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Full text of "Geschichte der römischen Kaiser"

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GESailCHTfc 

i         r\no 


KAISER 


AUGüSTüS 


Geschichte 
der  römischen  Kaiser 


von 


Alfred  von  Domaszewski 

Profeäsor  an  det  Universität  Heidelberg 


ERSTER  BAND 


Dritte  Auflage 


LEIPZIG 


VERLAG  VON  QUELLE  &  MEYER 


D6r 


97476 


Alle  Rechte  vorbehalten 
Copyright  1922  by  Quelle  'S)  Meyer,  Leipzig 
Druck  von  C.  G.  Naumann  G.m.b.H.  in  Leipzig 


Deutschen  Lesern 
zugeeignet 


ZUM  GELEIT 

Die  Absicht,  die  mich  bei  der  Niederschrift  dieses 
Buches  geleitet  hat,  spricht  die  Widmung  aus.  An 
die  Gebildeten  dachte  ich,  als  ich  in  der  natürlichen 
Rede  des  Deutschen  die  Gestalten  der  Kaiser  wieder- 
zuervvecken  suchte.  Durch  das  Nachdenken  langer  Jahre 
erwuchsen  diese  Kaiser  der  Römer  in  dem  Gefängnis 
des  Bücherzimmers  zu  lebendigen  Erscheinungen.  Da 
saßen  sie  nun  auf  den  Borden,  den  Stühlen,  selbsf  an 
meinem  Schreibtische,  bis  mir  die  gespenstige  Umgebung 
zur  Qual  wurde.  So  habe  ich  denn  geschrieben,  um 
mich  selbst  zu  befreien.  Wie  weit  es  mir  gelang,  die 
Kraft  der  Empfindung  in  Worte  zu  ergießen,  wie  sollte 
ich  das  selbst  ermessen  können! 

Der  Verfasser. 


INHALTSVERZEICHNIS 

Seite 

Einleitung i 

Augustus II 

1 .  Caesars  Ermordung ii 

2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 21 

3.  Der  Krieg  um  Mutina 44 

4.  Das  Triumvirat 64 

5.  Brutus  und  Cassius  im  Osten 74 

6.  Philipp!      81 

7.  Perusia • 90 

8.  Antonius  im  Osten loi 

9.  Brundisium 106 

10.  Antonius  in  Athen 115 

1 1 .  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius 118 

12.  Der  Partherkrieg  des  Marcus  Antonius 135 

13.  Der  illyrische  Krieg  Caesars 143 

14.  Actium      148 

15.  Die  Begründung  des  Principates 166 

16.  Die  Neuordnung  des  Reiches ,..177 

17.  Die  Eroberung  von  Illyrien  und  Germanien     .    .    .    .211 

18.  Der  Untergang  der  Julier 221 

19.  Die  Empörung  in  Illyrien  und  Germanien 235 

20.  Die  letzten  Jahre 244 

Tiberius 251 

1.  Der  Antritt  der  Herrschaft 251 

2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen 263 

3.  Germanicus  im  Osten 280 

4.  Drusus 289 

5.  Seians  Herrschaft 298 

6.  Die  letzten  Jahre 315 

Namensverzeichnis 320 

Stammtafeln  der  Julier  und  der  Claudier. 


zu  DEN  TAFELN 


Der  Auftrag  des  mir  befreundeten  Verfassers,  für  dieses  Buch  eine 
Auswahl  von  Bildnisköpfen  in  guten  Photographien  bereitzu- 
stellen, war  auch  zum  zweiten  Male  nicht  so  befriedigend  auszuführen, 
als  man  erwarten  soUte.  Denn  aus  dem  reichen  Schatz  an  erhaltenen  treff- 
lichen Kaiserporträts  liegt  immer  noch  zu  wenig  in  wirklich  zureichen- 
den Lichtbildern  vor.  Seit  J.  J.  Bernoullis  Römischer  Ikonographie 
(1882 —  1 894)  war  hierin  nur  wenig  geschehen,  trotz  der  grundlegenden 
Bedeutung  dieser  Denkmäler  für  die  Geschichte  der  Plastik  ihrer 
Zeit  und  für  die  gesamte  Bildniskunde  des  Altertums,  auch  des 
hellenischen,  dessen  Porträts  ja  großenteils  nur  in  späten  Kopien 
auf  uns  gekommen  sind.  Erst  die  neuen  Sammlungen,  die  kürzere 
von  Richard  Delbrück  (Antike  Porträts)  und  die  umfassendere  von 
Anton  Hekler  (Die  Bildniskunst  der  Griechen  und  Römer)  berück- 
sichtigen die  Kaiserzeit  nach  Gebühr.  Aber  für  die  wenigen,  vom 
Verfasser  ausgewählten  Herrscher  gilt  auch  diesmal  noch,  daß  nicht 
durchweg  die  besten  mir  bekannten  Bilder  und  die  gewählten  Köpfe 
nicht  alle  in  tadellosen  Aufnahmen  gegeben  werden  können.  Um 
letzterem  Ziele  näher  zu  kommen,  bleibt  es  in  drei  Fällen  bei  Photo- 
graphien nach  Abgüssen  statt  nach  den  Originalen. 

Das  nachfolgende  Verzeichnis  und  dessen  Fortsetzung  im  IL  Bande 
gibt  zumeist  nur  den  Aufbewahrungsort  des  betreffenden  Denkmals, 
die  Vorlage  der  Tafel  und  die  letzte  wichtige  Besprechung  in  der 
Fachliteratur  an,  aus  der  auch  genaue  Angaben  über  deo  Erhaltungs- 
zustand zu  entnehmen  sind.  Das  Material  ist  Marmor,  wenn  Bronze 
nicht  ausdrücklich  genannt  wird. 

Bei  Seite 

Augustus,  Kopf  der  Statue  von  Prima  Porta  im  Braccio  nuovo, 
nach  Photographie  Anderson ;  vgl.  Heibig- Amelung,  Führer 
durch  die  öffentlichen  Sammlungen  in  Rom^  I  Nr.  5    .    .  Titel 

Caesar,  Kopf  der  Kolossalstatue  im  Conservatorenpalast,  nach 
Photographic  Anderson,  ein  idealisiertes  Bildnis  erst  traiani- 
scher  Zeit,  wie  es  denn  auch  mehr  mit  den  traianischen  als 
mit  den  alten  Münzbildern  des  Dictators  übereinstimmt; 
vgl.  Bernoulh,  Römische  Ikonographie,  I,  S.  iö8f. ;  Helbig- 
Amelung  a.  a.  O.,  I  Nr.  885 16 


VIII  Zu  den  Tafeln 

Bei  Seite 

Gaius  Octavius,  Kopf  im  Büstenzimmer  des  Vaticans,  nach 
Arndt,  Griechische  und  römische  Porträts,  Nr.  241;  vgl. 
Heibig- Amelung  a.  a.  O.,  1  Nr.  218.  —  Ich  will  nicht  ver- 
schweigen, daß  mir  die  Arbeit  mitunter  hadrianischon  Ein- 
druck macht,  wozu  der  Fundort  Ostia  gut  passen  würde.       40 

Agrippa,  Büste  im  l.ouvre,  nach  Abguß  im  Archäologischen 
Institut  zu  Leipzig  phoLograjjhicrt;  vgl.  Bernoulli  a.a.O.,  I, 
S.  255 ff.     HeklcT  a.  a.  0„  Taf.  274      152 

Tiborius,  überlebensgroßer  Kopf  aus  Gabii  im  Louvre,  nach 
Photographie  Giraudon;  vgl.  Bernoulli  a.a.O.,  II  i,  S.  151, 
Nr.  39,  Tafel  7.     Hoklcr  a.  a.  O.,  Taf.  277 256 

Germanicus,  Kopf  der  Statue  aus  Gabii  im  Louvre,  nach  Ber- 
noulli a.  a.  O.,  II  I,  Tafel  10,  vgl.  S.  237,  die  ganze  Statue 
bei  Arndt,  a.  a.  O.,  Nr.  710.  —  Die  Benennung  scheint 
mir  zum  mindesten  höchst  wahrscheinlich 280 

Franz  Studniczka. 


EINLEITUNG 


fie  Geschichte  der  Kaiser,  die  einst  über  das  Weltreich  der 
'Römer  geboten,  erweckt  in  unseren  Tagen  einen  stets 
(wachsenden  Anteil  bei  Gelehrten  sowohl,  die  sich  forschend 
in  die  Vergangenheit  versenken,  als  auch  bei  allen,  welche  die 
Voraussetzungen  des  eigenen  Daseins  zu  begreifen  bemüht  sind. 
Worin  ist  es  begründet,  daß  Ereignisse,  die  so  viele  Menschenalter 
hinter  unserer  Zeit  zurückliegen,  das  Nachdenken  wie  die  Betrach- 
tung immer  von  neuem  anregen? 

Der  Untergang  einer  großen  und  edeln  Cultur,  der  sich  in 
dieser  Weise  niemals  sonst  vollzogen  hat,  läßt  die  Geschichte  der 
Kaiser  so  inhaltsschwer  erscheinen,  daß  uns  selbst  auf  der  Sonnen- 
höhe unserer  Cultur  die  Furcht  beschleicht  vor  dem  Wandel  alles 
Irdischen.  Der  Glanz  und  die  Macht  dieses  Reiches,  sein  Sturz  in 
eine  tausendjährige  Nacht  tiefer  Barbarei  erfüllt  uns  bei  dem  An- 
blick dieser  Zerstörung  mit  dem  Gefühle  des  Erhabenen,  wie  es 
das  Spiel  der  tragischen  Muse  durch  den  Untergang  des  Edeln  in 
unserem  Gemüte  erzeugt.  Die  drohende  Mahnung  an  ein  dunkles 
Verhängnis  erschüttert  uns  um  so  tiefer,  weil  unser  eigenes  Dasein 
mit  tausend  Wurzeln  in  dem  Boden  dieses  Weltreiches  haftet. 

Der  Schauplatz  der  Kaisergeschichte,  jenes  Mittelmeerreich, 
dessen  Länder  von  der  Natur  dazu  geschaffen  waren,  die  edleren 
Formen  des  menschlichen  Lebens  zu  erzeugen,  ist  auch  die  Stätte, 
wo  die  moderne  Civilisation  eigenartig  emporgewachsen  ist.  Über 
die  Jahrhunderte  hinweg  ist  der  Boden  des  Römerreiches  unsere 
eigene  Heimat  geblieben.  So  sind  die  Bedingungen,  welche  die 
Natur  für  das  Entstehen,  Werden  und  Vergehen  der  antiken  Cultur 
vorgebildet  hatte,  uns  unmittelbar  verständlich  als  die  Voraus- 
setzungen unseres  eigenen  Lebens.  Die  Naturformen  des  Daseins, 

Domasiewski.    I.  * 


2  Einleitung 

auf  denen  sich  die  höheren  der  Civilisation  aufbauen,  sind  uns  und 
der  Antike  gemeinsam.  Deshalb  erscheinen  die  Gesänge  Homers, 
die  das  Jugendalter  Griechenlands  widerspiegeln,  als  das  Ewig- 
menschliche, als  das  Unvergängliche.  Diese  Wurzel  der  antiken 
Cullur  treibt  ihre  schimmernden  Blüten  auch  in  unserer  Sonne. 
Gerade  an  Homer  erkennen  wir  die  Wesensgleichheit  unseres 
eigenen  Volkstumes  mit  den  Griechen  und  Römern:  jene  Eigenart 
der  Indogermanen,  die  einzig  und  allein  Träger  einer  wahren 
Civilisation  gewesen  ist.  Unsere  älteren  Brüder  waren  jene  antiken 
Völker,  deren  Schicksale  unser  eigenes  Schicksal  vorbedeuten.  Da- 
her der  tiefe  Anteil,  mit  dem  wir  den  Ursachen  des  Unterganges 
der  Römer  nachdenken;  was  ihnen  verderblich  geworden,  das  wird 
auch  uns  dereinst  den  Untergang  bereiten.  Diese  Stimmung  des 
Gemütes  ist  es,  welche  den  forschenden  Geist  zur  Betrachtung  der 
Kaiserzeit  antreibt.  Der  denkende  Verstand,  indem  er  das  Problem 
zergliedert,  entdeckt  immer  neue  Seiten  von  hoher  Bedeutung. 

Das  Weltreich  der  Römer  ist  ein  Erbe  des  Freistaates,  dem 
nach  der  Besiegung  der  Carthager  die  Vorherrschaft  im  Gebiete 
des  Mittelmeeres  fast  ohne  Kampf  zufiel.  Widerstrebend  hatte  der 
Adel  Roms  diese  Herrschaft  ergriffen  und  die  Staaten  an  den  Ufern 
des  Mittelmeeres,  die  sich  selbst  nicht  mehr  zu  regieren  vermoch- 
ten, an  das  italische  Reich  angeschlossen.  Nur  dem  Namen  nach 
bildeten  Italien  und  die  Provinzen  eine  staatliche  Einheit.  Denn 
im  Westen  wie  im  Osten  war  die  Oberhoheit  nur  eine  lose,  jederzeit 
der  Erschütterung  durch  fremde  Staaten  ausgesetzt.  Die  Einheit 
und  die  Sicherheit  des  Reiches  ist  erst  eine  Schöpfung  der  Kaiser, 
die  das  Reich  bis  an  seine  natürlichen  Grenzen,  den  Rhein  und  die 
Donau  im  Westen,  den  Euphrat  im  Osten  erweiterten  und  durch 
ein  stehendes  Heer  behaupteten.  Wie  im  Westen  römische  Art  die 
politischen  Bildungen,  die  Sprache  und  die  Formen  des  Lebens  be- 
stimmte, so  hatte  im  Osten  lange  vor  den  Römern  der  griechische 
Geist  fremdartige  Völker  zu  einem  neuen  Dasein  erweckt.  Tief- 
wirkend hatte  sich  die  Civilisation  der  Römer  und  Griechen  da  er- 
wiesen, wo  sie  feste  Stützpunkte  besaß  an  den  eigenen  Siedlungen 
dieser  Völker.  Nur  die  Küsten  des  östlichen  und  südlichen  Spaniens 
und  die  Ufer  des  aegaeischen  Meeres  sowie  vereinzelte  Städte  an 


Einleitung  » 

den  Küsten  und  im  Innern  der  Continente  waren  Träger  der  neuen 
Civilisation.  Erst  die  weise  Fürsorge  einer  langen  Reihe  aus- 
gezeichneter Herrscher  hat  diesen  Einfluß  immer  tiefer  ins  Innere 
getragen  und  ihm  immer  weitere  Gebiete  gewonnen,  bis  endlich  im 
Zeitalter  der  Antonine  das  Weltreich  auch  der  Cultur  nach  eine 
Einheit  zu  bilden  schien.  Doch  hat  die  Kaiserzeit  die  Eigenart  der 
Völker  des  Reiches  nicht  zerstört.  Dem  Ursprünge  nach  ein 
Colonialreich,  hat  der  Staat  der  Kaiser  diesen  Charakter  nie  ver- 
loren. Die  römische  Herrschaft  in  lateinischer  und  griechischer 
Form  wurde  von  den  stammfremden  Völkern  des  Reiches  stets  als 
eine  Fremdherrschaft  empfunden  und  bei  aller  Unterwerfung  mit 
Widerwillen  erduldet.  Selbst  die  römisch-griechische  Civilisation 
wurde  als  ein  fremdes  Kleid  mit  Zwang  getragen  und  die  Sprache 
der  herrschenden  Völker  ist  oft  nur  ein  Mittel,  einen  ganz  fremden 
Gedankeninhalt  auszudrücken.  Dieser  Mangel  an  nationaler  Einheit 
ist  die  innere  Schwäche  eines  Staates,  den  der  machtvolle  Wille 
eines  zur  Herrschaft  einzig  befähigten  Volkes  für  immer  gegründet 
zu  haben  schien. 

Und  doch  als  die  Herrschaft  der  Römer  im  dritten  Jahrhundert 
dem  Ansturm  der  empörten  Knechte  erlag,  erwiesen  sich  die  Formen 
des  Staates  und  die  Formen  der  Cultur  als  unüberwindlich.  Selbst 
die  Barbaren,  die  im  Osten  wie  im  Westen  das  Reich  überfluteten, 
mußten,  sobald  sie  in  den  Bereich  der  antiken  Civilisation  traten, 
die  Formen  dieses  Staates  annehmen  und  die  Gedanken  römischer 
Staatskunst  auf  spätere,  empfänglichere  Geschlechter  übertragen, 
so  daß  sie  überall  im  staatlichen  Leben  unserer  Tage  wirksam  sind. 
Der  Osten,  dem  noch  auf  Jahrhunderte  ein  glücklicheres  Los  be- 
schieden war,  hat  die  Formen  der  antiken  Cultur  in  Sprache  und 
Bildung  noch  lange  behauptet,  als  der  Geist  bereits  entwichen  war, 
und  in  eine  Zeit  hinübergerettet,  wo  im  Abendlande  die  Wieder- 
geburt der  Antike  die  Wurzel  einer  neuen  Civilisation  wurde.  Zu 
der  Form  den  Inhalt  wiederzugewinnen,  war  fortan  das  Streben  aller 
hochgesinnten  Geister  und  keine  Zeit  hat  mit  ernsterem  Wollen  die 
Rückkehr  zur  antiken  Auffassung  des  Lebens  gefordert  als  die 
unsere.  Daher  dieses  Sehnen  nach  einer  besseren  Erkenntnis  der 
Kaisergeschichte,  der  letzten   und  dauerndsten  Form  der  Antike. 


A  Einleitung 

Denn  nur  durch  das  machtvolle  Wirken  der  Kaiser  hat  die  antike 
Civilisation  jene  Breite  der  Ausdehnung,  jene  Festigkeit  des  Be- 
standes gewonnen,  die  ihren  Besitz  allen  kommenden  Geschlechtern 
gesichert  hat. 

Ohne  die  Kaiserzeit  wäre  die  Cultur  der  Antike  für  uns  ebenso 
versunken  wie  die  Cultur,  die  einst  am  Euphrat  und  am  Nil  ge- 
blüht hat.  Ihre  dauernde  Wirkung  hat  die  Antike  nur  in  den  Formen 
geübt,  die  sie  in  der  Kaiserzeit  gewonnen.  So  führt  der  Weg  auch 
zu  der  einzig  schöpferischen  Periode  des  griechischen  Altertums  nur 
über  die  Kaiserzeit.  Gerade  der  Einfluß,  den  der  griechische  Geist 
bis  in  jene  Tage  geäußert  hat,  läßt  seine  volle  Bedeutung  erst  er- 
kennen. In  Nachbildungen  hat  die  Kaiserzelt  die  großen  Gedanken 
der  Griechen  in  Kunst  und  Wissenschaft  über  den  ungeheuren 
Raum  des  Mittelmeerreiches  verbreitet,  wo  der  Samen  aufging,  je 
nach  der  Eigenart  des  Bodens,  auf  den  er  fiel.  Nur  römische  Kraft, 
in  der  Kaisergewalt  geeint,  konnte  dieses  Werk  der  Befruchtung, 
das  dem  griechischen  Geiste  ewige  Dauer  gesichert  hat,  vollbringen. 

In  der  Kaiserzeit  vollzog  sich  der  weltgeschichtliche  Wandel, 
der  die  Völker  Westeuropas  für  immer,  die  Nordafrikas  auf  Jahr- 
hunderte hinaus  römisch  werden  ließ,  während  im  Osten  die  Völker 
zäherer  Art  erst  in  dem  unendlich  schmiegsamen  Gewände  griechi- 
scher Bildung  ihres  eigenen  Wesens  sich  bewußt  wurden.  Nicht 
das  Grab  der  Sonderart  der  Völker,  die  in  früheren  Jahrhunderten 
an  den  Ufern  des  Mittelmeeres  geblüht  hatten,  ist  das  Kaiserreich 
geworden,  sondern  es  ist  das  Gefäß,  in  dem  jene  Völker  die  Ent- 
wicklung nahmen,  deren  sie  noch  fähig  waren.  Jahrhunderte 
tiefsten  Friedens  haben  den  von  Natur  so  reich  gesegneten  Ländern 
erst  den  Wohlstand  gebracht,  auf  dem  die  Civilisation  erstarken 
konnte.  Eintönig,  farblos  und  ohne  jede  schöpferische  Kraft  er- 
scheint die  Kaiserzeit  nur  Jenem,  dem,  in  Vorurteilen  befangen, 
das  Wissen  fehlt. 

Verschuldet  ist  dieser  Irrtum  durch  den  Verlust  der  histo- 
rischen Literatur  der  Kaiserzeit,  so  daß  nur  die  Denkmäler  von 
kraftvollem  Handeln  und  blühendem  Gedeihen  zu  uns  sprechen. 
Diese  Denkmäler,  wie  sie  in  Bauten,  Bildwerken,  Inschriften  und 
Münzen  vor  uns  liegen,  an  sich  schwer  zu  deuten,  sind  durch  den 


Einleitung  e 

vielgeschäftigen  Unverstand,  der  über  dem  Einzelnen  das  Ganze 
nicht  sieht,  eine  neue  Quelle  der  Verwirrung  geworden.  Nur  der, 
dem  es  beschieden  ist,  in  Asien  die  Ruinen  mit  Augen  zu  schauen, 
wo  mitten  in  der  Wildnis  ganze  Städte  Zeugnis  ablegen  von  ver- 
gangener Pracht,  wird  es  begreifen,  welchen  Segen  das  milde 
Scepter  der  Kaiser  über  ihr  Mittelmeerreich  verbreitet  hat.  Aber 
selbst  im  Westen  wecken  die  Römerbauten,  die  die  Erde  noch 
trägt,  oder  deren  Trümmer  ihr  entsteigen,  das  Staunen  des  sinnenden 
Betrachters  über  die  Kraft  des  Wollens  und  Vollbringens  und  den 
Zauber  der  Schönheit,  der  sie  umfließt.  Die  Bewunderung  wächst 
noch,  wenn  man  bedenkt,  welche  Räume  die  Kaiserzeit  in  wenig 
mehr  als  einem  Jahrhundert  der  Cultur  neu  gewonnen  hat.  Als 
Augustus  zuerst  die  Herrschaft  in  sicheren  Händen  hielt,  lag  noch 
über  zwei  Drittel  der  Länder,  die  unter  Traian  das  Kaiserreich 
bilden,  die  Nacht  der  Barbarei  und  auch  die  Länder  älterer  Cultur 
waren  durch  unablässige  Kriege  verwüstet  und  entvölkert.  In  Wahr- 
heit: die  Herrschaft  der  Kaiser  war,  wie  die  dankbaren  Klein- 
asiaten unter  Augustus  bekannten,  eine  Botschaft  des  Heiles,  ein 
Euangelion. 

Wieder  ist  es  der  Verlust  der  historischen  Literatur,  der  es 
verschuldet  hat,  daß  im  Gedächtnis  der  Menschheit  sich  das  An- 
denken jener  Caesaren  befestigte,  die  auf  schwindelnder  Höhe  durch 
Mißbrauch  ihre  Allgewalt  schändeten.  Das  Genie  eines  Tacitus 
hat  jene  Julier  und  Claudier  mit  so  unvergänglichen  Zügen  ge- 
zeichnet, daß  die  Nachwelt  in  ihnen  das  Wesen  der  Kaisergewalt 
verkörpert  glaubte.  Im  Gegenteil,  von  Augustus  bis  auf  Marcus, 
den  Philosophen,  ist  das  Wesen  der  Kaisergewalt  Gerechtigkeit  und 
Milde.  Das  Vorbild  Caesars,  des  Begründers  der  Monarchie,  hat 
nachgewirkt  bei  allen,  die  ihm  auf  dem  Throne  folgten  und  die 
fähig  waren,  seinem  Beispiel  nachzueifern.  Der  Kaiser  ist  nicht 
nur  der  erste  Diener  des  Staates,  sein  ganzes  Leben  ist  die  Hin- 
gabe an  die  Last  eines  Amtes,  das  nur  durch  die  strengste 
Pflichterfüllung  zu  tragen  war. 

Der  eigentümliche  Geist  des  römischen  Staates,  der  keine  andere 
Form  der  Regierung  als  die  Vorherrschaft  einer  Adelsklasse  kennt, 
übertrug  sich  unter  den  Kaisern  auf  das  ganze  Reich.    Wie  der 


5  Einleitung 

Kaiser  sich  auf  die  bevorrechteten  Stände  der  Senatoren  und  der 
römischen  Ritter  stützt,  so  herrschen  in  den  Gemeinden  des  Reiches 
jene  Familien,  welche  den  Adel  der  Städte  bilden.  Sie  beruft  auch 
in  steigendem  Maße  der  Kaiser  durch  die  Aufnahme  in  die  bevor- 
rechteten Stände  zum  Regimente  des  Reiches.  Die  dumpfe  Luft 
der  Despotie,  die  alles  persönliche  Leben  lähmt,  kann  bei  der  Be- 
trachtung der  Kaiserzeit  nur  der  empfinden,  der  das  Dunkel  der 
Vergangenheit  nicht  zu  durchdringen  vermag.  Diese  reine  Adels- 
herrschaft offenbart  auch  die  Schwäche  des  politischen  Systemes. 
Es  ist  eben  nur  der  städtische  Adel,  der  in  Wahrheit  der  griechisch- 
römischen Civilisation  gewonnen  wird,  auf  dem  die  Einheit  und  die 
Macht  des  Staates  ruhte.  Ungezählte  Millionen  lebten  ohne  Anteil 
am  Staate,  der  Fürsorge  der  Regierenden  vertrauend.  Nur  in  den 
städtischen  Mittelpunkten,  die  die  Kaiser  in  allen  Teilen  des  Reiches 
hervorriefen,  verbreiteten  sich  mit  der  Entwicklung  des  Wohlstandes 
auch  die  Sprache  und  die  Lebensformen  der  herrschenden  Schich- 
ten. Das  flache  Land,  das  heißt  ungeheure  Gebiete  wie  Gallien,  die 
Donaulandschaften,  das  Innere  Kleinasiens,  die  Bergländer  Bri- 
tanniens, Syriens  und  Nordafricas  blieben  in  ihrer  nationalen 
Sprache,  Sitte  und  Religion  ganz  unberührt. 

Die  Vereinigung  der  politischen  Macht  in  den  Händen  weniger 
herrschenden  Familien  hatten  zur  Folge,  daß  auch  der  Besitz  dieser 
Bevorzugten  stetig  anwuchs.  Mit  der  im  antiken  Geiste  begründeten 
Freigebigkeit  gegen  ihre  Gemeinden  hatten  die  Herrschenden  die 
Pracht  der  Städte  erhöht  und  das  Dasein  der  Beherrschten  durch 
den  Glanz  der  Spiele  und  Feste  verschönt,  ohne  den  Druck,  der 
auf  den  Beherrschten  lastete,  zu  erleichtern.  Dieser  ökonomische 
Bau  der  Gesellschaft  findet  den  getreuesten  Ausdruck  in  dem  stets 
wachsenden,  ganze  Provinzen  überziehenden  Besitze  des  Staats- 
oberhauptes, des  Kaisers.  Gerade  dieser  Besitz  befähigte  die  Kaiser 
zu  jenen  staunenswerten  Bauten,  die  nicht  nur  in  der  Hauptstadt, 
sondern  auch  in  den  Provinzen  der  Schönheit  wie  dem  Nutzen  dien- 
ten. Um  so  gefährlicher  mußte  eine  Erschütterung  der  politischen 
Ordnung  werden,  wo  die  unendliche  Mehrheit  der  Bevölkerung  das 
Bestehende  zu  stützen  keinen  Antrieb  empfand.  Diesem  ökono- 
mischen Zustande  der  Kaiserzeit   wird   der  denkende   Betrachter 


Einleitung  n 

die  größte  Aufmerksamkeit  zuwenden  müssen  und  die  Mühsal,  die 
Splitter  der  Denkmäler  richtig  zu  deuten,  nicht  scheuen  dürfen. 
Denn  eine  unschätzbare  Lehre  birgt  für  unsere  Tage  diese  Ent- 
wicklung in  sich,  wo  die  drohenden  Zeichen  sich  mehren. 

Schwerer  noch  als  dieser  ökonomische  Zustand  wiegt  die  Wehr- 
verfassung des  Reiches.  Das  Söldnerheer  der  Kaiser,  in  den  Tagen 
des  Augustus  noch  im  überwiegenden  Maße  der  Blüte  des  herrschen- 
den Volkes  entnommen,  ergänzte  sich  seit  Hadrian  nur  mehr  aus 
den  Bewohnern  jener  barbarischen  Landschaften,  die  dem  Einflüsse 
der  Civilisation  widerstanden  hatten.  Und  doch  beruhte  die  wahre 
Macht  der  Kaiser  nur  auf  diesen  Söldnern.  Wer  über  das  Heer 
gebot,  war  Herr  des  Reiches.  Eindringlicher  kann  die  Lehre  der 
Geschichte  nicht  lauten,  wenn  man  auf  das  Ende  der  antiken  Cultur 
hinaussieht,  daß  das  Volk,  das  sich  der  Waffen  entwöhnt,  sich 
selbst  entmannt,  seinen  eigenen  Untergang  herbeiführt. 

Drohender  für  die  Dauer  der  antiken  Civilisation  als  das  Heer 
der  Grenzbarbaren  war  der  innere  Feind,  der  die  herrschenden 
Völker  ihrer  nationalen  Art  entfremden  sollte  und  damit  den  Quell 
ihrer  Kraft  versiegen  ließ.  Der  alte  Orient,  durch  den  Hellenismus 
zu  neuem  Leben  erwacht,  findet  für  seine  Gedanken  eine  Sprache, 
die  überall  hindringt  und  die  antike  Auffassung  des  Lebens  und 
der  Welt  langsam  und  stettg  zerstört.  Jene  Mahnung  zur  Flucht 
aus  dem  Dasein  in  die  übersinnliche  Welt,  die  der  Orient  in  jenen 
Tagen  mit  tausend  Zungen  lehrte,  sie  fand  freudigen  Widerhall  bei 
den  Mühseligen  und  Beladenen  in  allen  Teilen  des  Weltreiches.  Sie 
stieg  empor  in  immer  höhere  Schichten  und  trübte  den  Blick  selbst 
der  Denkenden  für  die  wahre  Bestimmung  des  Menschen,  auf  der 
Erde,  für  die  er  geschaffen,  Zweck  und  Inhalt  des  Daseins  zu 
suchen.  Schon  in  den  Tagen  Hadrians  erhebt  sich  die  dunkle 
Wolke,  die  die  Tatkraft  und  das  Streben  im  Leben,  die  Freude  am 
Erkennen  und  am  Schönen  allmählich  in  Nacht  begräbt.  Dieser 
ungeheure  Umschwung,  der  in  wenigen  Menschenaltern  die  ganze 
Auffassung  der  Welt  in  ihr  Gegenteil  verkehrt,  ist  es  vor  allem, 
der  die  antike  Cultur  in  ihrer  Wurzel  zerstörte.  Gerade  diese 
Wirkung  ist  dauernd  geblieben,  bis  in  unsere  Zeit,  und  die  wahren 
Befreier  und  Erlöser,   die  uns  zurückführen   zur  heiteren  Daseins- 


8  Einleitung 

freude  der  Antike,  sind  Söhne  unseres  Volkes:  Kant  und  Goethe, 
sie  allein  vermögen  uns  emporzuleiten  in  diese  lichten  Höhen! 

Die  Schwierigkeit,  die  Kaisergeschichte  richtig  zu  beurteilen, 
beruht  auf  dem  Zustande  unserer  Überlieferung.  Ein  Unstern  ein- 
ziger Art  hat  über  der  historischen  Literatur  gewaltet.  Von  all 
den  Darstellungen  der  Zeitgeschichte,  die  die  Kaiserzeit  in  reicher 
Fülle  hervorgebracht  hat,  ist  uns  nichts  erhalten  als  die  Trümmer 
der  Geschichte  des  Tacitus.  Die  seltsame  Vorstellung,  als  sei 
dieser  Meister  der  Geschichtsschreibung  eine  ganz  vereinzelte  Er- 
scheinung, der  weder  Vorgänger  in  seiner  Kunst  besessen,  noch 
Nachfolger  gefunden,  behauptet  sich  unerschütterlich.  Ließ  sich 
die  Existenz  annalistischer  Geschichtswerke  für  die  ältere  Zeit  nicht 
bestreiten,  so  soll  doch  nach  Tacitus  die  Geschichtsschreibung  auf 
die  Lebensbeschreibung  der  einzelnen  Herrscher  zusammenge- 
schwunden sein.  Der  Zufall  der  Überlieferung  bestimmt  auch 
hier  die  Meinung.  Denn  das  für  die  Geistesarmut  der  späteren  Zeit 
so  bequeme  Büchlein  des  Sueton  ist  unter  Hadrian  geschrieben. 
Diese  Art  der  Kaiserbiographien  soll  nun  die  fortan  herrschende 
Form  der  Geschichtsschreibung  bezeichnen.  Vielmehr  hat  die 
Geschichtsschreibung  noch  am  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts,  als 
das  Römertum  der  Vernichtung  anheimfiel,  einen  großen  Meister 
besessen,  ganz  in  der  Art  des  Tacitus.  Und  auch  im  dritten  Jahr- 
hundert haben  Griechen  ihre  Zeit  voll  lebendiger  Anschauung  ge- 
schildert. Dieser  Reichtum  ist  für  immer  verloren.  Die  Geschichte 
des  zweiten  und  dritten  Jahrhunderts  lebt  nur  mehr  fort  in  den 
späten  Auszügen  dürftiger  Scribenten,  diese  noch  durchsetzt  von 
plumpen  Fälschungen.  Es  ist  die  Sammlung  von  Kaiserbiographien, 
die  unter  dem  Namen  der  Scriptores  historiae  Augustae  bekannt 
ist.  Ihre  ganz  erloschenen  Andeutungen  des  Geschehenen  durch 
die  Zeugnisse  der  Denkmäler  aller  Art,  Inschriften,  Münzen,  Bild- 
werke, Bauten  wiederzubeleben  ist  die  wahre  Aufgabe  der  Kritik, 

Noch  einmal  unternahm  es  ein  Grieche  des  Ostens  in  dem  Augen- 
blicke, als  das  Reich  der  Kaiser  bereits  in  sich  zusammenbrach,  die 
ganze  Geschichte  des  römischen  Volkes  zu  erzählen  bis  auf  seine 
eigeneZeit.  DieseKaisergeschichte  desDioCassius,  auch  nur  in  Trum- 


Einleitung  q 

mern  überliefert,  gilt  unserer  Zeit  für  eine  Art  von  Evangelium.  Und 
doch  ist  das  Leben  der  Vergangenheit  bei  ihm  zu  einem  Gerippe 
von  Tatsachen  und  Namen  vertrocknet,  die  Darstellung  schleppend, 
mit  dürftiger  Schulrhetorik  verbrämt.  Geradezu  die  Geschichte  ver- 
fälscht Dio,  indem  er  die  Anschauungen  des  orientalischen  Despotis- 
mus, unter  dem  er  gelebt,  auf  die  Auffassung  der  älteren  Periode 
überträgt.  Erst  das  Genie  Theodor  Mommsens  hat  unter  Dios 
Übermalung  die  wahre  Gestalt  der  älteren  Kaisergewalt  wieder- 
erkannt. Seit  dem  Erscheinen  seines  Staatsrechtes  des  Principates, 
wie  die  Kaisergewalt  auf  lateinisch  heißt,  ist  ein  Verständnis  der 
Kaiserzeit  möglich  geworden.  Denn  die  Kenntnis  des  Staatsbaues 
ist  die  erste  Bedingung  für  das  Verständnis  der  Geschichte.  Alles 
politische  Leben  vollzieht  sich  im  Staate.  Das  juristisch  so  voll- 
endete Werk  Mommsens  ist  historisch  seltsam  leblos.  Immer  hatte 
man  gehofft,  daß  Mommsen  in  dem  vierten  Bande  seiner  römischen 
Geschichte,  der  nie  erscheinen  sollte,  die  Reichspolitik  zeichnen 
werde.  Denn  der  fünfte  Band,  die  Geschichte  der  Provinzen,  bietet 
keinen  Ersatz  für  das  Fehlende.  Der  innere  Zusammenhang  der 
Ereignisse  geht  gänzlich  verloren  bei  der  vereinzelten  Betrachtung 
der  Teile  des  Reiches.  So  sind  uns  die  Gedanken  verborgen,  welche 
der  große  Meister  über  die  Ursachen  gehegt  hat,  die  den  Untergang 
des  römischen  Staates  herbeiführten^  Doch  stand  es  ihm  fest,  wie 
er  es  in  einer  akademischen  Rede  ausgesprochen  hat,  daß  die  ganze 
Kaiserzeit  eine  Periode  der  Stagnation  gewesen  ist,  bis  eben  dieser 
Sumpf  in  seiner  eigenen  Fäulnis  verkam.  Neu  ist  diese  Auffassung 
nicht.  Da  aus  den  Trümmern  der  antiken  Civilisation  das  Christen- 
tum emporstieg,  so  war  es  früheren  Zeiten  gewiß,  daß  das  Welt- 
reich in  seiner  sittlichen  Verkommenheit  die  neue  Lehre  wirksam 
vorbereitete.  Es  glich  einer  häßlichen  Raupe,  die  sich  zum  Schmet- 
terling ewiger  Lebenshoffnung  entwickelte.  Die  unergründlichen 
Rätsel  des  Daseins  mit  dieser  Weisheit  zu  lösen,  ist  einer  er- 
habenen Anschauung  der  Gottheit  gänzlich  unwürdig. 

Der  Weg  zu  besserer  Erkenntnis  liegt  in  der  mühevollen, 
geistigen  Arbeit.  Erst  wenn  die  unübersehbaren  Trümmer  der 
Denkmäler  gesichtet  und  geklärt  sind,  kann  aus  der  Kritik  der 
literarischenüberlieferung  das  Leben  derKaiserzeit  wieder  erstehen. 


IQ  Einleitung 

Die  rastlose  Tätigkeit  der  letzten  Generationen  hat  diese  Denk- 
mäler in  allen  Teilen  des  Reiches  in  einer  Fülle  zutage  gebracht, 
daß  die  Kraft  des  Einzelnen  niemals  zureicht,  sie  in  lebendiges 
geschichtliches  Wissen  zu  verwandeln.  Die  Organisation  der 
wissenschaftlichen  Arbeit,  wie  sie  unsere  Akademien  seit  Jahr- 
zehnten betreiben,  will  durch  die  registrierende  Tätigkeit  Vieler 
planmäßig  Ordnung  schaffen.  Bei  diesem  Sammeln  um  des 
Sammeins  willen  drohen  selbst  die  Fähigsten  zu  erlahmen.  Wirk- 
lich erreicht  ist  das  Ziel  dieser  Tätigkeit  nur  für  die  lateinischen 
Inschriften,  Auch  hier  nur  durch  die  gewaltige  Arbeitskraft 
Theodor  Mommsens,  der  für  diese  Sammlung  das  Wichtigste 
und  das  Beste  geschaffen  hat.  Die  Sammlung  der  griechischen 
Inschriften  versagt  für  wichtige  Teile  des  Reiches  wie  für  Klein- 
asien und  Syrien  gänzlich.  Die  Sammlung  der  Münzen  steht 
kaum  in  ihren  Anfängen,  die  der  Bildwerke  hat  noch  gar  nicht 
begonnen;  die  Bauten  des  Römerreiches  sind  vorerst  das  Ge- 
heimnis weniger  auserwählter  Architekten.  Die  zahllosen  Zeit- 
schriften, welche  die  neuen  Funde,  die  jeder  Tag  vermehrt, 
aufhäufen,  sind  zu  einer  drückenden  Last  angewachsen. 

Wahrlich,  der  Mut  und  die  Freude  am  Erkennen  müssen 
sich  gewaltig  regen,  soll  man  über  der  Erwartung  einer  ge- 
sicherten Zukunft  die  Gegenwart  des  eigenen  Lebens  nicht  ver- 
säumen. Dennoch  ist  es  eine  Forderung  der  Persönlichkeit, 
das  Erreichbare  zu  einem  Bilde  der  Kaiserzeit  zu  gestalten, 
das  Unvollkommene  zu  wagen,  damit  Vollkommeneres  daraus 
erwachse. 


AUGUSTUS 


I.  Caesars  Ermordung 

Die  innere  Notwendigkeit,  welche  bei  den  Römern  die  Mon- 
archie als  die  einzig  mögliche  Staatsform  entstehen  ließ,  beruht 
auf  dem  Baue  jenes  Colonialreiches  in  der  Zeit  des  Freistaates. 
Der  italische  Staat  der  Römer  war  durch  allmähliche  Erweiterung 
des  Gebietes  der  Stadt  Rom  über  die  ganze  Halbinsel  erwachsen. 
Die  in  jedem  Jahre  durch  Volkswahl  wechselnden  Beamten  der 
Stadt  Rom  sind  auch  dazu  berufen,  den  italischen  Staat  zu  re- 
gieren. Die  Einheit  und  Stetigkeit  der  Verwaltung  beruhte  auf 
dem  Senat,  in  den  die  gewesenen  Beamten  für  die  Dauer  ihre^s 
Lebens  übertraten.  Doch  hatte  Rom  die  Selbstverwaltung  der 
städtisch  geordneten  Gemeinden  Italiens  nicht  angetastet,  so  daß 
nur  die  oberste  Leitung  des  Gesamtstaates  dem  Senate  und  den 
Jahresbeamten  der  Stadt  Rom  zufiel.  Das  feste  Gefüge  dieses 
Staates,  seine  zielbewußte  Führung  durch  den  Adel  der  Stadt 
Rom  hatte  Italien  nach  dem  Siege  über  Carthago  zum  Herrscher 
im  Mittelmeere  gemacht.  Aber  gerade  diese  Staatsform,  die  sich 
so  wunderbar  bewährt  hatte  in  den  Kämpfen  um  die  Einigung 
Italiens,  erwies  sich  auf  die  Dauer  als  völlig  ungeeignet,  das  stets 
wachsende  Colonialreich  zu  regieren.  Die  Verfassung  forderte, 
daß  die  Regenten  jener  überseeischen  Länder  des  römischen 
Reiches  gleich  den  Beamten  der  Stadt  Rom  Jahr  für  Jahr  im  Amte 
wechselten.  Die  ersten  Voraussetzungen  einer  gerechten  Ver- 
waltung, die  Stetigkeit  und  das  Gefühl  der  Verantwortung,  mußte 
den  Proconsuln  des  Senates  mangeln,  die  nur  auf  die  Dauer  eines 
Jahres  in  ihren  Ländern  mit  wahrhaft  königlicher  Gewalt  schal- 
teten. In  der  Hauptstadt  Rom  wurden  die  Beamten  in  Schranken 
gehalten  durch  die  tatsächlich  höhere  Gewalt  des  Senates  und  die 
Rücksicht  auf  die  öffentliche  Meinung.  Den  Mißbrauch  der 
Gewalt  in  den  Provinzen  traf  nur  eine  späte  und  unsichere  Ver- 


12  Augu'-tus 

geltung.  Für  den  weltherrschenden  Adel  Roms  wurde  dieses  Re- 
giment in  den  Provinzen,  das  ihn  losband  von  der  Strenge  des 
Gesetzes,  eine  Quelle  sittlichen  Verderbens.  Nicht  als  ob  der  Adel 
Roms  seine  hohen  Herrschergaben  eingebüßt  hätte,  wenn  große 
Aufgaben  seinem  Ehrgeiz  Befriedigung  boten.  Aber  das  Streben 
nach  dauernder  Macht,  die  jeder  Einzelne  des  Adels  begehrte, 
machte  ihre  Gesamtheit  immer  unfähiger  die  Gleichheit  vor  dem 
Gesetze  zu  ertragen. 

Der  Weg,  auf  welchem  es  den  Hochstrebenden  gelingen  konnte 
über  alle  anderen  emporzusteigen,  war  gewiesen  durch  den  Bau 
des  Staates.  In  den  Provinzen  war  der  Freistaat  ein  leerer  Name, 
der  Proconsul  in  Wahrheit  der  Alleinherrscher  des  Landes.  Hier 
fand  er  auch  das  Werkzeug,  das  ihm  im  Kampfe  mit  seinen  adeligen 
Genossen  die  dauernde  Macht  gewinnen  konnte.  Die  Wehrkraft  des 
italischen  Staates  beruhte  in  den  großen  Zeiten  der  punischen 
Kriege  auf  dem  Jahresaufgebote  der  Bauernschaft.  Wieder  ist  es 
das  Colonialreich,  das  mit  Notwendigkeit  einen  völligen  Wandel 
schafft.  Die  Abneigung  der  italischen  Bauern  gegen  den  über- 
seeischen Kriegsdienst  führte  zuerst  im  Westen,  dann  im  Osten 
zur  Errichtung  stehender  Heere.  Aus  freigeworbenen  Leuten  ge- 
bildet, sind  es  in  Wahrheit  Söldner,  die  den  Kriegsdienst  als  einen 
Beruf  ergreifen.  Das  Band,  welches  ein  Söldnerheer  an  den  Staat 
knüpft,  ist  seiner  Natur  nach  nur  ein  loses,  sein  Gebieter  ist  der 
Feldherr,  von  dem  es  Ruhm  und  Beute  erhofft.  Hat  ein  siegreicher 
Feldherr  mit  freigebiger  Hand  auch  die  Herzen  seiner  Söldner  ge- 
wonnen, so  sind  sie  auf  seinen  Wink  jederzeit  bereit,  dem  Gebote 
des  Staates  zu  trotzen.  Die  Dauer  der  Statthalterschaft  über  die 
gesetzliche  Frist  hinaus  zu  verlängern,  um  so  das  Treueverhältnis 
zwischen  Feldherrn  und  Heer  unerschütterlich  zu  machen,  das  ist 
der  Weg,  auf  dem  die  Krone  zu  gewinnen  war.  Caesar  hat  von 
Anfang  an  diesen  Weg  mit  voller  Klarheit  beschritten.  Während 
der  zehnjährigen  Dauer  seiner  Statthalterschaft  in  Gallien  hat  er 
ein  Heer  herangebildet,  das  unbesiegbar,  niemandem  zu  gehorchen 
willens  war  als  ihm  allein.  Die  Monarchie,  so  begründet,  hat  ihren 
Charakter  bei  den  Römern  nie  mehr  verändert.  Der  Streit  um  die 
Alleinherrschaft   ist   seit   jenen  Tagen   nie   mehr  eine  Frage   des 


1.  Caesars  Ermordung  j  -i 

Rechtes.  Nur  der  Besitz  des  stärkeren  Heeres  entscheidet  über  den 
Anspruch.  Es  bedurfte  der  Weisheit  des  großen  Augustus,  um  das 
Söldnerheer  wieder  zum  dienenden  Gliede  des  Staates  zu  machen. 
Indem  der  Adel  Roms  in  seinem  Streben  nach  Macht  und 
Reichtum  immer  mehr  verlernte,  dem  Staate  zu  dienen,  die  Selbst- 
sucht das  Gefühl  der  Pflicht  erstickte,  wurde  der  Bod«n  wirk- 
sam vorbereitet  für  die  Alleinherrschaft.  Die  beständigen  inneren 
Kämpfe  der  Glieder  des  Adels,  die  in  den  Sitzungen  des  Senates 
ihre  persönlichen  Ziele  rücksichtslos  verfolgten,  lähmten  die  Lei- 
tung des  Staates,  bis  sie  für  die  einfachsten  Aufgaben  der  inneren 
und  äußeren  Politik  versagte.  Nur  durch  außerordentliche  Maß- 
regeln vermochte  der  Senat  diese  störenden  Einflüsse  zu  beseiti- 
gen. Bald  im  Innern,  bald  nach  Außen  mit  ungewohnten  Macht- 
befugnissen betraut,  hatte  Pompeius  den  wankenden  Bau  des 
Adelsstaates  gestützt,  ohne  die  hohen  Gaben,  die  ihn  zur  Herr- 
schaft befähigt  hätten.  Aber  die  Bevölkerung  Italiens,  wie  die 
der  Provinzen  war  unter  dieser  immer  wieder  hervortretenden 
außerordentlichen  Machtstellung  des  Pompeius  allmählich  mit 
dem  Gedanken  vertraut  geworden,  daß  ein  gesicherter  politischer 
Zustand  nur  von  der  kraftvollen  Leitung  des  Staates  durch 
den  Willen  eines  einzelnen  Mannes  zu  hoffen  war. 

,  Und  doch  konnte  der  neue  Monarch  Roms  nur  aus  dem 
herrschenden  Adel  selbst  hervorgehen.  Ein  Glied  ihrer  Gemein- 
schaft mußte  er  die  Gleichstrebenden  niederringen.  Der  Widerstand, 
den  es  zu  besiegen  galt,  war  ein  ungeheurer.  Denn  dieser  Adel 
war  nicht  entnervt,  zur  Unterwerfung  geneigt.  Auf  den  Schlacht- 
feldern aller  Weltteile  hatte  Caesar  die  Adelsherrschaft  mit  den 
Schwertern  seines  gallischen  Heeres  gebrochen,  ohne  die  Besiegten 
mit  der  neuen  Ordnung  des  Staates  zu  versöhnen.  Auch  jene 
Männer,  die  ihm  willig  oder  gezwungen  Gefolgschaft  geleistet 
hatten,  waren  Angehörige  desselben  Adels.  Auch  sie  sahen  in  dem 
Julier  einen  Gewaltherrscher,  dem  sie  nur  dienten,  solange  ihr 
eigener  Vorteil  es  ihnen  gebot.  Die  unvergleichliche  Milde,  mit 
der  Caesar  die  Besiegten  in  ihre  Rechte  wieder  einsetzte,  die 
Langmut,  die  ihn  den  Fehlern  seiner  Anhänger  immer  wieder 
Verzeihung  gewähren  ließ,  steigerte  für  den  hochgesinnten  Mann 


I A  Augustus 

nach  dem  vollendeten  Siege  nur  die  Schwierigkeit  seiner  Lage. 
Mißtrauen,  Neid,  Haß,  Begehrlichkeit  umdrängten  seinen  Thron. 

Nach  dem  Siege  bei  Munda,  der  die  letzte  Hoffnung  der  Adels- 
partei vernichtete,  kehrte  Caesar  ruhmgekrönt  und  gebietender  als 
je  nach  Italien  zurück.  Jetzt  war  der  Augenblick  gekommen,  wo 
die  Alleinherrschaft  ihre  feste  politische  Gestalt  erhalten  mußte. 
Noch  gaben  sich  viele  Anhänger  der  besiegten  Partei  der  täuschen- 
den Hoffnung  hin,  daß  Caesar  die  Ausnahmsgewalt,  die  er  während 
des  Bürgerkrieges  bekleidet  hatte,  niederlegen  und  dem  Senate  einen 
Anteil  an  der  Macht  zurückgeben  werde.  Caesar  bedurfte  jedoch 
der  unbeschränkten  Machtfülle,  um  die  ungeheuren  Entwürfe,  mit 
denen  er  sich  trug,  ohne  störende  Einflüsse  zu  verwirklichen.  Er 
gedachte  die  Macht,  die  er  mit  solchen  Anstrengungen  gewonnen, 
unbeirrt  zum  Heile  des  Staates  zu  gebrauchen.  Keine  trotzige  und 
widerwillige  Mehrheit  eines  unverantwortlichen  Senates  sollte  ihn 
in  der  Sicherheit  und  Schnelligkeit  des  Handelns  hemmen.  So  füllte 
er  den  Sitzungssaal  des  Senats  mit  neuen  Mitgliedern,  die  seine 
Gnade  zu  Senatoren  geschaffen  hatte.  In  der  Besetzung  der  Ämter 
band  ihn  keine  Rücksicht  auf  dieParteistellung  während  des  Bürger- 
krieges. Auch  wer  die  Waffen  für  den  Senat  getragen  hatte,  war 
ihm  willkommen,  wenn  er  mit  seinen  Gaben  dem  Staate  dienen 
wollte.  Die  dunkeln  Leidenschaften,  von  denen  die  um  die  Ämter 
des  Staates  Hadernden  getrieben  wurden,  entgingen  nicht  seinem 
Tiefblick.  Aber  vor  der  Überlegenheit  seines  Geistes  verschwanden 
die  Gebrechen  der  Menschen.  Die  natürliche  Hoheit  seines  Charak- 
ters trat  in  der  Würde  seiner  allgebietenden  Macht  als  die  Offen- 
barung seines  innersten  Wesens  hervor.  Diese  strahlende  Sonne  ließ 
die  Ehrsucht,  die  die  stärkste  Triebfeder  der  Adelsherrschaft  ge- 
wesen war,  vergehen  in  ein  wesenloses  Nichts.  Das  Bewußtsein 
eines  tiefen  Falles  von  der  einst  weltbeherrschenden  Höhe  der 
Macht  des  Senates  erfüllte  bald  seine  Anhänger  wie  seine  Gegner. 

Die  alte  Königsgewalt  lebte  im  Freistaate  für  kurze  Zeit  wieder 
auf  im  Amte  des  Dictators.  Es  war  unvergessen,  daß  dem  Dictator 
die  anderen  Magistrate  des  Staates  zu  gehorchen  hatten,  daß  er 
auch  über  das  Heer  und  das  Vermögen  des  Staates  ohne  Zustimmung 
des  Senates  frei  geschaltet  hatte.    In  dieser  Form  allein   war  die 


I.  Caesars  Ermordung  I  c 

Monarchie  bei  den  Römern  eines  gesetzlichen  Ausdrucks  fähig, 
wenn  das  Amt  auf  Lebenszeit  übertragen  wurde.  Die  Würde  des 
neuen  Amtes  kleidete  sich  in  das  Gewand  des  höchsten  und  besten 
Juppiters.  den  Triumphalschmuck,  der  sonst  den  Römer  nur  an 
seinem  stolzesten  Tage,  wenn  er  als  Sieger  seinen  Einzug  in  die 
Stadt  hielt,  zu  zieren  pflegte.  Selbst  während  der  Bürgerkriege 
hatte  Caesar  in  rastloser  Tätigkeit  immer  neue  Einrichtungen  ge- 
schaffen, die  jetzt,  an  Gesetzesstatt  zu  achten,  die  Beamten  be- 
schwören mußten.  Die  Wahl  der  Jahresbeamten,  die  der  Ober- 
gewalt des  Dictators  zu  gehorchen  hatten,  überließ  Caesar  nach 
alter  Sitte  dem  römischen  Volke.  Diese  dictatura  perpetua,  das 
empfand  die  besiegte  Partei  in  tiefer  Demütigung,  sie  ist  die  reine 
Monarchie.  War  Caesar  durch  die  Gewalt  seiner  Taten  an  Kraft 
und  Macht  emporgestiegen  über  gemeines  Menschenmaß,  so  ent- 
sprach es  den  Anschauungen  der  griechischen  Welt  jener  Zeit,  daß 
in  dieser  gesteigerten  Persönlichkeit  das  Wesen  der  Gottheit  hervor- 
trat. Schon  nach  der  Schlacht  von  Thapsus,  noch  mehr  nach  dem 
Siege  von  Munda  sind  seine  Anhänger  bestrebt,  ihn  gleich  den 
Herrschern  des  hellenistischen  Ostens  in  göttliche  Höhe  zu  eiheDen. 
Als  Neuschöpfer  des  römischen  Volkes  galt  er,  wie  einst  der 
Gründer  der  Stadt  Romulus,  für  eine  Erscheinung  des  Gottes 
Quirinus.  In  dem  Tempel  des  Quirinus  stand  auf  Beschluß  des 
willfährigen  Senates  das  Bild  Caesars  und  in  dem  feierlichen  Götter- 
zuge der  Circusspiele  erschien  auch  Caesar  im  Bilde  des  Gottes. 
Es  war  Caesars  eigener  Wille,  der  so  im  Göttlichen  der  neuen 
Monarchie  das  Gepräge  des  hellenistischen  Königstumes  gab.  Denn 
er  ließ  es  auch  geschehen,  daß  zur  Verehrung  des  neuen  Quirinus 
eine  neue  Priesterschaft,  die  Luperci  luliani,  geschaffen  wurde.  Wie 
notwendig  es  dem  Dictator  erscheinen  mochte,  seine  Gewalt  mit 
dem  Schimmer  der  Göttlichkeit  zu  umkleiden,  weil  das  Wesen  des 
Weltreiches  es  ihm  zu  fordern  schien,  solches  Streben  mußte 
römisches  Empfinden  auf  das  Tiefste  verletzen.  Es  lag  darin 
eine  Herausforderung,  als  ob  freiwillige  Knechtschaft  das  Los 
sei,  das  er  auch  den  Römern  bereiten  wollte. 

