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Full text of "Geschichte der Neuern Philosophie"

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p6-Ä^ 



©cfäiÄte 



ber 



ueuerti f)l|iliifo|)l|ie 



t)on 



^uno ^ifi^er. 



^ußiCäuwtJ^au^gaße. 



Singctncittc ©inleitung. ®e§carte§' ßeben, SQScrfc unb ßcl^rc. 



S)tette neu (cat(eitete ttuflage. 



• ^ t Oß^-QH ^- 



6arl SBintcr'S 



UnibcrfitötSbud^l&anblung. 
1897. 



fflon 

tuno pifi^et. 

fSitttt ätK ieaitcitcte «uflase. 




Sari SBinter'8 UniDerfttätäßui^tinnblun g 
1897. 



LIBRARY OF THE 
LELAND STANFORD JR. UNIVERSIVt, 

Ob. M-H-oa. 
SEP 6 1800 

9tac {Rechte, bcfoubctS ba8 Äed^t bct Ucberfc^ung in fccmbc ©prad&cn, toerbcit öor6cf)aIteu. 



^fiXXtht. 



m 

SSor fünfunbt)icrji9 Saljrcn tft bcr crftc S^eil biefcr meiner 
©efd&id^te ber neuem 5p]^i(ofot)l^te erfd^ienen. 9lt§ id& benfelben naij 
einer t)öni9en Umarbeitung in einem fel&r üermel^rten Umfange 
loieberum l^erauSgab (1865), beftanb baS ©efammtoerl au8 bier 
JBdnben, meldte bie Süd&er über S)e§carte8, ©pinoga, ßeibnij unb 
ftant entl^ielten. 9K8 iä^ bie Sorrebe ju ber brüten Sluflage beS 
erften SanbeS fd6rieb (1878), toaren bie SBüd^er über tJid^te unb 
©d^elling bereits erfd^ienen, aud^ in einer neuen nnb t)ermel^rten 3luf= 
läge bie über Sacon. SBöl^renb ber folgenben Saläre l&abe id^ fömmt» 
lid^e Sänbe, »eld^e bem erften gefolgt finb, gu erneuen gcl^abt unb 
bie Sudler über @d^ot)en]^auer bem ©anjen l^injugefügt (1893). 

SDlit biefer Sorrebe erfd&eint bag ©efammtwer! in einer neuen 
Sluggabe, »orin bie SBüd^er über S)e§carte§, SRalebrand^e, ©t^i^öja 
unb Äant gum t)iertenaÄaIe ba§ ßid^t ber SQßeft erblidten foKen. 
SRirgenbg ift bie ©eelentoanberung getoiffer unb juträglid^er, als in 
ber SBelt ber Sudler: id^ meine biejenigen SBüd^er, toeld^e berufen finb, 
wieberjulel^ren, wobei fie ben unbeftreitbaren Sßortl&eil l^aben, ba§ fie 
il^rer ©d^idfale aus ben frül^eren SOSanberungen fid& erinnern unb 
biefe Srfal^rungen in ben ft)äteren benu^en fönnen. 



VI Söorrcbc. 

S)ie ®eiftcSt)crtt)anbtfd^aft jtDifd6en bcn großen ScnJcrn uiib 
S)id6tern bcr SQBelt, jtüifd^en bcn SQBcrfen bcr p]&iIofo^)]^if(]^en unb ber 
fd&öncn ßüteratur gereid^t mir ju einem beftänbigen ©egenftanbe 
l^öd^ft lel^treid^cr unb etquidtcnber aSetrod^tung, toeSl^affi c§ nidöt Don 
ungefähr fommt, bo^ id& in berfelben Slrt, toie über bic ?ß]^i(ofot)]§ett 
ber neuen Seit, Qud| eine Sleil&e ©d&riftcn über @^afe[^)eQre, ßeffing, 
©oetl&e unb ©d&iller Derfo^t l^oBc. 

®a id^ ^ier auf ben @an^ meiner Slrbeiten surüdtblide, bid auf 
baö (Sngfte mit meiner Sel^rtl^ötigleit üertoebt finb, fo gebenfe idö äu= 
gleidö — banfbar für oÜeS Oute, bag mir toiberfal^ren ift — jweier 
Slbfd&nitte in meinem Seben, toeld&e fid& in biefem Saläre öottenben. @§ 
finb im SJlörj fünfjig Solare t)erfloffen, bafe id6 in ^affe q. ©., bem £)rte 
meiner ©tubien, t>^omot)irt l^obe, mit bem fel^r lebl^aften SBunfd^ naä) 
einer afobemifd^^ti ßoufbal&n unb ber fcl^r ungetoiffen 9lu§fid6t auf 
biefeS 3irf. 3tn Dctober toirb ein SSierteljal^rl^unbert abgelaufen fein, 
feit i(j& mein l^iefigeg Sel^ramt angetreten, nad^bem id& mein jena'fd&e^ 
fed^Sjel^n Saläre l^inburd^ ausgeübt l^atte, SQßie gern gebenic id& in 
meinem ^o^zn, nod& rüftigen Sitter biefer 3citen, bie meine aJlül^en 
unb Slnftrengungen burdö bie fd&önften Erfolge belol^nt l^aben! 

Sie a3erlag§]^anblung l^at e§ fid^ nid^t nel^men laffen wollen, ba§ 
®ebäd§tni§ biefer beiben STage baburd^ ju e^ren, ba§ fie biefe gleid^- 
jeitige neue ©efammtauggabe meines ^au^twerls als „2fubilöumSauS= 
gäbe" begeid^nen burfte. 

^tlMbtx$, ben 19. gjlöra 1897. 



lnfia[fsoetjetifini§. 



Einleitung 

iut ©ef^t^te ber nettem ^^ilafa^^te. 



QSrf)e$ Capttel. 

®ette 

Sie «efd^id^te Ut ^l^Uofot^l^ie ali^ SS^ifTenfil^aft .... 3 



3tiieite$ CapiteL 

Set ^h%i^iäUm^»^am ^tt ^tic^i^ä)tn ^l^ilofo^^l^ie ... 15 

S)a8 SDßelt^toblcm 17 

S)q8 6t!enttttti6ptoBIem 21 

S)a8 gfrcil^citg^toblcm 25 

S)a8 Sfleliöiong^roblcm 28 

IDrtttes CafriteK 

d^riHeniiftttiti un^ fHt^t 38 

2)a8 tlt<tipcnt]§um 38 

SDie Äitdje 40 

^te Itivd^enlel^te 43 

1. S)te ^Pvodeme 43 

2, ^et 9(ugufiiniStnu8 46 

^ie S}erg5ttetuitg bev üirdle 50 



vm 3nftaltgi)cr8ct*ni6. 

Seite 

liiertem €afxttl 

^tt Q^iMäiun^^^am ^et miiUiaittvn^m ^Wo^opfiU . . 51 

S)ic SlufgaBc 51 

S)a8 üt^H^c äöcltaltcr 53 

S)ic SBegrünbuttö bcr Sd&olafti! 57 

1. ©rigcna 57 

2. Slnfclm 59 

S)cr ©nttottflungggang ber ©(Jolaftif 61 

1. SlcaltSmud unb ^tominaUdmud 61 

2. S)ct :pIatontf(5c unb ariftotcltf^c 9lcdi8mu8 .... 64 

3. ©ummcn unb ©^ftcmc 67 

4. Sl^omaS unb @cotu8 68 

5. Occatn. S)ic Sluflöfung bcr ©«olafti! 70 

^ai^ Seitaltet ^et dtenaiffance 72 

S)cr ^umanigmu^ 72 

S)ie ttalicntf(5c IRenatffancc unb bereu @nttt)itf(ung .... 74 

1. S)ie neulatctmf^e 9lenaiffance 77 

2. S)ie ariftotelifd^e 9lenaif|ance 79 

3. S)ie ^oIiti|(5c 9lenaiffance 81 

4« 2)er italtenif^e ^teupratoniSmuS unb bie 3:]§eofo:p]§te . . 85 

5. gjlagtc unb 3Dfl^ftif 90 

^it iiatimiS^t 9laiutpm0Sopflie 95 

1. ®. ©arbano. 23. 2:elefio. gfr. ^atrtsat 95 

2. ©torbano SBruno 97 

3. S. ^ampamUa 103 

S)ie @!e»)ft8 aU fjolge ber IRenaiffancc 106 

1. ß. »anini 106 

2. ajlid&el be Sülontaignc 107 

^a» Seitaltet ^tv Vitfotmaiion 109 

2)ie neue SBeltanf^auung 111 

1, S)er ^iftoriWc ©cft^tsfretd 111 



3nl6aItst)cr8ci(Snt6. IX 

©ctte 

2. 2)et %to%xap^]^t ©eftd^tstreis 112 

3* 2)et IoiSmogta:pl^if$e ©eftd^tdfreis. ^opernüuS unb £^d§o 

S3ral^c . . 113 

4 ©alilco ©Qlilci 117 

5. So^am S^tpUx unb afaa! Snctoton 118 

6. ©rflnbunöen 119 

S)ie ütd^Itd^e S3eruttl^eUung bet fopetnifanif^en SBeltanftd^t . . 120 

1. S)cr aöibcTJtrcit 120 

2. S)ic 3nquifitton unb ©alUci 121 

3. S)cr ^roccfi unb bic Sdlf^ung 123 

S)ic teüötöfc ^Reformation 123 

1. S)ct gjrotcftanttgmug 123 

2. S)ic ©cgcnrcformation unb bcr 3c|uitigmuS .... 131 

3. S)cr Sanfcnigmuö 138 

^tt ^h^tMäinn^^^an^ ^ct neuen ^i^ilofo^^i^ie 142 

S)ic Slufgabc 142 

S)ic ß^od^cn bcr neuen ^]^Uofo:pl^ie 143 

1. ^et S)ogmQtigmug 143 

2. S)et ^riticigmug 145 



X Snl^aÜSDeraet^nig. 



S)c§cattc§' SekH; 2öct!c unb Sc^tc* 

®rfte§ aSud^. 
^egearteS' Seien itnb Sßerfe« 

(Erfte^ Kapitel» 

(Seite 

S>ei^Ciitrte^' ^etrfdnUil^ireit un^ etrfie 2tUn^ptti0U .... 149 

SelbenSt^pu« 149 

S)te «Petiobe bev Sel^tjal^rc (1596-1612) 152 

3mette0 ffiupttel. 

3lt^eiteSeiben^^eiri0^e (1612-1628)« ^U WanUtiaf^tc^ A. SS^eit« 

ieibm un^ ^trUd^^iafttre (1612-1621) .... 159 

eintritt in bie Söclt 159 

Sie ÄxicöSbicnfle in ^ottanb (1617-1619) 161 

S)ie ÄriegSial^tc in Scutf^tanb (1619-1621) 164 

1. S)ie Sclbaüßc 164 

2. (£infam!eit in Sflcuburg. 3nncrc Ärifi3 167 

3. S)ic epod^c bcs S)nx(3&!)xn^8 173 

(1621—1628) 176 

Dierte0 Clöpitel* 

Stifte ^ei}m»ptvi0U (1629-1650). S»ie 3eit ^eir Söetrife. A. $(uf« 

enti^iiU in ^en 9lie^eirKiin^m 182 

„S)ie ]^o«dnbif(ä^c ©inficbclci- 182 

©cifligcg ßebcn in bcn Slieberlanbcn 189 

1. Stlbungsauflänbc 189 

2. 31. 3n. Don 6*ürmann 189 

3. S)ic «Pfalagräfin eCifabet^ 191 



Seite 

B. ^u^mhum ttnh f&cti^f[cnUiä^um ^^t WttU .201 

S)ag losmologif^c 2öcr! 201 

1. Slnorbnung unb ^ian 201 

2. SluSfül^rung unb Hemmung 206 

3)ic rtilofopl^ifd^cn SDÖcxte 212 

1. S)tc aJlotbc jiir Verausgabe 212 

2. 3)ie metap^ljfiWen 2öer!e 218 

€. ^it ^n^ämc hct ^ä^uU^ ^nf^ämtt unh ^c^mt ... 225 

®ie Äömpfe in Uired&t 225 

1. 9flcncti unb 9legiuö 225 

2. ©iSbertuS Jßoetiug 226 

3. ^ic SBerurtl^cUung ber neuen $§tIofo:p]öie .... 228 

4. ©tteit jtoifd^cn S)cScarte8 unb JßoettuS 230 

5. SluSgang bcg Utred6t«©r5ntnger ©ttettc§ 235 

S)ie Slngriffc in 2z\)bm 238 

£e%te ^af^tc un^ WctU in ^ottüti^ 241 

^tnt päne unb fjrcunbe 241 

1. 9lcifen nad^ fjrontreid^ 241 

2. ©Icrfeltet unb ©^anut 242 

3. Setter Slufentbalt in $ari§ 246 

(Sin ueuer ©egner. S)ie legten Slrbeitcn 249 

1. 9flegiu8' Slbfatt 249 

2. S)ic legten 2öer!e 251 

^c»catU^' 2cUn§€nU in etoif^olm 253 

©intabung ber Königin 253 

1. @^]§rt{line Don ©^toeben 253 

2. |J]§iIofopbif(ä&e SBriefe 254 

3. ^inlabung unb ^ti]t nad^ ©todtl^olm 260 

3)egcarteS in ©todI)oIm 263 

1. Slufentl^ort unb ©tettung 263 

2. Äranfl^eit unb Sob 264 



XII a[n]&att8t)eT8cid6ni6. 

VltmttB düfxUL 

©eite 

^tfatnmiüUtfiä^i hct ^ttU unh ^ä^tifim 266 

Siic t)on S)c8carteS fclbft l^etauSöCöcbcncn aSertc .... 266 

1. «P^oforttWe 266 

2. «Polcmifd&c 267 

®cr Sflad^Iofe unb bte Opera postuma 268 

1. ©d^riftcn in frembem SScfife 268 

2. »etlorenc ©Triften 268 

B. S)ie üon ©lerfeltcr l^ctauSöegcbenen Söcrfc .... 270 

4. ©ammtung tia^öctaffcncr SGßcrfe . . . •. . . 270 

^usgobc fämmtUd^ct Söcrfc . 271 

1. eottectiOs^uSöö^cii 271 

2. Orbnung bcr SBricfc 271 

3. ©u^^Icnicntc 272 



3tt)eite§ 25ud^. 
2)e8carte8' geljre. 

^ie neue SPi^eti^o^e ^etr ^i^ilofo^l^ie« ^eir SS^eg sum «Suf^em 277 

2)tc Ouetten bet ÜJletl^obcntc^rc 277 

1. S)aS Söema 277 

2. S)lc mctl^oboloöifd^cn ^oftunia. Ärttifdjc gfraöcti ... 278 
S)ie Srrtocge ber (grlcnntnife 280 

1. aJlangel bcS äöiffeiiS 280 

2. SDflangcI bcr OJlet^obc 281 

S)ct Söcg aur Söa^rl^cit 282 

1. S)ie Stufgabe bcS 2öiifcn3 282 

2. S)ie ajlctl^obe bet tool^ren S)cbuction 284 

3. Uniöerfatmatliemati!. 5Jlnat^tif(ä^e (Beometrie .... 286 

4. @numerotion ober Snbuclion. Sntuition 289 



3nl^aU8t)etaci^m6. XIII 

©eite 

entftcl^uiiö unb Umfang bc8 Stocifclg 293 

1. S)ie Ueberliefexung bcr ©^ule 293 

2. ®ic mcnf^Itd^c @clbfltduf*unö 294 

S)er met^obtfi^e unb ötunbfdfelii^c 3tt)eifcl 298 

JSixi\tt$ Capttel. 

3)a8 $rtncip ber ©ctotgl&eit 300 

1. S)a8 eigene bentenbc ©ein 300 

2. S)ie [Regel ber ©etoifel^eit. S)er ©eift ol8 ba8 llarfte Object 302 
S)a8 @rlenntni6^robIem 304 

1. S)ie JßorPettung eines SDÖefen8 außer un8 .... 304 

2. 3)a8 ?Jrincip ber ©aufalitöt 306 

3. S)ie 3bee ©otte8 307 

deh^ifi^eit 308 

S)ie aSetoeife bom S)afeitt ©olteS 308 

1. S)ie Urfad^e bcr ©otteSibee 308 

2. ^ic ©otteSibee al8 angeBorene S^n 310 

3. S)ie ?Betoei8grünbc ontologifjj^er unb antlftro^jologifd^er ^rt . 311 

4. S)er antl^ropologifd^e S3etr)ei8 at8 ©runblage be8 ontologifi^en 312 
S)ic ©elbftgetoifel^eit unb bic ©otteSgetoifel^eit 315 

1. S)ic ©etoifel^eit ber eigenen UnDottfommenfieit .... 315 

2. S)ic 3bec be8 SSoHfommenen unb bereu Urfprilngli(^!eit . 317 

3. S)ie Urf^rüngli^fcit, [Realität unb Söal^r^aftigteit ©otte8 . 319 

li*e »telfteit 320 

S)er 3rrt]^um al8 aööi«en8fd&ulb 320 

1. 3)ie Sl^atfad^e be8 3trtl&um8 320 

2. SOßittc unb »erftanb • . . 322 

3. S)cr öerfd^ulbete Itnöerftanb 323 



XIV am^altSDetaeid^nife. 

©citc 

®er SötÜe aux matit^tit 323 

1. ®ie Sßcrl^ütunö beS 3ttt^umS ....... 323 

2. S)te nicberc utib l^öl^ete SDÖtllcngfretl^ctt 325 

3. S)ic Srctl^cit Dom 3trll^um 326 

9laiutpm^J^PW ......... 327 

S)ic ©ubftantialität bcr S)inge 327 

1. S)a8 S)ofctn bcr Äör^cr 327 

2. S)ic ©ubpattjcn. ©ott unb bie S)inge 329 

3. 5lltTlbut unb 5mobi 331 

S)ie Slttribute bcr S)tnöc 332 

1. S)ic falfd&cn 3lttributc 332 

2. S)ie §au:ptqucttc unb baS §ccr unfcrcr 3rrtl^ümcr . . 334 

9laiutctfiätum 336 

S)ic SluSbcl^nung aU ha^ Stttrtbut bcr Äör^cr 336 

1. S)cr Äörpcr olS ©cgcnftanb be8 S)cnfcn§ 336 

2. S)cr Körper olS Sflaumgröfec 339 

S)tc Äörpcrtoclt 341 

cttiätum 341 

^ic S3etx)egung aU ©runb^l^ftnontcn bcr llör:pcru)clt .... 341 

1. ^tc S3ctt)egung alg SJlobuS bcr HuSbci^nung .... 341 

2. 2)tc ^etocQung al8 Ortdbcränbcrung 342 

S)ic Urfod^en bcr SBctocgung 345 

1. S)tc crftc Urfatä^c unb bic ®rö6c bcr Sctocgung . . . 345 

2. ^ic jtocitcn Urfad^cn bcr SBctocgung ober bic SRaturgcfc^c . 346 
5)ic §^bromc(5antf. SePe unb pffigc Äörpcr 351 

1. S)cr Unterf(ä^ieb bctbcr 351 

2. S)cr feftc Äörpcr im Püffigen 352 

3. §immcl unb @rbc. ^lanctenbctoegung. ©^potl&cfc bcr äöirbcl 353 

4. S)ic ßccrc unb bcr ßuftbrudC 359 



3n§altgöcracl(j&ni6. XY 

®eite 

Ut ^€CU. ^a» miütliä^t nnh fimi^^ mmmmU1>m 861 

S)ag antl^ropologifd^c ©Aftern 361 

1. Sebcutung unb Umfang beg ^xoblemS 361 

2. 3)er ©arbinolpunft beS ^Problem« 364 

3. ^te I8eibenf($aften aU ©runbpl^ftnomen ber menf^^id^en @eele 366 
• S)ie SSerbinbung steifd^cn ©eete unb Äör^cr 367 

1. 2)et aJle^aniSmug beS SebenS 367 

2. ®a8 ©eelenorgan 370 

3. mm unb ßeibenfd&aftcn 372 

S)ie Sitten ber ßeibenf^aft 374 

1. S)ic ©runbfornicn . . . • 374 

2. S)ic abgeleiteten ober combintrten fjormcn , . . . 376 
S)ie ftttlid^c ßebenSrid^tung 382 

1. S)cr aöertft unb ber Uniocrt^ ber ßeibenfd^aftcn ... 382 

2. S)er aOÖert]^ ber »cwunberung 383 

3. 3)ie ©eiftesfreil^eit 387 

^ie etile ttiiijä^c fßtoU^ ^itiH^ftirfe un^ ^trh^ie^etutiden . . 389 

S)ic einwürfe 389 

1. @tanb^unltc unb Iflifttungen ber Söerfaffer .... 389 

2. ©egenfäje unb SSerül^rungSpunfte 392 

3. S)ie Stngriffgpunlte 396 

a)ic ertolebcrungcn . , 407 

1. Söiber bcn ©intourf ber f^Hogiftifd&cn SSegrftnbung . . 408 

2. Söiber bie materialtftiid&en unb fenfnaliftif^cn ©intoürfc . 409 

3. aBiber ben ©intourf bes ni^iliftifd^en Stoeifelä . . .411 

(£lfte$ Copitel. 

ein i&pitü^ SU bem t^oti^m ^apiUt 413 

SOflünblid^e ©intoürfe unb (grioieberungen 413 

^ie iBeuttil^eilund U^ enftettii^« UmtUfU un^ nmt ^toHcme 420 

S)ag Object unb bie 3netl&obe ber Unterführung .... 420 



XVI 3n]^altgbcräci(3^ni6. 

©citc 

3)tc fttttfdjen Hauptfragen 423 

1* S)aS bualtfltff^e ^tfenntntgf Aftern 425 

2. S)cr Sualigmu« atotfi^cn @olt unb Söelt 425 

3. S)cr S)uaüSniu8 stoifd^en ©cift unb ßörpct .... - 430 

4. S)cr S)uali8mu8 jtoifiJ&en SDflenfdS unb S^l^icr .... 436 
S)te neuen ^JroHeuic unb beten ßöfung 439 

1. ^er OccaftonaliSmud 439 

2. 3)er @:pino5tsJmu8 *440 

3. S)ic SD'lonaboIoöie 441 

4. S)ic bxei ©runbtoal^rl^citett ber SOletart^p^ .... 443 

5. S)er 6enfualtSmu8 444 

6. S)cx SOflalctialtSmuS unb ber 3bcalt8mu8 . . , . 445 

7. S)er ßrtticigmug . -w . 445 



'•^^:3®^^- 



Einfettung 



m 



^efdjiihte htx neuern P^Uofo|i^i(. 



8fif*et, ®ef(l&. b. Wlo\. I. 4. «ufL 91«. 



®cr ©cgcnftanb btcfcS SBctIcS tft bic ?p]^tIafot)]^ic bcr neuen 
3eit. @o eigentJ^ümltd^ QU(ft bie ßefiengbebtngungen ftnb, toeld&e 
btefe ^ßl^ilofopl^ic in \xi} trägt, fo feI6ftt)erftanbli(j& unb einfad^ bie 
Sluf gaben, bie fte aus eigenfter ®inft(!&t \xi} fe^t, fo i[t fie bod6 in 
i^rem Urfprunge bebingt burd6 bie ©efd&id&te ber ^ßl^ilofopl^ie, bie 
il^r DorauSgel^t. Stocrr entfielet fie in einem ööüig betoufeten Srud^ 
mit ber SBergangenl^eit, fie ^at bie beutlid^e unb au§gef))rod§ene 
©etoifel^eit, bafe bie ©ad6e toieber einmal ganj t)on t)orn mfiffe an= 
gefangen toerben; fie erMört in il^rer ©runblegung, bafe fie t)or= 
ausfe^ungslog unb öon aßen überlieferten ßel^ren, t)on allen ge= 
fd&i(^tlid& gegebenen unb befeftigten 2lutoritaten t)oll(Iommen unabl^angig 
fein tt)0Üe; fie ift eS au(5 in il^rem ©inne toirftid^, aber biefe ©eifte8= 
freil^eit felbft ift eine gefd&id^tlic^ getoorbene, biefe 25orau§fe§ung§Iofig= 
feit eine gefd^id^tUdö bebingte, fie tt)irb allmäl^UiS angebal^nt unb )oox^ 
bereitet in einer gunel&menben Entfernung öon ben ©rufiblagen ber 
frül&eren ^l^ilofopl&ic. 6§ finb beftimmte 9Benbet)unfte , in benen ber 
menfd&Iid&e ©eift, beS SSorl^anbenen fatt, feine urf))rüngli(i^e ßraft ein= 
fe^t unb aus biefer unöerfieglic^en QueÜe feine 33ilbung erneut, ©old&e 
SBenbcl)unfte finb in bem ©nttoidlungSgange ber SDlenfcQl^eit tief be= 
grünbet, lange vorbereitet, barum feiten, ©ie erfd^einen immer 
nur, loenn bie 3etten erfüÜt finb. @iner fold^en Erfüllung ber 
Seiten beburfte gu il^rer ©ntftel^ung aud^ bie neuere ^ßl^ilofopliie. Sagu 
fommt, ba§ biefe ^ßliilofopl^ie bei aüer Unabl^angigfcit il^reS ©enfenS, 
bei aÜcr Urfprüngüdöfeit il^rer ©runblagen, bod& in einem beftanbigen 
SJerfcl^r mit iliren gefd&id&tlid§en 25orau§fe§ungen bleibt; fie roiberfprid&t 
benfelben in il^rcn 2lnfängen, fie fd&örft biefen SBiberf))rud& big ju einem 
Wttigen ©egenfa^, fie neigt fid^ in il^rem toeiteren Sßerlauf biefen 23or= 
QUSfe^ungen ju unb fül^lt fid^ mit il^nen in einer geiftigen 35eriDanbt= 
ft^aft, fie erneut in il^rem iüngjten 3eitalter biefen ©egenfa^ unb biefe 



1* 



4 ®ef(^t(j^te bex ^l^Uofop^ie 

S5crtoanbtfd§aft. 60 gtefit ftd§ btc neuere ^pi^ilofopl^te ju her ftül^eren 
ftets ein beftintmte§ SBerl^ältni^ unb lö^t fie nie au§ il^rem ©cfid&t§= 
freife t)erfd6tt)inben. ©al^er muffen tt)ir unS in ber Einleitung biefeS 
SBerleS barüber flar toerben, au8 toeld&cn gefd^id^tlid^en SBebingungen 
bie neuere 5|}]^iIofol)]6ie l^ertjorgel^t, in toeld&em SufarnntenJ^ange mit bem 
großen SilbungSgongc ber 9Jlenf(ä6]&eit il&r 3ßitalter beginnt. 

©d^on in bem Segriff einer ©efd^id^te ber ^pi^ilofojjl^ie finb ge= 
toiffe ©d^toierigleiten entl^alten, bie gegen bie SDlöglid^feit ber @ad§e 
bebenllid^ moi^en fönnten. ®enn ein 33egriff ift fd&tt)ierig, toenn feine 
SJierfmale fid^ nid^t fofort bereinigen laffen; er ift unmöglich, toenn 
biefe 5öierfmale toirfUd^ unvereinbar finb. SWun fd^eint itt)ifd§en bem 
SBegriff ber ©efd^id^te unb bem ber 5ßl^ilofo^)]^ie in ber Z^at ein fold^er 
SBiberftreit ftattjufinben : ©efd&id&te ift nid&t benfbar ol^ne eine 3ßit= 
folge t)on Segebenl^eiten , ?p]öiIofo))]^ie nid^t ol^ne ®rfenntni§ ber 
SBol^rl^eit, unb n)a]ör ift nur biejenige SBorfteüung , toeld&e ber ©od&e 
ober il^rem ©egenftanbe t)ott!ommen entfprid^t. ^ier aber giebt eS 
bIo§ bie beiben SDlöglic^Ieiten , ba^ bie Uebereinftimmung ätt)ifd^en 
SSorfteÜung unb ©ad&e enttoeber fiattfinbet ober nid^t: in bem erften 
fjall ift bie SSorfteÜung toaf)x, in bem anbern falfd^. ®ie Sffial^rtieit 
ift nur eine, fie l^at leine Sleil^e ober S^itfolge t)on Säßen: barum, 
toie c8 fd^eint, feine ©efd^it^te. Unb fo crfd^eint eine ©efd^id^te ber 
5I3]ÖiIofoJ)]^ie , eine SReil^enfoIge öerfd&iebener ©^fteme, bie oft unter 
einanber im größten SBiberftreit, nie mit einanber in ööHiger Ueber= 
einftimmung finb , aU ba^ offenbare ©egentl^eil ber 5p]^iIofo))]^ie felbft, 
als baS beutlid^fte S^ugnife 9^9^« bereu SDlöglid^feit. ©0 ift ber 3Biber= 
ftreit ber 5p]^iIofot)]^cn , bie 25iel^eit unb SSerfd&iebenl^eit il^rer ©^fteme 
aud^ ftet§ t)on benen genommen tt)orben, toeld^e bie SDlö^Iid&teit einer, 
toal^ren ©rfenntnife bejlDeifelt l^aben. Unter ben ®intt)ürfen, tt)eld^e bie 
alten ©feptüer gegen bie 5p]^iIofopI|ie t)orbrad6ten, toax ber ©treit ber 
©^fteme einer ber erften unb n)id&tigften. @§ leudfttet ein, ha^ unter 
biefem ©efid^tspunfte t)on einer ©efd^td^te ber 5pi^iIofot)]öie im ftrengen 
SSerftanbe nid^t gerebet mxbtn lann; enttoeber man l^ölt fid§ an bie 
gefd^id^tlidö gegebene Sl^atfad&e ber fielen fogenannten ©^fteme , ol^ne 
fid^ um beren SBal^rl^eitSgel^alt gu tümmern, unb lä^t bemgern^^ öon 
ber ©efd^id^te ber ^pi^ilofopl^ie nid&tS übrig als eine ©efd^ic^te ber 
^Pl^iiofopl^en , il^rer ßebenSöerl^altniffe , SUleinungen unb ©d&ulen, bie 
man barfteüt, fo gut eS bie Quellen erlauben, unb fo gut man bie 
Quellen öerftel^t; ober man forbert bie Sinl^eit ber n)a]^ren ®r!enntni§ 



als SGßifjcnf^aft. 5 

unb fielet in }cncn öcrfd^icbencn ©^ftcmcn fo öielc SScrfud&c, ble il^r 
3iel öerfcl^It l^aben, unb bie ntan Beurtl^eilt ol&nc Itb^ 3fiü(ffid6t auf 
il^rcn flefc^id&tfidöcn ßl^arafter. ©o trennt [xij in bcr Söetraiä&tung bcr 
©efc^ic^tc bcr ^{)iIofop]öic ba^ gefd^idötlid^e ^ntercffc gang öon bcm 
))]^iIofol)]^ij(i^en : im erften ^aü toirb bie ©efd^id^te ber 5p]^iIofoj)]^ie ein 
©egenftonb bIo§ ber ©rjöl^lung, im gtoeitcn ein ©egenftanb Blofe ber 
SBeurtl^eilung; bie ®rjQ{)Iung ber erften Slrt ift ebenfo unfritifd^ unb 
urtl^eilSloS, aU bie ßritif ber gtoeitcn unl^iftorifd^ unb ol^ne gefd^idöt= 
lid^e 6infi(^t. Unter bem einfeitig l^iftorifc^en ©efid^tspunlt giebt eS 
tt)o]&I eine ©efd&id&te, aber leine 5p]^ilofo))]^ie , unb unter bem einfeitig 
fritifdöen giebt e§ tool^l eine ^^iIofot)l^ie, ober feine ©efd&i^te. S)icfe 
5J}Öilofo))]Öie ol^ne gefd^idötlid^eS Sntereffe unb ol^ne ba§ SBermögen, bie 
2)inge ]^i[torifd§ ju mürbigen, l^ölt bie 2lufgabe ber toal&ren (£rfenntni§ 
enttt)eber für unlösbar unb barum bie gegebenen ©^fteme für lauter 
Srrtl^ümcr, ober fie beliauptet auS praftifd^cn ©rünben eine gett)iffe in 
aÜen fällen gültige ®r!enntni§ ber SBal^rl^eit, bie aber t)on jenen 
©^ftemen tl^eils öerfel^It, tl^eils nur unDoIIfommen erreid^t unb mit 
falfd&en Slnfid^ten öermifd&t fei. ©o öerfal^rt fie mit ben gefd^id^tlid^en 
©^ftemen enttoeber burd&auS f!ej)tifcb, inbem fie alle öertpirft, ober 
efleftifdö, inbem fie nad& einem ööüig fubjectiöen SDla^lab baSSBal^re 
fonbert unb auStpal^lt. S)iefe ßritifer nun finb bei toeitem nid^t, toaS 
fie fein tootten : fie meinen, ben gef d^id^tlid^en ©^ftemen gegenüber, bie 
pe t)on oben l^erab anfeilen, l^öc^ft unbefangen unb unabl^angig gu 
urtlieilen, aU ob fie über ber ©efd^id&te ber ^l^ilofo))]öie ftänben; fie 
loiffen nid^t, bafe fie il^re eigenen ©tanbpunfte t)on eben biefer ©efd&id^te 
emt)fangen, ba§ biefe ©tanbpunfte felbft gefd&id&tUd§ getoorben unb 
Vorbereitet finb, ba§ fie au§ einer gang beflimmten gefd6id&tli(^en Sage 
ber ^P^ilofopliie mit SJlot^loenbigfeit l^eröorgel^en unb eben baburd^ geit= 
toeilig bered^tigt toerben. 

6§ ift natürlid^, bafe biefer f|iftorifd&e unb biefer !ritifd6e ©efid^t§= 
J)un!t bie erften unb nad&ften finb, unter benen man bie ©efd^id^te ber 
^P^ilofopl^ie als ©egenftanb betrad&tct; fie toixb junäd&ft enttoeber öon 
©efd^ic^tsfd&reibern ober t)on ffe^)tifd6en unb efteftifd^en ^piöWofopl^en 
bargeftellt. 2)rei tpid&tige Duetten für bie ßenntni§ ber alten 
5P^iIofop]^ie finb eben fo Diele Söeifpiele für biefe l^iftorifd^e , ffe^)tifd&e 
unb efleftifdöc Söetrad^tungStoeife: ßaertiuS ©iogeneS, ©ejtus ©mpiriluS, 
So^anneS ©toböuS. Unb unter ben erften ©df)riftftenern , bie in ber 
neuen 3eit bie ©^fteme ber ^pi^ilofopl^en bargefteüt unb beurtlieilt l^aben. 



6 ®efd^t(^te bet $l^Uofop^te 

gtefit c§ brct, bie fidö mit icncn ©tanb^)unf ten öetglcid^cn Ia|[cn : Sll§oma8 
©tanle^, ?Pterrc SSa^Ie unb 3afob SBrudcr. 

SBci bicfer Stennung beS ]^t[tottfd&cn unb fritifd^cn ©tanbj)unfte§ 
tt)itb bie Slufgabe, toeld&c bie ©efd^id&te ber ^pi^ilofopl^ic ftcüt, nid^t 
gclöjl unb bie ©d^toierigfeit, tt)clcöe in ber ©ad^e liegt, 6Io§ umgangen. 
SEBir erl^alten t)on ben einen ©efd^id&tc ol^ne 5ß^ilofoJ)]^ie, t)on ben anbern 
^ßl^ilofopl^ie ol&ne ©efd&id^te. ©efd&id&te ber ^pi^ilofopl^ie tft begreiflid^er 
SBeife auf feinem biefer ©tanbpunfte möglid§. Unb l&ier tel^rt un§ bie 
fjrage gurüdC: toie ift ©efdöid^te ber 5ß]^iIo|o^)]^ie als SBiffenfd^aft 
mögli^? 

Unterfud&en tnir ettoaS genauer, ob bie ^pi^ilofopl^ie als ßiebe jur 
SBeiSl^eit, als ©treben nad6 SBal^rlöcit ober 'voa'ijxtx ©rfenntnife in ber 
Stl^at ben SSegriff ber ©efd^idöte öon fid& auSfd^Iiefet? ßaffen n)ir bie 
getoöl^nUd^e ©rflärung für }e^t gelten, nad6 toeld^er bie SBal^rl^eit in 
ber abäquaten SBorfteÜung befielet, b. )§, in ber t)oII!ommenen lle6er= 
einfiimmung ätoifd&en unferem Söegriff unb ber ©ad&e. ©e^en toir bie 
©ad§e t)orauS als ein gegebenes, in fid^ t)oIIenbete8 Dbied, baS unt)er= 
änberlid^ fid^ gleid^ bleibt, fo finb atterbingS nur bie beiben Säue 
möglidö, baß unfere aSorfteÜung bieferii fo auSgemad^ten ©egenftanbe 
enttoeber gemäß ift ober nid^t. Jiel^men toir an, baß es eben fo auS* 
gemad^t eine fad&gemäße unb fertige SBorftellung giebt, fo finb nur bie 
beiben fjöüe moglid^, baß toir biefe tjorl^anbene tüdi^xe SBorftellung ent= 
loeber l^aben ober nid&t l^aben, ba^ toir bie SBal^rl^eit enttoeber oöUig 
befi^en ober t)öllig entbel^ren. Sann ift jebe Slrt ber ©efd&id^te auS 
bem ©ebiete ber SBal^rl^eit auSgefd^loffen. 

©0 aber öerl^ält es fid& in feinem fjatt. ®er ©egenftanb unferer 
ßrfenntniß möge nod^ fo ausgemacht unb feiner SJlatur nac^ unt)er= 
änberlidö fein, bie il^m entfj)re$enbe SBorfteüung unfererfeitS ift niemals 
in einet fold^en fjertigfeit gegeben, ba^ n)ir mit einem ©riff biefelbe 
enttoeber erfaffen ober öerfel^len. ©elbfi toenn bie toa^xzn SBorfteHungen 
uns angeboren toären, fo müßten toir uns berfelben bod§ aÜmö^ltd^ 
betoußt loerben unb einen SlufftärungSproceß burd^laufen, ber einer 
©efd&id^te unfereS SeioußtfeinS gletd&fäme. Unb menn bie maleren 
SSorfteüungen bem ©eifte nid^t uri))rünglidö einge^)rägt finb, fo muffen 
fie aus bem ©eifte geboren, b. 1^. gebilbet toerben, alfo einen S3ilbungS= 
l)roceß burd&laufen, ber nid^ts anbereS fein fann als eine aümöl&lid^ 
fortfc^reitenbe Serid&tigung unferer Söegriffe, bie in il^rer erften natür= 
lid^en SSerfaffung ben Dbjecten nid^t gemäß finb. 3n bem menfi^lid^en 



ol8 aööiffcnf^aft. 7 

aSetoufetfeitt ift }cbc tDaf)xt SBotftcÜung eine gctoorbcne, l^ier l^at jebe 
SBal^rl^cit tl^tc ©cfdöid&tc, ol^ttc tüeld&c fic nid^t gu ©tanbe fommt: biefc 
©efd^id^te Bilbet einen tt)efentlt(i6en %^zH in bem geiftigen SilbungS- 
unb ßntiDidlungSgange be§ 3nbit)tbuum8. 3e größere ©d^toierigfeiten 
ju übertoinben, je mel^t Slufgoben gu löfen finb, um bie SBal^rl^eit an 
baS Sid&t gu bringen , um fo länger natürlid^ bauert il^r SBilbung§= 
))rocefe; gonje 3citoIter Bleiben in ^rrtl^ümern befangen, n)el(i^e eingufel^en, 
gu berid^tigen, gu übertoinben bie ßraft neuer Seiten erforbert toirb. 
2ln einem fold^en SBiIbung§t)roce§ arbeiten Sal^rl^unberte. (£ine fold^e 
SBal&rl^eit l^at eine ©efd^id^te im ©ro^en. Sie menfc^Iid^en aBiffen= 
fd^aften fömmtli^ finb gefd&id&tlid^ getoorben unb fonnten nur burd& 
eine attmäl^Rd&e SluSbilbung toerben, tt)a§ fie finb. S)a§ SBeltgeb&ube 
in feiner SSerfaffung, feinen ©efe^en, feiner med^anifd^en Drbnung bleibt 
als ein ©egenftanb menfc^Ud^er Slnft^auung unt)errüdCt baffelbe, bod^ 
mufete bie Slftronomie eine ^leil^e t)on SSorfteÜungen ausbilben unb 
befeftigen, tt)ieber erfdöüttern unb aufgeben, um auf biefem SBege nad^ 
fo öielen Sal^rl^unberten bie tüat^xm ©infid^ten gu erreid^en. @o nn- 
rid&tig il^r alteS ©Aftern toar, bennod^ bilbete e§ bie notl^toenbige S5or= 
ftufe gu bem neuen unb rid^tigen. 

S5on ber obigen 35orau8fe§ung gilt alfo bie gtoeite nie: ba§ bie 
loal^ren SSorfieÜungen einmal für immer au8get)rögt unb fertig finb, 
öielmel^r finb fie allemal gu löfenbe 2lufgaben. 2lber aud^ ber erfte 
@a^ gilt nid&t immer: ba§ nämlid^ ber ©egenftanb unferer ®rfenntni§ 
unöerönberlidö berfelbe bleibt. SBenn nun biefer ©egenftanb felbft 
einen 5Proce§ bilbet, felbft in einer SSerönberung begriffen ift, bie fid6 
immer toieber erneut, nid&t in einer fold^en SSerönberung, bie nad^ ben= 
felben ©efe^en beftönbig toieberfel^rt, toie bie SSeioegungen ber ©eftirne 
unb ber ßreislauf beS ßebenö , fonbern in einer fd^öpferifd^en Sl]^atig= 
feit, in einer toirflid^ fortfd&reitenben Silbung? SBenn biefer ©egen= 
ftanb felbft eine ©efd&id&te nic^t blo^ l^at , fonbern fein gangeS SBefen 
in biefer ©efd&id&te entfaltet unb bartl^ut, ol^ne eS je in irgenb einem 
Slbfd^nitte berfelben gu erfd&öpfen? 3Benn mit einem SBorte biefer 
©egenftanb lebenbiger, geiftiger 3Jatur ift? ©o leud^tet ein, ba§ bie 
@rfenntni§ eines fold^en DbjectS ntd&t blofe, toie jebe menfd&lidöe ©infid^t, 
einer SluSbilbung bebarf, fonbern, um il^rem ©egenftanbe gleid&gufommen, 
felbft in einem gefd^id^tlidöen Sortfd&ritt begriffen fein mu§. ®in fort- 
fd^reitenber 93ilbungS))roce§ fann nur begriffen toerben in einem fort» 
fd^reitenben Srfenntni^proce^. 



8 ©efi^i^te bet $]§iIofop^ie 

©icfcr fortfdörcitcnbe 93iIbun8§:|)rocc§ ift bcr mcnfd&üd^e ©cift, 
biefer fortfd6rcttcnbe @tfenntm§procefe ift bie 5ß]§tIofop]^te qI§ bic 
©cttftetfcnntnife be§ Tnenfd6Iid&en ©eifteS. S)enn c§ ift flar, bafe bcr 
mcnfd6ltd&c ©cift aU felb[lbetüu§tc8 SBcfen fid& ©egcnftanb fein, batum 
ftd& ^Problem toerbcn mu§: er mufe fud^en, bicfc§ ^Problem gu löfcn, 
er fann ol^ne ein foId^eS ©treben nidöt fein, ^ben biefeS ©treben ift 
bie 5p]^iIofo))]^ie. Dl^ne baffelbe lönnte ber ©eift niti^t fid^ felbft ^Problem, 
nid&t fein eigenes Dbiect, alfo nid&t felbftben)u§t fein. ®a§ menfd6Ud&c 
©elbftbetou^tfein entl^&It eine ^rage, tt)eld&e bie ^l^ilofopl^ie auflöft. 
®er menf(!&Iid6e ©eift ift gleid^ einer gefc^id&tlid^en @nttt)i(IIung, bie in 
einer SDlannidbfaltigfeit Don Söilbungen, in einer 9lei]§e t)on 33iIbungS= 
f^fiemen Verläuft, bie ber ©eift qu§ fid^ l^erDorbringt, erfüllt, auslebt, 
unb iDorauS er als feinem ©toff neue ®ulturformen ergeugt. SBaS 
fann biefem Dbject gegenüber bie 6r!enntni§, bie il^nt entfpred&en toiÜ, 
anbereS fein, als eine aJlannid&faltigfeit unb ^teil^e t)on 6rIenntniB= 
f^ftenten, bie gleid& il^rem Dbject ein gcjd&id&tlid&eS ßeben fül^ren? SBaS 
alfo lann bie 5p]^ilofo))]^ie in biefer 9lüdEfid&t anbereS fein, als 
©efd^id&te ber 5p]^ilofo:|)]öie? ©ie ift tt)ie eine ©rö^e, beren SBertl^ 
auSgemad^t n)irb in einer 9leil^e t)on ©rö§en. 2luf ben erften 33lidC 
fd^ien eS, als ob ber SBegriff ber ^pi&ilofopl^ie bie SJJöglid&feit einer 
©efd^idöte als ettoaS il^r UnDertröglid&eS bon fid^ auSfdftliefet; ie^t feigen 
toir, ba^ im ©egentl^eil bie ^pi^ilofopl^ie bie gefd&id&tlid^e ßnttoidflung 
nid&t blofe als eine SDlögtid^Mt guläfet, fonbern als eine JJotl^toenbigfeit 
forbert, ba§ jebem J)]^ilofop]^ifd^en ©Aftern mit feinem gefd6id&tlid&en 
SBertl^ audö feine gefd&id&tlid^e SBal^rl^eit gufommt, ba^ jebeS biefer 
©^fteme ebenfo felir in feiner gefd^id^tlid^en ©igentl^ümlid&feit als nad^ 
feinem SBal^rl^eitSgel^alt erfannt fein tpiÜ , ba^ mxtt)xn bie ©efd&id^te 
ber ^P^ilofopl^ie als SBiffeufd^aft bzn l^iftorifd^en ©efic^tspunft mit bem 
fritifd^en, baS gefd&id&tlid&e Sntereffe mit bem ^)]öilofo))l)ifd&en auf baS 
engfte bereinigt. 3Benn baS Dbject ber ©tein ber Sffieifen toare, fo 
to&u bie Sffial&rl^eit ein Sunb, ein Treffer, ben man entn)eber gett)innt 
ober öerfel^lt. SBenn baS Dbiect ber menfd^lid^e ©eift ift, fo ift bie 
SBal^rl^eit felbft eine lebenSöoÜe ©efd^id&tc: fie mu§ fid& enttoidfeln unb 
fortfd^reiten in bem großen SilbungSgange ber SJlenfd&l^eit. 

©0 mu§ es fein, mnn in ber Zf)at ber menfd^lid^e ©eift ber 
eigentlid^e ©egenftanb ber 5p]§ilofo^)]^ie, tt)enn biefe il^rer ©runbrid^tung, 
il^rer eigentlid^en Slufgabe nad& nid&ts anbereS ift, als bie ©elbft= 
erfenntnife beS ©eifteS, bie menfd&tid^e ©elbfterfenntnife im ©rofeen. 



Ql8 2öiffcnf«aft. 9 

3fl bicfe Slnnal^mc rid^tig? 3ft biefc ©rflörung ni(j&t ju eng unb Bc= 
fc^ränft? Umfaßt bic 5ß]^Uofo))]^ic il^ret Slufgobc nai^ nid^t mel^r als 
ben incnfd&Iiicn ©eift? Sffitr nennen fie @eI6fter!enntni§, fie felbft 
nennt fid^ SffieltröeiSl^eit. Unb bte ©elbfterfenntni^ lann jtd6 jur 
SBeltoeiSl^ett boc^ nur öerl^alten, xou ber nienfdölid6e ©eift jur Sffielt, 
b. % tt)ie ber Sil^eil jum ©Qnjen. S)q§ toir alfo nid&t einen fopl^iftififten 
©c^Iuß mad&en unb »aä auf bte 5ß]^iIofoi)]^ie in einem 8en)iffen @inn 
pa^t, auf bie 5ß]^itofoi)]&ie in iebem ©inn auSbel^nen, maS nur t]^eil= 
tt)ei[e t)on il^r gilt, überl^aupt t)on il^r gelten laffen! 

@§ ift QÜerbingg todf^x, bofe unter ben gefd6i(j&tlidö gegebenen 
©^jiemen leineStoegg atte bie Slufgobe ber menfd6Ud^cn @eI6fter!enntni§ 
in il^ten SJorbergrunb fteöen unb öon biefer Slufgabe atte übrigen ah- 
l^ftngen laffen; öielmel^r ift nur in feltenen aJiomenten im ßaufe ber 
Seit bag belpl^ifd^e Sffiort an ber ©pi^e ber 5ß]^iIofoi)]&ie erfd&ienen mit 
bem öotten unb au§gef))rod^enen Setoufetfein, bie erfte atter :p]^iIo[oi)]^ifd6en 
3lufgaben ju fein. 2lber fo oft eS gefij&a]^, loar bamit gugleid& in bem 
SilbungSgange ber 5ß]^iIofo^)]^ie ein entf(^eibenber SBenbe:punft einge«» 
treten, toie im 3lttert]^um bur4 bie folratifd&e ®pod6e unb in ber 
neuen 3eit burd& bie lantifd^e. @g lä^t fid6 leidet geigen, ba§ bie 
Sebeutung biefer Sffienbepunfte fid6 über bie gefammte frül^ere unb bie 
gefammte folgenbe Spi^iIofo))]^ie erftredt, ba^ fie in Siüdfid&t auf jene 
bie Srud&t, in ^lüdEfid^t auf biefe ben ©amen Bilben, bafe fie bie Jjor** 
^ergel^enbe 5ß]^iIofop]^ie burd&göngig t)ottenben, bie folgenbe burd^göngig 
Bel^errfc^en. Unb fo irirb e§ Ilar unb burd^ bie gefd&id£)tlid&e Srfal^rung 
felbfi beftötigt, ba§ bie menfc{)Iid6e ©elbfterfenntnife ba§ ©runbtl^ema 
atter ©^fteme auSmad^t: aller, tt)enn man fie nid&t Jjereinjelt, fonbern 
in il^rem inneren Sufammenl^ange betrad^tet. ©ie ift in Sffiatirlöeit bie 
burd&göngige 3lufga6e, in meld&e bie Kare ©infid^t bie ©^fteme ber 
einen 3lei]^e Vorbereiten, öon loeld^er mit Harem SSeiou^tfein bie ©^fteme 
ber anbern 9lei^e auSgel^en. S)ie ®i)od^en, in benen ba§ Seloufetfein 
biefer 3lufgabe burd&brid^t, toürben uns nid^t ben Sffieg ber ^pi^ilofopl^ie 
nad& beiben ©eiten fo l^ett erleud&ten, fie tt)ürben nid^t bie 5Pun!te fein, 
XDO tt)ir uns fo leidet unb einfad) nad^ atten 9iid^tungen orientiren, 
toenn fie nid^t bie 9iatur ber ©ad&e in il&rem ganjen Umfange jum 
SBorfd&cin bröd^ten. 

Unb toaS bie gefd^id^tUdöe ©rfal^rung auf biefe Sffieife bartl^ut, baS 
lel^rt, rid^tig erlogen, fd^on ber Segriff ber ^P^ilofo^jl^ie. Senn bie 
menfd&Iid&e ©elbfterlenntnife ift unter atten tt)iffenfd&aftlid&en Slufgaben 



10 ©efd^id^te ber ^P^Kofo^l^ie 

nid^t Mo§ bte ticfftc, fonbern aud6 bieumfQffcnbftc. ®te 5ß]öiIofo^)]Öte 
aU @eI6fterfcnntni6 begtctft bte SPl^Uofo))]^te al§ SffielttoctSl&eit offenbar 
in ftd&. ®ie geban!enIofe 2?orftettung freiltdö Idfet bte 6eI6ftetfenntnt§ 
gut SBelttoeiSl^eit, ba^ 6eI6ft jur SBelt ftd& 'on^alkn, me ben SEl^eil 
äum ©angen, fte fielet in bem @eI6ft ein einjelneS Sing, in ber SBelt 
ben Inbegriff ber Singe: tt)ie foöte alfo jenes nid6i Reiner fein, als 
biefe? Unb bo(3& ift e§ nid6t fd^tocr einjufe^en, ba§ bie SBelt als 
Inbegriff ber Singe ein SBefen öorauSfe^t baS einen fold^en Inbegriff 
Bilbet, alfo ein begreifenbeS SBefen, benn Inbegriff ift nid^tS an fid6; 
• es ift nidöt fd&loer einjufel^en, ba^ bie Sffielt als ©egenftanb unferer 
S9etrad6tung , als 3lufgabe unferer 6r!enntni§, nur möglid^ ift unter 
ber Sebingung eines SffiefenS, baS fie jum ©egenftanb ntadöt, alfo 
eines anfd^auenben, öorfteKenben , mit einem SSäorte felbftbett)u6ten 
SBefenS; bafe biefeS felbft als einjclneS Sing, als SEl^eil ber 29Selt, 
unter bie Dbjecte gel^ört, bie angefd^aut, öorgefteHt, gegcnftänblid& ge= 
mad^t fein tooKen, alfo ein urft)rünglid&eS 6elbft öorauSfe^en, toeld^cS 
ben innerften ,Rern unfereS SQSefenS bilbet. §ier ift baS große Slat^fel 
ber Singe, tt)eld&eS jur ßöfung brangt: baS ^Problem aßer ^Probleme. 
2Belt unb iSelbft t)er]^alten fid6, tt)ie Dbject unb ©ubject, loie baS Se= 
bingte gur SBebingung, ntc^t tt)ie baS ©angc gum Sl^eil, aud& nidöt toie 
bie ©eiten eines ©egenfa^cS, bie einanber auSfdöließen, etloa baS S^leale 
gum Sbealen, um bie beliebte Formel gu braud&en, in ber man fo 
gern baS SBerl^öltniß gtoifi^en Dbject unb ©ubjed, SBelt unb ©elbft 
auSbrüdft. Sie SBclt ift unfer ©egenftanb, unfere SBorfteÖung; fie i|i 
nid^ts unabböngig t)on unferer aSorfteßung, biefe ift nid^ts unabl&öngig 
t)on unferem ©elbft. Sie 2Belt finb toir felbft. 3ebe falfc^e SBelt« 
anfidöt ift immer gugleidö eine @clbfttftufd&ung, jebe toal^re 2Belt= 
anfid^t immer gugleidö eine ©elbfterfenntnife. 2Bie eS feine 2Belt giebt, 
unabl^ängig Don unferem ©elbft, als tt)eld^em fie erfdöeint, ober baS fie 
Dorfteßt, fo giebt eS aud& feine 2Belttt)ciS^eit, bie unabhängig ober ab- 
gefonbert toärc öon ber menfd^lii^en ©elbfterlenntnife. §ier finb nur 
gtt)ei gööe benibar : enttoeber unfere @elbftcr!enntni§ toirb öon unferer 
SBeltanfid^t abl^öngig gemad&t ober umge!el^rt. Sie 5ftatur ber @ad6e 
forbert baS 3»)eite, aber bie ©infid^t in biefe SRotl^ioenbigleit loitt er= 
obert fein, unb bie 5pi&ilofot)]öie l^at eine Stetige t)on SSorauSfe^ungen gu 
burd^laufen, beöor fie biefe ®infid&t errcidöt. Unb fo unterfc^eiben fid) 
i^re ©runbrid^tungen. 3uerft erfd^eint bie SBelt als baS ®rjie unb baS 
©elbft als baS Stoeite, bis bie ©elbfttaufd^ung, toeld&e biefem ©efid&tS= 



aU SCßiRcnWaft, 11 

})unftc gu ©xunbe liegt, einleud^tet unb ftd^ nun bag SJcrl^altnife im 
fflctou^ifein bcr 5ß]^iIofo:p]^ie umfel^rt. 

©amit iDOÜen tüir feftgcfteöt l^abcn, bafe bic 5ß]^ilofoi)]^ic öetmöge 
tl^reS eigenen S3egrtff§ nid^ts anbexeS fein fann, als bie ©elbftexlenntnife 
be§ menfd&Iid&en @eifte§ unb, foBalb fie bie exfte ©elbfttäufd&ung übex- 
iDunben, aud& bemufetextoeife ni(j&ts anbexes fein iDiö. ^^t gef(j&td&tlid6ex 
ßntoicfelungSgang toixb biefe SBal^xl^eit Beftätigen. 

S)iefex 33egxiff exIauBt eine 9ieil§e leidet öexftänblid&ex golgexungen, 
tDeld^e bie ©efd^id^te bex 5p]^iIofoi)]^ie exleuiftten unb eine SKenge a5ox= 
uxtl^eile iDegxftumen, tcel^e bie xid&tige Slnfidjt ü6ex bie gefc^id^tlid^cn 
fflilbungSfoxmen bex ^pi^ilofopl^ie öexl^inbexn. 

®Q§ @xfte ift, ba§ bie 5ß]&ilofo:p]^te, tt)te bex meufd^lid^e ©eift 
felBp, einex gefd^idötlid^en ©nttoidlung fällig unb Bebüxftig ift, bafe 
fie QU ben Silbungsf^ftemen , raeld&e 3citaltex unb SSölfex exfüßen, 
leBenbigen SE^eil nimmt, begl^alB aud& bem ©ange unb ben ©döid* 
falen bexfelBen mituntexliegt. ©ie ift bie menfd^Ud^e ©eIBftex!enntni§ 
im ©xofeen. Sex 5!Jlenf(f) im ©xo^en ift bie 9Kenfd&l§eit auf bex 
^b^e einex il^xex ©nttoidEIungSftufen , untex bex ^exxfd&aft einex Be= 
fiimmten unb Qu§fle:pxögten SBilbungStoeife. Sie ^ßl^ilofopl&ie l^at bie 
5!lufgQbe, biefe fflilbungSfoxm ju buxd&f d^auen , fie auS il&xem innexften 
SDlotit) ]|exau8 ju Begxeifen unb tiax gu mad^en: tt)a§ fie ift unb 
exjixeBt. S)iefeS innexfte aJlotit) mu§ gum aSoxfd^ein lommen, bex 
©eifi mufe fid& beffelBen Beh3uBt toexbcn, toenn ex fid) üBexl^au^jt 
fein ex Betonet toexben tt)iü. ®enn biefeS innexfte SKotit) ift ex felBft. 
Unb biefe SlufgaBe gu löfen, gieBt e§ fein anbexeS 5!JlitteI aU bie 
5P^aofo^^ie. 

®iefe 3lufgaBe tt)ixb um fo fdjtDiexigex, je xetd&ex unb Dielgeftaltigex 
bie 33ilbung§n)ett ift, »eld^e bie ^pi^ilofop^ie aus il^xem SKittelpunlte 
]^exau§ exleud^ten foö. Sex geiftigen 9lid&tungen unb 3fntexeffen, bie 
fid& auf bem leBenSDoßen ©(^aupla^e bex SBelt bxängen, finb t)iele, 
öexfd&iebenaxtige , entgegengefe^te , bie einanbex Befömt)fen. ©o t)ex= 
fd&iebenaxtig finb bie in bem meufd^Iid^en ©eifteSleBen iDixffamen 
3Wotiöe. 60 Dexfd^iebenaxtig muffen bemnad^ aud^ bie t)]^iIofot)]^ifd^en 
Slid&tungen fein, bie in einem fold^en 3ßitciltex gux ©eltung !ommen, 
unb es exgieBt fid^ öon felBft, ba§ bie SBibexf))xüd)e bex 3ßit in 
toibexftxeitenben 6^ftemcn l^exöoxtxeten, bexen jebeS eine ©eite be§ 
l&exxfd&enben aJlenfd^engeifteS raiffenfd^aftlid) exfd^einen lö^t, unb bie fid6 
gegenfeitig exgdngen, um bie ))]^iIofot)l^ifdöe SlufgaBe bex 3ßit gu löfen. 



12 ©efd^iö^te ber ^^Uofo^l^ie 

®§ gicBt ]^crrf(i&enbc Seitrid&timgcn , bte [id6 cntraebcr ottctn 
gültig ober mit einem unöertennboren llebetgetoic^te ]^ett)ortl^un unb 
bte gefdöid&tlidö toirlfamen ßrafte in il^ren Sienft nel^men, geftü^t ent- 
toeber auf bie große Slufgobe ber 3ßit, auf bie ^öd&ften Sntereffen beS 
menfd&Iid&en ©eifteS, bie oüe übrigen in ben ^intcrgrunb brdngen unb 
DerbunMn, ober auf bie 3ntereffcn ber SJtaffe, bie mit ber ©eltung 
i^rer ßebenggtoedEe in ben aSorbergrunb rüdEt unb geitloeilig atte anbern 
S3ilbung§intereffen überroud&ert. 60 entftel^en aud6 in ber ^P^ilofopl^ic 
l^errfd&enbc ©^[teme einer boppciten Slrt: bie tief finnigen, bie in ba§ 
Snnerfte be§ menfd6Iid&en ©eifte§ einbringen, unb bie po))ulären, bie 
nur fo t)iel Begreifen, al§ bie meiften begel^ren. 

Sinbeffen, mie aud^ ber gef(f)id&tUd)e ©eift Bcfd^affen fein mag, ber 
]xä) in ber 5pt)iIofo<3]^ie auftlärt, biefe Slufflärung ift immer mel^r als 
ein bloßes Slbbilb. Um junötfift ba§ große SJerl^ältniß im öerHeinerten 
ajlaßftab ju beobad^ten: bie ^tjilofoptjie öerl^alt fid6 ju bem gefci&id&t= 
Ii(f)en $Dlenf(ä6engeift, mie bie @elbfter!enntniß gu unferem ßeben. SffiaS 
liegt in bem 2lcte ber @clbfter!enntniß? SBir jiel^en uns t)on ber 
3lußentDeIt , bie uns einnal^m , jurüdE unb befd&äftigen unS mit uns 
felbft; eS tft baS eigene ßeben, baS mir uns gegenftönblid^ mad&en, 
unb inbem mir il^m betrad^tenb gegenübertreten, merben tt)ir uns felbft 
jur ®rfd&einung, faöen mir nid^t mel&r mit unferem bischerigen ®afein 
jufammen, fonbern ergeben uns barüber, tt)ie baS 3luge beS JlünftlerS 
über baS 2Berf, baS unter feinen Rauben entftanben. ®aS 2luge beS 
ßünftlers, baS in bie 2lrbeit DerfenK mar, fielet anberS als baS Sluge 
beS prüfenben ßünjilerS, ber baS 2Ber!jcug niebcrlegt, t)on feiner 3lrbeit 
jurüdEtritt unb aus einem tooljlgelegenen ©efid^tS^Junft baS ©angc über= 
fd&aut. 3e^t entbcdEt er 50tangel, bie if)m Dorl^er t)erborgen maren, 
l^ier erfc^eint ein SJtißöerl^altniß in ben Sl^eilen, bort überioud&ert ein 
©lieb baS ebenmaßige ©anje. 3n ber günftigen Selcud^tung , bie er 
möl^lt, fielet er ie^t, mie baS Sine mit bem 2lnbern übereinftimmt, 
unb ertennt beutlid^, mas biefe Uebcreinftimmung ftört. 2BaS mirb 
ber ßünftler tl^un? Stioa bem SBer!e entfagen, toeit eS noc^ nid&t 
öoÖenbet ift, toeil il^m mcleS mißlungen erfd&eint? Ober nidfet t)iel= 
mel^r baS SBerljeug t)on neuem ergreifen unb nad^ ber rid&tigen 3bee, 
bie er im SlugenblidE ber ^Prüfung emt)fangen, je^t rid^tiger unb beffer 
arbeiten ? 

ßaffen mir baS Silb. S)er ßünftler finb tt)ir, baS Jlunftmer! bebeutei 
unfer ßeben, ber ))rüfenbe 33lid, ber baS Sffier! burd^fd^aut, ift bie 



als SBiffenWaft. IB 

©clbftcrf enntmfe , bie ba§ ßcBcn untetbttd^t. SBir gleiten uns au§ bcm 
S)Qfein, bafe toir Big jc^t gelebt l^aben, tou ber ßünftler aus feinem 
SBer!e, gutüdf, lüir entfernen uns bQt)on Bis auf einen ^ßunft, too unS 
baS eigene S)afein gegenftänbUtf) toixb unb tüir eine beutlid^c ©elbft= 
anfd&auung getoinnen; toir treten bamit auS bem BiSl^erigen ßeBenS» 
gufianbe l^erauS unb tüerben nie toieber in bie SSerfaffung beff elben 
3urü(fle]^ren. @o entfd^eibet bie ©elBfterlenntnife in unferem S)afein 
ben SJloment, ber eine ße6enSl)eriobe aBfdilie^t unb eine neue eröffnet, 
jte Bilbet eine ßrifis in ber 6nttt)i(ilung, fie ntad&t einen SBenbepunft 
ober eine ©pod^e beS ßeBenS. @ie ift nitä^t BIo§ ein 2l6bilb, fonbern 
gugleicö eine Umtüanblung unfereS ßeBenS. SBir Befreien uns t)on 
unferen ßeibenfd^aften, foBalb tt)ir fie benfen ; fie fiören auf unfer 3uftanb 
gu fein, foBalb fie unfer ©egenftanb tüerben, mir fiören auf fie gu 
eml)finben, foBalb toir anfangen fie gu Betrad^ten. S)arin liegt bie gange 
SBebeutung ber ©elBfterlenntni^, bie ßrifis, bie fie in unferem ßeBen 
Bctt)ir!t. ©ie öermanbelt unferen 3uftanb in unferen ©egenftanb, 
fie fteöt bie SKad^t, unter ber toir geleBt l^aBen, als DBject uns gegen= 
üBer. SffiaS ift bie notl^toenbige iJolge? SBir ftnb nid^t mel^r in biefem 
3uftanbe Befangen, toir finb nid&t mel&r t)on biefer SJlad^t Bcl^errfd&t: 
loir finb alfo nid^t mel^r, toaS toir toaren. @o ift bie ernfte ©elBft= 
erlenntni^ jebeSmal eine grünblii^e Befreiung unb Erneuerung unfereS 
ßcBenS , fie ift toirflid^ bie ßrifis , in tocld^er bie ©egcnmart fid& t)on 
ber SSergangenl^eit fd^eibet unb bie 3ulunft fid^ t)orBereitet ; bie 9lcte 
ber 6elBfter!enntni§ finb in unferm ßeben, toaS bie 5!Jlonologe in einem 
3)rama, bie ^anblung giel&t fid^ aus bem Betoegten ©d^au^jla^ ber 
2lu§cntoelt in baS innerfte ©emütl^ gurüdf, unb l^ier in ber ©tiÖe ber 
©elBftBefinnung loft unb Bilbet fie i^re ^ßroBleme. 

©old&e tief eingreifenbe SDlomente fel^len in feinem geiftig Bett)egten 
2)afcin, unb jeber finbet fie in ber eigenen ©rfal&rung. ®S ift unmög= 
lid6, ba§ toir auf bie Sauer in bie Beftimmten ßeBenS= unb SBilbungS'* 
gujiönbcr öon bznm tt)ir Bel&errfd^t toerben, gleid&fam ol^ne 9ieft auf= 
gelten. Unmer!(id& Beginnt, aKmal^lid^ toödjft baS tt)iberftreBenbe ©elBft» 
gefül^l. 3n bemfelBen ^Kafee erlifd&t baS Sfntereffe, mit bem toxx bie 
eingeleBten SBilbungSformen feftl^alten; in bemfelBen SKafee l^ören biefe 
auf uns gu erfütten, toir finb berfelBen fatt, ein ©efül^l beS UeBer= 
bruffeS unb ber Jlid^tBefriebigung mad^t fidö immer leBl^after, immer 
})einUd&er geltenb, unb gule^t BleiBen toir allein mit uns felBft. ®ineS 
ift getoi§: toir finb bem BiSl^erigen ßeBenSguftanbe entfrembet, inner= 



14 ®ef4t4te ber $^tIofop^ie 

Ucl& baDOTt loSgelöfl unb befreit, jum erftenntQl loerben tt)tr unferer 
©elbftftänbigleit inne unb entfd^abiaen un§ im ©tittett mit biefem 
großen S3ett)u§tfein für aüeS, tt)Q§ toir nid^t mel^r begel^ren ober glauben, 
ha^ toir es nid&t me^r begelftren. 3e^t beginnt bag 3lad&benlen über 
uns felbft, über baS 5ßrobIem unfereS ®afein§, über bog 5ßrobIem ber 
SQSelt. Sffiir fangen an ju J)]öUof opl^iren , fotocii toir eS Vermögen, 
fotoeit unfere Silbung reid^t. S)iefe ^ßj^ilofopl^ie ift eine Srud&t unferer 
fflilbung, fo reif ober unreif pe ift; fie ift in bem SSilbunggjuftanbe 
bcgrünbet, aus bem fie l^erüorgel^t unb öon bem fie uns befreit; fie 
tt)irb barum notl^toenbig biefen SSilbungSjuftanb aud^ mitausbrüdfen. 
3d& f)dbt aus ber ©rfal^rung unb (Snttoidlung beS eingelnen ßebenS 
bie ©emütl^Sftimmung gefd&ilbert, in toeld^er ber Sffiiöe fic^ bem 9lad^ 
ben!en unb ber 6eI6fterIenntnife juneigt, unb bie erften 5Dlotit)e ber 
5ß]^iIofopl^ie auffeimen; eS finb bie SJtomente, too in feurigen ©eelen 
ein leibenfd&aftlid^eS SBcbürfnife ertoad&t, bie 5ßlöiIofo:p]^ie fennen ju lernen 
unb oon il^r bie Sefriebigung ju empfangen, n)eld)e baS Üthtn nid&t 
mcl^r getoäl^rt. 

2BaS in ber ®nttt)idflung beS 3nbit)ibuumS bie bebeutungSt)oüen 
6elbftbetrad^tungen finb, baS finb in bem ©efammtleben ber aJlenfdö= 
l^eit bie l^eröorragenben ©^fteme ber 5ß]^iIofop]^ie; fie begleiten nid^t 
blofe ben fortfd^reitenben SKenfd&engeift, fonbcrn fie greifen ftiö, aber 
möd^tig in biefen gortfd^ritt ein, fie mad^en burdt) il&re ben!enbe 93e= 
trad^tung jum ©egenftanbe, toaS oorl^er l^errfd^enber 3uftanb toar, fie 
befreien bie SBeU t)on biefer ^errfd^aft, unb fo loirfcn fie öoöenbenb 
in 9iüdEfid&t ber t)or]^anbenen, üorbereitenb unb begrünbenb in älüdfid^t 
einer neuen menfd&Udfeen SBilbung; fie loirlen als toeltgefd&id^tlid^e 
gadoren, in benen bie großen ßulturf^fteme fid^ ausleben unb bie 
großen 6ultur!rifen öon innen l^erauS auSgemad^t tocrben. 2)ie 9Jlenfd6= 
l^eit ift ein ^Problem, baS in ber ©efd^id^te immer oottftanbiger ent= 
tt)idEelt, in ber 5ß]^ilofot)]^ic immer beutlidier gum aSorfdfeein gebrad&t, 
immer tiefer begriffen toirb: bieS ift, furg gefagt, ber gange Sfnl^alt 
ber ©efdöid&te ber ^Pl^ilofopl&ie, ein ^nl^alt felbft t)on größter gefd&id&t= 
lid^er Sßebeutung. 6rft bann fielet man bie ©efd^id&te ber 5ßf)ilofot)]^ie 
im rid^tigen ßid)te, toenn man in il^r btn SntmidEtungSgang er!ennt, 
in toeld^em bie notl^toenbigen 5ßrobIeme ber SKenfc^l^eit mit aüer ®eut= 
Iid&!eit beftimmt unb fo gelöft tocrben , baß aus jeber ßöfung in fort= 
fdöreitenber Orbnung immer neue unb tiefere ^Probleme entf^jringen. 
Ueber biefen ßnttoidlungSgang muffen toir uns ben ©runbgügen nad& 



al8 aOSiffenWaft. 15 

oricnttrcn, um ben 5Punft feftjufteöcn , tt)o mx fel6ft in bie ®ar= 
fteöung beffdben eingcl^cn. 



3tr)ciic§ 6a:ptteL 

5Dcr ®intritt be§ ßl^riftcntl^uTnS in bie SQSeltgefd^id^tc Bilbet bie 
©renjfd^eibe , in toeld^er bie beiben größten 2BeIt^)erioben fid6 trennen, 
bie öord^riftlid^e unb d^riftüd^e; lüir öerjiel&en unier biefer ®renä= 
fd&eibe bog gange 3eitalter, tt)el(j&e§ bie neue Sieligion nötl^ig l^atte, 
um bie alte ju übertüinben unb felbft eine tDettgefd^idötlid^e SJtad&t 
gu werben. 

3n ber öord^riftlic^en abenblänbifd&en SQßelt toar ein SJoII öor 
aüen übrigen ba§ i)]^iIofoi)]^if(i6e, e§ l^at biefe ©eifteSl^errfd^aft faft un» 
getl^eilt länger als ein ^al^rtaufenb gefül^rt, unb feine ©^fteme bleiben 
nod& fftr bie nad^folgenben d&riftlid^en 3eitalter eine ©d&ule ber Silbung 
unb ©rgiel^ung» Sie l^errfd&enbe 5ßI)iIofol)]^ie be§ 2lltertl^um§ ift bie 
gried&ifd&e. @ie beginnt in bem fedöften öord^nftUtfien Sal^r^unbert 
unb enbet in bem fecftften ber d^riftlid^en 3ßitred^nung. Si^re Slnfange 
faQen gufammen mit bem Slufgange be§ ))crfifd^en Sffieltreid^S, unb itire 
le^te ©d^ule crlifd&t etwa ein ^albe§ 3al^rl)unbert nad^ bem Unter= 
gange ber iDeftrömifd&en 2BeIt. ©in eigentl^ümlid^e^ ©d^idEfal l^at ge= 
tDottt, ba§ gried^ifdöe 5ß]öiIofo:p]^en ber erften 3eit fid& t)or b^n 5Perfern 
Püd&ten mußten, beren ©roberungSjüge fc^on bie l^ettenifc^e SBelt be« 
bro^ten, unb ha^ über ein ^al^rtaufenb f^Jötcr bie legten 5p]^iIofot)]^en 
®rie(|enlanb§ , au8 Sltl^en Vertrieben, il&re 3nfludöt bei bem SPerfer= 
lönige fud^ten, gedd^tet t)i)n bem Sbict eines d^riftüi^cn ßaiferS. 

50lan l^at oft aSergleid&ungen angeftettt gwifd&en ber gried^ifd^en 
unb neueren ^pi^ilof o:p]^ie , man l^at in biefer SlüdEfid^t ©olrateS mit 
Äant, bie ©tanb^junftc ber Dorfolraiifd^en Siid^tungen mit benen ber 
Dortantifd^en gufammengel^alten unb aud^ in ben ^ßl^Uofo^jl^en nad& 
Äant mand&e bemer!en§toert^e SBertoanbtfd&aft auffinben toollen mit ben 
großen attifd&en 51}]^iIofot)l^en nad& @o!rate§. S)od& finb im ©angen 
bie ©runblagen beiber ^^erioben h3efentlid& t)erfd&ieben. 3fnbeffen mö(^ie 
id& l^ier bie SSergleid^ung in einem 5pun!t feftl^alten, toöre eS aud) nur, 
um ben UeberblidE fd^netter gu gett)innen. ®arf man in ber ©nttoidlung 
beS 3Htert]&umS 5ßerioben unterfd^eiben nad^ bem allgemeinen ©d^ema 



16 S)er (SnttoidlungSgang 

ber ©efd^tdöt^cintl^eiluTtg in alte, tnittlcte unb neuere 3ßit fo beginnt 
bie flried^tfd&e 5p]^Uofo))]^ie in bem legten biefer 2l6f(ä&nitte , in einer 
®l)od^e, bie jid^ unt)er!enn6ar al8 ein reforntatorifd^eS S^italter Iunb= 
gieBt. Sie Urheber ber alten 5ß]^iIofo:p]^ie finb getrieben Don bem 
S3ebürfni§ einer burd&gängig religiös fittlid^en Umbilbung ber gried^ifd&en 
SBelt, bie 5ß]^iIofo:p]^ie fclbft erfd&eint im ©ienfte biefeS reformatorifd^en 
©trebenS. 3d^ braud&e bIo§ btn Flamen ^P^tl^agoraS ju nennen, 
um ben %t)pu^ unb ba^ aSorbilb einer Slid^tung ju begeid^nen, bie 
jtd^ ber gried^ifd&en ^pi^ilofopl^ie fd&on in il^rem Urf^)runge eingeprägt 
unb toäl^renb il^reS SJerlaufS immer toieber erneuert l^at. 3n bem 
SleformationSjeitalter ber gried&ifdöen SBelt entftel&t bie alte 51}]^ilofoJ)]^ie, 
in bem ber (^riftlid^en SQßelt bie neue. 3toifd6en bem ®nbe ber einen 
unb bem Slnfange ber anbern liegt ba§ Sal^rtaufenb jener fpecififdö 
(^riftUd^en SBilbung, lüorin baS neue @lauben§t)rincit) feine SBeltorbnung 
in ber ^errfd^aft ber ßird&e unb feine Sffieltanfd^auung auf t^eologifd^er 
©runblage auSfül^rt. ©o finb eS bie ))]^iIofot)]öifd6en ^Probleme be§ 
SlÜertl^umS unb bie tl^eologifd^en beS Sl^riftentl^umS , toeld&e, im 
®ro§en betrad&tet, benjenigen 6nttt)id£Iung§gang ber 5ß]^iIofot)l^ie bilben, 
toeld^er al§ gefdöid^tlidfee Sebingung unferem ©egenftanbe t)orau§ge]^t. 
Sie gried^ifd&e ^pi^ilofo^jl^ie ift in ber 2lu§bilbung unb Sieil^enfolge 
il^rer 5ßrobleme ein bett)unberung§tr)ürbige§ unb unöergleid^üd^eS 33eifl)iel 
einer tieffinnigen unb gugleid^ l^öd^ft naturgemäßen unb einfad^en @nt« 
tt)id£{ung. 3lid^t§ ift l^ier getoaltfam er!ünftelt, nirgenbs finbet fid^ in 
bem fortfd&reitenben Sibeengange ein ©t)rung, überall finb bie tier- 
fnüt)fenben 50tittelglieber burd^bad^t unb au§ge))rägt, ein 3ufammen=» 
l^ang ber lebenbigften Slrt öerbinbet bie ©lieber biefer tt)eit au§ge= 
bel^nten Jleil^e gu einem ©anjen, in beffen großartigen formen toir 
ben bilbnerifd^en ©eift ber daffifd^en ^unft loieberertennen. ®iefen 
®inbrudf mad&t nur bie gried^ifd^e 5ßl^iIofo))]^ie. ©ie l^at il&re ©eban!en= 
toelt au§ einem SSoK, au^ einer ©prad^e geboren unb barum nii^tS 
Don ber 3ßi^ftüdEeIung fold^er pl&ilofopl^ifd&en 3fitatter, in beren Slu8= 
bilbung tierfd^iebene SJöIfer gufammentt)ir!en. Unb loeld^e inl^altSöoüe 
unb reid^e ®nttüidE(ung erlebt bie gried^ifd&e 5j}l&iIof opl^ie ! 3fn il^ren 
3lnfängen berül^rt fie nod5 bie foSmogonifd&en Sid&tungen ber ?latur= 
religion , in il^rem ®nbe finben toir fie bem ©Iftriftentl^um gegenüber, 
toeld^eS fie nid^t bloß als ein toefentlid^er g^actor mitergeugen, fonbern 
als ein toefentlid&eS SBilbungSmittel miterjiel^en l^itft. 



ber gried^ifd^en ^pi^Uofo^l^ie. 17 

L ®a8 SBeIt:probIcm. 

1. ^cr ©runbfloff unb btc ©runbform. 

Sl^rc crftc Slufgabc ift btc ßrflärung ber SBcIt, toie fie al§ SRatur 
bem anfci^auenben ©etft einlcud&tet. ^l^rc crften ©ebanlcn finb bic 
etnfad&flcn, bte jur 3luflöfung jenes ^Problems gunäd^ft müjfen gefaxt 
»erben. SOSorauS befielet bic Sffiett? SBcli^eS ift ber ©runbftoff, 
ber fie Bilbet unb au8ma(i&i? 3lber bic Sffielt ift nid^t bIo§ ©toff unb 
SWaterial, fie ift gugleid& gorm unb Drbnung, SffieltgcBäubc, ßoSmoS. 
SBorin bepelzt bie ©runbform, baS orbnenbe SBelttJrinci)) ? ®iefe 
beiben fjragen finb bie cinfad^ften unb erften. ®ie ßöfung ber einen 
übernimmt bie ionifd&e ^ßl^^fiologie: bie Sejiimmung beS ©runbftoffS; 
bie gleite, toeld&e bie l^öl^ere ift, bie :p^t]^Qgoreif(!&e ^ßl^ilofo^jl^ie: bie 
Seftimmung ber ©runbform ober ber SQSeltorbnung. 

SBenn toir bie beiben fjragen in eine gufammenfaffen, fo l^aben 
tt)ir baS ©runbj)roblem ber gried&ifd^en 5ß]^iIof oJ)l§ie , ba§ fid^ erft auf 
il^rem claffifd&en ^öl^ejjunlte löft: toie bereinigen fid^ ©toff unb ^orm? 
SQBie !ommt ber ©toff gur Qform? 2Bie bilbet fi(5 bie SBelt? 2Bie ent= 
pelzen bie ®inge? S)iefe Silbung ober ©ntftel^ung, in il^rer einfad^ften 
tjform genommen, ift ein SQSerben, ein 5ßroce^, eine SJeränberung. Unb 
fo ift baS britte einfädle unb grofee 5ßroblem, ba§ an biefer @teüe 
]Öert)ortritt, bie Srage nad^ bem SQ8eIt:proce§, nad^ ber SBeltentftel^ung. 
§at man baS 5Princi:p, ben Sicalgrunb ber ®inge beftimmt, fei e§ als 
©toff ober gorm, fo toirb offenbar bie näi^fte ^rage fein muffen: 
wie folgen bie ®inge au8 il^rem 9flealgrunbe? 

2» S)cr aOßcItJproccfe, 

®iefe Srage toirb aufgeworfen, unb il^re ßöfung forbert neue 
©egenfft^e. ®er Segriff beS SffierbenS, be§ ©ntftel^enS unb aSergel^enS, 
mit einem Sffiorte beS SBeU))roceffe8 ift ein großes Siatl^fel. ®§ foll 
begriffen werben, wie etwas entftel^t, b. 1^. aus bem SRid^tfein in baS 
©ein übergel^t, wie etwas fid^ öerönbert, b. 1^. aus biefem ein anbereS 
wirb, aus biefer SBefd&affenl^eit übergel^t in eine anbere? ®in fold^er 
Uebergang erfd&eint unbegreiflid& , nid^t gu erHören, nid&t abguleiten. 
Unb fo giebt eS gunäd&ft für baS aufgeworfene 2Bettl)robIem nur gwei 
Sofungen. SJlan lann bie ©enefis ber Singe nid&t ableiten, nid^t 
erllären, nid&t ben!en; fie erfd^eint bal^er unbenfbar, unmögüd&, fie 
lann nid&t fein: bieS ift bie eine ßöfung. Ober man lann baS Sffierben 
gwar nid&t ableiten, aber ebenfowenig leugnen, alfo mu§ eS für ur= 

giftet, ©efdö. b. Wlof. L 4. «uff. 9t. a. 2 



18 S)ct ©nttottflunfigöanö 

fl)rünglidö unb elDig erltört »erben; e§ folgt nid^t auS beut SQßelttJrinctl), 
es ift ba§ SBeltprinci)) felbft: bte§ tft bie gtüeite ßöfung. S3eibe Sitten 
ber ßöfung BUben ben entfdötebenften ©egenfa^. Sie erfte erflärt: 
9lid&t§ ift im ^Procefe ober im SBerben begriffen; bie gloeitc: SlUeS 
ift im ^ßrocefe, in einer fortraäl^renben unb ftetigen Umtt)anblung be- 
griffen, bie nid&t anfängt, nid^t aufhört, nid^t ^)aufirt. 

SBeibe er!ennen in bem Segriffe beS SBerbenS ben SBiberfprudö, 
bafe etioaS jugleidö ift unb nid&t ift. „S)iefer SBiberf))ru(ä6 ift unmög= 
tW, erflärt bie ©d^ule öon @IeQ; „bicfer SBiberfl}ru4 ift notl^menbig", 
erflärt ^eroüeitog, „ber S)unHe öon 6:pMu8". ®ie ^Probleme Quf 
Beiben ©eiten finb Har. Sie mufe bie SBcIt Begriffen »erben, tt)enn 
fie jenen SBiberfl)rud6 nid^t erträgt, loenn bog ©ein in jeber älüdEfid^t 
baS Jlid^tfein, alfo QÜeS SBerben unb aöe 35ieB^eit notl^loenbig t)on 
fid& QuSfd^Uefet, tt)enn mit einem SBorte ba§ SBerben unb bie SSiell^eit 
lDiberft)rud&§t)otte , unbenlBare, unmögUdöe 33egriffe finb? S)ie§ ift 
geuQU ba§ ^Problem ber SIeaten. ©ie mad^en guerft bie »id^tige ®nt= 
bedEung, ba§ in unferem notürlid^en S)enfen SBiberfprüc^e unb Unmög= 
lid&!eitcn entl^alten finb, ba^ befel^alB bie natürlid^e unb finnlid&e 35or= 
fteöung ber Seit bie toal^re nid&t fein !ann : barum ift biefe Slid^tung 
folgenreid^ für alle Seiten. S)er SeItt)roce6 läßt fid& nid^t ableiten; 
e§ lä^t fidö nid^t Begreifen, toie bag Urtoefen qu§ bem Be^orrenben 
3uftanbe in ben toanbelBarcn üBergegangen fein foll, ein fold^eg UeBer* 
gelten ift unbenfBar, barum unmöglid^. @S giebt !ein Serben, ba§ 
Urtoefen BleiBt ftets fid& felBft gleidö, eS gieBt in il)m lein 9iid&tfein, 
feinen Unterfd^ieb, leine SSicll^eit, e§ ift baS 21 11= ® ine: bie§ ift ber 
©runbbegriff ber Sleaten, ba§ not^toenbig ju S)enlenbe alg baS 
©egentl^eil bc§ unmöglidö gu S)enlenben. {Iznop^am^, ^^armenibeS, 
3enon, aKeliffu§.) 

Sie mufe bie Seit begriffen »erben, toenn fie ba^ ftarre, un= 
öeränbertid^e ©ein als öoöfommen naturtt)ibrig t)on fid^ au^fd^liefet? 
2)a§ ift bie grage beS ^erallit. S)er Seltprocefe lann nid^t geleugnet 
»erben: er ift; er lann nid^t abgeleitet »erben, benn e§ ift unbegreif= 
lid^, »ie ein Unt)eränberlid&e§ jemals fott angefangen l^aben fid^ ju 
öerönbem: alfo ber Sclt1}roce6 ift urfprünglid^, ba§ Ur»efen felbft ift 
in e»iger, ununterBrod^ener a5er»anblnng Begriffen, e§ felBft ift ber 
Seltt)roce§, bie e»ig entftel^enbe unb üerge^enbc Seit, eS ift ha^ 
eine ©öttlic^e, bie Seltorbnung unb Seltöernunft, ber ßogoS, baS 
Urfeuer. S)ieS ift bie ßöfung beS ^eraflit. 



bet gtted^ifö^en ^l^ilofopl^te. 19 

Sffiic baS ionifd&c unb })^tl&Q9oretfd&e ^ßroMetn gufantmcn bic ©runb« 
frage ber griedöifd&en ^ßl^ilofopl^ic auSmad&cn, fo bilbcn bte eleotifd&e 
unb l^eraflittfd&c SRii^tung bereit tieffte unb urfprünglid^fte ©egenfa^c. 
Um bie erfte Srage gu löfen, um ba§ ri(j&ttge Söet^Itnife öon @ioff 
unb tjform ober bereu aSereinigung gu Begreifen: bogu Beburfte eS ber 
arifioteIif(J&en $öleta))]^^ft!. Um bie gmeite grage gu lofen, um bQ§ 
rid^tige SSerl^öItnife be§ ®inen unb SSielen, be§ ©etenben unb ber 
toanbelBaren ®rfd&einungen gu Begreifen, boS ©ein im SBerben, biefe 
©inl^eit be§ eleatifd&en unb l&eraflitifc^en ©runbgebanfenS, bagu be= 
burfte e§ ber platonifd&en ©ialeltü. 



3. 2)te ©tunbftoffe unb bte SBettbilbung, S)er S)uali8mug. 

Snbeffen ftel^i bog 5ßroBIem ber ^ßl^ilpfo^jl^ie nod& bem S33eIt:proce6 
aU ber yiatnx gegenüBer. ©iefeS 5ßroBlem fott gelöft, ber SBeltproce^, 
bie ®ntfte]^ung unb Silbung ber ^inge Begreiflid^ gemad^t ober er^ 
Ilftrt werben. ßrKaren l^eifet oBIeiten. Sine fold^e ®r!Iärung beS 
natürtid^en SBerbeng ift toeber Bei ben ©teaten nod^ Bei ^eralUt mög= 
lid^: jene erfldren^ben SQ8eItt)roce§ für unmöglidö, biefer für urfprüng= 
Iid&; auf feinem ber beiben ©tanb:punfte fann öon einer 3lBIeitung 
bie Siebe fein. 

©oQ ber SBeltproceß abgeleitet toerben, fo mufe il^m ettt)a§ gu 
©runbe liegen, baS felBft nid^t geh3orben ift unb felBft nii^t in bie 
SSeranberung eingeigt, alfo ettoaS . Urfi)rünglid&e§ unb Unöeränberlid^cg, 
ettt)aS, in bem lein ©nlftel^en unb SSergel^en ftattfinbet: ein ©eienbeS 
im ©inne ber ©leaten. S)er 3BeIti)roce6 ift. 3fn bem ©eienben barf 
er nic^t fiattfinben. SBaS Bleibt üBrig? SQ8ie aöein lann er gebadet 
toerben, ba er offenbar fo gebadet xonbm muß, ba§ fid& ha^ Urtt)efen 
felBft nid&t öeränbert? ©enau fo fteBt jefet ba^ ^ßroBIem ber 
gried^ifd^en 5ß]^iIofo))^ie. Sie ßöfung leud&tet ein, bie eingig möglid^e. 
3)aS ©eienbe ift nid^t gu Begreifen als ®ine§, fonbern als aSieleS, 
als eine SJiel^rl^eit t)on Urtoefen; ber SBettl)rocefe, b. 1&. aöe natür= 
lid^en SSerönberungen, aÖeS ©ntftel^en unb SSergel^en ber ®inge, fann 
nur Begriffen »erben als ber Beftänbige SQSedöfel öon SSerBinbung unb 
Trennung ber Urtoefen, b. l^. als med^anifd^er 5ßrocefe. 

S)iefe Urtoefen, ba fie öerBunben unb getrennt h3erben follen, 
fönncn natürlid& nid&ts 3lnbereS fein als ©toffe, ©runbjioffc. Slber 
toeld^eS finb biefe ©runbftoffe? Sie erfte unb nad^fte Raffung fe^t 

2* 



20 2)er ^nttutdlungSgang 

fic glcid^ bcn t)icr ©Icntenten (®mi)eboIIc§). 3lbcr bie ©letncntc finb 
öeränberlid&er, tl^eilbarcr 9iatur, bic ©xunbftoffc fottcn unt)cränberiici& 
fein: fo Jjcrlangt c8 baS elcdifd&e ®en!))tinci:p, bcm bicfe Süd&tung in 
biefcm 5ßun!tc treu Bleibt, unb jtoar grunbfä^lidö. Soßen fic unDer= 
anberüdö fein, fo bürfen fie nid^t biefe ober jene Scfd^affenl^eit l^aben, 
aV\o nid^t öerfd&iebenartigc ©lemente, olfo üBer]^QU^)t nid&t bie Dier 
Elemente fein, fonbern quaütätslofe, unbeftimmt öiete, untl^eilbare 
©runbftoffe, b. 1^. gal^Uofe, nur quantitattt) öerfd&iebene 31 tonte, bereu 
mannid&faltige SJerbinbungen ober Slggregate bie ®inge bilbeu (8eu* 
Iii)))o§ unb ©emofritog). 

SBenu e§ aber nur bie nted6anifd&e blinbe Setoegung Vermöge ber 
©d&toere ift, toeld^e bie 9ltome äufamntenfül^ri, too bleibt bie fjorm 
unb Drbnung ber ®inge? Offenbar fann ol^ne eine foI(J&e orbnenbe 
Setoegung ba§ SBeli))robIem nid)t gelöft toerben, offenbar lann au§ 
ben ©runbftoffen eine fold^e orbnenbe SBetoegung nid^t l^eröorgel^en, 
offenbar muß es ein intelligentes ^Princi)) fein, öon bem biefe S9e= 
toegung unb bantit aüe Seioegung überl^aupt l^ertiorgcbrad^t roixb, 
benn bie ntei^anifd^e 33ett)egung ift jugleidö eine gn)e(imä6ige. 2llfo 
mu§ baS geiftige Urn)efen t)on bem ftofflid&en gefd^ieben unb ber S)ua= 
HSmuS jtoifd&cn ©eift unb SDIaterie erftart n)erben- 9ln fid& 
betrad^tet, ift beSl^alb bie SBeltmaterie eine bett)egungSlo)e, ungefd^iebene 
5!Jlaffe, ein ßl^aoS, in bem feine Trennung ber ©toffe, fonbern eine 
burd&gängige SJtifdöung jebeS mit jebem ftattfinbet. Sllfo fönnen aud^ bie 
©runbpoffe nid&t mefir 3ltome, fonbern muffen qualitatiöe ©toffe fein, 
bereu jeber in jebem %i)z\le mit Steilen ber anberen gemifd^t ift, alfo 
gleid^tl^eilige ©toffe ober ^omoiomerien, tt)ie SlriftoteteS biefe ©runb= 
ftoffe baS SlnajagoraS genannt l^at. 

§ier erreid^t bie erfte 5Periobe ber gried^ifd^en 5ß]^ilofo))]^ie il^r 
naturgemäßes ®nbe. ®iefe 5Periobe, bie man gen)ö]^nlid& als bie ber 
?latur:p]^itofop]^ie bejeid^net, l^at baS SBeIt:t)robIem fon)eit burd^bad&t unb 
entioidEelt, ba§ aus il^ren ßöfungen jule^t ber ©eift als ^Problem 
l^ertiorgel&en muß. ®S finb brei große ^Probleme gett)efen, toeld^e biefe 
erfte 5Periobe erfüllt l&aben: baS SProblem beS SBeltftoffS, ber 2BeIt-- 
orbnung unb beS SQßeltproceffeS (©enefis ber Singe). S)iefe 
Unterfud^ungen fömmtlidö münben in ein ®rgebniß, loomit jugleidö 
bie neue unb l^öl^ere Slufgabe fid^ vorbereitet. 

3lnajagoraS l^at biefeS ©rgebniß auSgef^jrod^en. @S ift ber erfte 
2)uaUft in ber ©efd^id^te ber 5ßl^ilof o^) l^ie. 



n. ®aö QxUnntnx%pxoiUm. 

1. S)ic ©o^l^iflif, 

SQBcnn bic 9latur ber ©tngc fid^ in SBal^rl^ett fo öcrl^ölt, tote 
jene erftcn naturl)]^tIofot)]^lfdöcn ©^ftcme Bcfttinmi l^aben, fo crfd&ctni 
e8 gunöd&ft un6cgretfUd& unb barum unmögltciö, bafe bic menfd&Ud&e 
Sftatur bie Singe erfennt. ®aS ®rlennen ift ein geiftiger 5ßroce§. 
©iebi eS üBer]^au))t feinen ^Procefe, toie bie ®leaten be]^au:pten, fo giebt 
c8 anä^ leinen geiftigen. ©iebt eS nur 5ßroce§ unb gar nid^ts 33e= 
l^arrlid&eS, toie ^eralUt erllftrt l^ai, fo bel^arrt toeber ©uBject nod& 
Objcct, fo gtebt e§ toeber ©rfennenbcö nod^ ®r!cnnBareS, alfo leine 
(Srlenntni^. ©icbt eS nur med&anifd^en 5ßroce6, nur ftofflid^e a5er= 
binbungen unb Sirennungen, tt)ic ®ni^)cboIIe8 unb bie Sltomiften leieren, 
fo giebt e8 feinen geiftigen, alfo feinen ©rfenntnifeprocefe. Unb ift ber 
geiftige ?ßroce§ Bebingt burd^ ein aufeertoeltlitä^eS SBefen, toie 3lnaEa= 
floras toiK, fo giebt e§ feinen natttriid&en @rfenntni|l)roce§, alfo feine 
ntenfd&Iid&e @rfenntni§. S)a§ ©efammtergebnife l^eifet: bie menfdö« 
lid&e @rfenntni§ ift unmöglid^: fie ift unmöglid^ unter allen 
©ef.d&tsjjunften ber bisl^erigen 5ß]^iIofoi)]^ie, fie fann in biefer fo be= 
griffenen Sffielt nic^t ftattfinben. 

9Hfo bleibt gunöd^ft nid^ts flbrig, als fie ju Verneinen. 6§ giebt 
feine ßrfenntnife, alfo feine Sffial^rl^eit, alfo über]^au:pt nid^ts an fid^ 
ober aügentein ©ultigeS, toeber im toiffenfd&aftlidöen nod& int fittlid^en 
©ebiet; e§ bleibt JRiÄtS übrig, aU bie fubjectiöe SJteinung unb bie 
Äunft fie geltenb gu ntad^en, als ber eingelne 5!Jlenfd^, ber fid^ felbft 
für baS aJlafe aKer ®ingc erflärt: ba§ Sl^ema ber ©o:p]^iftif (©orgiaS, 
5ProtagoraS). ®iefe ©o^jl&iftif bilbet ben Uebergang öon ber SBeIt= 
crfenntnife gur ©elbfterfenntnife, bie ßrifis ber gried^ifd^en 5ß]^iIofot)l^te, 
fie fül^rt gu beut neuen Problem, toetd^eS bie folgenbe 5ßeriobe bel^errfd^t, 
baS clafpfd^e 3eitalter ber attifd^en Senf er: fie flärt ben öorl^anbenen 
3uftanb beS SenfenS öoüfonttnen auf, inbent fie gang beutlid^ ntad^t, 
bafe unter biefem 3uftanbe baS ©rfennen unb bamit bie ^pi^ilofopl^te 
felbft eine baare Unmögtid&feit ift. S)ie ©ojjl^iftif felbft toar t)on biefer 
Unmöglid^feit toirflid^ übergeugt, toenigftenS in il^ren bebeutenben 
Äö))fen, benn fie fal^ feinen 9lu§toeg. 3n biefer Ucbergeugung ift fie 
feineStoegS J)rmci:plo8 getoefen, unb toenn man fie rid&tig unb im 
©angen öerftel^t, fo mu^ man fid^ fagen, ba% fie nid^t blofe bie 
SBilbung il^reS 3eitalter§ befrudötet, fonbern ben t)]^ilofo))]^ifd^en 3uftanb 
bergeftalt erleud^tet l^at, bafe fid^ für ben fortfd^reitenben ©eift ba^ 



22 S)er ©nttoidlungSgattg 

neue ^Problem öon felbft ergab. 6te l^at ben ®cnl3uftanb beS grtcd&ifd^cn 
©elftes t)oü!oTninen etl^eüt, unb bic SJeriDttTung ber Segriffe, toeldfee 
fte ongertd^tei l^aficn foÜ, toax bie notl^tDenbige ^olge ber Dorl^anbenen 
®etfte§t)erfaffung, bie fie mit öoüem SBetou^tfein erlannt unb bem 
S9ett)u§tfein ber anberen Ilar gemad^t l^at. 

2. ©ofraleS. 

S)er ©rfte, ber ba§ neue ^Problem finbet unb felBft baöon untt)tll= 
lürlitft ergriffen ift , ber ben S33enbet)unft eutf (Reibet unb bie ®i)od6e 
ber ©elbfterfenntnife in ber grieti&ifdöen 5j}]^iIofol)^ie jum ®ur(i&5rud& 
Bringt, ift ©olrateS. S)ie 6ot)]&ifti! bilbet ben Uebergang öon ber 
t)orfo!ratifd&en ^ßl^ilofo^jl^ic jur fofratifd^en. S)te t)orfofrQtifd6en 5ßro= 
Bleme, toenn tt)ir QÜe in einem auSbrüdEen tooKen, baS il^ren 5!JlitteI= 
t)un!t ausmad&t, beireffen bie ©enefiS ber S)inge. S)q§ folratij'd&e 
^Problem ift bie ©enefiS be§ ©rIennenS. Siefeg ^Problem bel^errfd&t 
bie ottifd^e 5|J]^iIofol)]^ie. ®Q§ SBeltproblem lüirb je^t gefaxt unb 
geloft unter ber SöorouSfe^ung beS ©rfenntni^proBlemS. S)ie 5rage 
l^eifet: toie muB bie Sffielt gebadet toerben, toenn fie als eine er!ennbare 
SBelt, als ©rfcnntni^objeci gebad&t toerben foö? 

SBaS bie folratifd^e 5P]^itofol)]^ie in ber ^ßerfon il&reS Url^eberS 
Ben}egt, ift in SBal^rl^eit nii^ts anbereS, als bie ©enefis beS ®rIennenS, 
baS Uebergel^en aus bem 3uftanbe beS ?lid&ttt)iffenS in ben beS SBiffenS, 
baS ©ud^en ber SBal^rl^eit, baS hervorbringen unb ©ntbinben ber 
toal^ren Segriffe, bie tl^atföd&Iid^e SBiberlegung ber @o:t)]^iften, mlä)t 
bie ®r!enntni§ für unmöglid^ erllären, toeil eS leinen Scgriff, fein 
Urtl^eil gebe, t)on bem nid^t cbenfo gut baS ©egentl^eil be]^au))tet 
toerben fönne. S3ei ben ©o))]&iften gilt ber beftönbige SBiberfprud^ ber 
menfd^Ud^en SJteinungen für baS Kriterium ber Unmögü(^!eit beS 
SQBiffenS; bei ©ofrateS gilt bie auS bem SBiberfl)rudö ber 9Jleinungen 
ergeugte Uebereinftimmung ber ®infid&t für baS Kriterium beS ©egen= 
tl^eils. ®arum lann er bie SBal^rl^eit nur finben in bem Söerlel^r 
mit $Dlenfd&en, in bem lebenbigen ©ef^jröi^, in bem gemeinfd^aftUd^en 
bialogifd^en ®enfen. 

3, «piaton. 

S)ie allgemeinen Sorftcöungen, in benen bie S)en!enben äberein= 
ftimmen, fmb bie toal^ren Segriffe, bie Dbjecte ber lüal^ren ®r!ennt= 
nife, alfo über]^au))t bie tt)a]^ren Dbjecte. SBirb man nid^t folgern 
muffen, ba§ biefe ©attungen ober 3been, toeld^e baS SBefen ber ®inge 



ber gried^ifd^en ^l^Uofo^l^ie. 23 

auSbtüdcn, au(ä& toirlltd^ ba§ SBefcn ber ffitngc ftnb, ba§ bic toal^ren 
DBiectc ba§ toal^rl^aft tt)ir!tt(i&c unb urf:prftn9Kd&c ©ein anmaä^m, 
Qlfo bte toal&re SBelt, bie intettigible ober urbilbltd&e Sffiett finb, bie 
in ber finnlid^en aU tl^rem 3l66ilbe erfd^eint, tote bte 3bee in bem 
Äunfltoer!? ©iebt es eine toal^re ßrlenntntfe, fo muß beren £)^^d 
baS tt)Q]^r]^aft 2BirHid&e fein: bas ift ber Schritt t)on @oIrQte§ ju 
5ßIaton. Unter biefem* ©efi(^t§J)un!t lüirb bie ^pi^ilofopl^ie gur 
3beenlel&re, unb bie SBett erfd^eint ate ein 3l6bilb ber 3been, aU 
ein etoigeS lebcnbigeS ßunjJtoerl : aU ein natürüd&eS ber ßoSmoS, als 
ein fittüd&eS ber ©taat. (Sine ibeate SBett erl^ebt jid^ in bem t)^iIo= 
foJ)]^ifd6en S9ett)U§t[ein , bem SKenfd&en erreid&bor nur burd^ bie ®r= 
l^ebung ju feiner benlenben unb ibealen Jiatur, unb biefc ©rl^ebung 
ifi nur möglidö burdö bie Steinigung öon bem finntid^en 6toff, öon 
bem, maS bie ©innlidöleit in ber SBurgel auSmad^t: baS finb bie a3e= 
gierben, toeld^e bie üd^te SBett in uns öerbunleln unb un§ in htn 
©toff ber ®inge l^inabgiel^en. ®iefe 5ß]^ilofo^)]^ie mufe bie 3lbtoenbung 
öon ben a3egierben unb bie ^intoenbung gu ben 3been forbern, fie 
mu§ bie ©rl^ebung gu ber ibealen SBett abl^öngig mad^en t)on ber 
ßäuterung beS inneren SWenfd&en, t)on ber fittlid^en Umwanblung beS= 
felben. 3e^t i|i bie SSorfteKung eines eiüigen SBeftgtoedES gewonnen, 
ber fid^ lebenbig unb bilbnerifd^ in ber Drbnung ber ®inge entfattet 
unb bem meufd^lid^en ®afein als SSorbUb einleud^tet, toeld^em gema§ baS 
fitllid&e ßeben ftd& geftatten unb orbnen foö. 3fn biefer Siid^tung auf 
bie fittlii^e Umgeftattung beS 3Jlenfd&enIebenS ift bie i}Iatonifd6e 5ßlöiIo= 
fo^)]^ie reformatorifd^ unb religiös. §ier em^jfinbet 3JIaton feine 35er= 
wanblfd^aft mit 5ß^t]^agoraS , l^ier ttierben ülnftige Sal^rl^unberte il^re 
35ertt)anbtfd&aft mit 5ßIaton emi}finben. @S wirb bic 3eit lommen, 
tt)o man mit l^eifeer ©el^nfud^t nad6 jener inteüigiblen SBett l^inblidEen 
toirb, toeld&e Paton nod& toie ein großer plaftifd^er Äünftter gebadet 
unb feiner SBett Dorgel^atten l^at als bie eingige 9lettung aus bem 
fd&on beginnenben SSerfaü. 

4. »riftoteled. 

®er ®egenfa§ ber 3bee unb 5Dlaterie, ber intettigiblen unb Iör^)er= 
üd^en SBett, ber ben!enben unb finnlidben 3latur ift ber l)Iatonifd&en 
5ßlÖiIofot)]^ie eigentl^ftmKdö unb in i^rer gangen 9lnlage begrünbet. 
6S ift, einfadö auSgebrüdEt, ber SuaüSmuS gtöifd^en gorm unb ©toff. 
S)iefem ®uaIiSmuS toiberftrebt baS p^ilofojj^ifd&e 23ett)u§tfein , toeld^eS 
ber ©inl^eit unb beS inneren Snfammenl^angS bebarf. Unb fo gel^t 



S3n SntmidlunQSgang 




^^V QuS bei )]Iatonifd)eit $^ilDfo)]^te bie O^iage, bte mir als baS Ui 
^^V pro6lem beS gricc&ifd&Dn 3>enfen§ bejeidjnet i)ai>tn, qU bie 
^^^ 1)tvüox: wie fommt bei Stoff jur ^orm? Sßic etlläit fiiife i^ie 
m SBercinigung? SSiären fie getrennt unb abgefonfaeii Don cinanber, fo 

m Hefee i^re Sicreiniguns ftiti nur burc^ ein brittes *ßrtnciii, burift bog 

^^H SBerf einer flu^cvn ^unft begreifliii) matten, bie felbjt unbegtei^ 
^H liäi Hiebe. 

^^B 3IIfo wirb bie {yonn fo gebaut Werben muffen, ba^ fie beul 

Stoffe iniDü^nt, als bie ßraft, bie itjn gcftnltet, b. ^, al§ gnergic, 
unb bet ©toff luirb fo geborfit lüerben muffen, bajj er bie JJorm bei 
SWöglidtfeit nnt^ in fid) entf)ä(t, q1§ 3[nlage ju biefer bcftimmten 
fflilbung, b. '^. ote Sijnamiä, unb jcbeS mirllic^c Sing roirb gebadet 
WerbeH muffen al§ ein fic^ geftaltenbcr Stoff, ber feine i^orm tiolI= 
enbet, feinen innern SwccE ct|flllt, b. %. als Entelec^ie. Unb bie 
Singe inägefammt muffen unS al3 eine Olei^e foIcEjer 5'"^'"^'^ "= 
fc[)einen, bereu nicbere immer bie Slnlagc enthält jn ber näc^ft t|ö£)eien, 

Ib. t). nlä eine Sfufenrei^e üon ISntcIedjieu. Unb ber Süßeltiirocefe 
felBft fann nur als eine Seroegung gcfafet werben, in meli^er bei 
Stoff fi(i formt, bie Jorm ficfi DoIIenbet, bie Stnlage fic^ üermirHid&t, 
unb bas ©emorbene immer mieber Stoff unb ÜObierial mirb jli 
Igöfiercn ffiilbungen. 2)ie aßettorbnung will alä (äntroiälung 
ba^t fein. 
33uic& biefen Segriff überlninbet üfrifioteleS ben platonifö&en 
ffiuQliSmus. 3lu(ß bie grfenntnife ifl nac& SIrifioteles ein gntn)iii= 
luugäprocefe. So wirb burc^ ben Begriff ber gntmicflung beibeä ge= 
Ibft: äustcii^ baä SBettiiroblem unb baS Srlenntnifeproblem. Siefer 
fflegtiff ftetjt fcft, fobalb bie goi^m als encrgifi5c§ unb bie 3)Eaterie 
ot§ b^namifc^e^ 5irincii] gefaxt ift, ober, xoas baffelbe Reifet, fobalb 
bie 3ibee als ber ben Singen intno'^ntnbe 3wetE gilt. Sann mu§ bie 
3)laterie burcfi ben Begriff ber Slulage ober SöilbungSfatjigteit erHört 
Werben. Sei ^laton gilt ber Stoff als [atj Sv, bei 9lrtftotele§ aÖ 
Smä^si Sv. fiilräer unb fcfelagenber läfet fi^ ber tlnlerfrf)ieb 6eibei 
^P^ilofop^cn nitfil barl^un. 

§ier enbet bie claffifdie Seit ber grieijifdjen !pt)ilofotif|ie. Sie 
folgenbe $eriobe nimmt eine anbere, burc^ bie fotrotifiien Sdiulen 
unb bie pIatonif(^=ariftoteIifc^e Öel)re »orbcrciiete Sliifitung. Sie ^ort 
auf ßoSmoIogie ju fein, iDa§ bie griei^ifrfie *p^ilofol3t)ie in it)ren 618' 
l^ertgen ^öii"™ geblieben war , benn fie ^at uor unb nai^ bem 



ie«^H 



folratifdöen Sur(369QTt9Sj)UTtIt nidöt aufgel^ört, fid^ mit ber ft)eculatiöcn 
ßöfurtg ber SBcItproBIeme gu befd^äftigcn. Sie ^Probleme beS SBeft^ 
ftoffs, .ber SBeltorbnung, beS SBeItJ)roceffe§ toarcn bte Sluf gaben ber t)ors 
fofratifdöcn 5Pcriobe ; ba^ ^Problem ber @et6[t= urtb SaäelterlenntniB toai 
bie bcr fofratifd^en. S)te le^te ßöfung jener erften ^Probleme gab Slnajas 
goraS, bie le^te ßöfung biefeS smeiten giebt SlriftoteleS. SlnajagoraS 
begrttnbet bcn S)uali8niu8 gmifc^en ©eift unb $ölaterie, roeld&en Sriftos 
tcleg burdö ben Segriff ber ®nteled&ie unb ©ntoidlung im 5Princij) 
überwinben toitt, aber feine^toegS buri^göngig überwunben ^at, benn 
om @nbe feines ©^ftemS bri(^t biefer SualiSmuS an fo öielen ©teilen 
toieber l^eröor: er jeigt fid& gwifd&en ber tl^öttgen unb leibenben Ver- 
nunft im 9Kenfd6en, jtoifd^en ber t]^eoretif(^en unb J)ra!tifd&en Slugenb, 
3ti)ifd6en ©ott unb SBelt. Sld&ten toir nur auf biefe Slbfonberung beS 
©eiftes öon ber 3Jlaterie, auf biefe Slrennung beiber, fo fd&eint 3lrifto= 
teleS in einem ä]^nli(^en S)uaIiSmuS ju enben, aU öon weld^em 2lnaEa= 
goraS auiSging. 

in. SaS 5rei]^eit8t>tobIem. 

®ie ©toifer, ®pifurccr unb ©feptifcr. 

S)ie bualiftifd&e SBorfiettungStDeife, jtoar bem ?Princit) beS 3rrifto= 
teleS äutoiberlaufenb; erfc^eint bod& als ein natürlidöeS ©rgebnife feiner 
5P]&iIofot)^ie. S)iefe ?p]^Uofoi)]^ie fiefet in ber SQSelt eine ©tufenreil^e 
t)on ®nteled&ieen, fie benft biefe Jfteil^e als ein öoIIenbeteS ©angeS, fie 
forbert ein te^teS ©lieb, eine le^te ®nteled&ie, b. 1^. eine fold&e, aus 
ber !eine l^öl^ere l^eröorgel^en !ann, bie alfo in feiner SBeife 3lnlage 
gu neuen Silbungen entl^ölt, barum gar nid^t ftofflid^er Statur tft, 
fonbern t)ott!ommen immateriell, bie mitl^in geba(^t toerben mu§ als 
reine gorm, als blo^e ßnergie, bie lebiglid^ pd^ fetbft S^edC ift, b. 1^. 
oIS bas Senlen, toelifteS fic^ felbft beult, als ©eift, als ©ott. 3lIIeS 
bettegenb, ift er felbfl unbewegt. SSon bem SBeIit)rocefe unergriffen, 
ift er erl^aben über bie SQSelt unb in biefer ©rl^abenl^eit abfolut öott« 
lommen. @r ift fi(^ felbft genug. Siefe 3lutarlie erfdfteint als ber 
t)oDfommenfie 3uftanb, erreidöbar nur bem ©eift, ber in feinem ©elbft« 
beioufetfein rul^t unb ftd6 t)on ben SBetoegungen ber SQSelt frei l^ölt. 
9lud& ber aKenfdft ift ein felbftbetoufeteS, ))erfönU(]&eS SQäefen. SBdre er 
frei Don ber SBelt, fo toäre er öoKIommen. Siefe SBoIIIommenl^eit 
toirb fein 3irfr feine l^öd&fte Aufgabe. SQäaS er fud&t, ift ber t)ott= 
lommenfie ßebenSguftanb , baS J)erfönlid&e Sbeal. Sie 5p]^iIofoi)]^ie, 



26 S)er ^nttDtdlungSgang 

tocld^e biefe Süd^tung crgxcift, ift mcnigcr SBeltoctgl^ett, afe ßebenSs 
tDciSl^cit; tt)a§ 'if^x öorfdbtDebt, ift tDcniger 3fbce al§ 3bcal, tocmgcr 
bie SQäal^rl^cit als ber SBctfc, bcffen Utbilb fie nur baxum gu crfcnnen 
fud^t, um e§ im ßcBcn ju öettöirflid^cn. 3f]^rc ©runbrid^tung ifl 
j)tQftif(^, il^re Slufgabe ift bic §etftellung göttli(^et SSoIIIommenl^cit 
im SDlenfd&en, einer inneren 25oIIenbung beS $!Jlenfd&en, toetd&e ber 
©ottl^eit nal^e fommt; il^r 3iri ift biefer gottmeufd^Iid^e 3uftanb ober, 
toenn id& fo fogen borf, biefe ©otttoerbung be8 aKenfdien. Sie ßöfung 
biefer Slufgabe ift nur möglid^ burd^ bie Befreiung Don ber SBelt. 
3n biefem ©inne möge bog neue ^Problem ba§ ber SQäettbefreiung 
(Befreiung nidöt ber SBelt, fonbern beS ^ölenfd^en oon ber SBelt) 
l^eifeen. §ier fel&en toir fdjon, wie bie gried^ifd&e 5p]^iIofoJ)^ie, Don bem 
SJlenfd^enibeale ergriffen unb erfüllt, bie SBelt Io§Ia"Bt unb ein 3iel 
fud&t, bQ§ untoittlürlidö in bie Siid^tung einlenft, bie fid6 im 6]öriften= 
tl^ume offenbart unb oollenbet. 

Slber toie ift biefe S3efreiung oon ber SBelt, tooburd^ bie J)erjön= 
lidöe Slutarüe erreid&t toirb, moglid^? ©o lange toir bon h^xti SBelt* 
j)roce§ ergriffen unb in benfelben öerftod^ten finb, bleiben wir abl^öngig 
unb unfrei, 3n biefer 3lb]^ängigfeit finb wir tief befangen, fo lange 
tt)ir uns gu ber SBelt begel^renb, leibenb, ftrebenb öerl^alten; fo lange 
toir uns ergreifen laffen t)on ben ©ütern ber SBelt, il^ren Uebeln, 
il^ren Sluf gaben. Um fid^ grünblid^ t)on ber SBelt gu befreien, mufe 
man aufl^ören gu begel&ren, gu leiben, gu ftreben unb nad& ber ßöfung 
ber SBelti)robIeme gu ringen. SBir muffen uns in einen 3uftanb t)er= 
fefeen, in bem uns bie SBelt feine ©üter mel^r bietet, in bem eS nid^ts 
SSegel^renStoertl^eS für uns giebt, bie SSegierben unb ßeibenfd^aften t)er= 
ftummen, ber SBille burd^ nid^ts erfdbüttert unb bewegt wirb: biefer 
3uftanb ift bie Slugenb ber ©toifer. SBir muffen, um uns gegen 
bie SBelt gu fid&ern^ eine ßebenSform gewinnen, bie leibenSfrei ift, ober 
um bie Jiatur nid^t gu überbieten, einen 3uftanb, in bem wir fo wenig 
als möglidö leiben, fo oiel als möglidf) genießen: biefer Suftanb ift 
bie ©tüdffeligfeit ber ©pilureer. ©nblid^, um bie Unrul^e beS ©eifteS 
toS gu werben, muffen wir aufl^ören gu ftreben unb auf bie ßöfung 
ber SBelt|)robleme SSergid^t leiften, inbem wir uns Itar mad^en, bafe 
fie unlösbar finb: biefer 3tt)eifel ift bie 9lul^e ber @fet)ti!er. SBaS 
nad^ ©ofrateS begonnen war in ber c^nifd^en, c^renaifd^en unb mega* 
rifd^en ©d&ule: baS erfd^eint nad& 3lriftoteleS wieber in ben öerwanbten 
SRid&tungen ber ©toifer, 6j)ilureer unb ©feptifer gteid^fam auf er= 



bcr 9Ticd6iWcn ^l§iIofop:^ic. 27 

l^Bl^ter ^ßotenj unb in einer fold^en SSerfaffung, ba% bicfe öerfd^iebenen 
SWcfetungen l^ier aus einem 3Jlotit) entf|)rin3en unb in einem 3irf 
gufammengel^en. SiefeS gemeinfd&aftlitfte SKotiö ifi baS ^htai eines 
Don ber SBett freigetoorbenen Sölenfd^en, eines in fid& tul^enben ©eIBft= 
BeiöufetfeinS, einer t)oIIenbeten Slutarüe. 3fn biefem Sl^puS, Don bem 
fie erfüDt finb, Dereinigen fid6 ©toifer, @j)ifureer unb ©fe|)tifer. 

35ergleid^en toir bie 3KitteI, bie fie jur ^Befreiung beS Sölenfti&en 
cinfe^en, mit ber 33laä^t, Don ber fie fid^ befreien »offen; fo erfd^eint 
biefe größer als jene. @ie ttjoffen Don bem SQäeltlauf loSlommen, aber 
ber SBeltlauf ift mäd^tiger als fie, unb baS Sbeal beS SQSeifen f(^ei= 
tert an ber bel^arrlid^en ©etoalt ber ®inge. Ser ftoijdöen 2ugenb 
fielet ber SQäeltlauf gegenüber mit ber fid^ immer erneuenben SKad^t 
ber 3laturtrie6e ; ber epifureifd^en ©lüdCfetigfeit fielet ber SQSeltlauf 
gegenüber mit bem §eere ber Uebel, unb toenn fid^ bie ©pifureer nid^t 
ju il^ren ©öttem in bie 3toif(^enröume ber SQSelt f(ü(^ten, fo toerben 
fie ben Uebeln ber SBcIt nid^t entrinnen; enWid^ bem ffeptifd^en S8e= 
toufetfein, toeld&eS bie affgemein gültigen SQSal^rl^eiten Derneint, ftel^t ber 
SBeltlauf gegenüber mit ber ^ölad^t ber l^errfd^enben SSorfteffungen unb 
Smde, toeld^e ber ©IeJ)tifer nidfet Dertreiben, benen er felbft fid^ nid^t 
entjiel^en fann. @S ift unmöglid^, baS 3fbeal ber 3lutarfie bem SBeIt= 
lauf abguringen, eS rein unb fiegreid^ baDonjutragen, unangetaftet Don 
ben 3Köd6ten ber SQäelt ju erl^alten: biefeS 3beal ift in bem ^amp\ 
mit biefen 3Wöd^ten ber fi^toad^ere Sl^eil, ber jutefet unterliegt. 

S)ie 3KitteI nämlid^, toeld^e l^ier bem SQäeltlauf entgegengefe^t 
tocrben, finb im ©runbe felbft bem SBettlauf entnommen. S)er ©toifer 
fud&t bie ^Befreiung burd^ bie SBiffenSautarlie, bie er als Slugenb be« 
jetd&net: biefe SEugenb ift baS ftolge ©elbftgefül^I beS eigenen SQSertl^eS, 
unb biefeS ©elbftgefül^I gel^t ben SBeg ber menfd^Iid^en ©itelfeit, bie 
mitten in ben SBeltlauf ^ineinfül^rt. S)er @|)ifureer fud^t bie Befreiung 
im ®enu§, ben er in einen bauernben 3uftanb Dertt)anbeln möd^te: 
biefer ©enufe ift baS be]^agli(^e ©elbftgefül^I beS eigenen aOäol^IjeinS, 
unb biefeS ©etbftgefü^I befinbet fid& mitten im aBeltlauf. ®er ©Iet)= 
ttfer fud&t bie ^Befreiung burc^ ben 3toeifeI, ber bie natürlid&en @in= 
fidfeten unb ^Probleme ungültig mad^en toiff, unb biefer 3toetfeI felbft 
p^t fid& auf natürlid^e ©rünbe, auf bie 6infi(^ten beS natürlid^en 
aScrftanbeS, ber felbft in baS ©etriebe beS SBeltlaufS gehört. SaS 
3beal, loeld&eS ben SBelttauf befiegen toiff, ift aus einem ©toffe ge= 
bilbet, toeld&er auS ben 3Jldd6ten ber SöJelt beftel^t. 



28 S)er ^nttotdlungSgang 

Unb fo geratl&en bicfe Sitd^tungcn jcbe in einen eigentl^ümlidöen 
SBiberfj)tud& mit fi(^ felbft. Sem ©toifer ift todijH in bem SBeloufetfcin 
feiner Sugenb, er fttl^It fid^ barin erl^aben, in biefer ©rl^abenl^eit 
glttdtlid^ unb bel^oglid^, wie nur ber 6j)ifureer mitten im ©innengenufe; 
er genügt fid& in bem Sewu^tfein, ba% er bie ©üter ber SBelt nid6t 
brandet unb begel^rt, in biefem 93etDU§tfein barf er fie genießen, erft 
red^t genießen, ßurj gefagt: ber ©toüer mad^t fi(^ aus ber Slugenb 
einen ®cnuß. 

S)er 6t)ilureer fud^t ben ©enuß als öollfommenften ßebenSjuftanb^ 
ber aÜeS ßeiben fo öiel als möglid^ auäfd^Iießt, aber ber größte fjeinb 
be§ ©enuffeS finb bie ©enüffe; fo gel^t ber 6j)ifureer bel^utfam bm 
©enüffen auS bem SBege unb legt fid^ um beS ©enuffeS toitten eine 
©ntfagung unb SÄößigleit auf, bie mandbem ©toilcr ßl^re mad^en 
toürbe. ßurj gefagt: ber ©pifureer mad^t fid& au8 bem ©cnuß eine 
Slugenb. Unb fo !önnen bie beiben entgegengefe^ten Jftid&tungen unb 
Sebengf^fteme in il^ren ßebenSerf^einungen felbft bi§ gum SSertoed&feln 
einanber öl^nüd^ toerben. 

®nblid& ber ©fet)tifer mad^t fidö aug bem Stoeifet eine ©etoißl^eit 
unb geratl^, tt)ie er fid& aud6 toenbet, in SGßiberfprud^ mit fid^ frfbfl. 
S)enn ift ber 3tt)eifel getoiß, fo ift er nid^t mel^r ffet)tifd6. 3ft aber 
ber Stoeifel jtoeifell^aft, fo giebt er fid& felbft auf, unb mit bem Bttp- 
tici§mu8 ift e8 am 6nbe. ©enug, biefe Slid&tungen finb auf bem 
SBege gum meufdölid^en 3fbeal, aber il^re 25erfud&e fämmtlid^ fd^Iagen 
fel^I unb löfen fid& gule^t in lauter ^Probleme auf, bie einer neuen unb 
tieferen ßöfung bebttrfen. 

IV. S)ag 3leUgion8t>tobIem. 

1. S)cr rcligiöfc ?JIatom8Tnu8. 

Sie SQSelt finb wir felbft. Unfere natürlidfie ©elbfttiebe unb unfer 
natürlidfier SBerftanb finb audö SBelt, fie finb weltlid^e SJlödöte bon 
©runb aus, benn ol^ne fie giebt eS feine SQSelt, bie toir begel^ren unb 
t)orftetten. Unb eben biefe SBelt, bie mit unjerem ©elbft ein§ ift, bie 
toir felbft in gewiffem ©inne finb, biefe SQSelt ift in bem Sbeale ber 
©toifer, @|)ilureer, ©!et)tifer fo wenig übertounben, baß fie öielmel^r 
barin vergöttert ift. SSon biefer SBelt loSjuIommen, bon biefer 
eigenen toeltlidöen Jiatur, bie fd&on aU Uebel emi)funben wirb, fid& 
grünblidö gu befreien, biefe§ ©elbft, ba§ un§ gefangen nimmt unb 
nieberl^ält, abjuwerfen unb gu burd^bred^en : baS wirb ie^t bie 3luf= 



gäbe ber 5pi^iIofoJ)]^ie unb iVLiUxä^ bte ©el^nfud^t aller, bie baS Unglttd 
bcr Sitten unb ben tiefen innetn SBerfatt ber 3ßenfd&en em|)finben. 
S)tefer Srang rtad^ Befreiung t)on unferer eigenen, in ber ©elbftfud^t 
gegrünbeten, »eltlid^en Siotur ift ein ©rlöfungSbebürfnife, unb fo 
ip e§ ein burd^auS religiöfeS 3Qflotit), toeld^eS je^t bie ^P^ilofopl^ie in 
Setoegung fe^t unb fie unmittelbar auf baS menfdölid^e §ßil rid^tet. 
Sie fud^t ben SBeg ju biefem 3iel, fie fetbft ttitt ba^ erlöfenbe ^eil= 
mittel fein, fie giebt fi(^ als ^eilslebre: in biefem ©eift unb aus 
biefem SOlotit) l^erauS mu§ man il^re SBorfteffung^meife unb il^re SBir= 
fungen beurtl^etlen. ^l^r ^Problem ift bie SBelterlöfung, baS le^te 
beS 2Ktertl^umS. SBa§ fie in baS ßeben rufen möd&te, ift eine SQSelt- 
religion, bie fie mit ben $ölitteln be§ ^eibentl^umS guerft burd^ ß^ne 
ßäuterung beS alten ©ötterglaubenS, jule^t burd& eine SBieberl^erftettung 
beffelben ju erreid&en fu(ftt. Sölit biefem ©ebanfen gel^t fie bem ©l^riften« 
tl^um öorbereitenb entgegen, wetteifert unb -ringt mit i^m um ben 
Sieg, ben jule^t bie neue Sieligion über bie alte baDontragt. Slber 
bte 3bec einer tüeltcrlöfenben 9leligion ift im©emüt]^e ber gried^ifd^en 
SBelt emj)fangen unb genäl^rt toorben, unb afö ba^ aufftrebenbe 
ßl^rifientl^um bie jübifd^en ©d^ranlen burd^brad^, um weltertöfenb gu 
totrfen, fanb e§ l^ier ben frudötbarften SSoben. 

3ene§ grlöfungSbebürfnife, tDetd^eS bie le^te 5p]^ilofo))]^ie be§ 
2Htert]^um8 erfüllt unb baS ^Dtotit) il^rer Senlweife bilbet, beftel^t in 
bem ©treben beS SKeufd^en, fid& ber SBelt gu entlebigen, fid^ gu ent« 
toeltlid^cn ober, maS baffelbe ^ei^t, fid& mit einem SBefen gu bereinigen, 
toeld^eS ber ©innenioelt Dottfommen entrüdtt ift, frei öon il^ren ©d&ran!en 
unb Uebeln. Sarum forbert ber ©tanbt)unlt biefer 5p]&ilofot)]öie in ber 
ftrengfien SBebeutung beS SBortS bie Senfe it ig leit ©otteS. Siefem 
menfd^üd^en ®rlöfung§bebürfni§ gegenüber lann ©ott nid^t jenfeitig 
ober transfcenbent genug fein, ©erabe burd^ feine ©efd&iebenl^eit t)on 
ber SBelt, gerabe baburd^, bafe er frei ift t)on allem, tooöon ber SÄenfd^ 
frei fein möd^te, toirb er ein ©egenftanb unb 3irf religiöfer ©e]^n= 
fudöt. Unb eben barum liegt l^ier in ber aSorftellung ber größten 
Äluft gtoifd^en ©ott unb SBelt eine religtöfe ©enugtl&uung. ©ott mu^ 
l^ier fo t)orgefiellt »erben, ba& ber SKeufd^ gu ftd^ fagen fann: toenn 
td& bei tl^m märe, fo toöre id^ feiig; bei il^m ift nit^ts t)on bem, maS 
mid& ängftet unb brüdft! SDie bualiftifd&e »orftellungStoeife toirb bal^er 
ein ©l^oraftergug biefer 5p]^ilofoj)]^ie unb ift in il&rem ©runbe burd^aug 
religio« motiDirt. ©ott ftel^t Ijier ber SBelt gegenüber nid&t al§ bag 



30 S)er (Snttoidlungggang 

otbncnbc ^PrinctJ) betn ®I^qo§, nid^t oIS bcr bemegcnbc 3tt)e(f bem bc= 
tDegten ßoStnD§, fonbcrn als bet Ort ber ©citgfcit bem Drtc bcr 
Ucbcl; er ift ntd^t ein ^Princit) jur ©rllärung ber ®tnge, fonbern ba^ 
3iel be§ ]&etl§6ebürftigen SJlenfd^en. Sic religiöfe ©d^nfud^t erioettert 
bis }um ?leu§erften bie filuft, toeld^e ©ott t)on ber SBcIt unb t)om 
aÄenfd^en trennt; juglcid^ bcgcl^rt fic bie aSereinigung. 3lber wie ift 
biefc aScreinigung möglid^? 2luf notilrlid^em SBcge gertife nid&t, alfo 
nur auf üBernatürlid^em : bon feiten ©otteS burd) tüunberbare Offene 
Barung, t)on feiten be§ SDlenjdben burd^ »unberbarc 3lnj(^QUung, burd^ 
innere gd^eimniBöotlc ©ricud&tung. 3c|t gilt als bcr l^öd^ftc Suftanb, 
in toeld^cn ber $ölcnfd^ öerfe^t »erben lann, nid^t ber felbftgenttgfamc, 
fonbern ber gotterfüffte, nid^t bie Slutarlie, fonbern ber SntJ^ufiaS» 
mu§. ©iefer 3uftanb l^at mit ber natiirUd&en SSernunft nid^tä gemein 
unb ift burdö biefe nid)t erreid&bar: er ift gd^eimni^öoH unb bie 5|}l^iIo- 
fopl^ie, bie biefcn Suftanb fud&t, m^ftifd^. 

®§ ift eine tounberbare ßrl^öl^ung, weld&e bem 5p]^iIofoi)]^en ju 
Sll^eil toirb unb il^n feinem natürli^en Setoufetfein entrüdtt: ein 3u= 
ftanb ber ©tftafe, ber unmöglidö im SBege natürlid^er SSermittlung ent« 
ftel)t, t)ielmef)r plö§lidö lommt unb t)er|d&tt)inbet als ein 3lugenbIidE 
göttüdöer ©rleud^tung. S5on fid^ au3 !ann ber SÄeufd^ biefen 3uftQnb 
nid^t fjcröorbringen, er !ann ilju nur erfal^ren unb fid&, foöiet an il^m 
ift; bafür em|)fänglidö mad^cn burd& eine bel^arrlid^c ßöutcrung feinet 
ßeben§, eine fortgefe^te ©nttoeltUd^ung unb Selämpfung ber natttr- 
lid^en SSegierben big gur größten ®nt]^altung. ©al^er bie ftreng as= 
cetifd^e ßebenäform, meiere biefe fromme 5pi)iIofop]^ie annimmt. Slber 
bie unenblid^ grofec ßluft ätoifd^en bem göttlidfien unb meufd^üd^en 
SBefen bleibt; nur für einen 2lugenblid l^ebt ber SJloment ber ®Iftafc 
ben 5Dlenfd6en barüber ]^intt)eg, ber erleud^tete 2lugenbIidC t)erfd&tt)inbet, 
unb ber aJlenfdö finft toieber äurüdC in bie bunfte unb unl^eiltJoQe SBelt 
feines natürlid&en aSetoufetfeinS. 

Sie religiöfe ©el^nfud^t bebarf ber ^ölittclglieber, toeld^e bie ßluft 
ausfüllen. Jiatürüd^e SBefen fönnen biefe 3DftitteIgIieber nid^t fein, 
alfo tt)erben eS l^öl^ere, übernatürlid^e SBefen fein muffen. S5on ber 
aßelt füfirt feine Stufenleiter em|)or gu ©ott, alfo toixb bon ©ott 
eine ©tufenteiter l^erabfül^rcn muffen gu ber bebürftigen aJlenfdöcntoelt. 
S)iefc ajlittelgliebcr finb bemnad^ übermcufd^Iid^e unb untergöttlidöc 
SBefen: eS pnb bie Sömonen, toeld^e bie SSermitttung gteifd^cn 
©Ott unb ben $ölenfdöen bewirfen. 2)er Sämonengtaube bemad^tigt fid^ 



ber Qtied^tfd^en ^pi^tlofopl^te. 31 

btefcr reltgtöfcn 5p]^Uofot)]^te, unb baffcftc SJlotit), tocId&eS in il^ret SBor^ 
fleBung§tt)cifc ®ott unb SBcIt auf baS Slcufecrfte trennt, baS SBerl^ältnife 
Bctbcr bualifttfd^, ba§ SBefen ©ottcS öottfommcn ienfctttg, baS menf(^= 
lid&c ©ottcSbclDu^tfcin m^ftifdö, ba§ mcnfd&Itd^c ßcben aSccttfdö mad^t, 
läfet in SiüdCfid&t auf bic SBctmittlung jtoifd&en ©ott unb SJlenfd^ bic 
5Pl&iIofoi)]^ie bömonologifd^ tocrbcn. 

9?QtürUd& fann au§ fold^en Scbingungcn ein neues tt)ifjenf(ftQft= 
lid^eg ©Aftern nid^t l^eröorgel^en, aud^ liegt eS nid^t in bem Sebörfni^ 
unb in ber Siid^tung ber 3cit. @ie geljt gurüdC auf bie S3ergangen= 
l^cit, unb tt)a§ fie in ben ©^ftemen berfelben SSertoaubteS finbet, toixh 
öon il^r ergriffen unb in bem religiöfen ©eift, ber je^t bie 5p]^iIofot)f)ie 
fül^rt, umgebilbet unb erneut. Unb Ijier finb e§ t)orjug§tt)eife jtt)ei 
Siidötungen, toeld&e bem l^errfd^enben Söebürfni^ entgegen!ommen unb 
fd&on barum aU SSorbilber erfd&einen, tt)eil fie t)on gicid&artigen refor= 
matorifd^en unb religiöfen 3!Jlotit)en getragen finb: bie p^tl^agorcij^e 
unb ^)Iatonifd&e ßel^re, bereu Url^cber je^t in ben 3iimBu§ eines göttUd^en 
2lnfc]^enS erl^oben »erben. 3fn bem religiöfen ©eifte ber Seit »erben 
bcibc 9lid6tungen tl^eologifdf) umgebilbet: in biefem 6l^ara!ter crfd^einen 
fie jc^t als neuj)^t]^agoreif^e unb neut)Iatonifd&e ^pi^ilofopl^ie. 
Um bie ^)^tl^agoreifd&e ßel^re t^eologifd^ umsuBilben unb in biefem ©eift 
gu erneuen, muffen il^re 33egriffe Don ben Drbnungen ber Sffielt als 
©cbanfen ©otteS gefaxt, bie 3aI|Ien, toeld^e biefe Drbnungen in bem 
altp^tl^agoreifd^en Softem auSbriidfen, finnbilblid^ genommen, als 
3eidöen ober ©^mbole t)on Segriffen, alfo felbft als Sbeen gebod^t, 
ber 3ö]^lcnlel^te bie ^beenlel^re, b. 1^. ber altp^t^agoreifd^en 5p]^ilo[op]^ie 
bie |)Iatontfd6e eingebitbet »erben. Unb fo ift es tjauptföd^Iid^ bie pla- 
tomfd&c 5P]^iIofot)i^ie, bie baS SBerljeug barbietet, um bie rcligiöfe aBeIt= 
aufd^auung auSgubilben, »eld^e baS le^te 3lltert]^um bebarf. 

SBir lönnen beSl^alb biefe ganje 9lid^tung als religiöfen 5pia= 
toniSmuS Bejeid&nen, ber mit ben Jieup^tl^agoreern beginnt unb fid^ 
in ben ncu))tatonifd^cn ©d^ulen (PotinoS unb 5Port)l^^rioS, ^amblid^oS 
unb 5ProfIo8) f^ftematifd^ öoüenbet unb auslebt. 3fn ber Sll^at !onnte 
oud& bie ©el^nfud&t nad& einer überfinnlidien , rein inteüigiblen Söelt, 
ber ©rang nad^ Befreiung t)on ber finnlid^en, nad& ©rlöfung t)on bem 
Orte ber Uebel, ber 333iffe jur innern ßäuterung, biefe ©runbtriebe, 
tocld^e ber 5pi^ilofo^)]^ie ben religiöfen ©eift einflößen, lein größeres unb 
Icud&tenbereS SSorbilb finben als bie ^beenlel^re 5ßlatonS. Unb bic 
^latonifd&en Sbeen felbft, bie t)on ber oberften ©inl&eit ftufentoeife in 



32 2)er ^nttoidCIungSgang 

immer juncl^mcnber SStelljcit l^crabftctacn bt§ gu bcr öu^crften ©rengc, 
tDo bie formen ctngel^eTt in bic Sölaterie, erfd&cinen l^ier glcid^fam al§ 
3Jlittcttoefcn, als SSinbeglieber, als ©tufertleitcr, bie t)on ©ott ]^etaB= 
fttl^rt jur SBelt; biefc 3fbecntoeft Bietet fid^ bar al§ ein toittfommeneS 
©d^ema, in rteld&eS bie bömoncngläubige $]^iIofoi)]^ic il^re SSorftettung 
bon ben untergöttlid^en aKittelmefen einträgt unb fo^t. 

hieraus läfet fid^ leidet bie f^ftemotifd^c ^orm Beftimmen, in 
toeld^er bie le^te ©d^ule be§ Slltertl^umS il^re STufgaBe öorftettt unb 
löft. ®8 l^anbelt fid^ um ein ©Aftern, toeld^eS biefe jrtei Sebingungen 
erfüllt: einmal ben S)uaIiSmu3 jtoifd^en ©ott unb SBelt auf baS 
3leufeerfte ft)annt, bann biefen S)uaü§muS burc^ eine Sieil^e t)on 3toifd&en= 
toefen, bie jule^t eine unenblid&e Jfteil^e fein mufe, t)ermittelt. S)iefc 
StDifd^entoefen muffen gebadet toerben al§ eine Stufenfolge, eine ]^eraB= 
fteigenbe, alfo als ein ©tufenreid^ aBne^menber SSoHfommenl^eit, baS 
aus bem öollfommenften SBefen l^ertjorgel^t unb in bcm unt)oDfom= 
menften, b. 1^. in ber ©innenmelt enbet, mit bem ©treBen ber JRüdEIel^r 
gu feinem Urfi)runge. Sa§ göttliche Urtoefen mu^ gebadet toerbcn als 
jenfeits nid^t Blofe ber SBelt, fonbern aud^ affer ©eifteStljötigfeit, als 
jenfeits aud& beS S)enfenS= unb SBoffenS, benn eS ift als fold&eS bem 
$!Jlenf(^en unerreid&Bar. 2)arum fann jenes ©tufenreid^ aus bem gött- 
lid^en Urgrunbe nid^t Vermöge beS SBiffenS unb beS ©ebanfenS ]^er= 
öorgel^en, fonbern nur als eine notl^toenbige 3olge, bie auS ber pfiffe 
beS Urtoefens entft)ringt, ol^ne bafe biefe g^üffe fid& minbert, als eine 
SQ3ir!ung, auS ber toieber neue, toeniger öofffommene SQSirlungen auS= 
ftrömen, b. 1^. jene ©tufenfotge ber SJlittelglieber mu^ borgeftefft loerben 
als eine Jfteil^enfplge göttlid^er Smanationen. SBaS in bem alt= 
ptatonifd^en ©^ftem bie Sbeen finb, bas finb in bem neuptatonifd&en 
bie Emanationen, in benen bie SBelterlöfung ober bie aus ber größten 
©otteSfeme gur SSereinigung mit ©ott gurüdEIel^renbe ©eele in ber 
tJorm eines etoigen SQ3elt= unb 3'iaturj)roceffeS gebadet toirb. §ier 
feigen toix beutlidö, toie fid& baS religiöfe 3Kotit) in ben 2;^t>uS ber 
]&eibnifd&en SSorfteffung fafet. ®iefe ©manationen finb ber möfdl^rigfte 
©toff für äffe formen ber SÄ^t^ologie. 2BaS im 5ßlotin nod& @ma= 
nationen finb, baS finb im SfamBIid^oS bie ©ötter= unb S)ämonen« 
gefd&Ied^ter, bie 5ProIloS orbnet unb met^obifdö einrid^tet. 

SBon bem aKittett)unft beS religiöfen PatoniSmuS, in bem fie 
tourgelt, Befd&reiBt biefe Slnfd^auungStoeife einen toeiten ©eftd&tSfretS, 
ber über ^P^tl^agoraS unb bie ©rengen ber gried^ifd^en SBelt ]^inauS= 



gel^t. SicUgiofe ®ini)finbun9en finb fd^on aU fold^c öertüanbt. Sfebe 
6rfd&cinung bon aug9cj)ra3t religiöfem ©l^ataltet tt)irb bcm Sntercffc 
btcfcr 3ctt totdötig. SBte fie fetbft m^ftifdö gcftimmt ift, xoixb fte Be= 
fonberS bort fotd^en religiöfen SilbungSfotmcn angejogcn, bic gc]öetm= 
Tti§t)otter 3lrt finb, bon einer fotd^en teltgtöfen SBetSl^ett, bie ben 
®]^ara!tct göttltdöer Dffertbarung an ftd^ trögt, ©al^er ber tnöi^ttgc 
urtb t)]^antajtet)olIe Sleij, ben bic 5Dl^jierten ber ©ried&en, bte oDf^- 
fd&cn ©cl^etmniffe, bie tnorgenlönbifd^en aieligionen auf biefe ©etfte§= 
flintntung ausüben. !3e gel^eimnifeDotter bie ©rfd^einung tft, um fo 
ntagtfd^er unb toirffamer ift il^r ©inbrudC, unb je bunfler unb t)er= 
Borgener, b. 1^. je toeiter entfernt t)on ber ©egentüort fie erf(^eint, um 
fo gel^eimnifeöoller barf fie fein, ©al^er baS Streben, tüeld^eS biefe 
^)Iatoniftrenbe 0iid&tung ^ai, bie Quellen ber religiöfen SQSeiSljeit über 
bie ©renjen ber erl^ettten ©cfd^id^te l^inauSjurüdCen unb in ha^ Sunfel 
ber Seiten ju öerfenlen. ^ier möd^te fie bic ©laubenstoeiäl^eit, bon 
ber fte felbft erfüllt ift, entfj)ringen unb fortgetragen feigen in Sletigion 
unb 51JI&iIofoj)]^ie burd^ eine Steige toeÜerleuijötenber ©eifier bis l^erab 
gu ber ©egenmart, in toeld^er bie alten unb gc]^eimni^t)olIen C)ffen= 
barungen erneut werben. 63 gcljört mit gu bm ©laubcnSoorftettungen 
bicfer Seit, gu ben S)ogmen biefer 5P^iIofop]^te, bafe fie fid6 im ®in= 
Hange toei^ mit alten religiöfen ©eifiern ber Vergangenheit unb biefe 
in einen Sufammenl^ang bringt, ber il^ren glöubigen SSorauSfe^ungen 
entfj)ri(^t. @ie fielet überall toie in il^rcn Spiegel, fie finbet überall 
baS ©egenbitb il^rer ®en!tt)eife, fie erblidtt il^re SorfieÜungen in ber 
})Iatonifd&en 5p]^iIofop]§ie, biefe in ber älteren SBeiSl^eit beS 5ß^t^agora8, 
biefe in ben ©el^eimniffen ber Sleg^pter, in ber SBeiSl^eit ber 5!JJagier 
unb Sral^manen, in ben ©rlcud^tungen ber jübifd^en ^ßropl^eten; fie 
fül^It fid6 als ©lieb ber großen ©eifterfette, in ber fid& bie göttlid&en 
Offenbarungen in ber SKcnfd&l^eit fortpflangen. 3f^r ©egcnbilb, baS 
fte in bie 23ergangen]^eit gurüdCtoirft, leud^tet il^r toieber aU ba^ 33or= 
Bilb, t)on bem fie ba§ eigene Std&t empfangen l^aben toiH. SBie biefe 
religiös platonifirenben ^pi^ilofoplö^n beulen, fo muffen 5ptaton unb 
?P^t]^agoraS felbft, bie altplatonifd&en unb altp^t^agoreifdöen ^pi^ilofop^en 
gebad&t l^aben; unb bamit biefe öottfommene Uebereinftimmung fid^ 
Ted^tfertige unb il^r bie Setoeife nid^t feilten, erfd&einen jefet eine Sölenge 
©döriften, bic im ©eifte ber neuen Senftoeife gefd^rieben finb, unter 
ben 9iamen eines Drpl^euS, ^P^tl^agoraS unb alter ^p^tl^agorecr. ®er 
geglaubte 3ufammen]^ang tritt an bie ©teile beS toirHid&en, ber fid^ 

Sfif e&et, ©ef*. b. Wtol I. 4. «ufl. m. 3t. 3 



34 2)er ^nitDidlungSgang 

unter bcn bogtnatijd^cn 23orficttuTtgcn böüig öcrbunfelt, urtb cbenfo öct= 
bunlett ftd^ 6t§ gum 35ctfd&tDtnbcn unter ber §errfd)aft biefer fSox- 
ftellungen ber gefi^td^tüd&e ©inn unb bie gefd^t(fetUd&c ßritif. 

2. S)ie ßogosibce. 

Unter ben morgenlanbifd^en aftetigtonen ift cS befonberS eine, loeld^c 
öon [i^ aus mit htm reügiöfen 5piatoni§mu3 eine ©eiftc8öern)anbt= 
fd^aft emj)finbet unb eingeigt: bie jübifd^e. ®er SSerfatt unb ba^ Un= 
glütf beS SSoßS unter beut Srutfe ber fjrembl^errfd&aft, ba§ ©efül^I 
biefeS UnglttdCS, baS Sebürfni^ unb bie ©el^nfud&t, baöon ertöft ju 
Serben, bie Hoffnung auf einftige SBieberl^erfteÜung, ber ©laube an 
ben jenseitigen ©ott, bie retigiöfe 93ete6ung, ©rtoeiterung unb ßdute= 
rung ber ©otteSibee burd& ba§ prot)]^etifd&e Söemufetfein, baS 5ProJ)]^eten= 
tljunt felbft als JEröger ber 9leUgion mit feiner reformatorifd^en 9iid&« 
tung, mit feinen bis gur @!ftafe gefteigerten Srteud^tungen, ber SQSun* 
berglauBe, bie fd^on in ben SBoHsglauben eingelebten aSorftettungen ber 
6ngel als SJlitteltoefen jtoifd&cn ©ott unb ben ^ölenfd^en — atte biefe 
3üge geben bem ^ubentl^um eine aSertoanbtfdöaft mit ber t)on uns 
enttüidtetten 3orm ber gried&ifi^en 5pi^iIofopI)ie unb mad^en ben mofai= 
fdften ©lauben emj)fänglid^ für ben J)Iatonifd)en. 

2lu(^ bie äußeren Sebingungen gu einem ©eifteSöerfel^r öon bciben 
©eiten finb in Sllejanbrien, biefem SIJlitteIt)un!te beS l^ettenifirten 
SOlorgenlanbcS, gegeben. S)aS Subentl^um erlennt biefe 33ertt)anbt= 
fd^aft, es fann bie Uebereinftimmung jtoifd&cn fid^ unb bem 5piatoniS= 
muS nur begreifen, inbem eS bie gried^ifd&e 5p]^iIofoi)]^ie aus bem 
alten Sleftamentr ben l^eiügen Urfunben feines eigenen ©laubenS, l^er» 
t)orgegangen beult, eS fann je^t feine ©laubenSurlunben nur fo Der= 
[teilen, bafe fid& il^re Uebereinftimmung mit ber gried&tfd^en SBeiSl^eit 
red&tfertigt. ©o bilbet fid& bie allegorifd&e ßrllörungSweife ber alt= 
teftamentüd^en ©d&riften unb auf bereu ©runb bie iübifd^-aIcEan= 
brinifd^e 9ieIigionSJ)]^itofop]^ie, bie fid^ in ^pi^ilon öoüenbet, toie ber 
religiöfe 5PIatoniSmug gried^ifd^erfeits in ben fpäteren SReuj)Iatoni!crn. 

S)iefe jübifd^e 5p]^iIofot)]^ie ift aud^ religiöfer ^ßlatoniSmuS, unter 
toeld^em 9?amen toir bemnad^ aDe betoegenben ^actoren im ©eifte ber 
legten öord^riftlid^cn 3eit gufammenf äffen. Um uns nid^t in ßingelneS 
gu Verlieren, ha toir l^ier nur bie tjormörtsbröngenben 3Jlotit)e ins 
Sluge faffen, fud&en loir ben §au^)tj)unft, um ben eS fid^ in btcfer 
gangen SRid^tung l&anbelt. S)aS l^errfd^enbe ^Problem ift bie SQ5eIt= 



erlöfung ; bcr ©runbacbanfc, in tr)el(^em bic ©ntfd^eibung gcfudöt totrb; 
ifi bcr eines tocitcriöfcnbcn 5ßrtncij)§. 3lnn fann btcfc§ te^tere nur 
gebadet »erben als ber gottitd&e aOBeltjtDedC, aU SBetoeggrunb ber ©(^ö))fung, 
als bie wcitorbnenbe unb in ber SUbung ber Singe gegentDörtige 
3bee, bic in baS SQBeltaÖ eingeigt, tDöl^renb ©ott felBft in reiner 3en= 
feitigfeit öoHfommen frei unb abgefonbert Bleibt t)on ber SBelt. 3lIfo 
muB boS toeltfd^affenbe unb erlöfenbe 5Princip unterjd&ieben toerben 
Don ©Ott, cS ift nidfet ©ott felbft, aber e§ gel^t t)on ©ott aus, n)ie 
baS SQBort t)ont ©eift; eS ift, um eS finnbilblidö unb t^t)i|d& auSju^ 
brüdCen, baS SBort ©ottes, .ber göttlidöe ßogoS. 3n biefem Segriff 
öcrfammeln fid^ als in il^rer ßin^eit atte SJlittetoefen gtoifd^en ©ott 
unb ben SÄeufdöen, gleid&Diel tt)ie fie l^eifeen, ob ©ämonen nad^ gried^ifd^er 
ober ßngel nad^ iübifd^er SQSeife. S)er ßogoS gilt als ber SÄittler 
jtoifd&en ©ott unb Sölenfd^l^eit. 

S)ie ßogoSibee ]§at fid^ in ber gried^ifd^en 5p]^ilo|ot)^ie enttt)idEeIt 
Siefc 3bec Beburfte, um in baS menfd^Iid^e SSenjufetjein einjutreten, 
einer Siid^tung, bie bon STnfang an baS SBcItprincij) gu il^rer 3luf= 
gäbe gemad^t l^at. Sie gried&ifd&e 5p]^iIofoj)]öie l^at bon il^rem Ur= 
ft)runge an baS 2BeItt)rinctp burd)badE)t, fie l^at biefen ©ebanfen in 
i^rer öorfofratifd^en 3ßit entmidfelt unb auSgebtIbet jur ®r!Iörung bcr 
Singe, in il^rer claffifc^en 5Periobe gur 6r!Iarung ber ßrfenntni^ ber 
Singe, in il^ren erflen na(^ariftoteIifd6en 9iid&tungen gur aSertoirf- 
lid&ung beS menfd&Iid6en 3fbealS, in il^rem legten 3ßitatter, um barauS 
bie ©rlöfung beS $!Jlenfd&en t)on ber SQSelt gu begreifen. SBotten wir 
baS S3BeIt|)rinci^) mit bem SBorte Sogos begeid^nen, ba bod^ unter bem 
ßogoS ein SQ3eIt^)rincit) gebadet ttJcrben mu§, obtool^I biefe SSegeid^nung 
feineStoegS bie ftetige toax, fo fönnen toir fagen, ba§ bie gried^ifd&e 
5p]^iIofoj)]&ie fafi burd&gangig mit biefem Zijtma befd&aftigt toar, mit 
biefer ^rage: toaS ift ber ßogoS? 3f(^ toiH in ber 9teil^e ber 
ßöfungcn, bte toir Jennen gelernt l^aben, brei §aui)tformen ]§ert)or= 
lieben, in benen toir bem gried&ifd&en ßogoSbegriff am beutlid^ftcn be= 
gegnen. SaS SBeItt)rincip mufe gebadet werben ats bie SQSeltorbnung, 
bic bem ewigen SQBeltproceffe gleid&Iommt, aber biefe SBeltorbnung 
fann nid^t gebad&t werben oline einen ewigen SBeltgwedE, ber in bem 
SBeIt)}roccffe fid6 abbilbet unb erfd^eint als baS wanbellofe ©ein in bem 
unaufl^örlidben SBerben; aber biefer ewige SBeltgWedE fann nid&t gebadet 
Werben, ol^ne in il^m gugteid& bie bilbenbe SBeltfraft ober bie bilben= 
ben aSemiögen t)orguftetten, wcld&e bie SBelt geftatten unb gleid^fam ber 

3* 



86 ^et CEntlpidCIungSgattg 

©amen fittb, au§ bem fid& btc 333elt enttDidCelt. 2Bir cxlenncn in bcr crftcn 
5orm btc l^crallttifd^e ©rllarung be§ SQ3eIti)ttnctJ)§, in ber jroeitcn 
bie t>Iatontj'd^c, in bcr brittcn, nad^ bcm SSorgongc bcr ariftotcIi= 
fd^cn ^pi^ilof oJ)]öte , btc ftotfd^c. 3n bcr crftcn ®r!Iärung crfd^etnt 
bcr ßogoS als SBcItorbnung ober SQBcItj)rocc§, als SRatur ober ßoSntoS; 
in bcr gtücitcn ate bic urbitbltdöc ober ibcatc SBclt, als bie 2BcIt bcr 
Sfbccn, als bic Sfbcc bcs. ©utcn; in bcr brittcn als bic ^fiHc bcr 
btibcnbcn SBcItfröftc, bic Xöyoi (wrepixatixot. Unb in bcr l^craKitifd^» 
fioifdößti Spornt begegnen tt)ir aud^ ^^wt SBortc ßogoS. 

3. S)te ßogoSibcc unb bic 5IJleffia8ibee. 

3l6cr ben cigcntlii^cn ^ölittclpnnft ber gricd&ifd^cn ßogoSibcc 
btibet bic j)latonifd6c SSorftclIungStDcife. 3u il^r bröngt bic ]^cra= 
flitifd^c l^in, auf fic tt)eift bic ftoifd^c gurüdf. Senn man fann ben 

• 

2BeIt})rocefe nitftt borftettcn ol^nc SBeltibec, unb cBcnfotöcnig bie Bilben= 
ben SQScItöcrmögcit. ®ic ))Iatonif(5c 3[^rftcttung bcr urbilblid^cn SBcIt 
begreift bas mcufd^Iidöc Urbilb in fid^ als ben intelligibicn ©runb 
unfereS ©ajcinS unb ha§ 3iel unfereS SBerbenS. SBir !önncn biefem 
Urbilbc gegenüber unfer irbifdftcS Safein, unfere @införj)erung in bic 
finntid^c SQSelt nur t)crfte]&en als einen ^all bcr ©cete, ben bie S3e= 
gierbc t)crjdöulbct, unb unfere ^Mh^x ju jenem Urbilb ift nur .mög= 
lidö burdö eine ßäuterung, tücld&c baS S8ege]^rüdE)e in uns ganj über= 
tDinbet. 3fft aber btefcS baS 3iel beS aJlenfd&cn, foÜtc cS nid^t aud& 
bas3iel berSBelt fein: biejc griöfung beS 3Jlcnfd^cn öon bcr SBcIt? 
C>icr erfd^cint bic ))tatonij'd^c 5pi^iIoj'ot)]^ie in iljrcr religiöfen 33c= 
beutung, unb bon l^icr aus motiöirt unb erleudbtct fic bic religiöfe 
©emütl^stjcrfaffung unb Senimeifc, tDctdic bic gried^ifd^e 5p]^iIofo|)]öic 
in il^rcn legten 3fo^^5unberten burd^bringt. 3fe^t erfd^cint bcr ßogoS 
als baS crtöfcnbe 2Bettt)rincip , als bcr göttlid&c ©cbanlc ber SQ5elt= 
crlöfung, in weld^em baS ©cl^ctmmfe, b. 1^. ber innerftc Sto^d bcr 
©d^ö})fung cntl^alten ift, als baS ctgcntlidfee ©d&öpfungSmotit), als baS 
fd^öi)feri[döc SBort ©ottcS. ®aS SBort ift erfüllt in bemicnigen $men= 
fd^cn, tüeld&er bie SQSclt übcrtoinbct ober in fid& baS reine Urbilb beS 
2Jicnfd&en toicbcrl^crftcllt. 

yinn begegnen fid^ baS gricd^ifd^e unb jübifd^c ®rlöfungSj)roblem 
unb geigen in fo bielen t)crtoanbten SöorftcHungcn il^rc religiöfe ©c« 
mcinfd&aft. SfencS rul^t in bcm ©cbanfen beS ßogoS, biefeS in ber 
aSorftcllung beS SJlcffiaS: bcr ßogoS ift ein attgemein gefaxtes SQ5clt= 



bcr gricd^ifd^cn ^]^tIofo<)6ic. 37 

pxindp urtb fud^t bic ^Perfoniftcirung, ber 5Dlcffia§ ift ein t)etfönli(j& 
gefaxtes SSoßgibeal urtb fu(i)t bic aSexallgcmcinerung. SBcibc 3it(^= 
tungen tooHen fid^ ergangen unb butd^bringen, biefe ©rgängung toitb 
gcfud&t t)on iübifd&et ©eite l^er. S)en 5PlQtoni8mu3 in baS 3fuben* 
tl^um cinfül^ren, l^ei^t bie ßogoSibee in bie $ölcffia8t)orfteIIung eins 
bilben. Siefe Slufgabe, fd^on öorgebitbet in bem jiibifd&=ale5anbxini= 
fdöcn »ud&e ber SBeiS^eit, löft 5pf)ito, ber ben ßogoS=aJleniaS 
jum $!JlitietJ)un!t feiner 5pi^iIofop]^ie; gum $ötittler unb grtöfer ber 
SBcIt ntad&t. 

S)Qg 6rlöfung§|)robIem forbert eine J)erfönlid^e ßßfung. ®§ ift 
gelöfi, tt)enn ein $ölettfd& erfd&eint, ber bie SBelt in fid& toirftid^ über= 
toinbet, ber in beS SQäorteS tieffter SSebeutung toal&rl^aft toeltfrei ift, 
in loelc^em bie äJtenfd^l^eit il^r Urbilb toiebcrerfennt, an ben fie beS= 
l^alb ate an ben SBetterlöfer glaubt. ®ie§ ift bie eingig möglid^e 
gorm, in ber pd^ bie ßöfung beS religiofen SBeIti)robIem§ bollgiel^t 
S)ic 5Perfon fott erfd^einen, bie fic^ t)on ber SBelt unb burd& ben 
©tauben an fid^ bie SBelt felbft erlöft: eine 5Perfon, t)on ber man 
fagen barf, bafe in il^r bie ßrlöfung ftattgefunben, bie 3bee erfd^ienen, 
ber ßogoS {Jleifd^, ©ott SJlenfd^ geworben fei. 3iur in bem ©lauben 
on eine fold^e 5Perfon fann fid& ba§ menfdölid^e ®rlöfung§bebürfni§ 
befriebtgen. 

Unter bem ©epd^tSDunfte ber ßogoSibee, tüie fie fid& in bem Se= 
toufetfein ber griecöif(^en 5|}]^ilofo))]^ie l^erangebilbet l^at, ift biefer 
aJlenfdö nid^t gu finben, benn biefe 3fbee l^at gar !eine 3lu8fidöt auf 
ein beftimmteS 3nbit)ibuum, auf einen tt)ir!Iid)en 5Dlenfd6en, fie giebt 
bem ©tauben, ben fie erfüllt, gar leine ^lid^tung, bie auf eine ^JJerfDU 
]&intt)iefe. 35om ßogoS gum Sölenfd^cn ift eine unüberfteiglid&e ßtuft, 
bie nid&t auSgefüÜt toirb, tomn man aud6 nod^ fo öiete ©ötterorb= 
nungen einfd&iebt. S)ie ßogoSibee möd^te fid^ perfonificiren , aber ba^ 
natürtidöe SOIenfd&enteben miH nirgenbs auf fte J)affen unb in fie ein= 
gelten; ber ®rtöfung8gebanfe fte^t im SBiberfprud^ mit ber menfd^= 
lid&en SRdtur, er bteibt jenfeits ber SBirKid^teit etmaS 3lttgemeine3 unb 
UntebenbigeS, unb fo bleibt unter biefer SSorftettung ba8 6rtöfung8= 
bebflrfnife ol^ne 3lu8ftd&t unb ol^ne Hoffnung. 

dagegen ift baS jübtfd^e ©rlöfungSbebftrfnife erfüllt t)on einer 
beflimmten 2tu8fid&t unb Hoffnung; il^m ift ein SBoßSibeat gegeben 
in ber 5Perfon beS 3Jleffia§, e§ l^arrt biefem ^eitanbe entgegen, ber 
lommen toirb, ein ©rretter be§ aSottS, eines SSotlS, tDetd&eS ©ott er= 



38 2)a8 ^l^rtflentl^um unb 

roSijlt unb oufbetool^rt l^at gur aBcIt]^crrfd6Qft; biefcr toeltbel^crrfd^enbc 
SOlcffiaS, ben bie ?ProJ)]&eten in ber 3ulunft 3f8tacl8 t)orauSflcfd&Qut 
]§Qbcn, tft bcr ©cgenftanb ber ]^ö(iöften ©laubenSl&offnungcn bc§ jübi= 
fd^cn 35oß8. SQSenn nun ein SJlcj'fiag erfd^eint, bcr ein ®rlöfer toirb, 
nid&t wie tl^n ber jübifd&e ©lauBe erwartet, fonbern toie il^n bie 
ßogo^ibee bejwetft, ein ®rlöfer t)on ber SQSett, fo finb bie Sebingungen 
erfüllt, unter benen ha^ religiöfe ^dtpxoUtm feine tt)eltgefd^id&tlid6e 
ßöfung finbet. Ser 2luSgang8})unft liegt in ber Sölitte beä iübifdften 
SBoIIS. S)a§ ^öleffiaStbeat giebt bie t)erfönlid&e Slid&tung, toeld&e ber 
SogoSibee fel^It. Sarum mufe ha^ ©rlöfungsbcbürfnife biefe SRid^tung 
ergreifen, um burd) ben 3Keffia3gtQu6en l^inburd^ Idn 3iri ju erreid^en, 
in tt)eld&em als gefd^id^tlid^e ©rfd^einung ber fleifd&getoorbene ßogoS, ber 
menfd^getDorbene ©ott geglaubt wirb. @§ giebt für ben ©tauben 3U= 
nöd&ft feinen SQ5eg t)om ßogoS junt Sölenfc^en, aber eS giebt einen 
SBeg öom Sölenfd&en gum SKeffiaS unb bon bie fem SÄeffiaS, ber ein 
ßrlöfer ift nid^t im jttbifd^=tDeItIid6en ©inne, gum ßogoS. S)iefen Sffieg 
nimmt bie gefd^id^tüdöe ®nttt)idHung, e§ ift ein Umweg, aber ber 
!ürgefte. Weil er gum Si^U fül^rt, unb, wie ßeffing in ber ©rgiel^ung 
be§ $ölenfd6engefd&ted&t8 gefagt I)at: „®g ift nid^t wal)r, ba^ bie gerabe 
ßinie immer ber !ttrgefte 2Beg ift". 



SDritteg 6at)itel. 

IDa0 Cl(rt|}entl(um un^ )te (^rt|}U(^e Hixxift, 

I. ®aS Urd^riftentl^um. 

5Die 5Perfon 3efu erfüat ba^ erlöfunggbebürfnife ber aJienfd^l&eit, 
ba^ fie am tiefjien, am reinften unb, wag ftets ba^ ©iegreidöe unb 
3)urd&fdötagenbe ift, am einfadöften empfinbet. 3fn i^m öergeiftigt unb 
tjerllört fid& ba^ jübifd^e SöleffiaSibeal, Weit eg toon bornJ^erein mit 
einem neuen ©eifte burd^bringt, ber nid^t auf bie ©rl^Bl^ung eines 
95ot!g, auf bie §errfd&aft ber SQSett auSgel^t, fonbern auf bie Um= 
wanbtung unb SBiebergeburt beS innern 5Dlenfd&cn. 3fn i^m 'töft fid6 
ba§ tieffte unb fd&wierigfte alter SQSettprobteme : bie ®rtöfung beS 
aJtenfd&cn ödu ber SBett. ©r fetbft ift bie i)erföntid6e ßöfung biefeS 
^Problems unb barum bitbet er ben entfd^eibenben SQ3enbet)unft in ber 
©ntwidtlung ber ^ÜJenfi^l^eit, wie einft ©ofrateg in ber gntwidCtung 
beS gried^ifd[)en SewufetfeinS ein fotd^er SBenbepunft war. Siefe 25er= 
gleid&ung geigt gugteid^ ben Unterfd&ieb beiber. 



bie d^xiftUd^e Stxxä^t. 39 

^ier Beginnt eine geiftige Erneuerung ber aJlenf(i^I|eit bon ©runb 
QUS. 3uerfi mufete bie 5ßerfon erfd^einen, toeldfee bie gbtttid^e 3bee 
beö SPienfd&en t)er!örj)ert , bog menfd)lidöe Urbilb in fid& l^erfteEt unb 
offenbart; bann ntufete bie a)lenf(i)]^eit biefeS Urbilb als baS il^rige 
crfennen, unb an bie ^jJerfon 3efu als ben SQSelt^cilanb glauben. 
S)iefer ©laube an Sefum ©Ijriflunt bilbet bie ©runbloge unb ba§ 
(Slenient beS ©^riftentljuntS , er entl^ält bie 9lufgabe, bie bon je^t an 
bie SPienfd&l^eit burd&bringt unb au§ ber bie neuen 5ßrob(eme in einer 
fortfd^reitenben ßntmidflungSreil^e l^eröorgel^en. 3Bir Verfolgen l^ier 
btefe ^Probleme in iljrer i)]^iIofo^3]öif<ä&ßn 2Bir!f anifeit , fomeit fie eine 
neue bem ©l^riftuSglauben entfpred^enbe aBettanfdöauung förbern unb 
auS})rögen. ®o8 5Princi<) ift burii^auS religiös, gerid^tet nur auf baS 
nienfd&Iid&e ^eil, auf bie SBelterlöfung, auf ba^ aSerl^ältnife beS 50len= 
fd^en ju ©Ott: bal^er ift bie il&m gemöfee aBeltanfdöauung burd^auS t]^eo= 
logifdö. S)ie tlieologifd^e ®en!art bilbet ben ©runbgug ber dörifttid^en 
^I|iIofo})]^ie, worunter tt)ir baSjenige 25orfteffungSfljftem t)erfte]^en, baS 
fid& auf ben ©l^riiiuSglauben ats fein 5ßrinci<) grünbet. 

Salier !ann bie d&riftüd^e 5ß]^iIofopl^ie in ber fljftematifdöen 3luS= 
bilbung il^rer SSorftettungen erft auftreten, nad&bem ber ©^riftuSgtaube 
nad6 innen unb außen bie ©ettung eines rcligiöfen S3ßetti)rincipS er= 
rungen l^at. 3n fetner Urform erfd^eint er nidfet als Öclirbegriff, 
fonbern als SBerlünbigung einer SEl^atfad^e, nid&t bogmatifdö, fonbern 
eöangelifdö; feine innere ©nttoidttung l^at eine Steifte jeitgefd&id^tlidöer 
SBorftettungSformen gu burd^Iaufen unb ©egenfä^e gu überminben, bie 
aus ben erften d&riftlid&en SieligionSurfunben erforfd&t unb er!annt 
fein toollen. 

2Iffmä]^ttd& erl^ebt fid& ber ©ftriftuSglaube gu immer ^öfteren ©e= 
fid&tS})unlten, unter benen bie 5ßerfon Sfefu religiös angefd^aut toirb. 
Sluf ber erften ©tufe beS eöangelifd&en ©laubenS gilt biefe $erfon 
als ber SDleffiaS beS auSertoaftlten S5ol!S; auf ber gleiten unb ^öfteren 
gilt biefer SKeffiaS als ber aBeltfteilanb, ber gelommen ift, nid^t 
bie 3ubcn gu öerljerrlidfeen, fonbern bie aJlenfd&fteit gu erlöfen ; auf ber 
britten unb l^ödfepcn toirb in biefem SBelterlöfer baS erlöfenbe SQ3elt= 
t)rincip erblidEt, ber etoige (SftriftuS, ber Derförperte ÖogoS, ber menfd&= 
geworbene ©ott unb in biefem ßid^te bie ^jJerfon unb baS ßeben 3tefu 
bargeflettt. 

®S ifl bie befonbere 9lufgabe ber einbringenben SBibelforfd^ung, 
biefe 6nttt)idflungen in ben neuteftamentlid^en Urlunben gu Verfolgen 



40 2)ad 6)]§Ti{lent]§um uitb 

unb barjutljun: iene ©cgcnfä^c, Uebetganggformen unb SDltfd&ungen 

iubatftifd^er unb l^eüeniftifd^cr SSorfteüungcn , jene großen üamp^e, bic 

bQ§ Ur(i^riftentl&um tief unb Ieibenf(ftaftlt(j& bemegt l^abcn unb not]&= 

tücnbig toarcn, um ben neuen ©tauben bon feiner erften äeitgef(i&idöt= 

lid&m @(ä&ron!e ju befreien unb in bie Sal^n einer meltgefdöid^tlid&en 

©nttoidflung ju fül^ren. ®§ mufete entfdöieben toerben jtoifd^en bem 

iübifd^en 3Dleffia§glauben unb bem ©lauben an ben SBeltl^eilanb, 

gmifiä^en ©ecte unb SBeltreligion; bem ^3articulariftif(ä&en unb unit)er= 

feilen Sl^riftentl^um, iubend^riftlid&er unb l^eibeniä^rifttidöer, })etrinif(j&er 

unb ^)auUnifd&er ©laubenSrid^tung. S)er ,ßam^3f unb bie 9lu§glet(i^ung 

biefer a^3oftoltfd^en ©egenfä^e ift ba§ SE^ema unb bie Slufgabe b,e§ 

Ur(i^riftent]^um§, ba§ in feiner t)autinif(i)en fjorm bie j[übifd&e 

@d&ran!e burd&brid6t unb gleid^fam bie 3iabelfd6nur löft, bie bag erftc 

ß^riftentl^um nvä) an ben mütterUdöen 6(i6oo§ beS Subentl^umS 

binbet. @rft in ber attmäl^lid&en 9luflßfung unb 9leutraUfirung jener 

Urgegenfä^e erreiiä^t ber (i^riftlid^e ©taube bie uniuerfette ©eltung, 

toetdier bie Slufgabe unb ßraft einer toettgefctjid&ttidöen ®nttt)i(IIung 

intool^nt. 

n. Sie ßird&e. 

S)ie Söfung biefer 3tufgabe ift bie ßird&e, ein in feften formen 
gu organifirenbeS ©taubenSreid^ , ba§ fid^ mitten in bem SSerfatt ber 
atten 2ßett aufbaut unb bie ^unbamente einer neuen legt. Um aber 
in eine fold^e lird^Iidöe Drbnung eingugel^en unb eine in bauernben 
fjormen öerfafete ©emeinfdiaft ju bitben, mufe ber ß^riftuSgtaube 
feine ai)ofal5^3tifd6en SBorftellungcn ablegen öon ber naiven S33ieber!unft 
be§ SJleffiaS auf bm Sffiotlen be§ ^immetg, t)on bem beborftel^enben 
6nbe biefer Sffielt, t)on ber ©rünbung be§ taufenbjä^rigen IReiiä^S, benn 
unter biefen SSorftettungen bebarf er leiner auf bie S)auer bered&neten 
lird^tiiä^en ®inrici^tung. Sfn bemfelben SKafee, ats biefer ©taube feine 
mcffianifd^en formen übertoinbet unb Dergeiftigt, erl^ebt fid^ bie 3bee 
feiner uniuerfetten ©eltung unb bamit bie S^orberung einer neuen au§ 
biefer 3bee erjeugten ßebenSgemeinfdöaft unb ßebenSorbnung ber 
$!Jlenfd&]^eit, in bemfetben SJiafee erfd^eint bie ßird&e at§ eine notl^= 
toenbige Slufgabe be§ ©l^riftentl^umS. ©ie ift ftatt be§ taufenbiäl^tigen 
9^eid&§, tt)etd&e§ bie meffianifd^en Hoffnungen bon bem tr)iebererfd6ienenen 
©l^riftug ertoarten, ba^ auf ®rben gegrünbete 9leidö bes unftd^tbaren 
(Sl^riftuS: ein 9leid&; toetd^eS jtoar nid&t t)on biefer SBett, tooljt aber 
in biefer SBett ift unb fein toiH. 



©icfeS didä) forbert bie ©inl^eit ber ©löubtgeti; bon bicfcr ®inl|cit 
tottt bie neue ÖebenSorbnung öoKIommen burd^brungen unb bcl^crrjii^t 
feilt. 5Run fann bie ©inl^eit ber Sl^riftuggläubigen fein anbetet fein, 
als ©l^tiftuS felbft. Sugleid^ fotbett biefe ®in]^eit ju il^tet ©eltung auf 
6tben eine fid&tbate fjotm, S)ie ©emeinbe bet ©laubigen to'iü pd^ t)et= 
Bunben toiffen in einem Ditlijaupk , weld&eS il^t ©l^tiftum tet)täfentitt 
unb gleid^fam feine ©teile in il^tet Sölitte Detttitt. S)ie Slufgabe bet 
®Iauben§einl^eit, toeld&e eins ift mit bet 3lufgaße bet ßitd^e, fann nut 
gelöft »etben butd& bie 3bee be§ ftettbetttetenben 9lmte§, b. 1^. butd^ bie 
3bee be§ @t)iffoi)atg. S)ie Söifd^öfe etfd^einen aU bie ©teüöetttetet 
(Sl^tipi auf @tben, fie lönnen biefe ©teÜDetttetet nut fein aU bie ^aä^- 
folget ©l^tifti, nidöt oIS bie unmittelbaten, biefe finb bie Slpoftel, fonbetn 
als bie mittelbaten, b. )§. aU bie Sftad^folget bet 3lpDfteI. @o ted&ts 
fettigt fidö bie ©eltung be§ ©piffopats au§ bet 3bee bet aDoftolifd^en 
©ucceffion. 

2lbet bet SBifd&öfe finb öiele; bie Sfbee bet ®inl|eit, meldte eins 
ip mit bet ^bzt bet üixä^t, fotbett, ba^ fie jufammengel^alten finb 
in einet l^öd&ften ©inl^eit. 6§ mufe einen obetften Söifd^of geben. 5luS 
bet 3bee bet aj)oftoIif(j&en ©ucceffion folgt, ba§ biefet obetfte SSifd^of 
gelten muß als bet SRad^foIget beS obetften 3lt)ofteIS, b. 1^. als bet 
9iac^foIget 5ßetti. SRun entfaltet fid6 bie ßitC^e auf bem ©d&aut)Ia§ 
beS tomifd&en SQSeltteid&S, unb l^iet finbet fie bie politifd^en Dtbnungen 
als bie gegebenen unb äufeetn SBebingungen t)ot, untet benen fie auf= 
ttitt. Sie t)oIitif(j&en a)littelt)unlte biefet Seit etfd^einen t)on felbft 
als bie gefd&id&tlidö gebotenen Sinl^eitSpunlte bet litd&Iid^en Otbnung: 
fo »etben bie ^auptftöbte bet ^Ptoöinjen bie natütlic^en ©i^e bet 
Sifd&öfe, bie SBeÜl^auptftöbte bie bet 5Dhtto^30Üten unb 5ßattiatd&en, 
bie $aut)tftabt bet SBelt bet ©i§ beS obetften Söifd^ofS. SluS poIiti= 
fd&en ©tfinben folgt, ba^ bie litd&Iid&e ©inl^eit obet bet bifdööflid^e 
^Primat in 9tom fei; aus fitd^Iid&en ©tünben folgt, ba^ biefet 5Ptimat 
bei bem 5Rad&foIget obet ©teÜöetttetet ^jJetti fein foll: ballet folgt 
aus beiben SDlotiöen, bie l^iet notlö^Jenbig jufammenmitlen, bafe bet 
tömifd&e fflifd&of als SRad&foIget 5ßetti gilt unb bet 2Ii)ofteI 5ßettuS 
als bet ©tünbet bet d&tiftlid&en ©emeinbe in 9lom. Unb fo entftel&t 
im aSetlauf bet fitd&Iid&en ®nttt)idflung bie 3bee beS ^Papfttl^umS, bie 
fid& in bet abenblönbifd^en ßitd&e oetwitüid&t. ®ine pAft lel^tteidfee, 
bie ©timmung unb ©nttoidflung bet iubend&tifttid&en S)enlatt etleud&= 
tenbe Untetfud&ung l^at gejeigt, tt)ie bie aSotfteÜung t)on 5ßetti 2luf= 



42 S)ag ^l^tiflentl^um unb 

entljaft unb SBir!famfcit in 9fiom iucrft auS ^3aulu8fcinblt(i^en Senbcngen 
ftd& gcbtibet, bann btc t^rföl^nte gorm bcr i)ctto=pauIintfd&en ßcgcnbc 
angenommen unb fid& gu ber feften SEtabttton geftaltet l^at, auf beren 
©runb bie römifd^en Sifd&öfe ben ürd^Iiiä&en ^Primat forbern. 

SBenn man ein SBeifpiet l^aben toitt für eine gefd&icfitUd&e @nt= 
toidCIung, bie lebiglid^ auS einer 3bee entft)ringt unb t)on biefer fort= 
betDegt unb bel^errfd&t toirb, fo giebt eS unter ben ßeBenSorbnungen 
unb S8iIbung§formen ber SPienfd^l^eit faum ein größeres, aU bie d&rift= 
Hd^e ßirdöe, bie au§ ber Sfbee ber ©laubenSeinl^eit l^eröorgel^t unb il^rc 
S^ormen geftaltet unb auSbel^nt gu einer toeltbel^errfdöenben SPiad^t. 
3(]^re ©runbform ift pd6ft einfad^. @ie ift fo t)erfa6t, ba§ fid& bie 
©laubigen mit ßl^riftuS in einem lebenbigen unb gefd^idötlid^en 3u- 
fammenl^ang toiffen, ba§ bie 5ßerfon ßl^rifti burd& bie ununterbrod^enc 
9fieil^e ber SPiittelglieber öerbunben erfd^eint mit ber d&riftlidöen ©e= 
meinbe; biefer ür^tic^e 3ufammen]^ang ift vermittelt burd& bie Sifd&öfe, 
beren 3nfammenl|ang mit ©l^riftuS felbft vermittelt ift burd& bie 
3li)oftet unb bie a^3oftolifd&en SSater: bal^er gilt bie gefd&id^ttid&c 9lea= 
litöt ber 5Perfon Sefu al§ ein lird^lid^eS Sljiom Von unerfd&ütterlid&er 
Sebeutung. 

3n lurger Seit toirb biefe ßirc^e eine lebensvolle unjerftörbare 
3Jlad&t. Sunel^nienb erftarft fie tro§ ber Verfolgungen be§ römifd&en 
©taats unb burd& biefetben; mitten in bem l^eibuifd&en 2Beltreid&, ba§ 
au§ ben Saugen toeid&t unb bie innere ßraft be§ 3ufammen]^aUe§ ent= 
beirrt, ift bie d^riftlid&e ßird^e nad& toenigen Sfal^rl^unberten bie einjige 
innerlidö lebenbige unb fefigefd&loffene ©inl^eit. ®ie ©taatSein^eit 
liegt im ©öfariSmuS, bie ©laubenSeinl^eit in ber <Sird6e, bie jenem 
gegenüberftel^t fd&on al§ eine imi)ofante, felbft in il^rer öu^ern ©r^ 
fd^einung unüberwinblic^e Sölad&t. 3n einer 9fiid&tung finb SöfariS« 
mu§ unb ßird&e cinanber Vertoanbt: in bem ©treben nad& 6entra = 
lifation. S)iefe SSertoanbtfd&aft begrünbet eine Slnjiel^ung, toeld&e 
bie ßird&e auf ba§ ßentrum ber ©taatSmad^t ausübt. SBenn fid& bie 
beiben ajldd^te gegenfeitig ergreifen unb einen SBunb fd&liefeen, fo ftörlt 
iebe il^re ^errfd^aft. ®iefe Sage ber Singe, bie il^m fel^r wol^l in 
retigiöfem ßid^t erfdfeeinen !onnte, begreift ©onftantin ber ©ro§e: e§ 
ift weniger bas ßreug in ben SBolfen, at§ ba^ in ber SBelt getoefen, 
vor bem er fid6 gebeugt l^at ; ber ©öfariSmuS belennt fid^ jum ßl^riftens 
tl^um unb erl^ebt eS baburd^ jur 2Beltmad&t. 2öa§ ©onftantin im 
Slnfange beS Vierten Sal^rl&unbertS begrünbet unb Julian fünfjig 



Solare noc^ bcn crftcn SEoIerangebtctcn t)eT9eHid& rüdfgöngtg gu tnadfeen 
gefud^t l^Qt, befeftigt am 6nbe bicfe§ 3citaltcr§, nod& Dor SEl^eilung bcS 
SBcttreid&8, SEI^eobofiuS ber ©rofee. 

Sic erjie innere Slufgabe ber neuen SieUgion beftanb in ber Ent- 
faltung unb UeBertt)inbung ber Qi)oftoItfd&en ©egenfä^e, in ber Sc= 
grünbung beS latl^olifd&en ©l^riftentl^umS. ®ie Slufgabe nad& Qufeen 
toax ber ©ieg über baS l^eibnifcle SBeltreicl; er tuurbe erreid^t, nad&= 
bem boS g^rijientl^um im ßaufe ber brei erfien Sa^rl^unberte otte 
2lrten ber })oUtifd&en SBerfotgung t)on SRero bi§ ©iodetian bejianben 
unb äße Singriffe ber 5|}]^iIofoi)]^ie Don (SelfuS bi§ ^or^jl^^riuS unb 
Sultan erfal^ren l&atte. 

in. ®ie ßird&enlefire. 

1. S)ic ^roBIeme. 

S)ie ©laubenSeinl^eit forbert bie DoÜfonimene Ucbereinftimmung 
in ben ©laubenSborpettungen, biefe SBorftettungen muffen burd^ bie 
Äird&e erfennbar unb allgemein gültig, b. ^. fl)mbolifd& gemad&t 
toerben; nur bie ßird&e lann biefe 2lufgabe löfen, benn nur fie l^at 
fraft il^rer SBerfaffung in ben SStfd^öfen unb ©ijnoben bie Organe, 
tteld&e ben ©lauben beftimmen unb feftfe^en lönnen. S)er ®]öriftuS= 
glaube muß allen toilllürlid&en SSorfiellungen, ollcn toiberftreitenben 
®efid6tS^)unften entrüdEt unb in eine gorm gebrad^t toerben, in ber er 
feflfiel^t. @ine fold&e O^orm bebarf bie ßird&e, benn bie ©laubenSein= 
l&eit forbert aud& bie ©inl^eit im ©laubensbetou^tfein, erft baburdö toirb 
bie Äird&e innerlidö grunbfeft. S)ie 50länner, toeld&e ba^ lird^Udöe 
Qfunbament gehalten, biefe fflilbner ber ©laubenSlel^re, l^eifeen mit 
Slcd&t bie SBöter ber ßird&e, patres ecclesiae; fie Dertoanbeln ben 
©lauben in ©taubenSfä^e ober ®ogmen, fie begrünben bie ßird&en= 
leiere unb bamit bie innere ©laubenSeinl^eit ber ßird^e, fie löfen bie 
©runbaufgaben ber Sl^eologie, bie innerl^alb biefe§ 9lbfd^nittc8 il^rer 
6nttt)idflung bie ))atriftifdöe genannt toirb. 

S)ie ßöfung gefd^ieljt unter einem regulativen ®efid6t8<)unlt. S)ag 
Äriterium ber fir^lid&en ©laubenSeinljeit ift beftimmt burd& bie ßel^re 
©l^rifii unb ber 9lpofiel. SBal^r ift, tt)a§ biefe geleiert Ijaben, tt)a§ als 
il&re ße^re fortge^)flanjt unb überliefert worben ift in ftetiger ©ucceffion 
burd& bie 3lad&folger ber 2li)oftel, mit benen bie ßirdtje fid& unb nur 
fid& allein im gefd&id&tlid& lebenbigen Sufammenl^ange glaubt. SQSal^r 
ift bemnadö, toaS mit ber at)oftolifd&en SErabition übereinftimmt* 



44 ^qS 6^l^xiftentl§um unb 

SBtc bie Qt)oftoIif(36c ©ucccffion bie ©taubenScinl&ctt ber ßird^e btlbet, fo 
bilbet bie Qt)oftotifc^e SErabition bie Sftorm unb bag 9fiegiiIotiD für bie 
®Iau6cn§Ie]^re ber <ßird&e. 

9luS betn ®efid&t§))un!te unb ber ©runbibee be§ ©l^riftentl^umS 
löfet fid& bie Stid^ifd^nur erlennen, toeldöe bie Raffung unb Ööfung ber 
j)Qtriftifd6en 9lufgabe leitet. SQ3a§ geglaubt toerben fott, ift 6l6riftuS 
Qt§ ber ©rlöfer ber ajlenfd^l^eit. 6r fott geglaubt toerben aU bie 
5ßerfon, in toeld&er bie SE^atfaiä^e ber SQSelterlöfung öottbrad^t ift. ®er 
©laube an biefe SEl^atfaiä^e bilbet bie fefte SSorauSfe^ung, auf toeldöer 
bie (ßird&e berul^t, biefe SLtiatfad&e bilbet bie fid&ere ©laubenSrid&tfd&nur, 
toeld^e bie ©laubenSöorfteffungen regulirt unb orbnet. S33ag biefer 
Slid&tfd&nur jutoiberläuft, ift falfd&; tDaS mit il^r übereinftimntt, ift 
xiä^txQ : fo unterfd&eiben fid^ in ben d^riftlid&en ©laubenSbegriffen Drtl^o» 
bojie unb ^eterobDjie. Unb bie 3lufgabe ber ßird&e ift, bafe fic nad& 
biefer 9flid&tfd^nur bie red^tglöubige ßel^re auSbilbet unb feftfteüt. 

3n jener ©laubenStJ^atfad^e felbft liegt bie ©runbfragc ber d&rifl« 
lid^en Sl^eologie. 3n ber 5ßerfon ©l&rifti ift bie SEl^atjad^e ber SBelt» 
erlöjung öDÜbrad^t: alfo muß ßl^riftuS geglaubt toerben al§ berSBelt= 
erlöfer, al§ ba§ toelterlöfenbe $rinci<); toeld&eS etoig ift, tt)ie ber gott« 
lidfte SQßeltjroedC, toie ha^ göttlid^e ©dfjöpfungSmotit), alfo etoig, tt)ie ©ott 
felbft. ®iefe§ »elterlöfenbe 5Princij) fott geglaubt toerben als bie 
5Perfon 3efu, als biefe beftimmte gefd^id&tlic^e 5ßerfon. SSeibe ®lauben8= 
ntomente tDotten mit gleid^er S3ered6tigung gelten unb forbern, ba^ bie 
^ird&enlel^re fic bereinige. SRel^men mir an, eine getoiffe a3orpeffung8= 
toetfe toütte in ©l^riftus ba§ erlöfenbe 2Belt^3rincij) bergeftalt anerlennen 
unb l^eröorl^eben, ba^ baburd^ bie gefd^id&tlid^ meufd^lid^e ^erfon 3efu 
aufgel^oben unb untt)ir!lid6 gemad^t toirb, fo l^ort bie SCI^atfad&e ber 
©rlöfung auf eine gefd^idfjtlid^e unb toirflid^e SEI^atfad^e ju fein: biefe 
SJorftettung^toeife ift bal^er falfd&. Cber eine anbere SSorfteüungS- 
toeife motte in ber 5ßerfon be§ ©rlöferS ben enblidöen unb 
creatürlidöen (Sl&arafter bergeftalt l^erborl^eben, ba^ feine göttlid^e Statur 
baburd^ l^erabgefe^t unb ungültig gemad^t mirb, fo erfd^eint bie %^aU 
fad^e ber ©rlöfung unmöglich, biefe SSorftettungStoeife ftel&t bal^er ehtn= 
fattg im SQßiberfi)rud&e mit bem, toaS geglaubt werben fott. ©o toirb 
bie (ßiri^enlel^re im ©treit mit entgegengefe^ten ©lauben§anfid&ten bie 
il^rige auSbilben muffen; fie ift öon gtoei ©eiten bebrol^t, bie felbft 
einanber toiberftreiten : t)on ber einen Seite toirb bie göttlid&e 6rfd6ei= 
nung ©l^rifti auf Soften feiner gefd^id^tlid^en unb meufd^lid^en fReatitöt 



jur ©citung gcBrod&t, bon her onbcrn umgefcl^tt fein creatürIt(ä&eS 
SQBcfcn auf Soften bc§ göttlid&en: bort ift bic gnoftifd&=boIcttfd&c, 
l^icr bic totionanftifd&=arianif(ä&e SBotftcttungStocifc ju htUmp^tn. 
©c^en voxx bic SLI^atfad^c ber Srtöfung in ßljtiftuS als baS 
urf})rüngli(ä& ©cgcbcne t)orQuS, fo tft bic Stufgabc ber i)attiftifdöcn 
StljeoIogiC; bic ©lauBcnSborftcttungcn bamit in ©inllang ju bringen, 
jtc jenem ©laubcnS^3rinci<) conform gu ntad&cn, fie bergcftalt gu 6c- 
fiimmen, ba§ fie jene Urtl^atfaiä&c ni(ä&t auf lieben. ®ic 2Jlcnfd^]^ett 
fott bur(^ e^tiftuS crlöft, b. ^. mit ©ott t)erfö^nt fein. ®icfc 3;^at- 

m 

fa^c erfd&cint mitl^in als ein 5ßrobuct aus brci S^actoren: ©ott, 
©l^riftuS, 3Jlcnfd^I|cit. 3n fRüdfid&t auf alle brei g^actoren finb eine 
Jöienge 25orftcttungcn benlbar, bie fid6 nur mit ber SCl^atfaiä^e ber 
6rlöfung ntd&t vertragen: alle biefe Sorfteüungcn finb im ©innc ber 
Äird&e falfd& unb muffen eS fein ; in 9lüdffid&t auf alle brei SBebingungen 
finb atfo nur getoiffe SBorftettungen riiä^tig. @bcn barum l&anbclt cS 
fid6 in ber Stufgabc ber ßird&cnlcl^re, biefe rid&tigen SSorfiettungcn ju 
befiimmen. S33irb ©ott niiä&t fo gebad&t, ba§ t)on il^m ein crlöfenbeS 
SBeltprinctl) auSgel^t, toeld^eS in ber ^jJerfon 3efu crf(i^eint unb bic 
©emeinfcfiaft ber ©laubigen erfüllt, fo ift bic SEI^atfad&c ber Srlöfung 
nid&tig. SBirb bic 5Perfon ßl^rifti ni(|t fo gebadet, ba§ in il^r bic 
6rlöfung ftattfinbet, fo ift biefe SEl^atfad&c fo gut als nid^t gefd^el^en. 
SBirb bic menfiä^Iidöc 9latur nid^t fo gebadet, ba§ fie einer fold^en 
(Sriöfung bebürftig unb bafür empfönglid^ ift, fo ift bic SEI^atfac&c ber 
(Sriöfung gmcdfloS unb leer. 

©0 finb es im ^inblidf auf iene Urtl|atfad&c beS ©laubenS brei 
^Probleme, tocldöc bic ßird&cnlcl^re Betoegen: toie muß baS SBefen ©otteS, 
©l^rifli, beS 3Jlenfd^en gebadet toerbcn, bamit in allen brei 5ßunlten 
unferc aSorflcttungen ber SEl^atfadfee ber Sriöfung conform finb? Sic 
erftc ffrage ifl baS tl^cologtfd&c Problem, bic gtoeite baS d&rifto= 
logtfd&c, bie britte baS ant]&roi)ologifd&c. S)ie fird&lid&e ßöfung ber 
erften ffrage cntfd6eibet Sltl^anafiuS, ber SBifd^of t)on SilcEanbrien, im 
©treit mit bem 5ßrcsBljtcr Sirius ; er oerl^ölt fid& nad& SSaurS treffen* 
bem 3luSf^3rud& jum S)ogma, toie ©regor VIL jur ßird&e; bic ber 
gtoetten entfd&eibet ß^rittuS, ber ^ßatriard^ öon SllcEanbricn, im ©treit 
mit 3lefloriuS, bem ^ßatriard&cn öon Gonftantinoi)el, bic ber britten 
SluguflinuS, ber Sifd^of t)on $it)^)o, im ©treit mit bem 2Jlönd^ ^ßclagiuS. 

S)ic Ööfung ber erften Srage forbert bk Unterfd^eibung ber gött« 
lid&en ^ßerfonen unb bereu SBefcnSgleid&l^eit : bie fjeftftellung ber 



46 2)ag 6^^xiftent]^um unb 

göttlid^en Defonotnie, bcn Segriff bcr SErinttdt. ®ie ßöfung her 

jweitcn fj^ragc fotbett bie Untcrfd&ctbung unb SBcrcinigung bcr bciben 

SRaturen in ßl^riftuS: ben S3egriff ber ©ottmcnfd&l^cit. Sie ßöfung 

ber britten fjrage befielet in bcr ßcl^rc t)on bcr göttlid&cn © nabe unb bcr 

fünblj oft cn 9latur be§ Sölcnfd&cn, tt)oburd& bcr fflcgriff bcr ntcnfc^= 

lid^cn greil^cit bcftimmt toirb. ^ier t)oIIenbet fic^ baS lird^K^äÖ^ 

©laubcnSfljftcm im auSgemad^tcn unb burcfigöngigcn ©cgenfo^ ju ber 

l^eibnif(i^cn SBelt. ®ie)en ©egenfa^ ätoiid^cn (Stiripcntl^um unb §ctben= 

tl^um entfd6cibet Sluguftin, inbem er beibc als t)on ©runb aus ent« 

gegengefe^tc aBeltorbnungen auffaßt: baS ^eibentljum üI§ ba§ 9teid& 

biefer SBelt, «civitas terrena», ba^ ©l^riftcntl^um als baS fRcid^ ©ottcS, 

«civitas Dei>. 6r begrünbct bie fpecipfd^ d&riftlid&c unb fird^tid^c 

SBeltanfd&auung, erfüllt t)on bem crlcud^tctcn ©lauben an eine neue 

SQSelt mitten in ber löereinbred^cnbcn 3erftörung unb SBerwüftung bcr 

alten. 

2. 2)er ^ugufttnigmud. 

Sluguftin ift unter ben lird&lid^en ®en!ern ber bcbeutenbfte, unb 
wenn t)on ber fird^lid&en SBcbeutung bie t^eologifd&e abl^öngt, fo ift er 
unter aüen d&riftlid&en SEI^eologen ber größte, benn er ^at bie Äird^c 
über \\ä) felbft ins ßlare gebraii&t; er l^at crleudfitct, toaS fie ift, er 
l^at il^r baS ßic^t angcjünbet, in weld&em bie ,Rir(^e fid6 felbft cr!annt 
l^at, unb in biefem ©inn barf man t)on biefcm ilird^enöatcr mit 
9fied6t fagcn, ba^ er baS größte Äird^cnlid^t gemefen ift. 6r ^at ni(ä&t 
Bloß ben ©lauben ber ßird^e DDÜenbet, fonbern jugleid^ bcn ©lauben 
an bie fiirci^c begrünbct, inbem er aus bem ©laubenSi)rinci<) ber 
©rlöfung alle biejenigen Folgerungen jog, meldte bie menfd&lid&c 3latur 
betreffen. 

®te menfd&lid^e Sftatur foE fo gebad&t tocrbcn, baß fie in bie 
^eilstl^atfadfic ber Srlöfung eingeigt unb ^3aßt: fie muß bal^cr gelten 
als erlöfungsbebürftig ober als fünbl^aft; fie lann erlöft toerbcn 
nur burdö ß^riftuS, fie er|d&eint bal&cr als oon fid^ auS erlöfungSun= 
fällig ober als in il^rer ©ünbl^aftigfeit unfrei. 35ie ©ünbc ift bcmnad^ 
bie 50lad&t, meldte ben SBillen bel^errfd&t, fie ift eine SScfd^affenl^eit beS 
SBillenS, t)on tocld^er biefer nic^t loSfommen lann,. fie ift bie ?latur 
bcS mcnfd&lidöen SBillenS. Slbcr bie ©ünbe ift ©d&ulb, bie ©d^ulb 
fefet bie S^reil^cit oorauS, benn nur biefe lann fd^ulbig toerben; eine 
6ünbc, meldte bie S^rcil^cit auSfc^licßt, l)ebt fid^ felbft auf. ©o er* 
fd^eint bie ©ünbc als eine SEl^at ber ^reil^eit unb jugleidö als bereu 



bic (J^tiftUd^e ßtrö^e. 47 

SBerluft: bct 9Kenfd& i)at urfj)rüngli(ä& bic S^retl&eit geliebt nid^t ju fün= 
btgen, er ^at gcfänbigt, baburd^ l^at er jene S^reil^eit Derloren unb jtöar 
öon fid& aus für immer, ©eitbem lann er tiid^ts als fünbigen. 3n 
ber erfien ©ünbe ift ba^ 3Jlenf(i^engefdöIedöt gefallen, in Slbam 
l^aben aüe gefünbigt. ®ie ©ünbe iji in il&rem Urft)runge frei, in 
tl^ren Solgen Äne^tfd&aft, fortoirfenbe SSerberbni^ ber menfd^üd&en 
SRatur, @rbfü nbe: bieS ift ber ©runbbegriff SlugufünS, ben er juerft 
in biefer Sebeutung geltenb gemad^t, ins boHe Setou^tfein erl^oben, in 
ben "3Kitteli)unlt beac ©rlöfungSlel^re gefteüt ^at 

3tt btm Suftonb ber ©rbfünbe fann ber ajlenfd& bie ©rtöfung nid^t 
erwerben, er fann fid^ biefelbe toeber geben, nod& aud& t)on fid& aus t)er= 
bienen, fte fann il|m nur gu SEI^eil werben wiber fein SSerbienft, b. i). 
burdö ®nabe; biefe ®nabe ift öon Seiten beS 2Jlenfd&en bur^ nid^tS 
begrünbet, fie ift bal^er unbebingt, fie l^anbelt grunbtoS unb ift ein 2lct 
göttüd&er SBiüfür. ®er ajlenfd^ wirb ol^ne fein Sutl^un t)on ©ott begnabigt, 
b. ^. jur ©rlöfung ermäl^tt: bie ®rlöfung gilt bal&er als ©naben= 
roa^l, als eine SBaljI, böEig unabl^öngig t)on ben menf c^Iid^en §anb= 
lungen unb SBcrfen, »ornad^ fie fid& ju rid^ten l^ätte; fie gel^t bem 
ajlcnfdöen öoraus unb mu§ bemnad^ gebad&t werben als göttUd&e a5or= 
l^erbeftimmung ober 5ßräbeftination. SQSäl^ten l^eifet t)oräieI)en: bie 
einen finb t)on ®ott erwäl^U jur ©eügfeit, bie anbern jur SBerbammni^. 
3iun fann nad& göttlid^em 9lat]^fdölu§, offenbart in ber SEI^atfac^e ber 
®riöfung, ber ajtenfd^ ber göttUd^en ©nabe nur t^eill^aftig werben 
burdö ©l^riftuS, unb bie ©emeinfd^aft mit ©l^riftuS ift nur möglid^ 
burd^ bie ^ird^e: bal^er ift biefe baS Sleid^ ber ©nabenmittel, bie gött= 
lid&e ©nabenanftalt auf ©rben, weld^e bie menfd^Uc^e ©rlöfung bebingt 
unb vermittelt. ®S giebt fein §eil aufeer in ber ©rlöfung, alfo fein 
^eil aufeer ber Äird^e: bieS ift ber SSegriff ber affeinfeligmai^enben 
flird^e. Nulla salus extra ecclesiam. 

Sie ©taubenstl^atfai^e ber ®rlöfung forbert, ba§ bie menfd^lid&c 
3latur unter ber ^errfd^aft ber ®rbfünbe gebadet werbe. 3u berfelben 
fjorberung fül^rt ber Segriff ©otteS unb ber Söegriff ber ßirdöe. ©ott 
mu§ gcbadöt werben als unbebingter, b. 1^. aümäd&tiger aBiÜe, er ift 
nid&t blofe 2Jladöt, fonbern äBille: biefer S3egriff t)erneint aÜe @ma= 
nation. 6r ift unbebingter SBiffe, ber burd^ nid&ts aufeer il^m be= 
fd^tÄnft wirb, außer bem eS alfo nid^tS giebt, baS il^n einfd&rdnfen 
fönnte: biefer SSegriff t)erneint allen 2)ualiSmuS. S)er religiöfe 5ßta= 
toniSmuS, bie 9leuJ)latonifer, bie d^riftlid^en ©noftifer bad&ten bualiftifd^ 



48 2)aS 6)l^riftent]^um unb 

unb ctnanQttfttfd^. S)ic aiigufttnifd&c SEIjcoIogie ift btcfcn 25orpcttuttg8« 
Qxten t)oüfDmtnen entgcgengefe^t. 

SP ©Ott aBitte, fo ift bic SBelt ein aSerf feinet SBiffenS, b. ^. fie 
ift ®zWo\^l unb bie göttliche SOSirffonifeit fc^ßpferifc^. 3fl ®ott un- 
bebingtet SBitte, fo fann bie 2Bett, ba fie ni(|t au§ bem göttlid&en 
SQBefen Ijeröorgel^t, nur burd& ben götttid^en S33itten gefd^affen fein quS 
?iid&t§, fie ift „per Deum de nihilo"; fo ift bie SQSelterl^altung, ba 
bie SQSelt in fid& nid^tig ift, eine fortgefe^te ©d&öpfung ©otteS, „creatio 
continua" ; fo ift atteg, toa§ in bet SQSelt gefd^iel^t * butdö ben göttUd^en 
SBitten beftimmt, öorl^erbeftimmt, fo finb aud6 bie aJlenfd^en ^)räbeftinirt, 
bie einen jur @elig!eit bie anbern gur aSetbommni^; fo fann bie 
ßrlöfung öon feiten beS aJlenfd&en burd^ nid^tS bebingt fein, b. 1^. bie 
2Jlenfd6en etfd^einen als t)on fid^ aus bottfomnten unföl^ig jur ©rlöfung, 
als bergeftalt in ber ^errfd^aft bet ©ünbe befangen, ba^ biefe il^re 
aOSiüenSbefd&affenl^eit auSmad^t, bie fid6 forterbt bon ©efd^led&t auf ©e= 
fdöled&t. $ier münbet bie auguftinifd^e SEl^eologie in ben SSegriff ber 
erbfilnbe. 

3toei §au^3tbegriffe beS auguflinifd&en ©IjftemS fd&einen int aBiber= 
ftreit mit einanber: ber SBegriff ©otteS forbert bie Unbebingtl^eit beS 
SBiüenS unb biefe ben SBegriff ber ^ßröbeftination, toeld&e bie menfd)= 
lidöe S^reil^eit aufl^ebt; aber ol^ne S^reil^eit giebt eS feine ©ünbe, ol^ne 
biefe feine ®rlöfung§bebürftigfeit, ol^ne biefe feine Srtöfung. SQSaS ber 
©otteSbegriff t)erneint, bejal&t ber ©rlöfungSfiegriff. Siefen SBiber^ 
fi)rud6 toitt 9luguftin fo löfen, bafe er bie ntenfc^üd^e greil^eit nid&t 
als fold&e Verneint, ©ott l^at fie bem SDleufd^en gegeben, aber biefer 
]^at fie burd^ bie ©ünbe t)erIoren unb feine Sftatur t)erfe]§rt: eben ba= 
burd& ift bie ^ünbe gur Srbfünbe getoorben. 

Ser a3egriff ber ßird&e forbert ben ber ©rbfünbe. 2)ie ©infid&t 
in biefen 3ufammen]^ang ift für baS auguftinifd&e ©Ijftem burd^auS 
erleud^tenb. ©ilt bie ßird&e als baS Sleidö, innerl^alb beffen attein 
toir ber ©emeinfd^aft mit ßl&riftuS unb baburd^ ber göttitd&en ©nabe 
tl^eil{)aftig fein fönnen, fo befi^t fie bie 9Jiad&t ber ©ünbenöergebung ; 
nur burd^ fie unb in il)r fönnen bie ©ünben t)ergeben toerben; biefeS 
§eU toiberföl^rt bem ajlenfd^en, inbem bie ßird^e il^n aufnimmt in 
il^ren ©d^oo^ burd^ baS ©nabenmittel ber Saufe. 3lun ift bie ßird&c 
als baS 9leid6 ber göttlid&en ©nabe, toie biefe felbft, unbebingt unb 
unabpngig t)on bem 3utl^un beS 5!Jlenfd&en; fie gel^t ben ©ingeinen 
t)orauS, fie erfd&eint, toie bei bzn 9ttten ber ©taat, als baS ©ange, 



bie d^xifllid^e ^ird^e. 49 

toeld&cS frül^cr ift ot§ bie SEl&eilc: fic empfängt ballet ben äJienfd^en 
im Segitin feines irbifd&en ©afeinS, bei feinem Eintritt in bie SBelt; 
fie mu§ fd^on bie Äinber fid^ einverleiben, inbem fie biefelben tauft. 
S)urd6 bie SLaufc toetben bie Äinber ber @ünbent)er9ebun9 tl^eill^aftig, 
alfo muffen fie Qud^ ber ©ünbenöergebung Bebürftig, b. 1^. fünbl^aft 
fein, tt)a§ nur möglid^ ifl in S^otge ber SrBfünbe. @S ift fel&r be= 
geid&nenb, ba§ über bie SBerbammnife ber ungetauften Äinber ber 
©treit auSbrid^t gtt)ifd&en ^ßelogiuS unb Sluguftin. 2Benn e§ oufeer 
ber Äird&c lein ^eil giebt unb bie @eKg!eit nur burd^ fie erreid^t 
toerben fann, fo ift ber aufeerürd^Iid^e 3uftonb l^eittos, fo ift bieffeits 
ber S^aufe boS Serberben, fo l^errfd&t im Sfleid^e ber 9lotur bie ©ünbe, 
bie gur S5erbammni§ fül^rt. Dl^ne Srbfünbe leine ©ünbl^oftigfeit ber 
Äinber, feine 9lotI|tt)enbigIeit in biefem S^att ber ©ünbcnbergebung, 
feine SRotl^toenbigfeit ber ßinbertaufe, feine ©eltung ber ßird^e t)or bzn 
©ngelnen, feine unbebingte ©eltung berfelben, b. ^. feine ßird^e qI§ 
Jfteidö ber ©nabe. @o ftettt fid^ bie ßel^re t)on ber ©rbfünbe in ben 
3KitteI^)unft ber ßirdöenlel^re. S)er ©loube on bie ßird&e forbert ben 
©louben an bie natürlid&e Serberbnife beS 2Jlenfd&en unb umgefel^rt. 
SBaS ba§ etoige ^eil beS 2Jlenfd&en betrifft, fo gefd^iel^t nid^ts burd& 
ben natürlid&en 3Wenfd&en unb alles nur burd& bie ßird&e. ®a8 ift 
ber SJlittelpunft ber auguftinifd&en ßel^re, bie mit rüdffid^tslofer Energie 
unb ©d&ärfe alle Folgerungen bottjiel^t, toeld^e baS öorauSgefe^te 
@Iauben8))rincii) gebietet, felbft in il^ren unöermeiblid&en SBiberfprüd&en. 
Stuf biefeS ©Ijfiem grfinbet fid^ bie ßird^e be§ 50littelalter§ ; bon 
5ter aus em})fängt fte baS SBetoufetfein il^rer unbebingten ^errfd^aft, 
3lber im Serlauf ber fird^Iid^en ®nttt)idflung muffen Folgerungen ]^er= 
öortreten, unter benen fid^ ba^ ^ßrinci^) ber auguftinifd^en ßel^re t)er= 
bunfelt. S)er ©taube an bie Äird^e ift ber unbebingte ©el^orfam, 
toctc^er tl^ut, toaS bie Äird&e forbert; ber©e]^orfam fann fid^ nur auf 
eine eingigc SBeife betoäl^ren: burdö ba§ folgfame SE^un, burd& baS 
äußere Sffierf, in biefem Satt burd& bie fird^tid^e ßeiflung. S)aS SBerf, 
Don innen betrad&tet, fann gefinnungSloS fein; bon aufeen gefd^ä^t, 
fann eS baS 3Jla§ ber geforberten ßeiftung toeit überfd^reiten, ein ben 
3tt)edEen ber ßird&e tjBd^ft gutrögtid^eS, barum ein öerbienftöotteS unb 
l^eitigeS SBerf fein. @S liegt in ber Jiatur ber SQSerfe, ba^ fie t)on 
aufeen gefd^ft^t toerben. 3e^t bietet fic^ bie 2Jlögtid&feit bar, fird^Iid^c 
SJerbienPe ju ertoerben, fid^ burd& fird&Iid^e SBerfe ju red^tfertigen. 
©etten aber einmat SBerfe als 2JlitteI gur 9fied^tfertigung, fo ift bas 

gf i f d^ e r , ©cfd^. b. Wlof. I. 4. «uft. «R. %, 4 



50 2)ad 6:]^xifient]^um unb 

mcnfd&tit^e Sutl^un ni(i^t mcl^r auggcfiä^Ioffcn t)on bcn Scbingungen 
jur Stißfung, fo mu§ in bcmfctben Sölafec, als bicfcS Sutl^un t)er= 
bienftlid^ ift, aud^ bcr ntcnf(fjüd6cn Steilheit ©eltung etngcrdumt werben. 
Unb fo gel^t aus bem ©tauben an bie ßird^e, ben Slugufttn Begrünbet, 
eine menfd^Ud^e SQSerfl^eiligleit l^eröor, bie, im aBiberf^jrud^ mit Sluguftin, 
fid& ftü^en muß auf bie t)elagianifd6e ^rcil^eitslel^re. Slad^bem bie SBer- 
äufeerung ber 9fieügion in lird^üd^en SBerlen il^re öu&etfte ©renge er= 
reid&t l^at, erl^ebt fid& öon neuem ber auguftinifd&e ©runbgebanle öon 
ber fünbl^aften Jölenfd^ennatur unb ber göttli(i^cn ©nabe als reforma«* 
torifd^e 50la(ä&t; er burd^brid^t innerl^alb beS abenblanbifd^en ®l^riften= 
tl^umS bie Slutoritöt beS römifd^ fatl^oüfd^en ©^ftems in ßutl^er, 3tt)ingU 
unb 6alt)in ; er be!ömt)ft innerl^alb ber latl^olif d&en SBelt baS jef uitifd&c 
Softem burdö ben SanfeniSmuS. 

IV. Sie SSergötterung ber ^ird^e. ®er 9lrcot)agtt. 

©ilt bie ^ird&e atS Sleid^ ber göttlid&en ©nabe, als ©eföfe unb 
SQSirlungSireiS beS l^eiligen ©eifteS, fo erfd^eint fie felbft als ein ©lieb 
in ber ®inrid^tung bcr göttlid&en ^ölac^t, als eine etoige Orbnung, bie 
in il^ren l^ierard&ifd&en formen bie Stufenleiter bilbet, bie öom ^immel 
jur @rbe l^erabfül^rt. 3n biefer SBorfteHung öerbunfelt fid^ ber ge= 
fd^idötlid^e Urfprung unb ®nttt)idElungSgang ber ßirc^e, fie erfd&eint als 
t)om ^immel l^erabgeftiegen, fid&tbar geworben in ber irbifd&en §ierard&ie, 
bie t)on ber jübifd^en gur d&riftlid^en, t)on ber gefe^lid^en jur lird&lid&en, 
Don ben ®ialonen unb ^ßreSBijtern ju htn Sifd^öfen emporfteigt unb 
fidö jenfeits ber SBelt in ber l^immlifd^en ^icrard^ie, in ben Drbnungen 
ber %gel fortfe^t, bereu oBerfte Stufen ben Z^von ©otteS umgeben. 

®ie ©tufenorbnung ber J)latonifc^en Sbeen Ijatte fid& in ben legten 
@5ftemen ber gricd^ifd&en 5ß]^itofoi)]^ie, in bem religiöfen 5piatoniSmuS 
umgetoanbelt in bie ©tufenorbnung ber l^eibnifd^en ©ötter. ®iefe 
SSorftettung, t)on ber neut)latonifd6en ©d^ule gu Sitten, insBefonbere Don 
bem ©Ijfteme beS 5Pro!loS auSgebilbet, war bie le^te beS erfd6ö^)ften 
^eibentl^umS. 3(e^t l^at bie d^riftlid^c ßird&e bie ©eltung einer gött= 
lid^en 3lutorität errungen, fie ift aud& ein @tufenreid6, baS Dermittelnbe 
jwif d^en ©ott unb ber SDlenfd^l^eit ; il^rer l^ierardjifd^en SSerfaffung ent= 
fprid^t ber Z\)pn^ unb bie fjorm jener neuplatonifd&en S5orftettungS= 
weife. ©0 erllört fid&, ba§ Beibe einen SBunb eingel^en, ba§ jener 
S^^JUS d&riftianifirt unb in il^m bie Äird^e Vergöttert wirb. 



bie (S^ttftUd^e Stix^t, 51 

®tefc Slrt bcr SBerfdömeläung neut)lQtonifd6cr g^ormcn mit bcm 
©laubcn an bie Äird^e, bicfe 3lrt bcr aScrgöttctung bcr ßird^c bilbct 
ben ßl^arofter unb bo§ Sl^cma j[encr 6d&riften, »eld^c im fcififtcn 
d&rifüid&en Sal^rljunbcrt unter bcm Jrtamcn bcS „Sion^jiuS 3lreo<)a9ita'' 
Bcfonnt toerbcn, bcr unter ben erften ©Triften toar, tDcId^c 5ßaulu§ in 
Stillen bcfel^rt unb ben bie ©age gum erften 5Bif(i^of t)on Sltl^en, bie 
frönfifd&e ßegenbe unter bem Flamen @t. ®eni8 jum ©rünber ber 
©emcinbe öon ^axx8 flcmod&t l^at. ®ic 3lnf(5ouung ber „arcot)agitifd&en 
Stl^eologic", bie in ber ßiriJöe ba3 ^immetreid^ auf ®rben crblidCt unb 
feiert, ]§at ftd6 ber ®taubenSt)^antafic unb SDi^ftil bc§ 3JlittcIatter3 tief 
einge^)rägt: e§ toar bie ©nofiS, toeld&e ber «ßird&e entft)rad6. 



Sierteg ©apitel. 

91er €ntmMms$smQ i»er rntttelalterlic^eu |)trU0f0)itrte. 

