessen  Gattin  Ermessende  ungefähr  im  Jahre  1307 
geboren.  Am  16.  Januar  1325  vermählte  sie  sich  mit  einem 
gewissen  Hugo  de  Sade,  dem  Sohne  eines  angesehenen  und 
wiederholt  mit  dem  Amte  eines  städtischen  Syndicus  betrauten 
Mannes  zu  Avignon.  Die  Trauung  erfolgte  in  der  Marienkirche 
zu  Avignon,  und  als  Mitgift  erhielt  Laura  in  Folge  testamen- 
tarischer Verfügung  ihres  bereits  etwa  im  Jahre  1320  ver- 
storbenen Vaters  die  erkleckliche  Summe  von  .,6000  tournois 
ä  l'o  rond''  ^)  sowie  zwei  Anzüge  (einen  grünen  und  einen 
scharlachfarbenen) ,  einen  silbernen  Kranz  im  Werthe  von 
20  Goldgulden,  ein  Bett  und  Alles,  was  sonst  zur  standes- 
gemässen  Ausstattung  gehörte.  Laura  gebar  ihrem  Gatten 
11  Kinder  und  starb  nach  einer  23jährigen  Ehe  am  6.  April 
1348  zu  Avignon  als  ein  Opfer  der  damals  grassirenden  Pest, 
nachdem  sie  am  3.  April  ihr  Testament  gemacht  hatte.  Be- 
graben wurde  sie  in  der  vorstädtisehen  Franciscanerkirche  ^). 


^)  Noves  „gros  bourg  situe  en  Provence,  ä  deux  lieues  d' Avignon,  dont 
il  est  separe  par  la  Durance".     de  Sade  I  p.  128. 

'^)  de  Sade  setzt  diese  Summe  derjenigen  von  80,000  Livres  gleich 
(es  würden  dies  ungefähr  60,000  Mark  sein). 

^)  Auf  das  letztere  deutet  auch  Petrarca  selbst  Ekl.  11,  v.  10  ff.  hin. 
Im  Jahre   1533  soll  Laura's  Grab   von   dem  Florentiner  Geronimo  Manelli 


694  Fünfzehntes  Capitel. 

Den  Beweis  seiner  Behauptungen  gründet  de  Sade  auf 
zahlreiche  Urkunden,  welche  er  in  dem  Archive  seiner  Familie 
aufgefunden  zu  haben  versichert  und  welche  er  in  den  seinem 
Werke  beigegebenen  „pieces  justificatives"  im  Wortlaute  mit- 
theilt. Es  ist  aber  mit  diesen  Urkunden  eine  sehr  missliche 
Sache :  man  kann  ihre  Aechtheit  nicht  gerade  mit  ganz  posi- 
tiven und  unwiderleglichen  Gründen  anzweifeln,  schon  desshalb 
nicht,  weil  die  Originale  nicht  mehr  vorhanden  sind,  aber  eben- 
sowenig lässt  sich  ihre  Authenticität  irgendwie  erhärten  und 
beweisen,  denn  dass  de  Sade  selbst  die  Documente  von  Rechts- 
gelehrten und  angesehenen  Bürgern  Avig-nons  als  acht  be- 
glaubigen liess ,  ist  weit  eher  geeignet ,  Misstrauen ,  als  Ver- 
trauen zu  erwecken,  oder  kann  uns,  wenn  wir  den  Stand  der 
Urkundenkritik  im  achtzehnten  Jahrhunderte  bedenken,  doch 
mindestens  nicht  als  eine  genügende  Gewähr  erscheinen.  Ver- 
dächtig ist  gerade  die  grosse  Ausführlichkeit  der  Documente 
und  ihre  schöne  Uebereinstimmung  mit  allen  den  Angaben 
über  Laura's  Persönlichkeit  und  Schicksale,  welche  man  — 
es  bleibe  dahingestellt,  mit  welchem  Rechte  —  aus  dem 
.,Canzoniere"  und  den  „Trionfi"  hat  herauslesen  wollen.  Arg- 
wöhnisch muss  auch  der  Umstand  machen,  dass  de  Sade  ein- 
gestandenermaassen  in  dem  Nachweise,  dass  Petrarca's  Laura 
die  Aeltermutter  seines  eigenen  Geschlechtes  sei,  die  Befrie- 
digung eines  persönlichen  Ehrgeizes  suchte  und  fand.  Verdachts- 
gründe liegen  also  gewiss  vor,  und  so  hart  es  auch  scheinen 
mag,  zu  argwöhnen,  dass  ein  ohne  allen  Zweifel  hochgelehrter 
und  jedenfalls  auch  um  die  Wissenschaft  sehr  verdienter  Mann, 
wie  de  Sade,  gleichwol  ein  Betrüger  gewesen  sein  könnte,  so 
muss  man  andererseits  doch  bedenken,  dass  die  historische 
Kritik   sich   eben  nur  von   sachlichen  Gründen  und  nicht  von 


wieder  entdeckt  und  geöffnet  worden  sein  Im  Inneren  fand  man  angeblich 
ein  auf  einem  Pergamentstreifen  geschriebenes  Sonett,  dessen  poetischer 
und  sprachlicher  Werth  ein  überaus  fragwürdiger  ist.  In  demselben  Jahre 
soll  auch  König  Franz  I.  das  Grab  wieder  haben  eröffnen  lassen  und  bei 
dieser  Gelegenheit  das  bekannte  kleine  Gedicht  zu  Ehren  Laura's  verfasst 
haben.    Das  Nähere  sehe  man  bei  Blanc,  a.  a.  0.  p.  231. 


Die  italienischen  Dichtungen.  695 

Gefühlen  leiten  lassen  darf,  mögen  diese  an  sieh  auch  noch  so 
löblich  und  ehrenwerth  sein,  und  ferner  hat  man  zu  erwägen, 
dass  Beispiele  von  zu  Betrügern  gewordenen  Gelehrten  leider 
in  der  Geschichte  der  Wissenschaft  keineswegs  so  selten  sind, 
und  dass  demnach  de  Sade's  Tugend  mindestens  nicht  als  ein 
Axiom  und  als  etwas  über  jeden  Zweifel  Erhabenes  voraus- 
gesetzt werden  darf.  Wir  nehmen  indessen,  so  wenig  wir  auch 
an  die  Aechtheit  der  de  Sade'schen  Documente  zu  glauben 
vermögen,  doch  aus  zwei  Gründen  davon  Abstand,  eine  An- 
klage auf  Fälschung  gegen  de  Sade  zu  richten.  Einmal,  weil 
es  uns  sehr  wohl  möglich  erscheint,  dass  de  Sade  nicht  der 
Betrüger,  sondern  der  Betrogene  war.  Die  Tradition  nämlich, 
dass  Laura  der  Familie  der  de  Sade  angehört  habe ,  ist  eine 
sehr  alte  —  bereits  im  Beginne  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
fand  sie  Alessandro  Vellutello  in  Avignon  festgewurzelt  —  und 
denkbar  ist  es  also,  dass,  um  sie  zu  stützen,  bereits  frühzeitig 
Documente,  vielleicht  mit  Zugrundelegung  vorhandener  ächter, 
geschmiedet  wurden,  welche  dann  der  Petrarcabiograph  de  Sade 
in  der  That  in  seinem  Familienarchive  finden  und  in  gutem 
Glauben  für  authentisch  halten  konnte.  Sodann  aber  ist  die 
Frage  nach  der  Aechtheit  oder  Unächtheit  der  betreffenden 
Urkunden  im  letzten  Grunde  für  die  Sache  ganz  gegenstands- 
los. Denn  im  Falle  der  unzweifelhaften  Aechtheit  der  Docu- 
mente wird  durch  diese  doch  nichts  weiter  bewiesen,  als  dass 
eine  gewisse  Laura  de  Sade,  geborene  de  Noves,  als  Mutter 
von  elf  Kindern  (sieben  Söhnen  und  vier  Töchtern)  am  6.  April 
1348  im  Alter  von  41  Jahren  zu  Avignon  starb,  dass  aber 
diese  Laura  oder  Laurette  de  Sade  mit  der  von  Petrarca  be- 
sungenen identisch  sei,  ist  damit  noch  durchaus  nicht  fest- 
gestellt, so  gern  man  auch  zugeben  mag,  dass  eine  solche 
Annahme  sehr  naheliegend  und  selbst  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  wahrscheinlich  sei,  zumal,  wie  bereits  erwähnt  ward, 
eine  alte  Tradition  Laura  zu  einer  de  Sade  macht,  obschon 
dabei  doch  auch  zu  bedenken  ist,  dass  bekanntlich  sehr  häufig 
in  einer  und  derselben  Familie  der  gleiche  Vorname  von  ver- 
schiedenen Gliedern  getragen  wird. 


696  Fünfzehntes  Capitel. 

Die  Hypothese  de  Sade's  ist,  weil  sie  die  einzige  war. 
welche  wenigstens  den  Schein  einer  urkundlichen  Begründung 
für  sich  hatte ,  bis  auf  die  neueste  Zeit  hin  so  ziemlich  all- 
gemein —  selbst  von  Männern  wie  Tiraboschi,  Baldelli,  Fra- 
cassetti,  Zefirino  Re  und  Mezieres  —  angenommen  worden,  in- 
dessen hat  es  ihr  doch  auch  an  Widerspruch  nicht  gefehlt. 
Namentlich  haben  mehrere  der  bedeutendsten  Forscher,  vor- 
zugsweise wol  durch  ein  gewisses  ästhetisches  Gefühl  be- 
stimmt, daran  Anstoss  genommen,  dass  Laura  eine  verheirathete 
Frau  und  Mutter  zahlreicher  Kinder  gewesen  sein  soll,  und 
sind  in  Folge  dessen  mit  scharfen  und  gewandt  geführten 
Waffen  für  die  Jungfräulichkeit  Laura's  in  die  Schranken  ge- 
treten, so  namentlich  der  Engländer  Lord  Woodhouselee  ^),  der 
grosse  Petrarcakenner  und  Petrarcabibliograph  Marsand  ^) , 
Blanc  in  seiner  vortrefflichen  biographischen  Skizze  (Ersch  und 
Gruber's  Encycl.  S.  IIL  Th.  19  S.  228  tf.)  und  ganz  neuerdings 
noch  L.  Geiger  in  seinem  trefflichen  Buche  über  Petrarca 
(S.  215  ff.  u.  274  f.)  ^);  wir  meinen  indessen  doch,  dass  dieser 
zu  Gunsten  der  Jungfräulichkeit  unternommene  Feldzug  ein 
ergebnissloser  gewesen  ist,  und  wenn  von  irgend  einer  der  von 
de  Sade  aufgestellten  Thatsachen,  so  sind  wir  davon  überzeugt, 
dass  Laura  verheirathet  war.  Wir  verzichten  bei  der  Be- 
gründung dieser  unserer  Ueberzeugung  gern  darauf,  uns  auf 
die  oben  (S.  639)  besprochene  Stelle  des  dritten  Gespräches 
über  die  Weltverachtung  zu  berufen,  durch  welche,  wenn  die 
Lesart  „partubus"  als  die  richtige  angenommen  werden  könnte, 
wenigstens  Laura's  Mutterschaft  unwiderleglich  bewiesen  sein 
würde,  wir  verzichten  auch  darauf,  in  den  Kränzen,  edlen 
Steinen  und  Perlen ,  mit  denen  Petrarca  in  verschiedenen  So- 
netten seine  Geliebte  geschmückt  sein  lässt,  einen  Beweis  ihres 
Frauenthums   zu   erblicken,   wie   in  sehr  anfechtbarer  Weise 


*)  In  der  Schi'ift  ,,An  historical  and  critical  essay  on  the  life  and  clia- 
racter  of  Petrarch"  (Edinburgh,  1810). 

*)  Biblioteca  petrarchesca  (Mailand,  1826),  p.  231  ff. 

^)  Ausserdem  seien  noch  genannt  Costaing  de  Pusignan  und  Salvator 
Betti  (La  Laura  del  P.,  Modena,  1866). 