Unter  dem  Eindruck  dieser  Ereignisse  griff  die  Mißstimmung 
über  die  Alleinherrschaft  weit  hinaus  über  den  Kreis  der  besiegten 


1 5  Augustus 

Partei.  Jetzt  erst  erhielt  das  Wort,  das  man  sich  seit  langem  im 
Geheimen  zugeflüstert,  von  Caesar  dem  König  wirklichen  Inhalt. 
Der  Haß  gegen  den  Übergewaltigen  fand  einen  gemeinsamen  Boden 
und  den  Schein  des  Rechtes.  Die  öffentliche  Meinung  Roms,  auch 
dem  Sieger  gegenüber  eine  Macht,  äußerte  sich  in  höhnenden 
Worten  und  in  kecken  Taten.  Man  schmückte  das  Standbild 
Caesars  auf  der  Rednerbühne  mit  der  königlichen  Binde  und  die 
Tribunen  Caesetius  und  Epidius,  Anhänger  des  Freistaates,  büßten 
solchen  Frevel  durch  ein  Übermaß  von  Strafe.  Als  Caesar  nach 
der  Feier  des  Latinerfestes  zu  Pferde  gleich  einem  Triumphator 
seinen  Einzug  in  die  Stadt  hielt,  begrüßte  ihn  das  Volk  mit  dem 
Zuruf  König,  Rex,  Mit  rascher  Geistesgegenwart  erwiderte  Caesar: 
mein  Name  ist  Caesar,  nicht  Rex.  Denn  Rex  war  auch  der  Bei- 
name eines  vornehmen  Geschlechtes.  Wie  bedeutungsvoll,  wahr- 
haft prophetisch  sind  diese  Worte!  Sein  Name,  unser  Kaiser,  er 
hat  für  alle  Zeiten  den  Königsnamen  überstrahlt.  Wieder  retteten 
die  Iribunen  die  bedrohte  Freiheit,  als  sie  die  Urheber  dieses  Rufes 
ins  Gefängnis  warfen.  Trotzdem  Caesar  sie  gewähren  ließ,  klagten 
sie  in  öffentlichen  Anschlägen  über  die  Lähmung  ihres  Amtes  und 
den  Tod  des  freien  Wortes.  In  gerechter  Entrüstung  forderte  und 
erreichte  Caesar  vom  Senate,  daß  die  Tribunen  ihres  Amtes  ent- 
kleidet und  aus  Rom  verwiesen  wurden.  Denn  Caesar  erkannte, 
daß  man  mit  solchem  Tun  den  Haß  gegen  ihn  errege,  sein  Leben 
bedrohe  Er,  der  in  so  vielen  Schlachten  dem  Tod  ins  Auge  ge- 
sehen, sah  im  wahren  Mute  den  besten  Schutz.  Gerade  in  diesen 
Tagen  entließ  er  seine  hispanische  Leibwache,  die  Warnung  seiner 
Freunde  mit  den  Worten  zurückweisend,  lieber  fallen  als  immer 
fürchten.  Aber  kein  Edelmut  vermag  den  Haß  zu  entwaffnen. 
Schon  hatten  im  geheimen  die  Mißvergnügten  einander  sich  ge- 
nähert, aus  jeder  Steigerung  von  Caesars  glanzvoller  Stellung  einen 
neuen  Antrieb  schöpfend,  der  Tyrannis  ein  jähes  Ende  zu  bereiten. 
Die  Seele  der  Verschwörung  gegen  Caesars  Leben  war  Gaius 
Cassius.  Der  finstere,  insichgekehrte  Mann  verbarg  kaum  seine 
Abneigung  gegen  die  Alleinherrschaft.  Als  sie  immer  deutlicher 
hervortrat,  hielt  er  sich  fern  von  den  Beschlüssen  des  Senates  zu 
Caesars  Ehren;  Caesar  übersah  es  in  seiner  stolzen  Art  und  ver- 


CAliSAH 


I    Caesars  Ermordung  I  y 

lieh  ihm  für  dieses  Jahr  die  Fremdenpraetur,  obwohl  er  die  Waffen 
auf  Seifen  des  Senates  getragen  hatte.  Doch  Cassius  empfand  die 
Ehre  als  eine  Zurücksetzung,  weil  Caesar  dem  von  ihm  begünstigten 
Marcus  Brutus  die  ehrenvollere  städtische  Praetur  übertrug,  und 
fühlte  seine  Ohnmacht  nur  doppelt  schmerzlich.  Gerade  in  Brutus 
sollte  Cassius  das  Werkzeug  seines  blinden  Hasses  finden.  Auch 
dieser  hatte  bei  Pharsalus  für  Pompeius  gekämpft.  Von  Caesars 
Milde  gewonnen,  hatte  er  sich  später  willig  untergeordnet,  bis  die 
Erkenntnis,  daß  die  Alleinherrschaft  unerschütterlich  aufgerichtet 
war,  sein  Denken  zu  verwirren  begann.  Den  Lehren  der  Stoa  er- 
gel  en,  der  Tochter  des  Cato  Uticensis  vermählt,  erfüllte  ihn  der 
Gedanke,  ein  Knecht  des  Tyrannen  zu  sein,  mit  tiefer  Beschämung. 
Der  Zwiespalt  zwischen  der  Forderung  einer  Philosophie,  die  den 
Tyrannenmord  lehrte,  dem  Einfluß  seines  Familienkreises,  der  das 
Andenken  des  letzten  Römers  vergötterte,  und  der  Dankbarkeit 
gegen  den  adeln  Freund,  den  Herrscher,  wurde  zur  unlösbaren 
Qual.  Da  war  es  Cassius,  sein  Schwager,  der  den  Schwachen, 
Schwankenden  mit  dem  Glauben  zu  erfüllen  wußte,  er  sei  dazu 
berufen,  wie  einst  der  Ahnherr  seines  Geschlechtes,  der  erste  Consul 
Junius  Brutus,  der  sein  Liebstes  für  die  Freiheit  geopfert,  den  Frei- 
staat durch  eine  ungeheure  Tat  neu  zu  begründen.  Brutus  begann 
zu  lauschen  auf  die  Stimme  des  Volkes,  die  für  den,  der  sie  ver- 
nehmen wollte,  so  deutlich  sprach.  Wenn  er  sich  auf  den  Markt 
begab,  um  Gericht  zu  halten,  so  las  er  auf  seinem  Amtssitz  Worte 
wie:  Brutus  schläfst  Du,  oder:  o  wärst  Du  doch  ein  Brutus,  welche 
die  Freunde  der  Freiheit  angeschrieben  hatten.  So  verstrickte  er 
sich  immer  tiefer  in  seinen  Wahn  und  lieh  den  Einflüsterungen  des 
Cassius  ein  nur  zu  williges  Gehör,  betäubte  die  Stimme  seines  Ge- 
wissens, bezwang  sein  Herz,  um  die  Bahn  des  Mörders  zu  betreten. 
Als  Cassius  den  Brutus  gewonnen  hatte,  nahm  die  Verschwörung 
eine  feste  Gestalt  an.  Kein  Eid,  kein  Opfer  band  die  Genossen  des 
Bundes,  dem  zuletzt  63  Senatoren  und  Ritter  aus  beiden  Lagern, 
die  sich  unter  Pompeius  und  Caesars  Fahnen  bekämpft  hatten,  an- 
gehörten. Einig  waren  sie  in  ihrem  dumpfen  Hasse  gegen  den  Ge- 
waltigen, der  Alle  durch  die  Macht  seines  Geistes  zu  dienendem 
Gehorsam  herabgezwungen  hatte,  mochte  den  Plinen  unbefriedigter 

Domaszewski,    I.  2 


l8  Augustus 

Ehrgeiz,  den  Anderen  der  Verlust  reicher  Güter  oder  der  Tod  ver- 
trauter Freunde  und  Verwandter,  die  der  Bürgerkrieg  dahingerafft 
hatte,  in  ihre  Reihen  geführt  haben.  Männer  von  hohen  Gaben 
zählten  sie  nicht  in  ihrem  Bunde.  Nur  die  Namen  Weniger  kennt 
die  Geschichte,  wie  die  Legaten  Caesars  im  gallischen  und  im 
Bürgerkriege  Trebonius,  Decimus  Albinus,  Minucius  Basilus,  Sulpi- 
cius  Galba,  oder  leidenschaftliche  Anhänger  der  Senatspartei,  wie 
Pontius  Aquila,  Quintus  Ligarius.  Unter  diesen  ist  keiner,  der  nicht 
die  Gnade  des  Siegers  und  die  Güte  des  Herrschers  erfahren  hatte. 
Der  Gedanke,  durch  den  Mord  des  Einzigen  den  Staat  freier  Bürger 
wiederzubegründen,  leitete  keinen  als  ihr  unseliges  Haupt,  Marcus 
Brutus,  So  ist  denn  niemals  in  der  Geschichte  das  Verbrechen  des 
Fürstenmordes  aus  niedereren  Beweggründen  und  gedankenloserer 
Rachsucht  geplant  worden. 

Da  war  es  ein  Vorfall  am  Feste  der  Luperealien,  welcher  den 
in  feiger  Furcht  schwankenden  Verschworenen  einen  neuen  Antrieb 
zum  Handeln  gab.  Caesar  wohnte  dem  Wettlauf  der  Luperci,  die 
an  jenem  Tage  das  Pomerium  der  palatinischen  Stadt  umkreisten, 
auf  der  Rednerbühne  bei,  umgeben  von  den  Magistraten  und  dem 
Senate.  Als  die  zu  Caesars  Ehren  eingesetzten  Luperci  luliani  auf 
den  Markt  einbogen,  eilte  ihr  Vormann,  der  Consul  Marcus  Antonius 
über  den  Platz  weg,  schwang  sich,  nackt  und  gesalbt,  wie  er  nach 
dem  Festbrauch  war,  auf  die  Rednerbühne  und  bot  Caesar  einen  mit 
einem  Diadem  umwundenen  Kranz  dar,  indem  er  ihn,  den  neuen 
Quirinus,  den  Gott  des  Festes,  als  König  Roms  begrüßte.  Das 
Unziemliche  des  Vorgangs,  wenn  auch  ganz  in  Antonius  Art,  er- 
regte lautes  Mißfallen  und  verletzte  auch  Caesar,  der  den  Kranz 
dem  besten  und  höchsten  Juppiter  darbringen  ließ  und  in  die  Tafel 
der  Götterfeste  einzutragen  befahl,  daß  das  römische  Volk  durch 
seinen  Consul  Antonius  dem  Dictator  lulius  Caesar  die  Königskrone 
angeboten,  dieser  sie  abgelehnt  hätte.  Die  klare  Absicht  Caesars, 
den  Verstoß  seines  Freundes  und  Mitconsuls  zu  mildern  und  dem 
bösartigen  Spiele  mit  dem  Königsnamen  ein  Ziel  zu  setzen, 
wurde  wieder  mißdeutet.  Gerade  mit  dem  Vorgang  am  Luper- 
calienfeste  rechtfertigten  die  Mörder  damals  und  später  ihre  Tat. 

Schon  hatte  Caesar  seine  Vorbereitungen  zum  Partherkriege 


1.  Caesars  Ermordung  jn 

getroffen,  der  für  das  Schicksal  des  Crassus  und  seiner  Legionen 
Sühne  nehmen  sollte.  Die  Notwendigkeit,  während  seiner  Abwesen- 
heit die  Leitung  des  Staates  Männern  anzuvertrauen,  die  sich  in 
seinen  Diensten  bewährt  hatten,  bestimmte  ihn,  die  Consulate  auch 
für  die  beiden  folgenden  Jahre  zu  besetzen.  Aulus  Hirtius  und 
Vibius  Pansa  wurden  für  das  Jahr  43,  Decimus  Albinus  und 
Munatius  Plancus  für  das  Jahr  42  zu  Consuln  designiert.  Für  die 
übrigen  Ämter  des  Staates  behielt  sich  Caesar  die  Ernennung  der 
Hälfte  der  Beamten  vor.  Wie  um  das  Werk  der  Monarchie  zu 
krönen,  beschloß  der  Senat,  wieder  nach  dem  Vorbild  des  helle- 
nistischen Königtums,  für  die  Verehrung  Caesars  einen  Flamen 
lulianus  einzusetzen  und  sein  Haus  gleich  den  Tempeln  der  Götter 
mit  einem  Giebel  zu  krönen,  dem  Juppiter  Julius  einen  Tag  der 
Circenses  der  Ludi  Romani  zu  weihen.  Auf  den  Antrag  des 
Consuls  Antonius  wurde  diese  neue  Religion  vom  Volke  zum  Ge- 
setze erhoben.  In  feierlichem  Zuge  begab  sich  der  Senat  auf  das 
Forum  Julium,  Caesar  die  Beschlüsse  zu  überreichen.  Er  war  eben 
damit  beschäftigt,  für  den  Bau  des  Tempels  seiner  Schutzgöttin,  der 
Venus  Genetrix,  Anweisungen  zu  erteilen,  so  daß  er  es  versäumte, 
vor  dem  herannahenden  Senate  sich  zu  erheben.  Beides,  die  Be- 
schlüsse, die  nach  Caesars  Sinn  gewesen  sein  müssen,  wie  die  Miß- 
achtung des  Senates,  reizten  endlich  die  Verschworenen  zur  Tat  zu 
schreiten.  Schon  früher  hatten  sie  erwogen,  Caesar  auf  dem  Wege 
von  seinem  Hause  auf  der  sacra  via  oder  bei  der  Leitung  der 
Wahlen  auf  dem  Marsfelde  zu  ermorden;  jetzt  entschieden  sie  sich 
für  die  Sitzung  des  Senates,  die  am  15.  März  in  der  Curia  des  44  v.  Chr. 
Pompeius  abgehalten  werden  sollte.  Hier  konnten  sie  den  Wehr- 
losen umstellen,  ohne  Verdacht  zu  erregen.  Stärker  noch  sprach 
die  Feigheit  der  Mordgesellen,  die  immer  nur  für  ihr  eigenes  Leben 
bangten.  Denn  in  der  nahegelegenen  Porticus  des  Pompeius  konnte 
Decimus  Albinus  seine  gemieteten  Fechterbanden  während  der 
Spiele,  die  im  Theater  an  diesem  Tage  abgehalten  wurden,  zum 
Schutze  der  Verschworenen  versammeln.  Lange  harrte  der  Senat, 
in  seiner  Mitte  die  Verschworenen  voll  banger  Erwartung,  des 
Dictators,  den  furchtbare  Vorzeichen  nach  dem  Glauben  der  Nach- 
welt, unheilvolle  Träume  am  Kommen  hinderten.  Denn  es  erschien 


20  Auguslus 

späteren  Geschlechtern  undenkbar,  daß  die  wissenden  Götter  die 
ruchloseste  aller  Taten  geschehen  ließen,  ohne  den  Edeln  zu  warnen. 
So  wurde  aus  der  Mitte  der  Verschworenen  der  vertraute  Freund 
des  Dictators,  der  Waffengefährte  vieler  Jahre,  üecimus  Albinus, 
entsendet,  um  das  Opfer  heranzuführen.  Es  gelang  seiner  Über- 
redung, Caesar,  den  Krankheit  am  Kommen  gehindert  hatte,  zu  be- 
stimmen, daß  er  sich  in  seiner  Sänfte  nach  dem  Sitzungssaale  tragen 
ließ,  um  den  Senat,  den  er  berufen,  nicht  zu  verletzen.  An  der 
Türe  des  Saales  wurde  Antonius,  dessen  Mut  und  Entschlossenheit 
die  Verschworenen  zu  fürchten  hatten,  von  Trebonius  im  Gespräche 
festgehalten,  während  Caesar  durch  die  Reihen  des  Senates,  der 
sich,  ihn  zu  ehren,  von  seinen  Bänken  erhoben  hatte,  auf  den  Thron- 
sessel zuschritt.  Kaum  hatte  Caesar  sich  auf  seinem  Sitze  nieder- 
gelassen, als  Tillius  Cimber  vor  ihm  auf  die  Kniee  sank,  um  ihn 
anzuflehen,  seinen  Bruder  aus  der  Verbannung  zurückzurufen,  und 
die  anderen  Verschworenen,  wie  um  seine  Bitte  zu  unterstützen, 
Caesar  umringten.  Da  ergriff  Cimber,  das  verabredete  Zeichen,  im 
Diange  seines  Flehens  den  Mantel  des  Herrschers;  in  diesem  Augen- 
blicke stieß  Servilius  Casca  mit  dem  Schwerte  nach  Caesars 
Schulter.  Vergebens  fiel  Caesar  mit  dem  Rufe:  verruchter  Casca, 
was  tust  Du,  dem  Mörder  in  den  Arm  und  durchbohrte  seinen 
Arm  mit  dem  Griffel,  Von  allen  Seiten  blitzten  ihm  die  Dolche 
der  Verschworenen  entgegen.  Aus  23  Wunden  blutend,  sank  der 
hohe  Mann  sterbend  vor  dem  Standbild  des  Pompeius  zur  Erde. 

So  war  das  Furchtbare  geschehen,  die  Tat  frevelhaften  Wahn- 
witzes vollbracht.  Der  erhabene  Geist  Caesars  erlosch  in  dem 
Augenblicke,  wo  sein  Lebenswerk  erst  beginnen  sollte.  All  sein 
gewaltiges  Ringen  war  vergeblich  gewesen,  am  Ziele  wurde  er 
dahingerafft,  als  er  seine  unvergleichlichen  Herrschergaben  zum 
Heile  der  Welt  betätigen  wollte.  Die  Rachegeister  erlioben  sich 
an  seiner  Leiche  und  stürzten  das  römische  Volk  in  neue  blutige 
Wirren,  Vergeltung  übend  an  Schuldigen  und  Unschuldigen.  Und 
die  Alleinherrschaft,  die  die  Befreier,  wie  sie  sich  nannten,  hatten 
austilgen  wollen,  sie  erstand  über  dem  Grabe  des  ersten  Kaisers 
von  neuem.  Nicht  die  Staatsform  stand  in  Frage,  sondern  wer  das 
blutbefleckte  Diadem  sich  um  das  Haupt  winden  sollte. 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 

Brutus  hatte  in  seiner  Verblendung  erwartet,  daß  der  dankbare 
Senat  die  Tat,  die  ihn  aus  unwürdiger  Knechtschaft  erlöste,  be- 
wundernd preisen  werde.  In  feierlicher  Sitzung  sollte  der  Senat  das 
Andenken  des  Tyrannen  ächten,  seinen  Leib  den  Fluten  des  Tiber 
überantworten.  Beim  Anblick  der  blutbefleckten  Dolche  floh  der 
Senat  von  der  Leiche  weg  hinaus  auf  die  Straße  und  aus  dem  nahen 
Theater  drängte  die  Menge,  welche  die  Kunde  von  dem  Morde 
erreicht  hatte,  in  angstvoller  Eile  ins  Freie.  Die  Schrecken  einer 
Stadt,  die  mitten  im  Frieden  von  einer  Räuberschar  überfallen  wird, 
verbreiteten  sich  in  Rom.  In  den  menschenleeren  Straßen  be- 
festigten die  Bürger  ihre  Häuser,  um  Mord  und  Raub  abzuwehren. 
Denn  es  schien  unmöglich,  daß  die  Mörder  anders  als  an  der  Spitze 
der  entlassenen  Soldaten,  die  damals  in  der  Stadt  versammelt  waren, 
das  Entsetzliche  gewagt,  und  daß  sie  diese  Haufen  anders  gewonnen, 
als  um  den  Preis  der  Plünderung  Roms.  Die  Mörder,  allein  ge- 
lassen bei  der  Leiche  gleich  Henkern,  die  sie  waren,  überkam  die 
Furcht  für  das  eigene  Leben.  Von  Angst  getrieben,  eilten  sie 
geschützt  von  den  Gladiatoren  des  Decimus  Albinus  hinauf  auf  das 
Capitol,  indem  sie  auf  dem  Wege  die  Bürger  zur  Verteidigung  der 
Freiheit  aufforderten.  Hier  auf  dem  Capitole,  wo  in  so  manchen 
Bürgerkämpfen  die  Empörer  eine  Richtstatt  gefunden,  wäre  die 
ganze  Rotte  beim  ersten  Angriff  vernichtet  worden,  hätte  ihnen 
eine  Partei  mit  einem  selbstbewußten  Haupte  gegenübergestanden. 
So  aber  lähmte  der  gleiche  Schrecken  wie  die  einfachen  Bürger 
auch  die  gesetzlichen  Träger  der  Staatsgewalt.  Selbst  der  Consul 
Antonius  war  in  dem  Gewände  eines  Sclaven  entflohen  und  hielt 
sich  in  seinem  Hause  verborgen.  Mitten  aus  der  Betäubung,  die 
über  Rom  lag,  drang  zu  den  Mördern  die  Kunde,  zwei  der  ersten 


22  Augustus 

Beamten  des  Staates,  der  Prätor  Cornelius  Cinna  und  der  desi- 
gnierte Consul  Cornelius  Dolabella  hätten  auf  der  Rednerbühne  ihre 
Tat  gepriesen.  So  ermutigt  stiegen  sie  selbst  auf  den  Markt 
hinunter,  wo  Brutus  vor  einer  zusammengelaufenen  Menge  Neu- 
gieriger der  Sache  der  Freiheit  das  Wort  redete.  Frostig,  unge- 
lenk, die  Gemeinplätze  seiner  politischen  Theorien  aneinander- 
reihend, vermochte  er  keinen  Beifall  zu  entfesseln.  Da  wichen  sie 
wieder  zurück  hinter  die  sichernden  Mauern  des  Heiligtums.  Dort 
fanden  sich  im  Dunkel  des  Abends  viele  Glieder  der  Adelspartei 
zusammen,  denen,  im  Haß  gegen  den  Dictator  mit  den  Mördern 
einig,  der  Mut  zur  Tat  gefehlt  hatte,  um  ihnen  jetzt  ihren  Rat  zu 
leihen.  Vergebens  drangen  Weitsichtige,  wie  Marcus  Cicero  darauf, 
daß  Brutus  als  Praetor  urbanus  sofort  den  Senat  berufe.  Schwach- 
herzige Bedenken,  die  Brutus  schon  daran  gehindert  hatten,  den 
Gefährlichsten  aller  Anhänger  Caesars,  Antonius,  dem  toten  Ge- 
bieter nachzusenden,  lähmten  jeden  Entschluß.  Dieses  feige  Ge- 
schehenlassen offenbart  die  ganze  Nichtigkeit  einer  Partei,  die  wohl 
einen  Wehrlosen  zu  morden  wagte,  aber  in  dem  Augenblick,  wo 
sie  sich  um  jeden  Preis  in  den  Besitz  der  Staatsleitung  hätte 
setzen  sollen,  sich  selbst  verloren  gab.  Man  einigte  sich  endlich, 
Gesandte  an  Antonius  und  Aemilius  Lepidus  zu  senden. 

Die  Laune  des  Zufalles  hatte  die  Entscheidung,  die  nicht  durch 
Worte  gefunden  werden  konnte,  in  die  Hände  dieses  gänzlich  un- 
fähigen Mannes  gelegt.  Denn  Lepidus  stand  vor  den  Mauern 
Roms  an  der  Spitze  eines  Heeres,  das  dazu  bestimmt  war,  ver- 
sprengte Haufen  pompeianischer  Soldaten  in  Spanien  zu  vernichten. 
Er  allein  gebot  in  diesem  Augenblick  über  das  Schwert,  das  in 
diesen  Zeiten  für  Recht  und  Gesetz  galt.  Als  Antwort  auf  die 
Aufforderung  der  Mörder  führte  er  seine  Soldaten  vom  Marsfeld, 
wo  sie  lagerten,  in  die  Stadt  und  besetzte  den  Markt.  Dadurch  war 
die  Macht  den  Anhängern  Caesars  zugefallen;  die  Mörder,  auf  dem 
Capitol  abgeschnitten,  glichen  Belagerten.  Um  die  Lage  zu  klären, 
fanden  am  folgenden  Tage  Beratungen  im  Hause  des  Consuls 
Antonius  statt,  an  denen  die  designierten  Consuln  Hirtius  und 
Pansa,  sowie  Lepidus  und  andere  Führer  der  Caesarianer  teilhatten. 
Nur  Decimus  Albinus  wagte  es  unter  dem  Schutze  seiner  Gladia- 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius  23 

toren  in  die  Stadt  herunterzusteigen  und  verhandelte  durch  Hirtius 
mit  der  Gegenpartei,  Nicht  mehr  die  Rettung  des  Staates,  sondern 
nur  die  eigene  Sicherheit  begehrten  sie  durch  den  Besitz  der  Pro- 
vinzen, die  Caesars  Gnade  ihnen  zugedacht  hatte.  Im  Rate  der 
Caesarianer  drang  Lepidus  darauf,  durch  einen  Sturm  auf  das 
Capitol  mit  den  Mördern  ein  Ende  zu  machen.  Nicht  die  Scheu 
vor  Blutvergießen,  sondern  das  Bedenken  der  anderen  Häupter,  sich 
ganz  dem  Lepidus  zu  überliefern,  rettete  die  Mörder.  Antonius 
bestimmte  Lepidus  zum  Nachgeben,  indem  er  den  Eiteln  mit  dem 
schimmerndsten  Reste  von  Caesars  Kleide,  dem  Oberpontificate,  zu 
schmücken  versprach.  Seiner  Zustimmung  sicher  ergriff  Antonius 
als  gesetzliches  Oberhaupt  des  Staates  mit  Festigkeit  die  Zügel  der 
Herrschaft.  Um  dem  Gefühl  gesetzloser  Unsicherheit  zu  steuern, 
das  auf  der  Stadt  lastete,  befahl  Antonius  allen  Magistraten,  die 
ganze  Nacht  auf  den  Plätzen  ihrer  regelmäßigen  Amtstätigkeit  zu 
verweilen.  Bewaffnete  durchzogen  die  Straßen  und  die  Flammen 
mächtiger  Holzstöße  erleuchteten  das  Dunkel  der  Nacht.  Durch 
ein  Edict  entbot  der  Consul  den  Senat  für  den  nächsten  Morgen 
zur  Beratung  in  den  Tempel  der  Tellus.  Noch  in  derselben  Nacht 
hatte  Antonius  der  Gemahlin  Caesars  die  Auslieferung  der  Papiere 
und  der  Schätze  des  Dictators  abgezwungen.  Durch  sein  ent- 
schlossenes Auftreten  als  Erbe  von  Caesars  Macht  hatte  er  auch 
die  öffentliche  Meinung  für  sich  gewonnen.  Diese  Meinung  bestand 
in  den  Stimmen  der  Veteranen  Caesars,  die  zu  Tausenden  in  Rom 
versammelt  waren.  Teils  harrten  sie  hier  in  fester  Gliederung  des 
Augenblicks,  wo  sie  in  die  für  sie  bestimmten  Colonieen  abgeführt 
werden  sollten,  teils  waren  sie  aus  den  Landstädten  Italiens  herbei- 
geeilt, um  dem  Dictator  bei  seinem  Auszug  in  den  Partherkrieg 
das  Ehrengeleite  zu  geben.  In  diesem  Augenblicke  bildeten  sie  für 
Antonius  ein  Gegengewicht  gegen  die  geschulten  Truppen  des 
Lepidus.  Antonius  wußte  seine  Stellung  zu  befestigen  mit  dem 
Drucke,  den  diese  durch  den  Tod  des  vergötterten  Feldherrn  wild 
Erregten  auf  die  haltlose,  unsichere  Partei  des  Senates  ausübten. 
Denn  die  Veteranen  fürchteten  für  den  sicheren  Besitz  ihrer  Sieges- 
beute und  von  jedem  sittlichen  Treueverhältnis  hatten  sie  sich  in 
der  furchtbaren  Schule  des  Bürgerkrieges  losgesagt. 


2A  Aiigustus 

Als  sich  die  Senatoren  am  nächsten  Morgen  um  die  zehnte 
Stunde  in  den  Tempel  der  Tellus  begaben,  da  zeigten  ihnen  die 
wogenden  Mengen  der  Veteranen,  die  den  Markt  erfüllten,  welches 
Schicksal  ihnen  drohen  konnte.  Auch  Dolabella,  der  zwei  Tage 
vorher  den  großen  Toten  auf  offenem  Markte  geschmäht  hatte,  fand 
sich  ein  und  erhob  den  Anspruch,  als  zweiter  Consul  anerkannt  zu 
werden.  Antonius  hatte  früher  durch  erdichtete  Vorzeichen  Dola- 
bellas  Wahl  gegen  Caesars  Wunsch  zu  hindern  gewußt.  Jetzt 
räumte  er  dem  verhaßten  Rivalen  um  Caesars  Gunst  willig  den 
Vorsitz  an  seiner  Seite  ein,  um  der  Gegenpartei  kein  scheinbares 
Haupt  zu  geben.  Noch  am  Tage  vorher  war  Antonius  gegen  alle 
Bitten  des  Decimus  Albinus,  die  Mörder  als  Beamte  des  Staates 
anzuerkennen,  taub  geblieben.  Jetzt  fügte  er  sich  der  Forderung, 
daß  auch  ihnen  das  verfassungsmäßige  Recht  an  den  Beratungen 
teilzunehmen  eingeräumt  werde  und  ließ  die  Ladung  an  sie  ergehen. 
Er  wußte  wohl,  daß  sie  es  nicht  wagen  würden,  angesichts  der 
Veteranen,  die  den  Markt  füllten,  ihren  geheiligten  Zufluchtsort  zu 
verlassen.  Dennoch  schien  es  so,  als  ob  der  Senat  das  Werk  der 
Befreiung  durch  die  Billigung  des  Mordes  krönen  werde.  Der  lang- 
verhaltene Groll  redegewandter  Parlamentarier,  die  der  einzig- 
gebietende Wille  des  Herrschers  zur  Bedeutungslosigkeit  verurteilt 
hatte,  machte  sich  Luft  durch  wohlgesetzte  Anträge  auf  Beseitigung 
aller  Regierungshandlungen  des  Tyrannen,  um  sein  Andenken  zu 
ächten;  ja  einige  Heißsporne  der  Partei  des  Senates  gingen  so  weit, 
die  Ehrenzeichen  ihrer  Ämter  von  sich  zu  werfen,  weil  sie  die 
Wüiden  nur  aus  den  Händen  des  freien  Volkes  empfangen  wollten. 
Aber  der  Sturm  dieses  heißbewegten  Redekampfes  wurde  bald  über- 
tönt durch  die  Rufe  der  vor  dem  Sitzungssaal  sich  sammelnden 
Veteranen,  in  welchen  sich  die  Forderung,  die  Landverteilung  zu 
sichern,  mit  dem  Verlangen  nachRache  für  denGemordeten  drohend 
mischten.  Antonius  eilte  mit  Lepidus  hinaus  auf  den  Markt,  um  die 
Ruhe  der  Beratung  zu  schützen.  Nachdem  er  den  Aufruhr  gestillt, 
kehrte  er  zurück  in  den  Senat  mit  der  Mahnung,  das  Erreichbare 
nicht  über  dem  Gewünschten  zu  vergessen.  Nicht  nur  die  An- 
hänger Caesars,  alle,  die  sie  hier  im  Saale  versammelt  waren,  sie 
dankten  die  Ämter,  auf  denen  ihr  Einfluß  im  Staate  beruhte,  nur 


2.   Das  Consulat  des  Marais  Antonius  2S 

dem  Willen  des  Toten.  Den  Toten  verdammen,  hieß  sich  selbst 
verdammen,  mit  einem  Schlage  alle  die  ehrgeizigen  Hoffnungen,  die 
ihren  Hader  entfesselten,  vernichten.  Zwei  Achselträgern  beider 
Parteien  gelang  es  endlich,  den  Ausweg  aus  diesem  Wirrsale  zu 
finden  durch  ein  Wort.  Der  Senat  beschloß  auf  den  Antrag  des 
Lucius  Munatius  Plancus  und  Marcus  TuUius  Cicero  Vergessenheit 
des  Geschehenen.  In  diesem  Beschlüsse  lag  der  Ausdruck  der 
völligen  Ratlosigkeit,  das  Eingeständnis,  daß  das  Werk  des  Toten 
fortbestehen  sollte.  Wenn  die  Senatoren  an  diesem  Beschlüsse,  der 
die  Entscheidung,  die  kein  Rat  zu  finden  wußte,  in  Wahrheit  den 
Schwertern  anheimstellte,  kein  Genüge  fanden,  sondern  noch  in 
einer  besonderen  Bestimmung  die  Gültigkeit  der  Ackeranweisun- 
gen an  die  Veteranen  feststellten,  so  erkauften  sie  damit  wenig- 
stens die  ungefährdete  Rückkehr  in  ihre  Häuser. 

Eins  war  noch  übrig,  die  Ausgestoßenen  auf  dem  Capitol  in 
die  Gemeinschaft  des  Staates  wieder  aufzunehmen.  Auch  diesen  war 
inzwischen  die  Erkenntnis  gekommen,  daß  nicht  der  Wille  des  freien 
Volkes,  sondern  die  Stimme  der  Veteranen  über  ihr  Schicksal  ent- 
scheiden werde.  Auch  sie  hatten  eine  Versammlung  der  Veteranen 
auf  das  Capitol  entboten  und  mit  ihrer  Versicherung,  daß  ihnen  die 
Landaufteilung  heilig  sein  werde,  nicht  minder  Beifall  gefunden  als 
der  Senat  mit  seinen  Beschlüssen  im  Tempel  der  Tellus.  So  war  es 
nur  die  Feigheit  des  Gewissens,  welche  die  Mörder  an  jenem  denk- 
würdigen 17.  März  bestimmte,  erst  gegen  Stellung  von  Geiseln,  den 
Kindern  des  Antonius  undLepidus,  das  Capitol  zu  verlassen.  Die 
Vergessenheit  des  Geschehenen  war,  wenn  auch  nicht  ehrlich,  so 
doch  dem  Anschein  nach  vollständig,  als  die  Häupter  der  feind- 
lichen Parteien  noch  an  demselben  Abend  sich  zu  einem  Friedens- 
mahle vereinigten. 

Wer  konnte  an  jenem  Abend  verkennen,  daß  das  edle  Blut 
Caesars  ganz  umsonst  geflossen  war?  Die  Leidenschaften,  die  er 
mit  mächtiger  Hand  niedergehalten,  waren  von  Neuem  entfesselt. 
Furchtbar  tönt  in  diesem  Vorspiel  des  letzten  Bürgerkrieges  die 
Grundstimmung  wieder,  die  ihn  zu  dem  entsetzlichsten  machen 
sollte,  der  je  Italien  und  die  Provinzen  des  Reiches  verwüstet  hatte. 
In  diesem  Kriege  sollte  nicht  mehr  der  Wille  der  Führer,  sondern 


26  Augustus 

das  Schwert  des  gemeinen  Soldaten  allein  entscheiden,  und  dieses 
Schwert  war  für  jeden  zu  haben,  der  den  Preis  bezahlen  wollte. 

Demjenigen  Manne,  dessen  große  Gaben  der  Dunst  dieser 
Soldatesca  befleckte,  der  sich  eins  mit  ihr  fühlte  in  wilder  Tat- 
kraft und  rohen  Begierden,  dem  echten  Sohne  des  Bürgerkrieges, 
war  auch  die  höchste  Gewalt  im  Staate  zugefallen.  Es  war  der 
Consul  Marcus  Antonius.  Er  überragte  alle  Anhänger  Caesars 
schon  durch  die  Entschiedenheit,  mit  der  er  die  Macht  des  toten 
Herrschers  an  sich  zu  reißen  willens  war.  Geboren  unter  Sullas 
Gewaltherrschaft,  herangewachsen  in  der  sittlichen  Zerrüttung  des 
hohen  Adels,  dem  er  angehörte,  erfuhr  er  den  ersten  Einfluß  seiner 
Jugend  in  dem  Kreise  der  verkommenen  Gesellen,  die  in  Catilina 
ihr  Haupt  und  ihr  Vorbild  fanden.  Doch  ihm,  der  von  einem 
ehrlosen  Vater  eine  tiefe  Schuldenlast  als  einziges  Erbe  über- 
nommen, verdarben  zügellose  Ausschweifungen  nicht  die  Kraft  des 
Leibes  und  des  Geistes.  Dies  trat  bald  hervor,  als  er  unter  Gabinius 
auf  dem  Raubzug  nach  Ägypten  als  Führer  der  Reiterei,  die 
fortan  immer  die  Lieblingswaffe  auch  des  Feldherrn  geblieben  ist, 
hinauszog,  um  ein  Vermögen  zu  erjagen.  Sein  Mut,  seine  Kühnheit, 
sein  lauter  Frohsinn  beim  üppigen  Gelage,  wie  eine  derbe  Gut- 
herzigkeit, gewann  ihm  rasch  die  Gemüter  der  Soldaten.  Zurück- 
gekehrt nach  Rom  wandte  er  sich  dem  glänzenden  Gestirne  Caesars 
zu.  In  seinem  Lager  hoffte  er  zu  finden,  was  er  allein  begehrte, 
Macht  und  Mittel  zum  sinnlichen  Lebensgenuß.  Schon  als  Legat 
Caesars  diente  er  in  Gallien  mit  Auszeichnung  und  entfesselte  dann 
in  dem  von  Caesar  gewollten  Augenblicke  mit  allzuviel  Geräusch 
den  Bürgerkrieg.  Das  höchste  Verdienst  erwarb  er  sich,  als  er 
Caesar  zum  entscheidenden  Kampfe  die  Legionen  nach  Epirus  nach- 
führte. So  lag  es  in  seiner  Hand,  der  Erste  unter  den  Dienern 
Caesars  zu  bleiben.  Nach  der  Schlacht  von  Pharsalus  zum  Statt- 
halter des  Dictators  in  Italien  ernannt,  untergrub  er  durch  ein  un- 
reines Genußleben  und  wüste  Verschwendung  auch  seine  politische 
Stellung,  In  Ungnade  gefallen,  die  er  durch  seinen  wilden  Trotz 
noch  steigerte,  erlangte  er  erst  nach  dem  Siege  von  Munda  die 
Verzeihung  des  allzumilden  Herrschers.  Auch  wollte  Caesar  bei 
dem  Mangel  höherer  Begabung  unter  seinen  Anhängern  die  Unter- 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


27 


Stützung  dieses  persönlich  zuverlässigen  Mannes  nicht  entbehren. 
Zum  Consul  für  das  Jahr  44  ernannt,  störte  er  wieder  durch  Un- 
bolmäßigkeit  und  Übereifer  die  Zwecke  Caesars.  So  war  der  Mann 
beschaffen,  der  sich  plötzlich  als  Herrscher  Roms  sah  und  doch 
keinen  besseren  Anspruch  besaß  auf  die  höchste  Würde  im  Staate 
als  den  Zufall,  der  ihn  zunächst  an  den  leeren  Thron  gestellt  hatte. 
Aber  die  unvergleichliche  Gunst  des  Augenblickes  nützend,  sah  er 
sich  in  seinem  Kraftgefühl  allen  Gegnern  überlegen  und  gedachte 
die  über  alles  Erhoffen  reiche  Beute  mit  dem  Schwert,  das  er  zu 
führen  verstand,  gegen  eine  Welt  in  Waffen  zu  verteidigen. 

Denn  sein  Mitconsul  Dolabella,  den  schon  in  Caesars  Gefolg- 
schaft nichts  als  der  bisher  unerfüllte  Wunsch,  seiner  Schuldenlast 
ledig  zu  werden,  geleitet  hatte,  kannte  kein  höheres  Ziel  des  Lebens 
als  die  Freuden  einer  üppigen  Tafel.  So  war  er  gewonnen  als 
Antonius  auch  ihm  die  Schatzkammer  des  Staates  zu  freiem  Ge- 
brauche öffnete.  Hinter  diesem  glänzenden  Doppelgestirn  adeliger 
Verlotterung  traten  die  bescheidenen  Verdienste  ehrenhaf  terMänner 
wie  der  designierten  Consuln  des  folgenden  Jahres  im  Senate  völlig 
zurück.  Auch  sonst  waren  die  Reihen  des  Senates  durch  den  Bürger- 
krieg furchtbar  gelichtet.  Niemals  hatte  in  der  Geschichte  Roms 
diese  erlauchte  Körperschaft  so  durch  den  Mangel  an  Talenten  ge- 
glänzt. Soweit  die  Mitglieder  des  Senates  in  den  Reihen  der  Mörder 
gestanden  hatten,  mußten  sie  bald  vor  Antonius'  Gewaltherrschaft 
ganz  vom  Schauplatz  weichen.  Aber  auch  die  Häupter  der  Mittel- 
partei, die,  den  Schmerz  über  den  Sturz  des  Senates  im  Herzen, 
der  Leitung  Caesars  sich  gefügt  hatten,  wie  Servilius  Isauricus, 
Servius  Sulpicius,  Calpurnius  Piso,  Lucius  Caesar  und  Marcus 
Cicero,  geboten  über  keine  Macht,  die  nur  der'  Besitz  der  Heere 
zu  geben  vermochte. 

Wieder  gefiel  es  der  Laune  des  Zufalles,  daß  die  Entscheidung, 
wie  die  Kämpfe  in  der  Hauptstadt  sich  auch  abspielen  mochten,  in 
den  Händen  jenes  Aemilius  Lepidus  lag.  Doch  scheint  erst  Antonius, 
als  er  die  Verteilung  der  Provinzen  nach  Caesars  Tod  durch  Senats- 
beschluß regelte,  dem  willenlosen  Helfer  des  17.  März  die  Doppel- 
statthalterschaft der  Gallia  Narbonensis  und  Hispania  citerior  mit 
einem  Heere    von   vier  erprobten  Legionen  übertragen  zu  haben. 


2  8  Augustus 

In  dieser  Stellung  hinderte  er  Asinius  PoUio  und  Munatius  Plancus, 
denen  Caesar  die  Statthalterschaft  von  Hispania  ulterior  undGallia 
comata  verliehen  hatte,  an  jedem  selbständigen  Handeln.  Denn 
selbst  ihren  vereinten  Heeren  von  fünf  Legionen  war  er  gewachsen, 
da  er  jederzeit  die  Veteranen,  die  Caesar  in  seinen  Provinzen 
angesiedelt  hatte,  unter  die  Waffen  rufen  konnte.  Diese  Vorsicht 
des  Antonius  war  geboten,  da  die  beiden  Statthalter  dem  Senate 
günstig  gesinnt  waren.  Sicher  konnte  der  Senat  nur  auf  den  Caesar- 
mörder Decimus  Albinus  zählen,  der  mit  einem  Heere  von  zwei 
Legionen  die  Gallia  Cisalpina  verwalten  sollte.  Aber  auch  er 
wurde  durch  Vatinius,  der  mit  drei  Legionen  in  Illyricum  stand, 
in  Schach  gehalten.  Nichts  zu  hoffen  hatte  der  Senat  von  den 
Heeren  der  weiter  entfernten  Provinzen,  da  die  Entscheidung  in 
Italien  fallen  mußte,  ehe  sie  aufgeboten  waren.  An  sich  neigten 
diese  Heere  wie  ihre  Führer  dem  Senate  zu.  Denn  die  Heere  ge- 
hörten alle  jenen  Legionen  an,  die  Caesar  erst  in  den  letzten  Jahren 
aufgestellt  hatte;  auch  waren  sie  nicht  durch  die  Schule  der  Bürger- 
kriege gegangen.  Deshalb  fehlte  ihnen  die  kriegerische  Kraft, 
welche  die  Heere  des  Westens  unbesiegbar  machte.  Überdies  waren 
die  Statthalter  durch  ihre  eigentümliche  Lage  am  entschlossenen 
Handeln  gehindert.  In  Macedonien  standen  außer  dem  Heere  des 
Statthalters  Quintus  Hortensius  von  einer  Legion  neuer  Truppen 
noch  sechs  Legionen,  von  Caesar  für  den  Parther-krieg  bestimmt,  die 
dem  Statthalter  nicht  gehorchten.  In  Syrien  hatte  sich  schon  im 
Jahre  46  eine  Legion,  die  Caesar  aus  Soldaten  des  Pompeius  ge- 
bildet, empört,  den  Statthalter  Sextus  lulius  Caesar  erschlagen  und 
den  Pompeianer  Caecilius  Bassus  zum  Feldherrn  ausgerufen.  Dieser 
wurde  um  die  Zeit  von  Caesars  Ermordung  in  Apameia  von  drei 
Legionen  unter  Staius  Murcus  belagert.  Zu  seiner  Unterstützung 
traf  später  Marcius  Crispus  aus  Bithynien  mit  drei  Legionen  ein. 
Auch  aus  dem  nahen  Africa  konnte  der  Senat  keine  Hülfe  er- 
warten, da  die  Statthalter  der  beiden  Provinzen  einander  feindlich 
gegenüberstanden. 

So  schwach  der  Senat  an  Streitkräften  war,  gegenüber  der 
Gewaltherrschaft,  die  Antonius  erstrebte,  wäre  das  gute  Recht  ein 
starker  Schild  gewesen.  Da  war  es  die  unheilbare  Verbindung  mit 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


29 


den  Mördern,  die  das  Ansehen  des  Senates  vollkommen  brach.  Wie 
sollten  selbst  die  billig  Denkenden  im  Senate  Vertrauen  finden  bei 
den  caesarisch  gesinnten  Heeren  des  Westens,  wenn  der  Fluch  der 
unseligen  Tat  dem  Namen  des  Senates  unauslöschlich  anhaftete?  So 
hatten  auch  alle  Versuche  des  Senates,  die  Heere  der  Provinzen 
gegen  Antonius  aufzurufen,  keinen  Erfolg,  und  es  blieb  ihm  keine 
Stütze  als  der  ehrloseste  aller  Mörder,  Decimus  Albinus. 

Durch  den  Tod  des  Trägers  der  außerordentlichen  Gewalt  war 
der  Freistaat  in  seinen  Formen  wieder  hergestellt.  Die  regelmäßigen 
Beamten,  der  Senat  und  die  Versammlungen  des  Volkes  traten 
von  selbst  wieder  in  ihr  verfassungsmäßiges  Recht,  sobald  die 
Führer  der  Heere  die  Verfassung  achten  wollten. 

Die  Haltung  des  Staatsoberhauptes  Marcus  Antonius,  unter 
dessen  Leitung  die  Beschlüsse  des  Senates  gefaßt  wurden,  mußte 
über  den  Frieden  im  Reiche  entscheiden.  Wie  wenig  aber  Antonius 
Sinn  auf  Friede  gerichtet  war,  läßt  sein  Streben  erkennen,  die  zu- 
verlässige Stütze,  die  die  Senatsherrschaft  in  Rom  und  in  den 
Provinzen  an  den  Mördern  besaß,  zu  vernichten.  Bei  der  Beratung 
über  die  Verteilung  der  Statthalterschaften  hatte  er  es  erreicht, 
daß  ihren  Häuptern,  Brutus  und  Cassius,  die  Provinzen,  welche 
ihnen  Caesar  nach  der  Verwaltung  der  Praetur  zugedacht  hatte, 
Macedonien  und  Syrien,  nicht  zugesprochen  wurden.  Aber  zunächst 
noch  nahmen  die  Mörder  teil  an  den  Sitzungen  des  Senats,  waren 
Mitglieder  der  Regierung.  Neue  Stürme,  die  die  Leichenfeier  für 
Cciesar  entfesselte,  bedrohten  ihre  Sicherheit  und  zwangen  sie, 
bald  aus  Rom  zu  weichen.  Schon  in  der  Senatssitzung  im  Tempel 
der  Tellus  hatten  die  Freunde  der  Mörder  an  den  Schwiegervater 
Caesars,  Calpurnius  Piso,  die  Aufforderung  gerichtet,  das  Testa- 
ment Caesars  zu  unterdrücken,  seine  Leiche  im  Geheimen  zu  be- 
statten. Piso  weigerte  sich,  den  Toten  noch  im  Grabe  zu  beschimpfen. 
So  wurde  das  Testament  im  Hause  des  Antonius  eröffnet.  Sein  In- 
halt war  eine  neue  Anklage  gegen  die  Mörder,  eine  Mahnung  an  das 
Volk,  seines  milden  Herrschers  zu  gedenken.  Caesar  hatte  seinen 
Großneffen  Gaius  Octavius  zu  seinem  Haupterben  eingesetzt  und 
ihn  zugleich  an  Sohnes  Statt  angenommen.  Unter  den  Nacherben 
zweiten  Grades,  die  zu  bedenken  römische  Sitte  forderte,  war  neben 


XO  Augustus 

Antonius  der  Mörder  Decimus  Albinus  genannt  und  dem  römischen 
Volke  hatte  der  Dictator  seine  Gärten  jenseits  des  Tiber  bestimmt, 
sowie  die  Summe  von  75  Denaren  für  jeden  Bürger.  Die  Last 
dieses  Legates  fiel  auf  den  Erben  Gaius  Octavius,  der  in  dem 
fernen  ApoUonia  weilte,  wo  ihn  die  Kunde  von  dem  Tode  des 
Oheims  kaum  erreicht  haben  konnte. 

Das  Leichenbegängnis  Caesars  auf  Staatskosten,  das  der  Senat 
beschlossen  hatte,  mit  dem  ganzen  Prunke  der  öffentlichen  Trauer- 
feier ausgestattet,  botAntonius  willkommenenAnlaß,  denHaß  gegen 
die  Mörder  im  Volke  zu  erregen;  als  Consul  und  Verwandter  des 
Toten  hatteAntonius  für  denFreund  und  Amtsgenossen  die  Leichen- 
rede auf  dem  Forum  zu  halten.  Hier  war  neben  der  Rednerbühne 
ein  Gerüst  aufgeschlagen,  die  Nachahmung  des  Tempels  der  Venus 
Genetrix.  Hinter  den  Säulen  der  Tempelhalle  erblickte  man  das 
wächserne  Abbild  des  Toten  auf  einem  Ruhebett  hingestreckt, 
zu  dessen  Lläupten,  gleich  einem  Siegeszeichen  aufgerichtet,  das 
blutbefleckte,  von  den  Dolchen  der  Mörder  zerfetzte  Amtskleid. 
So  war  der  Schauplatz  vorbereitet.  Die  Leichenrede  des  Antonius 
erschütterte  in  ihrer  überladenen  Fülle  und  dem  Schmucke  gewalt- 
samer Bilder  um  so  sicherer  die  ungebildeten  Hörer  und  wurde  eine 
einzige  Anklage  der  Mörder.  Wie  man  dem  Toten  die  Liebe  und 
Treue  gehalten,  die  Senat  und  Volk  ihm  so  oft  gelobt,  furchtbar 
wurde  es  klar,  als  Antonius  diese  Beschlüsse  angesichts  der  Leiche 
verlesen  ließ.  Aber  nicht  er  war  es  gewesen,  so  versicherte  der 
Redner,  der  gerechte  Rache  gehindert,  sondern  jene,  und  er  wies 
auf  den  versammelten  Senat  hin,  die  es  vorgezogen,  zu  verzeihen. 
Schon  mehrten  sich  in  der  Menge  die  Zeichen  des  Unwillens,  da 
trat  Antonius  an  die  Bahre  heran,  pries  des  großen  Mannes  Taten, 
beweinte  den  edlen  Freund  und  entfaltete  zuletzt  das  blutige  Ge- 
wand. Mächtig  schwollen  jetzt  die  Klagerufe  an  und  verkündigten 
den  nahen  Sturm.  Jetzt  begann  unter  den  traurigen  Klängen  der 
Flöten  das  Leichenspiel.  Als  der  Chor  die  Worte  aus  dem  Ajax 
des  Pacuvius  sang:  „habe  ich  sie  deshalb  gerettet,  um  durch  ihre 
Hand  zu  fallen",  erhob  sich  plötzlich  das  wächserne  Abbild  des 
Toten  und  zeigte  den  Leib  des  Toten  von  23  Wunden  entstellt. 
Das  Volk,  durch  diesen  Anblick  zur  Raserei  entflammt,  stürmte 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


31 


von  der  Leichenfeier  weg  nach  den  Häusern  der  Mörder,  um  an 
den  Schuldigen  das  Strafgericht  zu  vollziehen.  Mit  Mühe  durch 
aufgestellte  Wachen  abgewiesen,  fluteten  sie  zurück  auf  den  Markt. 
Jetzt  wollten  sie  den  Toten  auf  dem  Capitol  oder  in  der  Curie  ver- 
brennen, wo  er  unter  den  Dolchen  der  Mörder  gefallen  war.  An 
beiden  Orten  durch  Bewaffnete  zurückgewiesen,  errichteten  sie  auf 
dem  Forum  einen  mächtigen  Scheiterhaufen,  in  dessen  Flammen 
die  Mimen  ihre  Prachtgewänder,  die  Soldaten  die  reichverzierten 
Waffen  und  Ehrenzeichen,  selbst  Frauen  und  Kinder  ihren  Schmuck 
warfen.  Der  lodernde  Brand,  welcher  eine  Zeitlang  die  Gebäude 
des  Forums  bedrohte,  wurde  den  Mördern  ein  Zeichen,  daß  ihres 
Bleibens  nicht  länger  in  der  ihnen  feindlichen  Hauptstadt  sei. 

Antonius  war  es  selbst  gewesen,  der  der  drohenden  Plünderung 
Einhalt  getan.  Aber  als  Brutus,  Cassius  und  Andere  durch  ihre 
Freunde  ihn  bestürmen  ließen,  für  ihre  Sicherheit  zu  sorgen,  da 
lautete  die  trostlose  Antwort,  der  Consul  könne  sich  nicht  für  ihr 
Leben  verbürgen.  So  begann  nun  die  Flucht  der  Mörder  aus  Rom. 
Glücklich  waren  noch  die  zu  nennen,  denen  die  Ehrenstellen,  die 
sie  in  den  Provinzen  bekleideten,  gestatteten,  mit  dem  Scheine  des 
Rechtes  Rom  zu  verlassen.  Aber  die  Häupter  der  Mörder,  Brutus 
und  Cassius,  zwangen  die  Pflichten  des  Amtes,  das  sie  an  Rom 
fesselte,  auszuharren.  Die  Stimme  des  Volkes,  die  Brutus  zur  Tat 
gemahnt,  sie  war  verstummt.  Noch  erschienen  sie  auf  einige  Zeit 
auf  dem  Markte,  um  die  Gunst  der  Veteranen  zu  erbetteln,  indem 
sie  gegen  die  Bestimmungen  von  Caesars  Ackergesetz  in  den  Verkauf 
der  zugewiesenen  Ländereien  willigten.  Aber  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  April  verließen  auch  sie  gebrochenen  Mutes,  die  Ver- 
zweiflung im  Herzen,  für  immer  das  undankbare  Rom. 

Der  Aufruhr,  der  bei  dem  Leichenbegängnis  Caesars  empor- 
gelodert war,  wirkte,  von  Antonius  mit  eiserner  Hand  niederge- 
halten, im  Geheimen  weiter  und  bedurfte  nur  eines  Antriebes,  um 
von  neuem  auszubrechen.  Der  bot  sich  dar,  als  ein  Abenteurer 
auftrat,  der  der  Menge  für  einen  Enkel  des  alten  Marius,  also 
für  einen  nahen  Verwandten  Caesars  galt.  Seines  Zeichens  ein 
Roßarzt,  namens  Herophilus,  hatte  er  sein  freches  Spiel  schon 
einmal  versucht.  Während  des  spanischen  Krieges  fand  er  in  Rom 


X2  Augustus 

und  Italien  raschen  Zulauf,  bis  Caesar  dem  Treiben  durch  seine 
Verbannung  aus  Italien  ein  Ende  setzte.  Nach  dem  Tode  des 
Dictators  kehrte  er  nach  Rom  zurück  und  warb  in  der  schwülen 
Luft  des  kaum  erstickten  Aufruhrs  rasch  beim  niederen  Volke 
einen  Anhang,  als  er  dem  toten  Oheim  auf  der  Brandstätte  des 
Forums  einen  Altar  errichtete.  Die  täglichen  Opfer,  die  er  ihm 
darbrachte,  trieben  die  Unruhen  in  immer  weitere  Kreise.  Da 
ließ  Antonius,  dessen  soldatischem  Sinn  solches  Treiben  wider- 
strebte, den  Schwindler  greifen  und  im  Gefängnis  töten. 

Die  Zeiten,  wo  der  Pöbel  in  Aufständen  dem  Staate  seinen 
Willen  aufzwang,  waren  für  immer  vorüber.  Nicht  davon  erwartete 
Antonius  sein  Heil,  sondern  es  war  sein  Wunsch,  die  Gemäßigten 
beider  Parteien  zu  gewinnen,  um  auf  gesetzliche  Weise  die  Macht 
zu  behaupten.  Bald  nach  der  Leichenfeier  rief  er  selbst  einen 
Beschluß  des  Senates  hervor,  der  die  Wiederkehr  der  Dictatur  ver- 
pönte und  ließ  ihn  durch  das  Volk  zum  Gesetze  erheben.  Noch 
größer  war  sein  Entgegenkommen,  als  er  die  Vollziehung  der  in 
Caesars  Nachlaß  vorhandenen  Verfügungen  ganz  der  Entscheidung 
desSenates  überließ.  Auf  Antrag  desFührers  derGemäßigten,Servius 
Sulpicius,beschloß  denn  auch  derSenat,daß  keineSteuerbefreiungen, 
Schenkungen  und  sonstige  Privilegien  aus  Caesars  Nachlaß  rechts- 
gültig sein  sollten.  Der  gesetzliche  Zustand  fand  einen  Ausdruck 
in  der  Prüfung  jenes  Nachlasses  durch  einen  Ausschuß  des  Senates. 
Kein  leeres  Wort,  wie  der  noch  erhaltene  Freundschaftsvertrag  mit 
dem  jüdischen  Staate  beweist.  Der  Senat  atmete  auf,  die  drohende 
Wolke  der  Gewaltherrschaft  hatte  sich  nicht  entladen,  die  Sonne 
des  Friedens  schien  seinen  Beratungen  zu  leuchten.  Da  wollte  der 
Kampf  wieder  ausbrechen,  als  die  Consuln  die  Provinzen  Syrien 
und  Macedonien  für  sich  forderten.  Nicht  ohne  den  Schein  des 
Rechtes.  Denn  an  beiden  Grenzen  drohte  der  Krieg,  den  Caesar 
selbst  hatte  führen  wollen.  An  der  Donau  galt  es,  die  Übergriffe 
der  Dacer  zurückzuweisen,  in  Syrien,  an  den  Parthern  Vergeltung 
zu  nehmen.  Aber  mit  den  Provinzen  fielen  die  dort  versammelten, 
starken  Heere  den  Statthaltern  zu,  die  ihnen  ein  dauerndes  Über- 
gewicht geben  mußten.  Den  berechtigten  Widerstand  des  Senates 
brach  Antonius,  indem  er  Dolabella  Syrien  durch  einen  Beschluß 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius  -i-t 

des  Volkes  übertragen  ließ.  Er  erzwang  nach  dem  Vorbild  Caesars, 
das  ihn  sein  ganzes  Leben  äffen  sollte,  von  dem  eingeschüchterten 
Senat  für  sich  die  Provinz  Macedonien.  Da  schien  es,  daß  er  das 
Ziel  seines  Ehrgeizes  erreicht  hätte  und  die  Sorge  um  den  Bestand 
der  Verfassung  wenigstens  hinausgeschoben  sei.  So  verließen  die 
einflußreichsten  Mitglieder  des  Senates  Rom,  den  lieblichen  Früh- 
ling Italiens  in  ihren  Villen  am  Golfe  Neapels  zu  genießen. 

