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/
GESCHICHTE DER QUELLEN
DES
RÖMISCHEN RECHTS.
VON
De. THEODOR KIPP,
O. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
ZWEITE UMGEARBEITETE AUFLAGE.
Leipzig
A. Deichert'sche Verlagsbuchh. Nachf.
(Georg Böhme).
1903.
M]G'^'
aW^
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung
vorbehalten.
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1903
Vorwort.
Das vorliegende Buch, welches im Jahre 1896 zuerst er-
schien und von dem im Jahre 1 897 eine italienische Über-
setzung von G. Pacchioni veranstaltet wurde, stellt sich zur
Aufgabe, eine kurz gefaßte Geschichte der Quellen des
Römischen Rechts zu bieten. In der ersten Auflage habe
ich mich im wesentlichen darauf beschränkt, eine Sachdar-
stellung mit sparsamen Belegen aus den Quellen und noch
sparsameren Hinweisen auf die Literatur zu geben. Bei der
Neubearbeitung dagegen emj^fand ich das Bedürfnis, sowohl den
Quellenapparat wesentlich zu verstärken, wie auch die Literatur,
insbesondere die neuere und neueste, weit eingehender zu be-
rücksichtigen. Aber auch abgesehen von diesen Punkten
wird man nach manchen Richtungen das Buch verändert und,
wie ich hofife, verbessert finden. Insbesondere bin ich bemüht
gewesen, die neueren Quellenfunde gebührend zu beachten
und gewisse Grundfragen der Quellentheorie: ins gentium,
aeqtiitas, ins naturale, Gewohnheitsrecht, mehr in den Vorder-
grund zu rücken und in der Darstellung zu vertiefen.
Berlin, im Juni 1903.
Theodor Kipp.
Inhalt.
§
6.
§
7.
§
8.
§
9.
§
10.
§
11.
§
12.
§
13.
§
14.
§
15.
Seite
§ 1. Einleitung 1
Erstes Kapitel.
Allgemeine Fragen.
§ 2. Übersicht über die Formen der Rechtsbildung bei den Römern.
Positives Recht und ius naturale. Jus und aequitas .... 3
§ 3. Geltung des römischen Rechts im römischen Reich. Jus civile
und ius gentium
10
Zweites Kapitel.
§ 4. Das römische Gewohnheitsrecht 17
Drittes Kapitel.
Recht setzende Staatsakte.
§ 5. 1. Angebliche Rechtsaufzeichnungen der Königszeit .... 24
2. Die Volksgesetzgebung. (Leges latae) 26
Allgemeine Lehren vom Volksgesetz 26
Die XI] Tafeln 29
Die Volksgesetzgebung nach den XII Tafeln 36
3. Leges datae und leges dictae 40
4. Edicta magistratuum. Jus civile und ius honorarium ... 44
5. Senatus consulta #. 52
6. Constitutiones principum t>9
Die kaiserlichen Erlasse unter dem Principal 59
Die kaiserlichen Erlasse in der absoluten Monarchie ... 70
Die Überlieferung der vorjustinianischen Konstitutionen . . 77
7. Erlasse der Präfecti Prätorio. Sonstige Beamtenerlasse . . 86
— VI —
Viertes Kapitel.
Die Rechtswissenschaft.
Seite
§16. 1. Die repubUkanische Rechtswissenschaft 88
2. Die klassische Rechtswissenschaft 95
§17. Stellung und Tätigkeit der klassischen Rechtswissenschaft im
allgemeinen 95
§ 18. Die beiden Schulen 100
§19. Die einzelnen Juristen von Labco bis Julian 102
§ 20. Die Juristen von Pomponius bis Marcellus 111
§ 21. Die Juristen von Scävola bis zum Ausgang der klassischen Zeit 118
§ 22, 3. Behandlung der Schriften der klassischen Juristen in der
Folgezeit 125
§ 23. 4. Die nachklassische Rechtswissenschaft 127
§ 24. 5. Die Überlieferung der juristischen Werke 128
Fünftes Kapitel.
§ 25. Leges Roraanae der germanischen Reiche . . 135
Sechstes Kapitel.
Die Justinianische Gesetzgebung und ihre orien-
talischen Bearbeitungen.
§ 26. 1. Der Verlauf der Justinianischen Gesetzgebung 137
2. Die Bestandteile der Tustinianischen Gesetzgebung .... 139
§ 27. Die Institutionen 139
§ 28. Die Digesten 140
§ 29. Der Codex Justinianus 144
§ 30. Die Justinianischen Novellen 146
§ 31. 3. Zusammenfassung zum Corpus iuris civilis. Ausgaben . . . 148
§ 32. 4. Die orientalischen Bearbeitungen der Justinianischen Gesetz-
gebung 151
Siebentes Kapitel.
§ 33. Akten und Urkunden 153
Achtes Kapitel.
§ 34. Die nichtjuristische Literatur 159
Bibliographische Vorbemerkungen.
Quellenwerke.
Ausgaben des Corpus iuris civilis s. § 31.
Die Überreste der römischen Jurisprudenz außerhalb des Corpus iuris civilis
bieten: Krüger, Mommsen und Studemund, Collectio librorum
iuris Anteiustiniani und Huschke, iurisprudentiae Anteiustinianae quae
supersunt. Über beide Werke, wie auch über Lenel, Palingenesia iuris
civilis und Bremer, Jurisprudentiae Antehadrianae quae supersunt s. § 24
Anm. 1.
Bruns, fontes iuris Romani antiqui. 6. Aufl. von Mommsen und Gra-
denwitz. P. I Leges et negotia ; P. II Scriptores (Auszüge aus Nicht-
juristen.) Freib. u. Leipz. 1893.
Wo für inschriftliches Material Bruns versagt, ist zurückzugehen auf Dessau,
inscriptiones Latinae selectae Berol. I 1892. II, 1 1902 oder weiter auf das
Corpus inscriptionum Latinarum (C. J. L.) Berol. 1862 sqq.
Papyrussammlungen s. § 33 Anm. 20.
Darstellungen der römischen Rechtsgeschichte insbesondere
der Quellengeschichte.
G. F. Puchta, Kursus der Institutionen. B. I. 10. Aufl. nach dem Tode
des Verfassers besorgt von P. Krüger. Leipzig 1893.
O. Kariowa, römische Rechtsgeschichte I. B. Staatsrecht und Rechtsquellen.
Leipzig 1885.
P. Krüger, Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts
(Bindings Handbuch d. deutschen Rechtswissensch. I, 2). Leipzig 1888.
F. Schulin, Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechts. Stuttg. 1889.
M. Voigt, römische Rechtsgeschichte. 3 Bde. Leipzig 1892 — 1902.
P. Jörs, das römische Recht. Birkmeyers Encyklopädie der Rechts-
wissenschaft. Berlin 1900. Quellen S. 77-91.
P. F. Girard, Manuel ^lementaire de droit Romain. 3. Aufl. Paris 1901.
S. 1—88.
R. So hm, Institutionen. 11. Aufl. Leipzig 1903. S. 14 — 134.
Bruns-Pernice-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts in
H o Itzen d or f fs Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 6. Aufl. Berlin
1902/B. S. 73—170.
— VIII —
Römisches Staatsrecht.
Th. Mommsen, römisches Staatsrecht. 3 Bde. (Marquard t-Mommsen,
Handbuch der römischen Altertümer B. 1—3.) B. 1. 2 in 3. Aufl. und B. 3, I
Leipzig 1887. B. 3, 2 das. 1888.
— — Abriß des römischen Staatsrechts (B i n d i n g s Handbuch der
deutschen Rechtswissenschaft I, 3). Leipzig 1893.
Theorie der Rechtsquellen.
M. Wlassak, Kritische Studien zur Theorie der Rechtsquellen im Zeitalter
der klassischen Juristen. Graz 1884.
E. Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechisquellen I. T. das ius civile, ius
publicum, ius privatum. Berlin ]90"2.
Römische Rechtswissenschaft.
P. Jörs, römisc'.ie Rechtswissenschaft zur Zeit der Republik. 1. Tl. Bis
auf die Catonen. Berhn 1888.
H. H. Filting, über das Alter der Schriften römischer Juristen von Hadrian
bis Alexander. Basel 1860.
W. Kalb, das Juiistenlatein. 2. Aufl. Nürnberg 1888.
— — Roms Juristen, nach ihrer Sprache dargestellt. Leipzig 1890.
Hülfsmittel zur Exegese.
Th. Schimmelpfeng, Hommel redivivus oder Nachweisung der bei den
vorzüglichsten älteren und neueren Civilisten vorkommenden Erklärungen
einzelner Stellen des Corpus Juris Civilis. 3 Bde. Cassel 1858, <'i9.
B. Brissonius, de verborum quae ad ius civile pertinent significatione, zu-
letzt bearbeitet von Heineccius. Halle 1743.
H. E. Dirksen, manuale Latinitatis fontium iuris civilis Romanorum.
Berlin 1837.
H. G. Heumann, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts. 8. Aufl.
von Thon. Jena 1895.
Vocabularium iurisprudentiae Romanae. Editum iussi inslituti Savigniani (von
Gradenwitz, Kubier, E. Th. Schulze, Helm, jetzt unter Leitung
von Kubier). Berlin, im Erscheinen seit 1884.
Die Anführungen aus der Zeitschrift der S a v i g n y - S t i f t u n g
für Rechtsgeschichte (Weimar 1880 ff.) beziehen sich auf die romaiiisli«che
Abteilung.
§ 1. Einleitung.
Von Quellen^) des Rechts spricht man in einem doppehen
Sinne, dem der Entstehungsquellen und dem der Erkennt-
nisquellen.
I. Die Entstehungsquellen, die Quellen, aus denen das
Recht fließt, sind genau genommen die Faktoren, von denen
die Rechtsbildung ausgeht: die Inhaber gesetzgebender Gewalt
oder die Träger sonstiger rechtsschöpferischer Macht, wie das
Volk als Urheber der Rechtsgewohnheit, die Juristen als
Schöpfer des Juristenrechts. Gewöhnlich aber versteht man
unter Rechtsquellen nicht diese schöpferischen Faktoren, son-
dern nennt so die von ihnen ausgehenden Akte, durch welche
sie Recht schaffen : das Gesetz, die Rechtsgewohnheit, die
gemeine Meinung der Juristen.
IL Erkenntnis(]uelle des Rechts ist alles, woraus wir unsere
Kenntnis des Rechts schöpfen. Weitaus die Hauptrolle spielt
dabei die Schrift. Es kommen aber auch andere Dinge in Be-
tracht.-) Die schriftliche Rechtsüberlieferung bewegt sich in
der unmittelbaren Wiedergabe der Texte von Rechtssatzungen,
in Mitteilungen, Ausführungen, Erwägungen über den Inhalt be-
1) Das darin liegende Bild ist auch den Römern nicht fremd. Liv.
III, 34: fons omnis publici privatique iuris. Dort ist aber der Sinn ein eigen-
tümlich gefärbter: die XII Tafeln unter der gewaltigen Masse übereinander-
gehäufter Gesetze der Urquell des Rechts ; übrigens wohl mehr im Sinne
der Entstehungsquelle als nur der Erkenntnisquelle.
^) Münzen sind nicht bloß durch ihre Inschrift, sondern auch durch ihre
Bilder, ihre Zusammensetzung, ihr Gewicht lehrreich, und das Münzwesen ist
öffentlichrechtlich wie privatrechtlich von vielseitiger Bedeutung; die notitia
dignitatum (§ 24) ist nicht bloß durch ihren Text, sondern auch durch ihre
Abbildungen wichtig.
Kipp, Quellen des röm. Rechts. 1
stehender Rechtssätze, in Erklärungen, Beurkundungen, Erzäh-
lungen, welche das Recht in der Anwendung auf den einzelnen
Fall zeigen, oder sonst Schlüsse auf Rechtssätze erlauben.
Den ersten Rang nehmen ein buchmäßig verbreitete Werke:
Gesetzbücher, juristische Privatarbeiten und Werke der nicht-
juristischen Literatur, die bei den Römern in allen ihren
Zweigen für die Erkenntnis des Rechtes ergiebig ist. Dazu
kommen Inschriften auf Bronze und Stein, Urkunden auf
wachsüberzogenen Holztäfelchen, Bronzetäfelchen, Papyrus.
III. Die Lehre von den Entstehungsquellen des römischen
Rechts ist ein Stück des römischen Rechts selbst; denn
Rechtsvorschriften sind es, welche darüber bestimmen, wie sich
Recht bilden soll. Die Einsicht in jene Lehre verdanken wir
ebenso wie alles, was wir sonst vom Inhalt des römischen Rechts
wissen, den Erkenntnisquellen des römischen Rechts. Man könnte
sonach versucht sein, die Lehre von den Erkenntnisquellen
selbständig voranzustellen. Das ist aber nicht möglich, weil
man ohne Darlegung der Lehre von den Entstehungsquellen
oft gar nicht zeigen kann, in wiefern dies oder jenes den
Wert einer Erkenntnisqueile des römischen Rechts hat. Die
folgende Darstellung behandelt daher Entstehungsquellen und
Erkenntnisquellen in Verbindung miteinander. Die Lehre von
den Entstehungsquellen des römischen Rechts ist aber nur
dann vollständig, wenn auch dargelegt ist, welche Geltungs-
kraft, welcher Geltungsbereich dem aus ihnen geflossenen
Recht zukam, und auch an der ganz andern Frage ist nicht
vorbeizugehen, inwieweit nach römischer Ansicht eine Norm,
um Recht zu sein, der Sanktion durch eine sg. Rechtsquelle
überhaupt bedarf
Erstes Kapitel.
Allgemeine Fragen.
§ 2.
Übersicht über die Formen der Rechtsbildung bei den
Römern. Positives Recht und ius naturale.
lus und aequitas.
I. Die Römer gehen davon aus, daß das Recht eine von
einem Gemeinwesen ausgehende, für den Bereich dieses Ge-
meinwesens bestimmte Lebensordnung ist. Römisches Recht
ist, was die Römer auf einem der von ihnen selbst aner-
kannten Wege der Rechtsbildung sich als Recht geschaffen haben.
Im Anfange steht vorwiegend gewohnheitsrechtliche Rechts-
bildung. xA.ber schon früh trat eine Gesetzgebung in Tätig-
keit, gehandhabt von den geordneten Volksversammlungen
unter Leitung von Beamten. Die erste umfassende Gesetz-
gebung sind die XII Tafeln. Die Rechtswissenschaft hatte
zuerst ihren Sitz im Kollegium der Pontifices, seit etwa 300
v. Chr. emanzipierte sie sich vom Priestertum. Die gemeine
Lehre der Juristen, ihre das Volksrecht umbildende interpretatio,
wurde dem Volksrecht gleich als Recht anerkannt. Gewohn-
heitsrecht, Volksgesetzgebung und Juristenrecht bildeten das
ius civile. In der jüngeren Zeit der Republik gewann eine
neue Rechtsquelle Bedeutung: die Edikte der Jurisdiktions-
magistrate, vor allem der Prätoren und kurulischen Adilen. Der
im Laufe der Zeit in beständiger Wiederholung gefestigte
Inhalt der Edikte trat als Amtsrecht, ins honoi-ariuni, dem
iiis civile gegenüber.
1*
— 4 —
In der Kaiserzeit Augustischen Stils war die Volksgesetz-
gebung noch eine kurze Zeit lebhaft tätig, wurde aber bald
bei Seite gelegt; die Edikte der Jurisdiktionsmagistrate spielten
in der Fortbildung des Rechts nur noch eine untergeordnete
Rolle; unter Hadrian gelangte ihr Inhalt zum endgültigen
Abschluß. Dagegen traten als neue Quellen des Rechts, und
zwar gleichgeachtet dem alten Volksgesetz, als Quellen des
ins civilc, ein: die Senatuskonsulte und die Festsetzungen
(constitJitiones) der Kaiser. Die Rechtswissenschaft, welche
sich in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit zur
höchsten Blüte erhob, erfreute sich der alten Anerkennung
ihrer schöpferischen Kraft, ja ihre Macht wurde noch gesteigert
durch die Einführung des Privilegiums für hervorragende
Juristen, Gutachten gewissermaßen im Namen des Kaisers
zu erteilen.
In der Zeit der diokletianisch-konstantinischen Monarchie
dagegen ist der Kaiser der alleinige und unumschränkte Ge-
setzgeber, der sich jede Mitwirkung der Rechtswissenschaft
an der Fortbildung des Rechts verbittet.
II. Dies in vorläufigem Überblick die Wege der Rechts-
schöpfung bei den Römern. Es hat aber schon bei den Römern
der Gedanke nicht gefehlt, der zu allen Zeiten immer wieder
auftaucht, daß es gegenüber dem Recht, welches ein Volk sich
schafft, dem sogen, positiven Recht, auch ein natürliches Recht
gebe, ein ins naturae^) ins naturale^-) welches allen \"ölkern
gemeinsam, oder gar Menschen und Tieren gemeinsam sei,
von der Natur ihnen eingepflanzt.^)
Insofern das ius naturale allen Menschen gemeinsam sein
soll, berührt sich sein Begriff mit dem des ins gentium, von
dem unten die Rede sein wird (§ 3). Ein Menschen und
Tieren gemeinsames Recht gibt es nicht, weil das Tier keiner
») Pomp. D. L, 17, 206.
2) Paul. D. I, 1, 11.
') Cic. de off. 111,5,23, de harusp. resp. 14,82, Gai. I, 1. D. I, 1, 9,
XLI, 1, 1 pr., Ulp. D. I, 1, 6 pr., Paul. D. XIX, 2, 1. Vgl. über das ius
naturale M. Voigt, Das ius naturale, aequum et bonum und das ius gentium der
Römer. 4 Bde., Leipzig 1856 — 1875. — Bergbohm, Jurisprudenz und
Rechtsphilosophie I (Leipzig 1892) S. 154 ff
— 5 —
Rechtsvorschrift Gehör leihen kann. Im übrigen ist folgendes
zu bemerken : Rechtssätze, welche wir in der uns beherr-
schenden Rechtsordnung beobachten, erscheinen uns als natür-
lich, wenn wir finden, daß elementare Gerechtigkeitsgründe
für sie sprechen, die nach unserem Urteil weder aus den Be-
sonderheiten unserer Zeit, noch aus denen unseres Volkes sich
erklären, sondern allgemein menschlich und dauernd sind.
Und darin liegt eine ganz berechtigte Denkungsart. Denn so
viel auch die Rechtsordnungen verschiedener Völker und
Zeiten an Verschiedenheiten aufweisen, so fehlt es doch auch
nicht an Sätzen, die in der Tat seit Jahrtausenden dieselbe
unmittelbar einleuchtende Überzeugungskraft besessen haben.
Die Römer nennen z. B. den Satz naturalis, daß man sein Geld
wieder fordern kann, wenn man es zahlte in dem irrigen Glauben,
die Summe schuldig zu sein,"^) und denselben Satz finden auch
wir ganz „natürlich". Gerechtigkeitserwägungen aber, die als
— nach Ansicht des Urteilers — einfache, allgemeingültige
und dauernde einem vorhandenen Rechtssatz den Anspruch
auf das Prädikat eines natürlichen geben, sind auch von jeher
nicht nur zur Begründung der Anforderung aufgetreten, daß
die Rechtsordnung ihre Sätze ihnen entsprechend zu gestalten
habe, sondern diese Anforderung hat die beständige Neigung,
in die Behauptung überzugehen, daß die als natürlich em-
pfundenen Sätze bereits geltende Rechtssätze seien, auch wenn
ihre i\nerkennung in den Quellen des positiven Rechts nicht
nachzuweisen sei. Die römischen Juristen haben prinzipiell
durchaus nicht das ins naturale als geltendes Recht unab-
hängig von den positiven Quellen betrachtet. Sie wußten
z. B. zu sagen, daß das ins naturale die Freiheit aller Menschen
forderte, und doch war die Sklaverei ein anerkanntes Rechts-
institut.■^) Ihre ganze freie Stellung zu dem gegebenen Rechts-
stoff aber, zu dessen beständiger Fortbildung im Sinne der An-
näherung an das Gerechtigkeitsideal sie berufen waren, anders
ausgedrückt ; die Stellung der Rechtswissenschaft selbst unter
den anerkannten Quellen des Rechts eröffnete den von der
*) Paul. D. XII, 6, 15 pr. Indebiti soluli condictio naturalis est.
'^j Ulp. D. LI, 4.
— 6 —
Rechtswissenschaft als dem ins naturale entsprechend erach-
teten Sätzen ein weites Tor in das römische ius civile.
III. In diesem Zusammenhange ist auch das Walten der
aequitas^) im römischen Recht zu betrachten. Durch keinen
seiner grlänzend.sten Einzelsätze hat das römische Recht sich
so viel Anspruch auf seine Unsterblichkeit erworben als durch
die Art, wie es grundsätzlich sein Verhältnis zur Äquität be-
stimmt hat. Aequitas (aeqnuin, bomim et aeqiaiui) ist zunächst
ein sittlicher Begriff: die Gerechtigkeit, Billigkeit") als Inbegriff
von Normen und subjektiv als entsprechende 1 ugend. In der-
selben Art, wie das Recht als natürlich hingestellt wird, wenn
es der Urteilende für allgemein und unwandelbar gerecht und
billig hält, in derselben Art wird auch die Gerechtigkeit selbst
nicht selten als etwas Natürliches bezeichnet.**) Das Recht ist
nun nicht die aequitas selbst, aber es will einen Niederschlag der
aeqnitas darstellen.^) Es will seinen Inhalt nach den Anforde-
rungen der aequitas gestalten, nach ihnen ausgelegt und ange-
wandt werden. Aequitas ist Maßstab der Kritik des bestehenden
Rechtes. Im Gegensatz zum aeqiiuni ins^^) ist ius ifiiquum un-
^) M. Voigt, in dem oben Note 3 angeführten Werke. — Leiit, Civi-
listische Studien. 4. H.Jen. 1877, bes. S. 190ff., S. 209 ff. — Krüger S.
119ff. — Federico de Cola, lo stretto diritto e l'equitä nel diritto Romano.
Messina 1888. — Emilio Costa, il diritto private nelle comedie di Plauto.
Torino 1890. p. 58 sq. Pernice Zeitschr. d. Sav.-Stift. XX (1899) S. 147 ff.
Kipp, Pauly-Wissowa's Realencyclopädie Artikel aequitas.
') Im weitesten Sinne kann sich aequitas auf das gesamte Verhalten zu Göttern
und Menschen beziehen. Cic. top. 90: aequitas tripertita dicitur esse: una
ad superos deos, altera ad manes, terlia ad homincs perlinere.
*) Natura aequum: Pomp. D. XII, 6, 14, naturalis aequitas: Gai D.
XXXVIII, 8,2, XU, 1, 93, Paul. D. XLIV, 1, 1, Ulp. D. IV, 4, 1 pr., iure na-
turae aequum: Pomp. D. L, 17, 20'3.
®) Cicero (top. 9) definiert das ius civile als aequitas constituta iis qui eiusdem
civitatis sunt. Celsus (D. I, 1, 1 pr.) nennt das Recht: ars boni et aequi.
'") Nach römischer Ansicht ist aequitas nicht ein Gedanke, der erst in
junger Zeit in das Recht eingedrungen ist. Cicero u. Tacitus rühmen die
Aequität der XII Tafeln (Cic. de rep. II, 61, Tac. Ann. III, 27). Tacitus nennt
sie sogar das Ende des gerechten Rechts (finis aequi iuris) im Gegensatz zu
den Gesetzen der Folgezeit. Auch sonst wird die Äquität sehr alter Sätze
hervorgehoben: Paul. D. XLIX, 15, 19 pr., Gai. III, 7. L Ip. XXVI, 2, D.
XXXVllI, 16, 1, 4.
billiges Recht,") ius strictiun ein zwar nicht ganz unbilliges,
aber doch den Forderungen der aeqidtas nicht weit genug ent-
gegenkommendes Recht.^-) Aequitas ist Maxime der Auslegung
des Rechts, die im Sinne der Fortbildung des Rechts nach den
Forderungen der aequitas gehandhabt wird und werden soll.
Die interpretatio ist Mittlerin zwischen Recht und aequitas}'^)
Endlich aber ist aequitas auch ein Inbegriff von Normen, die das
Recht vielfältig ergänzen. Es ist schlechthin unmöglich, daß das
Recht mit Sätzen, die ins einzelne gehen, den Rechtsge-
nossen erschöpfende Verhaltungsmaßregeln, dem Richter er-
schöpfende Anweisungen zum Spruch gebe. Die Rechtsvor-
schriften bedürfen der Ergänzung aus dem, was im Leben als
gerecht und billig angesehen wird. Wenn in den Quellen
aequitas als Richtschnur für Magistrate wie Geschworene auf-
gestellt wird,^^) so bezieht sich dies keineswegs nur auf die
1') Gai, III, 25. (iuris iniquitates.)
12) Gai. III, 18.
1*) Aequitas verlangt, daß nicht am Buchstaben gehaftet wird. Daher
stellt sie Cicero in Gegensatz zu scriptum, verba, litterae (Cic. Brut. 145. 198,
de orat. I, 242 sqq., p. Caec. 65. 77. 80. 104, p. Mur. 27. Damit tritt aequitas
zunächst nicht in Gegensatz zum ius, sondern ius und aequitas stehen
vereint dem Buchstaben und der Spitzfindigkeit gegenüber (Cic. p. Caec. 57.
61. 65. 77. 80. 81. 104). Die Auslegung soll den Willen des Gesetzgebers
erforschen (Cels. D. I, 3, 17— 19. Tryph. D. XLIX, 15, 12, 8). Aber dies ver-
wandelt sich in der Hand der römischen Juristen in das Ziel, die Vorschrift
so auszulegen, wie sie der gerecht denkende Gesetzgeber nach Ansicht der
Juristen in Berücksichtigung der Gerechtigkeitsüberzeugungen der Gegenwart
geben müsste, auch wenn das ihrem ursprünglichen Sinne nicht entspricht.
Daher gehen die Juristen im Interesse der Äquität des Ergebnisses von dem
bisherigen Rechte oft weit ab, indem sie der aequitas den Vorzug geben vor
dem ius (Ulp. D. XV, 1, 32 pr., Paul. D. XXXIX, 3. 2, 5), dem strictum ius (Pap.
D. V, 8,50, 1, XXIX, 2, 86 pr., Paul. D. XIII, 5, 30), der stricta ratio (Gai. D.
XU, 1, 7, 5; Pap. D. XI, 7, 43), dem rigor iuris (Ulp. D. XL, 5, 24, 10), der sub-
tilitas iuris (Javol. D. XXXIX, 5, 25, Cels. D. VIII, 3, 11) u. s. w. Drangen sie
mit ihrer Ansicht allgemein durch, so wurde deren Inhalt zum Rechtssatz.
'*) Liv. III, 33. Cic. de lege agr. II, 102, in Ver. I, 136, 151, III, 42, V,
27. Ammian. XXII, 10, 2. C. J. L. IX, 1575. X, 4863. Cic. pro. Clu. 156,
159, in Ver. II, 109. III, 220. Eine im Jahre 1901 gefundene Ehreninschrift
für den Valerius Dalmatius, Statthalter der provincia Lugdunen sis tertia, aus dem
fünften Jahrhundert, beginnt: Jus ad iustitiam revocare aequumque tueri Dal-
matio lex est quam dedit alma fides Bis sex scripta (XII Tafeln) tenet praetoris-
— 8 —
aeqiiitas als Auslegungsmaxime, sondern auch auf gerechte
Würdigung der Tatsachen und Handhabung gerechten Er-
messens in Ergänzung der Rechtsvorschriften. Oft glaubt man,
daß der Gedanke der aequitas etwas erst verhältnismäßig
spät im römischen Recht Aufgetauchtes sei; aber es ist viel-
mehr umgekehrt zu behaupten, daß gerade in den ältesten
Zeiten das freie Ermessen der Magistrate wie der Geschworenen
eine besonders große Rolle gespielt hat, und daß es durchaus
römisch ist, das Regiment des Ermessens auch in solch alter
Zeit als ein Regiment der acqiiitas aufzufassen,^^) wenn auch
der Inhalt der Normen der aequitas von der alten Zeit anders
aufgefaßt wurde als von der späteren. Die römische Volks-
gesetzgebung ging allerdings grundsätzlich darauf aus,
alles so viel wie möglich selbst zu bestimmen und das freie
Ermessen zurückzudrängen. Aber auch sie konnte doch der
Mitwirkung desselben keineswegs ganz entbehren. Es kommt
vor, daß das Gesetz eine Entscheidung ausdrücklich in das
Ermessen des Magistrats stellt,''^) und schon die XII Tafeln
kennen Streitigkeiten, bei deren Schlichtung das freie Ermessen
des oder der Geschworenen die Plauptrolle spielt faj-biti'ium
finmiii regundoruvi, faniiliae ercisciindae, aqiiae phtviae arccndae).
Aber auch sonst sind die Bestimmungen der Gesetze großen-
teils so gefaßt, daß ihre Anwendung ohne Eingreifen billigen
Ermessens gar nicht gedacht werden kann, weil sie mit Begriffen
des Lebens operieren, die sie selbst nicht festlegen. Der römische
Senat bekennt sich zur aequitas als der Maxime seiner Verwaltung
schon in den ältesten Beschlüssen, die wir von ihm kennen.^' i
Er verweist ebenso wie die Gesetze die Beamten auf ihr Er-
messend^) und hat hierzu um so mehr Anlaß, als er ihnen staats-
que omne volumen (das Edikt) Doctus et a sanctis condita principibus (Kaiser-
konstitutionen). — Vgl. Mommsen, .Sitzungsber. der Berl. Akad. 1902
S. 836ff. Mitteis Zeitschr. der Sav -Stift. XXIII (1902), S. 443 f.
'^) Liv. III, 1.3. 33.
'«) Lex. agrar. 35. 73. 74. 78. 83, lex. Acil. repet. 30. 65, lex. Cornel.
de XX quaest. 33, lex. Jul. munic. 21. 33. 47. 54.
'""') SC. de Bacchanal. 26. SC. de Tiburt. 4. SC. de Asclepiadc Lat. 11,
Gr. 30.
'*) SC. de Thisbaeis 44 sq. Suet. de cl. rhet. c. 1. SC. de Asclepiade
Lat. 11, Gr. 31.
— 9 —
rechtlich streng genommen nur Ratschläge erteilen kann. Die
beiden Hauptträger der Ausbildung des römischen Rechts zu
seiner Blüte, das prätorische Edikt und die Jurisprudenz, haben
in der einsichtigsten Weise der aequitas als einer das Recht er-
gänzenden Entscheidungsnorm die gebührende Stellung gesichert.
Der Prätor hat oft in seinem Edikt sich selbst die Prüfung der
Sachlage im Einzelfalle vorbehalten,^^) vor allem aber die
Anweisungen, welche im jüngeren Civilprozess der Geschwo-
rene vom Prätor erhielt, größtenteils so gefaßt, daß der Richter
sich ausdrücklich zur Beachtung der Normen der aequitas ver-
pflichtet sah. Zum Teil waren die Formeln geradezu auf
bonuin et aeqiiiiui gestellt.-^) In der grossen Gruppe der
aciiones bonae fidei kam die Verweisung auf die aequitas
dadurch zum xAusdruck, daß der Richter beauftragt wurde,
den Beklagten zu verurteilen auf dasjenige,-^) was der Be-
klagte dem Kläger ex fiele bona schuldig sei [qidcqiiiel Xinne-
riiini Xe^s^idiiuii Au/o Agerio dare faeere oportet ex fide bonaj,
worunter nichts anderes als das bonmu und aequuju zu ver-
stehen war.--) In der ebenfalls großen Gruppe der actiones
arbitrariae wurde der Geschworene angewiesen, den Beklagten
erst dann zu verurteilen, wenn er nicht in einer nach Ermessen
des Richters festgesetzten Weise den Kläger zufriedengestellt
habe (nisi arbitratu tuo [iudicis] restituetjr^') Allerdings ist durch
die Praxis und die unausgesetzte Arbeit der Juristen in weitem
Umfange wiederum als Rechtssatz fixiert worden, was als der
bona fides, der aequitas entsprechend anzusehen sei, und inso-
fern die Herrschaft der aequitas als solcher wieder zurückge-
»9) S. u. § 10.
•20) Cic. de off. III, 61. Gai. D. IV, 5, 8. Ed. praet. D. IV, 3, 1 pr.
Ulp.Ü. XI, 7, 14, 6.13. XLVII. 10, 17, 2. Paul. D. XLVII, 10, 18 pr. XLIV, 7,
34 pr., Ed. praet. D. XLVII, 12, 3 pr. Pap. D. XLVII. 12, 10. Ed. aedil. D. XXI,
1, 42.
■-*) Genauer: einen dem entsprechenden Geldbetrag.
-2) Tryphon. D. XIV, 3, 31 pr. Bona fides quae in contractibus exigitur
aequitatem summam desiderat.
'^^j Von diesen Klagen heißt es in J. 4, 6, 31 : in his enim actionibus et
ceteris .similibus permittitur iudici ex bono et aequo secundum cuiusque
rei de qua actum est naturam aestimare quemadmodum actori satisfieri oporteat.
10
drängt, aber man hat sich immer gehütet, hierin zu weit zu
eehen.-"*)
§ 3.
Geltung des römischen Rechts im Römischen Reich.
Jus civile und ins gentiuvi.
I. Das römische Recht hat das römische Gebiet keines-
wegs von Anfang an ausschUeßlich beherrscht, sondern es
galten dort nach dem System der Personalität der Rechte
viele Nationalrechte nebeneinander, die das römische Recht
nur in langer Entwickelung und niemals vollkommen ver-
drängt hat.^) Das römische Recht hat das Prinzip der Per-
sonalität des Rechts. Es eeht grundsätzlich von der An-
schauung aus, daß die Gesetze des römischen Volks und was
ihnen gleichsteht, also ihre interpretatio durch die Juristen
und das unter Römern hergebrachte Gew^ohnheitsrecht, nur
für den römischen Bürger geschaffen sind. Dieses Recht ist
ins Quiritiwn, ins civile populi Romani, ins civile. id est ins
proprium civitatis nostrae. — Jns civile proprinm est civiuin
Ronianornuir) Die Nichtrömer (peregrini) bindet also das
römische Nationalrecht nicht. Es gilt für sie nur, wenn sie
2*) Cels. D. XLV, 1,91,3; esse enim hanc (Verschulden beim Verzuge)
quaestionem de bono et aequo, in quo grenere plerumque sub auctoritate iuris
scientiae perniciose, inquit, erratur. Scaev. D. XLIV, 3, 14 pr. : de accessioiiibus
possessionum nihil in perpetuum neque generaliter definire possumus. consistunt
enim in sola aequitate.
1) Vgl. Mommsen, röm. Staatsrecht III, S. 603fl". —Mitteis, Reichs-
recht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreichs.
Leipzig 1891. — Wlassak, römische Prozeßgesetze II. Abt. Leipzig 1891,
S. 93ff. — Baron, Peregrinenrecht und ius gentium. Leipzig 1891. —
Pernice, Zeitschr. der Sav.-Stift. XX (1899) S. 138 ff. — Baviera il diritto
intcrnazionale dei Romani Arch. giuridico LX 1898 p. 266 sq., 463 sq. LXI
(1899) p. 243 sq. 433 sq. Dazu H. Krüger, Zeitschrift der Savigny-Stift.
XX (1899) S. 264ff. Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellcn.
Berlin 1902 .S. 84 ff.
2) Gai. I, 1. 13. I, 1, 9. XLI, 1, 1 pr. l'lp. I). I, 1, 6 pr. J. I, 2, I. 2.
— li-
es recipiert haben (ndsciscere, fundus fit aliquis popuhis
aliciäus legis) :^) Aber Rom hat das Recht für sich aller-
dings beansprucht, nach seinem Willen durch seine Gesetze
auch die Nichtbürger zu binden. So ist durch das sempro-
nische Plebiszit im J. 193 v. Chr. verordnet, ut cum sociis ac
nomine Laiino peciiniae creditae ins idem quod cum civibus
Romanis esset}) Die Kapitalisten hatten zur Umgehung der
Zinsgesetze sich hinter bundesgenössischen Gläubigern ver-
steckt, auf welche jene Gesetze nicht Anwendung fanden;
jetzt wurden sie auf die Bundesgenossen als Gläubiger der
Römer ausgedehnt. Soweit aber eine solche Ausdehnung nicht
stattgefunden hat, hat der Nichtbürger am römischen Recht
keinen Teil, kann sich nicht einmal nach dessen Sätzen durch
Rechtsgeschäft verpflichten oder berechtigen, wenn ihm nicht
besonders (wie den Latinern) das ins commercii d. h. die Rechts-
gemeinschaft des Vermögensverkehrs, oder das ins conntibn d. h.
die Ehegemeinschaft und somit überhaupt die FamiUenrechtsge-
meinschaft, oder beides verliehen ist. Der Nichtbürger
lebt nach seinem Xationalrecht, seinem ins civile.^) An
diesem Nationalrecht hat der Römer seinerseits keinen Teil.
Nur diejenigen Peregrinen, welche nach ihrer Unterwerfung
unter Rom keinerlei Anerkennung ihrer Rechtsordnung er-
halten haben (peregrini dediticii), haben in römischen Augen
ein Volksrecht überhaupt nicht, ebenso wie die aus dem rö-
mischen Bürgerrecht Ausgestossenen (capitis deminutio media).
Sie sind cmölidni hoc est sine civitate)^) Solche Personen können
z. B. ein Testament überhaupt nicht machen, weil dasselbe
nach römischer Ansicht stets gemäß einem bestimmten Volks-
recht zu errichten ist.'^)
3) Cic. pro Balbo 8, 21. 22: ... innumerabiles aliae leges de civili
iuie sunt latae: quas Latini voluerunt, adsciverunt. Gell. XVI, 13, 6 von den
cives sine suffragio : neque ulla populi Romani lege adstricti nisi in quam
populus eorum fundus factus est. Fest. s. v. fundus.
^) Liv. 35,7.
^) Gai. I, 1 : Quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius
proprium est vocaturque ius civile. J. 1,2,2: Jus quidem civile ex unaquaque
civitate appellatur, veluti Atheniensium.
. «) Marci. D. XLVIII, 19, 17.
') Ulp. D. XXXII, 1, 2: Hi quibus aqua et igni interdictum est, item
— 12 —
II. Ausser dem jeweiligen peregrinischen Volksrecht
finden aber auf die Peregrinen auch in ziemlich weitem Umfange
Satzungen Anwendung, die ihnen von den Römern oktroyiert
sind: dahin gehören die Provinzialordnungen, welche nach Er-
oberung oder VViedereroberung einer Provinz aufgestellt wer-
den (s. u. § 9), die vielen einzelnen Städten verliehenen Stadt-
ordnungen (s.u. §9), namentlich aber auch die Edikte derProvin-
zialstatthalter und der Ouaestoren für den Bereich ihrer provin-
zialen Jurisdiktion (s. u. § 9). In der Kaiserzeit haben SCC.
und kaiserliche Konstitutionen von vornherein kein Bedenken
getragen, Vorschriften für alle Reichsangehörigen ohne Unter-
schied der Nationalität aufzustellen.^)
IIL Ein wichtiger Hebel zur Herstellung der Rechtseinheit
auf dem Boden des römischen Reiches und zugleich der inneren
Fortbildung des römischen Rechtes war das von den Römern s. g.
ins genthiin. Es mußte sich beim Verkehr \^on Römern mit
Peregrinen und \'on Peregrinen verschiedener Nationalität die
Frage aufwerfen, welches der verschiedenen Nationalrechte
auf ihre Beziehungen anzuwenden sei. Diese Frage hätte sich
von dem Prinzip der Personalität des Rechtes aus durch eine
der des heutigen internationalen Privatrechts ähnliche Theorie
lösen lassen: man hätte Festsetzungen darüber treffen können,
wie unter den beteiligten Rechtsordnungen zu wählen sei.
Auch das moderne internationale Privatrecht geht nur zum
Teil von dem Prinzip der Territoralität des Rechts aus, zu
nicht geringem Teil beruht es auf dem Gedanken der Per-
deportati fideicommissum relinquere non possunt, quia nee testamenti faciendi
ius habent, cum sint d7iö/.iS£t:
*) Gai. I, 53: nach einer Konstitution von Antoninus Pius neque civibus
Romanis nee ullis aliis hominibus qui sub imperio popuH Romani sunt licet
supra modum et sine causa in servos suos saevire. Gai. I, 81 : Ein Senatus-
konsult unter Hadrian liestimmte, daß ein Kind, dessen Vater Latiner, dessen
Mutter Peregrinin sei oder umgekehrt, dem Stande der Mutter folgen solle.
Ulp. D. XLVII, 12, 3, 5 spricht den allgemeinen Satz aus, daß kaiserliche
Reskripte aller Orten gehen, auch im Widerspruch mit dem Stadtrecht.
Zu Ulpians Zeit hatten zwar schon alle Städte Bürgerrecht, aber
er trägt seine Ansieht im Anschluß an eine Verordnung Iladrians vor, zu dessen
Zeit es noch nicht so war. Diocl. C. J. VI, 24, 7 verwirft den Brüderschafts-
vertrag, auch unter Peregrinen.
— 13 —
sonalität des Rechts. Eine solche Lösung haben aber die
Römer nicht gegeben, sondern statt der beteiligten National-
rechte ein drittes Recht angewandt, das ins gcntiimi.
Das ins gentium tritt mit der Prätention auf, ein Recht
zu sein, das bei allen Völkern gelte.®) In Wahrheit ist es ein
in den Edikten der mit der Peregrinenjurisdiktion betrauten
Magistrate und in der Theorie der Juristen gebildeter Zweig
des römischen Rechts, hat also die formellen Quellen mit den^
sonstigen römischen Recht gemein. Der Sache nach war es
größtenteils wirklich gemeinsames Recht der Mittelmeervölker,
wird sich freilich auch insoweit unter der Hand der römischen
Juristen umgebildet haben; zum Teil aber sind es Sätze des
nationalrömischen Rechtes, welche die Römer dem Peregrinen-
verkehr zugänglich zu machen Anlass fanden. Der allgemeine
obligatorische Vertrag der Römer war die stipulatio in münd-
licher Frage des Gläubigers und bejahender Antwort des
Schuldners. Diesen Vertrag reservierten sie für die römischen
Bürger, wenn er in den Worten spondcsne? spondeo auftrat,
erklärten ihn aber, wenn statt dieser Worte andere gewählt
wurden {dahis? dabo u. s. w.) für Sache des ins gentium}^)
Der Stipulation entspricht die mündliche Quittierung Jiabcsnc
acccptmnr habeo, die acccptilatio-^ auch sie ist aus dem rö-
mischen ins civile in das ins gentinm übergegangen.^^) Den
obligatorischen Kontrakt durch Eintragung in das Hausbuch
wollte nur eine Schule der römischen Juristen (die Sabinianer,
s. u. § 1 8) und auch diese nur für einen bestimmten Fall als den
Peregrinen zugänglich gelten lassen.*-) Hauptsächlich rech-
neten die Römer zum ins gentium die frei entfalteten
Verkehrsobligationen, *'^) die Verträge, die entweder ohne jede
*) Gai. I, 1 : quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id
apud omnes populos peraeque custoditur vocaturque ius gentium quasi quo
iure omnes gentes utunlur ^= D. I, 1, 9.
10) Gai. 111,93.
1") Ulp. D. XLVI, 4, 8, 4. ^
1-^) Gai. III, 133.
'^) Ulp. D. II, 14, 7 pr. § I : Iuris gentium conventiones quaedam actioncs
pariunt quaedam exceptiones. Quae pariunt actioncs, in suo nomine non stant,
sed transeunt in proprium nomen contractus: ut emptio venditio locatio con-
ductio societas commodatum depositum et ceteri similes contractus. Paul. D.
— 14 —
Form ^geschlossen werden können, die Konsensualkontrakte
— Kauf (enitio venditio), Miete, Dienst- und W'erkverdingung
(alle drei als locatio condiictio zusammengefaßt), Auftrag [man-
dat?iin), Gesellschaft [societas] — oder doch keiner anderen
Form bedürfen, als daß eine Partei etwas leistet unter ent-
sprechender Übernahme einer Verpflichtung durch die andere,
die Realkontrakte, zunächst Darlehen (mutuum), Leihe (commo-
datuvi), Hinterlegung (deposituni), Verpfändung (pigmis), ferner
auch das von der Leihe getrennte, aber mit ihr verwandte
Precarium; nicht minder die Forderungen auf Herausgabe einer
ungerechtfertigten Bereicherung.^*)
Angewandt wird das ms gentiiun zunächst sein in Fällen
der oben bezeichneten Kollision; dann aber, da es ja bei
allen Völkern gelten sollte, auch unter Angehörigen derselben
Nation, und so auch unter Römern. Qiiod civile, non idein
conti II HO gentium, qnod ante vi gentinvi, idevi civile esse debet
(Cicero). ^■'') Zwar wusste man, daß das einzelne ins civile von
dem ins getitiuni abweichen könne, ^*') aber dieses mußte jeden-
falls beim Schweigen des Volksrechts Anwendung finden,
und ist auch im Widerspruch mit veralteten Sätzen des
römischen ins civile als Träger der neueren Rechtsideen an-
gewandt worden. Ebenso wird es den Peregrinenrechten
gegenüber in der Hand der Römer oft dazu gedient haben,
von ihnen missbilligte Sätze des Volksrechts ausser An-
wendung zu setzen.
Häufig wird von den römischen Juristen nur ein Rechts-
prinzip, wie die Anerkennung der Notwehr, ^'^) oder ein Institut,
XVIII, 1,1,2 (Kauf). Paul. D. XIX. 2, 1 (locatio conductio), UIp. fr. Endlich.
1,2 (locatio conductio). Gai. 111,154 (societas). Gai. III, 132 (Darlehen). Ulp.
D. XLIII, 26, 1, 1 (precarium).
'*) Marci. D. XXV, 2, 25: iure gentium condici puto posse res ab his qui
non ex iusta causa possident.
'») Cic. de off. III, 17,69.
'*) Gai. I, 83 : Animadverlerc tarnen debemus ne iuris «gentium icgulani
vel lex aliqua vel quod legis vicem obtinet aliquo casu commutaverit. Ulji.
D. 1,1,6: Jus civile est quod ncque in totum a niituriiH vel «jcniiuin reccdil
nee per omnia ei servit.
") Flor. 1). I, 1,3 cf. I). I, 1, 1,4.
— 15 —
wie Sklaverei, Freilassung/^) Eigentumserwerbung durch Okku-
pation, AUuvion, Pflanzung, Tradition^'^j in das ins gentium ver-
wiesen, vorbehaltlich also der Ausgestaltung durch die National-
rechte. Denn der Sklave des Peregrinen ist seinem Herrn
nach peregrinischem, der des Römers nach römischem Rechte
unterworfen, die Freilassung des Römers wirkt anders, als die
des Peregrinen (der vom römischen Bürger Freigelassene wird
römischer Bürger); Okkupation und Tradition verschaffen den
Peregrinen nicht römisches Eigentum, sondern das seines
Rechts.^^) Auch ganz allgemeine Pflichten, wie Religiosität,
Gehorsam gegen Eltern und Vaterland, werden als Sätze des
ins gentium formuliert"^) oder gar so ziemlich der ganze Lauf
der Welt darauf zurückgeführt."") Diese vom praktisch an-
wendbaren itis gentium sich mehr oder weniger weit entfernen-
den Ideen bilden die Brücke zu denjenigen vom ins naturale.
Vielfach wird, was dem ins gentium zugeschrieben wird, zu-
gleich als ins natui-aJe bezeichnet in dem oben (S. 4) erwähnten
Sinne, daß das allen Völkern gemeinsame Recht ihnen von
der Natur eingepflanzt sei.^S) Von da kam man wie eben-
falls bereits oben (S. 4) bemerkt, mit einem Schritt weiter
selbst zu einem Menschen und Tieren gemeinsam angeborenen
Rechte, welches dann von dem ins gentium, das nur für die
Menschen gilt, verschieden ist.'^) Aber auch abgesehen von
diesem Punkte wird wohl das ins gentium von dem ins natu-
rale unterschieden; Ulpian führt die Sklaverei auf ins gentium
im Gegensatz zum his natui'ale zurück.^s)
rV. Die Anwendung des römischen Rechts, auch soweit
dasselbe als ins civile auf den Kreis der Bürger beschränkt
bheb, mußte gleichen Schrittes mit der Ausdehnung des
^^) Gai. I, 52: die potestas über die Sklaven. Ulp. D. I, 1, 4: die Sklaverei
und die Freilassungen.
1») D. XLI, 1, 1—9.
20) Vgl. Gai. 11,40.
21) Pomp. D. I, 1, 2.
22) Hermogen. D. I, 1, 5: Krieg und Frieden, Unterscheidung der Nationen,
Gründung von Reichen, Eigentum, Häuserbau, Handel und Wandel.
23) S. § 2 Note 3.
2*) Ulp. D. I, 1, 1, 3. 4.
25) D. I, 1, 4.
— 16 —
Bürgerrechts vordringen. Caracalla hat, wie es scheint, das
Bürgerrecht allen Gemeinden des Reichs verliehen, die es noch
nicht hatten. Genau sind die Grenzen seines Erlasses nicht
bestimmbar.^") Ganz aufgehoben ist der Unterschied zwischen
Bürgern und Nichtbürgern durch ihn nicht, schon um des-
willen, w^eil auch in der Folge noch das Bürgerrecht ver-
loren, durch gewisse unvollkommene Freilassungen peregrini-
scher Stand erworben werden, und Nichtreichsangehörige auf
dem Boden des Reichs sich aufhalten konnten. Im justiniani-
schen Recht sind zwar jene unvollkommenen Freilassungen
beseitigt, die beiden andern eben erwähnten Kategorien von
Peregrinen kommen aber noch vor. Freilich war auch inner-
lich der Gegensatz von ins civile und ins gcntiiiDi abgeschliffen.
Die Institute, welche noch als Privilegium römischer Bürger
galten, hatten sich eingeschränkt auf das Familienrecht und das
Erbrecht. Für eine Ehe, aus welcher väterliche Gewalt über
die Kinder hervorgehen soll, ist Civität beider Gatten erfor-
derlich, das Kind bedarf der Civität, um in väterlicher Gewalt
stehen zu können. Vormund sein und bevormundet werden,
erben und beerbt werden kann nach römischem Recht auch
unter Justinian nur der römische Bürger.^') Daß aber das
römische Recht auch in seiner justinianischen Fassung die
Volksrechte nicht ganz verdrängt hat, lehrt insbesondere die
Autorität, welche auch nach Justinian das syrisch-römische
Rechtsbuch (§ 24) behalten hat.
26) Ulp. D. I, 5, 17 sagt zwar ; In orbc Romano qui sunt, ex constitutione
imperatoris Antonini cives Romani effecti sunt. Aber es ist unzweifelhaft, daß
damit zuviel gesagt ist. Vgl. Mommsen Hermes X\'I S. 474(T., Staatsr III
1 S. 699, Mitteis a. a. O. S. 1.59 ff.
27) J. I, 10 pr. Justas aulem nuptias inter se cives Romani contrahunt. J. I,
9 pr. In potestate nostra sunt liberi nostri, quos ex iustis nuptiis procreaverimus.
|. I, 12 § 1 : Verlust der väterlichen Gewalt durch Verlust des Bürgerrechts,
Untergang der väterlichen Gewalt dadurch, daß das Kind aufhört, Bürger zu
sein. J. I, '22, 1.4: entsprechendes für die Vormundschaft. Ulp. D. XXVIII, 5,
6, 2 : Der zum Erben Eingesetzte muß römischer Bürger sein, es schadet nur
nichts, wenn er es zwischen Testamentserrichtung und Tod des Erblassers eine
Zeit lang nicht ist. Ulp. I). XXXII, 1, 2: Der Nichtbürger kann nicht testieren.
Zweites Kapitel.
Das römische Gewohnheitsrecht.^)
I. Daß in den Anfängen Roms die Rechtsbildung haupt-
sächlich eine gewohnheitsrechtliche war, sagt nicht bloß die
römische Tradition, die dabei die Kraft der gerichtHchen
Sprüche besonders betont,") sondern es wird auch bestätigt
durch die allgemeine geschichtliche Erfahrung und durch den
in den Ständekämpfen der Republik erhobenen Ruf nach ge-
schriebener Gesetzgebung. Aber auch seitdem die Gesetz-
1) Das berühmte Werk Puchtas: Das Gewohnheitsrecht. 2 Teile. Erl.
1828. 1837 behandelt das römische Gewohnheitsrecht im ersten Buch (I,
S. 1 — 120). Das Gewohnheitsrecht im allgemeinen wie das römische im be-
sonderen behandeln auch die Pandektenwerke. Bei ihnen weitere Literatur,
vergl. namentlich Windscheid, 8. Auflage von Kipp I, § 15*. Gierke,
Deutsches Privatrecht I, § 20, Neukamp, das Gewohnheitsrecht in Theorie
und Praxis des gemeinen Rechts. Referat und Kritik. Arch. für bürgerliches
Recht XII (1897.) S. 89 ff. Neuestens Brie, Die Lehre vom Gewohn-
heitsrecht. I. Teil. Breslau 1899. Römisches Recht, S. 1 — 58. —
Pernice, Zum römischen Gewohnheitsrechte, Ztschr. der Sav. -Stift. XX
(1899) S. 126 ff., dazu ein Nachtrag (mit bes. Rücksicht auf Brie).
Das. XXII (1901) S. 59 ff. — Sturm, Revision der gemeinrecht-
lichen Lehre vom Gewohnheitsrecht unter Berücksichtigung des neuen deut-
schen Reichsrechtes, Leipzig 1900, nimmt gelegentlich auf römisches Recht
Rücksicht, stellt die römischen Anschauungen aber nicht zusammenhängend dar.
2) Pomp. D. I. 2, 2, 1 : initio civitatis nostrae populus sine lege certa
sine iure certo primum agere instituit omniaque manu a regibus gubernabantur.
Dionys. X, 1 : ovtcco yäo tot' fjv oilr' iaovoftia Ttaga Piofiaiois, o^V
lariyooia, o-öS' ev y^aifais aitavta t« Sixaia rerayfiiva dXka rb fiev äoyuTov
Ol ßuaiXeZs e(f avrwv eraTiov toTs Seofievois ras Sixas xul rb Sixauoß'sp
vTt" ey.Eivcov, tovto vöftog rjv.
KipPi QueUen des röm. Kechts. 2
— 18 —
gebung (mit den XII Tafeln) begonnen hatte, eine umfassende
Tätigkeit zu entfalten, ist der Fluß des Gewohnheitsrechts
nicht versiegt. Cicero '^) wie die klassischen Juristen *] er-
kennen es als eine dem Gesetz ebenbürtige Rechtsquelle an,
so daß auch das Gesetz durch Gewohnheitsrecht aufgehoben
werden kann, da dieses nur ein anderer Ausdruck desselben
Volkswillens ist, der das Gesetz trägt. '^j Verlangt wird für
die Anerkennung eines Gewohnheitsrechtssatzes in ziemlich un-
bestimmten Ausdrücken, daß er durch Sitte, Gewohnheit sich
befestigt hat finos mores [majorum], consuetudo [diutiwna,
lovga, inveterata]).
Die Gewohnheit erscheint als Begründungstatsache für den
Rechtssatz, nicht als bloßes Erkenntnismittel für die Rechts-
überzeugung des Volks, die in sich allein im Stande wäre
den Rechtssatz zu schaffen.^) NatürHch muß es sich dabei um
eine Rechts sitte, eine Rechtsgewohnheit handeln, d. h. die
Gepflogenheit muß von dem Gedanken getragen sein, daß es
sich von Rechts wegen gebühre, so zu handeln.'') Im Volke
3) Cic. de invent. II, 22, 65. 67 : Consuetudinis autem ius esse putatur id
quod voluntate omnium sine lege vetustas comprobavit. — Cic. top. 5,28. Auct.
ad Herenn. 2, 19 Consuetudine ius est id, quod sine lege aeque ac si legitimum
sit, usitatum est.
^) S. im allgemeinen D. I, 3, 32—40.
^) So Jul. D. I, 3, 32. Inveterata consuetudo pro lege non immerito
custoditur et hoc est ius quod dicitur moribus constitutum, nara cum ipsae
leges nuUa alia ex causa nos teneant quam quod iudicio populi receptae sunt,
merito et ea quae sine ullo scripto populus probavit tenebunt omnes, nam
quid interest suffragio populus voluntatem suam declaret an rebus ipsis et factis.
Quare rectissime etiam illud receptum est, ut leges non solum suflfragio legis-
latoris sed etiam tacito consensu omnium per desuetudinem abrogentur.
S. auch Hermogen. D. I, 3, 35: velut tacita civium conventio. Gell. II,
24, 11, XI, 18, 4, XII, 13, 5, XX, 1, 7—10. 22. 23. Pernice XX
S. 156 ff.. XXII S. 69ff. 74 ff. Brie S. 16 ff Pernice sieht die Ansicht
Julians, daß das Gewohnheitsrecht ein Gesetz abschaffen könne, als eine doktri-
näre an und erklärt sich grundsätzlich gegen die „derogatorische Kraft" des
Gewohnheitsrechtes, räumt ihr aber doch schliesslich viel ein. M. E. ist sie
prinzipiell zu bejahen. So auch Brie S. 37 ff.
«) Vgl. neuestens Brie S. 12 ff. Pernice XXII S. 69. Die entgegen-
gesetzte Ansicht von der Stellung der Gewohnheit hatten Savigny und Puchta.
') Daß die Gewohnheit darum doch etwas Tatsächliches ist (Pernice
XXII S. 22. 60 ff. ist allerdings vollkommen richtig, und ebenso unzweifelhaft,
— 19 —
geht die Ansicht von dem, was Recht ist, und von dem, was
Recht sein sollte, beständig durcheinander. Die Handlungen
und Unterlassungen, deren ständige Wiederholung den Rechts-
satz schafft, gehen von dem Gedanken aus, daß er schon be-
stände.'^) Insofern ruht jedes Gewohnheitsrecht auf einem
Irrtum. Die Frage,") inwieweit es der Entstehung eines Ge-
wohnheitsrechtssatzes hinderlich sei, wenn die Rechtsgewohn-
heit auf Irrtum beruhe, setzt den Fall, daß die Rechtsgewohn-
heit von einer bestimmten irrigen Vorstellung über tatsäch-
liche X'erhältnisse getragen ist oder auf einer irrigen x\us-
legung eines bestimmten Rechtssatzes beruht, dessen (schein-
barem) Zwange man sich fügt, ohne daß die innere Überzeu-
gung damit übereinstimmt. Auch in solchen Fällen ist aber
die rechtsbildende Kraft der Gewohnheit nicht zu leugnen.