I. ®ie 2lufgabe. 

S)a§ g^riftentl^um ift ßirt^e, ber ©l^riftuSglaube S)ogma geworben, 
au§gebilbet in einer Sieil^c liriä^Iid^cr ßcl^rbegriffe unb ©laubcnSfö^e. 
3e§t iji bie fefte SJorauSfe^ung, toorauf fid^ bie toeitere ©nttoidHung 
ber d&riftlid&en 3becn grünbet, bie ®rlö)ung§t]^atfa(i^e, bargeftcKt in ber 
fjorm ber aus ber Strbeit ber ,ßirci&cnt)äter unb ber großen ©oncile 
beS öierten unb fünften Sfal^rl^unbertS l^eröorgegangencn ©^mbolc unb 
@Iauben§Ie]§rfö§e. ®ie ®rlöfung§t]^atfa(|e »oEte t)crlünbct, gläubig 
empfangen, öon ieber befd&rän!ten ©citung befreit toerben; bie ©Iauben3= 
fä^e bagegen »ollen geleiert, betoiefen, t)erfnüt)ft unb georbnet fein. 
SBie bie ßird^e ein l^ierard^ifd^eS ©Aftern öon buriä&gängiger ©inl^eit 
bilbet, fo mufe il^re ßel^re ein ©laubenSfljftem toerben, in ööüiger Ueber= 
einfKmmung mit bem (Seift ber ßird&e unb t)on biefem bcl^errfd&t. S)ie 
©^fiematifirung be§ ®Iauben§ forbert einen Inbegriff unb t)erftan= 
bigen 3ufammenl^ang ber ©ä^e buriä^ SBcgrünbung unb fjolgerung, 
b. ]^. eine bemonftratiue SSerfaffung, woburi^ ber S)ogmenglaube lel^r^ 
unb lernbar gemacht totrb. S)iefe Wulgerecfttc Sinrid^tung ber df)rift= 
Kd&en ©laubenSlel^re giebt bie fd&olaftifd&e St Ideologie. 2ln bie ©teile 
ber Äir(j&ent)äter treten bie «Rird^entel^rer im engeren ©inne be§ 2Bort§, 
an bie ber «Patres ecclesiae» bie «Doctores ecclesiae», bie ben bog= 
matifdöen ©laubenSinl^alt aU ßel^rftoff em))fangen. ®ie Sl^eologie 
toirb gefd&utt, fte toirb jur fird^lid&en ©d^ulpl^ilofo^jl^ie, jur ©d^olaftil 



4* 




Ser ffinllDiJIunaSgnng bet 

unb 6itbet in biefer ©efialt bie ^^itofoptiie jenes firiijlid&en SBtftaÜerS, 
boä man bie miltleren Seiten bcc aßcttgefi^tcöte ju nennen pflegt. 

©er ßljaraltet unb bie ^tufgoSe bec ©il)iilafttf ift baburdi ben 
ftimmt, ©ie ffc^t im Sicnft bet flitcöcn^errfi^aft, im ftrengeii Su*; 
fammenljang mit bem ^ierarcijifcöen @l)fleni, iljre Slrtcit ift eine 
TOefentlic^ formale, fie £)at au§ gegebenem SOla tertal mii tiotge= 
f(6Eiebenem ^lon unb feftet 9liii)tjc£)nur ein Cel)rgebdube ju errieten, 
welrfieS in ba§ lirdilii^e SBeUgefiäube DoOfornmen \>a^t; fie ifl atä 
logie ein biencnbeS ©lieb bet l?tt(fte, fie ift otä 5ß^iIöfop^ie „bie ' 
ber S^eotogie". 

Stbet roie gebnnben immet'fjin tn bet Sc^ofaffiE bie (Stellung bet 
5pf|tlofoi)^ie ift untet bet ^'f^tfc^aft bet flirdbe unb ä^eotugte, fo ent= 
^ött biefe ®e6nnbenl)cit jugleic^ ein nciteS unb eigent^ümlic^eS aiet= 
^ötinife, tnetd^cä in bet ©c^oloftit bie ^^irofofl^ie mit bem (Stauben 
einge'^t. Sie fiiicfientefite beftimmt, ttiaS geglaubt tnttb; bie S^olaftitj 
foH exifärcn, roatum ba§ ©egiaubte mobr ift. Sa@ ©ogmo fagt; 
«Deus homo», bie SiftolaftiE fragt: «Cur Deus homo?» 3)te (Stüubeng' 
le^te loiH bem natürtic^en Serftanbe einteurfitenb gemacbt »erben, baS 
menf^licEie SrEennen toill mit bem ©lou&en übeteinpimmen : biefe 
Uebeteinflimmung ift bie (iu9gefptoi()Ene Stufgabe, g(eit&fam bas 5pro= 
gramm bet ©[^olaftil. ®arin imtcrfcöeibet ficö bie leitete ton bei 
tfieotogifc^en ©nfraiiftung, bie ifit BorauSge^t, nnb uon ber p^ilo' 
folj'^if($en Sntmidliing, bie iftt folgt. 

Sie fixc&!iti)e ©loubenste^tc mu§te fii$ im ©egenfa^ jut ©noftä, 
bie fie Dot ficb '^atte, im @egenfa§ überhaupt jut ^Pbilofopbie, bie Dom 
^eibent^um ^ertam unb i^t al3 bie HJluttcr aÜet ^ötetif^en Sßorffeßungen. 
erf^ien, auSbilbcn. ®ie ^f)ilofop^ie unb mit iljr alle notürlicbe 3}er= 
nunftetEenntnife galten alä ba§ glaubeniSfcinbfi^e ^rincip, beffen 5lu3« 
fügen SertuHian at§ bas fititerium beS Unglaubens, als baS oöHige 
©egent^eit ber flötttic^en ®lüuben§roQ£)tVit onfat) unb mit feinem «credo, 
quia absurdum» ju 58oben fcblug. ^n bet nocbfcfiolaftifi^en Seit mac^t 
fii^ bie 5ß^ilDfopl)ie unabhängig Dom ©tauben unb nimmt iEjten eigenen 
SBeg, felbjl im SBiberftirutf) mit ber ©laubcnStiifttung. Sot unb na^ 
ber Si^otaftil finb ©taube unb 5(J^ilofopbie getrennt; in i^t, fo lange 
fie in BöQiger firaft fie&t, finb fie üctbunben. ©o lange biefea fflanb 
l^ült, bauert bie Slüt^e bet ©tifjotoftit unb lebt fie in i'^rem loa^ren 
©lement; fobalb fic& biefe§ JBanb ouflbft, gerate fie in Setfalt. 
ftc6 bet ©lüube won bet Sß^ilofopEiie loSteifet unb tl&t bcn Sienft 



1 
1 

I 



Kit ■ 
|1 tfin' ■ 



mlttclaltcxlid&cn $]§iIofot)]^ic. 53 

bißt, finb ou(ä& bie 3eid6cn ba, ba§ ber aScrfatt bcr ©d^oloftif beginnt. 

Unb biefet SBcrfatt tarn öon innen, er toax bie ©elbftQuflöfitng 

ber ©d^olaftü, benn fie ntu^te in il^rem eigenen ®nttoi(I(ungS= 

gange bagu fortfiä^reiten, bie Trennung äroifd^en ©tauben unb SBiffen 

3U forbern unb bamit il^r eigenes SBer! ju jerfc^en. 

S)er SettJeggrunb ber ©d^olaftil l^eifet: «credo, ut intelligam». 

3I|re ©runblagc ift bie lirc^Iid^e «fides», il^r Siß"^ bie «ratio fidei>. 

Sie ©^ftematifirung beg ©tau6en§ ift sugteid^ bie Stationalifirung 

beSfelben. ®ie ©d&olafti! ift rationaleSEI^eologie unter ber §err* 

fd^aft ber ^ird^e: barin befielet il^r ©l^arafter unb iljre Slufgabe. S)ie 

fiird&e bered^tigt mit ber ©d^olaftil bie 5ß^iIofopI|ie, fie giebt il^r ein 

Slrbeitsfelb, fte forbert bie StuSbilbung einer döriftlid^en 5ß]^ibfo})]^ie 

unb nimmt bie rationelle SEl^atigfeit in il^re eigene ©nttoidlung auf, 

freiüdö als einen bienenben, öoüfommen abl^öngigen f^adox, bem ber 

Äird^englaube öorfd^reibt, toaä er ju tl^un l^at. 2l6er bienen l^ei^t 

frei toerben. S)er ©el^orfam ift bie 3ud&t ber Befreiung. 3m ©ienfte 

bcr Sl^eologie ]§at fid& bie 5pi^Uofot)]^ie iljre SPiänbig!eit mül^fettg er» 

arbeitet unb bie @elbftänbig!eit errungen, toomit fie jule^t bon ber 

fflotmöfeigfeit ber ßird^e fid^ loSreifet unb il^re eigene ®nttt)idElung un« 

ternimmt. 

IL SDaS firt^Iic^e SBeltalter. 

SBir ]§aben in ber Seftimmung ber 2lufgabe unb SBirIfamfeit ber 
©d&olaftil ein lird&tid^eS SBeltatter t)orau§gefe^t, bag gefd^id&tltd^ be- 
grünbet fein mufete, beöor biefe lird^Iii^e ^ßl^iloföpliie il^r ßel^ramt an- 
trat; eS mußten fid& neue S33elt= unb aSöIferjufiänbe enttoidCelt l^aben, 
bie baS ©l^riftentl^um in ber g^orm beg Äird^englaubeng emi)ftngen, 
bereu ©rjiel^ung unb Suttur t)on ber ßird^e ausging. ®er Untergang 
ber alten SBelt, bie ©türme ber SSöIfertDanberung, bie 3erftörung beS 
toePrömifd&en 0leid&e8, toeld^eS t)on ben öorl&anbenen 50läd&ten bie ,ßird&e 
allein überlebt, bie SBilbung feubaler ©taatenorbnungen, bie (S^riftia= 
niftrung ber neuen SBöHer, bie fid^ in romantfd&e, germanijd&e, flaöifd&e 
unterfd&eiben, jule^t bie ©rünbung eineg neuen frän!ifd^=faroIingifd^en 
SBeltreid&S finb bie SBebingungen, bie baS lirdblid&e SQSeltalter anbal^nen 
unb bem Eintritt ber ©d&olafti! t)orauSgel|en. Sl^r ^ä^aupta^ ip 
bie abenblänbifd^e SBelt, bie romanif d^^germanifd^e : ©i)anien, granl= 
reid^, Italien, Britannien, ®eutfd&Ianb. 

S)aS geiftige ©entrum biefer neuen 2öelt ift 9^1 om, nid&t mel^r 
baS alte ber ©öfaren, fonbern baS ürd&Iid&e, in beffen SBeltl^errfd&aft 



54 S)et (inttt)tdtIttngSgang bet 

ba§ 3ßttaltcr befielet, toeld&cS toir ba§ ürd&Itd&e ßetiannt. ®te $ertf(%aft 
ber ßird^e xul^t i^^ il^^^^ Stnl^eit unb ©entraltfattoti ; baS ©etitrum beS 
SBcItrctd&g, barum qu(3& ber SQßeltfird&e, tft Stom. ®ic ©tetßerung bc3 
römifd^ßn SBifd^of^ jum $crrn ber ßird6e tft bte Sebtnßung, bte ben 
6§ara!ter beS ürd^üd^en 3ßitalter§ auSmad^t unb erfüllt. 3)tefer 
römifd^e ©ummet)tf!ot)Qt ift baS 5Pat)ftt]öutn, ba^ aUm&fßö^ im ßauf 
ber ^föl^rl^unberte Don ©tufe gu ©tufe ben ©it)fel erftcigt, too eS ßtrd&e 
nnb SBett gu feinen fjü^en fielet- 

S)ie erfte ©taffei tüar ber ürd^Ud^e 5|}riniQt, ben ber römifd&e Sifd&of 
als 9?Qd&f olger ^ßetri in Slnfprudö nalim, ben inSbefonbere ßeo I., 
ein SKenfdöenalter Dor bem Untergänge beS toeftrömifd^en Sleid^S, auf 
©runb ber ürd^üdöen SQßürbe unb Sebeutung ?ftom8 geltenb ju 
mad&en loufete. SBal^renb be§ jdl^en SQBcd^felS ber t)oütifd&en ©d^idEfale 
Stollens im ßaufe ber folgenben 3ßit — bie ©otl^enl^errfd^aft mufete 
ben ©ried^en unb biefe ben ßangobarben tt)eid6en — erfiarlt mel^^ unb 
mel^r bie äußere Unabl^dngigleit beS 3iQd&folger§ ^JJetri. S)er gtoeite 
gro^e fjortfd&ritt gefd&iel^t im ad&ten ^al^rl^unbert burd& jene SSerbin» 
bung mit ben franüfd^en $errfd&ern, bie fd&on ©regor 1. im ©inn 
l^atte, bie bem Sifd^of Don ?ftom ben erften ßönberbefife einträgt unb 
nad^ ber 3^xftörung be§ ßongobarbcnreid^S jenen bebeutung8= unb 
fd&idEfal3t)offen SKoment bid^t t)or bem SBeginn beS neunten ^afjx- 
l^unbertS l^erbeifül^rt, ber einen neuen SBeltauftanb bejeidönet: bie 
ÄaiferJrönung ßarts beS ©rofeen burd& ben erften SBifdöof be§ 9lbenb» 
lanbeS, bie lird^Iid^e Inauguration beS mittelalterlid&en ©öfarenreid&eS, 
bie Unterorbnung ber SQßelt unter gtoei pd^fte, für je|t einDerftanbene, 
einanber nebengeorbnete ©etoalten: bie S)opt)eIgett)aIt Don Äaifer unb 
^ap% ®3 toar ein S)uali8mu§ gegrünbet, ber im fjortgang ber S)inge 
jioifd&en jenen beiben ©etoalten ben Äamt)f um bie SQßeltl^errfd&aft l^er» 
Dorrufen mu§te. 

SSorl^erging bie britte ©teigerung, bie bem römifd&=!trd6lid6en 
^Primat unb beffen äuftdublid^er ©ettung burd& jene ©ammlung falfd&er, 
nadö 3fiboru§ genannter S)ecretaten ben ©d&ein einer gefe^Iid^en 
©runblage unterfd^ob. S)ie geworbenen 3uftdnbe foHten aU bie 
urft)rünglid&en gelten, ber römif^e SBifd&of aU ber Don jel^er anerlannte 
aSifd^of ber SQßeltürd&e, bem fd&on ©onftantin aud& bie ^errfd^aft 
über Sflom unb Sftalien eingeräumt I)abe. 3e^t erft Dottenbete fid& 
ba^ l^ierard^ifd&e ©^ftem, ber ürd&üd^e 5P^ramibenbau ; ber römifd&e 
aSifd&of galt nid^t bIo§ aU ber erfte, fonbern afö ber ob erfte 



mitteklternd^en $]^Uofot)]^ie* 55 

Stfd&pf ber d6rifiU(i&en SBelt, aU ^auj)! unb $err bcr Rixä^t. 3n 
bicfcr ©cntralgetDalt be^t bas eigcntlid&c 5Pat)ftt]öum. S)ic i)fcubo= 
ipborifdöeti ©ccrctalcn erfd^ieticn um bie aJlttte beS neunten 3a]^r= 
l^unbcrtS, l^erljorgeaangcn qu8 beut ©d&oofee beS frdnfifd^en @t)if!ot)at8 
unb im Sntereffe bejfelben entftanben, benn bie unmittelBare Unter« 
orbnung unter ben römifd&en ^errn Befreite bie SBifd&öfe be§ frdn= 
Kfd&en Sleid^S öon ben n^eltlid^en unb ürd&tid&en ajläiä&ten (9Jletro= 
))oliten), bie jte in ber Stalle beengten. Unabl^dngig Don ben gemad&ten 
©ccretalen, 6e]öttut)tet bie burd^ bie 3ßit getragene ©eltung feiner Iirdö= 
lid^en ©entralgetoalt mit öoHem Setüu^tfein unb Dotter Sl^otlraft 
SRiloIauS I. (858—867). 

3n bem üamp^ um bie SBeltl^errfd^aft unb in bem ©iege, ben eS 
baöon trägt, git)felt ba^ 5ßat)ftt]^um. $ier erreid^t ba§ lird^Ud^e S33elt= 
alter feine $ö]^e. SJlan !ann biefen ^öl^engang burd& brei ^JJunfte be= 
fiimmen: bie auffteigenbc SBeltl^errfd^aft, bie Kulmination unb ben 
SCnfang beS ©inlens. 3m Stuf gange ftel^t ©re gor VII. (1073-1085), 
auf ber Motten ^öl&e Sunocenj III. (1198—1216), fd^on in ber 3lei= 
gung abttftrt« »onifa^j VÜI. (1294—1303). ©S ift nid^t mel^r ge= 
nug, ba§ bie römifd&en Sifd^öfe bie 3iad^foIger ^JJetri fein fotten, fie 
toerben feine ©tettöertreter : in biefem Semufetfein l^anbelt ©regor VII. 
®a8 lird^Iid^e aJlad&tbetou^tfein fteigert fid^. @8 ift nid6t genug, ba§ fie 
5Petri ©tettöertreter finb, fie loerben bie SSicare ©l^rifti, bie @tatt= 
l^altcr ©otteS auf ®rben, bie unfel^Ibare 3lutorität in SJlenfd&engeftatt. 
S)ie Sifd&öfe felbfi gelten nur nod& aU il&re SSicare, ber ^ap^ ift nid^t 
6Io§ ber obcrfte, fonbern !raft feiner abfoluten aJlad^tt)ott!ommen]^eit 
ber alleinige Sifd&of. @o fielet bag 5Pat)ftt]^um feit Snnocenj in., 
gcftü^t auf eine neue Sammlung fird&lid&er Sefd&lüffe Don ber $anb 
©ratianS, baS fogenannte «Decretum Gratiani», toeld^eS im ßaufe be§ 
jiDölften Sal^rl^unbcrtS entfielet. S)iefe l^öd&fie 9Jlad6tfteigerung ift baS 
5Pa))alf^flem. 

3n biefen SBelt!ömt)fen um bie Uniljerfall^errfd^aft laffen fid& brei 
gro^c ^l^afen unterfd^eiben. 3n ber erften l^anbelt eg fid& um ben 5Prin= 
cit)ienlam))f jttifdöen ßird^e unb SBelt ober ©taat: eS ift ber ©treit 
gtoifdöen ©regor VII. unb ^einrid^ IV.; in ber jtoeiten um ben tt)elt= 
lid&en Sefi^, inSbefonbere um ben SBefi^ 3talien§: l^ier entjünben fid& 
bie öerl^ftngnifeöotten Äämt)fe jmifd^en ben 5pat)ften unb ben ^o]^en= 
ftaufcn; in ber legten erneuert fid^ ber ©treit jtoifd^en ßird&e unb 
©taat mit ber cigentl^ümtid&en SQßenbung , ba^ je^t ber t)olitif d^en aJlad^t 



56 2)er (intkDidCtungdgang ber 

fd&on bQ§ nationale aSctou^tfcin gur ©cite ftel&t nnb ber römifd^en 
©entralgetoalt bie Unabl^dngigfett beS nationalen ©taateS entgegen* 
fe^t: eg ift ber ©treit, toetd^en gegen Sontfaj Vni. ber Äönig unb 
bie ©tönbe granfreid^^ filieren. 

3uetft erfd^einen auf bem ßantt)fi)Iafe bie beiben gewaltigen, 
})^ramibenförniig georbneten ßör})erfd^aften beS 3JlitteIalter8 : bie l^ter^ 
ard&ifd&e ßird^e unb ber feubale ©taat, bie ©lieber ber erften ein= 
gefügt gugleidö in ben Sau unb baS ©etriebe beS gioeiten, ))rei§ge= 
geben ber aSertoeltlid&ung unb SBertoilberung. S)ie ßoäreifeung ber 
ßird^e t)on ben meltlid^en ajldd^ten, bie fie feffeln, bie Sluftöfung aller 
SBanbe, bie ben ßleruS in SBett unb ©taat öerftridEen, bie 6nttt)elt= 
lid&ung ber Äird&e, ol^ne 5ßrei§geBung il^rer SJlad^t, b. I^. bie ©rl^ebung 
berfelben über ben ©taat erlannte ©regor VII. als feine refornia= 
torifd^e Slufgabe. (£r t)er6ietet bie ^riefterel^e, ben ßauf geiftüdöer 
Slemter (©imonie), bie ßaienint)eftitur, baS SBafaUentl^um ber JBifd^ofe. 
®er Snt)eftiturftreit bauert fort unb enbet mit einem 6omt)romi6 ber 
^Parteien. 

3n bem ßam:pf mit ben ^o^enftaufen fiegen bie 5ßdt)fte, aber 
bie ajlittel il^reS ©iegeS tragen fd&on bie ßeime il&reS SSerberbenS in 
fid^. SRiemafe l^at bie SRemefiS in ber SQßeltgefd&id&te langfamer unb 
großartiger gewaltet. 3ur SSernid^tung beS beutfd&en ^aifergefd^led^teS 
^at bie :pät)ftlid^e 5ßolitif einen franjöfifd^en S^ron in Italien ge= 
grünbet: bie notf)tt)enbige ^olge war ba§ SQßad^gtl^um beS franjöfifd&en 
ßinfluffeg auf ben römifd^cn ©tul^l. 3n bem ©treit mit granlreid^ 
fd&eitert ber gewaltige SBonifaj VIII., biefer t)on bem Setoußtfein feiner 
ajlad&t unb Unfel^lbarfeit erfüHtefte aller ppfte föttt ate ein ©efangener 
in bie ^anb be§ Königs t)on S^ranfreid^, unb ber jtoeite feiner 9iad&= 
folger, ein franjöfifd^er 5ßat)ft, toanbert nad6 2lt)ignon (1305), jwei 
3a^rc nad^ bem S^obe SBonifaj' VIIL @o l^at ber Untergang ber 
^ol^enftaufen burd& bie franjöftfd^e ^jjolitif ber 5Pat)fte bie franjöfifd^e 
©efangenfd^aft berfelben jur fjolge gel^abt, jeneg fogenannte bab^lonifd&e 
(££il (1305—1377), tt)oburd& ba§ 5pat)ftt]^um in ben 2lbgrunb gefül^rt 
würbe, an beffen 9ianb fd&on SBonifaj VIII. ftanb. Senn bie un= 
mittelbare ^olge biefeS ©sils war ber Slnfang be§ großen ©d&iSmaS 
(1378), ber 3erfall ber ßird&eneinlöeit, ber bie reformatorifd^en ©oncile 
be§ fünfjel^nten Sfal^rl^unbertS l)ert)orrief, bie an ber eigenen Slufgabe 
fd&eiterten. S)enn bie ^Reformation ber ßird^e ließ fid^ nid&t mit ber 
iReftauration be§ 5ßaj)fttf)umS t)ereinigen. SQßaS blieb übrig, ate bie !ird&= 



inittclQltcrlt^en ?p]^iIofo»)]^ic. 57 

Kd^e Stcforntatton, — notl^tocnbtg unb burd^ ble ßefd^eiterten SBerfud^e 
bcr ßonctlc bcmtefetierma^en unmögUd^, tt)ic fic toax, — Don unten 
l^crauf ju beginnen? Unb l^ier erf^ten ßutl^er, als bte 3ßtt jum 
©urd&brud^ reif getüorben. 

©0 umfaßt baS lird^Iid^e SBeltalter, bet)or bie Steformation beS 
fed^Sjel^nten Sal^rl^unbertS ben unl^eilboren 3li§ modöt, bie 3eit t)on 
©regor VII. bis gu ben Slnfdngen ber beutfdö^n Steforntation. 3fn 
bicfe 3ctt gel^ört bie eigentlid^e, in il^rer SDenltl^dtigleit an bie ßird&e 
gebunbene ©d&ofaftil ; fie reid^t Dom @nbe be§ elften bis jum 6nbe beS 
fünfjel^nten Sal^r^unbertS. Sl^r SnttoidElungSgang entf:prQdö bem ber 
Äird^e. $ter laffen fidö jwei 3? Walter beutlid6 unterfd^eiben : baS ber päp^t- 
lid^en SBeltl^errfd^aft ober Ürd&üd^en ©entralifation unb baS ber Be« 
ginnenben Sluflöfung unb ® ecentralif ation ; jenes umfaßt boS jtoölfte 
unb breijel^nte, biefeS baS öierje^nte unb fünfjel^nte 3Sa]^r]^unbert. S)ie 
beiben erfien finb baS 3eitafter ber ßreujjüge (1095—1291), in benen 
baS 5Pat)fit]^um an ber ©pi^e ber 35öl!er erfd&eint, unb toeld^e (bid^t öor 
Sonifaj Vm.) mit bem SSerlufie aller il^rer Sroberungen enben. ®S 
fielet ju crtüarten, ba^ aud& in bem SnttoidtlungSgange ber ©d^olaftit 
ber Don ben SBeltguftönben ber ßird^e abl^dngt, ber Unterfd^ieb jener 
beiben 3citalter fid^ aus:prdgt; ba% in il^rer erften ^ßeriobe bie ©runb= 
rid^tung ber lird^Ud^en ®entraIifation, bie 3bee ber aUgetoaltigen, aUe 
ßinjelmöd^te binbenben UniDerfalfird^e Dorl^errfd^t, in ber gleiten bie 
©runbrid^tung ber lird&tid^en SJecentralifation, bie 3bee ber t)on SBelt 
unb ©taat unabl^dngigen unb getrennten ßird^e. ßird&e unb SBett 
öerl^alten jtd^, tüie ber ßird^englaube unb bie natürlid^e (meufd^Iidöe) 
ßrfenntni^. ®arum »irb baS Sanb gtoifd&en ©lauben unb SQßiffen 
in ber erjien ^ßeriobe feftl^alten, in ber gleiten ftd& auftöfen. S)ic 
©d^olaflil toanbelt fid& mit ben 3eiten. ®ben barin beftel^t il^re t)]^iIo= 
fo))]^ifd6e Sebeutung, ba§ fie innerl^alb il^reS ©ebiets baS 3ßitbett)u§t= 
fein formulirt unb auSf:prid&t. S)a§ in einem ürd^üdöen SQBeltalter 
baS 3ßitbemu6tfein fird^Iid^ geartet unb begrengt ift, erfc^eint als bie 
natürlidöe fjolge ber l^wrfd&enben SBeltguftdnbe. @S ift ungereimt, über 
bie öbe unb unfrud^tbare ©d^olafti! gu Hagen unb ben SQßalb gu 
fd^elten, toeil er lein Obftgarten ift. 

in. S)ie aSegrünbung ber ©d&olaftü. 

1. ^ol^anned @cotud ^rigena* 

S)ie ©d&otaflil l^at gtoei Slnfdnge gel^abt, burd^ mel^r als gtoei 
Sal^rl^unberte Don einanber getrennt: ben erften, ber ifolirt blieb, im 



58 2)er (inttoicüungsgang bet 

farolitigifdöen SBcItaltcr, in her 3ctt bcr :pfeubo=tfiborlfd^cn ©ecrctatctt 
utib 3ltfo(aug' I., ben ätoetteti, mit bcm il^r eigentlid&er @nttt)i(fIun8S= 
gang beginnt, in bcm Seitolter, njeld^cS t)on ©regor VIL l^erlommt* 

S)cr erftc SBegrünber, ein Srite, ben ßarl ber Sia^U an feinen 
$of nad& ^ßaris rief, toar ^ol^anneS ©cotuS ©rigena. ^l^m galt 
bie ßinl^ett unb Uniöerfalitdt be3 göttüd&en ©eins als ba§ toal^rl^aft 
SBitflid^e unb bie (Sr!enntni§ beffetten afö bic 6rleu(]&tung bes ©Iau= 
benS, ©Ott ift Slnfang, Sölitte unb @nbe atteS ©eienben, biefeS fctbft 
in feinen Slrtuntcrfd&ieben beftimmt burd^ ben Segriff beS ©d^affenS 
unb ©efd&affcnfeing* ®8 giebt ein SQßefen, njeld^eS affcS fd&afft, felbfi 
ungefd^affen : ber eiüige f(^öt)ferifd&e Urgrunb be§ StttS; eS giebt ein 
jtüeiteS, ba§, fclbft gefd&affen, fd^öt)ferifd& tüirft: bcr ßogoS; bie britte 
9?atur befielet in ben ©cfd^öpfen olinc eigene @(3^o})ferfraft; b. i. bie jeit= 
lid&e unb finnüd&c SBcIt; cnbUdö giebt cS einen legten 3nftanb, in 
bcm atteS ©d^affen unb ©efd&affene fein 3iri erreid&t: ba§ Snbc affer 
Singe in ber SQßieberbereinigung mit ©ott. 

®emgcmd§ tlieilt fid& bas ©cicnbe ober bie 3iatur il&rcm ganjen 
Umfange nad^ in folgenbe SBefcnSunterfd&icbe : ©ott, bie SBelt in ©ott 
(ßogoS), bic SQßelt aufeer ©ott, bie ^Rüdfel^r ber SOßcIt gu ©ott. SDieS 
ift ®rigena§ «divisio naturae». Solan crlcnnt fd^on in ber ^orm 
biefer begrifflid&en ®intl)eilung ben ))tatonifd&en S)en!er. 3n ber 2lrt, 
toic ®rigcna baS Urtoefen als unterfd^iebslofe ©inl^eit fa§t unb bie 
übrigen Slaturen als ©tufen beS einen Don ©ott ausftrömcnben, t)on 
il^m getrennten, ju il^m jurüdfel^rcnbcn ßcbenS nad& SQBcife ber t)an= 
tl^eiftifd^en (£manattonS(e]^rc unterfd&eibet, treten uns unt)er!ennbar bic 
3üge feiner ©eifteSDcrtoanbtfd^aft mit ber neut)Iatonifd&cn ©runban= 
fd^auung unb ber areo})agitifd&cn Sl^cologic entgegen. ®r loirb nid^t 
Uo% aus äußerer SBeranlaffung bcr Ueberfe^cr beS 2lrcot)agitcn.. 

3m ©^ftem bcS ®rigcna l^at baS göttlid^c ßeben in ber SBcIt 
nur einen Urfprung, ben 2luSgang bom SBater aller S)inge, unb bie 
SKcnfd&l^cit nur ein ®nbjiel, bic SBcrcintgung mit ©ott; l^ier giebt 
es bal^cr feine ätoeitc bcm ttrtoefcn glcid^c ©ottl^cit, feine göttüd^c 
S)oppcInatur, feinen bot)t)etten 9luSgang beS l^ciligcn ©eifteS, feine 
bot):pcIte ©nabentoal^I. SQßenn baS ®nbäicl bcr ajlcnfd^l^eit in il^rcr 
SJergeiftigung, 35erflörung unb SQßiebcrt)creinigung mit ©ott (aduna- 
tio) bcftel^t, fo fann if)re ©emeinfd^aft mit ©ott in bcr fid^tbaren 
ßird&c unb bic ©egentoart ©l^rifti im ©acramcnt nur eine bilblid&e 
unb f^mbolifd&e Sebcutung l^aben. 



mittclaltcrlt^en ?p^iIofo»)l&te. 59 

©0 jiel^t biefeS ©Aftern im SQBibcrftrctt mit bcm SJogma ber 
Srinität, bcr ©ottmetifd&l^cit, ber göttlid^en ©nabentoal^I unb mit 
bcr Bcainnenbcn ßcl^rc t)on ber SEranSfubftantiation im 3Jlc§o:pfer» 
Jlad&bem burd& ben ®ultu§ ber ^ö^tl^unberte ficfe in ber ^JJl^Qtitafie 
ber ©laubigen ba^ bilbli($e Opfer aKmöl^K^ Demanbelt l^^tte in 
baS rede, toar im Seitolter ©rigenaS aus biefem 6uttu§ bie 5Ber= 
tDanblungSicI&re be§ ^ßafÄafiuS 9flQbBertu§ l^erüor gegangen (831), unb 
jene Slbenbmal^föftrettigfeiten begannen, bie \xä) unter ©regor VII. 
jtt)ifd&en ßanfranc unb Serengar t)on SCourS erneuten unb jule^t bie 
Solge l^atten, meldte in bem Sntereffe unb ber SBerfaffung ber ßird^c 
bcgrünbet »ar: ba% unter ^nnocenj III. bie SBernjanblungSlel^re gum 
®ogma ber Äird^e tourbe (1215). ®§ giebt fein größeres SBeifpiel für 
bie ©nttoidflung beS ©ogmag au§ bem 6ultu§, leineS, in bem ber 
©laubenSgel^orfam im ©egenfa^e gur finnlid&en ©etüifel^cit eine gett)al= 
tigere ^JJrobe gu befiel^en Ijatte, leineS, baS bie SIBalö^l^cit jenes goet]^if(J&= 
fauftifdöen SBorteS: „S)a§ SBunber ift beS ©laubenS tiebfteS ßinb" 
einleudfetenber mad&en fonnte, als ber ©laube an biefe SBeriüanblung. 

@rigenaS ©^ftem jiel^t im ©egenfa^ gur römifd&en ßird&e. (£s 
trifft ein 3citalter, in toeld&em ber ©treit über bie ^JJrabeftination 
erneut tourbe, unb ber über bie SEranSfubfiantiation entftanb; eS ift 
bal^er begreifJid^ genug, ba§ ein fold^er S)enfer lixä^ii^t SBcrfoIgungen 
burdö ©^noben, SSift^öfe unb 5Papfte (3iifoIauS I.) erfuhr. 3n il^m 
mifd^t ftd6 ©nofiS unb ©d^olaftü, er l^at bie ©inl^eit t)on ©lauben 
unb SQBiffen geforbert, aber in einem ©^fteme burd^g^fül^rt , tücld&es 
bie ßird^e Dertoarf unb nodö ^al^rl^iinberte nad^ il^m als einen 2^puS 
]§ftretif(i&er 3Sbeen öerbammte. ajlan l^at Srigena ben „abenblänbifd^en 
DrigineS'' genannt. Slber bie ©d^olafti! beburfte, um il^re ürd&Iid^e 
Slufgabe gu töfen, eines „gleiten Sluguftin." 

2. Sttifcltnuiä bon G^ontcrBur^. 

©tefer erfd&ien in einem 3ßit= unb ©eifteSgenoffen ©regorS VII. 
3n bemfelben Sfal^r, tt)ü ^ilbcbranb ben :pö:pftli(^en ©tu^I beftieg 
(1073), tourbe 3lnfeImuS t)on Slofta ^Prior beS ßlofterS See in 
Qfranlrcid^, 9?ad6foIger jenes ßanfranc, ber bie SEranSfubftantiation 
gegen Serengar Dertl^eibigt l^atte; gnjangig ^df)xe fpäter tourbe er ®rg= 
bifii&of t)on ©anterbur^, ber t)orne]^mfte ßird&enfürft ®ng(anbs. 3m 
englifd^en Snöejiiturfireit ftel^t er gegen ben ßönig auf feiten beS 
^apfieS, in ben Iird&ent)ülitifd&en fragen ift er ^ierard^, in ben t]§eo= 






3)et EmniiillungSgang ber 




I 



logifctien her fit[E)Itc6=correctc Seßtünbcr bei ©cfjolaftif: in i^ra 
men bas fitcratcEiifctje unb lljeologifi^c ^ntercffe äufntnmen, wie tä 
©eift ber S^olaftif foibert. 

2!e^t gilt bcr Birc^engtaufie aU Söeweflgruiib unb 3iel fDer 
®rfeitntnt§, unb bie(e felbft nut q(§ 3Jliltel, um bie ^err|cf)Qft bet 
fiitc&ente^re ju bcjeftigen. iffio baä Söcgtcifen aufCjürt, gebiEtet ber 
©toufie §aU, u«b bie Sßernunff unterroirit |i(ft: „caput submittaml" 
®ie äleaütät ®oltc§ unb bcr ®ottnienf(l)l)cit toerben nit!f|t dffia unter' 
fuc&t unb in Srnge gcfteßt, aU ob fic erft nuSaumai^eu ttiäten, fte.Ji 
finb nic^t fraglich, fonbern uncrfrfiötterliif) geinife; e§ ^ünbelt fi($ nut^J 
um bie Sejceisgriinbe pr 3)emonfirQtion. Unb bie Slrgumente, faie^B 
2In|elmuS dqu ©onterburq für ba§ SJofein unb bie 3)lenIcöltieTbung 
©ctieS in feinem «Proslogiums unb ber Schrift: «Cur Deus homoV« 
gegeBen ^at, laf|en ben Sfiaralier ber ©iftotoftit Jctjr gut erlennen. 

6r bemcift ba§ Sofcin ©otteS ontofogifA. 3[«S unferem Se-^B 
griff beä Ooflfommenften SefcnS er^eEt beflen SRealitÜt, benn fel^Üe^^B 
ifini bie ©Eiftenj, fo raäre cä mangelhaft, aljo itic^t »oUtommen, unb 
unfere ffiorftettung rtüre bann nic&t, raaä fie ift: bie beS Dolüommen: 
ften Siefcne. gr ben3eift bie SJienfiJroErbuTig ©otteS QuiS ben S9e= 
bingungcn. burd) luelt&e oßeiu bis fünbige aJlenfc£)^eit ju erlöfen ift. 
Senn ber ©ünbenfaü ift als §anblung roibec ©ott eine unenbficEie 
©c&ulb , bie qIö jotc£)e loeber o^ne toeiteres nergeben tioc^ in ber= 
bienter Sffieife beftiaft nierben !ann; bie Vergebung o^ne ©träfe märe 
ungerecht, bie Bcrbientc Strcfe wdre Sßcrnic&tung : jene roilrbe bcr 
göttlichen @crcc^tig!ett miberftreitcn, bicfe ben gbttli(5cn S^öi)fung§= 
yoed üeretteln. ©er einjige 9Iu§roeg Beftctjt barin, ba^ bie @($ulb 
roieber gut flemac^t ober ©ott ©enugttjuung gclciftet wirb: bie iSr= 
^^^ lofung ift mir möglich burcö ©afiäfactiou. 91ber bicfe genug= 
^^^ t^ucnbe, unfere unenblii^e ©df)utb lilgetibe ^^anblung niu§ fclbft ein 
^^H unenblicSeä Sierbienft fein; baju ift bie fiinbtiafte SJfcnfdjljcit un= 
^^B^ fö^ig, flatt i^rer niufe ein fünblofeS äBefen bn§ ßeiben auf fi^ 
r nehmen, ttielc^eS bie ©ünbenfctjulb aufwiegt: bie ©atiäfadion ifi 

I nur mbgli4 bnrc^ ein ftellDerttcieubeä ßeiben. 91n biefct ©teile 

I tonn nur ©ott felbft bie 3Jienfc&&cit uertretcn, benn et allein ift 

I (ünbloS, bnS fteßüertretenbe ßeiben forbert bot)er bie 2Renfd)recr- 

L bung ©otteS, raetifie fel6ft Don ben SSebingungcn, burc^ raetcfic bie 

^^H €ibfünbe fortlrirll, unabliängig fein mug, alfo nur burc^ ftberna-- 
^^H türUc()e grjeugnng gef^e^en fann, nur moglidi ift im @o|ne bet 



mittetaltern^en $^Uofot)^te. 61 

Jungfrau Tlana, in ber 5Perfün Sefu, bcr ftd& für bic SJlcnfd&lößit 
o))fert unb burdö btefcn £)})fcrtob ein uncnbüdöe§ 35erbicnji crtoirbt, 
ba3 ©Ott il^m nid^t fettft, fonbcrn nur an bcnen vergelten !ann, für 
toctd^e ber ©ottmenfd& fi(3& jum Opfer gebrod^t l^ot. S)iefe S5ergel= 
tung ifl bic ©ünbenöergebung ober bie ©rlöfung ber JDlenfd^l^eit. 
3c|t gel^t bic 9ted6nung ol^ne 9iefi auf: bic Sriöfung gefd^icl^t burdö 
bic 3Äenf(i6tt)erbung ®ottc3, biefc ift Bebingt burd& bie ©tettöertrc- 
tung, biefc burd^ bie ©enugt^uung, »etd&e bie 3Jlenfd^]^eit in Solgc 
bcr ©rbfünbc fd&ulbet. Sin bie ©teKc ber ©rbfünbc tritt je^t bic 
@rbgcrcd6tig!eit : jene toirlt fort in ber 3iatur, biefc toirft fort in ber 
Äird&c als bcm [Reid^ ber ©nabe. @o fül&rt un§ ber ©ang bcr Qn= 
fclmifd&cn Setoeifc in ben aJlittctt)unft bcr auguftinifdöen ßel^re. 3Äit 
9led^t burftc man biefen erften ürd&üd&cn ©d^olaftifer ben gtoeiten 
Slugufiin nennen. 

IV. S)cr SnttoidEIungSgang ber ©d&olajlü. 

1. fRealUmuS unb 9lominangmug. 

3lnfclm§ aSetociSfül^rung fielet unter einer logifd^en ©runbt)orau§= 
fc^ung, bic fd&on bie gefantmtc ßirdöenlel^rc Bel^errfd&t, aber erfl l&ier, 
»0 ha^ bemonfiratiöc unb logifd^ intereffirtc S)en!en an bie S)ognien 
l^crantritt, jur j6ett)U§ten ©eltung lommt. S)ie beiben 2lngelt)un!te 
ber augujiinifd&en ©laubcnSlel^rc unb ber anfelmifd&en Sll^eologic finb 
bic ©rbfünbc unb bie ©rlöfung: in Slbatn ift bie aJlcufd^l^eit gefallen, 
in Gl^riftuS crlöft. SBcnn biefc Sl^atfad&en leine uniö er feile ©el= 
tung ober, toa§ baäfelbc l^cifet, toenn biefc uniDcrfcHen aSeftimmungen 
!cinc tl^atföd&Iid&c (reale) ©eltung l)a6en, fo ift ber ©taube l^infdQig. 
ßr bcrul^t bal^cr auf ber logifd&en S5orau§fe§ung, ba§ bie aJicnfd&^cit 
qIS ©attung ober Sfbcc im t)Iatonifd&en ©inn in SIBal^rl^cit egiftirt 
unb baS SQBcfcn be§ 9Jlenfd&en auSmad&t. 2ßaS t)on bicfer ©attung 
gilt, mu§ t)on allen ©attungen (3been), Don allen Uniberfalien gelten. 
SBcnn fic nid&t Slcalitötcn finb, fo ift ju fürd^ten, ba^ bie ©laubenS= 
tl^atfad^cn cntiocber als untt)ir!(id& ober als unbeweisbar erfd^einen. 
®ic ßird^c fclbft csiftirt nur traft i^rer Sibec, il^rc 9flealitöt berul^t 
auf il^rcr llnit)erfalitdt ; f d&on ^uguftin begrünbet aus ber ßatl^olicität 
bcr Äird^c beren Slutoritdt, aus ber allgemeinen ©eltung bie not]^= 
tocnbigc. SBic bcr t)latonifdöe ©taat in ber 3bec ber ©ercd^tigfcit 
bepelzt, unabl^ängig t)on ben Sinäclnen, fo beftcl^t bie d^rijilid&e ßird^c 



62 S)er (inttoidCIungdgang bet 

in ber ©laubenSibee her nur in tl^r cntl^attenen unb fortiüixlcnben 
©rbgcred^tigleit: ballet ift btc aScrgleid^ung beiber bcrcdötigt unb 
gutreffenb. 

2lu§ bicfer ber ßird^c eingeborenen ©runbanfdöauung folgt nun 
ber @a§, in toeld^em bie ©d&olaftif il^r ^JJrincit) crlennt: «universalia 
sunt realia.» S)ie ©attungen finb baS tool^rl^aft SQßirHid&e. (£s ift 
bejeid^nenb genug, ba^ ber erfte fd^olaftifd^e SBemeiS t)om S)afein ©otteS 
ba§ ontologifd^e 2lrgument be§ Slnfelm loar. 

Stuf bcn @Q§ Don ber SBirfUd^Ieit ber Uniöerfaüen grünbet fid& 
ber mittelalterltd&e 9leali§mu§, bie erfte ©runbrid&tung ber @d&o= 
lafiif, toeld^ß bie entgegengefe^te l^eröorruft. S)ie Slufgabe ber ©d^o- 
laftil bered^tigt aud^ bie fjorberungen beS ndttrlid&en SBerftanbeS, 
biefent aber erfd&einen bie einjelnen ®inge als bie toirlUd^en Dbjecte, 
bie ©attungen bagegen ut§ blo^e SBegriffe unb Slbftractionen, bie wir 
ntad&en unb burci) SBörter bejeidönen: bemgentöfe gelten i^m bie uni- 
versalia nid^t aU realia, fonbcrn ate «flatus vocis», [al§ «vocalia» 
ober «nomina». Stuf biefen @a^ bon ber SRid^treaUtät ber Unit)er= 
faUen grünbet fid^ ber mittelalterlid&e ^lontinaliSntuS, bie gtteite 
©runbrid^tung ber ©d^olaftü, beren erfte 9leu§erung bem 9leaH8mu3 
auf bem gufee nad^folgt. 3n bem ©treit jtoifd^en 9lofcettin unb 2ln= 
felm, jioifdöen SQßilfielm t)on 6l&amt)eauE unb Slofcettin erfd^eint bie 
Streitfrage unb ber ©egenfafe beiber Stid&tungen fd&on gegen &nbt bes 
elften Sal^rl^unbertg. 

S)ie Slragtoeite ber nominalifiifd^en Senlioeife löfet fid& fogleid^ 
abmeffen. S)ie ©rfenntni^ gefd&iel^t burd^ aSorfteHungen unb Segriffe, 
burci) Urtl^cile unb ©ä^e. SQßenn bie Segriffe 9leaUtöt toeber laben 
nod^ erfaffen, fo giebt e§ feine Srfenntnife be§ 9tealen, unb ha btc 
©taubcnSobjecte baS toal^rl^aft SOBirftid^e finb, leine 6rfenntni§ beS 
©laubenS. SQßenn bal^er ber 3lominaIi§mu3 im ©eift ber ©d^olafti! 
bie 9lealitat ber ©laubenSobjecte bejal^t, fo toirb er gugleidö genötl^igt 
fein, gegen baS fd^olaftifd^e ©runbprincip bie 6rfenntni§ berfelben ju 
Verneinen, ©obalb biefe S)en!tt)eife bie .^errfd^aft getoinnt, toirb ieneS 
33anb, in toeld^em bie mittelalterlid^e S^l&eologie il&ren Seftanb l^atte, 
gelöft toerben: bie ©inl^elt t)on ©lauben unb SQßiffen. SSon l&ier au3 
überfielet man ben ©nttoidEIungSgang ber ©d^olaftif : im jtoötften unb 
breigeljuten Sfal^rl^unbert l^errfd^t ber 9leali3mu8, im öierjel^nten er- 
l^ebt fid^ mit gunel^menber ©eltung bie nominaUftifd^e S)en!toeifc, bie 
ben SJerfaü ber ©d&olaftil anbal^nt unb h^n Uebergang bilbet gu einer 



mittelaUerUd^en ^^Uofopl^ie. 63 

neuen, öon ber ©lauBenSl^errfd&aft unabl^dngtgen 5p]^iIoJot)]^ie. @o 
fallen bte betben ©xunbriii&tungen bcr ©döolafttl, jebe in il^ter öoUen 
©eltung genommen, mit ben beiben 5Perioben gufQmmen, bte toir 
oben in 9lttdEjtd^t auf bie Ürd^Iid^en SQßeltäuftönbe unterfd^ieben l^aben: 
ber 9lealiSmu3 entft)ri(3^t bem 3eitaUex ber fird^Iid^en SBettJ^ertjd^aft 
unb ©entralifation, ber 3lominaU§muS bem ber beginnenben 3erje§ung 
unb S)ecentraüfation. 

ajlan ^at neuerbingS einen fold^en inneren ßntoidlungSgang 
ber ©döolapi! fl6er]^au^)t in Slbrebe [teilen unb anbrerfeitä bie @treit= 
frage gtoifd^en 9teaIiSmuS unb 3lominali§mu§ auf iene3 erfte 3u« 
fammentreffen beiber einf darauf en »oüen, als Stofceüin bie UniDer» 
falien für «flatus vocis» erflötte. SQßiü man ben erfolglofen 2Biber= 
\pxndi be§ festeren aUcin mit bem SBorte „SRominaliSmuS" begeid^nen, 
fo mag für bie fpätere, bem 9teafi§mu8 entgegengefc^te, fiegreid^e 
Slid&tung ein anberer SRame getodp werben; in ber ©ad^e felbft, in 
bem eben erHärten, tt)elt!unbigen ©egenfa| ber beiben fd6oIaftifd6en 
Seitalter toirb baburd^ nidöts geönbert. (£ben fo njenig ift mit bem 
©intourf getl^an, ba§ ber fjortgang ber ©d^olafti! nur SBad68t]^um in 
ber Sreite geioefen fei, nur in ber öermel^rten Suful^r be§ ßel^rftoffeS, 
mit anberen SQBorten in ber fortfd&reitenbcn ßenntni^ ber ariftotelifi^en 
ßel^re beftanben l^abe. S)ie Silbunggftoffe, bie ha^ ajlittelalter öon 
ber alten SBelt emi)ftng, waren bie bürftigften. SSon ber 5p]^iIofo:pl^ie 
beS SlrifloteleS, toetd&e bie ©d^otaftil auf il^rer ^B[)e bel^errfd&en foHtc, 
lanntc man junöd&ft nur einen unbebeutenben Srud^tl^eil ber ßogü, 
biefen blofe in ber Ueberfe^ung beS SSoet^iuS, bie Seigre bom @a§ unb 
ben Äategorien; baju !am be§ ^ßorpl^^riug Einleitung in bie le^teren, 
bie ©d&rift Don ben fünf SBörtern (quinque voces); erft im jtoölften 
Sal^rl^unbert toirb baS Organon feinem ganjen Umfange naci) belannt, 
erft im folgenben ^al^rl^unbert bie 9ieatp]^iIofo})]^ie bc§ SlriftoteleS, 
2Äeta})^^fiI, ^l^^fil/ 5|}f^d&ologie u. f. f., vermittelt burd^ lateinifd^e 
Ueberfefeungen, bie erft auS bem ^cbröifd^en unb Slrabifd^en, fpäter 
au3 bem ©ried^ifd&en gemad^t würben, bis enblid^ bas ©tubium ber 
Sitten felbft fid^ öon neuem belebte. S)tefeS 3^ortfried&en am ©ängel= 
banbe beS SlriftoteleS bebeutet nid&ts anbereS als bie junelimenbe a5er= 
weltlid^ung ber fd&olaftifdöen Slbeologie, Woraus jule^t bie S^rennung 
jwif^en ©lauben unb SBiffen unb ber ©ieg ber nominaliftifd^en ®r= 
fenntni^lel^re mit Sßotl^wenbigleit l^eroorging. 2ßir werben biefem 
S38enbet)unft in Occam begegnen. 



3QeIt^m[($a^| 



64 ^ix SnllDidlungägatiQ bei 

2, ^ix platoniff^e unb atiflolclif^e DlealiimuS. 
3n bem Seitaltec bcr ungefitoiSenen fird&Iic6«n aSett^snfc^i 
gilt in bev fcöotQ^ifcEicn Sfifiologic b«r ©ruiibfa^, bafe bie ©attuttgen 
ober Sbeen SteüHtät ^a6cn; biefe gilt entmeber cößig imailütigig 
Don ben einzelnen ©ingen ober alä bie i^iien inwofjnenbe, wirfjame 
^öiac^t; fic ift enttoeber »ante remü. ober »in re». gä iji f]iet ilidit 
ber Ort, in ttße bic ©(jattUTigEn unb SJtittelatten einjugeEien, bie atnifcöen 
jenen gaffungen bie Seftiiiimnng beä Ser^öHniffes bec Unitterfolien 
unb gin^clbinge norf) öa6en fonn; bie ©rijolnflif be3 jttiülften 2fQf)t= 
^unbcdS iß in folgen Unter(i$eibungen unetmabticö gctoefen. Sie 
6eiben normgcbenben Slnffaflungen finb üotgcbitbet in ber griei^ifdien 
^l^ilofovfii* : bie erfte in ber platonüc^en, bie onbere in ber Qt;iftote= 
tifcfien, Seibe bejahen bie 9ieotität ber ^tbccn, n6er Bei ^lato gellen 
fie olS baS WQ^r^üft ©eienbe, unob^ängig Bon ben @rf(5einungen, 
bei Slrifloteteä ats baä Wa^rl&üft Sfflirtenbe in ben Singen: bort ifi 
i^re iffiirE(id)feit SSbeeninelt , t)iet Slotur, 2Bir ijüitn (i^on gejcigt, 
toie bie ätneHc Stuffnffung not|lDCnbig aus ber crften folgt. j 

SBä^renb beä sraolften So'&r^unberfS ^errfdjf in ber fdioIaftifcöeBi 
Stieotogie ber pIatonifd)e, roö^rcnb bcS breije^nten ber ariftotelilc&fi 
9teoIi§niu3. ©o loffen fii^ in ber (irc&Iic&en ^Pfiitojoli^ie beS ajliftet=' 
nIterS brei SÜcfifungen unterfc^eiben, bie im ©ro^en unb ©anjen mit 
ben Sa^rtiunberten julaminenfaüen: bie reoliftiic&'lilQtoniic^e im ätoolften 
^Q^r^unbert, bie rcatiftifcö=ori|iotcn|i$e im brei,jefinten, bie nominaliftileöe 
in ben beiben folgenben. 2)n8 5DJittefgtieb ätoifcfien ber ptatonifdien 
unb iirtftoteti[Äen ©c^olaftif bilbet $etru§ Srbaelarbuä (f 1142), 
bn§ jlnifcöen ber rcaliftiictien unb nomin aliftifcfien So^anne 
©cotuS (t 1308). 

®§ ift ic&on ^ingcmiefen auf jene bebeutfame Sßerronnbtfdjafi 
bie tro^ ben grnnbUerfcftiebenen SeitoUern unb SBeltanf^auungen 
ätDifc£)en ber l)(ütonifc&en SJenfraeife beS Slttcrt^umö unb ber firc6- 
licöcn beS SHittefaltcriS , ateifi^en bem ptafonifi^en Staat wnb bet- 
romifc^cn ßirc^e ftattfinbet. 3tn beiben ^errfc&t baä SIlTgemeine uw 
bcbingt über ba^ Sinjelne, gilt boä ©anje, ttelifiee Bor ben 5Et)eilei 
ifl , af§ bie nKein icirtfame , Bon bem @in,)claiiften BBflig unab« 
fiängige 3]lac6t. 3)a^er Befrembct eä nic&t, bafe unter ber un6e= 
bingten ^errfc^aft ber mittetatterli^cn flirie eine p(Qtonifii)c BäjO- 
IttftiE fi^ aus6ilben mufete, bafe biefe ©cfioInftiE mit bem Seitolter 
ber ßreujjüge §anb in §anb ging, bafe bie Stixiit geflen 



>ft9 
m 



äettaitei ^m 
legen bifeü^l 



TOtttcIaltcrli^en ?PWIofo<)]bic. 65 

junel^incnbe ©ntfertiutig Don btefer Strt ber rcaliftifd^en ®en!tt)etfc, 
gegen btc Stnnäl^etungen an bm artftoteüfd^en ßel^xbegriff, gegen beffen 
Einbringen fid& getoel^rt l^at unb gule^t ber SWotl^tüenbigleit nad^gaÖ, 
bic fic nid&t l^emmen fonnte. S)te nQturt)]^tloj'ot)]^ifd6en unb meta= 
t)]Ö^fifd&en ©d^riften beS SlriftoteleS tourben nod& im Slnfange be§ 
breigel^nten Sal^rl^unberts öerbammt, bann jögetnb erlaubt, erft ben 
Slrtijien, bann aud& ben SEI^eologen, unb äule^t tourbe ba§ ©tubiunt 
ber ariftotelifd&en 5ß]^ilofo^)]^ie fogar geforbert unb bem l^eibnifd^en 
?p]§itofo))]Öen Don ber ßird&e felbfl ba§ größte Slnjel^en eingeräumt 
in Slnfel^ung affer natürlid^ßti @rfenntni§. 

SluS tt)el(i&en Sölotiöen exHört fid& biefc auffattenbe @rf d^einung : 
biefe SBcrbinbung, njeld&e bie ßird&e beS SJlittelalterS mit SlriftoteleS 
eingeigt? SBar einmal in ber ©d&olaftil bie natürlid6e 6r!enntni§ 
Bered&tigt, toenn aud& nur als ©laubenSinfirument, fo mu^tc in bem 
SSertaufe il^rer SntttidElung notl^toenbig ber 5Pun!t fommen, toü fie 
oud& bie SRatur ate Dbj[ect ergreifen unb bicfen Segriff il^rem ©^fteme 
einfügen unb unterorbncn mu^te, fo gut tt)ie bie Äird^e ben ©taat 
tl^rer ^errfd^aft eingefügt unb untergeorbnet l^atte. ®ic ßirdie felbft 
mu^te mit ber Seit biefe SlufgaBe afe eine notl^ttJenbige unb il^rem 
eigenen Softem äuträglid&e erfennen. ®ie ©d^olafti! bcburfte eines 
tl^eologifd^en JlaturbegriffS. SBenn fie i^n erreid&t, fo erobert 
fie sugleid^ ber ßird^e ein großes ©ebiet, ba§ feinbUd^ erfd&eint, fo 
lange eS ber Sl^eologie fremb bleibt. Unter bem tl^cologifd&en 9latur= 
Begriff ift aber eine 2lnf(%auung ju Derftel^en; loeld&e ©ott afö ben legten, 
©runb unb StoedE ber SRatur unb unter biefem ©efid^t§:punfte bie 
3?otur felbft afö ein ©tufenreid^ för:perlid^er unb lebenbiger fjormen 
betrad^tet, bie Don bem göttlid&en StoedE abl&ängen, Don il^m betoegt 
tocrben, in il^m fid^ Dottenben. S)iefen 9?aturbegriff bietet bie ari» 
ftotelifd&e 5p]^iIofo:p]&ie : bal^er il^re JBebeutung für bie ©d^olaftil unb 
ftird&e. @ie ift um il^reS l^eibnifd&en ©eiftcS njitten juerft ba§ be= 
benHid&e, bann um il^reS tl^eologifd&en ©l^arafterg toiUcn ha^ anwerft 
toittlommene SBerljeug, um eine Slufgabe ju lofen, in beren ßöfung 
bie Äirdbe trium))]^irt. 

Srtun ift bie ariftotelifd&e 5ßI)ilofot)]^ie bem Slbenblanbe fo gut 
toie unbefannt; bie logifd&en ©d^riften l^aben für bie ßöfung biefer 
?[ufgabe . leine Sebeutung\ bie Entfernung ber abenblänbif d^en f&iU 
bung Don ber gried&ifd^en ift bie größte, nod& gefteigert burd& bie 
Äluft ber beiben ßird&en. Unb fo loirb auf bem toeiteften Umtoege 



S)tx SnttDtdlungggaiig btx 

bie Qtiftoteliftöe ?iI)itofopöic Eingefüfirt in bie ©(i)uten facr a6enb= 
Wnbifi^en SE)tiftcnficit; butrf) bie Vermittlung her atabifd&fit 5p[)iIo- 
foi)^en beS je^nten, elften unb jrobiften 5ta^it)unbert§. Unter bm 
morgenlönbilc^en ift Slticrnna (t 103ö), unter bm Jpanifctien 
SloerroöS (f lli)8) ber gröfete, roeli^er leitete bem aSerftanbnife beS 
QriEtfttiften ^JJ^UotopIjen butc^ bcn Umfüng feiner Sommentare unb 
bie 2trt (einer ©rttärung ain nöc^ften Eommt. 

®a8 brei;ie^!ite 3n&rfiunbert ift bie grofie 3eit ber ©Äofoftit. ®8 
^onbelt \iä) barum, ben SJaturbegriff bem tt)eDlo9if(ftcn ®^fieme 3U 
gewinnen unb boburct) bn§ [entere crft als ©Ijftem ju UoUcnben. 
®Qä Ütetct) ber ©nobe er|cE)eint für bie natürtii^e ßrfenutni^ erft 
bann Bottfommen befeftigt, roenn i^m ba§ 91eic6 ber 9JQtur untei= 
fleorbnet unb in einem Sufammen^angc mit jenem gebacbt werben 
lonn. 3n faiefer 93er6inbung ber beiben 9leii$e befte^t bie Stufgabe. 
SDa§ Keiifi ber Siatur muft als bie SBorftufe gelten gum Meid) ber 
®nabe, (o bafe f(t)on in ber Statur ba§ bietet) ber @nabe ongelegt, 
Botbereitet , bejTOecEt ift, bafe bie Eiri^Iic^en Drbnnngen al3 bie SßoH= 
enbung bet natSrücben etfc^einen. SieS ift ber ©runbgebante , ber 
ba§ breijctjnte :3a^^5unbert erfaßt, ba§ eigentlicbe iDlotiö in ben 
Sl)ftemen ber großen Stjcologen biefeä 3eitalter§ ; be§ ^llejanber bon 
§ale§, beä 2(I6ertu§ iOfagnuS unb be§ Stomas Bon 9lquino. 

3öer biefe Stufgobe im 6inne ber fiircbe om üottfommenften Ißfl, 
ter^fltt fic& jui ©ftolaftü, wie ficti ?luguftin jur ®Iüuben§Ietirc Der^ 
Ralfen ^atte. Siefet gröfetc unter ben Scöolaftifern ift Stomas. 3in 
_ feinem ©Aftern erfd^cint bie 3!ntur als ein Slufcnreic^, angelegt auf 

^^K bie ßircöc: in bem natürlicben ßeben be§ tOtenfcben Bottenbet fic^ bie 
^^H ©tufenrei^e ber ßörper, in bcn ©nabenorbnungen ber flirc^e, b. l). in 
^^H ben @acramenten, Doltenbet fid) ba§ natürliche ^lenfi^enleben. SDie 
^^H t^omiftiide Qe^re bon ben @acramenten ift erteud^tenb für bcn @ei|l 
^^H biefer gonjen Iljcologie, e§ ift ber ariftotelift^e Segriff ber l5ntttii(f= 
^^H^ lung, bon bem i^re Sqfteme getrogen finb. Sie ficb bie Stnlage 
W jur ajoüenbung, baS ffliittel jum 3»ecE oer^att, fo ber^ält fic^ in 

I ber t^omiftifc&en SÖettonfAQnung bie natürliche aUcltorbnung jur 

I lird&Iiifien , ba§ menfct)licöe ßeben gum ©acrament. S)aS ©ijftem ift 

I im tirc&UiJen ©eifte burcbauS t^eologifcb unb fupranaturoliftifcb, 

L aber eä {jat ben SZaturbegriff in fiii) aufgenommen unb babutcb bie 

^^H t(|eoIogifd^ = ft6olaflifcöe SSorfteßungStoeife boüenbet; Stomas §at benj_ 
^^B Iftrd^englnuben ju einem Cel^rf^ftem abgerunbet, toeli^es unbe 



ib 



^ 



labutcb bie 
s §at ben ' j 
jnbergleit^i^l 



mitteloltetlif^eit !ß]^iIofop]^te. 67 

Kd6 bapcl^t uitb feinem Url^eber beit ^nf)m beS ftTd^tid^en ^pi^tlofopl^ett 
im eminenten @inne Derbient \^at. 

3« Gummen unb S^ßeme. 

3n ber SlufgoBe ber ©ri^olafiif laß bie tl^eologifd^e ©^ftembil« 
bung QUS bem gegebenen ©toff ber bogmotifd^en Seigren unb ©tteit= 
fragen. 3)te erjie Söfung biefer Slufgabe beftanb in bem Snbegriff, 
ber ©ammlung wnb Slnorbnung oller l^ierl^er gel^origen SWoterien, 
in jenen f ©genannten „©ummen" bc8 gtoölften äfal^rl^unbcrtS, beren 
forttoirfenber S^puS ba§ SBerl beS 5Petru8 ßombarbuS (t 1164) 
»ar. 6r Derl^ielt fid^ jur ftird&enlel^re , toie fein Scitgenoffe ©ratian 
3um ^ird^enred^t; er gab einen gefammelten unb überfid^tlid^en Sn= 
Begriff ber bogmatifd^en ßel^rmeinungen ober „©entenjen", ein SQBerl, 
toeld^eS il^m bm 5lamen «Magister sententiarum» crtoarb unb baS crfle 
muftcrgültige ßel^rbud^ ber S^eologie, bie ©runblage tl^eologifd^er 
aSorlefungen iDurbe. Sie ©ummen ber ©entcn;jen, toeld&e baS jtüölfte 
Sal^rl^unbert l^eröorbrad^te , toaren nod^ leine ©^fleme. S)a3 2tf)X' 
bud6 beS ßombarben tourbe jum SKoterial, toorauS bnxii SSerf dornet 
jung mit ber ariftoteüfd^en 5pi&ilofop]^ie bie tl^cologifd&en ©ummen 
beS breijel^nten Sal^rl^unbertS, bie SQBerle ber großen ©octoren ber ^ird&c 
l^eröorgingen. 3u ben ©laübenSgrünbcn ber ßird&cnlel&re lamen je^t 
hit SBemunftgrünbe ber ^ßl^ilofopl^en, ju ben «autoritates» bie 
«rationes»; in ber ©arfieffung, JBergleid^ung , ©ntgegenfe^ung beiber 
tturbc bie neue Slufgabe Don bem englifd&en f^ranjislaner SMejanber 
t>on §ale8 (t 1245) eingefül^rt. S)er eigentlid^e ^ftepröfentant ber 
«rationes» toar bie arifloteüfdöe ^JJl^itdfopl^ie. ©otüett biefe in bem 
©efid^tsfreife unb ber gaffungshaft beS SeitatterS lag, mufete il^r 
Snbegriff neben ben ber Sl^eobgie gefteUt unb baburd& bie Slufgabe 
il^rem ganjen Umfange nad& auSeinanbergefc^t unb öcrbeutlid^t tt)er= 
ben. ®ie8 gefd&al^ burd& ben «Doctor universalis», ben beutfd^en 
©ominilaner Sllbert ben ©rofeen (t 1280). ©ein größerer ©d6il= 
ler, ber italienifd^e ©ominüancr SEl^omaS t)on Slqüino (t 1274) 
öottbrad^te bie Söfung ber fd&olaftifd^en Slufgabe; er gab ha^ Iird&en= 
pl&ilofopl^ifd&e Softem, in toeld^em Sluguftin, ber ßombarbe unb Slri= 
ftoteleg in einanber gefügt toaren. ®r l^at bie ariftoteüfd^e ®nttt)i(f= 
lungSlel^rc im ©eift ber fird6lid&en SQßeltl^errfd^aft dtjtiftianifirt , toie 
ein^ ber Slreopagit bie neuplatonifd&e ©manationSlel^re im ©eift ber 
l^ierard^ifd^en Äird^enorbnung d^riftianifirt l^atte. 



fS Sei enlWicfliine^gang bei: ^^^^^^H 

3n bem Fortgänge bea atiftoteüfc^ni 9lcalistnu§ enlftefit be^| 



: 



©egeitfü^ ätoifi^cn Stomas unb ©cotiiS, bet if)re ©diuten entäioeit 
unb ben iöeftanb bet fdöolafliic^m S^eoIogiE nat^fialtig erl^ütterl. 
SBerbm bie beiben SReic^D bet Sltitur unb ber ©nabe betgeftalt Ber^ 
Inüpft, bo^ jenes fici^ in biejem üoCenbet unb feine SBeftimmung 
erfüllt, |o tnufe in einem foIi^En 3nfanimen^ange baiS JReiiJ bet ©tnge 
überhaupt qI§ bie beftgeotbnete SBelt erjiieinen, Belcöe ®oÜ qu§ QÜen 
mögtitfien SBetten (raff feinet SÖJcisV't gcwätjU, ftoft fetner Slümac^t 
gcfiioffen tiat; fo ift bet göttliche SÜJtUe in bet ©Aöpfung bet SBett 
buii^ bie ginfti^t fieptinmt, unb ba§ gbttUdie ©cfiaffen, ba eS untet 
bet §etrlctinft einer 3bee, ber beä ©uten, gefi^icfit, ein nol^roenbtgeS 
unb betetminitfeä ^anbetn. ©o ifi ba§ t^omiflifi^e ©Aftern tro§ 
feines fu})ranatutaUfti|c&en ©fiaroftets burc&auö beterminiftifcö unb 
batin ber ec^te 9(u§bru(f beS fiK^lttfien Senmfelfein3 , baä feine €}vh= 
nungen flreng betetminttt , füt oüe gaffe auagemocöt unb fo einge^ 
ttcE)tet Vben Witt, bafe fie ben Sinjelwiden unb bie SBifffüt ebüig 
auSfdiüefien. 

®iefe t^omiflifc^e S^eobicee, worin aßeS nac^ göttlii^et ©infic^t 
betetminirt unb «adDeum» georbnet ifl, finbet i^ren ©egnet in bem 
englif(!^eTi tJtanjtSlanct Sfo^onneä S)un§ ©cotuS. €s ift fein gp- 
ringerct ©tteit als bet be§ SüetetminiämuS unb SnbeterminiSmitS, 
ber je^t in ber ©c^otnftif auafiriAt. 3n ber gragc ber aBttIenS=^ 
frci^^ett liegt bie ©iffetenj jloifificn Stomas unb ©cotuS. 3fl ba« 
göttliifte SBirfen not^tnenbig , fo ift ©ott an feine SSitfung gebunbcn 
unb lonn nic^t o^ne biefelbe fein, bann mufe bie Unob^Öngigfeit ©otteä 
unb fofgetid&tigetmeife oucö feine Ssiftenj Oerncint roerben; ift aÜeS 
butcö bie gotllii^e Sfot^roenbigfeit uitb biefe fclbft burt^ bie ^bte be? 
©Uten beftimmt. fo gtebt c§ »eber SuföffiS'Jä toc& SüfeS, fo ift ( 
nii$t 6Io§ bie erfte, fonbern im ©runbe bie alleinige Urfoc^e; 
eines mit bet 9!Qtur ber Singe, unb bet ^antl)ei3mu§ erfc^eint i 
unbermetblicfie tJolge. S)ies finb bie gewi($tigen ©tünbe, wcliie ©colu 
gegen Stomas er^e&t. 

aus bet KEiatfoc^e beS SufaffS unb beS Söfen in ber Sffielt fol^ 
bie Unmbglic^lett beS 33etermini§muS, roornac^ bet göttliche SBiffe gM 
fiunben ift an bie 3bee beB ©uten: et ift an nic[)ls gebunbcn, 
Iianbelt gtunblos, aus afifoluter SBilHüt; et fann ebenfo gut fc^offm* 
als nirEit ftfioffen, ebenfo gut biefe SEBett alä eine atibere, aut& got 



mittelalterlt^en $^tIofot)]^u. Gd 

feine; ber SBttte toxxb nid^t befiitnmt burd& bte ©infidöt, fonbem um- 
gefel^rt: «voluntas superior intellectu». S)a3 ©ute gilt nid^t burd& 
ftd6, fonbern burd& göttUd&e SBiKenSbeftimmung, nid&t «per se», fonbern 
<ex instituto», eS ifl nid^t rational, fonbern :pojtiit), nid^t toeil etoaS 
gut tft, l^at ©Ott es getooKt, fonbern toeil ©ott eS gehofft l^at, 
barum iji eS gut. Sölit ber SBiniür tft baS SBoffen öernid&tet, 
ber Unterfd&ieb aufgel^oben jtoifd&en natttrlidöen Urfad&en unb 2Bineng= 
urfad&en, bann giebt eS überl^aupt leinen Sßitten, toeber einen 
göttlid&en nod& einen menfd&üd^en. ©cotuS Bej[a]&t bie menfd^Ud&e 
Sreil^ett unb beren 3JlittDirfung in beut @nH)fangen ber gött= 
lid&en ©nabe, bie aSerbtenftUd&feit ber SBerle, bie nid&t Iraft il^rer 
eigenen SSefd^affenl^eit, aud6 nid&t Iraft ber ©eftnnung, ttjontit fte ge= 
fd&e^en, fonbern Uo% baburd^ red&tfertigen, ba§ ©ott Iraft feiner 2Biff« 
ifür mit biefem 2BerI biefe SBirlung öerlnüpft f^ati baS lird&üd&e SBerl 
gilt unabl^dngig Don aller ©efinnung aU äußeres, öorfd^riftSmäfeigeS 
S^un, al^ «opus operatum». @o beult ber fd^olaftifd^e, ber ajtad&t 
unb bem Sntereffe ber Äird^e bienfibare SnbeterminiSmuS. 

®ie nxenfd&Iid&e 3^rei^eit fd^lie^t bie ©elbftbeftimmung, ben ptx- 
fönlid^en SBiffen, baS inbiöibueDe S)afein in fid&, Iraft beffen Jeber 
3Wenfd& nid^t BIo§ ein S)ing unter S)ingen, fonbern biefeS einzelne, 
ftngulare SBefen für fid^ x% S)amit erl^ebt fid& im a3ett)u§tfein ber 
©d&olafiil ber Segriff ber ©ingelnl^eit ober Snbiöibualitöt, ber 
ß^aralter ntd&t bIo§ f:pecififd6er, fonbern inbiötbueffer Unterfd&eibung 
ber ®inge: biefe finb nid&t Blofe burd& il^re Strien unb SBefd^affenl^eiten 
(Duibbitöten) unterfd^ieben, fonbern jebeS Don aüen übrigen Iraft feiner 
©ingelnl^eit (^öcceitftt). S)ic 3nbit)ibualität ift unbefinirbar, nid&t 
oufgulöfen in begriffüd^e @rlennini§: «ratio singularitatis frustra 
quaeritur». SBenn bie Olealitöt fid& in ber SnbiDibualiiöt jufj)i^t 
unb Doffenbet, fo giebt eS leine ©rlenntnife be§ 9iealen. S)affelbe 
gilt Don ber SBifflür, fie ift grunbloS, bal^er unerlennbar ; baffelbe gilt 
Don ber göttlid&en Offenbarung, bem @rIofungStt)erI, ben lird&lid^en 
©laubenSobjecten über]^au:pt: fte finb Iraft ber grunblofen unb uner^ 
grünblid&en SBiKlür ©otteS; bal^er giebt eS leine 6rlenntni§ beS 
©laubcnS, leine rationale SCl^eologte, lein :|3]^ilofo:p]^ifd&eS ©IaubenS= 
f Aftern. ®ie 2;^eoIogie ift :praltifd^, ber ©taube ift eine Don ber 
6rlenntni§ unabl^ftngige SBiffenSridötung unb 3uftimmung, nid^t burd& 
rationale ©rünbc bebingt, nid^t burd& fold&e gu erfd&ütiern. @o löjt 
ber SfnbeterminiSmuS baS Sanb jtoifd^en ©tauben unb SBiffen. 



Xtx entmtdlunQaeanQ bei: 



1 

,;s» rniifJ^^ 



5. iffiil^elm Dtcom, ®ie aufl5fung ber Si^ofaftit. 

S)ie aSaSjn ift etDffiiet, in tariere jene neue unb U^U 
lid&tung ber S^otaftit eingebt, bie bet eii9ttf(fte S'^anäiSlam 
l)c(ni iOccam (t 1347?), ein ©^ület beä Scotits, met^obifi^ be^ 
grünbei. 63 finb nic&t mefjt bte Stilen SftofceÜing, bie »on ©regor VII. 
^erlamett imb auf ^nnocenj HI. juftrebien. 9n§ ©colus auf bei 
§0^6 fcine§ tRutjinä ftonb imb jtarb, Wor ber püpftUcöe ©tut)( feit 
brei 3al)ren in ^Ibignon; bie Seiten DccütnS lommen Don Sßonifaj VIII. 
^er unb eitsn bein großen ©ijiäma entgegen. 

Occnm§ S^at ift bie SBexnic^tung be8 fc^otaftifdicn IRealiSmi 
ber ^erifcönft ber ^bccnroelt im fitc^Iicöen ©tauben. Sfflärcn bie Ui 
Derfalien (Sbeen) real, fo müfetcn fie in ©ott bet ©i^bpfung DorauS: 
flehen unb ben äßiffen ©ottes beterminiten unb binben, bann gäbe eS 
leine göttlii^e ^reitjeit unb leine ©i^öpfung au§ Slic^tS: f|ier erleuchtet 
ficö nunmehr ber butcögflngige Sßibcrftreit jiDif^en bem ©tauben ui 
bem fd)olQfttt(f)en 3leatiämu§. 

Slßären bie Unioerfalicn (©cittungen), bie bocf) ben ®ingcn gi 
meinjam finb, fdbft ©tnge, fo müfete ein Sing in me'^reren Singi 
jugleicö fein, maS unm&gtiift ift. Sie Sbeen finb nitfit ©inge, fte finl 
nic^t IRealilöten, fonbetn SorfteÜungen, meiere Singe bejeiiinen unb 
felbft burc& Sßöxter besci^net werben, loie biefe butt^ Sucbftabcn: Re 
finb ba^er Seicfien ober «sigua», beten ©runbbeftimmungen bie «ter- 
mmi> QuSmöcEien. Siefe legieren finb ginjetDorftellungcn unb Müges 
meinDorftetlnngen, £aut= unb Sc^rtftäeiifien, olfo ?tnfc[)auungen, iBe= 
griffe, SBörter; bie 3tnfd)Qimng Oertiitt bie ©teile eines einjetnen 
Siingc§, ber SSegciff bie ©teile Dieter ©injetUorftellungen, ba3 SBort 
bie be§ SegriffiS. Sitte menftfiricöe SrEenntnife gefc&ietjt bur^ Kermini: 
fie ift baijet terminiftifcö unb, fofern bie mittti eilbaren Seic&en ber 
SßorfteHnngen «vocalia* ober »Domina» finb, uominalifttfi^, ffiie 
@rEcnntni& burij iSinäetoorfiellungen ift intuitic ober real, ba biefe 
aSotftellungen «pro re» ftetjen; bie Erlenntnife burij SlUgemeinbegriffe 
unb Urtlieite, burd) Sörfer unb ©älje ift rational ober logitalif(^ 
(fermocinüt). (£§ giebt batjer Eeine Grlenitlnife bet roittliifien Singe. 
Sie Siirflic6Iett befielt in Einjelbingen, ^nbicibuen, einfallen ©ub= 
ftansen; unfeie Söotfteffung ift meber Sing noc^ ©ubftanj no^ einfa4 
fie ift um fo unbeutlicf)er, je allgemeiner fie ift; ba^et giebt tS !ei» 
nertei Uebereinftimmung ämifc^en ajotftettung unb Soc^e, alfo Eeinerlet 
Ertcnntnife ber 2Sa^rI)eit. 



Li-l.. 



CS 

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IVUKIIXI ^K 



mitteloltetlt^en pUofot)]^ie. 71 

3tt)ifd&en SBorftcffung unb OleaUtät liegt eine unüberfteiglitiöe ßluft. 
hieraus erl^efft bie Untnöglid&leit beS ontologifd&en SBettjeifeS 'oom ®afein 
©otteS, bcnn feine aSorauSle^ung t)on ber Slealit&t ber aSorftettung 
©otteS xoat grunbfalfd&. Slud& bie logmologiftiöen SSetoeife finb l^in^ 
fäöig, benn Re fe^en DotauS, ba% eS eine erfte ober le^te Urfad^e 
geben mftffe, boft in ber Segrünbung ein S^ortgang ins ßnblofe un= 
tnoglid^ fei: eben biefe SSoraugfe^ung tft grunbfalfd6, Dielmel^r ift ein 
fold&er ^orfflcing notl^ttjenbig ju forbern. 6s giebt bal^er feinerlei 
Sctoeife Dom S)afein ©otteS, leinerlei rationale Sl^eologie. 3(uS ber 
Unmögüdölcit biefer @rlenntni& folgt bie SRotl^toenbigleit beS ©laubenS 
auf bem affeinigen ©runbe ber lird&Iid&en Slutorität. S)eni Sßerpltnife 
jtt)ifd&en ©tauben unb SBiffen entf^rid&t ba^ gtoifd^en Äirti^e unb 2BeIt. 
6s l^anbelt fid^ um bie Trennung in beiben pfiffen, um bie @nttt)eltlid&ung 
beS ©laubcnS toie ber ßird^e. S)ie Seit ift gelommen, too bie t)on 
ber Äird&e gebunbenen SRöd&te centrifugal gu »erben beginnen unb fid& 
Don ber Äird^enl^errfd&aft Io8mad6en tooffen: Staaten unb Sßöller, 
SBiffenfd&aften unb ßünfte. SKit ber ßntttjeltttd&ung ber ßird&e toirb 
gugleid& bie Unabl^ftngigfeit be§ ©taateS Don ber ßird^e geforbert. 
,,3Jert]^eibige bu mid^ mit bzm ©d^toert, id& toiff bid^ mit ber fjeber 
Dertl^eibigen", foff Dccam im ©treit gttjifdöen ßaifer unb 5Pa:pft gu 
ßubtoig btm f8at)exn gefagt l^aben. 

3Kan mu§ tool^I bead&ten, toie biefe nominaliftif d&e . @rtenntni6= 
lel^re, bie ben 3D)iefDalt gteifd^en ©lauben unb SBiffen, 2;^eoIogie unb 
5pi^iIofoD^ie begrünbet unb bem Sßitbcttjufetfein ein:prägt, fid& gu beiben 
Derl^dtt. @ie loiff bie Trennung um beS ©laubenS, um ber ßird^e 
toitten; tl^r Sntereffe ift bie ^Reinigung unb ©törfung beiber burd& 
bie ßnttoeltlidöung. ®S ift nid&t guföffig, bafe bie 5ülönner biefer 
9lid6tung großen %^txU gu ben ftrengen fjrangisfanern (©t)iritualen) 
gel^ören. ®er ©laube toiff mit bem gebred&lid^en, auf menfdöUd&e 
SRittel angetoiefenen SBiffen nidbt mel^r gemeinfame aied^nung filieren, 
mit biefem il^m fremben unb gef&l^rlid^en SSunbeSgenoffen nii^ts mel^r 
gu tl^un l^aben. 3n bemfelben TOafee, aU er fid& Don atter natür= 
Iid6en unb rationalen (Srfenntnife loSfagt, erftarlt fein fu:pranaturaler 
€l^ara!ter, feine DofttiDe ©eltung, feine ürd^Ud^e Slutoritöt. 

®iefc le^tere gu befeftigen unb unerfd&ütterlid& gu mad&en, ift ber 
(gnbgtoedf biefer nominalijiifd&en Sl^eologie: barum ip fte il^remSBefen 
nai) fd&oIafiifd6. Slber fie l^at mit ber lird&lid&en SBeltl^errfd^aft ge= 
brod^en unb ifi auf eine ßird&enreinigung bebad^t, bie ben reforma= 



Sias Stilaltei 

torift^en Sffttefiungen tnncrfiall) bei ©cöolaftif ben Seg öffnet. Sie 
befreit burc^ bie Trennung oom ©lauben nud] bie ^^tlofop^ie unb 
loeift biefe I)in auf bie loelttii^eii Singe, fie mumt innerl)Qtb ber 
©[^otüftit fc^on ben Soben für ben SBeg unb bas 3Ser[ einet neuen 
*P^itofDp^ie. Sie ()Qt bie Dloglit^teit einer lüQÖitn grtenntnife ber 
Singe ttuä menfifilii^en Sctmßgen »erneint unb baburt^ jenen Step= 
ticiämuä DDt6ercitet, mil bem bie neue 5i£iiIofDp|ie teginnt, au§ bcm 
fie ^etDorge^t; fie lägt inncr^alti ber menfc^lidjen 6rlenntiii& nur bie 
anfc&auli[t)e imb finnliiije aU real gelten unb erfcfieint in biefem fünfte 
ol8 bie fd)i)laftifc^e Jöorläuferin jcneä SmpitiSmuS unb ©enfuas 
liämuö, mit bem bie neue ^^ilofojj^ie im SJatertanbe ßccamä ü^ren 

ISauf beginnen roirb. ^^H 

[^ilnfteg (Sotiitel. ^^^^t 

JSas BEiloitcr lifr ^lennilfance. ^^^^^H 

_ I. Ser '^umani^mus. ^^^^^^1 

3n ber lir^Iiii&cn >|J^ilofop^ie be§ aJÜttetalterS 5at bie ^eibntfcfie 
be§ Sittert^umS foitgemirft in einer bienenben, i^rem Urfprunge unb 
3Befcn entfrembetm ©eftalt. iEie fdiütaftiii^e S^eologie ^telt bie ^_ 
mcnfifilic&e Urfcnntni^ in einer boppcltcn ©efongenfc^aft; unter bes^H 
^ertfc^aft ber fiirc&e, bie ben ßefirin^att beftimmte, unb unter bex^H 
^errfiftüft einer Schule, bie i^re Ce^rart unb formale Öilbung bon^^^ 
ben Stutoritäien ber aUm *ß^ilofopt)ie eniijfing. SBie nun bie Reffet 
ficti 3U löfen beginnt unb bie incnfi^(ic£)e Srtcnutnig eine grünblii^e 
Erneuerung anprebt, fo ift bie etfte Scbingung, ba% äunäc^ft bie Schule JH 
fid) freimacht unb bie großen ^^^ilofoptien beS S(ltertEmm3 roiebei tttc^H 
i^ier Urform nufgefudjt unb erforf^t Itciben. ®ie ^t)iIofopt|ie bet^H 
neuen Seit fommt unmittelbar auä ber emancipirten Sc&ule beS 3IIters 
t^umS. 3n it)r reift fie affmä^Iii^. äöenn fie nu^ biefem (Sänget 
Bonbe fi(h enttnac&fen fü^lt, erfl bann ift bie Gpoc^e iljreS Sur^bru(iä, 
ber 3]loment gelommen, in roelc&em fie niünbig auftritt. ®ie SSieber- 
fcelebung ber griei^ifi^^römifcöen ^ß^ilofop^ie ift ba^er bie not^roenbige 
unb näi^fte grtenntni|aufgabe, bie SorouSfe^ung unb ber Uebergang 
jur neuen ip^ilofiip^ic. J 

©ieje ätufgabe bilbet einen S^eil ber })^ilologifi^cn 3fltettl)um8"J 
lunbe, »etifie felbft als ein befonberet Sweig ber roiebcrbelebten 3l[ter»'l 
t^umStunbe überi&aupt gepflegt unb Berftanben fein roill. Um 



ber 9lettat{{ance. 73 

5p]^iIofo))l^ic QU8 ben mittleren Seiten in bie unfrigen gu leiten, mufete 
jene geiftige SBiebergeburt beS Slltertl^uniS, bie man Olenaiffance 
nennt, ben SBeg finben unb erleud^ten. S)ie Sebeutung berfelben ift 
!eineStt)eg8 auf bie :p]^iIoIogifd6en ©tubien cinjufd&r&nlen, benn fie ift 
nid&t bloft eine ©ad^e ber ©d&ule unb © elel^rf amleit , fonbern ein 
Seitalter, »eld&eg bie fortfd&reitenbe 3Kenfd&]^eit erlebt, baS bie ge= 
fammte 3Jlenfd&encuItur burti^brungen l^at, ein unerfd&ö:pfUd6eS, baS 
Bis in unfere SEage forttoirlt unb niemals ausgelebt fein »irb. S)ie 
Sienaiffance ifi i^rer Slufgabe unb ©eifteSridötüng nad^ fo toenig gu 
Begrengen tt)ie bie Oleformation, unb toenn beibe auf getoiffe 3eita(ter 
cingefd&rdnft toerben — jene in il&rer Slütl^e auf bie gtoeite <&älfte 
beS fflnfgel^nten, biefe auf bie erfie beS fe(^Sgel^nten Sal^r^unbertS — , 
fo gilt eine fold&e (^ronologifd&e ©infaffung nur t)on ber Segrünbung 
unb bem 2)urd^brud^e beiber. 

®ie 9lenaiffance l^at bie menfcfilid^e ßebenS= unb SQBeltanfd&auung 
in ber SBurgel Derönbert, öon ben aWäd&ten, bie fie im SKittelalter 
Bel^errfd&ten, loSgeriffen unb gegen biefe le^teren einen ©egenfa^ au§= 
ge:prftgt, ben bie ßird&e felbft, t)on ber ©eifteSfiromung ber Seit er= 
griffen, nid&t mertte, ben fie Beforbern l^alf unb erft toeit f:p&ter, nad^= 
bem bie erjie SBlütl^e ber 9lenaiffance öertoellt unb bie Sleformation 
möd&tig geworben toar, erlannte. S)aS ©runbtl^ema beS 3KittelafterS 
loar bie ^erfteffung unb SBerl^errlid^ung ber «civitas Dei», jenes 
©otteSreid&eS auf ßrben, baS burd& feine unantaftbaren Drbnungen 
bie fSHdt Bel^errfd&t unb bie 3nbit)lbuen binbet; baS ©runbtl^ema ber 
Slenaiffance gel^t auS ber völlig entgegengefefeten Stid^tung: eS befielet 
in ber SBerl^errlid&ung beS 3Jienfd&en, feiner ©rö§e unb feines OlulömS, 
im ©ultuS beS menfd^Ud&en 3nbit)ibuumS, feines ©enieS, feiner ßraft, 
feiner ungemeffenen natftrlid&en fjreil^eit. SQSenn eS je ein Seitalter 
gegeben, baS an baS menfd^Ud&e Uniuerf algenie , an bie menfcölid^e 
2lÖmad6t unb Sölagie geglaubt, geifteSmäd^tige 3nbit)ibuen ergeugt unb 
il^ren Sauber em:pfunben, bie JDlenfd&enioelt in SRatur, Staat unb ßunft 
vergöttert l^at, fo toar eS biefeS. ©ein gangeS Sntereffe gel&t auf ben 
natürlid&en, burd& feine ßraft unb SSegabung unenblidö gefteigerten 
3Wenfd&en. 3n einem fold^en Sinn, toeit umfaffenber unb uniöerfeller, 
als man baS 2Bort getoöl^nlid^ nimmt, barf t)on ber Slenaiffance gefagt 
»erben, ba§ fie bie „Humaniora" gu il^rem ©egenftanb gemad^t l&at. 

3m SDlittelalter gebietet bie Sölad^t gu löfen unb gu Binben über 
bie ©ünbenoergeBung unb ©eligleit beS Sölenfc^en: fie toar bei ber 



74 S5q8 SeitQltct 

ßird&e. 3n her Olenaiffance trifft bie Sölad^t gu crl^eben unb ju flflrjen, 
ju öerl^errüd&en unb gu öertoerfcn bic SJerbtenfte unb ben Olul^m beS 
Sölenfdöen: fic ift Bei ben ®id&tern, Slebnern, ®ef(iöid6tfd&retbern. ©d&on 
©ante, mit bem ber erfte fjrül^ft^tmnier ber Olenatffancc gu leud&ten 
begann, bid&tet fid6 eine ^öffe unb beööHert jie auS eigener 3Jlad&t* 
öofffommenl^eit als ipoetifdöer SBeltrt(36ter. ®aS 3JlitteIaIter Dercl^rt 
bie ^eiligen, bie Stenaiffance bie (Selebritäten, bie großen burd& il^re 
©eifteStl^aten eminenten Söleufd^en, man feiert bereu ffteüquien unb 
©räber, bie erinnerungSreid^en ©d6au:plä^e il^reS ßebenS. „S)ie ©tätte, 
bie ein guter 3Jlenfd^ betrat, ift eingetoeil^t; nad& l^unbert Salären 
Hingt fein SQBort unb feine S^^at bem @n!el lieber!" ©iefeS SQBort 
ift au3 bzm ©eift ber Stenaiffance gef:prod&en, ber htm SDtittelalter 
fremb mar, aber in unferer ©mpfinbungStoeife forttoirft, SKan mu§ 
erlennen, toie bie Slenaiffance ba^ menfd6Ii(iöe ©elbftgefftl^l öon ©runb 
aus öeränbert l^at, beöor man t)on htm Derftnberten ©ange ber SBiffen= 
fd&aften unb ©tubien rebet: fie l^at „ben mobernen SUlenfd&en'' inS 
ßeben gerufen, toie einer i^rer bebeutenbften ßenner gefagt unb in 
einer umfaffenben, bie meufdölid^en ©runbgüge biefeS mäd^tigen 3eit= 
alters erleud&tenben ®l6ara!teriftil auSgefül^rt l^at.^ 

II. ®ie italieniftä^e Slenaiffance unb bereu ®nttt)icflung. 

S)er ©taube beS $öHtte(atterS folgte bem 3uge feines Oleliquiens 
cultus nadö 5PaIäftina, um bas l^eiüge ßanb unb baS l^eiligfie ber 
©räber gegenwärtig gu fd&auen. ®er OleliquiencultuS ber Sienaiffance 
bebarf feiner ßreuggüge; il^re natürlid^e ©eburtsftätte unb ^eimatl^ ift 
Italien, baS claffifd^e ßanb, baS ©rab ber glorreid&ften a5ergangen= 
l^eit ber SBelt. 3n ber SBieberbelebung beS SMtertl^umS feiert Stauen 
feine SSergangenl^eit unb aSortoelt: fid& felbft. ©o ift bie Sienaiffance 
gleid^ in il^rem llrf:prung fein fünftlid&eS 5Probuct ber ©d^ule, fonbem 
bie naturgemäße 9flid&tung, toeld&e ber Sluffd&toung beS nationalen 
©etbftgefttl^lS ergreift, baS Dbied unb SCI^ema nationaler fjreube 
unb ©elbftöerl^errlid^ung. STuguftin, ber te^te ber großen ^ixä^tn- 
t)äter, fa^ in bem altrömifc^en fReidö unb feinem S3oR bie SBoIIenbung 
ber «civitas terrena», bie bem Untergang geioei^te, burti^ bie ©d^ulb 
beS «^eibentl^umS gefallene 2Bett, bie in il^rer ©röße unb in i^rem irbi* 
fdöen dinf)m ben ßol&n il^rer Sl^aten geerntet unb für immer bal^in 

1 3acob S3urtl&arbt: bie Kultur ber ttalienifd&en Slenaiffance (2. «uff. 1869). 



ber IRcnaiffancc. 75 

l^at. ©ante, ber erfie nationale ©id^ter StalienS, erl^ebt Don neuem ba^ 
römifdöc SBoII als baS ebelpe ber SOBelt, als baS erfte affer SBölfer, bem 
bie irbifd&e SBelt|errfd^aft gebül^rt unb Don ©otteS ©naben julommt, 
unabl^ftngig öon Äird&e unb 5Pa:pft; er feiert Olont ate'bte erl^abene 
SBitttoe, bie fel^nfüd&tig il^reS 6&far3 l^arrt; il^n Begeiftert bie etoige 
©tabt in il^ren @]^rfurd&t gebietenben SErümmern. SBenige ^df)x» 
jel^nte nadft S)ante erfiftien jener J)l&antaftifd^e SEribun (Sola bi fftiengo 
unb improöifirte mitten in bem öerlaffenen unb Derfaffenen Slom, in 
bem jeriffenen Stalien bie SBieberl^erfteffung ber romifd&en SBeltl^errs 
fd^aft. Wugujiin, nod6 Dor ben 9lnfängen beS 30flittelälterS , fielet ba^ 
neue lird&lid^e 2Beltreid& im 2lufgang, ba^ ber ßäfaren im Untergange 
Begriffen; ©ante, fd&on an ber ©d^toeffe ber Olenaiffance, fielet baS 
irbifd^e §eil ber SBelt unb ber Sölenfd&^eit in einem neuen SluguftuS. 
5ür bie geiftige SBiebergeburt beS Slltertl^umS toax e§ gut, baß 
eine fold&e römifd&c Sentrall^errfd&aft nid6t beftanb, ba§ pe nirgenbs 
tocnigcr möglid^ toar afe in Italien. S)ie l)olitifdbe ©inl^^it unb 
ßentralifation mürbe bie Gräfte gebunben baben, bie gur Entfaltung 
beS neuen geiftigen ßebens in öoffer Sreil^eit unb 9iegfamfeit fein 
mußten; es toftre nie gu jener SKannid^faltigfeit inbiöibueffen ©afeinS, 
gu jener ßrgiebigleit unb SluSBreitung menfd&lid^er ®l&araftere unb 
ßcibenfd&aften, gu jenem SBetteifer ber Staaten unb ©täbte ge!ommen, 
bie nad& äffen 9lid6tungen l^in bie Talente l^eröorriefen unb befür= 
berten. ®aS becentralifirte Italien ift bem Sluffd^tounge ber 9flenaif= 
fance eBenfo günftig getoefen, »ie baS becentralifirte ©eutfd&lanb bem 
ber ffteformation. ®ie S^rf^litterung Italiens in fjolge ber ßäm:pfe 
gtoifd&en ben 5Pät>ftßn unb ^ol^enftaufen, bie 5ülenge unb SJerfd&ieben^eit 
ber ßleinfiaaten, ber beftftnbige unb jäl^e SQBed&fel il^rer ©d&idEfale, bie 
inneren 5Parteifftm))fe unb bie ßriege nad& außen, bie Ufurt)atoren unb 
©eioaltl^errfd^cr , bie ®rfinbung unb Slntoenbung affer 30flad&tmittel, 
bie ben ))olitifd&en Sntereffen bienen, ben fttrftlid^en Slul^m erpl^en, 
bie 3Waffe gewinnen unb feffeln, barunter bie im:pofanten unb glängen= 
ben SBerfe ber ßunft; äffe biefe 3uftönbe Italiens toäl^renb beS t)ierge]^n= 
ten unb fünfgebnten 3öJ^6uttberts gettJöl^ren einen SlnblidE, ber untt)iff= 
fürlidö an dl^nlid^e SSerl^ältniffe unb ©d^iifale ber gried^ifd^en SBelt 
im peBenten unb fed&jien Sal^rl^unbert ber öord&riftlid^en Seit erinnert, 
©amals cntjianb auS bem betoegteften ßeben bie ^ttffe ber 2Belter= 
fal^rung unb 3Jlenf d^enfenntniß , ber SilbungSreid^tl^um , aus bem bie 
grtedöifd&e 5pi^ilofoJ)]^ie l^cröorging. ®iefe Slnalogie ift bebeutfam. @S 



w 

^B eil 



Sae 3"taIttE 




giebt in ber SSeltgelc^id&te taurci jwei 3fitaltei, bie fo ötele in b( 
SÖDÜI^ultänbcn begtünbeie Stemente ber S8erroQTibt)c&Qft batüeten. fietl 
aBunbcr bahn, bnfe auä folcfeeit SBcMngungen, au§ einer (otc£)en ölin- 
(iijcn i^age bet 2)ingc in Stauen eine ßebenSanfd&ouung unb Silhung 
emporirflcEili, bie fic^ i^ret SßemartbtitftQft mit bem 2IUei:tf)Uin betonet 
wiib unb bie teclaf[enen ©eiflesfc^ä^e beffelben toiebet ergreift, bafe 
bie Italiener, — unter ben europäifc&en SSÖltern baS erfte, meli^eS 
üom SJlittelolter frei loirb, — ficö je^t alä bie Slbtömmünge bec 
©riec&en unb Jfiömer erfennen unb mit biefem ©El6ftge(üf)I bie gro^e 
Srbfi^nft i^rer Sßoräeit antreten. 3)!an mufe aÜe biefe Soctoren roo^l 
jufammenf offen , um batauS ben naturffiil^figen Urfprung unb 
E^arafter bcr italienifcben Olenaiffan« ju etfcnnen, bie bem übrigen 
ßuropa bie ©c&itle einer neuen Sßeftbttbung eröffnet. 3" ber Snt 
berfung bec anlitcn SRuinen unb ßunftinerfe !ommt bie äBieberauf: 
finbung ber Bluloren, bie abge!d)rieben unb »eroiel fältißt, in Bibnotl)efen' 
gefamnielt unb georbnet irerben; in ber june^mcnben fienntni& bex= 
jelben beftetjt bie litterarifi^e äienaiffance unb bie Sriceiterung i^rel 
ttiffenfctiaftliifien ©efu^tSlreifeS. 

3n feiner größten StuSbe^nung reii^t biefeS Settfliter ton bi 
Anfängen be§ Bierjcfinten biiS jum 6nbe beS fei^Sjcbnlen Sa^r^un- 
berte, con Sante bis Saffo; fein ^ö^cnjug, um bie ©renjpunfte 
burc6 ^papftc äu befiimmcn, erftrecft fi^ öon 92ilDtau8 V. (1447 6iS 
1455), bem ©rünber ber Balifanifd^en Sibliot^eE, bis ßeo X. (1513 
bis 1521), ber unter ben SRufen be§ Salitan ben Stusbrucb ber beut= 
fc&eu ifiefurmation gern überhört ^ätte. Sie beibcn Seiträume, mltS}t 
biefer 5BIul^e DorauSge'^en unb nachfolgen, laffen fic^ als „i5rit^= unb- 
Spälrenaiffance" bejcidönen. , 

Um bie neue ©eifteSftrömung üu^jubreiteu unb ju Derfiörten, 
finb einige 5Begebent)eiien , bie in ben mitlleren ßauf be§ fflnfäe^nten 
^a'^r'^unbertä füllen , Don cinftu^reicEjfter 5ßebeutung geWefen : bie 
Grpnbnng bcr Suc^brudertunft unb bie erneute Sßerbinbung amifi^en 
ber lateinifdjcn unb griccfiifcben SBelt, jtoif^en bcr nufblfll^enben ito= 
lienifd)en iRenaiffance nnb ben 9ricc£)ifcl}en ©elc^rten. Sie UnionB« 
concile, bie ißapft Eugen IV. teronftaltet, gaben ben Slrlafe ju einer 
SnlammenEunft, bie ber flinke feine, ber SRenaiffance bie reic^ften ^lüi^te 
trug. ®riec&if(^e Stjeologen hjerben burcb einen römifi^en ©efanbten, 
JJliloIauS EufanuS, ber, ein Eeutfi^er »on ©eburt, felbft f^on bort 



[it= 
>if=__ 

1 



1;VCiioiau9 i!.u|anu9, oer, ein ^Lieui^i^er oon vseouri, ieio|i ](Qon cort ^m 
bm tiefflen ^been ber grie^ift^en $^ilofot)l)ie beioegt ift, ju bcr Jlirc^en« ^M 



bet IRenaifiancc. 77 

t)erfamtnlun8 cingclaben, btc in fjerrara eröffnet (1438) unb im folgens 
ben Saläre nad& Sloreng Verlegt toirb. SBenifle Saläre fp&ter föKt ba^ 
DJirömifdöe 3leid&. ®ie Eroberung SonftantinopelS burd& bie Surfen 
(1463) Demtel^rt bie ^lud^t ber gried&ifd&en ©elel^rten, bie in Italien 
bie toifflomntenPe 3uflud^t finben, §ier gettjinnt biefe fortgefe^te, burd& 
ben legten @ieg ber SSarbaren Derftärlte Slnfieblung ben ßl^aralter 
einer geiftigen ßolonifation. Sunt gttjeitenmale Derbient ftd6 Italien 
ben 3?anten ®ro§gried6enIanb. 

SQBir ]&Qben je^t ben fortfd&reitenben SUbungSgong ber p]&iIo= 
fo))l^ifd&en 3lenaiffance nftl^er ins Singe gn faffen, bie ben Uebergang 
Dom SWittelalter gnr neuen 5J}l&iIofo:p]^ie t)ermittett in einer gunel^mens 
ben ©ntfemung t)on ber @(|olaftiI, in einer gunel^menben ®rftarfung 
beS eigenen freigetoorbenen 6r!enntnifetriebe8. S)aburd& ift baS ®efe§ 
il^rer ©ntoidtlung benimmt. 68 ift nid&t genug, bie antuen a3ilbung8= 
formen unb ©^fteme toieberguerlennen in il^rer toal^ren ©eftalt, pe 
gleid&fam auSgugraben unb blofegulegen, toie bie Oluinen beS Slltertl^umS, 
ol^ne bog ©eftrüpt) unb bie Sutl^aten, toomit bie ©d&olafii! fie um« 
ftfilungen unb un!enntli(| gemad^t l&atte; e§ ift nid&t genug, ben Sitten 
nQd&ju))]^itofol)]Öiren unb in il^re Su6ta:pfen gu treten: man mu§, loie 
jene, originell t)^ilofo))]^iren unb e§ il^nen glei(^tl^un in bem SSerfudö 
einer neuen SBelterfenntni^ aus eigener Äraft, nad& bem Sebürfni^ 
beS eigenen SeitalterS. @o ift bie Olenaiffance in ber erften ^ölfte 
il^rer Slufgabe ret)robuctit) in fftüdEfid&t auf ba^ Slltertl^um, in ber 
gioeiten J)robuctiD, getrieben t)on bem ©eifie einer neuen 3rit. 

1. ^ie neulatetnifd^e Slenaiffance. 

95on bem gried^ifd&nömifdöen Slltertl^um liegt ben Slnf&ngen ber 
italienifd&en fftenaiffance am näd&ften baS alte claffifti^e ?Rom, bie 
römifd&en Siebner unb ®id&ter, bie SKufter unb ßel&rer ber a3erebfam= 
feit, bie in ber römifd^en SSilbung l^eimifdö geworbenen ©^fteme unb 
ßebenSanftfiauungen ber natj^arifiotelifdöen 5p]^ilofo:p]^ie, ber ®:pilureer, 
©toiler, QUptiltx. S)ie Olet)robuction biefer römifd^en ©eiftesbtlbung 
ifi bie neulateinifd^e Jftenaiffance, bie in ßicero unb Ouintilian il&re 
SOteifier erlennt unb il^ren bebcutenbjien Ole:präfentanten in bem [Römer 
ßorengo SJalla finbet (1406—1457). §ier ift ber ©egenfa^ gegen 
ajlittelalter unb @d6olapi! fd&on in öotlem 3ugc: bem barbarifd^en ßtrd&en= 
latein mirb bie gereinigte, an Sicero gefd&ulte ßatinität, ber ©laubiDttrbig= 
feit fird&lid&er ©a^ungen bie t)^ilologifd^e ßritif entgegengefe^t ; SBaffa 



Eas Scilatter 

unterfud&l bie Sulgata unb jeigt i^re JJe^Ier, er Bejttieiiett bie Si^t^eit 
beS at>ofio(ii(Scii ©qmbolumä, et lüiberlegt ben conftanlinifcftm Utftirung 
bc8 fiir^cnftaotä in feiner bcrßtjmten Sc&ttft „2Jon bet fäl(i$Ii(^ 
geglaubten unb erlogenen Si^enlung SonflantinS", Sie jjfeuboeifi- 
bortiiien ©ecretalen Rotten biefe Siction gteir^Jam cobificitt; ha^ fpätece 
SßapQlfljfteui liefe c§ niijf bei ber ©c^enilunä bewenbcn , Sonftontin 
tiabe bem ^Popfte nur aurüJerjiQtlet, ttnS jener al3 ©tott^altcr ©otteS 
ton je^er bcfelfcit; SJante Uerroirfi \iion bie Slftei^lmäfeigleit ber tQt|er= 
lieben ©c^cnEiing, ober beftreitet nidil i^re Stjotfocte; aSoßa bemeip, 
boft fie nie war, bafe bie köpfte ©elDalt^ertfdier unb 3lciu5er feien, 
bie Berbiencn. bafe mon !t)r ^ocft abmerfe. Ss ip ntd&t ju »ermunbcm, 
bofi biefer SRann terfolgt würbe unb unter ben Slragonefen in 9]eapel 
jur 31ot^ Bäjülj fanb; nieit ^nrolteriftifc&cr ift, bafe iE)n TOtotauB V. 
in feine ©ienfte nafjm. ffiotlo iDoKte feine ©c^rift „um bet 2Ba^r^eit, 
um ber Sieligion unb beö IRu^mes mtflen" gefijrieben ^iiben. 9ItS 
er bie SRüdfe^r naä) 9toin luilnfrfetc, erltärte er fic^ jum 9Bibertufe 
bereit, ©eine füt)ne ©eifie8t^Qt mar bom S^rgeij niAt weniger 
bewegt als üon ber 3Baf)rI)cit§liebe; fie follfe i^n berühmt, aber ni^t 
elenb madien. Set ben Sntereffen, bie ba§ Seifolter ber Ülenaiffance 
erfüllen, mar baS äJiÖrlijrertljum im greife gefallen, unb man barf 
bie Störte i^rer E&araEtere nicbt an einer SJufotiferungäfätii gleit er=' 
})roben, roeti^e bie Dlactit bc§ ungebrochenen ©loutenS Dorausfe^t. 

3n einer Seit, , luo bie ©c^o(üftiI notfe folibarifi^ Derbunben er- 
ft^eint mit SlriftotelcS, namenilicb in bem ©ebiete bet Sogif, mu& bie 
ißericerfung jener aucfi bicfen treffen. 2)te neulateinift^e Ülenaiffance 
wirb in ibrer antifcfeolafiifiien unb anti^icrar^tf(^en JRi^tung jugteicö bie 
©egnerin be§ SiriftoteleS unb feiner ßogif. Sies gilt insbefonbere üon 
^aöa unb aßen, bie ifiin folgen. 3n ben Öe^rbäd&etn unb bem ©e- 
fcrauift ber ©c£)o(aftiler ^nite bie aiiftotelifcfie ßogif ein löi^erlicöcS unb 
barbarifdieS Slnfe'^en gewonnen, ©tott ber abftraden unb fünftlicöen 
©entfornten foll jc^t bie lebenbige unb ntuftergülfige 9iebe, ftott ber 
ßogil bie JR^etorif, ftatt beS SlriftotcleS Siccro unb Ouintilian, ftatt 
ber bisherigen Irodenen unb unfruijtbaren ©c^ulbiScijjltn einer leeren 
aSortmaiijerei bie freie unb fi^öne ®Ioquen3 ju jener getftigen 5oTm= 
bitbnng bienen, in welc&er bie ^raft be§ ©ebanfenS unb be§ 9tuBbruc(3 
jitglfi* geübt Kirb. (Rubotti^ 9(gricola (1442—1485) unb gJetruS 
9tamu§ {1517—1572) nia^en barin mit Sorenjo SßaHa gemeinfame 
©ücfie: eS ftnb bie giceronioner gegen bie SItiftotelüer. 



tme M 



bct 9lenatf{ance. 79 

2. S)ie atifioteltfd&e Slcnaifiance. 

Snbcffen lann bte t)ortt)äxtS bringenbe Jftenaiffance bcn großen 
SDIcijier bct griedötfd&en 5p]^Uüfo:p]öie ni(^t in Un ^ftnben bex ©d&o(aftiI 
loffcn; fic l^at bic 9luf gäbe, baS SBerfiänbnife beS SlriftoteleS aus il^m 
fdbfl toicberl&crguPeffen, fein ©Aftern ber ßtrd^enl^exrfdöaft ju entreißen 
unb ben ©egenfa^ ätoifd&en \^m unb ber ^tttj^enlel^rc ju erleutfiten. 
SQBir Ißnnen bte ©nttoidEIungSforni, tt)el(^e bie itaüenifd^e Slenatffance 
in bicfer 9iid^tung burd&laufen ^at, als bie atiftotelifd&e begeid&nen; 
tl&xe burd& ba^ fed^Sjel^nte Sal^rl^unbert fortgefe^ten ßontrouerfen finb 
befonberS an ben UniDerfitöten 5Pabua unb SBoIogna gefttl&xt tooxben; 
il^r l^exöorxagenber, bem ©eifie ber Slenaiffance am meiften gemäße 
9ie:präfentant toar ber SKantuaner ^Pietro 5Püm:ponaäji (1462—1525). 
S)a es fid& um baS rid^tige SSerftänbrnfe beS SlriftoteleS l^anbelte, mußte 
bic Unterfu(^ung t)on ben ßommentatoren auSgel^en unb bei bem t)or= 
l^anbenen ©egenfa^ ber legieren fid& gur ©treitfragc gefialten. Unter 
ben arabifd^en ©rflftrern »ar Slöerroes, unter ben grtedöifd&en 
Sllejanber Don Slpl&robtfiaS , ,,ber ©seget" (auS ben Slnföngen beS 
britten d^rifMidöen Sal&rl^unberts) ber größte. Sluerroiften unb 2l(eEan= 
briften Iäm:pften in 5Pabua unb SBoIogna. Äein 3tt)eifel, ba^ bie 
italienifd&e Jftenaiffance, in ber 9ie:prübuction ber gried&ifdöen 5p]&ilüfo:p]öte 
begriffen, ben griedöifd&en ©rttörer öorjiel^en unb ju il^rer Stid^tfd^nur 
nehmen mußte. Sluf biefer Seite ftanb 5Pomt)onajji gegen 2l(iötKini 
unb 9Ufo. 

®ie ariftotelifdöc Cel^re mar ein @nttt)i(Hunggf Aftern, ba§, ge= 
grttnbet auf bie Smmaneuj ber 3tt)ed£e, bie ginl^eit ber fjorm unb 
aJlaterie, bie natflrli(^e gnteled^ie unb bereu ©tufenreil^e, in feinen 
legten (Srgebniffen »ieber ju einem S)uaIiSmuS öon fjorm unb 3Jlaterie, 
©Ott unb SBelt, ©eift unb ltörj)er gefül^rt l^atte. . @o lag in ber 
SBerfaffung ber ßel^re felbft ber SttJiefpalt ber moniftifd&en unb bua= 
liftifd&en Olid&tung unb barin bie $ölöglid&!eit entgegengefe^ter 2luf= 
faffungcn, je nad&bem bie Smmaneng ber S^edfe ober bie 2;ranSfcen= 
benj ©otteS gum l^errfd&enben ©efi(i6ts:pun!te ber Setrad&tung unb S5e= 
urtl^eilung gemadftt »urbe. ®er crfte ©eftd&tsj)unft beftimmt bie 
noturalifiifd&c, ber gleite bie tl^eologifd&e 2luffaffung ber arifto= 
telifd&cn 5p]^iIofoJ)]^ie: jener ift unter ben gried&ifd&en grHörern guerft 
burd& ©traton, bann burd& Sllejanber, biefer burc^ bie SReu:ptatüni!er 
auSgefül^rt loorben, t)on benen er gu ben arabifd&en ^Pl^llofo^jl&en über= 
ging, bie ben SlriftoteleS in t]^eofoJ)]§ifci^er ©eftalt ber ©d^olaftif beS 



®ttä Seitalter 



^^H^ 9(benblanbe§ jugdnglii$ tnac^ten. Sßirb ba§ arifloteltfd&e (Sntltii(flims§3 
^^^P feilem Don oiim ifetah (tt)eo[ugifc^) betrachtet unb Qeoibnet, fo eric^etnt 
■ es aU ein Don bcr ft6etweltli;^en ©ott^eit oütoättä fifirettenbes ©tufen= 

I teicö bcr SffteöigeTijen, bcren jebe, Bon bcn ^öfiercn umfafit imb 6e= 

I 5fiT|cE)t, in bcm atüeftuften fiosmos jel6ft einer befthnntten Qpifäxe 

I borftefit. unb bercn iinterfte in bet fufctunorijc&en SBeU ben ©eift ber 

I SDlenfii)^ett aiiämat^t. ®ie§ war bie ©runbform bet oDerrniftifdien 

^^^ S3e^rf, bie bnrcfi i^ren })t>iitl)eiftif(f)en Efiarofter bie ©djolaflif abftiefe, 
^^K burc^ i^cE f^eologifije 9!atur= unb SBeltanfc^aiiung anjog. 
^^B 3e^t t)anbelt f§ fii$ um bie S'leinipug ber ariftotelili^en Ce^i 

^^™ ton beti ftemben SutEioten i^rer neujitatonifd&en, orabifcften unb fc^i 
f laRif^En _^®rtlärer, um bie ©rfenntnife be§ tCQl&ren SlriffoteleS, bi 

SJifferenj äwifiicn i^m unb ^loton, jtoijcben i^m unb bei cfiriftlii 
©foubenöle^re. Sie italienif^eu Striftotelifer, bie e§ mit ?ttejanber 
Rotten, finb auf bet SRfiifte^r jum ffia^ren 9(ttflotetes begriffen. @8 
gicbt Eeincn ^uutt, in bem atte biefe ©egenfü^e fo beuflic^ unb mirffatn 
^eroortreten unb äugleic^ bie ^lufmcrffarateit bcö SeitalterS fo lebl^aft 
erregen unb feffetn tonnen, aU bie Srage nacf) ber Itnff erblic&lfeit 
ber ©eele, SlriftotefeS tiatle geteert, ba& bie Seele ber inbioibuetle 
SeßenSjwecE eineS otgantfi^en ^BrperS, bafe ber ©eift ober bie SBer» 
nunft unuergänglic^ unb unftetbÜcö fei; er Ifotte äffiifc^en ©eele un« 
©eift (Vernunft), jluifiSen leibenber unb t^ätiger Sernunft untet- 
fc^ieben unb »on ber festeren bie Unfter&tii^Eeit befiQuptet. §ier ent= 
ftanb nun bie iJragc: 06 bicfer unfterblic^e ©eift be§ SRenfc^en au^ 
perfönliifi unb inbioibneß fei, 06 e?i eine (lerfisnlicÖe Unfterbtitfileit gebp, 
bie einjige, roomit bem ©louben unb ber ^trc^e gebient ift? SBenn fic 
nacf) ?lti[lotcfeä Berneint »erben mu§, fo fällt bie Sebingung, unter 
ber üUein eine jenfcitige Sergeltung ftattfinbet, eine fcnfeitige SBett 
für ben 5Renfd)cn, eine über bie ©tenjen biefeS ßcbcn§ fottmirfenbe 
SItacöt betßtriSe, b. ij. biejenige Süacfit, mit toelc^er atte ßirc6enöertfd6aft 
fte^t unb fötit, fo ift -(mifcben bei ariftotelifc&cn unb fircfilic^cn 8e§i 
ein ©egenfa^, ber uic^t gißtet gcbactit merbm lann, unb baS gai 
Ce^rgebflube ber Si^olaflif liegt in Irümmern. 

Senn man ben ©eifi ober bie t^Ötige (in ber raa^öwn ®rtenntnt§- 
fiegriffene) aScrnunft jugteicö für törpcitoS unb inbtüibueff erHött, fo 
icirb, tnie ItjomoS gemottt f}ai, bie petfönliifte Unfterblid&Ieit beS 
5Dienfc^en mit §fl{fe ber ariftotetifcöen ©eetenlel&re in majorem Dd 
gloriam fceraiefen. Senn bie t^ätige Sßemunft gleic^gefegt mirb bem 



I 



f» 
beS 
Um ■ 



bet Sienaiffance. 81 

attgemeincn aJlenfd&engeift, fo muß mit Sltjcrroeg bic Unfterblid^feit 
Bejal^t, aber bic :perfönli(j&c Dcrneint »erben» ©ilt bagegen nad& ber 
naturaliftiftfien Sluffoffung^ bie tätige SJernunft als ein 5Probuct ber 
ßnttoidEIung, bie PctS inbiöibucff ift unb organifc^ Bebingt, fo lann 
t)on Einerlei menfd^Iidöer UnfterMid&!eit bic Olebe fein, töcber t)on un* 
t)crfönUd&er no(% Don inbitoibueüer. S)iefen SetoeiS fül^rt ?Pom:ponajji 
in feiner Berül^mten ©d^rift «De immortalitate animae» (1516). ®ie 
UnfierWid&leit ift blofe lird6Iid&c ©laubcnSfadöc, aU toeldöe 5Püm:ponajji 
fie gelten löfet unb bejal^t; ber fd^on geläufige ®egenfa§ ätöifc^cn 
©tauben unb SBiffen, SEl^eologie unb 5p]§iIofüt)]^ie ift je^t in ber 
fd&ärfften Sorm gugef^ji^t, in bem tt)id&tigften unb :praftifd^ bebeutfamften 
affer göffc concentrirt: er befte^t gtüifd^cn Sl^omaS unb SlriftoteleS, 
er betrifft bic gefammte ienfcitige SBelt, fftr toeld^c bie ßird^e bie bief= 
fettige bel^errfd&t. SBa§ tonnte bem tocitburftigen ©eift ber fRenaiffancc 
toifffommener fein, als eine fold^c inbirecte <&intoeifung auf bie 5ölftd&tc 
beS gegenwärtigen ßebenS? 6ine fReil^e großer ^Probleme, bie mit bem 
©d^idtfal beS Sölenfd&en unmittelbar gufammenl^ängen , »erben t)on 
neuem gctoedEt: über bic Drbnung ber SBelt unb bie Slrt il^rer 3lot^= 
loenbigleit, über ^Prftbefiination unb Satum, über bie ^ölöglid^feit ber 
menfd&lid&en Sreil^eit, lauter Sl^emata, bic aud6 5ßomJ)onaggi bel^anbelt. 
®tc Slufgabc fielet fd&on fefi, bafe äffe ©rfd&einungen, audö bie t)er= 
meintlidö übernatürltd^en, tt)ie Söubereien, Stauungen, ©ömonen u. f. tt). 
auf natürlid&e SBeifc erMftrt »erben foffcn. !3n Setreff ber 3auber= 
fünfte Bat 5Pomt)ona3ji ebenfaffs eine fold&e @r!lärung t)erfud6t. 

SQBenn nun biefe Slufgabc einer ßrfenntniß ber ®inge aus na= 
türtid&en Urfadöen gtoar notl^toenbig geforbert »erben muß, aber burd^ 
eine SBieberbelebung ber arifiotelifdöen ^Pl^ilofopl^ic !eincS»egS geleifiet 
»erben fann, »enn biefe le^terc nid^t bloß mit ber ßird&enlel^rc, 
fonbcrn aud& mit ber SRaturlcl^rc ftreitct, fo muß bic Olenaiffancc 
felbfl §anb anlegen an bie 3luSbitbung einer neuen Sllatur^jl^ilofo^jl^ie. 
2Ks 5Pom:ponag3i bic ariftotelifd&e ©eelenlel^rc gegen ben d&riftlidöen 
^immel ins tjclb fül^rtc, »ar bic 3ßit nid&t mel^r fern, »o bie arifto- 
telifd^e ßel^re t)om SBcltgebäube untergcl^en foffte burdö bie ©ntbedfung 
beS »irllid^en ^immels. 

3. S)ie :poIttifd^e IRenaiffance. 

®ic unmittelbaren Obiecte beS neuen, mit ber 9flenaiffance er= 
toad&ten 2iBeltbe»ußtfeinS pnb Statur unb ©taat, biefer Inbegriff beS 

afifdjer, ©efdj. b. Wlof. I. 4. «ufl. 31. «. 6 



I W 1 1 V 



5oS 3"la[t« 



nienfcölicfien i?D§ino5. ®ie 3eit ift actommen, TOD aui^ boö ^ntEteffe 
am ©taut roiebcmuffc&t unb fic^ Bon aUn t^eologifc^cn SöeBormunbuns 
loäreifet, Bon btr ge(ammtcn f cfiolaflif c^en, -. ber titc^lii^en Slutorität 
untetrootfcnEn Staatslehre, 3" einem Seitgeit offen iportiponajjis, einem 
ber bcomnberuitgäiüürbigften ßöpfc beS bamoligen 31alien§, nxeiä}t 
bie|e Sienaiflance bcs potitifcfeen SctDufetjeinö i^ten pdjfien unb un= 
centtirteften 2(u8brutf: in bcni Storciitiner Sltcolo 3)lai$iaDelli 
(1469 — 1527). 3^n Iteibt mit einet Utfraft unb Unmiberfte^Iic^teit, 
»ie fie nur bie tolle iagcsirtfcöe einer neuen Seit gie6t, boä SBe^ 
bilrfnife wieber politifc^ ju benlen unb mit gonjer ©eele für ben Staat 
au leben, „35a§ ©[^id(al tooHtc, bafe lii webet Bon Seibe nocö SßoHs 
meberet, webet Don ©ewinn noif Oon Sietluft ^u teben tteife, \ä) niu^ 
Born Staate teben ober BÖßig fi^roeigcn, wenn iif) boBon mitt rebeu 
fonn", fc&reibt et einem greunbe, atä t^n bie SJiebiceer Derbannt 
!^Qtten. ®t möc£)te bie SiilcCte'&r jur polifilc^cn Sfiätigteit um jebeaj 
Sßtei§ ertaufen: „unb müfete ic^ Steine wdljen!" i 

9Iu8 bem 2)otbilbe faeS alttömifc^en ©taateS, bem ©tubium ber 
©efifeiiiltc, ber l)Qttiotif(^eu 3;E|eilnal)me an ben öffentUi^m Suftünben 
3ta(iene fc^opjt et feine ffleleiitungen unb Slufgatien. Saä pti^fifcbe 
5D'ienfii)cnlebcn toiH auS ber Siatut, baä Staatäleben auä bet ®ej(feiijte 
etlannt unb bcurt^eilt roeiben. So erweitert fii$ ber politifcöe ®e= 
ficdtsfreis jum l^iflortfcben; baä politifrfie ^ntereffe wedt bas gefdiic^t- 
lidiE, unb nuS ber nütutgemaßen 2iet6inbung beiber cntftcljt miebet 
politififie ©efc^ic^töwiffenfcEiaft unb ®etc[)iiStäfc^reibung. ^n biefem 
©eifi ftubiit 3Hact)iaDelli ben fiiDtu§ unb fd)tct6t bie ftorenttniit^e 
®efd&tii)te; bet SJlenfif) ift ju aüen Seiten bevfelbe, ftet§ ijaben gleic^E 
Urfo^en gleitfie Sirlungen, biefe oetönberu unb Betfc^timmern fic^ 
im SBetöültnifle ju jenen. Saä finb fe^t eintcuc^tenbe unb aHge* 
meine SIBalit^eiten , biE SRai^iaBelti oft mieber^ott unb auf baä 
eigene Settaltet unb SBaterlanb anWenbei. ©iE ©röfee beä alten 
IRomä uitb baS @lenb be§ neuen ^talienä; bort bie junelinicnbe §£rtf(^aft 
eines erftartenben unb mächtigen SJolfeS, tjier bie june^menbe ßned)t= 
fi^aft feiner 9iüii&fommen, bie bEU Söorbareu bienen unb in bet ®egEn= 
Watt ein ©tiielbaD frembcc @toberungäfuct|t finb; bort baä äut 3Belt= 
^etrfi^aft aufjieigenbe 9Iom, ^ier ba§ gefunlene Stntien im Suftanbe 
ber 3*;"'iffe"^eit, ber 3remb^errfcf)aft, ber 2!nOafion! 2Bo^et fam iene 
®rö6e, too^et biefer SßerfaÜ? Sffloburr^ finb bie 5fadifommen bet 
SRömer entartet? Sffite ift bie fltuft entftanben äwtfc^en ben 9lömei 



] 



bcr IRenaiflancc. 88 

Dor 6&fQr unb bcn 3talteticrn bcr ©cgentDart? §tcr fhtb bie großen 
gefd&id^tUd&en fragen, beten Sl^ema ben ©etft 5ülad&tat)ettiS unauf« 
l^örlidö tefd&ftfttgt, bie er in feinen „©iScorfi" an ber ^anb beS Stt)iuS 
nadö bem ©efe^e ber l&iftorifd^en ßaufatität ju löfen futi^t. @§ ntu^te 
ben StaUenern ber Olenaiffance gefagt toerben, bafe fie jtoar bie be= 
rufenen , aber aud& bie gefun!enen @rben be§ rBmifd&en Slltertl^umS 
feien, ba§ bie SBiebergeburt bie SBieberer^ebung forbere. „SBaS bu 
ererbt t)ün beinen aSfttern l&aft, ertoirb eS, um eS gu befi^en!" S)iefeS 
SBort, angetoenbet auf bie @rben ber fRömer, begetdönet basjenige Sl^ema 
ber ttatienif(^en fftenaiffance, toeld&eS ^ölad^iaöeüi aU Staatsmann unb 
©d^riftfieffer ju bem feinigen gemad)t l^at. 

6r futftt burdö feine l^iftorifd^en Setrad&tungen ben S33eg gur 
t)oUtifd^en Sfieformation Italiens. 3n biefem ^JJunft liegt fein 
3iel, feine eigentlid^e patriotifd^e Slufgabe. ®a§ lel^rreid^e unb orien= 
tirenbe SSorbilb ift ber ©taat, t)on bem 3Mad&iat)elIi in feinen ©iScorfi 
über bie erfte ©clabe be§ ßit)iu8 l^anbelt, bm öergleid&enben SSIid 
immer auf bie 3uftänbe ber ©egentoart gerid)tet. S)ie Slufgabe ber 
le^teren ift bie ^Befreiung 3tatienS t)on btn ^Barbaren, bie ^erftettung 
feiner ©inl^eit. 3^ur t)on einer fold&en italienifd&en ©tabt, bie bnx^ 
if)x ©emeintoefen, il^re re^jubtüanifc^e SJerfapng, il^rc :|3oIitif(|e @nt= 
njidlung uon aüen bie reidbfte unb erfal^renfte ift, fann bie ^jolitifd^e 
9icformation auSgel^en; fie !ann nur erreid^t »erben burdö eine ©e= 
ttjaltl^errfd^aft, bie alle 9DlitteI !ennt unb braud&t, tt)oburd& aJlad&t 
gegrünbet, erl^alten, t)erme]ört toirb: biefe ©tabt ift ^loreng, biefer 
©enjaltl^errfdöer foff ber Urenfel jenes großen fforentinifd&en SBürgerS 
fein, bcn man „35ater bc8 aSaterlanbes" genannt l^atte, S)er :politif(|c 
Seruf unb bie SBebeutung t)on tJlorenj erließen an^ feiner ©efd&idöte, 
bie 5ölad&iat)elli in biefer Slbfiät gefdfirieben unb bis gu bem Sobe be§ 
SWanneS gefül^rt l^at, in beffen ©ol^n (ßorengo II.) er gern ben SKeifter 
StalienS gefeiten. 

S)iefem tooffte er in feinem Su(| „SSom dürften" ben ©ett)alt= 
]^errfd6er fd&ilbern, ben Italien braucht, um bie erfte SBebingung feiner 
politifd^en SBiebergeburt gu erfüllen: nömtidö eine ^aä^t gu toerben. 
©0 l^ängen bie Sütiier ber fforentinifd^en ©efd&idöte mit benen t)om 
©taat (©iScorfi) unb t)om dürften gufammen» aOBenn man fid^ ben 
Unterfd^ieb Har gemad^t l^at gtoifd^en ber fortfd&reitenben 5Dtad&tenttt)id£s 
lung eines tüd^tigen unb gefunben SSotteS, toeld&eS feinen ^errn t)er= 
trägt, unb ber Dl&nmad^t eines gefunf enen unb öerberbten, baS gu 

6* 



84 S)Q8 Settalter 

feiner Sufammenfaffung einen §errn brauet, fo toirb man leinen 
SBiberftreit finben jwifd&en bem SJerfoffer ber ,,®i§corft", ber jtd& bon 
bem großen Söfor Qbttjenbet, unb bem beS „principe", ber für 3taUen 
einen 3Hann nocfi 3lrt be3 ©efarc Sorgia l^erbeimünfd&t. Unb ba ntan 
tt)ei§, bofe j)oIitifd&c TOod&tfrQgcn nie, am toenigften in einem berberbten 
SJoKe, mit ben SÄitteln ber 3Sloxal ju löfen finb, fo ift eS unöer« 
ftönbtg, bos Sud& t)om dürften gu öerfd^reien. a)lQd&iQt)etti l^attc einen 
^errf(^er gu fd^ilbern, feinen ßtoperbruber : einen jener italienifd&en 
^errfc^er, an benen baS Seitalter ber Slenaiffance längft getoöl^nt toar 
nur bie ßraft unb ben ©rfolg gu bewunbern, bic nichts mit ber 
©utl^eit gemein l^aben. 

Unter ben Urfad^en, toeld&e bie 0lömcr grofe unb bie Italiener 
elenb gcmaiä^t l^aben, lafet 9Jtad6idöelIi bie Sleligion mit befonberem 
5lad6bru(I l^erbortreten. ^ier geigt fid& ber gange ®egenfo§ gtoifd&en 
ber ^)oIitifd6en Slenoiffance unb ber ßir(§e. SDic Sleligion ber alten 
9lömer toar ©taat^religion unb i^re Srl^altung eine ©ad&e ber 5PoUtiI 
unb be3 ^Patriotismus; boS ©l^rifientl^um bagegen ift öon Slnbeginn 
auf baS SenfeitS gerid^tet, t)on ber SBelt unb bem ©taate abgetoenbet, 
in feinem Urf))runge unt)oKtifd&, es l^at bie 3Henf(§en bem Staat ent- 
frembet unb bie ^)oIitifd&e Sl^atfraft gefd&toäd&t. 3ü biefem erften 
Uebel ]^at fid^ ein gtoeiteS gefeilt. S)ic c^riftli(§e ^Religion ifl il^rer 
urfprünglid&en 3li(§tung nid&t treu geblieben, fonbcrn entartet; auf ben 
©lauben an ben ^immel ift eine lird^Kd^c ^errfd&aft auf @rben gc= 
grünbet, bie ben ©toat eingenommen unb bemeiftcrt l^at. ®iefeS 
gttjcitc größere Uebel ift bic ^ierord^ic unb baS ^apftt^um, meld&cS 
in 0lom tl^ront unb einen Z^id Italiens befi^t. (£s gtcbt lein gröfeerS 
Uebel als ben ßirdöenftaot, baS gemaltigfte aüer ^inberniffe ber tta« 
lienifd&en ^inl^eit. 

^icr trifft SÄad^iabeHi hm fd^Iimmflen ©egner feiner re forma« 
torif(§en 3fbee. S)rci ^äHc finb ben!bar in ber ©teHung beS ^app 
tl^umS gu Stauen: enttoeber ber 5|}a))ft bel^errfd^t gang Italien ober 
nur ben ßird6enfiaat, ober er ift ol^ne alle tocItUd&e 3Had&t blofe baS 
£)Uxi}anpt ber Äird&e. 3m erften fjatt ift Italien fein ©toat, fonbern 
eine fird^Iid^c 5Proöing, im gleiten bleibt es gcrriffen unb feine ©inl^eit 
unmöglid^, im brüten, ben ©ante geloottt l^atte, bcbarf ber ^ap^t beS 
©dftu^eS einer fremben 9)la(§t, bie StaUenS ©elbftänbigfeit fortbauemb 
gefäl^rbet: bal^er gtebt eS feinen O^oK, in bem baS ?Pa^)ftt]^um fid^ 
mit ber ^)oIitifdöen ^Reformation Italiens bertrögt, ©o befielet gtt)ifd&en 



ber ^lenaiffance, ^ 85 

beiben ein Qbfolutcr ©cgcnfo^, unb 5ölQd&iat)ctti toünfd&t bic SBernicItung 
bc3 5Pat)fli^uin8. Stn i^m fic^t er bie SBursel bcr Ucbel. SDaS ^ap\U 
tl&um ]^at beibc öcrborben, bie Sieligion unb ben ©taat, eS l^at jene 
l^eud^Ierifd^, biefen nid&tig gemad^t; baS SJetbetben l^at t)on l^ier quS 
um ftd& gegriffen unb bie Sitten ber SBößer Vergiftet; je nd^er biefe 
bem §au})te ber fiird^e finb, um fo toeniger finb fie religiös ; bal&cr 
unter ben d&riftlid&en 33ölfern bie romanif^en bie t)erborbenften finb, 
unb unter biefen am fd&ümmften bie Italiener, SDaS le^te 3icl 5ülad&ias 
t)elli8 fonn fein anbereS fein aU bie SSernid&tung ber römifd&en ßird&e, 
bie ©äcularifirung ber 0leligion; er toürbe am liebften an bic 
©tette ber neurömifd&en Sleligion bie altrömifd&e, an bie ber ßirdöe ben 
Staat, an bic ber Sleligion ben Patriotismus fe^en. ®r t)ergöttert 
ben Staat. (Sine foI(§e Slnfd^auung mufete im SSerlauf ber Sftenaiffancc 
l^eröortreten ; 9Jiad6iaöeIl(i tourbe Don i^r ergriffen unb l^at fie im 
©l^aroftcr biefeS S^italterS mit genioler ©nergie auf unöergleid^Iid^c 
Slrt auSge^)rägt. 

5Pomt)onajji er!annte ben SBiberftreit äioifd&cn ber UnfterbIi(§!eitS= 
lel^re unb ber ^l^iIofo^)]^ie: bie menfc^Iid^e Unfterblid^feit fann nur 
geglaubt, nid^t bcioiefen toerben. SWad&iaDctti erfennt ben SBiberftreit 
jloifd&en bem (§riftUd&en Unfterblid&feitSglauben unb ber 5Politif: ber 
9Jlenfd& fott im Staate aufgellen. Sfener lafet baS firc^Udbe .^immel» 
niä) l^infäÖig, biefer baS irbifd^e 9leid6 ber ßir(§e t)ertt)erflid& erfd^einen. 

4. S)er itaUentfd^e SleupIatoniSmuS unb bie %^to]op^it. 

3)er ©eifi ber Slenaiffance forbert bie unbebingte, ber Sleligion 
bcS St^nfeitS entgegengefe^te SBeltbcjal^ung, bie in ben Ittl^nften unb 
cntfd^iebenfien ©l&araHeren ber 3eit bis gur SBergötterung beS Staates 
unb ber 5Ratur fortfd&reitet. SQßir l^aben in 9Jtad&iat)eHi gleid^fam bic 
eine ^ölftc biefer SBeltbeial^ung, bie j)oUtifd6e, fcnnen gelernt unb feigen 
ber anberen entgegen, bie fid& als natur))]^iIofopl^ifd^e unb J)ant]öeiftifd5e 
barfletten wirb unb am 6nbe beS fed&Säcl^nten Sal&rl^unbertS erfd^eint. 
SDiefc J)antl^eiftifd6e SBcltanfd&auung, bie SRatur unb Unit)erfum öer= 
göttert, loiberftreitet nid&t blofe ber lird&Iid^en, fonbern aud^ ber arifto« 
telifd&cn ßel^re, bic ©ott unb SBelt trennt, unb ba fie nod^ öon ber 
SRcnaiffance getragen toirb unb aus ber SBiebergeburt ber alten 5p]^iIo= 
fopl^ie l^ert)orge]^t, fo muffen bie erften SluSgangSpunfte biefer Sftid&iung 
in ber neuplatonifd&en ßel^re gefudbt toerben, .^ier finben toir bie 
i)]^ilofop]^ifd&e [ftenaiffance in einem 3uge begriffen, ber, öergtid&cn mit 



^^V 66 



Slaa 3citallet 




bem EnlwictlungSgange bet alten ip^ilofop^ie felBjl, in ber umai 
fel)rtcn giic^tHng foTt|c[)reitct. Ser ©eift be§ SlHeri^umä ging »oi 
ben loämolügiff^en ^'roblemm hurif) ba§ ant^rDpDtogiJcöe (fotratiicöe) 
jü bem t^eotogili^eii ititb münbeie julegt iit bte gro§e religiöfe SBcIt= 
frage, bie bem SieuptatoniSniuä in feinem rocileften Umfange ju Orunbe 
log; bagegen ber ©eift bcr JRenaiffünce, bct uom SJitttctatter ^erfommt, 
fuc6t ou3 bet tt)eologt|d&en SBettanf^Quung, bie er mitöringt unb noi^ 
in fic6 trägt, ben SBeg ju ben fosmologiji^en ^ßroblemen. 5DaS Sor= 
Bilb ber Sitten nm& bcv au§ bem E^riftent^um inieberentfle^enbeii ^^xlo= 
fop^ie junöi^ft Don ber ©ette om metften einleuchten, bie i^rem t^eo= 
logifcö ge|(^u(ten unb in retigiöfen Stnfcfiauungen eint)cimifd6ert ©eift 
am näijfien Berroanbt ift. Siefe ©eftntt ber griecf)tftf)en ^^ilofoptiie, 
in meiner ba§ Ic^te 9IttertI)um unb bie fieginnenbe Sleujeit f\d) 6e= 
ittfiren, ift ber religibfe spiotoniärnuä. lieber boS 9)littclütter ftintoeg 
reichen fie fic6 bie §änbe, unb e§ lönnle [d)einen, al6 ob natfi einer 
langen ißaufe, in ber fie ucrftummt icar, bie ^^^itofop^ie be§ Sllter^ 
tt)um8 eben bo fortfahren rooüle, wo fie in ben legten 3IeuplQtoni(crti 
oufgeprt ^ntte. SBir fe^en bie JRenaiffance in berjenigen tftitj^tung Doe 
iiniS, raelctie Don ber teligionSp^ilofop^ifiien Sffieltonlcöauung ^ur natut«^ 
li^irofoi)öififten fottfc^reitet; ben SluSgangäpunIt bilbet ber itatienifc^e 
9ieupIatortt3mii§. ben SnbpunEt bie itülienifi)e 3inturp^ilo= 
fopfiie: bort begegnen mir ffiorfteflungaireifen, bie nii 5ptöKo8 unb 
bie testen 9lcii piaton if et erinnern, ^ier bagegen foli^en, bie mit ben 
erften iMnfi^Quungen ber ioni[(^cn ülatnrp^tlofopl^ie üerioanbt finb. 
Unter jenen griecftifcöen St)eotogen, bie in 5Iorenj erfi^ienen, 
bie Union ber griec^ifdien unb lümtlcfien ßiri^e im ©inne ber legieren 
geplant rourbe, raoren ©eorgioS ®emifto§ *ptet^on aujS Son= 
flantiuDpet (1335—1450?) unb fein ©ctiöler Sejforion au§ %m= 
peäunt (1395 — 1472); jener ein ©egner, biefer ein Jreuitb ber Union, 
balb Karbinol ber römifc^en fiircif)e (1439)', ber aSertöeibiget unb 
Sil^rer bet ()tatDnt((ften 9tenaiffance in Stalien. ^ptet^on öertQnbigt 
fi^on eine SM neuer aöetlretigion, bie bo§ ®f)rtftent^iim üerbunteln 
unb bem §ctbent^um nicf)t unö^nlict) fein toerbe, er ift ein gläubiger 
SInljänger me^r be§ ^Profloä ü1§ ber d)rtftti(ien fiiril)e; er gerotnnt 
buri$ feine begeiferten SJortröge ben erften 3Jiebiceer für bie 
platonifc^e ^^^ilofop^ie unb öeranlafet bie ©tiftung ber platcnifd^en 
Slfabcmie ju glorenj, in ber jene ©ifiute Don Sitten Kiieberaufjuleben 
|(§eint, bie üor me^v atö neun 5fQl)r^unberten 2!uftinian »ernic&tet 



1 
1 



tet ■ 



ber atenaiffance. 87 

l^atte. 3e|t erneuert ftd& ber ©treit jtDtfd^en ^latonifern unb 2Irtfto= 
telifern; Seffarton öcrtl^eibigt ^laton gegen feine SJerWumber, tl^m 
gelten 5ßlQton unb SlrtftoteleS als bie Heroen ber ^]^tlofo^)]^te, ju benen 
bic 5ß]^Uoj'o^)]^en ber ©cgentoart ftd^ tote 9lffen gu aJienfd&en Derl^alten; 
er möd&tc baS ©ebiet ber ©rfenntnife ätoifd^en beibc fo gctl^eilt toiffen, 
bofe 5piQton bie tl^eologifd&c Slutoritdt, SIriftoteleS bogegen bie natur= 
pl^ilofopl^ifd^e auSmad^t. 

SDie erfte Slufgobe ber florentinifd&en Slfobemie ift bie 0lenaiffQnce 
ber })tatonifd6en 5p]§ilofo))]^ie, bie SrfenntniS berfetben qu3 il&ren 
Duellen, bic Verbreitung biefer (Srfenntnig im Slbenblanbe. S)ie ßöfung 
biefer 3lufga6c burd6 bie lateinifd&e Uebcrfc^ung ber SBerfe beS 5piaton unb 
beS Potinog gefiä&iel^t burdft ben Florentiner SJtarfilio ^icino (1433 
bis 1499), ben ®ofimo ergiel^en läfet jum ßel^rer ber ^pi^ilofopljie in 
feinem ^au\t unb in ber 5l!obemie t)on Slorenj. ©eine 2Infd&auung§=» 
toeife ijl bic neuplatonifdöe. @r ftnbet in ber platonifd^en 5pi^ilofo})]§ie 
ben Inbegriff aller SBeiSl^eit, ben ©cfilüffel gum ©l^riftcntl^um, gugleicfi 
baS SWittel, biefeS ju t)ergeiftigen unb ?|u öerjjüngen: fie ift baS grofee 
5Dl^jierium, worin olle SBeiSl^eit ber SJergangenl^eit niebergelegt toorben, 
Don bem alle toal^rc SBeiS^eit ber folgenben Seit bur^brungen ift. 
5ßlaton iji ber e(§te ®rbe t)on 5|}^t]^agoraS unb 3oroafter; 5ß]^ilon, 
9lumenioS, ^lotinoS, Samblid^oS, ?Pro!loS finb bie ed&ten Srben ^la- 
tonS unb jugleidö biejenigen, toeld^e ba^ aJi^fterium feiner ßel&re ent= 
l^üÜt ]§aben. ©iefeS ßid^t l^ot bie Sröger ber d&riftlid^en JffieiS^eit er= 
teu(§tet: Sol^anneS, ^auluS unb ben 2lrcot)agiten. 

6S fommt barauf an, in biefer SSorfteHungStoeife, bereu ®runb= 
gügc ni(§t neu finb, ben beioegenben 5ßunft gu erfennen. ®r liegt 
barin, ba§ Sl^riftcntl^um unb 5Reu^)latoniSmuS in Uebereinftimmung 
gefegt toerben foüen, ber tJ^eologifd^e ©eift beS einen mit bem foSmo* 
logifd6en ©eiftc beS anbern. ®er 3ieut)latoniSmuS ift bem 6]§riften= 
tl^um bermanbt in feinem religiöfen 9Jlotit), bem ©trebcn naä) SJer« 
einigung mit ©ott; er ift bem ©^riftcntl^um entgegengefe^t in feinem 
l^eibnifd&en Zt)pu^ ber SBeltbergötterung, ^ier erfdfteint bie ?Belt in 
einem naturnotl^toenbigen Sufammenl^ange göttlid&er unb eioiger Orb» 
nungen, als eine Folge aus bem Urioefen, als eine in beftimmter 
©tufenorbnung bebingte Offenbarung göttlid^er ^röfte; l^ier erfd&eint 
ber ÄoSmoS als ein göttlid&er ßebensftrom, ber aus bem Urgrunbc 
naturmdd&tig l^eröorquiUt unb in einer ©tufenorbnung abnel^menber 
SBollfommenl&eit eingeigt in bie Firmen ber ©innenioelt, um t)on l^ier 




Sae Seilalltt 

, iTD fii^ boS gü)t(idiE ße6en om loeUeften boii feinem Urqucü eni 
feint tjot, roieber ba^tn jurüif^uftrefien. 3n biefem jE^ius tilbct 
JBereinigung mit ©utt ein SJIomcnt in bcni ctniäen J^reiSlauf be« 
Uniuerlums, bie 9?aiur jdtft fucfit in i&rer gröfeten entfcrniing tton 
bem croigen Urgtunbe bic ^{flcEtelje. 2)o§ ^princip beB S^tiftent^umS 
ift bie ©rlDfung ber JJBelt butc^ e^iiftuS, baS ^rinciji be8 3leu= 
JitatoniemuS ift bic (mittelfinte) Emanation bet Süßelt aus faem flött 
li^en Uraefen. Sirb nun boä 6i)riftent%um mit bem SieuplatoniSmuä 
in Uebereinftimmung gebrai^t, fo muf; bet t^cclogifii)e ©eift beS erften 
in bie emanötiftifiSe Sotftcttung^weife beS jtDcitcn eingeben, alfo lo8= 
mologififte formen annctimen, unb baä gbttli^e ©e^eimniB ber 2BeIt= 
ertofung mufe fo gefaxt roerbeu, bafi eä fic^ (nit^t blof; in bet ßici^e, 
fonbctn) oud) in bem 3Belt= unb Slaturleben offenboit imb jWQr in 
edlter unb unüeifätfi^ter 2(6[unft auä ber SEiefe beS göttUtifeen SJcfen3 
felbft. ^e%i wirb auf bie Statut tiingeioiefen als eine Ouetfe echter 
©otteserEennlnife, als eine 5üt)rerin jut ^Bereinigung mit ©ott. Sie 
eifdieint in einer religiöfen ©eltung, bie boS 9Infe^en ber ßitc^e be= 
bro^t, 3n bet Siefe bet Statut betbitgt fi^ baS ©e^eimnife ber ©Dtt= 
5eit. 2Ber bie 9lütur butc£)fcöaul, blicEt in ba^ g&ltlic[)e Sffi 
erjcE)eint bic Jlatur ülä ba§ große jn cnt^ütlcnbc 2)Ii)fterium. 

3ft biefeS Diät^fel getbft, fü ift bie ©ott^cit entfit)Icicrt unb ba! 
SBort bet SerfÖ^nung gefunben für aüe ©egenfäge bet 28elt. ©e^eB' 
Wir bie ©DtteeerEenntnif; bebingt butcE) bie S^atfadfee bet 2öelter= 
löfung in S^iiftuS, fo t)a6en loir baS *Princi}) unb bic ^orm ber 
(ilinftlidien) S^cologie; fe^en mir bie ©otteäcrlenntniB bebingt butii baS 
SDl^fterium ber Siatur, fo tiaben ttiir baS Sßrinäp unb bie 5orm bet 
SÖeofo(3^ic, unb biefer t^eofop^ifije 6t)Qra!ter ift bie näc&fte 5orm, 
m\iii bie bom Sieuplatoni^muS mieberbeleble ^p^ilofoptjie annimmt. 
®§ ift bet erfte ©i^tilt auf bem Sege jiir 3iofurv£)ilofol)l)ie. SKber 
bie 3iülur erfi^eint unter biefcm ©efic&lspunfte nii^t als ©egenftanb 
einer mel^obifi^ forfi^eiiben SrEenntnife, fonbern als ein ©c^cimnife, 
für raelc^eS boS SBort ber ßäfung gefacht toirb, als ein Detfcfeloffenes, 
bem irbifi^en ©inn unburcfibtiitgUdies SÖucft, ju beffen SJctftönbnife ein 
@d)!üffet crforbcrtiift ift, ebenfo geljeimniöUofl, luie ba§ Sui^ felbft. 
Sffias ba^er ber t^eofo)it)if(fie ©eift fut^t, ift eine ©e^eimle^te, bie ifim 
ben üerbotgenen Sinn ber 3iatut auffc^Iiefit unb baS geöeimnifeDoIlE 
!RätI)fel berfclben löft. Unb ttiie einft bet gtieiftifi^en SogoSibee bo» 
iübif(^e ajleffiasibeat entgegenEam, fo wirb je^t biefet t^eofoji^if^J 







bet 9lenaiffQnce. 89 

©eip, ben ber 9leuplotonigtnu§ in bcr dörijHtc^en SBelt ertoedEt l^ot, 
angejogcn t)on ber jübifd^cn ©el^citnlcl^rc berßabbala, bic quS gött= 
lid&cn Offenbarungen bcr Urjeit bie ßöfnng empfangen l^aben tt)ttt für 
baS Kät^fel ber ©d&öpfung. 3n biefer SSerbinbung mit ber ßabbala, 
biefer iübifdften ©nofis, bie in il^ren ©runbanfdbaunngen bem 3leu= 
platoniSmuS bertoanbt ift, finben mir bic platonifd&e 2l^eofot)]öie au§« 
geprägt in ©ioöanni ^ico bella SÄiranboIa, bem taIentt)oE|ien 
9lepräfentanten bcS italienififtcn SfteuptatoniSmuS. 

SDaS ^ntcreffe für bie fabbaliftifd&en ßel^ren unb ©d&riften mirb 
in bem 33itbung8gange be§ 3citalter3 ein bemegenber unb mirijamer 
Factor fd^on boburdö, ha% nun baS Sntereffe an ber jübifd^en ßitteratur 
gemedEt unb baS ©tubium beS .^cbräifdöen angeregt unb ^crDorgetrieben 
mirb. SDer l^umaniftifdjc 33itbung§frei3 ermeitert fid& unb nimmt neben 
ber griedbifd&cn ßitteratur bie ^ebrftifc^e in fici& auf. 3lzbtn @ra§muS 
crl^ebt ficfe Slcud&Iin, ber baS §ebrdifd&e gum ©egenfianb tt)iffenfd&aft= 
lid^r gorfcfeungen mad&t in 3lbfid&t auf bie ®rflärung ber l^eitigen 
©d^riften unb baS SJerftänbnife ber ßabbala. 6r lernt 5pico fennen 
unb empfängt t)on bem itatienifd^cn Sl^eofopl^en baS Sntereffe für bie 
Äabbala. ^u8 biefem Stntercffc mirb er ber erfte §ebrdif(ä&=©ete]Örte 
be8 SlbcnblanbcS. 5ll3 bie lölner Sl^eologen, ©d^olaftifer Don mittel= 
altcrUd&em ©daläge, aufgeregt burd& einen abtrünnigen 3uben, bie Ver- 
tilgung ber l^ebräifd&en ßitteratur mit 3luSna]^me ber l^eiligen ©d^riften, 
alfo bie fird&lid&e SSerurtl^cilung ber fabbatiftifd&en SBüd^er forbern, 
toirb 9leud&Iin ber öffcnllid^e SJertl^cibiger biefer ßitteratur unb gcminnt 
bie ©ad&e gegen ben Ä^e^ctridöter : eS ift ber erfte fiegreid&c ßampf beg 
Humanismus mit ber ©d^olaftif auf beutfd&em ©d^aupla^, bie ganje 
gcbilbete SBelt begleitet ben ©treit mit il^rer S^l^eilnal^me, bie großen 
^Parteien ber ^umaniften unb ©d^olaftifer treten einanber gegenüber: 
ouf ber einen ©cite bie berühmten 5ülänner ber 3cit, bie tt)iffen= 
fd&aftlid6 glänjenben 5Ramen, auf ber anbetn bie bun!eln in Slnfcl^ung 
fomol^I beS ©eifteS als ber ©eltung. 3luf bie SSriefe ber berühmten 
3Ränner, bic ben fiegreid^en Äämpfer beglüdEmünfiften, Idfet man bie 
^a3riefe ber Sunlelmänner" (1515—1517) folgen, biefe unüber= 
trefftid^e ©atire, bie am beutUd&ften jeigt, mic ]^od& ber l^umaniftifd^c 
©eift fd^on emporgefiiegen ift über ben fd^otaftifc^en, beffen Figuren 
il^n nur nod^ aU ©egenftänbe be§ l^eiterften ©potteS, be§ ^umors unb 
ber ßomöbie ergoßen. 9iiemanb l^at biefe ©atire einleud&tenber unb 
crgö§Iid&er gef(ftilbert, aU 3). 5r. ©traufe in feinem ^Ulridö t)on Butten". 



90 S)a« 3eitalter 

5. ÜJlaftie unb ÜJl^flif. 

®od& Verfolgen tt)ir ben toetteren SSetlauf btefer t]^eofo))]^tf(§cn 
SDentocifc, ©tnb in bcr 3latnx götittd&c Gräfte toirlfont in einer qB= 
toärtsfleigenben ©iufcnfolge, in toeld^er quS ben l^öl^eren firäftcn bic 
nieberen I)crt)orge]§en, fo mufe ein göttlid&eS ßcbcn boS gefammtc 
Unit)erfum fdööt)ferifd& burd^ftrömen, fo mufe boS SliebrigPe mit bem 
^öd^ften, bie irbifd&e 3BeIt mit ber l^immlifd&en in einem nnunter« 
brod&enen Sufornmenl^angc [teilen, ber bie nnfid&ibaren Sinflüffe t)on 
oben naij unten fort))fIongt, fo muffen bie l^öl^eren Äröfte aüe nieberen 
burd^bringen unb bel^errfd&en, unb e§ erfd^eint bemnad^ nid&t§ toeiter 
nötl^ig, al§ bafe man fid6 biefe l^ö^^ren Gräfte aneigne, um über bic 
5Ratur im t)0Öften ©inne gu l^errfd&en. 3fe^t toirb bie Sl^eofopl^ie 
immer mel^r angetodEt t)on bem Silbe ber SRatur, immer tiefer Verliert 
fie fidö in beffen Söetrad&tung, begierig ft)d]^enb, tt)o unb toie fic ber 
9latur il^re ©el^eimniffe aBIaufd^en, il^re öerBorgenen Gräfte aBgetüinnen 
fönne. Sin biefer 0lid&tung toxxb fie gur 5!Äagic, gu ber großen ßunft, 
bie auf bie ticffte unb gel^eimnifetJoUfte SBiffenfd&aft fid& grünbet. Unb 
in biefem Sufammenl^ange mit ber 3;]^eofo^)]&ie cnttoitfelt fid& bie mago« 
fabbaliftifd^e 0lid&tung in S!lgrit)))a öon 9lette§]§eim (1487—1535). 

S)iefe 3Kagic ijl ber ©taube an bie 3?atur aU ha^ Slötl^fel, in 
tt)eld6em bie ©ottl^eit Verborgen ift; fie ift gugleid^ ber ©laubc an bie 
ßöfung biefeS 0lätMet§. ©iebt e§ in ber SRatur göttUd&e ßräftc, 
toarum fott ber 51!Kenfd& fie nid&t gewinnen fönnen? SBenn er fic ge= 
toinnt unb in fid& tüirffam mad^t, fo toirb er ein 3Jiagu§. 2ln biefe 
9Kögttd&!eit glaubt baS 3eitalter. 3n einer üleil^e abenteucriid&er 
©l^araftere pxäq^i fid& biefe ©eiftcSart auS, bie gule^t in ber ©agc öom 
fjauft il^ren t^^)ifd^en unb in ber goetl^efd^en ®id5tung il^ren ^)romc' 
tl^eifd&en 2lu§brudC gefunben. ,,®ie ©eiftertteft ift ni^t t)erfd&Ioffen, 
bein ©inn ift gu, bein §erg ifi tobt, auf! babe, ©d&ttler, unöerbroffen 
bic irb^fd&e 93ruft im SDlorgenrotl^ ! " ®iefeS goetBifd&=fauftifd&c SBort 
ift in bem fed&Sgel&nten Sal^rl^unbert lebenbig gett)efen in bem ©tauben 
ber 3Kenfd6en. 3lud& bie SJorfteKung t)on bem SQSettall, toetd^e biefem 
©tauben ju ©runbe tiegt, fönnen loir ni(^t beffer au^brüdfen at§ mit 
ben SQBorten unfere§ gauftS, toie er ba§ Seid^en beS SöiafrofoSmuS 
betrad^tet: 

28ie altes fi($ gunt ©angen toM, 
@in8 in bem Slnbcrn totrit unb lebt! 
2öie §lmmel8fröfte auf unb nieber fteigen 



bet 9lenatffaitcc. 91 

Unb ft$ bie golbnen @imet retten! 
STltt fegetibuftenben ©d^toingen 
S3om ^tmmel butdg bie @tbe bringen, 
^armonifd^ all' baS ?ltt bur(3&f Ungen ! 

3lbcr tt)ic ift c§ mö9li(§, btefc l^öl^ercn göttlid^en Gräfte ber 9latur 
fi(| onjuctgnen, um mit tl^nen gu tDirfcn? SDaS @rfic ift, bafe mon 
fte crfennt. Sic finb in ber Statut unb ben niebcrn Silbungcn bei*» 
fclbcn verborgen, fte erfd^cinen öerl^aHt, unb unter ben öußeren ®in= 
flüffen ber Singe, unter feinblid^en SiniDirfungen mannid&faltig gel^cmmt. 
®i^fe «Hemmungen muffen entfernt, biefe ^üKen burd&brod&en toerbcn; 
bol^er ift eS nötl^ig, felbft eingubringcn in bie ^bxpzxtozlt, fid^ nid&t 
bloS on ber Söetrad&tung beS großen ©d&auf^)iel3 ber S33clt!röfte 
genügen ju laffen, fonbern jebe in il^rer ©igenort gu entl^üffen, inbcm 
mon affeS, tOQS fie binbet ober l^emmt, ausfdöeibet unb fo ber Siotur 
il^re fiunft Qbloufd&t. SDie 5ülagie forbert bie ©dfeeibef unft: bie d&emifd^e 
Operation. SBenn eS biefer ßunft moglid^ ift, QÜe Hemmungen gu 
entfernen, fo toirb fie aud& im ©tonbe fein, aHe ßranü^eiten gu l^cilen: 
ber ©ebanfe einer ^anocee liegt in ber SSorftellungSloeife biefer SJtogie, 
bie burdö bie ©(ä&eibe!unft jugleid^ bie ^eilfunft beförbern toiH. Slber 
bog SOBid^tige ift, boß bie 5ülagic in biefer 0lid^tung anfängt mit ber 
Slatur felbft gu öerfel&ren, SJerfud&e madöt, fd&on §anb an bie S)inge 
legt unb fo baS ®E))eriment einfül^rt, loie e§ bie tt)irKid&e Srforfc^ung 
ber natürlidöen S)inge verlangt. ®iefe pra!tifd&e unb barum bebeutenbe 
SBenbung nimmt bie aJiagie, nod& ganj im 3ufammen]&ange mit 
il^ren t]&eofot)]^if(§en ©runbtagen, in bem SBunberargt ?ßaracelfu§ 
(1439—1541). 

SQSenn nun im Snnerften ber natürüd&cn SDinge gottlidöeS ßeben 
gegenwärtig unb toirffam ift, loirb e§ nidöt audö mäd&tig fein im 
ännern ber menfd&Iid&en SRatur, im ßern be§ menfd&Iid^cn SQäefenS? 
JlirgenbS fann uns bas göttlid^e SÄ^fterium unmittelbarer, l^eHer, 
beutlid&er entgegenleud^ten , als au§ ber Derborgenften 2)iefe unfereS 
eigenen 3nnern, 3lnx muffen loir in biefe £iefe l)ineinfd&auen unb 
bie ^ütte bur(fibre(§en, bie ben ßern, in loeld&em ber Junten beS gött= 
Kd^en ßid&tS fd^Iummert, umgtebt unb t)erbun!elt. 2lnd& l^ier ift eine 
©d^eibcfunfi nöt^ig, bie aÖeS ^rembartige unb Scinblid&e abfonbert 
unb auSfd^liefet, baS Don ber 91u6entt)elt l^er in unfer SfnncrfteS ein= 
bringt unb unfern ©inn trübt. S)ie 33egierben unb ßeibenfd^aften, 
bie uns in bie loeltlidöen SDinge l&ineingiel^en, finb bie ©d^IadCen, bie 



92 <^as Settalter 

bcm ©olbc in bem tiefen ©(§ad^t unferer ©eele beigemifd^t finb. ®iefe 
Jölifd&ung nrnfe jerfe^t, boS 6d)te t)on aöem Uned^ten gereinigt toerben, 
bomit baS ßid&t au§ bem SDunfel ]^ert)orIeud&te unb oüe unfere ©emütl^S- 
fröfte erljeüe. 6s giebt einen SBeg, ber unmittelbar ju ©ott fül^rt: 
er gel^t mitten burd^ bo§ eigene ©elbft l^inburd^, er forbert bic JBer^ 
tiefung in unS felbft, bie ftiHe ®inle]&r in unfer SnnerfteS, bie Slbs 
wenbung bon aHer toeltUd^ fclbftfüd&tigcn ßuft, mit einem SBort bie 
öoÜIommen kutere, tief finnige, befd^QuIid^e 3römmig!eit, tooburd^ tt)ir 
toerben, toaS tt)ir im Urfprunge unfereS SBefenS finb. S)ie3 ift ber SBeg 
nic^t ber SJtagie, fonbem ber 5ül^ftil. 

33eibe finb formen ber S^^eofopl^ie, toeld^e ben SBeg ju ©ott 
fudöt burd& bog 5ül^fterium ber ®inge ]^inburd&: bie 3Äogie nimmt 
il^ren SQ3eg burd& bie äußere 5latur, bie SÄ^ftil ben il^rigen burc^ bic 
innere, jene burdö baS ©el^eimnife ber 3iatur, biefe burd& bag ©e]^cim= 
niB be§ SWenfd^en. SDie 5ül^ftil ift bic tiefere unb bauernbc 5orm, 
benn fic fud^t ouf fid&erem SBcge, ber immer tüieber gu neuen 6nt= 
bedEungen fül^rt. 2)Qrin ftimmen beibe überein, bafe fie bemfetben Sxd 
nad^ge^en, ba§ fie eS unmittelbar erreid&en tooHen burd& bie a]^nungS= 
t)oll(e SScrtiefung in ba^ ßeben felbft; bal^er bei beiben biefelbc 9(b= 
neigung gegen bie öon au^en emt)fangene S^rabition, gegen bic Ueber= 
lieferungen ber ©d^ule, gegen aEe§ geleierte unb büd^ermöfeige SBiffen; 
fie fd&ütteln ben 93üd&erftaub t)on fid6 in bem ©efai^l, ba^ etttaS ?leue8 
öon innen ^eraug fid& mit urft)rünglidöer unb untüiberfle^Iidöer firaft 
l^cröorbrängt. ®ie leibenfd&aftlid&c 6mt)örung gegen bie überfommenen 
aSegriffe ift nur ber 9lu§brutf, in toeld^em mit ber SJergangenl&eit 
gebrod&en wirb, baS 3eid&en ber ßrifiS, in toeldöer bic Seiten fid^ 
f(^eiben, SDen Ueberbrufe an ber ©d^ulgelel^rfamfeit cmpfinbet ein 
3Ji^ftiIer, tt)ie SSalentin SBeigel, ni(^t weniger ftar! als 9lgri})))a unb 
5Paracelfu3. 

Sfnnerl^alb ber d^rifllid^en 2BeIt l^atte bie SJl^ftif eine ditH)^ t)on 
@ntn)idE(ung§formen burd^laufen, bcDor fie im fed^Sjel^nten Sfal^rl^unbert 
t)on jener t]§eofot)]§ifd&en Slid^tung ergriffen tt)urbe, bie t)on ber ^)Iato= 
nifd^en 9lenaiffance ausging unb bie SJl^fti! mit ber SJtagie dcp 
fd^mifterte. ©ie ift in il^rer einfad^en fjorm ber 3luSbrudC beS inneren 
religiöfen ßebenS, ba§ in ber ©titte unb 5£tefe beS ©emütl^S ben SBeg 
gu ©ott fud^t; baS gottinnige ßeben burdö bie Umioanblung beS 
menfd6Iid6en .^ergenS, ol&ne tocld^e d^riftlid^e O^römmigfeit nid^t gebad&t 
loerben fann. ©iefer ©runbgug ift bem ©l^riftentl^um eingeboren unb 



bct IRenatffancc. 93 

BHbet unter bcn ntQitnid&faltigen fjormcn, bie btn SQSanblungen beS 
3etibctt)u§tfein8 untcrtDorfen finb, baS Beftänbtge 5£]§etna aller d&rift= 
lid&en SW^ftif, bic unöcrftegltdöe Duelle, tooroug immer t)on neuem ein 
©trom lebenbtger Sleligton l^erDorbrid^t, fo oft bag Sl^riftentl^um burd& 
feine fird&Iicä^e SluSbilbung in ©efal^r ftel&t, in bogmatifd^^n formen 
gu crjiQrren unb in btn Cob^rintl^en tt)eltli(§cr 3ntereffen unb il&eo- 
logifd&er ©d&ulf^fiemc feinem SrIöfungSberuf fi(6 äu entfremben. ©o 
]&at bie ©d&olaftif beS ajiittclalters in iebem il^rer Settalter bie 3Jt^ftif 
gur ©cite gel^abt, bic fid& gegen bie fir(§lid6e, t)on SialeÜif unb 
gormaligmuS Bel^errfd&te Sll^eologie tl^eifö roiberftreitenb, t^eü§ ergdngenb 
Derl^ielt, toie ber 3lffect gur SDoctrin unb ba§ ßeben gur ßel^re. 

3m giDöIften Sal^rl^unbert finb eS bie SJtönner im Älofter t)on 
©t. S5ictor gu 5ßori8 (bic JBictoriner : §ugo, 0lid|Qrb, Jffialil^er), meld&e 
bie SW^jiif in bic firdölid^c ©d^olaftif einfül^ren unb mit fteigenber 
Slbneigung bm ©d^utboctrinen entgegenfe^en, bamit bie Slcligion nid&t 
Don ber Sl^eologic öergel&rt toerbe; im folgenben Sal^rl^unbcrt, too fid& 
bic fird&Ii(fi=fd&oIoftifd&e SBeltonfd^auung t)offenbet, bilbet bie aJi^fti! 
bereu tool^Itl^ätigc (Srgangung unb finbet il^ren tttäd^tigflen SluSbrutf 
in SouQöcntura unb SDante, bic uns boS mcufd^Iii^e ©cclenlcben 
in feinem religiöfen ©nttoidffungSgangc, gleid&fom Quf feiner 9leife gu 
©Ott fd&itbern. 3n bem Seitalter, loo bie nominoliftifd^c ®rfenntni6= 
lel^rc ftd& ouSgubreiten onfdngt unb bic ©dfeeibung gtt)ifd6cn SBiffen 
unb ©loubcn, ^l&iIofo^)]§ie unb SEl^eoIogic beginnt, mu§ bie Ic^terc 
fid6 in bQS ©ebiet ber praftifd^cn unb religiöfen Sntcreffen gurüdEgiel^en 
unb fclbp bcn 6l|araftcr einer m^ftifd^cn 9lid&tung onnel^mcn. 3lbcr 
mit bcn erfien Biegungen ber firc^lid^en ©eccntralifation flrebt oud& 
bog rcligiöfe ßeben ftd^ oon feiner fird^ltJäöen ©ebunbenl^cit loSguringcn 
unb unobl^ängigcr Don ber Dorfd&riftSmöfeigcn ßird^enlcl^rc, als je t)or« 
f^tx, fid& gu bcjal^en unb bic eigene innere Umtoonblung olS bcn 
eingigen ^cilstocg gu forbern. SDal^cr begegnen mir in bcn legten 
Sal^rl^unbertcn ber ©d&olaftil einer Iird6lid& gefinnten unb einer freien, 
Don bem Spange bcS fiird&cnglaubcnS unabl^ängigcn 5ül^fti!: jene 
fielet im SBunbc mit bcn reformatorifd^en ©oncilen iinb finbet il^ren 
SuSbrud in bcn beiben frangöfifd&en Sl^cologcn, ^ierre b'Sliff^ 
(1350—1425) unb ^ol^ann ©erfon (1363—1429); biefc ift bie SBor^ 
teufcrin ber bcutfd6en [Reformation unb l^at il^r ^anpt in bem 
födöpfd^cn Sominifancr, SÄciftcr @dCart, bem bic beutfd^en unb niebcr= 
Knbifd&cn ajl^ftilcr folgen: ©ufo (^einric^ SBcrg 1300—1365), Sol^ann 




iQufer (1290—1391), Sodann 3tuq§6rDef (1293—1381) unb jeni 
iitifietonnteStonlfurter, btx Setfaffer bei „Seutfi^En S^eologie' 
Cutl)et ^erauäi^Qt), ein 3iit)i^ nQc&bem tx feine 2;§elen gegen b;n Slblog' 
Bettüiibct. 3)te 9t«formntion bcö fci^Säe^nten Jiö^r^iiiibertä tocrft in 
ffieutfditanb eine proteftantili^ gefinnte Hftjftif, bie gegen bic Begtnnenbc 
©i^olajitt bc§ Cuttiert^uins, gegen ben Suil)fta6englnii6en, ben äußeren 
©otlesbienft, bie leiblii^e ©cgcnroarl gtjrifii im atbetibmo^I baä ntte 
unb einige S^ema Don ber getftigen SBiebergefiurt erneut, üon bei 
^fllle, bie in ber ©ct&flfucbt, unb bcm ^inimel, ber in ber ©elbflnep- 
leugnung befiel)!, non bem ©^tiftuä, ben mir in uns erleben unb 
erfafiren müjlEn, uirt in i^ni jelig ju werben. 33tete rengiij[e, »oti 
bem ^roteftontiSmuS ergriffene ©etbfferfenntnife ift e§, bie in ®QSj)or 
©(^loenrffelb (1490— 1561), gebaftian gfrnntf (1500-1545), aSalenlin 
SBeigel (1533—1588) unb ^lücoB Siitjmc (1575—1624) fcem äußeren, 
ßuf^crttium enlgegenirirlt, n)eti$e§ aune^menb erftorft unb gegen @i 
bcä 3n^r^unberf§ in bie ©(aubenöcnge ber 6oncorbienformcl etngel 
motin c8 Deröbct. 

Ser tiefftnnigfte unb Bebeutenbfie biefer 9)lt)ftiler ift 2' 
Sö^me, in bent fic6 biefe bciben ^öctoren Dcreintgen: bie magotafr* 
tüliflifc&e, mit ber Olcnaiffonce öcrbunbenc aßeltonfctiauung, bie ben 
^JarocelfuS beitiegte, unb bie 5Dl^ftiE, bie ber *Proteftonlieniu§ in bog 
ßeben rief. S)qS g5itli(ftc ^Di^flerium im SJienfc^en tft eines mit bem 
in ber 5!atur; ift jencä enthüllt, fo töft ficE) ba§ SRöttifel unb ©t^ 
^eimiiift ber ©ifi&^ifung. Site religiöfe Selbftertennfnife ift ber SItct 
in bic Stefe, in ben inuerften, »ecborgenften 91bgrunb unfereS Sfflefenä; 
in ber Sffiiebcrgeburt cr!ennt SöJ)me baB ^ernortreten beä „inmenbigen" 
unb ben SEob beä „mcnflrofifcfien 3J!enftI)En", ber ton ber ©elbfl: 
fucbl beljerrfc^t wirb: in ber ©cburl beS natürlichen (fct&flifd)en) 2Bißen8 
bie ®cburt ber Singe über^nupt, bie Eraft i^reS Sigenioittenä ficö üon 
©olt lo§rei&en; ba^er eä einen Urftanb ber S)inge ober eine Ulatur 
in ©Dtt giebt, bie fidi ju ©olleS i^eben unb Dffenbnrnng üerljütt, wie 
im SJtenfiien ber natürliif)e SöiCe jum ffliebergcborene«. 5Denn bie 
iCffenborung ©otteS ift bie SBiebergcburt unb Srleuititung ber SBeft 
(aJlcnfc&öeit), bie boS göttliche ßi(^t äurüdflröfilt, mie ber Mietaaftiiegel 
baS natftriicöc. 9Iuf ben Sufnnimen'^ong unb SBiberftreit ber göH: 
lieben unb natürlichen ßebenshäfte, bereu Siel tein anbereä fein fanit 
alö „bas grtoftfein »on ollem ©Ireit", grünbet ficb fflö^meä rnogo: 
m^ftifc^e SBeltanfi^auiing , eine l^Et)tol)!^ifc6e Setrac^tung ber Singe, 



mn 

iren^^ 

nbiM 

cosS 



bcr fRcnaiffoncc. 95 

in her bic ^nnigfeit frommer ®m})finbun8 jafornmcnfiel^t mit einer 
lebenSöoÜen, bon ben Silbern ber Jiotur erfüllten ^P^antafie. 

3)ic teligiöfe ©eIBfter!enntni§ ift ber ©runb ber ^)]6Uofo^)]^i)d&en. 
©dforts 2Ji^ftif, bie in ber beutfd^en SC^eoIogte i^re .^ö^c erreid^t, mar 
bic SJorIftuferin ber [Reformation; bie ))roteftanttfd^e 3Öl^ftif, bie fid^ 
in Stacob 336l^me öoKenbet, ift eine SSorläuferin ber neuen 5pi^tIofop]^ie 
unb fielet bid&t an beren ©dömeffe. 



©ed&fteS ©apitel. 

Site ttalt^ntfdj^ 1ltatur)i^tl0f0)i^t]e. 

SBir feieren ju ber Jftenaiffance aurütf, um il^ren i)]&tlofo})]^if(Jöen 
©nttoidlungSaang in bem il^r eigentl&ümüd^en Clement ju öoHenben. 
®ic SBieberbelebung beS SReupIatoniSmuS l^at eine t]^eofo))]^ifdöe 3latur= 
betrad&tung jur ^olge gel^abt, bic fidö t)on bem tl^eologijiften 3latur= 
begriff bcr ©d^olaftif unb bcS SlriftotelcS mit jebem ©d^ritte toeiter 
entfernt, i^ren })antl^eiftifdöen 6^ara!ter immer beutlid^er ausprägt unb 
in einer naturaliftifd&en aOßeltanfd&auung il^r ber ©c^olaftil Döüig ent= 
gcgengefe^teS 3ißl erreicht, ©ie ©eltung ber 9iatur toirb um il^rcr 
felbft toitten bcjal^t, fie trägt ©efe^, ßraft unb Stoetf il^rer SBir!fam= 
feit in fid& unb toitt bal^cr auS fid6 aHein crllärt merben, nid&t aus 
tl&eologifd^en ©rünben, fonbern «juxta propria principia». S)iefe 
Sftid&tung ergreift bic italicnifd^e ytaturp^iIofoi)l^ie, baS le^tc 
©tieb jener pl^iIofo})]^ifd&en ©ntmidflung ber 9lenaiffance, beren erfteS 
bic platonifd^e ©c^ule t)on Sbrenj loar. 

©dfton bic Slufgabe, loeld&e bie italicnifd&e 3latur^)l^iIofot)]^ie fid^ 
fe^t, toiberftreitet ber ©runbanfc^auung beS SlriftoteleS. Unmöglid^ 
lann bic 5Ratur auS fid& erllärt tocrben, fo lange ber aufeerloeltlid&e 
©Ott als il&r beloegenbcr ©runb unb SwjedE gilt; biefer ©otteSbegriff 
l&ängt genau gufammen mit ber ßel^re öon bem begrengten SBcltaE, 
Don bem geocentrifd&en SBettft)ftem, t)on bem ©egenfa^ gmifdöen ^immel 
unb 6rbe, toon ber JBilbung ber ©lemente, bie aus ben Unterfd^ieben 
ber ^Bewegung (DrtSDeränbcrung) conftruirt toerben, loorauS ber ©egenfa^ 
jtoifd&en bem oberen ober l^immlifd^en ©lement (Sletl^er) unb ben öier 
unteren (Jeuer, ßuft, SBaffer, Srbe) erhellen fott; baS ^euer gilt 
bemnadö als Stoff; SBärmc unb ßälte, ßeid&tigfeit unb ©d&ioere gelten als 
entgegengefe^tc 6igenfd6aften ober 3uftänbe ber ©toffe. 3n ben ©runb= 



96 S)te ttaltentf^e 

lagen ber oriftotclifd&en ßcl^re fclbft ift ein SQßiberftreit jtotfd^en her 
tl^eologifd^en unb naturaliftifd^en SJorfteÜungSttetfe, jtt)ifd&en SDletapl^^fil 
unb ^]§^fit giDifd&en ber SEronSfcenbeng unb Stmmanenj beS Svo^d^, 
itoViä^en Stotd (fjornt) unb Söloterie. 

®et SBegrünber bes neuen 3iaiuraItSmu3, ber ben 3lrtftotcIe§ Be^ 
fänH)ft, ber ßird&c onS beut SBege gel^t unb bic SRotur affetn gu feiner 
9li(fttfd6nur nimmt, ift Söernorbino Selefio aus Sofenga in 6ala= 
brien (1509—1588), baS ^anpt ber natu<t)^iIofo^)]^ifd6en @d6ule, bie 
in ber cofentinifdben Slfabemie tl^ren 3WitteIt)un!t finbct. ©ein SBor^ 
löufcr toax ber abenteuerltd^e ©irolamo ©arbano aus 9JiaiIanb 
(1500—1577), ber bie ^pi^ilofopl^ie auf bie ®r!enntnife ber 5Ratur, ben 
inneren Sufammenl^ang affer @rfd6einungen, bie burd^göngige ©inl^eit 
beS lebenbigcn unb befeelten SQBeltaffS ]&intt)ie8 unb ben SBegriff ber 
SQßeltfeele erneute, bie er als ßid^t unb SBörmc fafete. SDie telefianifd&e 
ßel^re, baS eigentlid&e gunbament ber italienifd^en 3^aturJ)]^ilofop]§ie, 
t)ereinfad&t bie 5ßrinci))ien, bie bloS aus ber 33eobad&tung ber ®ingc 
fcIBft gefdftöpft fein tüoffen. 2lffeS in ber 3?atur muffe aus ©toff unb 
ßraft, aus ber 3Jiaterie unb bem ©treit ber il&r iniDo^nenben Gräfte 
erllärt toerben, bereu SBir!fatnIeit in ber SluSbel^nung unb 3nfammem 
giel^ung Bejielie, bie bem ßidbt unb SDuntel, ber SBärme unb ßölte 
gfei(§gufe^en feien unb fid6 in ©onne unb @rbe centralifiren. SBie 
unentttjidelt bie 33egriffe beS SCelefio fein mögen, fo brängt fid^ l^ier 
in ben 9JiitteIJ)un!t ber 3iaturi)]^iIofoi)löie fd&on bie ßc^re t)on ben 
3?atur!rdften unb bie 3l^nung oon bcren (Sinl^eit. ®ie SQSörme gilt 
nid&t me^r als ©toff, fonbern als Söetoegung unb Urfad^ ber 93e= 
wegung, unb als bercn SBirlungen 3euer, ßuft unb SBaffer. ®amit 
ift bie ariftotelifd^e ^ßl^^fi! in einem il^rer §aut)t^)unfte, ber ßel^re Don 
ben ©lementen, gerftört, unb ba affes aus natürlid^en Äröften 
erHört fein tüiff, fo mufe aud^ baS ©rfennen aus bem ®mt)finben, bie 
aSernunft aus ber ©innlid^feit, baS fittlid&c SSerl^alten auS bem Se* 
gel^ren, bie Sugenben aus bem ©elbfterl^altungStriebe abgeleitet »erben, 
©ie tl^eologifdticn unb religiöfen fragen bei ©eite gefegt, ijl baS tcle= 
fianifd&e ©^ftem burc^gängig moniftifd^ unb naturaUjiifd&. ©ein ^aupt« 
toerl „über bie @rforfd&ung ber natürlid^en Urfad&en" erfd&ien in erfter 
©eftalt 1565, in t)offenbeter 1587. 

S)iefe ßel^re übt burd& il^ren ©egenfa^ gegen SlriftoteleS untoillis 
lürlidö eine Slngiel^ungSfraft auf bie ))Iatonif^e S)enfart in il^rer t)on 
ber Slenaiffance erneuten ^orm: ^ranceSco ^atriggi aus ©liffa in 



SRatutpl^Uofo^l^te. 97 

SJaltnaticn (1529—1593) bereinigt ben ttaKenifd^cn 9leuj)lQtom8mu^ 
mit her neuen, t)on SEelefio eingcfül^rten ÜQÜenifdöen ?laturj)]^UofopI)te. 
S)er S8erü]^run88j)unft betber liegt in ber ßel^re t)on SBärme unb ßid&t, 
toeltfies Selefio al§ bie betoegenbc unb belebenbe JRatutfraft nimmt, unb 
tDomit bie Steupktonifer öon jel^er ba^ göitlid^e SBcfen unb feine 
©mQUotionen Derglid&en l^aBen. 5ßatrijji unterfd^eibet unb öereinigt 
beibc Sebcutungen, bie natürli(§e unb f^mBoIifd&e, unb lägt bog Ibx- 
perlid&e unb geiftige ßid^t öon ber ©inl^eit beS gottlid&en Urlic^tS Qb- 
ftQmmen, bem Urquell QÖer S)inge, tDorouS bie Sleil^e ber 6manationen 
l^erborgel&t. S)ie8 ifl ber ©runbgebante , ben er in feiner «Nova de 
universis philosophia» (1591) burd&jufül^ren gefud&t l^at. 3}n biefem 
©^pem finbet aud& ber SBegriff ber SBeltfeelc feine ©teüe, fo baß ^a= 
trigji innerl&olb ber italienifdöen 9iaturi)]^iIofop]^ie Selefio unb ßarbano 
Derbinbet. S)od6 erfd&eint feine ßel^re in il^rem gtoar bem Slriftoteleg 
feinblid&en, ober ber Äird&e gugetoenbeten ^latoniSmuS aU ein rüdE^ 
läufiger ©ciftritt in bem ©ange biefer neuen, noturaIiftifd& gerid&teten 
5ßl&iIofop]^ie. 

2. ©iotbano S3runo. 

2luf bem SBege, ben SCelefio ergriffen, l^anbelt eS ftd& nid&t mel^r 
um bie ©rneuerung beS 3lriftoteIe§ ober 5piaton, nid&t um ben ©treit 
il&rer tDicbereriDedien ©d&ulen, fonbern um bie Slenoiffance ber SRatur 
fclbp im ©eifte ber Jölenfdben, um bie öoKe, rüd^altlofe Söejal^ung beS 
3laturali§mu§, ber jebe ©eltung trangfcenbenter SöorfteÖungen aU 
fremben ^Blutstropfen in feinen Slbern, qIs tobte ©d^olaftif, aU 
ßnedfetung ber 5latur burd& bie SLI^eologie empfinbet unb empört t)on 
fid6 QUSfiöfet. S38aS 3lriftoteIe§ Don Paton gefagt l^otte: «amicus 
Plato, magis amica veritasU gilt je^t t)on ber 5Jiatur felbft. ©ie 
toirb ber ©egenftanb entl^ufiaftifd^er Segeifterung unb ßtebe. SBie 
SKa(ftiat)etti ben ©taat t)ergöttert, ben ßird^enftaat unb ba8 5Papfit]&um 
felbfl gel^Qfet unb für ben ©runb ber politifd&en Uebel erllärt l^atte, 
fo toirb jc^t bie Sftotur vergöttert unb bie fiird&entelöre befämpft bis 
in bie SQSurjeln beS d^riftlidöen ©laubenS. SDiefen fül&nen, burdö ben 
©eijl ber italienifd&en Jftenaiffance unb il^rer Jiaturpl^Uofopl^ie gefor« 
berten ©d&ritt tl^ut ber SDominÜQnermöndö ©iorbanoSBruno quS 
Sßola im SReapoIitQuifd&en (1548—1600), ber baS DrbenSfleib tt)eg= 
toirft unb fid6 in bie Qbenteuerli(§e SBeltfal&rt flüd^tet, toie einft brei 
Sol^rl&unbertc t)or il^m fein ßanbsmann SLI^omoS öon S[quino aöeS 

griffet, ®cfd&. b. mitol I. 4. «ufL 91. «. 7 



p^ 



t ilalietitf(!^e 




f 

^^H flTOagt ^atle, um firfi au8 bei SQJelt in bie fiutte ber 3)Dininifa 
^^H 3U f{ürE)tcn. @d ivanbeln ficE) bie Beilen! 

^^^V ^11 beut SomtniEancctCofter ju ^«apel, mo einft S^omQ§ gelebt 

^^^P unb getet)rt ^attc, begann Sruno [ein ^toUijiat unb lourbe ein @(teb 
^^H bea OrbenS (1563—1572). Cier erhielt er ftatt beS SaufnamenS 
^^^1 i^Uippa ben Orben^namen ©ioibano. ^acfibem ci bie SBeitien empfangen 
^^B unb alä ^Pricfter an Derfc^iebenen Orten Sampaniena getoirft ^atte 
^^M (1572—1575), lehrte et in ben ßonnent na^ SkajJEl jutücf, fctiDn 
öieler fle^ereien »erbäcfitig. ©eine erften Sroeifel betrafen bie Srinität; 
bie Diebolutiün feiner 2ibeen tam jum ®ut(ij6riic6, olä et ba§ 3Berf 
be§ fiotietnitua lennen gelernt £)Qtte. Um ber f))anij(5en ^nquifition, 
in Sieapel ju entgegen, bei tnetiliet ber iOrbenSproDinjiat eine fdiom 
buc($ bie ÜPlenge i&ret ©cjc^ulbigungen erbrütfenbe 9(nHage gegen i^id 
er^oBen I)atte, entffol^ er v.a^ SRom, TOo^in i^n bie SInllage Beriolgte.' 
§tet bebrütte t^n bie römifi^e Snquifition. 3lun begann fein unfleteS 
fünf3cfini%iges aßanberleben {1576 — 1591), ba§ im fierfer ber 
»enetionifc&en SSnquifition enben foKte. 

9Iacö Oorüberge^enben ?Iufent^Iten in 9[o[i bei Oenua, ©oBona, 
Sutin, SSenebig (jnr 3eit ber 5Peft. an ber Sijion ftntb), Sergamo, 
©fiambörl) »eilte er einige Seit in ©enf (1578), mo ber ftarrc Sat= 
biniSmua unter Seja t(err[c£)te. ^ier roar auf ben Setrieb SatDinS Dor 
fünfunbjraanäig Sauren SOlti^ael Seröet Derbrannt »orben. 3Bät)renb 
ber näc^ften jefin ^atjre, fdion bet fiutte lebig, in 3Bett![etbern, ift er 
in 5tanErei(^ unb ©ngtonb buri^ Höott unb ©ijrift leljrenb t^ötig 
gemefen; er ^at in Soulonje, ^JartS, Orforb unb Conbon gelehrt. Ser 
3(ufcnt|alt in Sonbon (1584—1586) mar für feine ße^re et)od&i 
maijcnb. §ier, unter bem Scfiuge ber ßönigin ßlifabet^ unb 
franjöfifc^en ©efünbten ßaftelnau be OTauoiffifere liefe er [eine] 
pf|iIofop^ifii)en ©efpräif)e in itatienifc^cr ©l^tac^e brudfen: ,.®aS ©oft* 
ma^l am ^Ifi^ermittwoc^", „Son ber tlrfa(fee, bem $rincip unb bem 
©inen", „5Bom Uncnblic&en nnb ben Selten", „Sertrei&ung bi 
triump'^irenben Seftic", „Sßon bem fieroifcöen (Ent^ufinamuS". 

Sä^renb ber närfiften fünf 3a^re lebt unb tefirt er in Seutfcfelani 
2Jlar6urg t|ielt il&m bie Spuren uerft^Ioffen, SBittenbetg no^m 
auf,, §elmftäbt !^ot i^n lut^erififierfeits geöd^tet. 3n SBittenberg 

' La cena delle ceneri, Della causa, priucipio ed uno, Del inflnito d 
e mondi, Spaccio della bestia trionfant«, Degli eroici farori. 



eine^H 



S^atur^l^Uofo^l^ie. 99 

er fofi gtoci Solare gclcl^rt unb am 8. 3Jlärj 1588 eine bantbare, für 
S)cutfd&Ianb . imb ßutl&cr bcgciftcttc SlbfcS^icbSrcbe gcl^attcn, tooxxn er 
bicjcn mit bcm §cr!ulcs unb bas ^aupt, mcld&cs bic Ziaxa trägt, mit 
bcm 6erbcru§ öcrgUc^cn l^at. ©ein mid&tigftcr unb für bie SluSbilbung 
feiner ßel^ren bebeutfomfter Slufentl^alt toar ber ju {Jranifurt am 3Äain 
(1588—91), »)o er brei ßel^rgebid^te in lateinifd^er ©prad^e ]^erau§= 
Qai: „SBom breifad&en fileinften", „SBon ber ©inl^eit, Saf)l unb Sfigur", 
„SBon bem unerme^Ud&en Uniöerfum unb ben gal^IIofen Sßelten".^ 

©eine SSortröge unb ©(^riften über bie lunijd^e ßunft, bie äu= 
gleici^ bie ®ebäd&tni§!unft betrafen, l^atten bie SSorfteUung ertoetft, bafe 
Sruno im Sefi| au^erorbentlid^er mnemonifd^er unb magifd^er ßünjie 
fei, bie man t)on il^m erlernen fönne. 6ine fold^e 25orftcUung l^atte 
anii n)äl^renb feines Slufentl^alteS in ^ariS ba§ i^ntereffe be§ Königs 
^einrid^S III. für il^n erregt 3e§t toünfdöte ein öenetianifd^er @belmann, 
©ioöanni aJloccnigo, t)on biefem 5DlaguS in feine gel^eimen ßünfte ein= 
getoeil^t gu toerben; er lub il^n mieberl^olt ju fid^ ein unb öerfprad^ 
bem ßfonomifd^ fd&toer bebrfingten SKanne ein forgenfreieS ßeben. 

Sruno lam im Dctober 1591 nad^ 25enebig. SKocenigo empfing 
feinen Unterrid&t, aber tourbe fein 3Jlagu§ unb befd&Io§ nun, geifieS- 
bcfd&rftnft, tüdfifdö, ber Snquifition ergeben unb bienftbar, toie er 
toar, an bem ße§er Sruno eine fürd&terlid&e 9iad6e ju nel^men. 6r 
überfiel feinen gur 5lbreife gerüfteten ©aft nfid^tlidö unb überantwortete 
il^n ber Snquifition (22. SJlai 1592). SBruno l^at ben Äer!er ber 
Dcnetianifd&en Snquifition nur t)erlaf[en, um il^n mit bem ber romifc^en 
JU t)crtaufd6en, toorin er feine legten fieben ßebensjal^re jugebrad^t l^at 
(t)om 27. Februar 1593 bis jum 17. {Jebruar 1600). 

Srtefer aJlenfd&, t)on feurigfier ©innlid^Ieit, ein ©ol^n ber ©onne 
unb ber SÄutter 6rbe, toie er fid& felbft genannt l^at, mar leineStoegS 
jum SK&rt^rer geboren. SlIS er in 25enebig feine geffil^rUd^e ßage er- 
fannt l^atte, fo toar er jum SQBiberruf bereit unb l^at im SSerl^öre t)om 
30. 3uU 1572 fu^f&Uig um fein ßeben gebeten. 2lber man tooUte in 
9lom mel^r t)on il^m, als nur ben SQBiberruf: biefer 6rj!e§er foUte 
innerlidg umgen)enbet, belel^rt, überjeugt loerben, ba^ eS nid^t idf)U 
lofe SQSeften gebe, fonbern nur bie eine, in toeld&er bie ©rlöfung ftatt= 
gefunben unb bie ßird^e jur ^errfd&aft berufen fei. 9lUe Serfud&e 



^ De triplici minimo et mensura, De Monade^ numero et figura, De 
immenso et innnmerabilibus Gdve de Universo et mondis. 

7* 



^f Un 



^^ 



:»00 SU itolieniti^e 




pnb Qn feiner Ueberjeugung gsfc^eitett ; an bet Uetetitugung bon bet: 
Unermefelii^feit beä Uniuerfumä unb ben äütiUofen 9BeUen. 

man am 8. Februar 1600 i^m (ein Utt^eil üettönbete, — 
et toutbe begcabtrt, eECDminunicttt unb ber tteltUt^en Obrig(ett überant= 
Wottet, bamit fie i^n Jo mt(b als mbglicö ftrafc, o&ne fein 58(ut ju 
oergiefecn, b. ij. bamit fie iEiin ben longiamflen unb quolcolllien Xob, 
ben burft tJeucr, fterbcn laffc. — fial et feinen 9Ii(t)tern angerufen; 
„3^t äiftert inef)r ots ict)!" ©o ift er am 17. ^feÖTuar 1600 auf bcm 
campo di fiore in SRom »erbrannt inorben. ©eit bcm 9. 5tuli 1889, 
ftet)t feine Stibfäule auf bem *!pia^e, lüo fein ©t^eifet^oufen gcftanbeit»' 
Bruno rel)räfenttrt bie noturaüRifd) gefinnte Otenniffonce, rate 
SJiad&iaOctli bie potitifii) gefinnte. ©ein S^emo ift bie JßetgÖtterung 
bec 9!atut unb beS UniucrfumS, bie götttiÄe 31IIeinl)eit, bet *ijQnt^ctä= 
mu§ im ©egenfa^ gegen aßc Iir{^ti(ien ffiotpeUungcn: biefe ßet)re be= 
ttiegt fein 5Denten unb ©icfiten unb gilt if)m als eine Dößig neue SHJelt* 
anfifiauung. alä ber neue SJnnb bcr SHeligion nnb €t!enntnt§, ben er 
aU ^p^ilofoiit) unb 3)tif)ter öerEttnbet. St ^at bie SJlönt^Stutte mit 
bem S^l)tfu§ Dettaufc[)t! 2)en ip^ilofop^en be§ Stltett^uraä, bie ben 
göttlichen -RoSmoS bejo^t unb gelehrt ^aben, fü^lt er fitfi geiffeSOet^ 
raanbt: bem ^Jijt^agoras unb bem 5piaton, ber ©ioa unb bem Epilur; 
fie fte^en i^m um fo nä^er, je Itienigcr bualtftifii) unb bet natitttii^en 
Dtbnung ber SJinge gcmäfeer i^re Sorftcöungen raaren: ba^et ^fllt et 
5ßlaton ^ö^et alä SIriftoteleS, *Pql^agoraä |öf)er atg IHoton, bie 
ße'^ren be§ Spüur unb be§ ßuetcj |ö^et alä bie bet ©taa. ®a« 
gegen üerrairft er bie ©(ftotaftit, tnsbefoubere bie ariftotelifcbe, unb Bot; 
aßen ®un5 ©cotua, ber bie Statur ber göttlicfien Sffltllftlr preisgegeben. 
aßie baS ©t)ftem ber Singe nur eineä fein tonn, fo muffen bemgemöfe; 
fict) unfere Begriffe f^flcmtitifc^ unb tabeßdrifcft orbnen laffen; ba^ec 
inteteffirt unb befcfiäfligt i^n bie fogeunnnte luHif^e 
ben 3)uali8mua ittifdien ®ott unb fflelt, 5orm iinb 3)laterie ergebt 
et bie buriigängige ®int)eit ber ©egenfö^e (coincidentia oppositorunj), 

Ibie jucrft on bet ©lijiaelle bet üienaiffance ber tieffinnige 5iitoIau8 
Sufanus au8gefptoi)en ^otie, unb mac&t fie jum ^rincip feinet Ce^re. 
3^m etfc^etnt ba§ llniüetfum als bie raa^rc unb aUeintge Offenbarung 
@atteS: ba^er miberftreitet er bem ©lauben an ben perföntiiften ®ott» 
menfc^en, auf bem bas ©btiftent^um berubt. unb bet ße^re oon bet 
fftnbfiaften 3latur, morauf ber fiat&olieiämus feine Slec^tfertigung blofe 
bur(fi bie fiiri^e unb bet ^roleftontiSmufi feine SReititfertigung 



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I. 

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9latut^l^Uofo^^te. 101 

burd& ben ©laubcn grünbet: baS lutl^ctifd^c §ljiom «sola fide> tji fo 
wenig nad& feinem ©inn, iDie baS tömifdöe «nulla salus extra eccle- 
siam». S)ie SHatur QÜetn ift baS [Ret(i^ ©otteS, boS nur in bcr leben* 
bigen unb toal^ren Slnfd^auung ber S)inge, nid^t in Sfttftetn ju ftnben 
unb nitftt burc^ SBortlünfte gu erretti&en ift. SSon beut Stange nad6 
6rfenntni§ ber 3latut ganj erfüllt, ift Sruno beut ))]^iIoIogif(i^en ©eiji 
ber JRenaiffonce, bem ^ormaliämuS, ber ßogif unb Sll^etoril abgeneigt, 
^ier, rül^rt fid& fd&on ber SlaturaliSmuS gegen ben Humanismus im 
engeren ©inn. 

SluS SrunoS pantl^eiftifd&er ©runbanfd&auung, bic aUeS au§er= 
unb übertoeltlic^e ©afein ©otteS Verneint unb als beffen DoUe ©egen* 
mart baS Uniöerfum betrad^tet, folgt unmittelbar bie ©leid^ung jtoifd&en 
©Ott unb bem SBeltaU, bie ßel^re t)on ber unbebingten Smmaneng 
©otteS. „Sl^m jiemt'S, bie SBelt im Innern §u bctoegen, 9latur in 
ftd&, fid^ in 9?atur gu liegen." Sllfo ift baS Uniöerfum gleid^ ©ott, 
barum unbegrenjt unb unermefelid^, jal^Uofe SBelten unb ©onnenf^fteme 
umfoffenb; ber geftirnte ^immel iji nitftt mel^r bie S)c(fe beS SBelt* 
gebfiubeS, bie 6rbe ni(^t mel^r baS unbetoegte ©entrum ber SBelt; eS 
giebt überl^aupt fein fold^eS abfolutes ©entrum, felbft bie Sonne ift nur 
in relatiDem ©inne central, nur als 5IKitteIt)un!t unfreS 5pianeten- 
f^flemS: bal^er ift Sruno einöcrftanben mit ber lopernifanifd&cn 
SBeltanfid&t, bie il^m DorauSgel^t, bie er gegen baS ariftotelifd^e, ptole* 
mdifdöe unb fird&Iid&e ©^ftem öertl^eibigt ; er gel^t in feinen 9fotgerun= 
gen toeiter als Äot)ernifuS unb ift fd^on ein 25orIöufer ©aUleiS- Ob 
gmifd&en ber pantl^eijiifd&en unb !operni!anifd&en ßel^re ein notl^toenbiger unb 
cnbgültiger Sufammenl^ang ftattfinbet, ift l^ier nid&t bie ju unter= 
fud^enbe fjragc. ©o t)iel ift einleud^tenb, ba§ aus ber Verneinung 
beS geocentrifdöen ©^jiemS bie SBerneinung beS begrenjten SBeltallS, 
bie Sejal^ung beS unbegrenjten ober unerme^Iid&en l^eröorgel&en mu^tc, 
tDomit bie getoö^nlid&en 25orfteUungen ber SEranSfcenbenj fallen unb fid^ 
bie ©leid&ung jtoifd&en ©ott unb bem Uniöerfum öolljiel^t. 

9lun mu§ bie g5ttüd&e Sllletniöeit fo begriffen toerben, ba§ in ber 
9latur ber®inge nid&ts ift unb gefd^iel^t, toaS nid&t aus ber göttlid&en 
Siatur l^erDor^el^t ; biefe ift bie alleS umfaffenbe unb in fid& tragenbe, 
oIIcS erjeugenbe unb betoegenbe, alleS burd&bringenbe unb erfennenbe 
(£in]&eit: SJlaterie, Äraft unb ©eift in ©inern. ®aS SSerl^ältni^ 
gwifd^cn ©Ott unb Uniöerfum ift bemnad^ gleid& ber not^toenbigen 
Orbnung ber ®ingc ober ber Sßatur. SrunoS SlUeinl^eitSlel^re ift 



1^^ 



3)ie italienil<^e 




noturaliftif*. ©ott Dcr^all ficfi jur aSelt oI§ bte toirfenbe 91atur gi 
beicirtten, er i(t «natura naturans», bie @tf(feeinun98roeU ift «Datiirf 
naturata»; ®olt alS bie ut[ärf)Iii5e 9fatur ober bie aQe§ erjeugenbe 
fitoft ift jugleicö 33tatEric unb ®tift, 6toff uub Sntcütgena, S[u5= 
be^nung unb SJenfen. §iet erlenncn itiii in 33runo ben Söortäufer 
€t)inoja3. 

SI6et bie 9iatuv ift jugleicö ein lebenbigeS unb göltlidjE^ ßunfw 
mex!, in Belc^em ber iiinerlic6 teiifenbe fiünflier fic^ jclbft abbilhet. 
unb offenbart, Don ber bemugtlofm 91atur foTtjcEireitenb jiit bemufelen, 
Don bem matetiellen ytnäbrud feinet 3bem jn bem geiftigen, öon btn 
«vestigia* ju bcn «umbrae», luelific bie Slbbilber ber göttlit^en ^bcen 
in urt3 finb. 3)iefe natnrgentäfee unb fortic^reilenbe Offenbarung 
©olteS in ber SBelt ift ein EntioictlungSproce^, bem bie göttltt^en 
SnjccCe ober Sffieltgebanlen al§ treibenbe Kräfte inmo^nen, unb auS 
bem fie aU @rfeitntni§o6iecle ^erüorsc^en, loie bie ^xui^t aus bem 
©ümen. 3)os Uniüerfum, o(S lebenbigeS Kunftroetf betrachtet, ift 
©otteS ©elbflenlroidtung. ©ott Derl)ü(t fii^ faEmna(5 jur SBelt, wie 
ber ©ntKÜtungSgrunb ju bem ganjen Umfange unb Sieidit^um ütter 
ßntroicflungsfotmen unb ©tufen, tait ber ßeim jur Sntfattung, wie 
ber ^JJunft jum Dlaum, ba§ 'Jltom jum Äöri)er, bie Hfionaä jut 3a^t: 
ba^er ift ®olt ba§ fifeinjle unb ©rö&te unb bilbet in SBa^t^eit bie 
Sitt^eit aüer ©egenjö^e. ^n t^m ift bie Sett, »ie fc&on Sufanuä 
gejagt ^atte, fotentteH entfjalten, in unentfatteter ^tnlage, im Suffanbt 
ber «implicatio», in ber Seit ift ©ott tm 3uftonbe ber «explicatdo; 
bei «nenblicEien ^Üüe unb ©ntfaltung feiner Jlräfte. 

©0 erfifteint ba§ Uniüerfum als ein @ntraicllung§(ltftem , belfea] 
Elemente bie unentfoltcten Sntmictiungöttäfte ober Sfionabeu ber ©ingt 
finb. §tee etfennen mir in ®runo ben 5ßorItiufet unferes ßeibnij; 
5Die itotienifi^en Sifiriften, bie et in ßonbon berauägab, Hegen in ber 
JRid&lung, bie ©pinoja DoDenbet; ffiogegen bie latcinifcfeen ße^rgcbiifete, 
bie er in Stonlfuct ü. SR. Oeröffenlli^te, furj beöor er feinem Sßer: 
^öngnifi entgegenging, ftfton bie ^Dlonobenle^re Borbilben. @r loax fein 
aiCEieoS, fonbcrn ein „*pf)itDt^eo8 (S^eop^iloä)". Seine 8eE)re bon bem 
gottlic&cn unb unerme^liAen Söeltatt mit ben äo^tlofen ©onnenf^flemen, 
bie er aU ba§ Sfiema einer neuen 3ieligion empfunben unb oetlünbet 
fiat, raat baä ^Quptätcl ber 2(nf((igen unb bie UeberjeugHug, für 
melt^e er ben qualDoIlften ajläctljrertob erlitten ^at. 3rcei 3a^rtaufenbe 
nat^ bem £obc be§ ©olraleä! 



.3 

1 

i 



i 



SUatur^lftilofo^l^ie. 103 

bleuerer tncl^r her 2lBft(i&t als bcr SBtrtung nod^, ortgiticUct burd^ 
feinen ©l^araftcr unb feine Snbiötbualttöt , al8 burfi feine 3been, bie 
gum guten Z^til üu8 ber ®eifte8Qtmoft)]^äre beS toteberbelebten 9llter= 
tl^umS l^errül^ren, ifl Sntno ber SSorlöufer einer neuen 5ß]^iIofo))]^ie, 
ni(i&t beren Segrünber. ®a8 SHeue in il^m ift feine lopernüanifc^s 
t)ant^eiftifd6e SQBettanfic^t. ^ 

3. 3!. ®anH)anctta. 

üeber]^aut)t mu§ öon ber itolienifdöen 9?aturt)]^iIofot)]^ie gefogt 
tocrben, ba§ il^r 6ompa§ jtoar unöerfennbar auf bie neue 3ßit l^intoeift, 
aber unter ben nifid&tigen (Sinflüffcn ber Vergangenheit ftar!e 916= 
lenlungen erföl^rt unb bal^er nod^ unfid&er fd&toanft. @ie ift nid^t ber 
Slnfang unb bie Segrünbung ber neuen 5|}]^iIo|'o))]^ie, fonbern ber 
Uebetgang Dom SKittelatter bnxi^ bie Sienaiffance ju berfclben: bal^er 
mifcfien fid& in il^r bie ©eifleSftrömungen ber SSergangenl^eit unb 3u- 
lunft, fie emppnbet bie breifad^e Slngiel&ungSfraft , tocid&e ba§ 
?Ktert]^um, baS ürd^tid&e SQBettatter unb baS SSorgefül^I ber neuen Seit 
ausüben. 3n feinem erfd&eint biefe SKifd^ung, bie gu originell ift, 
um für getoöl^nlid&en ©flefticiSmuS gu gelten, umfaffenber unb bemerfenS- 
toertl^er, als in bem legten unb iüngften biefer Sftcil^e, SEommafo 
6am|)anella aus ©ttjlo in ©alabrien (1568—1639), bem ßanbsmann 
unb jüngeren Seitgenoffen SrunoS. SQBie biefer, ift 6amt)anella ein 
©ominifaner t)on feuriger unb poetifd^cr @inbitbungs!raft, ben bie 
telcfianifd^e Slaturpl^ilofopl^ie mäd^tig ergreift unb mit fi($ fortreifet; 
toie biefer, toirb er Verfolgt, toeniger aus lird&lid&en als i)olitifd&en 
©rünben, benn er ftel^t im JBerbad^t einer SSerfd^toörung gegen bie 
fpanifd&e §errfd&aft unb büfet biefen JBerbad&t mit fiebenmatiger Wolter 
unb fiebenunbgtoanjigjäl^rigem ©eföngnife in fünf jig öerfd^iebenen fierlern 
(1599—1626). 

SJlit SEelefio, t)on bem er auSgel^t, mit 5ßatrijji unb Sruno be= 
frfiftigt er ben antiariftotelifd^en Sl^arafter ber neuen 9?aturp]^ilofot)]^ie; 
er nimmt, toie ^ßatrijgi, bie telefianifd&=platonifd6e unb lirdöenfreunblid&e 
Slid^tung; in öbUigem ®egenfa§ ju Sruno hqa^t er bie fird&lid&e 
SBeltl^errfd&aft unb ftiftet in feiner ßel^re einen Sunb jtoifd&en ber 
italienifd^en 9laturt)]^ilofot)]^ie unb ber fd&olaftifd^en Staatslehre, gtoifdöen 
SEelefio, bem Segrünber beS SHaturaliSmuS , unb SEI^omaS, ber tl^eo^ 
logifd&en Slutorit&t ber S)ominifaner. SSon ber $öl^e ber ©t)ätrenaiffance 
fällt ©ampanella in feinen politifd^en Slnfid^ten auf einen ©tanbpunft 

1 »ergl. a. Sliel^l: ©iorbano f&xmo (1889). 



Sit italimilrtit 



^^V t)Dr 3)ante jurüd unb fMt fii$ in erbitfeiten ©cgcnfa^ uibei SHac^ta- 
^^B belli, tiefen ersten ^eft^ä[entaiiten ber ^lolitijctien tRenaiffance, ber i^m 
^^^ bia6oIif(6 erid^eint SugleicE) grünbet ficE) biefe inerlwiitbige 3Jlt!c6unfl 
m leIefiQnt|c()=pIalonifö)cr unb t^omijlijcöer fflorfteÜungeii , biefe ©^nt^efe 

I 3lBi|(^en itolieiiififter Dlalurli^ilofoptiie , iteuplatonift^et {areopQgitifiJet) 

I unb |(^olaftif(tei: S:[)eo(ogie auf $nnci).iien, mliie uns ben ^ampaneUa 

I qI§ ben ^rogonen bet Scgrtlnber bet neuen 5ß^ilD(o})t)ie eriif)eineii laffeii: 

L et Dei^alt fti^ p iöacon unb 5De6cailes, in§6eioitbcre ju bem tegteren, 

^^V Atinlid) roie ißiuno ju ©iiinoja unb Ccibnij. 

^^H Sie natüTÜi^e @ifenntnig bei S)inge grilnbet fi(^ auf unfete! 

^^f Öugere unb innere @i:fa[|iung: jene befielt in ber finnli^en ^a^i- 
f- ne^muitg unb ift fenfuotiftifct), biefe ift leflcjiD unb bcftet)! in ber 

©elöftbelrai^tung, in ber unniittetbaten ©croifelieit unfereS eigenen ©einS, 
in bem jiDEifenoien: „34 tiin". -&'" 'ft bet ^untt, in roelcfeem 6am= 
(janeHa an SDeScatfcS grenzt unb ben Slnfaug bei neuen ^^ilofo^i^ie 
au otiticiliiien fd&cint. Sßir etfcnnen unmitteSbat nic&t blofe unfere 
©jifienj unb beren ©c^ionle, fonbecn aucb lUQä wii finb unb toorin 
bie Slotut unfetes SffiefenS befielt; nümlicö in bet fitaft bes @rfennenS 
unb SBoUenS. Stft bin ein »ermügenbeä, DorjiEltenbeS, moHenbcä SHSefen: 
bie§ ftnb meine unmittelbai Einleu(fetenben ©runböeft^affen^eiten ober 
„^limnlttatEn"; bnS Sßeimögen »oHcnbet fic6 in ber 3it.aiii, baä 33di« 
fteÜen in bet Sttenntnife ober läBeiö^eit, baä SSioHen in bet ßiebe. 
Slßer ha mein 2Befen befc&räntter Vlatut i% fo bin ic^ aucE) bem ©egen» 
t^eil biefet ffioOtommen^eiten unterworfen; ber DIjnmQdjt, bet Untoiffem 
I)eit unb bem ^afe. 9!un forbert bie Srfenntuife bie Sinl^eit unb ben 
Sufammen^ang aUet SBefen, beren @runb6ef(5affen^eiten bal)et cinanbec 
analog fein muffen, ©o erleud&tet mir nieine ©etbftgeroife^eit uumitteU 
bat bie legten ^principicn ober bie Utgriinbe ber Singe. 

aiug jenen «primalitatcss be§ eigenen SBefenä erlennt EoinponeHa 
bie *propriiicipias, faie baS S^ema feiner neuen 3Jtetai)^l)fiI auSmad&en. 
Site bcniufetlofen ^lalurmefen unter mir finb in nieberet 'J^olcnj, raaä it^ 
in ^öEicret bin; ®ott ift in prf)fter unb abfolnlcr ^ßotenj, rooö alte enb= 
Iid)en 3ßefen in nicberei finb: er ift STUmadit, SBdsV'' unb fiiebe. 
Es gicbt bn^er lein roirtlic^eS 3)ing, baS fein Sofein nii^t äuglei{^ 
fü^lt unb begehrt, baS nic£)t traft feiner Sfatut empfinbet unb mill, 
menn auct) in betouBlofct, bunttet Söeifc. 3ebeS mirllicbe ©ein ijt 
jugteii^ ©etbftempfinbung, aßiHe jum ©ein, Stieb jur ©etbfter^altung. 
bem ßebtöfen lann nie Üebenbigeä, auä bem ©mpfinbungStofen nie 




S^Qtut^l^Uofo^l^te. 105 

©m^finbung unb ^Perccption l^ctöorgcl^cn; ba^er finb SSorftcUungS^ uttb 
SQBißcngfraft btc UrMftc, bic aUe« ©afcin begrttnbcn, beleben unb ben 
©tufengang ber S)inge l^eröotbtingen. 3n btefet tieffinnigen 3lnf(^au= 
nng finben toir 6awt)anena auf bem SBege ju ßeibntj unb in 
bemfelben SWafte bem ©:|)inoja entgegengef e§t , als Sruno bemfelben 
Dermanbt mar; er fielet gtoifd&en Selefto unb ©eScarteS, er fielet mit 
SBruno jtoifdöen SEelefio unb ßeibnij, aber nid^t gleid& Sruno jtoiji^en 
Stclefio unb ©pinoja. S)ie telefianfid&c ßel^re öon bem ©egenfa^ unb ©treit 
ber ßröfle in ber ?latur ber ®iuge begrünbet (S.ampamÜa baburc^, 
ba§ ©inn unb 6mt)finbung in aUen ©ingen leben, ba% au§ ifirem 
©elbfterl^altungStriebe, bem SBillcn gum S)afein, ber jd^on bem S33iber= 
ftanbe ber trägen 3Jlafje intool^nt, ©^m))at]^ie unb 2lntit)at^te, 2lnjie]^ung 
unb Slbfto^ung folgen: er begrttnbet fte au8 bem «sensus rerum», 
bem originellen SLI^ema feiner erften j)]^itofo))]öifdöen ©d^rift, bie fd&on 
ben ®runbgeban!en feiner 5IKeta))l^^fif entl^ält unb in bemfelben Saläre 
in 3l^apd erfd^eint, als 5ßatri3jiS „9leue 5p]^iIofo})]^ie" in {Jerrara, 
unb SrunoS lateinifc^e ßel)rgebidöte in granifurt (1591). 

SBirb bie SBcIt t)om ©tanb})unft ber natftrüd&en Singe aus be= 
trad&tet, fo erfd^eint fte als ©nttoitflung, als ein ©tufengang junel^men= 
ber SBoUfommenl^eit unb ©rieud&tung, bie fid& in ©ott öoUenbet. SQBirb 
fie öon ©ott aus betrachtet, fo erfc^eint fie als baS ©efdböpf ber aU« 
mäd()tigen SffieiSl^eit unb ßiebe, meld&eS im Unterfd&iebe öon ©ott enblid^ 
unb unöollfommen fein mu§ unb bal^er, je toeiter eS fid& t)on ©ott 
entfernt, ein ©tufenreidö junel^menber UnöoHfommenl^eit unb a5er= 
bunlelung bilbet, in toeld^em au(^ bie 3tt)tfd^enrcid&e ber 3been, ©eifter 
unb ©eelen nid^t feilten bürfen. S)ie ©eiftertoelt begreift au(^ bie 
Drbnungen ber (Sngel, bie ]&immlifd6e ^ierard&ie in fi(^, mie ber 2lreo= 
paQÜ geleiert l^atte. ©ampanellaS ©d&öpfungslel^re l^at il^r nöd^fteS 
aSorbilb in SEl^omas, bie SBorftellung ber abtoärts fteigenben ©tufen 
beS UniöerfumS l^at baS il^rige in ber neut)Iatonifd&en ©manationSlel^re. 