Die  italienischen  Dichtungen.  607 

de  Sade  es  gethan  hat,  und  wir  verzichten  endlich  darauf, 
aus  der  Begleitung  Laura's  im  „trionfo  della  castitä"  irgend 
welche  Folgerungen  ziehen  zu  wollen.  Für  entscheidend  da- 
gegen halten  wir  die  wiederholt^)  ausgesprochene  Klage  des 
Dichters,  dass  die  Eifersucht  eines  Anderen  ihm  des  Anblicks 
der  Geliebten  beraube,  denn  wer  könnte  dieser  Andere  wol 
sonst  sein,  als  eben  ein  eifersüchtiger  Gatte?  Von  grossem 
Gewichte  scheint  es  uns  ferner  zu  sein,  dass  Laura  an  mehre- 
ren Stellen,  besonders  aber  in  der  oben  (S.  689)  mitgetheilten 
Epistel  an  Giacomo  Colonna,  von  Petrarca  ausdrücklich  als 
„mulier"  bezeichnet  wird.  Allerdings  braucht  Petrarca  mehr- 
fach auch  Bezeichnungen,  welche  für  die  Jungfräulichkeit  zu 
sprechen  scheinen,  aber,  ganz  abgesehen  davon,  dass  Renaissance- 
dichter oft  genug  verheirathete  Frauen  als  Jungfrauen  be- 
zeichnet haben,  so  lassen  die  betreffenden  einzelnen  Stellen 
sämmtlich  eine  leichte  Erklärung  zu^),  so  dass  auf  sie  der 
Beweis  für  Laura's  Jungfräulichkeit  sich  schwerlich  fernerhin 
wird  stützen  können.  Wir  glauben  demnach,  dass  Laura  in 
der  That  vermählt  gewesen  ist,  und  können  dann  auch  Nichts 
erblicken,  was  irgendwie  auffällig  oder  anstössig  wäre.  Nach 
unserer  gegenwärtigen  deutschen  Auffassung  und  Anschauungs- 
weise mag  es  uns  ja  allerdings  seltsam  genug"  erscheinen,  dass 
ein  Dichter  eine  verheirathete  Frau  und  nicht  ein  junges  Mäd- 
chen  zum   Gegenstande   seiner   Verehrung  macht  und   unver- 


1)  Son.  144.  162  u.  167. 

-)  Wenn  in  Ekl.  VIII  v.  75  der  Hirt  Amyclas  (=  Petrarca)  seine  Ge- 
liebte (=  Laura)  „puella"  nennt,  so  geschieht  das  eben  der  Fiction  zu 
Liebe  und  nach  dem  Vorgange  Virgil's,  der  in  seinen  Eklogen  die  Hirten 
stets  nur  Mädchen,  nicht  Frauen  lieben  lässt.  In  Ekl.  III  konnte,  wenn 
der  Dichter  nicht  gegen  alle  Mythologie  sich  versündigen  wollte,  Daphne 
selbstverständlich  nur  als  Mädchen  dargestellt  werden.  Wenn  im  dritten 
Gespräche  über  die  Weltverachtung  Augustin  die  jugendliche  Laura  „ado- 
lescentula"  nennt,  so  geschieht  dies  offenbar  nur,  weil  ein  anderer  Gegen- 
satz zu  dem  vorhergehenden  „anus"  nicht  vorhanden  war,  denn  „mulier- 
cula"  hätte  einen  komischen  Beigeschmack  gehabt.  Die  Hindin  in  Sonett 
188  (157)  soll  nur  frei  von  der  Liebe  sein,  nicht  von  der  Ehe.  In  Canzone 
12  (15)  v.  49  ff.  aber  sagt  Petrarca  nur,  dass  er  Laura's  Schönheit  besser 
als  irgend  ein  Anderer  erkannt  habe. 


698  Fünfzehntes  Capitel. 

(Irossen  Liebeslieder  an  sie  richtet,  denn  wii-  müssen  sofort 
daran  denken,  dass  eine  solche  Liebe  unter  normalen  Ver- 
hältnissen und  unter  der  Voraussetzung  der  Sittlichkeit  auf 
beiden  Seiten  von  vornherein  eine  hoffnungslose  ist  und  bleiben 
muss.  Aber  man  erinnere  sich,  dass  Petrarca  und  Laura  nicht 
in  Deutschland  und  nicht  im  neunzehnten  Jahrhundert,  sondern 
in  Frankreich  und  im  vierzehnten  Jahrhundert  lebten,  und  das 
Räthsel  wird  sich  mühelos  lösen.  In  Frankreich  und  überhaupt 
in  den  romanischen  Ländern  ist  es,  wenigstens  in  den  so- 
genannten besseren  Ständen,  noch  gegenwärtig  herrschende 
Sitte,  dass  die  jungen  Mädchen  ihre  Erziehung  in  einem  Kloster 
erhalten  und,  wenn  sie  nach  Beendigung  derselben  das  Kloster 
verlassen,  oft  sehr  bald  eine  Convenienzehe  eingehen.  Die 
jungen  Mädchen  werden  hierdurch  von  dem  gesellschaftlichen 
Leben  fern  gehalten  und  treten  erst  als  junge  Frauen  in  dieses 
ein.  Die  natürliche  Folge  hiervon  ist,  dass  die  Huldigungen 
der  Männerwelt  vorzugsweise  den  jungen  Frauen  gewidmet 
werden,  welche  denn  auch,  da  sie  nicht  nach  eigener  Wahl 
und  Neigung  sich  vermählen  durften,  oft  nur  allzu  bereit  sind, 
Liebesanträge  zu  erhören.  Das  Herz  will  eben  sein  Recht 
haben,  und  wird  ihm  dieses  vor  der  Ehe  nicht  gewährt,  so  er- 
hebt es  später  nur  um  so  lauter  seine  Ansprüche.  Bekannt 
ist  ja,  dass,  während  der  deutsche  Roman  meist  mit  der  Heirath 
abzuschliessen  pflegt,  der  französische  in  dei'  Regel  damit  be- 
ginnt und  dann  freilich  den  Ehebruch  erzählt.  So  ist  es  in  der 
Gegenwart  und  so  war  es,  nur  in  noch  erhöhtem  Grade,  im  Mittel- 
alter. Die  Troubadours  und  die  Minnesänger  haben  fast  aus- 
nahmslos nur  den  Frauen,  nicht  den  Mädchen,  ihr  Herz  und  ihr 
Lied  geweiht.  Vielfach  freilich  war  dieser  Minnedienst  nur  eine 
conventioneile  Form,  oft  genug  aber  war  er  auch  ernsthaft 
gemeint,  im  letzteren  Falle  steigerte  er  sich  bei  idealen  Naturen 
zum  schwärmerischen  Piatonismus,  während  er  bei  leiden- 
schaftlichen Sinnesmenschen  einfach  mit  dem  Ehebruche  endete 
und  enden  musste. 

Wenn  also  Petrarca  für  eine  verheirathete  Frau  glühte,  so 
war   dies  ganz  angemessen  dem  Geiste  und  den  Verhältnissen 


Die  italienischen  Diebtungen.  699 

der  Zeit  und  des  Landes,  in  welcher  und  in  welchem  er  lebte,  und 
weit  entfernt,  dass  seine  Handlungsweise  etwas  Auffälliges  gehabt 
hätte,  würde  sie  vielmehr  auffällig  gewesen  sein,  wenn  sie  anders 
gewesen  wäre,  wenn  seine  Liebe  einem  Mädchen  gegolten  hätte.  Er 
selbst  scheint  sich  darüber,  dass  er  die  Gattin  eines  Anderen  liebte, 
nie  irgend  welche  Gewissensbedenken  gemacht  zu  haben,  nur  die 
Liebe  selbst  erschien  ihm  in  melancholischen  Stunden  als  etwas 
Sündiges,  von  dem  er  sich  seines  Seelenheiles  wegen  befreien 
müsse.  Den  Gedanken  aber,  Laura  etwa  ihrem  Gatten  zu  ent- 
reissen  und  selbst  mit  ihr  die  Ehe  einzugehen  —  Avas  er  viel- 
leicht, trotzdem  dass  er  dem  geistlichen  Stande  angehörte,  bei 
den  damaligen  kirchlichen  Zuständen  durch  die  Vermittelung 
der  Curie  hätte  ermöglichen  können  — ,  diesen  Gedanken  hat 
er  ganz  sicherlich  nie  gehegt,  ja  man  darf  wol  mit  der  grössten 
Zuversicht  behaupten,  dass,  wenn  etwa  eine  gütige  Fee  ihm 
seine  angebetete  Laura  als  Gattin  hätte  zuführen  wollen,  er 
dagegen  eifrig  und  entschieden  protestii-t  haben  würde.  Er 
war  viel  zu  sehr  Egoist,  als  dass  er  in  der  Ehe,  welche  ja 
stets  eine  gewisse  Selbstverleugnung  und  Selbstaufopferungs- 
fähigkeit zur  Pflicht  macht,  ein  Glück  hätte  erblicken  können, 
und  er  betrachtete  dieselbe  vielmehr  als  unvereinbar  mit  einem 
der  Wissenschaft  und  idealen  Bestrebungen  gewidmeten  Leben 
und  als  eine  überaus  lästige  Beschränkung  der  persönlichen 
Freiheit  ^).  Er  war  ein  begeisterter ,  ja  geradezu  fanatischer 
Cölibatär. 

Beklagt  muss  es  aber  doch  werden,  dass  Petrarca,  der  in 
so  vielen  und  wesentlichen  Beziehungen  aus  den  Anschauungen 
seines  Zeitalters  heraustrat,  dies  nicht  auch  in  Beziehung  auf 
die  Liebe  gethan  hat.  Seine  hoffnungslose  Liebe  zu  der  ver- 
heiratheten  Laura  war  doch  im  letzten  Grunde  eine  unnatür- 
liche und  selbst  unsittliche  Leidenschaft,  deren  Einwirkung 
auf  ihn  und  sein  poetisches  Schaffen  vielfach  keine  heilsame 
sein  konnte :  diese  Leidenschaft  musste,  und  das  gerade  um  so 


')  vgl.   oben   S.  549  f.  u.  555  f.;    man  vgl.  ferner  Ep.  Farn.  V  14  XX 
4.  XXII  1.    Sen.  X  3  u.  XIV  4. 


700  Fünfzehntes  Capitel. 

mehr,  je  aufrichtiger  sie  war,  ihn  mit  sich  selbst  in  Zwiespalt 
bringen,  sein  Inneres  zerreissen  und  ihm  die  Möglichkeit  be- 
nehmen, zu  einem  wirklich  harmonischen  und  ihn  selbst  be- 
friedigenden Abschlüsse  seiner  Entwickelung  zu  gelangen.  Eine 
reine  Liebe  zu  einem  Mädchen  würde,  selbst  wenn  sie  ohne 
Gegenliebe  geblieben  wäre  und  ihr  naturgemässes  Ziel,  die 
Ehe,  nicht  erreicht  hätte,  läuternd  und  versöhnend  auf  ihn 
eingewirkt  und  ihn  noch  mehr,  als  er  selbst  ohne  dies  es 
zu  thun  vermocht  hat,  zu  der  Höhe  der  Menschheit  erhoben 
haben.  — 

V/ir  kehren  zu  Laura's  Persönlichkeit  zurück.  Was  wir 
über  dieselbe  wirklich  wissen,  lässt  sich  nach  dem  früher  Er- 
örterten in  folgende,  wenige  Worte  zusammenfassen:  sie  stammte 
aus  vornehmem  Geschlecht,  sie  war  verheirathet  —  doch  lässt 
sich  weder  angeben,  wer  ihr  Gatte,  noch  ob  sie  Mutter  w^ar  — . 
Petrarca  sah  sie  zum  ersten  Male  am  6.  April  1327,  welcher 
Tag  aber,  wie  chronologisch  feststeht,  kein  Charfreitag  war,  in 
der  St.  Clarakirche  zu  Avignon  und  widmete  ihr  bis  zu  ihrem 
Tode,  einundzwanzig  Jahre  hindurch,  seine  Liebe;  sie  bewies 
sich  gegen  den  Dichter  freundlich  und  verkehrte  mit  ihm 
zwanglos  in  den  damals  üblichen  geselligen  Formen,  aber  ohne 
jemals  ihm  Gegenliebe  zu  gewähren  oder  doch  ihm  dieselbe  ein- 
zugestehen, wenn  sie  auch  mindestens  freundschaftliche  Zunei- 
gung für  ihn  gefühlt  und  ihm  dies  auch  nicht  verheimlicht  hat: 
sie  starb  am  6.  April.  1348  zu  Avignon  und  wurde  noch  am  Abend 
desselben  Tages  in  der  Minoritenkirche  begraben').  Hierzu 
kommen  noch  vereinzelte  und  zum  Theil  widerspruchsvolle,  jeden- 
falls aber  für  die  Litteraturgeschichte  höchst  gleichgültige  An- 
gaben über  die  Farbe  ihrer  Haare  und  Augen,  über  ihren 
Kopfschmuck   und   ihre  Kleidung,  über  die  Lage  ihres  Wohn- 


^)  Laura's  Geburtsort  nennt  Petrarca  niemals  ausdrücklich,  aber  er 
bezeichnet  ihn  Son.  4  als  „picciol  borgo"  u.  Trionf.  della  morte  II  v.  165 
als  „troppo  umil  terren".  Wir  meinen,  dass  dies  verächtliche  Bezeich- 
nungen für  das  dem  Dichter  so  verhasste  Avignon  sein  sollen:  es  missfiel 
Petrarca,  dass  die  Geliebte  dort  und  nicht  in  Rom  oder  doch  in  Italien 
geboreri  worden  war. 


