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DER OPER
LIBRARY OF
WELLESLEY COLLEGE
PURCHASED FROM
OBAH PÜMD
Kleine Handbücher
der
Musikgeschichte nach Gattungen
Herausgegeben
von
Hermann Kretzschmar
Band VI
Geschichte der Oper
von
Hermann Kretzschmar
Leipzig
Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel
1919
Geschichte der Oper
von
Hermann Kretzschmar
Leipzig
Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel
1919
270R01
Copyright 1919 by Breitkopf & Härtel, Leipzig
Übersetzungsrecht vorbehalten
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Buchschmuck von Roland Auheißer
107
Inhalt.
Seite
Einleitung ^^^
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper . 10 -so
Liederspiele, iMoralitäten, Schulkomödien, Jesuitenspiele, harmo-
nisches Rezitativ. — G. B. Doni, Über den Ursprung des neuen
Bühnengesangs. — Die Anfänge des Bühnengesangs. — Das Madri-
gal. — Intermedien. — Orazio Vecchis „Ämfiparnasso". —
Jacopo Peris „Euridice". — Die Choroper. — Giulio Caccinis
„Euridice". — Ag ostin 0 Agazzaris „Eumelio". — Claudio
Monteverdis „Orfeo". — Claudio Monteverdis „Lamento
d'Arianna".
Die Venetianische Oper ^^
Die ersten Operntheater. — Die accidenti verissimi in der Venc-
tianischen Oper. — Claudio Monteverdis „Incoronazione di
Poppea". — Francesco Cavallis „Didone". — Die Rezitativ-
oper. — Die Vertreter der Rezitativoper. — Pietro Andrea
Ziani. — Giov.Legrenzis „Totila". — Melani,Agostini, Sab-
badini, Abbatini. — Das Orchestercrescendo und die Bravourarie.
Französische Oper 108-132
Pierre Perrin und Robert Cambert. — Jean Baptiste
Lully. — Philipp von Quinault. — Das französische Ballett. —
Das Orchester der französischen Oper. — Comedie- Ballet oder
Opera-Ballet. — Die Nachfolger Lullys. — Die Lullysche Schule. —
Jean Philipp Rameau.
Das erste Jahrhundert der Deutschen Oper 133-157
Die Deutsche Oper in der älteren Zeit. — Heinrich Schützens
„Dafne". — Die ßraunschweiger Opernaufführungen. — Die Oper
in Meiningen, Hannover, Hamburg. — Die Hamburger Oper. —
Sigmund Kusser, Reinhard Keiser. — Die Deutsche Oper
in Leipzig. — G. Ph. Telemann. — Die Deutsche Oper in Nürn-
berg, Ansbach, Durlach. — Das Ende der Deutschen Oper im
^8. Jahrhundert.
Itahenische Oper unter den Neapolitanern. . 158-184
\ Apostolo Zeno. — PietroMetastasio. — AlessandroScar-
' \, \ latti. — Leonardo Vinci und Giov. B. Pergolesi. — Nicolo
y Porpora.— G.F.Händel.— B.Marc el los „Teatro allamoda".—
\\ Die neapolitanische „Opera buffa''.
VI Inhalt.
Seite
Von Hasse bis Gluck -185—206
Johann Adolf Hasse. — Domenico Terradellas. — Nicolo
Jommelli. — Tommas o Traetta. — Chr. \V. Gluck.
Gegenströmungen 207—2.33
Die Wandlungen der Opera buffa. — Nicola Piccinnis „Buona
figliuola maritata". — Das Deutsche Singspiel. — Vom Singspiel
zur Oper. — Albert Schweitzers „Alceste". — Ignaz Holz-
bauers ,, Günther von Schwarzburg". — Die nationale Oper in den
nordischen Ländern. — J. J, Rousseaus „Devin du village". —
Egidio Romoaldo Duni. — Die bürgerliche Oper. ~ Die Ver-
schmelzung französischer und italienischer Schule. ,
Die Schule Glucks 234-246
Die Vertreter der Gluckschen Oper in Paris. — Gasparo Spon-
t i n i. — Glucks Reformen in Deutschland. — W. A.Mozarts Opern. —
Glucks Opern auf den deutschen Bühnen. — Die Glucksche Schule
in Haben.
Die moderne Oper bis zu Wagner 24 7-275
Melodram in Singspiel und opera comique. — Revolutions- und
Schreckensoper. — Aufschwung der Komischen Oper. — K. M.
von Webers „Freischütz". — K.M. von Webers „Euryanthe". —
Vincenzo Bellini. — Nicolo Isouard und Adrien Boiel-
dieu.— Daniel Auber. — Jakob Offenbach. — Richard
Wagner. — Eine Wagner-Schule. — Giuseppe Verdi.
Register 276-286
Geschichte der Oper
Einleitung
Wenn die Oper auch von der Wichtigkeit, die sie im 17. und
18. Jahrhundert besaß, viel eingebüßt hat, so nimmt sie doch
im Kunstleben der Gegenwart immer noch eine ansehnliche Stellung
ein. Das beweisen die Theaterzettel und die gefüllten Opernhäuser der
großen Städte. Sie gilt als ein glänzendes Stück dramatischer Kunst,
zugleich ist sie das anspruchsvollste : sie verlangt ein größeres Maß
von Vorbildung als das gesprochene Drama, nicht bloß musikalische,
sondern auch geschichtliche Vorbildung. Man muß die Geschichte
der Oper kennen, um mitten im Wirrwarr der auseinander gehenden
Richtungen sich zurecht finden, um Wert oder Unwert neuer Versuche
und Entwicklungen, wie sie uns zuletzt beispielsweise Rieh. Wagner
gebracht hat, sicherer beurteilen zu können. Geschichte der Oper ist
die unerläßliche Vorbedingung zu einer Ästhetik der Oper, sie ist
konkrete Ästhetik. Das ist die vornehmste Veranlassung, sich mit ihr
bekannt zu machen.
Ihr Studium vermittelt dann weiter die Bekanntschaft mit großen
Künstlern und mit bedeutenden Werken. Eduard Hanslick hat
wiederholt ausgesprochen: die Lebensdauer eines musikalischen Kunst-
werks sei fünfzig und, wenn es hoch kommt, hundert Jahre. Dieses
Axiom ist heute durch die Namen Schütz, Palestrina widerlegt;
es stimmt auch für unsere Opernpraxis nicht recht mehr. Sie macht
allerdings bei Gluck halt und stellt uns vor die Frage, ob in Zu-
kunft auf die Wiederbelebung auch älterer Werke gerechnet werden
darf? Auf Wiedereinführung ganzer Opern des 17. Jahrhunderts
und aus der ersten Hälfte des 18. nur spärlich und bei Gelegen-
heiten, wie sie 1878 die Hamburger Oper bei ihrer zweihundert-
jährigen Jubelfeier mit der Aufführung von Hand eis »Almira*, wie
sie Breslau 1912 mit einer Neubearbeitung von Mo nteverdis »Orfeo«
bot. Aber es gibt einzelne Opern, von Cavalli z. B., die in stil-
gerechter, vollendeter Ausführung auf ein verständiges Publikum
noch heute überwältigend wirken würden. Noch mehr aber gibt es
einzelne Szenen dieser Art. Gerade die Vor-Glucksche Oper ist reich
an musikalisch-dramatischen Elementen und Ideen, die in der Gegen-
wart eines erstaunlich belebenden Eindrucks sicher wären.
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 1
2 Einleitung
Nicht der letzte unter den Nebenerträgen einer Operngeschichte ist
die Beleuchtung, die von ihr aus auf das Theater älterer Zeit überhaupt
fällt. Eigenheiten Shakespeares, wie seine Verkleidungsmotive, rücken
erst durch Bekanntschaft mit der Oper ins System. Aber nicht bloß
auf das Theater des 17. und 18. Jahrhunderts, sondern auf die ganze
Kultur dieser Perioden fallen von der Oper aus aufhellende Lichter.
Sitten, Geschmacksrichtungen, Moden, Wesen und Wert großer geistiger
Strömungen offenbaren durch die Oper sonst unbekannte Züge.
Eine vollständige Geschichte der Oper in der Zeit bis Gluck läßt
sich gegenwärtig allerdings nicht geben. Einmal ist der größere Teil
der hierzu nötigen Vorarbeiten überhaupt noch gar nicht in Angriff ge-
nommen, zweitens aber zeigt der Bestand des wesentlichsten Quellen-
materials selbst so bedenkliche Lücken, daß die Hoffnung auf eine voll-
kommene Lösung der Aufgabe vielleicht für alle Zeiten aufgegeben
werden muß. Diesen wesentlichsten Teil des Quellenmaterials bilden
die Partituren der Oper. Nun sind von den italienischen Opern, gerade
in der Periode, wo sie den Kontinent beherrschten, nämlich von der
Mitte des 17. Jahrhunderts ab, die Partituren nur handschriftlich ver-
breitet worden. In der französischen Oper wurden, dank einer ein-
sichtigen Verfügung Ludwigs XIV., die aufgeführten Werke sämtlich
gedruckt, mit Privileg geschützt und in mehrfachen Exemplaren auf
den Öffentlichen Bibliotheken hinterlegt. Die Entwicklung des fran-
zösischen Musikdramas können wir daher heute ziemlich vollständig
übersehen. Aber bei der italienischen Oper stehen wir immer wieder
vor den fatalsten Lücken. Es sind Partituren verschollen, welche wir
als die Hauptwerke ihrer Schöpfer bezeichnet finden, z. B. aus der
venezianischen Oper: Legrenzis »Divisione del mondo«, Sacratis
»La finta pazza«. Von einzelnen Komponisten, welche im Repertoire
eine Hauptstelle einnahmen, ist wenig oder nichts erhalten. Von den
mehr als zwanzig Opern, mit denen z. B. Rinaldo da Capua vertreten
war, sind heute fünf Werke übrig; von Latilla besitzen wir gar nichts.
Bis zu einem gewissen Grade darf allerdings eine Besserung dieser
Sachlage erwartet werden. Zu den großen öffentlichen Bibliotheken,
in welchen bedeutendere Sammlungen italienischer Opernpartituren
aufbewahrt werden, — auf deutschem Boden: die Königlichen Biblio-
theken in Berlin und Dresden, die Hof- und Staatsbibliothek in Mün-
chen, die Stadtbibliothek in Hamburg, die besonders reiche Hof biblio-
thek in Wien und die Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde
ebendaselbst, im französischen Sprachgebiet: die Bibliothek des Con-
servatoire und die Nationalbibliothek in Paris, die Bibliotheque royale
in Brüssel; in Italien die Markusbibliothek zu Venedig, die Biblio-
teca Estense zu Modena — eine der ersten von allen — , die Biblio-
theken der musikalischen Lyzeen zu Bologna, Florenz und der Santa
Caeciliai zu Rom und namentlich die Bibliothek des Konservatoriums zu
1 Letztere hat der Deutsche Adolf Berwin ins Leben gerufen.
Einleitung 3
Neapel — , kommt noch eine Anzahl kleinerer, zum Teil in Privatbesitz
befindlicher Bibliotheken. Namentlich an diesen letzteren Stellen fehlt
es noch vielfach an einer planmäßigen Feststellung des vorhandenen
Materials. Das gilt für ehemalige kleine deutsche Eesidenzen, noch
mehr aber für die Bibliotheken altitalienischer Familien. Im Jahre
1888 tauchte im Palazzo Chigi zu Rom der längst verloren geglaubte
»Orfeo« von Luigi Rossi, eine der wichtigsten Opern des 17. Jahr-
hunderts auf, fünf Jahre später war er wieder verschwunden, dafür
kam eine andere Oper des Komponisten »II Palazzo d'Atlante« zum
Vorschein.
Jedoch auch an den Stellen, deren Besitz an Opernpartituren kata-
logisiert und bekannt ist, bleibt bibliographisch noch manches zu tun.
In der Mehrzahl derselben treten wir vor eine dunkle Abteilung,
gebildet aus den Opern des gefürchteten Anonymus. Es gibt nun
Fälle, in welchen sich dieser unbestimmte, unbekannte Autor mit
Leichtigkeit ermitteln läßt, und die Tatsache, daß die musikalische
Abteilung großer Bibliotheken zuweilen gänzlich unberufenen Händen
überwiesen wird, läßt sich mit zahlreichen Anekdoten belegen. So
erklärte in Wien vor dreißig Jahren der betreffende Kustos: »von
Draghi haben wir nichts«. Schon aber mit Hilfe des Zettelkatalogs
ließ sich feststellen, daß die Bibliothek von diesem Draghi, welcher
am Orte Kapellmeister und jahrzehntelang der eigentliche Hauskom-
ponist der Wiener Hofoper gewesen war, 81 große Opern und eben-
soviel und noch mehr kleine Serenaden, Festspiele und andere Ein-
akter besaß. In der sonst gut geordneten und verwalteten Bibliothek
zu Bologna waren seiner Zeit von Jomelli eine Oper ;'>Merope« und
eine »Epitide« als zwei verschiedene Werke gebucht, obwohl unter
den beiden Titeln ein und dieselbe Oper vorliegt. »Epitide« ist die
Hauptperson der »Merope«. In Modena befanden sich in der Abtei-
lung des »incerto autore« auch Werke wie »Le deserteur« und »Ar-
söne«, die noch am Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich und
Deutschland mit ihren Verfassern fast sprichwörtlich bekannt waren.
An andern Orten bereitet aber der Nachweis über Dichter und
noch mehr der über Komponisten jener »opere incerto autore« ernst-
liche Schwierigkeiten. Das war bis vor drei Jahrzehnten der Fall in
St. Marco zu Venedig, wo die betreffende Abteilung aus 84 Nummern
bestand. Doch ist es hier Taddeo Wiel gelungen, uns die ver-
mißte Auskunft zu geben, mit Hilfe verzweigter Untersuchungen,
namentlich durch den Vergleich der Texte der Partituren mit den ge-
druckten Textbüchern und dem Studium der Vorreden der letzteren.
Seine Arbeit, im Jahre 1888 unter dem Titel »I Codici musicali
Contariniani del sec. XVII nella Reale Bibliotheca di S. Marco« in
Venedig erschienen, hat allein zwei Dutzend verloren geglaubter
Opern Francesco Cavallis ans Licht gezogen.
Was in Venedig möglich war, wird sich auch an anderen Orten
erreichen lassen. Wir dürfen hoffen, daß in die Abteilung der »opere
1*
4 Einleitung
incerto autore« auf allen Bibliotheken Licht gebracht wird, daß wir
hierdurch über eine Reihe von Werken Kenntnis erhalten, die wir
bisher vermissen, daß endlich auch einige Meister praktische Ver-
tretung finden, die wir bis jetzt nur dem Namen nach und durch
unzureichende Berichte kennen. Wollen wir uns diesem Ziele schneller
nähern, so ist die Voraussetzung, daß die Zahl der Mitarbeiter wächst.
Dieser Erfolg hängt eben wieder davon ab, daß das Interesse für
den Gegenstand, welchen weit über ein Jahrhundert die tiefste Gleich-
gültigkeit gedeckt hat, immer mehr erstarkt. Dafür haben sich in
den letzten Jahrzehnten günstige Anzeichen bemerklich gemacht.
Bilden die Opernpartituren den unentbehrlichsten Teil für eine
Geschichte der Oper, so sind die Textbücher nicht minder wichtig
Wenn auch eine geniale Musik eine Zeitlang über die Wertlosigkeit
eines schlechten Librettos hinwegtäuschen kann, so bleibt doch das
Gedicht die ausschlaggebende Grundlage der Oper, und die bedeuten-
den Umwälzungen in der Geschichte der Oper sind jederzeit in erster
Linie von dramatischen Gesichtspunkten aus erfolgt; die Musik
schloß sich an. Die Oper trat als ein Protest gegen das theatra-
lische Unwesen des 16. Jahrhunderts schon ins Leben, die Namen
Gluck, Wagner bedeuten mehr noch als eine musikalische: eine
dramatische Reform, eine bedeutende Verlegung und Umgestaltung
der dichterischen Ziele und Mittel. Die Geschichte der Operndichtung
bietet aber auch ein großes, selbständiges Interesse: Sie bringt einen
bedeutenden Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte der Völker,
welche an der Pflege und Ausbildung der Oper beteiligt waren. In
ihr sind eigentümliche und bezeichnende Züge aus der Denkes- und
Sinnesart, aus dem Sittenleben der Zeiten und Nationen niedergelegt,
welche wir an anderen Stellen nicht in derselben Deutlichkeit oder
überhaupt nicht wiederfiüden.
Für diesen Teil des Quellenmaterials nun, für die Geschichte der
Operndichtung, liegen die Verhältnisse wesentlich günstiger. Der über-
wiegend größere Teil der Textbücher der italienischen Opern ist noch
aufbewahrt. Die Textbücher wurden in starken Auflagen gedruckt
und wiedergedruckt, von mehreren der hervorragendsten Operndichter
liegen die Werke in stattlichen Gesamtausgaben vor. Eine der reich-
sten italienischen Textbibliotheken ist die des Liceo Rossini zu Bo-
logna, in Deutschland stehen Berlin, Hamburg, Weimar an der Spitze.
Mit Opernpartituren und Textbüchern ist das notwendigste Quellen-
material für eine Geschichte der Oper begrenzt. Sie reichen jedoch
noch nicht aus, um die Stellung der Werke im Repertoire und da-
mit die Neigung und Richtung des Publikums erkennen zu lassen,
des Publikums, welches auch bei der Entwicklung der Oper wie bei
der Entwicklung jeder andern Kunst fast ebensoviel gegeben, wie
empfangen hat. Sie reichen ferner nicht aus, um über Zeitbestim-
mungen ins klare zu kommen. Hier tritt die Memoirenliteratur mit
helfend ein. In erster Reihe aber haben wir uns an die Theater-
Einleitung 5
und Bühnenstatistik zu wenden. In früherer Zeit nur schwach cre-
pflegt, in Italien durch die Kataloge eines Allacci und Groppo, in
Deutschland durch Gottscheds »nötigen Vorrat«, durch Marpurgs
historisch-kritische Beiträge — sämtlich Arbeiten aus der Mitte des
vorvorigen Jahrhunderts — vertreten, wird dieser Teil der Quellen-
kunde in neuerer Zeit immer eifriger und immer besser bearbeitet.
Italien, das Land, in welchem das Theater den höchsten Rang ein-
nimmt, geliebt und überschwenglich geschätzt wird, ging voran. Wir
haben von allen bedeutenderen musikalischen Städten, mit Ausnahme
von Florenz, seit etlichen Jahrzehnten lokale Theatergeschichten, Ar-
beiten von Sängern, Direktoren und anderen der Bühne näher stehenden
Männern. Stark aufs Anekdotische gerichtet, in der eigentlichen For-
schung nur auf das bequem Erreichbare oder das Pikante beschränkt,
sind diese Bücher allerdings in den statistischen Angaben über die
älteren Perioden unvollständig und unzuverlässig. Sie gewähren aber
doch immerhin einigen Anhalt, und sie haben ferner die gute Wir-
kung gehabt, zu gründlicheren Untersuchungen anzuregen. Als die
reifen Früchte der letzteren liegen vor: die »Scenni storici« vonLivio
Galvani in Venedig (1884), Francesco Florimos »La Scuola musi-
cale di Napoli ed i suoi Conservatorii« (Neapel, 2. Auflage 1880—84),
ferner G. C. Botturas »Storia del Teatro communale di Trieste«
(Triest 1885), CorradoRiccis »I teatri di Bologna nei secoli XVII
e XVIII« (Bologna 1888), Wiels » I Teatri musicali Veneziani del Sette-
cento« (Venedig 1897), P.E.Ferrari: »Spettacoli dramatico-musicali e
coreografici in Parma dall 1628—1683« (Parma 1884), A. Paglizzi
Brozzi: »II Regio-ducal teatro di Milan 0 nel secolo XVIII« (Mailand
1894), Aless.Gandini: »Cronistoria dei teatri diModena 1539 al 1871«
(Modena 1873), A. Chiappelli: »Storia del teatro in Pistoja dalle
origini alla fine del secolo XVm« (Pistoja 1913), G. Radiciotti:
»Contributi alla storia del teatro e dellamusica inUrbino« (Pesaro 1899),
P.Cambiasi: »Teatro allaScalal778— 1889 «(Mailand 1888undl889).
Von deutschen Werken gleicher Art und gleichen Wertes sind zu
nennen: M. Fürstenau: »Geschichte der Musik und des Theaters
am Hofe zu Dresden« (1. Bd. Dresden 1861, 2. Bd. Dresden 1862),
ferner: F. M. Rudhart: »Geschichte der Oper am Hofe zu München«
(Freising 1865), Teubner: »Geschichte des Prager Theaters« (Prag
1876 und 1886) und endlich Fried rieh Walter: »Geschichte des
Theaters und der Musik am Kurpfälzischen Hofe« (Leipzig 1898).
Die'perlin, Wien, Hamburg und andere Plätze — z. B. W. Lyn k er:
»Geschichte des Theaters und der Musik in Cassel« (Cassel 1865),
J. Peth: »Geschichte des Theaters und der Musik zu Mainz«
(Mainz 1879), H. Hirschberg: »Geschichte des Herzoglichen Hof-
theaters zu Koburg und Gotha« (Berlin 1911) — behandelnden älteren
Werke sind wissenschaftlich nicht vollwertig, erst in neuer Zeit hat Gurt
Sachs für eine Operngeschichte Berlins stichhaltige Anfänge geliefert,
Schiedermair, Einstein sind ihm für Bayreuth, Durlach, Neuburg zur
6 Einleitung
Seite getreten. VonSchweden sind in D ah Igrens »Stockholms theatrar«
(Stockholm 1866) und von Dänemark in Oeverskous »Den danske
Skuepladses Histoire« (Kopenhagen 1854 — 1876)^ in A. Aumont »Det
danske Nationalteater 1748—1889« (Kopenhagen 1900) gute Bücher
zu dieser für eine Geschichte der Oper unentbehrlichen statistischen
Grundlage beigesteuert worden. Spanien ist durcli: J. Milego »Estudio
historico-critico El teatro en Toledo etc.« (Valencia 1909), H.Merimee
»L'art dramatique ä Valencia etc.« (Toulouse 1913), Derselbe:
»Spectacles et comedies ä Valencia« (Toulouse 1913), Pesea y Goni
»Le opera espaniola etc.« (Madrid 1881), vertreten. Für Kußland liegt
eine Geschichte der Oper vor in: Vsevolod Cesichin (Tscheschichin),
»Istorö ya ruskoy operi« (2. Auflage Moskau 1905), für Amerika in
H. Edward Krehbiel, »Chapters of Opera« (New York 1908). — Von
der Menge französischer Arbeiten, welche in neuerer Zeit auf diesem Ge-
biete erschienen sind, sind Gh. Nuitter et Erneste Thoinans »Les
origines de l'opera fran9ais« (1887), weiter Ed. Gregoirs »Les
gloires de l'opera et la musique ä Paris« (4 Bde., 1880 — 83) als voll-
gültige Leistungen zu verzeichnen. Als brauchbar und praktisch darf
auch das kleine Buch von Neree Desarbres »Deux si^cles ä l'opera«
(1868) empfohlen werden. Die Franzosen haben noch dadurch er-
leichterte Arbeit, daß sich ihre Geschichte der Oper im wesentlichen im
Bereiche der Mauern von Paris abgespielt hat. Außerhalb Paris sind
B. Leffebre: »Histoire du theätre de Lille« (Lille 1901 — 1907) und
E. Destranger: >Le theätre ä Nantes depuis ses origines jusqu'ä nos
jours« (Paris 1893) erschienen. Die Franzosen verderben sich den Erfolg
in der Regel aber durch novellistische und schöngeistige Neigungen. Dies
gilt insonderheit von den mannigfachen Beiträgen, welche A. Pougin zur
Geschichte in der Periode Glucks beigesteuert hat. In Frankreich ist
auch zum ersten Male seit Allacci wieder in neuerer Zeit der Versuch
gemacht worden, eine allgemeine Statistik der Oper zu geben und alle
seit Entstehung des Musikdramas in Paris aufgeführten Werke mit
genauen Daten zusammenzustellen. Das betreffende Werk, von Felix
Clement verfaßt und betitelt: »Dictionnaire lyrique ou histoire des
operas« (Paris 1868, 1879, 3. Auflage), ist jedoch unbrauchbar. Leider
ist es als Grundlage für ein deutsches Opernhandbuch benutzt worden.
Zur Kritik von Clement kann es dienen, daß er als Komponisten
italienischer Partituren häufig die Maschinisten nennt, welche bei der
Aufführung der Opern mitgewirkt haben. Ähnlich verworren ist der
»Dictionary-catalogue of Operas and Operettas (Morgantown 1910)« des
Amerikaners John Towers, obwohl diesem Verfasser dieselben vor-
züglichen, jetzt in Washington befindlichen, handschriftlichen stati-
stischen Arbeiten von Albert Schatz zur Verfügung gestanden zu
haben scheinen, die 0. G. Sonn eck ^ zu seiner vorzüglichen »Dramatic
1 Der gleiche Verfasser hat auch einen Catalogue of Opera -librettos prin-
ted before 1800 veröffentlicht (2 Bde. Library of Congress Washington 1914).
Einleitung 7
Music« (Washington 1908) benutzt hat. Auch die Angaben über Titel,
Zeit und Verfasser von Opern in dem Lexikon von Fetis, der be-
rühmten »Biographie universelle des musiciens et bibliographie ge-
nerale de la musique« (3. Auflage, Paris 1878) sind arg un-
zuverlässig. Hier findet sich fast bei jedem fünften Werke der
venetianischen Schule als Komponist ein gewisser Nicolini an-
gegeben. Dieser anscheinend so fruchtbare Nicolini war jedoch
nichts weiter als ein venetiauischer Buchdrucker, dessen Name
als solcher auf einer großen Anzahl von Textbüchern vorkommt.
Aus einer Oper des jüngeren Ziani: »Cajo Marcio Coriolano«
macht Fetis zwei, 1. »Cajo Mario«, 2. »Coriolano«; Bernabe'is:
»Gli dei festiggianti« wird bei ihm zu einem ganz sinnlosen »Gloria
festiggianti«. Man könnte die Flüchtigkeit der Opernstatistik von
Fetis mit einem Band Anekdoten belegen. Leider aber ist das
Werk doch nicht zu umgehen; es bildet allerdings ein Sammel-
surium, aber auch die reichste Sammlung von statistischen Daten,
die man beachten muß, sei es auch nur, um sie zu widerlegen. Eine
nur italienische Opernstatistik liegt in Carlo Dassoris »Opere ed
operisti etc.« (Genua 1906) vor.
Wir haben mit diesen Bemerkungen über die Statistik der Oper
das Thema der Vorarbeiten zur Geschichte der Oper betreten, von
denen vorhin schon gesagt wurde, daß ein wichtiger Teil derselben
noch gar nicht in Angriff genommen worden sei. Dieser wichtige
Teil betrifft zunächst die biographische Behandlung einer Eeihe der
ersten Opernkomponisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Von einem
Meister von der Bedeutung des Alessand ro Scarlatti stand bis vor
kurzem Geburts- und Todesjahr noch nicht fest. Von seiner Lehrzeit,
von dem Gange seiner Entwicklung, der Zahl seiner Werke und ihrem
Zusammenhange, ihrer Wirkung auf die Mitwelt und die folgende
Zeit waren wir nicht genügend unterrichtet. Mittlerweile ist Besserung
eingetreten. Wir haben jetzt die Biographie Scarlattis von Edward
Dent, die Jomellis von Hermann Abert, über L. Leo hat ein Nach-
komme, über Pergolesi Radiciotti, über Simon Mayr Schieder-
mair, über A. Steffani A. Neißer, über S. Kusser H. Scholz, über
Georg Kaspar Schür mann F.Schmidt, über 0. Boxberg H.M er s-
mann geschrieben, über Monteverdi und Gagliano hat schon Jahr-
zehnte früherEmil Vogel verdienstliche Untersuchungen veröffentlicht.
Wir haben neuere Arbeiten über R. Keiser, H. Graun, über Lully
und Rameau. Aber wenn wir an Hasse, an Traetta, Majo,
Piccinni und andere bedeutende Nebenmänner Glucks denken, bleibt
kein Zweifel, daß für die Opernbiographie noch sehr viel zu tun
ist. Es ist einleuchtend, daß vor hundert Jahren und früher die
Schwierigkeiten und Hindernisse, welche sich heute einer Geschichte
der Oper entgegenstellen, zum Teil viel geringer waren, zum Teil
gar nicht bestanden. Zugleich leuchtet aber auch ein, warum in jenen
früheren Perioden eine Geschichte der Oper nur wenig vermißt wurde.
8 Einleitung
Was man lebendig und voll besitzt, braucht man sich nicht beschreiben
zu lassen. Die musikalische Geschichtsschreibung überhaupt ist ja
erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ins Leben getreten.
Padre Martini in Bologna, Forkel in Göttingen, Burney in London
machten bekanntlich die ersten Versuche und zwar sogleich im großen
Stile. Der letztere ist der einzige von den dreien, welcher in seiner
»General history of music« (London 1778) überhaupt bis an die Zeit
der Oper herankam. Was er im dritten Bande dieses Werkes von der
Entwicklung des Musikdramas und von seinen Meistern mitteilt, zeigt
Fleiß. Aber seine Darstellung leidet an Maugel des Planes und im
Urteil an musikalischer Beschränktheit. Von den späteren musika-
lischen Universalhistorien muß die von W. Ambro s in der neuesten
von H. Leichten tritt bearbeiteten Auflage wegen ihrer reichen und
genauen Beiträge zur Geschichte der Oper hervorgehoben werden.
Fünfzehn Jahre vor Burney begegnet uns zum ersten Mal ein be-
sonderes Buch über die italienische Oper. Es ist des Grafen Alga-
rotti »Saggio sopra l'opera in musica« (1763). Ihm folgt 1777
Signorelli mit einer »Storia critica de' teatri antichi e moderni«. An
Erfolg übertraf diese Vorgänger ein Werk des spanischen Jesuiten Ste-
fano Arteaga, das den Titel führt: »Le rivoluzioni del teatro musi-
cale italiano« (3 Bände, Venedig 1785, 2. umgearbeitete Auflage).
Leider ist diese Geschichte nicht berichtend, sondern vorwiegend räso-
nierend gehalten. Nach einem ähnlichen System bringt Castil-Blazes
»L'opera enFrance« (2.Aufl., Paris 1826) mehr Theorie als Geschichte und
bewegt sich in hin und wieder mit Beispielen belegten Betrachtungen
über die in der Oper zur Verwendung kommenden Musikformen
(Ouvertüre, Eezitativ, Arie usw.) und ähnliche Allgemeinheiten. Der
Merkwürdigkeit halber darf diesen Werken noch eine weitere Ge-
schichte der Oper hinzugefügt werden, die von G. W. Fink ge-
schrieben, 1835 in Leipzig herausgegeben und mit naiver Dreistig-
keit der philosophischen Fakultät in Leipzig gewidmet ist. Diese
335 Seiten Kleinoktav umfassende Geschichte begleitet die Entwick-
lung der Oper in den älteren Perioden mit mürrisch-theologischen
Glossen, ersichtlich ohne daß der Verfasser von den Komponisten und
Werken, die er sämtlich mißbilligt, Leistungen von Belang gesehen
hat. Ziemlich gleichaltrig mit Fink ist Hogarth: »Memoirs of the
musical drama« (London 1838). Der beste Beitrag zur Geschichte der
älteren Oper ist Romain Rollands »Histoire de l'opera en Europe
avant Lully et Scarlatti« (1895). Auch die von Richard Wagner
in den einschlagenden Schriften abgegebenen Urteile über ältere,
Vor-Gluckische Opern lassen Kenntnis des wesentlichsten Quellen-
materials vermissen. Führt er doch sogar die Entstehung der
Gattung auf die in den Kreisen der Vornehmen herrschende Lust
am Ariengesang zurück. Daß im allgemeinen die Opernpartituren
der älteren italienischen Zeit, namentlich die des 17. Jahrhunderts bis
in die Gegenwart nur äußerst spärlich studiert worden sind, zeigt sich
Einleitung 9
schon darin, daß in vielen von ihnen der Streusand so auf den Noten
liegt, wie er bei ihrer Niederschrift hingeschüttet wurde.
Heute ist der geschichtliche Sinn auch in den musikalischen
Kreisen ein anderer, ein stärkerer geworden. Wir haben angefangen,
uns mit den Schätzen der alten Musik wieder in direkte Verbindung
zu setzen, und wir suchen aus ihnen das künstlerische Leben der
Gegenwart zu befruchten. Auch die alte Oper gehört unter diese
Schätze. Vermögen wir ihr Bild auch nur in den Hauptlinien hin-
zustellen, so bietet es doch schon in diesen der fesselnden Züge, der
Belehrung und des Genusses genug.
„o«>»e, .O6o„
Vorgeschichte,
Entstehung und erste Periode der Oper
Solange die Oper da ist, liat sie auch immer Gegner gehabt, nicht
bloß berufene Tadler ihres Verfalls, sondern grundsätzliche Verächter
der ganzen Gattung. Unter den letzteren haben sich, und nicht erst
seit Voltaire, die Freunde und Vertreter des gesprochenen Dramas
am meisten hervortgetan ; aber auch Fachmusiker von Bedeutung,
zuletzt noch Hans von Bülow, haben ihnen wiederholt zugestimmt.
Sie erklären die Oper deshalb für unsinnig, weil man im gewöhnlichen
Leben spricht und nicht singt. Mit gewöhnlichem Leben soll es
aber die Oper, das Drama überhaupt nicht zu tun haben, sondern
mit Ereignissen und Zuständen, die das Seelenleben außerordentlich
erregen. Da wird die Musik zur natürlichen Sprache des Menschen.
Die Oper ist so weit berechtigt, als es die Musik überhaupt ist, und
solange der Mensch in höchster Freude lacht und jauchzt, im höchsten
Schmerze weint und jammert, wird auch eine gute Oper immer auf
Verständnis rechnen dürfen. Mit der strengen Beschränkung aufs
Verfahren des gewöhnlichen Lebens, mit der glatten absoluten Natur-
treue kommt überhaupt keine Kunst aus, insbesondere die Dramatik
nicht. Haben etwa die Monologe der Shakespeare und Schiller ihre
Vorbilder in der Wirklichkeit? Was sind sie anders als ein Ersatz
der Musik? Bei allen Völkern, die ein Theater gehabt haben, ist
immer in einer oder der andern Weise die Musik mit in den Dienst
der Bühnendarstellung gezogen worden, die Oper bietet nur die
reichste Verwendung von Musik im Drama, die reichste und im
Stil einheitlichste und vollendetste. Wir datieren sie heute bekannt-
lich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, aber es ist gar nicht un-
möglich, daß sie damals nur wiedererfunden ist. Die Männer wenig-
stens, denen wir ihre Einführung um 1600 zu danken haben, waren
der festen Meinung, daß ihr Musikdrama nichts weiter als die Er-
neuerung der antiken Tragödie sei.
Liederspiele, Moralitäten, Schulkomödien H
Die Entstehung der Oper und ihre erste Periode bilden denjenigen
Abschnitt, welcher schon bisher häufig und verhältnismäßig gute Dar-
stellungen erfahren hat. Wir haben über diese Periode Berichte von
Zeitgenossen, unter denen der »Trattato della musica scenica« des
G. B. Doni, der an einer späteren Stelle genau mitgeteilt werden soll,
als der bedeutendste anzuführen ist. Arteaga behandelt die Versuche,
welche der Einführung des Musikdramas vorhergingen, ausführlich;
auch Burney bringt wie schon erwähnt, ziemlich reiche Mitteilungen
aus den ersten Jahrzehnten der Oper welche durch die Beigabe aus-
geführter Notenbeispiele bis heute ihren Wert behauptet haben. Neuere
Spezialdarstellungen sind dann gegeben worden von C. v. Winterfeld
im -dritten Kapitel seines »Johannes Gabrieli und sein Zeitalter<'
(Berlin 1834) und von Hans Michael Schletterer in »Die Ent-
stehung der Oper« (Nördlingen 1873). Die Resultate aller dieser
Arbeiten hat dann Wilhelm Ambros in seiner Musikgeschichte kritisch
zusammengefaßt und bedeutend durch neue Ergebnisse eigener For-
schungen vermehrt. Überholt wird er samt seinen Vorgängern durch die
bereits angeführte Arbeit von R. Rolland. Als neuestes statistisches
Stück kommt noch dazu: A. Solerti, »le origini del melodramma«
(Turin 1903). Obwohl hier der musikalische Teil übergangen wird,
ist doch auch J. J. Klein, »Geschichte des italienischen Dramas«,
2. Band, Leipzig 1867, noch zu erwähnen, und zwar deshalb, weil
er viele und gute Proben aus den Dichtungen der ersten Opern
gibt. Nur macht der niedrige, zwischen Johannes Scherr und Wilhelm
Busch beständig schwankende Ton das Studium dieses Buches un-
erquicklich.
In Handbüchern der Musikgeschichte wird gern nach Vorläufern der
Oper gesucht und ziemlich allgemein auf die Liederspiele, die
Moralitäten und die Schulkomödien verwiesen. Das Liederspiel
reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Das älteste und gegenwärtig
bekannteste uns erhaltene Exemplar dieser Gattung ist »Le jeu de
Robin et de Marion« des Adam de la Haie, 1285 und angeblich
für den Hof von Neapel geschrieben i. Aus diesem in vielen Biblio-
theken vorhandenen Werk gibt Kiesewetter in »Schicksale und Be-
schaffenheit des weltlichen Gesanges« (Leipzig 1841), mehrere Proben.
Arrey von Dommer beschreibt es kurz aber ausreichend in seinem
»Handbuch der Musikgeschichte«. Es ist eine dialogisierte Dorfidylle,
in die 14 von verschiedenen ländlichen Instrumenten mitgespielte
tanzartige Liedmelodien eingelegt sind, über deren anmutigen Cha-
rakter das hier folgende Beispiel genügende Auskunft gibt.
1 J. Tiersot: »Sur le jeu de Robin et Marion, d'Adam de la Halle«
(Paris 1897), M. Meienreis: »Adam de la Hale's Spiel: Robin et Marion*
(München 1893), E. Langlois: »Le jeu de Robin et de Marion< (Lille
(Paris?] 1896, W. Tappert: »Zwei Lieder aus dem Singspiel Robin et
Marion« (Halle 1874).
12
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
^feiS
-^-^
Ro-bins m'a-ime, Ro-bins m'a, Robins m'a de-man - de-e
^.E^£:=^E^
:C^
0-^
sim'au-ra. Ro-bins m'a-ca - ta co-t^-le d'es-car - la - te
X=X
£
-^— g^
^
bonneet b6-le, Sou-kra-nie-et
chaintu - re, le al'euri va.
Erster Teil da capo.
Die Scbulkomödien und Moralitäten entstammen dem 14. Jahr-
hundert. Die älteste ist das in Eisenach entstandene und dort auf-
geführte »Spiel von den törichten und klugen Jungfraun«. Neuer-
dings hat es Schletterer in dem oben angeführten Buch abgedruckt,
Ludwig Bechstein, der Märchendichter, welcher es gefunden und
zuerst herausgegeben hat (Hildburghausen 1855), glaubte es als Oper
bezeichnen zu dürfen. Als weiter bekanntere Werke aus der Klasse
dieser Schulkomödien sind zu nennen: Joannis Reuchlin »Phor-
censiscaenica progymnasmata«, 1498, Hegendorffi »Comedia nova«,
1520, Paul Rebhuns »Geistliches Spiel von der gottesfürchtigen und
keuschen Frau Susanne«, 1536; Joachim Greffs »Mundus«, 1537;
das von Goedecke (Grundriß usw.) mitgeteilte »Schöne Spiel von der
Frau Jutte«. Mit der Oper haben aber diese Schulkomödien nichts
zu tun. Es sind — wie wir das heute bezeichnen ■ — • Schauspiele mit
musikalischen Einlagen. In der älteren Zeit sind dieser Einlagen wenige
und sie sind dürftig. In dem vorhin genannten Werke des Reuchlin
z. B., den »Scaenica progymnasmata« — es ist eine dem Terenz nach-
gebildete und lateinisch verfaßte Dorf komödie — bestehen sie aus vier
Chorgesängen einfachster Natur, welche bei den Aktschlüssen einfallen.
Der am Schluß des ersten Akts vorgeschriebene, Chorus choralis be-
zeichnet, hat neun Verszeilen. Die übergeschriebene Melodie klingt
wie unbeholfener Psalmengesang, muß aber achtmal wiederholt werden.
Beim zweiten Akt ist der Chor durchkomponiert, der fünfte Akt geht
leer aus. Diese Schulkomödien erhielten sich bis ans Ende des 17. Jahr-
hunderts, und da geschah es, und zwar unter dem direkten Einfluß
der Oper, daß sie reicher mit Musik ausgestattet wurden. So enthält
das »Zittauische Theatrum« »wie solches a*^ 1682 präsentirt worden«,
von Christian Weise außer den Chorgesängen auch begleitete Solo-
lieder und selbständige Instrumentalmusik und zwar nicht bloß an
den Schlüssen der Akte, sondern auch am Anfang und in der Mitte
der Szenen, an geeigneten und unpassenden Stellen. In »Jacobs
doppelter Heirat«, dem ersten unter den drei Stücken des genannten
»Zittauischen Theatrum«, singen drei Schäfer, drei Schäferinnen und
Jesuitenspiele, harmonisches Rezitativ 13
außerdem einige Bauernmägde Sololieder verschiedenen Inhalts, madri-
galische Liedweisen die einen, spottende Couplets die andern. Die
Chöre eröffnen einzelne Akte, das Orchester, »mehrenteils — wie Weise
sagt — in Pauken und Schalmeyen bestehend, weil das ganze Spiel
eine Schäferei abbilden soll«, fällt zuweilen plötzlich und überraschend
ein, wie in der Szene, in welcher Jakob und Lea zusammengegeben
werden sollen. Diese in vielfacher Beziehung sehr verwunderlichen, im
Tone oft roh gehaltenen, mit Zweideutigkeiten gefärbten, durch Prügel
belebten, in der angeblich moralischen Tendenz oft bedenklichen
— Jakob erhält am Schlüsse des hier angeführten Stückes durch eine
himmlische Vision die durch den dreißigjährigen Krieg erklärliche
Erlaubnis zwei Frauen zu nehmen — in bezug auf Ausstattung und
namentlich auf Personenzahl — im »Jakob usw.« kommen 50 ver-
schiedene, im »Masaniello« 82 Rollen vor — höchst anspruchsvollen
Schulkomödien, wurden wie in diesen Dingen, so besonders in der
reichen Verwendung von Musik noch übertrotfen durch die sogenannten
Jesuitenspiele, welche im 16. Jahrhundert im katholischen Deutsch-
land zur Blüte gelangten. Rudhart berichtet a. a. 0. über eine dieser
Jesuitenaufführungen zu München im Jahre 1597. In ihr wirkten
900 Choristen mit.
Wir können Jesuitenspiele, Schulkomödien, Liederspiele als Vor-
läufer der Oper ebensowenig anerkennen wie die Balletts und ähnlichen
halb theatralischen und halb musikalischen Lustbarkeiten des fran-
zösischen Hofs und der französierenden deutschen und italienischen
Residenzen, welche von Castil-Blaze und andern französischen Schrift-
stellern, neuerdings auch wieder von H. M. Schletterer i, für die Vor-
geschichte der französischen Oper verwertet worden sind. Mit einem
ähnlichen Recht dürfte dann in diese Klasse auch die italienische
Tragödie des 15. und 16. Jahrhunderts aufgenommen werden. Denn
auch in ihr waren nach griechischem Muster Chorgesänge eingelegt.
Ob reicher oder spärlicher mit Musik ausgestattet und durchsetzt, allen
den genannten Arten dramatischer Kunst fehlt dasjenige wesentliche
Element, welches bei der Erfindung der Oper nachweislich den Aus-
schlag gab, das harmonisierte Rezitativ. Der Umstand, daß die
Begründer der Oper, die Peri, Gagliano, Monteverdi, in den
Vorreden ihrer Opern, unter den Vorbildern des Musikdramas jene
verschiedenen Abteilungen des Schauspiels mit musikalischen Einlagen
nicht erwähnen, gewinnt bei dieser Sachlage seine Bedeutung.
Viel näher steht der Oper das liturgischeDrama des Mittel-
alters, die in früherer Zeit zahlreiche Familie von Mysterien und bib-
lischen Festspielen, in welchen Kirchen und Klöster an hohen Feiertagen
die fälligen Abschnitte der heiligen Geschichte dramatisch wirksam
vortrugen. Alle diese Weihnachts- und Ostermysterien, die auf die
1 H. M. Schletterer: »Studien zur Geschichte der französischen
Musik in* (Berlin 1885).
14 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Bühne getragenen Geschichten der Heiligen, auch die Parodien des
liturgischen Dramas, die Narren-, Teufels- und Eselsfeste gleichen den
Opern insoweit, als sie ganz gesungen wurden. Wenigstens läßt sich
das für die Jahrhunderte, aus welchen uns ausreichende Dokumente
vorliegen, annehmen i. Nach dem 15. Jahrhundert sterben die sämt-
lichen Glieder des großen Kreises liturgischer Festspiele ab. Ein einziges
erhält sich: die Passion, und in der Stilart der Choralpassion, welche
noch bis zur Zeit von Heinrich Schütz und über ihn hinaus in Blüte
blieb, kann jedermann den musikalischen Typus des alten liturgischen
Dramas betrachten und mit dem unserer Oper vergleichen. Beide
haben Rezitativ. Aber das liturgische Rezitativ ist musikalisch und
auf den Ausdruck angesehen, noch ziemlich ärmlich. Es besteht aus
Notenreihen, wie sie ja noch heute in der Kirche, in der protestan-
tischen beim Vortrage der Kollekte und der Versikeln, verwendet
werden. Es sind Deklamationsformeln auf einen und denselben Ton
gestützt, nur an den Spitzen der Sätze, am Anfang und Ende, durch
kleine Intervalle, durch bescheidene Melismen ein wenig gesanglich
gefärbt. Dieselben drei oder vier Typen des liturgischen Rezitativs
begleiten uns während der ganzen Dauer der alten geistlichen Dramen,
sie wandern von einer Person zur andern und kehren wieder ohne Rück-
sicht auf die Veränderungen der Rede und Handlung. Man kann mit
diesem anspruchslosen, altertümlich einfachen musikalischen Apparat
den Charakter der Werke untereinander sondern und der Passion z. B.
einen andern Grundton geben als der Auferstehungsgeschichte. Man
hat auch tatsächlich diesen liturgischen Akzent im 16. Jahrhundert
für weltliche Theaterstücke verwendet. Solerti gibt dafür die Belege
mit einem »Sacrificio«, das 1554 in Florenz aufgeführt wurde. Dessen
Komponist, Alfonso della Viola hat später inFerrara noch ähnliche
Versuche vorgebracht. Sollte es sich dabei auch nur um Ausnahmen
handeln, so kann man doch nicht umhin, das liturgische Drama als
einen Vorläufer der Oper anzuerkennen, wenn auch als einen noch sehr
unvollkommenen. Sein Rezitativ ist leer und primitiv, aber es teilt
mit dem der Oper die Haupteigenschaft, daß der ganze Text gesungen
wird. Es hat auf die Bestrebungen der Hellenisten, die die Oper
ins Leben riefen, eingewirkt, ohne daß sie es wußten; vielleicht auch
wollten sie es sich nicht eingestehen. Tatsächlich wird es in den zeit-
genössischen Berichten mit vollständigem Stillschweigen übergangen.
Unter diesen Berichten von Zeitgenossen, die im Jahresbericht der
Florentiner Musikalischen Akademie von 1895 gesammelt' worden
sind und auch von Solerti nochmals mitgeteilt werden, ist der des
Giov. Battista Doni der ausführlichste und deshalb besonders
wichtig, weil Doni, als geborener Florentiner, seit 1640 Universitäts-
professor in seiner Vaterstadt, den Kreisen, aus denen die Oper her-
1 A. Solerti: >Le origini del Melodramma« (Turin 1903); >Gli albori
del Melodramma« (Mailand 1905).
Gr. B. Doni: Über den Ursprung des neuen Bühnengesangs 15
vorging, näher stand als andere Berichterstatter der Periode. Unter
den zahlreichen Ai'beiten Donis, die erst 1763 durch Passeri in Florenz
im Druck veröffentlicht worden sind, ist das Hauptstück der Traktat
»Della musica scenica«. In ihm lautet das 9. Kapitel wie folgt:
Dell origine che el)l)e a tenipi
Dostri 11 cantare in Seena.
In ogni tempo si e costumato di
frammettere alle azioni dramatiche
qualche sorta di cantilene, o in forma
d'Intermedi tra un Atto e Taltro, o
pure dentro Tistesso Atto, per qualche
occorrenza del soggetto rappresen-
tato. Ma quando si cominciassero
a cantare tutte le Azioni intere, fresca
ne e ancora la memoria, percioche
avanti a quelle che fece il Sig. Emilio
del Cavaliere gentiluomo romano e
intendentissimo della Musica, non
credo si sia praticato cosa che me-
riti di essere mentovata. Da costui
vä attorno una Rappresentazione in-
titolata >Deir Anima e del corpo«
stampata qui in Roma nel 1600 e in
essa si fa menzione di una Commedia
grande rappresentata in Firenze nel
1588 per le Nozze della Serenissima
Granduchessa, nella quäle erano molti
frammessi di Musica, da lui medesimo
composti ; dove anco due anni appresso
si rappresentö il »Satiro« con le Mu-
siche deir istesso. Conviene perö
sapere che quelle melodie sono molto
differenti dalle odierne, che si fanno
in istile, comunemente detto Reci-
tativo, non essendo quelle altro che
ariette con molti artifizii, di ripeti-
zioni, echi e simili che non hanno
che fare niente con la buona e vera
Musica Teatrale, della quäle il Sig.
Emilio non pote aver lumen per man-
camento di quelle notizie, che si cavano
dagli antichi Scrittori. E ciö si co-
nosce chiaramente da certe massime
che egli mette avanti, le quali sono
Über den Ursprung des neuen
Zu allen Zeiten ist man gewohnt
gewesen, zwischen die dramatischen
Handlungen irgend eine Art von Musik
einzuschalten, sei es, daß man zwi-
schen einen Akt und den folgenden
sogenannte Intermedien (Zwischen-
stücke) gab, oder daß man gleich an
den Akt selbst ein passendes Nach-
spiel anfügte. Aber der Zeitpunkt,
von dem ab man begann ganze
(vollständige) Dramen zu singen, ist
noch frisch in unserm Gedächtnis.
Denn ich glaube, daß vor denen, die
Em. del Cav., ein römischer Edelmann
und hervorragender Musikkenner, ver-
faßt hat, bemerkenswerte Versuche
nicht hervorgetreten sind. Von die-
sem Mann ist ein geistliches Spiel
mit dem Titel »Seele und Leib« ge-
druckt im Jahre 1600 zu Rom in Um-
lauf, und in dessen Vorrede tut er
einer großen Komödie Erwähnung,
die in Florenz im Jahre 1588 bei der
Vermählung Ihrer Hoheit der Groß-
herzogin aufgeführt wurde; in dieser
waren viele musikalische Einlagen von
Cavaliere selbst komponiert. In Flo-
renz führte man auch zwei Jahre später
den > Satyr« mit Musik von demselben
Verfasser auf. Da muß man jedoch
wissen, daß diese Musik von der heu-
tigen sehr verschieden ist. Diese be-
dient sich eines Stils, den man ge-
wöhnlich Rezitativ nennt, jener
besteht aus nichts als Arietten, die
sehr künstlich angelegt, mit Wieder-
holungen Echos und ähnlichen Dingen
ausgestattet sind, die mit der guten
und wirklichen Theatermusik nichts
zu tun haben. Von dieser hatte der
Herr Emilio keine Ahnung, weil ihm
alle die Kenntnisse abgingen, die auf
den antiken Schriftstellern beruhen.
Das sieht man ganz deutlich aus einer
Reihe von Grundsätzen, die er auf-
stellt, die aber den Forderungen des
Theaters vollständig widersprechen.
16
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
al tutte contrarie a quelle che richiede
il Teatro. Tra Taltre cose ei vuole
che i versi siano piccoli come di sette
e di cinque sillabe, e anco di otto,
con sdruccioli e con le rime vicine
che e giustamente un volere ridurre
la Musica scenica a barzellette e villa-
nelle, che, come accenai di sopra, ser-
vono propriamente per framessi e
ripieni delle Commedie massimente
giocose. Vuole anco, che bastino tre
atti e che il Poema non passi sette-
cento versetti, e altre sue chimere,
cavate all' odierna pratica corrotta.
Non vorebbe anco che la sala fosse
capace che di mille persone al piü;
perche i Cantori non avessero a sfor-
zare troppo la voce; cose tutte che
si potrebbero dare per legge ad una
Commedia di Monache o da Giovani
studenti, e non per Azioni rappresen-
tate con reale apparato, che tra le
altre condizioni richiedono un sito di
competente grandezza e Cantori eletti :
potendosi anco trovare rimedi per in-
gagliardire la voce degli Attori, come
piü abbasso si dira. Questa dunque
si puö dire che sia stata la prima
etä della Musica teatrale, dopo tanti
secoli rinata in Firenze, come tante
altre nobili professioni, nella maniera
che si e visto, benche con principij
molto deboli e bassi. Ma notabile
accrescimento fece poi con 1' intro-
duzione del suddetto stile recitativo,
il quäle e stato universalmente rice-
vuto, e praticato oggi da molti, accor-
tisi che universalmente diletta piü
che la maniera madrigalesca per la
gran perdita che vi si fa del senso
delle parole. Questo stile cominciö
parimente in Firenze intorno i mede-
simi tempi; sebbenepiü tardi fu iutro-
dotto nelle Scene, cioe lä intorno al
1600, principio di questo secolo e
della seconda etä di questa Musica
So verlangt er u. a., daß die Verse
kurz seien, sieben-, fünfsilbig, höch-
stens läßt er noch acht Silben und
die sogenannten sdruccioli — d. h.
Zwölfsilber mit dem Akzent auf der
Antepenultima — zu. Die Keime
sollen nahe beieinander liegen. Das
heißt doch die dramatische Musik
auf die Stufe der Spaßdichtung, etwa
der Villanellen (Schnadlhüpfer), zu-
rückbringen, die ja, wie ich oben an-
gedeutet habe, als Einlagen und zum
Ausfüllen der Komödien, namentlich
der sehr ausgelassenen, ihre Berech-
tigung haben. Dann will er auch,
daß drei Akte immer genügen sollen
und daß das Gedicht nicht mehr
als 700 Verschen habe, und was er
sonst noch für Schimären aus einer
augenblicklichen, gesunkenen Praxis
herbeiholt. Er möchte auch, daß der
Saal höchstens 1000 Personen faßt,
damit die Sänger ihre Stimme nicht
anzustrengen brauchen; alles Dinge,
die man vorschreiben kann, wenn
Mönche und junge Studenten spielen,
aber nicht, wenn es sich um Auf-
führungen an Fürstenhöfen handelt.
Die verlangen neben andern Einrich-
tungen auch einenßaum von gehöriger
Größe und ausgesuchte Sänger, und
es lassen sich Mittel finden, die Stim-
men der Spieler stärker zu machen, wie
später auseinandergesetzt werden soll.
Die Zeit des Cavalieri bildet also
— kann man sagen — die erste Periode
der dramatischen Musik. Sie entstand
nach vielen Jahrhunderten wie soviele
andere Zweige des geistigen Lebens,
zuerst wieder in Florenz in der Weise,
die hier gezeigt worden ist, allerdings
auf verfehlten und niedrigen Grund-
sätzen. Aber die dramatische Musik
machte dann einen bemerkenswerten
Fortschritt mit der Einführung des
erwähnten rezitativschen Stils. Dieser
ist allgemein anerkannt und wird
heute schon, von vielen Musikern ge-
handhabt. Überall ergötzt er zweifel-
los mehr als die alte Madrigalenkunst,
weil diese dem Sinn der Worte Ab-
bruch tut. Dieser Rezitativstil nun
entstand ebenfalls in Florenz und in
der behandelten Zeit; auf die Bühne
kam er jedoch erst gegen 1600, mit
dem Anfang des Jahrhunderts beginnt
auch die zweite Periode der drama-
Gr. B. Doni: Über den Ursprung des neuen Bühnengesangs 17
scenica. Era in quei tempi in Fi-
renze il Sig. Giov. Bardi de' Conti
di Vernia (il quäle fu chiamato poi
al servizio di Papa demente VIII
di felice memoria, che 1' amö tenera-
mente e lo fece suo Maestro di Ca-
mera), Signore dotato di molte no-
bilissime virtü; e sopratutto grande
amatore delV Antichitä e dellaMusica,
e nella quäle aveva fatto studio parti-
colare, cosi intorno la Teorica, come
la Pratica, componendo anco per quei
tempi assai acconciamente. Era perciö
la casa sua un continuo ricetto di
piü ameni studj, e come una fiorita
Accademia, dove-si adunavano spesso
giovani nobili per passare onesta-
mente l'ozio in virtuosi esercizj ed
eruditi discorsi: e in particolare delle
cose di Musica vi si ragionava molto
frequentemente e discorrevasi del
modo di ridurre in uso quell' antica,
tanto lodata e stimata, e giä per molti
secoli spenta, insieme con altre nobili
facoltä, per l'inondazioni de' Barbari:
accorgendosi sopratutto che, siccome
l'odierna nell' espressione delle parole
era molto difettosa, e nel suo proce-
dere mal graziosa, cosi, a volere avici-
narsi a quella, era necessario trovar
modo che le cantilene si potessero
piü acconciamente profferire, sieche
la Poesia si sentisse scolpitamente e
i versi non si storpiassero. Era in
quei tempo in qualche credito tra'
Musici Yincenzio Galilei, il quäle in-
vaghitosi di quella dotta e virtuosa
adunanzä, molte cose vi apparö ; e si
per l'ajuto che ne ebbe, e si per il
suo bell' ingegno e continue vigilie,
quell' opera compose sopra gli abusi
deir odierna Musica, che e stata poi
due volte divulgata con le stampe.
Per la quäl cosa animato il Galilei
a tentare cose nuove, e ajutato massi-
mamente dal Sig. Giovanni, fu il primo
Kl. Handb. der Musikgesch. VI.
tischen Musik. Es lebte damals in
Florenz Herr Johann Bardi aus dem
Geschlecht der Grafen von Vernio
(derselbe, der dann in den Dienst
des Papstes Clemens VIII. gesegne-
ten Andenkens berufen, von diesem
zärtlich geliebt und zum Kammer-
herrn ernannt wurde). Bardi war
ein Edelmann mit einer Menge
adliger Tugenden ausgestattet, vor
allem besaii er Liebe zum Altertum
und zur Musik. Diese Kunst hatte
er besonders studiert, ihre Theorie
sowohl wie die Praxis, er kom-
ponierte für jene Zeit hervorragend
geschickt. Bardis Haus war lerner
der stetige Mittelpunkt der ergie-
bigsten Studien, gewissermaßen die
Blüte einer Akademie. Hier ver-
sammelten sich oft die jungen Edel-
männer, um ihre Mußezeit in künst-
lerischen Übungen und in gelehrten
Gesprächen zu nützen. Ganz beson-
ders unterhielten sie sich sehr häufig
über musikalische Fragen und such-
ten sich darüber klar zu werden, wie
man die so gelobte und angesehene,
aber mit andern edlen Gütern unter
dem Vordringen der Barbaren seit
Jahrhunderten verschwundenen Mu-
sik der Alten wieder in Gebrauch
setzen könne. Man wurde vor allem
darüber einig, daß man, da die heutige
Musik im Ausdruck der Worte ganz
unzureichend und in der Entwicklung
der Gedanken abstoßend war, bei dem
Versuch, sie der Antike wieder näher
zu bringen, notwendigerweise Mittel
finden müsse, die Hauptmelodie ein-
dringlich hervorzuheben und so, daß
die Dichtung klar vernehmlich sei
und die Verse nicht verstümmelt wür-
den. Bei den Musikern stand damals
Vincenzo Galilei in ziemlichem An-
sehen. Er machte nun für jenen ge-
lehrten und kunstliebenden Bardi-
schen Kreis, der für ihn schwärmte,
mancherlei zurecht ; unter andern ver-
faßte er mit dessen Hilfe und auf
Grund der eigenen schönen Fähig-
keiten und unausgesetzter Beobach-
tungen jene bekannte Abhandlung
über die Mängel der heutigen Musik,
die inzwischen gedruckt und in zwei
Auflagen verbreitet ist. Dadurch zu
weiteren neuen Versuchen ermutigt
und besonders entschieden von Herrn
Johannes (Bardi) unterstützt, wurde
2
18
Vorgescliichte, Entstehung und erste Periode der Oper
a comporre melodie a una voce sola,
avendo modulato quel passionevole
lajnento del Conte Ugolino scritto
da Dante, che egli medesimo cantö
molto soavemente sopra un concerto
di Viole. La cosa, senza fallo, piacque
assai in generale; sebbene non vi
mancarono degli emoli che, punti da
invidia, nel principio se ne risero : onde
nel medesimo stile egli compose parte
delle >Lamentazioni« di Geremia
profeta, che furono cantate in devote
Compagnia. Era in quel tempo nella
Camerata del Sig. Giovanni, Giulio
Caccini romano, di etä giovanile; ma
leggiadro cantore e spiritoso ; il quäle
sentendosi inclinato a tal sorte di
Musica, molto vi si afifaticö, compo-
nendo e cantando molte cose al suono
di un instrumento solo, che per lo piü
erä una Tiorba, trovata in quei mede-
simi tempi in Firenze da detto
il B a r d e 1 1 a. Co stui dunque ad imi-
tazione del Galilei, ma con stile piü
vago e leggiadro, messe in Musica
alcune Canzonette e Sonetti, composti
da Poeti eccellenti, e non da rima-
tori a dozzina e come per lo piü avanti
a lui si usava, e ancora oggi in parte
si costuma; onde si puö dire che egli
sia stato i primo ad accorgersi di
queslo errorre ed a conoscere che
Parte del contrappunto non e capace
a perfezionare un Musico come quasi
universalmente si tiene: confessando
egli in un suo discorso di avere im-
parato piü da i dotti ragionamenti
della Camerata di quel Signore, che
in trent' anni spesi da lui nell' eser-
cizio di quest' arte. Ivi anco dice
di esser stato il primo a mandar
fuori modulazioni per una voce sola,
le quali in efifetto hanno avuto grandis-
simo applauso ; e a lui in gran parte
si deva la nuova e graziosa maniera
di cantare che si e poi messa in uso.
nun Galilei der erste, der Gesänge
für eine Stimme komponierte, und
zwar setzte er die leidenschaftliche
Klage des Conte Ugolino aus Dantes
Feder in Töne und trug sie selbst mit
Begleitung eines Chores von Violen
sehr rührend vor. Ohne Zweifel ge-
fiel die Sache allgemein, obgleich es
nicht an Nebenbuhlern fehlte, die vom
Neid getrieben anfangs lachten. Der
Erfolg veraulaßteGalilei, in demselben
Stil Abschnitte aus den Klageliedern
des Propheten Jeremias zu behandeln,
diese wurden in religiösen Versamm-
lungen aufgeführt. Zum Bardischen
Kreise gehörte damals auch Giulio
Caccini aus Bom, noch ein junger
Mann, aber ein meisterlicher und geist-
voller Sänger. Dieser fühlte sich zu
der neuen Art von Musik hingezogen,
widmete sich ihr mit großem Eifer
und komponierte viele Stücke mit Be-
gleitung nur eines Instruments. Das
war in den meisten Fällen eineTheorbe,
die er in Florenz um jene Zeit bei
einem gewissen Bardella
gefunden hatte. Dieser Giulio Ro-
mano also setzte nach dem Muster
des Galilei, aber in einem reicheren
und fließenderen Stile eine Reihe von
Kanzonetten und Sonetten in Musik,
die er von wirklich großen Dichtern
und nicht von Dutzendreimern nahm,
wie das vor ihm meistens der Brauch
war und noch heute teilweise üblich
ist. Man kann also sagen, daß G. R.
der erste war, der dieses Irrtums inne-
ward und zugleich einsah, daß die
Kunst des Kontrapunkts nicht im-
stande ist einem Musiker die volle
Reife zu geben, wie man allgemein
annimmt. Bekennt doch Romano in
einem seiner Aufsätze, daß er durch
die gelehrten Gespräche im Bardi-
schen Kreise mehr gelernt habe als
durch dreißigjährige Übung in der
kontrapunktischen Kunst. An dieser
Stelle beansprucht er auch der erste
gewesen zu sein, der Gesänge für eine
Stimme herausgegeben hat. Sie haben
in der Tat den größten Beifall er-
halten, und auf den Romano geht
zum großen Teil auch die neue, an-
mutige Gesangskunst zurück, die all-
mählich in Aufnahme gekommen ist.
Er hat für sie viele Werke verfaßt
und sie vielen Schülern ß:elehrt, am
bedeutendsten der einen Tochter, die
G. B. Doni: Über den Ursprung des neuen Bühnengesangs 19
avendo egli in essa intavolato molte
cose e insegnatola a molti Scolari,
massime a una sua figliuola, che riusci,
come e ancora oggi, eccellente in
questa facoltä.
Intorno a' medesimitempi (per non
defraudare nessuno della lode meri-
tata) fiori in Roma Luca Marenzio,
il quäle e stato il primo nello stile
madrigalesco a fare camminare le
parti con bell' aria; poiche avanti a
lui, purche il concento fosse sonoro
e soave, di poco altro si curavano.
Ma nello stile recitativo fu concor-
rente ed emulo del Caccini, Jacopo
Peri, fiorentino, ancora esso esperto
Compositore e Cantore famoso, nell'
Istrumento di tasti allievo di Cristo-
fano Malvezzi, il quäle vi diede pari-
mente a coltivare questo stile e in
esso niirabilmente riusci e ne riportö
grandissima lode. Dopo il Sig. Grio.
Bardi successe il Sig. Jacopo Corsi
in amare e favorire la Musica e i
Professori di essa; aDzi di ogni piü
nobile e virtuosa professione; sieche
la casa sua, mentre visse, fu un con-
tinuo albergo delle Muse e un cortese
ricetto de' loro seguaci, non meno
forastieri che del paese. Fu congiunto
seco il Sig. Ottavio Rinuccini di
strettissima amicizia, la quäle non
vuole essere durabile se non e gran-
dissima simpatia di umori; e perche
come ognuno sa, ei fu leggiadrissimo
Poeta (avendo le Opere sue mirabil-
mente del naturale, patetico e grazioso
onde nella Musica ottimamente ries-
cono) e la Poesia e la Musica sono
sorelle e consorti: ciö diede loro oc-
casione di perfezionare scambievol-
mente l'una e l'altra, e comunicarne
il piacere a quelle virtuose adunanze.
La prima Azione che in questo nuovo
Stile di Musica si rappresentasse, fu
la >Dafnec, favola boschereccia del
auf diesem Grebiet so bedeutend wurde,
wie sie es heute noch ist.
Um dieselbe Zeit (das muß er-
wähnt werden, um niemanden des
verdienten Lobes zu berauben) glänzte
in Rom Luca Marenzio. Er war der
erste, der im Madrigalenstil dazu ge-
langte , die einzelnen Stimmen aus-
drucksvoll zu führen. Vor ihm sah
man nur darauf, daß der Gresamtklang
zwischen stark und zart wechselte, und
kümmerte sich um nichts anderes.
Aber im rezitativischen Stil war nicht
Marenzio, sondern Jakob Peri aus
Florenz der Mitbewerber und Nach-
ahmer des Caccini. Auch Peri war
ein gewandter Komponist und ein
berühmter Sänger, im Tastenspiel ein
Schüler des Cristofano Malvezzi, der
sich ebenfalls diesem Stile widmete,
auszeichnete und die größte Aner-
kennung einerntete. In der Liebe
zur Musik, in ihrer und der Musiker
Förderung erhielt Giov. Bardi einen
Nachfolger im Sig. Jacopo Corsi, der
überhaupt für alle edlen und künst-
lerischen Angelegenheiten eintrat, so
daß sein Haus, solange er lebte, eine
beständige Herberge der Musen und
die freundliche Empfangsstätte ihrer
Anhänger war, mochten es Fremde
oder Einheimische sein. Mit Corsi
war Sig. Ottavio Rinuccini in jener
engsten Freundschaft verbunden, wie
sie nur dann von Dauer zu sein pflegt,
wenn sie sich auf Verwandtschaft der
Neigungen gründet. Da nun, wie
jedermann weiß, Rinuccini ein aus-
gezeichnet befähigter Dichter war,
in dessen Werken Natürlichkeit, Pa-
thos und Anmut, die ja am besten
zur Musik passen, wunderbar hervor-
traten, und da Dichtung und Musik
Schwestern sind und zusammenge-
hören, so ergab sich für sie von selbst
die Gelegenheit wechselseitig die eine
wie die andere Kunst zu vervollkomm-
nen und das Gefallen daran auf die
bei Corsi verkehrende kunstbegeisterte
Gesellschaft zu übertragen. Das erste
Drama nun, das in dem so gefundenen
neuen Musikstil dargestellt wurde,
war die >Dafne«, ein Hirtenstück von
Rinuccini. Es wurde im Hause Corsis
in jener Komposition, die sowohl von
Peri wie von Caccini herrührte, unter
beträchtlicher Teilnahme der ganzen
Stadt aufgeführt. Später wurden
20 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Rinuccini; la quäle si recitö in Casa
del Sig. Jacopo, essendo modulata
cosi dal Peri, come dal Caccini, con
gusto indicibile della Cittä tutta.
Di poi furono recitate altre Favolette
e Azioni intere; e sopratutto con
regale apparato, nelle nozze della Cri-
stianissima Regina di Francia »l'Euri-
dice« del medesimo Sig. Ottavio,
modulata per la maggior parte del
suddetto Peri (che anco recitö da se
qualche Personaggio, siccome nella
>Dafne< aveva rappresentato »Apol-
line«), e il restante fu messo in Musica
dal Caccini; e cio fu nel 1600, nel quäle
per la medesima occasione fu rappre-
sentato anco >ilE,apiniento di Cefalo«
dove il Caccini vi ebbe la maggior
parte. Consegui parimente grande
applauso l'Arianna del medesimo Ri-
nuccini, la quäle fu vestita di con-
venevole melodia dal Sig. Claudio
Monteverde, oggi Maestro di Cappella
della Republica di Venezia, il quäle
ne ha dato in luce la parte piü prin-
cipale, che e lamento dell' istessa
Arianna che e forse la piü bella com-
posizione che sia stata fatta a' tempi
nostri in questo genere. Lascio di
dire di molte altre Azioni di minor
grido, rappresentate ad imitazione di
quelle in varij luoghi e principalmente
qui in Roma ; perche non e mio in-
tento Fintessere qui un istoria di
questi successi musicali. Non devo
giä tralasciare quello che ho inteso
dal Sig. Pietro de' Bardi, figlio del
sopradetto Sig. Giovanni (da cui mi
sono State comunicate cortesemente
molte notizie) e da altri, che prima
il Peri e il Caccini, si per l'industria
loro e sapere come per l'assistenza
continua e ajuto che ebbero dal Sig.
Jacopo e dal Sig. Ottavio, arrivarono
a quel segno, che si vede, che in
questo Stile appena si puö fare meglio ;
e parimente grandissimo ajuto riceve
il Monteverde dal Rinuccini nell' Ari-
noch andere vollständige Märchen
und Dramen aufgeführt, vor allem
mit f ürstlichem Auf wand bei der Hoch-
zeit der Allerchristlichsten Königin
von Frankreich die »Euridice«, eme
Dichtung, ebenfalls von Rinuccini,
komponiert zum großen Teil von dem
genannten Peri (der wie er in der
»Dafne« den Apollo gegeben hatte,
auch hier einige Rollen selbst über-
nahm). Einzelne Abschnitte waren
von Caccini in Musik gesetzt. Das
war im Jahre 1600. In demselben
Jahr und für dieselbe Gelegenheit
führte man auch das »Rapimento di
Cefalo« auf, an dem Caccini den größ-
ten Anteil hatte. Einen großen Bei-
fall fand auch Rinuccinis »Arianna«,
die mit passender Musik von Sig.
Claudio Monteverde, gegenwärtig
Kapellmeister der Republik Venedig,
versehen wurde. Monteverde hat das
Hauptstück seiner Komposition ver-
öffentlicht: es ist das »Lamento der
Arianna« selbst, vielleicht die schönste
Komposition, die bis auf unsere Tage
in dieser Art überhaupt entstanden
ist. Ich sehe davon ab über die vielen
andern Stücke von geringerer Be-
deutung zu berichten, die im Anschluß
an jene an verschiedenen Stellen und
hauptsächlich hier in Rom aufgeführt
worden sind. Denn es ist nicht meine
Absicht -hier eine Geschichte dieser
musikalischen Ereignisse einzuflech-
ten. Ich darf jedoch nicht das über-
gehen, was ich von Herrn Pietro de'
Bardi, dem Sohne des früher erwähn-
ten Giov. B. (von dem mir freund-
licherweise viele Nachrichten zuge-
kommen sind) und von anderen gehört
habe, daß nämlich zuerst Peri und
Caccini teils auf Grund eigenen Stre-
bens und Könnens, teils fortwährend
von Corsi und Rinuccini belehrt und
unterstützt, an ein Ziel kamen, das
sichtlich auf diesem Gebiete kaum
(wesentlich) überholt werden kann.
Ebenso erfuhr Monteverde bei der
» Arianna « wichtigste Förderung durch
Rinuccini, obwohl dieser kein Fach-
musiker war. Aber er glich das durch
seinen äußerst feinen Geschmack und
durch ein scharfes Gehör aus, Eigen-
schaften, die man ja auch in der Art
und Anlage seiner Dichtung schon
zur Genüge bemerkt. Da nun diese
drei Musiker mit viel Gelehrigkeit
Gr. B. Doni: Über den Ursprung des neuen Bühnengesangs 21
anna, ancor che non sapesse diMusica
[supplendo a ciö col suo giudizio finis-
simo e con l'orecchia esattissima, che
possedeva; come anco si puö conos-
cere dalla qualitä e testura delle sue
poesie), poiche con molta dociltä e
attenzione questi tre Musici ascol-
tarono sempre gli utilissimi inseg-
namenti che quei due Gentiluomini
gli somministravano, instruendoli di
continuo di pensieri eccellente e
dottrina esquisita quäle si richiedeva
in cosa si nuova e pregiata: onde ne
hanno riportato appresso il mondo
perpetua lode e luogo degnissimo fra
la schiera de' Musici con avere cosi
notabilmente migliorata questa fa-
coltä nella principale parte di essa,
che e la Favella e la melopeia, E
cosi si conosce che i veri architetti
di questa Musica Scenica sono pro-
priamente stati li Signori Jacopo
Corsi e Ottavio Rinuccini ; e li primi
formatori di questo stile le tre musici
mentovati, e che alla nostra cittä e
suoi cittadini non poco e tenuta la
professione della musica.
und Aufmerksamkeit den so nützlichen
Lehren folgten, mit denen die beiden
Edelleute ihnen beistanden, indem sie
ihnen fortwährend außerordentliche
Ideen zutrugen und sie zu einer so
unabhängigen und feinen Einsicht
führten, wie sie ein so neues und be-
deutendes Unternehmen verlangte —
darum haben sie von der Welt ein
unumgängliches Lob geerntet und in
dem Kreis der Tonsetzer einen Ehren-
platz erhalten. Sie haben die musi-
kalische Kunst auf einem Hauptge-
biete bemerklich verbessert, nämlich
im Ausdruck, und den Gesang zur
Tonsprache erhoben. Und so ergibt
sich denn, daß die eigentlichen Bau-
meister der dramatischen Musik die
Herren Jacopo Corsi und Ottavio
Rinuccini sind, die ersten aber, die in
jenem Stil Bauten ausführten, waren
die drei erwähnten Musiker. In
unserer Stadt aber (Rom) und bei
ihren Bürgern hält man viel auf die
musikalische Kunst.
Dieser Bericht des Doni bezeichnet das Musikdrama mit der größten
Entschiedenheit als eine Schöpfung der Renaissance: es hat keine An-
knüpfungspunkte in der Zeit; es überhaupt zu ermöglichen, bedurfte
es einer neuen Musik, einer Gesangkomposition, die das Verhältnis
von Wort und Ton auf neue, der Vernunft entsprechende Grundlagen
stellte. Diese Grundlagen boten die Alten ; auf sie wurde der Neubau
gestützt. Einsichtige Laien waren die Baumeister, begabte und wil-
lige Musiker dienten nur als Bauführer.
Diese Darstellung wird durch die Zeugnisse Rinuccinis, des ersten
Dichters, und auch die der Komponisten Per i, Cacciniund Gagliano
bestätigt und ergänzt. Rinuccini hat sich zur Sache geäußert in
einem Brief an Maria von Medici, der er seine »Euridice« wid-
mete, Peri und Caccini haben ihre Kompositionen der Rinuccinischen
»Euridice« mit Vorreden an den Leser in den Druck gebracht,
Gagliano spricht über die Entstehung der Oper in der Vorrede
zu seiner *Dafne« (1608). Alle diese Dokumente ^ sind häufig zitiert
worden.
1 Sie sind ^zuletzt abgedruckt in Gandolfis >Alcune considerazioni
intorno alla riforma melodramraatica« [in den atti della Accademia . . .
di Firenze] (Florenz 1896).
22 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Auch diese Zeugen sind der Meinung: die Griechen und Römer
haben auf der Bühne ihre Dramen vollständig gesungen — , und wir
haben's versucht ihnen nachzumachen. In dem Bericht über das
musikalische Verfahren, das sie einschlugen, ergänzen die Komponisten
den Doni mit Einzelheiten, namentlich Peri. Daraus ersehen wir,
daß da, wo eingehende Vorschriften der Alten nicht vorlagen, man
sich an die Naturbeobachtung hielt. Da war man sicher, wenigstens
im antiken Geiste zu handeln. Nach den Beschreibungen der alten
Schriftsteller glaubte man beispielsweise, daß die Alten für ihr Musik-
drama ein Mittelding zwischen Gesang und gewöhnlicher Rede gehabt
hätten. Für Tempo und Rhythmus dieses Redegesanges hatte man
Anhalt in den Versmaßen der alten Tragödien und in den Ausfüh-
rungen, die Theoretiker über die voce diastematica hinterlassen hatten.
Aber es fand sich nichts in den Quellen über die Melodik des alten
Bühnengesanges. Da hilft sich Peri so: Ja, wie ist denn das beim
gewöhnlichen Sprechen ? — fragt er. Mir scheint, wenn einer an-
fängt zu reden, geht er von einem harmonischen Ton aus. Dann
aber streift er eine Menge anderer, die sich gar nicht bestimmen
und messen lassen, schließlich kommt er aber wieder am Ende des
Satzes, wo er ruhig wird, auf einen musikalischen Ton zurück. Daraus
macht sich nun Peri die Regel: Anfang und Schluß der Sätze werden
zum Baß Konsonanzen bilden müssen, die dazwischen liegenden Töne
sind Dissonanzen, von denen die Harmonie keine Notiz zu nehmen
braucht. Es wäre falsch, jeden Ton der Singstimme mit Akkorden
zu begleiten. Der Wechsel der Harmonie nimmt sein Tempo nach
höheren Gesichtspunkten, in erster Linie nach dem Charakter der
Affekte, die Trauer hält zurück, die Freude beschleunigt. Noch bis
zu Monteverdi hin haben wir die Beispiele in Hülle und Fülle, wie
die Komponisten durch Beobachten, Nachdenken und Berechnen neue
Aufgaben glücklich lösen. Es war eine Zeit, in der auch bei den
Musikern der Kunstverstand zu seinem gebührenden Rechte kam, eine
Zeit, die im Kampf gegen Unklarheit jeglicher Art von der Macht
des Unbewußten, von der blinden Genialität nicht viel wissen wollte.
Im Eifer, im Ernst und in der Redlichkeit sind daher die Opern der
ersten Zeit Musterleistungen. Alles geriet aber trotzdem nicht voll-
kommen, erst die Erfahrung brachte eine Scheidung zwischen Vor-
zügen und Mängeln.
Wir sind mit der oben angeführten Stelle Peris mitten hinein-
geraten in die Arbeit am neuen, begleiteten Sologesang. Zu seiner
Entstehung hatten verschiedene Wege geführt. Einmal die Verlegen-
heit dem Stimmenreichtum der Chorsätze gegenüber, wie ihn besonders
die Venetianische Schule pflegte. Man ersetzte die Stimmen erst
durch Orchesterinstrum ente, der nächste Schritt war, daß man sie
in einem Auszug der wesentlichen Akkorde auf die Orgel, aufs Cem-
balo oder gar die Laute übertrug, und dieser Schritt führte über-
haupt vom kontrapunktischen Stile ab, zu einer Unterscheidung von
Die Anfange des Bühnengesangs 23
Haupt- und Nebenstimmen, von führender Melodie und von Beglei-
tung; man fand, daß für die Begleitung eine einfache Harmonie ge-
nügte. Dieser Weg war ein musikalischer, ihn hatten die Musiker
gebrochen. Einen zweiten zeigte das gebildete Laientum des 16. Jahr-
hunderts, an seiner Spitze die Hellenisten von Florenz. Die hatten
sich durch das Studium des Boetius, der 1495 gedruckt wurde,
dann des Plutarch (de musica), des Aristoxenos und durch andere
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ebenfalls durch Druck-
legung allgemein und bequem zugänglich gewordene Theoretiker des
alten Griechenlands mit der antiken Musik bekannt gemacht und
erblickten in ihr eine Kunst, die die gewaltigste Wirkung durch ein-
fachen, einstimmigen Gesang erreichte. Das zwang zur Reform und
zur Hebung der Melodik. Einstimmige Melodien von äußerstem
Sprachgehalt und reichstem Ausdruck zu erfinden, war das Haupt-
trachten der um den Grafen Bardi versammelten Akademiker. Beide
Parteien, die Musiker, die die Vereinfachung der Harmonie durch-
setzten und die Hellenisten, die sich der Verbesserung der Melodie an-
nahmen, wurden dabei auch von der Volksmusik beeinflußt.
Die Mitte des 16. Jahrhunderts war die Zeit der italienischen Villa-
nellen, der protestantischen Choräle, des hugenottischen Psalter, der
Niederländischen Souterliedekens. Der von Renaissance und Refor-
mation getragenen ungewöhnlich starken Liedkraft, die dieser einfachen
Chorkomposition zugrunde lag, verdankt die damalige polyphone Kirchen-
musik einen allgemeinen Aufschwung der Thematik, sie verdankt ihr die
besondere Stilklärung Palestrinas. In die Kammermusik aber drangen die
Formen des Volksgesanges ganz direkt ein. Vincenzo Giustiniani
erzählt in seinem »Discorso sopra la musica de suoi tempi« (1628), wie
in seiner Jugend in den Musikschulen neben den Kompositionen des
Arcadelt, des Lasso, des Alessandro Striggio, des Ciprian
de Rore und des Filippo de Monte auch Neapolitanische Villanellen
für eine Stimme mit Begleitung eines Instrumentes gesungen wurden,
echte und nachgemachte. Diese volkstümliche Strömung in der Musik
des 16. Jahrhunderts kam der Ausgestaltung des neuen Sologesanges
zu Hilfe, sein eigentliches Gepräge erhielt er aber durch die Helle-
nisten. Wenn wir daraufhin die Schriften der Galilei und Doni be-
fragen, so finden wir bei ihnen unsere heutige Akzentlehre ziemlich
vollständig vorgetragen und in den Vordergrund gestellt. Sie ver-
langen von der Musik, daß sie dem Worte zu seinem Rechte helfe,
und zwar nach jeder Richtung hin, im engeren und weiteren Sinne.
Vor allen Dingen muß die Komposition so angelegt sein, daß der
Text vom Zuhörer jederzeit deutlich verstanden werden kann, die
Musik muß die Form der Verse heben, sie muß sich dem einzelnen
Worte anschmiegen. Besonders aber soll sie den logischen Akzent
der Gedichte verstärken: den Sinn der Sätze zum erhöhten Ausdruck
bringen, den größeren und den kleineren Wendungen des Gedanken-
ganges folgen, Gehalt und Charakter des Ganzen und aller einzelnen
24 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Teile belebend veranschaulichen. Der gute Schauspieler ist nach Doni
das Muster für die Komponisten. An ihm können sie lernen, wie
die Stimme hoch oder tief, die Rede langsam oder schnell ist, wie
die Worte hervorgehoben werden, wie ein Fürst mit dem Vasallen,
wie er andererseits mit einem Bittsteller spricht, wie die Matrone
anders spricht als das Mädchen, als der einfältige Knabe, als die
Buhlerin, wie der Ton der Klage anders klingt als der des Geschreies,
der Lustigkeit und der Furcht. Hat doch selbst das Tier — so schließt
der betreffende Abschnitt — seine Stimme, um auszudrücken, ob ihm
wohl oder wehe ist.
Nach der Meinung von Doni^ und Galilei 2 war die bisherige
Komposition diesen Forderungen, sie war dem sogenannten Ausdruck,
dem Charakter des Redenden, dem Affekte, dem Inhalt der Rede so
gut wie alles schuldig geblieben. Der mehrstimmige, kontrapunk-
tische Chorsatz, die bis dahin ausschließlich gepflegte Form der Kunst-
musik, erschien den Florentiner Hellenisten 3 wie der Tod aller Poesie.
Um deutlich zu zeigen, wie übertrieben, ja ganz verblendet diese
Ansicht war, braucht man nur den Namen Palestrina zu nennen.
Allerdings bewegte sich die Kirchenmusik in einem begrenzten Kreise
von Anschauungen und Empfindungen, und sie war in ihrer Hingabe
an dieselben durch kirchliche Rücksichten gebunden. Aber die Kunst
des Ausdrucks innerhalb dieses Kreises hatten ihre Meister so ver-
standen, daß sie uns nach Jahrhunderten noch als Muster dienen. Und
inzwischen war der Kreis selbst erweitert worden. Es war mit den
Mitteln des kontrapunktischen Chorsatzes eine weltliche Kunstmusik
entstanden: das Madrigal. Hatte Christobal Morales* dieser welt-
lichen Musik seine Verachtung ausgesprochen und Palestrina ^ seine
früheren Versuche auf dem Gebiete später als Jugendsünden erklärt, so
war das Madrigal im Laufe des 16. Jahrhunderts dennoch zur hohen
Blüte gediehen, und es hatte sich jedenfalls reichlich darum bemüht,
mit der Musik Naturtreue zu erreichen. Darauf beruhen die Nach-
ahmungen des Vogelgesangs, des Weibergezänks, des Schlachtenlärms
bei Jannequin, die Jagdmusiken bei Gombert, Verdelot. Unser
Eccard versucht einmal das Treiben auf dem Markusplatz in Venedig
in einem Chorsatz wiederzugeben. Ähnliches finden wir bei den Ita-
lienern schon während des 14. Jahrhunderts in den Florentiner Karne-
valsgesängen, wir finden es später wieder bei AI. Striggio, bei Gio-
vanni Croce. In einem Hauptvertreter des Madrigals, in Cyprian
de Rore nämlich, erkannten die Galilei und Doni selbst einen großen
Meister des musikalischen Ausdrucks. Die Verurteilung des Kontra-
1 Doni: »De praestantia musicae veterisc. S. 89.
2 Galilei: »Dialogo della musica antica e dellamoderna«. Florenz 1Ö81.
3 Mei: »Della musica antica e moderna«. Venedig 1602.
4 Vorrede zum ersten Buche seiner Messen. 1544.
5 Vorrede zum »Hohen Lied Salomonis«. 1584.
Das Madrigal 25
punkts an sich erregt daher unsere Bedenken als eine sehr mangel-
haft begründete. In ihr zeigen sich jene Eichter als arge Dilettanten.
Wir dürfen mit großer Bestimmtheit vermuten, daß in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts die sogenannten Chöre in Italien durch-
schnittlich sehr schlecht sangen und durch einen rohen, unausgegli-
chenen Vortrag alles verdarben, was die Kompositionen an Ausdruck
enthielten. Auch bildeten den Durchschnitt der Komposition in Messe,
Motette und Madrigal mittelmäßig-schematische Leistungen, welche
in ihrer Wirkung um so mehr versagen mußten, als zu der schlechten
Aufführung auch noch der Umstand hinzutrat, daß ihre Menge und
die Alleinherrschaft ihres Stiles auf die Dauer ermüdeten. Alle diese
Beschwerden wurden nun dem Stile selbst zur Last gelegt, der Kontra-
punkt war und wurde bei den Laien verhaßt. Daß Musiker von der
Autorität eines Zarlino für ihn warnend und belehrend eintraten,
änderte nichts mehr an dem Laufe der Dinge, die Stimmung gedieh
bis zu der Gewalt einer Naturkraft. Bei dem Namen Kontrapunkt
dachte man nur an die Auswüchse, an das Sündenregister der Gattung:
an die durcheinander schreienden Stimmen, an die Mißhandlung von
Wort und Text, gegen welche auch die Beschlüsse des Tridentiner
Konzils und Palestrinas Mustermessen nichts Gründliches hatten aus-
richten können.
Auch um die Mitte des 16. Jahrhunderts war der kontrapunk-
tische Chorsatz angegriffen worden, damals auf kirchlichem Boden.
Wenn man jetzt, nur einige Jahrzehnte später, aufs neue und mit
einem so heftigen Ungestüm gegen den Kontrapunkt vorging, so kam
das daher, weil mittlerweile die neue musikalische Stilart, der Solo-
gesang, bereits in Sicht getreten war. Die melodische Kunst hatte
angefangen sich außerhalb des Geheges des Chorsatzes zu versuchen.
Die ersten Versuche waren der Not entsprungen. Man hatte aus den
vielstimmigen Chören hier und da eine oder einige Stimmen weg-
gelassen, man war dazu geschritten, eine einzige Stimme aus dem
Chorsatze beizubehalten und die übrigen erst mit Instrumenten zu be7
setzen, dann auf die Harmonie einer einfachen Laute oder eines Klavier-
instrumentes zu reduzieren. Die bekannte Sammlung G. Morphys
»Les Luthistes espagnoles du XVP si^cle« zeigt am einfachsten,
wie die frühesten begleiteten Sologesänge aussahen. Diese Solo-
stimmen, in sich zusammenhanglos, durch Pausen zerstückelt, waren
noch keine Sologesänge, ebensowenig wie es die Sopranstimme eines
neuen Chorwerks sein würde. Aber sie halfen doch stark mit den
Weg zum Sologesang zu finden.
Der Ausbildung eines bessern Sologesanges, einer Melodik, die
den Anforderungen der Hellenisten genügte, war fortan mehrere
Menschenalter lang die Arbeit der Musiker in erster Linie gewidmet.
Auf der Anfangsstufe suchte man zunächst die Solomelodie von der
Chormelodie dadurch zu unterscheiden, daß man ihr eine größere
äußere Beweglichkeit gab, sie reichlich mit Figuren und Verzierungen
26 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
mischte. In der Regel blieb diese Ausschmückung dem Belieben der
Sänger überlassen. Dieses Variieren und Ergänzen der Vorlage des
Komponisten war eine besondere Kunst, die von jedem Sänger seit
der Mitte des 16. Jahrhunderts verlangt wurde. Es gibt von da ab
eine Menge Lehrbücher, die dafür die Regeln aufstellend Noch
Cavalli schreibt an einzelnen Stellen seiner Opern ein kurzes »passagio«
vor und überließ es dem Geschmack und der Kunst des Sängers,
die geeigneten Noten zu wählen. Die Mehrzahl der Komponisten
verzichtete aber bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf jede Andeu-
tung und verließ sich darauf, daß die geschulten Sänger die rich-
tigen Stellen und Formen für die Verzierungen selbst finden würden.
Nach Arteaga soll auf diese Kunst des Kolorierens als Mittel der
Melodiebildung der Umstand sehr anregend gewirkt haben, daß in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neue Instrumente in den
Dienst gestellt wurden, welche schnelle Figuren erlaubten. Darunter
gehören die Violinen. Andere verschiedene Sorten von Lauteninstru-
menten erleichterten das Akkordspiel und machten das Gehör mit
dem System einfacher und selbständiger Harmonien, wie sie zum
Sologesang langhin verwendet wurden, vertraut. Es vollzog sich
eine Vereinfachung der Harmonien. Aus solchen rein musikalischen
Elementen konnte eine neue Stilart allein und unabhängig von den
Forderungen und Anregungen der Hellenisten hervorwachsen. Es
scheint, als wenn die geistlichen Konzerte Viadanas in Rom als die
Früchte einer solchen rein musikalischen Entwicklung gereift seien und
es ist sicher, daß Vincenzo Galilei es nicht bloß seinen griechischen
Studien, sondern ebenso dem musikalischen Gang der Zeit zu danken
hatte, wenn er schon lange vor Viadana in den beiden von Doni
erwähnten Arbeiten, der Ugolinoszene und dem Klagelied des Jeremias
die ersten Früchte unsres heutigen Sologesanges vorlegen konnte.
Mit diesen beiden Kompositionen des Galilei erlangte der beglei-
tete Sologesang das Bürgerrecht unter den musikalischen Kunstformen.
Eine weitere Frage ist nun die : Wie kam es, daß aus diesem neuen
Musikstil eine neue Art Drama, das Musikdrama, hervorging? Die
stärkste Ursache, die zur Entstehung der Oper führte, war, wenn auch
nirgends eingestanden, das Bestreben, auch das Theater der Zeit mit
dem Geist der Antike zu füllen. Die Renaissance mußte bei ihrem
Kampf gegen die Kirche und ihre Scholastik an die Herrschaft über
die Bühne denken, denn sie ist unter Umständen wichtiger als die
Kanzel. So beginnen denn die Versuche das geistliche Drama durch
ein weltliches zu verdrängen, in Italien schon im 15. Jahrhundert
und führen bald zur Nachbildung lateinischer, dann auch griechischer
Schauspiele und Tragödien 2. Sie blieben weit hinter den Mustern
1 Vgl. F. Chrysander: »Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunst-
gesanges« (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1894).
2 Vgl. Alessandro d'Ancona: ^Origini del Teatro Italiano« (1890).
Intermedien 27
zurück. Da kam mau denu auf die Idee, die Ursache der Über-
legenheit des antiken Dramas darin zu suchen, daß es durchkomponiert,
daß es Musikdrama war. Das ist eine Hypothese, die bis heute noch
nicht völlig genügend erwiesen ist. Den Vertretern der Renaissance
galt sie als Tatsache, und diese Entdeckung führte zu einem Wett-
eifer in dem Bemühen die Musik der Zeit zu dramatisieren. Er ergrijff
sogar die Madrigalenkomposition; immer mehr wirds dem Ende des
Jahrhunderts zu Brauch, die Sammlungen weltlicher Chorgesänge mit
dramatisierenden und programmatischen Titeln zu versehen: »flamme
d'amore«, Liebesflammen, »le veglie di Siena«, Siena bei Nacht usw.
Bald geht der Dramatisierungseifer weiter, man setzte wirkliche
Theaterstücke in Musik, zunächst kleine, die sogenannten Intermedien.
Diese Intermedien, Intermezzi, dienten in der Kunstgeschichte des 15.
und 16. Jahrhunderts einem ähnlichen Zweck, wie gegenwärtig unsere
Zwischenaktsmusik und unsere Tafelmusik. In Italien, Frankreich
und Deutschland erschienen sie unter verschiedenen Namen und in
vielfachen Spielarten als Einlagen zwischen den einzelnen Akten der
Tragödien oder den Hauptgängen großer Festmahle. Ihren Inhalt bil-
deten Allegorien, Aufzüge, Maskeraden, lebende Bilder, ballettartige
Tänze und Spiele, besonders häuflg aber Hanswurstiaden und Possen.
Die Intermedien der letzteren Art blicken auf die Satyrspiele des
Dramas der Alten zurück und weisen in die Zukunft hinaus auf die
spätere opera bufi'a der Italiener. Eine ziemlich vollständige mit
Quellenangabe versehene Aufzählung der bekanntesten italienischen
Intermezzi und der mit ihnen verwandten musikalischen Theaterstücke
geben Dommer^, Rolland u. a. 2. Danach beginnt die Intermedienmusik
in Italien gleich am Anfang des 15. Jahrhunderts. Ambros^ ergänzt
mit Mitteilungen über ähnliche Erscheinungen in Deutschland und
Frankreich. In dem von ihm beschriebenen »Ballet comique« des
Beaujoyeulx ist eine heute sehr populäre Melodie zu Hause:
(son de clochette.
Das berühmteste dieser madrigalischen Intermezzi ist der »Amfl-
parnasso« des Orazio Vecchi, gedruckt in Venedig 1604 — nach
einigen Schriftstellern (darunter auch Ambros HI, 563) 1594 auf-
geführt in Modena. Die Modeneser haben dem Orazio Vecchi auf
1 A. V. Dommer: Handbuch S. 262 u. ff. Nur das erste Mailänder
Stück muß statt 1388 um hundert Jahre später gesetzt werden. Siehe Klein:
»Das ital. Dramac II, 519.
2 N. d'Arienzo: »Dell' opera comica dalle origini a Gr. B. Pergolesi«
(Rivista musicale 11, S. 597 ff., IV, S. 121 fi".), W. F. Henderson: >Some
forerunners of Italian operac (New York 1911).
3 Ambros, W., Geschichte der Musik IV, 241 ff.
28
Yorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Grund dieses Werkes die Erfindung der komischen Oper zuge-
schrieben. Auf der Grabschrift liest man von ihm: »qui harmo-
niam primus comicae facultati conjunxit« ; im Theater steht seine
Büste. Das Stück, dessen Text ebenfalls von Orazio Vecchi herrührt
— daher der Titel »Amfiparnasso« — geht über Umfang und Cha-
rakter der Intermedien bedeutend hinaus. Darin hat Ed. Dent \ der
ihm kürzlich eine Abhandlung gewidmet hat, recht, nicht aber darin,
daß er ihm den dramatischen Charakter und die Bestimmung als
Theaterstück abspricht. Es ist eine große Musikposse und besteht
aus einer Keihe schwankartiger Szenen, deren Mittelpunkt ein ver-
liebter alter Geck: der Pantalone vecchio und seine beiden Diener
Pedrolino und Francatrippa bilden. Personennamen, Situationen,
Charaktere und Motive weisen den »Amfiparnasso« in die Stegreif-
komödie. Einer der beliebtesten Scherze der italienischen commedia
deir arte : das Durcheinander verschiedener italienischer Dialekte und
die Einmischung fremder Sprachen ist in dieser Posse auf die frei-
gebigste Weise ausgenutzt. Wir hören da Toskanisch, Venetianisch,
Spanisch, Bergamaskisch und auch hebräische Brocken fallen darein.
Daß der Chorstil im Madrigal gelernt hatte, drastische Töne für Scherz,
Übermut und Ausgelassenheit anzuschlagen, zeigen uns die Tanzlieder
der Italiener, es zeigen es uns namentlich die lustigen, fast szenisch
gedachten Liebeschöre Morleys und anderer Engländer. Orazio Vecchi
hatte sich für diese Seite des Madrigalenstils besonders geschult:
nämlich in den vorhin schon genannten »Le veglie di Siena ovverro
i varii humori della musica modema a 3, 4, 5 e 6 voci«2, einer
Sammlung von musikalischen Charakterbildern, in welcher namentlich
die komischen Figuren durch Originalität und Kühnheit hervorragen.
Mit derselben Virtuosität wie in dieser Sammlung — sie kam aller-
dings erst 1604 in Druck — hat Orazio Vecchi den Madrigalenstil
auch in dem »Amfiparnasso« behandelt. Die Technik des Chorsatzes
zeigt überall große Freiheit und Mannigfaltigkeit der Gruppierung.
Wir treffen sogar auf Abschnitte, in denen nur eine Stimme singt.
So beginnt der erste Akt gleich mit einem Solo des Pantalon, welcher
nach seinem Knechte ruft:
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w
5
t
:t
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'^m
0 Pe-dro - lin dov' es - tu? Dov'
- tu Pe-dro-
i
t;
t
lin, Pe - dro - lin, Pe - dro - lin?
Das Beispiel zeigt Talent für
realistische Erfindung, die Un-
geduld und der Eifer mit denen
1 Ed. Dent: >Notes on the Anfiparnasso of Orazio Vecchi« (Sammel-
bände der IMG Xn, S. 330 ff.)
2 Venedig, 1605 in Nürnberg als >Noctes ludicrae« , 1614 zu Gera in
deutscher Übersetzung.
Orazio Vecchis >Amfipariiasso« 29
der Herr nach dem säumigen Diener ruft, könnten kaum einfacher
und besser getroffen werden. An ähnlichen drolligen und possier-
lichen Motiven ist der »Amfiparnasso« voll. Die Mehrzahl seiner Effekte
beruht jedoch auf Übertreibung und auf übermütiger Ausnutzung des
Kontrastes. Dem oben zitierten Anfang des ersten Aktes geht ein
Prolog voraus, der mit den feierlichsten Harmonien schließt. Am
stärksten lebt das karikierende Element des Vecchi in der dritten
Szene des dritten Aktes, in welcher die lustigen Brüder, vor einem
Judenhause stehend, die innen singenden und Sabbat feiernden Be-
-^ ^ —
wohner mit unaufhörlichem
-!^^= herauszulocken
tick, tack, tock
suchen.
Wie Doni berichtet, wurde der »Amfiparnasso« von bloßen Panto-
mimen gespielt, was sie zu sprechen hatten, sang der hinter der Bühne
aufgestellte Chor. Das war also ein Zugeständnis an die dramatische
Wahrscheinlichkeit. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts aber war,
wie bereits erwähnt, eine bessere Weise aufgekommen sich ihr zu
nähern: Man ließ nur die dramatisch notwendigen Stimmen des Chor-
satzes wirklich singen, die andern übertrug man auf die Instrumente.
So ist in der Vorrede zu den Intermedien desMalvezzi, welche 15891
zu Florenz (bei der Hochzeit des Don Ferdinand von Medici mit
Christina von Lothringen) aufgeführt wurden, bemerkt, daß ein Teil
der sechs- und achtstimmigen Chöre von der Sopranstimme allein
gesungen werden kann, wenn die übrigen Stimmen vom Orchester
gespielt werden 2. Bei einem im Jahre 1579 zu Florenz aufgeführten
Intermezzo P. Strozzis sang in dieser Weise der uns von Doni her
bekannte G. Caccini die Partie der Nacht. Eine solche klanglich
isolierte, von einem Virtuosen mit Koloraturen und Figurenwerk er-
gänzte Chorstimme konnte wenigstens äußerlich als Sologesang gelten;
wenn sie auch innerlich von dieser Gattung durch die Methode des
Harmonieentwurfs getrennt blieb.
Die Mehrzahl dieser Intermedien stand indes der Oper schon da-
durch ferner, daß sie entweder von Haus aus keinen Dialog hatten,
oder wenn er da war, so wurde er nur gesprochen und nicht gesungen.
Die oben angeführten Intermedien des Malvezzi bieten hierfür den
Beleg. Ihr Text enthält überhaupt nichts Dramatisches, er besteht
aus Epilogen zu den Akten der Tragödie, in welche diese Intermedien
eingelegt waren, und aus Huldigungen, welche dem Brautpaar galten.
Ähnlich verhält es sich mit einem andern Intermezzo, welches bei
derselben Gelegenheit mit zur Aufführung kam, dem von Luca
Marenzio komponierten: » Combattimento d' Apolline con serpente«,
1 1588 nach Riemann; nach unserer Zeitrechnung 1589.
2 Gedruckt in Stimmbüchern Venedig 1591. Es wird in der Vorrede
besonders hervorgehoben, daß diese Intermedien außer Chören auch Sin-
fonien enthalten.
30 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
einem Stück, welches noch dadurch Beachtung erregt, weil es auf
ein Hauptstück der olympischen Spiele und der griechischen Kunst
zurückgeht und weil wir in ihm zum ersten Male Rinuccini als
Theaterdichter begegnen. Auch in ihm ist der dramatische Vorgang
musikalisch nur angedeutet: war ein Dialog dabei, so scheint er nicht
komponiert worden zu sein. Die Musik besteht wie die Malvezzis
nur aus Chören und Orchestersätzen: einem Hirten chore, welcher die
Angst vor dem Drachen ausdrückt, einer Sinfonie, welche während
des Kampfes gespielt wurde, einem zweiten Hirtenchore, der den Tod
des Ungeheuers verkündet, und einem dritten, der das ganze Stück
mit Tanz und Jubel abschließt. Dieselbe Anlage treffen wir in einer
von Rudhart^ beschriebenen Stegreif komödie, welche im Jahre 1568
zu München mit der Musik des Orlando di Lasso aufgeführt wurde.
Der erste, welcher Theaterstücke ganz und gar, d. h. mit dem
Dialog in Musik setzte, war, wie wir schon aus Doni wissen, Emilio
del Cav allere. Die betreffenden Werke waren »II Satiro« und »La
disperazione di Fileno«, welche im Jahre 1590 am Hofe zu Florenz,
an welchem der Komponist damals als Intendant wirkte, zur Auf-
führung kamen. Das war also sieben Jahre vor dem »Amfiparnasso«
des Vecchi. In dem zweiten wirkte Vittoria Archilei, die uns noch
oft begegnen wird, mit und »rührte die Zuhörer zu Tränen*. Im
Jahre 1595 folgte noch eine dritte gleiche Arbeit, »II Giuoco della
cieca«. Die Dichtungen, von Laura Guidiccioni aus Lucca verfaßt,
gehörten der durch Polizianos »Orfeo« (1524) eingeführten, durch
Guarinis »Pastor fido« und Tassos »Aminta« namentlich an den
Höfen bald beliebt gewordenen Gattung des Pastorale an, welches von
Anfang an der Mitwirkung der Musik einen reichlicher zugemessenen
Platz bot als Tragödien und Intermedien. Diese Stücke des Cavaliere
haben vor allem dadurch Bedeutung, daß sie dichterisch über den
Charakter der Intermedien hinausgehen. Für Emilio del Cavaliere
ist in der Vorrede zu seiner »Rappresentazione dell' anima e di
corpo« (Rom 1600) auf Grund dieser Arbeiten durch den Heraus-
geber (Aless. Guidiotti in Bologna) das Verdienst in Anspruch ge-
nommen worden, daß er zuerst wieder »den Stil der alten Griechen
und Römer in seiner Musik« angewendet habe. Doni und ihm folgend
Arteaga haben demgegenüber behauptet, daß jene — bis jetzt als
verloren zu betrachtenden — Werke nichts anderes gewesen seien
als wie die früher erwähnten Intermedien, echte oder modernisierte
Madrigalenkompositionen, und jeden Anspruch des Cavaliere zurück-
gewiesen. Ihnen haben sich die neueren Darstellungen — u. a. auch
die von Ambros — angeschlossen. Der Angriff auf die Ehrenhaftig-
keit des Cavaliere beruht aber auf einem Mißverständnis. Doni glaubt,
daß hier ein Recht für den Cavaliere verlangt wird, welches dem
Peri zukommt. Denn dieser war es, welcher den begleiteten Solo-
1 Rudhart a. a. 0. 5.
Jacopo Peris »Euridice« 31
gesang ins Drama einführte, dadurch der Schöpfer der Oper wurde
und nach der Meinung seiner Zeit das Problem der Restaurierung der
Tragödie der Alten damit vollkommen löste. Aber Peri selbst ist
es, der dem Cavaliere zu Hilfe kommt. In der Vorrede seiner »Eu-
ridice« sagt er, daß seines Wissens Cavaliere der erste gewesen sei,
welcher die Musik auf die Bühne gebracht habe. Als Peri diese
Worte schrieb, wußte er ersichtlich vom »Amfiparnasso« des Vecchi
nichts und sah die Intermedien, in denen die Musik mehr neben dem
Bühnenvorgang herging, nicht für voll an. Aber sein Zeugnis trägt
viel dazu bei dem Cavaliere einen Anteil an der Einführung der
Oper zu sichern. Emilio del Cavaliere ging über die Intermedien in
doppelter Art hinaus, indem er erstens die Theaterstücke durchkom-
ponierte, nämlich mit dem Dialog, was bisher nur ausnahmsweise vor-
gekommen war, und zweitens, indem er dabei von Instrumenten be-
gleiteten Sologesang anwendete. Worin dann Peri wieder über den
Cavaliere hinausging, das sagt er (a. a. 0.) deutlich. Er habe das
Verfahren seines Vorgängers in anderer Art (in altra guisa) aufge-
nommen, und diese andere Art setzt er nun deutlich auseinander.
Es ist die Behandlung der Harmonie, die Befreiung vom Madrigalen-
satz im Sologesang, welche er als sein Eigentum in Anspruch
nimmt.
Das Werk, in welchem dieser wesentliche Fortschritt vollzogen
wurde, war die »Dafne« ^, welche im Jahre 1594 zu Florenz zum ersten
Male aufgeführt und dann bis zum Jahre 1597 noch zweimal wieder-
holt wurde. Der Dichtung, welche Ottavio Rinuccini aus seinem
vorhin erwähnten » Combattimento d' Apolline« hatte hervorgehen lassen,
werden wir zu wiederholten Maien noch begegnen; die Musik Peris
dagegen muß als verloren betrachtet werden. Die nachweislich zweite
Oper überhaupt, die erste, welche der »Dafne« folgte, besitzen wir.
Sie heißt »Euridice«. Ihr Dichter ist wieder Rinuccini und der
Komponist gleichfalls Peri. Das Werk wurde zum ersten Male am 9. Fe-
bruar 1600 zu Florenz bei den Festlichkeiten aufgeführt, mit welchen
die Vermählung der Maria von Medici mit König Heinrich IV. von
Frankreich begangen wurde. Die Partitur, im Jahre der Aufführung
gedruckt, ist zuletzt wieder im Jahre 1863 bei Gr. G. Guidi in Florenz
und von L. Torchi in >1' arte musicale in Italia« (Bd. 6) herausgegeben
worden.
Bis zu Monteverdi haben die Opern keine Gattungsbezeichnungen.
Dieser wendete zum ersten Male eine solche an, indem er seinen »Orfeo«
als favola in musica bezeichnete, später wurde der Name dramma in
musica oder dramma per musica gebräuchlich, noch später erst der Titel
opera2. Auf dem Titelblatt der »Euridice« steht einfach: Euridice • —
Poesia di Rinuccini — Musica di Jacopo Peri. Dann folgt eine doppelte
1 L. Sonn eck: >Dafne, the first opera« (Sammelbände der IMG. IV ff.).
2 Zuerst bei Cavallis Erstling »le nozze di Teti«. Venedig 1639.
32 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Widmung an die hohe Braut, eine vom Dichter, die andere vom Kom-
ponisten. Rinuccini wie Peri berufen sich, wie schon erwähnt, beide
für ihre Arbeit auf das Verfahren der alten Griechen. Dann richtet
Peri die schon berührte längere Vorrede an den Leser. Zwei Sätze
sind es in diesem berühmten Dokument, welche den ganzen Vorrat von
Systematik umfassen, über w^elchen Peri für die Komposition verfügte.
Der erste bestimmt das Ziel : Es bandelt sich, sagt Peri, darum, einen
Tonsatz zu schaffen, welcher zwischen Rede und zwischen Gesang eine
Art Mitte hält. Der zweite Satz bezeichnet das Mittel. Die haupt-
sächlichste Sorgfalt, erklärt der Komponist, ist der Begleitungsharmonie
zuzuwenden. Das Prinzip, nach welchem sie behandelt werden muß,
ist: Die Stimme des Sängers bleibt so lange auf demselben Akkord,
bis logische oder grammatische Gründe von Belang zwingen die Har-
monie zu ändern. Einen praktisch sehr wichtigen Satz enthält die
Vorrede noch an der Stelle, in welcher Auskunft über die Instrumente
gegeben wird, welche die Begleitung auszuführen haben. In der Par-
titur ist die ganze Begleitung nur als ein hin und wieder bezifferter
Baß skizziert. Da der Partitur Orchestersätze mit Ausnahme einer
Stelle ganz fehlen, würde die Instrumentalpartie der Oper sehr ärmlich
gewesen sein, wenn das ganze Werk hindurch nur ein und dasselbe
Cembalo zur Begleitung benutzt worden wäre. Peri belehrt uns aber,
daß bei der Aufführung der »Euridice« ein Gravicembalo, ein Chitarrone,
eine große Lyra und eine große Laute da waren. Das ist also ein
volles Quartett von Akkordinstrumenten, welche starken und mächtigen
Klang gaben, wenn sie zusammen gespielt wurden, und welche anderer-
seits, abwechselnd gebraucht, mannigfache Färbungen im Akkompagne-
ment ermöglichten. Der Gebrauch, bei Opernaufführungen nicht bloß
ein, sondern mehrere Harmonieinstrumente für das Generalbaßspiel,
für die Begleitung des späteren Seccorezitativs namentlich, zu benutzen,
erhielt sich bis weit in das 18. Jahrhundert hinein, wenn die Zahl dieser
Instrumente allmählich auch geringer wurde. In der ersten Periode sehen
wir in der Baßstimme der Partituren bei Peri, Gagliano, Maz-
zocchi, auch noch bei Cavalli (»Didone«) sehr oft mitten in der Zeile,
beim Auftreten einer w^eiteren Person, beim Einsetzen einer neuen
Periode den Schlüssel erneuert. Das scheint den Wechsel des begleiten-
den Akkordinstrumentes andeuten zu sollen. Die Komponisten begnüg-
ten sich in der Regel damit, die Baßstimme allein aufzuschreiben,
und sie überließen für deren Ausführung die ganze Verantwortung
dem betreffenden Musiker. Zuweilen aber finden wir doch eine wichtige
Mittelstimme mit ausgeschrieben^. Peri nennt seine Akkompagnateure :
Jacopo Corsi, Grazio Montalvo, Giov. Battista del Violino, Giov. Lapi,
Männer, welche zum Teil Musiker von Ansehen waren. Die Herren
spielten hinter der Bühne, bildeten also ein unsichtbares Orchester.