Auch  auf  dem  Wege,  den  Antonius  bisher  beschritten,  war  die 
Krone  zu  gewinnen,  vielleicht  ohne  den  blutigen  Zwang  des  Bürger- 
krieges. Aber  weise  Voraussicht,  langerwogenes  Handeln  lag  nicht 
in  seiner  Natur.  Er  hatte  die  gesetzliche  Form  gewahrt,  solange 
aus  der  Schatzkammer  des  Staates  die  Mittel  flössen,  seine  und 
seiner  Anhänger  Begehrlichkeit  zu  stillen.  Doch  in  wenigen  Wochen 
waren  die  Schätze,  obwohl  Antonius  auch  über  Caesars  reiches 
Erbe  als  sein  Eigentum  verfügte,  700  Millionen  Sesterzen,  die  Caesar 
angesammelt  hatte,  in  Nichts  zerflossen.  Den  Abgrund  seiner  nie 
zu  sättigenden  Begierde  zu  füllen,  sah  er  kein  anderes  Mittel,  als 
aus  dem  Nachlasse  Caesars  immer  neue  Ströme  Goldes  zu  schöpfen. 
Gesetze,  Freibriefe,  Schenkungen,  Bürgerrechtsverleihungen,  Privi- 
legien aller  Art  entstiegen  unter  der  geschickten  Hand  von  Caesars 
Geheimschreiber  Faberius  dieser  nie  versiegenden  Quelle,  und  das 
Geld  der  Begünstigten  zerrann  ebenso  schnell  in  den  Händen  des 
Antonius.  Denn  die  Leitung  des  Staates  ließ  Antonius  Muße  ge- 
nug, seiner  Sinnenlust  zu  fröhnen  im  Kreise  würdiger  Genossen, 
die  ihm  den  Raub  verjubeln  halfen.  So  wurde  er  immer  weiter 
gedrängt  auf  der  gesetzlosen  Bahn  und  gezwungen  bewaffnete 
Helfer  zu  werben.  Dazu  bot  ihm  die  Vollziehung  von  Caesars 
Ackergesetzen  willkommenen  Anlaß.  Auch  dieses  unvollendete 
Werk  des  Dictators  hatte  der  Senat  und  das  Volk  durch  neue  Ge- 
setze befestigt.  Die  Ausführung  lag  in  den  Händen  der  Consuln 
und  eines  Ausschusses,  der  aus  ihren  gefügigsten  Werkzeugen  ge- 
bildet war.  Durch  grenzenlose  Freigebigkeit  bei  der  Verteilung  von 
Ländereien,  die  den  Veteranen  Caesars  zugedacht  waren,  war  An- 
tonius sicher,  einen  Heerbann  zu  werben,  den  keine  Zweifel  des 
Gewissens  banden.  Deshalb  begab  er  sich  Ende  April  nach 
Campanien,  auch  hier  durch  sein  zügelloses  Leben  die  Würde  des 

Doniasze  wsk  1.    I.  3 


X^  Augustus 

Staates,  dessen  Oberhaupt  er  war,  in  den  Kot  schleifend.  Aber 
seine  Tatkraft  blieb  davon  unberührt  und  bald  rüstete  er  sich  zu 
einem  neuen  Schlage,  der  ihn  der  Gewaltherrschaf  t  näher  bringen 
sollte.  In  die  Stille  der  Bäder  von  Bajae  drang  die  Nachricht,  daß 
der  Consul,  hinter  dessen  wildem  Leben  man  keine  gefährlichen 
Pläne  vermutet  hatte,  sich  mit  einem  bewaffneten  Gefolge  von 
Veteranen  zu  umgeben  begann,  deren  Zahl  mit  jedem  Tage  stieg. 

Mit  diesen  Banden,  die  gleich  ihrem  Führer  das  mit  dem 
Schwert  gewonnene  Gut  rasch  verpraßten,  rückte  Antonius  gegen 
die  Hauptstadt  heran,  die  wehrlos  dalag.  Vorerst  gedachte  Antonius 
sich  dieser  Helfer  zu  bedienen,  um  Senat  und  Volk  Roms  beschließen 
zu  lassen,  was  ihm  gut  dünkte.  Angesichts  der  gezückten  Schwerter 
wagten  es  denn  auch  viele  der  Gemäßigten  nicht,  nach  Rom  zurück- 
zukehren. In  der  Senatssitzung,  die  Antonius  auf  den  i.  Juni  anbe- 
raumt hatte,  entschieden  die  Stimmen  seiner  Anhänger,  und  gleich- 
zeitig wurde  auf  dem  Forum  durch  dasVolk  ein  Gesetz  angenommen, 
das  die  Dauer  der  Statthalterschaft  des  Antonius  und  des  Dolabella 
auf  fünf  Jahre  verlängerte.  Wieder  ist  es  Caesars  Vorbild,  das  An- 
tonius einfach  nachahmte,  der  in  der  ebensolang  befristeten  Statt- 
halterschaft Galliens  den  Entscheidungskampf  vorbereitet  hatte. 
Aber  für  Antonius  bedeutete  auch  diese  Maßregel  nur  einen  Schritt 
weiter  auf  dem  Wege,  seine  Gewaltherrschaft  auf  dem  Boden 
Italiens  selbst  zu  begründen. 

Was  seinen  Banden  Zusammenhalt  gab,  war  der  Wunsch,  der 
bei  den  gemeinen  Soldaten  lebendiger  war  als  bei  den  hochadeligen 
Führern,  Rache  zu  nehmen  für  die  Ermordung  Caesars.  Aber  noch 
immer  hielten  sich  die  Häupter  der  Mörder  in  der  Nähe  Roms  auf, 
noch  immer  hing  Brutus  an  dem  törichten  Wahne,  daß  die  Stimme 
des  Volkes  sie,  die  Retter  des  Freistaates,  in  die  Heimat  zurück- 
berufen werde.  Die  Apollinarspiele  des  Juli,  die  er  abwesend  mit 
dem  größten  Glänze  ausstattete,  sollten,  wie  er  meinte,  die  Erhebung 
der  Hauptstadt  zu  seinen  Gunsten  hervorrufen.  Um  sie  ganz  aus 
Italien  wegzuscheuchen,  erwirkte  Antonius  am  5.  Juni  beim  Senate 
einen  Beschluß,  der  Cassius  und  Brutus  beauftragte,  an  den  Küsten 
Asiens  und  Siciliens  für  den  Staat  Getreide  aufzukaufen.  Es  war 
dies  nichts  anderes  als  eine  Verbannung  aus  Italien  und  ein  Beweis, 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


35 


daß  selbst  die  Gemäßigten  die  Trennung  von  den  Mördern  als  eine 
politische  Notwendigkeit  empfanden.  So  sahen  sich  Cassius  und 
Brutus  von  ihrer  eigenen  Partei  verlassen  und  ergingen  sich  in 
schmähenden  Edicten  gegen  den  gesetzlosen  Consul,  der  ihres 
Grimmes  lachte.  Den  Auftrag  zu  vollführen,  weigerten  sie  sich, 
und  doch  vermochten  sie  sich  nicht  loszureißen  von  dem  Schauplatz 
ihres  Verbrechens.  Nachdem  Antonius  diesen  Schlag  gegen  die 
Mörder  mit  williger  Zustimmung  des  Senates  geführt  hatte,  galt  es 
die  Versprechungen  zu  erfüllen,  durch  die  er  die  edeln  Krieger 
Caesars  an  sich  gelockt.  Ein  neues  Ackergesetz  seines  Bruders, 
des  Volkstribunen  Lucius  Antonius,  bedachte  die  Veteranen  mit 
neuen  Landschenkungen,  die  nichts  anderes  sein  konnten  als  ein 
Raub  an  den  Besitzenden.  Um  jeden  Widerstand,  den  die  Eigen- 
tümer bei  der  Verteidigung  ihres  Bodens  in  gesetzlicher  Weise  zu 
leisten  vermochten,  niederzuschlagen,  wurde  aus  gemeinen  Soldaten 
eine  dritte  Abteilung  von  Geschworenen  gebildet,  die  alle  Streitig- 
keiten, die  aus  der  Durchführung  des  Ackergesetzes  entstanden, 
entscheiden  sollten.  Immer  deutlicher  zeigte  sich  Antonius  als  das, 
was  er  war,  kein  Staatsmann,  sondern  ein  Bandenführer,  der  mit 
seinen  Genossen  den  Staat  wie  eine  Beute  teilte. 

In  der  Gunst  der  Veteranen  neu  befestigt,  wagte  Antonius  den 
letzten  Schritt,  um  die  Gewaltherrschaf t  der  Soldatesca  über  Italien 
dauernd  zu  machen.  Anstelle  der  Provinz  Macedonien  begehrte  er 
jetzt  für  das  folgende  Jahr  Gallia  cisalpina,  das  in  diesem  Augen- 
blicke der  Caesarmörder  Decimus  Albinus  verwaltete.  Der  Besitz 
dieser  Provinz  auf  fünf  Jahre  gab  ihm  auch  die  Herrschaft  über 
Italien.  Das  Vorbild  Caesars  hatte  ihn  gelehrt,  wie  rasch  die 
Legionen  vom  Po  die  Hauptstadt  erreichten.  Sollte  auch  Decimus 
Albinus  im  folgenden  Jahre  das  Consulat  bekleiden,  so  konnte  doch 
niemand  erwarten,  daß  er  den  Besitz  der  Provinz  und  des  Heeres, 
das  ihm  allein  Sicherheit  des  Lebens  verbürgte,  dem  Rächer  Caesars 
einräumen  werde.  Nur  mit  Gewalt  konnte  er  gezwungen  werden, 
auf  die  Fortführung  seiner  Statthalterschaft  über  die  gesetzliche 
Frist  hinaus  zu  verzichten.  So  bedurfte  Antonius  eines  Heeres  und 
forderte  zu  der  Provinz  auch  die  Legionen,  die  in  Macedonien 
standen.   Vom  Senate  konnte  Antonius  die  Zustimmung  zu  dieser 

3* 


ß6  Augustus 

offenen  Entfesselung  des  Bürgerkrieges  nicht  erwarten.  Aber  das 
Volk  von  Rom,  durch  die  Schwerter  der  Veteranen  über  die 
politische  Notwendigkeit  belehrt,  gab  seine  Zustimmung.  Eine 
dieser  Legionen,  die  quinta  Alaudae,  ließ  Antonius  sofort  nach 
Italien  übersetzen.  Sie  war  von  allen  für  seine  Zwecke  die 
brauchbarste.  Von  Caesar  aus  Galliern  gebildet,  erst  im  Laufe  des 
Büigerkrieges  für  tapferes  Verhalten  zu  Römern  geadelt,  blieben 
sie  für  das  Leiden,  das  sie  über  ein  fremdes  Volk  bringen  konnten, 
vollkommen  gleichgültig.  Die  anderen  Legionen  beabsichtigte  An- 
tonius erst  heranzuziehen,  wenn  der  Buchstabe  des  Gesetzes  ihm 
nach  Ablauf  des  Jahres  die  Statthalterschaft  der  Gallia  cisalpina 
eröffnete. 

Der  Schlachtruf,  mit  welchem  Antonius  die  alten  Caesar- 
legionen ins  Feld  zu  führen  gedachte,  war  die  Rache  für  den  Er- 
mordeten. Seit  der  Leichenfeier  Caesars  hatte  Antonius  keinen 
Grund  gefunden,  seine  Liebe  zu  dem  Toten  zu  betätigen.  Im 
Gegenteil:  das  Andenken  Caesars  war  ein  Vorwurf  mehr  gegen 
seine  Staatsleitung,  die  alle  politischen  Fragen  mit  roher  Gewalt 
entschied.  Auch  war  ein  Anderer  und  Besserer  hervorgetreten, 
Caesars  Großneffe  Octavius,  der  die  Pietät  gegen  den  Toten  mit 
tiefem  Ernst  vertrat.  Jetzt  besann  sich  Antonius  plötzlich,  daß  er 
selbst  den  Lebenden  durch  ein  Gesetz  zum  Gotte  erhöht  hatte.  Vor 
den  Augen  seines  Heeres  galt  es  also,  dem  Gott  die  langversäumten 
Ehren  zu  erweisen.  In  nichts  hatte  dieser  Gott  sein  Wesen  herr- 
licher offenbart  als  in  seiner  Siegeskraft,  die  den  Widerstand  der 
Feinde  zerschmetterte.  So  sollte  denn  dieses  Heer,  in  dem  die 
Siegeskraft  des  Feldherrn  weiterlebte,  jeden  neuen  Sieg  mit  einem 
Gedenktage  des  Gottes  feiern.  Wahrlich,  das  Spiel  war  plump  und 
widerwärtig  genug,  und  man  begreift  es,  daß  ein  feinsinniger  Mann 
wie  Cicero  in  der  Senatssitzung  des  i.  September  an  einer  solchen 
Gaukelei  keinen  Anteil  haben  wollte.  Und  doch,  der  historisch  so 
bedeutsame  Widerstreit  beider  Männer  entsprang  dieser  rein 
ästhetischen  Frage.  Bald  sah  sich  Antonius,  den  von  allen  Tugen- 
den die  Geduld  am  wenigsten  zierte,  zu  rascherem  Handeln  ge- 
drängt. Jener  Knabe  Octavius,  er  fühlte  es,  er  wuchs  zu  einem 
gefährlichen  Gegner  heran. 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


37 


Gaius  Octavius  entstammte  dem  Landadel  Italiens,  der  auch  in 
den  Bürgerkriegen  die  Tugenden  der  Römer  nicht  verlernt  hatte. 
Sein  frühverstorbener  Vater  zeichnete  sich  in  hohem  Maße  aus 
durch  die  Tugend  der  Besonnenheit  und  einen  rechtlichen  Sinn. 
Sie  waren  das  Erbe  des  Sohnes.  Seine  Mutter  Atia,  eine  Nichte 
Caesars,  hatte  den  zarten  Knaben  erzogen  mit  milder,  weicher  Hand, 
Die  Reinheit  des  Gemütes  rettete  ihre  liebevolle  Hut  dem  Kinde, 
das  der  Zufall  seiner  Geburt  über  alle  Erdensöhne  erhoben  hatte. 
Frühzeitig  hatte  ihn  Caesar  herangezogen,  der  in  ihm  seinen  Erben 
sah,  und  an  Caesar,  dem  Vorbilde  aller  Herrschertugenden,  schulte 
sich  schon  das  politische  Urteil  des  Knaben.  Kaum  zum  Jünglinge 
herangereift,  erhielt  er  von  Caesar  die  äußeren  Ehrenzeichen  vor- 
nehmer Römer,  wie  den  Pontificat  und  die  Siegeszeichen  im  africa- 
nischen  Triumphe.  Den  Krieg  hätte  er  im  Gefolge  Caesars  in 
Spanien  kennen  lernen  sollen,  wo  er,  durch  Krankheit  zurück- 
gehalten, erst  nach  dem  Siege  eintraf.  Aber  noch  war  er  in  den 
Augen  des  Dictators  der  Schule  nicht  entwachsen.  Während  Caesars 
letzter  Regierungszeit  weilte  er  in  dem  stillen  Apollonia,  wo  der 
Unterricht  ausgezeichneter  Gelehrter  mit  der  Unterweisung  im 
Kriegsdienst  durch  die  waffengewohnten  Legionen  Macedoniens 
wechselte.  Hier  traf  ihn,  im  Kreise  seiner  Jugendfreunde,  die  er 
aus  den  Söhnen  der  einfachsten  Bürger  gewählt  hatte,  die  Nach- 
richt von  der  Ermordung  Caesars. 

Trotz  der  Bedenken  seiner  Umgebung  entschloß  er  sich  zur 
Fahrt  nach  Italien,  um  das  Erbe  des  Toten  anzutreten.  In  Lupiae 
gelandet,  ging  er  nach  Brundisium,  wo  ihn  die  zahlreichen  Heeres- 
teile, die  in  diesem  Hafen  der  Einschiffung  nach  Macedonien  harr- 
ten, freudig  als  Erben  und  Sohn  des  Dictators  begrüßten.  Auch  auf 
seine'  Reise  durch  die  italischen  Colonien  Caesars  reihte  sich 
Huldigung  an  Huldigung,  Der  Stimmung  der  Veteranen  seines 
Vaters  war  er  gewiß.  Aber  während  seines  Aufenthaltes  in  dem 
Hause  seiner  Mutter  in  Bajae  erkannte  er,  wie  wenig  die  Großen 
des  Reiches  gewillt  waren,  die  stillen  Hoffnungen  des  Knaben  zu 
erfüllen.  Noch  weniger  ermutigend  klangen  die  Nachrichten  aus 
Rom,  wo  Antonius  mit  frecher  Willkür  das  Erbe  Caesars  an  sich 
gerissen  hatte. 


»8  Augustus 

Da  zwang  ihn  der  Werbezug  des  Antonius,  zu  handeln.  Er 
erschien  in  Rom  und  forderte  von  dem  Praetor  Gaius  Antonius, 
dem  zweiten  Bruder  des  Consuls,  die  Anerkennung  seiner  Adoption. 
Denn  das  Gesetz  erforderte,  daß  die  Adoption,  die  durch  das 
Testament  erfolgt  war,  ein  Beschluß  der  Curien  bestätigte.  Gaius 
Antonius  weigerte  sich  und  verschob  die  Entscheidung  bis  auf  die 
Rückkehr  seines  Bruders.  Nicht  minder  übelgesinnt  war  ihm  der 
Volkstribun  Lucius  Antonius.  Doch  ließ  er  sich  endlich  bewegen, 
eine  Contio  zu  berufen,  in  der  sich  Octavius  vor  dem  Volke  als 
Erbe  Caesars  bekannte  und  die  Auszahlung  der  Legate  zusagte. 
Für  die  Antonier  war  ein  solches  Tun  des  Knaben  nur  ein  Gegen- 
stand des  Spottes.  Der  Consul,  der  nicht  nur  die  Kasse  Caesars 
geplündert  hatte,  sondern  auch  mit  den  Statuen  und  Kunstwerken 
seine  eigenen  Häuser  und  Villen  geschmückt  hatte,  hintertrieb  nach 
seiner  Rückkehr  das  Curiatgesetz  durch  das  alte  Rechtsmittel  der 
tribunicischen  Intercession.  Den  gerechten  Forderungen  des  Octa- 
vius setzte  Antonius  bei  einer  Zusammenkunft  nur  die  Ausbrüche 
seiner  üblen  Laune  entgegen.  Bald  sah  sich  Octavius  bei  der 
Übernahme  der  liegenden  Güter  Caesars,  die  ihm  nicht  verweigert 
werden  konnten,  in  lästige  Rechtsstreitigkeiten  verwickelt,  die  ein 
parteiisches  Gericht,  von  dem  Praetor  Gaius  Antonius  beeinflußt, 
stets  gegen  ihn  entschied. 

Aber  den  Namen  „Caesar",  -den  ihm  dieAntonier  mißgönnten,er 
hat  ihn  doch  getragen!  Und  so  heißt  er  fortan  in  der  Geschichte. 
Gerade  die  Grundstimmung  in  Antonius  Gemüte,  jeden  Wider- 
stand durch  rohe  Gewalt  zu  beseitigen,  gab  dem  Auftreten  des 
jungen  Caesars  erst  politische  Bedeutung.  Denn  der  zarte,  jugend- 
schöne Mann  mit  der  Bescheidenheit  seines  Alters  und  dem  tiefen 
Blick  des  besonnenen  Verstandes  gewann  die  Herzen  wie  das  Ver- 
trauen. Die  Veteranen  Caesars  scharten  sich  immer  "dichter  um 
den  Sohn  und  Erben  ihres  Feldherrn.  Als  Antonius  sich  so  weit 
vergaß,  Caesar,  der  vor  dem  Volke  die  verzögerte  Auszahlung  der 
Legate  rechtfertigte,  mit  Gewalt  von  der  Rednerbühne  zu  reißen, 
und  ihn  als  frechen  Aufrührer  ins  Gefängnis  zu  werfen  drohte,  da 
war  das  Maß  voll.  Die  Veteranen,  die  Caesar  folgten,  erklärten 
sich  im  Namen  ihres  neu  gewählten  Führers  als  Partei.    Sie    er- 


I 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius  xg 

zwangen  eine  Zusammenkunft  auf  dem  Capitol,  wo  Caesar  und 
Antonius  mit  ihrem  bewaffneten  Gefolge  erschienen  und  sich  die 
Hand  zur  Versöhnung  reichten.  Auch  hatte  Antonius  es  nicht 
verhindern  können,  daß  Caesar  im  Juli  die  Siegesspiele  des 
Dictators  mit  besonderem  Glänze  beging.  Denn  sein  ganzes  Ver- 
hältnis zu  Caesars  Veteranen,  auf  dem  seine  Macht  beruhte,  hätte 
er  gefährdet.  Diejenigen  unter  den  Anhängern  des  toten  Dic- 
tators, die  in  Wahrheit  seine  Freunde  gewesen  waren,  wie  der 
edle  Matius,  unterstützten  den  Sohn  bei  der  Feier  der  Spiele  und 
schlössen  sich  ihm  immer  näher  an.  Während  der  siebentägigen 
Dauer  des  Festes  leuchtete  ein  Comet  am  nächtlichen  Himmel. 
Dieses  Zeichen  übler  Vorbedeutung  wurde  in  der  kriegsschwangeren 
Luft  der  Zeit  zum  Beweis,  daß  der  Geist  des  Dictators  zu  den 
Göttern  entrückt  sei.  Das  Sidus  Julium,  es  leuchtete  am  Himmel 
Sieg  seinem  Sohne  in  dem  drohenden  Kampf.  Niemand  wurde  von 
diesem  Glauben  tiefer  erfaßt  als  der  junge  Caesar,  der,  von  der 
Macht  der  Gestirne  überzeugt,  sein  ganzes  Schicksal  vorausbestimmt 
sah.  Diesem  Glauben  im  Innersten  huldigend,  weihte  Caesar  in 
dem  Tempel  der  Stammmutter  des  iulischen  Geschlechtes  ein 
Standbild  des  Dictators,  auf  dessen  Scheitel  ein  Stern  erglänzte. 
Im  Irdischen  wurde  das  Vorzeichen  eine  Mahnung  mehr,  den 
Willen  des  Toten  zu  erfüllen.  Mit  der  äußersten  Anstrengung, 
auch  das  Vermögen  seiner  Freunde  und  Verwandten  ver- 
brauchend, gab  er  dem  Volke  die  letzte  Spende  des  Dictators. 

Die  Stimmung  wurde  Caesar  dem  Sohne  immer  günstiger. 
Antonius  verfiel  nun  auf  die  späte  Ehrung  des  vergötterten 
Caesars,  deren  oben  gedacht  wurde.  Und  doch  fühlte  er  sich 
dem  so  rasch  zur  Macht  emporgewachsenen  jungen  Caesar  im 
politischen  Kampfe  schon  jetzt  nicht  gewachsen.  Er  entschloß 
sich,  das  ganze  Heer  aus  Macedonien  übersetzen  zu  lassen  und  den 
Kampf  gegen  Decimus  Albinus  vor  der  Zeit  zu  beginnen.  Hier 
im  Felde,  seiner  eigentlichen  Gaben  sich  bewußt,  hoffte  er  den 
blutigen  Lorbeer  sicher  zu  erringen,  den  ihm  der  jugendliche 
Gegner  nicht  wieder  entwinden  sollte.  Vor  seinem  Abgang  zum 
Heere  ersann  er  noch  die  freche  Lüge,  Caesar  hätte  ihm  durch 
gedungene  Mörder  nach  dem  Leben  getrachtet. 


40  Augustus 

So  hatte  Antonius  Anfangs  Oktober  die  Losung  zum  Bürger- 
kriege gegeben.  Der  Kampf  Aller  gegen  Alle  hatte  begonnen. 
Wehe  dem,  der  der  Schwächere  war!  Cicero  hatte  in  seinen 
Philippiken  das  wahre  Wesen  dieses  Kampfes  gezeichnet.  Denn 
Haß  und  Angst  hatten  ihn  seit  jener  Rede,  die  er  in  der  Senats- 
sitzung des  19.  September  halten  wollte,  hellsehend  gemacht.  Wie 
widerwillig  auch  die  Gemäßigten  beider  Parteien  die  Gewalt- 
herrschaft des  Antonius  erduldet  hatten,  wo  waren  die  Mittel  zum 
bewaffneten  Widerstand?  Der  Senat  war  bereit,  in  dumpfer  Ver- 
zweiflung sich  dem  Schicksal  zu  beugen.  Da  erhob  sich  der  junge 
Caesar,  Gewalt  mit  Gewalt  zu  begegnen.  Zu  seinem  persönlichen 
Schutze  rief  er  in  Calatia  und  Casilinum  die  glorreichsten  Legionen 
aus  Caesars  Heer  wieder  unter  die  Waffen.  Nichts  hatte  er  ihnen 
zu  bieten,  als  das  Versprechen  großer  Geschenke.  Aber  der  Glanz 
des  ererbten  Namens  umgab  ihn  und  lieh  ihm  ein  Anrecht  auf 
den  Gehorsam  der  alten  Krieger.  Die  siebente  und  achte  Legion 
sammelten  sich  unter  ihre  alten  Adler  und  bildeten  den  Kern  eines 
Heeres,  das  mit  jedem  Tage  durch  Zuzug  aus  den  Colonien  der 
Veteranen  an  Stärke  wuchs.  Schwieriger  war  es  für  Caesar,  das 
Mißtrauen  des  Senates  zu  entwaffnen.  Und  doch  bedurfte  er  der 
gesetzlichen  Stütze  in  dem  ungleichen  Kampfe.  Die  Führer  der 
Caesarianer  im  Senate,  die  ihm  bereits  früher  günstig  gewesen 
waren,  bestimmten  auch  die  Gemäßigten  der  Senatspartei,  dem 
Knaben,  wie  man  ihn  nannte,  die  stillschweigende  Anerkennung 
seines  angemaßten  Heeresbefehles  zu  gewähren.  Denn  als  Vor- 
kämpfer der  Senatsherrschaft  erschien  Caesar  vor  den  Toren 
Roms.  Nachdem  der  Tribun  Cannutius  das'  Volk  über  die  fried- 
liche Gesinnung  der  außen  lagernden  Truppen  beruhigt  hatte,  be- 
trat Caesar  die  Stadt,  um  sein  Handeln  als  Notwehr  gegen  den 
gewalttätigen  Consul  zu  rechtfertigen.  Aber  diese  offene  Partei- 
nahme für  den  Senat,  so  notwendig  die  politische  Lage  sie  forderte, 
fand  nicht  den  Beifall  seines  bewaffneten  Gefolges.  Sie  hatten 
nicht  deshalb  zu  den  Waffen  gegriffen,  um  ihren  gesicherten  Be- 
sitz im  Kampfe  gegen  ihre  Waffenbrüder  in  Antonius  Heer  zu 
gefährden.  So  gefahrvoll  war  die  Stimmung,  daß  Caesar,  um 
einem  drohenden  Zusammenstoße  mit  Antonius  auszuweichen,  sein 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


41 


Heer  nach  Etrurien  führte.  Dennoch  begannen  sich  seine  Reihen 
zu  lichten,  bis  er  den  Wankelmut  seiner  Söldner  durch  Geldge- 
schenke und  neue  Versprechungen  besiegte. 

Da  tat  der  Verrat  in  Antonius  Heere,  den  Caesar  seit  langem 
vorbereitet  hatte,  seine  Wirkung,  Jetzt,  wo  die  Krone  demjenigen 
zufallen  mußte,  der  den  Söldnern  das  höchste  Gebot  zu  tun  ver- 
mochte, büßte  Antonius  für  den  Wahnwitz  seiner  Verschwendung, 
Er,  der  über  die  Schätze  des  Staates  verfügte,  wagte  es  bei  seiner 
Ankunft  in  Brundisium,  den  Legionaren  das  Bettelgeschenk  von 
400  Sesterzen  auf  den  Mann  zu  bieten.  In  welchem  Lichte  erschien 
daneben  sein  Gegner,  der,  wie  es  hieß,  sein  ganzes  Vermögen 
dahingegeben  hatte,  um  seine  tapferen  Beschützer  zu  belohnen! 
Um  so  willigeres  Gehör  fanden  die  Abgesandten  Caesars  mit  ihren 
Versprechungen  und  der  Erinnerung  an  die  herrlichen  Siege,  die 
sie  unter  dem  großen  Träger  seines  Namens  errungen  hatten.  Die 
Erbitterung  der  Soldaten,  von  Caesars  Unterhändlern  geschickt  ge- 
schürt, äußerte  sich  bald  in  offener  Empörung,  Zur  Unzeit  hand- 
habte Antonius  jetzt  die  ganze  Strenge  des  Kriegsrechtes,  ließ  die 
Rädelsführer  greifen  und  hinrichten.  Wohl  beugten  sich  dieTruppen 
für  den  Augenblick  seinem  überlegenen  Ansehen;  aber  er  hatte 
damit  den  Keim  des  Abfalles  gesät,  der  bald  hervorbrechen  sollte, 
als  Antonius  die  kaum  beruhigten  Truppen  in  Brundisium  verließ. 

Die  beständigen  Fortschritte  seines  Gegners  gestatteten  kein 
Zaudern  mehr.  Nachdem  er  den  Befehl  gegeben,  daß  das  Heer 
ihm  nachfolgen  solle,  wandte  er  sich,  begleitet  von  der  ihm  un- 
bedingt ergebenen  Legio  quinta  Alaudae  in  Eilmärschen  nach  Rom, 
wo  er  am  Abend  des  24.  Novembers  eintraf.  Hier  hatte  er  auch 
eine  letzte  Beratung  des  Senates  anberaumt,  indem  er  jeden  Senator, 
der  nicht  erscheinen  würde,  als  einen  Staatsfeind  bezeichnete.  Als 
er,  von  seiner  Leibwache  gefolgt,  in  die  Hauptstadt  einzog,  war  er 
entschlossen,  die  Acht  über  Caesar  verhängen  zu  lassen.  Da  er- 
eilte ihn  die  Nachricht,  daß  die  berühmteste  Legion  des  Heeres, 
die  Martia,  auf  dem  Marsche  von  Brundisium  nach  Rom  sich  in 
das  feste  Alba  am  Fucinersee  geworfen  und  hier  sich  offen  für 
Caeii^ar  erklärt  hätte.  So  unterblieb  die  Sitzung  des  Senates;  rasch 
wandte    sich  Antonius    zurück    nach  Tibur,    der    dort    lagernden 


A2  Augustus 

Truppen  sich  durch  ein  neues  Gelöbnis  der  Treue  zu   versichern. 
Dann  eilte  er  mit  der  Reiterei  weiter  nach  Alba  Fucens;  aber  die 
empörte  Legion   zwang   ihn   durch    Pfeilschüsse    von    der    Höhe 
der  Mauer  herab  zum  Rückzug.    Wieder  nach  Rom  zurückeilend, 
mußte  Antonius  trachten,    in   der  Hauptstadt  zu  einem  Ende   zu 
kommen,  um  sein  Heer  unmittelbar  gegen  den  Feind  nach  Norden 
zu  führen;  auf  dem  Schlachtfelde  glaubte  er  ihrer  Treue  sicher  zu 
sein.    So    begannen   denn   am  Abend  des  28.  Novembers  die  Be- 
ratungen des  Senates.  Aber  die  Achterklärung  gegen  Caesar  unter- 
blieb.  Denn  bereits  hatte  Antonius  Kenntnis  erhalten,    daß    auch 
die  Legio  quarta  unter  der  Führung  des  Quaestors  Egnatuleius  zu 
Caesar  übergetreten  war.  Nichts  als  ein  Dankfest  für  vermeintliche 
Siege  des  Lepidus  wurde  beschlossen;  außerdem  bestimmteAntonius 
noch  für  die  Statthalterposten  der  Provinzen  seine  zuverlässigsten 
Anhänger.   Er  mußte   es  dem  Zufall  überlassen,   ob   es  ihnen  ge- 
lingen werde,    ihr  scheinbares  Recht  in  wirklichen  Besitz  zu  ver- 
wandeln.   Mit    einem    um   die    Hälfte   geschwächten    Heere    trat 
Antonius  Anfangs  Dezember  den  Marsch  gegen  Decimus  Albinus 
an.   Raub  und  Brand  bezeichneten  die  Spuren  seiner  zuchtlosen 
Scharen.    Es   war  nicht  sein  Verdienst,   daß  noch  so  viele  seiner 
Fahne  folgten.  Denn  die  beiden  anderen  Legionen  des  macedoni- 
schen  Heeres  hatten  nur  aus  Abneigung  gegen  Caesars  Sache  an 
ihm  festgehalten.   Diese,  die  secunda  und  tricesima  quinta,   hatte 
Caesar  der  Vater  während  des  Bürgerkrieges  aus  den  Soldaten  der 
besiegten  Feinde  gebildet.   In  diesen  alten  Pompeiussoldaten  lebte 
der  Haß  gegen    den  Namen  Caesars    fort,    nur    bei    ihnen    hatte 
Caesar  der  Sohn  mit  seinem  erborgten  Gelde  vergeblich  geworben. 
Der  triumphierende  Auszug    des  Antonius  war  in  Wahrheit   zum 
fluchtartigen  Rückzug  geworden.   Alle  die  Fehler  seiner  gewalt- 
samen Politik  hatten  ihn  von  dem  Ziele  seines  Ehrgeizes  nur  ab- 
getrieben. Wenn  er  endlich  doch  als  Sieger  aus  dem  verzweifelten 
Spiele  hervorgehen  sollte,  so  dankte  er  es  nur  seinem  überlegenen 
Gegner,   der  gegen  ihn  gerüstet  hatte  mit  dem  Gedanken,    das 
Bündnis  mit  ihm  zu  erzwingen. 

Die  Gewalt  der  Ereignisse  drängte  denn  endlich  auch  Brutus 
und  Cassius,  die  bis  in  den  August  hinein  in  Unteritalien  gezaudert 


2.  Das  Consulat  des  Marcus  Antonius 


43 


hatten,  zum  Handeln.  Inzwischen  war  es  dem  Einfluß  der  Frauen 
ihres  Kreises  gelungen,  ihre  Verbannung  aus  Italien  zu  mildern, 
indem  ihnen  die  Verwaltung  der  Provinzen  Greta  und  Cypern  für 
das  folgende  Jahr  übertragen  wurde.  Vielleicht,  daß  sie  sich  ge- 
fügt hätten,  wäre  Antonius  nicht  vor  der  gesetzlichen  Zeit  dazu 
geschritten,  dem  Decimus  Albinus  Gallia  cisalpina  zu  entreißen. 
Es  war  der  offene  Kampf  gegen  die  Partei  der  Caesarmörder,  und 
so  griffen  auch  Brutus  und  Cassius  zum  Schwerte.  Der  Nebel 
falscher  Gesetzlichkeit  zerriß  vor  ihren  Augen;  auch  sie  traten 
nicht  mehr  für  die  Rechte  des  Freistaates  ein,  sondern  sie  forderten 
in  dem  Kampf  um  Caesars  Erbe  den  Teil  an  Macht,  den  ihnen  der 
Tyrann  selbst  zugedacht  hatte.  Schon  bildete  der  junge  Träger 
des  ihnen  so  verhaßten  Namens  ein  Heer,  das  ihre  persönliche 
Sicherheit  bedrohte,  als  sie  die  Fahrt  nach  dem  Osten  des  Reiches 
antraten.  Die  Schnelligkeit,  mit  der  Brutus  in  Macedonien,  Cassius 
in  Syrien  als  Statthalter  anerkannt  wurden,  zei^t  gegen  alle  Zweifel, 
daß  sie  sich  auf  einen  Rechtsgrund  stützten,  der  in  dieser  Zeit  für 
voll  galt. 


3-  Der  Krieg  um   Mutina 

Mit  ungeheurer  Spannung  verfolgte  man  in  ganz  Italien  die 
Entwicklung  der  Ereignisse.  Was  man  nicht  mehr  zu  hoffen 
gewagt  hatte,  das  war  nun  doch  eingetreten:  Der  gewalttätige 
Consul,  der  mit  seinen  Scharen  die  Freiheit  des  Senates  und  das 
Eigentum  der  Bürger  bedroht  hatte,  er  wich  als  ein  Überwundener 
aus  Italien.  Das  starke  Heer  Caesars,  das  an  der  Grenze  Umbriens 
und  Etruriens  in  Spoletium  versammelt  stand,  deckte  die  Hauptstadt 
gegen  jeden  Angriff.  Die  zersprengte  Partei  der  Gemäßigten 
sammelte  sich  Anfangs  Dezember  wieder  in  Rom.  Zögernd,  aber 
doch  darin  einig,  Antonius  Widerstand  zu  leisten,  ging  man 
daran,  die  gesetzmäßige  Regierung  wieder  ins  Leben  zu  rufen. 

Niemand  beteiligte  sich  an  dem  Werke  der  Wiederherstellung 
der  Senatsherrschaft  mit  größerem  Eifer  als  Marcus  Tullius  Cicero. 
Der  unerschütterliche  Glaube  an  das  ewige  Recht  des  Senates,  den 
er  in  seinem  Handeln  zur  Schau  trug,  entsprang  seinem  glühenden 
Haß  gegen  Antonius.  Er,  der  in  früheren  Zeiten  so  oft  durch  die 
Trugbilder  seiner  Wünsche  irregeführt  worden  war,  jetzt  erkannte 
er  zum  ersten  Male  in  seinem  Leben  mit  voller  Klarheit  die  poli- 
tische Lage.  Die  Gewalt  in  Antonius  Händen  bedeutete  für  Italien 
die  Wiederkehr  der  furchtbaren  Tage  Sullas,  die  er  in  seiner  Jugend 
mit  Zittern  geschaut.  Alle  Kraft,  deren  seine  Natur  fähig  war,  hat 
er  eingesetzt  in  diesem  Kampfe,  der  nicht  nur  seiner  persönlichen 
Sicherheit  galt.  Seit  den  Tagen,  wo  er  als  Consul  den  Aufruhr 
Catilinas  erstickte,  hat  er  sich  berufen  geglaubt,  den  Staat  zu  leiten, 
der  verhängnisvolle  Irrtum  seines  Lebens.  Der  Zwiespalt  zwischen 
Wollen  und  Können  wurde  eine  Quelle  unablässiger  Leiden  für  den 
von  brennendem  Ehrgeiz  verzehrten  Consular.  Er  selbst  hat  die 
Qualen  seines  Innern,   die  er  in  den  folgenden  Jahren  erduldete, 


3-  Der  Krieg  um  Mutina  ^c 

offen  ausgesprochen  in  dem  Briefwechsel  mit  seinem  vertrauten 
Freunde  Atticus.  Wir  folgen  allsnSchwankungen  einer  feinfühligen, 
reizbaren  Natur,  der  es  trotz  hoher  Begabung  an  der  Weite  des 
Blickes  fehlte,  um  die  Notwendigkeit  der  Umwandlung  des  Staates, 
die  sich  vor  seinen  Augen  vollzog,  zu  erkennen.  Wenn  wir  klarer 
sehen  als  Cicero,  so  danken  wir  unsere  bessere  Einsicht  nur  der 
Weite  des  Abstandes,  die  uns  von  jenen  Ereignissen  trennt.  Des- 
halb geziemt  es  der  historischen  Gerechtigkeit  wenig,  die  Anklagen 
gegen  Ciceros  Kurzsichtigkeit  beständig  zu  häufen  und  die  Beweis- 
mittel ausCicerosFreundesbriefen  mit  demEifer  desCriminalrichters 
zusammenzutragen.  Ist  Cicero  der  einzige  seiner  Zeitgenossen  ge- 
wesen, der  die  politische  Lage  verkannte,  den  Wert  seiner  eigenen 
Persönlichkeit  überschätzte?  Sein  Charakterbild  darf  in  der  Ge- 
schichte nicht  deshalb  zum  Zerrbild  werden,  weil  er  dank  seiner 
unvergleichlichen  Stellung  in  der  Literatur  seines  Volkes  der  einzige 
antike  Mensch  ist,  den  wir  wie  einen  Zeitgenossen  kennen.  Im 
Grunde  genommen  entspringt  diese  schiefe  Beurteilung  Ciceros  nur 
einem  Mangel  an  historischer  Perspective.  Ciceros  Gestalt  erscheint 
uns  in  unmittelbarer  Nähe,  alle  anderen  Menschen  seiner  Zeit 
erblicken  wir  wie  in  weiter  Ferne.  Und  doch  entwerfen  wir 
die  Zeichnung  in  dem  Maßstabe  der  sinnlichen  Erscheinung.  In 
Wahrheit  ist  Cicero  bis  auf  die  Zeit,  in  die  wir  jetzt  eintreten,  ein 
Parlamentarier  von  geringem  Einflüsse,  also  ein  Mann,  dessen  Name 
in  der  politischen  Geschichte  kaum  genannt  zu  werden  braucht. 
Noch  verkehrter  ist  diese  hämische  Beurteilung  Ciceros  im  psycho- 
logischen Betracht.  Einer  so  leicht  erregbaren,  von  jedem  Eindruck 
anders  bewegten  Natur  gerecht  zu  werden,  ist  an  sich  schwer.  Es 
fehlt  ihr  das  im  Wechsel  der  Ereignisse  beharrende  Element,  mit 
einem  Worte  der  Charakter.  Eine  solche  Natur  ist  gewiß  zum 
Politiker  verdorben.  Aber  diese  Schwäche  zum  Maßstab  der  ganzen 
Persönlichkeit  zu  machen,  das  historische  Bild  des  Mannes  dar- 
nach zu  entwerfen,  ist  völlig  verfehlt.  Es  ist  gewiß  für  den  Ge- 
schichtsschreiber von  Nutzen,  daß  er  Ciceros  Beweggründe  kennt, 
wo  dieser  wirklich  handelnd  eingreift,  aber  sonst  sind  die 
Schwankungen  seines  politischen  Urteiles  nur  ein  Gegenstand  seiner 
Biographie.  Auch  sein  Gegensatz  zu  Antonius  ist  rein  persönlicher 


4,6  Augustus 

Art,  der  Gegensatz  feiner  Bildung  gegen  das  Faustrecht  roher 
Gewalt.  Auch  jetzt  ist  sein  politischer  Einfluß  nur  gering;  darüber 
darf  doch  der  Lärm  seiner  eigenen  Reden,  während  alle  die 
Leidenschaften,  die  den  Senat  durch  Monate  erschütterten,  für 
immer  verstummt  sind,  nicht  täuschen. 

Es  trat  bald  zutage,  daß  Antonius  im  Senate  nicht  nur  offene 
und  geheime  Anhänger  zählte,  sondern  daß  vor  allem  die  Partei 
der  Gemäßigten  zu  entscheidenden  Schritten  nicht  zu  bewegen  war. 
Gerade  bei  den  besten  Männern  dieser  Partei  war  die  Abneigung 
gegen  den  Caesarmörder  Decimus  Albinus,  den  der  Senat  in  dem 
Besitz  seiner  Provinz  schützen  sollte,  stärker  als  selbst  die  Furcht 
vor  Antonius.  Decimus  Albinus  hatte  durch  Aushebungen  sein 
Heer  auf  vier  Legionen  verstärkt  und  den  jungen  Truppen  in  einem 
Alpenkriege  Gelegenheit  gegeben,  kriegerische  Übung  zu  erwerben. 
Beim  Herannahen  des  Antonius  fühlte  er  sich  zu  schwach,  das  Feld 
zu  halten,  und  zog  sich  hinter  die  Mauern  von  Mutina  zurück.  Von 
hier  aus  hatte  er  ein  Edict  nach  Rom  gesandt,  in  dem  er  erklärte, 
die  Provinz  in  dem  Gehorsam  des  Senates  zu  erhalten.  Als  dieses 
Schreiben  am  20.  Dezember  im  Senate  verlesen  wurde,  da  zeigte 
es  sich,  daß  es  eine  Partei,  die  die  Herrschaft  des  Senates  über  die 
Provinzen  verteidigte,  gar  nicht  gab.  Nicht  nur,  daß  die  designierten 
Consuln  des  folgenden  Jahres,  Hirtius  und  Pansa,  deren  Meinung 
für  den  Beschluß  entscheidend  sein  mußte,  in  der  Sitzung  nicht 
erschienen,  es  fehlte  nicht  viel,  und  der  Senat  hätte  den  Statthalter, 
der  seine  Sache  gegen  den  rebellischen  Consul  verteidigte,  offen 
verleugnet.  Nur  mit  Mühe  erreichte  es  Cicero,  daß  der  Senat  die 
Haltung  des  Decimus  Albinus  billigte,  alle  seine  anderen  Anträge, 
die  auf  eine  sofortige  Kriegserklärung  an  Antonius  abzielten,  fielen 
zu  Boden.  Entscheidende  Beschlüsse  verschob  man  auf  den  Amts- 
antritt der  neuen  Consuln,  auf  den  i.  Januar  des  Jahres  43. 

Der  Krieg,  den  zu  führen  oder  zu  vermeiden  man  noch  beraten 
wollte,  war  inzwischen  bereits  entbrannt,  da  Antonius  Mutina  ein- 
geschlossen hatte,  vor  dessen  Mauern  der  Kampf  Tag  für  Tag 
tobte.  Das  einzige  Heer,  das  den  Abzug  des  Antonius  hätte  er- 
zwingen können,  stand  unter  der  Führung  Caesars  bei  Spoletium. 
Durch  neue  Geldspenden  hatte  er  der  Treue   dieses    Heeres   sich 


3-  Der  Krieg  um  Mutioa  aj 

versichert.  Wollte  der  Senat  seine  Oberherrschaft  in  Italien,  ja  in 
der  Hauptstadt  selbst  ausüben,  so  konnte  er  dies  nur,  indem  er 
Caesar  in  seinem  angemaßten  Heeresbefehl  bestätigte.  Denn  von 
den  Statthaltern  der  Provinzen  war  Hülfe  für  den  Senat  nicht  zu 
hoffen,  sie  erhöhten  nur  die  Schwierigkeit  der  Lage.  Gleich 
Decimus  Albinus  hatten  auch  die  Statthalter  von  Spanien  und 
Gallien  ihre  Heere  vermehrt,  bereit,  in  dem  beginnenden,  kriege- 
rischen Reigen  ihren  Platz  zu  behaupten.  Der  mächtigste  von 
ihnen,  Aemilius  Lepidus,  dessen  Fahnen  jetzt  auch  drei  wieder 
aufgerufene  Veteranenlegionen  Caesars  folgten,  stand  zu  Antonius 
in  so  vertrauter  Beziehung,  daß  sie  kaum  von  einem  Bündnis  zu 
unterscheiden  war.  Umso  weniger  waren  der  wankelmütige  Muna- 
tius  Plancus  und  der  hochstrebende  Asinius  Pollio  geneigt,  ihre 
Hoffnung  auf  den  machtlosen  Senat  zu  bauen.  So  war  Vorsicht 
dringend  geboten,  sollte  die  Senatsherrschaft  nicht,  beim  ersten 
Versuch,  sie  auszuüben,  in  Nichts  zerfallen. 

Diese  unklare,  ängstliche  Stimmung  der  führenden  Partei  im 
Senate  trat  deutlich  hervor,  als  der  Consul  Pansa  am  i.  Januar 
dem  erklärten  Haupte  der  Antonianer  Fufius  Calenus  zuerst  das 
Wort  bei  der  Beratung  gab.  Denn  nach  römischer  Sitte  behielt 
er  das  wichtige  Vorrecht  bei  allen  Verhandlungen  des  Senats  für 
die  ganze  Dauer  des  Jahres.  Die  Absicht  der  leitenden  Männer, 
mit  Antonius  wenn  möglich  zu  einer  Verständigung  zu  gelangen, 
lag  in  diesem  Schritte  und  rief  den  Antrag  des  Calenus  hervor, 
Gesandte  an  Antonius  zu  schicken,  um  mit  ihm  über  die  Räumung 
derGallia  cisalpina  zu  verhandeln.  Was  die  Gemäßigten  erstrebten, 
war  Zeitgewinn,  um  dem  Senat  ein  Heer  durch  neue  Aushebungen 
zu  schaffen.  Denn  die  Rüstungen  blieben  mehr  als  unvollkommen, 
solange  Caesars  Heer  den  einzigen  Schutz  bildete.  Auch  schien 
es  ja  möglich,  daß  Antonius,  wie  seine  Anhänger  behaupteten,  nur 
die  Sicherung  seiner  Stellung  im  Staate  über  die  Zeit  seines  Con- 
sulates  hinaus  begehrte.  So  rasch  war  jedoch  die  Mehrheit  für  den 
Gedanken  der  Versöhnung  nicht  gewonnen,  da  die  Gegner  des 
Antrages,  die  die  Kriegserklärung  an  Antonius  forderten,  in  Cicero 
ein  beredtes  Haupt  besaßen.  Dennoch  siegten  am  4.  Januar  die 
Gemäßigten:  Die  Gesandten  sollten  an  Antonius  die  Forderungen 


4  8  Augustus 

des  Senates  überbringen,  ohne  die  ein  Waffenstillstand  unmöglich 
schien.  Antonius  sollte  die  Belagerung  von  Mutina  aufheben,  mit 
seinem  Heere  auf  den  Boden  Italiens  zurückkehren  und  der  Stadt 
Rom  auf  nicht  mehr  als  40  Meilen  sich  nähern.  Mit  anderen 
Worten:  er  hätte  sich  der  Entscheidung  des  Senates  unterwerfen 
müssen.  Wie  dieser  Beschluß  zustande  kam,  wissen  wir  nicht; 
aber  er  ist  ein  Beweis,  daß  Hirtius  und  Pansa,  so  ehrenhaft  sie 
waren,  so  treffliche  Soldaten,  das  Gemeinwesen  in  so  stürmischen 
Zeiten  zu  leiten  nicht  fähig  waren.  Die  Wahl  der  Gesandten  zeigte 
so  recht  das  unnatürliche  Bündnis,  aus  dem  die  Mehrheit  des 
Senates  hervorging.  Es  waren  Servius  Sulpicius,  Calpurnius  Piso, 
der  Schwiegervater  des  Dictators,  Marcius  Philippus,  der  Stief- 
vater des  jungen  Caesars.  Also  die  Mehrheit  gehörte  der  Partei 
der  Caesarianer  an  und  hatte  gar  keine  Neigung,  den  Caesar- 
mörder Decimus  Albinus  zu  schützen. 

Unberechenbar  stand  noch  immer  Caesar  an  der  Spitze  seines 
Heeres.  Die  Senatspartei  haßte  und  fürchtete  in  ihm  den  Rächer 
des  Toten.  Die  Caesarianer  ertrugen  gleich  Antonius  mit  Wider- 
willen den  tatenlosen  Knaben,  der  sie  zu  verdunkeln  drohte.  Er 
selbst  trat  bei  aller  äußeren  Zurückhaltung  seinem  Heere  gegen- 
über als  der  Erbe  des  Thrones  auf.  Seine  Machtstellung  war  sein 
gutes  Recht.  Nicht  vermessener  Ehrgeiz  war  sein  hohes  Streben, 
sondern  das  Bewußtsein  eines  zur  Herrschaft  einzig  befähigten 
Mannes,  der  an  Voraussicht,  Klarheit  des  Wollens  und  Sicherheit 
des  Entschlusses  trotz  seiner  Jugend  Alle  überragte.  Kein  Zwang 
der  Verhältnisse  hat  je  ihn  irre  gemacht  an  seinem  Wege;  wo  er 
sich  zu  beugen  schien,  erkannte  er  bereits  die  Mittel,  die  gesetz- 
losen Gewalten  zu  bezwingen,  und  unmerkbar  schuf  er  von  Anfang 
an  dem  Neubau  des  Staates,  an  der  hohen  Aufgabe,  ein  durch  jahr- 
zehntelanges Leiden  zerrüttetes  Volk  wieder  aufzurichten.  Was  er 
jetzt  bedurfte,  war  sich  Raum  zu  schaffen,  um  das  Ziel  sich  selbst 
zu  setzen.  Notgedrungen  bewilligte  ihm  der  Senat,  dessen  Willen  er 
nicht  zu  beeinflussen  schien,  die  gesetzmäßige  Gewalt  und  gab  ihm 
ein  Anrecht  auf  den  Gehorsam  seines  Heeres.  Als  Propraetor  sollte 
er  unter  den  Consularen  sein  Stimmrecht  ausüben.  Zu  Spoletium 
war  es,  inUmbrien,daß  er  am  7.Januar  die  Abzeichen  des  Imperiums 


(iAl  LS    0(J  TAX  1  l   S 


3-  Der  Krieg  um  Mutina 


49 


anlegte,  um  sie  nie  wieder  abzulegen.  Der  Tag  war  der  Geburts- 
tag seiner  monarchischen  Gewalt  und  wurde  als  der  Tag  der  Be- 
gründung des  Kaiserstaates  bis  in  späte  Zeiten  gefeiert.  Er  ertrug 
es,  seines  Einflusses  auf  das  Heer  sicher,  daß  Hirtius,  froh  dem 
Ratsaal  zu  entrinnen,  kraft  seiner  höheren  Amtsgewalt  den  Ober- 
befehl über  das  Heer  übernahm  und  die  beiden  macedonischen 
Legionen  persönlich  führte.  Pansa  sollte  in  ganz  Italien  Mann- 
schaften ausheben,  um  das  Heer  des  Senates  zu  verstärken.  Vor- 
erst hinderte  schon  die  Jahreszeit  kriegerische  Unternehmungen, 
auch  bedingten  die  Verhandlungen  mit  Antonius  eine  Waffenruhe. 
Für  den  Ausgang  der  Gesandtschaft  war  es  von  entscheidender 
Bedeutung,  daß  der  einzige,  dem  es  Ernst  war  mit  der  Friedens- 
liebe, der  die  Hoheit  des  Senates  wirklich  zu  verteidigen  gedachte, 
Servius  Sulpicius,  der  Anstrengung  der  winterlichen  Reise  erlag. 
Antonius  verweigerte  den  überlebenden  Gesandten  mit  gutem  Recht 
jeden  Verkehr  mit  den  Belagerten.  Dann  stellte  er  seine  Gegen- 
forderungen, denen  er  durch  das  laute  Getöse  des  Belagerungs- 
krieges, den  er  angesichts  der  mehr  als  unkriegjrischen  Gesandten 
fortführen  ließ,  einen  kräftigen  Nachhall  lieh.  Es  war  berechtigt, 
wenn  er  die  Bestätigung  der  Landanweisungen,  die  er  seinen 
Soldaten  zugesichert  hatte,  vom  Senate  forderte,  und  unvermeidlich, 
daß  er  für  alle  Gewalttaten  seines  Consulates,  die  er  Amtshand- 
lungen nannte,  keine  Rechenschaft  geben  wollte.  Aber  es  war  un- 
erträglich, daß  er  die  Gallia  cisalpina  nur  mit  der  Gallia  comata 
vertauschen  wollte  und  sein  Heer  von  sechs  Legionen  zu  entlassen 
vei sprach,  wenn  er  ein  neues  von  gleicher  Stärke  aufstellte,  dessen 
Kern  die  Legionen  des  Decimus  Albinus  bilden  sollten.  Denn  dann 
erreichte  er  die  Entwaffnung  des  Caesarmörders  ohne  Kampf  und 
gewann  noch  durch  die  nahe  Verbindung  mit  seinem  Bundes- 
genossen Lepidus.  Dem  Senat  blieb  keine  Wahl,  als  den  trotzigen 
Ccnsular  durch  Gewalt  der  Waffen  zur  Anerkennung  seiner  Ober- 
hoheit zu  zwingen.  Zwar  wagten  es  die  Anhänger  des  Antonius, 
wie  Fufius  Calenus,  einer  zweiten  Gesandtschaft  das  Wort  zu  reden; 
sein  Abgesandter  Varius  Cotyla,  der  mit  den  Gegenforderungen  in 
Rom  eingetroffen  war,  scheute  kein  Mittel  der  Drohung  und  Be- 
stechung, um  dem  Antrag  im  Senate  zum  Siege  zu  verhelfen;  aber 

Domaszc  wski.     I.  4 


CQ  Augustus 

die  wahre  Absicht  des  Antonius,  seine  Macht  zu  verstärken  und 
den  Krieg  erst  recht  nach  Italien  zu  tragen,  lag  klar  zutage.  So 
beschloß  der  Senat,  das  Kriegskleid  am  4.  Februar  anzulegen;  das 
Vaterland  wurde  in  Gefahr  erklärt  und  die  Consuln  angewiesen, 
alle  Kräfte  des  Staates  gegen  Antonius  aufzubieten.  Noch  hatte 
man  nicht  die  Acht  über  Antonius  verhängt,  aber  tatsächlich  war 
eingetreten,  was  Cicero  bereits  am  i.  Januar  als  unvermeidlich 
vorausgesagt  hatte. 