Die Aufklärung des Irrtums kann nur zu einer Rückbil-
dung oder Umbildung führen, wenn sie ihrerseits die prak-
tische Ausübung für sich gewinnt. Ein Satz des Celsus,^^)
den man wohl für die Unverbindlichkeit der auf Irrtum be-
ruhenden Gewohnheit anführt, erkennt in Wahrheit den Rechts-
charakter eines Satzes, der auf einem in der Gewohnheit ein-
gewurzelten Irrtum beruht, an, und spricht sich nur gegen
analoge Ausdehnung so entstandener Sätze aus.^^)
II. Konstante Praxis der Gerichte wird der außergericht-
lichen Rechtsgewohnheit selbständig zur Seite gestellt (con-
suetndo aut rerimi pei'petuo similiter iudicatainmi aiictoritas)\^'^)
aber auch bei erweislicher außergerichtlicher Gewohnheit wird
daß die Rechtsgewohnheit und diejenige, welche nur eine außerrechtUche
Sitte schafft, vielfach tatsächlich nicht scharf auseinander gehalten werden können.
Pernice XX, S. 127 f.
«) Pernice XXII S. 70.
») Vgl. Windscheid-Kipp, Pand. I § 16 Note 3.
10) D. I, 3, 89: Quod non ratione introductum sed errore primum, deinde
consuetudine obtentum est, in aliis similibus non obtinet.
11) So auch Dernburg, Pand. I § 27*, Regelsberger, Pand. I §20'
Pernice XXII S. 81, der aber zweifelt, ob Celsus überhaupt von einem Rechts-
satz spricht und nicht vieiraehr von einem obrigkeitlichen Dekret, auf das sich
eine Gewohnheit aufbaute oder von etwas Ahnlichem. Brie S. 30, nach ver-
hältnismässig größter Wahrscheinlichkeit,
12) Callistr. D. I, 3, 38.
2*
— 20 —
besonderes Gewicht darauf gelegt, daß sie in einem
Streitfalle durch gerichtliches Urteil Bestätigung ge-
funden hat.^^) Tatsächlich steht die Rechtsgewohnheit des
Volkes mit der gerichtlichen Praxis in inniger Wechselwir-
kung, ebenso wie beide von den Lehrmeinungen der Juristen
beeinflußt werden und ihrerseits jene beeinflussen. Auch das
prätorische Edikt entnimmt seine Erwägungen der Praxis des
Verkehrs und der Gerichte wie der Lehre der Juristen und
wirkt seinerseits auf alle jene zurück. In den Zeiten des ent-
wickelten römischen Rechts tritt die selbständige Rechtsbil-
dung durch die Volksgewohnheit in den Hintergrund; die
Gewohnheit wirkt mehr indirekt durch ihren Einfluß auf
Praxis, Lehrmeinungen und Edikte.^*)
III. Einer besonderen Betrachtung bedarf die Frage, wie
die römischen Gesetzgeber sich zum Gewohnheitsrecht gestellt
haben. Davon, daß das Gewohnheitsrecht nur auf Grund
einer Zulassung durch den Gesetzgeber sich bilden könnte,
findet sich bei den Römern nichts. Wohl aber haben die
Kaiser das Recht für sich in Anspruch genommen, eine be-
stehende Rechtsgewohnheit anzuerkennen oder ihr die Aner-
kennung zu versagen. Die freie Stellung, welche die Kaiser
in ihren Erlassen allem bestehenden Recht gegenüber ein-
nehmen, das beständige Hinübergreifen ihrer Verfügungen in
das gesetzgeberische Gebiet, läßt von vornherein nichts anderes
erwarten, als daß sie bestehende Rechtsgewohnheiten bei-
'^) Primum quidem illud explorandum arbitror, an etiam contradicto
aliquando iudicio consuetudo firmata sit. (Ulp. D. I, 3, 34.) Der Sinn dieser
Stelle wird jedenfalls durch den obigen Text getroffen. Zweifelhaft mag sein,
ob man (wie die vorige Auflage) geradezu übersetzen darf, in einem kontra-
diktorischen Urteil, d. h. in einem Urteil, das nach zweiseitiger Streitverhand-
lung gefällt wird (Gegensatz: Versäumnisurteil). Contradictum iudicium wäre
freilich ana^ leyöfievov. (Kubier im Vocabularium iurisprudcntiae
Romanae s. h. v.) Mommsen h. 1. (größere Ausgabe) hält contradicto auf-
recht; aber er nimmt es adverbial. Das führt sachlich zum gleichen Er-
gebnisse. Eine schon von Heineccius in Brissonius Wörterbuch vertretene
Konjektur will contradicta lesen, aber contradicta consuetudo ist auch ein
sehr anfechtbares Latein.
1+) Dies ist der Grundgedanke der Ausführungen von Pernice. (Vgl.
XX S. 128) S. auch Brie S. 3 ff . 52 ff.
— 21 —
Seite schieben, die sie dem Inhalt nach nicht billigen. Dies
tat schon Trajan, indem er eine Bestimmung der Provinzialord-
nung des Pompejus für Bithynien gegenüber einer entgegen-
stehenden Gewohnheit wiederherstellte, ohne doch prinzipiell
auszusprechen, daß die Gewohnheit gegen ein Gesetz nicht auf-
komme, ^'^j Der allgemeine Ausspruch, daß die Rechtsgewohnheit
das Gesetz nicht besiegen könne, gepaart mit dem anderen,
daß sie auch wider die Vernunft nicht aufkomme, liegt uns
vor in einem Erlaß Constantins.^*^) Allein ganz allgemein das
bestehende Gewohnheitsrecht insoweit zu kassieren, als es
irgend welchen gesetzlichen Bestimmungen zuwiderliefe,
hätte einen ganz sinnlosen und zudem völlig aussichtslosen
Versuch bedeutet, die römische Rechtsgeschichte um Jahr-
hunderte zurückzuschrauben. Noch Justinian, der jenen Erlaß
Constantins in seinem Codex (§§ 27, 29) aufnahm, hat, während
er seinem Zinsgesetz gegenüber die Berücksichtigung ab-
weichender Gewohnheiten verbietet, ^') nichts dagegen einzu-
15) Plin. ad Traj. 114. 115. Trajan wuide von dem jüngeren Plinius, als
dem Statthalter von Bithynien, um Entscheidung angegangen in folgendem
Falle: die Provinzialordnung des Pompejus (lex Pompeja) hatte bestimmt, daß
den bithynischen Städten freie Verleihung ihres Bürgerrechts zustehen sollte, nur
sollten nicht Bürger einer bithynischen Stadt zugleich Bürger einer anderen
werden. Das war durch Gewohnheit außer Übung gekommen und sogar in
sehr vielen Fällen Bürger, die dem zuwider aufgenommen waren, Buleuten
geworden. Plinius zweifelte, ob sie aus den Stadtsenaten zu entfernen seien.
Der Kaiser erkennt den Zweifel als berechtigt an: Merito haesisti . . . nam et
legis auctoritas et longa consuetudo usurpata contra legem in diversum movere
te potuit. Er entscheidet, daß das bisher Geschehene nicht umzustossen, in
Zukunft aber die lex Pompeja zu beachten sei. Offenbar ist er dabei von dem
Gedanken geleitet, daß die Wiedereinführung der Beobachtung der lex Pompeja
sich aus sachlichen Gründen empfehle; denn im entgegengesetzten Falle hätte
er unzweifelhaft nicht aus Respekt vor einem alten Gesetz (nicht einmal einem
Volksgesetz, sondern einer einseitigen Verfügung des Pompejus) die entgegen-
stehende Gewohnheit verworfen. Ich stimme also mit Brie S. 41 nicht überein,
der die Entscheidung des Kaisers darauf gründet, daß das vom Vertreter des
römischen Volkes (Pompejus) den Unterworfenen gegebene Gesetz sie absolut
bindet.
16) Constantin C. J. VIII, 52 (53), 2: Consuetudinis ususque longaevi
non vilis auctoritas est, verum non usque adeo sui valitura momento, ut aut
rationem vincat aut legem.
17) C. J. IV, 32, 26, 3.
— 22 —
wenden, daß ältere Gesetze, deren Inhalt er nicht wieder
herbeiwünscht, durch Gewohnheit aufgehoben sind/^)
Jener Ausspruch Constantins wird die Begründung dafür ab-
gegeben haben, daß der Kaiser eine bestimmte Rechtsge-
wohnheit wegen Widerspruchs mit einem Gesetze, dessen In-
halt er aufrecht erhalten wissen wollte, oder wegen sonstigen
Widerspruchs mit seiner eigenen Einsicht verwarf Ob Con-
stantin den Satz bereits in der Form ausgesprochen hat, die
er im justinianischen Recht angenommen hat, eine Form, aus
der der Richter auch für sich das Recht ableiten konnte, einer
Rechtsgewohnheit wegen Widerspruchs mit einem Gesetz oder
seiner, des Richters, Anschauung vom Vernünftigen die Aner-
kennung zu versagen, bleibt zweifelhaft, ist aber keineswegs
unmöglich. Denn auch Julian hat Ähnliches verordnet. Er
be.stimmte, '^) daß Gewohnheiten zu beachten seien, cuvi nihil
per cmisani publicam intervenit und daraus macht die schulmäßige
interpretatio, die im westgotischen Römergesetzbuch \orliegt
(unt. § 25), daß eine Gewohnheit wie ein Gesetz gilt, wenn sie
nicht dem öffentlichen Wohl zuwiderläuft,"^) worüber doch
wohl derjenige zu erkennen das Recht haben soll, vor dessen
Gericht man sich auf die Gewohnheit beruft. Daß damit
eine gewisse Unsicherheit des Rechtszustandes gegeben ist,
ist nicht zu verkennen : die Gewohnheit unterliegt der be-
ständigen Prüfung ihrer Verbindlichkeit aus beständiger Nach-
prüfung ihres Werts. Aber schließlich ist das von dem \'er-
fahren der juristischen Klassiker dem geltenden Recht gegenüber
(§ 2 '^) doch nicht wesentlich verschieden. Keineswegs kann
man den Erlaß Constantins in seinem oder im Sinne Justinians
dadurch erklären, daß man annimmt, er habe sich nur auf sog.
partikuläre, nicht auf gemeine Gewohnheiten des ganzen Reiches
bezogen. Wenn es auch richtig ist, daß bei der Größe des
Reiches einheitliche positive Rechtsgewohnheiten nicht leicht
vorkommen konnten, so kam doch in negativer Richtung,
nämlicli in der Nichtbefolgung älterer Gesetze (desiietudo) ein-
18) c. J. VI, 51, 1, 1. Nov. 89 c. 16 pr.
19) C. Th. V, 12, 1.
20) Interpr. ad c. Th. V, 12, 1 : Longa consuctudo quae ulilitatibus
publicis non impedit, pro lege servabitur.
— 23 —
heitliches ständiges Verhalten im ganzen Reiche vor,^^) und
es ist nicht anzunehmen, daß die Denkweise des Kaisers
über solche negative Gewohnheiten eine andere war, als über
positive. Auf den Fall einer noch nicht völlig gefestigten
Gewohnheit bezieht sich die Vorschrift von Leo und Zeno,
daß, wenn Streit entsteht über ein noviini ius quod inveterato
usii non adhuc stabilitimi est, kaiserliche Entscheidung eingeholt
werden soll.^"")
21) Brie S. 6 Note 18. S. 44.
22) C. J. I, 14, 11.
Drittes Kapitel.
Recht setzende Staatsakte.
§ 5.
I. Angebliche Rechtsaufzeichnungen der Königszeit. i)
I. Die spätere Zeit kannte als leges regiae eine Reihe
von Satzungen sakralen Inhalts oder doch über Rechtsverhält-
nisse, welche mit dem Sakrahvesen zusammenhängen und unter
sakralem Schutze stehen. Es gab ein Werk de ritii sacroriini^^
gewöhnlich nach seinem angeblichen Urheber ms Papirianum
genannt,^) in welchem solche legcs regiae gesammelt waren.
Dazu schrieb ein Granius Flaccus*) einen Kommentar. Die
Berichte, welche das Werk selbst zum Teil bis in die Königs-
zeit zurückführen, sind widerspruchsvoll und unglaubhaft. Streng
genommen läßt sich die Existenz des Buches nicht einmal für
die letzten Zeiten der Republik mit Sicherheit behaupten.^)
1) M. Voigt, die leges regiae, Leipzig 1876. Mommsen, Staatsr. II,
S. 41 ff. Kariowa S. 105 ff. Jörs, Gesch. d. röm. Rechtswissenschaft I S. 59ff.
Krüger S. 3 ff . Zusammenstellung der quellenmäßigen Nachrichten gibt
Bruns, fontes I p. 1 sqq.
2) Daß dies der Titel war, bezeugt Serv. in Aeneid. 12, 836.
3) Macrob. Saturn. III, 11, 5. — Serv. 1. c. bringt als landläufigen Aus-
druck lex Papiria.
*) Granius Flaccus in libro de iure Papiriano scribit (Paul. D. 50, 16, 144).
5) Nach Dion. 3, 86 hätte Ancus Marcius die sacrorum commentarii,
welche Numa Pompilius verfaßt hatte, sich von den Pontifices geben lassen
und auf Tafeln auf dem Forum aufgestellt. Vor Alter seien sie verwischt,
aber nach Vertreibung der Könige von dem (ersten) Pontifex Maximus G. Pa-
pirius wieder hergestellt. Pomponius (D. I, 2, 2) behauptet im § 20, daß noch
zu seiner Zeil ein Buch vorhanden war, welches alle leges regiae enthielt und
von Sex. Papirius, einem hervorragenden Manne aus der Zeit des Tarquinius
— 25 —
Inhaltlich aber werden viele der leges regiae in der Tat aus
der Königszeit stammen, fraglich jedoch, aus welcher Rechts-
quelle.'')
Sagenhaft^) ist auch der Bericht des Dionysius von Hali-
carnaß über die Gesetzgebung des Servius TuUius, der ins-
besondere das Institut der Zivilgeschworenen eingeführt, auch
ungefähr 50 Curiengesetze über Verträge und Delikte durch-
gebracht haben soll, von denen die auf Verträge bezüglichen
durch Tarquinius Superbus aufgehoben, durch die ersten Kon-
suln wiederhergestellt wären.
IL Die spätere Sitte der Magistrate, Aufzeichnungen über
ihre Amtshandlungen zu machen (connnentarli viagistratuunij^
mag schon von den Königen beobachtet sein; auch werden
cofnmentarii reginn öfter erwähnt.^) Diese Erwähnungen
Superbus herrührte ; in § 36 nennt er als denjenigen, der leges regias in ununi
contulit, einen P.' Papirius, ohne genauere Zeitangabe, aber jedenfalls so, daß
er älter sein müßte, als die Verfasser der XII Tafeln. Hirschfeld, Sitzungs-
bericht d. Berliner Akad. Philos.-hist. Kl. 1903 I, S. 8 ff. nimmt an, daß es
sich hier um Geschichtsfälschungen zu Ehren des Geschlechts der Papirier
handelt, was sehr wahrscheinlich ist. Hirschfeld folgert aus dem Schweigen
Ciceros in einer Stelle, in der er den Patrizierstand der Papirier nachweisen
will (ad fam. IX, 21), daß zu seiner Zeit (und zwar wahrscheinlich noch im
Jahre 46 v. Chr.) den gelehrten Kreisen Roms weder jene Papirier noch die
einem von ihnen zugeschriebene Sammlung der Königsgesetze bekannt gewesen
sein können. Sicher ist dieser Schluß wohl nur in Bezug auf die Verbindung
der Sammlung mit dem Namen eines Papirius. Aber einen positiven Beleg
für die Existenz der Sammlung in der letzten Zeit der Republik gibt es aller-
dings nicht. Der Kommentator derselben, Granius Flaccus muß nicht not-
wendig derselbe gewesen sein, der dem Cäsar ein Buch de indigitamentis
(Gebetsformeln) widmete (Hirschfeld a. a. O. S. Uff.), obwohl nicht nur
die Xamensgleichhcit, sondern auch der verwandte Inhalt der fraglichen beiden
Bücher dafür spricht. Ja, es steht nicht einmal fest, daß der Cäsar, welchem das
Buch de indigitamentis gewidmet war, der Diktator ist. Nach Serv. 1. c.
(Note 2) hat aber wenigstens Vergil das Werk de ritu sacrorum gekannt. Alter
als das ins Papirianum sind jedenfalls die »monumenta« des M' Manilius
(§ 16 I, 2), welche, wie Hirschfeld a. a. O. S. 2 ff. nachweist, angebliche Gesetze
Numas enthielten, wenn auch nicht nur solche.
6) Edikte des Königs als des Oberpriesters? Uraltes priesterliches Ge-
wohnheitsrecht?
''] S. auch Lenel, Holtzend. Encyklop, S. 89.
S) Dion. IV, 13.25.43. V, 2.
— 26 —
können aber, selbst wenn jene Dokumente wirklich einmal
existiert haben, nur auf mittelbarer und unsicherer Kunde von
ihnen beruhen.
2. Die Volksgesetzgebung. (Leg es latae.)
§ ö-
Allgemeine Lehren vom Volksgesetz.
I. Lex"^) in dem hierhergehörigen Sinne des Worts ist der
eine Rechtsvorschrift aufstellende Beschluß der Volksgemeinde,
welcher auf Antrag eines Magistrats ergeht (lex rogata, lata).
Dies ist der verfassungsmäßige Weg zur Aufstellung dauernder
Rechtsvorschriften in der römischen Republik. Über die Ge-
setzgebungskompetenz der einzelnen Arten von Volksversamm-
lungen bemerken wir nur kurz Folgendes.
1. Die ursprünglich alleinstehenden Curiatcomitien haben
in historischer Zeit nur noch die Beschlußfassung über das
Imperium der meisten Magistrate (lex curiata de imperioj und
über gewisse spezielle Angelegenheiten, deren Erledigung eines
Gesetzgebungsaktes bedarf. Solange nämlich das Testament
als eine Dispensation von dem gesetzlichen Erbrecht durch
Spezialgesetz behandelt wurde, ist dieses Gesetz in Curiat-
comitien ergangen.^) Desgleichen unterlag die ArrOgation, die
Annahme eines bisher keiner väterlichen Gewalt Unterliegen-
den an Kindesstatt, der Beschlußfassung der Curiatcomitien.^)
2. Die allgemeine Gesetzgebune lieet in historischer Zeit
1) S. dazu Pernice Zeitschr. der Sav.-Stift. XXII S. 64 ff.
2j Gai. II, 101. Gell. XV, 27, 1 — 3. Es ist freilich bestritten, ob das
testanoentum in calatis comiliis einen Gesetzgebungsakt darstellt und nicht
vielmehr die Volksgemeinde bei diesem Testament nur Zeugschaft leistet. Für
die im Text vertretene Ansicht : Mommsen, röm. Staatsrecht III, 1, S. .S19f.
Ihering, Geist des r. R. I zu ■''5b ff. Pernice, (wenigstens für die ur-
sprüngliche Zeit) Festg. f. Gneist, Berlin 1888 S. 129. Girard p. 793 suiv.
A. M. Kariowa 11 S. 848 ff.
3J Gai. I, 98 sqq. Gell. V, 19, 1—6.
— 27 —
zuerst bei den Centuriatcomitien, mit denen aber die beiden
folgenden Versammlungen in Konkurrenz treten.
3. Seit wann Tributcomitien, d. h. nach Tribus geordnete
patrizisch-plebejische Versammlungen zur Gesetzgebung ver-
wandt sind, ist nicht genau zu sagen. Livius bringt ein Bei-
spiel von 357 V. Chr.'*)
4. Beschlüsse der nach Tribus geordneten Plebejer Ver-
sammlung (concüüitn plebis) haben für das Gesamtvolk ver-
bindliche Kraft seit der lex Hortensia zwischen 289 und 286
v. Chr. Vielleicht hatten sie schon vorher gleiche Kraft unter
der Bedingung, daß der Senat sie genehmigt hatte, und hat
die lex Hortensia die Bedeutung, diese Bedingung beseitigt
zu haben. ■^)
IL Lex heißt im strengen Sprachgebrauch nur das vom
Gesamtvolk beschlossene Gesetz. Der Beschluss des conciliuvi
4) Liv. VII, 16. Mommsen, Staatsr. III, 1 S. 322 f. nimmt an, daß
die Tributcomitien schon vor den XII Tafeln geschaffen sind. Der comitiatus
maximus der XII Tafeln (Bruns IV, 1. 2) fordere als Gegensatz leichtere
Comitien, diese könnten nur die Tributcomitien sein. Das ist höchst wahr-
scheinlich zutreffend. Ein Gesetz dieser Art ist die lex Quinctia de aquae-
ductibus vom Jahre 9 v. Chr. Frontin de aqu. urb. Romae c. 129. (Bruns
I p. 115 sqq.)
•"i) Es soll nach den Quellen dreimal festgesetzt sein, daß die Plebiszite
Gesetzeskraft für alle Quirlten haben sollten; zuerst durch eine der leges Va-
leriae Horatiae von 449 v. Chr. (Liv. III, 55, 3), dann durch eine der leges Publiliae
Philonis von 339 v. Chr. (Liv. VIII, 12, 14), endlich durch die lex Hortensia
zwischen 289 und 286 v. Chr. (Gai. 1,8. Gell. XV, 27, 4). Ist es nun schon
dunkel, wie diese dreimalige Festsetzung sich erklären soll, (vielleicht muß
man den Glauben daran ganz aufgeben und annehmen, daß in Wahrheit nur die
lex Hortensia sich mit der Angelegenheit beschäftigte [Erman Zeitschr. d. Sav.-.S.
XXIII S. 455 f]), so verwirrt sich die Sache dadurch noch mehr, daß schon
vor der allerersten jener Bestimmungen von Plebisziten mit Gesetzeskraft die
Rede ist; so bei Livius schon in den Kämpfen, die der Abfassung der XII Tafeln
vorangingen, obwohl er in diesem Punkte sich nicht treu bleibt, (s. § 7 Anm. 1).
Da nun in der Überlieferung hervortritt, daß die Tribüne in der älteren
Zeit, um ein Plebiszit einbringen zu können, oft erst lange Kämpfe zu be-
stehen hatten, so schließt Mommsen, Staatsr. 111,1 S. 156 ff., daß der Wille
der Tribunen allein hierzu nicht genügte, sondern eine andere Instanz zuzu-
stimmen hatte, die er in dem Senat findet. Dafür noch unterstützende Mo-
men;e S. 158. Sicherheit aber besteht natürlich nicht. Daß die völlige Gleich-
stellung der Plebiszite mit den leges erst auf der lex Hortensia beruht, sieht
auch Lenel Holtz. Enc. S. 104 Anm. 3 als sicher an.
— 28 —
plehis heißt technisch plediscitianf) im weiteren Sinne wird
aber lex auch für dieses gebraucht. In der vorsichtigen Sprache
der späteren Gesetze wird oft ,h\r sive id plehiscitimi est zur
Bezeichnung eines Gesetzes verwandt, um anzudeuten, daß das-
selbe möglicherweise lex, möglicherweise Plebiszit, der Unter-
schied aber gleichgültig sei.') Nach dem Amtscharakter des
beantragenden Magistrats scheiden sich Icges consitlares^ prae-
toriae, tribuniciae; das einzelne Gesetz wird in adjektivischer
Form mit dem Namen des Antragstellers bezeichnet, die kon-
sularischen regelmässig mit denen beider Konsuln.
III. Die reclitswirksame Publikation des Gesetzes besteht
in der Renuntiation, der förmlichen Verkündigung des Ab-
stimmungsergebnisses. Die Urkunde des Gesetzes wird im
Archiv (im Aerarium) aufbewahrt, welches unter Leitung der
Ouaestoren stand (bis a. 1 1 v. Chr. unter Teilnahme der
Adilen); nach einer lex Licinia Junia vom Jahre 62 v. Chr.
sollte schon bei der Promulgation, der ersten Ankündigung
des Vorschlags durch Edikt des Antragstellers,^) der Antrag
im x\erar deponiert werden,") damit die verbotene Abänderung
des Vorschlags nach der Promulgation kontrolliert werden
konnte. Die wichtigeren Gesetze wurden öffentlich, zuerst
auf Holz, später auf Bronze aufgestellt.^")
IV. Zu unterscheiden ist die Hauptvorschrift des Gesetzes
von der sanctio (Befestigung), der Bestimmung über die Folgen
der Übertretung der Hauptvorschrift. Ein Gesetz, welches
Rechtshandlungen \'erbietet, ist lex ininiis quam perfecta, wenn
die saiictio zuwiderlaufende Rechtshandlungen mit Nachteilen
bedroht, ohne sie für nichtig zu erklären.") Sind dem Über-
treter nicht einmal Nachteile angedroht, so liegt lex iDiperfccta
ti) Gai. I, 3. Gell. XV, 27, 4.
7) Lex Lat. tab. Bantin 7. 15, lex Ruhr. c. 20.
8) Fest. s. V. jiromulgari : Promulgari leges dicuntur cum primuin in
vulgus eduntur.
9) Schol. Bobiensia ad Cic. pro Sestio 64, 6 (Orclli-Baiter).
''') Die Formen der Gesetzesurkunde zeigt die lex Quinctia de aquae-
ductibus. (Bruns 1 p. 115s(]q.)
") Ülp. init. 2. Minus quam perfecta lex est quae vetat aliquid fieri
et si factum sit, non rescindit, sed pocnam iniungit ei (jui contra legem fecit.
— 29 —
vor.^^) Lex perfecta ist danach diejenige, welche übertretende
Rechtshandlungen für nichtig erklärt, ^'^j Sanctio heißt auch
die oft eingefügte Klausel, daß wegen Befolgung dieses
Gesetzes aus anderen niemand sollte zur Verantwortung ge-
zogen werden können/^) Auch sie befestigt das Gesetz! Sie
zeigt die juristische Vorsicht der Römer; denn eigentlich ist
sie, da schon nach dem Zwölftafelgesetze von zwei wider-
sprechenden Volksschlüssen der jüngere gilt,'^) überflüssig.
Oft finden sich Selbstbeschränkungen des Gesetzes, besonders
eine Klausel, durch welche das Gesetz erklärt, beschworene
ältere Satzungen nicht berühren und sonst nicht gegen etwa
seiner Kompetenz entzogenes Recht verstoßen zu wollen.
Hierfür hat Valerius Probus ^^) eine ständige Abkürzungsformel,
die er auflöst: si quid saa'osanctmn est, quodve ins non sit
rogarier, eins hac lege nihilum i'ogatiir}')
§ 7.
Die XII Tafeln.
I. In der Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. hat das
römische Volk sein Recht in einer umfassenden Gesetz-
12) Macrob. ad somn. Scip. 11,17,13: inter leges .... illa imperfecta
dicitur in qua nulla deviantibus poena sancitur.
13) Ein Beleg fehlt zufällig. Wahrscheinlich stand die Sache in dem
fehlenden Anfangsstück Ulpians. Daß Gesetze, welche nicht Rechtshand-
lungen verbieten, niemals mit Nichtigkeit drohen können, ist selbstverständlich.
11) Cic. ad Attic. III, 23, 2 caput .... tralaticium de impunitate si quid
contra alias leges eins legis ergo factum sit. Die lex de imperio Vespasiani
(unter § 8) hat unter der Überschrift sanctio nichts als eine Vorschrift dieser
Art (Bruns I p. 193).
15) Liv. VII, 17, ut quodcumque postremum populus iussisset id ius ratum-
que esset.
16) Prob. 3.
17) Cic. pr. Caec. 38, 95 sagt, daß in allen Gesetzen stehe : si quid ius
non esset rogarier eius ea lege nihilum rogatum. Vgl. auch de dorn. 40, 106.
Nach Ciceros Ansicht scheint hauptsächlich mit jener Klausel der Grundsatz
der Wahrung wohlerworbener Privatrechte ausgedrückt worden zu sein. Daß
keine sanctio ein Gesetz gegen Abschaffung schützen kann, darüber treffend
Cic. ad Attic. 111,23,2.
— 30 —
gebung niedergelegt, dem Zwölftafelgesetz. Die Geschichte
dieser Gesetzgebung erzählt die Überlieferung in einer von
Widersprüchen stark durchsetzten Weise. ^) Die Haupt-
1) In der Darstellung des Livius herrscht über die staatsrechtliche Seite
der Vorgänge vollständige Verwirrung. Zuerst kündigt Terentilius Arsa an,
daß er ein Gesetz promulgieren würde: ut quinqueviri creentur legibus de
imperio consulari scribundis (III, 9, 5). Das damit angekündigte Gesetz konnte
nur ein Plebiszit sein; denn ein Comitialgesetz haben die Tribunen nie
einbringen können. Später aber ist doch von Comitien über das Gesetz die
Rede (III, 24, 7) oder, was dem gleichsteht, vom ferre ad populum (nicht
plebem) (III, 29, 8, vgl. auch schon III, U, 15 [quod populus in se ius dederit]).
Die Einbringung des Gesetzes durch die Tribunen vereitelten nach Livius die
Patrizier zuerst mit allerlei Künsten (artibus lex elusa (III, 14, 6), dann läßt
I.ivius ein Senatusconsult ergehen, das den Tribunen die Einbringung des Gesetzes
für das laufende Jahr verbietet (III, 21, 2, vgl. 29, 8), offenbar in der An-
nahme, daß dieses Verbot ausreichte, um die Einbringung auszuschließen.
Plötzlich kommen die Konsuln des Jahres 455 als mit einem ganz neuen Ein-
wände mit dem Satze: plebem et tribunos legem ferre non posse (III, 31, 6). Sie be-
streiten also die Möglichkeit eines Plebiszits, die das Frühere doch wenigstens unter
Voraussetzung der Zustimmung des Senats anerkennt. Ihr Einwand soll die Tri-
bunen zu grösserem Entgegenkommen bewogen haben; diese bitten nun die Patrizier
(oder den Senat), wenn ihnen plebeiae leges mißfielen, so möchten sie ge-
statten, daß gemeinschaftlich legum latores sowohl aus den Patriziern wie den
Plebejern gewählt würden, qui utrisque utilia ferrent quaeque aequandae libertatis
essent (31, 7). Diese Schwenkung ist wieder ganz unklar. Die Konsuln be-
streiten, daß die Geselzgebungskommission durch Plebiszit berufen werden
kann, die Tribunen antworten damit, daß die Zusammensetzung der Kommission
und der Inhalt der von ihr abzufassenden Gesetze anders werden soll. Aber
worin besteht diese Änderung? War denn zuvor das Verlangen der Plebejer
so weit gegangen, daß ausschließlich Plebejer eine Kommission zur Abfassung
von Gesetzen über das konsularische Imperium bilden sollten? Davon hat
Livius zuvor nichts gesagt. Plebeiae leges als eine Sondergesetzgebung für
die Plebejer kann der alte Vorschlag nicht zum Ziel gehabt haben; es kann
von vornherein nur auf eine auch die Patrizier bindende Gesetzgebung abgesehen
gewesen sein ; denn eine andre hätte den Plebejern gegen die Patrizier nichts ge-
nützt, hätte auch nicht als leges de imperio consulari bezeichnet werden können.
Sollte jetzt der Inhalt der abzufassenden Gesetze ein weiterer sein als ursprünglich
geplant war? Dazu paßt, daß die XII Tafeln in Wahrheit weit mehr sind, als
leges de consulari imperio. Aber hieß das lenius cum patribus agere (Liv. III,
31,7), wenn jetzt weit mehr verlangt wurde als zuerst? Livius kommt dann
auf die Gesandtschaft nach Griechenland (111,31,8. 32, 1. 32,6. 7), vgl. den
Text zu sprechen. Die endliche Bestimmung, daß decemviri gewählt werden
sollten, bringt Livius mit einem einfachen placet, ohne zu sagen, was für ein
Rechtsakt diese Bestimmung war (_III, 32,7). Das einzig staatsrechtlich Klare
— 31 —
punkte sind folgende. In den Kämpfen der Plebejer
und der Patrizier war ein wesentlicher Beschwerdepunkt
der Plebejer, daß die damals noch rein patrizischen Ma-
gistrate, die bei ihrer Amtsführung wenig an Gesetze ge-
bunden waren, parteiisch gegen die Plebejer verfuhren. Des-
halb verlangten die Plebejer unter Führung der Tribunen und
zwar zuerst des C. Terentilius Arsa, seit dem J. 462 v. Chr. eine
geschriebene Gesetzgebung. Im Jahre 455 gaben die Patrizier
die Abfassung von Gesetzen zu, es blieb aber streitig, ob die
Plebejer daran tätigen Anteil nehmen sollten. Inzwischen
wurde eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt, um
die Gesetze Solons, auch andere griechische Rechte kennen
zu lernen. Nachdem diese Gesandtschaft zurückgekehrt war,
kam man im Jahre 452 v. Chr. überein, daß Decemvirn ge-
wählt werden sollten als Gesetzverfasser und zugleich als
Regierungskollegium mit Ausschluß anderer Magistrate und
des Volkstribunats. In der Frage, ob Plebejer in dieses
Amt sollten eintreten können, gab man schließlich den
Patriziern nach, und für das Jahr 451 v. Chr. wurden
nur Patrizier zu Decemvirn gewählt. Diese verfaßten
die Gesetze der ersten zehn Tafeln, die von den Cen-
turiatcomitien angenommen wurden. Für das Jahr 450
wurde wiederum ein Decemviralkollegium gewählt und zwar
ein patrizisch-plebejisches. Dieses verfaßte die Gesetze
der beiden letzten Tafeln, wurde aber infolge seiner Über-
griffe gestürzt, und die beiden letzten Tafeln wurden erst
nachher auf Antrag der Konsuln des Jahres 449, Valerius
an der ganzen Erzählung ist, daß die von den Decemvirn verfaßten Gesetze in
den Centuriatcomitien angenommen wurden, und auch das sagt Livius deutlich nur
von den ersten 10 Tafeln (III, 34, 6). Dionysius von Halicarnaß läßt die
Tribunen von jeher decemviri (nicht erst quinqueviri) verlangen, und zwar
mittels eines von ihnen an eine Tribusversammlung gebrachten Antrages
(X, 3). Die Gesandtschaft nach Griechenland kennt er auch (X, 52). Dann
läßt er ein Senatusconsult ergehen, welches die Wahl der Decemvirn an-
ordnet (X, 55), die Wahl selbst läßt er in den Centuriatcomitien vor sich
gehen (X, 56), ebenso die Bestätigung der ersten 10 Tafeln (X, 57). Er läßt
aber auch die beiden letzten Tafeln, wie es scheint, von den Decemvirn selbst
auch formell gesetzgeberisch vollendet werden (X, 60). S. noch Pomp. D. I,
2, 2, 3. 4.' 24.
— 32 —
und Horatius zum Gesetz erhoben.-) Die Aufstellung der ge-
samten Icges decemvirales auf Tafeln wird jedenfalls erst auf
diese Konsuln zurückgeführt.^) So sehr aber auch diese Er-
zählung von Sagen durchwoben sein mag, so stehen doch die
beiden Tatsachen, daß es Decemvh'i legibus scribiindis gegeben
hat, und daß eine von diesen verfaßte Gesetzgebung die
Grundlage der gesamten späteren Rechtszustände der Römer
war, mit aller Sicherheit fest, die sich in g-eschichtlichen Dinsren
erwarten läßt. Die neuerdings aufgestellte Behauptung, daß
die XII Tafeln eine Fälschung seien, daß eine spätere private
Rechtsdarstellung unter dem Namen der XII Tafeln für eine
Gesetzgebung des römischen Volkes fälschlich ausgegeben ist,
ist eine Ausgeburt übertriebener Zweifelsucht.**)
aj Diodor. XII, 26.
3) Liv. III, 57, i.f.
•1) Pais hat in seiner storia di Roma I, (Torino 1898) bes. p. 566 sq. aus-
geführt, daß die XII Tafeln nichts anderes seien als das ius civile Flavianum
(unt. § 14), also eine private Rechtsaufzeichnung aus der Zeit um 300 v. Chr.,
die man später für eine Gesetzgebung gehalten habe. Lambert, la tradition
Romaine sur la succession des formes du testament devant l'histoire compara-
tive (Paris 1901) sprach sich über Pais ohne abschließendes Urteil mit großer
Achtung aus, ging aber dann — N^ouvelle Revue historique de droit frangais
et etranger XXVI (1902) p. 149 suiv. über Pais noch hinaus, indem er die
XII Tafeln mit dem ius Aelianum (unt. § 14) identifizierte, ihr Alter also
noch um 100 Jahre herabsetzte. Dies führt Lambert weiter aus in: la
fonction du droit civil compare, tome I les conceptions etroites et unilaterales
(Paris 1903) p. 407 suiv. 593 suiv. Dagegen sind für die Echtheit der XII
Tafeln als eines Gesetzgebungswerks aus der Mitte des fünften Jahrhunderts
V. Chr. eingetreten; Girard, histoire de l'organisation judiciaire des Romains I
(Paris 1901) pag. 50 n. 2, derselbe Nouvelle Revue historique XXVI (1902)
p. 381 suiv., Erman in der Zeitschr. der Savigny-Stift. XXIII (1903)
S. 450 ff., Lenel, Holtzendorffs Encykl. 6. Aufl. (1903) S. 96 Aura. 1.
Eine Übersicht des Sireitstandes bietet Erman a. a. O. Der positive
Beweis der Echtheit der XII Tafeln läßt sich denen in zwingender
Art nicht führen, die den Quellen gar nichts glauben wollen. Aber mit Recht
betont Girard, daß die Sprache der XII Tafeln auch so, wie sie die uns vor-
liegenden Fragmente zeigen, in die Mitte des fünften Jahrhunderts besser paßt,
als an das Ende des 4. oder gar des 3. Jahrh. v. Chr. Wir wissen sogar,
daß sie ein Wort (lessum) enthielten, das schon Sex. Aelius, der Verfasser des
ius Aelianum, nicht mehr verstand (Cic. de leg. II, 23,59). Auch der Inhalt der XII
Tafeln stimmt, wie Girard ferner mit Recht hervorhebt, nicht zu der Annahme,
weder von Pais noch von Lambert. Besonders beweisend ist in dieser
— 33 —
IL Die Gesetzgebung der XII Tafeln war grösstenteils
A\ifzeichnung alten Gewohnheitsrechtes und umfaßte sowohl
staatsrechtliche, strafrechtliche und prozessuale, wie privat-
rechtliche Dinge, war aber von der Vollständigkeit moderner
Gesetzbücher wohl weit entfernt. Daß zur Vorbereitung
des Werkes Kunde griechischen Rechts eingeholt ist, ein
Grieche die Decemvirn beraten, °) und griechisches Recht den
Inhalt der XII Tafeln in der Tat beeinflusst hat, ^) ist innerlich
keineswegs unglaublich, wenn auch die Nachrichten darüber
Beziehung die blutige Exekutionsordnung und der Satz, daß der Schuldner
trans Tiberim, d. h. ins Ausland, verkauft werden konnte (tab. III, 5. 6
[Bruns], Gell. XX. 1, 47: trans Tiberim peregre venum ibant), während schon um
300 der Tiber nicht mehr Grenzfluß war. Ferner stützt sich Giraid mit Recht
darauf, daß sich die Überlieferung von den XII Tafeln als einer Gesetzgebung
soweit zurückverfolgen läßt, als ■ das nach Lage der geschichtlichen Quellen
überhaupt erwartet werden kann. Es ist durchaus unglaubwürdig, daß eine
private Rechtsdarstellung, verfaßt um 200 v. Chr., zu einer Zeit, als die römische
Jurisprudenz bereits im starken Aufblühen begriffen war, durch Irrtum oder
Betrug zu dem dauernden Ansehen einer Gesetzgebung hätte gelangen können,
noch unglaublicher, daß sie in der Vorstellung der Späteren nicht etwa zu einer
Gesetzgebung geworden, sondern vielmehr den Glauben an eine hinter ihr
stehende Gesetzgebung erzeugt hätte (denn die Römer hielten die XII Tafeln
und das Werk des Sex. Älius doch auseinander). Geht man um 100 Jahre weiter
zurück auf das ius Flavianum, so wird derartiges um einen Schatten weniger
unmöglich, aber noch keineswegs plausibel. Die gewaltige innere Entwickelung,
welche das römische Privatrecht und der Prozess von den XII Tafeln bis zum Ende
der Republik durchgemacht haben, erscheint, wenn man den zeitlichen Ab-
stand um 250 Jahre verkürzt (Lambert), ganz unmöglich, wenn man ihm 150
Jahre nimmt (P a i s), immer noch schwer begreiflich. Verlangt man bei den
Römern eine Parallele zu den sonst häufigen Erscheinungen, daß alte
Aufzeichnungen vom Gewohnheitsrecht für noch ältere Gesetzgebungen aus-
gegeben werden, so mag man sich mit den leges regiae begnügen. Und end-
lich: wenn einmal im Interesse des erhöhten Ansehens das Zwölftafelrecht
künstlich zurückdatiert worden wäre, so ist sehr unwahrscheinlich, daß man
damit so bescheiden gewesen wäre. Man würde es dann unzweifelhaft in die
Königszeit versetzt haben. Der äujäere Vorgang der Schöpfung der XII Tafeln,
so unklar er im einzelnen überliefert ist, ist doch im Kern vollkommen
glaubwürdig: die XII Tafeln eine Frucht des gewaltigen Kampfes der beiden
Stände.
^) Pomp. D. I, 2, 2, 24 : Der Ephesier Hermodorus, exulans in Italia.
") Vgl. Gai. ad XII tab. D. X, 1, 13. D. XLVII, 22, 4. Cic. de leg.
II. 23, 59.
Kipp. Quellen des röm. Rechts. o
— 34 —
im einzelnen sagenhaft sind, und der Einfluß des griechischen
Rechts nicht überschätzt werden darf.") Ob die auf
dem Forum aufgestellten XII Tafeln, von denen die
Gesetzgebung ihren Namen führt (XII tabulac, lex XII
tabidarum) Bronzetafeln ^) waren, oder ob diese erdichtet
sind, und man in jener alten Zeit noch Holztafeln nahm, bleibt
zweifelhaft. Daß die im gallischen Brande zu Grunde ge-
gangenen Tafeln'') später erneuert wären, ist unwahrscheinlich, ^^j
Denn in der späteren Zeit war die Gesetzgebung zwar dem
Inhalt nach vollständig bekannt (bis in Ciceros Zeit lernten sie
die Knaben in der Schule auswendig)/^) aber ihre Form wurde im
Laufe der Zeit mehr und mehr modernisiert, was im Angesicht
eines authentischen, auf dem Forum zu lesenden Textes nicht
möglich gewesen wäre. Trotz aller späteren Rechtsveränder-
ungen sind die XII Tafeln noch spät als die eigentliche Grund-
lage des römischen Rechts angesehen worden; fons oinnis
piiblici privatiqiie iiiris sagt Livius mit Bezug auf die ersten
lO Tafeln, und läßt das Volk reden, wenn noch die beiden
letzten hinzugefügt würden, so könne velut corpus oinnis Ro-
mani iuris damit fertiggestellt werden.^-) Noch im justini-
') Steinbausen, de legum XII tabularum patria. Greifsw. [1887] und
Boesch, de duodecim tabularum lege a Graecis petita. Gott. 1893 wollen von
der Gesandtschaft nach Griechenland nichts wissen. Voigt XII Tafeln I
S. 15; nur nach Grossgriechenland; auch Lenel, Holtz. Encyklop. S. 97
will nur zugeben, daß die Decemvirn Kenntnis des griechischen Rechts (aus
campanischen Griechenstädten) besaßen. Dagegen schenken Kariowa IS. 112
und Krüger S. 9 der Nachricht von der Gesandtschaft nach Griechenland
Glauben. Ebenso Costa, storia di dir. Rom. (1901) I p. 11 sg.
«) Liv. III, ,57 i. f. Dion. X, 57. Eboreae bei Pomp. D. I, 2, 2, 4 kann
aus roboreae, aber auch aus aereae entstanden sein.
ö) Liv. VI, 1.
'**) Man hat dafür wohl angeführt Cyprian. ad Donat. 10: incisae
sint licet leges XII tabulis et publice aere praefixo iura praescripta sint, inter
leges ipsas delinquitur, inter iura pcccatur. S. gegen die Beweiskraft dieser
Stelle Krüger S. 10'^. Für die Wicderaufstellung Girard Nouv. Rev. histo-
rique 1903 p. 412 Liv. VI, 1 behauptet sie doch nicht deutlich.
'^) Cic. de leg. II, 23, 59; discebamus i'nim pueri XII ut Carmen ne-
cessarium, quas iam nemo discit.
12) Liv. III, 34.
— 35 —
anischen Recht gelten manche Bestimmungen der XII Tafeln
fort. Sie sind von Juristen oft kommentiert (Sex. Aelius [§ i6],
Labeo !§ 19], Gajus [§ 20]); aber auch andere Schriftsteller
haben ihnen insbesondere in sprachlichem und antiquarischem
Interesse Aufmerksamkeit gewidmet.
III. Auf den in juristischer wie nichtjuristischer Literatur
zerstreuten Mitteilungen und Anführungen, welch letztere aber
auch da, wo sie es vorgeben, wohl nirgends wörtlich genau sind,
beruht unsre Kenntnis zahlreicher Bestimmungen der XII Tafeln.
Die lapidare Sprache der Citate ist trotz der erwähnten Moder-
nisierung immer noch altertümlich genug geblieben, um den Leser
empfinden zu lassen, daß das gewohnte Latein nicht immer aus-
reicht, sie zu verstehen. Diese Schwierigkeit ist aber keineswegs
unüberwindlich. Haupteigentümlichkeiten liegen in der mangel-
haften Bezeichnung der Personen, an die sich das Gesetz wendet,
oder von denen es redet, und in dem Gebrauch des Imperativs
für nicht gebietende, sondern berechtigende Vorschriften.
IV. Mit der Ordnung und Ergänzung der Fragmente der
XII Tafeln hat man sich seit dem 16. Jahrhundert beschäftigt,
zuerst Aymar du Rivail^^] Wichtiger schon ist die Bear-
beitung des grossen Jacobus Gotho/redus^^) Der Grund der
modernen Restitution ist von Dirksen gelegt. i'"*) Die Be-
arbeitung von SchoelP'M hat den Schwerpunkt in verbesserter
philologischer Kritik. Bruns' fontes^') enthalten eine auf
Dirksen und Scholl beruhende, sie verbessernde Handausgabe.
— M. Voigt 's Werk über die XII Tafeln^") ist bei aller
seiner Gelehrsamkeit nur mit grosser Vorsicht zu benutzen.^^)
13) Aymarus Rivallius, civilis historiae iuris s. iu XII tabularum leges
commentariorum libri quinque. 1515.
!■*) Jac. Gothofredus, Quatuor fontes iuris civilis. 1653.
^5) Dirksen. Übersicht der bisherigen Versuche zur Kritik und Her-
stellung des Textes der Zwölftafelfragmente (Leipzig 1824).
1^) R. Seh o eil, legis duodecim tabularum reliquiae (Leipzig 1866).
1') I p. 15sqq. •
18) M. Voigt, die XII Tafeln. Leipzig 1883.
1®) S. auch Girard, textes de droit Romain p. 9 suiv. Über ein in
russischer Sprache erschienenes Werk von N i k o 1 s k i, System und Text der
XII Tafeln (1897), s. v. Tuhr, Kritische Vierteljahrsschrift XL (1898)
S. 482fr. Pergament Zeitschr. d. Sav.-Stift XIX (1898) S. 374fr.
3*
, — 3(3 —
§ 8.
Die Volksgesetzo;ebung nach den XII Tafeln.
I. Seit den XII Tafeln sind sehr zahlreiche Volksgesetze,
darunter auch viele privatrechtlichen Inhalts, ergangen. Xoch
in der ersten Kaiserzeit ist die Comitialgesetzgebung lebhaft
tätig gewesen; doch nimmt sie schon unter Tiberius und
Claudius ab und erlischt im Laufe des i. Jahrhunderts ganz.
Das letzte bekannte Volksgesetz ist eine von Kaiser Nerva
beantragte lex agraria}) Indessen bUeb in der Kaiserzeit dem
Volke auch später noch ein gesetzgeberischer Akt vorbehalten,
nämlich die formelle Beschlußfassung über die Kompetenz des
jeweiligen Kaisers, lex de iviperio principis, von Ulpian"') lex
regia genannt. Der Sache nach handelt es sich dabei aber
nur um formale Bestätigung eines Senatuskonsults.
Die jüngeren römischen Gesetze lieben, anders als die
XII Tafeln, einen verschachtelten, langatmigen Stil. In über-
grosser Sorgfalt, die Sache ja richtig zu treffen, häufen sie oft
Ausdrücke (ähnlich modernen englischen Gesetzen), bei denen
es falsch sein würde, hinter jedem einen von dem des andern
scharf gesonderten Begriff suchen zu wollen.^) Die Klarheit
des römischen Rechts ist aus der Arbeit der Juristen, nicht
aus der Gesetzgebung hervorgegangen.
IL Unsere Kunde von den leges beruht vorwiegend auf
Überlieferung in der Literatur. Einzelnes ist inschriftlich er-
halten. Zu erwähnen sind:
I. Tabula Baut ina, eine bei Bantia (jetzt Banzi) in Lucanien
a. 1790 gefundene Bronzetafel, auf deren einer Seite ein
Bruchstück eines oskischen Gesetzes von unsicherem Inhalt
und Ursprung steht; vielleicht ist es die von Rom den Ban-
tinern verliehene Stadtordnung. Auf der anderen Seite steht
1) Callistr. D. XLVII, 21,3, 1, Pernice, Ztschr.d.Sav.-Stift. XX (1899)
S. 159 deutet den Zweifel an, ob etwa Callistratus von einem Senatusconsult
spreche, verwirft dies jedoch selbst.
2) D. I, 4, 1 pr.
3) Man lese nur die Lex Quinctia de aquaeductibus. Bruns I p. 115 sqq.
— 37 -
ein Stück der sanctio eines lateinischen und zwar römischen
Gesetzes aus der Zeit zwischen 133 und 118 v. Chr.^j
2. Elf Bruchstücke einer Bronzetafel, welche vor 1521
in Rom waren, von denen aber einige jetzt nur noch in Ab-
schriften \-orhanden sind. x\uf der einen Seite steht die lex
Acilia repetundariüii von 133 oder 132 v. Chr., auf der an-
dern Seite die lex agraria vom Jahre 1 1 1 v. Chr.'^)
3. Eine in Rom im 16. Jahrhundert gefundene Bronze-
tafel, die achte einer Reihe, auf welcher die lex Cornelia (Sullae)
de viginti quaestoribus von c. 81 v. Chr. verzeichnet war.**)
4. Eine in Rom im 16. Jahrhundert gefundene Bronze-
tafel enthält ein bedeutendes Anfangsstück der lex Antonia
de Termessibus, vom Jahre 71 v. Chr., eines Plebiszits, durch
welches die Angehörigen von Termessus in Pisidien für frei,
Freunde und Bundesgenossen des römischen Volkes erklärt
werden, und dementsprechend ihre Rechtsstellung geregelt
wird.') Man könnte versucht sein, dies Gesetz als eine die
Termessier subjektiv berechtigende lex specialis aufzufassen;
richticrer würdigt man seinen Inhalt aber doch wohl, wenn
man es als ein, objektive Rechtsvorschriften, allerdings von
beschränkter Anwendbarkeit, aufstellendes betrachtet.
5. Eine 1760 in den Ruinen von Veleja bei Piacenza ge-
fundene Bronzetafel,**) enthaltend einen Teil (in c 19 anfan-
gend, in c. 23 schließend) eines Gesetzes über die Munizipal-
gerichtsbarkeit in Gallia cisalpina, wichtig für das Recht der
cautio danini in/ecti, operis novi nuntiat io, confessio in jnre,
verweigerten defensio. Das Gesetz ist erlassen, nachdem Gallia
cisalpina durch eine lex Roscia vom Jahre 49 v. Chr. das
römische Bürgerrecht erhalten hatte und wohl vor der im
Jahre 42 v. Chr. erfolgten Vereinigung des cisalpinischen
Galliens mit Italien."*) Man hält das Gesetz für ein V'^olks-
^) Bruns I. p. 48. sqq. Moratti, la legge osca de Banzia Archivio giuri-
dico LIIl (1894) p. 745 sq.
^) Bruns I p. 55 sqq. ") Bruns I p. 90 sqq. ') Bruns I p. 94 sqq.
^) Bruns I p, 98 sqq.
®) Die Ansicht Kar Iowas, daß es sich umgekehrt gerade um Ausführungs-
bestimmungen zu dieser Vereinigung handelt, halte ich nicht für wahrschein-
lich, aber immerhin für durchaus möglich.
— 88 —
gesetz, das sich selbst als lex Rtibria bezeichnet, und hierbei
ist trotz des von Mommsen erhobenen Widerspruchs zu
bleiben/«)
6. Das sog. Fragvienüun Ate stimmt ist eine im Jahre 1880
zu Ateste, jetzt Este gefundene Bronzetafel, welche, wie die
vorige von Munizipaljurisdiction handelt.^\) Das Gesetz ist im
Jahre 49 v. Chr. erlassen. Der Fundort und namentlich die
Beziehungen des Bruchstücks auf die lex Roscia weisen ent-
schieden darauf hin, daß es sich um ein Gesetz für Gallia
cisalpina handelt. Daß die Tafel ein Stück der lex Rubria
^°) Mommsen, Wiener Studien XXIV, H. 2 (Bormannheft) und Ephem. epigraph .
IX p. 4 nimmt an, daß es eine lex data war (s. unt. § 9, I). Hierfür beruft er
sich auf die Analogie sonstiger Provinzial- und Stadtordnungen, die doch
keineswegs ausschließt, daß derartigeOrdnungen auch durch unmittelbaren Volks-
schluß erlassen werden konnten. Ferner glaubt Mommsen, daß das starke
Eingehen des Gesetzes in Einzelheiten für seine Natur als einer lex data
spreche. Auch das trifft nicht zu. Man vergleiche z. B. die tab. Heracl., die
unzweifelhaft einen Volksschlufi enthielt, oder die lex Quinctia, die doch
wahrlich an Eingehen ins einzelne nichts zu wünschen läßt. Das Gesetz stellt
Prozeßformeln für den Fall der verweigerten cautio damni infecti auf. In
ihnen wird die Verurteilung davon abhängig gemacht, daß der Beklagte einem
ex lege Rubria ergangenen magistratischen Befehl zur Kautionsleistung den
Gehorsam verweigert hat: quod eins is duovir quattuorvir praefeclusve
ex lege Rubria seive id plebeive scitum est, decreverit (lin. 28 sq. 38 sq.). Xua
hatte aber das Gesetz selbst (lin. 7 sqq.) dem Munizipalmagistrat Recht und
Pflicht gegeben, in Fällen des drohenden Schadens dem Beklagten zu befehlen,
daß er ex formula, d. h. (dem Zusammenhang zufolge) gemäß dem Formular
des Edikts des Peregrinenprätors durch einfache Stipulation (repromittere), unter
Umständen mit Bürgen (satisdare), Ersatz des möglicherweise eintretenden Schadens
verspreche: eum quei in ius eductus erit de ea re ex formula repromittere et
sei sadisdare debebit, sadisdare iubeto decernito. Es ist m. E. nicht der ge-
ringste Grund, zu bezweifeln, daß diese Vorschrift des Gesetzes selbst es ist,
welche die Prozeßformel mit den Worten : quod ex lege Rubria seive id plc-
beivescitum est decreverit in Bezug nimmt, also kein Grund, die lex Rubria
mit Mommsen für ein von der velejatischen Tafel verschiedenes Gesetz zu
lialten. Es bedarf keiner Erwähnung, daß das Gesetz in den Prozeßformeln
nicht sagen konnte: ex hac lege; denn im Gebrauch tritt die Prozeßformel aus
dem Rahmen des Gesetzes heraus. Meint aber die vclejatische Tafel sich
selbst mit den Worten lex Rubria sive id plebiscitum est, so war sie doch
wohl sicher ein Volksgesetz, denn daß in Bezug auf leges datae die Klausel
sive id plebiscitum est vorkomme, ist nicht erweislich und nicht anzunehmen.
") Hruns I p. 102 sqq.
— 39 —
biete, ist aber nicht anzunehmen, viehiiehr wird es ein Vor-
läufer der lex Rubria gewesen sein.^-j
7. Tabula Heracleensis, eine 1732 in den Ruinen von
Heraclea in Lucanien gefundene Bronzetafel in zwei Stücken. ^'^)
Darauf steht ein großer Teil eines Gesetzes Cäsars vom Jahre
45 V. Chr., dessen erhaltene Bestimmungen Getreideverteilungen
und Strassenpolizei in Rom, sowie die Verfassung der Bürger-
gemeinden fmagistratiis, dcciirioncs) betreffen. Man hat dieses
Gesetz bisher auf die Autorität Savignys^"^) als lex Julia
mnnicipalis bezeichnet. Es ist aber von Mommsen neuer-
dings ^^) mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß diese
Bezeichnung willkürlich ist. Indessen sind die allgemeineren
Bestimmungen des Gesetzes über die Verfassung der Bürger-
gemeinden doch so zahlreich, daß man (gegen Mommsen)
12) Die lex Rubria hat für die Zuständigkeit der Munizipalmagistrate
eine Grenze nach dem Streitwert, und zwar reicht die Zuständigkeit jener
^lagistrate bis zu 15 000 Sesterzen. Das Fragm. Atestin. rechnet mit einer
andern Grenze, nämlich 10 000 Sesterzen. Diese Summe wird zwar nur in
Ansehung von actiones famosae genannt (d. h. von Klagen, bei denen die
Verurteilung ehrlos macht). Es scheint aber der Sinn des Gesetzes nicht zu
sein, daß für solche Klagen eine besondere Kompetenzgrenze besteht, sondern
vielmehr, daß die an sich ohne Rücksicht auf den Streitwert bei actiones fa-
mosae ausgeschlossene Kompetenz des Munizipalmagistrats innerhalb der ge-
wöhnlichen Kompetenzgrenze von 10 000 Sesterzen durch den Willen des Be-
klagten begründet werden kann. Dann aber kann das Fragm. Atest. nicht
zur lex Ruhr, gehören. Vgl. Appleton, Revue generale du droit 1900 p. 193 suiv.
bes. p. 234 suiv. ; dazu Kubier, Zeitschr. der Sav.-Stift. XXII (1901) S. 200ff.
Der zweite Absatz des Fr. Atestin. hält für Privatprozesse die vor der lex Roscia
von a. 49 auf Grund besonderer Bestimmungen irgend welcher Art Muni-
zipalmagistraten zustehende Jurisdiktion aufrecht. Wie dies zuging, behandelt
Appleton 1. c. p. 148 als unaufgeklärt. M. E. lag die Sache so: Man hätte
denken können, daß durch die Bürgerrechtsverleihung die besonderen Satzungen
der einzelnen Gemeinden beseitigt worden wären, und diese Folgerung wollte
das Fr. Atestin. ablehnen. Dabei citiert das Fr. Atestin. die lex Roscia als
ein Gesetz vom 11. März ohne Jahresangabe, was nur möglich war, wenn das
Gesetz des Fragments im selben Jahr, wie die lex Roscia erging (vgl. Apple-
ton 1. c. p. 206). Vielleicht hat die lex Rubria, indem sie die Kompetenz-
grenze der munizipalen Gerichtsbarkeit erhöhte und eine eingehende Prozeß-
ordnung gab, den Vorbehalt des Fr. Atestinum abgeschafft.
13) Bruns I p. 104 sq.
11) Vermischte Schriften III s. 279 ff..
15) Ephemeris epigraphica IX p. 5 sq.