In der ganzen ersten Periode waren die Orchester auf diese Weise
1 In L. Rossis >I1 Palazzo d'Atlante«, in Cavallis »Scipione« z.B.
Jacopo Peris >Euridice<
33
versteckt. Von mitwirkenden Sängern nennt Peri: Francesco Rasi
(Aminta — Tenor), Ant. Brandi (Arcetro — Tenor), Melchior Palan-
trotti (Pluto — Baß). Peri selbst hat den Orfeo gesungen, die wegen
ihrer Koloratur und ihrer Kunst im Verzieren weit gefeierte Vittoria
Archilei, die »Euterpe ihrer Zeit«, sang die Euridice. Die Dafne über-
nahm ein Knabe aus Lucca. In Vittoria Archilei haben wir den Beweis,
daß mit dem Anfang der Oper sofort auch Frauen auf der Bühne
erscheinen. Nach Peris Worten wirkten noch mehrere Musiker in
den Solopartien mit. Die Zahl der letzteren beläuft sich auf zwölf.
Es ist gewiß, daß ein oder der andere Sänger mehrere Partien
vertrat, wie dies in der ersten Periode der Oper auch weiter nach-
weislich vorkam.
Die Chöre der Oper bestehen aus Hirten und Nymphen und aus
Geistern der Unterwelt. Nach antiker Manier haben die Chöre ihre
Chorführer, welche als Solohirten und Solonymphen die madrigalisch
vielstimmigen Sätze mit einstimmigen Zwischenstücken unterbrechen
und verbinden, sie haben aber keinen antiken Charakter, sondern sie
erheben in moderner Art ihre Stimme auch außerhalb der Akt-
schlüsse, sie sind nicht bloß Richter der Handlung, sondern sie
handeln mit.
Wie alle bekannten Opern aus den ersten sieben Jahren hat auch
die >Euridice« keine Ouvertüre. Auf den Beginn des Stückes machte
ein Signal, eine Fanfare von Trompeten aufmerksam. Den höheren
Zweck der späteren und der modernen Opernouvertüre, nämlich in
den Stimmungskreis des Dramas einzuführen, erreichte man mit einem
Prologe. Die Idee des Prologs übernahm das Musikdrama aus dem
antiken und mittelalterlichen Theater; die Form blieb zunächst sehr
einfach : Eine allegorische Person, die Gestalt eines klassischen Dichters
erscheint und singt den Inhalt des Stückes in einer Reihe gleichmäßig
kurzer Verse — gewöhnlich Vierzeiler — ab. In der »Euridice« ist es die
Person der »Tragödie«, welcher die sieben Prologverse übertragen sind.
Sie gehen alle nach derselben Melodie, ein kurzes Ritornell schließt:
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Ig che d'al - ti sos - pir va - ga, e di pian - ti
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Kl. Haudb. der ilusikgescL . VI.
34
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
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Fei negli am - pi te - a - tri al po - pol fol - to Sco - lo-
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-^^— gs^
lu 11
^
Der Prolog der »Euridice« diente in seiner antikisierenden Feier-
lichkeit den Opernkomponisten noch lange als Muster. Das Stück
selbst behandelt die schöne Sage von dem thrakischen Sänger, der
die Gattin aus dem Hades befreite, teilweise mit unmittelbarer An-
lehnung an den »Orfeo« des Poliziano. Rinuccini hat einzelne
Personen mit diesem gleich und fast auch manche Verse. Bedeutend
unterscheidet sich aber seine »Euridice« von jenem »Orfeo« durch
den Ausgang. Das tragische Verbot des Umblickens ist übergangen;
nachdem Orfeo den Widerstand des Pluto mit seinem Gesang be-
zwungen, ist alles gut.
Die Handlung, welche im Texte Rinuccinis in sechs Szenen zerfällt,
in der Partitur aber ohne jede weitere Einteilung erscheint, beginnt
mit dem Auftreten eines Chores. Hirten und Nymphen versammeln
sich auf einer hübschen Aue. Einer ihrer Führer teilt in gehobenen
Tönen mit, daß Orfeo und Euridice heute Hochzeit halten werden. Diese
Nachricht erregt große Freude, welcher einzelne Nymphen und Hirten
in Wechselrede Ausdruck geben. Die Frauen bekränzen ihr Haupt;
man bittet alle Götter um ihren Schutz, Phöbus aber um seinen besten
Glanz für den festlichen Tag: denn »ein solches Liebespaar sah nie
die Sonne«. In anmutigen Läufen jubelt die Solonymphe dieses
Wort hinaus, es wandert von Mund zu Mund in neuen Wendungen;
schließlich fällt der Chor rauschend mit ein in den Spruch, der
außer auf das mythische Brautpaar des Dramas auch als Huldigung
auf das fürstliche paßte, zu dessen Vermählung die Aufführung der
Oper stattfand.
Jacopo Peris >Euridice<
35
N inf a.
par d'aman - ti il so-
m
Non ve
de un si
mil
§5"=$^
:2^=4:
^-ict
t^E
t
Pastore (Tenor).
i — ct--
Arcetro (Tenor).
le. Non ve-deun si-mil par d'aman-tiil so - le. Non ve_
42 — -:
^P^^ggji:
Coro:
Non
de un si - mil par
I I I
^ ^ S
d'a - man - ti il
Bis hierher geht die erste Szene, welche von freundlichem Leben
erfüllt, wirksam aufgebaut und auch vom Komponisten mit einem
Talent ausgeführt ist, welches der Situation wie den Charakteren
mannigfaltiges Interesse abgewinnt. Bis zur Hochzeitsnachricht läßt
Peri einen Ton des Zeremoniells und der Würde vorwalten, dann
schlägt er einen freudigen Klang an, kontrastiert und steigert die
Pointe auf ihrer Wanderung durch die Soli mit einer bemerkens-
werten Freiheit, die sich namentlich in den eigentlich stilwidrigen
Textwiederholungen äußert; durch den Chor erhält die Stelle eine
glänzende Spitze. In einer Zeit, in welcher der begleitete Sologesang
den ungeheuren Reiz der Neuheit einzusetzen hatte, kann man sich die
Wirkung dieser bei einer guten Ausführung noch heute frischen Szene
vorstellen.
In der zweiten Szene erscheint Euridice, durch den süßen Gesang
herbeigelockt, fct den Schmeicheleien und Artigkeiten, welche, dem
3*
36
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
liebenswürdigen Naturell des Italieners von jeher eigen, in dem
Pastoraldrama besonders reiche Verwendung gefunden haben, fordert
die Braut ihre Gespielinnen auf, mit ihr den Schatten eines nahen
Gebüsches aufzusuchen, wo getanzt werden soll. Der Chor der Nym-
phen geht ab unter den Klängen eines Madrigals » AI canto , al ballo « ,
welches zur Familie der Tanzlieder gehört und die ganze frohe, feine
Beweglichkeit und Heiterkeit dieser Gattung zeigt.
AI can - to al bal - lo al bal-lo al ball' all' o^
'&:
12^
-^E^
bra
1 I I *^P "^^ \
AI can - to al
al can -to al
r
al pra
^ J
all' om - braal
AI - le bell' ond' e
fs \ h-
to a - dor
lie - te Tut - ti o Pas-tor cor - re - te
I I , i
-^— J — 4 ^-— t
1^
irr
Iz^
m
f:
I I
usw.
■^=^
^E^
f
Tut - ti o Pas - tor cor - re - te
Es wird dreimal wiederholt. Zwischen die Verse treten aber sehr
hübsch klingende Sologesänge, welche den lustigen Charakter der
Szene gut schattieren.
Nun tritt Orfeo auf. Ihn hat Rinuccini als schwärmerischen Jüng-
ling gezeichnet. Es ist etwas sehr Inniges in dieser Figur. Orfeo
spricht zu den Wiesen und Grotten, zu der ganzen unbelebten Natur
wie zu alten Freunden. Sie haben das erste Anrecht darauf, von
Jacopo Peris »Euridice«
37
seinem Glücke zu erfahren. Der Gesang hat entsprechend schöne
Züge von Wärme und Herzlichkeit und ist formell sehr deutlich dis-
poniert. Auf den ersten Teil, der den Ausdruck des Glückes enthält,
folgt eine Partie der Sehnsucht in dunkleren Tonfarben, und den
Schluß und den dritten Teil bildet die feierliche, weihevolle, gebets-
artige Musik, in welcher die Göttin der Liebe angerufen wird:
[Andante] ^.
Bella madre d'a - mor, bella madre d'amor, dall' ende fuora Sorgi
J 4
Si
±röi
fe-
ig—
Das Erscheinen des Arcetro, eines Freundes, welcher zum Gratu-
lieren kommt, macht dem Monolog des Orfeo ein Ende. Musikalisch
interessanter als dieser Arcetro ist ein zweiter Freund, Tirsi, welcher
seinen Glückwunsch in Gestalt einer als Ritornello bezeichneten Sere-
nade darbringt. Dieses Ritornell wird von drei Flöten, in einem Satze,
der wohlklingend ist, wie Flötenterzette in der Regel sind, ausgeführt.
äi
Lebhaft.
=*=ifcr
^=^m
^
EE2=:
;e
st
Dieser Abschnitt und die
in der darauffolgenden An-
sprache des Tirsi angebrachten
kurzen Zwischenspiele sind die einzigen Stellen in der Partitur, an
welchen Orchesterinstrumente zur Verwendung kommen'^. Daß ge-
rade Flöten gewählt wurden, kommt nicht bloß daher, daß dieses
Instrument einen ausgeprägt pastoralen Charakter hat, sondern es be-
ruht wohl auch auf archäologischen Gründen, von denen noch die
Rede sein wird.
Nach dieser Szene, mit welcher die Exposition des Dramas ab-
schließt, nimmt die Handlung sehr plötzlich die kritische Wendung.
Dafne kehrt zurück und bringt die Nachricht, daß Euridice, von
1 Ebenso wie in der Chormusik der älteren Periode, sind auch in den
Sologesängen der ersten Zeit Tempobezeichnungen ungewöhnlich.
^ In einem historischen Konzert, welches im Jahre 1885 bei Gelegenheit
der »Exhibition of inventions« im Kristallpalast zu London gegeben wurde,
stand das Flötensätzchen als »Sinfonie Euridice < auf dem Programm
38
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
einer Schlange gebissen, gestorben sei. Rinuccini hat diese Özene
sehr geschickt angelegt. Orfeo und die beiden Freunde müssen der
Unglücksbotin die Nachricht förmlich abringen. Aber auch musi-
kalisch ragt diese Szene hervor. Peri hat ihr mit rhythmischen und
harmonischen Mitteln am Eingang eine dumpfe, schwere Färbung
gegeben, für die einige Vorhaltsakkorde viel tun. Elementar wirkt
der plötzliche Einsatz von Moll:
[Andante).
Dafne.
fe
-#-^s
Com' in un punto
EP
ohi me ve -ni - sti me
I
no
^
Efe
i^#g^
Befremdend scharf ist die Dissonanz bei »ohi me«^. Es sind der
Dafne noch mehrere s&hr ergreifende musikalische Wendungen in den
Mund gelegt, und um den düsteren, bangen Grundton, welcher schon
über diesem Eingang der Szene schweben soll, zum Ausdruck zu
bringen, hat Peri kühne und neue Schritte getan. Besonders be-
merkenswert erscheint der Harmoniewechsel zwischen dem Schluß
von Dafnes Rede und dem Einsatz des Orfeo:
1 Nach Genas si und andern gleichaltrigen Gesanglehrern darf man
sich die Härte dieses Querstandes durch eine Verzierung, etwa:
ohi me
ipnö^E^d gemildert denken.
Jacopo Peris »Euridice«
39
Dafne.
^
m
■z±
ES
Nonchie-der la ca-gion, del mio do - lo
I
^-
1
^Ä
:g:
'^mmm^m
Orfeo.
P^
^
^
Nin-fa, deh sia con - ten - ta - ri -dir per-chc t'af-fa-ni
^5=b
weil dergleichen scharfe akkordische Gegensätze noch langehin ein
beliebtes Mittel des Situationsausdrucks waren.
Bei den Zeitgenossen des Peri scheint namentlich der längere Ab-
schnitt dieser Szene einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben, in
welchem Dafne allein, ohne Zwischenreden anderer, den eigentlichen
Bericht von dem Tode der Euridice gibt. Hier nähert sich Peri
dem schnellen Gange des späteren Seccorezitativs und wird zugleich
dem Pathos der Situation gerecht. Dafne berichtet in dem natur-
wahren Ton tieferer, innerer Regung: in die Hast des Vortrages
mischen sich tief eindringende Laute und Klänge der Klage. Doni
und die zeitgenössischen Schriftsteller sahen in diesem Abschnitte der
Perischen »Euridice« den Höhepunkt des Werkes, das erste Muster
eines neuen Stils, des »stile rappresentativo « und zitierten ihn, wenn
die besten Leistungen aus der ersten Zeit des Musikdramas genannt
wurden. Der formelle Träger dieses Stils ist die Verwendung kurzer
Noten auf einen Ton.
Dafne.
Per-quel va-go Bo-schetto 0 - ve ri-gan-doi fio - ri
usw.
Es sind aber auch andere melodische und harmonische Mittel in
diesem Abschnitte mit großer Wirkung verwendet: einfaches Fort-
schreiten auf Dreiklangsnoten, Erstarren der Stimme auf langsamen
Tönen der Tiefe, Wechsel von Dur und Moll; der Satz ist reich an
ergreifenden Zügen.
40 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Nun beginnt Orfeo zu klagen: »Non piango e non sospiro«,
Orfeo.
1^
d$
__J — cn^J '^^i^,z=Lt:
^k
4^=1=P^
:t— .tz
.ä C^ r^
Non piaiigo e nonso-spi -ro 0 mia ca - ra Eu-ri-di - ce
Es sind edle Weisen getragenen Charakters, welche den Zustand
einer mit dem Schmerz ringenden Seele sprechend ausdrücken. Mit
einer gewissen gewaltsamen Ruhe beginnt dieser Gesang in tiefer
Lage. Dann schlägt er beim Einsatz des zweiten Verses heftig in
die Höhe, die Harmonie rückt wieder plötzlich von E'dur nach ^moll,
die Melodie setzt in lauter beweglichen Wendungen kurz ab. Eine
dieser eindringlichen Melodiebiegungen spricht in ausgesprochener
italienischer Volkszunge :
1^
löiz
Chi mi t'ha toi - to ohi - me
Es ist vielleicht zum ersten Male, daß der eigentümlich klagende
Portamentozug, der in Italien bei allen Natursängern immer wieder-
kehrt, in Noten gebracht und für die Kunstmusik verwendet wurde.
Im dritten Teile kehrt dieses »lamento d'Orfeo« wieder in den Ton
ruhiger Resignation zurück, mit dem es begann. Dieser an Inhalt
fesselnde, in der Form fertige und abgeschlossene Klagegesang beträgt
nur 24 Takte. Der Chor setzt ihn jedoch nach einer weniger inte-
ressanten Dialogepisode, an welcher Dafne, Aminta, Arcetro und eine
Nymphe beteiligt sind, mit neuen Weisen fort. Es folgt eine längere
Trauerszene, deren musikalischer Mittelpunkt von einem kurzen ma-
drigalischen Satze (fünfstimmig) : »Sospirate aure celesti« gebildet wird.
Die Nebenpartien bestehen aus einem Terzett und einer Reihe klei-
nerer Solosätze trauernden Ausdrucks. Sie münden alle wieder in
den Chorrefrain »Sospirate usw.«
Sospi-ra - te au-re ce - le - sti. Lagri-mate o Sei - ve, ocampi
^^_,J_4-J_J i__^
pi^$-f-r-^-s
-<? G>- --—
a
TT
-\ VX F_F— F-^-
I J ' i
-'-fT-
Jacopo Peris »Euridice« 41
Der Chor hat im Aüfang dieser Szene, ebenso wie in der fol-
genden auch einige einstimmigen Sätze zu singen. Einstimmigen
Chorsätzen begegnen wir in der ersten Zeit des Musikdramas noch
mehrmals.
Dieser Trauerszene des Chors und der Freunde, der wohl bedeu-
tendsten, am meisten von antikem Geiste beseelten Szene der »Euridice«,
folgt ein längerer Abschnitt in einem ähnlichen stile recitativo gehalten
wie vorher die Erzählung der Dafne. Arcetro berichtet hier von dem
weiteren Geschick des Orfeo, welchem im Augenblicke des größten
Schmerzes und der Verzweiflung vom Himmel herab, im Wagen von
Tauben gezogen, Venus als Trösterin erschienen ist. Dieser Bericht
ist weniger wirksam komponiert, wie die entsprechende Szene der
Dafne ; dem Stile ist weder der bewegte forttreibende Zug, noch die
Gewalt der melodischen Akzente abgewonnen, welche dort den Ein-
druck bestimmten. Der Chor unterbricht die Monodie zunächst mit
einigen unbedeutenden einstimmigen Sätzen, gibt aber dann am Ende
der Szene einen breiten Abschluß mit zwei fünfstimmigen durch einen
Solosatz auseinander gehaltenen Madrigalen, in welchen den Göttern
für die Erhaltung des Orfeo gedankt wird.
In der darauffolgenden Szene rät und veranlaßt Venus den Orfeo
in den Hades hinabzugehen und vom Pluto selbst die Geliebte loszu-
bitten. Diese Szene hat einen sehr liebenswürdigen musikalischen
Grundton. Die Göttin und der Sänger reden zueinander wie Mutter
und Kind; jene freundlich aufrichtend, dieser im liebenden Vertrauen:
Die Partie des Orfeo ist an dieser
^=i~^ j ä^^^—f — ^i^— Stelle durch einen auffälligen formellen
' fig-liad-granGiöTve ^^^p\ interessant : der Ton der Frage
Q ist in der Musik, da wo Orfeo »Dove
rivedro quelle luci alm' e serene ? « sagt,
ganz unbeachtet geblieben. Ebenso läßt der Ausdruck in der Partie
der Venere an den Stellen zu wünschen übrig, an welchen sie die
Schauer des Hades schildert.
Als Venus fortgegangen, finden wir den Orfeo sofort im Hades.
Die Partitur gibt keine Auskunft, und auch sonst suchen wir eine
solche vergebens, ob zwischen den beiden Szenen eine längere Pause
zu denken ist, oder ob eine plötzliche Verwandlung hier eintrat. Der
letztere Fall ist der wahrscheinlichere. Den Berichten Donis und anderer
Zeitgenossen nach verstand und liebte man die Kunst, die Szene in
raschen Kontrasten zu sehen. Man darf bei dieser Hadesszene selbst
durchaus keine Leistungen erwarten, wie sie in der modernen Oper,
etwa in Glucks »Orpheus«, oder Marschners »Hans Helling«, bei
ähnlichen Gelegenheiten gebräuchlich sind. Der Grund des Mangels
liegt weniger in dem Unvermögen der damaligen Instrumentalmusik,
als in der persönlichen Veranlagung Peris. Schon nach wenigen Jahren
gab Monteverdi Glanzproben romantischer Situationsmalerei mit orche-
stralen Mitteln.
42 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Die Szene im Hades ist die längste der Oper. In ihrem Entwürfe
unterscheidet sie sich von allen andern der Oper durch die breit aus-
geführten Sologesänge des Orfeo, der dreimal den Anlauf auf die Gnade
des Pluto nimmt. Der erste dieser Klagen- und Bittgesänge hat die
Länge von sechzig und mehreren Takten. An keinem andern Teile
seiner »Euridice« hat sich Peri so angestrengt in der Verwertung der
bekannten musikalischen Mittel wie in dieser Hadesszene. Ja er ver-
fährt hier kühn und überrascht mit Bildungen, welche die Theorie
seiner Zeit nicht guthieß, denn in den Melodien des Orfeo begegnen wir
an dieser Stelle verminderten Quinten und anderen Ausnahmeintervallen,
in der Harmonie Nonendissonanzen mit ziemlich freier Auflösung. Die
Wirkung einzelner Stellen ist unbestreitbar; durchaus schön ist der
Eingang des Abschnittes, ein »lamento«, d. h. ein durch Wiederkehr
derselben eindringlichen Hauptzeile gezeichneter Klagegesang. Diese
Hauptzeile lautet
La - cri - ma - te al mio pian - to om - bre d'in - fer - no
Ahnlich wirksam ist der von den Worten »Ohi me« bis »ombre
d'inferno« reichende Abschnitt. Aber als Ganzes ermüden diese Ge-
sänge des Orfeo durch die vielen Kadenzen, durch den engen Kreis
der harmonischen Modulation, durch den Mangel an wirklichem Gesang.
Neben Orfeo sind noch Pluto, Proserpina, Caron und Radamantes be-
teiligt. Auch ihnen gegenüber muß dem Peri das Bestreben zugestan-
den werden, musikalisch zu charakterisieren. An der Partie des Pluto
hat schon Doni den Ausdruck der Würde und Gerechtigkeit her-
ausgefunden und auf die Verwendung der Sekunden zurückzuführen
gesucht. Der Chor tritt erst am Schlüsse der Szene mit zwei kurzen
Sätzchen ein: Es sind Wechselchöre von Männerstimmen, welche die
Götter des Hades repräsentieren. Auch hier hält ein kurzer Solosatz
(des Radamantes) die beiden Chornummern auseinander. Die jetzt
folgende Szene führt uns nach dem Platze zurück, auf welchem die
Oper begann. Mit dem jungen Morgen ist bei den Hirten und Nymphen
die Trauer um Euridice, die Sorge um Orfeo neu erwacht. Arcetro
verweist auf den Schutz der Göttin, die er gestern dem unglücklichen
Sänger sich nahen gesehen. Da eilt Aminta mit der Nachricht herbei :
»Die Geliebten sind beide wieder da.« Und Orfeo und Euridice
folgen auf dem Fuße. Dramatisch frisch und lebendig angelegt,
wird diese Szene durch die Musik noch sehr gehoben. Der rasche
Wechsel verschiedener Stimmen wirkt hier allein gut, der Chor
beteiligt sich wieder mit einstimmigen Sätzchen. Ein stärkerer musi-
kalischer Aufschwung kommt in die Komposition mit dem Auftreten
des Orfeo, welcher die Rettung der Euridice und seine eigene in einem
einfachen, freudevollen, durch Echos eigentümlichen Solomadrigal feiert.
Jocopo Peris »Euridice« 43
Es besteht aus zwei Versen, der zweite bringt die Melodie und den
Satz des ersten Verses mit einigen Änderungen und Erweiterungen
des Schlusses, gehört also zum Teil schon der Variationengattung
mit an, welche bald auf längere Zeit für die Gestaltung der »Arien«
in den Opern bräuchlich wurde. In kurzen Plaudersätzchen geht nun
das Werk zu Ende. Ein Zyklus von Chören und Chorterzetten, letztere
abwechselnd von Frauen- und Männerstimmen gesungen, bildet den
eigentlichen Abschluß. Zu dem fünfstimmigen Chorsatze wird mit
getanzt, für letzteren Zweck ist auch ein selbständiger Instrumental-
satz von fünf Doppeltakten mit eingefügt.
Die »Euridice«, als Dichtung, gehört zu jener Klasse von Dra-
men, welche ihren Schwerpunkt nicht in den Charakteren, sondern
in den Situationen suchen, und ruht schon hierdurch auf einem Boden,
welcher der Musik von Natur leicht zugänglich ist. Sie ist zur
Hälfte ein Götterstück. Aber Rinuccini rückt das Wunderbare der
Fabel in begreifliche menschliche Nähe. Die Gattenliebe macht den
Orfeo zum Helden, und der Gesang ist seine Waffe. Die Dichtung
hat ihren spannenden Mittelpunkt; sie ist reich an rührenden Zügen
und idyllischen Bildern und getragen von dem Fluß einer poetisch
belebten und formschönen Sprache, die sich zum Teil über die Manier
der Zeit weit hinaushebt. Wenn Rinuccini für die Handlung dieses
Musikdramas die Form des Pastorale wählte, so kam er damit nicht
bloß einer Liebhaberei der höheren italienischen Gesellschaft entgegen.
Nein, diese Wahl des Pastorale beruhte unausgesprochen auch auf
gut musikalischen Gründen. Mit der Szenerie und dem Gefühlsleben
des Pastorale hatte sich die Musik schon im Madrigal vertraut ge-
macht: Es war ein Vorteil, daß sie in dem Augenblicke, wo es galt,
in dem Sologesang eine neue Kunstform zu entwickeln, wenigstens
geistige Anknüpfungspunkte vorfand.
Arteaga hat den Wert der Leistung Rinuccinis unumwunden an-
erkannt. Er nennt dessen »Euridice« die beste Dichtung, welche
bis zu den Zeiten Metastasios für die Oper geschrieben worden ist.
Im Gegensatz zu ihm bricht ein neuerer Kritiker (Karl von Winter-
feld in »Gabrieli und sein Zeitalter«) über sie den Stab und be-
gründet sein hartes Urteil durch den Vergleich der »Euridice«
mit der Antike. »Was — ruft er aus — was war den Ita-
lienern des Cinquecento der Inferno?« Vollständig recht hat er mit
dieser Frage insofern, als die Sagen der Alten nach der großen
Glaubensumwälzung, welche die Geschichte im Christentum erfuhr,
ihre dogmatische Kraft und religiöse Bedeutung verlören hatten.
Aber es liegt dabei eine Überschätzung dieses Momentes vor. Denn
einem Dichtwerk gegenüber gibt nicht der Glaube von Verfasser und
Publikum, sondern die Phantasie den Ausschlag. Es muß Winter-
feld ferner zugestanden werden, daß Rinuccini und diejenigen, welche
ihm folgten, bei ihrer Nachbildung des antiken Dramas den tiefsitt-
lichen Grundzug ganz übersahen, welcher die Werke des Sophokles
44 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
und Äschylos über Jahrtausende hinweg lebendig erhalten hat, und
daß sie sich im wesentlichen auf die formellen Elemente der antiken
Tragödie beschränkten. Aber man wird dem Rinuccini durch den
einseitigen Vergleich seiner »Euridice« mit der Antike nicht ge-
recht. Man muß sie vielmehr einmal dem Durchschnitt des zeit-
genössischen Dramas entgegenhalten und zweitens denjenigen Dich-
tungen, welche nach Rinuccini in der venetianischen Periode die
Richtung des Musikdramas bestimmten. Stellen wir die »Euridice«
des Rinuccini und seine andern Musikdramen — obwohl diese bedeu-
tend schwächer sind — den deutschen Staatsaktionen jener Zeit, den
Blut- und Greueldramen, der Unflatkomödie — wie sich J. L. Klein
ausdrückt — des italienischen Theaters um den Anfang des 17. Jahr-
hunderts gegenüber, so steht Rinuccini als der Vertreter einer höheren
Bildung vor uns. Über seinem Werke glänzt das milde Licht eines
feinen harmonischen Geistes. Die spätere Venetianische Oper ist
theatralisch efi'ektvoller , reicher an Handlung, aber sie bildet, mit
der »Euridice« verglichen, einen Rückfall ins Barbarische und Rohe.
Die Tatsache, daß die Oper bei ihrem ersten Erscheinen in den bes-
seren Kreisen sympathisch aufgenommen und als die vornehmste Art
dramatischer Kunst bevorzugt wurde, kommt zum Teil auf Rinuccinis
Verdienst. Daß aber Rinuccini dieses Verdienst erstrebte, daß er
mit voller Absicht mit seinem Pastorale gegen die rohe Dramatik
seiner Zeitgenossen reagieren wollte, beweist der zweite Vers im
Prolog der »Euridice«:
»Non sangue sparso d'innocente vene
Non ciglia spente di tiranno insano,
Spettacolo infelice al guardo umano
Canto SU meste, e lagrimose scene. «
Das »Non« hat man sich als unterstrichen zu denken. Suchen
wir die formellen Elemente auf, welche Rinuccini gleich den andern
Pastoraldichtern seiner Zeit — Guarini, Tasso — aus der antiken
Tragödie herübernahm, so finden wir außer einigen Berührungspunkten
in der Führung des Dialoges, welchen später von andern noch schärfer
nachgegangen wurde, einige typische Figuren des alten Dramas. Das
sind die Boten und die Freunde. Wichtiger als sie ist aber der
Chor. Diesen kannte auch schon die gesprochene Tragödie des 15.
und 16. Jahrhunderts. Er gelangte aber in dem Musikdrama unserer
ersten Periode zu einer ganz neuen, hervorragenden Bedeutung. Er
wurde aktiver, er bestimmte die Wirkung der Szene, und er wurde
geradezu zum Träger des idealen Elementes der Oper. Der Chor
bildet so stark das Kennzeichen und den schönsten Zug in der Phy-
siognomie der Oper der ersten Periode gegenüber der Anlage der
italienischen Musikdramen in der Zeit der Venetianer und Neapoli-
taner, daß wir diese erste von Florenz ausgehende Periode schlecht-
hin die Choroper nennen dürfen.
Die Choroper 45
Ein großer Teil der in die erste Periode gehörenden Operndich-
tungen hält am Pastorale fest. Doch ist in diesen Pastoralen die
Handlung nirgends mit der Einfachheit geführt, welche der »Euridice«
eigentümlich ist. Das galante Element der Zeit kommt in ihnen
zum Ausdruck und die listenreiche Liebelei bildet die Seele ihrer
Entwicklung. Die Konflikte entspringen aus Werben und Ver-
schmähen; die Sehnsucht und die Glut des Verlangens, der Haß und
die Eifersucht sind die Leidenschaften, welche die Musik am häu-
figsten wiederzugeben hat. Li Guarinis »Pastor fido«, schwächer in
Rinuccinis eigener »Dafne« und in seiner »Arianna« haben wir die
Haupttypen dieses Intrigenpastorales.
Eine etwas uninteressante Nebenklasse zweigte sich vom Pasto-
rale in der sogenannten Allegorienoper ab. Das Grundwesen dieser
Gattung ist didaktischer Natur: An die Stelle der Götter und Halb-
götter treten hier personifizierte Begriffe. Die Tugend und das Laster
machen sich mit rhetorischen und mimischen Mitteln die Opfer
streitig, der Zuhörer wird mit moralischen und erbaulichen Betrach-
tungen überhäuft. Ln letzten Akt klärt in der Regel das plötzliche
Erscheinen von Höllengeistern und Dämonen die betörten Jünglinge,
welche im Mittelpunkte dieser Dramen stehen, über den Abgrund
auf, vor welchem sie angelangt sind, und bewirkt schleunige Um-
kehr. Rom war die Hauptstelle für diese moralischen Pastoralen,
Kardinäle erscheinen häufig als die Dichter. Musikalisch sind diese
römischen Allegorien, welche sich später mit dem Oratorium ver-
schmolzen, in der Regel, wie wir bald sehen werden, wegen ihrer
Chöre sehr bemerkenswert.
Eine dritte Richtung in der Dichtung der Choroper stellt sich
zum Pastorale in Gegensatz. Sie wirkt in erster Linie durch Sze-
nerien und Dekorationen und entfaltet in der Oper Prunkvorstel-
lungen, bei welchen sich die Künste des Zirkus und des magischen
Kabinetts die Hand reichen. Das dramatische Lebenselement dieser
musikalischen Ritter- und Zauberstücke ist das Wunder. Götter,
Heroen, der Ozean, die Sonne, die Tritonen, die Zeichen des Tier-
kreises, Jäger und Fischer erscheinen in bunter Mischung als han-
delnde Personen; die Handlung durcheilt in fünf Akten alle Elemente,
springt von der Erde hinauf zum Himmel, von der Luft ins Meer.
Der Vater dieser phantastisch verworrenen Richtung, welche mit
dem Pastorale gleichzeitig von dem Musikdrama Besitz ergriff, ist
Gabriel Chiabrera. Im Grunde haben wir sie als eine Weiterbil-
dung der ballettartigen Intermedien des 16. Jahrhunderts zu be-
trachten. Das Wesen und die Bestandteile dieser bei Hoffestlichkeiten
unentbehrlich gewordenen Prunkspiele kehrt in den Opern der Chia-
breraschen Richtung wieder. Nur ist alles auf größeren Fuß gestellt.
Aus den Einaktern sind vielteilige Dramen geworden, zu dem alten
Musikapparat von Chören und einfachen Sinfonien ist der Sologesang
mit seinen neuen Reizen getreten. Wenn aber diese Richtung im
46 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
weiteren Verlauf der Choroper an Boden gewann und auch die Pa-
storalopern und die Römischen Allegorienopern durchdrang, so ist
das besonders dem sprungweisen und fabelhaften Aufblühen des thea-
tralischen Maschinenwesens zuzuschreiben. Wir besitzen über die
Entwicklung dieses Teiles der theatralischen Künste in der Zeit der
Choroper nur allgemeine Angaben und keine genauen ins einzelne
gehenden Berichte. Denn die Meister des Faches, Torelli z. B.,
welchen Louis XIV. nach Paris berief, wahrten über ihre Erfindungen
ein strenges Geschäftsgeheimnis. Aber die Tatsache ist durch zahl-
reiche Bilder belegt, von denen die früher angeführte »Commemora-
zione della riforma melodrammatica« (1895) eine genügende Anzahl
mitteilt 1. Erklärlicherweise lenkte das Dekorationswesen der Oper
die Aufmerksamkeit in hervorragendem Grade auf sich. Mit Staunen
und Bewunderung erzählen die zeitgenössischen Berichterstatter, daß
wilde Tiere, Bäume, Felsen, Fabelwesen singend auftreten, daß Men-
schenmassen im Fluge verzaubert und entzaubert werden, daß Dra-
chenzähne sich in bewaffnete Männer verwandeln, aus der Erde Bäume
hervorspringen, der Himmel plötzlich geöffnet die volle Versammlung
der Götter zeigt, daß Wolken herabschwebend spielende Orchester
entladen, Einöden und wilde Wälder im Augenblick zu blühenden
Hainen werden. Auch einzelne Komponisten hatten für diese Kunst-
stücke ein empfängliches und wachsames Auge, z. B. Gagliano.
Aber es ist zu weit gegangen, wenn, wie dies Ambros tut, be-
hauptet wird, daß das dekorative Element in der Oper das musi-
kalische mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt habe. Die
Prüfung der aus der Periode der Choroper erhaltenen Partituren
zeigt ein besseres Ergebnis.
Peris Leistung in der »Euridice« ist, wenn man diese Kompo-
sition als ersten Versuch betrachtet, bewunderungswürdig. Er ar-
beitete ohne praktische Vorlagen und von den Bruchstücken einer
Theorie mehr gehemmt als gefördert. Einige der Fehler in seiner
Komposition müssen direkt auf einen zu großen Eespekt vor den
Weisungen der Florentiner Hellenisten zurückgeführt werden. In
erster Linie gehört unter diese die Schwerfälligkeit seines Perioden-
baues. Sie entsprang einer falschen Auffassung des Reimes, der
in der Poesie ein Surrogat der Musik ist, und seine Bedeutung in
den meisten Fällen verliert, wenn das Gedicht sich in Töne kleidet.
Aber Peri markiert den Abschluß jeder Zeile mit einer vollen Ka-
denz. Schon Doni spricht sich in einem besonderen Kapitel über
diese Überschätzung des Reims aus 2. Sie beherrscht die Zeit, sie
kehrt in der italienischen Monodie wieder und noch stärker in dem
1 Weitere Auskunft vermittelt E. Flechsig: »Die Dekoration der
modernen Bühne in Italien von den Anfängen bis zum Schluß des 16. Jahr-
hunderts« (Berlin 1894).
2 Im »trattato della musica scenica« S. 19 (Del abuso delle Rime).
Die Choroper 47
jungen deutschen Lied. An vielen Stellen jedoch durchbricht er
den Zwang und wiederholt, vom Strome der Empfindung fortgerissen,
wider das Verbot seiner Auftraggeber bedeutungsvolle Worte. Kirch-
liche und madrigalische Musik waren die einzigen Formen der Kunst-
musik, welche bis zu Peri gegolten hatten. Was Wunder, daß wir
seinen Sologesang vielfach von madrigalischen Wendungen und Ge-
meinplätzen abhängig sehen? Der Terzfall der Stimme nach oben
an den Schlüssen der Abschnitte und Perioden, der gleich im Prolog
(s. oben) auftritt, ist der am häufigsten verwendete jener Madrigalen-
reste. Er erhielt sich im Rezitativ noch bis zu Cavalli hin. Eine
Unterscheidung der einzelnen Redeformen im Drama sehen wir in
der »Euridice« angebahnt. Der von den Zeitgenossen so stark be-
wunderte Abschnitt, wo Dafne den Tod der »Euridice« berichtet,
liefert den Beweis, daß Peri die Sprache der Empfindung und die
Sprache des Berichts, die dramatische Geschäftssprache musikalisch
zu sondern suchte. Freilich war er weder gewillt noch imstande,
diesen Versuch streng durchzuführen. Alles in allem genommen
zeigt die Komposition Peris im Sologesang dieselbe Erscheinung,
welche uns in allen Leistungen auf diesem Gebiete, gleichviel, ob
wir ihnen in der Oper oder außerhalb nachgehen, wieder begegnet:
Der Ausdruck ringt jahrzehntelang mit der Form. Was aber Peri
in bezug auf Ausdruck in der »Euridice« bietet, ist immer über-
zeugend, zeigt lebendiges, sicheres Gefühl und Naturbeobachtung und
trägt häufig die Spuren des Genies. Er handhabt Melodie, Harmonie
und Rhythmus, die Elemente der Tonkunst, vorwiegend mit einer
vorauseilenden Kühnheit und ürsprünglichkeit, und hat allen An-
spruch darauf, unter die großen schöpferischen Geister der Tonkunst
eingestellt zu werden.
Fragt man danach, wieweit die Komposition der »Euridice« den
nachfolgenden Arbeiten anderer zum Muster gedient hat, so darf
behauptet werden, daß der Grundriß der »Euridice« allen Nachfol-
gern in der Periode der Choroper zum Ausgangspunkte gedient hat.
Am meisten anregend wirkten neben der wiederholt erwähnten Be-
richtsszene der Dafne, die zu dem leichten Ton im Rezitativ führte,
die zwei Verse, welche Orfeo bei der Rückkehr aus dem Inferno
den Freunden und Gefährten vorsingt: »Gioite al canto mio«. Nach
ihrem Beispiel behandelte man die lyrischen Abschnitte in der Dich-
tung fortan musikalisch in Variationenform. Die »Arien« mit Vari-
ationen auf bleibendem Baß sind die häufigst gebrauchte Form
für die Sologesänge in der Periode der Choroper. Die größte Be-
deutung für die weitere Geschichte der Oper erhielten aber die Chor-
szenen der »Euridice«. Sie sind noch heute lebensfähig und wirksam,
trotz ihrer Kürze. Das Vorbild dieser Chorszenen der »Euridice«
wird von den folgenden Komponisten immer weiter ausgeführt; die
Chöre selbst wurden größer und in eine bewegtere, abwechslungs-
reichere und mannigfaltigere Umgebung gesetzt. Über die Leistungen
48 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Paris im Sologesang kam man in der Periode Peris selbst wesentlich
nach der Richtung hinaus, daß Bericht und Gefühlsausdruck schärfer
unterschieden wurden und der ganze formelle Teil der Musik gewann
an Glätte und Klarheit.
Es wechseln in der Opernmusik, welche in den vierzig Jahren
nach Peris »Euridice« folgte, bedeutende und geringere Leistungen,
und die an der Arbeit teilnehmenden Talente sind ungleich, wie immer
und überall. Im ganzen aber zeigen die Werke einen steten Fort-
schritt. Das wird besonders dann bemerkbar, wenn man, wozu wir
Gelegenheit finden werden, die dramatischen Arbeiten, welche Männer
wie Peri, Gagliano und Monteverdi am Beginn der Periode schrieben,
mit denen vergleicht, welche 30 Jahre später aus ihren Händen
hervorgingen. Derjenige Teil der Opernmusik, welcher jenen Eort-
schritt am deutlichsten zeigt, ist der Sologesang. Seine Formen
werden klarer und reicher; der Ausdruck gewinnt an Beweglichkeit,
an Mannigfaltigkeit und Tiefe. Es erfolgt eine Scheidung zwischen
lyrischen Partien und rezitativischen und die ersteren sind es, denen
die Entwicklung des Sologesanges am meisten zugute kommt, das
Rezitativ behält noch länger einen Rest von Schwerfälligkeit. In den
Prologen scheint man die Unbehilflichkeit der ersten Anfangszeit ab-
sichtlich festgehalten zu haben. Sie wirkte feierlich, antik. Für den
Entwurf der Szene, für die Verschmelzung von Chor- und Sologesang
bildet das Muster der »Euridice« die ganze Periode hindurch die
Grundlage, aber die Gruppen wie ihre einzelnen Glieder erfahren
bedeutende Erweiterungen.
Über die Zahl der in diese Periode fallenden Opern — dramme
in musica oder p. musica ist ihre übliche Bezeichnung — können
wir uns an den erwähnten Catalogo des Allacci^ halten. Wenn die
früher erwähnten Lokalforschungen auf dem Gebiete der Theater-
statistik einst ihren Abschluß gefunden haben werden, mag das Bild,
welches wir heute sehen, an Vollständigkeit und Genauigkeit ge-
winnen. Ein wesentlich anderes dürfen wir aber kaum erwarten.
Nach Allacci kommen in den Jahren 1600—1637 auf ungefähr 450
wirklich aufgeführte oder nur gedruckte Bühnenwerke bloß 38 Stücke,
welche mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit der Oper zugewiesen
werden können. Nach Solertis Feststellungen aus dem Jahre 1906
sind es 41. Erscheint uns diese Anzahl eine geringe, so müssen wir
in Betracht ziehen, mit welchen Schwierigkeiten die Aufführung von
Opern in jener ersten Periode noch verknüpft war. Kehren doch an
den verschiedenen weit entlegenen Orten dieselben Namen der Sänger
wieder: Signor Brandi, Signorina Archilei usw. Wir dürfen nicht
vergessen, daß solche Aufführungen nur immer gelegentlich als Fest-
vorstellungen vor geladenem Publikum stattfanden. Das erste Schick-
sal und die früheste Entwicklung der Oper hing von der Gunst eines
1 >Drammaturgia divisa in sette indici«. Rom 1666.
Griulio Caccinis »Euridice« 49
ausgewählten Mäzenatentums ab. Sie ging von den Medizeern in
Florenz zu den Gonzagas in Mantua, von Hof zu Hof, sie kam von
da in die Paläste reicher Fürsten und Kardinäle, sie kam in die Aka-
demien und in die Ratssäle der großen italienischen Städte. Sie war
an den Geschmack und die Kunstneigungen der oberen Klassen, sogar
an die speziellen Bedürfnisse der Repräsentation gebunden. Und da
innerhalb dieser Schichten das gesellige und geistige Leben durch
ganz Italien ziemlich das gleiche war, bewegt sich auch die Ent-
wicklung der Oper jener Zeit überall in dem annähernd gleichen
Kreise. Vollständige Übereinstimmung herrschte in den szenischen
Ansprüchen: man wollte sehen, staunen und überrascht sein, die Musik
überließ man ihrem natürlichen Gang; wir haben keine Anzeichen
dafür, daß irgendwo ein bestimmter Wille die Bahnen der Fachmänner
gewiesen habe. In bezug auf den Inhalt und die Tendenz der Dra-
men gingen die Anforderungen stärker auseinander. Die griechische
Oper und die Allegorien- und Moraloper scheiden sich auch geo-
graphisch: Florenz und Rom. Diese beiden Städte haben auch quan-
titativ an der ersten Geschichte der Oper den Hauptanteil. Auf Rom
kommen in der ersten Periode (nach Allacci) 12, auf Florenz 14 Werke.
Mantua steht ihnen gleich durch die Bedeutung der wenigen Werke,
welche dort hei-vorgingen. Dann kommen Bologna, Vicenza, Turin,
Padua, Pisa, Urbino und weitere Städte.
Von jenen 38 oder 41 Opern ist ungefähr ein Drittel erhalten.
Die erste davon ist gleichfalls eine Komposition der Rinuccinischen
»Euridice«. Ihr Komponist Giulio Caccini ließ die Partitur, die
den Titel* hat: »L'Euridice composta in musica in stilo rappresenta-
tivo« noch im Jahre 1600 drucken. Sie gleicht der des Peri in der
Anlage, in der Besetzung und sämtlichen Äußerlichkeiten. Sie teilt
mit dieser auch Mängel, wie die Einförmigkeit und die Abhängigkeit
von typischen Wendungen, die aus dem Madrigal stammen, die Nei-
gung zu melodischen Gemeinplätzen und sie ist viel reicher an Miß-
griffen im Ausdruck. Caccinis Pluto z. B. ist lustig gehalten. Wo
die Handlung Pathos, Tiefe und Kühnheit der Töne verlangt, bleibt
Caccini meistens hinter dem begabteren Peri zurück. Nur an einer
einzigen Stelle ist seine Auffassung die bessere: das ist die, wo Orfeo
in den Inferno eintritt. Hier hat er den treffenderen Ton der Trauer.
Wohl aber erscheint Caccini als der geübtere und fester geschulte
unter den beiden. Darauf weisen seine fließenden Bässe, seine gut
gerundeten Perioden, die korrekte Deklamation und die bewegliche
und reichere Modulation. Die Wiedergabe freudiger Stimmung, auf
die die Madrigalenkomponisten besonders eingeübt waren, beherrscht
er lebendiger und bestimmter als Peri. Äußerlich unterscheiden
sich die Sologesänge Caccinis von denen des Peri durch reichere Ein-
mischung von Koloraturen. Sie rechnen mit der gesangstechnischen
Virtuosität, tragen dadurch aber zuweilen in die Deklamation und Me-
lodik einen Zug geistiger Unreife hinein.
Kl. Ilandb. der Musikgesch. VI. 4
50 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
In der Gestalt, wie wir heute die Partitur der >Euridice« des
Peri kennen, kam sie 1600 nicht zur Aufführung. Einzelne ihrer
Chöre und Solosätze waren durch solche aus Caccinis Eeder ersetzt,
dessen Schüler in der Oper mitwirkten. Bald darauf scheint Caccini
dann das ganze Drama komponiert zu haben. Auch schrieb er für
dieselben Festlichkeiten eine selbständige kleine Oper: »II rapimento
di Cefalo^, deren Dichtung von Chiabrera herrührt und als
»poemetto dramatico« bezeichnet ist. Dieses > Rapimento« wurde
auf Kosten der Stadt aufgeführt, der Chor hatte, wie wir aus Caccinis
>Nuove musiche« wissen, die für jene Zeit außerordentlich starke
Besetzung von 57 Personen. Zwei Chöre und drei Arien aus dem
Rapimento hat Caccini in seine »Nuove musiche« aufgenommen. Die
Arien, von Palontrotti (Baß), Peri und Rasi (Tenöre) gesungen, sind
gering an Gehalt, in der Form wiederum durch die langen Koloraturen
auffällig. Die Chöre machen durch die Behandlung der Harmonie
einen modernen Eindruck, die Verbindung und Gruppierung der Chöre
und Soli ist wirksam.
In demselben Jahre 1600 wurde zu Rom in dem bekannten Bet-
saale des Neri, dem Oratorio des Klosters S. Maria di Vallicella
ein Werk aufgeführt, welches nach dem Willen der Verfasser eben-
falls der Gattung des Musikdramas zuzuweisen wäre. Es ist die
>Rappresentazione di anima e di corpo« von Emilio del
Cavaliere^, dem Komponisten der erwähnten drei Florentiner Pastoral-
stücke von 1590. Die Partitur, welche noch im Jahre der Auffüh-
rung im Druck erschien, ist dem Kardinal Aldobrandini gewidmet und
von dem Herausgeber, Aless. Guidotti in Bologna, mit einer Vorrede
versehen, in welcher nochmals die Verdienste betont werden, welche
der inzwischen verstorbene Cavaliere sich um die Wiedererweckung der
alten Tragödie erworben hat. Dieses Vorwort ist eine der ausführ-
lichsten unter den Willensmeinungen der an der Einführung der Oper
nächstbeteiligten Männer. Es geht auf viele Einzelheiten ein, welche
auf die Methode, mit welcher die ersten Komponisten erfanden und
anordneten, Licht werfen. Abermals ergibt sich daraus, daß viele
Kleinigkeiten in ihren Arbeiten, welche uns zufällig und einer
weiteren Beachtung nicht wert erscheinen, auf eifriger Berechnung, auf
eingehender Beobachtung des natürlichen und gewöhnlichen Lebens,
auf Beachtung geringfügiger Notizen aus der Geschichte der alten
Tragödie beruhen. Die Verwendung der drei Flöten in der »Euridice«
des Peri z. B. findet in der Vorrede unserer >Rappresentazione« ihre
Begründung. Die Flötenbegleitung galt für antik, und deswegen
führt sie Cavaliere in seiner »Rappresentazione« systematisch durch.
Doch steht er mit diesem Verfahren allein.
Die Dichtung der »Rappresentazione«, welche gleichfalls von Ca-
1 A. Solerti: »Laura Guidiccioni Lucchesini ed Emilio del Cavaliere«
(ßivista musicale IX, 797).
Agostino Agazzaris »Eumelio< 51
valieres früheren Mitarbeiterin Laura Guidiccioni herrührt, ist interes-
sant als ein Versuch, das Mysterium, die Hauptart des mittelalter-
lichen geistlichen Schauspiels durch den neuen Musikstil wieder zu
beleben. Die italienischen Mysterien heißen Rappresentazione ; der An-
schluß an die Gattung ist aber in diesem »Spiele von Seele und Leib«
auch innerlich versucht worden. Die auf der Bühne erscheinenden
Figuren sind lauter personifizierte Begriffe: Welt (mondo), Leben (vita
humana), Körper (corpo), Vergnügen (il piacere), der Verstand (il in-
telletto); die Handlung ist durch moralische Betrachtungen ersetzt,
die dramatische Entwicklung darauf beschränkt, daß die Vertreter der
Sinnlichkeit, welche am Anfang geschmückt und geputzt erscheinen,
sich am Ende des »Spiels« in Totengerippe verwandeln. Die Tendenz
der »Rappresentazione« ging in die Mehrzahl der späteren römischen
Opern bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinüber; waren
doch die Kardinäle die Hauptmäzene der Gattung. Aber die kahle
Gestalt vermied man.
Die Musik Cavalieres ist unbedeutend und viel geringer als die
Peris. Die Chöre sind ganz kurz, die Solostücke treiben zwi-
schen Koloratur und Deklamation hilflos hin und her. Die einzige
kleine Neuerung im Entwürfe der Komposition bildet eine auf die
Skala aufgebaute Sinfonie, mit welcher der erste Akt beschlossen wird.
Die nächste erhaltene Oper stammt wieder aus Rom. Es ist der
»Eumelio« unter dem Titel Dramma pastorale von Agostino
Agazzari für die Zöglinge des Seminario Romano in Rom ge-
schrieben und da im Karneval 1606 mehrmals aufgeführt. Noch in
demselben Jahre erschien es im Druck (Venedig, Amadino). Das Werk
ist interessant als der erste bekannte Fall, in welchem die neue Oper an
die Stelle der alten Schulkomödien getreten ist. Die Dichtung, deren
Verfasser wir nicht kennen, vereinigt florentinische und römische Ele-
mente. Das Stück spielt in den ländlichen Kreisen, in welche uns Ri-
nuccini und die Pastoraldichter zu führen lieben; ein großer Teil der
Sologesänge preist die in tausend Madrigalen besungenen Reize der
Natur, und die Chöre der Hirten vertreten die guten Mächte des
Dramas. Seine Tendenz ist in römischer Art moralisierend: die Hingabe
an die Weltlust nimmt ein Ende mit Schrecken. Dieser gute Zweck,
sagt Agazzari in der Vorrede, habe ihn hauptsächlich zur Komposi-
tion bewogen. Agazzari genoß wegen seiner Leistungen in der Kirchen-
musik, unter denen namentlich sein »Stabat mater« hervorzuheben,
einen großen Ruf. Der Titel des »Eumelio« führt in als Armonico
intronato an, eine Würde, in welcher wir das musikalische Gegen-
stück zum Poeta laureatus erblicken dürfen. Wir sind danach be-
rechtigt, an seinen »Eumelio« Erwartungen zu knüpfen. Die Arbeit
erfüllt dieselben, was im Gegensatz zu Ambros, welcher die Oper zu-
erst beschrieben hat, betont werden muß. Der »Eumelio« ist be-
deutender als die Opern, welche ihm vorangingen. Seine Chöre sind
mannigfaltig und voll von dramatischem Geist, besonders die vitii,
4*
52
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
die Geister der Sinnenlust, einfach, aber treffend und lebendig cha-
rakterisiert. Die Sologesänge der Oper stehen über denen der >Euri-
dice« bezüglich der klareren Fassung und der Leichtigkeit ihrer Me-
lodik. Der Prolog des Werkes, den die »Poesia« vorträgt, mag hier-
von eine Probe geben.
SEB^
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La sembianza e questa fronde av - volta al crine spar - so e la-
äitE
lE^^E^|:^EgEiEzl=3=^ii^^
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vo-ri- o lo qua - re. No-ta avoi stuo-lo il - lu - stri horami fa - ce,
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k^^^^^^^i^^EE^^EEi,
-n • g>-
1
da cui son spes - so lie - ta men - te ac-col - ta.
Was den Melodienbau Agazzaris von dem der Vorgänger in der
Oper schon vom Prolog ab unterscheidet, ist die geschmackvolle Ver-
wendung des Melisma d. h. der Gebrauch mehrerer Töne auf einer
Silbe. Caccini und Cavaliere bedienen sich dieses Elementes für ihre
Melodiebildung im Übermaß, Peri weicht ihm in der »Euridice«
ganz aus, Agazzari wählt zwischen den beiden Extremen eine gute
Mitte. Freilich hält er sich an die besondere Form des Melisma
— vier Achtel auf die Silbe — etwas zu ausschließlich. Die
übrigen Verse des Prologs werden, wie in der »Euridice«, auf die-
selbe Melodie gesungen wie der erste. Auch die übrigen Sologesänge
des >Eumelio« sind, soweit sie aus Versen von gleichem Metrum be-
stehen, so behandelt. In der Vorrede bittet Agazzari wegen dieses
Verfahrens um Entschuldigung mit Berufung auf Aristoteles und
Homer und auf den triftigeren Grund_, daß er zur Komposition seiner
Oper nur 14 Tage Zeit gehabt habe. Es war ja inzwischen Gebrauch
geworden, bei Arien, welche aus einer größeren Anzahl gleichgebauter
Verse bestanden, Vers für Vers die Melodie zu variieren und nur
Grundbaß und Harmonie festzuhalten. Nach diesem Grundsatz ist
ein großer Teil der Opern in der nächstfolgenden Zeit angelegt.
Der erste Akt beginnt mit dem Gesang des Eumelio (Sopran),
der die idyllische Herrlichkeit des schattigen Waldes preist, in
Agostino Agazzaris »Eumelio<
53
welchem er fortan nach dem Willen seines Vaters Apollo wie im
klösterlichen Frieden lediglich der Einkehr ins Innere leben soll.
Schon in der zweiten Szene aber tritt an den Jüngling die Verführung
in Gestalt der Nymphe »Echo« heran. Eumelio fragt die Nymphe
über seine Zukunft und Echo antwortet in der bekannten zweideu-
tigen Weise der Orakel. Das Echo, bekanntlich schon in der kontra-
punktischen Periode bei Dichtern und Komponisten sehr beliebt, ge-
wann mit der Einführung des Sologesanges bedeutend an Ausdehnung
und erhielt sich in Oper, Oratorium und Kantate bis gegen die Mitte
des 18. Jahrhunderts. Noch J. S. Bach hat in seinem Weihnachtsora-
torium eine Echoarie. Agazzari, der uns das Echo in der Oper zum
ersten Male vorführt, verwendet für dasselbe gern und wirksam längere
Figuren: Schließt Eumelio mit F^t^- — ^^ i ! i — FTTj m \ -
all' 0 - - - ro
so antwortet Echo mit demselben Gange: oro. Fragt Eumelio »mai
sara che in me all' oggi«, so nimmt Echo diesen Schluß mit
^„^7^ ^^^
og ------- gl
auf. Das Echo wird abgelöst von einem coro de vitii, der in mun-
terer, leichter Weise den Jüngling an sich zu ziehen sucht. Eumelio
wehrt in rezitativischen Sätzen ab, die vitii locken wieder. Darauf
erhebt der Coro dei Pastori in einem prächtigen und imposanten
achtstimmigen Satze seine warnende Stimme. Trotzdem folgt Eu-
melio den Verführern, wie uns der Nuntio Corybante, der drama-
tische Ersatzmann des Angelus der antiken Tragödie, mitteilt, von
den triumphierenden Scharen der vitii umtanzt und umsungen.
Die ganze Szene ist äußerlich sehr wirksam aufgebaut, der Wechsel
von Frauen- und Männerchören, die Steigerung zum Doppelchor,
der Gegensatz der Themen belebt diese Musik immer von frischem.
Die Erfindung der Chormelodien hat madrigalischen Charakter,
aber sie ist dem Wesen der Situationen vortrefflich angepaßt. In
den Tanzweisen, welche die Chöre der Vitii singen, ist ein be-
stimmter Grundzug durchgeführt. Sie sind alle auf denselben Rhyth-
mus, den trochäischen Doppelfuß J J J J? gestellt, und mit diesem
rhythmischen Motiv spielt Agazzari eine ganze Skala leicht gewogener
und frivoler Empfindungen durch, er geht mit ihr bis in die Nähe
einer wilden, dämonischen Lustigkeit, wie solche der letzte Chor dieser
Szene bezeichnet:
[Presto zu denken:)
ä^^
=p=
ä
g^-|fc
Gi-ra, gi-ra bel-lo stuo-lo, bat-tiil stuo-lo, bel-lo stuo-lo
54 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Noch ehe dieser Satz zu Ende, ändert sich mit einem Schlage die
Szene: die Bühne wird aus dem Hain die Hölle, die freundlichen
Vitii sind zu schauerlichen Gespenstern verwandelt und stimmen
einen Coro infernale an, der viel auf einen Ton gehalten, im übrigen
aber in der Charakteristik schwach ausgefallen ist. Sehr schön da-
gegen ist der bewegliche, von flutenden Empfindungen getragene Chor :
»Piangiamo oime«, mit welchem die Hirten das Schicksal des Eumelio
beklagen. Er scheint durch Peris »Sospirate aure celesti« inspiriert
zu sein, greift aber weiter aus und nähert sich dem Stil Carissimis.
Auch die darauf folgende lange Höllenszene hat mit der in der >Euri-
dice« des Peri ersichtliche Ähnlichkeit. Wie dort Orfeo seine Gattin,
so rettet hier Apollo den Sohn durch Gesang aus den Händen der
Unterirdischen.
Arteaga verlegt in das Jahr 1606 eine andere dramatische Kom-
position, die wir noch besitzen: den »Carro di fideltä d'amore« des
römischen Komponisten Paolo Quagliati. Der Dichter dieses Stückes,
Pietro da Valle, hat von der Aufführung desselben eine längere Be-
schreibung gegeben \ in welcher es heißt: »Die Bühne war, wie zu
den Zeiten des Thespis, ein Wagen, welcher das Personal, aus fünf
Sängern und ebensoviel Instrumentisten bestehend, von Straße zu
Straße trug. Eine ungeheure Menschenmenge zog hinter dem Wagen
her und wurde nicht müde zuzuhören. Manche wohnten der Vor-
stellung sechs- bis siebenmal bei; ja etliche folgten unserm Wagen
auf zehn und zwölf Halteplätze und wichen nicht von uns, solange
wir auf der Straße waren. « Schon aus diesem Berichte ist zu schließen,
daß dieser »Carro di fideltä« keine Oper im vollen Florentiner Sinne
gewesen sein kann. Wie aus der Partitur des Werkes hervorgeht,
welche im Jahre 1611 von Oberto Fidate, der das Stück nach der
Vorrede zuerst in Bologna kennen gelernt hatte, herausgegeben wurde,
haben wir es hier mit einer Art dramatischer Kantate zu tun, deren
Gegenstand der Preis treuer Liebe ist. Das Thema ist nicht in die
Form einer Handlung gebracht, sondern nur auf Personen (Amor,
Apollo, Arion, Orfeo, Fama) verteilt, unter welchen Apollo als Meister
der Ki^nste sich mit viel Koloratur hervortut. Unter den Sätzen des
Werkes befinden sich zwei Duette und am Schlüsse ein Quintett, in
welchem die Fama die Solo- und Hauptpartie bildet. Der Brauch,
von der Karre aus kurze Theatervorstellungen zu geben, bestand schon
vor der Einführung der Oper bei Maskenfesten, wie er auch heute
in Italien noch nicht erloschen ist. Das Werk Quagliatis beweist,
wie groß der Reiz war, den die neue Gattung des Sologesanges aus-
übte, wie das bloße Nacheinander verschiedener singender Personen
schon dramatisch wirkte. Es steht in seiner Art nicht allein da. Von
Quagliati selbst, der sich auch durch kirchliche Kompositionen be-
kannt gemacht hat, besitzen wir noch eine zweite dem »Carro di
1 Doni: »Compendio del trattato etc.«
Claudio Monteverdis »Orfeo« 55
fideltä« ähnliche Komposition. Sie heißt »La sfera armoniosa«i,
ist zu einer fürstlichen Hochzeit bestimmt und besteht aus einer Reihe
von Huldigungs- und Gratulationsgedichten, welche von mehreren
allegorischen und phantastischen Figuren — es tritt auf »das Schiff
der Glücklichen«, »der Stern« — vorgetragen werden. Die Musik
dieser »Sfera« steht über der zum »Carro« und zeigt eine bereits
vorgeschrittene und formell fertige Melodik, in deren Charakter das
anmutige und tanzartige Element vorherrscht. Einem großen Teile
dieser Einzelgesänge und Duette ist konzertierende Instrumentalbeglei-
tung beigegeben. Der Form nach unterscheidet Quagliati seine Num-
mern als Madrigale und Arien, und versteht unter letzteren Sätze
von fünf und sechs selbständigen Teilen, in deren Melodie rezitati-
vische, figurierte und sprachähnliche Elemente vorkommen, welche im
Madrigale sich nicht finden. Der »Eumelio«, der »Carro di fideltä« und
die »Sfera armoniosa« sind Beweise für die Macht, welche die Oper
sofort auf die Geister in allen Kreisen ausübte. Man versuchte sie
sofort auch in den Niederungen theatralischer Kunst einzupflanzen.
Agazzaris »Eumelio« hat noch die weitere Bedeutung, daß er mit seinem
Überfluß an Chören und seiner moralisierenden Fabel das erste Lebens-
zeichen der Römischen Schule in ihrer vollen Eigenart bildet.
Zunächst aber tritt mit dem Jahre 1607 Mantua in der Vorder-
grund der Operngeschichte und zwar in erster Linie durch die Arbeiten
von Claudio Monteverdi, welcher von 1604 bis zum Jahre 1613
Kapellmeister am Hofe der Gonzaga war. Die erste Oper Monteverdis
ist sein »Orfeo«, welcher am Anfang des Karnevals von 1607 zuerst
auf der kleinen Bühne der Accademia degl' Invaghiti aufgeführt und
dann am 24. Februar und am 1. März in den Räumen des Hoftheaters
zu Mantua wiederholt wurde. 1609 erschien das Werk (in Venedig
bei Amadino) im Druck. Die Vorrede dieser dem Herzog Francesco
Gonzaga gewidmeten Ausgabe enthält interessante Bemerkungen be-
züglich der Instrumentation; den Noten selbst sind Anweisungen über
Behandlung und Aufstellung der Instrumente beigegeben: das eine
Organo di legno soll rechts, das andere links stehen usw. Die Dich-
tung des Monteverdischen »Orfeo«, welche von Aless. Striggio, dem
Sohne des berühmten Madrigalisten, herrührt, unterscheidet sich von
der »Euridice« des Rinuccini hauptsächlich dadurch, daß in ihr die
ursprüngliche Fassung der Sage wiederhergestellt ist: Orfeo blickt
sich auf dem Rückweg vom Hades nach Euridice um und verliert
sie dadurch. Apollo versetzt das Paar unter die Sterne.
Der hervorstechendste Zug in der Partitur des »Orfeo« ist ihr
Reichtum an selbständigen Instrumentalsätzen. Kleinere Zwischen-
spiele und Ritornelle übergehend, zählen wir im »Orfeo« 26 Orchester-
stücke 2. Diese Sätze haben den Zweck, die Szenen einzuleiten und
1 Exemplar im British Museum zu London.
2 Alfred Heuß: »Die Instrumental-Stücke des »Orfeo« von Monte-
verdi«. Sammelbände der IMG IV, 175ff. 1902.
56 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
abzuschließen, noch mehr aber sollen sie den Lauf der Handlung an
den Hauptpunkten innerlich beleben. Das zeigt sich am deutlichsten
im zweiten Akt. Da wird Polterabend gefeiert und da sind es die
Instrumentalsätze, die die freudige Stimmung, mit welcher der Akt
beginnt, allmählich bis zur Ausgelassenheit steigern. Motiviert sind
sie durch den Wunsch der Hirten, daß Orfeo auf seiner Lyra etwas
zum Besten geben möge. Als die Fröhlichkeit den höchsten Punkt
erreicht hat, tritt die Botin mit der Nachricht auf, daß Euridice
gestorben ist: ein schneidender Kontrast! Von bedeutender Wirkung
ist dann auch der Orchestersatz, welcher die Klageszene im zweiten
Akt abschließt. Noch mehr prägt sich die Sinfonie ein, welche den
dritten Akt eröffnet, ein durch Rhythmus und Harmonie feierlicher
und hochernster Satz. Sein schauerliches Gepräge erhält aber dieses
Tonstück, welches uns in den Inferno einführt, durch den Klang der
Posaunen, Kornetten und tiefen Zungenstimmen, welche hier zum
ersten Male in der Oper ihren Mund öffnen. Einige Minuten später,
in dem Augenblicke, wo Charon, von Orfeos Gesang eingewiegt, die
Augen schließt, ertönt die Sinfonie von neuem, aber in sanften Far-
ben: Bratschen und andere weiche Instrumente sind an die Stelle der
Metallstimmen getreten. Wir dürfen annehmen, daß gerade dieser
Instrumentalsatz aus dem »Orfeo« auf die Musiker anregend gewirkt
hat. Cavalli, der in seinen Werken am meisten von allen späteren
die Schule Monte verdis zeigt, bringt in seiner ersten Oper: »Le nozze
di Teti e Peleo« eine ähnliche Höllensinfonie.
Der »Orfeo« Monteverdis ist auch die erste Oper, welche eine
Ouvertüre hat. Diese Ouvertüre besteht aus zwei Teilen. Der erste^
»Toccata« benannt, ist ein ganz eigentümliches Stück antiquarischer
Laune : im Grunde nicht viel mehr als ein etwas reicher ausgeführtes
Exemplar der alten Fanfaren, die bisher als Zeichen gedient hatten,
daß die Vorstellung beginne. Die Harmonie besteht aus einem ein-
zigen Akkord: dem Cdur-Dreiklang, der 16 Takte lang ausgehalten
wird. Die Instrumente sind dem Bestand der alten Heerpauker- und
Trompetermusik entnommen: der Basso bläst das ganze Stück durch
nur C, der Vulgano, die nächst höhere Stimme, liegt auf g, der
Alterbaß wechselt mit ceg, der Quintbläser hat zu diesen drei Tönen
noch die obere Oktave, und als Sopran fungiert der Clarino, der
einige bescheidene melodische Gänge über diese einfache Grundlage
hin quinquilliert. Das Ganze klingt aber keck und allerliebst und
ist mit reicherer Besetzung zu wiederholen. Auf diesen ersten Teil
folgt aber ein zweiter, der den Charakter des Dramas in elegischen,
wehmütigen Melodien ausspricht. Ihn nennt Monteverdi Ritornell
und läßt dieses Ritornell die ganze Oper hindurch in weichen und
rührenden Augenblicken wiederkehren. Es besteht aus vier Ab-
schnitten, die über Sequenzen desselben Basses aufgebaut sind:
Claudio Monteverdis »Orfeo«
57
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^=f=f
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=^=?2:
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I hl I I
i-^ Jifin
"^^^^^^^m
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*
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-^t-
^i-w^
Mit seiner Toccata und dem ihr folgenden Ritornell hat Monteverdi
höchst einfach den doppelten Zweck der Instrumentalouvertüre, auf
den Beginn des Stückes aufmerksam zu machen und zugleich seine
Moral zu ziehen erreicht. Auch diese Ouvertüre hat in die Opern der
Venetianischen Periode ihre Spuren eingegraben, namentlich mit ihrer
Toccata. In Cavallis »Didone« schließt ein ganz ähnliches »Passata«
betiteltes Stück den ersten Akt. Mehr aber noch als in selbständigen
Instrumentalsätzen klingt der eigentümliche Ton der Monteverdischen
Toccata in den Trompetenarien fort, an welchen die Musikdramen
der frühen Venetianer ziemlich reich sind.
Einzig ist das Orchester des »Orfeo« durch seine Zusammenset-
zung. In ihr berühren und vereinigen sich zwei geschichtlich getrennte
Epochen: die Zeit der Akkordinstrumente und die spätere Periode der
einstimmigen, neuen Orchesterinstrumente. Die Violinen und Holz-
bläser stehen mitten drin in der Familie der alten Orgeln, Lauten
und der anderen Harmonieinstrumente, die zum 16, Jahrhundert ge-
hören. Die volle Besetzung bilden 2 Gravicembali, 2 Contrabassi da
viola, 10 Violen da braccio, 1 Doppelbarfe, 2 kleine Violinen (»alla
Francese«), 2 Chitharronen, 2 organi di legno, 3 Gambenbässe, 4 Po-
saunen, 1 Regal, 1 Flautino alla vigesima seconda, 1 Clarino und
3 Trombe sordine. Von einzelnen dieser Instrumente haben wir
kaum einen Begriif mehr^
1 Der Umstand, daß auf dem Titelblatt des »Orfeo« dem Verzeichnis
der Instrumente auf gleicher Linie die Personen gegenüberstehen:
Personaggi. Stromenti.
La Musica, Prologo Duoi Grauicembani
Orfeo Duoi Contrabassi
usw. usw.
hat den englischen Historiker Hawkins zu der irrigen Annahme verleitet,
daß in Orfeo jede Person mit besonderen, ihr eignen Instrumenten auftrete.
58 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Monteverdi treibt mit diesem reichen Material zuweilen einen
spielerischen Mißl^rauch. Die Stellen des »Orfeo«, wo von zwei zu
zwei Zeilen die Instrumentation wechselt, zeigen den Charakter eines
Suchens nach äußerlich musikalischer Wirkung und stören durch ihre
Unruhe. Aber im ganzen überwiegt in der Verwendung der Instrumente
das dramatisch Planmäßige und die geniale Fähigkeit die Klangfarben
als Mittel des Ausdrucks und der Belebung der Situation zu benutzen.
In diesem Sinne ist Monteverdi ein Instrumentationsgenie, vielleicht
das reichste, welches die Geschichte kennt, und sein »Orfeo« eine uner-
schöpfliche Quelle genußreicher Studien. Der größte Teil der in diesem
Werke in bezug auf diesen Punkt niedergelegten Anregungen ist un-
benutzt geblieben. Unter die wenigen Ideen dieses Gebietes, welche
bald nach Monteverdi wieder aufgenommen wurden, gehört die engere
Verbindung von Gesang und Instrumentalspiel in der Form des
Konzertierens beider Faktoren. Die wichtigste Stelle des »Orfeo«,
an welcher diese Neuerung erscheint, ist die Szene des dritten Aktes,
wo Orfeo im Inferno den Pluto durch seine Kunst zu stimmen und
für sich zu gewinnen sucht. Die Gänge und die wild drehenden
Figuren der beiden mit den Kornetten und der Doppelharfe wechselnden
Violinen tragen in erster Linie den aufregenden und spannenden
Charakter dieser Szene.
Wie Monteverdi aus der allgemeinen Musikgeschichte als Vater
der Dissonanz bekannt und berüchtigt ist, so geht auch in seinem
»Orfeo« durch die Harmoniebehandlung ein schroffer, strenger und
gewaltsamer Zug. Aber er beruht nicht auf Willkür, sondern im
Gegenteil auf einer bis zur Hartnäckigkeit festen Konsequenz. Monte-
verdi liebt und sucht die Steigerung im Periodenbau: die steigende
Sequenz ist ihm das naturgetreue Abbild der wachsenden Empfindung,
des Glühens der Seele. Auch hier mag er die Natur belauscht haben:
Die Stimme geht parallel mit der inneren Erregung beim Menschen
in die Höhe. In einfachster Anwendung dieser Beobachtung läßt
Monteverdi seinen »Orfeo« die ergreifende Stelle singen:
lE£EE;^;EEgz=;zB£ii:mE^
?=*=
Ren - de - te - miil mio ben, ren - de - te- miil mio ben
B O G B A
,ÖES
ren - de - te- mi il mio ben, Tar - ta - rei nu - nu.
D G BAGF Es DO
Aber wie hier in einem einfachen, akkördisch begleiteten Satze, so
verfährt er auch in kontrapunktischen Partien, führt die Steigerung in
den vielen Stimmen streng durch ohne Rücksicht auf die Reibungen
und die Zusammenklänge, die sich ergeben, wenn die verschiedenen
Motive ihre Wege fortschreiten, ohne aufeinander zu achten. Es
Claudio Monteverdis »Orfeo<
59
kommen zu dieser rücksichtslosen Konsequenz in der Harmonie des
»Orfeo« noch manche subjektive Manieren und auch Härten, die der
Zeit angehören: wie die frei einsetzenden großen Septimen. Überwie-
gend ist aber bei diesem Teil der Musik des » Orfeo « der Eindruck, daß
wir es in Monteverdi mit einem Virtuosen der Harmonie zu tun haben,
einem Akkordkünstler, welcher die Mittel der alten Schule zu wunder-
baren Wirkungen zu führen wußte. Namentlich mit der knappen
Nebeneinanderstellung kontrastierender Akkorde erreicht er an hoch-
pathetischen Stellen das Erstaunlichste. Eine solche Stelle ist die
am Schlüsse der Erzählung der Botin, das
Spa - ven - to
i^i=if
4^2 G
t=4:
A %D
Eine andere noch schönere im vierten Akte, da, wo der argwöhnisch
erregte Orfeo den Entschluß faßt, das Verbot zu brechen und sich nach
der »Euridice« umzusehen. Auf das laute Cmoll mit dem lang ge-
haltenen es das hier unheimlich dunkel klingende ^dur. Gebrochen
und stammelnd schließt der Gesang.
Orfeo (Tfuor)
i^g^E^^^^
i=t
^
;S^-.
:i=:
dolcis-si-mi lu-mi!io pur vi veg-gio, io pur!
■^^^
^
±l2^!
I —
?z:
^=^^-1-^J^_j^Qi
ma quäl ec - clis - si oi - irie v'o - scu-ra?
5IEE^=3P
^üfe
Neben der Instrumentierung und der Harmonie hat der > Orfeo«
Monteverdis aber auch noch in der Anlage der Szenen und in dem
Ausdrucke des Sologesanges ganz neue Elemente. Die Szenen sind
bedeutend breiter geworden als wir sie bisher in den Opern fanden.
Einmal durch die Einschaltung der Instrumentalsätze, zum andern
durch die fugenmäßige Durchführung der Themen in den Chorsätzen.
Zugleich erscheinen sie auch einheitlicher. Dies dadurch, daß Monte-
verdi dichterisch bedeutende Worte und Gedanken wiederholt und
zum umschlingenden Bande getrennter Nummern macht. Dies Ver-
fahren im Entwurf hat noch in der Choroper Frucht getragen. Den
60 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Sätzen des Monteverdischen »Orfeo« gibt es zuweilen eine moderne
Färbung. Was M. dem Sologesang an Eindringlichkeit und Schärfe
des Ausdrucks zugewonnen hat, kommt besonders den pathetischen
und gespannten Szenen zugute. Solche sind die Schlußszene des
zweiten Aktes mit der Erzählung der Botin, im dritten Akte der
Gesang des »Orfeo« an die Geister des Inferno gerichtet, ein eigen-
tümliches Gemisch von Ernst und Wildheit. Jenen repräsentieren
schauerlich gemessene Grundharmonien, diese furiose Triller. In einem
demütigen Schluß klingt die Szene — dem » Combattimento « und dem
»Lamento d'Arianna« Monteverdis ähnlich — wunderschön aus. Die
Partie des Orfeo ist in dieser Szene außer in einer einfachen auch in
einer sehr schwierigen Lesart niedergeschrieben. Koloraturen, für die
sich heute kaum ein Sänger finden würde, sollen die Leidenschaft aus-
drücken. Zu dieser Gattung pathetischer, bedeutender Sologesänge
gehört auch noch die bereits erwähnte Szene des vierten Aktes, in
welcher die Euridice ihrem Gatten wieder entschwindet. Ruhigen
Partien der Dichtung gegenüber verhält sich Monteverdi zuweilen
bequem. Ein Beispiel für letzteren Eall ist das in Rouladen breit
gezogene Duett zwischen Orfeo und Apollo, mit welchem die Oper
schließt. Als erste Anwendung der Duettform in der großen Oper
ist das Stück interessant. Auch die Liebeswerbungen und die Hirten-
szenen läßt Monteverdi ziemlich fallen. Nur ein hübsches Element
ist in letzteren zu bemerken: ein Anklang an den italienischen Volks-
gesang mit seinen kurz abbrechenden Rhythmen und seinem einfach
klaren Eormenbau.
Bei dem Vergleich Monteverdis mit Peri fanden wir als den äußer-
lich hervorstechendsten neuen Zug die reiche Verwendung von In-
strumentalmusik im »Orfeo zur Belebung der Handlung, zur Ergänzung
des Dichters. Schon ein Menschenalter vorher hatten Malvezzi und
andere Komponisten in die Florentiner Intermedien kleine Sinfonien
eingelegt. Ohne Zweifel hat das Monteverdi gewußt. Einen viel
breiteren Platz räumten aber die Franzosen der Instrumentalmusik
in Form von Märschen und Charaktertänzen bei ihren Balletts ein.
Auch damit war Monteverdi bekannt ; nach Vogels Biographie dürfen
wir annehmen, daß er selbst in Frankreich gewesen ist, jedenfalls
aber hat er französische Musik studiert. Doch geht Monteverdi nicht
bloß über die Intermedien, sondern auch über die Balletts dadurch
weit hinaus, daß er seine Instrumentalsätze in ein viel innerlicheres
Verhältnis zu den dramatischen Vorgängen setzt. Am deutlichsten
zeigt sich das im zweiten Akt. Da sind es, wie schon mitgeteilt wurde,
die Instrumente, die die freudige Stimmung immer mehr und bis zum
ausgelassenen Tone steigern. An anderen Stellen grundieren sie ein-
leitend den Empfindungscharakter und das Milieu der kommenden
Handlung, so in der Ouvertüre, in der Sinfonie zum dritten Akt und
in den zahlreichen Ritornellen. Oder sie ziehen, nach Art des Chores
der antiken Tragödie die Summe der Eindrücke, so am Schlüsse des
Claudio Monteverdis >Orfeo« Q\
zweiten Aktes. Mit Ausnahme einer Stelle treten alle diese Instru-
mentalsätze als selbständige Vorspiele, Nachspiele und als Zwischen-
spiele zwischen den einzelnen Versen desselben Sängers auf. Die
erwähnte Ausnahme findet sich im dritten Akt, in der großen Hades-
szene. In ihr konzertieren zwei Violinen mit dem singenden Orfeo,
sie modernisieren das gewaltige Leierspiel, mit dem der Held den
Charon bezaubert. Hier schlägt also Monteverdi bereits die Brücke zu
Alessandro Scarlatti und zu den ihm folgenden Versuchen, Ge-
sang und Instrumente in der Ausführung einer besondren drama-
tischen Aufgabe aufs engste zu verbinden. Das Wagnersche Orchester
ist das zurzeit letzte Glied einer langen Kette, an deren Ausbildung
auch die Franzosen einen großen Anteil haben, der Vater aber der
Idee, des Prinzips, die Instrumente in der Oper nicht bloß begleiten,
sondern wesentlich mitreden zu lassen, ist Monteverdi.
Schon dieser eine Umstand stellt den »Orfeo« auf einen hohen
Platz unter den künstlerischen Reformwerken. Aber Monteverdi hat
auch im Gesangteil des »Orfeo« gewaltig geneuert und wichtige Wege
erschlossen. Die Tätigkeit des Chores ist bedeutend erweitert, er singt
nicht bloß am Schluße der Szenen wie bei Peri, sondern auch mitten
drin, und was noch mehr bedeutet, der Chor beschränkt sich bei ihm
nicht auf knappe Sätze von vier Takten und ähnlich, sondern er singt
sich aus. Die »Orfeo «-Chöre kümmern sich nicht mehr um die absolute
Unterordnung der Musik unter die Dichtung, sie wiederholen reichlich
Worte, sie würden zum großen Teil auch für sich allein, vom Drama
losgelöst, wirken können, sie haben einen ganz neuen, stolzen Stil.
Es handelt sich aber bei dieser Emanzipation des Chores im »Orfeo«
nicht um selbstherrliche Übergriffe der Musik, wie sie der weiteren
Entwicklung der Oper so häufig verderblich geworden sind, sondern
Monteverdi erweitert die Chorsätze darum, um den Eindruck großer
Situationen zu vertiefen und einzuprägen. Niemals ergehen sich die
»Orfeo «-Chöre in Allgemeinheiten und in Abschweifungen, die vom
Kernpunkt der dramatischen Lage wegführen. Daß das Beispiel, das
Monteverdi mit seinen Chören bietet, nicht verstanden und nur äußer-
lich nachgebildet worden ist, läßt sich allerdings angesichts des Treibens
der römischen Schule kaum in Abrede stellen.
Bedeutender als in den Chören sind die gesanglichen Neuerungen
Monteverdis in den Solopartien. Er zuerst kommt dem griechischen
Ideal eines zwischen Rede und Gesang die Mitte haltenden Vortrags
merklich näher, einmal durch die Einführung schnellerer Rhythmen, zum
anderen durch eine leichtere und reichere Kadenzierung. Er bahnt die
stilistische Unterscheidung zwischen berichtendem und betrachtendem
Text deutlich an; das spätere sogenannte Seccorezitativ zeigt sich in den
Sologesängen des »Orfeo« wenigstens in Umrissen, die Form der drei-
teiligen Arie aber schon klar ausgebildet. Die Hauptsache aber am Solo-
gesang Monteverdis ist die, daß er auch im Ausdruck über Peri weit
hinaus kommt, besonders in der Wiedergabe von Leidenschaft und starker
62 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Seelenerregung. Die Hauptmittel hierfür sind eine außerordentlich frei
bewegliche, durch Kühnheit auch heute noch in Erstaunen setzende Ver-
wendung von vorbereiteten oder freien Dissonanzen und Dissonanzen-
ketten und eine außerordentlich reiche Rhythmik, die namentlich in
der Verwendung von kleinen Werten neu ist. Kein Zweiter dekla-
miert soviel in Sechzehnteln wie Monteverdi. Zieht man das Er-
gebnis, so steht man bei diesem Orfeo vor einer Summe künstlerischer
und musikalischer Begabung und Bildung, die im ganzen Verlauf der
Musikgeschichte nicht überboten worden ist. Dieser Komponist hat
ureigne Töne für das Größte und das Kleinste. Das schließt nicht
aus, daß seine ürsprünglichkeit im Leidenschaftlichen und im Er-
habenen ihre Hauptgebiete hat und es verträgt sich sehr gut mit
dieser Ursprünglichkeit, daß die Musik des Orfeo viel reicher als das
bisher geschehen ist, aus Volksquellen schöpft. Die sämtlichen Solo-
gesänge der führenden Hirten und Ninfen könnten dem Liederschatze
der Zeit entnommen sein, jedenfalls folgen sie volkstümlichen Mustern,
zum Teil auch die des Orfeo, z. B. sein Auftrittsgesang im zweiten Akte:
aE^E^ESEEÖlfe^EÖE^^^
Ec-co pur-ch'a voi ri - tor - no, ca-re sei - veepiag-gie a-ma-te
dessen Melodie in verschiedenster Umbildung zur Zusammenfassung
der Szene dient. Mit dieser Naivität paart sich aber ganz im Stil
der Renaissancezeit, ein gewaltiger Kunstverstand, der manche der
höchsten Leistungen nicht bloß durch Naturbeobachtung, sondern durch
scharfe, folgerichtige Berechnung erreicht. Der »Orfeo« Monteverdis
gehört durch alle diese Eigenschaften zu den Meisterwerken, die der
Zeit trotzen, die dem Studium und dem Genuß tagtäglich wieder
frischen Ertrag bieten.
Monteverdi hat nach dem »Orfeo« noch sieben Opern komponiert,
nämlich 1608 die »Arianna« des Rinuccini für Mantua, 1627 »La
finta pazza Licori« von P. Strozzi, ebenfalls für Mantua, 1630 die
»Proserpina rapita« von G. Strozzi, welche in Venedig im Hause des
Girolamo Mocenigo aufgeführt wurde, eines reichen Patriziers, mit
welchem Monteverdi in fortgesetztem künstlerischen Verkehr lebte.
1639 folgte die Oper »L'Adone«, deren Text von Paolo Vendramin
herrührt. Sie wurde im Teatro San Giovanni e Paolo aufgeführt,
1641 »Le nozze d'Enea conLavinia« (Text von Giacomo Badoaro), den
Beschluß macht 1642 »L'incoronazione di Poppea«, von Giov. Franc.
Busenello gedichtet und im Theater San Cassiano aufgeführt. Gaetano
Giordaniin seinem »Intorno al Gran Teatro del Comune ed altri minori
in Bologna« 1 setzt in das Jahr 1630 die Aufführung einer Oper »Delia
e rUlysse«, zu welcher Monteverdi die Musik in Gemeinschaft mit
Bologna 1655.
Claudio Monteverdis »Lamento d'Arianna« 63
Francesco Manelli geschrieben haben soll. Doch ist diese Notiz
das einzige, was auf die Existenz des Werkes hinweist.
Zu den genannten sieben Opern kommt noch die- Musik zu fünf
Intermedien, welche Monteverdi im Jahre 1627 für Parma ge-
schrieben hat 1.
Von allen seinen größeren Bühnenarbeiten war bis vor kurzem
nur der »Orfeo« zugänglich. Durch Wiel haben wir seit 1889 auch
die »Incoronazione di Poppea« wieder. Ambros bezeichnet einen in
Wien befindlichen »Ulysses« als den Monteverdischen, jedoch die
Echtheit dieses Werkes ist im hohen Grade zweifelhaft 2.
Aus der »Arianna« Monteverdis ist ein Bruchstück erhalten, das
sogenannte »Lamento d'Arianna«, ein Klagegesang, welchen die
Heldin des Dramas in dem Augenblick anstimmt, in welchem sie von den
Fischern dem in der Verzweiflung gesuchten Wellentod entrissen worden
ist. Die von ihrem Teseo treulos und heimtückisch Verlassene hat kein
Wort des Dankes für ihre Retter: in tieftraurigen Wendungen singt sie
ihnen immer von neuem ihr: »Lasciate mi morire« entgegen. Der
Chor der Strandbewohner sucht zu trösten, Arianna kehrt immer wieder
zu jenem Refrain zurück.
Dieser Abschnitt war bis vor kurzem das einzige, was von dem
»Lamento der Arianna« vorlag. Emil Vogel ist es gelungen, in einer
Handschrift der Nationalbibliothek zu Florenz, welche eine Anzahl
monodischer Gesänge aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts ent-
hält, den ganzen Lamento, wie er 1623 zu Orvieto gedruckt worden,
zu entdecken, doch fehlen die Chorstellen. Wahrscheinlich wurde die
»Arianna« im Karneval 1614 zuFlorenz aufgeführt. Bonini ^ versichert,
daß in jedem Hause, wo ein Klavier oder eine Theorbe zu finden war,
»Arianna« gesungen und gespielt wurde. In Venedig war die »Arianna«
im Jahre 1640 vom Karneval bis zum Herbst mit eingerichtetem Text
das Zugstück des Teatro San Moise. Über den großen Eindruck der
»Arianna« liegen ferner die Zeugnisse von Gagliano und Coppini^ vor.
Was speziell den »Lamento« betrifft, so nennt ihn Doni geradezu die
schönste Komposition, welche bis zum Jahre 1640 für das Theater
geschrieben worden ist. Monteverdi selbst hat dieses Stück in zwei
verschiedenen Neubearbeitungen veröffentlicht. Im Jahre 1650 ließ
er 59 Verse des »Lamento« als fünfstimmige Madrigale erscheinen.
Dann legte er später dem Text lateinische Worte unter und gab
ihn im Jahre 1640 am Schlüsse seiner »Selve morale e spirituale«
(Venedig) als »Pianto della Madonna«, als Marienklage heraus. Der
i Alle diese Angaben beruhen auf der vortrefflichen Monographie Emil
Vogels über Monteverdi (Emil Vogel, Claudio Monteverdi. Leipzig 1887)
2 Siehe H. Goldschmidt, Sammelbde. d. IMG IV, 671 und IX, 570 !
3 Bonini: »Regoli e discorsi sovra la musica«, aufgenommen in Adrien
de la Fage: >Essai de diphterographie musicale«. Paris 1864.
'• 3. Buch der musica scolta. Mailand 1609.
64
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
»Lamento d'Arianna« wurde in der monodischen Komposition bald
und lange als Muster angeführt und benutzt, wenn die höchsten
Grade von Seelenschmerz und Trauer darzustellen waren, nicht bloß
in Italien sondern auch in Deutschland. Hier liegt in der Altmonodie
des Eisennacher Christoph Bach »Ach, daß ich Wassers genug hätte«
eine Arbeit vor, die unmittelbar an Monte verdi anschließt. Lamentos
fanden sich bereits in Peris »Euridice«. Wenn das aus Monteverdis
Arianna so ganz besonders ausgezeichnet wurde, lag das in der Gewalt
seines Refrains, der auch die eigenen formellen Züge des Kompo-
nisten stark ausgeprägt zeigt:
La - scia-te mi mo - ri - re
^a^^
Monteverdi selbst hat im Jahre 1619 einen »Lamento d'Apollo«, im
Jahre 1627 auf Stanzen aus Tassos »Befreitem Jerusalem« ein »Lamento
d' Armida« komponiert. Derselbe Band der Nationalbibliothek zu Florenz,
in welchem sich die Handschrift des vollständigen »Lamento d'Arianna«
befindet, enthält noch zwei ähnliche Kompositionen, eine Monodie für
Sopran oder Tenor: »0 lagrime, o sospiri« und ein Duett für Sopran
und Tenor: »Queste lagrime miei«. Die Monodie fängt fast wörtlich
so an wie der »Klagegesang der Ariamia«, nämlich:
\-!&-
m
t
m^s^
0 la - gri - me,
:ii
^:
es:
I
spi
?^:
Auch das Duett klingt Monteverdisch an, namentlich an der gewaltig
ausdrucksvollen Klagestelle des Tenors: »Lasso 'ne_.';miei tormenti«.
Claudio Monteverdis »Lamento d'Arianna«
65
Auch Peri hat sich in einem späteren »Lamento d'Iole«, das
dem herakleischen Sagenkreis angehört, Monteverdi angeschlossen. Die
Komposition 1, 160 Takte lang, ist vorwiegend rezitativisch mit Ein-
schaltung ausdrucksvoller Melodiewendungen, für welche Skalengänge
(aufwärts aus der chromatischen, abwärts aus der diatonischen) in
sanft gleitenden Rhythmen sehr wirkungsvoll benutzt sind. Durch
sie erhält die Gestalt der lole ihren eigenen weichen Zug. Das formelle
Hauptmerkmal, des frei eingeteilten Stückes, welches zugleich die
Verwandtschaft mit dem Monteverdischen Muster bekundet, ist die
refrainmäßige Wiederholung des Einsatzmotivs an den bedeutendsten
Anfangsstellen der Perioden. Es ist folgendes:
Uc-ci
^ 1'
di - mi-do-k
) - res
Uc-ci
di-mi-do-lo -
^j'^ ,^ l*^ X
res
1 — 1 —
fe
^^
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r^ •
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-■■■H -i^
^
cJ ^.
^
J
Lijden Opern der folgenden Periode erhalten sich die Lamentos
lange fort als gern gehörte Hauptnummern. Einer der bedeutendsten
Klagegesänge nach Monteverdischen Muster ist das »Lamento d'Issifile«
in Cavallis >Giasone«. Noch bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts
hin wirkt^die Form der Ariannenklage weiter. Eine der schönsten
Nachbildungen aus dieser^Uetzten Zeit ist die Klage des Paride in
Dom. Freschis »II Ratto d'Elena«, der die schwermütige Frage des
Paride
:^S?E
"^-
t:
He-le-na do-ve se - i?
HE C H
zugrunde liegt.
Neben »Orfeo«, »Incoronazione« und dem »Klagegesang der Ari-
anna« besitzen wir noch von Monteverdi zwei kleinere dramatische
Arbeiten, den sogenannten »Ballo dell' ingrate« und das »Combatti-
mento di Tancredi e di Clorinda«.
Der »Ballo dell' ingrate«, welcher in Mantua im Jahre 1608
genau eine Woche nach der »Arianna« aufgeführt wurde und im
Jahre 1638 im 8. Buch der »Madrigali guerrieri ed amorosi« in Druck
1 Enthalten in einem Sammelband des Liceo musicale zu Bologna (Sig-
natur Q, 49). Auch die Oratorienmusik des 17. Jahrhunderts ist reich an
Lamentos, die der Monteverdischen Ariannenklage folgen. Die ersten und
bekanntesten bringt Carissimi in seiner Jephta.
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 5
66 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
erschien, gehört zu jener Gattung kleiner Festspiele, die in dra-
matischer Form einen witzigen oder artigen Gedanken durchführen.
Die musikalischen Höfe verbrauchten bis tief ins 18. Jahrhundert
hinein ungemein viel Arbeiten dieser Klasse unter der Bezeichnung
Intermedien, Balletts, Akademien, Probleme. Auch der Titel Kon-
zert wird für solche musikalisch- dramatische Einakter verwendet.
Die Dichtung des »Ballo dell' ingrate«, von Rinuccini verfaßt, be-
handelt ein in der Novelle und im Lustspiele jener Zeit sehr be-
liebtes Thema, die Sprödigkeit der Damen, in halb scherzender
Weise. Amor beklagt sich beim Pluto darüber, daß die Schönen
von Mantua ihren Verehrern mit zu großer Kälte begegnen. Darauf
beschließt der Herrscher der Unterwelt den Töchtern und Frauen
der Herzogsstadt ein kleines Bild von den Strafen vorzuführen,
welche die spröden Schönen in der Hölle erwarten. Er beruft
einige weibliche Schatten, welche sich bei Lebzeiten des Vergehens
der Lieblosigkeit schuldig gemacht haben und läßt sie in der Sprache
von Pantomimen und Tänzen die Qualen schildern welche sie im
Hades leiden. Dieser Teil des Festspiels bildet die musikalische
Hauptpartie und besteht aus Charaktertänzen für die Instrumente,
in denen eine ganze Reihe schmerzlicher Gefühle ausgedrückt wird.
Mit einfachen Mitteln, vornehmlich dem Mittel rhythmischer Steigerung
desselben Themas moduliert diese Musik von der ruhigen Niederge-
schlagenheit bis zur wilden Raserei. Als die Leidenschaftlichkeit der
Tanzszene sich der Erschöpfung nähert, brechen die Instrumente plötz-
lich ab: die Tänzerinnen beginnen zu singen und rufen in einem vier-
stimmigen Frauenchor den Zuschauerinnen die Moral des Stückes zu:
»Seid barmherzig, ihr Schönen!« Die Pointe des Dramas und der
Höhepunkt der Komposition fallen zusammen. So einfach der kleine
Schlußgesang ist, so tief dringt er ein, namentlich durch die Gewalt
einer einschneidenden freien' Nonendissonanz , welche Monteverdi in
die Harmonie gemischt hat. Der betreffende Einsatz hat Veranlassung
zu einer ausgeführteren Polemik gegeben, in welcher sich auf Seite
von Monteverdis Gegnern namentlich der Theoretiker Artusi hervor-
tat. Soweit die Eigentümlichkeit des Monteverdischen »Ballo« auf
der charakteristischen Verwendung von Instrumentalmusik beruht, be-
steht zwischen dem >' Ballo« und dem »Orfeo« eine sichtbare Ver-
wandtschaft. Nur ist Monteverdi in dem neuen Werke mit der Aus-
beutung der Methode viel weiter gegangen als in dem früheren. Die
Anregung kam wahrscheinlich zu beiden Malen aus der französischen
Praxis. Von diesem Gesichtspunkt aus bildet Monteverdis »Ballo«
einen der ersten und bedeutendsten unter den wenigen Fällen, in
denen an der Entwicklung des italienischen Musikdramas französische
Einflüsse teilgenommen haben. In der italienischen Oper selbst ist
eine weitere Einwirkung von Monteverdis > Ballo« zunächst nicht
zu bemerken.
Auch das »Combattimento di Tancredi e di Clorinda« ruht
Claudio Monte verdis >Ballo delP ingrate« 67
in dem wesentliclisten Teile seiner künstlerischen Anlage auf der
Verwendung von Instrumentalmusik zum Ausdruck der Handlung.
Wie im »Ballo« eine charakteristische Tanzszene, malt im »Combatti-
mento« das Orchester eine Kampfszene. Im genauen Anschluß an
die Worte des Gedichtes — 12. Gesang aus Tassos »Befreitem Jeru-
salem« — , welches den Zweikampf von Clorinda und Tancred, den
beiden Liebendea, die ohne sich zu erkennen im Dunkel der Nacht an-
einander geraten und als vermeintliche Feinde ein hitziges Gefecht
beginnen, das mit dem Tode der Clorinda endet — im Anschluß an
die Bilder dieses Gedichtes führen die Instrumente die einzelnen Wen-
dungen dieser Szene vor. Wir hören die Schwertstreiche, das Rasseln
der Helme und Schilder, wir sehen die Kämpfenden ablassen und von
neuem mit Ungestüm den Kampf aufnehmen. Soweit sich Erschei-
nungen der Gesichts weit in Klangformen übertragen lassen, hat Monte-
verdi jeden Zug dieses Kampfbildes ins Musikalische übersetzt. Um
in dieser Beziehung deutlich zu sein gibt er einem im Tripeltakte
einherpolternden Motiv in der Partitur noch besonders die Bemerkung
bei: »motto del cavallo«. Und im Drang nach Anschaulichkeit und
Charakter seiner Tonsprache greift er hier abermals zur Spekulation
und Berechung und gelangt auf diesem Verstandeswege abermals zu
neuen Ausdrucksmitteln über die bald Näheres mitzuteilen sein wird.
Die Schönheit und Bedeutung des » Combattimento « erstreckt sich aber
über Äußerlichkeiten hinaus. Namentlich der Schluß der Kompo-
sition, die Stellen, wo Clorinda mit Tönen der Ergebung und Hiramels-
ahnung ihre Seele aushaucht, ist ein Muster frommen verklärten Aus-
drucks und hat von Pallavicinos »Gerusalemma liberata« ab bis auf
Verdis Troubadour und Aida in vielen Sterbeszenen italienischer Opern
fortgewirkt. Übrigens teilt das »Combattimento« die milde Schönheit
dieses Schlusses einigermaßen mit dem »Lamento d'Arianna«. Der
Gesangteil des »Combattimento« besteht nur aus der Partie des Testo,
der die Erklärungen zu den instrumentalen Bildern gibt und auch die
Worte Tancreds und Clorindas übernimmt. Der Testo aber ist die
typische Erzählerfigur in der Passion und im alten Oratorium, die
hier Monteverdi beeinfl.ußt haben.
Das »Combattimento« wurde im Jahre 1624 im Hause des schon
genannten Patriziers Mocenigo zu Venedig aufgeführt, vierzehn Jahre
später gedruckt. In der Vorrede der »Madrigali guerrieri ed amo-
rosi« geht Monteverdi näher auf das »Combattimento« ein. Nach
seiner Meinung habe die neuere Musik nur zwei Arten von Affekten
auszudrücken vermocht: die weichen und die gemäßigten; es haben
ihr dagegen die Töne für die erregten Leidenschaften gefehlt. Und
nun — ein erneuter Beweis für den Glauben an die Vollkommen-
heit der alten Musik, welcher die Florentiner Tonschule beseelte,
einerseits, andererseits für den Ernst, aber auch die mechanische
Befangenheit, mit welcher sie der Rekonstruktion dieser echten
Kunst oblagen — setzt Monteverdi auseinander, wie er durch eine
5*
68 f •. Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Notiz des Plato^ über den Ausdruck des Erregten und durch weitere
Notizen anderer griechischer Philosophen über den Gebrauch des spon-
deischen und pyrrhichischen Versmaßes dazu gekommen sei, das
> Tremolo« zu erfinden. Das Tremolo ist demnach nichts als die Auf-
lösung einer ganzen Note in 16 Sechzehntel und die Durchführung
dieses Rhythmus. Im »Combattimento« tritt diese Spielart zum ersten
Male mit dem Wort »ira« ein. Den Spielern soll nach Monteverdis
Versicherung dieses erste Tremolo sehr große Schwierigkeiten bereitet
haben. Auch das »Pizzikato« erscheint im »Combattimento« zum
ersten Male auf der Bildfläche der Instrumentalmusik. Es bezeichnet
hier die auf den Harnisch fallenden Schwertstreiche der Kämpfenden.
Kurz vorher, gleichzeitig mit Monteverdis »Arianna« und bei
derselben festlichen Veranlassung kam in Mantua eine zweite Oper zur
Aufführung, die uns ebenfalls erhalten blieb. Es ist die »Dafne« von
Marc' Antonio Gagliano, dem Domkapellmeister zu Florenz, einem
in Italien angesehenen Musiker, von dessen kirchlichen Kompositionen
einzelne noch im Anfang des 19. Jahrhunderts gesungen wurden.
Die Dichtung von Rinuccini, dieselbe, welche schon Peri im Jahre
1595 komponiert hatte, ist schwächer als die der »Euridice«. Sie
zerfällt in zwei Hälften, zwischen welchen kein Zusammenhang be-
steht. Die erste schildert den Kampf des Apollo mit dem Drachen;
ßinuccini benutzte für sie, wie schon bemerkt, sein altes Intermezzo
vom Jahre 1589. Die zweite behandelt die Liebe des Gottes zur
spröden Nymphe Dafne, ganz unter dem Banne des galanten Ge-
schmackes der Zeit. Die erste und bessere Hälfte des Dramas ist
auch die musikalisch wertvollere; namentlich die Behandlung der
Chöre zeichnet sie aus. In der ersten Szene klagen die Hirten einer
nach dem andern, daß der Drache, der drüben im Walde haust,« ihre
Fluren verwüstet, ihr Leben bedroht. Der Chor nimmt diese Klagen
in einem Gebet an die Götter auf, in dessem Ausdrucke sich frommes
Vertrauen und schmerzliches Bangen die Wage halten. Der musi-
kalische Entwurf dieser Szene gleicht dem Muster, welches Peri in der
»Euridice« aufgestellt hat. Aber die Ausführung im einzelnen ist reifer
und ergiebiger: die Solosätze sind melodisch reich und faßlich, die
Chöre in einem mit ihnen verwandten Tone gehalten. Es ist Einheit
in den Gliedern dieser Gruppe, die musikalische Erfindung hat nicht
mehr bloß auf die richtige Deklamation von Worten, Versen und
Sätzen hingearbeitet, sondern ein größeres Ganze, den vollständigen
dramatischen Abschnitt, ins Auge gefaßt. Der ganzen Szene liegt
ein und dasselbe Hauptmotiv zugrunde; es ist das folgende:
i^
-#—
^
1 Diese Notiz steht im 3. Buche von Piatos de republica III. 10 und
nicht wie Monteverdi zitiert in Piatos Rhetorik.
Marc' Antonio Gaglianos »Dafne«
69
Diese Takte gehen durch die Sätze der Solisten ebenso wie durch
die Gesänge der Chöre, die dreistimmigen und die fünfstimmigen
gleicherweise. Trotz des schlichten Grundtons dieser Gebetsweisen
o
hat Gagliano in den fünf stimmigen Satz doch einen ziemlich
grellen Akzent hineinzumischen gewußt, welcher auf einer geschick-
ten und kühnen Benutzung einer querständigen Vorhaltsharmonie
beruht:
^mm
t=^
w
O-di il pi - an-to e pre- ghi no - stri
9^-
:JL_^
--^
?^
\ 1-
Im Wesentlichen zeigt auch diese Szene wieder, wieviel die junge
Oper der Madrigalkomposition verdankt.
In der nächsten Szene, der Szene, wo Apollo mit dem Drachen
kämpft, ist der Chor in einer neuen, bisher nicht vorgekommenen
Weise behandelt. Wir haben in derselben einen Versuch zu einem
sogenannten dramatischen Chor vor uns. Die Chöre äußern im leb-
haften Rhythmus, von Schritt zu Schritt mit neuen Motiven und
Themen einsetzend, ihre lebhafte Teilnahme an jeder einzelnen Wen-
dung des szenischen Vorganges. Sie schreien auf, als der Drache
hervorbricht, im nächsten Augenblick begrüßen sie das Erscheinen
des Apollo mit hellem Jubel: sie bitten zum Himmel, sie begleiten
jeden Stoß des Gottes und jede Bewegung des Ungeheuers mit leb-
haften und bezeichnenden Wendungen im Gesang. Das ganze Bild
das möglicherweise auf Monteverdis » Combattimento « eingewirkt hat,
äußert einen stark realistischen Zug in seinen kurzen, abgerissenen
Sätzen und seinem Nebeneinander entgegengesetzter Stimmungen. Um
die Spannung zu erhöhen, mischt Gagliano zwischen den Gesang auch
kleine, immer nur wenige Viertel dauernde Gänge zweier Violinen
(mit Baß). Auch in dieser ganz und gar dramatisch durchgeführten
Chorszene wird am Eingang der bekannte Echoeffekt, welcher in den
Solostücken dieser Oper reichlich verbraucht wird, zur Anwendung
gebracht.
Ein besonderes Interesse besitzt Gaglianos Vorrede zur » Dafne <^
Aus ihren geschichtlichen Notizen ersehen wir von neuem bestätigt,
daß Peris »Euridice« in Italien den wichtigsten Anstoß zur Ein-
führung des Musikdramas gegeben hat, aber auch Monteverdis »Orfeo«
ist darin schon erwähnt. Das Eigene dieser Vorrede besteht aber
in den genauen Vorschriften, welche Gagliano in betreff der Über-
einstimmung von Spiel und Musik aufstellt. Er geht bis in die
kleinsten Einzelheiten von Gestikulation und Gefühlsausdruck und
70 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
schreibt dem Sänger selbst die Zahl der Schritte vor, welche auf
die einzelnen Ritornelle der Kampf szene kommen sollen. Vom Drachen
wird verlangt, daß er sich vierfüßig vorwärts bewegt und Feuer speit,
den Apollo soll während des Gefechts auf der Szene ein zweiter Dar-
steller vertreten, damit sich der Sänger nicht erhitzt.
Von den Opern der nächsten Jahre ist, soweit bis jetzt bekannt,
nichts erhalten. Unter den dem Anscheine nach verlorenen Werken
dieser Zeit ist die »Andromeda« des Hieronymo Giacobbi, des
Domkapellmeisters von Bologna, hervorzuheben. Eine Arie aus dieser
Oper, die an der Stelle stand, wo Perseus das Seeungetüm, das die
Andromeda verschlingen soll, mit den Worten anruft: »lo ti sfido, o
mostro infame«, war lange Zeit durch ganz Italien berühmt.
Die Opern, welche uns von 1625 ab wieder vorliegen, zeigen,
daß die dramatische Musik in der zwischenliegenden Zeit sich fort-
schreitend entwickelt hatte. Wir bemerken eine Bereicherung der
Formen und auch des Ausdrucksvermögens. Eine bedeutende Wand-
lung hat namentlich der Prolog erfahren : er ist dramatisiert worden
und erscheint jetzt in Form eines bewegten Theaterstückes, welches
zuweilen in mehrere Szenen zerfällt und an dessen Ausführung in
der . Regel auch die Chöre beteiligt sind. In der Musik des Prologs
wie der eigentlichen Handlung hat sich eine Scheidung vollzogen:
die geschlossenen Nummern heben sich scharf aus dem erzählenden
und geschäftlichen Teile des Dialogs ab. Bereits in Mazzocchis
»La catena d'Adone«, welche im Jahre 1626 (Venedig bei Aless.
Vincenti) gedruckt wurde, sind die »Arien« unter diesem Namen auf
dem Schlußblatte des Bandes zusammengestellt. Die Bemerkung, daß
das Werk außer den an dieser Stelle angeführten Arien, unter denen
auch die Chorsätze mit inbegriffen sind, noch mehrere Arien unter-
halte, welche die Langeweile des Rezitativs (che rompono il tedio
del recitativo) unterbrechen, berechtigt uns zu dem Schlüsse, daß
man den Rezitativstil, der in den Opern bis dahin geherrscht hatte,
als einen mangelhaften betrachtete. Die Ideen, nach denen Peri zu-
erst komponierte, sind aufgegeben, der genaue Anschluß an das Wort
und das Metrum des Gedichtes gilt mit Recht als für die poetische
Wirkung im musikalischen Drama unwesentlich, aber man geht weiter:
man erklärt den vor einem Menschenalter so bewunderten stilo reci-
tativo oder rappresentativo für langweilig. Das will der > tedio del
recitativo« sagen und das ist die bedenkliche Wendung in der Ent-
wicklung. Der tedio del recitativo haust von jetzt ab bis auf die
Gegenwart als der böse Geist in der Geschichte der Oper, die Ver-
nachlässigung des Rezitativs wird das Kennzeichen der schlechten
Zeiten und der schlechten Komponisten. In Rom, wo jetzt für
längere Zeit die Oper ihren Hauptsitz hat, verlegt die Mehrzahl der
Komponisten, und auf ihre Veranlassung der Dichter, den Schwer-
punkt der Erfindung immer mehr auf die Ensemble- und Chor-
szenen. In derartigen Szenen kamen sie der Meisterschaft zuweilen
Der »tedio del recitativo« 71
nahe und hinterließen Leistungen, deren gewaltiger äußerer Eindruck
von niemandem in Abrede gestellt werden kann. Die Musiker be-
schränkten sich in diesen Chorsätzen nicht länger auf den einfachen
Madrigalenstil, sondern sie erinnerten sich, wie es Monteverdi getan,
wieder der bewährten Methoden und Hilfsmittel aus der Epoche des
Kontrapunktes und verschmolzen sie mit den neuen Erscheinungen,
welche durch den Sologesang und durch die letzte Entwicklung der
Instrumentalmusik ins Leben gerufen worden waren. Verbindung von
Mannigfaltigkeit der Form und Einheitlichkeit des Charakters ist der
Hauptvorzug jener Chorszenen, die uns als das Beste in den neuen
Opern nach 1625 entgegentreten. Aus einem und demselben Grund-
thema sind, haushälterisch und reizvoll zugleich, die großen Gruppen
abgeleitet, in welchen sich Menschenstimmen und Instrumente, die
großen und kleinen Chöre und die einzelnen Darsteller ablösen. Aber
während dieser bedeutenden Ausbildung der großen Chor- und En-
sembleszenen ruhte die weitere Entwicklung der Monodie auch nicht.
Ging sie auch auf dem Hauptwege selbständig, abseits von der Oper,
auf dem Gebiete der Haus- und Kammermusik vor sich, so sind die
Opern darum nicht arm an gehaltvollen und schönen Sologesängen.
Das erste Werk aus diesem neuen Abschnitte der Choroper ist »La
liberazione di Ruggiero dall' isola d'Alcina« von Francesca
Caccini, der talentreichen, wie ihre Schwester Maria Caccini nament-
lich als Sängerin gefeierten Tochter des Verfassers der »NuoveMusiche«.