Ehe  der  Senat  die  Beschlüsse  gefaßt  hatte,  waren  die  Truppen 
des  Hirtius  und  Caesar  zum  Entsätze  des  Decimus  Albinus  gegen 
Mutina  vorgerückt.  Schon  am  folgenden  Tage,  dem  3.  Februar, 
traf  der  Bericht  des  Consuls  ein,  daß  die  Vortruppen  des  Antonius 
bei  Claterna  zurückgeworfen  seien.  Diese  Siegesnachricht  ent- 
zündete das  kriegerische  Feuer  des  Senates,  und  die  Partei  des 
entschiedenen  Handelns  gewann  die  Oberhand.  Von  banger  Sorge 
ging  man  zu  leerem  Hoffen  über.  Als  ob  die  Truppen  des  Antonius 
mit  diesem  leichten  Gefecht  bereits  vernichtend  geschlagen  wären, 
wurde  ihnen  volle  Verzeihung  zugesichert,  wenn  sie  ihren  Feld- 
herrn bis  zum  15.  März  verließen.  Die  Amtshandlungen  des  Rebellen 
wurden  aufgehoben,  er  selbst  zur  Verantwortung  gezogen  für  den 
Raub  am  Staatsgute.  Aber  die  Erfolge  im  Felde  entsprachen 
keineswegs  so  vernichtenden  Worten.  Antonius  hielt  nach  wie  vor 
Mutina  eng  eingeschlossen;  seine  Truppen  waren  bis  Parma  im 
Norden  und  Bononia  im  Süden  vorgeschoben;  durch  die  überlegene 
Reiterei  sicherte  er  den  Zusammenhang  seiner  weitgedehnten 
Stellung.  Unbeweglich  standen  ihm  lange  Zeit  die  Truppen 
des  Senates  in  Claterna  und  bei  Forum  Cornelii  gegenüber,  ob- 
wohl sie  selbst  ein  Parteigänger  des  Antonius,  Ventidius  Bassus, 
mit  drei  im  Picenischen  gebildeten  Legionen  im  Rücken  bedrohte. 
Es  scheint,  daß  Hirtius  sich  zu  einem  entscheidenden  Schlage  zu 
schwach  fühlte  und  das  Eintreffen  Pansas,  der  die  neugebildeten 
Legionen  aus  Rom  heranführte,  abwarten  wollte.  Schwerer  noch 
hemmte  Hirtius  am  Handeln  die  Mißstimmung  im  eigenen  Heere. 
Gerade  die  Veteranenlegionen,  die  7.  und  8.,  weigerten  sich,  für  den 
Caesarmörder  zu  kämpfen.  Aber  die  steigende  Not  der  Einge- 
schlossenen zwang  später  Hirtius,  näher  an  Mutina  heranzurücken. 


3.  Der  Krieg  um  Mutina  ci 

Dem  Druck  des  überlegenen  feindlichen  Heeres  nachgebend,  räumte 
Antonius  Bononia,  verteidigte  jedoch  den  Übergang  über  die 
Scultenna,  die  unmittelbar  östlich  von  Mutina  dem  Po  zufließt,  mit 
solcher  Zähigkeit,  daß  Hirtius,  den  geraden  Vormarsch  auf  Mutina 
wieder  aufgebend,  die  aemilische  Straße  verließ  und  weiter  nörd- 
lich nahe  an  Mutina  ein  befestigtes  Lager  bezog.  Von  hier  aus 
gelang  es  ihm,  mit  Decimus  Albinus  in  Verbindung  zu  treten  und 
wiederholt  Lebensmittel  in  die  belagerte  Stadt  zu  werfen. 

Da  erhielt  er  die  Nachricht,  daß  Pansa  mit  vier  neugebildeten 
Legionen  in  Ariminum  eingetroffen  sei.  Die  Gefahr,  daß  Antonius 
diese  ungeschulten  Truppen  beim  weiteren  Vorrücken  gegen  Mutina 
durch  einen  plötzlichen  Angriff  vernichtend  schlagen  würde,  war 
groß.  So  entschloß  sich  Hirtius,  dem  Heere  Pansas  die  vielbe- 
wunderte Martia  und  Caesars  unbesiegbare  Cohors  praetoria  unter 
Sulpicius  Galbas  und  Carfulenus  Führung  entgegenzusenden. 
Schon  waren  die  vereinigten  Heere  Pansas  bei  Bononia  einge- 
troffen, als  Antonius  beschloß,  ihnen  beim  Dorfe  Forum  Gallorum 
einen  Hinterhalt  zu  legen.  In  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  April 
überschritt  er  mit  den  beiden  macedonischen  Legionen  und  zwei 
praetorischen  Cohorten  die  Scultenna.  Eine  dieser  praetorischen 
Cohorten  gehörte  dem  Heere  des  Marcus  Silanus  an.  Lepidus 
hatte  Silanus  mit  einem  Heeresteil  nach  Oberitalien  entsendet, 
um  Antonius  zu  beobachten,  worin  für  ihn  nur  eine  Aufforderung 
lag,  zu  Antonius  überzugehen. 

Der  Damm  der  aemilischen  Straße  führte  zwischen  Bononia 
und  Forum  Gallorum  durch  ein  sumpfiges,  mit  hohem  Buschwerk 
bestandenes  Gelände;  Antonius  gedachte  den  Gegner  auf  dem 
Marsche  durch  diese  Enge  anzugreifen.  Als  am  folgenden  Morgen 
die  Legio  ]\Iartia  und  die  prätorischen  Cohorten  Caesars  und  Pansas, 
die  zuerst  aus  dem  Lager  von  Bononia  aufgebrochen  waren,  dem 
Dorfe  Forum  Gallorum  sich  näherten,  erblickten  sie  vor  dem  Dorfe 
Reiterabteilungen  des  Feindes.  Von  ungestümem  Kampfeseifer  ge- 
trieben ging  Pansas  Heer  zum  Angriff  vor.  Da  entwickelten  sich 
die  Legionen  des  Antonius  zu  beiden  Seiten  des  Straßendammes, 
zum  Teil  im  hohen  Schilfrohr  und  im  Gebüsch  verborgen,  während 
die  prätorischen  Cohorten   aus   dem  Eingange   des  Ortes   hervor- 

4* 


K  2  Augustus 

brachen.  Völlig  überrascht  hielten  die  Veteranen  Pansas  dem  An- 
griff stand,  rechts  von  der  Straße  traten  acht  Legionscohorten  dem 
Feinde  entgegen,auf  demStraßendamme  selbst  focht  die  prätorische 
Cohorte  Caesars,  links  von  der  Straße  zwei  Legionscohorten  und 
die  prätorische  Cohorte  Pansas.  Die  Schlacht  war  in  vollem  Gange, 
als  Pansa  bei  seinem  Heere  eintraf  und  persönlich  die  Führung  des 
am  meisten  gefährdeten  linken  Flügels  übernahm,  in  der  Mitte  be- 
fehligte Carfulenus,  den  rechten  Flügel  Galba.  In  dem  blutigen 
Ringen  wurde  die  35.  Legion  des  Antonius  von  den  Marssoldaten 
zum  Weichen  gebracht.  Da  warf  sich  Antonius  mit  seinen  Reitern 
dem  siegreich  vordringendenHeerePansas  entgegen;  die  prätorische 
Cohorte  Caesars,  die  nicht  vom  Platze  wich,  wurde  zusammen- 
gehauen und  auch  der  linke  Flügel,  im  Rücken  bedroht,  zurück- 
gedrängt. In  diesem  gefahrvollen  Augenblick  wurde  Pansa,  der  in 
den  ersten  Reihen  gefochten  hatte,  zum  Tode  getroffen,  vom 
Kampfplatz  getragen.  Der  Fall  des  Feldherrn  entschied  den 
Rückzug  des  ganzen  Heeres.  Trotz  des  Nachdrängens  der  Feinde 
gingen  diese  schlachtgestählten  Krieger  in  dem  schwierigen  Ge- 
lände in  guter  Ordnung  zurück,  als  die  jungen  Truppen,  denen 
Pansa  aus  dem  Lager  von  Bononia  nachzufolgen  befohlen  hatte, 
in  vollem  Laufe  auf  die  Kämpfenden  stießen.  Ohne  einen  Augen- 
blick zu  stehen,  wandten  sie  sich,  so  rasch  sie  gekommen  waren, 
wieder  zur  Flucht,  die  Speere  gegen  ihre  Kameraden  schleudernd. 
Sie  sammelten  sich  erst  hinter  den  Wällen  des  Lagers,  die  sie 
besser  schützten  als  ihr  eigener  Mut.  Die  Veteranen  dagegen  boten 
dem  Feinde  vor  den  Schanzen,  die  sie  in  geschlossener  Ordnung 
erreichten,  von  neuem  die  Stirne. 

Die  Verfolgung  endete  bei  Bononia,  und  in  vollem  Siegesjubel 
kehrte  das  Heer  des  Antonius  nach  Mutina  zurück.  Da  ereignete 
sich  das  Unerwartete  für  Sieger  und  Besiegte.  Hirtius  war  auf 
die  Nachricht  von  dem  Kampfe,  der  bei  Forum  Gallorum  tobte,  mit 
der  7.  und  4.  Legion  aufgebrochen  und  stieß  am  späten  Nachmittag 
auf  die  sorglos  dahinziehenden  Scharen  des  Antonius.  Ehe  diese 
noch  Zeit  gewonnen  hatten,  sich  zur  Schlacht  zu  ordnen,  wurden 
sie  angegriffen  und  unter  furchtbaren  Verlusten  auseinander- 
gesprengt. Alle  ihre  Fahnen  fielen  bei  der  vernichtenden  Niederlage 


3.  Der  Krieg  um  Mutina  e^i 

in  die  Hände  des  Feindes.  Daß  dieser  Kampf  mit  solcher  Er- 
bitterung ausgefochten  wurde,  lag  in  dem  tiefen  Hasse  der  Streiter 
begründet.  Denn  die  Caesarsoldaten  übten  Vergeltung  mit  dem 
ganzen  Ingrimm  langgenährter  Feindschaft  an  den  Soldaten  aus 
Pompeius  Heer,  die  noch  mit  dem  Blute  ihrer  besiegten  Kame- 
raden befleckt  waren.  Nur  mit  Hilfe  seiner  überlegenen  Reiterei 
gelang  es  Antonius,  wenigstens  einen  Teil  seines  Fußvolkes  wieder 
zu  sammeln  und  das  Lager  vor  Mutina  zu  erreichen.  Lucius 
Antonius  hatte  am  gleichen  Tage  die  Werke  des  Senatsheeres 
vor  Mutina  angegriffen.  Aber  weder  vermochte  er  die  Aufmerk- 
samkeit des  Hirtius  zu  täuschen,  noch  die  Schanzen  zu  zwingen, 
die  Caesar  mit  geringer  Macht  tapfer  verteidigte. 

In  Rom  hatte  sich  schon  am  20.  April  ein  Gerücht  verbreitet 
von  dem  Siege,  den  Antonius  an  der  Scultenna  erfochten  hätte. 
Aber  der  Jubel  der  Antonianer,  welche  gegen  Cicero  den  Vorwurf 
erhoben,  er  wolle  sich  in  seiner  Verzweiflung  zum  Dictator  auf- 
werfen, wurde  bald  zunichte,  als  am  späten  Abend  ein  Schreiben 
des  Consuls  Hirtius  eintraf,  das  den  glänzenden  Sieg  von  Forum 
Gallorum  meldete.  Was  Ciceros  Beredsamkeit  bisher  vergeblich 
dem  ängstlichen  Senate  hatte  abringen  wollen,  die  Ächtung  des 
Marcus  Antonius,  war  die  unmittelbare  Folge  des  entscheidenden 
Sieges.  Für  die  Feldherrn  wurde  ein  fünfzigtägiges  Dankfest  be- 
schlossen und  der  Imperatortitel,  Belohnungen  für  die  Lebenden, 
ein  öffentliches  Begräbnis  für  die  Toten. 

Gleich  darauf  fiel  auch  die  letzte  Entscheidung  vor  Mutina. 
Was  Decimus  Albinus  auch  verbrochen  hatte,  in  der  zähen  Ver- 
teidigung Mutinas  bewies  er  den  Feldherrn  aus  Caesars  Schule. 
Aber  die  Not  war  in  der  belagerten  Stadt  so  furchtbar  geworden, 
daß  Hirtius  und  Caesar  durch  einen  Angriff  auf  die  Werke  des 
Antonius  den  Entsatz  erzwingen  mußten.  Am  Morgen  des  21.  April 
gelang  es  ihnen,  die  langen  Linien  des  Antonius  an  einer  Stelle  zu 
durchbrechen,  wo  der  sumpfige  Boden  es  unmöglich  gemacht  hatte, 
die  Befestigungen  zu  schließen  und  so  ihre  Vereinigung  mit  dem 
ausfallenden  Heer  des  Decimus  Albinus  zu  vollziehen.  Vergeblich 
warf  Antonius  den  vordringenden  Feinden  seine  Reiterei  entgegen; 
der  Angriff  wurde  abgewiesen,  und  die  aus  den  weitgedehnten 


C  A  Augustus 

Werken  einzeln  hervorbrechenden  Legionen  des  Antonius  wurden 
geschlagen.  Immer  enger  zogen  die  Sieger  den  Ring  um  das 
Hauptlager  des  Antonius  zusammen.  In  der  Schlacht,  die  zuletzt 
zwischen  den  engen  Wällen  des  Lagers  ausgefochten  wurde,  soll 
die  vierte  Legion  von  Antonius  Alaudae  aufgerieben  worden  sein. 
Hirtius  selbst  fiel  im  Handgemenge  vor  dem  Feldherrnzelte  des 
Antonius,  mit  ihm  der  Caesarmörder  Pontius  Aquila  und  andere 
vornehme  Männer.  Unter  dem  Schutze  seiner  Reiterei  entrann  An- 
tonius in  der  Richtung  auf  Regium  Lepidum  dem  Gemetzel,  das  mit 
der  vollständigen  Auflösung  seines  Heeres  endete.  Nur  die  Legio 
quinta  Alaudae  hielt  auch  nach  der  Niederlage  fest  bei  den  Fahnen 
zusammen.  Das  führerlose  Senatsheer  verlor  wenige  Tage  nach 
der  Schlacht  auch  seinen  zweiten  Feldherrn.  Pansa  erlag  in  Bononia 
seinen  Wunden.  Beide  trefflichen  Männer  starben  als  Opfer  der 
neuen  Art  des  Krieges,  die  den  Feldherrn  ihren  Platz  anwies  in 
den  Reihen  der  Kämpfer.  Auch  Caesar  hatte  an  diesem  Tage 
mitten  im  Getümmel  des  Kampfes  den  Adler  einer  weichenden 
Legion  gegen  den  Feind  getragen.  Für  ihn  war  der  Verlust  der 
wohlgesinnten  Consuln  ein  herber  Schlag;  er  verlor  an  ihnen  die 
Stütze,  die  er  in  der  Partei  des  Senates  besaß,  die  Mittler,  die  eine 
Versöhnung  mit  Antonius  hätten  anbahnen  können. 

Dem  Anscheine  nach  war  der  Sieg  des  Senates  entscheidend 
und  vollständig.  Die  Erwartung  war  durchaus  berechtigt,  daß  es 
Antonius  nicht  gelingen  werde,  den  schützenden  Kamm  der  Alpen 
zu  erreichen.  Bei  einer  entschiedenen  Verfolgung  mußte  er  trotz 
all  seiner  Fähigkeit  der  Truppenführung  in  wenigen  Tagen  in  die 
Hände  der  Sieger  fallen.  Mehr  noch  als  die  Erfolge  auf  dem 
italischen  Kriegsschauplatz  waren  die  Nachrichten,  die  aus  den? 
Osten  eintrafen,  geeignet,  die  Siegeszuversicht  des  Senates  zu 
steigern.  Hier  hatten  Brutus  und  Cassius  noch  in  letzter  Stunde 
die  Tatkraft  gefunden,  die  sie  nach  dem  Morde  gänzlich  vermissen 
ließen.  Die  Anordnungen  über  die  Provinzen,  die  Antonius  ge- 
troffen, mißachtend,  waren  sie,  wie  früher  erzählt  wurde,  im 
Herbste  des  Jahres  44  nach  Osten  unter  Segel  gegangen  und 
hatten,  vom  Glück  begünstigt,  sich  in  den  Besitz  ihrer  Provinzen 
Macedonien   und  Syrien   gesetzt   mit   allen  Streitkräften,    die   in 


I 


3.   Der  Krieg  um  Mutina  ec 

jenen  Landschaften  versammelt  standen.  Schon  im  Frühjahr  43 
waren  die  Nachrichten  über  die  gebietende  Stellung,  welche  die 
Caesarmörder  im  Osten  gewonnen  hatten,  nach  Rom  gelangt. 
Aber  vergeblich  hatte  sich  bisher  Cicero  bemüht,  die  Anerkennung 
des  Senates  für  das  eigenmächtige  Tun  der  Befreier  zu  erlangen. 
Jetzt  erst,  nach  der  Schlacht  von  Mutina,  wurden  sie  als  Statt- 
halter der  ganzen  östlichen  Reichshälfte  bestätigt. 

Minder  rein  war  der  Himmel  im  Westen.  Alle  Bemühungen 
des  Senates,  die  Gunst  der  Statthalter  von  Spanien  und  Gallien  zu 
gewinnen,  waren  vergeblich  geblieben.  Ehrenbeschlüsse  und  Dank- 
feste für  Verdienste,  die  diese  Statthalter  sich  um  die  Sache  des 
Senates  erworben  haben  sollten,  hatten  sie  doch  nicht  bestimmt, 
während  der  Kämpfe  in  Oberitalien  aus  ihrer  zuwartenden  Stellung 
herauszutreten.  Die  Entscheidung  lag  jetzt  bei  Aemilius  Lepidus; 
trotz  seiner  kläglichen  Schwäche  hatte  er  seine  Parteinahme  für 
Antonius  offenbart  in  einer  Zuschrift  an  den  Senat,  in  der  er  zum 
Frieden  mahnte,  und  noch  mehr  durch  die  Entsendung  eines 
Heeresteiles,  der  in  der  Schlacht  von  Forum  Gallorum  an  der  Seite 
des  Antonius  gefochten  hatte.  Welchen  Eindruck  die  Niederlage 
auch  auf  Lepidus  geübt  haben  mochte,  Antonius  kannte  seinen  Mann 
genau;  er  wußte,  als  er  der  Provinz  des  Lepidus  zufloh,  daß  er  hier 
seine  Verluste  mehr  als  ersetzen  würde.  Diese  Vereinigung  zu  ver- 
hindern, Antonius  früher  zu  vernichten,  ehe  er  die  Lager  des 
Lepidus  erreichte,  war  die  dringendste  Forderung,  sie  mußte  das 
Schicksal  des  Senates  entscheiden.  Cicero,  der  in  diesen  letzten 
Tagen  der  Senatsherrschaft  die  Leitung  des  Staates  an  sich  riß, 
war  sich  der  ganzen  Bedeutung  des  Augenblickes  auch  bewußt. 
Aber  bei  dem  Versuch,  das  Ziel,  die  Vernichtung  des  Antonius,  zu 
erreichen,  trat  die  ganze  Unnatur  des  Bündnisses  erst  zutage,  dem 
der  Senat  seinen  scheinbaren  Sieg  zu  danken  hatte.  Ich  habe  früher 
dargelegt,  wie  es  kam,  daß  die  wahrhaften  Freunde  des  Dictators 
und  der  Erbe  seines  Namens  vereint  Schlachten  schlugen  und  Siege 
gewannen,  um  den  Caesarmörder  Decimus  Albinus  einem  gerechten 
Gerichte  zu  entziehen.  Jetzt  waren  die  Consuln,  die  das  Bündnis 
des  Senates  mit  dem  Rächer  Caesars  geschaffen  und  erhalten 
hatten,  beide  auf  dem  Felde  der  Ehre  gefallen.    Ihr  Mitfeldherr 


c6  Augustus 

war  der  Erbe  ihrer  Macht,  der  einzige  Befehlshaber  des  Senats- 
heeres. Alle  die  Rüstungen,  durch  die  der  Senat  sich  selbst  zu 
schützen  glaubte,  hatten  nur  dazu  gedient,  die  Macht  des  Mannes 
zu  vermehren,  der  nach  dem  Throne  strebte. 

Wollte  der  Senat  sich  dennoch  behaupten,  so  gab  es  nur  zwei 
Wege,  beide  gleich  unsicher,  gleich  gefährlich.  Er  mußte  den 
Knaben  seines  Oberbefehles  berauben  oder  ihm  ganz  vertrauen. 
Das  eine  machte  den  Erben  des  Thrones  zum  Herrn,  und  in  seiner 
Hand  lag  es,  die  Herrschaft  zu  gebrauchen  wie  er  wollte;  das 
andere  forderte  einen  ebenso  kühnen  als  entschlossenen  Führer,  der 
die  caesarische  Gesinnung,  die  das  Heer  an  den  Knaben  fesselte, 
zu  überwinden  wußte.  Wie  so  oft  in  verzweifelten  Lagen,  wagte 
man  nicht,  dem  Verhängnis  ins  Auge  zu  sehen  und  wählte  einen 
Mittelweg,  der  um  so  sicherer  ins  Verderben  führte.  Zwei  Heere 
standen  scheinbar  dem  Senate  zur  Verfügung,  den  Antonius  zu  ver- 
folgen, das  befreite  unter  Decimus  Albinus  und  die  Streitkräfte 
unter  Caesars  Befehl.  Dem  Anschein  nach  waren  sie  von  gleicher 
Stärke;  Decimus  Albinus  zählte  sieben  Legionen,  Caesar  acht.  Auch 
war  Decimus  Albinus  zwei  Tage  nach  der  Schlacht  bereits  auf  der 
aemilischen  Straße  nach  Westen  aufgebrochen,  während  Caesar  un- 
tätig bei  Bononia  stehen  blieb.  Diese  Lage  der  Dinge  mußte  den 
Senat  bestimmen,  Decimus  Albinus  allein  mit  der  Verfolgung  des 
Antonius  zu  betrauen,  da  man  ihn  für  stark  genug  hielt,  An- 
tonius zu  vernichten.  Diesen  folgenschweren  Irrtum  kann  nur  die 
weite  Entfernung  des  Kriegsschauplatzes  entschuldigen.  Man  war 
in  Rom  ohne  Kenntnis  von  dem  wahren  Zustand  von  Decimus 
Albinus  Heer.  Hunger  und  Seuchen  hatten  es  geschwächt,  und  die 
meisten  waren  Soldaten,  die  erst  im  Laufe  der  Belagerung  ihre 
geringe  Schulung  erfahren  hatten.  Mit  solchen  Truppen  war  auch 
für  den  fähigsten  Feldherrn  die  Verfolgung  eines  Gegners,  der  in 
der  Not  die  ganze  Spannkraft  seiner  kühnen  Natur  aufbot,  keine 
leichte  Aufgabe.  Noch  schwieriger,  ja  unlösbar  wurde  sie  durch 
die  Haltung  Caesars,  dem  die  Gunst  des  Schicksals  die  Ent- 
scheidung in  die  Hände  gespielt  hatte.  Nicht  die  Verfolgung, 
sondern  das  Bündnis  mit  Antonius  erschien  ihm  als  das  Ziel,  das 
er  anzustreben  hatte,  lange  ehe  der  Senat  die  entsetzliche  Gefahr 


3-  Der  Krieg  um  Mutina  ej 

einer  Vereinigung  der  Praetendenten  auch  nur  ahnte.  Seine  neue 
Absicht  trat  deutlich  genug  hervor,  als  er  sich  zuerst  nach  dem 
Siege  weigerte,  in  eine  Unterredung  mit  dem  Mörder  zu  willigen 
und  den  Gefangenen  freistellte,  zu  Antonius  zurückzukehren  oder 
in  seinem  Heere  Dienst  zu  nehmen. 

Schwere  Besorgnis  wurde  in  Rom  wach,  als  man  endlich  die 
Lage  in  Oberitalien  richtiger  zu  erkennen  begann.  Bereits  hatte  der 
Senat  Fehler  auf  Fehler  gehäuft  in  der  Absicht,  Caesar  zurück- 
zudrängen. Hatte  man  doch  Decimus  Albinus  nach  dem  Siege  den 
Triumph  bewilligt,  Caesar  nur  die  Ovatio.  Das  entsprach  wohl 
dem  Range  der  Feldherrn,  wie  ihn  der  Buchstabe  des  Gesetzes  fest- 
stellte; aber  wie  verkehrt  war  es,  dem  gefährlichen  Manne  durch 
solche  Zurücksetzung  den  Schein  des  berechtigten  Widerstandes  zu 
verleihen.  Sein  Heer  hatte  den  Sieg  gewonnen,  und  den  von  ihm 
aus  sicherer  Gefangenschaft  Befreiten  verlieh  man  die  höheren 
Ehren.  Den  von  den  Truppen  gehaßten  Mörder  krönte  der  Senat 
mit  dem  Höchsten,  was  das  Heer  kannte.  Wie  konnte  der  Senat 
dann  noch  hoffen,  daß  Caesar  dareinwilligen  werde,  die  mace- 
donischen  Legionen,  die  dem  Befehl  des  Hirtius  unterstanden 
hatten,  dem  Albinus  abzutreten?  Die  Absicht,  Caesars  Macht  zu 
schwächen,  lag  klar  zutage;  die  Legionen  empörten  sich  gegen 
den  Befehl,  verschmähten  die  Geschenke  des  Senates  und  zwangen 
Caesar  zum  Ungehorsam.  Was  wollte  es  dagegen  besagen,  daß 
Caesar  Albinus  die  gänzlich  unbrauchbaren  Rekruten  aus  Pansas 
Heer  überließ.  Niemand  konnte  mehr  verkennen,  daß  Caesar  der 
Sohn  und  Caesars  Legionen  für  immer  geeint  waren.  Die  nächste 
Folge  des  hervorbrechenden  Zwiespaltes  zwischen  Caesar  und  dem 
Senat  war,  daß  sein  Heer  untätig  bei  Bononia  stehen  blieb  und 
auch  dann  sich  nicht  bewegte,  als  Ventidius  mit  drei  Legionen, 
die  er  im  Picenischen  geworben,  Antonius  zu  Hülfe  zog. 

Während  der  kostbaren  Tage,  die  Albinus  mit  dem  Versuche, 
Caesar  durch  Verhandlungen  zu  gewinnen,  verlor,  hatte  Antonius 
unter  dem  Schutze  seiner  Reiterei  den  Rückzug  unablässig  fort- 
gesetzt. Diesen  Vorsprung  wieder  wettzumachen,  war  für  Albinus 
bei  der  Erschöpfung  seines  Heeres  um  so  schwerer,  als  dem  Gegner 
die  geringe  Zahl  seiner  Streitkräfte  das  Entkommen  erleichterte. 


^  8  Augustus 

So  blieben  denn  seine  Anstrengungen,  Antonius  von  seiner  Rück- 
zugslinie abzudrängen,  erfolglos.  Unter  unsäglichen  Entbehrungen, 
in  deren  Ertragen  der  Feldherr  dem  gemeinen  Mann  durch  alle 
Tugenden  des  Soldaten  voranleuchtete,  hatte  Antonius,  über  den 
Apennin  zurückweichend,  die  nach  der  Narbonensis  führende 
Militärstraße  gewonnen.  Bei  Vada  Sabatia  am  ligurischen  Golfe 
erreichte  ihn  Ventidius  Bassus  mit  den  picenischen  Legionen.  Um 
den  Feind  über  die  Richtung  seines  Rückzuges  zu  täuschen, 
hatte  Antonius  im  Norden  des  Apennin  Streifscharen  zurück- 
gelassen. Decimus  Albinus  ging  in  die  Falle.  Obwohl  er  sich  Vada 
Sabatia  am  5.  Mai  auf  einige  Meilen  genähert  und  Kenntnis  hatte 
von  dem  Eintreffen  des  Ventidius  Bassus,  ließ  er  sich  doch  durch 
die  Bewegungen  dieser  Streifscharen  in  der  Richtung  auf  Pollentia 
abziehen.  Er  scheint  gedacht  zu  haben,  daß  Antonius  auf  der 
leicht  gangbaren  Straße  über  die  cottischen  Alpen  nach  Gallien 
entkommen  wollte.  So  wandte  er  sich  mit  seinem  ganzen  Heere 
nach  Norden  und  gab  die  Verfolgung  tatsächlich  auf.  Antonius 
hatte  dagegen  in  seinen  Bewegungen  keinerlei  Stillstand  eintreten 
lassen;  auf  der  ligurischen  Küstenstraße  nach  Westen  ziehend, 
erreichte  er  bei  Forum  lulii  gallischen  Boden,  ungehindert  von 
den  Vortruppen  des  Lepidus,  welche  die  Pässe  der  Seealpen,  die 
sie  hätten  verteidigen  sollen,  ohne  Widerstand  räumten.  Dies  ließ 
bereits  erkennen,  welchen  Verlauf  die  vom  Senat  befohlenen  An- 
griffsbewegungen der  gallischen  Heere  nehmen  würden. 

Während  des  mutinensischen  Krieges  hatte  Munatius  Plancus, 
politisch  farblos  und  nur  auf  seine  eigene  Sicherheit  bedacht,  alle 
Aufforderungen  des  Senates,  in  den  Krieg  einzugreifen,  abgelehnt 
mit  dem  Hinweis  auf  die  geringe  Zuverlässigkeit  seiner  Truppen 
und  die  unsichere  Haltung  des  Lepidus.  Wahrscheinlich  Ende 
April  hatte  er  endlich,  wohl  auf  die  Nachricht  von  der  Schlacht 
bei  Forum  Gallorum,  den  Vormarsch  angetreten,  mit  vier  Legionen 
die  Rhone  hinabziehend  bis  nach  Vienna.  Noch  schien  ihm  das 
Kriegsglück  nicht  hinreichend  entschieden.  So  machte  er  wieder 
Halt  und  entsendete  nur  4000  Reiter  nach  Süden.  Erst  die  Nieder- 
lage des  Antonius  vor  Mutina  bestimmte  ihn,  seine  Bewegungen 
wieder  aufzunehmen  und  die  Isara  am  12.  Mai  zu  überschreiten. 


3-  Der  Krieg  um  Mutina  en 

nur  um  abermals  zögernd  abzuwarten,  ob  Lepidus  den  Flüchtling 
unter  seinen  Schutz  nehmen  werde.  Auch  bei  Lepidus  war  mit 
der  vollständigen  Besiegung  des  Antonius  der  Eifer  für  die  Sache 
des  Senates  erwacht.  Er  forderte  Munatius  Plauens  auf,  sich  mit 
ihm  zu  vereinigen  und  rückte  selbst  mit  sieben  Legionen  bis  Forum 
Voconii  vor.  Es  ist  schwer  zu  sagen,  ob  Lepidus  jetzt,  wo  die 
Woge  des  Unheils  über  Antonius  zusammenbrach,  nicht  ernstlich 
daran  dachte,  die  Partei  des  siegreichen  Senates  zu  ergreifen.  Aber 
sein  Heer  war  es,  das  dem  unbehülflichen  Manne  die  Entscheidung 
über  den  Kopf  wegnahm.  Gerade  die  von  Lepidus  in  Südgallien 
wieder  aufgebotenen  Veteranenlegionen  Caesars,  vor  allem  die 
decima,  die  den  Lorbeer  aller  Siege  Caesars  an  ihren  Fahnen  trug, 
waren  von  glühendem  Eifer  für  das  Andenken  Caesars  erfüllt  und 
sahen  in  Antonius,  der  vor  dem  Caesarmörder  um  sein  Leben  lief, 
nur  den  Rächer  ihres  toten  Feldherrn.  So  mußte  es  Lepidus  ge- 
schehen lassen,  daß  Antonius  Heer  in  seiner  unmittelbaren  Nähe 
ein  Lager  schlug.  Noch  verhandelten  die  beiden  Feldherrn,  als  die 
Heere  sich  bereits  verbrüderten  und  stürmisch  die  Vereinigung  zum 
gemeinsamen  Kampfe  gegen  Decimus  Albinus  forderten.  Antonius 
überließ  jetzt  willig  den  Oberbefehl  Lepidus,  als  dem  älteren  Con- 
sular,  sicher,  daß  sein  Wille  allein  über  das  Heer  gebieten  würde. 
Nicht  so  rasch  kam  Antonius  mit  Munatius  Plauens  zum  Ziele. 
Zwar  war  er  noch  an  demselben  Tage,  an  dem  er  die  Vereinigung 
mit  Lepidus  erzwungen  hatte,  nach  Norden  aufgebrochen  und  hatte 
an  Plauens  die  Aufforderung  gerichtet,  zu  ihm  überzutreten.  Aber 
dieser,  die  Aussichten  beider  Parteien  vorsichtig  erwägend,  hielt 
den  Augenblick  für  noch  nicht  gekommen,  sondern  wich,  als  er  den 
Anmarsch  der  Verbündeten  erfuhr,  wieder  nach  Norden  zurück.  Am 
4.  Juni  erreichte  Plauens  abermals  die  Isara,  überschritt  sie  und 
brach  die  Brücke  ab.  Dann  bezog  er  eine  neue  Stellung  bei  Cularo 
im  Lande  der  Allobrogen,  wo  er  über  den  kleinen  St.  Bernhard 
jederzeit  mit  Decimus  Albinus  in  Verbindung  treten  konnte.  Dieser 
war,  nachdem  ihm  Antonius  den  Kriegsplan  so  völlig  verrückt 
hatte,  noch  nicht  dazu  gekommen,  einen  neuen  Entschluß  zu  fassen. 
Untätig  stand  er  durch  Wochen  bei  Eporedia,  wie  er  nach  Rom 
meldete,  um  die  Alpenpässe  zu  bewachen,  die  Niemand  bedrohte. 


5o  Augustus 

Erst  als  geschehen  war,  was  er  hätte  verhindern  sollen,  Antonius 
und  Lepidus  ihre  Heere  vereinigt  hatten,  entschloß  er  sich,  der 
Mahnung  des  Munatius  Plancus  zu  folgen,  und  sein  Heer  über  die 
Alpen  nach  Gallien  zu  führen.  Er  hatte  damit  einen  Weg  be- 
schritten, auf  dem  es  für  ihn  keinen  Rückzug  mehr  gab.  Man 
möchte  glauben,  daß  ihn  seine  Berater  in  Rom  gegen  seine  bessere 
Einsicht  in  sein  sicheres  Verderben  stürzten;  denn  als  Vollstrecker 
der  Acht,  die  der  Senat  jetzt  auch  über  Lepidus  verhängte,  ging 
er  über  die  Alpen.  Das  Bündnis  seiner  Gegner  wurde  damit  nur 
umso  fester.  Da  traf  in  Cularo  die  Nachricht  ein,  daß  auch  Asinius 
Pollio,  der  Statthalter  des  jenseitigen  Spaniens,  sich  für  Antonius 
erklärt  hätte.  Damit  war  das  Übergewicht  der  Gegenpartei  ent- 
schieden; Munatius  Plancus  beeilte  sich,  Decimus  Albinus  seinem 
Schicksal  zu  überlassen,  solange  dem  Übertritt  zum  Feinde  noch 
ein  Preis  winkte. 

Durch  diese  Treulosigkeit  seines  Verbündeten  geriet  Decimus 
Albinus  in  eine  verzweifelte  Lage;  denn  sein  Rückzug  führte  über 
die  Hochalpen.  Doch  dachte  er  daran,  sein  Heer  durch  Oberitalien 
nach  Illyricum  zu  Marcus  Brutus  zu  führen.  Vergebliches  Hoffen, 
seine  Tage  waren  gezählt.  Beim  ersten  Versuch,  den  schwierigen 
Marsch  anzutreten,  löste  sich  sein  Heer  auf.  Wo  alle  die  alten 
Caesarlegionen  des  Westens  um  die  Sieg  und  Beute  verheißenden 
Fahnen  des  Antonius  sich  scharten,  da  gaben  die  Veteranen  des 
Decimus  Albinus  den  Feldherrn,  für  den  sie  so  lange  gefochten 
hatten,  verloren  und  schlugen,  ihres  Wertes  sich  bewußt,  die  Straße 
nach  Süden  ein.  Das  übrige  Heer,  soweit  es  sich  nicht  verlief, 
suchte  und  fand  Aufnahme  in  den  Reihen  Caesars.  Von  allen  ver- 
lassen, vertauschte  Decimus  Albinus  das  Ehrenkleid  eines  römi- 
schen Proconsuls  mit  dem  Gewände  eines  gallischen  Bauern,  floh 
hinauf  in  das  Gebirge,  um  im  fernen  Lande  der  Barbaren  Rettung 
seines  Lebens  zu  suchen.  In  dem  Hause  eines  gallischen  Häupt- 
lings, den  er  einst  in  glücklicheren  Tagen  mit  Wohltaten  über- 
häuft hatte,  ereilte  ihn  das  rächende  Geschick.  Soldaten  des 
Antonius,  die  der  Spur  des  Flüchtlings  gefolgt  waren,  überbrachten 
das  abgeschlagene  Haupt  ihrem  Feldherrn,  und  Antonius,  der  den 
Toten  nicht  persönlich  haßte,  gönnte  der  Leiche  ein  Grab. 


3.  Der  Krieg  um   Mutina  6l 

Während  der  Besiegte  von  Mutina  in  wenigen  Wochen  zum 
Gebieter  des  Westens  geworden  war,  hatte  sein  junger  Gegner  die 
Herrschaft  über  Italien  gewonnen.  In  seiner  falschen  Zuversicht 
hatte  der  Senat,  solange  die  Entscheidung  in  Gallien  noch  schwebte, 
das  Bemühen  fortgesetzt,  Caesar  seinem  Heere  zu  entfremden.  Ein 
Ausschuß  des  Senates  von  zehn  Männern  sollte  über  die  Land- 
verteilung an  die  Sieger  von  Mutina  verfügen,  Cicero  war  sein 
Haupt,  Caesar  fehlte  unter  den  Gliedern.  Die  Folge  war,  daß  die 
Veteranen  das  Angebot  des  Senates  ebenso  entschieden  zurück- 
wiesen, wie  früher  die  Geldgeschenke.  Noch  immer  hoffte  der 
Senat  auf  eine  glückliche  Wendung  in  Gallien,  die  ihn  von  den 
Schwertern  der  Legionen  Caesars  erlösen  sollte.  Die  Lage  forderte 
gebieterisch,  dem  Staat  nach  dem  Falle  der  beiden  Consuln  wieder 
ein  Haupt  zu  geben.  Aber  in  dem  mutlosen  Senat  fand  sich  Niemand, 
der  an  diesem  gefahrvollsten  Platz  seinen  Kopf  wagen  wollte.  Wie 
in  den  Zeiten  tiefsten  Friedens  leitete  einer  der  Prätoren,  Marcus 
Cornutus,  die  Sitzungen  des  Senates.  So  glaubte  man  Caesars 
Wunsche,  als  Führer  des  Heeres  auch  Oberhaupt  des  Staates  zu 
sein,  ausweichen  zu  können.  Höchstens  die  Prätur  war  man  bereit 
ihm  zu  gewähren.  Da  entschied  auch  diese  Frage  die  einzige 
wirkliche  Macht,  das  Heer. 

Anfangs  Juli  erschien  eine  Gesandtschaft  von  400  Centurionen 
in  Rom.  Sie  waren  gekommen,  um  dem  Senate  die  Wünsche  und 
Beschwerden  des  Heeres,  die  so  oft  vergeblich  laut  geworden,  ins 
Gedächtnis  zu  rufen.  Diese  alten  Soldaten,  denen  in  zwanzig  Kriegs- 
jahren nichts  heilig  gewesen  war  als  ihr  Fahneneid,  sie  kannten 
keine  Scheu  vor  dieser  erlauchten  Körperschaft,  keine  Rücksicht 
auf  das  geschriebene  Recht.  In  den  Sitzungssaal  eingeführt, 
forderten  sie  trotzig  für  ihren  Feldherrn  das  Consulat,  für  das  Heer 
die  Auszahlung  der  langgeschuldeten  Geldgeschenke,  zuletzt  die 
Aufhebung  der  über  einen  Anhänger  des  Antonius  verhängten 
Acht.  Der  Senat  fand  noch  den  Mut,  solche  Forderungen  in  einer 
stolzen  Antwort  abzulehnen.  Als  sie  so  abgewiesen  waren  mit 
ihrem  wohlmeinenden  Rat,  wie  sie  es  verstanden,  schlug  einer  der 
Centurionen,  in  dem  Augenblick,  wo  die  Heeresgesandtschaft  den 
Sitzungssaal  verließ,  drohend  an  den  Knauf  seines  Schwertes  und 


52  Augustus 

rief:  wenn  ihr  es  nicht  gewährt,  dieses  wird  es  gewähren!  Nie 
in  der  Geschichte  Roms  hatte  rohe  Gewalt  so  zu  den  Höchsten  des 
Volkes  zu  sprechen  gewagt.  Vergebens  hatte  der  Senat  in  seiner 
Verzweiflung  zwei  Legionen  aus  Africa  herbeigerufen  —  es  waren 
caesarische  Legionen  wie  jene,  die  sie  bekämpfen  sollten  —  und 
in  den  Straßen  Roms  Soldaten  auszuheben  begonnen.  Schon  war 
das  Heer  Caesars  von  seinem  eigenen  Ungestüm  vorwärts  ge- 
trieben, aus  den  Lagern  aufgebrochen,  die  Gesandten  des  Senates, 
die  durch  Worte,  Geldgeschenke  seinen  Marsch  hemmen  wollten, 
mit  den  Waffen  verscheuchend,  Caesar  hatte  es  erreicht,  daß  sein 
ehrgeiziges  Streben  als  der  einmütige  Wille  seines  Heeres  erschien, 
dessen  Zwange  er  gehorchte.  Auch  für  ihn  gab  es  kein  Zurück 
auf  dieser  Bahn,  die,  einmal  beschritten,  nur  durch  Blut  und  Elend 
zum  Throne  führte.  Je  näher  das  Heer  der  Hauptstadt  kam,  desto 
höher  stieg  die  Angst  und  Verwirrung,  bis  endlich  der  Senat,  von 
der  Menge  bestürmt,  in  alles  willigte,  was  er  früher  stolz  abgelehnt 
hatte.  Das  Geldgeschenk  von  5000  Denaren  für  jeden  Soldaten 
wurde  gewährt,  Caesar  gestattet,  sich  abwesend  um  das  Consulat 
zu  bewerben,  ihm  allein  die  Landaufteilung  übertragen.  Kaum 
hatten  Gesandte  mit  diesen  Beschlüssen  Rom  verlassen,  als  das 
Eintreffen  jener  africanischen  Legionen  noch  einmal  den  Wider- 
stand des  um  sein  Leben  ringenden  Senates  wachrief.  Die  Prae- 
toren  erhielten  unumschränkte  Gewalt,  das  Janiculum  wurde  be- 
setzt und  die  Stadt  in  aller  Eile  befestigt.  Noch  unterhandelte 
Caesar  mit  den  Gesandten  des  Senates,  da  traf  die  Nachricht  ein 
von  der  letzten  Regung  des  Widerstandes.  Rasch  vorausgesandte 
Reiterabteilungen  bemächtigten  sich  der  Zugänge  zur  Stadt,  und 
bald  darauf  erschien  Caesar  selbst  an  der  Spitze  von  acht  Legionen 
auf  der  Höhe  des  Quirinals.  Angesichts  dieser  Übermacht 
schwankten  die  Legionen  des  Senates  keinen  Augenblick,  sich 
mit  den  Gegnern  zu  verbrüdern.  Ruhmlos  und  ehrlos  wie  diese 
letzte  Herrschaft  des  Senates  gewesen  war,  so  hatte  sie  auch  ge- 
endet. Gefolgt  von  seiner  Leibwache  hielt  Caesar  seinen  Einzug 
in  die  eroberte  Stadt,  die  demütige  Huldigung  des  Senates  und 
Volkes  von  Rom  entgegennehmend.  Nachdem  den  Legionen  ihr 
Lohn  aus  den  Kassen  des  Staates  geworden    war,    verließ    das 


3-  Der  Krieg  um  Mutina  ^7 

Heer  am  nächsten  Morgen  den  Mauerring,  um  die  Freiheit  der 
Wahl  nicht  zu  beeinflussen.  So  wurden  denn  am  19.  August 
Caesar  der  Sohn  und  sein  Vetter  Pedius  unter  dem  Schutze  von 
elf  Legionen  und  zahlreichen  Hülfsvölkern  zu  Consuln  des  römi- 
schen Volkes  gewählt.  Einmal  im  Besitze  der  höchsten  Macht  ließ 
Caesar  dem  Senat  keinen  Zweifel  mehr,  daß  es  mit  seiner  Herr- 
schaft für  immer  zu  Ende  sei.  Ein  Gesetz  des  Consuls  Quintus 
Pedius  beschloß  die  Einsetzung  eines  Gerichtshofes,  um  die  Caesar- 
mörder zur  Verantwortung  zu  ziehen.  Über  die  Schuldigen  wurde 
die  Acht  verhängt.  Nur  einer  der  Richter,  der  Senator  Silicius 
Coronas,  hatte  den  Mut,  die  Mörder  freizusprechen.  Caesar  rühmte 
seine  Milde;  später  fiel  er  unter  den  ersten  Opfern  der  Ächtungen. 
Als  der  Beherrscher  Italiens  verließ  Caesar  Rom  und  wandte  sich 
in  langsamen  Märschen  nach  Norden. 


4-  Das  Triumvirat 

Wer  sich  noch  der  Täuschung  hingeben  wollte,  daß  Caesar 
Italien  vor  den  Legionen  des  Antonius  und  Lepidus  schützen  werde, 
wurde  rasch  belehrt,  als  wenige  Tage  nach  dem  Abmärsche  Caesars 
Quintus  Pedius  dem  Staate  eröffnete,  die  Lage  des  Staates  fordere 
dringend,  die  über  Antonius  und  Lepidus  verhängte  Acht  auf- 
zuheben. Niemand  wagte  einen  Widerspruch.  So  war  das  Hindernis 
beseitigt,  das  der  Vereinigung  der  Machthaber  noch  im  Wege  stand, 
der  Weg  nach  Italien  war  Antonius  und  Lepidus  eröffnet.  Daß 
sie  nicht  allein  kamen,  sondern  unter  dem  Schutze  von  siebzehn 
auserlesenen  Legionen,  war  selbstverständlich.  Nur  die  kurze  Frist 
eines  Jahres  war  vergangen  seit  der  Zeit,  wo  Antonius  noch  glaubte, 
den  Knaben  Octavius  mit  leichter  Mühe  vernichten  zu  können.  Als 
dem  Beherrscher  Italiens,  dem  Gebieter  über  elf  Legionen,  sollte 
er  ihm  wieder  gegenübertreten,  um  ihm  den  Anspruch  auf  die 
gleiche  Macht  zu  gewähren.  Der  Zwanzigjährige  hatte  sich  als 
Meister  im  höchsten  Spiele  bewährt,  und  die  Krone,  die  unerreich- 
bar über  ihm  zu  schweben  schien,  auf  sein  Haupt  herabgezwungen. 
Nichts  war  sein  Einsatz  gewesen  als  nur  ein  Name.  Aber  seine 
Zaubergewalt  ließ  die  Herzen  der  wilden  Krieger  des  Heeres  höher 
schlagen  beim  Anblick  ihres  jugendlichen  Führers,  der  unmerklich 
ihre  Begeisterung  für  den  toten  Helden,  die  einzige,  deren  sie 
fähig  waren,  nach  seinen  kühlen  Planen  zu  lenken  wußte. 

Und  doch,  Caesar  mußte  es  in  diesem  Augenblicke  bitter  emp- 
finden, daß  auch  das  klarste  Wollen  gegen  den  Zwang  der  Zeit 
nichts  vermag;  er  mußte  den  Bund  mit  Antonius  schließen,  die 
niedere  Gemeinschaft  eingehen,  deren  blutige  Schatten  ihn  nie 
mehr  verließen.  Welcher  Art  dieses  Bündnis  war,  trat  bei  der  Zu- 
sammenkunft hervor,  die  frühere  Verhandlungen  zum  Abschluß 


4-  Das  Triumvirat  ()c 

bringen  sollte.  Eine  Insel  im  Flusse  Lavinius,  nahe  bei  Bononia, 
war  für  die  Begegnung  der  drei  Männer  ausersehen.  Zwei  Brücken 
führten  nach  der  Insel,  deren  Ausgang  die  engeren  Leibwachen 
der  Feldherrn  besetzten.  Lepidus  betrat  zuerst  die  Insel,  die  man 
gelichtet  hatte,  und  gab  ein  Zeichen,  daß  kein  Hinterhalt  sie  be- 
drohe. Diese  seltsame  Vorsicht  war  Antonius  Werk,  der  mit 
seiner  höheren  Macht  das  ganze  Wesen  dieser  Vereinigung  be- 
stimmte. Er  wiederholte  jetzt  den  giftigen  Vorwurf,  den  er  vor 
dem  mutinensischen  Kriege  gegen  Caesar  geschleudert  hatte,  als 
hielte  er  ihn  für  fähig,  seinem  Leben  nachzustellen.  Und  doch 
peinigte  ihn  der  Gedanke,  daß  die  sanfte  Hand  des  Knaben  ihn 
dereinst  niederzwingen  könnte.  Der  höllische  Geist  des  Bürgerkrie- 
ges lehnte  sich  in  ihm  auf  gegen  den  lichten  Bringer  des  Friedens. 

Zwei  lange  Tage  dauerten  die  Verhandlungen,  welche  dem 
Bunde  der  drei  Männer  eine  feste  Gestalt  geben  sollten.  Dieses 
zweite  Triumvirat  ist  die  nackte  Gewaltherrschaft  nach  dem  Sinne 
des  Antonius.  Die  Triumviri  reipublicae  constituendae,  wie  sie  sich 
selbst  nannten,  band  weder  das  Recht  noch  der  Wille  des  Volkes. 
Jede  ihrer  Amtshandlungen,  welche  die  Neuordnung  des  Staates 
zu  fordern  schien,  hatte  Gesetzeskraft.  Zwar  die  Formen  des  Staates 
ließ  man  bestehen,  weil  ohne  sie  der  Staat  nicht  denkbar  war.  Es 
gab  noch  einen  Senat,  es  gab  nach  wie  vor  Consuln,  Praetoren, 
Tribunen.  Aber  wer  zu  diesen  Ämtern  gelangen  sollte,  bestimmte 
nur  die  Willkür  der  Herrscher.  Nach  ihrem  Einzug  in  Rom  hat 
ihnen  eine  lex  Titia  vom  27.  November  diese  Macht  auf  fünf  Jahre  43».  chr. 
nach  den  Formen  des  Rechtes  übertragen,  jedem  mit  gleicher 
Gewalt,  so  daß  er  bei  seinen  Amtshandlungen  der  Mitwirkung 
der  anderen  nicht  bedurfte. 

Aber  die  wahren  Sieger  im  Kampfe  waren  die  Legionen,  die  ihre 
Feldherrn  so  hoch  erhoben  hatten,  um  jetzt  ihren  Lohn  zu  finden. 
Achtzehn  dieser  Legionen  fehlte  noch  der  Landbesitz  auf  italischem 
Boden.  Achtzehn  der  blühendstenStädte  Italiens  wurden  ihnen  über- 
wiesen mit  ihren  Tempeln  und  Häusern,  ihren  üppigen  Fluren,  mit 
all  dem  Eigentum  ihrer  Bewohner.  Wahrlich,  Antonius  verstand  es, 
seine  Versprechungen  zu  erfüllen.  In  ihm,  dem  glänzenden  Feld- 
herrn, lebte  nach  den  Begriffen  des  gemeinen  Soldaten  die  Helden- 

Domaszewslci.    1.  C 


66  Augustus 

große  des  Dictators.  Aber  ungleich  jenem,  der  ihnen  ein  eiserner 
Herr  gewesen,  war  in  dem  neuen  Abgott  des  Heeres  der  Feldherr 
herabgestiegen  zu  den  Seinen,  ihr  Genosse  in  Freud  und  Leid. 
Auch  in  Gestalt  und  Ansehen  war  Antonius  das  rechte  Musterbild 
dieser  Soldaten  des  Bürgerkrieges,  der  stiernackige  Mann  mit 
dem  dunkeln,  in  die  niedere  Stirne  gewachsenen  Kraushaar  und 
dem  feurigen  Blick,  von  hohem  Wüchse,  breiter  Brust  und  mäch- 
tigen Gliedern,  in  der  Sonne  des  Feldes  gebräunt.  Vor  ihm  trat 
Caesar,  schlank  und  leicht  gebaut,  mit  dem  sinnenden  blauen 
Auge  und  dem  gewellten  blonden  Haar,  der  in  seinem  Wesen 
nie  den  gesetzlichen  Sinn  verleugnete,  völlig  in  den  Schatten. 

Der  Rücksicht  auf  das  Heer  entsprangen  auch  die  Ächtungen, 
die  die  Kassen  der  Triumvirn  zur  freigebigen  Belohnung  ihrer  Ge- 
treuen füllen  sollten.  Hatte  der  Haß  des  Marius  einst  die  Ächtung 
des  politischen  Gegners  gefordert,  Sullas  fühllose  Gleichgültigkeit 
sie  geschehen  lassen,  so  ist  Raub  und  Mord  jetzt  der  einzige  Zweck. 
Auch  Caesar  hatte  vor  der  kalten  Notwendigkeit  in  die  Ächtungen 
gewilligt.  Wenn  Caesar  nach  seinem  Siege  wirklich  Schuldige 
durch  das  Gesetz  des  Pedius  vor  Gericht  gefordert  hatte,  so  kannte 
die  Gerechtigkeit  des  Antonius  diesen  feinen  Unterschied  nicht. 
Mit  edler  Unparteilichkeit  bestimmte  man  schon  in  jener  Zusammen- 
kunft die  Namen  derjenigen,  die  als  Opfer  fallen  sollten.  An  der 
Spitze  der  Liste  standen  der  Bruder  des  Lepidus  Aemilius  Paulus, 
der  Oheim  des  Antonius  Lucius  Caesar,  Quintius  der  Schwieger- 
vater des  Asinius  Pollio.  Man  beeilte  sich,  die  ersten  Opfer  zu 
fällen,  bevor  noch  ein  Urteil  erflossen  war,  Vorausgesandte  Mörder 
erreichten  die  Ahnungslosen  beim  Mahle,  auf  der  Straße,  in  den 
Tempeln,  Die  ganze  Nacht  erfüllte  Rom,  wo  Jeder  sich  bedroht 
glaubte,  Wehgeschrei  und  wilde  Verwirrung,  Man  atmete  auf,  als 
der  Consul  Pedius  die  Namen  der  Geächteten,  die  meist  schon  ge- 
tötet waren,  bekannt  gab.  Die  Liste  umfaßte  17  Namen,  Kurze 
Zeit  darauf  hielten  die  Triumvirn,  jeder  an  der  Spitze  einer  Legion, 
ihren  Triumpheinzug  in  Rom.  Noch  in  derselben  Nacht  wurde  eine 
Liste  Geächteter  mit  130  Namen,  wenige  Tage  später  eine  zweite 
mit  150  Namen  angeschlagen.  Ein  Edict  der  Triumvirn,  ganz  im 
Stile  von  Antonius'  Beredsamkeit  gehalten,  rechtfertigte  die  Ach- 


4-  Das  Triumvirat  6? 

tung  der  Gegner  als  eine  politische  Notwendigkeit,  Das  Ver- 
mögen der  Geächteten  sollte  dazu  dienen,  an  den  ruchlosen 
Mördern  Caesars  Vergeltung  zu  üben.  Das  Edict  sicherte  nach 
dem  Vorbild  des  Sulla  den  Schlächtern  hohe  Preise  zu,  25  000 
Denare  jedem  Freien,  der  den  Kopf  eines  Geächteten  brächte, 
10000  Denare  dem  Sclaven  und  überdies  die  Freiheit.  So  begann 
die  Jagd  nach  den  von  der  Acht  Betroffenen  in  Rom  und  Italien, 
die  Tore  der  Stadt  wurden  besetzt,  die  Häfen  Italiens  streng  be- 
wacht, Mordscharen  durchzogen  das  flache  Land  und  die  abge- 
legenen Gebirge,  spürten  nach  den  Geächteten  in  den  prunkenden 
Palästen  der  Reichen  und  in  den  elenden  Hütten  der  Hirten. 
Immer  neue  Namen  wurden  den  Listen  hinzugefügt,  so  daß  die 
Zahl  der  Geächteten  allmählich  300  Senatoren  und  2000  Ritter 
umfaßte,  mehr  als  Marius'  und  Sullas  Wüten  dahingerafft  hatte. 
In  diesen  Tagen  des  Schreckens  starb  auch  Marcus  Cicero. 
Sein  Name  stand  bereits  auf  der  Liste  der  17.  Er  wollte  über  das 
Meer  nach  ]\Tacedonien  entfliehen,  aber  ein  Sturm  zwang  ihn  wieder 
vor  Anker  zu  gehen.  Schwerer  als  die  Gefahr,  die  sein  Leben  be- 
drohte, lastete  die  Verzweiflung  auf  seiner  Seele.  Nach  kurzem 
Tiiumphe  sah  er  den  gänzlichen  Sieg  seiner  Feinde  und  erkannte, 
daß  die  Sache,  die  er  zuletzt  mit  all  der  Hingebung,  deren  sein 
schwacher  Charakter  fähig  war,  gedient  hatte,  für  immer  verloren 
war.  So  begab  er  sich  auf  sein  Landgut  bei  Formiae  und  erwartete 
sein  Schicksal.  Als  die  Mörder,  geführt  von  dem  Tribunen  Popilius 
Laenas,  den  er  einst  vor  Gericht  verteidigt  hatte,  in  sein  Haus 
eindrangen,  gab  er  den  Bitten  seiner  Diener  nach  und  wandte  sich 
zur  Flucht.  Von  den  Verfolgern  in  einem  nahe  gelegenen  Walde 
eingeholt,  versuchten  seine  Begleiter  Widerstand  zu  leisten.  Aber 
Cicero  wehrte  ihnen.  Während  er  noch  zu  seinen  Mördern  sprach, 
hieb  ihm  der  Centurio  Herennius  das  Haupt  ab;  auch  die  Rechte, 
die  die  Philippiken  geschrieben,  trennte  man  von  der  Leiche. 
Sicher,  hohen  Lohn  zu  finden,  eilten  die  Mordknechte  mit  ihrer 
kostbaren  Beute  nach  Rom.  Sie  trafen  Antonius,  als  er  auf  dem 
Markte  zum  Volke  sprach.  Frohlockend  befahl  er,  dem  Mörder 
Herennius  das  Zehnfache  des  Preises,  ^/^  Million  Denare,  zu  be- 
zahlen, und  ließ  Kopf  und  Hand  auf  der  Rednerbühne,  deren  Zierde 

5* 


68  Augustus 

der  Tote  zu  allen  Zeiten  gewesen  war,  zur  Schau  stellen.  Aber 
das  Weib  des  Antonius,  Fulvia,  fand  für  ihren  dämonischen  Haß 
erst  Sättigung,  als  sie  das  tote  Haupt  in  ihren  Schoß  gebettet  und 
die  Zunge,  die  sie  gelästert,  mit  ihrer  einzigen  Waffe,  den  Nadeln 
ihres  Haares,  durchbohrte.  Hatte  er  doch  die  Gute  in  dem  aufs 
Tiefste  gekränkt,  was  sie  gar  nicht  besaß,  ihrer  weiblichen  Ehre. 
Auch  Ciceros  Bruder  und  dessen  Sohn  erlitten  den  Tod,  nur  weil 
sie  dem  Größeren  verwandt  gewesen  waren.  Sie  empfingen  den 
Streich  der  Mörder,  als  sie  sich  umschlossen  hielten.  So  weiß  die 
Geschichte  dieser  furchtbaren  Zeit  von  manchem  leuchtenden 
Beispiel  der  Gattentreue  und  Kindesliebe,  der  Hingebung  der 
Diener  an  ihre  Herrn  zu  berichten,  denen  hochbegabte  Männer, 
die  Zierden  einer  besseren  Zukunft,  ihre  Rettung  dankten.  Aber 
nichc  minder  von  treulosem  Verrat,  gemeiner  Niedertracht. 