Slber in ber aJienfd&l^eit fte igt bie ©eifter weit aus bem bunleln 
©d^oofee ber Statur toieber emt)or, aufwärts gerichtet: fie foU ein neues 
Cid^treid^, einen „©onnenftaat" bilben, ein Slbbilb beS göttUd&en ateid^S. 
6s foU eine ^eerbe unb ein ^irte fein. S)arum forbert ©ampaneUa 
bie ©inl^eit unb ßentralifirung ber ^Religion, ber Äird^e unb beS 
©taatS: ein SBeltreid^, toeld^es bie ftufenförmig georbnetc SJlenf^l^eit 
in fid& bereinigt, unter einem UniöerfalJ^errfi^er, über toeld&em ber 
©tattl^aßer ©otteS auf ßrben tl^ront, baS Dberl^aupt ber SBeltfird&e 



i 



106 Die italieniWe 



all 9(6Bttb her göttlichen 3ItImQ($t, ber lömifc^e ^ßapft. Sine tiDetifdie, 
rüdmärtsf^auenbc, ernftlicb gemeinte Steconftrudioit beä litcöUcöen 
aSeltaltets auä beii 3e'ten ^inocenj' tH., ein pf)itD(Dp^ii(Se§ 2tQum= 
bilb, nacktem \iion 3)ante bie meltlicöc 3JtQc[)t beä $npfttt)um§, ÜOlac^ia- 
Celti nucÖ bie Iit(ftli[fie BertüünfcEjt unb bie ^iefotmation bereits ben 
un^eilbaien 91i6 gemocht ^atte! SIber reatum jüEte bie ^ß^antafte 
bet OtenaiHance, »efc^e bie magilcöe firnft ber Sobtenbeic&iDörung ht\a.% 
in einem t^tcr Spätlinge ni^t üuij btefcS Jibeal bes aUittelaltetä 
notfi einmal träumen? ÜBar boi^ amili^cn faem ptotonift^en ©taat unl 
ber rBmi(c6cn Äircfie eine alte SBeriDQnbtic&aft, bie ben einfamen da- 
paneßn in feinem fierfer öbcrrociUigen unb infpiriren fonnte 

Sie ©tepfis als iJotge ber tRenailfance. 
1. £. SBonini. 

©ijon in bem legten Scitolter ber ©ii)olaftit (jafte bei ©laube 
bie Srienntnife niifit me^r aU bienenbe Stöge, fonbetn nur no^ Ql3 
beengenbee Qorft empfunben unb fic^ burc^ bie nominatiftifct)e @iEennt= 
nifele&re boDon befreit. ®ie menftfttic&e Sinfic&t war auf bie natürliche 
unb finnUcf)e 9Be(t l^ingeltiiefen moiben mit bem ffleltufetfein, ba& i^re 
3Jlitte[ nic&t im Stnnbe feien, boS 3Befen ber Slinge ju erfoffen. ©d 
lag fction in jener fifioloftifcben ©rfennfniSleöre, meiere ©tauben unb 
SBiffen getrennt ^atte, in 3töc[fi^t auf biefeS (entere ein fleptifcfeeS SnotiD. 

3)ie Sienaiffance etfi^üttert ben üriilicften ©tauben unb bie ©ettung 
ber jenfeitigen unb üfecrnatürliiien SäJeli, fic belebt Don neuem bie 
p^ifofop5ifct)en ©Ijfteme beS 9[Itert^um§, bercn feines bie miffenfd|afi= 
liije Sefriebigung gemähten lann, inelt^e ber ©eift be§ neuen S^itoIterS 
fucöt unb bebarf; fie berechtigt bie freie ^JlannicfifaltigEeit ber inbioi: 
buetlen ^Infti^ten unb ifl felbft feineämeg§ gefonnen, fic^ in bnä ^oä) eines 
S^ftemS ju fügen. ®ine folc^e §crrfc6afl, inetifie bie ©rfenntnife 
centralifirt, itiiherftreitet bem Urfprunge unb ber Sinnesart ber SHenaif= 
fance Oon ©runb qu§. ES ift ba^er ein ganj notürücöeS Srgebnife, 
tttenn bie Silbung ber 3!enaiffance , felbjl unDermögenb ein ttia§r!^aft 
neues ©Aftern ju erjeugeu, jule^t in eine ©lepfiS ausläuft, bie biefeS 
Unüermögen offen befennt unb ben ©tauben an bie grEenntnife ber, 
Sßa^rljeit unter bie menfc&lict)en ©elbfttäufc&ungen rechnet. 

Sem fEeptifc^en aSetoURtfcin folcE)er 31rt ift burc^ Bilbung 
Settalter eine Stic^tung na^e gelegt, bie on bie ©Dp^ijlil ber 
erinnert, tooiiu ber S^eifel bem petfünlit^en ©elbftgenuB bient 



1 



Ibung unl^H 
ber ailte^H 
bient uni^H 



SRotut^^ilofo^l^tc. 107 

baS tntcffectuelle aJlad^tgefül^I beS SnbbibuumS fo gctoaltig fteigcrt, 
btt§ fid& bajfclbc einbilbct, auf einer ^öl^e gu [teilen, ber bie Sfteid&e 
beS ©laubenS unb SQBiffetiS utttertootfen fd^etnen. ®er SKenfd^ bünit 
fiäi toiebcr einmal „ba8 3Ka§ aller Singe"; eS fielet bei i^m, ob er 
ben ©lauben l^eutc öertl^cibigen unb morgen öerl^öl^nen toitt. ©iefen 
3ug einer eitlen unb praWerifi^en @o:|)]^iftif mu^te bie italienifd^e 
Slcnaiffancc nod6 au^px&itn, unb fie l^at ben entft)red5enben 6l^ara!ter 
in einem jüngeren 3ßitgenof[en SrunoS unb 6am))aneIIo3 gefunben, 
einem SWann, beffen t)erfönlid5e§ ©elbjigefttl^t f($on in ben ©röfeen= 
toal^n übergel^t: er l^ie^ ßucilio 25anini unb nannte [xä^ „©iulio 
Sefare SSanini" (1585 — 1619). 3n einem feiner ©efpröd&e läßt 
er ben Unterrebner in l^öi^fter Söetounberung über bie 50iad5t feineä 
3läfonnementS ausrufen: „ßnttoeber bu bift ein ©ott ober SSanini!" 
ajefd&eiben anttoortet er: „3(i bin SJanini!" 

3n feinem ^Slmpl^itl^eatrum" (1615) loottte er als ©egner ber 
5ß]^iIofop]^en beS Slltertl^untS unb als @ad&toaÜer beS ©l^riftcntl^umS, ber 
ßirdöe, beS tribentinifd&en ©oncits unb ber Sefuiten erfd^einen; fd&on 
im ndd&jien Saläre fd^rieb er feine „®iaIoge über bie SRatur", „bie Äönigin 
unb ©öttin ber ©terblid&en", toorin bie religiöfen unb d&riftüdöen 
©laubenSfö^e bie gtoar burd^ bie ©efpräd^Sform öerbetfte, aber unt)er= 
lennbare 3irif^cibc ber Tronic unb beS ©t)otte§ finb. 6in Sal^r^ 
l^unbert ift feit 5ßom})onajji vergangen, ber ben 9laturaliSmuS gegen 
bie Äird&c in baS {Jelb gefül^rt unb ben Stoeifel am ©tauben t)orfid&tig 
begrünbet unb öcrl^üttt l^atte; SSanini folgt 5pomt)onajjiS SSorbilbe unb' 
©|)uren, ol^ne ben 6rnft unb bie Driginalitöt ber Sorji^ung, er ]pxt\t 
gegenüber ber ßird^e fafi gleid&jeitig ben fot)]^ijiifdöen 3lt)otogeten unb 
ben fred^en @})ötter. Slber baS Zeitalter, toeld^eS t)on ber ©rünbung beS 
3cfuitenorbenS, t)on bem tribentinifd&en ©oncil unb ber Söartl^oIomöuSnad^t 
l^erlam, öerflanb fid& ni(^t mel^r auf fold^e ©d&erge unb üe§ ben SSanini 
toegen feiner ©iaioge ju Sloutoufe ben geuertob fterben (1619). SRid&t 
burdö feinen ©l^aratter unb feine SBerfe, nur burd^ biefeS tragifd&e 
©d&itffal, baS größer ift als ber ajlann, erjd&eint SSanini neben 
©iorbano Sruno. 

2. 97lt(|el be ÜTlontaigne. 

68 giebt eine ffeptifd^e SBettanfid^t, bie ats reife gtudfet gefam= 
metter ©rfal^rung unb ßebenStoeiSl^eit aus ber Söilbung ber SRenaiffance l^er= 
öorgel^t unb btn ©d&Iufepunft il^rer pl^ilofopl^ifc^en 6nttoitf(ung ausmacht. 



108 



Siie italienil^t 



;3n bicfer Junten IDianni^faftigfeit titiilofDiJ^ifiier Ccfjrmemungm unb 
©^fteme ift bei !einem btc Uebevieugungäfraft bec SBatjt^eit, «ietnie^r 
geben fic buri^ i^ren Sßiberftreit bcn ffleroeiä t^rer inteEectueUen C^n^ 
mac£)t, bie bei einet foli^en QäUc Don Silbung, einem (oli^en 3lei($- 
t^um DDti ©eifteöfräften, mt ba^ ^tiiaitn bcfi^t, in btt menfc&li^en 
Slotur felbft tcgtiinbct fein mufe. ®nl)er ift bie ii{|tiöe, on bet 
Stfatjrung erprobte, aller inteßectueÜen §eti[(i)fu(i)t unb ©rufet^uerei 
abgeneigte ©e[bfter[enntni6 bie Slujgabe unb baä 3ift. onf roetiiie 
bet gejonmite geiftige SPJeltjuftQnb ^inroeift. Sie vi(f)tiger unb unüer= 
blenbetet man \iä) fdbft beobatfetet, um fo bejfer erlennt man bie an= 
beren unb geroinnt ben StanbBunft einer rul^igen unb menfii)entuii= 
bigen Betrachtung ber S)inge. «C'est raoi, que je peius!» dl 

3)ie§ i^ btt ©tanb^unH, auf mel(t)em 3Jtic[)e( be ^ontaiglfl 
{1533-1592} int Si^tufepunft ber p^itDfoptiif^ftBn SRenaiffance er[i&eitt^ 
biefer @a^ ift bog ouSgeiproiftene unb burcögängige unmiltetbare unb 
mittelbare S^enifl jeiner ©fjaig {1580— 1588). Seine @rjiei)uiig niat 
gnnj im Seifte ber 3ienaiffance getjolten, feine Süentliieife bie ifuftt 
biefer Sraietiung; SJIonlaigne Eannte fii^ felbft unb niemanb raupte beffet 
als er bie jDlactit ber erjietienben ©inflüffe ju fdiä^en. bie oon ben 
Seitaltern unb Sitten o&ijöngeu unb felbft bie 3Jleinungen ber SJIenfifien 
^eranbilben. 3n bet 9JIenfct)enroelt !oerf)fe[n bie ^nbioibuen, in biefen 
bie Stimmungen unb ßebeuäauftänbe, mit biejen bie 3Jleinungen. SBer bie 
6ntftet)nngsrceife ber (enteren fennt, mitb feinet eine objectiüe®eltung ein= 
räumen unb jebc aU eine ^rucbt inbidibueHer ©nttoidlung onerEennen. ®a= 
![)er begleitet SJiontaigneö fEeptijcöe SRic&tung ein 3ug rootilt^ucnber unb 
mcnfc^entunbiger Soletanj, aucj) im ^inblict auf bie teHgißjen ©laubenS= 
biffetcnjen, bie in granfreict) bie Bßrgerftiege erzeugt t)atten; er tiet= 
iDirjt bcn aßüfjtljeitöbunlel p^ilofop^iidier ©^fteme unb bie oufgeblafene 
@elet)tfam[eit, bie ßommenlare auf Sommentare ^äuft, er ai^tet Überaß 
ia§ inbioibuelle 9lc(f)t bet SJieinungen, unb getabe in biefer 9In= 
ertennung äeigt fic6 Ulontaigne ö[^ Sögling ber ülenaiffance unb feine 
SIepfiS als ba§ ergebnife i^ret Sitbung. 3^ wanlelmütl^iget unb 
gebrcc^üc^et bie 2Be(t menfi^Iidier Sßorftellungen unb 3lnfid)ten, ®e= 
fe^e unb Sitten etfci)eint, um fo mäifjtiger er£)ebt ficfi bie ©ettung bet 
unoerrüifbaren, Bon menfi^(ti$er 2BanbeIbarIeit unabfjängigen Otbnung 
bet ffiinge in bem gefe^mäfeigen unb conftanten ©ange ber 9Iütut, 
bem lebenbigen SBucde bei Si^öpfung, baS fc^on 9la^munb uon @a= 
bunbe in feiner natütli^en 5£^eoIogie (1436) ©otteiS unoerfölfd&te 



^ 



^ainxpWo^opf^k. 109 

DffcnBarung genannt l^atte. SKontotgnc l^at in feiner Sugenb ftiat)- 
tnunbs JBerf überfe^t unb in bem umfaffenbften feiner 6ffai§ t)er= 
tl^cibigt. ©em ©lauben an bie menfd&Iid&c @r!enntni§ unb beren 
lünjHid&c 3Ka(i&n)erfe fe§t er ben ©lauben an bie SRatur in fetner 6in= 
fad^l^eit unb UeBcreinflimmung mit ©otteS t)ofitit)er Offenbarung ent- 
gegen; er tDei§ leinen beffern ^ai^ aU fid^ ber SRatur ju überlaffen 
unb il^rer ?ftid^tfd&nur ju folgen. 3n biefem ©lauben an bie SRatur 
erfd^eint SKontaignc aU ein JBorläufer 3louffeau8, aud& barin, ba§ er biefen 
©lauben auf ©elbpbeobad&tung grünbet unb in ber Qoxm ber ©elbft= 
fd&ilberung au8fpri(i&t. «C'est moi, que je peinsl» ,,3d^ ftubire ntid^ 
felbft: baS ifi meine SWetapl^^fif unb 5ß]&^fif." ©iefeS SBort unfere« 
©leptifers l^ötte aud6 SRouffeau ju feinem SBa]^Ifpru(i& mad&en !önnen. 
3Äontaigne fielet an ber ©(^toelle ber neuen 5ß]^ilofol)]&ie, bie er 
nidöt überfd&reitet. S)iefe beginnt, too jener enbet: mit bem auf bie 
©ettftbeobad&tung unb ©elbfiprilfung gegrftnbeten Stöeifel, ber aud& 
ben ©lauben an bie Slatur, aber an bie ©riennbarfeit berfelben 
in ftd6 fd&Iie^t. 68 ift ber bie (gr!enntni§ fud^enbe unb ergeugenbe 
3tt)€ifel, ber fotool^I ben Sacon ats ben ©eScarteS, biefe S3egrünber 
ber neuen 5|}l^ilofol)]^ie, betoegt. 3KontaigneS SBater toar ein ßanbs- 
mann SaconS, »etd^er bie 5orm ber „6ffai8" jum SSorbilbe feiner 
erficn bebeutenben ©d&rift nal^m ; SKontaigne felbfl ift ber ßanbSmann 
S)e8carteS'. @r iji ber 2^pu8 unb gül^rer einer ffet)tif(36en ©enfart, 
bie fid^ il^m anfci^Iiefet unb in ©ttbfranfreid^ gleii^fam bie Ie§te Station 
bilbet gtoifd^en ber Slenaiffance unb SeScarteS. 3n bem ^ßrebiger 
5^ierrc ©l^arron (1541—1603) toirb biefe ©Iet)fiS jur öerftärKcn ^in- 
»eifung auf ben religiöfen ©lauben; in bem ^rofeffor ber aJlebicin 
(Jfranj ©andöeg (1562—1632) toenbet fie fid& jur naturgemäßen SBe« 
obad^tung ber ®inge. Sl^r betoegenber ©runbgebanfe liegt in bem 
SBorte ©l^arronS: ^®a8 toal^re ©tubium beS aSeufd^en ift ber Söieufdö!" 



©iebcnteS Sapitel 

HaB 3eitaU^r itx l^tfntmatxm. 

S)er Urfprung ber neuen 5ß]&iIofoj)]^ie ift burd^ eine epod^emad&enbe 
3^at bebingt, toeld^e bie ©runblagen ber mittetalterUd&en Söilbung er^ 
fd^flttert, bie ©d^ranlen berfelben aufl^ebt unb burd^ bie 93ereinigung 
aller gum ®urd&brud6 erforberlid&en Äröfte bie gefämmte menf(ftltd&e 



cm 



SaiS SeilolKi 

SHiettnnf^auung betgeftott umbilbet, baß faie Sunbamente für ein neueiB 
Settalter ber Kultur ficfefligt finb. S)iefe umfoffenbe unb granbUc&e 
UmbUbung, bie fic^ letitegKegS btofe auj bie lirc^Iiifien SÖerflnbeninsen 
einfcfiranft, tfl bie EpoÄe ber Jteformation, inctdie bie ©renäfi^Eibe 
bitbct ülnitdieii bcm inititeren imb neue« SBcItaUer. 3He ift in ber 
Seit ©röteres in türserer Seit geff^e^eii. 3n ber ©t'iin"^ e'"^^ 
falben ^aljr^unbcttä ift ba§ menicEjIii^e SBeraufetiein in üHcn feinen 
^au^tformen umgeftolfet unb uetänbert; eine Sfienge reformQtoriJ(i)et 
flröfle ftromen jufQmnten, um bas Sülittelalter aus ben tJus™ ä" 
ijfbm. fie inirten auf ben Derfcfetebenften ©ebielen butc^breiftcnb, unab: 
l)ängig »on einanber unb jugleid) in beinunbcrungSroütbigem (Sintlnng. 
3Bir £)aben bie UebergongSflufen fernen gelernt, in benen bie [Renüif= 
fancD bein neuen 3eita[tet juftrebt. liefet fotl fiii) seigen, in roetdien 
fünften fie in bie tefotmatorif^e Spoc^e felbft eingreift. 

23er TOcnfi^ I)at ittei Cbjecte, bie er unmittelbar uorfteßi: bie 
SBelt unb fiii felbft. 5in bem Snfammen^nng unb ber Untiriidlung 
biefer beiben äüorlieüungen befielt feine aBeltanfdjüUung nnb in biefer 
bie t)&i^ffe Jyoti" fetner Silbung; beibe finb ber ©elbfttäufi^ung unters 
roorfen unb nur in bcm ©robe ma^r, als fie bie S8tenbungen butc6= 
fc^out unb fi^ üom Sc&eine ber SJinge befreit ^üben. ®ie etfie SÖor= 
fießung. bercn Dbject bie borljaubene SSelt ift, möge bie dufeere SSJelts 
anfdjauung, bte anbere, bereu Dbject in bem men|d)li(^cn ilBefen felbft 
befiehlt, bie innere fjeifeen. 3)iefe »oßenbet ficb in ber ©eroi^tieit eineS 
■^bifjften ©nbjweds, bem mir bicnen, einer I^Üdiftcn 5)lQ(bt, uon ber 
mir abhängen, fie ift in biefer ^orm religiös ; bie öufeetc bagegen 
finbet in ber Borl^anbenen Söelt i^re beftimmten Dbjede unb 9tuf= 
gaben. Sie gegebene ÜBelt ift bie SRenfc^^eii, in bcren ©ntraiiilung 
mir begriffen finb, ber Sffiettlörtier, auf bem bie SJlenfiJljeit lebt, bog 
3111 ober ber floSmoS, in bem fidi biefer aSeltlöriier befinbet; bie 
SDlenfdj^eit, bie ffirbe, baS SBeltaü finb bemnaif) bie iObjede, auf roeli^c 
unfere äußere Süieltnnfi^ouung fict) be^ic^t. 2Bir unterfcE)eiben bein- 
gemäfe in i^rem ®ebiet brei große ©efii^tefreife nienfäjticfeet Sübunfl: 
I ben 9efc[)i(5tliii]en, geogralJl|ifd)en, f oemograpljifcben. 

I Set ©egenftanb bcS erften ift bie 5Dfenfc^tieit in itirer Sntfflictlunfl, 

I ber beS jraeiten bie 6rbe als bn3 ÜBo^nljauS ber 9Jlentc£)en, ber be§ britten 

I bas Unißetfum q(§ ber Inbegriff ber Selttürper. SJon biefen formen 

^^^ unfcrcr aufieren Sffieltbctrad^tung unterfciieiben mir q1§ bie tieffte unfer 
^^K inneres relisiöfeS ^etougtfein. äjetgleidien mir bie SSorfleUungStteifen, 



ber IRcfotmation. 111 

bie Quf atteti bicfen ©cbietcn t)or ber aieformatton gel^ctrfd^t J^obctt, 
mit bencn, bie nad^ bcrfclben gelten, fo jeigt ber erfte Slitf bie arö^ten 
aScr&nberungen ; bie tnenf dfeüdöc SBeltanid^auung erfd&eint in allen il^ren 
Steilen, in allen il^ren toefentlic^en Sebingungen t)on ©rnnb au§ nm= 
gebilbct. 6ben biefe Umbilbung ift bie 3lcforntation felbft. 

L ©ie neue SBeltanfd&auung. 

-- 1. S)cr l^iftorifd^c ®cfid§t8!rci8. 

3uerft erfftl^rt ber gejd&id&tlid&e ©efid&t§!reis eine burd^ greif enbe 
ßrtoeiterung unb Umbilbung, bie baS Setoufetfein, befjen ©egenftanb 
bie aJlcnfd&l^eit felbft ift, t)on feinen mittelalterlid^en ©d&ranfen befreii 
3tmfd6en ber l^eibnifc^en unb d&riftlid&en SBelt liegt, aus bem ©efic^t3= 
fünfte beS SKittelalterS gefeiten, eine unaberfteiglid^e ßluft, ein ©egen= 
fa|, ber j|eben Sufammenl^ang ausfiä&liefet, unb ben bie auguftinifdöe 
ße^re bem ©laubensbetou^tfein ber Äirc^e tief eingeprägt l^atte. 6ben 
fo tief ift bie Untoiffenl^eit unb baS S)un!el, toorin baS aJlittelalter 
gegenüber bem Slltertl^um unb ber claffifd&en 33ilbung fid& befinbet. 
S)ie ßird^e felbfl l^at bas Stitereffe gel^abt, ben ©tauben an i^ren gött^ 
Ud^en Urfprung baburd^ ju lieben, bafe fie ilire gefd&id^tlitft unb 
menfd^lid^ bebingte 6nttt)itflung gefliffentlitft Derbunfelt. 3n bem a3e= 
tou^tfein beS aJlittelalterS faßt auf bie SWenfd&entoelt, il&ren 3ufammen= 
]§ang unb i^re ©efd&id&te nur fo t)iel ßid&t, als bie olird&e t)on oben 
l^ereinfdöcinen lä^t, unb in biefer Seleud^tung ift eine gefdöid&t3toiffen= 
fd^aftßdöe SQSeltanfd^auung nid^t möglid^. S)ic SBieberbelebung ber 
claffifd^en ©tubien burd&bri(^t auf biefcm ©ebiet bie fird^lid^en ©(^raufen, 
baS Slltertl^um toirb t)on neuem entbedtt, ba§ ©efül^l ber a5ertt)anbt= 
fd^aft mit bem ©eijie feiner ßunft unb ^ßl^ilofopl^ie burd&bringt t)er= 
jüngenb bie abenblönbifd^e SBelt, in ber JBeiounberung unb 9?ad&bil= 
bung biefer SBer!e beS claffifd^en ^eibentl&umS empfinbet man nid&t 
mel^r au8fd&lie§tid6 d^riftlid&, fonbern allgemein meufd^lic^. ®ie ©enf» 
toeifc toirb mit ben ©tubien jugleid^ ]^umanijiifd&, ßunft unb 5p^ilo= 
fot)^te folgen biefem 3uge. 6in neues, reid^eS unb umfaffenbeS Silb 
ber aKeufd^l^eit rollt fid& auf, eine gülle oon 2lufgabcn, benen feine 
©renje gefledCt ift, unb bie nur burdö ©efd&id^tsforfd&ung gelöft toerben 
lönnen, bringt fidö in ben toiffenfd^aftlic^en ^origont. SBir l^aben 
3eitalter unb 6ultur ber JRenaiffance bereits in il&ren ©runbjügen ge= 
fd^ilbcrt unb bejeid&nen fie ie§t nid&t bloB als Uebergang jur 9lefor= 
mation, fonbern als einen Seftanbtl^eil ber festeren, baS SBort im 




i^ 



iDEtteflen llmjiingc getiommcn: bie SRcnailfance eni^öH bie 9)efoim b^ 
gctii)iii)tliii)en aöe(lattfcf)auung. 

3. Xi-c gcoflrap&il^e ®()iifll*trfi«. 

3)et ©nlbedung bcr dltcn SBielt auf bem ^iftorifcfteTt ' 
folgt nuf bem geDgrap^ifcSeti bic bcr neuen, ^n Sölge ber erften 
Stttbedung lernt bic 5JJenfc£)^eit fttfi in ifjtet Sntioicfluitg in immer 
größerer SIuäbeEjnuitg fcnnen, in Sotge ber jiceiten ben Stßeltlörpet, 
ben fie 6eltioi)iit. ©ort roirb bie ©efi^idilgfunbe, t)iet bie Srbtunbe 
ins Unetme§licfic crlucitert- ©d)on bie fiteujjitge, Wetifie bet lirc&lii^e 
©roBetungSgeift gerooßt unb auBgefü^rt, ^aben ben 3ug tn bie Seme 
getnectt unb jene trfien entbed!ung§luftigen Oteifen jut {Jotge gefiabt, 
beren Siel bie aSunbertänbcr bes Drientä maren. 3)Qnn fornrnt bet 
toeltburftige, Dom ^gianbelSgeift erfaßte Sinn bcr SRenaiffancc, ben be= 
fonberä bie itaüenififten ©eeftäbte nähren, ©8 ijt fein Sufaß, büß bi« 
großen orientatifc^en 9leijen burc& Sßenetioner gemad)! merben, unb bu 
ejiocöematftenbe S^at felbft Bon einem ©o^ne ©enunS ausgebt. 

3n ber älreiten ^älfte beS brei^je^nten So^r^unbertB burc&mani 
bem bie ntteren *poti auS Sßenebig boB BftUrfie Slficn, ÜJlnrco ^oto] 
i^t jüngerer ®enoffe, ber fie auf ber jiDeiten Steife begleitet, mirb iit" 
Scilla unb Snbien ein^eimifi (1271 — 1295) unb ^at burtf) feine 6r: 
jü^tungen, bie ei nieberfifireibt, fic& ben Üiu^m ermorben, „bet ^erobot 
be§ TOittelalterä" ju ^ci§en, in berfelben Seit, ffio bie fireujjüge et« 
folgtos enbcn, unb ©ante feine Saufbafin beginnt. 

3e§t erfif)eint ber ©cemeg naii 3nbien al§ baä gro&e ^anbel^ 
Problem beä Slbenblonbeä, beffen 3Iuftöfung burcö bie Umfegetung 
SlftilüS ober im Sfflcge ber tronBattanfifcöen Ja^rt gefud)t mitb. 
35iefer jtneite ©ebonte, bet fitft Don ben fiiiften ber otten Söett Io8= 
rei§t, iji ber fü^nfte. ^n ifim, roenn er gelingt, liegt bie epoifi- 
maijenbe %iiat. 

Senn fic6 91fien nai) Often tu meitefter SIuBbetinung erfireÄfel 
unb bie ©eftQÜ ber Srbe eine finget bitbet, fo muß ficE) baä öftti(5e 
Slfien öon SBeften i)er unfercm Stbtfieile näftcrn, unb biefe Slnnä^t» 
rung mu^ um fo größer, buB Biet um fo erreic^fearer fein, je fleinei 
bie OÖerflättje ber ©rbtugel ift. Unter biefen Sorauäfe^ungen, bie 
beibe falftf) finb, fct^t unb löft U^riftop^ 6oIum6ii8 (griftoforo 
Solombo) fein *^rob(ent. Sein ©taube an bie Sffieftraelt jenfeits beS 
k OceanS fielet feft unb grünbet fitf) nocE) auf einige tl)Qlf(I(^ti(^e Seii^ett;".^ 



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bet ^Reformation. 118 

bte fitftercr finb ote jene Slnnal^mcn. @r entbciit baS ßanb im SQBcftcn, 
nod& in bcr SBorftcHung befangen, er l^abe 3nbien erreid^t. O^ünf Sollte 
fpöter untfegelt ber ^Portugiefe SBaSco ba ®ama boS ©übtop 3lfri!aS 
unb öollenbet ben ©eetoeg nad^ Sfnbten. 

3e§t mu§ erfannt loerben, bo^ bte SBelt im SQBeften 5lfien nid&t 
iji, fonbern einen ©ontinent für fid^ bilbet, t)on ben öftlid^en ©rcnsen 
SlfienS burdö ein SQBeltmeer gefd&ieben. ®ie näd^ften Slnfgaben finb ba^er 
bie 6ntbedEung biefeS S33eltmeer§, bie Umfegelung SlmerilaS, bic Um- 
fegelung ber 6rbe, bie ©ntbedEung;' ©roberung, ©olonifirung ber ßönber 
beS neuen ©ontinentä. 3n bem äeitraum eines 9Jlenf(^enatterS »erben 
biefe Slufgaben gelöfi ®er &panm Salboa überfd^reitet bie ßanb= 
enge Don ©arien unb entbedtt ben ftiffen Dcean (1513), ber 5ßortu= 
giefe fjernanbo SKagellan (ajlagall^äes) umfegett bie @übft)i^e 
SlmerifaS unb entbedCt bie ©übfee (1520); il^m gebül^rt ber Sftu^m, 
bie erfte SBeltumfegelung begonnen unb ermöglid&t, toenn aud& nid^t 
felBji öoffenbet ju l^oben; ber ?Portugiefe ©abral entbedEt Srafilien 
(1500), fjcrnanbo ©ortej, ber größte ber ft)anifd&en Sonquiftaboren, 
erobert SKeEifo (1519—1521), 5ßigarro entbedtt unb erobert 5ßeru 
(1527—31). aJlit ben fiegreidften Kriegen ber @nglänber gegen bie 
©t)anier im S^itolter ber @lifabet^ beginnt eine neue ßpod^e auf bem 
©ebiet beS tranSatlantifd&en ßebenS: fie befielet in ber SSerbinbung 
jtoifd^en Slorbamerila unb ©ngtanb, in ben Slnfängen einer cotonialen, 
Don germanifd^er ßuttur getragenen ©taatengrünbung. Francis 
S)ra!e toirb ber erfte glüdEIid&e SBeltumfegler (1577—1580), toenige 
Saläre fpötcr entbetft 338 alter Sftaleig^ bie ßttfte „SSirginienS" unb 
|)flanät bie erften Äeime englifd^^^norbamerifanifd^er Solonien. 

Sitte biefe Sl^aten, beren jebe neue Slufgaben in fid& fd^Iießt, finb 
bebingt burdö bie ©ntbedtung be§ SoIumbuS: in il^r liegt bie 9lefor= 
mation bcr geograpl^ifd&en SBeltanfd&auung. 

3. ^er !ogmogta|)^if(|e ®eft(|t8frei8. ^o^erntfuS unb 2!^(|o S3ra]^e. 

5?ad&bem ber menfi^lid^e ^origont innerhalb beS irbifd&en ®ebiet§ 
ftd^ auSgebel^nt l^at über bie SBeltgefd^id^te, bie SQBelttl^eile unb SQBelt= 
meere, bleibt nur 6ineS übrig: bie ©ntbetfung ber ßrbe felbft im 
Uniöerfum, il^reS Drt§ unb il^rer ©teüung im Jffiettatt, bie ©ntbedfung 
ber @rbe unter ben ©ternen. ®em finnlid)en ©efid&tspunfte, toeld^er 
ber nädöfte unb für bie SBetrai^tung ber 2Be(tfört)er, toie e§ fd&eint, ber 
einjig möglid^e iji, muß ba§ S33eltgebdube als eine ,ßugel erfd^einen, 



T3P 



Sa* Stilntlcr 

bereu ©elDöIbe bcr gtiftern^immel unb bereit fefter ÜOlittetpunft bie 
®rbe felbft iji, um bie ft(6 Sltonb, ©onne unb ^Planeten beloegcn, 
jiDifi^en aHonb unb ©onne bie beibcn unteren Planeten: SJlcrcui: unb 
3Senu3, jenfeiis bei ©onne bie brei oberen: 3Jtar§, Jupiter unb ©otum. 
^eber biefer SBeltförper lljeitt bie täglit^e Umioätäung beS ^lEflern^ 
l)intmcl§ unb ^at äugteif^ö eine i^tn eigent^ümlic&e {für un5 burdbi"i(ö= 
tige, barum unfiii)tf)are) ©pfjote, an bie er tefeftigt ift, iinb aus bcren 
eigener Söewegung bie OerlAiebenen Umläufe ber SBanbelftertie fic^ er= 
Hären. 5in biefem Sljpuä geocentrijrfjer SBeHbetraiibtung de^arrte bie 
ßoämogrQpöte ber 9(lten, ausgenommen bie ^^ttiagoreer, bie auS bog= 
matifd)en ©tünben bie ^idion eincä 6entralfener3 im SJiittetpunfte 
ber 9Bett unb ju (Suujien ber Sf^njoflt bie einer ©tgencrbe gemacht 
Rotten: fie lehrten aus falf^en SßorouSfegungen ein nii^t^geocentrifc^i 
S!Beltft)Ftem, mdi^eS Eatcn enthielt, toorauä (c£)on im Stltert^um D( 
einjelt bie !^eliocentii(fie §5pott)cfe l^etoorging. 

SJie ariftütelift^e Öefire Dom Sßäeltgebäube berufjte auf ber 
centrifdien Stnfcfinuung unb ber ©p^ärent^eorie. 3iun aber roibers'' 
fprai^en bie t^otiääili^en SeHiegungäcrii^einungen ber 3BanbeIftcrne 
ber Seigre Bon i^rent Ereiäförmigen, burcE) bie ©ptiöre bcbingten Um= 
louf, unb ba bie le^tere grunbjfl^li^ galt, fo blieb bie Slufgobe, bie 
Slbmei (Jungen mit berfelben in llebereinftimmung ju bringen. Sic 
fünftli(fte unb abfc^liefienbe Söfung gab im jtoeiten c^riftlic&en 3Ql&t= 
lunbert ber atejonbrinifi^e Slftronom ^ptotcmäus in feinem SBerfe »on 
ber ^Inorbnuug beS 5Claneteu(l;ftemS, (j-eiiXi] oövta^ic, in ber arabifi^en 
Ue&crfctjung „31lmageft" genannt. SDie $loneten foöen fi(^ uni bie 
6rbc rabförmig in flreifen bemegcn. bereu ÜOliitelpunft auf ber ?Peris 
p^eric eines onberen (beferirenben) flreifeS forlfdireitet. SSicfc ßreife 
l^eifeen Spic^tetn, unb bie Ötnie, loelije ber spinnet in folc^er SBcife 
befc^reibt, Spic^tHoibe. Stber ber mirüi^e ^lanetenlauf pa&t fcineS«: 
megä in bie lünftOcE) oetfiSIungene Sinie. 2!n ]o üielcn fällen ftimmti 
ber beobachtete Ort beS *pranctcn uii^t mit bem bercifineten äufammen, 
ber *p[anet ftc^t ricE)t genau an bem ^Junft, roo er jufolge ber seo= 
metrifdjen Gonftruclion ftefien müßte; immer erfijeinen neue 2Biber= 
fprüc&e än)ilif)cn ber St)atfo4e beS ^lanetcnlaufS unb i^rer 6rHärung, 
unb immer neue SpictjMn muffen ficrbeigebctt Kerben, bicfc 3Biber= 
fprüc^e ju befeitigen. ^m §inb(ic[ auf bie 2^atfQi|en ber !pioneten= 
bemegung unb ouf bie Einfaifi^eit unb ben rcgelmäfeigen ©ang bei 
3latux fteigt ba§ SJlifetrauen gegen bie tjtolemäiftbe Ce^re. ©o untegel» 



1 



ber S'lefortnation. 115 

ttidfeig unb öertoorren lann bie Statur tttd^t l^anbeln, S)tefe ßel^rc fann 
bic molare ttt(i6t fein; ftc mufe einer falfd&en ©runböorauSfe^ung unter= 
liegen. @8 ^nbelt fid& barum, biefen ©runbirrtl^um ju finben. 

9?un grünbet fid& biefe gange 3lnfd^auung§tt)etje auf bie S3orau§= 
fe^ung, ba^ fid^ bie 5ßlaneten unt bie 6rbe belegen unb biefe im 
9JlitteIt)unfte ber SBelt fielet. Unt bie @t)ic^!eln loS ju »erben, laffe 
man bie erfte jener beiben 33orau§fe§ungen faüen: bie 5ß(aneten be= 
toegen fid6 nid&t um bie 6rbe. 3e^t werben il^re Salinen auf bie 
©onne bejogen, unb bie SBorftellung biefer Salinen Kört fid& auf. 
9luS ber toal^ren Entfernung ber ^Planeten, meldte ber banifd^e 3lftro= 
nom St^d^o SSral^e (1546—1601) bered^net, Idfet fid^ bereifen, ba^ 
bie ?ßlaneten in ber S:i^at bie ©onne umfreifen. S)a§ ^)toIemäifdöe 
©^ftem ]^at Bered^net, toie fid6 bie §albmeffer ber @j)ic^feln gu ben 
^albmeffern ber beferirenben ißreife Derlialten; SE^d&o bered^net baS 
JBerl^dltni^ ber erften ju ben §albmeffern ber ©onnenböl^n unb finbet, 
bafe fid^ bie ^albmeffer ber ®j)ic^!eln gu bm ^albmeffern ber befe= 
rirenben ßreife genau fo öerl^alten, tt)ie gu ben ^albmeffern ber 
©onnenbal^n. 3n itbtm fünfte feines Spic^felS geigt fid& ber 5Dlercur 
gleidö ttjeit entfernt t)on ber ©onne, ebenfo bic SSenuS; tt)aS t)on bm 
unteren Planeten gilt, lä^t fitfi aud& Don ben oberen betoeifen. 2Ufo 
gilt t)on allen Planeten, bafe bie ©onne ben $0iitteIt)un!t il^rer 
6t)ic^leln bilbet, ober, tt)a§ baSfelbe l^eifet, ba^ ber beferirenbe ßreis 
bie ©onnenbal^n ift. 2fn bem <)toIemöifdöen ©Aftern finb bie 5!JiitteI= 
punfte ber @<)ic^!eln leer; je^t erfd^eint aU biefer 5!JiitteIt)unft aüer 
5PIanetenba]^nen bie ©onne. ^[Ifo in Sfifidfid^t auf bie ©onne erfd&einen 
bic 5PIanetenba]^nen nid^t mel^r cpic^floibifd^, fonbem IreiSförmig; bie 
i&pict)Mn löfen fid6 auf, bie ^Planeten befd^reiben il^rc SBal^n um bic 
©onne in ber 5ßeriJ)]^erie il^rer beferirenben Greife. 

Unter biefer SSorauSf e^ung , tt)cld^e bie ®t)ic^IeInt]^corie auftcbt 
unb bamit baS t)toIemaifd6e ©Aftern tt)cfentlid& Derdnbert, ift nod& bie 
grage offen in 9lnfe]^ung beS foSmifd&en $0iittelt)un!t8. 6§ todre mog* 
Iid&, ba§ bic ©onne ba§ Sentrum.ber ?pianetcnba]^nen ift unb fid6 
fclbfi um bic @rbe betoegt aU loSmifd^eS Sentrum. S)ann toilrbe in 
feiner gtoeiten ©runböorausfe^ung baS <)toIemdifdöe ©ijftem gelten unb 
mit il^m bic finnlid&e unb fird^Ud&e aSorftellungStoeifc. S)iefc beiben 
3dllc ftnb nod^ benibar: bic 5ßlanetcn bewegen fid6 um bie ©onne, bie 
fid6 fclbfi um bic @rbe betoegt al8 ben loSmifd^en $0iittel<)un!t ; ober 
bic ^Planeten betoegen ftd^ um bie ©onne, bie gugleid^ ben logmifd&en 

8* 



116 3)aB SeilaCttr 

SJlittcIimnlt Silbft, itnb roas al§ Seniegung ber ©onne et(cf)eint, ift 
in 3Ba^rI)eit bie SScmeguiig ber 6rbe, bie alfo iiittit me^r tul)enbe§ 
Kentrum im Sffiett ift, (onbetn planet unter ^Planeten, ©onne unb 
gtbe taufc^en i^re ©ieflcn unb i^re 91ofien im SJeltnü. Slac^ bet 
einen aUorftetliing ift bie @rbe, ita^ ber anberii bie ©onne ber toS^' 
mifcfic aUfilfelliunft: jenes ift bie 9eocenttif(^e, biefcS bie öeIiocentrijct)e 
§^pDtfiefe; bie erfte Bertrilt Zi)i)o örnfie (154()— tßOl), bie ärocite 
bet bcntiiSc Slfttonom unb grauen fcurget SJoin^ert ?l i c o l a n ä 
ßopernifus (1473 — 1543). Selbe nnterftijeiben fic^ oon bem pto: 
lemäifrfien ©Ijftem faarin, bafe fie btc ©onne in ben SJJittelpunlt ber 
Splanetenbaljnen fe^en; aber bas lii(5onif(%e ©qftem t^eilt mit bem 
ptolemäiftfien bie geocentrifc&c SBocauäfegung , lüaijrenb baS Ioiierni= 
fonifi^e Qucfi biefe aufgebt unb botum bn§ alte Softem im Sßtincipe 
umftütat. ®ie fopernifanifc&e ffieltonfiAt gctit ber iqc&onifc^en Dor= 
au§, tueli^e ba^er nicE)t aU bie Sorftufe, fonbexn öielme^t nlä ))n 
Söerfutft auftritt, bie neue Set)« mit bet ßtten, bie toJjernilanifcSe mit 
ber ptolemäifcben ju oermittetn. Sc§ ÄoiierniluS epoc£)cma(5enbe3 SBerf 
«De revolutionibus orbimti coelestium» Erf(§eint in feinem jEobE8= 
ja^te (1543); %^^a SJta^eä SierE « Astronomiae inataiu-atae pro- 
gymnasmata» fec^Sunboieräia ^aifu fpäter (1589). 

Unter bem ©efic^tspunftc bea flopernituS wirb bie !o8mDgra= 
l)^ifcf)e ütnfcbanungeiDeife eine fe^i einfa^e unb ftore. Sie finnlic^e 
SÖocfteClung wirb gtünMit^ üerneint, inbem fie jugleic^ ^oc&ft ein= 
(euc[)tenb exllätt Wirb. Sic reirflirf)e Stcfefenbre^ung ber Gibe erKört 
ben fc&einbaren {tögltc^en) llmfcfireung beS §immel§, bie roirtliifie 33e= 
TOegung bet grbe um bie Sonne erflärt bie fifteinbare (iü^tlidje) 
ffleWegung ber ©onne um bie Stbe unb jugleii^ bie fcfieinbat epic^: 
floibcnförniigen Satjnen bet ipianeteii. Unter biefen Sebingungei 
erweiteti fitt) bie 9lnfc6auung be§ 2BeItaߧ in§ UnermeStidie. 
bie 6tbe i^ren Ort im SSeltrauni Derdnbert, raarum erfi^eint bii 
Setänbetung nii^t in Stnfeljung ber ^ijfterne? 3n ben beiben ^punltett' 
ber Srbbaljn, bie am weiteften öon cinanber abfte^en, jeigt bie 6rb= 
Qi^fc nai) benfelben Sternen. 9tl|o eine DrtgDeränberung Don ber 
©tbfee beä Sur^mefferS ber 6tb6a^n, b. i). oon Uierjig ÜJiiKionen 
üfieilcn, erfcbeint in ©e.iieliung auf bie JijftffHf o.^^ »erfcöminbenb; 
olfo muffen biefe nlS unenblicE) weit erfii)einen, ober, mi) bet Sot: 
fteUung ber Seltliigel ju reben, ber §albmcffer ber g'fft^nfpfli 
als unenblii^ g^^o^. 






lAn^H 



ber 9leformatton* 117 

S)tefc SBtberleaung ber t)toIcmdifd&cn SBeltonftilauung iji jugleidö 
btc größte SBibetlegung ber ftnnlid&en aSorfteÜungStDcifc unb barum 
für atte menfd^Iid^e 6rfenntni§ ein ftod^ft crtcud&tenbeS SSorbUb, an 
bem jt(i6 bic nad^folgenbe 5ß]^ilofot)]&ic oft ortcntirt \)at ßant öergüd^ 
fein SQScrl gern mit bem beS ßot)erni!u3, S)enn ber ©runbirrt^um 
aller frül^ercn Slftronomie lag eben barin, baB fie in einer @el6ft= 
töufd&ung befangen toar über il^ren eigenen ®efid^t3t)unft, ben fie fid^ 
nad& bem ©d^ein ber ©innc in bem rul^enben $0iittcl<)unfte ber SBelt 
t)orfteBte ; je^t mußten il^r bte f d^einbaren 5Bett)egungen ber 2Belt!ört)er 
ate bie toirflidöcn, bie ^^dnomene als reale SEI^atfad^en t)or!ommen. 
S)er 5ölangel ber ©elbftbeftnnung über ben eigenen ®efidöt§t)un!t unb 
baS eigene JBerl^alten erjeugt bie ©elbfttöufd^ung , bic unfere fSox- 
flellungen öerblenbet. @S giebt in biefer Slüdfid^t fein a3eif<)iel, toeld&eS 
leJ&rreid^er unb großartiger ttdre, al§ bie ©efd&id^te ber Slftronomie. 

4. @aItIeo ©alilet. 

®a§ SQSerf beS ßo<)ernifu§ toar bem ^ap^t 5ßaul III. getoibmet 
unb in ber 5Borrebe oon ber ^anb DfianberS als bloße §^t)ot^efe 
Begeid^net toorben, toäl^renb ßo<)ernifuS felbft t)on ber SBal^rl^eit feines 
©^ftemS i)oIIig überjeugt toar. ®iefem Softem toar baS t^d^onifd&e 
mit feiner SOSieberbejalöung ber geocentrifd&en ßel^re entgegentreten, unb 
fo crfd^ien bie neue aftronomifd^e SBeltanfid^t in fraglid^er ©eltung 
unb in einer toiffenfd^aftüd^ belömpften ©teHung. ©al^er mußte bic 
näd&jic STufgabc fein, bie Iot)ernifanifdöe ßel^rc burd& eine Sleil^e neuer 
Sctocifc bergeftalt ju begrünben, baß il^re SBal^rl^eit toiffenfd^aftlidö 
oußcr fjrage gefegt unb baS ©egengetoid^t ber t^d^onifd^en 3lnna]^mc 
gönjlidö cntlräftet tourbe. 6iner ber größten ?laturfor)d&er aller Seiten, 
in bem bie italienifd^c Slenaiffance ba§ ^öd^fte geleiftet unb einen 
Sleformator ber Sftaturtoiffenfd&aft erjeugt l^at, fül^rt biefe SBetoeife: 
©aliteo ©alilei aua^ 5ßifa (1564—1642). 3loä) als 5Profeffor in 
?Pifa (1587 — 1592) reformirt er bie SBetoegungSlel^re burd^ bie ©ntbedfung 
ber x^aU' unb SBurfgefe^e, ©iefelbe ßraft ber ©d^toere (Sentrit)etal= 
fraft), toeld^e bic irbifd&en Stbxpti nad& htm 5DlitteIpun!te ber 6rbe 
gici&t, jiel^t bie @rbe nad^ bem ber ©onne unb betoirft, öerbunben mit 
ber gleid&jeitigen Äraft be§ ©toßeS ober 2Burf8 (©entrifugattraft), 
il^ren Umlauf. ®ie ßinfid^t in bie SRatur ber 93etoegung8!räfte mußte 
btn ©alilei Don ber SBal^rl^eit ber J^eliocentrifd&en Seigre überjeugen, 
nod6 beDor er in 5ßabua (1592 — 1610) feine großen aftronomifd^en 



118 



ä 3eUalttt 



ffintbeduiigen machte. Sm 3a^te 1597 erflärt er in einem SBiiEfe 
an ße})ler, hQ& et feit oietm 3i6"n ein 9(nf|änger beB fioperniluS 
jei. 33ic atipQtcn(iJ)e Sfnfitf)f Don bet UnBeränbcrficbtett beä §intmel8 
(5iE[tetnfi)^äre) wirb ^infdttrg, noiijbcm Oalilei im Silbe be§ 
©cljtanamträgctS bas @rf{5einen unb aSetlrfjioinben eines ©ternS be= 
obai^tet fiat (1604). 5üiii ^illfe bcä gerntobrö, boö er na!^= 
erfinbenb üei&effevt unb jnerft auf bie Setro^tung bcr ^immel3s 
Ibrper anmenbet, mod)! er im SSa^c 1610 jene beffinnbccungäroüTbigen 
SntbecEungen , bie aße bie 2B«[)r^eit beä ^etioccntriicöen ©^ftemS unb 
bie llntDa^r^ett be§ geDCcnttiji^en oetEünben; er eittbecft bie erbartige 
Sefdiaffen^eit beä Ufoitbes, bie Trabanten be§ ^uiiiter, bcii SRing beä_ 
©aturn, bie me^fclnben Cictitgeftaüen (monbä^nlicben ^^ofen) ber SBenm 
unb beä Wercur, jutegt bie Sonnenflecfcn unb bereu Seroegung, roorai 
er bie 9l(ftlcnbre^iirg ber Sonne eri[i)[iefit : fie ift baä Sentrum bi 
SßlanetenigfteniS , nic^t ba§ ru^enbc unb abfotule Gentrum bcr Sffiett. 
®a3 Untoerium ift unermcfeU^. ®ie geträumte §immeläbec[e ftütjt 
ein, raie i^r bie ©cifter ber ScEenntnif! jurujcn; „©d)H)iiibet ii 
bunietn 9Si)l6ungen broben!" 

©fllileiä teleffopifcöe Entbeiiungen finb lauter S^riumpl^e b( 
lopernilanifi^en ®l|Rem§. JPer^ielte eS fic^ Jo, mie ßoperniEuä te^rt,^ 
bann mft&ien, [o fjatten bie ©cgner eingcwenbct, bie unteren ^toneten 
uns ä^ntitfie ßic^tpljafcn jeigen aU ber Sfonb. 3BeiI bos äSebingle 
ni($t ift, fann aud) bie Sebingung ni(5t ftotlfinben. ©alüei entbei 
bie SenuBi]'^afen unb macöt bie ©egncr »erftummen. 

5. 3ofiann mplci: unb 3[aal Sietoton. 

Snbeffen finb in ber topernilanifiien Ce^re noc^ einige aufji 

löfenbe ^JJrobteme unb ju berid)tigenbe SBorftellungen entfialten. ©ij 

löfet bie ^Jlaneten Iieiäförmige iSa^nen um bie ©otine befc&reiben 

unb ^ängt mit bie[er Stnji^auung norf) an ber ©p^ärent^carie ber ^(ten. 

91un aSer ift ber ntirflidje, richtig beobacfitete Sauf ber ^Planeten nic^t 

gleii^Iörmig, fie beloegen fic^ 6alb fdinetter, batb tangfamer; biefe 

iDEclifelnbe ©efif)iDinbigteit ift bebingt but^ itire ©onnennö^c unb 

©onnenfernc, ölfo ftel^t bie ©onne nid&t im 3JtttteIpun[t i£)rer SBatinen,^ 

bicfe te^tern finb mitbin nid)} gleich förmige greife, ©emnaifi ift 

näit)fle ilufgabe, bie gefe^mäfeige 3orm biefer Salinen ju finben. 

■ ffleroegung ber Planeten mu& ebenfalls gefe^mäfitg fein, eä mu6 in t^i 

I tin fieiiimmtes Serffättnife äWifi^en ben Seiten unb ben burdilaufenen.'' 



leä. 

)e&^H 

tat 

n 

ten 



ber ateforuiation. 119 

Jftaumcn Pattftttben: btefeS SBerl^dltntfe ju finben ift bic gtücttc 3luf= 
gäbe, 2)te UmlaufSjeit ber $ßlanctcn ift t)crf d^teben , fie ift um fo 
größer, je toeiter fie t)on ber ©onnc entfernt finb; bie ©röße il^rer 
UnttaufSjeit iji bebingt burdö bte ®rö§e il^rer 6ntf ernungen , ätoifd&en 
beiben mufe ein beftimmteS SSerl^ättniß ftattfinbcn, toeld&eS ju entbeden 
bie britte 9lufgabe bilbet. 2Benn biefe ©efe^e einleuiftten, fo ift bie 
SBeltl^amionie , »eld^e einft bte ^^tl^agoreer gefud&t l^aben, tDirflid^ 
entbedft in il^ren toal^ren fjiguren unb Sci^Ien. Siefe Slufgoben löft 
ber beutfd&e SUlatl^ematüer unb Slftronom Sodann RtpUx aus SBeil 
in SBürttemBerg (1571—1630), ®aülei§ Seitgenoffe, Sewunberer 
unb greunb. 

®aS erfte t)on il&m gefunbene ©efe§ erfiärt bie ©eftalt ber 
5ßlanetenbal&nen als ®ttit)fe, in beren einem Srenn))unfte ba§ ©entrum 
ber ©onne liegt; ba§ jweite ©efe§ Beftimmt baS SSerl^dltnife ber Sldume 
unb Seiten in ber 5ßlanetenbett)egung : bie gerabe ßinie t)om Jöiittet 
pvixitk beS ^ßtoneten jum SJlittelpunfte ber @onne (radius vector) 
befd^reibt in gleid^en Seiten gleid&e 3lQ(i|en; baS britte ©efe^ beftimmt 
ba^ 35er^Qltni§ ber UmlaufSjeit jur Entfernung: bie Duabrate ber 
UmloufSgeiten öer^Iten ft(fi, tt)ie bie SBürfel ber mittleren ©ntfernungen, 
ßct)Ier§ ©efe^e grfinben fi(% auf feine SBeobad&tungen be§ Paneten 
9Jlar§. bie er in feinem §au<)ttr)er! «Nova astronomia» (1609) 
niebergetegt l^at. @o bleibt nur eine Slufgabe übrig, um bie erfte 
6pod&e ber neuen Slfironomie ju DoÜenben. 2Ba8 ^zpUt burdö a3e= 
obad^tung unb Snbudion gefunben, bie ©efe^e ber 5ßlanetentr)elt, muß 
aus einem ^rincip, ba§ fd^on ©alilei crtannt l^atte, l^ergeleitet ober 
bebucirt »erben: biefe Aufgabe loft ber größte SJlatl^ematiler SnglanbS 
3faaf Jlemton (1642 — 1727) au§ htm ^xindp ber allgemeinen 
©raDitation, 

®ie aftronomifd^en ©ntbedungen, tt)eld&e bie neue 9lnfd|auung beS 
UniDerfumS begrünben, finb t)on ßot)ernifu§ ausgegangen, toie bie 
tranSatlantifd^en Don 6olumbu§. 

6. ©rfinbutigen. 

9Wit bem ßntbeÄungSgeift gel)t ber ßrfinbungSgeift §anb in ^anb. 
9leue l^öd&ft toirfungSreid^e ©rfinbungen »erben gemacht, toeld^e bie 
großen @ntbeÄungen tl^eils begleiten unb unterftü^en, tl^etls burd^ 
biefelben geforbert »erben unb il^nen folgen. ®ie litterarifd^en ©nt» 
bedungen, bie baS ßid^t beS Slltertl^umS über bie 2Belt verbreiten. 



f 

^^F tot 

^B atl 



•S>ai Seitalter 




»erben tegteitet Bon bec ürfinbung btx SJu^btuderfunft, bie tran8= 
ütlnnlifd^eii finb unmöglicö u^ne ben föompofe, bie aftronomifi^en tie* 
bürfen unb forbetn in i^rem loeiteren Serlauf neue ^nftcumente foluo^I " 
bcr ffleo&adjtiing nlS ber Scrednung, fieine gtofeere Srfinbung für ben 
Beoboc^tcubm SorfcftungSgeift als boS Sernro!&c unb ajlittoftop, roeli^e 
ßeibe ©alilei niijf felbfi erfinbet, aber nodiconflruirt unb »erbeflett. 

g^ür bie Setec&nungen, mläji bie SBiffenfcftaft brauc&t, finb brei 
Srfinbungen, toefdie bie 3Jlnt^ematit betreffen, Don ber grß&ten Sc= 
beulung. ®ä ift ein SJiiltcl nötljig, um bie grofeen 9!ei$nungen ju 
»ercinfaijen unb ju erlci^tern: biefeä 3Jlittet bieten bie Cogorit^nien. 
3]Ran bebarf eines jmeiten, um geometctfi^e 2Eufga&en burc& SRei^nung 
löfen lu lönnen: bie nnoUjtifc^e ©eomeiric entfielt bnrrfi ©eScorteSj! 
unb crfcfieint gleii^jeitig mit bec aKettjobe ber neuen 5pf)iIofDt)t|ie. ®nW 
licö ift ein brittcä crforberIi(^, um bie ©röfecnDerönberungcn bem C 
ju untertoerfcn: bie £)ö^ere 9(naIl)fiS ober Unenblii^feitStedönung, Weli^ 
Stettitou unb öeibnij crfinben. 

II. Sie liri^Iit&e Sßerurttieiluna ber Eopernilanifc&en 
2BeIt anficht. 
I. ffier iOJibet(lieit. 

UeberoII, too bie reformotorif^c %iiat bie ®ämme ber fird)ltc6eii 
JBorfteüungStoeife burc&bri(^t unb bcren ©i^rnnfen einrei&t, ift ber 
©egenfag ber alten unb neuen 38eltünfi(6t ju Sage getreten, ober 
nirgenbs finb feine 3üge fo grofe unb augenfc(jcinlic& ausgeprägt, als 
in btx Umgeffattuug aßer Ijertömmliiien SJorfteüungen oon Fimmel 
unb ®tbe, bie ber (Seift eines neuen 3Irii|imebe8 roirfti(% au§ itiren 
3(ngeln gehoben ^ot. 9Iucb tiat in !einem ^unEte bie ^irc^e fo Diele 
unb möijtigc SunbeSgenoffen alä in bec SBeja^ung be§ begrcngten unbi 
geocentcif^en SSieltaüä, für lucli^es bie S^ugniffe ber Sinne, bi(^ 
9Iutoritäien beS 9lttert^um§ unb bie bibtifi^en llrEunben fprec&en. 

aJIit bem ariftDielifcöen unb ;itolemäif($en äBeltf^flem ftnb l^ier 
bie tirc()Iic&en ©taubenSintcreffen auf baä ©ngfte DBrEnül>ft. Seibe 
paffen äufammen mie 'äcene unb §anblung: bie 6rbe als 2JlitteIpun{t 
ber SJBell, bie 6rf(IE)einung ©otteä auf ©rben, bie ^\tä}i al3 civitas 
Dei, als Zentrum bec iDtenfc&Ejeit, bie §öHe unter, ber ^immel übet 
bcr Erbe, bie SBerbammlen im §5Qenreid), bie Seligen im Himmelreich 
jenfeits ber ©tetne, mo bie Orbnungen ber l^immlifdien Öietan^ii 



1 



bet fRefoimation. 121 

cm^)orftet9en gutn %^xom ©otteS. ®iefeS gottje ©cBäube lird^Hd^er SJor- 
fteHungen toonft unb ftütjt in feiner greifbaren unb localen Sonftruction 
aufantmcn, fobalb bic @rbe aufhört, ba^ ßcntrum be§ SBeltgeböubeS, 
unb ber ^immel aufl^ört, beffen ßuppel ju fein. 

@8 ifi tDdf)x, bafe eS toeit tiefere, in ber d^rijiüd^en ffteligion 6e= 
grünbete, in ber SUl^ftif bemal^rte 5BorfteIIungen t)on ^immel unb §öüe 
giebt, aU jene finnlid^en unb locolen, aber baS fird^Iid^e S!Äad&tbett)u6t= 
fein beS SUlittelalterS unb ber ©laube be§ fird&Ud&en 35oH§ leben in ben 
le^teren unb finb t>on il^nen unabtrennbar, ^ter iji barum jroifd&en 
beut fird^Iid^en unb fo<)erni!anif(i^en ©Aftern ein umfaffenber, grttnbliifter, 
nidöt 3U öerbedenbe.r ©egenfa§, ber bem 33ett)ufetfein ber SBelt einleud&ten 
niufe unb um fo ernft^after l^eröortritt, als bie Segrünber ber neuen 
SBeltanfd&auung feineSwegS lird^üd&e unb l^erauSforbernbe ^reigeifter 
finb, tt)ie Sruno ober SBanini, fonbern glaubensgel^orfame ©öl^ne ber 
Äird^e, jugleid^ tiefe, bem S)ienfte ber SBiffenfd&aft gang ergebene {Jorfd^er, 
bie ni(i|ts toeniger als ben Seftanb ber ßird^e erfd^ütiern, fonbern bloß 
toelttunbige, rdtl^fel^aftc, au§ bem biSl^erigen @tanb<)un!t unbegriffene 
S^l^atfad^en erHären toollen unb toirttic^ erKären. 

2. S)ic 3tiqutfilion utib ©alüei. 

®er ^Procefe, ben bie römifd&e 2fnquifition gegen ba§ loptxmta' 
nifd&c ©Aftern in ber 5ßerfon ©alileis gefül^rt l^at, ift ein bauernbeg 
unb unöergefelid^eS S)enlmal biefeS 3ufammenfto6e§ !ird&Ud6er ©a^ung 
unb tt)iffenfd6aftli(j&er fjorfc^ung. ®r fallt fd^on in bie Slnfange ber 
neuen ^pi^ilofopl^ie unb l^at auf biefe felbft, toie tt)ir fpdter feigen »erben, 
einen i)erl^dngni6t)oIIen ©influfe geübt. 

3n feiner gegen einen Sefuiten gerid&teten ©treitfd&rift über bie 
©ntbcdCung unb @rfldrung ber ©onnenfledCen (1613) l^atte fid^ ©alilei 
iixm erfienmal öffentlid^ für bie SBal^rl^eit ber !o))erni!anifd&en ße^re 
au8geft)rod&en unb baburd^ btn 3orn ber Jöiöud^Sorben bergeftalt er= 
regt, ba% er je^t be^fd^on aufmerifam gemad^ten 2fnquifition öerbdd^tig 
erfd&ien. S)a8 feit fiebgig Salären Verbreitete unb als ^^potl^efe ge^ 
bulbctc fopernifanifd&e ©Aftern ttjurbe auf Sefel^I 5ßauls V. von ben 
fad^tunbigen S:^eoIogen be§ l^ciligen DfficiumS geprüft unb Verworfen; 
bic l^eliocentrifd&e Seigre foffte für öernunfttoibrig unb fe^erifd^, bie 
nid^tgeocentrifd&e für öernunftwibrig unb irrtl^ümlid^ gelten. Siefer 
93cfd§Iu§ tourbe ben 24. Februar 1616 Deröffentlid^t. ©d^on am foI= 
genbcn Sage crl^ielt ber Sarbinal Sellarmin bie pdpftlid&e SBeifung, 



ffiaä Seilalter 



rF f ■ « 
isa 
bcn in SRom aniDEfenben ©alifci ju ermolinen, bie fopeinÜanifc^e 2e!|re 
aufzugeben, Senn er ficEi meigere, |oße bic 3im"ifitio" g^gEn t^n ein= 
fd)reiten. ©alilei untermorf fii$ fogIeid& {26. gebr.), eä Bebutfte bal^er 
feiner tceileten infiutfitotifdien aieibitnblung, feines förmlii^en uiib 
ipedeHen SBecbotS. lieber biefen SBetlauf ber ©a^c «nb Oiefe 2frt ber 
©tlcbigung (äffen ber 3[uftrag beS ^papftes an Seffarmin Dom 25. 3e= 
bruor, bet iöericEit bee leiteten in bet ©i^ung bc8 ^eiligen Officium^ 
Dom 3. ajiarä, baä bem ©alilei petfönliif) auSseftettte Scugnife Settar= 
minä Dom 26. HJlai, enblii^ gleidijeitise briefli^e ^leu^crungen ©olileiä 
felbft nic£)t ben intnbejlen Steifet. Unter bem 5. 53lärä 1616 mürben 
burc6 einen öffentli(^en, bie fopcrnifaniff^e Öe^re bctteffenben Sefc&Iufi 
Don feiten ber ßongtegation be3 Snbej; folc^e ©ijriften, tceld)e bie 
Sffia^rtjeit jener Ce^re bebau^jteten, gänjiid) uerboten, anbete »orläufig 
bis jur Settrfitigung; barunter roaren folc&e gemeint, bie naij 33eri[^= 
tigung gewiffcr ©teilen bie (oiiernüanifclie ^Infic^t niifit a(§ aBaE)iöeit, 
fonbcrn nur aU §^pütbefe erfcOeinen ließen. Unter biefen befanb fiift 
^_ ba§ äßerf beg ^opernihia felbft. 
^^H (§.ä fann bnt)er niti&t jtüeifel^aft fein, ba§ nai^ jenen Jöet^anb- 

^^V lungen im 5rüt)ja^r 1616, hon bcnen ©atitei berührt »urbe, bie ^uU 
^^^ bung ber lopernitanif^en Se^re a(ä einer mattem atiftficn C^Ipo^ 
W ti^efe fortbeftanb. Sinen nieiteren ©pielroum ju geminnen, um bos 

I V'iocentvifdie ©Aftern olä fotijeS bcnicifen unb Bert^cibigen ju bürfen, 

I bemühte fii^ ©alilei bei einem neuen Slufent^atte in IRom (1624) Der- 

I gebüc^, fo giiiiftis i^m Urbon VIII. gefinnt mor. SnjiDifiiien Iiotte er 

■ bur^ eine jtoeite beifeenbc ©treitftbrtft gegen einen ^efuitenpater (1618) 

^^K bie Sd^l feiner (^einbe nerme^rt, bie Ufa nerberben motlten. 
^^B 5Ete erfebnte ©clegcnbeit lam. ^m 3obr 1632 erfct)ien mit päpj 

^^V lieber S)TUcfetIaubni6 „©aEiteiä Sialog über bie bcibcn midfitii 

aßcltfljfteme, buS ptotcmäifctje unb lopetnitanif^c". ^ ©c[)on bie fjorm 
be§ ®efpräc[)S ^ielt bie ©ai^e innerhalb ber gebulbetcn ©tenjen l)t)po- 
t£)etifif)ct ©ebanblung. üs war auf bem Sitel auSbratflitb gefagt. bü6 
leine gntfc^eibung gegeben, fonbern nur bie (Srilnbe für jebe ber beiben 
Stnficftten bargelegt Werben foßten. Jreilii^ lonnte notf) bem 3n§aU 
biefer ©efptöi^e lein UtibeitSfäbiger jTOeifeln, auf meli^cr ©eite b( 



.O) 

M 



I 



Dialoeo <3i Galileo Galüei, Linceo — eopra i (lue massimi siatenii f 
mondo, Tolemaico e Copemicano; proponendo indeterminatamente le ragioit 
filoBofiche e n&tur&li tanto per l'uaa, qaont« per i'sltra parte. 



ber IRefonnatiom 123 

©etoid^t ber ©rünbc toat. 316er eine SSerurtl^eilung ©aliletS burdö bie 
3nqutfitton lonntc nur bann ftattfinben, toenn il^m ))erfönlt(j& jcbe 9lrt, 
baS fot)erni!Qntfd^c ©Aftern t)or jutrogcn , förmlid^ unterfagt gewefen 
ttäre. @in foId^eS f))ectetteS SSerbot ejiftirtc nid&t unb toar nad^ ber 
Sage ber ®inge unmögltd^. SUlan tou^te ftd6 ju l^elfen. 

3. S)er ?Jtoce6 unb bie gälfd^ung, 

®Q§ SBerbot, Iraft beffen allein bie getoünfiftte SJerurtl^eilung ge= 
fd&el^en tonnte, würbe nad^tröglidö fabricirt unb baS 9lctenftfl(f Dom 
26. Februar 1616 in biefem ©inne gefölfd&t. 9luf biefe bis in bie 
jüngfien 3citen unentbedte, je^t ertt)iefene S^ölfd^ung grünbete ftd& ber 
unerl^örte ^roccfe, ber mit ©altleis SSerurtl^eilung enbete. ®en 22. 3unt 
1633 mufete ber fafi fteBjigidl^rige SJlann in ber SominifanerKrd^e 
3Jiaria fopra 5ülinert)a ju 9lom ba§ fot)crnifanifd6e ©^ftem a6f(%tt)ören 
unb i)erflu$en. @r blieb U^ ju feinem Sobe ein ©efangener, toenn 
aud6 nid^t in ber «^aft, bod^ in ber ^anb unb unter bem Sluge ber 
Snquifition. 2Kan l^at i^n ttjeber eingelerfert no(i& gefoltert, unb er 
felbft ttjar toeit entfernt, feinen SBiberruf ju »iberrufen. ®a8 2Bort: 
„Unb fie BettJegt fid& bod^!" mag ©alilei gebad&t l^aben, aber gefagt 
l^at er e3 getoi^ nid^t. ®r liefe alle§ über fid& ergel^cn, um in bie 
fjrei^eit fetner ©ebanfen unb gorfd^ungen jurüÄfel^ren gu lönnen, bie er 
mit Sled&t l^öl^er l^ielt, al§ ein fold&eS $0iart^rium. S)er 6rbe tonnte 
bie römifd&e ßird6c bie SSemegung nid^t verbieten, fie l^at bafür bie 
2Ber!c beS ßo<)erni!uS, ©alilei unb ßet)ler auf il)ren ^nbej geje^t unb 
mel^r als jroei Sal^rl^unbcrte bort ftel^en laffen. 

in. ®ie religiöfe Sieformation. 

1. S)cr ?)roteftantiSmu8. 

SBie getoaltig bie ©rfd^ütterungen unb Umbilbungen finb, bie auf 
bem ©ebiet ber l^iftorifdöen, geograt)^ifdöen unb aftronomifc^en SBelt« 
betrad&tung ftattpnben unb l^ier ben menfdölid&en ^origont Don feinen 
@d&ran!en befreien unb in§ Unermefelid&e erweitern, fo würben fie bod^ 
für fid& allein nid^t fiinreid^en, in bie gefd^id&tlid&e ©nttoidtlung ber 
aJlenfd&l^cit felbft ein neues 8eben§t)rinci<) eingufül^ren unb im umfaffen= 
ben @inne beS SBortS eine SBeltepod^e gu mad&en. S)iefe reformato= 
rifd^en Staaten tragen i^re ^rüd^tc in ßunft unb 2Biffenfd6aft, b. 1^. auf 
folc^en ^ö^en ber menfd^lid^en JBilbung, bie felbft in ben emt)fäng= 
ttdöfien S^it^K^n immer nur wenigen gugänglid^ finb. ©ie fönnen 
gebeil^en, ol^ne bafe bie ©efinnung unb ©rgiel^ung ber SUlcnfd^l^eit in 



i^ren ©ruiiblajeii geönbett wirb. Sie Sin^e f)at bie tRenailfance 96= 
förbert, biefe ^ai im ©tofeen unb ©anjen Ixi^ im ©^ocfj bet ßitc&e 
iQo^l betunben iinb irürbe fid) mit bcr leiteten f^on oetttagen unb 
abgefuitben ijobeu. ®§ ift iiidit ber im SitbungSgcnu^ befriebigte 
Uiiglau5c ber Ülufllätung, ben bie füri^e ju fürchten tjot; biefer ijl i^r 
gcgeniiber ot)iima(i)ti9 bur^ feine 3aI)I. fein SebüifniS no^ ungeftöttet 
jUlu^e unb feine ©laubenäinbifferenj. ©clbfi bie §etoen bet enl= 
bcdcnben unb tniffenfdiQftliifien ülcformatton, SDlänner mie SoIumbuS, 
fiopernÜuS unb ©alilei, icaren Ireue ®öl)ne ber Äitc&e, bie niemclä 
bie Abliefet ge^gt ^aben, mit if]r ju bre^en. 3)ie gefammte Sitbung 
bex Olenaiflaiice mar unDermögeitb, bie JJunbamenle bcr fircöIic&En Sffielt 
t)ertf(^aft bergeftalt ju erft^ilttern, baf} fie in ©türfe gingen, 

Sie ^irc£)e ruf|t auf religiöfen ©runblagen unb bcljerrfcfet in t^i 
lEjietQriiiidien SCerjatfung haä Söolf; ba^er tonn nur au§ religiöfi 
3)iotiBen, bie jene (Srunblugen treffen unb in baä §erj be§ SöoIIeä 
einbringen, ber entfd&eibenbe SIngtiff unb fiompf gegen bie fiirc^e 
ftattfinben. Um bie äScIt aus ben Slngeln ju I)eben, mtiß man ben 
$unlt beä Slngriffe au&ct^Qlb berfelben [uttien; mit berfiirc&e Dcr^äU 
eä fic& nnberö, mon muß in i^t flehen unb jwar in ber S^iefe bc8 
©tüubenS, um bie ßircEicu^errfdjüft ju fprengen unb bie ©runbtagen 
beö ©laubenä umjugeflQtten. SDtefe Umbilbung unb Srneuerung beä 
religiöfen Scroufetjeing ift bie Slefotmation im ItrcfeÜiSen Sinn, 
D![)ne iBelc^e boä SJiittetdter tro^ aller ISntbectungen fortgelebt Ijätte. 

©0 Wenig bie J?irc&c jufdUig unb Jilb^liifi bie ^orm ber §ier= 
ord&ie unb be§ römifi^en *Papf(t^ums angenommen t)at, fo wenig ift 
i^r jufaflig unb })Iögli(^ bie fReformotion entgegengetreten. 3)iefe iji 
QUiS bei .fiirdje |elbft ^eroorgegangen, in ber |ie Qllmä^li(^ gejeitigt 
toorben; d§ l)at nie ein (irdjliffteS 3eitolfer o^ne reformotorifc^e 
Wegungen unb SBebürfnilfe gege6cn. 3mmer f)at bie ßiri^e, mitt( 
in ber Serwcltlidjung, bie ber ©aug ber menfcljliifeen ©inge ^erbi 
füf)ttc, baS Dom (ftriftli(|cn ©eift i^t eingeborene ©cbürfni^ nflc& Stil 
weltlic&ung unb Cöuterung gefüllt, nur i>a^ bie Slic&tung, in wetzet 
bie ^Reform gejuclit würbe, nac& 3Jta§ga6c ber Zeitalter oerjd&ieben 
war. Um baS (t)riftli(Se Seben auli ben Stehen ber SBelt ju befreien 
unb biefer ju entfrcmben, finb bie 3)iön(t) Sorben ber erften Sa^r* 
fjunberte entftanben; um ben lirc&lic&en *Priefterftaot Bon ben fcubolen 
fflanben beS Weltlictien Stacteä loSjalöfen, erfd&ien ©regor \7I. als 
^Reformator ber ^ierarctiif; in bemfelbcn 3eilliunti, wo bie tömif( 



f«^ 







ber fftefotmation. 125 

Äir$cn]^enf(i6aft tl^ten ©tpfel erxcid^t fiottc, ]df) Snnocenj III. bte 
©lauBcnScinl&eit bebrol^t burd& ben ®in6ru(% ber ßc^er, bic bcr ßird&e 
fd^on baS ßöangellum entgcgenl^tctteu, unb crflarte bic bringcnbe 
SFlotl^tocTtbigfcit einer Slefottnation ber ßaietitoelt in Slnfel^ung beg 
firdölid&en ©lauBenS. 31I§ enbliift bie ©inl^eit ber Äird^enl^crrfd^aft im 
^Papfttl^unie felbft burd& baS ©d^iSma jerriffen tt)ar, !amen bie Soncilc 
be§ fünfgel^nten Sfal^rl^unbertS mit ber Slufgabe einer flird^enreformation 
an ^QUpt unb ©liebern. S)ic Slufgabe blieb ungelöft unb unlösbar. 
@8 war unmöglidö, bie Äird&c ju reformiren burd& bie SReftauration 
beS 5Pa<)pt]^um8 unb bie UnterbrüÄung j[eber antil^ierard^ifdöen 9lid6= 
tung. ®iefe Unmöglid^leit fonnte nid&t greller erleud^tet »erben aU 
burdö bic flammen ieneS ©d^eiterl^aufenS, auf bem ba§ reformatorifd^e 
ßoncil öon Sonftanj ben Sol^ann $u§ Verbrennen liefe, ©ein 3euer= 
tob l^at ber Sleformation ben SBeg getoiefen t)on Sonftanj nad6 
SBittenberg. S)a fie t)on oben nid&t burd^bringen fonnte, mufetc fic 
t)on unten fommen, burd^bred&enb in ßutl^cr, als bie 3ßit erfüllt toar, 
ein Salör^unbert nad& ^ufe. 

®ie ^Reformation beS fed^Sjc^nten Salörl^unbertS ftettt auf ber 
©runblage beS ß^riftent^umS ben ©egenfa^ ber 3fieligion gegen bte 
Äird&e. 2)iefe Dt)<)ofition, bie aus religiöfen ©rünben baS Softem ber 
Äird&c oon ©runb aus befömpft l^at, nennen toir in einem »eiteren 
©inn, als bie gefd6id&tlid&e ©ntftel^ung beS 9lamenS reid|t, ^rotc 
ftantiSmuS. 3n ber Verneinung beS römifd&en »ßatl^oliciSmuS be= 
fielet fein negativer ß^araftcr, in bem d&riftlid^en ©laubenSgrunbe, auf 
bem er rul^t, ber pofitiöe, ol^nc ben er niemals eine religiö[e 5IJlad&t 
getoorben tt)äre. SQSaS biefer 5ßroteftantiSmuS bejal^t unb gu feinem 
^rincip mad&t, crl^eflt aus bem, toas er öemeint unb t)on fid^ abftößt. 
®ie ^Religion beS SKittelalterS befielet im ©lauben an bie ßird^c als 
bie göttlid&e unb unerfd&ütterlid&e Slutorität, im ©laubcnsgel^orfam, 
ber glaubt, toaS bic ßird&e tel^rt, unb tl^ut, toaS fie forbert, ber, toie 
ieber ©el^orfam, fid& burd& dufeere ßeiftungen gu belodl^ren l^at: biefer 
©laubc loirb erfüllt burdö bie fird&lid&c SBerftl^ätigfeit, bie 3luSübung 
ber 6ultuSpfIid&ten unb frommer, ber fiird&e tool^lgefalliger unb nü^= 
lid^er §anblungen. SBer im Sienfte ber ßird^e mel^r leijiet, als fie 
forbert, l^anbelt Derbienftlid&. ®S finb bie fird&li(% correcten unb t)er= 
bienplid&en SBerfe, bie ben ©laubigen in ben 2lugen ber ßird^e unb 
barum Dor ©ott geredet mad^en; ber fird&lid^e ©laubensgel^orfam be= 
ftel^t bal^er in bem ©lauben an bie ?Red&tfertigung burd^ ben ßultuS 




3)08 Sti'nltct 

unb bie Sffletfe: boS iR bei ®lau6e an bie Serl^ettigleit, bi 
inenfc&lid&es S^un filr uetbienftlicö galten unh bamtn quiJ bie mtn^i 
üitt Srei^eil bejafien unb etntäumen mufe. 35aä äußere 9BErt gefi^ietit 
una6t)ötigig Uon ber ©efimtung qI§ «opiia operatum»; cä ift »om 
©taubijuntt btc ßiic^c au3 begreilti^ bafe fie i^re C^ettfi^QH ntiftt 
»DU ben ©efinnungen bpt ginjelnen cibf)ängig inadjt unb bü^er ben 
e^acoftet bcr 3iöinmigfeit in ben tiriljlitficn ©e^orfam, b. ^. in bie 
SffierrticiligEeit fe^t. 3iun erljtbt fid) äroifcfieu ®ott unb ben ^enfctten 
bie SünbenicEjuIb, bie nur im 9Bege bcc Iitc6UiI)cn Drbnungeti burc^ 
Seilte unb Sufee getilgt, buti$ lirtfjlii^e ?lb6üf;ungen unb Sttofen 
gefü^nt Werben fann, beten Seitbauci mä) bem fflinfee ber menfc^s 
licE)en Sünben fiift bi§ in bte jenfeitigcn Suftflnbc eiftrecft. ®S giebt 
ber firc^Iiifien unb irommen ^er!e manniijfaltige, unb ba bie ßirc^e 
ben SBJerlt) betfclben cntfifieibet unb nadj ifjren 3ntei-ef|en bcmiSt, fo 
fte^t e§ bei t^r, eineä für ba§ onbere ju fegen, bem dufeeten 3BerI 
ein nufeeceS anberer 2ltt ju fubftituiten, an bie ©teile ber SSufee 
9[equiDn!ent treten 3« Inffen, ba§ i^te Seitbauet Detfaijt ober 
Cbet^auöt etfe^t, 

@in foId)e§ öufecreS SBerf anbetet 9ltt lonn aut^ bie 9Ibc 
fein, hieli^e bie ßird&e bereidjett. 3e§t toirb bie Sufec, bicfe Bebiugung 
jut ©ünbenuergebung, fclbft ju einer ®act)C beä §anbel§. 2tft einmot 
bie Sufec auf ben Snrif be8 firrf)licfien ^anbels gefegt, fo fiinbctt 
nic^t^, bie ®elb&u§e um be3 fird)liiSen 9lugen§ reißen unter bie 
StequiOöfenlc oufiunel^men. So entftet)t bcr Kbtafe, bem bie nad&= 
trögliije bogmatifd^e ©cgrünbung nic[)t fe^tt, al§ eine not^ioenbige 
golge aus bem ©tauben an bie ^lec^tfertigung buttfi bie" SBerte. ®a 
c§ im ©i^oofie bet ßirctie fo Diele giebt, bie mel)r gebüfet aU gefünbigi 
^aben, fo batf e§ auii) foIii)e geben, bie auf Konto bet ^eiligen mel 
fünbigen olä bilden unb ba3 deficit burij ©elb bedfen. Sedreibt im 
büfür ben Sünbern bie 5Dict)tbu§e bet Reuigen g"'- f" Wi felbft 
i^ter Su^e uicöts. 

®o§ Stblcififljflem etteuif)tet auf baS ©rcüfle ben ungedfuern 
JIBibetfprucf) äwifc^en ßiri^e unb Siteligion. Sicfe fotbctt als 3Jebin= 
gung ber SünbenBetgebung tiefe, ba^ ^erj jerfnitfcfienbe unb umroon: 
belnbc IHem, jene nimmt aU Jtequicalent bei üteue ©elb! §ier tx- 
Vbt fi($ gegen baä tird&ticöe ©Aftern bie religiofe ©egenreirlung. 3Jlit 
ben S^efcn, bie Gutt)er gegen ben 91bla§ an bie ©ctilofefitdöe ju 
Sffiittenbetg fcfclögt (31. October 1517), beginnt bie Deformation, benn 



loH^I 



iigi 

1 



bcr Sieformatton. 127 

cS l&anbclt fid6 [(j^on um bic ©ad^e bcr SRcItgion gegen bie ßtrd&e. 
SBar es gündd&ft QU(i6 ttur ber Tli^ixanäi be§ SlblaffeS, ben Öutl^er in 
feinen SE^efen angriff — er öerbommte il&n alg $0iittel jur ©eltgs 
!eit, nid&t als ©rfo^mittel firdölid^er unb biefjeitiger ©trafen — , fo 
nötl^igte il^n ber 6rnp .feiner religiöfen SJlotiöe, unauf^aÜfam toeiter 
gu gelten. ®enn ber 9lbla§ iji fein gufdüiger SUlifebraudö, fonbern 
folgt aus ber SBerfl^eiligleit, toie biefe auS ber ©taubenSl^örigfeit, bie 
gcforbert ift burd^ bie unbebingte, t)on ber ©laubenSgefinnung unab= 
l^ängige STutorität ber ßird&e. SBaS ben Sleformator belegt, ift bic 
Slngfi um baS mcnfdölid&c ©eclcnl^cil: er fielet, bafe bic römifd^e Äird^e 
baffelbc Veruntreut. 

S)iefeS SUlotiD treibt il^n tDciter. @r öermirft balb aud& bie 
bogmatif^e SSegrünbung be§ 3lbtaffcS, ben @$a§ ber guten SBerfe, 
ben ®la\ibtn an bic §^^^^0^"^ ^^^ 33eid&te ber einjclncn ©ttnbcn, afö 
ob fic jäl^Ibar ttJörcn ; er mufe bic SBerf fjciligtcit im 5ßrinci|)e Gemeinen, 
barum ben ©runb erfd&üttcrn, auf bem fic ru^t: ba^ l^icrard^ifc^e 
Äirdöcnf^ftcm, ben t)ät)ftlid^en 5ßrimat, bie Unfel^lbarfeit ber ßoncilc; 
er mufe bamit enben, ba§ er ber »ßird^e bie ®Iauben3^errfd&aft be= 
fireitet, barum ben ©laubensgel^orfam fiinbigt unb um ber ^Religion 
loiEen bic ©laubenSfrcil^cit crJlört. 3c§t ift bic ^Reformation in il^rcm 
©Icmcnt, fic erfd&cint^ bcr Iat]^oIi[d&en ßird^c gegenüber als bic 
rcUgiofc S^l^at beS erneuerten Sl&rijicntl^umS, bem römifd&en ßat^oü- 
ciSmuS gegenüber als bie nationale SEl^at beS bcutfd&cn SSolfS. 
®icfen ©tanb^unft, ben ßutl^crS burd^bred^enbc ©d^riften ,,a5om 3lbenb- 
tnal^I'', ,,9ln ben d&rifllid^en Slbct beutfd^er ^Ration t)on beS d^riftlid^cn 
©tanbcS 33cffcrung" unb „Söon bcr bab^lonifd^cn ©cfangeufd^aft bcr 
Äird^c" (1519—1520) ausführen, ^at fid& ber gctoaltige aJiann burd& 
fd&merc Ädm<)fc enungen, bentt baS 3odÖ, baS er abfd&üttelte, war fein 
eigenes unb laftete in ber Stiefe feines ©ett)iffenS. 

SBaS bcmnadö bcr ^ßroteftautiSmuS verneint, Ift bie 31 e d^ t f e r = 
tigung burd& bie SBerfe: leineS l^at eine fünbcntilgenbc »ßraft, 
jcbeS, es fd^eine nod6 fo l^eilig, fann gefd&el^en als du§crlid&c, gefinnungS« 
lofe §anblung, als blofecS copus operatum», unb ift als fold^cS gur 
©cligfcit nid^tS nü§c, öiclmel^r burd& bzn SBal^n, bafe eS gum ^cile 
gercid&c, t)crberbfid&. 9lÜe firdöUd&en SBcrfe, felbji bic ber du^erften 
SQSeltentfagung tonnen t)ün!tfid& erfüllt Serben unb ber 5IJlenfd& babei 
bod6 inncrlid& Bleiben, tt)aS er ift; fic finb ba^er religiös tocrtl^IoS. 
S)ie rcligiöfc Stl^at liegt in ber fittlid^en SBiebergeburt, in ber Um= 



^— *■ 



®ae Sdtollei: 



^^^M toanhimQ bcx @efinnimg unb bei ^eijciiS, bte im ®lQu6en tiefte'^i: 
^^^K im ©(Qu6en qti bie atetfjtjettigung nidit buxäj bie fiirdie, fonbetn burc& 
^^^H g^^riftug. 3)cr ^lofitibe €a^ be§ ^roteftanttSmtiS [)ci^t ba^et: „9luT ' 
^^^B ber ©laubc mac^t fetig". I 

^^f Siejer ®tau6e ift fein 3BerI, inel^eB bte menlcö(ic6e SBia!ttr' 

H Tna($en obct ocibicncn lann, [oitbetn ein 9(ft ber gotllic^en ©nabe, 

I lrelcl)e ben 5Dlmfc£)en ergreift unb nidjt Bon ben Sa^ungen ber ßirc^e 

B ü6f)öngt, iceti^e a)ien(il)cnmct[ finb. So Ee^ct bie Mefoimation jurüj 

^^H ju ben OueUeit bcS d}iiftlt^cn @lauben§ unb bet c^rifilic^en @Iauben§= 
^^^1 ie^re, um auä btefen feinen urfprilnglii^en Sebingungen baä €^ttften= 
^^V t^um felbft roiebcc ^cräiifieQm; fie grünbet fi^ ben ^tr^enfo^ungen 
W entgegen auf bie Ijeitige Schrift als göttlici)e Cffcii&arungSuifunbe, 

I auf bie apDftoüii^e ße^re, insbefonbere bie pQulinif^e, bie jueifl boä 

I ^oäj bcS ®efe§eB unb ber ©cie^eSlnerle gebrochen unb bie fRcc&tfertigung 

I bur^ ben ©louben oertilnbet ijai. auf bie ßefire ber flirc^enuäter, iii8= 

I befonbere bie angnfttnifiSe, raelc&e juerft bie menfct)It(i)e ©ünbenfi^ulb 

in i^rec ganzen ©rö^e atä 2^at unb Sertuft bet 3reif|eit erleinfttet 
imb in ben 3}!itteli)untt ber c&riftlidjen ©laubenSle^re gefteflt l^at, jene 
unDeräu&etlti^e, ber menf(4lic6en SJafur im Sinnerfien an^aftenbe @[^tttb, 
bie in ber ßiri^e Dertoufltii) geroorben! 91tc£)t baä ©etbopfer, fonbetn 
baS Dpfft bcä menfc&Ii^en §eräEn§ unb feiner ©eltfifuijt fü^rt jiir 
©etigfeit. 3)arin bcftonb baS S^^enia jener „bentfctien 'a'i)eologit" , bie 
ßutfier au§ eben biefcm ©ruiibe näi^ft ber Sibel unb Slugufiin auf 
bQ§ §öcbfte f^ä^te. lieber fult fid) felbft, fein eigenes fünbt)Qfteä &erj 
opfern: baiin 6cfiel)t bus allgemeine *]}rteftert^um be§ diriftEitfien SBolfB 
im ©egenfog ju bem aBei&cprieftcrt^um ber iSirc&e unb bem Cpfers 
prieftert^um beS ©ocramentä; ba^er ber ©egenja^ ber IRefotmotion 
gegen bte ^ternriftie unb beren fflerfierrtidiiing im Euttu§, inSbefonbere 
im Suttuä be§ S[6enbniQÖl3 ; botjer mufe bie Umbitbnng ber fle^re Don 
ben ©acrantenten/üDr aüen ber atbenbmü^lstcfi", bie Säuferung unb 
Sßereinjacöung bes Su!tu§ ein ^anptobject ber Dieformation, eine i^rer 
»efentlic&en Stufga&en, fogar if[r StuSgangSpunft fein, too fie am ein= 
fai^ften unb greifbarften uor fi<i& ge^t. Sias 9(6enbntQ^I ift ber Oipfel 
be§ €u(tu3, ber SnttnS ift bte eigentliiiie ^eimatEi ber S^oKsieligioiiji 
ba^er bie ßuttuärcfotm bie unmittel&arfte unb toirlfnmfte Umgejtaltuilj 
be§ leltgiöfen SöoItStebenS. 

9Bir ^aben bie ©runbjüge öor uns, bie ber c^riftliifte ?!toteftai 
tiSmuS bejaht, in benen bie großen iReformatoren ßut^r, 



bcr 9lcfottnation. 129 

(Jalöin einöcrftattbcn toaren: eS ift her ©d^tif tgtaiibe , her ^Poultnig« 
uius, ber StugujitniSmuS , bic ßäutcrung beS ßultus, bie Umbtlbung 
ber Slbcnbrnal^ISlelÖtc. SttncTl^alb bcr auaufttnifdöen ßel^tc mad^t bic 
^Prftbcfttnation, mncriöalb bct Slbcnbmal^MclÖrc bic ^xogc nad6 bcr 
realen ©cgentoart ßl^rtjii bie trenncnbc ©iffcrcitj. ©ie ßcl^rc 
t)on ber göttUd&en 5PräbeftittQtion unb ©nabcntoal^I in il^rcr ganacn 
§ärte unb ^olgerid&tiafcit, bic felbft 3lu9uftin nid&t getoagt l^attc, 
begrünbet 6Qlt)in; bie 3l6enbma]^tele]^re in ber f^mbolifd&cn, iebcr 3lrt 
ber SEranSfubflantiation, ber magifd^cn mt m^ftifd^en, töQig entgegen= 
gefegten Raffung bringt 3tt)ingü jur ©eltung. %xo^ bcr ßani:pfe, 
©eli^e bie ^Bereinigung gegen ben gemeinfamen geinb bringenb geboten, 
^at ba^ 3ßitatter ber Steformation jene ©iffcrenjcn nid^t auSjuglcid^cn 
unb bie @t)aftung beS ^ProteftantiSmuS in baS lutl^erifd^e unb 
reformirte Sefenntnife nid&t ju l&inbern t)ermod&t. 

®ic aienaiffance gel^t ber SleforniQtion t)orau8 unb mit il^r 
gufamnien. ®ie ßrneucrung ber Slttertl^umStoiffenfd&Qft, ber ?P^iIoIogie, 
ber gried&ifd^en unb l^ebräifd&cn ©prad^ftubien fül^rte notl^toenbig ^u 
neuen unb l^etteren 9lnfid&ten über ben Urfprung be§ ß^riftentl^unis, 
3U einem neuen unb befferen aSerftönbnife ber biblifd^en Urfunbcn unb 
bamit ju ®infid&tcn, bereu bie fird^lid^e Sleformation auf bem SBcge 
il^rer ®efd&id&t8= unb @d6riftforfd&ung beburfte. ©ie öerbanit il^rc toiffem 
fd^aftlidöe 3lu8rüjiung ber Sienaiffance. 3W§ bic beutfd^c ?ftcformation 
im 2lufgange unb bie beutfd&e SRenaiffance , bie ton Stalien öerfam, 
gleid^jeitig in öotter SBlütl^e ftanb, gab c§ einen $üloment, too fid^ beibe 
gegenfeitig ergriffen, im t)oHen SBetoufetfein i^rcS gemeinfamen Urft)rung§ 
unb il^rer gemeinfamen nationalen ©rl^ebung. ©aS ©efül^I be8 neuen 
3citalter8 burd&brang aHgetoaltig bic ©eifter. $ülit ber SBiebergeburt 
beS SHtertl^umS toottte bie beS ßl^xiftentl^umS, mit beiben bie SBicbcr= 
gcburt beS beutfd^cn 93oße§ unb äftcid^eS ^anb in $onb gelten; bie tt)iffcn= 
fd&aftüd&c unb reUgiöfe Sieformation toottte oud6 eine nationale unb 
politifdöe fein. S)iefe 3bee fanb in Ulrid^ öon ^utten il^ren Slräger 
unb in feinen legten Scf)riften (1519 — 1523) il^ren mdd&tigen SluSbrudf. 
816er bie poütifd&e 9leform mufete fd^eitern, ba burd^ bie religiöfe ba§ 
beutfd&e 9leid6 tiefer aU ie gef:patten »urbe. 3ludö bic SBege bcr Slcnaiffancc 
unb Äeformotion !amen in SBiberftreit. Sölit ber 3lriftofratic ber 
©eifter, bie im rul^igen ©enu§ ber l^ol^en SBilbung beS SKtertl^umS 
leben unb leud^ten toottten, tertrug fid& nid^t ber revolutionäre ©türm 
ber SJßßer, ben bie Sieformation entfcffelt l^atte; mit ben tt)icberauf= 

gifd&er, ©e^. b. Wtof. I. 4. «ufl. fft. «. 9 




i 



Sa« 3dtaltet 

gelcbten ^betn bn alten ^p^ilofop^te, Kelche bie inenf(f|U(5e ©ciftel 
frci^eit 6eial)en, Dettrug ftcb nid&t bet etneuctte StugufttniSinuä bi 
hitf)eriitE)en Öelire wn ber Bötligen Unfreiheit heä 9J!mict)en: biejer 
©egenfo^ itDi|c[)en Dtenaifjance nnb üiejorination üer!örvett fic^ mit 
iljljifcöet Sßoflenbung in bem Streit jroi(if)En ©raämuä unb ßutfier. 
Snbeffen roor bie MadfX be§ 3eitülter§ mit htm religiöfen Oebanfcn 
unb (ü^tte QUt^ bie ©eiftcr ber Dtenaiffancc in feinen Sienff, Sßon 
biefer ©eite lEam Sroiiigli mit feiner einfachen unb nofürlidien 
SJuffaffung be§ 3I6snbmctiil§, bie Stit^ec mit bem c^araftcriftififten Sßorte 
»erfflatf: „SSir Ijaben einen onbcren ©eift als i^r!" 9lBer Quc6 unter 
ben beutfificn Kefotmatoren gob e§ einen, bet beibe Diic^tnngen Ber= 
einigte: SJlelnnc&tEion, ber feinen fflilbungägong bur(^ bie SRenctiffance 
genommen unb in ben Sienft ber beutfi^en SJteformation trat, ein 5Jlann 
auä IReu^linä SßerBanbtfi^aft unb Schule, Cutters StmtSgenoffe, 
nä^ftet Jtei'nb unb ©e^ütfe. 3n i^m tcar bie retigiöfe unb liberale 
©efinnung bet 3tenaiffancc »erlörliett, loedfie ©egenfäge ju ertragen 
termod)te, bie ßut^et nic^t ertrug, unb ju getoiffen 9(usgleid)ungen 
amifcöcn ßat^olicismuä unb ^roteflantismus, jroifc&en ber lut^etifi^en 
unb tefotmirten SRic&tung geneigt toar. ©iefeS Dermitteinbe unb frieb(iff)e 
©lement ftiefe boS ßut^ert^um Don fiift. Dlai^bem eö etft in ber Slug^' 
burgifc&en ßonfeffion (1530) ficti bogmatifi^ fixirt, bann nacfe bem 
31 etigionäf rieben Oon Slug^burg (1555) immer enger unb ftarrer auS= 
gebilbet, jule^t in ber Goncorbienformel (1577) jebe Sintrai^t mit ben 
äicformirten au§gef(^[offen unb bie ©cltung OTelonctit^gnä uertilgt 
liatte, jerfiet ouc5 ber beutfdbe 5Proteftanti§mu§ in boä lut^ctifc^e unb 
beutfc^-tefotmitlc 3Jetenntnifi, unb jene tirt^enpolitiftfee Spaltung Seutf(§s 
lanbs, bie bem breifeigiä^rigen Kriege entgegenging, mar »oüenbet, 

Sie 9leformotion ^at bie politifrfje Setttllftung S>eutf(^tanb§ nic&t 
»erfc&ulbet , niol)l a&er Berme^rt unb geförbett. 3)iefe Sc^utb 
eine fo nott)n)enbige unb unDermeibHi^e ^olge, bafe fie DorlDurfSfti 
ift. D^ne ba§ jerffüffete unb becentratifirte römifilie Steii^ beutfi^i 
Shtion märe bie SReformation fo »cnig möglit^ gcmefen, als bie römifc^e 
fiircE)e ofine baS centralifirte olirömifdie IRtifi), unb bie ütenaiffancc 
i^ne bie ©paltung unb ©ecentralifatian ^talieng. 6ä mar ntSt 
äuföÜig, fonbcrn in ber 9!atur ber Ser^ältniffe luofil begriinbct, hofe 
bie Jjleformation in 9)EUifcE)lttnb unb ber ©c^roeia entftanb; i^rc Sentrai= 
punltc waten Jffiittenberg, 3iiri^ unb ©enf; in Sffiittenberg mürbe 
ßuttier bet ija^ter ber beutfi^en iReformation (1517—1546), in Stiri^ 






bet Iftefotmation, 131 

leitete Siotngü bte fdötoetjerifd^e (1519—1531), in ©enf l^ertfd^te ßatoin 
(1541 — 1564). 3m ßaufe be§ fed^Sjel^nten Sal^rl^unbettS verbreitete 
fid^ t)on l^ier qu§ bie Sieformation über 6uro:pQ unb getoann eine 
toeltgefdöid^tUd&e $ülad^t. Sie ffanbinaDifd^en ßanbeSlird^en geftalteten 
ft(^ m^ lut]&erif(^em SSorbilbe (1527-153)7, ©(^ottlanb unb bie 9iieber= 
lonbenod^ reformirtem (cabiniftifd^em), jenes unter ßnoj (1556— 1573), 
biefe errangen fid^ bie religiöfe unb i)oIitifd6e ^reil^eit im ßamt)f gegen 
Spanien (1566—1609), in (Snglanb trat an bie ©teile ber römifd&en 
ßird^e bie bifd&öfiidöe, reformirte ©taatsfird^e (1534 — 1571); in Stauen 
gäl^rte bie Sieformation in Deretnjelten (Srfd^einungen, in ^pamrn 
tourbe bie ©öl^rung erftitft, in ^ranlreid^ erjeugte fie bie religiöfen 
SBürgerfriege. 

2. S)ie ©egenrcfotmation unb bcr 3^fuiti8muS. 

©urd^ bie Slcformation ift in bem abenblönbifd^en ßl^riftentl&um 
ber ©cgenfa^ jtoifdöen Äatl^oIiciSmuS unb 5Proteftanti8mu§ entftanben, 
auf ?Princi:pien gegrünbet, bie jebe SJermittlung auSfdöUefeen. ®er 
5J}roteftanti§muS Verneint ba^ ürd^Iidöe 2lutoritat8t)rincit) unb fttt^t 
fid& auf bie religiöfe ©efinnung unb Ueberjeugung ber 3nbit)ibuen, 
bie burd^ t^re Uebereinftimmung ©emeinben Bilben, aber nid&t jene 
unbebingtc Unterwerfung julaffen, auf ber aHein bie $ülad&t einer ßird^e 
berul^t. Salier bie ßinigfeit be§ 5ProtefiantiSmu3 in negativer «^infid^t 
unb feine @:pattung in pofitiver, toeld&e Untere ber fatJ^oIifd^en ßird^e 
gegenüber als D^nmad^t erfd&eint. (SS lag bal^er in bem ^ntereffe 
unb ber 5ßoUtif ber römifd^en ßird^e, gegen ben 5ßroteftantiSmu§ il^re 
©inl^eit unb Slutoritftt von neuem ju befeftigen unb mit SSefeitigung 
gemiffer Jölifebrdud^e alle SJiotiVe, »eld^e ben ©lauben abföllig unb in 
tl^ren 3lugen l^infailig gemad^t l^atten, burd^ feierlid^e 3lnat^eme für 
immer von fid& auSjufd^Uefeen. ©iefe förmlidbe SJemeinung unb 35er* 
bammung beS 5ßroteftantiSmuS tourbe ba^ SLI^ema ber ©egenreformation, 
bie ba^ tribentinifd^e 6onciI, ba^ vorlebte öfumenifd^e, auSfül^rte 
(1545—1563). 

Slber mit ber blofeen äJerbammung toar bem Iatl§oUfd&en ^Jrincip 
nid^t genug gefd^el^en, bie ©cltung beS le^teren forberte bie S5ernidö= 
tung beS 5ßroteftanti8mu8, bie Siütferoberung ber abgefallenen SSöHer, 
bie SBieberl^erfteHung ber mittelalterüd^en SBeltlird^e. 3ur ßöfung 
biefer 2lufgabe beburfte es einer neuen 3luSrüftung unb Drganifirung 
fird&Ud^er ßrdfte, bie in erfter Sleil^e ben ßami)f mit ber Sieformation 

9* 



SaS Seitallet 




^^V 182 

^^H unb i^rem Stitnltet ü&ernctimen fDtIten; t§ fieburfte eines neuen, nui 
^^^F btefent BiDccEe gctcibmeten TiK^üc^en Oibenä, ben bev @))anieT 3gna; 
^i bon ßo^ola (1491—1556) in bet „Ocyellfc^aft" ober, luie bn 

I (i^ntalteriftifcöe iinb IriegStiifliße SluSbtucf i)k%, „gompagnie 3e{u" 

I flrünbete (1534), unb bet bie erfte päpftlit^e SBeftötigung 1540 erhielt. 

I ffiJenn mon bie religiöfen Bioede bet romifc^en fiiti^e i^ren potitijcöen, 

I b. fi. ber gt^oltung unb SJcnne^rung i^rer aBeItniO(i)t üöHig gtetift' 

^^^ (e^t, fo ift ber 3ejuitiämu8 mit bem romifi^en fiot^oliciämuS ibcnttjc^ 
^^K unb bn jTragei btä ultiamontanen Sqftentö. j 

^^B Smi [Ri^lungen, i^rer Einlage naä) fo gtunbi)eiid)ieben, bog] 

^B^ man fie in ber SJorfteUung nie comöiniien roütbe, »ereinigen ftd) in 
bem OrbfnBgeift bet Stduiten: bie opferltiilligflc ©i^roärmerei für ein 
^bcol ber äßergangenl^eit, bie aüiebettietfteüung ber niittctaltetlidien 
fiirc[)e nat^ bem Scitnlter ber SRenaiffance unb SRefotmalion, uub bie 
raffinirtefte, mit nllen fragen bec ©egenraart, mit jebet SBetänbecung 
ber Seitlage t)crlraute|le SJolitif, lunbig ntlet ^Ölittel, meiere bie iÖlai^t 
fBtbern, gcfi^irft unb entfc^Ioffen in tljrer SlniDenbung, fl)ftematif(i in 
i^rer SBerlnüpfung ! Sier mürbe glauben, ba^ bie ©ijrodtmerci einesi 
Eon Quijöte unb bie ^ßolitif einc§ SJiaifiinoeUi jemals in bef' 
Siic^tung auf baffclbe Siel \iii Bereinigen lönnten? Sie finb Bereinigt 
im Orben ber Sieiuitcn. lEer ©eift beS Iir(l)enfeinbti(t)en Sfiac^iiaBelli 
ift nirgenbS mä(fttiger, mirtfamet, fnri^tbarcr aufgetreten a£S ^ier, mo 
e§ ftcö allein um baS ^nteteffc unb bie 50iac&t ber fitri^e ^anbelt. 
^efuitiämuS ift Eircfeticber 3](ai4iaoe[IiSmuS. Unb e§ ^at Diet= 
leii^t nie einen 3)tenfd!)en gegeben, ber bem 2)on Gnigote fo fl^n(i(^ 
War, wie fein SanbSmann Stgnoj non öoljola, bet Stifter bet 2!efuiten, 
bet fic6 juerft Bon ben Sfütterromanen ju ben §eitigenVegenben, Bon 
SImabiä 3U (J^anjiStuS belehrte unb bann Bor bem SJtarienbilbe auf 
bem 5)lontfctrat feine näcfttU^e SBaffenitaiJc ^ielt, mie ber ^unler 
Bon Ca 9JiancE)ü in jener Sorffdiänfe, bie er für ein aiitterfi^tofe onfa^, 
C^ne ben ©runbjug einer Bon ben §eiligen6ilbern bcS TOitfelalterS 
l^ingeriffenen ©cbtofirmerei wäre bie ^bee beä ^efuitenorbcnS nie ents 
jlanben. SeBor Sgnaj Bon Co^ota ein ©olbat ^efu mürbe, ^alte er 
ftc& gelubt, ein (Hitler ber 9J!aria ^u merbcn; eS mar in bemfetben 
3|a^re, TOo Cutter auf bem 9tei[i)8tag in 2Bocma erfi^tcn. ®teiiii3etttg 
mit bem ^toteftantiSmus entmiefelt fii| bie neue CrbenSibee unb ge= 
toinnt biefem, als bem ju betampfenben Seinbe, gegenüber bie fefte 
unb organtfirte iform bei Sompagnie 3efu. 



)ie TCTte -^m 



ber Sleformatiott« 133 

3)ic fitrd&e ifl in ©efal&r, auS ber fic tiur butd& bie unBebtngtc 
©cttung ber ftrd^Ud&en ßcntrolgetoalt, bie beftanbige i)ät)ftü(i&e ©ictatur 
gerettet uttb in il^rer alten ^aä)t toieberJ^ergeftettt werben fann. ©al^er 
ip bie unbebingte unb blinbe Unterwerfung unter ben SBißen bc3 
5PapfteS, biefe befonbere Strt beS ©el^orfamS, bie ber nülitarifd&en ©ub= 
orbinotion gleid^fonimt, boS eigentlid^e DrbenSgelübbe ber Sefuiten, 
tt)el(%e8 in Serbinbung mit ben brei üblid^en ©elübben ber ßeufAl^eit, 
Slrmutl^ unb Dbebienj ben fpecififd&en ßl^arafter biefer neuen Tlbn^t 
QUSntad^t. ®ie SBelt, bie fie 6efänH)fen unb befiegen foQen, ift nid&t 
burdö bie S^lud&t inS ßlofler ju übertoinben, fonbern nur burdö baS 
einf](u§reid&jie, an allen meufd^Iid^en Sntereffen betl^eitigte ßeben mitten 
im ©etriebe ber SBelt. 3n bem Drben ber Sefuiten finb 3tt)ei ßebenS= 
rid^tungen bereinigt, bie fonft ftets gefd^ieben toaren: beräftönd^ unb 
ber SBeltmann, jener in ber ftarrften, biefer in ber gefd^meibigften 
tJorm; biefe SJereinigung, bie in ber ©efd^id^te ber 5ölönd&8orben eine 
gang neue ©tufe bejeidönet, gilt bem auSfd&Iiefeenben S)ienft ber römifd6= 
monard&ifd&en ßirdöe, bie gegen bie Ungläubigen, t)or äffen gegen bie 
^roteftanten, bie Sünger ßo^oIaS auSfenbet mit ber SBeifung: „geltet 
l^in in äffe SBelt!" 2Bie einft bie iubend&riftUd^e ßegcnbe bem öer^ 
]^a§ten 2t:poflel, ber ba^ ßJ^riftentlSum unter bie Reiben trug, il^ren 
^ettuS auf ©(%ritt unb Stritt nad^folgen Ue§, um ba§ SBerf beffelben 
gu jerftören, fo finb je^t biefe neuen ?Petriner toirflid^ berufen, bie 
t>er]^a§te Sleformation, biefen neuen 5Paulini§muS, überaff ju Verfolgen 
unb ju unterminiren. Sl^re »eltmännifd^e Stl^ätigfeit im 3)ienfle 
!ird6enl)oUtifd6er Stoetfe ift toid^tiger, als bie 3eit= unb fraftraubenben 
©jercitien ber getoöl^nKd&en $ülönd&e; bal^er bie Sefuiten nid^t an bie 
aScetifd^e unb ceremonieffe ®rfüHung foli^er 5ßflid^ten gebunben ftnb, 
bie ba^ unbefd&äftigte ^ülönd^Sleben reguliren. 

3)em unbebingten, jebeS pä:pftlid6en SBinfS getodrtigen ©el^orfam, 
ber ben befonberen DrbenSjmetf unb ba^ ©elübbe ber eigentUd&en 5Pro- 
feffen (professi quatuor votorum) auSmad&t, entfprid^t in ber inneren 
JBerfaffung beS DrbenS bie ftrengfte ©uborbination unb Slbjiufung, bie 
t>on ben Jßoöijen ju ben ©d^olaftüern, 3U ben tDeltlid^en unb geiftlid^en 
©oabjiutoren, gu ben 5ßrofeffen ber brei ©elttbbe, gu benen be§ vierten, 
»eld^e festeren bie eigentlid&en Sffliffionftre finb, emporfteigt unb il^re 
@pi§e in bem ©eneral finbet, ber bie in ß^offegien, ^ßroöingen unb 
ßdnbergebiete eingetl&eitte DrbenSmelt regiert. 6in 3toeÄ betoegt äffe 
©lieber unb ergeugt jenen gleid^förmigen unb gefd^uUen DrbenSt^puS, 



ber in bet üufeeren Stfi^einung uiib Gattung, in bem ©piel ber ®tM 
6etben unb ÜCiienen ben Slnäbtuif gcmcffenEt, fluger 3iitüd[&altutiH 
unb gminnenbec ©eI6fl6e^crr[föung jeigi, 3)ie 2Bege, bie ber Orben 
jn ge^en ^atte, geboten bie Sc^Iangenllug^eil, »elcöc in biefeni ^all 
fii6 niitt mit ber laiibcneinfatt uctbinben liefe. Sie Setefirung ^nb- 
nif(5cr SBölIer, Wflc&c |d)on bie erften ^efuiten in ^nbien, ß^ina unb 
SBtafilien unternal&nien, bitbete ben uuercärtigEn 5it)eil i^rer SJtifjion; 
bie Stufgoöe ber inneren mar bie ÜBcficrrichnng ber d&rifilitfien Sfilfer. 

Sie SBege jii biefem 'Sid tjoben bie ^efuiten bntcd bie brei i 
folgrei(i)ften ÜWittcI, ben ßnltuä. bie ßrjicfinng unb bie Senlimg i 
©iQQten, gefüllt unb ju pnben geinnfet. 33a ber inipo(ante, praäf 
DoÜe, finnlitöe Siittu^ bec coHSt^ümlitfifte ift, fo Eiaben fie aüeä j 
tl&an, ben 6nltu8 in biefer Sfficife ju Ucrme^ren unb ju bereic^et 
9tu($ if)re »Runft trägt ganj ben S^orafter reicher, überlabener, gf' 
fcbmacftofcr *prQ^t, inie fie bem ISoIEc gefötit. 6§ log in tf)tem 3nter= 
effe, baS GuItnSbogma ju begünfligen, ben 5DtaricncuItuB ju fteigern 
nnb in ber Ce^re Don ber unbef(etf(en ^ml)fängni6 mit ben ^ranjtS^ 
Innern geineinfame Baäte ju möcßen. SBar bocE) baS JÖlarienritter= 
tl)um ba§ erfte Sbeof itjteS Stifters! Safe bie Ce^re Don ber un- 
wiberftirediliiien Stutoritdt ober Unfc^Ibarteit be§ $al)jleä alä ein 
fövmtic^eiS OrbenSbogma gepflegt mürbe, folgte unmitte[&flr auä ben 
!Princif)ien ber Slefuifen. Sie Vbert i^r päbagogifi^eä Softem auf 
bie tirc&tit^cn Sweic angelegt unb berecfinet, für bie Silbung beS SBoKs, 
ber SSeltlente, ber ©eleferten, ber jE^eoIogen unb ®eiftUc6en einge^: 
rictitEt unb ben Sebürfniffen ber Seit bergeftalt anjupaffen getuufit, 
ba§ i^re ©ifiulen fcI6ft bei ©egnern für äJtufteranf^atten ber ©räiebung 
galten. 

Slurct) bie 2Hac^t über baä SDotE gcininnen fie bie über ben ©taot, 
benn bie ©tontägeiDQ(t grünbct ficb onf ba§ ^olt, mie bie ßirc^en= 
gefflaft auf ®ott; bie Üri^lidie 3JionnrcE)ie (^ßapitl^um) ift ein SlnSffu^ 
götÜiifterSnatittioiHümmentieit itnb baruni unerfc^ütterli^, trogegen bie 
loeltliiie (5ürftcnt[)um) fic& auf bie iöolfsfcuoerönetät grünbet unb 
barum nur fo lange ju JRecöt befte^t, al§ fie bem Soüäioofit bient, 
Kiedfieä le^tere unabtrennbar ift Don bem !irif)Iic6en §eil. Sa bie 
fitrcfee jur 3cit ben Staat nicE)t birect be^errfcften tann, fo mu§ fie 
i^n inbirect be^errfc^en burcf) bas 2JoIt, roeli^ee in Iir(^(ic[)en Singen 
obfotut abhängig unb in politifi^cn maiSiDoHfornmen ift. Safier werben 
bie 3efuiten bie erfien SBer!ünbiger ber SöoltäfouBeränetat, traft bercn 



ber Iftcformation. 135 

bie ^ürjicn enttl^ront toerben !önncn unb, loenn fie burdö SlBfatt Don 
ber ßtrd&c ober bem ©el^orfam gcaen btcfclbc bas SBol^t bc3 SBoIfs 
öetuntrcucn, enttl^ront loerben müffcti. (Sin fold^cr Slbfatt obet Un= 
gcl^orfam mad&t ben dürften gum 2;^rQnnen; biefclBcn Sfcfuiten, bie 
an fatl^oltfd&cn unb ürd^Iid^ corrcctcn ^öfen bie atiftofratild&en ?Pringen= 
ergiel^er unb Setd^tDäter finb, etfd^einen abgefallenen ober firc^Udö t)er= 
bödötigen dürften gegenüber al§ 9let)oIutionftre, bie ben „2;^rannen= 
ntorb" leieren, öerl^errttd^en, ausüben laffen. ©o J)reift ber !3efuit 
SDiariana* in feinem SBerf über ba^ ßönigtl^um (1598) ben SJlörber 
§einrid&S ni. SQBenn ber g^ürft ton ber ßird^e abfaßt, b. )§. Sl^rann 
toxxb, fo l^at ha^ SJoIf nid&t blo& ba§ 9fled&t, fonbern bie ^ßfiidöt, Don 
feinem dürften abgufatten. 

68 ift niit genug, ba§ bie Sefuiten burd^ bie Jülad^t il§re§ (Sin= 
fluffeS auf 6uttu§, ©rgiel^ung unb ©taat ben 5ßroteftanti3mu§ be= 
bröngen, fie muffen il^ren ^ebel nod^ tiefer einfe|en unb bie religiöfe 
©runbanfd&auung ber gefammten Sleformation ju enttourjeln fud^en. 
®ie ßel^re Don ber 9led6tfertigung burd^ ©laube unb ©nabe grünbet 
fi(§ auf ba^ ©etoid^t ber meufd^Iid^en ©ünbenfd&ulb, auf jene augu= 
fiinifd&e ßel^re Don ber ©rbfünbe, bie ben 5IJtenfdöen unfrei unb gum 
ßnedbt feiner ©elbftfudöt gemad^t l^at. ©iefen ©arbinalpunft beS 
protcfiantifd&en ©laubeng fortgufd^affen unb im menfd^lid^en Sewufetfein 
Dötttg ju Derbunfein, ift baS eigentlid^e 3irf ber jefuitifd^en aJioral, 
bie nur bann rid^tig erfannt loirb, toenn man fie in biefer 9lid&tung 
entfiel^en fielet unb Derfolgt. 3te ernfter ber 5Proteflanti8mu§ ba^ ©e= 
tt)id&t ber ©ünbe nimmt unb ate ben ©runb ber ©etoiffenSangft 
empfinbet, — l^ier toar bie Quelle, »orauS bie Sfleformatton cntft)rang 
— um fo toeniger 3luf]^eben8 mad^en bie Sefuiten Don ber ©ad^e. Sie 
t)rotefiantifdöe ©laubens- unb ©nabenlel^re ift in il&ren Singen Diel 
ßärm um ?iicbt§! 9Jian l^at bie ©ünbe bei weitem gu m^ftifd^ unb 
tragifd& aufgefaßt; toirb fie einfad^ unb Derftdnbig betrad&tet, fo l^at 
eS mit berfelben fo Diel nid^t auf ftd&, fie befielet nid^t in einer 
m^flifd&en ©attung§fd&ulb, bie einmal für immer alleö Derborben l§at, 
fonbern in eingelnen ^anblungen, bereu jebe nad& il^ren Umftänben 
unb 9lbfid^ten erwogen unb bcurtl^eilt fein mill. ©o toirb bie ©ünbe 
cafuiflifdö genommen unb il^r ©etoid^t fd^on baburd& aufeerorbentlidb 
Derfleinert. ©ie compacte SJlaffe ber ©d^ulb, bie ben JDlenfc^en gu 
SBoben brüdft, wirb gleid^fam pulDerifirt unb gerrieben, ©ie Sefuiten 
pnb in ber ©ittenlel^re bie auSgemad^teften 3nbiDibualiften. Sl&r 




S)aS Seitaltti 

flonjes 5!0!ora[ft)|'tem ge^t barüuf auS, bte ©itnbe Mein ju {liegen, 
bem fie bcn ©ünbenfaH auilbfen in einjefne JJäHe: bo^et i 
yitiftiE, bie üfieroE ^oÜiftoncn ju finben unb bie ©mtlfenäfcrupet in ' 
©etoiffenäprobleme ^u Ocrronnbetn mei^. beren ßö|ung etft eiitfc^eibet, 
ob bcc ajienfi^ gefünbigt ^at cber iiicdt. Senn ha§ ®enii[fen oniöngt 
gu grübeln, fo ^ört eS auf ju richten. ®tefeS SHiÄtcTarat ju ent*| 
frfljten. tritt ber Siäiarffinn ber cafuiftifc^en Sülorol, Womit bie äejuiten:! 
©tant mQii)en, ins 5HitteI. " 

Sei jebet einzelnen ^anblung muf; Bor attem bie Stbfii^t geprüft 
Werben. SBer rairb eine Stbfidit »etroetfen, bie bnrcfi einen guten Stofd 
ober bie SReinung einer bemn^rten Stntorität motioirt Kot ober fein 
fonnte? aBcnn bie SJemeggrünbe einer ^anblung auf foldje 9tt( fii| 
^jrobabel madjen unb in Sntic^ulbigmigS- ober SilligungSgtünbe »ere 
ffianbeln laffen, fo ift ein guter 3;^eit ber SReiJtfertigung gef^etjen; 
bQl)er bie fflebcutung beä ^robabiIi§mu§ in ber ^tcfuitenmoral. S)er 
5Jrobabttieinuä ift bie fiiinft, auS bem ©eraiffen eine SSJo^rfc^eintii^teifä^ 
iec[)nung ju maÄen, unb jnjar eine folc&e, melrtje bie iffia^rfc()einIic()Eeit^ 
ber fünb^nflen SJlotiOe üerminbert. m 

3lun ift jebe 9I6fict)t it)tem SKJefen m^ innerli^, c§ mufe ba^e»! 
wol)! unterfcfeieben roerben siriifc&en bem ouSgcfpro^enen unb roo^ren 
aSorfa^, üon mctcfjem legieren allein bie ©ünbljafligEeit ber §anblting 
abfängt, ^n ^olge geiieimen Sorbetialtä (ber fogenannten SIleferDation 
ober iReftriclion) fann eine ^anbfung ixoax bem gegebenen Söort ß)iber= 
preiten, aber ber wnl)ren 3(bfi(f|t conforin unb boburdi gerci^tfertigt 
fein. Sie SHeferoation ift bie ßunft, bie büfen 2)ioliöe »tm ber ^anb- 
Inng ober, richtiger gejagt, ßon bem Uriljeil aber biefelbe auSäuft^licfeen. 
3e grö&er bie ©ünbe ift, um \o iinroa^r(d&eiiilii$ec t^ bie Slnna^me, 
bttfe bie Bolle ^lortieil ber Srfennlnife unb ber Stbfiiiit beS ©UnbigenS 
in ber $orbtuns gegenmärtig mar; ba^er wirb, je größer bie ©ünbe, 
um fo geringer ifire SBatiricEjcinlii^teit, fo baß am Gnbe bie Sobfönben 
bie unnia^rfd)einUi^ften finb unb fo gut al8 unmöglich. Stuf bieje SCrt 
bringt ber Sfienf;^ (eine ?l6fid)ten BöUig unter feine SöiHtür, et fann 
biefetbcn btircö Sßrobabititätggrünbe unb Dteferüationen ganj nadi feiner 
S8equemliif)feit lenfen ober lenten laffen ; eS ift ebenfo feic[)t, mit ^ülfe 
einer loti^en aJiorat bie ©ilnben loS jn inerben, als e§ \^i gegenüber 
Jt&mierig erjcijeint, übertinupl noii äu fünbigen. ®ie Jrei^eit ni$t ju 
fünbigcn, bie na(f| 2luguftin unb ben SJcformatoren ber ÜJtenft^ Don. 
fic^ aus DöHig üerloren fiat, giebt i^m bie JSefuifenmornl in 1 




bcr Sfleformation. 137 

HÄafte gutfiÄ unb ttcibt ben fitd&Ud&en ?PeIa9iamSmu§ in bet ßel^rc 
t)on bet natürüd&en ^rcilöeit beS 5ölcn|döen auf bic Qpi^t. 

Ucbcr ben ftttüd&cn SQBertl^ bet mcnfd&Uci&en ^anblungen cnt» 
fc^cibct bemgcmäfe ntd&t, tt)ic cS ben Stnfd&ctn l^at, bte iDttHid^e ©c- 
finnung unb Slbjtd^t, fonbern ba8 Uttl^cil über biefe; aber baS fitt= 
üd^e Sltd^tcramt ijl nur bei ber ßtrd&c, unb bie ganjc Scfuitenmoral 
gilt unb toitt gelten als ein antireformatorifd^eö SBerljeug unb 33laä^U 
mittel in beren ^anb. 2)ie ^Reformatoren l^oben bem ©ünber bie ßirdöe 
mit i^rer SBerf^eiligfcit unl^eimUdö unb unerträ9lid& gemad^t, ber 3e= 
fuitismus mad&t jte il^m fo l^eimüdö unb bequem, tt)ie nie juöor. ?ladö= 
bem bie ©ünben in öerjeipd^e ©d^toftd^en Dertoonbelt loorben, bleibt 
bic aSerjeil^ung felbft übrig, bie burd6 bie ßird^e allein nad^ Erfüllung 
bcr facramentolen 5ßflid^ten ertl^eilt toerben fann, fonft bleibt bie ©ünbe 
unöergiel^en unb öerbammt. 3e l^öufiger gefünbigt toirb, um fo ]^äu= 
figer mu§ gebeid^tet toerben, unb eS öerfte^t fid& ton felbji, ba§ im 
iefuitifd&en Seid&tfiulöl eS mit ber Slbfolution t)on ber ©ünbe ebenfo 
leid&t genommen toirb, toie mit biefer felbft. S)ie Vergebung ift be= 
bingt bIo§ burd& ben fird&üd^en ©el^orfam, burd^ bie genaue Erfüllung 
ber ürd^Iid^en ^Pflid^ten, burd^ bie fird&Iid^e ßorrectl^eit, in toeld&er 
allein bie fjrömmigfeit befielet. SQSer bie fiird^e jur JDlutter l^at, nur 
ber l^at ®ott jum SJater. 6S mad^t bem lieben ©ott ganj befonbere 
fjreube, ben guten ßinbern ju öerjeil^en, bie ber 5IJtutter ju ©efatten 
leben unb ftd^ bie 3ufriebenl§eit il^rer (Srjiel^er (ber SJater 3efu) er= 
toerben. ©o einfad^ unb natürlid^ ift bie göttlid^e ©nabe, aus ber bie 
^Reformatoren eine fo nebulofe Seigre gemad&t l^aben ! ®rft je^t, nad^bem 
ber ^ProbabiütdtSmoral biefe unenblid&e (Srleid^terung ber ©ünbenfd^ulb 
unb ©ünbenöergebung gelungen ift, lafet fid^, toie ber 3efuit ßScobar 
fagte, öerjiel^en, toas jene SQSorte 3efu bebeuten: „SKein 3odö ift fanft 
unb meine ßaft ift leid&t!" 

3)ie $ülenfd&en finb immer geneigt, il^re ©ünben leidet ju nel^men 
unb JU entfd^ulbigen: barum ift bie ©ittenlel^re ber Sefuiten nad^ 
bem ©inne ber SBelt, fie ift bie Sfied^tfertigung beS 5!Jlenfd&en, toie er 
gel^t unb fielet, bie ©elbftbefd&önigung beS natürlid^en SDicnfd^en, in 
ftunfi unb ©^fiem öertoanbelt, eine nad^ bem ©efd^matfe ber 3BeIt« 
luft eingerid^tete Jöloral, bem ©eifte ber Sflenaiffance unb Stufflärung 
offenbar öertoanbter, als bie m^ftifd&e Seigre ßutl^erS unb bie büftere 
®alt)in8. 3)ic ©ittenlel^re ber Sefuiten fielet ju ber getool^nten $anb= 
lungStoeife ber SDieufd^en in bemfelben aSerl^ftltnife, als bie ©taatslel^re 



138 



ä 3eitalter 



SOtaii)iaDelIiä ju btr ^xapä bet ipotitif. ©lott fic^ ö6er fieibe tugenb: 
l&aft ju entfegcn, foHten fit^ bie SBelllEUte öielmebr immbern, ha^ fie 
biele ^xo]a jeitlebetiS geflitocfecn ^n6en. „©ut fc^einen ift beffer alä 
gut (ein", fagte SOlai^iüüerii, meit er iDufete, rote toenig mitHitfie §erjenS= 
gute tu pDlttifäien Singen auSritfitet. S6enfo muß ber Sefuitenmorol 
heilig fd&cincn für beffet gelten al§ ^eilig Jeiti, benn bie Heiligung 
fann nur aus einer 3üißcnäumtoünblun8 unb eintm Sroicltiatte in 
unä felbft öevBorge^en, ber ben Slutoritötsgtouben immer fceunru^tgt 
unb ben tin^Iicfien (Setjorfnm gefäfirbet. Snrt gilt bie 3Jlnd)t beS 
©taatce, ^iet bie ber .Riti^c als ber alleinige Sroerf, bem fiij bie 
©ittenle^tc al8 5Dlittcl ju fügen unb onjupaffen fiot. ©nf; bie ^efuiten 
btcfc Stnpoffung in ber gef^meibigften gorm ju Sionbe gebracfit unb 
ben SOenfi^en gezeigt tjobcn, Wie fie fünbt)aft bleiben unb firc^lid) fein 
fönnen: b«rin beftc^t ättm größten S^eil bie ©eroalt, bie fie ouf bie 
©efellf(^Qfi eineä fittenlofen SeitatterS, inäbefonberc auf bie ^öfe geübt 
liaben, an beren ©pi|e ßubroig XIV. fianb, ber e§ in ßollftem SRafec 
ju roütbigen trußte. fünbigen ju üJnnen, ofjne ber ^römmigleit 216; 
briicö ju t^un. 



S)er SanjenUrnuä, 
3ener ©egenfa^ gegen bie SReformation, ben bie Sefuiten 



t 



Eörpern, trifft juglei^ ben 9luguftiniämu§ unb in i^m eine ®rui 
läge ber [at^Dtifttien ßirdjc. ^ä entfielt bie JJrage, ob bie Jürc^e 
biefe ©rmiblage roirlliii) jerftören unb Don ficö abt^un ober nii^t Diel= 
nte^r bewahren, raieber^erfteften unb auf berfelben fic& erneuen foH? 
ffier ?16fal( üon ber .Kirdbe ift bie ©efa^v, icetiSe bem fiat^oliciSmuä 
ber tiroteftantifiSe ®lau6e bereitet; ber Slbfad ber ßttiijc öom 9(ugufti= 
itiämnS ijt bie ©cfa^r, bie mit bem Drben ber 2!efuiten entftanben. 
S8eibe Hebel foUen burc^ einen erneuerten SruguftintSmuS rermieben 
werben, ber in ber fiircfie bleibt iinb ben Sefuiten entgegenroirlt. 
ÜDian fßnntf biefe tRic&tung, bie Don ben Eüt^oUfc£)en 3iieberlanben 
^erfommt unb in Srontreirf) ben ©c^aupla^ i^rer beniegteftcn kämpfe 
finbet, ben totfjolifc^en iproteflantisniue nennen, meil fie o'^ne 9I6foIl 
Pon ber ßird^e bie auguflinifcö^fittlicOe ©runblage ber SReformation 
t^eilt. 3^r SBegrünber ift SorneUuö ^anfen {ir,85— 1638), 5pro- 
feffor ber Ideologie in Cßroen, beffen großes SSer! Aber Sluguftin in 
bemfelben ^a^re erfdieint, in bem bie ^efuiten boS erfie Söculoifeft 
ititeiS Orbenä feiern (1640). 






bcr Iftefortnation. 139 

S5aS ©cfül^I, ba% btc fatl^oltfd&e ßird^c einer teügtöfen unb fitt= 
üd&en ßöuterung Bebarf, ^at t)or ber Sfleformatton Beftanben unb tft 
nad^ berfetten burd^ ba§ tribentinifd^e ßoncil unb ben 3efuitt§mu8 
fetneStoegS töffig etfitdCt toorben; e§ ^at in einjelnen ßteifen fort= 
getoirft unb namentlid& in ^tanlreid^ ben ©eift befd^aulid^er unb tt)elt= 
cntfagcnber ^tömmtgfeit, ben ©rnfl ber Sufee, bie reügiöfe unb ge= 
tt)iffen§ftrenge ßrfüllung ber fird&Iidöen ^eilSorbnung unb 6ultu§t)flid6ten 
t)on neuem getoedt unb bofür geforgt, bofe ber ßatl^oIicigmuS ntd^t 
ol^ne Sieji in bm SefuitiSmuS aufging. 3)icfer SRid^tung entft)rQdö 
Stugufting Seigre t)on ber fünbl^aften SJienfd^ennatur unb 3fanfen§ (Sr= 
neucrung beS SluguftiniSmuS. SDie 6m})fdngüdbleit bafür l^atte fid^ 
in einem einfamen länblid^en Srauenllofter, ?Port xo\)al beS &iamp§, 
unter ber reformirenben öeitung einer ftrengen unb frommen 2lebtiffin 
Stngelica Slrnaulb (feit 1607) vorbereitet, in bem neuen gu 5Pari§ ge= 
grünbeten gilialHofter, ^ßort ro^al be ^ßariS (1625), fortgeDflangt 
unb unter bem ginfluffe eines SJlanneS, ber SanfenS nad^ftcr g^reunb 
unb ©eijieSgenoffe toar, S5u SSerger, 3lBt t)on @t. ß^ran, bie ianfe= 
nijiifd&e SRid^tung angenommen. 

3n bem Slf^Ie be§ IdnbUd&en ßlofterS finben fid& in gleid^er re= 
Ugiöfer ßebenSrid^tung unb anad&oretifd^er Strt eine Sfleil^e Bebeutenber 
SDiänner jufammen, barunter teiffeufd^aftUd^e unb tl&eologifd&e ©röfeen, 
toeld^e bie äJertl^eibigung beS SanfeniSmuS ergreifen unb als eine 
geifteSmöd&tige, fird^üdö=religiöfe Partei auftreten. @8 finb bie 5!Jlänner 
bon 5Port ro^ol, an beren @})i|e ber Sl^eologe 3lntoine ?lrnaulb 
(.bcr grofee STmauIb" 1612 — 1694) unb ber SDiatl^ematifer »laife 
?PaScaI (1623—1662) „baS ©enie Don 5ßort ro^al", erfd&einen. aWan 
fürd^tet fd^on bie ßird^e in ber fiird^e. ®er ßami)f gegen bie Sefuiten 
gieBt fid& öon felBft, ber ßami)f gegen bie :pä:pfllidöe 3lutorität toirb 
bon ©eiten ber (enteren l^crauSgeforbert. 

3m Saläre 1653 l^at 3nnoceng X. einige ©ä^e Saufen« als !e^e= 
rifd^ öerbammt, t)on benen man nid^t anerlennt, ba^ eS ianfeniftifd&e 
©ö^e finb; nad&bem eine gmeite Sutte (1654) aud& biefen 5ßunlt feji* 
gefiettt l^at, Bejireitet 9lrnaulb bem ^Japft a^Jar nid^t baS JRed^t, üBer 
©lauBenSfft^e ju rid&ten, tool^l aBer bie 3Jla6)t, ungefd^el^ene SH^atfad^en 
für gefd^el^ene gu erftftren (1655). DB getoiffe ©öfee l^öretifd^ feien, 
möge ber 5Pa:pft aBurtl^eilen ; oB biefe ©ö^e im SBer!e SanfenS [teilen, 
fei eine ^rage, toeld^e Sl^atfad^en Betrifft (question du fait) unb burd^ 
lEeinen aJlad^tfprud^, fonbern ^ifiorifd^ ju entfd^eiben fei. ®ine fold^e 



Sias SeilallcE 



^^V 140 

^^H ^cf[firAit!una bei tiäpflUc^fn Stutorttät ift bie 3}einemung t^ier Un^t^l 
^^f borfeit, bie ba3 Dibcnöbogma ber Sejuiteit auämoiiit. Sie 2)octoien 
^^^ ber ©ocboTine Deibammten 31riiau(b mit einet gjle^rsa^t Don ©timmeit^ 
I bie 3um britteii 3;t)eil ouS 3Jlbnifien beftoub, „®ie ©egnct", fagl 

fc Vascal, „^abcn ntet)r SDibni^e q13 ©rünbe! 

^^^L @iion je^n ^aijTt früher, beSoi bie erfte ^uUe bie <Bä^e ^anfcnS 

^^H traf, ^Qtte SItnauIb ben Ratnpf gegen ben StefuitiSmuS aufgenommen, 
^^H auf beffen ©eile ber ßönig iinb bie ^offcifcööfe ftanben. ^ir fennen 
^^H ben Sufnmnien^cing jmifcöen ber cafuiflififtm SJtoral ber Jlffuiten unb 
^^H i^ter ^inWetfnng auf bie firctilidjen ObfctDanäen , bie häufige Hebung 
^^H bei 33ei^ie unb Kommunion, mobet Don ber 3nnerIicE)Ieit ber Sieue 
^^H unb bem @tnfle bei Su^e DoUig abgefet)en Upuibe. ^n feiner @[^ii)t 
^^H „3JDn bei [jäupgen S^ommunion" jeigt Slinaulb bie taube ^rui^t ber 
^* 3efuitenmotal, in einer jmeiten greift, er „bie tfieotogififte ©ittenle^i 
bet 3efuiten" felbft an} 

SBiefem Orben ju Siebe ift bie (Jöpftlii^E Unfel^IBaileit gegen 
^ifiortfcftc Sö^t^eit jui Sßeiurt^eilung beS 3anfcntBmu§ eingefe^t unl 
ba^ püpftlid)e Slnfe'^en, fei e§ burc^ eigenen ^rtt^um ober buiij Setrug, 
jui ©anction bei Unwatir&eit gemifebrau^t unb ^erabgeraüibigt roorben. 
Eä ift an bet ^fit, ben Oefuitiämuä in feinem ganjen ©etriebe bis in feine 
innerften Seireggiünbe hinein ju erteudälen unb aßer Sßett alä ein 
©^ftem bei Sölfrfjung ju entladen, melc[)e§ ben 3i'ttt)um gm Sßa^r^eit 
itnb bie ©ünbe jur ©eretfitigfeit maiit 33icS gefcfiiefjt in einet Steige 
üon Stiefen, bie 3lrnouIbö Singriffen gegen bie t)äpftli{6e Unfet)lbarleit 
folgen unb untei bem 9tameti „ßouis Sflontalte" an einen ^reunb in 
ber ^roüinj gerifbtet finb: 5pa§calS ^PioDinjialöriefe (Lettrea 
provinciales , 1656 — 1657), unter ben Wenigen SJteifterlDerfen bei 
polemifiiien ßittetafur eines bei größten unb eifolgieii^ften burt^ bie 
fflebcutung bei ©ac^e, bie ©einalt ber SBeWeife unb bie a}onfominent)cit 
ber SJarfleßung, bie alle fiegreii^en 3)liftet bei ©firfl^e, auö) bie 
jünbenbe firaft beS Sffii|e§, inS 5elb füfirte. 5paScaI tft unter ben 
SJlännern tHjn Ißort roQnI bet geifteämäditigfte unb gtoubenSmut^igfte 
gerocfen, er ^at baS SSefcn be§ JiefuitiämuS, wie feiner Ooi unb nac& 
it)in, cntfcf)Ieiert unb bie pätiftlid)e Unfeblbarteit o^ne bie Dtefetöationei 
bie er an ben ^anfentften jmeibeutig unb feI6ft jefuitifi^ fanb, bemi 



4 









' De Iel fröqnente oomtniinion (1643). La mornle pratique des J^uites. 
L& th^log^e morala des Jäsuitee (1650). 



bcr 9leformation. 141 

@S iji utimöglidö, burd& einen ürdöUd&en aJlQ(!^tft)TUd6 bie Statur ber 
©inge ju änbcrn; bic 2)ecrete gegen ©alilei Betoeifen fo toentg, ba§ 
bie ®rbe rul^t, ate bie ©ecrete gegen bie 3lntit)oben beriefen l^aben, 
ba§ es feine giebt. SBenn bie ?Pöt)fte über]^aui)t irren, finb fie aud^ 
in ©laubensfragen ntd^t unfel^Ibor. ajlit biefer offenen unb an^^ 
gefpro(%enen Stnfid&t fielet ?Pq§cqI auf bem SBege, ber auS bem 
Äatl^oIiciSmuS l^inübcrfül^rt in ben ^ProteftontiSmuS; er l^atte bie §alb= 
l^eit erlannt, in »eld^er ber SanfeniSmuS fteden blieb unb erfd^Ioffte, 
ba er bic römifd^e fiirdfeengetoatt nid^t mel^r anjuerlennen termod&te 
unb bod^ nid^t ju Dertoerfen toagte. 9In biefer Unentfd^iebenl^eit ift er 
gu ©runbe gegangen. S5q§ alte ^JJort ro^al tourbe gerftört, bie SuQe 
UnigenituS (1713), t)on ben 3efuiten l&erbeigefül^rt, öerurtl^eilte CiueS* 
nets neues S^eftament, unbefümmert, ob aud^ augufiinifd&e unb biblifd^e 
©ä§e ntit unter boS Slnatl&cni fielen, unb mod^te im Sunbe mit ber 
©tQQtSgetOQlt bem franjöfifd^en SanfcniSmuS ein (Snbe (1730). 

ilatl^oIiciSmuS unb ^ßroteftantiSmuS finb toeUgefd&id^tUd&e ©egen= 
fä§e, bic innerl^otb beS ßl^riftentl^umS bie ^ßrincipien beS retigiöfen 
SebenS umfaffen unb erfd&öpfen, barum feine SBermif d&ung , feinen 
6om:promt§, fein ©afein beS einen im anbern, aud^ feine 3tt)ifd6en= 
formen geflatten. SBaS fidft gtoifd&en beibe flellt, tft immer nur bie 
Sfbart eines t)on beiben unb, für fidft genommen, eine ol^nmöd^tige 3tt)itter= 
bilbung. StutoritfttSglauben unb ©loubensfreil^eit (id^ nel^me bie te^terc 
nidöt als leere ^pi&rafe, fonbern als bie Sorberung, toeld^e ßutl^er erl^ob) 
pelzen in einem religiöfen 5Princi:pienfaml)f, ber bie Sfleformation gum 
Abfall unb bie fiird&e gu ben tribentinifd^en SBefd^lüffen gefül^rt l^at. 
3)a6 ber ?ProtepantiSmuS im ^Ratl^oliciSmuS nid&t fortfommen, ba§ 
feine il^m öertoanbte ©efinnung in ber fiird&e unb unter bem 3lutoritötS= 
glauben leben fann, l^ot ber SanfeniSmuS an fid6 erfal^ren unb ber 
SBelt nod& einmal nadfetröglid^ bemiefen. ©er frangöfifd&e SanfeniSmuS 
beS ftebgel^nten Sfal^rl^unbertS fann gleid^fam gur 5Probe bienen, ba§ 
bie beutfdöe Sieformation beS fed&Sgel^nten , als fie ben 3lbfall erfldrte, 
richtig gered^net l^atte. 

Äatl^oliciSmuS unb ^JJroteftantiSmuS finb in ber d&riftlid&en 3Belt 
guglcidö bie religiöfen (SnttoidlungS» unb (Srgiel^ungSflufen ber Sölfer; 
jener ift.nod^ lange nid^t ausgelebt, biefer nod^ lange nid&t gu feiner 
Dotten @nttt)idKung gebiel^en. 



f U2 



®et läntioidlunaagöng 






9td)tc§ 6al)itet. 
■IQcc (£iütvuhluni|99aii9 its neuen |ipiirii))||ie. 

I. Sie 3IufflQ6e. 
Sie leligiöfe ^Reformation ift eine burcEigängige 23efre 
Gtneucriing beS geiftigen CebenS ton uiitegrenäter Sragaeile. S^on 
bnbiitcö, büfe bie tirddlic^B ®e6unbenl)eit beS ©cinitfenö getöft, ber 
©laubenSge^orfam unb bic SffierflieiUgfeit Uemorfen roicb, treten alte 
jene ©ereilte aufeer Sßirtfamtcit unb .firaft, bie im 3ntevef|e beS 
iiieni(f)Itd)en §eil§ bie ntenfcfiüifie Str&eit untetbrüiift nnb Dettümmert 
Ijobcn. aSenn bie grfüHung £iic£)Iicber SBetfe bie ©eljgfeit nit^t fbibert, 
Jd fann i^re Unfcrloffung fie out^ nicf)t [jinbern; menn bie ?lölefe, 
ber ßölibüt, bic freiwillige SIrnutö. ber iinbebingte (Se^orfam, bie 
Sibiuenbung üon bem bürgertii^en unb politilifien Ceben bic religiöfe 
ffioltfommen^ett nic^t mai^cn, wie bieje überhaupt fiifi niifif modien läfet, 
JD fann aucö bie natürlii^e unb ^arm(o(e CebenSfreube, bie ©rünbung 
ber fötje unb Samilie, bie Erfüllung ber bürgerlictieii ^flic^ten nnb 
?luiga6en, bie S^eilna^nic cm Stont unb nn ben ©efc^Öften ber 2BcIt 
bpä religiöfe §eil nicfit beeinträitigen ober gefä^rben. Sielmeljr foK 
bie Ucberroinbung ber Seit burcf) bie Ööfung ifirec 9liifgaben, butd& 
bie ^ingebenbe unb aufopfetung§liDlIe SIrbeit jur menfi^lii^en ßöuterung 
beitragen unb baburt^ bem ^eiläinege bienen. ®ie 3trbeit be@ SJtenfifien 
im ffiienfte ber SBeltcultur fte^t ni($t im SBiberftreit mit feiner 9(rbeit 
an ficf) felbft, an ber eigenen Sanierung imb fittUi^cn jfieife, unb bo 
ber ißroteftantiSmuä biefe letitere forhern muB, fn barf er jene miit 
^inbern, er mnfe fie freigeben unb au§ bem Stanbpnnlt feiner gefii)if^t: 
li^en ®rjief)nng§aufga6e fogar forbern, ©o übt bie ^teligion [einen 
Sniang mef)r auf bie weltlicEie 3ir5eit unb 8auf5al)n beS 3nenfd)en, fie 
raac^t i^n ber ffielt geg_enü6er innerUc^ frei unb beredjtifit it)n, felbft 
feine 9tiifgnben ju fuiiien unb ^u löfen. §ier begegnet ber religiöfe 
©eift ber SReformation roiebcr bem t)umaniftif(5en ber 91enaiffante, 
nic^t um i|n jn belämpfen, fonbem in feiner roeltti(f)en 9[rbcit3(uft ju 
beftärlen unb grilnbticöer ju befreien, alä et felbft eä Dermalst ^attc, 
®ä ift eine fe^r einfeitige unb [ümmerüc^e 3(uffaffung foroot)! ber 
fReformation als aucf) ber 91enaiffance, menn man jene al§ ben ©egenfa^ 
cber gar ^roteft gegen biefe «nfiefit. 

Unter ben neuen Sfufgabcn ber menfc^lii^en Arbeit ift bie erfle 
bic ber ffiiffenfi^aft unb ©rfenntniß. 3)ie $^iIofojjf|ie mufi bic 



bet neuen 5^§Uofop§ie. 143 

fSa^n betreten, todi^t bte Steformotion gebrod^cn unb eröffnet l^at, fte 
folgt bem Sugc ber festeren. SBic biefe bas ßl^rtftentl^um am feinen 
urfprüngüd^en ducKen, ©ott, bem ^ölenfd^en nnb ber Sibel tt)ieber= 
tiergafteHen fnd^t, fo toitt jene bte @r!enntni6 ebenfatts qu§ il^ren ur* 
fprüngüd^en Sebingungcn, ben natürüd^en Duetten ber menfd^Ud&en 
SJemunft toiebcr erneuern, unabl^ängtg Don atten Slrabitionen , ber 
aSergangenl^ett, t)on atten SSebingungen, bie ntd&t in il§r felbft, b. )§. in 
bem menfd^Iidöen ©rlenntni^termögcn liegen. 3n einer fold^en ©elbft' 
erneuerung beftel^t l^icr bie reforntatorifd&e 2;^at. ©obalb biefe Slufgabe 
mit t)ottem Setoufetfein gefönt, biefe ©elbftönbig!cit erllärt, bie neue 
®r!enntni6 in biefem ©eifle öerfud^t toirb, ift bie (Spod&e ber neuen 
^Pl^ilofopl^ie ins ßeben getreten, ^^x Seitalter beginnt in bem erfien 
©rtttel beS fiebjel^nten Sfal^tl^unbertS unb erftretft fid^ bi§ auf unfere 
Sage. Son ben Slnfdngen il^rer erften Segrünbung bi§ jur SJottenbung 
il^rer legten gefd&id&tlid6 benimürbigen ©^fteme finb etwa gioei ^a^x- 
l^unberte öerfloffen, in benen ber @c^au:pla§ i^rer Sntmidlung ^aupt- 
fftd^Iid^ ßnglanb, S^ranfreid^, bie 9iieberlanbe unb ©eutfd^Ianb toax, 
63 ftnb bie ßdnber, »eld&e bie Sfleformation am getoaltigften erfcbüttert 
l^at: fte l^at il^rfe größten ßämi)fe in g^ranfreidö erlitten, in ©eutfd^lanb 
beftanben, in ßnglanb unb ben Jiieberlanben fiegreid^ üottenbet. S5ei 
bicfcn, t)on ber ^Reformation t^eils ergriffenen, tl^eife bel^errfd^ten 
aSöIfern ift bie ^ül^rung ber neuen 5J}]^iIofo))]^ie ; fie ift feit bem (Snbe 
beS öorigen Sal^rl^unbertS öorjugStoeife bei ben S)eutfd6en, au§ beren 
3Äitte einft bie Sieformation l^ertorging. 

IL S)ie ©pod&en ber neuen ^pi^ilofopl^ie. 

1. S)et 2)ogmattgmuS. 

®cr innere ©nttoidlungSgang ber neuen ^pi^ilofopl^ie löfet fic^ 
Icid&t überfdbauen. ©te fud&t bie ®rfenntni§ ber S)inge fraft ber 
meitfd^Ud&en Vernunft unb beginnt baljer im guten ©tauben an bie 
3ÄögIid^feit einer fold^en ©infi^t, im totten Vertrauen auf bie ajlad&t 
ber menfd&Iid&en SBernunft: fie rul^t auf biefer Slnnal^me unb l^at 
bemnad& in ber 3lrt il^rer ©runblegung ben ©l^arafter be§ ©og» 
mattSmuS. ©a fie bie ©rfenntnife Dorauäfe^t, fo mu§ fie bie 9iatur 
ber 3)inge, unabl^dngig Don ben SSebingungen ber ®rf ennbar!eit , ju 
il^rem Dbject unb bie (Srflörung atter (Srfd^einungen, aud^ ber geiftigen, 
ou8 bem SBefen ber Jiatur ju il^rer 2lufgabe mad&en: fie l^at balier 
in il^rer ©runbrid^tung ben ß^aralter beS ?laturaliSmuS. 




I 



144 Slet SnimidlungeganQ 

3lün foÜ bn3 iDQ^re ©rfenntm&oetmögeii nur eineä |cin, mit 
bte »o^rc ©tlenntnife ber Einge. 9(bet bie irtenji^tictie Siernunft Bietet 
jtDci SJermBgen, burc^ mi^e bie Singe DorgefteHt Kerben: bie ©inn^ 
Wäjteü unb ben aietftanb, bie flroft bet Sffla^rncfimung imb bie beä 
Sentcns. Sa^et cntfietit steicf) itt beii SInföngen bei neuen *ßt)ito|oiJ^ie 
ein Streif enigegengefe^ler SrlenntnifericEitungen, ben bie gcmeiniame 
Stufgobe unb Sotauäle^ung nidit tjinbett, Dietmeiit ^eruocruft. Sßon 
bei einen ©eite niirb bie Erlenntnife ber 5Dinge burtfi bie jinntitfic 
3Baörnef)mung, »on ber aitbctn bie burct) ben Sßerftanb ober bn§ Ikre 
unb beutUe&e Senlen füc bie aöein roa^re etflört; bort gill bie Srfa^= 
rung (Empirie), 6"r ber SBeiftnnb {3iatio für baS einzige SRiltel jut 
Cöjung ber p^ilofDp^iJi^en Slufgabe : ba^er mufe biefe ßöfung in ben 
entgcgengefc^tcrt IRic^tungen beS Smpiriämuä unb Dtiitionalismus 
ge(u(i)t iDerben. Sie noininotiftifc^e @rfenntni§Ie&re tjat ben ®mpiriä= 
tnu§ boibereitet ; biefcr, fobalb er in DoHer Unabfiängigteit auftritt, 
erfc^cint ntä ber Slnfang ber ßpocfie unb maiftt, ba^ i^m ber Stuttoi 
ualismuS entgegentritt. @S ift einfeut^tenb, mit iceldöem 9led&l. Sie 
Singe follcn eifannt ineiben, wie fie finb, unQ6f)ängi9 uon ber 9Irt, 
mie toir fie ttiQ^rne^men, Wie fie in unfeien ©innen "eifi^einen; bie 
»n^re 5Rntur ber Singe tann batjet nicfit finnli^ ma^igenommen, 
fonbern nur benfenb erfonnt werben. §ier ift ber $unlt, ouS bem 
\em grofee Kontroöerfe fieröoige^t, roelc&e bie neue ^Pßitofop^ie in i^rem 
elften ©ntmidlungSgange be^etrfdjt unb jebe i^ret ©tufm burcö eine 
Stntit^Öefe beä^tc^net. 

Sie Srfa^rungepfiilDfDpfiie ttiirb burd& ben Gnglänbcr S^tonriS 
33acDn (1561—1626) begrünbet unb in bem 3eitraum öon 1605 bis 
1623 auägebilbet; fie entKitfeft fict) in ©nglanb in Stomas §o&6eS 
unb ?!o^n SocEe. ben Segtünber beS ©enfnotiSmu? (1690), unb Mer= 
jffleigt fii^ »on ^ier aus in bie engIifcb=frünjDfifcöe Stuffläuung. bie 
bis um 9)5ateriaIi5muS fartf^reitct (1690-1770), unb in bie folge- 
rid)ttge StuStilbung ber fenfualiftifc^en ße^re, bie burcf) bie englifc^en 
!P^itofop^en SJerMc^ unb §ume fortgefitlbet unb »offenbet toiib (1710 
US 1740). Siefe JHt^tung ber neuen ^P^irofop^te, bie in SBacon i^ren 
©tammOater erfennt, ^a6e ic6 in einem befonbeten SBerte au8ge?ü^rt, 
ouf toeli^eS ic() ^ier meine Sefer Bermeife, meit cS nur biir^ eine äufiere 
SBerunlaffung öon bem gegentDärtigcn SßJectc gelrennt morben ift.' 

nncie Sacon unb feine mn^folaer. giitoi(fIun9B9eIt6i«fe ber gr- 
fa^tunßälj^ilofop^w. 2. uaigtatbetteie Muff. (Stipjifl, S. a. SStad^auä 1875.) 



I 



ber neuen 3J^tIofot)]^ie. 145 

S)en SlationaliSmuS 6egrünbet ber ^ranjofc 9lcnö 2)c8cQrtc8, er 
giebt ber neuen 5pi^Uo[op]öi^ i^iß SRid^tung, bie eine neue rationale 
5princi:pienle]^re ($Dleta:p]^^fif) auSbilbet, beren §au))tftufen in 3^ranf= 
reid^, bcn Slieberlanben unb ©eutfd^Ianb enttoidfelt toerben. ®iefe 
§auptjiufen finb bejeid&net burd^ ®e§carte8, @))inoga unb ßeibnig, n)ie 
bie beS @m))iriSmu8 burdö Sacon, §o66eS unb ßodEe. UntDittfürtid^ 
bieten jtd^ biefe ^Parallelen, toeld^ß jugleidö au§gey))ro(fiene Slntitl^efen 
finb: ©eScarteS gegen Sacon, @t)inoja gegen «^obbeS, ßeibnig gegen 
Code. ®ie[er bilbet ben 3luSgang8))unft für SSottaire unb bie fran= 
göfifd^c 3lufHärung, ßeibnij ben 3lu§gang§:t)unft für SBotf unb bie 
beutfd^e. Sie funbamentale ©ntwidflung ber neuen 9Jteta))]^^fif t)on 
©eScarteS bis ßeibnig fällt, um bie litterarifd^en ©reng))un!te gu be= 
geid&nen, in ben S^itraum t)on 1637—1714, 

SRun ift bie S^l^atfadöc ber ©rfenntnife unter ber bogmatifd&en 
35orau8fe§ung fotDol^t be§ 6m:piri3niu§ als aud6 be§ SiationaliSmuS toeber 
erffört noc^ gu erflören. ©al^er ift bie notl^toenbige fjofge, ba^ il^rc 
5IJlögIit6feit t)erneint toirb. ®ie§ gcfd^iel^t burd) §ume'8 ©fe))tici§mu§, 
in »eld^em bie entgegengefe^ten fftid^tungen conöcrgiren unb il^ren ßauf 
t)oIIenben. 

®ic 5p]^ilofo))]^ie fielet an einem neuen, entfdöeibenben aBenbe))un!t ; 
fie batf bie ajlöglid&feit ber Srfenntnife nid^t üorausfe^en, fonbern mu§ 
biefelbe an erfter ©teile unterfudben unb begrünben. 2)ie 3?atur ber 
Singe ift bebingt burd& il^re @r!ennbarfeit. ®a§ @rIenntni6l)robIem 
iP baS erfte aller ^Probleme. §ume l^at ben bogmatifd^en ©d^tummer 
ber 5|J]^ilofo})]^ie geftört; ber crfte, ben er getoedft l^at, toar Äant, ber 
Segrünber ber fritifd^en (^poä^e (1781), bie ben @nttt)idEtung§gang 
ber neuen 5p]^Uofoi)]^ie in bie bogmatifd^c unb fritifd&e 5j}eriobe fd^eibet 
unb bie ^Pl^ilofopl^ie unfereS Sial^rl^unbertS bel^errfd&t. 



gfifd^er, ©efdö. b. Wiol I. 4. 9lufl. 91. «. 10 



§tflei '§Jui^. 



3mattt$ ftbm mb Bdfxifltn. 



10* 



@rfte§ 6a:pttel 

I. ®cr ßcBen§t^))u8. 

5öei bcn 3JlänneTn, bic baS reue 3ßttaltcr ber 5ß]^iIofol)]^ic bc= 
grünbcn, ift biefc nid^t citte ©ad^c bcS ßel^ramtS unb bcr ©c^ulc, 
fonbern be§ inncrftcn 33cTuf8 unb freier, unabl^öngtger 9Jlu§e. 68 
gilt nid^t tnel^r, eine überlieferte ßel^re fortju})fIanjen, fonbern bie 
Elemente unb ©runblagen einer neuen ju f Raffen; bal^er Hegt ha^ 
«munus professorium» fd^olaftifd^en 3lnbenfenS nid^t in ber 8e6enS= 
rid&tung biefcr erjien ^ßl^ilofopl^en, bie genug ju tl^un l^aben, um mit 
bem eigenen 3)enfen unb 3Ba]^rl§eit§bebürfni§ in§ kleine ju fommen. 
©ntmeber leben fie au^erl^atb il^rer ))]^iIofo))]^ifdöen SWu^e auf bem 
©d&aupla§ ber großen Sffielt unb Verfolgen Siele, bie tl^ren ©l^rgeij 
unb ©rfal^rungsburft mel&r befriebigen als ein ßel^ramt, ober fie tt)ib= 
men fid^ gauj bem füllen ©ienfte ber ®rfenntnife : fie toerben entn)eber 
SBeltmänner, toie 93acon unb ßeibnij, ober Sinfiebler, toic ©eScarteS 
unb ©i)inoäa. 

Snbeffen finben fid& in ®e§carte§ bie SH^ Beiber %\)ptn getoiffer* 
mafeen bereinigt. Sölit SBacon unb ßeibnig berglid^en, erfd^eint er als 
ein Sremit ber ^Pl^ilofopl&ie, ber aus innerfter Steigung btn ©lanj unb 
bie 5j}flid^ten einer Sffieltftellung öerfd^möl^t unb baS Sebürfnife nad^ 
©rfenntnr^ fo mäd^tig em))finbet, ba§ jeber Sl^rgeig bagegcn t)erftummt, 
fogar baS ©treten nad^ toiffenfdöaftlid^em Sftul^m. „3^ l^abe gar feine 
ßuft", fagt er am ©d^luffe feiner ©elBftfd^ilberung, „in ber SBelt an^ 
gefeiten ju fein unb toerbe ben ®enu§ ungeftörter aJlufee ftets für eine 
größere SBol&ltl^at l^alten, als bie el^renöollften 3lemter ber ®rbe". 5luS 
biefem 3uge fprid^t eine Slel^nlid&f eit mit ©pinoja, bod6 erfd^eint biefem 
gegenüber ©eScartcS als ber öornel^me unb begüterte SBeltmann, ber 
in bcr ©efellfd&aft ber ©rofeen feinen 5pia^ finbet, eine furje 3ßit fid& 
in ilören ßeBenSgenüffen ergel^t, für immer in ben ©itten berfelBen 



150 S)e8cattc8' «Pcrfönliiä^feit 

cinl^cimifdö Bleibt, aud& bic äußere UeBeretnjiimtnuna mit ben SBcIt« 
guftänben, toorin er Ic6t, forgfältig roaijxt unb icbcn ßonflict mit il^rcn 
Drbnungcn ücrmcibet, fogar öngftlidö fticl^t, — fiöm))fc, bic @:t)inoga gtoar 
nid^t fud^t, aber l^innimmt unb mutl^ig erträgt, — enblid& ber reid& genug 
ift, um feinen brennenben Surft nad^ SQBelt unb Srfal^rung in einem 
t)ieI6ett)egten ßeben, in großen unb mannid^fattigen Steifen gu befrie= 
bigen. 3fn ©))inoga§ ßeben l^aben bie Sffionberial^re gefel^It, beren 
@^ulc ®e8carte§ in ouSgebel^ntem Umfange burd&gemad^t l^at. Sffiic 
feine ßel^re bie Äeime entl^ölt, iDorauä bie ©^fteme l&erborgel&en, bie 
@))inoga unb ßeibnij ausbilben, fo bereinigt fein ßl^arafter unb ßeben§= 
t^))u§ 3üge t)on beiben, aber in fold&er SBeife, ba^ fid& l^ier ber 2BeIt= 
mann bem Sinfiebler unterorbnet, unb ber Srfenntni^trieb bic ©runb= 
rid^tung unb ^orm feines gangen ßcbeng entfd&eibet. 

es ifl ba§ 2Ba^r^eit§bebürfni§ felbfi, ba§ i^n in baS treiben 
ber großen SBelt eingcl^en unb einen faft abenteuerlid&cn ßebenSgang 
mad&en läfet, er tüitt bie mannid&faltigc SRatur ber Singe unb Sölcufd^cn 
fennen lernen, um ©toff unb 3lufgaben für fein 3^a^benfen gu fam= 
mein. ©S ift nid&t baS SBcItgctriebc felbft, tDcId&cS il^n lodt, fonbern bic 
ßontemi)Iation beffelben, bie il&n befrud&tet unb nad^ geföttigtem ®r= 
fal^rungSburft in ber Collen unb freien 9Jlu§e beS einfamen S)en!er§ 
il^re toal^re unb befriebigte ßebenSform finbet. @r lebt immer nur 
fid& unb feiner intcKectuetten ©elbftbilbung. 3lKe äußeren ßöm^)fe l^at 
er au§ Steigung unb ©runbfa§ fid& gu erft)aren getoünfd^t, fic gang gu 
t)ermeiben ^at er nid&t t)ermod^t; gefud^t l^at er fic nie. ©r toufete, 
toarum er fid6 ber SBelt gegenüber frieblid^ t)er]&iett, feine confert)atit)e 
Haltung mar eben fo huxä^baiji toie natürlid^, fic toar nid^t bloß 
burdö 5ftetl§obe unb ©runbfö^e beftimmt, fonbern eine notl^tocnbige 
golge feiner ©emütl^Sart, benn bie intettectueKe Unrul^e feines ©eifteS 
toar fo groß, ba^ er bie äußere Stulpe beburfte unb um feinen ^ßrcis 
aufo))fem tt)oKte. 

S5on ben inneren R&mp\zn, toeld&e bie größten unb gctoaltigficn 
finb, ]&at er fid& feinen erfpart. SBenn man aus ber SBal^rl^cit eine 
^Pflid^t mad&t, fo ift biefe 5j}flid^t ieber guerft fid& felbft fd&ulbig. SBal^r 
gegen fid^ fein ift bie ©runbbebingung aller SBal^rl^aftigfcit. Sie 
meiften rül^men fid& il^rer 3lufrid&tigfeit gegen anbere unb leben über 
ftd& felbft in ber größten SSerblenbung; unter allen Släufd&ungcn ift 
bie ©elbfttäufd^ung bie fd6limmfte unb l^äufigfte. S5or biefem öerberb= 
Kd&fien {Jeinbe ber SBal^rl^eit toottte SeScarteS fid^ fd^ü^en burdö bie 



unb erfte !GetenSt)eriobe. 151 

grüttbltd^pe ©elbflprüfung unb bm fül^nflen 3tt)cifel. 9lKe ©d&em= 
toal^rl^cit unb cingcbilbete Srfenntnife Befielet in einer intettectueffen 
©ettfttäufd&ung, bte im ©runbe eine moraüfd^e ift. ^ier ift ber geinb 
mit bem ©eScarteS fdntpft unb ben ex nici&t logid^t, Bi§ er getoi^ ift, 
il^n fiefiegt äu l^aBen. 3n biefem klingen nadö SQäal^rl^eit, in biefem 
Äam})f gegen bic inteßectuette @eI6fttöuf(|ung in jeber 3^orm toax ®e8= 
carteg einer ber furc^tlofeften unb größten ®enfer ber SBelt. 

(Sin 93U(f in btefe inneren Kampfe, bie einige feiner ©d^riften gang 
fo fd&ilbern, toie er fic erlebt l^at, ein Solid genügt, um ben SJtann ju 
erfennen, ben eine oberftöd^Iid^e S5orfteffung fo toenig burd^bringt unb oft 
fo falfdö unb unfunbig beurtl^eilt. ®S giebt in ber gedämmten ))i|iIofo= 
i)]^if(j&en ßitteratur leine ©c^rift, in ber ba§ 9tingen naij SBabrl^eit leben= 
biger, ))erfönlid6er, ergreifenber unb jugleic^ einfad&er unb Harer gefd&ilbert 
ifl> aU in S)eScarteg' Stbl^anblung t)on ber Söletl&obe unb in feinen 
crflen 5ölebitationen« §ier ift jener übermächtige ©rang nat6 ®rfennt= 
ni§, jener Ueberbruß an ber SBüd^ergelel^rfamleit, jener 3^eifrt ati 
allem ©elernten, jener SBibertoiÜe gegen alleg SBclel^ren unb Seffern 
anberer, jener Surft nad& SBelt unb ßeben, jene ©el^nfu^t nad& einer 
geiftigen ©elbfterneuerung t)on ©runb au§: lauter SH^, bic in einer 
fold^en ©rofel^eit nur nod6 in einer beutfd^en ©id^tung auSget)rögt finb* 

SSergegentoartigen ton un8 in bem goetl^efd^en fjauft ben tieffinnigen 
©rübler unb S)enfer, ber nad6 Srfenntniß ringt, in einen ©trübet 
öon 3toeifeIn gerätl^, bie SBal^rl^eit fortan nur in fid& felbft unb in 
bem Sud6e ber SBelt fud^en toiK, au§ bem ©tubirgimmer in bie toeitc 
SQBelt Piel&t, bie er l&aftig unb abenteuerlidö burd&ftreift, ol&ne t)on ii|r 
gefeffelt ju toerben; fud&en toir ju biefem 33itbe in SIBirfiid^feit einen 
3Wann, ber biefe 3ögß öffe erlebt, biefe ßäm:pfe unb SBanblungen 
burdögemad^t l&at, fo erfdöeint (nod& in ber 3läf)t jenes 3citaIterS, tt)eI(^eS 
bie ^auftfage ju geftalten begann) biefem erl^abenen %t)pu^ faum einer 
fo äl^nlidö toie ©eäcarteS. 3ft bod& in feinem ßeben felbft ein SJloment 
be§ ©ud&eng gett)efen, too er fid^ t)on ber Hoffnung auf magifd&e «^ülfe 
anioanbeln liefe. 

S)aS ßeben beS 5j}]^iIofo))l^en tl^eilt fid& in brei 3lbfd&nitte, bie 
feinen ©nttoidlungggang in ben tUn gefd&ilberten Umriffen fo beutlid& 
l^eröortreten laffen, ba^ fid& il^re Segrenjung unb Segeid^nung t)on 
felbfi giebt. S)ie erften fed^Sgel^n Sial^re finb bie 5Periobe ber ßel^r» 
jal^re, bie folgenben fedöSgel^n bie ber SBanberjal^re, bie legten gloeiunb= 
jioangig bie 3eit ber SJleifterfd^aft unb ber SBerfe. 



¥ 



SJeScnttiS' ^tvfonlti^feit 




n. Sie ^eriobc bet Se^rjo^te (1596— 1612).' 
Unter 5p(iilofDpI) flammt quS einem artfronjBfifäen, ootne^mei 
unb begüterten ©cli^Iectit bec Souraine; ber 91ame ij\t% in bet nltei 
Schreibart S)eg Cuorteä, im 14. So^rljunbert finbet er fii^ in bi 
lüteinii^en Sorm Se DuartiS. Sic üotnefmie (Beburt geteü^rte batnoViS' 
ben Sutritt jfU ben t)bd)ften öffentticten Slemtern, unb in folf^en Memtern, 
befonbers militari (ii)en unh firiSlidien, 'Mafien fic& einige btefeä 9Iamenä 
oiiägejeii^net, Sieben ber 3Irmce unb fiiidje boten bie oberften ®eric^t§= 
l^öfe iJrantreii^ä , bie Parlamente, einen ber KoriiefimEn ®e6urt an= 
geineffenen @ii)QUt)ta5 öfienttiä)cr S^otigfeit. unb bie *ßarlümentsrä(be 
bilbeten eine befonberc ßlalfe ber Sranjöftfc^en ^lobititüt, einen 9Imt8: 
obel, ber üermbge feiner Stellung ber unab^öngigfle roar. 

®iner ber SeScarteS mar 6räbifd)of üon Sourä, ber ©rofebatf 
beS unfrigen fämpfte gegen bie Hugenotten, fein Bater, ^oaiiim ®e! 
cotteS, na^m bie Sßobe itnb lourbe ^arlamentärat^ in SftenneS. ®t( 
ijQmilientrnbifionen roaren nic&t baju anget^an, einen ^^tiitofoii^en jirl 
eräietjen, geft&roeige einen ^Reformator ber ^Ijilofop^ie, einen Erneuerer 
ber 9Biffenfd)aft; fie matcn Dielmet)r geeignet, bie i?nuf6a^nen bet Sieä= 
carte3 in ben geläufigen unb bequemen ©leifen be§ loljolen ?tbel§ ju 
!^atten unb ben Dieuerungcn ber Seit abgeneigt su machen. 9Iu(f) ift 
biefer gnmtliengeifi in bem öeben itnfereä ^IjitofopJien nit^t Dt)ne Sin= 
f(u& geblieben, er Ijat miibebingt, bafe 3)eäcarte§ bei aller ©eifteSfrei^eit, 
bie er in ber SBiffenfdjaft loie im ßeben beburfte, bei ber grünbticbjlen 
Sflefotm bcö Senfenä, bie üon i^m ausging, nicfet btofe auä ©runbfa^, 
fonbern Don §au§ aus jeber geluattfamen unb ttiUEilrIid)en 3iefoim 
be§ öffentlitl^en SebcnS, jeber 3trt bc§ UmfturäeS in iSiri^e imb Staat 
innertiii) abgeneigt mar unb in biefer IRücffic^t nie aufl^Örte, ein alt= 
franjöfifc^er ©beimann üon eonferoatiDem Sifttage ju fein; auf bei 
onbern Seite |at biefer tJamiliengeift nii^t '^inbern Ißnnen, bo^ ®e»»J 

' Unlct ben St&riflm ffleacarttä' ift föt bie fietmtni& feineä ßetenS artiM 
feiner EnllDitflunB bie toit^tiafte (ein «Diacoura de la methode». 3)eutfd6 iif^ 
mcimr llefieilt&ung: „Üienä ©eScQrttB' §auptfi^rifleii jiit ©ninbUgung lelntr 
3SfiilD|Dp&ie" (OTaiinl). 1863). aie 6ioai(itt5iIcfie Sotfleaiingen finb ju nennen: 
A. Bnillet: La vie de M. Deecartes (2. Vol. Parle 1691. 3in3lu«jU9, Sparil 
1693). Thomas: fiioge de Renö Deacartes (1767). SJQJU «Notes aur r^log«! 
de DeHcartes (OenvreB de DeeeaTtes publ, par V, Cousin T. I. pg. 1 — 117j 
S)\t Sloten {iiib anäjUQeweite mitget^cilt.) Fr. Bouillier: Hiatoire de 1^ 
Philosophie cartöaienne (3. Vol. Paria 1854). J. Milleti Hiatoire de Dea- 
cartefl avant 1637 (Paris 1867), depuis 1637 (Paria 1870.) 



De 

m 



unb erfte QtUn^ptxiobz. 153 

corteS Bei feinem toiffenfd^aftKd&en , t)on aKeu öffcntUdöcn Sletntcrn 
entfernten ßebenSgange feiner {Jamilie inel^r unb mel&r entfrembet 
tourbe, unb namentlich fein öfterer ©ruber auf il^n, ber in feinen 
Slugen nid&tS toax, geringfd^ö^enb l^erabfal^, felbft bann, als ber 5ß]^Uofo))]^ 
ben 3^amen ®eScarte§ toeltberül^mt gemad^t l^atte. 3u feinem S5ater, 
ber ben tüiffenfd&aftlidöen Slrieb fd^on in bem ßinbe erlannte unb ge= 
))flegt ttiiffen tDottte, ift ba§ SSerl^ältni^ ftets ba§ Befte geblieben. 

S)ie ©ttter ber Samilte, too ftd^ ber JBater ®e8carte§' toöl^renb 
ber 5ßarlament§ferien abioed^felnb aufl^ielt, lagen in ber ©ttbtouraine 
unb in 5ßoitou; id& nenne befonberS bie Drtfd&aft ßa ^a^e, bie gum 
Zf)ül ben ®e§carte8 gel^örte, unb ^ßerron. Sn ßa §a^e tüurbe Sftene 
SDeScarteS als ba^ britte Äinb erfter Sl^e ben legten JDlöra 1596 
geboren. Sie SJlutter Ofeanne Srodöarb) ftarb einige Sage mä) ber 
©eburt an einem SBrujiteiben, ba^ fid^ auf ben Bo^n übertrug. ®a§ 
blaffe 3lu§fel^en beg fiinbeS/ber fc6tt)ä(j&tid&e ßör))erbau unb ein trodfener 
Ruften gaben nad^ bem Urtl^eile beS SlrjteS gar feine Hoffnung auf 
eine längere ßebenSbauer. S)a§ bennod& baS ^inb am ßeben erl&alten 
tourbe, ift baS SSerbienft feiner 3lmme getoefen, toeld&er ©eScarteS aud& 
ftets ein banfbares 3lnbenfen beriefen. 3utn Unterfd^iebe t)on feinem 
©ruber würbe er nad6 ber Keinen in 5ßoitou gelegenen §errfd&aft 
^erron, bie er befi^en follte, „?ftenö ®e§carteS ©eigneur bu ^ßerron'' 
genannt, in ber Samilie ]&ie§ er fd^led^tweg „^ßerron"; er felbft, ber 
ouf feinen SlbelStitel fein ©etoid^t legte, nannte fid6 in ber SBelt ein= 
fad& „9len^ ®e8carte§", in feinen lateinifd^en ©d^riften „SRcnatuö ®e§= 
carteS"; ber latinifirtc unb terftilmmelte 3^ame „ßartefiuS" toar 
il^m jumiber. 

©ein ^bxpn, flein unb öon fd&toad&er ©efunbl^eit, beburfte in 
ber Äinbl^eit ber größten ©d&onung; alle geiftigen 3lnftrengungen 
ntufeten ferngel^alten unb ba§ ßernen burfte nur f))ielenb getrieben 
»erben. S)od6 regte fid6 fein au^erorbentlid^er SBiffenSbrang fo frül^ 
unb lebenbig, ba§ il^n ber S5ater fd^ergenb feinen fleinen 5ß^ilofo))]^en 
ju nennen ))flegte. 2ll§ er fein ad^teS Sfal^r üoKenbet l^atte, fd^ien 
er frdftig genug, um einen georbneten ©d&ulunterrid&t gu emt)fangen. 
3Jiit bem Slnfang beS Sal^reS 1604 toax in bem föniglid^en ©d&lo§ 
gu ßa glfed&e in 2Iniou eine neue ©d^ule ing ßeben getreten, t)on 
§einrid6 IV. gegrflnbet unb beftimmt, bie erfte unb öornel^mfte Silbung§= 
anftalt be§ frangöfifd&en SlbelS gu toerben. SRad&bem ber fiönig feinen 
©lauben ber ßrone geopfert unb burd^ ba^ Sbict J?on 3^anteS feinen 



^äcarleä' iperfönlitfiUU 



tDoßte er fi^^| 
uit^ einen 9l^^| 



früheren ©loutenSgcnoffen btc ©ulburg gefiebert ^attc, Eioßtc 
oucö bcn 3e(iiiten, feinen ^^einben günftig erroeifen. 3)uri5 
unlluget ®ro6miitt( rief er fie in bö§ Canb jutiidt, auß bem fie je^n 
3at)te üorljet (1594) nocfi bem erftcn ^Olorbiinfaü, beu einer bei iliiigeit 
ouf baä ßeben bcS fiönigS gewagt ^atte, uedtieben ttiorben. SJamalS 
tiottc ber Sßater beS „groficn 9(rnQutb" feine p^ilippifcfien Sieben gegen 
bie Stejuiten gegolten, ^e^t fi^entte bcr ßönig bem Ocben ba§ ©^to^ 
bon Ca St^ific unb übergab feinet üeitung bie ©c&ule, in ber I)unbert 
franjöfifc&e ebcUcute erjogcn rocrben foOten. ®ie Mn^alt mar mit 
f&nigliier ^raijt unb ^rngcbigteit oiiSgeflütlel; jum Scii^eii feiner 
©unft ^ütte bet fiünig Derorbnet, bofe in ber fiirc^e ddu Sa 3Ifec^( 
fein §etä ju beftaiien fei. 

Unter ben ttften Sögüngen »ar SeScarteS unb 6tie6 ^ier 
jur Sßoflenbung bc§ ßurfuS. gr ^atte bie Sc^ulmiffenfc^aften nt( 
Mofe burtfigemn^t, fonbern toHfoffimen ausgelebt, als et in feinem 
fiebjeintcn ^o.i\xt bie Slnftalt SerUe|. 3)ct IRectot bc§ ßollcgiumä, 
*]Jatet ß^atlet, toat i^m Decmanbt unb na^m fic^ mit bcfonberec ©org- 
falt beS fcfjugbefo^Ienen 3ögling§ an, bet, was bei genialen finaben 
feiten ber %aü ift, burc^ ©efiotfam, ?PFlii|ttreue unb l'ernbegierbe je^t 
batb ein toirtlit^er 3JIufierfc[)ÜIer tcurbe, G^nilct übergab btn finalen 
ber fpecieUcn Sluffiifit unb ^örforge beB $oter Sinet, bet nae^matS 
DrbenäproDinäial unb fflei(i)tDatet ber Könige ßitbraig XIII. unb XIV. 
rontbe. 3In ba^ Slnfe^en biefee itini günjtig gefinnten 5Jlanneä toenbete 
fi(^ SDeäcartee, aU in ben Seiten feiner »iffenfiiaftliiiEn flämpfe itin 
ber 3efuit Soutbin ge^öffig angriff, ^ier lernte er juerft SHarin 
33ictfenne fennen, ber fpätcr in ben Ctben bcr 931inimen (@remiten= 
biäber faeS ^eiligen iftauceäco be *}Jaola) trat, unb Weichem 5Be3carteS nac6 
feinen ßefirja^rcn ju guter ©tunbe in ^attS rcieber begegnete. ^^ 
l^ebe biefcn 5iantcn fcgleirf) ^cröor, ba er im ^"UTibeSEieife bce 
Sß^ilofopl^En bie erfte ©teile bel)anptet. Sllä bie neue Öefjre fit^ in 
ber miffenfcboftlic&en SlBett auäaubreilen anfing unb eine aJlenge 6ia?, 
toönbe Sit erfal)ten unb Stuffläriingen ju geben ^flllc, machte 3)!crfeni 
ber in ber ^aiiptflabt ^ranlreitb^ mar, mä^rcnb ©eScorteS in 
Oerborgenften ®infamteit lebte, gleic^fam ben toiffenfcbafttiifien 9tgenteii' 
unb ©efifiöftäf führet feineS greunbeä; man nannte i^n bcn Mefibenten 
S)eScarteä' in ^ßaris unb bcn ©efan ber ©artefioner. 3II3 fie ficti in 
Ca fjtötfee trafen, mar ber ac^f SaEjre filtere SÜerfenne fdion in ben 
legten ©tabien ber ©c^ullaufba'^n, mö^renb SDeäcarteS fi^ noi^ in ben 



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unb erfte !Gebeng))ertobe. 155 

crftcn Bcfonb; jener ftanb fd^on in ber 5j}]^iIofo))^ie, qI§ btefer mit ber 
©xammati! begann. 3)ie größte unb fi^redEüdbfte SBegebenl^eit, toetc^e 
©eScatteS tod^renb feiner ©d^uljett erlebte, toar bie Srmorbung 
§einrid6§ IV.; er toar unter ben ertüöl^Ifen SögHngen, bie am 
4. 3uni 1610 bag ^erj beS ÄönigS fcierlid^ in ®nH)fQng nal^men. 

®ie ©d&ulftubien Begannen mit ben atten Spxai^m, bie ®e§carte8 
mit Seic^tigfeit lernte, unb bereu ©id&ter er nid^t Bloft gu (efen, 
fonbern aud& gu genießen unb nad^gual^men t)erftanb; bann folgte ein 
jtoeijiäl^riger 6urfu§ ber 5j}]^ilofo))]öie: im erften Satire ßogif unb 5Dloraf, 
im gmeiten 5ßl§5fi! unb 3Jteta:p]^^fit @§ toax bie S^it, wo ber Änabe 
jum Sttngling reifte unb fein geiftigeg ©etbftgefül^l fidö mödbtig gu 
regen anfing, als er mit ben :t)I)iIofo))]öif(j&en ^öd&ern befannt tourbe 
(1610—1611). S)iefe Unterrid^tSobjecte l^atten ben großen Sinfluß, 
baß fic feinen SIBiffenSburft gar nid^t befriebigten, fein Urtl^eil ]&eraug= 
forberten, feine Äriti! gegen fid6 aufbrad^ten unb ben erften 2lnlaß 
gu ben 3ö3eifeln gaben, mit toeld^en ®e§carte3 fid^ öon ber ©c^ule 
unb bcm fdöolaftifdöen 3üftanbe ber Sffiiffenfd^aft enblidö loSfagte. 

3ulc^t fam bie TOatl^ematif, bie feinen toißbegierigen ©eift gang ein= 
nal^m unb unter atten S)i8ci))Iinen ber ©döule bie eingige war, bie 
il^n erfüttte unb gur ^ortbilbung reigte. ®iefer 3ug erleud^tet uns 
feine totffenfd^aftlid&e ©eifteSart. ®8 tt)ar i^m nid^t um a3ieltt)ifferei> 
fonbern Iebiglid& um bie ©id&erl^eit, Älarl^eit unb ©euttid^feit beS 
SBiffenS, b. 1^. um toirflid&e ßrfenntniß gu tl^un, nid&t um bie Bunte 
SJiengc ber Dbiecte, fonbern um bie 31 rt ber ®rfenntniß. ©ein 
SBiffenSburft toar gar nid&t gur 5ßol^]^iftorie angelegt, fonbern burd^auS 
p]ÖiIofo})]&ifd6. SBaS er fud^te, toaren nid^t ßenntniffc, biefe ober jene, 
fonbern SBal^rl^eit: ßlarl^eit unb ©eutlid^feit ber 33egriffe, einleud&tenbe 
fjolge unb Orbnung ber ©ebanfen. ®arum ergreift unb Befriebigt 
ifin öor äffen SBiffenf d&af ten . bie aJlatl^emati!, fie mad&t il^m burd^ il^r 
eigenes Seifpiel flar, toaS toiffen fieißt unb worin fid& bie rodtix^ 
@rfenntniß t)on ber falfd&en unterfd^eibet, fie geigt lijm bie fftid&tfdbnur, 
»eld^e baS S)enfen Befolgen muß, um bie SIBa^rl^eit gu finben. @o 
totrb fd&on bem ©eifte beS ©d&üterS bie SJlatl^ematif Bebeutenb, nid&t 
Bloß burd& il^re 3lufgaBen, bie il^n lebl^aft Befd&äftigen, fonbern t)or 
offcm burd& il^re SJletl^obe. SRadft bem S5orBilbe biefer SJtetl^obe be= 
urtl^eilt er bie SaBiffenfdöaft üBer]^au))t; in bemfetben 5Dlaße, als fid& 
fein ©eift an bie fitarl^^it unb S)eutlid&feit ber S5orfteffungen, an ben 
erfinberifdöen ©ebanfengang ber SJlatl^ematif getoöl^nt, fäfft il&m baS 




©egenlfieil bobon in ben flürigen 3Biffcnfd)Qiten ouj: in ber ©flUogiftit 
ber iDlongel eine§ erfinbetift^tn iinb cntbedtenbcn S)en!eii§, in ber 
9)total bie Unfrut^iSatfctt bcr 2Eieotien, in bec ^^t)fif unb 3)[etap^ljfi( 
bie unftaren, biinMn, [ifUDanfenben Sorftudungen, a\i% bcnen bie ßc^r= 
gcSöube beftcfien auf bcn uiific^eiften Oruiiblagen. Wan fie^t, bafe 
biffet ©eift nitfit etirn an bei OTotl^ematit ^ajten blelM, aU an biefcr 
befonberen SffliflEnfc^aft, bie feiner Sega&ung am mciften cntfpricE)t, 
fanbein, bofe er ficfe an i^r orientitt, bilbet unb ju einem freien unb 
großen Umblicf über baS mcnfcötidje äffliffen a(S folc^cB crljebt. S)ie 
5Dtat^ematit wirb i^m ber ^tobitftein , an bcm cc jebe ©rlenntnife 
jiriift uiib beren @(i)ttieit bcurlfjcitt, fic mdt in i^m ben p^ilofop^ifcbcn 
®eift, bcr mäi ber ?ltt fetneS EtEenntni65cbütfniffeä in ber Sülaf£)e= 
mattf feine etfie Sefriebigung finbet nnb t)iet feine etften Stückle 
Irägt, Sie SJortiebe für biefe aBiffenf(5üft ift in 33e@carteS ber erfie 
3ug beä inet^obifdjen 3)entcrS, bie Slbneigurg gegen bie ©i!&uIt}!^iIo: 
füji^ie toar bcr crfte bcS ffctjtifthen. Unb fo reift fctjon in bem ©c^ütet 
bie 3lufgo&e, ber fein ganjcä Seben gemibmet fein wirb: bie grünb^ 
Iid)e gieformation ber aßiffcnf^aften bur^ eine neue 
SJtct^obc natfi bem Sßorbilbe ber SJiat^ematif. Sunüdjft liegt 
ba§ 3iet nodb fern nnb bunfel Dor iftm, aber \äion ift i^m Hot, bafe 
ber einjige SBeg jur 3Jßat)rt)eit bie ridjlige 2)tBtI)obe bc§ S)enfen8 fei, 
ba§ biefc jÖfet^obe gefunben ober, maS basfelbe ^ei§t, ba% ber ©eift 
ber iDlüt^ematif fruifttbar gemacht roerben muffe anf bem ©ebiete ber 
5P^iIofot)^ie. 

Sie 3)iet6obe, welche SeScorteS fui^t unb in bie ^bilofovljie ein- 
füfiren möchte, ift nic^t bie fiunfi einer fiiulgeret^ten Sorfteüung, eine 
fot^e fiunff bcfi^t Id)Dn bie ©DDogiftif: e§ foÜ niifjt SeEannteä bQr= 
gefteHt, fonbern ÜnbefannteS gefunben, aniS SBctanutem f)ergeleitet unb 
metlobifcb enticiifelt werben; barnm intereffirt i^n in ber 5)Iatf)ematil 
weniger baS Seweifen ber ©Öge, at§ ba§ ßbfen ber SInfgaben: bie 
9lnall)fi§ unb bie 9(Ige6rQ. 31" ein" ©djulftunbe, reo bie geinöljntii^c 
9(naU)fi3 oorgeiragen inurbe, foB eä i^m aufgegangen fein, baft biefe 
Slnaf^fiS nichts onbereS als Stlgebra fei, ha% bie legiere bcn Scölüffel 
jur Söfung geomctrifi^cr Stufgateu enthalte, ba% bie ©röfeen bcr 
©eometrie buri^ ©lei^ungen auSgcbrüctt, alfo aritf)n!etif(fi aufgetöft 
Werben tonnen, ffiamit war bcr ctfte, f|&(4ft fruchtbare ©ebanle jn 
einet neuen SSJiffenft^aft gefaxt, ber anall)f tfc^en ©eometrie, beren 
Begrünbcr er werben fotlte. ®iefe große Srfinbuna ip bie etpe Sruit 



unb elfte IQebeng))ertobe* 157 

feines tnetl^obifd&en S)enfeiiS. ®r Bemöd^tigt fid& her SJlatl^ematif t)on 
fetten ber $0let]^obe, ergreift fte als ein ^nftrument gur ßöfung t)on 
5lufga6en unb toetfe biefeS ^nftrument auf eine neue, ju ben fd^tüierigften 
ßöfungen gefc^itfte SBeife ju l^anbl^aben. @o toirb bie aJlatl^ematif 
t)on il^ren aJleiftern betrieben, unb ©eScarteS ift im 33egriff, ein fold&er 
$lJleifter gu tt)crben, ttiöl^renb er nodö ©(ä&üler l^eifet. gorttoöl^renb be= 
fdöäftigt er fid& im ©titten mit matlöematifd^en Problemen, bie er fid^ 
aufiDirft unb Vermöge feiner SJletl^obe löfi SRid&tS ift il^m angenel^mer 
als biefe einfamen aJlebitationen, toeld&e bie ©d^onung begünftigt, bie 
man feinem ©efunbl^eilSguftanbe getcöl^rt; er barf beS SJlorgenS \pakx 
aufftel^en, als nad& ben 33orfd6riften ber ©d^ulorbnung bie übrigen 
3ögtinge; in biefen f^rül^ftunben, bie er im 93ett gubringt, t)erfe]^rt 
er am ungeftörteften unb lebl^afteften mit feinen ©ebanfen, es finb bie 
©tunben feiner freieften unb frud&tbarften SJlufee, er getDöl^nt fid^ fo 
fel^r an biefe eigentl^ümlid&e 2lrt beS 2lrbcitenS, bafe er fie bei6et)ält 
unb in t)ottem SJlafee baS ©olb ber aJlorgenftunbe erntet. 

§ören toxi, toie ©eScarteS felbft bie ©eifteSüerfaffung fd&ilbert, 
ttiorin er fid) am 6nbe feiner ©d^ullaufbal^n befanb. „SSon fiinbl^eit 
an", fagt er im fftüdfblid auf jene 3eit, „bin id& für bie SBiffenfd&aften 
erjogen tt)orben, unb ba man mid6 glauben mad&te, ba^ burd& fie eine 
Itare unb fidlere ßenntnife aßeS 3iü|tid&en gu erreid&en fei, fo l^atte id& 
eine aufeerorbentUdö grofee SSegierbe, fie gu erlernen. S)od6 wie id& 
ben gangen ©tubiengang beenbet l^atte, an beffen S'x^X man getDöI)nIid& 
in bie Steige ber ©elel^rten aufgenommen totrb, dnberte idö öoKftänbig 
meine 2Infid&t, benn id6 befanb mid& in einem ©ebrftnge fo öieler 
3meifel unb Srrtl^ümer, bafe id& t)on meiner ßernbegierbe feinen an= 
bern SJiu^en gel^abt gu l^aben fd^ien, als bafe id6 mel^r unb mel^r 
meine Üntoiffenl^cit einfa^. Unb id& toar bod& in einer ber be= 
rül&mteften ©deuten @uroi)aS, tt)o es nad& meiner 3Jleinung, toenn 
irgenb too auf ber Srbe, geleierte SÖJönner geben mu^te. !3d& ^atte 
bort aKeS gelernt, loaS bie Uebrigen bort lernten, unb ba mein SBiffenS= 
burfl toeiter ging als bie SBiffeufd^aften, bie man uns tel^rte, fo fiattc 
td^ alle aSüd&er, fo öiel id& bereu l^abl^aft toerben fonnte, burd&laufen, 
bie öon ben anerfannt merfroürbigften unb feltenften SBiffenfd^aften 
l^anbelten. ®abei toufete id6, wie bie anbern t)ou mir urtl^eilten, unb 
id& fal^, ha^ man mid& nid^t für toeniger Ijielt als meine 5!JJitfd6üIer, 
obtool^I unter biefen einige bagu beftimmt toaren, an bie ©teüe unferer 
ßcl^rcr gu treten. @nbtid& fd^ien mir unfer 3a]^rf)unbert ebenso reid^ 



158 2)e8cQrteS' ^etfbnlid^fcit unb erfle 8eBeniS))eriobe* 

unb frudfetbor an guten fiöl)fcn, toic trgenb ein frül^ereS. ©o nal^m 
idö mir btc Steilheit, alle anbcrn nad^ mir ju bcurtl^ctlen unb gu 
meinen, ba^ eS feine SQBiffenfdÖQft in ber Sffielt gebe, bie fo toäre, als 
man mid^ el^ebem l^atte l^offen laffen." 

®r (äfet in biefer StüdEfd^QU feineg ßebenS bie ©d&utoiffenfd^aften 
nod6 einmal an fid^ öorübergel^en : bie alten @))rad&en, 33erebfam!eit, 
5j}oefie, SJlatl^ematif, TOoral, 5j}]^ilofo:t)]öie ; er l^ebt ]^ert)or, toic er jtoar 
in jeber ettoaS 3lü§Iid^e8, aber in feiner, aufgenommen bie SJlatl^ematif, 
SBiffenfd&aft im ftrengen ©inn gefunben, toie il^m aud& bie t)or]^anbene 
SRatl^ematif befd&rönft unb un))]^Uofot)]^ifd&, bie @d&uIp]^Uofol)]&ie burd&= 
gängig unfid^er unb jtoeifel^aft erfd^ienen fei. „©eSl^alb", fo fäl^rt er 
fort, „gab id6 ba^ ©tubium ber SQBijfenfd&aften öoffftänbig auf, fobalb 
baS 3Kter mir erlaubte, au§ ber untergeorbneten ©t^ffung beS ©^ttlerS 
lierauSjutreten. 3d^ tooUte leine anbere SBiffcnfd^aft mcl^r 
fud^en, al§ bie id& in mir felbft ober in b^m großen Sudfee 
ber SBelt tt)ürbc finben lönnen, unb fo t)ertt3enbcte idfe ben Sleft 
meiner Sugenb auf Steifen, um §öfe unb §eere lennen ju lernen, mit 
SJlenfdfeen t)on t)erfd6iebener ©emütl^Sart unb ßebenSftettung ju öerfel^rcn, 
mannicifaltige Srfalferungen eiujufammeln, in ben ßagen, in mctdfee baS 
©dfeidffal mid& bradfete, midfe felbft ju er))roben unb toaS fid6 mir audfe 
barbot fo gu betradfeten, bafe id& einen ©etoinn bat)on l&aben lönnte/ 
„®enn id& l^atte ftetS eine aufeerorbentlid^ gro^e 33egierbe, baS SBal^re 
t)om Salfd&en unterfd^eiben gu lernen, um in meinen ^anblungcn Kar 
gu feljen unb in meinem ßeben fidfeer gu gelten." 

„Unb auf biefe SBeife befreite id& mid^ attmal^Iid& t)on t)ielcn 
Srrtpmern, bie unfer natürlid&eg ßidfet üerbunfeln unb unS tocniger 
fölfeig mad&en, auf bie SSernunft gu l^ören. 3lad^bem id& einige Sfal^re 
barauf getoenbet fiatte, auf foldfee SBeife in bem SBudfee ber SBelt gu 
ftubiren unb mit aKer 50lü]&e ©rfal^rungen gu ertoerben, entfd&lo§ id6 
midfe eines S;age§, eben fo in mir felbft gu ftubiren unb alle Ärftfte 
meines ©eifteS aufgubieten, um bie SBege gu finben, bie xä) nel^mcn 
mufete. Unb bieS gelang mir nun, toie ic^ glaube, toeit beffer, als 
toenn id& midfe nie öon meinem 95aterlanbe unb meinen Sudlern ent- 
fernt l^ätte." 



aCßcItlcben unb ÄricgSjal^rc. 159 



3tt)eite§ ßapitcl. 

MtÜt ütbtmftxhlt (1612—1628): ixt Wmitxinlfxt. 
A. miütbtn unb firfegaialiw (1612-1621). 

L eintritt in bic SBcIt. 

3m Sluguft beS 3a]&re8 1612 t)eriäBt SDeScartcS bie ©d&ulc t)on 
ßa 5Iöd^c. ©ed^gjeön Saläre ber erften Sugenb liegen leintet il^m, 
eben fo lange bouern bie SBanberungen, bie er beginnt, ba§ 2BeIt= 
fiubium, aus bem er in einer reifern ßeben§ej)0(i6e toieber jurfidfeljren 
Wirb in fein innerfieS ©elbft. Stuf bie ^ßeriobe ber ©d^ulbilbung folgt 
bie ber ©elbftbilbung, einer ©elbftbilbung im budiftäblid&en ©inn, 
bie nichts t)on au^en emj)fQngen unb auf guten ©lauben annel^men, 
fonbern aÜeS aus fid& fci&öpfen, aus eigenem S)enfen ergrünben, J)rüfen, 
entbedfen toitt. S)ie ©d^ulbilbung ift ein t)ieIföpfigeS Slggregat, au§ 
otterlei 3}leinungen bunt gufammengefe^t, ol^ne SJletl^obe, innere £)rb= 
nung unb ©inflimmigleit. S)iefer SJiangel, einmal emt)funben, er- 
fd^üttert für immer ben ©lauben an bie Ueberlieferungen ber ©d&ule. 
SBei aller Sanibarfeit unb ^ßietät, bic S)e§carteS für feine ßel^rer 
(fogar mit einer getoiffen SSorKebe für bie Stefuiten) ftets beroal^rt l^at, 
ttottte er feiner ©d&ulbilbung nur ben geringften SEl^ßil feiner ßeiftungen 
fd&ulben. @r bemerfte oft gegen ^reunbe, bafe oljne bie geleierte ®r= 
giel^ung, loeld^e fein SSater il^m ^aiz ju Sl^eil toerben laffen, er ganj 
biefelben teiffeufd^aftlid^en SQBerfe t)erfa6t l^ätte, nur toürbe er fie aÜe 
frangöfifdö gefd&rieben l^aben, feines lateinifd^. 

SBon ben erften Sebenfen über ben t)or]^anbenen Suftanb ber 
SBiffenfd&aften bis ju ber ^ntbedung neuer, fid&erer ©runblagen ift ber 
SBeg tt)eit, unb bie 3iele liegen nod& in bunfler gerne. ®S ift ein 
Slugcnbltd völliger ßebenSungeroifel^eit, in bem fi^ ®eScarteS befinbet. 
®er geleierte Seruf giel^t il^n nid^t an, beS p]§iIofoj)]^ifd&en ift er nid&t 
fidöer, er glaubt Stalent gum med^anifd^en fiünftler gu l^abeii, aber ber 
SSater befiimmt il^n ber gamilienfittc gema§ gur militarifd^en ßauf= 
Bal^n, nad&bem ber ältere Söruber bie gerit^tlid^e ergriffen. Sfnbeffen 
tfi fein ftörper nod^ nid^t jtarl genug gum firiegsbienft. Um il^n gu 
Iräftigctt unb für ben fünftigen Seruf t)orguberciten, übt er fid^ gu 
SlenneS, too er bie erfte 3ßit nad^ ber ©d&ule gubringt, im ^Reiten unb 
Qfed&ten. 



160 3^cite Sebengpertobe: bie SOßanberjal^re. 

®er SBeg eines frangöfifd^en 6Qt)aIterg fül&rl bnxä^ bie t)or= 
nel^tne ^ßartfer ©efett[d&Qft. ©d^on im Scginn be§ folgenben 3a]^r§ 
(1613) gellt ®e§carte§, t)on einigen Wienern Begleitet, nad^ ^PariS, um 
l^ier im Umgange feiner ©tonbeSgenoffen 2on unb Sitten ber großen 
2BeIt fennen ju lernen. Einige 3cit gefällt il^m ber Strubel beS 
neuen, an S^tftreuungen unb ©enüffen reid&en ßebenS, unb er treibt 
mit bem Strome; bod& ertoad^en Balb, toie il§m geifte8t)ertt)anbte 
5!Jienfd&en begegnen, bie großen Sebürfniffe feiner benfenben SWatur. 
®r lernt ben SJlatl^ematifer SJi^borge lennen unb finbet im ßlofter 
ber aJlinimen feinen ©d&ulfreunb Sfflerfenne toieber, btn 5ß]^iIofop]öen 
unter ben 5!Jiönd&en, mit bem er in einen t)ertrauten unb geiftig regen 
5BerIel§r tritt, leiber nur für furge 3ßit, benn SDlerfenne toirb öon 
feinem £)rben§J)rot)inciaI als ßel^rer ber 5ß]^iIüfot)]öie nad^ SWet)erS ge= 
fc^idtt (1614). 

®er tt)iffenfdE|aftIid)e SBerfel^r ifl il^m lieber, als baS ©J)iel, ba§ 
unter ben 6at)alieren feine angenel^mfte Unterl&attung auSmad^t. 5pi5§Ud& 
t)erfdf)tt)inbct ®eScarteS auS ber t)ornel^men ©ef eüf d&aft ; niemanb toeife, 
U)o er geblieben, er lebt in 5Pari8 in einem abgelegenen §aufe ber 
aSorftabt @t. ©ermain, gang jurüdgejogen, feinen fjreunben, felbji 
feiner fjamilie t)erborgen. @r befd^aftigt fid& nur mit 3Äat]^ematif, 
t)erfe]§rt nur mit einigen tDiffenfd&aftlid&cn SDlönnern unb Dermeibet 
jeben SluSgang, ber il&n 'onxat^m fönnte. ©o lebt er, t)ergeben8 gefud&t, 
ätüei Saläre mitten in ber SBeltftabt. Snblidö gegen Snbe beS Sal^reS 
1616 fielet i^n einer berfjreunbe, bie er fliel^t, t)on ungefäl^r auf ber 
©tra§e. Sfe^t ift eS um feine ^reil^eit unb (Sinfamfeit gefd&el^en, er 
mu§ fid6 gefallen laffen, nod^ einmal in bie ©efeüfd^aft gurüdEjufel^ren, 
bie er ausgelebt l^atte. ®S ift je^t ni^t mel§r baS ©t)iel, fonbern bie 
SDiufif, bie i^n am meiften ergoßt unb gugleidö geiftig anregt. 3^^= 
ftreut fonnte S)eScarteS leben, nie gebanfenloS. SBaS il^n befd^äftigt, 
tDirb fogleid^ ein ©egenftanb feiner 93etrad&tung. ®r treibt ritterlid&e 
Hebungen unb fd^reibt in berfelben 3ßit eine Slbl^anblung über bie 
5ed)tfunft ; er fpielt, aber tüaS i§n reigt, ift nid&t ber ©etoinn, fonbern 
bie Sered^nung, bal^er meibet er bie 3ufall(sft)iele ; in ber SConfunfl 
finb eS ]§auj)tfäd&lid& bie matl^ematifd^en SSerl^ältniffe, bie ^Proportionen 
ber ©d^roingungSgal^Ien, bie il^m gu benf en geben ; feine nöd^fie ©d^rift, 
unter ben erl^altenen bie früljfte, toirb eine S(bl§anblung über bie 
ajtufif fein. 



aOßcItlcBcn unb ÄrtcöSial&rc. 161 

II. S)te ßrteggbtenfic in ^oUanb (1617—1619). 

S)ie poUtifd&en Swftönbe ^ranfretd^S öermod^ten ia^ Sntercffc 
3)c§carte§' eben fo tüenig gu feffeln, toie ber Umgang ber ©bcöeute. 
S)a§ größte @retgm§ jener 3ßtt toar bie Berufung ber 9fleid&§ftönbe 
im 3a^re 1614, bie le^te, bie Sranfreid^ t)or 1789 erlebt ^at. SBöl^» 
rcnb ganj 5Part8 gufammenftrömle, um ben feierlid&en 3ug ber S)epu= 
lirlen nad^ SRotre ®ame gu feigen, l^atte fid& ®e§carte§ fd&on in bie 
SSerborgenl^eit öon ©t. ©ermain gepd&tet unb in matl^ematifd^e 
^Probleme t)ertieft. S)te SBerl^altniffe be§ «^ofeg lagen bamals in ber 
fd^Iimmften SBertüirrung. S)ie ^errfd&aft filierte bie fiönigin SJiutter, 
Sülaria t)on aJlebiciS, unter bem @influ§ eines untottrbigen ©tinflüngS, 
beS 3DtarfdöaIl(8 b'3lncre, ben fie emJ)orgebra(f)t l^atte; bie 5Prinjen 
traten mit betoaffneter $anb bem fd^möl^üd^en Slegimente entgegen, 
aber ber ©turg beffelben beftanb nur barin, ba^ ber Iierrfd^^nbe 6in= 
f[u§ t)on bem ©ünftlinge einer el&rgeigigen unb öerberblid^en Königin 
überging auf btn eine§ fd^toad&en unb beöormunbeten ßonigS. ®in 
fjaöorit f(ä&affte ben anbern aus bem SBege, inbem er il^n umbringen 
lie§. Unter fold&en Umftanben tüar eS natürlid^, bafe S)eScarteS, ber 
bie ßataftroJ)]^e nod^ in 5ßari8 erlebte (1617), bie frangbfij'd&en ßrieg§= 
bienfle mteb unb feiner §eimatl^ baS befreunbete SRad^barlanb t)orjog. 

SDlit bem SBaffenftiHftanb t)on 1609 Ijatten bie t)ereinigten 9lieber= 
lanbe nad^ langen unb bel^arrlid&en fiämpfen bie erfte Slnerfennung 
il^rer Unabl^&ngigfeit errungen; aus alter fjeinbfeligfeit gegen bie 
fj)anifd&=ßfterreid&if(3öe 5öionard&ie begünftigte Sranfreii^ biefe aufftre= 
benbe |)roteftantif(^e 3Jlaä^t unb liefe bort feine friegsluftigen ©öt)ne 
aOBaffen fül^ren, bie einen gemeinfamen geinb be!ömj)ften. SBiele fran= 
jöfift^c ßbeÜeute l^atten fdfeon unter SDiori^ t)on SRaffau Sienjte ge= 
nommen. Siefem 3uge folgte S)eScarteS. @r fam im 9Jiai 1617 
nad^ SBreba unb trat als freitoilliger Gäbet in bie ®ienfte beS ©tatt= 
l^alterS. S)afe ber Sßglitig ber Sefuiten t)on ßa g^läc^e unter bie 
©olbaten gel^t, bie ber ©ol^n beS großen OranierS befel^ligt, barf unS 
nad^ ben SSeri^ältniffen jener 3eit nid&t befremben; toir »erben balb 
feigen, tt)ie berfelbe SJiann, ber nod^ eben SBotontär unter 9Jlori§ t)on 
Slaffau toar, feine ßriegSbienfte unter ben g^al^ncn SEiÖp fortfe^t. 

Ueberl^aupt ift t)on feiner !riegcrifd6en ßaufbal^n nid&t fo öiel 2luf= 
l^ebenS gu mad&en, als tl^örid^te ßobrebner öerfud^t l^aben. SeScarteS 
felbfl l^at bagu leine SBeranlaffung gegeben. 3fl)m fel^lte fotool^l ber militä= 

2fif(5et, ®efii&. b. Wlof. I. 4. «ufl. 31. %. 11 



1W^ 



162 SwHle Sefienäpetiubc: bie aOaubtrinfi«. 

lif^e S^rfleij aU bie förpetlidic ^taft, bie beii ©olbatcn Don ^Ptofeffion 
®t rootlte bie große unb fretiibe SBcIt wie ein ©tEjaufpiel 
fcniten lernen, fflorin er ficf) nidji als „?Icteur", fonbcrn oI§ „©(leda- 
teur" oer^ieft; (eine 5Ißnffenbicnfte itiaren bie erftc S^orm, i:utcr roeli^er 
er reifte unb einen fluten $Iq^, \i^ in ber SBelt umäujcfien, (onb, 
ba§ firieflStionbiaerl iiiiereffirte i^tt uon fei'c" bcr niet^anifcfien @r= 
finbungen unb fünfte in ©cfefliguiigen unb Selagerungen, eS fttcfe i^n 
üb burc6 bie 9lDl)l)eiten aller SIrt im Öager unb S^Ibe. 2)er aBoffen- 
rod mar gleidjfam ber üicijepafe, mit bem er au'i bie Icii^lefle 9(rt unl».' 
in nüctjfter SIöEje qHc jene Singe (e^en fonnte, bie feine SBifebegietbe] 
reiften. 6r mar TOeniger Solbat als Sourift unb inä^Ite boS ini 
tärifijc Öebcn nii^t al§ Sarrifere, fonbern als ©oftum. Sorum bli 
er greimiUigcr unb ocrjic^tete auf Slang unb golb, er tjat ben Ic^tei 
nur einmal um bcS SJamenS millen, „toie gelDiffe ^Pilger Sllmojen' 
genommen unb gum Stnbcnten on (eine ftriegäjeit üiij&eroa^rt. 

3n öreba finbet er bettiaffneten ^rieben, ber noifi Oier 3a|Te 
gu bauern ^ot unb ifint bo^et üoHe OTufee übrig läßt, ©o lebt er 
ungcftört feinen roiffenfc^aftti^cn ^ntereffen unb marfjt buxä) einen 
günftigen Sufal bie SSetanntfc^aft eineS SRanneS, mit bem er fie 
t^eiten fann. Slui) ber ©totttjalter loufete bie SJfat^tmntif ,)U fe£)ögcn 
unb 30g fie raegen i!)rer öebeutung für bie ßriegStunft allen übrigen 
Sffiiffenft^aften üor. ®ot)er rourbe fie in feiner '^Mlie gejjflegt, unb 
e§ traf fic^, baß mattjemaiift^e Stufgoben in öffentlichen 2)}aueron' 
fcölägen jur Üöfung gefteßi raurbcn. ®inen foli^en SInfc&Iag in niebei= 
länbifc^et S^rocfie finbet eines Sogeö ©escortes unb bittet ben 9t(l(fift= 
fle^enben um eine franjöfifc^e ober (ateinifcfjc Ue(jerfe|ung; her SufoU 
miß, bafe biefer ^icic^ftfte^enbe ber gelehrte unb angefeljene aJlafl)emo= 
tiEer 3faat SBeerfman au§ TOibbelburg ift, ber, über bie Sroge beS 
franjöftfcl&en Sübetfen Deröiunbert, i^m bie 2(ufga6e ertlart unter ber 
fpötfiftften Sebingung, ba§ er fie (öfe. 31m anbern ^age bringt i()m 
©cScurteS bie ßöfuitg, unb qu3 ber jufdUigen Sefonntfctjaft entroirfelt 
fiif) halb troti ber großen Ungteic()I)eit beS StttetS ein freuubft^afllit^er 
unb miffenfe^aftlidber S&erle^r. Sluf Seectmans Anregung f(f)teibt SüeS^ 
carte^ in 5Bteba fein « CompeDdiuni musicae» (1618), baö er bem 
{yrcunbe mit ber bringenben Sgitfe mibmel, eS geheim ju tialten; bie 
©c^rift ift erft nact) feinem Sobe gebrucft toorben (1650). 2BQ'^rfi|ein= 
lifii ^ot er bamofs au^ eine 9(b£)anblung über 9I(ge6ra »erfaßt iinb 
fie jenem gelaffen. «jenigftenS gel^t qu§ einem feiner fpäteren SBriefe 



i^n 



SBeltleBen unb l^tiegsjal^re. * 168 

(Dd. 1630) J^croor, ba§ ftd^ eine fold&e ©d^rtft in ben ^änben fdezd- 
manS Befanb. ®ie fjreunbfd^aft beiber ift fj)ätcr burd^ bie J)ra]§Ierif(i&e 
unb tadlofe ßttelfeit beS leiteten geftört tootben, ber bie Ungleid&l^eit 
be§ SllterS qIS eine Ungleid^l^eit beS SBiffenS anfal^ unb S)c§carteS 
für feinen ©d^üler ausgab, tüäl^renb biefer fid^ betonet toar, beut 
älteren fjreunbe öieleS mitgetl^eilt unb nid&t8 t)on if)m gelernt ju l&aben, 
nit^t mel^r unb weniger (wie er in bem ertüd^nten Sriefe il^m offen 
crflört), als er t)on allen S)ingen ju lernen gctüöl^nt fei, aud^ x>on 
Slmeifen unb SBürmern. 

SBie in 5PariS, lebt S)cScarteS aud^ in Sreba feinen 3been unb 
befumntert fid& toenig um bie ftürmiWen SBegebenl&eiten, bie in feiner 
3l&f)z gefd&cl^en. SBöl^renb in ben SRieberlanben bie äußeren kämpfe 
in golge beS SBaffenftiÜftanbeS geitioeitig rul^en, finb innere, t)er^ng= 
ni6t)otte 5ParteiläniJ)fe ürd^tid^er unb politifd^er 3lrt auSgebrod&en. 
S)ic lird&Iid&en, bie ben 5ProteftantiSmuS ber SRieberlanbe entätoeicn, 
l^atten an ber Unit)erfitdt ße^ben ätt)ifd&en ben beiben 5Profcfforen ber 
3:]§eoIogie Stacob SlrminiuS unb Sranj ©omaru« begonnen unb be= 
trafen bie fyrage ber unbebingten götttid^en 5Präbeftination unb ©naben= 
loal^I, bie ©omaruS in ftreng catöiniftifc^er SBeife be]^auj)tete unb 
^IrminiuS jur Slufred&tl^aftung ber ntenfd^Iid^en grei^eit beftritt. @8 
tft ber ©egenfa^ beS ortl^obojen ©abiniSmuS unb beS [Rationalismus, 
ben biefe beiben SDlönner t)erlörl)ern. Sie Streitfrage lommt t)on ben 
Äatl^cbem auf bie Mängeln unb getoinnt balb eine Sragtoeite unb 
©törfe, tt)el(^e baS fird^Iid^e ßeben ber SRieberlanbe in bie ^Parteien 
ber Slrminianer unb ©omariftcn gerrcilt, ©eit bem Saläre 1610, in 
tt)eld&em bie Slrminianer als ©emeinbe auftraten unb il^r ©IaubenS= 
befenntni§ („Slemonftranä") mit bem Slnfprud^ auf Sulbung t)or bie 
©tänbe t)on ^oÜanb unb SBeftfrieSlanb brad^ten, flehen beibe 9lid§= 
tungen als Ütemonfiranten unb föontraremonftranten einanber 
entgegen, 

SDlit biefen lird^Ud^en ^Parteien t)erbinben fid^ bie J)oIitif d^en : bie 

monort^ifdö gepnnte, an bereu ©t)i^e ber ©tattl^alter 5Dlori§ bon 

Slaffou (feit bem Februar 1618 ^ßrinj t)on Dranien) fielet, unb bie 

rcpublifanifd&e, bereu Häupter 3an t)an OlbenbarneDetbt, ©rofepenfionar 

Don ^ottanb, unb ^ugo be ©root (©rotiuS), ©^nbifuS bon 9lotter= 

bam. ®ie oranifd&e ^Partei gel^t mit ben ftrengen SdiDiniften, bie gur 

35erbammung ber ©egner eine allgemeine ©^nobe forbern, bie rej)u= 

büfanifd^e l^dlt eS mit ber religiöfen 5rei]^eitSj)artei unb befielet auf 

11* 



164 3toeitc ßcBcngpcriobc : bie SEßanberjalftrc. 

betn Sled&tc fird^Kd^er ©cIBftregierung ber ©tngelftaaten, ein JRec^t, 
tDeld^eS fic gegen bte Singriffe ber fanatifd^en ©egner burd& eigene SJlilijen 
fd&ü^en. Stefet lä§t ber ©tattl^atter bie ^öupter ber ©egenj)artei ge* 
fangen nel&men unb be§ §od^t)errat^§ gegen bie bereinigten SRieberlanbe 
ansagen. Dlbcnbarnet)elbt tüirb ent^auj)tet (13. SDiai 1619); burc^ 
bie Sefd^lüffe ber ©^nobe t)on ®orbredöt (1618) fiegt ber ortl^oboje 
6alt)ini§mu§, bie Slrminianer »erben öerbantntt unb t)on ber ßird&en= 
gemeinfd&aft auSgefd&Ioffcn. Unter il^ren l)eftigften unb unbulbfamften 
©egnern auf jener ©^nobe toar ©iSbertuS 35oetiu§, bem toir 
fpater als 5ßrofeffor in Utred^t int ßeben unfereg ^pi^ilofopl^en toieber 
begegnen »erben. 3H§ S)e8carteS Sreba Verliefe, al^nte er nid^t, toie 
fel)r bie Sieger t)on SJorbred^t xf)m feinen fpöteren Slufentl^alt in ben 
freien SRiebertanben verleiben foüten. 

in. S)ie ßrieggjal^re in ®eutfi%Ianb (1619-1621). 