Der Dichter des sehr unbedeutenden, in Chiabreraschem Sinne auf
Ballettkünste angelegten Stückes — es wurde am Großherzoglichen
Hofe zu Florenz im Jahre 1625 während des Besuches des Königs
Ladislaus Sigismund von Polen ^ aufgeführt und im Jahre 1628 ge-
druckt (Florenz, bei Pietro Cecconelli) — ist Ferdinando Saracinelli
(Bali di Volterra). Dem hohen Besuche zu Ehren tritt im Prologe
neben dem Nettuno als zweite Person die Vistola Fiume (der Fluß
Weichsel) auf. Chöre der Numi dell' acque, der Wassergeister, be-
gleiten den Neptun und die Weichsel. Die musikalische Form teilt
sich zwischen Rezitativ, Sologesängen, Duetten und Chören. Eine ma-
drigalisch muntere und flotte und als die erste ihrer Art dreisätzig
gehaltene Ouvertüre geht dem Prologe voran; eine zweite Sinfonia
schließt ihn. In der Form dieser Eröffnungsouvertüre kann man die
Vermittlung zwischen der Gabrielischen Sonate und der späteren Sin-
fonia Scarlattis erblicken. Ein lang ausgeführter Viervierteltakt bildet
den Anfang, in der Mitte steht ein anmutiger Tanzsatz im Dreiviertel-
takt, den Schluß bildet ein nur vier Takte betragender Anhang im
Viervierteltakt. In der Oper selbst sind die Hauptstellen durch Chöre
markiert. Alcina und Ruggiero, das Liebespaar, treten in Gesellschaft
1 Nach All a CG is Dramaturgia führten bei derselben Gelegenheit der
Herzog Karl von Toskana und seine Kavaliere eine sogenannte »Barriera'^
auf, die den Titel »La prudenza delle donne« trug.
72 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
eines Chores von Damigelle, jungen Hofdamen, auf. Den freundlichen
Weisen dieser Kreise wird später in einem Chor von »Mostri di Cru-
delta«, von Geistern der Grausamkeit, ein Gegensatz geboten; den
Schluß des Werkes bilden Tanzszenen, von Chören durchflochten. Der
Charakter der »Liberazione« als Prunk- und Zauberstück tritt in
diesem Schlußteile besonders deutlich hervor. Die Damen, welche bis
dahin im Garten als Ziergewächse festgehalten waren, bitten um Er-
lösung der gefangenen Ritter und vereinigen sich mit ihnen zu groß-
artigen Ballettouren zu Fuß und zu Pferde. Am Schlüsse der Par-
titur stehen die Namen der Damen und Herren vom Florentiner Hofe,
welche diese Szenen, diesen Ballo nobilissimo, wie er genannt wird,
ausführten. Eine anschauliche Illustration aus dem Hofleben des
17. Jahrhunderts! Sie gilt für einzelne Residenzen und ihre Oper, z. B.
für Wien, auch noch auf die nächsten hundert Jahre und länger.
Auch mit einer anderen Erscheinung, dem Motive der Verkleidung
Melissas, ist die »Liberazione« für die spätere Oper vorbildlich.
In den Sologesängen des Werkes ist Neues kaum zu bemerken. Wir
begegnen in ihnen vielerlei Schablonenarbeit mit Koloraturen und
Echos. Aber auch mancher guten musikalischen Idee. Eine Stelle,
es ist die wo Ruggiero mit dem Ausrufe »0 miserabil vita« sich
der schmählichen Fesseln bewußt wird, welche Alcina um ihn ge-
schlungen, ist interessant durch ein Ritornell, welches in der Instru-
mentierung (4 Violen, 4 Posaunen) den Einfluß Monteverdis zeigt.
Ein Liebeslied eines vorüberziehenden Hirten: »Per la piü vaga« wird
eingeleitet durch ein Vorspiel von drei Flöten. Also nochmals,
wie bei Peri und Cavaliere, griechische Spuren! Es gehört gleich-
zeitig zu denjenigen Nummern der Oper, welche durch ihren ein-
fachen Ausdruck fesseln. Das bedeutendste Stück dieser Gattung ist
jedoch am Anfang des Werkes das Liebesgespräch Ruggieros und Al-
cinas, eine Versöhnungsszene, in welcher namentlich Ruggiero in
seinem Sätzchen:
^EeEö:
=i^
^zziiv
t^f^rp
^
-^ ^
Cor mio per tua bei - le - za an - de - ro men-tre vi - vo.
rührend herzliche Töne anschlägt.
Bedeutender als die >Liberazione« ist Domenico Mazzocchis
bereits erwähnte »La catena d'Adone«. In der an Odoardo Farnese,
den Herzog von Parma, gerichteten Widmfing wird mitgeteilt, daß
die Oper in Rom »da eccellentissimi cantori« aufgeführt worden
sei, aber nicht in welchem Hause und zu welcher Zeit. Auch »La ca-
tena« gehört unter die Zauberstücke. Die Quelle, nach welcher es der
Dichter Ottavio Troncaschi verfertigt, ist »La prigione d'Adone*, ein
Bruchstück aus dem großen Epos »Adone« von Giambattista Marino.
Die Circe des Stückes heißt Falsirena, Venus befreit den Jüngling aus
deren Banden. Die Handlung ist ganz und gar das Produkt einer
Domenico Mazzocchis »La Catena d'Adone« 73
verliebten und abenteuerlichen Fantasie, wie sie in den Opern Chia-
brerascher Richtung zu herrschen pflegt. Am Schlüsse erst hat man
ihr das moralische Mäntelchen umgehängt, welches das Theater in
Rom zu tragen pflegte. Es folgt nämlich der Oper eine Art Epilog,
Allegoria della favola genannt. Nach diesem bedeutet Falsirena die
menschliche Seele, Idonia, die schlechte Beraterin, repräsentiert die
Concupiscenza, die Wollust und Sinnlichkeit, Arsete ist der Vertreter
der Ragione, der Vernunft. Vielleicht war dieser allegorische Anhang
die Bedingung für die Druckerlaubnis. Denn die Operntexte standen
von Anfang an unter Zensur und tragen alle den Vermerk con licenza
dei superiori. Ja vom Jahre 1640 ab pflegen sich die Dichter in
der Vorrede zu entschuldigen, wenn sie die heidnischen Götter in den
Stücken verwenden, und ausdrücklich ihre Festigkeit im christlichen
Grlauben zu betonen. Im Prolog der »Catena« scheint Troncaschi
von dem höheren und frommen Sinn, welcher seinem Drama zugrunde
lag, noch nichts geahnt zu haben, denn hier führt er uns ein mytho-
logisches Motiv, die Feindschaft zwischen Apoll und Venus, als die
treibende Kraft seiner Handlung, vor. Das Stück wirkt nicht durch
Ideen, sondern durch das äußere Gewand, durch reiche Dekoration
und fesselnde Szenerien. Im Prolog verwandelt sich die Bühne mit
einem Male aus einem grünen Hain in die Grotte des Vulkan, wir
erblicken die Scharen der Zyklopen bei der Arbeit. Im ersten Akt
wird der dunkle Wald der Zauberin, sobald sich Adone naht, zum
blühenden Garten. Der dritte Akt hat eine geteilte Szene: im Vorder-
grund weilt Falsirena klagend, draußen im Garten feiern die Chöre
mit lebhaftem Gesang ein Fest. Die Musik hebt und unterstützt die
Gebilde des Dichters und bietet selbst in den durchschnittlich nach
dem üblichen Schema geformten, mit Echos und Variationen ver-
sehenen Solopartien einzelne bedeutsame Züge. Der weiblichen Haupt-
figur der Oper, der Falsirena, hat Mazzocchi eine edlere Seele ein-
gehaucht. Beim Dichter erscheint sie vorwiegend als Kokette, der
Komponist gibt ihr in langen Tönen Empfindungen der Sehnsucht
und des Herzens; in erregten Gängen versucht er Äußerungen leben-
diger Leidenschaft. Auch im Rezitativ kommen solche Wendungen
vor; sehr eindrucksvoll ist unter ihnen die Stelle, wo Falsirena mit
den Worten »Deh, piü non spirar voglio« von dem nichtssagenden
Geplauder der Gefährtinnen sich abwendet. Das Hauptgewicht liegt
aber in den Chören und Chorszenen. Im Ausdruck meist zutreffend,
interessieren sie uns besonders durch ihre Anlage, die in der Kunst
mit der Breite der Form die Zusammengehörigkeit der einzelnen Glie-
der zu verbinden, über Agazzari und zuweilen über Monte verdi hinaus-
geht. Es liegt allen Sätzen, welche die Szene bilden, dasselbe Haupt-
thema zugrunde, oder wenn andere freie Gedanken dazwischen treten,
kehrt es an den entscheidenden Stellen doch wieder und bildet den
festen Punkt, um welchen sich die musikalische Form der Szene be-
wegt. Die Schlußszene des ersten Aktes bildet ein hervorragendes
74
Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Beispiel dieses Stiles. Ihr musikalischer Mittelpunkt ist ein sechs-
stimmiger Chor über das Thema
Mi- ra, mi - ra gio-jo- so del - la fon-te l'a-spet - to
aufgebaut. Die Zwischensätze bestehen aus einem Ballo, einem madri-
galischen Satz im Dreihalbetakt, den einmal die Frauenstimmen, später
auch Soli ausführen. Sein einfaches Thema
^EE£
^
Qui fon - te sor - ge al He - to se - ren
wird durch prächtige, lebendige Arbeit, reizende Nachahmungen im
dreistimmigen Satze über den bloßen Tanzcbarakter hinausgehoben.
Noch imposanter ist die dritte Szene des zweiten Aktes, in der das
Fest des Amors gefeiert wird. Eine Instrumentalsinfonie eröffnet. Ihr
Hauptthema
^
'^^=f=F-^
wird in den zwei folgenden Sätzen erst als Frauen chor, dann als
Männerchor weitergeführt. Hierauf folgt eine zweite Sinfonie (in
C-Takt), die nach einem Rezitativ wieder zu Chören, erst der Nymphen,
dann der Hirten, benutzt wird. Die Festszene schließt mit einem
dritten Teil, der aus Duett (Idona und Oraspe) und sechsstimmigem
Chor besteht. Thematisch sind auch diese beiden Sätze gleich. Die
Arbeit ist kunstvoll entworfen und durch den Wechsel der Chorgruppen
reich an Klangwirkungen. Die Dynamik frappiert durch das scharfe
taktische Ablösen von piano, forte und pianissimo. Solche schroffe
riegensätze der Stärkegrade wurden bald beliebt, die Ouvertüren der
nächsten Zeit zeigen sie ebenfalls, z.B. die zu Landis »Alessio«. Auch
der Prolog hat einen gut erdachten Chor, und zwar für Männerstimmen,
den die Zyklopen bei der Arbeit singen. Dem Hauptteil desselben
liegt die folgende Melodie
m
■42— (2.
-a-
4=4:
3:
3
Le sa - et - te sovr' i re
son ven - det - te de - gli De
i
son ven -det - te de - gli De - i
unter. Ihr flotter, lustiger Grundton erhält durch den hinkenden
Rhythmus eine sehr eigne Färbung. In der Mitte brechen die ge-
Marc' Antonio Gaglianos >La Flora« 75
plagten Schmiede in eine grandiose Klage aus. Wie schwere Steine
fallen in ihre muntere Musik die breiten Noten des Motivs:
hinein.
Ma tra no - i
Ein ähnlicher Zyklopenchor machte fünfzig Jahre später Antonio
Draghis »Fuoco eterno custodito delle Vestali«(Wien 1674) berühmt,
eins der ersten Musikdramen, welchem der Stoff der »Vestalin« zu-
grunde liegt.
M. A. Gaglianos »La Flora« ist unter den aus dem nächsten
Jahrzehnt vorhandenen Opern diejenige, welche Mazzocchis »Catena«
an musikalischem Werte gleichsteht. Ja, sie übertrifit sie in einzelnen
Punkten. Gagliano, der Komponist der »Dafne«, schrieb die »Flora«
für die Hochzeitsfeierlichkeiten bei der Vermählung des Herzogs
Odoardo von Parma mit Margarete von Toskana. Damen und Herren
der Hofgesellschaft wirkten in den fünf Balletts der Tritonen und
Nereiden, der Satyrn und Waldgötter, der Liebesgötter, der Wetter-
und Sturmgeister und der Luftgeister zusammen, welche den Schluß
der Akte bildeten. Im Jahre 1628 wurde das Werk gedruckt. Die
Dichtung der »Flora«, welche von dem um das Florentiner The-
ater verdienten Andrea Salvadori herrührt, dramatisiert ein Stück
Naturleben: das Erwachen des Frühlings. Jupiter befiehlt, daß die
Erde auch ihre Sterne haben soll. Die Blumen sollen diese Sterne
sein, hervorgegangen aus der Ehe zwischen Zephir und Clori. Die
Kämpfe, welche dem Einzug des Lenzes und seiner Blütenpracht vor-
hergehen, werden nun von Salvadori auf die Feindseligkeiten und
Eifersucht der Götter untereinander zurückgeführt. Die Liebesintrige
wurde bald das ausschließliche Motiv aller dramatischen Entwicklung
in der Oper. Li unserer »Flora« wirkt Venus für den Liebesbund
zwischen Zephir und Cloris, Amor entzweit das Paar. Er führt die
Gelosia, die Göttin der Eifersucht herein, die das Land zur Wüste
macht. Schließlich erfolgt doch die Aussöhnung. Mit Lobgesängen
auf den Frühling, insbesondere auf den Frühling in Parma und Florenz
klingt die Oper aus. Die Musik bewegt sich zum Teil noch in den
alten Formen, ihr Prolog ist der ehemalige einfache Liederprolog:
Verse nach derselben Melodie. Sie bringt aber auch Neues: ein leicht
dahinfließendes Rezitativ. Die fortwährenden Kadenzen sind verschwun-
den, nur eine gewisse Härte in den Modulationen unterscheidet es
von dem späteren Stile. Wo nach Scarlatti die Harmonien im Domi-
nantverhältnis stehen würden: g—c oder g—d, kadenziert Gagliano in
Nachbardreiklängen g—fnnd ähnlichen. Im Ausdrucke ist namentlich
die Rezitativstelle der zweiten Szene des ersten Aktes beachtenswert,
wo Pan zu zürnen und zu trotzen beginnt. Wie Gagliano in der
Kampfszene der »Dafne« Chöre erfand, die dramatische Natur be-
sitzen, so gibt er auch hier namentlich dem Doppelchor der Nereiden
76 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
und Nixen am Schlüsse des vierten Aktes »Lagrimiam sospiriamo«
und dem kurzen französisch anklingenden Chor der Stürme im fünften
Akt »Partiam« sehr wirksame Töne. Die beachtenswerteste Erschei-
nung der »Flora« liegt aber in dem Entwürfe der Form für die
beiden ersten Szenen des ersten Aktes, Chorszenen, welche in fünf-
und dreistimmigen Sätzen in der aus Mazzocchis »Catena«, aus Gag-
lianos eigener »Dafne« bekannten Weise dasselbe Grundthema durch-
führen. Nur wenige Rezitative treten dazwischen. Neu ist aber, daß
der Hauptsatz der ersten Szene, der kräftige Hauptchor:
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1^
t
:^
Bel-la Divaal tuo ri-torno, ri -
T I 1
de 11 gior-no
— er wechselt hier mit einem elegisch anmutigen Madrigalensatz über
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:^
-^2_,5L.
1 — r
SZI2£
Di-ve de mon-te di - ve del fon-te
in der zweiten Szene wiederkehrt und den Abschluß des Aktes bildet.
Die Partie der Clori ist nicht von Gagliano, sondern von Jacopo
Peri komponiert. In der Vorrede wird dies mitgeteilt, und über jeder
Arie — das Wort ist für die Sätze ausdrücklich gebraucht — steht
ein J. P. Wir können diese Arbeit Peris als ein klassisches Zeugnis
für den Fortschritt betrachten, welcher sich in den 28 Jahren^ seit
der »Euridice« vollzogen hatte. Formell bekundet er sich in einem
musikalisch selbständigen Melodiebau, Peri hat mit dem deklamieren-
den Prinzip, mit dem sklavischen Anschluß der Tonreihen ans dich-
terische Metrum gebrochen, der Gesang strömt frei auf den Wellen
der Empfindung dahin und nimmt nicht mehr die Länge und Kürze
der Silben, die Deutlichkeit der Reime, sondern den richtigen Aus-
druck der im Gedicht lebenden Ideen zum Ziele. Die erste dieser
Clori-Arien mag mit ihren Anfangsperioden eine Probe dieses neuen
Stiles im Sologesang geben:
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fif^
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0 cam - pa
gne
d'An
tri - te
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me lie - te
ri - mo-ro co-me ve - te a me - gra
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di
te pu - re val -
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li di Za -
ffi - ro
Marc' Antonio Gaglianos »La flora<
77
Die anderen drei Opern, welche der Zeit nach der Gaglianoschen
> Flora« nahestehen, nehmen eine künstlerisch geringere Stufe ein. Es
sind »Erminia sul Giordano« des Michelangelo Rossi, der
»Alessio« des Stefano Landi und die »Galatea« des Vittori
Loreto.
Das letztgenannte Werk, die »Galatea«, gedruckt im Jahre 1639
zu Rom und dem Kardinal Barberini gewidmet, rührt in Text und
Musik von demselben Künstler her. Noch berühmter als in der Kom-
position und Poesie war Vittori Loreto (da Spoleto) in seiner Eigen-
schaft als Sänger. Die Musik ist in den bescheidensten Formen der
Anfangszeit der Oper gehalten, im Rezitativ, in den Sologesängen, in
den Duetten und Chören wenig bedeutend. Die Arien sind strophisch
variierende Lieder, die Chöre meist knapp. Als mehr hervortretend
lassen sich die Szene des Polifem im dritten Akt und die Szene im
vierten Akte bezeichnen, in welcher der Chor den Tod des Aci be-
klagt: »Mira te habitator di questi boschi«. Das ist ein durch die
Gruppierung der Stimmen sehr belebter, durch die Natürlichkeit des
Ausdruckes gewinnender Satz. In der Auffassung wirkt der Über-
gang aus ruhig dahinsprechender Deklamation in eifrige Erregung
und leidenschaftliche Wiedergabe des Schmerzes am meisten. Der
»Alessio« des Stefano Landi interessiert uns vornehmlich dadurch,
daß in ihm zum ersten Male das komische Element auftritt, wel-
ches später im venetianischen Musikdrama einen sehr breiten Platz
emzunehmen bestimmt war. Mitten unter die Kavaliere und Alle-
gorien des Gedichtes drängt sich ein Dienerpaar, mit seinen Gemein-
plätzen, seinen Spaßen und Gassenhauern. Letztere erscheinen in
dem Auftrittsduett der beijjen Gesellen Martio und Curtio bereits in
einer sehr fertigen Gestalt:
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5
E
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*
5^1^
£
Po - ca VC - glia di far be - ne, vi - ver lie - to, andar a
1
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^^
i
¥ 4
spasso, fres-coe gras- so mi man - tie -ne.
Eine zweite uns erstmalig begegnende Erscheinung, welche in der
künftigen Zeit Bedeutung gewann, ist die, daß eine männliche Haupt-
partie, die des Alessio selbst durch einen Soprankastraten besetzt ist.
Diese sogenannten Kastraten, erwachsene Männer, die durch eine in
der Kinderzeit vorgenommene Operation an der Mutation der Stimme
verhindert wurden und nun aus voller breiter Brust Sopran- und Alt-
partien vortrugen, nahmen schon seit Alters in den Kirchenchören
hervorragende Stellungen ein. Ihre Glanzzeit erlebten sie aber erst
in der Oper, namentlich der des 18. Jahrhunderts, wo ihnen mit Vor-
liebe die Helden- und andere Hauptpartien übertragen wurden. Auch
78 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
Griuck schrieb seinen »Orfeo« für einen Kastraten. Die Auftritts-
szene des Alessio zeichnet sich durch den Ton überlegener Heiterkeit,
mit welcher die in der Mitte der Szene stehende Arie »Se l'aure vo-
lano« (Dreivierteltakt) beginnt, aus. Diese Arie ist in der Partitur
»Arietta« genannt. Die Dämonen des Stückes singen als Männer-
chöre. Der »Alessio« ist auch die erste Oper nach der »Liberazione«,
die mit einer größeren Ouvertüre beginnt. Sie ist wie die der Li-
berazione der Giulia Caccini dreisätzig.
Die Oper, zu Ehren der Anwesenheit Karl Alexanders von Polen
beiBarberini aufgeführt und 1634 (Rom, P. Masotti) gedruckt, scheint
sich verbreitet zu haben. Wir finden sie in Bologna.
Die »Erminia« des Michelangelo Rossi^ knüpft ebenfalls an
die oben genannte Liberazione dadurch an, daß ihre Handlung auf
der Verkleidung der Hauptperson aufgebaut ist. Mit ihr beginnt
eine starke Familie von Verkleidungsopern, deren Konflikte sich
daraus entwickeln, daß der Held lange Zeit unerkannt bleibt: so er-
scheint Erminia erst als Soldat, dann als Hirt. Die musikalische An-
lage der Oper folgt den frühesten Mustern. Unter ihren Chören zeich-
nen sich die der Furien aus, welche das Gefolge der Armida bilden.
Der Komponist gibt ihren heiteren Weisen fremdartig dunkle Ab-
schlüsse. Auch die Ouvertüre hat einen abweichenden Charakter.
Nach drei feierlichen Takten Einleitung setzt ein unruhig flottes
Thema ein
welches in Engführungen nachgeahmt wird. Der gewöhnliche Ouver-
türenstil der ersten Periode stellt an diesen Platz einen gleichmäßig
ruhigen Satz.
Nach dem Jahre 1640 sind in Italien nur noch wenige Opern-
partituren gedruckt worden. Es entstanden so viel neue Werke, daß
das Interesse an einem einzelnen, auch wenn es sehr bedeutend war,
nicht lange haftete; zweitens paßten sich die Komponisten enger und
enger der Eigentümlichkeit bestimmter Sänger an. Eine unter den
wenigen gedruckten Choropern aus dieser späteren Zeit ist erhalten.
Es ist Marco Marazzolis »La vita humana«. Der Nebentitel heißt
»II trionfo della pietä«. Sie erschien im Jahre 1658 bei Mascardi in
Rom in einem außerordentlich stattlichen Bande, dem mehrere schöne,
interessante Kupferstiche, Ansichten aus der Stadt, Genrebilder aus
dem römischen Volksleben jener Zeit beigegeben sind. Die Oper,
welche in dem Jahre der Drucklegung selbst im Palazzo Barberini auf-
geführt wurde, ist der Königin Christine von Schweden gewidmet,
deren Name eine Zeitlang mit der Geschichte des Musikdramas in Rom
1 1637 in Rom gedruckt, nach Fetis schon 1625 aufgeführt beiBarberini.
Marco Marazzolis »La vita humana« 79
verknüpft ist. In der »Vita humana« hat ihr der Dichter eine beson-
dere Ovation mit den Versen »Per il ciel partira della nativa sede« be-
reitet. Die Dichtung dieses Werkes prägt den eignen Charakter
der römischen Allegorienoper ungewöhnlich stark aus. Um eine Hand-
lung und ihre Entwicklung hat sich der Dichter, der Kardinal Giulio
ßospigliosi, nicht bemüht. Es genügt ihm, Innocenza, die Colpa und
die anderen allegorischen Personen samt ihren Chören von Tugenden
und Lastern erbauliche und fromme Gespräche führen und mora-
lische Betrachtungen halten zu lassen. Wir .würden das Werk, wenn
es nicht ausdrücklich als Dramma musicale bezeichnet wäre, dem Ora-
torium zuweisen. Die Musik zeichnet sich durch den Reichtum an
einfachen und Doppelchören aus, die formell sehr geschickt und zum
Teil auch breit aufgebaut sind. Im Ausdruck aber zeigen sich be-
deutende Schwächen; die Tugenden und die Laster singen ziemlich
gleich. Der beste Chor, lebendig und in breiterem Melodieüuß ein-
hergehend, ist der am Schlüsse des Prologs. In den Solis liegt ein
altvaterisches Wesen. Wertvoller ist ein Liedchen, welches die Sen-
tinella (die Schildwache) der Innocenza hinter dem Felsen versteckt
singt. Seine Wiederholungen treten sehr natürlich aus dem Dialog
heraus. Ferner ein langausgeführtes Duett in der Form des Passa-
caglio, d. h. mit immer neuer Melodie über dasselbe kurze Baßthema.
Als bemerkenswerte Ausnahme kommt auch ein Terzett vor. Von
Intrumentalsätzen ist eine den Trompeten und Tamburis übertragene
Fanfare hervorzuheben, mit vrelcher der Anbruch des festlichen Morgens
begrüßt wird.
Beim Erscheinen der »Vita humana« war die Zeit der Choroper
bereits vorüber. Zwar folgten ihr noch einige Nachzügler von Be-
deutung. Doch gehören sie zur Hälfte ihrer Natur bereits einer neuen
Gattung an.
Wenn die Komposition in den Solopartien binnen weniger Jahr-
zehnte solche Fortschritte machte, wie wir sie namentlich in den
verschiedenen Arbeiten Peris selbst beobachten können, so dankt
sie dies zum großen Teil der Pflege mit, welche die sogenannte
Monodie in der Haus- und Kammermusik fand. Das erste Werk,
welches für diesen Zweck veröffentlicht wurde, ist Giulio Caccinis,
des häufig Genannten »Nuove Musiche« vom Jahre 1602 (Florenz).
Die Stücke dieser Sammlung tragen noch den Charakter von zwischen
steifer Deklamation und überschwenglichem Figurenstil schwanken-
den Versuchen. Ambros nennt im vierten Bande seiner Geschichte
der Musik eine Reihe ähnlicher Sammlungen, an deren Spitze Ludo-
vico Viadanas »Concerti ecclesiastici« stehen. In einzelnen der-
selben sind die Leistungen nicht besser als bei Caccini. Dahin
gehört Ottavio Durantes Werk »Arie divote«^ Rom 1608. Die
Vorrede gibt als Zweck der Arbeit an, zu zeigen: la maniera di
cantar con grazia, l'imitazione delle parole e il modo di scrivere
passaggi ed altri effetti. Die Kompositionen sind mit gesuchten
80 Vorgeschichte, Entstehung und erste Periode der Oper
und aufdringlichen Passagen überladen. Das Werk ist deshalb
interessant, weil es unter die ersten Versuche gehört, den neuen
Stil des Sologesanges auf religiöse Texte anzuwenden. Die Monodie
und die dramatische Musik hielt damit ihren Einzug in die Kirche.
Geistliche Hymnen, Marienklagen und andere Arten spiritualer Musik
— um den Ausdruck zu gebrauchen, dessen sich auch Monteverdi
für diese Zwecke bediente — folgten. Als eine der besseren unter
den bekannten Sammlungen von Monodien ist die »Euterpe« des
Domenico Brunetti (Venedig 1606) zu bezeichnen. Sie enthält
Solostücke, Duette, Terzette und Quartette unter dem Titel von Madri-
galen, Kanzonetten, Arien, Stanzi, Scherzi diversi in Dialoghi, e Echo.
Die einzelnen so aufgeführten Arten lassen eine streng formeile Unter-
scheidung nicht erkennen. Größtenteils sind sie kurz gehalten und
schließen auf den Anfang zurücklenkend. Aber als Studien im Aus-
druck, in der Bildung und Entwicklung der Motive, auch in der
Verwendung der Koloratur sind sie alle wertvoll.
Der poetische Gegenstand dieser weltlichen Monodie ist vorwiegend
erotischer Natur. Die ersten Regungen, Glück und Leid der Liebe,
die traurigen Lagen des Verlustes und des Verlassenseins bilden den
Haupttext und geben der Musik Gelegenheit ihre Kräfte zu entwickeln.
Sie übte an ihnen die ganze Skala des Gefühlsausdruckes durch, von
den leichten Tönen des Scherzes und des Humors bis zu gewaltigen Aus-
brüchen der Leidenschaft, des Schmerzes und der Verzweiflung. Gern
gab man diesen Ijrrischen Gedichten eine leichte dramatische Färbung,
sei es auch nur im Titel. Man dachte sie in eine besondere Situation
hinein. So enthält Gaglianos »Musiche« (Venedig 1615) eine Klage
eines in die Hölle Verdammten. Man fand auch von hier aus bald die
Brücke zu zyklischen Monodienkompositionen, an deren Vortrag ver-
schiedene Sänger teilnehmen konnten. Wir haben solche in den früher
erwähnten Arbeiten des Paolo Quagliati kennen gelernt. Im Ausdruck
enthalten von 1650 ab diese Monodien fast alle bedeutende Leistungen,
die Musik ringt nach Deutlichkeit. Die Form zeigt den Eeichtum
einer noch ungeklärten Entwicklungszeit. Die sinnliche Freude an
Figuren, Koloraturen, eingänglichen Melodien kämpft oft gegen die
strenge Sachlichkeit des Ausdrucks an. Daran, daß sich allmählich
ein richtiger Ausgleich vollzieht, hat der Sologesang in der Oper ein
sichtliches Verdienst.
Die Venetiaiiische Oper^
Wenn wir auf die vier Jahrzehnte, die das Musikdrama seit
Peris »Euridice« durchlebt hatte, einen Rückblick werfen, so müssen
wir konstatieren: das Resultat entspricht nur zum Teil den Er-
wartungen.
Die Musik hatte sich als dramatisches Mittel bewährt, und die enge
Verbindung von Musik und Drama, die Existenz also des Musik-
dramas, konnte als gesichert gelten. Aber das Hauptziel, das man da-
bei anfangs im Auge hatte, die Renaissance der antiken Tragödie, eme
allgemeine Hebung des dramatischen Geistes, ein Drama, das nicht
bloß in der From, sondern auch in Wert und Kraft der Tragödie
der Alten glich, — dieses Hauptziel war nicht erreicht worden.
Das neue Drama schloß sich an die antiken Fabeln und Formen an;
eine antike Gedankenrichtung vertraten im wesentlichen nur die Chöre
und die dem Dialog reicher oder spärlicher eingemischten Sentenzen.
Den tiefsittlichen Grundzug aber, auf dem Begebenheiten und Hand-
lungen bei Sophokles und Äschylos ruhten, hatten die Dichter des
neueren Musikdramas bei ihren Nachbildungen entweder übersehen
oder abgeschwächt. Wie alle lebendige Kunst drängte auch das neue
Musikdrama nach modernen Elementen, schöpfte unwillkürlich aus
den Sitten und Anschauungen der Gegenwart und aus den Quellen
der Zeit, guten wie schlechten.
Und doch war das Musikdrama in den verflossenen vier Jahr-
zehnten allen störenden Einflüssen von außen her so viel als möglich
1 Literatur. H. Kretzschmar: »Die Venetiaiiische Oper und die
Werke CavalUs und Cestis< (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1892),
Derselbe: »Beiträge zur Geschichte der Venetianischen Oper« (Jahrbuch der
Musikbibliothek Peters 1907, 1910, 1911); A. Solerti: »Le rappresentazioni
musicali di Venezia dall 1571 al 1605« (Rivista musicale IX, S. 503 ff);
A. Heuß: »Die Venetianische Opernsinfonie« (Sammelbände d. IMG IV,
S. 404 ff); H. Goldschmidt: »Das Orchester der italienischen Oper im
17. Jahrh.« (Sammelbände d. IMG II, S. 16 ff).
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 6
32 Die Venetianische Oper
entzogen geblieben. Es war nicht aus dem Schutze der Höfe und
der obersten Gesellschaft herausgekommen. Seine Probe vor der
weiteren Öffentlichkeit hatte es noch zu bestehen.
Im Jahre 1637 erfolgte dieser entscheidende Schritt und zwar zu
Venedig. Hierher war Claudio Monte verdi im Jahre 1613 als Kapell-
meister von San Marco berufen worden, der berühmte Komponist des
»Orfeo« und der »Arianna«. Es konnte nicht fehlen, daß die An-
wesenheit des bedeutendsten Vertreters der neuen Kunst in einer
wirklichen Großstadt Folgen hatte. Aus den Häusern der Moncenigos
und der andern reichen Patrizier drang das Interesse an der Oper
von Jahr zu Jahr in weitere Kreise der Bürgerschaft und ins Volk
und führte endlich zur Eröffnung eines eigenen öffentlichen Opern-
hauses, des Theaters zu San Cassiano. Benedetto Ferrari eines
jener Universalgenies, an denen die Zeit der Renaissance besonders
reich war. Virtuos auf der Laute, guter Sänger, dramatischer Dichter
und Komponist in einer Person, dazu auch noch ein bedeutendes
Geschäfts- und Organisationstalent, war der Unternehmer. Sein Institut
wurde der Grundstein einer langen Herrschaft, die Venedig von jetzt
ab auf dem Gebiete des Musikdramas ausübte. Dem einen und ersten
Operntheater wurden bald andere nachgebildet. In der Regel er-
hielten sie ibre Namen nach den Kirchspielen. San Cassino, das
immer eins der angesehensten blieb, brachte von 1637-1700: 37 ver-
schiedene Opern heraus. Das nächstgegründete, San Giovanni e Paolo
von 1639-1699, also in sechzig Jahren, 49 verschiedene Werke,
San Moise von 1639-1679: 34; das Teatro Novissimo von 1641-1647:
8; das Teatro S. Apollinare von 1651-1660: 11; das Teatro San Sal-
vatore von 1661-1700: 67 Opern; das Teatro di Salvoni, in Unter-
brechungen geöffnet von 1670-1689: 4 Opern, und das Teatro
San Angelo in der Zeit von 1677-1700: 43 Opern. In Summa ergibt
das für Venedig auf die Zeit von sechzig und etlichen Jabren drei-
hundert verschiedene Opern, oder aufs Jahr fünf neue Opern. Das ist für
unsere deutschen Begriffe eine stattliche Leistung. Aber dazu kommt
eine Grundverschiedenheit der theatralischen Ansprüche bei Deutschen
und Italienern. Wir legen den Hauptnachdruck auf den dichterischen
Wert des Werkes, der Italiener legt ihn auf die Ausführung. Er
wird nicht müde dasselbe Schauspiel, dieselbe Oper immer wieder zu
besuchen, bis er jeden Zug aus dem Spiel auswendig weiß und un-
willkürlich mitmacht. Daher seine scharfe Kritik, sein feines Be-
obachtungsvermögen für die Kunst beim Autor und beim Darsteller.
Wir genießen mehr en gros und als Naturalisten. Das ist heute noch
so, wie es vor fast dreihundert Jahren schon war. Auch die erstaun-
liche Zahl der Opernhäuser, die damals gleichzeitig tätig waren, bestätigt
jenen Eifer für das Theater. In der Regel spielten immer vier zur
selben Zeit, einmal waren acht zugleich geöffnet. Das will für eine
Stadt von 140000 Einwohnern — soviel besaß Venedig um 1630 —
etwas heißen und gibt die treffendste Vorstellung von der Theaterlust
Die ersten Operntheater 83
der Italiener. Galvanii, der uns das zuverlässigste und neueste
Bild von der äußeren Entwicklung und den Verhältnissen der Vene-
tianischen Oper in den Jahren 1637-1700 bietet, teilt mit, daß die
Eintrittsgelder für den Platz zwei Lire betrugen. Dieser feste Satz er-
litt erst im Jahre 1770 eine Änderung. Davon hätten die Theater
nicht bestehen können. Die Oper erfreute sich neben diesen Eintritts-
geldern noch eines reichlichen Zuschusses von Seiten der Kunstfreunde
in der Form der Logenmiete. Die reicheren und angeseheneren
Familien betrachten es in Italien bis auf den heutigen Tag als eine
Pflicht, im Theater eine Loge zu besitzen, und die Logen vererben
in den Familien. Das ist eine Selbstbesteuerung, die uns den Wert
zeigt, den das Theater in den Augen der Italiener hat. Sie erklären
es für den ersten Kulturmesser und stellen es der Schule mindestens
gleich und bringen ihm Opfer, die bei uns kaum jemand versteht.
Als Ferrari die Oper in San Cassino eröflnete, spielte er mit
seiner Gesellschaft auf Teilung, eine Einrichtung, die auch in neuerer
Zeit hier und da versucht worden ist. Später wurde das sogenannte
Impresariosystem, das Unternehmersystem üblich, das noch heute in
Italien herrscht, wie alle die heutigen Einrichtungen des Opernwesens
in Italien auf das Muster zurückgehen, das sie in der venetianischen
Periode erhielten. So vor allen Dingen die Begrenzung der Spiel-
zeit. Bei uns in Deutschland wird entweder das ganze Jahr hindurch
oder doch den Winter ohne Unterbrechung durchgespielt. Der Ita-
liener hat drei verschiedene Spielzeiten im Jahre. Der Karneval, der
vom 26. Dezember bis zum 30. März dauert, bildet die sogenannte
Hauptstagione. Er war ursprünglich die einzige Zeit, in der die
Venetianische Oper geöffnet war. Bald kam aber die »Stagione di
Ascensione«, die Himmelfahrtszeit, vom zweiten Ostertage bis 15. Juni
hinzu, und später noch die »Stagione di Autunno«. Sie reicht vom
1. September bis 30. November.
Der Impresario engagierte anfangs die Mitglieder der Gesellschaft
nur gegen geringes Gehalt. Aber der Wert bedeutender Sänger
scheint sehr schnell gestiegen zu sein, namentlich von der Zeit ab,
wo die Oper über Italien hinausdrang. Schon im Jahre 1719 bezog
Antonio Lotti in Dresden mit seiner Frau ein Gehalt von 10000 Talern.
In der » Andromeda« von Ferrari, mit der das Theater zu San Cassiano
im Jahre 1637 eröffnet wurde, war an Frauen noch Mangel. Da
werden die Rollen der Juno, Venus und Astrea noch von Männern
besetzt, einige Jahrzehnte später war schon das System der Kammer-
sängerinnen ausgebildet, die ganze Titelsucht und das Virtuosenwesen
der neuen Zeit voll entwickelt. Der Komponist der Opern wurde anfangs
nach Umständen bezahlt, später ward für eine mehraktige Oper der
feste Satz von hundert Dukaten für unbekannte, von zwei- bis vier-
hundert für bereits angesehene Komponisten üblich. Außerdem erhielt
1 LivioNic.Galvani: »I teatri musicali diVenezia nel sec. XVIP« (1878).
6*
g4 Die Venetianische Oper
der Komponist für seine Mitwirkung bei den Aufführungen seines die
ganze Stagione hindurch gegebenen Werkes, bei denen er in der Regel
das erste Cembalo spielte, eine ansehnliche Vergütung. Die Dichter,
soweit sie nicht Teilnehmer waren, begnügten sich ursprünglich mit
der Ehre. Mit der stärkeren Nachfrage bildete sich auch für sie ein
geschäftlicher Weg, und sie erhielten den Erlös, den der Verkauf
der Textbücher ergab und die Zuwendungen, die aus den Dedika-
tionen flössen. Damit hängt es zusammen, daß fast alle im 17. Jahr-
hundert gedruckten Textbücher großen, reichen Herren gewidmet
sind. Seinen Stil kann man an diesen Dedikationen nicht bilden,
aber sie sind eine Fundgrube von Notizen, die für die Geschichte
und namentlich die Statistik sehr wichtig sind.
Wer im Textbuch nachlesen wollte, der zündete sich an seinem
Platz ein mitgebrachtes Wachskerzchen an. Die Spuren dieser Be-
leuchtung zeigen die erhaltenen Stücke noch heute an versengten
Stellen und an fest gewordenen Tropfen. Das Format dieser Bücher
ist Duodez, zum Einstecken. Bei Galavorstellungen und mit den
Exemplaren, die für vornehme Gäste bestimmt waren, an den Resi-
denzen durchweg, trieb man mit den Textbüchern Luxus: großer
Druck auf großem Format, Goldschnitt und Einbände, die heute
wieder als Musterleistungen des Kunstgewerbes hervorgesucht
werden.
Außer durch die Wachskerzen der Zuhörer waren die Theater
nur schwach beleuchtet. Auf der Bühne brannte eine kleine Fackel,
auf den Seiten des Proszeniums standen auf hohen Holzpfeilern zwei
Öllampen, die beständig dem Erlöschen nahe waren. Es waren nach
heutigen Begriffen Provinzialzustände. Aber für das 17. Jahrhundert
waren die venetianischen Operntheater kleine Weltwunder. Bei uns
in Deutschland kam es damals noch gar nicht vor, daß man bei
Licht Theater spielte. Unsere Vorstellungen fanden nachmittags statt.
Die Wachskerzen und Fackeln der venetianischen Bühne wirkten da-
her moderner und glänzender als heute unsere elektrischen Lampen.
Und eifriger als heute nach dem Wagnertheater in Bayreuth wall-
fahrtete das vornehme Europa des 17. Jahrhunderts nach den Musik-
theatern der märchenhaften Weltstadt Venedig. Die Folge davon war,
daß die Oper, nachdem sie in Venedig ihre Residenz aufgeschlagen
hatte, die räumliche Herrschaft schnell und weit ausdehnte, nicht bloß
in Italien, sondern über Italien hinaus. Wir müssen deshalb zu den
dreihundert Opern, die in dem Zeitraum von 1637-1700 nachweis-
lich für venetianische Bühnen geschrieben wurden, noch eine ebenso
große Zahl setzen, die von venetianischen Meistern oder in ihrem Stil
für andere italienische und für deutsche Residenzstädte gedichtet und
komponiert worden sind. Von dieser großen Anzahl ist vielleicht
der sechste Teil erhalten, und zwar ausschließlich handschriftlich.
Der Druck von Opernpartituren hört in der venetianischen Periode
auf. Ging ein Werk von der ersten Bühne nach einer andern, so
Die accidenti verissimi in der Venetianischen Oper 85
wurde es m der Regel umgearbeitet und dem vorhandenen Personal
und den lokalen Verhältnissen angepaßt. Ja, wie das noch bis ins
19. Jahrhundert in Italien üblich blieb, man nahm von berühmt ge-
wordenen Opern am liebsten nur den Text herüber. Der Kapell-
meister an Ort und Stelle schrieb die Musik neu.
Wenden wir uns jetzt von diesem äußeren Bilde ab und der Frage
zu : Welchen Einfluß äußerten die venetianischen Verhältnisse auf die
künstlerische Entwicklung des Musikdramas?
Die Antwort lautet: Das Musikdrama löst jetzt den Zusammen-
hang mit Renaissance und Antike fast vollständig und nähert sich
nicht bloß, es gibt sich dem italienischen Theater des 17. Jahrhun-
derts vollständig hin. Die Musikdramen der venetianischen Periode
unterscheiden sich von den Staatsaktionen und den Stegreif komödien,
denen die Florentiner den Garaus hatten machen wollen, in nichts
weiter, als daß sie gesungen wurden. Homer, Pindar, die Alte
Dichtung und die Alte Geschichte geben nur die Namen für die
Helden her. Die Helden selbst waren Italiener vom Schlage der Borgias,
und die Stücke sind Zeitbilder, übertriebene, aber im wesentlichen
lebensgetreue Abschnitte aus dem politischen und gesellschaftlichen
Bilde Italiens, wie es in den Jahrhunderten nach den Kreuzzügen
war. Usurpatoren, gestürzte und verbannte Herrscher, Prätendenten
und Kronenjäger aller Art stellen die Hauptpersonen. Es wird um
Erbfolge und Länderbesitz gestritten mit allen Mitteln der Gewalt
und List: durch Staatsheiraten, durch Entführung und Vertauschung
von Kindern, durch Betrug und Meuchelmord. Der Kriegslärm feind-
licher Parteien, die Verschwörungen, Revolten und Überfälle nehmen
kein Ende in diesen Musikdramen. Sie geben das Bild einer aben-
teuerlichen, wilden Zeit, einer Zeit, welche für Italien, das Land,
in das Osmanen und Korsaren einfielen, das Land in welchem der
Streit um Ghibellinen und Weifen jedes Gemeinwesen in haßerfüllte
Parteien zerrissen hatte, leider auch noch im 17. Jahrhundert mehr
als bloße Dichtung war. Die Moral, der Geist, welcher in diesen
Operndichtungen gelehrt wird, ist der reinste Machiavellismus. Wir
begegnen in ihnen allerdings guten Charakteren, Freunden und
Dienern, die sich durch Treue und die Fähigkeit der Aufopferung
auszeichnen, edlen Frauen, welche für die Gatten Ehre und Leben
einsetzen. Aber auch diese besseren Naturen verfolgen ihre Ziele
auf krummen Wegen.
Den Dichtern, in der großen Mehrzahl wenigstens, war das Ge-
fühl für die höheren Zwecke im Drama abhanden gekommen. An
den sittlichen Problemen, die ihnen die Fabeln entgegenbrachten,
gingen sie in der Regel achtlos vorbei. Der Punkt, auf den sie
ihre ganze Kunst richteten, war die Erfindung von sogenannten
accidenti verissimi, wie das Stichwort lautet, d. h. wahrschein-
lichen Zwischenfällen, mit denen die fatti storici, die geschicht-
lichen Hergänge, überzogen und verdeckt wurden. Nur zu bald
gß Die Venetianische Oper
liefen aber alle diese Erfindungen nur denselben zwei Spuren nach,
die uns schon in der Römischen Schule begegnet sind: der Intrige
und der Liebelei. Das waren die unvermeidlichen Federn jedes
dramatischen Getriebes, ihnen zu Liebe wurden die natürlichen Motive
der Entwicklung beiseite geschoben. In der venetianischen Bear-
beitung des »Orfeo« stirbt die Euridice nicht am Schlangenbiß,
sondern an Eifersucht. Ihr Orfeo ist ein Mädchenjäger.
In Nebendingen waren diese venetianischen Poeten nicht un-
bedeutend. Ihre Dichtungen sind reich an Überraschungen und an
Effekt! Die Dichter verstehen es den Zuschauer in Atem zu halten,
sie reizen das Auge, sie machen aber auch das Herz in Fieber
schlagen und die Seele zittern. Menschenleben sind sehr billig in
diesen Opern — aber für den Augenblick wirken diese hochnot-
peinlichen Effekte der Überfälle, der Schiffbrüche, der Hinterhalte,
Mordversuche und der tollkühnen Heldenstückchen doch. Den Auf-
tritten dieser Art schließen sich die zahlreichen Beschwörungs- und
Geisterszenen mit ihren Schauern an, doppelt wirksam in einer Zeit,
die noch vom Aberglauben erfüllt war. Das freundlich-phantastische
Element vertreten Traumszenen, in welchen Züge von Genien dem
Unglücklichen Trost und helle Zukunftsbilder bringen, in welchem
Liebende im Schlafe sprechend süße Geheimnisse verraten. Das
rührende Element kommt zur Geltung in zahlreichen Abschiedsszenen
zwischen Mann und Frau, deren herzlich einfacher Ton uns den
wohltuenden Beweis bringt, daß Familienglück und das Gefühl reiner
Liebe doch in der galanten Zeit, der diese Opern entsprangen, nicht
ganz entschwunden waren.
Einen bedeutenden Bestandteil endlich dieser Operndramen, der
immer mehr wächst, je weiter wir in der venetianischen Periode vor-
schreiten, bilden die komischen Szenen, die in die Handlung ein-
geschoben wurden. Anfangs nach griechischem Muster gebildet und
mit griechischen Namen belegt — Satyro, Demo, Bloco — nähert
sich dieses lustige Volk immer mehr den realistischen Gestalten der
comedia di arte. Der harmlose Humor der »Fliegenden Blätter«
belebt sie. Zur Kulturgeschichte bringen sie einen wichtigen Bei-
trag als naturgetreue Bilder aus dem Leben der niederen Volks-
schichten. Mit diesen Intermezzos drang die venezianische Schule
zuerst ins Ausland.
Die Übereinstimmung mit dem Geschmack der Zeit, der Reich-
tum an theatralischen Effekten lassen es uns verstehen, daß diese
Opernbücher auch losgelöst von Szene und Musik geschätzt, gekauft,
gelesen und in immer neuen Auflagen gedruckt wurden. Die belieb-
testen Dichter der Periode waren Gulio Strozzi, Persiani, Faustini,
Sbarra, Bonarelli, Minato, Aureli, Apolloni, Ivanovich, Moniglia,
Cicognoni, Berni, Bontempi, Bissari, Noris, Bassani, Corradi, Morelli,
Ciellis, Cupeda. Sie stammen in der Mehrzahl aus Venedig und den
oberitalienischen Städten. Es sind unter ihnen vornehme Männer
Die accidenti verissimi in der Venetianischen Oper 87
und gelehrte Herren, die sich auf ihre Gelehrsamkeit viel einbildeten.
Der verbreitetste unter ihnen ist Nicolo Minato aus Bergamo. Er
verbrachte den größten Teil seiner Manneszeit als kaiserlicher Hof-
dichter in Wien und beherrschte von hier aus das italienische Theater
mit einer noch größeren Macht, als sie neuerdings Scribe in der
französischen Oper ausgeübt hat. Seine Richtung wurde die herr-
schende, aber sie hat nicht mit einem Male die venezianische Oper
in Beschlag genommen. Der Geist der Renaissance wehrte sich noch
lauge, und bis zuletzt behauptete sich eine kleine Dichterpartei, die
den venezianischen Geschmack verwarf. Ihr bedeutendster Vertreter
ist Francesco Busenello, ein edler, vornehmer, warmer Dichter,
der der Gegenwart wieder zugeführt zu werden verdient.
Für die Musik war die Wendung, die die Dichtung in der Oper
der venetianischen Periode nahm, äußerst ungünstig. Der Mangel
an sittlichen Grundideen in der Handlung, der Flattergeist in der
Anlage, die alle drei Minuten mit Szenen wechselte, das Heer von
Nebenpersonen — das alles lähmte die Kraft und die Begeisterung
des Komponisten. Besonders musikwidrig war der neue Dialog mit
seiner Häufung von Prosa und Geschäft. Einen starken Ausfall
erlitt die Tonkunst auch dadurch, daß die venetianische Oper den
Chor abschaffte. In dieser Maßregel loderte, angefacht durch den
übertriebenen und äußerlichen Chorkultus in den Opern der Römi-
schen Schule, der alte Haß der Renaissancemusiker gegen den Kontra-
punkt nochmals und mit äußerster Entschiedenheit auf.
Wahrscheinlich kam aber auch noch ein geschäftlicher Gesichts-
punkt hinzu: mit der Beseitigung des Chors fiel für die Impresarios
eine bedeutende Ausgabe weg. Es kommen in verschiedenen Opern
noch kleine, kurze Chorsätze vor, die wir uns zur Not vom Verein
der im Stücke tätigen Solisten aufgeführt denken können, aber im
allgemeinen ist die italienische Oper vom Beginn der venetianischen
Periode ab bis in die Zeit nach Gluck lediglich Solooper.
Doch aber hat die Musik diese Schule der Not mit sehr großem
Erfolge durchgemacht. Die Blütezeit des dramatischen Sologesanges,
d. h. der Kunst mit den Mitteln einer einzelnen menschlichen Stimme
einem reichen Seelenleben- und allen den Leidenschaften und Re-
gungen, aus denen es sich zusammensetzt, Ausdruck zu geben —
die Blütezeit dieser Kunst beginnt in der venetianischen Periode.
Die Opern, die ihr angehören, enthalten sehr viele Bruchstücke von
ungebrochener Lebenskraft. In erster Linie in den Liebesszenen,
dann in den Szenen von ganz oder halb religiösem Charakter, den
Geisterszenen und den Szenen der Ombrae. Sie wurden stets in
demselben Stil und mit denselben Mitteln ausgeführt. Von letzteren
ist eins in unsere Gegenwart mit hineingekommen in den Geigen-
klängen, die den »Christus« in Bachs Matthäuspassion umschweben.
In dritter Linie stehen die Idyllen, die Schlummer- und Traum-
88
Die Venetianische Oper
Szenen, die Szenen am Bach und im Hain mit ihi'en zarten Natur-
schwärmereien und feinen Tonmalereien, die sich heute noch durch
Händeis Oratorien frischen Lebens erfreuen.
Die Hauptmeister in der Komposition der venetianischen Periode
sind Fr. Cavalli, M. A. Cesti, L. Rossi, P. Ziani, M. A. Sartorio,
Sacrati und Albinoni im ersten Abschnitt ; in dem zweiten Abschnitte
von 1660 — 1680 M. A. Ziani, Draghi, Bernabei, Legrenzi, Rovettino ;
am Ausgange der Periode: Carlo Pallavicini, Domenico Freschi,
0. Grossi, Alessandro Stradella, Domenico Gabrieli, Antonio Perti,
Antonio Sabbatini und Carlo Francesco Pollarolo.
Die Werke dieser Komponisten, soweit sie noch erhalten sind,
finden sich auf der Bibliothek von San Marco in Venedig, in Modena
und Wien. Einzelne Hauptopern sind mehrfach vorhanden, z. B.
Cavallis »Giasone«, Cestis »Dori«. Andere Werke der Periode, die
ebenfalls Weltruf erlangt hatten, wieLegrenzis »II divisione del mondo«,
Sacratis »Pinta pazza« scheinen verloren. An die Spitze der genann-
ten Komponisten muß noch Claudio Monteverdi gestellt werden,
der, wie früher erwähnt, mehrere Opern für Venetianische Bühnen
geschrieben hat. Eine davon ist erhalten, seine (1624 aufgeführte)
»Incoronazione di Poppea«, eine im Text höchst widerliche, die
Geschichte eines doppelten Ehebruchs vorstellende Nero-Oper, deren
Musik aber den Meister mit einer Reihe herrlicher Stellen auf der
Höhe seiner Reife zeigt. Seine alte Lebhaftigkeit äußert sich in
den Berichtigungen und Ergänzungen, die er an den Rezitativen der
Dichtung vornimmt. Bei wichtigen Mitteilungen unterbricht die
zuhörende Person durch aufgeregte und ungeduldige Zwischenfragen
oder dadurch, daß sie dem Sprecher das entscheidende Wort vom
Munde wegnimmt. Wo der Dichter (Busenello) einer Person eine
fortlaufende Reihe von vielleicht dreißig Versen gibt, zerlegt sie
der Komponist in zehn Gruppen von je drei Zeilen, jede Gruppe
durch Zwischenreden einer zweiten Person von der andern getrennt.
Die Musik aber gehört teilweise zum Abgeklärtesten und Schönsten,
was die Geschichte der Oper zu bieten hat. Das Hervorragendste
ist der Eingang, wo Otto, von Sehnsucht getrieben, vor dem Hause
seiner ihm treulos gewordenen Poppea steht:
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90
Die Venetianische Oper
Der Satz ist das ebenbürtige Seiten stück zu den berühmten zwanzig Tak-
ten, mit denen das Lamento d' Arianna beginnt. In der Arianna eine
leidenschaftliche Klage, hier eine edel elegische. Dort der Blick
auf eine verzweifelte, zerstörte Seele, hier in ein Gemüt, das sein
Leid mit Anmut trägt; dort eine aufregende, hier eine rührende
Wirkung. Aber beide Stücke gleichen sich darin, daß die Dar-
stellung auf neuen Mitteln ruht und sie gleichen sich in der Ver-
einigung von Freiheit und Klarheit des Ausdrucks. Es gibt wenig
Sologesänge, in denen sich die Stimmung so unmittelbar, so lebendig
bewegt, sich so reich an hinreißenden Zügen ergießt, kaum einen
zweiten, der so naturgetreu italienisch und unwiderstehlich warm
klingt, wie diese Klage des Otto bei dem »Ah«. Der ganze Satz
gehört in eine Mustersammlung.
Daß die Incoronazione im weiteren Verlauf musikalisch nicht
auf der gleichen Höhe bleibt und darin hinter dem Orfeo zurück-
steht, liegt am Text. Als die weitere hervorragendste Szene der
Oper wird man den Abschied Senecas von seinen Angehörigen (2. Akt,
3. Szene) bezeichnen dürfen. Er hat die Gestalt eines dreistimmigen
Satzes über das Motiv:
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\^- — ^
Non mo - rir, non mo - rir
und bringt den stechenden Schmerz dem Ende zu mit einschneidender
Schärfe zum Ausdruck. Das Mittel sind mit elementarer Gewalt
nach der Höhe drängende chromatische Durchgänge sämtlicher be-
teiligter Stimmen:
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Auch hier wieder beruht die Wirkung auf scharfer Lebensbeobachtung.
Claudio Monteverdis >Incoronazione di Poppea« 91
Für die Charakteristik des »Nero« sind zwei Szenen wichtig, die,
wo er dem Seneca mitteilt, daß er die Poppea verstoßen will, die
andere, wo er vor dem Senat das Urteil über Ottavia und Ottone
spiicht. Da betont Monteverdi die Haltlosigkeit des Kaisers und
die Brutalität. Die Worte, mit denen Nero den Seneca anredet,
lauten: »Tu mi sforzi allo sdegno«. Die Musik beginnt äußerst ge-
wichtig und feierlich:
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Tu, tu tu
dann aber wird sie sofort heftig, der Kaiser schnattert und über-
schreit sich in tierischer Wut. Eine Zeile auf demselben Akkord, auf
demselben Ton, auf denselben zwei Worten (alla sdegno) einher-
polternde Sechzehntel, die schon aus dem » Combattimento « bekannten
Pyrrichien in neuer Verwendung, veranschaulichen das ganz lebens-
getreu. Noch wirksamer kommt das Gemisch von Theatermajestät
und Narrheit in der andern, in der Gerichtsszene zum Ausdruck,
auch da wesentlich durch die Einschaltung plötzlicher schneller Läufe.
Namentlich der Schluß ist köstlich. Die Worte heißen: »Convengo
giustamente risentirmi — volate ad ubidirmi«. Komponiert aber sind
sie folgendermaßen:
Con-ven-go gius-ta -men-te ri-sen-tir-mi volate ad u-bi - dir -mi
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Wenn man sich vorstellt, wie die Herren Senatoren mit gesenkten
Köpfen dem gespreizten und koketten Erlasse lauschen und dann
diesen letzten Takt ansieht, der so ungeduldig, verächtlich in dem
trivialen Skalengange sagt: warum seid ihr noch nicht fort, da kann
man über die drastische Wirkung der Stelle nicht im Zweifel sein.
Nebenbei bemerkt, singt Nero Sopran, seine Partie und die des
Ottone sind für Kastraten bestimmt, die Poppea und Ottavia sind
Altstimmen. Die lieben die Venetianer noch heute, das Klima ver-
sorgt damit vorzüglich und besser als mit Sopranen.
Die Sänger von St. Gervais in Paris haben vor einigen Jahren
eine Aufführung der »Incoronazione« geplant. Jedenfalls ist der
Gedanke gut und naheliegend. Wenn man bei einer der älteren
Opern einen Wiederbelebungsversuch machen will, so sind's wenige
so wert, wie diese letzte Arbeit Monteverdis. Dem 17. Jahrhundert
und den Venetianern bewies sie, daß ein Komponist, wenn er ein
Meister war, alle Aufgaben lösen konnte, die ihre Dramatik stellte.
Als der musikalische Führer der Periode ist Francesco Cavalli zu
92
Die Venetianische Oper
betrachten. Er war der verbreitetste Komponist und derjenige,
dessen Werke sich am längsten hielten; er war es auch, auf den
der Stil der Schule wenigstens zum Teil zurückgeht. Das neue
Hauptelement dieses Stils bilden lange, umfangreiche Sologesänge in
geschlossener Form, breite Arien, die auf den Höhepunkten der
Szene einsetzen und als Passacaglias, Ciaconnen oder in einer anderen
Variationenart verlaufen, aber so, daß die einzelnen Variationen durch
kleinere Rezitative oder durch Orchestersätzchen getrennt sind. Es
ist dieselbe Methode, die später Gluck wieder aufgenommen hat. Die
Ca valiischen Arien haben in der Mehrzahl Themen im ^/j-Takt,
einfache, ausdrucksvolle Melodien, die den Barkarolen der vene-
tianischen Volksmusik gleichen. Auf diesem volkstümlichen Ele-
ment, das Cavalli populär machte, hat die Venetianische Schule eifrig
weiter gebaut, der Barkarolenklang wurde zum Merkmal venetiani-
scher Abkunft; ohne Barkarolen vermochte man sich eine vene-
tianische Oper nicht mehr zu denken; in neapolitanischen Buffo-
opern aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts ist Signor Barcarollo
Spitzname für Leute aus Venedig. Indes beruht die Größe Cavallis
nicht auf dieser sinnigen Anknüpfung an den Volksgeschmack seiner
Heimat, sondern ihre Wurzel liegt in einer ungewöhnlich ernsten
und tiefen Natur und in der Meisterschaft, mit der diese sich be-
sonders in der Form des Rezitativs äußert, namentlich bei Un-
glück, Trauer, Abschied und ähnlichen ernsten Veranlassungen. Am
schnellsten ergibt sich das Bild seines künstlerischen Wesens aus dem
Eingang seiner »Didone«, einer seiner Hauptopern. Die Griechen
sind eben in Troja eingebrochen, das Volk ruft:
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Als Eneas sich anschickt dem Eufe zu folgen, da stürzt Creusa
aus dem Hause ihm nach und sucht ihn zurückzuhalten:
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In dieser erregten Weise fährt Creusa noch länger fort, den Gatten
zum Dableiben zu bewegen. Auch weiche rührende Töne schlägt
sie gelegentlich an, so bei der Stelle, wo des kleinen Sohns gedacht
wird:
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Endlich antwortet Enea und mit seinem Einsatz stehen wir vor
dem echten, eigenen, ernsten Cavalli-Rezitativ :
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25t
Wie unter den Dichtern haben wir auch unter den venetianischen
Komponisten zwei Parteien. Die eine hält sich an die Forderungen
des Dramas, die andere an die Forderungen des Volkes, die zweite
gewinnt schließlich die Oberhand. Die verschiedene Stellung der
Komponistenparteien spricht sich am deutlichsten in ihrem Verhältnis
zu den musikalischen Formen aus, zu Rezitativ und geschlossnen
Gesangsätzen.
Bezüglich des Rezitativs ist die aristokratische Partei der Meinung,
daß hier die Hauptkraft des Komponisten einzusetzen sei. Mit
Rücksicht darauf wählt sie die Dichtung. Monte verdi und Cavalli
treten als Verbündete des Busenello und der Dichter auf, die in
ihren Dialogen auf große, bedeutende Situationen ausgehen. Diese
Dialoge führen nun Männer wie Cavalli in einem einfachen, aber
höchst ausdrucksvollen, eindringlichen Stil; im wesentlichen deklamiert
Die Rezitativoper 97
die Stimme, wo sie aber an den Hauptstellen des Textes Melodie gibt,
spricht sie in äußerlich schlichten und doch tief ergreifenden Wen-
dungen. Auch in den rein deklamatorischen Strecken wirken diese
Rezitative mächtig auf die Stimmung im großen und kleinen. Und
das erreicht die Cavallische Partei durch die Führung der Harmonie i.
Die Akkorde und die Modulationen entfalten bei den Venetianern
zum ersten Male ihre volle Kraft als rhythmische Ausdrucksmittel.
Der Reichtum an Harmonieverbindungen geht über allen Vergleich
mit Peri, Gagliano und den Römern hinaus, den Monteverdi des
»Orfeo« und der Florentiner Periode überholen sie durch Reife und
maßvolle Ruhe.
Für die geschlossenen Gesangsätze herrscht bei Cavalli und
seinen Genossen der Grundsatz, daß sie nur an den dramatisch natür-
lichen und notwendigen Stellen verwendet werden. Mit ihrem äußeren
Reiz rechnen sie nicht, sondern nur mit ihrer psychologischen Macht.
Die melodisch geschlossenen Sätze bilden darum bei ihnen die Höhe-
punkte der Szenen, sie erscheinen nur da, wo die Empfindung auf
den Siedepunkt gelangt, wo die Stimmung die entscheidende Krisis
durchmacht. In der Form dieser geschlossenen Sätze bedient sich
die Cavallische Partei ganz vorwiegend des alten Florentiner Mittels
der Variation; aber sie stellt die Variationen nicht nackt aneinander,
sondern mischt Rezitative dazwischen und sichert dadurch die Ur-
sprünglichkeit und Naturtreue. Beliebt ist für schwermütige Aufgaben
bei diesen variierten Sologesängen ein Basso ostinato.
Die andere, die demokratische Partei hat zum Rezitativ wenig
Vertrauen. Sie trägt seiner Natur bei der Wahl der Texte keine
Rechnung und sinnt auf Mittel, die Eintönigkeit der Deklamation
durch sinngefällige, absolut musikalische Einlagen und Ausweichungen
zu unterbrechen. Das beliebteste Verfahren hierfür ist die reichere
Einschaltung von Figuren auf malerischen Worten und die Ein-
mischung kurzer, auf wenige Takte beschränkter Kantilenen. Auch
hilft sie sich durch Mehrstimmigkeit. Die auf der Szene befindlichen
Personen singen oder deklamieren plötzlich zusammen in Akkorden.
Dieses mehrstimmige Rezitativ ist eine Spezialität der venetianischen
Oper, bei den Neapolitanern schon schwindet es wieder; Händel ver-
wendet es noch manchmal. Auch das begleitete, vom Orchester mit
sprechenden Motiven unterbrochene Rezitativ, das in der folgenden
Geschichte der Oper zu so großer Bedeutung gekommen ist, hat seine
Heimat in der venetianischen Oper. Rovettino, einer der Vertreter
der aristokratischen Partei, hat es zuerst in seiner »Gli amori di
Apollo e Leucotoe« versucht. Da ist es Mittel, die Situation zu
charakterisieren, die Welt des Pluto mit ihren geheimen Schauern
zu zeichnen. Für andere war es die Tugend in der Not.
1 Romain Rolland: »L'histoire de l'opera en Europe avant Lully
et Scarlatti« (1895).
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 7
98 Die Venetianische Oper
Die Vorliebe für die geschlossenen Formen treibt die demo-
kratische Partei aber nicht bloß zu kurzen Einlagen von Melodien,
zu Koloraturschlüssen im Rezitativ, zu gesangmäßiger Behandlung
von Textabschnitten, die wie kurze Befehle und Berichte nur De-
klamation und Rezitativ sein können, sondern sie gehen damit, unter
Mitwirkung der Dichter natürlich, bis zu sinnwidrigen Eingriffen
ins Szenarium. Die Entwicklung der Handlung wird häufig durch
lyrische Einlagen aufgehalten, die der Situation gar nicht entsprechen,
aber die musikalische Yergnügtheit an sich reizen und die Nach-
frage nach Volksweisen, nach Barkarolen und Gassenhauern be-
friedigen. Die Opern dieser Partei sind voll von zur Unzeit ge-
sungenen Liedern. Das bezeichendste Beispiel dafür bietet der »Orfeo«
des Luigi Rossi.
Es hängt damit zusammen, daß die demokratische Partei dort, wo
die Handlung eine geschlossene Musikform verlangt, der Entwicklung
eines langen Stückes auf dem Variationenweg ausweicht. Sie bevor-
zugt die Kantate, die ja in der Haus- und Kammermusik der Zeit
durch Carissimi eine feste Gestalt gewonnen hatte.
Die Kantate mit ihrem freien Wechsel von Tonart und Tempo,
von Rezitativ und Gesang ist die natürlich gegebene Musikform für
Seelenzustände, wo sich eine Klärung der Gefühle vollzieht, wo zwischen
verschiedenen wichtigen Wegen gewählt, wo ein Widerstreit sich
kreuzender Neigungen und Pflichten geschlichtet und entschieden
werden soll. Die demokratische Partei spart aber die Kantate nicht
für dramatische Aufgaben dieser Art auf, sondern verwendet sie auch
für ganz einfache und klare Situationen, wo erhörte Liebe jubelt, wo
ein Verlust beklagt wird. Sie bevorzugt sie aus äußeren Gründen
wegen des Wechsels der Formen. Auch hier steht hinter den vene-
zianischen Komponisten das Gespenst der Furcht, Furcht vor der
Langeweile. Das verfolgt sie dann ebenfalls bei der Anlage der Szenen.
Auch hier, in der Verteilung von Rezitativ und Gesang, verfahren die
Demokraten nur nach Rücksichten der formellen Wirkung und mischen
die beiden Formen häufig in Widerspruch zu den Forderungen der
dramatischen Situation und des Textes. Das Ergebnis beim Vergleich
der Szenen auf der aristokratischen und demokratischen Seite ist:
dort Größe und Klarheit der Gruppierung und des Eindrucks, hier
Buntheit, ein angenehmes, unterhaltendes Durcheinander. Die Demo-
kraten befanden sich im vollsten Einklang mit den venetianischen
Durchschnittslibrettisten und mit dem Geschmack des Volkes, die
Aristokraten haben den Beifall und die Bewunderung der Nachwelt
für sich, soweit sie auf ein sachliches Verfahren Wert legt. Wir
freuen uns über die frische Erfindung, über den fließenden Stil, das
Spiel mit der Kunst, über eine Fülle talentvoller Einzelheiten in den
Opern Cestis. Aber im ganzen sind uns diese Musikdramen in erster
Linie Beispiele einer Geschmacksverirrung. Cavalli dagegen er-
schüttert uns noch heute durch seine Rezitatlve und durch seine
Die Vertreter der Rezitativoper 99
schlichten Arien. Auf der Cestischen Seite stehen Talente, aber nur
auf der Cavallischen Charaktere. Die demokratische Partei hat die
Geschichte und das Wesen der venetianischen Oper bestimmt. Er-
freulicherweise waren aber Naturen wie die Cavallis nicht zu der
Rolle des Verkannten verurteilt. Er selbst war der angesehenste
Komponist der angesehensten Bühnen: San Cassiano und San Giovanni
e Paolo. Nach einem Xontrakt vom Jahre 1658 bekam er für jede
Oper 400 Dukaten, später 450 Dukaten — das sind Zahlen, die aus-
sprechen, wie hoch er eingeschätzt wurde. Er war einer der ersten,
die das italienische Musikdrama im Auslande vertraten. 1662 schrieb
er für die Vermählung Ludwigs XIV. seinen »Ercole amante« und führte
ihn in Paris auf, wie bekannt mit geringem Erfolge. Cavalli kam, wie
er an Faustini schreibt, mit dem festen Vorsatz zurück, seine Kraft
nicht mehr ans Theater zu verschwenden. Er hat noch Opern ge-
schrieben. Aber arbeitete er früher schon immer rasch, so läßt jetzt
die innere Hingabe nach. Der ernste Mann, der die venetianische
Oper vor Irrwegen sichern konnte, tritt zur Seite; von den Mitar-
arbeitern kann ihn keiner ersetzen, so interessant sie einzeln und als
Musiker sind.
Cavalli war einer der höchsten Repräsentanten der Rezitativoper,
in der »Didone« und sein >Ercole amante« obenan stehen. Nach Cavalli
müssen auf der Seite der Komponisten, die es mit dem Drama und
dem Rezitativ in der Oper ernst nahmen, M. Antonio Sartorio und der
jüngere Ziani, Marc' Antonio Ziani, an erster Stelle angeführt werden.
Dieser Sartorio ist ein Dramatiker großen Stils, in den Konzessionen
an das Volk maßvoll, meisterlich in der Weite des Wurfs, in der Deut-
lichkeit des Grundtones, wo es sich um geschlossene Formen handelt,
bewundernswert durch das Geschick, mit dem er ganzen Szenen bei
allem Wechsel von Rezitativ, Gesang und selbständigen Sinfonien den
einheitlichen Charakter wahrt. Neu sind seine Arien durch die Füh-
rung des Orchesters. Das beschränkt sich nicht mehr auf Vor- und
Zwischenspiele, sondern es konzertiert fortwährend mit dem Sänger.
Seine Hauptoper ist »Adelaide«, von der wundervollen Ouvertüre ab
eine Kabinettsleistung an Erfindung. Der jüngere Ziani, der dieses
konzertierende Orchester ebenfalls aufnimmt, ragt im Ausdruck elegi-
scher und schwermütiger Stimmungen hervor. Da gibt er Melodien
von einer Unmittelbarkeit und ürsprünglichkeit, wie man sie selten
findet. Das Mittel, dessen er sich dabei originell bedient, besteht im
Absetzen und in kleinen Pausen. Im Rezitativ ist er groß, sobald
ernster Ton verlangt wird. Als die Hauptwerke können sein »Alci-
biade« und die »Damira placata« bezeichnet werden.
Diesen beiden darf noch Rovettino angereiht werden. Sein Haupt-
gebiet sind Situationen, wo getröstet, aufgerichtet, zugesprochen wird.
Er bestreitet solche Aufgaben mit einer Folge kleiner liedartiger Ge-
sangstücke, trennt und belebt sie aber durch dazwischen gestellte
Rezitative, also nach Cavallischer und Gluckscher Methode. Wo
7*
100 Die Venetianische Oper
Erregung auszudrücken ist, übertreibt Rovettino. Seine Hauptoper
ist »Gli amori di Apollo e Leucotoe«.
Der Führer der demokratischen Partei ist Marc' Antonio Cesti,
der einzige unter den hervorragenden Komponisten der venetianischen
Oper, der nicht aus Oberitalien stammt. Gegen 1620 in Florenz geboren,
wurde er (nach Mattheson) Schüler des Carissimi^, und scheint in seiner
Wanderzeit auch nach Frankreich gekommen zu sein, da er in der
Vorrede einer in Wien befindlichen, 1662 für Florenz komponierten
Serenata eine Bekanntschaft mit französischer Musik zeigt, die kaum
anders als an Ort und Stelle erworben sein kann. Nach seinen ersten
venetianischen Erfolgen, die 1649 mit der »Orontea« beginnen, kommt
von der Mitte der fünfziger Jahre ab in seine Geschichte eine Lücke ;
erst zehn Jahre später erscheint er wieder in Wien in kaiserlichen
Diensten, ist mehrere Jahre in Innsbruck, einer der habsburgischen
Nebenresidenzen, Bürger und Hausbesitzer und scheint 1673 in Venedig
gestorben zu sein. Cesti, eines der größten musikalischen Talente
seiner Zeit, vertritt namentlich den außerordentlichen Melodienreich-
tum des 17. Jahrhunderts in hervorragender Weise. Als Dramatiker
hat er sein eigenes Gebiet im Ausdruck des Innigen und Zarten, und
erwärmt uns am eigentümlichsten in idyllischen Szenen, da, wo die
Töne die sanften Regungen liebender Herzen aussprechen, wo der
Freund tröstend zum Freunde spricht, wo ein Einsamer sich sehnt
und erinnert, wo sinnige Träumereien zu schildern sind. Da ist er
originell und unerschöpflich an intimen und feinen Wendungen, kein
anderer zeitgenössischer Komponist hat so viel Melodien mit ver-
minderten Terzen und seltenen Intervallen. Auch für das Neckische
und Komische ist er ausgezeichnet begabt. Kraft und Leidenschaft
liegen seiner weichen und sinnigen Natur ferner, er löst jedoch die
ihm innerlich fremden Aufgaben immer graziös, beweglich und mit
einer Fülle musikalischer Einfälle, die nicht immer treffend, aber meist
reizend sind. Die Wirkung seiner Sirenengaben wird durch die
Virtuosität verstärkt, mit der Cesti die Form führt, durch die Leichtig-
keit und Natürlichkeit, mit der er die konträrsten Ausdruckselemente,
Töne des Herzens und der Galanterie, Ernst und Scherz, echtes Leben
und äußeren Elfekt wechselt, mischt und verbindet. Dadurch wurde
er eine Größe der venetianischen Oper und gewann auf deren Ent-
wicklung einen starken Einfluß. In seinen Briefen an die venetianischen
Librettisten und Impresarii hält er entschieden darauf, daß er in den
Honoraren und in der sonstigen Behandlung ja nicht unter Cavalli
gestellt wird, er sei mehr als der, nämlich Komponist in kaiserlichen
Diensten. — Einige Einakter eingerechnet, lassen sich von Cesti
150 Opern nachweisen; elf davon sind erhalten, vier in der Markus-
bibliothek, sechs in der Wiener Hofbibliothek^. Die bedeutendste
1 Mattheson: > Grundlage einer Ehrenpforte <, S. 36.
2 E. Wellesz: »Zwei Studien zur Geschichte der Oper im 17. Jahr-
hundert« (Sammelbände der IMG XV S. 124 ft'.;.
Pietro Andrea Ziani 101
von ihnen ist »La Dori«, die in den Formen und Mitteln der Ver-
kleidungsoper die Macht der Gattenliebe feiert. Ihre Musik zeigt die
Schule Carissimis sehr deutlich, hat sehr viel Wärme und Innig-
keit und ist poetisch und in einem großen Zug entworfen. Die »Dori«
drang durch ganz Italien, hielt sich lange und findet sich noch heute
auch in ausländischen Bibliotheken. Auszüge daraus teilt Eitner
im zwölften Bande der Publikationen mit.
Noch berühmter wurde der in Wien 1666 aufgeführte »II Pomo
d'oro«, der die Geschichte von Paris und Helena mit pompöser Ver-
wendung von Chor- und Instrumentalmusik vorführt. Die Oper wurde
in Wien ein ganzes Jahr lang wiederholt, und was eine ganz unerhörte
Ausnahme war, wie Rinck, der Biograph Leopolds I., schreibt, »mit
Zulassung aller Leute präsentiert«. Die Inszenierung kostete 100000
Taler, eine Summe, die nichts so Außerordentliches hat, wenn man
weiß, was die Höfe für Festopern gelegentlich aufwendeten. Die
Aufführung von Bontempis »II Paride« hatte in Dresden 1666
300000 Taler verschlungen. Solche Zahlen darf man nicht auf das
Konto »Leichtsinn und Verschwendung« buchen, sondern sie belegen
in erster Linie die Kunst- und Kulturerwartungen, die das 17. Jahr-
hundert an das Musikdrama knüpfte. Einen Neudruck des »Pomo
d'oro« haben die »Denkmäler der Tonkunst« in Österreich gebracht i.
Der nach Cesti bekannteste Komponist auf der Seite der venetia-
nischen Volksoper ist Pietro Andrea Ziani^, zum Unterschied von
Marc' Antonio Ziani, gewöhnlich der ältere Ziani genannnt, ein ziemlich
eitler, insbesondere auf Cesti, mit dem er zugleich in Wien weilte,
neidischer Herr. Stolz war er besonders auf seine Schnellschreiberei;
in allen an die venetianischen Geschäftsfreunde gerichteten Briefen
kommt er darauf zurück, daß er den »Annibale« in jungen Jahren
in sechs oder gar fünf Tagen komponiert hat. Da kann man sagen :
es war auch danach. Denn dieser Zianische Hannibal ist mehr ein
Vogelsteller in Papagenos Art, als ein Held, und wohl die ärgste
Karikatur, die sich in der venetianischen Oper findet. Selbst die
Ombrae, die Geisterstimmen in diesem Hannibal singen kleine gefall-
süchtige Liedchen. Und doch beweist P. A. Ziani durch andere Werke,
insbesondere durch » Amore guerriero « und seine » La fortuna di Rodope
e di Dalmira«, daß er ein höheres dramatisches Talent besaß. In diesen
Opern kommen Rezitativstellen von Monteverdischem Geist vor, und
die Führung der Form paßt sich vollendet frei und ursprünglich
der Situation an. Daß der Geschmack des Publikums eine solche
Kraft verleiten konnte, ihr besseres Teil zu verleugnen, und daß
Zianis schlechteste Opern sich Jahrzehntejlang hielten, zeigt wieder
einmal deutlich, wie leicht das musikalische Urteil die Hauptsache
* Denkmäler der Tonkunst in Österreich. Jahrg. III, 2. Teil u. IV, 2. Teil.
- H. Kretzschmar: > Weitere Beiträge zur Geschichte der Venetia-
nischen Oper< (Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 1910).
102 I^iö Venetianische Oper
außer acht läßt und sich sinnlichen Wirkungen gefangen gibt. Und
doch ist's, wenigstens in der Vokalmusik, gar nicht so schwer, das
Eichtige zu treffen. Denn da entscheidet das Verhältnis des Tones
zum Wort über Wert und Unwert der Leistung. Dieser Maßstab
führt aber auf den Punkt, an dem die Wurzel des Übels in der
venetianischen Oper lag. Das war der Charakter der Dichtung.
Gingen die Librettisten auf Allotria aus, so war es nur natürlich,
daß ihnen die Musiker folgten.
Während P. A. Ziani als Dramatiker ein Vertreter des Verfalls
der Oper ist, verdankt sie ihm mancherlei Förderung der musika-
lischen Mittel. Er hat die volkstümlichen Elemente um einige
Typen vermehrt, die für die Schule lange Bedeutung hatten. Zu
den auch von Cavalli geliebten venetianischen Melodien im ^/j-Takt,
den Nachbildungen des elegischen Barkarolengesanges, stellt er als
einer der ersten sogenannte Sizilianos. Das sind die außerordentlich
wandlungsfähigen Melodien im ^^/g~Tsikt, die heute jedermann aus
Händeis Messias (»Er weidet seine Herde«) und aus der herrlichen
Pastoralsinfonie des Bachschen Weihnachtsoratoriums kennt. All-
gemein wird angenommen, daß sie ihre Einführung und Entwick-
lung den neapolitanischen OpernkomiDonisten, in erster Linie dem
A. Scarlatti, verdanken. Heuß ^ hat dem gegenüber darauf hinge-
wiesen, daß schon Monteverdis »Orfeo« einen solchen Siziliano ent-
hält. Sie werden bei den Venetianern schnell beliebt, und da scheint
P. A. Ziani vorgegangen zu sein. In seiner »Galatea« stehen sie sehr
wirkungsvoll kontrastierend dicht neben einem aufgeregten Lamento
des Aci, das sich, wie Ziani nach Venedig mitteilt, der Kaiser eigen-
händig abgeschrieben hat.
Der andere durch den älteren Ziani sehr beliebt gewordene Formen-
typus ist die Trompetenarie, d. i. eine Arienart, bei der mit der
Singstimme die Trompete konzertiert, die früheste Spezies der durch
Scarlatti eine Zeitlang zur Herrschaft gelangten Arie mit obligatem
Soloinstrument. Die Gegenwart kennt diese konzertierenden Arien
aus den Bachschen Passionen, z. B. »Ich will bei meinem Jesus
wachen«, wo der Tenor mit der Oboe sich im Vortrag derselben
Melodien ablöst. Die Trompetenarien im besonderen, die Händel
noch liebt (»Kommt all, ihr Seraphim« im »Samson«) bilden gewisser-
maßen das leidenschaftliche und heroische Gegenstück zu den Sizilianos.
Sie ergaben sich aus den Kriegs- und Kampf szenen, an denen die
venetianischen Stücke reich sind, und waren eine Fortsetzung und
Weiterbildung der Fanfaren- und Signalstellen in den Ouvertüren.
Auch im Kleinstil der venetianischen Schule lassen sich zwei
einzelne Züge auf den älteren Ziani zurückführen. Der erste ist die
malerische Wiedergabe von Worten, die der Phantasie ein Bild bieten.
So oft im Text von Tromba, Battaglia oder Guerra gesprochen wird,
1 Heuß, a. a. 0. S. 206.
Giov. Legrenzis >Totilac 103
sei es im Rezitativ oder im melodischen Satz, immer bringt da Ziani
längere Figuren und Läufe. Die übliche technische Bezeichnung
solcher Stellen als »Koloraturen« bringt noch heute ihren ursprüng-
lichen Zweck als Mittel der Tonmalerei zur Geltung. Eine andere
Stilnuance, die an Ziani anknüpft, findet sich bei elegischen und
heiteren Arien. Da arbeitet er dadurch auf Spannung, daß er die
Melodie ohne jedes Vorspiel mit der Singstimme, oft der unbegleiteten
Singstimme, einsetzt, aber schnell abbricht. Nun erst kommt das
Ritornell der Instrumente und nach ihm wieder der Sänger mit der
vollständigen Periode. Auch diese Arieneingänge haben sich in der
neapolitanischen Schule behauptet und kehren noch bei Händel wie-
der, sehr sinnig z. B. in den Gesängen der Jole in Herakles, er-
greifend wirksam in ihrer Klage um den Vater. Alle diese Neue-
rungen des Ziani sind Abschlagszahlungen an das dramatische Wesen
der Oper, Versuche, das Volk durch die Musik in den inneren
Charakter einzelner Bühnenvorgänge tiefer einzuführen. Nur der
Mut die Form in jedem Moment dem Gange des Dramas anzupassen,
fehlte.
Die bei allen Venezianern beliebteste Münze dramatischer Ab-
schlagszahlung sind kleine Duette. Sie finden sich bereits in den
ersten Opern, die wir aus der Schule haben, und in der Regel in
dreisätziger Gruppierung so durchgeführt, daß im ersten und dritten
Satz die beiden Stimmen einen 3/2-Takt, im Mittelsatz einen beweg-
teren Viervierteltakt in Nachahmungen bringen. In der »Delia«
des Paolo Sacrati von 1639 kommt es aber auch vor, daß dieser
Mittelsatz in Sextenparallelen, also ganz Bellinisch gesungen wird.
Diese selbe Oper ist, nebenbei, auch durch ein begleitetes Rezitativ
mit tremolierenden Geigen, also nach dem Muster von Monteverdis
»Combattimento>< ausgezeichnet: Der König sieht seine Geliebte in
einer Barke mit einem andern fahren.
Andere Komponisten aus dieser x^nfangszeit der venetianischen
Schule stehen noch vollständig auf dem Boden der Florentiner Oper.
Lenardini aus Urbino ist das Hauptbeispiel. Seine »Psyche« er-
innert mit den Chören an Gagliano, mit den Rezitativen gar an die
Perische »Euridice«, nur die zahlreichen Elegien im Y2-Takt zeigen
auf Venedig. Bei einzelnen, wie Claudio Boretti und Frances-
chini äußert sich die Rücksicht auf den Volksgeschmack in der
großen Menge komischer Nummern, und dabei ist's bemerkenswert,
daß die fast ohne Ausnahme sehr gut geraten. Einige Trivialität
muß allerdings in Kauf genommen werden.
Zu den Talenten, die wir mangels genügenden Materials keiner
von den beiden entgegengesetzten Parteien bestimmt einreihen können,
gehört Luzzo. Das einzige Werk, das wir von ihm besitzen, sein
»Medoro«, hat eine schöne Programmouvertüre, in der Schlacht- und
Traumszenen aus der Handlung erklingen, und eine Beschwörungs-
arie, die dadurch sehr interessant ist — »Dal nero barbaro mostri
104 Die Venetianische Oper
tartari udite« beginnt der Text — daß sie den für Geisterszenen und
ähnliche Aufgaben von den Venetianern eingeführten Stil frei variiert.
Der Zauberer singt, so wie's noch Mozarts Komtur tut, auf dem-
selben Ton, aber am Schluß geht er aus dieser starr feierlichen
Deklamation in einen dämonisch wilden Ausbruch des Zornes über.
Daß trotz arger Zeichen von Schwäche das dramatische Gewissen
in der zweiten Periode der venetianischen Oper nicht eingeschlafen
war, zeigt ein Hauptvertreter dieses Zeitraumes; der aus der all-
gemeinen Musikgeschichte und als Liebling Seb. Bachs bekannte
Giov." Legrenzi. Sein »Totila« namentlich (1677, San Giovanni)
ist reich an ergreifenden Szenen. Gleich dieser Auftritt: Colia be-
tritt die Bühne mit dem Dolch in der Hand. Sie soll auf Satums
Befehl den schlafenden Sohn opfern. Wie sie da im langen Rezitativ
rührend klagt und in der beschließenden Arie »Dolce figlio reposi
e dormi« innig einfach und ganz leise, den Schlummernden nicht
zu stören, betet, das ist Cavallischer Geist. Noch mehrmals wieder-
holt sich in anderen Wendungen der Kampf zwischen Göttergebot
und Mutterpflicht. Da machen >Suone di trombe« ein Ende, der
Feind naht, ein wilder Kampf entspinnt sich, dann erklärt Totila
in einer glänzenden, koloraturenreichen, von zwei obligaten Trom-
peten begleiteten Arie sich zum Herrscher des Landes. Das sind
ganz neue imposante Töne für den Ausdruck festen, gewaltigen
Willens. Die darauf folgende Abschiedsszene der Gefangenen bringt
dann wieder Meisterstücke der Klage, vor allen die Arie der Marzia
»Dolce padre«, über der eine göttliche Fassung und Hoheit liegt.
Aber daß andere Komponisten im Gegensatz zu solchen Leistungen
wieder den musikalischen Effekt voranstellten, beweist Pagliardi,
namentlich mit seinem »Lisimaco«, in dem mit der bloßen Gesang-
technik ohne alle Rücksicht spekuliert wird.
Die nächste Folge der Wirksamkeit der venetianischen Bühne
war eine rasche und allgemeine Verbreitung der Oper über das
italienische Land. Schon von 1650 ab entwickelt sich auch in
Florenz, Rom, Genua, Bologna, Modena ein regelmäßiger, öffentlicher
Opernbetrieb, und nach und nach errichten auch kleine Städte wie
Udine und Lucca Musikbühnen nach venetianischem Muster. Es tun
sich Schulen für dramatischen Gesang auf, von denen die zu Bologna
besonders berühmt wird, und überall versuchen sich Musiker in der
Opernkomposition.
Durch diese neuen Mitarbeiter wird natürlich der Stil des Musik-
dramas beeinflußt. Etliche der spezifisch venetianischen Musik-
elemente, z. B. die charakteristischen Barkarolenmelodien und die
kleinen heiteren Viervierteltakte verflüchtigen sich, und es treten
neue Formen auf. Dieser ganzen mächtigen Entwicklung, die schießlich
dahin führt, daß an Stelle Venedigs Neapel die Führerschaft im
Musikdrama übernimmt, haben die älteren Schriftsteller, wie Arteaga,
nur wenig Beachtung geschenkt. In neuerer Zeit hat aus ihr Romain
Melani, Agostini, Sabbadini, Abbatini ]^05
Rolland einen besonderen Abschnitt herausgegriffen, nämlich den
Anteil, den Rom und Florenz an der Arbeit dieser Periode gehabt
haben. H. Goldschmidt hat diese Spur in seinen »Studien usw.«
weiter verfolgt. Rolland erblickt das Hauptergebnis der neben der
venetianischen Schule hergehenden Opernarbeit darin, daß in Rom
und Florenz sich in aller Stille eine wirkliche komische Oper ge-
bildet habe. Die drei Werke, um die es sich hierbei ausschließlich
oder doch in erster Linie handelt, sind die 1639 in Rom von den
Gebrüdern Mazzocchi auf einen Text des Kardinals Rospigliosi kom-
ponierte Oper: »Chi soffre, speri«, ferner »Dal mal il bene«, und
die Florentiner Oper »Tancia overro il Podestä di Colognole«, 1657
von Jacopo Melani komponiert. Schon vor Rolland hat Ricardo
Gandolfi in den Jahresberichten der Musikakademie von Florenz auf
dieses Werk im gleichen Sinne aufmerksam gemacht. Aber es ist
ein Irrtum, wenn man in diesen Werken die ersten komischen Opern
im neuen Stil sehen will. Denn abgesehen von den für die Zwischen-
akte geschriebenen Intermezzos der Venetianer, finden sich bei ihnen
schon vollständige komische Opern, die sie gewöhnlich Tragikomödien
nennen. In dieser Gattung ist Cavallis »Alcibiade« schon wegen der
Spaße, die da der Held mit seinem alten Lehrer treibt, ein be-
merkenswertes Beispiel. Auch die Musik in »Chi soffre, speri« und
in der »Tancia« ist einfach venetianisch, wie denn Melani im be-
sonderen auch durch andere, Rolland und Gandolfi fremd gebliebene
Werke, unter denen besonders »II canciere di se raedesimo« anzuführen
wäre, sich ganz auf die Seite der Venezianer stellt, und zwar der
frühesten Venezianer. Auf sie weisen zum Teil auch die stattlichen
Chorszenen der »Tancia« hin. Das wirklich originelle Element dieser
beiden komischen Opern liegt darin, daß der Text sich von der An-
tike abwendet. Die Handlung ist ganz aus dem Volksleben der Zeit
genommen, auch die Personennamen sind modern italienisch. Damit
weisen die Mazzocchi und Melani auf den »Amfiparnasso« des Orazio
Vecchi zurück und auf die kommende Opera buffa der Neapolitaner
voraus.
Aber keinesfalls beschränkt sich die von den neuen Stellen getane
Arbeit auf die vermeintliche oder wirkliche Geburt der komischen
Oper. Die Hauptkraft gilt überall der großen, mythologischen oder
historischen Oper auf antiker Spur. Da haben wir in Rom einen
nennenswerten Komponisten in Pietro Simone Agostini; seine
Hauptwerke sind »L'Adalinda« und »II Ratto delle Sabine«, ferner in
Bernardo Sabbadini mit seiner »lone« und seinem sehr lustigen
Wiener Festspiel »Po, Imene und Citerea«. Endlich in Antonio Maria
Abbatini. In dessen Hauptwerk: »Dal mal il bene« liegt wieder
einmal, ähnlich wie in Luigi Rossis »Orfeo« ein Hauptparadigma der
Liedoper vor: Lenora fordert ihre Freundin Marina zu einem Lied
auf den Amor auf. Das wird gesungen, findet aber, weil zu melan-
cholisch, keinen Beifall, und da schlägt Lenora ihr eigenes Lieder-
j^Qg Die Venetianische Oper
buch auf und schickt ein heiteres drein. Dann sind Ständchen ein-
gelegt, darunter dreistimmige Madrigale, die mit Gitarrebegleitung
hinter der Szene gesungen werden. Auch diese Oper kann für die
komische Gattung in Anspruch genommen werden. Es ist die an-
spruchslose Komik der venetianischen Intermezzi. Der Tabarco, der
Harlekin des Stückes, erschrickt allemal, wenn es an die Tür klopft,
und in einer Szene sind gleich vier Personen in Todesangst um
nichts. Wir hören da ein Quartett, wo alle Stimmen von Anfang
bis Ende tremolieren. Auch in Kom also wurde für die Erheiterung
der Massen gesorgt. Einer der höherstehenden römischen Opern-
komponisten ist der aus der Geschichte der Sonate bekannte Bernardo
Pasquini, seine Hauptopern sind: » La donna 6 fedele « und »Tirinte«.
Auch die Mittelitaliener Antonio Bertali, Perti, Pistocchi
komponieren zunächst im venetianischen Stil weiter. Für die Wen-
dung entscheidend wird allmählich Modena. Die hier einheimischen
Komponisten Mazzi, Gianettini, Manera gehören noch vollständig
zur alten Schule, aber mit Alessandro Stradella^ meldet sich das
Neue. Seine Stärke liegt im elegant Anmutigen. Sein »Oratio«, seine
»Circe« zeigen aber daneben bemerkenswerte Anläufe zu größeren
Formen geschlossenen Gesanges, und mit mehrstimmigen Schluß-
sätzen deutet er schon auf die Zeit der brillanten Ensembles hin.
Auch seine »Accademia d'Amore« ist beiläufig zu beachten, an ihrer
Ouvertüre läßt sich zum ersten Male im 17. Jahrhundert das Orchester-
crescendo, dessen Entstehungszeit ja noch immer streitig ist, nach-
weisen. Bei den Gebrüdern Bononcini, dem M. A. Bononcini und dem
Giovanni Bononcioi, die beide aus Händeis Lebensgeschichte all-
gemein bekannt sind, mischen sich nun die neuen Elemente schon
reicher mit den alten. Da haben wir z. B. in Marc Antonio Bonon-
cini s »La conquista del velo d'oro« die Volkstümlichkeit im In-
strumentalklang in neuer Nuance. Peleo singt eine große Arie mit
Begleitung von Mandoline (Violinen mit Dämpfern dazu), in der-
selben Oper aber auch eine Abschiedsszene zwischen Medea und Gia-
sone, deren melodischer Teil den gewöhnlichen Umfang überschreitet
und dazu noch einen Ton für die leidenschaftliche Erregung an-
schlägt, der, ganz auf das Theatralische zugeschnitten, die wirkliche
und mögliche Empfindung übertreibt. Von Giovanni Battista
Bononcini hat sich namentlich der »Mario fugitivo« weitverbreitet,
nicht bloß wegen der trefflichen Musik, sondern auch deshalb, weil
die Zeit für die Helden, die vom Unglück betroffen sind, besondere
Sympathien hatte. Für die Geschichte des Generalbaßspieles hat
dieser »Mario« eine besondere Bedeutung. Die Arie des Icilio »So
che isospetti« wird von Spinetten begleitet, diese Begleitung aber
ist ausgeschrieben.
1 Heinz Heß: Die Opern Alessandro Stradellaa (Beihefte der IMG ü, 3.
1906).
Das Orchestercrescendo und die Bi'avourarie
107
Weitere Neuerungen finden sich nun auch bei den Komponisten,
deren Haupttätigkeit in Venedig liegt. Da tritt Carlo Pollarolo
nicht als bedeutender Geist, aber als Förderer der Form hervor. Im
»Rodrigo« schaltet er in die Melodien wirksam deklamierte Episoden
ein, er führt mit seinen Violinen charakteristische Begleitungsmotive
durch, in seiner »Genuinada« sind es während eines Duettes bei stock-
finstrer Nacht unruhige Triolen zum Ausdruck der Verwirrung. Er
macht häufigere Versuche in der sogenannten Bravourarie, im aus-
geprägten Theaterstil also, und auf den Spuren des Giovanni Bonon-
cini. Er bringt endlich gerne kleine Duette, wo die zweite Stimme
plötzlich der ersten alles wörtlich nachsingt.
Dadurch, daß sie, was an neuen Versuchen sich zeigt und be-
währt, zusammenfassen, sind Carlo Grossi, D omenico Gabrieli,
Domenico Freschi und Carlo Pallavicini die Hauptrepräsen-
tanten jener Endepoche der venetianischen Schule geworden. Der
wenigst bedeutende unter ihnen ist Carlo Grossi, der reichste Palla-
vicini. Diese Männer haben die Opernkomposition wieder auf eine
höhere Durch schnittsstufe hinaufgeführt und der Musik einen stär-
keren dramatischen Charakter gegeben. Das war nur möglich unter
Mithilfe der Dichter. Sie stellten den Komponisten neue Aufgaben:
Naturschdlderungen, Bilder aus Lebenskreisen, die bis dahin über-
gangen worden waren, das Kindertreiben z. B. Sie sagten sich von
der Schablone des Szenenentwurfes los, stellten große Monologe an
Punkte, wo sie bis dahin nicht üblich waren, belebten Gespräche
und Verhandlungen durch reiche Einmischung der von den Vene-
zianern ausschließlich musikalisch ausgenutzten Duette. Auf diesen
Unterlagen war eine Musik möglich, die an reicherer Mannigfaltigkeit,
dramatischer Wahrheit und Größe über die venetianische Vorlage
hinausging. Sie wirklich geboten zu haben, ist das Verdienst des
Pallavicinischen Kreises, die geschichtlichen Ehren hat Scarlatti ge-
erntet.
Französische Oper^
Die französische Oper hat auffällig lange auf sich warten lassen.
Wie zwischen Frankreich und Italien von jeher ein reger und rascher
Musikverkehr bestanden hatte, so suchten die Franzosen auch mit den
italienischen Anfängen der musikalischen Renaissance Schritt zu halten.
Wie in Italien die Florentiner Hellenisten, so wirken in Frankreich
die sogenannten Plejaden für die richtige, auf antike Vorbilder ge-
stützte Verbindung von Musik und Poesie. Schon im Jahre 1369
gründet Karl IX. auf Veranlassung von Antoine Baif, dem Haupte
jener Siebenmänner, eine »Academie de poesie et de musique«. Auch
die italienischen Intermedien, die in der Chorzeit zuerst reichlichere
Mengen von Musik aufs Theater brachten, wurden schon unter
Katharina von Medici nach Frankreich verpflanzt und nachgebildet. Es
ist ganz undenkbar, daß dem französischen Hofe und den höfischen
Kreisen die Oper lange unbekannt geblieben sein soll. Denn Peris
»Euridice« war zur Vermählung der Maria von Medici mit dem König
von Frankreich komponiert worden, Rinuccini aber begleitet die junge
Königin in die neue Heimat und bleibt drei Jahre lang in Frank-
1 »Recueil general des operas representees par l'Academie Royale de
musique depuis son etablissement« (Paris 1703—1745}, »Histoire du theätre
de rAcademie Royale de musique en France« (Paris 1750), »Histoire de
rOpera Bouffon< (Paris 1760;, >Histoire de l'Opera comique« (Paris 1769),
Castil-Blaze: »L'Opera en France« (Paris 1826), derselbe: »Theätres
lyriques de Paris«; »L'Academie Royale de musique de 1645—1855« (Paris
1855), :»L'Opera ItaHen de 1548 ä 1856« (Paris 1856), L. Celler: »Les ori-
gines de l'Opera et le ballet de la Reine« Paris 1868), A. Du- Gasse:
»Histoire anecdotique de l'ancien theätre en France« (Paris 1864), O. Chou-
quet: »Histoire de la musique dramatique en France« (Paris 1873), Ed.
öregoir: >Des gloires de l'Opera et la musique ä Paris«, 1. Bd. 1878,
2. u. 3. Bd. 1881 (Brüssel, Antwerpen), H. Prunieres: »L'opera Italien en
France avant Lulli« (Paris 1913), Ch. Nuitter und E. Thoinan: »Les
origines de l'Opera'^frangaise« (Paris 1886), J. Ecorcheville: »De Lulli ä
Rameau 1690— 1730« (Paris 1906), L. de la Laurencie: »Lulli« (Paris 1911].
Pierre Perrin und Robert Cambert 109
reich. Trotzdem finden sich keine öfi'entlichen Spuren des italienischen ^
Musikdramas in Frankreich, die ganze Florentiner Choroper bleibt
für die Franzosen tot. Erst von den Venezianern nehmen sie Notiz.
Am 14. (24.) Dezember 1645 führen italienische Komödianten im
Palais Bourbon die >Finta pazza« von Sacrati auf. Man kann
aber diese Aufführung nicht für voll rechnen. Denn erstens war das
Rezitativ durch gesprochenen Dialog ersetzt, zweitens ist die >Finta
pazza« kein zusammenhängendes Drama, sondern ein loses Gemisch
szenischer Bilder mit derselben Hauptperson, also ungeeignet zur Ver-
tretung der italienischen Oper^ Signora Bertholezzi, die die Finta
pazza sang, eine talentvolle Sängerin, gefiel, den meisten Beifall fand
ein Ballett von Affen, Bären, Straußen und Papageien. Im ganzen
war der Erfolg nur sehr mäßig. Am 5. März 1647 folgte dann der
>Orfeo« des Luigi Rossi. Über seine Aufnahme haben wir einen
Bericht in »Les Ballets anciens et modernes selon les rögles du
theätre« des Jesuitenpaters Menestrier von 1682. Dieser nennt und
lobt von den Sängern nur einen Tenoristen Atto, vom Komponisten
ist kein Wort gesaoft. Die Neuheit und die Pracht der Maschinerien
und Szenerie scheint die Hauptsache für die Zuhörer gewesen zu
sein. Auf diesem Gebiete brachte das Musikdrama auch den Fran-
zosen ungeahnte Wunder. Am 22. November 1660 wird dann im
großen Saale des Louvre in Paris Cavallis »Xerxe« aufgeführt, aber
mit vollständigem Mißerfolg. Die Berichterstatter führen ihn vor
allem auf die Länge der Vorstellung zurück. Sie dauerte neun
Stunden. Trotzdem wurde im Jahre 1662 eine zweite Oper Cavallis
in Paris aufgeführt, sein »Ercole amante«, zur Hochzeit Ludwigs XIV.
komponiert. Wieder ohne Erfolg. Damit sind die Versuche, das
italienische Musikdrama originalgetreu nach Frankreich zu verpflanzen,
im gi-oßen ganzen zu Ende. Immer wieder hat die französische Oper
bei den Italienern angelehnt, unter ihrem Einfluß und unter dem
anderer Ausländer wichtige Wendungen ihrer Entwicklung vollzogen.
Aber die lange Fremdherrschaft, die Deutschland ertragen mußte, blieb
ihr erspart, einige Jahrzehnte nach der ersten Bekanntschaft mit der
neuen Kunst stellt sie sich auf eigene Füße.
Der Dichter Pierre Perrin und der Komponist Robert Cambert
sind die Männer, die zuerst eine französische Nationaloper versucht
haben. Im Jahre 1659 führten sie auf dem Schlosse zu Issy bei Herrn
de la Haye ein Pastorale auf. Über den Inhalt des Stückes ist nichts
bekannt, wir erfahren nur, daß merkwürdigerweise keine Tänze, aber
viele Instrumentalstücke, darunter auch ein Flötenkonzert, darin vor-
kamen, daß die Schwestern Sercamanan durch ihre schönen Stimmen
Aufsehen machten. Es scheint den italienischen Mustern mit Ein-
mischung französischer Elemente nachgebildet gewesen zu sein, gefiel
1 A. de Lereis: > Dictionnaire portatif des theätresc 1754, Edouard
Gregoir, a. a. 0. 1. Bd., S. 37 ft;
WQ Französische Oper
sehr uüd wurde als »Pastorale von Issy« zu Vincennes vor der Hof-
gesellschaft oftmals wiederholt. Das Gedicht ist in die Werke des
Perrin aufgenommen, und da als »Premiere comedie fran9aise en
musique« bezeichnet worden. Dem Cambert brachte der Erfolg im
Jahre 1666 die Ernennung zum Musikintendanten der Königin Anna
von Österreich ein, 1669 aber verlieh Ludwig XIV. Perrin und Cam-
bert gemeinsam die Konzession zur Eröffnung eines" öffentlichen
Opernhauses in Paris, der sogenannten Academie Royale de Mu-
sique, die ohne Unterbrechung und unter verschiedenen Namen bis
heute der Hauptsitz der Oper in Frankreich geblieben ist. Niemand
außer Perrin und Cambert durfte in Paris und Frankreich Opern
aufführen. Am 19. März 1671 wurde die Academie eingeweiht mit
einer Oper »Pomone«, zu der wieder Perrin den Text, Cambert die
Musik geschrieben hatte. Acht Monate hindurch zog diese erste
öffentlich aufgeführte französische Oper immer wieder die Menge ins
Haus. Jedoch ernteten die beiden Künstler von den Früchten des
einträglichen Monopols so gut wie nichts. Perrin war ein sehr
eitler und schlechter Dichter, aber noch unglücklicher als Geschäfts-
mann. Er hat nicht einmal der Aufführung der »Pomone« beiwohnen
können. An jenem 19. März saß er bereits im Schuldgefängnis, das
er Jahrzehnte hindurch immer nur auf kurze Galgenfristen verlassen
konnte. Cambert mußte sich daher für weitere Arbeit einen neuen
Dichter suchen. Er fand ihn in Gilbert; der schrieb den Text zu
einer zweiten Oper »Les peines et les plaisirs de l'amour«, die mit
Camberts Musik am 3. April 1672 aufgeführt wurde. i Da hatte
auch für Cambert die Abschiedsstunde geschlagen. Weil durch die
Mißwirtschaft des Perrin der ganze Bestand der Oper gefährdet
war, nahm Ludwig XIV. das Privileg den ersten Besitzern wieder
weg und verlieh es stärkeren Händen, denen des Jean Baptiste
LuUy. Perrin verschwindet aus der Öffentlichkeit, Cambert geht nach
England.
Der Übergang des Privilegs von Perrin und Cambert auf Lully
ist seit alter Zeit zu Lullys Ungunsten gedeutet worden. Von jeher
haben die Franzosen nur mit gemischten Gefühlen auf die Verdienste
gesehen, die sich immer wieder Ausländer um die französische Oper
erworben haben — es ist ja eine lange Reihe : Lully, Gluck, Piccinni,
Sacchini, Spontini, Cherubini, Meyerbeer. In dieser Stimmung ist
besonders Lully oft verkleinert, als bloßer gewöhnlicher Intrigant
hingestellt, sogar als Künstler herabgesetzt worden 2, in neuerer Zeit
wieder sehr keck und tendenziös von Weckerlin und Pougin^. Da
1 Neudruck in >Chefs-d'oeuvre classiques de 1' Opera frangais«.
2 1688. Lettre de Clement Marot (Senesay) .... touchant ce qui s'est
pass6 ä l'arrive de J. B. de L. aux Champs Elysees.
3 Weckerlin im Vorwort der Neuausgabe (Paris 1881). — Pougin
in >Les vrais Createurs de TOpera frauQais, Perrin et Cambert*. 1881.
Jean Baptiste Lully 111
ist es denn ein Verdienst der Arbeit von Nuitt^r und Thoinan, den
wahren Sachverhalt endgültig aufgeklärt zu haben. Die Verfasser
lassen einfach die gerichtlichen Akten sprechen.
Diese äußere Geschichte der Entstehung der französischen Oper
enthüllt die Ursachen, aus denen sich das Musikdrama in Frankreich
so langsam einbürgerte, nur zum Teil. Ohne Zweifel bildete der
bigotte Ludwig XIII. , unter dem alle weltliche Kunst daniederlag,
das Haupthindernis. Der Regierungsantritt Ludwigs XIV. war
der Wendepunkt. Mit ihm bekam Mazarin, der schon als fran-
zösischer Gesandter in Rom unter die Mäzene der italienischen
Oper gehört hatte, freie Hand. Er war es, der die Sacrati, Rossi
und Cavalli nach Paris rief, der auch die Versuche Perrins und
Camberts und der andern eingeborenen Talente förderte und das
Musikdrama Frankreichs unter einen mächtigen, königlichen Schutz
brachte.
Die Aufnahme aber, die die italienische Oper in Paris fand, zeigt,
daß sie auf tiefere, innere Hindemisse stieß. In den Werken Cavallis
hatten die Pariser das beste kennen gelernt, was das italienische
Musikdrama zu bieten hatte. Lehnten sie sie dennoch und zwar mit
dem Bemerken ab, es seien Klosterlieder, so läßt sich das nur zum
Teil mit Unkenntnis der italienischen Sprache erklären und entschul-
digen. Denn die edle Melancholie Cavallis spricht aus den Tönen auch
zu denen, die die einzelnen Worte nicht verstehen. Das italienische
Musikdrama mutete den Franzosen nicht bloß eine fremde Sprache zu
und verletzte ihr Selbstgefühl, ihre Eitelkeit, es stellte sie in eine
fremde Welt, in der sie sich nicht zurecht zu finden wußten, für
die sie nicht geschult und erzogen waren. Die Italiener waren von
der Sehnsucht nach einer seelenvollen, das Innere des Gemüts lebens-
wahr widerspiegelnden Musik zur Oper gekommen. Die Erfindung
eines Sologesanges, der potenzierte Sprache sein wollte, hatte die
Einführung des Musikdramas veranlaßt; erst mit der Monodie hatten
sie eine Theatermusik erhalten, die die Gebildeten gelten ließen.
Von diesem Sologesang hatten die Franzosen sehr wenig erfahren,
selbst seine technische Seite war ihnen so fremd geblieben, daß Cam-
bert für seine ersten Aufführungen in Paris kein Personal fand und
sich geeignete Leute aus dem Languedoc holen und notdürftig zu-
richten mußte. Der französische Boden war für die Lebensbeding-
ungen der italienischen Opernmusik nicht vorbereitet. Auf der andern
Seite waren die Franzosen über die dichterische Stufe, auf der die
Florentiner und venezianischen Librettisten standen, längst hinaus.
Wenn Perrin und Cambert mit Nachbildungen des Pastorale kamen,
in denen wie in »Pomone« weitläufig über Apfel und Artischocken ge-
handelt wird, in denen wie in »Les peines et les plaisirs de l'amour«
Götter und Göttinnen die Sprache von Knechten und Mägden führen,
so begingen sie einen argen Anachronismus.
W2 Französische Oper
Was wir von Camberts Opern noch besitzen i, zeigt einen begabten
und in den Künsten der Niederländischen Schule geübten Musiker
und läßt es verstehen, daß seine Werke in England beliebt geworden
sind. Auch in Deutschland tauchen sie noch ein Menschenalter nach
ihrer Entstehung auf. Eine französische Truppe bringt im Jahre 1700
von Metz und Straßburg aus >Pomone« und »Les Peines« nach
Frankfurt; auch Wien hat sie noch später kennen gelernt. Wenn
man aber, wie Weckerlin das tut, Cambert als Komponist über Lully
stellt, so ist das eine verfehlte Ehrenrettung. Camberts Arbeiten
waren im Grunde italienische Opern in französischer Sprache, erst
Lully bildete eine wirkliche französische Oper aus, eine Oper, die in
Dichtung und Musik mit nationalen Mitteln und Neigungen rechnet,
die die Vorzüge und Mängel der einheimischen Kunst widerspiegelt.
Rinuccini durfte mit seinem Musikpastorale sich für einen Refor-
mator der italienischen Bühne halten. Frankreich bedurfte einer
solchen Reform nicht erst, sie war durch Corneille bereits so weit
vollzogen, daß die Franzosen das beste Theater von ganz Europa zu
haben glaubten. Der Anschluß an Corneille s Tragödie war für
die französische Oper unvermeidlich. Lully sicherte sich daher für
die Dichtung einen Vertreter der Schule Corneilles: Philipp von
Quinault. Quinaults »Kokette Mutter« ist noch im Jahre 1767
in Hamburg aufgeführt und von Lessing als eine der besten fran-
zösischen Komödien des 17. Jahrhunderts anerkannt worden 2. Seine
Tragödien, insbesondere die beste, »Astrate«, waren von Boileau ver-
spottet worden 3; anders scheint sie Lully beurteilt zu haben. Er
führte den grollenden Dichter der Bühne wieder zu und brachte für
seine regelmäßige Mitarbeit Opfer ^. Das Musikdrama braucht kein
poetisches Genie, aber eine Kraft, die eine Handlung normal und
geschmackvoll der Natur der Musik anzupassen versteht. Diese Fähig-
keiten besaß Quinault mehr als ausreichend, und im guten Willen,
der Musik entgegenzukommen, ging er fast über das Notwendige
hinaus. Uns ist schon Corneilles Rhetorik zu gespreizt und hoch-
trabend, Quinault überladet der Musik zuliebe seinen Dialog noch
viel mehr mit Sentenzen und pathetischen Gemeinplätzen. Noch in
einem zweiten Punkte unterscheidet sich seine Operndichtung von der
Tragödie Corneilles: sie prägt den höfischen Charakter viel deutlicher
aus, oft bis zum Unangenehmen in den Prologen. Das kam daher,
daß die Oper das besondere Schoßkind Ludwigs XIV. war. Er hatte
Perrin und Cambert gefördert, Lully an seinen Platz gebracht &. Ihm
1 British Museum, Conservatoire de Paris (Blackwells Ausgabe).
2 Lessing: >Hainburgische Dramaturgie«, Vierzehntes Stück.
3 Boileau: >Ars poetica« 1672.
4 Quinault bezog vom Komponisten für jedes Opernbuch 4000, vom
Könige 2000 Francs.