Allmählich  erschöpfte  sich  auch  das  Wüten  der  Verfolgung,  die 
Stimme  der  Menschlichkeit  fand  bei  den  blutbefleckten  Herrschern 
wieder  Gehör.  Vor  allem,  weil  das  planlose  Morden  zuletzt  seinen 
eigenen  Zweck  verfehlte.  Hatte  man  doch  auf  die  Listen  gesetzt, 
wer  irgend  durch  Ansehen  oder  Reichtum  aus  der  Menge  hervor- 
ragte, Männer,  denen  jede  Parteistellung  fernlag,  wie  den  größten 
Gelehrten  Roms  Terentius  Varro.  Trotz  der  Ächtungen  lebte  er 
auf  dem  Landgut  eines  Freundes  ruhig  seinen  Studien.  Er  wurde 
endlich  begnadigt  und  so  viele  andere,  vor  allem  die  nächsten  Ver- 
wandten der  siegreichen  Feldherrn,  die  die  Mörder  doch  nicht  an- 
zutasten wagten.  So  hatte  Antonius  Mutter  den  Bruder  Lucius 
Caesar  gegen  die  Häscher  verteidigt.  Die  Ächtungen  hatten  den 
blutigen  Segen,  den  die  Triumvirn  erhofften,  nicht  gebracht.  Keine 
Käufei  des  geraubten  Gutes  wollten  sich  finden,  trotz  der  Schleuder- 
preise, um  die  man  die  Besitzungen  der  Gemordeten  hingab,  die 
Kassen  mit  dem  roten  Golde  zu  füllen,  nach  dem  die  Soldaten  be- 
gehrten. Härter  drängte  noch  die  Notwendigkeit,  für  die  Krieg- 
führung im  Osten  einen  Schatz  zu  sammeln.  Die  Triumvirn  er- 
klärten, sie  bedürften,  um  den  dringenden  Forderungen  gerecht  zu 
weiden,  einer  Summe  von  zweihundert  Millionen  Denaren.  Um 
das  zu  erreichen,  genügte  es  nicht,  die  Reichen  zu  berauben,  jedem, 
der  noch   etwas  besaß,   sollte   das  Letzte   abgezwungen   werden. 


4-  Das  Triumvirat  5q 

Das  erste  Edict  hatte  eine  Reihe  von  Bestimmungen  enthalten, 
welche  die  Frauen  und  Kinder  vor  gänzlicher  Verarmung  schützen 
sollten.  So  hatte  es  den  Frauen  ihre  Mitgift,  den  Söhnen  den  lo,, 
den  Töchtern  den  20.  Teil  des  väterlichen  Vermögens  zugesichert, 
Bestimmungen,  die  man  nicht  gehalten  und  die  jetzt  ganz  beseitigt 
wurden.  Man  befahl  den  1400  reichsten  Frauen,  ihr  Vermögen  selbst 
einzuschätzen,  um  sie  mit  einer  Steuer  zu  belasten.  Da  war  es 
Hortensia,  die  Tochter  des  berühmten  Redners,  die  die  Kühnheit 
besaß,  die  den  Männern  fehlte,  auf  offenem  Markte  den  Triumvirn 
entgegenzutreten,  und  sie  erreichte  durch  ihre  mutvolle  Sprache, 
daß  nur  die  400  Reichsten  getroffen  wurden.  Hatte  man  die  Vor- 
nehmen, deren  Einfluß  weit  reichte,  so  wenig  geschont,  wie  sollte 
das  Volk  erst  leiden!  Wer  mehr  als  100 000  Sesterzen  besaß, 
mußte  den  zehnten  Teil  seines  Vermögens  und  einen  ganzen  Jahres- 
ertrag als  Kriegssteuer  zahlen.  Von  den  Miethäusern  wurde  die 
Jahresmiete,  von  Privathäusern  die  Hälfte  ihres  Mietwertes  erhoben. 
Für  jeden  Sclaven  hatte  der  Besitzer  25  Denare  zu  entrichten. 
Als  Steuer  des  Grundbesitzes  mußte  die  Hälfte  des  Jahresertrages 
erlegt  werden.  Schwerer  noch  als  diese  unerschwinglichen  Steuern 
traf  die  Besitzenden  die  grenzenlose  Willkür,  die  bei  der  Ein- 
schätzung und  Erhebung  herrschte.  Was  man  Steuern  nannte, 
war  in  Wahrheit  ein  Raub,  der  zum  vollständigen  Zusammen- 
bruche des  Wirtschaftslebens  führte.  So  rüsteten  die  Triumvirn 
zu  dem  Bürgerkriege,  durch  den  sie  ihre  Herrschaft  in  allen 
Teilen  des  Reiches  erst  zu  begründen  hatten. 

Was  in  diesem  Kriege  zu  gewinnen  war,  hatte  Antonius  sich 
selbst  vorbehalten.  Lepidus,  der  Schattenherrscher  von  seinen 
Gnaden,  erhielt  Spanien  und  die  Narbonensis  als  getreuer  Verwal- 
ter, auch  das  nur,  damit  Caesar  keinen  Anspruch  erheben  konnte. 
Dagegen  Gallia  comata  undGallia  cisalpina,  die  Antonius  während 
des  mutinensischen  Krieges  nacheinander  begehrt  hatte,  fielen  ihm 
jetzt  beide  zu.  Nicht  nur  als  eine  Steigerung  seiner  Macht  hatte 
Antonius  sie  in  Besitz  genommen,  sondern  es  lag  darin  auch  der 
Oberbefehl,  beschlossen  in  dem  Krieg  gegen  die  Caesarmörder,  der 
die  nächste  Aufgabe  der  Triumvirn  bilden  mußte.  Denn  lllyricum, 
das  Brutus  besetzt  hielt,  lag  im  Amtsbereich  des  Statthalters  der 


y  O  Augustus 

Gallia  cisalpina,  und  wer  mit  seinen  Legionen  am  Po  stand,  be- 
herrschte auch  Rom.  Caesar  hatte  dagegen  Antonius  wie  zum 
Hohne  Africa  und  Sicilien  zugewiesen,  deren  Besitz  er  sich  erst 
erkämpfen  mußte.  Denn  Africa  hatte  er  der  Senatspartei  zu  ent- 
reißen, und  auf  Sicilien  gebot  Sextus  Pompeius,  der  jüngere  Sohn 
des  Besiegten  von  Pharsalus.  Diese  Zurücksetzung  Caesars  läßt 
klar  erkennen,  was  seine  Stellung  in  diesem  Bunde  war.  Nichts 
als  den  Schein  der  Gleichstellung  hatte  Caesar  in  dem  verderb- 
lichen Vertrage  von  Bononia  zu  retten  vermocht.  Notgedrungen 
hatte  er  in  die  Ächtungen  gewilligt,  in  die  Beraubung  Italiens, 
die  er  in  der  Gegenwart  verabscheute  und  noch  mehr  für  die 
Zukunft.  Erst  als  Antonius  Raserei  des  Sieges  sich  zu  beruhigen 
begann,  trat  Caesar  mildernd,  schützend,  helfend  ein. 

Es  war  kurzsichtige  Verblendung,  daß  Antonius  meinte,  er 
könne,  indem  er  Caesar  den  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  auf- 
bürdete, den  Kampf  gegen  Brutus  und  Cassius  allein  führen.  Schon 
nach  dem  Gesetze  des  Quintus  Pedius  hatte  Caesar  Sextus  Pom- 
peius der  Mitschuld  an  der  Ermordung  Caesars  seines  Oheims 
anklagen  lassen.  Die  Aufgabe,  den  Seeräuberstaat  auf  Sicilien  zu 
zerstören,  war  für  Italien  die  bedeutsamste.  Als  Vorkämpfer  seines 
Volkes  sollte  Caesar  hier  jenen  Lorbeer  gewinnen,  den  kein  Bürger- 
blut befleckte.  Seine  Stellung  neben  Antonius  zu  befestigen,  gelang 
Caesar,  als  er  bei  der  Teilung  der  Legionen,  kraft  seines  Erbrechtes, 
jene  für  sich  gewann,  die  das  alte  Heer  des  Dictators  in  Gallien 
gebildet  hatten.  Schwach  in  ihrem  Bestand,  waren  und  blieben 
sie  das  mächtigste  Element  im  Heere  der  Triumvirn.  Nimmer 
würden  sie  es  ertragen  haben,  daß  der  Erbe  von  Caesars  Namen 
nicht  ihr  Feldherr  sei.  Indem  Caesar  so  für  alle  Zukunft  einen  un- 
erschütterlichen Boden  im  Heere  gewann,  nützte  er  die  Schreckens- 
zeit zu  einem  Versuche,  sich  in  den  Besitz  der  Provinzen  zu 
setzen,  die  ihm  der  Vertrag  von  Bononia  zugesprochen  hatte. 

In  Africa  hatte  derDictator  neben  der  alten  Provinz  eine  neue 
geschaffen,  Africa  nova,  das  Reich  Jubas,  der  bei  Thapsus  für  den 
Senat  gefochten  hatte.  Auf  seine  Anordnung  hin  stand  an  der 
Spitze  dieser  Provinz  Titus  Sextius,  der  sich  später  für  Antonius 
erklärte  und  jetzt  den  Oberbefehl  Caesars  des  Sohnes  anerkannte. 


4.  Das  Triumvirat  y  I 

Er  forderte  im  Namen  der  Triumvirn  von  dem  Statthalter  der 
Nachbarprovinz  Quintus  Cornificius,  der  die  Partei  des  Senates  er- 
griffen hatte,  daß  er  sein  Amt  niederlege.  Darüber  kam  es  zum 
Kriege,  dessen  Entscheidung  erst  in  die  Zeit  der  Schlacht  von 
Philippi  fällt.  Sextius  brach  in  die  alte  Provinz  ein,  eroberte  Ha- 
drumetum  und  andere  Städte,  wurde  jedoch  von  Ventidius,  dem 
Quaestor  desCornif icius,  in  einerFeldschlacht  überwunden  und  wich 
in  seine  Provinz  zurück.  Hier  wurde  er  von  Ventidius  und  Laelius, 
dem  Legaten  des  Cornificius  angegriffen  und  in  der  HauptstadtCirta 
belagert.  Wie  oft  auf  dem  Boden  Africas,  lag  die  Entscheidung  bei 
den  eingeborenen  Stämmen  der  Numidier.  Der  mächtigste  unter 
ihren  Fürsten  war  in  dieser  Zeit  Arabio,  der  nach  mannigfachen 
Wechselfällen  sein  väterliches  Erbe  wiedergewonnen  hatte.  Als  er 
sich  f ürSextius  erklärte,  ergriffen  auch  die  kampfgewohntenScharen 
eines  römischen  Parteigängers  Publius  Sitius,  den  Arabio  beseitigt 
hatte,  für  Caesar  den  Sohn  die  Waffen,  in  Erinnerung  an  dieKriegs- 
dienste,  die  sie  dem  Dictator  während  seines  africanischenFeldzuges 
getan,  und  die  Belohnungen,  die  sie  gefunden.  So  erlangte  Sextius 
die  Oberhand,  schlug  Ventidius  und  tötete  ihn  auf  der  Flucht. 
Laelius,  der  Cirta  noch  belagert  hielt,  wurde  zum  Rückzug  in  die 
Provinz  gezwungen.  Nach  solchen  Erfolgen  drang  Sextius  in  Africa 
ein  und  bedrohte  mit  überlegener  Macht  Utica.  Laelius,  der  sich 
mit  der  Reiterei  des  Cornificius  zu  weit  vorwagte,  wurde  von  der 
Übermacht  der  Feinde  geschlagen  und  auf  einem  Hügel  einge- 
schlossen. Um  ihn  zu  befreien,  rückte  Cornificius  mit  seinem 
ganzen  Heere  von  Utica  vor.  Bei  der  Überlegenheit  der  Feinde 
an  Reiterei  geriet  er  bald  in  schwere  Bedrängnis.  Sein  Lager 
wurde  von  den  Numidiern  des  Arabio  in  einem  Überfall  ge- 
nommen, er  selbst  bei  dem  Versuche  zu  Laelius  durchzubrechen 
getötet.  Angesichts  dieser  Niederlage  stürzte  sich  auch  Laelius 
in  das  Schwert.  Das  ganze  Heer  des  Cornificius,  von  den  Nu- 
midiern  auseinandergesprengt,  suchte  Rettung  in  der  Flucht. 
Nur  wenige,  die  den  Schwertern  und  Lanzen  der  Verfolger  ent- 
rannen, gelangten  zu  Schiffe  nach  Sicilien. 

Eine  ungleich   schwerere  Aufgabe  sollte  es  für   Caesar  sein, 
Sextus  Pompeius  Sicilien  zu  entreißen.    Der  Fluch   eines   großen 


y  2  Augustus 

Namens  hatte  auch  Pompeius  bestimmt,  in  den  Wirren  nach  Caesars 
Tode  nach  einer  Krone  zu  haschen,  obwohl  er  von  der  Natur  dazu 
geschaffen  war,  im  Besitze  seines  reichen,  väterlichen  Erbes  müßig 
und  eitel  dahinzuleben.  Nach  der  Schlacht  bei  Munda,  als  elender 
Flüchtling  umherirrend,  sammelte  er  bald  die  Ausgestoßenen  des 
Büigerkrieges  in  Lusitanien  von  neuem  um  seine  Fahne.  Zuchtlose 
Räuberhaufen,  lieh  ihnen  die  Verzweiflung  Kraft.  Auch  entfaltete 
Pompeius  im  Bandenkriege  gegen  Caesars  Statthalter  Asinius  PoUio 
ein  eigentümliches  Geschick,  eroberte  Stadt  um  Stadt  und  gewann 
zuletzt  auch  Neu-Carthago  an  der  Küste  des  Mittelmeeres.  Da  er- 
öffnete ihm  Aemilius  Lepidus,  der  ewige  Mittler  dieser  Zeiten,  die 
Hoffnung  auf  seine  Wiederherstellung.  Aber  die  Forderung  des 
Sextus  Pompeius,  in  den  Besitz  der  Güter  seines  Vaters  wieder- 
eingesetzt zu  werden,  war  unerfüllbar.  Denn  sie  waren  die  Beute 
des  Consuls  Marcus  Antonius.  So  wich  er  vor  der  Übermacht  der 
Legionen,  die  Aemilius  Lepidus  herangeführt  hatte,  hinaus  auf  das 
Meer,  das  fortan  seine  Heimat  sein  sollte.  Die  Spannung  des 
mutinensischen  Krieges  ließ  ihn  mit  seinen  Raubschiffen  an  der 
Küste  Massilias  zögern,  bis  der  Sieg  des  Senates  auch  seinem 
Handeln  eine  bestimmte  Richtung  gab.  Vom  Senate  zum  Feld- 
herrn aller  Meere  ernannt,  das  Amt,  das  sein  Vater  so  ruhmreich 
geführt,  wurde  der  Sohn,  als  auch  ihn  Caesar  als  Mörder  des 
Dictators  verurteilen  ließ,  das  Haupt  aller  Räuber  des  Meeres.  Die 
Küsten  brandschatzend,  um  sein  Schiffsvolk  zu  nähren,  fand  er  in 
Sicilien,  dem  Lande  der  Sclavenwirtschaft,  eine  Burg  im  Meer. 
Alle  die  Gesetzlosen,  entlaufene  Sclaven  Italiens  und  Siciliens, 
flüchtige  Verbrecher,  sie  fanden  auf  seinen  Schiffen  eine  Freistatt, 
vei mehrten  die  Zahl  seiner  Streiter.  Daß  aus  solchen  Anfängen 
ein  Staat  erwuchs,  war  das  Werk  der  Ächtungen,  die  den  Besten 
des  italischen  Volkes  das  Los  der  Räuber  bereiteten.  Das  nahe 
Sicilien  war  ihr  einziger  Zufluchtsort.  Die  Flagge  des  Pompeius 
wurde  das  Wahrzeichen  der  Rettung,  die  Planken  der  Raubschiffe, 
die  die  Geächteten  freudig  aufnahmen,  der  Boden  der  Freiheit 
gegen  die  Gewaltherrschaft  der  Triumvirn.  Am  Hofe  des  See- 
königs, der  sich  selbst  mit  dem  Eichenkranze  zum  Zeichen  der 
Rettung  so  vieler  Bürger  schmückte,    fand   sich    in    Messina   ein 


4-  Das  Triumvirat 


73 


Gegensenat  zusammen,  der  den  Kern  der  Regierung  des  neuen 
Staates  bildete.  Die  Flotte  dieses  Staates  beherrschte  das  tyrrhe- 
nische  Meer,  plünderte  die  Küsten  Italiens  und  schnitt  der  Haupt- 
stadt Rom  die  Zufuhr  ab.  So  kam  mit  allen  anderen  Leiden 
über  Italien  noch  die  Not  des  Hungers. 

Es  war  Caesars  Pflicht,  den  kühnen  Räubern  zu  wehren.  Noch 
im  Herbste  des  Jahres  42  führte  er  seine  Legionen  nach  Regium 
an  die  Meerenge,  wohin  Salvidienus  Rufus,  sein  Jugendfreund,  ein 
Mann  ohne  Herkunft,  mit  einer  rasch  gerüsteten  Flotte  voranging. 
Der  Übergang  nach  der  Insel  war  nur  durch  eine  Seeschlacht 
zu  gewinnen.  Ehe  noch  Caesar  eintraf,  kam  es  in  der  Meer- 
enge zum  Kampfe,  in  dem  die  leichtgebauten,  von  erfahrenen 
Seeleuten  gelenkten  Schiffe  des  Pompeius  sich  den  ungeschulten, 
unbehülflichen  Gegnern  überlegen  bewiesen.  Die  Verluste  der 
Kämpfer  waren  gleich  groß  gewesen,  der  Sieg  nicht  entschieden. 
Caesar  befreite  die  Städte  Regium  und  Vibo  von  dem  Schicksal, 
gemäß  dem  Vertrage  von  Bononia  den  Legionen  als  Siegesbeute 
überliefert  zu  werden,  um  die  seekundigen  Bewohner  für  den 
Dienst  auf  der  Flotte  zu  gewinnen,  und  befahl  dem  Salvidienus, 
seine  Schiffe  zu  einem  neuen  Kampfe  zu  rüsten.  Da  rief  ihn 
Antonius  nach  Brundisium.  Die  Nachrichten,  die  aus  Griechen- 
land von  dem  Vordringen  der  Heere  des  Cassius  und  Brutus 
eintrafen,  gestatteten  nicht  länger,  die  Überfahrt  der  italischen 
Legionen  zu  verzögern.  Zum  Schutze  Italiens  ließen  sie  Lepidus 
mit  einem  Heere  zurück.  Es  war  nicht  das  Verdienst  der  Tri- 
umvirn,  daß  ihnen  noch  in  der  letzten  Stunde  der  Vorteil  blieb, 
den  Krieg  auf  dem  Boden  Griechenlands  auszukämpfen;  denn 
Cassius  und  Brutus,  nur  auf  die  Verstärkungen  ihrer  Rüstungen 
bedacht,  hatten  versäumt,  die  Küsten  des  ionischen  Meeres  gegen 
eine  Landung  ihrer  Gegner  zu  schützen,  obwohl  der  Besitz 
einer  gewaltigen  Flotte  ihnen  das  vollkommene  Übergewicht 
zur  See  gab. 


5-  Brutus  und  Cassius  im  Osten 

Wie  es  gekommen  war,  daß  die  Caesarmörder  sich  aller 
Streitmittel  der  östlichen  Provinzen  hatten  bemächtigen  können, 
habe  ich  jetzt  zu  schildern.  Brutus  war  im  Herbste  des  Jahres 
44  in  Athen  gelandet.  Von  den  Athenern  mit  den  unvermeid- 
lichen Ehren  überhäuft,  schien  er  ganz  der  Philosophie  zu  leben. 
Da  überbrachte  ihm  der  Quaestor  Asiens  i6ooo  Talente,  die 
der  Caesarmörder  Trebonius  in  seiner  Provinz  erpreßt  hatte. 
So  besaß  Brutus  die  Mittel,  ein  Heer  zu  werben,  und  bald  strömten 
Soldaten,  die  aus  Pompeius  Heer  nach  der  Schlacht  von  Phar- 
salus  in  diesen  Landschaften  zurückgeblieben  waren,  seinen 
Fahnen  zu.  Mit  diesen  kriegsgeübten  Scharen  drang  er  in  Mace- 
donien  ein  und  bestimmte  den  Statthalter  Quintus  Hortensius 
Hortalus,  ihn  als  Nachfolger  im  Amte  anzuerkennen.  Ciceros 
Sohn  hatte  den  Ruhm,  die  in  der  Provinz  lagernde  Legion  für 
den  Senat  zu  gewinnen,  und  bald  schlössen  sich  auch  Reiter 
aus  Dolabellas  Heer  dem  freigebigen  Führer  an.  So  rasche 
Erfolge  und  gutes  Geld  überzeugten  auch  die  Legionen  Illyri- 
cums  von  dem  Rechte  des  Senates.  Ihr  Feldherr  Vatinius,  von 
Krankheit  gebeugt  und  von  seinen  Soldaten  mißachtet,  öffnete 
die  Tore  Dyrrachiums  dem  Sieger.  Brutus  war  bereits  Herr 
der  Küste  von  Epirus,  als  Gaius  Antonius,  dem  sein  Bruder 
auf  Grund  jenes  Senatsbeschlusses  vom  28.  November  die  Statt- 
halterschaft Macedoniens  übertragen  hatte,  in  ApoUonia  landete. 
Obwohl  die  Besatzung  der  Stadt  nur  7  Cohorten  zählte,  so  be- 
schloß Gaius  Antonius  doch,  den  Seeplatz  gegen  den  über- 
legenen Feind  zu  verteidigen,  um  seinem  Bruder  die  Landung  in 
Epirus  frei  zu  halten.  Noch  war  die  Entscheidung  vor  Mutina 
nicht  gefallen,  als  die  Siegesnachrichten  des  Brutus  in  Rom 
eintrafen.  Den  unerwarteten  Helfer  in  seiner  angemaßten 
Stellung,  wie  Cicero  wollte,  zu  bestätigen,  fehlte  dem  Senate  der 
Mut.  Aber  was  man  hoffte,  verriet  der  Beschluß,  der  dem  Hor- 
tensius, der  sich  Brutus  freiwillig  untergeordnet  hatte,  die  Statt- 


I 


5.  Brutus  und  Cassius  im  Osten  je 

halterschaft  von  Macedonien  verlängerte.  Auch  wollte  man  Gaius 
Antonius  verleugnen,  den  die  Gemäßigten  wie  seinen  Bruder  ver- 
abscheuten. 

Apollonia  gegen  die  Übermacht  zu  verteidigen,  erschien 
Gaius  Antonius  bei  der  unsicheren  Haltung  der  Bewohner  bald 
unmöglich.  So  versuchte  er  gegen  Buthrotum  in  Epirus  durch- 
zubrechen. Auf  dem  Marsche  wurden  3  seiner  Gehörten  abge- 
schnitten, er  selbst  bei  Byllis  von  Ciceros  Sohn  überholt  und 
nach  kurzer  Gegenwehr  gezwungen,  die  Waffen  zu  strecken. 
Brutus  hatte  Blutvergießen  zu  vermeiden  gewußt,  sodaß  sein 
Heer  nach  dem  Übertritt  der  Gehörten  des  Antonius  auf  acht 
Legionen  anwuchs. 

Auch  Cassius  hatte  in  Asien  von  Trebonius  reiche  Mittel  für 
seinen  Zug  nach  Syrien  erhalten.  So  mit  dem  Nerv  aller  Kriegs- 
führung ausgerüstet,  gewann  er  herrenlose  Reiterscharen,  die  für 
den  Partherkrieg  bestimmt  waren.  Durch  das  Innere  Kleinasiens 
weiterziehend  hob  er  Truppen  aus,  erpreßte  Gelder,  zwang  Städte 
und  Fürsten,  sich  ihm  anzuschließen.  Er  gewann  damit  den  ent- 
scheidenden Vorsprung  vor  seinem  Nebenbuhler  Dolabella,  dem  er 
den  Besitz  Syriens  streitig  machen  wollte.  Denn  Dolabella  hatte 
Italien  erst  verlassen,  als  Antonius  durch  eine  letzte  Gewalttat  die 
Legionen  aus  Macedonien  nach  Brundisium  abrief.  Nur  der  hohe 
Adel  seines  Geschlechtes  hatte  ihm  einen  Platz  in  Gaesars  Anhang 
gesichert  und  den  Verdienstlosen  bis  zum  Gonsulat  erhöht.  Auch 
er,  der  üppige  Schwelger  und  Buhler,  dem  aufbrausender  Zorn  für 
kraftvolles  Handeln  galt,  hatte  in  seiner  Weise  neben  Antonius 
den  Gewaltherrn  gespielt,  obwohl  er  nur  die  Brosamen  auflas,  die 
von  dem  Tische  des  Mächtigeren  fielen.  So  war  ihm  auch  bei  der 
Teilung  des  macedonischen  Heeres  nur  eine  der  6  Legionen  zu- 
gefallen. Nachdem  er  in  Macedonien  den  Befehl  über  diese  Legion 
übernommen  und  durch  Aushebungen  eine  zweite  aufgestellt, 
wandte  auch  er  sich  nach  Asien,  um  einen  Kriegsschatz  zu  gewinnen. 
Aber  Trebonius  hütete  seine  Beute.  Die  Städte  Asiens  verschlossen 
ihm  die  Tore,  erwehrten  sich  seiner  mit  Gewalt;  kaum  daß  ihm 
Trebonius  einen  freien  Markt  für  das  Heer  gewährte.  Da  gab  sich 
Dolabella  den  Anschein,  als  wolle  er  in  Ephesus  sein  Heer  ein- 


76  Augustus 

schiffen,  wandte  sich  dann  gegen  Smyrna,  dessen  unbewachte 
Mauern  bei  Nacht  erstiegen  wurden.  Die  plündernden  Scharen 
Dolabellas  drangen  in  die  Stadt  ein,  überraschten  Trebonius  im 
Schlafe.  Mit  wildem  Hohn  schlug  man  ihm  das  Haupt  ab,  das 
als  Fangball  durch  die  Straßen  rollte,  bis  es  Dolabella  auf  dem 
Richterstuhle  der  Statthalter  Kleinasiens  zur  Schau  stellen  ließ. 
Den  Leichnam  des  Gottverruchten  warf  man  ins  Meer.  So  hatte 
den  ersten  der  Mörder  Caesars  ein  gerechtes  Gericht  erreicht.  Jetzt 
Herr  Asiens,  nahm  Dolabella  wütende  Rache  an  Allen,  die  mit 
ihrem  Gelde  zurückgehalten  hatten.  Öffentliches  und  heiliges  Gut 
riß  er  an  sich,  plünderte  und  verwüstete  die  Städte,  wo  Ruinen 
noch  in  späteren  Zeiten  von  der  Hand  des  Dolabella  zeugten. 

Die  gemäßigte  Partei  des  Senates  beantwortete  solches  Rasen 
mit  der  Acht.  Verderblicher  wurde  ihm  seine  planlose  Kriegs- 
führung. Denn  als  er  sich  noch  der  Küste  Syriens  näherte,  hatte 
Cassius  die  Herrschaft  über  die  Provinz  gewonnen. 

Ich  habe  früher  erzählt,  wie  Feldherrn  Caesars  um  die  Zeit 
von  dessen  Ermordung  abgefallene  Legionen,  die  aufs  neue  das 
Banner  des  toten  Pompeius  erhoben  hatten,  in  Apameia  belagert 
hielten.  Jetzt  war  in  Syrien  Waffenruhe  eingetreten,  weil  niemand 
mehr  wußte,  für  wen  und  warum  er  sich  schlug.  Da  erschien 
Cassius,  der  einst  nach  der  Niederlage  des  Crassus  Syrien  ruhm- 
voll gegen  die  Parther  verteidigt  hatte,  als  der  von  Caesar  für  die 
Verwaltung  der  Provinz  eingesetzte  Statthalter.  Sein  Ansehen 
bestimmte  die  Führer  der  syrischen  Heere,  die  Herrschaft  des 
Senates,  der  in  Italien  zu  gebieten  schien,  anzuerkennen.  So  war 
es  Cassius  ein  Leichtes,  den  Legaten  des  Dolabella,  der  mit  vier 
Legionen  aus  Aegypten  heranrückte,  den  Weg  in  Palästina  zu  ver- 
legen und  durch  seine  Übermacht  zur  Waffenstreckung  zu  zwingen. 
Bereits  gebot  er  über  12  Legionen,  20  Cohorten  der  Hilfstruppen 
43  V.  Chr.  und  zahlreiche  Reiter,  als  Dolabella  endlich  im  April  das  geplün- 
derte Asien  verließ.  Auf  der  Flotte,  die  er  auf  den  Inseln  und  den 
Küsten  Kleinasiens  gerüstet  hatte,  brachte  er  sein  Heer  nach 
Cilicien,  wo  Tarsos  ihn  aufnahm  und  Aegae  nach  Vertreibung  der 
Besatzung  des  Cassius  in  seine  Hände  fiel.  Durch  so  leichte  Er- 
folge verblendet,  landete  er  in  Laodikeia.   Bei  einem  ersten  Vor- 


5-  Brutus  uDd  Cassius  im  Osten  -j-j 

Stoße  auf  Antiochia  blutig  zurückgewiesen,  sah  er  sich  bald  in 
Laodikeia  von  den  zehnfach  überlegenen  Streitkräften  des  Cassius 
eingeschlossen.  Noch  beherrschte  er  die  See,  da  auch  die  Städte 
Phönikiens  und  Königin  Cleopatra  von  Aegypten  den  Rächer 
Caesars  willig  unterstützten.  Aber  die  Kriegsschiffe,  mit  welchen 
sein  Legat  Figulus  aus  den  Gewässern  Kleinasiens  ihm  hätte 
nachfolgen  sollen,  wurden  von  den  Flottenführern  des  Cassius  auf- 
gehalten; seine  Verbündeten  in  Syrien  hielten  es  bald  für  besser, 
Cassius  Übermacht  zu  verstärken,  sodaß  er,  auch  zur  See  ge- 
schlagen, nach  der  Sperrung  des  Hafens  durch  Staius  Murcus  in 
schwerste  Bedrängnis  geriet.  Noch  wehrte  sich  Dolabella  in  seiner 
Verzweiflung  bis  aufs  Äußerste,  obwohl  auch  der  Hunger  die 
Verteidigung  lähmte.  Schon  hatten  die  Belagerungswerke  des 
Cassius  die  Befestigungen  erreicht,  als  die  Soldaten  Dolabellas,  des 
starrsinnigen  Widerstandes  müde,  den  Feinden  die  Tore  öffneten. 
Für  den  Henker  des  Trebonius  gab  es  keine  Gnade.  Dolabella 
endete  unter  den  Streichen  eines  Leibwächters  sein  Leben,  und 
seinem  Beispiel  folgten  die  vornehmsten  seiner  Anhänger.  Cassius, 
der  jede  Parteinahme  für  seine  Gegner  als  eine  Auflehnung 
gegen  die  Hoheit  des  Senates  bestrafte,  ließ  das  unglückliche 
Laodikeia  die  ganze  Schwere  des  Kriegsrechtes  fühlen.  Trium- 
phierend berichtete  Cassius  noch  vor  dem  Entsätze  Mutinas  an 
den  Senat  über  seine  glänzenden  Taten. 

Aber  Hülfe  konnte  dem  Senate  nur  Brutus  bringen,  der  um 
diese  Zeit  mit  acht  Legionen  in  lllyrien  stand.  Doch  blieb  er,  auch 
als  Decimub  Albinus  befreit  war,  gegen  alle  Bitten,  in  den  italischen 
Krieg  einzugreifen,  taub.  Selbst  die  offene  Parteinahme  des  Senats, 
der  ihn  und  Cassius  zu  Oberstatthaltern  des  Ostens  ernannte,  ver- 
mochte ihn  nicht  aus  seiner  vorsichtig  abwartenden  Stellung  auf- 
zurütteln. Darüber  vollzog  sich  das  Schicksal  des  Senates,  vom 
scheinbaren  Sieg  bis  zur  vollständigen  Niederlage.  Die  Bildung 
des  Triumvirates  mußte  Marcus  Brutus  ein  längeres  Ausharren  in 
seiner  jetzt  bedrohten  Stellung  an  der  epirotischen  Küste  umso 
gefährlicher  erscheinen  lassen,  als  seine  eigenen  Truppen  aus  jungen 
unerprobten  Mannschaften  bestanden,  die  dem  Stoße  der  Veteranen 
Caesars  nimmer  hätten  stand  halten  können.  Er  tat  das  Unvermeid- 


yS  Augustus 

liehe,  als  er  sein  ganzes  Heer  nach  Asien  überführte,  um  sich  hier 
mit  Cassius  zu  vereinigen.  Auf  seine  dringende  Mahnung  hatte 
Cassius  den  Zug  gegen  Cleopatra,  die  für  ihre  Unterstützung  Dola- 
bellas  hätte  büßen  sollen,  aufgegeben  und  war  mit  seinem  ganzen 
Heere  aus  Syrien  im  Anmarsch.  Auf  dem  Wege  hatte  er  mit  der 
fühllosen  Härte  seines  Charakters  Städte,  Fürsten  und  Länder 
beraubt.  Das  gleiche  Schicksal  wie  Laodikeia  traf  jetzt  auch  Tarsos, 
das  sein  Verderben  heraufbeschwor,  indem  es  dem  Caesarmörder 
Tillius  Cimber,  der,  seine  Provinz  Bithynien  im  Stiche  lassend, 
Cassius  erreichen  wollte,  den  Eintritt  in  die  Stadt  verweigerte.  Für 
solchen  Frevel  belegte  Cassius  die  Stadt  nach  der  Überwindung 
des  Dolabella  mit  der  unerschwinglichen  Buße  von  1500  Talenten. 
Ausgesandte  Soldaten  zwangen  die  Behörden  der  Stadt,  die  Gelder 
des  Staates,  die  Kostbarkeiten  der  Tempel,  das  Privatvermögen 
der  Bürger  auszuliefern,  und  da  alles  nicht  genügen  wollte,  die 
Frauen  und  Kinder,  Männer  und  Greise  in  die  Sclaverei  zu  ver- 
kaufen, bis  endlich  selbst  Cassius  diesem  Wüten  Einhalt  tat. 
Rascher  gewann  er  die  Schätze  des  Königs  Ariobarzanes  von 
Cappodocien.  Der  Verschwörung  beschuldigt,  wurde  er  einfach 
von  Cassius  Reitern  erschlagen  und  seine  Schatzkammern  geleert, 
lii  Smyrna  hielten  die  Caesarmörder  Kriegsrat.  Noch  hatten 
sie  es  in  der  Hand,  die  verlorene  Stellung  in  Europa  wieder  ein- 
zunehmen, den  Gegner  entweder,  wie  es  Pompeius  im  ersten  Bürger- 
kriege getan,  an  der  Küste  des  adriatischen  Meeres  zu  erwarten, 
oder  mit  ihrer  überlegenen  Flotte  Italien  selbst  zu  bedrohen  und 
den  Krieg  im  Bunde  mit  Sextus  Pompeius  zu  führen.  Aber  der 
Fluch  ihrer  Tat  wich  nicht  von  ihnen  und  lähmte  die  Kraft  ihrer 
Entschließung.  Ihr  einziger  Gedanke  war,  die  führerlosen  Heere, 
die  sie  an  sich  gerissen,  dauernd  an  sich  zu  fesseln  und  willig  zu 
machen,  nach  so  vielen  Niederlagen  der  Senatspartei  unter  ihren 
Fahnen  weiterzukämpfen.  Das  einzige  Mittel,  die  Söldner  im  Ge- 
horsam zu  erhalten,  lag  in  der  Macht  des  Goldes.  Wie  die  Trium- 
virn  in  Italien  raubten  und  plünderten,  um  die  Gier  ihrer  Söldner 
zu  stillen,  so  erpreßten  die  Befreier  in  den  Provinzen,  was  ihnen 
noch  abzuzwingen  war.  Aber  ganz  anders  als  in  Italien  waren  die 
hohen  Herren  des  Senates  seit  einem  Jahrhundert  in  den  Provinzen 


5-  Brutus  und  Cassius  im  Osten  ^q 

gewohnt,  in  den  Untertanen  nichts  anderes  zu  sehen  als  eine 
willenlose,  im  höchsten  Maße  steuerbare  Masse,  die  irgendwie  zu 
schonen  keine  Gerechtigkeit  erlaubte.  Zur  schwersten  Mißhand- 
lung wurden  die  Retter  der  Freiheit  durch  ihren  Fanatismus 
aufgestachelt.  Wie  Cassius  in  Syrien  hatte  Brutus  schon  früher 
in  Thrakien  den  Raubkrieg  geführt,  die  ohnmächtige  Fürstin 
Polemokrateia  gezwungen,  ihm,  dem  selbstbestellten  Vormund 
ihrer  Kinder,  ihre  Schätze  in  Europa  und  in  Kyzikos,  wo  sie 
sie  geborgen  glaubte,  auszuliefern.  Noch  tragen  die  aus  dem 
thrakischen  Golde  geprägten  Münzen  des  Brutus  das  Wahrzeichen 
seiner  Schande,  den  Freiheitshut  zwischen  den  Dolchen  der 
Rächer.  Was  war  von  solchen  Männern  zu  erwarten,  wo  sie  an 
der  Spitze  von  19  Legionen  kein  Unrecht  tun  konnten.'* 

Auch  in  Asien  galt  es,  Abtrünnige  zu  züchtigen.  Hatten  doch 
Rhodos  und  die  Lykier,  dem  Namen  nach  freie  Bundesgenossen 
Roms,  zur  Unzeit  erklärt,  im  Bürgerkriege  keine  Partei  ergreifen 
zu  wollen.  Rhodos  hatte  trotz  aller  Schicksalschläge,  die  es  unter 
römischer  Herrschaft  erfahren,  neben  den  Tugenden  griechischen 
Geistes  auch  die  Kunst  der  Waffen  nicht  verlernt.  War  auch  die 
Zeit  der  Blüte  ihres  Handels  dahin,  so  glänzte  doch  die  Stadt,  die 
nie  den  Feind  im  Innern  ihrer  Mauern  gesehen,  im  altererbten 
Reichtum.  Dies  war  es,  was  Cassius  bewog,  die  Treulose  heimzu- 
suchen. Die  Erinnerung  an  so  viele  ruhmvolle  Siege,  die  sie  gegen 
übermächtige  Feinde  gewonnen,  bestimmte  die  Rhodier,  trotz  der 
geringen  Schiffszahl  auf  der  Höhe  von  Myndos  der  römischen 
Flotte  entgegenzutreten.  Aber  ihre  Seemannskunst  und  ihr  Mut 
erlag  der  Übermacht  der  Feinde.  Als  Cassius  von  Loryma  aus 
seine  Legionen  auf  Lastschiffen  nach  der  Insel  übersetzte  und 
mit  der  Flotte  den  Hafen  zu  sperren  drohte,  versuchten  die 
Rhodier  noch  einmal,  wenn  auch  gleich  erfolglos,  ihre  Stadt 
zu  schirmen.  Das  Hoffnungslose  des  Widerstandes  lähmte  auch 
die  Verteidigung  und  führte  zu  Verhandlungen.  Während  sie 
noch  schwebten,  drang  Cassius  durch  Überraschung  in  die  Stadt 
ein.  Ganz  anders  als  Tarsos  befriedigte  Rhodos  die  Raubgier 
der  Sieger.  Die  herrliche  Beute  von  8500  Talenten  krönte  die 
Hinrichtung  der  edelsten  Vorkämpfer  der  Freiheit. 


8o  Augustus 

Noch  vernichtender  traf  der  Rachezug  des  Brutus  die  Städte 
Lykiens.  Die  Plünderung  der  kleineren  Orte  gelang  ihm  mühe- 
los. Aber  das  feste  Xanthos  trotzte  selbst  einer  regelmäßigen 
Belagerung.  In  erbitterten  Ausfallskämpfen  zerstörten  die  Ver- 
teidiger immer  wieder  die  Belagerungswerke,  bis  es  den  Römern 
gelang,  durch  ein  geöffnetes  Tor  in  die  Stadt  einzudringen;  die 
Xanthier  brachten  das  Tor  wieder  in  ihre  Gewalt,  griffen  die 
Römer  im  Innern  von  allen  Seiten  an  und  drängten  sie  zuletzt  in 
das  Heiligtum  des  Sarpedon,  dessen  feste  Mauern  ihnen  Schutz 
gewährten.  Den  Abgeschnittenen  Hülfe  zu  bringen,  bemühten 
sich  die  Römer  lange  vergebens,  bis  sie  endlich  unter  der  Führung 
eines  lykischen  Verräters  die  Stadtmauer  an  einer  Stelle  erstiegen, 
wo  der  Schutz  steiler  Felswände  die  Verteidiger  in  Sicherheit 
gewiegt  hatte.  Bald  ergossen  sich  die  Römer  von  allen  Seiten 
in  die  Stadt,  mit  den  Bewohnern,  die  jeden  Fußbreit  verteidigten, 
im  Straßenkampfe  ringend.  Vergebens  suchte  Brutus  dem 
Morden  Einhalt  zu  gebieten.  Die  Xanthier,  das  Beispiel  ihrer 
Väter  nachahmend,  die  in  den  Kämpfen  gegen  Harpagos  unter 
den  Trümmern  ihrer  Stadt  den  Tod  gefunden  hatten,  warfen 
die  Brandfackel  in  ihre  Häuser  und  Tempel,  und  wer  nicht  mit 
dem  Schwert  in  der  Hand  fiel,  verbrannte  in  der  flammenden 
Lohe.  Nur  150  Greise  und  Kinder  von  Xanthos  sollen  den 
Untergang  der  geliebten  Heimat  überlebt  haben.  Ein  so  furcht- 
bares Strafgericht  lähmte  den  weiteren  Widerstand  der  Lykier. 
Patara  ergab  sich  bedingungslos,  als  Brutus  es  mit  dem  Schick- 
sal von  Xanthos  bedrohte,  und  nachdem  auch  Myra  gefallen 
war,  unterwarf  sich  ganz  Lykien  dem  Sieger.  Was  der  Preis 
der  Verzeihung  war,  erkennt  man  an  der  Begnadigung  Pataras, 
von  wo  Brutus,  was  die  Stadt  an  Gold  und  Kostbarkeiten  besaß, 
entführte.  So  hatten  die  Befreier  an  ihren  Feinden  gehandelt, 
die  um  den  Schein  der  Freiheit  mit  ihnen  gerungen  hatten. 
Gleiche  Gerechtigkeit  widerfuhr  den  gehorsamen  Provinzialen. 
Ein  Edict  befahl  ihnen,  das  zehnfache  des  Jahrestributs  in  den 
Kriegsschatz  zu  steuern.  Wie  ein  Brandmal  ist  die  Erinnerung 
an  die  letzte  Zeit  der  Senatsherrschaft  den  Ländern  des  Ostens 
aufgeprägt  geblieben. 


6.  Philippi 

Die  Fortschritte  des  Heeres  der  Triumvirn  in  Macedonien 
machten  den  Raubzügen  der  Befreier  ein  Ende  und  nötigten  sie,  an 
ihre  Verteidigung  zu  denken.  Bereits  hielten  Decidius  Saxa  und 
Gaius  Norbanus  mit  acht  Legionen  die  schwierigen  Pässe  an  der 
thrakischen  Küstenstraße  besetzt.  Die  Landung  des  Hauptheeres  der 
Triumvirn  in  Epirus  wirksam  zu  hindern,  war  unmöglich  geworden. 
Die  glücklichen  Unternehmungen  der  Flotte  im  adriatischen  Meer 
lassen  erkennen,  daß  Cassius  und  Brutus  bei  einer  umsichtigen 
Führung  des  Krieges  die  Gegner  hätten  in  Italien  festhalten  können. 
Cassius  hatte  schon  im  Frühjahr  42  den  Staius  Murcus  mit  einer 
Flotte  nach  dem  Peloponnes  entsendet,  um  den  Kriegsschiffen, 
welche  die  Königin  Ägyptens  den  Triumvirn  zu  Hülfe  sandte,  den 
Weg  zu  verlegen.  Als  ein  Sturm  die  Ägypter  zerstreute,  erhielt 
Murcus  freie  Hand  in  das  adriatische  Meer  vorzugehen.  Er  legte 
sich  vor  den  Kriegshafen  Brundisium  und  hinderte  die  Ausfahrt  der 
Truppenschiffe  so  wirksam,  daß  Antonius  den  Eingang  des  Hafens 
nur  mit  Mühe  durch  Floße,  die  Türme  trugen,  offen  hielt.  Erst 
Caesar,  der,  den  Kampf  gegen  Sextus  Pompeius  aufgebend,  seine 
Flotte  von  Regium  heranführte,  gelang  es,  die  Sperre  des  Hafens 
zu  sprengen.  So  landeten  die  Triumvirn  ihr  ganzes  Heer  ohne 
ernstliche  Störung  in  Dyrrachium,  ehe  noch  Domitius  Ahenobarbus, 
den  Cassins  mit  50  Schiffen,  die  auch  Legionare  an  Bord  führten, 
entsendet  hatte,  zur  Verstärkung  des  Murcus  an  der  illyrischen 
Küste  eintraf.  Nur  die  Nachschübe  an  Truppen  und  die  Transporte 
vermochten  sie  zu  hemmen.  Aber  auch  dies  genügte,  die  Lage  der 
Triumvirn  zu  erschweren.  Denn  sie  waren  jetzt  für  die  Verpflegung 
ihres  Heeres  ganz  auf  das  arme  lUyricum  und  das  schwach  be- 
völkerte Macedonien  angewiesen,  und  doch  ein  rascher  Vormarsch 

Doraaszewski.    I.  6 


82  Augusius 

nach  Macedonien  war  dringend  geboten,  sollten  die  nach  Mace- 
donien  vorgeschobenen  Legionen  nicht  von  der  feindlichen  Über- 
macht erdrückt  werden. 

Schon  waren  Cassius  und  Brutus  nach  dem  thrakischen  Cher- 
sones  übergegangen.  Hier  hielten  sie  eine  Heeresschau  über 
19  Legionen,  12000  Reiter  und  zahlreiche  Hülfsvölker,  die  ihnen 
die  Fürsten  Asiens  zugeführt  hatten.  Der  innere  Wert  und  Zu- 
sammenhang des  Heeres  entsprach  nicht  der  gewaltigen  Zahl. 
Um  den  Kampfesmut  des  Heeres  zu  heben,  seiner  Treue  gewiß 
zu  sein,  spendeten  Cassius  und  Brutus  aus  ihrem  unerschöpf- 
lichen Kriegsschatz  reiche  Gaben.  Durch  die  thrakischen  Fürsten 
von  der  Stellung  des  Feindes  genau  unterrichtet,  rückten  sie  auf 
der  Küstenstraße  über  Änos  und  Maroneia  gegen  die  korpilischen 
Pässe  vor.  Decidius  Saxa  wurde  zur  Räumung  der  Pässe  ge- 
zwungen, als  die  Flotte  unter  Tillius  Cimber,  an  der  Küste  entlang 
fahrend,  den  Rückzug  bedrohte.  Er  wich  auf  die  sapaeischen 
Pässe  zurück,  vereinigte  sich  hier  mit  Gaius  Norbanus,  um  die  stark 
befestigte  Stellimg,  die  zu  umgehen  unmöglich  schien,  hartnäckig 
zu  verteidigen.  Trotz  ihrer  Übermacht  verbluteten  sich  die  Truppen 
der  Befreier  in  vergeblichen  Stürmen.  Und  doch  war  das  Haupt- 
heer unter  Antonius  bereits  im  Anmarsch,  auch  die  Jahreszeit 
drängte  zur  Eile.  Da  erbot  sich  der  thrakische  Fürst  Rhascuporis, 
die  Legionen  des  Cassius  auf  unwegsamen  Gebirgspfaden  dem 
Feinde  in  den  Rücken  zu  führen.  Als  die  für  die  Umgehung  be- 
stimmten Truppen  unter  Bibulus  Befehl  nach  einem  viertägigen 
Marsche  in  den  ungangbaren,  wasserlosen  Bergen  ganz  erschöpft 
hinter  der  Stellung  der  Caesarianer  eintrafen,  hatte  Norbanus, 
von  dem  thrakischen  Fürsten  Rhascus  gewarnt,  die  sapaeischen 
Pässe  geräumt  und  war  in  vollem  Rückzug  auf  Amphipolis  be- 
griffen. Rhascus  war  der  Bruder  jenes  Rhascuporis  und  hatte 
die  Partei  der  Triumvirn  ergriffen,  um  dem  Fürstenhause,  wer 
auch  siegen  sollte,  die  angestammte  Herrschaft  zu  sichern. 

Cassius  und  Brutus  folgten  den  Feinden  durch  die  verlassenen 
Pässe,  Jenseits  des  Westausganges  dehnte  sich  die  Ebene  von 
Philippi.  Cassius  erkannte  mit  sicherem  Blicke  westwärts  der  Stadt 
eine  Stellung,  die  zu  einer  nachhaltigen  Verteidigung  vortrefflich 


6.  Philippi  3  -i 

geeignet  war.  Sie  deckte  die  Straße  von  Philippi  nach  dem  Hafen- 
platze Neapolis,  wo  die  Flotte,  die  das  Meer  beherrschte,  vor 
Anker  ging,  und  hielt  die  Rückzugslinie  durch  die  sapaeischen 
Pässe  offen.  Ein  Fluß,  der  im  Westen  durch  ein  versumpftes  Tal 
hinlief,  erschwerte  die  Annäherung  der  Feinde.  Im  Süden  war  diese 
Stellung- durch  ausgedehnte  Sümpfe,  im  Norden  durch  ein  unweg- 
sames Gebirge  vor  jeder  Umgehung  gesichert.  Auf  zwei  Hügeln, 
die  ein  schmales  Tal  trennte,  verschanzten  sich  die  Heere,  Brutus 
auf  dem  nördlichen,  Cassius  auf  dem  südlichen,  und  sperrten  das 
Tal  durch  ein  starkes  Werk.  Auf  diesem  wohlgewählten  Kampf- 
platz lag  es  in  der  Hand  der  Feldherrn,  den  Feind  durch  hart- 
näckige Verteidigung  zu  erschöpfen  oder  die  Entscheidungsschlacht 
unter  günstigen  Bedingungen  zu  schlagen.  Ihr  junges  Heer  brannte 
vor  Begierde,  Kraft  und  Geschicklichkeit  an  den  Veteranen  Caesars 
zu  erproben.  Fochten  doch  in  beiden  Reihen  die  edeln  Söhne 
Italiens.  Um  den  unerreichten  Siegesruhm  ihres  Volkes  ringend, 
sollten  sie  im  brudermordenden  Kampfe  das  Blachfeld  von  Philippi 
mit  ihrem  Blute  röten.  Aber  über  den  Feldherrn  lag  der  Schatten  der 
Verzweiflung.  In  dem  Glauben  an  ein  unentrinnbares  Verhängnis 
brüteten  sie  finster  über  dunkeln  Ahnungen,  unheilvollen  Vorzei- 
chen. Die  Adler,  die  Siegesboten  des  höchsten  und  besten  Juppiter, 
die  das  Heer  auf  dem  Zuge  durch  Thrakien  geleitet  hatten,  ver- 
schwanden vor  ihren  Blicken  auf  dem  Felde  von  Philippi.  Cassius 
sah  es  mit  Entsetzen,  daß  das  Bild  der  Göttin,  die  seine  Sieges- 
kraft verkörperte,  bei  der  Heeresweihe  in  den  Staub  stürzte.  Qual- 
voller litt  Brutus,  wenn  die  zertretene  Liebe  zu  Caesar  im  nächt- 
lichen Dunkel  den  drohenden,  blutigen  Schatten  heraufbeschwor. 
Da  rief  sie  das  Nahen  der  Feinde  zur  Tat, 

Antonius  führte  das  Heer  der  Triumvirn  über  Amphipolis  heran, 
wo  er  sich  mit  Norbanus,  der  ihn  in  stark  verschanzter  Stellung 
erwartet  hatte,  vereinigte.  Caesar  war  erkrankt  in  Dyrrachium 
zurückgeblieben.  Schmerzlich  empfand  er,  wie  oft  in  seinem 
Leben,  daß  sein  schwacher  Körper  im  entscheidenden  Augen- 
blicke versagte.  Als  Antonius  vor  den  unangreifbaren  Höhen  von 
Philippi  eintraf,  entschied  er  sich,  sein  Heer  unmittelbar  am  Feinde 
in  der  sumpfigen  Niederung  lagern  zu  lassen.    Die  Ungunst  der 


84  Augustus 

Stellung  irrte  ihn  nicht,  da  er  entschlossen  war,  die  Entscheidungs- 
schlacht zu  schlagen.  Zehn  Tage  später,  als  Caesar  beim  Heere 
eintraf,  rückte  er  in  voller  Schlachtlinie  an  die  Schanzen  des  Geg- 
ners heran.  Aber  Cassius  blieb  unbeweglich  auf  den  Höhen  stehen. 
Die  Schwierigkeit  der  Verpflegung,  Mangel  an  Trinkwasser,  Krank- 
heiten unter  dem  Einflüsse  der  Herbstregen  wirkten  so  ungünstig 
auf  das  Heer  der  Triumvirn,  daß  Antonius  beschloß,  die  Schlacht, 
die  die  Gegner  so  hartnäckig  verweigerten,  zu  erzwingen.  Es 
konnte  nur  gelingen,  wenn  er  die  Verbindung  des  Cassius  mit  dem 
Meere  bedrohte.  Durch  den  Schein  eines  Angriffs  auf  der  ganzen 
Linie  den  Gegner  täuschend,  ließ  er  Tag  und  Nacht  an  einem 
Damm  arbeiten,  der  den  Sumpf  im  Süden  überbrückte.  In  einer 
dunkeln  Nacht  führte  Antonius  einen  Teil  seines  Heeres  über  den 
Sumpf,  besetzte  eine  Höhe  im  Rücken  der  Feinde  und  befestigte  sie. 
Als  Cassius  die  Umgehung  gewahr  wurde,  verlängerte  er  den  Arm 
seiner  Befestigungen,  der  vom  Hauptlager  bis  an  den  Sumpf  reichte, 
durch  ein  Gegenvverk,  bis  es  ihm  gelang,  den  Damm  des  Antonius 
zu  durchbrechen  und  die  vorgedrungenen  Abteilungen  vom  Haupt- 
heere abzuschneiden.  Nur  durch  eine  siegreiche  Schlacht  konnte 
Antonius  die  Abgeschnittenen  befreien.  So  entwickelte  er  wieder 
sein  und  Caesars  Heer  in  der  Ebene  zur  Schlacht  gegen  den  Feind, 
der  wie  immer  unbeweglich  auf  seinen  Höhen  stand.  Als  Antonius 
den  rechten  Flügel  ohne  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeit  des  Bodens 
zum  Angriff  auf  Cassius  Legionen  heranführte,  stürmten  die  Legi- 
onen des  Brutus,  ohne  einen  Befehl  abzuwarten,  die  Höhen  herab  auf 
Caesars  Flügel  ein,  warfen  und  durchbrachen  ihn  und  bemächtigten 
sich  des  feindlichen  Lagers.  Trotz  der  Niederlage  des  linken  Flügels, 
die  sich  vor  seinen  Augen  vollzog,  drang  Antonius  mit  Übermacht 
auf  die  Linien  des  Cassius  ein,  erreichte  den  Arm  der  Befestigungen, 
der  das  Hauptlager  mit  dem  Sumpfe  verband,  eroberte  durch  die 
Wucht  seines  Ansturmes  die  Werke  und  trieb  die  Verteidiger,  die 
von  dem  Damme  in  dem  Sumpfe  herbeieilten,  zurück.  Nachdem 
er  so  des  Schlüsselpunktes  der  feindlichen  Stellung  Herr  geworden, 
griff  er  mit  gleichem  Ungestüm  das  schwach  verteidigte  Hauptlager 
des  Cassius  an,  das  in  seine  Hände  fiel.  Vom  Lärm  des  Kampfes, 
der  in  ihrem  Rücken  tobte,  erschüttert,  begannen  die  Legionen,  die 


6.  Philipp!  85 

noch  vor  den  Schanzen  kämpften,  zu  weichen.  Cassius,  als  er  das 
Feld  von  Fliehenden  bedeckt  sah,  gab  alles  verloren  und  rettete 
sich  gegen  Philippi.  Da  sah  er,  wie  von  Norden  Reitermassen 
herankamen,  die  er  für  feindliche  hielt.  Ehe  noch  der  Officier,  den 
er  zur  Erkundigung  ausgesendet  hatte,  zurückkehrte,  ließ  er  sich 
verzweifelnd  von  seinem  Schildträger  töten.  Und  doch  waren  des 
Antonius  glänzende  Erfolge  nur  ein  Scheinsieg  gewesen.  Als 
Biutus  sein  siegreiches  Heer  zum  Gegenangriff  heranführte,  wurden 
die  Tiuppen  des  Antonius  aus  den  mit  so  furchtbaren  Opfern  ge- 
wonnenen Werken  wieder  herausgetrieben.  Am  Abend  der  Schlacht 
lagerten  sich  die  Heere  in  den  Stellungen  gegenüber,  die  sie  vor  dem 
Kampfe  eingenommen  hatten.  Schon  am  nächsten  Morgen  ordneten 
die  1  riumvirn  in  der  Ebene  ihr  Heer  von  neuem  zur  Schlacht. 
Aber  das  Heer  des  Brutus  wagte  nicht  mehr,  von  den  sicheren 
Höhen  ins  Tal  zum  Kampf  niederzusteigen.  Es  war,  wie  Brutus 
sagte:  wir  geben  uns  nur  den  Schein,  nicht  besiegt  zu  sein.  Um 
den  Anblick  des  toten  Feldherrn  dem  Heere  zu  entziehen,  ließ 
Brutus  die  Leiche  des  Cassius  in  dem  fernen  Thasos  bestatten. 