1. S)tc afelbjüöc 

S)ie Beiben erften ßriegSjal^re S)e8carte§* »aren Don ber frieb« 
lid^ften 2lrt, er l^atte in 33reba nid^t ben ßrieg, fonbern ben SBaffen= 
ftiUftanb fennen gelernt unb fein intereffantefteS @rlebni| toar bie 
aSefanntfd^aft eines 3D^atl§eniatifer§ gemefen. ©o burd^auS unlriegerifdfe 
burfte bie einmal begonnene ßaufbal^n nid&t enben, unb eben je^t 
eröffnete fid^ ein neues ßriegStl^eater in ®eutfd^Ianb. S)ie ßunbe bon 
ben Bölömifd^en tlnrul^en, aus benen ber brei^igjjöl^rige ßrieg ]^ert)or« 
ging, ^atte fid^ fd^on in ben SRieberlanben verbreitet. S)ie ^)roteftan= 
tifd^en ©tönbe beS ßanbeS toaren in ber bewaffneten 25ert^eibigung 
i^rer 9led6te, in ber offenen Sluflel^nung gegen baS faiferlid&e 3ln[e]^en, 
in ber Slbioe^r namentlid^ gegen bie 9lad6foIge fjerbinanbs begriffen, 
ber t)on feinem Setter 3D^att^iaS bie böl^mifd&e firone erben foüte 
unb fidö bie 3lufgabe gefegt l^atte, ben ^ßroteftanttSmuS junöd&ji 
in ben ©rblanben, bann mo möglidö aud& im Sleid^ gu öernid^ten. 
3ln ber ©pi^e beS bewaffneten 9lufftanbeS in SBöl^men ftanben bie 
©rafen 2^urn unb 50lanSfelb, an ber ©pi^e ber faiferUd^en %xnppm 
Söucquoi. 

®er ßaifer SDIatt^iaS ftarb hm 20. mäxi 1619. Slro^ ber (£in= 
fprad^e ber bol^mifd^en ©täube gel^t 3^erbinanb als fiurfürft t)on Söl^men 
nad& S^ranffurt, toirb bm 28. 2luguft 1619 gum römifd^en ßönige 
gewollt unb ben 9. ©et)tember ats S^^rbinanb II. jum ßaijer gefrönt. 



SQßeltleben unb j^rteggjal^re. 165 

3loä) t)or ber ^Raiferfrönung l^atten bie böl^tntfd^en ©tönbe einen pxo^ 
teftanttfd&en Surften, ben ßurfürften ^rtebrid^ V. t)on ber ^ßfalg, bog 
^auj)t ber Union, gu il^rent «Könige anSgerufen. ©o roax ber ,Rrieg 
üfier bie bol^ntifd^e ^rone giDifd^en bem neuen «ßaifer unb biefcm t)on 
ben aSöl&nten getoöl^Iten ©egenfönige unöernteiblid^. Sfnbeffen lag l^ier 
nur ber SluSgonggpunÜ beS ©treiteS, ber nad& ber ßage ber S)tnge 
fogleid^ eine größere SluSbel^nung annel^men mußte. ®S l^anbelte fid^ 
nidfit Mofe um ben SSefi^ Söl^menS, fonbern in toeiterem Umfange um 
bie ©jiftenj beS 5ßroteftanti§mu§, um ben ßampf ber proteftantifcfeen 
unb fatfiolifd^en Sntereffen im 9lei(f), bie in ben SBerbinbungen ber 
Union unb ßiga fic^ gegenüberftanben. ®aS ^anpt ber le^teren 
toar Sägern unter bem C^^^joge 3D^aEimiIian, beffen 3lrmee Ziüt) be= 
fel^Iigte. ©o lag ber 3ünbftoff bereit gum 3luS6rud^ eines euro= 
^Jöifc^en SBeltfriegeS, ber bie beutfd&en ßönber breißig 3al^re l^inburd^ 
t)ertoüften foHte. 

®iefen ©d&(iu))Ia§ t)ertaufdöt ®c8carte§ mit ben SRieberlonben. 
(Sr fommt im Stuli 1619 nai) 5ran!furt am SJiain, erlebt l^ier bie 
Vorbereitungen jur ßaifertoa^l unb ift ein STugengeuge ber ßaifer= 
frönung, beS prad6tt)onften ©d^auft)icl§ , toeld&eS bie bamalige 2BeIt 
feigen fonnte. ®ann nimmt er S)ienfte im ba^rifd^en §eer, unb fo 
finben tt)ir il^n im Slnfange be§ breißigial^rigen Krieges aU einen 
freimittigen SBaffentröger be§ ^aupteS ber ßiga. ®ie erfte 33ctoegung 
ber ba^rift^en 3lrmee ge^t gegen SBürttemberg, beffen «^ergog auf ©eiten 
ber Union ftel^t; fie rüdtt gegen ©onautoörtl^ t)or, aber ber fjelbjug 
toirb burd^ biplomatifd^e Unterl&anblungen gel^emmt, bie SBinterquartiere 
Serben begogen, unb ®e§carte8 beriebt ben SBinter 1619/20 in ber 
größten, für feine ©eban!en frud^tbaren ©infamfeit gu SReuburg an 
ber S)onau. 

S)ie biplomatifd&e S)agtt)ifd6enfunft toar t)on ^ranfreid^ ausgegangen, 
S)er Äaifer fiatte bie frangöfifd^e SBunbeSgenoffenfd^aft gefud^t, ber ein« 
flußreidöfte SJlann am §ofe ßubtt)ig XIII., ber ©ünftling be§ ßönigS, 
^ergog bt ßu^neS, toai für bie öftreid^ifd^e ^Partei getoonnen toorben, unb 
unter bem §ergoge Don Slngouleme ging eine glangenbe ©efanbtfd&aft 
nad& S)eutfd^Ianb, toeld&e bie feinblid^en ^Parteien im faiferlid^en Sntereffe 
ouSgfeid&en foßte. S)ie ©efanbtfd^aft nal^m gunad^ft i^ren ©i^ in ber 
fdönjabifc^en Sleid&Sftabt Ulm, befd&ieb Ijierl^er bie feinblid&en ^Parteien 
beS SReid^S unb brad&te im 3uli 1620 einen SSertrag gu ©taube, toor«« 
nad^ ber ßrieg gunöd&ft auf Söl^men localifirt, gu einer ©ad^e auS= 



166 3^site Sebendpertobe; bte SBanberial^re« 

fd^Itefeüd^ ätDtfd&cn Serbinatib unb ^ricbridö öon bcr 5ßfalä gemad^t unb 
bic proteftanlifd^en Surften Seulfd&Ianb§ t)on bcr Sl&cilnal^tnc au3= 
gcfd&Ioffen tourbcn. 35on Ulm Bcatcbt fid& bic ©efanbtfd^aft tiadö SBtcn. 
®cr ^crjog öon Sägern, als SunbcSgenoffc bc8 ßaifcrS, fül^rt feine 
2ru))pcn nadö Dbcr5flrcid6, untertDirjt l^ier bic Qufjiänbifd^cn ?JJrotcpanten, 
t)crcinigt fid^ in Söl^men mit bcr faiferlid&cn 9lrmec unter Sucquoi, 
unb bicfe t)crcinigtc 2lrmec bcficgt in bcr ©d^lad^t bei ^ßrag, bcn 
8. 3lot)cmber 1620, bcn Böl^mifd^cn Slufftanb unb bcn ©cgcnfonig, 
5ricbri(J6 t)on bcr ^Pfalg, bcr an bcmfclbcn 2age nad^ ©d^leficn flicl^t, 
tDo bic ficgrcid^en ^ccrc in 5Prag cinäicl^cn. 

SBal^rcnb biefcr Seit toar S)c8cartc§ nid^t immer bei bcr Slrmec, 
in mclc^cr er bicntc. 3laii bcn SBintcrquarticren in SRcuBurg gcl^t er im 
3uni 1620 nad& Ulm, too er feine ßanbSicutc finbet unb feinen tt)iffen= 
fd^aftüc^cn 3ntercffen ju ßicbc einige 50?onQte Bleibt; im @e|)tcmbcr 
reift er nad& SBien, top bic frangöfifd^c ©cfanbtfdöaft mcilt, unb fommt 
in 33ö^men lieber gu bem ba^rifd^en §eer, tt)a]^r[d^cinttd& furj öor bcr 
©d^lad^t öon ^ßrag. SBiS gegen ßnbc bc8 ^o^ÖteS Bleibt er in 5Prag, 
t)crlebt bann in bcn SBintcrquarticrcn an bcr füblid&en ©rcnge SBöl^mcnS 
toiebcrum cinfame SDionate, bic bem 3?ac6ben!cn gctoibmet finb, unb 
ba bic ba^rifd&c 2lrmee i^ren ^clbjug beenbet l^at, er aber baS @oIbatcn= 
leben, baS il^m gerabe jc^t firicgSerfal^rungcn bietet, no(^ eine SBcilc 
fortfe^cn toitt, fo tritt er im Slnfang bc§ grai^jal^rS 1621 in bic 
faifcrUd&e 5lrmce unter Söucquoi in SDläl^rcn. ®cr mit bcn bol^mifd^en 
Unrul^en t)crbünbete Slufftanb in Ungarn unter SSctl&Icn ©abor bauert 
nodö fort; gegen biefen g^cinb ift bcr Scibgug bcr faifcriid&cn 2lrmec 
gerid^tet, an toeld&em S)c§cartc§ tl^cilnimmt. ©eine ßoBrebner tootten, 
ba§ er fid& in biefem ffclbjuge miütarifd^ auSgcgcid&nct Iiabc, er felBft 
berid^tct nidf)t§ baöon. Sucquoi nimmt ^ßrc^burg, SEirnau, anbere 
fefte ©täbte unb föllt im l^clbcnmilt^igcn <Jlamj)f Bei Sftcul^aufcl bcn 
10. 3uli 1621. Sic Belagerung biefcr ©tabt toirb bcn 27. 3uü 
aufgel^oBen, Balb barauf Dcriäfet ®e§cartc8 bic faifcrlid^cn S)icnfic. 
©eine ßricg§j[al)re finb gu (Snbc. SQBaS er in bic[en brei Sfal^rcn 
(1619—1621) mitgcmadöt l^at, toar bcr niebcrlänbifdöc SBaffcnftittftanb, 
bie SBintcrquarticrc in Nienburg, bcr Böl^mifd^c unb ber ungarifd^c 
Sclbjug. (£§ fd^cint, ba§ er fd&on in JlcuBurg bic SlBfid^t l^atte, bie 
ßriegSbienfte aufzugeben, unb Don SBicn nad& SBcncbig reifen tooUU, 
um t)on bort gu i5u§ nad^ ßoretto gu pilgern. ®a rief il^n bcr ^rieg 
naä) SBöl^mcn. 



SGßeltIcben unb ftttegsjal^re. 167 

2, @infain!cit in SRcubuxg. 3nnctc Ärifl«. 

SWan tnu§ tief in ®c8catte8' inneres ßeben l^ineinfitidEen, um il^n 
felfift 3U finben; feine toid^tigfien ©riebniffe finb nid^t in ^elbjügen 
unb ©d&Iadfeten, fonbern in ben SBinterquartieren an ber S)onau unb 
in SBöl^nien gu fud^en, xoo er fid^ ganj feinen ©ebanfen l^ingiebt, 
UeberaH Verfolgen il^n miffenfd&aftlid^e 3ntereffen. 3n Ulm lernt er 
ben 5öiat]^ematifer fjaull^aber fennen unb bleibt bort einige TOonate, 
in 5Prag intereffirt il§n nid^tS lebl^after, aU tt)a§ an SE^d&o be SSral^e 
erinnert; aber am bebeutung§t)olIften für feine innere ©ntroidlung ift 
jener SBinteraufent^alt in SReuburg, too er in tieffter (Sinfamfeit, ganj 
fid& felbfi überlaffen, bie JUid^tung finbet, tceld^e il^n attmäl^üd^ jur 58e= 
grttnbung ber neuen ^pi^ilofopl^ie fül^rt. 

(£§ iji bie 3cit ber ^rifis unb beS SDurd^brud^S. ©eit ßa gi^d^e 
l^atten il^n bie Streif el, bie er fd&on gefaxt, nid&t rul^en laffen, fie 
»aren il^m in bie ^ßarifer ©efeüfd^aft gefolgt, l^atten il^n in bie ®in= 
fomfeit ber SBorftabt ©t. ©ermain getrieben unb in ia^ ©arnijonSleben 
t)on SBreba begleitet. 3lnx bie 50?atl^emati! fd^ien il^m fidlere @r= 
fenntniffe ju bieten; fie erfüllt il§n ganj unb toirb aud& baS Sanb 
feiner fjreunbfd^aften. ®od& löft fie bie 3toeifel nid&t, bie il^n be» 
unrul^igcn; il^re filarl^eit mod&t bie anbcrn SBiffenfd^aften nidfet l^eüer, 
bie ©idfterl^eit ber matl^ematifd&en ©infid&ten, l^ilft nid&t§ gegen bie 
Unfit^erl^eit ber J)]^iIofop^ifd&en, SBenn man biefe eben fo gett)i§ mad^en 
fönnte toic jene, toenn man bie SRatur ber ®inge mit matl^ematifd^er 
S)eutKd^feit ben!cnb burd^bringen unb eine ^ßl^ilofopl&ie nad& geometrifd&er 
SWetl^übe bilben fönnte, bann lie^e fid6 ein ßel^rgebaube toal^rer 6r= 
fenntnife auffül^ren, ivoax fel^r langfam, aber mit ber größten ©id6er= 
l^eit! 3)ie8 ifl bie 3lufgabc, bie fid6 in biefem cbenfo fiept ifd^en al§ 
matl^ematifd^en Äopfe vorbereitet ijat unb je^t mit feiner innerften 
ßebenSrid&tung t)ereinigt. S)ie ^pi^ilofopl^ie liegt Dor il&m, tt)ie ein 
bunftcS ßl^aoS; bie SDiatl^ematif Ieudf)tet il&m in boUfter ßlarl^eit. 
SBenn e§ moglid^ tt>äre, biefeS ßic^t in jenes G^aoS einbringen ju 
laffcn! SBte ift eS möglidö? 2ln biefer grage finnt ber ©eift 
2)e8carte§', er fül^It fid^ an ber ^Pforte ber SBal^rl^eit unb fann nid&t 
l^inburd^, in jebem einfamen SDioment mal^nt biefe 9lufgabe, bie er 
nid&t loStoerben unb löfen lann. 3m ©efü^I feiner D^nmad^t fletjt 
er um ®rleud6tung t)on oben unb gelobt eine SBaÜfal&rt nad6 ßoretto. 

3)a er bie §ülf§quellen nid^t in fid^ finben fann, fucfet er fie aufeer 
fid6; es ift i^m ju TOutl^, ats ob jemanb ba^ SBort beS Otat^fete i^m 



168 3^stte SeBeng^ertobe: bie äBanberjal^re« 

jurufen fännte, als ü6 eS irgenbtüo tüic ein gcl^eimcr @d^a^ aufbetDoW 
tt)crbe, gletd^ bem ©tein ber SBeifen, ben nur bie 3lbe|)tctt befi^cn. 
SJiittcn in feinen Stoeifeln ermad&l in i^m ber 3« 9 ttad^ beut ®e= 
l^eimnifeöoüen unb aJlagififien. 3n biefer ©tintmung ij'öit er \)on ber 
„aSrüberfd^aft ber Sflofenfreuger" rcben, bie, auf nt^ftifd^e SQBeife 
entftanben unb in bie tüal^re ßrfenntnife ber Singe eingetoeil^t, ben 
Stöed I)abe, bie SBelt ju erleuti^ten unb bie SQBiffenfd&aften t)on il^ren 
Srrtl^üniern ju erlöfen; il^re 50titglieber feien nad& aufeen öoHfommen 
unfenntlidö unb bürften fid6 burd& nid&tS t)errat]^en. Um fo mel^r 
befd&aftigen fie bie ^P^antafie ber ßeute, bie fabell^afteften ©erüd^te 
ge^en Don 9Jlunb gu aJlunb, ©d^riften erfdfteinen für unb toiber, ba§ 
Sintereffe unfercS 5ßf)iIofoJ)]^en felbft toirb auf ba§ l^ö^fte erregt, eifrig 
fud&t er, einem jener ®ingett)ei^ten nal^e gu fommen, öietteidöt burd& 
eine ©drrift, bereu SEitel fid^ erl^alten l^at, unb bie ben Slofenlreugern 
getoibmet fein fottte; aber alle feine Semül^ungen finb t)ergeblid& ge= 
tDefen, er l^at in feinem ßeben nie ein 9)HtgIieb jenes ©el^eimbunbeS au§= 
finbig madöen fönnen. 2lu§ bem einfadjien ©runbe, »eil e§ feine gab! 
21I§ SeScarteS fie fud^te, tüar eben erft ber 9luf einer fold^en 
©efeUfd^aft entftanben unb gebrudtte ©d&riften in Umlauf (feit 1614), 
toeldje bie fjama ber ^tofenlreujer, il^re reformatorifd^en 5piäne, bie 
SBunbergefd^id^te il^reS ©tifterS unb DrbcnS t)crfünbeten. S)ie ©ad^e 
berul^te auf nid&tS, e§ xoax eine reine ^iction, ein Sloman, ben ber 
fd)tt)öbifd&e 2^eoIoge Valentin 9lnbreö (1586—1654) in ber too^I= 
gemeinten 2(bfid^t erfonnen l^atte, ber SBett bie aJlagie unb bereu 
^Pfeuboreformatoren burd^ bie übertriebcnfte ©at^re ju Verleiben unb 
fie auf bie ed)te Sieformation burd^ ba^ biblifd^e unb praftifd^e 6]^riften= 
tl^um Ijingutoeifen. ®r tooHte eine S^itt^orl^cit geißeln unb mufete 
erfal)ren, ba§ er fie burd6 eine neue SRal^rung, bie aüe SBelt begierig 
Derfd&Iang, ungemein geförbert l^atte. Ueberatt fud&te man bie Sflofens 
freuger, bie nirgenbs toaren. 3iie l^at eine ©at^re fo fel^r bie be= 
abfid^tigte SBirlung bcrfel^tt unb bie entgegen gefegte gel^abt, fie tt)urbe 
gur allgemeinen ^i^ftification, bie erft ba§ ©dfeeintoefen ber 3lofen= 
Ireugeret l^eröorrief, felbft einen 9Jiann, toie ®e§carte§, berüdtte unb 
nod) fünfgig ^di^xt nad^ i^rer ©ntfte^ung einen ßeibnig neugierig 
mad^te. ^ 2lber toaS foH man fagen, tt)enn nod^ in unferen Sagen ber 
jüngfie frangöfifd^e Siograpl^ ®e§carte§' bie Slofenfreuger für baare 
ajiünge nimmt unb fogar Dermutt)et, ba§ ©eScarteS toirftidö ein aÄit= 

^ 585. n. bicfcS 2Dßcrf CS (3. Sluff.) ©. 48 Pgb. 



äBeltleben unb Aneggjal^re. 169 

glich jener Srübcrfd^cift getDorben fei, bereit ©rünber ober batnaltgeS 
^anpt 9lnbrea getoejen! fjretlid^ Ijabe SeScarteS ftets berneint, 9lofen= 
Ireuger ju fein ober toeld&e gu fennen, aber ba§ betoeife ntd^tg, benn 
er burfte eS ja nid^t fagen.^ 

®ie Ijülflofen Stimmungen, toorin ®e§carte§ SBaÜfal^rten gelobt 
unb fid& naä) ben 9iofenIreugern fel^nt, geben vorüber; bie SBa^rl^eit 
löfet fid^ nid^t t)on au§en empfangen, fonbern toiH auf felbftentbedtem 
unb gebal^ntem SBege gefud&t werben; biefer rid^tige unb fid&ere SBeg 
ift bie 50?et]&übe, f(%on öorgebilbet in ber SRatl^ematif unb ßogif; 
je^t gilt eS, fie unioerfeß, b. I). pl^ilofop^ifd^ ju mad^en, ju berein= 
fad^en, t)on ollen Söiöngeln unb ©infeitigfeiten ju befreien, ©dfeon 
crlennt S)c§carte§ getoiffe Slegetn, bie bem malörl^eitfud^enben ©eifte 
ben 2Beg geigen: bie ©rfenntnife reid^t nur fo toeit aU ba§ flare unb 
beutlid&c S)enfen, bie bunfetn SSorfteÖungen muffen in itire SEl^eile 
gerlegt unb ©d&ritt für ©d^ritt aufgehellt, bie flaren fo georbnet unb 
öerlnüpft toerben, ba§ il^r Sufammenl^ang ebenfo einleud&tenb ift, mie 
fie felbft. 3unädf)ft ift aüeS bun!el. SBa^ bal&er geforbert toirb, ift 
eine burd^gängige unb grünblidbe 2lnal^fi§ unferer SBorftellungen, eine 
Serlegung berfelbcn bis in il)re einfad^ften ©lemente, bereu Ungerleg= 
barfeit gleidf) ift ber abfoluten ßlarl^eit unb ©eloifel^eit. ®iefe Siegeln 
tooQcn nid&t blofe gegeben, fonbern befolgt fein, fie oerlangen eine ben 
innerften SJlenfd^en erleud&tenbe ©elbfterfenntnife, bie aöe ©eiftegfröfte 
unb barum ba§ gange ßeben in 3lnfprud6 nimmt unb auf bie ©elbft= 
bclel^rung als feinen alleinigen 3toedC rid^tet. Sebe Slbl^öngi gleit t)on 
fremben SJleinungen ift eine Slbtoeid^ung oon biefem Siel, ein 3e^l= 
fdftritt in ber ßebenSrid^tung, toeIdf)e bie größte ©elbftänbigfeit im 
S)enfen unb Urtl^eilen eingul^atten l^at; aber biefe ©elbftänbigfeit reid&t 
nur fo toeit als bie ©ebanfen. SBeiter foH unb barf fie nid^t reid^en. 

§ier ift bie ©renge, bereu SRid^tbead^tung ebenfalls ein f^el^lfd^ritt toöre; 
bälget forbert bie ©elbftbete^rung gugleic^ bie größte ©elbftbefcörän= 
fung. ®aS S)enlen gel^t feinen eigenen 2Beg, ben gu finben unb gu 
orbnen ein fiopf fidft felbft genug ift unb beffer als Diele, dagegen 
in ber SBelt l^errfd^t boS ©etriebe ber meufd^lid^en Sntereffen, fd^toierig 
gu orbnen, müljfam gufammengefügt in ben großen focialen ,Rörper= 
fd^aften, bie allmäl^Ii^ entftanben finb unb jeber millfürlidö aufs 
gebrungenen SEI^eorie, jeber metl^obifd^en 6inrid&tung, bie baS ®en!en 
nad& feiner 9flid^tfd6nur iljnen geben möd&te, toiberftreben. ^ier fd&eiben 

^ Millet: Histoire de Descartes. Vol. I. pg. 93. 



170 3^site SeBenS^ertobe: bte SESanbetjal^te. 

fid^ genau tl^eoretifdöeS unb proItifd^eS 8e6eti, jenes Bebarf einer 
f^ftematifdöen, t)on einent ©tunbflebanfen belierrfd^ten Drbnung, tDäl^renb 
btefeS eine \oli\z Orbnung nid^t t)erträgt; bal&er ift bie Sleform bcS 
®enfcn§ ettüoS gang anbereS aU bie ber ©efettft^afl, unb bie tt)Q]^r]^eit= 
fud&enbe ©elbftbelel^rung I)cit tceber bie Seit nod^ baS SBetmögen gut 
SBeItt)erbefferung. ®tne unmittelbare Uebertrogung ber SH^eorie auf 
bie öffenttidften unb ipraftifdöen S)inge ift in ben Singen S)e§carte8' bie 
t)erfel)lteftc 2Intt)enbung ber $!Jlet^obe unb barum ein unmetl^obifd&cS 
SSerfal^rcn ber übelften 2lrt, toeld&eS er grunbfä^Iid^ öerneint. Sf^nt 
gilt bie ©elbftbelel^rung als feine gange ßebenSaufgabe, als eine rein 
perfönli(j6e unb prit)ate, bie für anbere nid^t einmal ein tl^eoretifd&eS 
aSorbilb fein tDill. 3eneS fauftifd^e 2Bort: „Silbe mir nid^t ein, id^ 
fönnte toaS leieren, bie 50tenfd6en gu beffern unb gu befel&ren", ift bei 
il^m nid&t ber bittere, fonbern tool^lgemutl^e unb befd^eibene SluSbrudC 
feiner ßebenSrid^tung ; biefeS 9iid^tfönnen ift Ijier gugfeid^ ein grunb= 
fö^lid&eS 3?td6ttt)ollen. 2BaS in ber Orbnung ber öffentlid&en 2)inge 
getDorben ift, lann nur aümäl^lid^ geänbert unb reformirt werben; 
beffer fonft, eS bleibt tt)ie eS ift, als ba% eS t)on einer abftracten 
SEI^eorie auS t)lö^lid6 umgeftürgt toirb, unb bie Uebelftänbe ärger »erben 
als gut)or. 

2luf eine fold^e ®rtt)ägung grünbet 2)eScarteS feine confer= 
öatiöe ©efinnung. Sfn feinem ®enfen toiU er frei fein, barum fud&t 
er bie @infam!eit, öermeibet jebe öffentlid^e ßebensftellung, öerl^dlt fid& 
gum abreiben ber SBelt toeniger mitl&anbelnb als betrad^tenb; in feinen 
ßebenSformen önbert er nid&tS, er bleibt aus 5ßietöt unb @runbfa§ 
treu ben ©efe^en feines ßanbeS, ber 9leligion feiner SBöter, ben ©itten 
feines ©tanbeS, unb tDO feine ©ebanfen mit ben öffentlid&en Slutoritöten 
feinblidö gufammenfto^en, ba ift er im t)orauS entfd^loffen, biefe ©e= 
banfen lieber nid^t gu äußern, als burd^ il^re S3eröffentlid6ung bie 
©emütl^er gu beunrul^igen unb bie in ßird&e unb ©taat eingelebten 
aSorftellungen gu crfd&üttern. S)tefc ®en!n)eife, toeld^er man ben na^ 
aufeen gerid^teten, reformatorifrfien 5Dlut]^ abf^red^en mag, aber eine 
toeife SBorfid^t, ein reifes, toelterfal^reneS Urtl^eil unb eine grofee 
aJlenfd^enfenntnife guerlennen mufe, ift in ®eScarteS fdbon metl^obifd^ 
befeftigt, als er, ein fünfnubgmangigjal^riger SJiann, bit firiegSbienfie 
öerläfet. ©eine Söelenntniffe über biefen 5pun!t finb fo einfad^ unb 
unge!ünftelt, ba^ man fie nid^t gelefen l&aben mu^, toenn man bie t)or= 
fidjtige, biStoeilen ängftlid^e «Haltung ©eScarteS' für d^arafterloS anpeilt. 



SöcItMen unb Äticöfiial^re. 171 

„^ä) toax", fd^teibt er in feiner Slfil^anblung t)on her SDletl^obe, 
„bantals in S)eutfdfelanb, tt)ot)in mid& ber Slnlafe be§ ÄriegeS, ber bort 
nodö ttid&t becnbet ift, gerufen l^atte, unb als xä) t)on ber ßaiferfrönung 
wieber jum §eere gurüdgelel^rt mar, öertoeilte id& ben Slnfang beS 
SBinlerS in einem Ouartier, tDO id^ ol^ne jebe gerftreuenbe Unterl^altung 
unb überbieS aud& glüdHid^erroeife ol^ne aüe beunrul^igenbe ©orgen unb 
ßeibenfd^aften ben gangen SEag allein in meinem 3itnmer eingefd&loffen 
blieb unb l^ier alle SDlu^e l^atte, mit meinen ®eban!en ju öerfel^ren. 
Unter biefen ©ebanlen fü^rle mid& einer ber erften gu ber SBetrad&tung, 
bafe SBerfe, bie aus l&eterogenen ©tüden gufammengefe^t finb, oft 
nid&t fo t)olIfommen finb, als fold&e, bie ein (Singiger auSfül^rt. ©o 
fiep man, bafe bie ©eböubc, bie ein unb berfelbe 33aumeiftcr unter= 
nommen unb öollenbet l^at, getoöl^nlidö fd^öner unb beffer georbnet finb 
als bie, toeld&e mel^rere auSgubeffern bemül^t toaren, inbem fie alte, 
gu anbern 3ö)edEen gebaute SDlauern benu^ten/' „fjreilid^ feigen mir 
nid^t, ba^ man aÜe ^öufer einer ©tabt über ben Raufen toirft, blofe 
in ber 2lbfid6t, fie in anberer ©eftalt toieberl^ergufteöen unb fdöönere 
©trafen gu mad&en, tool^l aber finbet man, ba§ t)iele ßeute bie ipigen 
abtragen laffen, um fte toieberaufgubauen, unb mand&mal fogar baju 
gegtoungen »erben, toenn bie Käufer in ©efal^r eingufallen unb ipe 
©runblagen nid&t feft genug finb. ®emgemä§ toar i^ übergeugt, baB 
eS »al^rlidö gang unt)ernünftig fein toürbe, wenn ein 5ßriDatmann ben 
Staat ober aud^ nur bie getoöl^nlid&en SBiffenfd&aften unb bereu feftge= 
fteÜteS ©d&ulf^ftem fo reformiren wollte, ba§ er aHcS barin Don ©runb 
aus ftnberte unb baS ©ange umftürgte, um eS tt)ieberl§erguftellen; ba* 
gegen glaubte id^, toas meine perfönlid^en Slnfid^ten betreffe, nid&ts 
SeffereS tl^un gu lönnen, als fie einmal grttnbli^ abgulegen, um bann 
nad&träglidö enttoeber anbere ober aud6 fie felbft roieber an ilire ©teüe 
gu fe^en, nad&bem fie t)on ber SBernunft gered&tfertigt Sorben. Unb id& 
toar getoi§, ba§ eS mir auf biefe 2lrt gelingen toürbe, mein ßeben 
toeit beffer gu filieren, als toenn id6 nur auf alte ©runblagen baute 
unb ©runbfö^e feftl&ielt, toeld^e id^ mir in meiner Sfugenb l^atte einreben 
laffen, ol^ne je il^re SBal^rlieit gu prüfen, Dbtool^l id6 aud& l^ier 
mand&erlei ©c^toierigleiten bemerfte, fo toaren fie bod^ nid^t l^eillos unb 
mit benen nid^t gu oergleid^en, bie in öffentlid&en Singen bie 9lefor= 
mation ber Ileinften SSerl^öltniffe mit fid& fül^rt. S)ie großen ßörper 
ber ©efettfd^aft laffen fid^ nur mit vieler SJlül^e toieberaufrid&ten, tocnn 
fie am SBoben liegen, ober aufl^alten, toenn fie fd&toanfen, unb il^r 



172 Siufi'« Öttienispd'iDfie: bic iGJaiibttja^ve. 

©tutj ift Qßcmal K^t fc^Kiet. 95a§ aber i^ce ÜJlöngcI ongeljt, fo ^ot 
biefelbeii bei ©ebtaucE) ber3f't immer gemübctt unb jogar Diele boDon, 
benen fic^ mit feiner filiig^Eit fo gut deifommen Itefee, unmertlict) ob- 
geftEÜt ober oerbeffert, iiiib ^ule^t finb bie[e Sftänget faft in allen 
(JäBen crträgtii^ec cili i^re Uiiimanbluiig. G§ öeiljält fiift bamit 
ft^iiliift, wie mit bcn grofecn Sffiegen, bis fiiiö ätDifcöen ben Sergen t)in= 
Kinbcn unb burcti ben täglichen ©cbrauii üGma^lii^ (o eben unb be= 
quem toerbcn, baß man meit 6effer tt)ut, iljnen ju folgen a!§ bcn ge' 
rabeu Seg ju nehmen, inbem man über S^Hen Ilettert unb in bie 
Siefc jöticr 9I6grünbe tiinabfteigt. SDorum inerbe id) nie jene un= 
rutjig^n unb Berroortenen fiö))fe gut ^ei^en Ifönnen. bie, otjue Don ®e^ 
burt ober ©(Sitffal ^ur ^ü^tung ber üffentttf^en Slngelegeii^eiien hi= 
rujen ju fciit, boc^ fortroütjtenb auf biefem (Sebiete nacb Sbecn reior= 
miren wollen; unb menn iti) bälgte, bafi biefe ©i^rift irgenb etwas 
ent^iette, ba§ mtif) in ben 3Jerbacf)t einer folc^cn jttior^eit bringen 
tonnte, fo würbe es mir fe^r leib fein, i^re SeriJffentltifeung juge- 
laffen ju ^aben. SDieine 9t&fic&t l&at fit^ nie weiter erftredt als auf 
ben Sßer|u(^, meine eigenen ®eban!en äU reformiren unb auf einem 
©runbe aufjubauen, ber ganj in mir liegt. Sßenn id) nun oon 
meinem 3BerFe, weit icti bamit jiijrteben bin, eud) l)ter baS 3Jlübftt 
jeige, fo gefiStcljt c§ nic^t, löeil icfi irgenbmem rai^en mift, es na4= 
aualjmen. Stnbere, bie ©ott bcffer mit feinen (Saben ausgeftottet Ijat, 
mögen oiellctii)t ©tofeereS im Sinn ^aben, böi^ fürchte icö, ba^ meine 
9(bfic!it fdjon für biete ju tlitin ift. Sf^on ber @ntfc£)IuB, ficd oller 
SUleimmgcn, bie man e^cbem glcubig oufgenommen ftat, ju begeben, 
tft lein SSorbilb für jcbermann." Sfac^bem ®e§carte3 feine 5)letf|obe 
unb beren ©runbjüge naä) ber t^eoretifcbcn unb praltifiijen Seite ent= 
roüelt unb ala feine 8e6en9maEimen auSgcfproAen ^at, fä^rt er fo 
fort: „®a iij nun biefe Cebenägrunbfü^e gefaßt unb nebft ben 
®!aubenätiorf(briftcn, bie bei mir ftets bie erften im 3lnfef)en waren, 
ficber gcfteüt ^atte, glaubte ic&, ben übrigen Slieit meiner Slnfic[)ten 
mit Ooller O^vei^eit aufgeben unb prüfen ju bürfen. ®ie§ ober, fo 
Ijoffte icb, mürbe im lebcnbigen 58erlel)re mit SJtenftfien aEer llxt Beffer 
Don ©latten gcVn, cds wenn icb noi^ lönger in meiner Seite, wo i$ 
alle biefe ©ebonlen gehabt ^atte, eingef(i)Ioffcn bliebe. SJartim begab 
i^ mtii) noä) cor @nbe beS SBinterä auf 31eifen. Unb Wälirenb ber 
gongen Seit ber neun folgcnben Saftre t^ot ic6 nicbtä, alö bolb ba 
bolb bort in bei SBelt um^erfcöweifen, benn ict) wollte in i^ren 



aOßeltIcBcn unb Äxicö^ial&tc. 173 

ßomöbien lieber 3ufd&ciuer al8 Slcteur fein; bei jeher ©ad^e erlDog iä) 
forgföltig, toaS bte[elbe bebenflid^ mad^en uttb un§ Slnlafe jur Saufd^ung 
geben lönnte, nnb fo [d^affte icfe im ßaufe ber 3eit alle 3ftrt]^ümer 
mit ber SBurjel fort, bie fid6 el^ebem eingefd&Iic^en l^atten. 3liijt baß 
id^ beS^alb bie ©feptüer nod^geo^mt ^ötte, bie nur ätoeifeln, um ju 
gtDeifetn, unb immer unentfd&ieben fein tooüen; öielmel^r toax meine 
Slbfic^t bie entgegengefe^te: id6 tooüte mir ©id^erl^eit t)erfd6Qffen unb 
ben fd^tDünlenben 33oben unb ©anb bei ©eite toerfen, um ©eftein ober 
©d&iefer ju ftnben." „©o lebte tdö nun nad^ aufeen ganj toie bie 
ßeutc, bie toeiter nid&t§ gu t^un ^aben aU ein angenel^meS unb ijatm- 
lofeS ßeben gu fül^ren, bie fid& beftreben, tl^re S3ergnügungen t)on ben 
Softem gu trennen unb, um il)re 50?u§e ju genießen, ol^ne fid6 gu 
langtoeilen, alle eljrbaren 3ßtftreuungen mttnebmen. ®od& unter biefer 
STufeenfeite Iie§ id& nid^t ah, in ber SluSfül^rung meines ^pianeS t)or= 
toörtS ju fdftreiten unb in ber 6rlenntni§ ber SBal^rl^eit t)ielletd&t ntel^r 
ju getoinnen, als toenn id6 nie ettoaS anbereg getl^an l^ötte, aU 
SBüd^er (efen unb mit ©elel^rten umgel^en."^ 

SBir l^aben an biefer ©teÜe bie ©elbftbefenntniffe ®e§carte§' um 
il^rer biograpl^ifd^en 33ebeutung iDiÖen |o au§fü^rlid& reben laffen. 
Dbtool^t fie einen Seitl^unlt feine§ ßebenS erleurfiten, ber ad^tge^n 3af)re 
früher tft aU ii}xt SBeröffentlid^ung, fo fann bei ber SBa^r^eitSliebe 
unb genauen ©elbftlenntnife S)e§carte§', bie jebe ©ebäd&tnifetöufd^ung 
über ben eigenen ®ntn)idC(ung§gang auSfd&Iießt, nid&t ber minbefte 
3toeifet an ber l^iftorifd&en 2reue jener ©d^ilberung befleißen, bie jur 
ßinftd^t in bie ®pod6e be§ S)urd6bruc&§ bie eingige, ööHig ungetrübte 
unb autl§entifd&e Queße au§mad)t. 

6§ tft bemnad^ fidler, ba^ ®e§carte§ bie ©df)ule afe ©fepttfcr 
Derliefe, bie SBal^rfieit fud&enb, be§ SBegeS unfutibig unb bebürfttg, ba% 
i^xa bas tDcgtoeifenbe ßid&t in ber ®infam!eit feines minterlid^en 2luf= 
entl^alteS gu SReuburg im Saläre 1619 aufging, ba§ er l^ier gum erften= 
male bie Slotl^toenbigfeit unb aRögIid)fett einfal^, bie analst ifd^e 
aWetl^obe auf ben menfd^Iid&en ©eift unb feine ®r!enntnifeguftänbe an= 
gutoenben mit berfelben ©id^erl^eit unb bemfelben Srfotge, bie in ber 



1 Discours de la m^thode. Part. II. et III. SÖQl. meine Ucbcrfc^unft 
@. 12-16, ©. 27 u. 28. 



174 SttJcitc ßebcns^eriöbc: bie äöanberjal^re. 

©cometric burd6 tt|n jelbft gefunbcn unb auf baS ©lüdltd&ftc er^jrobt 
tparcn. ®er ©runbgcbanfe ber anal^tijÄcn ©cometric ftanb il^m fcft, 
ot§ er bcn großen ©ntfcftluS fafetc, an bic ©teile ber ©röfeeri fid^ felbft 
ju feiert, ben eigenen ©eift unb feine ßrfenntnifeguftänbe gu anal^ftren, 
um baS 3)unler ju öerfc&eucften unb jur .ßlarl^eit ju gelangen, fein 
ganjeS ßcben bemgemäfe einjuridjten unb gu befrud^ten, bamit e§ ber 
beftönbige unb lol^nenbc ©cgenftanb biefeS fct)tt)icrigen unb Beifpiellofen 
@5^)crimente§ fei. 3n biefem SBorfa^ finb aüe jene Siegeln entl^atten, 
bie er fc^on bamals gu feiner Süditfdbnur mad^te. 3loä^ fü^lt er fid^ 
toeit t)om 3iri/ ba§ er langfam unb fidler erreid&en tutll, aber er fül^lt 
fidf) auf bem SQBege. 35lit breiunbgtoangig Salären ift man nod^ fein 
9Jlenfd&en!enner, nod6 nid&t im Sefi^c jener ©elbfterfal^rung, bic einer 
grünblic^en unb mctl^obifd^cn ©elbft^)rüfung Dorau§get|en foll. Sal&cr 
t)ertagt S)e§carte§ bic ©eifteSoperation, bie er an fid^ felbfi auSfül^ren 
tpill, bis gur Sßoüenbung ber SBanbcrial^rc unb ftellt t)on je^t an feine 
Steifen in ben 3)ienft feiner ßebenSaufgabe unb Jöletl^obe. 3)a§ 3iel, 
ba§ auf biefem SBege gefud^t tt)urbe, fonnte fein anbercS fein als bie 
^rincipien bct neuen, t)on 3)e§carte§ begrünbeten 5ß]^ilofopl^ie. Ser 
^eim bagu entftanb in ber SBintereinfamfeit Don 3leuburg, aber e§ 
beburfte neun Saläre, bet)or biefer @mbr^o gu öoüer Steife gebiel^. 
2)ie ©etoifel^eit be§ ©urcbbrud^S erfüllte fein ©emütl^ mit cntJ^uftaftifd^er 
greube, bie SluSficftt öffnete ftd^, unb in ber gerne leud^teten tl^m bie 
ol^mpifd&en §öl§en ber ©rfenntnife. SQBir braud^en fein- eigenes Silb. 
@§ fd&eint, bafe ber Sag biefer merfwürbigen ßebenSepot^e beftimmt 
toerbcn fann: eS toar ber 10. 3lot)ember 1619. 3ln bem 3;agc= 
bud) beS 5pt|ilofop]^en, baS jener 3cit angel^ört unb bis je^t leiber t)er= 
loren ift, — n)ir fennen es nur auS ben Seric^ten äSailletS unb 
unöollfommenen 9lbfdf)riften, bie Seibnig gemad&t unb goudöer be ©arcil 
t)eroffentlid)t l^at, — befanb fid) eine Slufgeid^nung mit ber Ueberfd^rift 
«Olympica» unb ber Slanbbemerfung: „2lm 10. 3Zot)ember ift mir ba^ 
ßid&t einer tounberbaren ©ntbedCung aufgegangen (intelligere coepi 
fundamentum inventi mirabilis)". ^n ßeibnigenS 2tbf(^rift ifi baS 
3a]§r 1620 genannt, nad) SSaiüetS 2lngabe lauteten bieSQBorteS)eScarteS: 
„5lm 10. ?iot)ember 1619 cntbedEte x^, t)on ©ntl^ufiaSmuS erfüllt, bic©runb= 
lagen einer bett)unberungsn)ürbigen SBiffenfdfeaft (cum plenus forem 
enthusiasmo et mirabilis scientiae fundamenta reperirem)". S)ie 
©elbftbcferintniffe beS 5pt|ilofop]^en begeid&nen ol^nc alle nöl&eren Umfiönbe 
bcn Stnfang beS SBinterS 1619 als bic ßpoc^c beS Surd^brud^S. 3n 



äßeltleben unb IltiegSiai^re. 175 

einer weiteren Slutjetdöhung bc8 Slagebud^g l^cifet eg: „3d& toerbc t)or 
6nbc Sftoöcmbcr in ßoretto fein, Dor Dftern meine Slbl^anblung t)ott= 
enben unb [ie Deröffentüd&en, tt)ie id& e§ l^cute, ben 23. @e<)temBer 1620, 
t)erf<)rodö^tt ]§abe". S)er ©egenftanb biefer Slbl^anblung fonnte nur 
jene ©ntbedung fein, für tueld^e bie SBaUfal^rt nod^ ßoretto gelobt 
toax. ®ie 5ßilgerreife erfolgte fünf Sa^re ]p^kx, bie aSeröffentüd^ung 
beS SBerfeS nad& fiebgel^n unb, tt)enn bie ©runblagen be§ ©^ftemS 
borunter Dcrftanben finb, erft nacfi gtoangig Sal&ren. 

®ie Slngoben über bie erfie ©ntbedung finb ftfttoanlenb; ber 
jüngfie a3iogra<)]& toiß bie «scientia mirabilis» unb baä «inventum 
mirabile» für gtoei t)erfd&iebene gel^alten toiffen, bereu erfte S)e§carte8 
ben 10. Sftoöember 1619, bie anbre ben 11. 3lot)ember 1620 gemad^t 
l^abc; ber ©egenftanb jener fei bie neue SJletl^obe ber 5ßl§itofo<)]&ie unb 
jugleid^ bk anat^tifd&e ©eonietrie getoefen, ber ©egenftanb biefer un- 
belannt, loal^rfdöeinlidö fpecieß matl^ematifd^er 3lrt unb auf ©leid^ungen 
Begüglid^. 3(i& bemerle, ba§ biefe Kombination auS ber ßuft gegriffen 
ift. 3n ber i&txnbfd^rift 3)e8carte8', fotoeit ßeibnig biefetbe co})irt unb 
fjoud&er be ©areit fie mitgetl^eilt l^at, ftel^t t)om 11. JRoöember 1620 
fein SBort. 3m Se^t Reifet eS; „3m 3a^r 1620 ift mir ba§ erfte 
ßidöt einer lounberbaren ©rfinbung aufgegangen"; am 9flanb ift aU 
S)atum ber 10. JRoöember bemerft, unb tt)eiter ift gu lefen, bafe 
S)e§carte§ im Sftoöember 1620 öon SSenebig naä) ßoretto })ilgern 
tDOÜte. 

SltteS ertoogen unb an 3)egcarte8* ©elbftbefenntniffen get)rüft, 
crfd^eint aU bie fid^erfte Slnnal^me, bafe ber 10. Sloöember 1619 ber 
cpod&emad&enbe Stag toar, too ber erfte forttoirfenbe ©eban!e feiner 
?p]^ilofo<)]^ie geboren tourbe. (Sa§ Sal^r 1620 in SSerbinbung mit 
bicfcm ®atum ift loalirfd&einlid^ ein ©c^reibf elfter, ben ßeibnig ge= 
mad^t l^at.) 

SaiÜet berid6tel au§ bem Sagebud^ ©eScarteS', ha% biefer un= 
mittelbar nad& ben ent^ufiaftifdfien Erregungen beS folgereid&en Sageä 
brei merlmürbige SEräume gel^abt, bie er auSfüIirKdö befd&rieben unb aU 
©innbilber feiner aSergangenl^eit unb 3u!unft gebeutet l^abe. 3m erften 
fa]& er fid& gelöl^mt, t)om ©türme getrieben, in einer fiird^e ©d&u^ 
fud6enb, im gtoeiten glaubte er eine bonner&l^nüd^e ©timme gu l^ören 
unb erbüdCte lauter Scuerfunlen um fid^ l^er, im britten fd)Iug er bie 
©ebid&te beS SlufoniuS auf unb laS bie SBorte: «Quod vitae sectabor 
iter? » 5iad6 langer Dl^nmad^t unb inneren ©türmen l^atte S)e§carte§ 



176 Stoeite SebcnS^eriobc : 9lcifen unb 

am Sage öorl^cr bte ©titnmc bcr SBal^rl^cit vernommen, ^)Iö^Itd^c 
^eüe gefeiten unb feinen ßcbenStoeg gefunben.^ 



drittes ^apxUl 

fit^xtftffMQ. B. Wrifen mi }mtittx :2CttfetttljaU in Harte (1621—1628). 

2ld&t Jölonate t)ergct|cn, beöor ®e§carte§ öon Ungarn, too er bte 
ßriegSbienfte öcriaffen l^at, feine Slüdlel^r nad^ granfreid^ t)oIIenbet; 
es ift il^m ertt)ünfdöt, nodö einige Seit gu »anbern, benn feine ^Reifen 
finb feine ©tubien in bem grofeen SBui^e ber SQBelt, unb feine C>^tmat]^ 
ift gerabe in biefent Slugenblid tt)enig Begel^renStoertl^ ; ber S3SteberauS= 
brudö ber §ugenotten!riege in granlreid^ unb bie ^Peft, bie feit einem 
Sal^r in 5ßari§ l^errfd^t, finb jtoei Umftänbe, bie il^m ein längeres 
aSertoeiten im SluSlanbe toiülommen mad^en. 6r reift burd^ 5Dlät|ren 
unb ©d^Iefien nad& ber SJiarf Sranbenburg unb ^Pommern, tt)o tt)ir 
il^n im SInfang bt^ §erBfte§ 1621 finben, t)on l^ier nacft aJledKenburg 
unb <&otftcin, bann t)on @mben gur @ee nad^ SBeftfrieSlanb unb be= 
fielet tüäl&renb bcr ßüftenfal^rt ein 9lbenteuer, baS er felbft in einer 
2lufjei(^nung aus fener Seit (unter ber Ueberfd^rift «Experimenta») 
erjäl^It t|at, unb tt)oBei feine ©eifteSgegcntuart unb moratifd&e ßraft 
eine glüdüd^e 5|}roBe beftanben. ®ie ©c^iffer, mit benen er f&l^rt, 
tooüen il^n Berauben unb tobten; überzeugt, ba^ ber frembe Jölann 
il^re ©})rad^e nid^t öcrftel^t, öcrl^anbeln fie bie ©ad^e ganj offen, aber 
S)cScarteS merlt, tt)aS fie üorl^aben, jüdCt fd^neö feinen Segen unb 
tt)eife burd) bie entfd^toffcnfte Gattung bie 9lauber bergeftalt eingu- 
fd^üd^tcrn, ba% er fid^ unb feinen Siener rettet. 95on SBeftfrieStanb 
gel^t er nad^ §otIanb, loo er einen Stieil beS SQBinterS BleiBt, er Befud^t 
im . §aag ben ^o\ beS springen t)on Dranien, unmittetBar barauf in 
Sörüffel ben ber Snfantin affabeßa. 

1 3n ben «Olympica» (nod^ ßeibniacng SlBf$rift) finbet jid& na^ bcr 3ci^= 
angäbe feiner erften „tounberbaren ©ntbedtung" unmittelbar folgenbc 6tetle: ,3w 
^J^oöember 1619 ^abc i$ öon einem ©ebid&te geträumt, ba8 mit ben SDÖorten be= 
gann: Quod vitae sectabor iter?" ^uä) barauS löfet fld^ fd^liefeen, bafe unmittel» 
bar öorl^er ni$t „baS ^atir 1620", fonbern 1619 gu lefcn ift, mit ber Slanb» 
bemerfung: am 10. JJloüember u. f. f. 

3u ögl. Foucher de Careil: Oeuvres inedites de Descartes I. (Paris 1859) 
Pr6f. IX— Xni. Introd. XI~XV. Millet: Hist. de Descartes I. pg. 74—82 pg. 
96—98. 



atocitcr Slufentl^alt in $arig. 177 

^tn SKarj 1622 feiert er nad^ Sranlrcid& gurüd, nttntnt fein 
tnüttertidöeS ßrbtl^etl in SSefi^ unb Begiebt fid^ im fJebruQr 1623 nad^ 
?PQri§. Unter ben SEageSneuigf eitcn , tt)etd&e bie gefeüigen ßreife ber 
^amjtftabt befd^öftigen, [teilen bie ßriegäereigniffe in ®eutfd&tanb unb 
ber ©el^eimbunb ber Stofenfreuger obenan. Sliemanb lann über ben 
beutld^en ßrieg unb bie jüngften SBettbegebenl^eiten unterrid^teter fprcd^en 
aU 3)e§carte8, bcffen ©rga^Iungen mit ber größten ©})Qnnung gel^ört 
»erben; aud^ ^at fid& baS ©erüd&t Verbreitet, bafe Sölitglieber ber 
Sftofenireujer, biefeS DrbenS ber „Snöifibten" in 5Pari§ feien, bafe 
S)e8carte§ mit il^nen in näd^fter SBerbinbung ftel^e, ja felbft bem 
gd^cimni^öoBen Drben angel^öre. 3)ie ©ad&e ber Sftofenlreujer toxxb 
Qud^ l^ier gu einem ©egenftanb Utterarifd^er ßontroöerf en ; 5ülerfenne 
ift barüber in einem ©treit mit bem englifd&en SRaturpl^ilofo^jl^en Stöbert 
fjlubb begriffen, ber bie Sftofenireuger öertl^eibigt, tt)d]^renb ©affenbi, 
ber mit 2)e§carte§ um bzu JRul^m, ber erfte ^pi^ilofo^)]^ granlreid^S 
gu fein, f^jdter toetteifern foöte, fid& auf bie ©eite ber ©egner ftellt. 
9iad6 neun Sal&ren trifft 3)eScarteS mit einem atten O^reunbe SKerfenne 
toieber gufammen, ber, ingtoifdöen nad& 5Pari§ gurüdfgefel^rt, im ßloftcr 
nal^e ber 5piace ro^ate tool^nt unb fid^ eben mit ber Verausgabe feines 
©ommentarä ber ©encfiä befd^öftigt. SBaS bie Sflofenfreuger betraf, 
fo lonntc S)e§carteö ben neugierigen S^ragern fd&ergl^aft erioibern, feine 
©egentoart betoeife, ba§ er !einer ber „Snöifiblen" fei. 

©ieSmal bauert fein Slufentl^att in 5Pari§ nur tocnige 50lonate. 
?iad6bem er in ber ^Bretagne feine ^^milie toiebergefel&en unb in ^JJoitou 
feine ©üter öerfauft l^at, begiebt er fid^ im ©e<)tember 1623 t)on 
neuem auf Steifen, bie je^t nad^ bem ©üben geridbtet finb. ®r toitt 
Stauen lennen lernen unb in Slom einen Stl)eil beg Subeljal^reS er= 
leben, loeld&eS SBeil^nad&ten 1624 beginnen foH. 3u biefer Seit ift bie 
t)ä^)jiUd&e ©tabt gleid^fam ein 6omt)enbium öon gang @uro<)a. @r 
nimmt feinen SBeg burd^ bie ©d^toeig nad6 S^rol unb befuc^t in 
SnnSbrud ben ^of be§ ©rgl^ergogS ßeo<)olb; öon ba gel^t er nad^ 
SSenebig unb ift am §immelfat|rt§tage ein 3ßuge ber grofeen $0ieere8= 
feier; bann t)Ugert er nad& ßoretto, um gu erfüllen, toas er fünf Saläre 
t)or]&cr in 3leuburg gelobt l^atte. Jülit bem fflcginn ber Seftc ift er 
in Slom unb öertoeilt liier big gum ndd^ften ^rül^jal^r. 2Iuf ber Slüdf^ 
fel^r fiel&t er fjlorenj unb ben ^of bc§ ©rofeljergogg gerbinanb II., 
aber nid^t ©alilei, ben größten SJlann ber Seit, ber in feinem Seben 
nod& öerl^&ngnißöolt loerben foüte. S)er Slngabe, ba§ er bie 33elannt= 

gfifd^cr, ®efd^. b. «pi^ilof. I. 4. «ufl. 31. 5t. 12 



178 3tt)ette Sebens^eriobe: Steifen unb 

fd&aft ©aüicis gcmad&t l^abe, tt)iberf))rid6t feine eigene Srflarung in 
einem j))dteren SSriefe an ajierfenne. Heber ^piemont unb bie 3ltpen 
feiert er nod^ öor 50litte beS Sial^reS 1625 nad^ S^ranlreid^ gurüd. 

S)ie brei folgenben Saläre Bleibt ®e§cQrte8 mit Wenigen Unter= 
bred&ungen in 5Pari§, too er gegen Slnfang be§ ©ommerS eintrifft. 
Äurj öorl^er fd^eint er bie 2lbfid&t gel^obt gu l^aben, ein il^m angebotenes 
unb feinem Stange entf<)re(i6enbeS Slmt in ßl^atelterault ju laufen, bo(fi 
balb giebt er bie 3bee, toenn fie je ernfilidö gefaxt tuar, »ieber auf 
unb toal^rt, bem erften @ntfd)tuffe treu, feine öolte Unabl^öngigfeit unb 
Jülufee. 3)er ßreiS feiner toiffenfd^aftUc^en SBelannten unb fjreunbe 
öermeört fid^, er tt)irb Don alten ©eiten gefud&t unb gilt fd^on al§ 
einer ber erften ajlatl^ematiler unb 5p]^itofot)6en be§ 3eitatter§. 3u 
biefem ßreifc gel^ören bie bebeutenbften 50lat]§emati!er, 5pi^^filer unb 
Stl^eologen ber ^au})tftabt: id^ nenne bie Sftamen <&arb^, be Seaune, 
SKorin, 3)eSargue§, Salgac, btn 2Irjt SSiUebreffieuj, bie Stl&eologeu 
©ibieuf, be la Sarbe, bc ©anc^ unb t)or aöen als ben erften ©önncr 
3)eScarteS' ben ßarbinal 336rulle. SBir finben in ben folgenben Salären 
ben 2lr3t SBiüebreffieuj unb ben 3lbbe 5picot mit S)e§carteS in naiver 
SSerbinbung; feine oertrauteften S^reunbe finb nocft öon bem erften 
^Parifer Slufcntl^alt l^er 50lerfenne unb $üi^borge, ber, eben bamals mit 
ot)tifd&cn aSerfud^en unb ©tubien befd^aftigt, in S)eScarteS bie Unter« 
fud^ungen anregt, beren f})äterc grud^t feine S)ioi)trif toar. 33eibe »erben 
in biefen ©tubien öon einem ber erften optifd^en ßünftler in 5JJariS, 
bem tt)iffenfd&aftlid) unb ted^nifdö gleid^ bebeutenben gerrier unterftü^t, 
ber bie Sfnftrumente auSfül^rt, bie aJl^borge enttoirft, unb bei meld^cm 
SDeScarteS felbft fid& in ber ßunft übt ©läfer gu fd^leifen. ©r fd)ä^te 
tJerrier fo fel^r, ba^ er feine f^)ater fo forgfaltig gefud^te unb bcl^utfam 
gematirte ©infamleit in ^oüanb mit leinem lieber getl^eilt l^ätte. 

2Iu§ bem §aufe beS il^m befreunbeten ße 25affeur b'lfitioleS, too 
S)eScarteS guerft feine SBol^nung genommen, l&atte er fidö im Sluguft 
1626 n)ieber in bie 25orftabt ©t. ©ermain gurüdCgegogen, um einige 
3eit etnfamer gu leben. 2IlS er in baS §auS ße 25affeur unb'in ben 
größeren ^reis feiner fyreunbe gurüdlel^rt, beginnt t)on neuem ber 
»iffenfd^aftlidö gefeKige SJetfel^r, unb eS bilbet fid^ in biefem ^aufe eine 
ifctnc 3llabemie, beren SJlittelpunft ®e§carteS ift. §ier äußert er in 
gef elligen ©efprädften guerft feine pl^ttofopl^ifd&en, in ber @infam!eit 
gereiften ©ebanfen, bie burcft il^re 3leul)eit unb Siefe fo überrafd^enb 
unb einleud^tenb toirlen, baß fd&on je^t greunbe, ©elel&rte unb 33ud6= 



atoctter 3lufcnt]&alt in ^aris. 179 

tlönblcr x^n Bcftürntett, feine Sbeen her 2BeIt mitjutl^eiteti. ®od^ 3)c§carte§ 
\mx entfdöloffett, bei biefem SBerIc ftc^ öor jebcr Uebereilung imb iebem 
aSorurtlieile gu lauten, bie ©aot in feinem ©eifte nod& gu p^^ien unb 
mit ber ßtnte ju matten, 6i§ ber Sßitjjunft ber t)oü!ommenften JRetfe 
audö in feinem ßebenSatter gelommen fei. Salb toerben il^m ©ejeü« 
fd^oft unb S8efu(|e tuieber löftig, Don neuem ertoad^t baS untoiberftel^Ui^c 
Sebürfnife nac^ ßinfamfeit, er fliegt aus bem befreunbeten §aufe unb 
verbirgt fid^ am ®nbe t)on 5)}ari§ in einer nur ben öertrauteften fjreunben 
belonnten SBol^nung (©ommer 1628). ße SSaffeur fud^t il^n umfonft; 
cnblidö trifft er ben 3)iener, ben er nötl^igt, i^m bie SBol^nung gu 
geigen, unb l^ier finbet er 3)e§earte§, ben er eine Seit lang ungefel^en 
beobad^tet, um U Ul&r nad) feiner ©etuol^nl^eit im 33ctt mebitirenb 
unb t)on 3«it gu 3^it fd^reibenb. 

3118 2)e§carte§ ba§ erftemal granlreidö öertie^, l^atte ftd& eben 
Submtg XIII. t)on ber mütterlid&en Seöormunbung loSgemadfet unb 
unter bie ßeitung feines ©ünftitngs begeben ; al8 er nacft 5Pari§ gurüdf= 
feiert, ift btefe ^aöoritenl^errfd&aft vorüber, unb neben bem matten ßöntg 
erl^ebt ftd& ein bebeutenber, gum S^iegieren »irlücft berufener Staatsmann. 
2)a§ Sal^r öorl^er toar Südöelieu ©arbinat gemorben, groei Saläre 
fpäter tritt er unter bem toiebererneuten ©inftufe ber tRönigin SJlutter 
in ben Staatsrat)^, balb ift er ber erfte 9Jlinifter, in SBal^rl^eit ber 
alleinige Slegent. ®ie ^ßolitif biefeS ?Jlanne§ bulbet im Innern 8^ranl= 
rcid^S feine bem föniglid^en. 9flegiment tt)iberftrebenbe ober bebrol^Iid^e 
Maä)t unb forbert au§ biefem ^ntereffe bie Unterwerfung unb ©nttoaffnung 
ber 5ßroteftanten unb i^rer @id&er]^eit§<)Ia^e, bereu toid^tigfter ßa 9lod&eIIc 
ift. 3)ie ©tabt foü auSgel^ungert unb beSl^alb fo belagert unb ein= 
gefd&Ioffen tt)erben, bafe bie Suful^r unb bie ßntfe^ung unmöglich ift; 
bie SBelagerungSfunft l^atte bei ber ßage ber ©tabt bie größten 
©d^mierigleiten gu befiegen, unb bafe fie e§ oermod^t l^at, mad&t bie 
Sclagerung t)on ßa Sflod^eüe benfwürbig in ber ©efd^id^te ber ^riegSfunft. 
6ine 3Kenge JReugieriger ftrömen l^erbei, um bicfe SBerle ber ßriegSlunft 
gu feigen, unter il^nen S)e§carte§, ber fic^ t)or ßa 0lod^elte für bie t)er= 
lorene ®infam!eit in 5Pari§ entfrf)äbigt. ©ein greunb SeSargueS l^atte 
als Sngenieur bei ben SelagerungSmafdf)inen mitgemirlt unb mad^te 
S)eScarte§ guerft mit 9lid&etieu befannt. 3)er fiönig felbft ift gegen= 
»artig, unb für bie ©belleute, »etd&e bie Jieugierbe I)erbeigefü]^rt l^at, 
giemt eS fid& nid&t, bIo§ Sufd^auer gu fein. Slud^ 2)e§carteS ift im 
©efotgc be§ ßönigS, als biefer eine 3flecognoScirung ber englifd&en S^Iotle, 



SüJtite 8t6en«p(riDbt: Mcifen 



^^^H toetcbe bie Sdageitcn Der(;e&Iic^ ju entfc^eit [uc^t, uitternimtnt unb 
^^^B fpätei In bie freiiotUig üktgeftene <St(tbt einjie^t. Einfang 9tDDem6er 
^^^H 1G28 ti\)xt SeScorteS üon biejcm feinem letiten Selbjiige (roeim man 
^^^H fo (agen bair) nat^ ^aris ^uiüd; eg finb geiobe neun ^a^xe, baf; 
^^^P er in 3!eu6ut9 an bcr ©nnnu jiierft ben Seg ex&ticfte, auf bem et 
^^^B je^t bid)t Dor bcm Si^Ic fte^t 

^^^1 SScnige Sage nai^ feiner dlürffunft feierte S^escaites einen B\ 

^^^B ber i^m unUcraeBliÄer blieb als feine ^clbäüge, cB Wut ein Itium] 
^^^H feiner 2net()obe, eine luo^tScftaubcne ^ode beifelbcn Dar einem einiätilten 
^^^P fircife bebeutcnbcr unb angefe^ener SJlönner. SBenn neue ^been in 
^^^" ber ßuft finb, glauben biete, fie fc^on ergriffen ju ^aben, unb neben 
bem itiabren unb fettenen Sntbccfer finbet fid) attemat eine 3)lenge 
üeimcintlic^er Sfeuerer, bie ficft unb anbere töufi^en. (SeiDÖfjnlirf) ijoitn 
biefe Öeule fienntniffe alter STrt, gerabe fo Diet alä fie jur S^ou 
tragen, eine feite SuBerficfit im Sluffreten, eine erftauntii^e Sillloii: 
fertigteit unb gefetlfc^afttiitie ©eraanbt&cit im iReben: lauter gtgenfc&aften, 
melije namenili^ bie Dorne^me Sßett, bie ®olb unb fia^engolb bi§= 
roeiten fc^roer unterfiSeibet , ju btcnben im ©tanbe finb. ®in %i)pü9 
biefer 9fct, ber fc^on Wnffebeii in $ariä erregt t)atte, rcnr ein gemiffec 
S^anbouj, Sflebidner unb S^emifer feines 3firf)fnä; StviftoteteS unb 
bie gi^otaftit Waren in feinem 9Jtunbe abgcmöctjte unb öerattete ©tünb= 
iiimfte; er tuufite gegen biefelben fo mobern ju fprci^en, mie Sacon, 
^obbes unb ©affenbi, fein brittcs Süöort mar „bie neue 5ßl)itofDp^ie", 
bie neuen unerff6ütterUct)cn ^tincipien, bie er felbft gcfunben ju tiaben 
ficb rühmte. ®en päpftlicben ?ii:ntiuS äJicriiuiS be Söagnö Ijatten 
biefe 5pra^tereien mirftitö gcblenbet; er toünfc^te biefc§ Ci(6t in feinem 
Greife leuiftten p taffeu unb tub, um ß^anbour ju boren, eine ®efen= 
fc^aft ber notabelflen ßeute. Unter ben ©etubenen mar aufter bem 
©arbinat Serulte auc^ ®e9carte3, 2)lerfenne, SiffebrefficuE u. n. 
ßbcnbouj fprnit) borbereitet, geläufig, blenbenb, unb fein Sortrog 
gewann ben tauten ffleifati biefer ertefencn 3uE)örerfc6aft. SJeScarti 
fügte nicöts. SJer Sarbinat Serutle, ber e§ bemertt, fragt itjn ttl 
feine 9J!einung; er antmortet auSmeicöenb unb jurüdbattenb, nlS 
natfi bem SJeifüU fotc^cr SJlÖnner nic!)tä weiter ju fügen märe; enblii 
ton atten ©eitcn gcbrflugt, fein Urtf)ctl abzugeben, gef)t er auf 
SBortrag ein, lobt bie ftiefeenbe Siebe, aucb bie ^reimüttiigleit, ttii 
firf) ßtianbouj gegen bie ^erlömmlid^e $[)iIofopt)ic unb für eine »öl 
unabböngige erttätt bnbe. 2Ba§ aber bie öermeinilü) neuen 5PrinciJii 



et 

M 



atoeitcr Slufcntl^ort in 3^ari8. 181 

betreffe, fo müjle er gtoeifcin, ob fie bic ^ßrobe ber SBal^rl^ett auSl^alten. 
3)e§cQrte8 ]df) ein Seifpiet jener ©elbftt&ufdöung öor fidö, bie er aud& 
on fid^ erfal^ren, ung&Ijltgemal an onbern erlebt, bis auf ben ©runb 
burd&fd^aut unb öoHig bemeiftert l&atte. 

®ie ©elegenl^eit bot fidö, ein 6jemt)el ju ftatuiren. 3Ran muffe 
einen ^JJrobirftein I)aben, um SBal^rl^eit unb ^rrtlium gu unterfd&eiben ; 
mer biefeS 5!Jiittct nid&t befi^e, ta<3t>e im ©unfein; er mad^e fid6 an« 
l^eifd^ig, bie augeufd^einlid^fte SBal^rl^cit, bie man il^m geben tooüe, fo 
ju toiberlegen unb ben augenfd^einlidjften Srrtl^um fo ju betccifen, ha% 
man genötljigt fei, feine ©rünbe gelten ju laffen. 2)er ®oj3})eIt)erfud& 
mirb fogIeid& gemad^t unb t)on S)egcarte§ burd^ jtt)5lf ©rünbe t)on 
junel^menber SBal^rfc^einlid^Ieit fiegreidö burd&gefül^rt. @r »iß gegeigt 
]§aben, ba§ au§ unbemiefencn ©rünben nichts für rodf)x ober fatfd^ 
gettcn bürfe, unb ©d^eingrünbe nid^tS betoeifen, ba% aüeS bisl^erige 
^]^iIofot)]^iren, audö tt)enn eä nod& fo mobern Hinge, auf ©d^eingrünben 
berul&e, unb eS in biefem ^ßunlte mit ©tianbouj'S neuer 5p^iIofo<)]^ie 
nid^t um ein §aar beffcr befteltt fei, als mit ber alten unb J^erfömmlid^en, 
bie jener öerdd^te. Dl^ne ben 5ßrobirftein ber SBal^rl^eit giebt eg in 
ber menfd&lid^en @r!enntni§ lein SJlittel gegen bie S^alfd^müngerei. 
©bctnbouE fd&eint biefe ßunft in anbern 3)ingen nod^ beffer Derftanben 
ju l^aben aU in ber 5p^ilofo<3^ie , er übte fie am ©elbe unb tt)urbe 
als ^alfd^münjer auf bem ©rfeDe})la^ gel^ängt. 

S)e§carte8 mad^t aus feinem ^Probirftein fein ©el^eimni^ unb erfldrt 
ben 3u]§örem , bie. ba§ ®Et)eriment überjeugt unb nad6 einem tieferen 
©inbtidf begierig gemad^t l^atte, bafe aße SBal^rl^eit nur burd& met]^o= 
bif d^eS ®enfen gu entbedCen fei unb bie 5Probe beffelben befleißen muffe. 
2luf ben ßarbinal SB^ruöe l^atte ber gange SJorgang ben größten ®in= 
brudE Iftinterlaffen ; er erfannte in S)e§carte§ ben baljubred^enben , gur 
^Reformation ber 5p]^ilofo^)ie berufenen Äo^jf, einen Erneuerer ber 2Biffen= 
fd^aft, ber für g^ranfreic^ toerben fönnte, toa§ SBacon für ßnglanb 
getoorben; in einer oertrauten Unterrebung öcrjjflid^tete er il^n förmlid^, 
ein SBerf über feine SJietl^obe gu fcbreiben unb ber SBett mitgutl^eilen. 
S)ic 3uf<)rad&e eines fold&en 5!Jlanne8 mußte ben 5ß]^ilofo<3]^en in bem 
fd^on gereiften ©ntfd&luß beftärfen, t)on je^t an gang ber SluSfül^rung 
feines SBerfeS gu leben. Sn feiner völligen Sammlung beburfte er 
einer Jölufee unb ®infamfeit, bie il^m ?PariS nid^t getodl^rte. 6s fd^eint, 
ba^ er nod& einige 3ßit in ber 3labe t)on 5PariS auf bem ßanbe gelebt 
unb l&ier öieüeid^t ben erften ©ntmurf feiner 5ületl^obenle]§re : „^Regeln 



182 S)Ttttc ßebetig^criobc. S)ie Seit bex Seßcrfe. 

jur Stid^tfcfettur bc§ ©eiftcS (regulae ad directionem ingenii)'' Tttcbcr= 
gejd&ticbcn l^at, tooöon fid& nur ein SSrud^ftäd erl^attcn. 

5ia(j^bem er forgfättig ericogcn, too er fi(| unb feiner ©ad&e am 
bcften in ungeftörter Sflu^e teben lönne, gel^t er für bie nädjften itoanjig 
Saläre naä) ^oüanb. 



SßierteS ©a^jitel 

JDrttte £tbm$iftxxm (1629-1650). Mt 3rö itx mtxkt. 
A. ;2lttf]ent^alt hi im Vlxtitxlmitn. 

I. „3)ie l^oUönbifd&e ®infiebelei." 

Sie SBanberja^re finb ju ®nbe. 3)e§carte§ l^at ein großes ©tüdf 
SQßelt gefeiten, ba§ $üienfd&enteben in feinen Derfd^iebenften Spornten fennen 
gelernt unb in feinen unfreiwilligen SBerblenbungen beobad^tet; er ift 
ein großer ^Prüfer nienfd6Iid&er ajietnungen, ein 50leifter im ©urd^fd^auen 
be§ 3rrt]^um§ getoorben; fein ©cift ift fo fritifd^ gerid^tet, fo metl^obifdö 
geübt in ber Unterfd&eibung beS SQßal^ren unb galfd^en, fo gefd^örft 
burd^ umfaffenbe 5!Jlenf(^enfenntni§, fo unt)erblenbct burd^ bie ©d6ein= 
loertl^e ber 3Bett, bofe er je^t reif ift, ba§ fd6tt)ierige 6j^)eriment ber 
©elbftprüfung ju unternelimen unb bie SBal^r^eit in fid& felbft ju finben. 
SBir erwarten t)on il^m leine Sieifebefd^reibungen, feine ©d^ilberungen 
ber €^öfe unb ^eere, ber Sauber unb ©tabte, bie er gefeiten, fonbern 
eine tief einbringenbe, t)on feiner S^oeifetSfurd^t befd^rönfte 3lnal^fe ber 
menfdE)ttd&en ®rfenntni§. ®r toollte fid^ felbft al§ 9fiepr&fentant beS 
menfdölid^en SöemufetfeinS erfi^einen, al8 Seifpiel eineS t)on SQßeÜ* unb 
ßebenSerfal^rung erfüllten ©eifteg, toie SRontaigne getoefen; auf biefem 
3lit)eau mußte er ftel^en, um l^ier bie Stoeifel ju ibertoinben, bie bei 
jenem bie le^te unb reiffte g^ruc^t feiner ßrfal^rungen blieben. ®e8= 
l^alb toar ®e§carte§ gereift, nidfet etma um bie 3lbenteuer eines franjöfifd^en 
ßaöalierS gu erjal&len. 2JlQn fennt il^n nidE)t, toenn man (mit einem 
feiner l^eutigen ßanbSleute) ben SBeltmann unb ben 51J]^ilofo<)^en für jtoei 
^Perfonen anfiel&t, in meiere 2)e§carte§ jerf&üt. 2)er SQßeltmann mad^t bie 
aSorfd&ule beS ^pi^ilofopl^en. ©o lag e§ ben eigenen SBefenntniffen gem&B 
in feinem ßeben§^)lan. 3^^t ftanb er am 3iel, öon too ber S33eg nid&t 
Weiter nad& außen, fonbern allein nad^ innen gerid&tet fein follte. 3fe^t 
fud^te er, toie einft 5üiontaigne, „baS ftille Pö^d&en". 



Slufcntl^oU in ben 9^iebcrlanben. 183 

3)tc ®rtr)artuttg bcr SQBcÜ mar bcm SQßege ®c§cartc§' öorauSgeeilt. 
3lfe er 5pQri§ t)erüc§, mar er mit her ^Dictl^obe feiner Unterfud^ung, 
mit her ffeptifd^en unb negativen SBegrünbung ber neuen ßel&re im Steinen,. 
nod) nid^t mit ber })ofitit)en. 3)a6 bie SBelt ein foId^eS 2Ber! t)on xijm 
erwartete unb fogar glaubte, er l&abe cS jd&on üoüBrad^t, trieb il^n 
baju, je^t ernftUdö ein bie ©ad&e ju gelten. 3)ic 50länner, auf beren 
Urtl^eit er ba^ größte ©etoidöt tegte, foHten fidö in il^rer 50leinung 
t)on xf)m nid^t getäufd&t l^aben. SBenigftenS fd&ilbert SeScarteS felbft, 
als er fieben Saläre ]p&in (1636) auf bie ^eriobe feiner S33anberungen 
(1619-1628) gurüdCblidt, biefe »etoeggrünbe atS bie testen, bie i^n 
öermotfit l^ätten, fid^ ganj in bie SBerfftatte beS 5Pl^iIofop]^en gurüd= 
gujiel^en. ,,®iefe neun Saläre öerfloffen, ol^nc bafe id& in ben @treit= 
fragen ber ©elel^rten mid6 entfd&ieben ober ben 3lnfang gur ©runbtegung 
einer getoifferen 5pi§itofot)]^ie, atS bie getDöl^nlid^e gemad^f Iiatte. S)a§ 
33eifpiel fo öteler öorjüglid^er ©eifter, bie öor mir biefelbe 2lbftd&t 
gcl^abt unb, tt)ie mir fd^ien, üerfel^lt l&atten, liefe mtd& ber ©d^tuierig« 
feiten fo öiele in biefer ©ai^e ftnben, bafe id& baS Unternel&men nod6 
nid6t fo batb gctt)agt l^dtte, toäre nid^t ber 0luf Verbreitet tt)orben, id& 
fei bamit gu ©taube gefommen, 3d^ lann nid^t fagen, tt)orauf btefe 
JUleinung fid^ grünbetc, unb foöte td& burdö meine Sleufeerungen fie 
mitöeranlaßt l^aben, fo beftel^t meine eingige ©d^ulb barin, bafe id& 
offener, at§ fonft tt)o]&t ftubirte ßeute gu tl^un t)flegen, meine Untoiffenl^eit 
belannte unb aud6 bie ©rünbe barlcgte, toarum mir öieleS, toaS anbere 
fflr fidler l^ielten, ungetoife erfiftien, nid&t aber, bafe id& mid^ einer ßel^rc 
gcrfll^mt l^&tte. 3)o(| gu el^rlid^, um für mel^r gelten gu tt)offen, at§ 
td6 toar, l^ielt ic^ eS je^t für meine 5ßflid^t, mit alten ßräften gu 
t)erfud&en, ob id& ben Sluf, ber mir gu Sl&eil getoorben, öerbienen lönnte. 
SeSl^alb ]§abe id^ gerabe oor ad^t Salären ben 6ntf(^Iufe gefaxt, aüe 
Drte, tt)o idö Sefannte finben fonnte, gu öermciben unb mid^ l^ierljer 
gurüdCgugiel^en, in ein ßanb, too lange Kriege bk O^olge gel&abt, ba§ 
bie ^eere, bie man unterliölt, nur um fo fidlerer bie ^rüd&te be§ 
griebcng genießen taffen, unb tt)o unter ber 5!Jiaffe eines großen unb 
fel^r tätigen 35oIf§, baä mel^r für feine eigenen Slngelegenl^eiten forgt, 
al§ ftcö um frembe lümmert, id&, ol^ne bie 21nnel)mlidöleiten ber t)oII= 
rcid&ften ©tobte gu entbel^ren, ebenfo einfam unb gurüdCgegogen I)abc 
leben lönnen, at§ in ben enttegenften SBüften."^ 



1 Oeuvres T. I. Disc. de la m^thode. Part. III. pg. 155—156. 



184 2)titte Sebens^eriobc. S)ic 3ett ber Seßcrfc. 

Um feinem SQßerle mit t)ötli9er Steilheit gu leben, Beburfte ®e§= 
carteS ein günjiigeS fiüma unb ungeftörte @infam!eit: beibeS entbel^rte 
er in granlreid^ unb ^ßariS, beibeg fanb er in §oIIanb, tool^in er fic^ 
im Slnfange beS grül^jol^rg 1629 begab, gerabe jel^n Saläre, nad&bem 
er SBreba öerlaffen. üJlit ber gtöfeten SJorfid&t fd&ü^t er fid& gegen 
aQe duneren Störungen. 6r öerabfriöiebet fic^ fd^riftüdö öon feiner 
fjamilie unb nimmt in ^ßaris nur öon ben öertrautcfien grcunben 
äbfd&ieb. ®er 3l6b6 5picot beforgt feine öfonomifd&en 3ln9elegen]^eiten, 
SJlerfenne bie Utterarifc^eu, namentlid^ gel^t ber größte Sll^eil ber SBriefe, 
tpetd^e 3)e8carte8 nad6 S^ranfreidb fd^reibt unb t)on bort em))föngt, burd& 
feine §anb. S)ie gubringlidöe SReugierbe foQ nid&t toiffen, mo er lebt. 
6r Dcrl^eimlid&t feinen Slufentl^alt, felbft burtj^ folfd&e Sato, toecftfelt 
il^n oft unb l&ot ben t)erborgenjien am liebften: SSorftöbte, S)örfer, 
obgclegcne Canbl^öufer. 3lud6 für feine 6orref))onbenj in ^ottanb l^ot 
er an Dcrfd^iebenen Orten befreunbete 3lgenten, bie il^m feine Sriefe 
ucrmitteln. mie SBeedtman in ©orbrcd&t, SBloemoert in ^aarlem, Sfte^nier 
in 9lmjterbQm, ^oogl^Ianb in Serben, 6r lebt in feiner ®infamfeit 
nomabifciö , „mie bie 3uben in ber arabif^en SBüfte". SBöl^reTtb ber 
jmanjig Sal&rc, bie er in ^oHanb jubringt (1629—1649), l^at er ettOQ 
t)ierunb3tt)QnjigmQl feinen Stufentl^olt t)erönbert unb an brcijel^n Der= 
f4iebcncn ßrten gelebt: icft nenne Srnfterbom, Qf^anefer, 3)et)enter, 
Utrccfit, Ämeröfort, Ceeutoarbcn, bie ?lbtei 6gmonb bei Stthnoar, 6gmonb 
iHin C'^ocf, ^parbenoijf om Suibcrfce. Serben unb ©(ftlofe ©nbegeeft 
bei \?cDbcn, Ije^t ifl er öoüfommcn ^crr feiner Seit unb ßebenSart, 
er fann mitten in »oUreidjen Stöbten. in ©efcHfd^aft unb SBerfcl&r mit 
(vreunben, in ber fruitbarnen S^^teuung leben unb, fobalb baS 
^ebftrfniB ber Sammlung unb ?lrbcit eintritt, fid^ an entlegene Drtc 
jurficf jiebf n , n>o ihn fein VJäftiger finbet. ^ier i^ er fid&erer, als in 
ber ^i\>rftabt St, ©crmain, i\n folcber @tnfamfett entfielen unb reifen 
bie Serfe» bie ibn jum ^tcirünber ber neuen ^^ilofop^te unb gum 
l>^e\Knftanb ber ^n^unberunj ber 3&rtt gemacbt l^ben. 

Sa§ bie ^ntftebunci feiner 3Serfe betrifft, fo finb gfraneler unb 
V?eeutt>atben in ivriM^anb. C^arbenorft in @elbem, Snbegeefl bei 
V.V\}ben unb ^^{imonb in :Kotbbonanb bie iDt(6ttgßen feiner Sufentl^altg- 
ortt $itw<fen. $4rtoit 9nbe^^ n>Qtt nfxjb bi$ in bie i&ng^e Seit burd^ 

'^ 4ht^ M^ll <» ii<ft ^<^l^ ttädb ietnrr Ileberftebelung t)on 

>^ littt (ff tma b« 16. atnnl 1629 feinen 



3lufcnt]^alt in bcn !RieberIanben. 185 

9lamcii «Renatus Descartes Gallus philosophus» in baS 3tlbum 
ber Uniöcrfität ein), bctuol^nte er ein einfameS ©d^lo^, ba§ t)on ber 
©tabt burd^ einen ©raBen getrennt toax, unb ftftrteb l^ier ben erften 
@ntn)urf feiner „SJiebitationcn", tceld^e jel^n ^atfx^ \pakx in §Qrber= 
m\t QuSgefül^rt unb t)oöenbet tt)urben (1639/40). 3n Ceeutuorben ent= 
ftanben tt)är)renb be§ SBinterS 1635/36 feine .aSerfud&e", eingeführt 
burdö ben «Discours de la methode»? bie erfte t)on it|m felbft t)er= 
öffentlid^te ©c^rift; in ßnbegeeft njurben bie „^Principien'', ba§ ^aut)t= 
tDerl feiner 5P^t(ofo<)]^te, Vorbereitet (1641—1643), in ßgmonb üollenbet. 
2ln biefem Ort, einem ber fd^önften 3)örfer SRorbl^oIIanb^, ]§at ®e§carte3 
am Uebften unb tool^I anä^ am längften öertueitt; ber erfte Slufentl^alt 
f&ßt in ben SBinter 1637/38 gleidö nad6 ber Verausgabe feiner „93er= 
fud^e", ber le^te in bie Saläre 1643—1649, bie legten feiner l^oüönbifd^en 
©infamfeit, bie l^ier burdö brei 9letfen nodö granfreic^ in ben Salären 
1644, 1647 unb 1648 unterbrod^en tDurbe. 

3n ®e§carte§' l^oÜänbifd&er ßeben§t)eriobe taffen fid^ bemnadö brei 
3lbfc6nitte fo unterfc^eiben, ba§ ber erfte (1629—1636) ber a5eröffent= 
lid^ung feiner §au<)ttDerfe t)orau§ge]^t, ber jmeite (1637—1644) biefe 
umfaßt, ber britte (1644—1649) il^r nad^folgt. SBä^renb be§ erften 
Slbfd&nitteS l^at ®e§carte§, nad^bem er ^ranefer t)erlaffen, ]§aut)tfac^lidö 
in 3lmfterbam, S)et)enter, Utred^t, ßeeumarben gelebt, tüöl^renb be§ 
jiDeitcn juerft in ggmonb, bann in §arbertDiif, SImerSfort, 9lmfterbam, 
ße^ben unb ©d^Iofe fönbegeeft, toal^renb be§ britten in Sgmonb. 

©Ieid& nadö bem ©nttourf ber 9Jlebitationen, bie im S)ecember 1629 
in il&rer erften fjorm fertig toaren, ging 3)e§carte§ an bie 2tu§= 
orbeitung eines umfaffenben ^aupixotxU, tooxin er nadö feinen neuen 
^Principien bie SBelt crHören tDoIIte, e§ foüte Mo^moQ" l^ei^en unb 
guerfi Deröffenttid&t tperben; ba§ S33erf tt)ar fo gut xou öoHenbet, al§ 
®e§carte§ au§ ©rünben, toeld^e alsbalb ju erörtern finb, ben @ntfd^Iu§ 
fa^te, eä nie l^erauöjugeben. ®iefer 3lrbeit toaren bie Sfal^re 1630 — 1633 
getoibmet. Sftad^bem fo bie Slbfid&t, ats ßel)rer ber SQBelt aufjutreten, 
glcid& bei bem erften SSerfud&e gefd^eitert loar, fd^ioanlte 2)eScarteS, ob 
er biefe Slbfid^t nid6t für immer aufgeben foöte. 

3n bie näd6fte Seit faöt eine @t)ifobe, bie er in feiner ßeben§= 
metl^obc nid^t Dorl^ergefel^en I)atte, aber bie Steigungen finb oft mod^tiger 
als bie ©runbfä^e: er lernte toäI)renb beS SBinterS 1634/35 in 2tmfter= 
bam ein Söläbc^en lennen, baS er lieb gemann unb ol^ne legitime fjorm 
gu feiner fjrau mad^te; fie gebar il§m (in S)et)enter ben 19. 3uU 1635) 



186 S)tttte SebcttS^ctiobe. S)ic Seit ber 2öet!e. 

eine S£od6ter, bie auf feinen SRamen „fyrangine SeScarteS" getauft unb 
t)on xf^m mit gärtlid&er ßiebe ergogen tt)urbe; bod& foBte et ft4 be§ 
t)ätetlid&en ©lüds nid)t lange erfreuen, baS ^inb ftarb in 3tnter§fort 
ben 7. ©e^jtember 1640.^ 

SDie Unabl&angigleit unb SJlufee, bie ©eScarteS ftd& fiets getDünfd^t 
unb je^t in ben Slieberlanben jum erftenntat in ungetl^eiltem SJtafee 
finbet, geniest er mit öolten 3ügen. 9lu§ einigen SBriefen, nantenttid^ 
ber erften 3a^re, toel^t bie l^eiterfte unb gufriebenfte ©timmung, bie 
fid& bem ßefer tt)o]^tt]^uenb mittl^eilt. ©einem greunbe SBaljac in 
5Pari§, bem befannten ©d&ü^Iinge Siid&elieu'S, bei bem er aU ^iftorio= 
Qxap^ unb ©d&riftfteöer in ßl^ren ftanb, fd^ilbert ©eScarteS in ber Beften 
Saune fein l^oIIänbifd&eS Sb^ö. ®r fd&reibt im Srü^jal^r 1631 au§ 
2(mfterbam, ate SBafjac t)on feinem ©tammgut »ieber nad6 5ßari3 
gurüdfgefel^rt ift: „3d& l^abe mir tt)irfUd6 ©Irujjet gemaiftt, Sl^re Iänb= 
lidöe Siu^e gu ftören, unb barum lieber mit meinem Sriefe gekartet, 
bi§ bie 3ßtt 3]§rer ®infam!eit vorüber tt)äre. SBöl^renb id& in ben 
erpen ad^t Sagen fd&reiben tüoüte, l^abe td& ©ie ad&tgel^n SRonate lang, 
t)on ber SIbreife bi§ jur ^Mle^x, unbeläftigt gelaffen, unb ©ie miffen 
es mir nid^t einmal 3)anf. Sfe^t aber, nun ©ie tt)ieber in 5PariS finb, 
mufe ic& mir bod& t)on ber 3cit, bie an fo öiele gubringtidöe Sefucfte 
öertoren ge^t, aud) meinen Sl^eil au§bitten unb Sinnen fagen, bafe in 
ben gtoei Sfal^ren, bie id6 im 2Iu§tanbe lebe, id^ nid^t ein eingigeSmal 
in S3erfud)ung toar, nad^ $ari8 gurüdCguIommen; nur feitbem iä) loeife, 
ba^ ©ie toieber bort pnb, tüürbe id& anber^wo glüdflid&er fein fönnen, 
aU l^ier. Unb l^ielte mid^ nid^t bie 2lrbeit gurütf, bie tt)id&tigfte nadfe 
meinem geringen Urtl^eit, bie id& je t)or]^aben fann, fo tt)ürbe ber 
SBunfdö, Sl^re Unterl^altung gu genießen unb alte bie ©ebanlen öoBer 
^raft, bie toir in ^l^ren ©d^riften betounbern, unmittelbar t)or mir 
entftetien gu feigen, biefe Hoffnung aöein toürbe ftarf genug fein, mid^ 
öon l^ier gu vertreiben. fJ^agen ©ie mid& nid&t, xij bitte, toeld^er 9lrt 
bie SIrbeit ift, bie mir fo toid^tig erfd&eint; bag Sefenntni^ toürbe mid^ 
rotl^ madöen, id^ bin fo fel^r ?ß]^ilofo<)t| geworben, ba§ id& t)iele§, ba§ 
bei ber SQBelt in Slnfel^en fielet, gering fiftä^e unb anbereS, toorauS 
man ntd^tS gu madöen t)flegt, l^od&l^alte. ®o(^ id^ tt)ei6, ©ie beulen 



1 Sitte ndl^cxcn Umftönbc finb unbefamit. 3iit 3;auftC9iftcr ber rcfotniittcn 
Äird^c 3u 2)et)cnter ift bie aJluttct aU «H61^ne fille de Jean» bcgeicä^net. JBgl. 
Millet: Histoire de Descartes I. pg. 339—40. 



SCufentl^alt in bcn 9flicbetlanben. 187 

anberS als bte ßeute, ©ie urtl^cilcn beffcr t)on mir als ii) t)erbtcnc, 
itnb td& iDiö mit Sf^ncn ju günfttgcr ©tunbc imt)erI)o]^tcn über meine 
Strbeiten f))red6en. fjür I)eute nur fo t)iel: id& bin nid^t in ber ©tim= 
mung Süd&er ju fd^reiben; id^ öerad&te bie Serül^mtl^eit nid^t, tcenn 
man, tote @te, im ©tanbe ift, toirltid^ einen großen unb gebiegenen 
9luf gu ertoerbeii; bagegen bem mittetmdfeigen unb unfti^eren, tt)ie er 
etioa für mid6 ju l^offen- toäre, jiel^c id& ben ^rieben unb bie ®emüt]^§= 
rul&e Dor, bie id& bcfi^e. 3c^ fd&Iafe l^ier aüe 3laä^t gel^n ©tunben, 
o^m ba§ je eine ©orge midö auftoedt. 3[d& träume lauter l^errlid^e 
Singe, SQßälber, ©arten unb 3öuBerpaIäfte ber ajiördöen, unb toenn 
td& erioad^e, finbe id^ mid& mit nodö größerem Söel^agen in ber ©innen= 
toett, bie mi* umgicbt. mm fe^It als 3t|re m&^zV 

SBie nun Satjac bem -S^reunbe autmortet, er fei je^t geneigt, oud^ 
unter bie ©infiebler nad& §oItanb gu gel&en, ertoibert ©eScarteS: „3db 
l^abe mir bie 9tugen gerieben unb gu träumen gemeint, als xij laS, 
@ie tooöten l^ier^er lommen. Unb bod& ift eS gar nidE)t befrcmbtid^, 
menn ein l^od^gefinnter ©eift, toie ber 36rige, bie Seffeln beS §ofeS 
nid^t länger erträgt; unb l^at ©ott, tt)ie @ie fc^reibcn, Sfl^nen eingegeben, 
baS SQßeltteben gu üerlaffen, fo toürbe td^ ja toiber ben l^eitigen ©eift 
fünbigen, loottte x6) ©ie t)on einem fold^en ®ntfd6luB abbringen. 25iel= 
mel^r labe id& ©ie ein, ?lmfterbam gu ^l^rer 3uflud&t gu nel^men, 
tl^m nid&t btofe öor aßen ßa<3Uginer= unb fiartl^äuferööftern , tDol^in 
fo öiele el^rbare ßeute fid& gurüdfgiel^en, fonbern aud& t)or ben fd^önften 
SRefibengen gang S^ranfreid&S unb Italiens, fogar t)or ber berül^mten 
ßrcmitage Sfl^reS Dorjä^rigen Slufentl^alteS ben Sßorgug gu geben. Sin 
ßanbl^auS mag nod6 fo öoltlommen eingerid&tet fein, immer fel)ten 
gal^IIofe 35equemüd&!eiten, bie man nur in ©täbten l^aben lann, unb 
felBft bie (£infam!eit, bie man auf bem ßanbe gu finben l&offt, ift bort 
nie gang ol^ne 2lnfed&tung. 3lun ja, ©ie finben einen Sad&, ber bie 
größten ©d^toä^er gu Träumern madfet, ein einfameS Z^al, baS ©ie 
erfreut unb entgüdCt, aber ba finb gugleid^ eine ajienge Keiner 5Rad&baren, 
bie aSefud&e mad&en, loeit unbequemere SBefud&e, als man in 5)}aris 
em^jfängt. §icr bagegen, in biefer großen ©tabt, bin id) ber eingige 
3Kenfd^, ber nid^t Raubet treibt, alle anbern finb t)on il^rcn 3ntereffen 
fo fel^r in 9lnft)rud6 genommen, baß xij I)ier mein gangeS ßeben gubringen 
fönnte, ol^ne ba§ je irgenbtoer midi) bemerke. Sfdö gel^e tägtid) mitten 
in bem ©etriebe einer großen SJoIfSmenge fo frei unb rul^ig ft)agieren, 
tt)ic ©ie in il^ren SBaumgängen; id^ betrad^te bie 5!Jienfd6en um mid^ 



188 2)nttc Öebcng^criobe. S)ie 3elt ber 2öcr!e. 

ijtt, glcid^ ben Säumen in Sitten SBöIbcrn unb ben Silieren auf 
Sitten Sffiaiben, fclbft boS ©cräufift il^rcS SlreibenS flört meine Träumereien 
fo tt)eni9, tt)ie baS eines Sad&§. aJlit bemfelben SSergnflgen, tDomit 
@te bie Säuern il)re gelber pflügen feigen, bemerfe id^ l^ier, loie bie 
Slrbeit aller jener ßeute baju bient, ben Drt, too id& lebe, fd&öner unb 
befiaglid^er gu mad&en. SBie Sinnen ber STnbtid reid^er, in Sl^ren 
©orten I)eranreifenber grüci^te tüol^Itl^ut, fo fel^e id^ l^ier mit ©rgö^en 
bie ©d&iife an!ommen, bie uns im Ueberflufe bie ©rgeugniffc beiber 
Snbien unb bie ©eltenl^eiten SuropaS bringen. ?lirgenb§ in ber SBelt 
finb aöe 21nne]§mlid&!eiten beS ßebenS fo leidet gu l^aben, toie l^ier. @§ 
giebt fein ßonb, in bem bie bürgerliche fjreil^eit öoöfommener , bie 
©ic^ertieit befeftigter, SBerbred^en feltener unb oft vererbte ©itteneinfalt 
größer tt)äre. 3d^ begreife nid^t, bofe ©ie Italien t)oräie]^en, too bie 
§i§e beS SEageS unertrögtidö , bie «ffül^le be§ 2Ibenb§ ungefunb, bie 
3)unlel^eit ber 3lad&t, toelcfie 9laub unb SÄorb öerbirgt, gefdl^rlid^ ift, 
©ie fürd()ten bie SBinter be§ 5Rorben§, aber tt)eld&e ©d^atten, Sötfter, 
DueKen »erben ©ie öor ber ^xijt in 9flom fo gut gu betoal^ren im 
©tanbe fein, loie liier t)or ber «Ratte ein Ofen unb ein tüd^tigeg geucr? 
kommen ©ie alfo nad^ C^oKanb, id& erwarte ©ie mit einer Keinen 
©ammlung meiner Träumereien, bie ^l^nen öielleid^t nii^t mifefaüen."^ 
SRadö ber Veröffentlichung feines erften SBerfS ging bie 9lebe, ba§ 
9lidE)eIieu bem ^l^ilofopl^en ?lnerbietungen für 5pariS mad&en tt)otte. 
„3dE) glaube nid^t", fd^reibt 3)e§carteS an 9Jlerfenne, „ba§ bie ®e- 
banfen beS ßarbinals fid& bis gu einem 5!Jienfd&en meiner 2lrt ^era6= 
loffen foKten. UebrigcnS giebt eS, unter unS gefagt, nichts, baS meinen 
ßebensplänen weniger gufagt, als bie ßuft t)on 5PariS, wegen ber gal^t 
lofen S^^^ftteuungen, bie bort unöermeiblid^ finb; unb fo lange id& nad^ 
meiner S33eife leben barf, werbe id& auf bem ®orf in einem beliebigen 
ßanbe bleiben, wo mid& bie SBefucfte ber 3lad&baren fo wenig beläftigcn 
wie l)ier, in einem SQ3in!el SJorbl^oIIanbS. 2)ieS ift ber eingige ©runb, 
warum id^ biefeS ßanb ber ^eimatl^ öorgegogen l^abe, unb je^t bin 
idö fo haxan gewötint, ba'iß id& leine ßuft fpüre, meinen Slufentl^alt gu 
oerönbern."^ 



1 S)cx elfte S3rief S)cgcarteS' ift nad^ ©oufing lUleinunQ oom 29. aJiära 1681, 
bex ätoeite ift oom 15. 3Jlat, jiDifd^en bcibe fäüt »aläac'ö Slnttoort öom 25. Slpxtl 1631. 
Oeuvres T. VI. pg. 197-203. 

« S)ct SBrief ift ben 27. SDflai 1638 offenbat in dgmonb gcfd^riebcn. Oeuvres 
T. VJI. pg. 155. 



3lufcnt]^aU in bcti Slicbexlanbcn. 189 

O^ügcn tDtr bieten 6riefli(fien SIeufeernngen noc^ einen @a§ qu§ 
bem Slnfange bcr Söiebitationen l^inju, einen ber erften, bie Se§carte§ 
in jenem einfamen ©d&Ioffe ber ©tabt granefer gefd^rieben: „®ie 
©egcntoQtt ift mir günftig, mein ©emütt) ift frei Don QÜen ©orgen, 
meine 9Jlufje ungeftört; ic^ lebe einfam in ber 6infamfeit unb toerbe 
mid^ nun mit öoHem 6rnft unb üoßer @eifiefifreit)cit meiner 2lufgabe 
tDibmen, bie junaijfi bcn umfaffenben unb grünblid^en Umfturj QÜer 
meiner 6i8t)er gel^egten Ueberjeugungen forbert". 

n. ©eifttgeS ßeben in ben SJJieberlanben. 

1. iBilbungSauftänbc. 

Snbeffen würbe ^oHanb feine „geliebte ©infiebelei", mie Se§CQrte§ 
fie nennt, foum getoorben fein, menn t)ier nid^t gugleid^ ber regfte 
geiftige 93er!e^r il^m offen geftanben J^atte. 3)ie SRieberlanbe toaren 
bamolg einer bcr erfien ©ammel^^Iä^e ber europdifd&en ®eifte§bilbung 
jeber 3lrt; ßunft unb SBiffenfc^aft, bie ^umanifiifd^en unb ejacten 
S^ad^er ftonben gugleidö in l^ot)er SSlüte unb Slnfel^en. Ser 5ProteftQn= 
tt§mu§ l^atte in fiird^e unb Sl^eologie neue§ öeben unb neue ßämpfe 
getoedft, bie aud^ ben benad&barten ßatl^oIiciSmuS erregten; in ße^ben 
roax ber fd&on erroöl^nte ©treit ber 3lrminianer unb ©omariften ent- 
brannt, in ßöttjen entfielet ber 3anfeni§mu§, ber fid^ in J^ranfreid^ 
mit bcr ße^re ®c§CQrteS* berül^rt, gum Sl^eil befreunbet. 

Sie nieberlönbifd^en Uniüerfitätcn treten in ben aSorbergrunb be§ 
gcifiigcn ßeben§, neue toerben gegrünbet, inSbefonbere bie UniDerfitöt 
Utrcd^t (beftotigt im Saläre 1636), too bie neue ^piiitofopl^ie it)re erfte 
©d^ule unb il^re l^eftigften ©egner finbet. 2Biffenfd&aft, ©elel^rfamleit, 
uniöerfeüc SSilbung finb an ber SCageSorbnung unb verbreiten fict) 
gteidö einer 9Jlobe in ben gefeüigen Greifen, felbft in bem toeiblid^en 
©efd&Ied&t. 9lu§ bem 3ieidötl^um ber SöilbungSintercffen enttoidfelt fid^, 
in cmpfönglid^en unb begabten fyrauengemütl^ern eine ttjiffenfdöaftlid^e, 
geleierte unb !ünftlerifd6e ßultur, bie aud^ in il^ren mannlic^ften fjormen 
mit toeiblid^er 3lrt fid^ verträgt unb tro^ bem ®rftaunen, ba§ fie er= 
regt, nid^t ben 6inbrudf lünftlid^ gegüd^teter „Slauftrümpfe" madfjt. 

2. 31. ÜJl. Don ©d^ürmanm 

S)aS merftoürbigfte Seifl)iel biefer 3lrt ttjar bamals 9lnna3Jlaria 
öon ©d^ürmann (1607—1678), „ber ©tern öon Utred&t, bie gel^nte 
StRufe, bie J^oÜänbifdöe SJlineröa", ttjie ifire SSerel^rer fie nannten, ein 



190 S)ntte ßcbenSperiobe. 3)ic 3ctt bet gCßctfe. 

toaijxz^ SBunbcr üon ©eld^rfamfett unb ntanntd^faltigfiev JöUbung. 

@(^on in il^rer ilinbl)cit l^at fie btc QÜen @t)rad&cn gelernt, ©eneca, 

aSirgil unb ^onm gelefen; bagu fommen bte neueren ©^^raiften, 3ta= 

Itenifc^, ©panifd^, g^ranäöpfcö unb gnglifd^; fie fiS^reibt ßatein mit 

ber ©id^crl^eit eines 5pt|iIoIogen, Sranjöfifd^ mit ber ©legong eineS 

Saljac; um bie S3ibel im Urtejt gu lefen, ftubirt fie bie femitifd)en 

©^Drac^en unb Sialefte unb Derftel^t §e6räifc^ ni(i&t blofe, fonbern 

fc^reibt eg, fie i)at in lateinifd&er, gried&ifd^er, ^ebraijd^er unb fran* 

göfifd&er ®pxaä)e Sriefe, Slbl^anblungen unb @ebid)te »erfaßt, bie 

@l)an]^eim l^erauSgab (1648), fieben Satire Dorl^er I)atte fie felbfl eine 

lateinifd^e @d6rift gur SSert^eibigung ber toiffenfd^aftlid^en unb gelel)rten 

g^rauenbilbung DeroffenHid^t; fie ift funbig ber ^ßoefie, SSerebtfamleit, 

Sialettit, Jölatl^emati! unb 5ßl^iIofopt|te bi3 in bie ^Probleme ber 2JletQ= 

pijt)ht, gugleid^ erfatiren in ber bilbenben ßunft, auSübenb mit be= 

n)ät)rtem unb öffentlich onerfanntem latent in ber ^Kolerei, gefd^iit 

im 58itbf(j&ni§en, geübt im ßu))ferfte4en, fogar in ber ^lafiif. ®iefe 

gange Silbung fd^a^te fie gering gegen baS ©tubium ber Sibel, ber 

^irdf)ent)Qter unb ber Sd^olaftü; fie fennt ben 9lriftoteIe§, 5luguftin unb 

Sl^omag unb toiß nidfets öon ber neuen ^ßlitlofoptiie miffcn. ^I^re 

tiefften ^ntereffen finb bie religiöfen, bie fid^ gule^t in ber ort^obojen 

Äirdbe ber JRieberlanbe nid^t mel)r befriebigt füllen. @ie roill eine 

ßird)e ßl^rifti, bie gleid^ ber Urgemeinbe im ©tanbe ber ®rtt)Ql)lten 

in t)olIfommener SBeltentfagung unb brüberlid&er ©emeinfd^aft lebt, 

t)on feiner anberen Siebe erfüßt, aU öon bem «amor crucifixus». S^r 

ßefirer unb ßeiter in Utred^t ttjar SJoetiuS getoefen, ber feinbfeligfte 

©egner ®e§carte§'; gule^t folgt fie bem frangöfifd&en 5|Jrebiger ßababie, 

ber fid) Don ben Sefuiten gu ben ©obiniften belehrt l^at unb je^t bie 

©emeinbe ber ®rtoäl)lten üerfünbet; e§ loar ber romanifd^c SJorlaufer 

unb in geloiffer SBeife baS SBorbilb be§ beutfd&en 5jJieti§mu§, ben 

©|)ener begrünbet l^at. S)iefen SDJann ruft fie, f^on eine ©reifin, na^ 

ben SRiebcrIanben (1667) unb toanbert mit if)m unb ben ©einigen 

tn§ 9lu§Ianb.^ 

@§ toar Diele ^df)xe Dorl^er, tt)ot)I met)r alg ein 5!Jienfd^enaIter, 
ba% 2)e§carte§ bie berül^mte ©^ürmann in Utred&t aufgefud^t unb bei 
bem ©tubium ber mofaifd&en @(^ö))fungggefd)id&tc gefunben l^atte. 

1 ©ottfr. SltnoIbS un:|3aTtcitf(^c Äir(^cn= unb Äe^erl^ifloxic. S3b. II (©(^ojf« 
tiaufcn 1741). ^p, 21. ©. 307-319, SBef. § 30-34. Dr. % 3:f«acfert: 2t. m. t)Ott 
6(ä^ürmann, ber 6tctn üon lUrecä^t, bie Süngcrtn Sababieg. (©otl^a 1876). 



Slufcntl^alt in ben Sliebetlanbcn. 191 

3tt)ifd&cn bcr biblifd^en ©cneftS unb ber Haren unb bcutüAen ©infid^t 
in bte ©ntftel^ung bcr SBcIt, meldte ScScarteg forbcrtc unb in fctncnt 
„^o§nto8" geben tooKte, lag eine unüberfteiglid^e ßluft. ®er 5|Jl&iIo= 
fop]& n)arf bie SSemerfung l^in, bafe man für bte 6r!Iärung ber Singe 
Don 30tofeS nid^ts lernen fßnne, unb galt fettbem in ben 9lugen ber 
eifrigen ©d&ülerin beS SBoetiu§ olg ein „profaner 5IJlann", öor bem 
man fid^ I)üten muffe. 6§ tt)irb au§ il^ren ©d^riften eine auf jene 
Unterrebung begüglid6e ©teKe angefül^rt, worin fie ®ott banft, bafe 
ber „profane 5IJlann" feinen Eingang bei if)t gefunben. ©ie fal^ in 
©eScartcS einen gottlofen ^P^tlofopl^en, er in il^r ein üorjüglid^eS 
2;alent für bie bilbenbe «Runft, toeld^eS a5oetiu§ mit feiner 2;i^eoIogie 
Derborben l^abe. ©o äußert er fid^ in einem feiner Sriefe.^ 

3. 3)ic «PfalagröPn ßlifaBctl^.« 

SBie e§ fd&eint, fud^te biefe „I)oKänbifd^e SJlineröa" mit bem 
franjöfifcften ^Pl^ilofoplien im @influ§ auf eine ber intereffanteftcn unb 
bebeutenbfien grauen be§ Seitalterg ju tt)etteifern, bie ein tragifd^eS 
©d^idfal in ba§ 3lf^I ber SRieberlanbe gefül)rt l^ötte. 3m €>aag lebte, 
Ianbc§f(üd&tig unb Vertrieben, bie göuiilie be§ ßurfürften griebrid^S V. 
Don ber 5PfaIj, ber in ber ©dftlad&t am toetfeen Serge bei 5Prag (ben 
8. SRoüember 1620) bie böl^mifd^e ßontgSfrone Verloren l^attc unb feiner 
beutfd^cn ®rbftaaten beraubt toav. Sölit bem 2obe ©uftaö 9lboIf§ 
war feine le^te Hoffnung gefd^lounben; er l^atte ben großen ©dött)eben= 
lönig nur mcnigc Stage überlebt (29. SRoöcmber 1632) unb öon ben 
brcijcl&n Äinbern, bie i^m feine ©emal^Iin ©lifabetl^, bie englifd^e 
ftönigstod&ter, geboren, fünf ©öl^ne unb brei Söd^ter l^interlaffen, bereu 
ältcfie bie 5PfaIggrdfin glifabet^ toav (1618-1680). 

@§ giebt tool^I faum eine fürfilid^e gamilie, bie fo Diele l^od^« 
tragifd&e unb abenteuerUd&e ©d&idffale unb in ber nac^ften golflß 
toicberum fo viele glüdflid&e Fügungen au^erorbentlid^er Slrt erlebt 
l^ötte unb genealogifd^ intercffanter toäre. g^iebric^ V., groeier fironen 
öcriuftig, cnbet in Unglüdf unb ®(enb; feine SBittroe, bte Stod^ter ^alobs I., 

1 Foucher de Careil: Descartes et la princesse palatine (Paris 1862). 
p. 61 —63. 

* 3u ößl. §iftorifd^e8 Za^ä^tnhuä^, l^crausg. öon gfttebrid^ Don 9laumer: 
eiifabctö ^falsßräfin Bei ^f^ün, Slcbtijfin tjon §crforb. SSon ®, ©b. @ut)raucr. 
3n jtDei Stbt^cilunijen. ^al^tgang 1850. I. «bt^. ©.1-50. 2lbt^.II. @. 417-554. 
- «Ifrcb S)oöc: S)ic ßinber bcd SOßinterfönifig. S3cil. j. Mg. Seit. 1891. 
ffh. 98—100. 



192 a)titte ßeben8})eriobc. S)ie Seit ber aöcrfe. 

filiert qIs Sjfömgtn Don Sööl^tncn eine Slrt ^oftcbcn in ber @ntt- 
gratton int ^aag; ber ältefte ber ©öl^ne, ^riebrid^ ^einrid^, öielleid^t 
ber begabtefte unb befte, ertrinft, fünfjel^n Solare alt, öor ben Slugen 
be§ Dera^eifelnben Soterg im Suiberfee. (17. 3uU 1629); dtupxtä^t 
{^npzxt), ber britte in ber ^Reihenfolge ber ©öl^ne, fd^ön, ritterlid^, 
tapfer Don l^öd^ji abenteuerlid^en ©d^id falen , getoinnt unb berliert 
in ben engtifd^en Sürger!riegen auf feiten ber ßaüaliere unb ber 
foniglidö gefinnten ^Partei ben 9iul^m eines fiegreid^en Sieiter generale, 
fül^rt nad^ bem ))oIitifd)en ©d&iffbrud& eine 3lrt ^Rorforenleben unb 
bur^freujt mit feinem SSruber 9Jlori§ bie weftinbifd^en ©etoaffer, 
toobei biefer, öon einem SBirbelfturm, erfaßt, ju ©runbe gel^t. @buarb, 
ber nad^fte ber Särüber, begiebt fid& l^eimlid^ nad^ Sran!reid6 unb tritt 
I)ier alä ©emal^I ber Sülarlgröfin Slnna ©onjaga jur römifdljen ßird&e 
über (1645). Sem Seift)iele biefer Sefel&rung folgt breigel^n Saläre 
:päter (1658) ßouife ^oUanbine, bie in ^oÜanb geborene gmeit^ 
ältefte Sod^ter (1622—1709), eine gefd&idte 5PortrdtmaIerin qu§ ber 
©d&ule be§ berül^mten ©erI)Qrb ^ontl^orft; aU ßol^n il^rer Sefel)rung 
erntet fie in fjranlreidö bie 9lbtei üon SJlaubuiffon. 35ßir n)erben im 
S^ortgange biefeS SQSerleS auf bie Slebtiffin t)on 5!Jiaubuiffon gurüÄ= 
!ommen.^ ©ie roax bie ßiebtingStod&ter ber ®E!önigin, il^rer SDtutter, 
toie 5Prinj 3iut)red^t beren ßiebIing§foI)n toar. ^P^ili^D}), ber ittngfte 
©ot)n, tobtet auf offener Strafe im §aag unb am I)eKen Sage einen 
franjofifd&en ®belmann, ben 5ötarqui§ V ®pinaQ (ben 21. 3uni 1646), 
ber mit brei anberen ©efeüen Siad^ts juüor il^n meud^Iing§ angefallen 
l^atte, unb toirb t)on ber SJiutter üermünfd&t unb filr immer Derbannt; 
fie xoax, toie ber ßeumunb ging, jenem {Jranäofen, ber ben grauen 
gefät)rlidö unb üon Perborbenem ^lufe mar, Vertrauter, aU e§ ber 
2Bürbe ber Königin, ber SJlutter unb 5ötatrone gejiemen mod^te. 

SQBir erttjal^nen aÜe biefe ©d)idffale, ttjeld^e ©lifabetl^ erlebt unb 
erlitten, i^r ))^iIofo))l^ifc^er ßel^rer unb 3'reunb aud^ fel&r tt)ol^I gelaunt 
l^at, benn er ftanb xi)x naf)t genug, um fidE) brieflid^ barüber au§= 
julaffen. 

Unter ben «Rinbern be§ unglüdlid&en ßurfürften finb burd^ bie 
33ebeutung il^rer ^ßerfonen unb ©d&idfale bie 5PfaIjgröfin ©Ufabetl^, 
beren älterer »ruber ßarl ßubtoig (1617—1685) unb i^re iüngfte 



1 »gr. meine ©efd^td^te ber neuem 5J^Uofo<)^ic. S3b. II. (ßeibnig). 3. SlufC. 
aSu« I. ©a^. X. @. 156—159. ©ap. XIV. ©. 254. 



Slufcntl^alt itt bcn Sflieberlanbcn. 193 

©dötoefter &op^h (1630—1714) o^nc Stoeifel bie tDt^ttgjicn. ßraft 
beS tDeftföItfd^cn SrtebcnS totrb ßarl ßubtoig in feine jiDar öielfad^ 
abgeminbcrten unb eingefd^ranften Srbred&te »ieber eingefe^t unb bnrd& 
feine Slegententttd^tigleit, bei toeld&er bie ©parfamleit eine oKerbingS fel^r 
bercd^tigte, aber ber eigenen Samitie gegenüber biStoeilen red^t l^arte 
3ioKe Don übertriebener Äorgl^eit fpielen mu^te, naä^ htn 93er- 
toüflnngcn be§ breifeigjäl^rigen ßriegeS ber ^Regenerator ber 5PfaIg. 
©eine Sod&ter ©üfabetl^ ©l^arlotte („ßife ßotte"), bie als «&ergogin 
öon ßrWanS unb ©d^toagerin ÖubtoigS XIV. il^re t)aterlänbifd&=i)fäljifd^e 
©efinnung unb Slrt ju betoal^ren toufete, »irb nad^ bem 2;obe i^reS 
SruberS, beS ßurfürften Äarl, mit bem bie ßinie 5Pfalj=@immern 
erUfd&t (1685), bie unfd^ulbige Urfad^e beS ßrWanS'fdften 9iaub!riegeS, 
ber il^r SSaterlanb unb il^re 95aterftabt jerftört («Heidelberga deleta»); 
fie toirb burd^ il^ren ©ol^n ^pj^ili^)!) öon Orleans, ben 3iegenten, bie 
Sll^nl&enin ber l&eutigen S5ourbon=DrWanS , unb burd& il^ren ®nfel, 
grang I., ben ©emal)l ber ßaiferin Sölaria SEl^erefia, bie Sll^nl^crrin 
beS ^aufeS §abSburg=ßot]^ringen. Sl^r l^od&geUebteS SBorbilb töar bie 
?JfaIggröfin ©opl^ie, il^re Xante, bie jüngfte Xod^ter beS SBinterfönigg, 
mit toeld&er ber neue toeitl^in leud^tenbe ©lüdfsftern beS t)fälgifd&en 
«Kaufes aufging: fie tourbe bie crfte ^Rurfürftin Don ^annoöer (1693) 
„bie grofee Äurfürftin", il^r ©ol^n ©eorg, aU xf)x ®rbe, ber erfte 
ßonig öon ©rofebritannien aus bem §aufe ^annoöer (1714), il^re 
eingige Sod&ter, ©o))]^ie ßl&arlotte, bie erfte Königin oon 5ßreuBen 
(1701).^ 

Safe biefe brei ©efd^toifier ben brei größten ^pi^ilofopl^en beS 
3a]&rlÖunbertS günflig gefinnt tt)aren, l^at il^ren SRad^rul&m erl^olftt: 
ßarl ßubtoig, öon tolerantefter ©efinnung, »ollte ©^jinoga nai^ 
^eibelberg rufen, ©o^jl^ie unb il^re Xoi^ter toöl^Iten ßeibnig gum 
Vertrauten Slatl^geber, bie ^ßringeffin ©lifabetl^ toar ©eScarteS' lern« 
begierige ©d^ülerin unb fjreunbin.^ 

SOSäl^rcnb il^rer ßinbl)eit l^atte Stifabetl^, fern öon ben @Itern, tt)ie 
c8 bie ©d^idffale mit fid^ brad^tcn, unter ber Dbl^ut il^rer ©roßmutter 

* Ucbex ^lifabetl^ (S^arlottc ögl. ßubtoig §äufjer: ©cfd^i^tc bct tftcinifiä^en 
?Pfal8, S3b.n. (1845). ©.712-732. 3. SOÖtttc: «Pfalaötäpn eiifabet^ ©^arlotte, 
§craoötn öon Crl^ang. Sorttog (1895). aJlcinc ®cf(ä§. b. n. «PWof. SSb. n. 
(ßcibnia). 3. 2lufl. (S,ap. XIV. @. 283-287. 

* aJleine Sfefttcbc aur fünfl^unbertjäl^riöen 3ubclfcicr bei 9lu<)Te(ä§t-ÄorlS» 
§o(ä§WuIe om 4. Sluftuft 1886. 2. Sluff. ©. 70-77. 

afif d&et, ©efd^. b. Wlof. L 4. «uff. 31. 31. 13 



194 Stritte ßcbcngpcriobe. 2)tc 3cit bcr SBcrfc. 

ßüutfc SuUanc (bcr SBitttoe beS ßurfflrfien Srtebrtd6§ IV. öon bcr 
5PfaIj), einer Sod&ter bcS großen DranicrS, gu ßroffen in bcr SDlar! 
SSranbcnburg Dcricfit. Sricbrid^ SBtl^cIm, bcr Äurprinj öon Sranben^ 
bürg, nad&mafe bcr grofec Äurfürft (1640—1688), burd& feine aJlutter 
©Ufabetl^ ßj^arlüttc oud^ ein Dn!el SuUancng, tDor il^r SSetter unb in 
bem Serlouf i^rcS fd^idffalSöoUcn unb fcl^r bciDcgtcn ßeben§ mel^r als ein= 
mal il^rc @tü§c unb 3uflud&t. 3loä^ in frül^cn Salären lata fie nad^ 
bem ^aag an ben §of il^rcr 5IJluiter (1626?), unb l^icr, mitten in 
einem ßanbc, tDO ,Runft unb 2Biffenfd&aft in öoüflcr Stütl^e ftanben, 
gebicl^en il^rc Dorjüglid&en ©eifteSgaben , fi^on öon ber ©ro^mutter 
gepflegt unb genöl^rt, ju einer fd^ncüen unb bewunberunggmürbigen 6nt= 
faltung. Dbwol^I inncrli(i& befd&aulid& geftimmt unb gu einem ben l^öci&ften 
geiftigen ©egenftönben getoibmeten ßeben fotool^I angctl^an als föl^ig,- 
würbe fie einer ebenbürtigen, ben l)olitifci^en 3ntereffen il^reS ^aufeS 
förberlid^en @^e nid^t abgeneigt gemefen fein. ®ie ©elegenl&eit fd&ien 
fid& JU bieten, als 'tu il^rem fünfjel^nten Saläre (1633) SBlabiSlauS IV., 
ßönig Don ^ßolen (1632—1648), um i^re ^anb toarb. SRid^t ber ßönig, 
aber ber 3ieid^8tag unb bie polnifd&en Säifd&öfe Dertoarfen eine fold&e 
gemifc^te ©l^e unb forberten ftürmifd&, bafe „bie ©nglönberin" unb 
JSe^erin il^ren ©tauben abfc^toöre. 3n biefem 5ßunlte iebod^ mar bie 
©nglönberin unb bie «Re^erin, 5!Jiutter unb 2;od&ter, unbeugfam, unb 
fo gerfd^lug fid^ bie ©ad&e, bie ber ßönig gern jur SluSfü^rung gc= 
brad&t l^ötte. 

3n bem „@tern öon Utred^l" crblidte bie unterrid&tete unb ^oi^- 
ftrebenbe (Slifabet)^ ein leud^tenbeS SJorbilb, fie lernte bie ©d&ürmann 
fennen unb l^at eine SeiWöng freunbfd^aftlidö aud^ in ^Briefen mit il^r 
üerfel^rt. Sa erfd^ienen bie erften ©d&riftcn SeScarteS' (1637), Don 
benen bie neungeJ^njäl^rige 5|Jrinjeffin ergriffen tDurbe: fie laS hk Slb= 
l^anblung über bie 9Jletl&obe unb bie ^Proben il^rer matl^ematifd&en unb 
t)]^^fifalifd&en Slnwenbung unb n)ünfc^te nun' ben 5IJlann !ennen ju 
lernen, beffen ßel^re unb ßel^rart burd& il^re Siefe unb einleud^tenbe 
ßlarl^eit fie bergeftalt gefeffett I)atte, ba^ aÜeS ^rül^ere i^r bagegen 
nichtig erfc^ien. ©ie ift in bem fcltenen Saß, bafe fie ben SJletapI^^« 
füer unb SDlatl^ematifer glei^ gut öerjiel^en unb fd&ö^en fann. 3[e|t 
erblaßt ber ©tern öon Utred&t unter bem ©eftirne ©eScarteS'. ©ie 
mad&t bie eifrig getoünfd^te Se!anntfd&aft beS 5pi^itofoplöen (1640), ber 
bie aSerelirung ber iungen fjürftin aus öoüem bergen ertoibert; er 
tt)irb il^r ßel&rer unb ^reunb bis gum ®nbe feines ßebenS, ber treuefte, 



Slufentl^olt in bzn SRtcbcrIanbcn. 195 

ben fte ötellctd&t je gel^obt I)ot. Um in il^rcr 3lSf)t ju fein, nimmt 
3)e§carteS im gtül^jal^r 1641 ©d&Iofe ©nbegeeft bei ße^ben jn feinem 
Slnfentl^alt ; il^r toibmet er fein ^auptoerf über ,,bie jprincipien ber 
^Pl^ilofopl^ie" (1644); ju il^rer ©rquictung in ben ZaQzn !örperlid&cr 
unb gemütl^Iid^er ßeiben fd^reibt er (im fjrül^jol^r 1645) bie Sriefe über 
baS menfd6lid&e ©tüi, bie ©enecaS Sfidöer de vita beata erörtern, 
einen Sll^eU feiner ©ittenlel^re bilben unb fein le^teS, nod^ öon il^m 
fclbft beröffentnd6te§ SBerl über „bie ßeibenfd&aften ber ©eele'' 
jur tJotge l^aben, bo§ er im SBinter 1646 öerfafet unb gleii^ barauf 
feiner fürfllid^en greunbin mittl^eilt. 

@8 giebt für bie 5Prin3effin ©lifabetl^ fein fd^önereS ®enlmal, 
als jene il^r getoibmete Sufd^rift, bie SeScarteS feinem ^auptwerle 
borauSgefd&idCt ^at „@§ ift ber größte SSorjug, ben i^ meinen ©d&riften 
öerbanfe, bafe fie mir bie @]^re öerfd^afft l^aben, 3l^re ^ol&eit lennen 
JU lernen unb mid^ biStoeilen mit Sinnen unterreben ju bürfen. @o 
ifl mir ba^ ©lüdC ju Stl^eil gemorben, ein 3euge il^rer l^o^en unb fel- 
tenen (Sigenfd&aften ju fein, unb id^ ertoeife ber SJlad&tDeft einen 2)ienfl, 
toenn id6 il^r biefeS SJorbilb geige. ®§ todre tl^örid^t, tDolIte id& an 
biefer ©teile fd^meid^eln ober ®inge fd^reiben, öon benen id& nid^t über= 
geugt bin: l&ier, auf ber erften Seite eines SQBerfS, toorin i(5 bie ®runb= 
tt)Ql&rl&citen oller meufd^Ud^en @r!cnntni§ bargutl^un öerfud&en mU. 3d& 
fenne 3l&re l^od&gefinnte SBefd^eibenl^eit unb tt)ei6, baß 3t)nen bie ein= 
fad&c unb freimütl)ige 3iebe eines 3DRanneS, ber nur fagt, toaS er benft, 
lieber ifl, als bie jierüd&en unb getüöl^Iten ßobreben berer, tt)eld^e bie 
Äunft ber ^öftid^feiten fiubirt l^aben. 3d^ roerbe in biefer Sufd^rift 
nur fagen, toaS id& erfal^ren l^abe unb tt)eiß, id& n)erbe l^ier genau fo 
fd&rcibcn, toie in bem gangen übrigen Sffierf: als 5p]^iIofo))^/' 3n 
wenigen 3figcn fd&Ubert ©eScarteS bzn ßl^arafter beS magren 2Jienfd^en= 
loertl^eS, ben Unterfd^ieb ödster unb unäd&ter Sugenben, »eld^e le^tere 
ben 3rrlid&tern gleid^en. SSermegenl^eit glöngt melir als tt)ir!Iid&er 
SWutl^, JBerfd^toenbung mel^r als tnal^re greigebigfeit, ad^te §ergenSgüte 
gilt für toeniger fromm als 2lberglaube unb ^eud^elei; ©infalt ift oft 
ber ©runb ber ©utmütl^igfeit, SSergtoeiflung bie Sriebfeber beS SDlutI)eS. 
®cr Inbegriff aller 2;ugenben ift bie SQBeiSl^eit, bie baS ©ute beutlid) 
erfennt, fefi unb bel^arrUd^ auSfüI)rt; fte glangt nid^t, toie bie ©d&cin= 
tugcnben, fie toirb toeniger bemerft unb barum tt)eniger gelobt, fie t)er= 
langt JBerftanb unb (SfjaxalUx; bie ®infid&t ift an ßraft unb Umfang 
nid&t in allen gleid^ groß, ber fefte SQßille fann eS fein. SQßo fidö aber 

13* 



^^ 



Sritle 2(6en«periobe. 2ie Sttt ber aSerfe. 



mit bicfem bet ttaie ißeijlanb unb bie einfte Ulrbcit ber SUbung Ber- 
einigt, bo ift bie Stütze ber Sugcnb. „Sicfe brei Sebingungen »cr^ 
einigen Sie in üotttommenem iWafec. Sie 3erftieuungen be§ ©ofeä 
unb bie gciDö^nlicde 9lrt, roie ^Prinjeffinnen erjogen meiben, finb bcm 
Stiibiitm bet JHtilfenfcöaiten feinbliiS. Saß ®ie biefe ^inberniffe be= 
mähigt unb fi^ bie beflen fjrüiijte bet SJilfenJdiaften angeeignet ^obeii, 
beiceift, mit roeti^em grnjt ©ie an S^rer Silbung gearbeitet; bü& ©ie 
biefeä 3iet in fo meniger Seil erreicht ^a6en, fpri^t für bie Söocjüg^ 
ticf)feit 3^ret Salente. Unb ic^ ^abe bafür noc^ eine anbete ijßtDbe, 
bie mitft peijönlicb angefjt: \äi ^abe nJcmanb gefunben, ber meine 
©(^riflen fo umfaffenb unb |o gut »etftanben; jetbft unter ben beftcn 
unb gcle^tteften Äbpfen giebt es uiefe, bie fie |el)r bunEel finben; ic& 
^abe fap bur^göngig bemerfen muffen, ba§ bie einen bie mat^ema= 
tift^en SBü^r^eiten leicht faffen, aber ben metoffi^fifi^en üctfc^toffeii 
' finb, toö^renb e§ \iii bei ben anbeten getabe umgeteEjit Oettiält. Set 
einjige Seift, (o weit meine Stfa^iung leicEit, bem beibeä gtei^ leicht 
wirb, ift bet S^tige. Sarum mu§ ii^ biefeu (Seift unnergleit^lift 
Eioc^fdjä^en. Unb maS meine Seiounbetung fteigett: eä ift nicE)t ein 
befaEirter 3Jtnnn, bet Diele 3io^re auf feine Sele^tung Betroenbet t|at, 
bei bcm fii^ eine fo(c&e umfaffenbe, roiffenfdiafttiile Silbung finbet, 
fonbetn eine noc^ j,ugenhtict)e 5ütftin, bie in i£)ret 2(nmut^ e^et ben 
©rüjien, roie bie ^oetm fie befc&teiben, üI§ ben JDiufcn ober ber 
weifen SDlinetDa gleidjt. ^(^ febe in S^nw aße firäftc roitffam, bie 
äi^te unb Dot^üglii^e S!ßei§beit öon feiten nic^t Ud% bc§ ©cifteS, 
fonbern aucti beS SöiÜenS unb S^ataftetS forbert: ©rofimul^ unb 
3Jlitbe im Sunbe mit einet ©efinnung, bie ein ungereiiiteS ©c^idfot 
tro§ forlbauernbet unb immer erneuter Sßerfolgungen nicl)t ju erbittern 
mal üu entmut^igen oermot^t t|af. S)iefe ^oiJigefinnte 2ßei§^eit ift eS, 
bie ic^ in ^i)mn DereEite: it)r roibme ic^ niii&t 6Io§ biefeä 3Bert 
es Bon bet ^^iCofob^ie, bem Stubium bet SJeiä^eit, ^anbelt, fonbi 
auc6 meine ^etfon unb bereu Sienfte." 

3in bemfet&en Safire, aliS ßlifabet^ biefe SBibmung empfing, f^rieb 
i^t bie ©c^ütmann einen Srief, ber unDerfcnnbar einen böfen Seiten= 
btiif auf SeScarteS tearf. ©ie 6c£ennt i^re SereEirung für bie ®oc= 
toten ber flirrf)e, bie teine 9!euerer fein rootlten, fonbern befi^eiben ben 
9Beg gingen, ben 9(uguftin unb SlriftoteleS etIeucE)tet §Q6en, jene 
beiben gtofeen ©eftittie ber SBiffenfifeaft g&ltUi^er unb menf^Iii 
Singe, bie man nie »etbunfeln fonnte, meictieä ttübe ©ewöH 



t ea . 

bo^H 



menf^lic^g^H 



Sluf enthalt in bcn SRieberlanbcn. 197 

tDcIdöeS ©l^aoS öon Sfrrtlftümcrn man tl^rem glönjenbcn üiä^U aud& cnt« 
gegcngufe^en t)crfu(i&t l^atte.^ 

3)cr l)crföttU(ftc SSerlel^r gteifdöett ber 5ßringcfftn ünb ©eScarteS 
tt)ar toöl^rcnb ber 3ßtt fcineg Slufentl^altcS in ©ttbegccft bcr regfle, er 
l^Qtte öorl^er ein Sal^r in ße^ben gelebt (9lpr. 1640— Slpr. 1641), bann 
tool^nte er gtoei Saläre in bem nur eine l^albe 5IÄeile entfernten ßanb= 
fcölofe (3rpr. 1641— gnbe SDlörg 1643) unb ging öon l^ier über Stntfter:: 
bam, too er einige SBod&en öertoeiHe, nad^ (Sgmonb in SRorbl^oÜanb 
bei Slßmoor, um in Dotter 3iu]6e bie ^erau^gabe feiner „^Principien" 
gu beforgen. Sic ßorrefponbcng beginnt gleid^ nai^ ber S^rennung 
unb rcid^t bon ben Slnfängen feineg 3lufentl&atteg in (Sgmonb (9Jlai 1643) 
big nadö feiner 9lnfunft in ©todfl^olm (Dctober 1649). @ie tt)änf(i&t 
öon il^m bie ßöfung ))]^iIof opl^if d^er , geometrifd^er unb pl^^fifaüfd^er 
gragen. ®ie erfie unb toid^tigfte, bie fie il^m borlegt, betrifft bie 
^Bereinigung bon ©eele unb ßorper, ba^ Hauptproblem feiner ßel^re; 
in einer SRcil^e Don Sriefen erörtert er ba§ grofee Sll^ema Dom SBertl^ 
unb ber Sebeutung beg menfd&üdfeen ßebenS (9Jlai unb 3uni 1645); 
©üfabetl^ fdöidft il^m Sölad^iaDeÜig Sudö Dom Surften mit il^ren S3e= 
mcrhingen unb tt)ttnf(5t bie feinigen (§erbft 1646); eS ift bemerfenS« 
toertl^, ba^ ©eScarteS, fd^on über fünfgig, biefeS Sui^ erft je^t burd& 
feine ©d^ülcrin fennen lernt, ©tets begleitet er il&ren ßebenStoeg unb 
umgicbt fie mit feinen Slatl^fd&Iägen unb aßen ©mpfinbungen perfön= 
lidö^er Sl^eitnal^me. i^üx (Slifabetl^ famen büftere Seiten, ßranf^cit 
unb SÄi^gefd^idf aller 2lrt, ber Slbfall gioeier ©efd^totfter Don bem 
Döterlid^en ©lauben, bie 3iDiftigfeiten im ^aufe ber 2Jiutter, ber ©turg 
ber Stuarts in 6nglanb. ^laii ber ßonDerfton il^re« SruberS ßbuarb 
(1648) unb nad^ ber ©ntl^auptung il^reg Dl^eimS ßarls I. (Januar 1649) 
fd^rieb il^r ©eScarteS trbftenbe unb aufrid^tenbe SBriefe. 6r bad&te an 
eiifabetl^ unb baS ©d^idffal beS pfälgifd&en §aufe8, als er in brieflidfeen 
JBerfel&r mit ber fibnigin Don ©d^ioeben trat unb bie ßinlabung nad^ 
©tocfl^olm annal&m, erfüüt Don ber C>offnung, ba§ eS il^m gelingen 
tonne, bie beiben grauen einanJber gu befreunben unb ben möd&tigen 
€influfe ©dötoebenö gu ©unften ©lifabetl^S unb il^reS ^aufeS gu ftimmen; 
fd6on erfreute er fid& ber 3lu8fid^t, in naiver Sufunft mit il^r Dereinigt 
am ^ofe in ^eibelberg gu leben. 

S)er 5pian be§ ^pi^ilofopl^en, mit bem bie 2Bünfd&e unb Hoffnungen 
ber ftönigin Don Sol&men unb il^rer Sod&ter tool^l übereingeftimmt 

1 Foucher de Careil: Descartes et la princesse palatine. pg. 11—12. 



198 SJtittc ßcbenspctiobe. S)ic Seit bcr aOßcrtc. 

l^aBcn, ift gefii^citcrt, tl^etls on ber fd6tr)cMfd6=frQngöj'tf(J6en 5Poütif, tocid&e 
bte Ba^rifdöen Slnfprüd&c gegen bte beS l)fäljtfd&en ^aufeS gu untcr|iü|en 
unb gu förbern für gut fanb, tl^etfe on ber (giferfud^t bcr ftönigtn 
©l^rtftttte, bie ben Stul^m einer gelel^tten x^xan unb getftigen ©röfee 
ntd^t mit ber 5ßfoIjgröfin tl^eilen unb (nad6 glauBtoürbigen Seugniffen) 
in il^rer . Heinlid^en ©itellett, bie mit ben Salären gunal^m, öon jener 
ni(i&tS toiffen unb l^ören tDoIIte. 

föalb na^ jenem fd^redCUdöen SSorfaÜ im §aag, ber bem franjöfifd^en 
3lbenteurer baS ßeben unb tl^rem Sruber ben 31ufentl&alt im §aag unb 
im §oufe ber Sölutter gefoftet, l^at ©lifobetl^ (ber SDiitfd&uIb ol^ne 
©runb öerböd^tig) ben §of ber Äönigin öerlaffen unb bie nöd&ften 
Saläre in Äroffen bei Serlin gugebraci&t. 3lai) ber SOBieberl^erfteÜung 
i^reS SruberS feierte bie ^Pfolggräftn nad^ §eibelberg, il^rer Saterftabt, 
jurüi (1650 ober 1651) unb fjat l^ier am §ofe beg Äurfürften gelebt, 
bis bk el^elid^en Sßtroürfniffe gtoifd&en Äarl ßubtoig unb feiner ®e= 
mal^Iin, ©l^arlotte öon Reffen, aud6 bie ©efd&toifter uneinS mad^ten 
unb 6(ifabetl^, bie auf feiten il^rer ©d^tDögerin ftanb, beiDogen, Reibet 
Berg für immer gu t)erlQffen unb fid& nod^ Gaffel gu begeben (1662). 

@ie ift e§ getoefen, bie guerft ben ©omen ber cartefianifd&en 
5|J]^iIofo^3]^ie fotDol^I in Säerlin als au(5 in §eibelberg auSgeftreut l^at, 
unb tDenn ßarl öubwig fo öiele ^atjxt fpöter ben ^piftilofopl^en ©^^inoga 
na^ ^eibelberg rufen toollte (1673), fo gefd^al^ eS, toeil er 
tonnte, ha% biefer SDlann eine Dorgüglid&e SarfteÜung ber 5ßrincil)ien= 
lel^re SeScarteS' öerfafet l^atte.^ 3Iuf il)rer Sfteife naci^ ^eibelberg l^atte 
©lifabetl^ nid^t unterlaffen, bie Don bem §ergog 5tuguftuS neugegrünbete 
Sibliotl^e! gu SESolfenbüttel (1644) gu befui^en unb burd^ il^re a3üd&cr= 
fenntnife bie Sett)unberung ber bortigen ©elel^rten erregt. 

Unter ber ©d^u^Iierrfd^aft unb bem @influfe beS großen ßurfürpen 
il^reS aSetterS tourbe Slifabetl^ t)om ©tift ber reidösfürftüd^en Slbtei gu 
§erforb in SQBeftfalen gur ©oabiutorin ber Slebtiffin getoöl&tt (1. SKai 
1661) unb nad& bem Sobe ber Unteren als reid&Sfürfllid&e 3Iebtiffin 
int^ronifirt (30. Slpril 1667). ©eit bem 3a^re 1565 burften nur 
lut^erifd^e Slebtiffinnen getoäl^It toerben; im ßaufe beS fiebgel^nten ^af)p 
l^unbertS l^atte eS fid^ gefügt, bafe audö baS reformirte Säefenntni^ fein 
^inbernife mel^r toar. ®ie 5PfaIggräfin ©lifabetl^ toar nid^t bie erjlc 



1 JÖöI. meine ®ef(ä§i$tc ber neuem $]^ilojopl&ie. S3b. I. 3toeitcr 3:^eil. 
(3. 5lufl.) »u(ä§ L (S,ap, V. 6. 164-166. 



Ilufentl^alt in bcn SRicbctlanben. 199 

teformirtc Slcbtiffin bcr utolten Slbtci gu ^etforb, beren ©tiftung 
ßubtoig bcr fromme im Saläre 939 Bcftötigt l&attc. 

6« tft eine fdfd&e SBorftcüung, bic Saiüet, ber Stogtal)]^ S)e§carte8*, 
erfunbcn unb ju einer feinen ßanbsleuten angenel^men fable convenue 
gemadöt ^aU ha% unter ber ^ßfaljgröfin Stifabet)^ bie Slbtet §erforb 
Qu§ einem Älofter eine pl^ilofopl^ifdöe Sllabemie unb ein 3lf^I geleierter 
ßeute Quer 3lrt getoorben fei, eine Sabel, toeliiee nod^ neuerbingS §err 
Seannel nad&erjöl^It l^ot.* 

@o tDQr es mit nid^ten. ®ie plöitofopl^ifd^en Sntereffen toaren 
nid^t erlofd&en, toaS oud^ nid^t möglidö ift, tt)enn fie einmal ju einer 
fold^en §ß^e gebiel^en finb, toie eS bei ßlifabetl^ ber gaÜ toax, aber 
fie maren burd& bie religiöfen jurüdfgebrängt, bie unter ben fd^toerften 
©döidCfatefd^Iägen unb (Srfd&ütterungen fidö il^rer ©eele bemäd^tigt 
l^atten. @ie blieb, tr)a§ fie ftets getoefen: ein reid^er, immer fud^enber 
unb in bie Siefe gerichteter ©eift, ber nad6 SOBal^rieeit gebürftet l&aite 
unb ie§t in ber ©tille beg ÄlofterS ein Sebürfnife nad^ religiöfer 
©rmedCung unb ©rleud^tung em))fanb, toeld^eS bie l^errfd^enbe Sl^eDlogie 
unb bie l^errfd^enben ßird^en nid^t ju befriebigen öermod&ten. 

®a gett)d]erte fie il^rer alten ^reunbin, 21. 501. ©d^ürmann, bie 
fidö nad& fünfjel^n Salären il^r n)ieber näherte unb für öababie unb bie 
neue ©l^riftuggemeinbe ©d6u§ unb Suflud^t erflel^te, gern ba^ erbetene 
Slf^I. ßababie unb bie ©einigen erfd^ienen ju ^erforb im SRoöember 1670. 
ffliin entfianb über bie ®ulbung ber ßababiften ein fel^r l^eftiger ©treit 
gtDifdöen ber ©tabt ^erforb unb ben ©tabtgeiftüd^en auf ber einen unb 
bcr Slebtiffin mit bem Äurfürften Don Söranbenburg auf ber anbern 
©eite, unb ba fid^ bie ©ad^e in bie ßönge jog unb einen gegen bie 
ßababiften brol^enben 6^ara!ter annal^m, fo entfd^Ioffen fid^ biefe gu 
frcitDittigem 2lbguge (3uni 1672). 

Uebrigeng l^at ©lifabetl^ in bem gangen redftt ^leinlid^en ©treit be* 
loiefen, baft fie nid^t blofe eine fromme Slebtiffin, fonbern eine fjürftin 
unb ^errfd^erin bon ©ebfüt tt)ar, benn fie l^at feft auf il^rem SBiÜen 
bcfianben unb fic^ gar nid&t einfd^fldötern laffen, aud^ nid^t burc^ 
brol^enbe faiferlid&e Sölanbate öon feiten beS Steid^Sfammergerid^tS gu 

* Charles- Julien Jeannel : Descartes et la princesse palatine (Paris 1869), 
pg. 22. cDevenue abbesse de la riebe abbaye protestante de Herford, eile en 
fit non iin severe couvent, mais une libre acad^mie de philosophie et une 
retraite pour tous les gens de lettres, de quelque nation, de quelque religion, 
de quelque secte qu'ils fussent. » 



200 S)ritte Sebendperiobe. ^te Seit ber ä&erfe. 

©peicr, toöl^renb bcr Äurfürft felbft ü6cr btc conttnumftifd&cn ©ins 
ridötungcu ber neuen ©emeinbe bebenfttd^ iDurbe. 

Unter ben religiös (grtoedCten, wie fie baS S^italter in einer 3ieil)e 
mannid^faltiger formen l^eröorrief, ^ai xijx leine ©enteinbe ein fo grofeeS 
SSntereffe erregt oIS bie Quäler, unb Don biefen leine 5ßerfönlid&feit einen 
[o gewaltigen ®inbru(f auf fie ausgeübt als SOBilltam 5Penn, ber 
|))atere ©rünber unb ©efe^geber bon 5Pennf^It)anien, ber im Saläre 1677 
jiDcimal in ber 2lBtei t)on ^crforb erfd&ien. 2tn feiner ©d^rift ;,Äetn 
ßreug, leine ßrone", bie er no(i& in ®uropa öerfa^t l^at, el^e er nad& 
Slmerila ging, um feine gro^e Söliffion ju erfüKen (1682), ^at er 
einen 3l6fd^nitt bem 9lnben!en ber ^rinjeffin ßüfabetl^ jettJtbmet unb 
i^rer legten il^m unüergefelidöen SBorte gebad&t, als fie in ^erforb Don 
i^m 9lbfd[)ieb nal^m: „ßrinnern Sie fic^ meiner, bie id^ fo toeit ent= 
fernt Don Sl&nen lebe unb ©ie nid^t wteberfel^en toerbe. 3d6 banle 
3^nen für biefe fd&öne Seit unb bin gewife, ba§ tto§ mannid&fat^er 
SSerfud&ungen , benen meine Stellung mid& ausfegt, meine ©cele bie 
ftörffte ©el^nfud^t nad^ bem eingig toal^ren ©ute emt)finbet/' ®ie 
^ringeffin, toie aud^ aus il)ren Söriefen an "^enn l^erDorgel^t, fül^lte 
mol^l, ba§ etwas in il)rer SJlatur war, baS Weber gu bem ßababiSmuS 
nod^ gu bem Qualertl^um pa^te. 

ßeibnig, fdfeon im ©ienfte beS ^ergogS Don ^annoDer, l^atte auf 
bem SQßcge nad^ DSnabrüdC bie 3lebtiffin in §erforb perföntid^ fennen 
gelernt (Secember 1679) unb burt^ fie 5öialebranc6eS fel&r gelefene 
©d&rift « Conversations chr^tiennes». „Sd^ l^abe", fo ft^rieb er bem 
aSerfaffer, „^^xt d&riftlid&en Unterl^altungen burd^ bie ©unfl ber 
5Pringcffin ©lifabetl^ erl^alten, bie burdö i^ren ©etft ebenfo berül^mt ift, 
wie burd^ il^re ©eburt."^ 

Slifabet)^ ftarb in il^rer 9lbtei ben 8. ^ebr. 1680, ein Söienfd&en^ 
alter nad^ ©eScarteS. 



1 ^öl. bicfes SGÖcrf. S3b. I. 3»citcr 2:6eil. (3. 5lufl.) ©. 50. f8b. II. (3.2luf(.) 
6, 124 2lnmerfung. 



^udbilbung unb S^eröffentUd^ung ber äBerle. 201 

fünftes eapttcl. 
L ®q8 foSntoIogtfd&c aBerf. 

1* Unorbnung unb $Ian. 

SRod&bcm toir ben ßebenggang ©eScartcö' tDöl^rcnb feiner Iioßan- 
btfd&en 5ßeriobc in ben ^ou))tgü9en Verfolgt l^oben, muffen toir j[e^t 
nöl^er ouf bie 9lrbeit unb ©ntftel^ung ber SQBerle eingel^en, benen fein 
Slufentl^att in ben SRieberlanben gemibmet toar. SQßir l^aben biefelben 
im Vorigen 3lbfd6nitt fd^on biograpl^ifdö berül^rt unb toerben im nöd&ften 
93ud&e bie ßel^re ®e§cQrte3* f^fiematifd^ barftellen ; bal^er foll jie^t blofe 
Don ber ©efd^id^te il^rer SluSbilbung unb SSeröffentlid^ung bie 
JRcbe fein unb ber ^nf)alt nur fo toeit in ^ragc fommen, aU eS gum 
aSerflönbnife biefcr (SnttDidKungSgefd&id&te nöt^ig erfd&eint. 

S)ie SJlebitationen toaren in il^rer erften ©eftatt ben 18. ®ecem= 
ber 1629 in ^roneler Dollenbet toorben unb bamit ber ©runb gelegt 
ju einer neuen ®rHärung ber 2)inge an^ ben einfad^ften, fid^erften, 
burd^ metl^obifd^eS ®cnlen gefunbenen 5|Jrinci))ien. SeScorteS* erfie 6nt= 
bedung toar bie 3Jletlöobe, auf il^rem SQBege fanb er bie 5|Jrincipien, 
burd& toeld&e eine neue 3BelterIenntni§ fottJol^I begrünbet aU geforbert 
toax. SBoKte er feinem Sbeengonge gemö^ bie SBerle ausarbeiten unb 
Deröffentlidöen, fo mu^te ba^ erfte bie SfJletl^obenlel&re , ha^ jtoeite bie 
^rincipienlel^re ober Jöletapl^^fil/ ba§ britte bie ÄoSmoIogie, bie 8ct)re 
öon ber SJlatur unb t)om 9Jlenfd&en, fein. StuS ben bürftigen Ueber« 
bicibfeln frttl^erer ©d&rifteu SDegcarteS' au8 ben Salären 1610—1629 unb 
ben Serid^tcn SaillctS ift fo öiel mit SQSal&rfd&einlid&feit feftjufteHen, 
ba§ in einem Fragment «Studium bonae mentis» unb in ben fd^on 
crloäl^nten „Siegeln jur Slid&tfd^nur bc§ ©eiftes" ©ntrottrfe jur 3Jlet]^oben= 
Icl^re öorl^anben toaren. 

Slber ®eScarte§ glaubte fidlerer unb jur Selcl^rung ber 3BeIt 
rid^tiger gu berfal^ren, toenn er in ber SluSarbeitung feiner 2Ber!e ben 
entgegcngefe^ten SBeg toöl^Ite, 5!Jiet]&obe unb 5Princit)ien borlöufig auf 
fid& berul^en unb beibe burt^ il)re Slntoenbung, nömlidö bie Srllärung 
ber S)inge felbft, guerft bie 5Probe Dor ben 2lugen ber SQßett befleißen 
liefee. 6in fold&er SQBeg erfd^ien il^m als bie bcfte ßinfü^rung in 
feine neue 3J]öiIofo)}löie; bie SBett foßte biefe ßel^re nad6 bem SBorte 
beurtl^eilcn : „9ln il^ren Srüd^ten fottt il^r fie erlennen!" Um ScScarteS* 



202 StudbUbung unO 

Pan t)crfiQnbIid& gu ntad^en, muffen tütr einen SältdC in bie leitenben 
©runbgebanlen tl^un, bie id^ l^ier toenig^r Begrünbe, ate erjäl^le. 

©ein ganges SRad&finnen toax feit Solaren auf bie ^rage gerid^tet: 
toeld^eS unfel^Ibare Kriterium SQSal^r^eit unb 3Srrtl^um, rid^tigc unb 
falfd&e Sorftettung, 35ßirHid6!eit unb ©inbUbung unterfd^eibe? ®a6 er 
im SSefi^ biefer Unterfd^eibungSfunft fei, l^atte er nod& in ben legten 
Sagen feines Slufentl^alteS in ?Pari8 buri^ jene benlroürbige 5|irobe 
gegen ©l^anbouE bemiefen. @r l^atte gefunben, bafe in unferen 93or= 
fteüungen ein fold^eS Kriterium nid^t fei, bafe bie fogenannten toir!= 
lidften ßrfd^einungen eben fo gut für blofee Straumbilber gelten fönnen 
unb fid& t)on biefen burd^ nid&ts unterf (Reiben ; eS bleibe nur eine 
©etDt^^eit: nid^t ba§ unfere SSorftellungen toirüid^e S)inge begcid^nen, 
ober bie ©egenftänbe, bie uns erfd^einen, in SBal^rl^eit ejiftiren, fon= 
bern nur, ba§ mir foldfee aSorfteÜungen l&aben, ba^ uns fold^e ®egen= 
ftönbe erfd&einen. ©i^er ift nur, ba§ unfer aSorfteÜen ejiftirt, bafe 
unfer ®enlen ift, unb ba jeber nur feines eigenen ©enfenS gemife fein 
!ann, fo lautet ber eingtge unumftöfelid&e ©a^: id& bin ben!enb. 3d& 
ben!e, alfo id& bin: biefc ©inftd^t ift gang flar unb beutlid&; maS 
ebenfo flar unb beutlidö erfannt mirb, ift barum ebenfo gctoi§. ^ier 
entbedCt fid& baS gefudöte Kriterium: bie Kare unb beutUd^e 6infid&t 
entjd^eibe über ©ein unb 5Rid^tfein, bie ßlarl^ett unb ®euttid&feit ber 
aSorfteÜung betoeife bereu SRealitöt; auS ber SBorfteÜung eines t)olI= 
fommenen SffiefenS erl^elle flar unb beutlidö beffen (Sjifteng, auS ber 
SRatur biefeS SQBefenS folge feine SQBal^rl^aftigfeit, aus biefer baS ®afein 
ber Äörpermelt, benn toenn le^tere nid&t märe, fo mürbe ber ©d^ein 
il&rer 2Baf)r]^eit eine Söufd^ung fein, mcld&e bie SBal^rl^aftigfeit, bie 
aSoÜfommenl^eit, bie ©jifteng ©otteS aufl^cben mürbe. 3Benn aber bie 
ß5r))ertDeIt in S33al)rf)eit ift, fo mu§ fie flar unb beutlid& erfennbar, 
b. ]^. fie T^ufe eine gefe^mäfeig georbnete SQßelt, ein miffenfd&aftUdfeeS 
Dbiect, ein ßoSmoS fein, ben mir begreifen fönnen. ®aS ftare unb 
beutlid&e ©efe§ aÜeS ©efd^etienS ift bie ©aufalitat, ber 3ufammen= 
f)ang t)on Urfadie unb SBirfung, bie SRotl^menbigfeit, vermöge bereti 
nid&tS ot)ne Urfadöe gefdöiel)t, iebeS S)ing ftets auS einem anberen ijtx- 
Dorgel^t. Sffiirb alfo bie 2BeIt, ber Inbegriff ber förperlie^en ©inge 
ober bie SRatur, nad& biefem SaufalitätSgefe^e erflart, fo ift fie flar 
unb beutUd^ erfannt, fo ift eben baburd^ it)re Sffial^rfieit bemiefen unb 
ber Smeifel, ba^ fie eine blofee ©d^eintoelt fei, für immer miberlegt. 
Siefe Setrad)tungen eröffnen bem ^l^ilofopl^en gmei SBege: entmeber 



»eröffentlitä^unö ber SOßerfe. 203 

er ge^t burd& hm öDÜenbctcn 3tt)etfel gu bcr cinjtgcn ©ctDifel^ett bcS 
eigenen benlenben ©eing, gewinnt l^ier baS Kriterium ber UBal^rl^eit, 
entbedft in ber aSorfleÜung ©otteS beffen ©Eijienj, fd^üefet t)on ber 
SBal&rl^Qftigfeit ©otte§ ouf bie SBol^rl^eit ber Äörpertoelt, auf beren 
tDiffenfd^aftüd&e @r!ennbarfeit unb Begrünbet fo bie 9lufga6e ber dlatnt- 
ti)iffenfd&aft; ober er beginnt mit ber ßöfung biefer Slufgabe, bemeift 
burdö bie Ilare unb beutlid^e (Srlenntnift ber SQBelt beren Sgiftenj unb 
trifft l^ier mit . bem 3irf feiner meto^jl^^fifd&en Unterfud&ungen ju= 
fammen. ®er erfle SQBeg ift ber metat)]^^fif(i&e, ber jtoeite ber 
pl&^fifalifd&e; jener ift bebuctiD, biefer in 3iü(ffid&t ouf ba^ ganje 
©Aftern unb beffen Segrünbung inbuctiö. 9luf bem gleiten toirb burd^ 
bie ®inge, gleid^f am ad oculos, Betoiefen, toaS bie SJletapl^^fil forbert; 
bie 5pi&^fil bilbet hen 6r!enntni§grunb für bie 3iici^tigfeit ber pijilo- 
fopl^ifd&en ©runbfä^e: fie mad^t bie ^ßroBe ber 3ied6nung. ©icBt eS 
eine 5ßi^^ftl, fo giebt eS eine gefc^mö^ige SQßelt, fo ift beren S^ifteng 
aufeer S^cifel unb ba§ ©afein ber Rbxpzx ebenfo filier, toie ha^ Safein 
©otteS unb ber ©eele. 3ft bie SJlatur gefe^möfeig, fo ift fie beuttidö 
crlennbar unb beSl^alb nid^t bIo§ Dorgefteßt, fonbern loirHidö. 

Siefen SBeg ergreift SeScarteS, er toill ein HareS unb beutlid^eS 
Silb ber Sffielt geben, loenn aud& nur in einem umfaffenbcn (Sntiourfe, 
um burd^ biefe Stl^at feinen tiefften ©runbgebanfen fd^on im borauS 
ben ©ieg gu pd^em. 6r fonnte nid&t ))öbagogifd&cr üerfal^ren. ^ier 
öerlöfet er bal^er bie metapl^^fifd&e Unterfud&ung unb beginnt eine Sleil^e 
t)]^^filalifd6er. Slrbciten, bie fid6 in einem SBerle gufammenfaffen foücn, 
toeld^eS bie 3BeIt im ©ro§en erKört, öon ben l^immlifd^en Ä5r))crn 
bis gum meufd^Iidöen. ®em Sl^ema gemäfe nennt er eS «le monde». 
S)iefe Kosmologie ift baS erfte feiner für bie SQßelt beftimmten Sffierle. 
@r toill aus ben ©efe^cn ber 5IJlaterie bie SQBelt ableiten, fie gleidö» 
fam t)or unferen Slugen ergeugen unb eS bem ßefer überlaffcn, biefe 
fo erHdrte 35ßclt, bie il^m als eine §^pott)efe Vorgetragen loirb, mit 
ber gegebenen gu öergleidöen unb bie 6ntbedfung gu mad^cn, ba§ fie 
mit biefer ibentifd& ift. 

3uerft foll bie Sntftel^ung beS ßid^ts auS ber d&aotifd^en SJlaterie, 
bann bie SSilbung beS ^immelS unb ber ^immels!öri)er, ber fel6ftleud&s 
tenben ©eftirne, giEfterne unb ©onne, ber bunKen SQßeltlörper, 5pia= 
ncten, ftometen unb @rbe gegeigt werben, weiter bie ©efd&idöte ber 
@rbe, bie SBilbung il^rer 9ltmofl)]^äre, Dberfläd^e unb 5Probucte: bie 
gntftel^ung ber ©Icmente, beS SBed^felS Don 6bbe unb glutl^, ber 



W: 




1 



201 Sluiabilbuiig unb 

©ttömungcn beS SoffcrS uiib bei ßuft (aBinbc), bet SUcerc unb ( 
birge, bet Oueltm unb ©trötne, bet SOletaKe unb ^flanjen, bet 
tl)ieriji$en «nb tnenfc&Iiiften fl&rper bis 3U bet SJereinigung jmifdöen 
Seele unb üeib, bie ben flonjen SReiif^en ouämniil, ben STuägangS: 
punit be§ getftigen unb ftlfliften ßeben6. §tei eröffnen fiii) bie Jt" 9™ 
naÄ bem SeienSuntcrlÄicbe jwüc^en ©eift unb J^orpcu, bet SJer- 
einigung bciber im TOcufc^en, bei ^Befveinng beä geiftigen ßefienS auä 
ben Sonben beS iBtpeTliÄen : bie ctfte Sroge ifl metap^^fiicö, bie sroeite 
pjljc^ofDöifcl), bie britte moiolp^ilofop^ilcft; bie $rinciliiEnlel)re bilbet 
bie ©tunblage bet fioSmotogie, bie ©celenteÖH beten ®renje, bie 
©ittenfetite ben l)ö(i)ften unb legten 3:f)cil bcr praEtif(%en ^tiilolnpEite, 
bie in i^rem erften bie Seroegung bet p^l)fiii^en Äotper burdi menfc^s 
ltii)e ßunft unb in itjrem äroeiten bie ßunft ber Sclianblung, ^Jflege 
unb Teilung bc8 inenjcfiltcÖEn fiüt})Er§ jU legten ^nt, 23ie ptalHfite 
ffleiregungSle^te ift bie ÜOlec^anit, bie ptatti|d)e SlntEjtopoIosie bie 
9)}ebicin, bie prQ!ti((f)e ©eifteSle^re bie Dioral: bie§ finb bie fruc^t 
ttagcnben Sweige am fflaum ber Stienntnife, beffen SJÖur^eln bie SDRcIq: 
p^^fiE unb beflen Stnmnt bie ÜlQturle^re auSmnt^t. 3)iefen ©tamm 
moUte ©eScatteS in jeinem „floömoS" batfteücn. „Slifi tnoßte botin 
aEe§ jufammenfQffen, wo? ii^ »on bet Sfütur ber materiellen Singe 
ju ffiiffen meinte, beüor \i\ an biefc§ 3Berf ging. Slber wie bie SÜater 
QU( eiltet ebenen 5WiSe nict)t aüe ner^iebeiten ©eiten eines roirltic^en 
.^Dtperä borfteOen lonncn unb bcSljolb eine bet ^auptJäc&IicEiften tno^Ien, 
bie fie aHein in9 Öti^t (e^en, bte übrigen bagegen fi^attiren unb pet= 
fpediBiid) etfi^einen laffcn, fo fütdjtete ic^, in meiner 9lbl)ünblung ntiftt 
aße meine ©cbanlen untetbtingen ju Eönnen. 3)anim Wählte t(^ jur 
einget)cnben 3)arfteIIung meine S^eorie üom ßicf)t unb moüte neben 
biefem §auptobject Don ©onnc unb ^ijfteinen fianbeln, toeil ha^ ßi^t 
füft nur Bon biefen fiörpern nusget)!, bann Oon bem 5S!cbium bei 
^immeläfp^drcn, ineil fie ee bur(%ta|feii, oon Planeten, fiometen unb 
®tbe, ttieil fie e^ jurücEmerfcn , unb insBefonbere Don aßen trbifc^en 
fiörpem, mcil fie entmebet farbig ober burtbfiÄItg ober (eucötcnb 
finb, cnbliii& öom SÖienfc&en, meil er aße biefe Objede betrachtet. Um 
aber aüe biefe SJinge etniöä im ©(ballen ju üe^anbeln unb meine %n' 
fidjten freier QuSfprec6en ju tonnen, o^nc bie ^erlbmmli{ften SReinungeit 
ber (Belehrten entloeber onnetjmen ober roibeticgen ju muffen, entfdiloS 
mi6i, biefe gan,5e äSielt ^icnieben i^ren Äatf)cberfriegen ju ü6er= 
laffen unb bloß Oon bem %\x reben, »aä in einet neuen gef(^e^en 




SBcröffcntlid^ung bct SDÖcrfc. 205 

tDürbe, »enn ©ott irgcnbtoo in tmaginören SRöumen ben ©toff bogu 
cntPel^en, d&Qotifdö betoegt fein unb notfe f eflgefteHtcn , unöeränberlid&cn 
©efe^en toirfcn liefee. SlHeS foHtc auf btc natürlidöftc unb begreif» 
lid&ftc SBeife gefd&el^en. Sfd^ geigte, toie bcr größte SCl^eil ber ajlaterie 
fid& jenen ©efe^en gemöfe orbnen unb eine unferem ^intmel öl^ntid^e 
fjform annel&men mflffe, »ie einige SLl^eile fid^ gut 6rbe, anbete gu 
^Planeten unb ßonteten, toieber anbete gu ©onnen unb fJiEfietnen ge^ 
flauen, ^iet t)etbteiteie id6 mid6 ouSfül^ttidö übet ben lltfj)tung, ben 
Sottgang unb bie SlefleEion beS ßid&ts unb Iie& bie ßefet metfen, 
ba§ in ben ^immeln unb ©eftitnen biefet SBelt nid^tä gu finben fei, 
baS ber öon mit befd^tiebenen Sffielt nid&t äl^ntidö etfd&einen muffe obet 
lönnc. ®ann fom id6 beS Slöl^eten ouf bie @tbe gu fj)ted&en unb 
geigte, »ie ol^ne bie Slnnal^mc bet ©d&toete aüe il^te SLl^eile fotttoöl^tenb 
nod& bem ajlitteli)unlt jiteben, tt)ie auf il^tet mit SBaffet unb ßuft 
Bebedften Dbetfläd&e untet bet @intt)itfung bet ©eftitne, ]^aui)tfäd&lid6 
beS aJlonbeS, &)it unb iSlviti) entftel^e, gleidö bet unfetet SJleete, bann 
eine t)on Dften nod& SBeften getid^tete Setregung beS SBajferä unb bet 
ßuft, betjenigen öl^nlidö, »eld&e mon in unfeten SEtoi)en bemetft, tote fid6 
©ebttge unb SReete, Duellen unb ©ttöme ouf natütlid&e SBeife bilben, 
ajletaffe in bie ©tuben lommen, 5pflangen auf ben ^^tlbnix too(^fen 
unb übet]ööu|)t bie gufommengefe^ten ^bxptx etgeugt toetben. Unb ba 
id& au^et ben ©eftitnen in bet S5elt feine anbete ßid^tj)tobuction als 
baS 3feuet lannte, fo fud^te id6 biefeS nad6 Utfptung, ©tl^altung unb 
SQBitlungSatt genau gu etfläten."^ 

3u bet ßel^te t)om ßid&t l^atte ©eScatteS fd&on bie optifd^en S5ot= 
pubien gemadöt unb ununtetbtod^en fortgefe^t; gu bet ©tHötung bet 
compUcitten itbifd&en Äötpet, inSbefonbete beS tl^ietifd^en unb menfd&= 
lid^en, bebatf et d&emifd&er, anatomifd&et unb mebicinifd&et ßenntniffe, 
bie et fid& ptaltifc^ gu ettoetben fud&t. 3fn 2lmftetbam, feinem nöd^ften 
Slufentl^alte nad& Oftanefet, befd&öftigen ifin toö^tenb be§ SBintetS 1630 
BefonbetS anatomifd&e ©tubien, bie et mit bem gtö^ten 3nteteffe unb 
6ifet tteibt, er lauft felbft bei bem 3tcif(^et bie SC^ierftüdCe ein, bie 
er gerlegenb unterfud^t; er möd&te bie Ileinften SL^eile be3 tl^ierifd^en 
ÄörperS fo genau gu erflören im ©tanbe fein, toie bie S3itbung eines 
©aIgfomS ober einer ©d^neeflodCe. SBäl^renb biefer anatomifd&en unb 



1 Oeuvres I. Disc. de la m6th. Part. V. pg. 168—172 (id^ f^aU bie toi^tigc 
Siede mit einigen Slblürjungen toiebergegeben.) 



206 2lu8!)«bung unb 

tncbictnifd&cn ©tubicn beilegt er in feinem ©eift ben ^lan be§ ßo8= 
mos, ober \ä)xtiU faft nid&ts. 

2. lluSfül^tunQ unb Hemmung. 

@nbli(^ gel^t er an ba^ SBer! unb melbet feinem Ofteunbe 5Dierfenne 
fd&on im 3li)ril 1630 bie erften ^ortfd&ritte, er l^offt, il^m bie ©d^rift 
gegen Slnfong beS- Sol^reS 1633 mittl^eilen gu lönnen. Solb ift er 
im beften Sußc. „®ben bin id& befd&öftigt, ba^ ©I&qoS gu entoirren 
unb ba^ ßid&t borauS ]^ert)orge]^en gu laffen, eine ber l^öd^ften unb 
fd&tt)ierigften Slufgoben, bie id^ je unternel^men !ann, benn fic entl^ält 
fafl bie gange ^pi^^fi!/'^ 3toei Saläre nad^ ber erjien SRad^rid^t 
(9H)rit 1682) glaubt er, ben ©d&lüffet ber ^öd&ften menfd&tid&en SBiffem 
fd^oft ber materiellen ®tnge finben gu Ißnnen, bie 6rfenntni§ ber 
Drbnung, bie in ber SBett ber SiEfterne l^errfd&t unb bie ßage berfelben 
beftimmt. ©elt einigen SOfionaten rul^t baS SBerl; nod& ^offt er ben 
2lbfd&Iu6 öor bem^egeid&neten S^ermin gu erreid^en, bann toirb berfelbe 
bis Dflern 1633 Vertagt. Äurg öor biefem 3eit»)unlt (3Jlärg 1633) 
ift er t)on ber allgemeinen Sefd&reibung ber ^immelSlörDer unb ber 
6rbe gur SrHörung ber irbif(^en ßör))er unb il^rer öerfd&iebenen 33e= 
fd&affenl^eiten fortgefd&ritten unb ertoögt, ob er aud& bie ©ntjlel^ung 
ber Siliere nod& in feinem SBerl unterfud&en foHe. Um ben Umfang 
nidöt gu t)ergro§ern, fd&üe^t er biefe SJlaterie auS; bie Slbl^anblung 
l&at fidö unter feinen §önben fel^r toeit über ba§ beabfid&tigte Söla^ 
auSgebel^nt unb !ann nid&t mel^r, tt)ie S)e8carte8 anfönglid^ gctoottt l^at, 
gu einer bequemen „9lad&mittag§tectüre'' bienen.^ SRur etttaS Don ber 
menfd&üd&en Sflatur foö nod& in baS SQßerf aufgenommen toerben. 

@o fielet bie ©ad&e im Slnfang 3uni 1633 tt)ö]&renb feines 3luf= 
entl^alteS in S)et)enter. „3d& toerbe in meinem SBer! mel^r öom aJlenfd&en 
reben, als id6 bie 9lbfid&t l^atte, id& toitt aüe feine ^auj)tfunctionen erllören 
unb l^abe fd&on einige ßebenStl^ätigleiten, tt)ie SSerbauung beS {^leifd&eS, 
^PulSfd&lag, SSertfieilung ber SRal&rungSftoffe u. a. nebfl ben fünf ©innen 
bargefteöt. 3d^ unterfud^e anatomif(^ öerfd&iebene X^mtbp^^, um gu 
feigen, toorin ©ebäd^tni^, ©inbilbung u. f. f. befleißen." 5!JHtten in 
biefer 9lrbeit l^at er ^aröe^'S berül^mteS SBcr! „S5on ber SBetoegung 
beS §ergenS (De motu cordis)", baS t)or fünf Salären erfd&ienen war 
(1628), erl^atten unb lennen gelernt. SUierfenne l^atte il^n toieberl^olt 



» Oeuvres T. VI. pg. 181. (Ungctotfe, ol ber »rief qu8 bcm 3uni 1630 
ober t)om 10. 3anuar 1631 batirt.) — ^ g^cnbaf. ©. 101. 



SBctöffcntli^ung bcr SÖÖcrfc. 207 

batQuf aufmcrffam getnadöt. ,,3(ä& fitibc meine 3lnfici6t ttenig öon ber 
feintgen Dcrfd&ieben, obtool^l i(i& baS Sud^ erft getcfen, ttQd&bem i(S 
meine @r!Iörung ber ©ad&e niebergef(j&rieben."^ 

SOfiit einemmole flodt baS SBer!, ber'3lbfd&Iu& fd&etnt ins Un= 
beftimmte öerfd&oben. „5!Jieine Slbl^anblung", jd&reibt er ben 22. 3uU 1633, 
^ifl fafl öottenbet, nur ©orrectur unb 9lbfci6rift finb nod& übrig, unb 
idö l^abe einen fold&en SBibertoiÜen gegen bie Slrbeit, bofe, l^ötte id6 
3^nen nid&t t)or brei Sfal^ren bie 3ufenbung nod& t)or Slblouf beS 
gegentDörtigen t)erfj)ro(ä^en, eS nodö lottge bauern fönnte, bi§ i(^ im 
©tanbe »äre, bog 3icl gu errei(j&en. ®od& toitt i$ mein a3erft)re(6en 
ju Italien fu(j&en/'^ 

SBaS ift gefd^el&en? 6r l^atte in biefem, bis auf bie le^te fjeile 
Dottenbeten SBerf bie SQßeft nodö bem ©efefee ber ßaufalitöt aus 
mot]^ematifd6smed&anifd&en 5ßrincit)ien erHört unb bie SSetoegung ber 
@rbe als ein notl^toenbiges ©lieb in ber med&aniWen Drbnung ber 
SQ3eft!örj)er bargefteüt. SRun voax bie Io|)erni!anif(iöß ß^^^ß burd& ©atilei 
beroiefen unb eben je^t in einer neuen ©d^rift unter bem @(^ein einer 
^^potl^efe Dertl^eibigt tt)orben. ©ein berül^mter S)ialog über bie beiben 
tt)i(^tigften SBeltf^fteme erfd&ien 1632 unb tourbe öon ber römifd^en 
3nquifition gur SBernid&tung öerurtl^etlt, gerabe öier SBod&en, beöor 
3)cScarteS ben obigen Srief fd^rieb.* tiefer lennt ben 5ßroce^, nod6 
nid&t bie SSerbammung. ©d^on bie ßunbe ber Unterfud&ung ift genug, 
il^m fein SQBer! ju Verleiben. S)en 20. ©eptember 1633 toirb in ßüttidö 
bcr gegen ©aülei gefällte Urtl^eilSfprudö J)ubUcirt, unb je^t erföl^rt 
©eScarteS, ba§ bie ßel^re t)on ber SBetoegung ber @rbe aud& als §^po = 
tl^cfc öerurtl^eilt ift, benn in bem S5erbammungSbef(^Iu6 ftel^en bie 
SBörte: «quamvis hypothetice a se illam proponi simularet». @S 
Dcrgel^t faft ein^al^r, beöor er bie©d&rift felbft lennen lernt (9luguft 1634), 
nur ftüd&tig, er mu§ fie eilig burd&blöttem, benn fie ift il^m l^eimUd^ 
nur für eine Slngal^I ©tunben geliehen. 5piö§Iid6 fie^t er fid& t)on 
einem iener ßonflicte bebrol^t, bie er grunbfö^Ud& öermeiben möd&te. 
SBenn er fein SBerf fo, toie eS ift, öeröffentUd^t, forbert er ben ßampf 
mit ber Äird&e l^erauS unb. toirb unter bie geföl^rlid^en SReuerer ge= 
gäl^It, bie il^m felbft t)ertt)erfüd& erfd&einen. SBenn er fein 9Ber! nid^t 
t)erfiümmeln unb finnloS mad^en toitt, fo bleibt nid^ts übrig, als eS 



« Oeuvres T. VI. pg. 235. — » ©bcnbaf. ©. 237 u. 38. — » 6. oben 
Cinleüung. 6ap. VI. ^x. IL ©. 120—123. 



208 ^udbilbung unb 

geheim ju l^attcn, bcr SBctt ju öctbergcn unb jebcr JBeröffcntlid&ung 
feiner ®eban!en gu entfogen. ®er 9left ift fdötoeigen. „^äi xooUk e§ 
niQd&cn'', fd^reibt er ben 28. SRoöembcr 1633 an 5!Jicrfennc, „toic bie 
ib\en So^I^r, bie immer fommen unb il^re ©laubiger notfe um ettt)Q§ 
2luffd&ub bitten, fobatb fie mer!en, bofe ber Söl^lungStermin l^erannol^t. 
3d& l^Qttc mir tt)ir!tid& vorgenommen, Sinnen mit meiner SQSelt ein 
SReujal^rSgefdöenf ju mad^en, unb toar öor etioa öierjelön SLagen gang 
entfd&Ioffen, toenigfteng einen SCi&eil gu fenben, toenn baS ©ange gu 
jener S^it nod& nid^t ööttig abgefd^rieben fein foüte. 2lber id& ^be in 
biefcn Sagen mid& in Serben unb Slmfterbam er!unbigt, ob ba§ SBeIt= 
f^ftem ©aüteis nid&t bort aufgufinben fei, benn id& meinte gel^ört gu 
l^aben, eS fei im Vorigen Sial^re in Stalten erf d^icnen ; nun erfal^re id^, 
ba^ es atterbingS gebrudCt, aber alle ©jemplare fogleid& in 3tom t)er« 
brannt unb ©olilei felbft gu einer Su^e Verurtl^^ilt toorben fei. Sie§ 
l^at midö fo fel&r erfd^üttcrt, ba^ id^ feft entfd&loffen bin, alle meine 
5Paj)iere gu Verbrennen ober toenigfteng Jeinem SRenfdftcn gu geigen. 
3dö l^abc mir gteid& gebad&t, bafe man i^m, ber ja Italiener unb, loie 
id& Iftöre, fogar Vom 5ßa|)ft tool^lgelitten ift, nid&t8 anbereS gum S5er= 
bred&en mad&en lonnte, al§ feine ßel^rc Von ber SSetoegung ber @rbe, 
bie fd&on früher einige ©arbinöle, toie id& toeife, fttr Vertoerflid^ erilört 
l^aben. 3lber man l^at fie tro^bem, fo toeit meine ßunbe reitet, fort= 
roal^renb felbft in 0iom Verbreitet, unb id& be!enne: »enn fie falfd^ 
ift, fo finb e§ alle ©runblagen meiner 5ß]^ilofoj)]^le eben* 
falls, benn fie tragen fid& gegenfeitig; biefe ßel^re l^ängt mit 
allen SEl^eilen meines SBerleS fo genau gufammen, bafe id& fie nid&t 
l&erauSnel^men !ann, ol^nc baS Uebrige Völlig gu befd^öbigen. Slber 
um leinen ^ßreis »ill id& eine ©d&rift l^erauSgeben, n)orin baS Ileinfte 
SQßort ber ßird^e mißfallen !önnte, barum toiH ii) fie lieber unter= 
brüdCen als Verftümmelt erfd&einen laffen. 3dö l^abe niemals Steigung 
gur aSudömad^erei gel^abt, unb l^ötte id& nid&t Sinnen unb einigen 
anbern greunben baS 9Ber! Verfprod&en, um burd& ben 2Bunfd&, mein 
2Bort gu erfüllen, mid& um fo ftör!er gum Slrbeiten angutreiben, fo 
tt)ürbe idb niemals fo tt)eit gebiel^en fein. 9iad^ aÜe bem bin id^ Ver= 
fid^ert, @ie toerben mir leinen ©jecutor auf ben §als fd^iden, um 
mtd& gur ©döulbgal^lung gu gtoingen, unb vieüeid&t felbft red&t gern bie 
Sölül^e fparen, fd^limme Singe gu lefen." „Snbeffen barf i(^, nai^ 
allen meinen vielen unb langiäl^rigen SSerfpred^ungen, ntd&t mit einer 
fo plo^lid&en Saune meine SBerpflid^tungen gegen fie löfen; xä) toerbe 



SöeröffentUd^ung bcr aOÖctfc. 209 

Sfl&nen bal^er fo halb ate tnöglidö mein SBer! Vorlegen unb 6ittc nur 
um ein Sfal^r Sluffd^ub, um baffelbe burdöjufel^en unb gu feilen, ^oben 
Sie mir bod6 felbft baS l^orojifd&e SBort: «nonumque prematur in 
annum» öorgel^olten, unb eS finb erft brei Sfal^re, boß id^ bie Slrbeit 
begonnen l^abe, bie id& il^nen ju fenben ben!e. ©d&rciben ©ie mir, id^ 
bitte, toas @ie t)on bcr Slngelegenl^eit ©alilefS toiffen/^ 

©d^on im näd&flcn (untertoegä Verlorenen) Sriefe ^at er auA 
biefeS bilatorifd&e SSerfpred&en jurüdgenommen. „©ie »erben ", fd&reibt 
er ben 10. Sanuar 1634, „meine ©rünbe gong in ber Drbnung flnben, 
unb toeit entfernt, ben ®ntf(^lu§ ber ööHigen ©el^eiml^altung meines 
S3ßer!e8 gu tabeln, toürben fie öielmel^r ber @rfte fein, il^n l^eröorgu« 
rufen, ©ie toiffen ol^ne Stoeifel, ba& ©olilei t)or lurgem t)on ber ^n- 
quifttion beftraft unb feine 3lnfid&t t)on ber ©rbbetoegung aU l^äretifd^ 
öerbammt ift. SRun erftäre*id6 Sfl^nen, bafe atteS, tooS id& in meiner 
Slbl^anblung auSeinanbergefe^t l^abe, eine Uette BUbet, in toeld^^^ biefe 
?lnfid6t t)on ber SBetoegung ber Erbe ein ©lieb auSmad&t; totnn in 
bem 3ufammen]^ang meiner ßel^re titoa^ falfd^ ifl, fo finb aüe meine 
SetoeiSgrünbe l^inföHig, unb obtool^l id& fie für fel^r fid&er unb ein= 
leud&tenb l^iett, mödbte id& fie bod& um leinen 5prei8 gegen bie 2lutori= 
tat ber Äird&e gettenb mad^en. 3fd& toeife tool^I, ha^ ein römifd^er 3n= 
quifitionSbefd&lu§ nod& lein ®ogma ift, bogu muß ein ©oncit ftattfinben, 
aber id& bin in meine ©ebanlen gar nid^t fo öertiebt, ba§ id& gu i^rem 
©d&u§ fold&e auBerorbentlid&e 5!JiitteI aufmenben möd&te. 5!Äein SBunfd^ 
gcl^t nad& Stulpe, meinem S3ßa]^tfJ)rud& «bene vixit, bene qui latuit» 
gemäß l^abe id& mein ßeben eingerid&tet unb fo mU xä) eS fortfttl&ren; 
bie 3futd&t, burdö meiner ©d&rift ba§ toünfd&engtoertl^e SKafe ber @in= 
fid&ten üBerfd&ritten gu l^aben, bin id^ je^t loS, unb baS angenel^me 
©efül&I biefer fjreil^eit ift größer, als ber S3erbru§ über bie in ber 
Ausarbeitung meines S33er!s Verlorene 3ßit unb SUiül^e." 

3n einem fpäteren SSriefe l^atte SOfierfenne, ber bie ©d^rift gar gu 
gern l^erauSlodEen tt)ottte, fd&ergenb gebro^t, man toerbe nod^ einen Sölorb 
an ©eScarteS begel^en, um feine 2Ber!e frül^er !ennen gu lernen. „3[d& 
mußte lad^en'', ertoibert biefer, „als id& bie ©teile laS; meine ©d&riften 
finb fo gut aufgel^oben, baß bie 5!Äorber fie umfonft fud&en toürben; 
bie SBett tt)irb baS SQ5erI nid&t el&er gu feigen belommen, als l^unbert 



1 Oeuvres T. VI. pg. 238—240. 
grlfd&et, ©ef(5. b. Wlof. I- 4. Stuft. 31. «. 14 



210 SlugbUbunö unb 

Sollte naä) meinem Sobe."^ ®0(S toiü er ju anbetet ©tiinbc nid&t gonj 
öetteben, ha^ bie ©d^tift, fei eS bei feinen ßebgeiten obet nad^ feinem 
SEobe, etfd&einen »erbe. ®inem feinet Uebften ^teunbe, be Scanne, 
bet il^n btingenb gebeten, ba^ SBetf nid&t länget gel^eim gu l^altcn, eS 
lönne fonft leidet öettoten gelten, fd&teibt et (3uni 1639): „SJlan laßt bie 
fjtüd&te auf ben Söumen, fo lange fie bott gebeil^en unb beffet metben 
lönnen, obfd&on man ted&t gut toeife, ha% ©tütme, §agel unb anbete 
UnföHe fie jeben SlugenbtidC öetbetben fönnen; nun, x6) Italic meine 
SBeW fttt eine fold^e fjtud&t, bie man auf bem Saume teifen laffcn 
mufe unb nie fl)öt genug J)fIüdEen !ann".* ®e SBeauneS Sefütd&tung 
]&at fid& etfüHt. ®ie ©d^tift ift öettoten gegangen, nut ein futget, auf 
bie utfptüngüd&en ©tengen jutttdEgefttl^ttet 3l6tiB betfelben, toeld^cn 
S)e§catteS fj)ätet öetfafet obet tcbigitt l^at, fanb fid6 in feinem 
Siat^Iafe unb etfd&ien untet bem Sitel: „S)ie SBelt obet Slbl^anblung 
öom ßidöt" (1664). 

€ine unöotl^etgefel^ene ßatafttoi)]&e l^at ben 5p^ilofop]^en betoogen, 
ben etften ©d&titt gut Uttetatifd&en SBelttaufbal^n gutüdCjune^men. @§ 
toat nötl^ig, feine Stimmungen unb ©tünbe au§ ben btieflid^en a3e= 
lenntniffen genau !ennen gu letnen, um jene SutüdCnal^me tid&tig gu 
beuttl^eiten. 2llletbing3 l^at et ba§ ©d&idCfal ©alUeiS gefütd&tet, et fal^ 
l^tet ben au§gebtod&enen ©onflict gtoifi^en einet ßel^te, bie et füt toal^r 
et!ennt, unb einet 2lutotitöt, bie et nad& feinen |)ta!tifd&en ßeben§= 
gtunbfä^en füt el^ttoütbig ad&tet: et l^atte ben fjatt öot fid&, in bem 
nad& feinen ajiajimen bie S^l^eorie gutüdCtteten foH öot bet gebietetifd&en 
©ettung bet politifd&en unb fitd&üd^en Stnteteffen. 6t em|)finbet biefen 
ßonfitct in feinet gangen ©d^toete, ol^ne eine ©pur jenes tefotmatotifd&en 
3Jtut]^e§, bet ben ßampf loagt unb begel^rt. 3lud6 l^at er barauS — 
Ol meine feine ©d&eu t)or bem ßampf — fid^ unb anberen fein ^el^t 
gemad&t. 

®od& toürbe man S)e§carte§' SSerl^alten nid&t öoßflänbig imb barum 
nidöt rid&tig beurtl^eiten, tooÖte man biefe§ SKotit) für ba§ eingige unb 
erfd&öpfenbe l^alten. @r l^ötte bem ßonflicte auStoeid&en, fein SBerl unöer» 
öffentUd&t laffen unb bie SRötl^igung bagu fd&metglid& unb ttagifdö empfinben 
!önnen. S)ie3 abet toat gat nid&t bet {JaÖ. SSielmel^t giebt il^m ba^ 
©d^idCfat ©aüleig ben toilüommenflen ©tunb, eine SSetpflid&tung 



1 ebcnbaf, ©.242-243. ©.137-238. (S)er »rief ift au8 bem ©otnmcr 1637, 
m^ aScröffentli^ung bcS^disc. de la m^th.) — ^ Oeuvres T. VIII. pg. 127. 



SBcröffcntlid^ung bcr Sßcrfe. 211 

los ju toerben, bic x\)u brüdt; bic f8tx]pxtä^nnQtn, btc er feinen greunben 
gemod^t, boS SBerl gu fd^rciben unb l^crouS jugeben , toaren auä) eine 
Slötl^igung, bie er peinlid&er emi)fanb a(8 bie entgegengefe^te, mtä^t nun= 
mel^r burdö ben ©onflict mit ber Snqutfition eintrat. 3e§t lann er 
feinen ©runbfä^en gemäfe fagen: „3d& Braud&e mein 35erfpred&en nid^t 
JU erfüllen, td6 barf meine ©ebanlen für mid& bel^alten unb bin bem 
5PuBUfum nid^ts mel^r fd&ulbig. Sl^r fel^t, bie SBelt tt)itt mein SBerl 
nid&t l^aben!" 

3n biefer Stimmung fd&reibt er mit ftd^tbar erleid^tertem bergen, 
mit gutem ^umor an feine Sreunbe. Unb toie er fid& bamals gegen 
bie festeren äußerte, ebenfo l^at er fid6 fj)öter in ber erften öon il^m 
l^erauSgegebenen ©d^rift ber SBelt gegenüber auSgefprod&en. SRad^bem 
er l^ier bie SKotiöc bargelegt, oug bencn er fid& gur ütterarifd&en SBirI= 
fomfeit entfd&loffen l^abc, !ommt er auf bie eingetretene Hemmung unb 
bie 3urfldnal&me feiner @ntfd&lüffe gu fpred&en unb erflärt gang offen: 
„Dbtool^I jene aJlotit)e fel^t fefttt)aren, fo Ue§ mid6 bod6 mein 
tiefer SBibertoille gegen bie Sud&mad&erei fogIeid6 anbere 
©rünbe genug gu meiner ßntfd^ulbigung finben"/ S)ie S5er= 
urtl^eilung ©alUeiS bient il^m gur günftigen unb toiHfommenen @d&u^= 
mauer, l^inter toeld&e er fid& t)or ber SBelt mit feinen ©d&rtften gurüdtgiel^t. 

@S tt)öre rid&tig gett)efen, tt)enn SeScarteS bei biefer fo motiöirten 
3urüdC]^aItung feiner ßeftre t)on ber SBctt)egung ber @rbe geblieben toöre. 
3)a6 er fie in getoiffer SBeife t)erfteÖte, um fie unbebenltid& gu mad&en, 
ift bie fd^Iimmere ©d&ulb, bie il&m gur ßaft föÖt. §ier ift fein SBa]^r]&eit3= 
finn mit feiner 5ßoUtiI in einen ßonflict geratl^en, unter bem bie 
SBal^rl^eit gu leiben l^atte. @r bietet einem ©eiftlid&en in ^JJariS, ber 
©alileis Seigre öertl^eibigen toiÜ, feine gel^eime §ülfe an unb nimmt 
fie gurfldE, ©ie er erfal^rt, bafe aud& bie l&^potl&etifd&e Raffung jener 
ßel^re nidöt erlaubt fei ; er lieft bie öerurtl^eilie ©d^rift unb glaubt, bei 
bcr ©iffereng gtt)ifd^en feiner SSetoegungöle^re unb ber ©alileis einen 
?lu8tt)eg gu finben, um bem ©d&cine nad& bie 2lnfid&t t)on ber Un= 
betoeglid&feit ber @rbe gu retten. „3Jlan fiel^f*, fagt er in einem feiner 
©riefe, „ba§ id& mit bem Sölunbe bie Setoegung ber @rbe leugne unb 
in ber ©ad&e bas Softem be§ Äoi)ernifuS f eftl^alte. ** S)arf e§ gur 
6ntfd&ulbigung S)e8carte8' bienen, toenn man einräumen mu§, ba^ in 
äl^nlid&er SBeife ©alilei feine ßel^re n)iberrufen l^at? 



1 Disc. de la m^thode. Part. VI. Oeuvres T. I. pg. 191. 

14* 



212 ^udbUbung unb 

©t^tn @nbc beS ^ol^rcS 1633 toax bie ©el^ciml^altung fetner 
2Betfe eine bei ®e§catteS auSgemad&te Sa6^^. SBie lam eS, ba§ er 
ft)öter bennodö offentlid^ mit feiner ßel^re l^eröortrat? 3luf biefe fjrage 
l^at ber ittngfte Siograpl^ eine Slntoort gefunben, bie mel&r rttl^renb 
ift, qIS treffenb; er ^at es aud& untertaffen, feine ib^Hifd&c @r!tärung 
öerftönbütfe ju mad^en. ®q8 SSorgefül^t beöorftel^enber SSaterfreuben 
foÖ ben 5p]^iIofop]^en jU bem ®ntfdö(u§ gebrad^t l^aben, Sü$er für bie 
aOBelt üu fd&reiben. „SReue ®nii)finbungen finb in il^m extoaäit, unb 
toas SOfierfenne, be Seaune unb feine beften fjreunbe il^m nid^t entreißen 
!onnten: ein ßinbeSläd&eln, bog feinem SüdE in leud^tenber 3ufunft 
entgegenftral^It, l^at eS bereits öermod&t." Siad^ ber ©eburt ber 2;od&ter 
bleibt er nod& einige 3Jlonait in ©eöenter unb gel^t bann mit 3Jlutter 
unb Äinb nad& Ceeuttorben, um ben vdiscours de la möthode» gu 
fd&reiben. ^ 3e§t foll ber ßefer ratl^en, toeld&en Sufammenl^ang mit ber 
©eburt ber SEod&ter bie SQäer!e l^aben mögen, beren größten unb toid^tigften 
SEl^eil SeScarteS nad& bem SCobe berfelben l^erauSgab! 

IL S)ie p^ilofop^ifc^en SOSerle. 

1, S)ic 3Äotit)c aur §crau8gaBc. 

®ie ©rünbe, auS benen ber ^pi^itofoj)]^ bie litterarifd&e S^l^ötigleit 
gemieben unb unternommen, bann aufgegeben, öon neuem ergriffen 
unb burd& eine Oleil^e öffentUd^er SBer!e beur!unbet l^at, mflffen aus 
il^m felbft unb feiner ßebenSaufgabe erfannt »erben, um fo mel^r, als 
er am ©d^Iufe feiner erften §aut)tfd^rift fic^ barttber auSfül^rlidö erilört 
]&at. S)ie ©egncr finb mit bem Urtl&eite fd&nett Ui ber ^anb, ba^ 
er äur ©el^eiml^altung burd& bie Surd^t, gur SBerßffenttid&ung burd& ben 
@]§rgeij beftimmt toorben fei. 3)ie erfte Sel^auptung ift fel^r oberfKödfelid^, 
bie gtoeite ift grunbfalfd^. SBelc^e äußere ®inflüffe aud6 l^emmcnb ober 
förbernb auf feine Utterarifd&e Sl^ätigleit eingetoirft l^aben: ber innere, 
feinem ß^arafter gemäße ©runb, ber il^n juerft öon ber S3er5ffcnt(id&ung 
abl^ielt, bann fd^ritttoeife gu berfetben bett)og, toar bie ©elbftbelcl^rung, 
biefe 9tid&tfdönur feines ßebenS. S)arauS erHören fid& aUe jene SBiber- 
fprüi^e unb ©(^loanlungen feiner litterarifd^en Sntfd&lüffe. S)ie be= 
ginnenbe ©elbftbetel^rung fliel^t jebe 3lrt ber SSeröffentUd^ung als 3eit= 
Dertuft unb Störung, toä^renb bie fortgefd^rittene gu i^rer eigenen 
Sörberung bie öffentlid^e SJtittl^eilung unb ben 3beenau8taufd^ braud^t. 

1 J. Millet: Histoire de Descartes avant 1637, pg. 840. 



JBcrbffcntli^ung bcr SOßcttc. 213 

3ucrft gcl^t S)cgcartc8 grunbfä^tidö bcn SBeg au8](36tic6enbcr ©elbft= 
belcl^rung, Vertieft in feine ©eban!en, bie er nid^t ober nnr fpärlid& 
unb flüt^tig nicberf d&reibt ; bann !ommt ein 3ßtti)unlt, too bie ent= 
toidCelten Sbeen bie ^ro6e il^rer 0ieife nnb Älarl^eit nid^t beffer mod^en 
fönnen, aU burd& bie fdöriftüd^e STuSfül^rung unb fJeftjleKnng. 

SBer pdö felbft belel^rt, mufe fid^ aud& felbft prüfen. ®ie Slufjeid^nung 
ber eigenen ©ebonfen ift biefe ^Prüfung, unb S)e8carteS ift t)iel gu 
metl^obifdö unb grünbtidö, um fie entbel^ren gu tt)otten. ©o entfte^en 
forgföltig ausgearbeitete unb georbnele ©(^riften, brudCfertige SOäerfe, 
bie il^m felbp gur ^Prüfung feiner ©eban!en, ben anbern gur S3eleftrung 
bienen foHen, nur ift il^r öffentlid^er SRu^en nid&t ouf bie SKittoett, 
fonbern auf bie 3laS)totlt bered&net, nid&t aus ßieBe gum Siad&rul^m, 
fonbern um ber ©röge beS SRu^enS bitten. 3e ungeftörter unb ftetiger 
er feinen entbedEenben 3beengang fortfül^ren !ann, um fo »eitcr toirb 
er !ommen, um fo mel^r toirb bie SBelt t)on il^m l^oben. ®arum ift 
er entf d&Ioff en , feine ©d&riften, fo lange er lebt, gel^eim gu l^alten; er 
fürd^tet ben S^itöerluft, ben bie SSeröffenttid&ung ber SBerle unfel^lbar 
loftet, er toirb 2lngriffe abtoel&ren, 5!Äi§öerftänbniffe berid&tigen, mit 
©egnern unb Slnl^angern ftreiten unb Derl^anbeln muffen, felbft ber 
gewonnene SRuf toirb feine 3Jlu^t beeintröd&tigen. Surd& bie SUiittl^eUung 
beS ertoorbenen Sefi^eS mad&t er fid^ bie SSergrößerung beffelben un= 
möglid^. „S)ie SQBelt foff toiffen, ba§ bie wenigen ®infid&ten, bie id& 
bis je^t erreid&t, fafl nichts ftnb in S5ergleid&ung mit bem, ttjaS id& nodb 
nid^t burd^brungen l&abe, aber gu erfennen bie Hoffnung liegen barf. 
es gel^t mit ber 2Biffenfd&aft, n)ie mit bem üieid&tl^um. SBenn man 
rcid6 gu tt^erben anfängt, mad&t man t)iel leid&ter große ©rtoerbungen 
qIs tJorl&er im 3ufianb ber ^Irmutl^ toeit geringere. S)ie ßntbedfer im 
9icid&e ber SBal^rl^eit finb aud^ ben fjelbl^errn öergleid^bar, bereu Gräfte 
mit ben ©iegen gu toad&fen pflegen, unb bie il^re SCruppen gefd&idter 
fül^ren muffen, um fid& nad& einer Verlorenen ©dölad&t gu bel^oupten, 
als nad& einer getoonnenen ©tabte unb 5ßroöingen gu nel^men: benn 
es l&eißt toal^rl^aftig ©d&Iad&ten liefern , toenn man alle bie ©d&tt)ierig= 
feiten unb Srrtl^ümer gu befiegen fuc^t, bie uns in ber ©rfenntnife 
ber SQäal^rl^eit l^inbern, unb eS l^eifet eine biefer ©d^Iad^ten vertieren^ 
toenn man falfd&e STnfid&ten annimmt, loo eS fid& um ®inge t)on einiger 
umfaffenber SBebeutung unb 2Bid&tig!eit l^anbelt. Um bann in ben 
frül^crcn unbefangenen ©eifteSguftanb gurüdtgufel^ren, ift mel^r ©eioanbt= 
l^eit nötl^ig als gu großen gortfd&rilten, fobalb man fidlere ^ßrincipien 



214 lluSbUbung unb 

bereits l^at. 3[d&' lann au§ eigener ©rfal^rung öerfid&ern: toenn ic^ 
öorbem einige SBal^rl^eiten in ben SBijfenfd&aften entbedt fiabe, fo fiub 
eS nur folgen öon fünf ober fed&8 fd&toierigen 5Pun!ten getoefen, bie 
xi^ ju übertoinben t)ermod&t unb für eben fo t)iele ©(^lad&ten l^alte, 
tt)orin idö bog ©lud auf meiner Seite gel^abt; ja, ii^ foge eS oline 
©d&eu: id& braud&e nur nod& gtoei ober brei fold^^^ ©d&Iad&ten gu 
getoinnen, um am 3iel aller meiner 5|Jtäne ju fein, unb nodö bin id& 
nid^t fo alt, ba§ id& beforgen mü^te, t)or biefem 3icle gu fterben. 9lber 
id& mu& mit ber S^it, bie mir nod& übrig bleibt, fparfam umgcl^en, 
um fo fj)arfamer, je beffer \ä) fie antoenben lann, unb bie Verausgabe 
meiner Jpi^^fi! toürbe mir oline Stoeifel eine SJlenge S^itöerluft jugiel^en. 
SBie einleud&tenb unb burd&göngig beriefen meine @ö^e au(6 fein mögen, 
fo lönnen fie boc^ unmöglii^ mit ben 2lnfid&ten aller 2BeIt übereinftimmen 
unb toürben mir bal^er, idö fel^e e§ öorauS, aQerl^anb Streitigkeiten 
unb Störungen öerurfad^en." 

®ie8 finb bie ©rünbe, bie unferem ^ßl^ilofopl^en jebe S5eröffent= 
tii^ung feiner SQBer!e fo jtDedtoibrig erfd^einen laffen, als »oUte ein 
gröberer, toäl^renb er t)on Sieg gu Sieg fortfd&reitet, Sudler über bie 
ßriegs!unft l^erauSgeben unb ßontroöerfen barüber fül^ren. aJlan l^at 
bem 5P6itofop]^en öorgcftettt, toie nü^Iitfe il^m unb feiner ßel^re bie S5er= 
breitung ber le^teren fein !önne: bie einen n)erben il^n auf getoiffe 
ajlängel aufmerffam mad^en, anbere burd& brau#are Folgerungen bie 
ßel^re pra!tifd& öertoertl^en, unb fo totxbt fid^ fein Softem unter frember 
ajlitl^ülfe berid&tigen unb erweitern. ®iefe 3lu3fid&ten laffen il^n ungc= 
rül^rt. SBaS bie 5!ÄängeI feiner ßel^re betreffe, fo gebe eS Jeinen, ber 
fie beffer ju ernennen, ftrenger unb billiger ju beurtl^eilen im ©tanbe 
fei als er felbft; tt)aS bie 2rntt)enbung unb SSertoertl^ung angelte, fo fei 
baS SBerf nod^ nid&t reif genug, um fd&on ))raftifd^e grüd^te ju tragen; 
toörc es fo toeit, fo lönnte biefe fjrüd&te niemanb fo gut ernten, loic 
er fetbft, benn ber ©rfinber fei allemal ber befte ßenner, ber alleinige 
ajieifter. 9?id6t b(o§ bie ©egner fürd&tet S)eScarte8, aud& bie ©d&ule, 
bie fid& il^m ant)ängen unb fein SBerf öerunftalten toerbe; er meife, 
toaS bie Sd&ulen jeber Seit auS il^ren ajieiftern gemad&t l^aben, unb 
öertoal^rt fid& fc^on im Voraus gegen bie „ßartefianer''. SluSbrüdlid^ 
mal)nt er bie SRad^melt, nid&tsfür cartefianifdö gu l^alten, als maS er 
felbft urlunblid^ gefagt l&abe. ©erabe fold&e Sd&üler feien am f^öb:= 
Ii(^ften, bie nid&t bloß nad^beten, fonbern ben 2Jleifter auslegen, er= 
gangen unb mel^r toiffen »otten, ats biefer felbft. „Sie fmb, toie ber 



SBcröffcnta^ung bcr SDßcrfc. 215 

@))]^cu, bcr nid&t fjö^tx hinauf ftrebt aU bic Söume, btc il^n Italien, 
unb oft fogar, nad^bem er bcn ©xpfd berfelBcn crrcid&t ^at, toicber 
obttörts gel^t; fo fd&cint mir anä) jene 3lrt bcr ©d^üler »iebcr abtoörts 
gu 8^^^"» ^- l^- ittttcr ba§ SRiDcou cinfod&cr Untüiffcnl^cit l§cruntcrau= 
Peigen, btc fid^ nid^t mit bcn @infid&tcn bc§ 5!Jiciftcr8 Begnügen, fonbern 
il^m alles aJlögUd&e unterlegen, bie ßöfung üieler ^Probleme, öon benen 
er nid&ts gefogt, unb on bie er öietteid&t nie gebod&t ^at S)iefe ßeute 
leben t)on bunfeln Segriffen, toomit fid& fcl^r bequem i)]^itofot)]§iren, 
fel^r breift reben unb ins ©nblofe ftreiten läßt; fie erfd&einen mir, tote 
JBIinbe, bie mit einem ©e^enben ol^ne SRaditl^eil !ömpfen tooüen unb 
il^n beSl^alb in ben ^intergrunb eines gong buuMn ÄetterS ]^inab= 
fül^ren; fie foHen frol^ fein, baß id& meine 5Princij)ien ber ^pi^itofopl^ie 
nid&t öeröff entlid&e , benn bei il^rer fel&r einfad&en unb einteud&ten= 
ben Slrt ©ürbe i(fi gteit^fam bie ^enfier aufmad&en unb öid&t in 
ienen ÄeÖer fallen laffen, in ben fie l^inabgeftiegen finb, um \iij gu 
fd&Iagen/^ 

©egen biefe aufcid&tigen ©rünbe gur ©el^eiml^altung feiner 2BerIe 
erl^eben fidö anbere, bie ber SBeröffentUdfeung baS SBort reben unb 
fd&merer in bie SBagfd&ale fallen. S)er erfte, ber fd&on an ber SQßiege 
feiner ©diriften ftanb, l^at fortgett)ir!t unb nid^t aufgel^ört il^n gu 
mal^nen: er mtt feinen ßrebit red&tfertigen unb fein SBort l^alten. 
S5er ?Ruf in ber SBelt, ber mit ber SSerbreitung feiner ©d^riften nid&t 
ausbleiben toirb, ift ein fjfeinb feiner 0iu]§e, aber bas ©efül^I uner» 
füttter SBerfpred&ungen ift aud& ein fold&er geinb. ßinen öffentUd&en 
Flamen eifrig fud^en ift eben fo ftörenb, als il^n öngftlid& öermeiben. 
3)e8carteS l^at feines öon beibem getrau, er l^at gefd&el^en laffen, bdß 
fid& ber 9luf eines großen S)en!erS um il^n Verbreitet l^at, unb möc&te 
nid&t für ben ©l^arlatan gelten, ber einen folc^en 9luf fölfd^lid^ befi^t 
unb Hoffnungen erregt l^at, bie, toie man am ®nbe glauben muß, er 
md6t erfüllen fann, toeil er fie nid&t erfüllt. „Dbtool^l id& ben 3lut)m 
nid&t übermäßig liebe, ja, »enn id^ eS fagen barf, l^affe, fofern id& 
il^n für einen Of^inb ber 9lu]^e l^alte, bie mir über alles 
gel^t, fo l^öbe id^ bod& niemals meine ^anblungen, als toären fie $Ber= 
bred&en, forgföltig gu Verbergen, nod& mit befonberer SJorfid^t unbe= 
lannt gu bleiben gefudfet, id& toürbe eS für ein Unred&t an mir felbft 
gehalten unb außerbem mid& in eine öngftlid^e unb unrul^ige Stimmung 



1 Disc. de la m^thode. Part. VI. Oeuvres I. pg. 196-203. 



216 tluSbUbung unb 

gcbradöt ^aitn, bic fid^ mit ber ööötgcn ©emtttl^Srul^e , bte id& fud^c, 
c6cn fo iDcntg Dctträgt. ©o l^obc id^ bei bicfer ftets glcidögültigcn 
Gattung jtoifd&en ber ©orge, Befannt ju tocrben, unb ber, unbc!annt 
ju bleiben, nid&t öerl^inbern lönnen, einen getoiffen 9luf ju txmxbzn, 
unb id6 l^alte eS je^t für meine 5PfIi(^t, affeS gu t^un, um feinen 
fdöled&ten gu l^oben/' 

Slber ber toii^tigfte ©runb, ber ben ®nifd&Iu§ gur Verausgabe 
feiner SQäer!e entfd&eibet, liegt, toie gefagt, in ben Sebürjtiiffen feiner 
©elbftbelcl^rung. S)e§corte§ lö&t barüber nic^t ben minbeflen Stoeifet. 
„!3d& fel&e tögüA mel^r unb mel^r, toie unter biefer SJergögerung bie 
2lbfi(J6t meiner ©elbftbelel^tung leibet, benn idö ^öbe unenblid& öiele 
©rfal^rungen nötl^ig, bie id& ol^ne ben Seiftanb anberer unmöglidö 
madöen fann, unb obtool^t id& mir !einegn)eg8 mit ber Hoffnung 
fd^meid&le, ba§ fid& bos ^ßublifum an meinen Seftrebungen grog be= 
tlieiligen toirb, toill id6 meinen Jlad&tl^eil bod^ nid^t fo toeit treiben, 
ba^ mir bie SRadfefommen eines SageS mit 9le(^t hm SBortourf mad&en, 
fie n)ürben in öieten 5ßun!ten beffer unterrid&tet getoefen fein, toenn id& 
bie aSelel^rung, »orin fie meinen Pänen förberlid^ fein fönnten, nid&t 
gar gu fel^r öernad&Iöffigt l^ötte".^ ®ben biefe ©rtoägung begeid&net ber 
^Pl^ilofopl^ auSbrüdflid^ als baS gtoeite 3Roixt), baS il^n öeranlafet l^abe, 
ben «discours» gu öerf äffen, ©o ift eS einunbberfetbe, in ber@elb|i= 
belel^rung entl^altene ©runb, aus toeld^em ©eScarteS guerft bie fd^rift« 
tid&e 3luSarbeitung feiner ©ebanlen öermeibet, bann auSfül^rt, unb 
toiebcrum bie $Beröffent(ic^ung feiner SBerle erft ablel^nt, bann unter» 
nimmt. 

@r gel^t bel^utfam gu SQäerle unb öeröffentlid&t gunäd^ft nid&t fein 
©^ftem, fonbern ^Proben ober Söerfud^e (essais), bie nur bie SJletl^obe 
unb beren Slntoenbung betreffen; er giebt nod& nid&t bie 9Jlet]&obcn= 
te^re fclbft, fonbern eine vorläufige Drientirung, bie auSbrüdEIidö lein 
«traitö», fonbern blofe ein «discours de la möthode» fein, ber 
SOfietl^obenlel^re nur gur SBorrebe ober 2ln!ünbigung bienen unb meiir 
beren ))ra!tifdöe Sebeutung begrünben, ats bie SEl^eorie berfelbcn auS« 
einanberfe^en toitt. „3d& l^abe nid^t bie Slbfic^t, l^ier meine SKetl^obe gu 
(eieren, fonbern nur barüber gu reben."^ 



1 ebcnbaf. ©. 208-210. 

2 Oeuvres VI. pg. 138. (S5r. an OJlerfcnnc auö bcm ©ommcr 1637.) Sgl. 
pg. 305. (f8x. an einen ?Jreunb 3nerfenne'«, Slpril 1637.) 



53cröffcntli(ä&un9 bct SOßerfe. 217 

3nbeffen foK bic Slntocnbbarlett fogletd^ burdfe bic Slntoenbung 
fclbft auf bcm getbc bcr Sölat^cmati! unb ^^\)\xt gercd&tfcrtigt tnerben. 
S)arum löfet ©cScartcS auf bie ^aui)tfc^rift noc^ brci Slb^anbluugcn 
folgen, bie abftd6tüd& fo getDöl&lt finb, bo6 bie erfte bem ©ebiet bcr 
matl^ematifd&en ^^^fi!, bie gtoeite bem ber ^Pl^^fil, bie britte ber reinen 
aJlatl^emati! angel^Brt: baS Sl^ema ber erften ift ,,bie S)i0l)tri!", bas 
ber gtoeiten „bie SDleteore", bie le^te ift „bie ©eometrie". S)ie 
S)ioptri! I^anbelt t)on ber SSred^ung be§ ßid&ts, öom ©el^en unb öon 
ben o|)tif(ä&en ©läfern; in ben ajleteoren mitt ©eScarteS bie 3iatur be§ 
©aljeS, bie Urfad^^ti ber SBinbe unb ©etoitter, bie g^iguration beS 
©d^neeS, bie färben beS 9legenbogen§ unb bie ©igeufd^often ber ein= 
jelnen garben, bie ^öfe um ©onne unb 5!Jionb, inSbcfonbere bie 9le6en= 
fonnen (^Parl^elien) eröören, bereu öier einige 3al§re Dörfer (ben 
20. aWärg 1629) in 3flom gefe^en unb il^m auSfü^rlidö befd&rieben 
TOorben toaren; bie ©eometrie Betoö^rt bie öon i^m felbft erfunbene 
SJletl^obe ber Slnal^fiS burdö bie ßöfung völlig neuer STufgaben. 3n 
ber ©ioptrif unb ben SSJleteoren toiH ©eScarteS bem ßefer bie ©eltung 
unb a3rau(J6bar!eit feiner 3Jtet]^obe nur annel^mbar gemod^t, in ber 
©eometrie bagegen untr)iberfi)redölid& betoiefen l^aben. ®ie[e öier S5er= 
fud^e foöten unter folgenbem Sitel erfd&einen: „®nttt)urf einer Uniöerfat 
tt)iffenfd&aft, bie unfere Sflatur gur l^öd&ften ©tufe il^rer SBoÖfommenl^eit 
ju erl^eben Vermag; bann bie S)iot)tri!, bie5!Äeteore unb bie ©eometrie, 
tt)orin ber SBerfaffer, um iene SBiffeufd^aft ju erproben, bie geeignetften 
{pfiffe gettöl^lt unb fo er!tdrt l&at, ba§ jeber ol^ne SSoraugfe^ung ge= 
lel^rter ©tubien bie ©ad&e Derftelö^n !ann".^ ®S toar gut, bafe er 
biefem Sitel, ber ba§ os magna sonaturam ettoaS gu n)eit öffnete, 
bic einfädle Sejeid&nung «Essais» öorgog unb bie 'g)auptfd&rift 
,,cine Siebe über bie SJlet^obe jum rid&tigen SBernunftgebraudö 
unb jur toiffenfd&afttid&en SBal^rl^eitSforfd^ung (discours de la ine- 
thode pour bien conduire sa raison et chercher la veritö dans 
les sciences)'' nannte. @r ttenbet fic^ an ben!enbe, t)on ber 33üd&er= 
gelel^rfamfeit unabl^ängige unb unöerborbene ßefer; barum fd^reibt er 
in feiner 5!Jiutterf))ra(^e unb motiöirt e§ am ©d&lufe feines discours: 
„SBenn id& frangöfifdö, bie ©prad&e meinet ßanbeS, lieber fd&reibe, al§ 
Iateinifd&, bie Bpxaä^t meiner ßel^rer, fo l^at mid& bagu bie <g)offnung 
bett)ogen, ba§ ber natürtid&e unb gefunbe äJerftanb, meine Slnfid^ten 



Oeuvres VI. pg. 276-277. (93r. an aJlcrfcnne öom 3nära 1636.) 



218 StuSbilbung unb 

bcffcr toürbigen tann aU btc ©eld^rfonifctt, bic nur an bie Süd&cr 
bet 3llten glaubt, ßeutc t)on. gefunbcm unb tt)tffenfij&aftlid& unter= 
rtd^tetcni S3erftanbe finb btc einjigeu 0iid&tcr, bic td& mir tt)ünfci6c; 
bicfe, ii^ Bin c8 gctoi^, tocrbcn nid&t fo j)Qrtciifdö für ba§ ßatcin fein, 
bQ§ fic meine ©rünbc bcgl^alb ungeprt laffcn, tocil xä) ftc in bcr a5oIfö= 
]pxaiit cnttoidtelt fiobc."^ 

3m grül^jal^r 1636 toax ba^ 2Bcr! mit SluSnal^mc bcr ©eomctrie 
brudfcrtig. S)a fidö bic girma ®Iäet)ier in Slmjierbam »eniger entgegen» 
lommenb geigte, aU S)e§carteS erwartet l^ottc, fo ließ er feine ©d^rift 
Bei bem SBud^Ijänbler ^zan ße SKoire in ße^ben erfd&einen. ®aS jum 
SBerfttuf nbtl^ige 5Priöitegium tourbe t)on ben ©encralftaatcn ben 
22. Secember 1636, öon Sranfretd^ erfl ben 4. aJtai 1637 crtl^eitt; 
50ierfenne l^atte ba§ lefetere Beforgt unb öerjögert, eS toax feine ©d^ulb 
unb fein SSerbienft, bafe aus bem franjofifd&en ^Privilegium gugteid^ 
ein 6togium S)e§carte8' gemacht tourbe, toöl^rcnb bcr 5ßl^iIofop]^ aus» 
brüdUd^ gen)ünfd&t l^atte, fotüol^I in feinem SBerf atS autfe in ben Urlunben 
ungenannt ju Bleiben. ®ic SSerfenbung bcr ßffais lonnte nun erft im 
3uni 1637 ftattfinben. 

2. S)ic mctQpfi^ftfd^cn 2öcrfc. 

S)cr einmal ergriffene 2Beg fü^rt toeiter. 6§ ift unmöglid^, bafe 
S)e§carte§ Bei biefen erften S3erfud&en jiel^en BleiBt; er Iftat t)on feiner 
ßel^te fo t)iel gefagt, bafe er genötl^igt ift, mel^r ju fagen. 3fm vierten 
3lBfd&nitt feines «discours» finb fd^on bie ©runblagen ber neuen ßel^re 
jum 35or[d6ein ge!ommen: er l^at Von ber 3iot]§tDenbig!eit beS buxä^- 
gängigen 3tt)eifel§, bem alleinigen ^Princij) ber ©etoi^l^eit, ber Siegel 
ber ©rfenntnife, bem SBefen ©otte§ unb ber ©eele gerebet: mit einem 
SBort oon ben 5Princii)ien feiner ^pi^Woföp^ie. 2lBer toie eS in 
bem 6f)ara!ter jener ©d^rift (ag, finb alle bieje 3been mel^r nur Be= 
fprod&en unb erjäl^tt, als einleuc&tenb Begrünbet unb baburd^ gegen 
SJJiBDerftänbniffe gefd^ü^t. ®iefe ©efal^r l^at ©eScarteS gerabe bo, 
too fie am Beben!ti(^ften ift, am tt)enigften Dermieben, nömlid& in ben 
©ä^en, bie Don ber ©otteSibee l^anbeln, er felBft erlennt l^ier ben 
fdf)tt)äd6ften unb bunfelften SEl^eil feiner ©d&rift, ber eine eingel^enbe 
unb Balbige Sriauterung forbert. S)en ©otteSBegriff erläutern l^ei^t 
bie ©runbBegriffe feiner 5!Jietat)]^^fi! auSeinanberfe^en. ®ie SlrBeit iji 



1 Disc. de la möth. Part. VI. Oeuvres I. pg. 210—211. 



S5eröffcntli(ä6un9 bcr Sßcrfc. 219 

fd&on gctl^an, eS toax bic crftc in bcn JRiebctlanbcn, ber in Sronelcr 
ntcbcrgcfd&ricBenc Snttourf ber SlJlebitationen ; bie ^anbfc^rift ^ai gel&n 
Saläre gcriil^t, üfe ®c§cQrte8 je^t bic ^erauSgöBe Bcfd^liefet unb toöl^renb 
feines SBinteraufentl^alteg in ^arberteij! bie le^te $anb on bie 9lu§= 
ffl^rung legt (1639/1640). 