5 Louis als Komponist siehe Gregoir I. 115.
Philipp von Quinault \\^
haben wir es noch heute zu danken, daß die französischen Opern
von LuUy ab vollständig erhalten worden sind. Er verfügte, daß
alle Werke, die an der Academie Royale zu Gehör kamen, sofort
und in zahlreichen Exemplaren gedruckt wurden. Ein Teil der statt-
lichen Partituren wurde den Komponisten zum Verkauf überlassen,
bis ans 19. Jahrhundert heran waren darum die meisten französischen
Komponisten auch Musikalienhändler. Ein reichlicher Teil der ge-
druckten Partituren wurde aber von vornherein für die Bibliotheken
abgesondert. Von Verlegenheit um das wichtigste Quellenmaterial
ist daher für die Geschichte der französischen Oper keine Rede. Die
französischen Opernpartituren verbreiteten sich über die ganze Welt
und sind noch heute überall, auch in solchen Bibliotheken zu finden,
die eine musikalische Abteilung nur nebenher pflegen. Ludwig XIV.
wohnte den Opernaufführungen, wenn er konnte, persönlich bei, der
Plan jedes neuen Werkes wurde ihm zuerst unterbreitet. Kein
Wunder, daß sich der Dichter für so viel Gunst in seiner Dichtung
unaufhörlich verbeugte. Schon in Camberts »Les Peines usw.« singt
Venus im Prolog: > Louis est le plus graud des rois«. In Quinaults
Dichtungen steht der »Roi Soleil« für alle Helden Modell. In den
Prologen ist er, ohne mitzuspielen, die, meistens mit einem bloßen
>Lui« angeführte Hauptperson, der mit Kunst oder Gewalt gehuldigt
wird. In »Roland« geschiehts mit einem Vergleich zwischen Karl
dem Großen und Ludwig dem Vierzehnten, in »Armide« heißt es:
»Nur Louis Güte und Größe ermöglicht es, daß wir heute die Ge-
schichte von Renaud und Armida erfahren«, in Campras »Arethuse«
singt der Dichter: »Möge Ludwig noch tausendmal den Frühling
sehen, möge er auf immer die Macht der Götter teilen, sie regieren
den Himmel, er aber beherrscht die Erde.« So wurde denn auch
die Oper, und noch mehr als das übrige Theater, den Franzosen so-
fort politisch näher gebracht.
Gehen so im höfischen und im Sentenzenstil Quinaults Dichtungen
über die Geschmackslinie der Corneilleschen Tragödie hinweg, in allen
übrigen Punkten schließen sie sich ihr an. Auch in ihnen setzen
ausschließlich Heroeutum und Frauenliebe das dramatische Werk in
Bewegung.
In der Heldengeschichte sucht Quinault seine Stoffe, die Mytho-
logie, die alte Geschichte, das Epos des Mittelalters und der Renais-
sancezeit sind seine Quellen; Bacchus, Kadmus, Alceste, Theseus, Atys,
Proserpina, Perseus, Phaeton, Amadis, Roland, Armide die Haupt-
gestalten und die Titel seiner besten Opernbücher. Zierlichkeit und
Klarheit des Stils, Natürlichkeit und leichter Fluß der Sprache,
Mannigfaltigkeit und Wohlklang der Verse, Feinheit der Empfindung
zeichnen alle seine Werke aus, und mit diesen Eigenschaften ist er
vor allem ein Meister in der Schilderung der Liebe. Ihre schmerz-
lich süßen Klagen, ihr erstes Entzücken, die Szenen-, in denen Zweifel,
Vorwürfe und Bitten, Hoffnung und Argwohn wechseln, hat niemand
Kl. Haudb. der Musikges.h. VI. 8
114 Französische Oper
besser wiedergegeben als Quinault. Seine »Isis« enthält in den ersten
Szenen, wo sich Hierax über die Nymphe lo beklagt, Muster für
die Darstellung der Unruhe eines verliebten Herzens. Im fünften
Akte des »Atjs« sind die Verse, wo sich der Held für den Mörder
der Sangaris hält, ein weiteres Beispiel für Quinaults Begabung als
Dichter der Liebe. Aber die Liebe und Verliebtheit, für die auch
die Italiener alles nötige Dichtertalent besaßen, war nicht Quinaults
einzige Stärke. Die Verse, in denen in der »Alceste« die Gefährten
des Pluto von Tod und Leben sprechen, die Anrede des Herkules
an den Herrscher der Unterwelt, in der > Proserpina« das Dankgebet
nach der Niederlage der Giganten, die Grausamkeit der Medusa zeigen
einen Dichter, der der Erhabenheit der Alten nachstrebt. Quinaults
ganze Bedeutung wird aber nur dann klar, wenn man ihn mit den
gleichzeitigen venezianischen Librettisten vergleicht. Mit ihnen teilt
er das Stoffgebiet. Aber wie ganz anders führt er die Fabeln! Dort
ein Wirrwarr in der Entwicklung, Blindheit gegenüber den großen
Ideen, Motiven und Charakteren, eine plebejische Mischung von Ernst
und Posse! Auch Quinault wendet gelegentlich einmal einen ganzen
Akt hindurch den Blick von den Hauptpersonen hinweg auf das
Treiben von Nebenfiguren, wie das kein Dramatiker des Kontrastes
und des Ausruhens wegen ganz vermeiden kann. Aber auch in
solchen Episoden bleibt er würdig, und er bringt sie selten und aus-
nahmsweise. Die Größe der Leidenschaften lebt sich in seinen Helden
und in ihren Hauptszenen nie völlig aus, er überläßt der Musik da
häufig mehr als erlaubt ist; in den Entscheidungsstunden deutet er
den Seelenkampf nur an und führt ihn nicht mit der Härte aus, die
tragisch wirkt. Aber auch in diesen Mängeln ist er der Vertreter
des literarischen Geschmackes seiner Nation. Die Zucht der Akademie
beengt seinen Schwung, wie sie es auch bei seinen größeren Lands-
leuten tut, sie behütet ihn aber auch vor Geschmacklosigkeit. Es
steht hinter den Quinaultschen Operndichtungen eine den Italienern
überlegene Bildung, ein vornehmer dramatischer Sinn. Sein eigenes,
individuelles Talent spricht am klarsten aus der Folge der Szenen,
aus der Führung der Handlung. Da haben wir einen reichen Wechsel
eindringlicher Bilder und doch vollendete Harmonie; und alle diese
Bilder sind vortrefflich musikalisch gewählt, und zwar mit feinem
Verständnis für das, was die französische Musik in Quinaults Zeit
konnte. Doch aber stört uns manche Wendung darin schon beim
bloßen Lesen, noch mehr, wenn wir sie mit der Musik hören.
Weniger stark und in anderer, gesitteterer Art als bei den Ita-
lienern, aber immer noch zuviel, fühlen wir uns auch bei Quinault
von Nebensachen aufgehalten: die Massen mischen sich zu sehr in
die Handlung.
Das erklärt sich daraus, daß Lully außer an die Tragödie Cor-
neilles mit der Oper noch an ein zweites Stück altfranzösischer Kunst
anzuknüpfen hatte, an das französische Ballett. Die Franzosen
Das französische Ballett 115
sind noch heute die ersten Tanzmeister und Choreographen, der Tanz
hat bei ihnen mehr als bei andern Völkern auch in der neueren
Kulturentwicklung sich in seiner antiken und naturmenschlichen Be-
deutung behauptet, und die französische Musik hat, wie sich jeder-
mann durch die einfachsten Katalogstudien überzeugen kann, von
früher Zeit ab einen Schatz von Charaktertänzen und Tanzliedern
ausgebildet, wie sie keine zweite Nation besitzt. Dieser Schatz kam
zu seiner ersten und höchsten Geltung von dem Augenblick ab, wo
die Franzosen durch Katharina von Medici mit den italienischen Inter-
medien bekannt wurden. Die Italiener ließen über den Sologesang
die Intermedien allmählich fallen, den Franzosen aber wuchsen ihre
Balletts, die jenen nachgebildet wurden, schnell ans Herz. Seit dem oft
zitierten >Ballet-comique de la reine« ^ vom Jahre 1581, das Balthazar
de Beaujoyeux zum Verfasser hat, stand die Gattung fest in der
öffentlichen Gunst. Je weiter wir ins 17. Jahrhundert kommen,
desto größer wird ihre Zahl; ja beim Eindringen der italienischen
Oper wächst sie demonstrativ. Wie Wagner noch im > Tannhäuser«
für die Pariser ein Ballett einlegen mußte, so war es zweihundert
Jahre früher Cavalli ähnlich ergangen: nur mit französischen Tanz-
szenen durchschossen konnten sein >Serse« und >Ercole« aufgeführt
werden. Auch Moli^res Lustspiele wurden mit Balletts versehen.
Der König und die Königin, Prinzessinnen und Hofstaat wirkten mit
besonderem Vergnügen in solchen Balletts mit, und LuUy verdankte
sein Glück seinen Leistungen als Ballettkomponist und als Tänzer.
So lag es ihm nahe genug, in der neuen französischen Oper vor
allem für das Recht des Ballets zu sorgen. Zahlreichen glaubwür-
digen Berichten nach' war es sein erstes, im Plan der Quinaultschen
Dichtungen, sobald sie vom König zurück waren, nach den Stellen
zu suchen, wo sich Ballettszenen schickten. An ihnen hing der
äußere Erfolg der Oper in erster Linie, der Dichter mußte sie sich
gefallen lassen, der Komponist setzte bei ihnen mit der Arbeit ein,
bei LuUy wenigstens kam der eigentliche dramatische Teil zeitlich
erst hinterher.
Dichterisch ist der französischen Oper diese Verbindung mit dem
Ballett überall anzumerken. Von ihr hat sie den Reichtum an Festen,
an Aufzügen und Idyllen, den eigenen Apparat von guten und bösen
Geistern, von Genien und Dämonen, Priestern und Priesterinnen,
Schäfern und Schäferinnen, der sich bis ans Ende des 18. Jahr-
hunderts durch alle Aufklärung und Nüchternheit behauptet hat.
Diese Verbindung ist der französischen Oper ein Schmuck und ein
Reiz, durch sie sind die Franzosen die Schöpfer der romantischen
Oper, sind Meister in der musikalischen Belebung äußerer Szenerie
geworden. Auf diesem Gebiete versuchten alle neues hinzuzutragen,
1 Neudruck in den Chefs-d'oeuvre classiques de l'Opera fran^ais.
2 Von den deutschen sind die Matthesons hervorzuheben!
8*
116 Französische Oper
und die französische Oper wurde ein immer ergiebigeres Feld für
Tonmalereien, intime wie gewaltige. Aber das Ballett hat der fran-
zösischen Oper auch viel geschadet, zunächst dichterisch. Zum Wort-
gepränge, das der Corneilleschen Tragödie entstammt, kommt das
Schaugepränge des Balletts und dadurch eine Konkurrenz des glänzend
Nichtigen mit dem dramatisch Wichtigen. Die geringeren Musiker
sind dadurch sehr häufig in eine äußerliche Eichtung gedrängt und
von der Hauptaufgabe der dramatischen Musik, der naturwahren
Wiedergabe bedeutender Seelenzustände, abgelenkt worden. Es hat
lange gedauert, bis die französische Oper zu einem Ausgleich zwischen
Ballett und Musikdrama gekommen ist; im Auslande vermochte sie
trotz aller Schwärmerei für französische Kultur nicht Fuß zu fassen.
Die italienische Oper blieb ihr auch mit ihren Verirrungen, mit ihrer
Einseitigkeit und Entartung in der Wirkung aufs Gemüt, an tragischer
Kraft lange überlegen.
Und doch waren die Franzosen vor den Italienern außer durch
die geschmackvolleren Dichtungen auch rein musikalisch im Vorteil.
Es standen ihnen reichere musikalische Mittel zur Verfügung: Solo-
gesang, Ghorgesang und selbständige Instrumentalmusik. Die italie-
nische Oper war reine Solooper geworden, setzte den Komponisten
auf ein geringes Maß musikalisch sinnlicher Wirkungen, und zwang
ihn dem romantischen Teile der Handlung gegenüber nahezu zur
Askese. Wenn bei den Italienern ein siegreicher Feldherr mit seinen
Scharen triumphierend über die Bühne zieht, nimmt die Musik davon
keine Notiz. Die Komponisten der venezianischen Schule schreiben
in solchen Fällen in der Regel ein einfaches »si suona la tromba«
hin — bei Händel heißt's: >a flourish« — und überlassen das Nähere
dem Ermessen der Orchestermusiker. Dem französischen Komponisten
gibt ein solcher Vorgang Gelegenheit, sich und sein Publikum durch
einen Blick vom Inneren aufs Äußere zu erfrischen, durch ein da-
zwischen geschobenes Instrumentalgemälde die Macht des Gesanges
neu zu beleben. Was die Franzosen aber durch die Beibehaltung
des Chores vor den Italienern voraus haben konnten, das war durch
die Werke der Florentiner bereits geschichtlich festgestellt. Es galt
für die französischen Komponisten nur, den ihnen zugewiesenen Reich-
tum weise zu verwalten, die nationalen Traditionen mit den Forde-
rungen des Musikdramas in Einklang zu bringen und das Publikum
für eine richtige Kunst zu erziehen. Ihre Hauptaufgabe war der
Ausgleich zwischen Ballett und Drama. Sie verlangte überlegenes
musikalisches Talent, noch mehr aber unabhängigen Charakter. Wenn
diese Aufgabe nur langsam und mit vielen Schwierigkeiten gelöst
wurde, so spielte auch da eine französische Nationaleigentümlichkeit,
die unbedingte Hingabe an gefeierte Autoritäten, die Gewohnheit,
auf anerkannte Meister und die Gesetze, die sie gegeben, ein für
allemal zu schwören, stark mit. Diese Autorität war in der fran-
zösischen Oper Lully.
Das Orchester der französischen Oper 117
Lullys 19 Opern ^, die im Jahre 1672 mit »Les Fetes de l'Amour
et de Bacchus« einsetzen, 1687 mit »Acis et Galatee« schließen, gehören
zur Gattung der Choroper und halten in ihr ungefähr die Stufe ein,
die die Florentiner Schule bei den letzten römischen Vertretern er-
reicht; jedoch mit Abweichungen, die teils auf nationale französische
Traditionen, teils auf die Individualität Lullys zurückgehen.
Von den Italienern weicht Lully zunächst mit seinem Orchester
ab. Das ist weit reicher als das der Venezianer, es ist kurz gesagt
bereits das moderne Orchester mit Violinen, Holzbläsern, Trompeten,
Hörnern und Pauken, die alte Zeit wirkt nur noch in den Cembalis,
Harfen und verwandten Akkordinstrumenten mit.
Die hohe, heutige Violine ist in Frankreich heimisch; als sie
Monteverdi in seinem »Orfeo« zum ersten Male verwendete, bezeichnete
er sie als »Violino piccolo alla Francese. « Noch unter Ludwig XIII .
wurde in der Hofmusik ein besonderes Violinenorchester errichtet,
die 24 Mann starke >grande bände des violons«, oder »les vingt-quatre
violons du roi«. Sie spielten bei allen Bällen am Hofe, zu Neujahr,
am 1. Mai, am St. Ludwigstag (25. August), und so oft der König
von Fontainebleau oder von einer Reise in die Residenz zurückkehrte,
konzertierten die Violons am Hofe. Ludwig XIV. setzte dieser »grande
bände« noch eine »petite bände« zur Seite, die in der Stärke von
16 Mann, von Lully geleitet, zu dem engeren Musikdienst des Königs
befohlen wurde und ihn auf Reisen begleiteten. Es war natürlich, daß
Lully diese Institute für seine Opern benutzte. So sehen wir denn die
Violinen viel reicher in Tätigkeit als bei den Venezianern, aber auch
in einem andern Stil verwendet. Dort spielen sie als Quartett von
Solostimmen, bei Lully in der Regel nur im zweistimmigen Satz,
Oberstimme und Baß, die Harmonie und die Mittelstimmen bleiben
den Akkordinstrumenten überlassen. Dagegen sind bei Lully die
Streicherstimmen nicht solistisch, sondern chorweise und stark be-
setzt. Der volle Chor wechselt zuweilen mit kleinen Gruppen, aber
für gewöhnlich spielen sämtliche Violinen im unisono, so daß die
Melodie im vollsten Klang hervortritt. Noch bei Händel und Bach
ist dieses Lullysche Unisono der ersten und zweiten Geigen in den
Arien sehr häufig. Wir haben also hier sichtbar in dem Lullyscben
Orchester koloristische Absichten, Wirkungen durch das sinnliche
Klangelement vor uns. Sie beschränken sich nicht auf diesen einen
Fall, sondern die Mannigfaltigkeit der Farbengebung gehört zur
Methode der Lullyschen Instrumentalkomposition, ist durch ihn ein
Vorzug des französischen Orchesters geworden, der dem Ausland bald
ins Auge fiel. Er führte ihn zunächst mit den Violinen weiter durch.
1 Im Neudruck liegen vor: Th^see, Phaeton, Psyche, Cadmos et Her-
mione, Alceste, Bellerophon, Isis, Persee, Atys, Proserpine, Arraide (in Chefs-
d'ceuvre classiqaes de l'Opöra frangais].
11g Französische Oper
In Fugen, in den Episoden, längeren Tanzsätzen nimmt er seine
Violinen in drei Reihen auseinander, im letzteren Falle gewöhnlich
in hoher Lage, so daß diese Stellen aus dem Ganzen hell heraus-
leuchten. Zu weiteren Kombinationen hat er die Holzblasinstrumente
an der Hand, immer Flöten und Oboen. Sie wechseln mit den Streich-
instrumenten, am häufigsten spielen sie Neben- und Zwischensätze zu
drei Stimmen, Trios, bei denen entweder das Fagott den Baß nimmt,
oder aber der Gesamtchor der Violinen spielt die Unterstimme, Mittel-
und Oberstimme werden den Flöten oder Oboen gegeben. Dieses ge-
mischte Trio fand den Beifall der Zeit; eine der stattlichsten Nach-
ahmungen bringt S. Bach im >Et Resurrexit« der H moU-Messe *. Die
Trompete LuUys bleibt wie bei den Venezianern auf kriegerische
Szenen beschränkt, und immer sind die Blasinstrumente, Holz wie
Messing, melodisch verwendet, niemals wie in unserer hierin barba-
rischen Zeit als Füllstimmen.
Zu dieser Ausbildung eines farbenreicheren Orchesters hat die
Natur der französischen Oper, ihr durch den Balletteinfluß bedingter
starker Verbrauch an selbständiger Instrumentalmusik den Anlaß ge-
geben. Die Mehrzahl dieser Instrumentalsätze sind Tänze. Nur zu-
weilen erscheinen sie idealisiert, ins Bereich vollerer Kunst gehoben.
Die Hauptmasse besteht aus getreuer Nachbildung volkstümlicher
Musik, ja einzelne, die eine längere Form durch naive, unaufhörliche
Wiederholung eines einfachen Themas entwickeln, könnten direkt aus
dem primitiv Provenzalischen, aus dem Skandinavischen, Slavischen
und aus den Quellen stammen, aus denen heute noch die Bizet,
Grieg und Dvorak geschöpft haben. Über den Reichtum an Arten
und Formen, den die Lullysche Oper auf diesem Gebiete birgt, ist
die gegenwärtige Musikwelt durch die Couperin und Muffat unter-
richtet, die ganze Klavier- und Orchestermusik des 17. Jahrhunderts,
auch noch die Suite Bachs und Händeis zeigt Lullys Spuren. In den
wenigen Fällen, wo Lully Ballettsätze breiter ausführt, bedient er
sich des in seiner Zeit üblichen Hauptmittels der Formenvergrößerung:
der Variation, und in dieser instrumentalen Variationenkunst hat er
Meisterstücke von bleibendem Wert geliefert, sie war das beste Feld
für seine Begabung. Kompositionen wie die Passacaglia im fünften
Akt der »Armide« haben wir in der Umgebung Lullys wohl nur
wenige. Geschichtlich hat die Orchestermusik der Lullyschen Oper
am nachhaltigsten durch die Sinfonien gewirkt, mit denen er die
Dramen eröffnet. Sie tragen bereits den Namen Ouvertüre, und
tatsächlich ist aus ihnen die moderne Ouvertüre hervorgegangen. Bei
Lully besteht sie aus drei Teilen, die ohne Pause zusammenhängen.
Der erste ist langsam und feierlich, der zweite bewegt, in der Regel
fugiert, der dritte wieder im Charakter des ersten gehalten. Das
1 Vergleiche Henri Lavoix: »Histoire de rinstrumentation« (1878;.
Das Orchester der französischen Oper 119
Ganze weist selten auf ein bestimmtes einzelnes Stück hin, wie das
bei den Venezianern üblich ist, sondern deutet nur in erster Linie
die Würde einer Opernvorstellung als Hoffest, die Gegenwart der
Majestät, in zweiter das verwickelte und phantastische Treiben der
Bühnenwelt an. Doch gestattet das Schema der Lullyschen Ouvertüre
sehr wohl auf die Handlung und ihre Hauptcharaktere einzugehen,
wie Händel, Rameau und Gluck bewiesen haben. Es hat sich daher
für die Ouvertüre bis auf die Gegenwart behauptet; nur der dritte
Satz ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gefallen.
Im Gesangteil der Lullyschen Oper tritt das Rezitativ auffällig
zurück. Es fehlt in vielen Szenen vollständig und wird auch da,
wo es LuUy nicht umgehen kann, immer nur sparsam und vorsichtig
verwendet. Fast bilden auch im Dialog die Takte mit deklamieren-
den Singstimmen und ruhigem Baß Oasen. Selbst in den Erzählungen
traut Lully dem Rezitativ nur wenig, benutzt jeden Stich ins Lyrische,
um in geregelten rhythmischen Gesang umzulenken und hat ersichtlich
den Dichter veranlaßt, ihm fortwährend Gelegenheit zum Abschweifen
zu geben. Und doch versteht Lully, wenn auch kein hervorragendes,
so doch ein ganz korrektes und gutes Rezitativ zu schreiben; ja die
besten Stellen in seinen Opern, die dramatisch lebendig empfundenen
sind in der Mehrzahl Rezitativstellen. Wenn er trotzdem die natür-
lichste Form des dramatischen Singens nur als Ausnahme gebraucht,
so beugte er sich der Tatsache, daß in Frankreich der^ tedio del
recitativo noch stärker herrschte als in Venedig. Die Berichte und
Kritiken aus Lullys und der ihm folgenden Zeit lassen ahnen, daß
diese Abneigung zum Teil auf der Unfähigkeit der französischen
Sänger beruhte. Das Rezitativ ist der Prüfstein für die Intelligenz
und den Geist des Sängers. Man sieht aber aus den geschlossenen
Gesängen, daß Lully und seine Nachfolger auf sehr geringes Material
angewiesen waren. Lahaye (in > Reflexions sur l'opera«) hebt die
Lullyschen Sängerinnen, insbesondere die La Rochois und die Tournet,
sehr hoch. Nach den Partien, die für sie geschrieben worden sind,
waren sie aber schwach.
Mit Ausnahme des >Theseus« gehen die rhythmischen Forderungen
der Lullyschen Sätze und Sätzchen nicht über das im Tanz und
Ballett Übliche hinaus: möglichst , einerlei Notenwerte, lange Reihen
von Vierteln, hier und da durch Achtel abgelöst, punktierte Rhythmen
beliebt, lange Noten in der Regel nur auf Reimsilben; Figuren,
Melismen sind Ausnahmen. Lully ist kein schlechter, zuweilen sogar
ein feiner und kühner Melodiker, aber die Rhythmik unterstützt seine
gute Linienführung nicht, sie ist geringen Sängern angepaßt. Hier
hätte es für den Komponisten gegolten zu erziehen und Aufgaben
zu stellen. Lully beugte sich. Die Monotonie der Bewegung schien
den Franzosen durch Corneille, durchs Ballett geheiligt, die italie-
nischen Muster hatten nur schwach gewirkt. Wenn Fetis behauptet,
Lullys Arien seien ersichtlich dem Cavalli nachgebildet, so miß-
120 Französische Oper
braucht er den Namen Cavalli. Das einzige italienische Vorbild, das
sich in Lullys Sologesang nachweisen läßt, ist wieder Monteverdis
»Lamento d'Arianna«. Es tritt in seine Rezitative und seine Arien
hinein, das Prinzip des Eefrains gebraucht er geistvoll, witzig, sinn-
reich, zuweilen mit selbständiger Größe, er verbindet durch die Wieder-
holung eindringlicher und bedeutender Themen nicht bloß Teile des-
selben Satzes, sondern auch Szenen, die auseinander liegen. Er hat
den Refrain bereits zur Reminiszenz erweitert und zur Vorgeschichte
des Leitmotivs bemerkenswerte Beiträge geliefert, wovon man sich am
einfachsten aus der zweiten und vierten Szene des vierten Aktes der
Armide überzeugen kann. Wie der Rhythmik das Leben, der Reichtum
an Bildung, so fehlt aber im allgemeinen dem Satzbau der Lullyschen
Sologesänge die Deutlichkeit und die Schärfe der Gruppierung, die
die gleichzeitigen Italiener besitzen. Auch Lully legt größere Ge-
sänge in der Regel dreiteilig an. Aber seine Mittelteile bilden zum
Hauptteil keinen Gegensatz, auch da nicht, wo ihn die Worte ver-
langen oder die Handlung ihn gibt. Der Übergang von Dur nach
Moll, ein Wechsel der Klangfarben, ein plötzliches Eintreten hoher
Stimmen, eine neue Besetzung der begleitenden Instrumente, das sind
die stärksten Mittel Lullyscher Satzeinteilung. Durch Farben sondert
er, nicht durch Formen. Thematisch bleiben seine Mittelsätze meist
im Geleise des Hauptsatzes. Die Übergänge und Unterschiede sind
so zart, daß sie manchen Hörern entgehen. Riehl bat deshalb Lullys
Satzbau, sehr unpassend allerdings, mit der unendlichen Melodie Wagners
verglichen. Auch hier herrscht das französische Gesetz der Gleich-
mäßigkeit, das Muster von Ballett und Tanz. Summiert man, so
steht in den Opern Lullys ein Musiker vor uns, der weder durch
Anlage und Bildung, noch durch Charakter zu den großen Meistern
zählt. Und doch steht die mächtige Wirkung dieser Werke auf
eine große, geistvolle Kation geschichtlich fest. Noch Sacchini trug
wegen der Konkurrenz mit Lully Bedenken eine »Armide« zu kom-
ponieren. Lully ist kein großer, kein ungewöhnlicher Musiker, aber
denDOcb ein gewaltiger Künstler. Die Gaben, die die Renaissancezeit
auch für den Musiker in den Vordergrund stellte: scharfe Beobachtung,
einfach sichere Wiedergabe menschlicher Zustände und Charaktere,
besitzt er im hervorragenden Grade. Wo ihn die Ballettpflichten
nicht hemmen, da kommt in seinen Opern ein echter Dramatiker
zum Vorschein. Auch ohne musikalische Originalität, mit gewöhn-
lichen Mitteln triflPt er überall den richtigen Ton, in der Ausführung
erlahmt er oft, aber der Eintritt und der geistige Zuschnitt seiner
Bilder nimmt die Phantasie gefangen. Unbedeutende Einfälle hebt
er dadurch, daß er sie an den günstigsten Platz und zur rechten
Zeit bringt, namentlich aber auch durch koloristische Mittel: -ein
schallender Chor nimmt sie auf, oder er überrascht plötzlich mit
einem Ensemble hoher Stimmen^ eine Idylle wird durch einen bar-
barischen Kriegsgesang unterbrochen. Die Folge der Szenen, ihr
Comedie-ßallet oder Opera-Ballet 121
Charakterverhältnis ist dramatisch wohlberechnet, das Zurückgreifen
auf Hauptstücke schließt zusammen und gibt dem Aufbau der Akte
eine Einheitlichkeit und Größe, von der die Italiener noch lange über
Lully hinaus weit entfernt sind. Seine Erfindung ist vielseitig, Scherz
und Zärtlichkeit sind ihm ebenso geläufig wie Schreck und Ver-
zweiflung. Im Dämonischen hat er sich für alle Zeiten ausgezeichet.
Ein Hauptbeispiel bietet die Anrufung des Hasses in »Armida«. Wie
wirksam führt er dieses finstere Stück ein, im scharfen Kontrast zu
einer Idylle!
Diese Spuren einer großen künstlerischen Kraft haben die Lullyschen
Opern in Paris fast hundert Jahre lang gehalten. Noch in Glucks
Zeit gab man an besonderen Lully-Abenden die schönsten Bruch-
stücke aus seinen Hauptopern, »Atys«, »Thesee«, »Alceste«", »Armide«.
Ins Ausland drangen sie schon zeitig, Modena führte bereits 1687
Lullys »Psyche« mit italienischen Einlagen, auf, aber sie behaupteten
sich nirgends.
Bald nach Lully, im Jahre 1688, starb auch Quinault. Der Stil
der französischen Oper war durch beide Männer so fest begründet,
daß die neuen Kräfte, die an ihre Stelle treten, nichts Wesentliches
daran änderten. Unter den Nachfolgern Quinaults traten Duboulay,
Madame Gibot, La Motte, später Ant. Danchet hervor. Zuweilen wagen
diese neuen Dichter mehr als Quinault, in Idomenee, in Matthesie
z. B. einen tragischen Ausgang. Aber in erster Linie streben alle
nach den hergebrachten Ballette ft'ekten. Diese Seite der französischen
Oper hatte während Lullys Zeit noch die größten Fortschritte ge-
macht, Vigarani und Rivani entfalteten in Dekoration und
Szenerie dichterischen Erfindungsgeist. Im Jahre 1684 hatten die
Tanzszenen einen neuen Reiz gewonnen durch Einführung von Frauen.
Eine Mademoiselle La Fontaine war die erste Ballettänzerin. An-
gesichts dieser neuen Stützen der Opern dramen machen es sich die
Dichter etwas leichter. Die Monologe namentlich leiden, das Ballett-
element wird immer breiter, und bald steht im Repertoire der
Academie die Musiktragödie im Quinaultscben Stil gegen die reinen
Balletts zurück. Noch zu Lullys Zeit waren diese alten Hof balletts
auch äußerlich aufgestutzt worden. Im Jahre 1686 wurden für
das Ballet de la jeunesse zwei Balkons auf der Bühne errichtet,
damit die Schäfer und Schäferinnen in Doppelchören singen konnten.
So wurden von nun an Stücke, die gar keinen dramatischen Zu-
sammenhang haben, sondern nur eine Anzahl von »Entrees«, wie wir
heute sagen von Tableaux, aneinander reihen, die beliebtesten. Sie
heißen Comedie-Ballet oder Opera-Ballet. In der Zeit zwischen
Lully und Rameau hat an der Academie ein Stück die größte Zahl
von Aufführungen gehabt, das sich Festes Venitiennes nennt.
Es ist nichts als eine Folge von fünf italienischen Intermezzos, die
weiter nichts Gemeinsames haben, als daß sie alle in Venedig spielen.
Es sind Szenen aus dem Volksleben, aus dem Maskentreiben in der
;[22 Französische Oper
Zeit des Karnevals. Das erste Entree »Les Serenades et les
Joueurs« beginnt damit, daß sich zwei Mädchen, Irene und Lucile,
die denselben Burschen, einen Herrn Leander, lieben, treffen und
aushorchen. Die lustige und flotte Szene, in der uneingeschränkte
Herzensergießungen mit Momenten von Zurückhaltung, Verschlagen-
heit und Mißtrauen fortwährend wechseln, schließt mit dem Bünd-
nis zu gemeinsamer Eache. Beschluß und Plan sind eben fertig,
da kommt Leander mit einem Trupp Musikanten, um der Irene ein
Ständchen zu bringen. Irene schiebt in der Dunkelheit Lucile vor,
ohne daß es Leander merkt, und dieser schwört er nun, daß er die
Lucile nicht ausstehen kann. Im Augenblick, wo er in Ekstase ge-
rät, schreit die Lucile > Undankbarer Schlingel«, die Irene »Du
Spitzbub«. Die Musikanten kommen wieder auf die Bühne und
preisen in Chören und Arien das Glück der Liebe. In einem tollen,
ausgelassenen Wirrwarr geht die Posse zu Ende. Das zweite Entree :
»Le Bai* schildert einen Maskenball, auf dem ein Prinz, um seine
Geliebte auf die Probe zu stellen, sich ihr in einer Verkleidung
nähert. Wichtiger als das Liebespaar sind aber die Nebenfiguren,
insbesondere ein Tanzmeister und ein Musikmeister, die sich erst
die größten Elogen sagen, dann aber über die Vorzüge ihrer Kunst
in Streit geraten. Der Tanzmeister rühmt seine Pas, der andere
seine Töne. Das Stück läuft auf eine Galerie musikalischer Spaße
hinaus, der Musikmeister macht seinem Rivalen vor, wie ein See-
sturm musikalisch geschildert wird, wie die Winde pfeifen, wie die
Wolken sich teilen, wie der Schlaf, die Nachtigall, der Frühling,
die Liebe vom Komponisten behandelt werden, wie er Schatten und
Tote sprechen läßt. Es ist eine vollständige Parodie der musika-
lischen Aufgaben der Oper — am Ende wieder ein fröhliches Kon-
zert im echt venezianischen Ton mit einer Forlane als Hauptstück.
Das dritte Entree >Les devins de la Place Saint Marc« ist
eine Zigeunerszene. Zelia, ein Vornehmes Mädchen, ist unter die
Zigeuner gegangen, um ihrem Geliebten wahrsagen und ihn aus-
forschen zu können. Dabei erfährt sie, daß er untreu gewesen ist.
Die Hauptsache ist eine sehr geistreiche Musik, deren Kosten haupt-
sächlich das Orchester trägt. Jeder Satz der Wahrsagerin wird von
den Instrumenten lebendig und breit kommentiert. Es handelt sich
also um launige Anwendung des Recitativo accompagnato, ja, um
ein im modernsten Sinne dramatisches Orchester. Als Zelia ihre
Maske abnehmen und sich dem Geliebten entdecken will, spielt es
zu den Rezitativen des Paares leise die ganze Wahrsagerszene noch
einmal an. Das andere Stück, »L'Amour Saltimbanque« ,
führt zu einer Seiltänzerbande. Leonore hat eine eingeladen, um
im Trubel der zuschauenden Menge bequem zu einem Stelldichein
mit ihrem Florindo zu kommen. Sie darf aber nicht ohne eine
Gesellschaftsdame ausgehen. Der Kontrast zwischen Leonorens Munter-
keit und dem larmoyanten Pathos dieser Begleiterin, die immer in
Die Nachfolger Lullys 123
demselben Tone mahnt: >Songez ä vous defendre«, »Denk an deine
Ehre«, ist der Kern des Stückes. Märsche und Chöre der Seiltänzer,
Harlekins, Polichinellos geben den lustigen Rahmen. Das Ende der
»Festes Venitiennes« bildet ein fünftes Entree: »L'opera« betitelt.
Ein neapolitanischer Graf liebt eine Opernsängerin und schleicht
sich als Sänger ihr nach und mit auf die Bühne. Wieder wie im
»Bai« sind musikalische Verhältnisse der Inhalt des Entrees: Sing-
stunde, Sängerkünste, die verschiedene Art dramatischen Gesanges,
.die Aufgaben der Komposition in Liebesarien, in Seestürmen, in
Naturszenen mit Bach und Vogelgezwitscher werden launig vorge-
führt. Den »Festes Venitiennes« stand ein zweites Camprasches
Ballett: »L'Europe galante« an Beliebtheit nur wenig nach.
Die andern Haupstücke der Gattung sind: »Les Muses«, »Le Car-
naval et la folie«, »L'amour charlatan«, »Les fetes de l'ete« , »Les
Plaisirs de la Paix«. Alles dramatisch äußerst lose und lockere
Gebilde. Gleichwohl eroberten sie sich nicht bloß an der Academie
royale einen festen Platz, sondern sie durchbrachen auch das Mono-
pol des königlichen Instituts und riefen muskalische Nebenbühnen
ins Leben. Ein Beweis, daß die Renaissanceoper auch in Frank-
reich keine rechte Herzenssache werden wollte, sondern daß sie hier
noch mehr als in Italien nur künstlich gehalten werden konnte.
Obgleich die Opernaufführungen dank der Zuschüsse des Königs der
Direktion durchschnittlich nicht mehr als 4500 Franken kosteten,
so waren doch im Jahre 1712 unter der Verwaltung Gagenets die
Schulden der Academie schon wieder auf 400000 Franken ge-
stiegen. Beständig suchte man das Institut zu heben. Im Jahre
1713 erschienen neue Reglements, die Ausbildungsschulen für Solo-
gesang, für Tanz, für Instrumentalmusik einführten und ein tüch-
tiges Personal in diesen Fächern sichern sollten, die Einnahmen der
Komponisten wurden vermehrt, für die ersten zehn Vorstellungen
je 100, für die nächsten zwanzig je 50 Franken als Gratifikationen
eingeseszt, den Sängern wurden bei Alter und Dienstunfähigkeit
Pensionen statutarisch bewilligt. Umsonst! Von allen neuen großen
Opern fiel die Hälfte durch, viele so energisch, daß man sogar vom
Druck absah. Als aber im Jahre 1714 in einem neuen Ballett die
Frauen zum ersten Male statt in antiken Gewändern in französischer
Tracht auftraten, brachte es dieses Stück — »Les fetes de Thalie«
— zu 80 Vorstellungen hintereinander. Bei den meisten dieser
nach Lullys Tode geschriebenen Balletts handelt es sich nicht bloß
um den einfachen Gegensatz vom Volkstheater zur gelehrten Kunst,
sondern diese im Volksgeschmack gehaltenen Balletts zeigen ein-
ausgesprochene Neigung für italienisches Wesen. Die »Festes Venie
tiennes« mit den lustigen venezianischen Szenen sind für die Hälfte
dieser Ballettdichtungen typisch.
und wie mit der Dichtung, steht es ähnlich mit der Musik der
französischen Oper unter den Nachfolgern Lullys. Ihre Zahl ist,
124 Französische Oper
mit der venezianischen Schule verglichen, beschränkt. Es konnte
sich eine solche Fruchtbarkeit und ein gleicher Reichtum an Talenten
wie in Venedig in Frankreich nicht entwickeln. Denn zunächst war
die französische Oper auf Paris beschränkt, und in Paris herrschte
das Monopol der Academie. Die im Repertoire hervorragendsten
Komponisten sind der Zeit nach Pascal Collasse, Henri Des-
marets, Andre Campra und Andre Destouches. In zweiter
Reihe stehen die beiden Söhne Lullys, Louis und Jean mit Vor-
namen, Marin Marais, durch seine Gambenkompositionen noch heute
bekannt und bedeutend, Marc' Antoine Charpentier, Elisabeth"
Claude de Laguerre, Michel de Labarre, Rebel^, Bertin,
Lacoste, Batistin Struck, Salomon, Joseph Mouret, Michel
Monteclair, Colin de Blamont, Brissac.
Alle diese Komponisten halten sich streng an das Lullysche Ge-
rüst, die ersten folgen ihm auch im Ausbau ganz sklavisch. Collasse ^
war zwölf Jahre lang Lullys Schüler gewesen und von ihm zu
Nebenarbeiten, zur Ausfüllung der Chorsätze, zur Instrumentierung
herangezogen, nach dem Tode des Meisters von der Academie mit
der Vollendung von Lullys letzter Oper »Achille et Polixfene«, von
der nur der erste Akt fertig war, beauftragt worden. Er gehört
mit Desmarets zu den schwächeren Talenten. Wo sie sich von
ihrem Vorbilde unterscheiden , sind es Mißgriffe. Bei Desmarets
klingen Klagegesänge gelegentlich fidel, dämonische Stellen gemüt-
lich. Nur mit der Passacaglia im fünften Akte von »Venus und
Adone« (1697) hat er der LuUyschen Schule Ehre gemacht. Colasse
steigert die Ärmlichkeit des LuUyschen Gesangstiles ins Gewöhn-
liche. Seine Chöre singen von Freud und Leid in demselben Tone,
im Tone der Marschmusik. Mit Destouches erst beginnt eine
Weiterentwicklung des LuUyschen Stiles. Seine »Isee« und seine
»Matthesie« gehören zu den besten Werken der französichen Oper
in der mageren Zeit zwischen LuUy und Rameau. Noch bedeuten-
der ist Campra 3, ein dem LuUy musikalisch weit überlegenes
Talent, die stärkste Stütze der französischen Oper, in den kritischen
Jahren derjenige Komponist, der das Interesse an der Academie
immer wieder wach erhielt. Den Werken dieser beiden Männer
verdankt die französische Oper zwei neue Elemente im Stil: erstens
eine dramatisch bedeutungsvollere Verwendung der Instrumental-
1 L. de la Laurencie: »Une dynastie musicienne au XVII^ etXVIII«
sifecle. Les RebeU (Sbd. d. IMG VII S. 253 ff.).
2 Vgl. Chefs- d'ceuvre de Topera frangais: Les saisons, Thetis et Pelee.
3 L. de la Laurencie: »Notes sur lajeunesse d' Andre. Campra« (Sbd.
d. IMG X, S. Iö9ff.); Neudrucke Campras in les chefs-d'oeuvre de l'opera
frangais: les Festes Venitiennes, TEurope galante und Tancrede, — Kurt
Dulle: »Destouches«. Leipzig (ohne Jahresangabe).
Die Lullysche Schule 125
musik, zweitens: einen fließenderen, reicheren Gesang. Lullys In-
strumentalsätze laufen neben der Handlung her, sind mit den zu-
gehörigen Chören entbehrlich. Tatsächlich kommt es auch in den
Partituren der LuUyschen Schule vor, daß die Komponisten ver-
nünftigerweise Kürzungen der sogenannten Divertissements an die
Hand geben, z. B. in Salomons »Thesee«. Künstler wie Destou-
chesi kamen aber bald auf den Monteverdischen Gedanken, daß
die vom Ballett in die Oper hereingetragene Instrumentalmusik nicht
bloß episodenmäßig, sondern für die Hauptszenen der Handlung
verwertet werden könne. Die alte französische Neigung zur Ton-
malerei gab da die ersten Fingerzeige. Die Szenen, wo eine Natur-
schilderung am Platze war, wurden für die Orchestermusik in
Beschlag genommen. Sind sie friedlicher Natur, so gibts Instrumental-
idyllen, die Singstimme liefert den erklärenden Text und: wird auf
den Orchestersatz draufgeschrieben, bald singend, bald deklamierend,
oder aber sie konzertiert mit einem Soloinstrument, mit einer Flöte
z. B., die die Nachtigall vertritt. So hat es Händel den Franzosen
gerne nachgemacht. Spielen die Szenen aber vor wilder und schau-
riger Natur, so entfesselt jetzt die französische Oper die volle Ton-
kraft und die rhythmischen Schrecken ihres Orchesters. In der
LuUyschen Zeit klingt die wogende See in den Instrumentalsätzen
gerade so wie ein Schäferchor, wenn aber jetzt 'der Wald braust,
wenn's schauert, wenn Dämonen nahen, da hört man neue Klänge,
den Naturelementen abgelauscht. Als Marais im Jahre 1706 in der
»Alcyone« einen Seesturm fand, da reiste er eigens ans Meer zu
Naturstudien, und der »Tempeste«, zu dem er sich am Strande die
Inspiration und die Noten geholt hatte, rettete die ganze Oper.
Seitdem wurden wenige französische Musiktragödien aufgeführt, in
der die französischen Dichter nicht einen Seesturm anbringen mußten.
Eine der großartigsten Tempestes kommt in Campras »Idomenee«
vor. Auch Mozarts »Idomeneo«, obwohl er eine italienische Oper
ist, hat doch den Seesturm des französischen Vorbildes wohl be-
achtet; auch die »Jahreszeiten« Haydns, auch Beethovens Pastoral-
sinfonie haben Sturm und Gewitter aus der französischen Oper.
Aber nicht bloß, wo sie selbständig sein kann, auch da, wo sie sich
dem Gesang unterzuordnen hat, wird mit Destouches die Instrumen-
talmusik der französischen Oper dramatisch wertvoller. Der Ge-
danke, den Instrumenten die Zunge zu lösen, sie zwischen die Zeilen
des Gesangtextes sprechen zu lassen, war allen Musikern des aus-
gehenden 17. Jahrhunderts gekommen. Er trieb Schütz zu seinen
geistlichen Konzerten, er führte Scarlatti zu der obligaten Begleitung
der Arien, er half das Recitativo accompagnato weiter bilden. Die Fran-
1 Neugedruckt sind von Destouches: Omphale und Iseee, von La=
lande et Destouches: Les elements.
126
Französische Oper
zosen verwirklichen ihn in mannigfacher Weise. Im Rezitativ fällt ihr
Orchester in den Cembaloton ein und verweist im Heroldsdienst auf
kommende Personen und Dinge, so wie es Haydn in der »Schöpfung«
noch tut. In seiner »Arethuse« charakterisiert Campra die Höllen-
szenen mit dem Orchestermotiv : =£^— »^— j^ J. ^^
die freundlichen Gefilde mit:
^^^
Destouches läßt in der >Matthesie« die Amazonen in den Instru-
menten immer mit dem Reitmotiv
^
begleiten,
in derselben Oper entnimmt er einem Empörungschor die Inter-
valle des verminderten Dreiklanges und gibt sie in der nächsten
Szene den Orchesterbässen, um die Empörung der Natur elementar
zu malen. Das System der Weberschen Wolfsschlucht ist schon in
dem Orchester der Nach-Lullyschen Zeit da, es sind ganz moderne
Verhältnisse in der Verwendung der Instrumente da. Namentlich
bei Destouches. Er hat Sologesänge eingeführt, die im wesentlichen
Orchesterstücke waren, instrumentale Idyllen und Schauerbilder, zu
denen die darübergelegte Singstimme die Erklärung gibt. Es ist
im Grunde dieselbe Methode, die in unserer Zeit durch Wagner zu
neuer, glänzender Verwendung gekommen ist. Destouches ist also
für die Geschichte der Oper im allgemeinen sehr wichtig, am wich-
tigsten allerdings für die französische dramatische Musik. In der
Tragedie lyrique steht Rameau auf dem System des Destouches,
noch stärker arbeitet die komische Oper der Franzosen in den be-
rühmten Erzählungen und Schilderungen, die von Duni bis Boieldieu
immer wiederkehren, mit den Mitteln und Ideen des Destouches.
Und doch sind bis heute die Verdienste dieses Komponisten selbst
bei den Franzosen verschwiegen worden. Warum? Weil Grimm
im Jahre 1752 (drei Jahre nach dem Tode des Destouches) seine
»Omphale« in einer witzigen und brillant geschriebenen Kritik ver-
nichtet hat. Diese »Omphale« war als Ausstattungsstück so be-
rühmt, daß sie auch nach Deutschland kam. Schott glaubte im
Jahre 1727 mit ihr noch einmal die Hamburger Oper retten zu
können. Musikalisch gehört sie jedoch zu den schwächeren Arbeiten
des Destouches. Trotzdem lebt in der neueren Literatur über die
französische Oper in der Zeit nach Lully unser Destouches nur als
»Omphale «-Komponist. So tief ist der Unfug eingewurzelt, die
Geschichte statt nach Noten nach Literaturmärchen darzustellen.
Die Lullysche Schule
127
Der andere Teil der Stilneuerung, die Reform des Gesanges in der
französischen Oper, hat zum Hauptträger Andre Campra; zur Voraus-
setzung den Einfluß italienischer Musik. Schon bei Cambert war
diese mit der Übergabe der Royale Academie an Lully von der
Oberfläche verschwunden, aufgehört hatte ihre Einwirkung nicht,
nach LuUys Tod wird sie wieder äußerlich deutlicher. Die »Festes
Venitiennes« und die Menge ihnen ähnlicher Balletts spielen nicht
bloß mit Vorliebe in Italien, sie enthalten auch echte und nach-
gebildete italienische Arien, die ersteren sogar mit italienischem Text.
Auch in den Musiktragödien zeigen Campra, Destouches, Salomon
den wohltätigen Einfluß der italienischen Schule. Das sind ganz
andere Rezitative als die Lullyschen; wenn es jetzt Schreck, Ent-
setzen auszudrücken gibt, da ist nicht bloß im allgemeinen der Ton
richtig getroffen, sondern die Töne leben alle, jeder ein sprechender
Zug im Bilde. Die Form der Sologesänge — jetzt läßt sie sich
auf Studien Cavallis und die Venezianer wirklich zurückführen, am
deutlichsten in dem schroffen Wechsel von AUegro und Lento.
Sogar die italinische Volksmusik wird benutzt. Campra ist der erste,
der Sizilianos in die französische Oper bringt. Im >Idomenee« ist
eins mit einem Thema, das wörtlich in Händeis »Acis« wiederkehrt:
;^^^^^^
Dicht daneben steht fran-
zösisches Ballettgut bei ihm, reizendste Stücke, besonders in seiner
»Aröthuse«, z. B. eine »Air des Bergers« im Musettenton:
die mit einer »Air des Najades«
F^fc
i
^^
:'=^
_^_^_^_^-._H:
alterniert.
Aber auch außerhalb der Oper stärkt sich die französische Musik
an italienischen Stücken für die Gesangskomposition. Fran9oisLalouette
schreibt schon im Jahre 1689 während eines römischen Aufenthaltes
italienische Kantaten. Ihm folgen von 1707 ab italienische Kantaten
J28 Französische Oper
von Nicolas Bernier, Jean Baptiste Morin, später Henry Dumont mit
150 Psalmen im italienischen Stile (1721 im Haag veröffentlicht). Den
wichtigsten Beitrag zu dieser Kantatenarheit bildet Bacheliers »Recueil
de cantates« vom Jahre 1728. Da wird in der Vorrede auch der ganze
Sologesang der französischen Oper kritisiert. Nur die kleinen »Airs
detachees« heißt's da, waren bisher beliebt. Das Parterre verlangte
sie, weil es sie allein verstand und nichts duldete, als was es selbst
mit- und nachsingen konnte. Über diese Stufe suchte man sich durch
italienische Hilfe mit edelstem Eifer hinaufzuschwingeri. Italienische
Musik war die allgemeine Parole. Als Philidor der Ältere im Jahre
1725 seine Concerts spirituels eröffnete, hatte das Programm Corellische
Konzerte und italienische Musik an der Spitze. Seit 1708 war eine
italienische Truppe in Paris und parodierte die neuen französischen
Opern; unter dem Eegenten, Herzog Philipp von Orleans, der selbst
Opernkomponist und ihr sehr geneigt war, trat sie immer mehr in
den Vordergrund, namentlich als sie in ihren Intermezzis franzö-
sische Konzessionen machte, Tänze, gelegentlich auch einmal ein
Feuerwerk einlegte. Die Literaten machten die Bewegung gefährlich.
Mit der Übertreibung, in die Dilettanten im ästhetischen Streit so
gerne verfallen, begnügten sie sich nicht, die italienische Musik als
Muster hinzustellen, da, wo es angebracht war, sondern sie verwarfen
die französische Musik gleich ganz und gar. Das ist der Grundton
einer Broschüre des Abbe Fran9ois Raguenet, die im Jahre 1702
mit dem Titel »Parallele des Italiens et des Fran^ois en ce qui regarde
la musique et les operas«, d. i. »Vergleich der französischen und
italienischen Musik, insbesondere der Oper«, erschien. Im Jahre 1704
antwortet Lecerf de Vieville mit einer »Comparaison de la musique
italienne et de la musique fran9aise«, die die nationale Musik der
Franzosen verteidigt und Lully als das Ideal hinstellt. Sie war der
Ausgangspunkt eines langen Kampfes zwischen einer italienischen und
einer französischen Musikpartei in Paris, der sich bis zum Auftreten
Glucks hinzieht, und in dem Jean-Jacques Rousseau einer der ärgsten
Schreier gewesen ist. Die französische Partei wäre unterlegen und
die Geschichte der französischen Oper jedenfalls unterbrochen worden,
wenn ihr nicht praktische, positive Hilfe durch einen nationalen Kom-
ponisten ersten Ranges geleistet worden wäre. Jean Philipp Rameau^
war es, der die Existenz und Selbständigkeit der französischen Oper
auf LuUys Grundlagen noch einmal feststellte. Schon ein Menschen-
alter früher hatte Saint-Evremond in seinen > Reflexions sur l'opera«
die neue französische Musikträgödie einfach als eine Dummheit be-
1 Louis Laloy: »Rameau« (Paris 1908) ; L. delaLaurencie: »Rameau«
(Paris 1908). Neugedruckt sind in den Chefs-d'oeuvre: Castor et PoUux,
Hippolyte et Aricie, Zoroastre, Dardanus, Les Indes galantes, Les festes
d'Hebe, Piatee.
Jean Philipp Rameau 129
zeichnet: »une sotisse changee de musique, de danses et de musique«
lauten seine Worte. Im Anschluß hieran verwirft Raguenet die
französische Oper vollständig, geht aber über Saint Evremond hinaus,
dadurch, daß er die italienische Oper, nämlich die kleinen Musik-
possen, die von den Italienern nach Paris gebracht waren, als das
Richtige und Wahre bezeichnet. Da war nun Widerspruch unver-
meidlich.
Unter allen Opernkomponisten der älteren Zeit ist Rameau der-
jenige, der für die allgemeine Musikgeschichte die größte Bedeutung
hat. Er ist der Vater der heutigen Harmonielehre. Auch die, die
seinen Namen nicht kennen, genießen die Früchte seiner theoretischen
Arbeit, eine wesentliche Vereinfachung des Akkordsystems. Erst seit
Rameau gelten ceg und eg c für Varianten desselben Dreiklanges,
erst durch ihn hat die Schule gelernt, Stammakkorde und ihre Um-
kehrungen als zusammengehörig zu betrachten und zu behandeln. Als
Komponist ist Rameau zuerst wieder mit seiner Klaviermusik der
Gegenwart zugeführt worden, Farrenc nahm in seinen »Tresor des
pianistes« die ersten beiden Bücher der »Piöces de Clavecin« auf,
und ihm sind deutsche und italienische Herausgeber gefolgt. Delsarte
hat dann in seinen »Archives du Chant« eine Reihe Arien und Ensem-
bles aus Opern Rameaus gebracht; in neuerer Zeit sind Orchester-
sätze aus Rameauschen Ballettszenen in Paris und Leipzig neugedruckt
worden, und endlich ist seit wenigen Jahren diesen kleinen Versuchen
eine französische Gesamtausgabe der Werke Rameaus unter Leitung
von Saint-Saens gefolgt.
Rameau ist ein Zeitgenosse unseres Händel und Bach (geb. 1683),
und zwar ein ebenbürtiger, am größten als Opernkomponist.
Rameau war ein Fünfziger, als er im Jahre 1733 mit seiner ersten
Oper: >Hippolyte e t Ar icie«, hervortrat. Seine dramatische Karriere
hatte aber eine lange Vorgeschichte; sie begann um 1721 mit seiner
Übersiedelung nach Paris. Da schrieb er fleißig für die Jahrmarkts-
theater, die sich das Jahr über etliche Wochen in St. Germain und
St. Laurent auftaten und unter dem Monopol der Academie um ihr
Leben zu kämpfen hatten. Geeignete Stücke aus diesen Possen und
Divertissements sind in seine Klavierstücke von 1731 (»Nouvelle suite
de piöces de clavecin«) übergegangen, sein Geschick für die dramati-
sche Komposition machten sie nur in sehr engem Kreise kund. Nie-
mand wollte Rameau ein Opernbuch anvertrauen, auch La Motte wies
ihn ab. Erst die Vermittelung eines Gönners, des reichen Bankiers
de la Popeliniöre, bewog den Abbö Pellegrin im Jahre 1731, sich
mit Rameau in Verbindung zu setzen. Aber auch Pellegrin über-
ließ seinen »Hippolyte« nur gegen eine Kaution von 500 Franken,
war aber anständig genug, sie nach der ersten Probe der Oper dem
Komponisten zurückzugeben. Doch stand da der Dichter mit seiner
guten Meinung zunächst auf der Seite einer Minderheit, unter den
Musikern von Fach war es nur Campra, der den Wert des Kompo-
Kl. Handb. der Musikgescli. VI. 9
130 Französische Oper
nisten gleich erkannte. Aus diesem einen »Hippolyte« ließen sich
zehn Opern machen, sagte er den Fragern, und dieser Rameau würde
alle andern verdrängen. Der ganze Anhang Lullys war zunächst
gegen Rameau, es regnete Pasquille, eines von J. J. Rousseau nennt
ihn einen »Akkorddestillateur«. Erst allmählich gewöhnten sich
Sänger, Spieler und Publikum an Rameaus Stil. Bemerkenswert wird
die Änderung erst von 1752 ab, als die italienische Buffotruppe in
Paris eintraf und nun den Kampf um Italienisch und Französisch
wieder entfachte. Da trieb der Patriotismus die Lullysten auf die
Seite Rameaus, und nun war er der Abgott aller national gesinnten
Opernfreunde für die nächsten 25 Jahre. In den Jahren 1748 und
1749 gab die Academie hintereinander fünf Arbeiten Rameaus: >Zais«,
»Les fötes de l'Hymen et de l'Amour«, »Pygmalion«, »Piatee«, »Nais«.
Das war noch keinem französischen Komponisten passiert. Bis zum
Jahre 1760, wo er, vier Jahre vor seinem Tode, sich zurückzog,
gab er der Academie royale 22 große Werke. Auch unter ihnen ist
eine Reihe von Opera-ballets und Comedie-ballets, und in einzelnen
von ihnen, wie in »Les fetes de l'Hymen et de l'Amour«, hat sich
sein Talent am reichsten entfaltet, sie haben die Pariser zuweilen
am stärksten angezogen. »Piatee« z. B., ein musikalisches Lust-
spiel mit einer sehr originellen Ouvertüre, wurde in zehn Tagen
siebenmal aufgeführt. Aber der Schwerpunkt von Rameaus drama-
tischen Arbeiten liegt in seinen Tragödien. Sie retteten die Gattung.
Die bedeutendsten unter ihnen sind »Castor et Pollux«, »Dar-
danus« und »Zoroastre«.
Wie auch Rameau dichterisch weit ungünstiger als Lully gestellt
war, das sieht man an einem Beispiel, an »Castor und Pollux«, das
die Franzosen zur Zeit, wo es neu war, für die vollkommenste
Operndichtung erklärten. Und doch hat Cahuzac, der Librettist,
nicht den Mut gehabt, seine Handlung aus dem Motiv der Freund-
schaft zu entwickeln, er schaltet eine Querliebe des Pollux zu Telaire,
der Braut des Gastor, ein, die dem Charakter des Pollux alles Er-
freuliche nimmt.
Musikalisch -architektonisch ruhen Rameaus Werke auf der An-
lage, die Lully der französischen Oper gegeben hatte, soweit es die
prinzipielle Berücksichtigung der Ballettraditionen betrifft. Aber Ra-
meau ist mit Aufzügen und Massenszenen, mit den kleinen Airs de-
taches und Couplets sparsamer und geschmackvoller, zieht sie enger
an das Drama heran, und vor allem ist er im inneren Stile seiner
Musik ein ganz anderer als Lully, er zeigt, was ein Meister, eine
wirkliche musikalische Größe aus jenem Schema machen kann. Ra-
meau hat nur in früher Jugend eine kurze Zeit sich in Mailand auf-
gehalten und italienische Musik nur wenig gekannt. Deshalb tritt
der italienische Einfluß, der bei Campra und seiner Umgebung sich
stark zeigt, nur in geringen Spuren hervor. Koloraturen und Figuren-
elemente sind es, die seine Chöre, weniger die Sologesänge, melo-
Jean Philipp Rameau 131
disch geschmeidig machen. Seine Rezitative kennen das italienische
Verfahren des ruhenden Basses nicht, seine geschlossenen Gesänge
nicht das System der Variation. Er bildet aus eigener Kraft einen
ganz neuen Stil französischer Musik aus; die gewohnten äußeren For-
men behält er. Der erste beste Tanz, eine Gavotte, ein Menuett ist
bei Rameau etwas vollständig anderes, höheres als bei LuUj. Keine
Spur mehr von der steifen Gleichmäßigkeit, dafür ein lebendiger,
reicher, überraschender Rhythmus, eine meisterliche, wundervolle Har-
monie, die auch das Gewöhnliche mit Dissonanzen hebt, für alle Auf-
gaben des Ausdruckes eigene Wendungen bereit hat — eine Instru-
mentierung, die in der Freiheit des Farbenwechsels und des Solospiels
ihrer Zeit vorauseilt. Alles erscheint neu bei Rameau — auch der
Aufbau der Sologesänge. Da weiß er mit schönen Orchestermotiven
zu teilen und dazwischen zu spielen, wie es noch keiner gekonnt
hat, Gedanken, die ihn fesseln, nutzt er aus durch Umstellungen,
Nachahmungen, mit allen Künsten des Kontrapunktes, die er spielend
beherrscht, wie das außer Scarlatti in der Oper noch kein zweiter
getan hat. Kaum gibt es leere, inhaltslose Stellen bei Rameau; wo
die Erfindung schwächer ist, da reizt seine Kunst. Ihre volle Stärke
entfalten beide Teile seiner Meisterschaft in den großen Szenen, wo
die Hauptpersonen mit einem Chor zusammenwirken. Die Leichen-
feier im ersten Akt von »Castor und PoUux«, die Ankunft der Dä-
monen im dritten Akte dieser Oper, die Nilanbetung im dritten Akte
von »Les fetes de l'Hymen«, das sind Szenen, die zum Gewaltigsten
gehören, was die dramatische Musik besitzt. An dieses Stück hat
Gluck in seiner »Alceste« angeknüpft, da, wo das Volk, den Ober-
priester an der Spitze, für die Rettung des Admet betet, dort Händel
für die Totenfeier Sauls und Samsons. Und keiner seiner Nachfolger
hat das Rameausche Muster in der Kraft und Steigerung des Auf-
baues, der unendlich einfach beginnt, und nicht im Reichtum und
in der Mannigfaltigkeit der zusammentrefi'enden Gefühle erreicht.
Diese Beispiele gehören ins Gebiet der ernsten, dramatisch großen
Situationen. Für sie war seine angeborene Begabung am stärksten
und eigentümlichsten: mit den einfachsten Noten stellt er eine er-
habene Stimmung fest, mit immer wachsender Kraft malt er eine
tiefe Erregung. Dem Ausdruck der Freude bleibt er die höchsten
Grade schuldig, der Jubel eines liebenden Herzens, der Dank eines
Geretteten klingen bescheiden und zurückhaltend wie bei allen fran-
zösischen Komponisten seiner Zeit, der große und freie Ton fehlt
noch. Doch sind »Acanthe et Cephise«, > Pygmalion« und die Mehr-
zahl seiner ballettartigen Opern voll der reizendsten Erfindung und
der sinnreichsten Arbeit, Quellen feinsten Genusses. Von dieser Seite
her hat Rameau zuerst seine Zeit gewonnen, und von ihr aus ver-
tritt er sie für die Gegenwart als Muster frgfnzösischen Wesens und
französischer Bildung.
Hiermit mußten Rameaus Opern auch das Ausland interessieren
9*
132
Französische Oper
Doch finden wir nur spärliche Aufführungen: >Zoroastre« in Dresden
1751, einen andauernden Rameaukultus nur in Parma. Aber die
großen Musiker der italienischen Schule lassen das Studium Rameaus
erkennen, durch ihn kommen sie von der Monotonie des bloßen Solo-
gesanges ab, am deutlichsten Jommelli und Traetta. Seit Rameau
tritt eine Reform in Sicht.
^'
Das erste Jahrhundert der deutschen Oper'
Eine wissenschaftlich vollbefriedigende, eischöpfende und in allen
Einzelheiten unanfechtbare Darstellung der ältesten Geschichte der
deutschen Oper ist zurzeit noch nicht möglich; trotzdem erscheint
eine Übersicht, die das Feststehende zusammenfaßt, nicht unnütz.
1 J. Mattheson: >Der vollkommene Kapellmeister usw.«, 1739; der-
selbe: »Grundlagen einer Ehrenpforte«, 1740. F. W. Marpurg: ^^Historisch-
kritische Beiträge«, 1754- 62. O.C.Gottsched:*Nöthiger Vorrat«, 1757-65.
L. Schneider: »Geschichte der Oper u des Königl. Opernhauses in Berlm<,
1852. J. F. Schütze: > Hamburgische Theatergeschichte *, Hamburg 1794.
E. Otto Lindner: »Die erste stehende deutsche Oper«, 1855. E. Pasque:
»Geschichte der Musik am Hofe zu Darmstadt 1559—1710«, 1856 (im
»Museum«). M. Fürstenau: »Geschichte der Musik und des Theaters am
Hofe zu Dresden«, 1861. Fr. Chrysander: »Geschichte der Braunschweig-
Wolfenbüttelschen Capelle und Oper«, 1863 (Jahrbuch für Musikwissen-
schaft I). F. Rudhardt: »Geschichte der Oper am Hofe zu München«, 1865.
L. Köchel: »Die kaiserliche Hofmusikkapelle zu Wien von 1543-1867«,
1868. Mentzel: »Geschichte der Oper in Frankfurt«, 1881. E.O.Teubner:
»Geschichte des Theaters in Prag«, 1883. J. 0. Opel: »Die ersten Jahr-
zehnte der Oper in Leipzig«, 1884 (Neues Archiv für Sächsische Ge-
schichte und Altertumskunde V). H. Weber: »Die Geschichte der Oper
in Deutschland«, Zürich 1890. J. Sittard: »Geschichte der Musik und des
Theaters am Württemberger Hofe«, Stuttgart 1890/91. Fr. Zelle: »Bei-
träge zur Geschichte der ältesten deutschen Oper«, Berlin 1889, 1891 und
1893, Programm des Humboldt-Gymnasiums. W.Kleefeld: »Das Orchester
der Hamburger Oper 1678-1738«, 1900 (Sammelbände der Internationalen
Musikgesellschaft I, 219ff.). Georg Fischer: »Musik in Hannover«, Han-
nover 1903. W. Kleefeld: »Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darm-
stadt und die Deutsche Oper«, Berlin 1904. R. Krauß: »Das Stuttgarter
Hoftheater von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart«, Stuttgart 1908.
L. Schiedermair: »Bayreuther Festspiele im Zeitalter des Absolutismus«,
Leipzig 1908; derselbe: *Die Anfänge der Münchener Oper« (Sbd. d. IMG Y,
134 I^3^s erste Jahrhundert der deutschen Oper
Außer den untengenannten Arbeiten ^ sind hierfür auch kleinere Theater-
chroniken und Zeitungsaufsätze berücksichtigt worden, die an Ort
und Stelle angeführt werden sollen.
Deutschland ist den Franzosen mit dem ersten Anlauf zu einer
nationalen Oper fast um fünf Jahrzehnte vorausgekommen, aber es
hat das Ziel erst sehr spät erreicht. Vor dem 19. Jahrhundert gibt
es keine allgemein anerkannte deutsche Oper, man kann für das
17. und 18. Jahrhundert nur eine Geschichte der Oper in Deutsch-
land aufstellen, und diese Geschichte ist im großen ganzen nichts
als ein Anhang zur Geschichte der italienischen Oper.
Wohl aber hat es an Versuchen, dem italienischen Musikdrama
ein selbständiges deutsches gegenüberzustellen und die für die ganze
deutsche Musik beschämende und mit tiefgehenden Schäden ver-
knüpfte Fremdherrschaft zu brechen, nicht gefehlt. Die Geschichte
dieser Versuche im Zusammenhange zu geben, ist eine Aufgabe, der
sich bis heute noch niemand unterzogen hat, obgleich sie es wert
ist. Wenn nichts anderes, stellt sie einen reichen Ertrag an Kultur-
bildern in Aussicht. Nur die Hamburger Oper, die mit ihren deut-
schen Bestrebungen am meisten hervortritt, ist eingehender behandelt
worden von E. 0. Lindner. Doch ist Hamburg nur eine Etappe.
Überall im Norden und Süden wie in der Mitte des Deutschen
Reiches war es dem naiven Sinne das Nächstliegende und Natür-
liche, die neue Erfindung der Italiener mit dem heimischen Theater
in Verbindung zu bringen: biblische Geschichten in erster Linie,
patriotische Ereignisse und Charaktere, zu denen man unwillkürlich
griff; die Welt der Griechen und Römer lag augenscheinlich den
Deutschen noch viel ferner als den Venezianern, die sie nach ihrem
'Geschmack ummodelten. Ganz unbefangen knüpfte man an Myste-
rium und Schulkomödie, an Ritterspiel und Wirtschaften an, die
Vorgeschritteneren mengten gelegentlich Religion und Opernschäferei
nach römischem Vorgang zusammen und stellten Christus in den
Olymp hinein. War die Unbrauchbarkeit der gewohnten Poesie er-
wiesen, half man sich mit Übersetzungen ausländischer Originale.
Dabei wird zwischen italienischem Musikdrama und französischem
Ballett in der Regel geschwankt. Das Ende des Verlaufes bildet
die unbedingte Herrschaft der italienischen Oper. Von den Haupt-
plätzen der Oper in Deutschland hat allein München die ersten beiden
Stufen der Einführung übersprungen, es beginnt sofort italienisch.
442 ff.); derselbe: »Zur Geschichte der frühdeutschen Oper« (Jahrbuch Peters
1910). Curt Sachs: »Musik und Oper am Kurbrandenburgischen Hofe«,
Berlin 1910. E. Reifschläger: >Schubaur, Danzi und Poissl als Opern-
komponisten«, Berlin 1911. Joseph G. Daninger: >Sage und Märchen
im Musikdraraa«. Eine ästhetische Untersuchung an der Sagen- und
Märchenoper des 19. Jahrhunderts; Prag 1916.
1 Der wesentliche Teil dieses Kapitels ist bereits in Sammelbände d.
IMG m, S. 370 ff, veröffentlicht worden.
Die deutsche Oper in der älteren Zeit 135
In Wien zeigen sich die deutschen Spuren darin, daß in die italieni-
schen Opern deutsche Arien und Lieder eingelegt werden. Etliche
dieser Einlagen, Arbeiten des Kaisers Leopold, sind in den Kaiser-
werken Adlers mitgeteilt. Auch der kursächsische Hof fängt mit
einer deutschen Oper wenigstens an. Nachhaltiger treten für das
deutsche Element die kleineren Residenzen und die bürgerlichen
Kreise ein. Die Städte, in denen große Messen gehalten werden,
gehen voran: Nürnberg, Braunschweig, Leipzig, Naumburg; am
meisten tut sich das reiche Hamburg hervor. Die kleineren Höfe,
die eine deutsche Oper pflegen, gehören in der Mehrzahl zu den
sächsischen Nebenlinien: Magdeburg als Sitz des Administrators Her-
zogs August eröffnet 1658 die Reihe, Philipp Stolle ist hier der
Hauptkomponist. Dann folgt 1671 Altenburg mit Großer, Stolz el
und dem Schuldirektor Wenzel, der seine Opern auch selbst dichtet.
Von Altenburg führt der Weg nach Eisenberg und nach Meiningen, wo
von 1692 bis 1704 Römhild wirkt. Von weiteren Residenzen greifen
noch Bayreuth seit 1662 und Onolzbach (Ansbach) seit 1678 mit in
die Pflege einer deutschen Oper ein. Mit dem Anfange des 18. Jahr-
hunderts wird die deutsche Arbeit an allen diesen Stellen eingestellt.
Aber der Glaube an ein nationales Musikdrama scheint nie ganz er-
loschen zu sein. Als Hamburg und der Norden verloren ist, tauchen
seine Hauptvertreter Cusser und K eis er in Süddeutschland auf.
In Nürnberg wird angeklopft, in Stuttgart kommt es zu einem ge-
legentlichen Versuch, in Durlach zu einer letzten längeren Probe
unter Schweitzelsperger. Mit diesen Durlacher Arbeiten, die um
1720 fallen, hängt es wohl zusammen, daß nach fast fünfzigjährigem
Schlummer die deutsche Oper zuerst wieder auf badischem Boden
auflebt, in Mannheim unter Schweitzer und Holzbauer.
Das sind die Grundlinien, auf denen sich die Geschichte der deut-
schen Oper in der älteren Zeit bewegt hat. Will man das Bild ihrer
Entwicklung genauer ausführen, so muß von vornherein auf Voll-
ständigkeit des musikalischen Teiles verzichtet werden. Denn der
größere Teil der Partituren ist verloren gegangen; reicheres Noten-
material besitzen wir nur von der Hamburger Oper, insbesondere voll-
ständige Partituren Keisers, Telemanns und Matthesons, von ihren
Nebenmännern Ariensammlungen. In Druck gekommen sind in der
Entstehungszeit Bruchstücke von Keisers Opern, von denen des
Nürnbergers Löhner, des Weißenfelser Johann Philipp Krieger.
In Neudruck liegen vor Keisers »Crösus«, Sätze aus »l'inganno felice«i,
der größte Teil seines > Jodelet«, und K eis ersehe Arien (heraus-
gegeben von E. 0. Lindner); Kriegersche hat Eitner herausgegeben.
Besser steht es mit den Textbüchern; die Hamburger sind ziem-
lich vollständig in der Weimarschen, die Braunschweiger in der
Wolfenbüttler Bibliothek erhalten. Aus diesen Quellen haben Lind-
1 Denkmäler d. Tonkunst. Erste Folge Bd. 37 und 38,
136 Das erste Jahrhundert der deutschen Oper
ner und Ghrysander ihre Darstellungen geschöpft. Über den Ver-
bleib der sächsischen und süddeutschen Textbücher fehlen noch ab-
schließende Untersuchungen. Dann und wann taucht ein zu dieser
Gruppe gehöriges Stück wieder auf und macht uns mit verschollenen
Talenten bekannt: die österreichischen Kaiserwerke z. B. stellen uns
in Rudolf Alb recht, Sittards Mitteilungen über Stuttgart ^ in
Michel Schuster (Tübinger Student) stattliche Dichter vor.
Auch über den geschäftlichen Teil des alten deutschen Opern-
betriebes, über wichtige Personen, die beteiligt waren, sind noch
reichere Nachrichten zu erwarten, wenn alle in Betracht kommenden
Archive darauf untersucht werden.
Die erste deutsche Opernaufführung, von der wir überhaupt
wissen, fand am 9. Oktober 1627 zu Torgau statt als Festvorstellung
zur Vermählung der sächsischen Prinzessin Luise mit dem gelehrten
und musikalischen Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt. Sie
heißt >Dafne«, war gedichtet von Martin Opitz, komponiert von
Heinrich Schütz. Die beiden berühmtesten Männer ihres Faches,
das Haupt der Schlesischen Dichterschule und der vielseitigste, be-
deutendste Komponist Deutschlands hatten sich zur Einführung des
Musikdramas vereinigt. Nur die Arbeit Opitzens besitzen wir noch.
Sie liegt außer in den älteren Ausgaben seiner Werke auch in einem
Neudruck vor, den Otto Taubert im Jahre 1879 unter dem Titel
»Dafne, das erste deutsche Operntextbuch« veröffentlicht und glos-
siert hat. Im wesentlichen hat Opitz nur die >Dafne« des Rinuc-
cini übersetzt. Eingefügt hat er die Figur des Cupido, die Er-
zählung statt der Botin einer Reihe von Hirten gegeben, einzelne
Chöre auch durch Soli ersetzt, andere in ihrer dramatischen Kürze
abgeschwächt. Während beim Rinuccini das Volk unmittelbar um
Befreiung vom Drachen bittet, schickt es mit schlesischer Umständ-
lichkeit bei Opitz erst eine längere Anrede an Apollo voraus, in der
alle Ämter, die der Gott bekleidet, alle Verdienste, die er sich er-
worben hat, aufgezählt werden. Der Anlage der Dichtung nach muß
Schützens Musik der des Peri und Gagliano ähnlich gewesen sein:
Choroper. Die Komposition ist spurlos verloren gegangen. Dra-
matischen Geist muß sie besessen haben, denn davon hat Schütz in
seinen Historien genügende Beweise gegeben, die schönsten in der
Szene von der Vision des Saul und in der Klage Davids um den
Tod Absalons. Die Form aber dürfen wir uns etwas schwerfällig
denken, denn obwohl Schütz mit Prätorius der erste war, der in
Deutschland die Monodie vertrat, blieb er dabei doch immer etwas
in den Banden des Chorsatzes.
Die Königliche Bibliothek in Dresden besitzt ein »Ballett von
Zusammenkunft und AVirkung der sieben Planeten«, das Schütz zu-
geschrieben wird. Es ist zwar erst im Jahre 1678 aufgeführt worden.
1 Jos, Sittard: »Geschichte der Oper am Hofe ?u Stuttgart«, 1890/91.
Heinrich Schützens »Dafne« 137
aber es zeigt in einzelnen Bemerkungen, die die Besetzung bestim-
men, z. B. die der Frauenpartien mit Kapellknaben, nach der Mei-
nung genauer Kenner, wie Moritz Fürstenau, Schützens Handschrift.
Auch die natürliche breite Melodik des Prologs sieht ihm sehr ähn-
lich. In der Hauptsache ist dieses Ballett Instrumentalkomposition ;
in jedem seiner sieben Akte sind Charaktertänze eingelegt, während
deren sich Nebenfiguren, ein Arzt und ein Spitzbube, ein Kavalier
und eine Kupplerin pantomimisch unterhalten.
Das Stück ist ein Beleg für die französischen Neigungen in den
deutschen Residenzen des 17. Jahrhunderts. Obwohl Dresden schon
seit 1662 sich für die Italiener erklärt, italienische Sänger und Kom-
ponisten in Dienst hatte, werden immer wieder Balletts eingeschoben.
Aber auch deutsche Opern kommen noch vor; allerdings wieder nur
Übersetzungen italienischer Originale. So wird bis 1679 noch mehr-
mals die »Dafne« aufgeführt, jetzt aber nicht mehr mit Schützens
Musik, sondern von Bontempi komponiert, in einem Stil, der zwi-
schen Monteverdi und Cavalli die Mitte hielt. Der Textdichter, der
nach einem venezianischen Original, vielleicht Aureli, gearbeitet haben
muß, hat die Zahl der Personen auf fünfundzwanzig gebracht. Der
halbe Olymp ist herbeigezogen, Volksfiguren sind reichlich drein-
gemischt: ein Sackpfeifer, des Sackpfeifers Liebste, zwei tolle Bauern,
eine Bäuerin, ein Jäger, der die Dafne liebt, also mit Apollo kon-
kurriert. Der erste Akt beginnt mit einer Götterszene, erst in der
zweiten erscheinen die Hirten. In der dritten tritt der Jäger auf
und singt Lieder, in der vierten kommen die Bauern, der eine
Urban, mit einer Mistgabel, Brose mit einem Dreschflegel, Gretha
die Bäuerin mit einer Stange, sie wollen den Drachen totschlagen.
Ehe in der sechsten Szene Apollo den Kampf durchführt, ist noch
der Sackpfeifer mit Liedern eingeschoben. So schlingen sich durch
alle die dramatisch notwendigen Szenen ganz nach venezianischem
Muster vergnügliche Possen. Deutsch sind die Unflätigkeit in der
Unterhaltung des Bauers mit seiner Tochter, deutsch einige Anklänge
ans Kirchenlied. Ovid, der den Prolog vorträgt, steht neben der
Gruft, der er eben entstiegen und singt: »Ich bin jetzt Staub und
Asche«. Die Musik dieser > Dafne« interessiert durch ihren Reich-
tum an Liedern und dadurch, daß sie nur für das untere Volk Lied-
weisen anschlägt, für den Sackpfeifer sind es lustige, temperament-
volle Tanzmelodien.
Gleichzeitig mit der Torgauer * Dafne« wird in Prag im Jahre
1627 eine »Pastoralkomödie« aufgeführt. Nähere Angaben über die
Nationalität dieses ersten Musikdramas und den weiteren Fortgang
fehlen. 1680 herrscht in Prag die italienische Oper.
Wien beginnt 1631 mit Opemaufführungen und sofort mit italieni-
schen Kräften. Bald, kaum hat die venezianische Oper sich bemerk-
lich gemacht, sichert sich der kaiserliche Hof die ersten Meister aus
dieser Schule: Cftva-lli^ Cesti, den älteren Zi an i. Daß man aber
138 Das erste Jahrhundert der deutschen Oper
auch hier auf eine deutsche Oper hoffte, ergibt sich aus der Tat-
sache, daß die deutschen Übersetzungen, die man bei den Auffüh-
rungen verteilte, das Metrum der italienischen Originale beibehielten.
Freilich sind sie oft genug sinnlos. In Draghis »Monarchia la-
tina trionfante« z. B. ist die Arie:
Campagna fertili wiedergegeben mit: Der Felder Trächtigkeit
Fiamme distruganno Zehre der Flammen Brand
A terra cadano Schönheit und Pracht deß Land
Pompe e Belta Ward nicht errett!
Nicht einmal den Titeln und Gattungsbezeichnungen waren die
Hofpoeten gewachsen. Festa musicale oder dramma in musica finden
wir überall mit > gesungener vorofestellt« verdeutscht; ein Dresdner
Dichter überträgt 1667 beim *Teseo^ des Moniglia die Bezeich-
nung Festa teatrale mit »Theatrumsfroh«.
Bei solchen Erfahrungen mußten die Versuche mit deutschen
Übersetzungen eingestellt, die Gedanken an eine nationale Oper auf-
gegeben werden. In Wien fällt diese Wendung gegen das Jahr 1650.
Einen besseren Verlauf nahm es eine Zeitlang im Norden Deutsch-
lands. Hier traten Braunschweig, Weißenfels, Hannover, Hamburg,
Leipzig der Reihe nach für eine deutsche Oper ein, standen teilweise
miteinander in Fühlung und Verbindung und setzten das Werk fort,
das Heinrich Schütz in Torgau begonnen hatte. Mittelbar und un-
mittelbar zeigt sich seine Mitarbeit in Rat und Förderung. In Braun-
schweig-Wolfenbüttel war Schütz Kapellmeister »von Haus aus«,
Weißenfels war seine zweite Heimat, Hamburg war ihm durch Schüler
lieb und vertraut geworden.
1639 beginnen die Braunschweiger Aufführungen in der Form
von Festvorstellungen am Hofe und kommen allmählich so gut in
Gang, daß 1690 ein öffentliches Opernhaus errichtet wird, das Bert-
hold Feind in seinen deutschen Gedichten das vollkommenste aller
norddeutschen Opemtheater nennt. Es war wie das Hamburger nach
venezianischem Muster eingerichtet und verwaltet, faßte 2500 Per-
sonen in Parterre und fünf Rängen und stand jedem offen, der an-
ständig gekleidet war und ein Eintrittsgeld von 10 Silbergroschen
und dazu die Platzgebühr bezahlte. Sie schwankte zwischen fünf
Silbergroschen für einen Parterresitz bis zu fünf Talern für eine erste
Rangloge. In der Messe fanden 20 Vorstellungen statt, bei denen
der Herzog UMch, der den ganzen Plan entworfen hatte, auf 8000
Taler Einnahme, 3700 Taler Ausgabe, also auf einen Reingewinn von
4300 Talern rechnete. Den Stamm der Mitwirkenden lieferte die
Herzogliche Kapelle, als Hilfskräfte kamen Sängerinnen aus Weißen-
fels, Helmstedter Studenten, der Zellerfelder Organist mit Chor-
knaben und Bergleute vom Harz. Der Betrieb im Großen änderte
aber den Charakter der Braun seh weiger Oper. Solange es sich um
Die Braunschweiger Opernauffiihrungen 139
Hoffeste gehandelt hatte, waren die Opern deutsch: Originale oder
Nachbildungen. Der Herzog Ulrich selbst hatte eine Reihe geist-
licher Singspiele gedichtet: »Amelinde«, »Jakobs Heirat«, »Daniel«,
»Jonathan«; Hauptkomponist war der von Schütz empfohlene Kapell-
meister Löwe, ein aus der Geschichte des deutschen Liedes be-
kannter Thüringer, der aus Wien kam. Ein Festspiel aus dem Jahre
1652, »Glückwünschende Freudendarstellung«, ist von der Prinzessin
Elisabeth komponiert, das einzige aus der früheren Periode, dessen
Musik sich in Wolfenbüttel noch vorfindet. Als nun aber regel-
mäßige Vorstellungen gegeben wurden, da strengen sich Bressand,
der Hofdichter, und Cusser^, der Kapellmeister, vergebens an, den
Bedarf mit eigenen Werken zu decken. In erster Linie wendet man
sich zur Aushilfe an deutsche Kräfte: Erlebach, Phil. Krieger,
Bronner, Keiser treten auf. Aber es reicht nicht. Es müssen
Lullysche Opern und venezianische übersetzt und eingerichtet werden,
und das Ende sind Italiener in braunschweigischen Diensten: Pa-
ri setti als Dichter, Alveri, Fredrizzials Komponisten. Mit dem
neuen Kapellmeister Sc hü rm an n 2 erhebt sich das deutsche Element
noch einmal: es beginnt die zweite Glanzzeit der Braunschweiger
Oper. Wie früher Keiser, so machen jetzt Hasse und Graun hier
ihre erste Schule durch, man bevorzugt unter den italienischen Wer-
ken die von Deutschen komponierten, Händeische Opern erscheinen
häufig. Aber die Italiener nehmen einen immer breiteren Platz ein:
Cavalli, Scarlatti, Pollarolo, Bononcini, Lotti, Caldara
bürgern sich ein.
Der Ausgang des Kampfes bleibt unentschieden. Im Jahre 1735
löst der neue Herzog Ferdinand Albrecht Oper und Kapelle auf.
Die Chrysandersche Arbeit über die Braunschweiger Oper ist
durch einen Aufsatz von Albert Mayer-Rein ach ergänzt worden,
der Heinrich Graun als Opernkomponisten behandelt und über sein
Wirken in Braunschweig Näheres mitteilt.
Über die Weißenfelser Oper waren wir die längste Zeit auf die Mit-
teilungen beschränkt, die sich in Marpurgs »Historisch-kritischen Bei-
trägen« von 1774 und in Gottscheds »Nöthigem Vorrat« (1757—65,
2 Bände) finden: trockene Aufzählung von Titeln, nur ganz aus-
nahmsweise Angaben von Dichter und Komponist. Zunächst hat sie
Opel ein wenig vermehrt auf Grund einiger alter Textbücher, die
sich in der Halleschen Stadtbibliothek gefunden haben und dann
A. Werner auf Grund neuer Forschungen ^ zum Abschluß gebracht.
Weißenfels wurde 1657 Residenz, aber der neue Herzog residierte
lieber in Halle. Erst sein Nachfolger, Joh. Adolf, hielt wirklich in
1 H. Scholz: »S. Kusser«, Leipzig 1901.
2 Gustav F. Schmidt: »Georg Kaspar Schürmann«, München 1913.
3 A.Werner: »Gescbicbte.der Musikpflege in Weißenfels« (Leipzig 1912).
;[40 I^^-s erste Jahrhundert der deutschen Oper
Weißenfels Hof, und erst von seinem Antritt 1680 ab beginnt die Ge-
schichte der Weißenfelser Oper. Von der Mitte der achtziger Jahre
bis 1732 finden regelmäßige Vorstellungen statt, in guten Jahren drei,
vier neue Werke, im Durchschnitt eins. Die Texte sind in deutscher
Sprache verfaßt, aber deutschen Inhalt haben unter 86 Stücken doch
nur zwei: »Das entsetzte Wien« von 1683 und »Die thüringische
Hertha« von 1684. An allen andern zeigen die bloßen Titel die
italienische oder französische Abkunft: es sind mythologische Dramen
oder Balletts. Bei einzelnen kann man die bestimmte venezianische
oder Pariser Quelle angeben, etliche wenige sind aus Dresden, Braun-
schweig, Hamburg bezogen. Dichterisch *hat demnach Weißenfels zur
Entwicklung einer eigenen deutschen Oper nichts beigetragen. Musi-
kalisch ruhte die ganze Arbeit auf Philipp Krieger aus Nürnberg,
von 1725 ab auf seinem Sohn: Johann Gotthelf K. Kriegers Ar-
beiten, soweit sie erhalten sind, zeigen uns, wie schwer es den deut-
schen Musikern wurde, sich in die Monodie zu finden. Er versuchts
mit einem durch Koloraturen modernisierten Motettenstil für den
Aufbau der Form, im Ausdruck etwas eintönig und allzusehr zum
Munteren geneigt, ganz wie sein Zittauer Bruder, der Liederkomponist
Job. Krieger.
Da aber die Weißenfelser nur für den Bedarf des Hofes zu arbeiten
hatten und nicht gedrängt wurden, konnten sie ruhig bei den deutschen
Zielen ausharren, und wurden eine moralische Stütze für die natio-
nalen Bestrebungen. K eis er stammt aus Teuchern, aus Weißenfelser
Gebiet, Schieferdecker in Lübeck, der Hamburger Forts ch wurden
hier gebildet, einige von den wenigen dramatischen Versuchen Bachs
sind auf seine Stellung als Weißenfelser »Kapellmeister von Haus aus«
zurückzuführen. Auch Händel hat als Knabe seine ersten großen
Eindrücke von Musik in Weißenfels empfangen. Die Weißenfelser
Oper, die 1746 aufhörte, hat andern sächsischen Höfen ein Beispiel
gegeben. Unter ihnen tritt der Altenburger am meisten durch
Selbständigkeit hervor. Hier und in Eisenberg sind in der Zeit von
1671 bis 1728 allerdings nur 12 Opern entstanden, aber bis auf
einen »Orpheus«, »Herkules«, eine »Irene« und einen »Adonis« sind
sie ganz unabhängig von fremden Mustern. Eine hat einen vater-
ländischen Stoff: »Das glücklich aufgegangene Anhaltsche Bären-
gestirn«, eine Hochzeitsoper von 1697. Die andern schlagen ins
komische Fach: »Der Ursprung des bürgerlichen Glückes«, »Der
Ursprung des Zankes«, »Die drei Hauptbeherrscher menschlicher Be-
gierden: Reichtum, Ehre, Weisheit«, »Die ungleich geratene Kinder-
zucht«. Das war also Oper in vollständigem Anschluß an die alte
Schulkomödie. Aufgeführt wurden die Stücke beim Gregoriusfest
und andern herkömmlichen Musikterminen, und zwar durch die Stu-
dierenden des Lizeo. Der Rektor Dr. Wenzel war der Dichter,
gelegentlich lieferte er auch die Musik. Die Hauptkomponisten waren
die einheimischen Kapellmeister Großer und StölzeL
Die Oper in Meiningen, Hannover, Hamburg 141
An Altenburg schließt Meiningen an, das unter der Regierung
Herzog Heinrichs in den Jahren 1692 — 1704 neben Übersetzungen
dramatische Kantaten mit lokal gefärbten Texteo, auch zwei Opern
bringt: »Die Römhildsche Frühlingslust«, »Die hochfürstlich Thema-
rische Maienlust«. Komponist ist Römhild.
Hannover war durch Braunschweig zur Oper gekommen. Wichtig
wurde es durch Agostino Steffani^, der 1685 aus München hierher
kam. Steflfani ist einer der größten Musiker des 17. Jahrhunderts,
berühmt namentlich durch seine Kammerduette, an denen sich Händel,
der Steffanis wegen in Hannover Stellung nahm, gebildet hat. StefFanis
Opern führten die Braunschweiger und Hamburger zu einem höheren
Stil, über das Schwanken zwischen schwerfälliger Motettenanlage und
dürftigstem Lied hinweg. Trotz der italienischen Musik hielt aber
Hannover zur deutschen Sache, zu vaterländischen Stoffen wie
»Heinrich der Löwe«. Ein prächtiges Opernhaus lenkte durch seine
Maschinenwunder die Aufmerksamkeit der ganzen Musikwelt auf sich.
Es hätte eine feste Stütze einer nationalen Oper weiden können. Da
begab sich Steffani unter die Diplomaten, im Jahre 1714 ging der
Hof nach London. Damit schied Hannover aus der Bewegung aus.
Ihren größten Aufschwung hat die deutsche Oper des 17. Jahr-
hunderts in Hamburg erreicht. Schon seit 1658 hatte man hier
dann und wann eine italienische Oper versucht, denn die Kunde von
der neuen italienischen Kunst war durch die großen Kaufherren bald
von Venedig hergetragen worden. Das Braunschweiger Institut reizte
unmittelbar zur Konkurrenz. Musiker gab's in den norddeutschen
Freistädten überall in Hülle und Fülle, der Dreißigjährige Krieg hatte
sie aus den kleinen Städten weggetrieben. Auch an Dichtern fehlte
es nicht, und die Hamburger Schulen waren durch ganz Deutschland
berühmt. So war die Hansestadt seit den vierziger Jahren der Haupt-
sitz des deutschen Liedes geworden, der Weg zu einer deutschen
Oper schien damit angebahnt. Der reiche Ratsherr Gerhard Schott
beschloß den Gedanken ins Werk zu setzen, zog den Lizentiaten
Lütjens und den weit angesehenen Organisten Jan Adam Reinken
mit herzu und versicherte sich vor allem der Zustimmung der Ham-
burger Geistlichkeit. Das war ein Schritt, der die deutschen Ver-
hältnisse eigentümlich beleuchtet. Die Italiener taten mit der Oper
einen unverhohlenen Schlag gegen Kirche und Mittelalter, den Deut-
schen war das Musikdrama von dieser Seite einfach unverständlich.
Das geistliche Ministerium hieß den Plan Schotts gut, auf dem
Gänsemarkt an der Alsterstraße, da wo heute Lessings Denkmal
steht, entstand ein eigenes Opernhaus, im Jahre 1678 wurde es mit
einem geistlichen Singspiel, »Der erschaffene, gefallene und wieder
aufgerichtete Mensch« eröffnet. Der Dichter war der kaiserlich
1 Arthur Neißer : »Agostino Steffani<, München 1905. — A. Untersteiner:
»Agostino Steffani«, Rivista musicale XIV, S. 609 ff.
142 ^^^ erste Jahrhundert der deutschen Oper
gekrönte Poet Richter, der Komponist Johann T heile, ein Schüler
von Schütz. In den nächsten Jahren folgten noch etliche biblische
Opern: »Michal und David«, »Die makkabäische Mutter«, »Esther«,
»Die Geburt Christi«, auch eine allegorische Oper »Cherubine, die
göttlich Geliebte« schließt sich an. Es sind wertvolle Dichtungen,
rein in der Sprache und in der Gesinnung; in der freien Erfindung,
der Einstellung von Wirten, Hausknechten und andern Volksfiguren
realistisch, aber bis auf vereinzelte Ausnahmen, wie der gefräßige
Jude in der » Makkabäischen Mutter«, taktvoll. Sehr wohl könnte
der Prediger Elmenhorst, wie angenommen wird, sie verfaßt haben.
Hier bewegte sich die Phantasie der gebildeten Kreise, das sieht man,
auf sicherem Boden, und es war ein Weg eingeschlagen, auf dem
man zu einem ganz vorzüglichen deutscheu Oratorium hätte kommen
müssen. Ohne viel Suchen, in aller Einfalt war das Richtige getroffen.
Leider aber begnügte man sich nicht damit. Die welterfahrenen und
weitgereisten Schöngeister, der durch die ganze Musikwelt dringende
Ruf Ca valiischer, Cestischer, Lullyscher Opern setzten auch in Ham-
burg eine Renaissancerichtung durch. Namentlich der Komponist
Adam Strungk^, der aus Dresden kam, scheint dafür tätig gewesen
zu sein^ daß Stijcke von Minato und Corneille übersetzt und nach-
gebildet wurden. Der Ratsherr und spätere Bürgermeister Lukas von
Bostel fühlte auf diesem Feld einen neuen Beruf und ward der
Führer der Modernen. In seinem »Cara Mustapha, der glückliche
Großvezier« ging er 1682 sogar über seine Vorbilder hinaus und
nahm einen Stoff aus der jüngsten Vergangenheit. Die Roheit der
Sprache, die Plumpheit der frei nach Quinault eingestreuten Liebes-
szenen brachte aber die Hamburger Oper zum ersten Male in ernste
Lebensgefahr. Die Geistlichkeit erhob Einsp;:uch, verdammte, der
Prediger von St. Jakobi, Magister Reiser, an der Spitz«, von der
Kanzel herab das Musikdrama als ein Werk der Finsternis und konnte
erst durch die Gutachten der juristischen und theologischen Fakul-
täten von Rostock und Wittenberg beschwichtigt werden, die etliche
der von den Parteien eingereichten Stücke, nämlich die nach Quinault
gearbeiteten Dichtungen von »Alceste« und »Theseus« wegen der
heidnischen Götter und Buhlereien, Bostels »Cara Mustapha« wegen
Anstößigkeit m puncto pii et honesti verwarfen, sich aber grund-
sätzlich für die Singspiele aussprachen. Der Streit dauerte zwei
Jahre und rief eine umfangreiche Literatur von Flugschriften und
Broschüren hervor, aus der Elmenhorsts *Dramatologia< von 1688,
die das Schlußwort bildet, hervorzuheben ist. Elmenhorst betont den
Nutzen der Opern für Fortbildung von Poesie und Musik, verwirft
aber die Mythologie. Mit der letzteren Ansicht war er in der Minder-
heit. Nach dem Zwischenfall mit dem »Cara Mustapha« verschwindet
1 F. Zelle: »J. Theile und N A. Strungk«, Berlin 1891 (Programm des
Humboldtgymnasiums).
Die Hamburger Oper ]^43
niclit die Mythologie, sondern die Bibel von der Hamburger Bübne.
Es kommen nocb eine beilige Eugenia und der Märtyrer Polyeuct.
Das sind Legendenstücke aus der Azione sacra der Italiener gelieben;
von den einbeimiscben Dicbtern liefert nur Bostel nocb einen >Kain
und Abel«. Von 1690 ab berrscbt auf lange Zeit die Mythologie
im Bunde mit der profanen Historie. Mit den Dicbtern bat die
Hamburger Oper Unglück. Bressand, der von Braunscbweig her-
gezogen wird, ist der einzige, der eine Handlung geschmackvoll und
den Forderungen der Musik entsprechend zu entwickeln versteht.
Die andern stehen tief, tief unter den niedrigsten Venezianern. Wir
Deutsche haben für Philologie und Altertumswissenschaft ausgezeich-
nete Gelehrte gestellt, in Poesie und praktischer Bildung aber hat
kein Kulturvolk das Renaissanceexaraen so schlecht bestanden wie
das deutsche. Der Takt war in der langen Kriegszeit abhanden ge-
kommen, in die vorhandene Gedankenwelt schob sich die Antike nur
verwirrend ein, verschmolz nicht, setzte keine Ideen ab, sondern ver-
führte nur zum Tändeln mit Namen und Anekdoten und zur Frivo-
lität. Das Ärgste in diesem Mißbrauch alter Kultur ist von den
Hamburger Librettisten geleistet worden. Unter ihnen gab Christian
Postel den Ton an. Als Dramen sind seine Stücke liederlich und
widerlich, um die Handlung ist's ihm kaum Ernst, seine Sprache
würzt den Bombast der Schlesiscben Schule durch Zoten. Postel ist
aber ein gewandter Reimer und sichert sich den Erfolg durch eine
Menge Liedereinlagen, die die Lebensweisheit und die Tagesinteressen
des gemeinen Mannes geschickt in Verse fassen. Der anspruchslose
Kleinbürger nahm aus diesen Opern immer etwas für den Haus-
gebrauch mit heim, und sei es ein schlüpfriges Couplet, wie in
»Venus und Adonis« das Lied des Schäfers Gelon, in der »Ariadne«
das Lied des Scherenschleifers.
Noch schlimmer war Balthasar Feind. Mit ihm beginnt in der
Hamburger Oper die Herrschaft der lustigen Person, die bald un-
entbehrlich mrd:
Und sind die Opern noch so schön,
wenn Arlechino nicht
sein Amt dabei verriebt,
so können sie doch nicht bestehn,
ein Tor muß seinesgleichen sehn
und sind die Opern noch so schön
heißt's in Feinds eigenem »Antiochus«.
Es war nicht bloß die lustige Person, durch die Feind der Ham-
burger Oper schadete, sondern noch mehr tat er es durch den un-
sittlichen, unmoralischen Geist in der Auffassung der Fabeln. Mit
Feind schwindet aus den Handlungen der Ernst, die Hamburger Oper
geht unwillkürlich auf Karikatur und Parodie aus. Auch den furcht-
barsten Geschicken sucht sie geistreich oder dumm einen Scherz, eine
144 l^as erste Jahrhundert der deutschen Oper
witzige Wendung abzugewinnen. Feinds »Lucretia« schließt mit den
Versen :
Hab Dank, Lucretia, deiner Ehr
hinfort ersticht sich keine mehr.
In Durlach, wo diese »Lucretia« 1719 in Bearbeitung erscheint, ist
dieser Schluß noch mundgerechter gemacht worden:
Diese starb für ihre Ehr,
heut ersticht sich keine mehr.
Was die Hamburger sich als Komik bieten ließen, sieht man aus
Hunolds^ :»Salomon« (1709). Da trifft die lustige Person des Stückes,
Heses mit einem Schneidergesellen zusammen, beredet ihn mit ihm
die Kleider zu vertauschen und sich mit verbundenen Augen auf
einen Ball lühren zu lassen. Die nächste Szene aber zeigt das glühende
Bild Molochs, Salomon soll eben ein Opfer bringen, und dieses Opfer
wird der unglückliche Schneidergeselle. Dem Götzen in die Arme
gelegt, schreit er von Brandwunden entsetzt: »Au weh! Wie heißt
das Ding?« Heses erwidert: »Sing nur, Herr Schneider, sing!« Der
Oberpriester aber schließt den greulichen Vorgang mit:
Großer Moloch, sieh doch an,
was die Andacht hat getan.
Hunold hält in der Vorrede seines Stückes diesen widerlichen Einfall
für ein Meisterbeispiel des Komischen. Ulrich König, der nach-
malige Dresdner Hofpoet, tritt mit höherer Gesinnung in die Reihe
der Hamburger Operndichter, er ist aber zu matt und langweilig,
um erziehen zu können.
Im Jahre 1701 wurde eine Oper aufgeführt »Störtebecker und
Gödge Michaelis« mit Musik von Keiser, den Text hatte ein Sänger
namens Holt er verfaßt. Der Störtebecker war ein Räuberhaupt-
mann, der das Hamburger Land lange Zeit unsicher gemacht hatte
und jüngst geköpft worden war. Den hatte man nun mit möglichster
Naturtreue dramatisiert, das ganze Stück durch floß wirkliches Blut,
Kälberblut aus Schweinsblasen, die die Sänger unter ihre Kleider
gebunden hatten. Auch die Hinrichtung ward in dieser Weise vor
den Augen der Zuschauer vollzogen. So weit war es mit der Roheit
gekommen. Das Stück machte beim gewöhnlichen Publikum großes
Glück, verzog sich jedoch bald ohne Musik auf die kleinen Bühnen
der Stadt. Die Oper behielt aber von ihm als ein häufig gebrauchtes
Requisit die Schweinsblase. Enthauptungen auf der Bühne waren
sehr beliebt, Klistiere wurden verabreicht, vertierte Menschen rannten
brüllend umher; bald spielte das liebe Vieh, Kamele, Pferde, Esel,
Affen, selbst mit. Und doch knüpft an jenen »Störtebecker« eine
gesunde Wendung in der Hamburger Oper an: Ungeklärt lebt schon
1 H. Vogel: »Gh. F. Hunold« (Menantes), Lucka v. J. A.
Die Hamburger Oper 145
in Posteis lustiger Person mehr als eine Nachahmung der Venezianer,
noch deutlicher zeigt sich in den Liedern seiner andern Personen,
die die Moral und den Klatsch der Gasse in Reime bringen, das Be-
streben, mit der Zeit und mit dem Volke Fühlung zu nehmen. Der
>StÖrtebecker« geht nun auf dieses Ziel im großen los mit der ganzen
Handlung und bedeutet so eine Absage an Renaissanze und Antike,
sucht sie durch zeitgemäße, volkstümliche Dichtung zu ersetzen.
Diese Richtung ist von den Hamburgern mit einigen Stücken weiter
verfolgt worden. 1700 kommt eine Oper, die die Leipziger Messe
zum Gegenstand, Studentenszenen zum Hauptinhalt hat, 1725 wird
ein Stück, »Hamburger Jahrmarkt«, und ein anderes, »Hamburger
Schlachtzeit«, aufgeführt. Es sind Bilder und Intermezzi aus dem
Hamburger Leben, Figuren aus dem niederdeutschen Volke heraus-
gegriffen. Dienstmädchen, Bergedorfer Gemüsefrauen, Marschbauern
spielen die Hauptrolle. Es wird viel Plattdeutsch gesprochen. Von
dieser Seite hat die Hamburger Oper in neuerer Zeit einen Bewun-
derer in Theodor Gaedertz (»Das niederdeutsche Drama«) gefunden.
Sie sind keine Meisterwerke, aber gelungene Anläufe zu einer Volks-
oper, zu einer komischen Oper. Sie gehören mit den biblischen
Stücken der Elmenhorstschen Periode zu den selbständigen, berech-
tigten und gesunderen Leistungen der Hamburger Oper. Leider kam
es nicht mehr zu einer Ausgestaltung der neuen Gattung, das ge-
bildete Hamburg, auch Mattheson darunter, verwarf sie. Man war
im Wirrwarr nervös geworden und hatte den Maßstab für das der
Oper Zuträgliche ganz verloren. Das deutsche Ideal kam dabei
immer schlechter weg. Die Originalarbeiten traten immer mehr
hinter den Übersetzungen zurück — darunter sehr geschickte der
Steffanischen Opern durch Fideler. Bald macht sich Mischung
verschiedener Sprachen immer breiter. Schon in Händeis »Almira«
findet man italienische Arien eingelegt, bei andern auch französische;
ja Feind dichtete in seine deutschen Texte selbst freiwillig italienische
Episoden. Das Ende ist der Einzug der italienischen Oper in Ham-
burg. 1738 wird das schöne Haus auf dem Gänsemarkt auf den
Abbruch verkauft.
Am meisten bleibt bei diesem Schicksal des Hamburger Unter-
nehmens die Arbeit der Musiker zu bedauern. Denn die hat sich
in einem erfreulichen Crescendo entwickelt, das durch die Namen
Theile, Strungk, Wolfg. Franck*, Förtsch, Conradi, Kusser,
K eis er gebildet wird. Als Gäste von auswäi-ts treten in diese Reihe
Bronner, Krieger, Händel^ sehr oft besonders Steffani herein.
Theiles Oper liegt in Upsala bisher noch unbenutzt, Strungk ist ver-
loren. Das Bild der Hamburger Opernmusik der ersten Periode
1 Fr. Zelle: >Joh. Wolfg. Franck«, Berlin 1889 (Programm des Hum-
boldtgymnasiums); A. Werner: > Briefe von J. W. Franck, die Hamburger
Oper betreffend* (Sammelbände d. IMG VII, S. 125 ff.).
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 10
^46 I^^s erste Jahrhundert der deutschen Oper
müssen wir uns in der Hauptsache aus den Franckschen Werken
suchen: »Vespasian«, »Aeneas«, »Diocletian«, »Kara Mustapha«, von
denen die Mehrzahl der Arien gedruckt sind. Arien sind es der Form
nach gar nicht, sondern Lieder, wie sie in der Ristschen Schule ge-
schrieben wurden, einzelne steif, die Mehrzahl aber talentvoll, eigen,
namentlich gemütreich. An die Musik machten die Hamburger allem
Anscheine nach zunächst keine großen Ansprüche. Die Hauptsache
war die Ausstattung der Opern. Schott war selbst ein tüchtiger
Mechaniker, verstand sich auf Maschinen und legte einer lebenswahren
Szenerie einen bedeutenden poetischen Wert bei. Hierfür wandte er
bedeutende Summen auf, einen Salomonischen Tempel mit Stiftshütte,
der zunächst für eine einzige Oper bestimmt war, hat er sich einmal
15 000 Taler kosten lassen. Was wir bloß aus Textbuch und Parti-
tur von dieser Seite der Hamburger Aufführungen erfahren, ist er-
staunlich genug. Nirgends sonst ist so viel in der Luft mit Flug-
apparaten, nicht bloß für einzelne Götter und Genien, sondern für
ganze Züge von Najaden und Märchenpersonen gespielt, nirgends so
viel mit Wassermassen auf der Bühne, mit laufenden Flüssen, mit
Meeresprospekten und Schiffen gearbeitet worden. Maler und Ballett-
meister Schotts waren ersten Ranges, und ihre Leistungen wurden
von den verwöhnten Parisern, wie dem Dichter Regnard, der im
Jahre 1680 eine aus dem Französischen übersetzte »Alceste« in Ham-
burg sah, bewundert. Daran hielten die Hamburger durch alle Bankrotte
und Wechsel ihrer Operndirektion fest ^ Als man 1727 zum letzten
Male mit einem Subskribentenvereine — auf den Kopf 25 Tal er —
eine Rettung und Hebung des Institutes versuchte, setzte man in der
Ausstattung ein: die »Omphale« von Destouches wurde als das erste
Stück des neuen Regiments gewählt, weil sie an Dekorationen, Ma-
schinerien und Tänzen besonders reich war, und für den Helm, den
darin Gensericus trug, legte man 100 Taler an. Das größte Sänger-
honorar in dieser freigebigen Periode beträgt dagegen 1000 Taler,
in der Schottschen Zeit kam man mit dem Zehntel von dieser Summe
aus. Der Komponist erhielt für seine Arbeit 50 Taler 2. Während
in Italien und an den großen deutschen Residenzen, selbst in Braun-
schweig und Hannover, längst das Kastratensystem herrschte, begnügte
man sich in Hamburg, als die Oper ins Leben trat, mit reinen Natur-
sängern. Die gebildetste Kraft, die Schott zur Verfügung stand, war
der Buffotenor Magister Rauch, ein aus Würzburg entlaufener Jesuit.
Neben ihm wirkten Schuster- und Schneidergesellen, in den Frauen-
partien Blumenmädchen und andere Personen, die im öffentlichen Ver-
kehr die Schüchternheit sich abgewöhnt hatten. Wohl auch falset-
tierten gelegentlich einmal Männer. Mattheson rühmt sich seiner
1 Fr. Chrysander: >Über theatralische Maschinen um 1700« (Allgemeine
musikalische Zeitung 1882.)
•^ Vgl. E. 0. Lindner (a. a. 0.)
Sigmund Kusser, Reinhard Keiser 147
Darstellung der Cleopatra, insbesondere des Geschickes, mit dem er
deren Selbstentleibung vollzogen habe. Von der Gesangskunst hatten
die Hamburger ersichtlich zunächst nur kleinstädtische Begriffe. Die
Hauptsache war ihnen eine gute Stimme und die blieb noch lange für
Wahl und Gunst das Entscheidende. Als die Demoiselle Conradi,
die Tochter eines Dresdner Barbiers, im Jahre 1700 angestellt wurde,
die man später mit Faustina Hasse verglich, kannte sie nach Mat-
thesons Bericht nicht einmal die Noten, und die Rollen mußten ihr
jahrelang durch Vorsingen eingetrichtert werden. Später allerdings
besaß die Hamburger Oper in den Damen Schober, Rischmüller,
Keiser, in dem Tenor Dreger und dem Bassisten Riemenschnei-
der Virtuosen, die mit dem Namen oder den Leistungen über das
Weichbild der Stadt hinausdrangen, Riemenschneider z. B. nach Dres-
den und London. Keiser durfte in seinen Opern Arien schreiben,
die wie die der Anagilda in seiner -»Forza della virtu^ das Äußerste
an Koloraturschwierigkeiten und an Forderungen des Ausdrucks ent-
halten, was es in der Geschichte des Musikdramas überhaupt gibt.
Die Wendung über die bloße Liedermusik hinaus, die Annäherung
an italienischen Stil datiert vom Jahre 1682, von dem >Diocletian«
Wolfgang Francks, seiner bedeutendsten Oper. Bald versucht man
sich an den übersetzten Werken italienischer Meister, Cestis und
Pallavicinis z. B. Dann erscheint Sigmund Kusser, nimmt das
Personal der Hamburger Oper in die Schule und führt die musi-
kalischen Leistungen des Instituts auf die Höhe der Zeit. Von Kussers
eigenen Opern, die sehr beliebt waren, hat sich einiges erhalten —
eine Reihe Arien aus seinem »Erindo« von 1695 in Schwerin — ; als
Dirigenten hat ihm Mattheson im > Vollkommenen Kapellmeister«
ein Denkmal gesetzt. Besonders scheint er die Opern Steffanis ge-
schätzt zu haben, die zwischen deutschem und italienischem Stil
vorzüglich vermitteln, einfache Lieder und Sologesänge Cavallischen
Schlages enthalten, in den begleiteten Rezitativen und in der Auf-
stellung obligater Instrumente in den Arien Dinge versuchen, die
sich bei keinem seiner Zeitgenossen finden. Besonders beachtenswert
ist »7/ trionfo del Fato^.