Die  italienischen  Dichtungen.  701 

hauses,  über  gelegentliche  kleine  Erkrankungen  u.  dgl. ,  An- 
gaben, welche  sämnitlich  im  „Canzoniere"  sich  finden  und  auf 
welche  näher  einzugehen  hier,  wo  wir  nicht  einen  Commentar 
zu  demselben  schreiben  wollen,  unsere  Aufgabe  nicht  sein 
kann.  Petrarca  hatte  sich  von  dem  berühmten  Maler  Simone 
Memmi  aus  Siena,  als  dieser  im  Jahre  1336  oder  1339,  mit 
Aufträgen  des  Papstes  betraut,  in  Avignon  sich  aufhielt,  ein 
Bildniss  Laura's  malen  lassen,  welches  er  immer  bei  sich  trug 
(vgl.  Son.  49,  50  u.  86,  und  oben  S.  642).  Von  den  drei  ge- 
genwärtig noch  erhaltenen  Bildnissen  Laura's  —  ein  grösseres 
Gemälde  auf  einer  Holztafel,  jetzt  im  Besitz  der  Signora 
Isabella  Bellanti  zu  Florenz  befindlich,  ein  der  Famihe  Peruzzi 
gehöriges  Marmorbasrelief  und  endlich  ein  Miniaturbild  in  einem 
Canzoniere-Codex  der  florentiner  Laurenziana  —  kann,  schon 
aus  leicht  ersichtlichen  äusseren  Gründen,  keins  mit  dem  von 
Memmi  gefertigten  identisch  sein  und  folglich  auch  keins  darauf 
Anspruch  erheben,  uns  die  Züge  der  gefeierten  Frau  in  authen- 
tischer Weise  zu  vergegenwärtigen  ^). 

Die  Geschichte  der  Liebe  Petrarca's  würde  mit  grosser 
Ausführlichkeit  sich  erzählen  lassen,  wenn  es  nur  möglich  wäre, 
die  ursprüngliche  chronologische  Ordnung  der  einzelnen  Lieder 
wiederherzustellen.  Dies  aber  muss,  trotzdem  dass  eine  nicht 
geringe  Anzahl  vom  Dichter  selbst  datirt  ist,  als  völlig  un- 
möglich bezeichnet  werden,  wenigstens  haben  alle  Versuche, 
welche  bis  jetzt  dazu  gemacht  worden  sind,  nur  zu  phanta- 
stischen Hypothesen  geführt  und  den  Ausgangspunkt  für  ganz 
romanhafte  Erzählungen  abgegeben. 

Höchst  wahrscheinlich  hat  der  Dichter  selbst,  der  lange 
Jahre  an  diesen  Liedern  feilte,  die  chronologische  Reihenfolge 
derselben  verschoben,  zum  Theil  vielleicht  absichtlich,  um  dem 
Gesammtwerke  eine  grössere  innere  Einheit  zu  geben  und  es 
nicht  als  ein  blosses  poetisches  Tagebuch  erscheinen  zu  lassen, 
zum  Theil  aber  vielleicht  auch  unwissentlich,  da  ihm  in  späteren 
Jahren  die  Erinnerung  an  alle  die  kleinen  Einzelheiten  seines 

^)  vgl.  Fracassetti,  Lett.  Farn.  II  383  ff.   und  die  dort  citirten  Bücher. 


702  Fünzfehntes  Capitel. 

längst  abgeschlossen  hinter  ihm  liegenden  Liebeslebens  nicht 
mehr  durchgängig  treu  sein  konnte. 

Wir  müssen  demnach  darauf  verzichten,  die  Geschichte 
der  Liebe  Petrarca's  zu  schreiben,  nicht  jedoch  darauf,  diese 
Liebe  in  Kürze  zu  charakterisiren  *). 

Petrarca  liebte  Laura  wahr  und  aufrichtig  und  mit  jener 
vollen  sinnlichen  Leidenschaft,  welche  wir  bei  einem  Manne, 
der  so  oft  über  sein  heisses  Blut  und  seinen  Hang  zur  Sinnlich- 
keit geklagt  hat  ^) ,  als  selbstverständlich  voraussetzen  dürfen. 
Nicht  sein  Verdienst  wahrlich  ist  es  gewesen,  dass  das  Liebes- 
verhältniss  ein  platonisches  blieb  und  nicht  zu  einem  ver- 
brecherischen wurde,  sondern  allein  Laura's  Tugend  hatte  er, 
wie  er  selbst  offen  bekannt  hat  (vgl.  oben  S.  642),  die  Er- 
haltung der  eigenen  Tugend  zu  danken  und  nur  nothgedrungen 
und  sehr  gegen  seinen  Willen  musste  er  am  Piatonismus  der 
Neigung  sich  genügen  lassen.  Aber  nicht  ungestraft  wider- 
strebt man  der  Natur.  Indem  Petrarca's  Leidenschaft,  wie  er 
von  vornherein  erkennen  musste,  weder  in  der  Ehe  ihren  natur- 
gemässesten  und  sittlichsten  Abschluss  erreichen,  noch  auch,  wie 
er  nach  langem,  vergeblichen  Hoffen  sich  doch  endlich  über- 
zeugen musste,  ausser  der  Ehe  eine  wenigstens  natürliche  Be- 
friedigung finden  konnte,  wurde  sie  ihm  zur  inneren  Qual  und 
Pein.  Die  Liebe  war  für  ihn ,  so  lange  er  noch  nicht  jeden 
Wunsch  unterdrückt  hatte,  nicht  die  mild  erwärmende,  das 
Leben  freudvoll  erleuchtende  Flamme,  sondern  eine  sein  Lmeres 
brennende  und  verzehrende  Gluth,  die  ihm  nicht  Ruh'  noch 
liast  gönnte  und  vor  welcher  er  vergebens  in  die  Einsamkeit 
sich  flüchtete,  welche  vergebens  auf  weiten  Reisen  zu  kühlen  und 
zu  verlöschen  er  sich  bemühte.   Angstvoll  strebte  er  immer  nach 

')  lieber  die  Art  der  Liebe  Petrarca's  vgl.  u.  A.  namentlich  Mezieres, 
p.  40 — 41,  Geiger,  p.  220 — 231,  u.  Henri  Blaze  de  Bury,  ,,Laure  de  Noves" 
in  der  Revue  des  Deux  Mondes  v.  15.  Juli  1874;  selbstverständlich  auch 
de  Sade,  Ginguene  u.  Meneghelli  (Opere  t.  III  Padua,  1831).  Am  besten 
hat  aber  das  Thema  wol  behandelt  F.  de  Sanctis  in  seinem  „Saggio  critico 
sul  Petrarca"  (Neapel,  1869),  nur  ist  leider  die  Form  dieses  Buches  etwas 
wunderlich  und  verworren. 

')  vgl.  besonders  Ep.  ad  post.  p.  2  f. 


Die  italienischen  Dichtungen.  703 

Heilung,  aber  immer,  wenn  er  gewähnt  hatte,  dass  sie  ihm 
beschieden  worden  sei,  musste  er  erkennen,  wie  trügerisch 
sein  Glaube  gewesen,  und  musste  fühlen,  wie  die  Wunde, 
kaum  oberflächlich  vernarbt,  bei  der  geringsten  Berührung 
wieder  aufriss  und  um  so  empfindlicher  schmerzte.  Anderes 
noch  kam  hinzu,  seine  Qual  zu  steigern.  Die  Liebe  zu  dem 
sterblichen  Weibe  erschien  ihm ,  dem  in  mittelalterlicher 
Gläubigkeit  Befangenen,  als  eine  Sünde,  als  ein  Verbrechen 
gegen  Gott,  der  allein  ein  Recht  auf  seine  Liebe  und  auf 
seinen  Dienst  besitze.  So  rang  er  mit  der  ganzen  Verzweiflung 
eines  von  Gewissenspein  gequälten  Herzens  nach  Erlösung  von 
seiner  Leidenschaft,  und  doch  wurde  diese  Erlösung  ihm  nie 
zu  Theil  und  konnte  ihm  nicht  zu  Theil  werden ,  denn  so 
gläubig  er  auch  war  und  sein  wollte,  er  war  doch  nicht  gläubig 
genug,  um  die  menschliche  Natur  in  sich  besiegen,  um  das 
eigene  Ich  ertödten  zu  können.  Es  kämpften  in  ihm  der 
mittelalterliche  und  der  moderne  Mensch  und  keiner  durfte  des 
vollen  Sieges  sich  rühmen,  und  gerade  das  machte  den  Kampf 
so  schwer  und  schmerzensreich.  Auch  in  seiner  Liebe,  in 
seinem  innersten  Fühlen,  stand  Petrarca  auf  der  Grenze  zweier 
Zeitalter,  und  auch  in  seiner  Liebe  mischten  sich  seltsam  die 
mittelalterlichen  und  die  modernen  Elemente.  Daher  das 
Räthselhafte,  Dunkele  und  Vieldeutige,  welches  Petrarca's  Liebes- 
leben, wie  es  im  „Canzoniere"  sich  offenbart,  an  sich  trägt: 
viele  Lieder  sind  so  klar  und  durchsichtig,  sie  reden  so  un- 
mittelbar zu  unserem  Herzen  und  leihen  nur  solchen  Gefühlen 
Ausdruck,  welche  auch  wir  in  der  eigenen  Brust  empfinden, 
wenn  wir  je  geliebt ;  in  anderen  Liedern  dagegen  ist  der  Gedanke 
für  uns  wie  mit  einem  dichten  Schleier  umsponnen,  und  wenn  es 
uns  gehngt,  diesen  Schleier  zu  heben,  so  erscheint  uns  der 
Gedanke  so  fremdartig  und  seltsam ,  lässt  uns  so  kalt  und 
theilnahmlos  und  kann  uns  sogar  fast  irre  machen  an  dem  be- 
wunderten Dichter.  Der  „Canzoniere"  ist  eben  ein  zwiespältiges 
W^erk,  an  welchem  der  mittelalterliche  und  der  moderne  Mensch 
in  Petrarca  gleichen  Antheil  haben.  Gewiss  wird  durch  diese 
Zwiespältigkeit  das  ästhetische  Behagen  an  Petrarca's  „Birne" 


704  Fünfzehntes  Capitel. 

verkümmert  —  es  wird  kaum  einen  Petrarcaverehrer  geben, 
dem  alle  Sonette  und  Canzonen  sympathisch  sind,  sondern  es 
trifft  eben  ein  Jeder  seine  Auswahl  — .  aber  andererseits  ge- 
winnen dieselben  eben  dadurch  eine  eminente  Wichtigkeit  für 
die  Geistesgeschichte  der  abendländischen  Menschheit:  sie  sind 
das  einzige  poetische  Denkmal  einer  hochbedeutenden  Ueber- 
gangszeit.  Wir  sehen  im  „Canzoniere"  den  üebergangsprocess 
vom  mittelalterlichen  zum  modernen  Empfinden  vor  unsern 
Augen  sich  vollziehen. 