An  demselben  Tage,  an  dem  bei  Philippi  die  Schlacht  ge- 
schlagen wurde,  hatte  die  Triumvirn  auf  dem  adriatischen  Meere 
ein  furchtbarer  Schlag  getroffen.  Domitius  Calvinus  hatte  den 
Versuch  gewagt,  angesichts  der  feindlichen  Flotte,  die  das  Meer 
beherrschte,  von  Brundisium  aus  zahlreiche  auserlesene  Truppen 
auf  Lastschiffen  nach  Epirus  überzusetzen.  Da  stockte  der  günstige 
Fahrwind  in  dem  Augenblicke,  wo  die  Truppenschiffe  des  Calvinus 
von  der  Flotte  des  Staius  Murcus  und  Domitius  Ahenobarbus  auf 
offenem  Meere  erspäht  und  angegriffen  wurden.  Die  schwache 
Bedeckung  an  Geleitschiffen  wurde  bald  überwältigt  und  die  Last- 
schiffe, von  Brandpfeilen  in  Flammen  gesetzt,  begannen  zu  sinken. 
Der  Mut  der  \'erteidiger,  die  mit  den  feindlichen  Elementen  rangen, 
das  Deck  der  sie. umgebenden  Kriegsschiffe  zu  erstürmen  suchten, 
verzögerte  nur  ihren  Untergang.  Zwei  Legionen,  unter  ihnen  die 
Martia,  die  Siegerin  von  Munda  und  Mutina,  2000  Soldaten  prae- 
torischer  Cohorten,  4  Reiterregimenter  und  zahlreiche  auserlesene 
Hülfsvölker,  sie  alle  deckten  den  Grund  des  Meeres. 

Dieses    grausige  Opfer   änderte  nichts  an  dem  Ausgang  des 


86  Augustus 

Kampfes  bei  Philippi.  Brutus,  der  in  Cassius  Tode  die  Entscheidung 
des  Schicksales  sah,  war  keines  Entschlusses  mehr  fähig.  Er  ver- 
säumte sogar  seine  nächste  Pflicht,  die  Straße  nach  der  Küste,  auf 
der  die  ganze  Verpflegung  seines  Heeres  beruhte,  zu  sichern. 
Antonius  bemächtigte  sich  eines  Nachts  einer  die  Straße  beherr- 
schenden Höhe  und  besetzte  sie  mit  vier  Legionen;  immer  neue 
Verstärkungen  heranziehend,  schob  er  seine  Werke,  ohne  irgend 
einen  Widerstand  zu  finden,  bis  an  die  Meeresküste  vor.  Ein 
eiserner  Ring,  der  keinen  anderen  Rückzug  offen  ließ  als  das  un- 
wegsame Gebirge,  umklammerte  so  das  Lager  des  Brutus.  Hunger 
und  Verzweiflung  herrschten  in  seinem  Heere,  wo  Befehl  wie  Ge- 
horsam gleichmäßig  erloschen  war.  Immer  täuschte  sich  Brutus 
vor,  daß  das  feindliche  Heer,  unter  der  schwierigen  Verpflegung 
leidend,  von  selbst  vom  Platze  weichen  werde,  und  suchte  beim 
Anblick  seines  in  gerechter  Entrüstung  sich  auflehnenden  Heeres 
Trost  in  den  Worten  seiner  Philosophie,  den  nur  entschlossenes 
Handeln  hätte  geben  können.  Da  zwangen  ihn  seine  Truppen 
zwanzig  Tage  nach  der  ersten  Schlacht,  sie  zu  einem  letzten  Kampfe 
dem  Feinde  entgegenzuführen.  An  Tapferkeit  und  Mut  waren  die 
Heere  sich  gleich,  aber  die  Wucht  und  Erbitterung  der  Veteranen 
Caesars  drängten  nach  langem  Ringen  die  Legionen  des  Brutus 
allmählich  zurück  gegen  ihr  zweites  Treffen,  bis  auch  dieses  wie 
das  dritte  ins  Wanken  geriet.  Da  begann  ihre  Schlachtlinie  sich 
zu  lockern,  die  Cohorten  der  Treffen  wurden  ineinander  geschoben, 
der  Widerstand  gebrochen.  Die  Fliehenden  wandten  sich  dem 
schützenden  Lager  zu  oder  suchten  Rettung  in  der  Richtung  nach 
dem  Meere,  Nur  vier  Legionen  des  rechten  Flügels  hielten  um 
ihre  Adler  zusammen  und  schützten  Brutus  bei  dem  Rückzug  in 
das  Gebirge.  Antonius  verfolgende  Reiter  sperrten  ihnen  alle  Wege, 
drängten  sie  auf  wasserlose  Höhen,  wo  ihnen  keine  Wahl  mehr 
blieb  als  die  Ergebung.  Brutus  letzte  Mahnung  zum  Widerstand 
hatten  sie  mit  dem  höhnenden  Zuruf  erwidert,  sie  hätten  nach  so 
tapferer  Gegenwehr  noch  Hoffnung  auf  Versöhnung.  Von  seinem 
Heere  gerichtet  wie  von  seinem  Gewissen,  starb  der  Verblendete, 
der  sich  vermessen,  in  das  Rad  des  Geschickes  zu  greifen,  den 
elenden  Tod  des  Genossen  seines  Verbrechens. 


6.  Philippi  g^ 

Sieger  in  diesem  Kampfe  war  allein  Antonius.  Seine  ungestüme 
Tatkraft  hatte  das  ganze  Heer  erfüllt,  als  er  mit  wuchtigen,  sicheren 
Schlägen  den  hülflosen  Gegner  einengte  und  zuletzt  bis  zur  Ver- 
nichtung schlug.  Caesar  war  in  der  ersten  Nacht  krank  im  Zelte 
zurückgeblieben,  und  als  sein  Lager  erstürmt  wurde,  war  er  der 
Gefahr,  gefangen  genommen  zu  werden,  nur  durch  einen  Zufall  ent- 
gangen; wie  er  selbst  sagte,  hatte  ihn  ein  Traum  gewarnt.  In  der 
zweiten  Schlacht  führte  er  seine  Legionen,  ohne  an  dem  Siege  einen 
entscheidenden  Anteil  zu  haben.  So  hatte  der  Sieg  über  die  Mörder 
Caesars  für  den  Erben  seines  Thrones  eine  Lage  geschaffen  voll 
Schwierigkeit  und  Gefahr.  Sein  Gegner  Antonius  war  in  der  Laune 
des  Sieges  um  so  mehr  geneigt,  das  Übergewicht,  das  wahres  Ver- 
dienst ihm  gewonnen  hatte,  zu  mißbrauchen.  Denn  die  Feldherrn- 
gabe, die  Antonius  allein  zierte,  sie  war  Caesar,  dem  Meister  der 
Staatskunst,  völlig  versagt.  Auch  das  Heer,  das  ihm  mit  Treue 
anhing,  war  vom  Siege  geblendet,  sah  nur  in  Antonius  seinen 
Herrn  und  Meister.  Es  bedurfte  eines  Lebens  von  Schuld  und 
Schande,  Antonius  den  Glanz  zu  rauben,  der  ihn  jetzt  umgab. 

Das  Reich  lag  zu  den  Füßen  der  Sieger  von  Philippi.  Antonius 
war  entschlossen,  den  Mitbewerbern  um  die  Macht  keinen  Anteil 
an  seiner  Beute  zu  gönnen.  Gerade  darin  beging  er  den  ersten 
Fehler,  indem  er  den  hülflosen  Lepidus  ganz  beiseite  schleudern 
wollte  unter  dem  nichtigen  Vorwande,  er  hätte  des  Pompeius 
Räuberherrschaft  begünstigt.  Doch  Caesar  rettete  den  dritten  der 
Triumvirn,  da  er  die  Grundlage  seiner  eigenen  Macht  nicht  in  Frage 
stellen  wollte.  Indem  er  Lepidus  die  politisch  bedeutungslose  Herr- 
schaft über  Africa  zusichern  ließ,  gewann  er  für  sich  selbst  die 
Provinzen,  die  Lepidus  früher  besessen  hatte,  beide  Spanien. 
Antonius  fielen  die  beiden  Gallien  jenseits  der  Alpen  zu,  da  Gallien 
diesseits  der  Alpen  fortan  einen  Teil  Italiens  bilden  sollte.  Die 
späteren  Ereignisse  zeigen,  daß  der  Legat  des  Antonius  in  Gallien 
Fufius  Calenus,  sein  getreuer  Helfer  in  der  Zeit  des  mutinensischen 
Krieges,  schon  damals  den  gemessenen  Befehl  erhielt,  Caesar  an 
der  Besitzergreifung  Spaniens  zu  hindern  und  in  den  italischen 
Wirren,  die  Antonius  voraussah,  gegen  Caesar  Partei  zu  ergreifen. 
Schon  in  Philippi  warf  der  perusinische  Krieg  seine  Schatten  voraus. 


88  Augustus 

Denn  Caesar  war  es  zugedacht,  die  Landauf teilung  in  Italien  durch- 
zuführen. Bei  diesem  fluchwürdigen  Geschäfte  sollte  Caesar,  wie 
Antonius  hoffte,  an  dem  unlösbaren  Gegensatze,  die  Begehrlichkeit 
der  Söldner  zu  befriedigen  und  die  Rechte  der  Bewohner  Italiens 
zu  schonen,  elend  scheitern.  Er  selbst  dagegen,  mit  dem  neuen 
Lorbeer  geschmückt,  den  ihm  der  Partherkrieg  gewinnen  mußte, 
gedachte  als  Herrscher  des  Ostens  den  Schattenherrscher  Italiens 
um  so  sicherer  zu  vernichten.  Aber  die  arge  List  seines  Spieles 
sollte  an  seinen  eigenen,  niederen  Leidenschaften  scheitern.  Caesar 
in  seiner  weisen  Voraussicht  erkannte  klar,  daß  die  wahren 
Wurzeln  der  Macht  nicht  im  Träumen  und  Hoffen,  sondern  in  der 
harten  Erfüllung  der  Herrscherpflichten  lagen.  Gerechtigkeit  gegen 
die  Forderungen  seiner  getreuen  Soldaten,  Liebe  zu  seinem  armen, 
zertretenen  Volke :  das  war  der  Gedanke,  der  ihn  erfüllte,  als  er 
von  Philippi  nach  Italien  zog,  um  eine  Aufgabe  zu  lösen,  die 
unlösbar  schien. 

Die  ungeheuren  Streitkräfte,  die  bei  Philippi  um  den  Sieg  ge- 
rungen hatten,  43  Legionen,  standen  in  dem  Lager  der  Sieger  ver- 
sammelt. Die  Meisten  aus  dem  Heere  der  Triumvirn  waren  dem 
Kriegsdienste  abgeneigt.  Hatten  sie  doch  nur  zu  den  Waffen  ge- 
griffen, den  Tod  ihres  vergötterten  Feldherrn  an  seinen  Mördern  zu 
rächen.  Sie  begehrten  den  Siegeslohn  von  ihren  Feldherrn,  der 
ihnen  immer  wieder  zugesichert,  niemals  bezahlt  worden  war.  Sie 
erhielten  auf  der  Wahlstatt  ihre  Entlassung.  Nur  1 1  Legionen 
junger  Mannschaften,  die  ihre  Adler  einst  von  dem  Dictator  er- 
halten hatten,  blieben  unter  den  Waffen.  Dem  Namen  nach  teilten 
die  Triumvirn  dieses  Heer,  da  5  Legionen  unter  Caesars  Befehl 
traten,  6  Antonius  nach  dem  Osten  folgen  sollten.  Aber  wieder 
bi  ach  Antonius  den  Vertrag,  indem  er  ihn  schloß :  zwei  der  Legionen 
aus  Caesars  Heere  wurden  für  den  Partherkrieg  bestimmt.  In 
Philippi  erhob  sich  zu  ewiger  Erinnerung  eine  Siegesstadt,  deren 
Bewohner  die  Veteranen  der  Cohortes  praetoriae  bildeten.  An 
ihrer  Stelle  schufen  die  Herrscher  eine  neue  Leibwache  aus  10  000 
der  erprobtesten  Kämpfer  von  Philippi.  So  ist  das  Schlachtfeld  von 
Philippi  auch  die  Geburtsstätte  jener  Leibwache  der  Kaiser,  die 
mehr  als  einmal  entscheidend  in  die  Geschicke  der  Welt  eingreifen 


6.  Philippi  89 

sollte.  Die  reich  gefüllte  Kriegskasse  der  Besiegten  bot  den 
Triumvirn  die  Mittel,  jedem  Soldaten  einen  Siegeslohn  zu  spenden. 
Und  doch  war  dies  nur  ein  schwaches  Angeld  für  weit  höhere 
Forderungen.  Dem  reichen  Osten,  in  Wahrheit  ein  ganz  er- 
schöpftes Land,  sollten  unter  Antonius  kundigen  Händen  neue 
Schätze  für  die  Befriedigung  des  Heeres  abgepreßt  werden.  Für 
die  Dauer  eines  Jahres  gedachte  Antonius  von  Caesar  zu  scheiden, 
und  eben  in  diesem  Jahre  sollte  sein  Bruder  Lucius  als  Haupt  des 
Senates  in  Rom  den  Lästigen  überwachen.  Caesar  schied  von  dem 
Todfeind,  dessen  Innerstes  er  durchschaute,  mit  dem  festen  Ent- 
schlüsse, die  Herrschaft  zu  behaupten. 


7-  Perusia 

Der  wahre  Herrscher  Italiens  war  in  der  Zeit  des  Krieges  von 
Philippi  nicht  Lepidus  der  Triumvir,  der  nur  mit  willenloser  Träg- 
heit an  seinem  Amte  hing,  sondern  Antonius  Weib  Fulvia.  Mehr 
als  ihr  Reichtum  hatte  ihre  sinnliche  Schönheit  und  Leidenschaft 
das  Herz  des  Antonius  gewonnen,  den  sie  als  dritten  Gemahl  mit 
solchem  Zauber  bestrickte.  Die  Gatten  fühlten  sich  eins  in  der 
Lust,  die  Herrschaft  in  tollem  Genuß  zu  gebrauchen.  Jetzt,  als  die 
Gemahlin  des  gebietenden  Herrn  erfreute  sie  ihr  Herz,  mit  den 
wechselnden  Launen  des  Weibes  das  Schicksal  zu  spielen.  So 
übte  sie  ihre  Macht  an  Lucius  Antonius,  der  in  seinen  Fehlern, 
aber  nicht  in  den  Vorzügen,  seinem  Bruder  glich.  Wie  eine  Wetter- 
fahne folgte  er  dem  Zuge  ihrer  Heftigkeit.  Gleich  einem  zweiten 
Marius,  der  den  Antritt  seines  ersten  Consulates  mit  dem  Triumph 
über  König  lugurtha  gefeiert  hatte,  eröffnete  er  das  hoffnungs- 
reiche Jahr  seines  Consulates  mit  der  Feier  eines  Scharmützels 
mit  Alpenstämmen.  Es  schien,  als  ob  das  Gähren  dieser  schick- 
salsschweren Zeit  sich  in  ein  Possenspiel  auflösen  sollte.  Und 
doch  hatte  Antonius  frevelhafter  Leichtsinn  solchen  Händen  sein 
eigenes  Geschick  anvertraut.  Italien  harrte  mit  Bangen  der  Heim- 
kehr Caesars  und  frohlockte,  als  eine  Krankheit  ihn  in  Brundisium 
befiel,  als  sei  der  Schrecken  neuer  Ächtungen  gewichen. 

Aber  ein  günstigeres  Geschick  wachte  über  Italien.  Die  Hand, 
die  wider  Willen  geschlagen  hatte,  sollte  auch  heilen.  Schon  die  Art, 
wie  er  zu  dem  schweren  Werke  seine  Helfer  wählte,  mußte  Ver- 
trauen erwecken.  Er  fand  sie  nicht  in  dem  mörderischen  Adel,  den 
Urhebern  und  den  Opfern  der  Ächtungen,  sondern  in  dem  Kreise 
der  Freunde  seiner  Jugend,  die  gleich  den  Bedrückten  dem  Volke 
angehörten.    Selbst  von  so  schlichtem  Wesen,  fühlte  er  sich  jedem 


7.  Perusia  o  j 

wahren  Werte  verwandt.  Nach  dem  Vertrage  mit  Antonius,  dessen 
Wortlaut  Caesars  Vorsicht  schriftlich  festgestellt  hatte,  sollten  die 
Landbesitzer  Italiens,  deren  Boden  enteignet  wurde,  mit  Geld  ent- 
schädigt werden.  Antonius  hatte  sich  vor  dem  Heere  verpflichtet, 
die  Schätze  Asiens,  die  die  Landaufteilung  sichern  sollten,  nach 
Italien  zu  senden.  Aber  Antonius  und  ein  Zahlungsversprechen! 
Caesar  sah  sich  gezwungen,  die  altehrwürdigen  Heiligtümer  Italiens, 
die  alle  früheren  Bürgerkriege  geschont  hatten,  ihres  Schmuckes 
und  der  Tempelschätze  zu  berauben,  um  nur  die  neuen  Ansiedler 
mit  dem  unentbehrlichsten  Wirtschaftsgeräte  auszustatten.  Achtzehn 
der  blühendsten  Städte  hatte  schon  der  Vertrag  von  Bononia  den 
Legionen  zugesprochen.  Sie  mußten  ihnen  werden.  Die  verzweifelten 
Bewohner  drängten  sich  hülfesuchend  in  Rom  zusammen,  die  Stadt 
mit  ihren  Wehklagen  erfüllend.  Aber  lauter  sprach  die  harte  Not- 
wendigkeit. Caesar  gedachte  die  Güter  der  reichen  Senatoren  auf- 
zuteilen, um  die  ärmeren  Bürger  der  Landstädte  zu  entlasten.  Schon 
bei  dem  ersten  Versuche,  ausgleichende  Gerechtigkeit  zu  üben, 
zeigte  sich  der  Senat,  der  seine  Freiheit  vor  den  Schwertern  der 
Legionen  zu  verteidigen  verlernt  hatte,  einmütig,  seinen  Überfluß 
mit  allen  Mitteln  zu  behaupten.  So  willigte  Caesar  in  die  Zer- 
störung des  mittleren  Besitzes,  noch  immer  darauf  bedacht,  die 
Bauernschaft,  in  der  er  die  ganze  Zukunft  Italiens  sah,  zu  er- 
halten, indem  er  die  Güter,  die  das  Landlos  der  Veteranen  nicht 
überstiegen,  und  die  Mitgift  der  Frauen  von  der  Aufteilung  aus- 
nahm. Auch  so  ließ  sich  die  Einweisung  der  Veteranen  in  ihren 
neuen  Besitz  nur  mit  grausamer  Härte  vollziehen.  Diese  Soldaten, 
die  gewohnt  waren,  die  Grenzen  ihres  Eigentums  in  ihrem  Gelüste 
zu  sehen,  dehnten  mit  Gewalt  ihre  Güter  über  den  Boden  ihrer 
Nachbarn  aus.  Die  Bewohner  der  Städte,  die  den  sicheren  Unter- 
gang vor  Augen  sahen,  suchten  Gewalt  mit  Gewalt  abzuwehren. 
Viele  Städte  wurden  wie  im  Kriege  mit  stürmender  Hand  genommen, 
und  die  neuen  Eigentümer  fanden  den  Weg  zu  ihren  Gütern  über 
die  Leichen  der  rechtmäßigen  Besitzer.  Auch  hier  waren  Caesar 
und  seine  Freunde,  die  die  Landaufteilung  leiteten,  unablässig  be- 
müht, von  den  unglücklichen  Bewohnern  Italiens  das  Schlimmste 
abzuwenden,  den  ärgsten  Greuel  abzuwehren.  Dem  gerechten  Sinn 


02  Augustus 

des  Herrschers  schien  es  zu  gelingen,  Italien,  wenn  nicht  die  Ruhe, 
so  doch  den  Frieden  zu  sichern. 

Fulvia  und  Lucius  Antonius  ließen  Caesar,  der  sich  auf  das 
geschriebene  Recht  des  Vertrages  berief,  um  die  Landanweisung 
nach  seinem  Willen  durchzuführen,  gewähren,  solange  sie  ihn  in 
unlösbare  Wirren  verstrickt  glaubten.  Aber  daß  das  Werk  gelingen 
sollte,  war  nicht  nach  ihrem  Sinne.  Plötzlich  fanden  sie,  daß 
Caesar  schweres  Unrecht  beging;  nicht  er,  sondern  die  Legaten 
des  Antonius  sollten  den  Legionen,  die  unter  Antonius  persönlichem 
Befehle  gestanden  hatten,  ihre  Güter  anweisen.  Denn  sie  fürchteten, 
diese  Soldaten  könnten  Antonius  entfremdet  werden,  dem  gerechten 
Herrscher  sich  zuwenden.  Um  Italien  den  Frieden  zu  erhalten, 
willigte  Caesar  in  diese  Forderung.  Die  Legaten  vergrößerten  den 
Veteranen  ihre  Landlose  und  gestatteten  ihnen  ganz  in  der  Art  des 
Antonius  das  Recht  der  Bewohner  mit  Füßen  zu  treten.  So  war 
der  Same  des  Bösen  wieder  gesät,  der  Geist  der  Parteiung  erhob 
von  neuem  sein  Haupt  im  Heere.  Denn  das  wahre  Ziel  Fulvias 
war,  den  Krieg  zu  erregen.  Ihre  Weiblichkeit  haßte  den  kühlen 
Herrscher,  der  mit  männlichem  Wollen  aufgeregter  Heftigkeit  be- 
gegnete. Auch  stachelte  sie  die  Eifersucht.  Sie  wollte  ihren  Ge- 
mahl, den  sie  in  den  Armen  Cleopatras  wußte,  durch  den  Krieg  in 
Italien  wieder  in  ihre  liebende  Nähe  zwingen.  Lucius  Antonius 
drehte  sich  nach  dem  neuen  Winde.  Er  fühlte  sich  plötzlich  als 
der  Consul  und  das  gesetzliche  Oberhaupt  des  Senates  dazu  berufen, 
die  Freiheit  der  Italiker  gegen  soldatische  Willkür  zu  schützen. 
Hatten  doch  die  Verzweifelten,  als  sie  nirgends  Hülfe  fanden,  sogar 
ihn,  den  Bruder  des  Antonius,  mit  ihren  Bitten  bestürmt.  Die 
falsche  Politik,  die  man  bisher  getrieben,  wurde  ihm  klar.  Sein 
Bruder  begehrte  den  Freistaat  wieder  herzustellen,  und  nur  Caesars 
maßloser  Ehrgeiz  hinderte  den  wohlwollenden  Herrscher.  In  Fulvia 
erwachte  nicht  minder  plötzlich  die  Zärtlichkeit  der  Mutter.  Caesar 
hatte  die  Kinder  des  Antonius  in  seinen  Schutz  genommen,  in  Wahr- 
heit, um  die  unschuldigen  Kleinen  zu  würgen.  Lucius  Antonius 
eilte  in  die  Colonien  der  Veteranen,  um  Schutz  für  sie  zu  suchen, 
und  fand  keinen  Glauben.  Auch  die  Veteranen  des  .^.ntonius  über- 
zeugte Caesars  klare  Darlegung,   daß   er  in  voller  Eintracht  mit 


7.  Perusia 


93 


Marcus  Antonius  handle;  die  ausgesandten  Mörder  seien  Reiter- 
wachen an  den  Küsten  Brettiens.  Viel  bedenklicher  war  es,  daß 
Fufius  Calenus  den  Legionen  Caesars  den  Durchzug  nach  Spanien 
verweigert  hatte. 

So  nahm  das  Heer  die  Entscheidung  des  Zwistes  in  die  Hand. 
Es  berief  durch  seine  Häupter  die  Herrscher  zu  einem  Gerichtstag 
nach  Teanum.  Die  Entscheidung  war  nach  dem  Geiste  Caesars. 
Danach  sollten  die  Triumvirn  den  Consul  nicht  in  der  Ausübung 
seines  Amtes  hindern;  nur  die  Kämpfer  von  Philippi  hätten  ein 
Anrecht  auf  Landbesitz  in  Italien.  Der  Ertrag  der  eingezogenen 
Güter  fiel  zu  gleichen  Teilen  auch  den  Legionen  des  Antonius  zu; 
niemand  dürfe  ein  neues  Heer  in  Italien  bilden.  Caesars  befestigtes 
Ansehen  zeigte  der  letzte  Beschluß,  daß  sein  Heer  freien  Durchzug 
nach  Spanien  habe  und  Calenus  verpflichtet  sei,  ihm  an  Stelle  der 
Legionen,  die  er  an  Antonius  für  den  Partherkrieg  abgetreten  hatte, 
zwei  Legionen  seines  eigenen  Heeres  zu  überweisen.  Durch  die 
Vernunft  geschlagen,  kam  Fulvia  nach  Frauenart  auf  ihr  letztes 
Wort  zurück.  Nur  war  jetzt  der  arme  Lepidus  der  Kindermörder, 
und  sie  flüchtete  mit  den  Kleinen  unter  dem  Schutze  des  getreuen 
Vormundes  Lucius  Antonius  aus  Rom  nach  Praeneste.  Nun  besaß 
sie  den  Stoff,  den  teuren  Vater  ihrer  Kinder  in  dem  fernen  Ägypten 
mit  liebevollen  Briefen  zu  bestürmen.  Selbst  der  Senat  in  Rom 
mahnte  den  Vorkämpfer  seiner  Rechte,  den  Consul  Lucius  Antonius, 
zum  Frieden  und  erschütterte  den  weitblickenden  Staatsmann  in 
der  Richtigkeit  seines  Tuns.  Aber  einer  Frau  in  Nöten  fehlt  es 
nie  an  einem  einsichtigen  Berater,  und  Fulvia  besaß  ihn  in  Manius, 
der  nach  der  Art  solcher  Freunde  ihr  das,  was  sie  wollte,  ganz 
klar  bewies:  während  Antonius  im  fernen  Osten  mit  Mühe  und 
Not  Schätze  sammle  für  sein  Heer,  verstehe  es  Caesar  in  seiner 
Tücke,  dieses  Heer  ihm  zu  entfremden  und  sich  in  Italien  behag- 
lich einzurichten.  Jetzt  galt  es  für  Fulvia,  die  Herrschaft  ihres 
Mannes  zu  verteidigen,  und  da  er  eben  nicht  da  war,  nahm  sie 
selbst  die  Zügel  in  ihre  zarte  Hand.  Bald  hatte  sie  in  Praeneste 
einenGegensenat  aus  ihren  Parteigängern  gebildet,  und  das  dienende 
Haupt  dieser  neuen  Regierung  Italiens,  Lucius  Antonius,  durchzog 
in  Fulvias  Auftrage  die  Colonien  des  Antonius  und  warb  offen  zum 


QA  Augustus 

Kriege.  Caesar  erkannte,  daß  der  Bürgerkrieg  unvermeidlich  ge- 
worden war,  und  begann  selbst  zu  rüsten. 

Der  offenbare  Wahnwitz  dieses  Treibens  bestimmte  das  Heer 
nochmals  einzugreifen.  Die  Legionen  des  Antonius,  die  sich  in  dem 
drohenden  Kampfe  ohne  Führer  sahen,  gingen  voran.  Wahrlich, 
die  Häupter  des  Heeres  waren  sich  des  Ernstes  und  der  Heiligkeit 
ihres  Mittleramtes  wohl  bewußt.  Im  Angesicht  des  Senates  und 
des  Volkes  von  Rom  traten  sie  auf  dem  Capitol  zusammen,  um 
nochmals  den  Vertrag  von  Philippi  zu  prüfen,  und  als  sie  ihn 
richtig  befanden,  beschieden  sie  die  hadernden  Herrscher  in 
feierlichster  Form  zu  einem  zweiten  Gerichtstag  nach  Gabii, 
Caesar  hatte  sich  eingefunden;  seine  Reiter  streiften  auf  der 
Straße  nach  Praeneste,  wo  Lucius  Antonius  mit  seinem  Gefolge 
herankam.  Da  entzündete  sich  das  glimmende  Kriegsfeuer.  Die 
Schutzwachen  der  beiden  Herrscher  gerieten  hart  aneinander, 
Lucius  Antonius  floh  in  kopfloser  Angst  nach  Praeneste,  Wenn 
auch  die  Veteranen  in  Gabii  für  Caesars  Ansprüche  entschieden, 
so  war  doch  der  Gerichtstag  gesprengt.  Fulvia  höhnte  nur  im 
Kreise  ihrer  Höflinge  über  den  Senat  in  Soldatenstiefeln,  Trium- 
phierend stand  sie  am  Ziele  ihrer  Wünsche:  der  Krieg,  den  sie 
gewollt,  er  war  nun  endlich  doch  gekommen! 

Der  leichtfertige  Leichtsinn  des  Weibes  erscheint  umso  frevel- 
hafter, als  Italien  in  diesem  Augenblicke  einmütig  hätte  zusammen- 
stehen müssen  gegen  den  Räuberstaat  auf  Sicilien,  Denn  die  Macht 
des  Sextus  Pompeius  war  im  steten  Wachsen,  Wieder  hatte  die 
Austreibung  der  Besitzenden  viele  verzweifelte  Menschen  nach  der 
Insel  hinübergeführt.  Neue  Verstärkungen  an  Schiffen  und  ge- 
schulten Mannschaften  brachte  ihm  der  Sieg  von  Philippi,  Alle  die 
zahlreichenFlottenabteilungen  derBefreier  aus  den  östlichenMeeren 
fanden  sich  in  Messana  zusammen,  wo  der  Seekönig  das  Banner 
der  Freiheit  entrollt  hatte.  Auch  Staius  Murcus  war  mit  seiner 
Flotte,  die  2  Legionen  an  Bord  führte,  unter  diese  Wahrzeichen 
seiner  eigenen  verlorenen  Sache  geflüchtet.  Nur  Domitius  Aheno- 
barbus  kreuzte  noch  im  adriatischen  Meere,  in  seinem  Tun  in  nichts 
verschieden  von  den  Räubern  der  See,  Alle  Küsten  Italiens  lagen 
schutzlos  da  und  wurden  von  Postenketten  kaum  bewacht.  Wie  die 


7.  Perusia 


95 


Zufuhr  seit  langem  gestockt  hatte,  so  war  auch  der  Landbau  in 
Italien  durch  die  Umwälzung  des  Besitzes  gelähmt.  Der  Hunger 
herrschte  in  Rom,  dessen  Straßen  selbst  bei  Tage  von  Räuber- 
scharen heimgesucht  wurden.  Wohl  hatte  Caesar  die  Vorbereitungen 
zum  Kriege  gegen  Sextus  Pompeius  wieder  begonnen.  Vier  Legionen 
standen  in  Capua,  eine  Flotte  wurde  in  Brundisium  gerüstet.  Gleich- 
zeitig mit  dem  Ausbruche  des  Bürgerkrieges  traf  ihn  die  Nachricht, 
daß  Domitius  Ahenobarbus  in  den  Hafen  von  Brundisium  ein- 
gedrungen sei  und  die  Flotte  vernichtet  habe.  Auch  sonst  war  die 
Lage  für  Caesar  äußerst  gefahrvoll.  Er  hatte  zwar  an  Salvidienus 
Rufus  den  Befehl  gesandt,  er  solle  das  Heer  nicht  nach  Spanien 
führen.  Aber  es  war  unsicher,  ob  ihn  und  seine  sechs  Legionen 
die  Nachricht  noch  rechtzeitig  erreichen  werde. 

Die  Stunde  der  Not  ließ  Caesar,  den  Klugen  im  Rate,  auch 
das  Schwert  finden  zur  Tat  in  seinem  Jugendfreunde  Marcus 
Agrippa.  Ein  Mann  ohne  Ahnen,  gehörte  er  zu  den  seltenen,  deren 
Adel  in  ihnen  selbst  entspringt.  Stolz  und  voll  leidenschaftlichen 
Tatendranges  erhob  sich  der  Bürgersohn  gebieterisch  über  alle,  die 
Caesars  Fahnen  folgten,  nur  in  warmfühlender  Freundschaft  dem 
überlegenen  Geiste  des  Herrschers  sich  beugend.  So  war  den  Heeren 
Caesars  der  Feldherr  erstanden,  der  sie  seit  dem  Tage,  wo  er  den 
Befehl  übernahm,  von  Sieg  zu  Sieg  führen  sollte.  Schon  in  diesem 
seinem  ersten  Kriege  leuchtet  die  planvolle  und  entschiedene  Lei- 
tung hervor.  Dagegen  Lucius  Antonius  war  nur  das  Kriegshorn,  auf 
dessen  Ruf  die  Legionen  aus  den  Colonien  sich  zusammenballten, 
von  der  blinden  Eifersucht  gegen  ihre  Waffengenossen  in  Caesars 
Heer  vorwärtsgetrieben.  Während  die  Heere  in  Italien  noch  in  der 
Bildung  begriffen  waren,  erhielt  Caesar  Gewißheit,  daß  Salvidienus 
Rufus,  von  Fufius  Calenus  an  der  Grenze  Galliens  zurückgewiesen, 
den  Rückweg  angetreten  hatte  und  in  Eilmärschen  durch  Ober- 
italien sich  näherte.  So  ließ  er  zum  Schutze  Roms  zwei  Legionen 
unter  Lepidus  zurück  und  wandte  sich  auf  der  Via  Flaminia  nach 
Norden.  Vor  Nursia  abgewiesen,  stieß  er  in  Umbrien  auf  das  Heer, 
das  Furnius,  der  Legat  des  Lucius  Antonius,  aus  den  Marken  heran- 
führte. In  der  Schlacht  siegreich,  drängte  er  den  Gegner  auf 
Sentinum  zurück  und  schloß  die  Stadt  ein.  Hier  war  es,  daß  Salvi- 


g6  AugUStUS 

dienus  sich  mit  ihm  vereinigte,  der  die  Leitung  der  Belagerung 
übernahm,  während  Caesar  mit  dem  Hauptheere  wieder  nach  Süden 
eilte,  um  Rom  zurückzugewinnen.  Denn  Lucius  Antonius  war  mit 
einem  Heere,  das  er  in  Süditalien  gebildet  hatte,  gegen  Rom  vor- 
gedrungen, hatte  die  Stadt,  die  Lepidus,  schlaff  wie  immer,  nicht 
verteidigte,  mitübermacht  eingenommen.  Beim  HerannahenCaesars 
suchte  Antonius  nach  Norden  durchzubrechen,  um  sich  mit  Furnius 
zu  vereinigen.  Schon  näherten  sich  auch  die  gallischen  Legionen, 
von  Asininus  Pollio  und  Ventidius  geführt,  dem  Kriegsschauplatze. 
Salvidienus  schwebte  in  Gefahr,  von  zwei  Seiten  angegriffen  zu  wer- 
den. Da  befahl  Agrippa  die  Vereinigung  aller  Streitkräfte  Caesars 
in  der  Richtung  auf  Antonius  Heer.  Er  selbst  sperrte  Antonius  in 
Etrurien  den  Weg  nach  Westen  durch  die  Besetzung  von  Sutrium. 
Caesar,  der  Rom  wieder  in  seine  Gewalt  gebracht  hatte,  bedrohte 
Antonius  von  Süden.  Nach  Osten  verlegte  Salvidienus  ihm  die 
Straßen  nach  Umbrien.  Auf  dem  Rückzug  von  Sentinum,  den 
Agrippa  angeordnet,  hatte  Salvidienus  einen  glänzenden  Sieg  über 
Furnius  gewonnen.  In  dem  Bestreben,  Antonius  die  Hand  zu  rei- 
chen, drängte  Furnius  ungestüm  nach  und  wurde  von  Salvidienus 
überraschend  angegriffen  und  so  vernichtend  geschlagen,  daß  auch 
Sentinum  in  die  Hände  des  Siegers  fiel.  Für  Antonius  war  die 
Gefahr,  in  den  Pässen  des  Apennin  von  der  Übermacht  überwältigt 
zu  werden,  so  groß,  daß  er  hinter  den  Mauern  des  festen  Perusia 
Schutz  suchte  vor  der  drohenden  Umklammerung.  Hier  harrte  er 
des  Entsatzes,  den  die  anderen  Heere  ihm  bringen  sollten.  Auf 
dem  fluchtartigen  Rückzug  hatte  sein  Heer  nicht  mehr  Vorräte 
genug  in  die  Stadt  schaffen  können,  um  sich  selbst  und  die  Be- 
wohner der  volkreichen  Stadt  während  einer  langwierigen  Be- 
lagerung zu  ernähren.  So  hatte  der  große  Staatsmann  Antonius 
sich  als  ein  nicht  minder  großer  Feldherr  bewährt,  der  das  beste 
Heer  Roms  in  ein  Netz  verstrickte,  aus  dem  es  keine  Befreiung 
mehr  gab. 

Noch  vor  seiner  Einschließung  hatte  er  Manius,  den  trefflichen 
Berater  Fulvias,  entsendet,  um  Ventidius  und  Asinius  Pollio  mit 
den  gallischen  Legionen  zum  raschen  Entsätze  zu  drängen.  Marcus 
Antonius  trug  selbst  Schuld  daran,  daß  die  politische  Lage  noch 


".  Perusia  g^ 

heilloser  verwirrt  war  als  die  militärische.  Hatte  er  doch  das  üble 
Spiel  seiner  Frau  in  Briefen  gutgeheißen,  während  sein  Quästor, 
der,  persönlich  mit  ihm  verfeindet,  nach  Italien  zurückkehrte,  die 
Mißbilligung  all  dieser  Wirren  verkündete.  Die  Legaten  des  An- 
tonius trugen  daher  kein  Verlangen,  ihre  Heere  an  den  Entsatz  des 
halsstarrigen  Toren  in  Perusia  zu  wagen.  Und  doch  hätte  es  des  ent- 
schlossenen Handelns  bedurft,  um  die  Eingeschlossenen  zu  be- 
freien. Denn  in  kurzer  Zeit  war  Perusia  von  meilenlangen  Werken 
umringt,  die  bis  an  den  Tiber  reichten,  sodaß  keine  Zufuhr  in 
die  Stadt  gelangen  konnte.  Da  brach  Fulvia,  die  Brandfackel  des 
Krieges,  selbst  von  Praeneste  auf,  um  der  Kriegführung  ihren  Geist 
einzuhauchen.  Der  immer  willfährige  Munatius  Plancus  brachte  in 
Süditalien  ein  Heer  auf  die  Beine,  und  er  gewann  auch  einen  Er- 
folg über  eine  auf  dem  Marsch  begriffene  Legion  Caesars.  Als 
aber  Ventidius  und  Asinius  Pollio  von  Norden  gegen  Perusia  heran- 
rückten, traten  ihnen  Caesar  und  Agrippa  entgegen  und  trieben  sie, 
ehe  sie  noch  einen  Angriff  versucht  hatten,  mühelos  wieder  zurück 
an  die  Meeresküste  nach  Ravenna  und  Ariminum.  Auch  Plancus 
zog  es  vor,  sich  einem  Kampfe  durch  den  Rückzug  auf  Spoletium 
zu  entziehen.  So  unentschlossene  Feinde  genügte  es  durch  vor- 
geschobene Posten  überwachen  zu  lassen.  Das  Hauptheer  kehrte 
nach  Perusia  zurück  und  verstärkte  die  Befestigungen  durch  eine 
doppelte  Umwallung.  Die  Gräben  wurden  vertieft  und  verbreitert, 
die  Wälle  verstärkt  und  erhöht  und  die  Werke  durch  Warttürme  mit 
einem  Abstand  von  nur  60  Fuß  gegen  jede  Überraschung  gesichert. 
Die  tapferen  Männer,  die  Antonius  nach  Perusia  gefolgt  waren, 
wollten  verzweifeln  bei  dem  Gedanken,  hilflos  dem  Feinde  über- 
liefert zu  sein.  An  alle  Entbehrungen  des  Krieges  gewöhnt,  ertrugen 
sie  standhaft  die  Leiden  der  Belagerung,  in  dem  guten  Glauben,  ihre 
Waffengefährten  müßten  sie  befreien.  Schon  neigte  sich  das  Jahr 
zu  seinem  Ende,  als  das  Heer  beschloß,  in  der  Neujahrsnacht,  wo 40 v.Chr. 
die  Festfreude  die  Verteidiger  sorglos  machen  konnte,  den  Durch- 
"bruch  zu  versuchen.  All  ihr  Anstürmen  gegen  die  unbezwinglichen 
Werke  blieb  vergeblich,  geschlagen  mußten  sie  zurückweichen.  So 
wütete  der  mitleidlose  Hunger  weiter  in  den  Mauern  von  Perusia. 
Da  versuchten  die  Legaten    des  Antonius  noch  einmal    von 

Domaszewski.    I.  7 


98  Augustus 

Süden  den  Entsatz  und  drangen,  die  Beobachtungstruppen  Caesars 
vor  sich  hertreibend,  bis  auf  wenige  Meilen  an  Perusia  heran. 
Schon  verkündeten  Feuerzeichen  den  Belagerten  ihr  Nahen,  als 
Ag'rippa  und  Salvidienus  dem  Entsatzheere  mit  geschlossener 
Macht  entgegentraten.  Vor  die  Entscheidung  gestellt,  zu  schlagen, 
versagte  den  Angreifern  der  Mut;  auf  den  Rat  des  Munatius 
Plancus  wich  das  Heer  wieder  auf  Fulginium  zurück.  Der 
Gedanke  mag  sie  bestimmt  haben,  daß  Caesar  von  dem  äußer- 
sten Kriegsrecht  keinen  Gebrauch  machen  werde.  Damit  war 
der  Fall  von  Perusia  entschieden.  Denn  der  Hunger  raffte  die 
Bewohner  der  belagerten  Stadt  hin,  sodaß  Lucius  Antonius  die 
Unfreien  vor  die  Tore  hinaustrieb,  um  sie  zwischen  den  Mauern 
und  den  Werken  der  Feinde  einem  elenden  Tode  zu  überliefern. 
Die  unerbittliche  Notwendigkeit,  die  Stadt  zu  übergeben,  wurde 
durch  das  grausige  Opfer  nicht  einmal  hinausgeschoben.  Aber 
das  Heer  dachte  zu  groß  von  seiner  Waffenehre,  um  sich  dem 
Schicksal  zu  fügen.  Schon  früher,  als  die  Feuerzeichen  des 
Entsatzheeres  Rettung  verhießen,  hatte  es  in  vergeblichen  Stür- 
men versucht,  den  Helfern  die  Hand  zu  reichen.  Jetzt  zwangen 
sie  Antonius,  sie  zu  einem  neuen  Sturm  gegen  die  furchtbaren 
Werke  zu  führen.  Mit  allem  gerüstet,  um  die  Gräben  auszu- 
füllen, die  Wolfsgruben  zu  überdecken,  drangen  sie  bei  Tages- 
grauen bis  an  die  Einschließungsmauer  selbst  vor,  erstiegen 
sie  auf  Fallbrücken,  erkletterten  die  Türme  mit  Leitern,  obwohl 
sie  bei  dem  Sturme  von  allen  Seiten  den  Geschossen  der  Feinde 
preisgegeben  waren.  Ihr  wilder  Mut  überwand  alle  Hindernisse, 
immer  zahlreicher  gewannen  sie  die  Höhe  der  Mauer,  als  die 
Verstärkungen  Caesars  den  Erschöpften  sich  entgegenwarfen, 
sie  zurücktrieben.  Brücken  und  Leitern  zerstörten.  All  ihre  ver- 
zweifelte Tapferkeit  war  vergebens  gewesen.  Ratlos  standen  sie 
vor  den  eben  eroberten  Mauern,  von  deren  Höhe  die  Feinde 
ihnen  unter  höhnendem  Zuruf  ihre  Toten  nachschleuderten. 
Dann  begannen  sie  auf  die  Hornrufe  des  Antonius  zurückzu- 
weichen, als  der  Jubel  der  Sieger  sie  zu  einem  neuen,  blind- 
wütigen Ansturm  gegen  die  Mauern  trieb.  Das  ganze  Heer 
hätte    sich    in    dem   vergeblichen    Ringen   verblutet,     hätte    nicht 


7.  Perusia  qq 

des  Antonius  Bitten  und  Flehen  dem  Kampfe  Einhalt  getan. 
Perusia  war  bezwungen. 

In  den  Verhandlungen,  die  der  Übergabe  vorausgingen, 
nahm  Antonius  alle  Schuld  auf  sich,  nur  um  für  das  Heer  die 
Gnade  des  Siegers  zu  erlangen.  Caesar  gewährte  sie  und  entließ 
die  tapferen  Verteidiger  in  ihrer  Ehre  ungekränkt,  indem  er 
jedem  der  Feinde  die  Gunst  gewährte,  in  seinem  Heere  Dienste 
zu  nehmen.  Nur  für  die  Vornehmen,  die  in  Antonius  Heere 
den  Haß  gegen  ihn  geschürt  hatten,  wie  Cannutius,  Claudius 
Bithynicus,  gab  es  keine  Verzeihung:  der  einmütige  Wille  des 
Heeres  verurteilte  sie  zum  Tode.  Grausamer  erscheint  das  Schick- 
sal Perusias.  Die  Einwohner  wurden  geschont,  aber  bei  der 
Plünderung,  die  Caesar  gestattete,  ging  die  Stadt  bis  auf  wenige 
Heiligtümer  in  Flammen  auf.  Die  Ratsherrn,  mit  Ausnahme 
des  einen  Lucius  Aemilius,  der  als  Richter  in  Rom  die  Caesar- 
mörder verurteilt  hatte,  wurden  hingerichtet.  Auch  Perusia 
war  eine  der  Militärcolonien,  deren  Stadtrat  aus  den  angesehen- 
sten der  Veteranen  sich  zusammensetzte.  Man  muß  annehmen, 
daß  er  tätig  in  die  Verteidigung  eingegriffen  hat.  Entscheidend 
für  das  harte  Gericht  waren  politische  Erwägungen.  Den  Muni- 
cipien  Italiens  wurde  die  Feuersäule  des  brennenden  Perusia  ein 
warnendes  Zeichen,  daß  es  mit  der  Auflehnung  gegen  den  gesetz- 
lichen Herrscher  für  immer  vorüber  sei.  An  dem  Brande  von 
Perusia  hat  sich  die  milde  Flamme  des  Friedens  entzündet,  der 
in  Italien  unter  Caesars  Scepter  wieder  eingekehrt  war.  Der 
Krieg  war  zu  Ende. 

Denn  die  Legaten  des  Antonius,  die  von  Anfang  an  wider- 
willig in  den  Kampf  eingetreten  waren,  wichen  vor  den  Siegern 
mit  ihren  Heeren  an  die  Meeresküste  zurück  nach  Ravenna, 
Brundisium,  Tarent.  Noch  immer  lebte  in  diesen  Heeren  von 
13  Legionen  und  6500  Reitern  der  kriegerische  Geist,  eine 
furchtbare  Macht  unter  einem  Haupte.  Die  ratlosen  Führer 
waren  nur  mehr  auf  ihre  eigene  Sicherheit  bedacht.  Munatius 
Plancus  ließ  sein  Heer  im  Stich,  von  dem  zwei  Legionen  zu 
Agrippa  übertraten,  und  ging  nach  Brundisium,  wohin  auch 
Fulvia   auf   der    Flucht    über    Neapel    sich    gewandt,    um    ihrem 


I  oo  Augustus 

Gatten  nach  Griechenland  entgegenzureisen.  Andere  Führer  fan- 
den in  Sicilien,  dem  letzten  Hafen  der  geschlagenen  Parteien, 
eine  Zuflucht,  Nur  Asinius  Pollio  rettete  sein  Heer  dem  Marcus 
Antonius  und  sicherte  ihm  die  Landung  in  Italien  durch  einen 
Vertrag  mit  Domitius  Ahenobarbus,  dessen  Flotte  noch  immer 
das  adriatische  Meer  beherrschte.  Als  sei  es  an  diesen  nieder- 
schmetternden Schlägen,  die  Antonius  bei  seiner  Heimkehr  er- 
warteten, noch  nicht  genug,  starb  in  diesem  Augenblicke  sein 
getreuer  Legat  Fufius  Calenus.  Als  Caesar  am  Fuße  der  Alpen 
erschien,  wagte  der  junge  Sohn  des  Fufius  Calenus  unter  dem 
Eindruck  des  Unterganges  seiner  Partei  in  Italien  keinen  Wider- 
stand, sondern  überließ  Caesar  ohne  Kampf  den  Befehl  über  die 

II  Legionen  Galliens.  Anders  als  in  dem  Vertrage  von  Bononia, 
wo  er  sich  der  überlegenen  Macht  des  Antonius  hatte  beugen 
müssen,  stand  Caesar  jetzt,  nachdem  er  dessen  Partei  auseinander- 
gesprengt und  niedergestreckt  hatte,  gerüstet  den  Flüchtling 
an  der  Schwelle  Italiens  zu  empfangen.  Dieses  eine  Jahr  hatte 
beider  Geschicke  für  immer  entschieden.  Wie  Caesar  im  strengen 
Festhalten  an  Recht  und  Pflicht  die  Herrschaft  über  den  ganzen 
Westen  gewonnen  hatte,  so  waren  im  Osten  Macht  und  Glanz  in 
Antonius  unreinen  Händen  zu  Staub  und  Asche  geworden. 


8.  Antonius  im  Osten 

Nach  den  hohen  Anstrengungen  des  Krieges  von  Philippi 
war  Antonius  in  eine  bequeme  Laßheit  verfallen,  obwohl  die  Er- 
schütterung des  Bürgerkrieges  im  Osten  nachzitterte.  Auf  der 
Reise  nach  Asien  Athen  berührend,  ergötzte  er  sich  an  den  Vor- 
trägen der  Philosophen  wie  an  einem  fremden  Gerichte,  und 
ließ  der  Stadt  in  heiterer  Laune  seine  Gunst  widerfahren.  In 
Ephesus  empfing  ihn  ein  Zug  weiblicher  Bacchen  und  männ- 
licher Satyre  und  Pane  mit  dionysischem  Taumel,  wie  ein  Morgen- 
gruß jenes  Asiens,  dessen  Sinnesfreuden  die  Tage  seiner  wilden 
Jugend  berauscht  hatten.  Noch  trug  er  das  Kleid  der  Römer, 
aber  die  Art  der  orientalischen  Herrscher,  die  in  ihm  lag,  sie 
wurde  ihm  bald  das  Wesen  der  Macht.  Ein  neuer  Hof  sammelte 
sich  um  ihn  von  Sängern  und  Flötenspielern,  Tänzern  und 
Gauklern  mit  ihrem  Anhang  von  Weibern  und  Knaben.  Auf 
Wunsch  so  dienstwilliger  Schmeichler  und  Freudenspender  ent- 
schied er  über  Wohl  und  Weh  der  Edelsten  des  Landes.  Was 
waren  Antonius  in  seinem  üppigen  Kreise  die  Leiden  Asiens! 
Auf  dem  Landtage  der  Provinz  Asien  wurde  ein  Edict  des 
Triumvirs  verlesen,  das  innerhalb  zweier  Jahre  die  Steuern  von 
neun  Jahren  forderte,  um  die  Getreuen  von  Philippi  zu  belohnen. 
Das  grausame  Gebot  rief  wildes  Entsetzen  hervor.  Wie  sollte 
nach  allem,  was  die  Befreier  dem  Lande  schon  abgezwungen 
hatten,  der  Boden  diesen  Ertrag  liefern,  wenn  man  in  einem 
Sommer  nicht  zweimal  erntete,  der  Herbst  nicht  zweimal  reifte I 
Und  all  das  Gold,  mit  Blut  und  Elend  erpreßt,  diente  nur  für 
den  Glanz  des  neuen  Heracles,  der  in  der  Gestalt  des  Antonius 
auf  Erden  niedergestiegen  war.  So  durchzog  der  Gott  inmitten 
der  römischen  Großen  und  seines  bewaffneten  Gefolges,  umgeben 


102  Augustus 

von  seinem  neuen  Hof,  die  Länder  Asiens,  segnend  oder  ver- 
nichtend, Könige  erhebend  oder  stürzend,  die  Töchter  der  Men- 
schensöhne beglückend.  Die  Opfer  der  Grausamkeit  des  Cassius 
und  Brutus  wurden  durch  Gunstbeweise  entschädigt.  Den 
Lykiern  wurde  Steuerfreiheit  gewährt,  Xanthos  erstand  wieder  aus 
seinen  Trümmern,  Rhodos  erhielt  für  all  das  geraubte  Gut  die 
Inseln  Tenos,  Naxos,  Andres  und  auf  dem  Festlande  die  Stadt 
Myndos.  Athen,  das  geistige  Haupt  Griechenlands,  gewann  durch 
die  Beredsamkeit  seiner  Gesandten  neuen  Besitz  an  Inselchen  des 
ägäischen  Meeres.  Tarsos  und  Laodikeia,  so  hart  von  Cassius  heim- 
gesucht, erfreuten  sich  des  Geschenkes  der  Freiheit. 

Hier  in  Tarsos  war  es,  wohin  Antonius  mit  den  anderen 
Vasallen  Roms  auch  die  Königin  Ägyptens  entboten  hatte,  um  ihr 
Verhalten  während  des  Bürgerkrieges  zu  rechtfertigen.  Caesar 
der  Dictator  hatte  Cleopatra  in  ihrer  Jugend,  als  sie  an  Zärtlich- 
keit, geheimer  Tücke  und  gleißender  Pracht  des  Leibes  einem 
Tigerkätzchen  glich,  an  sein  mächtiges  Herz  geschlossen.  Dann 
brachte  er  dieses  kostbare  Schaustück  des  alten  Wunderlandes 
am  Nil  in  seine  Gärten  nach  Rom.  Sie  kannte  sie  alle,  diese 
Vornehmen  Roms,  die  mächtigen  und  stolzen,  die  sich  vor  dem 
Auge  des  Gebieters  gebeugt  hatten,  und  kostete  den  höchsten 
Rausch  des  Weibes,  als  sie  in  dem  Manne,  dem  sie  angehörte, 
den  ersten  dieser  Welt  sah.  Sein  Tod  bedeutete  auch  ihren  Sturz. 
Es  scheint  kein  Zufall,  daß  sie  Rom  verließ,  als  der  junge 
Octavius  das  Erbe  seines  Oheims  antrat.  So  kehrte  sie  zurück  zu 
dem  verlassenen  Throne  Ägyptens,  dem  ersten  und  kostbarsten 
Geschenke  Caesars.  Nun  war  es  der  Erbe  seiner  Macht,  der  neue 
Herrscher  Roms,  der  sie  an  seine  Seite  rief.  Ihr  rasch  auffassen- 
der Verstand  hörte  willig  auf  die  Unterweisungen  des  Römers 
Dellius,  der  den  Befehl  des  Antonius  nach  Alexandrien  über- 
bracht hatte,  über  Art  und  Wesen  des  neuen  Herrn.  Antonius 
saß  auf  seinem  Richterstuhle  auf  dem  Markte  zu  Tarsos,  als  die 
Kunde  die  Stadt  durchlief,  Aphrodite  sei  von  Paphos  nieder- 
gestiegen und  nahe  auf  dem  Meere.  Halb  gläubig,  halb  neu- 
gierig strömte  die  Menge  hinunter  an  den  Kydnos,  das  Wunder 
zu  schauen,  und  ließ  den  Imperator  allein  mit  seinen  Beisitzern 


8.  Antonius  im  Osten 


103 


auf  dem  menschenleeren  Markte.  Da  kam  es  den  Strom  herauf, 
das  Wunder  des  Meeres,  eine  goldglänzende  Triere,  von  schwel- 
lenden Purpursegeln  und  dem  Schlage  silberner  Ruder  getrieben. 
Auf  dem  Deck  ruhte  die  neue  Aphrodite  im  Kreise  der  Nereiden, 
umspielt  von  holden  Knaben,  den  Liebesgöttern,  Antonius  eilte 
hinab,  die  Göttin  zu  sehen  und  fand  in  seinen  Armen  die  ver- 
blühende Lagergenossin  seines  Herrn.  Bald  war  sie  durch  den 
Liebeszauber,  den  sie  atmete,  die  Herrin  seiner  Sinne  geworden, 
und  nach  der  zwingenden  Gewalt  ihres  Willens  lenkte  sie  die 
Übung  der  Macht  in  seinen  Händen.  Nicht  das  Spielzeug  seiner 
Muße,  was  sie  Caesar  gewesen  war,  sondern  der  Inhalt  seines 
Lebens  sollte  sie  dem  unterjochten  Manne  werden.  Wie  eine 
Morgengabe  erster  Liebe  forderte  und  erhielt  sie  das  Leben 
ihrer  Schwester  Arsinoe,  die  sich  einmal  erfrecht  hatte,  die 
Herrschaft  Ägyptens  ihr  streitig  zu  machen.  Ihre  frühen  Künste, 
gesteigert  durch  die  Reife  des  Leibes  und  des  Geistes,  übend,  ver- 
wandelte sie  das  gemeine  Treiben  seines  Hofes  in  einen  Zauber- 
garten, wo  der  Sirenenklang  ihrer  Stimme  zu  immer  neuen 
Freuden  rief. 