Auf Kusser aber folgte Reinhard Keiser^, und mit ihm beginnt
musikalisch die Glanzzeit der Hamburger Oper; seine Werke sind
das Größte und Erfreulichste, was überhaupt die deutsche Oper des
17. Jahrhunderts geleistet hat. In geordnete Verhältnisse gestellt,
würde Keiser heute in der Geschichte in gleicher Reihe mit Männern
wie Scarlatti, Rameau, Händel, Bach stehen. An unfertige Poeten,
an ein Publikum von niedrigem Geschmack gewiesen, hat er sich
nicht voll entwickeln können und ist in der Größe seiner Leistungen
1 H. Leichtentritt: *R. Keiser in seinen Opern« (Berlin 1901) und
M. Schneider: >Vorwort zu Keisers ,Crösus'« (Denkmäler deutscher Ton-
kunst, Bd. 37/38).
10*
1^48 ^^s erste Jahrhundert der deutschen Oper
bis heute noch nicht zu seinem Kecht gekommen. Chrysander, der
ihn im ersten Bande seines »Händel« ausführlicher behandelt, Dommer,
der in seinem »Handbuch der Musikgeschichte« dieser Chrysander-
schen Charakteristik folgt, erkennen Keisers Talent an, bemängeln aber
seine Bildung und seinen Charakter. Freilich war Keiser ein leichtes
Blut, ein Weltmann im Sinne der galanten Zeit; so verfloß sein
äußeres Leben wie ein Roman, er hat allen Glanz und alles Elend
eines Künstlerlaufes durchkostet, ist als Grandseigneur mit eigener
Equipage und Bedienten »in Auroralivree« durch Hamburgs Straßen
gefahren und hat sich vor Gläubigern flüchten und verstecken müssen,
wie ein Zigeuner und fahrender Gesell. Seine öffentliche Wirksam-
keit beginnt am Theater, schließt an der Kirche und verläuft mit
so viel Lücken und so viel Dunkel, daß in dem Gesamtbild bis vor
kurzem die wichtigsten Daten, Geburt und Heimat, fehlten. Erst
seit 1890 haben wir eine vollständige Darstellung seines Lebens von
F. A. Voigt 1. Aber wenn der künstlerische Ertrag einer solchen Exi-
stenz in 120 Opern besteht, da handelt's sich doch um mehr als einen
begabten Sausewind. Von diesen 120 sind noch 18 Werke enthalten
in der Preuß. Staatsbibliothek zu Berlin; sie genügen zu einem Urteil,
in dem der Tadel ganz hinter die Bewunderung tritt. Man kommt
unwillkürlich mit Mattheson, von dem wir die ersten Nachrichten
über Keiser haben, zusammen, wenn er, der für den Menschen sich
hämische Bemerkungen nicht versagen kann, vom Künstler ausruft:
y>Il est le plus grand komme du monde.« Scheibe, der immer
tadelt, stimmt ihm bei, auch Tele mann; Hasse 2 nennt ihn noch
nach 40 Jahren den größten Meister der Welt und glaubt, daß man
seine Melodien zu allen Zeiten in die neuen Werke einmischen könnte,
ohne daß es jemand merke. Noch Reichardt spricht mit Begeiste-
rung von Keiser, und Fetis berichtet über den tiefen Eindruck, den
in seinen historischen Aufführungen Bruchstücke aus Keisers Werken
hervorgerufen haben. Bach, Hasse und Graun haben aus Keiser
gelernt und geschöpft, Händel hat einige seiner schönsten Stücke
von ihm entlehnt, z. B. die Gavotte im »Josua«: »Wenn der Held
nach Ruhme dürstet« aus der Arie »Amor macht mich zum Tyrannen«
in *La forza della virtu^, das schöne Arioso: »Ach, es geht die Zeit«
in »Agrippina«, das im »Trionfo del Tempo* und im »Messias« wieder-
kehrt, stammt aus Keisers »Octavia«, aus der Arie des Seneca: »Ruhig
sein, sich selbst gelassen«.
Keiser war ein ganz enormes Talent, die Ideen strömten ihm so
zu, daß er, wenn die Feder angesetzt war, zu arbeiten kaum nötig
hatte. Wie oft ist er mit einem Stück in der Partitur ziemlich fertig.
Da streicht er es aus und setzt's noch einmal ganz anders, w^eil ihm
eine bessere Auffassung des Textes einfällt oder weil er daran denkt,
1 Viertelj. f. M. W. 1890. S. 1890.
2 Burney, »The present state of music in Germany 1773«.
Reinhard Keiser 149
daß es für den Sänger, für den es bestimmt ist, zu schwierig war.
In der »Octavia« setzt er einmal zu einer Arie mit vier Fagotten
an, die er sehr zu lieben scheint und überall in Kopenhagen, in Stutt-
gart gerade wie in Hamburg in Menge aufbietet i. Er schreibt ds^r-
nhev ä quatiro, scheints dann aber kaum gemerkt' zu haben, daß die
Fagottbegleitung ein Quintett geworden ist, Mattheson hat es sehr
betont, daß Keisers Stärke in der Wiedergabe galanter, erotischer
Szenen liege. In der Tat findet sich kein zweiter Deutscher, der
nach dieser Seite in dem Grade wie Keiser ein Vorläufer Mozarts
genannt werden kann. Nur er hat Stücke, die dem Champagnerlied
im »Don Juan«, den Cherubim- Arien im »Figaro« ähneln, schon am
Anfange des 18. Jahrhunderts geschrieben, nur er hat, wenn auch
nicht so elegisch, doch so süß und anmutig von der Liebe gesungen
wie Mozart. Aber man darf sich durch Mattheson nicht verleiten
lassen, Keisers Kraft auf dieses Gebiet beschränken zu wollen. Gerade
von den galanten Arien Keisers, die das Entzücken seiner Zeitgenossen
bildeten, bleibt für heute nur ein Rest hübscher und reizender Mo-
tive — seine dauerhafteste dramatische Arbeit liegt in den leiden-
schaftlichen und tragischen Aufgaben, in Stücken, wie der Wahu-
sinnsszene des Nero in der »Octavia«, oder der Szene, wo die Kaiserin
die Untreue des Gatten erfährt. Für solche Leistungen waren aber
leider die Hamburger, die Textschreiber wie die Zuhörer, wenig
gestimmt.
Keiser kann scherzen, kann trösten und wüten — alles gelingt
ihm gleich mit derselben Sicherheit und Leichtigkeit. Und ebenso
universell wie seine Begabung ist seine Bildung. Von den Franzosen
hat er Ballett und Chor, die Kunst musikalischer Situationsmalerei,
von den Deutschen das Lied und die Neigung zu kunstvollen Be-
gleitungen, das meiste verdankt er aber doch der italienischen Schule.
Auf ihrem Boden steht er in der Auffassung des Musikdramas, sieht
seine Hauptaufgabe in der naturwahren Schilderung bedeutender Seelen-
zustände. Den Italienern folgt er auch vorwiegend in der Form.
Zwar treten bei ihm die großen Monologe hinter der Menge kleiner
Solostücke zurück, aber auch in ihnen baut er am liebsten im Schema
der dreiteiligen, der Dacapoarie. Leicht macht sich's Keiser häufig
im Secco-Rezitativ, da schwankt seine Aufmerksamkeit und sein Stil,
nicht beachtet hat er die Anregungen, die Scarlatti, Lully, Campra
für den Entwurf der Musik in größeren Bogen, für motivische Ver-
bindung getrennter Szenen gegeben haben. Er hat der Oper keine
neue Form und keinen neuen Geist gegeben, keine Keisersche Epoche
begründet. Es ist aber zweifelhaft, ob man dafür seinen Charakter
oder die Hamburger Verhältnisse verantwortlich zu machen hat. Jeden-
falls geht seine Begabung über die eines Nachahmers weit hinaus.
1 Er hatte unter anderm eine Suite für 8 Fagotts — eine Schnarrmusik
nennt ers — komponiert.
J50 I^^s erste Jahrhundert der deutschen Oper
Es gibt keinen zweiten Komponisten, auch unter den Italienern nicht,
dessen Werke so viele ganz neae und ganz eigene stilistische Ein-
fälle enthalten. Sie betreffen die Form mit urwüchsigen Mischungen
von Gesang und Rezitativ, mehr aber noch die Färbung, die Wahl
der Mittel, den Reichtum und die Originalität seines Akkompagne-
ments. Der unbegleitete Sologesang in der Oper, den in der Gegen-
wart Wat^ner wieder wirkungsvoll verwendet hat, ist zuerst syste-
matisch von Keiser eingeführt worden; auch die Meyerbeersche Idee,
ohne Akkorde mit einem einzigen figuiierenden und konzertierenden
Orchesterin stimment begleiten zu lassen, geht auf Keiser zurück. Wo
er voll begleitet, hat er die ungewöhnlichsten Kombinationen, drei-
stimmio-e Oboensätze und ähnliche Feinheiten, die auf Bach und Händel
ersichtlich eingewirkt haben. Bach bewegt sich in Keisers Spur z. B.
in »Herr, gehe nicht ins Gericht«, Händel in »Esther«, besonders
auch in »Acis und Galathea«. Das Muster der Sopranarie »Fort, du
süße Sängerschar« mit der schönen Begleitung von Flöte und Violine
ist in Keisers »Octavia« II, 6 die Arie »Wallet nicht zu laut«.
Von den erhaltenen Opern Keisers sind die fürs Studium wich-
tigsten, als die reichsten: »Octavia« und »Crösus«, als eine der
frischesten ist »La for%a della virtu< zu empfehlen, »Pomona« inter-
essiert als Vorfahr der durch die italienischen Veristen wieder in Auf-
nahme gekommenen Einakter. Gedruckt wurden zu Keisers Lebzeiten
die Arien aus seinem s^Vinganno fedele<^. In Neudruck hat Eitner
Keisers »Jodelet« ^ vorgelegt, eine schlechte Wahl, weil diese Oper
nicht Keisers Wesen und Können, sondern den Verfall der Ham-
burger Oper widerspiegelt. Keiser hat's hier mit der Musik so ge-
macht, wie Feind mit der Poesie, er nimmt nichts mehr ernst, son-
dern geht aufs Travestieren aus. Eine gute Auswahl ist dagegen in
den Deutschen Denkmälern getroffen.
Unter den Komponisten, die neben Keiser wirkten, istMattheson
der bekannteste. Seine Opern sind aber viel geringer als seyie Kirchen-
musiken, gelungen nur in den Gassenhauern und Couplets. Musik-
geschichtlich interessieren sie am meisten durch die Zumutungen an
die Chorsoprane, für die das dreigestrichene c unter die gewöhnlichen
Töne gehört.
Nach Keiser ist der bedeutendste Komponist der Hamburger Oper
Telemann'^. Seine Stärke liegt in den komischen Szenen und bei
den pathetischen namentlich in Trennungs- und Abschiedsarien. Seine
Liebesszenen und erotischen Einlagen, zu denen die Verlegenheit der
Hamburger Dichter dem Ende zu immer eifriger greift, sind matt
und ermangeln alle der Leichtigkeit, durch die Keiser über solche
Aufgaben hinwegkam. In der Form Telemanns zeigt sich der fran-
1 Herausgegeben von Friedrich Zelle als 18. Band der Publikationen
der Gesellschaft für Musikforschung (Leipzig, Breitkopf u. H'artel, 1892).
2 K. Otzenn: »Telemann als Opernkomponist«, Berlin 1902.
Die deutsche Oper in Leipzig 151
zösische Einfluß mit reicheren Chören. Telemann war neben Keiser
der einzige, dessen Opern über Hamburg hinauskamen. Sein »Galan
in der Kiste« — im Text eine Nachbildung von Ayrers »Mönch
im Nachtkorb« ist in Berlin und Dresden als »Komödie von der
singenden Kiste« aufgeführt worden.
Nach 1678, dem Eröffnungsjahr des Hamburger Institutes, ist in
Norddeutschland nur noch ein Versuch zu einer deutschen Oper ge-
macht worden: in Leipzig. Zum ersten Male wurde in Leipzig
1685 eine Oper aufgeführt: »Das bezwungene Ofen«, möglicherweise
ein Weißenfelser Stück. 1689 ließ nun Nikolaus Adam Strungk*,
der von Hamburg wieder nach Dresden zurückgekehrt war, auf dem
Brühl ein eigenes Opernhaus erbauen. Darin ist von 1693 bis 1720
an den Oster- und Michaelismessen ununterbrochen gespielt worden,
zuweilen sechs Stücke im Jahr. Abweichend von Braunschweig und
Hamburg hat die Leipziger Oper weder biblische noch vaterländische
Stoffe verwendet, das gelehrte Element nimmt von Anfang an die
Führung zugunsten von Mythologie und Renaissance. Die erste Oper,
mit der das Strungksche Haus eröffnet wurde, ist eine »Alceste«,
das letzte Stück im Jahre 1720 eine »Berenice«. Und wie für diese
beiden, so sind für die Mehrzahl der in Leipzig aufgeführten Opern
die Texte aus der venezianischen Schule entnommen und übertragen
worden. Gelegentlich benutzte man Übersetzungen oder deutsche
Originalstücke aus Braunschweig, Weißenfels, Hamburg, wahrschein-
lich auch gleich mit der Musik. Die »Ariadne« von 1712 wird so
die Kussersche gewesen sein, der »Narcissus« von 1701 der »Echo
und Narcissus« von Bressand und Bronner, die »Schäferin Cloris«
Kriegers »Getreue Cloris«, die »Athanagilda« aus demselben Jahre
Keisers *Forza della virtu*. Von bedeutenden italienischen Kompo-
nisten lernten die Leipziger den Pallavicino (1693 ^Nero^) und
den A. Scarlatti {»Pirro e Demetrio^ 1696) kennen.
Die Bedeutung der Leipziger Oper liegt darin, daß sie eine Zeit-
lang als Pflanzschule einheimischer Talente diente. Im ersten Augen-
blick scheint man sogar darauf gehofft zu haben, daß die berufs-
mäßigen Vertreter des Humanismus die Oper zur eigenen Sache
machen würden. Die erwähnte und später öfters wiederholte Eröff-
nungsoper »Alceste« war von dem Konrektor der Thomasschule Paul
Thiemich gedichtet, an der Ausführung der von Strungk kompo-
nierten Musik beteiligten sich im Orchester und auf der Bühne viele
Studenten, die Hauptrolle aber sang Thiemichs Frau. Frau und Herr
Thiemich und Gesinnungsgenossen scheinen allerdings vor der Klein-
städterei bald zurückgewichen zu sein*^, aber die Studenten waren
und blieben jahrzehntelang als Instrumentisten, Sänger, Dichter und
Komponisten Stützen des Institutes. Die meisten kamen aus dem
1 Fritz Bereiid: »Nikolaus Adam Strungk«, München 1915.
2 Blümner: »Geschichte des Theaters in Leipzig«. 1818.
j^52 I^^s erste Jahrhundert der deutschen Oper
Thomanerchor. Joh. Kuhn au, der Vorgänger Seb. Bachs, hat sich
in einer Eingabe an den Rat am 17. März 1709 über den Schaden
beschwert, den die Oper der Kirchenmusik zufüge. Da waren ein
guter Sopranist Peschel und ein Bassist Petzold, durch Opern-
unternehmer verlockt, nach auswärts entlaufen. Zur Messe aber
kamen sie nach Leipzig zurück^ sangen auf der Oper und erschienen
den ehemaligen Mitschülern als beneidenswerte und verführerische
Größen.
»Die andern aber — fährt Kuhnau fort — , welche mit Frieden di-
mittirt werden, nachdem man ihnen zwar viel durch die Finger sehen
müssen, machen es nicht viel besser. Denn anstatt daß sie zur Dank-
barkeit vor die grroße auf sie gewandte Mühe dem Ghoro Musico ferner
Dienste leisten sollten, so gerathen sie gleichfals bald unter die Operisten.
Und wie es freilich lustiger zugeht, wo man Operam spielt, in öfient-
lichen Cafifehäusern auch zu der Zeit, da die Musik verboten ist und
des Nachts auf den Grassen oder sonst immer in fröhlichen Compagnien
musiciret, als wo dergleichen nicht geschehen kann. Also leisten sie
auch folgentlich lieber einander (und) ihres Gleichen in der Neuen Kirche
Gesellschaft, als daß sie unter denen Stadtpfeifern und Schülern stehen
und dem . . . Ghoro Musico beiwohnen sollten. <
Es blieb aber dabei, daß die alten Thomaner als Studenten für
den Thomanerchor nicht mehr zu haben waren. Sie sammelten sich
in einem neuen studentischen Gollegium musicum , das Tele mann
gegründet hatte. Daß der Rat und die maßgebenden Kreise den
hier vertretenen Bestrebungen sehr hold waren, ergibt sich daraus,
daß Telemann zum Organisten und Musikdirektor der neuen Kirche
ernannt wurde. Hierher folgten ihm seine Studenten, und die
Kirchenmusik der Neuen Kirche trat unter ihm und auch unter
Melchior Hof mann, der als Student einer der gefeiertsten Opern-
komponisten war, und den weiteren Nachfolgern zu der der Tho-
maner in emen Gegensatz. Die öffentliche Meinung stand auf ihrer
Seite; hier war Opernluft und neue Zeit. Erst Bach brach der
Gefahr durch geschickte Politik die Spitze ab: bei einer unerwar-
teten Vakanz brachte er die Direktion des ehemaligen Telemannschen
Gollegium musicum an sich. In dieser Stellung hat er die beiden
letzten Orchestersuiten und seine weltlichen Chorkantaten, die den
bezeichnenden Titel dramma in musica führen, geschrieben. Eine
wirkliche Versöhnung der Parteien gelang ihm indessen nicht. Das
italienische Fahrwasser, in dem die Leipziger Operisten trotz des
deutschen Textes segelten, war ihm nicht vertraut. Schon zu Leb-
zeiten Bachs bestimmte ihm der Rat in Gottlob Harrer, einem
Musiker, der den italienischen Stil, wenn auch nur in der aller-
flachsten und trivialsten Weise, vertrat, einen Nachfolger. So ver-
lief also die Entwicklung der deutschen Oper in Leipzig ganz wider
die ursprünglichen Absichten. 1727 wird das Strungksche Opern-
haus abgebrochen^ es folgt eine Lücke in der Geschichte der Oper
G. Ph. Telemann 153
in Leipzig, 1744 zieht eine italienische Truppe im Reithaus ein.
Aus der Reihe der ehemaligen Leipziger ist aber eine Anzahl von
Komponisten hervorgegangen, die sich an den auswärtigen Ver-
suchen einer deutschen Oper hervorragend beteiligten. Keiser,
Grunewald, Graupner^, Telemann in Hamburg, Stölzel in
Altenburg, Boxberg^ in Ansbach sind Leipziger Studenten ge-
wesen. Als Sänger sind Bender in Wolfenbüttel, Petzhold in
Hamburg, als Instrumentisten Pisendel in Dresden und Johann
Böhm in Darmstadt berühmt geworden.
Mit Leipzig war der letzte Posten im Schützschen Revier gefallen.
Neben ihm kommen nur noch einige in Süddeutschland für eine
deutsche Oper unternommenen Versuche in Betracht. Ihr Hauptsitz
ist Nürnberg^.
Es ist nicht allgemein bekannt, daß das schöne Nürnberg, in
dem noch heute die Steine von der Blüte und dem Glanz alter
deutscher Kunst erzählen, auch musikalisch jahrhundertelang obenan
gestanden hat. Für die Periode des unbegleiteten einstimmigen
Gesanges hat R. Wagner mit seinen »Meistersingern von Nürnberg«
wieder daran erinnert, für die Zeit des Chorliedes und die Jugend
der Orchestersuite tritt seine Bedeutung aus dem noch erhaltenen
Material hervor. Die ganz überwiegende Masse ist in Nürnberg
gedruckt und verlegt, eine Anzahl der hervorragendsten deutschen
Komponisten der älteren Zeit von Konrad Paumann bis zu Leo
Hassler sind Nürnberger Kinder, oder sie haben vorübergehend in
der Stadt Hans Sachsens und Peter Vischers gewirkt. Da kam der
Dreißigjährige Krieg und stürzte Nürnberg geistig so, daß es sich
bis heute vom Fall noch nicht w^ieder erholt hat. In Musik und
Theater ist es nie wieder über die Provinzstufe herausgekommen,
auch das geschichtliche Interesse für die Leistungen der guten
Zeiten ist zu spät, erst in dem Augenblick erwacht, wo Dokumente
und alle Quellen vernichtet waren. Was insbesondere sich über die
Oper in Nürnberg erfahren ließ, ist in einem Büchel von Hyssel
zusammengetragen, das als »Geschichte der Oper in Nürnberg« im
Jahre 1860 erschienen ist. Erst in allerneuester Zeit sind diese
Mitteilungen durch Sandberger in bezug auf die Löhnersche Zeit
erweitert worden. Nürnberg hat sich das Musikdrama in den vier-
ziger Jahren anzueignen gesucht und dabei das nationale Prinzip
vertreten. Aus den Bürgerkreisen und aus den Kirchen chören nahm
man die ausführenden Kräfte, Dichter und Komponisten waren aus-
schließlich Nürnberger. Die Aufführungen waren in der ersten Zeit
1 Friedrich Noack : »Christoph Graupners Kirchenmusiken«, Leipzig 1916.
2 H. Mersmaan: »Beiträge zur Ansbacher Musikgeschichte«, Eieleben
1916.
3 A. Sandberger: »Zur Geschichte der Oper in Nürnberg usw.« (Archiv
für Musikwissenschaft. I, S. 84.
154 Das erste Jahrhundert der deutschen Oper
Kunstfeste, an denen die ganze Stadt teilnahm, und sie fanden nur
selten statt. Der Mehrzahl nach waren die aufgeführten Opern bib-
lische Stoffe, Theaterstücke, wie man sie von alters her aus den
Aufführungen der Gewerke, aus den Schulkomödien, Moralitäten
gewohnt war. Noch strenger als in Braunschweig, Weißenfels,
Hamburg, Leipzig, als im Schützschen Gebiet, hielt man sich von
Griechen und Römern fern; die Nürnberger ignorieren die Renais-
sance noch vollständiger als die Altenburger. Das einzige, was sie
von der neuen Kunst interessiert, was sie nachzubilden suchen, ist
die musikalische Vertonung des ganzen Gedichts, die Musik als
Mittel einer feierlicheren Wirkung, als Verklärung von Poesie und
Drama. Sie setzen (nach Hyssel) im Jahre 1643 mit einem Stück
ein, dessen Inhalt die Verherrlichung der Musik selbst bildet. Es
heißt: »Entwurf des Anfangs, Fortgangs und der Veränderung, des
Brauchs und Mißbrauchs der edlen Musica<. Das muß eine Art
historischen Konzerts, ein Zyklus dramatisierter Bilder aus der Musik-
geschichte gewesen sein. Es beginnt vor der Erschaffung der Welt
mit dem Gesang der heiligen Engel, die Gott loben, führt dann in
22 Teilen vom Himmel zur Erde und in die Hölle, wo durch Vokal-
musik und Kontrapunkt das Zetergeschrei der Verdammten wieder-
gegeben wird, und schließt mit einem Hymnus, der mit allen In-
strumenten musiziert wird. Zuletzt — sagt die alte Beschreibung
— »blasen die Trompeten dreimal auf und die Heerpanken schla-
gen drein«.
Im Jahre 1668 müssen die Opern Vorstellungen häufiger geworden
sein. Bis dahin hatte man nur am Tage Theater gespielt, jetzt ist
ein Nachtkomödienhaus da, in dem Aufführungen bei Lampenbeleuch-
tung veranstaltet werden. Der Volksmund aber nennt es Opern-
haus, und in dieses Opernhaus scheint allerdings die Renaissance
eingedrungen zu sein. Hyssel nennt einen »Arminius« als Eröff-
nungsstück, unter anderm muß da auch ein »Theseus« aufgeführt
worden sein. Denn aus diesem »Theseus« hat der Komponist, der
Nürnberger Organist Joh. Löhner, bekannt durch seine Arien und
seine Tafelmusik, im Jahre 1688 44 Arien drucken lassen, was
Hyssel unbekannt geblieben ist. Aus Marpurg wissen wir ferner,
daß 1687 der »Gerechte Seleucus«, aus dem Italienischen übersetzt,
mit Musik von Löhn er aufgeführt worden ist. Die biblische
Richtung hat sich aber daneben immer behauptet. 1685 zeigt sie
sich in dem »Beneideten und doch unverhinderten Eheglück Jakobs«
— Fischer ist der Komponist — , 1696 in einem Singspiel »Die
Eroberung Jerichos« 1698 in einem Stück »Die glücklich wieder
erlangte Harmonie«. Es ist nicht ausgeschlossen, daß günstige Zu-
fälle und Bibliotheksforschungen diese Mitteilungen doch noch
weiter vervollständigen. Aus der Anfangszeit der Nürnberger Oper
haben wir mittlerweile einen »Seelewig« von 1644 kennen gelernt,
und zwar wissen wir von ihm nicht bloß den Titel, sondern er ist
Die deutsche Oper in Nürnberg, Ansbach, Durlach 155
in Tex't und Musik erhalten i. Der Dichter ist Harsdörfer, der
Komponist der durch Chorwerke und Suiten bekannte Gottlieb
Staden. Der »Seelewig« gehört zu den Moralitäten, zu den vielen
christlichen Variationen über das alte Motiv vom »Herkules am
Scheidewege«. Die Komposition zeigt uns, daß die Nürnberger auch
musikalisch originell sein wollten und sich um Italienisch nicht ge-
kümmert hatten. Sie wußten also nichts vom Rezitativ: alle Er-
zählungen und Gespräche sind in einem taktmäßigen melodischen
Liederstil gesetzt, ähnlich, wie die Florentiner die kleinen Prologe
ihrer Opern komponierten. Auf den Charakter des Textes nehmen
^ie Erfindungen des Komponisten wenig Rücksicht, sein Werk hat
rührende Züge, aber in der Hauptsache ist es zurückgebliebene
Biedermannskunst.
Auch davon ist Hyssel nichts bekannt geworden, daß die Nürn-
berger Oper nach andern süddeutschen Städten Absenker lieferte.
Die Verbindung mit Ansbach (oder Onolzbach) stellt Löhner her,
in den neunziger Jahren vertritt Boxberg, den wir von Leipzig
her kennen, zuletzt das deutsche Element, aber schon von Pistocchi
und andern Italienern umgeben. Noch früher als Ansbach, schon
1662, hatte die andere Brandenburgische Nebenlinie, die Kulmbacher,
in ihrer neuen Residenz Bayreuth mit deutscher Oper eingesetzt.
Sie "hält bis 1726 daran fest, obwohl zwischendurch italienische
Werke von Pistocchi, Conti, Pollarolo neben solche von
Stölzel gesetzt werden. 1708 schreibt Zeno für Bayreuth seinen
»Narcisso^. 1747 stellt der prachtliebende Markgraf Friedrich ein
neues prächtiges Opernhaus, noch heute eins der größten Theater-
gebäude in Deutschland, in den Dienst einer italienischen Truppe.
Dagegen glänzt Stuttgart, wo unter Karl Eugen die italienische Oper
ständig wird, mit dem Besitz eines Jommelli. Am längsten bat
Berlin gezögert, erst 1740 gestattet sich der preußische Hof den
Luxus einer Oper, dann aber auch sofort einer italienischen.
Aber die Nürnberger selbst scheinen noch im Anfange des 18. Jahr-
hunderts an einer deutschen Oper festgehalten zu haben. Wie wir
aus einem Briefe R. Keisers wissen, standen sie mit diesem Haupt-
vertreter der deutschen Oper im Jahre 1720 in Verbindung 2.
Keiser hielt sich damals von 1717 ab drei Jahre lang in Süddeutsch-
land auf, hauptsächlich in Ludwigsburg. Für den dort residierenden
Württembergischen Hof hat er eine kleine Oper, »Der Luststreit«,
komponiert, deren Text sich noch erhalten hat. Indessen gelang
es ihm nicht, Stuttgart für die deutsche Oper, die hier vorher
Kusse r vertreten hatte, zu retten.
1 Das Original im Germanischen Museum zu Nürnberg; Auszüge gibt
A. Reißmann: »Musikgeschichte«; einen teilweisen Neudruck bringen Eitners
Monatshefte für Musikgeschichte XIII, S. 53ff,
2 Sittard (a. a. 0. I, 108.).
j^56 Das erste Jahrhundert der deutschen Oper
Die letzte süddeutsche Stütze der deutschen Interessen war Dur-
lach, die Residenz der Markgrafen von Baden, das spätestens 1684
eingesetzt haben muß. Auch hier wurden Keisers Opern aufge-
führt, und Keiser selbst hatte gehofft, als die Hoffnungen in Stutt-
gart zerrannen, hier eine Zuflucht zu finden. Von einheimischen
Durlacher Komponisten ist Schweitzelsperger bekannt, von seinen
Arbeiten eine »Lucretia«. Sie liefert einen weiteren Beweis für
die Minderwertigkeit der deutschen Kunst im Musikdrama. Auch
Durlach ging verloren.
Vom Jahre 1730 ab ist es mit der deutschen Oper zu Ende;
überall herrschen die Italiener. Obenan stehen mit ihren Leistungen
Wien und Dresden. Wien hatte die stärkste Kapelle, sicherte sich
jederzeit die berühmtesten Kompositionen, wenn es die Komponisten
nicht selbst haben konnte; alle Größen, auch der Neapolitanischen
Schule, Scarlatti, Hasse, Perez, Traetta, Jommelli haben für
Wien eigene Opern komponiert; die ersten Virtuosen der italieni-
schen Bühne vom Pompeo Sabbatini bis auf Guadagni haben
in Wiener Diensten gestanden. Mitten in der schwersten Kriegsnot
hatten die Kaiser Zeit für ihre Oper, komponierten selbst mit, Hof
und Adel lebten im Musikdrama. Dresden hat das Glück gehabt,
einige der ersten italienischen Meister zu Kapellmeistern zu ge-
winnen: Pallavicino, Lotti, Hasse wirkten dort nacheinander.
München hat mehr Wert darauf gelegt, mit eigenen italienischen
Kräften als mit den besten vorhandenen zu arbeiten.
Volksfreunde und Patrioten haben diesen Gang der Dinge immer
wieder beklagt, und die großen Ausgaben, die die deutschen Fürsten
des 17. und 18. Jahrhunderts für eine fremde und vielfach zweifel-
hafte Kunst machten, auf Verschwendungssucht, auf eitle Nach-
ahmung Ludwigs XIV. zurückgeführt. Ludwig XIV. muß da aus-
geschaltet werden, denn die Mehrzahl der deutschen Opernversuche
setzt früher ein als die Tätigkeit der französischen Academie de
musique. Die Ausgaben waren allerdings oft riesengroß, unver-
hältnismäßig, unbesonnen, von einem unverantwortlichen Ehrgeiz
diktiert. Wir hören aus Wien und Dresden von 100000 Talern und
von 400000 Talern, auf einen einzigen Opernabend gewendet und
auch der übliche Kostendurchschnitt, in Wien 10—20000 Gulden
für eine Aufführung, dünkt uns noch hoch genug. Wir hören von
Sängergehalten, die auch heute noch märchenhaft klingen. Aber
alle diese Ausschreitungen dürfen niemanden darüber beirren, daß
die Oper als ein notwendiger Kulturaufwand erschien, daß die Opfer
unvermeidlich waren, wenn Deutschland im Kunstverkehr, der im
17. Jahrhundert ohne Bahn und Telegraph einen regeren inter-
nationalen Charakter trug als in der Gegenwart, mit Schritt halten
wollte. Wie uns der Humanismus die gelehrten Schulen und
Universitäten gebracht hatte, so mußten wir uns auch mit der
letzten Tat der Renaissance, der Reform des Theaters durch das
Das Ende der deutschen Oper im 18. Jahrhundert
157
Musikdrama, abfinden. Da unsere einheimischen Dichter und Musiker
hiebei versagten, so blieb nichts übrig, als nach den Originalen zu
greifen und die italienische Invasion zu dulden. Was man von der
Oper erwartete, hat sie in Deutschland am allerwenigsten geleistet.
Doch aber hat sie auch bei uns verhindert, daß das Theater ganz
der Staatsaktion und der Roheit verfiel. Den größten Nutzen aber
zog von ihr die deutsche Musik. Sie ward durch die Italiener ge-
schmeidig, und von der Oper her verbreitete sich die Liebe und
Lust zur Musik auf neuen Wegen und in neue Kreise. Die Ent-
wicklung auch der deutschen Instrumentalmusik ging von der Oper
aus; den Musikreichtum Böhmens, Österreichs, Süddeutschlands und
damit unsere Wiener Klassiker verdanken wir der Opernliebe der
österreichischen Kaiser.
Italienisclie Oper unter den Neapolitanern
Während der Zeit, in welcher in der französischen Oper und in
der deutschen neue Seitenlinien erblühten oder verdarben, stand das
italienische Musikdrama in seiner Entwicklung nicht still.
Was den dichterischen Teil betrifft, so war diese weitere Ent-
wicklung eine günstige. Es gelang zunächst das Drama wieder von
den possenhaften Elementen zu befreien, die bei Beginn der vene-
zianischen Periode als Zugeständnisse an das zahlende Volk einge-
fügt worden waren. Daß dieses komisehe Unkraut nicht die ganze
Oper zu Falle brachte, daß der Verlauf anders wurde als in Ham-
burg, das war das Verdienst des Silvio Stampiglia, des Hof-
poeten am kaiserlichen Hofe zu Wien, der in den letzten Jahrzehnten
des 17. Jahrhunderts unter den italienischen Librettisten in den
Vordergrund trat. Er war es auch, der an die Stelle des äußer-
lichen Schauwesens, der Jagd disparater, zusammenhangloser Szenen
wieder bedeutungsvolle Handlungen zu setzen suchte, Handlungen,
in denen einfach menschliche, allgemein verständliche, vom Wechsel
der Zeit unabhängige Verhältnisse die Herzen der Zuschauer in Be-
wegung setzten und tiefer ergriffen. Ein solches wirkliches, schönes
Drama, frei von den Unarten des damaligen Theaters, ist nament-
lich Stampiglias »Mario fugitivo^^ ein Stück, das das Motiv der
aufopfernden Gattenliebe in Wendungen und in einer Auffassung
durchführt, die ziemlich genau mit dem »Fidelio« übereinstimmen.
In der schönen Komposition des Giov. Bononcini wurde dieser
> Mario fugitivo^ eine der verbreitetsten Opern in den ersten Jahr-
zehnten nach 1700.
Befestigt und weitergeführt wurden die Reformen des Stampiglia
durch Apostolo Zeno^, seinem Nachfolger als kaiserlichem Hof-
1 M. Fahr: »Apostolo Zeno und seine Reform des Opemtextes«. Zürich
1912; A. Wotquenne: »Alphabetisches Verzeichnis der Stücke in Versen
Apostolo Zeno 159
poet. Zeno, ein nicht unbedeutender Gelehrter, der auch das Amt
des Historiographen am kaiserlichen Hofe bekleidete, eine ernste
und edle Natur, riß das Musikdraraa mit einem Rucke aus den
Bahnen anekdotischer Unterhaltung empor, in die es in Venedig ge-
raten war. Die accidenti verissi'ini oder stranissimi^ in deren Er-
findung die Aureli und Minato ihren höchsten Stolz gesetzt hatten,
schränkte er ein, befreite sie von Anachronismen und hielt sich
streng, pedantisch fast, an die Überlieferung der alten Quellen.
Sein Schillersches Hauptziel war : durch Vorführung edler Charaktere
das Musikdrama, das Theater überhaupt zu einer Schule der Tugen-
den zu machen. Scharfsinn und Reife des Urteils in kritischen
Lagen, Großmütigkeit gegen Beleidigung und gegen Feinde, Maß
im Glück, Tapferkeit im Unglück, Beständigkeit der Freundschaft,
treue Gattenliebe, starke Hilfe den Unschuldigen geleistet, Erbarmen
gegen Elende, Wohltun, Gerechtigkeit — das waren die Eigen-
schaften, die das Volk an den Helden Zenos lernen sollte. Freilich,
ein wirklich dramatisches Genie besaß Zeno nicht. Fast keines
seiner Dramen kommt ohne die landesüblichen Notbehelfe der Ver-
kleidung und Verwechslung, ohne die starken Drucker der Gifttasse
und dergleichen Krücken zu Ende, und dem Edelmut seiner Helden
ist zuweilen ein starker Teil Übertreibung und Unnatur beigemischt.
Aber durch die Größe seiner Absichten und sittlichen Ziele, durch
die Reinheit und Strenge, mit der er sie durchführte, verdient er
sich einen Ehrenplatz unter den dramatischen Dichtern seiner Zeit.
In der Geschichte der Oper braucht man nicht anzustehen, ihm die
erste Stelle einzuräumen. Sein ^ Lucio Verot — »Rodelinda« bei
Händel — -, sein ^Temisiocle^j seine »Merope^^ -»Ifigenia in Äiilide*^
-»Scipione neue Spagne« ^ seine >Nitocri< gehören zu den besten
Opemdichtungen, die wir bis heute besitzen. Man kann sie mit
Genuß lesen ; der Musik kommen sie durch den knappen, energischen
Rhythmus der Sprache entgegen. Die Bedeutung dieses Dichters
ist in Italien noch am Ende des 18. Jahrhunderts in einer Gesamt-
ausgabe seiner sämtlichen Musikdramen zum Ausdruck gekommen.
Sie umfaßt unter dem Titel ^Poesie drammatiche di Ap. Zeno«,
Torino 1795, 12 Bände; in ihnen 47 Opern und 12 Oratorien.
Die Italiener haben dem Zeno einen andern vorgezogen, seinen
Nachfolger Pietro Metastasio^. In italienischen Literatur-
geschichten, Theaterchroniken usw. findet sich der Name des
Metastasio allen Ernstes neben den des Homer gestellt. Die Ita-
liener halten ihn für einen der größten Dichter aller Zeiten, und
aus den dramatischen Werken von Zeno, Metastasio und Goldoni«. Leipzig
1905; L. Pistorelli : »Le melodrammi inediti di Apostolo Zeno <. (Riv. mus.
m, S. 261 fif.)
1 Angelo de Gubernatis: »Pietro Metastasio«. Seria di lezioni fatte
neir Universitä di Roma 1909—1910 (Triest 1910).
160 Italienische Oper unter den Neapolitanern
1898 wurde im ganzen Lande der 200jäkrige Geburtstag dieses
Mannes mit einer Begeisterung begangen, wie wir Deutsche kaum
unsem Schiller und Goethe feiern. Nun, wer in einer der vielen
Gesamtausgaben der Werke des Metastasio, vielleicht in der vier-
zehnbändigen Turiner vom Jahre 1822, seinen *Ättilio Regolo« auf-
schlägt, wird ihm die Anerkennung nicht versagen können, daß er
ein bedeutender Dramatiker war, in dem ein Hauch Sophokleischen
Geistes lebt. Aber dieser Ȁttilio*j dieses Hohelied der Seelen-
größe, ist doch mehr eine Ausnahme unter den Werken Metastasios.
Für uns Deutsche ist er zu schwach, zu schmachtend und zu sehr
Manierist, zu sehr ein Kind einer verliebten italienischen Periode.
Zeno ist ernster und männlicher. Wenn trotzdem seine Landsleute
den Metastasio vorzogen, so beruht das darauf, daß die Dichtungen
des Metastasio so effektvoll in der Sprache waren; Metastasio ist
ein Virtuos der Sentenz, ganz und gar das Produkt und damit der
geborene Führer einer empfindsamen Zeit, ein Labsal für schöne
Seelen, die über Gemeinplätze in Rührung und Andacht geraten,
w^enn sie in gute Verse gekleidet sind. Noch reicher fast als an
Sentenzen ist Metastasio an vergleichenden Bildern; Gutzkow hätte
ihn für sein Pamphlet über den Schwulst in der Poesie benutzen
müssen, wenn er ihn gekannt hätte. Es sind dieselben Bilder vom
Schiffer im Sturm, von dem girrenden Täubchen, die bei jeder
Regung von Fried und Freud immer wiederkehren. Man begreift
eine Zeit nicht, die dieser Trivialitäten nicht müde wurde. Aber
der Wohlklang war es, der es den Lesern antat und die Haupt-
sache: dieser blendende Zierrat ließ sich musikalisch so gut ge-
brauchen.
Man kann die Frage, ob Metastasio bedeutender war als Zeno oder
nicht, auf sich beruhen lassen. Genug, die Zeitgenossen schwärmten
für ihn. Maria Theresia bezeichnete es als einen der größten Glücks-
umstände ihres Lebens, den großen Metastasio zu besitzen; eine
andere Wiener Dame setzte ihn zu ihrem Universalerben ein. Da
war aber M. anständig und vernünftig genug, die Erbschaft zu-
gunsten des hinterlassenen Mannes und der Kinder zurückzuweisen.
Calsabigi stellt ihn in der Vorrede zur Turiner Ausgabe von 1751
über Corneille und Racine, und noch dreißig Jahre später schien
er unserm Joh. Ad. Hiller Sophokles und Euripides übertroffen zu
haben. Hundert verschiedene Ausgaben beweisen die Verbreitung
der Werke Metastasios, und unter den italienischen Komponisten um
die Mitte des 18. Jahrhunderts ist wohl keiner, der nicht Dichtungen
dieses Mannes komponiert hätte. Namentlich Metastasios »Olym-
piade« wurde das übliche, dramatische Pensum, an dem die Kräfte
fast gerade so regelmäßig gemessen wurden, wie in der Kirchen-
musik an dem Text der Messe. Neben dieser und dem ^Attilio<^ sind
als Hauptopern Metastasios noch zu nennen der :» Ärtaserse* ^ ^Ädri-
ano in Siria « , » Demetrio « , > Ezio « , » Didone abbmidonata « , » Siroe « ,
Pietro Metastasio 161
»Catone in Utica*, ^Demofoonte^j ^ Älessmidro nelT Indien ^ -»Giro ri-
conosciuto*.^ » Temistocle<i , •»Semiramide^^ »II Ee Pastore*, *Il Sogno
di Scipione«. Im ganzen sind 57 Operndichtungen von ihm gedruckt
worden.
So gewiß nun die Arbeiten Metastasios und namentlich die des
Zeno eine Reform und einen Fortschritt darstellen, wenn wir sie
gegen die Operndichtung der Venezianer und Hamburger halten, so
gewiß sie im Gefühlsgehalt selbst den französischen Werken über-
legen sind, so wenig entsprechen sie doch den Anforderungen an
ein gutes Drama im allgemeinen. Dem Inhalte nach bilden sie fast
alle dasselbe Einerlei von Staatsaktion und Liebelei, die Form aber,
in der sie ihre dürftigen Probleme entwickeln, ist unfrei und mecha-
nisch, mehr Schablone als Form. Die Führung der Handlung folgt
fremden Gesetzen, Gesetzen, die nicht aus der Natur der Charaktere
und Ereignisse entspringen. Den Dichtern ist die Darstellung eines
großen und merkwürdigen Schicksales weniger Hauptsache, als viel-
mehr ein Vorwand, ein Mittel eine Reihe vorher fertiger, herge-
brachter und üblicher Theaterefifekte auszubreiten. Hatten die Dichter
früher in der venezianischen Schule ihre Stärke in den accidenti
verissimi gesucht, in der Erfindung von allerhand ergötzlichen und
erstaunlichen Episoden, so verlegten sie jetzt ihre Kraft darauf, aus
der Handlung einen reichen lyrischen und didaktischen Ertrag zu
ziehen. Jede Szene, gleichviel, ob bedeutend oder unbedeutend,
schloß mit gefühlvollen und schwungvollen Versen, die geringfügig-
sten Wendungen endeten mit großen Betrachtungen; der Reflexion,
der Selbstbespiegelung und Empfindsamkeit war kein Ende. Die
Handlung stand still, die Hauptziele kamen außer Sicht, nur damit
alle, auch die letzten Nebenpersonen, passend oder nicht, ihr Herz
ausschütten konnten.
Durch die Reform, die durch die Namen Stampiglia, Zeno und
Metastasio vertreten ist, war der Operndichtung der demokratisch
vulgäre Charakter, den sie in der venezianischen Oper angenommen
hatte, wieder abgestreift. Die Spaßmacher und die komischen Szenen
waren über Bord geworfen, an die Stelle des bunten Wirrwarrs war
eine ruhigere und vornehmere Führung der Handlung getreten, das
Musikdrama hatte sich dem antiken Vorbilde wieder mehr genähert,
zeigte wieder einen ernsteren und edleren Geist. Es tat aber in
dieser Richtung zuviel. Namentlich Metastasio ging in dem Streben
gedankenreich und gefühlvoll zu sein, über das rechte Maß weit
hinaus, zerstörte mit seiner Überschwenglichkeit an Betrachtungen
und Bildern, an lyrischen Ruhepunkten die Ökonomie der Dramen,
und verwischte den Unterschied zwischen Haupt- und Nebenszenen,
zwischen bedeutenden und unbedeutenden Vorgängen, Ja schlimmer
noch, er zieht den Vorwand zu Herzensergüssen künstlich herbei.
Dafür finden sich in allen Dichtungen des Metastasio Beispiele in
Hülle und Fülle; mit einem der stärksten beginnt gleich sein Haupt-
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. H
162 Italienische Oper unter den Neapolitanern
werk, der »Attilio Regolo^. Attilia ist von Karthago, wo der Vater
seit fünf Jahren als Geißel gefangen sitzt, heimlich nach Rom ge-
eilt, um seine Befreiung zu betreiben. Da trifft sie den Licin, ihren
Geliebten, und macht ihm heftige Vorwürfe, daß er noch nichts für
den Mann getan, dem er alles dankt. Sie will nun selbst den Kon-
sul stellen, und mitten in der Volksmenge erwartet sie ihn. Es ist
ein Augenblick voll Spannung. Aber seine Wirkung wird vernichtet.
Denn die hochpolitische Szene schließt mit einer Liebesarie. Als
Attilia den Konsul erblickt, sagt sie zum Licin:
»Nun geh!«
Licin: »Ach, nicht eines Blickes würdigst du mich?«
Attilia: »Jetzt bin ich Tochter und nicht Liebhaberin«.
Licin: »Du bist Tochter; ich auch preise die Erinnerung an den
Vater; aber denke du, mein Alles, dann und wann nur auch an
mich. — Deines schönen Herzens Tugend wird, Geliebte, nicht
beleidigt, wenn du dich der Treue erinnerst dessen, der für dich
nur lebt.«
An dieser Stelle die Handlung aufzuhalten, ist doch ganz ver-
kehrt. Aber noch ärger ist es fast, daß durch die Verse des Licin
der ganzen Szene ein falscher Stempel aufgedrückt wird. Denn darin
war nicht von Liebeshändeln die Rede, sondern von politischen.
Und so wie in diesem Beispiele ist es in der Hälfte aller Fälle
überall in den Opern des Metastasio, die Musik unterstützt die Hand-
lung nicht, sondern sie bricht ihr die Spitze ab, läuft bestenfalls
neben ihr her.
Das fällt heute jedermann als ein Grundgebrechen an den Arbeiten
des Metastasio auf. Wir fragen verwundert, wie konnte das dem
gescheiten Mann und seiner Zeit entgehen? Das entging ihm, weil
die gebildete Welt des 18. Jahrhunderts ganz unter dem Zeichen der
Empfindsamkeit stand. Die heroischen Elemente ruhten, insbesondere
in den südlichen Ländern. Erst von Norden her, in Karl XH. von
Schweden, in Peter dem Großen und namentlich in dem Alten Fritz
traten wieder große Männer auf und setzten die Volksseele in kräf-
tige Erregung. Das war die Zeit der schönen Seelen; der confessions
und Bekenntnisse, die Zeit des Rokoko, die den Wert des Zierlichen
und Kleinen überschätzte, eine Zeit, die in dem notwendigen und
ehrenvollen Kampf gegen eingerissene Roheit ins Extrem verfiel und
mit den Talenten des Feingefühls, der Herzenszartheit und Einfalt einen
eitlen Kultus trieb. In der Geschichte der deutschen Lyrik ist diese
Geschmacksverirrung durch die zahlreichen Lieder der Güntherschen
Schule, die die Genügsamkeit feiern, die Schwärmereien über die
Tasse Kaffee, eine Pfeife Tabak, über die Reize des Kanapees nach
der einen Seite festgelegt, nach der andern durch die Schäferpoesien
der Frau Gottsched, der Mariane von Ziegler und durch Freund-
schaftslieder wie Klopstocks »Ebert, mich scheucht ein trüber Ge-
danke«, mit seiner krankhaften Sentimentalität. In der dramatischen
Pietro Metastasio 163
Dichtung bildeten die Metastasioschen Opernbücher den stärksten
Auswuchs jener empfindsamen Zeit. Mit ihnen nimmt, wie einst in
der Florentiner Periode, die Aristokratie wieder Besitz vom Musik-
dräma; aber wie die venezianische Herrschaft ihre Spaße und ihren
plebejischen Geschmack hineintrug, so bringt das neue Regiment in
der Oper seine Gefühlsseligkeit zur Geltung.
Zum Teil w^irken in den Fehlern der Metastasioschen Dichtungen
die Sünden der venezianischen Schule weiter fort. Denn sie hatte
das dramatische Gewissen eingeschläfert und alle daran gewöhnt, das
Interesse an der Haupthandlung hinter Nebendingen zurückzusetzen.
Die Musik hatte in den venezianischen Opern mit den häufigen Lied-
einlagen ihre alte Neigung zur Selbstherrlichkeit wieder einmal durch-
gesetzt, und man schritt auf dieser Bahn weiter und machte dem
Sologesang immer größere Zugeständnisse, je stattlicher er sich selbst
entwickelte und an innerem Gehalt wie an äußerem Reiz gewann.
Die Vernachlässigung des Dialogs, die gleich nach Cavalli schon be-
merkbar wurde, nahm immer mehr zu. Das sogenannte Rezitativ
ward zum Stiefkind der Komposition, der Beiname Secco-Rezitativ,
den es erhielt, bezeichnet das Verhältnis. Nur ausnahmsweise be-
mühten sich die Musiker hier etwas zu bieten und ausdrucksvoll zu
sein. Ihre ganze Kraft wendeten sie den lyrischen Stellen zu und
der Ausbildung der Gesangformen, in die sie eingekleidet wurden.
Es kam infolgedessen zu einer vollständigen Scheidung in der Musik
der Opern zwischen Rezitativ und Arien; man hatte eine Musik
ersten Grades in letzteren und eine Musik zweiten Grades in ersterem.
Die Komponisten schrieben oft für das Rezitativ die Noten gar nicht
hin, sondern nur die Worte, andermal bloß die Noten ohne Worte ;
kopierte man eine Partitur, ließ man die Rezitative ganz weg. In
dieser Fassung finden sich viele Opern des 18. Jahrhunderts in den
Bibliotheken. Das Publikum hörte den Arien zu, während der Re-
zitative plauderte es, und diese Gewohnheit hat sich in Italien bis
auf den heutigen Tag erhalten. Gluck hat dagegen nichts vermocht;
vielleicht gelingt es Wagner.
Metastasio rechnete nun mit diesem Unfug als mit einer Tatsache.
Die Mehrzahl seiner Szenen ist sq angelegt, daß das Rezitativ be-
ginnt und eine Arie schließt. In der Regel ergießt sich der Arien-
segen über alle Szenen gleichmäßig, ob sie bedeutend sind oder nicht.
Wenn der Vorgang selbst nicht natürlich zu einem lyrischen Er-
guß drängt, so wird die Gelegenheit dazu gewaltsam geschafi'en, so
wie es oben das Beispiel aus ■»Attilio Regolo«- gezeigt hat. Manch-
mal fehlt einer Szene die Arie, dafür haben andere deren mehrere ;
oft gestattet die Situation am Eingang einen geschlosseneu Gesang,
Träumern und Trauernden eine Arie, aufgeregten Personen ein be-
gleitetes Rezitativ.
Metastasio selbst und seine Lobredner haben in dieser Anwendung
der Arie einen rühmlichen und vollkommenen Ersatz des griechischen
11*
164 Italienische Oper unter den Neapolitanern
Chores erblickt. Als ob bei Äschylos und Sophokles der Chor je-
mals störte und sich als fremdes, äußerliches Element aufdrängte!
Der Mangel an dramatischem Takt, mit dem bei Metastasio die Arie
so oft eintritt, wird dadurch noch verschärft, daß er für seine Arien
immer dieselbe Form wählt. Es sind stets zwei Vierzeiler; der zweite
stellt sich im Inhalt in einen bald stärkeren, bald gelinderen Gegen-
satz zum ersten. Diese Anlage entspringt einer musikalischen Rück-
sicht; sie ist auf die sogenannte Dacapoarie zugeschnitten, eine
Form des Sologesanges, die wir schon bei Cavalli treffen. Sie paßt
für Situationen, wo ein gefaßter Entschluß von Zweifeln gestreift,
eine Hauptempfindung zur Klärung gebracht wird. Jetzt wird die
Dacapoarie ohne Rücksicht auf die Situation eingeführt. Sie drängte
im Laufe der Zeit alle andern Formen mehr und mehr zurück und
erlangte eine nur selten bestrittene Alleinherrschaft, hauptsächlich
deshalb, weil sie dem Sänger in dem Schlußteile, dem dritten Teile,
der im wesentlichen eine Wiederholung des ersten war, Gelegenheit
gab, seine Kunst im Variieren zu zeigen. Metastasio hat aber durch
seine Dichtung wesentlich dazu beigetragen, die Dacapoarie in der
Gunst des Publikums zu befestigen. Denn seine Vierzeiler sind
Meisterstücke, anmutige, zuweilen bedeutende Gedanken mit der
Kürze und Prägnanz des Sprichwortes in die Zeilen gedrängt.
Überhaupt ist dieser Dichter ein Virtuos der Sprache, und be-
sonders einer Sprache, wie sie der Musiker braucht, auch im Dialog.
Gleichmäßig beherrscht er die Affekte, immer findet er die rechten
anschaulichen Worte, und immer ist er klar. Auch als dramatischer
Erfinder ist Metastasio bedeutend, kühn in der Darstellung von
Seelengröße, wie in der *Statira<^, rührend in der Schilderung von
Freundschaftsverhältnissen, wie im ^Arminio*, in der •» lper77iestra <i .
Ein Kind seiner Zeit und seines Landes bleibt er in der Charakte-
ristik; seine Tyrannen, der Artabano im *Ärtaserse«. z. B., lassen
alle Teufel in der Grausamkeit hinter sich, in der Motivierung und
Wahl der Mittel, in der Lösung der Konflikte. Varus unterhandelt
nicht direkt mit Armin, sondern schickt seine Schwester, die Marzia,
vor, durch eine Liebschaft den Boden zu bereiten; der Meuchelmord
blüht, und der alte Deus ex machina feiert Triumphe. Am Schlüsse
der drei Akte überstürzen sich die Ereignisse in Metastasios Opern.
Segest will die eigene Tochter töten, nur aus Haß gegen den Armin.
Zur rechten Zeit kommen Armins Gefährten und entwaffnen das
Scheusal. Nach fünf Minuten ist dann aber die allgemeine Versöh-
nung fertig. In '»Ipermestra<(~ will Darvo den Linceo ermorden. Da er-
tönt's von draußen: *Moro il tiranno^ und die Tochter schützt den
unnatürlichen Vater. Der wird darüber gerührt, und mit einem
»Seid glücklich!« ist die Oper aus. In dieser Sucht auszugleichen
und die Handlungen ohne alle Schatten zu schließen, spricht sich in
den Metastasioschen Dichtungen ein äußerer Einfluß aus. Sie waren
als Festopern für die Höfe gedacht. Nur bei der ^Didöm<^ und
Alessandro Scarlatti J^ß5
einigen andern hat er sich ein Ende in Trauer oder Resignation
erlaubt.
Der Boden, auf den diese Dramatik des Metastasio die Kompo-
nisten verwies, war sehr ungünstig. Die venezianische Oper hatte
ihnen den Chor genommen; das Musikdrama der Wiener Hofpoeten
beschränkte sie auch im Sologesang. Die Texte der Dichter und die
Gewöhnung des Publikums entzogen den Dialog so gut wie ganz der
eigentlichen musikalischen Kunst. Die Arbeit im Rezitativ war un-
möglich oder unfruchtbar, die Tonsetzer waren vorwiegend nur Arien-
komponisten. In der Arie aber mußten sie ihre Kunst an drama-
tisch nichtige und unsinnige Aufgaben verschwenden; sie waren in
ihr an ein und dieselbe Modeform gebunden, die Dacapoarie, und
sie waren drittens nicht einmal in dieser Dacapoarie frei, sondern
sie mußten nicht bloß mit den Kräften der verfügbaren Sänger ver-
nünftig rechnen, sondern auch ihrem Ehrgeiz, ihrer Eitelkeit ent-
gegenkommen.
Bedenkt man diese Schwierigkeiten, diese Schranken und Hemm-
nisse, so kann man nur darüber staunen^ was die Musiker auf diesen
Grundlagen doch geleistet haben. Aus der Summe der italienischen
Opernpartituren des 18. Jahrhunderts tritt dann nicht das äußerliche
Blendwerk, das Triviale und das ganz Verfehlte in den Vordergrund,
sondern der reiche Schatz an Meisterstücken des Ausdrucks, den sie
für alle Lagen des Gemütslebens bieten.
Der Rückzug aus der reicheren und freieren Formenwelt Monte-
verdis und Cavallis beginnt deutlich schon in dem dritten Abschnitt
der venezianischen Periode bei Lotti, Caldara, bei Pallavicini und
Pollarolo. Noch entschiedener als sie steuern Domenico Freschi,
Domenico Gabrieli und Alessandro Stradella auf einen neuen Stil,
auf die Trennung von Rezitativ und geschlossenen Sologesang los.
Der vollständige Bruch vollzieht sich von dem Zeitpunkte ab, wo
die Süditaliener einsetzen und die neapolitanische Schule in der Füh-
rung der Oper an die Stelle der Venezianer tritt. Neapel war um
die Mitte des 17. Jahrhunderts mit 300 000 Einwohnern die größte
Stadt Italiens, der Sitz eines Königshauses, das an Glanz keinem
Fürstenhofe nachstehen wollte. Ganz natürlich fand hier die junge
Oper schnell Beachtung, in Francesco Provenzale auch bald einen
einheimischen Vertreter von Bedeutung. Der Künstler aber, der eine
Neapolitanische Schule ins Leben rief, die die Entwicklung des Musik-
dramas auf ein halbes Jahrhundert bestimmte, war Alessandro
Scarlatti. ^
Die Musikgeschichte steht diesem Meister gegenüber immer noch
vor mancher Lücke. Es ist noch nicht lange her, daß die Zeit
seiner Gebui't und seines Todes festgestellt worden ist, und zwar
lEd.Dent: »The operas of Alessandro Scarlattic (Samm elbände d. IMG
IV, S. 143 ff.); derselbe: »Alessandro Scarlatti«. London 1905.
166 Italienische Oper unter den Neapolitanern
durch Francesco Florimo, dem wir eine spezielle Geschichte der
neapolitanischen Schule verdanken. Sie erschien unter dem Titel
»La scuola musicale di Napoli* vier Bände stark im Jahre 1882.
Über die Ausbildung Scarlattis, über die Zahl seiner Werke sind
wir erst jüngst durch Dent unterrichtet worden. Ganz unerhört
war seine Fruchtbarkeit. Nach Burney, der auf mündlichen Über-
lieferungen fußte, soll er jeden Tag seine Kantate geschrieben haben.
Opern sind von ihm weit über hundert nachweisbar ; sein » Trionfo
deir onore< vom Jahre 1718 trägt die Bemerkung opera 170, seine
* Oriselda«- von 1720, die sich als Autograph im British Museum
zu London befindet, ist als 114. opera bezeichnet. 1725 starb Scar-
latti. Die reichliche Hälfte seiner Musikdramen, nämlich 64, ist
noch erhalten. British Museum besitzt: »La Rosmira*, in zwei
verschiedenen Handschriften, -»Oriselda*.^ »Vamor generoso*^ *La
caduta de^ Decemviri«^ ^ -»Scipione neue Spagne* ^ *Il trionfo deW
onore<^^ den *Ätiüio Begolo«- ; die Konservatoriumsbibliothek in Neapel
hat den -»Pirro*^ den *Prigioniero fortunato«-^ die ^Caduta dei decem-
viri*^^ den y>Tito Sempronio <i- ^ den •»Tigrane* und ^ Cambise* \ Modena
den -»Clearco in Negi'oponte* und »V Honesta negli araori\ München
den zweiten Akt von »Oe?iuinda«, die ^Ämazona Guerriera*. und
die -»Serenata^ von 1716. Mit je einem Stück sind Hamburg,
Dresden, Bologna vertreten. Die *Bosaura«. vom Jahre 1690 ist
im Druck erschienen und zwar als 14. Band der »Publikationen der
Gesellschaft für Musikforschung«. Die Wahl dieses Werkes hat
Chrysander veranlaßt in der irrigen Meinung, daß hier die Wiege
des begleiteten Rezitativs liege. Die Oper, der eine Liebesgeschichte
nach dem Prinzipe der Wahlverwandtschaften zugrunde liegt, ist
aber wohl geeignet, ein Bild vom Wesen und von der Kunst Scar-
lattis zu geben. Da empfiehlt es sich, ihn zunächst einmal in der
ersten Szene des zweiten Aktes aufzusuchen, da, wo Lesbo, der alte
Diener der Rosaura, sie, die über die Untreue des Geliebten un-
tröstlich ist, aufzuheitern sucht. Sie klagt in edlem Schmerze:
iPeno, ne son gradita*^ er singt ihr dazwischen die Romanze von
»La hella Margherita «^ ^ ein Volksstückchen, das die Trauernde an
glückliche Stunden ihrer Kindheit erinnern soll. Das ist der sin-
nige Zug in Scarlattis Natur, der alle seine Opern durchdringt. Er
hat Scarlatti in der Formengebung besonders glücklich geleitet.
Seine Duetten zeigen das am schönsten, wenn er die zweite Stimme
im Augenblicke, wo man es nicht erwartet, nach Rezitativen und
langen Unterbrechungen Motive und Themata der ersten Stimme
aufnehmen läßt. Im y>Ämor voluhile<!- fragt eine Freundin die El-
mira: »Woran denkst du?« Elmira weicht aus. Da stimmt das
Orchester das Thema einer Liebesarie an, die Elmira lange vorher
gesungen hat. Gewissermaßen ist das System der Leitmotive in
Scarlattis Oper schon da. Anmut und Liebenswürdigkeit sind das
Hauptmerkmal seiner Musik. Aber es fehlt ihm keineswegs die
Alessandro Scarlatti
167
Fähigkeit große Leidenschaften darzustellen. Was Größe betrifft,
da kommt in der :»Bosaura< die achte Szene des dritten Aktes in
Betracht: Rosaura will sterben und diesen Entschluß machen die
trüben, müden und verzweifelten Töne Scarlattis begreiflich. Der
wilde und trotzige Osmano in der y> Teodora Äugusta< (1693) ist
ein Hauptbeispiel für Scarlattis Kraftfiguren. Wie er sich auf Glanz
und Pracht versteht, das zeigen seine » Oriselda«. und sein •»Attilio
Begolo^. Da wird die Ankunft einer Flotte mit pompösen Orchester-
stücken gefeiert; aus der Ferne, von den ansegelnden Schiffen her-
über, tönt Hornmusik. Besonders -»Tigrane^ (1715) ist an Ver-
wendung von Festmusik so reich, daß man an die französische Oper
erinnert wird. In der vierten Szenß wirkt das Orchester in einem
Satze mit, den man ein Doppelkonzert nennen darf.
Den Ausgang Scarlattis von der venezianischen Schule kann man
in einer ganzen Reihe seiner früheren Opern verfolgen. ^Vonesta
neir a?7iore^ (seine erste 1680), sein -»Clearco in Negroponte<^^ sein
»Amor volubile<s- tragen alle venezianische Spuren in den Trom-
petenarien und namentlich in der Bevorzugung kleiner Formen und
in der reichen und beweglichen Mischung von Rezitativ und Ge-
sang. . Seine ganze dramatische Richtung erinnert an Monteverdi
durch die Lebendigkeit und den beständigen Fluß der Form, durch
die Unabhängigkeit von jeglicher Schablone und die ürsprünglich-
keit und den Reichtum der Gestaltung. Der Wert Scarlattischer
Opern liegt in der Lidividualität des Künstlers, der dahinter steht.
Gleichwohl ist er für die neapolitanische Schule einflußreich gewor-
den und kann als ihr Gründer bezeichnet werden. Die Bevor-
zugung der Dacapoarie geht auf ihn zurück. Zweitens aber ist
er der Vater eines leidenschaftlichen Stiles, der mit den Neapoli-
tanern zum ersten Male im Musikdrama auftritt. Es ist ein anderer
als der Monteverdische. Dieser stützt sich auf dissonante Harmonie
und auf rasche, rbythmische Bewegung, der Scarlattische ruht auf
breiten, imposanten Rhythmen und auf dem Gebrauch großer Inter-
valle in den Themen. Damit zeichnet er den Ausbruch einer er-
regten Stimmung, wie von vulkanischem Grunde her, in großen
Bogen wie im -»Attilio Regolo«- :
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mach diesem grandiosen Ansatz macht sich das bewegte Herz in
Nächtigen Koloraturen Luft. Scarlattis •»Camhise«- (1719), vor
168
Italienische Oper unter den Neapolitanern
allem die Arie der Mirena: -»Perche infido non le credo^ ist die
Heimat dieses neuen Stiles, der mit seiner mächtigen Gestikulation
für das Theater und seine großen Räume wie geschafiPen war.
Perchein-fi-do non le cre-do
Alle italienischen Komponisten griffen zu diesem Stil; wenn ihnen
gar nichts einfiel, eine Bravourarie mit den breiten Noten und den
pathetischen Attitüden war immer zur Hand und ihrer Wirkung
sicher. Das Rezept lautete einfach: nimm ein Thema mit breiten
Rhythmen und großen Intervallen und schicke einen Koloratursturz
hinterdrein etwa nach dem Schema:
-:$:
:^
1^1;
I^
I^Fgg
sg^a^^g^
i
^^=^-
^
tJiii:
:#=P=
Der Typus hat sich bis auf Mozart, der in der Rachearie des >Don
Juan« ein eindringliches Beispiel gibt, und noch länger in der italie-
nischen Oper erhalten. Dem feurigen, schnell exaltierten Wesen der
neapolitanischen Künstler lag er von Natur nahe.
Ähnlich wie vor sechzig Jahren bei den Venezianern, kam auch
jetzt am Anfange des 18. Jahrhunderts in der Oper der neapolita-
nischen Schule ein heimatlicher Zug zum Ausdruck. Schon Scar-
latti hat im y^Amor volubile<^ lustige Gesänge im Dreiachteltakt,
deren Herkunft von den neapolitanischen Villanellen und Frottolen
unverkennbar ist.
Im »Prigioniero fortunato« zeigt sie das Duett:
d'on - de
;fa^^^
in Sextenparallelen.
Im »Tigrane« findet sich in dem: a modo di Zingarese
ein Thema, das seiner Rhythmik nach aus einei* Volksquelle stammt.
Leonardo Vinci und Giov. B. Pergolesi
169
Scarlattis persönlicher Stil tritt dann wieder in Stellen wie in
der Arie des Cambise im Spiel um kleine, intime Motive hervor:
»Quando vedrai so repentita«
i
W--
-M
'^
do
re - pen - ti
ta!
Seine Neigung für Nationalmusik zeigt sich in dem reicheren Ge-
brauch des sogenannten Siziliano, einer Arienform im ^'^/^ Takt, die
von Anmut und Humor ausgehend, sich sehr verwandlungsfähig er-
wies und deshalb bald in der ganzen europäischen Vokalmusik mit
Vorliebe verwendet wurde. Die Händeischen Oratorien sind voll
solcher Sizilianos, einer der bekanntesten ist der im Messias auf den
Text >Er weidet seine Herde«. Bach verwendet ihn unter anderm
für das Pastorale seiner Weihnachtssinfonie.
Die bei Scarlatti schon bemerkbare Hinneigung zu Provinzialismen,
zu Anklängen an die heimatliche Volksmusik wird bald zu einem
Hauptmerkmale der neapolitanischen Schule. Insbesondere sind es
Leonardo Vinci und Giov. Battista Pergolesi^, die diesen
Zug stärker ausbilden und auf ihm einen wesentlichen Teil ihrer
Erfolge gründen. Er äußert sich am auffälligsten darin, daß die
Themen keine Rücksicht auf die Situation nehmen:
So singt die Semiramis wenig königlich
piu t'a-ccen - di
Von dem Helden Poro hören wir
ques-ta quel-la
Ve - drai con tue per - i - glio
g} — SJ *—^-'—ä—
I
di ques - ta spa-da il lam-po
Die Themen zeigen häufig rhythmische Provinzialismen:
^
:pcÄ
i::?:
prez- ZG leg - gi - e - ro
1 Gr. Radiciotti: »Giovanni Battista Pergolesi«, Roma 1910; M. Fehr:
»Pergolesi und Zeno« (Sammelbände d. IMG XV, 166 fiF.)
170
Italienische Oper unter den Neapolitanern
d'un sa - dri - to il san - gue
Die folgende Melodie soll das plötzliche Aufflammen eines Hoff-
nungsstrahls veranschaulichen.
^
^
7N . _ N I>
un rag - gio di spe - me di legn - a l'af - fa - nno
Besonders oft bestimmt ein tändelnder Zug die Erfindung, wo
die dramatische Lage Ernst fordert. Siface singt im Augenblick,
wo er vor einem großen Entschluß steht:
mm^
cor non
SOS - pi
per - che
i^.w^f-r^=f=v^.
deL
si - a.
Am ärgsten zeigt sich die Rücksicht auf äußerliche Wirkung in
den Schlüssen der Melodien und in der Behandlung des Reimes.
Das Normale und Altübliche ist, solche Stellen durch breitere Noten
hervorzuheben, die neapolitanische Volksmusik verfährt aber gern
entgegengesetzt. Sie verwendet an den Schlüssen mit Vorliebe
kurze, stürmische, stark akzentuierte Rhythmen, halb drollig, halb
unartig, immer frappant, von grimassenhafter Wirkung. Es sind
dieselben Formeln, mit denen heute noch die Zigeunermusik im
Czardas und ähnlichen Sätzen arbeitet, Äußerungen eines heiß-
blütigen, ungezügelten Temperaments, eines ausgelassenen, über-
mütigen, der Parodie und dem Spotte zugetanen Sinnes. Die
Heimat solcher kecken Wendungen ist die Frottole, das Scherzlied,
das Schnaderhüpfel der Neapolitaner. Sie von da in elegische und
ernste Situationen überzupflanzen, war eigentlich eine Geschmack-
losigkeit, die Zurückweisung verdient hätte. Dem Vinci wurde sie
nicht bloß nachgesehen, sondern als ein Vorzug angerechnet. Um
das zu verstehen, muß man die große Empfänglichkeit in Betracht
ziehen, die dem Italiener für volkstümliche Züge in der Kunst
eigen ist. Das ist eins der Erbteile alter Kultur bei ihm. Die
Kunst ruht in Italien noch heute nicht auf der Teilnahme der
höheren Stände allein, sondern das Interesse daran durchdringt alle
Schichten. Die Allgemeinverständlichkeit ist die erste Forderung,
nach der der Wert der einzelnen Leistungen und ganzer Richtungen
Leonardo Vinci und Griov. B. Pergolesi 171
gemessen wird, und die Künstler sind die Lieblinge aller, deren
Schöpfungen Zusammenhang mit dem Leben des Volkes aufweisen.
Darum hat der Realismus in der Plastik bis heute in Italien seinen
klassischen Boden, in der Musik hat die gemütvolle Bezugnahme
auf volkstümliche Klänge und Formen den ßellini groß gemacht,
die Liebe zu Verdi beruhte in der Zeit, wo seine Kunst schwach
war, auf derselben Erscheinung, und die Veristen trägt ebenfalls die
nationale, heimatliche Wurzel ihrer Kunst.
Die Wirkung dieses Verfahrens mußte im 18. Jahrhundert noch
viel stärker sein. Die Anlehnung an die heimischen Weisen, an
den musikalischen Volksschatz brachte die Oper, das stolze Kind
des Florentiner Hofes, mit einem Male dem Herzen des Volkes
nahe. In dieser Einkleidung waren ihm die Gestalten aus der alten
Welt der Römer und der Griechen verständlich. Nach der histo-
rischen Echtheit des musikalischen Gewandes fragte es bei den Opern
ebensowenig wie bei den Heiligenbildern seiner Maler.
Es kam hinzu, daß Vinci und Pergolesi, die beiden Hauptver-
treter der national-neapolitanischen Richtung in der Oper noch ein
tüchtiges Pfund eigenen Wertes in die Wagschale zu werfen hatten.
Bei Vinci ist es eine feurige Empfindung, die sich auch formell oft
ursprünglich und originell äußert, namentlich in begleiteten Rezita-
tiven. Einzelne seiner großen Arien fesseln durch Freiheit und
Neuheit der Form. Seine -»EJindiai^^ seine ■»Astianattef^ seine •» Ca-
duta de' Decemviri^ sind Opern, bei denen der innere Gehalt über-
wiegt. Allerdings waren gerade sie nicht die Träger seines Ruhmes;
der *Silla*y der ^Siface«^ der >Artaserse<^, seine -»Semiramide« und
sein > ÄlessaTidro « gefielen mehr trotz der Ungleichmäßigkeit, der
Bequemlichkeit, mit der sie erfunden und gearbeitet sind. Sie ge-
fielen, obwohl aus ihnen häufig ein ganz gewöhnlicher Geist spricht
und die Absicht auf äußere Wirkung durch bloße Sängerkünste und
durch banale, marschartige Themen offen vorliegt.
Den größten Mangel an dramatischem Ernst beweisen seine
Ouvertüren. Die zur -»Semiramide^^ einem sehr ernsten Drama, be-
ginnt folgendermaßen:
EEEfeE£
^^
ß p ß f P
111 I 1
An Stelle eines musikalischen Prologs gibt er einen seichten,
gespreizten Klingklang, und die Mehrzahl der Neapolitaner folgt
ihm darin. So gleich Pergolesi. Als er seine -»Olymjyiade«. im
Jahre 1735 geschrieben hatte, setzte er dieser eine Ouvertüre voran,
die er einige Jahre vorher zu dem Oratorium -»San Ouglielmo
d'' Äquitania* geschrieben hatte. Sie paßte zu dem einen Werk so
wenig wie zum andern. Wie in seinem bekannten »Stabat mater<i-
172
Italienische Oper unter den Neapolitanern
ist auch in Pergolesis Opern die Weichheit der Empfindung, eine
edle, liebenswürdige, schwärmerische Sentimentalität der Grundzug.
Aus seiner Musik spricht der naive Kindersinn des Süditalieners, sie
klingt unschuldig und rührend herzlich. Plötzlich schlägt dann aus
den Tönen Glut und eine Leidenschaft, die nahe daran ist, sich zu
überschreien. Ein Hauptbeispiel findet sich in der :» Olympiade €-.
f*»
m
5
feSE
-ß-0-
3t=:it
Qual del - trier che all al - ber - go e vi - ci - no all al - ber - go e vi-
s
is
p^^^-
ci - no Piu ve - lo - ce s'ajff-retta, s'afif- re - tta nel cor - so
Pathetischen Situationen wird Pergolesi durch S carlattischen Stil
gerecht:
f^i
W
-#— f-
Su - per-ba di.
^^^^^=a^^^
me_
stes - so di_
-V-/
^^— Q^
stes - so an - dro pos - tan - do in fron - te
In keines andern Tonkünstlers Werken fand das Volk das eigene
Wesen so getreu und so reichlich wieder. Pergolesi ward der aus-
gesprochene Liebling seiner Landsleute und ist es bis zum heutigen
Tage geblieben. Zieht man aus seinen dramatischen Arbeiten den
nationalen Gehalt ab, so bieten sie immer noch durch die Beweg-
lichkeit der Phantasie und den großen Vorrat an eigenen Wendungen
Stoif genug zur Bewunderung. Eine menschliche und musikalische
Original natur steht dahinter.
Neben der Anlehnung an heimatliche Musik und an heimatliches
Wesen hat noch ein anderer Charakterzug das Gepräge der neapoli-
tanischen Oper bestimmt: ihre Neigung für virtuose Gesangleistungen.
Diese Neigung gehört mit in den Organismus italienischer Kunst-
anschauung. Der Italiener betont das Faßliche nicht bloß stärker
als der Deutsche, er bevorzugt es auf Kosten eines tieferen und
reicheren Gehaltes. In dieser Tendenz liegt eine Mission der italie-
nischen Kunst. Ihr verdanken wir einen Palestrina, ihr verdanken
wir die Monodie und die neue Musik, die sich aus ihr entwickelte.
Nach dieser Seite geht sofort die Ausbildung jedes neuen Kunst-
zweiges, und das war das Schicksal der Opernarie in der neapolita-
nischen Schule. Die Scarlattischen Arien sind der Mehrzahl nach
Nicolo Porpora 173
noch kontrapunktisch. Die Singstimme teilt sich in den Vortrag
mit einem Soloinstrument; die Harmonie hat, durch Dissonanzen-
gebunden und reich belebt, einen wesentlichen Teil am Ausdruck.
Schon aber bei Vinci und Pergolesi tritt der Sänger allein hervor;
die Instrumente werden mehr und mehr in die Ritornells verwiesen,
die Modulationen vereinfacht, durch schärfere akkordische Mittel
ersetzt. Die volle künstlerische Kraft wird der Ausbildung der
Gesangmelodie gewidmet, sie soll bedeutend, eigen sein, fesselnd,
wenn nicht durch inneren Gehalt, so durch äußere Reize. Und
diesen Reiz fand man im Figurenwerk, in der Koloratur. Sie, die
ursprünglich dem Ausdruck der Freude, der Entrüstung und anderer
erregter Stimmungen dienen sollte, wird nun ein selbständiges Ele-
ment in den Arien, die Komponisten rechnen mit seiner sinnfälligen
Wirkung: ein neuer Schmarotzer am Drama. Zu dieser Entwertung,
diesem Mißbrauch der Koloratur, haben die Opern Porporas viel bei-
getragen. Nicolo Porpora ist der Meyerbeer der neapolitanischen
Schule, ein scharf berechnendes Talent, das dem Charakter der
Situation die Töne wohl anzupassen wußte, ein für die Grund-
themen glücklicher Erfinder, besonders für Zorn und Abscheu, die
neapolitanischen Hauptseiten des Ausdrucks. Aber Porpora bringt
hübsche Spielarten. In ^Semiramide«- z. B. weist Irano (I, 6) eine
Drohung mit folgender Wendung ab:
CiLr ß 1^-^^^=?clq>zy-r-r-£^^^-E
m^
0-^
-V-i-1
Mag-gior fol - li - a maggior non v'e che per go - des - der
Aber die Inspiration reicht in der Regel nie weit über den Anfang
seiner Arien hinaus. Da er selbst ein großer Meister des Gesanges
war, lag es ihm nahe, die Kunst des Gesanges zur höchsten Geltung
in der Komposition zu bringen; er verwendete sie aber auch, um
den Mangel an Kraft und aus den Dramen geschöpften Ideen zu
verdecken und gewöhnte sich das Staunenswerte mit dem Bedeu-
tenden zu verwechseln. Mit der Durchführung neuer und interes-
santer technischer Motive in der Singstimme vereinen sich auch
hübsche, pikante Orchestereffekte; ganz leer geht der Kenner bei
Porporas Opern selten aus. Sein Vorgang und sein Erfolg förderten,
wie hervorragende Beispiele das in der Kunst immer tun, die
virtuose Richtung in der Arienkomposition ganz ungemein. Der
Sologesang der neapolitanischen Schule bietet von ihm ab ein ähn-
liches Bild der Entwicklung, wie auf instrumentalem Gebiete die
Konzertliteratur seit dem Eingreifen Mozarts. Auch hier stellte
sich das Virtuosenwerk selbständig neben den geistigen Gehalt der
Musik und behauptete sich in seinen unberechtigten Ansprüchen bis
auf unsere Tage.
Mit Porpora werden einfache Stücke, die auf den Figurenschmuck
174 Italienisclie Oper unter den Neapolitanern
verzichten, in der neapolitanischen Schule mehr und mehr Selten-
heiten. Ein schlichtes Lied anstatt einer richtigen Dacapoarie mit
gehörigen Bravourstellen — das ließ sich ein Sänger von Bedeutung
nicht bieten. Als Händel der Signora Cuzzoni für ihren Auftritt im
•iOttone^ die kleine Kanzone t Falsa imagine* zuwies, kam es zu
einer Szene, die damit endigte, daß der jähzornige und riesenstarke
Komponist die Sängerin ans Fenster trug, um sie hinauszuwerfen.
In der Regel gaben aber die Komponisten nach, und zwar von vorn-
herein. Die Sänger kommandierten die Oper. Das sprach sich auch
in den Honorarverhältnissen aus. Sie hatten das Publikum hinter
sich, aber auch den hohen Stand ihrer Kunst. Es war eine zweite
Blütezeit der Gesangstechnik in Italien angebrochen, die das, was
man in den Tagen Peris und Caccinis gehört und angestaunt hatte,
bei weitem übertraf. Was damals eine Signora Archilei, ein Signor
Rasi als Ausnahmen konnten, das leistete jetzt der Durchschnitt. In
Neapel, Rom, Bologna, Venedig — überall waren Sängerschulen ent-
standen , in denen mit einer Gründlichkeit gelernt wurde, die wir heute
kaum fassen können. Bontempi hat in seiner ^Storia della musica*.
(1695) den Lehrgang der römischen Schule beschrieben: 10 bis 12 Jahre
Studium und ein Unterricht, der auf eine harmonische allgemeine Aus-
bildung hinzielte. Noch heute haben von daher die italienischen Kon-
servatorien, wenigstens im Prinzip, die litterae mit in ihrem Lehrplan.
Im eigentlichen Technischen ein ganz raffiniertes System: Übungen
im Freien, an lärmigen und geräuschvollen Stellen und an andern,
wo ein Echo den Schüler kontrollierte. Zwischen den einzelnen Schulen
entwickelte sich ein Wettbewerb, aus dem die von Neapel und von
Bologna als Sieger hervorgingen. Dort unterrichtete Porpora, hier
Pistocchi, jene entsandte den Carlo Broschi (Farinelli) diese von
Bernacchi ab eine lange Reihe von Künstlern, die bis auf den Mozart-
sänger Anton Raaf f reicht und in der Kunst des Ausdrucks sich immer
hervortat. Von Venedig, wo Gasparini und Lotti die Schule leiteten,
kamen die Tesi, die Faustina Bordoni. Namen von gleichem
Klang in der musikalischen Welt des 18. Jahrhunderts besaßen unter
den Sängerinnen die Ouzzoni, die Francesa Durastante, Teresa
Mingotti, unter den Kastraten Siface, Senesino^ Nicolini, Caf-
farelli, Carestini, Guadagni. Bässe und TenÖre galten nicht
viel, wenn sie auch das Außerordentlichste leisteten. Die Londoner
Journale beschrieben bei Ankunft neu engagierter Truppen die
Soprane und Alte mit Hingabe und in den Superlativen, die heute
noch in Komödiantensachen üblich sind; als aber der bedeutende
Bassist Riemenschneider eintraf, heißt's ohne Namensnennung: »eine
Baßstimme aus Hamburg«.
Über die Leistungen dieser Virtuosen erfahren wnr manches aus
der Memoirenliteratur des 18. Jahrhunderts, besonders aus den eigenen
Lebensbeschreibungen hervorragender Musiker wie Quantz. Wir er-
sehen daraus, daß das Publikum jener Zeit doch Ansprüche an das
a. F. Handel 175
Darstellungsvermögen der Sänger erhob; Senesinos Spiel genügte nicht,
die Cuzzoni war groß in Männerrollen, Nicolini zeichnete sich im Re-
zitativ aus. Vom eigenartigen Zustande des Gesanges veranschaulichen
aber auch die Partituren manchen Zug. Sie erzählen uns von Riesen-
stimmen: für den Bassist Boschi sind Partien geschrieben worden,
die vom Kontra- J. bis zum eingestrichenen ä reichen. Stimmen von
zwei und einer halben Oktave Umfang sind keine Seltenheit in jener
Zeit. Auch außerordentliche Tonstärke und Atembeherrschung wird
durch Anekdoten und Notenbeispiele belegt. Das Hauptgewicht der
damaligen Sangeskunst lag aber ersichtlich in der Elastizität der
Stimmen, in der technischen Leichtigkeit, in der Mannigfaltigkeit und
Sicherheit des Ausdrucks. Dadurch beugten diese Virtuosen Sinne
und Seelen der gebildeten Welt unter ihre Macht, und dadurch kam
das Schicksal der Oper in ihre Hände. In einer ganz andern Weise
als heute hing der Erfolg einer Arie von dem Sänger ab. Denn zu
allem, was schon der Komponist für ihn tat, besaß er nicht bloß
die Erlaubnis, sondern er war auch verpflichtet, frei zu gestalten.
Diese Verhältnisse brachten es mit sich, daß geringe Opern gehalt-
vollen vorgezogen wurden, und daß bedeutende Komponisten nicht
bloß ausnahmsweise hinter solche zurückgesetzt wurden, die den ge-
wohnten und beliebten Ton einhielten. So ging es Francesco Feo,
so dem großen Leonardo Leo und so auch unserm Georg Friedrich
Händel. Feo ist mit seinem »Siface*, einer großen, an patheti-
schen Stücken reichen Arbeit, mit der geringeren -»Andromedai und
dem ^Amor tiranno<^ im Repertoire vertreten, ebenso Leo, von dessen
Opern die Bibliothek in Berlin den größten Teil besitzt, mit seinem
»Demofoonte<j seinem yTrionfo di Camilla*, dem *Ciro riconosciuto^
und dem -»Siface*.. Aber keineswegs in dem Grade, der ihrer Be-
deutung entspricht. Am wenigsten kam Händel zu seinem Rechte.
Er hat gegen vierzig Opern geschrieben, in seinen Wanderjahren
drei deutsche für Hamburg, die »Agrippina« für Venedig, die »Rode-
linda<i. für Florenz, die übrigen alle für London ^ Dort erfuhren sie
die Auszeichnung in den Arien, zum Teil auch mit den Ouvertüren,
gedruckt zu werden. Aber bis auf wenige Ausnahmen drangen sie
über London nicht hinaus und hatten an Ort und Stelle gegen den
Widerstand einer italienischen Partei zu kämpfen. Ihr wich Händel
endlich als der Klügere noch in der Fülle seiner Kraft, als fünfund-
fünf zigjähriger Mann. Er war der erste Musiker von europäischer
Bedeutung, der das italienische Lager verließ, der gegen die Unnatur
und Schablone des neapolitanischen Musikdramas einen tatsächlichen
Protest erhob und zur Reform schritt, während die meisten rings um
ihn die Krone zeitgenössischer Kunst noch in dieser Oper sahen,
Händeis Reform war sein Oratorium. Das war ursprünglich für die
1 Georg Ellinger: >Händels Admet und seine Quelle*. (Vierteljahrs-
schrift f. M. W. 1885).
176 Italienische Oper unter den Neapolitanern
Bühne bestimmt. Seine > Esther«^ mit der er in die Gattung eintrat,
nannte er ^7nasque<i, das ist die englische Volksbezeichnung für das
Musikdrama, und im Gegensatz zum alten zweiaktigen Oratorium der
Italiener hielt er bis ans Ende seine Oratorien dreiaktig, also in der
Form der Opern. Was ihm vorschwebte, waren Opern auf Grund
volkstümlicher und großer Begebenheiten. Daher die biblischen Stoffe,
Opern, in denen die Musik ihre volle Macht entfaltete. Männer-
stimmen und Chöre hat er außerhalb der Kirche zuerst wieder in
ihre Rechte eingesetzt. Das ist die Natur der Händeischen Oratorien,
von denen man sich allerdings nicht nach dem > Messias« den Begriff
bilden darf. Denn dieser ist ein Ausnahmewerk.
Was nun die Händeischen Opern selbst betrifft, so sind sie alle in
Chrysanders Händelausgabe gedruckt, alle mit Ausnahme zweier Ham-
burger, die verloren scheinen. Man kann sie also bequem studieren
und sich an ihnen zugleich einen lebendigen Begriff vom Mechanismus
und vom Wesen der italienischen Oper in der neapolitanischen Schule
bilden. Denn ihr gehört Händel in der Hauptsache an; einzelne sti-
listische Züge entnahm er aber den Venezianern, so die mehrstim-
migen Rezitative und die elegischen Gesänge im Barkarolentakt. Auch
Händeis Opern bestehen aus nichts als einfachen oder begleiteten Rezi-
tativen und aus Arien. Sie machen dem, der diesen Komponisten
nur als Meister der Chöre kennt, zunächst einen dürftigen Eindruck.
Das wird aber anders, sobald man sich in diese Sologesänge vertieft.
Händel in seiner vollen Größe als Melodiker zu würdigen, muß man
ihn in seinen Opern kennen. Sie enthalten Gesänge von einer ruhi-
gen Größe der Form und des Ausdrucks, wie sie in der Musik seiner
Zeit und später nur selten vorkommt. Wo wirklich große Leiden-
schaften darzustellen sind und tiefe Empfindungen, wo ein Mensch
im Unglück oder vor einem schweren Entschlüsse steht, da ist Händel
nie übertroffen worden. Unter den wenigen, die ihm nahestehen, ist
Leonardo Leo hervorzuheben. Bei solchen Szenen, nicht bloß bei
den Arien daraus, muß man ihn aufsuchen. Händel selbst vertrat nicht
alle seine Arien. Seine musikalische Kraft steigt und fällt mit dem
Gange der Dichtung. Das ist ein Zeichen seiner gesunden Künstler-
natur. Sie versagt manchmal. Liebeständeleien, Arien über Gemein-
plätze wie Freundschaft und Zufriedenheit hat er oft nachlässig behan-
delt, und alles in allem wird man zuzugeben haben, daß Händel den
besten Italienern, Scarlatti, Leo, keineswegs überall überlegen ist. Ja
auch Geringere, wie Vinci, übertreffen ihn an äußerlicher theatralischer
Wirkung beim Ausdruck feuriger Empfindung, glühender Sinnlich-
keit, weicher, liebenswürdiger Grazie. Aber an dramatisch kritischen
Stellen ist Händel immer groß, und wenn irgendwo ein Largo oder
Recitativo accompagnato vorgeschrieben steht, so kann man sicher sein,
einem Meisterstück der Seelenmalerei zu begegnen. Im •> Rinaldo <s- ^
im »Radamisto^, in ^ Rodelinda ^ zeigt er sich am größten. Will man
sehen, wie er Gestalten über die Linien des Dichters hoch hinaus-
G. F/ Händel 177
führt und ihnen durch seine Musik Charakter und ein Wesen einflößt,
das sich dem Zuschauer fest einprägt, wird man am besten seinen
»Teseo^ aufschlagen. Hier hat Händel die Figur der Medea mit
Hoheit und Schrecken umgeben, durch die einfachsten und wirk-
samsten musikalischen Mittel ins Übernatürliche gehoben, zu einer
Erscheinung ausgebildet, die Entsetzen, Ehrfurcht, Mitleid in wunder-
barem Gemisch erregt.
Nach den pathetischen Szenen zeichnen sich in Händeis Opern
am meisten die Schlummerszenen, die Szenen im Park, beim Mond-
schein, am Bache aus. Das sind reizende Gebilde träumerisch sinniger
Schwärmerei, in denen Händel als Musiker seine elementare Begabung
für Tonmalerei, seine Meisterschaft als Instrumentalkomponist äußert.
Aus der Fülle von Idyllen, die Händeis Opern enthalten, spricht der
große Naturfreund, spricht auch der Deutsche. Ist Händel im Stil
seiner Opern ganz italienisch, im Fühlen und Empfinden ist er es
nicht. Es gibt Seiten, in denen er hinter den Italienern zurück-
bleibt, aber bedeutender sind die, wo er sie zurückläßt. Und eine
der bedeutendsten ist Händeis Verhältnis zur Natur. Der Italiener
liebt sie nur, soweit sie die Spuren menschlicher Herrschaft zeigt
und kultivierte Form, der Germane, wie sie ist, unverfälscht, und
er liebt sie mit aller Innigkeit des Herzens. Diesen deutschen Zug
findet man musikalisch nirgends schöner als in Händeis Opern. Man
darf sich aber durch die Bewunderung vor den Schönheiten der Händei-
schen Opern nicht zu der Hoffnung verleiten lassen, daß man sie wieder
aufführen könnte. Dafür ist seinerzeit Burney eingetreten, insbeson-
dere für die »Rodelinda^, aber ohne Erfolg. Bei einer festlichen
Gelegenheit ausnahmsweise mag mal ein Versuch gelingen. Aber
sie sind durch die Nichtsnutzigkeit der Dichtungen heute zum Tode
verurteilt, gerade so gut wie die Werke Scarlattis, Leos und alles
das Beste der neapolitanischen Schule überhaupt.
Auch als Händeis Opern jung waren, sind sie über London zwar
hinausgedrungen, aber nirgends haben sie festen Fuß gefaßt. In Italien
kommt Händel noch in Neapel vor, und zwar ebenfalls mit *Agrip-
pina* 1713. Sie ist auch in Wien 1719 aufgeführt worden. Ham-
burg hat ebenfalls in der Keiserschen Zeit Händeische Opern gegeben,
viele sind in Rheinsberg, als Friedrich der Große dort als Kronprinz
residierte, gespielt worden, aber ohne Sänger. In München dagegen
ist Händel nicht vertreten, ebensowenig in Dresden. Hier hat sich
Händel 1719 selbst aufgehalten, um den Senesino und die Durastante
für seine Londoner Oper zu engagieren, 1727 bringt der Kastrat
Annibali aus London englische Nationallieder mit, aber Händeische
Opern nicht. Daß sich die italienische Bühne solchen Werken ver-
schloß, war bedenklich, es war ein Zeichen, daß die Einseitigkeit des
Geschmacks sich der Verblendung näherte. Wie er zur gleichen
Zeit immer leichtfertiger wurde und die dramatischen Ansprüche an
die musikalische Komposition immer weiter hintansetzte, das zeigt
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 12
178 Italienisclie Oper unter den Neapolitanern
die Tatsache, daß um das zweite Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die
sogenannten Pasticcios immer häufiger werden. Pasticcio — d. i.
Gemisch, Pastete, Törtchen — nannte man die Opern, bei denen
jeder Akt von einem andern Komponisten geschrieben war. Sie
scheinen in London ganz besonders beliebt gewesen zu sein. Gewiß
reizten sie und unterhielten das Publikum mit Vergleichen, und der
Ruhm manches Komponisten knüpft an die gelungene Leistung in
einem solchen Pasticcio. Aber die Einheit in der Auffassung von
Charakteren, der Ernst in der StelluDg zum Drama überhaupt mußte
dabei leiden.
Natürlich kam unter diesen Umständen unbefangenen Köpfen der
Respekt vor der Oper allmählich abhanden. Gegen 1720 — das
Datum steht nicht ganz fest — erschien ein Pamphlet, das den Titel
führte : » Teatro alla moda ossia metodo sicuro e facile par ben com-
porre ed esequire le opere in 77iusica^, Der Verfasser ist nicht ge-
nannt, als Druckort ist angegeben Broglio di Bellinsania (Gipfel der
Verrücktheit), als Verkaufsstelle la porta del palazzo d'Orlando (das
Torhaus zum Schloß des rasenden Rolands). Es ist also eine Satire,
aber im ganzen doch eine ziemlich zahme Verspottung der verschie-
denen Arten von Unnatur, die sich im Musikdrama eingebürgert
hatten. Sie war von Benedetto Marcello, dem berühmten Psalmen-
komponisten. Burney führt das Buch auf das Unglück zurück, das
Marcello in der Oper gehabt hat. Jedenfalls ist es nicht bedeutend.
Den Dichtern wirft Marcello ihre Schlummerszenen vor, in denen die
Personen immer in dem Augenblick einschlafen, wo eine andere kommt,
ihre ewigen Lieder vom Täubchen, von der Nachtigall, vom Nachen
auf stürmender See, ihre Tiger und Löwen, den Unsinn, daß in den
Abschiedsszenen, wenn der Mann sich anschickt zu sterben, die Frau
eine Arie auf fröhliche Worte singt, damit nur ja der Zuhörer nicht
traurig wird und sicher bleibt, daß alles nur Spaß ist, daß Ver-
schwörungen, Hinterhalte beschlossen werden, obwohl Scharen von
Bauern dabeistehen, die alles hören müssen. Marcello tadelt Un-
schicklichkeiten wie die, daß in königlichen Gemächern Tänze von
Gärtnerinnen stattfinden. Er rät den Dichtern ironisch, nie mehr
als sechs Personen in die Oper zu bringen und dann so, daß drei
wegbleiben können. Sie sollen dafür sorgen, daß der Tyrann oder
der fürstliche Vater immer vom Kastraten gegeben wird, daß den
Tenören und Bässen nur die Kapitäne der Leibgarde und die Hirten,
Boten und das untergeordnete Personal zufallen. Den Plan und den
Inhalt ihrer Handlung sollten sie vorher immer der Primadonna oder
.jemandem von deren Familie erzählen. Das zweite Kapitel wendet
sich an die Komponisten. Für sie, sagt Marcello, sei es schädlich,
wenn sie viel könnten, das äußerste, was sie in der Harmonie wagen
dürften, sei gelegentlich ein Terzvorhalt. Sie möchten ja immer die
Sänger fragen, was sie gern haben wollten, ob sie Freunde von Arien
ohne Baß seien, ob sie Tanzliederchen (di Furlanette, di Rigadoni)
B. Marcellos »Teatro alla moda< 179
liebten. Am gescheitesten sei es, wenn sie die Musik ohne Worte
schrieben, die könne ihnen, wenn es soweit sei, der Dichter allemal
draufschreiben. Vorteilhaft wäre es, auf eine lustige Arie immer
eine pathetische und umgekehrt folgen zu lassen ohne Rücksicht auf
Situation, und vor allem auf gute Passagen zu sehen. Besonders
wirkungsvoll seien solche auf Worte wie Pa . . . Pa . . . Pa . , . Padre^
auf Eigennamen und überall da, wo sie früher verpönt gewesen seien.
Hauptpflicht des Komponisten sei Höflichkeit und Unterwürfigkeit
gegen die Sänger, der geringste von ihnen würde doch in der Oper
leicht ein General, wenn nicht mehr. Am bittersten geht Marcello
mit den Musicis um, das sind die Sopranraänner, und mit den Sänge-
rinnen. Jenen wirft er ihre Eitelkeit, Dummheit, Titelsucht, ihr an-
spruchsvolles Benehmen auf der Bühne und in der Gesellschaft vor,
den Damen ihren argen Mangel an Bildung, der sich schon in ihrer
gewöhnlichen Sprache verrate, ihre Launenhaftigkeit und künstlerische
Nachlässigkeit. Zum Schlüsse werden in einem entsprechenden Tone
die Impresarii angesprochen und in ihrer Abhängigkeit von den Vir-
tuosen, von den Primadonnenmüttern insbesondere, lächerlich gemacht.
— Diese drei letzten Kapitel geben im einzelnen mancherlei Aus-
kunft über Mißbräuche, Gewohnheiten und Formalismus im Opern-
wesen des 18. Jahrhunderts. Auf ihnen beruht der Wert des Buches.
Den Kern des Übels trifft die Satire Marcellos nicht. Daß das Buch
trotzdem sehr viele Auflagen gefunden hat, zeigt aber, daß die Miß-
stimmung über die Entwicklung des Musikdramas von einem großen
Kreis von Kunstfreunden geteilt wurde. Dieser Kreis beschränkte
sich aber nicht bloß auf Italien. In Frankreich, Deutschland, Eng-
land, überall hatte das Eindringen der italienischen Kunst die natio-
nalen Instinkte wachgerufen oder geschärft; überall betont man den
einheimischen Musikbesitz mit frischem Nachdruck. Der französische
Widerstand äußert sich am deutlichsten in den Werken Rameaus,
der deutsche in den Passionen Bachs, die die Bibel und den volks-
tümlichen Choral in den Vordergrund stellen. Die Johannespassion
und die Matthäuspassion fallen beide in die Zeit des Marcelloschen
Pamphlets. Am entschiedensten und am mannigfachsten kam aber
die Erbitterung gegen die italienische Renaissanceoper und ihre Un-
natur in England zum Ausdruck. Literarisch in zwei bedeutenden
Werken: Jonathan Swifts, »Reisen Gullivers zu verschiedenen
fremden Völkern« [Gullivers travels^ 1726), und Alex. Popes Dun-
ciade (1728, 3 Bücher). Ihnen zur Seite ging ein kleiner Krieg in
den Zeitungen, die jeden Skandal, der aus der Gesellschaft der Ope-
risten bekannt wurde, patriotisch ausbeuteten. Der Hauptschlag gegen
die Italiener wurde aber mit einem Theaterstück geführt, das sich
die Oper des Bettlers, TheBeggar's Opera^^ betitelt. Den Text schrieb
1 G. Calmus: »Die Beggars Opera von Gay undPepusch« (Sbd. d. IMG
VIII, S. 286fif.); dieselbe: »Zwei Opernburlesken aus der Rokokozeit :.Tele-
12*
180 Italienische Oper unter den Neapolitanern
John Gray, der Dichter von Händeis »Acis und Galathea«. Bettlers
Oper heißt das Stück, weil es angeblich von einem Bettler verfaßt
ist. Der Held ist ein Räuberhauptmann, ein Ausbund von Laster
und Verschlagenheit; er hat gleichzeitig sechs Weiber, lebt vom
Straßenraub und steht dabei im Dienste der Polizei; schließlich wird
er gehängt. »Dieses Stück — sagt der Bettler im Prolog — wurde
geschrieben zur Hochzeit von Jakob Bänkelsänger und Molly Ballade,
zwei höchst ausgezeichneten Straßensängern. Alle Dinge, die sich in
Ihren gefeierten Opern finden, habe ich auch in der meinigen: die
Schwalbe, die Biene, das Schiff, die Blume und dergleichen. Auch
habe ich eine Kerkerszene, welche für die Damen doch immer so
reizend pathetisch zu sein pflegt. Die Rollen anlangend, habe ich
gegen unsere beiden ersten Sängerinnen eine so schöne Unparteilich-
keit beobachtet, daß Widersetzlichkeit von einer derselben durchaus
nicht zu befürchten steht. Ich hoffe, es möge mir verziehen werden,
daß ich meine Oper nicht ganz so unnatürlich angelegt habe, als die
Tagesopern, denn bei mir fehlt das Rezitativ; dieses abgerechnet,
muß man mir aber zugestehen, daß es eine regelrechte Oper ist, die
weder Vorspiel noch Nachspiel hat.« Gay hatte es also auf eine
Verspottung der Oper im großen und kleinen abgesehen, er begnügte
sich nicht wie Marcello damit, auf ihren Mechanismus und ihre Re-
quisiten zu sticheln, er parodierte sie und karikierte sie. Die Musik
hatte Joh. Christoph Pepusch geschrieben, als schlagfertiger Kopf
schon aus der Geschichte mit dem Konzert für die sechs Fagotten
und dem Alten Fritz bekannt, und diese Musik gab für den Erfolg
der »Bettlers Oper« den Ausschlag. Sie bestand aus Tänzen, Märschen,
Gassenhauern; in erster Linie traten aber die einfachen Balladen-
melodien hervor, an denen noch heute die englische und schottische
Volksmusik besonders reich ist. Das Volk nannte deshalb das Stück
a hallad-opera.
Die erste Aufführung fand am 29. Januar 1728 statt, am 20. März
war sie schon sechsunddreißigmal gegeben worden. In den nächsten
zwölf Jahren entstanden (nach Chrysander) mehr als hundert Stücke
ähnlichen Schlages von denen ungefähr die Hälfte noch gedruckt er-
halten ist. Die italienische Oper in London kam durch die »Beggar's
Opera* zeitweilig zum Sturz. Handels Academy löste sich zunächst
auf, und wenn auch bald eine neue gegründet wurde und Händel
noch bis zum Jahre 1740 immer noch Opern komponierte, so scheint
er doch von der Zeit der »Begga7'''s Opera «^ ab innerlich mit dem
italienischen Musikdrama gebrochen zu haben.
maque, Parodie von Lesage« ; >The Beggar's opera von Gay und Pepusch«
(Berlin 1912j; dieselbe: >Drei satirisch-kritische Aufsätze von Addison über
die italienische Oper in England (London 1710,«, in den Sbd. d. IMG IX,
S. 131 ff. und 448 ff. C. Forsyth: »Music and nationalism, a study of
English opera (London 1911).
Die neapolitanische >Opera bufifa« 181
Noch vor der ^Beggar^s Opera < und vor Marcellos ^Teatro alla
moda* hatte man in Italien selbst angefangen, der Renaissanceoper
den Boden abzugraben. Der Gegensatz zwischen den heroischen
Namen der Personen des Musikdraraas und ihrer charakterlosen Auf-
führung hatte die Parodie schon bei den Venezianern herausgefor-
dert. Sie hatten in die Akte komische Szenen des dienenden Volkes
eingeschoben, die den Gang der Haupthandlung kurzweilig unter-
brachen. Die alte commedia di arte, die Stegreifposse, hatte ihren
Anteil an der neuen monodischen Kunst verlangt mit demselben
Rechte, das ihr in der 'Zeit des Motetten- und Madrigalstiles mit
Orazio Vecchis » Ä7ifiparnasso « eingeräumt worden war. Cavalli und
andere Musiker seines Schlages hatten es nicht unter ihrer Würde
gefunden, solche Szenen zu komponieren und an den Festes Venir-
tiennes der Pariser Academie Royale de Musique hatte dieser Seiten-
zweig des Musikdramas seine besondere Lebenskraft bewiesen. In
Neapel gelangte er bald zu einer unerwarteten Bedeutung, aus dem
dramato dei servi, den Dienerstückchen, wird allmählich die opera
buffa, das musikalische Lustspiel, das von der Posse zum bürger-
lichen Schauspiel aufsteigt und schließlich das ganze Kartenschloß
der Renaissanceoper mit ihrem Gewirre verliebter Heroen und Götter,
Königen und Königinnen, Prätendenten und Generälen ins Wanken
und ihren Herzenserguß von Empfindsamkeit und Phrasen zum Schwei-
gen bringt. ^
Die erste Periode dieser neapolitanischen opera huffa fällt in die
Jahre 1709 — 1730. Die Dichter sind Martoscelli, Gianni, TulUo,
Piscopo, die Stücke alle im neapolitanischen Dialekt geschrieben.
Darin zeigen sich also die Neapolitaner von vornherein entschiedener
als die Venezianer und Hamburger, die in ihre Intermezzi und in
ihre Opern die Volkssprache nur gelegentlich einmischen. Sie greifen
nach jeder Beziehung herzhaft ins wirkliche Leben. Schauplatz ist
das Neapel des Vizekönigs mit seinen engen Straßen, in denen die
Öllampe vor den Läden brennt, mit seinen Madonnenbildern und
Schenken, mit den armenischen Kaufleuten und spanischen Kavalie-
ren, mit dem lauten, lachenden Volk, das so gerne Serenaden bringt
und Feste feiert, in die gelegentlich ein Überfall türkischer Horden
hineinplatzt. Ein Spaß jagt den andern, der Spott hört nicht auf,
übt sich mit Vorliebe an Fremden. In den meisten Stücken erscheint
ein Toskanier, der immer mißverstanden wird. Die einheimische Be-
völkerung liefert stehende Typen in dem alten Kapitän, der nach
langer Fahrt sieh zur Ruhe gesetzt hat, in der alten Amme, Kam-
merfrau, die etwas wahrsagt und Zauberei treibt — Tita ist ihr
Titel — in dem dottore, der, ein Marktschreier, Ignorant, immer mit
1 N. d'Arienzo: >Die Entstehung der komischen Oper«, Leipzig 1902;
E. Istel: »Die komische Oper«, Stuttgart 1906; M. Scherillo: >Storia
letteraria delP opera buffa napoletana etc.«. Napoli 1883,
182 Italienische Oper unter den Neapolitanern
lateinischen Brocken um sich wirft, nnd in dem faulen Diener,
Cianniello geheißen, der beständig nach Frühstück, nach Tabak und
guten Sachen verlangt.
Viel Handlung ist nicht in diesen Stücken und nur ein geringer
Aufwand von Erfindung und kunstvoller Durchführung. Es sind
Liebes- und Heiratsgeschichten mit kurzer Intrige, meistens wird
ein alter geiziger Vormund geprellt, das Müudel flieht mit ihrem
Liebsten, oder ein alter Seefahrer, den alle Welt längst für tot hält,
kehrt in dem Augenblick zurück, wo seine Frau einem jungen Laffen
die Hand reichen will. Als Nekromant, als Zauberer verkleidet, tritt
er dazwischen. Selten, daß einmal ein ernster Konflikt gestreift wird,
wie in Piscopos * V omhroglio d^amore«, wo ein junger Mann, den
die Türken als Kind geraubt haben, von einem alten Seekapitän zu-
rückgebracht und zum Erben eingesetzt, sich in ein schönes Mädchen
verliebt — das er aber schließlich als die eigene Schwester erkennt.
Die Lust am tollen Schwank und am Singen ist die Seele dieser
Stücke. Aber auch in den Gesängen herrscht der Spott und Über-
mut — es sind Couplets und Refrains, an denen der Chor teilnimmt;
Matarella ist die technische Bezeichnung. In ihnen kommt zuerst
die Spitze, die diese musikalische Volksposse gegen die Oper richtet,
in der Gestalt von Wortverstümmelungen und Silbenwiederholungen
zum Ausdruck. Denn das war die Hauptseite, durch den die Kunst-
arie den Spott der Menge auf sich zog, daß sie unter Umständen
mit dem Text nicht von der Stelle kommt. Der Volksgesang geht
immer mit Versen vorwärts, und wo er der Empfindung breiteren
Ausdruck geben will, greift er zu Interjektionen, zu onomatopoeti-
schen Bildungen und Naturlauten. Bald aber üben diese neapolita-
nischen Stücke ihren Witz an der Oper weiter: Saverio Mattei,
der schon vor Marcello auftrat, und Tommaso Mariani sind die
ersten, die ihre Handlungen in den Kreis des musikalischen Theater-
gewerbes verlegen und die Gewohnheiten und Schwächen der Sänger
und Sängerinnen, der Kapellmeister und Impresarii geißeln. Da ver-
liebt sich der Impresario in die Zofe der Primadonna und verlangt
nun vom Dichter und vom Komponisten, daß sie auch für diese ganz
unwissende Person in der neuen Oper eine Partie herrichten, oder
eine Sängerin erwartet den Impresario, der eben von den Kanarischen
Inseln oder sonst einer weltweiten Gegend zurückkehren soll, und
vertreibt sich einstweilen die Zeit am Spinett, Arien probierend. Die
eine ist zu schwer, die andere zu altvaterisch, ohne Zeichen und Ver-
zierungen usw.
Die Wirkung der im ganzen sehr harmlosen Dramatik dieser
Volksstücke erfuhr durch die Musik eine wesentliche Nachhilfe. Am
Anfang waren die Komponisten in der Mehrzahl unbekannte junge
Leute — am häufigsten wird Antonio Orefice genannt — , aber
die angesehenen Künstler schlössen sich nicht aus, Scarlatti nicht
und L. Leo, ja Leouardo Vinci und Pergolesi wurden bald
Die neapolitanische »Opera buffa«
183
die Führer in der opera huffa^ und die Stellung, die sie bei ihren
Zeitgenossen und in der Musikgeschichte einnahmen, beiniht zum
Hauptteil auf ihren Leistungen auf diesem Gebiete.
An Vincis mythologischen Opern nimmt man häufig Anstoß, an
seinen neapolitanischen lustigen Operchen nicht. Da ist alles an-
mutig und natürlich, ein reiches Talent am rechten Platz. Eine
solche vorzügliche opera buffa Vincis ist seine »Li Zifn Galera<
(die Alte im Gefängnis). Köstlich ist darin namentlich der Siziliano
verwendet, liebenswürdig und witzig; mit einem Humor, der aus
dem wirklichen Leben kommt, hat er da in die naiv zarten Melo-
dien eine zweite Person mit fröhlichem Lachen einfallen lassen.