6r giebt bie Unterfnd&ung, tt)ie fte in il^m entftanben unb t)on 
^Problem ju ^Problem, t)on ßöfung gu ßöfung foxtgefd^i^itten ift; ber 
ßefer empfängt ben Motten Sinbrud tief erlebter unb immer t)on neuem 
geprüfter (Sebanfen, bie feit Sfol^ren bie befiönbigen Segleiter beS 
5pi^ilofop]^en, bie 5^eunbe feiner @infam!eit toaren unb reif getoorben 
finb, toie er felBfi. S)ie Setrad&tungen l^aBen ben (Sl^aralter beö 6e= 
»egteften ©elBfigefprdd&S, cine8 monologifd&en 3)rama§, bem ber Su= 
l^örer mit ber gefpannteften SH^eitnal^me folgen mufe. 68 l^anbelt fit^ 
um ©ein ober ?iic6tfein ber SBal^rl^eit, ba8 6r!enntni6proBIem erfd^^i^t 
ate bie große ©d^idfalgfrage beS menfd&Ud&en ©eifieS unb ift t)on 
3)eScarte8 fo empfunben; e§ gieBt feine SBal^rl^eit, tomn nid^t ber 
Stoeifel öoOftftnbig Beftegt ift, unb e§ giebt feinen fold^^ti ©ieg, toenn 
nid&t ber 3tt)eifel, SlJlann für 9Kann, mit jeber SBaffe, bie er Beft^t, 
fid^ öert^eibigt unb bie @rfenntni§ Befämpft ^at 2Bir öerne^men 
ntd&t bloß bie ©rünbe beg 3toeife{§, fonbern jugleid^ bie ®emüt]^§= 
unrul^e beS 3tt)eifler8, ber nod^ SBal^rl^eit ringt unb tro^ ber @id&er= 
l^cit bcg fd&on errungenen ©iegeS bie befianbenen flömpfe, aU ob er 
fie zUn erlebt, fdfeilbert. S)iefe SSerbinbung contemplatiöer Slul^e mit 
bcm leBenbtgfien 3lu8bru(f eines öon bem §eere ber Stoeifel aufgeregten 
unb Beftürmten ©emütl^S, todl^renb ber ©eift ber ©ontemplation ieneS 
^eer fd^on orbnet unb Be^errfd&t, gieBt ben 5Dlebitationen S)e8carte§' 
einen untoiberftel^Kdöett 3leij unb bzn ©l^arafier eines in feiner 2lrt 
unt)ergteid^Iid6en pl^itofopl^ifd^en ßunfttoerfs. 

3um erfienmate erfd&eint er t)or ben 9lugen ber SBelt unöerl^üUt 
als ber 3)enfer, ber er ift; er l^üt bie ©runbgebanfen, bie er gttjanjig 
Saläre in ftd^ getragen unb gejeitigt, enblid^ auSgefprod&en, um bie 
2Bett barüBer ju Belel^ren; in ber ©ad^e felBft ift ntd^ts öerl^eimlic^t, 
oBer bie SSeroffentlid^ung gefdöiel^t mit ber größten 33orfid&t. S)ie 
©d^rift fott junöd^fi nur ber geleierten SDSelt mitgetl^eilt »erben, barum 
ift fic lateittifdfe gcfd^rieBen; fie ift baburd^ nod6 nic^t gegen S5er= 
bädfetigungen unb ajlißöerftdnbniffe gefd&ü^t. 6r Beforgt für feine 
Jl^^fifalifd^en 5Principien ben SBiberfprud^ ber 3lriftoteIif er , für bie 
tl^eologifd^en ben ber ßird^e. S)ie ©runbbegriffe feiner SRaturleljre 



220 StuSbilbung unb 

finb in ben SD'tebitQtioncn entl^altcn, aber bic Folgerungen ftnb noi^ 
öerbcÄt. SBenn man ben ©d^ul^jl&ilofo^jl^en nid^t ausbrüdltd^ fagt, 
ba^ es ftdö um eine rein med^anifd^ß ^P^^fif l^anbelt, fo toerben fie 
e§ nid&t mer!en unb geiDonnen fein, 6et)or fte toiffen, ba^ fte öeruid&tet 
finb. Sarum ttjünfdöt ©eScarteS, bafe man t)on feiner ^pi^^fi! jundd&ft 
fd^tt)eige: <il ne faut pas le dire> lautet bie SBeifung, bie er feinem 
fjteunbe SJlerfenne in biefer Stiidfidöt giebt, 

Sagegen l^at SeScarteg feine ©ottesibee fo l^ett erleud&tet, bafe 
biefe ßel^re nid^t gu öerfd&ioeigen, nur ju Befd^ü^en ift, SBorfid&tig 
fud&t er jebem fird&Ud&en 95erbad&te burc^ SCitel unb SBibmung t)or= 
gubeugen: er Begeid&net als ben ^auj)tin]^alt ber SKebitationen „ba^ 
Safein ©otteS unb bie Unfter6Iid&feit ber ©eele" unb toibmet bie 
©d^rift btn Sodoren ber ©orbonne, ber tl^eologifd^en 3lutorität t)on 
^PariS, beffen Uniöerfitöt feit ber ^ö^e beS aJlittelafterS für bie erfte 
tl&eologifd&e 3lutoritat ber ßird&e gilt. UeBergeugt, ba^ »irflid^e 33er= 
nunftBeloeife für baS Safein ©otteS unb bie UnfterBlid^feit ber ©eele 
©löuBige nidöt Beirren, Ungläubige Befel^ren fönnen, bal^er mit ben 
Sntereffen ber ßird&e, ben 3luSi))rüd&en ber SiBel unb ben Sefd&lüffen 
be§ legten lateranenfifd&en ©oncits üBereinftimmen, unterioirft er feine 
©(^rift ber ßenfur unb bem ©d^u^ ber SE^eologen öon 5ßariS. Siefe 
l^atten feine ©inioürfe gu mad&en; ber 5ßatcr ©iBieuf, ben er BefonberS 
um feine ^Prüfung gebeten, Begeugte il)m feinen motten SBeifatt. SDennod^ 
BlieB ber SBiberfprud^ ber ßird^e nid&t auS; gtoeiunbgtoangig 3a^re, 
nad^bem e§ erfd^ienen, mürbe btefeS erfte grunblegenbe S33erl ber neu- 
frangöfifd&en 5ßl^ilofoj)l^ie auf bem römif(^en Snbej gefegt mit bem 
3ufa^: «donec comgatur». 

SeScarteS fonnte öorauSfel^en, ba^ feine ©d^rift burd& bie SReul^eit 
ber ©ebanfen Sluffel^en in ber gelehrten SBett erregen unb ®inmürfe 
aüer 3lrt l^eröorrufen mürbe; er münfd&te einige ber Berufenften Ur= 
tl)eile nod& bor ber Verausgabe fennen gu lernen unb mit feinen 6rs 
miberungen gugleid^ als Slnl^ang ber ^Ötebitationen brudfen gu laf[en. 
Sie SD'taBregel mar Ilug, bas 2Ber! erfd&ien Bei feinem Eintritt in 
bie aOßett fd^on angegriffen unb bertl^eibigt ; bie ^ritil, bie fonft nad&= 
folgt unb bem öffentlid^en Urtl^eile bie älid^tung, oft eine öerfel^rte, 
giebt, mürbe l^ier öortoeggenommen unb bem SSud&e felBft bergeftatt 
Beigefügt, ba^ ber SSerfaff er t)or bem ^JJuBlilum baS le^te SBort l&atte. . 
3u biefem 3w)edE tourben einige 3lBfd6riften Beforgt, greunbcn mit- 
getl^eilt, burd& biefe im Greife urtl^eilsfal^iger SDiänner Verbreitet, bc* 



Jßcröffentlid^unö ber Höcrfc. 221 

fonbcrg tt)tc6tt9c SReitiungen eingel^olt unb bem ^]^tlofoj)]^cn tl^eil^ 
ficrid&tct, tl^etlS in autl^cntifd&cr Slbfaffung jugefenbct. 

3fn bcn Jiiebcrionben toarcn c8 l^au^^tfadfeUdö Sloemaert unb SonntuS 
in ^arlem, bic cinjigen fatl^olifd^en ?Jxicftcr ^ollanbs, mit bcnen 
3)c§cartc§ Befrcunbct toaxS bic eine fold&c 3l6fd&rift crl^iclten; bcr 
STgcnt in {Jranlrcid6 toar, toie ju crtoartcn ftc^t, aJlctfcnne. S)urc^ 
bic Beiben ctfigcnannten mxb ba§ l^anbfd^riftlid&e SQßcrf einem an= 
gcfcl^encn ©del^rten il^rcr ^ird^c mitget^citt, ©atcruS au§ 9lnttt)crpcn, 
©octor ber tl^cologifd^en 3^acultdt bon ßötoen, ber in §ottanb miffionirt 
unb in ^Klmaar tool^nt. ©ein Urtl^eil ift ba^ crpc, tt)el(i&e§ S)e§CQrtc8 
cm})fängt unb mit feiner Srtoiberung an SD'terfennc fenbct (9iot)cmber 
1640). 

S)iefer t)erBreitet bic SIJlebitQttonen in ^jarifer ©clel^rtenlreifen, läfet 
fic t)on S^eologen unb SKatl^ematifern Beurtl^eilen unb gicBt über bie 
öcrfd^iebenen ajleinungen, bic er l^ört, bem SSerfaffer jtoei @QmmeI= 
Berid&tc. 3u bicfen Stimmen fommen brei Bebcutcnbc unb gefd&id^tlid^ 
bcnftoürbige ajldnner, barunter jtoei ^pi^ilofo^jl^en, ein englifd^er unb 
ein franjöfifd^er, 3ßitgenoffen unb ©egner S)e§carte§', Beibc t)on ajler« 
fcnnc t)cranlo§t, bic SlJlcbitationen ju lefen unb fd^riftüd^ gu Beurtl^eilcn: 
ber cngüfd^c ^Pofop]^ ift STl^omag §oBBe8, ber frangöfifcfie 5pierrc 
©affcnbi. Sener, bem cnglifd&cn aSürgcrfricge ausmeid^enb , toar 
6nbc beS Sal^rcS 1640 ju einem neuen 2lufentI)Qtte naä) ^Paris ge= 
lommcn, ber eine Sleil^c t)on Solaren bauern unb bie tDid&tigfte littcrarifd&c 
@pod&c im ßcBcn biefeS aKonncS toerben fottte, benn er fd^rieb I)ter 
feine Befannteften $aul)ttoerle. ajlerfenne lie^ i^n Balb nad& feiner 
STnfunft bic SKebitationcn lefen unb Beurtl^eilen; S)e§cartc§ empfing 
bcn crficn Sl^eil bcr ©intoürfe biefe§ ©cgnerS bcn 20. Januar 1641 
toöl^rcnb feines Slufcntl^alteg in Serben unb BeantiDortete fie fd&on am 
folgcnben Sage, ber jtoeitc S^eil tourbc in ber erften SBod^ß beS 
tJcBruar nad^gcfcnbet. 

3n biefem ajlonat mar ©affenbi, ber bamals feine ^aupttoerfe 
flBer epifur unb beffen ßel^re nod& t)or fid^ l^attc, nad& 5PariS ge= 
lommen unb lernte burd^ Söierfcnnc bas neue SBerf ®e§carte§' fennen, 
aufgcforbert bajfclBc fd&riftlidö gu Beurtl^citen. ©affenbi l^atte bic ©ud&t, 
geloBt unb citirt ju toerben; er toax licBenStoürbig im SSerfcl^r, t)er= 
fd^tDcnberifd^ im ßoBc, aufgenommen, tocnn eS bie arifiotelifd^en @d&ut= 



1 Oeuvres T. Vni. pg. 424—425. 



222 5luSbiIbutiö unb 

))]^iIofop]&en ^alt, ü6er gu eitel, um ein unbefüngener ßritifer gu fein; 
gegen SeScaxteS toax er öetftimmt, toeil biefer in feiner Slbl^anblung 
über bie SD'teteore feine ©rflärung ber ^JJarl^elien nid^t citirt l^Qtte, 
toaS ©aflenbi «praeter decorum» fanb. 3n übler Saune unb ol^ne 
einbringenbeS SJerftönbnife ber Seigre ©eScorteg' fd&rieb er feine 6in= 
tt)ürfe («Disquisitio methaphysica seu dubitationes»), bie 3Jlerfenne 
6nbe 5ülai 1641 erl^ielt; notürlid^ fel^Ite eS am ©döluffe nid&t an ben 
üblid^en rl^etorifd^en ßobf^jrüd&en. 3luf bie ©ntgegnung ©eScarteS' 
]^at er eine S)uplil («Instantiae») gefd&rieben, bie fein ©d&üler ©or= 
biäre mit ber SSerfünbigung eines öoüenbeten SriunH)]^^ l^erauSgab 
(1643). 

S)er britte unter ben naml^aften unb bebeutenben SKännem, bie 
bamate bie SUlebitationen beurtl^eilten, toar ein nod& iugenbUd&er %^tO' 
löge, SlntoineSlrnaulb, ber balb nad^l^er unter bie SDoctoren ber 
©orbonne aufgenommen tourbe (1643), in ber ^olgegeit ben 9iamen 
„ber grofee 3lrnaulb" öerbienen unb einer ber berül^mteften 3anfeniften 
merben foüte.^ S)e§carte8 l^at feine ©inioürfe toegen il^rcr ©infid^t, 
©d^reibart unb mat^ematifd&en ©d&örfe für bie toid^tigften erflärt unb 
aßen anberen bei toeitem öorgegogen. Sei ber SSerbinbung, bie \p&ttx 
gtoifd^en ber cartefianijd^en 5p]^iIofot)]&ie unb btn 3anfeniften öon 5Port 
ro^al ftattfanb, barf Slrnaulb aU SDiittelglieb unb ^fil^rer gelten. 

S)e§carte8 liatte getoünfd&t, bafe SKerfenne bie Stbfd&rift aud& bem 
^Pater ©ibieuf bom Oratorium 3efu unb bem SJiatl^ematifer ®egargue8 
mitt^eile, toeld&er le^tere il^m brei Sl^eologen »ertl^ fei. 68 erfd&ien 
nod& ein ©egner, an^ ber ©efeüfd&aft 3efu, ^ßater Sourbtn, 5ßrofeffor 
ber Sölatl^ematif am Soüegium ©termont, ber fd^on in gel^äffiger 
SQäeife 3)e§carte§* S)iol)trif unb Söleteorc in feinen Vorträgen befämpft 
liatte unb je^t eben fo feinbfelig gegen bie SÄebitationen auftrat. S)em 
$l)iIofop]^en lamen biefe 3lngriffe fel^r ungelegen, er toufete, loie ein= 
mütl^ig bie 3efuiten l^anbeln unb fal^ fid6 ungern in einen Äampf 
mit bem Drben bertoidett, gegen ttjeld&en er bie alten freunblid&en Sc- 
giel^ungen aug 5pietät unb ^ßolitif gu erl^alten toünfd^te. 2)a6 ein 
Sölitglteb ber ©efeüfd&aft 3efu fo feinblid^ unb berbäd&tigcnb gegen il&n 
auftrat, mußte er bo:|3:|3elt ^jeinlidö in einer 3ßit em))finben, loo er 
bereits bie fd^limmften ^önbel mit ben 6alt)iniften in ben Jiicberlanben 
gu befleißen liatte. Snbeffen liatte ber Drben nid^ts mit ber 5ßolemif 



©. oben einleitunö. ©ap. VI. S^r. III. 3. 



»eröffcntlid&urtö bcr Sößerfe. 223 

SouxbinS gu tl^un; ber 5ßrot)inciQl S)tnct fianb auf S)eScarte§' ©eitc 
unb mi§te bcn ©trcit betgulegen; Sourbtn felbft, nod^bem er bcn 
5p]&Uofol)]^cn })crfönUd& fcnncu aelernt l^ottc, fjbxk auf fein fjeinb 
gu fein. 

2Btr l^aben eg l^ier nur mit ber ©efd&id&te, nid^t mit bem Sfnl^alt 
biefer «Objectiones» unb «Responsiones» gu tl^un, bie gteid&fam h^n 
gmetten größeren S^eil ber ajlebitationen au^mai^zn. 6§ ttjoren fieben, 
nad^ d&ronologifd^er Sleil^enfolge georbnet: an erfter ©teüe ftel^en bie 
(Stntoürfe be§ S)octor ßateruS, an gtoeiter unb fed^fier bie beiben 
©ommelberid&te aJlerfenne'S, an britter ^obht^, an vierter Slrnaulb, 
an fünfter ©affenbi; bie ©intoürfe SourbinS an fiebenter ©teKe 
lonnten erft in bie gleite 3lu§3abe ber SlJlebitationen aufgenommen 
toerben. 

S)te erfte erfd^ien in ^JJariS unter bem Slitel: «Meditationes de 
prima philosophia, ubi de Dei existentia et animae immortalitate» 
(1641). S)er ^ßl^ilofoj)]^ tooflte bieSmal feine 3l6neigung gegen ben 
9lamen „(SartefiuS" übertoinben, ba il^m ber 9iame S)e8carte8 «un 
peu trop rüde en latin» ttjar.* S)ie gtoeite 3lu§gabe erfd&ien bei 
(£Iget)ier in Slmfterbam unter bem öerönberten STitel: «Meditationes de 
prima philosophia, in quibus Dei existentia et animae humanae 
a corpore distinctio demonstratur». S)er ©runb biefer 3lb= 
önberung ifl einicud&tenb genug: ba^ 2)afein ®otte8 ift ein meta^ 
pl^^fifd&eS 5Princi)), bie Unfterbüd^feit ber ©eele ift feineö, ttjol^l aber 
ber SQBefenSunterfd^ieb gtoifd^en ©eele (®eift) unb Körper; biefer Unter= 
fd&ieb bilbet bie ©runblage ber gangen cartefianifd&en ßel^re, ba§ eigent= 
lid^c Stl^ema il^rer «prima philosophia». 2)arum ift ber gtoeite 3lu§5 
brudE eine Serid&ttgung be§ erften, ber au§ f^jeciell tl^eologifd^en unb 
rcügiöfen ©rünben getoöl^It toar, toie e§ bie SQßibmung erflört. 3luf 
ben 2Befen§unterfd6ieb gttjifd&en ©eele unb ßör^jer grünbet fid& 2)e§= 
carteS* Unperblid&feitSle^re, unb in ber 3[Jleta:pI)^ftf rebet man t)on 
ben ©rflnben, ntd&t t)on bzn Solgen. S)ie 6rf(ärung au§ ben ©e= 
fül^len be§ 5piöiIofo))]§en; toelc^e ber jüngfte Siogra^jl) an biefer ©teile 
ju geben t)erfud&t, opfert ber Slül^rung ttjieberum bie 9lidbtig!cit. 
SQSäl^renb SDeScarteS mit ber Verausgabe ber SKebitationen befd&öftigt 
toar, parb feine Stod&ter, faft glei^geitig fein SPaler unb bie ältere 
©d&ioefter. SRun toar e§ bem 5pi)ilofop]^en, ber biefe brei 2:obe8fälIe 



» Oeuvres T. Vm. pg. 439. 



224 ^uSbilbung unb 

ju 6ef tagen l^attc, öufeerft troftreidö, auf beut Sattel fctnc§ SOßcrfeS: 
«de animae immortalitate» gu Icfcn! 6S toar ntd^t eigcntttdö bcr 
SEttcI feines SBerfeS, fonbern eine ©xabinfc^rift. 2Benn fold&e @nH)fin= 
bungen überl^au^Jt an einer folc^en ©teile eines ^luSbrudeS 6eburften, 
fo toören bie SBorte «animae humanae a corpore distinctio» eben 
fo troftreidö getoefen. ^ 

S)ie 3[Jlebitationen l^aben ben Sfbeengang enttoidelt, in toeld&em 
bie ©runbbegriffe ber neuen ßel^re gefunben unb feftgefteÜt toerben» 
Sie nad&fte 9[ufgaBe ift bie S)arfteöung beS gefammten ßel^rgebdubeS 
in f^ftematifd^er Dxbnung; SeScarteS beginnt bie 5lrbeit gteid^ nad& 
Verausgabe ber SKebitationen unb öollenbet fie binnen ^al^reSf rift : 
es ift fein jtoeiteS umfaffenbeS ^au^jttoer!: „S)ie 5Princi})icn ber 
^Pl^ilofo^jl^ie" in t)ier Suchern (1644 Bei 6ljet)ier in 9lntftcrbam). 
®aS erfte Sud^ l^anbelt t)on ben ?Jrinci))ien ber menfd&U(iöen ®rfennt= 
nife, baS jtoeite bon ben ^Principien ber ßör:per, baS britte t)on ber 
fid^tbaren SBelt, baS bierte Don ber 6rbe. S)ie beiben erften bitten 
bie eigentliche ^JJrinci^jienlel^re : S[Reta))]ö^fi! unb 3laturt)]^iIofop]^ie. 3n 
bem Sortgang ber SBerle finb bie SlJlebitationen jeitlid^ toic fad^lid^ 
baS SKittelglieb gtoifd&en ben metl^obologifd^en Serfud^en unb bem 
©Aftern ber SKeta^j^^fif. ©eScarteS nannte fie aud& feine „meta})]^^ftfd&en 
@ffais" unb begeid^nete bamit treffenb, ba§ fie ben (Sl^atafter ber 
„t)]^Uofo))]^ifd^en ®ffais" unb ber „5ßrinci))ien ber ^ßl^ilofopl^ie in fid6 
bereinigen. 

Sie 3cit, toorin er biefeS fein umfaffenbeS §aui)ttt)erf fd^rieb, 
toar tool^I bie glüdEIid&fte 3ßit feines ßebenS. S)er ©rfolg ber t)or- 
l^ergel^enben ©d^riften l^at il^n gel^oben, bie ©d^eu t)or ber öffentlid^en 
litterarifd&en äSirIfamfeit ift übertounben, er l^at einen ©toff gu geiialten 
unb gu orbnen, ben er t)otIfommen bel^errfd^t, nid^ts fann biefem 
ntetl^obifd^en fio^jf genu§reid^er fein, als eine fold&e orbnenbe unb form= 
gebenbe SCl^ötigfeit; ie^t übt er bie ßunft beS SaumeiflerS, bie er gern 
ats SBeif^jiel brandet, um bie SlJlängel beS fJüdEttjerleS gegenüber einer 
J)Ianmä§igen unb einmütl^igen (£omt)ofition augenfällig gu mad^en: er 
contponirt baS ©ebäube feiner Sfbeen unb lebt babei in ber ib^ttifd^en 
unb freien ajtufee, bie il^m baS ßanbfd&lofe t)on ©nbegeefi getoäl^rt in 
beftönbiger 5Ral^e, oft im SSerfel^r mit jener jugenblid^en unb ]^oc6= 
begabten gürftin, bie il^n gang öerftel^t unb toürbigt. S)amalS fal^ er 



^ J. Millet: Descartes, son histoire depuis 1637. pg. 23—25. 



Jßcröffcntlid^ung ber SBerfe. 225 

in bcr ^Pfaljgröfin ©Itfabet]^ bie 2Belt, für btc er fd^ricb, unb lüibmcte 
il^r feine SBerfe, unBelütnmert um bie S)octoren ber ©orBonne. Slber 
fd&on tDQr ein Untoetter gegen bie neue ßel^re unb btn 5p]öilofot)l^en 
felbft int 3lnguge, 



@ed&§teS 6o))iteI. 

C. MfSn$t in Si^uie. M\f&n$tx mi Gegner. 

I. S)ie ßäml)fe in Utred^t. 

1. Sleneri unb StegtuS. 

©0 toenig S)e§carte8 eine öufecre SSerbreitung feiner ßel^re fud^t, 
fonn er bod& nid^t l^inbern, bafe fte ^^^eunbe unb Slnl^önger getoinnt, 
bie balb htn Äern einer ©d^ule bilben, für beren öffentlid&e ße]^r= 
tl^ötigleit bie SBerle be§ SlJleifterS einen feften "ärifjolt unb bie Uni« 
öerfitdten ber Jiieberlanbe ben näd^fien ©d&aupla^ Bieten. 9Kit hen 
fjreunben fommen bie ©egner. ©d&on in il^rem ßntftel^en toirb bie 
©d&ule ©egenftanb l^eftiger 3lngriffe; in ben Bi^üUxn BeIönH)ft man 
ben 5Weifier unb öerfud&t alles, bie neue Seigre ju unterbrüden , felBft 
bie 5Perfon beS Url^eBerg toirb Bebrol^t. 

S)er Ort, too bie ©d&ule unb mit il^r bie ßäm^jfe Beginnen, ift 
bie neue Uniöerfitat Utredöt. @8 ift toeniger eine Beftimmte ßel^re, 
toeld&e bie 9lngriffe l^eröorruft, als öielmel^r SeScarteS' geiftige SBebeutung 
über]^auj)t; e§ ift bie SReul^eit unb TOad^t feiner ©ebanlen, bie bzn 
^a% unb bie feinbfeligen ßeibenfd^aften berer erregen, bie fid& gern 
felbft jum ©egenftanb be§ erften ©ebotS mad&en: „^^x follt nic^t anbere 
©Otter l^aBen neben mir!" 

Um ben SJerlauf unb ©l^arafter ber Utred&ter ©treitigleiten ju 
t)erfie]^en, muffen toir etmaS toeiter ausl^olen. ©Ieid& in ben erften 
Seiten feines Slufentl^alteS in ben 3iieberlanben l^atte SeScarteS in 
Slmfterbam §einrid& Sleneri (Slenier) fennen gelernt, ber in ßüttic^ 
unb ßöttjen ftubirt, ben fatI)olifd&en ©tauben öerlaffen, ben reformirten 
angenommen, beSl^alb t)on feinem SSater enterbt, aus ber ^eimatl^ 
ftüd^tig, ein Slf^I in ^ottanb gefud^t unb in 3lmfterbam eine 5Prit)at= 
fd&ule gegrflnbet l^atte. ©eine Söelanntfd&aft mit bem 5p]^Uofoi)]^en ttjar 
burd^ SBeedtmann vermittelt toorben. 3m Umgange mit SeScarteS er= 
mad&t in Sleneri bie ßiebe gur 5ßl^iIofop]^ie, unb er getoinnt burd^ 
eifrige ©tubien Balb eine fold^e SSebeutung, bafe er nad& bem Slobe beS 

gpifi^er, ®efr5. b. ^l^ilof. I. 4. «ufl. m. «. 15 



226 SlnfönQc bcr ©(ä^ute. 

9lrtftotcKfer§ in Serben an btc borttgc Unit)crfitat, bann nad^ S)ct)entet 
unb im Safirc 1634 nodfe Utrcd&t Berufen toirb. S)er erfte ©d&üler 
©eScQtteS' ift bie erfte Berufung an bte neu gegrünbetc Uniöerfitöt, 
mit bereu ©efc^ic^tc bie ber cartefianifd&en ßel^re ma^reub ber crften 
Sal&re DertoeBt ift. 9leneri§ iSeljrtl^ätigfett in Utredfet ift t)on lurgcr, 
aber toirffamer 3)auer. fjünf ^af^xe lang ift er eine 3i^tbe ber 
UniDerfitöt; nad& feinem frül^en Sobe (3Jiöra 1639) toirb fein ©e= 
bäd&tnife t)on ben Seljörben ber ©tabt unb Uniöerfitöt auf bie el^rem 
öoflfte SBeife gefeiert. 3)ie S^rauerrebe, bie ber 5ßrofeffor ber ®e= 
fd^id^tc unb Serebfamfeit 9lnt. 9lemtIiuS, felBft ein 3ln]^änger ber 
neuen ?PI)iIofot)]^ie, l^ölt, ift gugleidö eine ßobrebe auf S)e§carte8. ®ie 
Stegierung t|at getoünfd&t, bafe beS 5p]^iIofo))]^en unb feiner ßel^rc 
rül^menb gebadet unb bie SRebe gebrudft toerbe. 3Iuf il^rem SEitel l^ei^t 
Steneri ber greunb unb ©d&üler 2)e§carteS', ,,be8 2ltla§ unb 3Ird&i- 
mebe§ unfereS Sfal^rl^unberts". Siefem öffentlidöen, etmaS ju ergiebigen 
ßoBe, toie e§ bie afabemifd^e Serebfamfeit mit fidfe Bringt, folgt ber 
neibifd^e §a§, ber bzn 5ß]öiIofo:p]^en gunäc^ft in feinen ^nl^öngern gu 
treffen fud&t. 

Unter SleneriS ©dfeütern in Utredftt toax ber talentbottfte ein 
junger SRebiciner 3lamen§ 9legiu8 (§enri ße 9loi), ber fid^ bcr neuen 
ßeljre mit feurigem ®tfer bemadfetigt l^atte unb fie in feinen 5ßrit)att)or= 
lefungen über ^l^^fiologie fo borgutragen tt)u§te , bafe er Balb eine 
SRenge Begeifterter ©d&üler getoann. 3ln ber Uniöerfitöt toar nur 
eine ^Profeffur ber SKebicin, bie ©traaten inne l^atte; nun tottnfdfete 
biefer BIo^ Slnatomie unb ))raftifdöe ^Rebicin gu leieren unb Betrieb 
beSl^alB bie ©rünbung cine§ gtoeiten ßel^^ftul^IS für Sotanif unb 
tl^eoretifdöe S[Rebicin. SlegiuS toirb für bie neue ©teile gen)ö]^tt unb 
gum orbentUd^en ^JJrofeffor ernannt (1638). SRadft bem Stöbe 5Reneri§ 
ift er ba§ §aupt ber neuen ^pi^ilofopl^ie in Utred&t unb bie erfte 3ißl= 
fd&eibe il^rer Seinbe. 

2. ©iSbcrtu« SöoetiuS. 

3)a§ §aupt ber ©egner ift einer ber angefel^enften SRänner öon 
Utrecht, ©i§bertu§ 25oetiu§, ber erfte ^Profeffor ber S^eologie an 
ber Uniberfitat , ber erfte ^Pfarrer ber ©tabt, auf ber ©^nobe t)on 
S)orbred6t einer ber l^eftigften ©omariften, feit bem ©iegc biefer ^Partei 
einer ber übermüttjigften. 6r fdftreitet einiger mit trium^jl^irenben 
51Jiienen, feine aufeere ©rfd^einung ift gepflegt unb trägt bzn "3(u§brudE 



Slnl^ärtöer unb ©egncr. 227 

bcr ©cIBftgufrtebenl^eit , er ift gctüöl^nt, feine SCalente, SSexbienfte unb 
SQßürben für unt)ergIeic]&Ud& gu l^atten unb ülle§ gu öerad^ten, toas il^m 
fel^It. S)tefer SKangel finb öiele. ©eine ®clel)rfamfett ift ^rnnQ unb 
oberfläd^Iidö , feine 33elefen]^eit bürftig, nid^t mel^r umfaffenb aU bie 
loci communes, einige ©ommentore unb (£oin:|3enbien ; er mad^t in 
feinen ©d^riften bie gröbften O^el^Ier, toeil er bie Dueüen anfül^rt, oI)ne 
fie gelefen unb öerftanben gu ^dben, fein Urtl^eil ifi oI)ne ©dfeörfe, 
feine ©ebonfen ol^ne 3ufammen]^ang unb Drbnung ; in ber 5pi^iIofo))]^ie 
reichen feine fjäl^igfeiten unb ßenntniffe nid^t über bie ©renje ber ge= 
toöl^ntid^ften ©cftolaftü. 9Kan l^ötte nid&t gtauben follen, bafe ein fo 
mittelmd^iger ßopf ein fo angefel^ener unb gefürd&teter 50tQnn fein 
unb ber gefäl^rlic^e ©egner eine§ großen S)en!erS toerben lonnte. 
©eine Steigung naijm bie Slid&tung feiner Slalente, ßr »öl^lte fid& ein 
Selb litterorifd^er SCl^ötigfeit , Quf bem fid& ol^ne ©elel^rfamleit unb 
toirlüd&e ©eifieSbilbung beim großen ^Publicum Diel ougrid&ten löfet: 
bie 5Polemi!. ®r toar lein ^ßolemifer bebeutenber 3lrt, fonbern ein 
getoöl^nlidöer ©treitl^al^n nad^ bem ©ef^mod Sfan ^agefä. 3u einer 
geredeten unb unbefangenen SQßürbigung beä ©egnerS l^otte er toeber 
genug Siüigfeit nod& genug Urtl^eil; t)or allem ]^Q§te er bie ^atl^oUfen 
unb bie 5p]^i(ofo))]^en, bie ßeibenfd6aft toerblenbete il^n bergeftalt, ha^ 
er beibe laum ju unterfd^eiben tüufete unb in ber SoSl^eit benfelben 
5Diann für einen Sefuiten unb Sltl^eiftcn gugleid^ anfal^; bod& toar er 
fd&lau genug, bei ben Sefuiten ben ©egner aU Sltl^eiften, bei ben 
?ßtoteftanten als 3(efuiten ju toerfd^reien. ®r toar ftreitfüd&tig, toeit er 
JRed^t l^aben unb l^errfd&en tt)oHte; bie §errfd&fud6t mad&te xijn amt§= 
eifrig unb leulfelig, er H)u§te ben ßeuten gu gefallen unb ju im:|3oniren 
balb burdö bet)oteS Senel^men, balb burd& breifteS unb fedteS 3luftreten. 
®em 95olfe gegenüber gefiel er fid^ in ber Stoffe be§ ^ßrölaten, ben 
©elel^rten gegenüber in ber be§ gebauten, am liebften mod^te er äffen 
aU ein SRann erfd&einen, ben jeber gu fürd&ten Urfad^e l^abe. 2)arum 
l^iett er nid&tS fo gern at§ ©traf^jrebigten, !a:puginerartig , bie beim 
Solle Sffect mad&en, unb um \a nid^t al§ feig gu gelten, verfolgte er 
rütffid&tSloS toegen unbebeutenber Singe ^Perfonen t)on SRad&t unb 3ln= 
feigen. @r öerftanb, bie SSolfSgunft gu gewinnen unb barum gu loerben 
ol^nc ben ©d&ein ber 5Po:pularität§fud6t. Unb fo ttjar er toirflid^ ein 
ongefel^ener , bei ber SJtaffe beliebter, t)on Dielen gefürd^teter aJtann 
unb l^tefe, toa§ bie ©umme feines ßl^rgeigeS unb ber eigene 3lu3brudE 
feiner SBefd^eibenl^eit toar: „ber nieberlönbifd&en ßird&e Slul^m unb 

15* 



228 Slnfänöc bcr «Sd^ulc. 

3ierbe (ecclesiariim belgicarum decus et omamentum)". ©o ftanb 
fein SBilb t?or btn Slugcn S)eScaxtc§\ 

Sieben btefem 9Kann erl^cbt ftdö tnttten in Utred&t eine t)on tl^m 
nnabl^öngige, einflufexeid&e geiftige ajlod&t in ©eScarteS' Seigre unb 
©d&ule. @eit jenem ßobe, ba§ auf bem Slttel einet alabemifd&en 
®ebä(ä&tni§rebe gebrudt ju lefen fionb, ift SSoetiuS il^r SBiberfac^er ; er 
l^atte ein ^aijx \>oxf)zx ju SRegiuS' Slnftettung mitgctoirft, nai^bem fid& 
biefer feiner ©laubenScenfur unterworfen unb il^nt ))crfönltd6 ge= 
fd6meid&elt l^atte; je^t mi§föllt il^m fein Sifer für bte corteftanifd^e 
ßel^re, noä) mel^r ber SeifaH, ben feine SSorlefungen finben. 6r finnt 
SSerberben gegen S)e§carteS unb 9legiu§. SBenn er betoetfen lönnte, 
ba^ bie neue Seigre bem ^ßroteftantiSmuS unb boburdfe ben SRtebers 
lanben gefäl^rtid^ märe! 2Benn fid& geigen ließe, ba§ ®e§carte8' 
5ß]^iIofo:p]^ie atl^etjiifd^ fei, fo märe, bo 9legiu8 (Sarteftaner tfi, ber 
5ProceB leicht gu führen. 6r burd^fud^t gu biefem S^eÄ ben iüngft et- 
f(|ienenen «discours» unb fammett aHe auf Sl^eologie begüglid&en 
2lu8fprüd&e; glüdtlid^ermeife finbet fid& l^ter ber 3tt)cifel fo offen be= 
fannt unb rüdfid^tslo^ geltenb gemad^t, ba% ber 3lt]^ei8muS, mie cS 
fd^eint, mit §änben gu greifen ift. 

3. S)ie 95erurtl6eilung bcr neuen ipi^iloforti^. 

3unadöft mirb ber Siome 3)e§carteS gar nid&t genannt, nur ge- 
toiffe 3üge feiner ßel^re toerben auf ben 9lt]^et8mu§ übertragen unb 
biefer in einigen afabemifd^en SEl^efen befämt)ft (Sfuni 1639); bamiter= 
öffnet SBoätiuS feinen fjelbgug, ber, menn e§ nad& SBunfd& gel^t, mit 
SeScarteä' S}ertreibung auS bzn Slieberlanben enben foll. 6ine 3ßtt 
lang ]pxüi ber ©treit in ber gorm afabemifd^er 5£l^efen unb S)iS= 
^jutationen. 3)ie 3lbfidf)t gel^t gegen SRegiuS, ben gu öerberben SSoetiuS 
oüeg aufbietet: fein 3lnfe^en bei ben 5Prof eff oren , feine SRad^t ofö 
9tector, feinen ©influfe auf bie Dbrigfeit. 

9tegtu§ tiatte mit feiner jungen unb etmag unreifen 2lrt bei 
mand^er ©etegenl^eit ba^ Uebergetoic^t ber neuen 5ßl^ilofo:|3]^ie ben S5er» 
tretern ber alten füljlbar, biefe le^teren aud6 mol^I läd&erlidö gemad^t 
unb baburd^ eine 3lngal^l feiner Sollegen öerflimmt. S)a8 Di)eration8= 
felb gegen x^n ift günftig. STIS er im Sunt 1640 bie neue ßel^re 
t)om Stutumlauf nad& ^axt>zt) unb ©eScarteS öffentlid^ öertl^eibigt, loirb 
il^m bie SBeifung ertl^eilt, fid6 mit feinen ©ö^en nid&t fo toeit t)on ber 



SlnPnöet unb ©cgncr. 229 

]^erIömmUd6en ajlcbicin ju entfernen unb bie neuen Seigren nur «exercitii 
causa > gu öertl^eibigcn. 

3nt folgenöen Sal^r tft SSoetiuS Sledor. S)cr ©trctt tt)irb Ieb= 
l^aftcr, o^ne nod& ben Qlabemifdfjen ©pielraum ber STl^cfen unb Dis- 
putationen ju üBcrfd&reiten. Unter ben S^^efen beS SlegiuS finbet \x^ 
ber ©a§, bafe bie SSerbtnbung t)on ©eele unb Körper in ber 3wföntnten= 
fc^ung jtoeier @u6ftangen beftel^c unb barum feine toirflid^e ©inl^eit, 
lein «unum per se», fonbern «per accidens» auSmad&e. ©erabe in 
biefem 5PunIt erfd&eint ber erflörtefte ©egenfa^ ber cartejtanifd&en ßel^re 
gegen bie ariftotelifd&^jd^otaftifd&e bon ber Gnteled^ie ber ©eele unb ber 
©uBftantialitdt ber formen. 3iun fe^t fid& SJoetiuS in 5Pofitur unb 
erflärt in feinen ©egentfeefen bie neuen ßel^ren für fe^erifd^. S)ie 
STnftd&t t)on ber ©ubftantiQÜtat be§ fiörperS unb ber Bufammenfe^ung 
be§ 3Kenfd&en üu8 jtoei ©ubftangen («unum per accidens») fei unt)er= 
nünftig, bie ßel^re bon ber Setoegung ber 6rbe, bie ßepter (!) einge= 
fül^rt ]&abe, toiberfpred^e ber tieiligen ©dferift unb oller bisl^erigen 
^Pl^ilofop^ie , bie Verneinung ber fubftantieffen formen finbc fid& in 
bemfelben SBiberftreit , fie beförbere ben ©fepticiSmuS unb gefäl^rbe 
ben ®lanbm an UnfterbUd&f eit , SCrinitöt, ^Ötenf ^toerbung , ©rbfünbe, 
SBunber, SBeiffagung, ©nobe, SEBiebergeburt zc, SDiefe 2:t)efen fenn= 
geid&nen ben ajlann unb feine ©eiftesart» 

3e§t toirb qu8 bem afabemififien SBortftreit ein ©d&rif tft reit; 
9icgiu§ öertl^eibigt fid& gegen bie Sl^efen be§ SSoetiuS unb löfet bie 
©d&rift toiber bm 3lat^ ©eScarteS* unb feiner Utred&ter fjreunbe bruden. 
Ucberl^aupt ifi S)e8carte8 mit StegiuS' l^erauSforbernbem Sluftreten 
mcnig gufrieben; feiner 2)enftt)eife mufe bie Derte^enbe 3lrt mifefaüen, 
womit jener gegen bie ©dfeulpl^ilofopl^ie loSgiel&t; mon foüe, mal^nt il^n 
S)e8carte8, bie SSergongenl^eit nid^t gum @pa§ befömpfen, er fel)e in 
bem ©treit, ben 0legiu§ t)oxf)abt, toeber Jiu^en nod& 5pian; foüe bie 
©d&rift gegen SSoetiuS gebruöt loerben, toaS er toiberrotl^e , fo muffe 
il^re Sorm rul^ig gel^olten unb t)on allen anftöfeigen SluSbrüden frei 
fein. S)iefen 0latl^ befolgt IftegiuS, aber fo bel^utfam, ja fd^meid^el^aft 
für S3oetiu8 feine SBorte finb, fo finbet biefer fd&on barin ein unt)er= 
geiJ^UdöcS SSerbred&en, ba§ JRegiuS überhaupt gesagt l^at, gegen il^n .^u 
fc^tcibcit. yiod) bagu ifi bie ©d&rift ol^ne ©ruderlaubnife erfdbienen, 
bei S)ru(fer ift Äatl^oUf, ber SSerleger JRemonftrant: SSoetiuS entbeöt 
eilt gangeS Sfteft t)on ße^ereien, ha^ gu Vertilgen fei. 



230 Slnfanöe ber ©*ulc. 

3luf SBefcl^I bex Dbriaicit toirb bic ©d^rift confiScirt, baS 35ex6ot 
mad&t fic gctefener, il^rc SSer breitung ben 3orn bcS 35oetiu§ nod& 
grimmiger, unb eS fommt fo toeit, ba^ auf feinen eintrieb bem 5J}rofeffor 
9legiu§ bie i)]^ilofop]^ifd6en SSorlefungen unterfagt toerben. 3tc§t 
gilt es, bie neue 5P]§ilofo:p]^ie aU fold^e ongugreifen unb bie alte gu 
öert^eibigen. SSoetiuS ber ©ol^n fd&reibt Sll^efen gegen 9legiuS, ber 
©tubent SBaterlaet, eine ber Kreaturen beS SSaterS, öerfofet eine 6(i&u|= 
fcörift für bie fd^toer bebrol^te red&tglöubige 5ß]^i(ofo))l^ie. 2lber ben 
§au))tfd&lag fül^rt SJoetiuS burd^ bie bon i^m bel&errfd^te Uniöerfitöt: 
ber alabemifd^e ©enat befd&liefet eine förmüdje ajli§bittigung gegen 
SlegiuS^ ©c^rift unb ßel^re unb jugleid^ eine förmliche SSeriirtl^eilung 
ber neuen ^^itofop^ie. Ser »efd&Iu& ift t)om 16. aKörj 1642 unb 
enti^ätt folgenbe ®rf(ärung: „2Bir ^ßrofefforen ber Uniöerfität Utred^t 
Dertoerfen unb berbammen biefe neue 5ß^iIofo))^ie, erftenS meil fie ber 
alten tt)iberf:pric^t unb beren ©runblagen umftürgt, gtoeitenö toeit fic 
bie 3tngenb bem ©tubium berfelben abtt)enbig mad&t unb beSl^alb in 
il^rer geletirten SluSbilbung l^inbert, benn, einmal in bie ©runbfä^e 
biefer öorgeblid^en SQßeiSl^eit eingefüljrt, Vermag fie nid^t mel^r bie 
afabemifd^e ©d&ulterminologie ju öerftel^en; enblid^ toeil nid&t blofe 
mancherlei falfd&e unb bernunfttoibrige 3lnfid^ten au§ biefer neuen ßel^re 
^ert)orgel^en , fonbern unreife junge öeute leidet Folgerungen barau§ 
ableiten fönnen, bie ben anberen SBiffenfd&aften unb ^^cultöten, in§= 
befonbere ber toaliren Sl^eotogie gutoiberlaufen/' SSon jel^n ^JJrofefforen 
unterfd&reiben ad&t biefeS Urtf)eit. ®ie beiben 3luSna^men finb S^pri» 
anuS unb 3lemiliu§, ber Serounberer be§ 5Pöilo|o:|3]^en. 

5. S)cr 6treit jtoifd&en ©egcarteg unb SSoetiuS. 

Sie SSerbammung ift gegen 2)e§carte§ gerid^tet, obmol^l fein 9lame 
nid^t genannt toirb. 3e^t erfd&eint biefer felbft auf bem fiomj)fpla^. 
^bzn mit ber jttjeiten 9lu§gabe ber 5Diebitationen unb ber ©rtoiberung 
auf SBourbinS Sintoürfe bef^dftigt, pnbet er in bem gleid&geitigen SBriefe 
an 3)inet, morin er bie 3lngriffe feines jefuitifd^en SBiberfad^erS be= 
leud&tet, bie befte ©elegenl^eit, gugleid^ bie «ßabalen beS Utred&ter 3^einbeS 
gu fd&ilbern; er la§t UniDerfitöt , Slnl^änger unb ©egner ungenannt, 
aber enttüirft öon bem le^teren mit tuenigen 3ügen ein 93ilb ad vivum. 
„6§ ift ein SJiann, ber in ber SBelt für einen SCI^eologen, 5Prebiger 
unb ©laubensftreiter gilt, ber großes 2lnfef)en beim SSolIe geniest, tDeil 
er mit feinen @treit))rebigten balb über bie fatl)oli|^e ßird&e, balb über 



^n^änger unb ©egner. 231 

anbcrc ßeute, bic nid^t feines ©taubeng finb, balb über bie aJlä^te 
be§ 3cttaltex8 fd6mäl)ffid6tt8 l^erfaüt; er trögt einen gtüJienben unb 
freimütl^igen SleligionSeifer gur ©c^au, mobei er feine Sieben aud& mit 
©^Jöffcn untermifd^t, bie bem £)^x be§ gemeinen SJoIfeS gefaüen; alle 
Slugcnbliöe giebt er ©d^riftd&en l^erauS, aber fold&e, bie nid^t toertl^ 
finb, ba% man fie lieft, citirt barin öerfc^iebene Slutoren, aber fold^e, 
bie mel^r gegen aU für il^n geugen, unb bie er toa]^rfd&einKci& nur aus 
bcm Snl^altSöergeid&niffe fennt; er rebet t)on aßen möglid&en 9Biffen= 
fd&aften, als ob er gang barin gu ^aufe toare, led unb ol^ne ©d^eu, 
unb gilt beSl^alb für geleiert bei ben Ungelel^rten. Slber ßeute bon 
einigem Urtl^eile, toeld^e toiffen, tt)ie gubringlid^ er mit aKer SOßelt 
^önbel anfängt, toie oft er ftatt ber ©rünbe Seleibigungen vorbringt 
unb, nadöbcm er ben bürgeren gegogen, fd^impflid^ gurüdttoeicöt, fprec^en 
Don biefem 5Dlann, tt)enn fie nid&t feine ©laubenSgenoffen finb, mit 
offener unb fl)öttifd&er Serad^tung; aud& l&at man il^n fd^on t)or aKer 
SBelt STugen fo übel gugerid^tet, bafe ber 5ßoIemif nod^ faum etioaS 
übrig bleibt. Sie öerftänbtgen ßeute unter feinen ©laubenSgenoffen 
cntfd^ulbigen unb bulben il^n gmar, fo Diel als mogtid&, aber im ©tiüen 
ftnbeu fie il^n ebcnfo Dertoerflid)."^ 

JBoetiuS erfannte fein ©^jiegelbilb unb ]pxnt)U 9lad&e. 6r l^atte 
jc^t offen gegen S)eScartcS auftreten unb ben ßampf birect fül^ren 
fotten, aber er l^ielt fid& im SSerftedE unb fud&te ßeute, bie für i^n 
ins fjcuer gingen; er toünfd^te fid& jemanb, ber ben 5ßl^itofo))I)en wiffen= 
fdöaftlidö angreifen, einen anberen, ber ©d&möl^fd&riften gegen il^n fdirciben 
ober mit feinem 5Ramen bas 5Pam:p^let bedfen foütc, toeldöeS er felbft 
fabricirte. S)abei f})ielte er öffentlich ben ge!ränften Wann, er loar 
bie reine Unfd&ulb, SeScarteS ber boSl^afte SSerläumber. Sfflit bem 
SunbeSgenoff en , bem er bie Flotte ber loiffenfc^aftlid^en SSefämpfung 
gugebadbt l^atte, fd&lug bie ©ad^e fe^l, er l^atte fie aud& nidit dbarafter= 
lofer unb ungefc^iöter anfangen fönnen. SSoetiuS, ber gefd&toorene 
geinb ber lat^olifd^en fiird&e, fd&rieb gu biefem 3toedE an einen fat^o= 
l i f dö e n SEl^eologen, ber nod) bagu ©eScarteS' langjähriger unb treuer greunb 
loar: ajlerfenne! Unb toie fc^rieb er? 3n bem ^Briefe, ber fdion in ben 
Slnfang ber ©treitigfeiten fällt unb frül^er ift als baS a5erbammungS= 
urt^eil ber Uniöerfität, l^eifet eS unter anberem: „Dl^ne 3roßifel ^abtn 
©ie bie ))l^ilofo))]öifd6en SSerfud^e gelefen, toel^e S)eScarteS in frangöfifc^er 



» Oeuvres T. IX. pg. 34-35. »gl. bic obige ©«ilberung S. 226-228. 



232 Slnfängc ber Bä^nU. 

Qpxaä)z l^crauSgegcben l^at; er fd&eint eine neue, bisl^cr uncrl^orte ©cde 
ftiftcn gu toollcn unb finbct Slnpngcr, btc t^n tt)ie einen t)om ^immel 
l^erabgefoHenen ©ott betounbern unb anbeten. Sfl^rem Urtl^eil unb 
Sj^rer ßenfur foKten biefe sopTjtJLaTa untertoorfen toerben. ßein ^ßl^^ftlex 
ober 5p]^iIofo:|3l^ lönnte tl^n erfolgreid^cr ftürgen als @ie, ber ©te gerabe 
in ben fjöd&ern tieröorragen, toorin S)e8carte§ feine ©törle ju l^aben 
glaubt; in ber ©eometrie unb 0:ptil. 6§ toare bieg eine Sl^rer ®ete]^r= 
fantfeit unb Sjl^re? ©d^arfftnnS toürbige 3lr6eit. ©ie l^aBen bie ^a^x= 
l^eit öertl^cibigt unb in ber SSerföl^nung ber SC^eoIogie unb SRaturlel^re, 
ber aKetaj)]^i)fi! unb SlJlatl^ematif gur ©ettung gebrad&t: barum forbert 
bie SBal^rl^eit ©ie jU il^rcm 9läd&er!" SKerfenne, angetoibert t)on biefer 
3ufd6rift, bel^anbelte SSoetiug, toie er eS Derbiente; er liefe il^n lange 
auf 3lnttt)ort toarten unb gab fie enblid^ fo abtoeifenb unb befd&dmenb, 
ttjie ntöglidö. 3ug{ei(i& fd^idte er iBrief unb SlntiDort an S)eScarte8. 

SRit bem SunbeSgenoffen, ber ba^ ^ßam^jl^Iet übernel&men fottte, 
gelang bie Sölad&ination. ߧ fanb fid^ jemanb, ber ju ber ©(3&mä^= 
f^rift, bie SSoetiuS im ©d&ilbe führte unb gum Sl^etl mad^te, 5Wamen 
unbfjeber l^ergab: 5!Jtartin ©d&ooö, ^ßrofeffor in ©röningen, el^ebem 
©c^üIer, je^t 6reatur beS SSoetiuS. S)ie ©d^rift erfd&eint ein 
3al^r nad& jener afabemifd^en Serbammung (SKörg 1643) unter bem 
Stitel: «Philosophia Cartesiana sive admiranda methodus novae 
philosophiae Renati Descartes», nad& ©d^reibart unb SLenbeng ein 
bo8l^afte§ ßibell. S)ie Sorrebe gel^t gegen ben Srief an S)inet, toorin 
SeScarteS bie reformirte Sleligion, bie eöangelifd&e ßird&e ber 9liebcr= 
lanbe, inSbefonbere eines il^rer ^anpkx beleibigt l^abe; im Uebrigen 
toirb bie neue 5P^ilofo:|3]^ie ber gefö^rüd&ften ^otgen befd&ulbigt: fie 
ergeuge Unglauben, Sltl^eiSmug unb ©ittenlofigfeit. S)e§caxteS fei ein 
gtoeiter Sanini, §eud&Ier unb Slt^eift, tDie biefer, ber beSl^alb mit 
Siedet öerurtl^eilt unb gu 2:ouIoufe Derbrannt toorben fei. SDiefe a5er= 
glei(^ung, bie etroaS nadfe ©d^eiterl^aufen ried&t unb mit befonberer, 
bered^neter 2lu§füI)rUd6feit bel^anbett toirb, ift be§ SSoetiuS unt)erfenn== 
bares SBer!. 

2)a§ ^am))t)Iet erfd^eint in Utred^t. SSalirenb beS S)rudEs emt)fängt 
3)e§carteS bie eingelnen Sogen unb beginnt, nad^bem er bie erften fed^S 
gelefen, bie ©egenfd^rift, ba§ Söleifterftüdt feiner ^ßolemif: «Epistola 
ad celeberrimum virum D. Gisbertum Voetium». S)ie 
Entgegnung l^at einen breifad^en 3toedE: baS im Srief an 3)inet ent= 
l^altene ß^arafterbilb beS ©egners foll gere^tf ertigt , bie nad^ ©d^oodC 



^nl^önger unb ©egtier. 233 

genannte ©d^mdl^fd^rift entfröftet unb ein neues eben erfd^ieneneS 
aJiQd&merf beg SSoetiuS gleid^geitig fieuxtl^eitt toerben. @o tüödfeft il^m 
bie 5Potemif unter ber §anb, unb an^ bem Sxiefe mxb ein Sud& t)on 
neun SLl^eilen. 

3ld6i bet)or bie testen Sogen ber «philosophia cartesiana» bem 
5P^Uofo))]^en jugefenbet finb, l^at SSoetiuS ein ßibeü „über bie a9rübet= 
fdbaft ber SJlaria (De confratemitate Mariana)" l^erauSgegeben. Selbe 
©d^riften, mie ungleidö il^re SCIiemata finb, erfd^^inen in Senfmeife, 
©d^reibart unb j)olemifd&er Sffletljobe einanber fo öl^nlid^ , bafe man 
leidet bie Uttetarifd&en BtoiOinge erfennt. 3e§t unterbrid&t SeScotteS 
ben ©ong feiner ©treitfd&rift , ergreift bicfcs neue Dbject, bem er ben 
fec^Sten Sl^eil ber 6:|3iftel toibmet, unb feiert/ nad^bem er bie legten 
Sogen be§ 5ßanH)]§IetS erl^nlten, ju b^m urfprünglid&en Stl^ema gurüdf. 

©iefe Unterbred^ung ift ber (£omt)ofitton ber ©treitfd^rift nid^t 
günpig geioefen. ©ie ^Polemif f:>)ringt :plö§lid& auf ein anbereS ©ebiet 
unb nimmt einen frembartigen ©toff in fid6 auf, ber nur fd&einbar 
il^re ©tärle öermel^rt, in ber 5£]§at il^re ßraft jerft)Iittert unb btn ®in« 
brutf beS ©angen ftört. 3nbeffen erflärt fid& fein SSerfal^ren fotro^I 
aus ber l)olemifd& gereigten Stimmung aU ani) inSbefonbere an^ bem 
Umftanbe, bafe er eine offene ©^rift öon SoetiuS in bie ^anb belommt, 
toäl^renb er genötl^igt ift, gegen eine öerftedfte ju fd&reiben. SQßenn er 
nad&toeifen fann, bafe ber Slutor ber «philosophia cartesiana» unb 
ber ber «confratemitas Mariana» ein unb biefelbe ^JJerfon ift, fo I)at 
er mel gegen SSoetiug geioonnen unb benfelben einer gtoeifad&en 3lid^t§= 
mürbigleit, ber ©d&mö^ung unb ßilge, überfül^rt. 

S)a8 Stl^ema ber gtoeiten ©d^rift I)at aU foId&eS nid^ts mit ber 
©ad^e ©eScarteS' gemein. 3fn §erjogenbufd& gab e§ aus fatl^olifd&en 
Seiten l&er einen SSerein ber ^eiligen Jungfrau, im Sefi§ getoiffer 
Sled&te unb 6in!flnfte, toogu bie t)ornet|mften SKänner ber ©tabt ge= 
l^örten. 3lai) bem Slbfall t)on ber f^janifd&en ^errfd&aft unb bem 
©iege ber ^Reformation toar biefe Srüberfd&aft t)on ber neuen 9legierung 
anerfannt tt)orben (1629), fie bel^ielt il^re 9led6tc unb ©infünfte, t)ertor 
eben beSl^alb ben fird^tid^en ©l^arafter, t)on bem nur ber ©tiftungSname 
übrig blieb, unb bejtanb je^t als bürgerlid&e ©cfellfd^aft. Um aber 
ju öer^üten, ba^ fid& l^ier ein ^eimlid^er ©i^ beS ßatl^oliciSmuS unb 
ein ^eerb ftaatSgefäl^rlid&er Umtriebe bitbe, ^atte bie Dbrigfeit bie 
Stufnal^me reformirter SÄitgtieber geforbert, unb ber Sürgermeifter 
Don ^erjogenbufdb toar felbft mit breigel^n ber angefel&enften 5ßroteftanten 



234 ^Inföiißc bcr Sd^ulc. 

in bie 33rüberfcftaft eingetreten. S)iefer SBorcjang hxaä^k 35oetiu§' 3otn 
in flammen. . 6r fd^Ieuberte junadfift feine S^efen, immer bie etften 
3)onnerIeiIe, nad6 benen er greift, gegen „bie ^bololatrie", bie in 
^Öergogenbufd^ getrieben toerbe. 3)ic Dbrig!eit ber ©tabt la^t burd^ 
einen itjrer ©ciftlid^en bie itjr gemadjten SSortüilrfc ber Slbgötterei; 
religiöfen Sfnbifferenj unb gottlofen Solcranj ru^ig unb fd&onenb toiber- 
legen, aber 95oetiu§ ober feine ©enoffen antworten mit einer anonljmen 
©d^matjfdörift, nnb als bicfe in ^erjogenbuf(| verboten toirb, fd^reibt 
SßoetiuS ba^ 93ud^ «De confraternitate Mariana». 

S)ie beiben ©egner finb je^t mit il)ren ©d^riften l^art aneincmber 
gerüdtt. ©eit t)ier 3tat)ren ^at aSoetiuS ben Singriff begonnen unb 
in Sl^efen, 3)iö|)utationen, SSorlefungen, 5prebigten, 5Prit)atbriefen ben 
llam|)f fortgefül^rt; er l&at ba§ SScrbammungSurtl^eil ber Uniöerfitöt 
Utred^t gegen „bie neue 5p]^itofot)t)ie" betoirft unb fid6 beffen in einem 
Sriefe gerül)mt, ber in 3)e§carte§' $anbe gelangt ift, er l^at jule|t 
fid6 l^inter bem Diamen @d)ood öerftedt, um in einer ©d^mal^fd^rift 
bie 5Perfon unb ßel&re be§ $^iIofo})]^en ju öerbäd^tigen unb ju be= 
fd^im})fen. 6rft nad6 Sauren t)at fid^ ®e§carte§ felbft in ben ©treit 
eingelaffen unb jtoei ©egenfd^riften öerfa^t: htn ©rief an ®inet unb 
ben an SSoetiuS; beibe loerben burdö angefel^ene 5Dftänner in feinem 
9iamen ben erften Sürgermeiftern ber ©tabt Utred)t überreid&t. 

3te^t toirb au§ bem ©d^riftftreit ein ^ßrocefe. SSoetiuS fpielt ben 
Verfolgten, ber um be§ ®lauben§ toiöen leiben muffe; S)c8carte§ fei 
3fefuit, er fei alö ®miffär unb ©))ion ber 3fßfuiten in bie Sftieberlanbe 
gefommen, um l^ier 3toietrad6t unb ©treit ju erregen, beSl^alb Iiabe 
er ii)n t)or allen, il^n, „ben SRul^m unb bie 3ietbe ber nieberlänbifd^en 
Äird^e", angefeinbet unb öerlöumbet; er felbft l^abe jenem nie ettt)o§ 
ju öeibe getfian, bie ©d^rift gegen ®e§carte§ fei nid)t t)on il^m, fonberu 
t)on ©d^oodf. 

©0 toeife er bie öffentlid^e ©timmung in UtredE)t, insbefonbere 
bie ber Dbrigfeit gu erbittern unb gang auf feine ©eite jU Bringen; 
bei il^r fud^t ber Verfolgte 9Jlann ©d^u^ gegen bie SSerlftumbungen beS 
fremben ^P^itofopl^en. 2)en 13. 3uni 1643 laßt bie SSel^örbe an ®e§= 
carte§ bie 2(ufforberung ergel^en, |)erfönlid& gu erfcbeinen unb feine 
Slnfd&ulbigungen gegen SBoetiuS gu erl^ärten, namentlid^ ju Betoeifen, 
ba^ nid^t ©d^oodf, fonbern Sßoetius bie ©d&rift gegen il^n terfo^t l^obe. 
SBären feine Slnflagen toaljr, fo toürben fie ber Uniöerfität unb ©tabt 
jum größten ??ad()tt)eil gereidEien. S)ie 3lufforberung gefd^icl^t in 



3ln]^dnöcr unb ©cö^er, 235 

aßen formen einer öffenttid&en «Jluttbgebung ; fie tDitb mit ber ©lode 
t)or betn SSoIf Quggerufen, a^brudt, angefd^Iagen unb öerfenbet. ©d^on 
biefe 2lrt ber ©itation ift ein SluSflufe feinbfeltger ©efinnung; ftc toar 
übcrflüffig, benn man tüufete, too ®e§carteS ju finbcn toar. 

3n Sgmonb, too er feit furgem lebt, crl^alt er bic 3lufforberung 
unb beanttoortet fic fd^iriftlid^ in ber ßQnbeSft)rQd^e; er bonlt ber SBe^ 
l^örbe für bie Slbfid^t ber Untcrfud^ung unb erbietet ftd) feine SluSfagen 
3U betüeifen, aber qI3 ^rangofe muffe er il^r baS ^led^t beftreiten, ge= 
rid&tlidö gegen il^n ju öerfal^ren. S)a in Utred^t eine öerlaumberifd^e 
©d^rift gegen il^n erfd^ienen fei, fo bürfe er ertoarten, ba% bie Unter= 
fud&ung t)or QÖem ben SSerfaffer entbeclen unb jur SJeronttDortung 
jieljen toerbe. 3nbeffen fül^It er feine ©id^erl^eit gefal^rbet, er l^at einen 
aSerl^Qftbefel^I ju fürd)ten, ber in ®gmonb fogteid& öoüftredt toerben 
fann. S)e§i)alb gel^t er nad^ bem ^aag unb begiebt ftd^ unter ben 
©d&u^ beö franjöfifd^en ©efanbten be la Sl^uittiöre, ber fid^ ber ©ad^e 
annimmt unb ben 5Prinjen t)on Dranien betoegt, burd& feinen ®inftu& 
bie toeitere Sßerfotgung gu l^emmen. ®§ ift ben ©d^ritten be§ ©tatt= 
l^alterg ju banfen, ba§ 3)e§carte§ unangetaftet bleibt. Stoax toirb 
bie ©enteng gegen xi)n gefaßt, feine ©enbfd^reiben Serben als ©d^mäl^- 
fd&riften t)erurt]^eilt unb ber SSerlaumbung beS SBoetiuS für fd)ulbig 
befunben (ben 23. ©eptember 1643), aber baS Urtl^cit mirb faft t)er= 
ftol^Icn publicirt unb bei ber SSertünbigung beffelben bie Deffentlidfeleit 
eben fo gefliffentlid^ öermieben, als man fie bei ber ©itation einige 
SJlonatc t)or^er gefud^t l^atte; man toar in SSerlegenl^eit unb tt)ünfd()te 
burdö eine SSerurtl^eilung ol^ne Effect bie ©ad^e aus bem SBege gu 
fd^affen. ©o l^atte SJoetiuS feine 2lbftd&t nur gum fleinen Stjeile er= 
reid&t. SSBöre eS nad^ il^m gegangen, fo mu^te S)eScarteS auS ben 
3lieberlanben Vertrieben unb bie öerurtl^eilten ©d)riften burd^ $en!erS 
§anb Verbrannt »erben; man ergöl^U, bafe er bem le^tern fd^on em= 
))fo]^Ien Iiatte, ben ©d^eiterl^aufen grofe gu mad^en, bamit bie flamme 
t)on toeitem gefeiten toerbe. 

3. 5lu8öanö bcö Utred^t=©töninöer ©trcitcg. 

9iod) ift bie ©ad^e nid^t gu 6nbe. 3)eScarteS l^ört Von bem 
Urt^eilsft)rud6, ol^ne Snl^alt unb ©rünbe officieü gu erfal^ren. SBaS 
er l^ört, mufe il|n Von neuem für feine ©id^erl^eit, felbft für feinen 
9luf beforgt mad^en, benn er fd^eint gegen SSoetiuS barin im beioiefenen 
Unred&t gu fein, ba^ er il|n angesagt, bie ©d6mä]^fd)rift Verfaßt gu 



236 Slnfänße bcr 6*ule. 

l^aben. ©d^oodC ^at fid^ toal^renb beS ©ommcrS in Utrecht aufflel^otten 
unb bort Quf bog SBcftimtntcftc öcrfidbert, er attein fei ber SSerfoRer 
ber «philosophia cartesiana» ol^tte jebe 5DftittDir!ung unb 3Jlittt)iffen= 
fd^aft beS 93oettu§, er toolle bteä in einer neuen ©d^rift öffentlid^ cr- 
Mären. ffiaburd^ ift bie ßage S)e§cartc8* öerfd^Iimmert. 3lnon^me ©riefe, 
bie it|m t)on befreunbeter ©eite quS Utred^t unb bem §aag jufommen, 
toQrnen t)or nol^en ©efal^ren, bie feiner ©id^erl^eit brol^en, er I)Qt in 
©gmonb öan ^oef, too er fid^ eben Qufl^&lt bie SSerl&aftung feiner 
^ßerfon, bie SBefd^Iagnal^me feiner ^Papiere ju fürd^ten unb beabfid&tigt 
beStjQlb im 9iot)ember 1643 toieber nad^ bem *&Qag ju gel^en.^ 3um 
ätDcitenmale toenbet er fid) an ben ©d^u^ beS franjöfifdben ©efanbten 
unb fd^ilbert bemfelben QuSfü]^rIid6 bie Utred&ter aSorgdnge. 2)er Srief 
ift ung jum Zijdi erl^alten unb neuerbingö burcö goud&er bc ©areit 
t)eröffentUd&t tt)orben.^ 

®Q aber ©d^ood felbft fid^ für ben alleinigen Urlieber be§ ^Pomlpl^tetS 
crflart l^at, fo ift ®e§carteS je^t genötl^igt, biefen SJJlann förmlid^ beim 
©enat ber Uniöerfitäl ©röningen ju t)er!(agen. Unb l^ier nimmt bie 
©ad^e einen ganj anberen 2lu§gang als in Utred&t. 6§ trifft fid^, 
ba§ ber SlngeÜagte eben 9lector ber UniDerfitöt ift.- Um fein äeit= 
toeiügeS £)hxi)a\ipt ju fd^onen unb bem ^ß^ilofolplien geredet ju »erben, 
befd^lie^t ber ©enat, bie {Jorm be3 Urtl^eilS ju öermeibcn unb eine 
genugtl^uenbe ®rlldrung ju geben, toorin er fein Sebaucrn befunbet, 
ba§ ©d^ood fid6 in ben ©treit toiber 3)e§carte§ eingelaffen unb gegen 
bie öel^re beffelben völlig grunblofe SBefd^uIbigungen gerid&tet l^abe. 
©d^ooÄ felbft giebt bie eiblid^e SSerfiäierung, bafe SSoetiuS il^n gu ber 
©d&rift, bie er gröfetentl^eils in Utred^t gefc^rieben, gebrdngt, ha^ 
Sülaterial bagu geliefert, toäf)renb be§ 3)rudEe§ bie ftärfften 3nt)cctit)en 
gegen S)e§carte§ l^ingugefügt unb ©d^oodfs Flamen toiber feinen SBitten 
in Slitel unb Jßorrebe gefegt tiabe; er fönne bie ©d&rift, tt)ie fic fei, 
nid^t für bie feinige erlennen unb mftffe biefelbe für untoürbig eines 
anftdnbigen 5DftanneS unb ©elel^rten erHören; nid^ts bereue er bitterer 
als feine ®inmifd&ung in biefe ©ad^e, aud^ l^abe er mit SSoetiuS ge= 



» Oeuvres in^dites, Vol. II. pg. 22-23. (93r. an ©taatj^ratl^ SBil^elm im 
§Qag öom 7. 9^ot). 1643.) 

2 ebcnbaf. 11. ©. 43-63. (93t. an M. de la ThinJli^re). SluS ben erftcn 
SÖßortcn bc8 SSriefcä ctl^ettt, bafe S)e8cattcS in berfclben Slngelcöcnl^eit ben ©djuj 
bc8 ©efanbten furg t)orf)er jum crflcnmale angerufen l^atte, toaS, tote mit fd&eint, 
ber jüngfte S3iograp]& überfiefit. J. Millet: Histoire de Descartes II. pg. 127—129. 



Slnl^dnöet unb ©egncr» 237 

brod&en unb betnfelbcn bie Unterjcid^nuttg eines falfd^en S^ugniffeS 
öcrlDeigert. 

3lun iji S)e8cQrte§ gegen SBoettuS im betoiefenften Sfted&t unb ber 
Utred&ter Urt]^eil§ft)rudö ööüig grunbloS. ®r fenbet boS ©röninger 
actcnftüÄ t)om 10. 3r|)ril 1645 an bie Utre(i)ter »el^örbe in ber 
billigen ©martung, bofe man baS il^m gugefügte Uured&t einfel^en unb 
burd& einen öffentlid^en 9lct toiebergutmad^en »erbe. 3lber e8 gefd&ietit 
nid&ts toeitcr, afe baß ben 11. 3funi 1645 an bie Sud&brudCer unb 
Sud&l^ftnbler in Utred&t baS SBerbot ergel^t, feinerlei ©d&riften für ober 
gegen ©e^carteS ju öcrfaufen ober in Umlauf ju fe^en. ®ie eine 
^älftc biefeS SSerbotS ift gegen ben ^ptiilojolpl^en gerid&tet, bie anbere 
bleibt tt)ir!ung§Io§, benn beibe SBoetiu^, SSater unb ©ol^n, l^ören nid&t 
auf fd^riftUdö ju ogitiren unb bag ©efd&öft ber ©d^mäljungen fortju= 
fül^ren. ®er jüngere SBoetiuS fd&reibt eine Sßertl^eibtgung feinet SBaterS 
unb ein 5Pamt)]^let gegen bie ©röninger UniDerfität, toorin S)e§carte8' 
ßcl^re unb ?pcrfon t)on neuem t)erunglimt)ft, ber ^rii^alt ber erften 
@(3&mä]&fd6rift bejal^t, nur bie Slutorfd&aft be§ älteren SBoetiuS in 3lb= 
rebc gefteöt tt)irb. ffiiefer le^tere t)er!lagt feinen ©röninger Sollegen 
©d&ooÄ, läfet ober bie geriditUd&e Verfolgung fallen; bie beiben ®]^ren- 
mftnner finben eS geratl&en, fid^ bei Seiten ausjugleid^en, ba ber ge= 
mcinfd&aftlid^en Äabaten ju öiele finb unb jeber Urfadfte l^at, bie ®nt= 
l^üllungen be§ anbern gu fordeten. 

©nblidö befdöüefet S)e§carte§ (in ber legten 3funitood^e 1645) bie 
Utred^ter ^änbel, bie t)on il^rer erften SBeranlaffung bi§ gu bem be= 
geid&neten Sßitpunft fid& burd& fed^S ^al^re erftredt l^aben, mit feinem 
^Stpologetifd^en ©d&reibcn an bie Dbrigfeit ber ©tabt Ut= 
rcd&t gegen SSoätiuS, SBater unb ©ol^n". Umftänblid^ toirb l^icr 
ber gange SBerlauf ber @treitig!eiten ergöl^It unb aus SBoetiuS' SBriefen 
an ©d^oodE urfunblid^ betoiefen, bafe jener baS el^renrül^rige 5Pam})I|tet 
angegettett, betrieben, bie SSergleid^ung mit SSanini gemad^t, bie S3or= 
rebe, ben fd^limmften SEl^eil ber ©d^rift, felbft gefd^rteben unb in 
©d&oodEs ^Änben gelaffen l^abe; bie Dbrig!eit ber ©tabt Utred&t l^abe 
t)ier 3a]^re l^inburd^ bie beiben SBoätiuS begünftigt unb gefd^ont, xtjn 
bagegen unbillig unb ungered&t bel^anbelt, erft tt)te einen SSagabonben 
citirt, bann als SSerlöumber öerurtl^eilt, biefe Sßerurtl^eilung felbft 
nad^ ber ©röninger ©rflärung nid&t gurüdgenommen, fonbern ol^ne 
ein SBort ber SQSieberl^erftettung bie ©ad^e mit einem fd^einbar neutralen, 
in SBal^rl^eit iparteiifd^en SBerbot abmad^en tootten; er ertoarte t)on ber 



238 Slnfünße ber ©d^ule. 

Oered^tigfeit ber SBeijörbe, ba% ftc il^m enblidö bie f(i)ulbtge ®cnu9= 
tl^uung getüäl^rc.^ 

®te Utred^ter DBingfeit blieB tauB unb aöen ©rttnben tcrfd&Ioffen. 
3ti&te ^Partetlid&feit erfd&eint um fo gel^&ffiger, je öorftd^ttgcr bic Haltung, 
frtcbferttger ber ©tiaralter, verborgener baS ßeben beS Verfolgten toar. 
Dl&nc ©runb l^otte man tl^m in einem freien ßanbe, tt)o er nid^ts al§ 
SDftufee unb @infamfeit fud^te, bie ©aftfreunbfd&aft faft geülnbigt unb 
ben Slufentl^Qtt in ber enH)finbIid^fien SBeifc Verleibet ©eine ©d&eu 
t)or jeber 2lrt beS öffenttid^en SluftretenS Iiatte fid& gered^tfertigt, bcnn 
er mufete ben 25erfud&, ben er fo jögernb unb fo Dorfid&tig unter= 
nommeU; mit einer langen ^leil^e t)on Störungen unb SQSibertoörtig= 
feiten Büfeen. 

II. S)ic Singriffe in ße^ben. 

3ns bie Utred&ter ^önbel ju ®nbe gingen, l^attc bie neue $]&i= 
lofopl^ie an ber Uniöerfitat üetibtn fd&on SQBurgeln gefd^Iagcn unb am 
gefangen, ©egenftanb a!abemifd&er S^tjefen unb S)i8})utationcn ju fein, 
^oog^lanb, ein fatl^olifd^er ®belmann, bie SDftatl^emotifer ©oUu8 unb 
©d^ooten, ber ^JJrebiger «g)eibanu§ toaren fjreunbe unb 2ln]^anger ber 
ßetire ©eScorteS'; namentlid^ teußte 5lbrian ^cereBoorb biefclbe 
t)orrtd&tig unb erfolgreid^ an ber UniDerfität gu Vertreten. SBic in 
Utred^t, gogen bic Slnl^önger bie ©egner nad& fid^; toic bort, famen 
bie le^teren au8 ber SJlitte ber S^lieologen, bem SSoetiuS nad^eifernb, 
rDa]^rf(|einIi(^ burd^ il^n aufgereijt. @§ toaren feit bem STuSgangc bcS 
Utred&ter ©treiteS !aum jtoei Satire Derfloffen, aU in ße^ben bie 
ttieologifd&en 8lngriffe einen fold^en ©rab ber^eftigfeit unb 35erfotgung 
erreid&t l^atten, bafe 3)e§carte§ auf ben dtai^ feiner greunbe fid& ge= 
nötl^igt fal^, Don 6gmonb au§ ben ©d^u^ ber SSel^örben angurufen. 
Unb, fügen toir gleidö l^ingu, er mad)te aud6 ^ier mit ben Dbrigfeiten 
biefelbe ©rfal^rung als in Utred^t. 

2in ben erften 3Jtonaten beS Sial^reS 1647 tiattc 9flet)iuS, ein 
t]§eoIogifd)er 9le|)etent, einige Sl^efen gegen bie S0lebitationen öertl^eibigcn 
laffen, toorin bem 5)3]^iIofopi)cn ber baare 2lt]^eiSmuS unb anbere 
<Re^ereien gugefd)rieBen tourben. S)ie 5Perfon toar fo unbebeutenb, bie 
Singriffe fo ))Iumt), baß fie toirfungSloS Blieben. 33alb barauf erfdfeien 

* Lettre apolog^tique de M. Descartes aux magistrats de la ville d'Utrecht 
contre MM. Voetius pere et fils, Oeuvres T. IX. pg. 250—322. — aiegtuS etl^iclt 
bicfcS «fasciculum epistolarum», toic er baS 5tctcnftücl nennt, ben 22. 3uni 1645. 



Sln^änger unb ©egtier. 239 

SrtglanbtuS, 5profeffor ber Sl^eologie, mit anbercn S^tiefen, um 
S)e§cartc8 ttid&t blofe bct ©ottc§(eugnung, fonberu bcr ©otteSläfteruttg 
(SlQSlpl^cmie) unb beS ^PcIagiamSmug gu Bcfdöulbigen; er l^abe ©ott 
eilten Setrüger genannt unb bie menfd&Itd&e SBiüenSfrcil^eit füx gtöBcr 
als bie ©otteSibec erflfirt. 3fn Sffia^rl^eit l^attc ®e§CQrte§ bie 5mög= 
Ud&feit, bo^ bie SBett ein Srugbilb, baS SBerf eineS trügetifd^en 
®ämon§ fei, gefegt, um baS ©egentl^eil baöon ju beiüeifen; in SBa]^r= 
l^eit l^attc er ben menf(i)Iid&en SBiÖen für umfaffenber erflärt ate 
ben aSerftanb. ®iefe Singriffe f(i)ienen fo toenig blofee S0li^t)erftQnb= 
niffe ju fein, ba^ bie ^reunbc beS ^pi^ilofopl^en gefäl^rlid^e 9lbfi(|ten 
barin erblidten unb il^m rietl^en, SJla^regeln ba gegen ju ergreifen. 

©eScarteS fd&rieb ben 4. 5Dtai 1647 an bie Kuratoren ber Unit)er= 
fität unb ben aWagiftrot ber ©tabt Serben unb bat, baS burd^ falfd&e 
Sefd^ulbigungen il^m jugefügte Unred^t unb Uebcl toiebergutmad^en 
gu laffen. S)en 22. 3Kai tourbe il^m geantwortet, man l^abe ben 
SRector ber Unit)erfitat, tt)ie bie 5profefforen ber tl^eotogifd^en unb 
p^iIofo:|)t)ifd&en fjocultät gufammenberufen unb benfelben jebe ®rtt)&]^n= 
ung ber ßel^re ®e§carte§', fei eS für ober toiber, forgföltig Verboten; 
man ertoarte t)on bem $t)iIof opl^en , ba§ aud^ er feiner|ett§ jebe 
»eitere Srörterung ber angegriffenen ße]^rt)un!te unterlaffe/ 

Sie geleiftete ©enugtl^uung beftanb atfo barin, ba% man bie an= 
gegriffenen 3Jieinungen für carteftanifd^e gelten liefe unb bie gefammte 
Seigre S)e§carteS' an ber Uniöerfität ße^ben mit einer 3lrt unterbiet 
belegte, ja ben 5p]^ilofot)]^en aufforberte, biefe SJiaferegel felbft auf fid^ 
anjuwcnben. @m))ört über bie Ungered)tigfeit unb Unlogif biefe§ 
SSerfal^renS ertoiberte ®e§carte§ ben SSel^örben, bafe er ben ©inn ilireS 
©c^rcibenS »al^rfd^einlid^ nid^t Derftanben l^abe; e§ fei il^m t)ollfommen 
gleid&gültig, ob fein SRame an ber Uniöerfitöt ße^ben genannt toerbe 
ober ntd^t, aber im 3fntereffe feines 9lufe§ muffe er bie ®rKärung 
forbern, bafe bie angegriffenen ßel^ren bie feinigen nid)t feien.^ „Sin 
id& benn ein ^eroftrat, bafe man mid^ gu nennen verbietet?" fd)rieb 
er gleid&geitig an einen feiner l^oüänbifd^en fjreunbe. „3td& l^abe nie 
nad& ber Serbrcitung meines 9iamen8 getrad^tet unb toünfd^te, bafe 
fein ^ßebont ber @rbe ettt)a§ Don mir Mfete!" „9lber bie ©ad&e ift 
je^t fo toeit gefommen, bafe man mir enttoeber 9led6enfd)aft geben, 
ober öffentlidö erfl&ren möge, bafe eure $errn S^l^eologen baS Sfted^t 



1 Oeuvres T. X. pg. 26-27. — « gbenbaf. @. 29-34. 



240 ^Infdngc bcr ©d^ulc, ^nl^äiiöcr unb ©cgner. 

ju lügen uttb ju öerläumbett l^aBen, olitte ha% ein aKenfd^ metner 9lrt 
in biefem ßanbe bie geringfte ©ered&tigfeit erwarten barf."^ 

Äurj \>oxi)^x fd&ilbert er ber ^Prin^effin ©ItfaBetl^ feine neuen 33e= 
bröngniffe: „^d) l^abe einen langen SBrief on bie Kuratoren ber UniDerfitöt 
Serben gefd&rieben, um toiber bie SSerlaumbungen jtoeier Sl^eologen ®e= 
red^tigleit gu Verlangen; nod& toeiB i(6 nid&t, was jte mir antworten 
werben, aber iä) erwarte nid^t t)tel, benn id^ weife, wie bie ßcute l^ier gu 
ßanbe gelaunt [inb unb nid^t SRed^tfi^affenlieit unb SEugenb, fonbern 
SBart, ©timme unb Slugenbrauen ber SEl^eologen fürd^ten ; man wirb ba§ 
Uebel be})flaftern , nid^t ]§eilen." ;,@olIte xä), wie id^ öorl^erfel^e , fein 
9led^t be!ommen, fo benfe id& baran, biefeS ßanb fofort jU öerloffen." 
„@o eben erl^alte id^ SBriefe aus bem $aag unb ße^ben, wornad^ bie 
SSerfammtung ber Suratoren aufgefd&oben ift. @S l^eifet, bie Sl^eologen 
wollen 9ii(^ter fein. 2in biefem Satte fomme id^ unter eine Snquifition, 
fdölimmer als bie ft)anifcöe je war, unb werbe jum Seinbe il^reS 
©laubenS geftemt)elt. SJeSl^alb rdtl^ man mir, ben Srebit beS fran=. 
göftfd&en ©efanbten unb bie STutorit&t beS 5Prinjen t)on Dranien nad&= 
jufud^en, nidE)t um ©ered^ligfeit gu erlangen, fonbern burd& itire 
®ajwifd^en!unft bie öufeerften 3ÄaferegeIn ber ©egner ju Derl^inbern. 
3fnbeffen glaube id) ni(^t, bafe id& biefen ^ati) befolgen werbe; td& Witt 
©ered^tig!eit l^aben, unb wenn fie nid^t ju erreid&en ift, Italic td^ für 
baS SBefte, in atter ©titte mi(^ gum 9flütfjuge gu ruften-"^ 

®eScarteS urtl^eilte gang rid^tig, wenn er in feinem Srtef an bie 
^ßringeffin bie ße^bener Singriffe olS eine Solge ber Utred&ter bejeid&nete 
unb t)on einer „tl)eologifdE)en ßiga" f|)rad&, bie il&m gegenüber ftelje, 
entfdöloffen, feine ßel^re gu unterbrüden. ®ie ortl&obojen ©altinijien 
ber SRieberlanbe waren in ber SSerbammung ber neuen 5ß]^ilofot)]&ie 
einöerftanben unb l^atten feineSWegS bie 2lbfid^t, fid& in SBerl^anb« 
lungen über bie Söefd^affenl^eit unb ©rünbe berfelben eingulaffen; fie 
Wottten !urgen 5ßrogefe mad^en unb ben Sll^eologen jeben ©ebraudö bcr 
ßel^re S)eScarteS' in Siebe unb ©d^rift burd^ f^nobale Scfd^lüffe 
t)erbieten. 3et)n Sal&re fpöter ift biefeS 3iel erreid^t worben. @S 
war ber erfte ©onfltct gwifd&en ber neuen 5pi|ilofo:|)]^ie unb bem neuen 
ßird^englauben. 

®amit war baS ib^ttifd^e ßeben unfereS ^pi^ilofolpl^cn in ben 
9iieberlanben vorüber; bie Utred&t=ße^bener ^dnbel l^attc feine Stimmung 



ebcnbaf. <S. 36-40. — 2 ©benba?. ©.40-44. (S)ct Sricf ift t).12.3Äai 1646.) 



ße^te 3öl)'^ß unb SDßcrfc in §ottanb. 241 

gegen Sonb unb ßeute mel^r unb mel^r verbittert, er tjatte allen 
©runb, jtiS unfid&er ju füllten unb an einen neuen ruljigen Slufentl^all 
ju beulen. 



©iebentcS SalpiteL 
Cie^e Sa^xt unb Wtxht in $0Uunb. 

I. -Reue ^piane unb grcunbe. 

1. Steifen na^ Sfranlrei(3^. 

®§ gab ©rttnbe genug, bie ben ^ßljilofopl^en belegen fonnten, 
nad6 einer fo langen Slbtoefenl&eit unb nad&bem er btn tt)i(|tigjien Slieil 
feiner Slufgabe glorreid^ gelöft l^atte, in ba^ ßanb fetner ^eintat^ 
gurüdgufetjren. Dbtool&l er ^reunbe unb Slnl^önger in ben 9lieber= 
lanben öielc unb bebeutenbe gefunben, namentlich im ^aag, in ber 
näd&ften Umgebung beg ^JJrinjen Don Dranien unb unter ben SRätl^en 
bcf[elben, SDl&nner, mie Sonftantin ^u^gl&enS Dan 3u^tltd&en (SBater 
bc8 berül^mten ©l^riftian ^\xt)Qi)m^), SBillietm, ^ßoHot u. a., fo l^atte 
er boti& erfal^ren muffen, ba§ il|m bie l^errfc^enbe ^Partei ber Ißanbe§= 
fird&c feinblid^ gegenüberftanb, fein ©aftred^t bebrol^te, ben Äatl^olifen 
unb eingetpanbcrten {Jranjofen in feiner ?Perfon Derbac^tigte. 3)ie 
©cgner in btn 9iieber(anbcn toünfd^ten il^n Io§ juwerben ; unter feinen 
ßanbslcuten liegte man feit lange ben Sfflunfdö, ba§ er gurüdffel^re. 
6§ fcfiien 5ranfrei(|3 ni(|t tottrbig, bafe ein SÄann, ber ben Slul^m 
be§ franjöfifd&en SRamenS fo au^erorbentlid^ t)er meiert l^atte, im 2lu§= 
lanbe lebe. Slud^ am €>ofe l^atte S)e§carteS Söetounberer gefunben. 3)en 
6. ©e|)tember 1646 tourbe il^m au3 freien ©tütfen eine fönigUd^e 
5Penfion öerliel^en; unter ber 3lu§fid^t einer neuen, bereu ^Patent er 
anbertl^alb Saläre f})äter crl^ielt (SÄärj 1648), tourbe er eingclaben, in 
einet il^m angemeffencn unb feiner aWufee günftigen Stellung in 5ßari§ 
ju leben, ©^on voriger l^atte bie ©el^nfud&t, alte greunbe tt)ieberju= 
feigen unb neue lennen ju lernen, bann bie gefd&äftlid&e $flid6t, nadö 
bem S£obe be§ S3ater§ feine fjamiüenangelegenlieiten gu orbnen, il^n 
öeranlafet, feine 3Jlu6e in ©gmonb ju untcrbredien unb ftd& befud&smeife 
in gran&reid^ aufgul^alten. 

®ic beiben erften Steifen in ben Salären 1644 unb 1647 geft^al^en 
l^auptf&d&ti(^ , um iene ®rbfd&aftg« unb Samiliengefd^äfte gu beforgen: 
»ir je^en aus ben SBriefen, ba§ er ben 1. Süiai 1644 6gmonb öan 

afif(ftCT, ©cfd^. b. Wlof. I. 4. aufl. 91. St. 16 



242 ßcjtc Saläre unb 

§ocf öcrläfet, über ^QQfi, ße^bcn unb Slmfterbatn nadö granfreidfe 
gel^t iittb ben 10. 3fult t)on ^PortS naä) ber Srctagnc rciji, um bott 
gtoei a)lonatc ju bleiben.^ SlTtfang Dctobcr ift er totebcr in 5Pari§ 
bei feinem Sreunbc 5picot, 3Kitte JWoöember feiert er nad& ©gmonb 
jurüdf. ®ie Utre(|ter SBerurttieilung toax vorausgegangen unb bie 
^lage gegen ©d^oodC in ©röningen angeftettt, als er bie Steife antrat. 
3tt)ei Saläre flpöter finben toir il^n in ber erften 3unitDod&e im §aag, 
auf einer neuen Steife naä^ fjranfreid^ begriffen ; er Verlädt 5ßari8 ben 
15. 3fuü, um toieber in ®ef(|äft§fad^en nad^ ber Bretagne unb 5Poitou 
3U gelten; mit bem 3lnfange be§ ^erbfteS ift er nadö ©gmonb jurüdE= 
gefeiert. Unmittelbar t)or biefer jtDeiten Steife l^atte er bie toiber- 
toärtigen Singriffe in Serben erlebt unb fid^ im ©tiHen jum „Stüdjuge" 
entfdöloffen. ®r trug fidö mit bem ®eban!en, in fjranfreid^ fefien fjufe 
3U faffen, unb folgte bal^er jener gönftigen @inlabung, bie ber alleinige 
©runb feiner brüten unb legten Steife nad& ^jjaris toar. 

®S fei in ber ßttrje ertoätjnt, ba§ er jtoei ©egner feiner 30tebi= 
tationen in ^PariS !ennen lernte unb ben ^aber mit il^nen t)erga§: 
bei feinem erften 9lufentf)alt ben 3fßfuiten Sourbin, bei feinem legten 
©affenbi. 3fm ©ommer 1647 mad&te er bie Se!anntfd&aft beS jungen 
5Pa§caI, ben er öfter ]aS) unb 3U überjeugen fud&te, ba§ eS in ber 
SRatur fein «vacuum» unb feinen «horror vacui» gebe: nid&t au§ 
fold&en fjictionen muffe man getoiffe SetoegungSerfiJ&einungen ftüffiger 
ßör})er, 3. 33. baS 3lufjieigen beS SBafferS im ^ßumlprol^r erfläreit, 
fonbern aus bem ®rude ber ßuft. 

.2. ©Ictfclicr unb S^anut. 

Unter ben neuen greunben unb begeifterten Jßerelirern, bie S)eS= 
cartes in ^ranfreid^ gefunben l^atte, maren bie toid&tigften 3tt)ei 
SJlanner, bie er im Sommer 1644 in ^PariS !ennen lernte, unb beren 
Flamen mit ben |)erföntid)en ©(^idfalen beS ^]^ilofo))]^en unb ben 
litterarifti^en feiner SBerfe Dertoebt finb: ber junge 5ßarlamcntSabt)ocat 
€;iaube ßterfelier unb beffen ©d^toager 5ßierre Sl^anut, bamals 
@cöa^t)räfibent in ber 2lut)ergne, fd&on im folgenben 3al^re frangöfifd^er 
SBotft^after am ^ofe ber Königin t)on ©d^toeben. 2l(S er auf ber 
Steife nad^ ©todfl^olm burcö Slmfterbam ging (Dctober 1645), lam 
3)eScarteS t)on ®gmonb, um ©Iianut 3U feigen, für b^n er bie ]^er3li#e 

1 Oeuvres in^dites IT. pg. 31. (S5r. an Söill^elm im ^aag öom 9. 3uU 1644. 
S). crfunbigt fid^ in bicfcm S5riefe nad^ ber ©röninger ©ad^e.) 



SBcrte in §ottanb. 243 

^rcunbfd&aft gefafet l^atte. ®r legte ein fo grofeeS ©etDtd&t auf bie 
ajieinung biefeS 3Kanne§, ben befonberS bie S^ragen ber ipl^ilofolpl^ifd^cn 
©ittenlel^re intereffirten , ha% er feine ©d^riften t)on il|m ge))rüft unb 
fieurtl^etlt gu feigen tDünfd^te. „S)te Urtl^eilSfraft ber nteiften ift fo 
fd&led^t, bafe id& ntidö mit il^ren SJleinungen nidöt aufjul^alten braud^e, 
ober bie Sl^rigen foerbe icö für C)ro!eIf:prüd&c Italien." 3fn bemfelben 
©riefe fd^reibt er bem Sreunb in ber gerne: „^6i beflage oft, bafe för 
bie toenigen SEreffUdöen in ber SBelt biefe Diel ju gro§ ift, id& möd&te, 
fie loören QÖe in einer ©tobt beifammen, bann toftrbe xä) gern meine 
®infiebelei öcrlaffen, um mit il^nen ju leben, locnn fie mid^ aufnel^men 
toottten. Dbiool^l idö bie 3Kaffe ftiel^e toegen ber SJlenge SubringUd^er 
unb Saftiger, benen man auf ©(^ritt unb Stritt begegnet, fo l^alte x6) 
bodö ftets ben geiftigen SSerfelir mit fold&en, bie man l^od&fd^&^t, für 
ben größten ©enufe unb ba§ größte ©lüdE be§ ßebeuS. SBären ©ic 
in 5PariS, fo würbe bie3 für mi(3& ein ^aut)tbetoeggrunb fein, bortl^in 
JU gelten/' „©eit ber erften ©tunbe unferer Sefanntfd^aft toar id& ber 
Sl^rige ; id& liebe ©ie fo l^ergUd^, als toenn iä) mein ganjeS ßeBen mit 
Sl&nen jugebrad&t l^ötte." ^ 

©l^anut nimmt ben lebl^afteften Slntl&eil an ben ©döriften unb 
Seftrebungen beS ^ßljitofopl^en unb t)er!ünbet feinen 9tu]^m, too er 
nur lann, er ftubirt t)on neuem bie 5Princt|)ien ber 5p^i(ofot)]^ie unb 
l^at ©lerfelier gebeten, il^m bie franjöfifd^e 2luSgabe ber ajlebitationen 
gu fenben, um fie ber ßönigin mitgutl^eilen; er freut ftd^, ba^ ®eScarte§ 
toäl&renb beS SBinterg (1645/46) eine Keine 2lb]^anblung über bie 
SRatur ber menfd&lidöen ßeibenfd&aften enttoorfen l^at unb ermuntert 
ben Sreunb, biefeS SBer!, baS fd&on mit ben jur ©ittenlel^re gel^örigen 
fragen gufammenlöangt, ja ni(^t liegen gu laffen. ®ine fold^e Sll^eilnal^me 
toirft erfrifd^enb auf ben einfamen, burd^ bie legten ©rfal^rungen t)er= 
ftimmten 5p]&ilofo})]^en. „3(^ toürbe je^t gang gern no(^ einiges 9lnbere 
fdöreiben/' l^atte S)e8carte8 bemerlt, als er jene Slbl&anblung über bie 
ßeibcnfd&aften ertoöl^nte, „aber id& fel^e ja, toie toenige ajlenfd^en in ber 
SBelt es ber 3Jlü]^e totxit) l^alten, meine ©d^riften gu lefen, unb ber 
SBibertoillc barüber mad&t mid& nad^laffig".* 

®a6 bie iugenblid&e Königin t)on ©(^toeben feine 3Kebitationen 
Don befreunbeter §anb erl^alten unb lefen foH, geioälirt il^m eine 
angenel^me 2luSfid^t unb enttoölft fid^tlid^ feine etioaS öerbroff ene , t)on 

J Oeuvres T. IX. pg. 409-410. (ÜJflära 1646) pg. 417. (SBr. t). 1. 9loö. 1646.) 
* ebenbaf. @. 413. (S5r. ö. 15. 3um 1646.) 

16* 



^^^ 



2U 



lüe^te ^at)xt unb 






bem ©mbrucf einet feinb(i($en ober flumpfen Wetise anaeroiberte 
StimmuTig. Unwißtörlic^ ftetlt fiel) in feiner ^ß^antafie baä aäilb ber 
norbifi^en ^üif'" neben baS ber ^tinjeffm SÜfatiel^ unb tc&eint bem 
leiteten äf)n(ic&. 2Sün(cf)e unb ^offnunften ungetottfer 21rt tticrben in 
tl)m rege unb fpiegeln fitft in bem natftften Ariele an K&anut, ber 
unter ben Setbftbelcnntniffen be3 $I)itofop^en eine toii^tige ©teile 
Oerbtent. Unter ben firönfungen unb SBibetmÖrtigletten ber legten 
Saläre liai et (o oft bereut, feinem SBa^ttpruc^: «bene qui latuit bene 
vixit» untreu geroorben ju fctn. Sr itiill je§t nur noc& in feinen 
55reunben bie 3Belt fe^en. SBietteicfit bunit ifim ©totf^otm jene Stabt 
ber ©eifteSoerioanbten ju fein, in ber ju leben er für buS Ijöc^fte ©ut 
6ält! „öatte ii^ niftt eine ganj auSne^menbe .^oc^a^tung uor Syrern 
©ifiarffinn unb ben äufterfien Sunf(4, ddu Sf^n^n i" lernen, fo toürbe 
idl Sie nicl)t mit fo oiel 3ubringlicl)feit um bie Prüfung meiner 
©tfitiften gebeten ^nben. 3ii) pflege fonft nicfit mit einet folgen Sitte 
jemonb luftig ju fallen. 2S4 &Q6e meine äöerfe fcdmudloä in bie 3BeIt 
ge^en foffen, o^ne oße Stetot^en, bie in bie 3tiigen fpringen; Peiiie, 
bie nad) bem ©^ein gelten, foüen fic gor ni^t anblicfen; it^ milnft^e 
nur, bafe einige gntc fiöpfe fie bcaijlen unb ju meinet Scle^tung 
fii$ bie SJiü^e nehmen, fie ju ptiifen. 9hin ^aben Sie mir jtDar 
biefe ®unft noc6 nicljt etiniefen, moljl ober mict) in anbetn Singen p 
grofeem Slanf oerpfttcÖtet; ttt) meife, bnfe Sie giinftig öon mit fptei^en 
unb erfutire Don (£letfelicr, baß Sie meine JDiebitationen ber Königin 
geben rooHen. 3it) Ijn&e nie ben S^rgeij gehabt, bon fo fio^en ^pcrfonen 
gefonnt ju werben, unb wäre ti^ fo !lug gelrefen, roie nucft bem 
®lou6en ber SSilben bie 9lffen finb, fo märbe lein aJlcnfc^ ber 3SeIt 
roiffen, bofe ii) S0ucf)er fi^reibe. ®ie Sßilben nömlicfi, fo fttgl man. 
bilben ficfi ein, bnfi bie 9Iffen fprec^en fönnten, menn fie wollten; fie 
tauten e§ aber abftf$lliif) nicbt, bamit man fie niiftt ä" arbeiten äloinge. 
3(^ bin nicljt fo llug gewefen, baä Scbreiben ju (offen: barum ^o6e 
i(t) nic^t me|r fo Diel (Ru^e unb 5DiuBe, als iä) burct) Sdiroeigen 
behalten ^ätte. ^nbeffen ber geiler ift einmal gemotzt, ii§ bin öon 
jaE|t(ofen Sifiulnai^tretctn getannt, bie meine ©(i)riften fi^ief anfe^en 
unb Don oHcn Seiten mir ju fct)aben fui|en; barum barf ii^ Bß^l 
mit 9fed)t münfc^en, auij üon ©effcren getannt ju werben, bie mii) ju 
fi^ügen ajlacfit unb SßiHen Ijaben. Unb »on jener Königin ^n6e id) fo DitI 
©utes gehört, bafe i(% Stauen aufrictilig banfbar bin, i^r gegenübet meiner 
gebolzt ju ^aben, Wäl)renb id) fonft mi(b elier ju bcElagen pflegte, nienn mir 



J 



aOßetlc in ^ottanb. 245 

jcnionb bic 33cfanntf(^aft cin«S ©rofecn öctfd&affen tt)oIItc. 3d6 toürbe 
aui) bte ©d&Uberung ber Königin, bie bc la Stjuittt^rc bei feiner 
8lü(f!e^r au§ ©d^toeben mir gemad^t; nidöt l^alb geglaubt tjoBen, toenn 
td& ni(^t bei ber (Jürftin, ber x6) meine 5Princi})ien ber 5p]^iIofo})löie 
getoibmet, felbft erfal^ren l^ötte, bafe ^o^t 5Perfonen, gleicl^t)iel toeld&eS 
©ef d^Ied^tS , nid&t .olt ju fein braud&en, um in toiffenfd&aftlic^er unb 
fittlid6er SBilbung anbere toeit gu übertreffen. 9iur fürd^te id^, ba§ 
bic ßönigin Sl&nen bie ©mlpfel&Iung meiner ©d^riften nid&t S)Qn! toiffen 
toirb. SSieÜeid&t toürben fie lefenSwertl^er erfd&einen, toenn fie ©egen= 
fiänbe ber SDtoral Bel^anbetten, aber bieS ift ein Sl&ema, in ba§ id& 
mid& gar nid&t einlaffen barf. ©reifem fid& bo(^ bie ^ßrofefforcn .fd&on 
wegen ber l&armibfen ^JJrincipien meiner ^ßl^^fif; fie tt)ürbeh mir feine 
Oiul^e mel^r laffen, tt)enn id^ über ajloral fd^riebe. ®in ^ßater (SSourbin) 
l^at mid& beS. @!e:|)ticiSmu§ befd^ulbigt, weil i(^ bie ©fet^tifer wiberlegt 
6obe, ein ^JJrebigcr (SSoetiuS) l^at mid& al3 STtl^eiften Derfdörieen, weil 
td& öerfud&t l^abe, bie @Eifteng ©otteS ju beweifen. SBdS würben fie 
erft fagen, wenn id^ ben wal^ren SBertl^ aller ber ®inge, bie man 
begel^rt ober öerabfcbeut, unterfud^en wottte, ben 3uftanb ber ©eele 
nad& bcm Stöbe; bis gu weld^em ©rabe wir ba§ ßcben lieben bürfen, 
unb Wie wir befd^affen fein muffen, um ben SEob nid^t ju fürchten! 
Unb Wenn meine 3lnfid^ten nod^ fo fe^r bem religiöfen ©lauben gemöfe 
unb bem Staate nü^üd& wären, fo würbe man mir nad& beiben ©eiten 
gerabe bie entgegen gefegten ajleinungen auf ben §al3 reben. S)arum 
l&alte i(^ für baS 33efte, überliaupt feine Sudler mel^r gu fd^reiben 
unb mit ©eneca gu fagen: «S)er Slob iji eine fd^were ßaft, wenn man 
flirbt, aÖen befannt, nur nid^t fid^ felbft». fjortan Witt i(^ btofe für 
meine ©elbftbelel^rung arbeiten unb meine ©ebanfen im 5Prit)atgeft)räd& 
mittl^eilen. SQBie glüdEIid& würbe id^ fein, fönnte i(^ einen foId)en SSerfel^r 
mit Sinnen l^aben, aber id& glaube nid^t, ba§ id^ je an ben Ort, wo 
Sie leben, gelange, no(^ ba§ ©ie je fi(^ l^ierl^er jurüdfjieben; meine 
gönje Hoffnung ift, bafe ©ie öietteid^t nad& einigen Satiren, auf ber 
3lü(ife]^r naä) Sranfreid^, mir bie ^reubc mad6en, einige S^age in 
meiner ßinfiebelei ju t)erweilen , unb id^ bann offenen ^ergenS mid^ 
3^nen mtttl^eilen fann. " ^ 

Snbeffcn war feine „geliebte ©inficbelei" il^m fd&on verleibet; balb 
nad& biefem ©riefe famen mit ben Singriffen ber ße^bener Stl^eologen 



» Oeavres T. X. 418—417. (SBr. t). 1. 9lot)cmbcr 1646.) 



neue ©lötuitgcn, bie ben SJBun[c6, feinen Slufcntliolt ju önfaern, no4 
Derftüttten. 3)te näcfiflen $Iöne roaten Quf (JtQn(reiifi getic&tet. 

3. Steter atufent^ad in $aiis. 

§iet a6er Ratten bie öffent[id)en Scr^ältniffe , ins&eioTibere bic 
ßflgc beS §Dfe§, ficti immer unsitnfttget (jeftaltet unb bie 3{n8fi(6teii, 
bie man bem 5ߣ)ÜDfopfien eröffnet ^atte, maren ccrfcfcrounben , aU er 
Gnbe Wlai 1648 jum tetjtenmal nad) ^^ariS fam. Si^on bei feiner 
erRen Steife (1644) ^otte er, nac^ einet fitnfje^niä^tigcn Mßmefen^eit, 
ben l)Dlitifi$en S($au}ilQtj fe^r üeränbert gefunben. ßubtoig XIII. 
war ein ^aiix uott)er geftorben (14. Tla\ 1643). loenise 9)Ionote notf) 
9iic[)elieu {4. Secember 1642), unb ^atte boS 3lei(^ einem fftnfjälirigen 
ßinbe unter bet IRegentfifiaft bet fiöni9tn=5Dfutter 9(nnQ üon Ceftretift 
unb bem ge6ietenben Sinfluffe iOlajorinS ötnterloffen , ber an bie 
SleÖe 3tt(i)elteu3 getreten war. Sie neuen Steuerebicte Ratten beceitä 
im 3ti^r 1644 ©egenDorfteßungen beä ^orifer ^artamentä unb Un= 
ru^en im Sßölte fieiDorgerufen, ein poÜtifiier Seobaditer tonnte fc^cn 
bamalä merlen, bafe ftürmifi^c Seiten beBorfionben. ^eßt waren bie 
©ewaltmafercgefn üon feiten bcS ^lofeä unb ber Sßibetftanb Don feiten 
bcä ^ürlomeniS, bie Berflüftung ber Parteien unb bie Olänfe ber 5ßartei' 
E)iiul)ter fo weit gebieten, baß im 2Rai 1648 alte 3eic&en ben Sluäbrutt) bc8 
SürgerfriegeS oerfünbetcn. Sie SBerEioftung äwcier $artamentärätJie im 
9iugufi biefeS ^a^reiS t)ntten einen aSotlSaufftanb jur Solge, unb alä S)eä= 
cartes gegen Snbe beö IDfonats bie §auptftabt necliefe, fafi er bie Jöarri: 
caben erriditen, womit ber i?rieg ber ^ronbe begann. SIber ber 
9[bft)Iuti§mus beS franäbfifrfjen ßönigtfiumä wor in ber SoUenbung be^ 
griffen, unb bie le^te mät übrige ©cöattcngemalt einer gefe|ge6erifÄeii 
3JIac&t QufeerEialb ber firone würbe nact) einer Steige ton jJämpfen 
jectrilmmert. 

SBon ber Stellung, bie man 3)e§carte3 Derffroc^en, felbft Bon 
bem Sia^rgeEiatt, bas man i^m 3ugefic£)firt, fonntc unter biefen Um= 
ftünben leine SKebe fein. ®er einjige ©eiuinn feinet Oleife war ein 
p^itofopljif^et Sriefwei^fel mit attnaulb (im 3uli 1648) uub ein 
le^teä 5ffiieberfc^eu feineä jJteuubeiS 9)letfenne, ben er fcf)Wer erfrantt 
Uerlicfe, unb beffeu Sobeänacötic&t er balh naifi feiner Olttdfeör in 
ggmonb empfing. ®en 5lJ(an, in fjrantreti^ ju bleiben, mußte er 
oorlftufig aufgeben, „^äj würbe Wot)! getlöan ^aben", fditeibt et ber 
^Ptinjeffin 6Iifa6ct^ batb nacb feinet ^Infunft in 5pariS, „mi^ on 



aScrfc in ^oUanb. 247 

ba^ ßanb ju l^oftcn, bo§ fd^on im ^i^icben tft, unb toenn fidft bicfe 
©tüTine md^t balb jcrftrcuen, fo tt)itt iä) in fec^S ober ad^t 2Bo(^en 
itadö ggmonb jurüdfel^rcn unb bort abtoaxkn, bis fid& bcr ^immel 
fJrQnfecid&S enttoölft l^ot. 3inbcffen finbe 16) meine ßagc fel^r glüd^ 
Ii(j&; fic ift frei, benn id^ lebe, einen fju^ in 3ran!reid&, ben Qnbern 
in eoBanb." ' 

S)od& bie ©türme nal^men ju, unb ®e§carte§ fill^tte fid& nod^ 
glüdflid&er, afö er au(^ ben einen fjufe nid^t mel^r in granlreidö, 
fonbern beibe toicber in ®gmonb l^attc. ,,©ott fei ®anf !" fd^rieb er 
öon l^ier, ^id^ ^abe meine Steife nad& granfreii^, gu ber man midb 
förmlid^ t)er))flid&tet l^Qtte, l^inter mir, id^ bin nid&t öerbriefelid^ [ie 
gemad^t ju l^aben, aber nod& tt)eit frotjer Bin id6 über meine dtMh^x, 
ßeinen l^aBe id^ gefunben, ber ju beneiben tt)äre, unb bie im größten 
©lanjc leben, Derbienen baS größte a)KtIeib. Um ju erfennen, toie 
glüdflidö ein rul^igeS unb gurüdCgejogeneS ßeben ift, unb toie reid& bie 
rnftfeigpen SBermögenSöerl^ältniffe, lonnte id^ ju !einer befferen 3eit nad& 
g^ranfreid^ !ommen/ @r ^at eine Königin unter Sarricaben gefeiten 
unb pxt\\t ©lifabetl^ glüdfUd^, toenn er il^r ßooS mit bcm ber Köni- 
ginnen unb Sürftinnen Europas t)ergleid^t : fie ift im ^afen, jene treiben 
auf offenem ftürmifd^em 3Jieer! SJlan foö jufrieben fein, toenn man 
im §afcn ift, gleid&t)iel auf tt)eld&em SBege man il^n erreid^t l^at, fei 
c8 aud& in (Jolge eines ©d^iffbrud^S!"^ 

ßinige 3Konate fp&ter entfd^ulbigt er fi(^ in einem Sriefe an 
Scannt, ba§ er il^m nod& nid&t§ über feine Siüdßei^r gefd&rieben, er 
l^abe lieber fd&toeigen motten, meil bie ©d&ilberung feiner ®rlebniffc 
Icid&t als ein SBormurf für jene mol^lgefinnten ßeute erfd^einen fönnte, 
bie il^n gerufen. „3d6 l^abe fie toie fjreunbe, bie mid6 gur Xafel ge= 
laben, betrad^tet; alg id& fam. fanb id^ iljre ßüd^e in Unorbnung unb 
i^rc %bp\t über ben Raufen getoorfen; barum bin id^ gurüdCgefel^rt 
ol&nc ün SQSort gu fagen, um il^ren SSerbrufe nid^t gu öermel^ren. 9lber 
id6 l^abc mir bie ©ad&e gur ßel^re bienen laffen unb toerbe nie mel|r 
auf aSerflpred^ungen l^in, toenn fie aud^ auf 5ßcrgament ftefjen, eine 
Sleife untemel^men."^ 



1 Oeuvres T. X. pg. 136. 

2 ebcnbaf. ©. 165-166. (»tief an eiifobct^ öom 1. Detobet 1648, nad^ 
SouftnS SSetmuti^ung.) 

8 «bcnbaf. ©. 310. (93r. ü. 26. Sfebr. 1649.) 



248 ßc^te 3al^rc unb 

S)ocl^ f)at ©eScQtteS bie Stäufdöuttg, bie er erfal&rcn, nid&t ftets 
fo glcidögülttg l^tngcnommcn; fd^on in bem näd&ftcn Sriefc an ©l^attut 
gcl^t er auSfül^rli^er Quf feine jüngften 5ßarifer ßrlebniffe ein unb 
fd^ilbert jie mit ettt)Q8 getrübter ßaune. „3d& tiabe nie auf bie ®lütf§= 
göttin geredftnet unb mein ßeben ftets fo eingerichtet, ba^ c§ il^rem 
@influ§ entrüdft toar; fie f(^eint beSl^alb eiferfüd&tig ju fein, benn ftc 
läßt feine ©elegenl^eit vorüber, mid^, too fie nur lann, jU mifel^anbeln. 
3fd6 l^abe bieg bei aÖen brei Steifen, bie id& t)on l^ier auS nad^ x^xant- 
reidö gemad&t l^obe, jur ©enüge erfal^ren, ganj befonberS bei bcr legten, 
bie mir gleid&fam im JWamen be3 ÄönigS befolgten toar. Um mtr| ju 
biefer Steife eingulaben, l^atte mon mir Sriefe auf ^jjergoment mit 
ftattlid&en Siegeln gefd&idft, weld&e ßobeSerl^ebungen über JBerbienft unb 
bie 3ufi(ä&erung eines anjiönbigen ^al^rgel^atts entl^ietten; biefe Iönig= 
liefen ®ocumente toaren t)on 5Prit)atbriefen begleitet, tt)orin mir nodfe 
mel^r nad^ meiner 3lnfunft öerflprod^en tt)urbe. 3lber aU id& ba toar, 
fam in {Jolge ber ))Iö§lidö eingetretenen Unrul^en bie ©ad^e ganj 
anber§; leine ber gemad&ten aSerflpred^ungen tt)urbe erfüllt, man l^atte 
fogar bie 3lnfertigung ber 5ßatente burdö einen meiner SSertoaubten 
begal^Ien laffen, bem id^ natürlid^ ba§ ©elb gurüäerftatten mu^te; e§ 
fd^ien, iä^ fei nur beSl&alb nad& 5Pari8 gereift, um ba§ tl^euerfte unb 
nu^lofefte ^Pergament ju faufen, bas mir je unter bie §anbe gefommen. 
@o meit ift mir bie ©ad^e gleid^gültig unb id& toürbe fte Iebiglid& auf 
9te(^nung ber ungünftigen 3citöer]^aitniffe gefd^rieben l^aben, toenn nur 
fonft bie ßeute, bie mid& gerufen, fid^ meine ©egentoart irgenb toie gu 
9lu^e gemad&t tjötten. S)a§ fie e§ nid&t getiian, liat mid& am meiften 
geärgert; leiner l^at ettoaS anbereS begel&rt, als mein ©efid&t gu feigen; 
id^ mufe tDirflidö glauben, ba§ man mid& nid^t gu einem ernft^aften 
Stperf, fonbern Hofe um ber ©eltenl^eit toitten, tt)ie einen ©Icpl^anten 
ober 5pant]§er, nacö granfreidö l&at fommcn laffen. 3d& toeife too^I, 
ba^ e§ an bem Drte, too @ie leben, ni(^t öt|nlid& gugel^en toirb, aber 
nad& ben fd^Iei^ten ®rfoIgen aüer Steifen, bie id& feit gtoangig ^a))un 
gemad^t, bleibt für eine neue, xä) mu§ eS befürdfeten, nur nod& übrig, 
bafe xii unterwegs t)on Siäubern get)lünbert ober burd^ einen @d&iff= 
brud^ t)ernid6tet toerbe/'^ 

®ie @inlabung nad^ ©d&toeben toar erfolgt unb fd^Iimme Stauungen 
bemäd)tigten fid& beS 5pi|iIofo})]^en. @S gab nod^ einen britten Sali, 



1 ebcnbaf. ©. 325-326. (93r. ö. 31. gjlärg 1649). 



SOöcrfc in ^ottanb. 249 

bcr fieberet öorauSjufcl^en tüar qIs fHänUx unb ©(ftiprud&: baS un= 
Qünftigc filima, öor bem er felbft in frül^cren ©riefen Scannt getoornt 
l^attc, unb ha^ il^m felbft einen öorjeitigen Slob bereiten foüte. 

5ßari§ unb S)egcarte8 tüaren nidfet fftr einanber gemad^t. ©o 
oft er bort lebt, übertoältigt il^n bie ©el|nfud&t nad& ©infamleit unb 
©tiüe; biefeS S3ebürfni§ l^Qt il^n frül^er ju toieberl^olten malen in 
bie aSorftdbte getrieben, jule^t au§ f^ronlreiiä^ entfernt. Sin berfelben 
©tittimung, toortn er öor gtoonjig Sfol&ren 5ßQri3 öerlaffen l^otte, leierte 
er je^t in fein l^oüänbifdöeS S)orf jurüdC unb fül^tte fid6 l&ier toie im 
^ofen. @8 ift einer ber bemerlenStoertl^eften 3üge ®e§cQrte§^ ol^ne 
ben fein ©l^orafter unb feine ©emütl^Sart fid6 nic^t »ürbigen laffen: 
bafe biefer größte S)enfer fJranfreid&S Dieffeid^t ber einjige fjronjofe 
tt)Qr, ber fid& in 5ßQri§ nid&t einleben lonnte unb eine notürlid^e 316= 
neigung gegen bie SQBeltftabt empfanb. „SQBenn id& aus ®iteßeit auf 
ben SBeifaü ber Königin l^offe", fdfereibt er an Sl^anut balb nad6 feiner 
legten Slnfunft in 5Pari§, „fo ift baran toeniger meine Steigung aU 
bie l^ieftge ßuft fd&ulb; id& l^abe Sfl^nen, glaube id&, fd^on frül^er gefagt, 
bafe mid& bie Sltmof})]&äre öon 5Pari§ immer ju S^imören ftimmt ftatt 
gu p]^itofo})l^ifd&en ©ebanlen. 3fd& fel^e l^ier fo öiele, bie fid^ in il^ren 
aJleinungen unb Sered&nungen töufd^en, bafe mir bie Sttufion in ^ari§ 
epibemifdö gu fein fd&eint. S)ie l^armlofe ®inöbe, au§ ber ic^ fomme, 
bel^agtc mir »eit mel^r, unb id& glaube, bafe id& bem ^eimtoel^ nid&t 
»iberftel^en unb balb bortl^in jurüdtfel^ren toerbe/'^ 

n. @in neuer ©egner. Sie legten Slrbeiten. 

1. OlcgiuS' 5lbfan. 

©eScarteS l^atte nid&t umfonft, al§ er bie ©d^toelle feiner littera= 
rifd&en ßaufbal^n betrat, aud^ bie ©d&üler gefürd^tet, bie bem SJleifter 
nid^t blo§ nad^folgen, fonbern bie ßel^re beffelben auslegen unb oer= 
beffern toollen; er foüte an SlegiuS felbft, „bem erften SJlört^rer ber 
cartefianifd&en ^ßl^ilofopl^ie", biefe ©rfal^rung im öoUften Umfange 
mad&en. ©d^on in bem SCliefenfireit mit aSoetiuS l^atte er bie fjorm, 
in ber bamals 0legiu8 ba§ JBerl^altnife t)on ©eele unb Körper gefaxt 
toiffen sollte, nid()t gut gel^eifeen unb ben ©d&riftftreit, ben jener balb 
barauf begann, namentlid^ bie 3lrt feiner 5ßolemiI gemifebiUigt. SllS 
il^m öier Sfal^re f})dter 9legiu§ fein Sel^rbud^ ber $^^fi! (fundamenta 



^ Oeuvres X. pg. 134. 



ßelite gaftre unb 




physices) in ber ^anbfcferift Corleate, fonb SJeScottes borin ]o '. 
unberoiejeue 3iel)auptungeii, (o uiele fatfifte {''ll'ot'Kfsn UTib in 
ße^re uom SJtenfcJi'n folcbe Slßraeic^ungen Mn feinen eigenen 5prtn^ 
cipien, ba^ er tlim bic Verausgabe bet ©^tift nacEibrücEIicö wiber: 
tiet^; er möge fiifi auf bic TOebictn ciniifiiänten, bo il)m ba6 latent 
meta})l)t)fif(iet UnteriuAungen feljle, bic UnioerfitÜt Utred)t t)abe in 
feinem jintereffe äelHinbelt, üI§ fie il)m bie )3^itotopl)ifi5en Söorl^iungen 
unttTiagte; niifit genug bofe er burcfe bie ijorm feiner ©nifteöung bie 
S3ef)re SJeätarlcö' Derfd)tinimbejfere, er entfteüe ben 3nl)alt berfcfbtn 
in einer Slßeije, bie ben 5il)itofopl)en nöl[)icien werbe, föbolb er bffentliifi 
nufttete, fiiS biirA eine ©egeneitlärung Don iljm IoS,5u[a9en. SliiStä' 
beftoTOeniger Irurbe baS ffluc^ gebruiJt nnb Ueroffentli^t (©cptember 
164Ö). SeScartcS (i^rieb ber *prinjeifin ©(ijabetti. baS SHJer! »crbienc 
nid)( üon itjr getefen ju Werben; e§ fei, roo eS tion il)m abn)eid)c, 
fatfit); unb roo es mit feiner ßet)re überEinjuftimmcn ffteine, ein \iiiti)Us 
unb unroiffenbes ^piagiot^ 

©egen ®nbc beS Sobreä 1647 erfd)ienen jmei gegen bie cartefjo^ 
nifdöc Se^re gericbtete ©cftriffen: bie eine [)ie6 'i Coasidoratio ReiTana» 
nnb trug burrfi ben 9?amen beS SerfafferS, inie burft bie ©(fimflftnngen, 
bie fie entljielt. bie ^cittbfc^oft offen juv ©Äau. ®e§cnrte8 tiefe fie 
un&eacfitet. 35te zweite mar ein oöflig ononljmeä ^lacat, boä in ein= 

Nunbjttianäig Sljefen bie ÖeE)re Bom menid)li(|en ©eift ab^anbelte unb, 
Df)nc 3)e9cQrte§ jU ertnä^nen, mit ben in OtegiuS' Schrift ent£)alienen 
©ä|en bergeftalt ü&ereinftimmte, bofe über ben SBerfaffer lein Sweifel 
fein Tonnte. 5Sn biefem $[acat \ai) 3)e§carte8 eine {roenn tiic^t btr 
9Ibfiii)t, fo ber ©ai^e nai^) itjm feinblidje ©c^rift, eine foldie ffintfleÜung 
i| unb flaricotur feiner Getjre bnr^ Derberblii^e unb fal|(^e Slnfiiftten, 

1^^^ bafe er, um alten 2)ti6ücrfiänbniffen Dorjubeugen, eine ausfü^rli^e 
^^K (Segenfritif fc^rieb, bie afier, wie eä ft^cini, nur in wenigen Sjemploren 
^^H gebiuctt iDurbe.* 3Bev Ijättc seba(^t. bnfe ber (e^te ©egner, ben er in 
^^^K ben S^ieberlanben ju tietömpfen ^atte, berfelbe Wann fein foQte, beti 
^^H et einft feinen tteflen unb cettrauteflen Sc&ftler genannt, '^atte? 
^^H 3Sit bemerten in ber fiürje, ba| bie SBcnbung, bic SlcgiuS ge- 

^^^K nouimen unb SeScatteS fi^on in bem p[|t)fi!alifd)en i'e^tbuc^ mit t)Qc()|)cni 
^^^1 SRifefaffen bemertt ^atte, bie 5unbamcntQlIcf)re bee (enteren, nümtitt 

t 



' Oeuvres T. IX. pg. 323-330. (®iei Bitefe an Stegiuä aus bm 3uti 164.1 
T. X. pg. 23-26. (83t. an etifafitlS 0. 15. anörj 1647.) 

• Oeuvres T. X. pg, 70-111 (in eamonl) Snbe Secembn !647 Htf^ri(t«i). 




SDöctfc in §ottanb. 251 

bcn SualtStnuS ätüifd&cn ©eift unb ßör})er, in SDlatertoUSmuS ju 
öertDQttbeln befttcbt toat unb fd^on jener Sflidötung Voranging, toeti^c 
bic franjöftfd&e Sp^iIofo})I|te beS ad&tjel^nten 3fa^r^unbertg in ©onbtttac 
unb ÖQ SDleltrie gur ©eltung firod^te. Senlen unb STuSbel^nung feien 
nid&t als entgegengcfe^te Slttributc öerfd&iebener, fonbern aU öerfd^ie^ 
bene Slttributc einer @u6ftanj, namlid^ ber Iör})erlid^en, oufjufaffen, 
bie ©eele fei ein 5ötobu§ beS ßörperS unb in ber aSerbinbmtg mit 
il^m öööig öon ben Suflänben unb JBerönberungen beffelben abl^ängig; 
bal^er anä) ber ©eift leine angeborenen Sbeen befi^e ober nöt^ig l^abe, 
fonbern feine SBorfteüungen öon aufeen emt)fange. 2Ba3 bie @u6ftan= 
tialität beS nienfd6Ud&en ©eifteS unb feinen SQßefenSunterfd^ieb bom 
Rbxpex betreffe, fo grünbe fid6 bie ©etoifel^eit biefer Öel^re auf gieligion 
unb Offenbarung. S)ie Senbenj ifl unöerfennbar: ber 2)uali§mu§ gilt 
in ber 9fieIigion, ber 50lateriaIi8muS in ber 5ß]^iIofo})]&ie. ®ie Sll^efen 
beS 5piacat§ bejtoedCen bie 3erfiörung ber cartefianifdöen SJletapl^^fif. 
3Benn man toiffen möd&te, toaS S)e§carte8 gu ©onbiüac unb ßa SJlettrie 
gefagt l^aben toürbe, fo lefe man, tt)a§ er gegen SiegiuS gefagt I)at. 
6r fal^ ein 9lefl t)on SCrugfd&lüffen öor fid^. 

2. S)ie legten SBetle. 

SRad&bem S)e§carte§ in ben „^rincipien ber ^^ilofopl^ie" fein 
©Aftern begrflnbet unb bis an bie ©renjc ber organifd^en ?iaturlel|re 
auSgefül^rt l^atte, blieb al§ ber i^m toid&tigfte ©egenftanb ber SJtenfdö 
übrig: baS antl^roMogifdöe ^Problem, loeld&eS brei $aut)tfragen in fidö 
begriff, bie })l^5fioIogifd&e, })f^d&oIogifd&e unb etl^ifd&e; bie erfte betraf 
bie Organe unb Functionen bcS menfd&Iid&en Körpers, bie jtt)eite bie 
aSerbinbung ber ©eele ptit bem menfd&Iid&en ^bxptx, bie britte bie 
Slufgabcn unb 3tt>edte beS geiftigen ü^btn^. Sie })]&^fioIogifd&e fjragc 
l&ing mit ber joologifd&en genau gufammen, bie SSerfaffung beS menf(^= 
(id&en ßört)erS tooÖte au3 ber @ntftel|ung beffelben, aus ber @nt= 
toidtlungSgefd^id^te beS @mbr^o unb biefe lieber aus ber 33i(bung0= 
gefd^id^te tl^ierifd^er ^bxptx erfannt werben, in toeld&e le^tere ber 
$l^i(ofol)]^ burdö anatomifd^e Unterfud&ungen öergleidfeenber 2lrt eingu^ 
bringen forttodl^renb unb emftg beftrebt war. $ier fd&öpfte er un= 
mittelbar aus ben Oueffen ber Slatur. 2l(S jemanb i^n in 6gmonb 
befud^te unb nad& feiner Sibtiotl^el fragte, geigte er biefem ein anatomifdö 
gerlegtcS Silier. Safe SeScarteS auf bem SBege öergleid&enber 3lnatomie 
unb embr^ologifd^er ©tubien fid& bie ©el^eimniffe beS ßebenS gu töfen 



252 ße^te Qal^rc unb 

fudfetc, tft ein bctDunbcrungStDürbigeS S^ugnt^ bc§ metl^obifd&en S)cnfcr5 
unb mufe bei ber ©d^ö^ung feiner biologifd^en Sltbeiten l^öl^er ongefd&Iagen 
toerben, als bet SBertl^ ober Unmertl^ il^rer JftefultQte. 

©d&on bei feinem fioSmoS trug er fid& mit ber Unterfud&ung über 
bie ©ntftel^nng ber Stl^iere, fd^on bamalg l^atte er eine 3l6]^QnbIung über 
ben meufd^Ud^en fiör})er gefd&rieben, bie gur Slufnal^mc in jenes SBerf 
beftimmt toax, 6S ift fein «Tratte de rhomme», ber öon ber a3er= 
bauung, bem Slutumlauf, ber 9Xtl^mung, ber SÄuSfelbetoegung, ben 
Sinnesorganen unb @mpfinbungen, ben inneren 33ett)egungen unb ®e= 
l^irnfunctionen l^anbelte. 6r bef^Iofe je^t, fie umjuarbeiten, unb cS ent- 
ftanb ein mm^, %i)m unb SDlenf^ umfaffenbeS SBerf: „Sefd&reibung 
ber Functionen beS menfd^Iid&en fiör})er8 unb Srflärung ber SBilbung 
beS Stiers" ober, toie ber getoötjulid^e Slitel l^eifet, «Traitö de la 
forma tion du foetus». ®iefe Slrbeit befd&öftigte il^n in ben 
Salären 1647 unb 1648. 3n einem »riefe öom 23. 2)ecember 1647 
l^atte bie ^ßringeffin ©Ufabetl^ geroünfd^t, er möge eine 9lb]^anblung 
über ©rjiel^ung fd^reiben; ©eScarteS antwortete il^r, ba§ il^n brei 
©rünbe l^inberten i^ren SBunfd^ ju erfüllen: „ber britte ift, ba§ id& 
foeben eine anbere ©d^rift unter ^önben l^abe, bie Sinnen l^offentUd^ 
lieber fein bürfte, nömlid^ bie SBefdfereibung ber tl)ierifd&en unb menfd^= 
lid&en Functionen, benn tt)a§ xäj öor gtoölf ober breigel^n Salären 
barüber flüd&tig entworfen unb 3^nen gegeigt l^abc, ift toicberl^olt in 
ungefd^idCte ^önbe gerat^en; id& fü^Ie je^t bie Slotl^loenbigfeit, cS beffer 
JU orbnen, b. 1^. umguorbeiten unb l&abe fogar gewagt (aber crft feit 
ad^t ober gel^n SCagen) bie JöilbungSgefd^id^te beS %^m^ öom Slnbeginn 
feiner ©ntftel^ung gu entwidteln, id& fage beS Sll^ierS im Slffgcmcinen, 
benn waS ben 3Kenfdöen im Jöefonberen angelet, fo würbe id& auS 
3KangeI an gureid^enber ©rfal^rung einen folgen 5Berfud& nid^t unter= 
nehmen. S)iefe legten nod^ übrigen SBintermonate finb Dieücid&t bie 
ru^igfte 3eit, bie id& überhaupt nod& gu leben l^abe, beSl^alb Witt id& 
fie lieber auf biefe 3lrbeit öerwenben, als auf eine anbere, bie weniger 
Sammlung brandet." ^ 

©ein SJorgefül^l war ridfitig. ®S war bie le^te rul^ige Seit, bie 
er erlebte; bie Steife nad^ Franfreid^ mit i^ren SLäufd&ungen ftanb 
nal^e beöor, bann famen nod& bewegtere S^age, unb fie waren gegäl^lt. 



» Oeuvres X. pg. 121—122. (3)cr »tief fann nid^t öor bem l.gfebtuar 1648 
gefd^ricbcn fein.) 



aOßerfc in ©ottanb. 253 

S)ie ))f5(3^oIo9ifd&e Slufgabc ]§atte ScScarteS bcr ^auptfod^e nad^ 
bereit» in her ©li&rift ü6er „bie ßeibcnfd6aftett ber ©eele" gelöft: 
eg »ar ba8 le^te SBerf, baS er nod& jeffift l^crauSgab, im SBinter 
1645/1646 entworfcit, ft)äter auSgefül^rt uub im Sa^rc feines SlobeS 
erfd^ienen. Ueber 3ÄoraI unb ©rgie^ung tüoüte er nid^t fd&reiben, um 
ben fd&on erregten ©treit nid^t ju öermel^ren unb, toie bei fragen 
t)on fold&er ))raltifd&en Sebeutung öorouSjufe^en toax, nod^ l&eftiger ju 
entgünben ;. feine ©ebanlen über bm SBertl^ unb bie 3irfß ^^^ menfdö= 
lid^en ßebenS l^Qt er ben Sriefen anvertraut, bie jwei fürfttid^e grauen 
t)on il^m emi)fingen: bie 5|}rinjeffin ©üfabetl^ unb bie Königin öon 
©darneben. 



Stentes (EapxUl 
I. S)ie ®inlabung ber fiönigin. 

1. 6^§rifttne öon ©d^ioebcn. 

•2l(S Sl^anut im ©pöt^erbft 1645 nad^ ©todtl^olm lam, l^atte bie 
Sod^ter ©uftat) SlboIfS feit einem ^ai)x ben Sl^ron ©d^teebenä be= 
fliegen unb mar eine neunjel^njä^rige Ä'önigin in ber güüe beS ©(üdt§ 
unb ber 3Jlad^t, @rbin eines gefürd&teten 3leid^S unb eines öäterlid&en 
SRamcnS, ber ben Jftul^m beS gelben mit bem beS SDlört^rerS t)cr« 
banb; fie toat öon ber ßiebe unb ben Hoffnungen beS SBolleS getragen 
unb fd&ien bie le^teren burd^ bie Slnfönge il^rer 9iegierung au^ in 
l^ol^cm aRa§ ju erfftüen. SWod^ toax fie frifc^ unb unöcrborben 
unb bemeifterte »iüenSfröftig bie bijarren Sfieigungen, baS Iaunen= 
l^afte unb tüettertoenbifdöe SWatureü, bie falfd^e unb tl^eatralifd^e 
©rö^enfud^t, ber fie ]päkx (eid^tfinnig unb öerblenbet il^r erl^abeneS 
ßooS gco})fert l^at. Sie erfte fjürftin beS SWorbenS, bie fie burdft il^re 
poHtifd^e unb })erfönlicöe SBebeutung mar unb bleiben lonnte, tourbe 
fie freitoiÖig eine fal^renbe unb abenteurenbe grau, bie alles tl^at, 
il^reS aSaterS untoürbig ju toerben. Jj^re ©eifteStüd^tigfeit ftanb 
bamalS, ai^ ©l^anut i^r 3fntereffe für SeScarteS getoann, in boöer 
SBtütl^e unb tüas an bem SBefen ber Königin fcitfam unb ungcgügelt 
erfd^icn, burfte man iugcnbU(J&er Ueberfraft unb aud^ jener jU männifd^en 
6rjtel&ung . gufd&reibcn, bie fie nad& bem SQßiücn beS 35aterS erl^alten. 
©ie Uebt leibenfd&afttid^ bie 3agb unb nimmt eS mit bem beften 



254 XticaxM* SelienSenbe. 

Söget auf; fic tft eine lül^ne unb geübte SReiterin, bic leiiä^t tl^re gel^n 
©tunben ausmalt, oline bom 5ßferbe ju ftetgen, fie jiel^t bie inännltd&e 
%xaijt ber tt)ei6Iid&en t)or unb öerfc^möl&t jeben ^u^, fie l^at tl^ren 
ßör})er burdö ©trQl)Qjen obgel^ärtet, burd^ einfaifte, aller S5ertDei(i^= 
lid&ung abgeneigte ßebenSart geftörft. @ie fül^rt nitkt bIo§ ben Sßamen 
einer Königin, fonbern öcrftel^t ju gebieten unb felbft bcm 9ieid&§ratl^ 
i^re Ueberlegenl^eit fül^Ibar gu mad^en: fo tool^tunterriii&tet erfd^cittt fie 
in ben ©taatSgefd&öften, felbftönbig in i^ren (Sntfd^Iüffen, l^artnädKg 
in beten Sluöfül^tung. 2ludö il^te 33itbungg= unb ©eifteSintcteffen finb 
mönnUdö geattct, fie liebt etnfte Sftd^et unb etnjte Untetl^altungen, 
lieft töglidö einige ©eitcn im SCacituS, fptid^t lateinifd^ unb letnt 
gtied^ifd^. 

3^r SleufeereS öertöt^ ben untul^igen unb ettegbaren ©eift, 
fdfenell toed&felt, toenn fie fptid&t, bet SluSbtudt beS ©efid&tS unb bet 
Slon bet Stimme. @ie toax leine teligiöfe JRatut, obet gern mit 
teligiöfen ^tagen befd^öftigt unb füt ©inmütfe jebet Stid&tung empfängt 
lid6; ballet inteteffitlen fie öotgugStüeife bie ©egenflönbe ber })]&ilos 
fop^ifdöen JReligionS« unb ©ittenle^te, unb fie nol^m obet gab oft 
bie ©elegen^eit, fold^e S^liemata gefptdd&gtoeife ju etßttetn. ©o fam 
e§, bafe fie eines 3^age§ nad^ bet 9J[ubien} mit ©l^auut, bet Mottet 
SeiDunbetung füt bie Königin toat, nodö ein fold&eS ®ef:ptäii& anfnüpftc 
unb im ßaufe beffelben bie fjtagen auftoatf: tooxxn ba§ SBefcn bet 
ßiebe beftel^e, ob au§ un[etet natütlid&en ®t!enntni6 bie ßiebe ju 
©Ott folgen !önne? Unb tt)Q§ fd^timmct fei: ba§ Unma§ bet ßiebe 
obet be§ $affe§? ®et 3fnl)alt tt)ie bie a:p]^otiftifd&e Statut bet ge= 
fleüten ^tagcn ift füt bie pl^ilofo^jl^ifd^e ßiebljabetei bet Königin ted&t 
bejeid^ncnb. S)aS finb 5ßtobleme, bie niemanb beffet löfen fann als 
3)e§catteg: fo badete ©l^onut unb fd^tieb an ben 5ß]^ilotol)]^en. 

2. «p^tlofortifd^c Briefe. 

• 

S)ie 3lnttt)ott, tt)eldf)e S)e8catteS in ßgmonb ben 1. O^cbtuat 1647 
in frei biget Stimmung fd)rieb, ift fein SBtief übet bie ßiebe, gleid^^ 
fam baS etfte ©efpröd^, ba^ et inbitect unb aus bet fjetne mit ber 
Königin bon ©d^weben fül^tte; benn bafe biefe bie ®ttt)ibetung lefen 
foöte, toax bie Slbfid^t, in toeld&et Sl^anut bie SÄeinung feines 3^tcunbe8 
eingel^olt. S)et SStief ift ein fieineS SJteiftettoetf, ein toitllid&eS ®abtnets= 
ftüd, bei bem jebet kennet beS ^pi^ilofopljen, bet Don btm SBetfaffer 
unb bet SSetanlaffung bet ©d^tift nid^ts »üfete unb bIo§ ben ©ang 



in ©tocil&olm. 255 

ber Uittcrfuij^ung, bie 3lrt ber 3becn, bie fSiaijl bcr 2(u§brü(Ie be= 
ad^tct, foglciij^ fagcn toftrbc: «©in ad&ter S)eScQrtc§!" 6§ gicbt leine 
gioette ©^rift fo geringen UmfongS (benn fie überfd&reitet nid^t ben 
3tQum eines SriefeS), tüorauS biefer S)en!er bejfer ju etfennen toaxt, 
t)orau8gefe$t, bafe man jwifd^en ben Seiten eines ^I)iIofo})]^en gu lefen 
öerftel^t. 

(£r unterfd&eibet bie intellectuettc unb leibenfcftaftlid^e ÖieBe unb 
bejKmmt junftd^ji burd& eine anal^tifd^e Unterfud^ung ba§ SBefen ber 
ßiebc ü6erI)Qui)t: fie befteljt borin, ba^ toir ein Dbject Dorftetten, beffen 
®egentt)art unb Sefi^ uns greube, beffen Slbwefenl^eit unb Sertuft 
uns ©d^merj öerurfad&t; bal^er begeljren toir biefeS Dbiect mit boüer 
SQBiüenSlrQf t , mir toDlIen mit il^m bereinigt fein ober ein ©anjeS 
QuSmQd&en unb felbft nur einen Sl^eil biefeS ©angen bilben; bie ßiebe 
ifl notl^menbig öerbunben mit ^reube, ©d^merg unb SJerlangen: 
bicfe bier SQBittenSrid^tungen finb in ber geijiigen Statut begrünbet 
unb ber ©eele eigen ol^ne JBerbinbung mit bem ßörper; fie ftnb in 
bcm (£r!enntni6behürfni§ eines benfenben SBe[enS entl^alten, tt)ir lieben 
als ben!enbe SRaturen bie @r!enntni§ ber Singe, eml)finben freubig 
il^ren ©enufe, f^mergtidfe iljre ®ntbel)rung unb trad^ten beSl^alb nad& 
il^rcm Sefi^. ^ier ift nid^tS bunlel: nur ber S33iIIe gur ©rfenntnife 
bett)cgt unfere 6eele, toir teiffen, toas tüir lieben unb »erlangen, tt)as 
uns erfreut unb betrübt. Sie ^reuben unb ßeiben ber inteßectueöen 
ßtcbe finb balier !eine ßeibenfd&aften, fonbern Hare Sbeen. @rft burd& 
il^rc SSerbunlelung entfielet bie leibenfd^aftlid^e ober finnlid^e ßiebe, bie 
aus ber JBerbinbung ber ©eele mit bem ßörper l^eröorgel^t. ®S finb 
förperüd^e Suftdnbe ober aSeranberungen, mit benen in unferer ©eele 
gettiffe SBegel^rungen gufammenftimmen , ol^ne ba§ groifd^en beiben 
Stel^nüd^feit unb Sufammenl^ang einleud&tet. ©o entftel^en bie un= 
Haren, finnlid^en, leibenfd&aftli^en Segierben, bie gewiffe Dbjecte l^aben, 
anbere loS fein tooüen, ben Sefi§ jener freubig, bie ©egentt)art biefer 
fd&mergüdö em})finben, bie »erlangten Dbiecte lieben, bie öerabfd^euten 
l^ajfen: fjreube unb ©d&merg, ßiebe unb §a§ finb bie öier ©runb= 
formen ber finnlid^en Segierbe , bie elementaren unb erfien ßeiben= 
fd&aftcn, aus benen burd& 2Jlifd&ung unb 2Jlobification aüe übrigen fid& 
bilben, bie eingigen, bie toir Dor ber ©eburt gel^abt, benn fie regen 
fid& fd&on in ber ©rnal^rung beS embr^onifd&en ßebenS. S)ie intellec= 
tuclle ßiebe fäÖt mit bem @rfenntnipebürfni§ ber benfenben SWatur 
gufammen, bie finnlid&e tourjelt in ben 3lal)rungSbebürfniffen ber or« 



256 ^cjScarted' SebenSenbe 

ganifdöen. ' ®§ giebt eine aSotftcffung begel^rungStüürbiger Dbjectc (in= 
tettectueüe Siebe) oijm förperü^e Srregung unb finnlid&e Scgierbe, 
eBenfo lann bie le^tere Dorl^anben fein ol^ne @rlcnntni§ ; e§ giebt Öiebe 
D^ne ^ßüffion unb ^Paffion ol^ne ßiebc; im getoöl^nlid^en ©inn ber 
menfcfelic^en ßiebe jtnb beibe bereinigt, ©eelc unb Körper finb ber= 
geflatt öerbunben, bafe bestimmte aSorftcÖungS* unb SBittenSgußönbe 
mit beftimmten 3uftänben Iörl)erlidöer Organe gufammengel^en unb fid^ 
wed^felfeitig Ijeröorrufen, tt)ie ©ebanfe unb SQßort. ©o finbet bie a5or= 
fteüung begelirungsmürbiger Dbjecte ober bie ßiebe in ber Erregung 
beS ^erjenS unb ber befd&leunigten Setoegung be§ S3tutS il^ren un= 
wiüfürlid&en, förperlidfeen SluSbrudf. S)iefe geiftig=finn(i(3^e ßiebe, biefe 
^Bereinigung beS SSerftel^enS unb Jöegel^renS mad&t jene 6m))finbun9, 
nadö bereu SBefcn bie Äönigin gefragt l^at. 

®arau8 fd&eint gu folgen, bafe ©ott, 3U erl^aben, um erreidö= 
bar, unb ju geiftig, um finnlid^ öorfteHbar ju fein, niemals ©egen= 
[taub einer ßiebe im ßid^t ber natürlid&en ®rlenntni§ tocrben lönne, 
benn bie SBerfinnlidöung ber ©ottljeit ift enttoeber ba§ ©el^eimnife 
ber 3[ncarnation, wie im ©l^riftentl^um, ober fie iji ber Srrtl^um ber 
3fbotoIatrie, toie in ber Iicibnifd^en 9ie(igion, too man, toie 3jion, bie 
SQBoIfe umarmt ftatt ber ©öttin. ®o(j^ !ann burd^ tiefes SRati&benfen 
bie Sjbee ©otteS ßiebe unb 3tt)ar bie getoattigfte affer ßeibenfd&aften 
tt)erben, trenn toir in ©ott ben Urfprung unb barum bas Siel unfereS 
geiftigen ßebenS erlennen; nur barf biefeS Siel nid^t als eine 2lrt 
©ottioerbung erfd^einen, fonft geratl^en toir auf einen geföl^rlid&en 2lb= 
tt)eg: ba^ l^iefee nid&t ©ott lieben, fonbern bie ©öttlid&feit begel^ren; 
bielmeljr erfennen tt)ir in ©ott ben Urf))rung nid^t b(o§ unfereS geiftigen 
SafeinS, fonbern beS gefammten SQBeltaffS, bas leine Äugel ju fein 
brandet, um in ber 9Jlad6t ©otteS aüein ©runb unb Seftanb gu l^aben; 
biefe 6r!enntni6 beS aömöd^tigen SQBiffenS ift fo erljaben, ba§ fie uns 
mit fjreube unb bem Seftreben erfüfft, ben S33iffen ©otteS bemütl^ig 
JU befolgen. Sarin beftel^t bie toal^re, oon ber natürlichen ©rfenntnife 
erleud^tete ßiebe gu ©ott, bie fo möd&tig ift, ba§ fie aud& §erg unb 
?iert)en ergreift, S)aS ©efül^I ber ©Iirfurdfet tljut bem ber ßiebe feinen 
©intrag, fonbern öerbinbet bamit ben SBunfd^ ber Eingebung unb 
Stuf Opferung; fc^on bie fjreunbfd^aft ift aufopferungSfäljig, nod& mel^r 
ber ^Patriotismus ; je erljabener bie Dbjecte finb, bie toir lieben, um 
fo freitt)iffiger unb freubiger tt)irb bie Unterorbnung beS eigenen SBertl^S, 
bal^er Ijinbert nid^ts, ba^ fid& in bemfelben ©efü^l l^öd&fte SBerel^rung 



in ©tocf^olm. 257 

Uttb ßieBc öereiniacn. S)tefe SBal^rl^eit fönne ©l^onut felbfi Qtn beftcn 
Begeugen, ba er fic erlebe. „SBenn td& Sie auf 3fl)r ©ctDiffen fragte, 
ob @ic bie erl^abene fiönigtn, in bereu 3l&f)t ©ie je^t leben, nid^t 
lieben, fo möd^ten ©ie immerl^in bcrficöern, bafe @ie nur ©l^rerbietung, 
ßl^rfurd&t unb Setounberung für btefelbe enH)finben, id& toürbe bennod^ 
3]^r ©cfül^I für eine fel^r feurige Steigung l^alten, benn fo oft @ie t)on 
biefer fjürfiin reben, ftrömen ^l^nen bie SQßorte fo öoü unb ergiebig, 
bafe, ttic treu 3^re Sarfteßung aud^ ift — id^ lennc Sl^re SBal^rl^eitS- 
iiebe unb l^abe öon <inberen Slel^nlid&eS gcl^ört — id& bod& überzeugt 
bin: fo tebenbig fßnnten @ie bie fiönigin unmöglid^ fd^itbern, toenn 
©ie nid^t feurig erregt unb Sfl^r ^erj ertt)örmt toäre. @§ !ann aud^ 
nid&t anbcr§ fein in ber SWdl^e eines fold&en ßid^ts!" 

SBeld&e öon beiben ßeibenfd&aften in il^^em Unma§ fd&Iimmer fei: 
bie ßiebc ober ber .^afe? 3e mel^r burd^ bie ©törfe eines SlffectS 
unfer SBol^tooUen leibet, unfere Sufriebenl^eit abnimmt, bagegen bie 
SluSfd^reitungen fd&öblid&er Slrt bermel^rt »erben, um fo fd&Ummer ift 
bie ßeibenfd^aft unb il^r Suftanb. ®S ifi !eine fjrage, ba§ ber $a§ 
bie SoSl^eit nöl^rt unb felbji gutmütl^ige ?iaturen oergiftet, bafe er eine 
qualDoÖe unb traurige @m})finbung ift ol^ne jebe toal&re @rquidfung; 
bie ßuft beS ^affeS ift bömonifd^ unb gel^ört ben ^öffengciftern am 
Drtc ber Dualen. 2Ba8 aber bie fd&äblid&en SluSfd&reitungen betrifft, 
fo ifi ba^ größere Unma§ aud& baS fd^Iimmere; beSl^atb mufe gefragt 
»erben, »etd^e ber beiben ßeibenfd&aften jum Unma^ überl^aupt geneigter 
fei? §ier antwortet S)e8carteS: nid&t ber «^afe, fonbern bie ßiebe! 
©ie ift feuriger, barum möd^tiger unb l^eroifd&er a(§ ber $a§; Staturen 
tt)ie ^crfuIeS, Jftolanb u. f. f. l^aben fid& in ber ßiebe mel^r als im §a§ 
übernommen; bie ßiebe bereinigt, ber §a§ trennt; tt)enn uns jene an 
ein tocrtl&IofeS Objed feffelt, fo fd&abet fte toeit mel^r, als toenn biefer 
uns t)on einem befferen Dbjecte fd^cibet; enblid& ift bie ßiebe, ie leiben« 
fd&oftKd^er fie entbrennt, um fo rüdCfid&tSlofer gegen affeS, toaS fie ]&in= 
bcrt unb bebrol^t, fie entfeffelt in mel^r als einer JUid^tung ben §a§ 
unb baburd^ ein «^eer öon Uebeln; l^at bod& bie ßiebe jene Unglüdfsfaat 
crjcugt, tt)orauS jule^t ber Sranb SCrojaS l^eröorging. ^ 

Slad&bcm bießönigin ben Srief gelefen, äußerte fie gegen ßl^anut: 
„@o »eit id& ffieScarteS aus biefer ©d^rift unb Sfl^rer ©cbilbcrung ju 
erfenncn öermag, ift er ber glüdtUd^fte aüer 3Äenfd&en, unb fein ßcben 



1 Oeuvres T. X. pg. 2—22. 
3fif *er, ®ef4 b. Wlof. I- 4. Stufl. 91. S(. 17 



258 S)eScatted' SebenSenbe 

fd^cint mir bcncibcnStücrt^ ; fogen ©ie tl^tn, bafe td& tl^n l^oii&fd&ä^e". 
Einige nöl^ere ®r!Iärüngen, »eld^e bic Äönigin nod& gu l^abcn tDünfd&t, 
giebt S)e§carte§ in einem Jöriefe an ©l^anut (bcn 6. 3uni 1647). 
Salb lommt eine neue ©clegenl^eit, bie fic begierig maä)t, bie Slnfid&t 
beS 5p]^iIofo})l^en tüieber gu l^ören. 

Unter bcn ©elel^rten ©d&ioebenS toat bamals ber beutfie 5ß]^iIo= 
löge Sfol^ann^reingl^eimaug Ulm, berül^mt bur(3& feine SBcrfertigung 
ber @rgön jungen ober ^nppUmmk beS ßiöiuS. ©ine ßobrcbe ouf ©uftat) 
Slbolf l^atte feinen 9iuf noc^ Up^ala als ^Profeffor ber 5PoIitil unb Sereb= 
famleit jur ^olge gel^abt, fünf Sfal^rc \päkx tourbe er naiä^ ©todCl^olm als 
^iflortograp]^ nnb Sibliotljefar ber Königin berufen (1647). ©eine 
SKbfd^iebSrebe in U:j)fala, bei »eld&er bie Königin mit bem frangöfifcften 
©efanbten unb einigen Ferren il^reS §ofe§ gugegen loar, l^anbclte über 
ben »egriff be§ l^öd&jien ©uteS. ®ie Königin felbft l^atte biefeS SEl^ema 
getoünfc^t. Slad^bem fie bie Stebe, bie fid& in ben formen ber Iatei= 
nifd^en Stl^etoril erging, gel^ört l^atte, bemerfte fic gegen ©l^anut: 
„S)iefc Ferren fönnen fotd^c Dbjecte nur obcrflö^Iid^ bcl^anbcln, man 
foHte ®e3carte8 barüber l^ören". S)ic tJrage würbe il^m vorgelegt unb 
in feinem Sriefe über bag ijöd&ftc ©ut beanttoortet, ben er im SRoDcmber 
1647 fd^rieb unb birect an bie Königin rid^tetc. 

Sn tocnigcn 3ügcn entwirft SeScarteS ben ©runbgcbanicn feinet 
©ittenlcljre unb feiner ßebenSrid^tung. ®r tooüc baS l^öd&jie ®ut 
beftimmen nid&t im abfoluten ©inn, biefcS fei ©ott, fonbcm in 2ln- 
fcl^ung be§ menfdfeUdfeen S)afein§ : nidfet ber 50lcnfd&]^cit, bercn l^öd&fteS ©ut 
in ber ©umme aßer materieffen unb geiftigen ©ütcr beftcl^c, fonbern 
beS cing einen SDlenf^en. 3n biefer ®infd&rönlung genommen, müffc 
ba§ Iiod^ftc ©ut ein erreid^bareS, b. 1^. fo befd^affen fein, ba§ mx im 
©taube finb, c§ gu befi^en ober gu crioerben, eS müffc bal^cr gang in 
unferer SJlad&t liegen. Slffe öulcrcn unb materiellen ©ütcr liegen 
aufeerl^alb unferer Sütad^t; baS l^öd^ftc ©ut lönne bal^er nur inncrl^att 
be§ ©eifteS gcfud&t tocrben, im ©ebietc ber ©rfenntnife unb bc8 
S33iIIeng; aber audö bie Srlenntnife . fei in il^rcn öerfdöicbcncn ©rabcn 
burdö gäl^igfcitcn unb Umftänbc bebingt, bie nid^t Icbiglidö öon unS 
felbft abl^öngcn: fo bleibe aU ba§ ©ebiet, auf bem bic unbefanntc 
©röfeß ju finben fei, nur ber SBille übrig, biefer fei ftetS in unferer 
3Jiad^t, benn er fei unfer eigenes unb Ijöd&fteS aSermögen, unfcr cigenfieS 
innerfteS ©elbft, ber ßern unfereS SBefenS. S)er SBitte gur @r!cnntm6 
ftel)t in unferer SDlad^t, toir !önnen ben Sntfd^Iufe, ftcts nad^ unferer 



in ©todf^oltn. 259 

Bcpen ßitifid^t gu l^anbeln, fcft unb U^axxliä^ auSffll^ren; tücnn tolr 
es tl^un, ftnb toir tugcnbl^oft unb ^IMliä) guglcidö unb öcreintgcn bag 
ftoifi^e ßebenSjiel mit bcm bcr (£})i!ureer. S)icfcr SBittc aßein ift ba§ 
tt)Q]^r]^aft Sl^rtoürbtgc in bcr SBcIt. „fJ^cilid^ »erben bie ©lüdCSgüter 
geiDöl^ntiiä^ l^öl^er 9e})riefen, ober toeil i^ übcrgcugt bin, bofe Sf^re 
aJlaicjiät auf Sl^rc Sugcnb einen größeren SBertl^ legen als auf 3^re 
Ärone, fo fage id& offen, bafe mir bie Sugenb als baS aßein 5PreiS= 
toürbige erfd&eint. S)ie flbrigen ©fiter inSgefammt öerbienen gefd&ä^t, 
aber ni(3^t geeiert unb ge:priefen ju toerben, eS fei benn, bafe man fie als 
©aben ©otteS ober als 3Äittel betrad^tet, bie fraft bes freien SBiÖenS 
gut aujutüenben finb; benn ®^re unb ßob finb Selol^nungen, unb 
nur toas ber SBiße tl^ut, löfet fid& belol^nen ober ftrafen. SaS größte 
@ut beS 3Äenfd&en ift ber 3uftanb feiner größten SBefriebigung, biefe, 
tteld&er Slrt fie aud^ fei, finbet fid^ nur in unferem 3unern, nur bie 
Seele ifi jufrieben, fie ift eS nur bann, toenn fie fid^ im Jöefi^e eines 
begel&rten DbjectS n)ei§, il^re SBorftettung beS ©uten ift l&äufig eine 
fel^r öertüorrene, fie ftettt fid^ biele ©fiter toeit größer öor, als fie finb, 
unb lebt in ©^cintoertl^en : il^re SBefriebigung ift flets fo gro§ als nad& 
il^rcr ßinbilbung baS ©ut, toeld&es fie befi^t. 9lun ift fein SOSertl^ größer 
als ber gute ©ebraud^ Iraft beS freien SBittenS: barum ift biefer SBiüe 
baS l^öd&fie ©ut, er attein/'^ 

@S traf fid^ fel^r gfinftig, ba^ biefe })]&ilofo))]^ifd&en unb gelegent= 
lid& veranlagten SBriefe, bie S)eScarteS nad^ ©todt^olm f^rieb, S^^emata 
gu bel&anbeln l^atten, toeld&e il^m t)ott!ommen in ber fjeber lagen : bie erjie 
^ragc über bie ßiebe l^ing genau mit bem @nttt)urf über bie ßeiben= 
fd&aften ber ©eele gufammen, ber ein Sfal^r öorber entftanben toar; bie 
gtocite Srage ober baS l^öd^fte ©ut berül^rte benfelben ©egenftanb, ber 
lurg Dor jenem ©ntiourf in ben ber ^Prinjeffin ©lifabetl^ gewibmctcn 
^Briefen über baS menfd&lid&e ©Iftd erörtert tt)orben. S)iefe SBriefe 
l^attcn ben ©nttüurf fiber bie ßeibenfd^aften gur fjolge gel^abt. Sfe^t 
fd&idft S)eScarteS beibe ©d&riften an ©lianut gugleid^ mit bem 33rief an 
bie ßönigin; niemanb foße fie lefcn aufeer ©Ijanut unb bie ßönigin, 
biefe le^tere blo§, »enn fie eS ausbrfidtlid^ »finfc^e.^ 

@S öergel^t mel^r als ein ^di)t, beöor ß^rifiine anttoortet (S)e= 
cember 1648).^ @ie l^atte fid& ingtoifd&en mit nod& anberen ®ingen 

» Oeuvres T. X. pg. 59—64 (in (Sömonb ben 20. SRob. 1647 gcfd^ tiefen). 

a ebcnbaf. @. 65—67. 

8 S)ic SInttoort bcr Königin ift octlorcn. S)egcatteg fd^ticb über ben 

17* 



^^ 



S3»cQttt€' Sebtitgtiibc 



lü befi^äfltgen al8 mit bcc ßtcbe unb bem IjöiSflen ©ut: baS 2tat)t 
164:8 tcar baS beS tDcftfaüicfien gticbmö. 2l6cr fic Uetliert ®e8cattc§ 
nii^t Qu§ bm 9(ugen, unb nacöbcm \1)i ißerle^r mit bem ?J^ilofDpl)Cii 
ein btiefltcE)et gEtuoTbcn, münii^te bte ßbnigtn leSljait, tiefen petibntid) 
in i[)rer 9Jä^e ju Iel)en. 



Sirlabung unb (Reife no^ ©tod^ofm. 



De^H 



SÖtiftine t)Qtte fiift in bte ©c^rift über bie Seibenfi^Qften 
tieft unb ben 6ntfc£)Iu6 ßefafet, bte pfiilofoföHc&en SßerEc ©eäcattel' 
gtünblidi ju ftubiren, Sie fiiljtt feine ©(Reiften ftetä bei fid), ouf 
iljrcn 3aäben begleitet fie bcr ©ntlourf übet bie Üeibenf Soften, auf 
bei aieife in bie öergioetfe bie ^rincipien bei- 5ß^itofop^ie; 3teinJ3= 
^eim mufe biefeä aSetf ebenfaüs ftubiren, um i^rem ffierflänbnil ju 
^ülfc JU lommcn, ß^aiiut foU t)en öofgetc^rten babei unterftü^en. 
„iffieit 5reinäf)eim gefunben Ijöt", fdireibt 6£)Qnut mo^Igetount un 
3)eScarte§, „et bebütfe eines ®cfeIIf(i)Qftet§ auf biefem Sißcge, fo bin 
\i) gebeten tootben, mit it)m jugleiif) bie ^Principien ju lefen. 3c6 
^abfi bte ^fltc^t, ber Surfltn, bei bet \ä) bem J?öntge Don ^i^öifreic^ 
biene, mict) gefällig ju geigen, unb fo geljütt e§ je^it ju ben gunctio' 
nen beS ftanjöfifcfeen ©efonbten in ©iftnieben, ®e§catte§ ju ftubitcn." 
SBä^renb bcr ^P^ilofop^ in ^^JatiS ift, mitten untet ben poHtif^en 
2age§unrufien, bie feine läluefi^ten für bie näi^fte 3ntunft jetftöten, 
etffl^rt et mit Sergnilgen, bofe mnn am fi^roebifi^en ^o]e feine S3üd|cr 
lieft unb fetbft onf ben 3agben bet Königin pl)ilofopt)itt. ®r enipfie£)lt 
patt bet TOebitalionen ba§ etfte Suift ber ^^rincipien, meü eä gebtöngter 
unb fafiUiftet fei; mit ber Seracgungslelöte im ätneiten Söud) möge fiij 
bie fiönigin ni^t aufhalten unb nut ben ^auptgefii^täpunEt ins Stuge 
fnffen: baß in ben finntiiien SSefcdaffcn^eilen ber ©ingc niiitä objcctic 
fei Qlä ©röße, {figui unb Sctnegung, bafe au§ biefcn ©tunbeigcnfi^aften 
au(^ ßic&t nnb SBnrme erllört icetben, njcldjc, mie ßi^el unb ©cEimeij, 
ito^ in unferen ©innen erfdieinen.' h 

Sii^nlt unb ben ftanjBfiidien Stil berftlbm Uiji btfiicbigt an ß^anut, t^^ 
26. Sfefir. 1649. Ebinbal. S. 307ff. ■ 

' Oeuvres X. pg. 303—309. (OTU biefem ötief an gfianut Dom 26. gdi. 
1649 HtDibert 3)(icotte8 gleii^ieitia boiS ©i^Teibcn btx fibnigin, er nennt feil» 
anl»ott «QU compiimonl fort Btßrlle». Sltti Sc^lii^ fteljl bie Bctfi^eiuiig, bai 
feint Ciflebenfieit für bi( Königin nit^t gtöget fein tonnte, menn er ©d^webe obit 
SrlnnllinbeT tgäre.) 



in ©todf^olm. 261 

3fnbcffcn finbet ß^rijiine bolb, bofe bie ©(SlDierigIcttcn bcr ßcl^rc 
©cScarteS* bcffer burd& bicfen felbft aU burco ^reinSl^eim unb ß^onut 
äu löfcn jtttb, unb i^r bicfc Öcl^rc ttberl^aupt leidster au8 bcm SDlunbe 
bcS ^P^ilofopljcn cinleud&tcn toerbc aU aus feinen Süiä^crn; fic tüftnfd&t 
brtngenb, bafe Scannt i^n einlabe, nad^ ©todl^olm ju fommen, bafe 
er bie ®inlabung tüieberl^ole. S)a8 erfte ©d&reiben, tüeltfieS in 5PariS eim 
traf, al§ ©eScarteS bereits abgereift toar, erl^ielt biefer erft in ber 
SDlitte Februar 1649, baS gleite gegen Snbe beS folgenben SWonatS. 
6r anttDortet (mal^rfd&einliÄ ben 31. 9Jldrj 1649) in gtüei SBriefen 
an Scannt, beren einer bejiimmt ift, ber flönigin gejeigt gu tüerben ; 
in biefem nimmt er bie Sinlabung an unb t)erft)ridöt feine Slbreife 
für bie Sfflitte beS ©ommerS^, um ben SQBinter über in ©todl^olm gu 
bleiben. 3lnber§ lautet ber t)ertrauli(3&e Srief. ©ine 5ötenge a3e= 
beulen, toeit mel^r als er badete, l^aben fid& il^m aufgebröngt, er l^at 
mit feiner ^pi&ilofo^l^ie unb mit feinen ^Reifen fo öiele üble Srfal^rungen 
gcmad&t unb nur fel^r toenige gefunben, bie feine ßel^re »al^rl^aft gu 
tt)ürbigen tüiffen; auf ben erften Slid erfd^eine fie öielen überrafd&enb 
unb abfonberlidö, nad^ einigem SBerftönbnife bagegen fo einfadö unb 
natürlid^, bafe fte aufl^öre, ein Dbject ibrer 2lufmer!famfeit gu fein, 
benn bie SBal^rl^eit fei gleid&fam bie ©efunbl^eit ber ©eele, mit ber eS 
ftd^ toie mit ber beS fiör})ers öerl^alte, man fd&ö^e fte nur, fo lange man 
fie nid&t l&abe. SRirgenbS fei eine fold^e 5ßl^ilofo})]^ie nirgenbs weniger 
an il&rem 5ßla^ als an ben ^öfen ber fjürften, wo ein Sfntereffe baS 
anbere treibt. SQßenn bie Königin SJlufee unb SluSbauer genug für 
feine ßel^re ^aU, fo tt)offe er fommen; toenn bagegen il)r Sntereffe 
nur flüd&tige Sfteugierbe mar, fo möge ber ^reunb aüeS tl^un, bamit 
er nid&t gu reifen braud&e.^ 

?llle biefe Sebenlen fieigern fid& in feinem l^eimlid^en ßgmonb, 
er tt)irb unfd&tüffig im .^inblid auf bie loeite Sleife, baS frembe ßanb, 
baS raul^c Älima. „9Jlan wunbert fi^ nid&t", fd&reibt er einige SEage 
ft)dter an ß^anut, „bafe Ul^ffeS bie glüdtid&en 3nfeln ber fial^pfo 
unb ©irce, tt)o il^m aöe erbenfbaren ©enüffe gu ©ebote ftanben, öer« 
liefe, um in einem ftcinigcn unb unfrud^tbaren ßanbe gu tool^nen, 
benn cS toar feine ^eimatl^; aber einem TOeufd^en, ber in ben ©drten 
bcr SEouraine geboren ift unb je^t in einem ßanbe lebt, too, toenn audö 
nid&t mel^r ^onig, bod& toal^rfd&einlid^ mel^r 5ötild6 als in bem gelobten 



1 Oeuvres X. pg. 320—327. 



262 S)egcaxted' Sebendenbe 

ßanbc fliegt, barf ber (Sntfd&Iufe tool&I fd&toer fallen, einen fold&en 
Slufentl^olt ju öerlaffen, um in baS ßanb ber Sörcn ju gelten mitten 
unter Reifen unb @is."^ ?lid&t bie Jlatur allein, aud& ber ^of mad&t 
tl^m bange, too e§ an ©egnern unb 9ieibern, an fc^ümmen Sftad&reben 
unb aüerl^anb RahaUn nodö weniger feilten toirb, als in feiner ]^oI= 
lönbifd&cn ©infamleit; er fürd&tet, bafe man bie Königin, toeit fie i^n 
gerufen, in il^rem eigenen ßanbe öerböd^tigen »erbe; fd&on belrittelt 
man il^re Sßorliebe für bie ©elel^rten, il^ren 6ifer für bie ©tubien 
unb fi)ottet, ba^ fie bie ?ßebanten @uro))aS um ftd^ öerfammle unb 
©d^tüeben balb tDerbe öon ©rammatifern regieren laffen. @r ift auf§ 
öußerfte beforgt, ba^ burdö befliffene ©egner, bie öon ber 9lbfic^t 
feiner 9ieife gel^ört, bie feinbfeligen ©erüd^te über feine ßel^re f^on 
in @d&tt)eben Verbreitet feien, unb bann fein Slufent^alt in ber klafft 
ber ßönigin biefer nur jum SRad^tl^eil gereid&en lönne. @r fd&reibt 
barüber mit aller Dffenl^eit unb aßem S^irigefül^I an ^^etnSl^eim unb 
bittet biefen um STuSfunft unb Statl^.^ S)ie 3lnttt)ort fiel fo au§, ba§ 
er berul)igt fein lonnte. 

3eben ©d^ritt, tüomit er ettoas Don feiner Unabl^ängigfeit unb @in= 
famleit aufgiebt, fül^It unfer $]^i(ofo})]^ aU ein ^inauägel^en aus feinem 
eigenften ©tement in ein frembeS; fo oft er in feinem Seben biefe ©ren^e 
üb er fdfe reiten foü, bleibt er gaubernb ftel^en; er öerl^ölt fid6 je^t ju 
feiner Steife nad& ©d^toeben äl^nli^, mie frül^er ju ber Verausgabe feiner 
©d^riften: am liebften l^ötte er bamals feine öeröffentlid&t, am üebften 
toöre er je^t geblieben. S^anut Iiatte im grül^jal^r auf feiner S)ur4= 
reife nacft 5ßarig, tt)o er bis in ben ©})ät]^erbfi bleiben follte, ben 
$l)ilofo))]^en in ^offanb befud&t unb mand^e feiner Sebenlen befd&toidötigt. 
©ern l^ötte S)eScarte§ bie SRüdEfel^r be§ ^reunbeS abgewartet, um mit 
xi)m ju reifen. Siber bie Ungebulb ber Königin brängt, fte lö6t 
Ulemming, einen il^rer Slbmirale, nad& Slmfterbam gelten, um S)e§= 
carteS feine Sicnfte angubieten unb xi)n nad6 ©todl^olm gu geleiten, 
tt)o fie i^n nod^ bor @nbe 3l})ril ju feigen l^offt. Sfnbeffen l^atte Se8= 
carteS fd^on er!lärt, ha% er t)or 3Äitte beS ©ommer§ nic^t reifen lönnc. 
SRad&bem et feine Sßerl^ältniffe georbnet, feine ©d^rift über bie ßeiben= 
f^aften für ben S)rudE öoüenbet, bem SSerleger in Slmfterbam über= 

1 ©bcnbaf. ©. 300-331. {f8x. b. 4. Sl^rtl 1649, nad& ©ouflnS »ctmutbung.) 

2 Oeuvres X. pg. 335—337. (Jßricf bom 10.3unl 1649, na^ ©oupnSöcr- 
mut^ung. 5lm @d&(u6 bc§ Jöriefcä fragt S)egcattc8, ob btc Äönigin bie §erau8» 
gäbe leinet ©d^rift über bie ßcibenfd^aften geftatten tootte?) 



in ©tocl^olm. 263 

geben unb fein .&qu§ mit aöer SBorforge befteüt l^at, öcrlö^t er ©gmonb 
ben 1. ©eptember 1649. 

n. SeScarteg in ©todl^olm. 

1. 2luf enthalt unb ©tettung. 

SÄit Slnfong Dctober ift er in ©totfl^olm unb finbet im ^oufe 
beS ftQnjöfifd&en ©efanbten, ber nod& in SPoriS tüeilt, bei ber fjrau 
unb 6d&tt)efter feiner beiben trefftidicn fjreunbe bie fictftti^ä&fte Slufnal^mc, 
bei ber Äönigin ben el&renöoüften ®m:pfan9. ©inige SCage naä) feiner 
Slnlunft fd&reibt er ber 5|}ringeffin ©lifabetl^, bQ§ er bie Äönigin erft 
gtt)eimat gefeiten unb il^rc ©rfd&etnung fo bebeutenb unb Qnjiel^enb ge» 
funben, q(« er erwarten burfte;- greinäl^eim l^abe bafür geforgt, 
bo6 er öon QÖen brfldenben 5ßfltd&ten beg Seremoniete frei fei unb 
nur an ben $of ju gelten broud&e, toenn bie fionigin il^n fpred&en 
toolle; felbft im günftigften gaff toerbe er in ©totf^olm nid&t länger 
ate bis jum näc^ften ©ommer öermeilen. ©eine Stide lenlen fid& 
fd&on toieber jurüdC nad^ ber geliebten l^oÖönbifd^en @infiebelei. „S)ort 
toirb es mir leid&t, in ber ©rforfd&ung ber SBal^rljeit fortjufd&reiten, 
unb barin aüein befielet ja ber ^auptitozd meines ßebenS."^ 

Sie Königin l^atte mit SeScarteS toeiter auSfel^enbe ?ßlSne unb 
tt)ünfdöte burd^ feinen Slufentl^alt an i^rem .&ofe nid^t bIo§ il^ren 
eigenen toiffenfd^aftUd&en 3ntereffen, fonbern aud& benen beS ßanbeS 
unb beS 5|}]^i(ofo})I)ett felbji gu nü^en : er foffte il^r Seigrer unb fjreunb 
fein, eine tt)iffcnfd&aftUd&c Slfabemie in ©todt^olm grünben unb in 
X)OÄer aJlufee unter il^rem ©döu§ feine mitgebrad^ten ©nttoürfe auS= 
fül^ren unb bie begonnenen SQBerle öoffenben. 2luf biefe SQBeife tooüte 
ßl^rifiinc bie neue 5ß]^i(ofop]^ie ebenfo förbern, als burd& fie geförbert 
tt)erben. Slber bann mufete S)eScarteS in ©c^weben bleiben, nid^t bIo§ 
ijorübcrgel^enb unb befud&Sioeife fid& l^ier aufl^alten. Salier betrieb bie 
ßönigin fein förmlid&e Ueberfieblung, fie l^atte bie Slbfid&t, il^n mit 
crbiid&em ©runbbefi^ auSäujiatten unb einen 5ßla^ unter ben 3Jiagnaten 
beS ßanbeS einnel^men gu laffen. 3llS ©l^anut im Sloöember gurü(I= 
geleiert toax, t^eilte il^m bie ßönigin il^re $(öne mit unb tt)ünfd&te, 
bofe er feinen greunb bafür getoinne. S)eScarteS, öüu fid^ auS ber 
©adöc abgeneigt, fd6ü§te t)or, bafe er für feine ©efunbl^eit baS Älima 
fürd^ten müffc; es toar bie eingige ©df)mierig!eit, tt)eld&e bie ßönigin 
gelten liefe unb leidet aus bem SBege gu röumen toufete; er foffte ©üter 

» Oeuvres T. X- pg. 373-375. 



im füblicfeen ©c^tnehen l&ü6En, 6£)ariit unb ein SDlitQlieb beiS JRei^S: 
tat^eS mürben BcQujtragt, unter ben 23eu§ungen im SrjBiät^um Swmcn 
unb ^ommeni, bie foeften buri^ ben roeftfölifc^en ^rieben an S(^mcben 
gelommen loaren, eine ^eirfd)aft föt 33eäcarte3 (iii§äii|uc&en, bie i^m 
ffaltti^e 3Ql)reSeinfünfte bringen unb in feiner Familie er6li^ fein 
fotlte. ®ie 91ngelegcnf)eit toor [c^on im ©onge, als fie burc^ S^anutS 
flranf^eit untcrbrocf)en unb aufgcfc&ofien raurbe; fie roor noc^ unaus= 
geführt, ofä 3)cecorte§ ftarß. Bo ^alie ber eigent^ümli^e ©ang feinet 
©(Sidfüle faft baju geführt, ba% bicfet %xö^te unb für bie beutfc^e 
*J3t)ilofopl)ie miijtigfie SEcnfer JJ'^anlteiii)? buccE) bie ©unft bet Sottet 
©uftQti 9(boIfä ein ©runb^err in beutfc^en Öonben rcurbe. 

®er p^ilofoptiifcfie Unterricf)! ber Königin begann im 3Ionember, 

nacEibem ©cscartes in ben neuen äSer^dltniffen ficfi einigermaßen juie4t= 

gefunben. Um für ben fi^ioiertgen ©egenflonb in ber aufgelegteren 

Stimmung unb öon eitlen ©toatsgefc^äften üöllig ungeftört ju fein, 

^ütle S^riftine bie frü^efte SUlorgenftunbc geroä^lt. läglid) um fünf 

Ut)r mufete ®e§carteS in ber fiöUe beä notbifc^en SintecS, bet noäi 

baju in biefem 3a&t ungeiDöt)nIiii) ftreng mar, ben Süeg nac& bem 

S(l]lotJ m(!rf)cn unb l^ier in bem SBitUotijcfjimmcr feine iföniglii^e 

I ©rf)ülerin erwarten. 6c l)attc boä filima nii^t umfonfl gefürchtet. 

Dfacft einem gemeinfi^aftlic&en Spnjiergang mit ß^onut (ben 18. 3an. 

1650) ecjronite ber leßtcrc an einer ßungenentjünbung, bie i^n tieffig 

ergriff unb fein ßeben in ®efaf)t 6rüd&fe. ÜJlit ber gtbfeten Sorgfalt 

mibmeJe fiij EeScarteS ber Pflege beS SreunbeS. 9lad& butc^ttiüi^ten 

9täc&tcn mar et jeben ^Dlorgen um fünf Utjr in ber Söibtiot^el ber 

Königin, aucö in ben 9IacömittagSfiunben conferirte er mit i^r raegen 

ber ju grünbcnben ?(fabemic, beren Statuten er in ben lefeten Saugen 

L be§ Januar entworfen ^atte unb ber Königin ben 1. {februar Borlegte. 

j^^H @S loar baS legtemal, ba^ er fie fat). S)iefe Statuten bezeugen, 

^^^H nie menig Se^carteS auf fic^ unb feine 3JortlieiIe bebad)t wai, er 

^^H ^ütte gleid) in ben erftcn ?lrtileln jeben ^i^emben Don ber ^äfibent= 

^^^B f<!f)Qft auSgeji^toffen, beren Stelle i^m bie Königin jugebai^t ^altc. 



2. fltantScit unb Sob. 

Slnftrengungen bet Strbeit unb ber gleic^äeitigen Kronfen= 
Jjflege tiatien feinen .Rörper erfcbbpft unb für bie üerberbUct)en @inflöffe 
beg KlimoS unb ber ^i^teSjeit noc& empfdnglic&et gemacht. Sr WOI, 
fc^on !ranl, aU er Don ber le|ien Untetrebung mit ber Konigin jurfii 



:fii£^ 



in @tod^o(m. 265 

feierte unb l^telt fi(3& ttur Tto(3& gctooltfam aufredet. Um fo l^cfttfler 
erfolgte am anbcrcn Sage (2. gcbruar) ber SluSbrud^ beS ^tcberS, eine 
SBod&e log er betou^tloS, fd^on am fünften S^oge erfd^ien fein Suftanb 
ben ^ergten ol^ne Hoffnung, ßeiber toax ber crfte ßetbarjt ber 
Königin, bu Sl^er, ein ßonbämonn unb grcunb ®e§cQrte8^ abtoefenb ; 
ber jtt)eite 3lamm^ öon SBuIen mar ein #ottänber unb, tote man fagt, 
ein 5^eunb ber Utrei^ter ©egner beS 5pi^iIofo))]öcn. 2lm fiebcnten Sage 
liefen bie 5iebcr))]^antafien nad^, fein Seiou^tfein leierte jurüdC, aber 
nur, um bie 3l&\)t beS SEobeg ju erlennen unb bie legten ©cbanicn 
auf ba^ @totge ju rid^ten. ®en 11. g^bruar 1650, frül^ um öier 
Ul&r, fiarb S)e3carteö nod& oor SSottenbung feinet öierunbfünfjigften 
Sal^ccS. 

3tte bie Königin burd& ben franjöfifd^en ©efanbtfd&aftsfecretdr bie 
SobeSnad^rid^t em))fing, brad^ fie in Sl^rftnen au§. Um baS ®e« 
bäd&tnt§ il^reS „großen ßel^rerS" p el^rcn unb t)or ber 3lad&tt)elt ju 
bejeugen, ba§ fie S)e8carte8 ju fd^ä^en gctou^t, fottte er unter ben 
©ro^loürbentrdgem ber Ärone ju bm fjft^en ber ßönige t)on ©d^ioeben 
begraben unb über feinem ©arge ein aJlauf oleum t)on IDlarmor er= 
rid&tet toerben. ©I^anut beioog bie ßönigin, biefen ^jJIan unauSgefül^rt 
JU laffen. ßr l^atte baS ridfetige ©efül^I, ba§ bem Slnbenfen S)e3carte§' 
eine einfädle Slul^eftätte auf bem ßird^l^ofe ber ^remben gemäßer fei, 
afe ein ©rabmal t)on Iönigli(^er ^Prad^t in ber ©ruft ber Könige. 
S)ie SBeerbigung gefd^al^ bm 12. Februar 1650. ®in fd&üd&te§ S)enl= 
mal bejeid&nete ben 5pta^ , bie 3nfd&rift t)on ber §anb be§ ^rcunbeS 
t)erfünbete, ba% l^ier S)e8carte8 rul^e, toeld^en bie ßönigin t)on ©d^ioeben 
aus feiner ))]^tIofo))]^tf^en ßinfamfeit an il^ren §of gerufen unb bem 
€l^anut btefeS 2)en!mal geloibmet l^abe. 

3lod& im SobeSjlal^re tourbe in ^oKanb ju ßl^ren be§ 5p]^iIofot)löen 
eine ®enfmünje ge))rägt mit bem ©^mbol ber ©onne, toeld^e bie ®rbe 
erleuchtet. S)a8 franjöfifd^e Jktionatgefül^I emt)fanb eg t)einlid^, ba§ 
bie 3lcfie beS' größten atter franjöfifd&en ^pi^ilofopl^en im fernen 3lu§= 
lanbe mieten. ©ed^Sjel^n Saläre nadft bem Stöbe beS ?pi^itofo))]^en lie^ 
b'2ttibert, einer feiner fjreunbe, unterftü^t t)on SEerlon, bem bamaligen 
franjöfifd^en ©efanbten in ©(^toeben, bie Slfd&e S)e§carte8' auf feine 
Äoften nad& g^^anfrcidö führen; fie tourbe ben 1. SJlai 1666 in ©todC= 
l^olm eingefdöifft unb ben 25. 3uni 1667 in ber Äird^e ber l^eiligen 
®enot)et)a, bem l^eutigen ^ßantl^eon, feierlid^ beigefe^t. ®§ bauerte lange, 
bis bie fird^lid^en Slutoritäten fid^ belegen liefen, ber Slfd^e eines 



266 S)e8catted' SebenSenbe in ©todgolm. 

aJjQnncS, beffen SRomcn feit einigen Salären auf bem Snbej ftanb, fo 
l^ol^e firdölid^e ßl^ren gu fietoiKigen. ^an toufete il^ren SQBibcrjianb gu 
befiegen, inbem man bem 5I}]öUo[o))l^«n ein großes SBerbtenft um bie 
ßtr(i^e gufd^rieb. Königin ©l^riftine l&atte im Sunt 1654 ber Ärone ent= 
fagt unb mar balb baraujf gur römifd^en ßird^e übergetreten. S)e§carte§ 
töar einige SlJlonate lang il^^ ßel^rer getoefen; man fuc^te Beibc SE]^ot= 
fad&en, fo fremb fie einanber toaren, gu t)erfnüi)fen unb btn ?J]^iIofo))l^en 
aU 2Jliffionar bargufteKen, bem eS gelungen fei, bie Sod&ter ©uftat) 
Slbotfs gu belel^ren. Unb ba biefe felbft fidö töittig finben Iie§, il^te 
©onöerfion burc| S)e§carteS gu begeugen, fo toar eS nid^t mel^r ber 
^pi^ilofoj)]^, fonbern ber Selel^rer, beffen Slf(3&e bie 5Priefter in bie ßird^e 
ber l^eiligen ©enot)et)a aufnal^men. 

®ag Seugnife ber Königin toax unrid^tig unb aus fritooler ©c= 
föttigleit gegeben, aud^ l^at fie barüber fid& ))rit)atim aufrid^tig genug 
geäußert. Jlid^tS toar bem ©l^arafter ®eScarte§' frember als 5ßrofel^ten= 
mad&erei. ®r blieb ber Rxxä^t, in ber er geboren toar, treu, toeil er in 
il^r geboren, aber mit il^^en SSefel^rungSgefd&dften ^atte er nid^ts gu 
tl^un. ©ein ßeben , f otoeit er es nadft freier SBal^I feinem ©eniuS 
gemdfe geftalten lonnte, gel^örte ber 5ß]&ilofo))]^ie unb ber ©infamfeit. 



SReunteS 6a))itel. 

^^r^mmtfikrfti^t itx Wtxkt mi Schriften. 

I. S)ie t)on S)eScarteS felbft l^erauSgegebenen SBerle. 

S)ie ©d&riften, toeld&e ber ^l^ilofot)]^ felbft Deröffentlid^t l^at, unb 
bereu ®ntftc^ung toir in feiner ßebenSgefd&id^te lennen gelernt, finb, 
in t)l^iIofo))l&ifd&e unb ))oIemifd&e gru))))irt unb in d^ronotogifd^er JUeil^em 
folge gufammcngefteKt, folgenbe: 

1. «P^ilofop^ifd&c. 
1) Essais philosophiques. Leyden. Jean Le Maire. 1637. 
ifitienne be ©ourceKeS überfe^te bie ©ffais inS ßateinifd^e mit 2lu§= 
nat)me ber ©eometrie, S)e§carteS reöibirte bie Ucberfe^ung. 3rang öon 
©d^ooten, ^rofeffor ber S!Jlatt)emati! in ße^ben, gab eine lateinifd^e 
Ueberfe^ung ber ©eometrie mit SBemerfungcn t)on be SSeaune unb 
eigenen ®rlöuterungen. ®ie Sitel l^eifeenf 1) R. Cartesii specimina 
philosophiae, sive dissertatio de methodo recte regendae ratio- 
nis, Dioptrice et meteora ex gallico latine versa (per Etienne 



®efommtül)erfii5t ber SDöcrfc unb ©d^riftcn. 267 

de Courcelles) et ab auctore emendata. Amst. Lud. Elzevir 1644. 
2) Geometria a. R. Descartes gallice edita, cum notis Florim. de 
Beaune, latine versa et cominentariis illustrata a. Fr. a Schooten. 
Lugd. Bat. J. Maire. 1649. 

2) Renati Descartes meditationes de prima philoso- 
phia, ubi de Dei existentia et animae immortalitate. His ad- 
junctae sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de Deo 
et anima demonstrationes cum responsionibus auctoris. Paris. 
1641. S)ic jtöeitc 2lu8gabc mit bcm Derönbcrten SEitel (f. o6cn 
©. 223fl9b.), bcn ßtntoürfett Sourbing unb bem Srtef an S)tnct 
crfd^eint in Slmfterbam bei ®I}ct)icr 1642; im SobcSial^r beS 5pi^tIo= 
]f)p^^n erfd&eint bic btitte. SDte SlJlebitationcn übcrfc^tc ber ^erjog 
be ßu^neg, bic ©intoürfe unb ©rtoiberungen Slerfclier ins ^ranjö» 
jtfd&e. SDeScarteS fal^ bicfe Ucberfc^ungcn burd&, berid^tigte fie, tt)o er 
CS für gut fanb, unb öeränberte einige ©teilen im lateinifc^en SEegt. 
S)iefc Ucberfe^ung ctfd^ien in ^ßaris 1647. 

3) Renati Descartes principia philosophiae, Amstel. 
Elzev. 1644. ®ie gtoeite SluSgabc erf(f)ien im S^obeSjal^re be§ ^pi^ilo^ 
fo))?cn. S)ic franjöj'ifd&e, öon ®e§cQrteS gebilligte unb mit einem 
brieflid&en SBortoort begleitete lleber[e§ung beforgtc ber 3lbbö ^icot: 
Principes de la philosophie, Berits en latin par Renö Descartes 
et traduits en francjais par un de ses amis. (Paris 1647.) S)er 
Srief QU pcot, ins Sateinifd^e überfefet, toürbe in bie folgenben 2luS= 
gaben ber ^rincit)ien als SSorrebc aufgenommen. 

4) Les passions de l'äme, Amst. Elzevir. 1650. Ueber bic 
©ntpel^ung ber ©d&rift, bie im SBinter 1646 entworfen, im ©ommer 
1649 auSgefftl^rt unb öoüenbet mürbe, nad^bem fie l^anbfd^riftlid^ guerft 
ber ^Prinjeffin ®lifabet]^, bann ber ßönigin t)on ©(^»eben mitgetl^eilt 
tt)orben, toergl. ©. 243. SRod^ iwi S^obeSjal^rc beS ?pi^itofo))l^cn erfd&ien 
eine lateinifd^c Ueberfe^ung. 

2. qßoIcmi|(Je. 

1) Epistola Renati Descartes ad celeberrimum virum D. 
GisbertumVoetium, in qua examinantur duo libri nuper pro 
Voetio Ultrajecti simui editi: unus de confraternitate Mariana, 
alter de philosophia Cartesiana, Amstelodami. Elzevir. 1643. 

2) Renati Descartes notae in programma quoddam sub 
finem anni 1647 in Belgio editum cum hoc titulo: explicatio 



268 ®efammtübetfi(^t bet 

mentis humanae sive animae rationalis, ubi explicatur, quid sit 
et quid esse possit. Amst. Lud. Eizevir. 1648. ®tcfe notae finb 
©eScorteS' ©egcnfd&rtft gegen SlegtuS (f. oben @. 249 flgb.). S)tefe 
©d&rift tft fo feiten, ha% felbft ^teterS, ber SBerfaffer ber Stnnalen ber 
®Ijet)tef fd&en ©ruderet, fie erji nad^ ber 5Pu6liIatton jenes SBcrIeS ent= 
bedt %al (ginige Solare \p&kx beIänH)fte bte ©d^rift SCobioS Stnbreö: 
Replicatio pro notis Cartesii. Amst. Elzev. 1653.) 

n. ®er 3laä^la^ unb bie opera postuma. 
1. ©d^rtften in ftembem JBepjj. 

35on ben l^interlaffenen Serien finb junöd^P Jtoei ju nennen, bie 
für Sreunbe gefd^rieben toaren unb fid^ bal^er nitftt im t)erfd&loffenen 
SRad^Iafe befanben: 1) Compendiuminusicae, unter b^n erl^altenen 
©d^riften bie frül^efie, für SSeedCmann im Saläre 1618 öerfo^t (f. oben 
©. 162flgb.), in Utrecht 1650 erfd^ienen; 2) ba§ »rud&fifld einer 
Slbl&Qnbtung über 2Jted6aniI, für ©onftantin -^u^gl^enä im Sol^r 1636 
gefd^rieben, toorin einige ajiafd&inen, tt)ie JftoÜe unb fjlafd&engug, bie 
fdE)iefe ®bene, Jftab unb SBette, ©(^raube unb ^ebel crHört toerben. 
©in jtoeiteS SSrud^ftüdC über §ebemafd&inen («explication des engins»), 
tt)cId6eS ®aniel 3Jla\)ox aufgefunben, ins ßateinifd^e überfefet unb 1672 
öeröffentlid^t l^at, ifl t)on bem juöor genannten laum t)erfd6ieben. S)iefc8 
Fragment ber 2Jled^ani! unb boS 6omt)enbium ber 9Jlufif überfe§te 
^jJoiffon ins ^i^anjöfifd^e, fie erfd^ienen unter folgenbem SCitel: Traitä 
de la möcanique, compose par M. Descartes, de plus Tabrögö 
de la musique du meme auteur, mis en fran9ais avec les öclair- 
cissements nöcessaires par N. P. P. D. L. (Nie. Poisson, pretre 
de l'oratoire). Paris, Angot. 1668. 

2. Söcrlorcnc ©ti^riften. 

®ie übrigen nod& ungebrudEten ©d^riften toaren in einer ©d^atuffe 
t)erfdE)Ioffen, bie ©eScarteS mit nad^ ©todl^olm nol&m ; l&ier »urbe nodfe 
feinem Stöbe ber Snl^alt in ©egentoort ß^anutS inoentarifirt: man 
fanb eine 2lb]^anblung über bie fjed^tlunft, toal^rfd^einlidö jene erfie 
©d&rift, bie er nod^ in 3lenneS öerfa^t l^at, ein 2agebud& ouS ben 
^al^ren 1619 — 1621, brei jur SöJetl^obenlel^re geprige©d^riften: Studium 
bonae mentis, ^Regeln jur Jftii^tfd^nur beS ©eifteS, ein ©efprSd& über 



] 



Söerfc unb 6d&tiftcn. 269 

blc ©rforfd^ung her SBal^rl^cit im ßid^te bcr SBcrnunft; ein Sragment 
unlcr bcm Stitel: «Thaumantis regia» (SButibcr))alQft), toal^rfd^einltd^ 
aSorpubten jur ^Pl^^fif, töorin itad& Saittet fd&on btc 2lnfi(3&t, bafe Mc 
Stl&tcrc Slutomatcn feien, enthalten toar, aSrud^ftüde ntaH^ematifd^en, 
:|)]^^filQltfd&en, ttaturgefd^id^tlid^en Snl^altS, einen SCl^etl be§ „ÄoSmo§", 
bie 2lb]^anblung t)om SJlenfd^en unb ber Silbung be§ fjoetus, SSrtefe, 
boS aSrud^flüd eine§ franjöfifd^en ßuftf))iel8 unb SSerfe jur fjeier be§ 
toeftfölifd^en griebeng. 

Slu^erbem l^atte ®e8carte§ feinem greunbe ^ooglilanb einen ,ßoffer 
jurüdgelaffen, toorin aufeer toertl^öollen Sriefen fid& eine Slbl^anblung 
cde Deo Socratis» befanb, öieÜeid^t fogar bie öoKftönbigc Original» 
fd&rift beS ßoSmoS. ©p öemutl&et 3RxM.^ ©id^ereg läfet fid^ nid^t 
fagen, ba bie bei ^oogl^Ianb aufbetoal^rien ©d^riften nebft bem S5er= 
geid&m^ toerloren pnb. 

aSon htn ©d^riften, bie baS ©todfl^olmer Snöentarium nennt, finb 
bis ie^t nid&t aufgefunben Sorben: bie Slbl^anblung über bie 3ed6t« 
lunfi, baS Original be§ SCagebud^S aug ben Salären 1619—1621, toie 
ba^ ber fjragmentc öerfd&iebenen miffeufd^aftüdöen Sn^ciItS, thaumantis 
regia, Studium bonae mentis, bie ))üetifdöen ©tüde. 

(Ss iji lein SBunber, bafe einige ber im ©todCl^oImer JRad^Iafe be= 
jtnblid&en ©d^riften untt)ieberbringlid& Dertoren finb; man lann tyon 
©lüdE fagen, ba^ bei bem Unfall, ber bie ©d^otuöe traf, nod& fü ötele 
unb jtoar bie toid^tigfteu erl^alten tourben. ©l^anut fd^idCte ben ge= 
fammten 3lad6Ia§ feinem ©dbroager ©lerfelier nad& ^arig, ber bie 
Verausgabe beforgen tooBte; ba^ ©d^iff !am glfldflid^ an bie franko» 
pfd6e Äüfie, baS ^al^rjeug, toeld^eS btc ©enbung aufnal^m, brad&te fie 
glüdElid^ bis nad^ ?PariS, aber bei ber ßanbung, in ber 3lä]^c beS 
ßout)re, fiel baS SBel^ättni^ ber 5pa))iere ins SBaffer unb lag brei 
Sage in ber ©eine; enblidö tourbe eS aufgefifd^t, bie ©(Triften 
tourben bogen« unb bldtterioeife aufgel^angen unb getrodfnet unb ge= 
langten fo im 3uftanbe ber größten Unorbnung in ©lerfelierS ^önbe. 
S)ie fjolge toar, ba§ bie Verausgabe toerjögert mürbe unb namentlid^ 
bei ben ajriefen unübertoinblid&e ©d^toierigfeiten mit fidfi brai^te; biefe 
toaren bergefiaft burd& einanber geratl^en, ba^ eine burd&göngige Drb= 
nung fid& nid^t l&erfteüen liefe: l^ier lonnten l^eterogene ©tüdfe nid^t 
gefc^iebcn, bort gufammengeprige nid^t bereinigt toerben. 



1 J. Mület: Descartes avant 1637. Pr^face, pg. XXIII -XXIV. 



270 ®efammt&Betfl(^t bet 

3. S)ie t)on ^^(erfelier l^etauSdegeBenen äBerfe, 

1) S)q8 aSrud^ftüÄ beg t)ieI]6c^ro(J&eticn ÄoStnoS: Le monde ou 
traitö de la lumiöre. ®ic crjic fcl^lerl^aftc SluSgaBc mar ol^ne 
ßlerfcUcrS SBtffcn unter bcm SEttel: «Le monde de Descartes ou le 
traitö de la lumiöre» in 5part8 1664 erfd&tcnen. S)ic nad^ bem Dri= 
flinol bcrtd^tetc gab ©Icrfelicr 1677. 

2) Traitö de rhomme. S)tcfc ©d^rift l^öngt mit bcm fioS* 
mo§ genau jufammcn unb foQte einen Slbfd^nitt beffelben bitben 
(f. oben ©. 203—204), fie »ar im Original atS «chapitre XVIII» 
bejeic^net. ©lerfeliers 2lu§gabe mit Semerfungen toon ßaforge crfd&ien 
in ^ari§ 1664. ßurj öorl^er l^atte ^lorcntiua @(3&u^l, 5ßrofeffor bcr 
5P]^iIofo))]^ie in Serben, eine lateinifd&e Ueberfe|ung: «Renatas Des- 
cartes de homine» (Lugduni Batav. 1662 — 1664) l^erauSgegeben; 
©lerfelier fanb bie Ueberfe^ung f(i^ted^t, aber bie SBorrebc gut unb nal&tn 
bie Ie|tere (frangöfifd^) in feine SluSgabe auf. 

SÖlit biefer Slbl^anblung jugleid^ unb ftets mit il^r t)erbunben er* 
fd^eint: «De la formation du foetus», toon ®e§carteS f^Ibft m- 
get^eilt unb articulirt, maS bei bem «traitö de Thomme» gar niti^t 
ber Satt toar. S)cr auSfütirlidfee STitel lautet: «La description du 
Corps humain et de toutes ses fonctions, tant de Celles, qui ne 
d^pendent pas de Täme, que de Celles, qui en döpendent, et 
aussi la principale cause de la formation de ses membres». 

3) Les lettres de Renö Descartes. 3 Vol. Paris, 1657—1667. 

4. ©ommlung nad^geloffener Söerfc. 

6§ mufe befremben, bafe ©lerfelier jtoei ber »id&tigfien ©türfc 
beg Jlad&IaffeS, bie beiben }ur SlJletl^obenlel^re gel^örigen ©d&riften niti^t 
l^er ausgegeben l^at; fie erfd&ienen ein l^albeS ^al^r^unbert nad^ bem 
Sobe be§ 5ßl^iIofot)]^en in ber erften ©ammlung nad&gelaffcner SBerfe: 
«Opera postuma Cartesii» (Amst. 1701), bie au^erbem nod& ha^ 
a3ru*ftü(I: ^bie 2BeIt ober bie STb^anblung über ba^ 2m% ben Sradot 
ber $Ked6anif, ba^ 6omt)enbium ber SlJlufif, Semerfungen über bie 
©rjeugung ber Spiere, jule^t ®£cer))te entl^ielt, alles in lateinifd&er 
©:|3rad^e. Sene beiben toid^tigen, bis bal^in ungebrudEten ©d&riften pnb: 

1) Regulae ad directionem ingenii, auf brei Sil^eile Be« 
redE)net, beren jeber gtoßlf Flegeln umfaffen foQte; erl^alten ift bloß 
bie erfie ^alfte, ad^tgel^n ^Regeln, bie brei folgenben finb nur angefül^rt, 



aSexIc unb ©d^riften. 271 

ntd^t erläutert. SRad^ SaiÜeta 3eugni§ toax aud^ her DrtgtnalteEt 
btefer ©d&rift lateinifd^. (SSgl. oBen ©. 181 flgb.). 

2) Inquisitio veritatis per lumen Daturale, @e\pxäi^ 
gtoifd^en brei 5ßerfoncn, ebetifaffg unDoÜettbet, naä) SatÜetS Slttgobe 
urft)rün9Ud6 fronjöfifdö gefd^rieben. S)er Stttet ber nad&gelaffenen 
©d&rift lautet: «La recherche de la v^ritö par les lumiöres naturelles, 
qui, ä alles seules, et sans le secours de la religion et de la 
Philosophie, döterminent les opinions, que doit avoir un honnete 
homme sur toutes les choses, qui doivent faire Tobjet de ses 
pensöes et qui pönötrent dans les secrets des sciences les plus 
abstraites». 

ni. SluSgabe fÄmmtlid^er SBerle. 

1. G^oHectiDauSgaben. 

3lod& üor btefer erjien ©amnitung nad^getaffener SBerle finb im 
®Ijet)icr'f(Jöen SSerloge ju Slmfterbam lätetnifd&e ©ottectitoauSgaben, mcl^r 
ober toentgcr DoKftönbig, tl^eils ber ))]^iIofo:|)l^tfd&en, tl^eils, lüie eS l^tefe, 
fftmmtUd&er ©d&riften l^erau^gelommen. 3la(S) ben Stnttalen ber ®I}e= 
bier'fd&en SDrudferei erfd^ienen «R. D. opera philosophica» in 
ben Sal&ren 1644, 70, 72 unb 77. Slufeerbem tt)irb eine Sluggabe 
ber O. ph. tom ^af)X 1656 ertoäl^nt unb ate «editio tertia» begeid^net. 
S)ie erfte SluSgabe ber «Opera omnia» erfd&ien in 8 Sönben 1670 
bis 1683, bie jtoeite in 9 »dnben 1692—1701 unb 1713; eS mx 
nid&t eigentUdö eine ©efamnttau§gabe, fonbern eine ©oüection gefonberter 
SluSgaben, bie in il^rem legten SBanbe bie opera postuma enthielt. 

S)ie erfte franjöfifd&e 2lu§gabe in 13 Sönben erfd^ien ju 5ßari8 
in ben Salären 1724—1729. gin »Q^r^unbert f^jäter (1824—1826) 
gab aSictor ©oufin feine SluSgabe in 11 SBönben; e§ ift biejenige, toeld^e 
tt)ir in unferem SEBerfe citiren: Oeuvres de Descartes, pubhöes par 
Victor Cousin. 

2. Orbnung ber Sricfc. 

5lad^ ber Verausgabe ber opera postuma »ar eine ©efamnit= 
ausgäbe ber SBerle S)e§carteS' nid&t bIo§ ein . coKectit)eS, fonbern ein 
Iritifd&eS ©efd&Sft, baS bie Sluffinbung t)ertorener, bie ©ammlung 
gerjircuter ©d&riften ju unternel^ttien unb bie Drbnung ber öorl^anbenen 
ju beforgen l^atte. SBon befonberer SBid^tiglcit mufete bie ©ammlung 
unb Crbnung ber Sriefe fein. S)er bei toeitem größte nnb be= 
beutenbfte Stl^eil ber brieflid^en ^interlaffenfd^aft toar in ben §önben 



272 ®efammtübeiftd§t bei 

SDlerfenneS unb fam ttod^ bcffen Stob an bcn SJtatl^cmatücr dtoUvoal, 
iDeld^er bcm 5ß^iIofoj)]^eu feinbUdö gcfinnt toax unb bic Stiefe öcrfd^loB, 
fic fanben fid& ft)ötcr im Sefi^c 8a §irc'§ lieber, ber jte ber Sl!abetnic 
übergab, »aittct töoKtc baS ßcben S)e3cartc§' f d^rciScn, ber ^bbö 3. S8. Sc 
©ranb gletdöjctttg bie crfte ©cfammtauggabe ber SBerfe beforgcn; er 
l^atte nad6 bem SEobe ©lerfelterä (1684) ben Jlad^Iafe beS ?p]^iIüfo))]^en 
geerbt, fclbft eine Stetige jerftreuter SSriefe gefammett unb tt)ar mit 
SaiUct juglcidö burd^ bie Slfabemie in ben ©taub gefegt, jene Sriefe 
ju benähen, bie au8 3Äerfenne8 §interlaffenf(feaft l^errttl^rten. S)ic 
STuSgabe unterblieb, bie ^anbfd^riften, »eld^e ße ©ranb bcfa§, finb nad& 
feinem Stöbe (1704) in anbere §änbe ge!ommen unb Verloren gegangen; 
ein Sl^eil ift htm Snl^alte nad^ burd^ Slbfd^riften erl^alten unb in ben 
opera postuma t)oni Sal^r 1701 DeröffentUd^t »orben. ®a§ 6jem))Iar 
ber Sriefe ©egcarteS* t)om Sal^r 1667, befinbüd^ in ber Sibliotl&el ber 
Sllabemie, entl^ölt Iritifd^e, auf bie SBergleid^ung mit ben urlunblid^en 
^anbfd^riften gegrünbete S^taubbemerlungen über S)ata, Slbreffe, 3u« 
fammengcl^örigleit ber SSriefe, bie feinen 3toeifel laffen, ba§ eine neue 
fritifd6e 3Iu8gabe berfelben im SBerfe toar. 3Äan »eife nid^t, Don toem 
biefe SSemerlungen l^errül^ren; ©oufin, ber nad& jenen Stngaben bie 
Sriefe (Sb. VI— X feiner 2lu§gabe) georbnet l^at, öermutl^et ben 
Url^eber in 3Äontem))ui8, Jftector ber ^jJarifer Uniöerfitöt um bie 3Rittc 
be§ Vorigen Sal^rl^unbertg (beffen ©iegel fid^ in bem ®jem))Iar t)or= 
finbet), SlJliUet bagegen l^ölt für gemife, bafe SaiÜet unb ße ©ranb 
jene Semerfungen gemad^t l^aben, in ben Salären 1690—1692 gemein= 
fam bemül^t, bie Sorref:|)onben3 ®e§carte§* ju orbnen.^ 

3. Supplemente. 

3n bem ?lad^Ia§ be§ ^ßl^itofojjl^en toirb ein Stagebud^ auS ben 
Salären 1619-1621 aufgefül^rt, toeld&eS Sugenbfd&riften , gnttoürfe, 
Slufäeid&nungen Derfd^iebener Slrt entl^ielt, alfo auf eine ®:|)od&e gurüi- 
mieS, t)on ber toir fein tittcrarifd^eg 3cugni§ befi^en, fo mertl^öoll unb 
bebeutfam jebeS, aud& ba§ geringfügigste, gerabe au§ biefer Seit bencn 
l^ötte gelten fotten, bie mit ber Verausgabe ber SBerfe betraut maren. 
?lad6 bem 93erid&te SBaittetS toar baS Stagebud^ in ^Pergament gebunben 
unb begriff folgenbe ©tüde in fid^: einige Jöetrad^tungen über bic 



* Oeuvres T. VI. Avant- Propos, — J. Millet: Descartes avant 1637. 
Pr^face pg. XVI- XIX. 



aßerfc unb Sd^riftcn. 273 

Sßiffettfd^ajftett im Slttgctneittcn, Sltgefiratfd&eS, «Democritica», «Ex- 
perimenta», «Praeambula», «Olympica», eine ©d^rift t)on jlüölf 
Seiten, in ber jene t)ieIBef))rod6ene 3lanbbemer!ung ftanb, bie ben 
10. JiotoemBer 1619 ate ben S^ag einer ©eifte§e:pod6e bejeid&nete. (@. 
oben ©. 173—176.) 

©Ittdltd^eTOeife fanb fid^ nod& ju SIerfetierS Seit icmanb, bcr 
gern jebc Seile erl^alten l^ötte, bie ®e§CQrte8 ge[d&rieben: e§ toar fein 
geringerer aU ßeibnij, ber njäl^renb feines 2lufent]^alte§ in 5)jQri3 
ßlerfelier fennen lernte, burd& biefen ®infid&t in bie 5pQj)iere SeScarteS* 
getoann unb im Slnfang 3uni 1676 fid& Slbfd^riften barauS mad^tc, 
toenig georbnct unb col^örent, toie eg ber 3"ftanb ber ajlanu|crit)tc 
mit fxä) brad&tc ; er reti^nete fie ju ben f oftbarften litterarifd^en @^ö^en, 
bie er befafe, unb l^atte fetbft bie Slbfid^t fie l^erauSjugeben. „3Jlan 
l^Qt in ^ottanb", fd^rieb er an SSernouiÜi, „fd&on feit geraumer Seit 
bie SluSgabe einiger nad^gelaffener ©d&riften S)e§carte§' in 2lu§fid)t 
gefteKt. 3d5 toei§ nid^t, ob fie erfd&ienen finb. 2lud& id^ bin im 
33cfi^ einiger ^jJoftuma S)e§carteS\ S)al)in gel^ören bie ^Regeln jur 
ßrforfd&ung ber SBal^rl^eit (bie mir nid^t fo aufeerorbenttid^ erfd^einen 
qI§ man rül^ntt), ferner baS Srud^ftüdf eines ©ef))räd&8 in fran3ö= 
fifd^er Qpxaä)^, feine erftcn ©ebanfen über bie ®ntfte]^ung ber Siliere 
u. f. f. SBenn bie t)erf))rodE)ene 3Iu8gabe nid^t erfd^ienen ift, fo mödftte 
id5 felbft eine fold^e öeranftalten mit ^injufagung einiger ungebrudEter 
©ad&en t)on ©alitei, SBaterianuä ajlagnus unb ^aScal, nebft meinen 
STnmerfungen über ben allgemeinen Jl^eil ber 5ßrinci:pien S)e§carte§\ 
3d& forbere nur eine grofee Slnjal^t fyreieEemi)lare/' Unter ben 2lb- 
fd&riften, bie ßeibnig genommen, fanben fid^ au^erbem nod6 3lnmerfungen 
gu ben 5Princit)ien, Slufgeid^nungen ))]^^filatifd&en, ))]^^fiotogifd&en unb 
anatomifd&en Snl^altS, matl^ematifd^e ©d^rifteti unb namentlidö ©tüdfc 
au§ jenem benfwürbtgen Stagebud^, bie ßeibnij als «Cartesii cogi- 
tationes privatae» begeid^nete. 

®ie SluSgabe unterblieb. 2BaS ßeibnij aus bem Jlad^laffe S)e§- 
carteS^ abgefd&rieben l^atte, !am in ben feinigen unb tourbe in bcr 
SBibliotl^ef t)on ^annoöer aufbetoal^rt , ol^ne nöl^ere !atalogifd&e SBe= 
jeid&nung, nur t)on ben ))]ö^fiologifd6en unb anatomifd^en ^bfd&riften 
^iefe^ eS: «Excerpta ex Cartesii manuscriptis». ®ie übrigen lagen 
unbelannt unb Verborgen, bis neuerbingS ^oud&er be Sareit einen 
2^eil bcrfelben toiebergefunben unb ans ßid^t gegogen l^at: «Oeuvres 
inödites de Descartes (Paris 1859 — 1860)». 

gflfd^er, ®ef*. b. ^l^Uof. I. 4. SCuff. 31. S(. 18 



274 ®efammtüberfld§t bcr SSerfe unb 8d^riftcn. 

Sine Irtttfd^ geotbncte, genaue unb umfaffcnbe ©efammtauSgoBc 
ber ©d^tiften ©eScarteS' ift eine Slufgabe ber 3u!unft. S)ie Ueber= 
fe^ung etneä SBetlö tft ntd&t ba^ SBerf felbft. ®g ift gu forbern, 
ba^ bie lotetnifd^en ©d^riften in il^rem DriginalteEt gegeben werben, 
enttoebet aüein ober mit ber franjöfifd&en Ueberfe^ung. ^ 

^ @ine foId§e Ausgabe foll nun burd§ bie breil^unbertjöl^rtQe (Seburt^feier 
^eScailed' ins Seben gerufen unb unter beut ©d^u^e bed Unterrt($tgminifterium§ 
tt)ie ber 9luf jtd^t einer geleierten ©ommifpon auggefül&rt toerben. S^ad^ bem bereits 
fcftgeflettten $Iane toirb biefelbe in jel^n Ouartbänben bcftel^en, beren etfte §alfte 
bie eigentlid^en SQBerfc, bie stoeite bie ©orrefponbcns umfoffen fott. 

Unb jtoar toirb ber erfte SBanb entl^alten: baS Compendium musicae, 
Studium bonae mentis, Regulae ad directionem ingenii, Inquisitio veritatis 
per lumen naturale; Le monde ou le traite de la lumi^re, Discours de la 
m^thode, suivi de la Dioptrique, des M^t^ores, de la Geometrie, petit traite 
du m^canique ou explication des engins, Berits math^matiques de Walsenaer 
et de Stampion. 

S)er jtoeite unb b ritte SBanb: Les m^ditations, suivies des Objections 
et des R^pons'es (texte latin et traduction fran9ai8e, revue et corrig^e par 
Descartes). 

S)er üierte SBanb: Les principes de la pbilosophie (texte latin et tra- 
duction fran^aise). 

S)er fünfte SBanb: Traite des passions de l'äme, L'homme de Ren6 Des- 
cartes, la description du corps humain ou formation du foetus; ificrits pole- 
miques, Papiers intimes, Inödits (dont plusieurs tr^s importants retrouv^s 
par Mr. Adam en Hollande [correspondance avec Huygbens] et ä Göttingen) 
reproduction d'une conversation, dans laquelle Descartes röpondait k des 
objections faites ä sa pbilosophie. (Sögl. unten SBud^ II. ©ap. X. @nbc.) Ta- 
bleau bibliographique, Table gön^rale des mati^res. 

S)ie übrigen fünf Söänbe toerben bie S3 riefe in ^tonologifd^er ^Reil^en» 
folge cntl^altcn, fotoo^I bie SBriefe 2)egcorte8* alg aud& bie feiner fammtUd^en 
©orrefponbenten; bie Herausgeber toerben biefe ©orrefponbenj bergcftalt ein« 
tl^eilen, bafe jcber il^rer Sdnbe einem Söanbe bcr SBerfe entfprid^t unb berafelben 
burd6 beftänbige, toe^felfcitige §intocifungcn pm ©ommentor bient. 3ebem 
©orrefponbenten toirb ju nöl^erer Äennäeid^nung eine Slnmcrlung gctoibmet. 

2öa8 bie 5lugftattung betrifft, fo toerben fotool^I in Slnfel^ung be« Rapiers 
als bes S)rucfS unb ber @infaffung, ber Sfiguren unb ©tid^c bie ©lacöier'fd^en 
Driginölauggoben gum Söorbilbc bienen. S)er ^Preiä bcr ganjen SluSgabe betragt 
250; ber ©ubfcriptionSprciS 150 SfrancS. 

S)ic Herausgeber finb ^aul S^arnner^ unb S^arleS ?lbam. 3d^ öerbanfc 
biefe brieflid^en SJlittl^cilungen einem 5IJlitglicbe ber genannten ©ommif fion, sugleidj 
2)irectcur einer ber angefeftenftcn :pl^iIofop^ifd5en 3«itfd§riften (Revue de Meta- 
physique et de Morale): §crrn Xaöier ßöon. 

'• ^a: ' »" 






18" 



Wit ntnt Mti^t^it itx JIJrUar0pJrfe* JDer Wts }nm S^iipnu 
I. Quellen ber SÄetl^obenlel^re. 

®er ©ingang in bie ßel^re 5De§carte§' mufe auf bcm SBege fetner 
SJtetl^obe gefud^t unb btefe bolzet juerft ins 3luge gefaxt werben. ®er 
5ß]^iIofo))]^ l^at oft unb nad^brüdflidE) erfidrt, bafe in ber tt)iffenf(j^aft= 
lid&en fjorfd^ung bie SJtetl^obe bie §anpl\aä)t fei , ba§ er eine neue 
unb fidlere gefunben, mit bereu ^ütfe aKein er ju ben ßinfid^ten ge= 
langt fei, bie er in ben SBiffeufd^aften gewonnen. Unb toenn er aud^ 
nid&t eine fold&e ®rHärung gegeben unb ben SBeg ber SBal^rl^eitSs 
forj(i^ung jum SEl^ema einiger ©d^riften gematä&t l^ätte, fo matten toir 
aug feinen übrigen SBerlen, au§ ber 3lrt il^rer Soml)ofition, aus ber 
Drbnung unb bem Sufömmenlöange il^rer 3been einen SJteifter ber 
SJtetl^obc erfennen, nömliti^ ber ,ßunft, baS ßid^t im S)en!en ]^ert)oräu= 
Bringen. Um biefe ßuhft fo gu üizn, loie SeScartcS eS toerftanb, 
mu§ man fie ftubirt l^aben. ®a mir f(3&on im vorigen 33u(i^ an t)er= 
fd&iebenen ©teKen toon ber SlJletl^obe S)eScarteS' l^aben rcben muffen, 
benn bie 3lid6tf(j^nur feines ®enlens toar aud& bie feines ßebenS, fo 
toerben tt)ir in bem gegeniodrtigen Slbfd^nitt ni(3&t öermeiben fönnen, 
einiges 93e!annte ju loieberl^oten.^ 

SKetl&obifd&eS ®enfen unb met^obologifd^e Setrad^tungen finb 
gioeierlei: jenes befielet in bem ©ebraud^ unb in ber Uebung ber 
SJtetl^obe, biefe in ber SJtetl^obenlel^re. 3Äet^obifd& finb äffe 
©döriften S)eScarteS', metl^obologifd^ im ©inne einer genauen unb t)0Ü= 
ftönbigen Darlegung ober SEl^eorie ber toiffenfd^afttid&en S)en!art ftreng 
genommen nid^t eine. 6S giebt bei SDeScarteS fein neues Drganon, 
tt)ie bei SSacon. Unter ben t)on il^m toeröffcnttid&ten ©d^riften ift nur 
eine, bie bem Flamen nad^ t)on ber aJl.etl^obe l^anbelt, ber discours de 
la m^thode, unb eine gleite, toeld^e bie ßlemente ber ®rfenntni§ ber= 



1 »origcg JBu«. ^p. 1. ©. 155-158. II. @, 167-173, ITI. ©. 180-182. 
V. ©, 202 ffgb. ©. 216. 