— 40 —
sehr wohl sagen kann, dasselbe enthalte eine allgemeine
Städteordnung, die freilich der Ergänzung durch die speziellen
Ordnungen der einzelnen Städte bedurfte.^")
8. Ein bedeutendes Schlußstück des für Vespasian im
Jahre 69 n. Chr. erlassenen Kompetenzgesetzes (vergl. oben I),
s. g. lex de imperio Vespasiani^ ist zu Rom auf einer Bronze-
tafel im 14. Jahrhundert gefunden worden.^")
§ 9.
3. Leg es datae und leg es dictae.
I. Provinzen und Stadtgemeinden sind von den Römern
Rechtsordnungen vielfach in der Weise verliehen, daß ein
Magistrat das Gesetz, ohne einen römischen Volksschluß über
dessen Inhalt einholen und ohne die Provinzialen oder Ge-
meindeangehörigen befragen zu müssen, einseitig auferlegt
{legem dare, lex data).
I. Den Provinzen gab solche Ordnung in der Regel
der Feldherr, der sie erobert oder nach einem Aufstande be-
ruhigt hatte. Er war dabei an die nachträgliche Genehmigung
des Senates gebunden, wenn nicht, wie gewöhnlich geschah,
der Senat ihm eine Kommission beigegeben hatte, nach deren
Beschlüssen er sich zu richten hatte. So hat der Konsul
P. Rupilius im Jahre 131 v. Chr. nach dem ersten Sklaven-
kriege Sizilien neu geordnet durch die de deceni senatoi'um
dccreto gegebene lex Riipilia. bekannt aus Ciceros verrinischen
Reden; ^) sie enthielt eine eingehende Gerichtsordnung. Pom-
pejus erließ nach dem dritten mithridatischen Kriege im Jahre
64/63 v. Chr. umfassende Anordnungen für die asiatischen
Länder, deren Genehmigung nach seiner Rückkehr zu einem
Hauptstreitpunkt mit dem Senat wurde. Noch in der Kaiser-
zeit standen von ihm herrührende Bestimmungen als lex Poni-
peja in Gellung; wir kennen daraus solche über Munizipal-
bürgerrecht, Magistrate und Decurionen.-) "'')
I6j vgl. unt. § 9, I, 2. ") Bruns I p. 192 sqq.
') Cic. in Verr. II, 2, 13, 32; 16, 39.
-) Plin. ad Trai. 79. 80. 112. 114. 115. Vgl. ob. § 4 Anm. 15.
") Nach Mommsen wäre auch das Gesetz der velejatischen Tafeln eine
lex data für Gallia Cisalpina. S. darüber § 8, I. 5.
— 41 —
2. Das älteste Zeugnis einer von Rom verliehenen Stadt-
ordnung ist die Nachricht, daß im Jahre 317 v. Chr. die
Bürgerkolonie Antium vom Senat Patrone ad jiira statiienda
ipsius coloniae erhielt.*) Vielleicht gehört auch das oskische
Gesetz der tabula Bantina (§ 8 II, i ) hierher. Ob solche
Ordnungen in alter Zeit durch Volksschluß bestätigt wurden,
ist fraglich. In der ' späteren Zeit wurden Stadtordnungen
durchaus regelmäßig einseitig von einem oder mehreren Be-
amten erlassen, welche hierzu durch Volksschluß ermächtigt
wurden. Wie häufig und beliebt dies Verfahren war, zeigt
die Klausel des cäsarischen Gesetzes der Tabula Heracleensis,
daß die mit solcher Ermächtigung Ausgestatteten noch ein
Jahr nach Erlaß dieses Gesetzes das Recht der \'erbesserung
ihrer Anordnungen haben sollten.'^) Die einzelnen Stadtord-
nungen müssen auf dem allgemeinen Inhalt des genannten
Gesetzes gefußt haben. Daß sie in ihrem Inhalt vielfach
identisch waren, ist sehr glaublich.'^) In der Kaiserzeit geht
die \^erleihung von Stadtordnungen vom Kaiser aus. Er hat
dazu nicht im Einzelfalle Ermächtigung eingeholt, sondern ist
allgemein dazu für ermächtigt erachtet, unsicher mit welchem
formellen Anhalt.
Hierher grehören folgende Inschriften:
a) Die Stadtordnung von Tarent als Bürgerstadt, erlassen
zwischen 89 und 62 v. Chr. Davon ist die neunte Bronze-
tafel 1894 zu Tarent gefunden.')
b) Die lex U^'sonensis oder lex colo)iiae Juliae Genetivae,
welche M. Antonius, der auf Cäsars Befehl ein Gesetz über
Kolonie-Gründung durchgebracht hatte, auf Grund dieses Ge-
setzes der unter jenem Namen kolonisierten Stadt Urso in
•*) Liv. IX, 20 i. f. ^) Tab. Heracl. Jin. 159 sqq.
®) Vgl. unten Note 10 und zu Note 12. Mommsen, Ephem. epigr. IX p. 5
sqq. nimmt an, daß lex municipalis abstrakt gebraucht den identischen Inhalt der
einzelnen Stadtordnungen bezeichnet, da er eine allgemeine Städteordnung
leugnet (ob. § 8, I, 7). Wahrscheinlich ist, daß jener Ausdruck das allge-
meine gesetzliche Stadtrecht deckt, wie es sich zusammensetzt aus dem Inhalt
des cäsarischen Gesetzes und dem identischen Inhalt der einzelnen Stadt-
ordnungen.
"') Mommsen, Ephem. epigr. IX p. 1 sqq. Scialoja, Bulletino dell'
stituto di dir. Romano IX, 1 (1896) p. 7 sg. 88. Dessau 6086.
— 42 —
Spanien (jetzt Osuna) im Jahre 44 v. Chr. verlieh. Einige in
Osuna 1870— 1874 gefundene Bronzetafeln enthalten bedeu-
tende Stücke davon, von (in) c. 61 bis (in) c. 82 und von (in)
c. 91 bis c. 134.'^)
c) Aus der Augustischen Zeit und wohl von Augustus
selbst verliehen ist ein Gesetz für Narbo, betreffend einen
dort eingesetzten Flamen, bruchstückweise erhalten auf einer
in Narbonne 1883 gefundenen Bronzetafel. ^)
d) Die Stadtordnung von Salpensa, s. g. lex Salpensa7ia,
und die von Malaca (Malaga) s. g. lex Malacitana, welche
beide Domitian zwischen 81 und 84 den genannten damals
(seit Vespasian) des latinischen Rechts teilhaftigen Gemeinden
verlieh. Zwei Bronzetafeln, welche 185 i bei Malaga gefunden
sind,^°) bieten von der lex Salpetisana c. 21 bis c. 29, von der
lex Malaeitana c. 51 bis (in) c. 69."; Ein seit 1896 be-
kanntes bei Sevilla gefundenes Bronzebruchstück gibt einen
Teil des c. 6'] der lex Malaeitana wieder. Es gehört zu der
inhaltlich mit der lex Malaeitana übereinstimmenden Ordnung
einer anderen spanischen Stadt.'"-)
IL Das römische Bürgerrecht kann in der republikanischen
Zeit grundsätzlich nur durch Volksbeschluß verliehen werden,
es ist also ein den vorigen ähnlicher Akt delegierter Gesetz-
gebung, wenn ein Magistrat kraft ihm durch Gesetz erteilter
Ermächtigung das Bürgerrecht verleiht. Er erteilt damit aber
nur ein Personalprivilegium, und für die Kenntnis des objek-
tiven römischen Rechts sind Erlasse dieser Art nur als Belege
für die Regeln wichtig, denen sie folgen, nicht, die sie sta-
tuieren. Die besprochene Ermächtigung ist zuerst an kolonie-
*) Bruns I p. 123 sqq. Fabricius Hermes B. XXXV (1900) S. 205 ff.
nimmt mit guten Gründen an, Antonius habe das in Cäsars Nachlaß unvollendet
gefundene Gesetz vollenden lassen und dabei gegenüber Cäsars Intentionen ge-
ändert. Dessau 6087.
") Bruns I p. 140 sqq. Dessau 6088. 6089.
10) Vielleicht hatten die Malacitaner die Tafel des salpensanischen Ge-
setzes zur Ergänzung einer zu Verlust gegangenen Tafel ihres eigenen, inhalts-
gleichen, sich verschafft. Mommsen, Ephem. ejiigr. IX p. 10.
") Bruns I p. 142 sqq.
12) Mommsen, Ephem. epigr. IX p. 10. Nicht recht zu bestimmen ist
das Bronzebruchstück das. p. 11.
— 43 —
gründende Beamte mit Bezug auf die Kolonisten,''^) dann auch
an Feldherren mit Bezug auf ihre Soldaten erteilt, z. B. im
Jahre 72 v. Chr. dem Pompejus durch Gesetz der Konsuln
L. Gellius und Gn. Cornelius nachdem sertorianischen Kriege. ^*)
In der Kaiserzeit haben die Kaiser in umfassendem Maße aus-
gedienten Soldaten das Bürgerrecht und — mit Rücksicht
auf ihre Ansiedlung in einer Provinz — das connubium mit
einer peregrinischen Frau (denen, die bereits Bürger waren,
nur dies) ^■^) verliehen. Die entsprechende Verfügung, welche
für zahlreiche Soldaten zusammen erging, wurde, wie ein Ge-
setz, auf dem Kapitol in Bronze angeschlagen, dem einzelnen
aber auf bronzenem Diptychon (zwei verbundenen Täfelchen),
ein von Zeugen beglaubigter Auszug daraus zu seiner Legi-
timation erteilt. Solche s. g. Soldatendiplome sind zahl-
reich erhalten.'")
III. Lex dicta ist eine rechtliche Bestimmung, welche
jemand seiner eigenen Sache auferlegt. Dahin gehören also
auch Rechtsvorschriften, welche einer im Eigentum des Staates
oder der Gemeinde stehenden Sache von den zuständigen
Organen im Namen des Staates oder der Gemeinde auferlegt
werden. Solche leges dictae sind die sehr altertümlichen Hainge-
setze von Luceria und Spoletium, die Tempelordnung von Furfo
vom Jahre 58 v. Chr.,'') die von den Narbonensern II — 13
V. Chr. festgesetzten Vorschriften für einen neugestifteten Altar
des Augustus,'^) eine Altarordnung Domitians,'^) die von dem
diiovir von Salona (Dalmatien) gegebene Ordnung eines Jupiter-
altars vom Jahre 137 n. Chr.'^°)
Es kann unter Umständen zweifelhaft sein, ob ein Erlaß
mehr von dem Eigentümerrecht oder mehr von Regierungs-
rechten getragen wird. Die s. g. lex nietalli Vipascetisis ,
eine kaiserliche gegen Ende des i. Jahrhunderts n. Chr. er-
13) Cic. Brut. 20, 79. i^) Cic. pro Balb. 8, 19.
15) Gai. I, 57. Man ist aber dabei doch nicht zu weitherzig: das Privi-
legium gilt nur mit Bezug auf eine und zwar die erste nach der Entlassung
genommene Frau.
16) Beispiele bei Bruns l p. 252 sqq. cf. 371 sqq.
17). Bruns I p. 260 sq. i^) Bruns 1 p. 261 sqq.
19) Bruns I p. 264 sqq. 20) Bruns 1 p. 263.
— 44 —
lassene Ordnung für den nicht städtisch organisierten, im kaiser-
lichen Eigentum stehenden und von €\nt.T[i proairator metalloriun
\erwalteten Bergwerksbezirk von Vipasca in Portugal, weist ihr
eigener Ausdruck'-^) und die Natur ihrer Bestimmungen entschie-
den den kraft Eigentümerrechts ergangenen leges dictae zu. Von
ihr ist ein Teil erhalten auf einer 1876 bei Aljustrel in Portugal
in den alten Goldgruben gefundenen Bronzetafel, ^^j Die er-
haltenen Bestimmungen beschäftigen sich hauptsächlich mit
den Rechten und Pflichten derjenigen, welche vom Fiskus
ausschließUche Gewerbebetriebe innerhalb des Bezirks ge-
pachtet haben (Auktionator, Ausrufer, Badehalter, Schuster,
Barbier u. s. w. ). Diese Bestimmungen ruhen wesentlich auf
dem fiskalischen Eigentum an dem Grundstück, auf welchem
jene Gewerbe geübt und andere daran verhindert werden
sollen. ÄhnHcher Natur sind die Domänenordnungen. Wir
haben eine Inschrift aus der Zeit Trajans, welche Festsetzungen
von zwei kaiserlichen Prokuratoren über gewisse afrikanische
Domänen des Kaisers enthält und zwar im Anschluß an eine
lex Mmiciana'^'^^ und eine ähnliche, aber minder bedeutende
Inschrift, enthaltend Festsetzungen der kaiserlichen Prokura-
toren für mehrere afrikanische saltus im Anschluß an eine
lex Hadriana -*).
§ 10.
4. Edicta magistratum. Jus civile
und ins ho 110 7' avium.
I. Das ius cdiccndi ist ein allgemeines Recht der höheren
republikanischen Magistrate. Es ist das Recht, mündlich [in
21) Elege metallis dicta. (lin. 58.) 22) Bruns I p. 266 sqq.
23) Adolf Schulten, Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Göttingen, Philol.-histor. Kl. N. F. B. II Nr. 3 (1897). O. Seeck,
Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum, Geschichte und deutsche Litteratur I
(1898) S. 628fr. H. Krüger, Zeitschrift d. Sav.-Stift. XX (1899) S. 267 flf.
Erman, Centralblatt f. Kechtswissensch. XXVII (1898), S. 176fr. Weiteres
bei Kalb im Jahresbericht f. Altertumswissenschaft B. CIX (1901 II) S. 24 ff.
24) Bruns fontes I p. .382 sq. A. Schulten, Hermes B. XXIX (1894)
S. 204 ff. Weiteres bei Kalb, Jahresbericht f. Altertumswissenschaft a. a. O.
S. 217 ff.
— 45 —
concione] oder schriftlich durch Aufstellung auf weissen Holz-
tafeln (in albo proponcre) dem Volke Willen und Meinung des
Magistrates kund zu tun. Z. B. ein Edikt der Censoren von
92 V. Chr.^) verkündet das Mißfallen der Censoren denen, die
Rhetorenschulen halten oder besuchen. Auch priesterliche
Edikte kommen vor, z. B. von den qiiindecimviri sacris
faciwidis'-).
Von dem ins edicendi haben seit der jüngeren Zeit der
Republik die mit der Ziviljurisdiktion betrauten Magistrate
(in Rom Prätoren und curulische Ädilen, in den Provinzen an
Stelle der Prätoren die Statthalter und an Stelle der Ädilen
die Quästoren) in der Weise Gebrauch gemacht, daß sie bei
ihrem Amtsantritt ein ausführliches Edikt erließen, enthaltend
die Regeln, nach denen sie ihre Jurisdiktion zu handhaben
gedachten'^). Insofern dieses Edikt das ganze Jahr hängen
bleiben und beobachtet werden soll, heißt es edictimi petpc-
tnuni^). Es enthält weniger Befehle an die Gerichtsuntertanen
(auch solche kommen vor, z. B. proniintitDito, dicimto im Edikt
der Curulädilen, nc quis . . . habeat im prätorischen Edikt"''),
als vielmehr") Ankündigung von Maßregeln, welche der Ma-
gistrat in den und den Fällen zu treffen gedenkt, z. B. Nieder-
setzung eines Schwurgerichtes (iudicium dabo), Besitzeinweisung
(in possessioneni ire jubebo, possidere jiibebo, bonorum possessi-
onein dabo), Anordnung des Abschlusses einer Stipulation mit
oder ohne Bürgenstellung (prouiitti, satisdari jidwbo), Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand (in intcgriini restitnam) und
anderes mehr. Charakteristisch ist im Gegensatz zu dem
Gesetz (welches das Ermessen der Beamten beschränken will !)
für das Edikt, daß der Magistrat es vermeidet, sich die Hände
zu eng zu binden, und daher verhältnismäßig oft sich die
1) Suet. de rhet. c. 1. (Bruns I p. 230.)
-) Ein Edikt von 17 v. Chr. (inschriftlich erhalten) s. bei Bruns I p. 236.
*) Pomp. D. 1,2,2,10: ut scirent cives quod ius de quaque re quisque
dicturus esset seque praemunirent, edicta proponebant.
*) Ascon. in Cornelian. p. 58. (Bruns II p. 71.)
s) D. XXI, 1, 1 pr. 1). IX, 3, 5, 6.
•*) Für die folgenden Erscheinungen bedarf es besonderer Belege nicht,
da solche dem Leser des Edikts sich von selbst aufdrängen.
— 46 —
Sachprüfung im Einzelfalle ausdrücklich vorbehält (causa cog-
tiita, si mihi iusta causa esse vidcbitur) oder die zu treffenden
Maßnahmen nur im allgemeinen andeutet (cogani, uti quaeqne
res erit animadvertani). Ein Hauptbestandteil des Edikts sind
Formulare für die vorzunehmenden Amtshandlungen, nament-
lich auch für die /ormidae, mittels deren im Zivilprozeß der
Prätor den Geschworenen zur Untersuchung und Entscheidung
des Falles beauftragt und instruiert. Das Ganze ist ein Pro-
gramm der Jurisdiktionsführung des Magistrats, aus dem aber
überall indirekt herauszulesen ist, welches Verhalten der Ma-
gistrat von den Rechtsuntertanen beobachtet wissen will. Dies
tritt auch in (konjunktivisch) gebietenden und verbietenden
Überschriften oft genug hervor, wo der Text selbst nicht
gebietende Form hat. Edictuni heißt aber nicht nur das Edikt
als Ganzes, sondern auch jede einzelne Bestimmung desselben.
IL Es ist selbstverständlich, daß von dem Urheber des
Edikts erwartet wurde, er werde sich nach seinen Ankün-
digungen auch richten. Gleichmäßigkeit ist eine der ersten
Anforderungen der Rechtspflege. Man betrachtet es schon
als etwas nur durch gewichtige Gründe zu Rechtfertigendes,
wenn ein Gericht, nachdem es eine Rechtsfrage in einem kon-
kreten Falle in bestimmter Weise entschieden hat, in einem
anderen Falle dieselbe Frage anders entscheidet. Um wieviel
mehr müssen die allgemeinen Ankündigungen der Behörde
über ihr Verfahren zuverlässig sein. Gegen Ende der Republik
riß aber der Mißbrauch ein, daß Magistrate nach Gunst und Gut-
dünken von ihren Edikten abwichen. Dem wirkte man zunächst
entgegen durch das Mittel der Intercession, welche auch im
Zivilprozeß verwendbar war;') aber im Jahie 6'j v. Chr. wurden
— durch eine lex Coinielia — die Magistrate — zunächst die
Prätoren — für die Dauer ihres Amts an ihr Edikt gesetzlich
gebunden. ö) Aber mit dem Aufhören des Amts seines Urhebers
') Cic. in Verr. 11,1,46,119: (Verres) in magistratu contra illud ipsum
cdictum suum sine ulla religione deccrnebat. Itaque L. Piso multos Codices
complevit carum riTum, in quibus ita intercessit, quod iste aliter atque ut edixerat
decrevisset.
^) Ascon. 1. c. (Anm. 4): Aliam dciiuie legem Cornelius, etsi nemo repuijiiare
ausns est, multis tanien invitis tulit: ut praetores ex edictis suis perpetuis ius
— 47 —
verlor das Edikt, weil nur getragen von dem Imperium des
Magistrats, der es erlassen hatte, von selbst seine Geltung.
Der Amtsnachfolger pflegte jedoch in sein Edikt die bewähr-
ten Bestimmungen der X^orgänger herüberzunehmen, und so
bildete sich ein allmählich über das ganze Gebiet des Privat-
rechts und Zivilprozesses sich verzweigender Stamm in den
Edikten regelmäßig wiederkehrender, materiell dauernder Be-
stimmungen (edicta translaticia)'-). Die wichtigsten Edikte
waren die der beiden städtischen Prätoren ^"); daneben stand
das Edikt der curulischen Ädilen^^). Die Provinzialstatthalter
lehnten ihre Edikte an die der Prätoren ^'-) und wohl vorzugs-
weise an das des praetor pcregrimis an, die Quästoren folgten
dem Muster der curulischen Ädilen'^). Viele Edikte und
ediktmässige Institute lebten bei den Späteren unter dem
Namen der Prätoren, die sie zuerst aufgestellt hatten, z. B.
fornmla Octaviana [actio cjii. iiutus caiisa\, actio Piibliciana,
Patdiaiia, Scrviaiia, intcrdictimi Salviammi, cdictuni Car/w-
niamiui.
III. Die o-anze Sitte der Edikte ruht auf der Grund-
dicerent; quae res cunctam t^ratiam ambitiosis praetoiibus qui varie ins dicere
assueveranl, abstulit. Cf. Dio Cass. 36,40 [23].
®) Cic. in Verr. II, 1, 44, 114: hoc vetus edictum translaticiumque esse;
vgl. Cic. ad fam. III, 8, 4.
10) Gai. I, 6: amplissimum ius est in edictis duorunri praetorum urbani
et peregriüi.
11) Gai. T, 6.
1-) Cic. ad Attic. VI, 1, 15 u. ad fam. III, 8, 4 über sein cilicisches Edikt.
V. Velsen, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XXI (1900) S. 73 ff. meint, daß ein Gesetz
unter Augustus in der Absicht, das Sonderrecht der Provinzen abzuschaft'en,
bestimmte, daß die Provinzialedikte identisch sein sollten mit den Stadt-
edikten, und daß seitdem ein eigentliches Provinzialedikt nicht bestand,
sondern das edictum praetoris peregrini den Namen edictum provinciale an-
nahm. Ich kann das namentlich deshalb nicht glauben, weil eine so absolute
Gleichmacherei mir für jene Zeit höchst unwahrscheinlich ist. Auch scheint
mir Gai. I, 6 zu beweisen, daß die Statthalter ihr Edikt an das beider
städtischen Prätoren anlehnten, wie das ja auch unvermeidlich war, da in den
Provinzen zahlreiche römische Bürger lebten, die auch unter sich in Konflikt
kommen konnten. Gegen v. Velsen s. auch Lenel, Holtzendorffs Encykl.
s. 1231
13) Gai. I, 6 drückt sich so aus, als hätten die Quästoren in den Pro-
vinzen geradezu das ädilicische Eilikt proponiert.
— 48 —
läge, daß der Magistrat zwar an das Volksgesetz, und was
ihm gleich steht, dessen intei'pretatio durch die Juristen (§ i6)
und das alte Gewohnheitsrecht (ius civile in diesem Sinne)
gebunden ist, soweit aber diese Fesseln Freiheit lassen, sein
Amt nach eigenem Ermessen ausübt und befugt ist. Regeln
darüber festzusetzen, wie er es auszuüben gedenkt. Dies führt
zunächst nur auf ediktale Bestimmungen, welche diejenigen
des ms civile ergänzen und ihren Gedanken zu Hilfe kommen;
es haben aber die Magistrate im umfassendsten Maße auch
solche Ediktssätze aufgestellt, welche dem ius civile geradezu
zuwiderliefen, es verbessern wollten^'*). Das verstieß zwar
gegen den Grundsatz von der Stellung des Magistrats unter
dem Volksrecht; aber es fragte sich, welche Folgen praktisch
ein solcher Verstoß hatte. Ein von dem Magistrate mittels
einer dem ius civile zuwiderlaufenden fonnula instruierter Ge-
schworner hatte nicht das Recht, sich mit der fonnula in seinem
Urteil in Widerspruch zu setzen. Nur konnten Dekrete des Ma-
gistrats von einem gleich- oder übergeordneten Beamten im Wege
der Interzession vernichtet und davon auch wegen Verstoßes
gegen das Volksrecht Gebrauch gemacht werden. Auch
konnte der Magistrat nach Rücktritt von seinem Amte wegen
Bruches des Volksrechtes in Anklage versetzt werden. Allein
Interzession wie Anklage stellten sich nicht ein, wenn der
Magistrat über alte Satzungen des Volksrechtes hinwegging,
welche von der Rechtsüberzeugung des Volkes nicht mehr
getragen wurden, und an deren Stelle Neuerungen setzte,
welche den Beifall der Zeitgenossen gemäß fortgeschrittener
Rechtsüberzeugung zu erwarten hatten. In diesem Sinne
aber haben die Magistrate (von Mißbräuchen abgesehen) ihre
Aufgabe bei der Abfassung ihrer Edikte weise gelöst, und
die Edikte sind als eine von Jahr zu Jahr revidierte und da-
rum den neuen Bedürfnissen und neuen Anschauungen rasch
und leicht folgende Quelle neuen Rechtes, als „lebendige
Stimme" des Rechts*'^) allseitig anerkannt. Der ständige In-
l*) Pap. D. I, 1, 7, 1 : Ius praetorium est quod praetores introduxerunt adiu-
vandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia jiropter
utilitatem publicam.
l-'j) Marci. D. I, 1, 8; Nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis.
— 49 —
halt der Edikte heißt ins und zwar ins honorari?an (von honoi%
Ehrenamt) das Amtsrecht, insbesondere üis praetorium, ins
aediliciuni. Indem dabei aber stets festgehalten wurde, daß
die Magistrate das Volksrecht nicht aufheben konnten, kam
man zu der theoretischen Auffassung, daß das ins civilc und
das ius lionorarium neben- und gegeneinander stehen; prak-
tisch ging im Widerspruchsfalle das letztere vor.
Eine allseitig scharfe Scheidung zwischen ius civilc und
ius honorariuni mußte sich aber als unmöglich herausstellen.
Einerseits entnahmen die Prätoren, selbst größtenteils juristisch
gebildet, den Inhalt ihrer Edikte doch Anregungen, welche
ihnen der bestehende Rechtszustand '^) und die Jurisprudenz
und Praxis ihrer Zeit bot. Jurisprudenz und Praxis aber legte
man die Kraft bei, ius civilc zu schaffen. Somit konnte bei
der Neuaufstellung eines Ediktsatzes oft zweifelhaft sein, ob
und in wieweit eine wirkliche prätorische Neuschöpfung oder
vielmehr nur die Aufnahme eines im ius civilc bereits aner-
kannten Satzes vorläge. Anderseits begannen an dem Edikts-
recht Jurisprudenz und Praxis und später auch die kaiser-
lichen Reskripte (die ebenfalls ius civilc schufen) fortzuarbeiten,
und es mußten auf diese Weise Sätze des ius honorariuni in
das ius civilc übergehen.^')
IV. In der Kaiserzeit ist die produktive Kraft der Edikte
erlahmt. Noch immer haben die noch fungierenden aus republi-
kanischer Zeit herrührenden Jurisdiktionsmagistrate ihre Edikte
proponiert; nur ist das ädilicische Edikt in den kaiserlichen
Provinzen nicht mehr angeschlagen, weil dorthin keine
Quästoren gesandt wurden.^^^) Es fehlen auch in dieser Zeit
neu aufkommende Bestandteile des Ediktes nicht ganz; sie
finden sich namentlich zur Ausführung neuer zivilrechtlicher
Vorschriften, wie z. B. des SC. Trebcllianum. ^^) In der Haupt-
16) Dafür, insbesondere soviel die gewohnheitsmäßige Übung angeht, auch
Pernice, Zeitschr. d. Sav.-St. XX (1899) S. 128 ff., vgl. ob. S. 20.
'') Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen S. 125 ff. gibt ein
reiches Material über die Verwendung des Ausdrucks ius honorarium u. ähn-
licher, grenzt aber die Bedeutung des Gegensatzes von ius civile und ius hono-
rarium m. E. zu eng ein. i'a) Gai. I, 6.
18) Gai. II, 253: Das Edikt enthält die ausdrückliche Ankündigung der
actiones utdes des Universalfideikommissars und gegen ihn.
Kipp, Quellen des röm. Kechts. 4
— 50 —
Sache aber liegt die Fortbildung des Rechts jetzt in anderen
Händen.
Hadrian ließ durch Salvius Julianus (§ 19) das Edikt des
Prätor Urbanus und als Anhang dazu dasjenige der Curul-
ädilen neu redigieren und zwar vor 129 n. Chr.; denn schon
vor diesem Jahre begann Julian seine Digesten, welche die
vollendete Ediktsredaktion voraussetzen.^^) Wie tief und nach
welcher Richtung hauptsächlich Julian eingegriffen hat, ist
nicht sicher zu sagen. Wenn Julian später ordinator cdicti
heißt, '^^) so beweist dies durchaus nicht, daß er hauptsächlich
die systematische Anordnung verbessert hat, denn hierauf
geht ordina7-e nicht einmal vorzugsweise, sondern es bedeutet
überhaupt die Festsetzung nach Inhalt und Form. So heißt
es von einer einzelnen V'^orschrift des Edikts: ita edictiim or-
dinatuni videüir}^) (Vergl. auch die Wendungen iiidiciwn.
testamentmn ordinäre) Das systematische Interesse der Römer
ist überhaupt so gering, daß nicht füglich ein Kaiser den
größten Juristen seiner Zeit mit Revision des Edikts vorzugs-
weise der Anordnung wegen betraut haben wird. Es war
vielmehr unzweifelhaft die Absicht, das zurückgebliebene Edikt
nach Inhalt ebensowohl wie Form wieder auf die Höhe der
Zeit zu bringen. Wenn sogleich vorgesehen wurde, wie spä-
tere Neuerungen eingefügt werden sollten (vgl. den folgenden
Absatz), so kann man bei der Redaktion selbst nicht verfehlt
haben, die bereits als wünschenswert erkannten sachlichen
Änderungen zu bewerkstelligen. Daran ändert es nichts, daß
wir zufällig nur eine solche Änderung kennen, die s. g. nova
clausula de conjmigendis cum eniancipato liberis eius}^)
Der julianische Text ist durch Senatuskonsult bestätigt
und heißt edictum perpetuuni in dem neuen Sinne des die ein-
zelnen Amtsjahre überdauernden Inhalts. Das SC. hat das
19) Die Datierung der Ediktsredaction auf das Jahr 131 n. Chr. be-
ruht auf Hieronymus (einer Quelle aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrliun-
derts, die gerade in Bezug auf Jahreszahlen anerkannt unzuverlässig ist (Teuffel-
Schwabe § 4341»).
20) Just. C. J. IV, 5, 10, 1.
21) Ulp. D. XXV, 2, 13.
22) Mareen. D. XXXVII, 8, 3, Ulp. D. XXXVII, 9, 1, 13.
— 51 —
Edikt nicht zum Reichsgesetz für die Untertanen erhoben,
sondern war ein Dienstbefehl an die Magistrate, das Edikt
nunmehr stets mit dem julianischen Text zu proponieren.
Etwa erforderliche Neuerungen sollten vom Kaiser ausgehen. ^^)
Auch das Edikt des Prätor Peregrinus und das Provinzialedikt
muß auf ähnliche Weise festgelegt sein; es fehlt jedoch an
Nachrichten darüber. Damit war das ins edicendi der Ma-
gistrate sachlich unterbunden. Die formelle Proposition
der Edikte läßt sich aber noch bis ins 3. Jahrhundert ver-
folgen. 2*)
Der Gegensatz zwischen ins civile und ins lionorarium
ist durch Hadrian formell nicht aufgehoben. Es wurde aber
die Verschmelzung beider Rechtsmassen, die sich, wie gezeigt,
schon früher angebahnt hatte, durch die dauernde Fixierung
des Ediktsinhalts noch wesentlich befördert. Niemals freilich
ist im Bewußtsein der Römer jener Gegensatz, so praktisch
bedeutungslos er im Laufe der Zeit wurde, erloschen. Noch
im justinianischen Rechte wird er als vorhanden angenommen,
während er hier, da Justinian das ganze alte Recht als sein
kaiserliches Gesetz publizierte, jede Existenzberechtigung ver-
loren hatte. Es war unmöglich, eine Auffassung, mit der Jahr-
hunderte operiert hatten, ganz auszumerzen.
V. Unsere Kenntnis von den Jurisdiktionsedikten beruht
ausschließlich auf Anführungen ihres Inhalts in der Literatur.
Besonders von dem hadrianischen Edikt kennen wir ziemlich
viel aus den in die justinianischen Digesten aufgenommenen
Stücken von Bearbeitungen desselben durch die klassischen
Juristen.
Die Versuche, das hadrianische Edikt zu restituieren, be-
ginnen im 16. Jahrhundert (Eguinarius Baro); von den moder-
23) C. Tanta § 18: et ipse Julianus legum et edicti perpetui subtilissi-
mus conditor in suis libris hoc rettulit, ut, si quid inperfectum inveniatur ab
imperiali sanctione hoc repleatur et non ipse solus sed et divus
Hadrianus in compositione edicti et senatus consulto quod eara se-
cutum est hoc apertissime definivit, ut si quid in edicto positum non invenitur
hoc ad eius regulas eiusque coniecturas et imitationes posset nova instruere
auctoritas.
2*) C. J. VIII, 1, 1 (a. 224) . . . praeses ad exeraplum interdictorum,
quae in albo proposita habet.
4*
nen Arbeiten kommt die von Rudorff, ^°) wiewohl seiner Zeit
sehr verdienstüch, doch jetzt kaum noch in Betracht neben
dem epochemachenden Werk von Lenel, -^) das Edictum per-
petuum.
§ 11-
5. Senatus consiil ta.
I. Der Senat, ursprünglich nur beratender Körper, hat
sich in den Zeiten der Republik zu der eigentlich staatslenken-
den Stelle entwickelt. Seine Einwirkung auf die Rechtsbildung
tritt zunächst in verschiedenartigem Einfluß auf die Volks-
schlüsse hervor. Von alters her bedarf der Beschluß der
Comitien zu seiner Gültigkeit der Bestätigung durch den
Senat; seit aber Plebejer in den Senat eingetreten sind, nehmen
an dem Beschluß darüber nur die patrizischen Mitglieder des
Senates teil (paijiim auctoritas)}) Auf Plebiszite findet die
pat7-um auctoritas keine Anwendung; sie unterliegen aber wahr-
scheinlich bis zur lex Hortensia (zwischen 289 und 286 v. Chr.;
der Bestätigung durch den gesamten (patrizisch-plebejischenj
Senat (§ 6, I, 4). Im Laufe der Zeit ist die patrmn auctoritas
zur leeren Förmlichkeit geworden, worauf aber der Umstand,
daß sie nach einer lex Publilia von 339 v. Chr. zunächst für
Centuriatgesetze und dann wohl auch für die übrigen Comitial-
beschlüsse vor Beginn der Volksabstimmung zu erteilen 2}
(oder zu verweigern!) ist, nicht den ihm oft zugeschriebenen
Einfluß gehabt haben kann. Praktisch ist aber auch in der
jüngeren Zeit der Republik der Senat des Einflusses auf die
Gesetzgebung nicht entkleidet. Denn durchaus üblicher, ob-
28) RudorfF, de iurisdictione edictum, Leipzig 1869.
26) Lenel, das Edictum Perpetuum, Leipzig 1888. Eine zweite Auflage
erschien in französischer Sprache : Lenel, essai de reConstitution de l'edit per-
petuel. Ouvrage traduit en frangais par Frederic Peltier sur un texte
revu par l'auteur. Tome I Paris 1901, tome II 1903. Von Lenel ist auch
jetzt die entsprechende Partie in Bruns, fontes I p. 202 sqq. bearbeitet,
Rubrikenindex des Ediktes bietet Lenels Palingenesia iuris civilis, II col.
1247 sqq.
') Mommsen, Staatsrecht 111, 2 S. 1037 ff.
2) Liv. VIII, 12, 15.
— 53 —
wohl nicht rechtsnotwendiger Weise, wurden Comitialgesetze
wie Plebiszite im Senat vorberaten. '^j Dazu tritt in den letz-
ten Zeiten das vom Senat in Anspruch genommene und prak-
tisch durchgesetzte Recht, Volksschlüsse wegen mangelhaften
Zustandekommens für nichtig zu erklären durch den BeschluiS:
ea lege non videi'i popubim teuer i.^^
Dispensation von Gesetzen [lege aliquem solvere) kann
grundsätzlich nur durch Gesetzgebungsakt erfolgen. Auch
hier aber hat der Senat eingegriffen, indem er zuerst Dispen-
sationen unter Vorbehalt der Genehmigung durch Volksschluß
verfügte; später aber unterblieb die wirkliche Einholung der
letzteren, und endlich blieb auch der Vorbehalt selbst aus
dem Senatuskonsult fort. Der Volkstribun C. Cornelius suchte
a. 67 v. Chr. das Dispensationsrecht dem Volk zurückzuge-
winnen. Es kam aber nur ein Gesetz zu stände, nach welchem
die Dispensation im Senat bei Anwesenheit von mindestens
200 Mitgliedern beschlossen und dann zwar von den Comitien
bestätigt werden muß, die Bestätigung aber nicht verweigert
werden darf, also reine Formalität ist. '^j
Die Anweisungen, welche der Senat den Magistraten
über ihre Amtshandlungen erteilte, gaben ihm schon früh die
Handhabe, auch die Jurisdiktion und die Edikte zu be-
einflussen. Schon seit dem Jahre 193 v. Chr. finden sich
Anweisungen des Senats an die Magistrate, so und so Recht
zu sprechen.**) Das SC. de BacchanaliÖKS von a. 186 v. Chr.
3) Mommsen, Staatsrecht III, 2 S. 1043ff.
*) Cic. in der Rede pro C. Cornelio (fr. 1 1 bei Orelli-Baiter) nach Ascon.
in Cornelian. p. 68. Vgl. Mommsen, Staatsr. III, 1 S. 366 ff.
^) Ascon. in Cornelian. p. 56 (Bruns II p. 70 sq.). Dio. cass. 36, 39
(22). Mommsen, Staatsrecht III, 1 S. 337 f. III, 2 S. 1229 ff.
®) Liv. XXXV, 7. Römische Wucherer versteclcten sich hinter Bundesgenossen
als Gläubigern, weil diese den römischen Zinsgesetzen nicht unterlagen. Der
Senat wollte die römischen Schuldner aber auch für diesen Fall schützen. Er
beschloß, daß von den nächsten Feralien an, wenn der Schuldner römischer
Bürger, der Gläubiger Bundesgenosse sei, der Schuldner wählen könne, ob die
römischen oder die bundesgenössischen Gesetze angewandt werden sollen, und
zwar ist dies in Form einer Dienstinstruktion an die Jurisdictionsmagistrate
gekleidet: ut ex ea die pecuniae creditae, quibus debitor vellet legibus ius cre-
ditori dicerecur.
— 54 —
ist in der Hauptsache eine Anweisung zum Erlaß von Edikten
bestimmten Inhalts. ') Solche Anweisungen über Jurisdiktions-
führung und Ediktsfassung werden auch die aus den letzten
Zeiten der Republik berichteten SCC. über Zinsfuß und über
a7nbilus^) gewesen sein und entsprechend der allgemeinen
Stellung des Senats zu der Magistratur eine tatsächlich ver-
bindliche Kraft gehabt haben. Daß aber ein Senatsbeschluß,
welcher ein Gesetz auslegt, einem Geschworenengericht die
Hände bindet, wie nach einem Ausspruch Ciceros scheinen
könnte,®) ist nicht glaublich. Ebenso wenig ist aus republi-
kanischer Zeit erweislich, daß ein SC. unmittelbar verbindliche
Rechtsvorschriften für das Volk aufstellen konnte. Wenn das
SC, welches demjenigen, der sich betrügerisch als Sklaven
verkaufen läßt, die Freiheit abschneidet, wirklich in repub-
likanische Zeit zurückgeht, ^^) so spricht doch alles dafür, daß
dasselbe eben auch nur eine Jurisdiktionsanweisung an den
Prätor war. Es wies ihn an, die proclaiiiatio ad Hhertat^m
zu denegieren, ^^"l
IL Immerhin war man mit diesen Jurisdiktionsanweisungen
bereits hart an die Grenze der Aufstellung allgemein verbind-
licher Rechtsvorschriften durch den Senat gekommen. Denn
sachlich steckt in der Norm, die der Magistrat bei seiner
Jurisdiktion beobachten soll, auch die Vorschrift an die Pri-
vaten, ihr Handeln danach einzurichten. Die Dienstvorschrift
an den Magistrat enthält eine Rechtsvorschrift in sich, und
es ist in der Kaiserzeit, obwohl erst nach einem Streit,
von dem noch Gajus berichtet, anerkannt, daß diese Rechts-
vorschriften dem Volksgesetze gleichstehen, die SCC. also
') SC. de Bacchanal. (Bruns I p. 160 sqq.) lin. 2 sq.: de Bacanalibus
quei foideratei esent ita exdeicendum censuerc.
8) Cic. ad Ättic. V, 21, 13, vgl. 6, 37. — Cic. pro Mur. 32, 67. ad
Attic. I, 16, 12.
^) Cic. pro Mur. 32, 67. Cicero mußte das .SC. gelten lassen, weil er
es selbst beantragt hatte.
10) Wenn nämlich der handschriftliche Quintus nieus bei Paul. D. .\L,
12, 23 pr. Q. Mucius Scaevola ist; das ist aber keineswegs sicher.
11) Ulp. D. .XL, 13, 1. Pomp. eod. 3. Paul. eod. 4, 5.
— 55 —
ttis civile schaffen.^-) Diese Ansicht, nach welcher die
gesetzesgleichen SCC. aus den Jurisdiktionsanweisungen
hervorgewachsen sind, hat handgreifliche Beweise aus der
Form der privatrechtlichen SCC. der Kaiserzeit für sich;^'^)
auch hat die hier angenommene Entwickelung zwei
Parallelen: die Entwickelung von Rechtsvorschriften aus den
kaiserlichen Dienstvorschriften für die Beamten (niandata,
s. unt. § 12) und die Entwickelung von Rechtssätzen aus dem
magistratischen Amtsprogramm (s. ob. § 10).
III. Die SCC. der Kaiserzeit ergehen oft auf Antrag des
Kaisers, gestellt durch eine Rede, die er vorträgt oder durch
einen Beamten {guaestor) vortragen läßt. Diese oratio princt-
pis wurde mehr und mehr die Hauptsache, das bestätigende
SC. Formalität, weshalb die Juristen statt des SC. öfter ge-
radezu die oratio als Rechtsquelle eitleren.^'*) Die Form des
SC. aber haben die Kaiser für wichtigere gesetzgeberische
Neuerungen bis in das dritte Jahrhundert gern gewahrt. An-
dere Antragsteller als der Kaiser sind wohl regelmäßig nur
auf seinen Befehl oder doch nicht ohne seine Zustimmung auf-
getreten.
IV. Die Beurkundung der SCC. erfolgte zuerst in der
Art, daß der Magistrat, welcher den Beschluß erwirkt hatte,
nach der Sitzung in Gegenwart einiger als Zeugen fungieren-
12] Gai. I, 4 (Senatusconsultum) legis vicem obtinet, quamvis fuerit quae-
situm. Pomp. D. I, 2, 2, 9. Pap. D. I, 1, 7 pr. Ulp. D. I, 3, 9.
13) SC. Vellejanum D. XVI, 1, 2, 1: arbitrari senatum recte atque ordine
facturos ad quos de ea re in ius adituin erit, si dederint operam ut in ea re senatus
voluntas servetur. SC. Trebellianum D. XXXVI, 1, 1, 2: placet actiones . . .
dari. SC. Macedonianum D. XIV, 6, 1 : placere ne . . . actio pctitioque da-
retur. Actionem (petitionem) dare ist Sache des Magistrats! Eine klare staats-
rechtliche Grundlage hat die Gesetzeskraft der Senatusconsulte nicht gehabt.
Denn dann wäre der Streit darüber nicht möglich gewesen.
1*) Ulp. D. II, 15, 8 pr. : divus Marcus oratione in senatu recitata efifecit.
Ulp. D. XXIV, 1, 23 citiert nur die oratio divi Severi, während er selbst eod. 32
sagt: Imperator noster Antoninus Augustus (d. h. Caracalla) ante excessum
divi Severi patris sui oratione in senatu habita auctor fuit senatui censendi . . .
Ulp. D. XXVII, 9, 1 spricht von einer oratio imperatoris Severi als der einen
Rechtssatz begründenden Quelle und noch dazu kündigt der Text der oratio
einfach kaiserliche Maßregeln an (interdicam), dennoch hat auch hier die Be-
stätigung durch SC. nicht gefehlt: vgl. Ulp. D. XXVII, 9, 10. Marci. ib. 12.
— o() —
der und in der Urkunde mit den Worten scfibendo affuere^^)
aufgeführter Senatoren den Beschluß niederschrieb oder nieder-
schreiben ließ. Diese Urkunden sollen seit 449 v. Chr. im
Cerestempel unter Aufsicht der plebejischen Adilen aufbewahrt
worden sein, ein Institut, das später wieder verschwindet und
vielleicht sich nur auf die die Plebs berührenden SCC, speziell
diejenigen, welche Plebiszite genehmigten, bezog. ^*) In der
späteren Zeit der Republik waren die SCC. im Ärarium nieder-
zulegen. Diese Einrichtung wird zuerst für das Jahr 197 v.
Chr. bezeugt. ^"'^ Die Niederlegung ist Voraussetzung des In-
krafttretens des SC.^^) Je nach Umständen erfolgen Aus-
fertigungen an Interessenten ^^), Publikationen in Volksversamm-
lungen {conciones), inschriftliche Aufstellungen.-") Cäsar hat in
seinem ersten Konsulat die Einrichtung getroffen, daß über
die Verhandlungen des Senats (wie der Volksversammlungen)
tägliche Berichte veröffentlicht wurden.^^)
Die Benennung der SCC. mit Personennamen ist nicht
offiziell gewesen. Bei den Juristen bildete sich aber der Ge-
brauch, die SCC. adjektivisch mit dem Namen des oder eines
der Antragsteller zu bezeichnen (z. B. SC. NeronianMin-'^) nach
dem Kaiser Nero, Vellaeanuni [ Vellejanuni\ (a. 46 n. Chr.,-^)
Trebelliammi (a. 56 n. Chr.),-*) Pegasianmn (unter Vespasian).^^)
Gelegentlich kommt auch die Benennung nach dem Verbrecher
vor, der das SC. veranlaßt hatte, so bei dem SC. Maccdo-
nianmn}^)
V. Die meisten SCC. kennen wir nur aus literarischer
lö) sc. de Bacchan. lin. 2. SC. de nundinis saltus Beguensis lin. 6 sqq.
16) Liv. III, 55. Vgl. oben § 6, I, 4. 17) Liv. XXXIX, 4, 8.
18) Der Senat ist auch Strafgericht. Um den zum Tode Verurteilten
einen Aufschub zu sichern, wurde nach Tac. ann. III, 51 unter Tiberius durch
SC. festgesetzt, daß die decreta palrum erst nach 20 Tagen in das Aerar ge-
bracht werden sollten. Der Vollstreckung muß also das deferre ad aerarium
rechtlich notwendig vorausgegangen sein.
19) SC. de Thisbaeis lin. 58 sqtj.
20) Vgl. das im Text V, 1 über das SC. de Bacchanalibus Gesagte.
21) Suet. Caes. 20, vgl. Mommsen, Staatsr. III, 2 S. 1017 f.
22) Gai. II, 197. 212. 23) D. XVI, 1.
24) Gai. III, 255 und sonst, D. XXXVI, 1.
2ö) Gai. III, 256 und sonst. 26) uip. D. XIV, 6, 1.
Überlieferung. Doch ist auch manches inschriftlich erhalten.
Zu erwähnen sind die folgenden SCC, unter welche auch solche
aufgenommen sind, welche nur spezielle Verwaltungsakte des
Senats darstellen. Denn auch diese sind als Belege für die
■Regeln wichtig, nach denen Fälle, wie die ihnen zu Grunde
liegenden, behandelt zu werden pflegten.
1. Das SC. de Bacchanalibus vom Jahre i86 v. Chr., die
Maßregeln zur Unterdrückung der bacchanalischen Verschwö-
rungen betreffend, gefunden 1640 auf einer Bronzetafel zu
Tiriolo in Calabrien. In Ausführung der Vorschriften des
Senates veranlassen die Konsuln unbekannte Magistrate des
agir Tewanus, die mitgeteilten Vorschriften des Senats durch
Verkündigung in concione und durch Aufstellung in Erz be-
kannt zu machen und sonst zu ihrer Ausführung mitzu-
wirken.^')
2. Zwei SCC. in betreff der Rechtsverhältnisse der Ge-
meinde Thisbaea in Boeotien, von 170 v. Chr., in griechischer
Übersetzung auf Marmor in Thisbaea 1871 gefunden.-*)
3. Ein SC, betreffend die Tiburtiner (um 160 v. Chr.).
gefunden zu Tibur im 16. Jahrhundert, auf einer später wieder
verlorenen Bronzetafel. -'■'j
4. Ein SC. vom Jahre 78 v. Chr., durch welches drei
griechische Nauarchen, Asclepiades und Genossen wegen
ihrer Verdienste im Bundesgenossenkrieg für Freunde des
römischen Volkes erklärt und privilegiert werden; gef. zwei-
sprachig zu Rom im 16. Jahrhundert auf Bronze. ^'^)
5. Ein SC. vom Jahre 73 v. Chr., durch welches die
Entscheidung der Konsuln in einem Streit der Oropier mit
Publikanen bestätigt wird; in griech. Übers, auf Marmor 1884
zu Oropos gefunden.^^)
6. Ein SC. vom Jahre 42 v. Chr., durch welches Aphro-
disias in Carien zur civitas libera erklärt wurde; in griechi-
scher Übersetzung auf einem Marmor, zuerst 1738 herausge-
geben.^-)
27) Bruns I p. 160 sqq. 28) ßruns I p. 162 sqq.
as) Bruns I p. 166 sq. 30) Bruns I p. 167 sqq. 31) Bruns I p.
172 sqq.-
32) Bruns I p. 177 sqq. Über zwei SCC. betr. die Rechtsverhältnisse
— oö —
7. Ein SC. de ludis saecularib iis (zwischen 17 v. Chr-
und 47 n. Chr.) auf Marmor, gefunden im 16. Jahrhundert zu
Rom.33)
8. Ein Kapitel eines SC, durch welches die Bildung von
Totenkassen gestattet wird, erhalten als Bestandteil der In-
schrift des coUegiiim funeraticium Lanuvmum.^^)
9. Eine Oratio des Kaisers Claudius betreffend die Er-
teilung des ins Jio)iornni an die den transalpinischen
Galliern entstammenden Bürger, auf deren Grund wenigstens
zunächst den Aeduern (Tac. annal. XI, 25) dieses Recht vom
Senat erteilt ist: gefunden 1528 in Lyon auf Bronze.^^)
10. Eine Oratio, vielleicht ebenfalls von Claudius über
deli Ausschluß jugendlicher Personen vom Richteramt und
Ähnliches, erhalten in Gestalt eines Papyrus.^^)
11. Aus einer 1600 in Herculaneum gefundenen, später
wieder verlorenen Bronzetafel sind bekannt zwei SCC. von
44 46 n. Chr. und vom Jahre 56 n. Chr., gerichtet gegen Speku-
lationen mit Kauf von Häusern auf Abbruch {SC. Hosidianiim
und SC. VoliisiannmF')
12. Ein SC. vom Jahre 138 n. Chr., durch welches einem
Afrikaner Lucilius, senatorischen Standes, das Recht gewährt
wird, in einem außerstädtischen Bezirk [saltus) im Territorium
der Musulamier monatlich zweimal Markt zu halten; gefunden
in Tunis 1860 und 1873 auf zwei Steinen.^*)
13. Ein Stück eines SC. zwischen 138 und 160 n. Chr.,
durch welches das in der Stadt Cyzicus bestehende corpus
viiov genehmigt wird, 1876 auf Stein in den Ruinen \-on
Cyzicus gefunden.^^)
14. Das SC. über Verminderung der Kosten der Gla-
von Stratonicea und Tabae, ergangen im Anschluß an die Anordnungen Sullas
in Kleinasien vgl. Diehl und Cousin, Bulletin de Corresp. hclleuique IX
(1885) p. 437 suiv. und Doublet ebenda XIII (1889) p. 503 suiv., dazu
Viereck Hermes XXV (1890) S. 624 ff. Mommsen Hermes XXVI (1891)
S. 14.5 ff.
33) Bruns I p. 183 sqq. 34) Bruns I p. 345 sq.
35) Bruns I p. 187 sqq.
36) Griechische Urkunden aus den Kgl. Museen zu Berlin Bd. II Nr. 611.
37) Bruns I p. 190 sqq. 38) Bruns I p. 196 sq.
39) Bruns I p. 197 sq.
— 59 —
diatorenspiele von 176/7 n. Chr. ist nicht selbst erhahen,
sondern nur ein längeres Stück einer darauf bezüglichen Rede
eines Senators, gefunden 1888 auf einer Bronzetafel in Italica
in Spanien.**^)
6. Consiüuiiottes Principum.
§ 12.
Die kaiserlichen Erlasse unter dem Principat.
I. Die Kaiser der augustischen Staatsordnung, die vor-
diocletianischen Kaiser, sind von vornherein keineswegs
als Gesetzgeber aufgetreten, sondern haben, wie früher gezeigt,
zuerst noch die Volksversammlung, daneben und danach den
Senat für Gesetzgebungszwecke benutzt. Aber das altrepub-
likanische ins edicendi, welches dem Kaiser als einem höchsten
Magistrat nicht fehlte, die in alles eingreifende Verwaltungs-
tätigkeit und Gerichtsbarkeit des Kaisers, bei welcher, (wie
überall bei den Römern) Rechtsanwendung in Rechtsfortbildung
übergeht, und sein Recht, den ihm untergebenen Beamten
Instruktionen zu erteilen, haben zu einschneidender und um-
fassender kaiserlicher Rechtsbildung geführt. Man hat dabei
anzunehmen, daß die Gesetzeskraft der kaiserlichen Erlasse
erst allmählich mit der fortschreitenden Konsolidation der
Kaisermacht zur Anerkennung gelangt ist, trotzdem Gajus
sagt, es sei darüber nie gezweifelt. ^) Seit der Mitte des
zweiten Jahrhunderts wird die gesetzgleiche, also ins civile
schaffende Kraft der kaiserlichen Erlasse als feststehend be-
handelt.2) Ulpian sagt schlechtweg: qiiod principi placuit, legis
habet vigoj'em^^^ Die Begründung, welche dafür angegeben
wird: cwn ipse imperator per legem imperiuni accipiat^) oder:
utpote cum lege regia, quae de imperio eins lata est, popidtis ei
iO) Bruns I p. 198 sqq.
1) Gai. I, 5. Vgl. Just. C. J. I, 14, 12. Eine offene Kontroverse der
Juristen wird freilich aus naheliegenden Gründen vermieden sein. Was Just.
C. J. I, 14, 12, 2 (1) sagt, bezieht sich nicht auf den Streit der Klassiker,
sondern auf Vorgänge der nachklassischen Gesetzgebung.
2)- Gai. I, 2. 5. Pomp. D. I. 2, 2, 11, 12, Pap. D. I, 1, 7 pr.
3) D. I, 4, 1 pr. *) Gai. I, 5.
— ()0 —
et in eiiin omnc sja4m miperhnn et potestateui conferat^) zeigt
nur, daß es für die Gesetzeskraft der Konstitutionen eine klare
Grundlage nicht gab, die insbesondere auch in der allgemeinen
Klausel der für die Kaiser erlassenen Kompetenzgesetze, daß
sie alles tun [agere facere) dürften, was sie im Staatsinteresse
für angemessen hielten,*) nicht gefunden werden kann. Fand
aber einmal, auf welcher Grundlage immer, Anerkennung, daß
der erklärte Wille des Kaisers Gesetzeskraft habe, so mußte
sich dies auf jeden Erlaß desselben beziehen, mittels dessen
er einen objektiven Rechtssatz aussprechen wollte, ohne Rück-
sicht darauf, in welcher Form er diesen Willen kundgab, und
ohne Rücksicht darauf, ob der allgemeine Satz selbständig
auftrat, oder nur aus der Entscheidung eines konkreten Falles
und ihrer Begründung herausgelesen werden konnte. Dahin-
gegen gewann keine Gesetzeskraft, was nach ausgesprochener
oder durch Auslegung ermittelter Absicht des Kaisers nur für
den Einzelfall gelten sollte.')
Die römischen Juristen bezeichnen als constitJitiones prin-
eipiim nur die Edikte und dasjenige, was wir Dekrete und
Reskripte nennen;^) die Beamteninstruktionen {mandatd) lassen
sie dabei ebenso außer Ansatz wie die kaiserlichen leges datae
und dictae. Es ist aber sachlich gerechtfertigt, die mandata
hier mit zu behandeln, während von den leges datae und dietae
bereits im § 9 gesprochen ist.
Dem Kaiser steht ein Konsilium zur Seite, bis Hadrian
eine freie Versammlung von Freunden, seit Hadrian fester
organisiert. Dieses wirkt beratend mit bei der kaiserlichen
Gerichtsbarkeit; und die in deren Ausübung erlassenen münd-
lichen wie schriftlichen Entscheidungen sind also, wenn auch
formell vom Kaiser allein getroffen, so doch unter Beirat
einer Versammlung zu stände gekommen, in welcher stets
eine Anzahl angesehener Juristen waren. Manche der uns be-
") Ulp. Ü. I, 4, 1 pr.
*•) Lex <lc iinp. Vespas. liii. 17 sqq.
') Ul]i. I). I, 4, 1, 2. Plane ex bis quaedam sunt personales nee ad
exempla tralntntur; nam quae princeps alicui ob merita indulsit vel si quam
poenam irrogavit vel si cui sine exemplo subvenit, personam non egreditur.
8) Gai. I, 5. Ulp. D. I, 4, 1, 1.
— 61 —
kannten Juristen sind als kaiserliche Räte bezeugt. Den
ersten Rang im Konsilium nehmen die Präfekti Prätorio
ein, darunter ein Papinian, Paulus, Ulpian (s. unt. § 2i).®j Man
wird annehmen dürfen, daß der gleiche Beirat auch bei sonstigen
rechtlich erheblichen Erlassen, also auch bei der Redaktion
von Edikten und Mandaten nicht gefehlt hat. Alexander
Severus soll keine Konstitution anders als unter Zuziehung
von 20 Juristen und 50 anderen Räten erlassen haben.^") Es
ist danach begreiflich, daß die kaiserlichen Erlasse an den
Vorzügen der klassischen Jurisprudenz teilnahmen.
II. Edikte des Kaisers sind, wie diejenigen anderer Ma-
gistrate, öffentlich bekannt gemachte Anordnungen. Ein Amts-
programm haben die Kaiser nicht erlassen, aber eine Reihe
von einzelnen Rechtssätzen durch Edikte aufgestellt.
Z. B. hat zuerst Augustus, dann Claudius durch Edikt
den Frauen die Interzession für ihre Männer verboten, ^^) die
Verjährung der Statusklagen fünf Jahre nach dem Tode der
Person, die sie betrafen, wird auf ein Edikt Nervas zurück-
geführt,'^) das Privilegium exigendi des Gläubigers, der ein
Darlehn zum Wiederaufbau eines Gebäudes gegeben hat, auf ein
Edikt M. Aureis. ^'^) Die kaiserlichen Edikte gelten, anders als
die der republikanischen Magistrate, nach dem Aufhören des
Amts ihres Urhebers fort.^*) Daß das kaiserliche Edikt auch
spezielle Angelegenheiten ordnen kann, wie z. B. das Edikt
des Claudius äi^ civitate Anaiinorn^n,^^) hat es mit den Edikten
anderer Magistrate gemein. ^^)
Das Edikt kann (wie das anderer Magistrate) mündlich
verkündet werden. Es war aber wohl Ausnahme, wenn dies
^} Mitteilungen aus Beratungen D. IV, 4, 38, XLIX, 14, 50.