Noch bedeutender ist Pergolesi als Buflfokomponist, formenreicher
und eigener. Auch bei ihm ist der Siziliano der Grundstock der ge-
schlossenen Gesangpartien. Aber er dramatisiert ihn und belebt den
Volkston mit unerwarteten Wendungen. So fängt sein »Lo frate inna
morato^ (Der verliebte Klosterbruder) stilgerecht folgendermaßen an:
Pa-ssa Ni-no da _ co' - a
NB.
e me fä lo
^
7=P=?:
ze
nna-ri - el - lo for - far tö - re
^
mall - ze - no - e
Ih^ — #— #=3— # — *^ — 0 — *^
-N^iS-jN-
~V
-0:^^«-
■-i4z
tu io or suoivuoi que-sti paz-zi - a tu co-mi-co vuoipazzia
beim ersten Schimpfwort (beim NB ) mischt er aber heftige Töne ein,
die der Gattung des Siziliano fremd sind. In gleicher Weise liebens-
würdig, munter, volkstümlich und doch der Situation, dem einzelnen
Wort "immer mit treffenden Einfällen angepaßt, fließt die Musik des
ganzen Stückes hin. Bei Vinci wie bei Pergolesi liegt der entschei-
dende Zug der Musik in der reichen und geschickten Verwendung
von Volksmusik. Namentlich durch den Siziliano wurde die opera
buffa über die Posse hinausgehoben und zu einer Kunst, die zwar
nicht besonders tief und erschütternd in die Seele griff, die aber er-
freulich, drollig, traulich und frei von Unnatur war. Kastraten waren
in der opera buffa nur selten zu hören, im übrigen war ihr musi-
kalischer Apparat stattlicher, als der des Musikdramas, denn es gab
da Duette und andere Formen des Ensemblegesanges mit Einschluß
des Chores, die die große Oper aus Einseitigkeit und Bequemlichkeit
hatte fallen lassen. Das Volk stellte sich auf die Seite der opera
buffa, das war für Privattheater wichtig. Burney berichtet von
London, daß es um 1720 ohne Intermezzi gar nicht ging, aber auch
184 Italienische Oper unter den Neapolitanern
in Residenzen wie Dresden erscheinen um diese Zeit häufiger musi-
kalische Komödien: *Calandro€ und ^Un pazzo ne fa cento owero
Do?i Ghischiotti.€ Pallavicini, dem der Stil vielleicht fern lag, hat
die Musik dazu schreiben müssen. In München läßt man 1722 Gäste
aus Darmstadt kommen, um Intermezzi zu hören. Auf den italieni-
schen Bühnen verbreitete sich natürlich die opera huffa unter vielerlei
Titeln, wie divertimento Jn musica^ comedia in musica erst recht.
In Amsterdam wurde 1723 eine Sammlung von solchen kleinen Inter-
mezzos gedruckt, und allmählich merkte man nun die Gefahr für die
Renaissanceoper. Der Engländer Wright wendet sich 1730 in seinem
Buche ^Travels into Italy^ heftig gegen die musikalischen Possen.
Das hinderte aber nicht, daß die Beliebtheit der opera huffa immer
mehr wuchs, beim Publikum und bei den Komponisten. Hasse hat
eine große Menge solcher kleiner Musikschwänke komponiert und mit
ihnen die erste Zuneigung der Italiener gewonnen. Eine Hauptstütze
der Gattung wurde Rinaldo di Capua. i Das Werk, mit dem sich
die opera huffa endlich das allgemeine Bürgerrecht auf allen euro-
päischen Musikbühnen errang, ist Pergolesis »Serva padrona^^
ein harmloses Intermezzo für zwei singende und eine stumme Person,
eigentlich ohne viel Handlung: Eine lustige, lebensfrische Haushäl-
terin bringt einen alten, mürrischen Hypochonder zur Vernunft, er
heiratet sie — eine Folge von lächerlichen Hausstandsszenen, die
man zu lesen oder zu sehen wie sie sind, kaum die Geduld haben
würde. Aber wie sie Pergolesi ausgeführt hat, sind es Charakter-
studien und psychologische Bilder, bei denen des Ergötzens über den
Reichtum, die Feinheit oder die Drastik lebenswahrer Züge kein Ende
ist. Diese *Serva padrona^ ist ein Meisterstück scharfer Beobach-
tung und ein Triumph für die eindringliche Schilderungskraft der
Musik. Das kleine Werk ist zunächst in Neapel mit ähnlichen
Stücken so vorbeigegangen. Erst als es 1752 reisende BufPonisten
nach Paris brachten, machte es Aufsehen und führte eine wahre Re-
volution in der französischen Oper herbei. Es kam durch herum-
ziehende Truppen in alle Länder. Gretry lernte es in Lüttich durch
eine Gesellschaft des Direktors Re9a kennen, Dittersdorf auf dem
Schlosse des Prinzen von Hildburghausen. In Italien ist es nie von
der Bühne verschwunden und in neuerer Zeit auch in Deutschland
wieder hervorgesucht worden. Leider geben wir es ohne Rezitativ.
In der Senflfschen »Sammlung alter Opern« erschien es unter dem
Titel >Die Magd als Herrin«.
1 Ph. Spitta: »Rinaldo di Capua<. Vierteljahrsschr. f. M. W. 1887.
Von Hasse bis Gluck/
Daß die opera huffa so schnell in der Gunst des Publikums vor-
rückte, kam mit daher, daß die Renaissanceoper an überragender]
Meistern vom Schlage Scarlattis und Leos arm war. Die Kompo-
nisten, die Venedig, Bologna, die die italienische Schule in Deutsch-
land zu stellen hatte, die Buini, Orlandini, Porta waren altvaterisch
oder arbeiteten in der Richtung Vincis und Porporas, ohne diese
Vorbilder an lebendiger Wirkung zu erreichen, Zu Anfang der
dreißiger Jahre setzen aber in der opera seria eine Reihe höherer
Talente ein, die das Interesse an der Gattung wieder mächtig auf-
frischen und den Sieg der opera huffa aufhalten. Der erste dieser
Meister ist Johann Adolf Hasse^, geb. 25. Mai 1699 zu Bergedorf
bei Hamburg. Daß einmal der zweihundertjährige Geburtstag dieses
Mannes ganz unbeachtet vorbeigehen würde, das hätte im 18. Jahr-
hundert niemand geglaubt. Denn soweit die italienische Schule
herrschte, war Hasse einer ihrer gefeiertsten Namen von Petersburg
bis Madrid, von London bis Warschau. Bei den Italienern heißt er
nur der caro Sassone^ auf ihren Bühnen wurden die Hasseschen
Opern aufgeführt als musica di Sassone. Noch heute hängt in der
Bibliothek des Konservatoriums zu Neapel Hasses Bild unter den
Häuptern der neapolitanischen Schule an der ersten Stelle. Er war
der musikalische Liebling Friedrichs des Großen, der Stolz der
Dresdner Hofoper, die er auf ihre höchste Höhe hob und galt in
sächsischen Landen als eine Spitze der Kunst, weit über Bach und
1 H. Kretzschmar: »Aus Deutschlands italienischer Zeit c. Jahrbuch
Peters 1901. Über die Textdichtung der Periode unterrichtet A. Schatz:
»Giovanni Bertati« (Vierteljahrsschr. f. M. W. 1889).
2 C. Mennicke: »Joh. Ad. Hasse< (Sbd. d. IMG V, S. 230 ff. u. 469 ff.);
B. Zeller: »Das Rezitativo accompagnato in den Opern J. A. Hasses«, Halle
1911; Biographie von J. Ad. u. Faustina Hasse. 41. Neujahrsstück der
Allg. Musikgesellschaft in Zürich 1853.
186 Von Hasse bis Grluck
alle Zeitgenossen hinausragend. Hassesche Musik aufführen zu können,
vielleicht eines seiner »Tedeums«, war eine besondere Genugtuung
ausgezeichneter Kantoren. Und heute das Urteil über Hasse and
Hasses Opern! »Sie sind«, schreibt C. H. Bitter, »durchweg eine
Inkarnation des italienischen Opernstiles seiner Zeit, der keinen andern
Zweck hatte, als den Zuhörern angenehme Eindrücke zu hinterlassen,
nie deren Leidenschaften aufzuregen, nie auf die tieferen Empfin-
dungen der Seele einzuwirken . . . Über diese Zwecke ist Hasse nie-
mals hinausgekommen, Anläufe zu dramatischer Gestaltung sind bei
ihm kaum erkennbar«, und da Bitter immer alles besser weiß als
andere, fügt er im Gegensatz zu Burnej noch hinzu: »Daß Hasse
kontrapunktische Kenntnisse und Übung in der ernsteren Schreibart
hatte, erkennt man aus seinen Opern nicht. « Aber auch Fürstenau,
der zu einem gerechteren Urteil befähigt war, spricht Hasse wesent-
lich nur formelle Vorzüge zu, und gar für W. Riehl ist er ledig-
lich ein Paradigma, die blendende Hohlheit der Hofoper des 18. Jahr-
hunderts zu belegen. Wie ist so eine Verkennung nur möglich, und
was für Schaden richtet sie an! Von den weit über hundert Opern,
die Hasse komponiert hat, darunter alle Texte Metastasios meistens
zweimal, einzelne noch öfter, sind heute gegen 80 noch erhalten. Wer
eine davon mit einiger geschichtlichen Vorbereitung aufschlägt, der
muß sofort darüber klar werden, daß hier mehr als Durchschnittsgüte
vorliegt. Das zeigen schon die sogenannten Seccorezitative durch
den Ton tiefer Erregung, der die Harmonien und Modulationen belebt.
Ein Scarlattischer Geist handhabt die hergebrachten Formen und
Mittel und bringt sie nach Bedarf und Inspiration zu neuen Bil-
dungen und Wirkungen. Eine solche Stelle ist z. B. der Anfang
seiner »Didone abbandonata* (1742), wo die Verwirrung des Eneas
dargestellt wird. Da schwanken — »Dovrei — ma — no — Vamor*.
— Rezitativ und Arienform in einer ganz neuen Art durcheinander,
die Deklamation ist ein Stammeln, und der einfache Musiksatz wird
zu einem aufregenden, realistischen Seelengemälde. Die Größe Hasses
liegt aber in seiner Behandlung der Arie, in dem dramatischen Fluß,
den er ihr gibt. Bei Vinci erfährt man, wenn man das Thema kennt,
in der Regel nichts Neues mehr, Hasse entwickelt frei, man muß
seine Arien von Anfang bis zu Ende studieren, er trägt immer wei-
tere Züge zu dem psychologischen Bilde herbei, das er geben will.
Die Dichtungen und das Opernwesen, wie es geworden war, brachten
es mit sich, daß auch bei Hasse immer eine Reihe konventioneller
Nummern mit unterläuft, in denen er nur elegant oder brillant ist.
Aber in der Mehrzahl sind seine Sologesänge Meisterstücke der dra-
matischen Charakteristik. Man sehe nur, wie er die Reue der Dido
mit der Arie -»Ombra carai. und dem Rezitativ obligato, das dazu
gehört, gezeichnet hat, oder den Ausdruck rauher Entschlossenheit, den
er in der •»Iper7nestra<i- dem Darvos gibt, als dieser mit *0r del tuo
ben* die Tochter verstößt. Soll man aus der Menge der Hasseschen
Johann Adolf Hasse 187
Opern einzelne herausheben, so müssen es zuerst *Arminio< (in
der Bearbeitung von 1753) und ^SoUmmio^ (1753) sein. Der
trotzige Arminio, der von Lebenslust überschäumende Segest, der
stolze, wortkarge Varo sind Figuren, die niemand wieder vergißt.
Im Wesen des Arminio, der immer stolzer wird, je größer sein
Unglück, faad Friedrich der Große etwas Verwandtes, der ^Är-
minio*- war die Oper, zu der er immer wieder zurückkehrte. Sie
hat Züge von Größe und Pathos, die an Gluck erinnern, ja die
Szene, wo Segest (zweiter Akt: *Sento a dispeUo<i.] beim Abschied
von der Tochter im Zorn beginnt, in Milde und Rührung schließt,
hat am Ende Töne und Harmonien, die uns fast wörtlich in Glucks
»Alceste« beim Gebet des Priesters wieder begegnen. Wie schon in
der Dichtung, so ist t> Arminio <<' auch in der Musik diejenige Oper
Hasses, in der deutsches Empfinden doch deutlicher zu bemerken ist,
nämlich im volleren, zwanglosen Ausdruck des Schmerzes, in den
tieferen Beiklängen der Zärtlichkeit. Auch die Musik des »Solimano«
weist auf Geliert und Klopstock hin. Seine Stärke liegt aber
erstens in der Wiedergabe orientalischer Herrschernatur, in der er-
schrecklichen Wildheit des Rusteno, zweitens in der Pracht des musi-
kalischen Apparates. Ein Doppelorchester geht durch diese Oper:
auf der Bühne spielt dazu noch in einer großen Anzahl von Szenen
türkische Musik. Der »Soliman« zog die Besucher, hohe und niedere,
wie Fürstenau erzählt, von weit her nach Dresden, und er hat eine
ganze Gattung Türkenopern, die namentlich die opera huffa fleißig
ausnutzte, mit begründen helfen.
Auf die Stufe, zu der Hasse die dramatische Charakteristik
geführt hatte, stellen sich nun eine Reihe hervorragender Talente;
die bedeutendsten sind: David Perez, Domenico Terra-
dellas, Francesco di Majo, Nicolo Jommelli und Tom-
maso Traetta.
Es ist wohl nicht zufällig, daß die Mehrzahl dieser Männer dem
einseitigen Einfluß der neapolitanischen Schule, nachdem sie sie ab-
solviert hatten, entzogen wurden. Hasse war Deutscher, Perez und
Terradellas sind Kinder spanischer Eltern, Jommelli verbrachte einen
großen Teil seines Lebens in Stuttgart, di Majo und Traetta kamen
frühzeitig nach Mittel- und nach Oberitalien.
Auch Perez wurde zuerst durch komische Opern bekannt, die
erste, 1740 aufgeführt, heißt ^ Travestimenti amorosi*.\ die zweite
^UÄmor pittore<t. führt in der Überschrift die interessante Bezeich-
nung * co7nponimento drammatico civile«, interessant deshalb, weil sie
das höhere Ziel der opera buffa, den Gegensatz einer bürgerlichen
Oper zur Renaissanceoper, offen ausspricht. Mit dem »Siroe re di
Persia^ betritt Perez das Gebiet der großen Oper zum ersten Male
und mit raschem Erfolg. Schon 1749 finden wir ihn in Wien, bald
darauf in Rom und Turin. 1752 siedelt er nach Lissabon über, wo
188 Von Hasse bis Gluck
er mit 35000 Franken und wie ein König geehrt 26 Jabre lang als
Hofkapellmeister gewirkt und die Lissaboner Oper zu einem der
ersten Institute seiner Art gemacht hat. Nur einmal ist er von hier
im Jahre 1755 weggegangen, um in London seinen »Ezio* zu schrei-
ben und aufzuführen. In London sind 1774 auch Trauerchöre [Re-
sponsorj de^ morti) von Perez gedruckt worden; in einer neuen
Partiturausgabe haben wir von ihm nur ein einziges Stück, und
zwar auch Kirchenmusik; es steht in der bekannten Brauneschen
Sammlung. Mit den Anfangsworten Media nocte gibt es die Erzählung
von den törichten Jungfrauen in einer sehr ernsten und spannenden
Darstellung. Dreiundzwanzig Opern hat Perez nachweislich geschrie-
ben. Davon sind noch fünf in der Bibliothek des Konservatoriums
zu Neapel erhalten: SiroS, Demetrio, l'Isola disabitata, Solimano,
Artasere, etwas ungleich untereinander und ungleich in sich, am
schwächsten der »Siroe*, den auch die Bibliothek von San Marco in
Venedig besitzt, aber keine ohne bedeutende Züge. Schon die Ouver-
türen zeigen einen höheren, an dem Muster Hasses gebildeten Geist,
die ganze Instrumentalbehandlung steht im Gegensatz zu Vinci und
seinem bequemen Stil. Die Sorgfalt, die ihr gewidmet ist, spricht
sich schon in der genauen Vortragsbezeichnung aus. Wenn behauptet
wird, erst die neuere Zeit, etwa von der Mannheimer Schule ab,
kenne ein dynamisch abgestuftes Orchesterspiel, so kann dagegen mit
auf Perez verwiesen werden; nicht bloß die gewöhnlichen Schattierungs-
grade piano, crescendo j forte stehen überall in seinen Partituren, er
hat auch ganz eigene Angaben. So schreibt er z. B. einmal in sei-
nem * Solimano '^ über eine Arie (des Zanghire in der zehnten Szene
des ersten Aktes) Ällegro teairale, d. h. also: die Lebendigkeit der
Bewegung soll etwas stark aufgetragen sein. Über den Violinen
stehen immer die eingehendsten Bemerkungen für den Ausdruck;
einmal verlangt er von ihnen, sie sollen flebile spielen. Überall
sprechen bei Perez, auch wo es ihm sonst weniger geglückt ist,
die Instrumente dramatisch mit. Im »Soliman« ist eine Arie des
Osmin >Ah se un figlio sventurato «^ , da zuckt immer im Orchester
ein heftiger Schmerz auf, der Sänger unterdrückt ihn und will
in Wort und Ton den Anschein der Ruhe und Fassung erwecken.
Hie und da bekundet Perez seine Liebe zur Instrumentalmusik
durch selbständige Orchestersätze; brillante Märsche sind häufig in
seinen Opern. Am poetischsten hat er der Neigung zur Instru-
mentalmusik in seinen begleiteten Bezitativen Ausdruck gegeben.
Durch Festhalten und Variieren von Hauptmotiven haben sie eine
Einheit und Dramatik, die sie unter die besten Leistungen der ita-
lienischen Schule stellt.
Die Lissaboner haben unter den Opern des Perez den -»Demetrio*^
und den •»Solimano<^ am höchsten geschätzt, sie sind unaufhörlich
aufgeführt worden. Beim > Demetrio^ erklärt siöh das aus der äußer-
lichen Wirkung, dem Feuer und Temperament seiner Musik. Der
Domenico Terradellas 189
»Solimano« gehört unter die Meisterwerke, von denen, wenn einmal
die Oper der neapolitanischen Schule wieder bekannt sein wird, jeder
Gebildete etwas wissen muß. Reichtum der Erfindung und der Emp-
findung, Ursprünglichkeit der Mittel und der Gestaltung, alles ist
darin, was eine Kunst groß macht. Schon Solimans Auftrittsszene
*Pave7iti€^ wo die beiden Fagotten unterm Gesang die dunkle Glut
in der Seele des Tyrannen, wo die leisen Trugschlüsse das furcht-
bar Unheimliche seines Charakters malen, wo trotz des kolossalen
Umfanges des Stückes jeder Takt frisch ist, und jeder einen neuen
Zug zu der übernatürlichen Gestalt hin zuträgt — schon diese einzige
Szene genügt, zur Bewunderung von Perez zu zwingen. Wären alle
Opernkomponisten der neapolitanischen Schule vom Schlage dieses
einen gewesen, dann hätte es keinen Gluck gebraucht.
An Domenico Terradellas rühmt Burney, daß er besonders
sorgfältig für die schwächeren Sänger gearbeitet habe. Er hatte aber
jedenfalls noch stärkere Stützen für seinen Ruhm. Terradellas ist einer
der kühnsten Komponisten seiner Zeit. Wenn er einmal eine Szene
der Wut auszuführen hat, da erlebt man was. In seiner ^Sesostri*
z. B. rückt in der Arie der Amaji y>Tre7)iate Mostri di Grudelta<^ an
der Stelle eines Ausbruchs die Harmonie so von Cdur nach GmoU, daß
man sich in die Sphäre Monteverdis versetzt glaubt, und nicht selten
wird er bei solchen Anlässen vollständig naturalistisch. In seiner
*Me7'ope« z. B., in der Szene, wo die Merope sich weigert, dem Poli-
fonte die Hand zu reichen, ist ein Fanatismus in Trillern und Ak-
kordpassagen von einem unglaublichen Eindruck. Sein Hauptmittel
für den Ausdruck bleibt aber immer die Modulation, und darin zeigt
er den Einfluß Hasses. Terradellas ist ungleich. Sein Hauptwerk ist
der »Ärtase?-S6^; in ihm ist die Gestalt des Titelhelden außerordent-
lich reich ausgeführt und in allen Lagen, in zornigen, klagenden,
schmachtenden und fröhlichen Momenten immer mit derselben schöpfe-
rischen Erfindungskraft und klar im Charakter getroffen. Von den
acht Opern Terradellas, die sich in der Statistik nachweisen lassen,
sind drei erhalten. -^Ärtaserse^ in Wien, Hofbibl., ^Merope* in Bo-
logna (zweimal, einmal als *Epitide^) und *Sesostri€ in London,
Brit. Mus. Terradellas starb schon 1751 in Rom, bald nach der Auf-
führung der »Sesostri'!^. Da heißt es nun in der Biographie Jommellis,
die die »Allgemeine Musikalische Zeitung« Rochlitzens brachte, dieser
solle den Terradellas als Nebenbuhler haben beseitigen lassen. Die
Behauptung ist ungefähr so gut beglaubigt wie die Ermordung
Mozarts durch Salieri. Sie zeigt nur, was man schließlich im Haß
gegen die Italiener für Mittel anwendete.
Perez sowohl wie Terradellas gingen an die Oper erst in einem
verhältnismäßig reifen Alter. Francesco di Majo, der dritte in
der Meisterreihe aus der zweiten Blütezeit der neapolitanischen Oper,
setzt als Wunderknabe ein. Mit 15 Jahren war er (nach Florimo)
bereits Hofkapellmeister in Neapel und führte die erste Oper *Cajo
190
Von Hasse bis Gluck
Fabricio<^ auf, noch im selben Jahre 1762 dann seinen *Artasers6<\
bis zu seinem Tode, — er starb schon 1770 in Eom — , entstanden
15 Opern. Unter diesen ist ^Ipermestra*, die ins Jahr 1768 fällt,
die bedeutendste. Majo zeichnet sich aus im Rührenden, in der
Darstellung des Seelenschmerzes, wo er außerordentlich frei mit den
Ausdrucksmitteln verfährt. Mit einem Beispiel dafür fängt gleich
die »Ipermestra^ an: Elpenices Arie »Pensa che figlia seU:
fig-lia sei:
^^^
Pen - sa che
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^
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Pen - sa che Pa
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Was für verworren wogende Harmonien, wie schneidend der Einsatz
der Singstimme! Auch die erste Arie der Ipermestra -»Ah non par-
lar cfamoreo^^ in der die Erregung durch Pausen in der Deklamation
ausgedrückt ist, gehört unter die großen Stücke Majos. In seiner
Lebendiofkeit und in der Weichheit ist er ein Sohn des Südens, die
Schule Hasses zeigt er in der feinen Detailarbeit; geschichtlich fort-
gewirkt hat er auf Mozart, der durch den Sänger Raaff zu ihm ge-
führt wurde. Es besteht zwischen beiden ersichtliche Gefühlsver-
wandtschaft.
Jommelli^ ist von allen den großen Vertretern der neapolitani-
schen Schule derjenige, der sich in der Gegenwart und in Deutsch-
land am längsten und am festeten erhalten hat durch seine Kirchen-
musik, namentlich durch seine Requiems. Er war auch im 18. Jahr-
hundert eine Zeitlang der gefeiertste aller Opernkomponisten. 1714,
in demselben Jahre wie Gluck geboren, ging er im Jahre 1737,
dreiundzwanzigjährig, zuerst in der Weise seiner Landsleute mit einer
komischen Oper heraus. Sie heißt -»Verrore amoroso^^ aber sein
Selbstvertrauen war so gering, daß er als den Komponisten einen
gewissen Valentini nannte. Am Tage nach der Aufführung erst trat
er mit seinem Namen hervor, der bald durch ganz Italien in Ansehen
kam. Jommelli wurde nach Rom, nach Bologna zur Komposition von
Opern bestellt. Als er 1741 in Bologna eintraf, war sein erster
1 H. Abert: »Nicole Jommelli als Opernkomponist«. Halle 1908. Einen
Neudruck von Jommellis Fetonte brachten die Denkmäler deutscher Ton-
kunst als Bd. 32/33.
Nicolo Jommelli 191
Gang zum Padre Martini. Er wollte von ihm Stunden, und Martini
hatte Not und Mühe ihm das auszureden; solche Bescheidenheit ver-
band sich bei Jommelli mit der großen Begabung. So hat er immer
gelernt, sich Neues angeeignet, und seine Gediegenheit wie seine
Erfolge wuchsen fortwährend und gleichmäßig. Sein Ruf drang
nach außen, 1749 komponierte er für Wien seinen »Achille in Sciro«
und die »Didone«. 1754 bewarben sich zu gleicher Zeit drei Höfe
um Jommelli: Lissabon, Mannheim und Stuttgart. Er entschied sich
für Stuttgart und blieb da bis 1769 in angenehmer und glänzender
Stellung. Als er aber dann nach Neapel zurückkehrte, war er bei
den Italienern vergessen und vermochte sie nicht mehr zu fesseln;
die Entwicklung, die er in Deutschland genommen hatte, war ihnen
zuwider, unbequem.
Fetis führt 44 Opern von Jommelli auf, von ihnen besitzt das Kon-
servatorium zu Neapel 27; es gibt wohl wenige Bibliotheken von
Bedeutung, auch in Deutschland, die nicht einige oder mehrere Musik-
dramen Jommellis aufzuweisen hätten. Sie sind mehr als andere
durch Abschriften verbreitet worden und in Hände von Privatper-
sonen auch nach Deutschland gekommen. Noch im Jahre 1783, als
Jommelli schon neun Jahre tot war, wird in »Cramers Magazin«
ernstlich für eine Gesamtausgabe seiner Werke geworben. Er ver-
dient nicht in allen seinen Opern verewigt zu werden, denn in einem
großen Teile der früheren haust der neapolitanische Leichtsinn; aber
eine gut getroffene Auswahl würde einen erfreulichen und lehrreichen
Blick in die Entwicklungsfähigkeit italienischen Talents gewähren.
Von Haus aus ist Jommellis Natur und Richtung am meisten mit
der von Perez verwandt: die Neigung zu den Instrumenten treibt
ihn aber noch weiter, zuweilen ins Äußerliche. In einer berühmten
Szene seiner »Olympiade* z. B. (in »Quel destriere«) malt er das ganze
Stück hindurch in der zweiten Geige den Galopp des Pferdes. Er
sucht beständig seinen Vorrat an musikalischen Ausdrucksmitteln zu
vermehren und findet dabei ganz ursprüngliche und neue. Alle seine
Opern enthalten Stellen, die man nicht wieder vergißt, weil sie so
eigen den Charakter der Situation wiedergeben. Oft führt ihn die
Natur dabei auf die einfachsten Wege: er wirkt mit Pausen, mit
einzelnen dahinklingenden Tönen, oft ist er aber raffiniert, wie es
Porpora war, auf Effekte aus. So stellt er in seinem Ȁrtaserse*
in der Arie des Arbaces den Moment träumerischen Besinnens ein-
mal folgendermaßen dar:
pal pi - ta
In dieser Art noch sechs Takte fort. Aber schließlich hat doch die
Innerlichkeit seiner Natur gesiegt, und diese Entscheidung kam in
192 ^on Hasse bis Gluck
Stuttgart. Er ist noch nicht lange dort, da traf ein Brief Meta-
stasios ein, dessen persönliche Freundschaft er während seines Wiener
Aufenthaltes erworben hatte; ein Brief mit Warnungen: ja nicht die
italienische Leichtigkeit zu verlieren. Aber es half nichts. Jommellis
Ziele gingen immer entschiedener auf Tiefe; der italienische Stil und
der Gedanke an die Leichtigkeit gingen ihm vollständig verloren.
Den Ausschlag gab für ihn die Bekanntschaft mit der französischen
Oper. Die hatte zwar in Deutschland nirgends eigentlich festen Fuß
gefaßt; aber sie war doch in einzelnen Residenzen immer wieder ver-
sucht worden: in Wien, in Dresden zuerst. Hier in Dresden kommen
»Castor und Pollux«, kommt »Dardanus« und eine oder die andere
Oper Rameaus immer wieder vor. In Wien bildet der alte Fux die
französische Musik trotz der italienischen Texte nach: die Chöre in
seiner ^^Constanza«-^ und in seiner * Elisa* zeigen es. Auch in Stutt-
gart und Ludwigsburg stand französische Kultur so in Gunst, daß
auch das französische Musikdrama probiert werden mußte. Auf
Jommelli machte es einen so tiefen Eindruck, daß er nun grund-
sätzlich auf die Seite trat, nach der es ihn unbewußt von jeher ge-
zogen hatte, auf die Seite der dramatischen Musik ohne Konzessionen.
Mit seinem »Fetontet- ist diese Wendung entschieden, und alle seine
folgenden Opern sind nun von französischem Geist in seiner guten
Art berührt und zeigen das auch oflfen in der Form, in der Auf-
nahme von Chören und Ensembles. Die bedeutendsten sind die »Di-
fZowß« und die ^^ Armida ahhandonata^. Die Italiener schoben die
Neuerung auf die Rechnung der deutschen Kontrapunktisten , die
daran unschuldig waren.
Das französische Musikdrama selbst war ihnen hundert Jahre lang
vollständig fremd geblieben. Nur an einzelnen kleineren Höfen, wie
Modena, hatte man es gelegentlich einmal versucht. Der einzige
Ort, wo man sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ernster damit
beschäftigte, war Parma. Hier war Traetta Kapellmeister, und in
ihm, in Tommaso Traetta^, haben wir den bedeutendsten unter
den Komponisten, die als Vorläufer Glucks bezeichnet werden können.
Traetta ist Gluck in den Formen am nächsten, und im dramatischen
Sinne ist er ihm sogar überlegen bei der musikalischen Ausführung
langer Soloszenen. Er steht aber unter ihm an Entschiedenheit des
Charakters, er macht musikalische und dichterische Konzessionen.
In Parma hat Traetta ganz speziell die Rameausche Schule durch-
gemacht, Rameausche Opern nicht bloß aufgeführt, sondern auch be-
1 Die Oper liegt im Neudruck vor in den Denkmälern der Tonkunst
in Österreich, 17. Bd.
2 Ausgewählte Szenen aus Traettas: Farnace, J. Tantaridi, Ifigenia in
Tauride, le feste d'Imeneo; Antigona und seine Sofonisba sind in den
bayrischen Denkmälern der Tonkunst XIV, 2 u. XVII veröffentlicht.
Tommaso Traetta 193
arbeitet und dabei seinen Blick für die Poesie, für Ort und Zeit im
Drama geschärft. Traettas Szenen haben von da das romantische
Element, die Töne und Farben für die mitwirkende Natur, für die
äußere Szenerie, und benutzen alle dekorativen Mittel der Stimmung,
die sich musikalisch in Instrumentalform fassen lassen. Im zweiten
Akte seiner Ȁrmida^ hat Traetta Naturmalereien, z. B. da, wo Ri-
naldo schläft, die zu dem schönsten gehören, was das Musikdrama
in dieser Gattung aufzuzeigen hat. Traetta war auch in der opera
huffa ein Meister; hier hat er die liebenswürdige Seite seines Talentes
zuerst bis zur Originalität entwickelt und sich eine Leichtigkeit im
melodischen Ausdruck erworben, die ihm auch bei den großen dra-
matischen Aufgaben zustatten kam. So vereinigte er denn in der
Zeit seiner Reife die Vorzüge zweier Schulen: von den Franzosen
hat er Quartette, die Ensembles, die meist kurzen Chöre, die reicheren
und freieren Formen, von den Italienern die Kunst und den Gehalt
seines Sologesanges. Und das italienische Element ist doch das, worauf
die tiefsten Wirkungen in seinen Opern zurückgehen: der Anfang
seiner ^Ifigenia in Taiiride« mit der großen Szene des Orestes:
»Äh tu 7ion se?iU^, oder den zweiten Akt der ■»Äntigone« mit seinen
Tönen des Schauers vergißt niemand wieder. Es ist da ein neuer
Geist, der sich aus dem bisherigen Musikdrama ungefähr ähnlich
abhebt, wie Schubert mit Gesängen wie der -» Atlas ^ das Lied seiner
Zeit überholt.
Von Traettascher Opernmusik finden sich einige Bruchstücke in
dem schon mehrmals erwähnten Buch von Bitter: »Gluck und die
Reform der Oper«. Doch sind sie zu kurz und die Ausführungen
Bitters hilflos — sie geben aber Veranlassung, hier einmal oder noch
einmal das Verhältnis der neueren Zeit zur neapolitanischen Schule
zu berühren. Die frühere Schwärmerei der Heinse und Hiller ist in
Abscheu umgeschlagen, dem einen Extrem ein anderes gefolgt. Das
18. Jahrhundert sah nicht, wie diese Opern im ganzen dramatisch
schwach waren, das 19. nicht, wie sie in einzelnen Szenen, in den
Monologen, musikalisch-dramatische Meisterstücke in Menge enthalten.
Unsere Zeit vergißt diesen Neapolitanern gegenüber, daß es eine in
jeder Beziehung vollkommene Kunst überhaupt nicht gibt. Wer ver-
nünftig ist, nimmt bei unsern alten deutschen Wandmalereien, nimmt
auch noch bei Dürer die schlechte Perspektive mit in den Kauf und
hält sich an den Ausdruck der Köpfe. So sollte man auch an der
neapolitanischen Schule nicht bei dem Wust konventioneller Musik
stehen bleiben, dessen sie bei einzelnen Komponisten voll sind,
sondern man sollte den Teil fest ins Auge fassen, in dem sie Muster
bieten. Das sind die Szenen, in denen mit den Mitteln des Solo-
gesanges innerstes Seelenleben naturwahr, groß, ergreifend, oder innig
und anheimelnd dargestellt wird. Sie sind von Scarlatti ab bis auf
Traetta zahlreich genug und scheinbar in denselben Formen gehalten,
doch äußerst mannigfach nach der Art der Affekte unterschieden,
Kl. Handb. der Mnsikgescli. VI. 13
]^94 ^^° Hasse bis Gluck
verschieden nach der Individualität der Komponisten. Nach den
Mitteln, die sie verwenden, bilden sie deutlich getrennte Gruppen:
einer Zeit der übertriebenen Einfachheit, Vinci-Pergolesi, folgt eine
aufsteigende, die mit der Verschmelzung italienischen und französi-
schen Stils endet, Hasse-Traetta. Es scheint aber, daß unsere Zeit
diese alten Arien nicht mehr zu lesen versteht, sie mit einer Brille
studiert, die aus einer Zeit berechtigten Überdrusses stammt.
Wenigstens trifft diese Beschuldigung die Mehrzahl der neueren
Schriftsteller, die einzelne Abschnitte aus der neapolitanischen
Schule behandelt haben. Sie gilt für Riehl und seine Schilderung
Hasses. Riehls Glaubwürdigkeit wird durch den Umstand genügend
gekennzeichnet, daß er unter den drei Komponisten, die er aus der
großen Menge der neapolitanischen Opernmeister hervorhebt, auch
den Durante nennt, der keine Zeile fürs Theater geschrieben hat.
Der schlimmste ist aber Bitter, der sich auf dem Titel seines Buches
als ,Königlich Preußischer Finanzminister' vorstellt. Hoffentlich hat
er das getan, um sich als Dilettant zu entschuldigen. Gewiß sind
Dilettanten für die Mitarbeit in der Musikgeschichte sehr willkommen,
wenn sie sich in den Grenzen ihres Urteilsvermögens halten. Das
ist aber bei Bitter nicht der Fall, er täuscht sich und die Leser,
meistert alle, die vor ihm gearbeitet haben, ist nicht einmal —
ehrlich, sachlich aber im höchsten Grade befangen und unfähig. Ihm
genügen zwei Takte in Sechzehnteln, da ruft er entrüstet: Bravour-
arie, Konzertoper, und hat keine Ahnung, daß die Koloratur und
der Figurengesang Ausdrucksmittel sein kann, und daß die Gegen-
wart in seiner Behandlung durchschnittlich nur Karikatur bietet.
Der einzige, der, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, den Nea-
politanern Gerechtigkeit hat widerfahren lassen, ist A. B. Marx in
seiner Biographie Glucks. Wo er kleine Szenen oder Arien aus den
Werken Pergolesis, di Majos, Jommellis analysiert, da faßt und be-
wundert er sie in ihrer dramatischen Bedeutung. Leider hat er nur
viel zu wenig von dem ganzen Gebiet kennen gelernt. Aber ihm
darf man in der Betrachtung und Auffassung folgen, und es ist
sehr wünschenswert, daß sich zahlreiche junge Kräfte in der Marx-
schen Art in die hervorragenden Komponisten der neapolitanischen
Schule vertiefen und unserer Zeit das Bleibende aus ihrer Kunst
wieder nahebringen. Eine Reihe äußerst lohnender Spezialarbeiten
bietet sich da, von Scarlatti ab wenigstens ein Dutzend Meister, von
denen jeder eine besondere Behandlung reichlich verdient.
Solche Arbeiten haben nicht bloß ein sogenanntes historisches
Interesse, sondern einen eminent praktischen Wert. Sie allein^ sichern
ein richtiges, ein wirkliches Urteil über bekannte Größen. Die große
Masse nicht bloß der Kunstfreunde, sondern auch der gewerbsmäßigen
Kunstrichter neigt heute zu unbedingter Verehrung oder ebenso un-
bedingter Ablehnung. Ob die Objekte nun Beethoven und Wagner,
oder ob sie Bach und Gluck heißen, die Methode ist immer die
Chr. W. aiuck 195
gleiche, sie wirkt verwirrend, weil Vorzüge und Öcliwäcben mit
demselben Eifer bewundert werden ^
In seinem vielgelesenen Buch » Die moderne Oper ^ , einer
Sammlung von Zeitungsreferaten, hat Eduard Hanslick Gluck mit
Lully und Rameau, schließlich auch mit Piccinni und zwar gerecht
abwägend verglichen, aber von Jommelli und Traetta weiß er nichts.
Eine andere Autorität der neuesten Zeit, Heinr. Bulthaupt, kommt
in seiner »Dramaturgie der Oper« (Leipzig 1902) auf dem rein
ästhetischen Wege einer richtigen Schätzung Glucks und seiner Re-
formen zuweilen ziemlich nahe, aber wirklich klar sieht er ebenfalls
nicht, weil er den historischen Orientierungspunkt nicht findet. Der
erste Gluckbiograph Anton Schmid (Leipzig 1854) hat sich
ziemlich auf das äußere Leben des Meisters beschränkt, die Gluck-
biographie von Marx (Berlin 1869) geht weiter, aber leider war der
reichbegabte Marx kein Freund harter Arbeit. Was ziemlich offen
lag, das hat er vorzüglich geklärt, z. B. die Tatsache, daß die Re-
form Glucks zum Teil der einfache Anschluß an die französische
Oper ist, aber auf schwieriger festzustellende Punkte läßt er sich
gar nicht ein. So übergeht er die ganze Jugend Glucks, in der
wahrscheinlich schon die Komotauer Zeit bei den Jesuiten ent-
scheidende Eindrücke gebracht hat. Er gräbt auch andern wich-
tigen Fragen in der Entwicklung Glucks nicht tiefer nach, z. B.
nicht den Ursachen, die Gluck gerade auf Calzabigi^ führten; die
sachlichen Hauptpunkte der Gluckschen Reform jedoch hat die Bio-
graphie von Marx entschieden richtig gestellt. Glucks Reform
besteht aus zwei Teilen: der erste ist die Reinigung der Opern-
dichtung von Intrigenmechanismus und empfindsamen Ballast, die
dramatische Korrektur der Textbücher; der zweite ist Bereicherung
der musikalischen Mittel, Anschluß an die französische Oper. An
dei- Renaissanceoper hielt er noch fest, aber er führte sie zurück
auf die Ideen der Entstehungszeit, ohne Kenntnis von Rinuccini,
Peri und Monteverdi, rein vom Genius, von den Gesetzen des ge-
sunden Menschenverstandes geleitet. Die übrigen Punkte, in denen
Gluck außerdem von dem bisherigen Brauch des italienischen Musik-
dramas abwich, sind Nebensachen, und sie sind keineswegs ohne
weiteres als Verbesserungen zu betrachten.
Es muß hier einen Augenblick wegen der Autorität ihres Ver-
fassers auf die Darstellung eingegangen werden, die Richard Wagner
in seiner Abhandlung über »Oper und Drama« von der Reform
Glucks gibt, weil sie eine dieser Nebensachen für die Hauptsache
ausgibt. Es heißt da:
1 Heranzuziehen ist noch: H. Kretzschmar: >Zum Verständnis
Glucks«, Jahrbuch Peters 1903 u. Stephan Wortsmann : »Die deutsche
Gluckliteratur« 1714-1787, Nürnberg 1914.
2 H. Welti: >Gluck und Calzabigi.. Vjschr. f. M. W. 1891.
13*
196 Von Hasse bis Gluck
»Die so berühmt gewordene Revolution Glucks, die vielen Unkenntnis-»
»vollen als eine gänzliche Verdrehung der bis dahin üblichen Ansichten von
»dem Wesen der Oper zu Gehör gekommen ist, bestand nun in Wahrheit
»nur darin, daß der musikalische Komponist sich gegen die Willkür des
»Sängers empörte. Der Komponist, der nächst dem Sänger die Beachtung
»des Publikums besonders auf sich gezogen hatte, da er es war, der diesem
»immer neuen Stoff für seine Geschicklichkeit herbeischaffte, fühlte sich
»ganz in dem Grade von der Wirksamkeit dieses Sängers beeinträchtigt,
»als es ihm daran gelegen war, jenen Stoff nach eigener erfinderischer
»Phantasie zu gestalten, so daß auch sein Werk und vielleicht endlich
»nur sein Werk dem Zuhörer sich vorstellte. Es standen dem Komponisten
»zur Erreichung seines ehrgeizigen Zieles zwei Wege offen: entweder den
»rein sinnlichen Inhalt der Arie mit Benutzung aller zu Gebote stehenden
»und noch zu erfindenden musikalischen Hilfsmittel, bis zur höchsten,
»üppigsten Fülle zu entfalten, oder — und dies ist der ernstere Weg, den
»wir für jetzt zu verfolgen haben — die Willkür im Vortrag dieser Arie
»dadurch zu beschränken, daß der Komponist der vorzutragenden Weise
»einen dem unterliegenden Worttext entsprechenden Ausdruck zu geben
»suchte. Wenn diese Texte ihrer Natur nach als gefühlvolle Peden han-
»delnder Personen gelten mußten, so war es von jeher gefühlvollen Sängern
»und Komponisten ganz von selbst auch schon beigekommen, ihre Virtuo-
»sität mit dem Gepräge dei- nötigen Wärme auszustatten, und Gluck war
»gewiß nicht der erste, der gefühlvolle Arien schrieb, noch seine Sänger
»die ersten, die solche mit Ausdruck vortrugen. Daß er aber die schick-
» liehe Notwendigkeit eines der Textunterlage entsprechenden Ausdrucks
»in Arie und Rezitativ mit Bewußtsein und grundsätzlich aus-
»sprach, das macht ihn zu dem Ausgangspunkt für eine allerdings voll-
» ständige Veränderung in der bisherigen Stellung der künstlerischen Fak-
»toren der Oper zu einander. Von jetzt an geht die Herrschaft in der
»Anordnung der Oper mit Bestimmtheit auf den Komponisten über: der
»Sänger wird zum Organ der Absicht des Komponisten, und diese
»Absicht ist mit Bewußtsein dahin ausgesprochen, daß dem dramatischen
»Inhalt der Textunterlage durch einen wahren Atisdruck derselben ent-
»sprochen werden solle. Der unschicklichen und gefühllosen Gefallsucht
»des virtuosen Sängers war also im Grunde einzig entgegengetreten worden,
»im übrigen aber blieb es in bezug auf den ganzen unnatürlichen Organismus
»der Oper durchaus beim alten. Arie, Rezitativ und Tanzstück stehen für
»sich gänzlich abgeschlossen, ebenso unvermittelt nebeneinander in der
»Gluckschen Oper da, als es vor ihr und bis heute fast noch immer der
»Fall ist.*
So Wagner und so weit richtig, als er, v^ie namentlich im
Schlußsatz, darauf hinweist, daß auch die Glucksche Reform als
Menschenwerk unvollkommen blieb und Bedenken hatte. Aber in
der Begründung und in den einzelnen Sätzen haben wir es da nur
mit wortreicher Umschreibung der Auffassung Glucks zu tun, die
Fink in seiner sogenannten »Geschichte der Oper« gibt, und diesem
Fink ist AV agner leider in allem Historischen seines Buches für die
ältere Zeit blind gefolgt. Finksche Geschichtsklitterung ohne jeg-
liche Quellenkenntnis ist bis auf alle Einzelheiten wiederzuerkennen,
Chr. W. Gluck 197
als z. B. die Eitelkeit der Komponisten, namentlich aber das Sänger-
gespenst. Auch Gluck war von der Furcht vor diesem Sänger-
gespenst besessen, und tatsächlich war im Laufe des 18. Jahr-
hunderts der Sängerstand entartet und von der hohen Stufe, auf der
ihn die Gesanglehren der älteren Zeit zeigen, auf der er u. a. noch
in Tosis berühmtem Werk steht, herabgeglitten. Aber Gluck hat
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn er den Sängern aus
Furcht vor Mißbrauch die Freiheit nahm und den Verfall bloß nach
einer andern, vielleicht gefährlicheren Richtung gedrängt, den Geist
der Gesangskunst geknebelt.
Ein zweiter von den Nebenpunkten der Gluckschen Reform ist
die Ausmerzung des Seccorezitativs und des Cembalo. Auch das
ist eine zweifelhafte Verbesserung, ein Grund für die Monotonie,
deren die italienische Schule die Gluckschen Werke mit einem ge-
wissen Rechte beschuldigt hat.
Auch das Überwiegen kleiner Formen im eigentlichen Sologesänge
Glucks muß unter die Schwächen seiner Werke gerechnet werden.
Es beruht auf einem individuellen Defekt in der Natur des Refor-
mators und ist vielleicht unbewußt der Ausgangspunkt seiner Op-
position gegen das italienische Musikdrama mit gewesen. Wie denn
häufig auch große Reformen ebenso durch persönliche Vorzüge wie
durch Mängel im Leistungsvermögen ihrer Urheber mit veranlaßt
werden.
Aber die Hauptsache ist und bleibt, daß Gluck die Oper auf
ihre ursprüngliche Bestimmung als Musikdrama wieder nachdrück-
lich hingoAviesen und durchgesetzt hat, daß diese Bestimmung nicht
bloß in einzelnen Szenen, sondern in der ganzen Anlage der Musik-
dramen zum Ausdruck kam.
Gluck hat die italienische Schule, zu der er schließlich in einen
geschichtlich so wichtigen Gegensatz geriet, gründlich durchgemacht.
Sein Hauptlehrer war der Mailänder Giovanni Battista Sammartini,
derselbe, den Haj^dn bekanntlich einen »Schmierer« genannt hat. Für
Mailand hat Gluck im Jahre 1741 seine erste Oper, den »Ärtascise«,
komponiert, der in den nächsten fünf Jahren acht weitere folgen.
Sie sind in Venedig, Turin, Cremona aufgeführt worden und haben
seinen Ruf in Italien begründet. Den meisten liegen Texte Meta-
stasios unter, und die Musik, soweit sie noch erhalten ist, hat ganz
den italienischen Stil. Im Jahre 1746 schreibt Gluck für London
»La Caduta dei Giga^iti«, den Sturz der Giganten. In London
lernt er Händel kennen, in Paris auf der Rückreise Rameau's » Gastor
et Pollux^ und empfängt von beiden Begegnungen große Eindrücke.
Der englische Sänger Mich. Kelly erzählt in seinen »Erinnerungen«,
daß ihn Gluck noch in den achtziger Jahren in Wien in sein Schlaf-
zimmer vor das Bild Händeis geführt habe, das über dem Bette
hing. Händel scheint sich über Glucks Opern abfällig geäußert zu
198 Von Hasse bis Gluck
haben: »Er versteht so viel vom Kontrapunkt wie mein Koch
Waltz«, lauten die Worte, aber dem Komponisten riet er, sich nicht
zu viel Mühe um das Detail zu geben, sondern nach schlagenden,
großen Wirkungen zu trachten. Auf der Heimkehr von London
nahm Gluck eine Zeitlang Stellung als Kapellmeister bei der
Mingottischen Gesellschaft i. Das war eine jener Wanderopern, die
um die Mitte des 18. Jahrhunderts italienische Opern in Ländern und
Städten aufführten, in denen das Musikdrama nicht ständig ver-
treten v/ar. Neben der Mingottischen ist von diesen Wandertruppen
noch die Locatellische bedeutend. Gluck hat mit Mingotti Ham-
burg, Prag, Kopenhagen besucht. Eine Zeitlang wurde auch in
Dresden gespielt und die Konkurrenz mit der Hofoper, die Hasse
leitete, mit dem Prinzip der Geschäftsteilung, aufgenommen: die
Hofoper spielte große Renaissanceopern, Mingotti hauptsächlich opera
huffa in einem kleineren , am Zwinger aufgerichteten Theater.
Während dieses Dresdner Aufenthaltes hat Gluck für eine Hochzeit
am Hofe ein kleines Festspiel komponiert, »Le iiozxe d^Ercole e
d'Ebe^, das am 29. Juni 1747 im Schloßgarten zu Pillnitz aufge-
führt wurde. Das Werk ist Schmid unbekannt geblieben, auch
Marx weiß nur von seiner Existenz. Die Partitur lag in der ehe-
maligen Privatsammlung des Königs von Sachsen und ist jetzt mit
in die Dresdner Königliche Bibliothek übergegangen. Ihre Musik
zeigt Gluck damals beflissen, sich auf dem Hauptgebiet der Italiener
hervorzutun: im lieblich Erotischen. Der erste Akt schließt mit
einem Duett zwischen Ercole und Ehe ^Lasciami in pace«, das sich
in schwärmerischen Figuren, in Ornamenten und reizenden Details
gar nicht genug tun kann, es ist überschwänglich an Figuren und
Koloraturen, ein Musterbeispiel für die Rokokokunst in der Oper.
Aber es hat auch einen stark innigen, deutschen Zug, und ähn-
liche Spuren eines der italienischen Schule fremden Geistes finden
sich in dieser Hochzeit von »Herkules und Hebe« ziemlich viele:
kühne Harmonien, liegende Stimmen, Trugschlüsse, ausdrucksvolle
Bässe, eifriges Orchester, schroffer Tempowechsel in den Arien.
Sie finden sich besonders für Naturmalereien und für den Aus-
druck heftiger Seelenbewegungen. 1748 kommt Gluck nach Wien,
wo er schon zwölf Jahre früher eine Zeitlang sich aufgehalten hatte.
Der Anteil Wiens an der Entwicklung Glucks muß höher ein-
geschätzt werden, als das bisher geschehen ist. Die AViener Oper
hat von Anfang an nach Selbständigkeit getrachtet. Unter Draghi
schon überbietet sie die Leistungen der Venezianer durch eingelegte
Orchesterüätze, kleine Solistenkonzerte, durch äußerlichen musika-
lischen Glanz; wie die »Kaiserwerke« G. Adlers zeigen, hält Wien
* Erich Müller: »Die Mingottischen OpernunternehmuEgen 1732—1756«,
Dresden 1916.
Chr. W. Gluck 199
an dem Grundgedanken der Renaissance, an Einfachheit und Volks-
tümlichkeit der Musik auch dann noch entschieden fest, als die
Italiener eine neue kunstvolle Richtung einschlagen, es beteiligt sich
an den Bemühungen um ein deutsches Musikdrama, es kommt end-
lich zur Zeit der neapolitanischen Schule immer wieder auf die Chor-
oper zurück. Hauptvertreter dieses Widerstandes gegen die Solooper
waren namentlich Joseph Fux und Carlo Agostino Badia. Ihre Werke
hatte Gluck im Jahre 1736 kennen gelernt, sie hatten still in seinem
Innern fortgeklungen, während er für die Italiener arbeitete; sie
hatten wohl wieder lauter zu ihm gesprochen, als er Rameau kennen
lernte. Auch unter der sparsamen Maria Theresia war der Wiener
Oper etwas von ihrem alten Sondergeist geblieben, sie begünstigte
solche Neapolitaner, die von der Heerstraße abwichen: Jommelli,
Perez, Traetta. Gluck trat zunächt in keine amtliche Stellung, ist
auch später (1774) nur Hofkompositeur, nicht Kapellmeister ge-
wesen ^ Aber er erhielt sofort (1748) den Auftrag zu einer Oper;
»Semiramide riconosciuta« heißt sie, der Text ist von Meta-
stasio. Ihre Musik steht auf einer ähnlichen Stufe wie das Dresdner
Festspiel. Nur in einzelnen Anläufen auf freie Form und Entschie-
denheit des Ausdrucks durchbricht sie die Schranken einer gewöhn-
lichen italienischen Oper mittlerer Güte. Daß es Gluck mit der
dramatischen Aufgabe nicht weiter tief nahm, sieht man aus der
Ouvertüre. Sie beginnt:
Jfjj T-: STi- ^\
m
Der zweite Satz ist gehaltvoller, aber noch lange nicht so bedeutend, wie
Marx annimmt 2. Dieser » Semiramide riconuosciuto « folgt im Jahre 1749
eine Oper »Tetis oder der Götterzank« für Kopenhagen, die Gluck
dort am 9. April zur Tauffeier des nachmaligen Königs Christian VII.
aufführt. Auch sie hat nichts Ungewöhnliches. Beachtenswert ist
die nächste Oper Glucks: ein »Telemach«, -^ TeUmacco ^ ^ den er im
Jahre 1750 für Rom und das Teairo Ärgentino komponiert, später
umgearbeitet hat. Die erste Fassung kennen wir nicht. Nach
Bitter ist der Text »natürlich« von Metastasio. Trotzdem hat
Metastasio keinen *Telemach« geschrieben. Aber der Dichter zeigt
Metastasiosche Schule: die schöne Fabel von dem Sohn, der den
Vater sucht und mit ihm zugleich die Braut findet, ist in einen
1 L. Stollbrock: >Leben und Wirken des k. k. Hofkapellmeisters und
Hofkompositors Joh. Georg Reuter jun.«. Viertelj. f. M. W. 1892, S. 289.
2 A. a. 0. S. 26 des Anhangs.
200 Von Hasse bis Gluck
Knäuel von Intrigen verwickelt und dann wieder in einem end-
losen Einerlei von Szenen aufgerollt, die effektsüchtig und tief zu-
gleich sein wollen. Den Musiker fangen sie in die bekannte Girlande
von Seccorezitativen und Arien ein. Doch hat der Dichter mehr
als den Metastasio gekannt, vielleicht französische Muster. Das zeigt
sich in der Zuziehung von Chören, Tänzen und in der Anlage dra-
matischer Ensemblesätze.
Die Musik fängt mit einer französischen Ouvertüre an, die im
Allegro mehrmals an das Ende des Stückes erinnert, Mitleid mit
dem tragischen Geschick der Circe äußert. Den Schluß bildet ein
Ballo, der direkt in die Handlung einführt. Denn diese beginnt
mit Festen. Circe will Hochzeit halten, Ulysses ist der Bräutigam
wider Willen, und die Musik schildert die Feste in einer Reihe frei
verbundener Sätze, Chöre, Tänze, ein- und mehrstimmiger Solo-
gesänge, in einer Introduktion, wie man das später nannte. Da
kommt aber das Orakel, eine ernste Baßstimme in Rameaus Art auf
einem Ton geführt, so wie heute jedermann den Komtur im Don
Juan kennt. Eine Geigenfigur verbindet diese Orakelszene mit dem
ersten Chor der Introduktion. Also neue Methode des formellen
Aufbaues, ein Entwurf in größeren Gruppen, ein sehr reicher Ge-
brauch des begleiteten Rezitativs und drittens neue Töne, die
schönsten und eindringlichsten, wenn Gluck die Natur sprechen
läßt in ihren Reizen oder in ihren Schrecken. Zwei Prachtstücke
dieser Art stehen in den Szenen, wo Teleraach mit seinem Freunde
Merione in den Zauberwald_eintritt: da malt Gluck das Echo:
Viel. Ob.
die andern, wo er den Geist seines Vaters anruft. Da geht in
Hörnern und Oboen wieder in Echoform ein breites Motiv durch:
von zitternden Violinen umspielt zeigt es sich wie eine Geisterhand
hinter Schleiern. Das ist Gluck, der volle Tonzauberer, wie ihn
die Welt kennt aus dem Furientanz und den vielen Stücken, die
uns mit einer einzigen Note, mit dem dämonischen Klang eines oft
gehörten Instrumentes gefangen nehmen. Der erste Akt schließt
mit einem vollständigen Finale, einer frei gefügten Kette von Sätzen
über ein Hauptmotiv, das immer gewaltiger wird. Das bedeutendste
darin ist ein Klagechor der Gefährten des Ulysses. Wie denn im
Ohr. W. aiuck 201
gauzeii »Teleniach«, im ganzen Gluck, die Stellen des Leides, des
Schmerzes und der Trauer immer die größten und erhabensten
sind. Im Dunkeln leuchtet die Seele Gluckscher Kunst am stärksten,
auf der Schattenseite des Lebens hat sein Genius die Kraft gewonnen.
Alles Fröhliche im »Telemach« ist nicht Gluckisch, sondern ita-
lienisch.
Zu den bedeutendsten Stücken des »Telemach« gehören noch
die Vision, wo Ulysses den schlafenden Sohn weckt und dieser im
Wahne die Mutter zu hören glaubt, eine ergreifende Klagemusik:
^Ah non turhi ü mio riposo«, und die beiden Szenen der Circe,
die erste, wo sie ihre Geister beschwört >DaU' orrido soggiorno«,
eine freie Folge von Rezitativen, Arien und Chören der Larven,
eigen durch Motive in chromatischen Crescendis geführt, in den
Nachahmungen von schauerlichen Hornklängen und Larvenstimmen
von einer verwirrenden Wirkung, als riefe es aus allen Winkeln,
eine Komposition in Cavallis Geist. Die zweite ist der Schluß-
monolog der Circe »La estingucr non basfafc<^, wo sie zur Selbst-
vernichtung schreitet, Palast und Garten zerstört. Li dem Wechsel
von erhabenen Klagen und Ausbrüchen dämonischer Wut ist diese
Szene von fürchterlicher Wirkung; unter ihren musikalischen Mitteln
ragen die tiefen Unisonofiguren des Streichorchesters, die Kontra-
bässe mit den Violinen im wirklichen Einklang, hervor.
Der Wert der einzelnen Sätze im »Telemach« wird durch die
Tatsache belegt, daß die Mehrzahl davon in andern Opern Glucks
vorkommt und von ihnen aus weltbekannt geworden ist. Die Alceste-
Ouvertüre, die Einleitung zur »Iphigenie in Aulis:
^i
12^
'^^^^^^^m
I I ffl I
USW.
der Chor in »Alceste«: »Welch schreckliches Orakel«, die schöne
Gebetsszene der taurischen Iphigenie: »Je t''im2'>lore et je tremble^
— alle diese Stücke und noch viele andere berühmte Glucksche
Sätze stammen aus dem »Telemach«.
Der »Telemach« in der späteren Bearbeitung zeigt Gluck auf einer
Höhe, die er musikalisch kaum überschritten hat, der Meister, der den
»Orpheus« geschrieben, ist hier fertig. Seiner ersten Fassung folgt
eine Reihe Opern, die mit der » Semiramide^ ungefähr auf gleicher
Stufe stehen: 1750 »Ezio^^ 1751 eine »Glemenza di Tito«, 11 bi
»Le Cinesi^j beide nach Metastasio und für Wien, für Rom am Ende
dieses Jahres »II trionfo di Camilla« und ^Äntigono«^ dann 1755
wieder für Wien zwei Kleinigkeiten, »La danzat und »Vinnocenza
giustificata« , die von allen diesen Werken am meisten Gluckisch ist.
Dann kommen 1756 »II Re Pastore*, 1760 die »Tetide^, Ende 1761
202 ^on Hasse bis Gluck
»iZ trionfo di Clelia^, die dann 1763 Gluck auch in Bologna auf-
führte, vor ihr noch die Komposition einer Pantomime »Don
Juan«, die der Fabel vom »steinernen Gast« ganz genau so folgt,
wie sie Da Ponte dann für Mozart entworfen hat. Aus ihr stammen
einige der bekanntesten Sätze Glucks, u. a. der Furientanz. Und
jetzt erst im Jahre 1762 erscheint das Werk, von dem ab wir
Glucks Reform der italienischen Oper zu datieren pflegen, sein
»Orfeo«. Am 5. Oktober 1762 wurde er im Hofburgtheater zu
Wien zum ersten Male mit dem Kastraten Guadagni in der Titel-
rolle aufgeführt.
Die Seite, auf der der »Orfeo« weit über den »Telemach« hin-
ausgeht, ist die dichterische. Das Textbuch ist von Rinuccinischem
Schlage: eine große Begebenheit wird in wenigen, einfachen, aber
stimmungsreichen Bildern dargestellt. Das war also der schärfste
Gegensatz zu der Intrigenoper Metastasios, bei der die großen Züge
einer Handlung unter der Hetzjagd theatralischer Nebeneffekte und
unter der aufdringlichen Schönrederei völlig verschwanden. Und doch
war Raniero da Calzabigi, der Dichter dieses -» Orfeo <i^^ auch aus der
Reihe der Metastasioverehrer hervorgegangen. 1715 zu Livorno ge-
boren, widmete er sich dem Bankgeschäft, das ihm Zeit zu ästheti-
schen Studien genug ließ. Er gehörte der Akademie zu Cortona an
und trat 1755 mit einer Ausgabe der Werke des Metastasio von Paris
aus an die literarische Öffentlichkeit. Diese Ausgabe wird von einer
Abhandlung eingeleitet, die einen seltsamen Verlauf nimmt. Sie
beginnt als Lobrede auf die Dichtungen Metastasios und bekennt sich
am Schlüsse, wenn auch mit Einschränkungen, zur französischen
tragedie lyrique^ also zu den Grundsätzen Quinaults und Luliys. Im
Jahre 1761 kam nun Calzabigi als Beamter der Niederländischen
Rechnungskammer nach Wien. Hier war abei' das Jahr vorher in
Graf Durazzo ein neuer Hof- und Kammermusikdirektor, ein Inten-
dant nach heutiger Bezeichnung, berufen worden, den es geizte, die
Wiener Musikzustände zu heben. Er scheint Gluck und Calzabigi
zusammengebracht zu haben.
Die Frage, wem von den beiden Männern, dem Dichter oder dem
Komponisten, das Verdienst an der Opernreform gebührt, wer von
ihnen die Priorität beanspruchen darf, ist nicht so wichtig, als sie
auf den ersten Blick erscheinen kann. Es handelt sich dabei um die
Frage: Kam der Gedanke aus den engeren Fachkreisen, oder kam
er ähnlich wie seinerzeit Monodie und Musikdrama aus dem gebil-
deten, kunstverständigen Laientum? Das letztere scheint der Fall
zu sein. Die Frage ist von Spitta^, nach ihm von Welti behandelt,
aber nicht gelöst worden, da für eine wirklich diplomatische Lösung
die vorhandenen Dokumente nicht ausreichen. Tatsache ist, daß in
der ersten Zeit beide Männer einer dem andern das Verdienst zuge-
1 Ph. Spitta: »Paris und Helena« im »Zur Musik«. Berlin 1892.
Ohr. W. Gluck 208
schrieben haben. Nachdem aber zwischen ihnen in späterer Zeit eine
Spannung eingetreten, hat es jeder für sich allein in Anspruch ge-
nommen. Calzabigi ist dabei so weit gegangen, daß er nicht bloß
den neuen Dichtungsplan, sondern auch den neuen Ton in der Musik
für sein Eigentum erklärt. Für die Klarstellung des Verhältnisses
ist eine Bemerkung in der Vorrede zu G. Naumanns »Orpheus und Eu-
ridike« (Kiel 1785) wichtig: »Gluck brachte Calzabigi darauf, daß
auch die Oper etwas mehr als Spielwerk fürs Auge sei usw.« Hier
werden Calzabigi und Coltellini als die einzigen erklärt, die unter
den Italienern als ernste Operndichter gelten können, Metastasio habe
nur singende Marionetten geliefert. Und so wie mit Gluck stand
es mit den Musikern überhaupt. Talente für das reine, höhere Mu-
sikdrama waren genug da: Traetta, Jommelli, Perez, aber sie stell-
ten keine dichterischen Forderungen. Das Verdienst Glucks besteht
darin, daß er den neuen Weg weiterschritt. Dem »Orpheus« ließ
er die »Alceste« (am 16. Dezember 1766) folgen und der »Alceste«
im Jahre 1769 »Paris und Helena«. Als der Erfolg nicht den
Erwartungen entsprach, gab Gluck Wien auf, aber er hielt an seinem
Ziele fest.
Auch »Alceste« und »Paris und Helena« sind Dichtungen Calza-
bigis, ebenso wie der »Orpheus« darauf gerichtet, eine ergreifende
oder merkwürdige Geschichte in wenigen gehaltvollen Szenen vor-
zuführen. »Alceste« ist das Gegenstück zum »Orpheus«. Hier
opfert sich der Mann^ in der »Alceste« geht die Frau in den Tod^
um das Leben des Mannes zu retten. Wenn die Venezianer, Aureli
z. B., wenn die Dichter der neapolitanischen Schule, wie Sografi, die
Alceste als Oper behandeln, begnügen sie sich nicht mit der Dar-
stellung des Euripides, sondern sie halten es für nötig, der Alceste
eine Nebenbuhlerin zu geben oder den Herkules in die Rolle eines
bedenklichen Hausfreundes zu bringen. Jedenfalls wird ein Eifer-
suchtsstück daraus. Mit diesen Dichtern verglichen, ist Calzabigi also
groß, aber er ist trotzdem in der Durchführung seiner Auffassung
nicht ganz glücklich und nicht ganz geschickt. Der Entschluß Al-
cestes ist schon am Ende des ersten Aktes gefaßt; von da ab steht
die Handlung bis ans Ende der Oper still. Unter einem ähnlichen
Mangel leidet »Paris und Helena«. Hier hat dem Calzabigi ein Ge-
danke vorgeschwebt, wie ihn Wagner in »Tristan und Isolde« durch-
geführt hat: die Liebe als Verhängnis. Helena, die Braut — nicht
die Gattin — des Menelaus kämpft gegen ihre Neigung zu dem wer-
benden Paris und unterliegt endlich. Aber der Ausführung fehlt
jeder Gegensatz, es ist ein Drama ohne Handlung und Ereignisse;
ein rein psychologischer Prozeß wird breit, bequem, monoton vor-
geführt, es ist ein erotisches Crescendo zweier Stimmen. Gluck hat
sich gerade zu »Paris und Helena« besonders hingezogen gefühlt.
Ihn reizte da eine ethnologische Aufgabe, der Gegensatz zwischen
Paris, als dem weichen Phrygier, und der Helena, als der Vertre-
204 ^^on Hasse bis Gluck
teriu des strengen, spröden Spartauertums. Diesen Gegensatz, von
dem die Dichtung eigentlicli gar nichts weiß, hat er musikalisch
glänzend zum Ausdruck gebracht, und darum hat ihn die kühle Auf-
nahme der Oper ganz besonders verdrossen. Als er die Partitur
drucken ließ, begleitete er sie mit einer an den Herzog von Bra-
ganza gerichteten Zueignungsschrift, in der er gereizt und grollend
sich über die schlechten Aufführungen seiner Oper, über die Urteils-
losigkeit des Publikums beklagt und die Ursachen der Ablehnung
überall, nur nicht in der Schwäche der Dichtung sucht.
Auch »Alceste« wurde mit einer Zueignungsschrift — an den
Großherzog von Toskana — gedruckt. Sie ist als historisches Do-
kument in neuerer Zeit häufig mitgeteilt worden. Von ihr stammt
das Mißverständnis, daß die Hauptseite der Gluckschen Reform in
der Vinkulierung der Sänger bestehe. Sie setzt mit diesem Punkt ein.
Was nun die Musik dieser drei Opern betrifft, so ist ihr ge-
meinsamer Zug die Richtung aufs Große. Unvergleichlich ist Gluck
überall in pathetischen Situationen. Da ist ein Hauptbeispiel die
Szene, wo Orpheus mit den Gefährten am Grabmale der Euridike
die Totenklage hält, ein anderes die Eingangsszene zum zweiten Akt
derselben Oper, wo Orpheus die Furien und die Geister der Unter-
welt bittet und erweicht. Geringer beherrscht er die Situationen,
wo eine plötzliche Erregung, elementar durchbrechende Leidenschaft
darzustellen ist. Den Hauptbeleg hierfür bietet die Szene des dritten
Aktes im »Orpheus«, wo Euridike zum zweiten Male gestorben ist.
Dieses »Ach, ich habe sie verloren«, bleibt im Anfang der Situation
alles schuldig. Da erwarten wir Schreck, wilden Aufschrei des Ge-
wissens, denn Orpheus ist jetzt am Tode der Gattin schuldig, weil
er das Verbot sich umzusehen, gebrochen — wir erwarten leiden-
schaftliche Verwirrung, und wir hören eine Melodie, die manche be-
wundern wollen weil sie edel sei und Resignation ausspricht. Da ist
aber zunächst keine Resignation am Platze, und es bleibt nichts übrig,
als diesen edel leierigen Gesang abzulehnen. Vollständig schwach
ist Gluck da, wo der Dichter schwach ist, oder wo er feurige
Empfindungen verlangt. Den ersten Fall belegen die sämtlichen
Gesänge des Amor, den zweiten namentlich die große Szene der
ersten Wiederbegegnung zwischen Orpheus und Euridike. Da
klingt doch die Freude nur matt an, und die Szene, wo das Paar
die Unterwelt verläßt und Orpheus den großen Kampf zwischen
Liebe und Gehorsam kämpft, kommt musikalisch überhaupt nicht
zur Geltung.
Wie im musikalischen Gehalt der drei Opern die persönliche
Veranlagung Glucks sich so ganz entschieden in Vorzügen und Schwä-
chen geltend macht, so auch in den Formen und Mitteln.
Seiner Neigung zum Pathetischen ist das Seccorezitativ zum Opfer
gefallen. Er begleitet nicht mehr mit dem Cembalo, sondern mit
dem vollen Orchester, Streichquartett als Norm, weil das feierlicher
Ohr. W. Gluck
201
klingt, weil dieser feierliche Klang zur. Grundstimmung der Dich-
tung paßt. Daß er dieses Recitativo aceompagnato zur Alltagsform
des Dialogs macht, hat aber noch einen andern Grund. Es er-
laubt ihm in jedem Augenblick zu malen, und diese Möglichkeit
benutzt er aufs ausgiebigste. Man denke nur an die Menge der
schönen poetischen Echos im »Orpheus«. Noch stärker kommt aller-
dings dieses malerische Talent in den geschlossenen Formen zum
Ausdruck, in kleinen Zügen, wie z. B. in dem Motiv, wo er im
Frauenchor das Bellen der Höllenhunde andeutet, am schönsten in
ganzen Szenen, namentlich in der aus dem >Telemach« stammenden
dritten Szene des zweiten Aktes, wo Orpheus in die seligen Ge-
filde eintritt, ^Ghe puro cieU, »Welch reiner Himmel«. Es ist
der gehaltvollste, gleichmäßig schönste aller großen Monologe,
die von Gluck vorhanden sind. Hier hat er sich auf die poetische
Mitwirkung der Instrumente gestützt. Zu andern Zeiten hilft er sich
bei solchen Aufgaben durch Einschaltung von Chorstellen. Dafür
ist das Hauptbeispiel in der ersten Szene des zweiten Aktes vom
»Orfeo^ der Abschnitt, wo in den freundlich rührenden Bittgesang
des Orpheus die Furien nach Rameauschem Muster mit ihrem ent-
setzlichen »Nein« einfallen. Eigentlich große Formen, wie wir sie
in den bedeutendsten Soloszenen der Italiener finden, hat Gluck gar
nicht. Mit dramatischem Instinkt hat er in Fällen, wo sie notwen-
dig waren, aus der Not eine Tugend gemacht. Die meisten Szenen
des *Orfeo* sind auf kleine liedförmige Sätzchen, wie sie bei den Italie-
nern als Kavatine, Kanzonen ausnahmsweise vorkommen, aufgebaut.
In der ersten Szene ist es die Melodie:
Moderato.
usw.
0 wenn in
sen dunk-len Hai - nen
In der zweiten:
Andantino.
^^E
atj-
^
So klag ich
ih
Tod.
Sie wiederholt er wörtlich oder erweitert und variiert drei-, vier-
mal, aber zwischen die Wiederholungen schaltet er Instrumeutalsätze
oder freie Rezitative ein. So ergibt sich doch ein großes, mannig-
faltiges Ganzes, das nach dem Schulzeschen Gesetz vom »Schein des
Bekannten« leicht übersichtlich ist. Dazu nun der volle Ausdruck
in den günstigen Fällen für die Gedanken im großen, der deklama-
torische Nachdruck fürs einzelne Wort — der enge und ehrliche
206
Von Hasse bis Q-luck
Anschluß an den Gang des Dramas — das gibt zusammen die tiefe,
eindringliche Wirkung der Gluckschen Opern, wenigstens für alle
diejenigen, die das geistige Element über das sinnliche setzen. Ein-
fachheit und Einheitlichkeit war der geschichtliche und der blei-
bende Gewinn der sogenannten Gluckschen Reform für das Musik-
draraa.
Ein rascher Erfolg wurde der Gluckschen Reform nicht, sie hat
überhaupt keinen vollen gehabt, und ist schließlich in die Praxis
nur entstellt und verdorben eingedrungen. Sie traf auf zu starke
Gegenströmungen, sie fiel in eine Zeit des Wirrwarrs.
Gegenströnmiigen
Wenn man die Statistik in den sechziger Jahren, in der Zeit,
wo *Orfco*^^ i^Alceste*^ -» Paris und Helena <i entstanden waren, be-
fragt, so erscheint die Glucksche Reform als ein bloßes Wiener Lokal-
ereignis. Die Italiener nehmen zunächst gar keine Notiz davon i.
Erst 1771 wird in Bologna der ^Orfeo^^, 1778 die Ȁlcestei^ ver-
sucht. Sie fiel durch, obwohl Calzabigi persönlich die Einstudie-
rung überwachte und trotz einer glänzenden Aufführung mit einem
Orchester von gegen 80 Mann, 24 Violinen darunter und die besten
Bläser, die sich in Italien zusammenbringen ließen. In Neapel kommt
der y>Orfeo^ 1774 aber mit Einlagen von Christian Bach im Teatro
San Carlo j im Teairo del Fondo die ■»Älceste^ 1785; beide einmal
und nicht wieder. Modena bringt 1763 eine kleine komische Oper:
»I tre ama?iti*\ Parma, wo doch Geistesverwandtschaft vorhanden
war, 1780 das Wiener Ballett »Don Juan* als »// convitato dt
Pietra*. In Venedig wird 1776 Calzabigis -»Orfeo« aufgeführt, aber
mit Musik von Bertoni; nebenbei ist das eine gar nicht schlechte
Komposition, nur ohne alle Originalität, Bertoni hat einfach Gluck
durchgepaust. Die einzige Spur dafür, daß die Gluckschen Reform-
opern in Italien doch einen Augenblick ein tieferes Interesse erregt
hatten, finden wir in einer komischen Oper von Traetta. Sie heißt
»Le cavaliere errante<i^ und ist 1777 für Neapel geschrieben. Da
tritt ein Verrückter auf, der sich für den Orfeo hält und » Che faro
senza Euridice< singt. Auch noch eine Menge anderer Szenen paro-
dieren dieses Stück; man kann also nicht im Zweifel darüber sein,
daß die Italiener die Glucksche Reformmusik für lächerlich hielten.
Was sie aber über die Calzabigische Dichtung meinten, das spricht
Arteaga scharf genug aus. Er nennt ihn den Hauptverderber des
1 F. Vatielli: »Riflessi della lotta Gluckista in Italia« (Riv. inus. XXT,
S. 6.39 ff.).
208 Gregenströmimgen
neueren musikalischen Theaters und steht mit dieser Ansicht nicht
allein; sie kehrt im Gegenteil bei italienischen Literaturhistorikern
bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wieder, zuletzt noch bei Gher-
landini. Die Italiener suchen im Musikdrama in erster Linie die
Schaubühne, die »Geschwindigkeit der Szenen«, wie sich Arteaga
ausdrückt, ist ein Haupterfordernis. Das Theater mit Schiller als
moralische Anstalt zu betrachten, überlassen sie den Völkern, die
mit »einer traurigen Fühlbarkeit« begabt sind. So sind denn auch
die Versuche von Gesinnungsgenossen Calzabigis, wie Coltellini und
Frugoni, dessen Texte Traetta komponierte, nicht weiter gediehen.
Über die Musik Glucks hat Arteaga ebenfalls berichtet. Sie mußte,
heißt es, notwendig die Geduld der italienischen Zuhörer ermüden,
da sie an eine leichtere und ghänzendere Harmonie gewöhnt sind.
Auf der ganzen italienischen Linie war das Urteil ähnlich. Burney
erkennt zwar an, daB Gluck ein neues Prinzip vertritt, aber es passe
nur, meint er, für Länder mit schlechten Sängern und begünstige
den Poeten auf Kosten des Sängers und Komponisten. Da haben
wir also den Vertreter der Musikmacherei quand meme, die reine
Lust an der Klingelbeutelei; das Drama ist Nebensache.
Wie aber die Aufnahme Glucks in Deutschland war, auch dafür
haben wir ganz präzise Daten. In Dresden sind seine Reformopern erst
unter Ftichard Wagner bekannt geworden, München hat einmal im
Jahre 1773 den »Ör/eo« und dann nichts weiter versucht. In Berlin
wurde 1788 der »Orfeo« Calzabigis, aber mit Musik von Bertoni
gegeben; erst 1796 fassen da die Opern Glucks unter Reichardt
festen Fuß. Auch Prag läßt Gluck für die Reformoper im Stich!
Allerdings wurden Männer wie Rousseau, Wieland und Klopstock
Glucks Verehrer, sobald sie seine Werke liannten. Aber was die
Gilde in Deutschland dachte, das hat Forkel in der berühmten oder
berüchtigten Kritik seines Almanachs ausgesprochen. Die Wiener
nannten die »Alceste« mit witziger Anspielung ein y>de profundis<^
und klagten über Langeweile. Mozarts Vater schreibt an den Sohn
über »die traurige Glucksche Oper ,Alceste'«.
So begriffen also die Kreise, die das nächste Interesse an der
italienischen Renaissanceoper hatten, weder, daß Gluck den Abschluß
der Strecke bildete, die mit Hasse begonnen hatte, noch ahnten sie,
daß seine Reform nur eine Reaktion war, eine heilsame, notwendige
Reaktion, eine Rettung und nichts weiter als die Rückkehr zu den
Idealen der Jugendzeit des Musikdramas, zu den Grundsätzen der
Rinuccini und Monteverdi. Das Maß der Verblendung voll zu machen,
kam aber hinzu, daß die Freunde der Renaissanceoper über dem
Streit im eigenen Lager ganz übersahen, wie ihr wirklicher und
natürlicher Feind inzwischen an Macht und an Boden gewonnen
hatte. Dieser Feind war die Partei der opera buffa, der lustigen
neapolitanischen Volksoper, die wir bei Pergolesis >^Serva ■padrona^
verlassen haben.
Die Wandlungen der Opera bulFa 209
Aus der 02')€'ra huffa war allmählich etwas anderes geworden. Zu-
eist vermehrt sich die Gesellschaft der komischen Stadtoriginale in
diesen Stücken. Zu dem lateinischen Quacksalber und dem emeri-
tierten Seebären, der Zita und dem schönen Mündel treten weitere
stehende Figuren: der Winkeladvokat, ein Gemisch von Schufterei
und Gutmütigkeit, dann der Abbe und der Student aus der Provinz,
schließlich die verführerische Seiltänzerin, das Urbild der Carmen.
Darauf aber steckt sich die opera huffa weitere Ziele, als die Oper
zu verspotten und neapolitanische Lokalbilder zu geben; der Geist
Moliöres äußert seinen Einfluß. Diese Komödien werden Satiren auf
die Geistlichkeit. Trinchera ist der Vater dieser Richtung, sein
Hauptwerk: -»La tavernola aventorosa's.. Da spielt ein gewisser Uzzac-
chino den Eremiten. Das verliebte Volk im Doife läuft zu dem
frommen Bruder, der unter Salbadereien seine Lüsternheit schlecht
versteckt. Rousseau hat nach diesem Muster seinen -»Devin du vil-
lage* gebildet. Trinchera nahm das Charlatanentum in jeder Branche
aufs Korn. Die neapolitanische Polizei sperrte ihn ein, und da be-
ging er Selbstmord.
Wieder eine andere Richtung vertritt Francesco Cerlone, ein
Autodidakt, der in Metastasios Schule mit seriösen Opern anfing.
Durch die spanischen Dichter kam er aufs Romantische. Seine Stücke
spielen in Zauberländern, schöpfen aus »Tausend und eine Nacht«
und aus andern Märchenquellen. Cerlones Hauptstück ist ^Uosteria
di Marechiaro <t . Da entflieht ein Graf am Morgen seiner Hochzeit,
weil er sich in ein Bauernmädchen verliebt hat, und versteckt sich
in einem Keller, Im Keller hört er auf einmal eine Stimme, er geht
ihr nach und findet, daß sie einem Geist gehört, der in eine Flasche
gebannt ist. Er befreit ihn und erhält dafür eine Zauberrute, mit
der er sich fortan alle unangenehme Gesellschaft vom Leibe hält.
Am Ende des Stückes reist er auf einer Zauberwolke mit seiner
Casarella nach Neapel. Das erinnert schon an » Gil Blas^ und den
>Diable boiteux«. Auch Le Sage stand unter spanischem Einfluß,
und auch Le Sage wirkte am meisten durch seine Vaudevilles und
seine musikalischen Texte. Von Cerlone ab hat aber die Volksoper
ihre Verbindung mit Romantik und Zauberei sehr lange festgehalten,
und zwar in allen Ländern, bei uns in Deutschland bis auf Mozarts
»Zauberflöte«, Kauers »Donauweibchen« und bis auf den »Freischütz«,
mit Zurückdrängung des Musikalischen bis in Raimunds »Verschwen-
der«, »Alpenkönig und Menschenfeind«, ja bis auf »Flick und Flock«
und andere Possen Gustav Räders. Das bloße Photographieren von
Bildern aus dem wirklichen, täglichen Leben genügt auf die Dauer
nicht. Die Phantasie des Volkes weist die Mythologie der Renais-
sanceoper ab, weil sie ihm in der gespreizten Form so unnatürlich
ist; zu dem Unwahrscheinlichen und Abenteuerlichen an sich fühlt
es sich hingezogen, fühlt sich dadurch poetisch und seelisch ge-
hoben.
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 14
210 Gregenströmungen
Ein anderer bedeutender Vertreter dieser romantischen Richtung
ist Giambattista Lorenzo, ein rasches Talent, in der commedia delV
arte gebildet. Als Joseph IL in Neapel war, gab er dem Lorenzo
ein Thema; in zehn Minuten war eine kleine Komödie fertig. Seine
Hauptstücke sind ^>Fra due litiganti<s. und *Vidole Cinese*. China
oder gar der Mond sind beliebte Schauplätze für die neue opera huffa.
Daneben noch »II Socrate immaginario «■ ^ eine Art Umschreibung des
Don Quixote. Dieser Sokrates ist ein überstudierter Spießbürger in
einer Provinzialstadt, der alles reformieren will. Seinen Barbier er-
nennt er zum Plato, seine Frau, die ihn streng behandelt, hält er
für die Xantippe. Schließlich wird er durch eine tüchtige Dosis
Opium geheilt.
Zur romantischen Richtung gehört auch Goldoni. Sein Haupt-
werk, -»La Paese della Cuccagna« , ist eine Satire auf Rousseau und
die sozialen Träume seiner Zeit. Cuccagna ist ein Schlaraffenland,
wo jeder essen und trinken kann ohne zu arbeiten. Nur eifersüchtig
darf er nicht sein. Schließlich wird die ganze Gesellschaft auf
Cuccagna von einem fremden Kriegsheere überfallen und in die Ge-
fangenschaft geschleppt.
Auch Casti^ gehört zu diesen Romantikern. Sein Hauptstück
»II Re Teodora«- war eine der beliebtesten komischen Opern, weil
es Dichtung mit einer wahren Geschichte verschmolz, die auf Korsika
passiert war.
Als eine dritte Richtung haben wir dann in der neuen opera
huffa noch die Dorfidylle, die rührsame Geschichten aus dem Bauern-
leben halb ernst, halb scherzend behandelt. Auch sie geht auf Trin-
chera zurück und läßt sich ebenfalls durch alle Länder verfolgen.
Bei uns hat sie sich bis auf Weigls »Schweizerfamilie« behauptet.
Aber auch musikalisch war die opera huffa über die Stufe bedeu-
tend hinausgekommen, auf der Pergolesis »Serva padrona«. steht. Die
erste Erweiterung erfuhr sie durch den Palermitaner Nicola Logro-
scino^, der das sogenannte Finale einführte. Diese Finales sind
Schlußsätze von großem Umfang und reicher Gliederung. Es wechseln
Solosätze und mehrstimmige, sogenannte Ensemblesätze und Chöre.
Alles ist auf Steigerung, Kontrast, auf verblüffende Wirkung und
auf Entfaltung musikalischen Glanzes angelegt. So viel Leben, als
in dem Komponisten steckt, das muß er in dem Finale an den Mann
bringen, der Zuhörer bleibt in einem Wirbel von Überraschungen
und in freundlicher Aufregung. In Logroscinos Arbeiten zeigt sich
die Liebenswürdigkeit Pergolesis durch eine Menge burlesker Einfälle
bereichert. Da geht es aus gesungenen Stellen plötzlich in reine
1 L. Pistorelli: »I melodrammi di G. B. Casti« (Riv. mus. U, 36 ff.,
449 ff, IV, 635 ff, VI, 473 ff., VII. 1 ff.)
2 H. Kretzschmar: »Zwei Opern Nicola Logroscinos« (Jahrbuch
Poters 1908).
Nicola Piccinnis »Buona figliuola maritata« 211
Deklamation auf Sechzehnteln über und ein hübsches Motiv stürzt
über das andere. Auf dem Logroscino baute Nicola Piccinni^ weiter.
Er entschied das Geschick der opera huffa mit seiner »Buona figliuola
maritata^ oder ^^Cecchina«. Das ist die Geschichte eines hoch-
cfeborenen Mädchens, das als arme Waise, deren Herkunft niemand
kennt, auf einem italienischen Schlosse aufgenommen worden ist und
als Aschenbrödel behandelt wird. Der junge Graf liebt sie und darf
sie, als sich herausstellt, wer sie eigentlich ist, natürlich heiraten. Daß
Licht in das Geheimnis kommt, ist das Verdienst eines herumziehenden
alten Soldaten, des Tagliaferro (Eisenfresser auf deutsch), des miles
gloriosus des Stückes. Er ist ein Deutscher aus österreichischen
Landen, läßt sich nie Signore, sondern immer »Main Herr« nennen,
»trinken wain« und »Tu pist ain nor« ist sein drittes Wort; eine
Prachtfigur von einem Buffo. Das war eine Dichtung mit lauter
Natürlichkeit in den Charakteren und in den Vorgängen. Und da
konnte nun ein Talent wie Piccinni zeigen, was die italienische Musik
konnte. Alles ist echt und lebenswahr, rührend, erheiternd, toll,
auch manche große Stelle darin. Man muß so etwas kennen, um zu
verstehen, was von dieser »Buona figliuola«- ab die 02Jera huffa im
Kunstleben des 18. Jahrhunderts bedeutete. Für die Beliebtheit dieser
^ Buona figliuola^ führt Gretry als Beleg die Tatsache an, daß sie in
Rom auf dem Theater Aliberti zwei Jahre lang ohne Unterbrechung
aufgeführt wurde.
^j Mit welcher Lust und Liebe die Komponisten bei dieser opera
huffa waren, das zeigt sich in ihrer Fruchtbarkeit. Es tat sich wieder
ein Reichtum von gleichzeitigen Talenten auf, der den der ersten vene-
zianischen Schule noch übertraf. Und er dauerte bis ans Ende des
Jahrhunderts. Sind sie auch in den Formen einander sehr ähnlich,
so unterscheiden sie sich doch in den geistigen Hauptzügen ihrer
Musik; der eine hat seine Stärke in der Heiterkeit, der andere im
Lmigen. Man kann nur die wichtigsten nennen: B. Galuppi^ (Bura-
nello), »L'amante de tutte*:, Gazzaniga, xinfossi, Paisiello (»La
Molmara« und »Nina, la pazza per aniore«]. Letzterer hat beson-
deren Einfluß auf Mozart gehabt. Unter den späteren Vertretern
dieser ope^^a huffa haben die Italiener dem Cimarosa^ den Preis
gegeben, der ja mit seinem »Matri7nonio segreto«. heute noch lebt.
Für ihn halten sie alle Superlative bereit, zählen ihn unter die
größten Künstler der Geschichte. Auch Grillparzer Uäßt zum Emp-
1 H. Abert: >Piccinni als Buffokomponist« [Jahrbuch Peters 1913,;
Alb. Cametti: Saggio crouoiogico delle opere teatraU (1754-1791) di
Nicola Piccinni (ßiv. mus. VLLI, 75 ff.).
- A. Wotquenne: >Baldassare Galuppi« (Riv. mus. VI, 561 E), F. Pio-
vauo: >Bald. Galuppi« (ebenda XIII, 676 0"., XIV, 333 ff.).
3 P. Cambiasi: »Notizie sulla vita e suUe opere di Dom. Cimaro6a<
(Gazetta musicale di Milano 1900—1901).
14*
212 Gegenströmungen
fange Beethovens im Himmel neben Bach, Händel und Haydn den
Cimarosa auftreten.
Der Gewalt, die die opera huffa und die Wahrheit ihrer Kunst
auf die Gemüter übte, beugten sich auch die Komponisten, denen
sie die volle Entfaltung ihrer Gaben nicht ermöglichte. Auch die
Meister der Renaissanceoper, wie Traetta, Jommelli, arbeiteten für
die bürgerliche Oper; ja auch unser Gluck hat in Wien mitten in
der Reform eine ganze Reihe lustiger Stücke, zum Teil auf fran-
zösische Texte komponiert, die sich weit mehr verbreiteten als seine
Reforraopern. Die bekanntesten sind: :»Le Cadl dupe* und »Cythere
assiegee«. Vom Auftreten Piccinis ab wird auf den italienischen
Hauptbühnen die Renaissanceoper in den Hintergrund gedrängt, bei
einzelnen verschwindet sie jahrelang vollständig, auch in Deutschland.
Überall wird über den schwachen Besuch der italienischen großen Oper
geklagt. In Stuttgart werden Soldaten in Zivil in die Oper kom-
mandiert; in Cassel erscheinen Spottgedichte. Ope7'e huffe aber ent-
stehen jährlich sechzig bis siebzig. Man holt Komponisten, die sich
auf diese Gattung verstehen, auf die deutschen Kapellmeisterposten;
so kommt 1763 Fiorillo nach Kassel. Das Publikum wird nicht satt,
diese Bilder aus einer Welt zu sehen, die es wirklich kannte. In
Berlin wird die »Buona figliiiola^ Piccinnis, als sie bekannt wird, in
vierzehn Tagen siebenmal gegeben; in München, in Dresden, Nürn-
berg sind die Galuppi, die Latilla, die Cocchi, Lampugnani mit ihren
Farsetten, mit ihren heiteren Opern an der Tagesordnung". Höchstens
zum Hoffest oder als Ausnahme im Karneval findet noch einmal
eine opera seria eine Zuhörerschaft. Die Gattung an sich war so
beliebt, daß man nach den Komponisten gar nicht fragte; die alten
Verzeichnisse nennen sie in vielen Fällen gar nicht; nur mühsam
kann man heute einen Teil davon feststellen. Wo die einheimischen
Sänger sich nicht in den leichten Ton der neuen Gattung finden, da
kommen flugs italienische Buffonisten über die Alpen und lehren
auch bald den Vertretern der opera seria das Wandern. Locatelli
und Mingotti errichten ihre Reisetruppen. Die Haupt Wirkung der
opera huffa auf Deutschland war aber die, daß sie uns endlich die
eigene deutsche Oper brachte, wenn auch nur in der bescheidenen
Form des Singspiels. Deutschland war vom Anfange des 18. Jahr-
hunderts ab in der Oper vollständig zur italienischen Provinz ge-
worden. Hasse war keineswegs der einzige Deutsche, der italienische
Opern schrieb. Neben ihm ist da noch Heinrich Graun ^ zu nennen,
der Kapellmeister Friedrichs des Großen ; seine bedeutendsten Werke
sind der ^ Lucio Papirio< und die •> Bodelinda <^ . Die Stärke Grauns
liegt in den Rezitativen, die ungewöhnlich schön deklamieren; in der
Wiedergabe großer Szenen gelingen ihm am besten die Bilder aus
1 A.Mayer-Reinach: »Heinrich Graun« iSbd. d. IMG 1911, S. 486 fif,).
Im Neudruck ist veröffentlicht Grauns Montezuma ;Dd. T., Bd. lö].
Das deutsche Singspiel 213
dem Seelenleben der Frauen. Solcher Musterstücke enthält nament-
lich die •* Rodelinda <(• mehrere. In der Form zeigen die Opern Grauns
das Bestreben, in größerem Zug zusammenzufassen. Nach Hasse ist
sein Dresdner Amtsnachfolger Gottlieb Naumann^ beachtenswert,
weil er der erste ist, der sich von Gluck tiefer berührt zeigt. Wir
haben in Deutschland auch eine Zeit der Verstimmung gegen alle
italienischen Opern durchgemacht, eine Verstimmung, die an Mar-
cellos *Teatro alla moda* anknüpfte und namentlich durch Gott-
sched'^ zum Ausdruck kam. In allen diesen Dingen waren wir ganz
getreue Vasallen gewesen; jetzt, unter der Einwirkung der opera
buffa, wurden wir plötzlich selbständig. Die Natürlichkeit und
Schlichtheit dieser Kunst ließ keine Scheu und Befangenheit auf-
kommen, sie weckte Mut und Lust auch bei den Komponisten, die
auf die Renaissanceoper nur mit Beklommenheit blickten.
Den Anfang mit dem deutschen Singspiel macht Berlin. Hier
komponiert C. Standfuß ^, ein Orchestermusiker mit großem humo-
ristischen Talent, im Jahre 1743 ein Stück mit dem Titel »Der Teufel
ist los«, das seine Anregungen allem Anscheine nach aus der Lon-
doner >Beggars Ope7'a^ erhalten hat. Es ist eine Ehestandsposse im
Vorstadtton, die lange noch auf den Hanswurstbühnen hin und her
gewendet wird. In Wien kommt sie in Haydns erster Zeit unter
dem Titel: »Die verwandelten Weiber- vor. Schon in den vierziger
Jahren setzte sich auf Grund von Standfuß in Hamburg ein deut-
sches Singspiel fest. Durch die Kochsche Truppe, bei der Standfuß
in Berlin gespielt hatte, lernten Joh. Ad. Hiller-* und Christian
Felix Weiße, der Freund Lessings, in Leipzig das Stück kennen,
arbeiteten es um und eröffneten eine Blütezeit des Singspiels in
Deutschland, die von 1764 bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts
gedauert hat.
Die italienische opera huffa hat Rezitative und den vollständigen
Apparat der Oper; sie verfügte, wenn auch nicht über Virtuosen
höchsten Ranges, doch über tüchtig geschulte Sänger. Das deutsche
1 A.G. Meißner: »Bruchstücke zur Biographie G. Naumanns«. "Wien
1814; »Biographie von J. Gottlieb Naumann« (31. — 33. Neujahrsstück der
Allg. Musikgesellschaft in Zürich, 1843—45). »Des sächsischen Kapell-
meisters J. G. Naumann Jugendgeschichte«, Dresden 1844; M. J. Nestler:
>Der kursächsische Kapellmeister J. G. Naumann aus Blasewitz«, Dresden
1901; R Engländer: »J, G. Naumann als Opernkomponist«, Leipzig 191H.
2 E. Reichel: »Gottsched und Scheibe«. Sbd. d. IMG II, S. 654 fl".
3 G. Calmus: »Die ersten deutschen Singspiele von Standtuß und
Hiller«, Leipzig 1908; J. Bolte: »Die Singspiele der englischen Komö-
dianten und ihre Nachfolger in Deutschland«, Hamburg 1893.
4 Karl Peiser: » J. A. Hiller« (Ein Beitrag zur Musikgeschichte des
18. Jahrhunderts), Leipzig 1894; H. M, Schletterer: »Das deutsche Sing-
spiel von seinen Anfängen bis auf die neueste Zeit«, Augsburg 1863 und
J. F. Reichardt: »Über die deutsche komische Oper«, Hamburg 1774.
214 Gegenströmungen
Singspiel dagegen war auf Schauspieler angewiesen. Jedes Mitglied
der Truppe, das etwas Stimme hatte, mußte auch Partien im Sing-
spiel gegen eine geringe Entschädigung übernehmen. In Rücksicht
darauf schrieb Hiller seine Lieder in den Singspielen so leicht wie
möglich. Aber damit traf er unabsichtlich auch das, was das Publi-
kum wollte. Gleich aus dem ersten Stück, der Neubearbeitung des
Werkes von Standfuß, verbreitete sich das Lied der Lene: »Ohne Lieb
und ohne Wein« durch ganz Deutschland, es wurde auch in fremde
Sprachen übersetzt. Als Weiße später die Texte seiner komischen
Opern herausgab, schrieb er in der Vorrede: »Alle Gesänge, die bei der
Vorstellung gefielen, waren bald in aller Munde, machten einen Teil
des gesellschaftlichen Vergnügens aus und gingen zu dem gemeinen
Volk über. Man hörte sie auf den Gassen, in den Wirtshäusern und
auf den Haui^twachen, in der Stadt und auf dem Lande, von Bürger-
und Bauernvolk singen.« Nie vorher und nachher ist von der Bühne
her eine so starke Einwirkung auf die allgemeine musikalische Ent-
wicklung erfolgt, wie durch Hillers Singspiele in Deutschland. Erst
durch sie bekamen die Bestrebungen der Berliner Liederschule ihren
Halt, und durch Hiller ward eine Lust am Gesang und Lied ent-
facht, wie sie Deutschland seit der Reformationszeit nicht wieder
erlebt hatte. Der gewaltige Zug zur Einfachheit, der von hier aus-
ging, erfaßte auch die Instrumentalmusik und hat nicht unwesent-
lich darauf hingewirkt, daß Haydn in seinen späteren Sinfonien den
volkstümlichen Ton anschlug, der heute noch so an ihnen gefällt.
An der Verbreitung des Singspiels haben aber auch die Weißeschen
Dichtungen ein großes Verdienst. Es sind Bilder aus dem Land-
leben, rein und herzensgut, ohne Malice und Übertreibung. Nur in
einem Punkte zeigen sie Tendenz: In vielen dieser Stücke w^ird einer
Unschuld vom Dorfe durch den Gutsherrn, durch seinen Sohn, oder
durch einen Laffen aus der Stadt nachgestellt. Sie richten also eine
starke Spitze gegen den Adel und seine Sünden, sie sind eine wich-
tige Illustration zur politischen Geschichte der Zeit: der dritte Stand,
für den sie geschrieben waren, legt in diesen einfachen Singspielen
seine Beschwerden vor, trifft die ersten, leisen Vorbereitungen zur
Emanzipation.
Die Musik begnügt sich in der ersten Zeit mit Einlagen ; erst
später nähert sie sich mehr dem Charakter der Oper. Da eröffnet
denn eine Sinfonie von drei Sätzen das Ganze. Neben den volks-
tümlichen Liedern erscheinen Duette, Terzette, die Akte schließen
als Nachahmung der italienischen Finales mit Quodlibet-Chören. Zur
Charakteristik der Stände bedient sich Hiller zweier Formen, Lieder
für die Bauern, regelrechter Arien für den Adel. Neben dem Talent
für das Empfindsame, das die Zeit liebte, besitzt Hiller noch hervor-
ragende Gaben für die verschiedenen Spielarten des Komischen. Mit
höheren Anforderungen, mit dem Maßstab, aus den italienischen
Meisterwerken der Hasseschen Schule genommen, darf man jedoch
Das deutsche Singspiel 215
nicht an ihn herantreten. Die beliebtesten seiner Opern wurden
»Lottchen am Hofe«,* »Die Liebe auf dem Lande«, »Der Erntekranz«,
»Die Jagd« ^ und die beste Zeit der Singspiele Hillers kam, als in
Leipzig das neue Theater am Rannischen Tore auf der Bastei er-
öffnet wurde. Das geschah am 10. Oktober 1766. Hier hat auch
Goethe die Hillerschen Operetten gesehen.
Mehr Leidenschaft und Kraft als Hiller besitzt Georg Ben da,
der sogenannte Gothaer Benda.^ Seine Hauptwerke, denen Dichtungen
von Gotter zugrunde liegen, sind: »Der Dorfjahrmarkt«, »Der Holz-
hauer«, »Romeo und Julia«. Benda hat die Italiener studiert und
ist ein wirklich dramatisches Talent, feurig, energisch, in den Formen
frei und groß. Der »Dorfjahrmarkt« mit seinem Leben und seiner
Frische würde in den meisten Szenen heute noch lebensfähig sein,
»Romeo und Julia« wirkt in den schönen Orchestermalereien ganz
modern-romantisch. Noch wäre sein »Walder« zu erwähnen — es
ist eine ernsthafte Geschichte in einem Akt, in der Art der »Caval-
leria«, nur nicht so blutig. Jedenfalls ist Benda von allen Ver-
tretern des damaligen Singspiels in Deutschland der bedeutendste,
der reichste und der gebildetste. Am nächsten kommt ihm unter
den Norddeutschen Gottlob Neefe^, ein direkter Schüler Hillers.
Sein bekanntestes Werk ist »Der Apotheker«, sein wichtigstes »Adel-
heid von Veitheim«. Es gehört zu der romantischen Richtung, der
wir bei den Italienern seit Cerlone begegnen. Schauerszenen mit
Melodramen geben ihm seinen Charakter. Auch Bendas Berliner
Neffe Friedrich ist mit seinen Singspielen bemerkenswert. Sie be-
zeugen wie die des Gothaer Benda, daß die Gattung sich über Hiller
zu heben suchte, und daß die Komponisten mehr und mehr die ita-
lienischen Buffokomponisten zum Muster nahmen. Neben ihnen sind
noch zu nennen: Schuster in Dresden, Wolf in Weimar. Wenn
die Beliebtheit des Singspiels in Norddeutschland noch eines Beweises
bedurfte, würde er darin zu finden sein, daß auch Dilettanten unter
den Komponisten auftraten. Von ihnen wurde der preußische Leut-
nant von Baumgarten besonders beliebt.
Durch das Interesse Josephs II. fand das deutsche Singspiel
namentlich in Wien einen dankbaren Boden. Er war in Brunn auf
das Singspiel aufmerksam geworden und gibt darauf 1777 sofort die
Weisung, in Wien ein deutsches Singspiel zu errichten. »Ich will«
1 Arme Dilettanten schreiben »die Jagd« ab, z. B. der Vater von Kohl-
rausch. Vgl.: Fr. Kohlrausch: »Erinnerungen aus meinem Leben«, Han-
nover 1863, S. 6.
2 R. Hodermann: »G. Benda«, Gotha 1895; F.Brückner: »G. Benda
und das deutsche Singspiel« (Sbd. d. IMG V, S. 571 ff.)
8 E. Segnitz: »Goethe und die Oper in Weimar«, Langensalza 1908;
E.Böttcher: »Goethes Singspiele und die Opera buffa«, Marbur 1912.
Heinr. Lewy: »Chr. G. Neefe«, Rostock 1902.
216 G-egenströmungen
— heißt es — »versuchen, wie unser Publikum den deutschen Ge-
sang aufnimmt. Umlauf hat eine kleine Operette komponiert, suchen
Sie dieselbe, sobald Sie können, in Szene zu setzen. Sie besteht
nur aus vier Personen und einigen Choristen — die Choristen suchen
Sie aus den Kirchen zusammen. Halten Sie fleißig Proben.« So
kommen denn am 16. Januar 1778 Umlaufs » Bergknappen «^ zur
Aufführung, bald folgt Benda, ins Jahr 1782 fällt Mozarts »Ent-
führung«. Der Hauptvertreter wurde Karl Ditters vonDitters-
dorf.2 Durch seinen »Doktor und Apotheker« kennt die Gegenwart
die Gattung noch. Dieses Werk ist uns als Kulturbild wertvoll, es
bildet die Ergänzung zu Goethes »Hermann und Dorothea« nach der
philiströsen Seite. Trotzdem ist Dittersdorf doch kein recht geeig-
neter Vertreter für das Wesen des deutschen Singspiels, weil er es
nicht ernst nimmt und es karikiert. Mit einer Liebe wie Benda hat
er sich dieser Welt der Kleinbürger niemals hingegeben ; sein Trachten
ging auf die große italienische Oper, wie das Mozarts. Unter seinen
rein komischen Singspielen ist noch »Hieronymus Knicker« hervor-
zuheben, am interessantesten sind die, welche zur Romantik neigen:
»Der Betrug durch Aberglauben«, der »Schatzgräber«.
In Österreich sinkt das Singspiel sehr schnell und gibt alle
höheren Ziele auf. Nicht Hebung des Yolksgeistes, sondern Befrie-
digung der niedrigsten Instinkte — das ist's, worauf diese Dichter
und Komponisten hinarbeiten. Diese Stufe bezeichnet am schärfsten
Wenzel Müll er 3. In seiner »Teufelsmühle«, in seiner »Zauber-
zither« haben wir die gewöhnlichste ^auberposse mit Gassenhauern
und Schreckszenen, die im Lächerlichen enden. Müller besaß ein
frisches Talent und eine musikalische Bildung, die für große Auf-
gaben ausreichte, er war aber der Mann, sich dieser Vorzüge gänzlich
zu entäußern.
Die Hoffnung auf eine wirkliche deutsche Oper war in einzelnen
Geistern immer wach geblieben. 1749 schreibt Scheibe: »Wir
könnten eine so gute Oper haben wie die Italiener und Franzosen,
wenn tüchtige Dichter wirkliche musikalische Dramen schreilDcn
wollten.« Er schreibt auch gleich eine »Thusnelda«, die aber keinen
Komponisten gefunden hat. Durch die Erfolge des deutschen Sing-
spiels erwachte auch der Gedanke an eine nationale deutsche Oper
wieder. Über die ersten Versuche ihn zu verwirklichen, hat uns
der Maler Friedrich Müller, ein bekannter Vertreter der Sturm- und
Drangperiode, in einem ziemlich unbekannt gebliebenen Werkchen,
das den Titel führt »Abschied von der Schaubühne«, mancherlei
1 Neudruck in den Denkmälern d. T. in Österreich, XVIII, 1.
2 e.V. Dittersdorf: »Lebensbeschreibung seinem Sohne in die Feder
diktiert«, Leipzig 1801; L. ßiedinger: »C. v. Dittersdorf als Opernkom-
ponist«, Leipzig und Wien 1914.
3 W. Krone: »Wenzel Müller«, 1906.
Vom Singspiel zur Oper 217
berichtet. Eine Dichtung Müllers, »Niobe« , die er als lyrisches
Drama veröffentlicht hat, sollte als Oper komponiert werden. Kein
Wunder darum, daß sie, wie das Konversationslexikon von Brock-
haus tadelnd bemerkt, auf uns opernhaft wirkt. Daniel Schubart,
der Gefangene vom Hohenasperg, hatte ihn dazu veranlaßt: »Du
mußt eine Oper machen — schreibt er 1775 an ihn — , teutschen
Inhalts und teutscher Kraft.« Das ist eine Tatsache, die uns einen
Blick öffnet auf einen ganzen Kreis, in dem Hoffnungen auf die
deutsche Oper gehegt, und die Vorurteile, die Gottsched eine Zeit-
lang aufgebracht hatte, begraben wurden. »Im musikalischen Drama
— schreibt Müller einmal — schließt sich das Feld für die Pflegung
der schönsten und nachhaltigsten Kunstblüten auf. Gegenstände
aus der Fabel-, Heroen- und Patriarchenwelt eignen sich am besten
für den Vortrag im musikalischen Drama . • ., ^um idealischen
Vortrag, dem das Wunderbare der Handlung sich genau anschließt,
überhaupt Gegenstände, bei denen der Ausdruck des reinen Natur-
gefühls nicht durch Konventionelles gestört ist.«
In der Ausführung dieser Pläne gewann Wieland den Vorsprung,
obwohl er nicht zu den Enthusiasten gehörte und in seinen »Abde-
riten« die Singspieldichter arg verspottet hatte. Noch als seine
»Alceste« schon komponiert war, schreibt er: »Beinahe erstaune ich:
eine Oper in deutscher Zunge, in der Sprache, worin Kaiser Karl V.
nur mit seinem Pferde sprechen wollte, von einem Deutschen gesetzt,
von Deutschen gesungen' — was kann man Gutes davon erwarten!«
Zugleich aber stieß er in seinem »Merkur« von 1773 so kräftig
für sein Werk in die Trompete, daß ihn Goethe mit der Farce
»Götter, Helden und Wieland« abstrafte. Auch Herder hat ihm
einen Spottvers gewidmet.
Die Anregung zu seiner »Alceste« scheint Wieland durch die
Herzogin Amalie von Weimar empfangen zu haben, eine warme
Kunstfreundin mit selbständigem, schöpferischem Blick. In Weimar
war das Singspiel schon in den vierziger Jahren heimisch geworden,
erst durch Schönemanns Truppe, die es aus Hamburg mitbrachte,
dann durch Koch, der mit seiner Gesellschaft das meiste für die
Einbürgerung der Gattung in Deutschland getan hat. Der Nach-
folger Kochs, Seyler, kam Ende der sechziger Jahre nach Weimar,
und zu ihm stieß im Jahre 1769 ein junger Hildburghausener
Musiker Namens Anton Schweitzer 2 als Musikdirektor. Diesem
wurde die Komposition der »Alceste« übertragen. 1773, am 28. Mai,
kam die Oper zur Aufführung, nach Wielands Meinung mit einem
» Mara (Schmehling), die später berühmte Berliner Sängerin wurde in
Kassel zurückgewiesen, weil der Kapellmeister erklärte: canta come una
Tedesca.
2 J. Maurer: >A. Schweitzer als dramatischer Komponist«, Leipzig
1912.
218 G-egenströraungen
beispiellosen Erfolg. In der Tat scheint das Werk Aufseilen und
Verlangen erweckt zu haben. Natürlich genug — denn seit Fried-
rich dem Großen verlangte ein neues Nationalgefühl auch eine neue
Kunst, die der ausländischen mindestens gleichstand, es verlangte
neben dem bescheidenen Singspiel auch ein volles deutsches Musik-
drama. Die »Alceste<: hat soviele Aufführungen nicht erlebt, wie
Wieland wenigstens erwartet hatte; und die kleinen Singspiele
Schweitzers, seine »Dorfgala« vor allem, haben seinen Namen weiter
verbreitet als diese erste deutsche Oper, wie sie stolz genannt wird.
Aber so ganz unbekannt ist sie doch nicht geblieben, als Walter
annimmt^. Es lassen sich nach der Weimarschen noch folgende
Aufführungen feststellen: Gotha 1774, Leipzig 1775, Mannheim
1775, Dresden 1776, Frankfurt 1777, München 1779, Berlin 1780.
Das bezeugt doch den guten Willen. Wieland stellte die Schweitzer-
sche Musik über die von Gluck 2. Iffland sagt in seiner Selbst-
biographie, die Ouvertüre dieser Alceste habe ihn zum Dichter ge-
macht. Reichardt dagegen hat die Oper 1778 in der »Deutschen
musikalischen Bibliothek« hart verurteilt und Berlioz hat sich ihm
später im wesentlichen angeschlossen. Da die Partitur 1779 ge-
druckt worden ist, um diese Zeit eine große Auszeichnung, der
Klavierauszug sogar in mehreren Auflagen vorliegt (1774 erschien
er in Leipzig bei Schwickert, 1786 ließen ihn Schweitzers Freunde
noch einmal in Berlin und Libau drucken und zwar mit einer
Vorrede, die die Reichardtsche Kritik das Produkt einer verstimmten
Clique nennt), kann man sich leicht ein eigenes Urteil über diese
»Alceste« bilden.
Ein richtiges Wort hat Mozart über das Werk gesprochen; er
findet den Ausdruck in der Musik »übertrieben«. Wieland und
Schweitzer übertreiben wegen Mangel an Routine. Wieland sucht
den Metastasio noch mit Bildern zu überholen : »Nachen in empörter
Flut, zwischen Klippen, Donner rollend, aufgewühlte Wogen kochen«
■ — der Leser kann diesem Reichtum an Phantasie kaum folgen.
Der Dialog ist voll Umständlichkeit, gesucht im Ton des Herzlichen
und Zärtlichen, die Handlung aber ungeschickt geführt. Als jeder-
mann die Alceste schon tot glaubt, kommt sie wieder, um mit dem
Admet darüber zu streiten, wer von beiden sterben soll. Auch
Schweitzer übertreibt in der Nachbildung italienischer Manieren. In
einer Arie der Parthenia: »Er flucht dem Tageslicht« läßt er hören:
-(22-
E
^EÖEE
ihm Trost zu ge - ben fand ein Gott, ein Gott zu schwach
1 Friedr. Walter: »Gesch. des Theaters und der Musik am kur-
pfälzischen Hofe in Mannheim«, Leipzig 1898.
2 »Merkur« 1774.
Albert Schweitzers >Alceste<
219
Das ist also Ekstase, die Situation ist aber die der Resignation.
Das auch von Mozart gerühmte, begleitete Rezitativ: »0 Jugend-
zeit.« — Jacoby hat es sich fünfmal vorsingen lassen — ein schönes,
weiches Stück, ist über das Motiv:
(=Ö=di
i
entwickelt.