Endlich  schied  Antonius  von  Cleopatra,  nur  mehr  von  dem 
Gedanken  erfüllt,  wieder  in  ihre  Nähe  zurückzukehren.  Der  Ruhm 
des  Partherkrieges,  den  er  hatte  führen  wollen,  war  vor  seinen 
geblendeten  Augen  ganz  entschwunden.  Und  doch  lauerte  der 
gefährliche  Feind  an  der  Grenzen  Syriens.  Unter  dem  Einfluß 
der  römischen  Flüchtlinge,  die  sich  am  Hof  des  Königs  Orodes 
eingefunden  hatten,  waren  die  Parther  in  ihrem  Hochgefühl  des 
Sieges  über  Crassus  noch  mehr  geneigt,  den  Krieg  auf  römischen 
Boden  zu  tragen.  Auch  nach  der  Neuordnung  durch  Pompeius 
glich  das  Land  in  dem  Wechsel  städtischer  Gemeinden,  selb- 
ständiger Fürstentümer,  geistlicher  Territorien  dem  bunten  Mantel 
des  heiligen  römischen  Reiches.  Hatte  auch  Pompeius  mit  starker 
Hand  die  Selbstherrlichkeit  dieser  kleinen  Staaten  unterdrückt, 
so  war  doch  der  Geist  der  Unruhe,  Auflehnung  und  eifersüch- 
tiger Zwietracht  in  Syrien  wieder  erwacht.  Alle,  die  der  römi- 
schen Herrschaft  abgeneigt  waren,  sahen  in  den  Parthern  will- 
kommene   Helfer.     Nur    das    Heer,    das    Antonius    von    Philippi 


104  Augustus 

vorausgesandt  hatte,  hinderte  eine  offene  Empörung.  Antonius 
verkannte  die  Lage  vollkommen,  als  er  bei  seinem  Erscheinen  in 
Syrien  nur  bemüht  war,  wie  früher  in  Kleinasien  Geld  zu  er- 
pressen. Auch  Palmyra,  die  reiche  Handelsstadt  an  der  Wüsten- 
grenze, sollte  von  ausgesandten  Reitern  geplündert  werden.  Aber 
sie  kehrten  mit  leeren  Händen  zurück,  da  die  Bewohner  ihre 
wertvollere  Habe  über  den  Euphrat  geflüchtet  hatten.  Antonius 
übergab  bei  Eintritt  des  Winters  die  Provinz  seinem  Legaten 
Decidius  Saxa  und  eilte  nach  Alexandria  in  die  Arme  Cleopatras. 

Ägypten  und  seine  Königin  waren  geschmückt,  den 
Herrscher  festlich  zu  empfangen.  Aller  Prunk  römischer  Großer 
erschien  roh  und  unbehülflich  angesichts  eines  Hofes,  dessen 
altgeübte  Pracht  griechischer  Geist  seit  Jahrhunderten  verfeinert 
und  geadelt  hatte.  Die  Genüsse  der  Tafel  wechselten  mit  der 
Aufregung  der  Jagd  und  dem  Spiele  der  Musen.  In  diesen 
bunten  Scenen  trat  ihm  die  Geliebte  in  immer  neuer  reizender 
Gestalt  entgegen  und  entzückte  ihn  durch  die  neckische  Anmut 
ihres  Geistes.  Hier  warf  er  die  Bürde  seines  Amtes  von  sich, 
legte  die  griechische  Tracht  des  Hofes  an  und  fühlte  sich  unter 
den  unvergleichlichen  Künstlern  des  Lebens,  wie  der  Kreis  um 
die  Herrscher  sich  nannte,  iim  Lande  der  Träume.  Unsanft 
wurde  er  aufgerüttelt  durch  die  Unheilsnachrichten,  die  gleich- 
zeitig aus  dem  Osten  und  dem  Westen  des  Reiches  eintrafen  und 
den  Glanz  der  Feste  in  Alexandria  trübten. 

Schon  die  wachsenden  Wirren  Italiens  mußten  Antonius  mit 
Sorge  erfüllen.  Die  Briefe  seiner  Frau,  deren  Richter  zu  spielen 
ihm  der  Mut  fehlte,  hatte  er  durch  halbe  Zustimmung  von  sich 
fem  zu  halten  gesucht.  Die  Gesandten  seiner  italischen  Le- 
gionen, die  die  weite  Fahrt  nach  Alexandria  nicht  gescheut, 
hielt  er  ohne  Antwort  zurück.  Da  waren  es  die  Siege  der 
Parther,  die  jedes  weitere  Zaudern  unmöglich  machten.  Unter 
den  Römern  am  parthischen  Hofe  war  Labienus,  der  Sohn  des 
Besiegten  von  Thapsus,  am  eifrigsten  bemüht,  den  Krieg  zu 
erregen.  Von  Cassius  an  Orodes  gesandt,  parthische  Hilfe  zu 
werben,  war  er  durch  den  Untergang  seiner  Partei  heimatlos 
geworden  und  sann  nur  mehr  auf  Rache.    Die  Gunst  des  Augen- 


8.  Antonius  im  Osten  jqc 

blicks  versprach  den  Parthern  einen  leichten  Sieg.  Denn  unter 
den  maßlosen  Bedrückungen  des  Antonius  regte  sich  in  den  Pro- 
vinzen selbst  der  Widerstand,  und  die  Heere,  die  sie  verteidigen 
sollten,  aus  den  Legionen  der  Besiegten  von  Philippi  gebildet, 
schwankten  in  ihrer  Treue.  So  überschritten  schon  im  Winter 
des  Jahres  41  die  parthischen  Heere,  geführt  von  Labienus  und 
des  Orodes  edlem  Sohne  Pacorus,  den  Euphrat.  Vor  Apameia 
zurückgewiesen,  gewannen  sie  um  so  leichter  die  zahlreichen  im 
flachen  Lande  liegenden  Posten,  die  beim  Anblick  der  Römer, 
unter  denen  sie  früher  gedient,  willig  zum  Feinde  übergingen. 
Mit  einem  erschütterten  Heere  wagte  Decidius  Saxa  die  Schlacht, 
nur  um  der  Übermacht  der  feindlichen  Reiter  zu  erliegen.  Auf 
der  Flucht  in  Apameia  und  Antiochia  stand  haltend,  aus  beiden 
Städten  durch  das  Nahen  der  Parther  und  den  Aufstand  der 
Einwohner  vertrieben,  wurde  er  in  Cicilien  von  Labienus  ver- 
folgenden Reitern  ipingeholt  und  getötet.  Ganz  Syrien  erhob 
sich  gegen  die  römische  Herrschaft.  Pacorus,  als  Befreier  be- 
grüßt, dehnte  das  Reich  der  Parther  bis  an  die  Grenzen  Ägyptens 
und  den  Taurus  aus.  Labienus  drang  mit  seinen  flüchtigen 
Reiterscharen  vor  bis  an  das  ägäische  Meer,  den  Widerstand 
wie  in  Mylasa  und  Alabanda  mit  Gewalt  brechend  und  als  Im- 
peiator  der  Parther,  wie  er  sich  nannte,  die  Freiheit  vom  römi- 
schen Joche  verkündend.  Als  Antonius  aus  Alexandria  auf- 
biach,  war  nur  mehr  die  Inselstadt  Tyros,  wohin  die  Römer  aus 
ganz  Syrien  geflüchtet  waren,  römisch  geblieben.  So  schwer 
Antonius  sich  losgerissen  hatte,  er  ging,  wie  Cleopatra  hoffte, 
xim  wiederzukehren.  Die  Leidenschaft,  die  sie  vereinigte,  war 
umso  tiefer,  als  ihre  Liebe  keine  Neigung  band.  In  der  kurzen 
Spanne  eines  Winters  waren  sie  beide  Andere  geworden.  Cleo- 
patra, die  als  kleine  Königin  Ägyptens  vor  jedem  Befehl  aus 
Rom  gezittert  hatte,  fühlte  jetzt  die  Macht  in  sich,  durch  diesen 
Mann  eine  Welt  zu  beherrschen.  Antonius  hatte  erst  am  Nil 
gelernt,  was  Handwerk  war,  was  ihr  Gebrauch,  wo  Millionen 
seit  Jahrtausenden  den  Zweck  ihres  Lebens  darin  fanden,  ein 
Menschenpaar  anbetend  über  sich  zu  erheben. 


g.  Brundisium 

Noch  blieb  Antonius  das  parthischen  Reitern  unerreichbare 
Meer.  Auf  der  Fahrt  von  Tyros  über  Cypern,  Rhodos  nach 
Asien  eine  Flotte  sammelnd,  erreichte  er  mit  200  Kriegsschiffen 
Athen.  Schon  auf  dem  Wege  waren  ihm  die  Flüchtlinge  seiner 
Partei  entgegengekommen,  die  ihn  die  ganze  Größe  seiner  Nieder- 
lage in  Italien  erkennen  ließen.  Es  war  in  Athen,  wo  Antonius 
und  Fulvia,  die  selbstentthronten  Herrscher,  sich  begegneten, 
die  Schmach  in  Vorwürfen  erschöpfend.  Antonius  ermaß,  wohin 
ihn  seine  Frauenliebe  getrieben,  und  fand  den  Mut  zu  mann- 
hafter Tat.  Seinen  Freunden  dankte  er  es,  daß  ihm  der  Weg 
nach  Italien  nicht  gänzlich  versperrt  war.  Im  adriatischen  Meere 
nannte  er  jetzt  auch  die  Flotte  des  Domitius  Ahenobarbus  sein 
eigen,  und  im  Süden  Italiens  standen  die  Legionen,  die  Ven- 
tidius  nach  Tarent  geführt  hatte.  Sextus  Pompeius  sandte  ihm 
seine  Mutter  Julia,  die  vor  den  Legionen  Caesars  auf  das  Meer 
geflüchtet  war,  unter  dem  sicheren  Geleite  von  Kriegsschiffen 
nach  Griechenland  entgegen  und  bewarb  sich  um  ein  Bündnis. 

Auch  Caesar  sah  jetzt  in  dem  Seekönig  auf  Sicilien  nicht  mehr 
den  Feind  und  schloß  unter  Maecenas  gewandter  Vermittlung 
mit  Scribonia,  der  alternden  Schwester  des  Libo,  dessen  Tochter 
Pompeius  Gemahlin  war,  eine  Ehe,  um  die  drohende  Vereinigung 
aller  Flotten,  die  an  den  Küsten  Italiens  kreuzten,  zu  verhindern. 
So  hatte  er  schon  früher  auf  den  Wunsch  des  Heeres  in  Bononia 
die  Tochter  der  Fulvia  gefreit  und  beim  Ausbruche  des  perusi- 
nischen  Krieges  wieder,  wie  er  sagte,  unberührt  entlassen.  Ihm, 
dem  jugendlichen  Manne,  diente  die  Frauenliebe,  die  lockendste 
Versucherin,    nur   als    Mittel    kühlerwägender    Staatskunst.     Und 


9.  Brundisiiun  IO7 

doch  rollte  in  seinen  Adern  das  Feuer  südlichen  Blutes.  Die 
Erbitterung  gegen  den  Sieger  von  Philippi  und  elenden  Flücht- 
ling des  Partherkrieges,  der  da  gekommen  war,  seinem  Italien, 
dem  er  mit  solchen  Mühen  den  Frieden  gesichert  zu  haben  glaubte, 
neue  Opfer  an  Gut  und  Blut  abzufordern,  hatte  in  ihm  den  Ent- 
schluß gereift,  den  Entscheidungskampf  gegen  den  Entarteten 
schon  in  dieser  Stunde  auszukämpfen.  Gehorchten  doch  mehr 
als  40  Legionen  seinem  Befehle,  und  an  Agrippa  besaß  er  den 
Feldherrn,  dessen  Kriegskunst  dem  stürmischen  Mute  des  An- 
tonius weit  überlegen  war.  Lepidus,  den  scheinbaren  Träger 
gleicher  Gewalt,  entfernte  er,  um  über  den  ihm  zugedachten 
Fetzen  des  Reiches,  die  Provinzen  Africas,  zu  herrschen,  und  mit 
ihm  6  Legionen,  deren  Treue  er  mißtraute.  Den  Lucius  Antonius, 
der  noch  immer  von  dem  einzigen  Herrschaftsrechte  des  Senates 
redete,  erhob  er  von  der  schwierigen  Probe,  seine  Staatskunst 
selbst  gegen  seinen  Bruder  zu  verteidigen,  indem  er  ihn  beredete, 
an  die  Spitze  der  beiden  Spanien  zu  treten,  mit  zwei  Legaten  als 
Stützen  der  Verwaltung,  die  seine  Wächter  waren.  Da  die  langge- 
dehnten Küsten  Italiens  ohne  Flotte  gegen  jede  Landung  zu  decken 
unmöglich  war,  so  verhinderte  Caesar  die  Festsetzung  der  Feinde 
in  den  Häfen  Calabriens,  Brundisium  und  Sipontum,  durch  starke 
Besatzungen,  die  die  Städte  gegen  einen  Handstreich  schützten. 
Denn  schon  war  Antonius  von  Griechenland  nach  Corcyra  vor- 
gegangen, wo  er  seine  Vereinigung  mit  Domitius  Ahenobarbus 
vollziehen  wollte.  Im  Norden  der  Insel  begegneten  sich  die 
Flotten  auf  dem  hohen  Meere.  Trotz  der  Warnung  des  Munatius 
Plancus,  dem  Worte  des  Mannes,  den  der  Gerichtshof  des  Pe- 
dius  als  Mitschuldigen  an  der  Ermordung  Caesars  geächtet  hatte, 
nicht  zu  trauen,  steuerte  Antonius,  seine  eigene  Flotte  zurück- 
lassend, mit  nur  fünf  Schiffen  dem  Admiralsschiff  der  heran- 
nahenden Flotte  entgegen  und  forderte  das  Senken  der  Flagge, 
das  Zeichen  der  Unterwerfung.  Da  fiel  die  Flagge  des  Domitius, 
und  bald  lagen  die  Schiffe  Bord  an  Bord.  Dann  tauschten  die 
Feldherrn  und  ihr  Gefolge,  die  sich  solange  als  Feinde  gegen- 
überstanden und  nun  sich  als  Freunde  fanden,  fröhlichen  Gruß 
und   die   Versicherung    erneuter  Freundschaft.     Die    vereinigten 


I  o8  Augiistus 

Flotten  richteten  ihre  Fahrt  gegen  Brundisium,  und  Antonius 
begehrte,  vor  dem  Hafen  angelangt,  von  dem  Befehlshaber  der 
Besatzung  die  freie  Landung,  da  der  Vertrag  von  Philipp!  die 
Herrschaft  über  Italien  jedem  der  Triumvirn  zugesichert  hatte. 
Der  gemessene  Befehl  Caesars  verbot  den  Feinden  die  Einfahrt 
in  den  Hafen.  So  hatte  Antonius  keine  Wahl,  als  den  Krieg, 
der  ihm  angeboten  war,  aufzunehmen.  An  Sextus  Pompeius  er- 
ging die  Aufforderung,  die  zugesagte  Hilfe  durch  einen  Angriff 
auf  die  Westküste  Italiens  zu  verwirklichen.  Bald  ging  die  Flotte 
mit  einem  starken  Landungsheere  an  Bord  von  Messana  aus  nach 
allen  Richtungen  hin  in  See.  Menodorus  entriß  Caesars  unzu- 
verlässigen Legionen  Sardinien.  Cosentia  und  Thurioi  wurden 
belagert,  die  Reiterscharen  des  Pompeius  brandschatzten  die 
Küsten.  Auch  Sipontum  wurde  von  Antonius  erobert,  aber  rasch 
von  Agrippa  zurückgewonnen.  Antonius  landete  jetzt  bei  Brun- 
disium. Während  Domitius  sich  mit  der  Flotte  vor  den  Hafen 
legte,  umschlossen  die  Belagerungswerke  des  Antonius  die  wider- 
spenstige Stadt  von  der  Landseite.  Caesar  eilte  mit  dem  Haupt- 
heere von  Norden  heran,  Brundisium  zu  schützen,  und  errichtete 
sein  Lager  hart  an  den  Befestigungen  des  Feindes,  ein  Zeichen, 
daß  er  sofort  bereit  sei,  die  Schlacht  zu  schlagen.  Denn  er  hatte 
die  Macht  in  der  Hand,  den  zuversichtlichen  Gegner  zu  erdrücken. 
Da  lähmte  ein  letztes  Aufleben  jenes  Geistes,  den  der  Bürger- 
krieg im  Heere  erzeugt  hatte,  seinen  schon  erhobenen  Arm. 

Die  Abneigung  gegen  einen  Krieg  war  während  der  letzten 
Kämpfe  in  Caesars  Reihen  wiederholt  hervorgetreten  und  nur  dem 
Ansehen  Agrippas  gewichen.  Nur  jene  Legionen,  denen  Caesar 
selbst  in  den  Colonien  Landbesitz  geschaffen  hatte,  waren  ihm  un- 
bedingt ergeben.  Aber  in  den  Soldaten,  die  unter  Antonius  persön- 
lichem Befehle  bei  Philippi  gesiegt  hatten,  erwachte  mit  der  Nähe 
ihres  Feldherrn  auch  die  Erinnerung  an  seine  Taten,  da  sein  Ver- 
schulden ihrem  einfachen  Verstände  unbegreiflich  blieb.  So 
schien  ihnen  ein  leichter  Erfolg,  den  Antonius  angesichts  beider 
Heere  an  der  Spitze  seiner  Reiter  über  eine  der  Zahl  nach 
stärkere  Abteilung  von  Caesars  Reitern  davontrug,  ein  neuer 
Beweis   seiner  Überlegenheit.    Gerade   die  auserlesenen   Soldaten 


9-  Brundisium 


109 


der  praetorischen  Cohorten  beider  Feldherrn  gingen  mit  dem 
Wunsche  der  Versöhnung  allen  anderen  voran.  Auch  jetzt  hatte 
Caesar  keinen  Grund,  an  dem  endlichen  Siege  zu  zweifeln.  Aber 
ein  neuer  Krieg,  schwieriger  und  langwieriger  als  der  eben  be- 
endete, mußte  bei  der  leidenschaftlichen  Parteinahme  der  Heere 
Italien  hoffnungslos  verwüsten.  Aus  Liebe  zu  seinem  Volke  be- 
zwang Caesar  den  gerechten  Zorn  und  reichte  noch  einmal  dem 
Feinde  die  Hand  zur  Versöhnung,  das  schwerste  Opfer  seines 
Lebens  bringend.  War  er  doch  bereit,  als  Preis  des  dauernden 
Friedens  die  edelste  und  zarteste  der  Frauen,  seine  Schwester 
Octavia,  seines  Herzens  geliebtestes  Kleinod,  hinzugeben.  An- 
tonius Weib  Fulvia  war  um  diese  Zeit  einer  schleichenden  Krank- 
heit in  Sikyon  erlegen,  und  Octavias  Hand  war  durch  den  Tod 
ihres  Gemahls  Marcellus  frei  geworden.  Das  Familienbündnis,  so 
oft  das  Werk  fauler  Staatskunst,  im  Rate  der  Geschwister  still 
erwogen,  erschien  als  einzige  Hoffnung,  diesen  Feind  des  römi- 
schen Volkes  an  seine  Pflicht  zu  binden.  Denn  ihre  vornehmes 
Schönheit,  geadelt  durch  die  Reinheit  der  Sitten,  sie  war  ein 
Zauber,  auch  das  Herz  eines  Antonius  von  dem  Gifte  der  ägyp- 
tischen Schlange  zu  läutern.  Und  doch  vermochte  sich  Caesar 
nicht  zu  überwinden,  diesen  furchtbaren  Vertrag  Antonius  mit 
eigenem  Munde  zu  verkünden.  Maecenas  war  es,  den  Caesar  aus 
Rom  herbeirief,  den  Schicksalsknoten  zu  schürzen.  Seltsam  hatte 
das  Geschick  es  gefügt,  daß  neben  Agrippa  als  erster  Helfer 
Caesars  jener  etruscische  Ritter  stand.  Vor  seinen  Königsahnen 
verblaßte  ihm  der  Ruhm  der  stolzesten  Gesclilechter  Roms,  und 
im  weichlichen  Gefallen  am  feingeistigen  Genießen  lag  seine  Tat- 
kraft wie  im  Schlummer.  Um  so  leichter  vollzog  er  in  lässiger 
Müsse  die  Weisungen  der  Staatskunst  seines  Herrschers,  ohne 
die  Last  eines  Amtes  und  scheinbar  ohne  Verantwortung.  Ihm 
trat  bei  den  Verhandlungen  der  einzige  geistige  Mann  aus  An- 
tonius Umgebung  entgegen,  Asinius  PoUio.  Das  herbe  Römertum 
des  Freistaates  lebte  in  ihm  fort  und  lieh  seiner  Hand  die  Kraft, 
das  ehrgeizige  Ringen  eines  Geschlechtes,  das  unter  jeder  Fahne 
nur  seiner  Selbstzucht  folgte,  mit  festem  Griffel  in  die  ehernen  Ta- 
feln der  Geschichte  einzutragen.   Minder  gefährlich  erschien  ihm 


HO  Augustus 

für  die  freie  Regung  des  Geistes  Antonius,  der  in  seinem  Leben  im- 
mer nur  den  Schein  der  Herrschaft  und  nie  ihr  Werk  begriffen  hat, 
als  der  unei gründlich  tiefe,  nie  sein  letztes  Wort  verratende  Caesar. 

Tiefe  Einsicht  in  die  wirkliche  Lage  des  Staates,  in  den  wah- 
ren Vorteil  ihrer  Herrscher  ließ  die  beiden  Männer  nach  kurzer 
Beratung  all  dieser  Wirren  Lösung  finden.  Eine  klare  Scheidung 
der  Machtgebiete  sollte  jedem  den  Raum  gewähren,  wo  sich  sein 
Wesen  nacli  dem  Gebote  ihrer  Naturen  frei  entfalten  konnte.  So 
schieden  sie  das  Reich  in  zwei  Hälften:  für  Caesar  den  römischen 
Westen,  für  Antonius  den  griechischen  Osten.  Eine  Linie,  über 
Scodra  in  Illyricum  von  Norden  nach  Süden  gezogen,  blieb  für 
alle  Zeiten,  auch  nachdem  Caesar  auf  Jahrhunderte  das  Reich 
wieder  geeint  hatte,  die  unverrückbare  Grenze  zweier  für  immer 
geschiedener  Welten.  Antonius,  der  sich  bei  Philippi  noch  als 
Herrscher  des  ganzen  Reiches  sah,  willigte  in  den  Verlust  des 
Westens,  um  in  Italien  ein  neues  Heer  bilden  zu  können,  das 
ihm  den  Osten  zurückerobern  sollte.  Freundlicher  noch  erschien 
ihm  sein  großmütiger  Verzicht  bei  dem  Gedanken  an  die  holde 
Frau,  in  deren  Armen  ihn  der  nie  geahnte  Reiz  einer  sittlich 
reinen  Ehe  erwartete.  Kaum  in  ihrem  Besitz,  schlug  er  seinem 
Schwager  eine  neue  brennende  Wunde.  Wie  um  ihm  zu  zeigen, 
daß  es  in  seiner  Hand  gelegen  hätte,  das  freundlich  Gewährte  zu 
behaupten,  eröffnete  er  Caesar  in  vertrautem  Gespräche,  daß  die 
Treue  seiner  Nächsten  gewankt  habe.  Salvidienus  Rufus,  der 
Jugendfreund  Caesars,  der  glänzende  Feldherr  des  perusinischen 
Krieges,  den  Caesar  mit  dem  Consulate  geehrt,  an  die  Spitze  des 
gallischen  Heeres  gestellt  hatte,  er  war  es  gewesen,  der  den  Verrat 
an  Caesar  begangen  hatte.  Vor  das  Gericht  des  Senates  gefordert 
und  schuldig  befunden,  gab  er  sich  selbst  den  Tod.  Gleiche 
Gerechtigkeit  schien  Antonius  die  Hinrichtung  eines  Hochver- 
räters seiner  Partei  zu  fordern,  und  so  fiel  Manius,  weil  er  Ful- 
vias  Launen  durch  gefällige  Deutung  Gedanken  geliehen  hatte, 
als  Opfer.  Die  Erlösung  aus  der  Kriegsgefahr  erschien  in  Italien 
als  ein  Sieg  über  innere  Feinde,  und  der  Senat  beschloß,  den  Ein- 
zug der  versöhnten  Herrscher  in  Rom  als  einen  Triumph  zu  feiern. 

Aber  auf  dem  Meere  herrschte  nach  wie  vor  der  Krieg.    Die 


Brundisinm.  j  j  I 

Geißel  des  Hungers,  die  der  Bürgerkrieg  erzeugt  hatte,  peinigte 
unvei  ändert  Rom  und  Italien.  Wohl  hatten  die  Herrscher  in  Brun- 
disium  beschlossen,  den  Seeraub,  der  jeden  Verkehr  lähmte,  aus- 
zutilgen. Antonius  Flotte  sollte  auf  Seiten  Caesars  kämpfen,  wäh- 
rend die  Legionen  Galliens,  die  Antonius  widerrechtlich  entrissen 
worden  waren,  den  Krieg  gegen  die  Parther  führten.  Gleich  der 
erste  Versuch  Caesars,  Pompeius  aus  Sardinien  zu  vertreiben,  schei- 
terte nach  einem  scheinbaren  Gelingen.  Die  Rüstungen  zum  See- 
krieg erforderten  erhöhte  Mittel.  Neue  Lasten  schrieben  die 
Edicte  der  Triumvirn  in  Rom  aus,  die  Erhöhung  der  Sclaven- 
steuer,  die  verhaßte  Erbschaftssteuer.  Da  brach  der  Straßenauf- 
ruhr in  Rom  los.  Die  Edicte  der  Triumvirn  wurden  von  den 
Mauern  gerissen,  die  Aufrührer  zwangen  auch  die  ruhiger  Ge- 
sinnten, sich  ihnen  anzuschließen.  Schon  drohten  die  tobenden 
Haufen  die  Paläste  der  Triumvirn  niederzubrennen,  als  Caesar, 
nur  von  Wenigen  gefolgt,  ihnen  entgegentrat  und,  selbst  mit 
Geschossen  bedroht,  unerschüttert  in  ruhigen  Worten  Gehör 
forderte.  Da  ließ  Antonius  ganz  gegen  Caesars  Willen  Soldaten 
auf  die  dichtgedrängten  Massen  einhauen,  und  sie,  als  sie  nicht 
wichen,  durch  verstärkte  Scharen  auseinandersprengen,  bis  die 
über  die  Plätze  und  Straßen  Fliehenden  in  Haufen  unter  den 
Streichen  der  Verfolger  zusammenbrachen.  Um  das  Gräßliche 
den  Blicken  zu  entziehen,  wurden  die  Leichen  in  den  Tiber  ge- 
worfen. Aber  das  vergossene  Blut  erstickte  nicht  den  Hunger.  In 
Wahrheit  mußten  die  Triumvirn,  die  ihrenWillen  über  Gesetz  und 
Recht  erhöht  hatten,  sich  vor  dem  Aufruhr  der  Straßen  beugen. 
Schon  lange  war  Sextus  Pompeius  aus  einem  Horte  aller  Be- 
drängten der  Unterdrücker  aller  geworden,  die  sich  ihm  schutz- 
flehend genähert  hatten.  Der  gesetzlose  Zustand,  in  dem  sein  Reich 
schwebte,  ließ  kein  Gefühl  der  Sicherheit  und  keine  Hoffnung  auf 
Dauer  entstehen.  Die  römischen  Großen,  die  in  Pompeius  Rate 
erschienen,  die  italischen  Bauern,  die,  von  Haus  und  Hof  getrie- 
ben, die  Kraft  seiner  Legionen  bildeten,  wurden  zurückgedrängt 
von  den  entlaufenen  Knechten,  den  flüchtigen  Sclaven  und  dem 
wilden  Volke  der  Raubschiffe,  die  den  Keim  dieses  Staates  gebildet 
hatten  und  sein  Wesen  bestimmten.    Der  erste  ihrer  Schar,  wie  es 


I  I  2  Augustus 

Pompeius  gewesen,  kannte  er  als  König  der  See  keine  Sorge  für 
die  Zukunft,  solange  Meer  und  Land  noch  reichlich  spendeten,  um 
die  Tage  bis  zum  unvermeidlichen  Gerichte  zu  verjubeln.  In  dieser 
Verzerrung  staatlichen  Lebens  erschien  der  König  der  Räuber 
bei  den  rauschenden  Festen  auf  seiner  Burg  zu  Messana  im  Spott- 
bild des  Gottes  Neptunus.  So  waren  die  Hohen  und  die  Niederen, 
die  ein  unerhörtes  Geschick  von  einem  gesetzlichen  Dasein  los- 
gerissen hatte,  auf  der  herrlichen  Insel  inmitten  dieses  Räuber- 
volkes eingeschlossen  wie  in  den  Mauern  eines  Kerkers.  Nach  Be- 
fieiung  ringend,  wanderte  ihr  Blick  voll  Sehnsucht  nach  der  nahen 
Heimat.  Alle  Mahnungen  seiner  römischen  Umgebung,  selbst 
solcher,  die  ihm  Heer  und  Flotte  zugeführt,  einen  Ausweg  zu 
suchen  aus  diesem  gesetzlosen  Zustand,  in  den  Wind  schlagend, 
ließ  Pompeius  in  den  Anfällen  seiner  Räuberhoheit  unbequeme 
Warner  wie  Staius  Marcus  kurzer  Hand  von  seinen  Raubgesellen 
hinrichten.  Noch  besaßen  wenigstens  dieVornehmen  mächtige  Für- 
sprecher bei  den  Triumvirn,  die  die  Rettung  der  bedrohten  Freunde 
und  Verwandten  aus  Räuberbanden  vertraten.  Auch  um  ihret- 
39  V.  Chr.  willen  beschlossen  die  Triumvirn,  den  Seekönig  als  eine  staatliche 
Macht  anzuerkennen  und  so  die  Freiheit  des  Meeres  zu  erkaufen. 
Der  Schwiegervater  des  Pompeius  war  der  berufene  Mittler; 
Antonius,  der  geneigter  war,  sich  von  Sorgen  zu  entlasten,  die 
nicht  die  seinen  waren,  verhandelte  zuerst  mit  Libo  auf  der  Insel 
Aenaria,  bis  auch  Caesar  unter  dem  Drucke  der  Rom  mit  Raub 
und  Brand  bedrohenden  Aufstände  in  den  Vergleich  willigte.  Die 
Versöhnung,  die  die  Menschlichkeit  und  die  Vernunft  gebot,  wurde 
durch  die  Schaustellung  der  Streitkräfte  beider  Parteien  zu  einer 
versteckten  Drohung.  Pompeius  entfaltete  seine  mächtige  Flotte, 
die  die  Legionen  an  Bord  führte,  längs  der  Küste  im  Golfe  von 
Puteoli,  während  die  Triumvirn  ihr  Fußvolk  und  ihre  Reiter  in 
dichten  Reihen  dem  Meeresufer  entlang  entwickelten,  als  gälte  es, 
einer  Landung  zu  wehren.  Solchem  Mißtrauen,  das  ihre  wirk- 
liche Stimmung  verriet,  entsprach  auch  der  für  die  Unterredung 
erwählte  Platz.  Im  Meere  hatte  man  zwei  Bühnen  auf  Pfählen 
errichtet,  die  eine  dem  Lande  nahe  gelegen,  die  andere  im  tiefen 
Wasser.    Von  hier  aus  sich  gegenseitig  vernehmbar,  pflogen  die 


9-  Brundisium  j  j  i 

Feinde  die  Verhandlung.  Pompeius  war  in  jedem  Sinne  der  Ge- 
währende und  erreichte  um  so  leichter  das  Versprechen  seiner  hoch- 
gespannten Forderungen,  je  weniger  die  Triumvirn  gedachten  sie 
zu  erfüllen.  Zwar  zuerst  als  Pompeius  als  dritter  anstelle  des  Le- 
pidus  in  den  Bund  einzutreten  begehrte,  schienen  die  Verhandlun- 
gen zu  scheitern.  Aber  dem  geschäftigen  Bemühen  besonders  der 
Frauen,  die  die  Wiedervereinigung  mit  den  langgetrennten  Ver- 
wandten und  Freunden  heiß  begehrten,  gelang  es,  die  starrsin- 
nigen Herrscher  zu  erweichen.  Endlich  willigten  die  Triumvirn 
darein,  Pompeius,  wenn  auch  nicht  als  Dritten  im  Bunde  anzuer- 
kennen, so  doch  als  Vierten.  Denn  sein  Seereich  erhielt  jetzt  eine 
feste  Grundlage;  da  ihm  der  Besitz  von  Sicilien,  Sardinien,  Corsica 
und  aller  Inseln  im  westlichen  Meere  zugesprochen  wurde,  sowie 
die  Landschaft  Achaia,  das  eigentliche  Griechenland,  in  der  öst- 
lichen Reichshälfte.  Das  Consulat  sollte  er  abwesend  durch  einen 
seiner  Fieunde  verwalten,  den  Augurat  bekleiden.  Als  Ersatz 
für  die  ihm  schon  mehr  als  einmal  versprochenen  Güter  seines 
Vaters  erhielt  er  ein  neues  Versprechen  von  17  Millionen  Denaren. 
Wahrlich,  alles  hatte  er  erreicht,  nur  nicht  die  Erfüllung  dieser 
Forderungen.  So  versprach  denn  auch  er  das  Unerfüllbare,  von 
seinem  Räuberhandwerk  zu  lassen.  Er  versprach  die  Freiheit  des 
Handels  nicht  mehr  zu  stören,  die  Küsten  Italiens  nicht  mehr  zu 
brandschatzen,  seine  Besatzungen  aus  den  festen  Plätzen  der  Halb- 
insel herauszuziehen,  keine  entlaufenen  Sclaven  mehr  aufzunehmen. 
Das  Werk  der  Versöhnung  war  herrlich  gelungen.  Nur  Caesar 
sah,  daß  der  Räuber  mit  den  Vornehmen  und  Geringen,  die 
Wiederherstellung  und  Ersatz  ihres  verlorenen  Besitzes  erlangten, 
den  einzigen  Schutz  verlor,  der  die  letzte  Vergeltung  an  ihm  zu 
üben  bisher  gehindert  hatte. 

Pompeius,  der  sich  in  dem  Glänze  seiner  neuen  Würde  sonnte, 
versprach  dem  lieben  Freunde,  seine  Tochter  an  Octavias  Sohn 
Marcellus  zu  vermählen,  wenn  das  Knäblein  zu  Jahren  gekommen 
wäre.  Und  doch  sah  der  Räuber  immer  nur  den  Richter  vor 
Augen.  Auch  bei  dem  Festmahle  der  Triumvirn  wollte  er  das 
Rauschen  des  freien  Meeres  nicht  entbehren  und  feierte  es  mit 
ihnen  nur  auf  jener  Bühne,  die  der  Verhandlung  gedient  hatte, 

Dom  asizc  wsk  i.     I.  o 


114  Augustus 

Mutvoller  erschienen  die  Triumvirn  zum  Dank  auf  seiner  Hexere 
und  entgingen  dem  tückischen  Rate  des  Menodorus,  die  kostbaren 
Vögel  durch  Kappen  der  Anker  zu  entführen,  nur  durch  die  Er- 
innerung des  Pompeius,  daß  er  nicht  immer  ein  Räuber  gewesen. 
Der  langersehnte  Friede  war  endlich  eingekehrt.  Unbeschreiblich 
war  die  Freude,  die  die  am  Ufer  Harrenden  erfaßte,  wie  die  Boote 
des  Pompeius  die  lang  Vermißten,  Totgeglaubten,  die  nach  Jahren 
trostloser  Flucht  ihrer  Heimat  wiedergegeben  wurden,  ans  Land 
setzten.  Über  ganz  Italien  verbreitete  sich  der  Jubel,  als  die  lang 
zurückgehaltenen  Kornschiffe  aus  Af rica,  Sicilien,  Sardinien  unter 
dem  Geleite  der  Flotte  des  Pompeius  in  sicherer  Fahrt  in  die  Häfen 
einliefen,  nach  der  erduldeten  Not  Überfluß  spendend,  Antonius 
und  Caesar  wurden  auf  dem  Wege  nach  Rom  gleich  den  rettenden 
Göttern  durch  Opferspenden  gefeiert,  sodaß  sie,  der  unverdienten 
Ehren  müde,  Rom  selbst  bei  Nacht  betraten. 

Hier  schieden  sich  die  Wege  der  Herrscher.  Langversäumte 
Pflichten  riefen  Antonius  nach  dem  Osten. 

Was  auch  die  Zukunft  bringen  mochte,  Caesar  hatte  jetzt 
freie  Hand,  unbeirrt  durch  fremdes  Wollen,  im  Westen  die  Grund- 
lagen zu  legen  für  das  Werk  der  Neuschöpfung  des  römischen 
Staates,  dem  sein  ganzes  Leben  geweiht  sein  sollte.  Als  der 
Zwang,  unter  dem  er  seit  Jahren  jedes  Empfinden  in  seiner  Brust 
niedergehalten  hatte,  von  ihm  wich,  erfaßte  ihn  im  Morgenrote 
der  Herrschergröße  die  Liebe,  des  jungen  Herzens  mächtigste 
Zauberin.  Schon  hatte  er  sich  von  Scribonia  getrennt,  obwohl 
sie  ihm  eine  Tochter  gebar,  nach  dem  Besitze  der  stolzen  Frau 
begehrend,  die  ihn,  der  die  Sitte  so  streng  achtete,  über  alle 
Schranken  hinwegriß.  Livia,  die  Gattin  des  Claudius  Nero,  sie 
war  es,  deren  herbe  Schönheit  die  Leidenschaft  in  ihm  mit  so 
38  V.  Chr.  unwiderstehlicher  Gewalt  entzündete,  daß  er  sie,  ehe  sie  noch 
ihre  Ehe  gelöst  hatte,  in  sein  Haus  entführte.  Und  doch,  so  ge- 
waltsam der  sonst  so  Kühle  gehandelt  hatte,  dieser  Bund,  den 
tiefste  Neigung  geschlossen,  er  widerstand  den  schwersten  Prüfun- 
gen, und  wurde  eine  Quelle  wahren  Glückes,  verband  die  auf  den 
Höhen  menschlichen  Daseins  doppelt  Einsamen  mit  ruhiger  Zu- 
versicht und  nie  gestörtem  Vertrauen. 


10.  Antonius  in  Athen 

Schon  von  Brundisium  aus  hatte  Antonius  den  Ventidius 
Bassus  mit  den  Legionen  Galliens  nach  dem  Osten  entsendet,  um 
Kleinasien  und  Syrien  aus  den  Händen  der  plündernden  Befreier 
zu  erlösen.  Als  das  römische  Heer  in  Kleinasien  landete,  nahm 
Labienus  seine  Scharen  zusammen  und  suchte  über  den  Taurus  zu 
entkommen.  Von  Ventidius,  der  ihm  mit  leichten  Truppen  nach- 
setzte, am  Fuße  des  Gebirges  zum  Stehen  gebracht,  rief  er  das 
parthische  Heer  aus  Cilicien  zu  Hülfe  heran.  Blinde  Zuversicht 
ließ  die  Parther,  ohne  daß  sie  an  die  Vereinigung  mit  Labienus 
dachten,  beim  Hervorbrechen  aus  den  Pässen  gegen  das  Lager 
des  Ventidius,  dessen  Legionen  herangekommen  waren,  im  ersten 
Anlauf  anstüimen.  Von  der  Höhe  des  Lagers  herab  warfen  die 
Verteidiger  die  vorderen  Reihen  der  Parther  mit  leichter  Mühe 
auf  die  aus  der  Ebene  noch  Nachdrängenden  zurück,  sodaß  ihr 
ganzes  Heer  in  Verwirrung  geriet,  und  vor  dem  Angriff  der 
Legionen  auseinanderbrechend,  in  wilder  Flucht  in  das  Gebirge 
zurückeilte. 

Als  Labienus  angesichts  der  Niederlage  der  Parther  den 
Rückzug  in  das  Gebirge  versuchte,  leistete  sein  Heer,  das  meist 
aus  römischen  Überläufern  bestand,  dem  Feinde  kaum  mehr 
Widerstand.  Ohne  Kampf  besetzte  jetzt  Ventidius  Cilicien.  Hier 
wurde  Labienus,  der  in  fremder  Tracht  entkommen  war,  aufge- 
spürt und  gefangen.  Dann  gewann  Ventidius  durch  einen  über- 
raschenden Angriff  in  den  Pässen  des  Amanusgebirges,  den  Toren 
Syriens,  einen  letzten,  entscheidenden  Sieg  über  das  Partherheer 
des  Phranapates.  Nicht  nur  das  Feldherrngeschick  des  Ventidius, 
mehr  noch  hatte  der  Unverstand  parthischer  Führer,  die  mit  ihren 
Reitern  inmitten  des  Berge  Schlachten  schlugen,  den  gänzlichen 


I  1 6  Augustus 

Umschwung  herbeigeführt.  So  war  denn  Syrien  wieder  die  Beute 
der  Römer  geworden,  und  die  Fürsten,  wie  Malchus  der  Naba- 
täer,  Antigonus  der  Jude,  büßten  ihre  Neigung  für  Pacorus  mit 
klin^;endem  Golde.  Arados,  das  Antonius  während  der  Herrschaft 
der  Parther  Trotz  geboten  hatte,  wehrte  sich  mit  dem  Starrsinn 
semitischer  Städte  gegen  das  unvermeidliche  Strafgericht.  In  dem 
Heerbann  der  Parther,  die  den  römischen  Waffen  erlegen  waren, 
hatten  die  Edeln  Irans  nicht  gefochten.  Sie  zogen  nur  unter  der 
Führung  ihrer  Könige  ins  Feld.  So  rief  sie  Pacorus  zu  den  Waffen, 
um  die  Schmach  zu  tilgen.  Ventidius  sah  ihren  Angriff  voraus  und 
wußte  sie  durch  die  V^orspiegelungen  eines  arabischen  Fürsten,  den 
er  gewonnen  hatte,  über  die  Richtung  seiner  Verteidigung  zu 
täuschen.  Während  die  Parther  den  Feind  in  den  weiten  Ebenen 
im  Norden  von  Palmyra,  die  ihrer  Kampf  weise  so  günstig  waren, 
erwarteten,  erscheinen  die  Römer,  auf  dem  Marsche  gegen  Zeugma 
am  Euphrat  begriffen,  drohend  in  ihrem  Rücken.  So  folgte  ihnen 
Pacorus  in  das  hügelige  Gelände  im  Süden  der  Cyrrhesticenischen 
38  V.  Chr.  Landschaft.  Hier  kam  es  bei  Gindarus,  an  demselben  Tage  des 
Jahres,  der  die  Niederlage  des  Crassus  gesehen,  zur  Schlacht.  Die 
Parthei  voll  Siegesmut  griffen  die  vor  dem  Lager  in  Schlachtlinie 
geordneten  Römer  in  langen  Reihen  an,  von  den  Höhen  durch  die 
weittragenden  Geschosse  der  Römer  trotz  ihrer  schweren  Pan- 
zerung so  wirksam  beschossen,  daß  ihr  Ansturm  bald  zum  Stehen 
kam.  Noch  leisteten  sie  den  Römern  tapferen  Widerstand,  als 
Pacorus  fiel  und  um  ihn  die  Edeln,  die  die  Leiche  des  Königs- 
sohnes verteidigten.  Da  wandten  sich  die  Parther  zur  Flucht,  von 
den  Römern  bis  nach  Zeugma  und  Samosata  am  Euphrat  verfolgt. 
Während  sein  Feldherr  im  Osten  kämpfte  und  siegte,  hatte 
Antonius,  der  Stimmung  folgend,  welche  die  Ehe  mit  der  fein- 
gesitteten Frau  in  ihm  hervorrief,  in  Athen  einen  geistigen  Schau- 
platz für  sein  altes  Wesen  gefunden.  Auch  hier  konnte  er  ohne 
den  Zwang  seiner  Stellung  unter  den  Bürgern  der  freien  Stadt  als 
Gleicher  untei  Gleichen  den  ersten  Liebesrausch  und  das  Gefühl 
seiner  Allmacht  genießen.  Waren  doch  die  Athener,  durch  das 
Eknd  von  Jahrhunderten  belehrt,  in  den  Schmeichelkünsten  der 
Fürslenverehrung  nicht  minder  dienstwillig    als    die  Völker    des 


lo.  Antonius  in  Athen 


117 


Ostens,  denen  sie  auch  hierin  die  Meister  geworden  waren.  Sif 
wußten  den  Imperator,  der  in  ihrer  heimischen  Tracht  wieder  in 
den  Hörsälen  der  Philosophen  auftauchte  und  an  der  Schönheit 
attischer  Epheben  in  den  Ringschulen  sich  ergötzte,  durch  die 
Verzerrung  ihres  sinnvollen  Glaubens  von  dem  zur  Göttlichkeit 
sich  läuternden  Menschentum  zu  huldigen,  als  sie  in  ihm  den 
neuen  Dionysos  feierten.  So  erschien  es  nur  folgerichtig,  den 
neuen  Schutzgott  der  Stadt  der  schirmenden  Burggöttin  und 
Jungfrau  Athene  anzutrauen,  die  seiner  irdischen  Gemahlin  Octa- 
via  die  Hand  reichte.  Antonius  aber  lebte  den  himmlischen  Traum 
auf  dem.  Boden  der  Erde  und  forderte  von  seiner  göttlichen 
Gattin  eine  weltliche  Mitgift  von  tausend  Talenten  aus  dem 
Schatze  des  Burgtempels,  sehr  zum  Leidwesen  der  Athener,  die 
für  diesen  Lohn  ihrer  Huldigung  keinen  Trost  fanden  in  gewand- 
tem Spotte.  Denn  Antonius,  der  für  seine  Raubsucht  selbst  in 
dem  gänzlich  verarmten  Griechenland  noch  Anlaß  fand,  plünderte 
dessen  Städte,  wie  er  sagte,  um  Pompeius  die  zugedachte  Beute 
zu  kürzen.  Doch  er  verstand  auch  zu  geben,  als  er  zur  Feier 
der  ersten  Siege  des  Ventidius  ganz  Athen  speiste  und  bei  dem 
prunkenden  Mahle  als  Gymnasiarch  der  Stadt  den  Vorsitz  führte. 
Die  Herrschaft  übte  er,  indem  er  die  Boten  aus  allen  Teilen 
seines  Reiches  schriftlich  beschied  und  die  Königreiche  des  Ostens 
nach  Gunst  vergabte,  wie  er  dem  Dareios,  des  Pharnaces  Sohn, 
Pontus  verlieh,  Herodes  Idumaea,  Amyntas  Pisidien,  Polenio 
einen  Teil  Ciliciens,  und  anderen  wieder  andere  Reiche. 


II.  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius 

Athen  war  Antonius  auch  so  lieb  geworden,  weil  er  hier  auf 
seinem  Herrschersitz  mit  den  Legionen,  die  er  in  Europa,  unter 
dem  Vorwande,  die  Parthiner  in  Dalmatien  für  ihre  Unterstützung 
des  Brutus  zu  züchtigen,  zurückgehalten  hatte,  dem  Sextus  Pom- 
peius Trotz  bot  und  so  seinem  Schwager  Caesar  das  Leben  in 
Italien  erschwerte.  Hatte  Antonius  Achaia  nicht  geräumt,  so  war 
Caesar  ebensowenig  geneigt,  dem  Seekönig  mit  den  17  Millionen 
seines  väterlichen  Erbes  den  Schatz  zu  füllen. 

Auch  Pompeius  hatte  die  Bedingungen  des  Vertrages  nicht 
erfüllt.  Seine  Besatzungen  standen  noch  immer  in  Italien,  sein 
Inselreich  blieb  die  Zuflucht  entlaufener  Sclaven  und  Räuber. 
Bald  kreuzten  auch  seine  Flotten  wieder  in  dem  italischen  Meere, 
die  Zufuhr  unterbindend.  Schon  rüstete  Caesar  eine  Flotte  in 
den  Häfen  Italiens  und  gedachte  mit  seinem  Schwager  in  Brun- 
disium  die  Anordnungen  für  den  gemeinsamen  Krieg  zu  beraten, 
nur  daß  Antonius,  als  Caesar  zur  anberaumten  Stunde  nicht 
erschienen  war,  froh  dem  Verhaßten  nicht  ins  Auge  zu  sehen,  nach 
Athen  zurückkehrte. 

Pompeius,  seiner  Warner  durch  den  Vertrag  von  Misenum 
ledig,  herrschte  nur  mehr  und  wurde  beherrscht  durch  seine 
Freigelassenen,  die  an  diesem  Hofe  um  den  Einfluß  haderten. 
Menodorus,  in  seinem  Befehle  über  Sardinien  und  Corsica  be- 
droht, bediente  sich  der  Vermittelung  jener  Römer,  die  bei  Pom- 
peius ausgeharrt  hatten,  um  durch  Verrat  der  Inseln  am  Hofe 
Caesars  zu  neuem  Ansehen  zu  gelangen.  Zögernd  und  doch  den 
unvermeidlichen  Krieg  vor  Augen,  ergriff  Caesar  das  Angebot 
der  Inseln,  die  Menodorus  ihm  mit  den  Flotten,  drei  Legionen 
und  den  leichten  Truppen  überlieferte.    Noch  waren  die  Flotten 


1 1 .  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  j  j  g 

Caesars  in  Ravenna  und  vor  Rom  erst  im  Baue  und  die  Küsten 
Italiens  durch  Strandwachen  unzureichend  geschützt,  die  Legionen 
aus  Illyricum  erst  im  Anmarsch. 

Pompeius  kam  jetzt  dem  Angriff  zuvor  und  verwüstete  die 
Küsten  Campaniens,  ehe  noch  die  Flotte  aus  dem  adriatischen 
Meere  in  Tarent  eintraf.  Als  sich  das  Landheer  Caesars  bei 
Regium  sammelte,  ging  Pompeius  auf  Messana  zurück,  um  der 
drohenden  Vereinigung  der  feindlichen  Flotten  in  der  Meerenge 
zu  begegnen.  Denn  vom  Norden  führten  Calvisius  Sabinus  und 
Menodorus  ihre  Geschwader  heran,  während  die  Flotte  aus  Tarent 
unter  Caesars  Befehl  Regium  sich  näherte.  Noch  lag  es  in  Pom- 
peius' Hand,  die  Gegner  vereinzelt  mit  Übermacht  anzugreifen. 
Menekrates  ging  wieder  mit  zahlreichen  Schiffen  nach  Norden 
in  See  und  erspähte  im  Abenddunkel  die  Flotte  des  Calvisius  an 
der  Küste  von  Cumae.  Calvisius  gedachte  dem  Kampf  auszu- 
weichen, indem  er  an  der  Küste  Schutz  suchte.  Als  er  am  Morgen 
in  einer  langen  Linie  am  Ufer  gegen  Süden  fuhr,  versperrte 
ihm  die  Flotte  des  Menekrates,  die  von  Aenaria  heransteuerte,  den 
Weg.  So  sah  sich  Calvisius  unter  den  ungünstigsten  Bedingungen 
zur  Seeschlacht  gezwungen.  Während  die  Schiffe  des  Menekrates 
im  freien  Meere  sich  rasch  und  sicher  bewegten,  hatte  Calvisius 
weder  Raum  zum  Angriff  noch  zum  Rückzug.  Viele  seiner 
Schiffe,  von  den  an  Zahl  überlegenen  Gegnern  gedrängt,  liefen 
auf  den  Strand,  um  elend  zu  scheitern.  Den  tapfersten  Widerstand 
leisteten  die  Abgefallenen  unter  Menodorus,  und  ihnen  war  es 
zu  danken,  daß  der  Sieg  der  Pompeianer  sich  so  lange  verzögerte. 
In  dem  Gewirre  des  Seekampfes  suchten  sich  Menekrates  und 
Menodorus  lange  vergeblich,  fest  entschlossen,  die  alte  Neben- 
buhlerschaft auf  ihrem  eigensten  Elemente  zum  Austrag  zu  bringen. 
Als  sie  sich  endlich  nahekamen,  brach  die  ganze  Wildheit  dieses 
Räuberkrieges  hervor  in  dem  Einzelkampfe  der  führenden  Schiffe. 
Der  Rammsporn,  die  Waffe  des  Kühnen,  schädigte  beide  Schiffe 
schwer.  Da  warfen  sie  die  Enterhaken  des  Piraten  aus,  und  bald 
tobte  der  Nahkampf  auf  den  Verdecken.  Durch  die  Bordhöhe 
überlegen,  ließ  Menodorus  die  wuchtigsten  Geschosse  auf  die 
Gegner  niederhageln,  bis  Menekrates,   unter  den  Toten  und  Ster- 


120  Aufjustus 

benden  von  einer  vielzackigen  iberischen  Wurflanze  in  den  Schen- 
kel getroffen  zusammenbrechend,  durch  den  Sturz  ins  Meer  den 
Händen  des  siegenden  Feindes  sich  entzog.  Auch  Menodorus,  an 
der  Schulter  verwundet,  verließ  mit  seiner  Beute  den  Kampfplatz. 
Unbekümmert  um  den  Untergang  des  Menekrates,  hatte  sein 
Unterführer  Demochares  den  Angriff  fortgeführt,  die  gestrandeten 
Schiffe  des  Feindes  in  Brand  setzend.  Mit  Mühe  verhinderte  Cal- 
visius,  der  auf  dem  linken  Flügel  gesiegt  hatte,  die  gänzliche 
Vernichtung  seiner  Flotte.  Aber  mit  dem  Tode  ihres  berühmten 
Kämpfers  war  die  Zuversicht  von  den  Siegern  gewichen,  Demo- 
chares ging  am  nächsten  Morgen  nach  Sicilien  zurück,  Calvisius 
folgte  ihm,  nachdem  er  die  Trümmer  seiner  Flotte  wieder  see- 
tüchtig gemacht  hatte. 

Demochares  kam  zur  rechten  Zeit  nach  Messana,  die  Meer- 
enge gegen  die  Flotte  Caesars,  die  bereits  bei  Regium  vor  Anker 
lag,  zu  decken.  Als  Caesar,  nur  auf  seine  Vereinigung  mit  Cal- 
visius bedacht,  von  Regium  an  der  Küste  in  der  Meerenge  durch- 
zubrechen suchte,  wurde  er  von  Demochares  im  Rücken  ange- 
griffen, und  bald  war  seine  ganze  Flotte  gegen  die  steile  Felsküste 
Biettiens  gedrängt.  Wieder  war  aller  Vorteil  des  Seekampfes 
auf  Seite  der  Flotte  des  Pompeius.  Vergebens  versenkte  Corni- 
ficius  das  Schiff  des  Demochares,  der  Andrang  der  Flotte  des 
Pompeius  wurde  immer  heftiger,  als  sie  plötzlich  zu  weichen 
begann,  von  der  hohen  See  das  Herannahen  der  Geschwader  des 
Calvisius  und  Menodorus  erspähend.  Die  Nacht  war  hereinge- 
brochen, während  die  schwerbeschädigten,  halb  verbrannten 
Schiffe  Caesars  noch  an  der  unheilvollen  Küste  lagen.  Als  der 
Morgen  endlich  anbrach,  steigerte  die  Not  ein  plötzlich  los- 
brechender Sturm,  der,  Tag  und  Nacht  mit  äußerster  Gewalt 
wehend,  die  hülflosen  Schiffe  gegen  die  Felsen  schleuderte  und 
das  Meer  wie  die  Küste  mit  Trümmern  und  Leichen  bedeckte. 
Am  nächsten  Morgen  sah  die  strahlende  Sonne,  die  über  dem 
beruhigten  Meere  erglänzte,  den  Untergang  der  Flotte  Caesars. 
Nur  die  seekundigen  Schiffe  des  Menodorus,  die  trotz  des  Sturmes 
die  hohe  See  gehalten  hatten,  und  andere,  schwerbeschädigte  ent- 
rannen dem  Verderben,    Pompeius  hatte  im  sicheren  Hafen  von 


II.  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  12  i 

Messana  die  Elemente  für  sich  kämpfen  lassen  und  tat  nichts,  den 
Feind  auf  seinem  Rückzug  zu  verfolgen.  Hatte  es  sich  doch 
herrlich  ei  wiesen,  daß  der  im  meerblauen  Gewände  prangende 
Seekönig  des  Neptuns  echter  Sohn  war. 