^") Hist. Aug. Alex. Sev. 16, 1.
11) D. XVI, 1, 2 pr. 12) D. XL, 15, 4.
13) D. XLII, 5, 24, 1. Vgl. C. J. X, 60 (59), 1.
1*) Dafür auch Krüger S. 103 f. Der beste Beweis dafür ist, daß ein
Edikt des Augustus als später aufgehoben bezeugt ist, also mit seinem Tode
nicht von .«elbst gefallen war. Paul. D. XXVIII, 2, 26: iam sublato edicto
divi Augusti. Dies sieht indessen Lenel, Holtz. Encykl. S. 127 Anm. 4
nicht als ausreichenden Grund für die hier vertretene Ansicht an.
15) S. u. § 14, VI, 2.
16) Man denke nur an die Ladungsedikte im Prozeß.
— 62 —
von dem Kaiser selbst geschah/') Die Urkunde über das
Edikt führt den Kaiser im Präsens redend ein (z. B. Ti. Clau-
dius Caesar . . . dicit}'^^ Das Edikt wird öffentlich auf eine
wohl wechselnd bestimmte Zeit angeschlagen, zunächst in der
Residenz des Kaisers, je nach Umständen auch an andern
Orten. Daß bei Publikation im weiteren Bereiche die Mit-
wirkung der örtlich zuständigen Beamten in Anspruch ge-
nommen wird, ist natürlich.-'^) Man darf aber zweifeln, ob
immer für die angemessene Publikation allgemeiner Rechts-
sätze im ganzen Reich Sorge getragen ist.
III. Mandata sind die Instruktionen, welche der Kaiser
den ihm untergebenen Beamten, einschließlich der Statthalter
der Senatsprovinzen, die seiner Oberaufsicht unterstehen, er-
teilt. Analog dem privatrechtlichen Mandatsbegrifif gelten
diese Instruktionen nur für den Beamten persönlich, dem sie
erteilt sind, und nur für die Dauer der Regierung des Kaisers,
der sie erteilt hat. Es bildete sich aber ein für alle Beamten
ständiger, beim Regierungs- und Beamtenwechsel regelmäßig
erneuerter Grundstock von Mandaten (ähnlich den tralaticischen
Pldikten) ein Mandaten-Buch mit einer Anzahl ständiger Kapitel.
Hierdurch sind eine Reihe von neuen Rechtssätzen aufgestellt,
die man nicht mehr bloß als Dienstinstruktionen für die Be-
amten, sondern als unmittelbar für die Rechtsuntertanen gel-
tende Vorschriften und zwar als ms civtle auffaßte, ähnlich
wie bei den zunächst Amtsinstruktionen aufstellenden Senatus-
konsulten (ob. S. 54 f.). Z. B. die Anerkennung des formlosen
Soldatentestaments, aus welchem zivile Erbschaft erworben
werden kann, ^°) beruht auf einem seit Trajan ständig den
17) Als ein so verkündetes Edikt ist die von M. Aurel im Prätorianer-
lager verlesene Rede Vat. Fr. 195 zu bezeichnen.
18) Ed. Claudii de civitate Anaunor. (Bruns I. p. 240 lin. 6.)
19) Das Edikt des Claudius zu Gunsten der Juden bei Joseph, antiqu.
19, 5, 5 (Hänel corp. leg. p. 45 sq.) sollte von den Magistraten aller Stadt-
gemeinden in Italien und außerhalb desselben und von den verbündeten Fürsten
mindestens 30 Tage ausgehängt werden; die Publikation in Rom wird, offen-
bar als selbstverständlich, übergangen.
20) Ulp. D. XXIX, 1, 15, 1: hereditatem milcs — nuda voluntate dare
potest. Hereditas ist die Erbschaft nach ius civile.
— 63 —
Mandaten inserierten Kapitel.^^) Die Ehe von Provinzial-
beamten und Soldaten in der Provinz mit Provinzialinnen war
in den Mandaten \erboten und wird iure civili als nichtig
angesehen.^"^) Auch in das Strafrecht greifen die Mandate
ein.^^j Wie es scheint, ist \"eröffentlichung das Publikum
interessierender Bestimmungen der Mandate durch Edikte
der Statthalter wenigstens vorgekommen.^*)
IV. Dec7-etiivi bezeichnet allgemein die X^erfügung in Ver-
waltungs- und Justizsachen.-'') In engerem Sinne ist decretimi
principis die mündlich verkündete und auf mündliche Ver-
handlung ergangene Entscheidung in einem Prozesse, sei es
Endurteil oder Zwischenverfügung {interlociitio). Derartige
von dem Kaiser in Ausübung der Zivil- wie Strafgerichtsbar-
keit zum Teil in letzter, zum Teil in einziger Instanz verkün-
dete Bescheide beruhen zunächst auf Anwendung des gel-
tenden Rechts, welches der Kaiser jedoch, wie andere zur
Rechtsanwendung und Rechtsauslegung berufene Faktoren
auch, fortbildend interpretiert. Und zwar so frei, daß die
Interpretation vielfach in die Aufstellung ganz neuer Rechts-
sätze übergeht, wie z. B. in dem berühmten decreUini divi
Marci?^) Die von dem Kaiser getroffene Entscheidung des
21) Ulp. D. XXIX, 1, 1 pr. Mandatis inseri coepit caput tale cet.
22) Ulp. D. XXIV, 1, 3, 1.
23) Callistr. D. XLVIII, 19, 27, 1. 2.
24) Hierauf beziehe ich die Nachricht, daß Antoninus Pius als Statthalter
von Asia ein Kapitel der Mandate sub edicto proposuit. Marci. D. XLVIII,
3, 6, 1.
25) Decretum principis wird von Papinian D. I, 1, 7 pr. offenbar in ganz
allgemeinem Sinne statt constitutio principis gebraucht. Wenn das prätorische
Edikt (wenigstens in der Hadrianischen Fassung) wiederholt erklärt, sich nach
edicta und decreta principis richten zu wollen D. III, 1, I, 8, IV, 6, 1, 1,
XLIIl, 8, 2 pr., so muß decretum ebenfalls in einem allgemeineren Sinne ge-
braucht sein ; es ist wenigstens nicht einzusehen, warum das prätorische Edikt
die schriftlichen Erlasse des Kaisers weniger respektieren sollte als die Dekrete
im engeren Sinne.
26) D. IV. 2, 13. XLVIII, 7, 7. , Optimum est, ut si quas putas te
habere petitiones, actionibus experiaris. interim ille in possessione debet morari
tu petitor es', et cum Marcianus diceret: ,vim nullam feci', Caesar dixit : ,tu vim
putas esse solum si homines vulnerentur? vis est et tunc quotiens quis id quod
deberi sibi putat non per iudicem reposcit [non puto autem nee verecuudiae
— 64 —
einzelnen Falles hat Rechtskraft; die Gesetzeskraft des
Dekrets bedeutet, daß die in ihm hervortretenden, die Ent-
scheidung begründenden Rechtssätze auch für andere Fälle
maßgebend sind.
Das Dekret wie die ganze Verhandlung, zu der es ge-
hört, wird in die Protokolle der kaiserlichen Amtshandlungen
{coi7imentarii, i:7C()}.ivi]!.iaTu) aufgenommen.^^) Die Publizität
der Dekrete als gesetzgeberischer Akte konnte als durch die
Öffentlichkeit der Verhandlungen gegeben angesehen werden;
den Interessenten scheint Abschrift der Protokolle nicht so-
wohl erteilt als vielmehr ihnen nur gestattet zu sein, sie selbst
zu nehmen.'^^) Ausnahme, besonders durch die Stellung des
Adressaten motiviert, wird es gewesen sein, wenn mittels
kaiserlichen Schreibens ihm Protokollauszug zugefertigt wird,
wie in dem Schreiben Domitians an die Gemeindeorgane von
Falerio.29)
V. Schriftliche Erlasse des Kaisers an eine bestimmte
Adresse sind epistolae, und wenn sie unter eine Eingabe ge-
setzt sind, subscriptiones. Reskripte können sie streng ge-
nommen nur genannt werden, wenn sie, selbständig oder als
subscriptio, Antwort auf eine Eingabe sind. Doch erlaubt
man sich, den Ausdruck Reskript auch wohl auf Erlasse aus-
zudehnen, die diesen Charakter nicht haben.
I. Es kommen generelle Verordnungen der Kaiser in
Form von Schreiben an einzelne Beamte vor.^Oi ^Än solcher
nee dignitati nee pietati tuae eonvenire quicquam non iure facere] quisquis
igitur probatus mihi fuerit rem uUam debitoris ( vel peeuniam debitam ) non ab
ipso sibi sponte datam sine ullo iudice temere possiderc ( vel aceepisse ) ( isque )
[eumque] sibi ius in eam rem dixisse, ius erediti non habebit. Die in [] ein-
gesehlossenen Worte fehlen in D. IV, 2, 13, die in < ) eingesehlossenen Worte
läßt D. XLVIII, 7, 7 fort. Die Überlieferung in D. XLVIII, 7, 7 ist offenbar
die bessere. Die Worte vel peeuniam debitam und vel aecepisse sind inter-
poliert. Nur isque in D. IV, 2, 13 ist besser als eumque in D. XLVIII, 7, 7,
aber vielleicht (mit Mommsen) durch ipseque zu ersetzen.
27) D. IV, 2, 13. XLVIII, 7, 7, s. Anm. 26. Alex. Sever. C. J. VII. 62, 1.
Das Stichwort ist: Caesar dixit im Gegensatz zum Edikt (dicit).
28j Sententiam Divi Patris mei, si quid pro sententia dixit, describere
tibi permitto. Reskript von Antoninus Pius C. J. L. III, 411.
29) Bruns I p. 242 sq.
30) Z. B. das Schreiben Madrians über das Erbrecht der Soldatenkinder,
— 65 —
Erlaß kann, aber muß nicht auf Anregung des Adressaten
ergangen sein. Liegt er uns unter der Adresse eines Be-
amten vor, so schließt das natürlich nicht aus, daß er gleich-
lautend an andere ergangen ist. Vielmehr werden derartige
Verordnungen oft an alle Beamten, die ihr Inhalt anging, zugleich
erlassen sein; wir können aber nicht behaupten, daß dies
immer geschah und für die Gemeinverbindlichkeit des Erlasses
als erforderlich angesehen wurde.'^)
2. Allgemeine Anordnungen enthalten regelmäßig auch
die Erlasse an die Städtetage {cornmunia, xotva) einer Provinz,
die wohl regelmäßig durch eine Eingabe derselben veranlaßt
wurden. Sie können für die Provinz allein ergehen, •''-) aber
auch gemeines Reichsrecht begründen, und dies nach aus-
drücklichem Zeugnis, trotzdem kein anderer Publikationsakt
als der Erlaß an den einzelnen Städtetag vorliegt.'^'^) Auch
an eine einzelne Stadtgemeinde sind gelegentlich allgemeine
Rechtsvorschriften reskribiert und daraufhin als gemein-
gültig behandelt worden. ^4)
3. Die Erlasse in speziellen Verwaltungs- und Justizange-
legenheiten sind wohl durchweg Reskripte im eigentlichen
bei Bruns I p. 381 (dort irrig dem Trajan beigelegt); vgl. Wilcken Hermes
XXXVII (1902) S. 87 ff.
31) Wo wir heute literarisch einen Erlaß rein generellen Inhalts an einen
Beamten vor uns sehen, ist übrigens mit der Möglichkeit zu rechnen, daß er
dennoch zur Regelung eines Spezialfalles ergangen, und die Beziehung auf
diesen in der Überlieferung verloren gegangen ist.
32) Ulp. D. I, 16, 4, 5. Caracalla reskribierte auf Antrag der Asianer,
daß der Prokonsul zu Schiff nach Asien zu kommen habe und zwar zunächst
nach Ephesus.
33) Mod. D. XXVII, 1, 6, 2. tniarokfi-; 'Arrcorh'ov tov EiaEj-iovs
yony^siarjg fiev tö> y.oivcö TJjg Aaias, Tiavrl Se im y.öafico Siafefjovar]^
vgl. ferner Callistr. D. V, 1, 37: daß zuerst über die gewaltsame Vertreibung aus
dem Besitz, dann erst über das Eigentum zu erkennen sei, reskribirte Hadrian
an das y.oivöt' von Thessalien in griechischer Sprache. Ulp. D. XLIX, 1,1,1
teilt ein griechisches Reskript von Antoninus Pius an das y.oivöv der Thrakier
mit über die Appellation gegen ein kaiserliches Reskript wegen Unrichtigkeit des
Berichts, auf den es ergangen ist. Paul. D. XLIX, 1, 25 bringt ein ebenfalls
griechisches, die Appellation betreffendes Reskript an das y.oiröf der Griechen
in Jiithynien.
31) Ulp. D. XLVIII, 3, 3. Antoninus Pius reskribierte griechisch auf
Antrag der Antiochenser über die Untersuchungshaft,
Kipp, Quellen des röm. Kechts. 5
— 66 —
Sinne; zumal in Justizsachen ist Verfügung ohne Eingabe
kaum denkbar. Auch das Verwaltungsreskript ist rechtsan-
wendender Natur und von der Gesetzeskraft der in ihm her-
vortretenden objektiven Rechtssätze nicht ausgeschlossen. Die
Hauptrolle fällt aber den Justizreskripten zu. Diese wollen
wie die Dekrete zunächst das geltende Recht anwenden; aber
wie bei jenen wird daraus Rechtsfortbildung, und während
die eigene Kognition des Kaisers nur beschränkt ausführbar
war, ist das Eingreifen der Reskripte ein sehr umfassendes
gewesen. Allerdings gibt es auch viele Reskripte, die nichts
sind als Wiedergabe des geltenden Rechts und dabei oft auf
die Zweifellosigkeit der behandelten Frage selbst hinweisen.^^)
Ihre Gesetzeskraft bedeutet wie bei den Dekreten: Geltung
der in ihnen ausgesprochenen oder durch Auslegung aus ihnen
zu gewinnenden objektiven Rechtssätze auch für andere Fälle
als den konkreten, in welchem das Reskript erging. Zu
unterscheiden sind Reskripte auf Bericht eines Beamten und
auf Parteiantrag.
Der zur Entscheidung berufene höhere Beamte, und zwar
wahrscheinlich nur ein solcher, von dem auch die Appellation
an den Kaiser geht,^^) kann, wenn er zweifelt, die Sache
mittels Berichts (consiiltatio. relatio) dem Kaiser vorlegen und
die Entscheidung von ihm erbitten. Das Reskript an den
Beamten entscheidet dann auf Grundlage der in dem Bericht
enthaltenen Sachdarstellung und kann eine Zwischenverfügung
wie ein Endurteil sein; es ist den Parteien von dem Beamten
zu eröffnen. Es kann durch Appellation an den Kaiser ange-
fochten werden mit der Behauptung, daß der Bericht die
Sachlage unrichtig dargestellt habe. 3*^) War jedoch der Be-
richt der Partei abschriftlich mitgeteilt, so hätte sie die Appel-
lation sofort gegen ihn richten müssen und kann gegen den
Inhalt des Reskripts nicht mehr appellieren.^S)
36) Z. B. Carac. C. J. II, 3, 6. Diocl. C. J. II, 4, 32. Phil. C. J. III, 28, 15.
36) Der Legatus Proconsulis. von welchem an den Prokonsul appelliert
wird (Venu). Saturn. D. XLIX, 3, 2), soll auch die Konsultation nicht an den
Kaiser, sondern an seinen Prokonsul richten fUlp. D. I, 16, 6, 2).
37) Ulp. D. XLIX, 1, 1. 2. XLIX, 4, 1 pr. Alex. C. J. VII, 62, 2.
38) Macer D. XLIX, 4, 3.
— 67 —
Auf den Antrag einer Partei [libellus, preces, siipplicatid)
kann der Kaiser, wie er berechtigt ist, die Untersuchung und
Entscheidung selbst zu übernehmen, so auch die Sache an
einen besonderen Richter verweisen^s) und diesen instruieren,
beides wohl mittels unmittelbaren Erlasses an ihn. Er kann
auch, ohne die Sache dem ordentlichen Richter zu entziehen,
mittels Erlasses an diesen Anweisungen über die rechtliche
Behandlung der Sache erteilen.*") Am häufigsten aber sind
die Reskripte an die Partei selbst, in welchen der Kaiser
sich über die auf die Sache anwendbaren Rechtssätze ausspricht.
Eine Nachricht über Trajan*^) scheint sagen zu wollen,
daß er solche Rechtsbelehrungen nicht erteilt hat, fraglich, ob
nach dem Beispiel früherer Kaiser oder im Gegensatz zu
ihnen. Seit Hadrian dagegen haben die Kaiser in unzähligen
Fällen Reskripte dieser Art erlassen, welche die Hauptmasse
der uns erhaltenen kaiserlichen Konstitutionen bilden. Das
Reskript kann sich begnügen, abstrakte Rechtssätze hinzu-
stellen. So erscheinen vielfach Reskripte des Codex Justinianus,
was freilich zum guten Teil auf Umarbeitung durch dessen
Verfasser beruht. Wenn das Reskript eine Entscheidung des
konkreten Falles gibt, so kann diese, weil auf einseitigem
Parteivortrag beruhend, nur eine bedingte sein, abhängig von
der im Prozess zum Austrag zu bringenden Voraussetzung,
daß die von der Partei vorgetragenen erheblichen Tatsachen
wahr, und nicht andere wahr sind, welche eine andere Ent-
scheidung zu begründen geeignet wären. Die Reskripte zeigen
das meist in irgend einer Art durch ihre Fassung, si vera
sunt, quae precibus complexa es'^^), oder gewöhnlich, indem sie
die Entscheidung von den und den tatsächlichen Bedingungen
abhängig machen. Hierbei ist aber zu beachten, daß diese
Bedingungen nicht immer Behauptungen der Bittschrift ent-
sprechen, sondern oft auch die Kaiser erst darauf aufmerksam
zu machen scheinen, was die Partei vorbringen muß, auch
verschiedene P>entualitäten berücksichtigen. In vielen Fällen
39) Ulp. D. IV, 4, 18, 4.
40) Vgl. Ulp. D. XXXIV, 1, 3. Callistr. (Hadr.) D. XLII, 1, 33. Ulp.
(Anton. Plus) D. XLVIII, 6, 6.
41) Histor. August. Macrin. 13. 42) Diocl. C. J. II, 4, 18.
5*
— 68 —
haben die Kaiser aber auch die Partei einfach an den ordent-
lichen Richter verwiesen, ohne auf die Sache selbst einzu-
gehen.^3) Es ist natürlich, daß die meisten Reskripte von
klagelustigen Parteien erwirkt wurden, auch solche an Klage-
bedrohte aber kommen vor.**) Das Reskript vor Gericht zu
produzieren ist Sache der Partei.
4. Beamte, Stadtgemeinden und Städteverbände erhielten
die an sie gerichteten Erlasse in Form eines selbständigen
kaiserlichen Briefes. Die \"eröffentUchung wird bei den an
Stadtgemeinden und Städteverbände gerichteten den Adres-
saten überlassen sein.*'') Anlangend die an Beamte gerichteten,
so enthält das Schreiben Hadrians an Rammius funt. § 14, VI, 5)
den Publikationsauftrag und ist daraufhin in zwei Legionslagern
öffentlich angeschlagen. Ähnliche Aufträge mögen auch sonst
bei Erlassen erfolgt sein, die für das Publikum von Interesse
waren, mochten sie allgemeine Vorschriften allein oder in
Verbindung mit Verfügungen über einen Einzelfall enthalten.
An Private ergeht das Reskript gewöhnlich mittels sub-
scriptio unter der Eingabe. Daß die Eingabe mit dem Ori-
ginal einer solchen vom Kaiser selbst gezeichneten Fußver-
fügung an Private ausgehändigt w^urde.^ß) — nach Umständen
durch Vermittelung eines Provinzialstatthalters*') oder anderer
Beamter — ist sicher vorgekommen. GewöhnUch aber ge-
schah es nicht, sondern wnirden periodisch die Eingaben
mit daruntergesetzten Reskripten vereinigt zu einem liber
libelloruui i'escriptoi-imi in der Residenz des Kaisers öffentlich
ausgehängt und dem Bittsteller überlassen, sich daraus
eine beglaubigte Abschrift in Form einer Zeugenurkunde zu
nehmen. Hierdurch sparte man die Zustellung an die Partei
und hatte zugleich eine Publikation des gesetzgleichen Inhalts
der Reskripte. Dieses Verfahren ist klar gestellt durch
«) Jul. D. I, 18, 8. Callistr. U. I, 18, 9. **) Diocl. C. J. II, 4, 15.
■*5) Vgl. Schluß des Schreibens Vespasians an die Saborenser Bruns I
1>. 242 sq., und desjenigen Domitians an die Falcrienscr Bruns I p. 242 sq.,
auch § 14, VI, 10.
*6) Das Reskript des Commodus Bruns I p. 244 sq. scheint Lurius Lu-
cuUus selbst in Händen gehabt zu haben.
■1") Plin. et Trai. ep. 107(108); zu lesen wird sein: libcUum rescripluni.
— 69 —
das Reskript Gordians an einen \^ertreter der Skapto-
parener.*^) Die uns erhaltenen Reskripte tragen meistens den
Vermerk dieser Proposition (im Codex Justianus von Antoninus
Pius an^^), die man trotzdem bis zur Auffindung der eben
genannten Urkunde meistens bezweifeln zu müssen glaubte.
Die Sprache der Erlasse ist nur in seltenen Fällen
griechisch, »0) durchaus regelmäßig lateinisch. Gleichviel ob
selbständige epistola oder subscriptio, beginnt der Erlaß mit
der Bezeichnung des Kaisers, von dem er ausgeht; im Falle
der Mitregentschaft ergeht er jedoch stets im Namen beider
Kaiser;'''^) dann folgt die Bezeichnung des Adressaten, bei No-
tabeln mit Grußformel {salutem dicit^^), später haz'e . . .
carisshiie nobis,'^'^) hieran schließt sich der Text; an ihn die
eigenhändige Unterschrift des Kaisers, nicht mit dem Namen
sondern mit dem Wort scripsi, rescripsi^^) oder mit einer
Grußformel (z-^/^).^^) Weiter folgt das in seiner genauen Be-
deutung noch nicht sicher gestellte recognovi des ausfertigen-
den Kanzleibeamten ;^^) dann gewöhnlich die Angabe des
Tages der Ausfertigung mit dem Stichwort data (oder sub-
scriptajy') Der Beamte, welcher den Erlaß empfängt, setzt
*8) Unt. § 14, VI, II. 49) C. J. 11,12 (13), 1.
50) Anscheinend erhielten Koiid wie einzelne Gemeinden der hellenisti-
schen Reichsteile ihre Reskripte regelmäßig griechisch. S. ob. Note 33, 34.
51) Höchst sonderbar, wenn ein mündliches Dekret als von mehreren
Kaisern unisono gesprochen bezeichnet wird: Diocl. u. Maxim. C. J. IX, 47,
12: dixerunt. Krüger will zwar statt dessen dixit setzen, aber das halte ich
flir nicht berechtigt.
Ö-) Schreiben Vespasians und Domitians an Gemeinden Bruns I p. 241 sqq.
53) Diocletian C. J. VII, 62, 9. IX, 2, 11.
51) Schreiben des Commodus Bruns I p. 246; Gordians an die Skapto-
parener Bruns I p. 249.
55) Schreiben Vespasians an die Saborenser, Domitians an die Falerienser
Bruns I p. 242 sq.
56) Vgl. Schreiben des Commodus Bruns I p. 248. Reskript Gordians
Bruns I p. 249. Am wahrscheinhchsten ist das recognovi die Konstatierung
der Übereinstimmung der Reinschrift mit dem Entwurf und wird zeitlich vor
der kaiserlichen Zeichnung auf die Reinschrift gesetzt, gerade wie heutige
Gegenzeichnungen. 57) z. B. C. J. IV, 26, 1. 3. 6. 7. 8—12.
58) Vgl., allerdings aus der folgenden Epoche: nov. Val. 10, 1. Steht
accepta auf einem Erlaß an einen Privaten, z. B. divi fratres C. J. II, 12 (13),
— 70 —
ein „Präsentatum" darunter: accepta^^) Der Vermerk des er-
folgten öffentlichen Aushangs hat das Stichwort proposita
ipp^^^). Es ist aber in den Formalien manches schwankend
und zweifelhaft.
Auch die schriftlichen Erlasse des Kaisers werden in
dessen Coinmentarii eingetragen. ''^j Die Seinestria M. Aurels^')
waren offenbar eine halbjährliche Sammlung von Konsti-
tutionen; über ihre Natur läßt sich aber sonst nichts Sicheres
sagen.
§ 13.
Die kaiserlichen Erlasse in der absoluten Monarchie.
I. Seit Diocletian ist der Kaiser der unumschränkte
Gesetzgeber. Sein oberster Beirat in Rechtsangelegenheiten
ist der quacsto?' sacri palatii. Er ist das erste Mitglied des
Consistoi'ium Pi'incipis, wie nunmehr \) das vormalige Kon-
silium heißt. Das Konsistorium, oft auch als proceres
palatii, iiidices bezeichnet, umgibt den Kaiser bei den vor
ihm geführten mündlichen Verhandlungen, berät den Kaiser
also bei Erlaß der Dekrete f) es ist anzunehmen, daß auch
bei dem schriftlichen mit Reskript endenden Gerichtsverfahren
das Konsistorium zugezogen wurde. Leges gencrales . sollen
nach einer Verordnung von Theodosius II 3) sowohl im Kon-
sistorium wie im Senat beraten werden. Ob das in Ansehung
des Senates immer beobachtet ist, ist fraglich. Mit dem Rück-
gang der Jurisprudenz hängt es zusammen, daß die kaiser-
lichen Erlasse sich in juristischer Technik und im Stil ver-
2. Sev. et. Car. C. J. II, 20 (21), 1, so ist das freilich auftallig, kann sich
aber daraus erklären, daß der Erlaß durch Vermittelung eines Beamten dem
Adressaten zugestellt ist.
59) Z. B. C. J. II, 18 (19), 1 — 16.
60) Piin. et Trai. epp. 65 (71). 66 (72). 95 (96). 105 (106).
61) Tryph. D. II, 14, 46. Scaev. (Claud.) D. XVIII, 7, 10.
') Diocl. C. J. IX, 47, 12.
-) Diocl. C. J. IX, 47, 12. Const. C. Th. VIII, 15, 1. Jul. C. Th. XI,
39, 5. Theod. I. C. Th. XI, 39, 8. Just. C. J. VII, 62, 37, 2. c. 39, la (1).
VII, 63, 5, 2. 3. VII, 64, 10 pr. ^) C. J. I, 14, 8.
— 71 —
schlechtem. Sie werden schwülstig, oft unklar und zudem
prahlerisch.
IL Bis zum Jahre 429 war es Prinzip, daß die in der
einen der beiden Reichshälften erlassenen Konstitutionen von
selbst auch in der andern gelten. Wie man damit ausge-
kommen ist, ist freilich sehr problematisch. In einem Erlaß
vom Jahre 429 klagt Theodosius II über die Unsicherheit des
damit gegebenen Rechtszustandes und verfügt deshalb, daß
die Gesetze des einen Kaisers in dem Gebiete des andern
nur dann gelten sollen, wenn sie diesem übersandt und von
ihm angenommen und für seinen Reichsteil publiziert sind.'*)
III. Die Formen, in denen die kaiserlichen Erlasse sich
bewegen, schließen sich an die der vorigen Epoche an, haben
aber doch erhebliche Wandlungen erlitten.
I. Als Formen für allgemeine Rechtsvorschriften {leges
generales^) sind folgende zu unterscheiden.
a) Erlasse an einen der beiden Senate, in Rom oder Kon-
stantinopel, welche ein höherer Beamter durch Verlesen in
der Sitzung verkündet. Diese Form ist aus der oratio prin-
cipis der früheren Epoche hervorgegangen; der offizielle Aus-
druck ist auch jetzt oratio^), aber das bestätigende Senatus-
konsult fällt fort.
b) Edicta. durch öffentlichen Aushang publiziert, scheiden
sich weiter in zwei Formen. Das Edikt kann unmittelbar an
die Untertanen [ad popiihiui "') oder einzelne Kreise derselben,
z. B. die Einwohner der Hauptstadt^) gerichtet werden und
wird dann als kaiserliches Edikt aufgestellt. Es kann aber
auch^) an einen oder mehrere hohe Reichsbeamte oder an
die Provinzialstatthalter oder einen derselben gerichtet wer-
den mit dem Auftrage, die Publikation (so weit nötig, unter
Mitwirkung von ihnen weiter zu beauftragender Behörden), zu
veranlassen. Das kaiserliche Edikt wird dann durch Beamten-
*) C. Th. I, 1, 5 vgl. auch nov. Theod. I, 5.
^) C. J. I, 14, 3, 1 (a. 426).
«) C. Th. IV, 1, 1 (a. 426): hac oratione sancimus. C. J. I, 14, 3 (a.
426) : missa ad venerabileni coetum oratione conduntur.
')Xov. Val. 9, 1. 8) Nov. Val. 14. 1.
^) Wie die meisten posttheodosianischen Novellen zeigen.
- 72 —
edikte publiziert, welche das kaiserliche in sich aufnehmen.
Die Aushangszeit wird verschieden gewesen sein. Es tritt im
Sinne eines besonders langen Aushangs die \^erfügung auf,
daß das Edikt durch das ganze laufende Jahr stehen bleiben
soll. Auch die Anordnung, daß der Erlaß in Erz dauernd
aufgesellt werden soll, kommt vor.'*') Vereinzelt ist ein
mündliches Edikt Constantins in Form einer oratio an die
Soldaten.";
2. Mandata principis kommen wie früher vor. Die Bilder
der notitia dignitaüim (unten § 24) zeigen noch den libej- maii-
datorwn. Im fünften Jahrhundert ist aber die Sitte, den Be-
amten beim Amtsantritt ein allgemeines Instruktionsbuch mit-
zugeben, unterbrochen. Justinian stellte im Jahre 535^^) eine
neue allgemeine Instruktion fest.
3. Kaiserliche Verfügungen für den Einzelfall haben auch
jetzt die Form des schriftlichen Erlasses oder des mündlich
verkündeten protokollierten Dekrets.'^) Protokollabschrift wird
wie sonst, so auch bei dem Kaisergericht jetzt amtlich erteilt
sein.^*) Die Dekrete treten aber jetzt noch mehr zurück, seit
die Appellation an den Kaiser die Form der appellatio viore
considtationis annimmt. Ähnlich nämlich wie der Richter vor
dem Spruch die Sache dem Kaiser mittels Berichts zur Ent-
scheidung vorlegen kann, ward sie hier nach dem Spruch
auf erhobene Appellation berichtlich mit Akten eingesandt,
und die Entscheidung erfolgt mittels Reskripts. Sowohl bei
diesem i\ppellationsverfahren, wie bei der consjdtatto aide
sententiaiii muß jetzt der Beamte den Bericht den Parteien
zur Vorbringung ihrer Einwendungen vorlegen.'^) Ist dies be-
folgt, so fällt die Appellation gegen den Inhalt des Reskripts
weg; wegen nicht erteilter Berichtsabschrift oder versäumter
Akteneinsendung findet Beschwerde an den Kaiser statt. ^^)
Dieses Verfahren hat aber manche Wandlungen erlebt; man
10) C. Th. II, 27, 1, 6. XIV, 4, 4.
11) Protokoll darüber C. Th. VII, 20, 2. 12) Nov. 17.
13) Diocl. C. J. IX, 47, 12. Constantin C. Th. VIII, 15, 1. Jui. C.
Th. XI, 39, 5. Theod. I. C. Th. XI, 39, 8.
11) Vgl. Theod. II u. Val. III C. J. VII, 62, 32, 2. 4a: Scripta liliga-
toribus edere. i'>) Constant. C. Th. XI, 30, 1. 1") Constant. C. Th. XI, 30, 6.
— 73 —
kehrte zur mündlichen Verhandlung zurück und führte diese
sogar für die consiiltatio ante sententimn ein.^') Die letztere
hat Justinian a. 543 ganz verboten. ^^)
Das auf einseitigen Parteivortrag ergangene Reskript gilt
auch jetzt nur unter der Bedingung der Wahrheit und Voll-
ständigkeit des vorgetragenen Tatbestandes (praescriptio men-
daciorinn),^'^) nach einer Verordnung Zenos soll die Bedin-
gung: si preces veritate nitiintur, stets dem Reskript einge-
fügt werden.^**) Von öffentlichem Aushang der an Privatper-
sonen gerichteten Erlasse verlautet jetzt nichts mehr. Eine
Konstitution Diocletians setzt voraus, daß diese Erlasse zuge-
stellt werden, und verfügt, daß es im Original geschehen soll.-V)
Die Gesetzeskraft der Reskripte hatte zu schlechten Er-
fahrungen geführt. Es wurden Reskripte erschlichen, welche
eine vom Kaiser nicht gewollte Abweichung vom bis-
herigen Rechte enthielten. Zudem mochte man es der
juristischen Auslegung, der die Kaiser überhaupt feindlich
entgegentraten [unt. § 22] und die ihre alte Kraft verloren
hatte, nicht mehr überlassen wollen, festzustellen, was vom
Kaiser als Einzelverfügung, und was als Gesetz beabsichtigt
wäre. Darum verfügte Constantin, daß Reskripte, welche
wider das bestehende Recht verstiessen, nichtig sein sollten,--)
Arcadius verordnete, auf Consultatio ergangene Reskripte
sollten nicht über den Fall hinaus gelten, in dem sie erlassen
wären, entzog ihnen also die Gesetzeskraft.-^) Valentinian III.
bestimmte,^*) daß Gesetzeskraft nur den an den Senat erlasse-
nen und denjenigen Verfügungen beiwohnen solle, welche sich
als Edikt oder lex generalis bezeichnen, ihre Publikation durch
Aushang anordnen oder sonst zu erkennen geben, daß sie ge-
meingültig sein wollen. Es gehören dahin also namentlich
auch die Konstitutionen, in denen mit Entscheidung des Spe-
zialfalles deutliche generelle Bestimmungen verbunden sind.^^)
17) Kipp, Pauly-Wissowas Realencyklopädie der klassischen Altertums-
wissenschaft unt. d. W. appellatio IV, 4. ^^) Nov. 125.
'9) C. J. I, 22, 2-5. 20) Zeno C. J. I, 23, 7.
21) Diocl. C. J. I, 23, 3. 22) Constant. C. Th. I, 2, 2.
23)Arcad. C. Th. I, 2, 11. 2*) Valent. C. J. I, 14, 2. 3.
25) Z. B. nov. Val. 8, 1.
- 74 —
Ausgeschlossen von der Gesetzeskraft wurden damit, wie es
scheint, nicht bloß die unter die obigen Kategorien nicht fallen-
den Reskripte, sondern auch die Dekrete."^^) Nach justinianischem
Recht haben aber Dekrete immer und Reskripte auch dann
Gesetzeskraft, wenn sie bestehendes Recht nur auslegen.^^)
Annotatio sieht nach einem Zeugnis ^^) aus wie das Kon-
zept eines Reskripts, kommt aber auch mit Reskript gleich-
bedeutend und ferner in dem Sinne einer nicht genauer be-
stimmbaren, manchmal dem gewöhnlichen Reskript gegenüber
ausgezeichneten Nebenform der Reskripte vor.^^)
4. Pragmatica sanctio (pragmatica lex, forma oder auch
nur pragmatica) scheint dem Worte nach ein Erlaß zu sein,
der ein ngäyua, eine Angelegenheit betrifft. Die Pragmatica
ist aber keine gewöhnliche spezielle Verwaltungs- oder Justiz-
verfügung, sondern betrifft Angelegenheiten des öffentlichen
Interesses. Ihre Grenze ist freihch weder gegen die Reskripte
noch gegen die /eges generales scharf gezogen. Die Bestim-
mungen der pragmaticae sanctiones sind teils allgemeiner, teils
spezieller Natur; aber auch wenn sie eine reine Einzelverfügung
betreffen, wie die Avocation eines Strafprozesses vom ordent-
lichen Richter, tritt doch hervor, daß dabei das öffentliche
Interesse massgebend ist.^^) Anderseits gründen sich auch die
allgemeinen Anordnungen der Pragmatiken auf einen spezi-
ellen Anlaß, einen besonderen Bericht eines Beamten oder
eine Petition.^') Auch das Schreiben, mittels dessen ein Kaiser
26) Interlocutionibus, quas in uno negotio iudicantes protulimus vel postea
proferemus, non in commune praeiudicantibus. C. J. 1. 14, 3, 1.
27) Just. C. J. I, 14. 12. 28) Constant. C. Th. I, 2, 1.
29) Theod. I C. Th. V, J3, 30. Theod. II C. Th. IV, 14, 1 § 1 ; Nrc
sufficiat precibus oblatis speciale quoddam, licet per annotationem meruisse
responsum. Nov. Val. 19, 1, 3: Quod enim fas non est vel per annotationes
nostras nocentes mereri, multo magis vetamus rescriptis simplicibus impetrare.
30) Nov. Just. 69 c. 4 pr.
31) So erging nov. Val. 7, 3 auf suggestio des comes sacrarum largiti-
onum, nov. Just. 162 auf einen Bericht eines Präfektus Prätorio über Kontro-
versen der Advokaten seines Gerichtshofes, das Edikt VII Justinians auf
Petition der Korporation der Argentarier, die Verordnung Justinians zur Rege-
lung der Rechtsverhältnisse Italiens nach der Wiedereroberung auf Vorstellung
des Vigilius, Bischofs von Rom (pragmatica sanctio pro petitione Vigilii
Corp. iur Civ. III, p. 779 sqq.).
— 75 —
demjenigen der andern Reichshälfte seine Konstitutionen zum
Zwecke der Einführung in dem Gebiet des Adressaten zu-
sendet, erscheint als Pragmatica.^^) Hierbei ist ein Gesuch
um Übersendung nicht vorausgesetzt; daß aber sonst die prag-
matischen Sanktionen regelmässig auf Gesuch ergehen, zeigen
die Bestimmungen Zenos,^^) nach denen sie wie die Reskripte
nur mit Hinzufügung der Bedingung si preces veritate nitimticr
erlassen werden, überhaupt aber nicht an einzelne, sondern
nur in öffentlichem Interesse an Provinzen, Gemeinden, Korpo-
rationen, Beamtenkollegien oder sonstige Personengemeinschaften
ergehen sollen. Anastasius^^) hat ihnen die Geltung im Wider-
spruch mit leges generales abgesprochen. Justinian ließ bei
Erlaß des Codex Justinianus den bisherigen pragmatischen
Sanktionen ihre Kraft, so weit sie Privilegien erteilten, inso-
weit sie dagegen allgemeine Rechtssätze aufstellten, nur unter
der Bedingung, daß sie dem Codex nicht widersprachen.^^)
5. Bei sämtlichen schriftlichen Erlassen des Kaisers sind
die äußeren Formen ähnlich denen der früheren Zeit. Die
Erlasse sind noch immer regelmässig lateinisch, doch mehren
sich die griechischen gegen die justinianische Zeit. Sie be-
ginnen mit dem Namen des oder der Kaiser. Fast bis zum
Untergang des westlichen Reiches erscheinen stets die Namen
der Kaiser beider Reichshälften. Die Adresse ist nach Umständen
verschieden.^") Die eigenhändige Zeichnung des Kaisers besteht
bei den zu unmittelbarem Aushang bestimmten Edikten in
d&rWQxiügnng: proponatiir aniantissimo nostro populo Romano •^'^)
bei Erlassen an den Senat oder hohe Beamte ist sie ein mehr
oder minder feierlicher Gruß.^^) Bei Schreiben an unter-
geordnetere Personen mochte das bis zu dem einfachen sa'ipsi
heruntersinken. Die Zeichnung- erfolgft mit einer dem Kaiser
32) Nov. Theod. 1, 5. 33) Zeno C. J. I, 23, 7,
34) Anast. C. J. I, 22, 6. 35) c. Summa § 4.
36) Populo Romano, (nov. Val. 9, 1), consulibus praetoribus tribunis plebis
senatui suo salutem dicunt (nov. Val. 1, 3), have Abiabi carissime nobis an
(Constantin an einen Präfektus Prätorio. Bruns I p. 258); an niederer Stehende
natürlich einfacher.
37) Nov. Val. 9, 1. 14, 1.
38) Nov. Val. 1, 3. nov. 16, 1, 4. nov. 19, 1, 4.
— 76 —
allein vorbehaltenen Purpurtinte. ^^) Über die Gegenzeichnung*")
sind wir nicht genau unterrichtet. Justinian bestimmte, wohl
kaum als etwas Neues, sondern im Sinne der Einschärfung,
daß jeder Erlaß vom Quästor sacri palatii in bestimmter
Weise gegenzuzeichnen sei."*^)
Unter dem Erlaß wird das Datum der Ausfertigung
bemerkt [data], auch notiert, an wen gleichlautende Erlasse
ergehen.*^) Ferner wird bei Erlassen an den Senat die Ver-
lesung beurkundet {recitatä)^^) Bei dem den Erlaß empfan-
genden Beamten erfolgt Präsentierung [accepta,^^) Registrierung
[regesta)^^) und Beurkundung des etwa erfolgten Aushangs
(proposita),^'") vollständiger mit der Angabe, daß der Beamte
die Konstitution mittels seines Edikts bekannt gemacht habe
{antelata edicto, proposita siih edicto}'')
6. Für die Sammlung der Erlasse im kaiserlichen Archiv
ist natürlich auch in dieser Zeit Sorge getragen; wie es scheint,
vorzugsweise bei dem Quästor sac7'i palatii}^) Doch ist dieser
nicht allein damit betraut gewesen. Das vom östlichen
Hofe übersandte Exemplar des Codex Theodosianus hat im
Westreich der Präfectus Prätorio aufbewahrt; eine Abschrift
erhielt der Präfectus urbi, eine zweite die Constitutionarii,
um daraus Abschriften an das Publikum herauszugeben. Da
sie aber als solche bezeichnet werden : gnos iam dudinn limc
officio (sei. coiistitiitionariorwn) inservij-c praeter culpani pro-
bamus, so ist anzunehmen, daß diese Behörde schon früher
39) Leo C. J. I, 23, 6. Sacri affatus .... non alio vultu penitus aut colore
nisi purpurea tantummodo scriptione illustrentur scilicet ut cocti muricis et
triti conchylii ardore signentur .... Hanc autem sacri encausti confectionem
nulli sit licitum aut concessum habere aut quaerere aut a quoquam sperare eo
videlicet qui hoc adgressus fuerit tyrannico spiritu post proscriptionem bo-
noruir omnium capitah non immerito poena plectendo.
■'ü) Subscripsi in nov. Val. 19, 1 i. f., 20, 2 i. f. hinter dem Propo-
sitionsvermerk, kann kaum eine Gegenzeichnung sein.
11) Nov. Just. 114. +2) Xov. Martiani 2. 1. 7.
*3) Nov. Val. 1, 3, 7. «) Nov. Val. 10, 1, 4. 20, 2, 6.
IS) C. Th. XI, 28, 14. nov. Theod. 1, 1, 6.
«) Nov. Val. 2, 2. 5. nov. 11, 1, 2.
17) Nov. Val. 20, 1, 6. 22, 1, 9. nov. Val. 26. 1, S.
1**) Ihm legen die Bilder der Notitia dignitatum ein Haus mit der Auf-
schrift leges salutares bei.
mit der Funktion bestand, das Bedürfnis nach Abschriften
kaiserlicher Konstitutionen für das Publikum zu decken.*^)
Justinian ließ seine Novellen in eine congrcgatio, einen über
legt4m eintragen.^'')
§ 14.
Die Überlieferung der vorjustinianischen
Konstitutionen.
I. Die dem Text oder wenigstens dem Inhalt nach er-
haltenen kaiserlichen Konstitutionen zählen nach vielen Tau-
senden. Zunächst haben die Juristen, denen nicht bloß die
amtlich publizierten Erlasse zu Gebote standen, sondern deren
viele auch durch ihre hohen Staatsstellungen freiesten Zugang
zu den kaiserlichen Archiven hatten, die Konstitutionen in
ihren Schriften verarbeitet, auch besondere Sammlungen davon
veröfifentlicht, wie Papirius Justus [constitutionuui libri XX)
und Paulus {decretoriim libri III, impei'ialiian sententiarum
libri VI). Für dieses Material sind wir also auf die Über-
lieferung der Juristenschriften, insbesondere auf die Digesten
Justinians angewiesen. Vieles bringt die nichtjuristische Lite-
ratur, namentlich auch Konzilienakten und kirchliche Sammel-
werke; manches geben Inschriften und Urkunden.^) Hervor-
zuheben ist Folgendes.
Die Reskripte Trajans an den jüngeren Plinius auf die
von ihm als Statthalter von Bithynien (legatiis Augusti pro
praetore considari potestate. wahrscheinlich in den J. iii — 113
n. Chr.) erstatteten Berichte in dem Briefwechsel zwischen
Plinius und Trajan, in den Ausgaben mit der allgemeinen
*9) Vgl. das Senatsprotokoll über Einführung des Codex Theodosianus.
50) C. Cordi § 4. nov. 17 pr. nov. 26 c. 5 § 1.
^) Eine Sammlung der Konstitutionen vor Justinian ist Haenel: corpus
legum ab imperatoribus Romanis ante Justinianum latarum (Leipzig 1857).
Die in den drei Codices, den posttheodosianischen Novellen und der sirmon-
dinischen Sammlung (unt. II — V) enthaltenen Konstitutionen sind in diesem
Werke nur chronologisch registriert, die sonst überlieferten in chronologischer
Folge abgedruckt. Personen-, Orts- und Sachregister sind hinzugefügt. Das
Ganze ist, wenn auch in vieler Beziehung mangelhaft, so doch höchst dankens-
wert und durch nichts Besseres ersetzt.
— 78 —
Briefsammlung des Plinius verbunden und früher als deren lo.
Buch behandelt.
II. Besonders wichtig wurden für die Folgezeit zwei
Privatarbeiten, der Codex Gregorianus und der Codex Hermo-
genianus. Sie bilden die einzige Quelle des Codex Justinianus
für die Konstitutionen der Zeit vor dem Bereich des Codex
Theodosianus (unt. III)."^)
1. Der Codex Gregorianus ist das Werk eines nicht
weiter bekannten Gregorius.^) Er enthielt, eingeteilt in Bücher
und Titel, Konstitutionen der Kaiser bis auf Diocletian und
zwar mindestens von Hadrian an.*) Nach den vorliegenden
Anführungen war er historisch gearbeitet, ohne besondere
Bevorzugung des neuesten Materials. Die überlieferten Buch-
zahlen reichen bis XIX.^) Das Werk wurde im Orient ge-
schrieben^) und zwar unter der Regierung Diocletians und
Maximians.') Wahrscheinlich ist es gleich nach dem Jahr
294 veröffentlicht.^)
2. Der Codex Her möge nianus stammt von einem Hermo-
genianus;^) ob es der sonst bekannte Jurist dieses Namens
ist (§ 21, 71), ist unsicher. Das Werk war kleiner als der
C. Gr., nur in Titel eingeteilt, doch darf man es sich keines-
wegs als unbedeutend vorstellen; wir hören von der 120.
Konstitution des 69. Titels.^") Die aus diesem Codex ange-
führten Konstitutionen gehören fast ausschließlich der Zeit
Diocletians an, die meisten den Jahren 293 und 294,^^) und
^) Dies hat Justinian so vorgeschrieben. C. Haec quae nee. § 2, vgl. c.
Summa § 1.
») Mommsen Zeitschr. d. Sav.-Stift. X (1889) S. 347 f.
'*) Sonst könnte der Codex Justinianus nicht, wie der Fall, Konstitutionen
von Hadrian an aufweisen; denn aus dem C. H. hat er sie sicher nicht.
^) Coli. 3, 4. Aber vielleicht ist hier XVIIH irrig statt XIV ge-
schrieben. S. Jörs bei Pauly-Wissowa Art. Codex Gregorianus.
«) Note 14. In Berytus? Mommsen Zeitschr. d. Sav.-Stift. XXII s. 189 fl".
') Eine dem C. Gr. entnommene Konstitution (Coli. 1, 10, 1) vom Jahre
290 führt die Kaiser Diocletian und Maximian als domini nostri ein.
8) S. unt. Note 14.
8) Mommsen, Ztschr. d. Sav.-Stift. X (1889) S. 348 f.
10) Schol. Sinait. § 5.
") Ich meine die Konstitutionen, die die Quellen ausdrücklich als im
C. II. eiitlialten angeben.
— 79 —
es überwiegen durchaus diejenigen von Diocletian selbst. Vor-
diocletianische Konstitutionen sind aus dem C. H. überhaupt
nicht bekannt. Das Werk war im Gegensatz zu der histo-
rischen Anlage des C. Gr. auf das Neueste gerichtet.^-) Es
ist wie der C. Gr. im Orient geschrieben und gleich nach
294 veröffentlicht. Der Verfasser soll es aber noch zweimal
neu aufgelegt haben.*^) Jedenfalls ist es später, auch von
dritter Hand, mit Nachträgen vermehrt worden und zwar
auch aus occidentalischem Material.^*)
12) Was Theodosius II. C. Th. I, 1, .5 von dem historischen Wert der
Codices sagt, kann für den C. H. in dem Sinne gemeint sein, daß er nun
historisches Material geworden war, auch, daß er mit den späteren Nachträgen
ein historisches Bild darbot.
13) Sedulius in der Widmung zu seinem paschale opus.
11) Im C. J. findet sich eine im Vergleich zu der Zahl der Konstitutionen
der älteren Kaiser höchst auffallende Masse von Konstitutionen der diocletianischen
Zeit und zwar fast ausschließlich sicher von Diocletian selbst. Wie in den Resten des
C. H. sind dabei die Jahre 293/294 am stärksten vertreten ; aus der Zeit nach 294
dagegen finden sich nur noch sehr spärliche diocletianische Konstitutionen. Wenn
nun auch nach der sonst feststehenden Beschaffenheit der beiden älteren Codices
anzunehmen ist, daß das diocletianische Material des C. J. hauptsächlich aus
dem C. H. stammt, so ist doch der hervorgehobene Befund auch für den C. Gr.
von Bedeutung, denn er beweist, daß auch aus dem C. Gr. kein oder kein
nennenswertes maximianisches Material zu holen war, und daß auch er diesseits
des Jahres 294 nicht viel bot. Danach aber ist anzunehmen, daß beide
älteren Codices im Orient geschrieben sind und in ihrem Material mit 294 in
der Hauptsache abschlössen. Dann werden beide gleich nach 294 veröffentlicht
sein, und der C. H. wird nicht sowohl ein Nachtrag wie ein Seitenstück des
C. Gr. genannt werden müssen. Daß der Verfasser des C. Gr. Vorstudien in
Rom gemacht hat oder hat machen lassen, um die Konstitutionen der älteren Kaiser
zusammenzubringen (Jörs in Pauly Wissowas Realencykl. Art. Codex Gregorianus)
ist möglich, aber ob das notwendig war, doch wohl zweifelhaft. Es ist mög-
lich, daß der Verfasser des C. Gr. noch einzelne Konstitutionen des Jahres
295 selbst eingetragen hat (Coli. 6, 4), und das Gleiche läßt sich von dem
Verfasser des C. H. nicht leugnen, obwohl Consult. 5, 7, eine occidentalische
Konstitution, wahrscheinlicher ein Nachtrag von anderer Hand ist. Das ganz
Wenige, was die Verfasser des C. J- aus der Zeit zwischen der
so bestimmten ersten Veröffentlichung der CC. Gr. und H. und dem Herr-
schaftsbereich des C. Th. aufgenommen haben, werden sie aus späteren Nach-
trägen zu den CC. Gr. und H. kennen, die der erstere ebensowohl erlebt
haben kann, wie sie der letztere sicher und zwar auch im Occident erlebt hat.
Ein solcher Nachtrag werden namentlich die sieben Konstitutionen (darunter
- 80 —
Sowohl vom C. Gr. wie vom C. H. besitzen wir Kunde
nur durch ihre Benutzung in späteren Werken, besonders der
Lex Romana Wisigothorum f§ 25, I), der Collatio (§ 24, 15)
und der Consultatio (§ 24,18); auch in den Fragmenta
Vaticana (§ 24, 14) und in der Lex Romana Burgundionum
(§ 25, my')
III. Der Codex Theodosianus'^j ist ein Gesetzbuch
von Kaiser Theodosius II. Dieser hatte die x\bsicht,
nach dem Vorbilde des C. Gr. und C. H. eine amtliche
Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen von Konstantin an
zu veranstalten. Dabei sollte auch dasjenige Aufnahme finden,
was nur noch von geschichtlichem Interesse wäre, durch
chronologische Anordnung der Konstitutionen aber deutlich
gemacht werden, wie die jüngeren den älteren vorgehen.
Dann sollte aus dem so entstandenen und den beiden
älteren Codices und aus den Juristenschriften ein fernerer
auf das praktisch Geltende gerichteter Codex zusammengestellt
werden. Hierzu bestimmte der Kaiser eine Kommission
von acht aktiven und inaktiven Staatsbeamten und einem
Advokaten mit dem Rechte der Kooptation.''') Der Plan ist
in diesem Umfange gescheitert, im Jahre 435 aber eine neue
Kommission aus 16 Staatsbeamten lediglich zur Abfassung des
Konstitutionencodex berufen.^^) Sie hatte die Instruktion, die
Konstitutionen nach Materien in Titel und innerhalb derselben
chronologisch zu ordnen, zu diesem Zwecke die einzelne
Konstitution wo nötig zu zerteilen, um jedes Stück in dem
sechs occidentalische) aus den Jahren 364 und 365 sein, welche Consult. 9,
1 — 7 aus dem C. H. anführt. Die Datierung des C. H. zwischen 314 und
324 (Mommsen Hermes XVII S. 532, Krüger S. 281 f.), der auch ich
mich früher angeschlossen habe (Kritische Vierteljahresschr. XXXII (1890)
S. 28), kann ich nach Obigem nicht mehr für richtig halten. Wenn die Kon-
stitutionen des C. J., welche den Namen des Licinius tragen, wirklich aus
dem C. H. stammen, so können auch sie zu dessen Nachträgen gehören.
lö) Die Ausgabe von Haenel, Codices Gregorianus, Hermogenianus,
Theodosianus (Bonn 1842) ist überholt durch die von Krüger. Collectio III
p. 221 sqq.
16) Mommsen, Das theodosische Gesetzbuch, Zeitschr. der Sav. -Stift.
XXI (1900) S. 149 fr. S. 885 f.
1-) C. Th. I, 1, 5 a. 429. i'') C. Th. 1, 1, 6.
— 81 —
geeigneten Titel unterzubringen, nur dasjenige aufzunehmen,
was den Charakter des Rechtssatzes hätte, also wegzulassen,
was nur auf den Spezialfall sich bezöge, auch sonst Weg-
lassungen, Zusätze, Veränderungen in den Texten nach Er-
messen vorzunehmen.
Aus der Arbeit dieser Kommission, von deren ernannten
Mitgliedern aber, wie es scheint, nur acht wirklich in Tätigkeit
getreten sind,^**) entstand der nach kaiserUchem Befehl so be-
nannte Codex Theodosianus. Er wurde im Orient publiziert
am 15. Febr. 438 mit Gesetzeskraft vom i. Jan. 439. Diejenigen
Konstitutionen seit Konstantin, welche er nicht enthielt, wurden
fast sämtlich außer Kraft gesetzt.^") Valentinian III. hieß das
Werk gut und ließ es im Westreich publizieren. Wir haben
noch das interessante Protokoll der Senats.sitzung, in welcher
der Präfectus Prätorio Anicius Acilius Glabrio den Codex vor-
legte. Die Herausgabe von Exemplaren desselben wurde
den Constitutionarü ausschließlich übertragen (vergl. ob. § 13,
III, 6}^) Der Codex zerfiel in 16, in Titel mit Rubriken ge-
teilte Bücher. Von den Veränderungen, zu denen die Kom-
mission ermächtigt war, hat sie reichlich Gebrauch gemacht. Die
chronologische Reihenfolge hat sie zum Teil gewaltsam hergestellt,
indem sie Konstitutionen, die ihr undatiert oder mit mangel-
haften Daten vorlagen, mit fiktiven Daten versah. ^^) Zudem
haben die s. g. Inskriptionen, die Angaben der Urheber und
Adressaten der Konstitutionen, und die s. g. Subskriptionen,
die Datierungen, starke Verderbnisse in den Handschriften
erlitten.
Wir haben vom C. Th. nur lückenhafte Handschriften,
die aber vielfache Ergänzungen finden durch die Benutzung
desselben in späteren Werken, vor allem der Lex Romana
Wisigothorum f§ 25, l).-^)
19) Denn nur acht erhalten in nov. Theod. I den kaiserlichen Dank für
ih^e Mitwirkung. 20) Nov. Theod. I, 6.
21) Eine Konstitution Valentinians III. bestätigte ihnen dies Recht im
J. 448. Diese wie das .Senatsprotokoll setzten sie den Exemplaren des
C. Th. voran.
22) Seeck, Zeitschr. der Sav.-Stifi. X (1889) S. 1 ff.
23) Die Ausgabe der drei Codices von Hänel (üb. Anm. 15) ist für den
Kipp, Quellen des röm. Recht«. 6
— 82 —
IV. Die s. g. posttheodosianischen Novellen sind eine
Sammlung nach Erlaß des Codex Theodosianus ergangener Kon-
stitutionen (novellae legcs). Es entspricht dem allgemeinen
Übergewicht des östlichen Reiches über das westliche, daß
von dem in Aussicht genommenen ^Austausch der in beiden
Reichshälften ergangenen Konstitutionen (ob. § 13, II) nur ein-
seitig Gebrauch gemacht ist, durch Übersendung östlicher
Konstitutionen an den westlichen Hof und Acceptation durch
diesen. Die Übersendung westlicher Gesetze an das Ostreich
ist nicht erweislich und unwahrscheinlich deswegen, weil der
Codex Justinianus nachtheodosianische westliche Konstitutio-
nen nicht kennt. Im Westreiche entstand eine Sammlung occi-
dentalischer und orientalischer, dem Westreich übersandter
und von ihm acceptierter Novellen.^*] Von dieser Sammlung
gibt die Lex Romana Wisigothorum einen Auszug, der in
einzelnen ihrer Handschriften aus der uns verlorenen Origi-
nalsammlung ergänzt ist.^°)
V. Die s. g. sirmodinischen Konstitutionen sind eine
von Jacobus Sirmondus 1631 zuerst vollständig herausge-
gebene, wahrscheinlich in Gallien bald nach 425 veranstaltete
Sammlung von (18) Konstitutionen meist kirchenrechtlichen
und sehr kirchenfreundlichen Inhalts aus den J. 331 bis 425.^^)
VI. Von Inschriften und Urkunden nennen wir:
I. Edictmn Augusti de aqiiaeductu Venafrano. Enthält
Vorschriften über die \on Augustus in Venafrum (im Samni-
Theodosianus noch die neueste und beste; diejenige von Jacobus Gotho-
fredus (1587 — 1652), erst nach seinem Tode von Marvillius herausgegeben,
zuletzt mit Zusätzen von Ritter (Leipzig 1736 — 174ij ist wegen der mit
staunenswerter Gelehrsamkeit geschriebenen Kommentare und Anhänge noch
immer unentbehrlich. Eine neue Ausgabe von Mommsen steht bevor.