Schmerzen <
i^zj:
i^
f
Da kommen aber die Worte: »der schrecklichste der
und wieder verfällt Schweitzer in südliche Grimassen:
K
schreck-licli - ste der Schmerzen.
Schweitzer hat seine Schule in Baj^euth bei Kleinknecht und iii der
Provinz gemacht und die Italiener, die doch eben bei allen Fehlern
und Exzessen die einzigen damals vorhandenen Muster des großen
dramatischen Gesangstils waren, nicht genügend kennen gelernt.
Als Probe, wie weit wir auf eigenen Füßen stehen konnten, war
daher die »Alceste« sehr wichtig. Der Abstand ist bedeutend ge-
ringer geworden, als er im 17. Jahrhundert zwischen den Liedern
Alberts und den Monodien Caccinis, zwischen der Hamburger und
der venezianischen Oper war, aber er ist noch nicht ausgeglichen.
Im Instrumentalen waren wir längst im Vorsiornng, aber im Vokalen
immer noch unfertig. Gerade wie bei Bach und Telemann zeigt
sich auch in Schweitzers Arien Organisteneinfluß, die Instrumente
drücken die Singstimme, sie wird chormäßig behandelt oder ver-
wechselt Selbständigkeit und Gewalttätigkeit. Das Übermaß des
Ausdrucks, an dem Mozart Anstoß nahm, ist uns heute sympathisch;
Schweitzers Rezitative namentlich berühren uns eminent modern
durch die bewegte Modulation, z. B. :
z. B. Alisse.
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J:-
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Re-de, re - de, bringst du Le-ben o - der Tod
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Ruth.
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Ach Schwester AVas sagst du,
muß
er ster-ben?
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— 1
-- r
220 Gregenströmungen
In den geschlossenen Sätzen erfreut eine sehr warme Melodik,
äußerlich eigen durch die vielen Akkordfiguren. Namentlich Admet
ist sehr schön gezeichnet als eine Jünglingsgestalt in der Art des
Rinaldo bei Brahms und mit denselben Mitteln:
i^^i^^r^^^f^f^Eiggi
Wem dank ich das Le-ben, wem dank ich die Won-ne zum zwei-ten
m
g^^
^m
-/—''-
Ma-le ge - bo-ren, ge - bo - ren zu sein.
In der Wiedergabe der Grundstimmungen ist Schweitzer, wo dem
Dichter die Szenen gelungen sind, immer bedeutend, Gluck sehr
nahe. Im ganzen kann man nur sagen: die gebildeten Laien, die
sich auf seine Seite stellten, waren im Recht, und die Musiker, die
ihn verwarfen, haben ein Talent vernichtet und die fJntwicklung der
deutschen Kunst aufgehalten.
Von den obengenannten Aufführungen der »Alceste« ist die
Mannheimer wichtig geworden. Mannheim war unter Karl Theodor
und Dalberg ein Hort deutsch-nationaler Bestrebungen geworden.
Karl Theodor bot Lessing die Leitung einer deutsch -nationalen
Schaubühne in Mannheim an, Lessing aber erklärte ein deutsch-
nationales Theater für -eitel Wind«.i In Mannheim ist Schiller
entdeckt worden. Hier fand auch Schweitzer so viel Ermunterung,
daß man an eine neue große Oper ging. Schon 1776 erhielt Wie-
land den Auftrag zu einem neuen Text: er behandelteei nen Stoff
aus der englischen Geschichte. Schweitzer ging gleich an die Kom-
position. Für den 11. Januar 1778 war die AufiÜhrung dieser
»Rosamunde« bestimmt; schon waren die Proben, denen Mozart mit
großer Befriedigung beiwohnte, im Gange. Da starb der Kurfürst
von Bayern, Karl Theodor wurde der Erbe, die »Rosamunde« blieb
liegen und ist erst 1780 unter wesentlich veränderten Verhältnissen
aufgeführt worden. Die Bedeutung Mannheims tür das Musikdrama
Avar mit der Übersiedelung des Hofes nach dem undeutschen Mün-
chen zu Ende. Diese Wendung zerstörte erfreuliche Aussichten.
Denn schon hatte sich neben Schweitzer ein anderer Komponist mit
einer bedeutenden Arbeit in den Dienst der deutschen Oper gestellt,
diesmal eine anerkannte Autorität, Ignaz Holzhauer, ein Musiker,
dessen Werke auch in Italien bekannt waren, ein gründlich ge-
schulter Meister.
Auch in der Wahl des Stoffes war dieser »Günther von
Schwarzburg2« ein deutsches Werk. Ihr Dichter, Professor Klein
* Brief an seinen Bruder Karl.
2 Neudruck in den Denkmälern d. T. Bd. 8,9.
Ignaz Holzbauers >Günther von Schwarzburg« 221
in Mannheim, griff keck in die neuere deutsche Geschichte. Der
Held ist jener bekannte Graf Günther von Schwarzburg, den die
deutschen Kurfürsten Frankreich und dem Papst zum Trotz im Jahre
1349 zum König wählten. Leider ist aber die Handlung ganz nach
dem alten italienischen Intrigenrezept durchgeführt. Schade um
die Musik Holzbauers, die man wohl ein Meisterwerk nennen kann,
allen Empfindungen gewachsen, groß besonders an Kraft, klar in
den Charakteren, frei, neu, immer lebendig in den Formen, mit einer
gewissen VorlielDe für begleitete Rezitative, virtuos, voll Geist, un-
erhört reich an Details in der Verwendung der Instrumente. Mozart
hat diesen Günther wohl in sich aufgenommen. Der Rudolf dieser
Mannheimer Oper ist das Vorbild des »Sarastro«, und auch die
Ouvertüre zur »Zauberfiöte« hat die Anlage, die Unterbrechung des
Allegro durch ü/ae^^oso- Sätze von Holzbauer. Im Jahre 1793 hat
Schröder in Hamburg in seinem Konzert zum Besten einer Pensions-
anstalt fürs Theater einzelne Stücke aus dem »Günther« singen
lassen. Zur Erinnerungsfeier an diese Gründung sang man 1893
eine dieser Arien (es ist die erste der Gräfin: »Ihr Rosenstunden«,
und keines von den bedeutendsten Stücken) wieder und zwar, wie
die Zeitungen berichteten, mit »durchschlagendem Erfolg«. Zur
ersten Aufführung des »Günther« waren viele Fremde nach Mann-
heim gekommen, die Frankfurter Kaufmannschaft — das Stück
spielt in Frankfurt — hatte dem Kurfürsten 2000 Gulden für den
zweiten und dritten Rang geboten. Er ließ melden, die Oper würde
unentgeltlich gegeben. Trotz dieses Interesses hat sie sich nicht
weit verbreitet; sie ist in Mannheim ziemlich zehn Jahre hindurch
— später mit ungenügenden Kräften — wiederholt worden, auch
Schiller hat 1785 einer Aufführung beigewohnt; sie findet sich
außerhalb des Entstehungsortes nur in Frankfurt, München und
Kassel (1785). Zu einer vollen Wirkung hat es leider der Text
nicht kommen lassen. Der Mannheimer Anlauf zur großen deutschen
Nationaloper ist eine Episode geblieben: erst mit Webers »Euryanthe«
hebt sich die deutsche Bühnenkomposition bewußt und anhaltend
über die Sphäre, über den Stoff und die Formen des Singspiels.
Nicht bloß die »Zauberflöte«, auch der »Fidelio« und der »Frei-
schütz« gehen noch vom Singspiel aus. Vor diesem Werk haben
wir es nur mit italienischen Opern deutscher Komponisten zu tun,
die nachträglich ins Deutsche übersetzt sind. So Mozarts »Idomeneo«,
»Titus«, »Don Juan«, »Figaro«, »Cosi fan tutte«. Schweitzers
»Alceste« und Holzbauers »Günther« kamen dem Angriff' zu Hilfe,
den Gluck auf die dichterische Richtung der Italiener gemacht
hatte, und brachten in bezug auf diesen Punkt allmählich ganz
Deutschland auf seine Seite. In der Vorrede zu Naumanns »Orpheus
und Euridike«, die 1785 in Kiel im Klavierauszug gedruckt wor-
den ist, heißt es, wie bereits erwähnt: Coltellini und Calzabigi seien
die einzigen wahren Operndichter unter den Italienern; Metastasio
222 Gegenströmungen
habe den Schauspielern nur singende Marionetten geliefert; auch
wird da ein wahrer Anteil des Chores an der Handlung gefordert.
Aber die musikalischen Ansichten unserer hervorragenden Kompo-
nisten blieben noch lange die der italienischen Schule. Weder
Gluck noch das deutsche Singspiel waren imstande, einen Ersatz für
die großen Formen des Sologesanges zu liefern, welche die italie-
nische Oper für die dramatisch bedeutenden Szenen, für die kriti-
schen Augenblicke des Seelenlebens ausgebildet hatte. Mozart,
Dittersdorf, ja auch W. Müller wollten in erster Linie als Meister
der italienischen Schule angesehen sein, das deutsche Singspiel war
ihnen Nebenarbeit. So hat auch Haydn^ in seinen alten Tagen
nichts mehr beklagt, als daß seine italienischen Opern nicht viel
über Eisenstadt und Esterhaz hinausgekommen waren. Diese ita-
lienischen Opern Haydns (im ganzen sind es über ein Dutzend) ge-
hören der opera seria, der Renaissanceoper zur kleinen Hälfte, der
opera huffa zur größeren an. Heute sind sie in der Mehrzahl
schwer zugänglich, denn die Fürsten von Esterhazy, die sie im
AutogTaph besitzen, gehören zu den Sonderlingen, die aus Furcht
vor Entwertung ihre Bibliothek zuschließen. Die große Menge
muß sich begnügen, Haydn als Dramatiker aus der kleinen Kantate
»Ariadne auf Naxos« zu studieren, die neuerdings dann und wann
von guten Altstimmen, wie Hermine Spies, wieder ins Konzert ge-
bracht worden ist, und das Stück genügt zum Respekt vor Haydns
Begabung für dramatisch große Aufgaben. Wer etliche seiner vollen
Opern kennt, wird die Klage des Komponisten teilen. Hervorzu-
heben ist unter ihnen sein ^Orfeo*^ den er 1794 für London ge-
schrieben hat; in ihm die Partie der »Euridike«, namentlich ihre
Sterbeszene. Einfachheit und Energie des Ausdrucks zeichnet die
Haydnschen Opern aus, den Komponisten der »Schöpfung« und der
»Jahreszeiten« merkt man aus den Tonmalereien des Orchesters und
aus dem Talent für drastische Komik. Darin ist sein * Orlando
Paladino<^ [eroico-comico) besonders reich, vielleicht die am meisten
Haydnsche Oper von allen. Ihre Introduktion mit dem mürrischen
Mädchen, dem erschreckten Vater und dem hereindonnernden und
polternden Eisenfresser Radomonte, der den versteckten Orlando
sucht, ihre Ouvertüre mit dem Gegensatz stolz auffahrender und
schüchterner Themen gehören zu den drolligsten — die Zwischen-
sinfonie, die ein wildes Wetter auf Alcinens Insel schildert, zu den
packendsten Leistungen aller gleichzeitigen Opernkunst.
Dieser »Orlando Paladino« ist die einzige von Haydns Opern,
die in den neunziger Jahren häufiger auf den deutschen Bühnen
erscheint; als »Rasender Roland« oder »Ritter Roland«, in deutscher
Übersetzung also, findet sie sich in Kassel, Mannheim. In Dresden
wird sie italienisch gegeben. Daneben kommt noch vereinzelt, in
• L. Wend schuh: »Über J. Haydns Opern«, Halle 1896.
Die nationale Oper in den nordischen Ländern 223
Nürnberg z. B., »Der krumme Teufel« vor und unter dem Titel
»Ochsenmenuett« ein deutsches Singspiel des Meisters. Dieses
»Ochsenmenuett« ist aber keine Originalkompositiou, sondern ein
Pasticcio, das Georg von Seyfried aus beliebten Werken Haydns
zusammengestellt hat. Diese Unfreundlichkeit gegen Haydns Opern
steht im Widerspruch zu der Beliebtheit, die Haydns Sinfonien und
Quartette sofort fanden. Sie erklärt sich zu einem Teil daraus, daß
Haydn, obwohl er italienisch komponierte, in Italien selbst unbe-
kannt war, die Mühe aber seine Texte zu übersetzen nahm man
sich nicht, zum Teil, weil sie so schwach waren, zum andern, weil
man durchs deutsche Singspiel über den Bedarf hinaus gedeckt war.
Die nationale Bewegung, zu der Schweitzer und Holzbauer an-
setzten, ist in den neunziger Jahren nach Skandinavien getragen
worden. Ihr Hauptvertreter wurde dort Friedrich Kunzen aus
Lübeck, wo die Kunzens, die aus Sachsen stammten, eine musi-
kalische Dynastie bildeten, die auch Mecklenburg mit beherrschte.
Kunzen hat die heutige Stellung der Skandinavier in der Musik
mit einem Dutzend Opern begründet, die der dänischen Geschichte
und Sage entnommen sind. Das Hauptwerk ist sein •» Holger Danske<
oder »Oberon«, die Arbeit eines Musikers von wunderbarer Selb-
ständigkeit, eines Tonsetzers, den man den nordischen Cherubini
nennen kann. Es sind Ideen und Melodien darin, die in jener Zeit
bei keinem zweiten vorkommen. Kunzen verwendet nationale Balladen,
er gibt dem »Oberon« ein Leitmotiv, er schreibt eine Ouvertüre,
die das ganze Drama vorausspiegelt — wie in Webers »Oberon«
ist in ihr ein langer, geheimnisvoller Hornton der bedeutsamste Zug;
er ist ein Meister des Elegischen und der romantischen Sentimen-
talität, ohne alle Manier, der interessanteste und edelste unter den
Vertretern der damaligen Märchenoper.
Den Dänen schlössen sich die Schweden an; sie ließen sich
mangels eigener Kräfte G. Naumann aus Dresden kommen. Er hat
dort seinen »Gustav Wasa« und seine »Cora« komponiert. Diese
»Cora«, 1780 zur Eröffnung des neuen Theaters in Stockholm ge-
schrieben, in Klavierauszügen über den deutschen Norden ungemein
stark verbreitet, hat seinen späteren Ruf begründet, obwohl die
sehr spießbürgerliche Musik hinter dem bedeutenden, an großen,
erschütternden Szenen reichen Text beträchtlich zurücksteht.
Ziemlich um dieselbe Zeit, wo bei uns in Deutschland Hiller
bedeutend wird, versuchen auch die Engländer, die mit ihrer »Beg-
gar's Opera* ja das erste Signal zur Emanzipation gegeben hatten,
energischer das Joch der italienischen Oper abzuschütteln. Die
Hauptführer der englischen Bewegung sind Arne, Dr. Arnold, Dib-
din, Storace, Shield. und Bishop, der bedeutendste unter ihnen ist
Bishop, die erfolgreichsten sind Dibdin und Storace, beide Sänger von
Fach. Namentlich Dibdins * The Maid of the MilU und Storaces *No
song no supper^ haben sich sehr lange gehalten; auch die Italiener
224 Gegenströmungen
scheinen von »iVb song no supper ^ Notiz genommen zu haben;
man findet es auf italienischen Bibliotheken. Selbständig sind diese
englischen Opern nicht; nach den Dichtungen teilen sie sich in
bürgerliche Komödien, Dorfidyllen und in Zauberstücke. Musika-
lisch ähneln sie den Hillerschen Singspielen mit Benutzung eng-
lischer Balladen und mit hübschem Talent für Komik; die Abhängig-
keit von den Vorbildern der opera huffa geht bis zur Einmischung
italienischer Arietten. Wie im wesentlichen der ranzen ensflischen
Kunst, ist auch dieser englischen Oper des ausgehenden 18, Jahr-
hunderts die Beschränkung aufs Gemeinverständliche Segen und
Verderb zugleich gewesen. Die Komponisten haben es ersichtlich
tlarauf angelegt, mit allen geschlossenen Nummern zugleich der
Hausmusik geeignete Stücke zu bieten. Das gelang ihnen voll-
ständig. Eine Arie -»Poor Jacki. aus einem Singspiel Dibdins ist
einmal aufs erste Angebot in 17 000 Exemplaren verkauft worden.
Aber eine höhere dramatische Entwicklung der englischen Oper war
damit ausgeschlossen i.
Die wichtigsten allgemeinen Folgen hat der Nationalitäten-
kampf in der Oper durch den Verlauf gehabt, den er in Frank-
reich nahm.
Hier in Frankreich ^ war der Renaissanceoper am frühesten,
schon am Anfange des 18. Jahrhunderts ein ernster Widerstand ent-
gegengetreten. Da sich aber dieser Widerstand auf ausländische,
leicht wiegende Musik stützte, auf die -»Fetes Venetiennes <i und an-
dere Nachbildungen der Venezianischen Intermedien, hatte ihn ein
Meister wie Rameau leicht gebrochen. Nun kamen einheimische
Versuche, der tragedie lyrique eine musikalische Komödie entgegen-
zusetzen. Sie sind vertreten in Monnets »Ämours de Ragonde«-^
oder in seinen »Soirees de Village«:, durch Clements »La Bohe-
miemie<^, durch Rameaus ■»Piatee«- ^ fanden aber nicht viel Beach-
tung, weil sie zu schwerfällig waren. Als aber jetzt von auswärts,
dann von einheimischen Schriftstellern wie Rousseau und Grimm
soviel über die neue Kunst der neapolitanischen opera huffa berichtet
wurde, kam den Parisern die Neugier, und sie zwangen die Inten-
dantur, sie damit bekannt zu machen. So wurde denn ein Trupp
italienischer BufPonisten, die- eben auf der Rückkehr aus Deutsch-
land sich Essen und Trinken in den französischen Provinzen er-
singend nach Ronen wandern wollten, aufgegriffen und engagiert.
Dienstag den I.August 1752 traten sie zum ersten Male in der feierlichen
Äcademie de musique auf und spielten Pergolesis »La serva padrona*
1 Vgl. : J. Bolte a. a. 0.
2 A. Soubies et Ch. Malherbe: >Histoire de Topera comique«, Paris
1892; A. Font: »Favart l'opera comique et la coraedie vaudeville en XVII
et XVIII sifecle«, Paris 1894; E. Hirschberg: »Die Enzyklopädisten und
die französische Oper im 18. Jahrhundert<, Leipzig 1903.
J. J. Rousseaus »Devin du village« 225
— ohne Erfolg. Die Italiener waren befangen, dem Publikum
waren die Rezitative zu lang, die wundervollen Charakterbilder der
Arien verstand man nicht. Die Buffonisten kürzten dann, und da
wuchs der Beifall mit jeder Wiederholung, bis ganz Paris von der
opera huffa entzückt war und nicht genug davon hören konnte.
Die Signora Tonelli, die Herren Monelli und Cosini wurden wie
höhere Wesen gefeiert, sie mußten die Woche dreimal auftreten,
Haus und Kasse immer voll, und das ging fast zwei Jahre lang so
fort. Den Buffonisten, die sich auf zwei Monate eingerichtet hatten,
blieb nichts übrig, als auf ganz alte Stücke, auch von Leo, zurück-
zugreifen — alles gefiel. Das vollständige Repertoire gibt Jansen i.
Pergolesis »// maestro di musica« war bei der Gelegenheit ins
Französische übersetzt worden. Dies brachte Rousseau auf den Ge-
danken, so eine Musikkomödie gleich im Französischen zu verfassen.
Der Philosoph war eine musikalische Natur, hatte von früh auf viel
gehört, in Zeiten der Not sich sein Brot als Notenschreiber ver-
dient, auch glückliche Kompositionsversuche aufzuweisen. Mit der
neapolitanischen Buffooper war er besonders vertraut, er erinnerte
sich der -»Tavernola aventorosa^ des Trinchera und arbeitete sie zu
seinem > Devin du village ^^ um und schrieb auch gleich die Musik
dazu. Der kleine Einakter wurde schnell in dem Freundeskreise
Rousseaus bekannt, der Hof ließ sich ihn einigemal in Fontainebleau
und im Schlosse Bellevue vorspielen, und mit den Änderungen, die
sich bei dieser Gelegenheit als vorteilhaft erwiesen hatten, kam er
am 1. März 1753 an die große Oper. Alles war hingerissen. Rousseau
zum ersten Male in seinem Leben ein wohlhabender Mann. Der
Erfolg des > Devin du village <i- überstieg den der italienischen Vor-
bilder, denn Rousseau hatte mit geschickter Verwendung von Cou-
plets, Vaudevilles (Rundgesängen) und Romanzen den nationalen
Musikton angeschlagen. Der Ruf des ^ Devin du village« drang weit,
Graf Durazzo schaffte ihn für Wien an ; auf der französischen Bühne
hat sich das Werk bis heute erhalten. Es ist nicht die Kunst eines
geschulten Meisters darin, aber eine unverwüstliche Einfachheit und
Naturtreue.
Als die nächsten Nachfolger Rousseaus sind d'Auvergne und
Audinot zu bezeichnen. D'Auvergne sucht in seinen *Les Troc-
queurs« mit dem Ballast der Rameauschen Schule, von dem Rousseau
frei war, heitere volkstümliche Musik zu geben. Es gelingt ihm
Kanons und Imitationen spgühaft zu verwenden. Sehr geschickt
würzt er mit don, don und den andern alten Naturlauten, die die
1 A. Jansen: >J. J. Rousseau als Musikerc, Berlin 1884; A. Pougin:
>J. J. Rousseau musicien«, Paris 1905; J. Tier so t: » J. J. Rousseau«, Paris
1912.
2 A. Arnheim: >Le devin du village von J. J. Rousseau und die Parodie:
Les amours de Bastien et Bastienne« (Sbd. d. IMG V, S. 686 ff.).
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 15
226 Gegenströmungen
französische Musik von jeher geliebt hat. Auch das alte Ballett,
darunter sehr hübsche Tambourini, verwendet er wirksam.
Noch weiter gelangt Audi not mit seinem »Tonnelier'«^ (1765)^
auf dem Eousseauschen Wege nach einer französischen Musikkomödie.
Bei ihm wirkt neben einer Anzahl von hübschen, echt nationalen
Eomanzen und Musetten namentlich die nationale Lebendigkeit, mit
der er die Rezitative behandelt. Immer weiß er zur rechten Zeit
dem Monolog die reizende Form eines Duettes zu geben.
Ans Ziel kamen diese Bestrebungen durch den Neapolitaner
Egidio Romoaldo Duni. Duni war in Italien noch jung zu großem
Ruf gelangt. Sein »Nerone«. hatte in Rom im Jahre 1735 die
»Olympiade«^ des Pergolesi in den Schatten gestellt, in Parma war
er der erste, der Goldonis -»Buona figliuola« in Musik setzte, die dann
durch Piccinnis Komposition so große Bedeutung erlangte. Bald aber
wandte er sich hier der französischen Oper zu. Er schrieb u. a.
1756 und 1757 *Ninette ä la cour« und »Le peintre amoureux<^.
Ende 1757 begab er sich selbst nach Paris und brachte den Franzosen
ihre komische Oper — wieder einmal kam durch einen Ausländer
die Entscheidung! Nach Rousseaus »Devin du village<i. war die Haupt-
stütze der neuen musikalischen Komödie der Dichter Charles Favart
geworden und zwar dadurch, daß er seinen Stücken eine scharfe po-
litische Spitze gab. Sie sind voll von Ausfällen auf das Hofleben
und von Favart haben auch die Singspiele Hillers ihre Tendenz gegen
den Adel. Denn Weiße, Hillers Dichter, benutzte die Komödien
Favarts als Vorlagen oft ziemlich unverändert. Sein »Lottchen am
Hofe« ist nichts anderes als Favarts »Ninette d la cour^. Favarts
Frau trug zu dem Erfolg wesentlich bei; sie war eine Soubrette von
höchster Begabung, auch als Dichterin sehr geschickt. Aus ihrer
* Annette et Lubin« hat Weiße für Hiller die »Liebe auf dem Lande«
gemacht. Die Musik in diesen Komödien Favarts war sehr bescheiden;
er wollte sie nicht als Opern angesehen wissen. Sie heißen comedies
melees d'ariettes. Das Material zu diesen Arietten nahm er aus be-
kannten Werken, sehr reichlich aus Rameauschen Balletten, besonders
geschickt mischte er aber Volksmusik ein.
Mit diesem Favart verband sich nun Duni. Das war so gut wie
eine Versicherung auf Erfolg. Dunis Musik war aber so bedeutend
und traf den französischen Nationalgeschmack so scharf, daß er im
Laufe der Zeit die Favartsche Richtung verlassen konnte. Unter
den 23 kleinen Opern, die Duni für die Pariser geschrieben hat,
überwiegen die Beiträge zur bürgerlichen Komödie und die Zauber-
stücke. Unter denen, die das Leben in den Kreisen des Mittelstandes
und des Handwerks schildern, sind »Le peintre amoureux«. und >Les
moissoneurs<i^ die bekanntesten geworden, unter den romantischen
•»Visle des foux« und »La Fee Urgele^. Die Dichtungen dieser
Partitur neugedruckt bei Leduc (Paris, ohne Jahresangabe)
Egidio Romoaldo Duni 227
Zauberkomödien sind schwach und einfältig. Trotzdem sind sie der
Anfangspunkt für eine ganze Periode der französischen Opernpoesie,
für eine lange Reihe von Werken geworden, die sich auf Märchen
und wunderbare Sagen, auf schauerliche Abenteuer, auf die Lust am
Fremden und Übernatürlichen stützen. Komponisten wie Gretry und
d'illayrac haben sich in ihren Dienst gestellt. Die Richtung geht
im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch alle Länder, am
schnellsten erlischt sie bei den Italienern, bei den Deutschen ist sie
durch die Singspiele Dittersdorfs und W. Müllers vertreten. Es
spiegelt sich in diesen Opern die Zeit eines Cagliostro, ein wunder-
liches Gemisch von Aufklärung und Aberglauben. Dunis Stärke
liegt nicht auf dem phantastischen Gebiete, er schenkt ihm kaum
Aufmerksamkeit. Die historische Wirkung seiner Musik liegt in der
Verschmelzung italienischen und französischen Stils, ähnlich wie bei
Gluck. Von den Italienern brachte er den großgeformten, inhaltlich
bedeutenden Sologesang, mit dem sich die kleinen Arien der Rousseau,
Favart und d'Auvergne gar nicht messen können. Die Szenen der
Narren im »Visle des foux^ sind ihm nichts als Stoff zu scharfen
Charakterbildern; für den Prahler, für den Geizhals, für den Ver-
schwender, für die tollen Weiber hat er Melodien von unübertreff-
licher Anschaulichkeit. Es sind Karikaturen, die zum Lachen zwingen,
mit der ganzen Leichtigkeit und Grazie der neapolitanischen Meister
durchgeführt. Der französischen Musik hat er aber sofort das Beste
abgesehen und voll entwickelt, was in den Werken Favarts und der
andern einheimischen Komponisten sich im kleinen zeigt. Alle die
späteren Vertreter der opera comique, Boieldieu, Auber, ganz be-
sonders Bizet, gehen auf Duni zurück. Er hat sie auf den Schatz
provenzalischer Volksmusik, deren poetischer Ursprünglichkeit nur
die der Russen und Norweger gleichkommt, verwiesen. Die Quinten-
bässe und die interessanten Dudelsackharmonien der neufranzösischen
ojyera comique bringt zuerst Duni. Eine Menge Typen, der Sene-
schal Boieldieus, sein George Brown in der > Weißen Dame« — alle
hat Duni zuerst aufgestellt. Er ist der Vater der französischen Kunst
die Prosa des Alltagslebens poetisch zu verklären und ganz gewöhn-
liche Dinge so lebendig zu schildern, daß der Zuhörer in atemlose
Spannung gerät. Ein Hauptbeispiel davon steht in der »Fee Urgelet-\
es ist die Szene, wo der Stallmeister Lahire, eine Mischung von
Figaro und Leporello, von den Worten »Ze maudit animaU ab er-
zählt, wie ihm das Pferd durchgeht. Ein Meisterstück von Komik
und Malerei. Das atemlose Laufen von Pferd und Reiter, wie das
immer wieder ausreißt, sein Wiehern, alle Details stehen darin, und
nichts ist gesucht und aufdringlich!
Dem Duni folgen nun französische einheimische Musiker von
großem Talent und unterstützt durch Dichter, die den Favart und
alle Librettisten des Duni weit überragen. Der bedeutendste unter
diesen Dichtern ist Sedaine. Von den Komponisten sind die hervor-
lö*
228 Gegenströmungen
ragendsten Monsigny,^ Philidor und Grötry.^ Eigentlich J^eues
bat keiner von ihnen hinzugehracht, ja auch der nationale franzö-
sische Zug wird in ihrer Musik schwächer, als er bei Duni war.
Sie führen die musikalische Entwicklung bald an einen Punkt, wo
sie mit den Italienern und den Deutschen zusammentreffen. Im Sen-
timentalen gleichen sich jetzt Monsigny, Benda und Paisiello so
ziemlich, und auch zwischen den einzelnen Vertretern derselben Nation
ist da wenig Unterschied. Sie sprechen alle denselben Ton oft spieß-
bürgerlicher Empfindsamkeit, den wir bei Hiller, Dittersdorf und
Naumann finden, die auch aus manchem Andante Mozarts und Haydns
herausklingt, die die Poesie und die ganze Kunst am Ende des
18. Jahrhunderts färbt. Diese Opern sind ein Beweis, daß die natio-
nalen Unterschiede den Kern des Menschen im Grunde unberührt
lassen; sie haften wesentlich an den Sitten, und da ist unter den
drei Meistern der opera coniiqiie Philidor wohl der am meisten franzö-
sische durch seine Lust am Malen: Das Blasen des Windbalgs, das
Zuschlagen der Weinfässer, das Schmiedegehämmer, Glockengeläute,
Peitschenknallen, Eselsgeschrei — das findet sich alles in seinem
»Marechal Ferrant« und im »Sorcier« mit einem gewissen hand-
greiflichen Humor wiedergegeben. Natürlich auch Seestürme! In
der Kunst zu schildern waren die Franzosen unsern Deutschen weit
überlegen, und deshalb haben sie auch die deutschen Bühnen jahr-
zehntelang beherrscht und die Hiller und Dittersdorf verdrängt. Auch
kleine Talente drangen herüber: Champein, Domenico della Maria,
Martini, Catel, Gossec, Solle und Gaveaux. Die zwei letzten — beide
waren Sänger — sind am meisten gespielt worden, von Jean Pierre
Solle »Le Secret^^ von Pierre Gaveaux »Le petit matelot<^. Eine
andere Oper von Gaveaux ist noch wichtiger geworden: seine ^Leo-
nore ou Vamour conjugaU. Ihren Text, den Bouilly verfaßte, hat
Treitschke für Beethovens »Fidelio« benutzt, im wesentlichen ist der
Fideliotext nichts als eine wörtliche Übersetzung der Bouillyschen
y>LeonoreA<. Aber auch Beethoven hat ohne Zweifel die Musik Gaveaux
gekannt und einzelne seiner Einfälle frei verwertet:
bei Beethoven singt Rocco:
ä±^^
hat man nicht auch Gold da - ne - ben
bei Gaveaux:
Sans un peu d'or, un peu de chan - ce
* A. Pougin: »Monsigny et son tempsc. Paris 1908.
2 M. Brenet: »Gretry, sa vie et ses oeuvres«, Paris 1884. Gesamtaus-
gabe von Gretrys dramatischen Werken bei Breitkopf & Härtel.
Die bürgerliche Oper 229
Das Klopfmotiv ist bei Gaveaux, ist in der ganzen französischen
opera comique da. Auch Gaveaux leitet Leonorens große Szene mit
Hornmelodien ein.
Gaveaux -»Leonore fällt ins Jahr 1791, also schon in die Revo-
lutionszeit. Sie gehört wie Cherubinis »Wasserträger« zu einer Klasse
der opera comique^ in der die Schrecken der Zeit der Guillotinen-
herrschaft stark genug zum Ausdruck kommen. Die Umbildung der
Gattung von der Posse zur bürgerlichen Oper war schon viel früher
vollendet; am reinsten zeigt sie sich in zwei Werken, die gleichfalls
in Deutschland jahrzehntelang heimisch waren: Monsignys ^ Deserteur «^
und Gretrys »Richard Löwenherz« aus den Jahren 1765 und 1784.
Für solche Werke paßt der Titel opera comique gar nicht mehr.
Der gesprochene Dialog durch Rezitativ ersetzt — und sie würden
der großen Oper, der tragedie lyrique^ zur höchsten Ehre gereicht
haben. Alles was in den Grenzen des Reinmenschlichen das Musik-
drama bieten kann an starker Leidenschaft und tiefstem Gefühl, das
war in dieser Art von Oper erreicht, das war eine Kunst, die an
seelischem Gehalt viel reicher war als der Durchschnitt der franzö-
sischen Renaissanceoper, sie vor allem an Gesundheit, unmittelbarer
Lebenswahrheit weit hinter sich ließ. Solche Schicksale, wie sie hier
dargestellt wurden, hatten die Zuschauer selbst erlebt, das waren
Dramen ganz aus der Zeit heraus, zum Teil aus Vorfällen entwickelt,
die sich eben ereignet hatten. »De te fabula narratur«, sagte sich die
Mehrzahl der Zuhörer. Nach verschiedenen Richtungen enthält die
französische bürgerliche Oper jener Zeit das Ideal einer Operndichtung,
zu dem irgend eine Zukunft, vielleicht mit trübbewegtem Herzen,
auch wieder einmal zurückkehren wird.
Hätten die Franzosen eine große Oper nach dem Zuschnitt des
Metastasio gehabt, so würden sie wahrscheinlich so vernünftig ge-
wesen sein, sie einfach fallen zu lassen und diese bürgerliche Oper
an ihre Stelle zu setzen. Ihre tragedie lyrique, den Geist der Quinault,
Lully und Rameau glaubten sie nicht opfern zu dürfen, und zwar
mit Recht. Es ist kurzsichtig, wenn der Kampf, den die Royale
academie de musique jetzt gegen die bürgerliche Oper aufnahm, zurück-
geführt wird auf ein Festhalten an alten, liebgewordenen Formen,
auf einen Götzendienst mit nationalen Traditionen, mit den Chören,
Balletts, den Festen, dem Wunderapparat und dem großen äußeren
Pomp der alten französischen mythologischen Oper. Nein, da lag
doch ein tieferer Grund vor. In den Genien und Dämonen der alten
französischen Musiktragödie lebte, wenn auch in häufig kindischer
Gestalt, das religiöse Element der griechischen Tragödie, der Gedanke
an das Walten höherer Mächte hob sie über den Geist auch der
besten bürgerlichen Oper. Dieses religiöse, übernatürliche Element
scheint sich das Musikdrama nicht nehmen zu lassen, zu keiner Zeit
und bei keinem Volk. Als die mythologische Oper fiel, trat die
romantische in die Lücke.
230 Gregenströmungen
Lange Zeit hat dieser Kampf gespielt, ohne daß es den Parteien
klar war, worüber sie stritten. Scheinbar lag nur ein nationaler
Gegensatz vor: Buifo und Antibuffo. Die Anhänger der Buffonisten
stellte die Philosophenpartei: Diderot, d'Alembert, Grimm, Holbach,
Marmontel, zum Teile stand auch Rousseau auf ihrer Seite; sie
scharten sich im Opernhause unter der Loge der Königin; ihnen
gegenüber unter der Loge des Königs nahmen die Verehrer Rameaus
Platz als Antibuffonisten. Man plänkelte mit Spottgedichten und
ging dann mit gelehrten Waffen vor, eine enorme Literatur, die in
Elementarfragen wühlte, entstand. Die Partei der Rameauisten ge-
riet immer mehr in Nachteil, weil ihr Witz und Geist, vor allem,
weil es ihr an bedeutenden Komponisten fehlte. Da kam ihr Maria
Antoinette zu Hilfe. Sie berief Gluck, der sich in Deutschland schon
lange nicht mehr wohl fühlte und gern Wien mit Paris vertauschte.
Wie er an Fürst Kaunitz 1769 schreibt, hatte er als Unternehmer
des Burgtheaters sogar sein und seiner Frau Vermögen »verbrockt«.
Mit »Iphigenie in Aulis«, zu der Du Roullet auf Grund der Racine-
schen Dichtung den Text geschrieben hatte, trat er zum ersten Male
am 19. April 1774 vor die Franzosen. Statt den Bundesgenossen
sahen sie in ihm aber den Ausländer, stellten ihm zunächst ihren
Gretry entgegen ; als das nicht hilft, vereinigen sich die alten Feinde,
die verbündeten Franzosen und Italiener heben den Piccinni^ auf den
Schild. Die Geschichte dieses ganzen Wirrwarrs ist deshalb sehr un-
erquicklich, weil sich die Gegner unausgesetzt um Nebensachen er-
hitzen. Gluck selbst hat die schwierige Lage mit großem diplomati-
schem Geschick beherrscht. Die Dokumente für seinen Anteil an
dem Kampf finden sich bequem beisammen in den Veröffentlichungen
Siegmeyers 2 und Grimms^. Aus ihnen ersieht man, daß Gluck den
kleinen Zeitungskrieg selbst schürte und sich besonders um die Gunst
Rousseaus bewarb. Der Kampf endete mit dem Sieg Glucks. Die
Academie übertrug ihm nach der Aulischen Iphigenie noch zwei neue
Opern. Auf den alten Quinaultschen Text, der seinerzeit zu einem
Hauptwerk Lullys gedient hatte, schrieb er seine ;> Armide«, die am
23. September 1777 aufgeführt wurde. Ihr folgte am 18. Mai 1779
die »Iphigenie in Tauris«. Der Pariser Schriftsteller Guillard hatte
dazu eine Dichtung Calzabigis übersetzt und bearbeitet. Zwischen-
durch führte die Academie aber auch die alten Reformopern Glucks
1 G. Desnoiresteres: La musique fraii9aise au XVIII siecle: Gluck
et Piccinni 1774-1800«, Paris 1872 u. 1875.
2 J. Gr. Siegmeyer: >Über den Ritter Gluck . . . Briefe von ihm und
andern berühmten Männern seiner Zeit«, Berlin 1837. (Zweite Ausgabe.)
^ Fr. Grimms: »Correspondance Gluck litteraire, philosophique et cri-
tique depuis 1753— 1790«. Neuausgabe von Tourneux. Paris 1878, 16 Bände.
Siehe auch: H. Kretzschmar: Die Correspondance litteraire als musik-
geschichtliche Quelle. Jahrbuch Peters 1903.
Die Verschmelzung französischer und italienischer Schule 231
»Orfeo«, »Alceste«, auch »Cythfere assiegee« und »Echo und Narziß«
auf; »Orfeo« umgearbeitet.
Unter den neuen Opern nimmt die »Iphigenie auf Tauris«
den ersten Rang ein. In keinem andern Werke hat sich das Talent
Glucks mit dem Wesen der Dichtung so vollkommen gedeckt, und
bei keiner zweiten seiner Opern hat er darum über eine gleiche Fülle
von musikalischer Inspiration verfügt. Die Rezitative des Pylades
und des Orest gehören zu den ausdrucksvollsten, die die dramatische
Musik besitzt, die Chöre der Eumeniden, die Szene, wo Orest von
dem Schicksal der Eltern erzählt und Iphigenie mit der Arie ein-
fällt »0 laß mich, Tiefgebeugte, weinen«, die, wo Orest und Pylades
streiten, wer sterben soll, wo Iphigenie ihren Traum beschreibt, sind
und bleiben unvergleichliche Leistungen. Lebendigste dramatische
Bewegung in einfachster, natürlichster Form! Wenn überhaupt
mit dem Ideal antiker Musik gerechnet werden darf, hier ist es er-
reicht.
Die drei Pariser Opern gleichen sich im tiefsinnigen Anteil, den
überall das Orchester an der Darstellung nimmt. Mit welcher Macht
verscheucht da Gluck durch einen einzigen Ton wilde Geister, als
Agamemnon in der Aulischen Iphigenie feierlich eintritt, das Opfer
zu vollziehen. Wie spricht er überall durch die Instrumente das
unsagbare aus! Neu ist in den Pariser Opern auch der Reichtum
eingänglicher Melodik, eine Frucht der Mühen, die Gluck in seiner
Wiener Zeit der leichteren Muse und dem deutschen Lied gewidmet
hatte. Es ist nicht Zufall, daß die zahlreichen Spuren Gluckscher
Gesänge, die wir bei Mehul, bei Beethoven, bei Schumann, bei Kreutzer
und noch neueren Komponisten finden, nicht auf den »Orpheus« und
die »Alceste«, sondern auf die beiden »Iphigenien« und auf die
»Armide« zurückführen. »Armide« hat unter den drei Pariser Opern
die größte geschichtliche Bedeutung erlangt. Sie macht den modernsten
Eindruck. Die moderne sogenannte große Oper steht auf dem Bei-
spiele, das hier Gluck mit der Schlußszene des ersten Aktes gegeben
hat: der Szene, wo an den Hof der Armide die Nachricht gelangt,
daß Rinaldo ganz allein die Gefangenen befreit hat. Auf die Grund-
linien Lullys und Rameaus ist das Finale der Oper aufgebaut.
Das Ergebnis des Gluckschen Sieges war: daß nun von Paris aus
sich die VerschmelzuDg französischer und italienischer Schule, der
schon Traetta und Jommelli zustrebten, für die Gluck im »Orfeo«
und in der »Alceste« so nachdrücklich eingetreten war, auch wirk-
lich vollzog, aber so, daß dabei die Italiener um ihre Meinung eben-
falls gefragt wurden. Der Mittelsmann der Italiener, Niccolo Piccinni ,
der Komponist der y>Buona ßgUuola<<, betrat die Academie de musique
zuerst am 27. Januar 1778 mit »Roland« i. Den Text, von Mar-
montel nach Quinault bearbeitet, hatte auch Gluck schon in Angriff
1 Neudruck in Chefs^d'ceuvre classiques de Topera frangais.
232 (xegenströmungen
genommen, und darüber war die Feindschaft der beiden Parteien
wieder hell aufgelodert. Der arme Piccinni war darüber arg be-
kümmert. In der Widmung der Partitur wendet er sich an Marie
Antoinette: »Einsam in ein Land verpflanzt«, sagt er, »wo mir alles
fremd ist, eingeschücbtert durch tausend Schwierigkeiten, habe ich
allen Mut verloren.« Mit der Absicht gleich am andern Tage nach
Neapel zurückzureisen, mit der Sorge, ob ihm nicbt etwa ein Leid
angetan würde, ging er ins Theater und erlebte einen glänzenden
Triumph. Dieser »Roland« hatte ihn verdient, allein schon durch
die zweite Szene des dritten Aktes, in der das Bild einer enttäuschten
Seele mit einem Reichtum und einer Gewalt entworfen und durch-
geführt ist, die jeden Versuch zum Zweifel, ob hier ein Meister vor
uns steht, bricht. Träumerisch fängt sie an: Roland wartet im
schattigen Hain auf die geliebte Angelique. Das Orchester wirft eine
Idylle von Vogelgezwitscher und Quellenrauschen hin, über die Ro-
land sehnende Melodien inniger Liebe singt. Da liest er über einer
Grotte Worte, die ihm mitteilen, daß das Herz der Geliebten einem
andern, dem Medor, gehört. Schreck — Beschämung — Zweifel,
ein Motiv aus dem Liebesduett der vorigen Szene klingt an — dann
löst sich die ganze Erregung in einer mächtigen Arie, Wut ihr Haupt-
satz, in der Mitte tiefe Trauer, wunderbar rührend und musikalisch
ganz originell ausgesprochen. Auf dieses Meisterstück folgt gleich
ein anderes. Hirten und Schäfer ziehen heran und bringen mit ihren
lustigen,* naiven Gesängen, mit ihren reizenden Musetten den toben-
den Roland erst zum Schweigen, dann zur Ruhe. Wie seine grollen-
den Monologe die Tanzweisen unterbrechen, wie er die Hirten er-
schreckt, wie sie, ganz Mitleid und Interesse, ihn zu trösten suchen —
das ist dramatisch lebendig und unübertrefflich schön, geistvoll und
poetisch, gehört unter das beste, was in der Opernkunst zu finden
ist. Nebenbei erinnert die Situation dieser Hauptszenen an den »Hans
Helling«. Die Charaktere des Dramas sind außerordentlich scharf
und voll in der Musik gegeben; eine Originalfigur ist namentlich der
Roland geworden; ungestüm, ungeschlacht, grotesk, dämonisch, über-
menschlich. Das war eine Aufgabe für den italienischen Stil, und
da hat auch Piccinni den Vorrat fanatischer Wendungen, den seine
Landsleute ausgebildet hatten, glänzend verwendet. Aber er hat auch
eine Anpassungsfähigkeit an die Vorzüge fremder Kunst bewiesen,
die bei einem Komponisten von seiner Vergangenheit in Erstaunen
setzt. Wie neuerdings Verdi sich an Wagner umgebildet hat, so tat
das hundert Jahre früher Piccinni an Gluck und den Franzosen —
uud ebenfalls nicht als Nachahmer, sondern in freiem, selbständigem
Anschluß an das Prinzip. Die Musik dieses »Roland« ist nach Glucks
Gebot dramatisch entworfen, im großen Bogen, nicht mehr nach Num-
mern, sondern szenenweise. Ihr ganzer Gang ist zusammengerafft,
die Ritornells und alles, was zur Schablone gehört, ist beiseite ge-
worfen, im selbständigen Fluß wechseln Rezitativ und geschlossene
Die Verschmelzung französischer und italienischer Schule 233
Form, und die Formen sind mannigfach, ein Produkt von Situation
und Empfindung.
Piccinni blieb also in Paris und bekam weitere Aufträge. Da ihm
aber die französische Sprache schwierig war und der neue Stil sorg-
fältiges Durchdenken des Dramas forderte, entstanden seine neuen
Pariser Opern nur langsam. 1780 kam der »Atys«, 1781 eine
»Iphigenie in Tauris«, 1783 eine »Dido«. Dazwischen hinein wurden
zahlreiche von seinen alten komischen Opern aufgeführt, unter ihnen
natürlich die -»Buona figliuola*.
Von jetzt ab, von der Bekehrung Piccinnis, datiert die Ausbreitung
der Gluckschen Reform.
Die Schule Glucks.^
Die Glucksche Schule hält an Dichtungen fest, die ihre Hand-
lungen der Antike entnehmen, aber die Metastasiosche Methode ist
abgetan, in ihren Motiven und im Aufbau sind die Opernbücher
folgerichtige, ernsthafte Dramen. Die Musik ist ebenfalls auf die
dramatische Wirkung gerichtet, verzichtet auf Sonderzwecke und
schöpft Mittel und Formen aus dem Gesamtschatz der Tonkunst der
Zeit. Die reinen Gluckisten neigen dabei zu kleinen Formen, stehen
unter dem Einfluß des neuen Liedes und der Instrumentalmusik, die
italienischen Anhänger Glucks suchen noch an den großen Formen
des alten Sologesanges, namentlich an der dreiteiligen Arie fest-
zuhalten.
Der Hauptsitz dieser Gluckschen Schule ist Paris. Zuerst wird
sie hier durch zwei französische Komponisten vertreten: Le Moyne
und Gosse c. Beide traten im Jahre 1782 in der Academie zuerst
auf, Jean Baptiste Le Moyne mit einer »Electra«, Fran9ois Joseph
Gossec mit einem » Thesee<^. Le Moyne ist der bedeutendere. Während
Gossec allzu französisch um Malerei der äußeren Situation bemüht
ist, dringt Le Moyne ins Seelenleben. Von seinen späteren Opern
ist namentlich ^Phedre« beachtenswert durch die Soloszenen der
düsteren, majestätischen Heldin, durch die Feinheit mit der visionäre,
die Kraft und Freiheit, mit der alle dramatisch erregten Situationen
wiedergegeben sind. Außer dem Gluckschen, zeigen Le Moynes
Arbeiten auch deutlich den Einfluß der Italiener, Piccinnis insbe-
sondere. Ihre Schwäche liegt in der Ungleichheit.
Eine wirkliche Stütze fand die Glucksche Schule in Paris durch die
Arbeiten von Antonio Maria Gasparo Sacchini^ und Antonio
1 J. Hermann: »Les drames lyriques en France depuis Gluck jusqu'a
nos jours: Paris 1878«; L. Schieder mair: »Beiträge zur Geschichte der
Oper um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts«, Leipzig 1907.
2 Sacchinis Chimene und Renaud sind neugedruckt in Chefs-d'ceuvre usw.
Salieris Les Danaides und Tarare ebenda.
Die Vertreter der Gluckschen Oper in Paris 235
Salieri*. Sacchini, in seiner Heimat durch große und komische Opern
bekannt, von denen die y> Olympiade« auch nach London drang, hatte
sich in Paris mit einer musikalischen Komödie »La Golonie« ein-
geführt, die dem gerade anwesenden Kaiser Joseph II. sehr gefiel.
Auf seine Empfehlung wurde er an die Große Oper berufen, für
die er 1783 und 1784 die drei Opern »Renaud«, »Chimene«, »Dar-
danus« schrieb; einen mächtigen Erfolg errang er erst im Jahre 1787
mit »Oedipe ä Colone«. Das ist eine von den Opern mit schwachem
Anfang, der erste Akt ein entbehrliches Zugeständnis an die alt-
französischen Traditionen, an die Vorliebe für Feste und Feierlich-
keiten im Musikdrama. Wie Piccinni im Roland, hat sich auch
Sacchini den Helden (Bariton) für den zweiten Akt aufgespart, und
von dem Erscheinen des Ödipus ab ist das Werk ein kaum wieder
unterbrochenes Crescendo großer und erschütternder Eindrücke, eine
fortwährende Handlung, eine Musik im hohen Tone Glucks, aber
mit neuen, mit grausigen und dämonischen Akzenten. Die Szene,
wo Ödipus im zweiten Akte die Eumeniden zu hören glaubt, wo
er rast und durch den innigen Zuspruch der Antigone zur Ruhe
gebracht wird, die, wo er den heiligen Bezirk betreten hat und vom
Volk bedroht wird, eine dritte, wo Polynice sich vor dem Vater
auf die Knie wirft und außer sich vor Schmerz, die Stimme auf dem
hohen g festgenagelt, um den Tod bittet, vergißt niemand wieder.
Sacchini hat die Aufführung seines Ödipus nicht mehr erlebt. Bis
zum Jahre 1802 fand das Werk 316 Vorstellungen; es hat auf
französischen Bühnen bis 1830 in der vordersten Reihe gestanden.
Von den beiden Hauptopern Salieris, »Les Danäides« und »Tarare«-
ist die zweite die schwächere, nichtsdestoweniger aber, unter dem Titel
Ȁxur re d''Ormus^ umgearbeitet, die verbreitetere geworden. Die
Dichtung ist von Beaumarchais, wie sein »Figaro« ein Stück politi-
scher Poesie, es gilt abermals den Kampf gegen Tyrannen und Könige.
Dieser Axur ist ein Theaterwüterich ganz nach italienischer Schablone,
ersticht Sklaven zum Zeitvertreib und schwört allen Dienern den
Tod, so oft er einen Auftrag gibt. Die Musik Salieris, dem Gluck
als seinem eigenen Schüler die »Danaiden« wie den »Tarare- Axur«
abtrat, ist äußerst routiniert, aber bedeutend nur in den Abschnitten,
die ins Gebiet der komischen Oper fallen. Mit Sacchini ist Salieri
nicht zu vergleichen. Gleichwohl war er außerhalb Frankreichs an-
gesehen. Mit seinem »Axiir«^ hat Mozarts »Don Juan« zu kämpfen
gehabt, er drang in die Konzerte ein (Wien, Leipzig, Mainz 1810
bis 20), und der Einfluß seiner Chöre läßt sich bis in Webers
Schwertlieder verfolgen.
Der nächste Vertreter der Gluckschen Oper in Paris ^ ist wieder
1 A. Jullien: >L'opera sous Louis XVI«, Paris 1878.
2 Max Dietz: »Geschichte des musikalischen Dramas in Frankreich
von 1780-1795«, Wien 1886.
236 Die Schule Glucks
ein Ausländer, diesmal ein Deutscher ans Nürnberg, Namens Johann
Christoph Vogel. Mit Schwierigkeiten erhielt er Zutritt zur Aka-
demie, »La toison (To?'« wurde 1786 aufgeführt, seine zweite Pariser
Oper lebt heute noch durch ihre Ouvertüre; es ist •» Demophon«- ^
15. September 1798 zum ersten Male aufgeführt, eine Oper, die
durch die Menge düsterer Situationen schon auf den Gluckschen Ton
weist und noch heute durch eine große Menge herzlicher, eigener
Einzelheiten fesselt. Musikalisch beachtenswert ist in ihrer Instru-
mentierung die obligate Verwendung der Posaunen. In der Regel
sind sie in den Opern jener Zeit mehr ins Belieben gestellt und in
die Partitur nicht eingearbeitet, höchstens als Anhang beigegeben.
Dichterisch alter zeigt dieser ^Dernophon* ähnlich wie Salieris »Axur^
bereits wieder einen Abfall von der Gluckschen Reform. Die Hand-
lung beruht auf einem altvenezianischen Motiv: Vertausch von Kin-
dern in der Wiege.
Nach Vogel kommen nun endlich auch wieder einmal drei wirk-
liche Franzosen: Etienne Nicolas Mehul^, Charles Simon Catel
und Jean Lesueur^. Von Mehuls Opern kommen hier •}> Stratonice^
und '»Ariodant<s. in Betracht, als Werke von der Einfachheit und
vom Pathos Glucks berührt, aber in der Wurzel auf altfranzösischem
Boden heimisch. Im Romantischen haben sie ihre stärksten Stellen
durch Chöre und Tänze, die die Poesie neuer Klänge belebt, geheim-
nisvoll verhallende Schlüsse, Echos, Wechselgesänge, ungewohnte
Farben, satt und dunkel aus der Zusammenstellung von Hörnern
und Cellis, aus eigenen Instrumentenverbindungen gewonnen. Mehul
sinnt auf neue Mittel des Ausdrucks, namentlich durch ungebrauchte
Harmonie, übermäßige Dreiklänge, durch Modulationen, die seiner
Zeit bizarr erschienen. Für die Verknüpfung der Formen, Charakte-
ristik der Personen bedient er sich geistreich des Leitmotivs. So
oft in »Ariodant« der Otho erscheint, oder von ihm die Rede ist,
meldet ihn das Orchester mit:
i
•>F^r'-i-^^=i^-
Heute lebt Mehul noch mit seinem »Joseph in Ägypten«. Diese
Oper ist ein Ausnahmewerk nicht bloß des 18. Jahrhunderts; durch
den biblischen Stoff und den Verzicht auf Frauen zeugt es für den
Einfluß Glucks stärker als andere Opern Mehuls, namentlich die Arie
»Ich war Jüngling« und die große Szene Simons und der Brüder
-»Non^ non^ VEternel« sind Gluckisch, Mehuls besonderes Talent
1 R. Brancour: »Mehul<, Paris 1912; A. Pougin: »Mehul, sa vie, son
genie, son caractere«, Paris 1889.
2 F. Lamy: »J. F. Lesueur«, Paris 1912; W. Buschkötter: » J. F.
Lesueur« (Sbd. d. EMG. XIV, S. 58 ff.). Lesueurs Ossian ist neugedruckt
in Chefs-d'oeuvre usw.
Gasparo Spontini 237
offenbart sie weniger. Catels^ Hauptwerk ist seine »Semiramis«,
bedeutend in allen düsteren, heimlichen Abschnitten, in den Orakel-
szenen, da wo Verschvv^orene böses spinnen, trivial leider in den
dramatisch entscheidenden Stellen. Catel ist in unserer heutigen
Musik zuweilen noch mit der Ouvertüre zu dieser »Semiramis«, eine
trefflich erfundene und gedachte, aber zu umständlich entwickelte
Arbeit, vertreten. Ganz unbekannt geworden ist Lesueur, der
Lehrer Berlioz'. Seine Hauptoper, die »Barden« ist vielleicht das
charaktervollste und reichste, namentlich an neuer Situationsmusik
originellste Musikdrama, das die französische Bühne in der Periode
der Gluckschen Schule hervorgebracht bat. Der Glucksche Stil ge-
rät durch diese französische Komponisten in eine Umbildung: der
nationale Ton und damit der romantische Charakter drängt sich vor.
Eine Reihe kleinerer Talente, Rudolf Kreutzer au der Spitze, setzen
diesen Weg fort, der musikalische Ideengehalt verringert sich, von
den Werken Piccinnis und Sacchinis ist jede Spur verwischt. Da
erscheint abermals ein großer italienischer Meister: Cherubini^
führt im Jahre 1788 am 12. Dezember in der Äcademie royale seinen
»Demopho7i^ auf, ein Werk, dessen Ouvertüre das höchste Musik-
stück im erhabenen Stil ist, das seit Gluck gehört wurde, ein Werk,
das von Erfindung schäumt. Aber leider dringt er nicht durch,
vielleicht weil ein Rest alter trivial-italienischer Arbeit das Ganze
beeinträchtigt. Cherubini ist fortan mit seinem Ernst und seiner
Tiefe auf die opei'a comique verwiesen. Auch da leidet er mit
seiner »Lodoisca«^ mit seinem » Anacreon«. und der Mehrzahl seiner
Werke unter dem Niedergang der französischen Dichtung. Dieser
Niedergang war bereits bei Salieris * Tarare« zu bemerken, er ist
von da ab unaufhaltsam und immer bedenklicher geworden ; wiederum
wollen die Ideen einer bewegten Zeit sich nicht in die Bilder einer
fernab liegenden, verschwundenen Welt fügen. Noch einmal gelingt
die Reaktion durch Gasparo Spontini und seine »Vestalin«. Ein
Schüler Piccinnis, an den italienischen Bühnen durch Buffoopern be-
kannt geworden, kam Spontini 1803 nach Paris, wo er sich ohne
viel Erfolg ebenfalls mit kleinen Opern leichterer Gattung einzu-
führen suchte. Eine davon, »Milton«, ein Einakter, zeichnet sich
durch die breiteren Vorlagen aus, auf denen die Musik entworfen ist,
und durch Episoden, (eine Hymne Miltons, ein Quintett, in dem der
blinde Sänger ein Gedicht diktiert, darunter) die einen Meister für
höhere Töne bekunden. Der Dichter dieses Einakters, Jouy, brachte
nun Spontini den Text der »Vestalin«, eine Begebenheit aus der
1 Von Catel ist neugedruckt: Les Bayaderes in Chefs-d'oeuvre usw.
2 R. Hohenemser: »L. Cherubini, sein Leben und seine Werke«,
Leipzig 1913; H. Kretzschmar: >Über die Bedeutung von Cherubinis
Ouvertüren und Hauptopern für die Gegenwart«, Jahrbuch Peters 1906;
Ed. Bellasis: »L. Cherubini«, London 1874.
238 Die Schule Glucks
römischen Greschichte, die sich in der italienischen Oper schon seit
Draghis *Fuoco Vestale« oft bewährt hatte. Es handelt sich um
den alten Konflikt zwischen Pflicht und Liebe, und diesen Konflikt
hat Joay meisterhaft dargestellt. Die Szene des zweiten Aktes, wo
Julia, die Vestalin, gegen den Gedanken an Licinius in Schmerz,
Leidenschaft und Gebeten kämpft, und nach diesem Sturm der Ge-
fühle, wo der Sieg gesichert scheint, der Geliebte unbemerkt in den
Tempel eintritt, diese Szene wird niemand unerschüttert lesen und
sehen. Das ist tragische Poesie. Und nun die Musik Spontinis zu
diesem Drama! Es ist manches Schnörkelhafte in dieser Partitur,
es sind unreife, von Anfang an veraltete Stellen darin, Spontini ver-
trägt die Ruhe nicht gut. Aber was will das sagen gegen die Menge
Glanznummern, die im dramatischen Feuer geschmiedet sind, gegen
diese gewaltige Wiedergabe stürmischer Leidenschaft, gegen die ür-
sprünglichkeit und Lebendigkeit des Aufbaues dieser Musik im
kleinen und großen! Darin, wie diese Musik Form und Geist aus
der Handlung schöpft, ist sie ganz Gluckisch, aber keine Nach-
ahmung. Noch keiner hat das schlummernde Unheil mit solchen
blitzenden Baßmotiven des Orchesters gezeichnet, noch keiner soviel
neue Wendungen der Tonsprache gewagt, wie sie gleich von der
Ouvertüre ab in den freien Septimenvorhalten uns entgegentreten,
keiner so sinnig, so eng die Szenen mit leitenden und erinnernden
Motiven verbunden. Auch im Klang alles neu und kühn, zum ersten
Male ein Tamtamschlag im Finale des zweiten Aktes, am Höhepunkt
der ganzen Oper. Den Franzosen kommt Spontini entgegen mit den
Rameauschen Donnerwettern, mit den schönen, fertigen Instrumental-
stücken, in die der Chor hineingeschrieben ist; in weichen Situationen
ist er ganz Italiener, Neapolitaner. Man hört schon die süßen
Terzengänge Bellinis. Seit Sacchinis »Ödipus« war eine solche
tragedie lyrique nicht dagewesen. Das war ein modernisierter, in
der Beweglichkeit übertroffener Gluck. Spontini war fortan mit dem
imposanten, festen, herrlichen und reichen Aufbau das Muster der
französischen Oper.
In Deutschland können wir von einer Gluckschen Schule nicht
reden. Es sind bei uns keine Opern im Stile und Geist des »Orfeo«,
der »Alceste«, der beiden »Iphigenien« geschrieben worden; wir
haben keinen Komponisten aufzuweisen, der wie Piccinni, wie Sacchini
sich mit Werken wie »Roland« und »Ödipus« oder wie Spontini
mit der »Vestalin« selbständig und erweiternd auf Glucks Seite
stellte. Die einzigen Spuren, in denen Glucks Reformen in Deutsch-
land zur Wirkung kommen , bestehen darin , daß die antike Oper
auch bei uns den Chor in seine Rechte einsetzt, daß in feierlichen
Szenen der ernste Ton Glucks in Wendungen erklingt, die seinen
Werken getreu nachgebildet oder entnommen sind. In Berlin wen-
det sich Friedrich IL von dem Augenblick an von der Oper ganz ab,
als die Unruhe der Reformen kommt, in München fällt Sacchinis
Glucks Reformen in Deutschland 239
»Ödipus« durch — die ganze opera seria führt in Deutschland jahr-
zehntelang ein höchst kümmerliches Dasein, die großen Pariser
Kämpfe bleiben vollständig unbeachtet.
Das wenige, was aus der Produktion deutscher Komponisten
jener Periode heute noch genannt wird, beschränkt sich auf zwei
Werke Wolfgang Mozarts i, auf seinen »Idomeneus« und seinen
»Titus«. Es sind die schwächsten unter den sieben Opern, die sich
von Mozart noch auf der Bühne gehalten haben, man führt sie nur
noch auf aus Pietät gegen den großen Namen, aus historischem
Interesse, wie man meint und sagt. Nur wenige ahnen, wie wenig
sich gerade diese Mozartschen Renaissanceopern dazu eignen, die
Geschichte ihrer Gattung zu vertreten — wie weit sie davon ent-
fernt sind, ein Bild vom Besten zu geben, was in Mozarts Zeit auf
diesem Gebiete geleistet wurde. Man muß das mit einer gewissen
Härte betonen, weil 0. Jahn in seiner Biographie Mozart ohne
weiteres über Gluck und die Italiener gestellt hat. Ihm nach sieht fast
der ganze Troß der musikalischen Literaten in Mozart ohne weiteres
den »Messias«, der die Absichten Glucks erst vollendet hat, und
zugleich ein Opfer der italienischen Kunstverderbnis. Denn was
schwach ist in Mozarts Opern, die Koloraturarien des Ottavio und
der Elvira in »Don Juan« z. B., das wird alles der italienischen
Schule auf Rechnung gesetzt und soll angeblich immer noch viel
höher stehen als die Leistungen der wirklichen Italiener. Das ist
eine gutgemeinte Geschichtsfälschung, die in dem Kampf gegen
Wagner ihre Schuldigkeit reichlich getan und die Verwirrung in
den Auseinandersetzungen über Wesen und Berechtigung des neuesten
Musikdramas ungeheuer vermehrt hat. Aber halten läßt sie sich
nicht; bei aller Liebe und Bewunderung für Mozarts musikalische
dramatische Begabung können wir seine Opern nicht zum Ideal der
Gattung erheben, am allerwenigsten wollen wir sein Verhältnis zu
den Italienern auf den Kopf stellen.
Das Ausland hat sich den Mozartschen Werken lange verschlossen,
in Paris erscheint der »Don Juan« erst 1834, von italienischen
Städten haben Triest und Mailand durch ihre Beziehungen zu Wien
zuerst, nämlich im Jahre 1815, den »Figaro« und »Don Juan«
kennen gelernt. »Don Juan« taucht 1828 noch in Parma, 1838 in
Turin auf. Im ganzen haben die Mozartschen Opern ebensowenig
wie die Reformen Glucks für die italienischen Bühnen existiert.
Heinse, der schwärmerische Anhänger der Italiener, kennt Mozart
in seiner »Hildegard« nur als Klavierkomponisten. Aber Mozarts
Opern haben in Italien mittelbar und merkwürdig auf die Kompo-
1 0. Jahn: »W. A. Mozart«. Vierte Auflage bearbeitet von H. Deiters,
Leipzig 1905 und 1907; H. Kretzschmar: »Mozart in der Geschichte der
Oper«. (Jahrbuch Peters 1905); Janos Linon: »Die Orchesterbeliandlung in
Mozarts Oper von Idomcüeo bis zur Zauberflöte« (Die Musik XIV, S.3ff.,61ii'.).
240 Die Schule Glucks
nisten eingewirkt und von da aus schließlich zur Meyerbeerschen
Richtung geführt.
Wenn wir die großen italienischen Opern Mozarts, seinen
»Idomeneo« und »Titus« heute prüfen, finden wir die Formen darin
zum großen Teile mit Recht veraltet. Sie waren aber von Anfang
an veraltet d. h. mangelhaft, und Mozart hat in ihnen nicht, wie
Jahn meint, seine Vorgänger und Nebenbuhler überholt und ge-
schlagen, er hat sie auch nicht von fern erreicht. Ihm fehlte der
richtige Ausgangspunkt. Mozart kam zur Oper in den Knabenjahren
ohne Lebenserfahrung und ohne Kenntnis der großen musikalischen
Meister, an denen Gluck sich zu schulen wenigstens versucht hatte.
Mozarts Quellen aber waren einseitig das neue deutsche Lied, die
opera huffa und die Instrumentalmusik. Wie er mit den Hilfsmitteln,
die er hieraus schöpfte, in seinen Jugendopern verunglückte, das hat
Chrysander^ nachgewiesen, und dieses Unglück begleitete ihn durch
seine späteren Opern. Was im »Idomeneo« und »Titus« besser isc
als im »Mitridate«, das verdankt Mozart der menschlichen Reife und
den Eindrücken seiner Pariser Zeit. Er hatte den Kämpfen zwischen
Gluckisten und Piccinnisten als Augenzeuge beigewohnt. Aber ein
Meister der eigentlichen großen Oper ist er niemals geworden, er
hat dieses Gebiet möglichst gemieden. In der Mehrzahl der Arien
des »Idomeneo«, gleich den ersten der Ilia und des Idamante finden
wir eine Fülle von Motiven, jugendlich, frisch, von ursprünglicher
musikalischer Empfindung, aber einen verwunderlichen, unruhigen,
unablässigen Wechsel in Gedanken und Stimmung. Es fehlt der
große Zug, die Konzentration, die energische und sichere Vertiefung
in die Form. Die Musik bohrt an, bald hier, bald da, spielt inter-
essant mit Einfällen, aber sie fesselt nicht ernsthaft und reißt nicht
fort. Es sind Skizzen mit schönen Einzelheiten, die ins durch-
komponierte Lied gehören, aber es ist keine Spur vom großen
Theaterstil, der sich mit wenigen, aber lapidaren Grundgedanken be-
gnügt, sie aber fest einprägt. Wo Mozart ihn nachbildet, wird er
äußerlich. Die heutigen schlechten Begrifi'e von italienischer Kolo-
ratur gehen auf Mozart zurück. Der Periodenbau verstößt wider
die Logik des Textes, die Erfindung im Gesang erinnert an Violin-
und andere Instrumentalfiguren. Unter den Soloszenen nehmen nur
die Arien eine höhere Stufe ein, die Rachegefühl, Haß und Wut
auszudrücken haben. Bei den andern spricht Mozarts herrliches
Talent nur aus Nebensachen. Die Ensembleszenen sind durchschnitt-
lich alle bedeutender, das Finale des zweiten Aktes des »Idomeneo«,
wo zum Opfer geschritten werden soll, ist ein dramatisches Meister-
stück. Genau so ist das Verhältnis im »Titus«, aber mit dem Ab-
zug, daß hier auch der Text gering ist. Nur das erste Finale mit
1 Fr. Chrysander: »Mitridate, italienische Oper von Mozart«. AUg.
Musik-Ztg. 1882.
W. A. Mozarts Opern 241
dem Kapitolbrand erhebt sich hoch aus dem Ganzen; es ist eins der
wenigen Stücke, aus denen ein Einfluß Glucks ersichtlich wird.
Die Bedeutung und der Ruhm Mozarts ruht auf seinen übrigen
Opern: »Cosi fan tutte<^, »Figaros Hochzeit«, »Don Juan«, auf der
»Entführung« und der »Zauberflöte«. Die drei ersten gehören zur
opera buffa, »Entführung« imd »Zauberflöte« zum deutschen Sing-
spiel. Es würde Mozarts Größe nichts fehlen, wenn t Cosi fan tutte«.
ungeschrieben geblieben wäre und niemand sieht dieser Oper an, daß
sie zwischen »Don Juan« und »Zauberflöte« entstanden ist, man hält
sie für ein Werk aus der Zeit der ersten Versuche. Sie hat ein
paar gute Nummern im Elegischen, aber im allgemeinen ist sie mit
Brosamen vom Tisch der Italiener und aus »Figaro« und »Don
Juan« genährt. Mozart kommt hier selten in Zug und Schwung,
und zahlreiche Stellen zeigen, daß er sich gequält hat, daß ihm das
Stück zuwider gewesen. Das Motiv der Komödie, die Treulosigkeit
der Frauen, geht ja, wie Shakespeares »Cymbeline« zeigt, im Schau-
spiel weit zurück; es ist namentlich in der komischen Oper des
18. Jahrhunderts gern und erfolgreich behandelt worden: in Martins
»Cosa rara<!. und Paisiellos y>Sposa fedele« z. B. Aber das Buch,
in dem es für Mozart zurecht gemacht wurde, ist jämmerlich. —
Ganz anders steht es nun mit »Figaro« und »Don Juan«^ mit »Ent-
führung« und »Zauberflöte«. Die überragen alles, was in diesen
Gattungen geleistet worden ist dermaßen, daß sie uns überhaupt wie
höhere Arten erscheinen. Die Gegenwart muß sich erst durch einen
Blick auf die alten Theaterzettel überzeugen, daß der »Don Juan«
wirklich den Zeitgenossen Mozarts als opei-a huffa^ die »Zauberflöte«
als Singspiel vorgeführt worden ist. Ähnlich wie Goethe mit dem
»Faust«, hat hier Mozart aus lustigen, tollen Unterhaltungsstücken
Kunstwerke gebildet, die in die Tiefe der Seele dringen, aus denen
das Erhabene zu uns spricht. Die Gestalten aber, die den Ideen-
kreis des »Don Juan« und der »Zauberflöte« erst adeln, dort der
Komtur, hier der Sarastro — sie sind ganz und gar die Geschöpfe
Mozarts, Produkte seiner persönlichen Auffassung. Die wunderbare
Mischung von keckster, naivster Lebenslust und von überirdischem
Tiefsinn ist es, die der Mozartschen Kunst ihr Gepräge gibt. In
einer leichteren Lösung durchzieht sie auch die »Hochzeit des Figaro«,
hier namentlich die Gestalt des Pagen Cherubim. Das ist bei
Beaumarchais nur ein drolliger Wildfang, bei Mozart ein edler,
schwärmerischer Jüngling in der Rosenzeit. So mischt Mozart in
die Schwanke seiner Dichter einen elegischen, in ihre gemeinen
Szenen einen vornehmen Ton. — Nicht in den Formen und im
1 F. Chrys ander: »Die Oper Don Giovanni von Gazzaniga und
Mozartc. (Vierteljahrsschrift für M. W. 1888); H. Boas: »L. da Ponte
als Wiener Theaterdichter« (Sbd. d. IMG. XV, S. 325 ff.), A. Marchesan:
»Delle vita e delle opere da L. da Ponte«. Treviso 1900.
Kl. Handb. der Musikgesch. VI. 16
242 JDie Schule Glucks
drastischen Ausdruck der dichterischen Motive übertrifft er die Ita-
liener — die würden im Gegenteil die Lustigkeit und Verwirrung
der Szenen oft noch toller und lebendiger wiedergegeben haben —
aber in einem Zug zum Höheren, den er aus seinem eigenen Wesen
in die großen und kleinen Aufgaben der Stücke hineinträgt. Gerade
im »Figaro« gibt's Stellen, in denen Mozart über seine Zeit und
den Dichter des Stückes dazu in wenigen Takten eine Kritik aus-
gesprochen hat, deren Schärfe Beaumarchais mit seinen fünf Akten
nicht erreicht hat. So eine ist im Finale des ersten Aktes beim
Erscheinen der Susanne. Da enthüllt das Orchester mit wenigen
ernsten Tönen die ganze Scham, die in diesem Augenblick der lüsterne
Graf und der Dichter, der ihn in diese Szene geführt hat, empfinden
sollten. Ja die Reinheit und Vornehmheit der eigenen Seele hat
Mozart einmal in demselben »Figaro« zu einem Irrtum verleitet.
Das ist in der berühmten Gartenarie der Susanne: »0 säume länger
nicht« {Deh vieni). Die dramatische Situation, die italienischen
Worte »^ furti miei« und auch der Anfang der Musik lassen keinen
Zweifel, daß hier karikiert werden soll. Wenn Mozart sonst von
echter Liebe singen will, so tut er es nicht in Melodien, die auf
Akkordintervalle hinauslaufen. Das ist hier absichtliche Armut und
Banalität, und mit derselben Absichtlichkeit stehen sie dicht neben
Wendungen eines übertriebenen Ausdrucks, b fis g^ Phrasen der zärt-
lichen Ekstase, die jeden Kenner Paisiellos und der Italiener, die
auch den ersten Hörern des »Figaro« ganz geläufig waren. Die
Parodie steht also im Anfang dieser Gartenszene außer Zw^eifel und
ist vorzüglich gelungen — aber im zweiten Teile ist er aus der
Rolle gefallen, hat die Worte ernsthaft genommen, und daher lassen
sich alle Susannen verleiten, das Ganze ernsthaft zu nehmen.
Wenn man an den Komtur denkt, so steht man zugleich an dem
Punkt der Mozartschen Opern, wo sie von Gluckschem Geist be-
rührt sind. Vom ernsten Ton dieses Meisters ist etwas in sie herüber-
gegangen uud klingt an Stellen wieder, wo wir es nicht erwarten.
In Deutschland ist von den Opern Mozarts nur der »Idomeneo«
so gut wie gänzlich unbeachtet geblieben; er findet sich um 1802
in Nürnberg; der »Titus« ist häufiger bei Hoffesten gegeben worden,
außerhalb der Residenzen wußte man mit antiken Opern allmählich
nichts mehr anzufangen. So wird aus Nürnberg geklagt, daß die
Römer im »Titus« mit geschmierten Aufschlagstiefeln auf der Bühne
herummarschierten. Die andern haben sich für die Verhältnisse der
Zeit schnell und weit verbreitet, die »Entführung« gleich nach der
Entstehung. Schon 1782 kommt sie in Hamburg vor als »Belmonte
und Constanze«; »Cosi fan tutte«- erscheint seltener, »Figaro« wieder
häufig, im Anfang und im Verlauf der neunziger Jahre bringen ihn
alle Stadttheater, die es irgendwie können und zuw^eilen mit dem
Vermerk »von dem beliebten Herrn Mozart«. Die oft behauptete
Verkennung Mozarts und des Wertes seiner Opern in Deutschland
Glucks Opern auf den deutschen Bühnen 243
wird durch die Statistik hinfällig. Nur muß man in Betracht ziehen,
daß ihre Einführung Schwierigkeiten bereitete. In Berlin z. B.
wurden »Figaro« und »Don Juan« 1770 am Nationaltheater von
Schauspielern gesungen, trotzdem konnte »Don Juan« in zehn Tagen
fünfmal wiederholt werden. Viel verloren und verlieren diese Werke
heute noch durch die deutschen Übersetzungen. Den Italienern aber
die sie hier und da, in Dresden z. B., brachten, machten sie einen
fremden Eindruck gerade durch die Elemente, mit denen sie über
die Gattung emporragten. Auch die Deutschen fanden sich mit dem
»Don Juan« nicht gleich zurecht. Die Theaterdirektoren beuteten
die Höllenfahrt aus, mit der er in der ursprünglichen Fassung
schließt; überall wird auf den Zetteln aufmerksam gemacht, daß es
am Schluß Spektakel gibt, daß der Erdboden sich öffnet. Flammen
hervorbrechen usw. In Bern kamen bei der ersten Aufführung, die
sich bis zum Jahre 1810 verspätete, zu den sechs bezahlten und
bestellten Teufeln ein siebenter und erregte solche Bestürzung, daß
alles in wilde Flucht ausbrach. Zwei arme Teufel verunglückten.
In München verbot die Zensurbehörde die Aufführung, weil sie Ärger-
nis geben würde. Ein Spezialbefehl des Kurfürsten war nötig. Da
gefiel die Musik, den Text aber fand man abgeschmackt.
Erst im Gefolge Mozarts drangen jetzt in den neunziger Jahren
auch die Opern Glucks auf den deutschen Bühnen vor: Bremen,
Mannheim, Hamburg, Weimar, Berlin; nur in Berlin hielten sie sich
länger. Neben Gluck kommen auch seine Schüler, Sacchini mit den
»Danaiden« und Salieri mit »Axur« und »Palmyra«. Die übrigen
Komponisten, die neben ihnen in Deutschland die große Oper ver-
treten, zeigen alle den Einfluß Mozarts: Reichardt in seinem
»Brenno«, Righini in seiner »Armida«. Auch der bedeutendste
dieser Komponisten, Ferdinand Paer, gleichfalls ein Italiener, ist in
seinen späteren Hauptwerken, in »Sargino« und »Achill« von Mozart
stark berührt. Sie mischen alle in Mozartscher Weise in den Strom
ihrer Musik elegische, ernste und feierliche Ideen ein; vom »Figaro«
entnehmen sie, ähnlich wie die Neuen aus Wagners »Meistersingern«
den Humor fürs Orchester, besonders aber erinnern sie direkt und
häufig an die Sarastroklänge Mozarts. Die »Zauberflöte« hat auch
aufs Publikum den größten Eindruck gemacht. Selbst in Mannheim,
wo Mozart einen besonders schwierigen Stand gehabt zu haben scheint,
erlaubte sie eine Reihe von Aufführungen bei erhöhten Preisen,
brachte den Darstellern eine Extraentschädigung von 100 Dukaten^.
Beck schreibt in seinem Tagebuch zuerst: »Die Zauberflöte gefiel,
so sublim man sie gab, manchem Esel nicht«; nach der dritten
Aufführung: »Jetzt kommen sie besser dahinter: widerlich ist
das Geschrei von den paar Schulmeistern in Sarastros Ge-
folge«. In Lübeck wird sie in acht Tagen sechsmal gegeben, in
1 Die Jagemann sang die Pamina.
16*
244 Die Schule Glucks
Königsberg, in Berlin und anderen Städten Abend für Abend wieder-
holt. Aus Hamburg heißt es: »Die Virtuosen und Virtuosinnen in
den Familien spielten schon lange zuvor die bezaubernden, hinreißend
schönen Arien und Duette dieses Mozartschen Schwanengesanges«.
Doch machte die Aufführung von der Bühne herab die erwartete
und erhoffte Sensation erst, als neue Dekorationen angefertigt waren.
Auch die italienischen Truppen in Deutschland machten sich die
»Zauberflöte« als -»Flauto magico<^ zu eigen. Zum Anfange des
19. Jahrhunderts wurde es gebräuchlich, zu besonders beliebt ge-
wordenen Opern oder Singspielen einen zweiten Teil zu schreiben.
Diese Ehre ist z. B. dem »Donauweibchen«, der »Teufelsmühle»,
der »Sonnenjungfrau«, dem »Wasserträger« widerfahren. Da hat
die »Zauberflöte« gleich mehrere Fortsetzungen erhalten, auch be-
kanntlich eine von Goethe gedichtet; am meisten verbreitet haben
sich darunter P. Winters »Pyramiden zu Babylon«. An die »Zauber-
flöte« schließt sich auch eine Mozartsche Komponistenschule an. Ihre
Hauptvertreter sind Joseph Weigl^, der mit seiner »Schweizerfamilie«
Mozart hier und da verdrängte, und Franz Süßmayer 2. Das ist
derselbe Süßmayer, der Mozarts Requiem so schön vollendet hat.
Es gibt heute noch vermeintliche Kritiker, die diese ganz fest ver-
bürgte Mitarbeit Süßmayers glauben bezweifeln zu können. Die
Opern dieses Komponisten, sein »Soliman IL« und sein »Spiegel von
Arkadien« könnten sie belehren, daß er ein großes Talent war. Eine
richtige Vorstellung von der Zeit und vom Wert der Klassiker be-
kommt niemand, der nicht die Umgebung Haydns, Mozarts, Beet-
hovens mit kennen lernt. Die Dittersdorf, Wölffl, Eberl zeigen auf
den Reichtum von Begabung und Schule, aus denen die großen
Meister hervorwuchsen, und in diesem Kreis nimmt auch Süßmayer
einen ehrenvollen Platz ein.
Soweit es sich bei der Gluckschen Reform um die Wiederher-
stellung des Chores in der italienischen Oper handelt, kann man
auch in Italien von einer Gluckschen Schule sprechen. Cimarosa
gehört in seinen »Horatiern und Curatiern«, in seiner »Artemisia«
und in andern antiken Opern zu ihren Vertretern. Neben ihm
Bertoni, Anfossi. Daß sie aber nicht das Publikum für sich hatte,
beweisen Werke wie Giuseppe Sartis^ » Giulio Sabino«y der im
Jahre 1781 von Venedig aus jahrelang als Hauptoper auf allen ita-
lienischen Bühnen heimisch war. Er ist durchaus Solooper mit
schöner und poetischer Musik für zärtliche Situationen, für Trauer-
und Abschiedsszenen. So wie Sarti bleibt ein großer Teil der neueren
1 A. de Eisner-Eisenhof: »Giuseppe Weigl« (Riv. mus. XI, 3 ff.).
2 G. P. L. Sievers: »Mozart und Süßmayer«, Mainz 1829.
3 C. Thrane: »Sarti in Kopenhagen« (Sbd. d. IMG. III, S. 528 ff.);
P. Lindo: »Der Chevalier Sarti oder Musikalische Zustände Venedigs im
18. Jahrhundert«, Dresden 18ö8.
Die Glucksche Schule in Italien 245
Talente, Nasolini, Zingarelli bei der alten Anlage. Die Choroper
und die modifizierte Glucksche Form setzt sich erst durch mit den
Werken Simon Mayrs^ Dieser Simon Mayr, ein Deutscher aus
Mosdorf bei Regensburg, hat auf die Entwicklung der italienischen
Oper und von da aus der Oper aller Länder einen Einfluß gewonnen,
der weit über die Bedeutung seines Talentes hinausging. Er ist ein
verständiger, kluger Musiker, der bei Gluck gelernt hat gut und
ausdrucksvoll zu deklamieren. In Mozart taucht er tiefer hinab bis
zu Plagiaten. Das Largo seiner Einleitung zur Oper »Adelasia« z. B.
entnimmt er wörtlich der »Don-Juan« -Ouvertüre; als geborener
Eklektiker trifft er aber auch bei Gelegenheit, wie bei Sterbeszenen,
den weichen italienischen Ton vorzüglich. In der Form sind seine
Opern noch heute interessant, besonders durch das Geschick, mit
dem er die Kavatinen und die andern geschlossenen Sätze durch
Rezitativ, durch plötzliche Handlung unterbricht. Für die Freunde
der alten Oper hat er die Seccorezitative und den Kastratengesang,
der sich durch Mayrs Opern noch bis an die vierziger Jahre in
Italien behauptet. Aber mit einer unwiderstehlichen Gewalt packt
er alle Parteien beim sinnlichen Element. So viel Neues hat kein
zweiter den Italienern am Ausgang des 18. Jahrhunderts geboten.
Alles, was in der deutschen Musik reif geworden ist, und was sich
eben entwickeln will, das bringt Mayr den Italienern in seinen Opern
in wohlberechneten, wirksamen Dosen: den Liedertafelchor, die neue
selbständige Orchestermusik vor allem. Da kommen Sätze im kirch-
lichen Stil, dann wieder Episoden mit Konzert zwischen Trompeten
und Hörn, mit englischem Hörn und andern noch nie gehörten In-
strumenten. Da nehmen Mittelstimmen und Bässe des Akkompagne-
ments die Aufmerksamkeit in Anspruch, er entwickelt äußerst kapriziös
kleine eingängliche Gedanken mit frappanten Intervallen und Mo-
dulationen, unterbricht und kontrastiert fortwährend, zuweilen mit
wirklich poetischem Sinn. Kurz, es ist eine Musik, die das Ohr
mit modernen Effekten überschüttet, und damit erreicht Mayr, was
weder Gluck noch Mozart gelungen ist, er macht die Italiener willig
für einen neuen Stil. Von seiner » Ginevra di Sozzia* ab, die 1801
in Triest zuerst aufgeführt wird, ist er der erste Meister auf den
italienischen Bühnen. Eine neue Oper von Mayr macht das ganze
Land mobil. Auch in Deutschland wird er mit Spannung verfolgt,
die Belege finden sich in Goethes Briefwechsel mit Zelter. Er findet
bei uns auch Mitarbeiter in Peter Winter, dem Komponisten des
»Unterbrochenen Opferfestes«, der »Calypso«, ebensowenig wie Mayr
ein Genie, aber der Repiäsentant einer Tüchtigkeit und eines Zunft-
durchschnitts, von dem aus die Meister den Gipfel näher hatten.
1 H. Kretzschmar: >DiemusikgeschichtlicheBedeutung von S. Mayr«,
Jahrbuch Peters 1904; L. Schiedermair: »S. Mayr, Beiträge z. Geschichte
der Oper, I u. 11«, Leipzig 1907 und 1910.
246 Die Schule Glucks
Und ein solcher Meister war Spontini, der Komponist der »Vestalin«.
Leider ging aber die weitere Entwicklung der ernsten Oper nicht
in der Richtung der »Vestalin« vor sich, sondern sie wurde von
den Schülern Mayrs mit aller Wucht auf die Anwendung der neuen,
äußerlichen musikalischen Mittel und Effekte hingeleitet. In den
Werken des Lehrers waren die Blasinstrumente so eindrucksvoll
hervorgetreten, die Schüler gründeten darauf ein System. Fast scheint
es, als sollten die Posaunen die Träger des Orchesterklanges werden;
es lärmt in diesen Opern der Mayrschen Schule mörderisch; Klari-
netten, Fagotten kommen immer in Quartettweise, jede Oper führt
neue Listrumente ein, zu dem Orchester, das die Sänger begleitet,
wird ein zweites, am liebsten ein Militärmusikchor, oben auf die
Bühne gestellt. Dem Trachten nach reichen, neuen Klängen weicht
jede andere, höhere dramatische Absicht, und die besten Talente
verderben daran. Ein solches von Natur höher angelegtes Talent
ist Mercadante, der Führer der Mayrschen Schule, ein Musiker
von vielseitiger Bildung, auch an Mozart und andern deutschen Meistern
geschult, von seinen Landsleuten als der italienische Beethoven ge-
feiert. Seine Hauptwerke sind »Elisa e Claudio^, »TZ Bravo«, *Il
giuramento^. Die beiden letzteren gehören auch dichterisch zu einer
neuen Richtung, die die Antike aufgibt und sich Ideen der Zeit zu-
wendet. Romantische Probleme sind es, die diese italienische Oper
aufsucht, den Edelmut in den Klassen der Verworfenen; Menschen,
die, um die Kränkung eines Vaters zu rächen, unter Mörder und
Räuber gehen, sind die Helden. Die Größe der poetischen Ver-
irrung merkte man nicht, weil Dichter vom Geiste Victor Hugos
der Geschmacklosigkeit ein Quantum Tiefsinn hinzufügten, das die
Verwandtschaft dieser Dramen mit Spieß und Gramer verdeckte. Die
Richtung hat sich bei den Italienern lange genug gehalten, noch
Verdis »Troubadour« gehört ihr an, bei uns Deutschen eine Anzahl
Marschnerscher und Lindpaintnerscher Opern, von französischen Werken
»Robert der Teufel«. Die Musiker schwelgten in diesem Taumel
von Empfindsamkeit und Roheit, er lockte durch Kontraste, setzte
scheinbar das Talent im ganzen Umfang in Bewegung, die feinsten
und die stärksten Kräfte. Die Mehrzahl der italienischen Komponisten
trat auf die Seite Mercadantes; Generali, Pacini, Vaccai; auch Rossini
mit vielen seiner früheren Opern. Der Stil der Mayrschen Schule
drang über die Oper hinaus, in der Sinfonie ward Berlioz ein Opfer.
Er bemächtigte sich vor allem auch der französischen Oper. Spontini
geriet mit seinem »Ferdinand Cortez« , mit seiner »Olympia«
unter den Einfluß dieser neuitalienischen Lärmoper. Glucks Geist
war aus dem Musikdrama, aus der Choroper, die er wieder in ihre
Rechte eingesetzt, vollständig gewichen. Die Ausläufer seiner Schule
waren bei der Karikatur angelangt. In diesem Augenblick wird
Deutschland entscheidend. Zum ersten Male hält es eine unselige
Entwicklung auf durch Karl Maria von Weber.
Die moderne Oper bis zu Wagner
Mit der Mayrschen Schule sind wir am Ende der Renaissance-
oper angelangt. Die Glucksche Reform hatte einen letzten, kurzen
Aufschwung gebracht. Jetzt stirbt die Griechen- und Römeroper
rasch ab. Nur noch einige Nachzügler, in Deutschland z. B. eine
»Dido« von Bernhard Klein, eine zweite von Reissiger; dann
ein letzter Versuch der Wiederbelebung in Mendelssohns »Antigone«
und »Ödipus«, vorher noch ein halber Erfolg in Spontinis »Olympia«.
Diese »Olympia« ist ein Meisterwerk im dramatischen Aufbau der
Szenen nach französischem Muster, im Ineinanderschieben und Kon-
trastieren, auch neue Töne hat sie für den Ausdruck der schau-
ernden Seele z. B. Aber der Geist der Oper ist brüchig, die Effekt-
sucht der Mayrschen Schule hat ihn berührt, wo sie nicht mit
Massenwirkungen arbeitet, läßt diese »Olympia« kalt; ihre Arien
sind trivial, matt, die Erfindung klebt mit Marschrhythmen, ver-
minderten Septakkorden an der Schablone; an die Stelle der In-
spiration ist die Manier getreten. So war denn die Renaissance
im Musikdrama, also an der Stelle, von der sie am stärksten das
moderne Leben beherrschen und veredeln sollte, tot, von der Bühne
verwiesen, an den Anfang vom Ende angekommen. Nur mühsam
brennt heute noch das letzte Flämmchen in den Gelehrtenschulen,
und nur das hier genährte antiquarische Interesse und antiquarische
Spekulation haben in unserer Zeit ab und zu noch Musiker dazu
verleitet, antikes Leben in Konzertoratorien wieder zu galvanisieren.
Indes dachte bei dem Absterben der Renaissance niemand daran
das Musikdrama zu beseitigen. Frisch erfunden hätte es das 19. Jahr-
hundert nicht; aber es war ihm unentbehrlich und darum längst
einem ganz veränderten Geistesleben angepaßt worden. Doch war
die Erbschaftsregulierimg nicht so einfach. Zwei Hauptrichtungen
kamen für die Nachfolge in Frage : die historische und die roman-
tische Oper. Beide waren illegitimen Ursprungs, waren Kinder der
alten opera huffa.
248 Die moderne Oper bis zu Wagner
Die ersten Ansätze zur historischen Oper finden sich schon in
der venezianischen Schule, auch mitten unter den antiken Dich-
tungen der Zeno und Metastasio, in »Wenceslav« , in »Arminio«
und anderen Bastards vor, die der Geschichte, ja sogar der neueren,
angehören. Doch sind das Ausnahmen. Das Interesse für die Be-
gebenheiten aus der Nähe wächst erst von dem Augenblick ab, wo
die Neapolitaner für ihre Musikpossen sich Figuren aus dem Orient
holen. Da entsteht auch in dem seriösen Musikdrama eine Gruppe
von Türkenopern; Hasses »Soliman«, Händeis »Bajazet« sind Haupt-
stücke daraus. Viel üppiger gedeiht diese Türkenoper, diese Oper
des Orients, in der opera huffa und in der opera coniique der Fran-
zosen, durch Kadis, Kalifen, Muftis und Chinesen von den Werken
Gretrys ab bis zu Boieldieu reich vertreten. Hier verquickt sie
sich sehr schnell mit den romantischen Neigungen der Zeit und
wird von ihnen bald ganz überwuchert. Am Ende des 18. Jahr-
hunderts pflegt nur die opera huffa der Italiener noch bürgerliche
Dichtung und Posse, die opera comique der Franzosen, das Sing-
spiel der Deutschen, tritt immer ausschließlicher in den Dienst der
Zauberpoesie. Das hat einen starken musikalischen Grund mit,
die Erfindung des Melodrams. ^ Wir verstehen unter Melodram
eine Verbindung von Instrumentalmusik und gesprochenem Wort.
Bei dieser Verbindung hat aber die Musik den Hauptteil, sie malt,
was in der Seele der Handelnden und was auf der äußeren Szene
vorgeht, in der Regel aber nicht mit langen, ausgeführten Sätzen,
sondern mit kurzen, schlagenden Glossen. Diese Kunst der an-
schaulichen, eindringlichen Geberdensprache hatte die Instrumental-
musik in der italienischen Oper, in den begleiteten Rezitativen
erworben. So ist das Melodram eine Weiterbildung des recitativo
accompagnatOj eine Anwendung seines Prinzips im Großen. Rousseau,
der es erfunden hat, dachte sich das Melodram als einen Ersatz
des recitativo accompagnato , eines ganz spezifischen Stückes italie-
nischer Kunst, für die Franzosen. »Überhaupt — sagt er 2 — da
die französische Sprache, da sie aller Akzente bar ist, sich durch-
aus nicht für die Musik und vornehmlich nicht für das Rezitativ
eignet, so ersann ich eine Gattung von Drama, in dem der Text
und die Musik, anstatt zusammenzugehen, sich nacheinander ver-
nehmen lassen und worin die gesprochene Phrase durch die musi-
kalische Phrase auf eine gewisse Art angezeigt und vorbereitet
wird.« Rousseaus »Pygmalion« ist das erste Werk der Klasse,
nach Jansen war es schon im Jahre 1762 fertig. Rousseau hat
aber nur den Text veröff'entlicht mit Angaben darüber, was die
Musik an den einzelnen Stellen auszudrücken habe und wie lange
sie dauern soll. Ob er es selbst auch, ganz oder teilweise, kom-
1 Ed. Istel: »Studien zur Greschichte des Melodramasc, Leipzig 1901.
2 6. Band der Gesamtwerke S. 226.
Melodram in Singspiel und opera comique 249
poniert hat, ist streitig. Aber verschiedene andere Komponisten
haben zu diesem »Pygmalion« und nach Rousseaus Vorschriften
eine Musik geschrieben, 1772 Franz Asplmayr in Wien. Die bedeu-
tendste Komposition ist die von Georg Benda, ausgezeichnet durch
den ganz modernen Ton ihrer Ouvertüre. Dem »Pygmalion« ließ
Benda eine »Ariadne auf Naxos«, eine »Medea« folgen. Neefe kam
mit einer »Sofonisbe«, Gotthilf von Baumgarten mit einer »Andro-
meda«, auch Scheibe mit einer »Ariadne«. Schnell war das Melo-
dram beliebt. Große Schauspieler, wie Iffland, gefielen sich darin
um so mehr, als sie die Szene allein beherrschten, denn in der Regel
waren diese Stücke nur Monodramen, höchstens eine zweite Person
kam dazu, wie im »Pygmalion«. Mit solchen Monodramen und Duo-
dramen ließ sich schön reisen. Unter andern waren der Schau-
spieler Brandes und noch die bekannte Händel-Schütz viel bewun-
derte Spezialisten des Melodrams. Wieland, Herder, Goethe — in
seiner späteren Zeit — waren Anhänger der Gattung, nur Schiller sah
in ihr etwas Fratzenhaftes. Von Musikern war ihm Mozart zugetan;
er hat es bekanntlich auch in der Musik zum »König Thamos« im
Bendaschen Stil angewendet. Bis gegen 1820 hielt es sich in Deutsch-
land. Eine größere Bedeutung wie als selbständige Kunst hat das
Melodrama durch die Verbindung mit der Oper erhalten. Der erste,
der diese Verbindung versucht hat, ist Neefe in der »Adelheid
von Veitheim« 1781. Diese »Adelheid« ist ein Türkenstück, auf
einer ganz ähnlichen Fabel aufgebaut wie Mozarts »Entführung«.
Am Anfang des zweiten Aktes, in der Szene, wo Karl, der Geliebte,
als Türke verkleidet eintritt, um Adelheid zur Flucht abzuholen,
da setzt Neefe mit dem Melodram ein, und von da ab hat das
Melodram im Singspiel der Deutschen und in der französischen
opera comique jahrzehntelang seinen festen Platz. Überall, wo es
unheimlich und schauerlich wird, wo Geistermacht zu spüren ist,
dunkle Ahnungen mächtig walten, wo es sich entscheidet, ob Leben
oder Tod, an den Wendepunkten zwischen Gut und Bösem — da
setzt das Melodram ein. Es gibt auch freundliche Melodramen, bei
Traumerscheinungen; bei Cherub ini kommt einmal eins in einer
Szene vor, wo Äpfel an Kinder verteilt werden; aber das sind Aus-
nahmen. Das Melodram ist die Musik für die Momente des Schau-
derns und Entsetzens, es wurde eine poetische Macht für die Oper
am Ausgang des 18. Jahrhunderts, ähnlich, aber stärker, wie es für
die Venezianer des 17. Jahrhunderts die Geister- und Schattenszenen
mit den langen, mystischen Violinenklängen gewesen waren. Es
behauptete sich nicht bloß, es wuchs vielmehr an Bedeutung, als
sich die komische Oper der JFranzosen mit der Revolutionszeit einer
realeren Richtung zuwendete.
Wie der Name Favart beweist, hatte die opera comique zu den
politischen und gesellschaftlichen Zuständen Frankreichs von jeher
engere Fühlung genommen, und in diesem Verhältnis lag ein Teil
250 Die moderne Oper bis zu Wagner
der Kraft, die sie über die Gemüter gewann. Sie hielt mit der
nachfolgenden Bewegung nicht bloß Schritt, sie spiegelt ihre ein-
zelnen Wendungen wieder, sie wirft zuweilen den Zündstoff in die
Parteien. So gewann z. B. Gretrys »Richard Löwenherz« eine über
Musik und Kunst weit hinausgehende Bedeutung. An dieser Oper
belebten sich zum letzten Male die Hoffnungen der Königstreuen.
Vom Jahre 1793 ab — kann man sagen — bestimmt der
Gang der politischen Dinge vollständig den Charakter der alten
französischen opera comique. Das sind ernste, düstere Dramen in
der Dichtung, die Musik wird mehr und mehr auf den tiefen,
schweren Ton Glucks gestimmt. Den Übergang von der leichten,
anmutigen, sinnigen Beweglichkeit der Duni und Philidor bildet
Mehul mit »Euphrosine«, mit ^Phrosine et Melidore«^ mit * Helene«,
den vollendeten Umschwung bezeichnet Lesueur mit seiner »Ca-
verne«. Diese »Gaverne<^, deren Handlung mit Schillers »Räubern«
große Ähnlichkeit aufweist, ist vielleicht dasjenige Kunstwerk, das
uns den tiefsten Blick auf Geist und Herz der Schreckenszeit ge-
stattet. Es gibt keine zweite Oper mit solcher dumpfängstlichen
Stimmung, solcher fieberhaften Erregung und solcher wilden Ener-
gie. Da äußert sich alles originell und groß, viel zu ungewöhnlich
und neu in Formen und Mitteln. Das mag der Grund sein, warum
Lesueur weder in seiner Zeit noch in der Geschichte die Anerken-
nung gefunden hat, die er wegen dieses "Werkes und wegen seiner
»Barden« verdient. In Deutschland ist die ^Caverne* als »Die
Höhle bei Kairo« und als »Die Räuberhöhle« in Wien, Berlin und
in kleineren Orten noch um 1812 aufgeführt worden. Da verstand
man ihren Zusammenhang mit der Revolutionszeit nicht mehr, fand
sie tumultuarisch. Aber auch in Frankreich war die Wirkung nicht
nachhaltig. Einmal nicht, weil Lesueur selbst mit seinem ^Paul
et Virginie« die Richtung wieder verließ, zum andern, weil sich
menschenfreundlichere Vertreter fanden. Ihre Spitzen sind Nicolas
D'Alayrac und Luigi Cherubini.
Der Name D'Alayrac ist der heutigen Zeit fremd geworden, am
Anfang des 19. Jahrhunderts war er viel bekannter als der Mozarts.
Auch in Deutschland waren seine Werke überall eingebürgert und
einzelne von ihnen so beliebt wie dreißig Jahre vorher die Hiller-
scben Singspiele. Jedermann kannte seine »Les deux Savoyards*,
seinen »Giulistan«. Seine Hauptwerke sind aber ^Lehemann ou la
tour de Neustadt« und sein -»Raoiil de Crequi«. Das sind Opern,
die zur Schreckenszeit gehören, Dramen über das Problem mensch-
liche Grausamkeit und Gotteshilfe. Zum Tod verurteilte Gefangene
werden gerettet. Was D'Alayrac von Lesueur unterscheidet, das
ist, daß er außer düsteren Farben doch auch helle einzufügen weiß,
daß er die Zuhörer nicht ganz und gar aus ihrem gewöhnlichen
Dasein heraus, nicht bloß in ein Leben voller Schrecken und Ent-
setzen wirft. Den Bildern der Greuel, der Todesangst, der Nieder-
Revolutions- und Schreckensoper 251
tracht und List stehen in seinen Opern Szenen der bürgerlichen
Ruhe, des Familienglücks, der Freundschaft und Aufopferung, des
Heldensinns gegenüber; sie sind frei von der persönlichen Einseitig-
keit Lesueurs. Die Musik ist geistreich mit einfachen Mitteln, na-
mentlich im Unheimlichen spannend, lebendig, poetisch und vor
allem national. D'Alayrac ist neben Boieldieu der vorzüglichste
Vertreter der Romanze in der französischen Oper.
Die Opern Cherubinis, die ins Gebiet der Revolutions- und
Schreckensoper gehören, sind: > Elisa ou le voyage aux glaciers du
Moni Bernard«, »Les deux journees« (»Der Wasserträger«) und
»Faniska<s.. Auch die ^ Elisa« ist ein Rettungsstück. Die Gefahr
droht aber diesmal nicht von Menschen und politischen Gewalt-
habern, sondern von der wilden Natur. Die Oper spielt im und
am Hospiz des großen St. Bernhard. Gesänge der Brüder, die den
schönen Tag begrüßen, eröffnen sie und klingen später in dem
Augenblick wieder, wo Elisa und Laura im wilden Gebirge verirrt,
den Tod erwarten. Eigen: Cherubini auf einem Gebiet kennen zu
lernen, wo er die musikalischen Inspirationen aus der Erhabenheit,
der Reinheit und Naivität der Alpennatur holt.
Die -»Faniska« ist unter Cherubinis Beiträgen zur Schreckens-
oper der bedeutendste, seine originellste, gewaltigste Leistung. Von
hier aus hat er am stärksten auf Beethoven und auf Weber einge-
wirkt, die Gestalten der Leonore und des Lysiart ihnen vorgebildet.
Leider ist der Text auch dieser Oper sehr schwach. Zamowsky
gehört unter die Bösewichter mit schönen Seelen, die im * Bravo«
und im ^ Gmra7nento «■ Mercadantes, im »Vampyr« Marschners und
in andern Bravourstücken unserer romantischen Oper die Helden
vertreten. » Faniska« ist zugleich das Endstück der Gattung. Zwei
Jahrzehnte lang beherrscht sie die französische Oper dermaßen, daß
daneben nur einzelne Produkte der Empfindsamkeit und Rührung,
die im Seelenleben der Zeit ja motiviert waren, zum Vorschein
kommen, ohne sich zu behaupten. In diese Klasse gehört ein
»Romeo et JuHette« von dem Pianisten Steibelt — eine böse Ver-
wässerung Shakespeares mit einer sehr gewöhnlichen, gefallsüchtigen
Musik, die aber deshalb Beachtung verdient, weil sie zeigt, daß
Gluck mit der Verdrängung des recitativo secco auf den Sinn für
Deklamation verwüstend gewirkt hat. Diese entsetzliche Stilver-
mischung zwischen Dialog und geschlossener Form, die Schumanns
Oper und seinen Oratorien zum Verderb geworden ist, die die Ope-
retten von Johann Strauß so gefährlich und unerträglich macht —
sie beginnt mit Steibelt. Er ist einer der ersten, der seine Ge-
schmacklosigkeit und seine Unfähigkeit, Erzählung und Rede sinn-
gemäß zu scheiden, hinter Melodien verbirgt.
Die Schreckensoper hat über Frankreich hinaus gewirkt. Die
Mayrsche Schule in Italien lehnt an sie mit den Texten, auch mit
einem Teil der musikalischen Effekte an. In Deutschland hat sie
252 Die moderne Oper bis zu Wagner
ein Meisterwerk hervorgerufen: Beethovens »Fidelio«, und durch
diesen »Fidelio« lebt sie allein noch in der Gegenwart. Nur we-
nige von den Bewunderern dieses Werkes wissen etwas von der
Gattung, zu dem es gehört. Im besonderen musikalischen Stil steht
es den Werken Cherubinis am nächsten. Es gehört mit zu Beet-
hovens Wesen, daß ein Text wie der des »Fidelio« ihn anzog.
Auch für Goethe waren »Fidelio« und »Wasserträger« das Ideal der
Operndichtung. Beethoven aber, so viel er auch suchte und wieder
plante, hat nur den einen »Fidelio« komponiert. Grillparzers »Melu-
sine« und was ihm sonst noch von romantischen Texten unterbreitet
wurde, nichts fesselt dauernd und ernstlich den großen Rationalisten.
Beethovens Stellung zur Oper, seine Bemerkungen über »Figaro«
und andere Opern seiner Zeit kennen zu lernen, ist wichtig für die
volle Kenntnis seiner geistigen Persönlichkeit; über seine Stellung
in der Oper muß man unterrichtet sein, um das Schicksal des
»Fidelio« zu verstehen. Scheinbar hat auch hier wieder die Mit-
welt ein Unrecht begangen. »Fidelio« ist bekanntlich im Jahre
1805 zuerst in Wien aufgeführt worden; aber erst später verbreitet
er sich: Kassel 1814^ Berlin 1815, Hamburg 1816, Königsberg 1819,
München 1821, Dresden 1823, Hannover 1824, Mannheim 1827,
Darmstadt 1830, Würzburg 1831, Koburg 1832, Nürnberg 1832,
Lübeck 1835. Noch mehr verwundert es uns zu hören, daß er
meistens nicht eben gefällt und sich nicht im Repertoire hält. Doch
erklärt sich das alles einfach. Beethoven zog nach der ersten Wiener
Aufführung den »Fidelio« zurück und arbeitete ihn um. In der
neuen Gestalt erschien er aber erst 1814 wieder und nun allerdings
als Fremdling, als Vertreter einer Richtung, die von der Zeit nicht
mehr verstanden wurde. Auch D'Alayracs und Cherubinis Opern
lebten jetzt für die Bühne nicht mehr, die ganze Gattung der Revo-
lutions- und Schreckensoper war bereits wieder vergessen. Sie war
nur eine Episode in der Entwicklung der romantischen Oper, aber
ein durch Ernst, Kraft und Natürlichkeit bedeutender Abschnitt, das
wichtigste und gehaltvollste Stück, das die Franzosen zur Geschichte
der Oper beigetragen haben.
Um die Zeit des Wiener Kongresses, dieselbe Zeit also, wo
Beethoven seinen »Fidelio« in umgeänderter Gestalt vorlegte, tritt
in der Oper aller Länder eine Wendung ein, die der romantischen,
die überhaupt jeder ernsteren Richtung ungünstig ist. »Die Völker
waren nach den Erschütterungen der Revolutionszeit und der Na-
poleonischen Kriege müde geworden. Niedergedrückt von den
Greueln, die man erlebt, vertraut geworden mit allem Elend, suchte
man nun Erheiterung in den gröblichst erfrischenden Kunstlüsten.
Das Theater ward zum Guckkasten, in dem man gemächlich eine
Szenenreihe vor sich abspielen ließ, zufrieden durch Spaße oder
Melodien gekitzelt, oder durch Gewaltstreiche jeglicher Art ge-
blendet. Nur das Frappante tat noch Wirkung.« Das sind Worte
Aufschwung der K.omischen Oper 253
K. M. V. Webers. Die nächsten Jahre nach der Schlacht von Waterloo
sind in Italiens ernster Oper die Glanzzeit der Mayrschen Schule,
in Deutschland hat sie in Peter Winter mit seinem »Unterbrochenen
Opferfest« einen talentvollen Parteigänger, neben dem sich nur noch
die bürgerliche Idyllenoper in Weigls »Schweizerfamilie« behauptet.
In Frankreich hört jahrelang die große Oper vollständig auf oder
sie fristet sich durch Wiederholung alter Werke weiter. Eine Folge
der Unbestimmtheit des Weges ist der Mangel an Talenten!
Dagegen erlebt in dieser Zeit die komische Oper in allen Län-
dern wieder einen Aufschwung, der die Erfolge des 18. Jahrhunderts
noch übersteigt. Der gefeiertste Komponist auf italienischen und
deutschen Bühnen wird Joachim Rossini. ^ Es genügt durchaus
nicht, diese Tatsache ironisch zu behandeln und auf Rechnung einer
verlodderten Zeit zu setzen, wie es z. B. W. Riehl (im 2. Bande
seiner »Musikalischen Charakterköpfe«) tut. Rossini war mehr als
ein Spekulant auf schlechte Instinkte, ein Künstler von einem
Bildungsdrang, der bis zu Beethoven ging, wie seine Oper »Elisa-
beth« beweist. Das ist für einen Italiener vom Jahre 1815 nicht
gewöhnlich. Ja, er hat sich in seinen alten Tagen, als er von der
Öffentlichkeit längst zurückgetreten war, noch mit Bach beschäftigt
und sein Beitritt zu der Bachgesellschaft hätte manchen unserer deut-
schen hochgestellten Musiker, die für eine Gesamtausgabe der Werke
Bachs kein Verständnis hatten, beschämen können. Aber Rossini
war vor allem ein Komponist, der für die komische Oper eine ele-
mentare Begabung mitbrachte. Der Witz und die Lebendigkeit der
alten opera huffa ist bei Rossini durch einen Zug des Spottes und
der komischen Übertreibung gesteigert, der den Boden vorbereitet
hat, auf dem Heinrich Heines Erfolge wuchsen. Sein Humor und
seine gute Laune unterscheiden sich von der der Piccinni und
Paisiello durch die Vorliebe für possenhafte Elemente, durch einen
Zusatz von modernen Pessimismus. Er schildert mit derselben
Virtuosität wie seine Vorgänger, aber es wird ihm schwer, sich
ehrlich wie sie mitzufreuen. Sagen einmal die Sänger ein paar
ruhige Worte, so fährt gleich das Orchester mit einem tollen Ge-
lächter darein. Gemüt und Herz sind bei ihm schwach entwickelt,
er besitzt Gaben für den Ausdruck dunkler Leidenschaften, sogar
fürs Tragische, und wer sich davon an einem Stücke überzeugen
will, mag den dritten Akt des »Othello« aufschlagen. Aber er ist
arm im Innigen und kann nicht fröhlich sein, ohne einige Bock-
sprünge zu machen. Seine Kunst gleicht einem Staat, in dem der
Mittelstand fehlt und wo der Plebejer mit Übergriffen droht! Das
zeigt noch die »Teil «-Ouvertüre. Da setzt ein sinniger, ein großer
Poet ein; Dieser Kuhreigen, der Sturm, wie schön das alles, wie
neu in den Klängen der vier Cellos! Nun aber, wo wir einen
1 Alfred Tectoni: >a, Rossini«, Bologna 1909.
254 Die moderne Oper bis zu Wagner
Schluß erwarten, eine Jubelhymne im Stil der Beethovenschen
»Egmont «-Ouvertüre — da kommt diese impertinente Gaminmusik.
Das ist das Bild von Rossinis Künstlerperson! Ein Talent, das viel
Frische und Freude, aber auch sehr viel Verwirrung gebracht hat!