278 S)ic neue 3Jletl^obe bet «p]^iIofo))]^ie. 

gejialt metl^obtfd^ auffinbet unb bartl^ut, bQ§ l^ier quS bem ©eBraucft 
ber Sffletl^obe juglctd^ beten SSefd^affenl^eit unb Sl^arafter auf ba§ 
SJeutUd^fte erl^eüt: bie 5DlcbttQtionen. SSon jener erflen ©d^rift l^ot 
©eScartea feI6ft gefügt: „fein traitö, blü§ ein discoursl 3fd& töiö l^ter 
bie SJletl^obe nid^t leisten, fonbern nur barüber reben." SBer bie 
©d&rift naä) il^rem SEitel beurtl^eilt, fönnte finben, bafe fie nid^t leiftet. 
maS fie Der^rid^t. 3tn SBal^rl^eit leiftet fie mel&r. Solan ertoartet 
einen SBegtoeifer unb lernt einen Sölenfd^en fennen, ber fein Ü^htn 
ber SBiffenfd&aft gemibmet unb ju biefem Smdz t)öKig metl^obifd^ 
eingerid&tet unb georbnet l^at. S)er SBeg jur SBal^rl^eit toirb l^ier nid&t 
filofe mit aus geftredftem Ringer gejeigt, fonbern gegangen unb gelebt. 
SBacon loottte nur ber SJterfur ant SBege fein, ber auf feinem Spoftament 
flel^en bleibt unb anberen bie 9ftid&tung geigt ; SDeScarteS lä§t un§ feigen, 
tt)ie er felbft ben SBeg finbet unb toortoörtS fd^reitet. S)arüber lommt 
freilid^ bie erfte ßrtoartung ju lurj. ®8 finb öier fummarifd&e ^Regeln 
jur grfenntni^ ber SBal^rl^eit, bie in bem gtoeiten 2lbfd&nitt jener ©d&rift 
ertfteilt unb nid^t einmal näl^er erörtert, fonbern in ber bilnbigften 
fjorm öorgefd&rieben loerben. 

2. 2)ie metl^oboloöifijcn »Joftuma. Äritifd&e Sftagen. 

S)a}u fommen aus bem SRad^la^ be§ ?p]öilofo))]&en jene beiben ber 
SKetl^obenlel^re angel^örigen, fragmentarifd^en ©d^riften: «Regulae ad 
directionem ingenii» unb «Recherche de la veritö par les lumi^res 
naturelles».^ SBir finb über ben S^it^Junlt il^rer Slbfaffung nid^t 
unterrid&tet unb auf ©^lüffe angetoiefen, bie fid& befonberS auf bie 
35ergleid&ung berfelben mit bem S)i§courS unb ben SUlebitationen 
grünben. ©d^on ber äußere Umftanb, ba^ bie erfte lateini[d6, bie 
jtoeite fraujöfifd^ gefd^rieben ift, löfet ibermutl^en, ba^ jene ber SPeriobe 
angel^ört, in loeld&er S)eScarte§ feine tüiffeüfd^aftlid^en Objecte nur lateinif(ft 
fd^rieb unb nod^ gang mit ber SlJletl^obenfrage befd^äftigt mar: fie 
tt)ürbe bemnadft frül^er fein, als bie ))l^ilofot)]^ifd&en ®ffai8. SBaS ber 
©iScourS in Jeinen öier ®r!enntni§regeln lurj jufammenfa^t unb 
gleid^fam nur t)unltirt, entl^alten bie ^Regeln gur Süd^tfd^nur be§ 
©eifteS in einer auSfül^rlid&en , aber nid^t öoÜenbeten @ntloidflung. 
®ie[er innere ©runb f:pridöt bafür, ba§ fie bem ©iScourS DorauSgel^en, 
unb ©eScarteS fd^on beSl^alb ben regulativen SEI^eil beS le^teren nidöt 
toeiter auSbel^nen tüoKte. 



»origiS fBu^. ©ap. IX. ©. 267. 



S)er 2Bc8 ^nm S^Pctn. 279 

©nbüd^ ßtebt e§ nod& einen anbeten inneren ©runb, ber bie ^ragc 
entfdöcibet. SBir toiffen, bo^ SeScarteS bie matl^ematif^e aWetl^obe 
als SBorfd&ule jur l3l)Uofo|)l^if(i6en nal^m. 3lun l^eifet e§ in ben SRegeln 
u. a.: „S)e3f|Ql6 l^aBe i(^ biefe nniöerfeüe matl^ematifd&e SBiffenfd^aft 
Bis ]&ente nad^ firaften 9ei)fl(e9t, fo ha% id& in 3utunft niid& pl^eren 
(Jorfd&ungen l^ingeBen fann, ol^ne gu füxd&ten, ba§ meine Slnftrengungen 
nod^ nid^t reif genug finb".^ SllS ber 5ß]§iIofo:pl^ biefen ©o^ fd)rieb, 
ftanb er noci& öor ber Slbfaffung feiner Söiebitotionen. ®ie Siegeln 
finb bal^er frül^er als biefe; fie tourben tt)a]&rfd&einlid& in 5ranfreid& 
t)erfQ§t, nad^ iener Unterrebung mit SBeruÜe unb Bet)or SeScarteS nodö 
htn 5Rieberlanben ging, um in fjronefer bie SDlebitationen ju fd&reiben. ^ 

3lxä)t eben fo fid&er la^t fid& ber 3cit<)un!t ber jtDeiten ©d&rift 
beftimmen, bereu Sfnljalt unb 3beengang fo genau, oft tt)örtUd& mit 
ben Söiebitationen übereinftimmt , bo^ ber 3ufammen]^ang Beiber am 
Sage liegt, ©ang auf bemfelBen Söege fommt bie Unterfud&ung gu bem 
5princi|) ber ©etoife^eit: „3d& benfe, alfo id& Bin"; l^ier Bricht fie ah 
mitten im ©a§. S33a3 bie ajiebitationen in 5orm eines @elBft= 
geft)radöS enttoidteln, mirb l^ier in ber eines ®rcigefi)röd&S auSgefül^rt: 
bie ^Perfonen finb fo getoäljlt, bafe ©uboje, ber $au|)tunterrebner, in 
feiner länblid^en ©infamfeit ben gefunben unb natürlid&en, t)on aller 
©d^ulgclel^rfamfeit freien unb unBeirrten SBerftanb ret)röfentirt, ^JJol^anbre 
ben SBelt= unb §ofmann, ber fidö für 5p]öilofo))]^ie intereffirt, aber 
nid^tS baDon toei§, ©piftemon ben ©d&ulgelel^rten unb ^jJol^^iftor, ber 
an bie Süd&er ber Sllten glaubt unb baS natürlid^e, ungelel^rte Sen!en 
öerad^tet. 5J}ol^anbre Begreift fd^neK unb mit fteigenbem Sntereffe, toas 
ber im ©eifie ber ajiebitationen <)l^ilofopl^irenbe ©uboje nad& fo!ratifd&er 
Slrt aus il^m fierauSfragt, toö^renb ®piftemon fopffd^üttelnb baneben 
fielet unb l^ie unb ba feine SSemerlungen mit ber SDliene beS ©elel^rten 
bagtoifd^entoirft. SDlan fielet in ©uboje (toenn nid)t ben 5P^ilofopl)en 
felBft, fo) ben pl^ilofopl^ifdö gefinnten ßefer, in ^jJol^anbre ben empfäng= 
lid&en ©d&üler t)or fid&, tt)ie fie ©eScarteS am ©d^luffe feines ©iScourS 
fid^ toünfd&t.^ 

6s gab einen 3eitpun!t, in bem er nid&t glaubte, bafe feine 
ßel^re ©emeingut tt)erben unb fein 3toeifel ein SBorbilb fein !önne 
für jeben einfad&en unb natürlid^ benfenben SBerftanb. SllS er jenes 



1 OeuvresT.XI. Eeg. IV. pg. 224. - « S.üottgcg S3u(^. ©p.III. ©. ISiPfib. 
— 8 ebcnbaf. 6p. V. ©. 217fr9b. 



280 S)tc neue 3Jlet^obe bcr ^l^ilofo^ji^ie. 

©t^pxai) terfa^tc, l^otte er biefe 3lnfi(j^t ntd^t tnel^r, S^ l^alte bcS^alb 
für ^bi}\i toa]§rfd&einlt(j^, baß eS fDäter ift, ate bie 5!Kcbitationcn unb 
ber SiScourS, unb ju bem legieren, ber auf ööHtg unBefaugene ßefcr 
I)offt, fidö t>txf)aii, tote bie ^ProBe jur SteAnung. ©al^cr tft ba§ ®e= 
fpräd^ Qud^ fran^öfifd^ gefd^riebeu. 6§ »ar auf jtoei SBtttä^er angelegt, 
bie ba§ gange ©^ftem ber neuen 5p]§ilofo))]^ie in folratifd&er 2lrt ent= 
tt)idteln fottten; id& glaube bal^er, bafe eS nod^ f<)öter ift al§ bie ^rin= 
üpkn, benn man mufe einer ©ad^e t)öKig SJleifter fein, um fte bia- 
Iogifd6 ju bel^anbeln. Safe aber biefer S)iaIog, toie SffliÜet annimmt, 
jener «trait^ de r^rudition», ben bie 5J}ringeffin ©lifabetl^ gett)ünfd&t 
l^atte, ift ober fein foü, erfd&eint mir fotool^l tt)egen be§ %^zma^ aU 
aus eben ben Orünben jtDeifelfiaft, tt)eld^e ben 5I}l^ilofo<)]^en felbft Der= 
mod^ten, biefe Slrbeit abjuWjnen/ 

IL S)ie Srrtoege ber (Srfenntntfe. 

1. IDlanöel be8 2ölffen8. 

®ie Ueberjeugung, toeld&e ©egcarteS frül^ erlebte unb energifdö feft= 
l^iett, bafe ber öorl^anbene 3uftanb ber Söiffenfd&aften in unb aufeer 
ber ©d&ule elenb fei, l^atte in il^m ben ©ebanfen einer Sieformation 
beö tt)iffenfd&afttid6en ®enlen§ l^erDorgerufen. 2öa§ il^n abftiefe, toar 
nid&t bie Slrmutl^ ober ber geringe Umfang ber ßenntniffe, fonbern 
bie unfid&ere SIrt il^rer SBegrünbung; e§ tt)ar nid&t ber SJlangel an 
©elel^rfamleit, ber il^n unbefriebigt liefe, l^atte bod& fd&on bie Slenaiffance 
ben ©toff ber gelehrten SBilbung aufeerorbentlid^ öermeljrt, fonbern ber 
3Jlangel an toirfUd^er ©infid&t erfd^ien il|m, je grünblid^er er j)rüfte, 
um fo ftarer als ber ©runb ber Uebet unb beS @lenb§ ber SQBiffen« 
fd^aften. 6r fanb, bafe ben le^teren in bem 3uftanbe, ben er ijor fid^ 
fal^, eines fel^le, baS in feinen Singen nid&t btofe baS fflefte, fonbern 
alles toar: baS Söiffen. $Dian l^at S)eScarteS mit gutem Siedet bis= 
weilen mit ßutl^er t)erglidöen; ber ©intourf, bafe er fein ?ßroteftant 
nDar unb fein tt)ollte, ift einfältig. @S l^anbelt fid& l^ier nid&t um ben 
@of)n ber fatfjolifd^en Äird&e, fonbern um ben ^Reformator ber ?PPo= 
fop'^ie, ber fid^ in ber Zijat ju bem Dorl^anbenen 3nftanbe ber SOBiffen= 
fd)aft öfinlid^ t)er]^alt, n)ie ßutl^er ju bem ber ßird^e. Ser ßird&e feP 
bie Sieligion: bieS mar, mit einem SBorte gefagt, bie Utberjeugung 



1 3u Hl t)or. aSud^. a::p. VIII. @. 251-253. J. Millet: Histoire de Des- 
cartes. Vol. II. pg. 326. 



S)cr 2öeö jum ©Aftern. 281 

ßutfierS, fie grünbete M öuf fein <)erfönU(fie§ ^eilsBebürfnife. ®en 
SBijfenf (haften fel^lt bog Söiffen: ba3 ift, in berfelfcen ßürje gefagt, 
bie Uebergeugung SeScarte^S fie grünbet fid& auf fein <)erfönlid&e§ 
@rfenntnife= unb SBal^rl^eitgbebürfnife. ®icfe 5J}atatteIe ift un= 
n)iberf))re(j^nd& unb erieud6tet bie 3lufgabe unb fflebeutung beg 5p]öilo= 
fot)]^en, er fielet auf einem fünfte ber 5I}^Uofo))l^ie, loeld^en bie SRenaiffance 
berfelben nie erreid^t l^at unb unter ber ^errfd^aft be§ ^Ittertl^umS nie 
errcid&en fonnte. 

2. 3JlanöcI ber aRct^obe. 

SaS SBiffen Befielet in ber ©rienntnig auS ©rünben, bie felbft 
aus ©rünben erfannt fein motten, tt)elcl&e jule^t in einer ämeifellofen 
©ett)i§]^eit tüuräeln. S)a§ l^eifet mit anbern SBorten: atteS SQßiffen 
beftel^t in einer genauen Drbnung unb 3l6foIge ber ©infic^ten, beren 
jebe baS ©lieb einer tool&lgefägten ßette an^maö^i, jebe im SQßege ber 
SBal^rl^cit einen Schritt öortodrts tl^ut unb barum nur burd& fort= 
fd&reitenbe§ ©enlen gett)onnen toerben !ann. Um fortjufd^reiten, mufe 
man gelien; um im Senlen fortäufdjreiten, mu§ man bie eigene Senf = 
fraft anftrengen. !3n biefem felbftönbigen unb georbneten S)en!en 
befielet bie SJletl^obe; fie ift ber einjige SBeg beS SffiiffenS; aü.e übrigen 
finb Srrtoege. SBenn bal^er ®e§carte§ an bem öorl^anbenen 3uftanbe 
ber SQBiffenfd^aften ba§ Sffiiffen t)ermi§t, fo finbet er ben ©runb be§ 
Hebels in bem $DiangeI atte§ metl^obifd^en ®enlen§. ©nttoeber fel^lt bog 
eigene ©enlen: fo öerl^alt eS fid& in ber ©d^ule, tt)o bie Uebertieferung 
l^errfd^t; ober e§ fel^tt ba^ georbnete: fo öerpit eS fid& aufeerl^alb 
ber ©(j^ule, tt)o <)IanIofe SReuerungSfud&t unb abenteuerlid&e ^Projede 
auf ber SBilbbal&n fd&toeifen. 

2Ba8 toir ate überlieferte Seigre empfangen, b.efi^en toir nid&t als 
})]^iIofot)]^ifd6e @infid6t, fonbern blo§ als l^iftorifdie Jiotij. „Unb loenn 
toir iebeS SQBort loon Pato unb SlriftoteleS gelefen l^ötten, fo toürben 
toir ol^ne ©id&erl^eit beS eigenen Urtl^eils nid^t einen ©d&ritt in ber 
?ß]^tlofo|)]&ie toeiter gefommen fein, unfere gefd^id&tlid&en ßenntniffe finb 
beretd&ert toorben, nid^t unfer SBiffen/'^ Sie tt)eniger bie @d&ul= 
gelel^rfamleit unb bie l^erlömmlid&e 5p]öiIofot)]^ic, bie vulgare, mie S)eS- 
carteS fagt toirltid&e @infid)ten befi^t, um fo rafttofer fammelt fie 
mit unerfattlid&er SReugierbe ßenntniffe, bie bas ©eböd^tni^ fütten unb 
ben ©etft auftreiben, ol&ne il^n ju näl^ren. „3fd& glaube, ba^ ber 

' Oeuvres XI. R^gles pour la direction de l'esprit. III. pg. 211. 



282 S)le neue SDflctl^obe ber «pi^itofo^j^tc. 

,fiör|)er cineS SQßafferfüd&tigen lanvx ungefunber ift, aU ber ©etft un= 
crjättUd&cr aSietoiffer/' ^ S)aS Sagen unb §af(|en tiad^ allerlei ßennt= 
ntfjen ift ber Job beS metl^obifd&en SenlenS, tüetd^eS grünbUdö unb barum 
langfam fortfc^rettet, ol)ne jebe Steigung gu ungefunber unb unfru(j&t= 
Barer fjüße. ®ie SBielmiffer finb nid&t SDen!er, fonbern ©ommler; 
ber Sen!er fud&t ©infi'dit, unb bie Harjie ift il^m bic liebfte, bie eingig 
tüertl^öolle; ber Sammler fud^t Jiotigen t)on allerlei Slrt, unb bie feltenften 
finb il^m bie tt)ilI!ommenften; jenem gilt bie ßlarfieit als ba^ §04^^ 
biefem bie ^Rarität. 3e feltener unb fd)tt)ieriger gu Robert ber ßratn 
feiner Äenntniffe ift, um fo )ooxm'i)mn bün!t fid^ ber ^jjol^l^iftor : er 
tt)ei^r tt)a8 anbere ni(f)t toiffen, er ift geleiert, bie anbern finb ungelel^rt. 
3u bem falfd^en SBiffen fommt bie falfc^e (SinBilbung, ber ©elel^rten^ 
bünfel, ben fd^on $Diontaigne für eine 5ßeft anfal^» 3n biefer grünb^ 
lid)en 2l6neigung gegen bie ©d&ulgelel^rfamfeit unb SJielloifferei erinnert 
un§ ®e§carte§ an ben 2lu§fi)rudö $era!lit§ : 7roXü(jLa&tY] vöov od StSaoxst. 
SRid&t weniger unfrud&tbar aU bag blinbe Sagen mä) ©elel^rfamleit 
erfd^eint il^m ba^ Blinbe Sagen nad& ®ntbedtungen, tüie eS bie un= 
Berufenen bleuerer, bie n)iffenfd&aftlid)en 3l6enteurer treiBen, ben ©döa|= 
gräBern öl^nlid^. bie auf gut ©lüdt in ber ®rbe roül^lcn; fie fud^eii 
meiftenS t)ergeBlid&, unb mad&en fie einen 3unb, fo gefd&iel^t eS nid&t 
«par art», fonbern «par un coup de fortune».^ Slel^nlid^ urtljeiltc 
S3acon, al§ er bie 3iot^tDenbig!eit einfal), bae S)enfen erfinberifd^ unb 
ba^ ®rfinben metl^obifd^ gu mad^en, bamit au§ bem Blinben SQBerfe 
be§ 3ufall§ ba§ aBfii;t§t)olle ber ßunft toerbe. SBeffer gar nid^t fud^en, 
al§ im S)unfeln; eS ift bie fd&led^tefte SUietl^obe, um gu finbcn, aber 
eine unfel^lBare, um bie natürlid^e ©ePraft gu fd^toäd^en. S5er um 
gelehrte, gefunbe SBerftanb, ber feine natürlid&e Senffraft nid&t enttoidEelt, 
aBer aud^ nid^t aBgeftumi)ft l^at, ift toeit em^jfänglid^er für äd&te @r= 
fenntni^, als ber burd& BlinbeS ©ammeln unb ©ud^en t)erbor6ene. ®en 
ß^arafter geleierter ^ßol^l^iftorie toollte ®e§carte§ in feinem ©pificmon 
barfteüen; t)ün ben Dielen S3eift)ielen ber ©l^arlatanerie l^atte er eines 
in S^anboug t)or 2lugen gel^aBt. 

IIL Ser SBeg gur SBa^rljeit. 

1. S)ie 5lufgabe beS SOÖtffen«. 

SBie mxb an^ bem Senfen SBiffen? Sa§ ift bie Srage, um 
bie e§ fid6 in ber TOetl^obenleJ^re l^anbelt: fie ift rein tl^eoretifd^ unb 

1 Kech. de la vörit^. pg. 338. — 2 Regles. X. pg. 253. 



S)er SÖCQ aum ©^flcm. 283 

burd^öuS attgemein. ®er ©rfenntttt^objccte giebt cS t)iele unb t)er= 
fd^iebcne, bie ©rfenntni^ felbft ift nur eine, e§ fann au(5 nur auf 
eine SBeife fic^cr unb jmeifelloS, b. 1^. roal^rl^aft erfannt werben. SBie 
fid6 bie ©onne gu ben Singen berl^ölt, bie fie erleud&tet unb fid^tbar 
maä)t, fü öerl^ält fid& gu ben Dbjecten bie SBernunft, ba^ ßid&t in uns. 
63 ifl für aÜe Dbiecte baffelbe. S)ie ^rage, tt)ie biefeS ßid&t in 
unferem Senlen erjeugt ober jur boüen SBirliamfeit gcbrad&t toirb, 
ift barum aud^ für alle Dbjecte, für alle Söiffenfd&aften ol^ne 2lu§= 
nannte gültig. S)ie $Diet]^obenle]^re, in toeld&er biefe Srage gelöft werben 
foll, t^at balier bie fflebeutung einer Uniöerfaltoiffenfd&aft, einer 
allgemeinen SQßiffcnfd&aftSlel&re, bie, tt)ie fie für düe befonberen Steige 
ber ßrfcnntni^ gilt, aud& attc befrud^tet. ®enn baS Vermögen beS 
SQBiffenS ift ba§ ©runbca<)ital, unb biefeS öoKlomnien fidler fteüen, 
l^cifet ben ^leid^tl^um beS SBiffenS ins Unerntefelid&e fteigern. 

3ebe ©rienntnife ifi in bemfelben SJlafe fieser, als eS bie ©rünbe 
finb, aus benen fie folgt; nur auS öoHfommen fidleren ©rünben !ann 
eine gtoeifellofe 6rfenntni§ l^eröorgel^en, nur um eine fold&e ift cS gu 
t^un. SQBir tootten ni.d&t ben geringeren 3toeifel bem größeren ober 
bie größere Sffial^rfdöeinlidöfeit ber geringeren Dorgiel^en, um t)on gtoei 
Uebeln baS Heinere gu toaljlen. Sie @r!enntniB ift baS pdiftc ©ut, 
fte fott nid^t nad^ einer SKetl^obe gefud&t toerben, bie blo§ für bie 
SQBal^l ber Uebel em<)fol^len fein barf. SRun ift, je gufammengefe^ter 
unfere 6rfenntni§, um fo größer bie 3ö]^1 il&rer ©rünbe unb um fo 
leid&ter bal^er ber ^rrtl^um; in bem ©ebiet. beS complicirten SöiffenS 
l^errfd^t gunäd&ft blofee SBal^rfd&einlid^feit, bie ben 3tt)eifel unb bamit 
bie Unfii^erl^eit in fid& fd&liefet. SBiE man gtoeifellofe ©rfenntniß, fo 
mu§ man mit bm e in fa duften SBorfteüungen beginnen, ben er!enn= 
barften Objecten, ben leid^teften ^Problemen. 3fe einfad^er ber ©egen* 
ftanb, um fo el^er fann berfelbe t)oll!ommen burd&bad&t toerben. Sie 
©erel^rfamleit geigt fid^ audö barin ber ßlarl^eit abgeneigt, bafe fie 
ben einfad&en unb leidsten fjragen bie com<)licirten unb fd^toierigen 
torgugiel^en ))flegt, toeil man barüber t)ielerlei 2lnfid&ten unb Meinungen 
aufftetten unb l^in unb l^er ftreiten fann. 6in eingiger flarer Segriff 
ift toertl^öoHer unb für bie ©rfenntnife frud^tbarer, als tiele unflare 
unb nebulofe. 6S ift mit bem ßid^t in unferem ©eift, toie mit bem 
loirflid^en ßid^t: eS Derbreitet fid^. 3ft eS an einer ©teüe gang flar, 
fo bringt bie filarl&eit mikx; ift eine SorfteÜung völlig erl^eüt, fo mibtn 
bie anberen miterleud&tet, unb eS beginnt in unferer ©ebanfenn^elt gu tagen. 



284 2)ie neue iWetl^obe bcr $^iIofo|)l^tc. 

@8 t)er§ält fid& Qud& mit bcm ©eifteSticBel äl^nlidö, toie mit bem 
iDirflid^en: »enn bic S)ünRe auS bcn ©rünben cmporftcigcn , um» 
iDöKen fie Balb bcn gonjen C>itnmel. SQBir muffen bafür forgen, bafe 
ber 3ie6el in unfcrem ©eift ni(ä^t fteigt, fonbern föttt; finb nnfere 
SSorftettunäcn in il^rcm ©runbc unttar, fo ftcigt bcr ®unft unb unfctc 
ganjc ©ebonfcntöclt trübt fid&. 2Ba8 gilt atte ©elcl&rfamleit, tocnn 
fic im 3;rüben liegt? @§ ift nid^t bcr ©toff, bcr ba§ SQBiffen mai)t, 
fonbern baS S)cnlcn; cS ift aud^ ni(j^t toa^r, bQ§ bic fd&toierigcn 
5!Kotcrien, loic fic Bel^anbclt ju tt)crbcn ^)flcgcn, fd&roicrigcr finb, qIs 
bic cinfad^ftc @r!cnntni§; im ©cgcnt^cil: „cS ift Bei tt)citcm Icid&tcr", 
fagt ScScarteS, ,,ttbcr irgcnb tt)cld&e iJragc eine SJlcnge t)ager 3bccn 
gu l^aBcn, ots in bcr Icid&tcftcn, bic c8 gicBt burd&jubringen bi3 gur 
SBaiir^cit als fold^cr."^ gbcnfo urtl^ciltc ©ofrateS über bcn SOßcrtl^ 
bcr toal^rcn Srfcnntnife, über bcn Unmcrtl^ bes fo<)]&iftifd&cn ?ölcincn§ 
unb bcn Sanb bcr ©clcl^rfamlcit, bcr fid& barin breit madöte. 3n 
jcbcr großen 6|)oci&c bcr 5p^ilofo|)]^ie ift bcr ©cniuS bc§ ©ofrateS 
gegenwärtig ! 

2. 2)tc aJlctl&obc bcr toal^rcn S)cbuction. 

!3e§t feigen mir fd^on, t)on tocld^cm fünfte bcr SBcg gur Wiafjv 
l^cit auSgcl^cn unb in tocld&cr SRid^tung bcrfclbe fortfd^rcitcn mu§: er 
beginnt mit bcr cinfad^ften ®infid^t, in bcr attcS t)ollfommcn flar x% 
unb gcl^t gu bcn gufammcngcfc^tcn meiter, bic an^ bcn fidler unb flar 
geftettten Elementen com^jonirt tocrbcn, toic ba^ ^ßrobuct au§ feinen 
fjadoren. ®ie SKctl^obc bcr 6r!cnntni§ ift bal^cr f^ntl^ctifd^, benn 
fic gewinnt unb bilbct bic Söal^rl^citen burd^ fortfd^rcitcnbc 3ufammen= 
fügung. 

?lun finb atte Weiteren ©infid&tcn nur bann toal^r, tocnn jte 
eben fo fidber unb gett)i§ finb, als bic erfte, fie finb eS nur bann, 
tocnn fic aus biefer cinleud&tenb folgen: baljcr bcftel)t jene ©^ntl^efe 
naiver in bcr logifd^cn Slblcitung ieber SBal^rl^cit aus ber t)orf|cr« 
gcl^cnbcn unb aücr aus bcr erften, biefe ift baS 5princi|) ber gefammten 
SrfcnntniB, Icbe abgeleitete @infid&t baS ^ßrinci)) bcr folgcnbcn. 
®ic SöcmciSfül^rung burd^ 5princit)icn nannte SlriftotelcS jm engeren 
©inne ©^KogtSmuS, im ßateinifd^en l|ci§t biefer f^llogiftifdöe SBctociS 
©cbuction: mit biefem 9kmcn begeid^net ©cScartcS feine JJJJct^obe, 



1 Rhgl II. pg. 209. 



S)cr aCßeg jum ©Aftern. 285 

bic er Don ber ariftotelifd&cn Sebudton a^nlxi) unterfd&eibet, tüic 
Söacon feine Sinbudion bon ber ariftoteltfd&en untcrfdiieben tpiffen toollte. 

6§ gtebt nad& SDcScarteS fein anbereS Kriterium bet Söal^rl^eit al§ 
bic n)o]^lt)erftanbene S)ebuction. SJian muß bie Quelle ber SBal^rl^eit 
Quffinben unb ton l^ier au§ bie Olid&tung beS ©tromeS mit ber größten 
©enouiglrit unb SSorfid^t, ©d&ritt für ©d^ritt verfolgen. „S3ßaS bie 
Dbjecte ber tt)iffenfd6aft(i(i6en Setrod^tung angelet, fo bürfen toir nid^t 
bic ©ebQnfen anberer, aud^ nid&t unfere eigenen Bloßen 3Jermutf)ungen 
jur Slid&tfd&nur nel^men, fonbern nur bem folgen, toaS toir felbft ffar 
unb einleud&tenb ju cr!ennen ober mit ©id^erl^eit aBjuIeiten Vermögen." 
3)er 2lu8gQng8))unft ift bie einfad^fte ^dijxfjdi, bQ§ 3irf bie t)oII= 
lommene ©rlenntnife ber S)inge. „Solan mufe", fagt SeScorteS, „biefe 
beiben 5Pun!te tool^I in§ Sluge faffen: feine falfd^e 23orau§fe§ung mad^en 
nnb ben SBeg gur (Srfenntniß atter S)inge fud^en."^ 

@S fd&eint, bafe gtoei SBcge gu jenem Siele fül^ren: Srfal^rung 
unb Sebuction. Sic Scgrünber ber neuen ?P]^iIofo))]&ie ftanben an 
btcfem ©d^eibetoeg unb trafen il^re SBa^^I in entgegengefe^ter 0lid&tung : 
Sacon ergriff bie ©rfal^rung als htn alleinigen 2Beg ber tt)a^ren @r- 
Ienntni§, S)e§carte§ bie S)ebuction. ®§ leuchtet dn, toarum er bie 
baconifd&e SJletl^obe Dertoarf. ®ie ©rfal^rung beginnt mit ben Sf|at= 
fadöen ber SBal^rnelimung, b. 1^. mit ben com|)licirteften Dbjeden, beren 
©rfenntni^ t)on aütn ©eiten ber Sdufd^ung ausgefegt ift. Unter ben 
Dorl^anbcnen SQBiffenfd&aften finb bie dnen bialeftifd^, bie anberen 
emj)irifd6; bic einjigen, bie bebudiö öerfal^ren, finb bie matl)ema = 
tifd&cn, bie beSl^alb aud& allein ol^ne 3rrtt)um unb Unfid^erl^eit finb, 
benn bie ©rfal&rung unterliegt ber unfreiioilligen Säufd&ung, nid^t bie 
S)ebudion. „S)arau§ folgt nid&t, bafe Slritl^metif unb ©eometrie bie 
dngtgcn SBiffenfd&aften finb, bie man lernen foll; lool^l aber folgt, ba^ 
tt)er ben SBeg ber SBal^rfteit fud&t, nur mit fold&en Dbjieden fid& be= 
fd&öfttgen möge, beren ©rfenntniß eben fo fidfter ift, tt)ie bie aritl^metifd&en 
unb geometrifd^en ©emonftrationen."* 

©eScarteS unterfd^eibet biefe bebudit)e SIRetl^obc nidEjt blo§ t)on 
ber em<)irtfd&en, fonbern aud& t)on ber bialeftifd^en Senfart, toeld^e 
le^tcre in hm ©d&ultoiffenfd^aften l^errfdit. Sie ©rfal^rung ift unfid&er, 
bie ®ialefttf*tn 2lbfid&t auf »irflid^e ©rfenntnife unnfl^. §ier ift ber 



1 R^g]. 111. pg. 209. IV. pg. 216. 

2 R^gl. IL pg. 204—209. 



286 2)ie neue mti^oht bcr ^J^tlofo^Jl^te. 

^un!t, in toeld^em ®e§cQrteS bcr Qriftotcltfd)cn ©ebuction bic feinige 
entgcgcnfe^t: jene befielet in ben bialeüififtcn fünften bcr ©d^ule, bcr 
getDölÖnnd^cn ©^Üogiftil, t)crmöge bercn nur SelannteS in f(3&Iu6ge= 
rcd&tcr g^orm georbnct unb bargcftcüt, aber nid^t UnbcIannteS gefunbcn 
tDirb; fie erjeugt bie ®r!enntni6 nid^t, fonbcrn fc^t jte tjoraug, jte 
gehört nid&t in bie 5p]&ilofo|)]^ic , fonbcrn in bic äil^ctoril. Uebcr bic 
Unfrud&tbarleit biefer 9lrt bcr ©cbuction ober bc§ getoöl^nlid^en @^IIo= 
gi§mu§ benft ®c§cartc8 gang toic 93acon. „S)ie S)ialcftifer fönncn 
feinen ©^ÜogiSmuS bilben, beffen ©djlu^fa^ eine SBal^rl^cit entl^ölt, 
tt)enn ifincn bcr 3nl)Qlt bcrfelbcn nid&t t)or]^er be!annt ift. SJQrum iji 
bic gctüöl^nlid^e Sialefti! gur (Srforfd^ung bcr SOßol^rl^eit DoIIftänbig 
unnü^, fie fonn nur baju bienen, bie äiefuttQte bcr @r!cnntni^ anbern 
barjufteücn unb gu öerbeutlid^en, fie l^ot bcSl^alb il^rcn 5pta§ nid^t in 
bcr 5ß]§i(ofo|)I|ie, fonbcrn in bcr äi^ctori! gu fud&en."^ 

©ie SBiffcnfd&aft bagegen fott aus SBc!anntem UnbcIannteS cnt= 
tt)i(Ieln, neue Söalirl^eiten Quffinben, ©ntbedtungen mad&en unb gtt)ar 
in metJ^obifd^cm SBcgc, bcr t)on ©ntbedCung gu Sntbedtung fortfdbreitet. 
3ebe neue 2Bal)rl)cit ift eine 3lufgabe, bic nur bann grünblidö unb 
fidler getöft toirb, toenn aüt SBcbingungen beuttid^ crfannt finb, aus 
benen bic ßöfung notfjtocnbig folgt; fie ntüffen bal^cr eine Sicil^e 
bilbcn, in tt)eld^er iebeS ©lieb ben einlcudötcnbcn ©runb b^^ näd&jl= 
folgenben auSmad^t. 3fn einem foldien ßontinuunt fortfd&reitenber unb 
entbedtenber fjotgerungen bcftcl^t bieienigc SDletl^obc bcr S)ebuclion, 
toeld^e ®e§cartcS forbcrt. 

3. Uniöerfalmatl&ematil. Slnot^tif^c ©comctric. 

SBir l^abcn fd&on in feiner Siugcnbgcfd&id&te crgdl^lt, toic gerabc in 
biefer 3iüdtfid)t il^n ba§ SBorbilb ber SOtatl^ematif guerft ergriff unb 
orientirte.^ §ier fanb er ein tt)iffenfd&aftUdöe§ Senfen, toie cS feinem 
SBebürfni^ entf))rad&, gugleic^ georbnct unb erfinberifdö , Don Slufgabe 
gu Slufgabc, Don ßöfung gu ßöfung f orifd^rcitenb ; l^icr allein gab eS 
eine SDlct^obc ^Probleme gu löfcn unb aus aScIanntcm UnbelannteS 
gu finben. 3n biefer 3Jlet]^obe erfannte ©eScarteS ben ödsten ©eiji 
ber aPtatl^emati!, nid)t in ber gett)ö^nlidöen ©döuIbiScit)Iin, bie erji il^re 
©ä^e Derfünbet, bann bett)eift ; er f al) aud&, toic burd^ bie Slntocnbung. 
?lu§bitbung, SBeraÜgemeinerung biefer SDtctl^obe bie matl^eniatifd^en 



1 R^gl. IV. pg. 217. X. pg. 256, — 2 (g, öottöe« SBu*. dp, L ©. 155 
fctS 157. (&p. II. ©. 169. 



S)cr 2ÖCÖ ^um Softem. 287 

SBtffenfd^aftcn tl^re a^öfet^^ Sortfd&ritte gemad^t l^atten. ©d&on bic 
Slltcn Dcrftonben bic ßunft, geometrifd&e Slufgoben fo ju löfen, bafe 
QUO ben befonnten ©röfecn bie unbefanntcn l^craclettet mürben. SBic 
QU§ einer befonnten %^at\aä)^ bnxä) beren S^i^gKßberung ober Slnal^fiS 
bie unbefannten SBebingungen gefunben toerben, toorauS fie folgt, fo 
toerbcn l^ier aus ber befannten 2lufgabe ober ber Slnnal^mc il^ter tijaU 
fad^üd^en ööfung bie SSebingungen er!annt, bie ju biefer S£l^atfad)e, 
b. I|. jur ßöfung ber Slufgabe, erforberlidö finb. ®ie 2llten nannten 
il^re SRetl^obe besl^alb Slnal^fiS, bie 3luSübung berfelben beftanb 
fd^on in ber SSergteid&ung be!annter ©ro^en mit unbefannten. SSßaS 
biefe Slnal^fiS ber 3llten in Slnfel^ung ber (Jiguren mar, baS ift bei ben 
dieneren bie 2ltgebra in Slnfel^ung ber3öl&Ien; bie Slritl^metif iji unt= 
faffenber als bie ©eometrie, bie Sllgebra ift fc^on eine 33erallge= 
nteinerung ber anal^tifd^en ^Uletl^obe; ber näd^fte ^ortfd&ritt in ber 
SluSbilbung biefer $Diet]^obe forbert, ba^ il^re ©eUung auf bie gefammte 
©röfeentel^re auSgebel^nt ober, toaS baffelbe l^eifet, ba§ bie SHgebra 
angemenbet toirb auf bie ©eontetrie, bafe geometrifi^e 5ßrobIente burdö 
algebraifdöe äied^nung ober burd^ ©leidiungen gclöft werben: biefer 
ntöd^tige fjortfc^ritt beftefjt in ber anat^tifd^en ©eometrie, meiere 
S)e§carteS erfinbet. 2)ie geometrifd^e Slnal^fiS gefd^iel^t burd^ 6on= 
ftruction, bie anal^tifd&e ©eontetrie burd^ ©leid^ung, alfo burd& eine 
Don ber rdumlid&en 3lnfd&auung unabl^öngige, logifd&e D<)eration, beren 
5öietl)obe bas matl^ematifd&e ®enfen jugleid^ verallgemeinert unb t)er= 
einfad&t. 

6S fanu nid&t genug l^erDorgel^oben werben, bafe ©eScarteS 
bie anal^tifd^e ©eometrie felbft auf metl^obifdfiem Söege erfunben l^at, 
tnbcm er barauf ausging, bie Slnal^fiS ber 3llten unb bie 2llgebra 
gu t)ereinigen, benn er erfannte il^re Sbentität. ,,®ic menfd&Iid&e ©eele 
l^at eine göttUd&e ßrfenntni^anlage, bie tro§ ber ^rrmege, meldte bie 
©tubien genommen, il^re natürlid^en ^rttd^te getragen ^t. 3n ben 
leid&teften aüer SBiffenfd^aften , ber 3lritl^metif unb ©eometrie, finben 
toir bic 93eftötigung. ©d^on bie SUten l^aben in ber ©eometrie gur 
ßöfung ber ^Probleme eine gctoiffe Slnat^fiS gebraud&t; in ber Slritl^metif 
blül^t, toic toir feigen, bie SKgebra, bic jene 5!Ket§obe, toetd^e bie 3llten 
in 3lnfe]^ung ber Figuren geübt, auf bie Sorten angutoenben ben 3toedE 
l^at. ®iefe beiben Slrten ber Slnal^fis finb unmittfürlid^e iJrüd&te, bic 
aus ben ?Princi<)ien beS natürjid^en ©enfenS flammen; id& munbere 
mtd^ nid^t, ba§ fie in ber Slnroenbung auf fo einfädle Dbjecte fid& 



288 S)ic neue ajlet^obe bcr «Pöirofo|)]^ie. 

erfolgreidöcr ermtcfcn l^aben aU in anberen SBiff enf d&aften , ido tl^rcr 
StttiüidEIung gtößcre ^inbcrniffe im Sffiegc ftonben, ofcglcidö jte auc^ 
l^ier, toenn man fie forgfältig augbilbct, gur Dotttommencn Sfteifc gc= 
langen lönnen."^ 

$icr berührt SeScarteS fein etgentlid^cg ^Problem, ju bcffen 6r= 
lenntnife unb ßofung bic ©nttoidlung ber uiat^cmatifci&cn SJletl^obc in 
ber Slnal^fiS ber 9llten, in ber Sllgebra ber bleueren unb ber t)on il^m 
felbft erfunbenen anal^tifd^en ©eometrie bie SBorfiufen bittet. ?lad&= 
bem er biefe 9Jietl^obe innerl^atb ber SJlatl^emati! ober ber ©röfeem 
Ict)re uniDerfett gemad&t l^at, bleibt nur übrig, bie 6rfenntm§ atter 
®inge über]^au))t matJ^ematifdö ju mad^en. @r mu§ ben legten ©d&ritt 
tt)un in ber ®rtt)eiterung unb aSeraÜgemeinerung ber matl^etnatifdöen 
aJJet^obe, er mufe bie ^nal^fis antt)enben auf bie gefammte menf(3&= 
Iid)e ®rlenntnife unb bereu Slufgabe gergliebern, um einjufel^en, au§ 
xo^l^^n Söebingungen bie Söal^rl^eit folgt unb qu§ toeld^en ber Sirrll^um ; 
er mufe bal^er alle unfreitoiöigen unb freitoittigen Säufd&ungen ber 
nicnfc^Iid^en Jiotur bi§ in il^te ©lemente auflöfen. 

S)ie ©rö§e, auf tt)eld^e bie SWetl^obe ber Slnal^fiS angetocnbet fein 
miÜ, ift ber menfi^li^e ©eift: ber ^Pofo|)]§ ifl eS felbft in eigener 
5ßerfon.^ S)a§ comt)licirtefte aüer Dbjecte toiü in feine einfad&ften gactoren 
gerlegt n)erben: in biefer Slufgabe beftanb bie ungel^eure ©d&toierigfeit, 
' mit tt)eld&er S)e§carte§ fo lange gerungen l^at. ©ein SBeg l^atte il^n burd^ 
bie ©ebiete ber 5Dkt^ematiI bis gu einem fünfte gefül^rt, »o er gleid&= 
fam Dor bem legten SBorl^ange ftaub. Siefen gu lüften, bie inuerl^alb 
ber ©röBenlel&re nod& gebunbene unb terl^üHte SDletl^obc gu DoÄer unb 
unit)erfeüer Entfaltung gu bringen, ift bie S^l^at, tod^tjv unternimmt. 
@g l^anbelt fid^ um bie 2lntt)enbung ber matl)ematif(ften SJietl^obe auf 
bie 6r!enntnife be§ UniöerfumS , um bie 3Jlatlöemati! nid6t bloß al§ 
©röfeenlel^re, fonbern als SBiffenfd^aftSlelire, al§ Unit)erfal= 
matl^ematü. S)ie SUietl^obe, bie in ber ©rö§enlel)re nad^ ®e3carte§' 
eigenen SBorten nod& t)er]^üllt unb t)erbedtt ift, fott im bud&ftäblid&en 
©inne entbedt toerben. „Sa§ ift baS Siel", fal^rt ©eScarteS in ber 
oben ertoälinten ©teüe fort, „toeld^eS id6 in biefer 2lb]^anblung 'oox Slugen 
l^abe. ^ä) toürbe fonft auf biefe ^Regeln fein fo grofeeS ©etoid^t legen, 
menn fie nur gur 2luflöfung getoiffer ^Probleme bienten, toontit bie 
9led6ner unb SUießfünftler fid^ bie 3eit t)ertreiben. ®ann toürbe id& 



1 K^gl. IV. pg. 217-218. - 2 @, t,or. »u* (^p. IL ©. 173 Pub. 



2)cr SDÖcg aum Softem. 289 

nid^tS toeitcr tl^un qIS SöacjQtcttc p^t^tn, öieKeid&t ntit ettöQS tnel^r 
Seinl^eit aU anbete. Unb loenn id& aud^ in btefer Slbl^anMung oft 
öon Figuren unb 3öt)Ien f<)red&e, tocU td6 feiner anbern SBiffenfci^aft 
fo einleut^tenbe unb fidlere Seif|)iele entlel^nen lann, fo tt)irb bod& 
icbcr 3lufmer!fatne leidet feigen, baß id& l^ier feineStoegS bie geit)öl^n= 
lid^e SRatl^ematif Bel^anble, fonbern eine 5DUt]§obc auSeinanbexfe^e, bie 
bort mel^r in ber §üBe erfd^eint aU in il^rcr 2;iefe. ®iefe aJletl^obe 
fott bie ©lemente ber mcnfd&Udicn SBernunft entl^alten unb bagu bienen, 
avi^ jebem ©egenftonb bie barin Verborgenen SBal^rl^eiten gu löfen. 
2lud& bin id&, offen gefagt, überjeugt, bafe fie icbeS anbere menfd&Iid^e 
©rfenntni^mittel übertrifft, benn fie ift ber Urf<)rung unb bie Duette 
atter SBal^rl^eitcn." „©eSl^alb l^abe id& ba§ f))eciette ©tubium ber 
2lritl&metif unb (Seometrie t)ertaffen, um mid^ ber Unterfud&ung einer 
unit)erfQ(mat]^ematifd&en SBiffenfd^aft ju tt)ibnien. 3id& l&abe niid& 
gucrfi gefragt, »aS man eigentlid^ unter «SJlatl^ematif» terftel^t, toarum 
blo^ Slritl^metif unb ©eometrie für bereu Stl^eile gelten unb nid^t tbtn 
fo gut 3lfironomie, SJlufü, Dptit, 5!Ked&ani! unb fo öietc anbere 
SBiffcnfd&aftcn? SDag SBort «aJiatliematif» bebeutet SBiffenfc^aft, 
bal^er l^aben bie genannten ©isciplinen eben fo t)iel Siedet auf biefen 
Stamen aU bie ©eometrie." „^n aufmer!famer ©rtoögung biefer 
®inge l^abe id& gefunben, ba§ atte SBiffenfd&aften, bie cS mit ber 6r= 
forfdöung ber Drbnung unb be§ 9Jla§e§ ju tt)un l^aben, jur SJlatl^ematit 
gel^ören, gleid&öiel ob fie biefeS 3Jlafe in S^l^Ien, Figuren, ©eftirnen, 
Jonen ober in gang anberen Dbjecten auffudfeen; bafe eS bal^er eine 
UniDerfalttiffenfd^aft geben muffe, bie, abgefel^en t)on jeber befonberen 
2lntt)enbung, attcS, loaS fid& auf Drbnung unb 3Jia^ begiel^t, ergrünbet 
unb beSl^alb ben eigenen unb burd& fein 2ttter el^rtoürbigen SWamen 
SDlatl^cmati! öerbient, benn bie anberen SBiffeufd^aften finb il^re 
Stl&eile."! 

4. Enumeration ober Snbuction. 3ntuition. 

Um eine Slufgabe metljobifd^ gu löfen, muffen tt)ir fömmtlid^e 
S3orau8fc§ungen berfelben fennen, atte fraglid&en fünfte, burd^ tt)el(fte 
ber SBeg gur ööfung l^inburd&f ül^rt : bie öoÜftftnbigc Slufgäl^lung biefer 
5Punfte, bie 3erlegung ber ^aut)tfragc in bie gur ßöfung notl&tt)cnbigen 
Scbingungen nennt ®e8carte8 Enumeration ober 3Enbuction. 
S)urd6 eine fold&e Ueberfid^t orientiren toir ung in ber Slufgabe unb 

1 Rhgl IV. pg. 217-223. 
afiT(5cr, ©cfd^. b. *^iIof. I 4. «uff. 31. «. 19 



290 2)te neue SJlet^obe ber $]^tIofo|)]^le. 

Bringen bicfeifcc in unfcrc ®ett)alt; nid&ts Bereitet bie ßöfung 9rftnb= 
lid&er unb fid&erer öor aU bie genaue unb erfd&ö<)fcnbe ßenntni^ be§ 
^Problems, ©inb bie fraglitften fünfte befannt unb mctl^obifeö ge= 
orbnet öon bem SScbingten aufwärts gu ben fflebingungen , fo fann 
je^t mit Dölliger ©id^erl^eit öon ber erflcn SBebingung burd^ QlIe3Jlit= 
glieber jur ßöfung beS ?ProHem§ fortgefd^ritten toerben. Um bas ein= 
fad&fte S3eif<)ict ju nel^men: bie fortfd^reitenbe Steil^c ber Scti&Ißn, 3, 6, 
12, 24, 48 u. f. f. grünbet fic^ Quf bie ©leic^l^eit folgenber Serl^ält^ 
ntjfc: 3:6 = 6:12 = 12:24 = 24:48, unb bie ©leic^^eit biefer 
5Pro<)prtionen grünbet fid& barauf, bafe immer boS folgenbe ©lieb baS 
^oppdk bes nöd^ft öorl^ergel^enben auSmad^t. ©o tottb ber 5ort= 
f(ftritt ber Sleil^e aus bem SöerJ^ftltnife ber eingelnen ©lieber unb biefeS 
aus ber 33ert)telfältigung eines ©tiebeS begriffen. SDer erfte ©a§ l^cifet: 
3 X 2 = 6, 6 X 2 = 12, 12 X 2 = 24; ber gtoeitc ©a§ ]&ei§t: alfo 
3 : 6 = 6 : 12 = 12 : 24; barauS folgt ber britte: ba^ bie 3al)len 3, 
6, 12, 24 u. f. f. eine nad^ bem @efe§ ber SSerboDpelung fortfd&rcitenbe 
Sleil^c bilben. 2luf biefe SBeife fommt ßontintiitdt unb Sufammem 
l^ang in unfere SBorftellungSiDelt unb bie Sfbeen treten in Sieil^ unb 
©lieb. 3e größer bie SJorftettungSreil^e ift, meldte bie S)ebuction 
metl^obifc^ orbnet, um fo größer ift ber toiffenfd&aftlid^e ©efid^tSfeeiS 
beS ©eifteS, um \o ftftrfer bie ©eifteSiraft, bie il^n jufammcnfafet unb 
bel^errfd&t. Slber je tt)eiter bie SReil^e fortfd&rcitet , um fo mcl^r ent- 
fernen fid^ audö bie ©lieber t)on ber erften SBebingung, aus ber fie 
erjeugt tourben, unb bamit t)on ber Duelle il^reS ßid^ts. 6s ijl ju 
fürd^ten, ba^ mit biefer junel^menben ©ntfernung bie Älarl^eit ber 
©infid&t abnimmt. S)arum mu§ man bie gefammte Sleil&e oft burd^= 
laufen, jebeSmal fd&neHer, bis man fie tJöUig bemeiftert unb in il^rer 
Totalität mit einem einjigen S3lid flberfd&aut. 2luf biefe SBeife ent- 
toöl^nt man fid^ ber natürlid&en ßangfamleit beS ©eifteS unb erweitert 
immer meljr unb mel^r feinen ©efid^tslreis , baS S)en!en toirb be= 
fd&leunigt unb jugleid^ bem ©ebäd^tni^ eine grofee ©rleid&terung öer^ 
fc^afft. Senn um öiele SBorftellungen gu behalten, giebt eS lein 
beffereS Sülittel als il^re burd^bac^te, bebuctiöe SSerlnüpfung. ®aS 
met^obifd^e Scnfen ift bie fit^erfte aller ©ebödötnifefünfte.^ 

2Bie beginnt bie Sebuction? Siiefe Srage, bie fdbon auf 
ben Slnfang beS ©^ftemS l^inmeift unb ben Uebergang bagu Vorbereitet, 



1 R^gl. VI. pg. 226-233. VII. pg. 234-235. fß^l XL pg. 257-258. 



2)er aOöeft aum ©Aftern. 291 

l^Qben toit geftiffcntttd^ an bcn ©d&tufe ber SKctl^obcnlel^re geftcöt. 
ScbcS ©Ucb ber Slct^c ift burd& baS nad&ft öorl^ergcl^enbc Bcgrünbet, 
Qljo burd^ attc frül^cren t)crmittelt, e§ ift um fo Vermittelter, je toeitcr 
eS t)on bcm erften abfielet, toetd^eS felbp t)on leinem früheren aBl^dngt. 
3)a]^er ift ber Slnfong ber ®ebuction leine ©d&lufefolgerung , fonbern 
eine unmittelbare ©etoifel^eit, eine im ßid&te ber SSernunft öoKIommen 
Ilare 3lnfd&auung ober Intuition, toie S)c8carteS jagt. ®er SBeg ber 
®rfenntni§ mufe burd^ Intuition Beginnen unb burd^ ®ebuction fort= 
fd^reiten: biefe beiben Slrten ber ©rfenntnife finb bie einzigen SDlittet 
ber ©emi^l^eit, bie einzigen SSebingungen , froft bereu eS Jffiiffenfd^aft 
giebt. „S)ic ^Principien fönnen nur burd^ Intuition, bie weiteren 
Folgerungen nur burdö S)ebuction erlannt werben." „®ie ganje SDletl^obe 
beftel^t in ber Drbnung unb Sleil^enfolge ber Dbjecte, in Slnfel^ung 
weld&er ber ©eift bie SBal^rl^eit gu erforfd&en fud^t Um bie 9lid^tf(^nur 
biefer SJletl^obe ju befolgen, mufe man bie öermidelten unb bunflen 
©ä§e ©d&ritt für ©d&ritt auf immer einfad^ere jurüdEfftl^ren unb bann 
t)on ber Slnfd^auung biefer te^teren auSgel^en, um tUn fo ©d^ritt für 
©d&ritt ju ber 6r!enntnife ber folgenben ju gelangen, hierin attcin 
befielet bie aSottfommenl^eit ber $Diet]^obe, unb biefe Siegel mufe jeber, 
ber in bie SBiffenfd&aft einbringen mü, ebenfo forgfftitig feftl^alten, 
toie ben gaben beS S^l^efeu^, toenn man bie Slbfid&t l^at, baS ßab^rintlfi 
gu burd6toanbern. fjreilid^ giebt e§ t)iele, bie aus Unlunbe ober UnDerftanb 
bie aJletl^obenlel^re unbead^tet laffen unb oft bie fd^toierigften fragen 
auf einem fo menig georbneten SBege löfen tootten, toie jemanb, ber 
ben ©iebel eines ftol^en ©ebftubeS mit einem ©prunge gu erreid&en 
fud&t, toeil er bie %xtpp^, bie ©tufe für ©tufe l^inauf fül^rt , enttoeber 
t)erfd^md^t ober nid^t fielet, ©o mad&en eS bie 2lftroIogen, bie ol^ne 
forgfditigc Seobad^tung ber SRatur unb ber SBetoegungen ber ©eftirne bie 
SBirf ungen berfetben beftimmen ; f o mad&en eS t)icte ßeute, toeld&e Söied^ani! 
ol^ne ^pi^^fif treiben unb auf gut ©tüdt $Diafd&inen fabriciren; fo mad^t 
es ber größte S^l^eit ber ^pi^ilofopl^en, bie fid^ um bie 6rfaf|rung nid&t 
!ümmem unb meinen, bie SBal^r^eit toerbe aus il^rem ©el^irn Ijeröor^ 
fpringen, toie bie Wxnzxt>a aus bem ^anpk beS 3fu))iter/'^ 

®ie metl^obifd^e ööfung jcber 3lufgabe forbert bie georbnete 
Enumeration ober Snbuction il^rer SBcbingungen, bie bis ju einer 
intuititjen 6infid&t gurüdtgefül^rt fein tooüen, t)on ber aus bie 



1 lUjgl. m. pg. 211-212. pg. 214. V. pg. 225. 



19* 



293 



Sit neue 3Jl(l(|obe btv qjijirofoljfiie. 



a jmn ©Altern. 



Sebuction Il))*temQtiicfi fottfi^reitet. Sarin befte^t bie Summ« 
cartefiniiififien ajtet£)ob(nle£)tc. ®ie Slebucfigii Beginnt mit bet Sntuitii 
JBieI(%eS ift beren Dbject? G8 lann fein nnbEteS jein qI§ bte ®cbinsung 
alltr 3)ebudiDn, bic q(§ fDld)e nic[)t jelbft bebucirbor ift, 2Bie oßc 
fidlt6Qrcii Objecte unter bei SBcbingiing beä SefienS, fo fteljen aHt 
erfeiinbaren imtec bet beS ©ttennens ober ber ^nteHigenj. S)ie ©etotfe- 
^eit ber legieren muß barum ber grtenntiiife ber Singe DorouSge^en. 
§icr ift baS ^Prtncip bet Sebudion nnb wir fe^en lcE)on ben bebeutunsS= 
Collen Stnfang beä St)fteniö. %üS metljobolDgifc&en ©rünben (orbert I)e§- 
corteS bie Unterfiiimng beä ©rfennlni^Dermögenä in erfter ßinie, imb 
ber ttitijcEiE ®eift feiner ^^tlofopliie er|it]eint in biefer 2forbctung fo 
![or unb felbflöelDufet, bnfe man meinen (önnle, an biefer SteCte ft^oii 
bie SAtoette ber fontifiiien *pi)ilofop[)ie ju beruhten. „®a§ toiifjtigfte 
Quer ^Probleme, bie gelöft fein iBoflen, ifl bie einfid)f in bie S'iatur nnb 
©renjen ber menfi|Iic6en ertenntnife: äroei 5ßunEle, iDelcfje wir in 
eine grage äufantmenfoffen, bie Dor ollem indtiobifcb unterfm^t rcerbeii 
mufi, ©iefe {Jtnge ntnS einmal in feinem Ceben jeber geprüft l^aben, 
ber nur bie geringftc 8tebe jut SIÖQ^r^eit I)Qt, benn i^re Unterfucf)ung 
begreift bie ganje 3)let^obe unb gteidjfam bQ§ Toai)xe Crgonon ber 
grtenntnife in fiii)- 3tid)tS fi^eint mir ungereimter, a(§ Ud inö fflloue 
l)inein übet bie ©e^eimniffe bet ÜJotut, bie ®inflüffe her ©cftirne, bie 
Derbotgenen Singe ber SuEunft ju ftreiten, o^ne ein etnjigeS SDlal 
unterfudjt ju ^oben, ob ber inenfcbficbe ©eift fo ffieit reitet." ^ 

Sq3 einzige Dbjed intuiti»cr gifenntniö ift äugleii^ bie oberftc 
SBebingung aßet etfennbarcn Singe unö borum bie Slid^tfi^nnr ber 
Sebuction: bie Snfeßigeni fetbjt. Slßeä anbere crtenne id) burrf) ©(ilu&= 
folgcrungen, olfo burc^ 5JlitgIieber; eines Objeeteö bin ic^ unmittelbar 
geroiß; meiner felbft, meine§ eigenen ©ein@, meines Sentenä. „3ebct: 
mann fann intuitiü ertennen, bn§ et ejiftirt, bo§ er bcnEt." * Siefe 
Sd^e giebt Sc3cürte§ in feiner ajiet^obentetjre aU Seifpiete ber Intuition 
ober unmittelbaren ©emifeljeit. ©s finb bie ^Jnncipien feines ©^ftemS. 
2Bit muffen fe^en, roie biefe ©runbroabr^eitcn md^obifi^ gefunben unb 
hon liier üu§ bie raeitern Slufgaben gelöft merben. 

1 R&g. VUI, pg, 2« -246. — > in. pg. -212. 



1 



S)er Stttfang ber ^I^Uof o|)l^te : btx mctl^obif^c 3tt)etfcL 293 

3tt)eite§ ©apitel. 
I. (Sntfiel^una unb Umfang bcS Z^^\\^H. 

1. ^tc Ucbcrlicferunö ber Sd^uTe. 

©ctt ber SBerbteitung ber cQrtefiQmf(]6en ßel^re finb bie erfien 
©ä^e berfelben: „3d& gtoeifte an affem", «3f4 benfe, alfo td& bin" »elt= 
funbtge ©ttd&toorte getootben, womit, tt)ie eS gu gefd^cl&en t^ffegt, bie 
Unlunbigen il^r @<)iel treiben. SÄan toeife t)on biefen ©ä^en nid^t 
mcl^r als bie SBörter, toenn man il^re ©ntftel^ung im ©eifte S)e§carte8* 
nid&t genau fennt. SBie fommt ein fo grünblid&er unb umfaffenber 
Steifet in einen fo öorfid^tigen unb bel^utfamen ©eift? @§ mar nid&t 
bie Eingebung eines 2lugenMidtS, nid&t ein Wiener, fd^nett gefaxter 
6ntfd&lu6, fonbern bie grud&t einer langen unb fortgefe^ten ©elbftprüfung, 
bie ein fo bünbigeS unb fummarifd&eS Slefultat gut (Jotge l&atte. SBon 
jenen erften 3^cifrfn, bie fd^on in bem ©d^üler ertoad^ten, bis gu bem 
Stteifel, tt)omit ber ^pi^ilofo^)]^ fein ©Jjftem begrftnbet, Dergel^t ßine 
lange Sieil^e t)on Sfal^ren. 

®ie erften SSebenfen regten fid^ gegen bie ©d^ultDiffenfd&aft unb 
bie Sad&ergelefirf am!eit ; l^ier fanb fid^ eine 3Jlenge tt)iberftreitenber 
ßel^ren, aus öerfc^iebenen Seiten unb ßöt)[en gufammengel^äuft, ol^ne 
^Prüfung fortgepflangt, burd^ ben ffletrieb unb bie Slutoritat ber ©(ftute 
überliefert, ©egen bie Slnnal^me einer fotdt)en ungeorbnetcn unb 
unbcgrünbetcn Srabition fträubt ftd6 baS SBal^rl^eitSbebürfnife, toeld^eS 
Sufammen^ang ber Dbjecte unb einftd&t auS ©rünben forbert, eine 
(Srfenntni^ aus eigenem SDenfen unb eigener ©rfal^rung, eine SQBiffen= 
fd^aft, nid^t aus fremben ®infid&ten unb Supern gefc^öpft, fonbern, 
toie ©eScarteS fagte: „auS mir felbft unb bem fflud^e ber SQßelt". 

3nbeffen Verbürgt baS eigene ®en!en unb bie SBelterfal^rung nod& 
nid&t bie SBal&rl^eit. Seibe lönnen fid^ töufd&en. S)en ©tauben m. 
ßel^rer unb SSüd&er aufjugeben, um nid^t t)on frember §anb in bie 
3rre geffll^rt gu toerben, ^ilft unferem SBa^rl^eitSbebarfni^ toenig, toenn 
mir uns in ben ©elbfttaufd^ungen beS eigenen S)enfenS berul^igen. 
aSiele brüften ftd& mit allerlei Stoeifeln unb ftnb babei in ber eitelften 
unb flad&ften ©elbfitdufd&ung befangen. Slueö bie menfd)lid&e Jiatur, 
unabhängig öon aüer !anftlid&en grgiel^ung, gel^t ben SBeg ber Ueber= 
lieferung unb toäl&nt fid^ felbftönbig, tt)o fie in ber größten Slbl^öngigfeit 



294 S)cr Slnfatiö ber ^pi^tlof o^jl^ic : 

tft. 3)er 3tt)cifel an uitS fclbft unb bcr eigenen ^ertlid&Iett bringt 
tiefer unb tft toid&ttger, toeil er um fo öiel fd&toieriger ift, afe ein 
flel)tifciöe8 SSerl^alten gegen äußere Slutoritöten. 6S l^anbelt fid^ je^t 
um einen 3tt)etfel, ber bie menfd&Iid&e ©elbfttöufiä&ung Bis in il^re legten 
©ciölu))ftt)inle( Verfolgt. 

2. S)xe menfd^Iid^e ©clbptöufdSung. 

2Bir finben in un§ eine SDtenge eingetourgelter unb tele bur(j& 
$au8red&t öerjäl^rter SSorfteüungen , bie burd^ ©etool&nl^eit gu unferer 
jtoeiten SRatur getoorben finb, fo bafe eS fd&toer faüt, fid& il^rer ju 
ertoel^ren; fic berufen auf unferen erften ©inbrüden, auf bem ©lauben 
ber ßinbl^eit, unb mx finb geneigt, uns auf biefen ©lauben ju t)er= 
laffen. 3)o(5 ^at un3 bie ©rfal^rung belel^rt, ba^ mand&e jener ererbten 
SBorfteüungen fa(fd& finb. SBarum foÜten e§ nid^t aud& bie übrigen 
fein? @8 giebt feine SBürgfd&aft für beren SBal^rl^eit. SBoIIen toir 
ftd&er gelten, fo muffen mir alle 8, toenn nid&t für falfd&, bod6 für 
unftd&er unb jtoeifetl^aft l^alten.^ 

©0 bringt ber 3tt)eifel erfd&ütternb in unferc eigene Snnentoelt 
ein unb toirb fid& nid^t el^er berul^igen, afe bi§ er auf Sorftellungen 
ftöfet, bie il^m ©taub l^atten. SBenn aud& bie ©inbilbungen ber fiinb^ 
l^eit gefaüen ober toanlenb gemadE)t finb, fo werben bod& bie ©inne8= 
toal^rnel^mungen bem 3toeifeI gegenüber feftftel^en. @ingett)urjelt 
finb biefe SBorfteÜungen audE), fie ftnb fo a(t wie ber Äinberglaube 
unb gepren in feine ©))I)äre; e§ ift nid&t toal^rfd^einlidö, ba§ Don ber 
UnfidEierl^eit beS le^teren fie bie einjige 2lu8nal&me bilben. §aben un3 
bod& bie ©inne fdE)on oft genug getöufd^t, fo ba^ toir unmöglid^ alle 
il^rc SBorftellungen für toal&r l^alten lönnen. SBoÜen toir uns ernftlid^ 
t)or ber ©elbfttöufd&ung lauten, fo bürfen tt)ir unferen ©innesmal^r- 
nel^mungen nid^t t)öüig Vertrauen unb muffen bal^er ben 3tDetfel aud^ 
in biefe t)ermeintlidöe fjeftung ber ©etoife^eit einlaffen. S)enn ber un= 
bebad&te unb barum Voreilige ©laube an bie Siealität unferer @inne8= 
einbrüdCe ift aud& ©elbfttäufdöung. 

Snbeffen finb bod^ einige biefer SBal^rnel^mungen, mie e§ fd&eint, 
t)on gtoeifellofer ©etoifelieit. Unfer eigener ßBrper unb beffen ©lieber, 
unfere gegenwärtigen Iört)erUd&en 3nftänbe unb SEI^ättgfeiten finb bod^ 
offenbare Srfd&einungen, beren ^Realität niemanb in {Jrage fteÜt. 9lber 



1 Oeuvres T. I. M^d. I. pg. 235-236. T. HL Princ. § 1. pg. 68-64. 



bcr mctl&obifiic 3tocifel. 295 

aud& l^icr ip jit bcbcttfcn, 06 bicfe Sftcalität unter aÜen Umftanben 
gilt? 68 giebt fcl^r l^öufigc unb befannte gäÜe, tDorin btefc finnlidöcrt 
SSorftcttungen ber fdöcinbar fidöcrften 2ltt fid^ als leere ©inbilbungcn 
ertüeifen, bie un§ burdö ben ©d^ein ber SBirlüd&Iett täufdEien. @o oft 
iDir träumen, erfal^ren mir biefc Sfffufion. SBxr erleben, toaS tt)ir 
geträumt, unb träumen, mag totr erlebt l&aben ; biefelben Srfd&etnungen 
finb je^t ßrfal^rungSobiecte, je^t Sraumbilber : im erften Sali gelten 
fie für toal^r, im jtoeiten für falfd&. @§ liegt ba^er in bem, toaS 
öorgefteÜt toirb, leine SBürgfd&aft feiner Sieatität; bie ©inneSobjecte 
finb nid^t besl^alb real, toeil fic finnlidö, aud& nid^t beSl&alb, toeil fie 
biefe Dbjecte finb, benn fie !önnen als fold^e eben fo gut imaginär 
fein. 6ie ejiftiren in SBirKid^Ieit, menn fie leine träume finb. Um 
biefe SBirllid&feit jw erfennen unb gegen jeben 3tt)eifel ju fidlem, 
müfete e§ ein ßennjeid&en geben, tooburdö toir Slräumen unb SBad&en 
genau, untrüglidö unb fiets gu unterfd&eiben im ©tanbe finb. @S giebt 
fein fold^eS Kriterium. „SBenn id^ mir bie ©ad&e forgfältig überlege, 
pnbe id& nid&t ein einjiges $öier!mal, um ben tt)ad&en 3uftanb t)om 
SEraum pd&er ju unterfd&eiben. @o fel^r gleidEien fid^ beibe, bafe id^ 
ganj unb gar ftu^ig toerbe unb nid^t toeife, ob idb nid&t in biefem 
SlugenblidE träume!"^ 

3n bem Sortgange ber ©elbftprüfung 3)e8carte§' bilbet bie SE^at= 
fad&e beS SiraumS ein bebeutfameS 3Dftoment, beffen ©en)idE)t toieberl^olt 
in bie SBagfd&ale beS 3^ßifcl8 faßt. 2ln biefcr Sfnftang lä^t er bie 
fd^einbar ftärifte ©etoifel&eit ber ©inneSobjecte fd^eitern. „SBie lannft 
bu fid&er fein", fragt ©uboje, „bafe nid&t bein gangeS ßeben ein 
befiänbiger SEraum ift?'*^ ®a8 SBort erinnert ung an ben SluS» 
fprud^ 6alberon§ in feiner tieffinnigen ©id^tung: 

3n biefcr aOÖimbemcU ift eben 
3lvLX ein Sraum baS ßan^c ßeben, 
Unb ber 3Jlcnf(3^, baS fe^ i^ nun, 
träumt fein ganzes ©ein unb %^\m, 
Aura, auf biefem @rbenbatte 
SiTöumen, tt)ad fie leben, alle! 

©0 öiel leudötet ein, ba^ biefelben ©rfd^einungen, bie im Suftanbc 
beS IraumeS boHig imaginär finb, in bem beS 2Bad&en§ nidöt el^er für 
real gelten bürfen, als n)ir im ©taube finb, beibe Suftänbe auf ha^ 
©id^erfte gu unterfd^eiben. 

1 M6d. I. pg. 238. Princ. I. §4. pg. G4— 65. (3Jleine Ueberf. 74-75.) 
« Oeuvres T. XI. ßech. de la v^ritö. pg. 350. 



296 S)cr 5lnfattö bct «P^ilofo^l^ie: 

3lo^ ip in ben @innc8o6icctcit cttoaS übrig, baS bem 3tt)ßifel 
%xo^ bietet, ©etbfi toenn biefe Dbjecte fönimtlidö nur SEraumBilber 
toären, fo lönnte bod^ nit^t alles barin erbid&tet ober imaginirt fein; 
ha^ SEroumbilb ift, toie jebeg Silb, eine Sufammenfe^ung , bie au§ 
gen)iffen Elementen bepelzt, ol^ne toeld&e bie 6onH)ofition ni(%t gefd&el^en 
lann. SBie imoginör immer bie Untere fein mag, il^re ®runbbejianb= 
tl^eile finb gegeben unb l^aben ben fid&erften 2lnfprud& auf aiealitöt. 
Dl^ne getoiffe ßlementaröorftellungen, toie 9iaum, 3ßit SluSbel^nung, 
©efialt, ©röfee, 3al^I, Drt, ®auer u. f. f. giebt eg feine @inneS= 
objecte, feine Silber, aud^ leine SEraumbitber. SBie ba^ ©emölbe bie 
Sarben öorauSfe^t, aber ni(f)t mad&t, fo berl^alten fidö jene Elemente 
ju unferer bunten unb mannid&fattigen SBorftellungStoett. ©iefen legten 
S3ebingungen aller finnUd^en Objecte gegenüber mufe, toie eS fd^eint, 
ber 3toeifel l^alt mad&en.^ 

9lur toirb er öorl^er fragen muffen, t)on toem jene Elemente, 
toorauS alle unfere SBorpeÜungen unb 6inbi(bungen beftel^en, gc= 
geben finb, unb ob burd^ ben ©eber il^re ^Realität Verbürgt ifl? 
S)enn baS ©egebene unb t)on aufeen @ml)fangene l^at ni^t atö 
fold&eS fd&on ben 6tem))et ber SBal^rl&eit, fonft müfete jebe Uebcr= 
lieferung für fid&er gelten. 2Bar bod^ ber 3tt)eifel gleid^ im 2ln= 
fange feiner Unterfud&ung auf überlieferte Sßorftellungen gefiofeen unb 
l^atte fie fd^on beSl^^Ib bebenflid^ gefunben, toeil pc blofe überliefert 
roaren. 5^eiüd& lam bie Unfid&erl^eit jener 5Erabitionen jugleid^ auf 
Sfted^nung il^reS menfd&Iid^en Urf))rung8, toogegen je^t fotd&e 95or= 
fteffungen in fjrage fommen, bie unS angeboren gu fein fd&einen unb 
nid^t unter bie. SBerle ber menfd6lid&en Ueberüeferung geJ&ören : bal^er 
tt)irb ber Urf))rung berfelben jenfeits ber menfdölid&en S)inge in ©ott 
felbft, als bem ©runbe unfereS SafeinS unb ber Urfad&e ber SBelt, 
Qefud&t toerben muffen. 

©0 fielet ber 3toeifel unmittelbar bor bem l^öd&ften ©laubenS= 
object, unb e§ toirb fraglid^, ob tt)tr im Sfntereffe ernfter ©elbft- 
))rüfung uns bei ber 3lnna^me, ba§ geioiffe SBorfteüungen in unS 
göttlid&er 3lb!unft finb, beruhigen bürfen, ob mit biefer Slnnal^me 
bie 5!JlöglidE)Ieit ber SEöufd&ung auSgcfd^loffen ift? 3e unt)oIlfommener 
n)ir uns biefen ©ott t)orfteffen, fei eS als ©d^idffal ober 3ufall 
ober 9laturnot^tt)enbigfeit, um fo toeniger l^at er bie Tiaä^t, unS 



A M6d. I. pg. 238-240. (Ucbcrf. @. 76.) 



bcr mct^obifd^c 3»ctfcl. 297 

t)or SEöufd&ung gu BetDal^reit; je öolllommcncr bcrfelbc erfd&eiitt, 
aU ein affmöi^ttger ©eift, um fo tnel^r l^at er bte 3Raä)t, uns in 
S^öufd^ung gu ftürgen. Unb Iiat er bie SRad^t, marum foÜte er nid&t 
aud& ben SBiffen l^aben? ©tma n)cgen feiner ©Ute? SBenn er nid)t 
toill, bafe X(f) irre, toarum irre id&? Offenbar fd^ü^t fein SBiKe mi(3& 
nid&t t)or bem Srrtl^um unb fein Söermögen ift im ©tanbe, midö gu 
öerblenben. ®§ toörc möglid^, ha% xä) in einer ©d&eintt)elt lebe, in 
einer 2BeIt ber Stdufd^ung unb beS SBal^nS, fei eS um bereinft bat)on 
erlöft gu werben ober um nie gum öid&te ber SBal^rl^eit bur(6gubringen; 
eS toöre ben!bar , ba^ bie göttlid&e SlCmaciöt mid& fo gefd&affen l^at, 
ha% bie SBelt, toeld&e id& öorftclle, blofe in meiner ©inbilbung ejiftirt, 
an ficft ol^ne Sal^rl&aftigfeit unb SleaUtöt.^ 

SlÜerbingS, biefe 9Innal^me iji möglidö unb mel^r afe ber ©infatt 
eines felbftquölerifd&en ©rüblerg; bie aSorfteÜung, ba^ bie @innen= 
toelt, in ber mir leben, eine ©d6einn)elt fei, bie uns blenbet unb tftuf(j&t, 
ift in bcr 3fbee ber SRaja ba^ S£^ema einer ber öÜeften Sieligionen 
ber SBelt. ©o tief rcid^t in ber ©etbftprüfung unfereS 5ß^Uofop]6en 
ba^ ©enfblei beS StDcifetS, ba% auc^ biefe SBorfteHung burd&brungcn, 
il^rc 9Jlöglid&Ieit bered&tigt unb bamit bie te^te ©dränge umgetoorfen 
toirb, l^inter mli)tx fid^ ber getoöl^nltd&e, öon ber ftnnlid&en ©ett)i6= 
l^eit flenöl&rte ©laube t)or bem ©!et)ti!er fd^ü^t. 

®S bleibt bemnad^ in meinen SBorfteKungen nid^tS übrig, baS 
nid&t begtoeifett werben fönnte unb, toenn toir uns aüer ©elbfttäufdöung 
grünblidö entfd^Iagen looüen, begtoeifett n^erben müßte. SJlöglid^, ba§ 
t)iele biefer SSorftellungen toal^r finb; toir miffen eS nidE)t, benn nod& 
l^at fid& feine betoö^rt; tt)ir l^aben feinen ©runb, fie für getoife, tool^l 
aber ©runb genug, fie für unfid^er gu l^atten. 2luS bcr ©infid^t in 
biefe burd&göngige Ungcioifel^eit unferer SSorfteÜungen folgt bie @r= 
flarung: „3d& gmeifle an allem". „SBaS fann id& gegen biefe 
©rünbe aufbringen? 3td& l^abc nid^ts, fie gu entfräften. Sidö bin am 
6nbe gu bem offenen Sefenntnife genöt^igt, ba§ an aüem, tt)aS id^ 
frül^er glaubte, gegmeifelt totxbm bürfe, nidE)t auS Unbebad^tfamfeit 
ober ßeid&tfinn, nein! aus getoid&tigen unb vooijl überlegten ©rünbcn; 
ba§ mitl^in, toenn eS mir überl^aupt in etioaS um SBa^rl^eit gu tl^un 
ift, id& mid& ebenfo forgföttig lauten toerbe, baS Unfid&ere als baS offen« 
bar iJalfc^e beifällig angunel^men." ^ 

1 M6d.L pg.240-242. Princ. I. §5. pg. 65-66. (Ucb.©.76- 77. ©. 166.) 

2 M6d. pg. 242. Princ. I. § 2. (Ucberj. ©. 77. @. 165.) Rech. pg. 351. 



298 S)cr Slnfang bcr «pi^ilof o^ic : 

IL 3)er mctl^obifd^e unb gtuttbfd^ü^e Sweifcl. 

2Bir finb mit unferer gonjen aSorficttungStDelt, tocid&e bic 5ProBe 
bcr ©elbjlprüfung ttidöt beftanbcn, in bcr ©clbfttöufd&ung befangen 
unb an biefclbe gcroöl&nt. ®er Stoeifcl toiÜ bicfc ©ctool^nl^ctt nii^t 
bIo§ l^ic unb ba antaftcn unb unterbred&en, fonbern in il^rcm ganjen 
Umfange ergreifen unb Io8 toerben: er toiU ung bie ©e(Bft= 
taufd^ung abgen)ö]&nen. ßeine ©ctool^nl^eit ift ftörler ate bcr 
©taube, feine ©ntoölinung fd^tDieriger als ber bagegen gerid&tcte 3tt)eifeL 
Unb n)enn ber StDcifct toirtti^ bie ^ülad^t l^aben foff, bic ©elbji- 
täufd^ung ju bannen, fo ift e3 nid^t genug, bafe toir il^n f äffen, be* 
greifen, feine ©rünbe bcutlid^ öorfteffen; toir muffen uns an biefe 
S)en!art gctoöl^ncn, uns in biefe fritifd^e ©eifteSöerfaffung l^ineinteben, 
tt)ie t)or]^er in bie unfritifd5e. ®aS @rfte ift ebenfo fd&tt)ierig unb an= 
ftrengenb, ats bas Slnbere leidet unb bequem toar. ®ie ®ett)ol^n]^cit 
ber ©elbfitäufd&ung mad^t fid& öon felbft, bie ©nttoöl^nung gefd&ict)t 
burdö ©eifteSgud&t unb 5öietI)obe. „@S ift bei toeitem nic^t genug, 
biefe 9lot]^tt)enbig!eit bemerlt gu l^aben; man mufe biefelbe fid& immer 
t)on neuem mieber öergegentoörtigen , benn immer n)ieber feieren bie 
eingelebten 3Dfteinungen jurüdE, immer toieber nel^men fie ben Ieid^t= 
gläubigen ©inn gefangen, ber toie burd& SBeriöl^rung unb ^an^- 
red^t i^nen untert^an ift; untDiÜIürüdö feieren fie mir jurürf, unb 
iä) !ann eS mir nid^t abgetDöl^nen , biefen SBorfteffungen bcijufiimmen 
unb JU vertrauen. Dbfd&on id^ tool^I n)ei6, tt)ie jtoeifell^aft fie finb, 
fo fd^einen fie bodö fo toal^r, ba& man lieber baran glaubt, als fie in 
3Ibrebe fteüt/'^ 

®er Sweifel toirb ©runbfa^, bie !ritifd&e ©eifteSric^tung ium 
ben)u6ten SBittenSentfd&Iufe unb gur SJlajime. 3[d& toiÜ bie ©elbfttäufd^ung 
loS toerben, unb gtoar nid^t bIo§ in biefem ober jenem fjall, nrid^t Blo§ 
l)ier ober je^t, fonbern grünblidö unb im ©angen. SBie bie ©elbft= 
täufd^ung eine burd&göngige nub gett)o]^nte ift, fo mu§ ber 3tocife(, 
ber fie aufl^eben foK, ebenfo burd&göngig gefaxt unb in unfere S)enfart 
eingelebt toerben. $!Jlan mer!e tool^I, n)o]^in biefer 3toeifeI feine ©t^i^e 
rid&tet. ®r gel^t nidbt gegen biefe ober jene SSorfteffung , etioa bie 
retigiöfen, an bie biete guerft beulen, toenn t)om Stoeifel bie [Rebe iji, 
fonbern gegen einen menfd&Ud^en Suftanb, t)on bem felbft ein btöbeS 2luge 
fielet, bafe er fid^ öorfinbet: gegen ben Suftanb unferer ©elbfttäufd&ung, 



1 Med. I. pg. 242-243. 



bcr metl^obifd^c 3tt)cifcl» 299 

ßinfiUbung, SBerBlcnbutig. SBer ben 3tt)ctfcl 3)e8cartc§' t)ertDitft ober 
anfid&t, mu& ben Suftanb unferer ©elbfttöufdöung gut l^cifeen. SBcr 
e§ für gcratl^en l^ält, ba^ man fid^ icncm Sweifcl beffer nid^t l^ingcBc, bct 
mu& es für ba^ Scfte l^alten, bafe totr in unfcrcr ©clbftöcrMenbung 
beJ&arrcn. 6ln ernftcr reltgtöfer ©tun fann cS alfo nid^t fein, nur ein 
t)erBIcnbetcr , ber einen fold^en 3töeifel fürd&tet. S)aS ©egentlieil ber 
©clbfHöufd^ung tft bte SBatirl^aftiglett gegen ft(^ felbft. 3lu8 bicfer 
Duelle entfpringt alle SBal^rl^eit unb aller SJlutlö jur SQSal^rl^eit. SBer 
ntdöt gegen fid^ toal^r tft, nid&t ben ^Jlnttj l^at feine Söerblenbungen 
gu burd&fd&auen, ber l^at ü6er^aut)t leinen SBal^rl^citSmutl^, ber tft über= 
l^aupt nid^t tDa^r, unb aöe SÄufrid&ttgleit, bie er im Uebrigen l^at, ift 
in ber SBurjel falfd^. ®a§ alfo ift bie 3lbfid&t be§ cartefianifd&en 
3tt)eifel§ unb bie Slufgabe, bie er fid^ ftefft: fei toal^r gegen bid^ felbft! 
rebe bir nid^t ein unb laffe bir nidöt einreben, ba% bu feieft, toaS bu 
nid&t bift, ba^ bu erlennft, tDa§ bir nid&t Har einleud^tet, ba§ bu 
glaubft, tooxan bu im ©runbe gtoeifelft ober gtoeifetn foffteft! 

©0 tief nadö innen gerid^tet ift ber forfd&enbe unb fritifd^e ©eift 
SeScarteS^ er voiU ftatt ber ©elbfttäufd&ung bie ©elbfterleud^tung , er 
^at eS nur mit ber eigenen intellectueffen SBerfaffung, nid^t mit ber 
SBelt ju tl&un, fein Stoeifel greift nur bie ©eltung ber SSorftellungen 
an, nid^t bie SBeltauftönbe unb ift bal^er nid^t praftifd^, fonbern lebiglicft 
tl&eoretifdö. „^ä^ toeife, ba^ barauS n)eber ©efa^r nocft 3irrtl^um 
ertoädöft, id^ braud^e mid& nid&t ju fd^euen bor einem Ueberma^ be§ 
aJlifetrauenS, ba id^ e§ l^ier nid&t mit ))raltif d^en , fonbern bIo§ mit 
tl^eoretifd&en 2lufgaben gu tl&un l^abe. @o toitt id^ benn annel^men, 
ba§ nid&t ber allgütige ©ott bie Duelle ber SBal^rl^eit fei, fonbern 
irgenb ein bofer unb gugleidö fel^r möd^tiger 3)ömon, ber alle feine 
ßunft baran gefegt l^at, mid& in Strrt^um ju ftürgen. 3id& toitt bie 
aJleinung l&egen, Fimmel, ßuft, @rbe, fjarben, formen, Slöne unb 
atteS, toaS id& aufeer mir toal^rnel^me , feien 5£rugbilber ber SEraume, 
mit benen jener böfe ©eift meiner ßeid&tglöubigfeit nad&fteüt; id& loiÜ 
mid& felbft fo betrad&ten, als ob id& toeber Singen nod& 5Ieifd& nod^ 
33Iut nod& irgenb einen ©inn in SBal^rl^eit, fonbern alle biefe ®inge nur 
in bcr (£inbilbung Iiabe; id6 loiU in biefer Setrad&tung§tt)eife bel^arrlid^ 
bleiben unb mid6 befeftigen. ©tel^t eS bann nidE)t in meiner Ttaä)t, 
bie SBal^rl^eit ju crlennen, fo toerbe id^ bod6 im ©tanbe fein, mid& 
öor bem Sfrrtl^ume gu lauten; id& miÜ gegen jenen ßügengeift bie ©tirn 
erl^eben, unb er fei nod^ fo mäd^tig unb nod& fo fd^Iau, er foü mtd^ 



300 S)a8 $nnci^ bet $^tIofop]^te 

itidöt üBerlDöItigett ! ®o(5 tfl eS ein tnül^et)OÜeS SBcrl, ttDcId&cS id& t)ox%aU. 
®te S^rögl&eit fül^rt mid& gut alten ©etool^nl^eit beS ßcbens immer 
iDieber gurüd , unb tt)ie ein ©efangener, ber fid^ im Sraume einer 
eingebilbeten greil^eit erfreute, fid& fd^eut ju ermad^en, toenn er ju merfen 
anföngt, ba^ er fdöldft, unb bic n)o]^Itl^äti9en SEraumfiitber fo lange 
alg mögtidö getodl^ren Wfet, fo blirfe id^ untoiHIürlidö jurüdC in bie 
alten SSorftettungen unb fürd^te auf jutt)ad&en , id& für^te baS toad&e 
arbeit8t)otte S)afein, baS auf b^n fanften ©d^laf folgen toirb unb nid^t 
in l^cÜem ßid&t, fonbern in ben unburd&bringlid&en Sinftcrniffen fdöon 
erregter 3tt)eife( nun in Sufunft l^ingelebt fein toitt."^ 

S)er 3iüdEtt)eg ift unmögtid^. 2luS b^m 3tt)eifel felbft mufe ba§ 
ßid^t ber SBal^rl^eit l^eröorge^en. 



drittes 6a))ttel 
Jia$ ^xintiif htt |)i|Uof0tii)t^ mi Hb (Erk^nntntgtir0lrl^m. 

L ®aS ^Princip ber ©etoifel^cit. 

1. 2)a3 eigene benfenbe @ein. 

63 giebt leine SSorfteKung, bic mir als toal&r einleud^tet; üielmel^r 
finb alle fo befdEiaffen, ba§ td& il^re Unftd^erl^eit einfel^e. ©egen bie 
überlieferten SBorftellungen ber ßinbl^eit jeugt bie ©rfal^rung, bie fie 
in fo fielen Säßen toiberlegt l^at; gegen bie finnlid&en Sorftellungen 
jeugt bie ©inneStöufd&ung, gegen bie fc^einbar gemiffefien ©inneS« 
toal^rne^mungen ber SEraum, enblid^ gegen bie Stealitöt ber 6tementar= 
t)orftelIungen, bie allen übrigen ju ©runbe liegen, erl^ebt fid^ bie 
5!JiögIid)feit, ba^ bie ©innentoett über]^au))t eine toefenlofc ©d&eintt)elt 
ift, ba% n)ir in ber SBurjel unfereS SafeinS ber Släufd^ung unb bem 
SBal^ne herfallen finb. @o ift alleS gtoeifeC^aft unb nid&ts getoife, al§ 
tUn biefer Stoeifel. 3lÜe8 ift ätoetfet^aft, b. 1^. id& jtoeiflc an attem. 
©0 getoife als ber erfte ©a§, ift ber gleite: fo getoife bin id& felbft. 
SBenn id& t)on meiner ©elbfttaufd^ung bieSöufd&ung ab jiel^e, fo bleibt mein 
©elbft; ift jene mögltd^, fo ift biefeS not^toenbig. Dl^ne ©elbft feine ©elbfi= 
täufd^ung, lein S^oeifel. 

§ier erfdEieint ein 5Punft, ben ber Stoeifel nid&t mel^r ergreifen 
unb erfd^üttern lann, n)eil er t)on il^m auSgel^t. „3lnx einen 



1 Med. I. pg. 243-245. Pr. I. 3. pg. 64. (Ucberf. ©. 78—79. 6. 165.) 



unb bas (&xUnntmipiolUm. 301 

5PunIt ber feft unb unbetDeglidö tDärc, forberte Slrd^itncbeS, um bie- 
grbe an^ i^rcn SÄngetn gu l&cbcn; aud^ tütr bütfen ©ro§c§ l^offcn, 
wenn aud& nur baS ßteinftc gefunben ift, ba^ fidler unb uncrfdbüttcts 
Itd^ fejifiel&t/' ©clbft it]t^t, ba% toir öon einem böfen ®dmon 
in eine SBelt beS ©d&einS unb ber Släufd^ung gebannt finb, fo finb 
mir bod&, gtcid^ötel in toeld^em 3uftonbc ber ©eifteäöerblenbung, aber 
mir jtnb. „SBenn jener ®ämon mid& taufd^t, fo ift ja flar, bafe idf) 
aud& ba bin; er täufd^e mid&, fo t)iel er lann; niemals fann er bemirlen, 
baB, fo tange id& benfe, bafe etmag ift, ic^ fetbft nid^t Bin. Unb fo, 
nadöbem id^ aÜeg mieber unb mieber ermogen ^aBe, fomme ic^ gu biefer 
ßrÜarung, bic feftfiel^t: ber 6a^ «3id&Bin, i^ ejiftire» ift in bem 
2lugenBIidEe, mo id^ il^n auSft)redöe ober benfe, notl^toenbig matir/' ^ 

S)ie nöd^fte fjrage l^eifet: maä Bin id&? 6g !ann nidE)t geant= 
mortet toerben: „idb Bin SUlenfd^" ober „id& bin biefer ßörper", benn 
e§ möre ja möglidö, bafe bie Körper üBerl&au|)t nur SErugBilber finb; 
barum barf id& aud& meine SBefengeigentJ^ümlidöIeit nid&t burd^ fold&e 
Sl^atigf eiten erHären, roeld&e, mie ©etbftBemcgung, ßrnäl^rung, @m))finbung, 
gmar ber ©eele gugefd^rieben merben, aber ol^ne Röxptx nid^t fein 
lönnen. SQBenn id& aÜeS Stoeifell^afte t)on mir aBfonbcre, fo bleibt 
eines übrig: ba8 3 toeif ein felbfi SQBenn nid^ts t)on bem ejiftirt, 
mag id& für unfid^cr l^alte, fo bleibt bod& meine Unfidöerl&eit; toenn 
td& nid^tg t)on bem Bin, mag gu fein id6 mir cinBilbe, fo bleibt boc^ 
mein ©inbilben; menn affeg falfcö ift, mag id6 bejal&e ober Verneine, 
fo ift bod& mal^r, bafe id& bejal^e ober öerneine. Sftun finb gmeifeln, 
einbilben, bejal^en, t)erneinen u. f. f. Slrten beg Sen!eng. Sag ®en!en 
bleibt nadö 2lbgug allcg Stoeifell^aften, in il^m befielet bal^er meine un= 
öeröufecrlid^e SBefengeigentl^ümlid^fcit, mein ®en!en ift mein mal&reg 
©ein: id& benfe, alfo id& bin. „SBag foU id& mir anbere ©inbilbungen 
mad&en? 3d6 bin nid&t jener ©lieberbau, ber menfd&lid^er fiör|)er l^ei^t, 
aud& nid&t jener feine, ben ©liebern eingel^aud^te atl^erifd&e ©toff, nid^t 
SBinb, treuer, ®unft ober $aud&, nid^tg t)on allem, mag id& in meiner 
©inbilbung bin, 3dö l^abe ja angenommen, ha^ alle biefe Singe nidbt 
in SBal^rl^ett finb: biefe Slnnal^me bleibt; tro^ berfelben bin id& bod^ 
etroag." 3d& Bin ein benfenbcg SBefen: in bicfem 6a^ finbet ©egcarteg 



1 M^d. II. pg. 246-248. (Ueb. ©. 80-81). Pr. I. § 7. 3fn ber Rech, de la 
v^rit^ begeid^net (guboje au aöcm bcn 3tt)etfel (ce doute universal) mit htm obigen 
Hudbrudt ber SWebitationen als «un point fixe et immuable.» 



202 S)a8 ^xxncip bcr ^^iloforttc 

in SÄbftd^t auf bic ßrfcnntnife bcr ©itigc bie fjorbcrung beS Slrd^imebeS 
erfüllt. SBoÜte idö bic ©ctDi&^eit meines ©enlenS begtDeifeln, fo n)ürbe 
\ä) \a bie $!JlögUci&!eit bes 3roeifete fetbft in fjrage ftcllen imb mü§te 
in bie alte Sdufd^ung jurücRel^ren. Salier fd^üefet ber ©a^: „3d& bcnfe, 
Qljo id& bin" jebe Ungctoi^elt Qug, er ift bie erfte unb fid^erfte fEiaf)X' 
l^eit, tDcId^e ieber finbet, ber ntct^obifd^ p]^ilofo))]&irt. ^ 

SBenn auf bie grage: „toas bin xä)V etwa bie 3lnttt)ort crtl^eilt 
tt)irb: „id& bin 5öienfd&", fo mufe toeiter gefragt unb bie unbefannte 
2lrt burdö bie noc^ unbelanntere ©attung befinirt iDcrben, mie eS „bcr 
©tammbaum beS ^dxp^t)xxu^" öorfd&rcibt. SBaS ift aJtcnfd^? SBqS iji 
Vernünftiges SEI^ier, lebenbiger ßörper, ßeben, ßör|)cr, ©ing u. f. f.? 
6in ßab^rintl^ bunKer Segriffe! ©agegen bie 3lnttt)ort; „xä^ bin ein 
gtDeifelnbeS, alfo ben!enbe§ SBefen" fann man nid^t ebcnfo in einen 
enblofen Sftegrefe t)on fragen auflöfen: toaS ift }tt)eifeln, beulen u. f. f.? 
2luf biefen ©intuurf beS ©d6uIp]^iIofo))]^en ®J)iftemon ertoibert ©uboje 
treffenb: „Solan mufe jtDeifeln unb benfen, um ju toiffen, toaS eS ift", 
SBcr biefe Stl^ätigfcit in fid& erlebt, fragt ni(^t nad^ il^rer ©attung 
unb Slrt, benn bie ©ac^e fetbft ift il^m unmittelbar cinleud&tenb. * 

2. S)ie fftcQcI bcr ©etoig^ctt. S)cr ©eift aU baS ftarfte Object: 

3eber ©a^, ber eben fo einteud^tenb ift, als bie ©elbftgctoifel^eit 
beS eigenen benfenben ©eins, ift aud^ eben fo loal^r. §ier ift ba^ 
öorgeftcHtc Dbied unmittelbar gegentoörtig : bal^er leud&tet unmittelbar 
ein, ba% unb toaS cS ift. ®ie ^Präfenj beS ©egenftanbeS mad&t bie 
SÄnfd^auung f lar. Safe berfelbe gugleid^ in feiner 2BefenSeigcntpmtid&= 
feit, unt)ermifd6t mit anberen ©ingcn erfd^cint, mad&t fie bcutlid^. 
„ßlar nenne id& bie SSorftellung, bie bcm auf merif amen ©eifte gegen= 
toörtig unb offen ift, fo n)ie cS l^eifet, mx feigen flar, toenn baS Dbject 
bem anfd^auenben 2luge t>^cifent unb ber ©efid&tSeinbrudC ftarf unb 
beftimmt genug ift; beutlid& aber nenne id& bie SBorfteffung, toeld&e Har 
unb gugleidE) fo beftimmt t)on allen übrigen unterft^ieben ift, bafe fte 
aud6 in il^rer ©igent^ümlid&Ieit einer ridE)tigen Setrad^tung cinleud&tet/ 
SeibeS gilt Don bem ©a§e ber ©elbftgen)ife]^eit: er ift öollfommcn 
Har unb beuttid^, er n)äre toeniger gen)i6, b. 1^. unfid&er, toic alleS 
anbcre, toenn er biefe (£igenfdE)aften in geringerem ©rabe l^dttc. ßlar= 

1 Disc. IV. pg. 158. (Ucb. ©. 31.) M6d. II. pg. 248-253. (Ueberfcfeung 
©. 81—85. Pr. 1. § 7-10. (Ueb. ©. 167-168.) 

2 Rech, de la v^ritö pg. 354—371. 



imb baS (grfcnntnifeiproblem. 303 

l&eit unb ©eutlid^feit jtnb borum bic ßcnngcidöen ber ©etotfelicit ober 
ber SBal^rl^eit; baS 5Princij) ober bie «regula generalis» ber leiteten 
fafet bemgemöfe unfer 5ß]^Uofol)]^ in bie Formel: „SBa§ td^ Ilar unb 
beutUd^ einfel^e, tft tüal^r",^ 

2luS bem @a§ ber Oetotfel^eit folgt bie Siegel ber ©rfenntnife. 
63 tft loic^tig, eine il^rer Folgerungen fogleid^ tn§ Sluge gu faffen. 3e 
geringer bie ßlarl^eit unb ®eutltd&!eit einer SBorfteÜung, um fo geringer 
ber ©rab ber ©etoi^l^eit, toornit il)re SBal^rl^eit unb SleaUtät cin= 
(eudötet. 9lun toirb bie ßtarl^eit bebingt burd& bie ©egentoart beS 
DbjectS ober bie Unmittelborfeit unferer aSorftettungen; je mittelbarer 
bal^er bic le^tercn finb ober je größer bie 3^^^ ber SRittelglieber jn)ifd&en 
SSorftcttung unb Object, um fo unüarer ift unfere ©infid^t. 3?id6t§ 
ift uns unmittelbarer gegenwärtig, alö unfer eigenes SBefen; nirgenbs 
gilt mit größerem SRed&te ber ©a^, bafe jeber ftd6 felbft ber Jiädöfte 
tft, als in ber ©rienntnife. 3<3& bin ein benlenbeS SBefen ober ©e ift. 
2)cr ©eift ift bal^er unter allen Dbjecten ba^ ftarfte, fein Safein 
unb SOäefen ift einleud^tenber, als baS ber Singe außer uns, ber 
för))erlidöen jObjectje, beren SSorfteöungen burdö bie ©inne t)ermittett 
©erben, ffiie finnlid&en SSorfteCungen finb unflar, mil fie »ermittelt 
finb; fie finb unbeutlid^, toeil fid^ in bie SRatur beS ©egenftanbeS bie 
meiner ©inne einmifd&t. 6in Dbject öerbeutitd&en, l^eißt baffelbe rein 
barflellen unb alles ^rembe baöon abfonbern, maS nur bur(^ ^Prüfung 
unb fritifdbeS SSerl^alten, b. 1^. burcQ urtl&eilen unb benfen gefc^el^en 
fann. ,ßlar unb beutlid^ t)orftellen l^eifet benfen. SluS ber Siegel 
ber ©eioifel^eit folgt barum ber @a^, in toeld&em ber SlationaliSmuS 
ber ßel^re ©eScarteS^ fid^ auSt)rägt: toal^re ßrfenntniß ift nur 
burc^ benfen möglid^. 2)aS 2)enfen allein tlart unb läutert unfere 
3bcen bet: ®inge. 

3ebe aSorfteCung, bie id6 l^abe, ift bie meinige: gemiffer bal&er, 
als irgenb etroaS 2lnbereS, ttirb burd& jebc SSorftellung bemiefen, baß 
id^ bin. 2)iefer Rbxpn ejiftirt, loeil id^ il^n betafte; es fönnte fein, 
baß er nid^t ejiftirt, baß id^ benfelben gu betaften mir nur einbilbe, 
baß id& träume; aber eines folgt mit unumftößlid&er ©emißl^eit: baß 
id^, ber id& ben ^bxptx betafte ober ju betaften mir einbilbe, in SBirf= 
üd^feit bin. S)aß bie benfenbe Statur flarer unb einleud^tenber als 



1 Disc. IV. pg. 159. (Ueb. ©. 32.) MM. m. pg. 264. (Ueb. ©. 92.) 
Princ. I. 45. (Ueb. ©. 183.) 



304 ^ad $rmct^ t)er ^l^ilofo^l^ie 

bie Iöt))etUd6c fein foH, crfdöcint bem getDöl^nUd^cn S3ctt)u&tfctn als eine 
ungereimte Se]&au))tun8; bie ßör))er finb ja fo beulUd^, tt)eil fie 
greifbar unb Qugenfd^cinlidö finb. SWon toirb bie Se]^QUt)tuit9 toeniger 
ungereimt unb bie SHatur be§ finnlid^ toal^rgenommenen fiör|)erS 
weniger beutlid^ finben, ttenn man ernftlid& berfud^t, jte ju fa|fen. 
SBa§ ift an bem ©tüd SBad^S, ba^ mir als biefen feften, greifbaren 
Körper toal^rnel^men, ba^ Dbject einer beutlid&en SBorfteHung? ®ie 
eben toal^rgenommenen ©igeufd^aften finb e§ nid^t, ba^ SBadöS fd&miljt, 
unb fie finb nic^t me^r Dorl^anben. S)aä bleibenbe Dbj[ect ift cttt)a§ 
SluSgebel^nteg, SBiegfameS, SBcränberlid^eg, ba8 öermögc feiner 3lu§= 
bel&nung eine enblofe Sieil^e t)on Oröfeenjuftänben, Vermöge feiner a3ie9= 
famfeit unb SSeränberUd^Ieit eine enbtofe ^leil^e t)on ^^^rmen bur(äfe= 
toanbern fann. S)iefc enblofe SDlannid^faltigleit läßt fid& burd& feine 
finnlid^e SBorfteüung begreifen unb jufammenfaffen, fonbem nur beulen.^ 

n. ®a8 @rfenntni§Drobtem. 

1. ^te SSorftettung eincjS SBefenS äuget una, 

SBenn nun alle toal^re ©rienntnife in ber ßtarl^eit unb S)euttid&= 
feit ber SSorftellungen beftel^t, toeld^e felbft nur burcö benfen mögtid^ 
ift, fo erl^ebt fid& bie Srage, n)ie fraft beS S)enfeng eine ©rfenntnife 
ber S)inge ju ©taube lommt? SWeine ©emifel^eit reid&t nur fo toeit, 
als meine benfenbe ©elbftt^ötigleit; too biefe aufl^ört, beginnt bie 
Ungetoifel^eit. SBenn toir ung bie 3}nnen= unb Slufeenioett gteic^fam 
als bie §emift)l^ären beS UniöerfumS öorfteüen, fo liegt bie eine im 
©rleud^tungSfreife, bie anbere im ©d^atten. SBenn ni^t baS 8td&t in 
uns bie bunfle SBelt aufeer uns erl&eüt, fo bleiben mir über baS 
©afein berfelben im Suftanbe ber Ungetoifel^eit unb beS S^odH^. 
§ier ift ber 5pun!t, ber baS 6rfenntni6t)robIem in fid& f dotiert: loie 
folgt aus unferer ©elbftgetoi^eit bie ©emfel^eit, ba§ ®inge außer 
uns finb? Um bie ^rage allgemein gu faffen: giebt eS überl^aupt 
ein SBefen außer uns, beffen S)afein uns eben fo Kar unb beutüd^ 
einleud&tet, als baS eigene benfenbe ©ein? ©iebt eS eine SSorfieÜung 
in uns, aus toeld&er bie ©sifteuj eines fold&en SBefenS erl^eÜt? 

Unterfud&en toir ettoaS naiver bie mannid^faltigen Slrten ber a5or= 
ftellungen, bie tt)ir in unferer Sfnnentoelt finben: einige fd^einen ur= 



1 Med. II. pg. 256-258. (Ucb. 6. 86-87.) Pr. I. § 8-12. (Ucfc. 
6. 167-169.) 



unb bad @rfenntmg)3rob(em. 305 

fprünglidö ober anacBoten, anbcrc toittlürlidö gebilbet, bic tneiften öon 
aufeen emt)fQU9cn ju fein. ®iefe leiteten, bic finnüdö^n SBorftettungen, 
l^alten mx für Sffiirfungen unb Slbbilber ber äußeren Singe unb 
barum für ein jtoeifeHofeS S^ugnife, baß eS Singe oufeer un§ giebt. 
SQßir ttiffen fd^on, toxt unBegrünbet biefc 2lnft(j&t ift, toie oft un§ bie 
Sinne unb oüemat bie Slrdume täufd&en. Stoar bie finnli(j&e SSor^ 
ficttung aU fold^e ift nie falfdE). ®§ ift getoife, bafe id^ biefe SBa]^r= 
nel&mung ^aBe, bafe ic^ bie ©onne olö eine runbe ©d&eibe öorfieüe, 
bie fid& Ben)egt; nur folgt barauS nid&t, bafe bie ©onne eine fold&e Bc= 
roegtc Scheibe ift. 3n biefer Folgerung liegt ber Srrtl^um; er liegt 
nid^t in meinem SBorjteÜungSjuftanbe, fonbern barin, ba§ id& meine 
SBol^rnel^mung für bie ©igeufd^aft unb ben Suftanb eineg SingeS au^er 
mir l^altc: baS l^ei^t nid^t eine SBorftettung l^aBen, fonbern über bie* 
fetBe urtl^eilen. 6§ ift ein UrtJ^eil, toenn toir eine SBorfteUung in 
un§ für bie SBirlung unb ba§ 3lBBilb cine§ SingeS außer un§ er- 
Karen; e8 ift ein unBegrünbeteS Urtl^eil, voenn toir finntid&e 
aSorftettungen auf ftufeere DBiecte Begiel^en. ^ier ifi nod& nid&t ber 
Drt, um bie 3rage, oB üBer]^aut)t au§ unferen ©inneStoal^rnel^mungcn 
ha^ 3)afein ber ßörper Begrünbet toerbcn fönne, enbgültig gu entfcfteiben. 
Sin biefer ©teile tt)irb nur crHart, ba§ in ber finnlid&en SefdEiaffenl^eit 
unfcrer SSorfteÜungen fein ©runb liegt, il^re Urfad&en ober Originale 
au&er uns gu fud&en. ®ie ©rünbe, bie man bafür anführt, Betoeifen 
nid&tS; man Beruft fid& umfonji barauf, bafe bie finnlid&en SSorftellungcn 
uniDillIürtid& entftel^en unb il§re Segiel^ung auf äußere DBjccte burdE) 
ben JRaturinftinct geforbert toerbe. S)iefe Snfiincte finb nid^t un= 
fel&lBar; bie Unabl&ängigleit jener SJorfteÜungen t)on unferer SBitÜür 
fd&tteßt nid&t aus, ba% fie auf untoill!ürlidöe SBeife aus ben SBe= 
bingungen unfereS SBefenS l^eröorgel^en. Unb felBft ben gaü gefegt, 
ba^ pc SBir!ungen äußerer DBj|ecte finb, fo folgt nid^t, baß fie ju 
il^rcn Urfad&en fid6 t)erl)alten, n)ie bie 5lB6ilber ju il)ren Originalen, benn 
eine SQ8ir!ung fann il^rer Urfad^e fel^r unäl^nlidö fein. 6s muß bem= 
nadö erflärt toerben, baß unfcre finnlid^en SSorftellungen leineSmegS gu 
bem fid&eren Urtl^eit Bered^tigen, baß eS Singe außer uns gicBt. SBenn 
bal^cr eine 3bee in uns baS Safein eines SBefenS außer uns gewiß 
mad&en foff, fo fann biefelBe eine finnlid^e SJorfiellung nid^t fein.^ 



1 M6d. ni. pg. 268-272. (Ueb. ©. 94-96.) 
aftf^er, ©efd^. b. $^iIof. I. 4. «uff. 9^. St. 20 



806 S)ag ^xxndp ber $^iIo{o^^ie 

2. 2)Qd $rtnct^ bet 6:aufalität. 

©0 gennfe als bie bcnfcnbc SRatur unfetcS eigenen SBefcnS, fraft 
beten tt)tr aSorfteÜungen l&oben, ift ber @a^ ber ßaufotttät: „SluS 
ntd&ts n)irb nid^tg, jebeS ©toag ift bie SBirfung einer er jeugenben 
Urfad&e". SBäre in ber Urfad^e tt)eniger entl^altcn aU in ber SBirfung, 
fo müfete biefer Ueberfd^ufe burd& ni^t§ l^eröorgebrac^t fein, ®arau3 
folgt, bafe bie Urfad&e nie geringer fein !ann a(§ bie SQBirlung, fonbern 
ntel&r ober eben fo öiet Sleaütät entl^atten muß als biefe. 3fm erften 
gaü öcrl^ölt fie fid^ ju ber legieren, toie ber Äünftler gum Äunfttoerf, 
benn in iencm ift mel^r entl^alten, als In einem feiner 5Probucte; im 
jtoeitcn, toie bie f^orm gum Slbbrurf: jene Urfad^e nennt S)e8carte§ 
«causa eminens», biefe «causa formalis». ©e^en toir nun ben 
ÖaÜ, ba^ fid^ eine 3bee in uns finbet, bie mel^r Sicalität entl^ölt als 
unfcr eigenes SBefen, fo ift Har, ha% toir toei^r eminenter nod^ 
formaliter, alfo überl^aupt nid&t beren Urfad^e fein fönnen, baß mit= 
l^in bie Urfad^e biefer 3bee außer unS ejiftirt. Sie fjragc ift, ob 
eS eine fotc^e SSorfteCung giebt?^ 

SBaS toir t)orfteÜen, finb enttoeber ®inge ober Sefd&affen^eiten, 
enttoeber ©ubftangen ober SRobi. Offenbar entl^alten jene mel^r 
Siealität als biefe, bal^er l^aben toir nur ben SOßertlö unb ©el&att ber 
t)orgeftcUten ©ubftangen naiver gu t)rüfen. 3ltS fold^e nel^men toir 
unfer eigenes SBefcn unb bie Singe außer unS; biefe finb tl&eils 
unfereSgleid^en, tl^eils öon unS öerfd^ieben, bie Unteren finb enttoeber 
j^öj^cre ober niebere SBefen als toir, bie l^öl^eren finb ©ott unb ®ngel, 
bie nieberen tl^ierifd^c unb untertl^ierifd&e ßörper, S)emnad& finb bie 
©laffen ber t)orgeftellten ©ubftangen außer uns : ©ott, 6ngel, 3Jienfd&en, 
Stl^iere, (untertl^ierifd&e) Körper. 6ngel finb Jöiitteltoefen gtoifd^en ©ott 
unb aJlenfdö; l^aben toir bie Sfbeen biefer beiben, fo fönnen toir bie 
ber @ngel felbft madfeen unb braud^en bagu fein Original oußer uns. 
5!Jlenfdöen finb SBefen unfereSgleidöen, beren ^bxptx ber unfrige nidfet 
ift; aus ber SBorfteÜung unfereS eigenen SOäefenS unb för))erlid^er 
©ubftangen fönnen toir bie anberer 5Renfd&en bilben. 

2)ie 3bee ©otteS unb bie ber ßörper finb bemnad^ bie ©lemente, 
aus benen fid^ bie SSorfteUungen ber übrigen ©ubftangen burd& unferc 
eigene Sll^ätigfeit ergeugen laffen. SBaS toir in ben Äör))ern finnlid^ t)or= 



» M6d. III. pg. 272-275. (Ucb. ©. 97-99.) Pr. I. § 17. (ÜJleine Ucbcif. 
©. 171-172.) 



unb bad @r!enntmgprobIem. 307 

ftcÜen, ifi unflar, barutn cnttDcber nidbtiä ^^^^ ^on geringerer Siedität 
aU unfere beitfenbe SRatur; toaS tt)ir beutlidö barin öorfteüen, ift in 
wnferer bcn!enben Statur entl&alten ober täfet fid& barauS l^erteiten, 3n 
feinem (Jattc cntl^ätt bie SSorfteÜung eines fi5rperS mel&r 3leatität al§ 
bic unfercS cigtnen SBefenS. (£s ifi bal^cr junöd&p fein ©runb, toarum 
toix bie l^eröorbringenbe Urfac^e biefer SSorftettung nid&t fein fönnten. 
3d& bin ein benfenbeS SBefen, jebeS anbere enbüd&e Sing ift toeniger 
Qlg id&; bal^er brandet, »cnn td& enblid&e SBefen aufecr mir öorftcüe, 
bie Urfad&e unb ba« Original meiner Sorfieüung nid&t außer mir gu 
fein. @§ bleibt mitl^in nur eine SSorftcttung aU baS alleinige Dbiect 
unferer {Jrage übrig: bic 3bec ©ottcS.^ 

3. S)ie ^[bee ©otteg. 

3d& bin ein enblid&cS SBefen, ©ott ift unenbtid^; id& bin un= 
tjottfommen unb mangell^aft, er ifi öollfommen unb mangellos : eS 
ifi bal^er unm5glid&, bafe id& bie Urfad&e biefer 3bee bin. ßnttoeber 
fann td& eine fold&e SSorfieüung über]&aut)t nid&t l^aben, ober il^re 
Urfad&e muß ein SBefen öon gleid^er 9lealität b. 1^. ©ott fetbft fein. 
9lun l^abe \6) bic 3bee ©otte?. 3}n biefem Satt ift l^aben fo öiel als 
empfangen l^aben, 3ebe SSorfiellung l^at, loie jebe ßrfd&einung, il^rc 
Urfad&c. SBenn id& flar unb beutlid^ einfel^e, baß id& biefe Urfad^c 
nid&t fein fann, fo ifi ebenfo flar unb beutlid^ erfannt, ba^ biefe Ur* 
fad^c außer mir fein muß, baß eS alfo ein SBefen außer mir giebt. 
„SBenn in einer meiner 3been eine fo möd^tige älealitöt öorgefteüt 
loirb, baß id& gemiß bin, in mir fönne biefelbe roeber formaliter^ 
nod^ eminenter entl^atten fein, td6 fönne bal^er unmöglid^ Url^eber biefer 
Sbeefein, fo folgt, baß id& nid&t allein in berSBelt bin, fonbern 
baß nod& ein anbereS SBefen als Urfad&e jener SSorftellung cjiftirt. 
SBenn aber eine fold^e 3bee fid& nid^t in mir pnbet, fo giebt eS 
feinen ©runb, ber mir betoeifen fonnte, baß ein t)on mir t)erf^icbeneS 
SBefen ejifiirt. 3d& l§abe bie ©ad&e nad& aüen ©eiten unb mit 



> M6d. m. pg. 276— 280. (Ueb. ©. 100-102.) Pr. I. §18. (Ueb. ©. 172.) 
^ 3ur (Stifiuterung beS SluSbrudiS ^fotmaltter entlftalten fein" biene folgenbe 
Semerlung: kDirfen l^etgt (bei ^ttftoteleS) geftalten ober formen. SBaS borgeftettt 
toirb, nennt ^eScatted obiectiD; to)a8 tl^atf&d^lid^ e^iftirt, förmlti^; bie bot» 
geftetite ©ai^e l^ctfet «realitas objectiva», bie toitüidje «realitas actualis sive 
formalis». 9Ba8 ballet bie Utfad^e formaliter entl^ölt, ift ntd^t mel^r unb toeniger 
aU ber ^nl^alt ber 2Bir!ung. 

20' 



308 S)a8 2)afein ©otted. ^ie menfd^Iii^e 

QÜer ©orgfalt ermogcn unb Bis jc^t fein anberc§ 9lcfu(tat finben 
fönnen/'' 

®urd& bic 3bce ©otteS foÜ bag ©unfel au§crl^aI6 unfercr ein= 
famen ©clbftgctoifel^eit erl^cHt unb ba^ @rfcnntni§|)robIcm gclöft tocrbctt. 
3fe^t l&cifet bie Srage: toie ift burc^ bic 3bce ©otteS eine ©r!enntnife 
ber Singe mog(id&? Sluf biefen 5Punft rid^tet ftd^ bie nöd^fte Unter= 
fud&ung, unb man lann fid&er fein, ba§ ol^ne biefelBe ber ©inn unb 
bie Sliefe ber ße^re S)e3carte§' uid&t gefaßt n)irb. 



aSicrtcS 6Q))itel. 
I. 3)ie a3cn)eife t)om Sofein ©otte§. 

!• 2)te Urfod^e ber ©otteSibee. 

©egen bie menfd&lid^e ©elbfttäufdöung l^atte SeScarteS bic @e(Bji= 
Prüfung aufgeboten, ienen grünbUd^en Stoeifet, ber nur eine ©ctDißl^eit 
übrig liefe: bafe toir jtücifeln, benfen, finb. ®arau8 folgte bic Flegel 
aüer ©etoifel^eit, bafe in ber ^ßlarl^eit unb ®eutlid&!cit ber ©rfenntnife 
bie SBal^rl^eit Beftel^t. 3)er @a^ ber ßoufalität ift Har unb bcutüd^; 
er folgt aus bem 6a§e ber ©etoifel^eit, benn eS ift unntöglidö, bafe loir 
benfen unb nid&t finb; bieS n)äre 2l^ätig!eit oline ©uBject, SSeränberung 
ol^ne ©ubflang, 2Bir!ung ol^ne Urfac^e. 2lu§ bem 5ßrincip ber ©aufalitöt 
folgt, bafe eine SSorfteÜung, bie mel^r Sftealität entl^alt, als loir felbft, 
nid^t unfere 333ir!ung fein lann; bie Sbee ©otteS l^at mcl^r SficaUtat, 
alfo finb nid&t toir bic Urfad^c biefer ^bzt; bal&cr mufe ein SBefen 
aufeer uns CEiftiren, bas an SSoüIommenl^eit nid^t geringer fein barf, 
als unfere aSorfteÜung t)on il^m: bie Urfad^e ber 3bee ©ottcS ift ©ott 
felbft. Urfadöe fein l^eifit toirlfam unb barunt toirflid^ fein. ®ie 
©^iftenj ©otteS erl&eÜt Blofe auS ber 3}bee ©otteS in uns. 

JBon l^ier auS foß bie ßöfung bcS ©rfenntnifeprobtemS patt= 
finben, bal^er mufe biefer 5ßunft bor aüem Befeftigt unb gegen ieben 
Stoeifel gefid^ert toerben. Unfere ©etoifel^eit ber @$ijieng ©otte§ 



1 Disc. IV. pg. 160. (Ueb. 6. 32-33.) Med. HL pg. 276. (Ucb. 6. 100.) 



©clbPöCtoig^eit unb ©otteSgetoiBl^eit. 309 

grünbet fid6 junäd^ft auf bie fid^crc SEl^otfad^c, ha^ toir feI6ft eEiftircn 
unb bic 3ibec ©ottcS l^obcn. 3[ft bic {Jotgerung ridöttg? g^olgt barauS, 
ba^ toir finb unb ®ott öorftcÖen, tüirfUdö, ba§ ©ott ejiftirt? @§ 
lönnte ja fein, ba§ tüir aus eigenem SBcrmögen biefe 3ibee ju ergeugen 
im ©tanbe tt)ären, ober bo^ meber ®ott noc^ toir felbft, fonbern eine 
anbere Urfad&e uns felbji unb bic ©otteSibee in uns l^erDorgefirad&t 
l^ötte. ßöfet fidö betoeifen, ba^ ol^ne bie ©Eifteng beS DoÖfommenften 
SBejenS toir unb bie !3bee beffelben in uns unmöglidö fein fönnen, fo 
finb jene SBebenfen toiberlegt. 

SBir müßten öoKfommen fein, um bie 3bee bes SBoBfommenen 
ju ergeugen. ©o forbert eS ber ©q^ ber ©aufalitöt. 3;f|Qtföd&Ii(^ 
finb toir nid^t öoßfommen, unb toenn toir es aud& bem SBermögen 
ober ber 9lnlage naä) toören, fo toürbe biefe SSolIfommenlieit feine 
actueße, fonbern nur eine ^jotentiette b. 1^. toerbenbe ober toad^fenbe 
aSoKfommenl^eit fein, toaS fo tiiel l^eißt als öorl^anbene Unt)ottfommen= 
l^eit. ®qs SBerben ift enbloS, gunel^menbe SBoßfommenl^eit ift nie 
Doßenbet. ©al^er finb toir ftets in einem Suftanbe, ber, mit ber 
3bee ©otteS üerglicfeen, unöoßfommener ift, als biefe, Slnlage gur 
SSoßfommcnl^eit ift fadifd^c UnDoÜfommenljeit; bloße Slnlage ift nod& 
nid^t SBirffamfeit, nid^t ergeugenbe Urfad&e, alfo aud& ntc^t bie Urfad^e 
ber 3bee ©otteS. 

®er @a^ ber ßaufalität gilt nic^t bloß tion unferen 3been, 
fonbern eben fo fel^r öon unferem Safein. ©e^en toir, ba^ bie Urfac^e 
beffelben baS Doßfommenfte 2Befen nic^t ift, fo muß ein toeniger t)oß= 
lommeneS biefe Urfad^e fein: enttoeber id^ felbft ober meine ®ltern 
ober anbere 2Befen, eS fei nun eines ober mel^rere. Sßöre id& mein 
eigener ©d&ot)fer, fo toürbe id& bie aJlad^t gel^abt l^aBen, mir aße bie= 
jenigen aSoßfommenl^eiten gu geben, toeld&e id^ t)orgufteßen bie ^äl^igleit 
l^abe: bann toürbe id^ ©ott getoorben fein. 3d& l^aBe biefe SSoß* 
lommenl^eiten nid&t, fie ftanben bal^er nid^t in meiner 5D?ad&t, id& 
toar nid&t mein eigener @d&ö))fer. ©rl^altcn ift fortgefe^teS @c6affen; 
nur toer f (Raffen fann, vermag gu erl^alten: id^ l^abe nic6t bie SDkd^t, 
mid& gu erl^alten, alfo l^atte id& aud& nid&t bie, mid& gu fd^affen. ®ie 
®auer meines ©afeinS ftel^t nid&t in meiner, nod& in meiner Sltern §anb, 
barum toaren aud& fie nid&t meine ©dööpfer. 9llS benfenbeS SBefen, 
toeldöeS id^ bin, müßte id& mir jener Sölad^tDoßfommenl^eit, toenn id& 
fie I^Ätte, betoußt fein; id& Bin mir beS ©egentl^eils betoußt, alfo 
nidöt bie Urfad&e meines ©afeinS. 6S ift titn fo toenig benfbar, baß 



310 S)a8 ^afetn ©otteS* S)te menfd^Ii^e 

bie göttlidöcn SBoöfommcnl^itcn, bic id6 öorftcffc, mel^r als eine Urfo^e 
l^afien, benn mit ber ßinl^eit toürbe jenen Urfaij^en bie toal^re S5on= 
fommenl^eit fel^Ien, fie tüftren alfo nid&t, ma§ fie fein müßten. S)a]^cr 
bleibt nur übrig, ba§ ein öon uns öerfd^iebeneS unb eingigcS 
SBefen, toeld&eS enttt)eber t)on einem l^öl^eren abftammt ober aus M 
felbft ift, iene SBorftettung ergeugt ^at SDer {Jatt l^öl^erer Slbfunft tft 
ju tierneinen, benn bieg l^ieße ein^n enblofen 0legre§ ber Urfad^cn 
fe^en, ber nicfit fein fann, tüeil eS bann nie gur ergeugenben Urfad^c 
fclbft, alfo au4) nie gur SBirfung föme. !3eneS ergeugenbe SQBefen, ba§ 
Don uns öerfd&ieben unb eingig in feiner Slrt fein muß, fann nur 
aus fid& felbft fein: eS ift ©ott. SDaS SDafein ©otteS in biefcm 
©inne tierneinen, l^iefee unfer eigenes SDafein unb bie 3bee ©otteS in 
uns für unmöglidö erHären. „SarauS allein, ba§ xi) bin unb bic 
3fbce eines öoKfommenften SBefenS ober ©otteS l^abe, folgt mit üößiger 
ßlar^eit, ba& ©ott aud^ e^iftirt."^ 

2. S)ie ®otteSibee al8 angelborene 3bee, 

SBir l^aben biefe 3fbee emt)fangen, unb ba pe uns nic^t burdö bic 
©inne noc^ fonft n)ie vermittelt ift, fo l^aben loir fie unmittelbar öon 
©Ott felbft, fie ift unS urfprünglidö gegeben ober angeboren: ©ott 
l^at fie uns als feinem SBerfe eingeprägt, „toic baS Seid^en be§ 
ÄünftlerS". S)iefeS 3ci(3öen ift l^ier nid&t Don bem SBerfe üerfd&ieben, 
fonbern baS SBerf felbft: ©ott ift nidbt blofe bie Urfad&e, fonbern ba§ 
Urbilb unfereS SafeinS. „SBeil ©ott mid& gefd&affen l^at", fagt 
S)eScarteS, „beSfjalb allein glaube id&, bafe i(i& nad) feinem Silbe ge= 
mac6t unb il^m öl^nlidb bin. !3n biefer ßbenbilblid^feit beftel&t bic 
3fbce ©ottcS. S)iefeS ®benbilb bin it^. ®arum erfenne id^ bic 
3bee ©atteS burd^ baffelbe SBermögen als mid^ felbji. 2Bie id6 bcn 
Slidt beS ©eiftcS in mein ^inneres feiere, fel^e id& nid^t blo§, bafe id^ 
ein mangell^afteS, abl^öngigeS SBefen bin, toeld&eS nad6 l^öl^crer SJoll= 
fommenl^eit, nad^ ©röterem unb SBcfferem ins Snblofe trad&tet, fon= 
bem id^ fel^e gugleidö, bafe jenes Urtoefen, tion bem id& abl^ftnge, aßc 
aSoKIommenl^eiten in fid& entl^ölt, nid^t ber 9Jlöglid&!eit nad^ als 3irf 
enblofen ©trebens, fonbern in SBirflid^feit auf unenblid&e SOßeife. 
3dö erfenne baS S)afein ©otteS. ®ie gtoingenbe ©etoalt beS SBetoeifcS 
liegt barin, bafe id& gu ber ©infid^t genötl&igt bin: id& felbft mit ber 
Sfbee ©otteS in mir fönnte unmöglid& ejiftiren, toenn ni(^t in SBal^t-- 

1 M6d. III. pg. 280—289. (Ucb. 6. 102—108.) 



@eIBjigelt)ig]^eU unb ©ottedgemigl^eit* 311 

l^cit ©Ott tüärc, id& meine ben ©ott, toeld^en id^ öorftcKe, bcr aße bie 
SSottfommenl^citen l^ot, bie id& nid^t Begreifen, fonbern gleid&fam nur 
t)on fern mit meinen ©ebanfen berül^ren fann, ber jebe 2lrt ber Um 
öollfommenl^eit Don pdö auSfd&Uefet."^ 

3. S)te S9eU)etiSgtünbe ontologif^er unb antl^roipologifd^er Sltt 

Um baS SDafetn ©otteS ju Begrünben, ^ai ©eScarteS mel^i^ere 
©etoeife gefül^rt unb unterf d&ieben ; man bel^anbelt il^n ju oBerftäd&Iidö, 
toenn man, toie gen)5]^nli(^ gefc^iel^t, Bloß ben ontologift^en l^eröorl^eBt. 
SBir tooßen erji ben ^nl^alt biefer Setoeife, bann il^re Drbnung, ju= 
le^t il^re tiefften SSetoeggrünbe unterfud^en. 

SDie 3fiegel ber ©etoifel^eit erMärte: affeS Kar unb beutlidö (£r= 
fannte ift toal&r. 9lun erfenne id& in ber bloßen 3bee ©otteS flar 
unb beutUdö beffen ©siftenj, bie bemnad^ jtoeifelloS feftjiel^t: bieS ijl 
ber @(^tu§ t)om ©egriff ber ©ad^e auf baS ®afetn berfelBen, baS fo= 
genannte ontologifd&e Slrgument, toetd^es Slnfelm. in bie fd&olaftifd^e 
SEl^eoIogie eingefül^rt l^at. ®ie 3bee ©otteS ift in uns als eine 3;]&at= 
fad^e innerer ©rfal^rung gegeben, fie ift ein factum in unferer 35or= 
flettung8n)elt, baS ntd&t burd& unS, fonbern nur burd& ©ott felbfl be= 
toirlt fein fann; alfo e^iftirt ©ott: biefer SSetoeiS fd^Iiefet t)on ber 
SEl^atfadöe auf bie Urfad^e, er n)irb «a posteriori» gefül^rt unb barf 
beSl^alB als ein ©rfal^rungSbetociS gelten. 

®ie %^aV\ai)t unfereS S)afeinS unb ber 3bee ©otteS in uns läßt 
fic^ fo ausfpred&en : tt)ir ejiftiren unb finb mit ber SBorftetlung 
eines öollfommenften SBefenS BegaBt. SDa toir nid&t felBji bie 
Urfad^e unfereS S)afeinS fein fönnen, fo mu§ biefetbe ein foId^eS Don 
uns üerfd^iebenes SBefen fein, toeld&eS atte bie SBoHIommenlieitfn, bie 
totr Dorftetten, Befi^t, toeil eS fonft nic^t im ©taube toäre, unS mit 
ber 3bee berfelBen ju erzeugen : bal^er ejiliirt biefeS boÖfommenfte 
affer SBefen ober ©ott. ®iefer S3en)eiS fi^liefet Don ber 9latur beS 
9Jienfd&en, fofern bicfelBe unDoBfommen ift unb SSottfommenl^eit Dor= 
fiefft, auf baS SBefen unb SDafein ©otteS: in il^m finb bie Beiben 
öorl^ergel^enben Slrgumente, baS ontologifd^e unb empirifd&c, Dereinigt. 
SBir nennen biefen SBetoeiS ben ant]^rot)oIogifd&en unb fügen l^ingu, 
bafe ol^ne benfelBen baS ontologifd^e ober metapl^^fifd&e 9lrgument im 
©eifte unfereS 5p]^iIofo:>)]^en nid^t Derftanben unb getoürbigt toerben 



A M6d. III. pg. 289-291, (Ucb. 6. 108-109.) 



312 S)ad S)afetn ®otte8. ^ie menfd^Ii^e 

lann: er ift ber cigentlid^c cartcftanifd&e SctociS Dom Safein 
©otteS. 

@§ ift ficmetfetiStDertl^, in todäjtx Drbnung S)c8cartc§ feine S8e= 
tüeiSgrünbe enttoidelt. SBo er uns in feinen metl^obifd&en, bie fS&a^x- 
l^cit fud&enbcn Sbeengang einfül^rt unb barum in feiner ffiarfteffung 
anal^tifiJö öerfölirt, Iö§t er auS bem Qnt]öro:>)oIo9ifdö^n Slrgument boS 
ontologifc^e ]^ert)orge]^en, n)ie in ber ©d^rift tion ber Söictl^obe unb in 
ben SJlebitationen : bort in aßer ßürje, l^ier in aKcr 9lu8fü]^rli(ftfeit. 
SQSo er bagegcn bie gefunbenen SBol^r^eiten in f^ntl^ctifd&er Drbnung 
vorträgt, giebt er erft ben ontologifd&en, bann ben antl^ropotogifd&en 
SetoeiS, toie namentU(^ in bem geometrifiä^en 3l6ri§ ber 9Jlcbitationen, 
toetd^cr in feiner Srtoiberung auf bie gleiten ©inmürfe entl^alten tt)ar, 
unb in ben 5ßrinci^)ien. 3fn ben SJlebitationen ftü^t er bie gange 
ßraft bcS SBetoeifeS gunäd&ft auf ba§ antl&ropologifi^e 2lrgumcnt unb 
enttt)i(lelt erft toeit ft)äter, inbem er no(^ einmal gur ©otteSibee gurädE= 
feiert, ben ontotogifd&en SetoeiS.* 

4« S)er antl^to^ologifd^e S3eU)ei8 aU ©runbtage bed ontologtfdgen. 

®er ontoIogifc6e SBetoeiS ®eScarte3' ift tro§ feiner parallele mit 
bem fd^olaftifd^en t)on bem le^teren grunböerf d&ieben ; Diefer Unterfcfiieb 
ift fo toid&tig, bafe bie getoöl^nlid^e SRid^tbead^tung beffelben einer 
t)öttigen Slid^teinfid^t ber ßel^re unfereS SßI|ilofot)]^en gleid&fommt. S)eS= 
carteS mufete übergeugt fein, ba§ bie (gintoürfe, toetd^e btn fd&ola|iifd&cn 
SBctoeiS erfc^üttern, ben feinigen nid^t treffen, benn er l^at bicfe @im 
tt)önbe gelaunt unb in ber fünften 9Jlebitation ausfül^rlidö Bcl^anbelt. 
SQSir tt)offen gunäd&ft bie gel^Ier beS getool^nlid&en ontotogifd^en Slrgu« 
ment§ l^eröorl^eben. 

3lu§ ber bloßen !3bee ©otteS foö bie ©Eijieng beffelben eben fo 
einleuc^tenb folgen, tt)ie auS bem ^Begriffe beS ©reiedfs, bafe bie ©umme 
feiner 2BinfeI gleich gn)ei redeten ift, unb aus bem Segriffe beS ÄreifeS 
bie ©leid&l^eit ber Slabien. ©o toenig mir einen Serg ol^ne Sl&al 
Dorfteöen fönnen, fo n)enig läßt fid& ©ott ol^ne Safein beulen; fo 
not]§tt)enbig SBerg unb S^l^al öerbunben finb, fo untrennbar finb SBe- 
griff unb Sjifteng ©otteS. Snttoeber ift er baS öottfommenfte SBefen 



1 Disc. IV. pg. 159-162. (Ucb. @. 32-34.) Möd. III. pg. 280—289. (Ucb. 
©.102— 108.) M6d. V. pg. 312— 317. (Ucb. ©. 123— 126.) übj. et R6p. Propos. 
I-III. (Oeuvres I. pg. 460-462. Ueb. 6. 159—161.) Princ. I. 18—22. (Ucb. 
^8. 172—174.) 



©erbfigemigi^ett unb ©otteSgetotg^ett. 313 

über er ift überl^öu^t rtid&t; benn boö tioöfommenfte SBefen tüöre mä)\, 
tüaS es ift, toenn il^m ettooS fel^Ite unb jiüar nid^t toemger fel^lte, ds 
bie JUeafitöt felbjl. ^ier erliefet ft(3& fogleitäö folgenber ©inrourf: unfere 
3bee ©otteS ift eine SSorfteKung, tüie jebe anbere, eS ift nid^t ein= 
jufel^en, bo^ Don biefer SSorftettung gelten foH, was Don feiner anberen 
gilt: ba§ nömlidö bie gebadete Sjiftenj fd^on bie tt)irfli(i)e ift. Sfn jebem 
anberen ^affe ift baS t)orgefteIIte Dbject nur moglid^, nic&t n)ir!lid&; 
©Ott QÖein mad&t nQd6 ber 9lnfid&t beS ontologifd&cn SetocifeS eine 
SluSnol^nte: er ejiftirt, tüeil idft il^n ben!e. SBenn id6 il^n aber nid^t 
benfe? ©teW nid^t mein Senfen ift meiner 9Jlad6t? ©inb nid&t meine 
©ebanfen tt)illfärlid&? ®§ l^iuge bann Don mir ah, ob e§ einen SBe» 
toeiSgrunb für ba^ S)afein ©otteS geben fott ober nid&t! aJlan mufe 
bal^er als bie erfte Sebingung ber 9KögIid^!eit eines ontologifd&en SSe« 
loeifeS forbern, bafe bie 3fbec ©otteS in uns fein miÖfürlid&er, fonbern 
ein notl^toen biger, mit unferem SBefen untrennbar Dcrbunbener ®e= 
banfe ift. SBenn fid^ biefe Siotl^toenbigfeit nidftt aus bem SBefen beS 
9Dtenfd&en begrünben läßt, fo ift ber ontotogifd^e SeloeiS fd^on in 
feinem erften 2luSgangs:>)unfte Derfel^lt unb l&inföffig, benn ifjm fel^lt 
jebcr folibe 93oben, auf bem er rul)t. ^ierauS erließt, ha^ er antl)ro= 
:>)oIogifd6 begrünbet unb gered&tfertigt fein toiü. 

Snbeffen finb toir, felbft toenn jene erfte Sebingung erfüllt ift, 
nodö lange nid&t am 3icle. S)ie !3bee ©otteS in uns fei nottimenbig. 
fjolgt barauS fd^on bie ®Eiftenj ©otteS? SBenn roir genötl)igt finb, 
baS DoHfommenfte SBefen DorjufteÜen, fo muffen toir baffelbe frcilidö 
als tt)irf(id^ benfen, aber ift benn bie gebad&te SBirfUd&feit fd&on bie 
reale? !3ft bie ©jifteng in meiner SSorfteHung aud6 bie ©jiftenj aufeer* 
l^alb unb unabl^ängig Don berfelben? 6s ift nid&t eingufefien, tt)ie 
mein SJorfteüen unb S)enfen jemals über fid& felbft l^inauSgel^en unb 
bie JRealitdt eines SBefenS jenfeits aÖer Dorgefteüten unb Dorftellbaren 
Dbiede bejeugen foll. @o lange bal^er bie 3bce ©otteS nur meine 
JBorftettung ift, erjeugt bnxi) mein ®enfen, toie notl^toenbig immer 
biefeS ©enfen fein mag, fo lange ift aud& bie ©Eijienj ©otteS nur 
meine 3bee. ®ie gebadete ©Etftenj ift unb bleibt nur eine moglid^e; 
bie Don mir unb meiner SSorftellung unabl^angige SBirftid^feit ift auf 
blo§ ontologifd&em SBege fc^led^terbingS nidftt ertoeisbar. ©oK bie 
3bee ©otteS in mir baS ©afein ©otteS betocifen, fo mufe fie mel)r 
als blo§ meine SBorfteÜung fein, fie mufe bie ©fifteng ©otteS nid^t 
blo§ Dorfteüen, fonbern in einem getoiffen ©inne felbft fein, ©e^en 



314 2)aS S)afein ©otteS. S)te menfd^Itdge 

toir ben S^att, bQ§ bicfe 3fbec, btc idö ^ö6ß. ©ottcS fclbftetgcnc SBefenS« 
öuBetung, feine unmittelbare SBirfung tüäre unb als fötd^c fid^ mit 
an!ünbigte: bann afferbingS tt)ärc fie ber birede 33etr)et3 göttlid^et 
Urföd^Ud&feit, alfo göttli(ä&en SDafeinS. SBie ober barf id& eine 3bee, 
toeld&e id& als meine SSotfteKung, al§ eine unter anberen öorjtnbc, afe 
SBirfung ©otteS fietrad&ten? Unb nid^t genug, ba§ tdö jte aU fold^e 
betrad^ten barf, t)ietmet)r foff id& fie gar nid^t anberS anfeilen !önnen. 
©0 gen)i§ als id& felbft bin, fo geH)i§ foö biefe 3bee nid&t mein ^xo- 
buct, fonbern bie 2Bir!ung ©otteS in mir fein. ©ieS ip nun ber ju 
bemeifcnbe ^Punlt, auf hen in ber ©otteSlel^re S)eScarteS* gerabegu aÜeS 
anlommt. SBenn fid^ beroeifen lie^e, ba^ bie 3bee ©otteS in unS 
1) notfjtDenbig ift, 2) unmöglid^ unfere S33ir!ung fein fann, fo tüfirbe 
ber fraglid^e ^ßunft feftguftetten fein. 

6s müßte gejeigt tüerben, ba§ ein unöoßlommeneS SQBefcn, 
tüie baS unfrige, nit^t im ©tanbe ift, bie SSorftettung bcS t)ott= 
!ommenen ju erjeugen. 3n iebem O^att müßte bie ©elbjierfenntnife 
unferer Untiollfommenl^eit unb Dl^nmad^t, alfo bie ©rforfd^ung beS 
eigenen SBefenS , unfere © e l b ft t) r ü f u n g ber er|ie ©d^ritt auf 
bem SBege gur ©otteSer!enntniß fein. SRid^t Bloß ber erftc ©d&ritt, 
aud& ba^ ßidöt auf biefem SBege! S)iefe§ ßid^t, meld&eS btc ©otteS= 
leiste ©eScarteS' unb ifjr ontologifd&eS 2lrgument aöein erleud^tet, 
fel^lt bem fd^olaftifdöen Söetoeife gänjlid&. 3n bem Ic^tercn ifi bie 
§aut)tfad6e, baß toir ein tioBIommeneS SBefen öorftcKen; in bem Se= 
toeife S)cScarteS* ift bie ^auptfad&e, baß toxi eine SBoKIommcnl^eit t)or= 
fteüen, bie »ir felbft nid&t l^aben, unb »eil mir fie nidftt 
l^aben. S)arum gel&t bei il^m ber ontologifd&e SSetoeiS an ber ^anb 
beS antl^rotjologifd^en, ber fid& auf bie menfd^lid&e ©elbflerfenntni^ 
grünbet. SBenn aus ber menfd&lid^en 9latur einleud&tet, baß fie gc- 
nötl^igt ift, ein DoüfommeneS SBefen t)or3ufteIIen, bann allein l^at ber 
ontologifd^e S3en)eiS einen fidleren SluSgangSpunft; n)enn ebenfo au§ 
ber menfd&lid&en 9latur einleud^tet, baß bie ©otteSibee nid&t il^r SQBerl, 
fonbern bie Setl^ätigung unb S33irfung ©otteS in il^r ift, bann aüein 
l^at jener SBctoeiS ein erreid^bareS 3icl. 

3)ie SBebingungen, bie unfere ©otteSibee l^aben muß, um für baS 
S)afein ©otteS betoeisfräftig gu fein, finb bemnac^ il^re notl^toenbigc 
ober urfprünglidfte ©onception unb il^re göttlid&e §er!unft: beibe fa^t 
3)eScarteS in ben 3luSbrudE ber „angeborenen !3bee" gufammen. 
yiid&t aus ber bloßen 3bee ©otteS wirb beffen SDafein erfd&loffcn, 



@elbftöett)i6^cit unb ©otUSöctoiSl^cü. 315 

fonbcrn quS bcr angeborenen 3bee, bte aU Setl^ättgung ober 
SBir!ung ©otteS ein SluSbruÄ ifl be§ göttlidöen SDafeinS in un§. 
9lu§ biefer uns angeborenen 3fbee ©otteS feine ©pftcnj folgern, 
l^ei^t bemnadö fo t)iel aU aus bem Safein ©otteS in unS 
baS S)afein ©otteS erlennen. S)ieS ift lein t)ennittelter ©d^Iufe, 
fonbern ein unmittelbarer, !ein ©^IlogiSmuS, fonbern eine einfad&e 
©etoifel^eit, eS toirb öon bem SSegriff ©otteS gu bem S)afein beffelben 
ni(ftt als ju etioaS Wienern fortgefd&ritten, fonbern in bem 33egriff loirb 
baS S)afein entbeit, nid^t als ein ^Dierfmal unter anberen, fonbern 
biefer SSegriff ift göttlid&eS 2Birfen unb S)afein felbft. S)ie @r!enntni§ 
beS le^teren ift bal^er burd& feine 3Jlittelgtieber bebingt, fonbern tUn 
fo intuitit) toie unfere ©elbftgetoifel^eit; beibe finb gleid^ einleud&tenb 
unb gleid^ getoife. SBie aus bem «Cogito» unmittelbar «sum»^ folgt, 
ebenfo folgt aus «Deus cogitatiir» unmittelbar «Deus est». Sben fo 
geloiS, als id& bin, ift ein SBefen au§er mir; eben fo geioife, als id& 
toeife, bafe id& bin, toeife id& ie^t, ha^ iä) nid^t allein bin, ba& 
au§er unb unabl^öngig öon mir no(^ ein anbereS felbftänbigeS SBefen 
ejiftirt. 3n bem «Cogito, ergo sum» toar ber ©eift gleic^fam mono« 
logifd^ in fid& öerfunfen, er l^atte fid& t)on ber S5etra(^tung ber äußeren 
®inge abgeloenbet unb aus feiner Snnentoelt junöd^ft !eine anberc 
©en)i6]^eit als bie feineS eigenen ©afeinS gewonnen. 3n ber SJlufterung 
feiner Sfi^^^n entbedtt fid^ eine, bie alle anberen übertrifft unb gleid^ 
auf ben crflen SlidC il^re l^öl^ere Slbfunft öerrötl^; toäl^renb aöe übrigen 
aSorftellungen bem einfamen S)enfer immer tt)ieberl)olen : „SDu bift, 
ic^ bin nur ein @:>)iegel beineS SBefenS, eine SBirfung beineS S5er= 
mögcns!" öerfünbet il^m biefe aöein: „!3d^ bin, id^ f:>)iegele in bir ein 
anbcreS unb toeit beffereS SBefen, als bu felbft, unb bin barum nid^t 
aus bir, fonbern auS meinem Urbilbe entf^rungen!'' Sei aßen übrigen 
Dbjectcn begeugt bie £]^atfad^e meiner SBorfteüung bie 9Jlöglid6feit il^rer 
©fifieng, bei biefem allein bie Slotl^loenbigfeit bcrfelben; bei allen 
übrigen ijl 23egriff unb ©ad^e, SBefcn unb ©afein, «essentia» unb 
«existentia» gtoeierlei, l^ier allein finb beibe ein unb baffelbe. 

III. ©elbftgemifel^eit unb ©otteSgemifel^eit. 

1. ^ie ®eU)ig]^eit ber eigenen UntiolIIommenl^ett 

S)er @a§: «Deus cogitatur, ergo Deus est» fott zbm fo gett)i§ 
fein als ber @a§: «Cogito, ergo sum». ®ie ^öietl^obe forbert bie 
bebuctiüe SJerfnü^)fung ber SBal^rl^eiten ; barum mu§ gtoifd&en jenen 



816 2)a8 tafeln ©otted. S)te menfd^Ii^e 

fcetben ©a^en ein unmittelbarer Sufamntenl^ang fein nnb etnieud&ten, 
unb bo ba^ «Cogito» feftftel^t, fo toiK biefeS gunäd&ft als ber ©riinb 
beS «Deus cogitatur» begriffen werben. Unfcrc Sorfteöung ©otte§ 
tft notl^menbig, »enn fie in ber unfereS eigenen ben!enben ©eins un= 
mittelbar entl^alten unb burdö biefelbe gegeben ift, tt)enn unfer ©elbft= 
bett)u6tfein unb ©otteSbemufetfein jmei ©citen einer unb berfelben 9In= 
fd^auung bilben, bie fo genau jufammengel^ören, tt)ie red^tS unb linfö, 
oben unb unten. S)iefer Sufammenl^ang jtüifd&en «Cogito» unb «Deus 
cogitatur», gtoifdb^n ©elbftgeloife^eit unb ©otte§gen)i§]^eit tft ber ju 
bemeifenbe unb gu erleuc^tenbe 5ßunft, ol^ne »elften bie ßel^re ©eScarteS' 
unöerflanben bleibt. 

S)iefe ßel^re barf nid&t, wie e8 getDöl^ntid^ gefc^iel^t, fo . ge= 
nommen unb bargefteHt werben, ba^ fie juerft eine SJletl^obe tierfj)ric^t, 
bann il^r 5Berft)red&en nid&t l^ölt, fonbern Don bem @a§e ber @elbft= 
gewifel^eit auf bzn ber ©aufalitöt unb Weiter auf ben ontologifdb^u 
SBewciS Dorn ffiafein ©otteS fpringt, aus bem S33efen ©otteS einige 
©igenfdöaf ten , barunter bie SBal^rl&aftigfeit ableitet unb nun guten 
SJiutl^eS an bie ®rfenntni6 ber SDinge ge^t. SQBcnn cS fid6 mit btm 
Sbeengange ffieScarteS* auf biefe 9lrt tierl^ielte, bann gäbe cS barin 
leinen metl^obifd&en {Jortfd&ritt, unb gpiflemon'S ©inwurf würbe gelten : 
ba§ man mit bem @a^ ber ©elbftgewifelößtt nid^t t)on ber ©teHe rüde. 
,,3n ber 3;^at, eine fd^one ©rfenntnife! !3br l^abt bie 5Dlet]^obe, aüeS 
ju bezweifeln, um ja nid&t gu ftraud&eln, unb tritJpett barum auf 
bemfelben 5ßun!te l^erum, ol^ne je einen ©dbritt borwörtS gu lommen!" 
<Spiftemon fagt, was S)eScarteS il^n fagen löfet! ®er ^ßl^ilofop]^ fanntc 
biefen ©inwurf.^ 

Um ben metl^obifd&en ^ortfd^ritt öon ber ©elbftgewifel^eit gur 
©otteSgewifel^eit gu entbeden, mufe man ben 9luSbruÄ ber erften, baS 
«Cogito» ober «sum cogitans», genau in bem ©inne nel^men, in 
Welchem ber ^l^itofo^)]^ biefen ©a^ finbet unb feftfteHt. S)a8 SBal^rJ^eitS* 
bebürfnife forbert bie ©elbft:>)rüfung , bie in ber ®infid&t beftel^t, ba^ 
Wir uns in fo tiieten Sötten wir!lid&, barum möglid&erweife ftets täufd&en, 
bafe wir feinen ©runb l^aben, eine unferer 2lnfici6ten für Wal^r gu l^altcn, 
t)ielme]^r in einem 3uft^nbe burdbgängiger Unfid^erfjeit finb unb bie 
SBal^rl^eit tiöttig entbel^ren. 2luf biefe ©elbfterfenntni§ grünbet fi^ 
jener umfaffenbe 3weifel, ber bie SKöglid&feit ber Stöufd&ung ol^nc 



» Rech, de la vörit^. Oeuvres XI. pg. 372-373. 



©cIBftgeloiS^eU unb ©otteSgetoifelöeit. 317 

SluSnal^me einräumt unb bcutlidb crfennt, bafe uns bic fSidi)x^tii fel^lt. 
®er cartefiani[(Jöc 3ö)etfel ift ntd&tS onbereg als bic ©ctDtfel^ctt biefcS 
SJlangelS, biefcr unfcrcr burdbgöngigen intellcctucncn Un= 
öoUfommcnl^eit. 3n einem unb bemfelben Slct offenbart uns ber 3tt)eifel 
unfere benfenbe Slatur unb unfere mangctl^aftc 3fntenigeng. SRid^t 
umfonft folgt baS «Cogito, ergo sum> unmittelbar aus bcm «De 
Omnibus dubito». ®aS 2Befen, beffen @jiftenj mir unmittelbar ein- 
leud^tet, bin id& jelbft; baS SBefen, an beffen SBal^rl^eitSbefi^ ic^ 
burdögängig jtoeifle, an beffen inteüectueöer §errlid&!eit id6 gang irre 
getoorben, bin xij felbft. SBer in bem cartefianifd^en «Cogito», biefem 
felbftgetoiffen Slusbrud beS eigenen ®en!enS, nid&t gugleid^ (toaS ben tior- 
l^anbenenSDenfjuftanb betrifft) baSSelbftbefenntnife beS eigenen unb ööUigen 
inteHectueüen SlenbS finbet, ber loeiB nid^t, toaS jener ©a^ bebeutet, 
unb fennt toeber fein S^ema nod& feine §erfunft. Sie ©elbftgetoifel^eit 
beS eigenen benfenben ©eins ftammt aus bem S^oeifel unb ift oon ber 
Uebcrjeugung beS eigenen erlenntnifelof en , ber SBal^rl^eit bebürftigen 
unb ermangelnben ©enfenS burd&brungen. 

S)ic eigene UnooÜfommenl^eit erlennen, l^ei^t SSollfommenl^eit er= 
ftreben unb barum öorftellen. ®ie Sbee beS SSoHIommenen ift bal^er 
notl^loenbig unb unmittelbar mit bem 2lcte öerbunben, ja in bemfelben 
entl^alten, ber uns ber eigenen Untiollfommenl^eit gemi^ mad^t. ^Un 
barin beftel^t ber tiefe unb je^t einleud^tenbe 3ufammen]^ang ämifc^cn 
bem cartefianifd&en «Cogito» unb «Deus cogitatur».^ 

2. S)ie 3bcc bc8 S5oII!ommcnen unb beten Urf^)tünßli41eit. 

©0 not^toenbig tt)ie bie SBorfteÖung meiner felbft, ift bie 3bec 
©otteS ; fo notl^toenbtg loie bie ©emi^^eit meines eigenen untioülommenen 
SBefenS, ift bie SBorfteflung beS t)olIfommenen. Siefe SJorftelluug 
ift not^toenbig unb Don unferem eigenften S)en!en unabtrennbar; 
barauS folgt nod^ !eineStoegS bie ®Eifleng beS DolHommenften SBefenS. 
3m ©egentljeil erl^eben fic^ Don bem gen)onnenen ^Punft aus gegen 
biefc Folgerung eine Oleil^c 3tt)eifel. ©ilt baS SBoHfommene als 3icl 
unfereS ©trebenS, fo fann eS, toit notl^toenbig immer ein folc^eS 3iel 
DorgefteHt loerben möge, nid&ts mxUx fein als 3bee in uns unb 
burd^ uns. 3Jlit unferen Gräften äugleid^ erfennen wir beren SJlöngel 
unb @d&ran!en; inbem loir in ©ebanfen jene fteigern unb Don biefen 



» Ucbcr bicfcn gortfd^tttt im 3bcengangc S)c8carteä' ögl. disc. de la meth. 
IV. pg. 159, (Ueb. 6. 32.) 



318 2)a8 tafeln ©otted. S)ie mertfd^Ii^e 

abfeilen, !ommen toir auf bcr 6e!annten «via eminentiae» ju ber 
aSorftcöung eines DoKfommenften 2Bcfen§, baS ttid&ts anbercS ift, al§ 
unfer eigenes unDofffommeneS mit SBeglaffung aKeS bcffen, toaS bic erfie 
©Übe bebeutet. 6ben borum, tüeil bie 3bce beS aSottfommencn au§ 
bem SemuBtfein ber unöoKfommenen ^öienfd^ennatur l^erüorgel^t , iji 
fie ein blofeeS ©ebilbe ber Ic^teren, fie tft nur 3bee, aber ntd^t ©ott, 
unb ber antl^ropologild^e SBetoeiSgrunb, ber hm ontologifd&en ju fiü^en 
terfpradö, fd&eint benfelben erft rec^t ju erfd&üttern. 

®§ tft richtig, ba^ aus ber 3bee beS UnDoUfommenen, tocnn toir 
bie ^Priöationcn loeglaffen, bie beS S3ott!ommenen ergeugt unb ins SetDu6t= 
fein erlauben toerben fann. 9lur iji bamit baS ^ßroblcm nic^t gelöft, fonbern 
auf bie tJrage l^ingemefen : toie entfielet bie 3bee beS Unt)on = 
fommenen? SBie fommcn tt)ir ju bcr @infid&t ber eigenen Un= 
t)oU!ommen]^eit ? ©in anbereS ift unöollfontmcn fein, ein anbereS 
erfennen, bafe man eS ift !3m erften Satt ift bie UnDofflommenl^eit 
ber Suftanb, in bem ii} befangen bin, im jmeitcn ber ©egenftanb, 
ben id^ mir Kar mad^e. SDiefe ©infidöt jum toenigften ift nid&t un= 
t)oKfümmen, fonbern eben fo DüKfommen als toal^r. 3)a§ ic^ im 
3uftanbc ber ©elbfttäufd&ung befangen bin, ift ein unjtoeifcll^after 
SetoeiS meiner ^öiänget; ba§ id& bie ©d^ranfen biefeS SuftanbeS burd&= 
bred&e unb meine ©elbfttäufd^ung einfel^e, ift ein unjtüeifell^aftcr 
a3en)eis einer in mir öortianbenen aSottfommenl^eit, ol^ne toeld&e i(^ im 
Sunfel ber Saufd&ung bel^arrcn unb bie 3bec meiner UnöoIIfommenl^eit 
tnir nie aufgellen toürbc. 

aaSenn eS fid^ um bie ©d&ci^ung eines fiunftmcrfs l^anbeft, fo 
tüeife jeber, bafe e§ bcr ßunftfcnner ift, bem bie 5üldngel beffelbcn auf 
baS ßtarfte cinleudötcn, tocil er mit ben SSoIÜommenl^eiten vertraut 
ift, tt)cld&c bie ßunft befi^t unb bie Slatur biefeS ÄunfttoerfS 
forbcrt. 5ür ben Stbioten giebt eS feine SJlöngel; enttoeber finbet er 
ülleS gut ober tabelt ins SBlauc. Unt)olI!ommen§eiten fielet nur ber 
Kenner, fie finb nur im Sichte bcS aSolIfommencn erfennbar; biefe§ 
Sic^t erleud^tet jene «via eminentiae», auf toetd&er ber 9Jienfd6 bic 
3bce beS SSoÜfommcnen erft ju finben glaubt; eS ift fein SBunbcr, 
halii er fie finbet, ba er fie l^atte unb ^aben mu§te, als er feine eigene 
UnüoIIIommcnl^cit einfal^. Dl^ne SOSal^rl^cit fein SOSal^rl^eitSbcbürfniB, 
feine ©elbftpräfung , fein ^rretoerben an unS felbft unb allen unfercn 
SSorftcIIungcn, fein 3tt)eifel, feine ©clbftgetöifel^eit, fein «Cogito ergo 
sum». 



©clbftgctoiBl&ett unb ®otte8fictoi6]^cit 319 

3. 2)ie Urf:prünalt41eit, Sflealität unb SOßal^rl^aftigfeit ©otteg. 

3fe^t h^xt fid& ba§ SBctl^ältnife um, unb idqS bic gotgc ju fein 
fd&ien, tft in SBal^rl^cit bcr ©runb: qu§ bcr 3bcc beS SBoHfontmcnen 
ftammt bic beS Unt)onfomniencn, jene ift urft)rün9Ud&er als biefc, olfo 
Quc^ urfprünglii^er als bie 6r!enntni§ unfcrcr eigenen UnöoKfornmcnl^cit, 
unfereS eigenen, benfenben ©eins. 3fn unferer ©otteSgetoifel^eit tDurjelt 
unfere ©etbftgetoife^eit. Sie 3bee ©otteS ift nid&t bloß eine unter 
anbeten, fonbern cingig in il^rer Slrt, toeil öon if)t aHeS ßic^t auSgel^t, 
fie ift nid&t blo§ eben fo tlax unb einleud&tenb als bie SBorftellung 
unfereS eigenen SBefenS, fonbetn tüeit Rarer, toeil fie biefe SSorftettung 
crft erleud&tet: „fie ift unter allen !3been, bie tüir l^aben, bie 
l^etlfte unb beutli(3&fte, barum bie toal^rfte".^ S)iefer ©a§ S)e§= 
carteS' ift erft je^t tierftänblid^. 

SBie aber bie Urfprünglid&feit ber 3fbee ©otte§, il^re Un= 
abl^ängigfeit t)on unferem SDenlen unb ©ein, il^re Urfäd^lid^Ieit in 
JRüÄfid&t auf unfere ©elbfterfenntnife einleud&tet, fo ift bamit bie 3flealität 
©otteS t)ün felbft ftar. 68 ift bctoiefen, ba^ bie 3bee beg SBott^ 
lommenen, urfprüngtidö toie fie ift, nic^t blo§ eine 3bee ift, fonbern 
©Ott. Dl^ne 2Bir!tid&feit ©otte§ feine 3fbec ©otteS, feine 3bee beg 
JBoIlfommenen in uns, feine @infid&t unferer eigenen Unöollfommenl^eit, 
fein «De omnibus dubito», fein «Cogito ergo sum». ^n biefem 
3ufammen]^ange erfennen toir ben 3fbeengang S)egcarte§' in feiner 
metl^obifd^en SBünbigfeit. 

Unb nidbt bloß ba% ©ott ift, erfd&eint jc^t über jjcben 3tt)eifel 
crl^aben {totxl bie ©Eiftenj unb 3tbee ©otteS überl^aupt erft ben maleren 
Stocifel ermoglid&t), fonbern aud&, waS er ift. SDie 3fbee, tt)clc^e uns 
ben Suftanb unferer eigenen intellectuellen UnDoHfommenl^eit auf 
baS ^ellfte erleuchtet, fann nid^tS anbereS fein als bie intellectuelle 
SBollfommenfieit felbft, mit ber fid& feine Slrt beS 9JlangelS verträgt. 
S)icfer ©ott ift barum bie abfolute SBal^rl^eit unb SOSal^rl^aftigfeit felbft, 
bie mit ber SCöufd^ung aud^ bie Slbfid^t ju töufd&en tion fidö auSfc^liefet. ^ 
S)amit ift baS le^te unb fc^toerfte SBebenfen gel^oben, »eld^eS bei unferer 
©elbftt)rilfung ber SJlögtic^feit einer toafiren ©rfenntnife in ben 3Beg 
trat. 3e§t toei§ id^, ba^ fein Sömon mid^ in eine ©d&einioelt gebannt 
unb mit unburd^bringlid^er SBlinbl^eit gefd^lagcn l^at. SBäre id& Dom 



1 M^d. lU. pg. 281-282. (Ucb. ©. 103-104.) — « Möd. m. pg. 291. 
IV. 294. (Ucb. ©. 109, 111.) Princ. I. § 29. (Ucb. ©. 177.) 



320 S)ct Utflprung bc8 3rrt]^um8. 

SBal^ne, tt)ie öon einem bunflen laB^rintl^ifd^en ßerfer ol^rte SluSiüeg, 
gefangen gel^alten, fo fönnte id& nid&t einmal jtoeifeln, benn fd^on 
ber 3ö)eifel betoeift, ba§ id6 bie S^äufc^ung erfenne unb mir etoaS 
intt)X)t)nt öon bem unttüglid^en ßid^t. 3e^t ifi ber 3tt)etfel gelöft: 
bie ©rfenntnife ber ®inge ift möglid&, meine SSorfteKnngen finb feine 
SErugbilber, bie S)inge finb fo, toie iij fie öorfteHe, toenn td& fie in 
jenem unträglidöen ßic^t betrad^te, b. 1^. n)enn iä) fie Mar unb beutUd^ 
erfenne. 

Slad^bem toir fo bie ©otteglel^re 3)eScarte§* in il^rem toa^rcn 
Sufammenl^ange fennen gelernt, loirb man einfel^en muffen, ba^ bie 
©ä^e Don ber 3fbee, ber 0leatitat unb ber SBal^rl^aftigfeit ©otteS niii^t 
erbaulid&e SSerfid^erungen finb, fonbern 5ßrincipien, toeld&e bie @r= 
fenntni§ begrünben unb baS toeitere Softem tragen. 



fünftes 6at)itel. 
91er IKrftrrung its 3frrt^um$« VIerpianb mit WiVit. Wit mtnf^li^t 

I. ®er 3frrt^um als SQBinenSfd&uIb. 

1. S)ic 3:i)atfa(^c beg g^ttl^umS. 

Sie 3Kögli(^feit ber Srfenntnife fte^t feft. ^ülit biefer ©emife^eit 
erl^ebt fid& ein neuer, bem erften entgegengefe^ter Stoeifel, benn bie 
5DlögIid&feit ber ©rfenntnife fifteint in einer SBeife begrünbet ju fein, 
bie ben Srrtl^um ausfc^liefet. 3uerft loar nid&ts einleud^tenber aU 
unfcr Srrtl^um, je^t ift nid6t§ rötl^feltiafter. Sffienn unfer benfenbe§ 
SBefen au§ bem Urquell beS ßid&t§ unb ber SBal^rl^eit ftammt, toenn 
tt)ir nid^t unter bie aOfiadfet ber Säufd^ung gebannt finb, unb bie Sffielt, 
bie toir Dorftetten, fein Srugbilb ift, fonbern n)a]^rf|aft toirflid^ : tool&er 
bann bie 3Jiöglid6feit ber S^aufd&ung unb jener Suftanb ber S5erblen= 
bung, toorin toir un§ in ber 3;^at befinben? ®er ©runb berfelbcn 
fann nid^t in ©ott, aud^ nid^t in ber SRatur unferer SBorfiettungen, 
alfo nur in un§ felbft gefud^t toerben. 3iid^t toir merben getöufd^t, 
fonbern toir taufd^en ung felbft. 2lücr Sfrrtl^um iftSelbfttäufd&ung. 
®te g^rage ift: toorin biefe ©elfifttäufd^ung beftel^t, unb auS toeld^er 
ßiieae fie ^errü^rt?^ 

i MM, IV. pg. 3. (Ueb. ©. 110-111.) 



SSerftanb unb aSöiHe. SDic menWt^e Steilheit. 321 

6g ift fd^on frül^er ge.^cigt toorbett, bafe in bcm Bloßen Suftanbc 
unfercr SBorftellung nodft fein ^rrtl^iim ftattfinbct unb bic SfflögUd^Ieit ' 
be§ testeten erft mit bem Urtl^cil eintritt, tt)el(3&e§ unfete SSorftellungen 
für 3uftänbc ober ßigenfiä^aften ber ©tnge aufeer uns erüärt.^ 3n 
einem Urt^eil folcfter 2lrt toirb ber Srrtl^um tiottjogen ober geäußert, 
ober biefer SluSbruÄ beS ^ii^rtl^umS ift nid&t beffen Quelle. SBa§ im 
Urtl^eile bef|aut)tet toirb, ift entmeber toal^r ober falfd^; eine toal^re 
ober falfdöe SBetiauptung ift noij nid&t mein Srrtftum» ®rft bann 
l^ttbe id& geirrt, tt)cnn id6 ein toal^reS Urtl^eil für falfdö, ein falf(fie§ 
für toalir, ein jtoeifell^QfteS für gctt)i§, ein fid&ereS für unpc^er l^olte. 
Sin voa^u^ Urtl^eit für falfdö galten, l^eifet baSfelbe Derneinen, ein 
falfdöeS für loal^r ^alUn, l^eifet baffelbe bejal^en; tocnn id^ ein gtt)eifel= 
l^afteS Urtl^eil für getoife unb ein getoiffeS für gloeifell^Qft anfeile, fo 
t)erneine id& im erften ^aU bie Unfic^erl^eit, im gtoeiten bie ©id&erl^eit 
beffelben. ^ierauS erließt, ha^ nid^t im Urtl^eit als fotd&em, fonbern 
in unferer 3lnna]&me ober SBertoerfung, in unferer SSejal^ung ober 
Verneinung beS Urtl^eilS ber eigentlid&e Sfrrtl^um beftefjt unb bal^er 
bie OueKe beffelben nur in unferem SSermogen bcS Sejal^enS ober 35er= 
neinenS, beS STnnel^menS ober 2lblel)nenS entl^alten fein fann. 

SDiefeS SBermögen forbert eine nöl^ere 93eftimmung. SBenn toir 
jebeS malere Urtl^eil ju bejol^en, jebeS folfd^e gu tierneinen ge3tt)ungen 
tt)ären , - fo lönnten mir nid^t irren. SDal^er lann ber 3rrtl)um nur 
aus einem fold^en SBermögen bcS fflej[al)enS ober SScrneinenS entftel^en, 
»eld^eS jeben Strang Don fidb auSfd&licfet unb völlig tion unferem 
SSelieben abl^öngt. ©iefeS unbebingte unb freie SBermögen, baffelbe 
ebenfo tt)ol)l gu bejal^en als gu Verneinen, ift ber SQSille ober bie 
Sffial^lfrei^eit (SBiöIür). ®as Urt^eil ift ©ad&e beS »erftanbeS, bie 
Sejol^ung ober SBerneinung beffelben ift ©ad&e beS SBillenS: ber 
!3rrt]^um beftel^t barin, ba§ toir bem toal^ren Urtl^eil baS falfd^e tior= 
giel^en, bafe toir baS le^tere lieber motten; er ift nur baburd^ mög= 
lid6, ba^ bie SBal^l gtoifd^en beiben DöHig in unferer ajlad^t liegt» 6S 
ift bcmnad^ !lar, ba§ im Sfrrtl^um bic beiben SBermögen beS SSerftanbeS 
unb SBBiUenS gufammentoirlen, inbem Iraft feiner fjreiöeit ber SBille 
ben Srrtl^um burd& bcn SSerftanb öerfd6ulbet ober, toaS baSfelbe I)ei§t, 
inbem ber SBiüe ben SBerftanb t)on ber Salin ber ®rfenntni§ ablenft.^ 



> ©. öor. ^ap. 6.304-305. 
8 M6d. IV. pg. 298; (Ucb. @. 113-114.) 
afif ^et, «efd^. b. mW. I. 4. Stuft !». 81. 21 



322 S)cr Utf^)rung bcö 3rrt]&um8. 

2. aOßiac unb »crflanb. 

Um bie Quelle beS 3frtt]^um8 gong gu erforfd^cn, tnu§ baS a5er= 
l)ältnt§ jener beibcn SSermögen naiver unterfud^t tüerbcn. SBenn ber 
SBiöe genötl^igt toöte, baS toolire Uttl^eil ju bejal^cn, baS fatfd&e ju 
Gemeinen, boS unfid&ere bal^ingeftcttt fein ju taffen, fo n)äre er an ben 
aSerftanb gebunben, öon bemfelben bel^errfd^t unb geleitet, in feiner 
Slragtöeite ebenfo befd^rönK tt)ie biefer. ©o öerl^alt e§ fid^, ttiie fdfton 
borgetl^Qn, feineStoegS. Unfer SBerftanb ift befd&ränft: eS giebt tiielc§, 
ha^ in feine ^affungSlraft entweber gar nid^t ober nur unftar unb 
unbeutlidö föüt; e§ giebt nid&t§, tooju fid& ber SBifle nid&t bejal^enb 
ober öerneinenb, annel^menb ober ablel^^enb ober aud& tnbifferent, b. 1^, 
Weber bejal^enb nod& t)erneinenb tierl^alten fönnte; er reid^t bal^er n)eiter 
aU ber SBerftanb, er erftredft fid& auf baS @r!annte ebenfo ttiol^l als 
auf baS 9lidöter!annte unb lann fid& ju bem einen tt)ie ju bem anberen 
fon)o]Öl bejal^enb als aud6 öerneinenb tierl^alten. „S)er SBiUe ifi bal^cr 
größer als ber SBerftanb/' 

@r ift nid&t btofe größer, fonbern ba er fid& auf alles erftredEt, 
toöl^renb biefer in feiner @rfenntni§ fid& auf eine beftimmtc @))l)arc 
eingefd&ränft finbet, fo ift ber SOSille unbefd^rönft, loöl^renb ber 
aSerftanb befd^ränlt ift. SJiefe unbebingte SBiöenSgröfee ift unfere 
^reil^eit unb ©ottö^nlic^feit. ,®er SBiUe ober bie SBiCenSfrei= 
l^eit", fagt ®eScarteS, ift unter aöen baS einjige SSermögen, baS 
nad^ meiner ©rfal^rung fo gro§ ift, ba§ id& mir ein größeres nid^t 
Dorftellen fann. SiefcS SJermögen ift eS t)or3ugSn)eif e , !raft beffen 
id& baS Sbenbilb ©otteS gu fein glaube/' SBenn aber SBille unb 
SSerftanb fid& fo gu einanber öerl^alten, bafe biefer einer natür« 
lidöen ©darauf e unterliegt, loöl^renb jener t)öllig'frei ift, fo leud&tct 
ein, ba§ !eineS ber beiben SSermögen, für fid& genommen, bie Quelle 
beS Srrtl^umS fein lann: nid^t ber SSerftanb allein, benn er ift al§ 
unfer natürlid^eS (t)on ©ott abl^öngiges) Srfenntni^Dermögcn untrüg^ 
lid&; nid^t ber SBiöe allein, benn er ift als unfer unbebingteS 5reif|eit§= 
vermögen im eigentlid&en ©inne beS SBortS göttlid^/ 

3eneS 3ufammentt)irfen beiber SSermögen, looburd^ ber Qrrtl^um 
gu ©tanbe lommt, mufe bemnadö barin beftel^en, ha^ ber mcnfd^lid^c 
SBiKe Iraft feiner ^reil^eit ben SSerftanb Derfel^rt unb baS untrüg- 
lidöe ßid^t in ein 3rrlid&t t)ertt)anbelt. ®er 3ii^tt^um lann nid^ts 



» M6d.IV. pg.298-300. (Ueb.©. 114-1 16.) Princ.I. 34-38. (Uc6.6.179.) 



»erftanb unb SDßiHe. S)ic menfftliti^c Srci^eit. 323 

QitbcreS fein ote Derfd&ulbctcr Unt)crftanb. SDicfc ©rflärung ift ju t)cr= 
bcutlid&cn. 

3. S)et öetf^ulbctc Unoerftanb. 

SSertnßge feiner Unfcefd&rQitftl^eit erftredt fid^ ber äBitte fotDoI)! 
auf bQ§ Srfartntc als auf baS 3iid&terf annte , auf bie erleud&tete unb 
auf bic bunMc $Berftaube8ft)]^öre; Iraft feiner ^rcil^eit fann er ha^ eine 
tüie baS anbere fotool^I bejal^en at§ aud^ verneinen. SBenn er a6er unab= 
l^öngig t)on ber Haren unb beutU(3&en ®rfenntni§ bejal^t ober verneint, 
fo l^anbelt er grunbloS, b. 1^. er urtl^eilt unbegrünbet unb irrt 
barum in jebent ^aU, gleid&tiiel tüie er urtl^eilt, gleid&tiiel toeld&eS 
Urtl^eil er bejal^t ober tierneint. ®er Srrtl^um reid&t bal^cr toeiter, 
aU mx gunäd&ft Beftimmt l^atten. 2lud& bie SBcjal^ung äm^ toal^ren 
Urtl^eilS ifi ein !3rrtt)um, n)enn fie grunbloS ftattfinbet. 3d& bejal^e 
ba^ Urtl^eil, ol^ne ju toiffen, ha^ unb tDurum eS toal^r ift, id^ urtl^eite 
im ©unfein, ta:>)^)c burd& 3ufatt in bie SBal^rl^eit unb Derl^alte mid& 
gu ber le^teren, wie ba§ blinbe ^ul^n jum ßorn. SBoffte id& toal^r 
gegen niid& felBft fein, fo müßte id^ 6e!ennen: ic^ toeiß nid&t, toie e§ 
mit ber ©ad6e ftel^t, id& bin im Unflaren unb laffe öon mir au8 jebe 
fad&üd&e Sel^auptung bal^ingeftettt. ©obalb id& aber urtl^eile, bilbe id& 
mir eine ©etoißl^eit ein, bie id& nic^t l^abe, id& töufdöe mid& alfo felbft, 
b. i). id& irre. Ober idö toitt eine ©etoißl^eit jur ©d&au tragen, bie 
mir fel^It, unb t)on ber id6 toeiß, bafe fie mir fel^It, id6 toufd^e alfo 
anbere, b. ij. id& betrüge. 3fft ba§ bcjal^te Urtl^eit feinem Snl^alte nad& 
falfdö, fo ift ber offenbare Srrtl^um ein boppAin, gugleidö fad^Iid^ unb 
perfönlid^, ic^ täufd&e mid& in ber ©ad&e unb jugleidö über mid^ felbft. 
Um ba§ frül^ere Seifpiel ju mieberl^oten : e§ ift fein 3fnt^um, ba§ i(^ 
bie ©onne als betoegte ©d^eibe öorftelle; i(^ irre, foBalb ic^ urtl^eile, 
ba§ bie ©onne eine Beioegte ©dfteibe ifl. ^ä^ irre fad&lid& unb t)erfön= 
üd&, toenn id& baS geocentrifd^e Softem bejal^e; id& irre, loenn id6 ol^ne 
(Sinfid^t in bie ©rünbe biefeS Softem tierneine unb baS entgegengefe^te 
für loal^r l^alte. 

n. ®er SBille gur SBa^rl^eit. 
1. S)te Söerl^ütung bc8 3ttt]^um8. 

®er Srrtl^um Beftel^t in ber grunbtofen a3e]^au:>)tung , er entfielet 
aus ber SBittfür als bem grunblofen SSermogen beS Sejal^enS unb 
SSerneinenS. 3n biefem SBermögen liegt jugleid^ bie aJiad^t toeber gu 
bejal^en no(^ gu Verneinen, b. 1^. jcbe grunblofe SBel^auptung gurüdfgu= 

21* 



324 S)cT Utf^Tung be8 Srtt^um». 

l^altcn ober, idqS baffclbc l&eifet, jcbcn Srrtl^um gu öermeiben. ©obalb 
i(% lüal^r gegen mid& felbft bin, ntu§ id& ben 3uftanb meiner perfön« 
Ii(%en Ungetoi^l^eit, ben SUiangel meiner 6inji(%t erlennen, unb fraft 
biefer ®r!enntni§ bin id^ im ©tanbe, mid& jebeS Urtl^eilS unb ©(%ein= 
miffenS gu entl^alten. 2Benn aber in jebem Sau, tt)o tt)ir irren, bie 
3Jiö9li(%!eit nid&t ju irren offen ftanb, fo ift ieber ^rrtl^um, in ben 
tt)ir geratl^en, unfere felbfteigene Z^at unb ©d^ulb, tt)ir toürben nid^t 
irren, toenn unfere @rfenntni§ öoöfommen toäre, fie ift unuolüommen, 
biefe UnöoBIommenl^eit ift nid&t unfere ©d^ulb, fonbern 3JlangeI ober 
©d&ran!e unferer SRatur; ol^ne biefen SUiangel gäbe eS !eine 3JlögU(i^= 
feit ju irren, tro^ bemfelben mürben mir ben Srrtl^um öermeiben, 
menn mir unfer Urtl^eil öorfid^tig jurütfl^ielten unb niemals mel^r gu 
miffen fd^einen moHten, als mir in Sffial^rlöeit !Iar unb beutlid^ ein= 
feigen: menn mir in feinem ^alle bem begrünbeten Urtl^eil 
bas unbegrünbete öorjögen. ®iefe SBal^I mad)t ben ^rrt^um, 
unfere SBiÖenSfreil^eit ermöglid&t bie SBal^t. ®er begrünbeten Urt^eile 
finb menige, ber unbegrünbeten öiele, ber ©d&ein mel^r ju miffen als 
man in SBal^rl^eit meife, ift öerfül^rerifd^ unb öeranla^t jenen SJlife» 
braud^ ber fjreil^eit, moburd^ mir bie unbegrünbeten Urtl^eile ben be- 
grünbeien öorgiel^en. Se^t läfet fid^ genau fagen, maS ber SSerftanb 
unb maS ber SBitte gum Srrtl^um beitrögt : ber Seitrag beS aSerftanbeS 
liegt in feiner ©c^ranf e, ber beS SBiÖenS in feiner ©d^ulb ; bie ©d&ranfe 
beS SScrftanbeS ift natürlid^er, bie ©d^ulb beS SQßillenS ift fittlid^er 
50iangcl: ndmlid^ SJlangel an ))erfönlid&er SBal^r^ftigfeit, ödster ©elbft= 
erfenntnife unb ©elbftprüfung.^ 

3luS ber gegebenen ®rfldrung folgt, ba^ ber Srrtl^um t)erfd&ul= 
beter SBeife eintritt, fobalb mir Jlid^terfannteS als ®rfannteS be^anbeln. 
Unter baS ?lid&terfannte gel^ört aud& baS Unerfennbare. S)ic Slbfid^ten 
©otteS Vermögen mir nid^t gu erfennen, barum bürfen mir aud& nid^tö 
burdö biefe Slbfid^ten erfennen motten: bie teleologifd^e Srflärung ber 
natürli(^en Singe ift bal^er irrtl^ümlid^. „©d)on auS biefem ©runbe 
barf jenes gange @efd)Ied^t ber Urfad)en, baS bem 3toedbcgriff ent= 
Ie]§nt mirb, in ber ®rftörung ber Jlatur meiner SDleinung nad^ feine 
©tette l^aben, benn id^ ]§alte eS für tottfü^n, nad^ ben Slbfid^ten ©ottcS 
gu forfd&en." §ier begegnen fid^ SeScarteS unb ©pinoga, beibe t)er= 
netnen bie ©eltung beS StoedEbegriffeS in ber ®rf(örung ber Singe: 



iM6d. IV^ pg. 304-308. (Ueb. ©, 117-119.) 



Söetflanb unb SDÖiac. S)ic tncnfdStiftc gfrci^eit. 325 

icner tDegcn bcr Uner!cnnbar!ctt, bicfcr tocgcn bcr Unmögtit^fcit 9ott= 
lieber Slbfid^tcn. ®cr ©d&ritt t)on bcr Unerfcnnbarleit gut Unmö9Üdö= 
feit ift nidöt gro§ unb in bcr Slid^tung beS SflationaliSmuä eine not^= 
ttenbige fjorberung.^ 

S)afe tt)ir irren, ift nid&t ®otte§ ©d&ulb, fonbern bie unfrige. 
©ott)eit unfer SBille ben Srrtl^um öerurfad^t, leud&tet fd&on ein, bafe 
ber le^tere nid^t unter bie SBerle ©btteS geprt. 216er anä^ bie Un= 
t)oII!ommen]^eit unferer inteüectuetten SRatur tl^ut ber götttid&en 35oII= 
lommen^eit feinen Slbbrud^. S)iefe forbert bie SBottfornmenl^eit ber 
göttlicfeen SBerfe, bie im ©anjen beftel^t unb burd^ bie SUiänget ber 
einjelnen S)inge fo menig leibet, bafe fie öielmel^r barau^ refultirt. 
®ie UnöoQfommenl^eit unfereS befd&ränften S)afeing erfd&eint in 9lttdE= 
fid&t auf ba^ ©ange, alfo au(ä& in Stütffid^t auf ©ott als 5Bottfotnmen= 
l^cit. „S3Sa§, toenn e§ aQein öorl^anben toäre, öietteid&t mit Sled&t für 
fel^r unöoüfommen gelten müfete, ift, aU SEI^eil beS ©anjen betrad&tet, 
öietteid&t fel^r öottfommen." ^ier treffen \iä) 2)cScarte§ unb ßeibnig. 
®ie Sfled^tfertigung ber SBoÖfornmenl^eit beS ©anjen au§ ber Unt)olI= 
fommenl^eit beS ®injetnen bilbet ben ©runbgebanfen ber leibnijifd^en 
SEI^eobicee, tt)ie bie SRid&tigfeit ber Stöetfe unb 3tt)cd6egriffe ben ber 
Sel&re ©pinogaS.^ 

2. S)ic niebcre unb l^öl^erc SöittenSfreil^eit. 

Unfer !3rrt]^um ift unfere SBiöenSfc^uIb, er ift burd^ bie SBillenS« 
freil^eit t)erurfad)t unb burd^ biefelbe ju öermeiben. Salier muffen toxi 
innerl^alb ber le^teren gett)iffe 3uftönbe ober ©tufen unterfd^eiben , je 
nad&bem fie burd^ il^r Söerl^alten ben Srrtl^um öerfd&ulbet ober öer» 
meibet; e§ giebt alfo öerfdöiebene greil^eitsftufen , niebere unb l^öl^ere, 
unb für bie niebrigfte mu§ biejenige gelten, bie ben Srrtl&um unmittel» 
bar ergeugt. Siefer beftel^t in ber grunblofen SBejal^ung ober 35er= 
neinung unb folgt an^ bem grunbtofen SBerl^alten beg SBiffenä, b. 1^. 
aus ber bto§en SBiüfür, bie burd& feinerlei 35ernunftgrünbe in ber 
SBal^l il^rer Urt^eile ober ^anblungen bejiimmt toirb. Salier ift bie 
SQSiffenSinbiffereng bie unterfte ©tufc ber ^reil^eit. S)ie Sreil^eit ift 
um fo l^öl^er unb ber SBiÖe um fo freier, je flarer bie ©rünbe finb, 
au§ benen er bejal^t ober Verneint, b. )§. je einfid^tSöoüer er l^anbelt. 
„Sene 3fnbiffereng aber, bie id& erfal^re, fobalb feinerlei S5ernunft= 



1 M6d. IV. pg. 297. (Ueb. ©. 112-113.) 

2 M6d. IV. pg. 297-298. (Ueb. ©.113.) 



326 S)er lltf:prunö beS 3rrt^um8. 

grünbe mid^ mcl^r ttöd^ bcr einen aU nacfi ber anbeten ©eite betoegen, 
ift bie unterfte ©tufe ber Sreil^ett unb betoeift nid^t beren $Bottfommen= 
l^ett, fonbern nur ba§ SRid&toorl^anbenfein ber ßinfid&t. SBenn td6 immer 
llar toüfete, toaS xoaijx unb gut ift, fo mürbe id^ niemals in 3^ßifcl 
fein, ma3 gu urtl^eilen unb gu mäl^len, unb mid& öottfommcn frei, 
aber nie inbifferent öerl^alten."^ ©o unterfd&eibet fid^ öon ber nieberen 
bie l^öl^ere, öon ber inbifferenten unb grunbtofen bie öernunftgemafee, 
t)on ber erfenntni§tofen unb blinben bie erleudfttete fjreil^eit. ©utdfe 
bie le^tere aöein ift fittlidöeä ^anbeln möglid^. §ier erblidEen mir ben 
®runbgeban!en ber ©ittenlel&re S)e§carte§\ 

3, S)ie gfreil^cit öom Strtl^utn. 

2ln biefer ©teile erl^ellt fid& auf baS ßlarfte toieber ber Slnfang 
ber ganjen ßel^re. Um bie 93Ienbungen unferer eingemurjeltcn ©elbft= 
töufd^ung ju burd^fd^aucn, gab eS nur ein einjigeS 50iittel: mir mußten 
an un§ felbft irre merben, an ber ©ültigfeit unb ^Realität aQer unferer 
SSorfteHungen jmeifeln, uns an biefen S^eifel gemöl^nen unb biefe 
@elbftj)rüfung ebenfo in uns Befeftigen, als fid^ bie ©elbfttäufd&ung 
befeftigt l^atte. Siefe intettectueöe Umroanblung fann nur burd^ ben 
SOBillen gefd&el^en: burd) ben aBiÖen gur SBal^rl^eit. 3e§t feigen mir 
unlerer ©elbfttöufd&ung unb bem Stoeifel, ber fid^ gegen biefelbe rid^tet, 
auf ben ©runb. ?lid&t in unferen SJorfteöungen liegt ber Srrtl^um, 
fonbern in unferen Urtl&eiten, nid&t in ben Urtl^eilen als fold&en, fonbern 
in beren grunblofer SBejal^ung ober Verneinung, alfo in einem SBittenS- 
act, btn jurüdCgul^alten mir bie Sreil^eit l^aben. ©o ift eS im legten 
©runbe ber SBitte, meld&er ben Söerftanb öerbunlelt unb uns in 3[rr= 
tl^um ftürjt; ebenfo ift eS ber SBitte, ber unS öor bem Srrtl^ume be= 
malert unb öon bemfelben befreit. 

SBir motten bejal^en ober verneinen, ol^ne gebadet unb erfannt 
JU l^aben: baS ift bie Unmal^rl^eit gegen unS felbft, unfere ©elbft= 
täufd&ung, -unfer Srrtl^um. SBir moüen nur bejal^en ober Verneinen, 
nad^bem mir beutlid^ erlannt l&aben: baS ifl bie SBal^rl^eit gegen un3 
felbft, ber S^eifel an ber SRid^tigfeit unferer SSorfteHungen, bie 6infid&t 
in unfer SRid&tmiffen, ber fefte Sntfdötufe gu erlennen, Ilar unb beutlicö 
gu beulen unb, fo lange mir im Unüaren finb, nid&t gu urt^eilen. 
3laä) biefem ©ntfd^tu^ gleid^ einem unöerbrüd&lid^en ©efe^e gu l^anbeln, 



1 Med. IV. pg. 300—301. (Ucb. ©. 115-116.) 



S)cr UTf^)runö bc8 3rrt^umS. Söctftanb unb aDßlttc. S)ic mcnf(3^U(ä^e gfreil^eit. 327 

ift ©ad^c be§ SBittcttS unb beS ©l^araftcrS. „@o erlt)er6cn lüir bie 
g^reil^cit niiji gu irren tt)ic eine Slrt ©ctool^nl^cit, unb l^ierin befielet 
bie größte unb l^auptfäd^Iid&e aSoBIommenl^eit beS 3Jicnf(%en.^ 



@e(ä&gteg Sapttel. 

©ejenfa^ jmifi^en ®^t|l nnt Äörper. llC^berjang ?ur ?)latur}rljU0r0pJrte* 

I. S)ie ©ufiftantialitat ber Singe. 

1. S)a8 SDafcin bcr Äör:peT. 

3?ad&bem bie 3JlögItd&!eit ber ®r!enntni§ beriefen unb bie beS 
Srrtl^umg erflart tft, mu§ je^t ju ber Srage gefd^ritten toerben: tt)ie 
eS fid^ mit ber fftealttät ber ©egenftönbe öerl^ätt, bie toir aU Singe 
au^er un§ Dorfteilen? ®er finnitd&e ©lauBe bejal^t biefe Slealitöt, 
bie ©elbftprüfung unb ber 3Ä)eiteI l^aben ben ©lauben an bie Sffial^r» 
l^eit ber ftnnlid^en 35orfteIIung erjdöüttert. S)ie 3bee ©otteS l^at mtcö 
erlennen laffen, ba§ id& nid^t allein in ber SBelt bin; quS ber 5BoÖ= 
fommenl^eit ©otte§ foQte einleud^ten, ba§ bie Unöottfommenl^eit meineg 
®afeinS jur SBottfommenl&eit be§ ©anjen gel^ört; id& bin unDottlommen, 
»eil bejd&rän!t; id& bin befd^rönft, toeil id^ nid^t ba^ ©anje, fonbern 
nur ein STl^eil beffelben, nid&t ba§ einzige SBefen au^er ©ott, fonbern 
nur eines unter anberen bin: alfo giebt eS außer mir nod& anbere 
SBefen in ber SBelt. 

3Jleine SSorftettungen finb toal^r, fofern id& mid& nid&t felbft täufd^e; 
bie ®inge finb fo, toie id^ fie öorftette, toenn id& fte Har unb beutüd^ 
beule, ©ic erfd^einen mir aU <ßörper. 3ft biefe ©rfd&einung nid^t 
meine ©elbfttauft^ung ? ©iebt eS in aBirftid&feit Körper? 

©etoife ift, ha^ bie SBorftettung ober ba^ SBilb ber Körper meinem 
©eifte gegentt)örtig ift, ba§ id^ mir bas Safein berfelben cinbilbe. 
2Benn mein Senfen allein bie Urfad^e biefer ßinbilbung fein lann ober, 
toaS baffelbe l^ei^t, toenn benfen unb einbilben ööQig ibentifd^ finb, 
fo ift !ein ©runb, bie SD^atfad^e, ba^ id& »ßörper öorftette, aus einer 
öu§ern Urfad^e ju erHören. 3lber ba^ ©inbilben ift, toie eS fd&eint, 
öon bem reinen ®enfen öerfd&ieben. 3td& erfal^re biefen Unterfd^ieb, 
fobalb id6 mtd^ ju bemfelben Object benlenb ober einbilbenb öer^alte; 
es ift fdöroierig, ein StaufenbedC bilbUd^ tJorjuftetten, toäl^renb baffelbe 

iM^d. IV. pg. 306-307. (Ueb, @. 1190 



328 ©egenfa^ S^ifi^sn ®cift unb Rbvptx, 

eben fo leid&t als ein ©rcietf gebadet tt)irb. ®a nun ba§ SBefen beS 
©eifteS im ®en!en befielt, fo fd^eint baS SSermögcn ber ®inbitbung 
nidöt blofe Don ber geiftigen Jlatur abl^öngig ju fein, fonbern bie 33eT= 
binbung berfelben mit ber lörperlid^en gu f orbern; eS fd&eint, ba§ ol&ne 
Körper unfere Sinbilbung ber ßörper nid&t ftattfinben fönne. Salier 
fott bie SCl^atfad^e biefer ®inbilbung als ber ©runb gelten, auS weldöeni 
ba^ S)Qfein ber Äörper einleudötet. ®er ganje SemeiS ru^t Quf ber 
iinbetüiefenen SBorauSfe^ung, ba§ benfen unb einbilben öerfdbtcben pnb 
unb ba§ le^tere ettt)QS anbereS tft als eine blofee 5ülobification be§ 
SenfenS. 3lut biefem 2Bege löfet fid6 baä Sofein ber Körper im 
günftigften gall toal^rfd&einlidö, aber nie getoife mad^en.^ 

Sagegen fd&eint ber gefud^te SBetoeiS mit größerer ©ic^erl^eit [idfe 
auf bie 3;f)atfadöe unferer f innlid^en 6mJ)finbung ftü^en ju lönnen. 
SBie fotten ol^nc bie SBirMid^feit ber Rdxpti Slffecte, wie ßuft unb 
©d^merj, SCriebe, toie C^unger unb Surft, Stimmungen, tote ^reube 
unb SErauer, ©enfationen, tt)ie ^örte unb SBeid^l^eit, SQßärme unb flätte, 
Sarben unb SCöne, @erudö§= unb @efd&madfSemt)finbungen möglidö 
fein? ®ö ift gett)i6, bafe tt)ir fold&e JBorftettungen l^oben, ba§ pe unter 
allen bie leb^afteften unb cinbringlid^ften finb, ba^ fie ol^ne unfer 
3ut^un fommen, alfo, toie e§ fd&eint, Don Singen au§er uns l^errül^ren, 
ba§ tt)ir oon btn festeren auf feinem anberen SBege als burd& unfere 
finnlid^en ßinbrüdCe <ßenntni6 erl^alten, ba^er tt)ir biefe fftr ben 2lu§= 
brutf ber Singe felbft, für beren äl^nlid^fte 2lbbilber l^alten. Unn)itt= 
fürüd^ bejiel^en tt)ir unfere finnlid^en SBorftettungen auf lörperlid&c 
Urfad&en, tt)ie burd^ einen SRaturinftind baju geleitet; mir bctrad&ten 
biefe SSorfteHungen , ba fie bie erften finb, bie mir l^aben, als bie 
Elemente aller übrigen unb fommen fo ju ber 2lnfid6t: ba§ in unferen 
35erftanb atte Sbeen burd^ bie ©inne etngel^en, unb alle finnlid^en 
6inbrüdEe burdö förperlid&e Urfad&en betoirft merben. Snbeffen miffen 
mir ja, mie fel^r mir uns über bie SBal^rl^eit unferer pnnlid^en S5or= 
ftettungen täufd&en, nid^t blofe im S^raum, mo fie gar feine Slealitat 
l^aben, aud^ im mad&en 3uftanbe, mo unS Die SBa^rnel^mung benfelbcn 
©egenftanb balb fo, balb anberS erf(^einen löfet, bismeilen aud& DöKig 
täufd^t. Ser DieredCige SEI^urm erfd&eint in ber gerne runb ; nad^ einer 
Slmputation mirb berSd^merj nod& in bem ©liebe empfunben, meld^eS 
bem ßeibe fel&lt. SaS Safein ber Körper läfet ftd^ bemnad^ au§ 

1 M6d. VI. pg. 322-325. (Ucb. 6. 129-131.) 



Uebergatiö gut ^Ratutpl^Uofopl^ic. 329 

unferer (Sm))finbung eben fo toenig geiüi^ mad&en ats aus unfcrer 
ßinbtlbuttg. ^ 

©0 Diel ift geiüife, bafe tt)ir fittnUd&e JBotftettungen l^aben, ba^ 
bicfe öcrurfad^t fein muffen, unb ha^ l^eröorbringenbe SBermögen ent= 
toeber in ober aufeer un§ eExftirt. 3n un§ fönnte eS nur ber SBerftanb 
ober ber SBiHe fein, ber bic finnUd^en ©inbrüde maijt] bann müßten 
bie (enteren cntoeber gebadet ober gesollt werben; fie finb feines t)on 
beiben, fie lommen ol^ne Sutl^un beS 35enlen§ unb SBoüenS, oft fogar 
gegen ben SBitten: ba^er lann bie Urfacfee berfelben nid&t unfer ©cift, 
b. \). nid^t toir felbft fein. 2llfo esiftirt biefe Urfad^e au^cr unS, 
enttt)eber in ©ott ober in ® in gen anberer SRatur als ©ott unb unfer 
eigenes geiftigeS 2Befen. ©e§en roir, ©ott fei bie Urfad^e unferer 
finnlid^enaSorfteßungen, fo müßten biefelben burd&i^n enttoeber unmittelbar 
ober burd& 3)Kttelurfad6cn l^öl^erer Slrt erjeugt fein; fie toürben bann 
auf einem SBege entftel^en, ber uns öößig Verborgen toöre unb bliebe, 
möl^renb wir burd^ unfere Jlatur felbft getrieben finb, ben Urfprung 
jener SSorftcüungen in einer gang anberen Jftid&tung ju fud^en. S)er 
malere Urfprung bliebe uns bann nid^t blo§ öerl^üttt, wir waren barüber 
nidöt blo§ mit Slinbl^eit gefd&lagen, fonbernin einer völligen STftufd&ung 
befangen, bie feine ©elbfttäufd^ung ift, fonbern oI)ne unfere ©d^ulb 
aus ber Söefd^affenl^eit unferer ?latur l^croorgel^t ; wir wären bann burdö 
©Ott felbft in bie 3rre geffil^rt, was ber gottlid^en SBal^r^ftigfeit 
(inteüectuellen SSollfommenl^eit) wiberftreitet. 6S ift bemnad^ fidler, ba§ 
bie Urfad)e unferer aSorftettung ber Körper nid^t wir, nid^t ©ott, fonbern 
bie Körper felbft finb. ©o nennen Wir bie öon ©ott unb ©eift t)er= 
fd&iebenen 3?aturen. S)ie ßörper finb. S)ie näd^fte ^rage l^ei^t: 
was pnb bie mxpnV 

2. ^ie ©ubftanaen. ®ott unb bie ^inge. 

®S leud^tet ein, bafe bie Körper als Urfad&e unferer SJorftellung 
ber Äörper in SBirllicöfeit finb, bafe fie unabl^ängig öon unferem 
S)enfen e^iftiren unb ju il^rem ©afein nid^t beS unfrigen bebürfen. 
ein fol(^eS felbftänbigeS SBefen nennt SeScarteS ©ubftang. „3fd^ 
fage: jwei ©ubftanjen finb in SQßal^rl^eit öerfd^ieben, wenn jebe t)on 
beiben ol^ne bie anbere fein fann." „(Sim barin beftel^t baS SBefen 



1 Med. VI. pg. 325-331. (Ucbcrf. ©. 131—134.) 

2 M6d. VI. pg.331-335.(Ueb.©,135-137.) 3" ößLobcn ©p.IV. 6.319flgb. 



330 ©cQcnfo^ atoiWcn ©eift unb Körper. 

bcr ©uBftanjcn, ba§ fie fid& gegenfeitig auSf d&Ue§en. " S)icfc Se= 
ftimmung gilt öon bcr !örpctli(i)cn unb gciftigcn Statut: jcbc cjiftitt 
unab^öngig t)on ber anbeten, jebe ift in biefet 9iü(ffid&t ©ubftanj. 
SRur in biefer Stüdfidbt. ®enn ift bie ©uBftanj ein SBefen, ba^ ju 
feiner ©Eifteuj !eine§ anberen bebarf, alfo öoQftönbig unabl^öngig 
ift, fo fann ftreng genommen nur ein fotd^eS 2Befen fubftantiett fein, 
tüeld^eS felbft Don nid&ts unb öon bem otteg anbere abl^angt. SBären 
fold&er ©ubftanjen mel^rere, fo müßten fie fid^ gegenfeitig auSfd^liefeen, 
barum einfd&ränfen unb bebingen: bol^er fann baS abfotut unabpngige 
SBefen, bie ©ubftang im toa^ren ©inne beg 2Bortg, nur ein einjigeS 
2Bcfen fein. 

Sicfe eine ©ubftanj ift ©ott. @r ift ©ubftanj im Qbfoluten 
©inn, ©eift unb Körper finb eS im relativen; ©ott ift unenblidfe, 
©eift unb ßörper bogegen, toeil fie fidö gegenfeitig auSfcfiliefeen unb 
bef(i)rän!en, finb enblid&. ®8 giebt bemnadfe jtt)eierlei ©ubflangen: 
©Ott unb bie 2)inge; jener ift unenblicfte ©ubftanj, biefe finb enblidfee. 
SBir fönnen fie nid&t jmei 3lrten ber ©ubftanj nennen, benn fie l^oben 
leinen gemeinfd6aftlid&en ©attungSbegriff. 3lusbrü(flid^ erilört ®eS= 
carteS: baS SBort ©ubftanj bürfe nid&t in bemfelben ©inn (univoce) 
t)on ©Ott unb hn S)ingen gebraud&t toerben. ©ott ift bie Urfad&e 
aller SDinge. SDa^er ftnb ©eifter unb mxpex in 3flüdEMt auf ©ott 
abl^ängige S33efen, benn fie bebürfen ju il^rem ®afein ber ©jiftenj unb 
SQßirIfamleit ©otteS. S)er 93egriff ber ©ubftanj mufe bemnad^ in 3fhtcl= 
fid&t auf bie SBelt ober ben Inbegriff ber enblid^en Singe bal^in ein« 
gefd&rönlt loerben, ba§ er fold&e 2Befen bejeid^net, bie gu il^rer Sjifteng 
blofe ©otteg 50iittt)ir!ung bebürfen. „Unter ber ©ubftanj, tocld^e in 
feiner SBeife eines anberen SQBefenS bebarf, fann nur eine eingige, 
nämlicb ©ott, öerftanben werben, alle anberen bagegen lönnen be= 
greif üdöermeife nur unter ber SUiittoirfung ©otteS ejiftiren. Salier 
)ßa^t ber 9lame ©ubftang nid&t «univoce», toie fid^ bie ©d^ule auS= 
brüdEt, auf ©ott unb jene anberen SBefen, b. 1^. e§ giebt feine SBe= 
beutung be§ SBorteS ©ubftanj, bie öon ©ott unb btn ©reaturen ge- 
meinfc^afttid^ gelten fönnte.''^ 

3n biefer ®rflarung finb jtoei SBegriffe fotgenreid6: bie ©in^eit 
ber ©ubftanj, ber gegenüber bie Singe (©eifter unb <ßörper) nur 
uneigentlidö ©ubftanjen genannt tocrben, alfo eigentUd^ nid^t ©üb* 

1 Obj. et Röp. Def. V — X. Prop. IV. (Oeuvres I. pg. 453—454, 
pg. 464-465. Ueb. ©. 154, 162.) Pr. I. § 51-52. (Ueb. ©. 186-187.) 



Ucbcrgattö aur 5laturp]^Uofo:p]^ic. 331 

ftanjcn finb, unb bie 3JJtttDirfung ©ottcS. ®er crftc Segriff cnt- 
l^ält baS 5!Jiotit) be§ ©pinojiSmuS, ber jtoeitc ba§ ber occafiona« 
Uftifd^en ßcl^re. 

3. Slttribut unb SWobt. 

S)ie ©ubftQTtjen finb grunböerfd^ieben. SBa§ fie finb, ift nur 
au§ i^ren 3leu§erungen ober ©igenfd^aftcn erlennbar; bieicnige Se= 
fd&Qffenl^eit, tüeld&c bie 2Befen§eigent]§ümüd6feit ber ©ubftaitj auSmad&t 
unb berfelben notl^iüenbig gufontmt ober intool^nt, l^eifet Slttribut. . 
®q3 5lttribut ifl bie QuaKtöt, ol^ne toeld&e bie ©ubpattj toebcr fein 
nodö gebadet toerben fQun; inncrl^alb bcrfelbcn finb öerfd^iebene unb 
»ed&felnbe Seftimntungen möglid); baS Slttribut bleibt, aber e§ !ann 
fid^ auf mannid&fallige Slrt geftalten unb äußern: biefe 3lrten l^eifeen 
SJiobi ober 3}lobificationen. ©ubftauj unb Slttribut !önnen ol^ne 
SDlobi, aber biefe nid^t ol^ne jene gebadet toerben, bal^er finb bie SUiobi 
(nid^t notl^toenbige, fonbern) jufäüige SBefd&affenl^eiten ber ©ubftanj unb 
]^ei§en in biefer SRüdCfid^t Slccibenjen. @o !ann ber ©eift nid^t fein 
ol^ne Senfeu, tool^I aber ol^ne biefeS ober jeneg Dbject einjubilben nnb 
gu begel^ren: baS ®en!en ift ba^ 9tttribut be§ ©eifteS, einbilben unb 
begel^ren finb 5ülobificationen be§ S)en!eng. ®ie fjigur fann nid^t 
ol^ne Staunt, tool^I aber !ann ber 9laum ol^ne fjigur gebadet toerben, 
bie fjiguren finb SJiobificationen beS 9iaum8, toeldier felbft ein notI)= 
menbigeS 9lttribut ber för))erüd&en SRatur augmad^t. Sie ©ubftauj 
fann nid^t xf)x S33efen, nur il^re 5ülobi änbern; ber 2Bed&fet il^rer 3u= 
fianbe unb bamit alle SBeranberung überl^aupt föllt unter ben 33egriff 
be§ SDlobuS. Sfn ©ott ift feine Söerönberung möglid^, barum giebt e3 
in il^m nur Slttribute, nid)t 9Jiobi.^ 

3n biefen ^Begriffen finb alle 3lrten ber Unterfd&icbe entl^alten. 
S)iefe befleißen enttoeber ätoifd^en öerfd^iebenen ©ubftanjen ober jmifdften 
©ubftang unb Slttribut, toie gtoifd&en öerfd&iebenen 3lttributen, ober 
jtt)ifd()en ©ubftanj unb 3JlobuS, tt)ie jtoifd^en öerfd^iebenen 5ülobi: bie 
erfte 9Irt be§ Unterfd^iebeS nennt S)e§carteg real, bie gleite rational, 
bie britte mobal. Sleal g. 93. ift ber Unterfd^ieb groifd^en ©eift unb 
ßörper, rational ber gtoifd&en ©eift unb S)enfen, Sibxpzx unb 2lu§- 
bel^nung, SluSbel^nung unb S^eilbarfeit, mobal ber gloifdien ßorper 
unb Sigur ober 5igur unb Säeloegung.^ 

1 Princ. I. § 52. 56. (Ucb. 6. 187, 189.) 
« Princ. I. § 61-62. (Ueb. @. 192-193 ) 



832 ©egenfa^ S^tfij^en ©eift unb l^öt^et. 

II. S)tc 3rttribute ber Singe. 

1. S)ie falf^en Slttributc. 

2Bir crfennen boS SBcfctt bcr Singe au§ il^ren notl^wenbigcn 
ßigenfdbaften ober 3Ittributen. 3)ie fjrage, toorin biefc befleißen, lonn 
je^t als bic gormel getten, in toeldie bog ßtlenntnifeproblem eingeigt. 
SBqS finb bie S)inge an fi(ä&? 2Ba§ finb fie als Dbjecte unfercr Haren 
unb beutlid&cn aSorftcttung? Sie ^rage toäre einfad^ gu beantworten, 
tt)enn fie nid^t jugleid^ aud^ Objecte nnferer unllaren unb unbeutlid&en 
aSorfteHungen toören. 3n ber ©id^tung biefer beiben Senlarten liegt 
ber fd()tt)ierige unb !ritifd6e 5Punft, bie Slufgabe, ol^ne bereu Söfung 
t)on einer ®rfenntnife bcr Singe felbft feine SRebe fein lann. SBaS 
tt)ir in ben Singen !lar unb beutlid^ öorftetten, tft bereu mal^reS 
3lttribut; toaS toir in ben Singen unMar unb unbeutUd^ öorfteöeu, ift 
ein falfd^eS. 

6§ l^anbelt fid& bal^er um bie fritifd^e ©ouberung beiber. SBenn 
tt)ir t)ou unferer Slnfd^auung ber Singe bie falfd&en 2lttribute ab= 
giel^en, fo bleiben bie maleren übrig. SBeldfteS alfo finb bic falfd^en 
unb imaginären 3lttribute? Offenbar alle biejenigen Sefd^affenl^eiten, 
bie toir ben Singen aU foldöen jufdöreiben, ttiöl^renb fie nur unfercr 
fubiectiöen JBorfteüungSloeife julommen. SQßenn tt)ir für eine 6igen= 
ft^aft ber ßörper anfeilen, toaS ®iftenfd&aft bIo§ unfereS SenfcnS ift, 
fo fe^en tt)ir auf Sled&nung ber Körper, toaS allein auf bie unfrige 
gel^ört: bann ift bie Sled&nung öon ©runb auS bertoirrt unb bie ®in= 
fid)t in ha^ SBefcn ber Singe unmöglid^. 3fe getool^nter unb untt)itt= 
lürlid&er biefe falfd&e 93etrad6tung§art iji, um fo grünbltd^er ift bie 
SSerloirrung, um fo fdöroieriger bic ©id&tung. 

SBir ncl^men bieSeitbaucr eines SingeS als eine in ber Slatur 
beffelben entl^altene 39efd()affen]^eit unb fagen: bie 3eit eines SingeS 
betrage fo öiele Sage, SDlonate, Saläre u. f. to. Siefe SBeftimmungen 
finb nid^tS anbercS als getoiffe Ouanta ober 3ö^Icn ber Bewegung 
bcr ®rbe ober beS SJionbeS. SaS Sing, baS fo öiele Sftonate bauert, 
]^at als foId^cS nid&ts mit bem ^ülonbe ju tl^un. SBir öergleid&en fein 
Safein mit ber Semegung beS ^immelSlörpcrS, toir jöl^Icn biefe 
SctDcgung, toir mcffcn mit biefer 3a]§l bic Sauer beS SingeS unb 
madfeen fo bie Seitbeftimmung, bie baS Sing als ©igenfd^aft l^aben 
fott: mir mad&cn fie, b. 1^. unfer Senfen. Sie 3cit iji nid&t ©igen* 
f^aft beS SingcS, fonbern unfereS ScnfenS, fie ift ein «modus 



UcBcrganö gut ^ktur^l^ilofo^l^ic. 333 

cogitandi». Sollten unb mcfferi finb Sitten bc§ S)en!cng. SBaS öorx 
ber 3ßit gilt, gilt c6enfo fel^r öon bcr 3 a 1^1 unb öon allen jenen 
gemeinfamen ^räbicotcn, bie bog S)enlen, inbem eS bie Singe t)er= 
gleicht, bilbet, alfo t)on allen ®attungS= unb 3lrt6egriffen , ben fo= 
genannten Uniöerfalien, beten ^jJorpl^^riuS bie befannten fünf (quin- 
que voces, tt)ie bie ©d&ullogil fie nannte) untetft^ieb: ©attung, 9ltt, 
S)iffetenj, ®igentl)ünilid^!eit, jufaöige Sefd^affenl^eit. Sag Steied ift 
©attungSbegtiff, baS ted&ttoinflige Steied ift 3ltt unb fl^ecififd&e Siffe= 
tenj, ba§ p^t^goteifd&e ©töfeenöetl^ältniB feinet ©eiten ift feine @igen= 
tl^ümlid&feit (proprium), Slul^e obet SBettegung feine anfällige a3e= 
fd&affenl^eii (accidens).^ 

Sie abfttaden SKetfutale bet Singe finb unfete Senfatten, bie 
finnlid^en Qualitäten betfelben unfete ®mpfinbunggtt)etfen. SBit 
meinen, baS Sing fei l^att obet tt)eid&, falt obet matm, fauet obet 
fü§, l^ell ober bunfel, e8 l^abe biefe obet jene Satbe, biefen obet jenen 
Son u. f. f. Sitte biefe Seftimmungen finb nid^t ®igenfd^aften bet 
Singe, fonbetn 6mpfinbung§;iuftänbe unfetet ©innegotgane. Um bie 
fogenannten finnlid^en Qualitäten Hat unb beutlic^ ju etlennen, muffen 
toxi 3tt)ifdöen unfetet Jiatut unb bet bet Singe genau untetfd&eiben 
unb nid^t biefet gufd^teiben, tt)a§ jenet gel^ott. Sie ©mpfinbungen 
finb in un§, nid^t in ben Singen, ©obalb tt)it unfete SRatut in bie 
bet Singe einmifd)en, ift bie SJotfteHung bet leiteten öetbunlelt unb 
bie 6t!enntni§ öettoittt. ®§ fd()eint fo, al§ ob ßid^t unb ^atbe bem 
Singe, baS tt)it feigen, als ob ©d^metg obet ßi^el bem ©liebe unfeteS 
ßeibeS, mo toit jenes ©efül^l I)aben, »itllid^ julomme obet inlool^ne. 
3lud& itten tt)it nid^t, fo lange n)it blb§ bel^aupten, ba^ eS fo fd^eint. 

®tft baS Uttl^eil, ba§ eS fo ift, mad^t benStttl^um: biefeS Uttl^eil, 
toeld&eS bem ©d^eine folgt! SBenn toit uns t)on biefem ©d()eine 
täufd^en laffen, finb toit in bet ©elbfttäufd&ung befangen. Safe mit 
biefe beftimmten ©enfationen I)aben, ift tid^tig; ba§ mit fie als ®igen= 
fd^aft bet Singe üotfteöen, ift falfd^. Sie ©enfation als Suftanb 
unfetet ®m))finbung ift !lat ; als ®igenfd&aft bet Singe ift fie un!lar. 
SEBaS in bet SRatut beS SingeS biefet unfetet ©mpfinbung entfj)tidftt 
obet biefelbe öetanlafet, ift junäd&ft bunfel; menn tt)it ballet bie finn= 
lid&en Dualitäten ben Singen felbft jufd^teiben, fo fteöen toit etioaS 
bot, öon bem toit nid^t toiffcn, toaS eS ift, b. 1&, tt)it l^aben eine un= 



1 Princ. I. § 57-59, (Ueb. 6. 189-191.) 



834 ©egenfal sti)t{(j^en ©eift unb üöt^et. 

üaic 35orftettung. <ßlar unb bcutlidÖ crlcnnen toir in ben Körpern 
SluSbcl^nung, ^igur, SBctocgung, nid^t ^Un fo färben unb 2öne, 
SBärmc unb ßälte u. f. f. Uuferc ©mpfinbung alg ßigcufd^aft ber 
®ingc ift eine ööttig unüare SSorftettung. SQßir urtl^etlen: bte Singe 
finb fo, tote xoxx fic empfinben. ^t^t geigt fic^, toeld&er SJBertl^ biefem 
Uttl^cile jufommt. 68 ifl öoöfommen baffetbe, als ob toir fagen: 
bie ®inge finb fo, toie toir pe ootftellen, toenn toir fie unüar unb 
unbeutlid^ öorftetten. S)icfe§ Urtl^eil iji grunbfalfd^. 9Zid&t bic ®m= 
J)finbung ift falfd^, fonbern boS unbebad&tfam unb unfritif^ barauf 
gegrünbete Urtl^eil. ^ier fel^lt bie Selbftprüfung : biefer SJlangel an 
biefer ©teile ift „ber erfte unb l^auptfäd&Ud^fte ©runb aöer unferer 
Srrtf)ümer."^ 

2. S)ie §au^)tquctte unb ba8 §cet unfetet StrtWmcr. 

Um bie toal^ren unb falfd^en Slttribute ber Singe ju fonbern , ift 
eine Sefonnenl^eit , eine aufmerffame ©elbft))rüfung unb ©eifteSreife 
not^tt)enbig, bie toir im 3llter ber ßinbl^eit nod^ nid^t l^aben !önnen. 
Unter ber erften 6intoirfung ber Singe finb toir nid&t im ©tanbe, bie 
toefentli(i)en unb fd&einbaren Sigenfd^aften berfelben gu unterfd^eiben 
unb fe^en bal^er beibe einonber gleid^. <?o beginnt bie SSertoirrung. 
SQßir glauben, bie Singe finb fo, toie toir fie toal^rnel^men; toir be= 
urtl)eilen bie Sfleatitat ber <ßörper nai) ber 3lrt unb bem ®rabe unferer 
6mpfinbung: je ftärfer ber ©inbrudC, um fo größer erfd^eint uns bie 
^Realität, je fd^roäd^er ber SinbrudE, um fo oJ^nmdd^tiger, meinen toir, 
fei ha^ Sing; too ber ®inbrudC fel^It, ift für unS nid&tS öor^anben. 
©0 l^atten toir bie ©terne fürüeine fjtammen, bie ®rbe für unbe^ 
toeglicfe, i^re Dberflöd&e für eben, bie ßuft für toeniger real aU ©teine 
unb SDletalle u. f. f. SQßir leben nur in ben Dbjecten, bie toir öu6er= 
Iid6 unb finnlidö öorftetten, ol^ne unferer eigenen öorftettenben S;]^ätig= 
feit inne gu fein unb gu gebenfen; biefe ©elbftöergeffenl^eit ober biefer 
5DlangeI an ©elbftbefinnung Verbirgt uns unfere eigene geifttge 9latur; 
je^t glauben toir, ba§ e§ überl^aupt leine anberen Dbiecte gebe, als 
bie toir finnlid^ öorfteüen, feine anberen ©ubftangen als Körper, feine 
anberen ßörper als bie finnlid^ toal^rgenommenen. 3n biefem ©tauben 
leben bie meiften SDlenfd^en unb nel^men il^n gur fftid^tfd^nur il^rer 
©ebanfen unb ^anblungen; eS ift barum fein SBunber, ba^ fie i^r 
ßeben lang unflar benfen unb l^anbeln. 