In  die  Unmöglichkeit  versetzt ,  ihren  naturgemässen  Zielen 
nachstreben  zu  dürfen,  wurde  Petrarca's  Liebe  auf  Bahnen  ab- 
gelenkt, welche  geradezu  als  ungesund  bezeichnet  werden 
müssen.  Wo  berechtigte  physische  Strebungen  gewaltsam  unter- 
drückt werden,  da  krankt  dann  auch  das  psychische  Empfin- 
den. So  steigerte  sich  Petrarca's  ursprünglich  gesundes  und 
natürliches  Fühlen  allmählich  zu  einer  hyperidealen  und  mysti- 
schen Schwärmerei,  welche  nur  gar  zu  sehr  an  den  in  Kloster- 
zellen so  üppig  gedeihenden  schwärmerischen  und  visionären 
Mysticismus  erinnert.  Die  Geliebte  hörte  für  ihn  auf  ein  Weib 
und  ein  Mensch  zu  sein,  sie  wurde  zur  Göttin,  zur  Heiligen, 
zu  einer  Abstraction  alles  Gutei'  und  Schönen  erhoben,  und  als 
sie  gestorben  war,  da  lebte  sie  als  überirdisches  Wesen  für  den 
Dichter  fort,  sie  erschien  ihm  in  verklärter  Gestalt,  sie  stieg 
gleich  einem  Schutzengel  aus  dem  Himmel  zu  ihm  nieder  und 
spendete  ihm  mit  liebevollem  Zuspruch  Trost  und  Mahnung. 
Das  war  eine  Apotheose,  welche,  wenn  sie  auch  vielleicht 
Einigen  hochpoetisch  erscheinen  mag,  in  Wirklichkeit  doch 
eine  arge  psychische  und  poetische  Verirrung  war.  Die 
mystische  Schwärmerei  zeugte  aber  noch  anderes  Unheil,  in- 
dem sie  sich  einerseits  mit  der  Allegorie  und  andererseits  mit 
dem  reflectirenden  Verstände  verband.  Dadurch  wurden  Ele- 
mente in  Petrarca's  Liebespoesie  hineingetragen,  welche  sie 
mit  dem  Fluche  der  Unnatur  behalten  und  sie  zu  einem  fro- 
stigen Spiele  mit  Bildern,  Sentenzen  und  Worten  herabwürdi- 
gen mussten.  Eben  hierdurch  ist  die  Gesammtwirkung  Pe- 
trarca's auf  die  Penaissancelvrik  eine  so   nachtheilige  gewor- 


Die  italienischen  Dichtungen.  705 

den ,  denn  die  Nachahmung  lehnte  sich ,  wie  dies  stets  ge- 
schieht, ganz  vorwiegend  an  die  Schwächen  des  "Originals  an 
und  steigerte  diese  bis  zur  ärgsten  und  widerlichsten  Verzer- 
iiing.  Und  auch  schon  bei  Petrarca  selbst  wirkt  das  Ueber- 
maass  von  Allegorie  und  Reflexion ,  an  welchem  so  viele  Ge- 
dichte leiden,  auf  den  natürlich  empfindenden  Leser  störend 
und  abstossend  genug.  Denn  nimmermehr  wird  man  es  schön 
und  poetisch  finden  können,  wenn  in  einzelnen  Sonetten  ein 
geistvoll  sein  sollendes,  in  Wahrheit  aber  nahezu  läppisches 
Spiel  mit  dem  Namen  Laura  getrieben  wird,  oder  wenn  in 
anderen  Laura  und  der  Lorbeerbaum  (lauro),  der  Dichtkunst 
und  des  Dichterruhmes  Symbol,  dermaassen  mit  einander  ver- 
schmolzen und  durch  einander  gewirrt  werden,  dass  man  oft 
in  der  That  nicht  weiss,  ob  die  Geliebte  oder  der  Baum  be- 
sungen werden  sollte,  ob  die  erstere  oder  der  letztere  dem 
Dichter  theuerer  war,  oder  wenn  endlich  in  noch  anderen 
Dichtungen  Laura  in  den  seltsamsten  Gestalten,  etwa  als  Hin- 
din, erscheint  oder  auch  ihrerseits  an  dem  Dichter  die  wunder- 
lichsten Verwandlungen  vollzieht,  ihn  zum  Schwane,  zum  Fel- 
sen, zum  Kiesel,  zur  Quelle  werden  lässt.  Dergleichen  ist  eben 
einfach  Unnatur  und  Unnatur  ist  niemals  schön  und  wenn  sie 
auch  mit  dem    schönsten  poetischen  Schleier  umwoben  ist  ^). 

So  wurde  Petrarca's  Liebe  krankhaft,  doch  war  sie  es 
durchaus  nicht  immer,  sondern  oft  genug  gewann  der  Dichter 
sich  zeitweise  die  Gesundheit  seines  Empfindens  zurück. 
Namentlich  gelang  ihm  dies  in  seinen  späteren  Jahren  nach 
Laura's  Tod.  Da  sänftigte  und  verklärte  sich  in  glücklichen 
Stunden  seine  Leidenschaft  und  sein  Schmerz  zur  milden  Weh- 
muth,  deren  wahre  Natürlichkeit  sich  nicht  beirren  liess  durch 
phantastische  Allegorien  oder  verstandeskühle  Abstractionen 
und  Reflexionen.  In  solchen  glücklichen  Stunden  sind  die 
schönsten  der  Sonette  und  Canzonen  auf  Laura's  Tod  gedichtet, 


*)'Wir  geben  hier  absichtlich  keine  Belege,  da  dieselben,  selbst  auch 
nur  bei  einem  flüchtigen  Durchblättern  des  „Canzoniere",  von  einem  Jeden 
leicht  gefunden  werden  können. 

Körting,  Petrarca.  45 


706  Fünfzehntes  Capitel. 

in  solchen  Stunden  hat  Petrarca  es  verstanden,  Töne  anzu- 
schlagen, welche  in  jeder  fühlenden  Brust  sympathisch  und 
ergreifend  wiederhallen,  in  solchen  Stunden  endlich  hat  er 
Unvergängliches   und    Unvergleichliches  gesungen. 

Ob  Laura  die  ihr  gewidmete  Liebe  mit,  wenn  auch  uu- 
eingestandener,  Gegenhebe  lohnte?  Wir  wissen  es  nicht,  der 
Dichter  aber  hat  es  geglaubt  ^),  so  oft  auch  sein  Glaube  durch 
Zweifel  erschüttert  wurde.  Ob  er  sich  aber  nicht  dennoch  ge- 
täuscht hat  ?  Wer  mag  es  sagen  ?  Vermuthen  möchte  man  in- 
dessen doch,  dass  Laura,  da  sie  den  Dichter  mit  manchem 
freundlichen  Blick  und  manchem  huldreichen  Worte  beglückt 
hat,  für  ihn  ein  wärmeres  Gefühl,  als  nur  das  freundschaftlicher 
Zuneigung  empfand.  Wenn  dies  der  Fall  gewesen  sein  sollte, 
so  werden  wir  unsere  hohe  Achtung  der  Frau  nicht  versagen 
können,  welche  die  Kraft  ernster  und  strenger  Sittlichkeit  be- 
sass,  und  wir  werden  bekennen  müssen,  dass  sie  des  Ruhmes 
würdig  war,  mit  welchem  Petrarca's  Liebe  sie  für  alle  Zeiten 
umstrahlt  hat.  Aber  auch  den  Dichter  werden  wir  ehi-en 
müssen,  der  eine  so  sittlich  strenge  Frau  zu  seinem  Ideale 
erkor  und  auch  dann  noch  ihr  treu  seine  Neigung  bewahrte,  als  er 
hatte  erkennen  müssen,  dass  er  nie  auf  eine  Erfüllung  seiner 
Wünsche  hoffen  dürfe. 

Die  Liebe  zu  Laura  war  Petrarca's  einzige  Liebe,  denn 
das  Verhältniss  zu  jener  Frau,  welche  die  Mutter  seiner 
Kinder  ward,  war,  wenn  nicht  Alles  trügt,  keine  Sache  des 
Herzens,  sondern  nur  ein  Tribut  an  die  gemeine  Schwäche 
der  Menschlichkeit.  Kein  Lied  findet  sich  im  „Canzoniere", 
keine  Stelle  in  den  zahlreichen  Episteln,  woraus  wir  entnehmen 
könnten,  dass  der  Dichter  sich  jemals  noch  von  anderen  Reizen, 
als  denen  Laura' s  habe  fesseln  lassen.  Nur  eine  Ausnahme 
ist  allerdings  zuzugestehen.  In  einem  Sonette  2)  bekennt  der 
Dichter,  dass  nach  Laura's  Tode  Amor  ihn  in  neue  Bande 
habe  schlagen  wollen,   dass  aber  der  Tod  (der  Geliebten)  den 


1)  Beweisend  hierfür  ist  namentlich  Trionfo  della  Morte  II,  v.  88  ff. 
-)  „l'ardente  nodo,  ov'io  fui  d'ora  in  ora." 


Die  italienischen  Dichtungen.  707 

entstehenden  Liebesbund  gelöst  habe,  noch  ehe  er  eigentlich 
geknüpft  worden  sei.  Auf  jede  Vermuthung,  wer  etwa  diese  even- 
tuelle Nachfolgerin  Laura's  gewesen  sei,  muss  man  verziehten.  — 
Dass  der  ästhetische  Werth  der  einzelnen  Lieder  des 
„Canzoniere"  ein  sehr  ungleicher  ist,  geht  sowol  aus  dem 
oben  Erörterten  hervor  als  auch  ist  es  geradezu  selbstverständ- 
lich. Wenn  nach  Horaz'  bekannter  und  treffender  Bemerkung 
zuweilen  selbst  der  „gute  Vater  Homer"  schläft,  so  muss  es 
dem  Lyriker,  der  in  mehr  als  dreihundert  Gedichten  immer 
nur  eine  und  dieselbe  Frau  besingt,  noch  leichter  und  häufiger 
begegnen,  dass  er  ermattet.  Das  Thema  der  Liebe  mag  immerhin 
für  unerschöpflich  gelten,  aber  wenn  es  immer  nur  nach  einer 
Richtung  hin  behandelt  wird,  so  ist  es  nicht  anders  denkbar,  als 
dass  es,  zeitweise  wenigstens,  aufhört,  ergiebig  zu  sein,  dass 
der  Dichter  unfähig  wird ,  etwas  Neues  zu  sagen ,  und  sich  in 
endlosen  Variationen  und  Wiederholungen  bewegt,  ja  dass  er 
selbst  trivial  oder  noch  öfters,  im  krampfhaften  Streben  nach 
einer  unmöglichen  Originalität,  manierirt  wird.  Und  in  einem 
lange  Jahrzehende  hindurch  fortgesetzten  Minnedienste,  zumal 
wenn  diesem  die  Hoffnung  auf  endlichen  Lohn  versagt  bleibt, 
kann  unmöglich  die  Leidenschaft  immer  eine  wahre  und  natür- 
liche sein,  sondern  oft  genug  wird  ein  erkünsteltes  Spiel  mit 
Gefühlen,  ein  Anempfind en  an  ihre  Stelle  treten,  und  auf  einem 
solchen  Boden  können  dann  keine  natürlichen,  sondern  nur 
künstliche  Blumen  der  Poesie  emporspriessen ,  ja  fast  wäre 
man  versucht,  von  Eisblumen  zu  sprechen.  Das  ist  denn  auch 
bei  Petrarca  nicht  selten  geschehen,  und  daher  machen  so 
manche  seiner  Lieder  einen  so  frostigen  Eindruck  und  lassen 
uns  so  theilnahmlos :  man  merkt  ihnen  eben  an,  dass  der  Dichter 
hier  mit  seinem  Herzen  spielt  und  dass  er  sich  künstlich  in 
Gefühle  hineinredet,  welche  er  in  Wahrheit  gar  nicht  empfindet, 
ja  man  kann  dann  geneigt  sein,  humoristische  Parallelen  zu 
ziehen  zwischen  dem  Dichter  Petrarca,  der,  weil  er  es  sich 
nun  einmal  so  angewöhnt  hat,  in  seinen  Versen  so  verzweifelnd 
sich  geberdet,  und  dem  Menschen  Petrarca,  der,  wie  man  viel- 
leicht in  gleichzeitigen  Briefen  lesen  kann,  in  seiner  Villeggiatur 

45* 


708  Fünfizehntes  Capitel. 

ZU  Vaucluse  sich  höchst  behaglich  befindet  und  nicht  entfernt 
daran  denkt,  verzweifelnd  und  lebensmüde  zu  sein. 