Riehl setzt Rossini unter die Romantiker. Darauf hat er nur
mit einigen Werken, wie »Donna del lago^^ wie »Mathilde di Sabran«
Anspruch. Man könnte ihn auf Grund seiner »Armide«, seiner
»Semiramis«, seines »Moses« ebensogut für die Glucksche Schule
beanspruchen. Fetis und nach Fetis Gumprecht schreiben ihm eine
Menge Verdienste um die Weiterentwicklung der Form in der Oper
zu. Er soll das Seccorezitativ beseitigt, eine beweglichere und
reichere Harmonie eingeführt haben. Das sind aber Neuerungen,
die entweder auf Gluck oder auf die Mayrsche Schule zurückgehen.
An Mayr knüpft seine Entwicklung tatsächlich an. Durch Rossini
lernten die Deutschen zuerst das Piccolo und die große Trommel,
die Banda der Mercadante und Pacini, den Pomp, das Gift und die
Gemeinheit des neuitalienischen Orchesters kennen. Die grobsinn-
lichen und raffinierten Eft'ekte, die der Gegenwart an Meyerbeers
Instrumentierung geläufig sind, finden sieh lange vorher beim Rossini
des »Tancred« und des »Grafen Ory«. Von der Mayrschen Schule
nahm Rossini auch die frommen und feierlichen a cappeUa-S3itze^ er
nahm von hier vor allem das Prinzip, den Stil auf sinnliche Effekte
zu stellen, er kopierte von Mayr das Konzert in der Oper, er brachte
es aber in der Form des Vokalkonzerts. Was für Mayr und seine
Schüler der Bläserklang, das ist für Rossini die virtuose Gesang-
technik. Das ganz unsinnige Koloraturfieber, das die Unwissenheit
unter die Kennzeichen der italienischen Schule, der alten insbe-
sondere, rechnet, ist eine Erfindung Rossinis. Die schönsten unter
seinen älteren Opern, wie »Die Italienerin in Algier« oder »Der
Türke in Italien«, sind noch ziemlich frei davon; aber von der
^Cenerentola« ab bringen die Werke Rossinis eine förmliche Kanarien-
zucht auf die Bühne. Ohne alle Rücksicht auf Charakter, von
Situation und Text sehwirren, trillern, fliegen und laufen in diesen
Melodien die Töne. Spaß, Staunen, Ohrvergnügen sind die Ziele
dieses Vokalstils, Form und Geist des Wortes werden mißhandelt.
Rossini wird zum gefährlichen Verderber des musikalischen Ge-
schmacks, eine wahre Verheerung des dramatischen Sinnes in der
Oper ist die geschichtliche Hauptspur seines Wirkens. Nach Rossinis
Beispiel wird der Ausdruck bedeutender Situationen und Empfin-
dungen für die Bühnenmusik Nebensache, der Leierkastenmann die
entscheidende Instanz. Bis heute ist der Schaden, den Rossini bei
Komponisten und beim Publikum angerichtet, noch nicht wieder
ausgeglichen.
Die Hauptzeit der Rossinischen Herrschaft ist das Jahrzehnt
von 1815 bis 1825. In Italien und in Deutschland ist da niemand,
der ihm die Wage irgendwie halten könnte, und alle Komponisten
K. M. von "Webers »Freischütz« 255
der beiden Länder zusammen bringen es nicht auf die Hälfte der
Aufführungen, die auf Rossinis Werke fallen. Aber diese üossini-
sche Zeit ist trotzdem der letzte Akt, das Ende oder das Nachspiel
der italienischen Vorherrschaft im Musikdrama. 1826 löst München
seine italienische Oper auf, 1828 Wien, 1832 verlassen die Italiener
auch ihren letzten Posten, Dresden. Schon 1818 schreibt Weber
von da an Lichtenstein: »Unsere italienische Oper siecht an Alters-
schwäche.« Kassel war schon 1785, Berlin 1806 verloren worden.
Wenn bei uns der Götzendienst um die Werke Rossinis schneller
aufhörte, als das zu erwarten war, so gebührt das Verdienst unserm
Karl Maria von Weber. ^ Mit Webers »Freischütz« wird nicht
bloß Rossini, es wird die komische Oper auch in ihren franzö-
sischen Vertretern, Isouard, Boieldieu, bei uns zurückgedrängt. Die
romantische Richtung in der Oper, 2 die durch die Schreckensoper
auf einen Nebenpfad abgeschwenkt war, lenkt wieder in den Haupt-
weg ein und strebt nach dem frei gewordenen Platz der ehemaligen
Renaissancoper, sie macht Anstalt die Führung im Musikdrama
höheren Stils zu übernehmen. Mit dem »Freischütz« tut Deutsch-
land den entscheidenden Schritt in der Geschichte der Oper; es
beginnt eine Bewegung, die mit Richard Wagner und mit der Vor-
herrschaft deutschen Geistes im internationalen Musikdrama endet.
Der Erfolg des »Freischütz« ist einer der größten, den die ge-
samte Theatergeschichte kennt. Keine vorhergehende Oper, auch
kein Schillersches Stück hat sich so schnell und so weit durch
Deutschland verbreitet, wie Webers »Freischütz«. In Berlin am
18. Juni 1821 zum ersten Male aufgeführt, war er nach drei
Jahren an keinem, auch nicht dem kleinsten der Orte mehr un-
bekannt, wo man sich überhaupt ans Singspiel traute. Er wirkte
als Erlösung auf die große Zahl unserer besten Geister, die an
Deutschlands Zukunft glaubten, er war ein Erfrischungstrunk für
alle politische Romantik, gleichviel in welcher Form, für die feurige
Jugend, die in der Burschenschaft sich auf Kämpfen und Leiden
vorbereitete ebensowohl wie für die Männer, die in Werken von
Kunst und Wissenschaft die deutsche Vergangenheit wiederbelebten,
um die Gegenwart zu ermutigen und zu kräftigen. Deutsches
Wald- und Jägerleben, fröhliches Volk an der Dorfschenke, Preis-
schießen, Tanz unten der Linde, Fiedel- und Klarinettenklang, die
Abendglocken — als Mittelpunkt dieser traulichen Heimatsbilder
eine jener Sagen, in denen der alte Kampf zwischen Kirche und
Heidentum volkstümlich-dramatisch gefaßt ist. Der Kugelsegen, die
Ahnungen, die Geistererscheinungen, die verwunschene Schlucht,
1 Max Maria von Weber: »Karl Maria von Weber«, 3 Bde., Berlin
1864-66 (1. Auflage).
2 M. Ehrenstein: »Die Operndichtung der deutschen Romantik«
Breslau 1918.
256 ^i® moderne Oper bis zu Wagner
der grausige Spuk um Mitternacht, die Jungfrau im frommen Gebet,
der ehrwürdige Eremit, der Fürst, vor dessen Gerechtigkeit sich
alles beugt — da haben wir das äußere und innere Deutschland
der Weberschen Zeit in einem vollständigen, ganz lebensgetreuen
Abriß! Das traf alles auf offene Herzen, aber wie drang es durch
die Webersche Musik tief ein! Auch der »Freischütz« ist musi-
kalisch nichts als ein Singspiel, aber er bietet in dessen beschei-
denen Formen mehr, als das vorher jemals ein deutscher Tonsetzer
getan hat. Nach der romantischen Seite insbesondere ist er eine
Leistung, der die ganze vorhergegangene Oper, auch in den reichsten
französischen Werken, nichts an die Seite zu setzen hat. Weber
war ein geborenes Theatergenie. Das sieht man schon daraus, daß
seine dramatischen Arbeiten immer hoch über seinen gleichaltrigen
Instrumentalkompositionen stehen ; er hatte seine Musik hauptsäch-
lich beim Theater gelernt. Als er sein erstes Singspiel, den »Peter
Schmoll« schrieb, da war er, nach dem Autograph, noch unbeholfen
im Notenschreiben und ahmte hauptsächlich Franzosen und Italiener
nach. Das zeigt noch seine »Silvana«; selbst im »Freischütz« kann
man die Spuren von Rossinis Einfluß in Menge feststellen. Aber
schon als halbes Kind ist er musikalisch eigen. Wie merkwürdig
diese Behandlung der Fagotte in »Peter Schmoll«! In der »Silvana«
dann die düster glühenden Baßmelodien, die den Adelhardt be-
gleiten, die originelle Idee, dem stummen Mädchen in einem obli-
gaten Cello die Sprache zu geben! Eigen ist er, aber arm an
eigentlich deutschen Elementen, unser Lied tritt ganz zurück hinter
der französischen Romanze. Zum Nationalkomponisten haben ihn
erst die großen Zeiten, die Befreiungskriege, gemacht. Durch seine
Chöre zu Körners »Leier und Schwert« ward er der musikalische
Liebling aller Patrioten; die Entschiedenheit, mit der er in Dres-
den seine Rechte gegen die Italiener wahrte, steigerte noch die
Hoffnungen, die auf ihn als Vertreter deutscher Kunst gesetzt
waren. Aber niemand hatte das erwartet, was er nun im »Frei-
schütz« wirklich brachte. Schon die Ouvertüre zeigte den Kom-
ponisten als eine Originalkraft ersten Ranges. Gleich die Waldmusik
der Hörner in den ersten Zeilen war etwas Neues; neu war in
ihrem verwirrenden, aufregenden Eindruck die Teufels- und Schauer-
musik des Allegros. Wie merkwürdig klang da das Gebet der Klari-
nette hinein, ein Hilferuf und ein Bannspruch zugleich, wie einfach
und doch dämonisch diese verminderten Septakkorde mit den nach-
klopfenden Bässen — was für ein lebendiges und mächtiges Kolorit
in den Instrumenten! Alle Einzelheiten so packend und naturge-
waltig, das Ganze ungewohnt, scheinbar ungeordnet in der Form,
ein Potpourri — und doch ein vollendetes Bild des Dramas. Kein
Wunder, daß so viele die Programmouvertüre erst von Weber ab
datieren! Und so in der Oper weiter. Die Realistik dieses Viktoria-
chors, diese Imitationen mit dem naturgetreuen Durcheinander, dieses
K. M. von Webers > Freischütz« 257
Gelächter, das das flott bewegliche, in Natürlichkeit sich drehende
Lied Kilians beschließt, die Klarheit der Charaktere in dem ersten
Terzett — ein Treffer nach dem andern! Selbst wo die Musik zum
Anfang anlehnt, nimmt sie bald eine ungewohnte Wendung. So
ist es mit Maxens »Durch die Wälder, durch die Auen«. Diese
Szene spricht erst in Mehuls, in Rossinis Zunge; aber vom Er-
scheinen Samiels ab wird sie dramatisch meisterlich; die Verzweif-
lung hat vorher kein deutscher Komponist so heftig und mit solchem
dämonischen Farbenspiel wiedergegeben. Nun tritt Kaspar auf:
»Hier im ird'schen Jammertal«. Was hat da Weber für eine Flut
von Wildheit in die paar Zeilen gefaßt. Und nun Agathens *Wie
nahte mir der Schlummer« — das Musterstück einer modernen,
frei entwickelten Szene, die Form der natürliche Erguß der Seelen-
bewegung! Das Eigentümlichste kommt aber noch in der Wolfs-
schluchtsszene. Schon die Idee eines Duettes, in dem der eine singt,
der andere spricht! Samiel konnte aber gar nicht greller heraus-
gehoben werden als durch diesen Sprechton. Wie geistreich ist
diese Szene mit den früheren Vorgängen verbunden durch das
Samielmotiv mit den nachschlagenden Bässen, durch die Zeilen des
Trinkliedes, durch die Reminiszenz aus dem Lachchor. Dann das
Melodram beim Kugelguß — die verminderten Dreiklänge fürs
wilde Heer darin, die impertinenten Flötenpfiffe und alle die Blitze
einer musikalischen Originalphantasie! Wie weit bleiben gegen diesen
Reichtum die Seestürme und Donnerwetter der Franzosen zurück —
das war ein gewaltiger Schritt in die romantische Tiefe der Musik
hinein. — Manches im »Freischütz« ist gemacht, besonders im
Humor und in der Munterkeit des Ännchens. Es gefiel aber den
ersten Hörern, weil es an beliebte Muster erinnerte, und teilweise
hat Weber alte Traditionen des Singspiels höchst glücklich erneuert,
z. B. im Chor der »Brautjungfern«.
Der Kunstwert des »Freischütz« ist unabhängig von seinem natio-
nalen Element. So haben ihn denn die Franzosen schon im Jahre
1822 sich zu eigen gemacht, er kam da auf dem O de on- Theater
als »Eobi7i de Bois^ in einer Einrichtung von Castil-Blaze zur Auf-
führung. Berlioz hat uns darüber mancherlei erzählt, was auf die
Aufführung Licht wirft. »Bei der sechsten oder siebenten Vor-
stellung — berichtet B. — saß ein rotköpfiger Einfaltspinsel neben
uns im Parterre, der sich einfallen ließ, die ,Arie' der Agathe im
zweiten Akt auszupfeifen. Er behauptete, das sei , verrückte Musik'
und überhaupt sei an der ganzen Oper nichts mit Ausnahme vom
Walzer und Jägerchor. Daß dieser Kenner zur Tür hinausfliegen
mußte, versteht sich von selbst.« Im Jahre 1841 kam dann der
»Freischütz« als »Le Frey schütz^ auf die Große Oper mit Rezi-
tativen von Berlioz und eingelegten Tänzen. Über diese Aufführung
hat R. Wagner belustigt und empört zwei Aufsätze geschrieben, die
im ersten Band der »Gesammelten Schriften« aufgenommen sind.
Kl. Handb. der Musücgescb. VI. 17
258 -Die moderne Oper bis zu Wagner
Die Italiener haben den > Freischütz« zwar nirgends aufgeführt, aber
er ist doch ins Italienische übersetzt worden; in einer Ausgabe von
Schlesinger (in Berlin) heißt er »// Franco Arciero^^, in einer zweiten
bei Ricordi (in Mailand) »H B6rsagliere<^. Der ^> Freischütz« brauchte
keine nationalen Stützen, aber daß er in eine Zeit hochgehender
nationaler Bewegung, in die heiße Jugend unserer politischen Ro-
mantik fiel, hat auf sein Schicksal und auf seine Wirkungen doch
bedeutenden Einfluß gehabt. Der Sturm vaterländischen Stolzes,
den er entfesselte, richtete sich nicht bloß gegen Rossini und die
schlechten Früchte ausländischer Musik, sondern gegen den fremd-
ländischen Einfluß überhaupt. Der Komponist, der den ganzen Zorn
der Weberschen, der deutschen Partei auf sich lud, war unglück-
licherweise Spontini. Nun war Spontini allerdings seit dem »Fer-
dinand Cortez« in seinem Streben nach Massenwirkung äußerlicher,
in seiner Erfindung einseitig militärisch und darum ein besonderer
Liebling der Wachtparaden geworden. Aber es war doch immer
ein Künstler von ernster Richtung, ein Bundesgenosse gegen die
Frivolität Rossinis. Es müssen da ganz persönliche, noch nicht
aufgeklärte Ursachen mitgewirkt haben, um aus dem Unterschied
im Wesen der Weberschen Oper und der Spontinischen bis zu
großen, volksgeschichtlichen Gegensätzen zu treiben. Spontini, der,
wie er seit dem »Milton« allem, was an opera comique und opera
buffa erinnerte, ausgewichen war, auch dem deutschen Singspiel
verständnislos, grundsätzlich abgeneigt gegenüberstand, war in seinen
Urteilen hart, rücksichtslos, Weber außerordentlich reizbar und emp-
findlich. Grund hatte er dazu, das lehren uns die Hauptmannschen
Briefe an Hauser. Mit Staunen überzeugt man sich da, daß die
musikalischen Zünftler Weber als einen Dilettanten behandelten,
gerade so, wie sie es eine Generation später wieder mit Wagner
taten. Auch Spohr will in seiner Selbstbiographie nicht viel vom
»Freischütz« wissen, am allerwenigsten von dem, was daraus ins
Volk gedrungen. >Wenn solche Melodien den Ruhm eines Werkes
trügen, dann — sagt er — müßten Wenzel Müller und Kauer die
begabtesten und glücklichsten Komponisten sein.« Weber konnten
die Erfolge seines »Freischütz« über solche Kränkungen trösten.
Als das Werk in Nürnberg zuerst (19. August 1822) gegeben wurde
— äußerte es keine Zugkraft. Als aber »Jungfernkranz« und
»Jägerchor« auf den Gassen zu hören waren, füllte sich das The-
ater, und in der zweiten Woche gab man den »Freischütz« sechs
Tage hintereinander. Von 20 Stunden weiten Orten eilten die
Fremden herbei. Es gab »Freischützbier«, »Freischützschärpen und
-hüte, Damenkleider ä la Freischütz« usw. Und doch müssen die
Aufführungen miserabel gewesen sein. Denn man hatte keinen
Frauenchor und gewaltsam einige Schauspielerinnen für Sopran und
Alt gepreßt. Ähnlich in Augsburg. Da legten die Musiker in der
Probe die Violinen weg, solch Zeug könne man nicht spielen; auch
K. M. von Webers >Euryanthe« 259
hier war der Chor jämmerlich, durch ein paar Schauspieler mar-
kiert. Aber der »Freischütz« wurde elfmal hintereinander gegeben.
Fünfzig Berliner Aufführungen innerhalb eines Jahres brachten allein
Weber das für jene Zeit hübsche Honorar von 1700 Talern. Aber
die Äußerungen der Gegner machten trotzdem Eindruck auf Weber
und spornten ihn dazu an, den Beweis zu geben, daß er mehr war
als ein Singspielkomponist. Den Einsichtigen war das ja klar, denn
der »Freischütz« ragte über die Gattung noch viel weiter empor,
als die > Zauberflöte« — aber eine wirkliche Oper ernsten Stils bot
doch noch höhere Aufgaben und entband von den Zugeständnissen
an den Volksgeschmack, wie sie Weber im »Freischütz« nicht immer
gern und nicht immer glücklich gewährt hat. Die Sehnsucht nach
einem Operntext im großen Stil muß bei Weber zur Leidenschaft
geworden sein. Nur von einer solchen Stimmung aus begreift es
sich, daß er auf die »Euryanthe« der Frau Helmine von Chezy ein-
ging. Der Anlaß kam von Wien, wo der »Freischütz«, obwohl
man ihn ohne Samiel gab und ohne Kugelgießen, wie überall ein-
geschlagen hatte. Er, der hochgebildete kritische Literaturkenner,
der eben noch gefragt hatte: »Glaubt ihr denn, daß ein ordentlicher
Komponist sich ein Buch in die Hände stecken läßt wie ein Schul-
junge den Apfel?« nahm nun einen Text, bei dem der Kern der
ganzen Verwicklung ein »Geheimnis« ist, und nannte das Gedicht
»ein höchst ausgezeichnetes« (Brief an Lichtenstein, 31. Mai 1822).
So gewaltige Gestalten Weber in den beiden Bösewichtern der
»Euryanthe«, in Eglantine und Lysiart geschaffen, so bewunderns-
wert die Einheit im Aufbau des Werkes, so reich es an schönen
musikalischen Ideen jeder Art ist — der Mühe hat die Wirkung
nicht entsprochen, Die Albernheit der Dichtung hat Weber ge-
hemmt und zu einer Überspannung d^ Ausdrucks getrieben, die
am stärksten bei den Aufgaben hervortritt, wo Naivität am Platze
ist. Das »Glöcklein im Tale«, »Ich bau auf Gott und meine Eu-
ryanth« und andere Beispiele einer gesuchten und gewaltsamen
Schlichtheit, sind Früchte nicht des Weberschen, sondern jenes
falschen romantischen Geistes, der in der Dichtung jener Zeit die
gekünstelte Natürlichkeit Ludwig Tiecks erzeugt hat. So ist denn
»Euryanthe«, obgleich sie nach Schweitzers »Alceste« und Holzbauers
»Günther von Schwarzburg« zum ersten Male wieder eine große
deutsche Oper brachte, und zwar in dankbar und mit Spannung
wartender Zeit, unfruchtbar geblieben. Auch durch den »Oberon«,
trotz der neuen romantischen Saiten, die in der Elfenmusik und Wasser-
musik hier angeschlagen sind, trotz der Szene der Rezia, »Ozean, du
Ungeheuer«, deren dramatisch freie Größe erst wieder im Monolog
von Wagners »Holländer« (»Schon wieder um sind sieben Jahr«)
ein Seitenstück findet — auch im »Oberon« ist Weber nicht der
Gründer der deutschen Oper geworden, wie es sein »Freischütz«
hoffen ließ. Wiederum hatte sich der Dichter nicht gefunden, der
17*
620 Die moderne Oper bis zu Wagner
nötig war. Aber Webers »Freischütz« allein hatte eine Bahn für
die deutsche Oper gebrochen. An Webers Seite schritt ein Lands-
mann dahin, der um das Jahr 1820 in der deutschen Musik als
der strengste und am besten geschulte unter den Romantikern galt:
Ludwig Spohr. ^ Seine Opernpläne beginnen schon 1806 mit
einem kleinen Stück: »Die Prüfung«, dann folgt eine »Alruna«,
1811 »Der Zweikampf« ; für das Theater kommt Spohr erst ernst-
hafter vom Jahre 1813 in Betracht, als er in Wien Operndirektor
wird. Da bestellt er bei Theodor Körner einen »Rübezahl«. Körner
ging zu Lützow, und Spohr komponierte den Bernardschen »Faust«,
die erste von den romantischen Opern Spohrs, die wirklich auch
aufgeführt wurden. »Zemire und Azor«, »Der Berggeist«, »Pietro
von Albano«, »Der Alchymist«, »Die Kreuzfahrer <' sind ihre Titel.
Über Kassel hinaus ins Repertoire ist außer dem »Faust« nur
»Jessonda« gedrungen; sie hat sich auf den größeren Bühnen bis
in die siebziger Jahre behauptet. Heute sind sie vergessen — und
es besteht keine Aussicht, sie wieder zu beleben. Dem Studium
darf man sie aber empfehlen, nicht bloß wegen des historischen
Interesses. Sie zeigen, wie in der Periode, der Spohr angehörte,
auch so eine ernste und in sich geschlossene Individualität unter
der Menge sich kreuzender Einflüsse irre werden konnte. Ihr mu-
sikalischer Gehalt leidet unter einer zu großen Gleichmäßigkeit.
Im ganzen hat Spohr starke dramatische Begabung, aber nur ein
schwaches Theaterauge, und dieses hindert ihn, die Situation aus-
zunutzen und stört die Ökonomie. Die Musik der Spohrschen Opern
ist sehr reich an eigenen, ausgesprochen modernen Elementen; in
den Rezitativen und der Deklamation, in der Ausbildung des Leit-
motivs ist er direkt auf dem Wege zu Richard Wagner. ^
Der dritte Vertreter der romantischen Oper in Deutschland,
Heinrich Marschner ^^ ist ein Meister im Volkstümlichen, in
Genreszenen ; aber er ist bereits durch die weitere Entwicklung der
Oper im Ausland von den Wegen Webers und Spohrs abgedrängt.
Die Entwicklung der deutschen Oper und des deutschen Einflusses
wird durch Marschner nicht gesteigert oder beschleunigt, sondern
aufgehalten und unterbrochen.
Zur selben Zeit, wo in Deutschland Weber eingreift, wird in
Italien die Ausgelassenheit der Rossinischen opera huffa durch die
ernsten Klänge Vincenzo Bellinis'* unterbrochen. Ihn kann man
mit Recht einen Romantiker nennen : in seinem musikalischen
1 L. Spohrs Selbstbiographie, 2 Bde., Kassel und Göttingen 1860—61.
2 "Wagner nennt sich in einem Brief an Spohr vom 22. April 1843
(N. Ztschr. f. M. 1904, Nr. 42) dessen >bewunderungsvollen Schüler«.
3 H. Gaartz: »Die Oper Heinrich Marschners«, Leipzig 1912.
4 Pietro Baltrame: »Biografia di Vincenzo Bellini«, Venezia 1836;
A. Pougin: »Bellini, sa vie et ses oeuvres«, Paris 1868; Michael Sche-
rillo: *V. Bellini«, Ancona 1882.
Vincenzo Bellini 261
Wesen liegen dieselben Elemente wie in unserm Schubert und
Spohr. Seine Opern verherrlichen dichterisch das Pathologische,
den moralischen und sozialen Auswurf, Verbrechen und krankhafte
Entwicklung. Bei diesem Stück verkehrter Arbeit hat die roman-
tische Schule gerade bei den Romanen die eifrigste Unterstützung
gefunden, die Oper ist von Mercadante bis zu Verdis »Rigoletto«
stark mitbeteiligt und sehr gewichtig durch Bellinis Werke, Will
man Bellini gerecht werden, so muß man seine Musik in Gegen-
satz zur Mayrschen Schule und zu ihrer Gewalttätigkeit bringen.
Die Reaktion, zu der sie herausforderte, vertrat Bellini mit einem
starken Naturtalent, ganz ersichtlich aus volkstümlichen Quellen ge-
nährt. Die rührende, liebenswürdige Herzlichkeit, die überquellende
Wärme des Gefühls, die im italienischen Volk, namentlich in den
unteren Klassen, lebt, kommt in den Bellinischen Opern zum Aus-
druck; sie kleidet sich teilweise in Formen, die im Süden des
Landes seit alters heimisch sind. Die zweistimmigen Melodien in
Terzen- und Sextenparallelen, die Bellini gern noch mit dem dicken
Trompetenton unterstreicht, sind alte Bekannte aus Vincis Zeit, aus
der Jugend der oi^era huffa. Die Bellinische Oper bildet demnach
eine Parallelbewegung zu der Entwicklung, die zur selben Zeit in
Deutschland Weber mit dem »Freischütz« vertritt. Er bildet den
Volkston glücklich weiter : die frei einsetzende Septime zum Aus-
druck überschwenglicher Empfindung ist seine Erfindung. Nur war
Bellinis Begabung einseitig aufs Weiche gerichtet; die verminderten
Intervalle und die chromatischen Durchgänge sind die Hauptzüge
seiner Melodik. Im »Piraten«, der seine Stellung begründete,
kommen ganz originelle Stellen tragischen und dämonischen Cha-
rakters vor: da wiederholt er kurze Motive, die zuerst froh und
laut eintraten, leise in Moll, so daß sie nun wie Grabesstimme
klingen, da hat er Einfälle, die Schule gemacht haben. Der Trom-
peteneinsatz in Wagners »Rienzi« ist so ein Bellinisches Produkt,
die plötzlichen, fremden Töne eines Soloinstrumentes wirken in
seinem Orchestersatz wie Gespenster. Er ist ein Poet in seinen
ersten Opern; in der ^Straiiiera^ ist die Stelle der Trauungsszene,
wo Isoletta schwankt, als sie das Jawort geben soll und das Or-
chester leise den Hochzeitsmarsch in einer ganz verworrenen Um-
bildung anschlägt^ ein Hauptbeispiel seiner sinnigen Anlage. Aber
mit jedem neuen Werk verarmt er mehr und wird bequemer, glatter
und matter; immer noch bleibt er bedeutend im Zärtlichen, Ele-
gischen, besonders als Komponist von Liebesmusik. Traurig, wer
die Schönheit seiner Opern nicht mitempfindet, aber schwer macht
er's durch die Trivialität, der er immer mehr verfällt, durchs Ab-
nutzen außerordentlicher Effekte. Dahin gehören die Gebete in
den Bellinischen Opern, dahin die Arieneinleitungen durch ein Or-
chester, das den Gitarrenklang nachahmt. An Bellini zeigt sich's,
wie eine schlechte, unsichere Richtung die Talente verdirbt.
262 Die moderne Oper biß zu Wagner
Das nächste Opfer des Verfalls nach Bellini war Gaetano
Donizetti,^ ein Talent von starker allgemein künstlerischer, wie
besonders musikalischer Begabung. Sie zeigt sich am besten in
seinen komischen Opern; am reinsten nicht in der noch heute viel
gespielten »Regimentstochter«, die durch französische Muster ver-
derbt ist, sondern in seinem »Lieb estrank«, einem Werk, in dem
die Kunst der Guglielmi und Piccinni noch einmal in ihrer ganzen
Frische und Feinheit auflebt. Dieser »Liebestrank« hat das italie-
nische Feuer und den großen Zug der alten italienischen Melodien.
Leider ist er nicht gleichmäßig gearbeitet, der zweite Akt muß
später entstanden sein, er fällt im Stil und zeigt den Kossinischen
Einfluß im sinnwidrigen, äußerlichen Kolorieren. Donizettis Be-
gabung war auch für die Aufgaben der ernsten Oper bedeutend.
Seine Hauptleistung ist hier die >>Lucia di Lammermoor <^ . Die
Szene des Liebesschwurs im ersten Akt: *Qui disposa eterna fedet
(»Schwöre als Gattin ew'ge Treue«), wo uns Donizetti mit den
einfachsten Mitteln — Sextenparallelen und Unisonostellen — Herz-
klopfen macht, die andere, am Schluß der Oper, wo Lucias Wahn-
sinn eine Mischung von Grauen und Rührung erregt — die zeigen,
was Donizetti eigentlich gekonnt hätte. Im Drang der Vielschreiberei
und unter dem Geist, der die italienische Oper beherrschte, wurde
er flüchtig, tat Mißgriffe über Mißgriffe im Ausdruck und wirft
seine Perlen in eine Flut von Trivialität.
Der Import neuer Stilelemente durch Mayr hatte vollständige
Verwirrung bei den Italienern hervorgerufen. Ein einfaches, bedeu-
tendes Ziel, Darstellung seelischer Zustände durch die Kunst des
Sologesanges, war aufgegeben, an dem neuen Gluckschen Ideal be-
griff man nicht das Wesen, die Forderung: die dramatische Situation
der einzelnen Szenen, den Grundcharakter der ganzen Handlung
tiefer, reicher, strenger und einheitlicher wiederzugeben, sondern
man hielt sich ans Äußere, an den größeren musikalischen Eöekt,
an die Mannigfaltigkeit der Mittel. Bei der Mayrschen Schule und
bei Rossini war die gleiche Losung: neue Klänge, Freiheit der Musik!
Das dramatische Gewissen ward durch die Bekanntschaft mit der
neuen Kunst nicht geschärft, sondern verdorben; die italienische
Oper geriet jahrzehntelang in beständiges Sinken. Erst mit aus-
wärtiger Hilfe hat sie in den letzten Werken Verdis, wieder be-
gonnen sich zu heben.
Eine solche Säule der Kunst, wie es die alte italienische Re-
naissanceoper war, fällt und stürzt nicht, ohne daß die Erschütte-
rung weit und lange gespürt wird. Bei den Italienern selbst brachte
die Katastrophe Verwirrung und eine dauernde Verarmung des musi-
kalischen Talentes im Lande; sie hat überall der Vokalkomposition
1 Filippo Cicconetti: »Vita di Gaetano Donizetti«, Roma 1864.
Nicolo Isouard und Adrien Boieldieu 263
geschadet. Bei uns in Deutschland sieht man das fast noch mehr
als in der Oper im Lied und im Oratorium, bei Mendelssohn
und seiner Schule an der Mißhandlung der Sprache und Deklama-
tion in Form und Geist. Auch in Frankreich knüpft an den Sturz
der alten italienischen Oper eine Periode des Verfalls an. Nur
zeigt sich das Werk der Zerstörung nicht so schnell als bei den
Italienern. Ja, in der komischen Oper der Franzosen beginnt zur
Zeit, wo die Mayrsche Schule und Rossini jenseits der Alpen die
Herrschaft an sich bringen, eine Periode neuen und echten Glanzes.
Die Träger dieses Glanzes sind Niccolo Isouard,^ oder wie er sich
auch nennt Nicolo di Malta, und Francois Adrien Boieldieu.
Dieser Isouard ist wie Duni ein Italiener und hat der französischen
opera comique auch einige italienische Elemente eingemischt, flüssige
Melodik namentlich, zuweilen in außerordentlich schwierigen Formen.
Wenn von guten Sängerinnen ausgeführt, sind diese Isouardschen
Lustspiele sehr wirksam; Schönheit des Klanges und Leichtigkeit
und Lebendigkeit des Tones ist drin, wie im Vogelgesang, graziöse
Koketterie ist ihr prächtiger Hauptzug. ^Joconde*. und » Cendrillon*-
waren die Hauptstücke, auch in Deutschland noch zu Webers Zeit
überall verbreitet. Boieldieu 2 hat in seinen ersten Werken — es
sind Türkenopern — dem Isouard den leichten, blühenden Ton
nachzubilden gesucht; seine eigene Art fand er erst mit dem »Johann
von Paris«, dessen Stärke in der romantischen Beschreibungsmusik,
in der verklärenden Schilderung gemeinen Lebens liegt. Diese durch
Duni begründete Kunst hat durch Boieldieu einen bedeutenden Fort-
schritt gemacht. Auch nach dieser Seite ist die »Weiße Dame«
Boieldieus Hauptwerk, man denke nur an die Auktionsszene; sie
zeigt aber auch auf eine zweite starke Gabe Boieldieus, seinen Sinn
für Volksmusik. Durch ihn gehört er auf die Seite der Roman-
tiker, rückt mit in die Gruppe: Weber-Bellini ein.
Nach einzelnen Richtungen zeigt auch Boieldieu Zeichen des
Verfalls. Gerade wie bei Bellini finden wir außerordentliche poe-
tisch-dramatische Mittel zur Sicherung eines Effektes abgenutzt.
Die Gebetsszene, die »j^riere«, gehört bei ihm schon halb zu den
Requisiten. Dann würzt er mit Kontrasten, die ebenfalls von außen
geholt sind. In seinem »Beniowsky« folgt z. B. einem feierlichen
Gebet ein Kanonenschlag. Drittens entzieht er sich der Aufgabe
gut zu deklamieren hier und da dadurch, daß er nach dem Vorbild
Steibelts die Rede in einen Tanzsatz kleidet. Dieses Verfahren ist
scheinbar nur ein leichter Verstoß gegen die Grammatik, ein Ver-
stoß, für den man sich auf die Finales der opera huffa berufen
1 E. Wahl: »Niccolo Isouard, sein Leben und sein Schaffen auf dem
Gebiet der Opera comique c, München 1911.
2 A. Pougin: »A. Boieldieu, sa vie, ses oeuvres, son caractere, sa corre-
spondance«, Paris 1875.
264 Die moderne Oper bis zu Wagner
kann, in denen Rezitativtext melodisch und motivisch wiedergegeben
wird. Da handelt es sich aber um eine Ausnahme zum höheren
Zweck, um den Ausdruck tollen Humors. Wo man aber sonst im
Musikdrama, in der Vokalkomposition überhaupt, beginnt sich über
scheinbare grammatische Formalitäten, über die Natur von Wort,
Satz und Gedanken hinwegzusetzen, da ist auch allemal der Anfang
vom Ende da. Und an diesen Punkt kommen wir in der franzö-
sischen Oper schnell genug mit Daniel Auber.i Seine Opern,
ungefähr fünfzig an der Zahl, zerfallen in drei Gruppen. Die erste,
von 1812 — 1820, umfaßt Werke der Entwicklung, in denen sich
Auber hauptsächlich an die Meister der französischen Spieloper,
D'Alayrac, Boieldieu und namentlich auch an den geistreichen Gretry
anlehnt; die Romanze tritt im musikalischen Grundstock hervor.
Die zweite Gruppe reicht bis 1848, y>La neige ^^^ »Le concert ä la
cour«^ »Le magon<i^ •» Fra Diavolo « ^ »Le Philire«, » Le domino noir <^ ,
» Carlo Broschi< sind die bedeutendsten Leistungen darin. Stilistisch
zeigen die früheren Stücke dieser zweiten Gruppe Hinneigung zu
Isouard und zu Rossini, die späteren zum Manirierten und Pikanten.
Fürs Aparte zahlt er jeden Preis und sucht es in den niedrigsten
Regionen; Rhythmen der gemeinsten Volksmusik, freche Dissonanzen
sind die frivolen Mittel, durch die er aus dem Gewöhnlichen heraus-
zutreten sucht. Die komische Oper schlägt eine Krücke von der
Charaktermusik zum Tanzboden, zu Quadrille, Cancan und den Lust-
barkeiten des Pöbels. Was nach 1848 noch folgt, bildet eine dritte
Gruppe der ärmlichsten Nachlese. Dieser jämmerliche Niedergang
der Gattung beruht zum Teil auf einer dichterischen Rückbildung.
Man sieht es an den Fabeln der Stücke Aubers, daß die komische
Oper die Fühlung mit den Ideen der Zeit und alle festen Ziele
verloren hat. In Türkenstücken, in den alten Impresario- und
Sängerpossen, in der Romantik der edlen Mordbrenner — überall
sucht sie innerlich nichtig und leer neue Stofie zur Unterhaltung.
Und wie der Dichter im Grund interessenlos, ohne wirklichen gei-
stigen Anteil, so arbeitet der Komponist bequem. In der Tat ist
Auber immer nur mit dem halben Talent dabei, nirgends Feuer
und Anspannung; er bietet, wie das Bizet sehr hübsch gesagt hat,
statt einer Musik eine »musiquette«.
Ein einziges Werk macht eine gewaltige Ausnahme. Das ist
die »Stumme von Portici«, eine Arbeit, die man dem Auber der
Spieloper kaum zutraut. So viel kommt aber beim Musikdrama
auf die Dichtung und die Macht der Grundgedanken an. Indes
gehört auch die »Stumme« keineswegs unter die Werke von ge-
schichtlicher Bedeutung. Neu war sie für die Franzosen nur in
* B. Jouvin: »D. F. E. Auber, sa vie et ses oeuvres«, Paris 1864;
A. Pougin: »Auber, ses commencements, les origines de sa carriere«,
Paris 1873.
Daniel Auber 265
der musikalischen Behandlung einer stummen Person, der Fenella,
eine Aufgabe, die in der deutschen Oper schon Keiser und Weber
glücklich durchgeführt haben. Auber hat dazu das Melodram bis
weit hinaus über die natürlichen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit
benutzt. In allem übrigen ist Auber in seiner »Stummen« ein
Nachahmer Spontinis und zwar vielfach rein äußerlich und über-
treibend. Durch die Massenwirkungen seines Vorbildes angelockt,
setzt er Finales hin, wo sie die Situation verbietet, z. B. ans Ende
des ersten Aktes; die Hälfte des ganzen Werkes ruht auf Marsch-
musik. Die größte eigene Schönheit und die Hauptkraft des Kom-
ponisten liegt in der Trauungsszene, im Fischerchor, in der Friere
des dritten Aktes, in einer Reihe von Barkarolen, also in Stücken
konventioneller Herkunft, Stücken, die dramatisch betrachtet Schma-
rotzer bilden. Das leuchtet tief und hell hinein in den neuen Geist,
in die Oper der Auberschen Zeit. Denn für die Pariser Oper war
diese »Stumme von Portici« ein Ereignis, wie seit der »Vestalin«
keins zu verzeichnen war. Von ihrer Aufführung ab datiert für
sie wieder eine große Zeit. Das nächste Jahr 1829 bringt flos-
sinis »Teil«, 1831 eine Aufführung von Webers »Euryanthe«.
Dann kommt 1831 Meyerbeer mit »Robert der Teufel«, 1835
Halevy mit der »Jüdin«, 1838 H. Berlioz^ mit »Benvenuto
Cellini«. Etwas verspätet ist aus der Saat Spontinis doch noch
eine stattliche Ernte gewachsen und gereift. Der reinste im Cha-
rakter unter diesen Jüngern Spontinis ist Berlioz; aber auch die
Opern von Berlioz haben ihren Schwerpunkt in der Situationsmusik,
nicht in der Seelenschilderung; das französische Element überwiegt:
die bedeutendste Leistung seines »Cellini« ist die Schilderung des
römischen Maskenfestes, das Finale des zweiten Aktes. Berlioz fiel
bekanntlich durch, denn sein Musiktalent war spröde, schwankt zwi-
schen Originalität und Anlehnung, unter anderem an Bellini. Noch
imposanter als Berlioz ist Halevy, eine finstere, leidenschaftliche,
alttestamentarische Künstlergestalt, voll Glut, Wärme, ein Meister
aus strenger Schule. Was würde ein solches Talent in der Zeit
Glucks geworden sein, an den sein Dialog in der Freiheit und
Knappheit vielfach erinnert. Aber auch ihn haben Auber und
Rossini aus der geraden Bahn abgedrängt. Die ganze Figur der
Eudoxia in seiner »Jüdin« ist eine einzige Stilunreinheit, der Kardinal
ein Bastard. Ferdinand Herold^^ der Komponist des »Zampa«,
beweist ebenfalls, wie reich diese Spontinische Schule an außergewöhn-
lichen Talenten war. Aber sie bedurfte eiües Führers, der über
den kleinen Verlockungen der Mode stand und dem Geschmack
des Publikums die konventionellen Liebhabereien abzugewöhnen
entschlossen war, einen Mann von überragender Begabung, aber
1 J. Tiersot: »H. Berlioz et la societe de son temps«, Paris 1904.
2 A. Pougin: »Herold«, Paris 1906.
266 I^i® moderne Oper bis zu Wagner
noch mehr von Mut und Festigkeit. Und nun trat Jakob Meyer-
b e e r 1 an ihre Spitze !
Meyerbeer gehört zu den Naturen, die das Mißverhältnis zwischen
Ehrgeiz und Begabung nicht zum Abschluß der Persönlichkeit kommen
läßt. In der Regel nehmen sie am Charakter Schaden und werden in
ihrer künstlerischen' Arbeit Eklektiker. Nun gibt es naive Eklektiker
— Simon Mayr war ein solcher — und es gibt raffinierte Eklektiker :
zu ihnen gehört Jakob Meyerbeer. Im Grundriß ist Meyerbeer früh-
zeitig fertig gewesen, in den ersten Opern schon, die er als Hospi-
tant der Mayrschen Schule in Italien geschrieben hat. Ihre Haupt-
stücke, y)Emma di Roxhurga und y>Il crociato in Egittoa, die 1819 und
1824 von Venedig aus auf den deutschen Bühnen lange Zeit festen
Fuß faßten, zeigen schon die ganze prächtige, oft originelle Erfindungs-
gabe und die ganze Geschmacklosigkeit, die sich in Meyerbeer so
eigentümlich vereinigen. Wunderhübsche und verzerrte Einfälle, selbst-
ständige hohe Bildung und niedrige Nachahmungen Mayrscher und
Rossinischer Elemente bunt durcheinander. Sie sind eine durch frap-
pante und kecke Einzelheiten gewürzte Enzyklopädie aller Stillosigkeit
der Oper ihrer Zeit. Diejenigen machen sich ein ganz falsches Bild
von der Entwicklung Meyerbeers, die seine italienische Periode für
eine Zeit der Unsicherheit, des verzeihlichen Schwankens der Anfänger-
schaft, für künstlerisch geringer halten. Sie ist musikalisch weniger
amüsant, weniger mannigfach und reich — aber sie ist charaktervoller,
dramatisch ergiebiger. Italien kommt ins Hintertrefi'en, Deutschland
bietet außer Weber nichts — Meyerbeer wählt also Paris und wird da
Franzose. Er wächst hier an Selbständigkeit insofern, als nun der
musikalische Geschäftsmann mit seiner Heftigkeit und seiner Über-
stürzung, mit seinem Tüfteln und schlauen Spekulieren musikalisch
deutlicher wird. Selbständiger ist er auch in dem edleren Teile seiner
Gaben, in seinem Blick für soziale, sittliche und politische Probleme,
in der Glut und Schärfe der Phantasie, in der Energie und im Feuer
des Ausdrucks, des Aufbaues. Der Gesamt ein druck der Meyerbeer-
schen Opern wird aber immer ärgerlicher, je bedeutenderes sie in ein-
zelnen Zügen oder in ganzen Abschnitten bieten. Diese ewige
Mischung von Trinklied und Gebet, von bacchantischer, dämonischer
und weinerlicher, kindischer, von feierlicher und lächerlich geputzter
Musik, dieser ewige Gegensatz von Lärm und Leere, von ärgster
Sondersucht und übertriebenster Einfachheit, nur um zu spannen und
zu reizen, ohne innere Ursache und Notwendigkeit ist das Frivolste,
ist die abstoßendste Mißhandlung von Kunst, die die Geschichte der
Oper kennt. Wer an den vierten Akt der »Hugenotten«, an die Szene
unterm Manzanillabaum in der »Afrikanerin« denkt, kann nicht daran
1 H. de Curzon: »Meyerbeer«, Paris 1910; A. Pougin: »Meyerbeer,
Notes biographiques«, Paris 1864; J. Schucht: »Meyerbeers Leben und
Bildungsgang usw.«, Leipzig 1869.
Jakob Oflfenbach 267
zweifeln, daß Meyerbeer ein heri'liclies Talent für die große Oper be-
saß. Aber eins fehlte ihm: »ein waches künstlerisches Gewissen« und
ein vornehmer Geschmack. Dadurch ist er seiner Zeit zum Fluch ge-
worden. In Meyerbeers Opern strömten alle Elemente der Entartung
zusammen; wohin sie kamen, brachten sie Gift. Wir loben mit Recht
Scribe als einen Operndichter, der die Theatertechnik virtuos beherrscht.
Ursprünglich war er mehr. Das Textbuch, das er für Rossinis »Teil«
schrieb, beweist, wie er die Ideen der Zeit verstand und zu benutzen
wußte. Meyerbeer machte ihn zum Anekdotenmann, trieb ihn von
einer Richtung in die andere. Die Romantik des »Freischütz« zu
überbieten, wird im »Robert« die fromme Jungfrau mit dem Teufel
zusammengemischt, etwas Faust, etwas Don Juan und Zampa zuge-
setzt, bis der unentwirrbarste Brei von Lüsternheit und Mystizismus
fertig ist. Die »Hugenotten« führen uns mitten in die kirchlichen,
der »Prophet« in die sozialen Kämpfe des 16. Jahrhunderts, in be-
deutende Geschichtsvorgänge, die in die bewegte Stimmung der vor-
märzlichen Zeit tief eingreifen konnten. Aber zu welchem tollen Gaukel-
spiel sind sie geworden I Und wie die Dichtung verdarb Meyerbeers
seelenlose Opernpolitik auch die Komponisten. In Frankreich Adolphe
Ada ml, der Komponist des »Postillon«, bei uns Marschner — überall
wurden durch sein System gute Talente verführt. Das Musikdrama
ward zu einem musikalischen Menü ; das Publikum verlangte mit Be-
rufung auf den Meister Meyerbeer seine bestimmten Gänge, so, wie
Suppe, Rinderbrust — mußte ein Gebet kommen, am liebsten a cappella
und mit orientalischen Melismen, dann ein Trinkchor, Verführungs-
szene, Schwerter- oder Bannerweihe, jedenfalls auch ein Gang fremd-
ländische Volksweisen. Das Opernwesen wurde durch Meyerbeer mehr
als zu Marcellos Zeit reif für ein neues y>teatro alla modaa. Niemand
schrieb es; die ganze Kritik lag auf den Knien vor dem großen
Jakob! Aber wenigstens eine Art y^Beggars Operai( lebte wieder auf,
eine ganze Suite von praktischen Parodien auf diesen Meyerbeerschen
Opernkram kam auf die Bühne. Es war ebenfalls ein Jakob, der die
Pritsche gegen den großen Götzen schwang: Jakob Offenbach2.
Dies Verdienst wollen wir dem lustigen Spötter nicht vergessen. Er
ist seit Rossini und Donizetti der erste, der in der komischen Oper
wieder Witz und Geist gezeigt hat, ein neuer Lucian, ein zersetzen-
des Talent erster Klasse, eine prächtige Sumpfpflanze 1 Unseres guten
Lortzings3 wollen wir uns immerhin freuen, er gehört zu unserer
Liedertafelseligkeit, und trotz des starken Beisatzes von Dilettantismus
behalten seine komischen Singspiele den Wert eines Ausschnittes aus
der vormärzlichen Philisterseele. Aber daß man sich hat verleiten
1 A. Pougin: >Adolphe Adam<, Paris 1877.
2 Paul Bekker: *J. Offenbach«, Berlin 191L
3 Ph. Düringer: »Albert Lortzing, sein Leben in seinen Werken«,
Leipzig 1851.
268 Die moderne Oper bis zu Wagner
lassen Offenbach fallen zu lassen gegen die Operetten von Joh. Strauß
— das ist ein starkes Stück. Angeblich im Interesse der Tugend —
aber wenn Offenbach auf Augenblicke obszön ist, diese Wiener Musik-
possen sind's im Grund und durch und durch sittlich locker!
Offenbach hat das Einreißen vorzüglich und vergnüglich vorbereitet,
den Meyerbeerschen Opernpalast ins Schwanken und Wackeln ge-
bracht. Gefallen ist er durch Richard Wagner^, und Richard
Wagner hat an seiner Stelle eine neue und echtere Kunst aufgebaut.
Unter den großen Meistern, die der Oper ihrer Zeit neue Gesetze
aufgezwungen haben, gibt es nur einen, den man mit Richard Wagner
vergleichen kann : das ist Claudio Monteverdi. Glucks Reform tritt
dagegen zurück, er versöhnte, vereinte zwei getrennte Schulen, stützte
sich auf vorhandene Grundlagen. Monteverdi und Wagner schufen
neu von Grund aus. Der Italiener gab dem Musikdrama den inneren
Stil, die Sprache der Leidenschaft, Mittel des seelischen Ausdrucks,
so kühn und gewaltig, daß niemand gewagt hat, sich ihrer zu be-
dienen. Wagner aber befreite die Oper aus den Banden des Forma-
lismus, setzte das Drama in seine Rechte und in die Möglichkeit die
musikalische Gestaltung nach innerem Bedarf zu Avandeln. Das Ent-
scheidende an der Wagnerschen Reform ist ihr dichterischer Ausgangs-
punkt. Nicht Theaterstücke voll von Verwicklung und Überraschungen,
sondern Dramen will er, wie Gluck sie wollte, Dramen, die ernste
ethische Ideen in einfach großen Bildern entwickeln. Und für diese
Entwicklung eine musikalische Ai'chitektur, die beweglich und zu-
gleich einheitlich war. In dieser zweiten Forderung liegt die Schwierig-
keit und die Größe seiner Leistungen. Wagner ging in seinem Neu-
bau rein auf die Elemente der Musik zurück: Arien, Ensembles —
alles, w^as die alte Oper von geschlossenen Formen bot, verschmähte
er. Vom ganzen Apparat behielt er nur das Rezitativ, aber nicht das
Seccorezitativ, sondern, wie Gluck und aus ähnlichen Gründen wäe
dieser, das begleitete Rezitativ. Das begleitete Rezitativ ist bei Wagner
der Träger und die Seele der musikalischen Form ; den selbständigen
Gesang beschränkt er äußerlich und innerlich. Äußerlich, indem er
ihn nur an den Punkten zuläßt, wo das Drama ein Verweilen, einen
breiteren Ausdruck der Empfindungen der handelnden Personen ver-
langt; innerlich durch eine Melodik, die nur durch rhythmisch und
harmonisch gefärbte und gestützte Intervalle spricht, auf den Ausdruck
durch Figuren und reichere Melismatik verzichtet. Das völlig Neue
1 C. F. Glasenapp: »Das Leben R. Wagners in 6 Büchern dar-
gestellt«, Leipzig 1894—1907; H. St. Chamberlain: »Das Drama R. Wag-
ners«, Leipzig 1892; derselbe: R. Wagner. München 1896; G. Adler:
»R. Wagner, Vorlesungen an der Universität Wien«, Leipzig 1904. Eine
ausführhche Zusammenstellung der Literatur über R. Wagner bietet u. a.
der Katalog der Musikbibliothek Peters; H. Kretzschmar: >Über das
Wesen, Wachsen und Wirken R. Wagners <, Jahrbuch Peters 1912.
Richard "Wagner 269
und Wesentliche am begleiteten Rezitativ Wagners ist aber, daß er
es aus der szenischen Isolierung löst. Das motivische Material der
Instrumente wechselt nicht wie in der früheren Oper von Fall zu Fall,
wird nicht für jede Szene frisch erfunden und wieder weggeworfen,
sondern es besteht aus einer Reihe von Grundtypen, die vom Anfange
bis zum Ende der Oper immer wiederkehren, durch charakteristische
Umbildungen ihres Rhythmus und ihrer Harmonie im Wesen oft völlig
verwandelt, in der Form verkürzt, verlängert, sich dem Gang des
Dramas in jedem Augenblick aufs Vollkommenste anpassen. Der
Wiederholung bedeutender Motive zur Verbindung von Anfang und
Ende derselben Szene, zur Verbindung getrennter Szenen hat sich be-
reits Monteverdi bedient, nach ihm Scarlatti. Häufiger und häufiger
erscheint dieses Mittel poetisch-dramatischer Reminiszenz, je weiter
wir in der modernen Oper vorschreiten, je größer die Macht und der
Einfluß der Instrumentalmusik wird. Aber keiner hat vor Wagner das
Leitmotiv zum Stilprinzip erhoben. Das ist die schöpferische Haupttat
Wagners im musikalischen Teil, im Formenbau der Oper. Er zer-
schlug den alten Apparat, der bis zur Demoralisierung verknöchert
war, und stellte einen neuen auf, der dem dramatischen Geist eine freie
Herrschaft sicherte. Dreierlei war dadurch gewonnen : Erstens Einheit-
lichkeit des Musikdramas, zweitens Bereicherung und Vertiefung des
Phantasie- und Gemütsgehalts, drittens straflTere und ungestörte Füh-
rung der Handlung. Diese Einheitlichkeit der Form, diese enge Ver-
knüpfung getrennter Teile durch die gleichen Motive war nicht bloß
ein äußerer, sondern ein noch viel stärkerer innerer Gewinn. Auch
Vorgänger von Wagner, am bekanntesten Gluck, haben es erstrebt
und verstanden die Grundstimmung ihrer Dramen stark durchklingen
zu lassen. Aber ihre Mittel verhalten sich zu denen Wagners wie
Dämmerung zum hellen Tag. Dort eine allgemeine, ferne, ungewisse
Einwirkung aufs Gemüt; hier bei Wagner leibhaftige Tongestalten,
die die Phantasie mit unwiderstehlicher Gewalt, mit Hartnäckigkeit
zwingen, die die leitenden Ideen des Dramas in die Erinnerung un-
verlöschlich eingraben. Und selbst bei unmusikalischen Zuhörern ist
diese Vertiefung des Gesamteindrucks da, die Wagners che Methode
wirkt auf sie unbewußt, physisch. Der zweite Teil von Wagners
Neuerung, die Beseelung des Bühnenvorganges in jedem einzelnen
Schritt, setzt geschulte Hörer voraus — aber er erzieht wohl auch die,
die es noch nicht sind. Er ist das köstlichste Stück der Wagnerschen
Reform, der Wagnerschen Kunst überhaupt, in ihm ist der Anspruch
des Musikdramas, das Normaldrama, die Krone und die Spitze aller
dramatischen Gattungen zu sein, begründet. Wagner hat in »Oper
und Drama« das Orchester seiner Musikdramen als Ersatz des Chors
der griechischen Tragödie bezeichnet. Das ist außerordentlich be-
scheiden. Denn sein Orchester ist doch weit mehr; es ist der grie-
chische Chor in Permanenz, es zieht nicht bloß die Moral und löst
dem Zuschauer den Druck der Seele an den Hauptpunkten, es hilft
270 I^iö moderne Oper bis zu Wagner
ihm sehen, deckt das innere Gewebe der Handlung auf; es ist auch
das Ausdrucksorgan der handelnden Personen, sagt in jedem Augen-
blick das Unausgesprochene, das dem Worte Unaussprechliche und
zeigt das Ungesehene, dem Auge Unsichtbare. Durch den fortlaufen-
den Kommentar, den es zu den inneren und äußeren Vorgängen gibt,
ermöglicht es auch die Natürlichkeit in der Führung der Handlung.
Es hilft dem Gefühl, der hochgespannten Stimmung zum Ausdruck
ohne Arien und ohne jegliche Vergewaltigung des schönen Scheins
der Lebenswahrheit.
Die neuen Gedanken Wagners waren so folgerichtig aus der Ent-
wicklung der modernen Musik hervorgegangen, ihr ästhetischer Erfolg
war so zwingend, daß sie schnell über das Musikdrama hinausdrangen.
Franz Liszt hat sie schon in den fünfziger Jahren in die Sinfonie, bald
auch in das Oratorium eingeführt. Zunächst und jahrzehntelang be-
gegneten sie aber einem Widerstand, wie ihn heftiger Gluck und Monte-
verdi nicht gefunden hatten. Wie ist das zu erklären?
Zuerst aus der Art, wie Wagners Reform ins Leben trat: stück-
weise und allmählich nämlich. Man braucht die »Feena und das
»Liebesverbot« gar nicht zu kennen; der »Rienzi« allein beweist hin-
reichend, daß auch Wagner ursprünglich auf der falschen Seite saß.
Wie Gluck bei den Italienern, so hat Wagner in der Spontinischen
Schule, an der Seite Meyerbeers eifrig mitgearbeitet, ehe ihm die Situa-
tion, der Zustand, in den das Musikdrama geraten war, klar wurde.
Noch im »Fliegenden Holländer« bezieht er den Hauptteil seiner musi-
kalischen Formen und Ideen aus dem alten Lager ; nur dichterisch ist
er sich klar und hat für die Romantik entschieden. Mit »Tannhäuser«
und »Lohengrin« wird es deutlicher und deutlicher, daß ein neues
System vorliegt, auch seine musikalische Eigentümlichkeit entfaltet sich
immer ursprünglicher, kühner, glänzender und voller. Aber es hat
doch ziemlich lange gedauert, bis die ganze Fülle von Wagners Be-
gabung, bis Ziel und Wesen seiner Absichten allgemein erkennbar
wurden. Die »Meistersinger« erschienen auch einem Teil seiner Freunde
als eine prinzipielle Rückkehr zur Oper. Da war der Stabreim auf-
gegeben, da waren wieder Chöre und Ensembles da. Als Bülow am
Klavierauszug von »Tristan und Isolde« arbeitet, schreibt er an Liszt,
dieses Werk halte er nicht für lebensfähig, das sei eine Literaturoper.
Liszt ist vielleicht unter allen Freunden Wagners der einzige geweseü,
der Wagners Bedeutung von Anfang an übersah, und ihm haben wir
es allein zu danken, daß Wagner und seine Reform nicht zugrunde
gingen.
Zur weiteren Entschuldigung von Wagners Gegnern dient es, daß
Wagners Schriften ihn selbst wohl über seine Ziele geklärt, aber die
Auseinandersetzungen darüber nur erweitert und erbittert haben. Sie
müssen auch heute noch zum großen Teile abgewiesen werden. Es
sind Streitschriften von ganz subjektiver Einseitigkeit, voreilig persön-
liche Neigungen zum allgemeinen Gesetz erhebend, vollständig schief
Richard "Wagner 271
in der Beobachtung der Gegner, voll Unwissenheit, wo sie historische
Begründung versuchen. Wertvoll allein ist die Aufstellung einer Reihe
ästhetischer Grundansichten über Musikdrama und Kunst, einer edlen
und idealen Weltanschauung entsprungen. Um das Übel noch ärger
zu machen, gesellte sich zu den Wagnerschen Büchern eine Literatur
von Freundesschriften, die bis zum heutigen Tag immer noch wächst.
Zum großen Teil besteht sie aus bloßen Paraphrasen von Wagners
Theorien, aus transzendentalen Übertreibungen. Das gebildete Laien-
tum hat das große Verdienst, Wagners Werke gegen die Zünftler
durchgesetzt und gehalten zu haben; als Träger der Wagnerliteratur
ist es aber allmählich gefährlich geworden, weil die lautesten Wort-
führer zwar in Nebensachen, in Literatur und Germanistik wohl unter-
richtet, in den Hauptfragen aber, der Technik und der Geschichte der
Musik, schwach sind und ihren einzigen Halt in einem blinden Autori-
tätsglauben an Wagners Ansichten, auch den ungeprüften und irrigen,
besitzen.
Aber auch mit den Gegnern Wagners ist kein Staat zu machen.
Nicht einmal das kann man ihnen bescheinigen, daß sie die wirklichen
Schwächen des Wagnersystems erkannt und zum Mittelpunkt ihres
Widerspruchs gemacht haben. Wo ihr Angriff tiefer ging, klammerte
er sich an Punkte, die zu den Vorzügen der Wagnerschen Kunst ge-
hören. Das war insbesondere der moderne, oder wie es bei Hanslick,
Gumprecht, Reißmann, Scholz heißt, der nervöse Charakter seiner
Musik. Gerade darin hängt Wagner mit seiner Zeit am festesten zu-
sammen, gerade darin ist seine Musik ein Produkt der Zeit. Ob man
diese Erscheinung rühmt oder beklagt — den Künstler trifft man da-
mit nur mittelbar. Ein zweiter beachtenswerter Vorwurf der Gegner
richtet sich gegen die Wagnerschen Dichtungen, gegen ihren Mangel
an wahrem Heldentum, an männlicher Größe. Er läßt sich nicht ab-
weisen, genügt aber keinesfalls zur gänzlichen Verwerfung von Wagners
Werk. Im übrigen war die Feindschaft gegen Wagner ein Wehklagen
der aus der Ruhe gescheuchten Gewohnheit. Hinter unklaren, bom-
bastischen Redensarten von geheiligten und ewig gültigen Formen
treten sie für die alten, geliebten Utensilien ein, verlangten dem Revo-
lutionär und Zerstörer gegenüber ihre Introduktionen, ihre Duette,
Ensembles, ihre Chöre, Finales, ihre Gebete und Trinkchöre. All ihr
Zorn bewies nur, daß Wagner im Recht war, daß der dramatische
Geist des Opernpublikums zur Freude an der leeren Schale entartet war.
Im pro und contra bleibt dieser Streit um Wagner ein unrühm-
liches Stück deutscher Kunstgeschichte, unerquicklich, wie es der Kampf
für und gegen Gluck gewesen ist.
Wie sehr Wagner durch sein Wirken die Luft gereinigt hat, das
vermag das heutige Geschlecht gar nicht genügend zu ermessen. Da
muß man die alten Zeiten mit erlebt haben und ihre Kleinlichkeit.
Dem Partikularismus, der Goethe, Schiller, Beethoven und Bach für
einen Schnitt ins Fleisch des preußischen Nachbars gern hingegeben
272 ^^^ moderne Oper bis zu Wagner
hätte^ dem das Interesse um fürstliche und höfische Angelegenheiten
über alle Not und alles Wohl des Volkes ging — dieser ideenlosen
Kleinkrämer ei entsprachen auch die literarischen und künstlerischen
Interessen. Ein neuer Roman von Gutzkow und Spielhagen waren
Ereignisse, mit Spannung wartete Deutschland, wartete Europa auf
eine angekündigte, jahrelang vorposaunte Oper von Meyerbeer und
Auber. Und wenn sie nun kamen, war's eine »Dinorah«, waren' s die
»Krondiamanten«. Wie viele begabte Männer verbrauchten ihren ganzen
Geist im Studium und Anpreisen von Sängern und Virtuosen ! Wenn
heute mit dem politischen auch der künstlerische Puls wieder kräftiger
schlägt, so danken wir das auch Kichard Wagner, der in eine große
Zeit auch eine große Kunst hineingestellt hat. Die Bewunderung kann
nur wachsen, wenn wir wahrnehmen, daß Wagner in einer feindlichen
Welt völlig allein stand, ohne Vorgänger, ohne Genossen, wie sie
Gluck hatte. Sache der Zukunft wird es nun sein für eine Schule
Wagners zu sorgen. Sie hat bis heute warten lassen. Unter allen
den deutschen Musikern, die sich Wagner in der Oper angeschlossen
haben, ist bis heute kein entscheidendes Talent aufgetreten. Die besten,
Götzi, Cornelius 2, Humperdinck, Pfitzner, Klose haben eine freie
Beherrschung des Wagnerschen Stiles nur angebahnt. Nachahmer
Pv. Wagners, anspruchslose und anspruchsvolle, wird es noch viele
geben; Schüler, schöpferische, frei und weiterbildende Schüler erst
dann, wenn die Meinungen über das Wesentliche und Unwesentliche
der Wagnerschen Kunst besser geklärt sind. Wesentlich ist, daß Ernst
mit dem Drama gemacht wird, in der Dichtung und in der Musik.
Wesentlich ist der Verzicht auf jegliches Konventionelle, auf voraus
fertige Musikformen, die auch im neuen, im Wagnerschen Stile mög-
lich sind, in der Form von Erzählungen über ausgehaltenen Baß, als
unbegleitete Sololieder schon sich einzunisten beginnen. Wesentlich
ist ein Orchester, das beseelt und verbindet, wesentlieh ein Komponist,
der über Geist und Poesie verfügt. Unwesentlich ist Romantik und
Sage, trotz Wagners eigener Versicherung. So war er eben, daß ihm
jede persönliche Neigung zu einem allgemeinen, begeistert bewiesenen
Gesetz wurde. In seiner romantischen, oft hyperromantischen Rich-
tung ist Wagner das Kind einer Zeit, die weit hinter uns liegt. Und
wenn die Gegenwart sich die abenteuerliche Ausgeburt einer Kundry
gefallen läßt, so tut sie es aus Ehrfurcht vor Wagner. Es ist aber
Befangenheit, wenn eine Wagnersche Schule dem Meister in dieser
Richtung glaubt folgen zu müssen. Unwesentlich sind die Wagner-
schen Harmonien und ein großer Teil der internen Ausdrucksmittel,
unwesentlich wie der Unterschied zwischen Oper und Musikdrama ist
1 W. Kreuzhage: »Hermann Götz, sein Leben und sein Werk«, Leipzig
1913.
2 A. Sandberger: »Leben und Werke des Dichtermusikers Peter Cor-
nelius«, Leipzig 1887.
Eine- Wagner-Schule. 273
seine prinzipielle Verwerfung des Seccorezitativs. Mit diesem Punkt
ist die Seite berührt, wo die Zukunft sich wird vom Vorbild Wagners
trennen müssen. Gewiß sind die Partien seiner Oper die schönsten
mit, wo seine Musik zur dramatischen Sinfonie wird; aber Wagner
hat die Macht der Instrumentalmusik auch vielfach überschätzt und
hat mit ihr musikalischen Geist auch solchen Szenen abzutrotzen ge-
sucht, die keinen ergeben, die nicht breit, sondern kurz und flüchtig
behandelt sein wollen. Er hat das natürliche Verhältnis zwischen
Sänger und Orchester häufig umgekehrt, bis zu dem Grade, daß lange
Strecken eines ins Orchester hineingezwängten, unsangbaren Vokal-
satzes in seinen Opern nur von denen verstanden werden können, die
sie auswendig wissen. Alles in allem: das Wagnersche System er-
laubt und verlangt Korrekturen !
Da ist es nun sehr wichtig, daß die Wagnerschen Werke inzwischen
ins Ausland gedrungen sind. An der zu erwartenden Schule Wagners
wird Frankreich, wird Italien mitarbeiten, das Musikdrama der Zu-
kunft wird in Wagners Geist dramatische Einheit, dramatische Be-
seelung durchs Orchester zum Richtstern haben, aber die Ausführung
dieses Gesetzes wird international und mannigfaltig ausfallen. In
Deutschland kamen zu Wagners Lebzeiten Nebenmänner nicht ernst-
lich in Frage. Flotow als Vertreter der französischen opera comique,
Neßler, ein derber Mischling von Lortzing und Auber; Rubinstein^,
Goldmark, der »Folkungera-Kretschmer, drei Nachfolger Meyer-
beers, das waren alle willkommene Repertoirekomponisten^, aber keine
Talente von programmatischer Bedeutung. Anders stand es in Frank-
reich, anders in Italien! In der französischen Oper war in Charles
Gounodi eine Kraft von europäischem Ansehen aufgetreten. Wir
sind mit Recht von seiner Auffassung Goethes und Shakespeares nicht
allenthalben erbaut. Aber jedenfalls war er ein geistvoller, sinniger,
edel gerichteter Künstler, dem eigentümlich elegische Töne zu Gebote
standen. Mit seinen Werken hat er für Frankreich eine Mission voll-
führt, von Meyerbeer abgelenkt und Wagner vorbereitet. Nur die
älteren Komponisten, Saint-Saens, Masse, Massenet vertreten
heute noch die alten Opern«ffekte, die junge Generation, Chabrier
und Charpentier an der Spitze, hält zum Wagnerschen Musikdrama,
andere, wie Debussy, gehen bereits über ihn hinaus und betrachten
die Oper als Versuchsfeld für eine miove musiche, für neue musika-
lische Elementarwirkungen. Ihnen hat sich unter den Deutschen
R. Strauß eine Zeit lang, mit seiner »Salome«, seiner »Elektra« an-
geschlossen. Seine neuesten Werke, der »Rosenkavalier« und »Ariadne«
zeigen diese bedeutende Kraft wieder auf gesunden Wegen.
Italien war in der Periode Rossinis, Bellinis und Donizettis trotz
der äußeren Erfolge dieses Trios dem Bankrott immer näher gekommen.
Nur die Macht der Gewohnheit und der Mechanismus der eingebürgerten
1 L. Pagnerre: »Charles Gounod, sa vie et ses oeuvres«, Paris 1890.
Kl. Handb. der Musikgesch. VL 18
274 I^ie moderne Oper bis zu Wagner.
Musikbühnen hielt die Oper noch am. Leben. Dichterisch fehlte ihr
jede Verbindung mit dem geistigen Leben der Nation und jede Be-
rechtigung. Die Verarmung des musikalischen Talents zeigt sich am
stärksten in der komischen Oper. Während sich hier am Anfang des
Jahrhunderts die begabten Geister noch drängten, war jetzt der ganze
Bedarf auf ein schwaches Brüderpaar, auf Luigi und Friderici Ricci
gewiesen. Nur eine starke Kraft war da, Giuseppe Verdi i. Er allein
hielt noch die Ehre des italienischen Namens aufrecht und glich einiger-
maßen die Schande wieder aus, daß die italienischen Bühnen seit den
dreißiger Jahren hauptsächlich von französischen Werken existierten.
Verdis Opern drangen schon Anfang der vierziger Jahre ins Ausland.
Den Italienern waren sie mehr als ein Stolz; sie wurden ihnen die
Quelle und der Hort neuer vaterländischer Hoffnungen. Es ist all-
gemein bekannt, wie jahrzehntelang der Name Verdi das Stichwort
der italienischen Patrioten war — als Anagramm der Losung: Fittore
jEmanuele Re di /talia ! Das erklärt sich einmal daraus, daß die ersten
Opern Verdis alle eine oder mehrere Nummern haben, die Heimat,
Vaterland und Volk in gewaltigen Tönen feiern, ähnlich, aber noch
viel demonstrativer als das Wagner im Landgrafen des »Tannhäuser«
und im König des »Lohengrin« tut. Die patriotische Bedeutung der
Verdischen Musik lag aber noch viel tiefer. Auch sie hatte die Weich-
heit, Innigkeit, die Klarheit und Einfachheit, die der Vorzug der ita-
lienischen Kunst von jeher gewesen war, aber sie buhlte nicht wie
die Oper der letzten Periode. Ein Ton männlicher Kraft beseelte und
durchzog sie, sie brachte Eisen und Stahl in das entnervte Gemüts-
leben. Es bleibt ein Ruhm' für die Italiener, daß sie diesen Wert
Verdis gleich in seinen ersten Opern erkannten, denn er äußerte sich
noch lange hart, roh und unreif. In Wien und überall außerhalb
Italiens fiel deshalb sein ))Nabucodonoson(. durch; die modernen Ele-
mente in den Ausdrucksmitteln, die kühnen chromatischen Führungen
und Modulationen, die Feierlichkeit und der Ernst dieser Musik stießen
geradeso ab wie bei Wagner, mit dem er diese neuen Erscheinungen
gemein hat. Außerordentlich litt Verdi unter dem Verfall der Dich-
tung. Bei Werken wie ))Rigoletto(.(., )->2raviata(.(. ist der Haupteindruck
beklemmend, Schrecken über die Leere einer Zeit, die in solcher krank-
haften Richtung nach Poesie sucht, Bedauern über das musikalische
Talent, das an dergleichen ekelhafte Geschichten hinausgeworfen ist.
Wie die Romantik eine Geistesgefahr ist, das sieht man in der Ge-
schichte der modernen Operl An den nichtigen Texten brach sich die
Kraft Verdis, sein dramatischer Sinn wird schwächer. Er macht Kon-
versationsmusik wie Auber und arbeitet mit Musikeffekten wie Meyer-
1 E. Chezzi: >G. Verdi«, Firenze 1901; A. Base vi: > Studio nelle
opere di Gr. Verdi«, Firenze 1859; C. Ricci: >G. Verdi e Tltalia musicale
aU'estero«, Bologna 1889; H. Kretzschmur: >Q-. Verdi«, Jahrbuch Peters
1913.
Giuseppe Verdi. 275
beer. Noch im »Troubadour« führt der Weg zum Herrlichsten, was
die moderne romantische Oper besitzt — die Romanze, die Stretta des
Manrico, die Zigeunerszene, der Sterbechor mit der Totenglocke, das
Wiegenlied, das Schlußduett des Liebespaares — durch eine Sphäre
von Trivialität. Mit der y^Forza del destino<f., deren Text von Piave
ist, tritt die Wendung ein. Hier zeigt sich zum ersten Male der Ein-
fluß Wagners stärker im architektonischen Plan der Oper; in »Aida^^
blicken die Elsaszenen des »Lohengrin« deutlich durch. Hier steht
Verdi zugleich auf dem Gipfel der ihm eigenen Begabung, es ist das
an charaktervoller Melodik reichste Werk der ganzen neueren Opern-
geschichte. Das Band, das ihn mit den Franzosen verknüpft, hat
Verdi hier bis auf einen letzten dünnen Faden, der nach der »Afri-
kanerin« hinführt, zerschnitten. Im »Othello« und »Falstaff« ist der
alte Meister mit einem rührenden Eifer ein Schüler Wagners geworden ;
leider hat er die Frische und Glut darüber eingebüßt. Aber Italien
ist durch ihn der neuen Kunst gewonnen und wird in der Zukunft
der Oper wieder wichtig sein.
Die guten Kräfte aller Länder haben sich heute um das Ideal Wagners
geschart. Die Zeichen für die fernere Entwicklung des Musik dramas
stehen günstig. Immer wird sie vom Wechsel der allgemeinen poli-
tischen und musikalischen Strömungen mit abhängig sein. Möge es
der Oper nie an Freunden fehlen, die bei allem Wandel des Geschmacks
daran festhalten, daß sie ein hohes dramatisches Ziel hat. Das einzige
Kennzeichen für Wert und Unwert, das uns die Geschichte lehrt, ist
die dramatische Ehrlichkeit. Eine Oper ist gut, wenn die Musik dient,
sie ist schlecht, sobald sie selbstherrlich wird. Von diesem Grundsatz
aus kann auch das Publikum, die Neuerscheinungen prüfend, an einer
heilsamen Entwicklung der Oper mitarbeiten.
18*
GS
Register.
Abbatini, Antonio Maria 105.
Abert, Hermann 7. 190. 211 A.
Accidenti verissimi 85.
Adam, Adolphe 129. 267.
Adam de la Haie 11.
Addison 180.
Adler, Guido 135. 198. 268 A.
Agazzari, Agostino 51ff. (Emnelio).
55.
Agostini, Pietro Simone 105.
d'Alayrac, Nicolas 227. 259f. 264.
Albert, Heimich 219.
Albinoni 88.
Albrecht, Rudolf 136.
»Alceste« 218 ff. (Schweitzer).
Aldobrandini 50.
d'Alembert 230.
Alfonso della Viola 14.
Algarotti, Graf 8.
Allacci 5. 6. 48. 71 A.
Allegorienoper 45. 46.
Altenburg 135. 140.
Alveri 139.
Amadino 55.
Amalie, Herzogin von Weimar 217.
Ambros, Wilhelm 8. 11. 27. 46. 51.
63. 79.
Amerika 6.
d'Ancona, Alessandro 26 A.
Anfossi 211. 244.
Ansbach 155.
Apolloni 86.
Arcadelt 23.
Archilei, Vittoria 30. 33. 48.
»Arianna« 63ff. (Monteverdi).
d'Arienzo, Nicolo 27 A. 181 A.
Aristoteles 52.
Aristoxenos 23.
Arne 223.
Arnheim Amalie 225 A.
Arnold 223.
Arteaga, Stefano 8. 11. 26. 30. 43.
54. 208.
Artusi 66.
Äschylos 44. 81. 164.
Asplmayr, Franz 249.
Ästhetik der Oper 1. 10 (Gegner der
Oper).
Atto 109.
Auber, Daniel 227. 264f.
Audinot 226.
Aumont, A. 6.
Aureli 86. 137. 159. 203.
d'Auvergne 225. 227.
Ayrer 151.
Bach, Christian 207.
— Christoph 64.
— Johann Sebastian 53. 87. 102.
104. 117. 118. 129. 148. 150. 152.
169. 179. 185. 219.
Bachelier 127.
Badia, Carlo Agostino.
Badoaro, Giacomo 62.
Baif, Antoine 108.
Ballett 114 ff. (französisches).
Baltrame, Pietro 260 A.
Barberini 78.
Bardella 18.
Bardi, Johann (Graf von Vernio) 17.
19. 23.
Basevi, A. 274.
Bassani 86.
V. Baumgarten 215.
Register.
277
Bayreuth 5. 135. 155.
Beaujoyeulx 27. 115.
Beaumarchais 235. 242.
Bechstein, Ludwig 12.
Beck 243.
Beethoven, Ludwig van 125. 228. 252.
Bekker, Paul 267 A.
Bellasis, Ed. 237 A.
Bellini, Vincenzo 103. 260.
Ben da, Friedrich 215.
— Georg 215. 228. 249.
Bender 153.
Berend, Fritz 151.
Berlin 2. 5. 155.
Berlioz, Hector 218. 246. 257. 265.
Bernacchi 174.
Bernabei 7. 88.
Berni 86.
Bernier,. Nicolas 127.
Bertali, Antonio 106.
Bertati, Giovanni 185 A.
Bertholezzi 109.
Bertin 124.
Bertoni 207. 208. 244.
Berwin, Adolf 2A.
Bishpp 223.
Bissari 86.
Bitter, C. H. 186. 193. 199.
Bizet, Georges 118. 227.
Blamont, Colin de 124.
Blümner 151.
Boas, Hans 241 A.
Boetius 23.
Böhm, Johann 153.
Boieldieu, Fran^ois Adiien 126. 227.
248. 263. 264.
Boileau 112.
Bologna 2. 3. 5. 8. 49. 54. 62. 104. 174.
Bolte, J. 224.
Bonarelli 86.
Bonini 63.
Bononcini, Giovanni 106. 107. 139.
158.
~ Marc' Antonio 106.
Bontempi 86. 101. 137.
Boretti, Claudio 103.
Boschi 175.
Bostel, Lukas von 142. 143.
Böttcher, E. 215 A.
Bottura G.G. 5.
Bouilly 228.
Boxberg, Christian Ludwig 7. 153.
155.
Brancour, R. 236 A.
Brandes 249.
Brandi, Antonio 33. 48.
Braunschweig 135. 138f.
Brenet, Michel 228 A.
Bressand 139. 143. 151.
Brissac 124.
Bronner 139. 145. 151.
Broschi, Carlo 174.
Brunetti, Domenico 80.
Brüssel 2.
Buffonisten in Paris 224f.
Buini 185.
Bülow, Hans von 10. 270.
Bulthaupt, Heinrich 195.
Buranello siehe Galuppi.
Burney, Charles 8. IL 148 A. 166.
177. 178. 183. 186. 189. 208.
Buschkötter, W. 236 A.
Busenello, Giovanni Francesco 62.
87. 88. 96.
Caccini, Francesca 71.
— Giulio 18. 19. 20. 21. 29. 49 (Euri-
dice). 50. 78. 79. 219.
— Maria 71.
Caffarelli 174.
Cahuzac 130.
Caldara 139. 165.
Calmus, G. 179 A. 213 A.
Calzabigi 160. 195. 202ff. 221. 230.
Cambert, Robert 109 ff. 126.
Cambiasi, P. 5. 211 A.
Cametti, Alb. 211 A.
Campra, Andre 113. 123. 124. 125.
126. 127. 130. 131. 149.
Carestini 174.
Carissimi 65 A. 98. 100.
Cassel 5. 212.
Casti, G. B.
Castil-Blaze 8. 13. 108 A. 257.
Catel, Charles Simon 228. 236 ff.
Cavalieri, Emilio del 15. 16. 30. 31.
50 f. (Rappresentazione). 72.
Cavalli, Francesco 1. 3. 26. 31 A. 32.
47. 57. 65. 81 A. 88. 91 ff. (Didone).
98. 99. 102. 105. 109. 111. 115. 119.
137. 139. 142. 147. 163. 181.
278
Register.
Cecconelli, Pietro 71.
Celler, L. 108 A.
Cerlone, Francesco 209.
Cesichin, Vsevolod 6.
Cesti, Marc' Antonio 81 A. 88. 98. 99.
100. 137. 142. 147.
Chabrier 273.
Chamberlain, H. St. 268 A.
Champein 228.
Charpentier 273.
— Marc Antoine 124.
Cherubini, Liiigi 110. 229. 237.
249 ff.
Chezy, Helmine von 259.
Chezzi, E. 274 A.
Chiabrera, Gabriel 45. 50. 71. 73.
Chiappelli, A. 5.
Choral 23.
Choroper 44. 47. 59. 71. 79. 117. 199.
Chouquet, G. 108.
Christian VII. 199.
Christine von Schweden 78.
Chrysander, Friedrich 26 A. 133 A
136. 146 A. 148. 166. 176. 180. 240
241 A.
Cicconetti, Filippo 262 A.
Cicognoni 86.
Ciellis 86.
Cimarosa, Dom. 211. 244.
Claude de Laguerre, Elisabeth 124.
CUment, Felix 6.
— (Komponist) 224.
Cocchi 212.
Co Ilasse, Pascal 124.
Coltellini 203. 208. 221.
Conti 155.
Conradi (Komponist) 145.
— (Sängerin) 147.
Coppini 63.
Corelli 128.
Corneille, Pierre 112 ff. 142. 160.
Cornelius 272.
Corradi 86.
Corsi, Jacopo 19. 21. 32.
Curzon, de 266 A.
Cosini 225.
Couperin 118.
Cupeda 86.
Cuzzoni 174. 175.
Cyprian de Rore 23. 21
Dahlgren 6.
Dalberg 220.
Danchet, Antoine 121.
Dänemark 6.
Daninger, Joseph G. 134 A.
Dante Alighieri 18.
Danzi 134 A.
Da Ponte, Lorenzo 202.
Dassori, Carl 7.
Debussy, Claude 273.
Dekorationswesen 46.
de la Haye'l09. 119.
de la Popelini 6re 129.
Delsarte 129.
Dent, Edward 7. 28. 165 A. 166.
Desarbres, Neree 6.
Desmarets, Henri 124.
Desnoiresteres, G. 230 A.
Destouches, Andre 124. 125. 126.
127. 146.
Destranger, E. 6.
Deutsche Oper 133ff.
Dibdin 223.
Diderot 230.
»Didone« 91 ff. (Cavalli).
Dietz, Max 235 A.
Dittersdorf , Karl von 184. 216. 222.
227. 228. 244.
Domenico della Maria 228.
Dommer, Arrey von 11. 27. 148.
Doni, Giov. Battista 11. 14ff. 22. 23.
24. 26. 29. 30. 41. 46. 54 A. 63.
Donizetti, Gaetano 262.
Draghi, Antonio 3. 75. 88. 138. 198.
Dramma per musica 31.
Dreger 147.
Dresden 2. 5. 101. 132. 137. 156.
Duboulay 121.
Du-Casse, A. 108.
Dulle, Kurt 124 A.
Dumont, Henry 127.
Duni, Egidio Romoaldo 216. 226 ff.
250.
Dur ante, Ottavio 79.
Durastante, Francesca 174. 177.
Durazzo (Graf) 202. 225.
Düringer, Ph. 267 A.
Durlach 5. 135. 144. 156.
Du Roullet 230.
Dvorak, Anton 118.
Register.
279
Eberl 244.
Eccard, Johannes 24.
Ecorcheville, Jules 108 A.
Ehrenstein, M. 255 A.
Einstein, Alfred 5.
Eisenach 12.
Eisenberg 135. 140.
Eisner-Eisenhof, A. von 244 A.
Eitner, Karl 101. 135. 150. 155 A.
Elisabeth, Prinzessin von Braun-
schweig 139.
Ellinger, Georg 175 A.
Elmenhorst 142.
Engländer, Richard 213 A.
Englische Oper 179 ff. 223 f.
Entstehung der Oper 15 ff.
Epilog 73.
Erlebach 139.
»Eumelio« 51 (Agazzari).
»Euridice« 31 (Peri).
Euripides 160.
Fatti storici 85.
Faustini 86. 99.
Farinelli siehe Broschi.
Farrenc 129.
Favart, Charles 226. 249.
Fehr, Max 158 A.
Feind, Balthasar 143.
Feo, Francesco 175.
Ferrara 14.
Ferrari, Benedetto 82. 83.
— P. E. 5.
Fetis 7. 78 A. 119. 148. 191.
Fidate, Oberto 54.
Fideler 145.
Filippo de Monte 23.
Finale 210.
Fink, G. W. 8. 196.
Fiorillo 212.
Fischer, Georg (Schriftsteller) 133.
— (Komponist) 154.
Flechsig, E. 46.
Florenz 2. 5. 15. 23. 29. 30. 31. 49. 63.
71..
Florimo, Francesco 5. 166.
Flotow 273.
Font, A. 224 A.
Forkel, Johann Nikolaus 8. 208.
Forsyth, C, 180 A,
Förtsch 140. 145.
Franeeschini 103.
Franck, Joh. Wolfgang 145. 146. 147.
Französische Oper 2. 6. 108. 224. 234.
263. 273.
Fredrizzi 139.
»Freischütz« 255 (Weber).
Fr es Chi, Domenico 65. 88. 107. 165.
Friedrich der Große 162. 185. 187.
212. 218. 238.
Friedrich, Markgraf von Bayreuth
155.
Frugoni 208.
Fundorte von Opernpartituren 2.
Fürstenau, Moritz 5. 133 A. 137. 186.
Fux, Joseph 199.
Gaartz, H. 260 A.
Gabrieli, Domenico 88. 107. 165.
— Johannes 11. 71.
Gaedertz, Theodor 145.
Gagliano, Marco Antonio 7. 13. 21.
32. 46. 48. 63. 68 ff. (Dafne). 75 ff.
(La Flora). 80. 97. 103. 136.
Galilei, Vincenzo 17. 18. 23. 24. 26.
Galuppi, Bald. (Buranello) 211. 212.
Galvani, Livio 5. 83.
Gandini, Alessandro 5.
Gandolfi 21 A. 105.
Gasparini 174.
Gaveaux, Pierre 228.
Gay, John 179 A. 180.
Gazzaniga 211. 241 A.
Geliert 187.
Generali 246.
Giacobbi, Hieronymo 70.
Gianettini 106.
Gianni 181.
Gibot 121.
Gilbert 110.
Giordani, Gaetano 62.
Giovanni Battista del Violino 32.
Giustiniani, Vincenzo 23.
Glasenapp, C. F. 268 A.
Gluck, Christoph Willibald 1. 2. 4. 6.
7. 8. 41. 78. 99. 110. 119. 121. 128.
163. 187. 192. 195 ff. 212. 220. 227.
230ff. 268.
Goedecke 12.
Goethe, Joh. Wolfgang von 160. 215,
244. 245. 249, 273.
280
Register.
Goldmark 273.
Goldoni 159A. 210. 226.
Goldschmidt, Hugo 63 A. 81 A. 105.
Gombert 24.
Gonassi 38.
Gonzaga 49. 55.
Gosse c 228. 234.
Gotha 5.
Göttingen 8.
Gottsched, 0. C. 5. 133 A. 139. 213.
217.
Götz, Hermann 272.
Gounod, Charles 273.
Graun, Heimich 7. 139. 148. 212.
Graupner, Christoph 153.
Greff, Joachim 12.
Gregoir, Edouard 6. 108 A. 109 A.
112 A.
Gretry 184. 211. 227. 228ff. 248. 250.
264.
Grieg, Edward 118.
Grillparzer, Franz 211. 252.
Grimm, Fr. 126. 230.
Groppo 5.
Grosser 135. 140.
Grossi, Carlo 107.
Grunewald 153.
Guadagni 156. 174. 202.
Guarini 30. 44. 45.
Gubernatis, Angelo de 159.
Guidi, G.G. 31.
Guidiccioni, Laura 30. 51.
Guidiotti, Alessandro 30. 50.
Guillard 230.
Gumprecht 271.
Gutzkow 160. 272.
HaUvy 265.
Hamburg 1. 2. 5. 126. 134. 135. 141ff.
Händel, Georg Friedrich 1. 88. 97.
102. 103. 116. 117. 118. 119. 125.
127. 129. 131. 139. 140. 141. 145.
148. 150. 169. 174. 175 ff. 197 (über
Gluck). 248.
Händel-Schütz 249.
Hannover 141.
Hanslick, Eduard 1. 195. 271.
Harr er. Gottlob 152.
Harsdörfer 155.
Hasse, Faustina (Bordoni) 147. 174.
185 A.
Hasse , Johann Adolf 7. 121. 139. 148.
156. 184. 185 ff. 248.
Hassler, Hans Leo 153.
Hawkins 57 A.
Haydn, Joseph 125. 214. 222. 228.
Hegendorff 12.
Heinrich, Herzog von Meiningen 141.
Hellenisten 14. 23. 24. 25. 26. 46. 108.
Heüderson, W. F. 27 A.
Herder 249.
Hermann, J. 234 A.
H6rold 265.
Hess, Heinz 106 A.
Heuss, Alfred 55 A. 81 A. 102.
Hiller, Joh. Adam 160. 213 ff. 226.
228.
Hirschberg, E. 224 A.
— H. 5.
Historische Oper 247.
Hodermann, R. 215 A.
Hof mann, Melchior 152.
Hogarth 8.
Hohenemser, R. 237 A.
Holbach 230.
Holter 144.
Holzbauer, Ignaz 135. 220. 259.
Homer 52. 85. 159.
Hugo, Victor 246.
Humperdinck, E. 272.
Hunold, Ch. F. 144.
Hyssel 153. 154.
Iffland 218. 249.
»Incoronazione di Poppea « 88 (Monte-
verdi).
Intermedien 27 ff. 60. 63. 66. 121.
Intrigenpastorale 45.
Isouard, Nicolo 263.
Istel, Edgar 181 A. 248.
Ivanovich 86.
Jage mann 243 A.
Jahn, Otto 239.
Jannequin 24.
Jansen, A. 225.
Jesuitenspiele 13,
Jomelli, Nicolo 3. 7. 132. 156. 187.
189. 190ff. 199. 212.
Jouvin, B. 264 A.
Register.
281
Jouy 237.
Joseph IL 216. 235.
Jullien, A. 235 A.
Kantate 98.
Karl IX. 108.
— XII. 162.
— Alexander von Polen 78.
— Eugen von Württemberg 155.
— Theodor 220.
— von Toskana 71.
Katharina von Medici 108. 115.
Kauer 209. 258.
Kaunitz (Fürst) 230.
Keiser, Reinhard 7. 135. 139. 140.
144. 145. 147ff. 151. 153. 155. 156.
Kelly, Mich. 197.
Kiesewetter, Raph. G. 11.
Kleefeld, Wilh. 133 A.
Klein (Dichter) 220.
— Bernhard 247.
— J. J. 11. 27 A. 44.
Klopstock 162. 187. 208.
Klose 272.
Koburg 5.
Köchel, L. 133 A. •
Kochsche Truppe 213.
Kohlrausch, Friedrich 215 A.
Komische Oper 77. 105. 145. 249.
König, Ulrich 144.
Kopenhagen 6.
Körner, Theodor 260.
Kraus s, R. 133 A.
Krehbiel, H. Edward 6.
Kretschmer 273.
Kretzschmar, Hermann 81 A. lOlA.
185 A. 195 A. 210 A. 230 A. 237 A.
239 A. 245 A. 268 A. 274 A.
Kreutzer, Rudolph 237.
Kreuzhage, W. 272.
Krieger, Johann 140.
— Johann Gotthelf 140.
-— Johann Philipp 135. 139. 140. 145.
151.
Krone, W. 216 A.
Kuhn au, Johann 152.
Kulturgeschichtliche Bedeutung der
Operngeschichte 2. 4.
Kunzen, Friedrich 223.
Kusser, Sigismund (Cusser) 7. 135.
139. 145. 147. 151. 155.
Lampugnani 212.
Lamy, F. 236 A.
Latilla 2. 212.
Labarre, Michel de 124.
»La Catena d'Adone« 73 (Mazzocchi).
Lacoste 124.
Ladislaus Sigismund von Polen
71.
La Fontaine 121.
Lalande 125 A.
Lalouette, Fran^ois 127.
Laloy, Louis 128.
La Motte 121. 129.
Landi, Stefano 74. 77.
Langlois, E. 11 A.
Lapi, Giovanni 32.
La Rochois 119.
Lasso, Orlando di 23. 30.
Laurencie, L. de la 108 A. 124 A.
128 A.
Lavoix, Henri 118 A.
Lef^bre, B. 6.
Legrenzi, Giovanni 2. 88. 104.
Leichtentritt, Hugo 8, 147 A.
Leipzig 135. 151ff.
Le Moyne 234.
Lenardini 103.
Leo, Leonardo 7. 175. 176. 182. 225.
Leopold L 101. 135.
Lereis, A. de 109 A.
Le Sage 209.
Lessing, Gotth. Ephr. 112. 213. 220
Lesueur, Jean FranQois 236. 250.
Lewy, Heinrich 215 A.
Lichtenstein 259.
Liederspiele 11.
Lille 6.
Lindner, Ernst Otto 133 A. 134. 135.
146.
Lindo, P. 244 A.
Linon, Janos 239 A.
Liszt, Franz 270.
Liturgisches Drama 13.
Locatelli 198. 212.
Logroscino, Nicola 210.
Löhner 135. 153. 154. 155.
Löwe 139.
London 8. 37 A. 175. 183.
Lorenzo, Giambattista 210.
Loreto, Vittori 77.
282
Register.
Lortzing 267.
Lotti, Antonio 83. 139, 156. 165. 174.
Ludwig XIII. 111. 117.
— XIV. 2. 46. 99. 109. 110. 111. 112.
113. 156.
— XVI. 235 A.
Lully, Jean Baptiste 7. 8. 97 A.
108 A. UOff. 128. 130. 139. 142.
149. 202. 229.
Lütjens 141.
Luzzo 103.
Lynker, B.W. 5.
Madrigal 24 f. 30.
Magdeburg 135.
Mailand 5.
Mainz 5.
Majo, Francesco di 7. 187. 189 f.
Malherbe, Charles 224 A.
Malvezzi, Christofano 19. 29. 30. 60.
Manelli, Francesco 63.
-Manera 106.
Mantua 49. 55. 62. 65. 68.
Marais, Marin 124. 125.
Marazzoli, Marco 78.
Marcello, Benedetto 178.
Marchesan, A. 241 A.
Marenzio, Luca 19. 29.
Margarete von Toscana 75.
Maria Antoinette 230.
— Theresia 160. 199.
— von Medici 108.
Mariani, Tommaso 182.
Marino, Giambattista 72.
Marmontel 230.
Marpurg, Friech:. Wilh. 5. 133 A. 139.
154. 262.
Martini (Padre) 8. 191. 228.
Martoscelli 181.
Marschner, Heinrich 41. 251. 280.
267.
Marx, Adolf Bernhard 194. 195. 198.
199.
Mascardi 78.
Masse 273.
Massenet 273.
Matt ei, Saverio 182.
Mattheson, Johann 100. 115 A.
133 A. 135. 145. 146. 147. 148. 149.
150.
Maurer. J.
Mayer -Reinach, Albert 139. 212 A.
Mayr, Simon 7. 245. 247. 261.
Mazarin 111.
Mazzi 106.
Mazzocchi,Domenico32. 70. 72. 105.
Medici 49.
Mehul, Etienne Nicolas 236. 250.
Meienreis, M. 11 A.
Meiningen 315. 141.
Meissner, A. G. 213 A.
Melani, Jacopo 105.
Melisma 52.
Melodram 248.
Menantes siehe Hunold.
Mendelssohn, Felix 263.
Menestrier 109.
Mennicke, C. 185 A.
Mentzel 133.
Merimee, H. 6.
Mercadante 246. 251. 261.
Mersmann, Hans 7. 153 A.
Metastasio, Pietro 43. 159ff. 192.
199. 248.
Meyerbeer, Giacomo 110. 265. 266 f.
270.
Milego, J. 6.
Minato, Nicolo 86. 87. 142. 159.
Mingotti 174.
— (Gebrüder) 198. 212.
Mocenigo, Girolamo 62. 67. 82.
Modena 2. 3. 5. 27. 88. 106.
Moliere 115.
Monelli 225.
Moniglia 86. 138.
Monnet 224.
Monsigny 228.
Montalvo, Grazio 32.
Monteclair, Michel 124.
Monteverdi, Claudio 1. 7. 13. 20. 22.
31. 41. 48. 55 ff. (Orfeo). 63 ff. (La-
mento). 67 ff. (Ballo deir ingrate).
69. 71. 72. 80. 82. 88 ff. (Incoro-
nazione di Poppea). 96. 101. 102.
117. 118. 125. 137. 167. 189. 208.
268. 269.
Morales, Christobal 24.
Moralitäten llff.
Morelli 86.
Morin, Jean Baptiste 127,
Morley 28.
Register.
283
Morphy, G. 25.
Mouret, Joseph 124.
Mozart, Wolfg. Amad. 125. 149. 168.
173. 189. 202. 209. 211. 216. 218.
221. 222. 228. 235. 239 ff. 249.
Muffat 118.
Müller, Friedrich (Maler) 216.
— Wenzel 216. 222. 227. 258.
München 2. 6. 30. 134. 238.
Mysterien 13. 51. 134.
Naumann, Gottlieb 203.213. 228.228.
Naumburg 135.
Nantes 6.
Neapel 3. 5. 23 (Villanellen). 158 ff.
Neapolitanische Oper 158 ff.
Neefe, Gottlob 215. 249.
Neisser, A. 7.
Neri, Filippo 50.
Nestler, M. J. 213 A.
Neuburg 5.
Nicolini (Buchdrucker) 7.
— (Kastrat) 174. 175.
Noack, Friedrich 153 A.
Nuitter, Ch. 6. 108 A. 111.
Nordische Oper 223.
Noris 86.
Nürnberg 135. 153 ff.
Odoardo Farnese 72. 75.
Oeverskou 6.
Offenbach, Jacques 267.
Opel, J. 0. 133 A. 139.
Opera buffa 105. 181. 209 ff. 247.
Operntheater 82 ff. 104. 110. 138.
Opitz, Martin 136.
Oratorium 65 A. 67.
Orefice, Antonio.
»Orfeo « 55 ff. (Monteverdi).
Orlandini 185.
Otzenn, K. 150.
Ouvertüre 56. 71. 74. 118.
Pacini 246.
Padua 49.
Paer, Ferdinand 243.
Pagliardi 104.
Paglizzi, A., — Brocci 5.
Pagnerre, L. 273 A.
Paisiello 211. 228. 242.
Palantrotti, Melchior 33.
Palestrina, Pierluigi 1. 23. 24. 25.
Pallavicini, Carlo 88. 107. 147. 156.
165. 184.
Pallavicino 67. 151.
Paris 2. 6. 109 ff. 234 ff.
Parisetti 139.
Parma 5. 132.
Pasqu6, E. 133 A.
Pasquini, Bernardo 106.
Passion 14. 67.
Pasticeio 178.
Pastorale 30. 109.
P au mann, Konrad 153.
Pellegrin 129.
Pepusch, Joh. Christoph 179 A. 180.
Perez, David 156. 187. 199.
Pergolesi, Giov. Battista 7. 27 A.
169 ff. 182. 184. 194. 224. 225. 226.
Peri, Jacopo 13. 19. 20. 21. 22. 39ff .
54. 60. 61. 64. 65. 68. 69. 70. 72 .
76. 81. 97. 108. 136.
Perrin, Pierre 109. 110. 111.
Persiani 86.
Perti, Antonio 88. 106.
Pesca y Goni 6.
Peschel 152.
Peter der Große 162.
Peth, J. 5.
Petzhold 153.
Petzold 152.
Pfitzner, Hans 272.
Philidor 127. 228. 250.
Philipp von Orleans 128.
Piccinni, Nicola 7. 110. 195. 211.
212. 230 ff. 235.
Pindar 85.
Pisa 49.
Piscopo 181.
Pisendel 153.
Pistocchi 106. 155. 174.
Pistoja 5.
Pistorelli, L. 210.
Plato 68.
Plejaden 108.
Plutarch 23.
Poissl 134 A.
Politiano 30. 34.
Pollarolo, Carlo Francesco 88. 107.
139. 155. 165.
Pope, Alexander 179.
Porpora, Nicolo 1731 185.
284
Register.
Porta 185.
Postel, Christiaji 143.
Pougin, A. 6. 110. 129. 225. 228 A.
236 A. 260 A. 263 A. 264 A. 265 A.
266 A. 267 A.
Prag 5. 137.
Prätorius 136.
Prolog 33. 70. 71.
Provenzale, Francesco 165.
Pruuiöres, H. 108 A.
Psalter 23.
Quagliati, Paolo 54. 80.
Quantz 174.
Quellen zur Operngeschichte 2 (Par-
tituren). 4 (Textbücher).
Quinault, Philipp von 112ff. 142.
202. 229. 230.
Raaff, Anton 174. 190.
Racine 160.
Räder, Gustav 209.
Radiciotti, G. 5. 7. 169 A.
Raimund 209.
Rameau, Jean Philippe 7. 119. 121.
126. 128 ff. 179. 192. 224. 225. 226.
229. 230.
Raguenet, FranQois 128.
Rasi, Francesco 33. 174.
Rauch (Magister) 146.
Rebel 124.
Rebhun, Paul 12.
Reca 184.
Regnard 146.
Reichard 243.
Reichardt, Joh. Friedr. 148. 208.
213. 218.
Reichel, E. 213 A.
Reif Schläger, E. 134 A.
Reinken, Jan Adam 141.
Reiser 142.
Reissiger 247.
Reissmann, August 155 A. 271.
Reuchlin, Joannis 12.
Reuter, Joh. Georg (junior) 199.
Rezitativ 13. 14 (liturgisches). 15 (bei
Cavalieri). 16 (nach Cavalieri). 32
(bei Peri). 47. 48. 70 (Mazzocchi).
75 (Gagliano). 88 (Monteverdi).
96 (Venetianer). 119 (Lully). 127
(französisches nach Lully). 131
(Rameau). 163. 165 (Neapolitaner).
185 A. (Hasse). 205 (Gluck).
Ricci, Corrado 5. 274 A.
— Luigi und Friderici 274.
Richter (Hambm-g) 142.
Riedinger, L. 216 A.
Riehl, W. 120. 186. 194. 253.
Riemenschneider 147.
Righini 243.
Rinaldo da Capua 2. 184.
Rinck 101.
Rinuccini, Ottavio 19. 20. 21. 30.
31. 32. 34. 36. 43. 44. 45. 55. 62.
66. 68. 108. 112. 136. 208.
Rischmüller 147.
Rist 146.
Rivani 121.
Rochlitz, Friedr. 189.
Rolland, Romain 8. 11. 27. 97 A. 105.
Rom 2. 45. 49. 50. 51. 55. 70. 72. 78.
106.
Romantische Oper 247.
Römhild 135. 141.
Rospigliosi, Giulio 79. 105.
Rossi, Luigi 3. 32 A. 88. 98. 105. 109.
111.
— Michelangelo 77. 78.
Rossini, G. 246. 253ff. 265.
Rousseau, Jean- Jacques 128. 208.
209. 225 ff. 230. 248.
Rovettino 88. 97. 99. 100.
Rubinstein 273.
Rudhart, F. M. 5. 30. 133 A.
Rußland 6.
Sabbadini, Bernardo 105.
Sabbatini, Antonio 88.
— Pompeo 156.
Sacchini, Antonio Maria Gasparo
110. 120. 234ff. 238.
Sachs, Curt 5. 134 A.
— Hans 153.
Sacrati, Paolo 88. 103. 109. 111 .
Saint-Evremond 128.
Saint -Saens, Camille 129. 273.
Salieri, Antonio 189. 234ff. 237.
Salomon 124. 127.
Salvadori, Andrea 75.
Sammartini, Giovanni Battista 197.
Sandberg er, Adolf 153 A.
Sängerschulen 174.
Saracinelli, Ferdinando 71.
Register.
285
Sarti, Giuseppe 244.
Sartorio, Marc Antonio 88. 99.
Sbarra 86.
Scarlatti, Alessandro 7. 8. 61. 97 A.
102. 107. 125. 131. 139. 149. 151.
156. 165ff. 172. 176. 182. 193. 269.
Schatz, Albert 6. 185 A.
Scheibe 148. 213 A. 216.
Scherillo, Michael 181 A. 260 A.
Scherr, Johannes 11.
Schiedermair, Ludwig 5. 7. 133 A.
234 A. 245 A.
Schieferdecker 140.
Schiller, Friedrich 10. 159. 160. 208.
Schletterer, Hans Michael 11. 12.
13. 213.
Schmehling (Mara) 217 A.
Schmid, Anton 195. 198.
Schmidt, Gustav F. 7. 139.
Schneider, L. 133 A.
— Max 147 A.
Schober 147.
Scholz, H. 7. 139 A.
Schott, Gerhald 126. 141. 146.
Schubart, Daniel 217.
Schubaur 134 A.
Schucht, J. 266.
Schulkomödien llff. 51. 134.
Schürmann, Georg Kaspar 7. 139.
Schuster (Dresden) 215.
— Michel 136.
Schütz, Heinrich 1. 14. 125. 136ff.
Schütze, J. F. 133 A.
Schweden 6.
Schweitzelsperger 135. 156.
Schweitzer, Anton 135. 217. 259.
S6daine 227.
Segnitz, Eugen 215 A.
Senesino 174. 175. 177.
Sercamanan 109.
Shakespeare, William 1. 10. 241.
273.
Shield 223.
Siegmeyer, J. G. 230.
Sievers, G. P. L. 244 A.
Siface 174.
Signorelli 8.
Singspiel 212 ff. 249.
Sittard, Jos. 133 A. 136 A. 155 A
Siziliano 102. 169. 183.
Sografi 203.
Solerti, A. 11. 14 A. 48. 50 A. 81 A.
Solle, Jean Pierre 228.
Sologesang 22. 25ff. 48. 92. 127f. (fran-
zösischer). 150 (unbegleiteter).
Solooper 87. 199.
Sonneck, O.G. 6. 31 A.
Sophokles 43. 81. 160. 164.
Soubies, A. 224 A.
Souterliedekens 23.
Spanien 6.
Spielhagen 272.
Spitta, Philipp 184. 202.
Spohr, L. 258. 250.
Spontini, Gasparo 110. 237. 248. 258.
270.
Stade n. Gottlieb 155.
Stampiglia, Silvio 158. 161.
Standfuß, C. 213.
Statistik der Oper 6. 7. 207 (Gluck).
Steffani, Agostino 7. 141. 145. 147.
Steibelt 251.
Stockholm 6.
Stollbrock, L. 199 A.
Stolle, Philipp 135.
Stölzel, Heinrich 135. 140. 153. 155.
Storace 223.
Stradella, Alessandro 88. 106. 165.
Strauss, Johann 268.
— Richard 273.
Striggio, Alessandro 23. 55.
Strozzi, Giulio 62. 86.
— P. 29. 62.
Struck, Batistin 124.
Strungk, Adam 142. 145. 151.
Süßmayer, Franz 244.
Swift, Jonathan 179.
Tappert, W. IIA.
Tasso, Torquato 30. 44. 64. 67.
Taubert, Otto 136.
Tectoni, Alfred 253.
»Telemach« 199 ff. (Gluck).
Telemann 135. 148. 150. 152. 153.
219.
Tempobezeichnungen 37 A.
Terenz 12.
Terradellas, Domenico 187, 189.
Tesi 174.
Teubner, E. 0. 5. 133 A.
286
Register.
Textbücher 4 (Wert füi* die Opern-
geschichte). 135 (deutsche).
T heile, Johann 142. 145.
Thiemich, Paul 151.
Thoinan, Erneste 6. 108 A. 111.
Thrane, C. 244.
Tiersot, Julien IIA. 225 A.
Toledo 6.
Tonelli 225.
Torchi, Luigi 31.
Torelli 46.
Torgau 136.
Tosi 197.
Tournet 119.
Towers, John 6.
Traetta, Tommaso 7. 132. 156. 187.
192 ff. 199. 212.
Treitschke 228.
Tridentiner Konzil 25.
Triest 5.
Tremolo 68 (bei Monteverdi).
Trinchera 209. 225.
Trompetenarie 102.
Troncaschi, Ottavio 72. 73.
Tullio 181.
Turin 49.
Türkenoper 248. 263.
Ulrich, Herzog von Braunschweig
138. 139.
Umlauf 216.
Urbino 5. 49. 103.
Vaccai 246.
Valencia 6.
Valle, Pietro della 54.
Vatielli, F. 207 A.
Vecchi, Orazio27. 28f. 31. 105. 181.
Vendramin, Paolo 62.
Venedig 2. 3. 5. 44. 62. 63. 67. 81ff.
174.
Verdelot 24.
Verdi, Giuseppe 67. 261. 274.
Verkleidungsmotiv 72. 78.
Viadana, Lodovico 26. 79.
Vicenza 49.
Vieville, Lecerf de 128.
Vigarani 121.
Villanellen 23.
Vinci, Leonardo 169ff. 176. 182. 185.
186. 194.
Vischer, Peter 153.
Vogel, Emil 7. 60. 63.
— Johann Christoph 236.
Voigt, F. A. 148.
Voltaire 10.
Vorarbeiten zur Operngeschichte 7.
Vorgeschichte der Oper 10.
Wagner, Richard 1. 4. 8. 61. 115. 120.
126. 153. 163. 195 ff. (über Gluck).
203. 208. 257. 260. 261. 288ff.
Wahl, E. 263 A.
Walter, Friedrich 5. 218.
Washington 6.
Weber, Carl Maria von 126. 246. 253-
255 ff. 265.
— H. 133 A.
Weckerlin, J. B. 110. 112.
Weigl, Joseph 244 A. 253.
Weise, Christian 12.
Weisse, Christian Felix 213ff. 226.
Weißenfels 139.
Wellesz, Egon 100 A.
Welti, H. 195 A. 202.
Wendschuh, L. 222 A.
Wenzel 135. 140.
Werner, Anton 139. 145 A.
Wiel, Taddeo 3. 5. 63.
Wieland 208. 217. 249.
Wien 2. 5. 72. 87. 88. 100. 101. 135.
137. 156. 198.
Winter, Peter von 244. 245. 253.
Winterfeld, Carl von 11. 43.
Wolf (Weimar) 215.
Wölffl 244.
Wortsmann, Stephan 195 A.
Wotquenne, A. 158 A. 211 A.
Wright 184.
Zacconi, Lodovico 26 A.
Zarlino, Giuseppe 25.
Zelle, Friedrich 133 A. 142 A. 145 A.
150 A.
Zeller, B. 185 A.
Zeno, Apostolo 155. 158ff. 248.
Ziani, Marc' Antonio (der Jüngere)
7. 88. 99.
— Pietro Andrea (der ältere) 88.
101 f. 137.
Ziegler, Mariane von 162.
Zittau 12.
Hermann Kretzschmar
FÜHRER
DURCH DEN
KONZERTSAAL
I. Abteilung: Band 1/2
Sinfonie und Suite
Geheftet 25 Mark :: :: :: :; gebunden 32 Mark
IL Abteilung: Band 1
Kirchliche Werke
Passionen
Messen-Hymnen-Motetten-Kantaten
Geheftet 20 Mark :: :: :: :: gebunden 26 Mark
II. Abteilung: Band 2
Oratorien
und weltliche Chorwerke
Geheftet 20 Mark :: :: :: :: gebunden 26 Mark
Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig
Geschichte des
Meuen deutschen Liedes
I. Teil: Von ALBERT bis ZELTER
von
Hermann Kretzschmar
Geheftet 12 Mk. - Gebunden 16 Mk.
Der erste von Heinrich Albert bis zur
Berliner Schule reichende Teil dieser
neuen Geschichte des modernen deut-
schen Liedes behandelt das 17. Jahr-
hundert auf Grund eines umfassenden,
zum größten Teil bisher unbenutzt ge-
bliebenen Quellenmaterials und gibt
über die verschiedenen Liederschulen
der Zeit, ihre Ziele und Leistungen
einen Aufschluß, bei dem unbekannte
Künstler ans Licht gezogen werden und
bestimmte Liedarten zu einer unge-
ahnten Bedeutung gelangen. Für das
18. Jahrhundert bietet das Buch eine
zuverlässigeOrientierungüberdieGe-
sichtspunkte, nach denen sich die Ent-
wicklung des Liedes richtete und über
die Hauptmeister und Hauptwerke.
Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig
Library Bureau Cat. No. 1137
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Kreuschmar, Herman
Geschichte der Oper
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Kretzschmar^ Hermann^ 1848
1924.
Geschlch-te der Oper