24) Wir kennen daraus Gesetze von Theodosius II., übersandt an Va-
lentinian III. im Jahre 447 durch nov. Theod. 2, publiziert von Valentinian
im Jahre 448 durch nov. Val. 25, 1, einige Gesetze Marcians aus den Jahren
450 — 455, eins von Leo, welches Anthemius als das seinige im J. 468 publi-
zierte (nov. Anthem. 3, 1 vgl. 2, 1) und eine Reihe von Gesetzen der west-
lichen Kaiser Valentinian III., Majorian, Severus, Anthemius.
26) Ausgabe; Haenel, novellae constitutiones impcriitorum Theodosii II
cet. (Bonn 1844), hinter der Ausgabe der drei Codices.
26) Ausgabe: Haenel hinter der eben bezeichneten Novellcnausgabe.
— 83 —
tischen) gestiftete Wasserleitung, den leges dictae f§ 9) nahe-
stehend. Die Magistrate und Decurionen werden ermächtigt,
weitere Vorschriften zu erlassen ijeges dicere). — Berührt
werden cautio damni infecti und Recuperatorengerichte. Er-
halten auf Marmor in Venafro.-^)
2. Ein Edikt von Claudius von 46 n. Chr., welches die
Entscheidungen eines kaiserlichen Kommissars über fiskalische
Grundstücke gut heißt und zu deren Verkündigung ermäch-
tigt, ferner den Anaunern, Tulliassern und Sindunern (bei
Trient) das Bürgerrecht (in Berücksichtigung ihres langen Be-
sitzes desselben!) bestätigt. — Berührt wird das Institut der
Richterdecurien. Gefunden 1869 bei Trient auf einer Bronze-
tafel.2^)
3. Ein Edikt eines der ersten Kaiser über das Appel-
lationsverfahren. Auf Papyrus.^")
4. Zwei auf Bronze erhaltene Reskripte von Vespasian
an Magistrate und Decurionen der Vanaciner (Corsica) und
der Saborenser (Spanien) in städtischen Angelegenheiten.^^)
5. Ein auf Bronze erhaltenes Schreiben Domitians vom
J. 82 an quattiwrviri und Decurionen der Falerienser (Picenumj,
durch welches ihnen ein von dem Kaiser verkündetes Dekret
in einem Streite zwischen den Faleriensern und Firmanern
zugefertigt wird.^^j
6. Ein Reskript Hadrians an den Präfectus Ägypti Q.
Rammius Martialis, durch welches der Kaiser die bisherige
Erbunfähigkeit der von Soldaten während der Dienstzeit
gezeugten Kinder ihren Vätern gegenüber in so weit mildert,
daß ihnen die bonorum possessio iinde proximi cognaii zu-
stehen soll. Das Reskript war in griechischer Übersetzung
angeschlagen in den Winterlagern von zwei Legionen. Er-
27) Bruns I p. 238 sqq. 28) Bruns I p. 240 sq.
29) B. G. U. II, Nr. 628. Mitteis Hermes XXXII (1897) S. 629 ff.
Scialoja Bulletino dell' istituto di dir. Rom. IX (1896) p. 180 sq. Auf der
Rückseite des Papyrus steht ein Edikt von Augustus als Triumvir, betreffend
Veterarienprivilegien.
30) Bruns I p. 241 sq. »i) Bruns I p. 242 sq.
6*
— 84 —
halten auf einem ägyptischen Papyrus in Berlin, zuerst 1892
veröffentlicht.^-)
7. Ein inschriftlich erhaltenes Reskript Hadrians, nach
welchem dem Vorsteher der epicurischen Schule zu Athen
auch für den Fall, daß er römischer Bürger ist, gestattet ist,
über seine Würde und was damit zusammenhängt nach
griechischem Rechte zu testieren und auch einen Peregrinen
zu seinem Nachfolger einzusetzen.'^^)
8. Ein Reskript des Antoninus Pius v. J. 139 n. Chr. er-
laubt Abschrift von einem Dekret Hadrians zu nehmen
Marmorinschrift in Smyrna.^"^)
9. Ein Reskript des Commodus an einen Vertreter der
Bewohner des saltus Burunitanus, eines im kaiserlichen Eigen-
tum stehenden Bezirks in Afrika, betreffend die von ihnen zu
leistenden Frohnden, nebst einem Stück der entsprechenden
Bittschrift und einem zugehörigen Schreiben des kaiserlichen
Prokurators jenes Bezirks, daselbst auf Stein gefunden, zuerst
1880 herausgegeben.^^)
10. Ein Reskript von Severus und Caracalla v. J.
201 n. Chr. an einen Heraclitus, Freiheiten der Tyraner (Beß-
arabien) bestätigend, inseriert einem zweiten an Ovinius Ter-
tuUus, Präses von Untermösien, der das Ganze mittels eines
griechischen Schreibens den Tyranern übersendet. Diese ver-
öffentlichten es auf einem Marmor, der (am Anfang unvoll-
ständig) am Dnjestr 1847 gefunden wurde.^'^)
11. Ein Reskript Gordians v. J. 238 an den Soldaten
Pyrrus als Vertreter der Skaptoparener (Thrakien) verweist
nur wegen Beschwerden an den Präses Provinciae, ist aber
wegen der Formalien sehr wichtig (vgl. ob. § 12 zu Anm. 48).
Erhalten auf einem erst nach seiner Entdeckung stark zer-
störten Marmor in Bulgarien, zuerst 1890 veröffentlicht.^')
32) Bruns I p. 381 sq. Dazu Wilcken Hermes XXXVIII (1902)
S. 74 flf., der Urheber und Empfänger richtig stellt.
33) Kovfiat/oi'Srjg kfrifiBi)ii äoyaioXoyiy.rj 1890 p. 142 — 155.
31) C. J. L. III No. 411. Haenel, Corpus legum p. 102.
35) Bruns I p. 244 sqq. 36) Bruns 1 p. 246 sqq.
37) Bruns I p. 248 sq. Mommsen Zeitschr. d. Sav.-Stifi. XII (1892)
S. 244 ff. XXII (1901) S. 142 ff.
12. Diocletians Edikt de p?rtus verum venaliuni v. J.
301 n. Chr., eine bei Todesstrafe eingeschärfte Preistaxe für
viele Waren und Arbeiten, unvollständig erhalten in einer
Anzahl von Inschriften teils im Original, teils in griechischer
Übersetzung an verschiedenen Orten des östlichen Reiches.^*^)
13. Ein Reskript (unbekannt welcher Kaiser) an Lepidus,
wohl Präses von Pisidien, die Einführung der Decurionats-
Verfassung in Tymandus in Pisidien betreffend, interessanter
Beleg für das allmähliche Vordringen dieser Verfassung. Neuer-
dings in Pisidien gefundene Steininschrift.^^)
14. Ein Reskript auf Papyrus, prozessualen Inhalts, wahr-
scheinlich von Diocletian.^")
11;. Ein Edikt Constantins vom i. Jan. 314 über die
Ankläger ist erhalten durch drei einander ergänzende Stein-
inschriften, von denen eine, altbekannt, nur noch in Abschriften
vorhanden ist, während die beiden anderen erst kürzlich ge-
funden wurden.*^)
16. Ein Reskript Constantins und seiner Söhne an den
Präfectus Prätorio Ablavius (zwischen 323 und 326), der Ge-
meinde Orcistus in Phrygien das Stadtrecht erneuernd, mittels
Schreibens des Ablavius den Orcistenern mitgeteilt. Der
Schluß dieses Schreibens, das kaiserliche Reskript und der
Anfang der Bittschrift der Orcistener sind erhalten auf Stein
bei Orcistus. Ebenda steht ein zweites, an das erste an-
knüpfendes Reskript von Constantin und Constantius v.J. 331
n. Chr. an die Decurionen (ordo) von Orcistus.*^)
17. Eine Konstitution Julians de pe daneis indicibus (C.
J. III, 3 5 [C. Th. I, 16, 8]) V. J. 362 n. Chr., steht vollstän-
diger auf einem Stein, der 1841 auf der Insel Amorgos ge-
funden wurde. *^j
38) C. I. L. III p. 801 sqq. 1055 bis 1058. 1909 sqq. AuchHaenel,
Corp. leg. p. 175 sqq. Neuere Funde und Literatur s. Kalb, Jahresber. f.
Altertumswissenschaft LXXXIX (1896 II) S. 220 f. und CIX (1901 II) S. 31.
39) Bruns I p. 156 sq.
<0) Mommsen Zeitschr. d. Sav. -Stift. XXII (1901) S. 195 ft". Graden-
witz das. XXIII (1902) S. 356 ff.
*i) Bruns I p. 249 sq. Vgl. auch C. Th. IX, 5, 1. C. J. IX, 8, 3.
*2) Bruns I p. 157 sqq.
*3) C. I. L. III No. 459. Haenel, Corp. leg. p. 212.
— 86 —
i8. Reste von zwei Originalausfertigungen lateinischer
Prozeßreskripte, wohl des 5. Jahrhunderts, ergangen auf
preccs der Partei, aber gerichtet an den zur Entscheidung der
Sache berufenen Beamten, auf Papyrusblättern in Oberägypten
gefunden.*^)
19. Ein Reskript von Justinus und Justinian v. J. 527
zum Schutze des Oratorium Sancti apostoli JoJiaiinis gegen
militärische Übergriffe.*'^)
§ 15.
7. Erlasse der Präfecti Prätorio. Sonstige
Beamtenerlasse.
Die Sitte der Amtsprogramme der Beamten republi-
kanischen Stils ist von den neuen kaiserlichen Beamten nicht
übernommen. Das Recht zum Erlaß allgemeiner Vorschriften
in ihrem Ressort hat aber den höheren unter ihnen nicht ge-
fehlt. Daß diese Verordnungen in ihrer Geltung auf die Amts-
dauer ihrer Urheber beschränkt waren, ist nicht anzunehmen.
I. Vor allem die Präfecti Prätorio haben Verordnungs-
recht mit der Maßgabe, daß ihre Verordnungen Gesetzen und
Konstitutionen nicht zuwiderlaufen dürfen. So bestätigte es
ihnen Alexander Severus im J. 230. ^) Ihre Verordnungen sind
zum Teil Erläuterungs- und Ausführungsvorschriften zu gleich-
zeitig von ihnen publizierten kaiserlichen Edikten,'^) zum Teil
selbständig. Sie sind teils Edikte an die ITntertanen, teils
Erlasse an untergebene Beamte. '^] Die Überlieferung ist zer-
**) Mommscn, Bekkers und Mulhers Jahrbuch des gemeinen Rechts,
(1863) IV S. 398 ff., Hacnel, Corp. leg. p. 281.
*6) Diehl Bulletin de corr. hellenique XVII (1898) p. 501 suiv. Scia-
loja Bulletino dell'istitut. di dir. Ro. IX (1896) p. 136 sq.
') C. J. I, 26, 2. Formam a praefecto praetorio datam, si generalis si«,
minime legibus vcl constitutionibus contrariam, si nihil postea ex auctoritate
mea innovatum est, servari aequum est.
'') So diejenigen bei Ilaenel. Corp. leg. p. 247. 249. 200 aus den Jahren
431, 448, 473.
^^ So nov. Just. 166 an den Consularis von Lydien.
— 87 —
streut. Einige Erlasse von Präfecti Prätorio sind in die
griechische Sammlung der Novellen Justinians aufgenommen
(166—168).
II. Auch von andern Beamten sind allgemeine Verord-
nungen überliefert, so inschriftlich an einer Tempelmauer in
Oberägypten zwei Edikte von Präfecti i\gypti von 49 und 68
n. Chr., beide an den Strategen der Oase von Theben zum
Zwecke der Publikation gesandt und von ihm in Ausführung
dieses Auftrages an untergeordnete Behörden weitergegeben. •*)
Ebenfalls inschriftlich besitzen w4r eine Rang- und Sportel-
ordnung, die der Konsularis von Numidien unter Kaiser Julian
für sein Unterpersonal erließ, ^) auch zwei Edikte des Turcius
Apronianus, Präfectus Urbi von Rom, über den Verkehr mit
Schlachtvieh und die den suarii zukommenden Leistungen, ^)
im wesentlichen bestätigt durch einen Erlaß Valentinians I.
an den Amtsnachfolger des Apronianus. ')
*) Corpus inscription. Graecar. III. No. 4956. 4957. Haenel, Corp. leg.
p, 268 sqq. Aus dem zweitgenannten sind die privatrechtlich wichtigen Be-
stimmungen über Exekution privater und öffentlicher Forderungen aufgenommen
bei Bruns I p. 234 sqq.
5) Bruns I p. 257 sq. Pernice Zeitschr. der Sav.-Stift. VII 2 (1886)
S. 113 ff.
«) Corp. inscr. Lat. VI, 1, 1770. 1771. Haenel, Corp. leg. p. 221.
') C. Th. XIV, 4, 4 a. 867.
Viertes Kapitel.
Die Rechtswissenschaft.
§ 16.
I. Die republikanische Rechtswissenschaft.
Die Geschichte der Quellen des römischen Rechts hat
die römische Rechtswissenschaft nach zwei Gesichtspunkten
zu würdigen — nach ihrer Bedeutung für die Fortbildung und
nach derjenigen für Darstellung und Überlieferung des römi-
schen Rechts.
I. Daß die Jurisprudenz ursprünglich in dem Pontifikal-
kollegium gepflegt wurde, ist eine sichere Tatsache, ^) wenn
sie aucli durch den Zusammenhang des sakralen mit dem
bürgerlichen Recht und durch den Einfluß der Pontifices auf
das im Gerichtsverfahren bedeutsame Kalenderwesen nicht
hinlänglich erklärt werden mag, und wenn auch die Nachricht
des Pomponius, der von den Pontifices sagt : ex quibus con-
siiUiebatiir quis qiwqiw anno prae esset privatis -) nur unsicher
dahin gedeutet werden kann, daß die Pontifices jährlich einen
der Ihrigen zur Erteilung von Rechtsgutachten an Private
delegiert haben. Eine von dem Pontifikalkollegium unabhängige
Jurisprudenz begann seit ungefähr 300 v. Chr. sich zu cnt-
') Liv. IX, 46; [Cin. Kkivius) civile ius, re[)Osituni in penctralibus pontificum,
evulgavit. Valer. Max. 11, 5, 2 : Ius civile per multa saecula inter sacra
caerimoniasque dcorum immortalium abditum solisque pontificiljus notum Gn.
Flavius .... vulgavit. Pomp. D. I, 2, 2, 6: omnium tarnen harum et inter-
prctandi scientia et actioncs apud collegium pontificum orant, ex quibus
constituebatur quis quoquo anno praeesset privatis.
') Pomp. 1. c. (vorige Anm.).
— 89 —
wickeln. Um diese Zeit veröffentlichte Gn. Flavius eine
Sammlung der legis actiones, d. h. der Spruchformeln, welche
in genauer Anlehnung an das Gesetz im Prozeß gebraucht
werden mußten (ius civile Flaviamun). ^) Nach Pomponius ^)
war das Buch von App. Claudius Caecus, dem grossen Refor-
mator (Censor a. 312) verfasst und diesem von Flavius gestohlen,
App. Claudius soll auch ein Buch de usurpationibiis d. h. von
Ersitzungen und ihren Unterbrechungen geschrieben haben, '^j
Von Ti. Coruncanius, dem ersten plebejischen Pontifex Maxi-
mus (a. 253 V. Chr.) haben wir eine Nachricht, ^) die wahr-
scheinlichbedeutet, ') daß er als der erste seine Rechtsgutachteu
öffentlich unter Zulassung von Schülern erteilte und mit ihnen
die Fälle besprach — in dieser Form also öffentlichen Rechts-
unterricht erteilte. Schriften von ihm waren auf Pomponius
Zeit nicht gekommen; aber man wußte, daß er eine ganze
Anzahl bemerkenswerter Responsen erteilt hatte. ^) Sex.
Aelius Paetus Catus (Konsul a. 198 v. Chr.) schrieb ein Werk:
Tnpertita, auch genannt ius Aelianiiin^) das nach Pomponius zu
dessen Zeit es noch vorlag, vehiti cunahiila iuris enthielt. Es
verband das Gesetz der XII Tafeln mit der iiiterpi-etatio der
Juristen und den legis actiones}^) Seit dieser Zeit werden
"-) Pomp. I). I, 2, 2, 7. Liv. 1. c. (Anm. 1). Val. Max. 1. c. (Anra. 1).
*) D. I, 2, 2, 7.
^) Pomp. D. I, 2, 2, 86.
^) Pomp. D. I, 2, 2, 35: ex omnibus qui scientiam nancti sunt ante
Ti. Coruncanium publice professum neminem traditur. 88; Ti. Coruncanius . . .
qui primus profiteri coepit.
') Man beachte den Gegensatz. Von anderen sagt Pomponius 1. c, sie
hätten das ius civile geheim halten oder wenigstens nur Ratfragendcu, nicht
Schülern zur Verfügung stehen wollen.
») Pomp. D. I, 2, 2, 38.
"j Oder ist das ius Aelianum bei Pomp. D. I, 2, 2, 7 ein anderes Werk
desselben Verfassers als die Tripertita in § 38 daselbst, eine selbständige
Aktionensammlung? Dafür Jörs S. 103 ff. Dagegen Kariowa 1 S. 476,
Lenel, Das Sabinussystem, Festg. f. Jhering (Straßburg 1892) S. 9 Anm. 2,
Bremer, Jurispr. Ante-Hadr. I p. 15.
"•) Streitig ist, wie man sich die Anordnung des Werkes zu
denken hat. Nach der einen Auffassung stellte das Werk die ganzen
XII Tafeln voran, ließ dann im zweiten Teile die interpretatio, im
dritten die legis actiones folgen. So Krüger S. 54, Jörs S. 105 ff., die aber
— 90 —
zahlreiche berühmte Juristen genannt, von denen hervorzu-
heben sind:
1. Die beiden Cato, Vater (geb. 234, gest. 149 v. Chr.)
und Sohn (gest. 152 v. Chr.). Der Sohn soll viele Bücher
hinterlassen haben. ^'j
2. M.' Manilius (Kons. 149), P. Mucius Scävola (Kons.
133) und M. Junius Brutus, ihr Zeitgenosse, denen Pomponius
ein besonderes Verdienst um die Begründung der Rechts-
wissenschaft beimißt: fnndavenint ius civile}'^) Von Manilius
rührten Verkaufsformulare her (Manilii actiones, Ma-
nilianae venalinni vendendoriim legesP) Auch schrieb er ein
Werk unter dem Titel momimcnta, in welchem unter anderem
angebliche Gesetze Numas gesammelt waren.^*)
3. P. Rutilius Rufus (Kons. 105), der bekannte im Jahre
92 V. Chr. mit Unrecht wegen Erpressungen verurteilte Ehren-
mann, beschäftigter Respondent, vielleicht Verfasser einer
Schrift de modo aedificiofiwi}^)
4. Q. Mucius Scävola (Kons. 95, im Jahre 82 auf Befehl
des Marianers Damasippus ermordet, schrieb einen libo- sin-
annehmen, daß in dem ersten Teile des Werkes schon eine gewisse Erläuterung
der XII Tafeln enthalten war, der zweite Teil nur die umbildende Interpretation
der Juristen enthielt. Hiergegen ist von Lenel, Sabinussystem S. 8 ff.
mit Recht eingewandt, daß eine Scheidung zwischen erläuternder und um-
bildender Interpretation in Wahrheit nicht möglich war. Lenel nimmt mit
Huschke Zeitschr. f. geschichtl. Rechtswissenschaft XV S. 179 ff. an, daß
Aelius jedem Satz der XII Tafeln die Erläuterung, einschließlich der umbildenden,
beifügte, dann die zugehörige legis actio folgen ließ, also nicht ein Werk
in drei Teilen, das Tripertitum heißen müßte, sondern dreiteilige Erörterungen,
tripertita vorlagen. Die letztere Ansicht halte auch ich für die, welche die größere
Wahrscheinlichkeit für sich hat; aber mit Sicherheit kann niemand in solchen
Dingen auftreten. Sicher wissen wir eigentlich nicht einmal, daß Tripertita
bei Pomponius Nominativ Pluralis ist; es kann auch Femininum sein. Daß
das Buch noch vorhanden sei, sagt Pomponius bestimmt (extat liber). Will
man es also nicht glauben, so muß man (mit Sanio Varroniana Leipzig 1S67
S. 164) annehmen, daß Pomponius die Notiz einem Älteren gedankenlos
nachschrieb.
") Pomp. D. I, 2, 2, 38. •«) Pomp. D. I, 2, 2, 39.
'3) Varro de re rustica II, ö, 11. Cic. de Orat. I, 58, 246.
'*) Hirschfeld in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie phil.-
hist. Kl. 1903, I S. 2 ff.
'■■*) Cic. Brut. 30, 113. Suet. Aug, 8. 9.
— 91 —
gularis ^oooiv i. e. deftnitiomini und i8 libri iuris civilis, das
erste große System des ius civile, bis späthin von großem
Einfluß.^®) Pomponius sagt, daß er zuerst das ins civile nach
genera geordnet hat. Er nahm z. B. fünf genera tutclae an.^")
5. C Aquilius Gallus, Schüler des vorigen (Prätor G^\,
lebte und schrieb eine Zeitlang in Cercina. Maxiniae micto-
ritatis apud popidum (Pomponius), vir magnae auctoritatis et
scientia iuris excellens (Valerius Maximus). ^^)
6. Servius Sulpicius Rufus (Kons. 51, gest. 43) trat
zuerst als Gerichtsredner auf, eine Tätigkeit, bei der, wie man
an Cicero sieht, eine vollständige juristische Durchbildung nicht
gefordert wurde. Als nun aber Servius einst bei Q. Mucius
für seinen Klienten Rechtsrat einholte und die Antwort des
Q. Mucius wiederholt nicht verstand, fuhr ihn Q. Mucius an:
turpe esse patricio et nobili et causas oraiiti ius in quo versa-
retur ignorare. Dies nahm sich Ser\'ius zu Herzen und stu-
dierte eifrig- die Rechtswissenschaft, in der er es zu großem
Ruhme brachte. Sein Hauptlehrer war Aquilius Gallus. '^j
Servius soll an die 180 libri geschrieben haben, darunter:
reprehensa Scaevolae capita (notata Mucii)^^) de dotibus^^)
auch den ersten Kommentar zum prätorischen Edikt (ad Brutum)
in zwei sehr kurzen Büchern.^^)
7. A. Ofilius, Schüler des vorigen, Freund Cäsars, ob-
wohl er im Ritterstande verblieb, schrieb zahlreiche Bücher
über ius civile, welche für alle Teile desselben grundlegend
waren. Auch verfaßte er den ersten ausführlichen Kom-
mentar zum prätorischen Edikt. Er wirkte noch unter Au-
gustus; denn er schrieb über die von diesem eingeführte Erb-
schaftssteuer. Pomponius nennt ihn gelehrter als Cascellius (lOj
und Trebatius {\\)?^)
>8) Pomp. D. I, 2, 2, 41. 1') Gai. I, 188.
^8) Pomp. D. I, 2, 2, 42. 43. Cic. pr. Caec. 27. 77. 78. Valer. Max.
VIII, 2, 2. Kubier, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XIV (1893) S. 75 ff.
'9) Pomp. D. I, 2, 2, 42. 43. 44. Gell. II, 10, 1. — Cic. Brut. 41,
152 sqq. stellt ihn über Q. Mucius.
•^0) Gell. IV, 1, 20. Paul. D. XVII, 2, 30. ^i) Nerat. 1). XII, 4, 8.
2-^) Pomp. D. I, 2, 2, 44 i. f. Ulp. D. XIV, 3, 5, 1.
23) Pomp. D. I, 2, 2, 44. 45.
— 92 -
8. P. Alfenus Varus (Kons. 39) schrieb in Anlehnung
an seinen Lehrer Servius Sulpicius 40 Bücher digesta?^)
9. Aufidius Namusa ordnete die Schriften von acht
Schülern des Servius Sulpicius (Sei-vn auditores) in 140
Bücher.^"*)
10. A. Cascellius, vir iuris civilis scientia clanis (Vale-
rius Maximus), lebte noch unter Augustus, schrieb u. a. einen
liöer hene dictoruni'}^')
11. C. Trebatius Testa lebte ebenfalls noch unter Au-
gustus, der ihn als bedeutendste Autorität über die Anerken-
nung von Kodizillen zu Rate zog ; schrieb de civili iure und
de religionibusy' )
12. O. Aelius Tubero, Schüler des Ofilius, schrieb über
öffentliches und privates Recht, sehr gelehrte Werke, die aber
wegen affektiert altertümlichen Stils unangenehm gefunden
wurden.^^)
13. C Aelius Gallus, welcher de verhoruni, quae ad
ins pertinctit sigiiificatioue'^^ ) schrieb, war vielleicht nicht Jurist,
sondern Grammatiker.
2*) Pomp. D. I, 2, 2. 44. Nach Horat. satir. I, 3, 130 war Alfenus
von Haus aus Schuhmacher. Dazu sagt der Scholiast Porphyrio : Romam
petit magtstroque usus Sulpicio iuris consulto ad tantam pervenit scieniiam, ut
et consulatum gereret et publico funere efiferretur ; über Alfens Digesten, ins-
besondere auch über ihre späteren Bearbeitungen und die Gestalt, in der sie
den Verfassern der Justinianischen Digesten vorlagen, vgl. Karlovva I S. 485,
Krüger S. 64, Lenel Palingen. I col. 37 not. 1, Ferrini Bull, dell' istil.
di dir. Rom.: IV, p. 1 sq.
25) Pomp. D. I, 2, 2, 44.
2") Pomp. D. I, 2, 2, 44. Valer. Max. VI, 2, 12. Andere Schriften
von Cascellius als den liber bene dictorum hatte man zur Zeit des Pomponius
nicht mehr. Pomponius erklärt den Cascellius für minder gelehrt, als Tre-
batius, aber für beredter als jenen.
2') Pomp. D. I, 2, 2, 45. Seine Würdigung des Trebatius im Vergleich
zu Cascellius s. vorige Anmerkung. — J. H, 25 pr. Ciceros Topica sind
dem Trebatius gewidmet, auch Cic. ad fam. VII, 6 — 22 sind an Trebatius
gerichtet, aus den Jahren 54 bis 44 v. Chr. (Nr. 22 nicht datierbar). Horaz
schrieb an ihn satir. II, 15. Ein Scholion des Porphyrio dazu nennt die im
Text bezeichneten beiden Werke des Trebatius.
■^0) Pomp. D. I, 2, 2, 4(j. Gell. XIV, 2, 20.
-") D. L, 16, 157 ist aus jener Schrift entnommen.
— 93 —
II. Die römischen Juristen, welche die Jurisprudenz nicht
als ausschließlichen Lebensberuf, sondern neben staatsmän-
nischer oder anderer öffentlicher Tätigkeit betrieben, waren
Schriftsteller, Lehrer und rechtliche Berater ihres Volkes zu-
gleich : doimis hn-is coimdti totms oraadum civitatis?^^ In der
letzteren Beziehung tritt hervor das respondere, das Erteilen
von Rechtsgutachten über die von Interessenten vorgelegten
Fragen, das cavere, die Beihilfe zur korrekten Abfassung von
Rechtsgeschäften und das Entwerfen von Formularen dafür,
und das agere, wahrscheinlich das Entwerfen von gericht-
lichen Spruchformeln {legis actiones), welche der Jurist der
Partei vor Gericht vorspricht oder ihr schriftlich mitgibt.^^)
Ihre Gutachten erteilten die Juristen mittels Briefs an die
Richter oder mündlich der Partei, die darüber ein Zeugen-
protokoll aufnahm.^-) Sie haben, wie ob. S. 7 bemerkt, bei
Auslegung der bestehenden Rechtssätze prinzipiell nicht das
Ziel verfolgt, den ursprünglichen Sinn des Rechtssatzes zu
treffen, sondern ihn so auszulegen, wie er ihrer Ansicht nach
verstanden werden mußte, um gerecht zu sein, der aequitas
zu entsprechen. Sie haben also in Fällen, wo modernere Ge-
rechtigkeitsüberzeugung den Sinn eines älteren Rechtssatzes
überholt hatte, sich nirgends gescheut, in ihn diese neuere
Überzeugung hineinzuinterpretieren; ihre interpretatio ist
fortbildend.
Die in einem Gutachten, oder einer literarischen Arbeit
ausgesprochene Rechtsansicht eines Juristen hat nur das Ge-
wicht, welches ihre innere Begründung oder das äußere An-
sehen ihres Urhebers ihr verleihen; ebenso, wie die von einem
Juristen entworfene Geschäfts- oder Aktionsformel erst die
Probe zu bestehen hat, ob sie Anerkennung findet. Die über-
einstimmende Ansicht der zeitgenössischen Juristen (iuris pen-
toj'um auctoritas, prudentimn interpretatio u. ä.) aber ist von
dem römischen Volke als ausreichend angesehen, um ihrem
Inhalt den Charakter des Rechtssatzes und zwar des ins civile
30) Cic. de orat. I, 45, 200.
31) Cic. de orat. I, 48, 212, pro Mur. 9, 22. Jörs S. 82.
32) Pomp. D. I, 2, 2, 49.
— 94 —
aufzuprägen, ja es hieß ins civile im engsten Sinne gerade
dies Juristenrecht. ^^) Solche Rechtsbildung durch die Juristen
ist einer der wesentlichsten Hebel zum Fortschritte des
römischen Rechts in seinen verschiedensten Zweigen gewesen,
Sie läßt sich aber von der Fortbildung des Rechts durch die
Verkehrsgewohnheit und die gerichtliche Praxis, durch die
Edikte und nachmals die kaiserlichen Konstitutionen nicht
rein abscheiden, weil eben bei allem diesem die Juristen und
ihre Lehren die Hand mit im Spiele hatten.^*)
^^') Cic. Top. 5, 28 ius civile . . . quod in legibus, senatus consultis, rebus
iudicatis, iuris perilorum auctoritate, edictis magistratuum, more, aequitate
consistat. Pomp. D. I. 2, 2, 5 sagt von dem Juristenrecht, daß es keinen
eigenen Namen führe, wie die anderen Zweige der Rechtsordnung: propria
parte (appellationer) non appellatur ut ceterae partes iuris suis nominibus
designantur datis propriis nominibus ceteris partibus [datis . . . partibus delen-
dumf\ sed comrauni nomine appellatur ius civile. Im § 12 spricht Pomponius
vom proprium ius civile, quod sine scripto in sola prudentium interpretatione
consistit. Das heißt also, daß es ein ius civile im weiteren und im engeren
Sinne gibt. Gesetze und andere Dinge, die dazu gehören, haben ihre spe-
ziellen Namen und nehmen außerdem an der gemeinsamen Bezeichnung als
ius civile teil, dagegen hat das Juristenrecht keinen besonderen Namen, sondern
ist auf den allgemeinen Namen ius civile angewiesen, der dann auch im
engeren Sinne gerade das Juristenrecht allein trifft. Das scharfsinnige und
gründliche Buch von Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen I
(Berlin 1902) geht m. E. darin entschieden zu weit, daß es den Ausdruck ius
civile ausschließlich für die Rechtstheorie, das in den Schriften der Juristen
anerkannte Gewohnheitsrecht und das von den Juristen geschaffene Juristen-
recht in Anspruch nimmt und behauptet, ius civile bedeute nie das positive
Gesetzesrecht (S. 47). Den Ausspruch Papinians D. I, 1, 7 pr. : Ius autem
civile est, quod ex legibus, plebisscitis, senatus consultis, decretis principum,
auctoritate prudentium venit, sucht Ehrlich als der Interpolation verdächtig
und als „gar so vereinzelt" beiseite zu schieben (S. 138 f.), während, wie
oben gezeigt, doch auch Pomponius einen gemeinsamen Namen ius civile
kennt, der sehr wohl auch das Gesetz umfassen kann. Übrigens gibt Ehrlich
zu, daß im Erbrecht, und vereinzelt mit Bezug auf die XII Tafeln auch
außerhalb des Erbrechts ius civile mit Einschluß des Gesetzesrechts gebraucht
wird (S. 131 ff.). Es fehlt aber an einer befriedigenden Erklärung dafür, warum
nur in diesen Grenzen das Gesetz als ius civile bezeichnet worden wäre. Die
Ungültigkeit der Schenkungen unter Ehegatten führt Ehrlich auf das ius
civile in seinem Sinne zurück (S. 44 ff.), und doch hat Alibrandi bewiesen,
daß sie auf einem Gesetz des Augustus beruht. S. \Vi ndscheid - K i pp III,
§ 509 Anmerk. 1.
8*) Vgl. ob. S. 20. 49. 60 f.
— 95 —
Manche Institute trugen den Namen der Juristen, die sie
zuerst zur Anerkennung gebracht haben, z. B. die 7'egula Ca-
toniana (I, i [Vater oder Sohn?],^^) formula Rtitiliana,^^) usii-
capio ex Rutiliana constitutione (I, 3 ?), ^^) caiitio Muciana
(I, 4),^^) stipulatio Aquiliana (I, 5),^^) iudicium Cascelliammi
(I, 10);**') doch ist dieses, wie 61t /orjnula Rutiliana auf die
Prätur, nicht auf die wissenschaftliche Tätigkeit ihrer Urheber
zurückzuführen.
III. Erhalten ist von den Schriften der republikanischen
Juristen nichts unmittelbar, wir kennen nur manches davon
aus Anführungen und Auszügen.
2. Die klassische Rechtswissenschaft.
§ 17.
Stellung- und Tätigkeit der klassischen Rechtswissen-
schaft im allgemeinen.
I. Bereits in den letzten Zeiten der Republik begann die
Rechtswissenschaft sich zu der Blüte zu erheben, die in den
ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit zur vollen Entfaltung ge-
langte. Bis etwa zur Mitte des dritten Jahrhunderts n. Chr.
reicht diese Zeit der klassischen Jurisprudenz. Der Einfluß
der Juristen auf das Rechtsleben erfuhr in der Kaiserzeit eine
wesentliche Steigerung durch die Einführung des ins res-
pondendi, g^mner publice respondendi iiis.^) Die Macht, welche
die Juristen durch die Erteilung von Rechtsgutachten über
die Bevölkerung hatten, mußte es dem Kaisertum wünschens-
wert erscheinen lassen, die Jurisprudenz zur Freundin zu haben
und sie zugleich in Abhängigkeit vom Kaiser zu bringen. Beides
wurde durch das Institut des ins respondendi erreicht. Es
haben nämlich schon unter Augustus bedeutende Juristen aus
35) Cels. D. XXXIV, 7, 1. 36) Gai. IV, 35. 37^ Fr. Vat. 1.
38) Ulp. D. XXXV, 1, 7 pr.
39) J. II, 29, 2. 40) Gai. VI, 166 a. 169.
1) Pomp. D. I, 2, 2, 48—50. Gai. I, 7. J. I, 2, 8.
— 96 —
dem Senatorenstande, seit Tiberius auch aus dem Ritterstande
(zuerst Sabinus, § 19, 5) von den Kaisern ein besonderes Recht, zu
respondieren, publice respondendi ms, verliehen erhalten. Die
so Privilegierten respondieren ex auctoj'itate principis,^) was
wenigstens annähernd richtig als Respondieren im Namen des
Kaisers wiedergegeben werden kann. Über die Kraft ihrer
förmlich erteilten Responsa geben die Quellen keine klare
Auskunft. Der Kaiser, der im Anfang noch nicht eigentlich
als Gesetzgeber auftritt, kann unmöglich dem einzelnen Juristen
die Befugnis erteilt haben, mit Gesetzeskraft zu respondieren,
und obwohl er der höchste Richter war, so kann man daraus
kaum ableiten, daß er den von ihm autorisierten Juristen auch
nur die Macht hätte beilegen können, durch ihre ausge-
sprochene Rechtsansicht den Richter in dem konkreten Falle
formell zu binden, in welchem das Responsum ergangen war.
Natürlich aber mußte ein im Namen des Kaisers auftretendes
Responsum in den Gerichten von ganz besonderem Ansehen
und wird von vornherein nicht leicht mißachtet sein. Daß
der Richter rechtlich verpflichtet war, es zu befolgen, voraus-
gesetzt natürlich, daß ihm nicht ein abweichendes Responsum
eines andern, gleich privilegierten Juristen vorgelegt wurde,
wird sich erst allmählich in der Praxis festgestellt haben.
Wäre die Grundlage des wichtigen Institutes eine klare ge-
wesen, so würde es auch in unserer Überlieferung nicht so
verschwommen auftreten, wie geschieht.
Man muß in der Einführung des ins respondendi einen
meisterhaften Zug des Augustus erkennen. Die Macht und
die Ehre der Jurisprudenz erhöhend, stellte er beide als
einen Abglanz der kaiserlichen Macht dar; der Jurist, welcher
solche Macht vom Kaiser zu Lehen empfing, schuldete ihm
Dank, und die Auswahl der Personen, denen man sie gab,
konnte zu^^leich politisch zu Gunsten des Kaisertums wirken
und, sachgemäß gehandhabt, eine wirkliche Hebung der Justiz
bedeuten, auf welche hinzuwirken die Kaiser sich vielfach
haben angelegen sein lassen. Die Verleihung ist zum Teil,
*) Pomp. U. 1, 2, 2, 49: primus divus Augustu?; ut niaior aucloritas
iuris babcn-Uir, constituit, ut ex auctoritate eius responden-nt.
— 97 —
aber gewiß nicht immer, auf Antrag des Privilegierten
erfolgt. ^)
Die nicht mit dem ins respondendi ausgestatteten Juristen
muiSten neben den dieses Privilegiums Teilhaftigen in eine
zweite Klasse zurücktreten. Jjiris considti war die offizielle
Bezeichnung der autorisierten Juristen,*) und man geht im all-
gemeinen wenigstens nicht fehl, wenn man annimmt, daß, wo
Juristen als Autoritäten mit den Ausdrücken pmdentcs, mris
auctores, auctoj'es u. ä. genannt werden, jetzt nur die Autorisierten
gemeint sind. Ausschließlich auf sie gehen jedenfalls Ausdrücke
wie iui'a constituentes, ^) ii qidbus permissum est iura condere ^)
und die späten Bezeichnungen leguni auctores, latores, conditores.
Natürlich aber mußten sich die privilegierten Juristen aus den
nicht privilegierten rekrutieren. Es ist auch den nicht Privi-
legierten das Respondieren keineswegs verboten, nur hatte ihr
Responsum mit dem eines Autorisierten nicht gleiche Kraft.
Die notwendige Form der prozessualisch gültigen, der
Partei erteilten Responsen scheint darin bestanden zu haben,
daß sie unter dem Siegel des Respondenten abgegeben wurden. '')
Wenn, wie man annehmen sollte, dies den Zweck hatte, das
Responsum erst vor dem Richter zu entsiegeln, so muß der
Partei, die der Kenntnis von seinem Inhalt nicht entraten
konnte, dieser auf anderem Wege, durch Abschrift oder
scripttira exterio)' auf derselben Urkunde (unt. § 33) mitgeteilt
sein. Die Angabe von Gründen war für die Gültigkeit des Re-
sponsums nicht erforderlich.^) Wenn Magistrat ^) oder Judex^^)
sich an einen Juristen um Auskunft wandten, so handelte es
") Das Reskript Hadrians an die viri praetorii bei Pomponius D. I, 2,
2, 49 kann für eine besonders höfliche Gewährung des erbetenen Privilegs,
aber auch für Zurückweisung des Antrags als eines unschicklichen genommen
werden; eher ist es das letztere.
*) J. I, 2, 8. Paul. D. XII, 1, 40.
s) Pomp. D. L, 16, 120. «) Gai. I, 7.
') Pomp. D. I, 2, 2, 49 sagt von der Zeit vor der Einführung des ius
respondendi: neque responsa utique signata dabant.
®) Seneca epistol. 94, 27.
9) Z. B. Ulp. D. IV, 4, 3, 1, D. XXIII, 4, 2.
10) Gell. XII, 13, 1—3.
Kipp, Quellen des röm. Rechts. 7
— 98 —
sich wohl immer um einen formell unverbindlichen Rechtsrat;")
denn der Prozeß hat kein Mittel, den Richter anzuhalten, von
einem von ihm eingeholten Gutachten den Parteien Mitteilung zu
machen und es zu befolgen. VV'enn der Beamte den Kaiser
konsultiert, so ist dies eine Amtshandlung, die er den Parteien
durch Interlokut ankündigt; die Einholung des Gutachtens eines
Juristen ist Privatsache. Auch wenn die Partei konsultierte,
haben die Juristen oft formlos und unverbindlich Rechts-
rat erteilt; denn es ist bei der Konsultation eines Juristen
nicht immer um eine unmittelbar prozessual verwertbare Ant-
wort zu tun.
Im Inhalt sind die Responsa den Rechtweisung erteilenden
kaiserlichen Reskripten durchaus ähnlich. Sie stellen entweder
nur abstrakte Rechtssätze hin oder geben zwar konkrete Ent-
scheidungen, diese aber nur unter der ausgesprochenen oder
stillschweigenden Bedingung der Richtigkeit und Vollständig-
keit des vorgetragenen Tatbestandes oder unter Hervorhebung
bestimmter zu bewahrheitender Bedingungen.^^) Auch haben
die Juristen (wie die Kaiser) nach Umständen den Fragesteller
einfach an den Richter verwiesen.'^)
Gesetzeskraft, d. h. verbindliche Kraft für andere Fälle
als den konkreten, zu dem es erging, hat das Responsum
nicht gehabt. Es lag aber in der Natur der Sache, daß man
die Frage, ob eine feste Meinung der Jurisprudenz vorläge,
der man jetzt wie früher den Wert des Rechtssatzes beimaß,^*)
jetzt nur nach den Ansichten der autorisierten Juristen be-
antwortete ^^) und diejenigen der nicht autorisierten als unter-
geordnet beiseite ließ. Wie es scheint, hat man aber früh
begonnen, in den Gerichten auch das einzelne Responsum
(urkundlich oder auf Grund literarischer Veröffentlichung), wie
U) Daher suadere bei Ulp. D. IV, 4, 3, 1. Jul. D. XL, '2, 5; freilich
kommt auch respondere vor. Ulp. D. XXIII, 4, 2.
12) Paul. D. III, 2, 21. Scacvol. D. VI, 1, 67. XXII, 1, 18 pr. XLII.
8, 21. XLVI, 8, 90.
13) NamenUich Scaevola: D. XXXIII, 1, 18, 1. XXXIV, 1. 15, 1. XXXIV,
3, 28, 2. XXXV, 2, 95, 2.
H) Pap. D. I, 1, 7.
15) Auctoritas iura coustitucntium hei I'omp. I». L, 16, 120 kann uur
auf die privilegierten Juristen gi-hen.
— 99 -
unsere höchstrichterlichen Erkenntnisse, für fernere Fälle, auf
die es paßte, zu Grunde zu legen, ohne genau zu prüfen, ob
es gemeiner Meinung der Juristen entspreche. Dies konnte
sich leicht auf die anderweit, nicht in Responsenform, ver-
öffentlichte Rechtsansicht des autorisierten Juristen übertragen,
und man konnte so dahin kommen, die einzelne Schriftstelle
eines autorisierten Juristen wie einen Gesetzestext zu citieren.
Das Reskript Hadrians, ^'') welches Gai. i, 7 anführt, läßt
sich am besten dahin erklären, daß bereits Hadrian einem
solchen Mißbrauch gegenüberstand und dagegen einschärfte,
daß die Ansichten und Meinungen der autorisierten Juristen
(die Gajus geradezu mit deren Responsen indentifiziert) nur
dann Gesetzeskraft haben, wenn alle übereinstimmen, wenn
also gemeine Meinung in dem alten Sinne vorHegt. In der
hadrianischen Zeit kann man sich jenen Mißbrauch aber nur
bei Geschworenen und niederen Behörden denken; bei den
höheren Gerichten, in welchen die hervorragenden Juristen
selbst saßen, ist nicht glaublich, daß sie geneigt gewesen
wären, dem einzelnen Ausspruch eines Fachgenossen blinde
Folge zu leisten. i\uch die gemeine Meinung der Juristen
war nichts Starres, sondern im beständigen Fortschritt be-
griffen und dem autorisierten Juristen selbst gegenüber unver-
bindlich, der den Widerspruch, der ihre Kraft brach, selbst
einzulegen im stände war. Mit dem Sinken der Jurisprudenz
im dritten Jahrhundert macht sich das Anführen einzelner
Stellen aus den klassischen Juristen, als wären es Gesetzestexte,
wieder geltend und wird selbst in kaiserlichen Konstitutionen
gebräuchlich.^^)
IL Die juristische Literatur dieser Zeit ist sehr vielseitig.
Ihre Hauptgruppen sind:
J«) Vgl. Eisele, Zeitschr. der Sav.-Stift. XI (1890) S. 199 ff.
1') Carus Carin. et Numer. C. J. VI, 42, 16. Diocl. C. J. V, 71, 14.
IX, 22, 11. IX, 41, 11. Bei Anführung von Responsen in einer Zeit, die
der Lebenszeit des Respondenten noch nahe steht (C. J. V, 4, 6 [Hadrian —
Paulus]. VI, 37, 12 [Alexander — Papinian]), hat man allerdings mit der Mög-
lichkeit zu rechnen, daß das Responsum in demselben konkreten Fall ergangen
ist, wie das Reskript. Sicher so: Gord. C. J. III, 42, 5: merito tibi a . . .
Modestino responsum est.
— 100 —
1. Lehrbücher für Anfänger: institittiones, enchiridia.
2. Bücher knapp gefaßter Rechtsregeln und Definitionen:
regulae. dcfinitioncs, sententiae, opiniones, teils für Unterricht,
teils für Praxis.
3. Sammlungen von responsa, wohl nur autorisierter
Juristen, epistolae, teils Responsa, teils sonstige Rechtsbeleh-
rungen, namentlich auch an Schüler des Verfassers enthaltend,
qiiaestiones und dispiitationes, Erörterungen von Rechtsfragen,
teils in Anlehnung an konkrete Fälle, teils rein theoretisch,
vorwiegend aus wirklich gepflogenen mündlichen Besprechun-
gen eines Rechtslehrers mit seinen Schülern hervorgegangen.
4. Kommentare zum prätorischen, ädilicischen und Pro-
vinzialedikt.
5. Gesamtdarstellungen des ms civile. Eine solche in
kurzer Form schrieb Massurius Sabinus (libri tres iuris civilis).
Die Späteren lehnten sich zum Teil an ihn, zum Teil an O.
Alucius Scävola an: libri ad Q. Muciimi, ex Q. Mucio. ad
Sabhium, ex Sabino. Auch Kommentare zu den XII Tafeln
wurden noch geschrieben.
6. Digesta, vereinigte Darstellungen des ins Jionorarium
und des iiis civile. Das Ediktsrecht steht als Hauptmasse
voran, das ius civile folgt in einer herkömmlichen Ordnung.^^)
7. Eine reiche Fülle anderweitiger Schriften, Kommentare
zu wichtigen leges, insbesondere zu den leges Jidia et Papia
Poppaea.^ zu wichtigen Senatuskonsulten und sonstige Mono-
graphien verschiedenster Art.
§ 18.
Die beiden Schulen.
Die beiden Juristenschulen') der Sabinianer (Cassianer) und
1**) Lenel, Palingenesia II col. 1255 sq.
>) Pomp. D, I, 2, 2, 47 sqq. Bremer, die Rechtslehrer und Rechts-
schulen im römischen Kaiserreich. Berlin 1868. Neuestens Baviera le due
scuole dei giureconsulti Romani. Firenze 1898, dazu Kipp Zeitschr. d. Sav.-
Stift. XXI (1900) S. 392 ff. Kalb, Jahresber. f. Altertumswissenschaft CIX
(1901 II) S. 34 f.
— 101 —
Proculianer, welche zu Anfang der Kaiserzeit einander gegen-
übertraten, müssen mit der Organisation des Rechtsunterrichts
in Verbindung gesetzt werden. Unter Augustus, so berichtet
Pomponius, standen einander gegenüber: M. Antistius Labeo,
ein selbständiger Kopf und Charakter, daher auch republika-
nisch gesinnt^) und auf dem Gebiete der Jurisprudenz ein
kühner Neuerer,^) und C. Atejus Capito, ein gefügiger Mann,
der sich bei dem Gegebenen in der Politik^) wie in der Rechts-
wissenschaft beruhigte.-^) Diese sollen zuerst gewissermaßen
zwei sectae hervorgerufen haben, und ihre Meinungsverschieden-
heiten von ihren Nachfolgern noch vermehrt sein. An Labeo
knüpfen die Proculianer an, als welche Pomponius nennt:
Nerva Pater, Proculus, Nerva Filius, Longinus, Pegasus,
Celsus Pater, Celsus Filius, Neratius. Auf Capito werden zu-
rücksfeführt die Sabinianer oder Cassianer. Als solche zählt
Pomponius auf: Massurius Sabinus, Cassius, Caelius Sabinus,
Javolenus, Valens, Tuscianus, Julianus. Die zerstreuten und
zum Teil recht untergeordneten Kontroversen, welche unter
diesen Schulen verhandelt wurden,**) weisen auf einen einheit-
lichen Gegensatz der wissenschaftlichen Grundrichtung nicht
hin.') Ihr Gegensatz muß also ein äußerer gewesen sein.
Wir wissen, daß der Rechtsunterricht jetzt schulmässiger or-
ganisiert war als zu Zeiten der Republik, und wahrscheinlich
hielten die Schulen, ähnlich den Philosophenschulen genossen-
schaftlich zusammen, und ist die Nacheinanderfolge (siiccessio)
der als Schulhäupter von Pomponius Genannten auf Vorstand-
schaft und Lehramt in solcher Genossenschaft zu beziehen.
2) Tac. annal. III, 75: incorrupta libertate.
3) Pomp. D. I, 2, 2, 47: ingenii qualitate et fiducia doctrinae, qui
et ceteris operis sapientiae operam dederat, plurima innovare instituit.
*) Tac. annal. III, 75: Capitonis obsequium dominantibus magis pro-
babatur. III, 70 sagt ihm Tacitus sogar eine sehr gemeine Handlungsweise
nach, ein schändliches Kriechen unter dem Scheine des Freimuts.
^) Pomp. D. I, 2, 2, 47 : In his quae ei tradita fuerant perseverabat.
«) Vgl. Gai. I, 196. II, 15. 37. 79. 123. 195. 200. 216 sqq. 231.
244. III, 87. 98. 103. 133. 141. 161. 167 a. 168. 177 sq. IV, 78. 79.
Lenel, Palingen. II, col. 216. Baviera p. 38 sq.
') Einen solchen behauptet noch neuerdings Voigt, Rechtsgesch. II
S. 222 ff. und in anderer Weise Bremer iurispr. Antehadr. II, 1. 23. 348 sqq.
— 102 —
Der Name Cassiani überwiegt in der klassischen Zeit den der
Sabiniani, und Pomponius sagt genau gelesen ganz deutlich,^)
daß zu der Zeit, da Cassius und Proculus einander gegenüber
standen, die Namen Cassiani^) und Proculiani aufkamen. Von
ihnen sind dann die Schulen mit Recht auf die Lehrer des
Proculus: Nerva den Älteren, und des Cassius: Sabinus, zurück-
datiert ; mit weit zweifelhafterem Recht aber haben sie sich
weiter bis auf Labeo und Capito hinaufgerückt. Nach Gajus,
der sich oft als Sabinianer bekennt (um i6o n. Chr.), ver-
schwindet der Gegensatz der Schulen. Es ist zu beachten,
daß Pomponius bei beiden Schulen die Reihe der Häupter
mit mehreren nebeneinander schließt: auf selten der Procu-
Haner mit Celsus dem Sohn und Neratius Priscus, auf selten
der Sabinianer mit Valens, Tuscianus und Julianus; danach liegt
die Annahme nahe, daß beide an inneren Spaltungen zu
Grunde gegangen sind.
§ lÖ-
Die einzelnen Juristen von Labeo bis JuHan.
Wir betrachten nun die einzelnen Juristen der klassischen
Epoche und zwar in chronologischer Folge, wobei freilich zu
beachten ist, daß diese Anordnungsweise zum Teil nur auf
Vermutungen gebaut werden und nur ein annähernd der
Wahrheit entsprechendes Bild zu erzielen hoffen kann.
I. M. Antistius Labeo/) gestorben zwischen lO und 22
n. Chr., war Prätor, lehnte das Konsulat ab") oder wurde zu
Gunsten Capitos davon ausgeschlossen.'^) Er war Schüler des
Trebatius im Anfangsunterricht, hörte aber zahlreiche Lehrer.
8) D. I, 2, 2, 52.
*) Plin. ep. VII, 24, 8 nennt Cassius Cassianae scholac princeps et
parens.
') Pernice, M. Antistius Labeo B. 1 (Halle 1873) S. 7 ff. Jörs, An-
tistius No. 34 in Pauly-Wissowas Realencyklopädie.
2) So Pomponius: D. I, 2, 2, 47.
8) So Tac. annal. III, 75.
— 103 —
Seine Charakteristik ist bereits oben (§ i8) gegeben. Er
war eine geniale Natur von vielseitiger Bildung*) aber mit
etwas Neigung zum Doktrinarismus.'^) Er soll je sechs Mo-
nate mit seinen Schülern verbracht, sechs Monate geschrift-
stellert, und 400 Bände hinterlassen haben :*^) Ad XII tab.
lidri, ad cd. praetoris iirbmii libri und ad ed. praet. pc7'egrini
libri (mindestens 30); die Citate aus beiden Werken sind nicht
genau zu unterscheiden; responsor. l. (mindestens 15); epistolar.
libri; jtiH-avä, von Paulus epitomiert und kritisiert, kasuistischer
Natur; de iiire pontificio l. (mindestens 15); mindestens 40
libri posterioi'um, nach seinem Tode herausgegeben, von Javolenus
bearbeitet. —
2. C. Atejus CapitO,') Konsul a. 5 n. Chr., gest. 22,
Schüler des Ofilius (vergl. über seine Persönlichkeit § 18).^)
Er schrieb: Coniectanea, mindestens 8 B., de iure po7itißcio.,
mindestens 7 B., de officio senatorio, i B. (Teil der coniectanea:).
3. Fabius Mela wird neben Labeo citiert.") Den Servius
Sulpicius benützt er,'") Proculus kritisiert ihn.")
4. Vitellius schrieb ein Werk, das zuerst Sabinus be-
arbeitete.'^)
5. Massurius Sabinus, das erste Haupt der nach ihm
benannten Schule, war von geringer Herkunft, lebte zumeist
von den Beiträgen seiner Schüler, trat erst mit ungefähr 50
*) Gell. XIII, 10: iuris quidem civilis disciplinam principali studio ex-
ercuit et consulentibus de iure publice responsitavit, set ceterarum quoque
bonarum artium non expers fuit et in grammaticam sese atque dialecticam
litterasque antiquiores altioresque penetraverat Latinarumque vocum origines
rationesque percallueraf eaque praecipue scientia ad enodandos plerosque iuris
laqueos utebatur.
^) Das zeigt die Geschichte, die Gell. X, 12 nach einem Brief Capitos
von ihm erzählt: Als einst die Volkstribunen ihn vor sich laden ließen, folgte
er nicht, sondern lielB ihnen sagen: posse . . , eos venire et prendi sc iubere,
sed vocandi absentem ius non habere. Das formale Staatsrecht hatte er dabei
auf seiner Seite, aber es hatte sich eingebürgert, daß die Tribunen luden und
ihre Ladungen befolgt wurden.
6) Pomp. D. I, 2, 2, 47.
') J ö r s Atejus 3 in Pauly-Wissowas Realen cyklopädie.
«) D. I, 2, 2, 47. Tac. ann. III, 70. 75. — "•) Ulp. D. XIX, 2, 13, 8.
lOj Ulp. D. XXXllI, 9, 8, 10. — ") Ulp. D. IX, 2, 11 pr.
12) S. jedoch Note 16. — i3) Pomp. D. I, 2, 2, 48. 50.
— 104 —
Jahren in den Stand der Ritter, erhielt aber als solcher und
zwar als erster dieses Standes das ius respondefidi}^) Er schrieb
noch unter Nero.^"') — Libj'i ires uiris civilis, ein einflußreiches,
oft kommentiertes Werk,^^) ad edict. pi-aet. urbani liöri; ad
Vitcllinvi libri;^'^) responsor. l. (mindestens 2); de furtis l. sing.;
assessoriwn,^"') auch, wie es scheint, einen Kommentar zur lex
Jtdia iudicioruin privatomm}^^
6. Minicius, vielleicht Schüler des Sabinus,'^) von Julian
kommentiert.
7. M. Coccejus Nerva der ältere, das erste Haupt der
nachmals s. g. Proculianer, wird als Kenner alles gött-
lichen und menschlichen Rechts gepriesen. ^°) Er hat das
Konsulat bekleidet.^^) Seit dem Jahre 24 n. Chr. war er
ciirato?' aquarimiF-) Dem Tiberius stand er als einer der Ver-
trautesten nahe,-^) tötete sich aber im Jahre 33 n. Chr. aus
Furcht vor schlimmem x\usgang dieser Freundschaft, die ihm
die Schäden des Staates so recht aus der Nähe gezeigt hatte."^*j
8. Nerva, der Sohn des vorigen, ebenfalls Pro-
li) Nach dem SC. Neronianum. Gai. II, 218.
15) Über das System s. Leist, Versuch einer Geschichte der römischen
Rechtssysteme (1850) Taf. I zu S. 44. Voigt, Aelius- und Sabinussystem
Abh. d. kgl. Sachs. Gesellschaft derWissensch.XVII(1879) S. 319 ff. Kariowa I S.
687 ff. Krüger S. 151 f. Lenel, Palingenesia h. 1. Kipp, Krit. Viertel-
jahresschr. XXXIII (1891) S. 543 ff. Lenel, das Sabinussystem, Festschr. f. Ihering,
Stral3b. 1892, S. 1 ff. Kipp, Gott, gelehrte Anzeigen 1895 S. 345 ff.
16) Nach Bremer, Jurisprud. Antehadriana II, 1 p. 27.5 nicht ein Kom-
mentar zum Werk eines Vitellius, sondern ein einem Vitellius gewidmetes Werk.
Zustimmend eine Schrift von di Marzo, dagegen mit Recht Baviera, Arch.
giur. LXIII (1899) p. 154 sg. Schneider, Krit. Vierteljahresschr. XLIII
(1901) S. 228.
17) Ulp. D. XLVII, 10, 5, 8.
18) Gell. XIV, 2, 1. Wlassak, Grünh. Zeitschr. XIX (1892) S. 705 ff.
19) D. XII, 1, 22.
20) Tac. annal. VI, 26: omnis divini humanique iuris sciens.
21) Tac. ann. IV, 58. C. J. L. VI, 1539. 9005.