Unerreichbar  gross  und  schön  aber  ist  Petrarca  da,  wo  er 
wahr  und  natürlich  ist,  wo  er  nur  das  ausspricht,  was  er  wirk- 
lich empfindet.  Durch  diese  empfindungswahren  Lieder  hat  er 
sich  als  poetischer  Genius  bewährt,  durch  sie  hat  er  die  Lyrik 
von  dem  mittelalterlichen  Formalismus,  in  welchem  sie  erstarrt 
war,  zurückgeleitet  zu  dem  Borne  der  Natur,  durch  sie  eben 
hat  er  die  Lyrik  neu  erschaffen.  Die  Poesie  der  Troubadours 
und  Minnesänger  pflegt  man  bewundernd  zu  preisen,  und  ge- 
wiss auch  ist  sie  in  vieler  Beziehung  solcher  Bewunderung 
werth,  aber  verkennen  darf  man  doch  nicht,  dass  diese  Poesie, 
namentlich  in  ihrer  späteren  Gestaltung,  der  Naturwahrheit 
und  Naturfrische  entbehrte,  dass  sie  nur  ein  Spiel  der  Galanterie 
war  und  dass  ihr  die  seelische  Tiefe  fehlte.  Nur  allzu  oft 
betete  der  Liebessänger  des  Mittelalters  seine  Dame  bloss  mit 
den  Lippen,  nicht  mit  dem  Herzen  an,  so  dass  dieses  letztere 
Nichts  wusste  von  dem  Inhalte  der  zärtlichen  Verse,  welche 
die  ersteren  sangen.  Petrarca  zuerst  brach  in  seinen  besseren 
Liedern  mit  dieser  Unnatur,  er  zuerst  wieder  hat,  wie  Hettner 
so  schön  und  treffend  sagt,  „sein  Herz  entdeckt",  er  zuerst 
stieg  wieder  zu  den  Tiefen  der  eigenen  Brust  und  fand  dort 
das  lautere  Gold  wahrer  Empfindung,  das  er  dann  ausprägte 
in  ergreifenden  und  melodischen  Tönen.  Es  verschlägt  Nichts, 
dass  solcher  Lieder  nicht  allzu  viele  im  „Canzoniere"  sieh 
finden,  es  genügt,  dass  sie  darin  gefunden  werden,  um  Petrarca's 
Anspruch  auf  den  immergrünenden  Dichterlorbeer  als  voll- 
berechtigt erscheinen  zu  lassen.  Und  übrigens  gründet  sich 
nicht  eines  jeden  Dichters  Unsterblichkeit  nur  auf  einen  ver- 
hältnissmässig  kleinen  Theil  dessen,  was  er  geschaffen? 

Im  Allgemeinen  wird  man  urtheilen  müssen,  dass,  im 
Grossen  und  Ganzen  genommen,  die  der  gestorbenen  Laura 
gewidmeten  Lieder  diejenigen,  in  denen  die  lebende  besungen 
wurde,  an  innerem  Werthe  beträchtlich  übertreffen.  Auch  ist 
leicht  einzusehen,  wesshalb:  die  Trauer  des  Dichters  um  die 
Dahingeschiedene  war   eine  aufrichtige,  und  in    den   Schmerz 


Die  italienischen  Dichtungen.  709 

um  die  verlorene  Geliebte  mischte  sich  die  wehmuthsvolle  Be- 
trachtung, dass  nun  auch  die  eigene  Jugend  entschwunden  sei 
und  dass  das  eigene  Leben  dem  Abende  sich  nahe.  Das  waren 
natürliche  Gefühle,  welche  leicht  auch  den  natürlichen  Aus- 
druck zu  finden  vermochten.  Wer  findet  die  Klage  um  die 
gestorbene  Laura  nicht  natürlicher  und  erklärlicher,  als  das 
aussichtslose  und  desshalb  schliesslich  gar  nicht  mehr  ernst 
gemeinte  Werben  um  die  Lebende? 

Indessen,  wie  man  auch  über  den  inneren  Werth  der 
Lieder  des  „Canzoniere"  urth eilen  möge,  einen  Ruhm  wird 
man  ihnen  allen  uneingeschränkt  zugestehen  müssen,  den 
Rulim  vollendeter  Formenschönheit.  Petrarca  hat  sich  in  dem 
sprachlichen  und  metrischen  Baue  seiner  Sonette  und  Canzonen. 
Sestinen  und  Balladen  als  ein  Künstler  ersten  Ranges  gezeigt : 
ein  jedes  Lied  ist  in  formaler  Beziehung  ein  Kunstwerk  im 
vollsten  Sinne  des  Wortes.  Man  vergleiche  einmal  ein  Sonett 
oder  eine  Canzone  Petr^rca's  mit  einer  gleichen  Dichtung  eines 
der  früheren  italienischen  Poeten  —  wir  möchten  selbst  Dante 
nicht  ausnehmen,  der  in  der  Form  seiner  Lyrik  uns  mehr  als 
gelehrte]-  Theoretiker,  denn  als  wirklicher  Künstler  erscheint  — 
und  man  wird  sofort  den  ungeheueren  Abstand  merken.  Eher 
lassen  die  späteren  Troubadours,  deren  Schüler  Petrarca  in  Bezug 
auf  die  poetische  Form  unleugbar  ist,  zum  Vergleiche  sich  her- 
anziehen, aber  bei  ihnen  wird  die  Kunst  zu  oft  und  zu  sehr 
zur  Künstelei,  während  Petrarca  die  Grenzen  der  wahren  Kunst 
nie  überschreitet,  wenn  er  auch  zuweilen  sich  ihnen  bedenk- 
lich nähert.  Die  Nachahmer  freilich,  die  Petrarkisten,  wurden, 
wie  das  die  Natur  der  Verhältnisse  mit  sich  brachte,  sofort 
über  diese  Grenzen  hinausgedrängt  und  fielen  wieder  in  künst- 
lichen Formalismus  zurück.  Als  besonders  bewundernswerth 
muss  der  Bau  der  Sonette  Petrarca's  bezeichnet  werden,  denn 
seine  Canzone  ist  meist  zu  ausgedehnt,  als  dass  sie  eine 
künstlerische  Einheit  bilden  könnte,  und  löst  sich  in  die 
Kunsteinheiten  der  einzelnen  Strophen  auf.  Selbstverständlich 
gewinnt  das  Sonett  noch  an  Werth,  wenn  mit  der  schönen 
Form  ein  entsprechender  Inhalt  sich  paart,  es  entstehen  dann. 


710  Fünfzehntes  Capitel. 

nach  Ebert's  ^)  treffendem  Ausdrucke,  „kleine  architektonische 
Kunstwerke,  von  einem  entsprechenden  Inhalt  erfüllt:  indem 
die  Idee,  oder  das  Bild,  symmetrisch  mit  dem  fliehenden  und 
wieder  zurückkehrenden  Reime,  in  Antithesen  sich  auflöst, 
diese  aber  nur  zu  einem  volleren  Accorde  schliesslich  ver- 
schmelzen." —  Wir  müssen  es  hier  bei  diesen  allgemeinen 
Bemerkungen  bewenden  lassen,  denn  wollten  wir  sie  näher  be- 
gründen, so  müssten  wir  eingehende  sprachliche  und  metrische 
Untersuchungen  führen,  welche,  so  interessant  und  wichtig  sie 
auch  sein  würden,  doch  in  den  Rahmen  dieses  unseres  Werkes 
nicht  gehören,  sondern  an  einem  anderen  Orte  gegeben  werden 
müssen  ^). 

Nicht  unwesentlich  ist  die  gemachte  Beobachtung  der 
künstlerischen  Formvollendung  der  lyrischen  Dichtungen 
Petrarca's.  Wir  erkennen  darin  nicht  nur  die  künstlerische 
Beanlagung  des  Dichters,  sondern  auch  ein  Anzeichen  für  die 
bedeutungsvolle  Rolle,  welche  die  Kunst  in  der  gesaramten 
Cultur  der  Renaissance  zu  spielen  berufen  war.  Formeji=- 
_vollßiid«fig"ist  ja  auf  allen  Gebieten,  selbst  auf  dem  des  staat- 
lichen und  gesellschaftlichen  Lebens,  das  Ideal  der  Renaissance- 
bildung gewesen,  und  vielfach  hat  sie  wirklich  dieses  Ideal  er- 
reicht. Darin  ist  der  Zauber  begründet,  den  sie  in  ihren 
Schöpfungen  auch  auf  die  nachgeborenen  Geschlechter  noch 
ausübt,  darin  aber  zugleich  auch  unleugbar  ihre  Schwäche, 
denn  wo  die  Form  gepflegt  und  entwickelt  wird,  da  wird  nur 
gar  zu  leicht  verabsäumt,  auch  für  den  entsprechenden  Ge- 
dankeninhalt zu  sorgen,  und  es  tritt  dadurch  oftmals  ein  Miss- 
verhältniss  zwischen  Form  und  Gedanken  ein :  die  erstere  wird 
zur  Herrin,  während  sie  eigentlich  dem  letzteren  dienen  sollte, 


^)  Handbuch  der  italienischen  Nationallitteratur  (Frankfurt  a.  M.,  1864), 
p.  18. 

-)  So  viel  auch  über  Petrarca  als  italienischen  Dichter  geschrieben 
worden  ist,  so  fehlen  doch  leider  noch  immer  eingehende  und  philologisch 
exacte  Untersuchungen  über  Petrarca's  Sprache  und  Metrik  und  selbst  zu 
einer  kritischen  Ausgabe  des  „Canzoniere"  ist  von  Carducci  nur  eben  erst 
ein  Anfang  gemacht  worden.  Möchten  doch  allerwärts  sich  fleissige  und 
geschickte  Hände  rühren,  um  endlich  diese  alte  Schuld  abzutragen! 


Die  italienischen  Dichtungen.  711 

und  statt  von  ihm  bestimmt  zu  werden,  bestimmt  sie  ihn. 
So  besteht  denn  Formenreichthum  und  Gedankendürftigkeit 
neben  einander,  wir  bewundern  gleichzeitig  die  eine  und  be- 
klagen die  andere.  Nur  einigen  wenigen  auserwählten  Geistern 
der  Renaissancecultur  ist  es  gelungen,  der  Hellenen  unsterb- 
lichen Ruhm  zu  erneuen  und  den  erhabenen  Gedanken  mit 
der  erhabenen  Form  zu  vermählen. 

Es  bedarf  kaum  der  Bemerkung,  dass  Petrarca  nur  durch 
musikalische  Begabung  zu  dem  melodischen  Baue  seiner  Lieder 
])efähigt  war.  Und  in  der  That  hat  er  sich  wiederholt  als 
einen  begeisterten  Freund  der  Musik  bekannt  ^),  und  seine  zeit- 
genössischen Biographen  haben  ihm  nachgerühmt,  dass  er  ein 
Freund  der  Musik  und  des  Gesanges  und  auch  selbst  ein  vor- 
trefflicher Lautenspieler  gewesen  sei^).  Und  die  Benaissance- 
bildung  hat  ihres  Begründers  Freude  an  der  Kunst  der  Töne 
beibehalten,  hat  die  Pflege  der  kunstmässigen  Musik  zu  einem 
integrirenden  Bestandtheile  der  Jugenderziehung  und  des  ge- 
sellschaftlichen Lebens  erhoben  ^)  und  hat  in  der  Ausbildung 
der  Tonkunst  nicht  Geringeres,  als  in  derjenigen  der  bildenden 
Künste  geleistet,  wie  eine  noch  zu  schreibende  Geschichte  der 
Musik  im  Zeitalter  der  Renaissance  gewiss  mit  Leichtigkeit 
würde  nachweisen  können.  Man  darf,  will  man  die  Renaissance- 
cultur gerecht  würdigen,  das  musikalische  Element  in  derselben 
nicht  übersehen  und  nicht  unterschätzen. 

Wie  schon  früher  bemerkt  ward,  enthält  der  „Canzoniere" 
nur  wenige  Lieder  nicht-erotischen  Inhaltes,  aber  gerade  diese 
Lieder  —  wir  denken  besonders  an  die  patriotischen  Canzonen 
„Spirto  gentil"  und  „Italia  mia"  —  gehören  nach  dem  Urtheile 
Aller  zu  den  schönsten  Perlen  der  ganzen  Sammlung,  und  tief 
muss  man  es  beklagen,  dass  der  Dichter  lateinische  Dichtungen 


»)  Ep.  Fam.  XIII  8;  de  remed.  utr.  fort.  I  23,  vgl.  Test.  b.  Fracassetti, 
Ep.  Fam.  III  p.  542. 