1 Princ. I. § 66-71. (Ucb. ©. 195-198.) 



Ucbcraang 5ur ^Ratur^l&Uofo^l^ic. 335 

3laä) bcn gcwol&nten SSorftettungcn ridötct fid^ bic ©l)rad&c. ®er 
Srrtl^um niftct fid) in bcn ©prad^gebraudö ein unb gctoinnt burd& bie 
SBortc einen gemeingültigen unb ftereot^pen 3lu§bru(I, ttjeld^er felBft 
ber entbedten SBa^rl^eit ben l^artnödC igften SBiber jianb leiftet. Slro^ ßol)er= 
nifuS unb ©alilei »irb in ber ©prad^gett)o]^nI)eit ber 5Dlenfd&en bie 
©onne nie Qufl^ören, fid& um bie ®rbe ju breiten. Surd^ bie ©pracfte 
gefd^iel^t bie 50iitt]^eilung. ©o toerben bie SJrrtl^ümer in ben SBorten 
nid^t blofe Befeftigt, fonbern überliefert unb fortgepfCanjt t)on ©efd&Ied&t 
gu ©efd&Ied^t; bie ^Begriffe tood^fen attmäl)lidö mit ben SBorten fo eng 
jufammen, ba^ bie Trennung fel^r fd^roer faßt unb bie meiften fi(ft 
nur an bie SBorte Italien, ol^ne fid^ ber Segriffe bemufet gu fein. S)a§ 
Sßort tritt an bie ©teile be§ S)inge§. ,,S)a mir un§ leid&ter an bie 
SBorte als an bie ©ad^en erinnern, fo l^aben tt)ir faft nie ben 33egriff 
einer ©ad^e fo beutlid^, ba^ tt)ir ilju öon xiöer SBortbebeutung ab= 
fonbern fönnen. Unb baS Senfen faft aller 5Dienfd&en l^at mel^r mit 
ben SBorten als mit htn Singen ju tl^un, fo ba§ fie gemöl^nlid) un= 
öerftanbenen SBorten il^ren SBeifaH geben, toeil pe meinen, fte l^ätten 
fie einft öerftanben ober öon ben glaubtoürbigften Slutoritöten em= 
:pfangen/ Salier ift bie SBüdöergelel^rfamfeit unb bie ©d^ulmeisl^eit 
an todf)xtx 6rfenntni§ fo arm unb unergiebig: fie berul^t auf bem 
©tauben an SBorte. 

S)ie SBorte werben btm ©eböd^tnife eingeprägt, unb toenn fie 
l^ier eine 3ßittang aufbetoal^rt morben, fo entftetjt ber ©d^ein, als ob 
mit il^nen aud^ bie JBorfteüungen unb ®inge Idngft befannte Dbjecte 
todren unb eine 5ßrüfung berfelben gar nid^t nötl^ig fei, S)a§ SBort 
tt)irb jum ööttig geläufigen unb belannten ©eböd^tni^object, baS be= 
fannte SQSort gilt als belannte ©ad^e, b. 1^. baS Unb e!a nute gilt 
als befannt, baS Selannte als erfannt: bamit ift ber Srrtl^um 
in feiner ©runbform öoHenbet. S)aS blo§ Gelaunte ift in ber SRegel 
am »enigften erfannt, benn eS tt)irb am toenigften ge)?rüft, »eil eS 
bie ^Prüfung als überflüffig erfd&einen la^t; ber ©d^ein beS 58e!annten 
ift ber größte fjeinb ber @rfenntni§ unb ber fiariftc ©dt)u^ ber ©elbft= 
täufd^ung. ©o tt)irb ber 3rrtl)um in ber fd^limmften, tocil ber @elbft= 
})rüfung abgeneigteften gorm öoüenbet unb d^ronifd^ gemad^t. „Sarin 
irren tt)tr am ^öufigften, bafe mir in öielen Singen meinen, mir 
müßten fie löngft, biefelben bem ©ebödötni^ überlaffen unb nun als 
ööUig ittannU Dbjecte bejal^en, möl^renb mir fie in SBa^rl^eit niemals 
erfannt l^aben/ 



336 ®cgcnfä|c stoif^en ©cift unb Äörpcr. Itebergang aur 9latur:p]^iIofo:p]^tc. 

dli^t bie finntid&c JBorftettung ift ber Srrtl^um , fonbcrti unfer 
©laube baratt. 3luS bicfcm Strtl^um folgen bie übrigen; ©))rad&e 
unb ©ebod^tnife tragen atteä bagu bei, unfere SrrtJ^ümer gu befeftigen, 
ju Verbreiten unb bie ©elbfttöufd&ung bergeftalt jur ^errfdbaft lommen 
3U laffen, ba§ ber 2Bitte gur ©elbftprüfung Derfd^toinbet. ,,Um ernft- 
^aft ju p^ilofopl^iren unb bie SQßal^r^eit QÖer erlennbaren ®inge gu 
erforfd&en", fo enbet S)e§carte§ ha^ erfte SBud^ feiner ^rincij)ien, „muffen 
mir t)or Qttem bie SSorurtl^eile ablegen unb uns forgfältig pten, über= 
lieferten 3Keinungen ©lauben gu f(i)en!en, eS fei benn, ba§ tt)ir fic 
ge))rüft unb für toal^r befunben; bann muffen mir unfere eigenen 
Slnfid^ten met]^obif(% unb aufmerffam unterfud^en unb nur als toal^r 
gelten laffen, toaS mir !(ar unb beutlid^ begreifen. SBei biefer Unter= 
fud)ung merben mir guerft erfennen, ba§ mir felbft benfenbe SQßejen^ 
finb, ba^ ein ©ott ift, öon bem mir abl^öngen, unb aus meld^em, als ber 
Urfad^e aöer Singe, bie 3JlügIid&!eit einer maleren 6rlenntni§ ber 
le^teren folgt; ba§ mir aufeerbem emige SBal^r^eiten, mie ben ©a^ ber 
©aufaütät, in uns tragen; ba^ mir eine Iöri)erUd6e ober auSgebc^nte, 
tl^eilbare unb bemeglid&e ?latur als mirlttd^eS Dbject oorftellcn, ba^ 
mir gemiffe 9lffecte unb ©enfationen l^dben, beren Urfad^en uns nod& 
unbelannt finb. 3n biefen menigen ©ö^en finb, mie mir fdöeint, bie 
l^auptfäd&Iid&ften 5ßrincil)ien ber meufd^Udöen ßrfenntnife entl^alten." 
„S)er 5ßI)iIofot)]ö barf nid&ts für mal^r gelten laffen, baS er nid&t aU 
fotd6eS eingefel^en, unb menn er ben ©innen ol^ne 5ßrüfung glaubt, fo 
fe^t er auf bie Urtl^eile ber finbifd)en ®inbilbung ein größeres a3er= 
trauen als auf bie ©infid^ten ber reifen SJcrnunft." 



©iebenteS ©apitel. 
lltatur)rirtlofo)rl)t^ A. Jia$ müVftmütxJ^t |lrinn)r itx ^ütnxtxklnxmi. 

I. SDie 3luSbe]^nung als 3lttribut ber Äör))er. 

1. S)er ^5rper atS ©egenftanb beS 2)en!eng. 

Sm ffortgange ber metl^obifd^en Unterfud&ung ift bie JHealitot 
unfereS ©eifteS, ©otteS unb ber ßört)er aufeer Stoeifel gefegt morben; 
mir er!ennen Har unb beutlidö, ba% eS Singe au§er unS giebt, bie 
unabl^ängig t)on unferem S)en!en esiftiren, alfo ©ubftangen finb: 
enblid^e, mie mir, im Unterfd&iebc Don ©ott, !örperlid6e im Unter= 
fd&iebe öon uns, bie mir geiftige finb. S)iefe ®infid^t in ben ©egen= 



5)rincip ber S^atutctflörung. 337 

fa^ ber ©eifier unb ßörper bilbct bcn ©(^lufepunlt bcr SUictopl^^fi! 
unb ben 3lu§^gan9§t)unft bcr Jlaturpl^ilofopl^ic , ben Ueficrgang öon 
ber ®r!enntni§le]^re jur ßßrperlel^re. S)ie pl^^fifolifdie ©runbfrage 
^ciBt: tt)a§ fmb bie Körper an M? SIBorin befielt bog Slttribiit 
berf etten ? 

3luS bem ©cgenfo^ ber beibcn ©ubftanjen folgt, ba^ in bie 5Bor= 
fteüung ber ßörper !eine Sigenfdiaft geiftiger 3lainx eingemifd&t loerben 
barf, ba% alle bto§ fubjectiüen SJorflettunggioeifcn, inSbefonbere unfere 
SmpfinbungSarten in Slbred^nung fommen muffen. S)ie Körper finb, 
tt)a§ fie na(% Slbgug tl^rer finnlid^en Sefd^affenl&etten finb; fie finb, 
au(% toenn toir fie nid^t toal^rnel^men, bal^er gel^ören i^re toal^rnel&ms 
baren ober finnlid&en Dualitäten nid^t ju il^rem S33efen als fold&em. 
3)er ©tein erfdöeint l^art, toenn toir il^n berül^ren; in ©taub t)er= 
toanbelt, l^ört er nid^t auf ©tein, tool^l aber l^art gu fein. SBßaS öon 
ber $örte gilt, gilt aud& öon SBärme unb ßölte, garbe, ©d&toere u. f. f. 
®ie 3arbe gel^ört nid^t jum S33efcn beg ©tein§, benn eg giebt burd)» 
fid^tige ©teine, bie ©d^toere nid&t gum SBefen be§ <ßörper§, benn es 
giebt fold&e, bie nid)t fd^toer finb, tt)ie baS Seuer, 

SeScarteS befolgt in ber ©id^tung unb Äritil be§ Begriffs ber !örper= 
lid^en Jlatur genau baffelbe JBerfal^ren, aU in ber Prüfung ber geiftigen. 
3tn ber ©elbfterlenntnife l^anbelte eS fid& um ben reinen Segriff unferes 
SQBefenS, in ber 6rfenntni§ ber 2BeIt au^er uns um ben reinen Segriff 
beS Stüxpn^: bort mufete öon unferem SBefen attcS abgefonbert toerben, 
ba§ nid^t notl^loenbig gu bemfclben gel&örte, atteS, beffen SRealitdt fid^ 
begweifeln liefe; nid&ts blieb übrig, als bie benfenbe 3;]^ötig!eit felbft: 
biefe toar baS 3lttribut beS ©eifteS. @ben fo mu§ jc^t öon bem 
SBefen beS Körpers atteS abgefonbert toerben, loaS nid)t notl^loenbig 
gu bcmfelben gel^ört, atteS, toaS fid^ abfonbcrn löfet, o^ne bas felbft= 
ftanbige Safein ober hit ©ubftang ber !örperUd&en Slatur aufgul^eben; 
fo bleibt nid^tS übrig als bie reine SJiaterialität ober SluSbel^nung: 
biefe ift baS Attribut beS ßör)?erS. 

SBerben bie bciben einanber entgegengefc^ten 3Ittribute öermifdftt, 
inbcm tt)ir unfere Senl* unb 6m))finbungStDeifen als Sigenfd&aften ber 
ßßr:per betrad)ten, fo entfielet eine gioeifad&e SSertoirrung, unb mir täufd&en 
uns fomol^I über baS aOßefen ber materietten 5Ratur als aud& über baS ber 
eigenen. Sie Körper als Präger allgemeiner Segriffe unb finnlid&er Se= 
fd^affenl^eiten öorftetten, l^eifet bicfelben in benfenbe SRaturen Dermanbeln 
ober ant]§ro))omorp]^ifiren. ®ben bagegen ift bie cartefianifd^e 3?atur= 

Stf.* et, ©efd^. b. Wlof. I. 4. «up. 31.81. 22 



838 9^atutp]^ilo{o:p]^ie. 2)as matl^ematifi^e 

l)$tIofoJ)]&ic 9runbfö^li(% gerid^tet, fie toitt bic ^^^fi! öon allen 9lnt]^to= 
l)omorj)]^iSmen befreien unb bie tbxptxlxiit Statut erfennen nadö Slbjug 
ber aeiftigen beS SDlenfcfien. Unit)illfürlid6 bid&ten totr unferc ©igen^ 
tpmlid&fciten ben Körpern an, unb bie 9Irt, toie tt)ir fie betrad^ten, 
ift jugleidö ber ©Fleier, ber uns bie ßörper öerl^üllt. @ie ju entfcfeleiern, 
ift bal^er bie etfle Sebingung, fie gu erlennen. SBenn bic ^üUt, bie 
gleid&fam aus bem ©toff ber geiftigen 5Ratur getoebt ift, fällt, fo lann 
nid&ts anbereS entl^üttt toerben als ber Sibxpn in feiner Sladttl^cit, in 
feiner bem ©eift entgegengefe^ten, geiftentblöfetcn SRatur: biefe ift blofee 
SluSbel^nung. S)er ©eift ift als bie felbftbetoufete gugleid^ bie felbft= 
tl^ätige innere Statut, aöe ©elbfttl^ötigleit ift geiftiger 2lrt ; biefer ööHig 
entgegengefe^t ift ber tröge 3uftanb beS bIo§ nad& au^en gerid&teten 
©eins, b. 1^. beS SluSgebel^ntfeinS ober ber 3Dtaterie. S)arum ift bie 
2luSbe]^nung baS 2lttribut beS Äör:perS; ber ©egenfa^ gteifd^en ©eift 
unb Rbxpzx ift gleich bem ©egenfa^ ber benlenben unb auSgebel&ntcn 
©ubpanj. 

S)a t)on biefem Segriffe ber 3luSbe]^nung alle »eiteren Folgerungen 
unb Probleme ber ßel^re S)eScarteS^ abl^öngen, fo fott bie SBegrünbung 
beffelben nod& eingel^enber öerbeutlid&t werben. 3Dtan mu§ fidö Hat 
mad&en, toie aus bem ©efid^tspunltc ber cartefianifd^en ©eiftcslcl^te feine 
anbete 5luffaffung beS ßötpetS möglid^ ift, tt)ie biefet als ©egenftanb 
beS S)en!enS unb ©egentl^eil beS ©eifteS !ein anbeteS 9ltttibut als boS 
bet 3luSbe]^nung bel^ölt. ®et ßötpet foÖ tein p^^fif atifd^ , b. 1^. als 
bloßes ©tfenntni^object bettad^tet toetben, toaS nut gefdöel^en fann, loenn 
unfere 33ettad^tung bie Sebingungen etfüHt, untet benen eS überl^aupt 
etft ©egenftänbe giebt. ©eroöfjnlid^ meint man, biefe feien ol^ne loeiteteS 
gegeben unb tt)it l^aben nut bie ©inne ju öffnen, um fie ju empfangen 
unb il^te ®inbrüdCe gu erioarten: fie feien baS Sftobett, tt)ir bie tt)äd6ferne 
SEafel. ©0 einfad^ ift bie ^aäit nidöt. 6S giebt feinen '©egenftanb 
oI)ne ©egenüberfteHung, ol^ne ba^ id^ mid& öon bem Singe, biefeS t)on 
mir untetfd&eibc, b. ^. mein SQäefen t)on bem feinigen abfonbcte unb 
als felbftbenjufetes obet benfenbeS SBefen ber 2lufeentt)elt gegenübetttete: 
CS giebt fein Object ol^ne ©ubject, fein S)u ol^ne 3d&. 6s giebt fein 
©ubject ol^ne ©elbftgemifel^eit, ol^ne felbftbetoufete Untetf d^eibung , ol^nc 
®enfen. 

9tut baS S)enfen l^at Dbjecte, toeil eS biefelben entftel^en lä§t, biefe 
finb fo menig gegeben als baS Senfen felbft, baS fein Dotl^anbeneS unb 
fettiges Sing ift, fonbetn 2l|ätigfeit, bie nut fo tt)eit teid&t, als toit ber* 



?Pnnci^ bcr 3^aturcrIIärunQ. 339 

fetbcn gett)t§ finb, als ba^ JBemufetfctn fte erleu(]&tet. Dl^ne bie benlenbe 
©clbftactDtfe^ctt , ba^ «Cogito ergo sum» gtebt c8 feine Objecte, Qud& 
feine Körper alg Dbl^ck. 3n unferer ©mpfinbung [teilen uns bie ©inge 
nid^t gegenüber, fonbern Berül^ren unb ergreifen uns, fie finb nid&t unfere 
©egenftönbe, fonbern unfere 3uftftnbe unb Slffecte, toir finb nid&t öon 
il^nen frei, fonbern unter il^rem Sinbrucf unb miffen barum nid^t, toaS 
fie finb, fonbern nur, toie toir fie empfinben. ®en Körper als DBiect 
betrad^ten, toie eS bie ©rfenntnife forbert, l^eifet barum genau baffelbe 
als fid& 3u ber förperlid&en ?latur (nid&t empfinbenb, fonbern) rein 
benfenb öerl^alten, fie bem ©eiji gegenüberjieKen unb t)on allem 
geifiigen 2Befen abfonbern, b. 1^. fie bem ©eift entgegenfe^en , fie als 
bas ©egentl&eil beffelben Betrad&ten, als ein felbftlofeS, träges, blofe 
ouSgebel^nteS 2Befen. Stft ber ©eift nur benfenb, fo ift ber ^oxpn 
nur auSgebel^nt; ift jener feinem SBefen nadö förperloS, fo ift biefer 
geiftloS: biefe Beiben SBegriffe forbern unb tragen fid& gegenfettig. ^ 

2. 2)cr Äör^er als fRoumöröfee. 

S5er ßörper ift eine auSgebel^nte ©ubftang, er ift nid&ts toeiter. 
JBBie ber ©eift nid&ts ift ol&ne S)enfen, fo bcr äbxpex nid&ts ol^ne 3luS= 
be^nung; gtoifd^en ©ubftang unb Slttribut giebt eS feinen realen 
Unter jd^ieb: bal^er finb ^bxptt unb StuSbel^nung ibentifd^, ein übxpn 
ol&ne SluSbel^nung ift cnttoeber ein SBort ol^ne ©inn ober ein öertoorrener 
SBegriff. ®ie 2luSbe]&nung unterf(^eibet fid^ in ßftnge, SBreite unb Stiefe, 
fie l^at feine anberen Unterfd^iebe ats bie ber rftumlid^en ©imcnfionen, 
fie ift blofe raumlid^: ba^er finb Slusbel^nung unb Slaum ibentifd^. 
SJlitl^in ift ber ßört)er, beutlid^ öorgefteüt, nid&ts anbereS als Sfiaum» 
gröfee, ber t)]^^fifaUfd6e 33egriff beffelben bal^er ibentifdö mit bem 
matl^ematifd^en. ®er Siaum öerl^ält ftd& gum Körper, toie bie aU- 
gemeine 2luSbc^nung gur befd&rönften. 3eber ßör<)er iji eine begrenjte 
SRaumgrö^e, aufeer il^m finb anbere, bereu einige i^n unmittelbar 
umgeben; ber Siaum, toeld^en ber Mxpzx einnimmt, ift fein Drt unb 
in 9lüdEftd&t auf bie Umgebung feine ßage; ber äußere Ort ift ber 
SRaum (Dberfläd&e) , toorin ber umgebene unb bie umgebenben ßörper 
einanber berttl&ren, ber innere Ort ift ber Slaum, ben ber ^bxpzx 
erfüllt, bal^er finb (innerer) Drt unb ©röfee beS ßört)erS ibentif(^.* 



1 Princ. II. § 4. 9. 11. (Oeuvr. III.) 

2 Princ. II. § 10-15. — 3 Princ. U. § 5-7. 

22* 



340 SflotuT^^ilofo^l^tc. S)a8 mat]^cmatif(|c 

©egen ben ©afe, ba^ Körper unb Staumgrö^c (SluSbetinung) 
tbentifdö ftub, tDctbcn gmci S3ebenlen erhoben, bie fid6 auf bic St^Qt= 
fad^c bcr SSerbünnung bcr ßör^jer unb bic beS leeren 9iaume8 
Berufen. SBenn ßör^jer unb Slusbel&nung tbentifd^ toftren, fo müfete 
berfelbe ßörper immer biefelbe SluSbel^nung l^aben unb fönnte nid^t 
Balb mel^r balb toenigcr auSgebel&nt fein, toaS ber ^aü iji, »enn er 
öerbünnt ober öerbid^tet mirb. S)er ßtntDurf ift falfd^. JBerbünnung 
ift nic^t öermel^rte 2lu§bet|nung , benn bie SluSbel^nung ober SÖkterie 
befielet in ber 3Jlenge ber Stl&eile, bie JBerbünnung bagegen nid&t barin, 
bafe bie Streite beS Körpers öermel^rt, fonbern bafe bie 3tt)if4enräume 
beffelben öergröfeert werben , ober ba^ anbere Körper in biefelben 
eintreten. @o öergrö^ert fid& ber mit SBaffer gefüllte ©d&toamm nid&t 
beS^alb, toeil bie 2;^eile beS ©d^toammS an 3Jlenge gunel^men, fonbern 
roeil fid& mel^r SBaffer aU t)or^er in feinen 3toifd&enräumen Befinbet. 
®ie SBerbünnung unb 35erbid^tung ber ßörper befielet bal^er nid&t in 
il^rer öermel^rtcn ober öerminberten SluSbel&nung, fonbern in ber 35er= 
gröfeerung ober JBerlteinerung i^rer ^JJoren.^ 

Slber leere 3toifd&enräume finb leerer 9laum, biefer ifi 9lu§= 
bel&nung ol^ne ßörper, alfo ein tl&atfad&üd&er SetoeiS, ba^ Körper unb 
2lu§be]&nung nid&t ibentifd^ Rnb. 9l[ud6 biefer Sinwurf ifi nidötig unb 
Berul^t auf öerttorrenen SBegriffen. ©nttoeber loirb ba§ Seere in relativem 
ober in abfolutem ©innc genommen: im erften fJaU ift e§ nid&t leer, 
im jtoeiten finnloS. ®er Sffiafferlrug, ber fjifdöfaften, baS ^anbelsfd&iff 
l^eifeen leer, toenn im erften baS SBaffer, im gleiten bie fjifd&e, im 
britten bie JBBaaren feilten, obmol^l immer anbere Körper ba finb, 
toeld^e bie SBel^öItniffe füüen. 5Dlan nennt ben JRaum leer, in toeld&em 
gemiffe ßörper fel^Ien, bie man enttoeber bort erwartet ober bic ü6cr= 
l^aupt finntidö loal^rjunc^men finb. Snbeffen l^at biefer gctoöl^ntid^c 
(relative) 33egriff beS ßecren ben pl^ilofopl^ifd&cn (abfolutcn) jur {Jolgc 
gcl^abt. Swtfdöcn einem ©cfäfe unb feinem Snl^alt ifi lein notl^tocnbiger 
Sufammenl^ang; in bcm ßörper lann SBaffer, audö Suft, aud^ ©anb, 
aud& gar nid^k fein; toenn ieber Snl^alt fcl^lt, fo ift ba^ ©cfä§ 
abfotut leer. Slbfolutc ßcere ift nid&t§, ber 9flaum ift ettoaS; c§ giebt 
fo roenig einen leeren Slaum, al8 ein 6ttoa8, baS nid&tS ift. 3)a§ 
©eföfe lann ol^ne ben Snl^alt biefeS ober jenes ßörperS, aber nidfet 
abfolut leer fein, fonft toöre e8 felbft unmöglid^. 33ei abfoluter ßeere 
toürbe bud&ftäblid& nid^ts fein, tt)a§ bie concaöen SBönbe ber SSafe t)on 
einanber trennt, biefe müßten jufammenfallcn, eS gäbe feine Konfiguration 



$tinci^ ber DlaturcrüärunQ. 341 

unb fein ©eföfe tncl^r. 3n SBal^rl^eit gtcbt c§ feine Seere, fonbern 
nur bcn ©d&ein beS ßeeren. 3eber ßörper ift auSgcbel^nt unb in bem= 
fetben 3Jlafec öott ote er auSgebel^nt ift, er fonn niii^t mel^r ober toeniger 
au§gebe]^nt, olfo aud^ nid^t mel^r ober weniger öott fein als er ift, 
gleid&t)iel ob ba§ ©ef&fe tnit ©olb ober SBlei mit SBaffer ober ßuft 
gefüllt ift ober leer ju fein fd^eint.^ 

IL ®ie ßör<)ertt)elt. 

ßör^jer unb SluSbe^nung finb ibentifdt), e§ giebt nid&ts ßeereS: 
wo dianm ift, ba finb Mxpzx, ober aud& nur flörper: biefc erftredCcn 
fid& burd^ ben ganjcn Staunt, fo tt)eit berfelbe reid^t; er reid^t fo toeit 
als bie 3luSbe]^nung; innerl^alb ber le^teren ift nid&ts, bas unauS= 
gebel^nt ober unt^cilbar toäre. 6S giebt feine 3ltome, bie fleinften 
Sl^eile ber ßör<)er finb immer nod& tl^eilbar, alfo nid^t 3ltome, fonbern 
SJlolecüle ober ßort)uffeln. ©benfo toenig fann bie SluSbel^nung 
irgenbtoo aufl^ören ober begrengt toerben, mit biefer ©renje müfete 
baS UnauSgebel^nte anfangen, alfo fönnte bie ©rengc felbft nid^t mel^r 
auSgebel^nt fein. @S ift bal^er obfolut unmöglid^, bie SluSbel^nung 
in ©darauf en gu fd&liefeen, fie ift fd^led^terbingS fd&ranfenloS: bal^er 
ift bie ßörpertoelt enbloS. 

®a bie 3luSbe]^nung nirgenbs leer ober unterbrod^en fein fann, 
fo ift fie ftetig unb bilbet ein ©ontinuum: es giebt bal^er nid&t t)er= 
fd^iebene Slrten ber SluSbel^nung ober 5Dlaterie, alfo aud^ nid^t t)er= 
fd^iebene materielle Sßelten. ®ie ßörpertoelt ift blofe auSgebel^nt, 
fd&ranfenloS unb einjig. Slufeerl^alb beS SenfenS giebt eS feine anbere 
SBelt als bie f ör|)erlid&e. * 



Siebtes 6a|)itel. 
ltdur)itrU0r0)itri^ B. ^üb mtiSiümfiSit Ißmtxf itt ItdurerkUiruns. 

I. ®ie SBctoegung als ©runb:p]^anomen ber ßörpertoelt. 

1. 2)ie S3ett)egung aU HJlobuS ber tluSbel^nung. 

Sitte ©rfd^einungen ober SBorgftngc ber inneren SBelt finb 3Jlo= 
bipcationen beS ©enfenS; atte ©rfd^einungen unb JBorgänge ber äußeren 
finb 9Jiobificationen ber SluSbel^nung, bie als baS 3lttribut ber förper= 



i Princ. II. § 16—19. 
2 Princ. II. § 20—22. 



342 9laturp]^ilofop]^ie. S^aS med^anif(|e 

Itd^en ©ubftanj erlannt toorben. 3lnn ift bte StuSbcl^nung ins ßnblofc 
tl^ctlbar, bte Stl&ctlc bcrfelben laffen fid^ t)crbinbcn unb trennen, toorauS 
öerfd^tebene SBUbungen ober formen ber SÄaterie l^eröorgel^en. ®iefe 
aSerbinbung nnb Strennung gefd^tel^t burd^ bie Slnnäl^erung unb @nt= 
fernung ber Stl^eile, b. 1^. burd^ SBetoegung: bte SluSbel^nung tft beni= 
nad& tl^eilbar, geftaltungSfäl^ig, betoegltd^. St^re mögltd&en SBeranberungen 
befleißen in SL^etlung, ©eftaltung, S3ett)egung; e§ giebt feine anberen 
aWobificationen ber SluSbel^nung. $ültt biefer ßrllörung fd&Iiefet ®eg= 
CQrteS bzn gleiten Stl^eil feiner 5Principien. „3d^ geftel^e offen, baß 
id^ in ber SRatur ber !ört)erlid&en ®inge feine anbere 3Waterie aner= 
fenne, als jene, bie in mannid^falttgfter SBeife getl^eilt, geftaltet unb 
betoegt toerben fann, toeld^e bie SUlatl&entatifer ©rö§c (Duantitöt) 
nennen unb jum ©egenfianb il^rer ©emonftrationen mad&en; ba^ id6 
in biefer $ülaterie bIo§ il^re Stl^eilungen, Figuren unb SBetoegungen 
betrad&te unb nid^tS für toal^r gelten laffe, baS auS biefen ?Princi^)iett 
nid&t fo einleud^tenb foTgt, ats bie ©emi^^eit ber ntatl^ematif^en ©a^e. 
2luf biefem SBege laffen fid& aüe Slaturerfd&einungen erfiftren. ffieSl^alb 
bin id& ber Slnfid&t, bafe in ber ^l^^fif anbere 5Princi:pien, als bie l^ier 
bargelegten, loeber erforberlid^ nod6 äul&ffig finb."^ 

3)iefe 5Principicn laffen fid& öereinfad^en. 3lllc S^l^eilung unb 
©eftaltung ber SDlaterie gefd^iel^t burdö SBetoegung; bal^er laffen ficö 
föntmtlidöe 9Jiobificationen ber SluSbeftnung auf bie le^terc prüdEfül^ren. 
S)te SSeränberungen in ber Äör^ertoelt finb inSgefammt S3etocgungS= 
erfd^einungen, aller SBed&fel ber 3Katerie unb aKe SSerfdöiebenl^eit 
il^rer fjormen ift burd& Setoegung bebingt.^ 3e§t ift ber ©tanb^unft 
ber cartefianifd&en SFlaturplöilofot^^i^ öoüfontmen flar: baS SQßefen ber 
ßörper befte^tin ber Slaunigröfec, bie SSerftuberung berfelben in ber 
25ett)egung; jeneS toirb ntat]&ematifd& , biefe nted&anifd^ begriffen: bie 
5Raturerfl&rung ©eScarteS* berul^t bal^er ööllig auf matl^cntatifd^s 
nted&anifd^en ©runbfä^en. 

2. S)ic SBetocgung aU OrtSöcränbcrunQ. 

2lIIe 33ett)egung bcftel^t in einer räuntlid&en SBeröuberung. SRuit 
ift ber Staunt, toeld^en eiußör^jer in SBejiel^ung auf anbere einnimmt, 
fein Ort ober feine ßage. SBenn fid6 ein ^bxpn betoegt, öerönbert 
er biefen feinen Ort, bal^er ift aüe SSetoegung DrtSöeränbcrung: 



1 Princ. II. §64.-2 Princ. II. § 23. 



?Princip ber Sflaturerlfärunö. 343 

,,fie tft bie SIction, Vermöge bexen ein Körper qu§ einem Ort in einen 
anbeten toanbert".^ 

Siefer SBegriff ift nöl^er gu fieftimmen, um gegen ben ©inmurf 
gefid&ett ju fein, ba^ berfelBe kbxjßtx in berfelben 3ßit gugleid^ belegt 
unb nid6t Bctoegt fein lönne. 6in ßorper fann feinen Ort öeränbern, 
tDöl^renb er rul^t, toie ber 50tann, ber im ©d^iffe fi^t, to&l^renb biefeg 
mit bem ßaufe beS ©tromS fid& fortbetoegt; ber $ülann öerönbert 
feinen Ort in SflüÄfid&t auf bie Ufer be§ ©troms, nicjt in Stüdfid^t 
auf ben ©d^iffSraum, toorin er fid& beftnbet, er Bleibt in berfelben 
?lad&barfd6aft ber tl^n nöd^ft umgebenben ßört)er: er rul^t. ®a bie 
JBetoegung lebigUdö als ein 5Dlobu§ be§ betoeglic^en Körpers ober als 
eine biefem eigene JBerönberung gilt, fo lann t)on einem flörper ol^ne 
eigene 3lction, toenngleidö er feinen Ort t)er&nbert, nid&t gefagt toerben, 
ba^ er fid^ belege. (Sin Körper ober (ba alle ßörper Stl^eile einer 
unb berfelben SÄaterie finb) ein Sl^eil ber SDlateric betocgt fid6 nur 
bann, »enn er feinen Drt in SHüdfid&t auf bie nftd^ft bcnad^bartcn 
Sl^eilc dnbert, b. 1^. toenn er an^ ber Umgebung berjenigen Körper, 
bie il^n unmittelbar berül^ren, in bie ?lad6barfd&aft anberer öerfe^t 
mirb. dlvix biejenige DrtSöeränberung, bie ben Sl^aralter einer fold^en 
Drt8t)erfe^ung ober SlranSlation (S£ranSt)ort) ^at, gilt als SBetoegung 
im eigcntlid^en ©inn. 

SKber aud& biefer SBegriff bebarf nod^ einer ndl^eren SBcfiimmung, 
um bem obigen ginmurf nid^t t)on neuem gu begegnen. ®ie DrtS= 
öerdnberung ift immer relatit). SBenn ein Körper A feinen Ort in 
9fiüdEfid6t auf bie il&m nöd^ft benadfebarten Sl^eile ber SJlaterie B t)er= 
önbert, fo öerftnbert B aud^ feinen Ort in StüdEfid^t auf A. gs ift mög= 
lid^, ba^ beibe ßör^jer gugleid^ actio unb beioegt finb; aber eS giebt 
fjöüe, too bei ber DrtSöerönberung jtoifdöen unmittelbar benadfebartcn 
Sl^eilen ber SÄaterie bie SBetoegung nur t)on bem einen ßör^jer unb 
nid^t ebenfo t)on bem anbern gilt. Stoei ßörper A unb B betoegen 
fidö auf ber Oberflöd^e ber ©rbe unmittelbar gegen cinanber. ®iefe 
SBetoegung ift reciprof unb fommt jebem öon bciben auf gleid&e SBeife 
gu; gugleid^ dnbern beibe Mxpex il^re Orte in SlüdEfid^t auf bie il^nen 
nödöft benad^batten SEI^eile ber ©rboberflöd^e, aud6 biefe OrtSöerönberung 
ift reciprof, alfo müfete aud6 bie 6rbe in 9lüÄfid&t auf A unb B für 
betücgt gelten, b. 1^. fie mü^te in berfelben 3cit fid& in entgegengefe^ten 



1 Princ. n. § 24. 



344 ^latur^l^Uofopl^te. ^aS med^onifd^e 

9lid6tungett bctoegcn, toaS untnöglid^ ifi. ®te $ülaffc bcr Srbc gilt 
bdf)n in Sctrcff bcr irbifd^cn imb fo ötcl Heineren <Sör^er, bie fxii 
ouf i^rer Dberfl&d&c l^in- unb l&crbetüegen, als rul&enb. 

hieraus erl^cUt, ba^ ein flör^)er bann bewegt ifi, toenn er auS ber 
Umgebung berjenigen. Stl^eile ber ajlaterie, tocld^e il&n unmittelbar berül&ren 
unb in Jftüdfid&t auf il^n aU rul^enb anjufel^en finb, l^erauStritt; toenn er 
biefen feinen Ort nid^t öerlöfet, rul^t er. 6in ©d&iff, toeld&cS öom 
©trome öorworts unb Dom SBinbe mit gleid&er ©eroalt jurftdfgetrieben 
tüirb, bleibt bem Ufer gegenüber an berfelben ©teile, c8 dnbert feinen 
Ort auf ber ©rbe nid^t, fonbem rul^t, tDöl^renb bie Sl^eile beS SBafferS 
unb ber ßuft, bie es umgeben, unaufl^örlidö betoegt pnb. „SBenn toir 
toiffen toollen", fagt ©cgcarteS, „toaS bie Setoegung in SBal&rl&eit ift, 
fo muffen mir, um bief^lbe genau gu beftimmen, erflören: «fic ift bie 
DrtSöerfcfeung (Transport) eines Stl^eilS ber 3Jlaterie ober eines ßör^erS 
aus ber ?lad6barfd&aft berjenigen Äörper, weld&e il^n unmittelbar be* 
rül&ren unb als rul^enb gelten, in bie Jiad&barfd^aft anberer. Unter einem 
Körper ober einem Sl^eil ber SDlaterie öerftel^e id^ bie ©efammtl^eit 
ber beioegten 5!Jlaffe, gang abgefel^en t)on ben S^l^eilen, toorauS fic etioo 
beftel^t, unb bie gleid^jeitig nod& anberc SBetoegungen liabcn mögen. 
3d& fage: bie Setoegung ift DrtSöerfe^ung, nid^t bie ßraft ober SE]^ätig= 
feit, meldte biefe SSerftuberung bewirft, um burd& ben SluSbrudE barauf 
l^injumeifen, bafe bie SBeioegung ftets in bem betoeglid^cn Objectc ftatt= 
finbet unb nid&t in ber beioegenben Urfad&e, benn id& glaube, ba^ 
man biefe beiben Singe nic^t forgfftltig genau ju unterfd^eiben 
pflegt. SBie ndmlid^ bie Sigur bem geformten unb bie Stulpe bem 
rul^enben ®inge als ©igenfd&aft julommt, fo, meine id&, ift bie Se= 
toegung eine ©igenfdfeaft beS bewegbaren ©ingeS, nid^t aber ein SBefen 
für fid6 ober ©ubftana/' ' 

3luS ber gegebenen ßrflörung laffen fid^ gewiffc fjolgerungcn in 
Söetreff fowol^l ber einfad^en als ber comi)licirten unb 3ufammen= 
gefegten Bewegung l^erleiten. 

3unäd6ft folgt, ba% jebcr ßörper, ba feine actiöe DrtSöerftnberung 
nur in JRüdEfid^t ber i^m benad^barten unb rul^enben $ülaterie gilt, in 
berfcfben Seit aud& nur eine, iijm eigentl^ümlid^e ^Bewegung l|at unb 
l^aben fann. 2lber als SL^eil eines größeren, felbft eigenartig bewegten 
ÄörperS, ber aud& wiebcr SEl^eil eineS größeren unb eigenartig bewegten 



1 Princ. IL § 15. § 24—30. 



?Princi^ her S^aturctlfärung. 345 

Körpers ift, lann er unbcfd^obet feiner eigenen SBetoegung an unenbttdö 
t)iel anberen tl^eilncl^men. @o belegen fidö bie JRöber eines Ul^rtoerlS 
in ber il&nen eigentl^ümlid&cn SIrt, toöl^renb fte mit ber Ul^r in ber 
Safd&e beS ©cemannS, ber im ©d^iff auf= unb abgel^t, an ber S9e= 
tDegung beffelben tl^eilnel^men, mit i^m an ber Söetoegung be§ ©d&iffs, 
mit biefem an ber beS 5öteere8, mit biefem an ber 2Id6fenbre^ung ber 
@rbe u. f. f. ®ie SRdber biefer U^r l^aben eine eigene, nur il^nen gu= 
geprige SBetoegung, wöl^renb fic gugteid^ an einer ßomplication un* 
enblidö vieler anbertoeitiger SBeioegungen tl^eitnel^men. D^ne bie eigene 
S3ett)egung beS ßört)er§ t)on ber burd^ Stl^eilnel^mung t)ermittclten genau 
^u unterfd&eiben , toürben toir nid&t mel^r bejiimmcn !önnen, ob unb 
toie fid& ein Äör^jer bemegt. 3?un lann btefe eigentl^ümlid&e S3ett)cgung, 
obmoW fie in berfetben 3ßit nur biefc unb feine anbere ift, b. l^. als 
einfad&e erfd^eint, fel^r tDol&I aus öerfd&iebenen SBetocgungen gufammem 
gefegt fein ober refultiren, toie j. S. ein im Sauf begriffenes SBagcn= 
rab gugleiÄ um feine 2ld^fe rotirt unb in gcraber ßinie fortfd&reitet, 
ober ein $unft, ber gugteid^ nad& öerfd^iebenen 9lid&tungen getrieben 
toixb, fid6 in ber biagonalen betoegt. 

SBeiter folgt aus bem 33egriff ber SBetoegung, bafe !ein ßör^er 
für fidö aüein betoegt fein lann, loäl^renb alle übrigen rul^en. ®S 
giebt feinen leeren Sftaum, barum feinen leeren Drt, SBenn bal^er 
ein Körper feinen Ort öerlöfet, fo mufe fogleidö ein anberer an feine 
©teüc treten, n)&^renb er felbft aus bem neuen Ort, ben er einnimmt, 
ben l^ier beftnblid&en ßör^jer öerbröngt unb nötl^igt, toieberum anbere 
ßörper aus il&rcr biSl^erigen ßage gu vertreiben, ©al^er ift mit jebem 
bewegten ^ör^jer äugleid& eine ßör^jertoanberung gegeben, bie eine 
ßette bilbet, beren lefeteS ©lieb in baS erfte eingreift, fo ba§ ftets 
ein ©omplej öon Körpern betoegt »irb, ber einen ßreis ober 9ling 
ausmad^t. ^ 

IL ®ie Urfad^en ber SBetoegung. 

1. 2)te erfte Urfaij^e unb bie @r5ge ber S3ett)eQung. 

®aS ©efe^ ber ßaufalitöt forbert, bafe nid&ts ol^nc Urfad&e ge= 
fdfticl^t. Sie bemegenbe Urfad&e ifi ^raft, baS ©egentl^eil ber Se= 
toegung ifi Slul^e. Stulpe ift aufgel^obene ober gel^emmte 5öett)egung. 
ßein Körper fann ol&ne ^raft betoegt, leine Setoegung ol^ne ßraft 



» Princ. IL §31-33. 



346 9}atur^]^irofop]^te. ^aS nie(|antf(^e 

gctiemmt werben, ©al^er ift audö bie Stulpe nid&t ol^ne ßraft tnöattdö. 
2)ic gegentl^ctltgc 2lTtftdöt ift ein linbifd^er Srrtl^um, ber ftd^ auf bic 
linbifd&e ©rfal^rung grünbet, bafe toir ßtaft unb SInftrengung Btaudfeen, 
um ben eigenen ßör^jer gu bewegen, aber feine, um il^n rul^en gu 
loffen. ©obalb man einen anberen bewegten ßörper l&emmen ober 
in Siul^e fe^en Wiü, wirb man fogleid^ erfal^ren, ob baju ßraft gel^ort 
ober nid^t.* 

^Bewegung unb JRnl^e finb bie beiben entgegengcfe^ten 5Ulobi ober 
3uftänbe ber lörperlid^en 3lotur. Sie Körper finb filofe au^gebel^nt 
unb bewegbar, nid^t aus eigener ßraft bewegt ober rutjenb, benn fic 
finb t)on fid^ aus !raftIo8. 2Bo]^er alfo lommen Bewegung unb 
9lu]^e in bie ßörperwelt, ba fie au§ berfelben nid^t lommcn? Söeibe 
muffen öerurfad&t fein. ®a fie Weber burd6 bie ßörper nod& bie ©eifter 
Bewirft fein fönnen, fo fann il^re crfte Urfad^e nur ©ott fein. 6r 
ift in Slnfcl^ung ber ©eifter baS ^rincip ber ©rfenntnife, in Slnfel^ung 
ber Körper ba§ ber SBeWegung unb Stulpe: er erleud&tet jene unb Bewegt 
biefe ober mad^t, bafe fie unbewegt finb. Sie SUlaterie ift im 3uftanbe 
tl^eils ber Bewegung, tl^eils ber Stulpe gefd^affen, Beibe fommcn il^r 
urfprünglidö gu; wir muffen bal^er bie ßörperwelt als eine öon Slnbeginn 
tl^eils Bewegte, tl^eils rul^enbe $ülaffe auffaffen. 

SBenn nun bie ßörper t)on fid& aus bie Bewegung Weber ]^ert)or= 
Bringen nod& l^emmen founen, fo ^aBen fie aud& nidöt bic ^raft, bie= 
felBe gu öermel^ren ober gu öerminbern. ®arum BIciBt baS Quantum 
ber ^Bewegung unb Stulpe in ber ßörperWelt ftets baffelBe. SQBenn in 
einem St^eile ber ajlaterie bie ^Bewegung öermel^rt wirb, fo mu6 fie in 
einem anberen um eben fo t)ie( öerminbert werben; wenn bie Sewegung 
in einer 3orm öerfd^winbet, fo mufe fie in einer anberen erfd&einen. ®ie 
©röfee ber ^Bewegung in ber SBett ift conftant. S)eScartc§ 
folgert biefeS ©efe§ aus ber UnDerönberlid^feit beS göttUd^en SBefenS 
unb SBirfenS; baS ©efc^ ift notl^wenbig, weil fein ©egentl^cil foWol^I 
in ^olge ber göttlid^en als aud& ber förpcrlid^en Statur unmöglid^ ift.^ 

2. 2)ic jtocitcn Urfad^cn ber SBetocgunQ ober bie 9'laturg.cfeje. 

SluS ber UnwanbelBarfeit ©otteS folgt, bafe alle Serdnberungen 
in ber ßörperwelt nad^ conftanten Siegeln gefd^el^en. S)iefc ^Regeln 
nennt SeScarteS ?ia tu rgefe^e. 3)a afle SSerönberungcn ber SKaterie 
Bewegungen finb, fo finb fämmtlid^e Jlaturgefe^e SeWegungSgefe^e; 

1 Princ. II. § 26. — « Princ. 11. § 36. 



$rlnct^ ber SJlaturerflärunQ. 347 

ba ©Ott aU bie crftc Urfad^e bcr SBetoegung gilt, fo tocrbcn biefe 
©efe^c als bic jtoeiten Urfad^cn (caiisae secundae) bcrfelben bc= 
jcid^nct. 3)tc ßörper finb an^ eigener 3latnx !taftlo8, ballet fann 
leiner t)on ftd& quS ben Suftanb, in bem er fid^ befinbet, önbern: 
er bleibt ober Bel^arrt in bem gegebenen Suftanb feiner ©eftalt unb 
ßoge, feiner Stulpe ober Semegung, bis eine äußere Urfad^e bie 
3lenberung beffelben betoirtt. 

1) ®arin beftel^t baS erfte Jloturgefe^. Sitte SSeränberungen in 
ber (Rörpermelt erfolgen aus äußeren Urfad&en. 3Kan fann biefeS 
©efe^ baS ber SErögl^eit ober Sel^arrlid^leit nennen: nur barf man 
barunter nid^t Stulpe öcrftel^en unb ettoa meinen, bafe ein Körper 
öon fid6 aus baS S3eftreben l^abe gu rul^en, im Suftanbe ber Stulpe 
ju bel^arren, aus bem 3uftanbe ber SSetoegung in ben ber JRul^e juriidf= 
gufel^ren. 5ttS ob ber Äörper bie JRul^e lieber l^ötte als bie SSetoegung 
ober lieber tnactiö toäre als actio! ®iefe SSorftettung ift grunbfalfdfi. 
SBenn ein fold^eS SBeftreben öorl^anben ttiöre, fo toüxbe jeber ßör^jer, 
fobalb bie äußere Urfad^e feiner SSetoegung gu tt)ir!en aufgel^ört l^ot, 
fogleid^ ftd^ in Jftul^eftanb fe^en. ®ann mürbe ein ßör})er, ben toir 
mit ber §anb fortftofeen, in bem SlugenblidE rul^en, too unfere $anb 
il^n freiläßt; öielmel^r fe^t er feine Semegung fort, bis äußere Urfad^en, 
b. ^. anbere in feinem SBege befinblid&e ßörper fie l^inbern unb auf« 
Igoren madfeen. SBeil n)ir biefe Urfad^en nid^t einfel^en, meinen tt)ir, baß 
ber ßör^)er nid&t aus äußeren Urfad^en, fonbern auS eigenem 
Sefireben rul^t. S5iefeS Urtl^eil aus Unfenntniß ift unfer 3frrt^um.^ 

SBeun über]öau1)t t)on einem ©treben beS Körpers gerebet »erben 
barf, fo fann baffelbe nur ein SBebarrungSftreben fein, aber nid^t 
barin beftel&en, ha^ einer feiner 3uftänbe auf Soften beS anberen 
erftrebt, fonbern baß ber 3uftanb, n)orin ftd& ber fiörper befinbet, 
gleid^öiel ob er rul^t ober fid& betoegt, crl^altcn, b. 1^. jeber äußeren 
Urfadfee, bie il^n angreift, toiberftrebt ober SBiberftanb geleiftet n)irb. 
©iefeS SBel^arrungSfireben fättt mit bem S)afein beS ßör<)erS jufammen. 
3ebeS Sing toitt fein ®afein erl^alten unb toel^rt fidfi gegen feine 35er= 
nid&tung, jeber ßör^er Vermöge feiner Sträg^eit ober Söel^arrung »el^rt 
fid& gegen bie SBernid^tung feines öorl^anbenen SuftanbeS, b. 1^. er loiber» 
fielet jeber äußeren Urfad^e, bie jenen Suftanb änbert. D^ne einen 
fold&en SBiberftanb toäre bie ©röße ber S3ett)egung in ber ßörpertoelt nidftt 



» PrincII. §37-38. 



848 9latut^]^Uo)o^l^ie. 2)aS med^anifd^e 

conftant. Salier ift ber SBiberftonb notl^toenbig. SRun tft jcbc ßetftung ein 
ßroftouSbruÄ, bolzet barf t)on einer 2Btbetftanb§fraft ber Iörper= 
licf)en ?latur gerebet unb in biefem ©inn bem Segriffe ber ^raft in 
ber ßörperwelt ©eltung eingeräumt »erben. S5ie Körper l^aben feine 
urfprünglid&e ßraft gu toirlen, tDol&I aber bie ßraft äußeren ®in= 
tt)ir!ungen gu miberftel^en. ,,S)ie ßraft eineS jeben ßörl)erS, auf einen 
anberen gu toxxhn ober ber ©inwirfung beffelben SBiberftanb gu leiften, 
Beftel^t lebiglidö borin, bafe jebeS ®ing, fo öiel eS öermag, in bem 3u= 
ftanbe, toorin eS fid6 Beflnbet, nad& bem erften aüer Jlaturgefc^e, gu 
bel^arren ftrebt." ®iefe flraft ^at jeber %^txl ber $ülaterie; je mel^r 
S^l^eile bal^er ein Äör))er l^at, um fo mel^r l^at er ßraft. S)ie SERengc 
ber Streite l^eifet SDlaffe, bie ©röfee ber Bewegung ®efd&tt)inbig!eit. 
3e größer bal^er bie betocgte ajlaffe, um fo größer bie ßeiftung, alfo 
bie ^raft. Salier ift baS ^Ulafe ber flraft gleid^ bem ^robuct ber 
SDlaffe in bie ©efd&toinbigleit. ^ 

2) 3luS bem ©efe^ ber SSel^arrung folgt, ba^ jebcr betoegte 
Körper feine SBeloegung fortfe^t, unb gloar t)ou fid^ au^ in einer 
9fiid&tung, bie unöeränbert biefelbe bleibt. SBenn er eine ßuröe Bc= 
fd^reibt, fo toirb in jebem SDloment bie 9lid&tung öerönbert, tt)a§ nur 
gefd^e^en !ann unter ber Beftänbigen ©intoirlung einer duneren Urfadbe. 
®ie unDeränbert gteid^förmige 9lid&tung ift bie gerabe ßinie. S)a^er 
mufe jeber belegte Körper t)on fid& au§ beftrebt fein, feine Sctoegung 
in geraber ßinie unb, toenn er Iraft einer äußeren Urfad&e (toie ber 
Stein in ber ©d^Ieuber) im greife betoegt toirb, in ber SEangentc beS 
le^teren fortgufe^en. 3eber ßörper mufe feinen SBetoegungSguftanb 
erhalten, er mu| beSl^alb beftrebt fein, in ber 9fiid&tung ber geraben 
ßinie fid& fortgubetoegen, ba jebe Stbtoeid^ung bat>on nur burd^ öufeere 
Utfad&en bewirft werben !ann. ®arin Beftel^t ba^ gtoeite SRaturgef e§. ^ 

3) 6§ giebt leinen leeren Siaum; bal^er mu§ jcber betocgte 
Körper auf feinem SBege, ben er in geraber ßinie fortgufei^en beftrebt 
ift, einem anbern ^bxpex begegnen, mit bem er gufammenftö^t. ®er 
3ufammenfto§ erfolgt entn)eber in entgegengefe^ter ober in ber= 
fei ben JRid^tung. 3m erften gaü finb entioeber beibe ßorper betoegt 
ober einer öon beiben rul^t. @e|en toir, bafe beibe betoegt finb, fo laffen 
fid6 brei 9Jlöglid6feiten unterf dBeiben , je nad&bem auf beiben ©eiten 
9Jiaffen unb ©efd&toinbigleiten gleid^ ober bei ungleid^en Sfflaffen bie 



» Princ II. § 43. — 2 Princ. IL § 39. 



^rincip bcr 9'laturcrflärunö. 349 

®cfdött)inbtgfeitcn gleidö ober bei gletd^en 5!Jlaffen bie ©efd&tüinbigfeiten 
ungteidö finb; jc^eu mir, ba^ einer bcr beibeu Körper rul^t, fo finb 
ebenfalls brei Sülöglidfeleiten ju unterf d^eiben , je nad^bem bie rul^enbe 
3Kaffe größer ober Heiner ober tbzn fo gro^ ift als bie beioegte. 3n 
bem jtoeiten ber obigen O^äße, toenn bie jufammentreffenben ßör})er 
in berfelben 9lid&tung beioegt finb, foü bie Heinere unb gefd&toinber 
3Jlaffe bie größere unb weniger gefd&toinbe einl^olen, toobci nad^ bem 
SBerl^ättnife ber ©röfeenbifferenj jur ©cfd^minbigfeitsbiffereng aud& brei 
$ülöglidbfeiten in fjrage !ommen, bie ober nid&t oIS gefonberte ^afle 
betrad^tet werben. 3m ©anjen finb eS bal^er fieben ^älle, bie ®e§= 
carteS bei bem Sufommenftofe ber ßörper unterfd^eibet, unb bemgemöfe 
fieben Siegeln, nadö benen bie SSerönberung, bie au§ bem 3ufammen= 
ftofec folgt, gefd&el^en foK.^ 

S)iefe [Regeln werben unter folgenben SBorauSfe^ungen beftimmt: 
1) bafe in bm 3uftänben öerfd^iebener Körper nid&t bie SBetoegungen, 
fonbern nur Setoegung unb Slul^e einanber entgegengefe^t finb, 
bal^er jioifc^en bewegten Körpern fein anberer ©egenfa^ als ber il^rer 
91 id& tutigen möglidfi ift, 2) bafe bie ^ufammenftofeenben Körper öoüig 
l^art ober fcft finb, 3) ba§ Don jeber ßinwirfung anberer fie um= 
gebenben «Rörper, weld^e bie SBeWegung ber gufammenftofeenben t)er= 
meieren ober öerminbern lönnen, inSbefonbere ber ßinwirfung flu ff ige r 
ßörper, ööllig abgefcl^en wirb. Unter biefen SJorauSfe^ungen foü in 
jebem ber unterfd^iebenen fjölle bie Siegel beftimmt werben, nad^ weither 
bie ^bxptx in golgc beS SufammenftofeeS il^re Bewegung unb Siid&tung 
änbern. Sie Serönberung folgt an^ ber SBiberftanbSlraft ber 
ßörper unb bered^net fid^ aus beren ©röfee. ®ie größere SBiber= 
ftanbsfraft, fo red^nct SeScarteS, befiegt bie Heinere ober ^inbcrt beren 
SBirlung.* 

SBenn bal^er ein ßörper B fid^ in geraber ßinie fortbewegt unb 
einem anberen ßör^)er C t)on größerer 2BiberftanbSfraft begegnet, fo 
lann er benfelben nid^t öon ber ©teile bewegen ober fortftoßen, benn 
C ift ber JBorauSfe^ung nad^ öollfommen l^art ober feft, aber B t)er= 
mag in Solge beS SQßiberftanbeS feinen SBeg nid^t fortjufe^en, fonbern 
muß in entgegengefe^ter Slid^tung jurüdf gel^^n , eS Verliert bal^er feine 
Siidbtung, nid&t aber feine Bewegung, benn Siid^tungen finb entgegen= 
gefegt, nid^t Bewegungen. SBenn aber B bie größere 2BibcrftanbS= 

1 Princ. II. § 46-52. - ^ Princ. II. § 44, 45, 53. 



350 9{atur^]^iIofo^]^te. ^ad me(|amfd^e 

Iroft ]^Qt, fo mirb c§ feinen SBcg mit bcm «Körper C fortfe^en, e§ 
onbert nid^t feine Slid^tung, tool^l ober bie ©röfee feiner Semegung, 
ton ber eS fo t)icl Verliert, oIS eS bem anberen Körper mittl^eilt. 
S)a bie ©röfee ber Seloegung (betoegten $Dlaffe), b, 1^. boS ^robuct 
ber SJlaffe in bie (einfad&e) ©efd^toinbigfeit ftetS biefelbe bleibt, fo mufe 
fidö bie ©efdötoinbigleit in bemfelben ajlafec öerminbern, als fid^ bie 
betoegte ^üloffe toermel^rt ober öergröfeert, biefe lonn fid& nur burd^ 
ntitgetl^eilte SSetoegung öergröfeern, bal^cr mufe jeber ßörper, ber 
einen anberen in SBetoegung fe^t, fo öiel öon ber eigenen SBetoegung 
Derlieren, als er biefcm mittl^eilt.^ 

flennen wir bie Seloegung, bie ein Körper bem anberen mit= 
t^eilt, feine SBir!ung unb ben SetoegungSüerluft, ben er eben baburti^ 
felbft erleibet, bie ©egentoirf ung , fo finb in jeber mitgetl^eilten Se= 
tt)egung SBirlung unb ©egentoirfung, Slction unb SReaction 
ftets einanber glcid^. Unb ba innerl&alb ber 9latur feine Se= 
tt)egung gefd&affen, fonbern aüe nur mitget^eilt, toeil nur aus äußeren, 
b, 1^. lörperlid^en Urfatfien bewirft Werben fann, fo ifi jene ©Icid&ung 
baS eigentlid^e ©runbgefe^ ber med^anifd^ bewegten ßörperwelt. ®a§ 
©eScarteS biefeS ©efe§, baS er aus ber Sonftang ober Srl^altung ber 
SewegungSgröfee in ber SBelt ableitet,* als einen befonbern fjaü be= 
l^anbclt unb nid&t für alle 2lrten beS 3ufammenjio^eS gelten lafet, ift 
ber burdö falfd&e SBorauSfefeungen bebingte fjel^ler feiner SSeWegungs^ 
lel&re. SBenn alle Sßeränberungen fört)erlid&er Suftönbe aus äußeren 
Urfacf)en folgen, fo mu§ ber SöeWegungSöerluft eines ßörpcrS als eine 
SBirfung betrad^tet werben, bereu äußere Urfad^e bie SBiberfianbSfraft 
beSjenigen Körpers ift, bem er Bewegung mittl^eilt, gleid&öiel wie groß 
ober flein beffen SBiberftanbSfraft ift. @S ift falfdö, ba§ bie fleinere 
äBirfungSfraft in 9lüdCfid&t auf bie größere WirfungSloS fein foll, ober 
ba^ biefe bie SBirfung jener ööllig ju l^inbern öermag;* eS ift falfd^, 
bafe im 3ufammenftofe ber ^bxptx ber eine als ber ftofeenbe, ber 
anbere blofe als ber geftofeene gilt unb nun aKeS bat)on abl^ftngt, ob 
jener größer ober f leiner ift als biefer; eS ift enblid^ falfd&, b^n ©egen= 
föfe äWifdfeen JRul^e unb Bewegung als abfolut unb ©egenfä^e jwifdöen 
Bewegungen gar nid^t gelten gu laffen. ^ 

SluS ben 5J}rincipien ©eScarteS' folgt, bafe bie Sibxpn öon fid& 
aus fraftloS finb, ba^ fie nur, Weil fie in il^rem 3uftanbe bel^arren 



1 Princ. II. § 40-42. — » Princ. II. §42.-8 princ. H. § 45. 



^rinci^ bet S^aturetfiarunQ. 351 

muffen, SQßtbcrftanbsfraft l^obcn, bafe alle SSeranberungen in ber Äörpcr= 
mit an^ dufecren Urfod^cn, barum qKc SeiDegungcn burd& ^Ulittl^etlung, 
b. t|. burd^ ®rud! unb ©tofe erfolgen, ba& eS ballet feine inneren, 
Verborgenen Urfad^en, feine gel^eimen ßröfte, flb«r]^aut)t feine foge= 
nannten qualitates occultae in ber Rbxpnmlt giebt. 2HS eine fold&e 
bem flörper eigene unb urfprünglid^e ^raft gi(t bie @d^n)ere. ©eScarteS 
Verneint fie: barin beftel^t ber ©egenfa^ gwifd^en il^m unb ©alilei; 
mit ber ©d^ttere mu^ er bie ®rat)itation unb Slnjiel^ungSfraft t)er= 
»erfen: barin befielet ber ft)ötere ©egenfa^ 5len)ton§ gegen ®e§carte§; 
er ift beSl^alb genöt^igt, bie fogenannten Sentrolfröfte, loie jebe actio 
in distans, gu berneinen unb ben 5all ber Äör^jcr, toie bie Salinen; 
roeld&e bie Planeten befd^reiben, aus bem ©to^ ober ber duneren unb 
unmittelbaren ©intoirfung anberer Rbxpzx gu erflaren, ®a bie bi8= 
l^erigen Siegeln nur ben Sufammenfto^ fefter ober l^arter Körper ins 
Sluge gefaxt l^aben, fo »erben alle Setoegungen, bie barauS allein 
nid&t abjuleitcn finb, aus bem Unterfd&iebe ber feften unb flüffigen 
ßör^)er, inSbefonbere aus ber Sefd^affenl^eit, Söemegung unb ©intoirfung 
ber le^tcren erfannt toerben muffen.^ 

III. §^bromed&anif. ^efte unb flüffige ßör^er. 

1. UnterWtcb bcibcr. 

®a es in bm ßörpern feine anberen entgegengefe^ten 3uftänbe 
giebt ats SBeroegnng unb Stulpe, fo leud^tet ein, bafe l^ierauS allein bie 
entgegengefe^ten ßol^öfionSjuftönbe fefter unb flüffiger Rbxpzx abju= 
leiten ftnb. ©d^on bie l^aubgreiflid^e SBal^rnel^munä belel^rt uns, ba^ 
bie feften Äörper jeber einbringenben SB^toegung, j[cbem Serfud&e, i^re 
SEl&eilc gu öerfd^ieben ober gu trennen, einen SBiberftanb entgegenfe^en, 
ber bei ben flüffigen fel^tt. 3lun ift nad6 bem befannten ©a^e ©eScarteS' 
ber Söetoegung nid^t bie Setoegung entgegengefe^t, fonbern bie Stulpe. 
SBaS baber ben ßörper feft ober feine Sl^eilc gegen bie einbringenbe 
aSemegung, bie fie gu öerfd^ieben ober gu trennen fud&t, n)iberftanb8= 
fröftig mad&t, fann nid&ts anbereS fein, als bafe biefe Sl^eile fid& burdö= 
göngig im Suftanb ber JRul^e befinben; toöl^renb bie leidste SBerfd^ieb^ 
barfeit unb üErennbarfeit ber SEl^eile beS flüffigcn Körpers barin be= 
fie^t, ba^ biefelben bis in il^re fleinften Stl&eile burd&göngig bemegt 
finb. 3lid6tS fann bie Serbinbung ober ben Sufammenl^ang materieller 

1 Princ. n. § 53. 



352 9laturp]^i(ofop]^ie. 2)ad tned^Qnif(^e 

SLl^ctlc fräftigcr mad^en als i^re Stulpe, cS tnüfete ftc benn eine be= 
fonbexe Slrt ßetm jufammenl^alten unb öerlnüpfen; biefe§ ajlebium 
fönnte nur ©ubftanj ober aJlobuS fein, aber ©ubftangen finb bie 
%^ziU felbft, unb SJiobuS berfelben ift bie Slul^e, [ie ifi unter allen 
förperlid&en 3uftänben ber betDegungSfeinblid&fte. ®ie %^ai\aä^z, ba^ 
jlüffige Mxptx, toie SBaffer unb ßuft, ntand^e fefte kbxpn burc§ 
i^re SintDirlung aufjulöfen im ©taube finb, betoeift, ba^ il^re Sl^eile 
beftclnbig belegt fein tnüffen, ba fie fonft jene ßörper ni^t jcrfe^en 
fönnten.^ 

2. S)cr fcftc Äöt^cr im PüyfiQcn. 

2)ie SLl^eile ber 3Katerie finb enttoeber rul^enb ober Um^i, bal^er 
bie ©ol^öfionsauftönbe ber ßöri)er enttoeber feft ober jlüffig. S)a e§ 
leinen leeren Jftaum gtebt, fo muffen überaü, mo fefte Körper nid^t 
finb, flüffige fein; mitl^in finb Don biefen alle SttJifd&enräume erfüllt 
unb bie feften SibxJftx umgeben, ©e^en loir nun, bafe Pffigc SDIaterie, 
bereu Ileinfte Sl^eile forttoä^renb, gugleid^ unb bergefialt betoegt finb, 
baß fie nad^ allen möglid&en Sflid^tungen ftreben, einen feften Äörper 
ring§ umgiebt, fo toirb berfetbe überall t)on jlüffigen SL^eilen berül^rt 
unb gleid&mcifeig nad^ entgegengefe^ten JRid^tungen bewegt, fo bafe er 
in ber flüffigen SÄaterie, bie il&n umgiebt, fd^ioebt ober rul^t. 6§ ift 
leine Urfad^e ba, Iraft bereu fid& ber ßör^jer e^er in biefer al§ in 
jener 9flid^tung fortbeioegen müfete. ©obalb bal^er eine fold^e äußere 
Urfad^e eintritt, fei eS aud& mit bem gcringften Slufioanbe öon firaft, 
bie bem Körper einen beftimmten 3mpul§ giebt, fo toirb fie benfelben 
forttreiben. ®ie fleinfte ßraft genügt, um einen feften, t)on flttffiger 
5!Jlaterie ringS umgebenen ßörj)er ju betoegen.^ 

©e^en toir nun, bafe bie flüffige äJlaterie, in toeld^er ber fefte 
ßörper fd^ioebt ober rul^t, mit il^rer ganjen 3Kaffe in einer befiimmten 
9lidf)tung fortgetrieben toirb, mie bie ©tröme nad& bem 3Jleer unb bie 
t)om Dpioinb betoegte ßuft nad^ SBeften, fo toirb jener fefte Körper 
t)on ber ©etoalt ber ©trömung ergriffen unb mit ben flüffigen SEl^eilen, 
bie il^n berül&ren unb umgeben, fortgetragen n)erben; er wirb bal&er, 
toöl^renb er mit bem ©trome treibt, immer in berfetben Slad^barfd^aft 
bleiben, alfo feine Umgebung ober feinen Ort nid^t öeränbern : er rul^t 
in ber pffigen 3Katerie, bie il|n umgiebt, unb bereu ©efammtmaf[e 
fid^ in beftimmter Stid^tung fortbewegt.^ 



1 Princ. IL § 54-56. — « Princ. IL § 56-57. - » Princ. IL § 61-62. 



$rincip bcr Sflaiurcrütttung. 353 

3. §immel unb ©rbc. «piQnctcnbetoeQung. ^^potl^efc bcr aDßirbel. 

Sluf bie ßcl^tc t)on ber SHul^e uitb SBetoegung, t)on ber fcjien unb 
flüfftgen SDlotcrtc unb ber ©intptrfung bicfer auf jene grünbct S5eS= 
carteS feine 3lnftd^t öon ber Stulpe unb JBetoegung bcr SBeltlörper. 
®iefc rul^en utd^t auf ©öuten unb l^ängen nt(^t an Sauen, nod^ finb 
fie an burd^fid&tige Bpi)&x^n fiefeftigt, fonbern fd&toeben in bcn ^Räumen 
be§ ^irnmete, bie nid&t leer fein tonnen, fonbern aus flüffiger 9Jiaterie 
beftel^en, toeld^e bie §immcl8lört)er öon allen ©eiten umgeben. Sie 
le^teren unterfd^eiben fid& in Slnfel^ung ber ®rö§e, beS ßid^ls unb ber 
Setoegung ; einige finb felbftleud^tenb, toie bie ^isfierne unb biß ©onne, 
anbere öon fid^ auS bun!el, toie bie Planeten, ber SKonb unb bie 
®rbe; bie ©onne ift ben giEfternen, bie @rbc ben ^Planeten anatog; 
einige fd&einen il&rc ßage gegen einanber nid&t gu öeränbern unb un= 
betoeglidö ju fein, anbere t)eränbern biefe il)re Orte unb gelten al8 
SQßanbeljierne : jene ©eftirne l&eifeen SiEfternc, biefe 5ßlaneten. ®a8 
©Aftern ber §immel8!ßrper, inSbefonbere baS bcr ^Planeten, erfd&eint 
bemnadö al§ ein f^ecieÜcr gall unb guglcid^ als baS größte Scif)3iel, 
in toeld^em flüffigc SÄaleric anbere Stbxpn öon aKcn ©eiten untgiebt.^ 

Um bie aSetoegung ber ^Planeten gu erHftren, mufe öor aKem 
ber ©tanbt)unft beftimmt toerben, au8 bem fie betrad&tet unb bcurtl^eilt 
toirb. Senn cS fommt alles barauf an, ob bicfer ©tanbt)un!t felbft 
in Slnfcl^ung ber ^Planeten rul^t ober betoegt ift. @S giebt brei ^^potl^efcn, 
loeld&e bie @r!tärung öerfud&t l^aben: bie beS 5ptolemäuS im 3lltert]öum, 
bie beS ÄoperrtiluS unb beS S^d^o in ber neueren 3ßit- 

®ic t)tolemäifdöe ift oon ber SBiffenfd&aft aufgegeben, benn fie ti)iber= 
ftreitet fidleren Sl^atad^en, toeld^e bie neuere Seobat^tung unb 5orfd&ung 
fejigcfiellt l^at, insbefonbere ben telef!o})ifdö cntbedtten ßid&t<)l&afen bcr 
aSenuS, bie bencn beS SKonbeS ai^nlic^ finb. Sal&er fönnen nur nod6 
bie @rllärungSt)crfud&c beS ßo^erniluS unb S^d^o in fjrage !ommen, 
bie in ber l^eliocentrifd^en 5pianetenbett)egung übereinfiimmen, nid&t aber 
in Slnfelöung ber SSetoegung ber 6rbe, locld&c Ic^terc Äot)erni!uS bcjal^t, 
Zt)(i)0 bagegen öerneint. 

3P bie 6rbc rul^cnb ober betoegt? Sarin befielet bie ©trcit= 
frage, in bereu ßöfung SeScarteS mit feinem iener beiben Slftronomcn 
eint)erftanben fein toitt. Dbgleid& bie fo<)erniIanifd5e ^^potl^cfe ettoaS 



» Princ. III. § 5—14. 
gfifd&er, ®eft$. b. Wtof. I. 4. «ufl. 3». «. 



354 92atut^l^UofQp^te. ^aS med^attifd^e 

einfa(3&er unb Karer als bie t^dfeonifd&e Befunbcn toirb, fott fxc gtütfd&en 
aSetüegung unb ^nf)t nid&t forgföltig genug unterfd^ieben l^aben, toal^renb 
SE^d&o bie (Stbbetüegung in einem ©inne t)erneint l^abe, ber mit ber 
SBal^rl^eit ftreite. SBeil Sl^d&o nid&t genug ertoogen, morin eigentlid^ 
bie Bewegung bepelzt, be]§au^)te er ben SBorten nad& ixoax bie 9lu]§e 
ber Srbe, laffe aber im ©runbe biefelbe nodö mel^r betoegt fein, als 
felbft ÄopernifuS. 3Jlan muffe bal&er forgföltiger als ßot)erni!u§ unb 
rid&tiger ate 2;^d&o öerfal^ren. „^ii unterfd^eibe mid& nur barin öon 
jenen beiben Slftronomen", fagt 2)eScarte8 etmaS jtoeibeutig, „ba§ id^ 
mit größerer ©orgf alt afö ÄopernifuS bie Setoegung ber ®rbe Derneine 
unb meine Slnfiiftt barüber toal^rer als S;^d&o ju begrünben fud^e; id6 
tüerbe l^ter bie ^^^)ot]^efe barlegen, toeld&e mir bie einfad&ftc Don aßen 
unb fotDol&I jur ©rfenntnife ber Srfd^einungen als aud& gur ©rforfd&ung 
il^rer natürlid&en Urfad&en bie tauglid&fte gu fein fd&eint. 3nbcffen toill, 
tt)ie id& auSbriltflidö erflöre, biefe meine Slnfid^t feineStoegS als öoH= 
fommene SBal^rl^eit, fonbern nur als eine #^t)ot]^efe ober Slnnal^me 
gelten, bie möglid^ertoeife irrt."^ 

S)ie beiben tüefentlic^en SSorauSfe^ungen, unter toeld&c ©cScartcS 
feinen ®rHörungSt)erfucö ftettt, finb bie Unermefelidbfeit beS SQBeltaHs 
unb bie Slid^tigfeit beS leeren SftaumS. 2IuS ber erften folgt, baß 
bie SBelt feinen fugeiförmigen Äör^)er bilbet unb nid&t in concentrifdfecn 
@^)]^aren befielet, tooran bie ©eftirnc befeftigt finb ; bafe cS bal^er feine 
fJiEfternfp^äre giebt jenfeitS beS oberfien 5|)(aneten (©aturn), unb bafe 
bie ©onne nid&t mit ben ^iEfternen in berfelben fpl^örifd&en Oberfl&d&e 
liegt. 3luS ber gtoeiten folgt, bafe bie ^immelSräume t)on ftüffiger 
SRaterie erfüllt unb bie SBeltförper t)on ber le^teren umgeben unb 
il^ren ©intoirfungen unterworfen finb. ^ier ift ber 5ßunft, too 
3)eScarteS feine l^^bromec^anifd^en ^Principien auf bie Setoegung ber 
SBeItf5r^)er, b. 1&. auf ^Planeten unb ®rbe antoenbet, 2)ic ®rbe ifi 
rings t)on flüffiger ^immelSmaterie umgeben unb tt)irb, toic ber fefte 
Äöri)er im flüffigen, gleid&möfeig nad^ allen Süd^tungen bctoegt ober 
t)on bem ©trome berfelben fortgetragen; fie rul^t im §immcl toie 
baS ©d&iff ouf bem SlJleer, baS öon feinem SBinbe betoegt, Don feinem 
9luber getrieben, Don feinem Slnfer feftgef^alten, rul&ig mit bem 9Jleereä= 
ftrome treibt. 3)affelbe gilt Don ben übrigen 5|J(aneten: „jeber ru^t 
in bem €>in^nielsraum, too er fid& befinbet, unb aÜc DrtSDerönberung, 



1 Princ. III. § 15-19. 3u ößl. oben: Einleitung, ©a^. VII. ©.113-118. 



^rinci^ bct SRatutctü&rung* 355 

bte tüir an biefen ßörlpern ficrnerfcn, folgt Icbigüd^ auS ber SBetüegung 
bet ^tmmelSmaterte, bic fte t)on allen ©eiten umgieBt". 

SÄan fann bal^cr, toenn man ben todf)xen SBegriff ber SBetoegung 
lennt, nid&t fagen, bafe bte ^Planeten unb bte @rbe fettft fietoegt finb; 
bieg möre bet fjatt, toenn fie tl&re UmgeBung änberten, b. ^. toenn bet 
^tmntelStaunt, ber fie umgiebt, ru^e, toäl^renb ber ^Planet il^n burd&= 
toanbert. 3lber biefer ^intntelSraum felbft ift in allen feinen Sl&eilen 
fliifftge/ ftets belegte SO^aterie, bie als fold&e nid&t aufl&ört, ben SQBelt« 
föriper ju umgeben, toenn audfe int ©injelnen bie berül^renben SEI^eite 
fortoal^renb toed&feln, b. 1^. balb biefc balb anbere S^l^eile berfelBen Söiateric 
bie Dbcrpd&e jeneS Äör^)er§ berül&ren. ©o finb auf ber Dberftöci&e ber @rbe 
SBaffer unb ßuft in forttüöl^renber Setoegung, tüöl^renb bie @rbe felbft 
in SftüÄfid&t auf bie Sll^eile il^rer ©etoöffcr unb Sltmofipl^äre nid&t für 
betoegt gilt, ©ie rul^t in il^rcm belegten ^immelSraunt, in btefer int 
fjluffe begriffenen Söiaterie, bic fie umgiebt unb in Slftdfid^t auf lioeld^e 
fie il^ren Ort nid^t änbert; tool^I aber önbert fid^, toäl^renb fie rul^t, 
il^re Sage in Olüdfid^t auf anbere ^imntel^forper. SQBitt man, nad& ber 
getoöl&nlid&en ?lrt gu reben, ber @rbe eine SBetoegung gufd&reiben, fo belegt 
fid& biefelbe, tt)ic ber SÄann, ber im ©c^iffc fd&löft, lüdl^renb il^n biefeS 
Don ßalais nac^ 2)ot)er bringt.^ 

©e^en tüir nun, bafe jener fjlu§ ber ^immelsmaterie, toeld^e bic 
^Planeten umgiebt unb mit fid& fortträgt, gleid& einem SBirbel eine 
freifcnbe ©trömung befc^reibt, in beten 9Wittel^)unft fid& bie ©onne 
befinbet, unb bafe bic ®rbe einer biefer ^Planeten ift, fo leud^tet ein, 
in locld&em ©inne 3)e§carte8 bie l^eliocentrifd&e Setoegung ber ®rbe, 
toic Äopernifu§, leiert, o^ne mit biefem bie 9lu]^c berfelben ju t)er= 
neinen unb nod& toeniger mit S^d&o biefe Olul^e im f oSmifd&en 5Dlittelt)unItc 
ju beial^en; e§ leud&tct ein, tt)ie er bic SBetoegung ber Srbe unb ber 
^Planeten nid&t fraft ber ©d&toere unb Slttraction, fonbern lebiglicö 
aus ber fortbetocgenben ßraft ber fie unmittelbar umgebenben unb 
berül^renben SÄateric crflart.^ 

2)ie freifcnbe ©trömung ober ©cntralbetoegung ber SWaterie nennt 
®e§carteg Sffiirbel ober ©trubcl (tourbillon)* unb erflört barauS 
ben ©ang ber SBanbelftcrnc (Paneten, SKonbe, <ffometen). ßg t)er]öält 
fid& mit biefer SBetoegung ber l^immlifd&en SÄateric, tt)ie mit btn 



1 Princ. III. § 20-29. 

2 Princ. IIL § 30. ~ » Princ. III. § 47. 

23* 



S56 



91aliiH>l)iiiifop()iE. Siaä nrnSonif^e 



SßaflEtftnibetn, bie in iutniEr raeilcren greifen um einen SDltttelpui 
rotircn unb bie idnoimmcnbcn J^Ötpet, tDcIc&e in i^r ®e6iet fomm^ 
mit fid) fortreifeen. 3e nfi^er bem ffliittelpunft , um fo [(^netter bic 
Drefiimg, um fo gelc&rainbet ber Umlauf; je weiter entfernt, um fo 
tongfamer. „ffiiic bie ©croöffer, ttienn fie aum SRüiIpuß gcnot^igt 
»erben, Strubel Oilbcn unb fd&mimmenbe fiörpei leitfiter ?(rt, tcic 
©troli^nlme, in ifire SBitbetbettegung hineinreiten unb mit \\^ fori: 
tragen, wie bann bie(e ßom ©trubel ergriffenen Körper fid^ oft um 
i^ren eigenen ^JlittelpimEt bre^n unb aUema( bic bem Eentcum bes 
Strubels näheren i^ten Umlauf frül)cr nl§ bie entfernteren PoÜcnbeti, 
»te enblii^ biefe 5IBnfferftiubeI jwar flels eine fretfenbe [ftidilung, aber 
faft nie Dotlfommene flretfe befc^reiben, fonbern fii^ 6alb nie^r in bie 
ßftngc, balb me^r in bte breite (luebeöncn, lues^alb ifjre perip^erifijen 
SEfieile Oom ßentrum nii^t gleiifi toott entfernt finb: fo fann man fi(ft 
(eicftt üorftellen, bafj bie iScmegung ber ^^Inneten fi($ ebenfo oerljätt, 
unb leine anbercn Sebingungen erforbcrlttö finb, um nOc il)re ®r= 
f [Meinungen ju erltflren."' 

Unter biefen Werben befonber§ ^ersorge^oben bie fflenjegung unb 
Umtüufäjeit ber !p[anden unb ©onnenfledcn, ber @rbe unb SRonbc, 
bie Si^iefe bec Srb= unb Planetenbahn (Sfliptif), bie eEiptifi^e {form 
biefer Sahnen, bie baburd) bebingte ungleiche Entfernung beS ^^laneten 
bon ber Sonne, bie bnburi^ bcbtngte ungteicfie ®cfc£)n)inbig!eit feineä 
Umlaufs. „3icti brauche ni(5t iseiter ju entroideln, wie fiiii au§ biefer 
C)ppott)efE ber Secbfel ber S^ageS'^ unb 3a^rc§äeiten, bie SRoubpbafen, 
bic ©onnen^ unb SJJonbfinjicrniffe, bie Stiöftänbe unb Iftiiifläufe bei 
Planeten, bQ§ Soirftifcn ber Jtaiitgteic&en , bie SBeränberung in ber 
Sii)iefc ber Sllipti( unb öt]nli(^e Singe ertlären laffen, benn äße bicfe 
Erf^cinungen finb Icicfit ju begreifen, wenn man nur ein nientg ^H 
ber Süftronomie bemonbert ift."^ ^H 

SBir »iffen fegt, Don metcljen 93orau8fe§ungen bie carteftam^f 
§5pot^cfe abfängt unb worin fie beflet|i- 63 hjitrbc uns yi weit 
»on bem Sljfteme fel&ft abführen, tBoHtcn mir bie SfiJegc näfiec Der^ 
folgen, auf bencn ©eScarteS feine §9potf)cfe ju begrünben unb ju 
jeigen fndbt, toie aus bem S^aoS biefe fo georbnete Sßelt, bie flftffige 
unb fefte SJlaterie, bie freifenben Strömungen ber ftüffigen, bie Wirten 
ber ajlaterie nnb ÜIBeltlörper naij ben ©efe^en ber Seroegung entfle^erL 



' Princ. lir. ! 



' Princ. III. § 31—37. 



ijjmiij smjityK;^^ 



?Jrinct:p bcr JRaturcrflärunö. 357 

6t fc^t öorauS, bafe bte Söiatetic in tl^retn UrjuftQnbc auf eine getoiffc 
gletd&mäfeigc SQBcifc getl^etlt mar, bafe in einigen il^rer ©ebiete bie Sll^eile 
eine rotirenbe SBetoegung l^atten, toorauS fid& flüffige SJiaffen fiilbeten, 
bie ein gemeinfameg ©entrum umlreiften, toäl^renb il^re Sl^eild&en jebeS 
fid6 um ben eigenen 3JlitteIt)unft betoegte, tt)orau§ ber Unterjd^ieb 
centraler unb t>eri^)]§erif(i)er 5ölaffen l^eröorging; ba§ bie rotirenben 
unb öerfd&iebenartig gcftalteten SKoIecüIe burd& il^re toedöfelfeitige SJe^ 
rül^rung unb ^Reibung il^re ©onfiguration önbcrten, bie ©den berfelben 
a6ftunH)ften unb fid& attmöl^Iidö bergeftalt abrunbeten, ba§ fie bie 
fpl&arifd&e 3^orm Heiner ßügeld^en annal^men; fo entftanben 3ntert)atte, 
bie ausgefüllt werben mußten unb fogleid^ burd& bie nod& Heineren 
unb gefdfetoinber betoegten S^eild&en gefüttt tuurben, bie bei jener tt)ed&fel= 
feitigcn Slbftumpfung unb 3lbrunbung ber 3JloIecüIe abfielen; ber 
Uebcrfd^u^ biefer 3lbfötte tourbe in bie Sentra ber freifenben ©trömungen 
getrieben unb ba§ Söiaterial, tDoraui^ fid& bie ßentralmaffen (5iE= 
fterne) bitbeten, tüäl&renb bie umgebenben, in concentrifd&en @t)]^ären 
bewegten, in il^ren fleinften Sll^eilen fugeiförmig geftalteten 5Diaffen 
bie §immel8gebiete au§ma(i)ten. 9lu§ ben SetoegungSgefefeen folgt, 
ba6 jeber freisförmig bewegte ßörper, wie ber ©tein in ber ©d&(euber, 
fortwöl^renb ba§ Seftreben l^at, fid& öom ©entrum ju entfernen unb 
in geraber ßinie fortjugel^en; biefeS centrifugale SBeftreben I)at jebeg 
StJ^eildöen ber ©entralmaffen unb ber «^immelSmaterie: in biefer Senbenj 
befielet ba§ ßid&t. 3tn 9tü(Ifid&t auf baS ßid&t unterfd&eiben fid& bie 
3lrten ber Söiaterie unb ber SQBeItIör^)er. 2)ie (enteren finb felbft= 
leud&tenbe, burd&fid^tige unb bunfle; bie fell&ftleud&tenben finb bie 
©entrallörper (gtjfterne unb ©onne), bie burd&fid^tigen bie ^immel, 
bie bunf (en bie aSanbelfterne (Planeten unb Kometen, ®rbe unb SDtonbc). 
68 giebt bemnad^ brei 9lrten ber 5!Jlaterie ober Elemente : ba3 erfte 
finb jene fleinften unb gefd^winbeften S^l^eile, Woraus bie felbfileud^tenben 
fiörper befte^en; baS jweite bie fp^ärifd&en ßör^)erd&en, bie ba§ Söiaterial 
ber ^immel bilben; baS britte bie burd^ il^re ©rö^e unb ©eftalt fd^werer 
beweglid&e unb gröbere 5Diaterie, bie ben ©toff ber SBanbelfterne auS= 
mad^t. SDie leid&te, beweglid^fte, fortwal^renb in fcöneßfter ^Bewegung 
begriffene, fubtile 5ölaterie ift ber SBeltatl^er, ber jeben fd^einbar 
leeren 9laum füHt.^ 

SBenn ©eScatteS auSbrüdClid^ fagt, bafe feine €^^t>ot]^efe jur 6r= 
flärung be§ SffieltgebäubeS nid)t blo| falfd^ fein fönne, fonbern in 

1 Princ. III. § 54—64. 



einer geioiSfen JRüdfidit iit ber %i\at fatfd fei, fo moflte er fi^ offen' 
Bar Qfgcn boS ©{^icflnl ©otiletS filtern, fficnn c§ mar nai) ber 6t: 
fn^tiing beS lefetcrcii iii^t genug, feine Seltnnfi^t für eine tfofee 
§l)l)DtI)elE onäjugcben; cä mii^te erflntt werben, bafe fie irre. 3)eg: 
carteS fugte eS freimiHig im Doraii^, nm eä nic^t irocEiträgtiif) fngen 
äu muffen. 6r befannle feinen Srrt^uin, nieil feine äBelteiflfirutig mit 
bet 6ifilifcticn ©ABpfungSgef(^i(tte ftteite. Süiefe be^nupte, bofe (sie 
Orbnung bet Sßeltlörper gefti&offcn (ei, mö^renb et biefclbe, um fie ber 
menfc^ticöen grfenntnife begreiflidi 3U mocfien, na(^ rein mccbanifiiien 
©ejel^en aümütiüd) entfielen Inffc' 

33iefe Sfficnbung fommt ouf SRet&nung (einer 3fit unb (einer 
^erfon unb bebarf na^ ben Qu^fil^rlii^En ©röttcruiigen , bie »it 
barflber in ber SebenSgefi^i^te beS 5Pöilo(oplöen gegeben ^üben, leiner 
»eiteren 9iei$tfertigung ober S!etiirtt)eilnng. 3n bem iöer(uc()e, bie 
Sntftc^ung beS 5IBeltgcbäube§ rein iiieii)Qni[c& jn erMärcn, 
beftct)! bie SBebeiitung feincä nQturpl)ilD(Dli[)ifcben ©^ftemä. ®ie§ raar 
bie 9(b(ic&t feine? erflen SBertS, WelcbeS quS ben bekannten Srünbcn mv- 
Derbffeiillid&t blieb unb bis auf jene Stbljonblung uom Öi(^te öertoten 
ging; ber toefenttidie 3nf)oIt ift in ben beiben testen Süii)ern ber 
^rinciiiien erhalten, unb man bar( onnclmen, ba& m6) ber §ernu§= 
gäbe biefeS 3SerI§ bie beä «rnonde» qu8 fat^Iidieit Orünben abcr= 
^iljfig mar. 

SBaS über ha% SJerfiallen un(Ereg ^£)ilofovl)en ju bcv neuen 
Stftronomie, in§be(onbere ju ßopernifus unb ©olilei betrifft, (o Iiifet 
f\il fegt ein abf^nefecnbeä Utl^eil auäfprecften. fiepIerS grofee @nl= 
bedungen t)Qt er unermä^nf gctaffen unb biefelbcn raaEirf^einUi^ nii^t 
gefannt. 2:i)c&o9 geoceutrifi^c §l)l)ot[)e(e fiat er Derluorfen, äßenn 
man ben ^immel um bie Erbe rotiren lQ(fe unb bie Sewegung in 
i^rer retöticen unb reciprofen Sebeutung richtig uerftefic, fo mii(fe 
man ber Srbe in JRüdfiiftt auf ben §imniet nai^ ber ttjdjonifc^en 
S(nfi4it ireit mel)t Jöeraegung jufdireiben, aU felbft flo))ernifuä be^ 
fiauptet ^abe.' 

2)eäcarte3 Te^rt, ba% bie ^planefenberoegung l&eliocentri(c6 unb 
bie 6rbe planet ift, er le^tt bereu tiJgIid)e ?[c£)(enrDlaltön unb iQ^r= 
üc&e Seroegung um bie ©onne in eßiptif(^er Sa&n: er ift ba^et in 
ber ©odie einüerpanben mit fiül)erni[us unb ®alilei. SIber er bt= 



' Prini;. m. §43-45, - » Princ. m. g 38- 



^ 



^xinci^ ber 9laturcrnärung. 359 

grünbet biefc feine Slnfid^t aus med^anijd&en ©efe^en anbetet 2ltt 
als ©altlei; bte[e SBegtünbung, bie toit fennen geletnt, folgt aus 
feinen 5Ptinci^)ien, unb toie eS fid& aud& mit bet ©eltung unb SRi(36tig= 
feit betfetten t)et]^alten möge, bic S)iffetenj jtoifd&en i^m unb ©alilei 
ift, maS'biefen 5Pnn!t bettifft, in feinet Sffieife etfünftelt. 9lu(ii ba^ 
SeScattcS bie SBetoegung bet ®tbe in einem getoiffen ©inne tjetneint, 
folgt aus bem SBegtiff bet SBetoegung fettft, bm et aufgeftetlt l^at unb 
auf bie SBeltfötipet antoenben mu^te. Sfn allen biefen 5Punften fann 
oljne Unfenntnife bet ©ad^e t)on feinetlei Slccommobation beS 
5p]^itofot)]^en bie 9lebe fein. 2)ie cattefianifd^e SSetneinung bet @tb= 
betocgung l^at gat nid&ts gemein mit bet fitd^Ud^en, Diehnel^t ift fie 
bet leiteten ööHig entgegengefe^t. 

SeScatteS bejal^te biejenige ©tbbetoegung, tfeld&e bic ßitd&e, bie 
SBibel, polemöus unb bie getoöl&nlid^e 3lnfid&t Detneinen; fagte et bod^ 
fettft: „ajian fielet, ha% id& mit bem Sliunbe bie SBetoegung bet 6tbe 
leugne unb in bet ©ad^e baS ©^ftem beS Äo^)etnifuS feft^alte". @t 
bejal^t i>iß ]^eIiocenttifd&e (Stbbetoegung, unb baS ift bet. 5ßunft, um .ben 
allein eS fid& l^anbelt. 6s loöte mel^t als fo:|)]^iftifd&, loenn feine ßel^te 
ben ©d^ein annel^men toottte, als ob fie bie Slul^e bet ßtbe im 
©egenfa^ gegen ©alilei, in Uebeteinftimmung mit bet ßitd^e obet 
aus ©eföHigfeit gegen bie leitete 6e]^aut)te. SSietteid&t toäte eS S)cScatteS 
nid^t unangenel^m getocfen, toenn fid& bie SBelt unb namentlid& bie 
fitd&lid&en 3lutotitöten übet biejen 5|)unft feinet ßel^te getäufd&t l^ötten. 
3lbet bafe et fettft itgenb jemanb übet ben Sinl^alt feinet ßel^te ju 
töufd&en gefud)t l^abe, ift falfdö unb fann nut t)on fold^en gemeint 
toetben, bie feine SBetfe nid&t fennen. Salbet bleibt öon bet 3lccom= 
mobation, bie man il^m t)otn)itft, nut fo t)iel übtig: ba§ ©eScatteS, 
nad^bem et feine ßel^te offen unb el^tüdö öotgettagen unb begtünbet 
l^at bie ßtflötung giebt, feine ^^t)ot]§efe fei falfd^, fo toeit fie mit 
bem ©tauben ftteite. ®t l&at toie ©alilei gel^anbelt, nut ba§ et ben 
SQBibettuf anticipitte, um bie ßl^icanen ju t)etmeiben.* 

4. S)ic ßectc unb bet ßuftbtudf. 

2)ic Uebetjeugung Don bet Unmogüdfefeit beS leeten Siaums unb 
t)on bet JRotl^loenbigfeit, bafe aße SBetoegungen in bet SRatut butdfe öufeete, 
fötipetlid&e Utfad&en unb beten unmittettate ßintoitfung, b. % butd^ 
SDtuÄ unb ©to§ ]^ett)otgebtadöt loetben, mufete S)eScatteS bagu füllten, 

1 »öl. oben a3u4 I- ß^ap. V. 6. 207-209. 



360 ^latur^l^ilofopl^te. ^aä me^onifd^e 

mit betn SBacuum Qud6 bcn fogcnanntcn «horror vacui» bcr Slotur, 
eine bei ben 5ß]^^ftfcrn feincS S^ttalterS nod& l^ertfd&cnbc SSorftcüwng, 
gruTibfö^Iidö gu öernetncn unb für einen ber größten SSrrtl^ümer gu 
crflfiren. (£§ tft cBcn fo falfdö, bte SlcQlttdt eines leeren 9laume§ gu 
BejQl^en , als mit ben 5PeripQtetifern beSl^alb gu öerneinen , ' toeil bie 
SRatur 3lbjd&eu Dor ber ßeere l^obe unb barum biefelbe nid^t bulbe. 
68 ^ie§ beibc Sirrtl&ümer öereinigen, toenn man, toie bie fortge- 
fcj^rittenen ^pi^^fifer in ben SEagen 2)eScarte8' tüottten, ben «horror 
vacui» auf ein getoiffeS 3Kafi einfd&r&nf te , bamit tro^ beffelbcn aix6) 
eine gemiffe ßeere in ber 9latur bejicl^en lönnte. 3lu§ ^ijpot^efen 
fold&er 3lrt fud^te man baS ©teigen ber 5lüffig!eiten, to'u beS SBafferS 
im ^umprol^r unb be§ OuedfilberS in ber Sftbl^re; gu erflörcn. S)e8= 
carteS fe^te ber Slnnal^me ber ßeere bie feiner fuBtilen SEftateric 
(Stetiger) entgegen, fraft beren nirgenb§ ein SSacuum fein lönne. S)iefer 
5ßunft mad&te bie Streitfrage gtoifd^cn il^m unb SBIaife 5Pa8caI, bcr bie 
Sjip^ng jener fubtilen Söiaterie bcftritt unb bie Sftealitöt beS ßeeren 
auf ©runb eines gemäßigten horror vacui be]^aut)tete. 

SBenn tt)ir Setoegungen ober beren ©egentl^eil toal^rnel^mcn, ol^ne 
gugleid| bie förperlid^en Urfad^en, toeld&e bie SSetoegung betoirlen ober 
l^emmen, toal^rncl&men gu fönnen, finb toir geneigt gu meinen, ba% 
überl^au^)! feine Urfad&en öorl^anben finb. ©o ift bie SBeloegung ber 
atmofpl^örifd^en ßuft, ber ©toß unb S)ruÄ, ben fie auf aße übxpn, 

« 

bie fie umgiebt ober berül^rt, ausübt, eine beftönbig toirffamc ßraft, 
fo tt)enig bie betoegenbe Söiaffe in bie ©inne fällt. 2)eScarteS forberte, 
ba^ gur toirllid^en @rf(arung getoiffer SSetoegungSerfd&einungen flüffiger 
^öxptx an bie ©teile beS leeren DlaumS unb beS 3l6fd&euS t)or bem» 
felben ber atmof^)]^ärifd&e SDrutf (©d^were ber ßuft) gefegt werben 
muffe, ©etbft in bem S)iaIoge ©alileis begegnete er ber 3lnna^me beS 
«horror vacui», too bie Urfad^e beS ^l^önomenS in ber ©d&toere ber 
ßuft gu fud&en war, unb tabcite biefen Srrtl^um in ben frittfd^en 33e= 
mcrfungen, bie er im Oftober 1638 über jenes SBerf brieftidö nieber= 
fd&rieb. Sleun ^df)xz \pakx gab er in münblid&en ©ef^)rad&en ^aScal 
ben "Siattj, fid^ burd^ einen augenfd^eintid&en 35erfud& Don ber Slid^tigfeit 
ber ßeere unb ber 2Birf[amfeit beS atmolpl^örifdöen 2)rudfs gu über= 
geugen, inbem er bie ^öl^enftönbe beS OuedCfilberS in ber Sftöl&re am 
?Juß unb auf bem ©ipfel eines fel^r l^ol&en SöergeS mit einanber t)er= 
gtetd^e; er toerbe finben, baß mit ber gunel^menbcn ^öl^e beS DrtS 
bie Cluetffilberfaule in ^olge beS abnel^menben ßuftbrudCS faöe; 



^rincip ber $Raturer!fdrung. 361 

^PoScal fönne biefe§ ©jlperiment leidet in feiner ^eimatl^, ber ^luDergne, 
fiewerfftettigen laffen. 2)er SBerfud^ tourbe Quf bem ^u^=be=S)6me 9e= 
niQd6t nnb Sejlöttgte, tt)a§ ®c§carteS ol^ne bie ^ro6e beffelben tiox^zx- 
gcfagt l^atte. Sfnbeffen f^at ^a^cal biefen UrnftQnb unertoäl&nt gelaffen 
unb audö nid&tS über ben ©rfolg jenes ®Eperimente§ bem ^]^iIofo^)]^cn 
mitgetl^eilt. S)er le^tere fd^rieB biejeS unbiUtgc SSer^alten bem fcinb= 
feligen 6influj|e 9ioberöal8 ju, ber ^PaScofe fjreunb toar unb ^Profeffton 
bor aus mad&te, S)eScartcS- ©egner gu fein.^ 

aSoS bie ©ad^e felbfl betrifft, fo fann bie ^Priorität ber Sntbetfung 
nid^t für SDeScorteS in Slnfiprudö genommen Serben. 2)er SSerfud^, ben er 
5PaScQl im ©ommer 1647 cmpfol^I, befielet in ber barometrifd^cn §ö]^en= 
meffung, unb baS ^Barometer war Don Sorriceßi einige Saläre frül^er 
erfunben toorben (1643). Slber baS ©efe^, auf bem bie ®rfinbung 
berul^t, !annte S)c8carteS Dorl^cr, tt)ie feine Sriefe auS ben Sfal^ren 
1631 unb 1638 bemeifen. Unb e§ bebarf nid&t einmal brieflid&er 
3eugniffe, benn baS ®efe§ fotgt, toie toxx gefeiten, notl^toenbig aus 
feinen ^Jrincipien. 3lngett)enbet auf bie SBetoegung fd&mimmenber Äörper 
(fefler ^oxpn im SBaffer), läfet ftd^ aus ber SOBirlfamleit unb ben 
SKobificationen beS ßuftbrutfeS Ieidf)t jene ©rpnbung mad&en unb er= 
Hären, bie unter bem 9tamen ber cartefianifd^en 2au(^er befannt ift. 



DieunteS 6at)itcl 

Wxt JPerbittbung jmifi^en $ttlt mi Mxftx. Wxt ^txitnjiitifltn in 
Sttlt. Um natttrlii^e nt(t |tttUi^e ;f9tenfi^enUb^n. 

I. S)aS ant]^roi)oIogifdöe ^Problem. 

1. a^cbcutung unb Umfang bc8 Problems. 

6s bleibt nod& ein Problem übrig, nad^bem bie meta))]^^fifd6en 
©runbfragen gelöft finb. S)iefe betrafen baS Söefen ©otteS, beS ©eifteS 
unb ber Rbxpzx unb forberten bie Kare unb beuttid^e Srfenntni^ ber= 
felben, b. 1^. bie fyeftftellung il^rer 9tealität unb aBefenSeigent]^ümlid&= 
feit, bie nur bann einleud&tet, loenn fte ol^ne jcbe SSermifd&ung mit 

> Uebcr S)e8cartc8* ßelferc oom ßuftbrudf fxnb gu Dgt. bie Söricfc bcffelbcn öom 
2. 3uni 1631, öom Cctober 1638 an üJlcrfcnnc (©alitci betr.), öom 11, Sunt unb 
17. 5luguft 1649 an^arcaDi (^aScal betr.). Oeuvres VI. pg. 204, VII pg. 436, 
X. pg. 343, 351. MiUet: Descartes etc. IL pg. 214—226. ©iet)e oben »u* II. 
i&ap. VII. ©. 242. 



362 S)ic SOerbinbung jtoifd^en ©cclc unb Äör^jcr. 

i^rem ©egentl^eil begriffen tt)ttb. 2)aS SBefen ©otteS toottte unabl^ängig 
öon attett enblid&en unb unDottfornmenen 2)tngen, baS bcg ©etfte§ un= 
abhängig öom Äörper, ba§ beS le^tern unabl^öngig öon jenem crfannt 
fein; beibe mußten ballet als ööttig entgegengefe^tc ©ubftanjen be= 
trod^tet toerben: ber ©cift blo§ aU benfenbe 5Ratur, ber ßöH)cr bIo& 
alg auSgebcl^nte, bie SSorgfinge ber geiftigen 5Ratur nur als 5Dlobi 
ober 9lrten beS 3)enfen8, bie ber fört)erlid)en nur als SJiobi ober 
3lrten ber Slusbel^nung, b. 1^. als Bewegungen, ©ott als ber 3teal= 
grunb aller SDinge mufete in 3lnfe^ung beS ©eifteS als Urquell ber 
@rfenntni§, in Slnfel^ung ber ,ßör^)er als Urquell ber Bewegung gelten. 
SBenn eS nun SBorgange geiftiger 9lrt giebt, bie mit gemiffen 
Setoegungen bergeftalt öerfnüpft finb, ba^ fie ol^ne biefelben nid&t ftatt^ 
finben fönnen, fo l^aben toir eine Sl^atfacfte t)or unS, in ber ein neues 
^Problem liegt. ®ine fold&e SEI^atfad^e läßt fid& aus bem 3)uaItSmuS 
jtoifd&en ©eift unb Körper, biefem ©runbbegriff ber 5|Jrinci})ienIe]^re 
3)eScarteS\ nidfet erllören: baljer ift baS neue Problem nid^t meta= 
:|)^^fifd&. Sine SBerbinbung jtoifd&en ©eift unb ßörper lann nur in 
einem SBefen ftattfinben, tocIcöeS aus beiben befielet. ©iefeS SBefen 
finb tt)ir f elbft, unb jwar unter allen enbUd&en ©ubftangen nur tüir, 
benn mir finb benlenbe 5Raturen, als meldte mir unmittelbar unb barum 
mit gtoeifeUofer ©emife^eit unfer SBefen unb ®afein erfennen; 3ugleid& 
finb mir mit einem Mxptx üerbunben, ben mir als ben unfrigen 
t)orfteIIen. Unfere äuBeren ©innesmal^rnel^mungen bemeifen, ba§ eS 
ßörlper au^er unS giebt, unfere Slffecte unb Slaturtriebe bemeifen, bafe 
einer biefer ^ört)er ber unfrtge ift. „?lid6ts leiert mir bie SRatur au§= 
brütflid&er, als bafe id6 einen «Körper l^abe, mit bem eS übel fielet, 
menn idö ©d^merj empfinbe, unb ber ©peife ober Sranf bebarf, toenn 
icE) C^unger ober 3)urft leibe. 3d& fann nid&t gmeifeln, ba% ettoaS 
SlealeS in biefen ßmpfinbungen ift. 3fene 3lffecte unb triebe mad^en 
mir Ilar, ba§ id^ mid& in meinem Körper nid^t, mie ber ©d&iffer im 
^al^rjcug, befinbe, fonbern auf baS ßngfte mit il^m öerbunben unb 
gleid&fam t)ermifdf)t bin, fo ba§ mir gemifferma^en ein SQBefen au8= 
mad&en. ©onft mürbe id^ fraft meiner geiftigen SRatur nid&t ©d&merj 
empfinben, menn ber Äörper üerle^t mirb, fonbern biefe SBerle^ung 
blofe als SrfenntniBobiect einfel^en, mie ber ©d&iffer ßenntni§ bat)on 
nimmt, menn etmaS im ©df)iffe jerbrid^t. 3d& mürbe, menn ber Äörper 
©peife unb StranI bebarf, biefe [eine 3uftänbe erfennen, ol^ne bie un= 
Haren Smpfinbungen beS §ungerS unb SDurfteS ju l^aben. 2)iefe 



S)ic ßcibenfd&aftcn bcr ©celc. 2)aä natürlttä&e unb |tttn(|e aJletifd&enlebcn. 368 

Gmpfinbungen pnb in bcr %^at unftare SSorftetlungcn , bic Don bcr 
aScrcintgung unb glcid^fam SScrmifcluna bc§ ©ciftcS mit bcm ^ör))cr 
l^errül^rcn." Sfn bicfcr tl^atfad&tid&cn SScrbinbung mit einem ßör^)er 
bcfinbct jtcft unter allen crlennbarcn ©eificrn nur bcr meufd^Iid^e: ha^ 
neue 5J}ro6tem ift bal^er antl^ropologifd).^ 

S)a3 SBcfen beS ©eifteS beftel^t im 3)cnfen, bie toa^re Srfenntnife 
befielet im Karen unb bcutüd&en 3)enlen, tocId^cS burd& bie abfolute «Sraft 
bcg aSitleng fotool^t erftrcbt unb erreid^t, als aud& gel^cmmt unb ücrfc^lt 
tuirb. S)ie ä(i)te SBillcngfrcil^eit fud^t bie toal^re ©rfcnntnife unb l^anbclt 
il^r gcmäfe: barin erfüllt bcr mcnjd&lid^e ©eift fein Sfficfcn unb feine 
33cftimmung.^ Sfn bcr SSerbinbung mit bem übxpex ift feine ßlarl^eit 
getrübt unb feine ^reil^cit befd&rönft, alfo er felbft in einem 3uftanbe, 
bcr feinem SBefen nid&t gcma§ ift. 3c§t erfd&cint bie 3^reil&eit bc§ 
SBoHenS unb bie Älarl^cit beS S)cnfen§, b. 1^. bie toal^re ©eifteS= 
frei^eit als ein ju crringenbcS 3iel, als eine gu leiftcnbe Slrbcit, als 
eine ju löfenbe, burd& rid^tige SBillenSenergie allein ju löfenbe 3luf= 
gäbe, ©o begreift baS antl^ropologifd&e 5|Jroblem baS ctl^ifd&e in ftd&. 

2)o(| ift biefer mit bem ßört)cr öerbunbene ©cifteSjuftanb in feiner 
SQBeife aud^ naturgemöfe, benn er ift in bcr Drbnung bcr S)ingc begründet ; 
tt)ir bürfen bal^er unfer f ör^)erlid^eS ßeben nid^t nad& ^)latonifd&er 9lrt als 
ein SSerl^öngnife ober als eine burd& Slbfall Don bcr geiftigcn 2Bclt unb 
burdö SBegicrbe nad^ irbifd^cm ©enu§ öcrfd&ulbcte ©träfe anfe^cn/ fonbern 
muffen baffclbe als bie Erfüllung natürlid&cr ©efe^e betrad[)ten. 3ft 
aber bie SBcrbinbung jtoifd&cn ©eift unb ^örlpcr naturgefc^lid^, fo tann 
fic au(^ in Slnfel^ung beS ©eifteS, fo locnig fic bem SBcfcn bcffelbcn 
conform ift, nid&t als naturtoibrig gelten; öiclmcl^r ift mit bcr 9iatür= 
Iid&!eit aud^ bie 9lid&tigfcit jener SSerbinbung unb aller bcr SSorgönge 
angucrfennen, bie aus bem 3ufammcnlcben beS ©eifteS unb Äört)crS 
notl^tocnbig folgen, toie SCriebe, Sicigungen, ßeibeiifd^aften u. f. tt). 3lße 
biefe SBetocgungcn bcr menfcölid&en 9latur finb als foldöe gut unb 
förbcrlid^e Scbingungcn ober SQBcrtjcuge beS geiftigcn öcbenS; toenn 
fie baS Ic^tcre hemmen unb Derbunfein, fo ift bieS nidt)t fjolgc bcr 
SRatnr, fonbern ©d^ulb bcS SQBillcnS. Slid^t il&re urflprünglid^c 9iid&tung 
ift falfd^, fonbern bie Slblcnfung baDon ift unfere SScrirrung; nic^t 
il^re natürlid&c 9lrt ift fd^limm, fonbern bie Entartung berfelben fraft 



1 M^d. VI. pg. 335—336. (Vith. 6. 138.) 
« »öl. oben »ud^ II. ©o^. V. ©. 323-327. 



864 ^ie S^etbinbung atoti^en 6eele uttb ÜDrper. 

unfereS SQBittenS. SQBqS in her menfd&Iid&cn ^opptlnaiüx öor fid^ gel^t, 
XDiU natürlid^ crflört unb moralifd^ öertoertl^et, b. 1^. in feinem S33ert]§ 
für bie SSefreiung beS ©eifteS erfannt werben. 

SfnSBefonbere finb es bießeibenfd&aften, auf toeld&e ©eScarteS biefen 
©cfid)tj8pun!t einer rein natürlid&en Slnftd^t anlüenbet, üBerjeugt, ba§ er 
bamit in ber Sctrod^tung berfetben eine ööllig neue Slid&tung einfd^Iägt. 
„SQBie mongell^aft bie SQBiffenfd&aften finb, bie un3 bie Sitten überliefert 
l^Qben, ift nirgenbs beutU(^er ju feigen als in i^rer Sel^anMung ber ßeiben» 
fd^aften; benn fo Diel man fid& aud& mit biefem ©egenftanbe befd&öftigt 
l&at unb fo leidet berfelbe ju erfennen ift, ba jeber bie Statur ber 
ßeibenfd&aften in fid& felbft entbedfen tann, ol&ne toeitere Seobad&tung 
öufeerer ®inge, fo finb bod& bie ßel^ren ber Sitten barüber fo bürftig 
unb grö^tentl&eitS fo unfid&er, ba§ id& bie l^erfömmttd&en SBege tJöHig 
üerlaffen muß, um mit einiger 3ut)erfid&t mid^ ber SBal^rl&eit gu ttöl^ern. 
3d& mu§ beSl&alB fo fd^reiben, als ob idb mit einem Sll^ema ju t^un 
l^atte, toeld^eS t)or mir nod& feiner berül^rt l&at." 5ölit biefen SBorten 6c= 
ginnt S)c§carte8 feine ©d&rift über bie ßeibenfc^aften ber ©eele. „3Äeine 
Slbfid^t ift", fagt er in bem bricfUd&en SBortoort, „nid^t als Diebner, 
Qud6 nid&t als Sülorallp^ilofo^)]^, fonbcrn nur als 5p^^filer über bie 
ßeiben[d&aften ju l^anbeln/'^ 

2. 2)ex ^atbinalpunlt bed $roB(em3. 

SQBenn nun ©eScarteS bie ßeibenfd&aften gum ^auptobject feiner 
antl^ropologifd)en 33etrad&tung nimmt, fo mu§ er l^ier bzn d^arafteri= 
ftifd)en SluSbrutf beS menfd)Iid6en (geiftig^förperlid^en) ßebenS, ben @r= 
fenntnifegrunb ber meufd^tidöen ©op^elnatur finben. ®ie @rflärung 
biefer Sll^atfad&e gitt il^m als ber ßarbinal^unft beS t>f^d^ologifd&en 
^Problems. 2öie fid& bie Seioegung gum ßörper t)er]^ä(t, fo öerl^aU 
ficö bie ßeibenfd&aft gum 3JJcnf d&en ; toic bort ber SSegriff ber Setoegung 
öor allem näl^er beftimmt toerben mufete, fo ift l^ier feftguftetten, worin 
baS Sffiefen ber ßeibenfd&aft beftel^t. 

@S leud)tet fog(eid& ein, ba§ bie ßeibenfd^aften inSgefammt ^affiöcr 
SRatur finb. S)od) ift nid)t jebeS ßeiben fd&on ßeibenfd^aft. 3m 
©egenfa^ gur förperUd&en SRatur beftel^t baS SBefen ber geiftigen in 
ber ©elbfttl^ötigfeit, bie Duelle unb ßraft ber le^teren im Sßiöen, 
ba^er ift otteS, loaS in unS öorge^t, ol^ne Don unS getoottt gu fein, 

1 Les passions de l'äme. Part. I. Art. I. Rep. ä la lettre IJ, Oeuvres 
T. IV. pg. 34-38. 



S)ic ßcibcnfd^aftcn bcr ©eele. S)a8 tiQtürU(|c unb flttlidlc SD^ctifci^cnleben. 365 

im tüeitejien Umfange letbenber Slrt. ^af)in gel&ören QÜe untt)illfür= 
lid^en Functionen, aud& bie aBol&rnel^mungen ober 5Pcrceptionen , bie 
lüir mad^en unb erfal^ren, unabl^ängig öon iebcm 3lctc ber @elbft6e= 
ftimmung unb SQBiUfür. Einige biefer SBal^rnelimungen finb innere 
unb fiejiel^en fid& filofe ouf ben ©eift, toie bie untoiHfürUd^e 5ßerce^tion 
unfcreS ®en!en8 unb SSßoHenS. Slid&t unfere benfenbe Statur ift 
paWx'o, mol^I aber bie SBal^rnel^mung berfelben, fofern biefclbe fid& un§ 
öon felbft aufbrängt unb toir genöt^igt finb, fie ju machen. ®§ giebt 
anbere SBal^rnel^mungen, bie fid& btofe auf ßörper bejiel&en, fei eS 
auf äußere ober auf unfcren eigenen: bal^in gel^ören bie @inneS= 
em^)finbungen ober ©enfationen, ttiie Starben, %bm u. f. to., bie 
förperlid^en 3lffccte, toie ßuft unb ©d^mer;), bie förperlid&en Striebe, 
tt)ie C^unger unb Surft. Sitte biefe SBal^rnel^mungen, innere unb 
äußere, finb 3lrten beS ßeibenS, aber ni(|t ßeibenfd&aften im eigent= 
lid^en ©inn, ttiir öerl^altcn uns barin ^Jaffit), aber nid^t paffionirt.^ 

®S giebt eine brittc Slrt teibenber Suftdnbe, bie loeber bem ©eifte 
attein, nod^ bem ßorper attein, fonbern beiben jugleid& jufommen, 
3uftänbe, in benen unter bem ginfluß unb ber SKitttiirfung be§ 
Körpers bie ©cele felbft leibet: fie fann gleid&gültig bleiben im 
©el^en unb ^ören, im «junger unb 2)urft, nid&t in g^reube unb 3orn ; 
fie attein fann freubig unb traurig erregt, öon ßiebe unb ^aß bewegt 
fein, aber fie !önnte eS nid^t, toenn fie !ört)erlo§ todre. 3[n biefer 
Slrt beS ßeibenS befteljt bie ßeibenfd&aft. Unm5glid& mürben bie 
ßeibenfd&aften unfere ©eele fo gemattig, toic eg gefd&iel&t, fpannen, be= 
leben, erfd&üttern fönnen, toenn fie nic^t geijtige firöfte mären: unmög= 
lid& toürben fie im ©tanbe fein, btn ©eift fo getoattig, mie e§ ber 
fjatt ift, gu öerbunfeln unb gu t)ertoirren, mären fie nid&t gugleid^ 
för^)erlid&er 5Ratur. ©ie finb ©eifteSguftänbe, aber nid^t foldfte, bie 
aus ber freien Sl&attraft beS ©eifteS ergeugt toerben, fonbern bie i^n 
unmittfürlidö befatten unb ergreifen; fie finb ®mpfinbungSguftänbe, 
aber fold&e, bie nicf)t im ßeibe, fonbern in ber ©eele ftattfinben: fie 
finb mit einem SQBort ©emütl^Sbemegungen (emotions de Täme), 
gemifd&t aus beiben SRaturen, bcr geiftigen unb för^)erlidben. „3Jlan 
fann fie als SQBal^rnel^mungen ober Smt)finbungen ober Sctoegungen 
ber ©eele befiniren, bie il^r eigentl^ümlid^ angel&ören unb burd& bie 
SBirffamfeit ber ßebenSgeifter öerurfad&t, unierl^alien, t)erftärft toerben."* 

» Les passions I. Art. XIX. XXIII -XXIV. 
8 Les passions I. Art. XXV. XXVII— XXIX. 



366 SBerbiubung att>if<5cn ©cclc unb Äör^cr. 

3. S)te Setbenft^aftett aU ©runb^l^änomen bet mettfd^lidgen @eele. 

hieraus erl^eHt bic Sebcutung, toeld&e S)c§cartc§ ber Stl^atfad&c bei 
ßeibenjd&aften jufd&reibt. ©ic gelten oI§ ©tunb^l^anotncn, als bQ3 
brüte unb toid&tigfte neBen S)cnfen (SBotten) unb Setoegung. SSerftanb 
unb SBitle finb nur in ber getftigcn, bie Bewegung nur in ber lörper* 
lid^en, bie ßetbeufd^aften nur in ber menfd&Ud&en SRatur möglidö, als 
meldje ©cift unb fiörper in fid& bereinigt. Um ju beulen, fiebarf eS 
6I0& ber geiftigen ©ubftanj; um betoegt gu toerben, bIo§ ber !ör^)cr= 
lid^eu; bagegen um ßeibenfÄaftcn ju l^aben, ber SSereinigung Beiber. 
S)ie menfd6Iid6e ©ot):|)etnatur ift ber eingige 9lealgrunb ber ßeiben= 
fd^aften, bie[e finb ber einjige ©rfenntnifegrunb jener, bic aus 
ber Sl^atfad^e ber ©enfationen unb 5RaturtrieBe nid^t ebenfo gut ein= 
leud&tet. 

Um gu öerftel^en, toarum SeScarteS biefe SBebeutung nur ben 
ßeibenfd&aften einräumt, bie finnlidfeen SBal^rnel^mungcn unb S3e= 
gierben bagegen Uo% als tört)erlic]6e SSorgange gelten läfet, muB man 
fi(3& bie ©runblage feiner gangen ßel^re tno^I Dergegenmärtigen. Unter 
feinem ©tanbpunft nömlid^ giebt eS, fo toeit unfere ®rfenntni6 reid^t, 
nur einen mit bem ©eifte t)erbunbenen ober befcclten ^bxptx: ben 
menfd&Ud^en; alle übrigen ßörpcr ftnb geift* unb feelenloS, blo^e 
SÄaf deinen, aud& bie tl^ierifdE)en. ©eele ift ©eift, bie Stealität beS 
le^teren erl^ellt nur aus feiner ©elbfigetoi^^eit unb föllt mit biefer 
gufammen: ol^ne ©elbftbeiüufetfein fein ®enfen, lein ©eift, feine ©eele. 
®ie %l^im finb ol^ne ©elbftbeiDufetfein , bal^er ol^ne ©eele, alfo nid^ts 
als betoegte ^bxptx ober Slutomaten; aber fie l&aben finnlid&e ®mt)fin= 
bungen unb triebe, mitl^in müjfen biefe für fört)erlid^e Setoegungen 
gelten, bie nad& rein med&anifd^en ©efe^en gefd&el^en unb gu crflören finb. 

3)ie S^^iere emt)finben, aber fie finb feelenloS: baS erfte ifl eine 
unleugbare SLl^atfad&e, baS gioeite in bem ©^fteme S)eScartcS' eine 
not^ioenbige g^olgerung. Ss ift gett)i§, bafe bic Siliere feigen unb 
l^ören, l^ungern unb bürften; eS ift eben fo getoi^/ baß fie feine flare 
unb beutlid^e ßrfenntni^, fein ©elbftbett)uf|tfein, alfo (nad& ben ®runb= 
fd^en S)eScarteS') roeber ©eift nod& ©eele ^aben. @S bleibt bemnadi) 
nur übrig, bie ©enfationen unb triebe über]^au^)t, alfo aud^ im 
aJlenfd^en, für med&anifd&e SSorgänge gu nel^men, bie mit ^)f^d^ifd^en 
SE^ötigfeiten nid^tS gemein l^aben. ©0 finbet SDeScarteS feine anbere 
2f)atfad)e, bie il^m baS Sufammenleben t)on ©eift unb Rbxptx erfenn= 
bar mad^t, als bie ßeibeufd^aften. 



S)ic Scibcnfc^aftcn ber ©celc. S5a8 natürli^c unb fittnd)c SDIenfd^enleben. 367 

5DiQn fann fragen, 06 bie ßeibenWaften nid&t auä) t^tertfd&et 
unb bie ©enjationcn unb Stiebe ntd^t aucfe pf^d^ifd^er 3?atut 
finb, man fann btc cartefianijiiien ©ä^e, toetd^e beibeS Gemeinen, 
befttciten unb felbft jmetfcin, ob ber ^^ilofo^))^ benfelben burd&s 
gängig treu blieb unb bleiben fonnte, aber man barf nid&t in 3lb= 
rebe [teilen, bafe er fie leierte unb jufolge feiner ^Principien 
leieren mußte. ®ie Unterfud^ung biefer ^unlte ift je^t nid&t unfere 
©ad^e. 9Bir l^abcn eS nod& mit ber ®arftettung unb 33egrünbung beS 
@^ftem§ ju tl^un unb folgen ben SBegen, bie ®e8carte§ ging; fobalb 
mir feine ßel^re beurt^eilen, werben toir auf jene fragen gurütffommen, 
unb bann genau auf fie eingel^en. 

n. S)ie aSerbinbung jtt)ifd)en ©eele unb ßörper 

1. ^er ÜJlet^attigtnud beS IßebenS. 

©0 weit bag menfd^Ud&e ßeben bem tl^ierift^en glcidöt, muß baS» 
felbe aus rein materiellen unb t)]^^fifalifd&en Urfad&en, inSbefonbere 
aus Söeroegung unb SBärme erflärt werben. 5Dian l&at fälfd^Iid) ge= 
meint, baß bie ©eele ben ^öxpzx bewege unb erwörme unb barum 
aud& ^)]^^fifd&c§ ßebenSt)rinci^) fei. Sfnbeffen betoeift jebe 3^(amme, baß 
es bie ©eele nid&t ift, bie bem «Söriper ^Bewegung unb SBärme mit= 
tl^eitt. Unb tdtnn ber menfd6Ud)e ßört)er nad& bem S^obe erftarrt unb 
erfaltet, fo ericibet er biefe SBerönberung nid^t, weil er befeelt gu fein 
aufgel^ört ober bie ©eete il^n üerlaffen l^at. 2)er lebenbige Äörper ift 
nid&t ber befeelte, fonft müßten bie Siliere befeelt fein, waS ben 
5Princi^)len ber ßel^re 2)eScarteS' wiberftreitet. S)aS ßeben beftel&t nidfet 
in ber SSerbinbung jWifd^en ©eele unb Äört)er, ber %ob nid^t in ber 
Trennung beiber; baS ßeben ift nic^t baS 5|Jrobuct, Weld^eS bie ©eele 
ergcugt, fonbern bie SSorauSfe^ung, unter weldf)er fie bie SSerbinbung 
mit einem ^bxiptx eingebt, bie Sebingung, ol^ne weld&e eine fold&e SSer« 
einigung nid^t ftattfinben fann. 2)ie ©ad&c t)er]^ält fid& bal^er gerabe 
umgefel^rt, als man fie gewöl^nlid^ t)orfteßt: nid&t Weil ber ßör^)er 
befeelt ift, barum ift er lebenbig, fonbern Weil er lebt, barum fann 
er befeelt werben ; nidf)t weil fid& bie ©eele t)om «S5rt)er trennt, erftarrt 
unb erfaltet ber le^tere, fonbern weil er tobt ift, barum öerlaßt i£)n 
bie ©eele. 

2)er Sob ift Sernid^tung beS ßebenS unb eine notl^wenbige 
SBirfung t)]^^fifd&er Urfadben; baS ßeben ift 3Jled&aniSmuS, ber S^ob ift 
bie Serftörung beSfelben: berfelbe erfolgt, wenn ein Sl^eil beS tebenbigen 



368 S^etbtnbung atotf^en @eele unb JRörper. 

fiörpctS bergeftalt ©d&aben leibet, ba§ bie ganje JUlafd&inc jiiflftel^t. 
S)em Srxtl^um, tüeld&er bie ©eele juin ßcbenst)rtncit) mad^t, l^dlt 2)e§s 
CQtteS folgenbe ©rllarung entgegen: „S)er 5Eob tritt nie ein, weil bie 
©eele mangelt, fonbern toeil eines ber ^aut)torgane bes ÄörperS 3et= 
ftött ift; barum tofet unS urt^eilen, ba§ ber cßörper eines lebenbigen 
aWenfd&en t)on bem eines tobten nid&t anberS unterfd)ieben ift, als eine 
U^r (ober ein Slutomat anberer Strt, b. f). eine t)on felbfl betoegte 
SJlafd&ine), bie baS förperli^e 5Princip ber SSetoegungen, bie fie t)er= 
rid&ten joß, nebji allen ju il^rer Sll^dtigfeit erforberlid^en SSebingungen 
in ftd) trögt unb, loenn [ie auf gebogen ift, gel^t, ftd& t)on bem 3er-- 
broct^enen U^rtoerf unterf d^eibet , in bem baS betoegenbe 5Princip auf= 
geprt ^at t^ötig 3U fein/'^ 

Sie ©ee(e fann nur mit einem lebenbigen «Körper t)erbunben 
fein. ®a fie geiftiger, alfo unter ben enblid&en SBefen, fo toeit uns 
biefelben erfennbar finb, auSfc^liefelidö meufd^Udber SRatur ift, fo fann 
biefe SSerbinbung nur mit bem m^n]ä^liä^tn Äörper ftattfinben. 

®er menjd&Iid&e ßörper ift , ttie ber tl^ierifd&e , 3Jlafd&ine. ©ein 
ßebensprincip ift ber geuerl^eerb in il^m, ber bie ßebenStoörmc bereitet 
unb fie bem gcfammten Organismus mittl^eilt: baS Steuer, beffen 
^Brennmaterial baS 331 ut unb beffen ^eerb baS ^erg ift. §art)e^S 
gro^e Sntbetfung ber §er3= unb 33lutbett)egung ber Siliere l^at biefe 
©runbbebingung beS ßebenSmed^aniSmuS crflört unb ift in ber ©e= 
fd&id&te ber S3iologie epod&emad^^nb gemefen. S)eScarteS lernte fie lennen, 
als er, mit ber SluSarbeitung feines ^oSmoS befd)öftigt unb in bie 
Unterfud&ung beS menfc^lidfeen ßörperS t)ertieft, auf eigenem SBege gu 
einer ö^nlidfeen Slnfd&auung gefommen mar. ®iefe ßel^re erfd&ien i^m 
fo toid&tig unb als ein fo großer unb augeufdöeinlid^er Slriump]^ ber 
mcd6a*nifd6cn 5ß]^^fif unb ber toiffenfd&aftlid&en ^Uletl^obc überl^aitpt, ba& 
er fie als ein Söeifpiel ber legieren in bem fünften Slbfd&nitte feines 
SiScourS barfteöte unb l^ier bie SSetoegung beS ^ergenS unb bie 
©irculation beS S3luteS burd& bie arteriellen unb öenöfen ®efä§e au8= 
einanberfe^te , inbem er auf §art)e^S glorreid&e (Sntbetfung l^intoieS.* 

ytai^ biefen ©runbbebingungen erörtert 2)eScarteS bie übrigen 
Zi^dU unb 3^unctionen ber 3}tafd&ine beS t]^ierifd&=menfcölid^en Körpers. 



1 Les passions de l'äme I. Art. IV — VI. 

8 Disc. de la m6th. Part. V. Oeuvr. I. pg. 174—184. (Ueb. ©. 43—50.) 
Les passions I. Art. VII. @. oben SBud^ I. ©op, V. ©. 206 flgb. 



S)tc ßetbcnWaftcn bct ©eclc. S)a8 natürli(|c unb fittn$e SWcnfiäJcnleBcn. 36& 

Sic SetoegungSorganc finb btc 9Jlu§feIn, btc @mt)finbun9§OT9anc bte 
JRcrlicn; baS ßcntralorgan bcs SluteS unb fetner Setoegung ift ba^ 
^erj, bas ber SRcrDen baa ©el^irn. 3tt)if(ä6en Beiben Ia§t ®e§carte§ 
ein aJlittelglieb toirfen, befjen gntftel^ung unb SQäixffamfeit er al3 bie 
werfiDürbigfte ßeBenSerfd^einung bejeid&net S)ie fetnften, betoeglid&ften 
unb feurigjien Sl^eile beS SlutS, bie im ^erjen burd& eine 2lrt 
©eftißation ergeugt loerben, fteigen nad& med^anifd^en ©efe^en burd^ 
bie 2lrterien in baS ©el^irn tmpox unb iDcrben öon l^ier aus ben 
Jlerben unb burd& biefe ben SWuSfeln jugefül^rt; fie finb eS, bie in 
jenen Drganen ©mpfinbung unb SBetoegung bemir!en, alfo ben eigent= 
lid^en ßebenSfunctionen borftel^en: barum nennt fie 2)eScarte8 ßebenS= 
geifter (esprits animaux). „®aS 2Jlerftt)ttrbigfte in biefen Singen 
ift bie ©ntftel^ung ber ßebenSgeijier, bie einem fel^r feinen SBinbe ober 
beffer gefagt, einer fefir reinen unb lebl^aften fjlamme gleid&en, bie un= 
aufl^örlid^ in großer fjüffe öom ^erjen ins ©el^irn eml)orfteigt unb 
t)on l^ier burd& bie Sterben in bie aJluSfeln eingeigt unb atten ©liebern 
bie 33ett)egung mittl^eilt. SQßarum aber bie Betoegteften unb feinften 
SBIuttl^eile, bie aU fold^e ben taugüAfien ©toff ber ßebenSgeifter au8= 
mad6en, el^er na^ bem ©el&irn als anberStool^in gelten, erfiärt fid^ fel^r 
einfadö barauS, bQ§ bie Strterien, toeld&e fie nad^ bem ©el^irn filieren, 
t)om ^erjen am gerabeften auffteigen; menn nun mel^rere Singe guglcidö 
UQdö berfelben JRid&tung jireben, toäl^renb, toie Bei ben SBIuttl^eilen, bie 
aus ber linfen ^erjfammer ins ©etjirn tooffen, für alle nid&t Siaum 
genug ift, fo folgt nad^ ben Siegeln ber ajledöanif, bie mit btri ©e» 
fe^en ber Statur ibentifd^ finb, ba§ bie fd^ioäd^eren unb meniger Be= 
toegten ben ftörleren toeid&en muffen unb biefe mitl^in attein il^ren 
S33eg mad&cn."^ 

©0 finb alle unfcrc untoifffürlid^en SSetoegungen, toie üBer]^aut)t 
alle Sl^ötigf eiten , bie loir mit bzn Silieren gemein l^aBen, Iebiglid& 
t)on ber Sinrid&tung unferer Organe unb ber SBetoegung ber ßeBenSgeifter 
abl^ängig, toeld&e, burd6 bie SQBörme beS ^ergenS erregt, il&ren natur= 
gemäßen ßauf in baS ©etjirn unb Don l^ier in bie Sterben unb 5DIuSfeIn 
nelftmen, in berfelBen SBeife, toic bie Setoegung einer Ul^r nur burd^ 
bie ßraft il^rer ^eber unb bie fjigur il^rer SRäber erjeugt toirb,^ 



1 Disc. de la m^th. Part. V. pg. 183— 184. (UcB.©. 49-50.) Les passions 
I. Art.X-XIII. 

2 Les passions de Täme I. Art XVI. 

gfif döer, ©cfd^. b. Wlof. I. 4. Slufl. SR. «. 24 



370 S3erbinbung stDtfi^en @eele unb Hörtet, 

2. S)a8 @eeIenorgan* 

S)eT mcnf döK<ä6^ ÄöH)cr tft eine jel^r compitcirtc JERaf d&inc, beten Sljetle, 
tt)ie §erj, ©el&irn, SJlaaen, Strterten, SBenen, ajlusfeln, 9lert)en u. f. f. 
in buidfegängiger SOBed^feltottfung finb, fid^ geflenjeittg erl^alten unb 
eine ©^mcinf d&aft auSmadöen, in ber jeber bem Qnbcrn bient unb icbcr 
mit bem anbetn leibet. 2)iefe Sülafd&ine bilbet ein ©angeS, iebeS il^rer 
Sl^eile ift ein SQBerfüeug beg ©anjen, bälget ftnb il^rc Sl^eile nid^t HoB 
oggregirt, fonbem axticulirt: bie ©emeinfdöaft ober ber ®omj)Iej ber 
Organe mQd&t ben Organismus, bie geglieberte aJlafd&ine, Organismus 
ift bemnad^ eine befonbere 2lrt beS 3Jled^aniSmuS ; er ifl eine fold^e 
SDIafd&ine, beren 3;^eile fid^ Don felbft Bilben unb jufammenfügen, 
bal^er !ein BlofeeS Slggregat, fonbem eine ©inl^eit ober ein ©anjcS 
auSmad^en. 

aJlit biefer Seftimmung, bem ßennjcid&cn beS Organismus, nimmt 
eS ©eScarteS fo ernftl^aft, ba^ er öon bem lebenbigen Körper 
gerabeju fa^t: „er ift einer unb in gemiffer SBeife untl^eilbar". 
Salier fann bie ©eele, toenn fie mit bem menjd&Iid&en ßöri)er t)er= 
bunben fein foß, nid^t bIo§ einem feiner Sl^eile intool^nen, fonbem 
mu§ in bem ganjen Organismus gegentoärtig fein. S)a jeber Sl^eil 
beS lebenbigen ßörl)erS mit i^hzm jufammenl&ängt, fo fann feiner eine 
ausfdjlie^enbe SBerbinbung mit ber ©eele eingel^^n; unb ba biefe t)er= 
möge il^reS SBefenS nid^ts mit ber SluSbel^nung unb 3;]^eilbarfeit gemein 
l^at, fo fann fie unmöglid^ mit einem Sl^eile beS Organismus in auS= 
fdöliefeenbe ©emeinfd^aft treten.* 

SBol^l aber fann fie mit einem ber Organe DorgugSioeife öer« 
fnüt)ft fein, ja eS mufe bei ber ©runböerfd^iebenl^eit beiber ©ubftanjen, 
bie eine unmittelbare 35erbinbung berfelben nid^t julä^t, ßin BefonbereS 
Organ geben, burd^ »eld&eS bie ©eelc mit bem gefammten Organismus 
öerfel^rt. ®a eS fid& nun jtoifd&en Beiben ©uBftanjen ]^aul)tfäd^Ud& 
barum l^anbelt, bafe Sctoegungen ber Organe in @ml)finbung unb 
aSorftellung , biefe in jene öerloanbelt toerben, fo ift leidet gu fe^en, 
ba^ eS bie SebenSgeifter, biefe fjactoren ber ©mpfinbung unb ©emegung, 
fein tt)erben, bie btn SBerfel^r jtoifd&en ©eele unb ßeib vermitteln. 3n 
ber aSewegung berfelBen gieBt eS jtoei Gentra: «&erj unb ©el^irn; in 
jenem mxhm fie erzeugt, in biefeS fteigen fie empor unb toirfen Don 
l^ier aus auf bie Organe. Salier tt)irb bie ©eele, toenn fie mit bem 

* Les passions T. Art. XXX. 



^ic ßctbcnf$aftcn bei 6cclc. S)a3 natütUiäJc unb ftttlii^c ÜJlcnfdJcntcBcn. 371 

Drgantgmug burd^ bic ßeBenSgctfter öcrfcl^rt, mit einem ber beiben 
^cntralorgane öorjugStocife t)exfniH)ft fein muffen. Sie nö^ere 
gntfd^eibung giebt fid^ öon felbft. S)a bie eigentl^ümlid^e Sffiirffamfeit 
ber ßebenggeijier öom ©el^ixn auSgel^t, fo fann nur HefeS ba§ be= 
öorjugte DrgQn fein unb nur in i^m, toie fid& ®e§CQrte§ auSbrüdt, 
,,ber @i§ ber ©eelc" gefud&t werben. 

S)er Ort beS eigentlid^en ©eelenorganS ifl in bem ©entralorgan 
ber Sterben felbft toiebcr central unb liegt in ber aJlitte beS ©el^irnS, 
tt)o bie ßebenSgeifter au8 ben beiben Streiten beffelben, ben borberen 
unb l&interen ^öl^lungen, mit einanber Derf eieren, fo baß e§ l^ier Qm 
leid&teften bon biefen Betoegt toerben unb felbft fie beioegen fann. ®§ 
ift bie Sitbelbrüfe ober ba§ ßonarion (glans pinealis), beren ®e= 
bilbe S)egcarteS für ba^ eigentlid^c ©eelenorgan eröärt. ®r finbet 
no^ einen befonberen ©runb gur Unterftü^ung biefer ^^potl^efe. ®ic 
©inneScinbrflde unfereS ©efid&ts unb ©el^örS finb, toie bie Organe, 
burdö bie fie emj)fangen »erben, bot)t)eIt, loal^renb ha^ finnlidöe Dbject 
felbft, tt)ie unfere SBorfteffung beffelben, einfad^ ift, toaS nid&t möglidö 
toare, tt)enn nidbt in bem ßentralorgan eine ^Bereinigung ber ^oppd- 
einbtüde ftaltfänbe. @S ]ijmt bdf)tx notl^toenbig, ba^ im ©el^irn 
ein Drgan ejiftirt, meld^eS bie gtocif aij^en ©inbrfltfe eml)fängt unb 
einjig in jeinerSlrt ift. S)iefe§ Organ fielet ®e§carte8 in ber 3irbcl= 
brüfe, barum gilt fie il^m als ber ]öaut)tfäd&Ud6e ©i§ (principal siöge) 
ber ©eele, aU berjjenige 2l6eil beS menfd&Iid^en ßörj)er8, mit loeld&em bie 
@ecle am nöd&ften (ötroitement) öerbunben ift. S)ie centrale ßage 
unb bie @inäig!eit jenes ©el&irntl^eilS waren bie ©rünbe, weld^e btn 
ip^iIofot)]^cn bermod^t tiaben, l^ier bie t)f^d&ifd^e SQßirIfamleit, fo toeit 
fie !ört)erlid&e ©inbrütfc empfangt unb bewirft, ju localifiren. ^ 

3lu§ bem 3ufamment)ünge jtoifd&en ©eele unb ßörper, wie ber= 
felbe jle^t einleudötet, erflört fid6 ber natürüd&e Urfprung ber ßeiben« 
fd&aften. 2)er empfangene ßinbrutf wirb fraft ber pf^d^ifd^en Sl^atig» 
feit in SSorfteHung unb SJlotib umgewanbelt. SQßenn ein foWjer ®inbrudt 
aU etwas unferem ßeben ©d&äbli^eS empfunben wirb, j. S. wenn wir 
ein wilbeS Silier auf uns loSftüräen feigen, fo entfielet mit ber 93or= 
fteffung beS CbiectS jugleid^ bie ber ©efal^r; unwißfürlid^ rütirt fid& 
ber SQßiße, um ben Körper gu fd^ü^en, fei eS burd& ßampf ober fjlud^t; 
unwißfürlid^ Wirb bemgemä§ baS ©eelenorgan bewegt unb bem ßaufe 



1 Les paseions I. Art. XXXI-XXXII. XXXIV. XLI. 

24' 



372 aSexbinbung atoif(|cn ©eclc unb Abriet. 

her ßebenSgcifter bexieniac 3mi)ul8 gegeben, »eld&et bie ©lieber enttoebcr 
aum ßamj)f ober jur fjlud&t biSl)onixt. S)er SQäiffe jum Äompf ift 
flül^nl^eit, ber jur fjlud^t ift 3fuxd&t. ßü^nl^eit unb gurd^t finb nid^t 
©tnneSeinbrütfe, fonbern SBillenSerregungen , jte finb nid^t blofee 35ox= 
fieffungen, fonbern ©emütl^Sbenjegungcn ober ßeibenfd&aften. 2)te 
aSeioegung, bie bei fold^en ßmotionen im ^erjen eml)funben toirb, 
Betoeift fo toenig, ba^ bie ßeibenfdÖQften im bergen i^ren ©i§ lieben, 
als bie fd&merjl^Qfle @ml)finbung im fjufee bereift, bQ§ ber ©d&merj 
im S^ufee fi^t, ober ber StnblidE ber ©terne am ^immelsgetoölbe bcn 
toal^ren Drt berjelben anjetgt.^ 

3. mUt unb Seibenfd^aften* 

®icfe (SrHörung ber ßeibenjd^aften auS ber geiftig«fori)erIid6cn 
SRatur bc8 3Jlenfd^en ift burdö bie Slnnal^me, bie fie mad&t, unb bie 
SRid&tung, bie fie grunbfö^Iidö ergreift, für bie ßel^rc ©cScarteS' 
d^arafteriftifdö. 9Jlit ^ülfe ber ßebenSgeifter unb beS ©eeIenorgan§, 
tt)el(|e§ le^tere bie 3itBeIbrflfe fein foß, fudftt ber 5p]6iIofot)]ö btn Ur= 
fprung ber ßeibenfd^aft rein med^anifd^ gu Begrünben. «^ier liegt 
ber ©dön)ert)unlt unb bie SReul^eit feines 2Jerfud&§, tt)eld6e ®e§carte8 im 
2tuge l^atte, als er gleidö im 2lnfange feiner ©d&rift au8fj)rad^, bafe 
er in ber ßel^re öon bcn ßeibenfd&aften ben l^erfömmlidben SQßcg ganjlid^ 
öerlaffen muffe unb über biefelBen nid^t als SRebner unb ^pi^ilofo))]^, 
fonbern lebiglid^ als ^pi^^fifer l^anbeln tooffe. 2Kan l^atte öorl^er bie 
menfd^Iid^en ßeibenfd^aften Blofe als t)f^d^ifd&e 35orgänge Betrad^tet 
unb nid^t eingefel^en, ba^ fie ^actoren entl^alten, bie nur auf Jfted&nung 
beS Körpers fommen. ®a fie nun ben ©eift Bemeiftern unb feine 
fjreil^eit üBertoältigcn , bal^er bem SQßefen beffelben »iberftreiten , fo 
tt)U§te fid& bie ))f^(^ologifd&e ©rflörung nid&t anberS ju l^elfen als burd& 
eine Sl^eilung ber ©eele in l^bl^ere unb niebere ßröfte, in ein oberes unb 
unteres Segel^rungSbermögen, in eine Vernünftige unb öernunftlofe 
©eele, meli^er (enteren man bie ßeibenfd^aften jufd^rieB. @o würbe 
bie ©eele in Dcrfd^iebene Streite gefl)alten, fie foHte glei(ftfam aus t)cr= 
fc^tebenen ^erfonen ober ©eelen Beftel^en, il^re ©inl^eit unb Unt]&eiIBar= 
feit tt)urbe t)reiSgegeBen unb bamit it)r SBefen boÖIommen verleugnet. 
S)ieS ift ber 5|Junft, ben SeScarteS angreift unb als bie Serirrung 
Beäcid^net, in welcher bie gefammte frühere ©eelenlel^re Befangen toar. 



» Les passions I. Art. XXXIIT. XXXV -XXXVI. XL. 



S)tc ßcibenfi^aftcn bcr ©ccle. S)aS naturale unb pttlitj^c aJlcnftä^cnleBcm 373 

®§ ift tid^tig, bo^ bie aSetnunft mit bcn ßcibenfdÖQften lam\>\\, 
ha^ fie in bicfem ßQnH)fc fiegcn ober unterliegen fann, ba§ l^ter in 
ber menfd^Iid^en Statur gtoei SDIäd&te in ©treit geratl^en, öon bencn 
bie größere ben ©ieg boDon trögt. Slber eg ift falfd^, biefc Sl]^at= 
fadfee fo ju erKören, baB jener ßamj)f in ber geiftigen SRatur be§ 
3Jlenfdben ftattfinbet unb biefe |tcb gleid^fam gegen [id& felbft erl^ebt. 
5[n SBal&rl^eit befielet ber ßonflict gtoifd^en gtoei itirer SRid^tung nod^ 
entgegengefe^ten SBewegungen, bie bem ©eelenorgan mitgetl^eilt mxhm : 
bie eine öon feiten beS .ßört)er3 burdö bie ßebenggeifter, bie anbere 
t)on feiten ber Seele burd6 ben SQäißen; jene ift untoißfürlic^ unb 
oüein burdö bie Iört)erli(i^en ©nbrütfe beftimmt, bicfe ift »ißfürlid^ 
unb burd^ bie Slbfidfct motiüirt, bie ber SQäiKe entfd^eibet. 3cne förpcr- 
lid&en ©inbrüdfe, »eldfce bie Belücgtcn ßebenSgeifter in bem ©eelenorgan 
unb burd^ biefeS in ber ©eele felbft erregen, toerben l^ier in finnlid&e 
SJorftellungen umgetoanbeÜ, bie enttt)eber ben 3BiHen rul^is Söffen, tt)ie 
€§ Bei ber gemö^nlid&en SQäal^rnel^mung ber Dbiecte ber fjatt ift, ober 
burdö il^re unmittelbare Sejietjung ju unferem SDafein benfelben 6e= 
unruljigen unb bewegen: bie SSorfteKungen ber erftcn S[rt finb leiben= 
fd^aftSloS, unb eS ifl fein ©runb, fie ju befämpfen; bie ber jtoeiten 
bagegen l&aben bie leibenfd&aftlid&e Srregung jur not^n)enbigen ^olge, 
ba fte auf ben SBitten einftürmen unb feine ©egenloirfung l&erüorrufen. 

S)ie Sintoirfung folgt an^ fört)erlid&en Urfad^en, fie gefd&iel&t mit 
naturnotl^loenbiger ßraft unb erfolgt nad& medbanifd&cn ©efe^en; in 
iljrer ©törfe beftel^t bie 2Jlad&t ber ßeibenfd&aften ; bie ©egentoirfung ift 
frei, fie l^anbelt mit geiftiger, an p^ leibenfd&aftglofer firaft, fie fann 
bal^er bie ßeibenfd&aften belämt)fen unb bel^errfd&en : in biefer ©törfe 
befielet bie SDiad^t über bie legieren. *S)ie ©eele fann, Don ben ©in« 
brüdten ber ßebenSgeiftcr beftürmt, fjurd^t leiben unb, burd& ben eigenen 
aBißcn aufgerid^tet, SWutl^ l^aben unb bie 5ur(^t, weld&e bie ßeiben= 
fd&aft äuerft einflößte, bemciftern; fie fann bem ©eelenorgan unb bdburd^ 
ben ßebenSgeiftern bie entgegengefe^te JRid^tung geben, fraft bereu bie 
©lieber jum Äaml)fe bemegt toerben, toal^^enb bie ^urc^t fie jur 5Iu(^t 
treibt. 3le§t ift flar, toeld^e 3Jläc&te in ben ßeibenfd&aften mit einanber 
fäml)fen. SQ3aS man für ben ©treit ätoifd&en ber nieberen unb l&öl^eren 
3latur ber ©eele, jtoifd&en Segierbe unb Vernunft, jioifd&en ber finn= 
lid^en unb benfenben ©eele i)&H, ift in SQßal^r^eit ber ßonflid jmift^en 
Äört)er unb ©eele, jttifd&en ßeibenfd&aft unb SBiße, jioifd&en 3latur- 
notl^menbigfeit unb SJernunftfrei^eit, jtoifc^en SRatur (2)iaterie) unb 



874 S3erBtnbung stoifd^en 6ee(e unb l^örper« 

©cift.^ ©clbft btc fd^mäd^ftcn ©cmütl^er fönnen burdö ben @inPu& 
auf boS ©eelcnorgan btc Sctüegung ber ßebenSgcifter unb baburti^ 
ben ®ani bcr ßcibcnfci6Qffen bergepalt bcmetftcrn unb Icnfeu, bafe fie 
eine Doßlommcnc «^crrfc^Qft über biefelbcn gu extoerben im ©tonbe 
finb. ' 

®er mcd^anifd&c Urft)rung ber ßeibeufd^oftcn l^tnbert ntd^t bte 
tnorQUfd6e Sfolge, öielmcl^r begrflnbet er biefclbe. 2)ie ©etfte8frei= 
l^eit miß errungen fein, tt)QS nur burdö bic Unterwerfung ber ©egcn^ 
mäd&te gefd&el^en fann; biefe ©egenmftd&te finb bie ßeibeufd^often, bie 
barum jur Befreiung beS menfd&UiJöen ©eifteS notl^roenbige SSebingungen 
finb: barin beftel&t bie SSebeutung unb ber fS&aif), toeld^en fie l^aben. 
©ie toären nid^t bie ©egenmöd&te be§ SBiffenS, toenn fie nid&t in ber 
bem ©eift entgegengefe^ten SRatur il^ren Urfl)rung l^atten: bal^er bie 
3?otl^tt)enbigfeit il^rer med&anifd&en ©ntftel^ung; fie tt)ören nid&t ®egen= 
mad^te, wenn fie nid&t möd&tig toören, b. 1^. auf ben SBiÖen eintoirlen 
fönnten, was nur möglid^ ifi, wenn ©eift unb üörper bereinigt finb, 
wie in ber menfd^Iid^en SRatur: bal^er biefe als ber notl^wenbige unb 
alleinige ©rflärungggrunb ber ßeibenfd^aften gilt. 3e§t ift bie ®runb= 
läge öoKIommen Har, auf weld&er innerl^att be§ cartepanifd^en ©^ftemS 
bie ßel^re Don ben ßeibcnfd^aften beruht. 2)ie n&d&fte ^rage ift, worin 
fie beftel^en? 

ni. ®ic 2lrten ber ßeibenfd^aft. 
!♦ S)ic ©runbformcn. 

SBir l^aben unter ben finnlid^en SBorfiellungen fifton bie Ieiben= 
f(^aft§Iofen Don ben leibenfdbaftlic^ erregten unterfd&ieben. 9?id^t in 
bem Dbject al§ foldfeem liegt ber ©runb einer l)affionirten 6ml)finbung, 
fonbetn in bem 3ntereffe, weld&eS unfer SQßiQe am Safein beffelben 
nimmt, ober in ber 2lrt unb SBeife, wie fid& baS Dbject ju unferem 
S)afein berl^dlt unb wir biefeS SBerl^ältni^ cml)finben. 3)ie Slrt beS 
le^tercn ift unenblidö variabel, bcnn fie ift abl^ängig öon ber S5er- 
fd&iebenl^eit ber Sfnbiöibuen unb unferer jeweiligen ©eelenäuftönbe : voa^ 
beiu einen furchtbar erfd^eint, finbet ein anberer öeröd^tlid^, ein britter 
gleid^gültig ; bei bem SBed^fel unferer ßebenSjuftänbe unb ©timmungcn 
madfet baffelbe Dbjed auf biefelbe ^ßerfon je^t einen freubigen, je^t 
ben entgegengefc^ten, je^t gar leinen ©inbruä, ©al^er gel^t bie 
SJknnid&faltigfeit ber ßeibeufd^aften in§ ßnblofe. ®od& laffen ftd^ auS 

1 I.es passions I. Art. XLVII. — ^ Les passions I. Art. L. 



S)ic ScibcnWttften ber ©eele. S)ag natürlid^c unb flttU$c ajlcnf^enleben. 375 

bem SQäefen ber letbcnfd&QftUd&cn ßrregung überl^aupt gctüiffc einfaiie 
unb notl^toenbige fjormen l^erieiten, btc fid& ju allen übrigen tüte bic 
©runbformen ju ben 50lobiflcattonen ober bie (im Seiger ber 
ßombinationsred^nung gegebenen) Elemente ju ben SBoriationen t)er= 
galten. 

S)ie ©runbformen nennt S)e0carte3 bic urfl)rünglid6en ober ,;t)rimts 
tiöcn", bie barauS abgeleiteten ober combinirten bie befonberen ober 
,;t)articularen 5ßaffionen". Unter biefem ©efid^tspunft laffen fidö 
unfere ßeibenfd6aften unterfd&eiben unb orbnen. S33a§ mir leibcnfd^afts 
1x6) eml)finben, finb nid6t bie S)inge, fonbern bic SBcrtl^c berfelben, 
b. i. ber 3?u^en ober ©d^aben, ben mir Don ben Singen l&aben ober 
ju l^abcn uns einbilben. @3 fd&eint, ba% ber britte gatt, morin ein 
Dbject meber als nü^Iidö nod& als fd^dbütfr emt)funben mirb, icben 
Sffiertl^ unb barum jcbc leibenfd&aftlid&e ßrregung ausfd&liefet. ®em ift 
ni(|t fo. ®S giebt Dbjcctc, bie blofe burdö bie 5DIad&t unb SReul^eit 
bcS ©inbrutfs unfer ©cmflt]^ mit unmiberftel^Iid^er ©emalt ergreifen, 
ol^ne im minbeften unfere Segierbe ju loden. 3Jlit SSorfteffungen biefer 
2lrt ift megen il^rer unmittfürlid)en unb möd&tigcn SQäirfung aud^ eine 
leibenfd^aftlid&e ©rregung öerbunben, meldte SeScarteS mit bem SBorte 
„Semunbcrung" bejeid^net. SBir crlennen fogleid^, bafe biefe ®mt)finbung 
affectDoII ift unb meber ben gemöl^nlid&cn ß^arafter ber Söegierbe nod& 
meniger ben ber ©leidögültigleit l^at. 

SBaS mir als nü^Iid^ ober unferem 2)afein förberlid^ Dorfteffen, 
erfd^eint als etmaS Segel^renSmertl^eS ober als ein ©ut, bas ©egen= 
tl^eil baDon als ein Uebel, beffen aSernid^tung begel^rt mirb. 3)aS 
®ut motten mir l^aben, baS Ucbel losmerben: in bem erften QaU 
mirb bie 2lneignung beS DbiectS, im jmeiten unfere Befreiung Don 
bemfelben begel^rt, mal^renb mir baS bemunbertc Dbject bIo§ betrad^ten, 
alfo meber befi^en noA loS fein motten. ®emnod& laffen fid& junäd&ft 
jmei ©runbformen ber Seibenfd&aft unterfd^eiben : bie fflemunberung 
unb bie Söegierbc. ®iefe le^tere öerl^ält fid& ju i^rem Dbject ent= 
meber |)ofitit) ober negatit), fie mitt baS ©ut l&aben unb erl^alten, bas 
Uebel loS merben unb Dernid&ten: fie ift in ber erften JRid&tung ßiebe 
unb in ber entgegengefe^ten ^afe. 3l\in finb bie begctjrten Dbjecte 
entmeber fünftige ober gegenmörtige. SDaS beborftel^enbe ©ut lotft, 
baS beöorftel^enbe Uebel brol&t: in beiben Rotten ift bie Segierbe ge= 
ft)annt unb befielet in ber ©rmartung ober bem „SSerlangen" (dösir) 
nad^ ber ©rreid^ung eines ©uts unb ber SSermeibung eines UebelS. 



376 SSerbinbung sU)if$en @ee(e unb Stbtptx^ 

Sa nun in bcibcn fjäöen aud6 baS ©cgcntl&eil eintreffen (ba§ ju 
erreid&enbe ®ut öerfel&lt, bas ju Dermeibenbe Uebel erlitten toerben) fann 
fo tft boS SBerfongen öon Hoffnung unb gurd&t betoegt, b. 1&. ^)ofxtit) 
unb negatit) a^fll^i^. SQäenn bie Begel^rten D6j[ecte gegenwärtig jtnb, 
fo befinben toir unS cnttteber im Sefi^e beS getüünfd^ten ®ut§ ober 
finb t)on einem Uebel betroffen : im erften gfott erfüllt uns bie @mpfin» 
bung ber fjreube, im jtoeiten bie ber Srauer. Semnad^ giebt eS 
folgenbe l)rimitibe ßeibenfd&aften, bie allen übrigen gu ©runbe liegen: 
Semunberung, ßiebe unb ^afe, Verlangen, fjreube unb Trauer. 
®ie SSelounberung iji bie einjige ßeibenfdöaft, bie tocbcr l)ofitit) noc^ 
ncgatit) ift, baS Verlangen bie einjige S3egierbe, bie beibeS gugleidö ift, 
aÖe übrigen 5Paffionen finb SBegierben enttoeber ber einen ober ber 
anberen 5S[rt.^ 

2. S)ic abgeleiteten ober combinirten gfotmen. 

SBir toollen ie^t äunäd&ft bie Segterben betrad^ten unb jule^t auf 
bie 93ett)unberung gurücffommcn; mir tt)oöen öon biefen l)articularen 
ßeibenfd&aften bie ]&au))tfä(i&lid&ften formen l^eröorl^eben unb geigen, tt)ie 
fie aus einigen ber gegebenen Elemente enttoeber combinirt ober ©))ecie§ 
bcrfelben finb. 

®ie ©runbtoertl^e ber Dbiecte, bie mir als SRu^en unb ©d^aben 
bejcid^net l^aben, finb in Slnfel^ung il^rer ©rabe unenblid^ Derfd^iebem 
@S giebt einen aJla^ftab, um bie ©törfe ober ©rö§e unferer SBegierben 
ju befiimmen unb gemiffe ^auptabftufungen gu unterfd^eiben. SQßir 
lieben ober l^offen, tt)aS uns nü^lid^ ober fd&äblid& erfd^eint: bal^er ift 
unfere ©elbft liebe baS 2Jla§, toomit unfere Segierbe naä) ben Singen 
gu Dergleid&en unb bie ©röfec berfelben gu fd&ä^en ifl. SQBir !onnen 
anbcre SBefen enttoeber toeniger ober ^bzn fo fel^r ober mel&r lieben 
als uns felbft; unfere ßiebe gu bem Cbiect lann, mit unferer ©elbft* 
liebe öerglid^en, geringer ober gleid& ftarf ober ftörler als biefe fein: 
im elften ^aß ift fie Steigung (affection), im gtoeiten Sreunbfd^aft 
(amitiö), im britten Eingebung (dövotion), SBaS toir im l&ö^ften 
©rabe, b. I). mit @elbftaufot)ferung lieben, finb bie Wlää)U, t)on bencn 
unfer ®afein abl^angt unb burc^ bie eS bebingt ift, toie ©ott, SSater^ 
lanb, aJlenfd^l^eit u. f. xo. Unter ben Dbjecten, bie in unferer ©eele 
ßiebe unb ^a§ erregen, ftnb befonberS baS ©d&öne unb ^dfelid&e als 
©egenftönbe beS finnlid^en ßrgö^enS unb SQßibertoiffenS l^eröorgul^eben: 

1 Les passions II. Art. LXIX. 



S)ic ßcibenWaftcn bcr @ecic. 3)a8 ttatütltiä&e unb flttltdjc ÜJlcnf^cnlcbcn. 377 

btc ßicbc jutn ©d&önen tft SQäol^Igef allen (agröment), bie entgegen 
gefegte @nH)finbung 21 bfdöcu (horreur), beibe ßcibcnfd^aften [inb, tpeil 
fic bic ©inne erregen, bie ftör![ten Strien ber ßie6e unb beS C^affeS, 
ober Qudö bie am meiften trügerifd^en.^ 

Sag Verlangen tt)ar bie auf baS betjorftel^enbe ®ut ober Uebel 
gefj)annte Segierbe: bie leibenfd&aftUd&e , nod& ungettjiffe ©rtoartung. 
3la^ bem ©rabe ilftrer Ungeiüifel^eit ift biefe ßrtoartung entwcber 
Hoffnung (espörance) ober gurd^t (crainte); ber l^öd^fte ©rab ber 
Hoffnung ift SuDerjid^t (s^curite), ber l^öd&fte ©rab ber gurd^t 
SBergloetflung (d^sespoir). Sie ©iferfud^t nennt SeScarteS beiläufig 
eine ©t)ecie§ ber tfurd&t. S33enn ber gel^offte ober gefürd)tete ®rfolg 
nid^t Don öufeeren Umftänben, fonbern bIo§ öon unS felbft unb unferer 
eigenen Sll^äti gleit abl^öngt, toenn totr nur burd6 eigene ,Kraft ha^ 
©ut ertoerben, baS Uebcl öermeiben lönncn unb jur ®rreid^ung biefe§ 
3iel§ bie 3JlitteI »öl^Ien, gettjiffc §anblungen auSfül^ren unb babei 
mit ©d&mierig!eiten fömt)fen muffen, fo mobificiren fid& bemgemöfe 
Hoffnung unb fjurd^t. Sie Surd^t, fid6 in ber SQBal^l ber aJlittel ju 
V)ergreifen, fommt bor ber aJlenge i^rer 93ebenfen unb @rn)ägungen gu 
feinem ©ntfdfelufe unb toirb gur Unentfdöloffenl^eit (irresolution) ; 
bie t^atfräftige Hoffnung, bie ©d&toierigfeiten ber SluSfül^rung be- 
Ump]en unb befiegen ju fönnen, ift SJlutl^ (courage) unb fiül^nlieit 
(hardiesse), bie entgegen gefegte ®mpfinbung, meldte bic ©d^toierigfeiten 
beS §anbeln§ fflrd&tet unb fii Dor i^nen entfe^t, ift geigt) ei t (lachet^) 
unb ©d6 redten (epouvante).^ 

Sie SSorfieffung öortjanbener ©üter ober Uebel erregt uns greube 
(joie) ober Srauer (tristesse). SBenn jene ©flter ober Uebel nid&t 
uns felbft, fonbern anbere betreffen, fo ift eS frembeS ©lüdE ober Un= 
glüdf, ba§ unS erfreut ober betrübt. Semgemä§ mobificiren ft(i Qfrcube 
unb SCrauer, ßiebe unb ^afe. Sie SJlitfreube an frembem ©lud ift 
Sffiol^lloollen, baS SKitgefä^l an frembem UnglüdE ift 3Jlitleib 
(pitie); menn unS ha^ ©lütf beS 2lnbern betrübt, fo empfinben toir 
Jleib (envie), loenn fein Unglütf unS erfreut, ©d& ab en freu be. Se§= 
carteS l^at biefe @mj)finbungen öon einer moralifd&en Sebingung ab* 
^öngig gemad^t, bie bei bcr natürlidften ©rllörung ber ßeibeufd^aften 
nicfjt mitft)redf)en follte: er löfet baS frembe ©lüdE unb UnglüdE öerbient 



1 Les passions IL Art. LXXIX— LXXXV. - « Les passions II. Art. 
LVII-LIX. 



378 SSetlbinbung atvifd^en @eele mib ^Ot^er. 

ober uttDcrbient, bie betroffenen 5ßerfonen tt)ürbig ober unmürbig be§= 
felben fein, fo ba§ il^nen t)on SRed^tSioegen ju!ommt, maS fte ©uteS 
ober ©dölimmeS erfaliren. SQ3ir l^aben bann weniger bie glüdtUd^en 
unb unglüdlid&en, qIS bie öerfd&ulbeten 3ujiänbe onberer Dor 2lugen 
unb freuen nnä beS geredeten ßaufeS ber ®inge. SJlur ba^ Derbiente 
©lud be§ 2lnberen erregt unfer. SBol^Iwotten , mie bQ§ unoerbicnte 
unferen SJleib, nur ba§ Derbiente Unglüdt erregt unfere ©d^abcnfreube, 
tt)ie baS unöerbiente unfer aJlitleib. Sfe^t erfc^einen biefe ©emüt]§§= 
beioegungen als geredet, als fo öiele 2lrten unfereS natürlid^en 9led&t§= 
gefül^IS, beffen Sefriebigungen freubig unb beffen SBerle^ungen fd^merg= 
lic^ empfunben merben. 

SUeib unb aJlitleib gehören jum ©efd^Ied&t ber traurigen , fBo^h 
iDoßen unb ©d&abenfreube ju bem ber freubigen Erregung, nur ba^ 
bie ®mj)finbunggtt)eife ber Unteren barin berfd^ieben fein foll, ba§ bie 
Sreube über üerbienteS ©lüdE ernft geftimmt ift, toäl^renb in bie ^reubc 
über l^erbienteS Unglüd fid& ^ol&n unb ©t)ott (moquerie) ntifd&en.^ 
ajlan erfennt foglei^, ba^ in ber ©rflörung bicfer ßeibcnfc^aften 
SeScarteS bie natürlid&en unb moralifc^en SBemeggrünbe nidöt genug 
auSeinanber gel^alten l^at. S)a§ Slcd^tSgefül^l fann unfer SQBo]&ltt)olIen 
unb 3Jlitleib Derftarf en , aber e8 l&at ni(^t§ mit ©d^abenfrcube unb 
$Reib ju fd&affen. ^ier l&at ber ^pi^ilofopl) bie natürlid^e ®rlldrung, 
bie ju geben loar, öerfel&It unb nid&t, loie er woÖte, „aU ^ßl^^fifer" 
Don ben ßeibenfd^aften gerebet. 

®ie guten unb fd^Iimmen SBerfe ber 5Dienfd&en finb befonbere 
Slrten nü^Ud^er unb fd&äblid&er Dbjecte, fie finb barum befonbere ®egen= 
ftönbe unferer ^reube unb Slrauer, bie fid^ Derfc^ieben geftalten, je 
nadöbem loir felbft ober anbere bie Url^eber jener Sffierle finb unb bie 
fremben §anblungen un§ betreffen ober nid^t. SDie 5^eube über ba^ 
eigene gute SBerl ift ©elbft guf rieben)^ eit (satisfaction de soi-m§ine) 
unb baS ©egentl&eil Sieue (repentir). ®a§ 2lnfe^en, loeld&eS xoxx burd& unfere 
S?erbienfte in ber 3)kinung anberer geminnen, ift ber Siul^m (gloire), 
beffen ©egenll^eil in ber ©d&anbe (honte) beftel&t. ^rembe Serbienfte 
loeden in unS eine bem 2lnberen günftige ©efinnung (faveur) unb, 
loenn unfer eigenes SQBol&l baburd^ geförbert n)orben, unfere S)anfbar= 
leit (reconnaissance) ; loogegen ber Uebeltl^äter unferen Unwillen 
(indignatioD) unb, mm er unS felbft Schaben jugefügt, unferen 3orn 



> Les passions II. Art. LXI— LXII. 



S)ic Scibenftä^aftcn bct ©cctc. S)a8 natüxUtJjc unb flttliiäjc ajlcnfd^enleben. 379 

(col^re) cnegt. S)ic ©üter unb Ucbel, bic uns ä^^ ^^l^^il toerben, finb 
t)on längerer ober fürjerer Sauer, bie lange ©etool^nl^eit ftunH)ft bie 
®m))finbung ab unb bertoanbelt bie fatte fjreube julc^t in Ueberbru§ 
(dögoüt), mäl^renb fie bie Slrauer über unfere SSerlufte unb ßeiben 
aßmätjUdö öerminbert SDie guten unb fc^Ummen 3ßWen, bie xoxx 
erleben, gelten vorüber; toir feigen bie erften mit Sebauern (regret) 
f(itt)inben unb enH)finben mit fjröl^ltd&leit (allägresse) baS 6nbe 
ber anberen.^ 

Unter ben t)rimitit)en ßeibenfd&aften l^at S)e§carte§ bie 33 e= 
tounberung (admiration) al§ bie erfte unb über bm ©egenfa^ ber 
anberen erl^abene bejeid^nct. SBir muffen je^t auf ben S^araKer, bie 
befonberen 2lrten unb (Sigentl^ümlic^feiten biefer ßeibenfd^aft ettt)a§ 
nöl^er eingel^en. ©ie toirb ftet§ burc^ ein neues unb ungenjötjuIid^eS, 
felteneS unb au^rorbentlid&eS Dbject l^eröorgerufen, beffen ®inbru(I 
unfer ©emütt) ergreift unb als Ueberrafd^ung emj)funben toixb. 
3]§re ßraft tt)äd&ft nid6t erft in aömä^Ud&er Steigerung, fonbern ift, 
tt)eil fie aße gettjol^nten ßinbrüdte unterbri(f)t, fogleidö in il^rer ganjen 
©tärfe toirffam: batjer ift bie 93emunberung unter aßen ßeibenfd&aften 
bie ftärffte, fie l^at, tt)ie jebe Ueberrafc^ung bm ßl&aralter einer t)Io^lid&en 
3Bir!ung. Sfn aßen ©emütl^Sbetoegungen toerben xoxx untoiflfürlid^ 
Don einem Dbjcct ergriffen, aber nirgenbs ift ber 3uftanb eines foli^en 
©rgriffenfeinS fo rein unb Doßfommen auSgct)rägt als in ber S8c= 
tt)unberung, bereu SQBefen berfelbe auSmad&t, barum ift fie in gea)iffer 
Sffieife mit aßen ßeibenfc^aften öerbunbcn ober etroaS öon ilirer 6m« 
l)finbungStt)eife ift in aßen gegenroörtig. Sf^re ©tärle lann fo geioaltig 
fein, ba& fie jjeben SQBiberftanb ausfeiltest unb baS ©emütl^ nid&t blofe 
betoegt, fonbern bergeftalt bannt unb feffelt, bafe aße ßebenSgeifter im 
©el^irn nad& bem Drte beS ©inbruds prömen unb fid^ l^ier concentriren, 
ber übrige fißrt)er toirb betoegungSloS unb toir erftarren gleid&fam im 
Slnblid beS ObjectS: bann gel^t bie 33emunberung in Staunen 
(etonnement) über unb entartet burd& ben ßjceS.^ 

©0 lange toir nur Don ber Sölad&t beS neuen unb ungenjöl^nlid^en 
©inbrutfs beioegt finb, emj)finben mir nod^ ni^ts Don ber SRüfelid^feit 
ober ©d&äblid&!eit bcS DbjcctS, bie baS ©runbt^ema aßer übrigen 
ßeibenfd&afteu auSmad^en: bal^er ift bie SSemunberung frütier als biefe. 



» Les passions II. Art. LXIII— LXVII. 

« Les passions Tl. Art. LXX. LXXII-LXXIII. 



380 SSetbinbung stDtfd^en 6eeU unb Körper. 

fic ift bic crfte bcr ßetbenfd&aften unb an bcr gegenfft^Uiftcn 3latnx 
bcr anbeten nid&t betl^ciligt. 3f]^r tpirflid^es ©egentl^eil toürbe in 
einem ©emütl^SjuftQnbe fcefiel&cn, ber [id^ t)on gor nid&ts ergreifen löfet 
unb in feiner Unempfönglid&feit für bie SHad^t ber ©inbrüde ööllig 
leibenfd&aftSloS ift: eS giebt bol^er feine ber S3ett)unberung entgegen* 
gefegte ßeibenfd&aft , b. 1^. fie l^at !ein ©egentl^eil. SBol^l aber giebt 
c3 Unterfd^iebe ober Slrten ber Setounberung, bie fid^ naä) bem Dbicct 
rid&ten, beffen ©eltenl^eit uns üBerrafd^t, je nad&bem fein au§erorbent= 
lidfeer ß^araftcr in ber ®rö§e ober ßleinl^eit beftel^t, je nadEibem toir 
ober anbre freie SBefen biefeS Dbiect finb. 2)e8corteS nennt bie beiben 
©runbformen ber Setounberung ^od^ad^tung (estime) unb SBer* 
ad^tung (m^pris): bemgemöfe ift bie ©elbftfd&d^ung enttoeber ©rofe* 
^erjigleit (magnanimit^) unb ©tolj (orgueil) ober ßleinntütl^ig* 
feit (humilitö) unb niebrige ©efinnung (bassesse), toäl^renb ber 
fiberrafd&enbe ©inbrudE frember ©röfee ober ßleinl^eit unfere SSerel^rung 
(vänöration) ober ©eringfd^ä^ung (dedain) erregt.^ 

Unter biefen 2lrten ber SSetounberung finb bie unfercr eigenen 
SQßett]&fd6ö^ung bie bcmerfenStoertl^eflen. 3lid&t8 pxäq^t fid& in ber 
Haltung be3 ^Ulenfd&en, im 2Iu§brudE ber SJliene, in ©eberbe unb ©ang 
fi(i)tbarer au§ als ein au^erorbentüd^ gefteigerteS ober gcbrüdteS ©elbji= 
gefül^I. @8 giebt in unferer ©elbftfd&ö^ung eine rid^tige unb falfd&e 
ßrl^ebung be§ eigenen SQBertl^S, toie e§ eine ridötige unb falfd^e SSer- 
fleinerung beffelben giebt. ®ie njal^re ©elbftod^tung nennt ®e§carte8 
©rofel^crjigfeit (raagnanimit^), nid^t §od&mut§, fonbern ©rofemutl^ 
(g^nörositö) , bie falfcfje bagegen ©tolj; bie äd^te Semutl^ nennt er 
humilitö (humilit^ vertueuse), bie unöd^te bagegen «bassesse». 

SRun ift baS Kriterium gu bcftimmen , toeld&eS in ber JIRad^t unb 
9lid6tung unferer ©elbftgefül^Ie ba^ toal&re Dom falfdften unterfd&eibet. Ueber= 
f)anpt fönnen nur freie SOäefen ©egenftönbe ber ^od^ad^tung unb SSer* 
adötung fein; nur ein Dbiect ift in SBal^rl^eit adfetungStoertfi, mie fein 
©egentl^eil t)erad6tlid&: unfere SBillenSfreil^eit, fraft bereu in unferer 3iatur 
bie SSernunft fierrfd^t unb bie ßeibeufd^aften bienen. 3n biefer freien 
unb Vernünftigen ©elbftbcfierrfdöung beftcl^t aller fittlidöe Sülenfd&entt?ert]§, 
ba^ einjige ©ut, loeld^eS feine ©unft beS ©d&idtfals gemöl^ren, fonbern 
nur 2lrbeit unb SBiöenSjud&t, bie jeber an fid6 felbft übt, öerbienen 
fann. SBer bie ajlcifterfd&aft über fid& felbft errungen l^at, Befi^t jene 



* Les passions II. Art. LIII— LV. 



S)tc ßeibcnfdjoften ber @cclc. a)a8 natürlid^c unb flttliiäjc ajlcnfi^cntcbcn. 381 

©eelengröfec, tt)orau§ boS toalirl^Qft l^ol&c unb attein Bercd&tigtc @clbft= 
gcfül^l, bie gro^mütl^tge ©cjtnnung l^cröorgel^t, toelc^c ©eScorteS als 
gen^rositö bejeic^net. 

9li(f)t§ ift »crtl^öollcr als btefcS ©ut, aber aud& IctneS ift 
fd^tDicttgcr ju crteid^cn, beiin man mufe bagcgen bie getoöl^nUd^en 
©üter beS ßebenS für nid&ts ad&ten unb fic^ über bie ©d&mddben 
ber menfd^Iic^en SRatur ^oi) erl^eben. SBcnn man mit ben eigenen 
©d6tt)öc^en ernft^aft Iämt)ft unb feine ^reil^eit il^nen abjuringen fud^t, 
erft bann er!ennt man, toie jal^lreid^ biefelben finb unb toie gebred&Iicö 
bie menfd&Iid^e Statur; bal^er toirb bie ßleinl^eit unb 33ege^rlid^feit ber 
legieren in bemfelben 9Jla§e emj)funben, als bie ©celengröfee erftrebt 
unb errungen toirb: bie toal^re ©elbftad&tung getjt beSl^alb mit ber 
»al^ren ©emutl^ §anb in ^anb. Sfebe ©elbpadötung, bie nid^t aus. 
bem ©efül^Ie ber eigenen SQ3iKenSgrö§e unb grei^eit l^errül^rt, ift falfd^ 
unb öerfel^rt, n)ie j|ebe SDemutl^, bie fid& auf anbere ®mj)finbungen grünbet^ 
als bie ber eigenen SffiiffenSol^nmadöt. S)ie t)crfe]^rte ©elbftad&tung 
ift ^od^mutl^ ober ©tola, bie öerfcl^rte Semutl^ ift SBegtoerfung unb^ 
niebrige ©efinnung. SBic mit bem gro^mütl^igen ©elbftgefül^I bie 
öc^te ®emut^ fid& nid&t blo^ Verträgt, fonbern notl^toenbig gufammen- 
l^öngt, fo mit bem ©tolj bie ßried^erei. wS)er ©tolj ift fo unDer- 
nflnftig unb ungereimt, ba^ ii} faum glauben ttjürbe, iDie fidö 2Jlenfd&en 
baju terfteigen fönnen, menn nid&t fo öiel uuDerbienteS 2ob geft)enbet 
toürbe, aber bie ©d&meid&elei ift eine fo lanblöufige ©ad^e, bafe jebcr^ 
nod^ fo fefjlerl^afte ^Uleufdö fid& ol&ne jebeS SBerbienft unb felbft für feine 
@(^Ied6tig!eilen gej)riefen finbet: bal^er fommt eS, bafe bie Unwiffenbften 
unb ©ümmften ftolj loerbcn." „5DIenfd&en ber niebrigften ©efinnung 
fmb ^auflg bie 2lnma§enbften unb Uebermütl^igften, toie grofee ©eelen 
bie Sefd^eibenften unb ffiemütl&igften. ®iefe bleiben im ©lüdE unb Unglüd 
gleidbmütljig, loäl^renb bie Keinen unb niebrigen ©eelen Don ben Saunen 
beS 3uföö^ abl^öngen unb t)om ©lütf ebenfo aufgeblafen, als Dom 
aJiifegefd&id niebergeioorfen »erben. 3fa man erlebt fogar oft, bafe, 
biefe ßeute t)or anberen, bie il&nen nü^en ober fd^aben lönnen, fid& in 
fd&imj)flid6er SQßeife erniebrigen unb fid& gugleid^ untjerfd&ömt gegen 
fold^c betragen, Don benen fie nid&ts ju l^offen ober ju fürd^ten l&aben." 
Sld^tung Derbienen fann jebeS toillcnSfröftige ober freie SBefen : barum 
ift fein 3Jlenfd6 als fold&er Derac^tlid^, am toenigften beSl^olb, mxi il&m 
gen)iffe äußere SBorjüge unb ©lütfSgüter, mte Salente, ©d^önl^eit, gl^re, 
JReic^t^um u. f. f. feilten. SQäenn ber anbere unfcre C^od^ad&tung Der» 



382 S3exMnbung 5totf(^en 6eele unb S^bxptr, 

btent, fo empfittbcn totr 9left)cct ober SScxel^rung, bic ftdö aus ©d^cu 
unb SBetDunberung mifd&t, toöl^tcub mx in ber begrünbeten SBerQd&tung 
ben anberen fo tief unter uns feigen, bafe uns feine ©d&Ied^ttgfcit 
gtoar SJertounberung, aber nid^t bie minbefte Qfurd^t erregt.^ 

IV. ®ie fittlid^e ßebenSrid^tung. 

1. S)et SEBertl^ unb UntDettl^ ber Seibenfi^aften 

^ter ift ber 5Punft too bie ©eelenlel^re in bie ©ittenlel^re über= 
gel^t unb baS Sl^ema ber le^teren öoKfommen einleud^tet. fjrei fein 
ift alles. ®ie SBiffenSfrei^eit, baS l^öd^fte Vermögen in uns, fcejeid^net 
bie JRid&tung unb baS 3iel. S)ie ®r]&eBung unferer geiftigen 9Jatur 
über bic finnlid&e, bie ©eifteSfreil^eit, njeld^e bie Segierben unb ßeiben^ 
fd&aften unter fid^ l^at, ift ber ©nbjroetf beS menfd&Ud&en ßebenS, ba8 
I)ö(ftfte ©ut, beffen Sefi^ aßein unfere ®lüd£felig!eit , ben einjigen 
fittlitften SBert^, ben einjigen ©runb unferer ©elbftadötung auSmad^t. 
SDeScarteS l^at feine ©ittenlel^re nid^t in einem befonberen SOSerfc auS= 
gefül^rt, fonbern nur bie ^auptpunfte berfelben tl^eilS in feiner ©d&rift 
über bie ßeibenfd^aften, tl^eils in ben ©riefen bel^anbelt, meldte er über 
baS glütffeUge ßeben (©eneca beurttjeilenb unb berid&tigenb) an bie 
5Prinjeffin ©lifabetl^ unb über bie ßiebe unb baS l^öd^fte ©ut an bic 
tßönigin ßl^riftine Don ©(fttt)cben gerid^tct l^at. SBir fennen ben birecten 
3ufQmmen]§ang jtoifd&en icncn Sriefen unb ber ®ntfte]§ung toic S5ott= 
enbung ber ©d&rift über bie ßeibenfd&aften ber ©ecle.^ 

SBenn baS l&odöftc ©ut in ber ^reil^eit bcftcl^t, tocld^c bie ßeiben^ 
fd^aften betjcrrfd^t, fo lann cS ol^nc ben ßanH)f mit ben le^teren nid^t 
errungen, alfo ol^nc baS ©afein berfelben nid&t gebod&t mcrben. SQßenn 
baS l^öd&flc ©ut unter aüen baS bcgcl^rcnStocrtl^efte ift, fo mu6 eS in 
getoiffem ©inne aud^ als ein ©egenftanb unferer Söegicrbe gelten, unb 
es mufe eine ßcibcufd^aft geben, bie Don fid& auS bie fittItd6e*ßebenS= 
rid^tung einfd&tägt. ^ier finb bie beiben ^ßunfte, xoo in ber ©rllörung 
ber ©emütl^sbettjcgungen bie ©cclcnlel^re unb bie ©ittcnlel^re inein= 
anbcr greifen. 

Sitte unfere ßeibcnfd&aftcn laffen fid^ auf iene fed&S ^jrimitiDcn 
jurüdfül^rcn, bereu einfad&fte formen bie SSetounberung unb bie a9e= 



1 Les paesions III. Art. CXLIX— CLXIII. 

2 ©. oben S3u* II. &ap, IV. ©. 195. ^q^. VIII. 6. 254-260. S)ie SBriefc 
an ®Ufabct]& über baS «beate vivere» finbcn fl$: Oeuvres T. IX. pg. 210—249. 



^ic Scibenfiä^aftcn bei 6celc. S)a8 natürlt^c unb ftttti^c ÜJlcnfdJcnlcbcn. 383 

gterbc tt)aten. 3lud^ bie SSetüunberung, fofern jte bie aSorftcöung ober 
Setrad&tung tl^rcS ©egcnftanbcS begcl^rt, ift eine 33cgicrbc. ©al^er 
finb im ©runbc unferc ßeibeiifd^aften tnSgcfQtnmt Segterben unb aU 
foI(fte bie ttatürüd&en Sriebfebern beS ^onbelnS. 2lIIc§ menf(ftlid6e 
^Qnbeln iji baburd^ bebingt, bafe etiDQS getoünfdfet ober begel^rt toirb, 
ba^ richtige ^onbeln Beftel&t im riifttigen Segelbrett; loettti loir boS 
le^tere beftimmen fönnett, fo ifi bie ©runbregel gefunbcn, bie ba§ 
3:|ema ber gefammten SJloral auSmod^t. 

Siefe ©runbregel ifi fel^r einfod^ unb einleud&tenb. ®er Se[i§ QÖer 
begel^renSttJertl^en ©fiter ift enttoeber ganj ober jum Stl^eil ober gor nid^t 
t)on un8 jelbft, b. 1^. öon unferem eigenen Vermögen abl^angig, 3Ba8 tt)ir 
nid^t felbfi fraft eigener Sl^otigfeit ern)erben fönnen, bog fönnen toir aud^ 
nid^t iDQl^rl&aft befi^en, barum Dernünftigertoeife aud^ nid^t begel^ren. 2Bir 
begel^ren bal^er unDernftnftigertoeifc, »aS ju ertoerben ober uns angu= 
eignen bie eigene ßroft nidöt allein QuSreid^t, öielmel^r t)on Sebingungen 
abl&ängt, bie ganj ober jum Streit aufeer unferer 5DIad&t liegen. Unfere 
SQ3ünf(^e finb unDernfinftig, loenn i^re ßrfftttung unmöglid^ ift; fie ift 
preng genommen unmöglid^, fobalb ba^ SBermögen baju toeiter reid^t, 
als tt)ir felbft. ©o unüernfinftig finb bie getoöl^nlid^en unb meiften 
2Bfinfd&e ber 2Jlenfd&en, fie begel^ren am leibenfd^aftlid^ften, tt)a§ öon 
ilirer eigenen Sl^atlraft am toenigften abl^öngt: bie öufeeren ütUn^' 
guter, loie ©d^önl^eit, ßl^re, 3leid&tt)um u. f. lo. 

2)ie 9tegel ber 6rfenntni§ fagt: benfe Kar unb beutlid^, nur ba§ 
flar unb beutlid^ ®rfaunte ift toal^r. 2)ie 2Bi!Ien§regeI fagt: begel^re 
Har unb beutlid^, nur ba§ fo Segel^rte ift gut; tDünjd&e nid&tS, tt)a§ bu 
ju erreid&en nid^t Dermagp, burd& bid& aöein öermagft; betn l^öd^fteS 35er= 
mögen ift bie Sreil&eit, fie fann bid& nid&t fd^ön, reid^, angefel^en, mad&tig, 
gIüdEUd& in ben Stugen ber SQßelt, fonbern nur frei mad^en, fie mad^t bid^ 
nid^t jum ^errn ber Singe, nur jum «^errn beiner felbft. SBotte nid&ts 
anbcreS fein! S)as eingige ©ut, baS bu begel^rft, fei biefe ©elbft]^err= 
fd&aft, fie fei ba^ einjige 3tel beineS ©trebenS, bas eingige Dbject beiner 
SSeiounberung! Stile übrigen SBttnfd&e finb eitel.^ 

2. 2)er äBettl^ ber SdetDunbeiuing. 

2)emgemö§ ift ba§ rid^tige ^anbeln burdö i>^^ toal^re @rlenntni§ 
unferer 2Kad&t unb Dl^nmad&t bebingt. 2luS ber erften ©infid^t ent= 

J Les passions II. Art. CXLIV— CXLVI. »gl. »rief an eiifaBetl^: 
Oeuvres IX. pg. 211—214. 



384 SBerbinbung gtotfd^en @eeh unb itbtptx. 

ft)rin9t bas ©efül^I unfctct toal^rcn unb crrcid^barcn ©tfiabcnl^cit, aus 
bcr jtücttcn btc öd^tc ©cmutl^- 9^i(ä6t3 ip bcr le^tcrcn förbcrltd^er 
als btc aSctradötung bcS uncrmcfelidöen SScItaüS, toortn bcr SJicnfd^ 
ntdöt bcr 9JtittcIt)unft unb 3tt)C(i bcr ®tngc, fonbcrn ein Dcrfd&ttJtnbcnbcr 
Stl^ctl ift, gu ol^nmöci&ttg, um bcn ©ang bcr ®tngc nadö feinen SBün[d6cn 
ju änbern. „SBcil bic ßcibcnfd&aftcn uns nur burd& baS SSerlangcn, 
tocld&cs fie erregen, jum ^anbeln treiben, fo mufe unfer Verlangen rcgulirt 
toerbcn, unb barin beftel^t bcr l^auptfäd&Iid&fte ?lu|en bcr SJioral." „6S 
gicbt jtt)ci 35iittcl gegen unfere eitlen SBönfcfic: baS erfie ift baS ^o^t 
unb tt)a]^rc ©elbftgcfül^t (g^n^rositö) , Don bem id& fj)ätet fpred&en 
tocrbc, baS anbete bic SBctrad&tung, bic mir oft aufteilen muffen: bo^ 
bic göttlid&e SBorfcl^ung bcn ©ang bcr Singe öon 6tt)ig!eit l^cr glcid^ 
einem SBcrl^öngnife ober einer unabänbcrlid^cn 9?ot]ött)enbigfeit Beftimmt 
l^at, meldte Ic^terc bem blinben ©diidCfal entgegenäuftenen ifi, um bicfe 
ßl^imörc, ein blofeeS ^irngefpinnft unferer ©inbilbung, ju äcrjlören. 
®enn toir fönnen nur toünfd&en, toaS nad& unferer SKcinung irgenbme 
im Slcid&c ber $!Jlöglid&feit liegt; toaS bagegen Don unferer eigenen 
3JJad&t unabl^ängig ift, !önnen tt)ir nur bann für mögli(36 l^alten, toenn 
xoxx es Don icnem blinben ©d^idCfal abl^ftngcn laffcn unb bcr 2lnfid&t 
finb, ba§ eS gefd&cl^en !önne unb Stcl^nlid&eS fonft fd&on gefd&el^en fei. 
2Bir glauben an ben 3ufaII, toeil tt)ir bic tt)irffamen Urfad&en ni(i&t 
fcnnen. SBenn ein ©reignife, baS nad& unferer SKcinung Dom SufaH 
abl^ängt, nid&t eintritt, fo ift flar, bafe eine feiner l^erDorbrtngenben 
Urfad&en gcfcl^lt l^at, ba§ eS bal^er ni(^t gefd&cl^en fonnte unb Slcl^nlid&eS 
nie gef(^e]^en ift, nömlidö nie etioaS ol^nc Urfad&e. Ratten toir Dorl^cr 
biefen not]&tt)enbigen ©ang bcr Singe flar Dor Slugen gcl^abt, fo toürben 
toir bic ©ad^c nie für möglid^ gel^alten, barum audö nie bcgcl^rt 
l^aben/'^ SlÖe eitlen SBünfd^e finb Srrtl^fimer, bic rid&tigen bagegen 
eine notl^toenbige fjolge unferer toal^ren ©clbftfd&ö^ung unb ber barauf 
gegrünbeten großen ©cfinnung (gönörositö) : barum nennt ©eScattcS 
biefe Ic^terc „glcid&fam ben ©dblüffel aller übrigen SCugenben unb ein 
^auptmittel gegen ben SCaumcl ber ßeibeufd^aften".^ 

®ie ©clbftad&tung ift eine Slrt 33ett)unberung. ^ter ift bic ©t- 
mütl^SbeiDcgung, bic Don felbft bic ftttlid^e 9iid&tung ergreift unb allen 
übrigen bcn SBcg jeigt. S)enn bic Seiounberung ift ein SScrlangcn, 
bas fid& nid^t im 33efi§, fonbern in ber SBorftcÖung ober S3ctrad&tung 



1 Les passions II. Art. CXLIV-CXLV. — 2 Les passions m. Art CLXI. 



2)te Seibenfd^aften bet Seele. ^aS natütlidge unb flttlid^e ÜJlenfd^enleBett. 885 

bcr ®ingc Bcfrtcbtgt unb barum baS ©cmütl^ in einer ÜHd^tung Bc- 
tt)e9t, bie ber ©rfenntnife öorauSgel^t unb biefelbe tjorbereitet. Sfficnn 
mit t)on ber 35iQ(J5t eine8 ftberraf^enben SinbrudC^, Don einem neuen, 
ungetoöl^nUd&en, feltenen Dbjecte ergriffen fmb, fo Verlieren totr uns 
gtei^fant in bie SBetrad^tung beffelben; ni(^ts iji jefet natürlid&er aU 
ber SSunf(^, biefe SBetrad&tung gu ijerDoÖfontmnen ober burdö etngel^enbe 
©rforfd^ung ju Derbeutlid^en. 3tn biefer SJerbeutlidöung Befielet bie 6r- 
fenntntfe. 2tug ber SBegierbe jur SBetrad^tung folgt naturgemäß bie 
SBegterbe jur ©rfenntnife. 

Unter allen unferen Seibenfd^aften iji feine fo tl^eoretifd&er 9latur 
unb bem ©rfennen fo günjiig gefiimmt aU bie a3ett)unberung, @ie ift 
auf bem SBßcge jum 3iet, fie fielet an ber ©d&toeöe be§ SBegeS: ber 
©a§ beS 3lriftoteIe§, bafe bie 5p]öiIofo})]öie mit ber 58ett)unberung beginne, 
gilt audö Bei 3)eScarteS, ol^ne ber eigentl^ümlid&en 6r!tftrung beg le^teren, 
bafe ber Stoeifel ben SInfang ber $]^i(ofot)]öie mad^e, ju toiberftreiten. 6in 
anbereg iji ber SBßiÖe jur SrfenntniB, ein anbereg bie ©eloifel^eit berfetBen : 
jener entft)ringt aus ber SBemunberung , biefe aus bem Stoeifel. SBir 
miffen, tocld^e Sebeutung bie Seigre S)eScarteS' bem SBiüen in Slnfel^ung 
ber 6rfenntniB ber SOBal^rl^eit unb ber JBermeibung beS Srrtl^umS gu= 
jd&reiBt. ®ie SBetounberung gieBt bem SBßillen untt)ill!ürlid& bie tl^eoretifdöc 
Slid&tung unb mad&t il^n ber ßrfenntniß geneigt: bal^er gilt fie unferem 
5j}^i(ofo})]^en nid&t Bloß als bie erfte unter ben t)rimitit)en, fonbern als 
bie toid&tigjie aller ßeibenfd&aften. 

6s ift Don ber naturgemäßen unb gefunben Setounberung bie 
Siebe, bie baS menf^lid&e ©emütl^ Betoegt, nid&t feffelt, unb bie a3e= 
gierbe gur 6r!enntniß l^eröortreiBt, nid&t aBer l^inbert. 2ln biefer ©teile 
unterfd^eibet 3)eScarteS (tt)as STriftoteleS im ^inBlidC auf bie natär= 
lid^en SErieBe flBer]^aut)t getl^an l^atte) bie Beiben fel^lerl^aften ©jtreme 
beS 3wtoenig unb 3ut)iel: ben SKangel unb ben ©jceß, bie Stumpfe 
l^eit unb bie SBßibcrftanbSlofigfeit gegen bie 3Jla6^t ber ©inbrüdte, bie 
Unfäl^igfeit gu betounbern unb bie SBett)unberungSfud&t. ®ie erfte ®c= 
rnfttl^Sart Befielet in ber auSgemad^ten ©leid&gftltigfeit, bie fidö Don 
nid^ts rül^rcn unb ergreifen läßt, bie gtoeite in ber Bltnben Sfteugierbe, 
bie nad& neuen ©inbrüdten l^afd^t unb fid^ jebem ol^nc Sorfd&ungStrieB 
l^ingicBt: biefe 2lrt ber SBetounberung ift nid&t eigentlidft ©emüt]^S= 
betoegung, fonbern ©emütl^Sftillftanb, nid&t eigentlid^ Setounbcrung, 
fonbern, toie S)eScarteS fd^on fröl^er gefagt l^atte, Staunen. 



386 aSetbinbung 3)t)ifd^en @eele unb Stbxptx, 

©erabe bariti befielet ber SBertl^ ber SctDunbcrung, ba| fic nidfet 
bcn ttü^Ud^en ober fd^äblid^cn, fonbcrn ben fcltenett unb au6erorbcntttd6cn 
ßl^araftcr ber ©inbrüdtc auf baS ©tdrfftc cmpfinbct unb bcm ©cmütl^c 
bergcjialt ctii})rQgt, bafe fic btc intcllcctuellc 5ortn)ir!ung bcrfclBcn fid&crt 
unb unfcr Jiad&bcnfen l^cröorruft. ,;®ie übrigen ßeibcnfd&aftcn fönncn 
bagu bicncn, uns btc nü^Itd^en ober fd&äbltd6cn Dbiecte BcmcrfenätocrtlÖ ju 
ntad^cn, bic a3ett)unberung allein bcad&tet bic feltcncn* SBir feigen aud^, 
bafe ßcute ol^nc iebc natürlid^c Steigung ju biefer ©emütl^Sbetoegung 
gctDöl^nlidö fe^r unioiffenb finb." „SJiel l^aufigcr aber finbet ftdö ber 
entgegengefe^te gaÜ, bafe in ber Söemunberung ju Diet gefd&iel^t unb 
man über Singe erftaunt, bic wenig ober gar nid&t bead&tenStoert]^ finb, 
Unb baburdö tt)irb ber Vernünftige SSertl^ biefer ßeibenfd&aft enttoeber 
DöÜig aufgel^obcn ober in fein ©cgcntl^eil )Dtxttf)xt ©egen bcn SDlangel 
l^ilft bic gefliffentUd&e unb befonbere Slufmcrffamfett, loogu unfcr SBillc 
ben aSerftanb ftets Derpflid&ten !ann, fobalb »ir cinfel^^n, bafe bic S3e= 
ad^tung beg Dbiedg ber Sütül^e loertl^ ift; aber gegen bic ejcefftöc S3e= 
tounberung l^ilft fein anbereS SKittel, aU ba§ man t)ielc S)ingc fennen 
unb bic fettenften unb ungetoöl^ntid&ftcn untcrfdöeibcn lernt. Dblool^t 
nur bie ftumt)fen unb ftut)iben 9Kenfd&en t)on Statur jur SBctounberung 
unfäl^ig finb, fo gel^t bie fjdl^igfeit berfclben nid&t immer mit ber 
©ro^c ber geiftigen ^Begabung §anb in §anb, fonbcrn ift l^aupt^ 
fdd&Ud6 fold^en ©emtttl^ern eigen, bie einen guten natürlid^en SSerftanb 
l^aben, ol^ne fid& beSl^alb groß eingubilben, fic feien fertig. Stoar 
Derminbert fid& ber a3ett)unberung§trieb in Solge ber ©ctt)o]ön]&cit; je 
mel^r man feltenc Objectc erlebt l^at, bie man bett)unberte, um fo mcl^r 
geiDöl^nt man fid&, fic nid^t mel^r gu bett)unbern unb aöe folgcnben 
für gett)ö]&nlid& ju Italien; locnn aber ber 35ett)unberungStrieb aÖeS 
SJlafe überfd^reitet unb feine Slufmcrffamfcit immer nur an bem erften 
©inbrud ber iebeömaligen Dbiecte l^aften Iftfet, ol^nc nad& einer weiteren 
@rfenntni§ berfelben ju trad^ten, fo folgt barauS bic ©eiool^nlöeit, 
nad6 immer neuen ©inbrüden ju l^afd&cn. Unb bieg iji ber ©runb, 
ber bie ßranü^eit ber blinben Steugierbe d^ronifd^ mad&t, bann fud&t 
man bie ©eltenl^eiten, blofe um fic gu bciounbcrn, nid^t um fic ju 
erfennen, unb bie ßeute tocrben aHmäJ^lid^ fo beiounberung§füd&tig 
(admiratifs), bafe fic Don lä))t)ifd&en Singen eben fo gefeffelt werben 
tpie Don ben toid^tigften." ^ 



1 Les pasöions II. Art. LXXV— LXXVIII. 



2)ie ßetbenf^aften bei 6eele. S)aS nat&rlt^e unb ftttlid^e SJlenfd^enUBen. 387 

3. 2)te eeiftegfretl^ett* 

D^m 8eibcnf(i&aften toürbc btc ©ccle an il^rcm Ibxptxliä^tn ßcben 
feinen Slntl^eil nel^nten, ol^ne fie gäbe eS für bie ntenfd^tid^e 9latur in 
ber SBelt »eber ©üter nod6 Uebel, fie allein finb bie QueÖe unfereS 
freub= unb leibt)olIen ©afeinS. 3e ntäditiger fie unS belegen unb er= 
fd&üttern, um fo empföngli^er finb toir für bie ^ülle ber fjreuben unb 
Seiben be§ ßcbenS, um fo füfeer emt)finben toir jene, unb um fo 
bitterer biefe; unb itoax finb bie (enteren um fo fd^meräUd^er , je 
»eniger toir unfere Seibenfd^aften ju lenfen Vermögen unb Je toibriger 
unfere äußeren ©d^idfale finb. 2lber eS giebt ein JDlittel, unfere 
Seibenfcä&aften ju bemeiftern unb bergcftalt gu mäßigen, baß il^re Uebet 
fel^r erträglidö »erben unb fid& aüe in eine Queue freubigen ßebenS 
Derloanbeln. S)iefe§ eingige 35iittel ifi bie SBeigl^eit. SDlit biefer 
(SrHärung fd&ließt S)e§carte§ feine ©d^rift über bie ßeibenfd^aften 
ber ©eete.^ 

®en natürlid^en 3fnt})ul3, ben SBeg gu ergreifen, beffen 3iel bie 
SBeiSl^eit ift, giebt bie 35ett)unberung ; fie entbinbet ben @r!enntnißtrieb, 
ber nid&t befriebigt toerben fann ol^ne unfere ©elbfterfenntniß, ol^ne 
bie Sinfid^t in unfere ©elbfttäufd&ung, ol&ne ben grünblid^en S^oetfet,. 
ber jur ©etoißl^eit, jur rid)tigen ©elbfterfenntniß, barum jur rid^tigen 
©elbpfd^ä^ung fül^rt , auf tocld^e le^tere fid& jene erleuÄtete ©efbft= 
ad&tung, jenes äd&te fJreil^eitSgefül^I grünbet, baS mit ber toal^ren ®r= 
fenntniß jufammenfättt unb ben fittüd^en SBertl^ beftimmt. ©o gel^t 
au§ bem Srieb ber SBetounberung ber S)rang nad& ©rfenntniß, au§ 
biefem ber 3n3eifel unb bie ©elbfigeteißl^eit unb barauS im ßid^te ber 
SBernunft biejcnige S3ett)unberung l^cröor, bereu Object ba^ größte unb 
erl^abenfte aÖer SJermögen ift: bie SBiltenSfreil^eit. §icr cntft)ringt 
Jene ©emütl^Sbewegung , toeld^e ©eScarteS bie großl^erjige ©efinnung 
(magnanimite ober gönörosit^) genannt l^at, unb bie ben 3ügel be§ 
fittlid&en ßeben§ in ber ^anb l^ätt. 

5Bor biefer ©rfenntniß fd&tt)inben bie eingebilbeten SBertfie ber 
Singe, bie ©d&cinloertl^e ber SBett, bie Don fold&em ©d&ein geblenbeten 
Segierben, bie 35iad^t aller ber ßeibenfd&aften, bereu S^ema biefe Slrt 
ber Segierbe ober ©elbfifud^t ift. @o lange bie ©eele fid& biejen 
ßeibenf(^aften überläßt, toirb fie Don il)nen ]&in= unb iierberoegt, fie 



' Les passions III. Art. CCXII. 

27,* 



388 fDerlbinbung jtoif^en @eele unb Itötpet. 

fann btc eine unterbrüdt en , inbem fte ber entgegengef entert folgt unb 
auf btefe SBeife einen ^ertn mit bem anbern Dertaufd^t. (gin folij&er 
S^rium})]^ ift fd&einbar, nid&t bie ©eele triumi)]^irt, fonbcrn eine il^rer 
Seibenf d^aften , fie felbft Bleibt unfrei. SBenn fte bagegen au§ eigener 
SBiffenSfraft unb ^reil&eit burd& il^re ftare unb beutlid^e 6riEenntni| 
fi(5 über baS Sliöcau jener Segierben erliefet : erft bann l^at fte „mit 
il^ren eigenen SBaffen" unb barum »al^rl^aft gefiegt. 

®iefer ©ieg ift ber SCrium})]^ ber ©eijieSfreil^eit. „SQ5a§ id^. i^^^ 
eigenen SBaffen (ses propres armes) nenne, finb bie fefien unb fidleren 
Urtl^eile über ba^ ©ute unb S3öfe, nad& benen bie 8ee(e ju l^anbeln ent= 
fd&Ioffen ift. 3)a8 finb unter allen bie fd^toöd&ften ©eelen, bereu SBiffe, 
ol^ne baS ©teuer ber @infi(^t, fid& Don feinen iett)eiKgen ßcibenfd&aften je^t 
nadö biefer, je^t nad^ ber entgegengefe^ten 9iid^tung treiben lä%t; btefe 
ßeibenfd&aften feieren ben SBStÖen gegen fid& felbfi unb Bringen bie 
©eele in ben elenbeflen 3uftanb, in ben fie geratl^en fann. ©o läfet 
un§ Don ber einen ©cite bie fjurd^t ben lob aU baS größte Hebet 
erfd&einen, bem nur burd& bie ^tud^t gu entgelten fei, möl^renb t)on ber 
anberen ber Sl^rgeij biefe fd^mad^DoIIe ^(ud^t afe ein Hebet emppnben 
löfet, ba§ nod& fd&Iimmer ift ats ber SEob. 3)ie beiben ßeibenfd^aftcn 
treiben ben SBitten nad^ Derfd^iebenen 9iid^tungen, unb biefer, balb t)on 
ber einen, balb Don ber anberen bett)öltigt, ftreitet beftönbig mit fi(§ 
felbft unb mad&t fo ben Suftanb ber ©eele fned&tifdö unb elenb."^ 

§ier fd&tiefet bie ßel^re S)eScarte8*, inbem fie in il^rc tieffien 
©runblagen gurüdffel^rt. 2BaS bem 3tt)eifel gu ©runbe tag, toar ber 
SBßille, ber bie ©elbfttäufd^ung burd&bred&en unb gur ©etoife^eit burd&= 
bringen tt)ottte; biefe beftanb in ber ftaren unb beutlid&en ©elbfl= unb 
©otteSerfenntnife, unb barauS folgte bie !lare unb beutlid&e ©rfenntnife 
ber ©Eifteng unb 9latur ber Singe aufeer uns. SBir erfannten im 
ßidöte ber Sßernunft ben oollen ©egenfa§ gteifd^en ©eele unb Körper. 
9lun begeugen unfere ßeibenfd^aften bie SBerbinbung beiber, benn nur 
biefe fonnte bie Quelle berfelben fein: fie verneinen, toaS bie Hare 
®r!enntni§ bejal^t. ©o befielet ein SBßiberfireit gtoifdften unferer freien 
35ernunfteinfid&t unb unferen untoiHfilrlid&en ©emfitl^Sbetoegungen. ®aS 
in biefem SEßiberfprud^ entl^altene 5j}roblem toirb gelöji, inbem »ir bie 
ßeibenfd&aften erfennen, bie eingebilbeten SBertl^e il^rer Dbiecte burd&= 
fd^auen unb bie SUlad^t berfelben bred^en. 



1 Les passions I. Art. XL VIII. 



2)ie Seibenfd^aften ber @eele. 2)aS natürU^e unb flttlid^e ^enfd^enleBen. S89 

®er ©egetifa^ gtoifd&cn ©eetc unb ^bxptx l^tnbcrt tttd5t il^re 23er= 
ttnbung in ber mcnfd&Ud^en Sftatur, bicfe SJcrBinbung l^inbcrt ntd&t bcn 
©cflenfo^ Beiber, Jjtelmel^r finbet biefer crft in ber ©rl^ebung ber ©ecte 
über ba^ för})erlid&e ©afein, in ber ^Befreiung Don ben ßeibenfdöaften unb 
SBegierben, mit einem SBorte in ber ©eiftegfreil^eit feinen toal^ren unb 
i^Qtfrdftigen 3lu8brudt. Sie ßeibenfd&aften tjerl^atten fid& gu unferer 
benfenben 9latur, toie bie unllaren SBorfiellunaen ju ben Maren. 3n biefer 
i^rer Unflarl^eit liegt il^re Dl^nmad^t. SBenn ber SQSille traft beS 3tt)cifcIS 
bie ©elbfitöufd^ungen burd^bred^en unb Iraft be§ ®en!enö jur Haren 
unb beutlid^en Srfenntnife gelangen fonnte, fo fann er burd^ biefe 
aud6 bie ^aijt ber ßeibenft^aften Betoöltigen, benn bie SBegierben finb 
aud& ©elbfttäufd&ungen, bie uns burdö bie ©d^eintoertl^e ber 3)inge Der« 
blenben unb in biefer 33Ienbung gefangen l^alten. ®er Stoeifel trifft 
unb erfd^üttert jebe unferer ©elbfttöufd&ungen, audö bie 35iad&t ber 
ßeibenf d&aften , unb bie ©eifteSfreil^eit, b. i. ber t)on ber ©rfenntnife 
crleud&tete SBiÜe fiegt über jebe. 



3el&uteS ^apittt 
Mt ttp krttirc^^ IßxtJ^bt. (Einurfirfje mi €xmititxmitn. 

I. ©intüürfe. 

1. @tanb:punfte unb Stid^tutiöcn ber SBerfaflcr. 

SSir l^aBen bie t)]^itofo})]öifd6c ßel^re ®e§carte8* in bem 3ufammen= 
l^ang affer il^rer toefentlid^en Stl^eile auSgefül^rt unb toenben uns je^t 
jur ^Prüfung berfelben, ^ier begegnen uns fogteid^ jene gegen baS 
erfte ber grunblegenben SBer!e gerichteten ®intt)ürfe, toeld^e ber 5pf|iIofot)]§ 
felbft ]^ert)orgerufen . erioiebert unb mit feinen Entgegnungen guglcidö 
t)eröffentlid6t l^at. 6s war bie erfte fritifd&e 5ßrobe, bie baS neue 
©Aftern Dor feinem Url^cber unb ber SBelt gu befteiien l^atte. ©cScarteS 
toflnfd^te, feine ßel^re gleidö bei il^rcr erften öffentlidöen @rfd&einung auf 
eine fold^e 5ßrobe gu fteffen unb ats il^r befter Kenner aud& ii|r erfter 
3tntert)ret unb SSertl^eibiger gu fein. ©eSl^alb finb biefe fritifd^en 
SBerl^anblungen gefd^id^tUd^ benfloürbig. ^ 

SBenn bie ©intüürfe, toit eS gett)ö]^nfid^ gefd&iel^t, in bie ®ar= 
fteffung ber ßel^re eingemifd&t unb tüifffürlid^ an öerfd&iebenen Drten 

1 @. oben Jöud^ I. ^ap.Y. @. 220-223. 



390 2)ie erfte hitifd^e $Tobe. 

auSctnanbcrgeftrcut tDerbcn, fo gcl^t bcr ©cfammtembrudC bcrfrifien 
DöIIig ijcrtorcn, toöl^rcnb bcr beS ©^ftemS ol^nc Slotl^ untcrbrod&cn 
iDirb. 68 gtebt feine Duette, auS ber bic erfte SSirlung ber neuen 
Se^re auf bie t)]^tlofol)]^tfdöen ©ttmmungen beS 3ettQlter§ unb bte 
crften ©egentoirfungen beS (enteren jtd& beffer er!ennen laffcn, als biefe 
Don fo Derfd&tebenen ©etten l^er geltenb gentadfetcn, burd& berufene unb 
unberufene Äritüer erl^obenen, unter bem frifd^en ©inbrudC beS nod§ 
l^anbfd^riftUd&en SSerfS entfianbenen SBebenfen. 3Slan finbet l^ter bie 
l^errfd^enben Stid^tungen beS l)]^itofo})]^tf(^en 3eit6ett)u6tfein§ bei einanber 
unb einige berfelben burd& bic nomfiafteften ©timmfül^rcr t)crtreten. 
68 ifi ba^er ber 3}lÜf)e toertl^, biefer ®xnppt ber crften Äritüer 
©eScarteS' eine jugleidö aufmer!fame unb übcrfid^tlid^e Setrad&tung ju 
toibmen. 

Slbgcfcl^en bon ben ©ammclberid^ten 9Kerfenne8 an gtoeiter unb 
fec^Ster ©tette, l^at 2)e8carte8 bie ©intoürfe t)on6ateru8, §obbe8, 
Slrnaulb, ©affenbi, SBourbin in bcr tUn genannten Sicilöenfolge 
empfangen unb erioiebert. ®ie fpötcren, toeld^c fid^ at8 ad^tc unb neunte 
begeid&nen laffcn unb nid&t mcl^r in bie 2lu8gabe bcr SDlebitationen 
aufgenommen tt)erben tonnten, tourben bricflid^ bcrl^anbett. ©al^in 
gel^oren bie ©intoürfe unter bem 9lamcn ^^})eraf})ifteS unb bie be§ 
englifd^en 5j}]^iIofot)]^cn ^enr^ Jülorc; jene finb faum bemerfenSioertl^, 
ba fic nur toieberl^olen , toaS fdf)on gefagt toar; biefe erneuern gegen 
3)e8carte8 ben t^eofop^ifc^en ©tanbl)unft, fic beftreiten bie blofec 
SKaterialitdt ber SluSbcl^nung unb bcl^aupten eine immateriette, bie 
Don ben geiftigen SBefen gelten unb bie ©egentoart ©otteS in ber SBelt, 
toie bie bcr ©eete im ^bxpn crHören fott.^ 

®ie ätt)eiten unb fed^Sten @intt)ürfe, in benen bie Söebcnlen Der= 
fd^iebener 5j}]^iIofot)]^en unb Stl^eologen gufammengefafet finb unb 
SKcrfenne tt)o]^t aud& bie feinigen untergebrad^t l^at, finb nad^ 2lrt ber 
Dilettanten; fic finb beSl^alb nid^t t)cräd&tUd&, benn in einem })]^itofo})]öifd& 
fo betocgten unb rüiirigen 3citalter, toie ba§ cartefianifd&e toar, finb 
bie mitfpielenben Dilettanten feine untoid&tige 35iad^t. ®ateru8' @in= 
toürfe begogen fid& nur auf ben ©otteSbegriff , insbefonbere auf ben 
ontologifd&en a3ett)ei§ unb treffen ba^er nid^t bie ©runbrid^tung unb 
©runblagen ber neuen ßel^rc. 



1 Sic SBricfe aroifd^cn §. ÜJlore unb S)cScorte8 fattcn in bie le^tc 2tUni^tii 
beS ^^itofo^^en (S)cc. 1648 lii Oct. 1649). Oeuvr. T. X. pg. 178—296. 



©intoütfe unb ©rlDicbcrungcn. 391 

Um btc i)ttticti)tcllen unb borum Bcmcrlenstüertl^cftcn ©cgenfö^e 
gu crfcnncn, muffen toir uns btc funbamentaten ®eban!cn t)er= 
gcgentt)ätti9en / auf bencn baS gcfammte cartcfianifAc ßel^rgeböube 
Bcrul^t. S)ie mctl^obifd&e ©rfenntntfe bcr S)tnge in bcm natürlid^cn 
ßtd&tc ber SBernunft ober beS ®enfcn§ toax bie Slufgabe unb ba§ burd^* 
gängige SCI^ema beg ?ß]^tlofot)]^en, ©ofern baS 2td&t ber 6r!enntni6 
baS natfirlid&e ift unb fein toiU (les lumiferes naturelles), 6ejeid&nen 
toir feine Siid^tung aU naturaliftifd^; fofern biefeS natürliche ßi^t 
bie Sßernunft ober baS reine (Kare unb beutlid^e) 3)enlen ift unb 
fein toiÖ, Beäeid^nen toir biefe naturaliftifd&e @rfenntni§rid^tung aU 
rationaliftifd^. 3n ber Slrt unb SBßeife, toie jenes ßid^t im S)en!en 
entbedCt unb bergeftalt l^eroorgebrad^t toirb, ha^ e§ bie Singe erleud&tet, 
befielet bie Jületl^obe. 

^ier finb bie ©runbibeen. 2Ber biefe angreift, befömpft grunb= 
fö^tid^ bie neue ßel^re. ©iefcr ©egenfa^ ift ein breifad&er. Wlan 
fann ba§ natilrlid&e ßid&t ber 6r!enntnt§ bejal^en, aber gugleid^ t)er= 
neinen, ba^ eS im ®enfen entfprtngt unb toirle; biefeS ßid^t fott nt^t 
in ber Sßernunft, fonbern in ben ©innen gefud&t toerben: bann 
beftreitet man niä^t ben SRaturaliSmuS , fonbern ben SftationaliSmuS 
©eScarteS*, man befamt)ft nid^t bie pl^ilofopl^ifd^e (natürlid&e) , fonbern 
bie metal)]^^fif(^e (rationale) ©rienntnife ber Singe unb ftettt biefer 
bie em})trtftifd&e ober fenfualiftifd&e entgegen. S)iefer ©enfualiSmuS ift 
fo alt, toie bie atomiftifd^e S)enfart, unb fo neu, »ie bie baconifd&e 
5ß]§ilofo})]Öie. ®ie 3tenaiffance l&atte bie alte ßel^re ©emofritS, toeld&e 
@t)ifur unb nadö il^m ßucreg fd&on im Slltertl^um erneuert l^atten, mieber 
belebt. 3n biefer 3tid&tung gegen ©eScarteS fielet ©affenbi, ben 
toir alg einen @l)ätltng ber 3tenaiffance anfebcn fönnen , ba er bem 
SBorbilbe @t)ifur§ folgte. STuS ber ®rneucrung ber 5ß]öilofot)]öie burd^ 
SBacon, toeld&er ben 6mt)iri8mu§ begrünbet l^atte, mufete eine fenfualiftifd^e 
SRid&tung l^eröorgel^en , bie fd&on ben 35iateriali8muS in fid& trug: in 
biefem ©egenfa^ gegen ©eScarteS fielet §obbeS. 2Bir l^aben jene 
Slntitl^efc t)or uns, bie tt)ir bei bem erften StuSblidC auf ben 6nt= 
roidClungSgang ber neuern 5p]öilofo})]^ie innerl^alb berfelben entfiefien 
fallen. ^ 6§ ift ber erfte ber begeid&neten ©egenfö^e. 