22) Frontin. de aqu. 102.
23) Pomp. I). I, 2, 2, 48. Tiberio Cacsari familiarissimus. Tac. annal.
VI, 26 : continuus principi.
24) Tac. ann. VI, 26 ferebant gnari cogitationum eius, quanto propius
mala rei publicae viseret, ira et metu, dum integer dum intemptatus, honestum
finem voluisse.
— 105 —
culianer, Prätor designatus a. 65.^^) Pomponius weiß nichts
Rechtes von ihm zu sagen,-^) aber nach Ulpian soll er schon
mit 17 Jahren oder wenig älter respondiert haben.^^) Er
schrieb: de usiicapionibus libri.
9. Cartilius, von Proculus citiert.^^)
10. Proculus, von dem die proculianische Schule den
Namen trägt, Nachfolger Nervas des älteren.^^) — Epistolar. l.
(mindestens ij); ex postei'iorib. Labeonis l. (mindestens 3),
vielleicht hieraus die vereinzelt angeführten 7iotae zu Labeo.^**)
11. Atilicinus, wird neben Nerva und Proculus, auch
neben Sabinus und Cassius genannt. ^^) Bei Proculus fragt er
um Rat.32)
12. Fulcinius Priscus wird neben Mela und Atilicinus ge-
nannt.^^) Er zieht Folgerungen aus einer Ansicht Labeos ;^*)
Neratius citiert ihn.^°)
13. C. Cassius Longinus, von dem die sabinianische
Schule den anderen, wahrscheinHch älteren, Namen der Cassianer
trägt (ob. § 18), war durch seine Mutter Enkel Tuberos und
Urenkel des Servius Sulpicius. Er war Konsul a. 30,^*^) Prokonsul
von Asia a. 40/41,^^) Statthalter von Syrien i. J. 49,^^) ein
Mann von ausserordentlichem Ansehen. ^^) Unter Nero wurde
er, ein Erblindeter, durch Spruch des Senates nach
Sardinien verbannt, weil er unter seinen Ahnenbildern
das Bild des Cäsarmörders Cassius behalten hatte ;^°) unter
Vespasian wurde er zurückgerufen, ist aber bald darauf
gestorben.*^) Er schrieb: iia-is civilis l. (mindestens 10) von
25) Tac. ann. XV, 72. — 26) D. I, 2, 2, 52: fuit eodem tempore.
27) D. III, 1, 1, 3. — 28) D. XXVIII, 5, 70 (69).
29) Pomp. D. I, 2, 2, 52. 30) z. B. Ulp. D. III, 5, 9, 1.
31) Z. B. Paul. D. II, 14, 27 pr. Ulp. D. IV, 8, 21, 9. Paul. D. XVII.
1, 45, 7. Ulp. D. XVII, 2, 52, 18.
32) Proc. D. XXIII, 4, 17. — 33) Paul. D. XXV, 2, 8, 4. XXV, 2, 6 pr.
34) Ulp. D. XXV, 1, 1, 8. — 35) D. XXXIX, 6, 48.
36) Pomp. D. I, 2, 2, 51. C. J. L. X, 1283.
37) Dio Cass. LIX, 29, 3. — 38) Tac. ann. XII, 11.
39) Pomp. 1. c. plurimum in civitate auctoritatis habuit, Tac. ann. XII,
12: ceteros praeminebat peritia legum.
40) Pomp. D. I, 2, 2, 51. 52. Tac. ann. XVI, 9. Suet. Nero 37.
*i) Pomp. D. I, 2, 2, 52.
— 10() —
Javolenus bearbeitet; iiotac zu Vitellius oder zu Sabinus ad
Vitelliimi}^)
14. Ein anderer Longinus wird als Proculianer genannt
und zwar als Zeitgenosse des Proculus, ihm an Bedeutung
nachstehend.^^)
15. Cn. Arulenus Cälius Sabinus war Nachfolger des
Cassius in der Vorstandschaft der sabinianischen Schule, Konsul
a. 69,*^) unter Vespasian von großem Einfluß."*^) Ad edict.
aedil. air}^)
16. Urs ejus Feroxsteht Cassius und Proculus zeitlich nahe.
Er ist öfter der Berichterstatter der Späteren über Ansichten
der Genannten.*^) Julian bearbeitete ein Werk von ihm (unt. 33).
17. Juventius Celsus der ältere war der Nachfolger
des Pegasus.'*^)
18. Paconius, von Ulpian und von Paulus, vielleicht nach
Plautius, angeführt.*^)
19. Plautius, schrieb zwischen Cassius und Proculus,
die er citiert,^^j und Javolenus, der ihn kommentiert, ein von
Späteren öfter bearbeitetes Werk.
20. C. Octavius Tidius Tossianus Javolenus PrisCUS,
Nachfolger des Cälius Sabinus,^') in der zweiten Hälfte des
I. und im Anfang des 2. Jahrhunderts in zahlreichen
Amtern tätig (Kommandeur verschiedener Legionen, Statt-
halter von Britannien, Germania superior, Syrien, Afrika,^^)
Lehrer Julians. ■^■"') Vielleicht nur wegen eines empfindlich
treffenden Witzes bringt ihn Plinius der Jüngere in den Ver-
12) D. XXXIII, 7, 12, 27. S. noch J ö r s, Cassius 60 in Pauly-Wissowas
Realencyklop.
43) Pomp. D. I, 2, 2, 52. — 44) Tac. bist. I, 77.
-15) Pomp. D. I, 2, 2, 53. — ^6) Gell. IV. 2, 3.
*7) Paul. D. VII, 4, 10, 5. Ulp. D. IX, 2, 27, 1.
^») Pomp. D. I, 2, 2, 53.
*9) Ulp. D. XIII, 6, 1, 1. Paul. D. XXXVII, 12, 3 pr.
•''0) D. XXXIV, 2, 8. XXXV, 1, 43 pr. — 01) Pomp. D. I, 2, 2, 53.
52) C. J. L. III, 2864. Dessau 1015. 1998. Heron de Villefosse,
comptes rendus des seances de l'Acad. des inscr. et heiles leltres IV,
22 1894 p. 228 suiv. Kalh, Jahresbericht f. Altertumswissensch. LXXXIX
(1896 II) .S. 228 f.
5B) Das sagt Julian selbst I). XL, 2, 5-
— 107 —
dacht, geistig nicht ganz gesund gewesen zu sein; jedenfalls
hinderte dies nicht, dass er amtlich tätig war, zu Konsilien
zugezogen wurde und respondierte.^*) Javolenus schrieb :
Epistolar. l. XIV, ex Cassio l. XV, ex Plaiitio l. V. zwei Be-
arbeitungen von Labeos posteriora : Labeonis libri posteriorum
a Javoleiw epitomati (mindestens 6 B.) und Javoleni libri ex
posterioribus Labeonis (lo B.). Daß diese beiden Werke iden-
tisch sind, ist nicht wahrscheinlich.^'')
21. Pegasus, Nachfolger des Proculus, unter Vespasian
Präfectus urbi.^^j
22. Von Fufidius citiert African (37) ein 2. Buch quaestio-
mtin, worin auf Atilicinus Bezug genommen wird.^^) Anderswo
lässt Ulpian den Atilicinus von einem Aufidius Chius citiert
werden.^^) Vielleicht ist dieser mit jenem Fufidius^^) identisch.
23. Varius LucuUus wird von ^Aristo (24) citiert.®")
24. Titius Aristo, Freund des jüngeren Plinius, der ihn
sehr rühmt, ®^) Konsiliar Trajans,®^) gesucht als Respondent und
Advokat.^^) Notae zu Labeos posteriora, zu Sabinus ad
Vitellium, vielleicht auch zu dessen libri iuris civilis \ zu Cassius'
libri iuris civilis , decreta Frontiana (zweifelhaften Charakters).
5*) Plin. ep. VI, 15. Passennus Paulus .... scribil elegos . . . Is cum
recilaret, ita coepit dicere ,Prisce iubes'. Ad hoc Javolenus Priscus (aderat
enim ut Paullo amicissimus) ,ego vero non iubeo'. Cogita qui risus hominum
qui ioci. Est omnino Priscus dubiae sanitatis. Interest tarnen officiis, adhibetur
consilüs atque etiam ius civile publice respondet,
5-'') Für die Identität: Lenel, Palingenesia I col. 299 nota 4. Dagegen:
Kariowa I S. 698, Krüger S. 163f. Daß die Kompilatoren, wie Lenel
meint, das erste Werk künstlich aus dem zweiten herausgezogen haben, um
mit Labeos Namen zu prunken, kommt mir nicht sehr wahrscheinlich vor.
56) Pomp. D. I, 2, 2, 53. — 57) D. XXXIV, 2, 5. — ssj Fr. Vat. 77.
59) Und mit dem von Martialis V, 61, 10 (unter Domitian) genannten
Aufidius.
60) D. XLI, 1. 19.
61) Plin. ep. I, 22: Nihil enim est illo gravius, sanctius, doctius . . .
quam peritus ille et privati iuris et public! ! quantum rerum, quantum exem-
plorum, quantum antiquitatis tenet! Nihil est quod discere velis, quod ille docere
non possit, cet.
62) Pap. D. XXXVII, 12, 5.
63j Plin. ep. I, 22, 6: multos advocatione, plures consilio iuvat.
— 108 —
25. Vivianus, schrieb über das Ediktsrecht, wird von
Ulpian nach Celsus angeführt.^^j
26. P. Juventius CelsUS T i t u s Aufidius Oenus Severianus,
Sohn des unter 17 Genannten, Nachfolger seines Vaters im
Vorstand der proculianischen Schule,"^) Prätor im J. 106 oder
107^^) zum zweiten Male Konsul a. 129,"^) Konsiliar Hadri-
ans.^^) — Das Hauptwerk des Celsus sind seine Digestoi-iim
l. XXXIX. Ferner schrieb er: epistolar. l. (mindest, ii), com-
mentarii (mindest. 7. B.), quaestiones (mindest. 12 B.). Celsus
ist eine der hervorragendsten Erscheinungen der römischen
Jurisprudenz, aber derb bis zur Grobheit und, (wie bei dieser
Eigenschaft nicht selten) nicht immer im Recht, wenn er
grob ist.^^j
27. Neratius Priscus, mit Celsus zusammen Vorsteher
der proculianischen Schule,^°) erlangte das Konsulat,'^^) war
Konsiliar Trajans^-) und Hadrians.'^) Er ist wahrscheinlich
identisch mit einem L. Neratius Priscus, der praefectus aerarti
Saturni, Konsul und Statthalter von Pannonien war.''*) Er schrieb
Rcgidar. l. XV, responsor. l. III., epistolae, mindest. 4 B.;
vienibranatinti L VII, so wohl deshalb genannt, weil auf Per-
64) D. IV, 8, 21, 11. — 65) Pomp. D. I, 2, 2, 53. — 66) Plin. ep. VI, 5, 4.
67) Als solcher beantragte er mit seinen Kollegen das sog. SC. luventi-
anum D. D. V, 3, 20, 6, Diocl. C. J. VII, 9, 8, 1. Vgl. Pomp. 1. c.
68) Histor. Aug. Hadrian 18, 1.
69) In D. XXVIII, 1, 27 fragt ein gewisser Domitius Labeo bei Celsus
an: ob derjenige, der als Testamentsschr eiber gebeten sei, aber nach der
Niederschrift das Testament mit besiegelt habe, als Zeuge (deren sieben sein
müssen) mitzuzählen sei. Celsus antwortet: non intellego quid sit de quo me
consulueris aut valide stulta est interogatio tua. plus enim quam ridiculum
est dubitare, an aliquis iure testis adhibitus sit, quoniam idem et tabulas testa-
menti scripserit (Quaestio Domitiana, responsum Celsinumj. Und doch konnte
die Frage den haltbaren Sinn haben, ob es nicht einen Mangel begründe, daß
der Schreiber nicht ausdrückHch als Zeuge gebeten war (vgl. Ulp. D. XXVIII,
1, 21, 2) und es ließ sich auch fragen, ob der, der das Testament niederge-
schrieben, der rechte Zeuge dafür sei; denn er muß sich doch selbst die
Richtigkeit seiner Niederschrift bezeugen, vgl. Hofmann, Kritische Studien
(Wien 1885) S. 39 f.
70/71) Pomp. D. 1, 2, 2, 53. 72) Pap. D, XXXVII, 12, 5.
73) Hist. Aug. Hadrian. 18, 1.
74) C. I. L. IX, 2454/5 (Dessau 1033. 1034).
— 109 —
gament herausgegeben; dem Inhalt nach dogmatisch-kasuisti-
sche Erörterungen; ex Plaiitio libri, de nuptiis l. sing. —
28. Campanus wird von Valens (30) und Pomponius
(36) citiert/^)
29. Oktavenus, ebenso.''^)
30. Aburnius Valens, als Nachfolger des Javolenus im
Vorstande der sabinianischen Schule neben Tuscianus (31)
und Julianus (32) genannt/^) Konsiliar des Antoninus PiusJ^) —
De fideicommissis l. VII?^)
31. Tuscianus vgl, Valens (30).
32. Valerius Severus, von Julian citiert.®")
33. L. Oktavius Cornelius Salvius Julianus Aemi-
lianus^^) war mit Valens (30) und Tuscianus (31) im Vor-
stande der sabinianischen Rechtsschule. ^^) Über sein
Leben hat eine 1899 in Afrika im Gebiete seiner Heimat *^'^)
Hadrumetum gefundene Inschrift^*) einer ihm von jener Stadt
gesetzten Bildsäule ungeahntes Licht verbreitet. Julian war
decemvir litibus iudicandis, guaestor Augusti unter Hadrian und
zwar wegen seiner großen Gelehrsamkeit mit doppeltem Ge-
halt, Konsiliar Hadnans,^») Volkstribun, Prätor, §6) pmefectus
aerarii Satiirni und aerarii niilitaris, Konsul^') und zwar im
75) Valens D. XXXVIII, 1, 57. Pomp. D. XL, 5, 34, 1.
76) Valens D. XXXVI, 1, 69 (67) pr. Pomp. D. XIX, 1, 55.
77) Pomp. D. I, 2, 2, 53. 78) Hist. Aug. Pius 12, 1.
79) Valens libro VIT actionum, D. XXXVI, 4, 15, ist wohl irrig für
Venulejus. 80) D. III, 5, 29 (30).
81) Buhl, Salvius Julianus B. I (Heidelb. 1886). Mommsen Zeitschr.
der Sav.-Stift. XXIII (1902) S. 54 ff.
82) Pomp. D. I, 2, 2, 53. 83) Hist. Aug. Did. Jul. 1.
84) Mommsen, a. a. O. S. 54. Sie lautet (unter Auflösung der Ab-
kürzungen) : L. Octavio Cornelio P. F. Salvio Juliane Aemiliano, decemviro,
quaestori imperatoris Hadriani, cui divos Hadrianus soli salarium quaesturae
duplicavit propter insignem doctrinam, tribuno plebis, praetori, praefecto
aerarii Saturni, item militaris, consuli, pontifici, sodali Hadrianali, sodali
Antoniniano, curatori aedium sacrarum, legato imperatoris Antonini Augusti Pii
Germaniae inferioris, legato imperatoris Antonini Augusti et Veri Augusti
Hispaniae citerioris, Proconsuli provinciae Africae, patrono, decreto decurionum
pecunia publica.
85) Hist. Aug. Hadrian. 18, 1 die Inschrift Anm. 84 erwähnt das nicht.
86/87) s. auch Jul. D. XL, 2, 5.
— HO —
J. 148 n. Chr.,^^) Priester der Gott gewordenen Kaiser Hadrian
und Antoninus Pius, airator aedhim sacrariwi,^^) Statthalter
von Untergermanien unter Antoninus Pius,^^) unter
M. Aurel und L. \^erus Statthalter von Hispania citerior,
endlich Prokonsul von Afrika. Er war Großvater des
Kaisers Didius Julianus, und nach dessen Biographie ^^) ist
Julian später noch einmal Konsul und Präfektus urbi gewesen;
diese Nachricht ist aber von zweifelhaftem Wert. ^2) Julian
starb unter der Herrschaft der divi fratres (M. Aurel und
L. Verus).^3j p^^ Jurist war er Schüler des Javolenus (20).^*) Er
ist der berühmte Redaktor des prätorischen Edikts (ob. S. 50I,
bei Zeitgenossen wie Späteren mit Recht in höchstem An-
sehen. Sein bedeutendstes Werk sind digestoriivi hbri XC,
geschrieben unter Hadrian und Antoninus Pius. Der Anfang
fallt vor das Jahr 129*^). Andere Werke Julians sind: ad
Urseium l. IV., ad Minicium libri^^) de ambiguitatibtLS L sing.
(über Auslegung unklarer Willenserklärungen).
34. Sex. Pedius ist etwa Zeitgenosse Julians,*^) — er
schrieb ad edici. praetoris und aedil. cur. (über 25 B.), de
stipulationibiis libri.
35. Pactumejus Clemens, Konsul a. 138,^^) von Pompo-
nius citiert.^^l
S8) Mommsen a. a. O. S. 57. 89) S. auch C. J. L. VI, 855.
90) S. noch Mommsen S. 58 Anm. 4. 9i) Hist. Aug. Did. Jul. 1.
92) Mommsen a. a. O. S. 59 f.
93) Gai. 11, 280 (unter den divi fratres) sagt: scio tamen Juliano pla-
cuisse .... quam sententiam et his temporibus magis obtinere video. Als
dies geschrieben wurde, muß Julian doch schon längere Zeit tot gewesen sein.
Jetzt macht Mommsen a. a. O. auf ein Reskript der divi fratres (D. XXXVII,
14, 17) aufmerksam, worin diese Kaiser sagen: sed et Salvii Juliani amici nostri
clarissimi viri hanc sententiam fuisse. 9*) Jul. D. XL, 2, 5.
96) Da Julian in D. V, 3, 33, 1 (wahrscheinlich libro VI) das SC.
Juventianum noch nicht kennt.
96) Riccobono Bull, dell' istituto di dir. Rom. VII (1894), p. 225 sq.
VIII (1895) p. 169 sq.
97) Trotz Lenel's Widerspruch (Palingen. II col. 1 nota 1) scheint
uns mit Krüger S. 172 zu 79 nach Paul. D. IV, 8, 82, 16 wahrscheinlich,
daß Pedius das Edikt später als Julian commentierte.
98) Auch sonst reich an Ämtern; C. I. L. \'III, 7059, aber als Jurist
nicht weiter bekannt. 99) I). XL, 7, 21, 1.
— 111 —
§ 20.
Die Juristen von Pomponius bis Marcellus.
36. Sex. Pomponius, Sabinianer, \) schrieb in der Zeit
von Hadrian^j bis zu den divi fratres,''^) ein fleißiger Verar-
beiter der Literatur. — Seinem liber singidaris enchiridii,
unter Hadrian,^) entstammt die wichtige, auch in diesem Buch
oft benutzte, leider arg verderbte Übersicht der römischen
Rechtsgeschichte in D. I, 2, 2. — Daneben stehen encliiridii
libri II. Ferner schrieb Pomponius ad Sabiimni l. XXXV
oder XXXVI, unter Hadrian,^) ad Q. Miiciiim L XXXIX,
nach dem Tode Hadrians/) ex Plaiäio /. VII ebenfalls nach
Hadrian, vielleicht sogar nach Antoninus Pius^) epistolar. L
XX, nach Pius^), ferner einen Kommentar zum prätorischen
und ädilicischen Edikt, der im 81. Buch nicht weit über
die Mitte ist, varianini Icctionmn /., mindest. 41, regu/ar. L
sins;., de senatus considtis L V, de stipidationib., mindest. 8 B.,
de fidciconiuüss. I V.
*) Sicher wissen wir das allerdings nicht. Daß Pomp. D. XLV, 3, 39
mit Gaius noster C. Cassius als das berühmte Haupt der cassianischen Schule
bezeichnet, der er somit sich zurechnet, wäre äußerst wahrscheinlich, wenn
nicht noch wahrscheinlicher wäre (Lenel, Paling. II col. 72 nota 4, Seckel
und Kubier in der Vorrede ihrer Ausgabe des Gajus p. III), daß der frag-
liche Passus von den Kompilatoren Juslinians herrührt, die ihren geliebten
Gajus (38) gemeint haben.
*) Üptimus princeps Hadrianus bei Pomp. D. I, 2, 2, 49 weist darauf
hin, daß der Kaiser damals noch lebte (nicht divus!).
8) Divus Antoninus bei Pomp. 1. sexto epistolar. et variar. lectionum
D. L, 12, 14 geht auf Antoninus Pius.
*) S. Anm. 2.
^) Trajan heißt divus D. XLVIII, 22, 1. Julian wird nicht angeführt,
citiert aber seinerseits im XXXV. Buch seiner Digesten eine Ansicht des Pom-
ponius, die im 5. Buch ad Sab. stand. Vat. fr. 88, 89, D. VII, 2, 8, VII, 8,
4, 1. VII, 8, 7. 8, 1.
6) Pomp. D. VII, 8, 22.
') D. XL, 7, 21 nennt Antoninus Pius als regierenden Kaiser, aber
aus dem Munde des Pactumejus Clemens, also kann Pomponius die Stelle
auch nach dem Tode des Pius geschrieben haben. Kariowa I S. 717.
8) Pomp. D. L, 12, 14 i. f. ») Ulp. D. XXV, 3, 3, 4.
— 112 —
37- Sex. Cäcilius Africanus,"; Schüler Julians, berühmt
durch die Schwierigkeit des Verständnisses seiner Schriften,
Seine Quaestiones, 9 B., enthalten größtenteils julianische Ent-
scheidungen mit kritischen Bemerkungen. Einmal wird auch
ein Werk epistolae in mindestens 10 Büchern von Africanus
erwähnt.^*')
38. GajUS, geboren spätestens unter Hadrian/^) schrieb
von der Zeit des /Vntoninus Pius^-j an, bis mindestens zum
Jahre 178, da er das diesem Jahre angehörige SC. Orphitianum
kennt. ■'^) Zeitgenossen und spätere Klassiker eitleren ihn nicht ;^*)
Responsen von ihm sind nicht bekannt; er war wohl aus-
schließlich Lehrer und Schriftsteller und hatte das ins respon-
dendi nicht. In der Folge gelangte er jedoch zu großem An-
sehen.^'"') Man hat seine eigentümliche Stellung daraus zu er-
klären gesucht, dass er ein ,.Pro\inzial-Jurist'' gewesen sei, in
einer östlichen Provinz gelebt und gelehrt habe, oder doch
in Rom an einer für Provinzialen bestimmten Rechtsschule
tätig gewesen sei.^*') Man beruft sich für diese Annahmen
10) Ulp. D. XXX, 39 pr. Ist die Stelle in Ordnung? Es ist immerhin
höchst auffallend, daß während sonst Africanus Referent über Ansichten Julians
ist, in diesem einzigen Falle ein sonst ganz verschollenes Werk des Africanus
auftritt, das Julian benutzt haben müßte. Denn die Erklärung von
Kariowa IS. 714: Africanus apud Julianum quaerit = African berichtet einen
Satz Julians und knüpft daran eine Frage, halte ich für unmöglich.
^1) Gai. D. XXXIV, 5, 7 pr. beweist das freilich nur, wenn nostra
aetate genau zu nehmen ist, was nicht unbedingt feststeht. Aber der Mann, der
um 161 n. Chr. seine Institutionen schrieb und schon vorher ein Werk ad Q.
Mucium und eins ad edictum geschrieben hatte (Gai. I, 188), wird doch mit
seiner Jugend in die Regierungszeit Hadrians zurückreichen.
12) S. unt. Anm. 23. 28 ff. i3) s. unt. Anm. 22. 23.
1*) Ulpians 1. sing, regularum weist viel Ähnlichkeit mit Gajus auf.
Kalb, Roms Juristen S. 77 erklärt das daraus, daß beide eine gemeinschaftliche
Quelle benutzt haben, aber ebenso möglich bleibt doch, daß Ulpian den Gajus
benutzt hat, der freilich in der uns vorliegenden Fassung des Ulpianischen
Buchs nicht genannt wird. Vgl. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht S. 147
Anm. 4. Grupe, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XX (1899) S. 90 ff. Dagegen freiHch
wieder Kalb, Jahresbericht f. Altertumswiss. CIX (1901 II) S. 38 f.
15) S. unt. § 22. 27.
16) Mommsen, Jahrb. des gem. R. 111 (1859), S. 1 ft'. nimmt an, daß
Gajus in der Provinz Asia lebte. S. ferner Bremer, Rechtslehrer in Rechts-
schulen S. 77 ff. Kuntze, der Provinzialjurist Gajus wissenschaftlich abge-
— 113 —
darauf, daß Gajus das Provinzialedikt kommentiert und auch
in seinen Institutionen die provinzialen Rechtsverhältnisse, und
zwar der östlichen Reichsteile, berücksichtigt. Da er aber
als eifriger Sabinianer auftritt, so ist er sicher zu Rom in der
sabinianischen Rechtsschule gebildet. Es ist auch anzunehmen,
daß er in Rom lehrte; denn die Berücksichtigung des Provin-
zialrechts in seinen Institutionen ist vereinzelt und dient dem
Zweck, römische Rechtsinstitute durch den Gegensatz schärfer
hervorzuheben;^') ein ernsthaftes Eingehen auf die Bedürfnisse
der Provinzialen findet sich nicht. Der Kommentar zum
Provinzialedikt kann auch in Rom für Statthalter und sonstige
mit der Provinzialjurisdiktion Befaßte geschrieben sein.^^)
Ein anderer Versuch zur Lösung des Rätsels, das unleug-
bar über der Person des Gajus schwebt, ist folgender: Alles
was unter dem Namen des Gajus vorliegt, sind ursprünglich
Werke des C. Cassius, des Hauptes der Cassianer und von
einem Anonymus um i6i nur unter dem alten Verfassernamen
bearbeitet. ^^) Diese Hypothese, die man, wie so viele, nicht
streng widerlegen kann, ist sehr unwahrscheinlich. Der be-
rühmte Cassius wird regelmäßig von den Klassikern als Cas-
sius oder als C. Cassius citiert, nur selten als Gajus. '*^j Seine
schätzt. Leipziger Programm 1883. Kalb, Roms Juristen S. 73 ff. Jahres-
bericht für d. Altertumswissenschaft LXXXIX (1896) S. 231. 233. Mitteis,
Reichsrecht und Volksrecht S. 147 ; die Annahme, dai3 Gajus zwar in Rom,
aber in einer für Provinzialen bestimmten Rechtsschule tätig war, stammt von
Kariowa, I S. 722. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß es dergleichen
Sonderschulen gab. S. auch Seckel u. Kubier (Anm. 1) p. III sq.
Lenel in Holtz. Enc. S. 137 Anm. 3. 17) i^ 55. i^ 19.3.
1*) Vgl. Krüger S. 191. Wlassak, römische Prozeßgesetze II Leipzig
1891 S. 224 ff.
19) S. Kalb, Jahresber. für Altertumswiss. LXXXIX (1896 II) S. 232.
CIX (1901 II) S. 40, Nur in dieser Fassung ist die Sache diskutabel.
Die Ansicht Longinescus, Gajus der Rechtsgelehrte (Berl. Diss.) 1896, daß
Gajus identisch mit C. Cassius sei (S. 62 ff.) ist ganz indiskutabel. Siehe
dagegen Herzen, die Identität des Gajus, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XX (1899)
S. 211.
20) So zuweilen bei Javolenus ex Cassio, z. B. D. XLVI, 3, 78, bei
Julian ad Urseium Ferocem. D. XXIV, 3, 59. Pomp. D. XLV, 3, 39 Gaius
noster ist der Interpolation dringend verdächtig. Lenel, Palingen. II col. 72
nota 4.
Kipp, Quellen des röm. Rechts. 8
— 114 —
Schule hieß die der Cassianer und nicht der Gajaner. Es
wäre also sonderbar, wenn ein Neuherausgeber seiner Werke
sie nicht als solche des Cassius, sondern des Gajus bezeichnet
hätte. Dazu kommt, daß in den Institutionen des Gajus wie
in dessen sonstigen Schriften'-^) Cassius oft als Fremder und zwar
als Cassius citiert wird. Dies kann freilich bei einem Bear-
beiter unter Umständen vorkommen, aber warum hätte der
Bearbeiter im Text immer einen andern Namen gebraucht
als den, den er auf das Titelblatt gesetzt haben soll? Der
Ediktskommentar des Gajus beruht auf dem hadrianisch-juli-
anischen Edikt, was nicht ausschließt, aber doch recht un-
wahrscheinlich macht, daß er eine Bearbeitung eines Werks
des C. Cassius ist. Gajus schrieb nach zwei Stellen der Digesten'--)
ad SC. Tertidlianmn unter Hadrian und ad SC. 0rplntiamim{2i. 178
n. Chr.), Werke, die nicht von Cassius stammen können. Dies ist
nur deshalb kein ganz entscheidender Beweis, weil die Inskrip-
tionen der beiden Stellen nicht absolut sicher sind.-'^) Endlich aber
woher die unerklärliche Anonymität des Bearbeiters? Dieser soll
doch vieles Neue hinzugefügt haben. Warum nennt er sich
nie, wie doch so viele der römischen Juristen, die die Werke
anderer bearbeiteten? Bleiben wir also dabei, daß Gajus
der Name eines Juristen des zweiten Jahrhunderts ist. Er
war keiner der hervorragenden Geister, aber ausgezeichnet
durch Glätte und Verständlichkeit seiner Darstellung.
Seine institidiommi commcntarii quattiior, geschrieben um
161 n. Chr., der Anfang noch unter Antoninus Pius,'*) der Schluß
schon unter den divi fj-atres,-^) sind das einzige uns fast voll-
ständig erhaltene W^erk eines klassischen Juristen. Daß sie
ein nachgeschriebenes Kollegienheft seien, -'^) ist ihrer trefif-
21) Ad ed. prov. D. II, 1, 11 pr. IX, 4, 15. XIII, 3, 4. XVI, 3, 14, 1.
XVIII, 1, 85, 5, de manumiss. D. XL, 4, 57, de verb. obl. D. XLV, 3, 28, 4.
22) D. XXXVIII, 17, 8. 9.
23) Voran geht (D. XXXVIII, 17, 7). Paul, ad SC. Tertull. et Orphit.
Danach wird behauptet, daß auch fr. 8 und fr. 9 von Paulus seien. Aber in
Bas. XLV, 1, 33 = D, XXXVIII, 17, 18 steht auch Gajus; die Verderbnis
müßte also sehr alt sein.
24) Gai. II, 151a. 25) Gai. II, 195.
26) Dernburg, die Institutionen des Gajus, ein Kollegienheft aus dem
Tahre 161 n. Chr. Geb. H.ilie 1869.
— 115 —
liehen Fassung wegen unwahrscheinlich.-') Außer den Insti-
tutionen schrieb Gajus: ex Q. Mucio libri unter Pius;-^) ad
edict. provinciale l. XXXII, die beiden letzten B. vom ädili-
cischen Edikt; ad edict. urbiciini, wovon nur lO Bücher auf
Justinians Zeit kamen.-'') Mindestens einer der beiden Edikts-
kommentare ist vor den Institutionen geschrieben.''*^) Nach
Pius sind vollendet: ad leg. Juliani et Papiam l. XV'^^) und
fideicoimnissor. l. 11'^''') ad SC. Orphitian. L sing., frühestens
a. 178. Fernere Werke: ad leg. XII tabidai'. l. VI, reriivi
cottidianarum l. VII, wohl erst später aurea genannt, Samm-
lung alltäglich vorkommender Rechtssätze; regidar. l. III und
/. sing., de vtamunissionib. l. III, de verborum obligatioidb. l.
III, de fornmla hypothecaria l. sing., ad. SC. Tertulliamim l.
sing., de tacitis fideicommissis l. sing., de casibus l. sing., do-
talicion l. sing., ad leg. Glitiavi (:) l. sing.
39. Servilius, von Terentius Clemens (40) citiert.33)
27] Daß Gajus ältere Literatur benutzt hat, ist selbstverständlich. Es
geht aus seinen Citaten hervor, und auch wo er nicht citiert, wird er oft ältere
Schriften benutzt haben; denn das ist in der antiken Literatur nicht ungewöhnlich.
Ob das aber so weit geht, daß man sagen darf, er habe einen alten Grund-
stock nur leicht überarbeitet, ist doch höchst zweifelhaft. Für jene Annahme
namentlich Kniep, vacua possessio I (1885) S. 461 ff. Präscriptio und
Pactum (Jena 1891) S. 14 ff. Der Besitz des BGB. gegenübergestellt dem
römischen und gemeinen Recht (Jena 1900) S. 26 ff. Kalb, Jahresbericht für
Altertumswissenschaft LXXXIX (1896 II) S. 231 f. CIX. (1901 II) S. 40, vgl.
auch denselben Roms Juristen S. 83 ff. Eine andere Frage ist, ob Gajus
sein System (ius quod pertinet ad personas, ad res, ad actiones) erfunden hat.
Affolter, das römische Institutionensystem Einleit. Thl. Berl. 1897 führt
dieses System auf Q. Mucius Scävola zurück. Jedenfalls ist es sehr möglich,
daß Gajus sich einem vorhandenen System anpaßte, Lehrbuch s y s t e m e sind
ja auch bei uns tralaticisch, die wir auf Selbständigkeit des Inhalts, der ihnen
gegeben wird, mehr sehen als die Alten.
28) Gai. I, 188.
29) Ad edictum urbicum ra fiora Evoe&tvTa ßiß'/.ia Biy.a (Index
Florent.),
30) Über den Kommentar zum Provinzialedikt s. v. V eisen, Zeitschr.
d. Sav.-Stift. XXI (1900) S. 73 ff. (vergl. ob. S. 47 Anm. 12), dagegen
Kalb, Jahresber, f. Altertumswiss. CIX (1901 II) S. 42 ff.
31) Gai. D. XXXI, 56. 32) Gai. D. XXXV, 1, 90. XXXII, 96.
33) D. XXXVII, 14, 10.
— 116 —
40. Terentius Clemens, Schüler Julians,^*) schrieb ad
leg. JhL et Pap. l. XX.
41. Vindius Verus, Konsul a. 138, Konsiliar des Pius,^'')
konsultiert Julian ;^*^j Mäcian (44) citiert ihn.^^)
42. Junius Mauricianus, unter Antoninus Pius/'^^) schrieb
ad legem Jidiati et Papiani l. VI. Aus einem Werk von ihm
de poenis soll nach der Inskription eine Stelle in den Digesten
stammen ;^^) der Jndex Florentinus (§ 28) kennt dieses Werk
aber nicht.
43. Venulejus Saturninus schrieb: de officio p7-oconsulis l.
IV, de iiidiciis public, l. III {boid^ nach dem Tode Hadrians)/")
actionuin l. X, de interdictis l. VI, de stipulationibiis l. XIX,
vielleicht auch disputationwn libri*"^) De poenis paganoi'iun
schrieb ein Claudius Saturninus;*^) ob dieser mit Venulejus
Saturninus identisch ist, ist zweifelhaft.*^) Es gibt noch einen
dritten, von dem wir nicht wissen, wie er zu den beiden
vorigen steht: Q. Saturninus, von dem Ulpian**) ein 10. Buch
34) Ter. Clem. D. XXVIII, 6, 6: Julianus noster.
35) Hist. Aug. Pius 12. 1. 36) Fr. Vat. 77. 37) D. XXXV, 2, 32, 4:
Vindius noster.
3^) Den er D. XXXI. 57 imperator Antoninus nennt.
39) D. II, 13, 3.
40) Venul. libr. I de off. proc. D. XL, 14, 2. XLVIII, 19, 15, libr.
II de iud. publ. D. XLVIII, 2, 12, 1.
41) Wenn nicht D. XLVI, 7, 18 stipulationum statt disputationum zu
lesen ist.
42) D. XLVIII, 19, 16.
43) Der Index Florentinus (§ 28) legt das Werk de poenis paganorum
dem Venulejus Saturninus bei; aber dieser Index ist nicht immer zuver-
lässig. In zwei unmittelbar auf einander folgenden Stellen der Digesten
(XLXIII 19, 15. 16) stoßen Venulejus und Claudius so auf einander, daß es
schwer ist, an ihre Identität zu glauben. Kalb, Roms Juristen S. 26, macht
geltend, daß Claudius Saturninus den Sprachgebrauch poena plecti hat (D. XLVIII,
19, 16, 4), den frühere Juristen (so auch Venulejus) vermeiden. Auch die
Wendung: sceleris est instar bei Claudius Saturninus (I), XLVIII 19, 16 pr.)
weist nach Kalb darauf hin, daß Claudius Saturninus frühestens ein Zeit-
genosse Papinians war. Ist das so, dann muß der Claudius Saturninus, an
den Hadrian (Fr. Vat. 223) und Antoninus Pius reskribierten (Marci. D. XX,
3, 1, 3, L, 7, 3 (4) pr.), und dessen Urteil (als er Prätor war) die divi fratres
in D. XVII, 1, 6, 7 aufhoben, wieder ein anderer gewesen sein.
44) D. XXXIV, 2, 19, 7.
— 117 —
ad cdictuDi anführt, und der bei demselben^^) einer Ansicht
des Marcellus zustimmt. Venulejus Saturninus citiert einmal :^^)
Sabinus . . . Procuhis autein et ceteri diversae scholac auctores
aber er tritt der Ansicht des Proculus bei und konnte jene
Gegenüberstellung auch vornehmen, ohne seinerseits sich zu
den Sabinianern zu rechnen.*^) Jedenfalls ist diesseits von
Venulejus Saturninus die letzte Spur des Schulengegensatzes
verschwunden.
44. Volusius Mäc ianus, Konsiliar des Pius/^) Rechtslehrer
M. Aureis, '*^) vielleicht unter Pius Präfectus Ägypti^**) auch Kon-
siliar der divi fratres,^^) schrieb Quaestiomim de fideicommiss.
l. XVI, de mdiciis pnblicis l. XIV, de lege Rhodia. Seine assis
distributio, M. Aurel gewidmet, ist eine Darstellung der üblichen
Einteilungen eines Ganzen mit Namen und Zeichen der Teile,
wie sie bei Erbeseinsetzung und sonst vorkommt; also ein
halbjuristisches Werk.
45. Florentinus schrieb nach Pius ^^)institidwnuni l. XII.
46. Laelius Felix, von Gellius (um 170) citiert und wohl
derselbe, den Paulus als Laelius anführt.^^)
47. Papirius Justus, constitutioman libri XX, Konstitu-
tionen von den divi fratirs und M. Aurel allein^*) enthaltend.
48. Publicius wird von Marcellus angeführt.^-'')
49. Ulpius Marcellus, Konsiliar von Pius^^) und M. Aurel,°')
45) D. XII, 2, 13, 5. — 46) D. XLV, 1, 138.
4') Anders wäre es, wenn er von diversae scholae auctores spräche,
ohne zuvor den Sabinus genannt zu haben.
48) Hist. Aug. Pius 12, 1. — 49) Rist. Aug. Marc. Aur. 3, 6.
50) Urkunden aus den Berliner Museen II No. 613. P. Meyer, Hermes
XXXII (1897) S. 222 ff. Stein das. 663 ff. Archiv f. Papyrusforschung I
(1901) 447 ff
51) Reskript der divi fratres D. XXXVII, 14, 17: Volusius Maecianus
amicus noster ut et iuris civilis praeter veterem et bene fundatam peritiam
anxie diligens. 52) D. XLI, 1, 16 (Divus Pius).
53) Gell. XV, 27. Paul. D. V, 3, 43. V, 4, 8.
54) So unter den überlieferten nur eine, die einzige des 8. Buchs. Die
sonst erhaltenen gehören dem 1. und 2. Buch an und sind sämtlich von den
divi fratres.
55) D. XXXI, 50, 2. — 56) Hist. Aug. Pius 12, 1.
57)' D. XXVIII, 4, 3 pr. berichtet er (1. XXIX dig.) selbst über eine
Verhandlung des Kaisergerichts aus dem Jahre 166 n. Chr.
— 118 —
einer der Besten, scharfsinnig und klar. — Digestorum l. XXXI
(unter M. Aurel und L. Verus)^^) notae ad Jid. di esta und ad
Pompon. regulas, ad leg. Jid. et Pap. l. VI, de officio consulis
libt'i, responsonmi l. sing. — Eine Stelle in den Digesten^^)
stammt nach der Inskription aus einem Werk des Marcellus
de publicis iudiciis. Sie wird aber wohl richtiger dem gleich-
namigen Werk Marcians (65) zuzuschreiben sein. Ebenso wird
die einzige Stelle, welche angeblich des Marcellus Werk de
officio praesidis angehört,*^") dem so betitelten Werk Macers
[6G) entstammen.
§ 21.
Die Juristen von Scävola bis zum Ausgang der
klassischen Zeit.
50. Q. Cervidius Scävola, Konsiliar M. Aureis, ^) Lehrer
von") Tryphonin (53)^) und Paulus (62),*) in seinen Bescheiden
auffallend kurz. Sein Hauptwerk sind Digestoj'iim l. XL, voll-
endet nach Erlaß des SC Orphitianum a. 178, 5) aber vor
dem Tode M. Aureis (a. 180),^) ferner schrieb er quaestiomim
L XX (nicht vor der Mitregentschaft von M. Aurel und Com-
modus),"^) responsorum l. IV (wie es scheint, unter Septimius
Severus),^) notae ad Juliani und Marcelli digesta, quaestionnm
58) Marcell. 1. III digestor. D. IV, 1, 7 pr. : Divus Anloninus (Pius);
s. auch Anm. 45.
59) D. III, 2, 22. 60) D. IV, 4, 43.
1) Hist. Aug. Marc. Aur. 11, 10. ■^) Ob auch Papinians? S. Anm. 10.
3) Tryph. D. XX, 5, 12, 1. XLIX, 17, 19 pr. Scaevola noster.
*) Paul. D. 111,5, 18, 1. IV, 4, 24, 2. XII, 14, 27, 2: Scaevola noster.
*) Im neunten Buch kennt er das Erbrecht der Kinder am Vermögen
der Mutter, wie es durch das SC. Orphitianum a. 178 eingeführt ist. D. XXII,
3, 29, 1.
®) In D. XVIII, 7, 10 trägt Tryphonin eine dem Scävola unbekannte
Entscheidung des Kaisers Marcus nach.
') Die Constitutio Marci et Commodi ad Aufidium Victorinum (C. I. IV,
57, 2) hat Scävola im 14. Buch der Quästionen besprochen (Ulp. D. IV, 4, 11, 1).
®) Dies wird daraus gefolgert, daß D. .XXVl, 7, 47, 4 vom Präfectus
— 119 —
publice tractataruiiL l. sing., regularum l. IV und de quaestione
familiae l. sing.
51. Tarruntenus Paternus, Präfectus Prätorio, unter
Comniodus hingerichtet,'') schrieb de re militari.
52. Ämilius Papinianus/^j Magister Libellorum, ^^) von a.
203 an Präfectus Prätorio.^") Caracalla ließ ihn a. 212 hin-
richten, weil er in der einen oder andren Weise dessen an
Geta begangenen Mord mißbilligt hatte. ^-^) Die Späteren
feiern ihn als den größten der römischen Juristen, und jeden-
falls ist er einer der allerersten; nur Julian ist man heute ge-
neigt, über Papinian zu stellen. — Qiiaestionum l. XXXVIl,
unter Septimius Severus^^) responsornm l. XIX, begonnen un"
ter Severus und Caracalla,^*) vollendet vielleicht erst unter
Caracallas Alleinherrschaft,^'') defiiiitionum l. II, de adnlteriis
l. II und /. sing., aGivv01.11/.6c /novößt-ßAog.
legionis spricht, ein Titel, den erst Septimius Severus eingeführt haben soll.
Hirschfeld, Hermes XII (1877) S. 142f. Die Beweise dafür, daß Scävola in den
Responsen das SC. v. 195 über die Veräußerung von Mündelgut nicht kennt
(D. IV, 4, 47, D. XXVI, 7, 47, 4; Lenel Paling. II col. 287 sq. nota 6),
scheinen mir nicht recht zwingend.
») Dio Cass. LXXI, 33. LXXII, 5. Hist. Aug. Commod. 4, 2.
^'') Leipold, über die Sprache des Juristen Ämilius Papinianus. Erl. Diss.
1891, dazu Kalb, Jahresber. f. Altertumswiss. LXXXIX (1896 II) S. 234 f.
Wölfflin, Krit. Vierteljahresschr. XXXIV (1892) S. 9 ff. Costa, Papiniano, 4 voll.
Brl. 1894 — 1899 gibt I, p. 3—49 die Biographie. Daß Papinian Schüler
Scävolas gemeinschaftlich mit dem späteren Kaiser Septimius Severus gewesen
und diesem als advocatus fisci im Amte nachgefolgt sei, ist sehr möglich, steht
aber Hist. Aug. Carac. 8, 3 nur von der Hand eines späten Interpolators
Mommsen, Zeitschr. der Sav.-Stift. XI (1890) S. 30ff. Daß Papinian aus
Afrika stammt, hat Kalb, Roms Juristen S. 111 ff. aus sprachlichen Erwägungen
höchst wahrscheinlich gemacht; dagegen freilich E. Th. Schulze, Zeitschrift
d. Sav.-Stift. XII (1892), S. 124 ff.
") Tryph. D. XX, 5, 12 pr.
12) S. Paul. D. XII, 1, 40 eine Verhandlung in seinem Gerichtshof ; über
die Zeitbestimmung vgl. Krüger S. 198 Anm. 6.
12a) Hist. Aug. Carac. 8, Sever. 21, 8.
13) Nach Marcus und Commodus: D. XXXI, 64. Nach Commodus:
D. XXII, 3, 26. Unter Septimius Severus: D. XXII, 1, 6, 1. L, 5, 7.
14) S. z. B. D. XXVII, 1, 30 pr. XXXIV, 9, 16, 1. XXXI, 78, 1.
15) D. XXXIV, 9, 18 (libr. XV resp.) nennt Severus schon divus, aber
vielleicht ist das in Wahrheit Note eines Kommentators Papinians.
— 120 —
53- Claudius Tryphoninus, Konsiliar des Septim. Seve-
rus, '**) Schüler Scävolas, schrieh notae zn de^sstn digesta-^ dis-
putation. l. XXI unter Caracalla.^^)
54. Messius, Konsiliar des Severus. ^^)
55. Papirius Fronto (responsa) von Callistratus citiert. ''-*).
56. Callistratus, Grieche, nimmt auf die Verhältnisse
der hellenistischen Reichsteile viel Rücksicht, schreibt unvoll-
kommenes Latein. — Quaestiommi l. VI und de iure fisci et
populi l. IV, unter Sept. Severus,^^) de cognitionib. l. VI, unter
Severus und Carac.,^^) instiiiitio)i. /. III, ad edictum monitorium
l. VI (das letzte Wort des Titels unklar).
57. Arrius Menander, Konsiliar von Severus und Cara-
calla.^^) — De re militari L IV.
58. TertuUianus schrieb de castrensi pecidio l. sing.,
unter oder nach Septim. Severus, ^^) qnaestion. l. VIII, dem
Ulpian unter Caracalla bekannt.^*) Ob der genannte Jurist
mit dem Kirchenvater TertuUianus identisch ist, ist zv^reifelhaft.^^'j
Unwahrscheinlich ist es durchaus nicht. Die Zeiten stimmen.
Der Kirchenvater lebte etwa 150 — 250-^) und war notorisch
der römischen Rechte gelehrt.-^) Daß er, Christ geworden, die
16) Paul. D. XLIX, 14, 50: der Kaiser befolgt in einem Urteil den Rat
Tryphonins.
17) S. z. B. D. XXVII, 1, 44 pr. D. XLIX, 15, 12, 17. Scialoja,
Bull, dell' istit. di dir. Rom. 1 (1888) p. 228 sq.
18) D. XLIX, 14, 50. 19) z. B. D. L, 16, 220, 1.
20) D. I, 3, 38. D. XLIX, 14, 2, 6.
21) D. I, 19, 3. 22) uip. D. IV, 4, 11. 2.
23) Er gibt dem peculium castrense einen Inhalt (D. XLIX, 17, 4 pr.),
den es erst unter Severus erhalten zu haben scheint. Fitting, peculium castrense
S. 36 f. 24) D. XXIX, 2, 30, 6.
25) Dagegen Krüger S. 203 Anm. 99. Lenel, Paling. II, Col. 341
nota 1. Dafür Teuffei- Schwabe § 372. Harnack Sitzungsberichte der Berl.
Akademie 1895 XXIX S. 550 Anm. 1. Auf das Argument Harnack s, daß
der Juri.st Tertullian de castrensi peculio schrieb, der Vater des Theologen aber
Centurio war und der Theologe eine gewisse Vertrautheit mit militärischen Dingen
zeigt, ist wohl nicht viel zu geben. Übrigens hält Harnack selbst Zweifel
nicht für ausgeschlossen. Voigt, Rechtsgesch. II S. 257.
26) Teuffcl-Schwabe §. 373.
27) Euseb. bist. eccl. II, 2, 4; auch Tertulliaus Schriften zeugen davon.
— 121 —
Christenverfolger kurzsichtig, befangen, ja sophistisch be-
fehdet,-**) schheßt nicht aus, daß er ein tüchtiger Jurist war.
59. Claudius Saturninus, mit Venulejus Saturninus nicht
identisch, wohl Zeitgenosse Papinians. - — De poenis paganorinn
l. sing. (s. ob. 43).
60. Arrianus, de interdictis, von Paulus und Ulpian
citiert.'^")
61. Puteolanus, von Ulpian citiert.^*^)
62. Julius Paulus, Schüler Scävolas,^^) Assessor Papi-
nians, des Präfectus Prätorio,^^) Konsiliar des Severus oder
des Caracalla, ^^) Präfectus Prätorio neben Ulpian unter Ale-
xander Severus.^*) Ein feiner, logischer, zuweilen überlogischer
Denker. — Ad edict. praetoris l. LXXVIIL dazu ad ed. aed.
cur. l. II, vielleicht noch vor Septim. Severus, 3^) ad. Sabin, l.
X\^I, unter Sept. Sever.,^*") decretor. l. III, unter Severus und
Caracalla,^') rcsponsor. L XXIII, unter Elagabalus^^) und Ale-
xander Severus,^'') sententiar. l. V, nach a. 206,*") quaestion. L
XXVI, nach Septim. Sever.-*^) Ferner: institution. /. //, regu-
lär, l. VII und /. sing. Bearbeitung von Alfens Digesten, ^^)
28) Krüger S. 203 Anm. 99.
29) Ulp. D. V, 3, 11. Paul. D. XXXVIII, 10,5. 30) d. II, 4, 12.
31) Anm. 4. S2) Paul. D. XII, 1, 40. Bericht über eine Beratung.
33) Paul. D. IV, 4, 38. D. XXIX, 2, 97. Berichte über Beratungen.
Hist. Aug. Pescenn. 7, 4.
3-1) Hist. Aug. Alex. Sev. 75, 5. 68, 1.
3ö) Fitting, Alter der Schriften S. 46 castrense peculium D. XXXII.
Krüger S. 207. Der Ansatz ist aber unsicher. Erheblich später datiert
Pernice, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XIII (1892) p. 281 Anm. 4, aber, daß Paul.
D. XLIV, 4, 5, 6 nach Carac. C. I. IV, 30, 2 a. 215 geschrieben ist, ist auch
nicht sicher.
36) Scheint vor Papinians Quästionen verfaßt zu sein. Krüger S. 207.
3'') Diese sind die imperatores nostri in D. XXVIII, 5, 93 (92); vgl.
D. L, 2, 9 pr. Severus Augustus.
38) Der Imperator Antoninus in D. XLVIII, 19, 43 pr. ist Elagabalus.
Fitting S. 50.
39) Paul. D. XXXI, 87, 3. 4. XLIX, 1, 25.
40) Paul. II, 28, 5. 7 kennt das SC. vom J. 206 über die Schenkungen
unter Ehegatten.
■ti) Paul. 1. 1 quaest. D. L, 1, 18: Divus Severus.
42) Dazu Ferrini, Ricerche critiche ed esegetiche Bull, dell'istit. di dir. R.
IV (1891) p. 1 sg.
122
von Labeos 7ii,'iuvu, ad Vitcllhuii l. IV, ad Plantiinii l.
XVIII,-^^) ad Neratmm l. /F/*) notae zu Julian, Scävola, Papi-
nian, iinperialiwn sejiteiitiariüu in cognitionibus prolatariivi l.
F/; zu verschiedenen einzelnen leges^ de senatiis consultis, und
zu verschiedenen einzelnen SCC, de officio verschiedener Be-
amter, und manches andere, zusammen ungefähr 90 Schriften.
63. Domitius Ulpianus, aus Tyrus in Phönizien stam-
mend,*'^) war mit Paulus Assessor Papinians,-^") wurde anschei-
nend von Elagabalus verbannt,-*') aber unter Alexander Seve-
rus zurückgerufen und zum Magister Libellorum,^*^), dann zum
Präfectus Annonae,^®) schließlich mit Paulus zum Präfectus
Prätorio ernannt/^^) Er war der vertrauteste Ratgeber des
Kaisers, von ihm wie ein Vormund angesehen."^ ^) Im Jahre
228 wurde er von den Prätorianern ermordet.-^) Seine Werke
sind zumeist unter Caracalla geschrieben, vor seiner großen
Amtstätigkeit. Die bedeutendsten sind: Ad edict. praetoris l.
LXXXI, dazu als Anhang ad ed. aed. cur. l. II, die ersten
50 Bücher unter Caracalla-^^) und ad. Sabin. /. LI unter Caracalla
i3) Dazu Riccobono Bull, dell'istit. di dir. Rom. VI(1893) p. 119 sg.
**) Dazu Landucci im Jubiläumsband für serafini (Studi giuridici etc.)
Fir. 1892 p. 403 sg.
■15) Ulp. D. L, 15, 1 pr. Phoenice splendidissima Tyriorum colonia,
unde mihi origo est.
16) Hist. Aug. Pescenn. 7, 4. Alex. 26, 6.
17) Hist. Aug. Heliogabal. 16, 4.
*S) Hist. Aug. Pesc. 7, 4. Alex. 26, 6.
49) C. J. VIII, 37, 4 a. 222. 30. März.
50) C. J. IV, 65, 4 a. 222. 1. Dez. (Hist. Au^j. Alex. 26, 5. Dio Cass.
80, 1.)
51) Hist. Aug. Alex. 26, 6. 31, 2. 3. 34, 6. 51, 4. 67, 2. 68, 1.
52) Dio Cass. 80, 2, 2.
53) Im 9. Buch erscheint Caracalla als allein regierend (D. 111,3,32,2),
ebenso im 50. : Imperatoris nostri et divi Severi (D. XLVIII, 18, 3). Anderer-
seits kommt im VI., XI., XV., XXXV. Buch Severus als lebender Kaiser vor
(D. III. 2, 24, IV, 4, 22, V, 3, 20, 12, XXVI, 10, 3, .3). Danach wird an-
genommen, daß Ulpian zu Lebzeiten des Severus einen ersten Entwurf des
Werkes bis mindestens Buch 35 anfertigte, und daß bei der Schlußredaklion
unter Caracalla einige Hinweise auf Severus als einen Lebenden stehen blieben.
Ob der letzte Teil des Werkes von Buch 51 an noch unter Caracalla oder
später vollendet wurde, ist zweifelhaft. Ein und derselbe Erlaß Caracallas
kommt im 52. Buch in D. XXXVI, 4, 5, 16 als vom regierenden Kaiser
— 123 —
(unvollendet).-^^) Dazu kommen Institution, l. II, regulär. L sing.,
opinion. L VI, nach Erlaß des SC. über Veräußerung der Mündel-
güter (a. 195)/'^) de fideicoDiniissis /. VI, ad. leg. Jul. et Pap.
l. XX, de officio consulis l. III, de officio proconsulis
l. X, de omnibjis tribunalibus l. X^^^) sämtlich unter Caracalla,^'')
de appellationib. l. IV, unter Caracalla oder Elagabalus,^^) ad
Isg- Jid. de adtdteriis l. V, nach Caracallas Tode;^^y ferner
re Sponsor, l. II, disputation. l. X., regulär, l. VII, navör/aov
ßißli'u X, pandectarum l. sing., notae zu Papinians Responsen
und Marcellus' Digesten, einiges andere. Wenn auch Ulpian
kein originaler Kopf war, so war er doch ein Meister in der
Beherrschung der gewaltigen Rechtsliteratur und steht den
Vorlagen, die er bearbeitet, mit selbständiger Kritik gegen-
über.«")
Antoninus und gleich darauf als vom verstorbenen Kaiser Antoninus herrührend
vor. Es mui5 aber auch beachtet werden, dai3 im 73. Buch noch einmal
steht ab Imperatore Severe et Antonino rescriptum est. (D. XLIl, 8, 19, 1. So
die Florentiner Handschrift. Mommsen h. 1. will freilich einfach setzen: a
Severe et Antonino.) Wäre es nicht die nächstliegende Annahme, daß das
ganze Werk zweimal bearbeitet ist, das erste Mal vor dem Tode des Septimius
Severus, das zweite Mal nachher und zum Teil nach dem Tode Caracallas?
Vgl. Fitting, S. 38fr. Mommsen, Zeitschr. für Rechtsgesch. IX (1888)
S. 101 ff. Fitting, Castrense peculium S. XXXV f. Kariowa S. 743.
Krüger, S. 217f.
54) D. XXXVIII, 17, 1, 3. Imperator noster et divus pater eins. D.
XXX, 37 pr. Imperator noster et divus Severus. D. XXIV, 1, 32 pr. : Im-
perator noster Antoninus Augustus ante excessum Di vi Severi patris sui. Daß
das Werk unvollendet ist, beruht auf der Beobachtung, daß es das Sabinus-
system nicht vollständig umfaßt. Krüger S. 219. Nach c. Cordi § 3 i. f.
hat Ulpian eine zweite Auflage erscheinen lassen. Das kommt auch heute bei
unvollendeten Werken vor. (Pernice, Labeo.)
ö5) D. XXVII, 9, 9, 10.
56) Pernice, Zeitschr. d. Sav.-.Stift. XIV (1893) S. 135 ff. Kubier,
Festschrift für Hirschfeld. Berl. 1903.
57) Die Beweise beruhen auch hier auf den Kaiserbezeichnungen. Siehe
Fitting S. 34ff. XIX, 1. 2. 3. 4. 5.
58) Welcher von beiden der Kaiser in D. XLIX. 5, 5, 3 ist, ist zweifelhaft.
59) D. XLVIII, 5, 14, 3 Divi Severus et Antoninus.
6«) Pernice, Ulpian als Schriftsteller, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1885 S. 443 ff., setzt den Ulpian etwas zu tief herab.
__ 124 —
64- Licinius Rufinus, Schüler des Paulus/") regulär, l.
XII oder XIII.
65. Älius Marcianus schrieb de appellationib. l. II, nach
dem Tode des Septim. Severus,^^) institutio7i. l. XV (XVI ?),
regulär, l. V, de üidiciis piiblicis l. II, ad fornndam hypo-
thecariani l. sing., ad SC. Tiirpilliammi l. sing., de delatoribus
l. sing., notac zu Papinian de adultcriis.