-)  vgl.  Boccaccio  bei  Rossetti,  a.  a.  0.  p.  323  u.  Villani  bei  Mehus 
p.  196. 

^)  Man  lese  z.  B.,  welche  wichtige  Rolle  der  Musik  in  Castiglione's 
„Cortegiano"  zugetheilt  wird. 


712  Fünfzehntes  Capitel. 

ähnlichen  Inhaltes  nicht  ebenfalls  in  der  Muttersprache  ver- 
fasst  hat.  Hätte  Petrarca  auch  nur  seine  poetischen  Episteln 
statt  in  das  lateinische  in  das  italienische  Gewand  gekleidet. 
so  würde  die  italienische  Litteratur  ein  Werk  besitzen,  das 
dem  „Canzoniere"  völlig  ebenbürtig  wäre,  und  ein  Stern  erster 
Grösse  mehr  würde  am  Himmel  der  Poesie  Italiens  erglänzen. 

Man  hat  Petrarca  oft  vorgeworfen,  die  Troubadours  sklavisch 
copirt  zu  haben.  Kein  Vorwurf  kann  unberechtigter  sein. 
Wohl  hat  Petrarca  —  und  wie  wäre  dies  bei  seinem  langen 
Aufenthalte  auf  dem  Boden  der  Provence  anders  möglich  ge- 
wesen? —  die  Gesänge  der  Troubadours  gekannt^)  und  wohl 
hat  er  zum  guten  Theile  seine  Formenkunst  ihrer  Schule  zu 
(lanken,  aber  in  allen  höheren  Beziehungen  ist  er  nicht  ihr 
Nachahmer  gewesen,  sondern  er  hat  selbständige  Bahnen  des 
poetischen  Schaffens  gesucht  und  gefunden.  Dass  hier  und  da 
im  „Canzoniere"  einmal  ein  Gedanke  sich  findet,  den  bereits 
ein  Troubadour  ausgesprochen,  oder  ein  Bild,  das  bereits  ein 
Troubadour  gebraucht  hat,  das  kann  dabei  bereitwillig  zu- 
gestanden werden,  aber  es  braucht  um  desswillen  noch  keine 
bewusste  oder  unbewusste  Entlehnung  von  Seiten  Petrarca' s 
angenommen  zu  werden,  und  selbst  wenn  auch  die  Entlehnung 
sich  sollte  nachweisen  lassen,  so  würde  dadurch  die  dichterische 
Originalität  Petrarca's  noch  lange  nicht  zweifelhaft  werden.  — 

Ebenso  selbständig  wie  den  Troubadours  steht  Petrarca 
auch  den  ihm  entweder  vorangegangenen  oder  zeitgenössischen 
italienischen  Lyrikern  gegenüber:  er  hat  keinen  von  ihnen  zu 
seinem  Vorbilde  genommen,  keinen  nachgeahmt,  und  man  darf 
wol  sagen,  dass  er  ganz  ebenso,  wie  er  wirklich  gedichtet  hat, 
auch  dann  gedichtet  haben  würde,  wenn  er  überhaupt  der  zeitlich 
erste  Lyriker  gewesen  wäre.  Er  nahm  eben  neue  Ausgangspunkte 
und  Ziele,  abweichend  von  denen  der  lyrischen  Poeten  Italiens 
vor  ihm,  er  bediente  sich  neuer  Kunstmittel  und  selbst  einer 
neuen  Sprache,  denn  die  seine  trug  nicht,  wie  die  der  früheren 


^)  Trionf.   d'ain.  III  v.  40—54   gibt  er   eine  ausfiihrliche  Aufzählung 
der  bedeutendsten  Troubadours. 


Die  italienischen  Dichtungen.  713 

Sänger,  eine  dialektische  Färbung.  Daher  ist  es  gekommen, 
dass  Petrarca  für  die  gewöhnliche,  nicht  gelehrte  Litteratur- 
geschichte  auch  wirklich  für  den  zeitlich  ersten  italienischen 
Lyriker  gilt  und  dass  die  Namen  und  Lieder  der  Lyriker  vor 
ihm  dem  Volksbewusstsein  längst  entschwimden  sind.  Daher 
ist  es  auch  möglich  und  statthaft,  Petrarca's  poetische  Werke 
zu  besprechen  und  zu  würdigen,  ohne  vorher  die  Geschichte 
der  italienischen  Lyrik  von  ihren  Anfängen  bis  auf  seine  Zeit 
erzählt  zu  haben.  Er  trat  eben  aus  der  bisherigen  Entwicke- 
lung  heraus  und  eröffnete  eine  von  der  früheren  genetisch  ver- 
schiedene Bahn  der  Entwickelung :  er  hat  allerdings  nicht  die 
italienische  Lyrik  im  allgemeinen  Sinne  des  Wortes,  aber  die 
nationale  und  moderne  Lyrik  Italiens  begründet:  vor  ihm  gab 
es  nur  provinziale  und  nach  mittelalterlicher  Schablone  dichtende 
Lyriker,  wenn  auch  gern  bekannt  werden  soll,  dass  manche 
ihrer  Lieder  noch  heute  mit  Genuss  sich  lesen  lassen;  höchstens 
der  grosse  Dante  nimmt  unter  den  Lyrikern  vor  Petrarca  eine 
Ausnahmestellung  ein,  aber  er  war  zu  sehr  Theoretiker  und 
Mystiker  in  seinen  lyrischen  Poesien,  als  dass  er  ein  achter 
Lyriker,  und  zu  universal  angelegt,  als  dass  er  national  hätte 
sein  können. 

Die  einzelnen  Lieder  des  „Canzoniere"  wurden  jedenfalls, 
wenigstens  zum  grösseren  Theile,  der  Oeffentlichkeit  übergeben, 
sobald  sie  entstanden  waren.  Schon  zur  Zeit  der  Dichter- 
krönung sind  ganz  sicher  zahlreiche  Lieder  Petrarca's  in  Um- 
lauf gewesen,  wie  z.  B.  durch  die  Anekdote  von  dem  Blinden 
von  Pontremoli  (vgl.  oben  S.  196  f.)  bewiesen  wird  ^).  In 
späteren  Jahren  waren  so  viele  Gedichte  in  zum  Theil  sehr 
entstellten  Exemplaren  verbreitet,  dass  Petrarca  selbst  be- 
zweifelte, ob  es  einem  Sammler  gelingen  würde,  seiner  sämmt- 
lichen  Dichtungen  habhaft  zu  werden  ^).  Selbst  untergeschobene 
italienische  Gedichte  (ebenso  wie  untergeschobene  lateinische 
Werke)  cursirten   bereits  während   seines  Lebens^).    Das  war 

^)  vgl.  auch  Ep.  poet.  lat.  I  1  v.  30  ff. 
•-)  Ep.  Sen.  XIII  4. 
=)  Ep.  Sen.  II  4. 


714  Fünfzehntes  Capitel. 

auch  leicht  erklärlieh.  War  doch  ein  Lied  oder  eine 
Schrift  des  berühmten  Petrarca  ein  Besitz,  der  sich  unter 
Umständen  auch  materiell  gut  verwerthen  liess.  Wenigstens 
kamen  wiederholt  fahrende  Sänger  zu  Petrarca  und  bettelten 
ihn  um  ein  Lied  an,  mit  dessen  Vortrag  sie  so  viel  sich  zu 
erwerben  verstanden,  dass  sie,  die  arm  und  zerlumpt  zu  ihm 
gekommen  waren,  sich  nach  kurzer  Zeit  als  wohlhabende  und 
feingekleidete  Männer  ihm  wieder  zeigen  konnten  ^).  Den  Ge- 
danken, seine  Lieder  selbst  zu  einer  Sammlung  zu  vereinigen, 
scheint  Petrarca  erst  in  seinen  letzten  Lebensjahren  gefasst 
zu  haben,  wenigstens  wissen  wir  nur  einen  einzigen  Fall,  dass 
er  einen  Freund  mit  der  Uebersendung  einer  italienischen 
Gedichtsammlung  beehrte:  es  geschah  dies  aber  am  4.  Januar 
1373  ^)  und  der  so  reich  Beschenkte  war  Pandolfo  Malatesta  ^). 

Durch  die  Veröffentlichung  seiner  Gedichte  meinte  übri- 
gens Petrarca  der  Pflicht,  dieselben  zu  verbessern,  keineswegs 
überhoben  zu  sein,  sondern  feilte  unverdrossen  mit  einer  Sorg- 
falt an  ihnen  herum,  welche  beinahe  kleinlich  genannt  werden 
muss  und  vielleicht  nicht  immer  den  Dichtungen  zum  Vortheil 
gereicht  hat.  Es  wird  uns  dies  bewiesen  durch  das  Fragment 
einer  Originalhandschrift,  welches  sich  in  der  Vaticana  befindet 
und  von  Ubaldini  herausgegeben  worden  ist^).  Hier  sind  ein- 
zelne Verse  und  Worte  oft  mehrfach  corrigirt  und  umgestellt, 
und  es  sind  diesen  Emendationen  immer  kurze  lateinische  Be- 
merkungen beigefügt  mit  genauer  Angabe  des  Tages  und  der 
Stunde  ihrer  Niederschrift.  Man  sieht,  Petrarca  war  auch  als 
Dichter  Philolog,  und  man  sieht  ferner,  dass  seine  Dichtungen 
das    Werk   nicht  bloss  des  Genius,   sondern   auch  des   ange- 


1)  Ep.  Sen.  V  3. 

-)  Ueber  die  Zeitbestimmung  vgl.  Fracassetti,  Lett,  fam.  V  p.  281. 

^)  Ep.  Sen.  Xin  10  (u.  Var.  9,  letztere  Epistel  ist  nur  ein  Brouillon 
der  ersteren). 

*)  Rime  di  M.  Fr,  P.  estratte  da  un  suo  originale  (Rom,  1642),  vgl. 
Carducci's  Mittheilungen  daraus  in  der  prefazione.  Die  letzte  Note  des 
Fragmentes  ist  vom  Jahre  1369. 


Die  italienischen  Dichtungen.  715 

strengten  Fleisses,  dass  sie  nicht  Kunstwerke  aus  einem  Gusse, 
sondern  Mosaikarbeiten  der   feinsten  und  saubersten  Art  sind. 

Diese  den  italienischen  Liedern  gewidmete  Sorgfalt  be- 
weist unwiderleglich,  dass  Petrarca  die  Kinder  seiner  Muse, 
selbst  noch  in  späteren  Jahren,  liebte  und  sie  nach  Verdienst 
zu  schätzen  wusste.  Wir  werden  ihm  daher  nicht  glauben 
dürfen,  wenn  er  einmal  seine  italienischen  Gedichte  für  werthlos 
erklärt  und  den  Wunsch  ausspricht,  sie  verbrennen  zu  können, 
falls  damit  noch  die  Vernichtung  zu  erreichen  wäre^).  Es 
war  das  eben  eine  Redensart  der  Bescheidenheit,  welche  ge- 
legentlich wol  jeder  Dichter  einmal  braucht,  oder  es  war  doch 
höchstens  der  ihn  zeitweilig  befallende  Stolz  des  auf  alles 
Nichtlateinische  verächtlich  herabblickenden  Humanisten,  der 
ihn  so  sprechen  Hess.  Weit  eher  werden  wir  ihm  glauben 
können,  wenn  er  uns  einmal  erzählt,  dass  er  in  seiner  Jugend 
den  Wunsch  und  die  Absicht  gehabt  habe,  sich  ausschliesslich 
der  italienischen  Poesie  zu  widmen,  aber  davon  durch  die  Er- 
wägung der  für  ein  solches  Vorhaben  ungünstigen  Zeitverhält- 
nisse abgebracht  worden  sei  2). 