Slber aud6 baS natürltdf)e ßid^t ber 6rfenntni§ bleibt nid&t un= 
bejiritten. S)ie ©egenmad^t gegen ben Jiaturalismus bilbet ba§ über= 



1 6. oben einlcitutiö, ß^o^. Vir. @. 142-145. 



392 2)ie etfte tritifdfte $robe. 

natttrlid&e ßid^t beS ©laubenS unb bcr Offenbarung, toeld^cS bas StcitJ 
ber ®nabc unb Ätrd&e crleud&tct: ba§ tJ&eolofltfd^e unb nal^et 
Quauftinifdöe ©Aftern, tocld&e« bie 3lefotniation gegen bie ri5nüfd§e ßirci&e 
erneuett l^otte, unb ber SanfeniSmuS inncrl^alb ber legieren toteber Quf= 
rtd^ten toollte: biefer erfd^ien gleid&jeittg mit ber ßel^re ®eScartc§' unb 
barf als ber möd^tigfte SluSbrudC beS religtöfen 3eltBett)u6tfein8 gelten. 
3n biefer 9iid&tung tritt ber neuen 5pi&itofot)l&ie ber auguftinifdö gefinnte 
Slrnaulb entgegen, einer ber Bebeutenbfien SCl^eologen beS bantatigen 
granfrcid&S, fpöter ba^ ^anpt ber Sanfentften. 

6s gtebt einen fird^Udöen 9iattonaIiSmuS , ben bie ©d^olaftif 
auSgebilbet l^atte, unb beffen Slufgabe nid&t bartn beftanb, neue SQBa]^r= 
l^eiten gu ftnben, fonbern bie bogmatifd^ gegebeneu gu betoeifen. ßetn 
größerer ©egenfa^ aU ätt)if(^en ber cartefianifd^en unb fd^otaftifd&en 
Jületiiobe, jmifd&en bem Dorauöfe^ungSlofen, burd& ben 3tt)eifel geläuterten, 
unb bem bogmatifd^ gebunbenen unb gefd&ulten ®enlen, gtoififien ber 
erfinberif(I)en ®ebuction unb ber unfrud^tbaren ©^ttogiftü, bie mit 
«barbara» unb «celarent» ©taat mad^i S)iefe 35iet]^obe l^atte ©eS^ 
carteS burdö bie Sefuiten, bie SReufd&otaftüer beS SeitalterS, »eld&e bcfonberS 
bie bialeftifd&en fünfte ber alten ©d&ule ju braud&en »ufeten , früö^ 
jeitig fennen unb auö eigenftem Urtl^eile t)erad&ten gelernt. Sfe^t tourbe 
feine SKetl^obe bie befonbere Si^lfd^ßibe, toeld^e ber 3efuit Jöourbin, ber 
SBerfaffer ber ficbenten ®inn)ftrfe, ju treffen unb bamit bie neue ßel^re 
felbft über ben Raufen gu loerfen fud^te. ©o toenig biefe 5ßolemi! in 
ber ©ad^e ju bebeuten l^atte, fo d&arafteriftifd^ toar eS, ba§ gerabe 
ein Sefuit bie SRetl&obe be!ämt)fte, unb bie 2lrt, toie er eg tl^at. 

2. ©egenfä^e unb SBerül^tungSipunlte. 

Unter ben Slid&tungen, bie fid^ im SQSiberftreit mit ber Seigre 
S)c§carte8^ befinben, giebl e§ feinen größeren ©egenfa^ aU bie 
auguftinifdö gefinnte ^l^eologie unb fenfualiftifdö (materiatiftifdö) ge= 
rid^tete 5ß^iIofot)]^ie: Slrnaulb unb ^obbcS! ©leid&jeitig befampfen 
beibe baS neue Softem, nömlid^ bie rationale Srfenntnife ©otteS unb 
ber ®inge; fie greifen t)on entgegengefe^ten ©eiten l^er bie meta= 
i)I|^fifd&en ©runblagen be§ ße^rgeböubeS an, bie 5ßrincij)ien, tt)eld&e 
burd^ met^obifd^eS Senfen gefunbeu unb nid&t bloß fid&erer al§ alle 
bisherigen, fonbern abfolut gewiß unb ungtt)eifel]^aft fein tooHen. ®er 
t^eologifd^e ©taubt)unft t)ertt)irft biefe ©runblagen, benn er aner!ennt 



(Sintoürfc unb ©rtoicbcrunaen. 393 

fein Qtibcrcg O^unbamcnt als btc SEl^atfaciöen bcr ^tcUgton unb Dffcn= 
botung; ber fenfualiftifd^e ©tünb})un!t öcrtoirft fic ebenfalls, tocil er 
bcr mcnfd^Uci&en ©rfenntnife fein onbereS fJunbament einräumt ofö bic 
Stl^QtfQ^en bcr ©innenmelt unb ©rfal^rung. 

®icfer tl^eologifdö unb fenfualiftifd&e ©cgenfa^ gegen bie ßel^re 
©cScarteS' ift unDermciblidöer Slrt unb crleudötet jugleid^ bie ©runbgüge 
be^ ganjen ©^ftemS in il^rcm naturoliftifd^en unb rationaliftild&cn 
ßl^oraflcr. S)arum gelten uns bie ©intoürfe, njcld^e ^oB6e§, ©affenbi 
unb Slrnaulb gegen bie SJlebitationen gerid^tet l^aben, aU bie 6emer!cng= 
toertl^cftcn unb lel^rreid&ften. ^obbeS, o6tt)ol&I bebeutenber unb moberncr 
als ©affenbi, na^m bie ©Qd&e, tt)el(^e in ^rogc ftanb, cttoaS oberflöd^lid) 
unb bel^Qnbelte fie weniger genau unb eingcl^cnb, aU biefer: tocSl^alb 
S)eScarte8 ben ©treit mit il^m abbrad^ unb mit ©affenbi ju 6nbe fftl^rte. 
SluS biefem ©runbe bürfen toirSlrnauIb unb ©äff enbi, bicfe beiben 
ßanbgleute beS 5ßl)iIofot)]^en, als bie toidjtigften ©egner betrad^ten, gegen 
»cld^c eS galt bie neue ßel^re ju öertl^eibigen. 

3liijt minber bebeutfam als bie ©egenfä^e ftnb bie a3erü]örung§= 
J)un!te jtüifd&en bcr 5ßl^iIofo))]^ic S)eScarteS' unb ber auguftinifd^ ge* 
rid&teten SEl^eologie, 3tt)ifdöen il^r unb bem materialiftifd^ gerid^teten 
©enfualiSmuS. ©obalb man Don ber meta})]ö^fifd&en (rationalen) 93c= 
grünbung abfielet, treten nad& beiben ©eiten bie SleJ^nlid^feiten beutlidö 
ju Sage. S)ie fenfualiftifdöe ßel^re ift il^rcr ganjen 3lnloge nad^ einer 
materialiftifdöen unb med^anifd^en SRaturerflörung gugeneigt: ®eScarte§ 
gab biefe (£r!tärung, fie !onnte nid^t ftrenger fein, ^obbeS, ber gundd&ft 
nur biefe ©eite bcr neuen ßel^re bcmerft l^atte, glaubte fd^on, bafe fie 
mit ber feinigen DöÖig übereinftimmc. Snbeffen toar bie cartefianifd^e 
SfiaturerHarung eine notl^toenbige {Jolge ber uns befannten bualiftifd^en 
5Princit)ien, il^re rein matcrialiftifd^e unb med^anifd^c 3tid&tung !am aus 
einer gang anbercn ©egenb, als bei ben fenfualiftifd^en 5ß]^ilofo))]§en. 

®iefe bad&ten: toeil bie 3iatur materiell ift, barum ift eS aud& ber 
©cift; toeil jene nur med^anifd^ erflört toerben fann, barum finb aud^ bie 
geiftigen S£l&dti gleiten fo gu crflären. 3n bcr ßel^rc S)eScarteS' bagegen 
Jjcrl^ielt fid^ bie ©ad^e gerabe umgelel^rt: toeil ber ©eifi gar nidftt 
materiell ift, barum ift bie Äörl)ertt)elt nur materiell; toeil bie 6r= 
fd^einungen ber geiftigen SQBelt gar nidftt aus materiellen S3ebingungen 
abgeleitet tocrben fönnen, barum finb bie ber !ört)erlid&en nur aus 
fold^en S3ebingungen gu erflören; toeil ber ©cift baS ©egcntlieil ber 
aJiaterie ift, barum ift aud^ bie 9Jlaterie baS ©egcntlieil beS ©eifteS. 



394 S)te crpe frttifd^e «Probe. 

3n bicfcm 5Punftc lag btc ©trettfragc jtüifi^en utifcrcm ?J}]^Uofop]^en 
Quf bcr einen ©ettc unb ^oBbeS toie ©offenbi auf ber anbeten. 

3fn bcr (Sntgegenfe^ung ber geifligen 9?atur gegen bte för})erlt(j&e, 
in biefem au§gemad&ten ©ualtSmuS fieiber l^atte bag neue ©Aftern 
feinen ©^tt)ert)unlt. 66en l^ier, too eS Don ben ©enfualificn befäuipft 
tt)urbe, übte eS eine uniDtllfürlidöc 3lnjie^ung§Iraft auf ben augufttnift^ 
gepnnten SEI^eoIogen. 2)e8corteS felbft fül&lte fi(5 biefem öermanbter 
al8 feinen })]^iIofoJ)]^ifd&en ©egnern, er fal^ fid^ Don Slrnaulb loeit 
Beffer Derjianben, al8 Don <g>obBeg unb ©affenbi, bereu ganje ®en!= 
tt)ei|e il^n abftiefe, unb nal^m bie (Sintoürfe, bie il^m jener gemad&t 
l^atte, für bie wid&tigftcn unter aßen. SBir lennen feine tief finnige 
Unterführung über ben ©otteSbegriff unb bie entf^eibenbe SBebcutung, 
toeld^e ba§ ©rgebnife berfelben für baS ganje ©Aftern l^atte. SQBenn ber 
^ß^ilofo})]^ erfiärte, bafe er burd& biefe 3tid&tung feiner ßel^re an6) bie 
Sadbe ber 9ieIigion förbern unb innerlidö ftörfen tooÜte, fo» loar bieS 
feine leere ober nur Dorfid^tig conferDatiDe 3tcben§art. ®r meinte e3 
aufrid^tig mit ben religiöfen 3ntereffen. ©iefer 3ug tt)urbe Don 
3lrnaulb f^mpatl^ifdö eml)funben. 2)agu !am eine teörtlid&e Ueberein= 
ftimmung mit Sluguftin, bie bem Sll^eologen tt)iH!ommen fein unb um 
fo bebeutfamer erfd^einen mußte, aU fie gerabe an ber ©teße ]&erDor= 
trat, toeld&e S)egcarteS feinen 2(rdöimebe8})unlt genannt l^atte: in bem 
@a^ ber ©etoi^l^eit. Um ba§ Safein ©otte§ ju bett)eifen, nimmt 
Sluguftin in feiner ©d^rift Dom freien SBitten unfere ©effiftgetoi^l^eit 
jum 3lu§gang§t)unlt; er Idfet l&ier ben Sll5})iuS gu 6uobiu§ fagen: 
.,3f<^ toill mit ber fi(^erften ^a^t beginnen: barum frage td& bid& guerft, 
ob bu felbft bift ober in beiner Slntmort auf biefe meine ^rage eine 
Söufd&ung befürdfeteft, obgleidö l^ter feinerlei Srrtl^um möglidö ift, benn 
roenn bu nid^t loäreft, fönnteft bu aud& nid^t getauf d&t tt)erben". ©enau 
fo l^atte S)e§carteg in feinen aJJebitationen geft)rodren, ol^ne ju toiffen, 
baß fein «Cogito ergo sum» in Sluguftin einen 35orgdnger l^atte. 
9llg er burc^ 9(rnaulb bie Uebereinftimmung erful^r, banite er i^m 
für biefe erfreulidfte Ueberrafd^ung. 

Sinbeffen toirb burdö öl^nlidöe 9lu8gang8i)un!te fo menig eine 
mirflid^e unb enbgültige Uebereinftimmung bett)iefen, ate burd6 öl^tt* 
lid^e Slefultate. Slid^tungen, bie Don entgegengefe^ten 5J3rincit)ien au§- 
gel^en, !önnen in gett)iffen 5Pun!ten gufammentreffen, loie g. 95. bie 
cartefionifd^e unb fenfualiftifd&e ßel^re in Slnfel^ung ber mcd^aniftften 
SRaturerüärung ; ebenfo fönnen an^ einem gemeinfamen Slnfang 9li4= 



@inti)ütfe UTtb €t)üteberuTtgett. 895 

tungen cntf^jrtngcn, toeld&c in il^rem SBcrIauf toeit auSeinanbergel^en : fo 
Dcrl^ölt c§ jtdö in getüiffcr SRü(ifici6t mit ber cartefianif^en unb 
auguftinifd&cn ßcl^re. SBenn man i^re SCragtocitc Dcrfolgt unb bie 
ßcfd^t^tlid&cn ßntroidlungSformcn fietbcr öcrglcid^t, fo cntbedt fid& ein 
©cgenfa^, ber nid&t großer gebad&t toerbcn fann: auS bcm auguftinifdöen 
©Aftern folgte bog Rrd^Ud^e 58ett)u6tfein beS aJlittelalterö unb bie 
^errfd^aft ber ©d^oloftü, qu§ ber Seigre Se§carte§' ba8 ©Aftern 
©pinojoS. 

3nbeffen lag ein foldöer ®egenfa§ bem Sett)u6tfein unfereS ?ß]^ilo= 
foi)]^en nodö fern, ©o toeit bie 3tid&tung ber ^ßl^ilofopl^ie, bie er 
Begrünbet l^otte, in il^m felfift enttoidtelt unb au8ge))rägt xoax, burfte 
er fidö ä6er ben grünblid&en ©egcnfo^ feiner ßel^re unb beS tl^eotogifd^en 
©^ftemS töufd&en unb in hzn wefentlid^en 5ßun!ten bie Uebereinftimmung 
Beiber für auSgemad^t l^alten. ©alt i^m bod& baS ®afein ber ®inge, 
bie @rfenntni§ ber ©eifter, bie Bewegung ber Äörper aU baS 
f(i&ö})ferif(i&e 2Ber! ©ottcS. ®er menfd&Iid&e ©eift tt)dre in unburd^« 
bringlid^eS ©unfel gel^ftüt, tt)enn nid&t bie 3bee ©ottes, alfo ©ott 
felBp il^n erteud&tete; bie Rbxptxtodt toöre ftarr unb IebIo§, »enn 
nid&t ©Ott felBft fie betoegte; bie S)inge !önnten toeber fein nod& Be^ 
[teilen, loenn nid^t ©ott fie gefd&affen l^ätte unb erl^ielte. @o ift bie 
menfd&Iid&e ©rienntnife in il^rem legten ©runbe ©rleud^tung, baS 
S)afein ber SBelt ©d&öpfung, il^re ®auer fortmäl^renbe @c6öt)fung. 
S)ie§ alles leierte aud& Sluguftin, aber er lehrte au§ fuj)ranaturaliftifd^en 
©rünben, bie auf ber SC^atfad&e beS ©lauBenS unb ber d^riftlid^en 
Offenbarung Berul^ten, tt)a§ SDeScarteS im natürlid&en ßid^te ber 35er= 
nunft, beffen Urquell er in ©ott fal^, Bett)eifen tooöte. ®ie SRid&t= 
fd&nur be§ auguftinifd^en ©^ftemS ift ba^ d^riftlid^e ©lauBenSintereffe 
unb bie (fd^led&terbingg üBernatürlid^e) Stl^atfadfee ber ©rlöfung; bie 
Slid&tfd^nur beS cartefianifd&en ift nur ba§ natürüd&e ßid^t ber SBernunft, 
ba§ Ware unb beutlid&e 2)enlen. ®arin Befielet ber burd&göngigc 
©egenfa§ Beiber. 

Slrnaulb fül^tte biefen ©egenfa^ ; feine SBebenfen regten fid6 gegen 
bie rationaüftifd^e S)enfart unb beren notl^loenbige Folgerungen. 95lit 
ber Jületl^obe beS Haren unb beutlidften ®enfen§ ift bie SBal^rl^eit ber 
fird&üdöen ©lauBenSlel^re nid^t Dertröglid^. SBir er!ennen Ilar unb 
beutlidö, ha^ bie aJlobi nid^t ol^ne ©uBftanj, biefe Sefd&affenl^eiten 
nid^t ol^ne biefeS ®ing, bem fie jufommen, fein fönnen; e§ ift un» 
möglid^, ba^ bie SBeft^affenl&eiten f^nb, toöl^renb ba§ S)ing nid&t mel^r 



396 2)te erfle !rtttf4e $robe. 

tft, bafe jene Bleiben, »öl^renb biefeS fiij Dertoonbett, bafe Srob unb 
SBetn in gleifdö unb ffilut untfletDanbelt toerben unb boS) xf)xe Se= 
fd^affenl^eiten, ©eftalt, garbe, ©ef(36madt u, f. f. bel^alten. @8 ift 
unmöglid^, ba^ ©ubftanj unb ajlobi je Don einanber getrennt tocrben: 
eine fold^e unbenfbare Trennung fann aud6 bie göttlid&e Slümad^t nid^t 
bctt)ir!en, fonft toürbe fie bem Haren unb beutlid&en S)en!en gutoiber- 
banbeln. ©eScarteS verneint biefe 3Dlö8lid&!eit, bie bet-®Iaube an bie 
StranSfubftantiation im ©acrament beS Slltarg bejal^t. 2lrnaulb unb 
bie @intt)ürfc an fed^Ster ©teile l^ielten bzm $l&itofo})]§en biefe SBcbenlen 
entgegen. SQBir erfennen Hat unb beutlid^, ba§ ©ubftanjcn unab= 
gängig t)on einanber finb, alfo niemals ein SBefen ausmalen fonnen: 
5ßerfonen finb ©ubftanjcn, bie ©inl^eit breier ^JJerfonen, n)ie fie in ber 
göttlid^en Srinität geleiert toirb, erf^eint unbenfbar. $!Jlit bem ©a^, 
ba^ ©ubftanj unb 3Jlobi untrennbar öerbunben finb^ ftrcitet bie 
Slbenbmal^ISfel^re, mit bem @a§, bafe ©ubftanjen notl^toenbig getrennt 
finb, bie SCrinitfttSlel&re. ^ 

3lrnaulb bemerfte, bafe bie Flegel ber ©etoifel^eit auf bie })]^iIo= 
fol)]^if(iöc ©rfenntni^ eingufd^rönfen unb nid&t auf 3leKgion unb 5üloraI 
anjutoenben fei; S)e8carteg möge in Uebereinftimmung mit Sluguftin 
bie ©rengen ätt)if(^en ©lauben unb Sffiiffen einl^alten: bicfeS berul^e 
auf ©rünben, jener auf Slutorität. ®e§carte8 fonnte fid^ leidet mit 
Slrnautb tjereinigen, benn jene @infd&ränlung toar nad6 feinem ©inn 
unb nad& ber äüd^tfd^nur feiner ßebensmetl&obe. Snbeffen finb bie 
^Probleme ber ?|}]&ilofo})]^ie möd^tiger, als bie Steigungen unb 8cben8= 
regeln beS 5ß]öiIofo})]^en. S)ie ©clbftbefd&rönfung, toeld^e SeScarteS für 
feine 5Perfon fid^ aufjulegen für gut fanb, fonnte ber ©eift feiner ßel^re 
nid^t auf bie S)auer ertragen. 

3. S)ic Slngrtffgpunftc. 

2Bir Serben unS über btn ^nl^alt ber 6intt)ürfe unb il^re 2ln= 
griff8l)unlte am beften orientiren, toenn toir un§ bie Sarbinalpunfte 
be§ ©^ftem§, foloeit baffelbe in ben SJtebitationen entl^alten ift, t)er= 
gegeniDdrtigen. ®ie l^erDorfpringenben ßeljren finb: ber metl^obifc^e 
Srocifel, baS ^princip ber ©em^l^eit, bie 3bee, ba§ ©afein unb bie 
SBal^rl^aftigfeit ©otte§, bie 9iealität ber ©innenioelt, bie Urfad&e be§ 
3rrt]^um§, ber SBefenSunterfd^ieb ätüifd^en ©eift unb Äört)er. ©egen 



1 Obj. IV. (T. II. p. 35.) Obj. VI. (T. II. pg. 327-329.) 



®intt)ütfe utib ©rttjicbctungen. 397 

bicfe §aut)t})unftc concentriren fid& bic (Sintoürfc unb laffen fid& bem= 
gcmöfe orbneti. 

S)tc neue ^öietl^obe unb bcren f!e})ttfd&e Segrftnbuttg finbct tl^rcn 
^am)t9C9ner in bcm Sd&otaftifcr, bcr [x6) in ber alten Jftid&tung bcr 
©^ttogiSmen unb ßcttcnfd^Iilffc l^etmifdö unb fiarf fül^It. ®a§ 5j}rinctt) 
bcr ©etotfel&ctt Itaft beS reinen ®en!en8 unb bie barauf gegrünbetc 
ße^re ber obfotuten Unabl^ftngigfeit beS ©eifieS Dom Rbxptx tt)irb bon 
ben fenfnaliftifd^en $]^iIofoi)]^en befämpft, bcnen bic finntid&c Sen!art, 
bie ba^ SBctoufetfein ber meiften ajlen}(^cn bd^errfdöt, jur ©eile fielet 
©al^cr ift an bicfcr ©teile ber Raufen bcr 6intt)ürfc am bid&teften: 
l^icr J)crBinben fid& mit ^^obbeS unb ©affenbi jene „Derfd^iebenen 
2;i&eoIogen unb 5p]§iIofo})]öen", Don bcnen bic jtt)eitcn unb fcd&gten @in= 
loürfc l^crrül^rcn. ©egen bit Selocife Dom 3)afcin unb bcr ^Sa^x- 
l^aftigfeit ©otteS, inSBcfonbcrc gegen bie Folgerung, ba§ ©ott nid^t 
gu töufd^cn Dermöge, crl^cben fid& eine 9leil^e SBebenfen, toorin bie 
ungenannten StI&eologen mit ©aternS unb Slrnaulb toetteifern; nuc 
ba6 ber Ic^tcrc, ber in ben ©eift ber neuen ßcl^rc tiefer einbrang, bie 
©inftci^t Doraugl^attc, bafe ©eScarteS' ontologifdöcr Selocig ber fd&o= 
laftifd&e nic^t loar. 

1. 6§ ift bei ben ?ß]öitofot)]öen bcr neuen Seit, gleid&Diet tt)eld&er 
3lid&tung fie angcl^örcn, ein fteiienbcr 3ug, bafe fie bie attc 6d&utc, 
in§be[onbere bie ©isputirfunft, tt)cld&e auf ben Sel^rfangcln be§ $0itttel- 
altcrS il^rc 3;rium})]^c geerntet l^attc, Don ©runb aus Derat^tet. ®aS 3tecf)t, 
womit fie auf bie ©d&olaftif l^erabfcl^cn, loirb fid& in einem concreten 
{fall am beften Beurtl^eilen lajfen, tomn man Dor Singen fielet, loic ein 
ßIo})ffe(J5ter ber alten ®iale!ti! gegen ben S3cgrünber einer neuen, ent« 
bedtenben aJlctl^obe feine ßange einlegt. 3tn biefer 3lüdCfid&t finb bie 
@intt)ürfe be§ Sefuiten SBourbin (|iarafteriftifd& unb felbft nid^t ol^nc 
culturgefd^id&tlidöcg Sfutcreffc. S)cr ©cgner toiÖ nadö ben Flegeln ber 
©^Ilogiftif beloeifen, ba^ bie 35iet]^obe ®eScartcS' unmöglidö fei, ba^ 
fie loebcr anfangen nod& fortfd^rcitcn nod& irgenb ettt)aS, ausgenommen 
baö reine 9lid^t§, Bctt)eifen fönne: fie fei guglcid^ abfurb unb nil^iliftifd^ 
im ©inne ber Dölligcn 9lid6tigfeit. 

®cr ©a§ ber ©eioifel^eit, mit bcm bic metl^obifd^c ©rfenntni^ 
beginnt, grilnbet fid^ auf ben Dölligen Stoeifcl, ber iebe ©ewifel^eit 
Derneint. 3uerfi toirb crftört: „SRid^tS ift getoife"; bann toirb l^ierauS 
bctoiefen: „(SinigeS ift gett)i6". SluS einem allgemein Dcrneinenben 
Urtl^eil foH ein })articular bcial^enbeS folgen, tt)ag nad^ ben ^Regeln 



398 S)ie crpc fnttf(6e ?robe. 

bcS ©d^luffeS uumöaltd^ ijl: fo unmöglidb ift ber ©a§ ber ©ctoifel^cit, 
ber DcrmcintUd^c Slnfang aöcr (grfcnntnife. 

S)affclbc gtU Don bcm ©o^e bcS 3tt)ßtfct8. SBeil totr uns in 
einigen Rotten gctöufd&t l^abcn, foK bie Jülöglidöfeit ber Säufd&ung für 
otte JJötte gelten; tDeil einiges ungetoife tji, barum foÖ alles ungetoiB 
ober nid^tS gett)iB fein. ®iefe Folgerung iji unmöglidö, benn quS 
einem Urtl^eil Don })articularer ©ettung läfet fid& fein oÖgemcingilttigeS 
ableiten: fo unmögtid^ ift ber ©a§ beS 3toeifels, ber DermeintUc^e 
Stnfang ber ^ßl^ilofopl^ie. SBenn ber ©a§ beS 3ti5cifcl8 in SBal^rl^eit 
gilt, fo muß er aud& rödCtoirfenbe ßraft l^aben unb feine eigene 
SSorauSfe^ung jerftören: toenn nid&ts getoife ift, fo ijl aud& nid&t getoife, 
ba§ einiges ungetoife ift. ©o unmöglid^ ift nid^t btofe baS 3lefultat, 
fonbern auci& ber Slnfang beS SweifelS. ^ 

Sin ber Unmöglid^feit, ein uniöerfeüeS Urtl^eil burd& ein parti- 
cuIareS ju begrünben, fd&eitert nad& 33ourbin bie ganje cartefianifd^e 
5|}l^iIofol)]Öie , aud& ber ©ualiSmuS jtt)ifd&en ©eifi unb Süiatcrie, an(k 
bie ^pi^^fü, bie auf bem ©a^e berul^t, bafe bie Iörl)erüd&e SRatur blofe 
auSgebel^nt ift. SBenn einige ßorl)er auSgebcl^nt finb, fo folgt nid^t, 
baB biefe ©igenfd^aft t)on aUen ^öxpzxn gilt, noc^ weniger, ba§ fic 
baS SBefen berfelben auSmad&t, unb barum bie ©eele, toeil fie un- 
tl^eilbar (nid^t auSgebel^nt) fei, niemals !örperlid&er Jlatur fein fönne. 
Sluf biefe Slrt beloeift man bem Sauern, baB bie Sigeufd^aften, bie 
er an feinen ^auStl^ieren fennt, alle toefentlid&en ber Siliere finb, unb 
barum ber SBolf fein SCI^ier ift.^ 

©0 unmöglid^ jeber SSerfud^ beS SlnfangS ber 6rlenntni§ nad^ 
ber Jületl^obe ®eScarteS' ift, fo unmöglid& ift ieber SJerfud^ beS gort- 
fd&rittS; fie fin!t bei jebem ©d^ritt, ben fie tl^ut, inS Sobenlofe, inS 
leere SRid^tS. SRan brandet ben ©ang biefer JDletl^obe nur nad& ber 
SRid^tfdönur ber ©^llogiftif ju beurtl)eilen unb nad6 ben regetred&ten 
formen in «celarent», «cesare» u. f. «). fortfd&reiten ju laffen, um 
gu feigen, tool^in fie fü^rt. Sllle Sßefen, beren ©jiftens gtoeifell^aft ift, 
finb nid&t toirHidö: bie ®Eifteng beS Äört)erS ift gloeifell^af t , alfo ift 
ber ^öxpex !ein toirüid^eS SBe[en, alfo !ein toir!lid6eS SBefen ein 
Äörj)er; iä) bin wirHid^, alfo bin id& !ein Rbxpzx, SRun ift nad& 
SeScarteS alles gioeifell^aft, folgeridötigerioeife aud^ ber ©eifi; alfo 



» Obj. VII. (T. IL pg. 393-404, 412-415.) 
2 Obj. VII. pg. 441-443. 



@intt)ürfe unb @ttt)iebci*ungen. 399 

ifi btcfer eben fo menig real aU ber Körper, baijtx finb töir felbft 
IDcber ®cift nod^ ßöt:pcr, olfo nid^tS. S)a nun aßeS cntmeber ©cift 
ober Äörper fein mu^ unb feines t)on Beiben fein fonn, fo ift über» 
^aupt 5Rid&t3. ®S ift bemnad^ einleud^tenb, ba^ nodö ber neuen 
2Jletf)obe ber @r!enntniB toeber angefangen nod^ fortgefd^ritten nodö 
irgenb ein 3irf erreid^t merben fann. Salier mu§ man t)or ber 
©d6tt)elle berfelben mnfel^ren jur alten 5öiet^obe, tüie bie ©d^ule fie 
leiert: t)on ber nil^iliftifd^en jur f^ßogiftif d^en , t)on ber ffel)tifd6en jur 
bogmatifd&en, t)om SartefianiSmuS gur ©d^olaftif.^ 

2. 3lnberer 9lrt, wie ju erwarten ftel^t, finb bie 93ebenfen, toeld&c 
^obbeS, ©affenbi unb 2lrnaulb bem cartefianifd^en Stoeifel entgegen« 
fe^en. §obbc§ bel^anbelt bie ©ad&e ettoaS t)on oben l^erab, er be= 
flreitet bie Sieul^eit beg StoeifelS unb feine ©ültigfeit in Slnfel^ung 
ber finnlid^en (Srfenntnife; fd^on unter ben alten 5P^iIofo^3]^en t)or 
unb nad6 ^JJlato l^abe eS @fe:ptifer t)on ^JJrofeffion gegeben, unb 5piato 
felbft l^abe t)iel t)on ber Unfid^erl^eit ber finnlid^en SQBal^rnel^mung 
gerebet; S)eScarte§ tottrbe beffer getl&an l^aben, ba^ alte S^ug nid&t 
toieber ju erneuern, bie ©ad^e fei nid^t mobern, fonbern gel^öre gu 
ben ©d^rullen be§ Slltertl^umS. ©affenbi tt)ill fid^ einen gemäßigten 
6fej)tici§mu8 nad^ 3lrt ber SBeltleute gefallen laffen, aber htn carte^ 
fianifd^en finbet er übertrieben, l^ier toerbe baS ßinb mit bem SBabe 
ausgefc^üttet unb ein neuer Srrtl^um an bie ©teUe be§ alten gefegt: 
man töufd&e fid^ felbft, toenn man fid^ einen Stoeifel einbilbe ober 
einrebe, ber gar feine ©etoifel^eit übrig laffe, unb fo fel^r man au^ 
öerfic^ere, ni(^ts für getoiß gelten ju laffen, bel^alte mau bod6 Dbiecte 
genug, bie man nid^t bejtoeifeln fönne, fonbern als öoüfommen ficfter 
anfeile unb bel^anble: bal^er fei ber Streif el ©eScarteS' ju einem guten 
Stfieil ©elbfttöufdöung. Slrnautb bagegen fül^It, baß biefer Stoeifel bie 
inteßectuelle ©elbftgeredötigfeit beS 5ülenfd&en erfd^üttert, unb bejal^t 
feine ©eltung, fofern biefelbe fid& bloß auf baS natürlid^e ®rfennen 
crftredt unb bie ©ebiete beS ©laubenS unb ber 5üloraI grunbfö^tic^ 
Don fic^ fernl^ölt.* 

3. S)a8 5princip ber ©etoißl^eit toar in bem ©a§ «Cogito ergo 
8um» entl^alten: „Sfd^ benfe, alfo id^ bin; id& bin ein benfenbeS SBefen 
(©eift)". 2Bir muffen bie ©intoürfe, bie in SD^enge gerabe biefem 



1 Obj. VII. pg. 444-455, 461-463, 489-504. - 2 Obj. III. (T. I. pg. 
466-467.) Obj. IV. (T. IL pg. 30.) Obj. V. (T. IL pg. 91-92.) 



400 2)ie erfte iritifdge $robe. 

©ö^c gegenüberliegen, genau fonbexn. @o furj berfelbe ip, fd^Iiefet 
er eine Sleil^e toid&tiger unb WQ^gebenber SBel&QUiptungen in fid^, bte 
S)e8cQrte§ in folc^er ©eOung qu8 il^nt ableitet. Salier bietet ba« 
«Cogito ergo sum> mel^r aU einen 2lngriff§i)unft. 2fu8 bem „^^ 
benic" folgen genau genommen jtoei ©ö^e: 1) Sd^ bin ober ejiftire, 
2) Sdö bin benfenb ober id^ bin ©eift. S)ie 2(rt ber fjolgerung ift 
genau ju mürbigen in breifad&er SlüdEficfit: 1) bie ®ett)ipeit be3 eigenen 
©eins folgt nur au3 bem ©enlen, aus feiner anberen 2;]öätigfeit; 
2) aus bem S)en!en folgt junöd^ft nur bie ©emife^eit ber eigenen 
benfenben Statur, leine anbere; 3) biefe ©etoifel^eit folgt aus bem 
S)en!en (nid^t mittelbar, fonbern) unmittelbar: ber ©a§ ift fein 
©d6Iu§, fonbern eine unmittelbare ober intuitive ©emi^^eit. 

S)arauS ergeben fid^ folgenbe 9lngriffSi)unfte unb ®intt)ürfe: 
1) aus bem „3d^ benfe" folgt jtoar ber ©a§ : „3d^ bin ober ejifiire", 
aber nid^t: ,M bin ©eift" ; 2) ber ©a^: ,M bin" folgt fetneStoegS 
nur aus meinem S)enfen, fonbern eben fo gut aus jeber anberen 
meiner ^anblungen; 3) ber ©a§: „3dö benfe, alfo id^ bin" ift ein ©d^Iuft 
unb fe^t t)orauS, tt)aS er betoeifen mitt, fo lange fein Dberfa^ nid^t 
betoiefen ift; er ift eine «petitio principii» unb l^at als fold^e feine 
©ettjifel^eit. S)aS erfte SBebenfen erl^ebt namentlid^ §obbeS, baS gtoeitc 
©affenbi, baS britte bel^anbeÜ unb toiberlegt ©eScarteS bei ©elegenl&eit 
ber jtoeiten ®intt)ttrfe. 

SluS bem ,M benfe" folgt ol^ne Srage, ba§ id& bin, unb ba^ gu 
meinen Stl^öttgfeiten ober ©igenfd^aften bie beS S)enfenS gel^ört, ba^er 
barf ol^ne SBebenfen geurtl^eilt toerben: ,,idö bin benfenb ober td& bin 
ein benfenbeS SBefen", aber nid&t: ,M bin ©eift, ober mein SBefen be= 
fielet im Senfen". S)ieS l^iefee, bie Sigenfd&aft gum S)ingc felbft mad^en. 
®er erfte ©a^ ift rid^tig, ber gtoeite abfurb. S)aS Senfen ift fo 
toenig ein für fid6 beftel^enbeS SBefen als baS ©l)agierenge]^en. ®ben 
fo gut fönnte man fagen : „3d^ gel^e fpagieren, alfo id^ bin ©pagicrgang".^ 
STuS bem ©a^ „^ij benfe" folgt öernünf tigertoeif e : td^ bin ein benfenbeS 
SBefen, b. 1^. ein ©ubject, bem unter anberen ®igenfd6aften ober 5l]^ätig= 
feiten bie beS SenfenS gufommt. Offenbar fann bie S^l^ätigfeit nid^t 
oud) ©ubject ber Sl^ätigfeit, baS Senfen nid^t aud^ ©ubiect beS ©enfenS 
fein. 3d^ fann tool^l fagen: id^ benfe, bafe id^ gebadet t)abe, b. f). i^ 
erinnere mid&, njaS eine befonbere 9lrt beS S)enfenS ift; aber eS ift 



1 Obj. III. (T. I. pg. 468—469.) 



(Sinioürfe unb ©rtoicbctungcn. 401 

Unftnn ju fagen: ,, baS S)cnfcn benft" ober „x6^ bmU, bafe id& ben!e", 
benn bieg ttjürbc gu einem enblofen Slegrefe führen unb olleS S)enfen 
unmögüdö mad^en, ba ba§ ©ubject, ber Präger beg S)enfen8, nie ju 
©tonbe lommt. 

SWtd^tS ift einleud^tenber qI§ ber Unterfd&ieb jtoifd^en ©uBject 
unb S^ätigfeit, jtoifd&en S)ing unb Sigenfd&aft; xä^ bin bal^er als 
©ubject be§ ®enfen§ ein t)om S)en!en t)erj'd6iebene§ SBefen, b. )&. 
id6 bin ein ßöri)er, toeld^er benft. 5Rad6 biefem ©a§ ift ber 
©artefianigmuS abgetfean, unb ber fenfudiftifd^e SülaterialiSmuS an 
feinem Pa§.^ S)er ©eift befielet in ber ben!enben Sl^ötigfeit be§ 
Äörpets, ba^ S)enfen in ber S5erfnttl)fung ber SBorte, meldte SBor^ 
flettungen ober Sinbilbungen bejeid^nen, bie t)on ber SBetoegung unb 
ben ©inbrüÄen ber förperü(|en Organe betoirlt toerben: ba^er finb 
aüe 3been finnüd^en UrfprungS unb ber ©eift nid^tS t)om Körper 
Unabl^öngigeS. ßlare unb unllare aSorjiellungen finb nid^ts anbereS 
als Ilare unb unflare SinbrttdEe; ein nal^eS Dfiiect feigen toir beutlidö, 
ein entferntes unbeutlid^; mit betoaffneten Slugen feigen wir genau, toaS 
ben unbetoaffneten unbeutUd^ ober gar nid&t erfd^eint. Sie aftronomifd^e 
SJorfteÖung ber ^immelsforper öerl^ölt fid^ ju btm gettjöl^nlid&en 3ln» 
BlidE berfelben, toie baS teleflopifd^e ©el^en jum blofeen ©el^en, mie ber 
beutlid&e SinbrudE jum unbeutlid^en. ©innlidö finb beibe Slrten ber 
aSorftellung. 

9lIIe unfere SSorftellungen finb nur finnlid^, bie fogenannten 
2lÖgemeinbegriffe finb auS unferen SinbrüdEen abjiral^irt unb l^aben 
feine reale, fonbern nur nominale SBebeutung. SBaS toir finnlid^ toal^r- 
nel^men, ftnb nidöt bie S)inge felbft, fonbern il^re ©igenfd^afteu unb 
Sleu^erungen : bal^er ift ber Segriff ber ©ubftanj eine SBorftettung 
ol^ne Dbject. 5lIIe SinbrüdEe empfangen toir t>on au§en, bal^er giebt 
es feine angeborenen ^betn, feine befonbere SJlitgift beS ©eifteS, bie 
ber aJlenfd^ t)or ben übrigen SBefen t)orauS l^ötte: bal^er ift er nid^t 
ber 3iatur, fonbern nur bem ©rabe nad& t>on bm Sll^ieren öerf d&ieben. ^ 

4. ©0 ift mein Senfen aud^ nid^t bie einjige Sl^ötigfeit, aus 
toeld^er bie ©etoi^l^eit folgt, ba^ id^ bin. D^ne Stoeifel folgt biefe ©e» 
toifel^eit aus ber Sl^ätigfeit meines S)enfenS, aber nid&t toeil biefe 



1 Obj. in. (T. I. pg. 469-470, pg. 475). »gl. Obj. VI. (T. IL pg. 318 big 319.) 
«Obj. m. (T. I. pg. 476-477, pg. 485— 487, pg. 483.) Sögl. Obj. VI. 
(T. II. pg. 320-321). 



402 2)ie erfte Itittfdge $robe. 

Sl^ättglcit ©cnfcn, fonbetn tocil biefeS ©enfcn meine Sll^ättgleit tp. 
S)er @Q^: „it^ gel^e fpQgieren, alfo td^ bin" ift c6en fo getötß als bo8 
«Cogito ergo sum».^ SBcnn mein ©ein im ®en!en beftänbc, fo 
lönnte id& ol^ne ju benlen leinen Slugenblid fein, bonn mufetc ber 
10lcnf(^ anä) im embr^onifd&en Suftanbe nnb im letl^argifd^en ©d^Iafe 
fid& benfenb t)er]^atten. SBir fönnen ol^ne Setonfetfein nid&t bcnfen, 
tool^I ober eEifiiten, bal^cr finb nnfer ©ein unb unfer ®enfen feinc§= 
tocgS ibentifd^.' 

Slud^ leiflet, toie ©offenbi finbet, ber ©q^ ber ©etoi^l^eit nici&t, 
tt)Qg toir nad& hen SBerl^eifenngen S)egcarte8* erwarten burften: bie 
genauefte nnb tiefftc ©rfenntnife unferer eigenen ?iatnr. 2Bü8 ifi mit 
ber ©infid^t, bo^ tt)ir ben!enbe SBefen finb, SReneS unb SBefonbereS 
gewonnen? SBir erfol^ren, toaS tt)ir längft getoufet l^aben. Sßenn man 
uns eine grflnbUd&e SBelel^rung über bie Statut beg SBeinS t)erfpri(ä&t, 
fo ertoarten tt)ir eine genaue d^emifd^e Slnal^fe feiner Seftanbtl^eile, 
aber nid&t bie ©rKörung, ba^ er ein flüffigeS Sing ifi. 3Bir l^aben 
bie ©igenfd^aft ju benfen, mie ber SBein bie Sigenfdöaft ber fjlüffig^^ 
!eit l^at. 2Ba8 toeiter? ®in fold^er ©emeinplafe ift ber carteftanifd^c 
@a§ ber ®ett)iB^eit.^ 

5. $Run aber ifi biefcr ©a§ nid^t einmal gett)i§, bcnn er ift 
1) nadö beS ^Pl^ilofopl^en eigener ßrfiörung burd^ unfere ©otte8getoi6= 
l^eit bebingt, bal^er allen Scbenlen über bie ©ültigfeit ber SBetoeife 
t)om S)afein ©otteS ausgefegt (ein Sintourf, ber gu öerfd&iebenen 
malen mieberlel^rt) unb 2) ein ©d^Iufefa^, ber t)on einer unbeioiefenen 
S5orau§fe§ung abl^ängt. ®er öoßftönbige ©^ÖogiSmuä l^eifet: „aCe 
benfenben SBefen finb ober ejiftiren, id& beule, alfo id& bin'\ Um 
h^n Dberfa^ ju betoeifen, mufe fd^on bie ©eltung beS ©d6lu§fa^es 
t)orauSgefe§t toerben: bal^er ifi biefer @l)ttogi§muS nid&t bIo§ eine 
petitio principii, fonbern aud^ ein cireulus vitiosus, toie bie ßogifer 
fagen. S)iefe 33eben!en ttJürben treffenb fein, totnn ber @a§ ber 
©ett)i§]^eit ein ©^ÖogismuS toäre. SBir ertoarten, toaS S)e§carteS er= 
toiebern toirb.* 

6. S)er le^te ©runb aöer ©etoi^l^eit unb ßrfenntni^ toar bie 
©ottcsibee in uns, bereu Urfad^c nur ©Ott felbft fein tonnte. SaS 
toar in ber ßürge ber ontologifd&e SBetoeiS, beffen tief finnige 5Bc= 

i Obj. V. (T. II. pg. 93. SSgl. pg. 248, T. I. pg. 451 m 452.) 

2 Obj. V. (T. II. pg. 101-102.) 

» Obj. V. (T. IL pg. 122—123.) - * Obj. IT. (T. I. pg. 403-404.) 



@ititt)ürfc unb ©Ttoiebetungen. 403 

grünbung in ber ßcl^re ©egcQxteS' tott auSfül^tlid^ Icnnett gelernt Reiben, 
unb toeld&e twn ben ©egnern feiner gu toürbigen geteuft l^at. Sin btefer 
©teile fd&aoren fi(| bie ©intoürfe. Um bie 9lngriff§l)unlte gu fonbern, 
unterfd^eiben toir bie ©ö^e, bie ber SetoeiS in fici& fd&lie^t. ®g tüirb 
geforbert: 1) bafe ber ©a^ ber ©aufalitdt aud& t)on ben Sfbeen gelte, 

2) ba^ insbefonbere bie ©otteSibee einer realen Urfad^e bcbürfe, 

3) ha^ biefe 3fbee uns angeboren fei, 4) ba§ aus biefer angeborenen 
3bee bie Slealität ©otteS unmittelbar einleud^te, 5) bafe ©ott bie 
Urfad^e feiner felbji fei unb barum unenblid^. Seber biefer ©ö^e bietet 
einen 2lngrippun!t. 

S)ie 3fbeen finb ®eban!enbinge, bie feine reale, fonbern nur 
nominale ©Eiftenj l^aben, barum Bebürfen pe feiner realen ober actioen 
Urfadöen, am toenigften fold^er, bie mel^r „objectiöe Sflealität" entl^alten, 
als fie felbft. S)iefen ©iniourf fteütc ßateruS an bie ©pi^e feiner 
Säebenf en. ^ 

S)ie ©otteSibee ift uns nid&t angeboren; fie mü^te fonft aßen 
ftets gegenwärtig fein, aud^ im ©d^lafe; t)tele liaben fie gar nid^t, 
feiner immer: bal^er fann bie Urfad&e berfelben nid&t ©ott fein. SBir 
felbfi finb biefe Urfad^e, bie ©otteSibec ift unfere ^iction, ein ajlad^toerf 
beS menfd^lidöen SBerftanbeS, ber fid& bie SBorftellung eines öoüfommenen 
unb unenblid&en SQäefenS bilbet, inbem er bie SBoBfommenl^eiten, toeld^e 
er fennt, fteigert, bie ©d&ranfen erweitert, t)on ben UnöoBfommenl^eiten 
abfielet, ©o entftel^t burdö ©teigcrung unb Slbftraction in unferer 
ßinbilbung bie Sfbee ©otteS. Ss ift nid^t xodi)x, ba% bie SBorfteüung 
eines unenblid&en SBefenS burd^ biefeS felbft bewirft fein muffe. S)aS 
unenblid^e SBeltall ift aud^ nid&t bie Urfad&e unferer SBorfteßung 
beffelben, fonbern wir gelangen gu biefer SBeltibee, inbem wir unfere 
gunöc^ft befd[)ränfte SBeltanfd^auung aümäl^lid^ erweitern unb jule^t 
ins Unerme^lidfee auSbel^nen.^ 

©al^er entl^ölt unfere ©otteSibee nid&tS t)on ber 3lealitöt ©otteS. 
S)ie le^tere lä^t fid^ aud^ nid^t auS bem ®afein ber Singe beWeifen, 
benn bie SSorauSfe^ung einer legten ober erften Urfad^e ift nid&tig, 
ba ber ßaufalnepS ber Singe enbloS ift unb wir nid^t bered^tigt 
finb, il^m eine ©d&ranfe gu fe^en. 3lber felbft eingeräumt, es göbe 



» Obj. I. (T. I. pg. 355-356.) 

a Obj. II. (T. I. pg. 400-402.) Obj. III. (T. I. pg. 479-480.) Obj. V. 
T. II. pg. 139-140.) 

26* 



404 3)te crftc ftitifdje ^xoU. 

ein SBcfctt, tt)cld6c8 Urfad&c feiner felfcft tt)öre, fo tottrbe aus btefer 
Unbebingtl^eit (Slfeität) nod^ feineStoegS feine Unenblid&feit folgen.^ 

2luS ber Sfbee ©ottcS folgt nid&t bie ©sifteng ©otteS, nod^ tocniger 
crl^ettt fie bar aus Uax unb beutlid&. S)ann ntfifete t)or aüem jene 
3bce felbft flar unb beutlidft fein; fie ifi ba^ ©egentl^eil, oud^ nad^ 
3)eöcarteS* eigener SD^einung, benn toir finb enblid&e unb unt)ottfommene 
Sefen, ©ott bogegen unenbUdö unb öottlommen. SBdre bie 3bee 
©otteS ber ©runb aller ©emi^l^eit, fo toöre nie ju begreifen, loie 
Slt^eifien il^re mat^ematifd&en Sinfid&ten für jtoeifeUoS l^alten fönnten.^ 

S)ie 2(bee ©otteg ift toeber angeboren nod^ ift fie flar unb beut= 
Ixä), ^obbeS gel^t toeiter unb befireitet ttBer]^au:pt i^re 3JlögIid^!eit, 
benn e§ fel^It einer fold&en 3bee ber Urfprung, ber ©egenftanb unb 
baS aSermögen. S)a fie nid^t angeboren ift, fo mü^te fie t)on bcn 
3)ingen abftral^irt fein ; t)on ben ßöri)ern lö^t fie fii nid^t abftral^iren, 
oon ber SSorftettung ber ©eele aud^ nid&t, benn tt)ir l^aben üon ber 
festeren ü6er]öaul)t feine beftimmte aSorftettung. ®er ©egenftanb jener 
3bee fott eine unenblid^e ©ubftang fein, ein S)ing, toeld^eS alle onberen 
an Sieaütöt übertrifft, aber t)on ber ©ubftauj giebt eS überl^aupt 
feine SBorjieÜung, unb ein S)ing, baS ntel^r 2)ing als alle anberen 
fein fott, läfet fid^ nid&t benfen. 

9ltte8 S)enfen beftel^t im fjolgern unb Slbleiten: bal^W ift ba^ 
Unbebingte unbenfbar, bie Sfbee ©otteS unfaßbar, unb alle Unter= 
fud^ungen über biefelbc unnü§. 5Run berul^t auf ber ©otteSibee in 
uns bie ganje a3ett)ei§fraft ber cartefianifd&en Slrgumente. SBenn ©ott 
nid^t in SBal^ri^eit ejiftirte, fo fönnte in uns niemals bie ©otteSibee 
fein. Sie Sgifienj biefer 3bee in uns, fagt ^obbeS, iji unbeioiefen, 
unbetoeisbar unb meiner Meinung nad& unmöglid^. ®arum ^at S)eS= 
carteS baS 2)afein ©otteS nid^t betoiefen unb nod^ t)iel toeniger bit 
©d&öpfung.^ 

7. SBenn eS überl^aupt feine rationale ©otteSerfenntntß giebt, fo 
barf auf biefelbe aud^ nid^t bie SD^öglid&feit einer ©rfenntniß ber ®inge 
gegrünbet toerben. S)e§carteS grünbet fie auf bie SBal^rl^aftigfeit 
©otteS, auf bie Unmöglic^feit einer S^äufd^ung burd^ ©ott. ®ie ©otteS= 
erfenntnife eingeräumt, ift biefe fjolgcrung falfd^ foiool^l im ßtdöte ber 



1 Obj. I. (T. I. pg. 359—360.) Obj. V. (T. II. pg. 139—142.) 

2 Obj. V. (T. IL pg. 174-175.) Obj. VI. (T. II. pg. 321-322.) 

3 Obj. III. (T. I. pg. 484, pg. 493.) 



ßlntoütfc unb dttoicbetungcn. 405 

Offenbarung aU ani) in bent bcr SScrnunft. Sntmcber cntl^ölt bie Sibel 
UnglaubtoürbigcS, ober eS giefit Säufd^ungen, totl^t ©ott gettioßt l^at; 
er t)er-6Ienbet ^pi^aroo, er lö^t bie 5Prop]^eten S)inge toeiffagen, bie 
nid^t eintreffen, bie l^eitige ©d^rift int alten toie im neuen S^eftantent 
lel^rt, bafe toir im S)unfeln toanbeln. Slud^ ift aus SSernunftgrünben 
nid&t eittjufel^en, toarum bie Säufd^ung bem SBefen ©otteS toiberftreiten 
ober feiner untoürbig fein follte. Ss gie6t l^eilfame Stöufd&ungen, bie 
in ber beften unb toeifeften Slbfid^t gef^el^en. So toufd&en Sttern bie 
jRinber, 21er jte bie ßran!en.^ 

S)aB ©Ott ber ©runb unfereS Srrtl^umS nid^t fein !önne, ift 
bemnadö eine oertoerftid^e SBel^duptung. 2)eScarteS erflärt ben ^rrtl^um 
aus unferer SBillenSfreil^eit unb nimmt il^n als SBiÜenSfd^uIb. Ss ift 
ju ertoarten, ba^ gegen biefe ©döulb bie Sl^eologen, gegen biefe 5rei= 
l^eit bie ©enfualiflen il^re ®intt)ürfe rid&ten. SBenn jebeS j}üxtodf)X' 
]§aften aus unbeutlid^er Sinfid^t eine ©d&ulb, eine öerfel^rte unb mi6= 
bräud^Iid^e ^anblung fein foÜ, fo ftel^t eS fd&ümm mit ben 58 e= 
fel^rungen jum ßl^riftentl^um , bie in ben toenigften S&tten aus ber 
Harflen unb fid^erften Ueberjeugung gefd^el^en; bie SD^iffion ber tSird^e 
tt)äre bann ju unterlaffen. Sie SBiffenSinbifferenj, b. 1^. bie unbebingte, 
t)öflig inbeterminirte SBiüfür gilt bei S)eScarteS für bie unterfte ©tufc 
bcr iJreil^eit, toöl^renb bie l^öd^fte ber crleud^tete ober burd& bie SPer= 
nunfteinfid^t beterminirte SBitte ift. SQSittfür Verträgt fid& nid^t mit 
SBeiS^cit: jene ift abfolut frei, fie fann t^un unb laffen, toaS il^r be- 
liebt; biefe ift an bie Jlotl^toenbigfeit bcS S)enIenS unb ber a5ernunft= 
gefe^e gebunben, il^r gegenüber giebt eS in ©ott feine SBilHür: eine 
für ben cartefianifd&en ©tanbpunft fe^r d&arafteriftifd&e, für ben if)tO' 
logifd^en fel^r bebenflid&e ßel^re!* 

S)ie ©enfualiften !önnen ein t)on allen natürlid&en SBebingungen 
unabl^öngigeS SSermögen nid^t einröumen unb beftreiten beSl^alb bie 
menfd^lid&e SBittenSfretl^eii S)iefe ift t)on jel^er angefod^ten, nie be» 
toiefen, öon ben ftrengglöubigften Salöiniften öottlommen Verneint 
toorben. ©elbft ^obbeS beruft fid^ in biefem fjall auf bie 6alt)iniften. 
S)ie grei^eit ift nid&t blofe unbetoiefen, fonbern unbeweisbar, tt)ie alleS 
Unbebingte; fie ift auS natürltd^en ©rünben unmöglidö. S)en Srrtl^um 
aus ber SBiöenSfreil^eit ableiten, l^eifet baS SBefannte aus bem Unbe= 



1 Obj. II. (T. I. pg. 404-406.) Obj. VI. (T. IL pg. 322—324.) Obj. III. 
(T. I. pg. 501 - 502.) - 2 Obj. II. (T. I. pg. 406.) Obj. VI. (T. II. pg. 324-325.) 



406 S)ic erfte fritifd^c «Probe. 

fanntcn unb Uttcriennbaren, bog SRQtütlid&c quS bem UnmögUi^ctt ex- 
ftörcn. aStcItncl^r tji bcr Srrtl^um btc notürltdöc unb fcl^r Begreiflid&c 
JJoIgc unfereS befd&rättftcn ©rfenntmfeöertnögenS.^ 

8. SluS bem ^Princtp ber t)on bcr ©otteSibcc erlcud^teten ©clbfi* 
getolB^ett folgte ber carte jiattifdbe ©uoIigmuS: nötnlid^ bie @infid&t 
ha% ©eift unb Äör:per ©ubftan^en unb jtoar etnanber ööüig entgegen^ 
gefegte ftnb; l^terauS erl&ellte bte UnoBl^öngigleit ber geiftigen 9latur 
t)on ber lörperlid&en. ©egen biefen ?Pun!t rid&ten jid6 bie ßintoürfe 
aßer ©egner, tote öerfd^ieben fie fonft finb: bie SEl^eoIogen unb @en« 
fualiften beftrciten biefe ßel^re genteinjorn, il^rc ©egengrünbe jinb ö]^n= 
lid^, il^re 10lotit)e entgegengefe^t. 

SDaS fenfuQliftifd^e Sntereffe ift für bie STbl^öngigleit be§ ©eifteg 
t)on ber !öri)erli(i^en fHatux, toeil es bie Unab^ängigfeit unb ^err= 
fd&aft ber Unteren im ©inn l^at; bog tl&eologifdöe Sntereffe ifl gegen 
bie Sreil^eit unb Unabl^ängigleit be§ ©eifteS, toeil il^m an ber gönj= 
lid^en Slbl^öngigleit be§ menfd&lid&en SBefenS offeg gelegen ifl. 3)ic 
©d^toöd^e ber lörperlid&en Siatur ift einleud&tenb genug. 2Benn unfere 
geipige Statur mit ber Wrperlld^en öerbunben ift unb t)on tl^r aB= 
l^ängt, f ift bie ©ebred^Iid&f eit unb Dl^nmod^t beg aJtenfd&en eine f o 
betoiefene ©ad&c, toie eg bag tl^eologifd&e ©l)ftem forbert. S)urd^ il^ren 
Slntl^eil an ber förperlidöen 3iatur unterfd^eiben fid& bie (enbli(|en) 
©eifter t)on ©ott, nad& ber Meinung ber Äird6ent)äter unb 5piatonifer 
finb felbft bie ©eifter l^öl^crer Crbnung förperlidö, bog lateranenftfcäbe 
6onciI erlaubte begl^alb, bie ®ngel ju malen. 

Um fo toeniger bürfe bcr menld^Iid^e ©eift fid^ einbilben, t)om 
^oxptx unabl^öngig ju fein. Sludö folge aug ber Jßerfd&iebenl^eit ber 
beiben ©ubftanjcn, felbft tocnn fie Iiinlönglid^ betoiefen toöre, no(5 
nld&t bie Unfterblid^feit ber ©cele, biefe !önnte il§rem SBefcn nad^ 
unföri)erüd& fein, aber burd& bie göttliche 5lÖmadöt jerprt »erben. 
9lufeerbcm Betocife ein fold^cr ©d^Iu^ mcl&r, alg betoiefen fein toofle: 
bann müßten aud& bie SEl^icrfcelen, ba fie t)om Sioxpex ebcnfallg t)er= 
fd^ieben finb, unfterbüd^ fein, toag ju beVuj)ten feinem einfalle, 
^reilidö leugne Segcarteg, ha% bie %icre bcfeelt feien, unb erüäre 
fie für blofec SRafd^inen, aber biefe Slnfic&t ftreite fo fel^r mit ber 6r= 
fal)rung, ha^ fie fd^tocrlid^ jemanb überjeugen toerbe.* 

1 Obj. III. (T. I. pg. 494-495.) Obj. V. (T. IL pg. 186-192.) 

2 Obj. VI. (T. II. pg. 319—320.) Obj. II. (T. I. pg. 408-409.) Obj. IV. 
T. II. (pg. 15-16). 



@ititt)ütfc unb ©ttötcbcTungen. 407 

2fnbcffcn ift, tote Slrnoulb finbct, aui) ber ajetDciggtunb, quS bcm 
bcr ©cgcnfü^ jtoifd^cn Körper unb ©etft cinleud&ten foÜ, nid^t ftid&= 
l^altig. SBaS ol^nc bcn ajcgxiff eines anbeten SBefenS ßebod^t tocrben 
fann, fott ol^ne ba§ S)afein beffelben eEtftiren !önnen, alfo unobl^öngig 
t)on htm leiteten fein; fo öetl^alte eg \x6) mit bent ^Begriffe beg 
©eifteS in ^üdfid&t auf ben beS ÄörperS unb untgcfel^tt. S)iefer 
@d&Iu§ t)on ber 2ibee auf boS S)afein ber ©ad^e ift falfd^, benn er 
betoeift ju öiel. 3(d& fonn mir baö red&ttoinlüge ©reied ol^ne Äenntni^ 
be§ l)^t]^agoreif(i&en ©a^eS, bie ßönge ol^ne SBreitc, biefe ol^ne S^iefe 
t)orfteffen: gleid^tool^I esiftirt !ein red^tttjin!lige§ ©reied ol^ne bie ®tgen» 
fd&aften, tt)el(|e ^ß^tl^agoraS betoiefen 1)at, unb in 2Bir!Iid6Ieit ift !einc 
Simenfiün ofene bie anbere. 

S)q6 tt)ir bm Segriff beS ©eifteg ol^ne ben beS ßörl)erg Hör 
unb beutlid& öorgufteÜen t)ermögen, ift bal^er fein SBetoeiSgrunb für 
bie för:perIofe ©Eiftenj be§ ©eifteS. S)er ©egenfa§ ber ©ubftanjen Idfet 
fid^ aud6 nid^t auS bem ber 3lttriBute (beS S)enfen§ unb ber 2lu§s 
bel^nung) ableiten, beren ^Begriffe notl^tDenbtg ju trennen finb. SBaS 
Dom S)enfen gilt, gilt barum nid^t ebenfo t)om ©eift, fonft müfete 
man baS SBefen be§ le^teren ber betoufeten Sl^ötigfeit be§ S)enfen8 
gleid&fe^en unb aüe bunflen unb unbetoufeten ©eifteSjuftdnbe, toie fic 
im embr^onifd^en ßeben, im ©d^Iaf u. f. f. ftattfinben, für unmöglid^ 
erflören. S)ie ©rfa^rung lel^rt, ba% unfer Seelenleben t)on !örj)erfid&en 
Süftönben beeinflußt toirb, ha% unfere geiftige SnttoidEIung mit ber 
för:perlid&en ^anb in §anb gel^t, unb bie gefunbe ©eifteStl^ätigfeit in 
Solge pl^^fifd^er Urfai^en Hemmungen erleibet. 3n ber ßinbl^eit 
fd&Iummert ber ©eift, im SBal^nfinn ift er erlofd&en. 3;i^atfad&en biefer 
Slrt jeugen toiber bie rein geiftige 3iatur beS 10lenfd&en, unb man 
braui^t fein 51}laterialift ju fein, um fie bead^tungStoürbig ju finben.^ 

68 bebarf feiner toeiteren 9luSf ül^rung , tt)ie bie ©enfualiften auf 
©runb fold^er unb äl^nlic^er Sll^atfad^en bie t)otte Slbl^öngigleit ber 
geiftigen SWatur t)on ber förj)erlidöen bel^aupten, ben cartefianifd^en 
S)uali§mu§ öertoerfen unb jtoifd^en IWenfd^ unb Silier nur einen 
grabuellen Unterfc^ieb gelten laffen. 

IL ®ie ©rtoicberungen. 

S)a tt)ir 3)e8carte§* ßrmieberungen auf bie il^m gemad&ten Sin« 
tDürfe fdöon in unferer Sarftellung beS ©^ftem§ im Sluge gel^abt unb 

^ Obj. IV. (T. n. pg. 11-15, pg. 30.) 



408 S)ie etfte Iritil^e $robe. 

öertoertl^et l^Qben, fo ift tttdöt ju crtoartcn, ba§ unS je^t über SSnl^alt 
unb Scbeutung ber ßel^re ein neue§ ßid&t oufgel^t. ßonnte bod6 her 
^Pl^ilofop]^ felbft in ben meiften fjällen nid^tS onbereS tl^un, aU jenen 
©intoürfen gegenüber auf feine aÄebitattonen jnrüdf ontmen , unb ba 
er bei ber Steife unb beut burd^bod^ten ßl^arafter beg SBerfS fid^ 
nirgenbS jU berid^tigcn fonb, fo tDQren bie ©rlduterungcn, toeld&e er gab, 
im ©runbe nur Utnfd&reibungen unb SBieberl^oIungen be§ ©efogten. 
Um fold^e SBieberl^oIungen jU Spaten, toerben mi uns I|ier fürger 
faffen aU bei hm Sintoürfen unb nur biejenigen ßorbinalpunfte ber 
ßel^re l^eröorl^eben , toeld^e bie ]^aui)tfäd&Iid6fien SJlifeöerftanbniffe jtüor 
nidöt Derfd&ulbet, ober immer toieber erfol^ren l^aben. 

@ie betreffen fämmtlid^ ba^ 5princip ber ©etoifel^eit: biefeS toirb t)oII= 
fommen öerlannt, menn man eS fl)flogiftifd& auslegen, materialifiifd& 
beuten, fenfualiftifd^ begrünben, fleptifd^ öernid^ten toiÜ. SQßeil in aüen 
biefen ^ßunften, namentlid^ in ben brei legten, bie ajlifeöerftönbniffc, fo grob 
fie finb, ettoaS ©d&einbareS l^aben, ba^ leidet täufd&en fann, fo tooÜen 
tt)ir l^ören, tt)ie 3)e8carte8 bie unmittelbare ©etoifel^eit feines 5ßrinci:p8 
t)ert]§eibigt, beren erfteS unb unmittelbares Dbiect nur unfer geiftigeS 
S)afein, beren ©runb nur bie St^ätigfeit unfereS S)enlcn8 ift, unb 
beren ©ntbedfung (nid^t auS ber Ungetoife^eit, fonbern) auS ber ©ett)ife= 
l^eit beS 3toeifel8 l^eröorgel^t. 

1. Söiber ben ©intourf ber f^ttoglftifd^en S3cörünbung. 

S)aS ^ßrincip ber gefammten ßel^re befielet in unferer ©ottcS= unb 
@elbflgett)i§l^eit, in unferer t)on ber ©otteSibee erleud&teten ©elbft« 
getoi^^ett ober, toenn man biefe SBejeid&nung t)orjie]öt, in btn Setoeifen 
unfereS geiftigen unb beS göttlid^en ®afeinS. 2Bir l^aben auSgefül^rt, 
toie genau unb birect biefe beiben Ueberjeugungen äufammenl^öngen 
unb biefelbe ©ad^e in t)erfd&iebenen StüdEfid^ten auSbrüdEen,^ SBaS ba^er 
t)on ber einen gilt, betrifft aud^ bie anbere: entroeber finb beibe un= 
mittelbar ober mittelbar getoi^; im le^teren gaff finb fie f^Hogiftifd^ 
begrünbet, b. 1^. fie bleiben unbetoiefen unb finb barum ungültig. 
SBenn man ben cartefianifd^en ©ottesbetoeis, inS6efonbere bie onto= 
logifd^e fjorm beffelben, f^flogiftifd^ öerftel^t, fo toirb er bem fd^olaftifc^en 
33ett)eife gleid&gefe^t unb ben SBebenfen ^3retSgegeben , bie ber le^tere 
t)on 3led6t§tt)egen l^eröorruft. 

^ ©, oben S9u(3& IT. ©a^). IV. 6. 312-317. 



Einwürfe unb ©rtotebetuttöcn. 409 

®icfc§ ajli§t)erftönbni§ fierid^tigt S)e§carteS in feiner ©rtoieberung 
ouf ©atcruS' ®tntt)ürfe, inbent er bottl^ut, toorin fein ontologifc^es 
Slrgument fid^ t)on bem tJ^omiftifdöen (et l^ötte fogen foüen öon bem 
onfelmifd&en) untetfd&eibet: fein SBetoeiS fei fein ©(felufe, fonbern eine 
unntittelBore ©ctoi^ett, benn in ber 3bee ©otteS toerbe baS S)afein 
beffelben ol^ne 5ültttelglieber flar unb beutU(| erfannt. Soffelbe gilt 
t)on bem @a| ber ©elbftgetoiPeit, ber eben fo toenig auf f^tto= 
giftifd&em SBege ober burd^ SD^ittelglieber, fonbern unmittelbar ober 
intuitit) einleud^tet. S)ie le^tere ©rflftrung giebt ©eScarteS in feiner 
6rti)ieberung Quf bie gleiten Sintoürfe: ,,Sffienn jemanb fagt: «ic^ 
bcn!e, alfo id& Bin ober egiftire», fo folgert er nid&t ettoa bie ®Eiftenj 
ouS htm ®enfen burd& einen ©^KogiSmuS, fonbern erfennt biefelbe aU 
cttt)Q§ unmittelbar ©etoiffeg burd& bie einfad&e ©elbftanfd^auung be§ 
©ciftes".^ 

2Benn man bie ßel^re S)e§carte§' burc^fd^aut, fo erfd^einen bie 
eben ertoöl^nten ajlifeöerftanbniffe fo unoerftanbig , ba^ fie Iöd6erlid& 
finb. ®ie cartefianifd^e ©elbftgetoifel^eit grünbet fid^ nid&t auf biefcn 
ober jenen ßel^rfa^, fonbern auf ba§ Säetoufetfein unferer eigenen in= 
teÜectuellen Unt)oü!ommen]^eit, ba§ t)on ber Sbee inteflectueÜer aSoÜ« 
fommenl^eit erleud&tet fein mufete; biefe 3ibee, ha fie unferem a3ett)ufet= 
fein öorauSgel^t unb baffelbe begrünbet, ift notl^loenbigertoeife unab= 
l^ängig öon bem (enteren unb urjprünglid^er Jlatur, b. 1^. fie ift nid&t 
Mo§ eine Sbee, fonbern ©ott. SBenn id^ an mir felbft unb allen 
meinen ©inbilbungen irre geworben bin unb biefen meinen Suftanb 
DoÜiger Ungetoi^l^eit mit t)oüer Uebergeugung erHäre, fo follte man 
nid^t glauben, ba§ jemanb lommt, ber fid^ nad& bem ©^IlogiSmus 
crfunbigt, auf ben fid^ biefe meine Uebergeugung grünbe. SBer e§ tl^ut, 
tt)ei§ nid&t, tt)ot)on id& rebe; er !ennt toeber bie Ungemi^l^eit, in ber 
td^ mid& befinbe, nod^ weniger bie unerfd&ütterlid&e ©etoifel^eit, bie id^ 
]&abe. 3n biefer Slrt völliger Unlunbe ftel^en ber ßel^re ©eScarteg' bie 
obigen Sintoürfe gegenüber. 

2. SCßibet bie materianftifiä&en unb fenfuatiftif(l6cn ßintoürfe. 

^obbeS l^atte aus bem ©a^e ber ©elbftgetoifel^eit, beffen Urf:prung 
unb 2:iefe il&m gänglidö Verborgen blieb, ben aJlaterialiSmuS gefolgert. 
SQBenn id^ ein ben!enbe§ SBefen bin, fo unterfd^eibe id6 mid& oom 



1 K^p. aux Obj. I. (T, L pg. 388-395). R^p. aux Obj. II. (pg. 427.) 



410 2)ic crftc fritifdöc 5robe. 

S)enfcn, mie baS ©u6}ect t)on feiner ©igenfd&Qft ober S^l^ätigfeit , i(i& 
bin Qlfo ein t)ont S)enfen öerfdfticbeneS SQSefen, b. 1^. ein Rbxper, 
toeld^er bcnit: bo^er ifi bog S)enfen eine lorperlid^e Slliätigfeit ober 
eine 9lrt ber SBetoegung. S)q6 eS fidb fo öerl^alt, Bejeugen bie %i^aU 
fod&en ber ©rfal^rung, loeld&e überaß bartl^un, roie baS fogenannte 
geiftige ßeben t)on ben Sufiönben, ©inbrüden unb SSorgöngen ber 
lörperlid^en SRotur abl^öngt, olfo nid^tS anbereS ift, aU eine ©rfd&einung 
unb SQ3ir!ung ber legieren. 

S)e8carte8 l^at biefe (Sintoürfe ber oberfladfelid^ften unb fopl^ipifd^ 
gröbften 9lrt, bie eines ^obbeS untoürbtg tnaren, fo leidet unb n)eg= 
roerfenb Bel^onbelt, tele pe eS Derbienten. Jlii^tS erforbert toeniger 
SJlül^e, als gmei beliebige ®inge in bas SBerl^äftnife öon ©uBject unb 
^röbicat gu bringen unb ju erflärcn, ba^ jenes t)on biefem t)er= 
) trieben fein ntüffe; bann fc^rt man h^n @a^ um unb betoeijl ba§ 
©egent^eil: fo lann man ben ^immel jur 6rbe unb bie @rbe gum 
^immel mad&en, htn ©eijl gum ßörper unb eben fo gut ben ^bxpet 
gum ©eift. ßine fold^e SBetoeiSfül^rung l^at gar feinen ©runb, fie 
miberftreitet aller gefunben ßogif unb fclbft bem getoöl^nlid^en Qpxai^= 
gebraud^.^ 

©affenbi l^at ben ©a^ ber ©etoi^l^eit im ©inne ©eScarteS' 
burdö ben ©intourf entttiertl^en tooÜen, ba% berfelbe audö fenfualifiif(fi 
begrünbet toerben !önne: ba§ toix finb, erließe nid^t blofe aus un= 
ferem ®enlen, fonbern eben fo feljr aus jeber beliebigen Sll^ätigleit 
anberer 9lrt, bie tt)ir öerrid^ten. 9Jtit bemfelben Siedet als «cogito 
ergo sum» mü^te aud& «ambulo ergo sum» gelten; ber @a^: „x6^ 
gel^e fpagieren, alfo id& bin" toare bann, eben fo getoi^ als ber @a§: 
„id& benfe, alfo id6 bin". ©eScarteS felbft braud&t biefeS a3eifi)iel, 
um baS Söebenfcn ©affenbis l^anbgreiflid^ gu mad^en. Unter allen 
6inttJürfen ift biefer für baS getoöl^nlid&e 93ett)ufetfein ber fd&etn= 
barfle, unb toenn er trifft, ift ber cartefianifd^e @a§ ber ©ctoigl^pit 
verloren. 

2luS jeber Stl^ötigleit, bie id^ öorfteüe, folgt ungtoeifell^aft ber 
@a^: id^ bin. Sie naiveren Söeftimmungen ber S^ötigleit finb babei 
DoBfommen nebenföd^Udö unb gleid&gültig; ba% id^ fie öorftelle, ift 
bie §aut)tfad6e unb ber eingige ©runb, aus bem jene ©eioi^l^eit ein= 
leudötet. 6ine Sfiätigfeit üorftellen ober fid& berfelben betoufet fein, 



1 R^p. aux Obj. III. (T. I. pg. 472-474, 476-478.) 



@tntt)ürfe unb (Sttoieberuttgen. 411 

l^et^t beulen. STuS jeber S^l^ätigfeit, fofertt td6 biefelbe öorftelle ober 
benfe, folgt, bafe ii) bitt. SBenn td& fie nitfet öorfteÜe, folgt für mein 
aSetoufetfcin gar nid&ts. S)a§ ©pojterengel^en tft ber SBemegunggguftanb 
eines menfd&Ud&en ßört)erg; barauS folgt ntd&t, bo^ x6) bin; *erft toenn 
td^ biefen ^ör:per unb feinen SBetoegungSjuftanb aU ben nteinigen t>ors 
fteße, gilt ber @q^: „iä^ gel^e \paikxtn\ aKögüd^, ba§ biefe a3e= 
roegung nid^t in SBal^rl^eit, fonbern nur in meiner Sinbilbung ober 
im SEraume ftattfinbet, bafe id^ nid^t in SSirMid^feit lufttoanble, aber 
unmogIid&, bo^ id&, ber id& biefe ßinbilbung l^aBe, nid^t bin. Salier 
folgt bie ©emi^l^eit meines eigenen ©eins nid&t aus meiner SBeioegung, 
fonbern nur aus meiner SBorftellung berfclben, b. 1^. aus meinem 
S)enfen. 

6s ift ganj gleidögflltig, toaS id& üorftette, ob baS Dbj[cct mein 
eigener ©^3ajiergang ober ber eines anberen ift, es fönnte in beiben 
gäöen imaginär fein, aber ba^ id& t)orfteÜe, ift getoi^ unb barauS 
aÜein folgt bie ©etoi^l^eit meines ©eins. ®arum gilt unanfed&tbar 
ber ©a§: „td& benfe, alfo id& bin". S)iefem ©a^e gegenüber befanb 
fid& ©affenbi in einem bop:peIten ^rrtl^um unb SD^ifeöerftänbnife: er 
fal^ nid&t, ba§ eS, abgefel^en x>on meiner SBorfteBung unb meinem 35e= 
toufetfein, gar feine Sl^ötigfeit giebt, bie id& als bie mein ige begeid^nen 
fönnte; er fal^ nod^ toeniger, ba§ eS bie SEl^ötigfeit jebeS anberen, tt)ie 
jebeS beliebige Dbj[ect fein fann, aus beffen aSorftellung in mir 
bie ©emifel&eit meines ©cinS unmittelbar einleud&tet; ba% beSl^alb in 
aÜen fällen mein SBorftellen ober S)enfen ben alleinigen ©runb ber 
le^teren ausmacht. ^ 

3. Söiber ben ©imourf bcS ni^tlifitfd^en SlöcifelS. 

®er ©a^ ber ©elbftgettjifel^eit toar einem breifad&en 9lngriff auS= 
gefegt. S)ie ©inen l^ietten il&n für f^ttogiftifd^ unb barum für unbe- 
loiefen, ^obbeS Iie§ il§n gelten, aber nur t)on unferem föri)ern(^en 
S)afeitt, ©affenbi ebenfoüs, aber auf ©runb nid^t blofe unfereS 
©enfenS, fonbern jeber S^^ötigfeit, toelc^e bie unfrige ift, gleid&öiel 
toeld^er. 2lffe biefe ©intoürfe gegen bie fjunbamente ber ße^re finb 
l^inföttig. 5Run ift nod& SBourbin übrig, ber ben ©a^ ber ©etoi^l^eit 
für t)oBfommen ungültig unb unmöglich erflört, ba er bebingt fei 
burdö ben S^Jßifrf. 



1 Rep. aux Obj. V. (T. II. pg. 247—248.) 



412 S)ic etpc fritiWe ?robe. 

SBir l^aben jene btQlcftifd^cn fünfte too^Ifcilfter Slrt fennen ge« 
lernt, toomit ber SBcrfaffer ber fiebcnten Sintoürfe bie ßel^re ®e§cartc8' 
ad absurdum fül^rcn, jebcu i^rcr ©d^rittc l^tnbem unb julc^t qIs 
beten folgerid^tiges Slefultat bm @a§ J^erauSbringen toottte, ba% über» 
]^aul)t nichts fei. Soffen totr feine fd^olaftifd^en ^Poffen unb a3ocfSft)rünge 
unbeQd&tet unb polten un§ gleid&fam an boS ^orn, toomit ber ftreit= 
luftige SDtann bie neue ßel^re, insbefonbere bie SRetl^obc S)eScarte8' 
einjurennen unb nieberjutoetfen fud&te. S)ie öermeintlid&e @t&r!c fetner 
ganjen 5PoIemif liegt in bem ©a^: toenn man bie Slealität aller 3)inge 
bejtDeifelt, fo mu§ man bie Sii^trealität berfelben U^anpUn. Dber 
um mel^r na6) SBourbinS Slrt ju reben: toenn QÜe Singe zweifelhaft 
finb, fo ejiftirt in SBirllid&Ieit ni(|t8. S^ei aDti^öerftönbniffe, bie man 
ber ßel^re S)e§carteS* gegenüber als 9lo]^eiten beS UnöerftanbeS be= 
jeid&nen mu§, liegen biefer Raffung gu ©runbe. „Stoeifell^oft fein" 
|ölt ber ©egner 1) für gleid^bebeutenb mit „untDir!lid& fein" unb 2) für 
einen 3uftanb ber Singe! Salier öerlel^rt fid& in feinem 3Serftonbe ber 
cartefianifdöc ©a| : „id& jtoeifle an allem" in ben @a§: „e§ giebt über= 
l|aul)t feine toirllid^en Singe". 

Stoeifell^aft fein, fofern e8 fid& um ein Dbject l^anbelt, l^ei^t mög= 
lid^ertüeife nid^t fein. Senn toir ein Dbject ober bie ^lealit&t eines 
SingeS begtoeifeln, fo öerneinen toir baffelbe nid^t, fonbern laffen bal^ins 
gefteüt, ob baS Sing ift ober ni(|t, ob eS fo ift ober anberS. 3toeifel= 
l^aft fein ift fein ^ßröbicat, ba^ einem Objecte in berfelben 3Beifc ju- 
fommt, toie etttja bem Rbxpn SluSbel^nung, SBetoegung unb S^tul^e. 
©ttoaS ift jtoeifell^aft l^ei^t: eS ift mir jmeifell^aft, id^ jtoeifle ober id& 
bin ungetoife, ob bie ©a(^e ift ober ni(^t, ob fie fo ift ober anberS. 

Salier ift jtoeifell^aft fein nid^t ein Suftanb ber Singe, fonbern blo§ 
unfereS SenfenS, eS ift ber Suftanb unferer Ungett)i§t)eit; ba§ ©egen= 
tl^eil beffelben ift unfere ©ctoifel^eit, bie enttoeber bloß in unferer 6in« 
bitbung ober in SBal^rl^eit beftel^t: im erften ^all ift fie ©elbfttäufd&ung, 
im jtoeiten 6r!enntnife. Ser 2Beg jur SBal^rl^eit gel^t nid&t burd& 
unfere ©elbfttäufd^ung, fonbern burd& unfere ©rfenntnife berfelben, b. 1&. 
burd^ ben S^oeifel an unferer t)ermeintlid&en ober eingebilbeten ©eioife* 
l^eit. Siefen SBeg ging SeScarteS, barin beflanb fein 3toeifel unb 
beffen Tlziijohe. 

Snttoeber mufe man öerneinen, ba§ toir im Suft^nbe ber ©elbji- 
töufd^ung befangen finb, toaS ber ©ipfel ber ©elbftöerblenbung toäre, 
ober man mu§ biefen 3uftanb einfel^en, an fid^ irre toerben unb 



(B\)\U^ 5U bem Dortgen Caputh 413 

in eben bett StDeifel geratl^en, toeld^en ©egcQtteS erlebt unb öorbtlbUd^ 
gemad&t l^at. S)iefer Stoeifel tft baS einjtge SJlittel gegen bic @elbft= 
täufd^ung nnb barum unt)ermetblid& : er tft fo alt, aU bte ©rfal^rung, 
bafe tt)tr im 3u)ianbe ber Stdufd^ung befangen ftnb, unb er toirb 
immer lieber neu, fo oft fid^ biefe Srfal^rung erneut, toaS in jebem 
toal^tl^eitsbebürftigen SD^enfi^en ber S^att ift. ®atum mad&te §obbe§' 
®intt)urf, bafe ber S^eifel feine moberne Srfinbung fei, auf unferen 
5p]^Uofot)]^en nid&t ben minbeften Sinbrud. 5Reu ober nid^t, ertoieberte 
biefer, ber 3toeifel ift notl^toenbig, benn i(^ toiK SBal^rl^eit.^ 

2lm toenigften öermod^tc Söourbin in feiner breiften ©clbftgefälligleit 
ben 6rnft unb bie S^iefe be§ cartefianifd&en 3toeifel8 ju faffen. SRid^tS 
folgt Ilarer unb einleud^tenber, aU aus biefem Stoeifel ber @a§ ber ©elbft= 
getoi^l^eit, toeil er bereits in il^m liegt. ®S l^eifet nid^t: bie Singe finb 
•unioirllid^ ober nid&tig, fonbern il&re ßjiftenj unb SBefd&affenl^eit ift 
unfid&er ober jtoeifell^aft. Ss l^eifet nid&t: bie Singe finb jtoeifell^aft 
ober ungetoife, fonbern id^ bin e§, id^ bin ungerrife unb jwar in 
aüem. 9luS bem @a|: „id^ bin ungctoife" folgt unmittelbar ber 
@a§: „i(^ bin", benn er ift il^m entl&alten.^ 

S)ic 3lot]^tt)enbig!eit be§ 3toeifeIS, ber ©a§ ber ©elbftgetoiBl^eit, 
bie Segrünbung beS Unteren burd& unfer 3tt)eifeln ober S)en!en, bie 
alleinige unb unmittelbare ©eltung biefeS ©runbeS, barum bie prin* 
ci))iette ©etoifel^eit unferer geiftigen S^iftenj: biefe {Junbamente ber 
ßel^re S)e§carteS' ftel&en ben Sintoürfen gegenüber feft unb fidler, fie 
finb t)on allen angegriffen, t)on feinem erfd^üttert. 



elftes Sapitel 

ajlünblid&e Sintoürfe unb ©rtoieberungen. 

©ieben Saläre loaren feit bem ©rfd^einen ber SDtebitationen mit 
ben ©intoürfen ber ©egner unb ben ®rtt)ieberungen beS ^pi^ilofopl^en 
t)erfloffen, als biefer toöl^renb feines legten Stufentl^alteS in Sgmonb 
bei Sllfmaar ein flcineS münblid&eS 5Rad6fl)iel jener großen Debatte er« 
lebte, baS l^anbfd^riftlid^ fortgepflanjt toorben ift unb nunmel^r nad^ 



1 R^p. aux Obj. III. (T. I. pg. 467.) 

« Obj. VII. Remarques de Descartes. (T. II. pg. 385-387, pg. 405—412.) 



414 (&pi{o% 5u bem zotigen (Kapitel. 

giDci unb einem l^Qlben Sal^rl^unbert in bcr 3ubildum§au§gabe jur 
ßenntnife ber SRad^toelt gebtad&t »erben foH. 

6in jtoanjigiöl^riger ©tubent ber SEl^eoIogie, grang Säurmonn 
Qu§ ße^ben, ©ol&n eines bem 5ß]&iIofo})]^en tool^I befanntcn, öietteid^t 
befreunbeten ^ßforrerS, f})öter felbft 5ßfarrer in Serben, bann ?ßrofejfot 
ber Sl^eotogie in Utred^t unb SBerfaffer einer Slnjol&I t]^eolo8if(i6ct 
Serie, ^atte im grül^ial^r 1648 S)eScarte8 in ©gmonb befui^t unb 
om 16. ^pxii ein |)]^iIofo|)]^ifd^eS SEifd&gefprödö in lateinifd^er ^pxaiit 
mit il^m gefül^rt, baS er einige Sage f))äter {htn 20. 9t|)ril) in 
9Imfterbam bem (fed&8 3al&re ötteren) cartejtanifd&en 5ß]&iIofo})l^en Sol&ann 
©tauberg mitgetl^eilt unb mit biefem gemeinfd&aftlidö aufgejeid^net, in 
bie 5o^m t)on ©intoürjen unb ©rtoieberungen («Objectiones» unb 
«Responsiones») gebrad^t unb bergeftalt georbnet l^^t, ba§ bie frag» 
lid^en ^ßunfte ben brei §au|)ttDer!en 35e§carteS' (ben 3Jlebitationen; 
ben ^ßrincipien unb bem S)i§courS) entnommen unb burd& ©täte auf 
biefelben begogen finb. 

S)ie ®Iauberg'fd&e Slbfdörift ift bann in ©orbred^t am 13. unb 
14. 3uli co))irt toorben, toir toiffen nid^t t)on toem unb in toeld^em 
3a]^re. ®iefe ®orbred&ter 3lbfd&rift ift, toir toiffen nid&t auf »oeld&em 
SBege, in ben SBeft^ beS 5ßrofeffor8 ©rufiuS unb aus beffen äibliotl^et 
in bie UnitjerfitötSbibliotl^e! ju ©öttingen (1751?) gelangt, toa fie 
nebft fünf anbren ^anbfd^riften })]^itologifd6en Sinl^altS in einem ^efte 
aufbetoal^rt unb als „fel&r toid&tig unb unbe!annt" im ßatalogc be= 
jeid^net morben ift. 

©obalb bie Herausgeber ber im $Ian unb SBerfe befinblid&en 
neuen ©efammtauSgabe ber S9Ber!e S)eScarteS' t)on ber ©siftenj biefer 
Hanbfd^rtft ßunbe gewonnen, l^aben fie ftd& bie bereittoittig a^^Jal^rte 
5mögttc^feit t)erf(^afft, biefetbe gu ebiren. 2)ie Unit)erfitätSbibUot]^ef 
t)on ©öttingen l^at im Dctober 1895 ber Unit)erfttdtSbibHot]Ö^f Don 
®iion für brei 5Konate baS fd&toer gu lefenbe, an 2lbbret)iaturen reid^e 
©c^riftftüd gugefteüt; eS ift entgiffert unb gunöd^fi als 3Jlanufcri})t in 
Sijon gebrudt toorben, t)on too id& eS burd^ gefällige Sufenbung er= 
fjatten fjabe. ^nx ©l^arleS 2lbam toi'rb, toie fd&on ertoöl^nt, biefcS 
S!Jlanufcri))t im fünften Söanbe ber Jubiläumsausgabe t)eröffentlid&en.^ 

S)er Sitel ber gegenwärtigen S)rudEfd&rift l^ei^t: «Manuscrit de 
Goettingen. Descartes (Meditations, Principes, Methode)». S)cr 



1 ö. oben fSnä) I. (Jap. IX. 6. 274. 



@:pUog 3U bcm öotiöcn ®o^iteI. 415 

Sttcl bcr Surmann=©[aubcr9*fd6en Stufjcidöttung lautet: «Responsiones 
Renati Descartes ad quasdam difl&cultates ex Meditationibus 
ejus etc. ab ipso haustae. Egmondae. April. 16. 1648.» 3lm 
6d^Iu§ fielet: «Amstelodami, April. 20 Anno 1648». 

S)cr Sitel ber ©orbted^t^fd^en Slbfd^rtft: «Per Burmannum qui 
20 aprilis deinde communicavit Amstelodami cum Claubergio, 
ex cujus Manuscripto ipsemet descripsi. Dordraci: Ad 13 et 14 Juli.» 

SBäre bicfe ©d&rift jur 3ßit il^rcr ®ntftel^ung Qud& t)eröffentUd^t 
toorben, fo toütbe man il^tc l3]^ttofo|)]^tfdöe SBebeutung gering an= 
gefd^lagen l^aben, tjerglid^ßn mit bcn ©inmürfen fo berühmter 5Känner 
toie Slrnaulb, ©affenbt unb §oibz^, tjerglid&en mit ber fd&riftlidöen, jur 
JBcröffentUd&ung beftimmtcn SluSarbeitung bicfer ®intt)ürfe, tjerglicften 
mit bcn burd^bad^ten, fd^riftlid^ aufgearbeiteten, jur Söeröffentlid^ung 
Beftimmten ©rtoieberungen ©eöcarteS'. 9Jlan nel^me bagegen biefeS 
Slifd&gef})räd& mit einem ©tubenten, beffen ßintoürfe unb Q^ragen ben 
, Slnfänger fenngeid&nen, ber ©d&tt)ierig!eiten fud&t unb finbet, too leine 
finb unb l^äufig ©ä^e unb 3lu§f})rüd^e in bcn SBcrfen bcö 5pi^iIofo})]^en 
für contrabictorifdö Ijält, toeit er fie unrid&tig, b. 1^. abgefcl^en t)on 
il^rcm 3ufammen]^ang auffaßt. 3lun finb burd^ bie Sänge bcr 3ßit 
biefe Slufjeit^nungen ein Utterarifd^cS Unifum geworben. 3nbcm toir 
fie lefen, finb mir glcid^fam bie Dl^rcnseugen cineg })l^iIofo))f)ifdöen SLifd^- 
gefpröd&S, toeld&eg 3)e§carte8 im Sfal^re beS tt)eftfälif(^en Sriebenö mit 
einem ©tubenten aus ße^ben gefül&rt l^at, 

1. ©afe ein aömäd&tigeS SBcfen uns in eine ©d&cintt)clt gebannt 
unb in untjcrtilgbaren Srrtl^um geftürjt l^aben lönne, crfd^cint bem 
jungen Stl^eologen als eine miberflJrud&Süone Slnnal^me, ba 3mmad^t 
unb UcbctooÖen (malignitas) fid& nid&t t)ercinigen laffcn. @r fe^t bie 
SQBal^rl^aftiglcit ©otteS DorauS, tDcld&c ber 5ß]^ilofo})]^ auS bem gemiffeften 
aller ©ä^e erft begrünben toill. 

2. S)aS 5Princi}) aller ©etoi^eit; bie ©ctoifej^eit beS eigenen 
bcnfenben ©eins, l^alt Surmann für einen unmöglid^en ©a^, ba man 
nid&t jugteidö beulen unb beS S)enfenS fid& bctoufet fein, ni(^t jugleidö 
gtoei ©adjcn t)orfteffen lönne (ben gebadeten ©egenftanb unb baS S)enlen). 
S)icfen ßintourf toiberlegt 2)eScarteS burdö bie Sl^atfad^e beS gegen= 
toörtigen 3:ifd6gefpräd&S, tooBei er bod^ äugteid^ t)orftelIen muffe fotool^I, 
bafe er effe, als aud^, ha% er rebe.^ 

^ Exempli gratia jam ego concipio et cogito simul me loqui et me 
edere. Manuscrit de Goettingen. pg. 12, pg. 15. 



416 (SpUog 3u bent Dortgen Kapitel. 

3. Unb ba ba^ 3)en!en (nidbt in eittem JUiomcnt ol^nc S)ouer, 
fonbcrn) in ber 3eit gefd^iel^t unb t)erlduft, fo müjfc baffelBe au4 
jcitU(j&, atfo tl&cilbar, ejtcnfit), auSgcbcl^nt fein, atfo lauter ©igenfd&aftcn 
l^aben, bie feinem SEBefen tDiberf})re(i&en. SBa§ t)on ben ^anblungen 
unb il^rer Scitbauer gilt — fo emicbert ber 5ß]^ilofo})]^ — , gilt barum 
nid&t au(^ t>on bem SBefen beS S)inge8; fonft müfete aud& ©ott, ber 
ja in aller 3ßit ejiftirt unb fortbauert, eben baruni ein geitli(i&e§, 
tl^eilbareS, auSgebel^nteä SBefen fein.^ 

4. S)a aber jtoei tjerfd^iebene 35en!acte nid&t in berfelben 3ßit 
gefd&el^en lönnen, fo muffen fie einanber folgen. 3tt)ei fold^e Det= 
fd^iebene Slcte finb: „xä^ bmW* unb „id& tocife, ba§ id& benfe". 3ener 
gel^t t)oran, biefcr folgt; alfo muffe man fagen „nid&t idö toeife, bafe 
xä) benfe", fonbern „xä^ ron%, bafe iä) gebadet l^abe". @o Surmann. 
aSielmel^r fann man fel^r tool^l mel^rere S^tigleiten ju gleid&er 3eit 
ausüben unb t)orfteIlen, toie fd&on auS bem gegenwärtigen 2;ifd5gef))räd&c 
eingeleud&tet l^at. 33l(in fann beulen unb jugleid^ auf fein SJenfen 
reflediren, b. )§. fidö beffelben bemüht fein, ©o S)e§carte8. ^ 

5. SBie fid^ bie SluSbel&nung jum ßor|)er Derl^ält, fo bas S)enfen 
gum ©eift; jener fann nid&t ol^ne SluSbel&nung fein, biefer nid^t ol^nc 
©enfen: alfo mufe ber ©eift ober bie ©eele immer benfen, aud6 bie 
beS ßinbeS, toaS bod& atfer ©rfal^rung toiberftreite. @o S3urmann. 
greilid^ ift ju Bejal^en, bafe bie ©eele immer benfe, aud^ bie beS ÄinbeS, 
nur ba^ bie le^tere t)on ben for})erlid6en 3uftanben bergeftalt Bel^errfd^t 
toxxb, bafe il^re SJorftellungen unb Segel^rungen finnlid^er 2lrt finb. 
Slber alle SBorfteöungen toie Segel^rungen finb inSgefammt Slrten ober 
ajlobi beS S)enfens. SBir l^aben t)iele SBorftellungen gel^abt, bereu toir 
uns nid&t mel^r erinnern, toorauS feineStoegS folgt, bafe toir jene S5or- 
ftellungen nid&t gel^abt l^aben. @o SeScarteS.^ 

6. 3u unferen angeborenen 3been gel^ört bie ©otteSibee, au3 
toeld^er bie ©siftenj, SöoÖfommenl^eit unb SBal^rl^aftigfeit ©otteS ein= 
leud^tet. SBir l^aben in unferer S)arftellung ber cartefianifd&en ©otlc§= 
ben)eife bie ant]^ro})ologifd&e unb ontologif^c SetoeiSart unb SBetoeiS» 
fül^rung unterf d&ieben : jene nimmt il^ren 2Beg «ab effectu», biefe 
nimmt ben il^rigen «a priori». 3n ben aJlebitationen gel^t 3)egcartc8 
t)om ant]^ro|)ologifd&en SBeioeiS gum ontologifd^en, in ben 5Principien 
umgefel^rt. ©enau fo unterfdöeibet er aud& l&ier in feiner Unterrebung mit 



1 (Sbcnbaf. ©. 12Pöb. — » ©bcnbaf. ©. 13. — » ©benbaf. ©. 13. 14. 



CEpUog ju htm t)oxigen ^ap'xUL 417 

SBurmann in Slnfcl^ung bcr ©otteSBetoeifc jene Beiben «^aut^ttoerfe unb 
tl^re SJletl^oben. S)ie 5!Jlebitationen Befd&reiben ben SQBeg ber Unter- 
fud&ung unb Stuffinbung, bic 5Princi})ien ben ber Seigre unb ©arftettung: 
jene berfol^ren anal^tifd^, biefe f^ntl^etifd^. «In Principiis autem illud 
(argumentum a priori) praemisit, quia alia est via et ordo in- 
veniendi, alia docendi; in Principiis autem docet et synthe- 
tice agit. > ^ 

7. SlBer tote ift eS möglidö t)on bem Stoeifel an uns fclBft, toeld&er 
bod6 bie ©rfenntnt^ unferer eigenen Unöottfommenl^eit ifi, ju ber @r= 
fenntni^ ber ©Elften j unb SBoÜfontmenl^eit ®otte§ ju gelangen? 3)ieS 
ifi ber 6intt)urf unb bie 3rage be§ jungen Stl^eologen. ^man'i er= 
tl^cilt ber $]^iIofop]^ in gebröngter ßürje jene 2lnttt)ort, bie tt)ir als 
ben eigentlid&en ßern unb Stiefgel^att fetner ßel^re t)on ber angeborenen 
©otteSibee frül^er enttoidelt l^aben. S)ie ©teilen in feiner ©d^rift 
t)on ber ajiet^obe, auf toel^e ber ©intourf fid^ ftü§t, entl&alten fd&on 
gleid&fam ben SluSjug (epitome) ber 9lu§fül^rungen , toeld^e er in ben 
SJiebitationen gegeben ]§a6e. S)ürt fei «implicite» gejagt, toaS l^ier 
«explicite» bargetl^an toerbe. 2)enn bic ©ad&e «explicite» genommen, 
fo fönnen tüir el^er unfere Unbotflommenl^eit erfennen, als bie a3olI= 
lommenl^eit ©otteS, toeil unfere SBead^tung fitfe el^er auf uns als auf 
©Ott rid&tet, unb toir el&er unferer 6nbUd6feit als ber UnenbUd^!eit 
©otteS inne toerben; aber «implicite» mufe bic ©rienntnife ©otteS 
unb feiner SSottlommenl^etten immer ber ßrfenntnife unferer felBft unb 
unferer UnöoIHommenl^eiten t)orauSgel^en. ®enn toaS bie ©ad^e felbft 
betrifft, fo ift bie unenblid&e 33oIlfommen]6cit ©otteS frül^er als unfere 
UnöoÜIommenl^eit, ba ja bie le^tere in einem ©efect ober 3JlangeI 
bcr SSoÜfommenl^eit Beftel&t, alfo biefc notl^toenbigertoeife oorauSfe^t.^ 
Dl^ne unfere Sfbee ©otteS unb feiner SJottlommenl^eiten feine 3bee unferer 
eigenen intellectuetten UnöoÜfommenl^eit, fein 3tt)eifet an ber SQBal^r- 
]&eit unferer fammtlid&en S5orflelIungS= unb ©rfenntnifejuftänbe, feine 
©etoifel^eit biefeS unfereS 3tt)eifeInS, S)enfenS, benfenben ©einS: unfere 
©elbfigeloifel^ett tourjelt in unferer ©otteSgetoifel^eit, unfere ©otteSibee 
ift feine blofee 3bee, fonbern ©otteS SBirfung, gleid^fam fein 3ßid&en 
unb 3Jlonogramm in unS: auS biefer ^Priorität ber ©otteSibec erl&ettt 
unmittelbar beren 9leatität; aus bem «Dens cogitatur» erließt baS 



1 »ßl. obcnSBui^II. ©ap.IV. ©.311—312 unb Manuscrit de Goettingen. 
pg. 17. — - * Manuscrit de Goettingen. pg. 18. 

Sftf döet, (&m. b. Wlof. I. 4. «uff. 9^. a. 27 



418 (Sptlog 5U htm zotigen (S^apitel. 

cDeus est» ebenfo unmittclöar, eBcnfo tlai unb bcutltd&, toic oug 
bem «Cogito» ba^ «Sum».^ 

8. SäJir finb ©otte« ®cf(Jöo})fc. 3l\xu toill e§ bem jungen 3;^eo= 
logen nid&t einleud)ten , bafe aus btefer Urföd^Iid^fett ©ottcS unfete 
©ottöl^nUd&feit folgen foÜ. 3ft bod^ oud^ ber SBaumeifter bie 
Urfad^e beS $Qufe§, ol^ne bafe t)on einer 3le]&nli(S!ett gtotfcficn il^m 
unb feinem SBerle bie JRebe ift unb fein !ann. SBeit — toic SJeScarteS 
ertoiebert — ber SBaumeifter unb bie ßünftler üBer]^au})t nur bie gc= 
ftaltenbe Urfad&e il^rer 3Ber!e finb, feineStoegS bereu fd&öt)ferif(i6e 
Urfad^e. S)a ©ott bie 3)inge aus 3lid&tS l^erDorbringt, fo fd^afft er 
fie mit größerer ober geringerer SBoIüommenl^eit nad& feinem Silbe. 
2lud& ber ßörper, g. 33. ber ©tein, ift gottäl^nIid&, ba er ein ©ing 
ober eine ©ubftang ift, tt)ie ©ott; toir finb gottäl^nlid^, ba toir ben!enbe, 
fetbftbetoufete ©ubftanjen finb, gleid& il^m. S)ie Rbxpti »erben t)on 
©ott nur betoegt, bie ©eifter finb t)on il^m erlcud^tet.^ 

®ie cartefianifd&e ©rtoieberung fJü^t fid& auf bie tl^omiftifd^e 
@döö|)fung8le]Öre, nad& toetd&er bie ©dööpfung bel&errfd&t unb beterminirt 
ifl burdö bie 3fbee ber göttlid^en Sßottfommcnl&eit. w3d6 nel^me l&ier", 
fagt S)e§carteS, „ba^ SBort «imago Del» nid^t in bem engen unb 
gettjöl^nlid&en ©inn, too baffelbe ein Slbbifb ober Konterfei bebeutet, 
fonbern in ber weiteren 33ebeutung ber SBefenSäl^nüdöfeit, toie eS aud& 
bie l^eilige ©d^rift braud&t."^ 

9. dagegen ^jeigt fid^ S)eScarteS fe^r antitl^omiftifd^, inbem er 
auf eine neue fjrage antwortet, toeld^e mit ber eben erörterten genau 
jufammenl^angt. SBie öcrl^ölt e§ fid& mit unferer ^bet unb ©rfenntnife 
ber @ngel, ba biefe 3bee bod) offenbar unfer ajlad&toerf unb nad^ 
ber Sfbee unb ber Slnalogie unfereS eigenen ©eifteS gebilbct ift? ßngcl 
unb 5!Jlenld& finb beibe nid&t§ anbereS ats ben!enbe SEBefen: toorin be= 
ftel^t il&re SSerfd^iebenl^eit? 

S)ie 35crfd6iebenl)eit fann nur grabuett fein, ertoiebert S)eScarte§; 
aber biefe grabueße SBerfd&iebenl^eit fönnte fo grofe fein, bafe fie einen 
ft)ecififd&en Unterfd^ieb au§mad()te unb bie @ngel eine anbere ©pecieS 



1 li^gl. oben S5udö II. 6:ap. IV. ©.315-320. Manuscrit de Goetüngen. 
pg. 18. — 2 Manuscrit de Goettingen. pg. 21 — 22. — ' Non sumo autem 
hie imaginem, ut vulgo sumitur, pro eo scilicet quod ad aliud effigiatum 
est et depictum, sed latius pro eo quod sirailitudinem cum alio etc. habet, 
et ideo eas voces adhibui in Meditationibus, quia passim in Scriptura ad 
imaginem Dei conditi dicimur. Manuscr. pg. 21. 



@^ttog SU bem t)origen dapitti, 419 

todren, als toit. S)axüBcr aber toiffcn toir gar ntd^ts, fonbern ntüffcn 
in btefer ^tnftd^t glauben, toag uns bte ©d&rift ergdl^lt. 

S)er l&eiüge SEl^omaS freiltd& molltc bic SBefd^affenl^cit ber ©ngcl 
auf ba§ genauefte fennen unb leisten, er toottte bie öerfd^iebenen @})ecieö 
ber @ngel unterfcfeeiben unb l^at bie einjelnen fo auSfül^rlidö befd&rieben; 
als ob er mitten unter il&nen getoefen noöre. S)aburti^ ]§at er fid& 
aud6 ben Sftamen unb aiul^meStitet beS «Doctor Angelicus» ertoorben. 
Slber tt)ie ber l^eilige 2Jlann faft nirgenbs eifriger, fo toar er aud& 
nirgenbs ungereimter. ^ 3tc^ gtoeifle, ob S)eScarteS biefen @a§ in feine 
SJiebitationen eingerüdt unb ben Soctoren ber ©orbonne getoibmet 
l^aben mürbe. 

10. ®a nun ber menfd&Ud&e SBerftanb bie SBottfornmcnl^eiten ©otteS 
erfennt, fo fei berfetbe cigentlid^ in nid^ts t)om göttlid&en SBerftanbe 
oerfd^ieben, toenn aud& biefer fid^ auf mel^r ©egenftänbe erftredEe als 
jener. ®eScarte8 lä^t bie Folgerung nid^t gelten, benn ber menfd&= 
lid^e SBerftanb in feiner ®nblid&feit unb SBefd&rdnfung bleibe ftets mit 
S)unfel unb Untoiffenl^eit bel^aftet.^ 

II» 3iid&t auf bem SBerftanbe, fonbern auf bem SBillen berul^t 
unfere ®ottdl^nlid^!eit. S)er SBiÖe fei unbefd^rduft, toie jeber burd& 
ben ®inblidE in fein innerfteS SEBefen fogleidö erlenne, ber SBille fei 
größer als ber SBerftanb unb barum gottdl^nlid&er. ^ Sitte Unbeftdnbig= 
feiten unb @d6tt)an!ungen unfereS SBottenS fdmen t)on bzn 2Jldngeln 
unferer Urtl^eile. S)aS SBotten als fold^eS fei ftets Dottfommen. Unfere 
aOSittenSfreil^eit, toorin toir t)on feinem SBefen übertroffen merben, fe§e 
uns in ben ©tanb, baS Urtl^eil enttoeber gu bejal^en ober ju Verneinen, 
in iebem Satte unfere 3uftimmung gurüdEjul&alten unb baburdö ben 
Srrtl^um unb baS SBöfe ju öerl^üten. S)a§ burd& ben ©ünbenfatt 
unfer SBitte bem SSerberben anl^eimgefatten fei, mögen bie Stl^eologen 
beS SRdl^eren auSeinanberfe^en. @r benfe als 5ß]^ilofo})]& unb betrad^te 
olS fold&er ben aJienfd^en, toie fid& berfelbe naturgemd^ t>n^alk; er 
l^abe als ^IJl^ilofot).]^ gefd^rieben unb feine ßel^re tjerfafet, bie bon feiner 
9leligion bel^errfd&t »erbe, feiner jum 3lnfto§ gereid&e unb barum 
überatt Slufnal^me finben fönne, felbft bei ben Surfen.* 



1 Manuscr. pg. 22—23. «Sed ut nullibi fere magis occupatus, ito et 
nullibi ineptior est.» — « Manuscr. pg. 24. — « In eo igitur major est vo- 
luntas intellectu et Deo similior. Manuscr. pg. 24. — * Manuscr. pg. 25. 

27* 



420 SBeuttl^etlunfi bed 6^{iem8. 

3)icfe8 93e!enntnt6, fo oufrid&ttg eS ift, l^at SeScQrteS lieber bcm 
l^ottdnbifd^en ©tubenten Bei einem SEifd^gefpröd^ in (Sgmonb jum Beften 
flegeben, ots in feinem Serie ben Soctoren ber ©orbonne in 5ßariS. 



StDöIfteS e;a))iteL 
^eurt^eilung itB $9ptem$. IKngeUpie nul» nene yr0U^te. 

I. Dbject unb ajietl^obe ber Unterfud&ung. 

Sie öerl^ölt eS fid& nun mit bem ßel^rgeböube felbft, ba§ auf 
ben bargefteÖten unb gegen bie gemad&ten ©intoürfe erörterten ®runb= 
lagen rul^t? Siefe grage fül^rt uns ju ber legten Unterfud^ung : ber 
^Prüfung bes ©^ftems. 

2tene fritifd&en SBerl^anblungen, toeld&e SeScarteS feinen „SKebita= 
tionen" einverleibt l^atte, finb nid6t bIo§ l^iftorifdö bentoürbig, fonbern aud^ 
für bie 5ßrüfung beS @^ftem§ nod^ l^eute bebeutfam; fie laffen bie ßel^re 
®e§carteS' in bem ßid^te erfc^einen, toorin fie betrad&tet unb getoürbigt 
fein toitt. 35a§ folool^I SEl^eoIogen al8 SRaturaliften bie 5Princi))ien 
unfere§ 5p]^iIofo))]^en angreifen, ift fd^on ein SBetoeiS, ba§ fein ©Aftern 
»oeber ein tl^eoIogifd^eS nod) ein naturaliftifdöeS im ©inne ber ©cgner 
ift. ®iefe befäm|)fen aus entgegengefe^ten ©tanbpunften bie rationale 
5ßrinci))ienlef)re ober baS metal3l^^fif(|e fJunbament: baS natürlid^e 
ßid^t beS Haren unb beutlid&en SJenlenS erfd&eint ben tJ^eologifd&en 
©egnern beben!Iid& im ^inblid auf bie fird&Iid^e ©laubenSlel^re, ben 
fenfua{iftifdf)en im ^inblid auf bie emt)irif(Jöe SRaturlel^re ; jene Der= 
miffen baS übernatürlid^e ßid&t ber Offenbarung, biefe baS natürUd^c 
ßid^t ber ©inne. ®aS ßid^t ber Sßernunft (la lumiöre naturelle), 
toeld&em S)e§carteS gefolgt toar, fäÜt nid)t t)om Fimmel l^erab unb gel^t 
nid6t aus ben ©innen l^ert)or: ben 2;^eoIogen gilt e? als bIo§ natüt= 
Iid& unb barum als elmaS il^rer glaubigen Slnfd&auungStoeife {frembeS, 
ben ©enfualiften bagegen als nid^t natürtid^ unb barum als ettoaS 
il^rer finntid&en SSorfteüungSart ebenfalls ^rembeS: jenen ift bie neue 
ßel^re gu naturaliftifdö , bie[en ift fie nid^t naturaliftifd& genug. 33on 
ber einen ©eite toirb befürd^tet, bafe bie SEl^eologie naturalifirt unb 
baburdö ber ßirdfee untreu gemad^t, t)on ber anbern, ba% bie 5Ratur- 
lel^re rationalifirt unb baburd^ ber ©rfal^rung entfrembet toerbc. 



Ungelofte unb neue ^roBIeme. 421 

©0 t)ercinigen fid& gegen S)e8carte8, tro§ il^tem eigenen S3Bibex= 
fireit, bie tI)eoIogifd^e SRid^tung, toeld^e t)on Sluguftin unb ber ©d^oloftti 
l^erfomntt, unb bte fenfualiftifd^e, bie in ©affenbi t)on ©Düur unb in 
^ob6e§ t)on Sacon auSgeljt. 3ugleid& finbet jeber bct Beiben ©tanb« 
puutk in ber neuen ßel^re eine il^m jugetoenbete ©eite, unb eS ift eine 
jel^r 6emer!en8tDert^e S^l^dfad&c, bafe eS namentlid^ ätoifd^en SIrnauIb 
unb ®eScarte8 a3erü]^rung§|)unfte gab, bie beibe als eine ®eifte8Der= 
toanbtfd^aft empfanben. ßeinem unter ben SBerfaffern ber ©intoürfc 
ffil^Ite fi(j& ®egcarte§ fo nal^, auf feine Uebereinftimntung legte er ein 
größeres ©etoid^t. ®r tooKte in feiner Cel^re ba^ tl&eologifd^e unb 
naturaliftifd^e ©Aftern fo Dereinigt l^aben, ba% beibe einen 35unb ein= 
ge^en fonnten, Bei bem feinet, am toenigften baS tl^eolügifd&c, ju furj 
föme. 6§ ift audö richtig, bafe Beibe in bem neuen ©Aftern entl^alten 
unb nid&t Blofe äuBerlid^ unb fünfttid^ jufammengefügt, fonbern im 
©eiftc unfereS $]&itofot)]^en jufammengebad&t finb. §ier entftel^t 
nun bie ^rage : oB in ber ßel^re S)e§carte8' jene Stid^tungen fid^ tt)ir!= 
Iid& einigen unb tjertragen, bie aufeerl&alB beffelBen einanber tt)iber= 
ftreiten unb in ber 5PoIemif bagegen jufammentreffen? 

ajian fann ein ©Aftern nidöt rid&tig unb fad^gemäfe beurtl^eilen, 
toenn an baffelBe ber aJlafeftaB frember 2lnfid&ten gelegt unb barnad^ 
feine 2tnnc]^mBar!eit unb fein SBertl^ Beftimmt toirb: ein Seifpiel 
fold^er fubiectit)en ©d&ö^ung tt)aren jene ®intt)ürfe, bie toir fennen ge= 
lernt l^aben. 3ebe§ burdibad^tc ©^ftem, mie e§ au8 bem ©eifte eines 
großen ^pi^ilofopl^en l^eröorgel^t , ift in feiner Slrt ein ©anjeS, ba§ 
als foId&eS erlannt unb geprüft fein toill. @8 ift bal^er ju unterfud&en, 
ob e§ bie SlufgaBe, bie feinen Betoegenben ©runbgeban!en auSmad^t, 
toirHidö gelöft l^at. ©o notl^toenbig bie SlufgaBe ift, fo notl&toenbig 
muffen bie Sebingungen gelten, ol^ne toeld^e bie ßöfung nid&t gefd&el&en 
fann: biefe SBebingungen finb bie ?Jrincipien beS ©^ftemS; in ber t)olI= 
ftänbigen unb folgerid^tigen SntioidElung berfelBen Beftel&t bie ßöfung 
ber SlufgaBe. 

6in ©^ftem fad&gemä§ prüfen l^ei^t bal&er nid&ts anbereS als 
feine ßöfung mit feiner SlufgaBe, feine fRefultate mit feinen ^ßrin« 
cipien, feine Solgefö^e mit feinen ©runbfö^en bergleid^en unb ju- 
fel^en, oB geleiftet ift, toaS geleiftet fein toill. ©e^en toir, bafe bie 
ßel^re eines ^pi^ilofopl^en öoöenbet unb mangellos toäre, fo lie^e fie 
nid^tS übrig als il^re 3lnerfennung unb JBerbreitung , toie fie bie Sin« 
l^änger betreiben, bie baS SBerf beS aJieifterS für boßfommen l^alten« 



422 Sdeuttl^eUung beS ©^ftetnS. 

S)ic SWöngcI ju erfennen ift ©ad&c bcr eingel^cnbcn unb fortfd^rcitenben 
^Prüfung, tocld^c junäd^ft tocbcr btc 9iid^tia!ett ber ©onfequcnjcn, nod& 
tocniger bic bcr $rinci})icn in Slnfprud^ nimmt, fonbetn nur untcrfud&t 
ob alle tfolgerungen, bie aus bcn 5IJrinci})ien a^jogcn »erben fönnen, 
audö tt)irflid& öcjogen finb. SBenn fie eS nid^t finb, fo ifl bas ©Aftern 
ju tjertjoüftönbigen unb ju ergangen: barin befielet bie SluSbilbung 
beffelBen, bie baS eigentlid&e unb erfte ©efd&äft ber ©(3&ule auSmad&t 

35ie jtoeite Unterfud&ung bringt tiefer: fie betrifft bie Sflid^tigfeit 
ber ©onfequengen, bie Uebereinftimmung ber ^olgefo^e mit ben ©runb- 
fä^en, bie Slntoenbung ber 5ßrinctj)ien , bereu ©eltung unangefod&ten 
fefiftel^t: furj, eS l^anbelt fid& um bie SoIgerid^tig!eit ber ßöfung. 
SBenn fid^ in biefem 5ßunKe ajiängel finben, fo ift baö ©^fiem in 
Slnfel^ung ber ©onfequengen ju änbern unb bergeftatt ju berid6tigen, ba§ 
bie legieren ben ?Princi})ien nid&t toiberftreiten , fonbern t)öttig gemäfe 
finb. S)arin beftel)t bie fjortbitbung ber ßcl^re: eine 9lrbeit ber fürt= 
fd&reitenben ©d^ule. 

anit ber S5oQftänbig!eit unb 9li(3&tig!eit be§ ©#em8 in bem 
eben erflärten ©inn ift geleiftet, tt)aS innerl^alb ber gegebenen unb 
nod^ unbeftrittenen 5PrincilJien geleiftet toerben fann. 3fi tro|« 
bem bie STufgabe nid^t gelöft, fo liegt bie ©d&ulb in ben ©runb= 
lagen, in bem aJli&öerl&oltnife jtoifd&en biefer Slufgabe unb biefen 
5ßrinci})ien , in ber ungurcid&enben Raffung ber le^teren. 68 leud^tet 
ein, ba^ bie in bem ©tjftem erfannten unb anerfannten 5ßrobIeme 
unter ber ^errfd&aft feiner ©runbfä^e nid^t gelöft toerben fonnten. 3u 
biefer ©infid&t fül^rt bie britte in ben Äern ber ©ad&e einbringenbe 
Unterfud&ung, fie betrifft nid^t mel^r bie S5oÖftanbig!eit unb 0lid&lig!eit 
ber ©onfequenjen, fonbern bie ber 5Princit)ien ; fie mad^t bie eigentlid&e 
fritifd^e 5ßrobe, aus toetd^er erl^ellt, ob bie 9led^nung ftimmt ober nid&t. 
S)ie aJlöngel in ben Folgerungen finb fecunbör, in ben ©runblagen 
bagegen })rimör. SBenn bie Sfied^nung nid6t ftimmt, fo entbeden fid& 
in bem ©^ftem t)rimöre ajiöngel; je^t muffen bie 5Princii)ien geänbert, 
berid^tigt unb ber ju löfenben 2lufgabe conform gemad&t toerben: barin 
befielet bie Umbilbung beS ©^ftems, toetd^c über bie ©renjen ber engeren 
©d^ule ]^inau§ge]§t. 

2(ud6 in ber Umbilbung laffen fid& fortfd^reitenbe ©tufen unter- 
fd&eiben, bereu toid^tigfte toir fogteidö l&eröorl^eben tooöen. 2luf ber erfien, 
bie ben 2lnfang mad^t, toerben bie l^errfd^enben ?Princi})ien tl&eiltoeife 
umgebilbet, um ber 3lufgabe ju entflJred^en. §ier toirb bie äufeerfte 



Ungclöftc unb neue Probleme. 423 

©tenae bcr ©(ftulc erreid&t, unb eS fann ftaglid^ fein, ob bcr gcmad&te 
Sortfd&ritt nod^ ber ©d^ule angel^ört ober nid&t. SBenn nun tro§ biefet 
aSexdnbetung in ben ©runblagcn beg ©tjftemS bic Slufgabe nic^t gelBft 
»erben fann, fo mufe auf ber jtoeiten ©tufe fortgefd&ritten »erben gur 
flönjUd&en Umbitbung ber 5pttncit)ien , unb es ift jje^t !eine gragc 
ntel^t, bafe bte alte ©d^ule grünblid& t)erlaffen ift. SÖ3irb auf bem 
neuen SBege baS geforberte 3irf tiod^ nid&t erreicfit, fo leudötet ein, ba& 
ber aJlangel, gleidöfam ber gel^Ier ber 9lec^nung, nid&t blofe in ber 
gaffung ber 5ßrinci|)ien, fonbern in ber Slufgabe feI6ft, in ber ©tettung 
ber le^teren, gleid^fam im 2lnfa^e ber Sfted&nung ju fud&en ift. S)ann 
mu6 bie Slufgabe lösbar gemad^t »erben burtfe bie Slenberung ber 
©runbfrage, burdö bic Serid&tigung beS ganjen ^Problems: biefe Um== 
bilbung ift Untfd&toung ober 6l3od&e. 

S)entnad^ Beftel^t bie fad&gemöfee unb rid^tig fortfd^reitenbc 5ßrüfung 
eines großen unb epod&emad&enben ©tjftentS in benjenigen ßiufid^ten, 
toeld&c gunöd^ft bem ©^fteme folgen, in feine 9lid^tung eingeben unb baS- 
felbe erft auSbilben, bann fortbilben, gule^t umbitben. SBöl^renb bie 
Slufgabe in il^rer bisl^erigen Raffung nod) fortbcfiel^t, »erben je^t bie 
5ßrincii)ien erft tl&eitoeifc, bann gänglid^ umgeftaltet; jule^t »irb bie 
Slufgabe felbft geänbert, bie «^errfd^aft ber gefammten bisl^erigen 
5p]^iIofot)]^ie geftürjt unb eine neue @pod6e begrünbet. Wxt biefem 
SBege fad&gemä^er, öon grage gu grage fortfd^reitenber ^Prüfung fööt, 
»ie man fielet, ber ent»idlungSgefd&id&tIid^e ©ang ber 5P^ilofop]^ie 
felbft jufammen. 

®ie ßeljre SJeScarteS' ift ein fold&es grofeeS unb e))0(5emad6enb^S 
Softem, an bem fidö alle jene ©tufen ber ßritif unb beS ent»idf= 
lungSgefd&id^tlid^en gortfd&ritteS nati^»eifen laffen. SBir berül^ren fic 
l^ier nur beifpie(S»eife , ba fie erft in ber golge auSjufül^ren finb. 
©0 öerl&alten fid& gu bem cartefianifd&en ©tjftem ausbilbenb bie erften 
©d6üler, ajiönner »ie 3fleneri unb SftegtuS, btefer in feinen 2lufängen, 
fortbilbenb ©eulinj unb JUialebrand&e, t]^eil»eife umbilbenb ©ijinoga, 
gdnglidö umbilbenb ßeibnig, umftürgenb unb eine neue @))od&e bc- 
grünbenb ßant. 

n. S)ie fritifd&en §au})tfragen. 

3m ßid&te ber SSernunft ober beS Karen unb beutlid^en S)enfenS 
l^atte S)eScarteS bie SRealitöt ©ottes, »ie bie ber ©eifter unb ßörper, 
bie 3lb]^(Jngig!eit ber beiben te^teren t)on ©ott, »ie i^re Unabl^ängig= 



424 SSeurtl^etlung beS ©^fteme. 

!eit t)on cinanber crfannt. „©erabe barin befielet baS SQBefen bet 
©ubjianjen, ba% jtc fid6 g^ßc^fcitig augfd^Ucfecn." ®ott i|i bic um 
cnblic^c ©ubftonj, ©ciftcr unb Sibipzi jtnb enbUd&c, jene jtnb benfcnbe, 
bicfc auggßbel^ntc ©ubftanjen. @S bepelzt bemnadö in unfercm ©Aftern 
ein bop})eItcr unb grunbf ö^Iid^cr SJualiSmuS : 1) bcr ® egcnfa^ jtoijd^en 
©Ott unb SQBctt unb 2) innerl^olb ber SQBelt ber ©cgcnfa^ gtoifdö^tt ©etftern 
unb Äör})crn, toorauS ber jtoifd&en ajienfd& unb %f)m notl^menbig folgt. 

®icfe ßcl^re bejal^t bie ©ubftantioUtdt ©otteS im Unterfd&iebe öon 
ber SQBelt, bie ©ubftantialität ber SBelt im Unterfc^iebe t)on ©ott: in 
ber erften Söejal^ung Befielet ber tl^eologifd&e 6l^ara!ter beS ©^jiems, 
in ber jtoeiten ber naturaliftifd&e. S)aB ©ott in ber ßel^re S)e8= 
carteS^ aU ber abfolut mödötige SBitte galt, toeld&er bie ©eifter erleucfitete, 
bie Äörper bemegte, alle ®inge fd&uf unb erl^ielt, getoann ben 33eifatt 
ber Stl^eologen, toal^renb ba^ natürlid^e Cid^t ber SBemunft unb bie 
barin erl^ettte ©ubftantialität ber Singe ein ©egenftanb il^ter SBe^ 
benfen toar. ®ie Statur ber ®inge jerfiel in ben ©egenja^ ber ©eifter 
unb ßßrl3er. SSenn unfer ©Aftern bIo§ bie ^flatur ber S)inge als 
toirllid^ gelten liefee, fo märe e§ im auSfd^tie^enben ©inne naturaliftif(i&; 
e§ todre materialiftif d^ , tocnn eS nur bie ©ubftantialitdt ber för})er= 
lid&en Statur bejal^te. 3fnbeffen befd&ränft e« ben 9?aturati8muS burd^ 
bie ©eltung, bie eS bem ©otteSbegrtff einräumt, benn eS läfet bie 
S)inge t)on bem göttlid&en SBitten abl^öngig fein; unb e§ befd&rdnft 
ben 3JlateriaIi§muS burd^ bie ©eltung, bie e§ bem ^Begriffe be§ ©eifteS 
einröumt, inbem eS biefen ber 3Jlaterie entgegengefe^t unb für unab= 
gängig öon ber le^teren erftört. Salier finben fid^ bie SKateriatiflen 
l^ier t)on jmei ©eiten beengt unb abgeftofeen unb nur barin mit ber 
ßel^re SeScarteS' einöerftanben, ba% aud& bie ©ubftantialität ber 
aJlaterie bejatit unb in golge beffen bie ßör})ertt)eU rein med^anifd^ 
erflört toirb. 

3luS bemfetben ^Princij), in toeld^em ber ©(3&tt)er})unft bcr gangen 
ßel^re liegt, entfd&eibet fid& il^r jn^eifad&er S)uali§mu§. ©ie fommt 
burdö ben 3toeifeI gur ©elbftgetoiBl&eit unb burd& biefe gur ©rfenntnife 
©otte3 unb ber Röxptx. 2lu§ uiiferer ©elbftgemiB^eit erl^ettt unmittel« 
bar bie ©elbftänbig!eit ober ©ubftantialität beS ©eijieö, feine SBefenS= 
öerfd^iebenl^eit oon ©ott unb ben ßörpern, alfo ber ©egenfa^ fotool^I 
jroifd&en bem enblid^en unb unenblid^en, als audb groifd&en bem benfenbcn 
unb auSgebelinten SBefen. 2)er bnatiftifd^e ß^aralter beS ©^ftemS 
toirb burd^ ba^ ^jJrinci}) geforbert unb gilt bal^er grunbfä^lid§. 9lun 



llngeI5fle unb neue Probleme. 425 

ifi gu untcrfud^cn: ob btefe buattpifd&cn ©runbfö^e mit bcr SlufgaBe, 
ob alle folgenben ©ä§e mit jenen ?ßrinci})ien übereinftimmen, b. 1^, ob 
in bem ©^ftem nid^ts gelehrt toitb, toaS bem ©ualiSmnS jtoifd&en 
©Ott unb SBett, ©eift unb ßörper, ajlenfd& unb Silier toiberftreitet? 
S)iefe fragen betreffen bie fritifd^en §QU))t})unftc. 

1. S)a8 bualiflifije ©rfenntnifef^ftewi« 

S)a gemöfe ber ©rflörung 35e§carte8' ©ubftanjen fid& toed&felfeitig 
QUSfdölieBen unb oöttig unabl^öngig t)on einanber finb, fo giebt e§ 
gtoifd^en il&nen toeber gegenfeitige nod^ einfeitige Slbl^ängigfeit, toeber 
SBed&feltoirhing nodö ©aufalttöt, alfo f einerlei ©emeinfd&aft unb SSer* 
fnfi})fung. S)ie Slufgobe ber ©rfenntnife forbert ben burd^göngigen 
3ufammen]§ang ber S)inge, ber S)uali8mu3 fe^t bie Trennung: bal^er 
toiberftreitet biefer le^tere ber Stuf gäbe, toeld&e er löfen joll, ober bas 
bualiftifc^c ®r!enntni6f^ftem gerätl^ in einen SBiberflreit mit fid^ felbft. 
3)ie ajietbobe ®e§carte§' tooÖte (c8 toor fein eigenes SBilb) ber fjaben 
ber Slriabne fein, bie 9flid&tfd&nur, toeld^e ©d^ritt für ©d&ritt bie @r= 
fenntnife auf ftetigem unb fidlerem SBege burd& ba^ ßab^rinll^ ber 
3)inge l^inburd^fül^rt. 3lun öffnet fid& an mel^r als einer ©teile bie 
Äluft beS S)uaü8mu§ unb l^emmt ben SBeg ber ®r!enntni§. hieraus 
erl^ettt, bafe bie ßel^re S)eScarte8' au8 ben ^Principien, bie fie ]§at, il&re 
@r!enntnifeaufgabe nid^t löfen !ann, ba§ bie 5Eragtt)eite ber le^teren 
toeiter reid&t, al§ bie beS ©^ftemS. 

2. S)cr S)uoliSmu8 a^iftä^en ®ott unb SBelt 

SBäre ©ott t)on ben S)ingen in SQBal^rlöeit gefd&ieben unb fo ge« 
trennt, toie e8 ber SBegriff ber ©ubfionj unb bie bnatiftifd^e ßel^re 
forbert, fo fönnte jtoifdöen beiben Einerlei Sufammenl^ang beftel^en: 
bann gäbe eS feine 3!JlögIid&!eit ber ©ottegibce in ben ©eiftern, ber 
JBeroegung unb Siul&e in ben ßörpern; jene fönnten burd& ©ott nid&t 
erleud^tet, biefe nid^t betoegt »erben. Unfere ©otteSibee ift nad^ beS 
5ß]^iIofot)]^en eigener unb notl^toenbiger SrHärung ©otteS SBirfung, 
aSetl&ätigung , S)afetn in un8. 6ben fo gilt ber Urjuftanb ber Se* 
loegung unb ^\xf)t in ber ßör})ertt)elt als göttlid&e SBittenStl^öt. Sem= 
nad& finb bie ©eifter unb ßör})er, alfo bie enblid&en S)inge über]^aui)t 
t)on ©ott abl^öngig, alfo nid&t in ber eigentlid^en SBebeutung beS 
SBorteS ©ubftangen. 



426 SSeuTtl^eilung bed @^ftemd. 

S)e§cQrteS fagt e§ felfift. gttoaS onbcrcS tft bic ©uBftantialitat 
©ottcS, etttjQS anbereS bic bcr ©tnge: im etgentltd^en ©tnn gilt nur 
bie ctfte, nid&t bie stoeitc. 3n fRüdfid^t auf ©ott finb bic Singe 
feine ©ubftanjen. Dl^ne ©ott finb bie ©cifter im S)un!cl, fo uner= 
ftud&let, ba§ fic il^te eigene UnöoÖIommenl^cit nid&t einmal cinfcl^en, 
benn nur bic 3bee beS SBolüommenen erl^eöt baS Unt)olI!ommene ; 
ol^ne bie 3fbee ©otteS (b. 1^. ol^ne ©ott) giebt eS in ben ©eiftem 
feinen 3»eifel, alfo audö feine ©elbftgetoifel^eit, au§ ber attetn unferc 
©ubftantiaütöt einteud&tet; oijut ©ott giebt eS in ben ßör})ern toeber 
Söetoegung nod6 Stulpe: bal^er finb ol^nc il^n fottjol^l ©eifter als fiörper, 
alfo bie enblid^en ®inge überl^aupt fo gut toie nid&tig. @ic finb nid6t 
6lo§ t)on ©ott abl^ängig, fonbern ejiftiren aud6 nur burcS^ il^n: fie 
finb feine SBirfungen, er il^re Urfad^e. 3e nad&brüdElid&er bic ©uB^ 
ftantialitdt ©otte§ geÜenb gemad^t loirb, um fo toeniger gilt bie 
ber ®inge, um fo mel^r Verliert bie ©elbftdnbigfeit bcr SQBelt an 
©etoidbt. 

©ie l^at am @nbe gar feines. S)er abfoluten Unabl^öngigfcit ©ottc8 
cntft)ri(j^t nur nod& bie abfolute Slbl^ön gigfeit unb SRid&tigfeit ber S)inge: 
fie finb ©otteS ®efd6öt)fe, ber 33cgriff ber ©ubftanj öerttjanbelt fid^ in 
hm ber ©reatur. Um beibeS gügleid6 ju fagen, nennt SeScarteS bic 
®inge „gefd&affene ©ubftangen", toomit ber SQ3iberfprud& nid^t ge= 
löft, aud& nid&t öerbcdEt, fonbern offen erflärt mirb. S)er SSegriff einer 
gefd^affenen ©ubftanj ift contradictio in adjecto, benn unter ©ubflanj 
foÖ nad& be§ ^^ilofo))]^en eigener ©rfidrung ein S)ing berftanben 
werben , baS ju feiner Ssiftenj feines anberen bebarf, toäl^rcnb baS 
SBort ©reatur ein SBefen bejeid&net, baS ol^ne ben SBiÖen ©otteS 
toeber fein nod^ gebad&t n)erben fann. Unb nid&t blo^ ju il^^er ©jiflenj 
fotten bie S)inge ©otteS SBiÖen unb ©d6ö))ferfraft bebürfen, fonbern 
auc^ ju il^rer goribauer. SBeit fie nid^t burd& fid6 felbfl finb, fönnen 
fie audö nid&t burd& eigene Kraft er'^alten »erben: barum nennt SeS= 
carteS mit 2luguftin ben SBeftanb ber SSelt eine fortbauernbc ©d&ö})fung 
(creatio continua). S)ic enbli^en ©ubflangen finb bemnad^ nid^t blo§ 
in einer getoiffen Slildfid&t abl^öngig unb unf elbftänbig , fic finb eS in 
jcber; eS giebt, genau ju reben, nid&t mel)r brei ©ubftanjen, fonbern 
in SBal^rl^eit nur eine: ©ott ift bie einjige ©ubftan'j. S)c8carteS 
felbft jiel^t biefe Folgerung, bie feinem bualiftifd&en SrfenntniBf Aftern 
miberft reitet: „Unter ©ubftanj ift nur ein fold&eS Sefen gu öerjiel^en, 
ba§ gu feiner Sjiftenj feines anberen bebarf; biefe Unab^ängigfeit 



Unöclöflc unb neue ^xoUtmt. 427 

fann nur t)on einem et ng igen SBefen gelten, namlid^ t)on ©ott, alle 
anbeten Singe lönnen Begreiflidöertoeife nur unter ©otteS ajiitmirfung 
eEiftiren. 6S giebt feine Sebeutung beS SQ5otte§ ©ubftang, bie t)on 
©Ott unb ben ©teaturen gemeinfri^öftUdö gelten fönnte."^ 

§ier ift nun ber 5ßunft, in tt)eld&em fid^ jene ftitifd&e §aut)tfrage 
entfd^eibet; ob in ber ßel^re SeScarteS' baS tl^eologifd^e unb baS 
naturaliftifd&e ©tjftem bergeflolt t)ereintgt finb, bafe jebcS t)on beiben 
feine Sere^tigung l^ot? S)ie fjrage mufe junad^ft Verneint »erben. 
3)ie ©ubfiantialität ber S)ingc (SBelt) lonn fid& gegen bie ©ubftantialität 
©otteS nid^t aufred^t^atten; in bie le^tere fäÜt nid^t blofe baS lieber« 
getoid^t, fonbern oÜeS ©ett)id^t, unb bie enblid^en ©ubflongen öerüeren 
ber unenblid&en gegenüber jule^t QÜe ©elbftänbigfeit. 3ln bie ©teüe 
ber 5Ratur tritt ber SSegriff ber ©d&öpfung, ber fortbouernben ©d)ö})fung, 
bie ben Singen feine Slrt eigener ©elbftönbigfeit lä&t: bai^er fd&eint 
in ber Seigre Se^carteö* bog tl^eologifd^e Slement eine fold^e 3lÖein= 
^errfd^aft ju gewinnen, ba% I)ier ber SluguftiniSmuS über ben 3iaturo= 
USntuS ben ©ieg baponträgt. 

Sod6 loffen »ir uns burd& biefen ©d^ein nid^t töufd^en. 3n 
SBal^rl^eit ift ber ©ott StuguftinS bem unfereS 5ß]&iIofot)]^en fel^r un= 
öl^nUd^. ©in anberer ift ber ©rfenntnifegrunb bes auguftinifd&en ©otteS, 
ein onberer ber be§ cartefionifc^en : jener erließt aus ber Sl^atfad^c 
ber ©rlöfung, biefer auS ber Stl^atfad^e ber ntenfd&licöen ©elbftgettjifel^eit. 
Ser ©Ott ^uguftins ertoöl^tt bie einen jur ©eligfeit, bie anbern jur 
aSerbammni^, er erleud&tet bie einen unb fd^Iägt bie anbercn mit 
SBtinbl^eit, er erlöft, toen er toiÖ, unb erbarmt fid&, toeffen er tt?ill; er 
ift bie abfolute aJladött)olIfommenl^eit unb bie grunblofc SBittfür.* 

Sagegen gilt in ber ßel^re SeScarteS' ©ott als bie Urfadöc (9leal- 
grunb) unferer ©elbftgetoifel^eit, bie bas 5ßrinci}) ber ©rfenntnife nad^ 
ber fRid&tfd^nur beS flaren unb beutlidöen SenfenS auSmadfet; biefeS 
Senfen ift baS natürlid^e ßid&t in uns, toeld&eS nie töufd^t, bie ßueüe 
beffelben iji ©ott: bal^er ift biefem ©otte bie SEäufd&ung nid^t möglidö. 
SQBenn eine fold&e Siäufd^ung fiattfinben fönnle, fo »äre bie menfd&lic^c 
©rfcnntnife unmöglid^ unb bie ©runblage erfd&üttert, auf tocld^er bie 
ßel^re SeScarteS' in bollfter ©id^erl^eit rul^t. 

fjaffen loir biefen ?ßunft genau inS Sluge. @S giebt ettt)aS, baS nadft 
ber ßel&re unfereS 5p]^ilofot)^en bem göttlid^en SBitten unmöglid^ ift unb 



Princphil.I. § 51. (Heb. ©.186.) - 2 @.ofcen(£tnIcituii9. eQp.III. @.46ftöb. 



428 SBcurtl^eilung bei» S^ftemS. 

bal^^r bie aöttlid&c SBiÜIür in ber Bebeutfantficn SQBeifc eiufd^rönft: un= 
tnöfllidö tft in ®ott, toaS bie @r!enntni& in uns junid&tc ntad&en unb baS 
natürli^e ßic^t in ein Sfrtüd&t öertoanbeln mürbe. S)c8carte8 etflört 
ougbrüdflidö: „35ie erfte ©igenfd&aft ©otteS Befielet barin, bafeer 
QÖfoIut roal^rl^aft ifl unb ©eber alles Sid^tS. @S ift barum 
unt)ernünfti8, ju meinen, ba& er uns töufd^en ober im eigentlid^en unb 
i)ofitiöen ©inne bie Urfad^e ber Srrtl^ümer fein fönne, benen »ir, loie 
bie Srfal^rung jeigt, untertDorfen finb. SEäufd&en fönnen mag bei 
uns aWenid^en etoa als ein 3citi&ßn t)on ©eift getten, täufd&en to ollen 
ift ftets eine unjtoeifel^afte golge bon SSoSl^eit, gurd^t ober ©d^möd^c 
unb fann barum nie t)on ©ott getten/'^ 

®ie menfd&üd&e ®r!enntni§ ift nur möglid&, toenn bie menfd&lidfec 
Säufd&ung burd& ©ott unmöglid^ ift. 3e toeniger aber ©ott unferen 
Srrtl^um toiÖ unb tooUen barf, um fo toeniger barf er nad6 gefe^Iofer 
SBittfttr, fonbern nur nad& ber gefe^mö^igen SRotl^toenbigfeit l^anbeln, 
bie eines ift mit feinem SQBefen unb SBiöen. SQBäre er grunblofe 
SQBiÖ!ür, tt)ie er abfolutc STÜmadit ift: toarum foütc er bie menfd&Kdfje 
SLaufd&ung nad& feinem unerforfd^Ud&en 9lat]^fd&Iu§ nidbt tootfen bürfen, 
unb wie fönnten toir fidler fein, ba^ er fie nie toitt? S3Bie t)ermöd&ten 
toir ben unbegreiflid^en SBillen ©otteS bergeflalt gu erfennen, bafe 
tt)ir mit öotter ©etoifel^eit einfel^en: eines fönne er nie tootten, nämtid^ 
unfere Siäufd^ung? S)ann feigen toir jugleii^ ein, toaS er immer toill, 
nömlidö unfere ©rienntnife. 

SDlitl^in ift unS ber götttid^e SQSiöe erfennbar, toaS er nid^t 
fein fönnte, toenn er grunblofe SBilHür loäre; er ift eS nid§t, benn 
er !ann nid&t eben fo gut unferen Sfrrtl^um tooöen als unfere @r= 
lenntni^, er toiÖ nur bie festere, fein SQBiÖe ift bal&er nid^t im 
bifferent, fonbern ftetS öon ber beutüd^ften ®infid&t erleud&tet. S)cr 
göttUd^e SBitte ift nid&t t)on bem göttlid^en ßid&t unterf d&ieben : ba^ 
natürlid&e 8id6t, weil untrüglid&er ^rt, ift eines mit bem gottlid&en. 
SQSorin unterfd^eibet fid& je^t nod6 baS SBefen ©otteS Don btm ber 
Jiatur? 3tn einem feiner bcmerfenStoertfjeften @ä§e fagt SeScarteS: 
„@S ift getoife, ba^ in allem, toaS bie Statur uns lel&rt, SBal^rl&eit 
enttiatten fein mufe. S)enn unter Statur im SlUgemeincn t)er= 
ftel&e id& nid&tS anbereS als enttoeber ©ott felbft ober bie 
t)on ©ott eingerichtete SBeltorbnung, unb unter meiner eigenen 



1 Princ. phil. I. § 29. {Ucb. 6. 177.) 



Ungelöfte unb neue Probleme. 429 

Statur im Scfonbcrcn öcrftcl^c id^ ntdöts anbcreS ats bcn Snbcgriff bcr 
mir öott ©ott Dcrlid^cncn ßräfte."^ 

SBir feigen jc^t, toie c8 ftd^ mit bcr attcinigcn ©ubftantiaüt&t 
©otteS in bcr ßcl^rc ©cScartcö' öcrl^&lt. 3tc mcl^r ba§ naturatiftifd&c 
ßlcmcnt gegen baS tl^cologifd&e jurüdtritt unb Dcrf d&tDinbct , je mel^t 
bie ©etbjiftnbigleit bcr 3)inge in bcr ©clbft&nbigleit ©ottcS aufgellt: 
um fo mel^r lommt in bem tl^cologifd&cn 6Iement fclbfl bas natura= 
Ufiifd&c toicbcr jum aSorfd&ein, um fo mel^r ]§ört bcr cartefianifd^c ©ott 
auf, ein fut)ranaturale8 SBefett ju fein, um fo mel^r naturatifirt 
ftd& bicfcr ©otteSbcgriff unb entfernt fic^ bis jum ftufecrpcn ©cgcnfa§ 
öon bem auguftinifd&cn. SKuS bcr buatiftifc^cu @rf(ärung: „©ott unb 
SRatur" erl^cbt fid^ fd&on bie moniftifd^e: „©ott ober 5latur" (Deus 
sive natura). ©cScarteS berül^rt fic, ©t)inoäa bringt fic jur «^crr^ 
fd^aft. SQB&l^rcnb ©cScarteS fid& bem Sluguftin ju naivem fd&eint, näl^crt 
er fid& bem @l)inoja toirflidö unb gel^t bicfem fo tocit entgegen, bafe er 
fd^on bie formet auSfprid&t, bie bcn ©i)inojiSmu8 in fid& trägt. 

SBöl^renb er nad) feinen i)erfönlid&en Steigungen fid^ ju bem Äird^cn^ 
Dater unb bem auguftinifc^ gefinnten S^tjcotogen tjingejogen fttl^tt unb fid6 
ber Uebereinftimmung freut, bie in feiner ßel^rc mit bem SluguftiniSmuS 
bemcrft lootbcn, bereitet bcr ©cift biefcr ßel^rc eine Slid&tung öor, bie 
bcn 9taturali§muS öollcnbcn unb bem tl^cologifd^en Softem in ber 
fd^ärfften gorm entgcgenftetten toirb. ®ie ©efd&idfc ber ^ßj^ifofopl^ie 
finb m&d&tiger als bie ^Perfonen, tocld^c il^rc Sräger unb SQBerljcuge finb. 
3)cScartc8 ift auf bem SQBcgc, bcr ju ©i)inoja fttl^rt, toäl^rcnb er bie 
ürd&lid^e ©taubenStel^re tiefer ju begrünben meint unb bie ®octoren 
ber ©orbonnc ju Saugen nimmt, ba§ er ein bcr ßird&c lool^ttl^ätigeS 
SBBer! auSgcfül^rt l^abc. @r ift Don bcn 9Jläd&tcn ergriffen, Don bcncn 
eS l^ci^t: nolentem trahuntl ®ic ©runbrid&tung feincS ©^ftemS, 
toctd&c bie tl^eologifd&e burd^bringt unb in il^re ©cloalt nimmt, ift bie 
naturaliftifdöc. 

Snbcffcn !ommt in bcr ßcl^rc ®c§cartc8' bcr SBcgriff ©ottcS als 
ber alleinigen ©ubftang nod& IcincStocgS jur ^crrfdöaft. S)cr S)ua« 
liSmuS tocl^rt fic^ gegen bcn SOtoniSmuS. 3n bcr Statur bcr S)ingc 
bleibt ettoaS jurüdE, baS il^ncn eigcntl^ümlii^ gcl^ört unb il^r unantaft« 
bares ©runbtocfcn auSmat^t. ©ott bcmcgt bie Rbxptx, bie Don fid& 
aus nur betoegbar finb, bcnn fic finb btofe auSgcbcl^nt. Stun fann 



1 M^d. VI. Tom 1. pg. 335. (lUbetfefeung ©. 137.) 



430 S3eutt^eilung beS @^{tem8. 

bie SluSbel&nuna ober SDtatcrie nad6 ©cScartc«' eigener Srftärung nid^t 
aus bem 3tmmatertetten begriffen »erben. S)a ©ott nid^t materieö ifi, 
fo fann bie SWaterie nid&t aus ©ott l^eröorgel^en; eS toibctfireitet bal^er 
bem Haren unb beutlid&en S)enlen, alfo au^ bem SQBefen ©otteS, toenn 
S)e§carte8 bie SWaterie als ein aJlad^tterf bel^anbett. SBir bemerlen 
ben d&arafteriftifdöen SBiberfprudö , ber l^ier entftel^t: ber Rbxpn fann 
©Ott gegenüber nid&t ©ubftang fein, bie SluSbel^nung fann nid^t ©reatur 
toerben. ©o loirb bie Singigfeit ber götttid&en ©ubftang mieberum in 
grage gefieöt, benn neben i^r mad&t fid& bie Stusbel^nung als bie öon 
©Ott unabl^&ngige SBefenSeigentl^ümlidöfeit ber ßörper gettenb. ©ott 
erleud^tet bie ©eifter : in biefer ©rleud^tung, bem natürlid&en ßid&te ber 
SSernunft, fönnen fie nid^t irren; fie irren bennodö, ber ©runb tl^rcS 
Srrtl^umS fann fein anbereS SBefen fein, als fie felbfi, als il^r SBille: 
fraft biefeS SBißenS ftnb fie eigenmäd&tige , felbftänbige, t)on ©olt 
unabl^ängige SBefen. 

©egen bie alleinige ©eltung ber götttid^en ©ubfiantialität er= 
lieben fi^ bemnadö in ber SRatur ber ®inge gttei 9Jläd&te, bie für fid& 
felbftänbige Slealitöt beanfprud&en: Don feiten ber ßörper bie 5luS= 
bel^nung, t)on feiten ber ©eifter ber SBille. ©obalb eS aber ettoaS 
giebt, baS Don ©ott unabl^öngig ober felbft fubfiantiell tfi, fann ber 
©a§, ba§ ©Ott bie eingige ©ubftang ift, nii^t mel^r befaßt »erben. 
©0 feigen loir in ber Seigre S)eScarteS' eine Steil^e unauflösltdöer unb 
notl^loenbig entftanbener ©d^toierigfeiten t)or uns. S)a8 bualiftifd&e 
©rfenntnifef^ftem ftreitet mit ber Slufgabe ber @rfenntni&, mit ber 
ßöSbarfeit biefer 3lufgabe; ber ©ualiSmuS gtoifd^en ©ott unb SBelt 
fommt in SBiberftreit mit ftd6 felbft, fobalb bie ©ubftantialität auf einer 
©eite Derneint loirb; fie toirb auf beiben in fjrage gefteöt: bie ®inge 
foKen ©reaturen unb ©ott bie eingige ©ubftang fein, aber biefem 33e= 
griff toiberftreitet bie SRatur ber ®inge burd^ bie Unabl^öngigfeit fottol^l 
ber 3luSbe]^nung als aud^ beS SBillenS. 

3. S)cr S)ualigmu8 gtolfd^cn ©cift unb Äör^er. 

2Benn ber ©ualiSmuS gtoifd^en ©ott unb SBelt bem ^pi^ilofopl^en 
unter ber ^anb ins ©d&toanfen gerdtl^, fo erfd^eint bagegen ber 3tt)ic- 
fpalt in ber SRatur ber ®inge felbft, ber ©egenfa^ gtoifd&en ben ©eiftern 
unb üöiptxn in ber auSgel)rägteften unb fid&erften 5orm. StuS unferer 
©elbftgetoiBlieit folgte, ba% toir felbftänbige unb betou^te SBefen, b. 1^. 
benfenbe ©ubftangen (©eifter) finb. ©obalb aufeer 3tt)eifel gefegt loar, 



Ungelöfte unb neue Probleme. 431 

bafe ffiitiae Qufeer uns ejiftircn, mußten bicfe als Don uns unobl^öngiac, 
in il^rer Slrt fclbftänbigc SBefcn, b. 1^. audft als ©ubftanjen begriffen 
»erben, bie mit ber geiftigen SRatur nid^ts gemein l^aben lönnen, bal^er 
ber legieren t)öllig entgegengefe^t ober, toaS baffelbe Ijei^t, blofe auS= 
gebel^nte ©ubjianjen (ßöri)er) finb. ©o trat ber ©egenfa^ jloifd&en 
(Seift unb ßörper in baS öolle ßid^t beS Haren unb beutlic^en S)enIenS. 

Sftid^tS S)enlenbeS ift auSgebel^nt, nid&ts SluSgebel^nteS ift benlenb. 
®en!en unb SluSbel^nung ftnb, toie fid& 3)eScarteS gegen ^oBbeS auS= 
brüÄt, «toto genere> Derfd&ieben. SBenn aber nur ber ®egenfa§ ober 
bie Trennung itoifd&en ©eift unb Körper !tar unb beutlid^ ju beulen 
ift, fo mu^ bie ^Bereinigung beiber im natürlid&en ßid^te ber SJernunft 
als unbenIBar ober unmoglid^ erfd^einen, unb toenn eS tl&atfäd&lidö eine 
fold^e Bereinigung giebt, fo ftreitet biefelbe mit ben ©runblagen beS 
©^pemS, unb iljre @r!(ärung fteöt bie ßel^re S)eScarteS' auf bie 
fd^toierigfte 5Probe. @S ift gu unterfud&en, ob ber ^Jl^ilofoj)]^ ol^ne SScr^ 
leugnung feiner ?ßrinc'H)ien biefe 5ßrobe befielet. 

Äeine ©intofirfe gegen ein Srlenntni^f^ftem finb ftörler als bie 
unleugbaren S^ljatfad&en ber Sftatur felbft. ®ie negative 3nftanj gegen 
ben auSgemadöten ®ualiSmuS ber geiftigen unb lörperlid^en 3latur ift 
ber 9Dtenfd&, benn er ift beibeS in Sinem. 3n il^m finb ©eift unb 
Äörper öerbunben unb gtoar fo eng, ba^ ftc nad& S)eScarteS' eigenem 
SluSbrud getoiff ermaßen ein SBBefen auSmad&cn.^ SQßo bleibt biejer 
SEl^atfad&e gegenüber jener flar unb beutlid^ er!annte ©egenfa^ ber 
beiben ©ubpangen? ®er ^P^ilofo»)^ erMärt: „3n SOSa^r^eit finb ©eift 
unb fiörl)er DöHig getrennt, es giebt !eine ©emeinfd^aft beiber, id& cr= 
!cnne eS im 8id&t ber SBernunft". S)ic menfdölid&e 9latur begeugt baS 
©egentl^eil, benn fie ift eine fold&c ©emeinfd^aft. dlaä) ben Begriffen 
beS ©ualiften finb bie natärlid&en ®inge entloebcr ©eifter ober Äörper. 
®er $ülenfd6 ift ber lebenbige ©egenbetoeis : ein natürlid^eS SBefen, 
weld^eS beibeS gugleid^ ift. ®ie Stimme feiner ©elbftgetoifelöeit ruft 
i^vx gu: „bu bift ©eift!", bie ©timme feiner natürlid^en SEriebe unb 
SBebttrfniffe ruft eben fo öernelötnbar: „bu bift übxpeiV 

Sftad&bem bie ^ßringeffin etifabetl^, S)eScarteS' gelel^rigfte ©d&ülerin, 
bie aJlebitationen ftubirt ]§atte, toar il^re crfie grage, bie fie fd^rifttidö 
beantwortet toünfd^te: loie öerl^ält eS fid^ mit ber Bereinigung t)on 
©eele unb Körper? ®eScarteS ertoieberte, bafe feine fj^oge bered^tigter 



1 M6d. VI. T. I. pg. 336. (Ueb. ©. 138.) 



432 S3eurt§eUutia beS S^ftemS. 

fei, ober ble Slnttoott, tocid&e er gab, toar feine genügenbe ßrfldrung. 6t 
iöfte baS ^Problem ttid^t, fonbern öeränbcrtc cS nur unb liefe eS flel^en. 
Älor unb beutlid^ ericnne man blofe bcn ©egenfa^ t)on ©eele unb 
Äörper, nid^t bcren Bereinigung. ®afe bie aBefcn8eigent]^ümüd6feit be§ 
©eijieS im ffienfen unb SQBolIcn, bie ber ßörper in ber SluSbel&nung 
unb bereu SDtobificationen beftel^e, fei ein Dbject ber beutüd^ften ©infid&t, 
toogegen bie Bereinigung beiber unb il^re toed&fclfeitige ©inmirlung auf 
einanber nur finnlidö mal^rgenommen merbe. „S)er menfd&Iid&e ©cifi 
ift nid^t fällig, ben SBefenSunterfd^ieb jtoifdöen ©eele unb Mxpn unb 
3ugteid& il^rc Bereinigung beutUc^ gu begreifen, benn er müfete beibe 
als ein einjigeS S33efen unb gugleidö aU jtoei Derfd^iebene auffaffen, 
unb baS toiberfprid&t fid^."^ S)iefer eingeftanbene 2Biberfl)rud& bebeutet, 
baft bie 2lufl5fung bc§ ant]^rol)oIogifd&en ^Problems mit beut 
3)uaIi3muS ber 5ßrincipien ftreitet. 

@§ ift fein Stoeifcl, bafe bie öollftönbige 9iatur be« 3Jlenfd^en in 
einer Bereinigung Don ©eift unb ßörper befielet, bafe bal^er feine ber 
beibcn ©ubftangen, Derglid&en mit ber mcnfd&Iid&en 3latur, ben ©l^araWer 
ber BoIIftän bigfeit ^t. S)ie öerfd^iebenen Begicl^ungen , in toeld^cn 
©eift unb ßöri)er betrad&tet fein toollen, finb genau auSeinnnber gu 
l^alten, um gu l)rüfen, ob bie bualiftifd&en 5ßrincit)ien ftanbl^alten. 
©eift unb Mxpn finb enblid^e ©ubftangen, einanber entgegengefe^te 
SBefen unb Beftanbt^eife ber menfd^Iid&en SWatur: fte finb enblid&e SBefen 
im Unterfdöiebe t)on ©ott, entgegengefc^te in Slüdftcöt auf einanber, 
Beftanbtl^eife, toeld&e fid& gegenfeitig ergangen, im ^mblxd auf ben 
3Jlenfdben. 3n jeber biefer brci Begiel^ungen mobificirt fid& ber 
(5l&ara!tcr ifjrer ©ubftantialitöt. 

3n ber erften Begiel^ung finb ©eift unb ßörj)cr, loie fd&on gegeigt 
tourbe, eigentlid^ nid^t ©ubftangen, fonbern Sreaturen (substantiae 
creatae); finb fie aber fiberl^aupt feine ©ubftangen, fo lönnen fie audft 
nid&t als entgegengefe^te gelten: l^ier fd&eitert il^r S)uaUSmu8 am 
©otteSbegriff, ber bie ©elbftänbigfeit ber ®inge aufl^ebt ober ungültig 
mad^t. Sfn ber gtoeiten Begiel^ung finb fie Dollftänbige ©ubftangen 
(substantiae completae), benn fie finb einanber entgegengefe^t unb 
fd&Iiefeen fid^ gegen[eitig au§. 3lber bie gegenfeitige 3lu§fd&lie§ung ift 
audö aBed&felfeitigfeit, alfo eine Strt ©emeinfc^aft. SBenn gtoei 3Befcn 



1 S3gl, bie Ibeibcn erften SSriefe an ©lifalbct]^ auS htm gfrül^jal^t 1643. 
(T. IX. pg. 123-135.) 6. oben ©. 197. ^^l Manuscr. de Goett. pg. 30. 



Ungelöfte unb neue ^toMeme. 438 

fidö fo ju einanbcr üerl^altcn, bafe jehc« als ba§ ©eflcntl^eil bc8 anbercn 
begriffen toerben mufe, fo lattn leittcS ol^ne baS anbete begriffen 
»erben: betbe finb burd6 ben 6f|ara!ter bcr ©ntgegcnf c^ung , ber il^re 
SBBefenSetgentl§ümUdö!cit anSmad^t, an einanber gebunben. ®a8 SQßefen 
beS ÄörperS befielet in bcr blo&en 3luSbel^nung , toeil e§ im ööÜigen 
©egcntl^eil beS S)enfenS befleißen niu§. ©o fd&eitert ber Suati§niu§ 
jtt)tfd&en ©eift unb ßörl)er an bem Segriff ber ©ubftanj felbft, bcr 
jebeS SBerl^ältni^ ber Subfiangcn, alfo auc6 ben ©cgenfa^ augfd^üe&t. 
3n ber brüten Jöejiel^ung, b. b. in Stüdfid^t auf bie meufd^Ud^e 5latur, 
finb ©eift unb Mxpzx unöotlftänbige ©ubpanjen (substantiae 
incompletae) , jebe bebarf ber anbercn gu itjrer @rgänjung unb ift, 
für fid^ genommen, fo toenig ein ©anjeS, ate ettoa bie §anb ber ganje 
mcnfdölid&e Rbxpex. ®c§carte8 felbft braud&t biefe SBcrgleid&ung. Sffienn 
bie ©ubftang nac^ beS 5ß]^ilofoi)]^en eigener unb oft toicbcrl^oltcr (£r= 
Märung ein SBefcn fein foH, ba3 ju feiner ©siftenj feines anbercn be= 
barf, fo ift ein unt)0Üftänbigc§ , crganjungSbebttrftigc§ SQBefen feine 
©ubfianj. .^icr fd&eitcrt bie ©ubftantialitöt ber geiftigen unb förper« 
lid^en Sftatur unb bamit il^r 3)uali§mu8 an bem Segriff unb ber SC^at« 
fad&c be§ 3Jlenfdöen. S)cr SBiberft)rud& ift fo augenfd&einlid&, bafe il^n 
ber 5p]^ilofot)b felbft cinröumt. 

aJiit ber ße^re ScäcarteS', ba& ©eifter unb ßörper felbftdnbige 
unb t)on einanbcr DöEig getrennte SBcfen finb, preitct bemnad^ ba§ 
©^jiem felbft, inbem e§ bie creatürlic&c Slbl^öngigfeit beiber Don ©ott, 
tl^rc notl^toenbige @ntgcgenfe§ung in ber Sffielt unb il^re SBercinigung 
im 9Kenfd6en bcl^auptet. 2Bir muffen nftl^cr feigen, loie bei biefem 
SBiberfireit ber aSegriffe baS antl^ropologifd&e 5ßrobIem ju löfen ge« 
fud&t toirb. 

S)er 5!Jlenfd6 ift ein SBefen, locIdöcS aus jloei SRaturen bejiel^t. 
SBie löft fi(^ bie[eg 9tätbfel? ©o ftettt fid6 bie antl^ropologifc^e ^rage 
unter bem ©efid&tspunft ber carteftanifd&en ßel^re. SDtan fann, fd&rieb 
ber 5ß]^i(ofol)]^ feiner ©döülerin, nid&t beibeS jugfeid^ erfennen unb bc= 
]Öaui)ten. SBenn man ba§ eine bcjal^t, muß man bag anbere t)er= 
neinen. Unb e§ finben fid& ©teilen, loo biefer grunbfä^lid&c ®uatift, 
in unloiEfürlid^er 9lnerfcnnung ber 3nbit)ibualitdt unfereS SBefenS, bie 
ßinl^eit ber menfd&lid&cn SRatur bergeftalt beial^t, bafe er bie S5crbin= 
bung t)on ©cele unb ßörper im SDtenfd6en als fubftantiette ©inl^eit 
(unio substantialis) bejeid&net, unb bie Stocil^eit ber Staturen berge» 
ftalt Verneint, ba§ er bie ©runbeigeufd^aft bcr einen auf bie anbere 

Sfifd^er, ®ef^. b. Wlof. I. 4. STufL 9^. ST. 28 



434 93euTt]^eUung be8 @^ßem8. 

übcrtr&gt, einmal bie ©cele auSgebel^nt, ein anbereSmal ben menfd&s 
liefen Rbxpn unt^eilbor fein W§t unb auf biefe SJBeife ben ©egcnfa^ 
ber Attribute au8l5fd&t.^ 

Snbeffen bleibt bie bnaüpifd^e ©runblel^re ber leitcnbe ®efid6t8= 
t)unft, unter meld&em bie SJereinigung öon ©eete unb Äört)er im 
a)tenf(i6cn fo erllört fein toitt, baft bie Stceil^eit ber Slaturen feinen 
(Sintrag leibet. @ie bilbcn nid&t in SBal^rl^eit, fonbem nur ,,9ett)iffer= 
mafeen'' ein SQßefen. Dl^ne SBegiel^ung auf ben aJlenfd^en finb fte 
feineStDeflS unDoHflänbig, ba ift jebe fi^ felbft genug unb leine Bebarf 
ber anberen, aber bie meufd^Iidöe 9latur ift erft öottftftnbig, wenn pe 
beibe in fid6 Dereinigt: bal^er gilt nur in biefer Jftüdfid&t, toie S)eScarte8 
in feiner ©rtoieberung auf bie öierten ©intoürfe l^eröorl^ebt, bie 33e= 
jeid&nung unt)olIftänbiger ©ubftanjen. 

SQ5a§ bie 9iatur t)on ©runb aus getrennt l^at, bleibt getrennt 
a\\^ in ber SJerbinbung. ®ie grunbDerfd^iebenen ©ubftanjen lönnen 
bafjer nit^t eigentliift bereinigt, fonbern nur jufammengefe^t toerbcn: 
il^re ^Bereinigung ift nid^t bie ©inl&eit ber 9latur, fonbern ber 3u« 
fammenfügung, nid&t «unitas naturae», fonbern «unitas compo- 
sitionis». S)er 9Jlenfd& ift ein 6omj)ofitum aus ©eift unb Äört)er: 
in biefer Raffung gilt gugleid^ ber ©egcnfa^ unb bie aSereinigung 
ber ©ubftangen unb nur unter biefen ©efid^tspunft lann in ber ßel^re 
©eScartcS' bie antl^ropologifd^e S^rage geftcHt loerben, 3)a5 bualifiifd&c 
©Aftern l^at leinen anberen.^ 

SRun entfielet bie Srage: ob biefe antl^ropologifd&en ©runbfä^c 
mit ben metat)f)^fifdöen toirllid^ übereinftimmen, ob ©eele unb Äörper 
als bie SBeftanbtl^eile eines jufammengefe^ten SQBefenS nod& ienc grunb* 
öecfci^iebenen ©ubftanjen bleiben, bie fie nad& ber bualiftifd^en ^Prin* 
cii)ienle]Öre finb? 3ebeS gufammen gefegte SBefen ift tl^eilbar unb, ba 
nwr bie 3luSbe]^nung getl^eilt loerben lann, notl^ioenbigertoeife auS= 
'gebe^nt, al[o för))erlid& ober materiell; baffelbe gilt öon jcbem feiner 
Sl^eile. S)ie Sl^eile, toeld&e burd^ &u§ere Sufammenfttgung ein ©angeS 
auSmad&en, bel^alten il^re @elbftänbig!eit gegen einanber unb bleiben 
©ubftangen, aber nur fold^e ©ubftangen laffen fid6 componiren, bie 
gleichartig, auSgebelint, lört)erlid& finb. 3tt)if(i&en bem SluSgebel^nten 
unb SRi^tauSgebel^nten, bem 3JlaterieEen unb Smmaterietten, ber 



1 Les passions de Täme I, Art. 30. 

« M6d. VI. T. I. pg. 338, (ttcb. ©. 139.) 



Ungelöße unb neue Probleme. 435 

fötpertid^en unb un!ör:perüdöen ©ubftang ift feinexlci Sufammcnfe^uttg 

3ft her 3Äcnfd& ein Soml)ofitutn au8 ©eele utib Stbxp^x, \o 
ift e§ um bic ©runbDerfd&icbcnl^eit bcr ©ubftattjen gcfd^el^en. Sic 
©eclc tnufe ben Rbxpn, mit bem ftc bie engfte SJerbinbung eingeigt, 
bctül^ten; bcr 5ßun!t, tt)o ftc il^n bcrül^rt ober mit il^m ju[ammcn= 
l^&ngt, mu& rdumlidö, örtlidö, för))crU(Jö fein: jc^t localifirt ftd& bic 
©ecle unb toirb in bicfer «^infid^t fclbft räumlid^. 6§ ift nid^t cin= 
äufcl^en, in toctd&er ^infid&t fic nod^ untdumüd^ ober immateriell 
bleibt. S)ic Slusbel^nung ift jubringüd^. SBenn il^r bie ©cclc, bilblid^ 
ju rcben, ben Keinen Ringer giebt, fo nimmt fie bic gonjc .^anb ; 
toenn bie bcnlenbe ©ubftang crft irgcnbtoo fi^t, fo ift il^rc Unab= 
l^öngigfeit unb SSerft^icbcnl^eit t)on bcr tbxptxliäitn öertorcn, nid&t 
bIo& in einer Stüdfid^t, fonbern in ieber. S33irb bic ©eetc locatifirt, 
fo loirb fie eben boburd^ aud^ matcrialifirt unb mcd&anifirt. 

3u biefcn Folgerungen ift S)e8cartc8 notl^locnbig gcbrdngt, unb toir 
l^oben gefeiten, loic er fic in bcr ©c^rift öon ben ßeibenfd&aften auS- 
fül^rt. @r Id^t bic ©eele in ber SWittc bc8 ©el^irnS, im ©onarion 
il^rcn ©i^ l^aben, too fie bic Seloegung ber ßcbcnSgeifter fotool^I 
eml)tängt aU Derurfad&t: fjicr bcttjcgt fic ben Mxpzx unb loirb Don 
biefem betoegt. 

©onft gilt bcr cartefionifd^c ©a§, ba§ nur bic Äörper bctoegbor finb 
unb, abgcfcl^cn t)on ber erften betoegenben Urfad^c, nur t)on ßör))ern 
betoegt toerben. 9lad& biefem ©a§ ju urtl^cilen, mu& bie (beloegBarc 
unb ben ßörper bctoegcnbc) ©eelc felbft förperlidö fein: fie ift ein 
materielles ®ing gemorben, toie fcl^r aud& öerfid&ert loirb, fic fei bie 
benlenbc, t)om Äör))er gmubDerfc^iebcne ©ubftanj. 3ene 3toci]§eit 
ber 5laturen, bie ber S)uaIiSmu8 be]^aui)tet, unb bie in ber 3ufam= 
menfe^ung erl^atten bleiben fotttc, ift gerabe burc^ biefe Dottft&nbig 
aufgehoben; ber med^anifd^e ©influfe unb Sufammenl^ang, ber nur 
jioifd&en fl5rl)ern ftattfinben fott, gitt je^t aipifd&cn ©ccIe unb Äörper. 

S)ie 3ufammenfe§ung ber beiben ©ubftanjen !ann, loic bic ^ßrinjeffin 
©Ufabetl^ treffenb bemerfte, ol^ne bic SluSbel^nung unb SJtaterialitdt 
ber ©cele nid&t gebad&t toerben. ®ic cartefianifdöe 2lnt]^rol)oIogie toiber^ 
ftreitet nid&t blo^ ben buatiftifd&en ?ßrincii)icn ber Sülctai)]^^fil, fonbern 
audö ben med&anifd&en ber SRatut|)]^iIofoj)]^ie. Safe bie ©röfee bcr 
SBctoegung in ber SBcft conftant bleibt, bafe Slction unb Jfteaction, 
SBirlung unb ©egentoirfung einanber gtcidö finb : bicfe funbamen* 

28* 



4S6 Sdeutt^eilung bed Stiftern«. 

talen ©ä§e bcr SSetocguttflSlcl^re l&örcn auf ju flelten, fobalb in bcn 
fl5ri)em Setocguttgen burd& trntnatertelle Urfad&en l^eröotflebtadöt 
loerben. SBie aud& btc aScreittigung ber Beiben ©ubpanjen in bcr 
ntenfd&üd&en Sftatur gebadet toirb, ob als gtnl^eit obct als 3ufamtnen* 
fc^ung: in ieber Raffung toibcrprcitet jte bem grunbfft^Iiii&cn S)uaItSmu§ 
unb ^at baS ©cgentl^eit beffetbcn jur notl^toenbigen 5olge. 



4. ^et S)uaU8mu8 stDifd^en 97lenfd^ unb 2:]^ieT. 

S)ic SJcreintgung ber beibcn ©ubftanjcn gilt nur öon ber menf(5= 
Kdfecn 9iatur, nur in biefer Slüdfid^t toollte S)e8carte8 fie unt)olI= 
flftnbige SBefen genannt toiffen, toie pe nur in SSejiel^ung auf ©ott 
gefd^affene, alfo eigentUd^ feine ©ubpanjen toaren. 3tni Uebrigen be= 
^&tt ber ®uatt§ntu8 feine t)oIIe ungefd&tD&döte Sebeutung. Unter allen 
enblid&en SQBefen ift ber 9Jtenf(^ baS e inj ige, toeld&eS auS ©eele unb 
ßörper befielet; unter allen lebenbigen ßörpern ift er bcr einzige be= 
fceltc. 3llle übrigen S)inge finb (fotoeit unfere Äenntnife rciiä^t) ent= 
toeber ©eifter ober ßöri)er, alle übrigen Äorper pnb feelcnloä, 
medöanifd^ georbnete unb bewegte 3Jlaffen, blofee SJlafd^inen, aud6 bie 
Sll^iere. ^ier ip ber SQßefenSunterfd^ieb jtoifd^en 3Jlenfd^ unb Z^tt, 
ber au§ bem grunbfQ^Uc&en ©uaUSmuS ber Seigre S)eScarte§* notl^- 
toenbig folgt unb leineStoegS einen i)arabojen ©infall bes 5p]^itofoi)l&en 
auSmad&t. ©eele ip ©cip, baS Äennjcid&en be§ le^teren iP feine 
©elbPgetoifel^eit, biefe bilbet ben eingigen @rlenntni|grunb unfereS 
geipigen S)afein8; loo baS ©elbpbctoufetfein fel^tt, ba fel^It ©eip unb 
©eele : bal^er pnb bie SCI^iere feelenloS, benn pe l^aben fein ©elbp- 
betoufetfein, toöl^renb ber 3Jlenfd^ !raft feiner ©elbpgetoifel^eit geipiger 
Sftatur ip. Ser ©egenfa^ gmifd&en SJlenfc^ unb SEI^ier öerl^ätt pd& 
bemnad^ ju bem jtoifci&en ©eip unb Rbipex, loie ber befonbere fJaE 
jum allgemeinen, ober toie bie S^olge jum ©runb. Unb ber @a§, 
bafe bie Stl^iere Slutomaten finb, folgt aus bem SBefenSunterfd&ieb 
jtoifd^en 3Jlenfd6 unb Stl^ier. 

6S ip JU unterfudöen, ob l^ier bie ^olgefä^e mit ben ©runb= 
föfeen übereinpimmen, ob jener 2)uali§mu§ befonberer Slrt in ber 
ßel^re ®e§carte8' pd& ebenfo aufred&t^alten läfet, als er notl^ioenbig 
geforbert tourbe, unb toie ber ^Pl^ilofopl^ pd& mit ben Sll^atfad&en abpnbet, 
bie Don feiten fotoot)! ber menfd^Iid&en als aud& ber tl^ierifd^en 5iatur 
mit feiner Seigre ftreiten. SBir pnb an ber fd^on frül^er angebeutcten 



Ungeldfte unb neue Probleme. 4^7 

©teile, too auf btefe hitifd^e ^ragc ndl^er einjugel^en ift. ^ S)er ßern 
berfelben liegt in bcr ©rlWruttg betienigcn ßebenSerfd^einungen, toeld&e 
ber 9Jlenfd& mit bem Stl^iete gemein l^at, toie bic @mt)finbungen unb 
Striebe. Senn Se§carte3 bie ßeibeufd^often, toeti fte ©emfitl^äbcmes 
jungen finb, ben Silieren abfprttä&t, fo fann er bod& ntd^t leugnen, 
bafe fie Smpfinbungen l^aben. 2Bte finb biefe ju erflären? ©inb fie 
geiftig ober förperlid&, J)f^d&ifd& ober med^anifdö, Strten beS S)enfen8 
ober ber SSetoegung? 3(n ber SSeanttoortung biefer Srage gerötl^ 
S)e§carte8 in eine Sleil&e unDermeibttd&er SBiberfprttd&e. 

1. Sitte loal^re 6r!enntni& beftel^t naij ber Siegel ber ©eiot&l^eit 
im Haren unb beutlid&en 2)en!en. 9B&re unfer S)en!en nur Har unb 
beutlidö, fo gäbe eS feinen Srrtl^um, ber SBBitte öerfd^ulbet ben Srr« 
ll^um, inbem er falfctie Urtl^eile bejal&t ; biefe legieren entftel^en, loenn 
toir unfere finnlid^en SBorfteffungen (©enfationen) für 6igenf(^aften ber 
3)inge Italien. S)ie ©mpfinbungen mad&en ben Srrtl^um nid&t, aber 
s)^m fie loäre lein ©toff ba, loorauS ber SBittc il^n mad^en !önnte. 
Seftetjt ber Srrtl^um im falfd&en Urtl^eil, fo befleißen bie @mt)finbungen 
in finnlidöen SSorftettungen unb biefe bilben ben ©toff, au§ loeld&em 
bas Urtl^eil gemacfjt toirb. SJorftettungen finb nur im ©eift, fie finb 
^rten be§2)en!enS: bemnad& finb bie 6mi)finbungen i)f^d^ifd&. Unter 
ben öerfd^tebenen 3been, bie toir l^aben, finben fid^ aud& bie 93orj= 
flettungen ber Äor<)er; S)e§carte§ lö^t gunöt^ft nod6 bal^ingefteüt, ob 
toir felbft ober S)inge au^er uns biefe Sbcen betoirlen, aber er lö^t 
ttid^t bal^ingeftettt, ba& unfere ©enfationen SBorftettungen finb: er 
bejiel^t bemnad& bie 6mt)finbungen blo§ auf ben ©eift.* 

2. Unmittfürlidö bejiel^en toir unfere ©mpfinbungen auf ß5rl)cr 
aufeer uns al3 il^re Urfad&e. SQBenn eS fold&e übxptx nid&t gäbe, fo 
toürbe unfere SBorftettung ber ©innentoelt eine natürlid&e, alfo im 
legten ©runbe burd^ ©ott felbft getoottte Stäufd&ung fein, loaS nad& 
S)eScarte§ unmöglidö ift. ©al^er finb unfere pnnlid&en SBorftettungen 
üud& lbxptxl\6) t)erurfad6t, b. % fie finb gugleidö förperlid^e Setocguns 
flen unb (Sinbrüde unb fönnen nur in einem fold&en ©eifte ftattfinben, 
ber mit einem Körper auf baS 6ngpe öerbunben ift. 3te§t begiel^t 
®egcarteS bie 6mt)finbungen nid^t blofe auf ben ©eift, fonbern auf 
btn SJtenfd^cn, aU ein au8 ©eift unb ßörl)er äufammengefe^tcS 
SBefen.^ 

1 6. oben »u* II. Q^ap. IX. ©. 364-367. - 2 M6d. III. T. I. pg. 277 
big 279. (Ueb.@.100~101.) — »M^d. VI. T. I. pg. 336-340. (Ueb. ©. 138-140.) 



438 SSeuTtl^cUuttg bed Softem«. 

3. ®cr STntl^eil, bcn ber Stbxp^v an bcn ®nH)finbun9cn forbcrt, 
toirb immer gtöfeer unb julc^t fo gro^, bofe ber ©cift ben feimgett 
Derltert unb bie Smpfinbungen in baS t)9IKige Stgentl^um be§ Stöxpn^ 
übergel^en. ®q pc ber SWcnfd^ mit bem S^l^iere gemein l^at, fo jtnb 
fie aud& tl^ierifd^e Vorgänge unb al8 fotd&e blofe med&antfd^, nur ©in*« 
brttde unb SBetoegungen, ol^ne SSorftellung unb ?ßcrcci)tion. S)amit 
^ört bie 6ml)finbung auf ju fein, maS fie ift. 9lu§ bem ©a§, bo^ 
bie schiere bloß SDlof deinen finb, folgte ber @a§, bofe fie feine 
©mpfinbungen l^oben, toomit bie Sartepaner in allem ®rnfte bie 
SSiöifectioncn redötfertigen tooHten. ©obalb man bie 6mt)finbungen 
ate ^ßl^änomene beS t^ierifd&--mcnf(ftli(i&en ßebenS betrad^tct, fönnen pe 
nur auf ben fi5rper allein bejogen loerben. 

2Bir bcmerlen, ba^ bie Seigre ®c§catte§^ in 33ctreff ber ©mppnbungen 
f(|tt)an!t unb Vermöge il^rer buaüpifd&cn unb ant]§roi)ologifd&en @runb= 
fö^e nad6 brei Derfd^iebenen Slid&tungen getrieben loirb. S)ie erften aJtebi= 
tationcn bel^anbeln bie ®m))pnbungen unb ©inneStoal^rnel^mungen ate 
:pf^(i&ifd&e Sll^atfaci&en unb bejicl^en fie 6lo§ auf ben ©eift, bie Ic^te nimmt 
pe als anl]§roi)oIogifd&e unb begiel^t pe auf bie S^fammenfe^ung ton 
©eift unb ß5rl)er, bie ©d^rift öon ben ßeibenfd^aften Iä§t nur biefe 
alä Ieibli(^=:pf^d6ifd&e Vorgänge gelten unb bejiel&t bie 6m))pnbungen 
unb SEriebe bIo§ auf ben Körper. ^ 

S)arau8 ergiebt pd& bie gtoeifad&eSlntinomie: 1) SEl^epg: bie @mppn= 
bungen pnb als unllare SSorfteßungen 3Jlobipcationen beS S)enfenS, alfo 
))f^d^ifd&. 3lntitf|epS: bie 6mt)pnbungen pnb als pnnlid&e SSorftettungen 
nid^t blofe Pf^d&ifdö, fonbern gugleidö förperlid^. 2) SEl^efiS : bie ®mt)pn» 
bungen (als menfd^tid^e SBorgänge) finb nid&t blofe !ör:perlid&. Slntitl^epS: 
bie @mj)pnbungen (als tl^ierifd&e SSorgänge) pnb blofe lörperlid^ unb 
med^anifd^. 

4. SBcnn bie (Smppnbung nur med^anifdö ip, fo lann t)on 5|Jer= 
ception unb ©efül^l leine 9lebe fein, eS giebt bann über]^aut)t !ctne. 
SQSaS t)on ber tl^ierifd&en gilt, mu6 aud& ton ber menfd&tid^en gelten, 
benn ber lebenbige ßör))er ip in beiben fallen bIo§ 3Jlafd&ine, bal^er 
uneml)pnbUd6, unb gtoar in jebcm feiner SEl^eile, alfo aud& im ®e« 
l^irn. SBenn es aber über]^aut)t !eine ©mppnbungen giebt, baS 
SBort rid^tig oerpanben, fo finb aud& !cine pnnlid^en 35orpettungen, 
feine unllaren ©ebanlen, feine Srrtl^ümcr möglid^. ©o fommt bie 



1 Les passions I. Art. XXIII— XXIV. 



Ungelöße unb neue $toHeme. 439 

ßcl&rc ©eScarteö* in bic uttt)ermetbüd&c unb d&araHcriftifd&e ßaflc: ba§ 
pc bie SEl^atfad&e ber 6nH)finbun8en fotool^I bejal^cn aU Dcrneinen 
ntu6 unb jugleidö IcineS öon beiben Vermag. 

®cr SBerfud^, fie ju ctllären, öcrftridt fidö ballet in ba« 3lc§ ber 
Slntinomie wie be§ ©ilemmaS. SQBirb bie 6nH)finbun9 Uidf)t, fo mufe 
fie aud& im SEI^iere bejal^t toerben, fo fonn biefeS nidöt mel^r für fcelenloS 
gelten, fo f&öt ber SBefenSunterfd^ieb amifd&en SDtenfdö unb Silier, jtoifd&en 
©eift unb ßörper. SBirb bie ©ntppnbung Verneint, fo mu& auc^ bie 
finnlid&e SSorfieffung, baS unllore S)enlen, ber ntenfd^tid&e Qrrtl^um, ber 
Suftanb unferer intellectuellen Unt)offlontnien]^eit, alfo unferc ©elbft» 
täufdöung, unfer Steifet, unferc ©elbftgeioifel^eit verneint »erben. 
@S ift bal^er eben fo unntöglicj^, bic ©mpfinbung gu bejal^en aU gu 
t)crneinen. ßurj gefügt : unter bem ©tanbpunit ber ßel^re ©eScorte«^ 
ifl bie 2l^atfa(i&e ber @nt))finbung unerKärt unb unerHärIi(i&. 

IIL 3leue ^Probleme unb beren ßöfung. 

1. OccaftonaliSmuS. 

Siefe SBiberfprttci&c, bie loir in ber Seigre S)e8carte8' entbedt 
unb nadögetoiefen ^aben, entl^alten 3lufgaben, loeld&e gelöft fein loollen 
unb ben enttoidlungSgefd^id&tlid&en Fortgang beS ©^pems bebingen. 
3unäd&fi entfernt fid^ bie ^ortbilbung nid&t öon ben buotiftifd&en 
©runbfd^en, fonbern folgt beren ^tid^tfd&nur unb befiimmt bcntgemQ6 
bie Sonfcquenjcn. SBenn ©eift unb flötper t)on 9?atur einonber ent« 
gegengefe^t finb, fo ift eine natürKd&e Bereinigung belber, toie fie 
im SDtenWcn ftattfinbet, nid&t gu begreifen: eS ifl bol^er folgerichtig, 
bafe biefclbc für unbegreiftid^ erlldrt loirb. SJ^otfodölidö pnbet fie 
ftatt. S)a fie an^ natürtidöen Urfad&cn unmögtid& ift, fo ift fie eine 
SBirlung übernolürliiä^er unb fonn nur burd^ bie göttlid^e Saufa= 
lit&t tieröorgebrad&t toerben. 

3tt)ei SEl^atfadöen beurlunben, ba§ ©eele unb ßötpcr im 3Jienf(J&en 
bereinigt finb : bie SE^atfadfee unfereS geiftig»!örj)erlid&en ßcbenS unb bie 
unferer 2lnfd&QUung unb SrfenntniB ber l!ör))erti)elt. 3n beiben fällen 
mu§ ben bualiftifd&en ©runbfd^en gemöfe erltärt »erben: bofe bie Ser^ 
einigung »eber burd^ ben ©eift no$ burd^ ben Körper nod^ burd^ beibe 
gufammen, fonbern nur burd^ ©ott möglid^ fei. SRid^t bie ©eele betoegt 
Iraft i^rcS SBiöenS ben Äörl)er, nodfe ergeugt biefer burdfe feinen 6in= 
brud bie aSorfiettung, fonbern ©ott mad^t, bofe auf unfere Slbfid&t bie 



440 Seuttl^etlung beS S^flemS. 

entfrred&cnbc SSetocguttg in unseren Organen unb auf unfcrc ©inneS= 
einbrüÄe bie entf))rc(i6enbc SBorftettung in unfercm ©cijie erfolgt. 

Unfer SBiöe unb feine Slbfid&t ifi nid&t bie Urfad^e, fonbcrn nur 
bie SBer an laffung, bei toelifter haft göttlid&er aBirlfamlcit bie au0= 
ffil^renbe SBetoegung in unferen !örperlid&cn Organen gefd^iel^t; baff elfte 
gilt üon unferen ©inneSeinbrüden in Setreff ber 3been. 3)ie a3eran= 
laffung ift nid^t erjeugenbe, fonbern gelegentlid^e Urfad^e (causa 
occasionalis), bie bewirlenbe Urfad^e (causa eflPiciens) ift in Beiben 
Ställen ©Ott allein. S)iefer ©tanbpunft beS OccafionaliSmuS, toeld^en 
©euIiuE auf baS antl^ropologifd&e ^Problem anmenbet, ift bie nöd^fie 
confequente g^ortentwidCtung ber cartefianifd&en ßel^re. 

©elten bie buaüftifd^en ©runbfö^e, fo ift bie ^Bereinigung ber Beiben 
©ubftangen, bie in unferer Slnfd^auung unb ©rienntnife ber ßßr))ertt)ett 
ftattfinbet, ebenfalls unbegreiflid^. ©inb ©eift unb Boxptx, 3)enfen unb 
SluSbel^nung t)öEig getrennt: toie fontmt bie 3bee ber SluSbel^nung 
in unferen ©eift? S)iefe 3bee fann nur in ©ott fein: bal^er i^ 
unfere (Srlenntnife ber ßörper ober unfere Slnfd&auung ber ®inge nur 
in ©Ott ntöglid^. 3u biefer ©rllärung gelangt 9DtaIebrand&e in 
folgerid&tiger (£nttt)idCtung ber ©runbfä^e S)e8carteS^ bie er Bejal^t 
unb feft^ält. 

®a§ ^Problem beS Sülenfd^en unb ber menfd&lid&en @rfenntni§ 
loirb burdö ben OccafionaliSmuS nid&t gelöft, t)ielnte]^r toirb ieber 
©d^ein einer natürlid&en ©rllärung t)emtiebcn unb bie Unmöglid^feit 
ber rationalen ßöfung be]^aui)tct. ©o lange ber ©egenfa^ ber Beiben 
©ubftangen grunbfö^lidö gilt, pnb bie antl^ropologifd^en t5ragen un* 
lösbar, unb baS SBerbienft loie ber g^ortfd&ritt ber Occafionaliften 
Befielet tben barin, biefe ßage beS ant^ro))oIogifdöen 5ßroBIemS t)er= 
bcutlidöt ju l^aben. 

2« 6:pino3t8muS. 

Stber bie rationale ßöfung bleibt burd^ bie ßel^re 2)e§carteS^ ge^ 
forbert, benn biefe fteEt bie Stufgabe einer burd)göngigen (Srfenntni§ 
ber S)inge. S)ie ^Bereinigung t)on ©eele unb ßörl)er toill bal^er int 
ßid&te ber SBernunft betrad&tet unb als eine notJ^ioenbige aOSirfung 
natürlid^er Urfad&en begriffen toerben. S)a nun ber grunbfö^Ud^e 
©ualiSmuS ber cartefianif^en ßel^re eine fold^e 6r!(drung unmög= 
Iid6 mad&t, fo ift jeber toeitere fjortfd&ritt burd& eine Umbitbung 
ber ^Principien bebingt, bie junäd)ft tl^eiltoeife ftattfinbet. 3lufge= 



Ungclöfte unb neue Probleme. 441 

l^obcn tt)itb bcr ©egenfo^ bct ©ubftattjcn, ancrlonnt bleibt bcr bcr 
3lttributc. ©tnb S)ctilcn unb 3[u8bc]^nutig bic Slttrtbutc cntgegcns 
gefegter ©ubfionjcn, fo ift bie SJcrcinigung öon ©ctft unb ßörper 
unbegreiflidö unb glctd& einem SQBunber. 

Salier muffen jene beiben ©runbbefd&offenl^eiten ber S)tnge aU bie 
entgegengefe^ten Stttribute (nid^t Derfd^iebencr, fonbem) einet ©ubftanj 
gefaxt werben: bicfe eine ©ubftanj ift bie cingige unb gbttUd&e, ©eifter 
unb flörj)er finb nld^t felbftänbtge SQSefen, fonbem 3Jlobi ober SBitlungcn 
©otteS, ber als bie etoige unb innere Urfad^e aller S)inge gleid^ ift ber 
Statur. 3f^^t fielet ber @a^ : «Deus sive natura» in öoHer ©citung. 
®a bie eine göttlid^e ©ubftanj bie cntgegengefe^ten Stttribute beS ©enlenS 
unb ber Slugbel^nung in ftd& begreift, fo toirlen bie beiben firafte 
eben fo unabl^ftngig jebc öon ber anberen ate notl^toenbig t)er= 
einigt, fo finb alle S)inge SBir!ungcn fotool^I be§ ffienlenS als aud& ber 
2lu3be]^nung, b. ^. fie finb gugteid^ ©eifter unb ßöri)er. S)iefe ti)er= 
ben nid^t t)ereinigt, fie finb e§ t)on (Sioigleit l^er; fie t)erbinben fid^ 
nid&t erft im 9Jlenfd&en, fonbem in jebem S)inge, benn t)on jeber 
natürtid^en SBirlung mu§ gelten, toaS Don bem SBefen ber 9iatur 
unb il^rer SBir!famfeit felbP gilt: fie ip benlenb unb auSgebel^nt. 

%U SBirhmgen berfelben $Ratur finb aüe S)inge befeeltc Körper, 
alfo loefenSgleid^ unb nur nad& bem SJtafee il^rer Äraft öerfd^ieben. 
S)amit ift ber ©ualiSmuS ber ©ubftanjen, ber bei 2)e8cartcS gegolten 
l^atte, aufgel^oben: nämlid& ber 2Befen3untcrfd6ieb jtt)ifd&en ©Ott unb 
2Belt, ©eifl unb ßbrper, aKenfd& unb SEljier. Sin bie ©teffe beg bua= 
liftifd&en ©^ftemg ift ba§ moniftifd^e getreten, toomit fid& bie na= 
turaliftifd&e Slid&tung öollenbet unb gur alleinigen ©eltung erl^ebt. 
®iefen @tanb:pun!t entloidfelt ©J) in 03 a, inbem er ben ©runb= 
gebanlen ber ßel^re S)eScarteS' folgerid^tig auSbilbet unb il^m gem&fe 
bie 5Princii)ien umgeftultet. S)iefer ©runbgeban!e lag in ber fjorberung 
einer ftetig fortfd^reitenben, bie 9iatur unb ben Sufammenl^ang aller 
S)inge erleud&tenben SJletl^obe beS S)en!en8 unb in bem ©a^: ba§ e§ 
in SBal^rl^eit nur eine einzige ©ubftanj giebt. S)ie Sllleinl^eit ber 
©ubftang unb ber ©egenfa^ il^rer Stttribute bilbet ben ©runbbegriff 
ber ßel^re ©i)inoga8. 

3. a)lonaboIogte. 

SRodö gilt ber ©egenfa^ ber Stttribute: ber ®uali8mu8 gtoifd&en 
2)enlen unb SluSbel^nung. Salier ift bie Umbilbung ber cattefiani- 



442 S9eutt^etluttg beS S^ftemS. 

fd^en ßel^rc burdfe @j)inoja crfi eine tl^eitoeife. SEro§ il^reS monifit=- 
fd^en Sl^arafterS bleiben bie ©runblagen be§ @))ino3i§mud nodg jum 
Sl^cit in bem bualiflifd&en ©^fteme beS SDteifterS befangen unb finb 
bal^er öon bem leiteten nod6 abl^ängig. S)er n&d&jie enttoidEIungS» 
gcfd^id&tlid&e Sortfd^ritt ber 5JJ]^iIofoi)]^ie mufe aud^ ben ©egenfa^ ber 
Sltttibute t)erneinen unb bie 5ßrincipien, toeld^e SeScarteS begrfinbct 
l^atte, gänjlidö umbilben, ol^ne bie ©rienntnifeaufgabe felbft s^ 
önbern. 

SBenn eS in SBal^rl^cit nur eine eingige ©ubfianj giebt, toie fd^on 
3)e8catte8 erHärt l^atte unb @))inoga feftfteüt, fo finb alle übrigen 
S)inge nur ÜÄobificationen berfclben, alfo burd^aus abl^ängiger Statur, 
fo ift lein eingelneS unb enblid&eS ®ing ein felbftänbigeS SQäefen, 
aud& nid&t bie ©eifter, audö nid^t ber meufd^lid^e ©eift. SDiitl^in ift bie 
©elbftgett)i§l§eit beS legieren l&infäüig unb unmöglich, benn pe toax 
ber SluSbrudE unb @rfenntni§grunb feiner ©ubftantiatitat. Dl^ne 
@elbjiänbig!eit aud^ feine ©elbftgetoi^l&eit, ol^ne biefe überl^aupt feine 
©etoi^l&eit unb leine 3JlögUd6feit ber ©rfenntni^. ^ier ift ber 5PunIt, 
in tt)etd&em bie Seigre ©eScorteS^ unerfd^fitterUdö feftftcl^t. 

2In ber 9Jladöt biefeS 5JJrincip3 fd&eitert ba3 moniftifd^e ©Aftern, unb 
es mu^ bal^er, um bie ^ßl^ilofopl^ie toeiter ju filieren, junöd&jl ju bem 
Stnfange ber cartefianifd^en ßel^re jurüdCgefel^rt unb ein fold^er fJort= 
fd^ritt gefud&t Serben, ber ba^ buaüftifd^e ©^ftem öermeibet unb öon 
©runb aug übertoinbet. ®ben barin beftel^t bie gänglid^e Umbilbung 
ober Sleform ber 5J}]^i(ofoj)]^ie. S)er S3egriff ber ©ubftang mu§ fo 
gefaxt »erben, bafe fid& bie ©elbjigetoifel&eit beS menfd^Udfeen ©eifieS 
bamit Derträgt, ba^ bie ©elbftönbigfeit ber ©ingetocfen baburd& nid&t 
aufgel^oben, fonbern t)ielmel^r bcgrttnbet loirb. SDal^er gilt bie Bni- 
ftantialitöt ber ©ingeltoefen: eS giebt nid^t eine eingige ©ubftang, 
fonbern unenblid^ t)iele. Sffienn biefe einanber toieber entgegengcfe^t 
fein unb in bie beiben Slrten ber ©eifter unb ßörj)er gerfatten foffen, 
fo l^aben toir ben alten 6artefianiSmu3 loieber getoonnen unb muffen 
t)on l^ier au§ ben SBeg burd^ ben DccafionaliSmuS gur moniftifd&en 
ßel^re ©i)inoga§ gum gtoeiten male mad&en. ®al^er ift ber SBegriff 
ber ©ubftang bergeftalt gu reformiren, ba§ ber ©egenfa^ t)Ott 
©enlen unb StuSbel^nung, biefer Sleft be§ bualiftifd^en ©^ftemS, auf= 
geloft toirb. 

Siefer ©egenfa^ ift unauflösüd^, fo lange ©eift unb ©clbft= 
getoi^l^eit, S)enlen (SBorfteüen) unb felbftbetoufete 3:]§ätigleit für 



Ungeldfte unb neue $rol6Ienie. 443 

tbenttfdö gelten unb ble JülögUd&Ieit unbetoufetet ©eifieStl^ätialeit 
ober bctt)u§tIofer SSorftellungen ntc^t einleud^tet. ©iebt eS btinfle 
SBorfieöungen ober betoufetlofeS ©eefenleben, fo ift ba3 ©ebiet unb 
SDSefen be§ ©eifteS nid^i mel&r auf ba§ ©elbftbetoufetfein etngefd&rönlt^ 
fo ftnb bie Körper, lüeil jte bemufetloS finb, barum nic^t aud& feelen= 
Io8, fo . Derlleinert ftd& ber ©egenfo^ jioifd&en ©ctfi unb ßötper 
(9Jienfd& unb Silier) unb löft ftÄ auf in grabuelle 3)tfferengcn, in 
Slbftufungen ber t)orfteIIenben Äraft, in ©nttotdlungsftufen lebenbiger 
unb befeeltcr Sffiefcn, bcren jebeä eine felbfttl^ätige, butdö ben ©rab 
feiner ßraft beftintnite 3latur ober 3nbit)ibualitöt auSmad&t. 

S)er SBegriff ber ©ubftang t)ertoQnbelt fic^ in ben beS inbiöibuellen 
firafttoefenS ober ber Sülonabe: bie SBelt erfd&eint als ein ©tufenreid^ 
fold&er SJlonaben, aU ein SntmidKungSf^ftem, bemjenigen ö^nlid^, 
toeld^cS einft 3lriftoteIe§ geleiert l^atte. ffiaS neue grfenntnifef^ftem ^at 
ben S)uaIiSniu§ groifdjen S)en!en unb 2luSbel&nung, ©eift unb Äörper 
aufgelöft unb bamit jugleid^ ben ©egenfa^ gtoifd&en 2)e§carte§ unb 
2lrtftoteIe§, gtcifd^en ber neuen unb alten 5ß]^iIofop]^ie geebnet : eS 
reformtrt bie erfte bergeftalt, ba§ e§ bie jtoeite toieberlö^rfteHt. ®iefen 
©tanbi)un!t begrünbet ßeibnig in feiner 9JtonabenIe]§re, loeld&e bie 
aj}etai)l^^fif be§ ad&tgel^nten Sal^rl^unbertS, inäbefonbere bie beulfd&e 
5p]^ilofoi)]^ie unb SIufMärung bel^errfd&t. 

4. S)ic btei ©Tunbtoal^rl^eiten ber ayieta:p]6^fif. 

S)e§carte3, ©pinoga unb ßeibnig finb bie brei größten ÜÄcta» 
pl^^filer ber neuen 3eit t)or ^ant. 5!Jlan !ann fid& bie SBebeutung 
berfelben Ilar mad^en, unabhängig t)on ber geleierten ©rforfd^ung 
il^rer SQBerfc. @§ giebt geloiffe ©runbloal^rieeiten, bie iebem SRade= 
ben!enben au§ ber SSetrad^tung be3 eigenen ©eifte§ lote ber SRatur ber 
S)inge unloiberf))red6lidö einleud^ten. fiein ©egenfa^ in ber SBelt ift 
größer al§ ber gtoif^en ben felbftbetoufeten unb belou^tlofen SQBefen: biefer 
©egenfa§ beftel^t, gletd)t)iel gunöd&ft, ob berfelbe vermittelt toirb ober 
nid^t. Jffienn toir bie bunlfe SBelt ber ßörper unb bie erleudötete beS 
33ett)u§tfeinS t)ergleid6en, fo tritt uns eine ßluft entgegen. 

@ben fo einleud^tenb aU biefer ©egenfa^ ift bie Jiotl^toenbigfeit 
eines burd^gängigen, naturgemäßen unb ftetigen Sufammenl^angS, 
toorin jebeS ®ing auS Urfad^en J^ert^orgcl^t, bie felbft loieber notl^toenbige 
SBirlungen finb. ®ie natürlid^e Sufammengel^örigleit ber S)inge forbert 
einen fold^en ungerreifebaren Sufammenl^ang ober SaufalneEUS. SBir 



444 SSeuttl^eUuno beS S^ftemS. 

tnüffcn bcibc ©runbiDol^rl^ctten bejal^ett unb Derctmgcn: bartn befielet 
bic brittc. 

S)cr ©egcttfa^ in ber SRatur bet Singe tft Vermittelt burd& 
ben Sufoinmenl^ang, b. 1^. bie flette ber Singe bilbet eine @nttt)i(f= 
lung, bie Don ber unter jien 3;iefe ber betou^tlofen SBefen Don ©tufc 
ju ©tufe emJ)orpei8t ju ben betoufeten, Don ber natürüd&en SBcIt 
jur fittüd&en, Don ber SRatur jur ßultur, Don ben nieberen ©ultur» 
pufen ber aJlenfd&l&eit ju ben l^öl^eren. S)ie brei ©runbtoal^rl^eiten 
finb bemnad^ bie beS ©egenfa^eS, beiS SaufaljufQnimenl^QngS unb ber 
6nttt)i(flung in ber SRatur ber S)inge : bie erfte betoegt unb erfüllt 
baS bualiftifd&e ©Aftern 3)e8carte8\ bie gtoeite baS ntoniftifd^e ©pi- 
nojaS, bie britte ba8 Iiarmoniftifd&e (eDoIutioniftift^e) unfereS ßeibmj. 

5, ©enfualtgmuö. 

SQ3ir l^Qben ben SBeg begeid^net, auf bem in folgerid&tiger 6nt= 
toidlung ber ^Principien 3)e§carteS' burd^ ben abhängigen ©tQnb= 
:pun!t ber ©d&ule Iiinburd^ fortgefd&ritten toirb ju einer Umbilbung 
beS nieta:p]^^fifd&en ©^ftemS. SQäenben n)ir un8 je^t gu ber entgegen^ 
gefegten ?Rid&tung beS SmpiriSmuS, um fie mit S)eScarteS gu Der= 
gleid^en unb bie SBege gu fe^en, toeld^e in geraber ßinie Don tl^m gu 
ben ©egnern fül^ren. ©o orientiren toir unS über bie ßage feines 
©^ftem§ nai) ben Derfd&tebenen SBeltgegenben ber neuen ^l&tlofopl^ie. 

S)er entgegengefe^te ©tQnb:pun!t beS ©enfualiSmuS Iä§t fi(5 
Don ber ßel^re S)eScarte§' qu§ gleid&fam mit einem ©dferitt erreid&en. 
SBenn nämlidö baS SQäefen be§ ©eifteS in ber ©elbjigetoiS^eit beftcl^t, 
fo mu6, ttjaS im ©cifte iji, ftd& oud^ im SBetou^tfein barfteffen, bie 
urfprünglidöen ober angeborenen Sbeen muffen baber in je bem fSt- 
ttjufetfein ftetS gegenwärtig fein. S)a fie e8 tbatfäd6üd& nid&t finb, 
fo folgt, bafe es feine angeborenen Sbeen giebt, ba§ bal^er bem ©eifte 
nid&ts angeboren, berfelbe Dielmel^r Don $Ratur leer ift, gteid^ einer 
«tabula rasa», unb aöe feine Sbeen blofe burd^ bie (äußere unb 
innere) SBal^rne^mung em:pfängt. 2luf biefe S93eife moHte ßode in 
feinem „SJerfud^ über ben menfd&Iid&en SJerftanb" (1690) S)egcarte§ 
toiberlegen unb ben ©enfualiSmuS begrünben. 2lu§ bem Unteren ent« 
fpringen gtoei einanber Doöig ttjiberftreitenbe 9lid&tungen: ^bealigs 
mus unb aJlaterialiSmuS. SJergleid&en tt)ir beibe mit unferem 
5pi)ilofo:p]^en. 



Unfielöfle unb neue ^voMeme. 445 

6. STlateTtaltSmuS unb 3bea(i8mu8. 

SRid&t« barf na(5 ©eScarteS für toal^r gelten, ate ba§ atoeifetloS 
©ciDiffe; unferc ©clbflßctot^l^eit luar ©runb unb SSorbitb oöcr 6r« 
lennlniß. $Run ftnb toir blo§ unferer SSorficttungcn ober Sfbeen un« 
mittelbar getotfe, ba^er ftnb biefc unfere otteinigen (Srfenntnifeobiecte, 
bie einjig fidleren; e§ giebt oufecr un§ ober unabl^dngtg t)on bem öor^ 
ftettenben ©eifte ntd&ts SiealeS, feine SWaterie aU ein Dom ©etft un- 
obl^öngigeS 3)ing: alle Dbjectc ftnb nur öorgefieHt, balier feine 
©ubpanjen, feine felbftönbigen für fid& beftel^enben S93efen, fonbern 
5Pl^änomene. ©ubfiantiett finb nur bie ttjal^rnel^menben ober Dorftettens 
ben SBefen, eS giebt bal^er nur ©eifter unb Sfbeen: biefer @a§ ift 
baS ©runbtl^ema, toeld&eS SBerfele^ in feinem SbealiSmuS au8= 
fü^rt; tt)ir begegnen biefem ©tanbpunft, toenn loir bie burd^ ben 
cartefianifd&en @a§ ber ©elbftgetoife^eit getoiefene 9iid^tung in geraber 
ßinie Verfolgen. 

Um ben S)uali3mu8 ber benfenben unb auSgebefinten ©ubftanj 
aufredet ju l^alten, fafete 3)e8carte§ bie ^Bereinigung beibcr im 50lenfd&en 
als eine Sufammenfefeung Don ©eift unb flörper, toorauS bie Dertlid&s 
feit unb 50lateria(ität ber ©eete unt)crmeib(id& folgte, ^ier öffnet fid^ 
in feiner ßel^re eine breite ©äffe für ben 50lateriali8mu8. SBenn bie 
©eele im ©el^irn fifet, fo l^aben e§ bie 2WateriaIiften leidet gu fd&liefeen : 
bie ©eelc iji baS ©el^irn, benfen ift empfinben, emt)finben ift ©el^irnart, 
nid&ts toeiter als eine S3en)egung ber ©el^irnmolecüle; nid^t blo§ baS 
SEfjier, aud& ber 50lenfd& ift aJlafd&ine, er ift e§ ol^ne 9left. 

SBir feigen einen S93eg Dor uns, ber in geraber ßinie t)on S)eScartc§ 
JU ßa aJlettrie fü^rt, Don bem «Cogito ergo sum» gu bem «Homme 
machine», Don bem franjöfifd&en 3Jtetat)]^^fifer beS fiebgel^nten gu bem 
franjöfifd&en 50lateriali§muS beS ad&tjel^nten Sal^rl^unbertS , ber jmar 
Don bem englifd^en ©enfualiSmuS l^erfam, aber in ber cartefianifd^en 
2lntl^rot)ologie einen @tü§t)unft fanb, mli)tn \xi) aud^ ßa SJlettrie 
nid&t entgelten lieg. 2BaS Dom aJienfd&en gilt, toirb auSgebel^nt auf baS 
SBeltatt: baS UniDerfum ift aJiafd&ine. 2)ic 2luSffl]^rung biefeS ©a^e« 
mad&te baS Systeme de la nature gu feinem SCl^ema (1770). 

7. J!ntict§mu8. 

Snbeffen l^aben toir fd&on gefeiten, toie gebred&lid^ in ber carte« 
fianifd^en ße^re felbfl jene ©ttt^e iji, bie fid& bem aKaterialiSmu« 



446 Sdeuttl^eUung beS @^|iem8. 

bietet; e8 ift feine Srage, bafe t)on bem ?Prtncit) ber ©elbftgetotpeit 
ouf bem baS ©Aftern unfereS ?PlöiIo[ot)I)en rul^t, ber folgeric^ttgc SQBeg 
ntd^t jutn 50latertQli§tnuS , fonbern jum 3beali8mu8 fül&tt. S)ie 
tt)ir!fid&e unb toal^rl^aft objectiöe SQBelt lonn feine anbete fein ate bie 
DorgefteHte. 5?ur muffen »ir genau unterfd&eiben , ob unferc SSor* 
ftellungen toiHfürlid&e 5Probucte ober not^toenbige ^anblungen ber 
SnteHigenj finb. 

3)e§carte8 l^atte fc^on in feiner erften ajlebitation erfl&rt, ba§ 
es @(ementart)orfteHungen gebe, bie aöen übrigen ju ©runbe liegen, 
nnb ol^ne toeld^e feinerlei SBorftettung ber 3)inge möglid^ fei; er 
l^atte ]^aut)tföd&Iid6 gtoei fold&er ©runbbegriffe angefül^rt: fftaum unb 
3eit. 3n ber toeiteren Srtoögung crfd^ien bie 3fit als ein Bloßer 
modus cogitandi, als ein ©attungSbegriff, ben unfer ®enfen mod&t 
unb irrtl^ümfidö für eine Söefd&affen^eit ber S)inge felbft anfielet. Unter 
btn Derfd^iebenen Sbeen, bie toir in uns finben, gab eS, abgefel^en 
t)on ber ©otteSibee, nur eine, bie ©eScarteS öerificirte: bie 3bee ber 
Singe aufeer uns ober ber ßörper, beren 2lttribut in ber SluSbe^nung 
ober im Slaume beftel&t. S)er 9laum mad&t baS SBefen ber ßörper 
aus, bie unabl^öngig t)on ber 3ntcHigeng als ®inge an fid& cjiftiren. 

aSon unferen ©runbt)orftelIungen ift (abgefel^en t)on ber ©ottcSibee) 
ber 9iaum bie einjige, bie baS S93ejen einer t)om S)enfen unabl&öngigen 
©ubftanj auSbrütft. 2Böre ber Slaum bIo§ unfete aSorjiellung , fo 
mü^te baffelbe t)on ber SDiaterie unb ber gefammten ßörperttjelt gelten, 
toir iDürben bann ber äußeren 2)inge eben fo unmittelbar gemife fein, 
als unfereS eigenen S)afetnS. SeScarteS bejaht bie Slealität beS 
SftaumeS, weil er bie ^bxpzx als Singe an fid& betrad&tet, als bie 
äußeren Urfad&en unferer finnltd&en SSorfteÖungen, fo toie toir felbfi 
nad& bem natürlid&en Snftinct ber SSernunft fie ju nel^men genötl^igt 
finb; es n)öre ein SBerl göttUd^er Stöufd^ung, locnn eS fi(5 anberS 
Detl^ielte. 

®ie Urfprünglid&feit ber 9laumt)orftelIung l^at SeScarteS bejal^t; 
ber einjige ©runb, marum er bie Stbealität berfelben Derneint, ifl 
bie 3Q3al)r]^aftigIeit ©otteS. Serfelbe ©runb l^ötte i^n nötl^igen follcn, 
aud& bie ftnnlid^en Qualitäten als ©igeufd^aften ber Rbiptx an fid^ 
gelten ju laffen, bod6 l)at er biefe Sinftd&t für bie ärgfte ©elbfttfiufd^ung 
erKätt unb ttJteberl^olt eingefc^örft: um Har unb beutlid^ ju erfenncn, 
n)as bie ßör))er an fid& finb, muffe man t)on ber SSorfteÖung berfelben 
unfere S)enl= unb ®mt)finbungStt)eifen abgießen. SBenn loir toon unferer 



Ungelöße unb neue Probleme. 447 

SSorflcttung ber ffiingc gctolffc iöorftettungen. abjiel^en, fo ift nid&t ein^ 
jufel^cn, ttJtc ettoaS übrig Hciben fott, »aS t)on aöctn S)cnfen grunb= 
bcrfd&iebcn ift. 9lad& 3)e§carte8 bleibt nid&tS übrig al8 ber Slaum ober 
bie 3luSbeI)nung. ©al^er mufe ber 9iaum qI8 biejenige SJorliellung 
gelten, bereit toir un§ nid^t entäußern ober loel^e »ir t)on unferem 
SJorftetten nid^t abgieljen fönnen: b. 1^. üI§ bie notl^toenbige ^anblung 
unferer Sntettigenj. 

©ittb S)enfen unb 3lu8be]^nung einonber t)5Hig entgegengefe^t, 
toie 3)eScarte8 ttjottte, fo lann e8 in unferem ©enfen aud^ feine 
3b ee ber SluSbe^nung geben, loie 50laIebrQnd&e aus jenem ©uoliSmuS 
rid&tig gefd&Ioffen l^at. ©iebt eS in uns bie Sfbee ber SluSbel^nung, 
bie ©runbDorjiettung beS OiaumS, tt)ic ©eScorteS nad^brüdlid^ be= 
l^auptet, fo finb 3)enfen unb 2lu8bel^nung einonber nid&t entgegen« 
gefegt, fonbern bie SluSbel^nung ober ber Jftaum gel^ört in bie 3latur 
beS 3)en!en8, in bie SSerfaffung unferer SJernunft; er unb bie Übxp^x^ 
mit in il^m finb bann unfere blo&e SJorjieDung. 3e§t l^ei^t bie 
grage nid&t mel^r: „SBle bereinigen fid^ ©eifi unb Röxpn aU 
entgegengefe^te ©ubftangen?", fonbern: „SQßie fommt ber ©eift gur 
9laumt)orfteÖung ober toie bereinigen fhj& Senlen unb (äufeere) 9[n= 
fd&QUung, SSerftonb unb ©innlid&Ieit?" 

©enau üuf biefe Srage •l^at ßant ba§ :pf^d&ologifd&e ^Problem 
ber Seigre 3)e8carteS' jurüdgefü^rt, nad&bem er beriefen l^atte, bafe 
ber Siaum nid&ts an fid&, fonbern unfere blofee SSorjieöung fei, 
bie notl^toenbige 3lnfdöauung unferer SSernunft. S)iefe SBalir^eit ent- 
bedfte Äant burd^ feine fritifd&e Unterfud&ung , bie baS natürlid^e 
ßid&t ber ©inne unb beS S)enIenS prüft, leineStoegS bie Untrüglid^Ieit 
beSfelben borauSfe^t. ^ier ift ber SBenbei)un!t, in toeld^em nidbt bIo§ 
baS 5Princit) ber 5p^ilofot)I)ie, fonbern bie Slufgabe felbft umgeftaltet 
unb t)or allem nad& ber 3JtogUd&!eit unb ben SBebingungen beS @r= 
lennenS gefragt ttjirb, bebor man auSmad^t, ob ba§ SBefen ber S)ingc 
erfennbar ift unb »orin eS beftel^t. 2ttS ©eScarteS fid& auf bie SBal^r- 
Iiaftigfeit ©otteS unb ber SRatur berief, um babon bie Untrüglid^Ieit 
unferer anteiligen j abljängig ju mad&en, jenes ßid^t ber Vernunft, 
toorin bie fiörper als Singe an fid& erfd^einen, begrünbete er bie 
bogmatifd^e 5P^iIofo:p]^ie. SllS ©t)inoja feiner ©otteSibee gemäß erflört 
I)atte, bafe mit ber etoigen Drbnung ber 3)inge aud^ beren aböquatc 
Srfenntnife t)on gtoigfeit in ber 3latur ber Singe gegeben fei, bu 
ftanb bie bogmatifd^e 5p^iIofo:p]öie auf il^rcm ©it)fel. 



448 adeuril^eiluno beS @^{lemS. Ungelöfle unb neue $vobUme. 

®od6 ifi aud& btc Slufgabe her frittfd&en fd&on in her ßel^re ©eScorteö' 
angelegt unb in feiner erften ntetl^obologifdöen ©d&rift, bzn ^Regeln gut 
ßeitung beS ©eifteS, fo au8gefi)rod&en, ba^ Äant fid^ bicfe Oröffung tt)ört= 
Udo l^ötte aneignen fönnen: „3)aS toid&tigfte aller ^Probleme tft 
bie Sinfid^t in bie Statur unb ©renjen ber meufd^Iid^cn 6r= 
fenntniß. 3)iefe Qfrage mu§ einmal in feinem ßeben jeber gejjrüft 
l&aben, ber nur bie geringfte ßiebe jur Sal^rl^eit l^at, benn il^rc 
Unterfud^ung Begreift bie ganje aKetl^obe unb gleid&fam baS toal^re 
Drganon ber (Srlenntnife in fid^. SWid^tS fd^eint mir ungereimter, 
afö fedE inS SBIaue l^inein über bie ©el^eimniffe ber SWatur, bie (5in= 
flüffe ber ©eftirne unb bie verborgenen 3)inge ber 3u!unft ju fireiten, 
ol^ne ein eingigeS mal unterfud^t gu l^aben, ob ber mcnfd&Iid^e ©eift 
fo toeit reid&t."^ 

SBir fd&Ue^en mit biefer Slusfid^t auf ßant, toogu uns bie ßel^re 
3)e§carteS* in ber angeführten ©teile einen fo günftigen unb fd&einbar 
naiven ©tanbi)un!t bietet. 



1 R^gles pour la direction de l'esprit. VII J. Oeuvres XI. pg. 245 — 246, 
»gl. oBcn f8n^ II. 6:ap. I. 6. 292, 



Uruikfetrlemerjeti^ntg. 



©citc 274. 3cile 4 öon unten ftatt ^3:armier^'' licS »Sanner^''. 



(£.3- SlBinter'fci^e 8ud^brudecei. 



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