66. ÄmiHus Mac er, tätig unter Caracalla und Alexander
Severus,*^) verfaßte de appellationib. l. II, de publicis indiciis
l. II, de officio praesidis l. II, ad leg. vicesiniam Jiereditatiuin
l. II, de re militari l. II.
6"]. Julius Aquila, etwa gleichzeitig, responsa.
68. Furius Anthianus, etwa gleichzeitig, Kommentar
zum Edikt, von dem die Kompilatoren nur noch 5 Bücher
hatten.
69. Rutilius Maximus, etwa gleichzeitig, ad leg. Fal-
cidiavi l. sing.
70. Herennius Modestinus, Schüler Ulpians,^^) als Respon-
dent erwähnt a. 239,^^) zwischen d. J. 226 und dem J. 244
als Präfectus vigihun in der lis fidlonuni tätig ;^^) schrieb seine
Werke nach Caracallas Tode,^'') nur de lieiwematicis l. sing.
(kasuistisch) könnte früher sein, jedenfalls nicht vor a. 204.*'^)
Regulär, l. X, pandectar. l. XII, differentiar. l. IX. (Unter-
scheidungen von Dingen, die leicht verwechselt werden), re-
61) Er befragt ihn in D. XL, 13, 4.
62) D. XL IX, 1, 7 Divus Severus.
63) D. XXIX, 2, 61 libr. I de off. praesidis: divus Severus. D. XLIX,
13, 1 pr. libr. II de appell. : imperator noster Alexander.
64) Ulp. D. XLVII, 2, 52, 20. Herennio Modestino studioso meo de
I ) almatia consulenti rescripsi.
65) C. I. III, 42, 5. 66) Bruns I p. 362 sq.
67) Dies paßt vor allem zu dem, was wir sonst von seiner Lebenszeit
wissen, und im allgemeinen auch zu den Kaiserbezeichnungen (Stellen bei
Fitting S. 53 ff.). Daß regulär. 1. VL (D. I, 9, 8) und in den Büchern
de poenis (z. B. D. XXXIX, 4, 6) Divus Severus et Antoninus vorkommt, ist
kein Beweis dafür, daß Caracalla damals noch lebte; s. Fitting selbst, dann
Mommsen Zeitschr. f. Rechtsgesch. IX (1888) S. 108 sq.
68) D. XVIII, 6, 4, 2; Severus et Antoninus constituit, bezieht sich
auf C. I. VI, 26, 2 a. 204.
— 125 —
Sponsor, l. XIX, de excusationib. l. VI, griechisch {Tiaoalzt^aig
k7iiiQ07irg -Aal xouQacooias) vorwiegend auf provinzielle Ver-
hältnisse berechnet, de poenis l. VI, de praescriptionib. l. sing.^^)
libri Singular es de emicleatis casibiis, de mamimissionib.,
de ritii nnptiar.^ de differentia dotis, de legatis et fideiconiiniss.,
de testamentis, de inofficioso testaiJi."'^)
71. Hermo genianus wird meist erst in das 4. Jahrh.
versetzt, aber aus unzureichenden Gründen; der Sprache nach
gehört er noch der klassischen Zeit an.'^) Er schrieb Juris epito-
marum l. VI, eine Verarbeitung früherer Juristenschriften.^^)
72. Aurelius Arcadius Charisius, Magister Libellorum,")
gehört in das 4. Jahrhundert;") — Libri singidai'es de muneribus
civilibus. de officio praefecti praetoj'io, de testibus.
§ 22.
3. Die Behandlung der Schriften der klassischen Juristen
in der Folgezeit.
Die seit dem 3. Jahrhundert erstarkende Sitte, die ein-
zelnen Schriftstellen der klassischen Juristen wie Gesetzestexte
zu eitleren, ist in der nachdiocletianischen Zeit vollkommen
an der Tagesordnung. Jus bedeutet jetzt vorzugsweise das
Recht der Juristenschriften im Gegensatz zu den Konstitutionen
[ins legesgue)}) Dabei mußten sich aber wegen der Menge
69) D. XLV, 1, 101, angeblich aus Buch 4, kann aus Buch 4 der
pandectae sein.
^^) D. XLl, 1, 53. 54, welche die Inskriptionen einem Werk des Modestin
ad Q. Mucium beilegten, scheinen von Pomponius zu sein.
71) Kalb, Roms Juristen S. 144.
72) Diesem Werk mag auch D. XXXVI, 1, 14 entstammen, welche Stelle
die Inskription einem 4. Buch fideicommissorum beilegt.
73) D. I, 11, 1.
74) Nicht weil er in D. I, 11, 1, 1 ein Gesetz Constantins vom J. .331
(C. Th. XI, 30, 16) erwähnte; denn die sententia principalis publice lecta,
von der er spricht, ist das nicht; wohl aber wegen seiner Sprache.
ly C. Th. XI, 36, 25 (a. 378) satis et iure et constitutionibus eautum
est. Nov. Val. 31, 1, 5 (a. 451) gnaros iuris et legum. In C. Deo auctore
— 126 —
des Stoffes und der Meinungsverschiedenheiten der klassischen
Juristen häufig Zweifel und Zufälligkeiten in der Auswahl des
der Entscheidung zu Grunde zu Legenden, und wegen der
Unvollkommenheit des Buchwesens Entstellungen, selbst Fäl-
schungen der Texte einstellen. Die Gesetzgebung hat öfter,
freilich roh und willkürlich, die Benutzung der Juristenschriften
in den Gerichten zu regulieren gesucht.
Konstantin verbot im J. 32 1") die Benutzung der Notae
von Paulus und Ulpian zu Papinian mit dem albernen Grunde:
qui dum ingenii Imidem sectantiir, non tain corrigere eiini quam
depravare nialuermit. Dies war später auch auf die Noten
Marcians ausgedehnt.^) Wahrscheinlich im Jahre 328*) wurden
alle Werke des Paulus, entsprechend dem Ansehen, das sie
schon hatten, namentlich aber die Sententiae, unter besonderer
Hervorhebung ihrer Vortrefflichkeit mit Gesetzeskraft aus-
drücklich bekleidet, eine Ausnahme in Bezug auf die Noten
zu Papinian ist nicht ausdrücklich, aber wohl stillschweigend
gemacht.
Im J. 426 erging das berühmte s. g. Citiergesetz Va-
lentinians III.^) Man scheint in der Praxis sich hauptsächlich
mit den Werken von Gajus, Papinian, Paulus, Ulpian und
Modestin begnügt zu haben. Die ältere Literatur, die bei
diesen, besonders bei Ulpian, reichhaltig exzerpiert vorlag, scheint
selten geworden zu sein. Nun bestätigt das Gesetz die Schriften
spricht Justinian von den zwei Codices uno constitutionum, altero iuris enu-
cleati = Digesten!
2) C. Th. I, 4, 1. ^) C. Deo auctore § 6. *) C. Th. I, 4, 2.
^) C. Th. I, 4, 3. Papiniani, Paulli, Gaii, Ulpiani atque Modestini scripta
universa firmamus ita, ut Gaium quae Paullum, Ulpianum et cunctos comitetur
auctoritas, lectionesque ex omni eins opere recitentur. Eorum qiioque scientiam,
quorum tractatus atque sententias praedicti omnes suis opcribus miscuerunt,
ratam esse censemus, ut Scaevolae, Sabini, luliani atque Marcelli, omniumque,
quos illi celebrarunt, si tarnen eorum libri, propter antiquitatis incertum, codicum
collatione firmentur. Ubi autem diversae sententiae proferuntur, potior numerus
vincat auctorum, vel, si numerus aequalis sit, eius partis praecedat auctoritas,
in qua excellentis ingenii vir Papinianus emineat, qui ut singulos vincit, ita
cedit duobus. Notas etiam Paulli atque Ulpiani in Papiniani corpus factas
(sicut dudum statutum est) praecipimus infirmari. Ubi autem pares eorum
sententiae recitantur, quorum par censetur auctoritas, quod sequi debeat, eligat
moderatio iudicantis. Paulli quoque Sententias somiKT valere praecipimus.
— 127 —
jener fünf mit der Hervorhebung, daß Gajus dieselbe Au-
torität haben soll wie die andern. Auch die Sententiae des
Paulus werden noch besonders bestätigt. Die Noten von
Paulus und Ulpian zu Papinian bleiben ausgeschlossen. Es gelten
aber auch die Ansichten derer, welche bei den Fünf citiert sind;
unter ihnen werden Sabinus, Scävola, Julian, Marcellus be-
sonders genannt. Und zwar dürfen nicht bloß die von den
Fünf citierten Stellen, sondern die Werke der Citierten selbst
benutzt werden, diese aber nur, wenn die Echtheit der Lesart
durch Vergleichung mehrerer Handschriften festgestellt wird.
Wenn Meinungsverschiedenheiten unter den Autoritäten ob-
walten, so entscheidet deren Mehrzahl, bei Stimmengleichheit
Papinian, und nur bei Stimmengleichheit unter den übrigen
darf der Richter den eigenen Verstand gebrauchen.
§ 23.
4. Die nachklassische Jurisprudenz.
Der Niedergang der römischen Jurisprudenz ist von der Mitte
des dritten Jahrhunderts an zu datieren. Es ist kein rascher
Sturz, sondern ein allmählicher Verfall im Zusammenhange
mit dem allgemeinen Verfall der römischen Welt.
Ein Hauptgrund des Verfalls der Rechtswissenschaft ist
in der veränderten Stellung der Kaiser ihr gegenüber zu suchen,
eine Veränderung, die freilich eine schon stark zurückgegangene
Jurisprudenz voraussetzt. Die absolutistischen Kaiser seit
Diokletian haben das his respondendi nicht mehr verliehen;
sie haben die zwischen dem geltenden Recht und den An-
forderungen der Äquität vermittelnde Interpretatio als kaiser-
liches Privilegium in Anspruch genommen,^) den Juristen also
die alte Stellung als Fortbildner des Rechtes zu entziehen
gesucht ; sie haben die freie Bewegung des Richters durch die
Citiergesetze geknebelt. Daß hierdurch die in der Rechts-
wissenschaft noch lebenden Kräfte umsomehr gelähmt wurden,
1) Constantin C. J. I, 14, 1.
— 128 —
ist begreiflich. Aul5er den Arbeiten des schon § 21, 72 mit
aufgeführten Arcadius Charisius sind Sammelarbeiten und
Schollen das Einzige, wovon wir noch hören. Gegen die
justinianische Zeit zeigt sich aber wieder ein entschiedener Auf-
schwung in den Rechtsschulen, vor allem in der von Berytus. Als
bedeutende Lehrer des fünften Jahrhunderts, zumeist in Berytus,
sind bezeugt: Cyrillus, Domninus, Demosthenes, Eudoxius, Patri-
cius.'j Am besten zeigt die Wiedererhebung der Rechtswissen-
schaft die Tatsache, daß es dem Kaiser Justinian gelang, den
unter Theodosius II gescheiterten Plan einer grossen Kodifi-
kation auszuführen, und daß die Jurisprudenz seiner Zeit die
Fesseln sprengte, die er ihr in der Bearbeitung der Kodifikation
aufzulegen gedachte.
§ 24.
5. Die Überlieferung der juristischen Werke.
Das meiste, was wir von den Werken und Aussprüchen
der römischen Jurisprudenz kennen, verdanken wir den Justi-
nianischen Digesten; auch die justinianischen Institutionen, und
hie und da auch Codex und Novellen tragen dazu bei. Die
Werke der nachklassischen Zeit haben zum guten Teil ihre
Bedeutung darin, daß sie Quellen für die Kenntnis der Klas-
siker sind. Dazu kommen sonstige litterarische Notizen. Im
Original haben wir nur verhältnismäßig weniges.^)
2) Huschke p. 860 sqq.
1) Die Werke der klassischen Jurisprudenz, soweit tunlich in ihrem
ursprünglichen Zusammenhange wiederhergestellt, bietet Lenel, Palingenesia
iuris civilis (2 Bände. Leipzig 1888/9), ein ganz ausgezeichnetes Werk. Gajus'
Institutionen, die Sententiae des Paulus, Ulpians 1. sing, regulär, und einiges
andere hat Lenel nicht aufgenommen. Vgl. Kipp, Krit. Viertcljahrsschr.
XXXIII (1890)S. 481 ff. Ähnliche Zwecke verfolgt Bremer, iurisprudentiae Ante-
hadrianae quae supersunt. Lips. I 1896. II, 1899. II, 2, 1900. Huschke,
iurisprudentiae Anteiustinianae quae supersunt (5. Auflage. Leipzig 1886) ent-
hält eine Sammlung der außerhalb der Digesten überlieferten Citate — und Aus-
gaben der selbständig überlieferten Schriften mit guten Parallelstellensamm-
lungen. Gajus s. auch .Vnm. 3. Kritisch besser sind die Au.sgaben in
— 129 —
In das folgende Verzeichnis sind auch einige nur halb
rechtswissenschaftliche Schriften aufgenommen.
I. Schriften der klassischen Zeit.
1. Gaii iiLstitutionuni conwientarii quattuor (§ 20, 38) waren
bis 18 16 nur bekannt in dem in der Lex Romana Wisigo-
thorum enthaltenen Auszug") (§ 25, l) und aus sonstiger
späterer Benutzung. 18 16 fand Niebuhr in der Bibliothek des
Domkapitels zu Verona einen Codex palimpsestus (rescriptus),
welcher unter Werken des heiligen Hieronymus den echten
Gajus enthält. Ein nicht reskribiertes Blatt der Handschrift
w^ar schon früher herausgegeben. Die Handschrift stammt
etwa aus dem 5. Jahrhundert und ist durch wiederholte Nach-
vergleichung bis auf verhältnismäßig wenige Lücken jetzt voll-
ständig entziffert.3) Im Jahre 1899 fand Chatelain in Autun
auf Palimpsestblättern Stücke einer Paraphrase des Gajus.
Die Handschrift stammt spätestens aus dem 5. Jahrhundert.
Das Werk selbst gehört jedenfalls den Zeiten des Tiefstandes
der Rechtswissenschaft an.*)
2. Maeciani assis disTribiitio.^)
3. Von Papiniani responsa (§ 21, 52) sind geringe Reste
des 5. und 9. Buches auf ägyptischen Pergamentblättern er-
halten; die des 5. in Berlin, zuerst 1879, die des 9. in Paris, zu-
erst 1883 herausgegeben. Ein Responsum Papinians bildet
Krüger, Mommsen, Studemund, collectio librorum iuris Anteiustiniani
(B Bde. Berlin 1877-90. Bd. 1 in 4. Aufl. 1900).
2) Hitzig, Beiträge zur Kenntnis und Würdigung des sog. westgotischen
Gajus, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XIV (1&93) S. 187 ff.
^) Nachbildung der Handschrift : Gaii institutionum commentarii quattuor.
Codicis Veronensis denuo collati apographum von G. Studemund (Leipzig
1874). Ausgaben: Collectio t. I, 4. ed. 1900. Huschke p. 148 sqq., jetzt
in neuer Bearbeitung von Seckel und Kubier 1903.
4) Vgl. Mommsen, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XX (1899) S. 235 f. Kalb,
Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. CIX (1901 II) S. 37 f. No. 77 und
dort Citierte. Die neueste Studemundsche Ausgabe (Collectio I) hat die
Fragmente von Autun mit aufgenommen. Ferrini und Scialoja, Bull, dell'
istit. di dir. Rom. XIII, 1 (1900).
5) Huschke p. 411 sqq.
Kipp, Quellen des röm. Rechts. "
— 130 —
den Schluß der Lex Romana VVisigothorum. Einen Satz
seiner Quästiones hat Harmenopoulos.*')
4. Pauli senteniiae (§ 21 ,62) kennen wir aus dem in der
Lex Romana Wisigothorum enthaltenen Auszuge, der aber
nicht den reinen Text bietet und nur etwa \y des Ganzen
umfaßt. In einigen Stellen der Handschriften ist er aus dem
echten Werk ergänzt. Dazu treten andre Bruchstücke in Dig.,
Collatio, Fr. Vat. und andern Werken.') Zwei geringfügige
Bruchstücke aus Paul. /. XXXII ad edictuni enthält ein zuerst
1897 herausgegebenes Pergamentstückchen. **)
5. Von Ulpiaiii institutioncs (§ 21, 63) sind Reste auf
Papyrus von Endlicher 1835 in der W'iener Bibliothek ge-
funden.9)
6. Ulpiaiii L sing. 7'egidarnni (§ 21. 63) ist enthalten in
einer Handschrift des 10. Jahrh. (im Vatikan) in einer wahr-
scheinlich bald nach 320 n. Chr. hergestellten Epitome, welche
Ergänzungen erhält durch Dig. und Collatio.'")
7. Das s. g. fragmenhwi de iiidiciis, ein ägyptisches Pa-
pyrusblatt, in Berlin, zuerst 1879 herausgegeben, vielleicht aus
einem selbständigen W^erk de iudiciis, vielleicht aus einem
Ediktskommentar. ■'^)
8. Fragnienta de iure ßsci, zwei zugleich mit dem Gajus
in Verona entdeckte Pergamentblätter aus dem 5. oder 6.
Jahrhundert. Das Werk selbst, zu dem sie gehören, scheint
dem Ende des 2. oder Anfang des 3. Jahrh. anzugehören. ■'-)
9. S. g. /ragmentum Dosithcanuvi. In einer Handschrift
zu St. Gallen folst auf die Ars erammatica des Dositheus
6) Collectio II p. 157. III p. 285 sqq. Huschke p. 435 sqq.
"') Collectio II p. 39 sqq. Huschke p. 450 sqq. Citate aus Paulus'
Institutionen: Collect. II p. 160. III p. 297 sq. Huschke p. 562.
8) Krüger, Zeitschr. der Sav.-Slift. XVIII (1897) S. 224 f. Die erste
Herausgabe im gleichen Jahr von Grenfell u. Hunt. Vgl. auch Kalb,
Jahresber. f. Altertumswissensch. CIX (1901 II) S. 46 f.
®) Collect. II p. 157 sqq. Huschke p. 617 sqq.
10) Collect. II p. 1 sqq. Huschke p. 563 sqq. Citate aus Ulpian:
Collect. II p. 160. III p. 298. Huschke p. 623 sqq.
11) Collect. III p. 298 sq. Cantarelli, Bull, dell'istituto di dir. Rom.
VII (1894) p. 27 sg.
12) Collect. II p. 162 sqq. Huschke p. 633 sqq.
— 131 —
eine Sammlung von interpf'etametita, Übungsstücken zum Über-
setzen zwischen dem Griechischen und dem Lateinischen, die
man kein Recht hat, wie früher allgemein geschah, dem Do-
sitheus zuzuschreiben. Ein — durch andere Handschriften
überliefertes — Stück dieser Sammlung enthält einen juristi-
schen Traktat, lateinisch und griechisch, aber durch schlechtes
Hin- und Herübersetzen sehr entstellt. Die Rede ist von ins
naturale, gentium, civile, ins civile und ius honorariuni, dann
von Freilassungen. Das Werk, aus welchem das Bruchstück
stammt, ist nicht vor Julian geschrieben, der citiert wird.^'^)
10. Tractatiis de gi-adibus cognationwn, wohl aus klas-
sischer Zeit, in den Handschriften der notitia dignitatum}^)
11. Ein Stückchen von Pomponii über sing, regtäai^m}^)
12. Ein Satz aus Modestins libri regularum und ein Citat
wohl aus seinen differentiae}^)
13. Ein Pergamentblatt aus Ägypten in der Sammlung
des Erzherzogs Rainer, zuerst 1888 herausgegeben, aus einem
nicht bestimmbaren Werk, nicht vor Julian. In seinem Inhalt
tritt die forniula Fabiana hervor, daher genannt Fragin. de
form. Fab.'^'')
II. Aus nachklassischer Tj^it.
a) Aus dem westlichen Reiche.
14. Fragmenta Vaticana, auf einem Palimpsest im Vati-
kan von Angelo Mai entdeckt. Bruchstücke eines grossen
Sammelwerkes von Auszügen aus Schriften von Paulus, Papinian,
Ulpian, einer Schrift de interdictls, und Kaiserkonstitutionen,
materienweise geordnet, als selbständiges Produkt gering-
wertig, aber als Überlieferung sehr wertvoll, weil der Ver-
fasser die Texte nicht änderte. Entstanden im Westen ^^)
13) Collect. II p. 149 sqq. Huschke p. 424 sqq.
14) Collect. II p. 166 sqq. Huschke p. 626 sqq. Verwandtschafts-
tabellen: Collect. II p. 168. Huschke p. 628 sqq.
15) Collect. II p. 148. Huschke p. 146 sq.
16) Collect. II p. 161. Huschke p. 644.
17). Collect. III p. 299 sq.
18) Sie enthält Reskripte Maximians.
9*
— 132 —
zwischen 3/2^*) und 438,-^) wahrscheinlich aber zur Zeit Kon-
stantins angelegt und um 372 nur vermehrt."^)
15. Collatio legiiin Mosaicariim et Romanaruin, in den
Handschriften überschrieben : lex Dei quam praecepit Dominus
ad Moysen, eine Gegenüberstellung von Sätzen des Pentateuch
in lateinischer Übersetzung und Sätzen des römischen Rechts
aus Gajus, Papinian, Paulus, Ulpian, Modestin, nebst Konsti-
tutionen aus C. Gr., C. H. und einer Konstitution von 390,
entstanden im Westen zwischen 390 und dem C. Th. Zweck
des Verfassers war, die Übereinstimmung des RR. mit dem
biblischen zu zeigen.'^^)
16. Q. Aiirelii Symmachi relationes, aus seiner Amts-
führung als p7-aefectiis urbi von Rom 384 bis 385."'^)
17. Etwa 411/413 ist als Privatarbeit nach amtlichen
Quellen verfaßt die in einer Handschrift in Speier gefundene
notitia dignitatum uU'iusque imperii, ein Verzeichnis der
höheren Beamten beider Reichshälften mit ihrem Hilfspersonal
und den ihnen unterstehenden Truppenteilen nebst ihren In-
signien (mit Bildern). Die Bearbeitung ist so zu denken: Ein
occidentalischer Verfasser stellte nach dem Muster der ihm
vorliegenden notitia dignitatum des Ostreichs eine solche für
das westliche Reich auf.-^)
18. Coiisultatio, Sammlung von Gutachten, die ein Rechts-
gelehrter einem Anwalt erteilt, mit Belegen aus Pauli Senten-
tiae, CC. Gr., H. und Th., in der zweiten Hälfte des 5. oder
im 6. Jahrhundert wahrscheinlich in Gallien geschrieben.
19) Bis dahin reichen die Konstitutionen (§ 37).
20) Der C. Th. ist dem Verfasser unbekannt.
21) Collect. III p. 1 sqq. Husch ke p. 706 sqq.
22) Collect. III p. 107 sqq. Huschke p. 645 sqq. Conrat, Hermes
XXXV (1900) S. 344 ff. legt die Collatio dem Kirchenvater Hieronymus bei;
dagegen Kalb, Jahresber. f. Altertumswissensch. CIX (1901 II) S. 48 f. P'rüher
dachte man an Ambrosius von Mailand. Vgl. Krüger S. 303 Anm. 42.
23) Herausgegeben von W. Mcycr (Leipzig 1873), von Seeck (Berlin
1883) (Monum. German. auct. antiquiss. VI, I).
2*) Herausgegeben mit Kommentar von Böcking (Bonn 1839 — 53), von
Seeck (Berlin 1876). Über die Entstehung vgl. Joh. Schoene, Hermes XXXVII
(1902) S. 271 f.
— 133 —
Von Cujacius aus verschollener Handschrift herausge-
geben.^^)
19. Zwei Anhänge zur Lex Romana Wisigothorum
sind private Sammlungen von Auszügen aus römischen
Quellen.-«)
20. Cassiodorius Senator, c. 480 — 575, in zahlreichen
und den höchsten Ämtern der auf römischem Fuß gebliebenen
Verwaltung Italiens unter den Ostgoten tätig, schrieb varia-
7'mn l. XII, Sammlung von ihm verfaßter amtlicher Verfüg-
ungen und sonstiger Schriftstücke."^)
b) Aus dem östlichen Reiche.
21. Scholia Sinaitica. Im Sinaikloster sind kürzlich ge-
funden wenige Bruchstücke eines Werkes, welches Scho-
llen zu Ulpians libri ad Sabinuni enthielt. Dasselbe muß
im Orient nach dem C. Th. und vor Justinian verfaßt
sein und dem Rechtsunterricht, vielleicht in Berytus, gedient
haben.-«)
22. Das syrisch-römische Rechtsbuch. Nach 472,
aber vor Justinian, ist im Orient eine griechische Darstellung
römischen Rechts entstanden, von der Übersetzungen in die
syrische, arabische und andere orientalische Sprachen erhalten
sind. Diese Übersetzungen haben jahrhundertelang von r\gypten
bis Armenien große Anerkennung gefunden und sich sogar
dem Justinianischen R. gegenüber behauptet. Sie enthalten
das RR. nicht ungetrübt, vieles ist mißverständUch, vieles in
offenbar absichtlicher Abweichung vom RR. wiedergegeben
(besonders in der Intestaterbfolge). Der Titel der Hand-
schriften: „Gesetze und Befehle der siegreichen Könige" oder
^Gesetze der siegreichen christlichen Könige Konstantin, Theo-
25) Collect. III p. 199 sq. Huschke p. 835 sqq.
26) Collect. III p. 249 sqq.
27) Ausgabe von Mommsen, monum. Germaniae, auctores antiquiss. t.
XII. Berlin 1884.
28) Collect. III p. 265 sqq. Huschke p. 815 sqq. Zachariae von
LingentKal. Bull, dell' istiluto di dir. Ro. V (1892) p. 1 sg. Riccobono
das. IX (1898) p. 217 sg.
— 134 —
dosius und Leo" paßt nicht; denn Konstitutionen dieser Kaiser
bilden den geringsten Teil.'"")
23. Johannes Lydus schrieb unter Justinian de viagistra-
tibiis rei public ae Romanae?^)
29) Mit deutschen Übersetzungen und Kommentar herausgegeben von
Bruns und Sach au (Leipzig 1880). Ferrini, Beiträge zur Kenntnis des s. g.
syrisch-römischen Rechtsbuchs, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XXIII (1902) S. 101 ff.
30) Corpus scriptorum historiae Byzantinae. (Bonn 1837) p. 119 sqq.
Fünftes Kapitel.
§ 25.
Leges Romanae der g-ermanischen Reiche.
In den germanischen Reichen auf römischem Boden sind
drei Gesetzbücher erlassen, die, aus den Quellen des römischen
Rechts geschöpft, für die Erkenntnis des vorjustinianischen
Rechts von großer Wichtigkeit sind, obwohl sie es nicht un-
getrübt enthalten.
I. Lex Roniana Wisigothornm im J. 506 von König Ala-
rich II gegeben für die Römer des Westgotischen Reiches,
später Bi-eviaruan Alaricianum genannt. Sie ist hergestellt
von einer Kommission von Pnidentes und enthält Auszüge
aus C. Th., posttheodosianischen Novellen, Gaii Institution.,
Pauli sententiae, C. Gr., C. H. und ein Responsum Papinians.
Gajus ist aufgenommen in einer verkürzten Bearbeitung, welche
wahrscheinlich im 4. oder 5. Jahrh. für Schulzwecke hergestellt
war; sie läßt das 4. Buch ganz fort und zieht die drei ersten
in zwei zusammen. Bei den anderen benutzten Quellen ist
den Auszügen, soweit es erforderlich erschien, eine vitcrpretatio
beigegeben, welche aber die Prudentes in der Hauptsache aus
bereits vorhandenen schulmäßigen interpretationes ausgezogen
haben. ^)
II. Edichim TJieodcrici, erlassen von Theoderich dem
Großen gemeinsam für Römer und Ostgoten, wahrscheinlich
bald nach 512, enthält in selbständiger Fassung Rechtssätze,
die aus den CC. Gr. H. Th., posttheodosianischen Novellen,
Pauli Sententiae und vielleicht noch anderen Ouellen des
^) Ausgabe Haenel, lex Romana Visigothorum (Leipzig 1849).
— 13G —
römischen Rechtes, auch aus den interprctationes geschöpft
sind.-)
III. Lex Romana Burgiindiommi. In dem gegen Ende
des 5. Jahrh. erlassenen Gesetzbuch für die Burgunder (Gundo-
bada), welches nur teilweise auch für die Römer des Burgun-
dischen Reiches galt, hatte König Gundobad (473 — 516) den
Römern ein besonderes Gesetzbuch versprochen. Dieses ist
erlassen wahrscheinlich noch von Gundobad, jedenfalls vor
Untergang des burgundischen Reichs (534). Die Lex Romana
Burgundionum stellt in selbständiger Fassung römische Recht.s-
sätze, nicht frei von burgundischen Elementen, zusammen.
Benutzt sind CC. Th. Gr. H., posttheodos. Nov., Pauli Sen-
tentiae und Gaii Institutiones (oder Regulae?), auch die vor-
handenen Interpretationen.'^)
2) Ausgabe: Bluhme, monumenta Germaniae leges V p. 145 sqq.
(Hannover 1875.)
3) Ausgaben: Bluhme, monumenta Germaniae leges III p. 579 sqq.
(Hannover 1863). v. Salis. raon. Germ. leg. sect. I t. II p. I (Hannover 1892).
Sechstes Kapitel.
Die Justinianische Gesetzgebung und ihre
orientalischen Bearbeitungen.
§ 26.
I . Der \'^erlauf der justinianischen Gesetzgebung.
Kaiser Justinian (527 — 565) hat den Plan Theodosius' II,
eine umfassende Kodifikation aus Konstitutionen und Juristen-
schriften herzustellen, wieder aufgenommen und zum Ziel ge-
führt. Sein Hauptratgeber dabei war Tribonian.
I. Zuerst befahl der Kaiser am 13. II 528 durch die
(ebenso wie die im folgenden angeführten) nach den Anfangs-
worten so benannte c. Haec quae necessario'^) einer Kommis-
sion von 10 Mitgliedern, darunter Tribonian, Magister Officiorum,
und Theophilus, Professor (aiitecessor) in Konstantinopel, die
Abfassung eines neuen Codex Constitutionum, welcher am
7. April 529 durch die c. Suiiniia rei publicae-) mit Gesetzes-
kraft vom 16. April 529 an veröffentlicht wurde.
II. Auf Grund eines der c. Deo auctore vom 15. Dez. 530'^)
vorangegangenen Befehls bildete Tribonian, jetzt Quaestor
sacri palatii, unter seiner Leitung eine Kommission von 17
Mitgliedern, Constantinus, Comes sacrarum largitionum u. s. w.,
zwei Professoren von Konstantinopel, Theophilus und Cratinus,
zwei von Berytus, Dorotheus und Anatolius, und elf Advokaten
*) Die erste Vorrede des Codex Justinianus.
2) Zweite Vorrede des C. J. 3) 1. Vorrede der Digesten.
— 138 —
vom Gericht des Präfectus Prätorio Orientis,*) zum Zwecke
der Ausarbeitung einer Sammlung von Auszügen aus den
Juristenschriften (Digesta, Pandcxtae). Das Werk dieser Kom-
mission ist durch c. Tanta, in griechischer Ausfertigung
Jf.ÖLüAev,^) vom i6. Dez. 533 mit Gesetzeskraft vom 30. Dez.
533 publiziert und gleichzeitig durch c. Oninein rei publicae^)
den Professoren in Konstantinopel und Berytus als nun-
mehr zu beobachtende Grundlage des Rechtsunterrichts zu-
gefertigt.
III. Das schon in der c. Deo auctore (§ 11) in Aussicht
genommene Lehrbuch für Anfänger, Institutiones oder Elevienta,
ist nach Fertigstellung der Digesten von Tribonian, Dorotheus
und Theophilus auf Befehl des Kaisers ausgearbeitet, aber
noch vor den Digesten durch c. Imperatorimn majestatevi "')
vom 21. Nov. 533 publiziert und nach c. Tanta § 23 mit
Gesetzeskraft vom 30. Dez. 533 an versehen.
IV. Seit Erlaß des Codex hatte Justinian durch einzelne
Konstitutionen manche Kontroversen der Juristen entschieden.
Diese Entscheidungen wurden in eine (verlorene) offizielle
Sammlung der quinquaginta decisiones gebracht.**) Auch waren
seit Erlaß des Codex manche sonstige Gesetze ergangen, und
in den Digesten durch Änderungen der alten Texte manche
Neuerungen eingeführt. Den hierdurch veralteten Codex Heß
Justinian durch Tribonian, Dorotheus und drei der an den
Digesten beteiligten Advokaten revidieren.
Das überarbeitete Werk, Codex Jiistinianus repetitae prae-
lectionis, wurde durch c. Cordi"^) vom 16. Nov. 534 mit Ge-
setzeskraft vom 29. Dez. 534 publiziert.
V. Nach Vollendung dieser Arbeiten erließ Justinian noch
eine große Zahl von einzelnen Gesetzen [Novellae leges) zum
Teil großen Umfangs und einschneidender Bedeutung. Diese
wurden amtlich in eine Sammlung eingetragen (ob. S. ']']^.
■*) c. Tanta § 9. ^) 3. Vorrede der Digesten.
6) 2. Vorrede der Dig.
'') Vorrede der Inst.
^) c. Cordi § 1 u. 5.
") 3. Vorrede zum Codex.
— 139 —
So viel wir wissen, ist aber diese Sammlung nicht offiziell
veröffentlicht.
VI. Nach Wiedereroberung Italiens führte Justinian seine
drei Gesetzbücher dort mittels Edikts ein, bestätigte ihre
Geltung durch die Sanctio pragmatica Pro petitione Vigilii
(vgl. ob. S. 74 Anm. 31) vom 13. Aug. 554 und ordnete zu-
gleich an, daß auch die Novellen in Italien ediktal publi-
ziert werden sollten.
§ 27.
2. Die Bestandteile der Justinianischen Gesetzgebung.
Die Institutionen.
Die Institutionen stellen das Privatrecht in kurzem
AbriiS dar, anhangsweise auch Strafrecht und Strafprozeß
berührend (IV, 18 de piiblicis iudiciis). Sie zerfallen in vier,
in Titel mit Rubriken geteilte Bücher. (Die Paragraphenein-
teilung ist späteren Ursprungs.) Nach c. Imperatoriam
maiestatem § 6 sind sie aus den älteren Institutionenlehr-
büchern, vornehmlich dem des Gajus, desselben res cottidianae
(ob. S. 115) und anderen Werken zusammengearbeitet. Ihre
Quellen im einzelnen geben sie nicht an. Was aus Gajus,
und hie und da, was aus anderen Juristenschriften oder Kon-
situtiönen entnommen ist, lässt sich durch Vergleichung ander-
weitiger Überlieferung feststellen; soweit diese Vergleichung
nicht führt, ist man beim Forschen nach den Quellen der
einzelnen Partieen der Institutionen auf stilistische Erwägungen
und sonstige Indizien angewiesen. Diese Forschung hat in der
neuesten Zeit erhebliche Fortschritte gemacht.^) Aus stilistischen
Gründen hat man mit Recht geschlossen, daß Buch I und II einen
andern Verfasser haben als Buch III und IV, und daß mut-
maßlich jeder der beiden an der Abfassung beteiligten Pro-
1) Ferrini, Bulletino dell' istituto di diritto Romano XIII (1900j p.
101 sq.; dazu Kubier, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XXIII (1902) S. 508 ff. Weiteres
bei Kalb, Jahresber. für Altertumswissenschaft LXXXIX (1896 II) S. 284 ff.
— 140 —
fessoren eine dieser Hälften bearbeitet hat, während Tribonian
nur die Oberleitung des Ganzen hatte.-) Eine Turiner Hand-
schrift hat Scholien, welche wohl in Justinians Zeit zurück-
gehen und vorjustinianische Quellen benutzen.^)
§ 28.
Die Digesten.
Die s. g. Kompilatoren der Digesten hatten Befehl,
die Schriften derjenigen Juristen, welchen die Kaiser das ius
respondendi (aitctoritatem conscribendarimi interpretandariimque
Icgum) erteilt hatten, zu exzerpieren, und die Exzerpte in
50 Bücher mit Titeleinteilung nach Anhalt des Codex Justinianus
und des prätorischen Edikts zu ordnen. Dieses Werk sollte
dann die alleinige Grundlage der Benutzung der Juristen-
schriften in den Gerichten sein; das Citiergesetz Valentinians III
wurde aufgehoben; alle Juristen sollten gleichstehen, auch die
Noten zu Papinian von Paulus, Ulpian, Marcian durfte die
Kommission benutzen. Sie sollte die alten Texte nach Er-
messen kürzen, ergänzen oder sonst verbessern. Widersprüche
sollten nicht vorkommen, auch keine Wiederholungen, weder
innerhalb der Digesten, noch im Verhältnis zum Codex, in
letzterer Beziehung höchstens dann, w^enn besondere Umstände
dazu führten. Aufgenommen werden sollte nur, was noch in
praktischer Geltung stand, worüber im Zweifel die Rechts-
gewohnheit von Konstantinopel entscheiden sollte.^)
Demgemäß umfassen die Digesten 50 Bücher, welche mit
Ausnahme von B. 30 — 32 in Titel mit Rubriken geteilt sind;
2) S. g. Turiner Institutionenglosse. Krüger, Zcitschr. f. Rechtsgesch.
VII, 1 (1886) S. 47 ff.
3) Zu dieser Frage Huschke, praefatio seiner Ausgabe der Institutionen
p. VI sq. Grupe, de Justiniani institut. compositione. Straßburg Diss. 1884.
Kariowa I S. 1015 f. Krüger S. 341 f. Ferrini, Zeitschr. d. Sav.-Stift.
XI (1890 S. 106 ff.). Zocco-Rosa, Per il XXXV anno d'insegnam. di F. Serafini
(Fir. 1892) p. 417 sq. Buonamici, Archiv, giur. LVIII (1897) p. 139 sq.
^) c. Deo auctore.
— 141 —
30—32 bilden zusammen einen Titel de legatis. Die Ord-
nung folgt den befohlenen Vorlagen. Die offizielle Einteilung
in sieben partes lehnt sich an die der Ediktskommentare und
dient hauptsächlich den Zwecken des Rechtsunterrichts.-)
Nach der c. Tanta § 2 sqq. ist die Einteilung folgende: I.
TCQioia lib. I — 4. IL de iiidiciis Hb. 5 — 11. III. de rebus Hb.
12 — 19. IV. timbiliciis lib. 20 — 27. V. lib 28 — 36, darunter
28 — 2<^de tcstaineniisht\\t^\\.\d^\Q. dann folgenden Inhaltsangaben
der c. Tanta treten nicht mehr als Titel auf. VI. lib. 37 — 44.
VII. lib. 45 — 50. Die Titelübersicht in der Florentiner Hand-
schrift ^) weicht von dieser Einteilung mehrfach ab.
In die einzelnen Titel sind die Exzerpte (s. g. fragmenta,
leges) mit Angabe des Verfassers und des Werkes, dem sie
entstammen (Inskription), eingetragen. (Die Paragraphenein-
teilung ist späteren Ursprungs.) Das offizielle Verzeichnis der
benutzten Werke, welches den D. vorangestellt werden sollte,*)
ist durch die Florentinische Handschrift überliefert (s. g. Index
FlorentiimsP) Dasselbe ist aber nicht frei von Mängeln. Ein
genaues gab Krüger.^) Im ganzen sind 40 Juristen benutzt.
Nach Justinians Angabe'^) lagen 2000 libri mit 3000000 versus
(Zeilen) vor, welche die Kompilatoren auf 150 000 versus
reduziert haben. Die benutzten sind nicht durchweg solche
Juristen, welche das ijis respondendi gehabt haben. Gajus hatte es
wahrscheinlich nicht, und die Republikaner Q. Mucius, Alfenus
und Älius Gallus können es ebensowenig gehabt haben, wie
der dem 4. Jahrhundert angehörige Arcadius Charisius. Den
Löwenanteil hat Ulpian, von dem ein Drittel, danach Paulus,
von dem ein Sechstel des Ganzen stammt. Die Kommission
teilte (nach einer Entdeckung Bluhmes^) die zu exzerpie-
-) vgl. c. Omnem rei publ. § 2 sqq.
3) In Mommsens kleinerer Ausgabe p. V sqq.
■*) C. Tanta § 20. ^) Mommsens kleinere Ausgabe p. XXX sqq.
«) Bei Mommsen a. a. O. p. 879 sqq. ') C. Tanta § 1.
^) Bluhme, Zeitschr. f. geschichtl. Rechtswiss. IV (1820) S. 257 ff.
Der Angriff auf seine Lehre, den Hofmann, die Compilation der Digesten
Justinians (herausgegeben von J. Pf äff. Wien 1900j unternommen hat, ist
durch xMommsen, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XXII (1901) S. 1 ff., Krüger das.
S. 12ff. und Jörs Art. Digesta in Pauly-Wissowa's Encykl. abgeschlagen.
— 142 —
renden Schriften in drei Massen, welche vielleicht je einer
Subkommission überwiesen wurden. Die jeder Masse ange-
hörenden Auszüge stehen in den einzelnen Titeln bei einander,
nur ist manchmal ein Fragment wegen inhaltlicher Verwandt-
schaft zu solchen einer anderen Masse in diese eingesprengt;
auch sonst finden sich kleine Abweichungen. Die eine Masse
beginnt mit den libri ad Sabinum, daher Sabinusmasse genannt,
die andere mit den libi'i ad cdictum, daher Ediktsmasse, die
dritte mit den Ouästiones und Responsa Papinians, daher
Papiniansmasse. Einige wohl erst im Laufe der Arbeit her-
beigeschaffte Werke sind einer vierten Masse überwiesen, s. g.
Appendixmasse. Die Reihenfolge der Massen in den Titeln
wechselt; nicht alle Titel haben alle Massen, manche zwei
Serien der verschiedenen Massen, was w^ohl daher kommt,
daß man ursprünglich beabsichtigte, zwei Titel zu bilden,
und diese später zu einem verband.^)
Die Arbeit der Kommission ist, verglichen mit den etwa
gleichzeitigen Arbeiten auf dem Boden des Westreichs, selbst
mit der besten unter ihnen, der Lex Romana Wisigothorum,
höchst respektabel. Die in Wahrheit kaum lösbare Aufgabe,
aus zahllosen Schriften von Juristen, zwischen denen viele Kontro-
versen schwebten, aus einem Zeitraum von über 2 5 o Jahren, dessen
Ende schon um Jahrhunderte zurückliegt, ein einheitliches
modernes Gesetzbuch zu machen, hat die Kommission in hoch-
achtbarer Weise zu lösen gesucht, wenn auch viele Mängel übrig
geblieben sind. Insbesondere fehlt es nicht an Widersprüchen
und Wiederholungen; selbst Wiederholung einer und derselben
Stelle kommt vor (leges geiuiiiataej. Stellen, deren Beziehung
zu dem Titel, in dem sie stehen, dunkel ist, nennt man li'ges
fiigitivae, erraticae. In die Texte hat die Kommission in-
struktionsgemäß durch Auslassungen, Zusätze und Verän-
derungen überall tief eingegriffen. Zusätze und Veränderungen
nennt man Interpolationen (emblentata Triboniani). Man hat
das unbehagliche Gefühl, daß man die Garantie dafür, Worte
9) Ein genaues Verzeichnis der zu den vier Massen gehörigen Schriften
gibt (nach Bluhme) Krüger bei Mommsen a. a. O. p. 874 sqq. Auch
ist bei Mommsen zu den einzelnen Titeln der I). angegeben, wie sie sich
aus den Massen zusammensetzen.
— 143 —
der Klassiker vor sich zu haben, eigentlich nirgends in den
Digesten besitzt; dennoch bleibt nichts übrig, als jeden Satz
und jedes Wort so lange für echt zu nehmen, bis sich
positive Gründe für einen Eingriff der Kompilatoren ergeben.
Diese Materie gehört zu den interessantesten, aber auch
schwierigsten des Quellenstudiums. Während zahlreiche Inter-
polationen längst bekannt sind, hat man erst in neuester
Zeit umfassende und systematische Nachforschung nach den
Interpolationen gehalten und feste Grundsätze zur Reinigung
der Klassikertexte zu gewinnen gesucht.^*^)
Glosseme sind ursprüngliche Glossen, welche ein späterer
Abschreiber aus Versehen in den Text aufnahm. Auch sie
sind in den D. zahlreich, von Interpolationen nicht immer
klar zu unterscheiden, und stammen wohl großenteils schon
aus den Handschriften, welche den Kompilatoren vorlagen.
Die älteste und beste Handschrift^^) der Digesten ist die
s. g. Florentina (sei. littera = Lesung), geschrieben von
Griechen im 6. oder 7. Jahrhundert. Sie soll im J. 11 35 von
den Pisanern der Stadt Amalfi abgenommen sein, war jeden-
falls seit der Mitte des 12. Jahrh. in Pisa, kam 1406 nach
dessen Eroberung durch die Florentiner nach Florenz. Sie
10) Hauptverdienst in dieser Richtung haben Eisele, Zeitschr. der Sav.-
Stift. VII, 1 (1886) S. 15 ff., IX (1888) S. 296 ff., XI (1890) S. 1 ff.,
XIII (1892) S. 118 ff., XVIII (1897) S. 1 ff, Gradenwitz, Interpolationen in
den Pandekten. Berlin 1887; Lenel in den Noten seiner Palingenesie. S.
ferner Grupe, die Gajanischen Institutionenfragmente in Justinians Digesten
Zeitschr. d. Sav.-Stift. XVI (1895) S. 300 ff. Zur Sprache der Gajanischen
Digestenfragmente : Zeitschrift der Savigny-Stiftung XVII (1896) S. 311 ff.
XVIII (1897) S. 213 ff. Übrigens ist jede raateriellrechlliche Ausführung über
römisches Recht heutzutage mit der Interpolationenfrage befaßt. Eine brauch-
bare Monographie über das Interpolationenwesen ist Apple ton, des interpo-
lations dans las Pandectes et des methodes propres ä les decouvrir. Paris 1895.
Dazu Kipp, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XVI (1895) S. 333 ff. Zur Vorsicht mahnt,
vielfach mit Recht, Kalb, die Jagd nach Interpolationen in den Digesten. Fest-
schrift z. fünfundzwanzigjährigen Rektorats-Jubiläum von Autenrieth. Nürnberg
1897 S. 11 ff., der auch in seinen sonstigen Arbeiten (Juristenlatein, Roms
Juristen, Jahresberichte für Altertumswissenschaft) der Interpolationenfrage ein-
gehendste Beachtung schenkt. Neuestens Jörs Art. Digesta.
11)' Vgl. Buonamici, sulla storia del manuscritto Pisano Fiorentino.
delle Pandette Arch. giur. XLVI (1891) p. 60 sq.
— 144 —
ist fast vollständig und verhältnismäßig wenig fehlerhaft.^^)
Von Handschriften ähnlichen Werts sind nur geringe Reste
vorhanden.
Diesen Handschriften gegenüber stehen die s. g. Vulgat-
handschriften, wie sie die Bologneser Glossatoren hatten
{littera Bononiensis), seit dem ii. Jahrh. Sie sind von
der Florentina abhängig, haben aber bis Buch 34 einzelne
der Florentina gegenüber bessere Lesarten, die nicht auf
Konjektur, sondern auf handschriftlicher Überlieferung be-
ruhen. Danach ist mit Mommsen^^) anzunehmen, daß die
Vulgathandschriften alle auf eine Mutterhandschrift zurück-
gehen, welche aus der Florentina abgeschrieben, aber bis Buch
34 aus einer zweiten, der Florentina gleichwertigen Hand-
schrift korrigiert war. Einzelne griechische Stellen haben sie
nachgemalt, in der Hauptsache aber enthalten sie das Grie-
chische der D. nur in lateinischer Übersetzung, die zum Teil
von dem Pisaner Burgundio (gest. 11 94) herrührt, zum Teil aber
wohl älter ist. ^■*) Gewöhnlich umfassen die Vulgathandschriften
nur ein Stück der Digesten nach eigentümlicher Dreiteilung, zu
welcher Zufall und Absicht zusammengewirkt haben müssen:
1. Digestiun vetus bis Buch 24 Tit. 3 iiiscriptio von 1. 2
Wort trigesimo einschließlich, später nur bis XXIV, 2 i. f.
2. (Digestuni) Infortiatnm (verstärkte Digesten) von XXIV, 3
bis XXXVIII Ende. Hiervon heißt der Schlußabschnitt tres
partes, beginnend XXXV, 2, 2 mitten im Satze mit den Worten
tres partes. 3. Digestmn novuin: XXXIX — L.^*)
§ 29.
Der Codex Justin ianus.
Die Kommission zur Abfassung des älteren Codex hatte
12) Praefatio der größeren Ausgabe p. IV sqq.
J3) Savigny, Gesch. des röm. Rechts im Mittelalter IV S. 403 ff.
Fitting, Sitzungsber. der Berl. Akad. 1894 XXXV 8. 813 ff. bes. 817 f.
1^) Vgl. Kar Iowa I S. 1027 f. Anm. 3. Krüger S. 382 f.
- 145 —
den Befehl, aus den CC. Gr. H. Th. und aus den nach Ab-
schkiß des C. Th. ergangenen Konstitutionen eine neue Kon-
stitutionensammlung unter dem Namen Codex Justinianus zu-
sammenzustellen. Nicht mehr Gültiges sollte sie fortlassen,
nichts doppelt und keine Widersprüche aufnehmen, alles unter
passende Titel chronologisch ordnen, Konstitutionen, die sine
die et consule vorlägen, mit dieser Bezeichnung versehen.
Solche Gesetze sollten darum nicht weniger gelten; ebenso
wie Speziaireskripte und Pragmaticae durch Aufnahme in den
Codex den Constitutiones generales gleichgestellt werden
sollten. Überflüssige Vorreden der Konstitutionen sollten be-
seitigt, die Texte nach Bedarf geändert, dem Inhalt nach zu-
sammengehörige Konstitutionen zu einer vereinigt werden;
auch die Ermächtigung, Konstitutionen zum Zweck der Ver-
teilung auf mehrere Titel zu zerschneiden, muß die Kommission
gehabt haben, obwohl dies in der Instruktion deutlich wenig-
stens nicht steht.') Der Codex, wie er vorliegt, beruht in
der Hauptsache auf der Arbeit der ersten Kommission, die
zweite hatte nur den Auftrag, die inzwischen ergangenen
Gesetze in ihn einzutragen und die dadurch bedingten Ver-
änderungen in dem älteren Bestände seines Inhaltes vorzu-
nehmen. ^ ) Der alte Codex wurde aufgehoben, und es blieben
von früheren Konstitutionen außerhalb des neuen Codex nur
in Kraft die bei den Behörden registrierten militär- und fiskal-
rechtlichen, sowie diejenigen Pragmaticae, welche Privilegien
erteilten, oder dem Codex nicht widersprachen.^)
Der Codex zerfällt in 12 Bücher, diese in Titel mit Ru-
briken. Die Ordnung ist im ganzen aus Verschmelzung der-
jenigen des C. Gr. und C. Th. hervorgegangen.
Aufgenommen sind Konstitutionen von Hadrian an. Über
die hervorragende Rolle diocletianischer Konstitutionen und
ihre Ursachen vergl. ob. S. 78 f. Occidentalische Konstitu-
tionen nach Abschluß des C. Th. fehlen. Den Konstitutionen
ist die Angabe der Urheber und der Adressaten vorangestellt
1) c. Haec quae necessario § 2, c. Summa § 1.
2)c. Cordi § 2. 3.
3) c. Summa § 4, Cordi 4. 5.
Kipp, Quellen des röm. Rechts. 1"
— 146 —
(Inskription). Die Datierung u. s. w. steht am Schlüsse (Sub-
skription). (Die Paragrapheneinteilung ist späteren Ursprungs.)
Die oben besprochenen Zusammenlegungen, Zerteilungen, Ver-
änderungen der Texte sind zahlreich vorgenommen. Konsti-
tutionen, welche aus dem C. Th. in den C. J. übergegangen
sind, haben somit zweimal derartige Veränderungen über sich
ergehen lassen müssen (vergl. ob. S. 80 f.). Die moderne
Interpolationenforschung hat dem Codex noch nicht dieselbe
Aufmerksamkeit gewidmet wie den Digesten.*)
In den Handschriften des Codex sind früh Inskriptionen
und Subskriptionen vernachlässigt, der Inhalt selbst ist stark
verkürzt. Man ließ die drei letzten Bücher fort, in den
übrigen überging man die griechischen und viele lateinische
Konstitutionen. Mindestens seit dem 9. Jahrhundert hat man
aber angefangen, das Fehlende wieder zu ergänzen. Die
existierenden Handschriften der Bücher i — 9 (Codex) gehen
bis ins ii., die der drei letzten Bücher (tres libri) jedoch nur
bis ins 12. Jahrhundert zurück. Wichtig für die Kritik ist
auch ein Auszug, der frühestens aus dem 7. Jahrhundert
stammt und, weil in einer Handschrift des 10. Jahrhunderts
zu Perugia überliefert, Snvivia Pcnisina genannt wird.''') Die
griechischen Konstitutionen sind erst seit dem 16. Jahrhundert
aus den Basiliken und andern Quellen wiederhergestellt (leges
restitiitae)^)
§ 30.
Die Justinianischen Novellen.
Die Novellen^) sind meistens in griechischer Sprache er-
4) S. jedochEisele.Zeitschr. d.Sav.-Stift. VII, 1(1886) S. 15 ff. Grupe.
zur Latinität Justinians, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XIV (1893) S, 224ff. XV (1894)
S. 327 ff. Dazu Kalb, Jahresber. f. Altertumswissensch. LXXXIX (1896 II)
S. 293 ff. H. Krüger, Bemerkungen über den Sprachgebrauch der Kaiser-
constitutionen im C. J. Arch. f. ]at. Lexikographie X (1898) S. 147 ff. XI (1900)
S. 453 ff.
5) Heimbach, Anecdota T. II, Leipzig 1840.
6) Über das in diesem Absatz Gesagte vgl. Krüger, Praefatio seiner
größeren Ausgabe.
^) Biener, Geschichte der Novellen Justinians. Berlin 1824.
- 147 —
lassen, einige aus besonderem Grunde, weil sie sich auf die
Tätigkeit der obersten Reichsbehörden beziehen, oder weil
sie für die lateinischen Reichsteile bestimmt waren, lateinisch,
einige zweisprachig. Erhalten sind verschiedene Sammlungen.
1. Die cpitonie Jidiani, ein lateinischer Auszug aus 122
Novellen der Jahre 535 — 555; zwei kommen doppelt vor, wo-
durch die Zahl auf 124 steigt. Privatarbeit eines Professors
Julianus in Konstantinopel noch zur Zeit Justinians.'j
2. Das sogen. Authenticuni, eine Sammlung von 134 No-
vellen der Jahre 535 — 556, enthält die lateinischen im Original, die
griechischen in einer sehr mangelhaften lateinischen Übersetzung,
die auf eine zum Teil bereits textlich verdorbene griechische
Vorlage schliessen lässt. Danach ist unwahrscheinlich, daß
(wie behauptet ist'^) in dieser Sammlung die offizielle Publi-
kation der Novellen für Italien vorliege; die Sammlung scheint
aber allerdings in Italien entstanden zu sein. Ihr Name soll
daher rühren, daß Irnerius, der berühmte Glossator (um iioo),
zuerst nur die Epitome Juliani gekannt, und als er die hier
besprochene Sammlung kennen gelernt, ihre Echtheit bezweifelt,
dann aber sie als die authentische vor dem Julian bevorzugt
habe. Jedenfalls hat diese Bevorzugung seit dem 12. Jahr-
hundert stattgefunden.*) Die von dem Inhalt des Authenticums
brauchbar befundenen 96 Novellen (aiithenticae in diesem Sinne),
die man glossierte, ordnete man in 9 Collationes, die andern
ließ man als aiithenticae inutilcs, extraordinariae entweder fort
oder stellte sie an den Schluß. Die so geordnete Sammlung
ist die sogen. Vulgata. Auszüge aus den einzelnen Novellen
wurden zu den Stellen des Codex, zu welchen sie in Beziehung
stehen, am Rande vermerkt, später auch in den Text aufge-
nommen (authenticae in diesem Sinne).
3. Die griechische Novellensammlung, von den
Humanisten ans Licht gezogen, enthält 168 Nummern. Dazu
kommen in einer Handschrift in Venedig noch 13 Edikte
Justinians. Davon sind aber 7 Doubletten, 5 Gesetze Justi-
2) Ihre Anhänge vergl. Krüger S. 372.
8) Zachariae v. Lingenthal, Sitzungsber. der Berliner Akad. 1882 S. 993 ff.
S. dagegen Krüger S. 357 Anm. 29.
■t) Savigny, Gesch. des röm. R. im Mittelalter III S. 490 ff.
10*
148 —
nians vor Abschluss des Codex, 4 Gesetze von Justinus II
(565 — 578), 4 von Tiberius II (578 — -582), 3 bis 4 fonnac prac-
fecto7'um praeto7-io (vgl. ob. S. 86 f.), so daß eigentliche justiniani-
sche Novellen 158 bis 159 übrig bleiben. Lateinische Novellen
haben die Handschriften teils gar nicht, teils in griechischem
Auszuge. Die Sammlung ist im Orient, wahrscheinlich in
Konstantinopel geschrieben, angelegt unter Justinian, abge-
schlossen unter Tiberius II. Dazu treten einige Ergänzungen
der Überlieferung durch andere Sammelwerke und Auszüge.'^)
§ 31.
Das Corptis 2217' is civilis. Ausgaben.
I. Der Ausdruck corpus iuris im Sinne der Gesamtheit
des Rechts ist echt römisch; V) als Bezeichnung für die Ge-
samtheit der justinianischen Rechtsbücher findet er sich schon
bei den Glossatoren des 12. Jahrh. Die Handschriften um-
faßten aber immer nur ein Stück des Ganzen und zwar so,
daß Digestum vetus, Infortiatum, Digestum Novum, Codex
(1. I — IX) je einen selbständigen Band bildeten, Institutionen,
ti'es libri und Novellen in einem Bande [voluinen paitiuni,
Volumen) zusammengefaßt wurden, in welchen man noch die
Bücher des langobardischen Lehenrechts [lih'i feudoruni) und
einzelne Gesetze deutscher Kaiser als decima collatio (zu den
9 CoUationes der Novellen) aufnahm. Abschnitte aus Gesetzen
Friedrichs I. und IL wurden auch, wie die Novellenauszüge, in
den Codex eingereiht (autlienticac Fridfricianac).
Auch in den gedruckten Ausgaben erscheinen zunächst
jene 5 Bände selbständig. Die ältesten Ausgaben haben ge-
wöhnlich die Glosse des Accursius (gest. um 1260), die aber
im Laufe der Zeit Zusätze erhielt; oft findet sich als 6. Band
ein Sachregister (Thesaurus AccursiaiiusJ})
^) Vgl. Kroll, Praefalio zu seiner und Schölls Ausgabe.
') Liv. III, 34 mit Beziehung auf die XII Tafeln; ferner C. J. V, 13, 1 pr. :
rem in omni paene corpore iuris effusam.
'•') Die letzte glossierte Ausgabe ist von Joh. Fehius (Lyon 1G27. 6 Bde. fol.).