Es  lässt  sich  die  Frage  aufwerfen,  ob  Petrarca  noch  andere, 
im  „Canzoniere"  nicht  aufgenommene  lyrische  Gedichte  ver- 
fasst  habe.  Diese  Frage  ist  wol  unbedenklich  zu  bejahen, 
da  Petrarca,  als  er,  wie  oben  erwähnt,  seine  Gedichtsammlung 
an  Pandolfo  Malatesta  übersandte,  ausdrücklich  in  dem  Begleit- 
schreiben erwähnte,  dass  er  noch  viele,  nicht  in  die  Sammlung 
aufgenommene  Lieder,  zum  Theil  freilich  in  verwahrlosten  und 
altersgrauen  Manuscripten,  besitze  und  vielleicht  später  einmal 
das  eine  oder  andere  derselben  zur  Herausgabe  zurecht  machen 
wolle,  wie  er  dies  auch  bisher  dann  und  wann  gethan  habe.  Eine 
ganz  andere  Frage  aber  ist,  ob  derartige  Dichtungen  auf  unsere 
Zeit  gekommen  sind.  Wir  bezweifeln  es  sehr  und  stehen  nicht 
an,  alle  die  zahlreichen  Sonette  und  Canzonen,  welche  vom 
sechszehnten  Jahrhundert  ab  bis  auf  diesen  Tag  —  neuerdings 


')  Ep.  Sen.  XIII  10  (vgl.  V  3). 
^)  Ep.  Sen.  V.  3. 


716  Fünfeehntes  Capitel. 

namentlicli  von  Thomas^),  Ferrato^)  und  Capparozzo^)  — 
Petrarca  beigelegt  worden  sind,  für  die  wenig  glücklichen 
Schöpfungen  von  Petrarkisten  und  nicht  Petrarca's  zu  halten. 
Den  Beweis  freilich  für  diese  Behauptung  müssen  wir,  weil  er 
nur  auf  hier  nicht  mittheilbare  sprachliche,  metrische  und  sach- 
liche Beobachtungen  sich  stützen  kann,  einstweilen  noch  schuldig 
bleiben,  hoffen  aber,  an  geeigneter  Stelle  ihn  nachtragen  zu 
können. 

Es  erübrigt  noch  ein  Wort  über  die  „Trionfi"  zu  sagen, 
denn  näher  auf  diese  Dichtung  einzugehen  erscheint  unnöthig, 
einmal,  weil  sie  für  die  Litteraturgeschichte  keine  sonderliche 
Bedeutung  besitzt,  und  dann,  weil  sie  in  einer  trefflichen 
deutschen  Uebersetzung*)  vorliegt,  auf  Grund  deren  sich  ein 
Jeder  leicht  mit  ihrem  Inhalte  bekannt  machen  kann.  Auch 
diese  Dichtung,  das  Werk  des  alternden  Petrarca  —  denn  es 
wurde  vermuthlich  nicht  vor  dem  Jahre  1356  begonnen  und 
erst  kurz  vor  des  Dichters  Tode  im  Jahre  1374  äusserlich  abge- 
schlossen^) —  und  ein  unverkennbar  nach  dem  Vorbilde  der 
„Divina  Commedia",  auch  in  dem  gleichen  Metrum,  wie  diese, 
geschriebenes^)  allegorisches  Epos,  soll  Laura  verherrlichen: 
so  fest  hielt  der  Greis  an  dem  Ideale  seiner  Jugend!  Man 
pflegt  über   diese  Dichtung,    welche  freilich  ganz  offenbar  in 


^)  In  den  ,Monumeuta  Saecularia'  der  königl.  bayerischen  Academie 
der  Wissenschaften  (München,  1859).  Für  die  Unächtheit  der  darin  mit- 
getheilten  Sonette  dürfte  schon  das  Eine  entscheidend  sein,  dass  sich  in 
ihnen  vielfach  Anklänge  an  Dante  finden  (vgl.  Thomas,  p.  X).  Nichts  ist 
aber  bei  dem  Verhältnisse  Petrarca's  zu  Dante  (vgl.  oben  S.  499  ff.)  un- 
wahrscheinlicher, als  dass  der  erstere  sich  von  dem  letzteren  habe  beein- 
flussen lassen. 

-)  Rime  attribuite  a  Fr.  P.  ed.  Ferrato  (Padova.  1874«. 

^)  Rime  (d.  h.  3  Sonette)  del  P.  etc.  ed.  (per  le  nozze  Mangilli-Lam- 
pertico)  Capparozzo  (Vicenza,  1876). 

*)  Als  Anhang  zur  Uebersetzung  des  ,,Canzoniere"  von  Kekule  und 
Biegeleben  (Tübingen  und  Stuttgart,  1844). 

•')  vgl.  I.  Trionfi  etc.  ed.  Pasqualigo  (Venedig,  1874),  p.  6  u.  10  (Mit- 
tbeilungen aus  dem  vaticanischen  Fragmente).  NB.  Eine  andere  neuere 
Ausgabe  der  „Trionfi''  ist  die  von  Cr.  Giannini  (Fen-ara,  1874). 

«)  vgl.  oben  S.  .502. 


Die  italienischen  Dichtungen.  717 

einer  innerlich  unfertigen  Gestalt  uns  vorliegt,  oft  ein  sehr  ge- 
ringschätziges ürtheil  zu  fällen,    aber,    wie  es  uns  scheinen 
will,   sehr   mit  Unrecht.     Es  ist  in  ihr  ein  würdiger  und  er- 
habener Gedanke^)  durchgeführt  —  Laura's  (und  unter  Laura 
darf  man   auch  die   Menschenseele  verstehen)   Sieg   über   die 
Lockungen   der  Sinnlichkeit  und   über  den  Tod  und  ihre  Er- 
hebung aus   der  Nichtigkeit  des  Erdendaseins  zur  Verklärung 
der  Ewigkeit  —  und   diesem   Gedanken  ist  als  Gewand  eine 
würdige  poetische   Form    gegeben   worden.     Wenn    irgendwo, 
so   besass  hier   die  Anwendung   der  Allegorie  ihre  volle   Be- 
rechtigung,   und  übrigens  hat  sich   der  Dichter  derselben  in 
maassvoller  Weise  bedient  und  ist  niemals,   wie  ihm  dies  in 
seiner  Lyrik  zuweilen  begegnet  ist,  in  Geschmacklosigkeit  und 
Uebertreibung  verfallen.      Einzelne  Episoden  aber   (wie  z.  B. 
das  zweite  Capitel  des  Trionfo  della  Morte)  sind  von  ergreifender 
Schönheit  und  gehören  zu  dem  Herrlichsten,    was  Petrarca  je 
geschrieben.   Besonders  ist  jedoch  die  künstlerische  Anlage  der 
einzelnen  Triumphzüge  zu  beachten:   es  werden  uns  hier  eine 
Reihe  von  Idealgruppen  vorgeführt,  welche,  wenn  man  sie  sich 
als  Gemälde  oder  Reliefbilder  versinnlicht  denkt,  eine  gewaltige 
Wirkung   ausüben    und   uns    recht   deutlich    erkennen  lassen, 
welche  hohe  künstlerische  Begabung  der  Begründer   der  Re- 
naissance besass  und  wie  diese  letztere  von  ihrem  Ursprünge  an 
der  bildenden  Kunst  als  demjenigen  Gebiete  zustrebte,  in  wel- 
chem  sie  sich  zu   dem   edelsten   und   eigenartigsten   Schaflfen 
befähigt  fühlte.    Auch  haben  in  der  That  die  .,Trionfi"  auf  die 
Entwickelung  der  bildenden  Kunst  einen  nicht  zu  unterschätzen- 
den Einfluss   ausgeübt,   welchen  im  Einzelnen  darzulegen  wir 
freilich  gern  und  willig  dem  berufenen  Kunsthistoriker  über- 
lassen. 


^)  Angeregt  zu  der  Dichtung  und  speciell  zu  dem  Trionfo  dell'  amore 
wurde  Petrarca  vermuthlich  durch  eine  Stelle  des  Lactanz  (Instit.  I  11), 
vgl.  Liebrecht  im  Jahrb.  f.  rom.  u.  engl.  Litt.  VIII  p.  354  ff. 


718  Fünfzehntes  Capitel.    Die  italienischen  Dichtungen. 

Wir  stehen  am  Ende  der  langen  Bahn,  welche  wir  in 
diesem  Buche  durchmessen  haben.  Möge  der  Leser  es  nach- 
sichtig beurtheilen,  wenn  Einiges  allzu  ausführlich  und  Anderes 
wieder  zu  wenig  ausführlich  erzählt  worden  sein  sollte!  Ein 
gewaltiger  Stoff,  wie  der  in  diesem  Buche  bearbeitete  es  war. 
fügt  sich  schwer  dem  künstlerischen  Ebenmaasse,  und  vielleicht 
lassen  überhaupt  nur  bei  einer  wiederholten  Bearbeitung  sieh 
die  richtigen  Proportionen  gewinnen.  Seinen  höchsten  Lohn 
aber  würde  der  Verfasser  in  der  Anerkennung  finden,  dass  es 
ihm  gelungen  sei,  auch  schon  in  diesem  ersten  Bande  seines 
Werkes  neue  Gesichtspunkte  für  die  Beurtheilung  der  Geschichte 
der  Litteratur  Italiens  im  Zeitalter  der  Renaissance  zu  er- 
schliessen. 


Register. 


Die  Zahlen  verweisen  auf  die  Seiten.  —  P.  =  Petrarca;  R.  =  Renaissance. 
Die  lateinischen  Werke  Petrarca's  sind  mit  ihrem  lateinischen  Titel 

aufgeführt. 


Aachen  94. 

Aberglauben  198,  360,  374,  613. 

Abneigung  P.'s  gegen  Aemter  224. 

Acciaiuoli  285,  347. 

Acidia  (acedia)  636. 

Adel  546. 

Aeltern  P.'s  48  ff. 

Aerzte  618  ff. 

Africa  654  ff. 

Allegorie  651  f. 

.Imbrosius  (St.)  496. 

Andi-ea  (di  Bologna)  71. 

Apologia   contra   cuiusdam   anonymi 

Galli  calumnias  388  ff. 
-\raber  623  f. 
.\rbeitslust  P.'s  514. 
Arezzo  44. 

Aristoteles  396  f.  • 

Arquä  441. 

Askese,  P.'s  Neigung  zur  A.  205. 
Astrologie  811. 
Astronomie  509. 
Aufgeklärte  Ansichten  P.'s  198,  360, 

374,  613. 
Augustin  (St.)  495  f. 
Aussehen ,    leibliches   Aussehen  P.'s 

454  f. 
Averroes  u.  Averroismus  414  ff. 
Avignon  84  f ,  129  f. 
Azzo  s.  Correggio. 


Barbato  di  Sulmona  164  f. 

Barlaam  153. 

Benedict  XII.,  Papst  97. 

Benintendi  364. 

Beredtsamkeit  47,  546. 

Bernard  d'Aube  204. 

Berühmtheit  P.'s  196,  345 ff.,  438,  444. 

Bibel  496. 

Bildnisse  P.'s  u.  Laura's  455  f.,  701. 

Boccaccio  253  ff.,  360  f.,  445  ff. 

Bologna  71  ff. 

Brahmanen  341.  575. 

Briefbestellung  21. 

Briefe  P.'s,  s.  Episteln. 

Briefstyl  P.'s  18  f. 

Briefwechsel  P.'s  14  ff. 

Bucolicon  s.  Eklogen. 

Bücherliebhaberei  P.'s  361,  488. 

Bücherabschreiber  406,  521. 

Byzantinisches  Reich  321,  379. 

Canzoniere  686  ff. 

Carpentras  63. 

Carrara  s.  Francesco  u.  Giacomo. 

Cavaillon  137,  577. 

Charakter  P.'s  247,  299,  307  f,  591. 

Cicero  216,  277,  488. 

Citate  P.'s  463  £ 

Clemens  VI.,  Papst  200  ff.,  284. 

Cola  s.  Rienzo. 


720 


Kegister. 


Colonna,  Giacomo  73,  76  ff. 

—  Giovanni  82  f. 

—  Giovanni  di  S.  Vito  117. 

—  Stefanello  230. 

—  Stefano  76,  117. 
Concubine  P.'s  143. 

(de)  contemptu  mundi  629  ff. 
Convennole  od.  Convenevole  64  f. 
Correggio,  Azzo  di  991,  185  ff.,  544. 

Dandolo,  Andrea  302. 

Dante  499  ff. 

Dialektik  415. 

Dichterkrönung  P.'s  171  ff. 

Dichtkunst  650  ff. 

Dienstboten  P.'s  34  ff. 

Dionisio   da  Borgo  S.  Sepolcro  91  f. 

Donato  Apenninigena  da  Pratovecchio 

364  f.,  605. 
Dramatische  Poesie  653  f. 

Ehe  und  Ehelosigkeit  549  f.,  555  f., 

611,  699. 
Einsamkeit  566. 
Eitelkeit  P.'s  47,  84. 
Eklogeu  677  ff. 
Empfindlichkeit  P.'s  429. 
Enkel  P.'s  365. 
Enrico  Capra  345  ff. 
Episteln  P.'s  14  ff. 
Epistolae  de  rebus  familiaribus  22  f. 
Epistolae  de  rebus  senilibus  24  f. 
Epistolae  poeticae  (metricae)  32,  679  ff 
Epistolae  sine  titulo  26  f. 

—  variae  24. 
Erdbeben  211,  240. 
Euripides  480. 

Fasten  622. 

Filippo  de  Cabassoles  (Bischof  von 
Cavaillon  etc.^  137  ff. 

Florenz  252,  268  ff. 

Franceschino  degli  Albizzi  241  f. 

Francesco  de'  SS.  Apostoli  s.  Simo- 
nides. . 

—  da  Brossano  365. 

—  di  Carrara  433. 


Franzosen  389. 
Französische  Litteratur  498. 
Frauen  (Urtheil  über  die  Frauen)  549. 
Freunde  P.'s  80,  253,  258  ff. 
Freundschaft,   Neigung  P.'s  zui-   F., 

72. 
Frömmigkeit  P.'s  407. 
Fürstenideal  434  ff. 

Geiz  589  ff 

Gelehrsamkeit  P.'s  458  ff. 

Genua  300  ff. 

Geographie,  P.'s  Interesse  für  G.  507  f. 

Geschichte  507. 

Gesundheit  P.'s  442,  456. 

Gherardo,  P.'s  Bruder  54,  204  ff. 

Giacomo  di  Carrara  248  f.,  267  f. 

Giotto  von  Florenz  453,  616. 

Giovanni  Barili  165. 

—  Malpaghini  368. 

—  da  Padova  622. 
Gläubigkeit  P.'s  205  f.,  407  f. 
Greisenalter  P.'s  356  ff. 
Griechisch,  P.'s  Kenntniss  d.  Gr.  472. 
Griechische  Litteratur  473  ff. 
Guglielmo  da  Pastrengo  102  f. 
Guido  Settimo  66. 

Habsucht  298,  589  ff. 

Homer  473  f. 

Horaz  486. 

Humanismus   309,    316  f.,  358,   430, 

461. 
Humbert,  Dauphin  146  f. 
Humor  18,  134. 

Ignorantia,  de  sui  ipsius  et  multorum 

ign.  417  ff. 
Innocenz  VI.  287. 
Interpretation   classischer  Autoren 

503  f. 
Invectivarum  in  medicum  libri  IV  618  ff. 
Italien  290. 

Italienische  Dichtungen  P.'s  682  ff. 
Jacopo  Bussolari  337. 
Johann  d.  Gute  348  fi\ 
Johannes  von  Florenz  86. 


Register. 


721 


Jugend  P.'s  68  ff. 
Jurisprudenz   69. 

Karl  IV.,  Kaiser  322  ff. 

Kinder  P.'s  143. 

Klosterleben  584. 

Köln  95. 

Krätze  552. 

Ki'iegswesen  353,  369  ff. 

Kritik  504  ff. 

Künste,  bildende  511  f.,  547  f. 

Laelius  s.  Lelio. 
Landschaftsschilderungen  510. 
Lapo  di  Castiglionchio  262. 
Lateinische  Dichtungen  P.'s  650  ff. 

—  Litteratur  481  ff.,  624. 

—  Werke  P.'s  542  ff 
Latinität  P.'s  533  ff. 
Laura  688  ff. 
Lebensweise  P.'s  133  ff. 
Lelio  81  f. 

Liber  rerum  memorandarum  608  ff. 

—  de  viris  illustribus  592  ff. 
Liebe  P.'s  zu  Laura  702  ff. 
Linterno  345. 

Livius  493. 

Lombardo  a  Serico  450.  ^ 

Lorbeer  181  f. 

Luca  72,  245. 

Luchino  del  Verme  368. 

Ludovico  Marsili  433L. 

Lüttich  94. 

Magdalenengrotte  v.  Ste.  Beaume  146  f. 

Mailand  292  ff.  . 

Mainardo  Accursio  73,  245. 

Mantua  327  f. 

Mathematik  509. 

Marquard  v.  Augsburg  335. 

Medicin  624  ff. 

Melancholie  P.'s  236  ff,  561  f. 

Moden  375. 

Montpellier  68. 

Montrieu  204,  288  f. 

Mont  Ventoux  104  ff. 

Moralität  s.  Sittlichkeit. 

Körting,   Petrarca. 


Musik  711. 
Mutter  P.'s  49  ff 
Mystik  572,  704. 

iName  P.'s  49. 

Naturschönheit,  P.'s  Sinn  f.  N.  105  ff., 

509  f. 
Naturwissenschaft,   P.'s  V.  z.  den  N. 

508  f. 
Neapel  163  f.,  210  ff. 
Nelli  s.  Simonides. 
Novara  338  ff 

Olimpio  s.  Mainardo  Accursio. 

Orakel  613. 

Orakel,  sibyllinische  497. 

Orosius  493. 

(de)  otio  religiosorum  583  ff. 

Ovid  486  f. 

Padua  250,  268,  433. 

Paganino  246. 

Pandolfo  Malatesta  455,  714. 

Papstthum  26  f.,  321. 

Paris  90  ff.,  350. 

Parma  186  ff,  213  f.,  234  ff. 

Pavia  337,  437. 

Pessimismus  P.'s  561  f. 

Pest  236  ff.,  3.53  f.,  553. 

„Philologia",  Komödie  P.'s  532. 

Philologisches  Wissen  P.'s  463  ff. 

Philosophie  P.'s  410  ff. 

—  der  R.  413  f. 

Pierre  v.  Ppitiers  203,  353. 

Pilato,  Leonzio  474  f. 

Piaton  479. 

Plautus  217,  487. 

Plinius  494. 

Plutarch  493. 

Poetische  Theorien  P.'s  650  ff. 

Politische  Ansichten  P.'s  313  ff. 

Ponzio  Sansone  140. 

Popularität  P.'s  196,  345  ff.,  438. 

—  P.'s  Abneigung  gegen  die  P.  521  ff. 
Prag  334. 

Psalmen  P.'s  683. 
Pythagoras  423. 

46 


722 


Register. 


Quintilian  267. 

Raimondo  Soranz(i)o  87. 
Ravennate,  der  junge  R.  366  ff. 
Reisen,  die  R.  P.'s  89  ff. 
Reiselust  P.'s  88,  403. 
Religiösitcät  P.'s  205  f.,  407  ff. 
(de)  remediis  utriusque  fortunae  542  ff. 
Rienzo,  Cola  di  225  ff. 
Robert,    König  von  Neapel  148  ff., 

163  f.,  208. 
Rom  97,  113  ff.,  266  f.,  375  ff. 
Roman  de  la  Rose  498  f. 
Ruhm  521. 

Sacramore  di  Pommiers  333. 

Schauspiele  210,  548. 

Schicksal  (P.'s  Ansicht  über  d.  Seh.) 

352  f. 
Schmeichelei  P.'s  18,  308. 
Schriftstellerische   Grundsätze  P.'s 

518  ff. 
—  Thätigkeit  P.'s  528  ff. 
Schwester  P.'s  54. 
Seereisen,  P.'s  Abneigung  gegen  S. 

57,  614. 
Selbstmord  559. 
Seneca  487,  491  f.,  535. 
Sentenzen  519,  638. 
Simone  Memmi  v.  Siena  701. 
Sittlichkeit  der  R.  190  ff.,  299,  307  ff. 
Simonides  260  f. 
Sohn  P.'s  143,  354. 
Sokrates  80  f. 
Sophokles  480. 
Sprüchwörter  612. 
Stylistische  Grundsätze  533  ff. 


Theologie  506  f. 
Tochter  P.'s  143,  365. 
Tod  P.'s,   angeblicher  und  vermeint- 
licher 404  f. 

—  P.'s,  wirklich  erfolgter  452. 
Toleranz  P.'s  571. 
Tommaso  di  Messina  72. 
Trionfi  716. 

Troubadours  712. 

Urban  V.,  Papst  375,  440. 

Varro  266. 

Vater  P.'s  46  f. 

Vaterland  320. 

VaterlandsUebe  P.'s  232  f.,  290,  319  f. 

Vaucluse  66,  130  ff. 

Venedig  72,  302,  361  ff.,  444. 

Vermögensverhältnisse   P.'s   74,  297. 

406. 
Virgil  468  f.,  481  ff. 
Visconti,  Bernabö  306. 

—  Galeazzo  306. 

—  Giovanni  292  ff. 

—  Luchino  246. 

—  Marco  308. 

(de)  Aata  solitaria  564  ff. 
Vorfahren  P.'s  46. 
Vorzeichen  612  f. 


Wissen  P.'s  458  ff. 
Wissenschaftliche     Verhältnisse 
Zeitalter  P.'s  515  ff. 

Zanobi  da  Strada  258  ff. 
Zauberei  287. 
Zoilo  429. 


im 


Zusätze  und  Bericlitiii-ungen. 


S.  37,  Z.  7  V.  oben  ff.  Hierzu  mag  ausdrücklich  bemerkt  werden,  dass  es 
allerdings  einige  mittelalterliche  Autobiographen  gibt  (z.  B.  Giraldus 
Cambrensis),  dass  dieselben  aber  nicht  sowol  die  Verewigung  des 
eigenen  Ich  erstrebten  als  vielmehr  nur  die  Erzählung  interessanter 
Selbsterlebnisse  beabsichtigten. 

S.  38,  Anm.  2.  In  der  hier  gegebenen  Aufzählung  der  Petrarcabiographen 
des  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhunderts  ist  keine  Vollständigkeit 
beabsichtigt  worden  —  es  hätten  sonst  weit  mehr  Namen  genannt 
werden  müssen  —  sondern  es  sollten  nur  die  vdchtigsten  hervorge- 
hoben Averden. 

S.  25,  Z.  15  V.  oben  streiche  „es"  am  Schlüsse  der  Zeile. 

S.  28,  Z.  11  V.  unten  (im  Texte)  statt  Petrarca's  lies  Petrarca. 

S.  46,  Z.  10  V.  oben  für  Parenzo's  lies  Parenzo. 

S.  64.  Ueber  Convennole's  Gedicht  vgl.  den  Aufsatz  von  d'  Ancona  in  der 
Riv.  ital.  15.  April  1874. 

S.  213,  Z.  1  V.  oben  für  Pozzuoli  lies  Puzzuoli. 

S.  251,  Z.  17  V.  oben  statt  religiösere  lies  religiöse. 

S.  302,  Z.  16  V.  oben  für  Villegiatur  lies  Villeggiatur. 

S.  456,  Anm.  Das  hier  Gesagte  ist  einzuschränken:  Petrarca  war  nach 
seinem  sechzigsten  Jahre  allerdings  einer  Brille  benöthigt,  vgl.  Ep.  ad 
post.  p.  2. 

S.  458.  Zu  diesem  Capitel  vgl.  noch:  Villari,  Niccolö  Machiavelli,  Bd.  I 
(Florenz,  1877),  p.  88—100. 

S.  481,  vgl.  A.  Zingerle,  Petrarca's  Verhältniss  zu  den  römischen  Dichtern 
(in  „Kleine  philologische  Abhandlungen."     Innsbruck,  1871). 

S.  499  ff.  Ueber  Petrarca's  Verhältniss  zu  Dante  vgl.  Cipolla  im  Arch. 
Ven.  t.  VII,  p.  II. 

S.  511,  Z.  2  V.  oben  für  Verdienste  lies  Verdienst. 

S.  700  ff.  Ueber  Laura  vgl.  noch:  Nardi,  Petrarca  e  Laura  (Mailand,  1873) 
u.  G.  Grion  in  den  Atli  del  R.  Ist.  Ven.  S.  IV  t.  3. 


Pierer'sche  Hofbuclidrnck-erei.    Stephan  Geibel  &  Co.  in  Altenbnrg. 


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