— U9 —
IL Die humanistische Bewegung des 15. und 16. Jahrh.
hat auch für die Herstellung der Quellen des römischen
Rechts in reinerer Gestalt reiche Früchte getragen. Gregor
Haloander (1501 — 1531) gab 1529 — 1531 alle Bestandteile
des Corpus Juris Civilis heraus und zwar Digesten wie Codex
unzertrennt, die Novellen zum ersten Male griechisch mit latei-
nischer Übersetzung.'^) Die Textverbesserungen Haloanders
haben großenteils dauernden Wert behalten. Der Italiener
Lelio Torelli gab 1553 die Digesten in ausgezeichnetem kri-
tischen Abdruck der Florentina heraus.^) Die Herstellung der
verlorenen griechischen Konstitutionen des Codex beruht
hauptsächlich auf den Arbeiten des Spaniers Antonius
Augustinus (1516^1586)'^) und des unübertroffenen Jacobus
Cujacius (1522 — 1590).^) Die Novellen edierte Heinrich
Scrimger, ein Schotte (gestorben 1571), im Jahre 1558 voll-
ständiger als Haloander nach der venetianischen Handschrift.")
Nach ihm gab der Franzose Antonius Contius (gest. 1577) in
seiner (zweiten) zu großem Ansehen gelangten Ausgabe^)
(1571) den griechischen Text nebst einem lateinischen, der
sich zusammensetzt aus Vulgata und Übersetzungen von Halo-
ander, Heinrich Agylaeus,^) Contius selbst und anderen Zutaten.
Contius ist auch Urheber der jetzt gebräuchlichen Zählung
und Einteilung der Novellen.
Die erste Gesamtausgabe unter dem Titel Corpus iuris civilis
ist die von Dionysius Gothofredus (1549 — 1622) im Jahre 1583
veranstaltete.^") Die seitdem zahlreich erschienenen Wieder-
holungen und Nachdrucke der gothofredischen Ausgaben herrsch-
ten bis in das 18. Jahrhundert vor. Sie enthalten J., D., C.
') ^'gl- Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissensch. I S. 180 ff.
■*) Vgl. Stintzing a. a. O. S. 214f. Terrassen, histoire de la juris-
prudence Romaine (Paris 1750) p. 424
*) Constitutionum Graecarum Codicis collectio 1567.
^) In seinen observatioiies und seiner Ausgabe der tres libri (1562). Vgl.
Terrassen 1. c. p. 463 suiv. Stintzing a. a. O. S. 375 ff. Es gibt von
Cujacius auch eine Ausgabe der Institutionen, zuerst 1585.
') Vgl. Stintzing a. a. O. S. 206. Terrasson I. c. p. 431.
^) Vgl. Stintzing a. a. O. S. 206 f.
*)■ Supplementum versionis novellarum Haloandrinae. Col. 1560.
10) Vgl. Stintzing a. a. O. S. 208 f.
— 150 —
und Nov., die letzteren auf Grund der Rezension des Contius,
aber manchmal nur lateinisch; dazu Beigaben verschiedener
Art.^') Der von Späteren vermehrte Notenapparat ist als
Parallelstellensammlung noch heute wohl brauchbar.^-)
Die Ausgabe von Gebauer und Spangenberg^^) hat
den Text der Digesten auf Grund einer Nachvergleichung der
Florentina durch H. Brencmann verbessert und den Novellen
eine neue Übersetzung von J. Fr. Hombergk zu Vach^*)
beigegeben. Die Becksche Ausgabe^^) gibt die Novellen
griechisch, in Hombergkscher Übersetzung und nach dem
Authenticum in ursprünglichem Zusammenhange. Die Aus-
gabe der Brüder Kriegel mit Hermann (Codex) und Osen-
brüggen (Novellen), ^^j hat viel Verdienst um die Kritik des
Codex und hat die Hombergk'sche Übersetzung verbessert.
Die beste Ausgabe ist jetzt die von Krüger (J. und C),
Mommsen (D.) und Sch'öll (Nov., nach SchöU's Tode
vollendet von KroU).^") J. D. u. C. beruhen auf voran-
gegangenen Einzelausgaben, und zwar der Institutionen von
Krüger,^®) der Digesten von Mommsen^^) und des Codex von
Krüger,^*^) die aber durch die Gesamtausgabe Verbesserungen
erfahren haben. Die Novellen sind nur einmal bearbeitet. Die
Ausgabe stellt dem Text der griechischen Sammlung den des
Authenticums zur Seite, darunter eine neue lateinische Über-
setzung.^^) ^^).
11) Die in der folgenden Note bezeichnete Ausgabe bringt eine Samm-
lung nachjustinianischer Kaiserkonstitutionen, die libri feudorum, XII Tafeln,
Ulpians Fragmente, Paulli Sententiae und anderes.
12) Als die beste der gothofredischen Ausgaben gilt die von Simon van
Leeuwen 1663 besorgte (Amsterdam fol.). i^) Gottingae 1776. 1797.
") Erschienen 1717. 15) Leipzig 1825—1836.
16) Zuerst 1828—1843 (17. Aufl. Leipzig 1887).
17) Berol. Vol. I (J. D.) II (C.) 1872. 9. u. 7. Aufl. 1902. 1900. Vol. 3.
(Nov.) 1880—1895.
18) Justiniani Institutiones. Recensuit V. Krueger (Berol. 1867), editio
altera 1899.
19) Digesta Justiniani Augusti. Recognovit assumpto in operis societatem
Paulo Kruegero Th. Mommsen. 2 voll. (Berol. 1868. 70.)
20) Codex Justinianus, Recensuit Paulus Krüger (Berlin 1877.)
21) Hinzugefügt sind einige zerstreut überlieferte Konstitutionen Justinians,
darunter auch die Sanctio pragmatica: Pro petitione Vigilii. 22) Von Ein-
— 151 —
§ 32.
4- Die orientalischen Bearbeitungen der Justinianischen
Gesetzgebung-.
I. Mit Justinian pflegt man die römische Rechtsgeschichte
abzuschließen; der berechtigte Grund dafür ist, daß Justinians
Gesetzgebung in Deutschland rezipiert, nur bis dahin also die
römische Rechtsgeschichte Vorgeschichte unseres eigenen
Rechtes ist. Die byzantinischen Bearbeitungen des römischen
Rechtes aber sind für Kritik und Auslegung des justinianischen
Rechtes von großer Bedeutung. Justinian ^) hatte in Ansehung
der Digesten jede Kommentierung als dem wahren Sinne des
Gesetzes gefährlich verboten, nur wörtliche Übersetzungen
{/.aia TToöa), kurze Inhaltsangaben {'ivdi-/.fg) und naQajLxla,
Parallelstellensammlungen zu einzelnen Stellen und ganzen Titeln
sollten erlaubt sein. Diese auf die andern Werke Justinians
nicht erweislich ausgedehnten Bestimmungen sind bald über-
treten. Man verfaßte auch Übersetzungen di^ Ttldrog: erläu-
ternde Paraphrasen, und Kommentare: jcagayoufpai- Auch
einzelne Monographien kommen vor. Zum größten Teile
kennen wir diese byzantinische Rechtsliteratur nur aus den
Basiliken und ihren Schollen (s. unt. II). Selbständig über-
liefert ist eine griechische Paraphrase zu den Institutionen,^)
die dem Theophilus selbst zugeschrieben wird. Diese Angabe
wird freilich wegen der inneren Mängel des Werkes be-
zelausgaben sind noch zu nennen: Institutionen mit Kommentar
von Ed. Schrader (Corpus iur. civ. t. I [Berl. 1832], mehr nicht
erschienen), auch eine kleinere Ausgabe nur mit Parallelstellensammlung von
demselben mit Tafel, Clossius, Maier (zuerst 1835); ferner eine solche
von Huschke (Leipzig 1867). — Juliani epitome von Haenel (Leipzig
1878). — Authenticum von Heimbach, II partes (Leipzig 1845 — 51). Justi-
nian! novellae quae vocantur sive constitutiones quae extra Codicem supersunt
ordine chronologico digestae ed. Zachariae a Lingenthal. II partes (Leipzig
1881). Dazu Nachtrag: de dioecesi Aegyptiaca lex (a. 554) (Leipzig 1891).
') C. Deo auctore § 12. Tanta § 21.
2) Nach Ferrini, Byzantin. Zeitschr, VI (1897) S. 548 ff. (und früheren
Arbeiten desselben) ist dabei auch eine griechische Bearbeitung der Institutionen
des Gajus benutzt.
— 152 -
zweifelt, findet sich aber schon in Scholien des sechsten Jahr-
hunderts.^)
IL Mehrmals sind von den byzantinischen Kaisern gesetz-
liche Auszüge und Bearbeitungen der justinianischen Rechts-
bücher veranstaltet. Hiervon ist die wichtigste rü Baot'/.i/.ü,
begonnen unter Basilius Macedo, vollendet und publiziert unter
Leo dem Weisen (886 — 911). Sie enthalten in 60 Büchern
eine zeitgemäße griechische Bearbeitung der justinianischen
Gesetzgebung, aus deren einzelnen Bestandteilen jedesmal das
Zusammengehörige in einem Titel der Basiliken vereinigt ist.
Der Text ist um so wertvoller, weil er auf den älteren Über-
setzungen beruht. Im 10. Jahrh. ist das Werk mit Scholien
aus der älteren byzantinischen Literatur versehen. Der Text
ist ziemlich vollständig, die Scholien nur teilweise auf uns ge-
kommen.^) Die Überlieferung wird ergänzt durch spätere
Bearbeitungen. Dahin gehört die Synopsis Basilicorum (um
950), ein alphabetischer Auszug aus den Basiliken, der s. g. Tipu-
citus [xi 7Toi y.tiiüi), Inhaltsangabe der Basiliken mit Parallel-
stellen und neueren Gesetzen (aus dem 12. Jahrh.). Die
letzte noch in Betracht kommende Bearbeitung des römisch-
b}-zantinischen Rechtes ist der l'iößißÄoc des Konstantinos
Harmenopoulos, Nomophylax und Richters von Thessalonich,
um I345-'')
^) Vgl. Zachariae v. Lingenthal, Zeitschr. d. Sav.-Süft. X (1889j
S. 257 f, Ausgabe von Reitz, 2 Bde. (Hag. 1757). Eine neue von E. C. Ferrini
Berlin 1884—1897.
*) Ausg. von Heimbach 6 Bde. mit Supplement von Zachariae v.
Lingenthal (Leipzig 1838 — 1870). Ein neues Supplement von Ferrini untl
Mercati erschien 1897.
^) ed. Heimbach (Leipzig 1851). — Im übrigen ist zu verweisen auf
K. E. Zachariä von Lingenthal, Geschichte des griechisch-römischen Rechts
(3. Aufl. Berlin 1892) Einleitung.
Siebentes Kapitel.
§ 33.
Akten und Urkunden.
Wir besitzen inschriftlich eine Reihe von Beamtendekreten
in speziellen Justiz- und Verwaltungssachen, die zwar nicht
objektives Recht schufen, aber für dessen Erkenntnis als leben-
dige Akte der Anwendung hochbedeutsam sind. Wir nennen:
1. Dekret des L. Ämilius Paulus als Prokonsuls \'on His-
pania Ulterior v. J. 189 v. Chr., Freierklärung gewisser
Sklaven betreffend. Bronzetäfelchen, bei Cadix 1866 gefunden.^)
2. Die s. g. sententia Minuciorum (Bronzetafel, 1506
bei Genua gefunden). Die Brüder Q. und M. Minucius Rufus
entscheiden im J. 117 v. Chr. einen Streit der Genueser mit
den castellani Langenses Veturii fLangates), den Einwohnern
eines benachbarten, von Genua abhängigen Ortes. Sie haben
in Genua verhandeln lassen, Untersuchung geführt und schon
dort Maßregeln getroffen, dann aber die Parteien nach Rom
vorgeladen und ihnen dort den Spruch verkündet, und zwar
ex seuatiis co)isulto, so daß man sich den Spruch als seinem
Inhalt nach vom Senat genehmigt vorzustellen hat. Am
Schluß werden für etwaige weitere Streitigkeiten die Parteien
aufgefordert, sich wieder an die Urteiler zu wenden. Danach
hatten die Minucier einen dauernden Beruf zu solchen Ent-
scheidungen, ohne Zweifel als vom Senat bestellte Kom-
missare, und wohl selbst Senatoren. ■)
3. Dekret des Prokonsuls von Sardinien von a. 69 n. Chr.,
ein Urteil mit Gründen in einem Grenzstreit von zwei Ge-
1) Bruns I p. 2.31. -) Bruns I p. 358 sqq.
— 154 —
meinden; von Zeugen beglaubigte Privatabschrift aus dem
Protokollcodex des Prokonsuls; 1866 in Sardinien auf einem
Bronzetäfelchen gefunden. '^j
4. Ein Schreiben der Präfecti Prätorio von 168 n. Chr.
an die Munizipalmagistrate von Saepinum, enthaltend eine
Verwarnung, die Pächter der fiskalischen Schafherden nicht
zu verletzen; auf Stein in Sepino.^)
5. Dekret des L. Xovius Rufus, legatus Augiisti pro Prae-
torc, in Prozesssachen, v. J. 193 n. Chr. Nur der Eingang ist
erhalten und der Formen wegen bemerkenswert (ex tilia re-
citavit). Inschrift in Tarragona.^j
6. Urteil des Alfenius Senecio, (subpraefechts classis prae-
toriae Misenatis) im 2. oder 3. Jahrh. in einem Prozeß, in
welchem es sich um den Verkauf von Grundstücken handelt,
die teilweise loca religiosa waren, aus einer verlorenen In-
schrift von Accursius, dem Glossator, abgeschrieben.*')
7. Mehrere Zwischenurteile von Präfecti vigilum in einem
Prozeß von ßdloncs wegen eines Wasserzinses aus den Jahren
226 — 244 n. Chr., s. g. lis fullonum. Marmorinschrift zu Rom,
1701 gefunden.')
8. Auch einige priesterliche Erlasse sind inschriftlich er-
halten: Ein Reskript der quindccinivi7-i sacris facmndis (289
n. Chr.) bestätigt die von den Dekurionen von Cumae voll-
zogene Wahl eines Priesters der Mater Deum, ^j ein Pontifikal-
dekret genehmigt die Umbestattung eines Leichnams. Be-
merkenswert ist, daß es ebenso, wie die kaiserlichen Reskripte,
unter der Bedingung ergeht, si ea ita sunt qne libclo con-
tcnentur^)
II. Auch Inschriften, welche private Rechtsgeschäfte und
Ahnliches beurkunden, sind in reicher Zahl erhalten. Das
Material ist zu groß, um hier auch nur annähernd im einzelnen
vorgeführt werden zu können. Eine umfassende Sammlung,
geordnet nach Gegenständen, bietet Bruns.^°)
S) Bruns I p. 231 sqq. •»} Bruns I p. 238 sq.
*) Bruns I p. 361. «) Bruns I p. 361 sq.
'•) Bruns I p. 362 sq. «) Bruns I p. 237.
9) Bruns I p. 237.
10) I p. 260 sqq. .Aber nicht alles, was dort gesammelt ist, beruht auf In-
— 155 —
III. Die Hauptform der römischen Privaturkunde klas-
sischer Zeit ist die der Zeugenurkunde (testatio), bei welcher
eine Erklärung vor den Zeugen abgegeben und von ihnen
durch Siegelung der Urkunde als geschehen bezeugt wird.
Derjenige, gegen welchen die Urkunde, z. B. ein Schuldbe-
kenntnis, beweisen soll, kann sie schreiben oder schreiben
lassen. Sie kann die Erklärungen der Beteiligten in dritter
Person protokollieren: Ille emit, uiancipioque accepit, fide ro-
gavit\ ille fide promisit, fide siia esse ins Sit, accepisse et Jiabere se
dtxit.'^^) Es kann aber auch der Aussteller in erster Person
schreiben: scripsi nie accepisse oder ein dritter statt seiner:
scripsi rogatu illius euui accepisse}'-) In derselben Weise kann
ein anderer Vorgang als von den Zeugen wahrgenommen
protokolliert werden; deshalb eignet sich die Zeugenurkunde
auch als beglaubigte Abschrift einer anderen Urkunde. Sie
bezeugt dann, daß die Zeugen ein Schriftstück des Inhalts
vor sich gesehen haben, wie es die Abschrift wiedergibt. ^■^)
Die Urkunde wird in wachsüberzogene Holztäfelchen ein-
geritzt, von denen 2 (diptychon), 3 (triptychon), oder mehr
verbunden werden. Die Beurkundung durch die Zeugen,
deren Zahl schwankt, geschieht in der Weise, daß sie je ein
Siegel auf die Schnur setzen, mit welcher die die Urkunde
tragenden Tafeln, die Schrift nach innen, verschlossen werden.^*)
Dem Siegel wird der Name des Zeugen zugeschrieben (er
braucht es nicht selbst zu tun). Im Notfall wird die Urkunde
vor Gericht vorgelegt; die Zeugen haben sich zu erklären, ob
sie die Siegel als die ihrigen anerkennen, und wird dies be-
jaht, so haben sie damit zugleich bezeugt, daß der Vorgang,
Schriften. Über das Statut der Elfenbeinarbeiterzunft das. p. .356 vgl. noch
Gradenwitz, Zeitschr. d. Sav.-Stift, XI (1890) S. 72 ff. XII (1892) S. 138 ff.
Auch das schiedsrichterliche Urteil Bruns I p. 360, der sog. Schiedsspruch von
Histonium, gehört hierher. Denn der römische Schiedsspruch ist Privatakt.
Öffentliche und private Elemente können sich mischen, so in dem Beschluß
des Rats von Puteoli (Bruns I p. 303 Nr. 117) betr. einen privatrechtlichen
Vertrag der Gemeinde.
11) Bruns I p. 288 Nr. 105.
12) Bruns I p. 316 sqq. Paul. D. XII, 1, 40. D. XLV, 1, 12, 6, 2.
13) Bruns I p. 350 Nr. 149.
11) Vgl. Paul. V, 25, 6.
— 156 —
welcher in der Urkunde niedergelegt ist, sich vor ihnen ab-
gespielt hat. Derjenige, welcher die Urkunde zum Zweck
des Beweises gegen sich aus den Händen gibt, insbesondere
der Schuldner, der die Schuldurkunde dem Gläubiger ausstellt,
siegelt sie mit, um die einseitige Öffnung der Urkunde durch
den Gegner auszuschließen. Um nicht die Urkunde öffnen und
die Siegel zerstören zu müssen, nur um den Inhalt zu lesen,
sind die Täfelchen so eingerichtet, daß der Inhalt der ver-
schlossenen Urkunde auf der Außenseite wiederholt wird
(sci'iptura exterior). Die Öffnung ist also nur nötig, um die
Übereinstimmung der sc7'iptiira inferior mit der scriptiira ex-
tfrior zu beweisen. Die sc7'iptura exterior ist aber nicht immer
wörtlich mit der iiiterior übereinstimmend; z. B. kommen
Quittungen vor, deren scriptura interior auf Jiabe7'e se dixit
lautet, während die scriptura exterior die Form hat: sc?'ipsi
nie accepisse oder scripsi rogatii illins eiivi accepisse.^'") Bei
letztwilligen Verfügungen, deren Inhalt geheim bleiben soll,
fällt die scriptiira exterior fort.
Eine Anzahl solcher Wachsurkunden aus den Jahren
131' — 167 n. Chr. sind (1786— 1855) zum Vorschein gekommen
aus Goldbergwerken bei \"erespatak in Siebenbürgen. Sie
handeln von Käufen mit Manzipation, stipiilatio dnplac, Quit-
tung über das Kaufgeld; Darlehn mit Stipulation, depositmn
irreguläre, pecunia constituta, Dienstmiete, Sozietät, Auflösung
eines CoUegium Funeraticium. '") Zu Pompeji ist 1875 im
Hause des L. Cäcilius Jucundus eine Kiste mit Wachstafeln
gefunden, fast alle Quittungen über Zahlungen des Jucundus
enthaltend, die meisten über, von ihm abzüglich seiner Pro-
vision abgelieferte, Auktionserlöse; einige über Zahlungen an
die Gemeinde Pompeji zu Händen eines Sklaven derselben.*'')
1887 sind noch einige weitere Wachstafeln in Pompeji ge-
funden,*^)
'5) Bruns 1 p. 318 sq.
16) Bruns I p. 288—291. 311—818. 828 sq. 834. 350. 375 .sqq.
") Bruns I p. 314 sqq.
18) Bruns I p. 291 sqq. Eck, Zcitschr. d. Sav. -Stift. IX (1888) S. 60 ff.
151. Gradenwitz, Zeitschr. d. Sav. -.Stift. XIV (1893) S. 126ff. GrUnluits
— 157 —
IV. Papyrusurkunden haben früher keine große
Rolle gespielt. Altbekannt sind Verhandlungen über Testa-
mentseröfifnung, fünf Protokolle von Gemeindebehörden v. J.
474 an in einer Papyiu.-- handschrill vom Anfang des
6. Jahrh. aus Ravenna, jetzt in Paris.^^) In den letzten De-
cennien sind die Papyrusfunde ganz besonders ergiebig ge-
wesen. Das klassische Land dafür ist Ägypten. Neben die
Epigraphik ist die Papyrologie als eine selbständige und
wichtige Disziplin getreten.^") Eine große Menge von Rechts-
urkunden öffentlicher und privater Natur sind uns in Gestalt
von Papyri geschenkt und gewähren namentlich tiefe Einblicke
in das Verwaltungs- und Rechtsleben Ägyptens unter römischer
Hoheit. Nur einiges kann beispielshalber hier genannt werden:
Ein Papyrus der Sammlung des Erzherzogs Rainer von Österreich
enthält eine griechische Abschrift aus dem Protokollbuch (tciuo^
rnof.ivrific(TiauÖ>v) des Bläsius Maximus, Präfekten einer Kohorte,
über einen Erbschaftsstreit, den er auf Delegation des Präfectus
Ägypti im Jahre 124 n. Chr. zu entscheiden hatte.^i) Eine
ähnliche Verhandlung vom J. 135 n. Chr. gibt ein Bediner Pa-
pyrus.^'^) Ein anderer enthält eine prozessuale Verhandlung
über den Nachlaß eines Ermordeten aus dem Ende des 2. Jahr-
hunderts.^^) Aktenstücke in einer Vormundschaftssache aus
Zeitschr. XVIII (1891) S.349ff. Ausgabebeider Gruppen von Zangemeister C. J. L.
vol. VI supplem. I (1898). Erman, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XX (1899) S. 172ff.
19) Bruns I p. 280 sqq. gibt das älteste Protokoll, alle bei Savigny
vermischten Schriften III, S. 122 ff.
20) Mit einer eigenen Zeitschrift: Archiv iür Papyrusforschung, herausgeg.
von Ulrich Wilcken. Seit 1901. Die wichtigsten Sammlungen sind: F. G.
Kenyon, Greek papyri in the British Museum. Lond. I. 1893. II. 1898.
Corpus papyrorum Raineri archiducis Austriae (herausgeg. von Wessely und
Mitteis). Wien 1895. Urkunden aus den königl. Museen zu Berlin. Heraus-
gegeben von der General-Verwaltung. Griech. Urkunden (B. G. U.) Berl.
1-111,41(1898—1903). Grenfell U.Hunt the Oxyrhynchus papyri. London
I. 1898. II. 1899. The Amherst papyri. London I. 1900. II. 1901. Gren-
fell, Hunt und Hogarth. Fayum towns and their papyri. London 1900.
21) Bruns I p. 364 sqq. Mommsen, Zeitschr. d. Sav.-Stift XII (1892)
S. 284 ff.
22) Bruns 1 p. 267 sqq. Mommsen, Zeitschrift der Sav.-Slift. XIV
(1893) S. Iff
23) Mommsen, Zeitschr. der Sav.-Stift. XVI (1895) S. 185 ff.
— 158 —
den Jahren 147/148, wiederum aus Ägypten, sind im
Besitz des Professors Nicole in Genf.-*) Ein Testament
vom Jahre 186 n. Chr. bietet ein Berliner Papyrus. ^^) — Ein
hochverdienstliches Werk von Graden witz macht sich zur
Aufgabe, mit reichem Material an Erläuterungen in die Pa-
pyrusforschung einzuführen.^^)
24) Erman, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XV (1894) S. 241 ff.
25) Mommsen, Zeitschr. d. Sav.-Stift. XVI (1895) S. 198ff. Scialoja,
Bull, dell' istitut. di dir. Rom. VII (1894) p. 1 sg.
26) Graden witz, Einführung in die Papyrusurkunde I. Heft, Erklärung
ausgewählter Urkunden. Leipzig 1900; s. noch denselben Bull' dell' istituto di
dir. Rom. IX (1896) p. 98 sq. Arch. f. Papyrusforsch. II (1902) S. 96 ff.
Mitteis, zur Berliner Papyruspublikation, Hermes XXX (1895) S. 564 ff.,
Papyri aus Oxyrhynchos, Hermes XXXIV (1899) S. 88 ff., neue Rechtsurkunde
aus O. Arch. f. Pap.-Forsch. I (1901) S. 178 ff. 343 ff., griechische Papyri zu
Leipzig. Arch. f. Pap.-Forsch. II (1903) S. 159 ff. A. Schulten, römischer
Kaufvertrag aus dem Jahre 166 n. Chr., Hermes XXXII (1897) S. 273 ff.
Scialoja, Bull, dell'istituto di dir. Rom. VIII (1895) p. 155 sq. Wenger,
rechtshistorische Papyrusstudien, Graz 1901, dazu Erman, Zeitschr. der Sav.-
Stift. XXII (1901) S. 241 ff. Wenger, zu den Rechtsurkunden in der Samm-
lung des Lord Amherst Arch. f. Pap.-Forsch. II (1902) S. 96 ff. J. C. Naber
observatiunculae ad papyros iuridicae, Arch. f. Pap.-Forsch. I (1901) S. 85 ff.
und Fortsetzungen.
Achtes Kapitel.
§ 34.
Die nichtjuristische Literatur als Quelle der
Kenntnis des römischen Rechts.
Es ist kein Zweig der Literatur bei den Römern, der
nicht für das römische Recht Ausbeute gewährte. Geschichts-
schreiber, Dichter, Rhetoren, Redner, Philosophen, Briefschreiber,
Grammatiker, Kommentatoren, Notizen- und Anekdotensammler,
Fachschriftsteller, Kirchenväter,^) alle tragen zu unserer Kenntnis
des römischen Rechts mehr oder weniger bei, durch Mitteilung
und Besprechung von Rechtssätzen, Auszügen aus Juristen-
schriften, Behandlung von Rechtsfällen, Schilderungen aus dem
Rechtsleben, juristische Anekdoten, Verwendung rechtlicher
Vorgänge im Bühnenstück, Benutzung von Zügen des Rechts-
lebens in Satire und Predigt. Nicht zu reden davon, daß über-
haupt die ganze Kenntnis der römischen Geschichte und des
römischen Lebens, welche uns die Literatur gewährt, mit-
telbar für die Kenntnis des römischen Rechts unentbehrlich
ist. Es ist hier nur möglich, auf das besonders Wichtige und
auf sonst wenig Bekanntes aufmerksam zu machen.
I. Plautus (254 — 184 V. Chr.) hat das Recht gern auf die
Bühne gebracht, muß aber mit Vorsicht benutzt werden, da
man mit dichterischer Freiheit und Anlehnung an griechische
Originale rechnen muß.^) Weniger ergibt und noch vorsichtiger
zu benutzen ist Terenz.
*) Ferrini, die juristischen Kenntnisse des Arnobius und des Lactantius,
Zeitschr; der Sav.-Stift. XV (1894) S. 343 ff.
2) Vgl. Emilio Costa, il diritto privato nelle comedie di Plauto (Turin
— im —
2. M. Porcius Cato, der Vater, auch als Jurist bekannt
(§ i6, I, i), schrieb de ir nistica, mit Berücksichtigung des
Landwirtschaftsrechts (Formeln für Rechtsgeschäfte. ^)
3. M. Terentius Varro, geb. 116 v. Chr., gest. nach
36 \^ Chr.: Rerum msticarum libri. — De lingiia Latina. *)
4. Eine besonders hervorragende Stellung nimmt ein
Cicero (106 — 43 v. Chr.), der in seinen philosophischen und
rhetorischen Schriften und seinen Briefen viel Juristisches bietet,
und in seinen Reden, vor allem den prozessualen, eine eminente
Quelle des Rechtes seiner Zeit hinterlassen hat. In Zivilsachen
sind gehalten die Reden pro Ouinctio, pro Roscio Conioedo, pro
Tidlio, pro Caecina, in Strafsachen die pro Roscio Amerino,
die \^errinischen, pro Fonteio, pro Clucntio, pro C. Rahirio
(perduellio), pro Mnrcna, pro Sulla, pro Archia, pro Flacco, pro
Sestio, in Vatiniiun, pro Caelio, pro Balho, pro Plancio, pro
C. Rabirio (Repetunden), pro Milone. — Ciceros Werke de
repnblica xxnd de legibus sind nicht Darstellungen des römischen
Staats und Rechts, sondern allgemeine philosophische Be-
trachtungen und gesetzgeberische Vorschläge, aus denen aber
über die römische Wirklichkeit vieles zu lernen ist. ^)
5. M. Valerius Probus, Grammatiker (von Tiberius
bis Domitian), verfaßte eine Schrift über die gebräuchlichen
xA.bkürzungen, zumal in leges, plebiscita, SCC, legis actiones,
edicta perpetua-^ von ihr haben wir einen am Schlüsse unvoll-
ständigen Auszug, der teilweise ergänzt wird durch eine alpha-
betische Notensammlung einer Handschrift im Kloster Einsiedeln
(Kanton Schwyz).")
6. Valerius Maximus: fac forum et dictoruni memorabi-
liuin libi-i novcm, an Kaiser Tiberius gerichtet.
1890). Bekker, die römischen Komiker als Rechtszeugen, Zeitschr. d. Sav.-
Stift. XIII (1892) S. 53 ff. Costa, il diritto private nelle comedie di Terenzio,
Archivio giuridico L S. 407 ff.
3) Auszug: Bruns II p. 49 sqq. ■*) Auszug; Bruns II p. 53 sqq.
^) Vgl. Keller, Semestrium ad M. Tullium Ciceronem 1. VI. vol. I
(1. I— III) Zürich 1851—1853. Be thmann- Ho 11 weg, der römische Zivil-
prozeß. B. II .S. 762 ff. Schneider, der Prozeß des C. Rabirius. Zürich
1889. Kühler, der Prozeß des Quinctius und C. Aquilius Gallus, Zeitschr.
d. Sav.-Stift. XIV (1893) S. 54 ff.
*■') Collect. 11 p. 141 sqq. Huschke p. 129 sqq.
— 1(51 —
7- O. Asconius Pedianus (c. 3 — 88 n. Chr.): Kommen-
tar zu fünf Reden Ciceros; der früher ihm zugeschriebene
Kommentar zu den Verrinen ist nicht von ihm und wird jetzt
meist als Pseudo-Asconius citiertJ)
8. Quintilianus (c. 35 — 95 n. Chr.): institutio oratoria,
besonders für den Prozeß wichtig.
9. C. Plinius Caecilius Secundus der Jüngere (62 bis
1 1 3 n. Chr.): Briefe, und zwar gehören hierher die Privat-
briefe; der Briefwechsel mit Trajan ist § 14, I besprochen.
10. Die Feldmesser, agrimensores, gromatici [gj-oma ein
Meßinstrument): Sex. Julius Frontinus (c. 40 — 103 n. Chr.),
Hyginus, Siculus Flaccus, Baibus unter Trajan; Agennius Ur-
bicus im 5. Jahrhundert. Eine Sammlung der gromatischen
Schriften, vielleicht aus der Zeit Justinians, in Handschriften
des 9. oder 10. Jahrhunderts, enthält auch Auszüge aus
juristischen Quellen, so namentlich den tit. Dig. X, i finiimi
7'egimdoruni aus einer der Florentina gegenüber besseren Vor-
lage.^) Frontinus ist zugleich Verfasser einer Schrift de aqiiis
jirbis Romae, wichtig wegen der mitgeteilten Gesetzes- und
sonstigen Urkunden.^)
11. A. Gellius (geb. etwa 130 n. Chr.): 20 Bücher «öf/ri-
Atticae (um 170), allerlei schöngeistige und halbwissenschaft-
liche Erörterungen, besonders wichtig durch die Auszüge aus
älteren römischen Juristenschriften.
12. Pompejus Festus um 150 n. Chr. fertigte aus dem
Werke des unter Augustus lebenden Verrius Flaccus de ver-
borum signi/icatu einen Auszug, der unvollständig erhalten ist,
aber ergänzt wird durch einen weiteren von Paulus Diaconus
(c- 735 — 797) angefertigten Auszug.^")
13. Nonius Marcellus (2. Hälfte des 3. oder Anfang
des 4. Jahrhunderts): coinpendiosa doctrina per litteras, ein
lexikalisches Werk.^^)
14. Servius Honoratus Maurus (2. Hälfte des 4. Jahr-
hunderts): Kommentator Vergils.^^)
') Auszug: Bruns II p. 69 sqq.
*) Auszüge: Bruns II p. 88 sqq., vgl. auch Pruns I p. 96.
^) Vg'- Bruns I p. 115. *'') Alphabetischer Auszug: Bruns II p. 1 sqq.
^1) Auszug: Bruns II p. 66 sqq. ^^) Auszug: Bruns II p. 78 sqq.
Kipp, Quellen des röm. Kechts. \\
— 162 —
1$. Q. Aurelius Symmachus (c. 345 — 415 n. Chr.):
Privatbriefe, seine offiziellen Berichte als Stadtpräfekt vgl. § 24.
16. M aerob ins (Ende des 4. und Anfang des 5. Jahr-
hunderts): Satiirfialia und Kommentar zu Ciceros Soinmum
Scipionis.
17. Anicius Manlius Severinus Boethius fgest. 524):
Kommentar zu Ciceros Topica.^^)
18. Isidorus Hispalensis (gest. 636): origimim (ety-
mologiariim) libri\ besonders das 5. Buch behandelt juristische
Kunstausdrücke unter Benutzung alter Quellen, aber sehr wirr.^*)
3) Auszug: Bruns II p. 75 sqq. ^*) Auszug: Bruns II p. 82 sqq.
Sachregister.
(Zugleich Erklärung der Citiervveisen.)
In diesem Buche ist die sog. philologische Citierweise befolgt, welche
bei allen Quellen von der größten zur kleinsten Einteilung absteigt. Der Ver-
fasser ist der Ansicht, dass die altherkömmliche sog. juristische Citiermethode
nicht mehr aufrecht erhalten werden sollte. In dem Sachregister sind die
Buchstaben, mit denen man eine Quelle zu bezeichnen pflegt, im Druck her-
vorgehoben. Die sonst nötigen Erklärungen über die übHchen Anführungs-
weisen sind teils unter den Stichworten der einzelnen Quellen gegeben, teils
selbständig in das Alphabet eingeordnet.
Aburnius Valens 109.
Älius Gallus 92.
(Sex.) Älius Pätus 89.
aequitas 6 ff.
aequum et bonum 6 ff.
Africanus 112.
Agrimensoren 161.
Alfenus Varus 92.
Altarordnungen 43.
Annotatio 74.
Appellatio more consultationis 72.
Aquilius Gallus 91.
Arcadius Charisius 125.
Archivwesen 28. 56. 64. 70. 76 f.
Aristo 107 f.
Arrianus 121.
Arrius Menander 120.
Asconius 161.
Atilicinus 105.
Auctoritas iure consultorum 93.
— patrum 52.
Aufidius Chius 107.
Namusa 92.
Authenticae 147. 148.
Authenticum 147.
Basilika 152.
Boethius 162.
bona fides 9.
Brutus 90.
Bürgerrechtsverleihung 42 f.
Byzantinische Gesetzgebung 152.
— Rechtsliteratur 151.
C. s. Codex Justinianus.
c. = constitutio, bei Anführung justi-
nianischer Novellen = caput.
Cälius Sabinus 106.
Callistratus 120.
Campanus 109.
Capito 101. 103.
Cartilius 105.
Cascellius 92.
Cassianer 100 ff.
Cassiodorius 133.
Cassius 105 f.
Cato Sohn 90.
— Vater 90. 160.
Celsus Sohn 108.
— Vater 106.
Cicero 160.
cives 10 f.
cit. = citatus, a, um, gebräuchlich,
wenn dieselbe Quellenstelle oder
derselbe Titel in der Anführung
wiederkehrt: z. B. 1. 17 cit. = die
zuvor angeführte lex 17; 1. 3 tit.
cit. = lex 3 in dem zuvor ange-
führten Titel.
Citiergesetze 126.
(Ap.) Claudius Caecus 89.
Claudius Saturninus 116. 121.
11*
164 —
Codex Gregorianus 78 ff.
— Hermogenianus 78 ff.
— Justinianus 137 f. 144 ff. Wo
Verwechslung nicht zu befürchten,
genügt zur Bezeichnung C. allein.
Die hergebrachte Citierweise ist
1. 7 C. de rei vindic. 3, 32 oder
c. 7 de rei vindic. 3, 32 = C. J,
lib. III, tit. 32 (mit der Rubrik de
rei vindicatione), lex (constitutio)
7. S. auch cit., eod., h. t., pr.
— Theodosianus 80 f. Herkömm-
liche Citierweise wie beim C. J.
Collatio 152.
Comitia 26 ff.
Commentarii principum 64. 70.
— regum 25 f.
Commercium 11.
Concilium plebis 27.
Connubium 11.
Consilium principis 60 f.
Consistorium principis 70.
Constitutiones principum 12. 59ff. ;
einzeln überlieferte 82 ff.
Constitutionarii 76 f.
Consultatio 132 f.
Consultatio ante sententiam 66.
Corpus iuris civilis 148 ff.
Ti. Coruncanius 89.
Decemviri 31.
Decisiones 138.
Decreta principum 63 f. 72 ff.
Dekrete von Beamten 153 ff.
Digesta Justiniani 137 ff. 140 ff. Her-
kömmliche Citierweise : 1. 1 D. de
reb. cred. 12, 1 = D. lib. XII, tit.
1 (mit der Rubrik de rebus creditis),
lex (fragmentum) 1. S. auch cit.,
eod., h. t., pr.
Dispensation von Gesetzen 53.
Edicta magistratuum 44 ff.
— principum 61 f. 71 f.
Edictuui Theoderici 135 f.
eod. ^ eodem titulo, gebräuchlich,
wenn eine Quellenstelle demselben
Titel angehört, wie eine kurz vor-
her angeführte andere.
epil. :=: epilogus, bei Justin. Nov.
Epistolae principum 64 ff.
Fabius Mela 103.
Festus 161.
(Gn.) Flavius 89.
Florentinus 117.
fr. = fragmentum, namentlich auch
gebräuchlich zur Bezeichnung der
einzelnen Stellen in den D.
Fragmentum Atestinum 38 f.
Fragmentum Dositheanum 130 f.
— de formula Fabiana 131.
— de iudiciis 130.
Fragmenta de iure fisci 130.
— Sinaitica = Sinai-Scholien.
— Vaticana 131 f.
Frontinus 161.
Fufidius 107.
Fulcinius Priscus 105.
Fundus 11.
Furius Anthianus 124.
Gajus 112ff. 129 Gai. bezeichnet seine
Institutionen.
Gellius 161.
Gerichtsgebrauch 19 ff.
Gesetzgebung der Republik 26 ff.
Gewohnheitsrecht 17 ff.
(De) gradibus Cognationum tractatus
131.
Gromatiker 161.
Harmenopoulos 152.
Hermodorus 33^.
Hermogenianus 125.
h. t. = hie titulus, hoc titulo, üb-
lich bei Citaten aus demjenigen
Titel eines Rechtswerkes, welcher
zum Hauptgegenstand denselben
hat, wie die Abhandlung, der Ab-
schnitt u. s. w., in welchem das Citat
vorkommt. Z. B. 1. 1 D. h. t. ist,
wenn es in einem Abschnitt über
die rei vindicatio steht, = D. VI,
1, 1.
Javolenus Priscus 106 f.
Index Florentinus 143.
Institutiones Justiniani 138. 139f. Her-
kömmliche Citierweise; Pr. § 1 J.
de rer. div. 2, 1 = J. lib. II, tit.
1 (de rerum divisione), principium
und § 1. S. auch cit., eod., h. t.
Interpretatio 93.
Isidorus Hispalensis 162.
Juliani epitome novellarum 147.
Julianus 50. 109 f.
Julius Aquila 124.
Jus aedilicium 49.
— aequum 6 f.
— Aelianum 89.
— civile 10. 14. 16. 48. 49. 51. 93 f.
165
Jus edicendi 44 f.
— Flavianum 89.
— gentium 12 ff".
— honorarium 49. 51.
— iniquum 6 f.
— und leges 125 f.
— naturale 4 ff". 15.
— Papirianum 24.
— praetorium 49.
— respondendi 95 ff".
— strictum 7.
Justinians Gesetzgebung 137 ff".
l.:^=lex, besonders zur Bezeichnung
der einzelnen Stellen in D. und
C. verwandt.
Labeo 101. 102 f.
Lälius (Felix) 117.
Leges datae 40 fi^. selbständig über-
lieferte 41 ff".
— dictae 43 f.
— generales 70 f.
— imperfectae 28 f.
— latae 26 ff". 36, selbständig über-
lieferte 36 ff".
— minus quam perfectae 28.
— perfectae 29.
— regiae 24 f.
— rogatae 26 ff".
Lex 27 f.
— Acilia repetundar. 37,
— Antonia de Termessibus 37.
— Cornelia, überJurisdictionsedikte46.
— — -de viginti quaestoribus 37.
— de imperio principis 59 f.
— de imperio Vespasiani 40.
— Hadriana 44.
— Hortensia 27.
— Julia municipalis 39 f.
— Licinia Junia 28.
— Malacitana 42.
— Manciana 44.
— raetalli "Vipascensis 43 f.
— Pompeja 40.
— Publilia 52.
— regia s. de imperio principis.
— Romana Burgundionum 136.
— — Wisigothorum 135- An-
hänge 133.
— Rubria 37.
— Rupilia 40.
— Salpensana 42.
— Tarentina 41.
— Ursonensis 41.
Licinius Rufinus 124.
Longinus 106.
Lydus (Johannes) 134.
Macer 124.
Macrobius 162.
Mäcianus 117. 129.
Mandata principis 62 f. 72.
Manilius 90.
Marcellus 117 f.
Marcianus 124.
Mauricianus 116.
Messius 120.
Minicius 104:
Modestinus 124 f. 131.
(P.) Mucius 90.
(Q.) Mucius 90 f.
Neratius Priscus 108.
Nerva, Sohn 104 f.
— Vater 104.
Nonius Marcellus 161.
Notitia dignitatum 132.
nov.^novella, citiert mit Beisatz des
Kaisers, der sie erliess; bei justi-
nianischen Novellen fällt dieser
Zusatz fort, wenn "Verwechselung
nicht zu befürchten ist. S. auch
c, cit., pr., praef., epil.
Novellen, justinianische 138 f. 146 ff".
— posttheodosianische 82.
Octavenus 109.
Ofilius 91.
Oratio principis 55. 71.
Paconius 106.
Pactumejus Clemens 110.
Papinianus 119. 129 f.
Papirius Fronto 120.
Papirius Justus 117.
Papyri 157 f.
Paulus 121 f. 130. Paul, bezieht sich
auf seine Sententiae.
Pedius HO.
Pegasus 107.
Peregrini 10 ff".
Personalität des Rechts 10 ff".
Plautius 106.
Plautus 159.
Plebiscita 27 f.
Plinius 161; und Trajan 77.
Pomponius 111. 131.
Pontifices 88.
pr. = principium, gebräuchlich zur
Bezeichnung des Anfangsstückes
einer Stelle in denjenigen Quellen,
in denen man die Anfangsstücke
ohne Paragraphenzahl gelassen hat.
praef. oder prooem. = praefatio oder
prooemium, die Einleitungen der
justinianischen Novellen.
— 166
Präfecti Ägypti, Erlasse 87.
Präfecti Prätorio 61, Erlasse 86 f.
Präfectus Urbi, Erlasse 87.
Praescriptio mendaciorum 73.
Pragmaticae Sanctiones 74 f.
Preces 67.
Procnlianer 100 ff.
Proculus 105.
Promulgation 28.
Provinzialordnungen 12.
Provinzialstatthalter, Erlasse 87.
Pseudo-Asconius 161.
Publicius 117.
Puteolanus 121.
Quästor sacri Palatii 70. 76.
Quintilianus 161.
Rechtswissenschaft, republikanische
88 ff., klassische 95 ff., nachklassische
127 f., byzantinische 151 f.
Rescripta principum 64 ff., 72 ff.
Responsa 93 f., 95 ff.
Rutilius Maximus 124.
— Rufus 90.
Sabinianer 100 ff.
Sabinus 103 f.
Sanctio legis 28 f.
Saturninus (Q.) 116.
Scävola (Cervidius) 118. Mucius s.
unter diesem Namen.
Semestria 70.
Senat 52 ff. 70.
Senatus consulta 52 ff. Einzeln über-
lieferte 57 ff.
Servilius 115.
Servius (Kommentator) 161.
Servius Sulpicius 91.
Sinaischolien 133.
Sirmondyiische Konstitutionen 82,
citiert: c. Sirm. 1.
Soldatendiplome 43.
Stadtordnungen 12.
Subscriptio 64. 68.
Summa Perusina Codicis 146.
Supplicatio 67.
Synimachus 132. 162.
Synopsis Basilicorum 152.
Syrisch-römisches Rechtsbuch 133 f.
Tabula Bantina 86 f.
— Heracleensis 39 f.
Tarruntenus Paternus 119.
Terentilius Arsa 31.
Terentius Clemens 116.
Terenz 159.
TertuUianus 120.
Theophilus 151 f.
Tipucitus 152.
Trajan und Plinius 77,
Trebatius 92.
Tripertita 89.
Tryphoninus 120.
Tubero 92.
Turiner Glosse zu den Institutionen
140.
Tuscianus 109.
Ulpianus, 122 f. 130. Ulp. ohne wei-
teres bezieht sich auf den lib. sing,
regularum, die Institutionenfrag-
mente werden als fr. Endlicher oder
fr. Vindobonensia citiert.
Urkunden 153 ff.
Ursejus Ferox 106.
Valerius Maximus 160.
— Probus 160.
— Severus 109.
Varius Lucullus 107.
Varro 160.
Venulejus Saturninus 116.
Verrius Flaccus 161.
Vindius Verus 116.
Vitellius 103.
Vivianus 108.
Wachstafeln 155 f.
Zwölf Tafeln 29 ff. Nachtrag: Für
die Echtheit der zwölf Tafeln s.
noch Appleton le testament Ro-
main .... et l'authenticite des
XII tables. Extrait de la Revue
generale du droit. Paris 1903.
Ä. Deichert'sche Verlagsbuchhdlg-. (Geor^ Böhme), Leipzig.
Wer kann
nach deutschem bürgerlichen Recht
mit
Vermächtnissen belastet werden?
Von
Dr. Theodor Kipp,
o. Professor an der Universität Berlin.
Mk. 1.20.
Die Lehre von der Stellvertretung
insbesomlere bei
obligatorischen Verträgen.
Von
Siegmund Schlossmann,
Professor der Rechte In Kiel,
I. Kritik der herrsclienden Lehren. 6 M. 50 Pf.
II. Versuch einer wissenschaftlichen Grundlegunsf. 12 Mk.
Deutsche u. französ. Verfassungsgeschichte
vom
9. bis zum 14. Jahrhundert
von
Dr. Ernst Mayer,
Professor der Rechte in Würzburg.
2 Bände. 24 Mark.
A. Deichert'sche Verlagsl)uchlullg. (Georg Böhme), Leipzig-.
Öic
Verträge auf Leistung an ^ritte.
Nach Deutscliem Reichsreclit
unter besonderer Berücksichtigung- des Handelsgesetzbuchs,
Mit einer Einleitung
(Über das römische Recht)
und mit einem Anhange
(Die Erbverträge zu Gunsten Dritter).
Von
Dr. Konrad Hellwig.
Wesen
und subjektive Begrenzung
der Rechtskraft.
Eine prozessuale Abhandlung
mit
Beiträgen zum Mrgerliclien RecM, insksondere zur Lehre m der RecMsflacMolge
und 1er YerfiigMgsiaclit der NicMöerecMigteL
Von
Dr. Konrad Hellwig.
1901. 34 Bogen. 4". 14 Mark, geb. 16 Mark.
Ä. Deichert'sehe Verlagsbuchhdlg. (Georg Böhme), Leipzig.
Lehrbuch
des
Deutschen Civilprozessrechts
Dr. Konrad Hellwig,
Geh. Justizrat, Professor au der Universität Berlin.
I. Band.
1902. 10 Mark. eleg. geb. 12 Mark.
Finanzwissensehaft.
Von
Dr. Karl Theodor Eheberg,
Professor der Staatswiäsenschaften in Erlangen.
7. verb. u. yerm. Aufl. 8 Mark, geb. 9 Mark 25 Pf.
Sammlung
handelsrechtlicher und wechselrechtlicher Fälle.
Zum a k a d e m i s c li e 11 G e b r a u c li e
von
Dr. Emil Sehling,
Professor der Kechte in Erlangen.
Zweite yollständig umgearbeitete Auflage.
1 Mk. 80 Pf., kart. 2 Mk. 10 Pf.
Ä. Deichert'sche Verlagsbuchhdlg-. (Georg' Böhme), Leipzig.
Die subjektiven Grenzen
der
Rechtskraft.
Von
Dr. Julius Binder,
Professor der Rechte in Erlangen.
Preis : 2 Mark.
Die Korrealobligationen
im
römischen und im heutigen Recht.
Von
Dr. Julius Binder,
Professor der Rechte in Erlangen.
Preis : 9 Mark.
Die
Rechtsstellung des Erben
nach dem
deutschen bürgerlichen Gesetzbuch.
Von
Dr. Julius Binder,
Professor der Reclite in Erlangen.
I. Teil. 5 Mark 40 Pfj;.
II. Teil, ß Mark.
(Teil III folf,'-t mit tunli(dister Beschleunigunfj")-
Ä. Deichert'sche Verlagsbuchhdlg'. (Georg Böhme), Leipzig.
Das landesherrliche Abolitionsrecht.
Von
Dr. Joseph Heimberger,
Professor der Rechte in Bonn.
2 Mk. 80 Pf.
Der
Begriff der Gerechtigkeit im Strafrecht.
Antrittsvorlesung-,
gehalten am 28. April 1903 an der Universität Bonn
Dr. Joseph Heimberger,
Professor der Etchte.
m-. 0.80.
Lehrbuch
des
Deutsehen Strafreehts,
Von
Dr. Hugo Meyer,
o. Professor der Rechte in Tübingen.
Fünfte umgearbeitete Auflage.
12 ]Ht., geb. 13 ]VIk. 80 Pf.
Ä. Deichert'sche Verlagsbuchhdlg. (Georg Böhme), Leipzig.
Einführung
in die
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swissensc
Von
Dr J. Kohler,
Professor der Rechte in Berlin.
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Preis : l
3 Mk. 60 Pf., eleg. geb. 4 Mk. 50 Pf.
Exegese
über L. 28 D. De vulg. el pup. subsl. 28,6
als Beispiel für
Studierende und Prüfungskandidaten
von
Dr. jur. Oskar Sariing.
Mk. 1.—, kart. M. 1.25.
Übersichtstafeln
zur
Repetition des römischen und
Pandektenrechts.
]\rark 2.
Ä. Deichert'sche Verlag-sbuchhdlg-. (Georg Böhme), Leipzig-.
Der Kauf
nach gemeinem Recht.
Von
Dr. August Bechmann.
I. Geschichte des Kaufs im Römischen Recht. 12 Mk.
IL System des Kaufs nach gemeinem Recht. I. Abt. 10 M.
Über
Notwehr und Notstand
nach den
§§ 227, 228, 904 des bürgeiiiclien Gesetzbuchs.
Von
Dr. Friedrich Oetl<er,
Professor in Würzburg.
Mk. 2.-.
Die Verfassung des deutschen Reichs.
Sechs Hoch Schulvorträge
gehalten zu Eostock im Sommer 1900
Dr. Heinrich Geffcicen,
Professor der Rechte an der Universität.
Preis : 2 Mk. 50 Pf., eleg. kart. 3 Mk.
Ä. Deichert'sche Verlag-sbuchhdlg. (Georg- Böhme), Leipzig.
Das Deutsche Privatrecht
in seinen Grundzügen
für Studierende.
Von
Dr. Heinr. Gottfr. Gengier,
Professor der Rechte.
Vierte verbesserte Auflage.
Mk. 13.—, g-eb. Mk. 15.—.
Lehrbuch
der Deutschen
Militärstrafgerichtsordnung
für
Armee und Marine.
In besonderer Eücksicht auf Gerichtsherrn (Kommandeure)
Eichteroffiziere — einschliesslich Sanitätsoffiziere, Militär- und Marine-
Oberbeamte — und (Jerichtsoftiziere (Leutnants).
bearbeitet von
Dr. Eduard Steidle,
Kriegsgerichtsrat der Kgl. Bayer. 2. Division u. beim Kaiserl. Gouvernement Ulm,
Oberleutnant d. R. 12. Inf.-Regts. Prinz Arnulf.
3 Mk. 25 Pf., geh. 4 Mk.
Ä. Deichert'sche Verlag-sbuchhdlg'. (Georg Böhme), Leipzig.
Allfeld, Prof. Dr., Die Entwickelung des Begriffs Mord bis zur Carolina.
Ein rechtsgeschichtlicher Versuch. 2 Mk.
Brinz, Prof. Dr. A., Lehrbuch der Pandekten. 3. Aufl. I. Bd., 1. Lfg.
3 Mk. 2. Aufl. II. Bd., 1. u. 2. Abt., III. Bd., 1. Abt. h 8 Mk.
m. Bd., 2. Abt., 1. Lfg. 2 Mk. 40 Pf. III. Bd., 2. Abt. 2. Lfg. 7 Mk.
IV. Bd. 1. Lfg. 5 Mk. 50 Pf. IV. Bd., 2. Lfg. 7 Mk. 50 Pf.
Deybeck, Dr. Karl, Der Gerichtsstand der Vereinbarung in historischer
und dogmatischer Darstellung. 5 Mk.
Eheberg, Prof. Dr. K. Th., Die Jagd in volkswirtschaftlicher Beziehung.
1 :\ik.
Gengier, Prof. Dr. H. G., Germanische Rechtsdenkmäler. Leges Capitu-
laria Formulae. 12 Mk., Glossar dazu 3 Mk.
, Deutsche Stadtrechtsaltertümer. 10 Mk.
, Beiträge zur Rechtsgeschichte Bayerns. 1. Heft: Die altbayerischen
Rechtsquellen aus der vorwittelsbachischen Zeit. 5 Mk.; 2. Heft:
Die altbayerischen Ehehaft-Rechto. 3 Mk. 50 Pf.; 3. Heft: Die
Quellen des Stadtrechts von Regensburg aus deqi XIII, XIV. und
XV. Jahrhundert. 3 Mk. 80 Pf.; 4. Heft: Die Verfassungszustände
im bayerischen Franken bis zum Beginne des XIII. Jahrhunderts.
5 Mk.
— — , Des Schwabenspiegels Landrechtsbuch. Zum Gebrauche bei aka-
demischen Vorträgen. Mit einem Wörterbuch. 2. verb. Aufl. 2 Mk.
50 Pf.
Hanausek, Dr. Gustav, Die Lehre vom uneigentlichen Niessbrauch nach
gemeinem Recht. 3 Mk.
Harburger, Dr. J., Das constitutum possessorium im römischen und heutigen
Rechte. Ein civilistischer Versuch. 2 31k.
Holder, Prof. Dr. E., Beiträge zur Geschichte des römischen Erbrechts.
3 Älk. 50 Pf. •
Hruza, Prof. Dr. E., Beiträge zur Geschichte des griechischen und römi-
schen Familienrechtes. I. Die Ehebegründung nach attischem
Rechte. 3 M. IL Polygamie und Pellikat nach griechischem Rechte.
3 Mk. 50 Pf.
, Über das lege agere pro tutela. Rechtsgeschichtl. Untersuchung.
2 Mk.
..Zur Lehre von der Novation nach Österreich, und gemeinem
Recht 4 Mk.
Ä. Deichert'sche Verlagsbuchhdlg. (Georg Böhme) Leipzig-.
Janka, Dr. K., Der strafrechtliche Notstand. 4 Mk.
, Staatliches Klagmonopol oder subsidiäres Strafklagerecht. Eine
strafprozessuale Abhamllung. 1 Mk.
Matthiass, Prof. Dr. B., Die römische Grundsteuer und das Vectigalrecht.
1 Mk.
Meyer, Prof. Dr. H., Die Frage des Schöffengerichts geprüft an der Auf-
gabe der Geschworenen. 1 Mk.
, Die Mitwirkung der Parteien im Strafprozess. Ein Beitrag zur
Beleuchtung einer deutschen Strafprozessordnung. 1 Mk. 20 Pf.
, Die Parteien im Strafprozess. 75 Pf.
, Die Willensfreiheit und das Strafrecht. 60 Pf.
, Hamlet und die Blutrache. Ein Vortrag. 60 Pf.
Müller, Dr. E., Hat der Staat das Recht, die Standesherren zur Ein-
kommensteuer heranzuziehen? Eine Untersuchung unter spezieller
Berücksichtigung der preus.sischen und bayerischen Verhältnisse.
1 Mk. 40 Pf,
— -, Gegen den „groben Unfug" in der heutigen Kechtsprechung, ins-
besondere den Press- und politischen Unfug. 1 31k. 60 Pf.
Neubug, Prof. Dr. Cl., Der Einfluss des Bergbaus auf die erste Entwick-
lung der Forstwirtschaft in Deutschland. 1 Mk. 20 Pf.
V. ScheurI, Prof. Dr. A., Beiträge zur Bearbeitung des römischen Rechts.
I. Bd. 4 Mk. 80 Pf. II. Bd. 1. Heft 1 Mk. 20 Pf. II. Bd. 2. Heft
auch unter dem Titel :
Zur Lehre von den Nebenbestimmungen bei Rechtsgeschäften. 6 IVIk.
, Weitere Beiträge zur Bearbeitung des römischen Rechts.
1, Heft: Teilbarkeit als Eigenschaft von Eechten. 2 Mk. —
2. Heft: Zur Lehre vom römischen Besitzrecht. 4 Mk.
, Lehrbuch der Institutionen. 2. verb. Aufl. 6 Mk. —
Sehling, Prof. Dr. E., Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen
1544—1549 und Georg von Anhalt. 3 Mk. 60 Pf.
Thomas, Dr. K., Das kanonische Testament. (Testamentserrichtung vor
dem Pfarrer.) Historis^'h-dogmatischc Studie. 1 Mk. 80 Pf.
Wendt, Dr. 0., Reurecht und Gebundenheit bei Rechtsgeschäften. Heft 1:
Die condictio ex poonitentia. 2 ]Mk. — Heft 2: Die Keuverträge. 3 Mk.
Druck von W. Hoppe, Borsdorf-L.
K Kipp, Theodor
Geschichte der Quellen des
K5767G4 römischen Rechts
1903
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