Die  glänzenden  Siege  des  Ventidius  hatten  Antonius  endlich 
bestimmt,  im  Sommer  des  Jahres  ^^  nach  Syrien  zu  eilen,  um  an 
die  Spitze  seines  Heeres  zu  treten.  Ventidius  hielt  König  Antiochus 
von  Commagene,  den  Freund  und  Günstling  der  Parther,  in  seiner 
Hauptstadt  Samosata  belagert.  Auch  als  Antonius  eintraf,  wider- 
stand die  feste  Burg  allen  Stürmen.  Endlich  des  Stillsitzens  müde, 
ließ  Antonius  dem  König  seine  Herrschaft  gegen  Zahlung  einer 
Geldbuße.  Was  er  plante:  die  Eroberung  des  parthischen Reiches, 
schien  mit  den  Streitmitteln,  die  im  Osten  standen,  unerreichbar. 
So  vertiaute  er  die  Hut  Syriens  seinem  Legaten  Sossius  an  und 
kehrte  zurück  nach  dem  Westen,  von  seinem  Schwager  neue 
Legionen  zu  fordern.  Ventidius,  von  Antonius  in  Ungnade  ent- 
lassen, feierte  im  Winter  einen  Triumph  einziger  Art  über  die 
Parther.  War  er  doch  als  Knabe  ein  Gefangener  im  Bundesge- 
nossenkriege vor  dem  Siegeswagen  des  Pompeius  Strabo  einher- 
geschritten,  und  jetzt  hielt  er  selbst  den  Siegeseinzug  in  Rom. 

Die  ünheilsbotschaften  des  sicilischen  Krieges  schienen  An- 
tonius in  Athen  ein  Festgruß.  Der  stolze  Schwager  war  doppelt 
gedemütigt,  der,  auf  seine  eigenen  Streitkräfte  bauend,  durch 
eigene  Unfähigkeit  der  Führung  so  elend  gescheitert  war.  Und 
doch  war  es  für  Antonius  schwer,  die  im  Vertrage  von  Brundisium 
zugesagte  Hülfe  auch  jetzt  nicht  zu  leisten,  um  so  schwerer,  als 
Octavias  versöhnender  Einfluß  für  den  Bruder  sprach.  Im  Grunde 
war  er  auch  ihrer  schon  müde  geworden,  dachte  nur  mehr  daran, 
von  Italien  neue  Opfer  zu  erzwingen,  um  durch  den  erträumten 
Sieg  über  die  Parther  seinem  verblassenden  Kriegsruhm  neuen 
Glanz  zu  geben.  Auch  forderte  der  Ablauf  der  Frist,  die  die  Trium- 
virn  selbst  ihrem  .Amte  gesetzt  hatten,  eine  Vereinbarung  der 
Herrscher.  Mißtrauen  und  Abneigung  ließ  sie  keine  Formel  mehr 
finden,  das  gemeinsame  Amt  anders  als  stillschweigend  weiter  zu 
führen.  Doch  sahen  sich  Antonius  und  Caesar  in  Tarent  vor  den  37  v.  Chr. 
Augen  der  Welt  als  Freunde.    Aber  schärfer  als  je  trat  der  Ge- 


12  2  Augustus 

gensatz  hervor  zwischen  dem  Vergeuder  eigenen  und  fremden 
Gutes  und  dem  maßvoll  die  Kraft  der  Gegenwart  und  Zukunft 
Erwägenden.  Und  zwischen  ihnen  stand  die  schwache  Frau,  nach 
Vermittlung  suchend  für  das  Unversöhnliche.  War  doch  keiner 
geneigt,  dem  anderen  zu  gewähren,  was  er  bedurfte.  Wie  konnte 
Caesar,  der  Vater  seines  Volkes,  die  Söhne  Italiens  opfern  für 
den  Wahnwitz  eines  neuen  Alexanderzuges,  und  nur  dann  wäre 
Antonius  gewillt  gewesen,  seine  wirksame  Hülfe  zu  leihen  für 
den  Seekrieg.  Nicht  die  Legionen  Italiens,  sondern  2000  Mann 
für  die  Verstärkung  der  Leibwache  gewährte  Caesar  dem  Anto- 
nius und  gestattete  auf  Octavias  Bitten  dem  Schwager  noch  1000 
nach  eigener  Wahl  auszulesen.  Da  ließ  Antonius  auch  die  Flotte, 
die  er  zugesagt  hatte,  von  300  Schiffen  auf  120  zusammenschwin- 
den, als  Liebesgabe  Octavias  noch  10  Boote  hinzufügend.  So  war 
der  bittere  Ernst  der  Forderungen  zum  Getändel  der  Höflichkeit 
geworden,  die  keinen  über  das  harte  Nein  hinwegtäuschte.  Von 
Tarfent  ging  Antonius  nach  dem  Osten,  weil  er  wußte,  was  ihn 
mächtiger  zog  als  der  Kriegsruhm.  Schon  in  Corcyra  entließ  er 
Octavia,  zu  zart,  das  rauhe  Kriegsleben  mit  ihm  zu  teilen,  und 
sandte  sie  mit  den  Kindern,  die  ihrer  Ehe  entsprossen  waren,  dem 
Bruder  zurück  nach  Italien.  Er  war  geschieden  in  dem  sicheren 
Bewußtsein,  den  tiefeingewurzelten  Haß  dereinst  in  einem  Kampf 
auf  Leben  und  Tod  zu  erproben. 

Vieles  hatte  zusammengewirkt,  das  klägliche  Ende  des  Krieges 
gegen  Sextus  Pompeius  herbeizuführen.  Die  Abneigung  gegen 
das  trügerische  Element,  gegen  alles,  was  den  Griechen  das  wech- 
selnde Spiel  von  Wind  und  Wogen  so  lockend  erscheinen  ließ, 
wohnte  den  italischen  Bauern  seit  Alters  inne  und  ließ  sie  nie  zu 
einem  seefahrenden  Volke  werden.  Nur  die  unabweisbare  Not- 
wendigkeit, das  italische  Meer  von  der  Vorherrschaft  der  Punier 
zu  befreien,  hatte  sie  einst  bestimmt,  diese  in  Namen,  Bauart, 
Rüstung  und  Gebrauch  gleich  fremdartigen  Kriegsfahrzeuge  zu 
besteigen,  immer  dann  ihres  Sieges  gewiß,  wenn  es  ihnen  gelang, 
auf  die  kunstreiche  Lenkung  der  Rosse  des  Meeres  verzichtend, 
die  Seeschlacht  Bord  an  Bord  wie  eine  Landschlacht  zu  schlagen. 
Als  die  Puniergefahr  verschwunden  war,  verschwand  auch  die  rö- 


1 1 .  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  I  2  3 

mische  Flotte  von  dem  Meere,  das  zu  gewinnen  die  Römer  Tau- 
sende von  Schiffen  und  zahllose  Menschen  geopfert  hatten.  Immer 
bedurfte  es  der  äußersten  Gefahr,  um  neue  Flotten  von  gleich 
kurzer  Dauer  entstehen  zu  lassen.  So  fehlte  Caesar  für  das  Schwie- 
rigste, eine  Flotte  aus  dem  Nichts  zu  schaffen,  die  erste  Bedingung : 
ein  seefrohes,  seeerprobtes  Volk.  Und  als  sie  doch  entstand,  un- 
gefüge in  der  Bauart,  unbehülflich  in  der  Lenkung,  fehlten  ihr  die 
Männer,  die  sie  in  Sturm  und  Schlacht  zu  leiten  vermochten.  Wenn 
Pompeius  in  Messana  Musterung  hielt  über  sein  wetterfestes, 
kampferprobtes  Schiff svolk,  von  jenen  Küsten,  wo  die  Gewohnheit 
von  den  Vätern  forterbte,  auf  der,  blauen  Meeresfläche  zu  ernten,  so 
mochte  er  der  friedlichen  Bauern  spotten,  die  nur  die  Verzweif- 
lung zum  Ruder  greifen  ließ. 

Was  die  Römer  auch  auf  dem  Meere  unbesiegbar  gemacht 
hatte,  war  die  Hingebung  an  das  Vaterland  gewesen.  Caesar  war 
es,  der  die  in  den  Bürgerkriegen  erstorbene  Liebe  zur  Heimat,  den 
Opfersinn  der  Bürger  wiedererweckt  hatte.  Freudig  ging  man  in 
allen  Häfen  Italiens  an  den  Bau  der  Schiffe,  willig  liehen  die 
Reichen  dem  Staate  ihre  Sclaven,  die  Schiffe  zu  bemannen,  und 
ertrugen  neue  Lasten  für  die  Rüstungen  zum  Kriege.  Auch  der 
Feldherr  des  Reiches,  Agrippa,  war  aus  Gallien  zurückgekehrt,  der 
siegreich,  wie  immer,  die  Grenzverteidigung  am  Rhein  durch  den 
Ausbau  des  gallischen  Straßennetzes,  die  Erbauung  der  Truppen- 
lager neu  geordnet  hatte.  Den  leichtgewonnenen  Triumph  über 
die  Aquitanier  lehnte  er  ab,  um  als  Consul  die  Rüstungen  zum  37  v.Chr. 
Kriege  planvoll  zu  leiten.  Kein  Mißlingen  durfte  diesmal  die  Hei- 
lung Italiens  von  der  Eiterbeule  des  Räuberstaates,  der  all  den 
kranken  Stoff  der  Bürgerkriege  in  sich  aufgenommen,  länger  ver- 
zögern. Einig  mußten  die  Triumvirn  diesem  gemeinsamen  Feinde 
entgegentreten.  In  Tarent  hatte  Caesar  von  Antonius  wenigstens 
den  Schein  der  Mitwirkung  erreicht.  Entschiedener  mahnte  er 
Lepidus  an  seine  Bundespflicht,  der  mit  der  ganzen  gewaltigen 
Rüstung  an  Heer  und  Flotte,  die  seinem  trägen  Leibe  so  unbehülf- 
lich als  zwecklos  saß,  von  Africa  aus  Sicilien  angreifen  sollte.  Aber 
die  eigene  Macht  mußte  die  Entscheidung  bringen.  Zwei  Jahre 
wurde  der  Bau  der  Flotte,  die  Übung   der   Mannschaften   fortge- 


124  Augustus 

setzt.  Um  in  einem  ruhigen  Wasserbecken  ungestört  vom  Feinde 
die  Bemannung  der  Penteren  in  sicherem  und  gleichmäßigem 
Schlage  der  Ruder,  der  Triebkraft  des  antiken  Schiffes,  zu  schulen, 
vereinigte  Agrippa  den  Arverner  und  Lucriner  See  zu  einem  Was- 
sei Spiegel,  der  sich  in  das  Meer  durch  einen  breiten,  in  den  tren- 
nenden Hügelrücken  eingeschnittenen  Kanal  öffnete.  An  dem 
sicheren  Gebrauch  dieser  vollkommenen  Waffe  mußte  bei  der 
Überlegenheit  an  Zahl  die  Seemannskunst  der  Pirten  zu  Schan- 
den werden. 

Durch  einen  gleichzeitigen  Angriff  von  drei  Seiten  gedachte 
Agrippa  die  Landung  auf  der  Insel  und  damit  die  Entscheidung  zu 
erzwingen.  Der  Schicksalsglaube,  der  Caesar  sein  ganzes  Leben 
3b  V.  Chr.  bestimmte,  ließ  ihn  den  ersten  des  Monats  Julius  als  den  Tag 
erwählen,  an  welchem  Lepidus  aus  Africa,  Statilius  Taurus  mit  der 
Flotte  des  Antonius  aus  Tarent,  er  selbst  von  Puteoli  aus  die  Fahrt 
nach  Sicilien  antreten  sollten.  Das  Verhängnis  von  sich  abzu- 
wehren, hatte  Pompeius  alles  aufgeboten,  was  in  seinen  Kräften 
stand.  Immer  noch  konnte  er  hoffen,  von  Messana  aus  den  ge- 
trennt heransegelnden  Gegnern,  wie  im  ersten  Kriege,  vor  ihrer 
Veteinigung  mit  überlegener  Macht  entgegenzutreten.  Schwieri- 
ger, ja  unmöglich  war  es,  gegen  Lepidus  den  Süden  Siciliens  er- 
folgreich zu  verteidigen.  Doch  hatte  er  die  Seeplätze,  vor  allem  das 
wichtige  Lilybaeum,  neu  befestigt  und  die  Küste  durch  ein  Land- 
heer unter  dem  Befehle  des  Plennius  gedeckt,  auch  besetzte  er  die 
Inseln  Cossura  im  Süden  und  Lipara  im  Norden,  damit  die  feind- 
lichen Flotten  nicht  von  diesen  sicheren  Ankerplätzen  aus  Sicilien 
bedrohten. 

Unter  den  feierlichsten  Opfern  an  die  Götter  des  Meeres  war 
Caesar  ausgefahren,  aber  ihr  Segen  ruhte  nicht  auf  seiner  Flotte. 
Ein  heftiger  Südsturm  zwang  die  schwerbeschädigten  Schiffe,  in 
dem  Golf  von  Velia  Schutz  zu  suchen,  wo  das  plötzliche  Umsprin- 
gen des  Windes  die  Zerstörung  noch  steigerte.  Der  gleiche  Sturm 
hatte  Taurus  an  der  Ausfahrt  verhindert  und  Lepidus  gehemmt, 
wenn  er  auch  nach  Verlust  zahlreicher  Transportschiffe  Sicilien  er- 
reichte und  ein  Heer  von  12  Legionen,  numidischen  Reitern  und 
anderen  Leichtbewaffneten  auf  der  Insel  landete.     Noch    kreuzte 


II.  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  12« 

eine  Flotte  des  Pompeius  unter  Papias  im  südlichen  Meere,  ohne 
die  Verstärkung  des  Lepidus  durch  neue  Transporte  aus  Africa 
wirksam  hindern  zu  können.  So  ging  Papias  auf  Messana  zurück, 
die  Verteidigung  Lilybaeums  gegen  Lepidus  dem  Plennius  über- 
lassend. Nachdem  die  Flotte  Caesars  wieder  seetüchtig  geworden, 
begann  von  Osten  der  Angriff  auf  Sicilien  von  neuem.  Bei  Re- 
gium  sammelte  sich  das  Landheer,  das  unter  dem  Schutze  der 
Flotte  des  Taurus,  die  Caesar  selbst  aus  Tarent  herbeigeholt  hatte, 
nach  Tauromenium  übergehen  sollte.  Agrippa  steuerte  mit  der 
Flotte  Caesars  nach  der  heiligen  Insel  im  Norden  Siciliens,  wo  dem 
Blicke  die  Wasserfläche  des  entscheidenden  Kampf  es  an  der  Küste 
bei  Mylae  sich  öffnete.  Nur  das  Geschwader  des  Demochares  von 
40  Segeln  schien  hier  auf  dem  Meere  zu  kreuzen.  Pompeius,  von 
dem  Herannahen  der  Feinde  unterrichtet,  hatte  erkannt,  daß  er  die 
drohende  Landung  an  der  Nordküste  nur  durch  eine  Schlacht  ab- 
wehren könne.  Er  verstärkte  die  Flotte  bei  Mylae  durch  das  Ge- 
schwader des  Apollophanes  und  ging  selbst  bei  Nacht  von  Mes- 
sana mit  75  Schiffen  in  See.  So  sah  sich  Agrippa,  der  nur  mit  seiner 
halben  Macht  von  der  heiligen  Insel  ausgefahren  war,  am  Morgen 
der  ganzen  feindlichen  Flotte  gegenüber.  Ohne  das  Eintreffen  der 
andereii  Schiffe  abzuwarten,  ging  Agrippa  voll  stürmischen  Mutes 
zum  Angriff  über.  Wohl  focht  die  Flotte  des  Pompeius  ihres  alten 
Ruhmes  würdig  und  bemühte  sich,  die  Gegner  nach  griechischer 
Seemannsweise  durch  Abstreifen  der  Ruder  beim  raschen  Um- 
kreisen zu  schädigen,  während  die  Seeleute  des  Agrippa  im  Geiste 
ihres  Führer?  die  feindlichen  Penteren  durch  den  Stoß  des  Ramm- 
sporns ihrer  stark  gebauten  Schiffe  niederzubrechen  suchten  oder 
von  der  Höhe  der  mächtigen  Türme,  die  sie  auf  Vorder-  und  Hinter- 
deck trugen,  mit  dem  Geschoßhagel  der  Landschlacht  bestrichen. 
Agrippa,  allen  vorankämpfend,  hatte  nur  ein  Ziel  im  Auge:  das 
führende  Schiff  des  Feindes.  Er  traf  es  mit  der  ganzen  Wucht  des 
Rammspoins  in  die  Breitseite,  riß  es  entzwei,  sodaß  es  in  den  ein- 
stürzenden Fluten  versenkt  wurde.  Demochares,  der  sich  von  dem 
sinkenden  Schiffe  gerettet  hatte,  suchte  den  Kampf  fortzuführen, 
als  das  Erscheinen  der  zweiten  Flotte  Agrippas  Pompeius  be- 
stimmte,  das  Zeichen  zum  Rückzug  zu  geben.    Die  weichenden 


126  Augustus 

Schiffe  suchten  Schutz  in  dem  seichteren  Gewässer  der  Küste,  wo- 
hin ihnen  die  tiefgehenden  Schiffe  des  Gegners  nicht  folgen  konn- 
ten. Voll  Unmut,  angesichts  der  ihm  entrinnenden  Beute,  ging 
Agrippa  mit  seiner  Flotte  vor  Anker.  Nur  mit  Mühe  bestimmten 
ihn  seine  Freunde,  die  Nacht  nicht  an  dieser  sturmreichen  Küste 
abzuwarten  und  die  Flucht  des  geschlagenen  Feindes  nicht  länger 
hindern  zu  wollen.  So  gingen  die  Sieger  nach  der  heiligen 
Insel  zurück. 

Der  Seekönig,  der  vom  sicheren  Lande  aus  dem  Kampfe  der 
Flotten  wie  einem  Schauspiel  angewohnt  hatte,  pries  und  belohnte 
die  Tapferkeit  der  Seinen  und  ging  dann,  um  die  dringendere  Ge- 
fahr einer  Landung  Caesars  abzuwehren,  in  die  Meerenge  von  Mes- 
sana zurück,  den  Norden  der  Insel  nur  mehr  zum  Scheine  mit  einem 
schwachen  Geschwader  bewachend.  Durch  diesen  raschen  Ent- 
schluß erschien  Pompeius  in  dem  Augenblicke  wieder  in  der  Meer- 
enge, als  Caesar,  in  der  Meinung,  er  werde  noch  von  Agrippa  bei 
Mylae  festgehalten,  im  Begriffe  war,  mit  dem  Landheer  aus  Italien 
nach  Sicilien  überzugehen.  Schon  war  Caesar  mit  drei  Legionen, 
Reitern  und  leichtem  Fußvolk  südlich  von  Tauromenium  gelandet, 
nicht  mehr  hatte  die  Flotte  auf  einer  Fahrt  übersetzen  können,  Mes- 
salla  sollte  von  Regium  mit  dem  übrigen  Heere  folgen,  als  die 
Flotte  des  Pompeius  vor  Tauromenium  erschien,  während  heran- 
jagende Reiter  auch  das  Nahen  seines  Fußheeres  verkündeten. 
Zwischen  lauiomenium  und  dem  Landheer  des  Pompeius  einge- 
schlossen, durch  die  Flotte  von  Italien  abgeschnitten,  ließ  Caesar 
das  gelandete  Heer  während  der  Nacht  das  Lager  befestigen  und 
übertrug  Cornificius  den  Befehl.  Den  nächsten  Morgen  mußte  er 
die  Entscheidung  zur  See  suchen.  Angriff  und  Gegenangriff  der 
sich  bekämpfenden  Flotten  wechselten  den  ganzen  Tag,  bis  am 
Abend  der  rechte  Flügel  Caesars  mit  halbverbrannten,  schwerbe- 
schädigten Schiffen  Schutz  an  der  Küste  Italiens  suchte.  Die 
Schiffe  des  linken  Flügels  waren  gesunken  oder  standen  in  Flam- 
men. Caesar,  der  während  der  Schlacht  auf  einem  leichten,  rasch- 
fahrenden Schiffe  zwischen  seiner  Flotte  gekreuzt  hatte,  den  Mut 
der  Seineu  zum  Kampfe  anfeuernd,  sah  alles  verloren  und  rettete 
sich   in   einem  Boote  nach  Regium  zu   den  Legionen  Messallas. 


II.  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  127 

Auch  dem  Landheere  des  Cornificius  drohte  das  Schicksal  der 
Flotte.  An  der  Küste,  wo  dem  von  Feinden  umlagerten  Heere 
Nahrung  zu  schaffen  unmöglich  war,  länger  zu  verweilen,  bedeu- 
tete den  sicheren  Untergang.  So  beschloß  Cornificius,  den  Weg  in 
das  gesegnete  Innere  der  Insel  mit  dem  Schwerte  zu  erkämpfen. 
Die  Waffenlosen,  die  sich  von  der  sinkenden  Flotte  ans  Land  ge- 
rettet hatten,  in  die  Mitte  nehmend,  rückte  er  in  einem  Viereck  vor, 
auf  dem  Marsche  durch  die  Küstenebene  von  den  feindlichen  Rei- 
tern gehemmt  und,  nachdem  der  Weg  in  die  Schluchten  des  steil 
abfallenden  Gebirges  eintrat,  noch  härter  von  den  leichtbeweglichen 
Numidiern  und  Libyern  in  Pompeius  Heer  bedrängt.  Unter  steten 
Kämpfen  nur  langsam  vorrückend,  gelangte  das  Heer  am  vierten 
Tage  in  die  wasserlosen,  erstarrten  Lavaströme  des  Aetna.  Bei 
Tage  von  dem  aufwirbelnden  Staube  geblendet,  in  der  sengenden 
Sonne  dem  Durste  erliegend,  wagten  sie,  in  den  pfadlosen  Schluch- 
ten einem  Überfalle  preisgegeben,  den  Marsch  bei  Nacht  nicht 
mehr  fortzusetzen.  Am  folgenden  Morgen  auf  den  glühenden 
Felsen  mühsam  emporkletternd,  schienen  sie  den  immer  dichter 
einfallenden  Geschossen  der  Feinde,  ohne  die  Kraft  Gegenwehr  zu 
leisten,  in  Massen  zu  erliegen,  als  die  Kühnsten,  von  Verzweiflung 
getrieben,  die  nächsten  Höhen  erstürmten.  Aber  neue  Schluchten, 
neue  Felsen  türmten  sich  auf,  hinter  denen  der  Feind  lauerte.  Mut- 
los, ließen  sie  ermattend,  verdurstend  die  Waffen  sinken.  Wieder 
riß  sie  Cornificius  zu  einem  Sturm  fort,  eine  nahe  Quelle  weisend. 
Als  sie,  unter  furchtbaren  Verlusten  durch  die  Feinde  brechend, 
der  Quelle  endlich  nahekamen,  war  auch  dieser  Strom  des  Lebens 
von  einer  Übermacht  bewacht.  Schon  glaubten  alle  diese  Tapfe- 
ren elend  zu  erliegen,  da  zeigten  sich  auf  den  beherrschenden 
Höhen  die  Feldzeichen  eines  herannahenden  Heeres.  Das  mußten 
Retter  sein.  Noch  einmal  setzte  das  ganze  Heer  des  Cornificius 
zum  Angriff  an,  und  die  Feinde  wichen,  gaben  den  Weg  frei  zu 
dem  ersehnten  Quell.  Nicht  der  Ansturm  der  Legionen  des  Corni- 
ficius, das  Heer,  das  auf  den  Höhen  stand,  hatte  sie  zum  Rückzug 
gezwungen.  Denn  es  waren  drei  Legionen  Agrippas,  die  von  Tyn- 
daris,  wo  sie  gelandet  waren,  quer  durch  die  Insel  heranziehend, 
wie  rettende  Götter  erschienen. 


12  8  Augustus 

Agrippa  hatte  Tyndaris,  für  den  Landkrieg  wie  für  die 
Kämpfe  zur  See  ein  gleichgünstiger  Stützpunkt,  nach  wiederholten 
Stürmen  erobert,  mit  all  den  Vorräten,  die  Pompeius  hier  aufge- 
häuft hatte.  Dort  landete  Caesar  allmählich  21  Legionen,  20000 
Reiter  und  5000  Leichtbewaffnete,  Pompeius,  auf  die  Deckung 
Messanas  bedacht,  sperrte  die  Bergschluchten  bei  Tauromenium 
und  Mylae  im  Norden  und  Süden  durch  Verschanzungen  und 
deckte  sie  mit  starken  Besatzungen,  Durch  ein  falsches  Gerücht 
von  einem  Angriff  Agrippas  auf  Cap  Pelorias  getäuscht,  gab  Pom- 
peius den  Befehl,  die  Pässe  von  Mylae  zu  räumen,  und  dann  den 
Gegenbefehl,  sie  wieder  zu  besetzen.  Aber  bereits  hatte  sie  Caesar 
genommen  und  vereinigte  sich  mit  Lepidus,  der  von  Süden  die 
Insel  durchziehend  herankam,  vor  den  Mauern  von  Messana.  Als 
dann  Taurus  die  Zufuhr  aus  den  Küstenorten  Siciliens  nach  Mes- 
sana sperrte,  mußte  Pompeius  für  die  Herrschaft  über  die  See 
die  Entscheidungsschlacht  schlagen. 

In  den  Gewässern  der  ersten  Seeschlacht  kam  es  zwischen  den 
beiden  Flotten,  jede  zählte  300  Schiffe,  an  einem  vorher  anbe- 
raumten Tage  zum  Kampfe.  Beide  hatten  ihre  Rüstungen  ver- 
vollkommnet: Pompeius  durch  Erhöhung  der  Bordwände  und 
Verstärkung  der  Türme,  Agrippa  durch  eine  neu  erdachte  Art  von 
Enterhaken,  die,  auf  das  Deck  des  feindlichen  Schiffes  mit  un- 
widerstehlicher Gewalt  niedergehend,  seinen  italischen  Legionaren, 
die  als  Decksoldaten  fochten,  den  gewohnten  Boden  der  Land- 
schlacht bereiteten.  Angesichts  der  Landheere,  die  in  den  Lagern 
des  Caesar  und  Pompeius  versammelt  standen  und  die  Aufregung 
des  Kampfes  mit  den  Streitern  teilten,  erfolgte  der  Zusammenstoß 
der  Flotten.  Das  Gewoge  des  Seekampfes,  die  schweren  Beschä- 
digungen der  bald  vordringenden,  bald  zurückweichenden  Schiffe, 
der  gleiche  Schlachtruf  in  italischer  Zunge  ließen  es  lange  unent- 
schieden erscheinen,  auf  wessen  Seite  der  Sieg  sich  neigte.  Nichts 
unterschied  die  kämpfenden  Schiffe  mehr  als  die  Farbe  der  Türme, 
die,  hoch  über  die  Verdecke  emporragend,  weithin  sichtbar,  Freun- 
den und  Feinden  ein  Wahrzeichen  wurden,  daß  die  Flotte  Agrip- 
pas die  Überlegenheit  gewann,  Agrippa  sammelte  seine  Flotte  zu 
einem  neuen  Anprall  auf  den  Gegner,    Die  Schiffe  des  Pompeius 


I 


1 1 .  Der  Krieg  gegen  Sextus  Pompeius  120 

Stürzten  im  Zurückweichen  die  das  Deck  schwerbelastenden  Türme 
über  Bord  und  flohen  auf  den  Hafen  von  Messana  zu.  Nur  sieb- 
zehn entrannen  den  Verfolgern,  die  übrigen,  gegen  die  Küste  ge- 
drängt, zerschellten  oder  gingen,  soweit  sie  Ankergrund  gewannen, 
in  Flammen  auf.  Da  strichen  die  noch  auf  hoher  See  kämpfenden 
Schiffe  des  Pompeius  vor  den  Siegern  die  Flagge.  Beim  Anblick 
des  Unterganges  seiner  Flotte  floh  Pompeius,  von  Entsetzen  er- 
faßt, den  Feldherrnmantel  von  sich  werfend,  nach  Messana.  Sein 
Landheer,  ohne  Weisung  gelassen,  streckte  die  Waffen. 

Bereits  war  Plennius,  der  Lilybaeum  mit  acht  Legionen  ver- 
teidigt hatte,  von  Pompeius  zurückberufen,  im  Anmarsch  auf 
Messana.  Doch  Pompeius,  das  sichere  Verderben  vor  Augen, 
brachte  was  er  vermochte  auf  seine  Schiffe  und  floh  hinaus  auf 
sein  Meer,  um  im  fernen  Osten  bei  Antonius  Schutz  zu  suchen. 

Die  ungeheuren  Heeresmassen,  die  der  Krieg  auf  der  Insel 
zusammengeballt,  hielten  den  Plennius,  der  Messana  erreicht 
hatte,  belagert.  Auch  er  konnte  an  nichts  anderes  mehr  denken, 
als  seinen  und  seiner  Gesellen  Hals  vor  dem  Henker  zu  retten. 
So  begann  er  mit  den  Belagerern  zu  unterhandeln.  Agrippa 
verwies  ihn  auf  die  Entscheidung  Caesars.  Aber  Lepidus,  glück- 
lich, sein  Heer  gleich  um  acht  Legionen  zu  verstärken,  schloß 
Brüderschaft  mit  den  Räubern  und  besiegelte  den  Bund,  indem 
er  das  unglückliche  Messana  den  vereinten  Heeren  zur  Plün- 
deiung  überließ.  Eine  ganze  Nacht  wüteten  die  Räuber  in  Mes- 
sana, einen  letzten  Triumph  ihres  goldenen  Handwerkes  ge- 
nießend. Die  Brust  geschwellt  von  Hochgefühl  beim  Anblick 
seiner  unüberwindlichen  Streitkräfte,  sah  sich  Lepidus  als  Herr 
von  ganz  Sicilien  und  erteilte  strenge  Weisungen  an  die  Städte 
der  Insel,  Niemand  einzulassen,  der  in  Caesars  Auftrage  erschiene. 
Er  war  es  doch  gewesen,  der  Sicilien  erobert  hatte.  Oder  sollten 
die  vielen  Städte,  die  er  beim  Vorbeimarsch  nur  so  weggenom- 
men, für  nichts  zählen?  Wie,  gebührte  ihm  nicht  Sicilien  nebst 
seinem  Africa,  da  beides  im  Vertrage  von  Bononia  ein  Los  der 
großen  Erbschaft  des  Dictators  gebildet  hatte?  Die  Vorstellungen 
Caesars  machten  ihn,  den  Herrn  von  22  Legionen,  nur  noch  hals- 
starriger.   Nur  gerade    mit    diesem  Herrentum  war  es  übel  be- 

Domasze  wski.     I.  9 


I  5  O  Augustus 

Stellt.  Caesar  erschien  es  als  das  Einfachste,  das  Heer  des  Le- 
pidus  in  seinem  eigenen  Lager  mit  kurzen  Worten  aufzufordern, 
zu  ihm  überzutreten.  Die  Legionen  des  Plennius,  die  als  ent- 
laufene Sclaven  wußten,  was  ein  Heer  war,  gingen  mit  erhobenen 
Fahnen  in  Caesars  Lager  über.  Auch  andere  brachen  schon  ihre 
Zelte  ab.  Was,  Rebellion  im  Lager!  schrie  Lepidus,  stürzte  aus 
dem  Feldherrnzelte  hervor  und  rief  zu  den  Waffen.  Es  fanden 
sich  denn  auch  einige,  die  ihre  Speere  auf  Caesar  und  seine  Be- 
gleiter schleuderten  und  sie  zum  Rückzug  zwangen.  Caesar,  des 
sinnlosen  Widerstandes  müde,  griff  einen  Posten  mit  Reitern 
an  und  sprengte  ihn  auseinander.  Das  diente  den  anderen  2ur 
Warnung.  In  hellen  Haufen  gingen  die  Legionare,  Reiter,  Flotten- 
soldaten und  Hülfsvölker  zu  Caesar  über.  Da  befahl  Lepidus  den 
Soldaten,  unter  die  Waffen  zu  treten;  kaum  hinter  den  Fahnen 
geordnet,  folgten  sie  dem  Beispiel  aller  anderen.  Wie  ein  Blitz 
ging  es  Lepidus  durch  den  Kopf,  wie  große  Feldherrn  den  Auf- 
ruhr gebändigt;  er  griff  nach  einer  Fahne,  um  den  Träger  zum 
Stehen  zu  zwingen,  ließ  sie  aber  auf  die  Warnung,  das  könnte 
gefährlich  werden,  wieder  fahren.  Schon  fragten  die  Über- 
läufer Caesar,  ob  man  den  aufgeregten  Herrn  nicht  beruhigen 
könnte,  da  war  aber  auch  der  Entschluß  des  Lepidus  gefaßt:  er 
warf  die  Feldherrnkleidung  ab  und  lief  so  rasch  er  konnte,  um 
nicht  der  Letzte  zu  sein,  in  Caesars  Lager,  bereit,  kniefällig  um 
sein  Leben  zu  bitten.  Caesar  entzog  ihn  den  Blicken  des  von 
allen  Seiten  zusammenströmenden  Heeres  und  sandte  den  Toren 
nach  Rom,  wo  er  noch  viele  Jahre  lebte,  nur  mehr  des  Gedankens 
fähig,  wie  unsicher  sein  Kopf  auf  dem  Halse  säße. 

Caesars  erste  Sorge  war,  wie  er  sich  von  allen  diesen  Herren, 
die  wie  eine  steigende  Last  ihn  niederzudrücken  drohten,  wieder 
befreien  könnte.  Es  gab  keine  Feinde  mehr  zu  bekämpfen  als 
jenen  Feind  im  Osten,  der  aber  in  diesem  Augenblicke  durch 
eigene  Schuld  unfähig  wurde  Böses  zu  tun.  Es  galt,  dieses 
Söldnerheer,  das  die  Bürgerkriege  ins  Ungemessene  hatten  an- 
schwellen lassen,  das  sich  in  den  letzten  Kämpfen  wieder  als 
die  unentbehrliche  Stüze  der  Herrschenden  hatte  fühlen  lernen, 
zurückzuzwingen    in    die    gesetzliche  Ordnung    des    Staates,    das 


II.  Der  Krieg  gegen  5extus  Pompeius  I^X 

herrschende  Glied  wieder  zum  dienenden  zu  machen.  Und  das 
in  einem  Augenblicke,  wo  die  offenbare  Ohnmacht  eines  Herr- 
schers auch  die  Macht  des  anderen  in  die  Willkür  des  Heeres  zu 
stellen  schien.  Eine  Aufgabe,  so  schwierig,  als  gälte  es  das 
Schwungrad  mitten  in  der  Bewegung  auszuwechseln.  Furchtbar 
war  die  Macht,  der  er  Trotz  zu  bieten  hatte.  45  Legionen,  25  000 
schwere  Reiter,  leichte  noch  um  die  Hälfte  mehr,  die  Bemannung 
von  600  Kriegsschiffen,  Lastschiffe  ohne  Zahl.  Um  sie  zu  ver- 
söhnen, verlieh  er  ihnen  Geldgeschenke  oder  versprach  sie  doch, 
schmückte  sie  mit  den  glänzenden  Ehrenzeichen  römischer  Sol- 
daten, ließ  auch  den  Führern  von  Pompeius  Heere  Gnade  wider- 
fahren. Aber  es  gab  im  Heere  gerechte  Gründe  der  Unzufrieden- 
heit, die  keiner  Mahnung,  keiner  Drohung  weichen  wollten.  Wie 
viele  waren  in  seinem  eigenen  Heer,  die  ihm,  von  Versprechungen 
gelockt,  von  Schlachtfeld  zu  Schlachtfeld  gefolgt  waren,  denen 
der  Lohn,  den  sie  mit  ihrem  Blute  verdient  hatten,  noch  immer 
nicht  geworden  war.  Und  was  bot  ihnen  der  Feldherr,  um  ihren 
Unmut  zu  beruhigen,  als  äußeren  Ehrenschmuck,  der  sie  in  den 
Heimatstädten  durch  Festkränze  und  Festkleider  über  die  Bürger 
erhöhen  sollte,  leeres  Spielzeug  für  Kinder.  Dennoch,  so  gebie- 
tend stand  Caesar  bereits  dem  Heere  gegenüber,  konnte  er  es 
wagen,  die  Veteranen  von  Mutina  und  Philipp!  aus  dem  Heere 
zu  entlassen  mit  der  bloßen  Zusage,  daß  ihnen  der  Landbesitz 
und  die  Geldgeschenke  werden  sollten.  Als  sie  nach  Italien  über- 
setzten, ließ  sich  das  Heer  durch  ein  Geschenk  von  500  Denaren 
für  jeden  Mann  beruhigen,  und  die  Legionen  gingen  nach  den 
Provinzen,  die  ihnen  bestimmt  waren.  Sicilien,  trotz  des  Elendes 
und  der  Armut,  die  dieser  letzte  Sclavenkrieg  gezeitigt  hatte, 
seine  einst  so  blühenden  Fluren  für  immer  entfärbend,  mußte 
seinen  Bezwingern  den  Siegeslohn,  1600  Talente  bezahlen.  Kaum 
waren  die  Heere  in  ihren  Standorten  eingetroffen,  so  erging  der 
Befehl,  die  entlaufenen  Sclaven,  die  sich  in  die  Reihen  einge- 
schlichen hatten,  zu  greifen  und  nach  Italien  zurückzusenden.  Die 
noch  Heirn  besaßen,  kehrten  zurück  in  die  Knechtschaft,  die  an- 
deren starben  am  Kreuze  vor  den  Toren  der  Städte,  denen  sie 
einst  angehört  hatten.    Ein    furchtbares  Sinnbild  einer  Zeit,    die 


17  2  Augustus 

die  letzten  Grundlagen  des  bürgerlichen  Daseins  aufgehoben 
hatte. 

Bei  seiner  Rückkehr  nach  Rom  beschränkte  Caesar  die 
Ehren,  die  der  Senat  ihm  erweisen  wollte,  auf  Weniges,  wie  daß 
die  Heiligkeit  des  tribunicischen  Amtes  auch  ihn  schirmen  sollte, 
und  die  Jahresfeier  seiner  Siege.  Er  rechtfertigte  seine  Staats- 
leitung in  mündlicher  Rede  und  schriftlicher  Darlegung  und  ver- 
spiach  seine  Ausnahmsgewalt  niederzulegen,  wenn  Antonius  aus 
dem  Partherkriege  zurückkehre,  seinen  Einfluß  auf  die  altge- 
wohnte Tätigkeit  der  Jahresbeamten  des  Staates  schon  jetzt  frei- 
willig beschränkend.  Ruhe  und  Frieden  ließen  auf  dem  Boden 
Italiens  wieder  die  Gaben  der  Ceres  erblühen  und  füllten  die 
Häfen  mit  dem  Gewinne  des  Kaufmannes,  Vor  den  Augen  der 
Bewohner  Italiens,  die  freien  Gemütes  in  die  Zukunft  blickten, 
schien  der  Gott  Mercurius  in  der  Gestalt  des  jugendlichen  Herr- 
schers segnend  durch  die  Lande  zu  schreiten,  den  zu  verehren 
wahre  Dankbarkeit  sie  trieb.  Herrlicher  klangen  dem  Fürsten 
die  Gesänge  der  Dichter,  die  nach  seinem  innersten  Wunsche 
mit  dem  nie  gehörten  Wohllaut  lateinischer  Rede  die  Rückkehr 
zu  den  einfachen  Sitten  der  Väter  die  Bürger  lehrten  und  die 
Liebe  zu  dem  mit  der  Kraft  der  Natur  erfüllten  Leben  der  Bauern 
und  Hirten. 

Caesar  hatte  die  Fahrt  des  Pompeius  nach  Osten  nicht  mehr 
gehindert,  da  der  Seekönig  mit  seinen  fliehenden  Schiffen  bald 
die  Grenze  des  Westreiches  überschritt.  Im  Vorbeifahren  plün- 
derte Pompeius,  wie  um  das  Andenken  seines  glorreichen  Hauses 
noch  durch  eine  letzte  Räubertat  auf  italischer  Erde  zu  schänden, 
die  Weihgeschenke  im  Tempel  der  Juno  am  Vorgebirge  Laci- 
nium,  die  selbst  der  Punier  verschont  hatte.  Was  er  bedurfte, 
war  eine  Freistatt  auf  einer  Insel  des  Ostmeeres.  Er  fand  sie  auf 
Lesbos  in  Mytilene,  wo  der  Name  Pompeius  des  Großen,  der 
die  Stadt  durch  so  viele  Gnadenbeweise  geehrt  und  erhöht  hatte, 
selbst  in  dem  entwürdigten  Sohne  noch  heilig  war.  Der  Herrscher 
des  Ostens  weilte  ferne  auf  dem  Zuge  gegen  die  Parther.  Und 
so  sann  Pompeius  in  Mytilene  darauf,  je  nach  dem  Ausgang  des 
Krieges    als  Freund    oder  Nachfolger    des  Mächtigen    auch    im 


1 1 .  Der  Kiieg  gegen  Sextus  Pompeius  I  ^  ^ 

Osten  eine  Heirschaft  zu  gründen.  Antonius  Niederlagen  erfüllten 
ihn  mit  neuen  Hoffnungen.  Schon  gingen  seine  Gedanken  zu 
den  Fürsten  Thrakiens  und  des  Pontus,  um  Hilfe  zu  werben,  und 
hatte  Labienus  die  Parther  bis  nach  Kleinasien  geführt,  so  hoffte 
auch  er  durch  Boten  die  Freundschaft  der  Sieger  zu  gewinnen. 
Mehr  um  die  Lage  auszuspähen,  als  in  friedlicher  Absicht  er- 
schienen seine  Gesandten  auch  bei  Antonius  in  Alexandria.  In- 
zwischen ging  er  daran,  seine  Schiffe  zu  rüsten  und  ein  Heer  zu 
bilden.  In  Alexandria  entlarvte  Antonius  das  Doppelspiel,  als 
er  den  Gesandten  die  gefangenen  Boten  an  den  Partherkönig 
gegenüberstellte,  und  befahl  dem  Statthalter  Syriens,  Titius,  Heer 
und  Flotte  nach  Kleinasien  zu  führen,  um  mit  dem  gefährlichen 
Abenteurer  ein  Ende  zu  machen.  Denn  die  Küsten  der  Provinz 
Asien  lagen  den  Angriffen  der  sich  bildenden  Räuberflotte  schutz- 
los offen.  Wohl  rief  der  Statthalter  Furnius  die  Hülfe  des  Do- 
mitius  Ahenobarbus,  der  das  benachbarte  Bithynien  verwaltete, 
an  und  befahl  Amyntas,  mit  seinen  kriegsgeübten  Galatern  das 
Feld  zu  nehmen.  Bereits  hatte  Pompeius  Lampsakos  erobert  und 
unter  den  von  Caesar  dort  angesiedelten  Italikern  um  hohen 
Lohn  Soldaten  geworben.  Dann  griff  er  Kyzikos  zu  Land  und  zur 
See  an.  Hier  durch  eine  schwache  Truppenabteilung  des  Antonius, 
die  in  der  Stadt  die  Fechterschulen  bewachte,  zurückgeschlagen, 
ging  er  in  die  fruchtbare  Troas,  die  Felder  abzuernten.  Furnius 
suchte  durch  seine  zahlreiche  Reiterei  den  Plünderern  zu  wehren, 
nur  um  in  einer  vollständigen  Niederlage  die  Schlagkraft  des 
kühnen  Räubers  zu  erfahren.  Ein  solcher  Sieg,  im  freien  Felde 
gewonnen,  ließ  die  durch  den  römischen  Steuerdruck  verzweifelten 
Bewohner  der  Propontis  und  Mysiens  in  hellen  Haufen  der  Fahne 
des  Pompeius  zuströmen.  Bald  war  es  wieder  ein  Heer  von  drei 
Legionen,  wie  er  sie  nannte,  über  das  er  gebot.  Von  dem  Meere 
abgeschnitten  durch  die  Flotten,  die  von  allen  Seiten  in  den 
Gewässern  Kleinasiens  eintrafen,  drang  er  in  Bithynien  ein  und 
herrschte  bald  in  den  Städten  Nikaea  und  Nikomedia  über  die 
Provinz.  Aber  kein  Wagemut  vermochte  ihn  mehr  vor  der  Über- 
macht seiner  Gegner  zu  erretten.  Denn  Titius  war  mit  dem 
Heere  und  der  Flotte  Syriens,  120  Schiffe  stark,  bei  Prokonnesos 


1^4  Augustus 

gelandet;  ihm  folgten  70  Schiffe,  die  in  den  sicilischen  Gewässern 
gegen  den  Räuber  gefochten  hatten. 

Da  vei brannte  Pompeius  seine  Schiffe,  bewaffnete  seine 
Ruderknechte  und  wollte  sich  zu  Lande  nach  Armenien  und  zu  den 
Parthern  durchschlagen.  Das  Ende,  das  Pompeius  so  lange  mit 
der  Geschicklichkeit  eines  verzweifelten  Spielers  von  sich  abge- 
wehrt hatte,  es  war  da.  Viele  der  vornehmen  Römer,  die  bis  zu- 
letzt bei  ihm  ausgehalten  hatten,  sein  Schwiegervater  Scribonius 
Libo,  der  Caesarmörder  Cassius  Parmensis,  Nasidius,  Saturnius, 
Theimus,  Antistius,  verließen  ihn  und  riefen  die  Gnade  des  An- 
tonius an.  Aber  so  leicht  sollte  es  doch  nicht  sein,  den  fliehenden 
Räuber  zu  fangen,  in  dem  der  soldatische  Geist  seines  Vaters 
gerade  in  der  Stunde  der  Not  immer  wieder  auflebte.  Auf  dem 
Marsche  durch  Bithynien  von  den  verfolgenden  Heeren  des  Fur- 
nius,  Titius  und  Amyntas  ereilt,  überfiel  er  die  Feinde  im  Dunkel 
der  Nacht  in  ihren  unbefestigten  Lagern  und  trieb  sie  ausein- 
ander. Ohne  den  Sieg  zu  benützen,  war  er  nur  bestrebt,  vorwärts 
zu  kommen,  von  der  zahlreichen  Reiterei  der  Verfolger  mehr  und 
mehr  gehemmt,  bis  er,  unfähig  sein  Heer  zu  verpflegen,  daran 
dachte  die  Waffen  zu  strecken.  Aber  nur  dem  Furnius,  einem  alten 
Freunde  seines  Vaters,  wollte  er  sein  Leben  anheimgeben,  dem 
Titius  mit  Recht  mißtrauend,  der  ihm  durch  eine  allzu  große  Dan- 
kesschuld vorpflichtet  war.  Über  der  Feinheit  dieses  Unterschiedes 
verzögerte  sich  die  Übergabe.  Noch  einmal  dachte  Pompeius  mit 
den  Kühnsten  nach  der  Küste  durchzubrechen  und  Titius  Flotte 
zu  verbrennen.  Von  Scaurus  verraten,  mußte  er  sich  Amyntas 
Reitern  bedingungslos  ergeben.  In  Milet  starb  Pompeius  40  Jahre 
ij  V.  Chr.  alt  auf  Befehl  des  Antonius  und  ging  zur  Ruhe  des  Grabes  ein, 
nachdem  er  in  den  Stürmen  des  Bürgerkrieges  durch  mehr  als 
ein  Jahrzehnt,  bald  emporgehoben  zu  glänzender  Höhe,  bald 
niederstürzend  unter  den  Fluten  des  Unheiles,  auf  dem  Meere 
des  Lebens  ein  Spielball  gewesen  der  wechselnden  Laune  des 
Glückes. 


12.  Der  Partherkrieg  des  Marcus  Antonius 

Wie  im  Jahr  nach  der  Schlacht  von  Philippi  das  aufgehende 
Gestirn  Caesars  mit  mildem  Scheine  den  nahenden  Frieden  ver- 
kündete, während  auf  den  Siegesglanz  des  Antonius  die  ersten 
dunkeln  Schatten  fielen,  so  sah  das  Jahr,  in  dem  der  Friede 
Italiens  durch  die  Befreiung  des  Meeres  zur  Wahrheit  wurde,  als 
es  sich  zu  Ende  neigte,  wie  Antonius  auf  den  Schlachtfeldern 
Irans  geschlagen  dem  drohenden  Untergang  entgegenging. 

Antonius  wurde  auf  der  Fahrt  nach  dem  Osten  die  Beute  all  der 
trüben  Leidenschaften,  deren  sein  verwildertes  Gemüt  fähig  war; 
Abneigung  gegen  seine  reine  Frau  und  Haß  gegen  ihren  unbezwing- 
lichen  Bruder,  Mißgunst  gegen  den  tref  f lichenVentidius,  der  ihn  der 
Lorbeeren  des  Partherkrieges  beraubt  hatte,  und  die  böse  Lust  an 
den  sinnbetörenden  Reizen  Cleopatras  trieben  ihn  vorwärts.  Ehe  er 
noch  Syrien  erreichte,  hatte  er  die  Königin  Ägyptens  durch  Fonteius 
nach  Laodikeia  geladen.  Mehr  noch  als  ihre  Liebe  erfreute  ihn  der 
schlangenkluge  Rat  der  Verführerin,  die  ihn  die  höhere  Wonne 
der  gesättigten  Rache  an  den  Geschwistern  in  Rom  genießen  ließ. 
Schamlos  nannte  er  die  Zwillingskinder,  die  das  Weib  geboren, 
Alexander  und  Cleopatra,  sein  eigen;  sie  hießen  ihm  Helios  und 
Selene.  Auch  Heracles,  sein  Ahnherr,  hatte  die  Erde  mit  Ge- 
schlechtem von  Königen  beschenkt.  Seine  Größe  forderte  es,  daß  es 
der  Mutter  seiner  Brut  nicht  an  Ländern  fehle,  die  wachsende  Zahl 
ihrer  Nachkommen  zu  begaben.  War  sie,  die  letzte  aus  dem  Ge- 
schlechte der  Ptolemäer,  wofür  sie  weise  gesorgt,  nicht  würdig,  der 
alten  Pharaonen  Herrlichkeit  unter  ihrem  Scepter  zu  schauen?  So 
erhielt  sie  denn,  was  jene  besessen,  Cyrene  und  Cypern,  Teile 
Ciliciens,  die  Küste  Phoeniciens  bis  Sidon  mit  dem  syrischen  Hin- 
terlande und  den  angrenzenden  Strichen  Arabiens,  aus  Antonius 


136  Augustus 

gnadenvoller  Hand.    Die  Fürsten  und  Völker  Vorderasiens  zitter- 
ten vor  der  nimmersatten  Gier  der  Buhlerin, 

Aber  noch  war  Antonius  ein  römischer  Feldherr,  der  beste 
seiner  Zeit  genannt.  In  Syrien  stand  das  glänzende  Heer  bereit, 
15  Legionen,  10000  jener  gallischen  und  hispanischen  Reiter,  deren 
Ahnen  wie  ihre  Nachkommen  die  weite  Welt  mit  dem  Ruhme  des 
Rittertums  gekrönt  hat.  Und  alle  die  Fürsten  des  Ostens  gehorchten 
Antonius  Befehle.  Aber  wie  Antonius,  so  war  auch  dieses  Heer  im 
innersten  Kerne  krank.  Denn  nur  7  der  Legionen,  die  des  galli- 
schen Heeres,  waren  die  erprobten  italischer  Herkunft  aus  Caesars 
Heer.  Die  anderen  können  nur  aus  den  Trümmern  der  von  Pacorus 
geschlagenen  Legionen  bestanden  haben,  deren  Reihen  Antonius 
mit  neuausgehobenen  Asiaten  gefüllt  haben  wird.  Für  das  lange 
Zaudern  trifft  den  Feldherrn  keine  Schuld.  Das  Bewußtsein,  daß 
dieses  Heer  der  ungeheuren  Aufgabe,  mit  der  er  seit  Jahren  sich 
selbst  und  andere  getäuscht,  nicht  gewachsen  war,  verdarb  ihm  die 
Anlage  wie  die  Führung  des  Krieges,  auf  den  er  all  seine  Hoffnun- 
gen gebaut  hatte.  Damit  doch  etwas  geschehe,  ließ  Antonius  seinen 
Legaten  Canidius  Crassus  leichte  Siege  über  dieVölker  an  der  Nord- 
grenze Armeniens,  die  Iberer  und  Albaner,  gewinnen.  Sie  sollten 
eine  Stütze  mehr  bilden  in  seinem  überlegten  Angriffsplane.  Mehr 
noch  hoffte  Antonius  von  den  Wirren  im  Partherreiche,  wo  jeder 
Thronwechsel  den  Staat,  der  auf  dem  Familienrechte  beruhte, 
durch  die  rechtlose  Vielweiberei  der  Herrscher  erschütterte. 

Orodes,  von  Verzweiflung  über  den  Tod  seines  Lieblings 
Pacorus  und  der  Last  des  Alters  niedergebeugt,  überließ  Herrschaft 
und  Reich  dem  ältesten  seiner  Söhne  Phraates.  Den  Thron  zu 
sichern,  mordete  Phraates  30  Brüder  und  sandte  ihnen  Orodes,  die 
Rache  des  zürnenden  Vaters  fürchtend,  in  den  Tod  nach.  Aber 
auch  unter  den  Großen  des  Reiches  fielen  seine  Opfer,  so  daß 
viele,  seine  Nähe  meidend,  durch  Flucht  zu  den  Römern  ihr  Leben 
zu  retten  suchten.  So  war  auch  Monaeses  bei  Antonius  erschienen 
und  gewann  sein  Vertrauen  durch  das  Versprechen,  den  Römern 
im  kommenden  Kriege  als  Führer  und  Helfer  zu  dienen.  Phraates, 
den  Einfluß  des  Monaeses  auf  seine  Volksgenossen  fürchtend,  suchte 
ihn  zur  Rückkehr  zu  bestimmen,  Antonius  gestattete  die  Heimkehr 


12.  Der  Partherkrieg  des  Marcus  Antonius  I17 

in  der  Hoffnung,  den  Parther,  den  er  mit  Städten  Syriens  belehnt 
hatte,  als  Unterhändler  undVerräter  zugleich  zu  benutzen.  Als  strebe 
er  nach  einem  friedlichen  Vergleiche,  begehrte  er,  um  Phraates  in 
Sicherheit  zu  wiegen,  die  Rückgabe  der  Feldzeichen  und  Gefange- 
nen aus  Crassus  Heer.  Bei  der  Waffenschau  am  Euphrat  schien 
sein  Heer,  das  60  000  römische  Fußsoldaten  und  ungezählte  Hülfs- 
scharen  der  Könige  des  Ostens  umfaßte,  jedem  Gegner  überlegen. 

Die  Erwartung  der  Parther  täuschend,  deren  Reiter  sich  jen- 
seits des  Grenzstromes  zeigten,  schlug  er  die  Straße  nach  Armenien 
ein,  um  in  die  nördliche  Grenzlandschaft  des  parthischen  Reiches 
Media  Atropatene,  einzubrechen.  Sobald  die  Parther,  durch  die  Be- 
drohung der  eigenen  Grenzen  zur  Umkehr  bestimmt,  die  Straße  in 
Mesopotamien  freigaben,  sollte  Oppius  Statianus  das  Belagerungs- 
geschütz und  alles  schwere  Heeresgerät,  das  auf  den  Bergpfaden 
des  armenischenHochlandes  vorwärts  zu  bringen  zu  schwierig  schien, 
unter  dem  Schutz  von  zwei  Legionen  durch  die  Vorberge  am  Euphrat 
und  Tigris  dem  Hauptheere  nachführen.  Alles  hing  von  den  Er- 
folgen ab,  die  Antonius,  in  Atropatene  angelangt,  rasch  zu  erzwingen 
gedachte.  Aber  diese  überkühne  Trennung  seiner  Streitkräfte  sollte 
die  Quelle  des  Verderbens  werden.  Wohl  vollzog  sich  der  Vormarsch 
des  Hauptheeres,  dessen  Bewegungen  der  König  Armeniens,  Arta- 
vasdes,  mit  6000  Reitern  und  7000  Fußgängern  deckte  und  leitete, 
bis  nach  Atropatene  leicht  und  sicher.  Schon  stand  Antonius  vor 
den  Mauern  Phraaspas,  der  Hauptstadt  der  Atropatene,  rasch  er- 
hoben sich  die  Wälle  und  Türme  römischer  Belagerungskunst,  und 
auch  Statianus  näherte  sich  mit  den  Maschinen,  die  die  Bezwin- 
gung der  Feste  verbürgten.  Da  warfen  sich  die  Meder  und  Parther 
auf  den  unbehilflichen  Troß,  der  die  schwierigen  Straßen  des  Za- 
grosgebirges mühsam  emporstieg,  schlugen  und  vernichteten  die  Be- 
deckung und  zerstörten  das  ganze  Heeresgerät.  Als  Antonius  heran- 
kam, die  Angegriffenen  zu  befreien,  fand  er  auf  der  Wahlstatt  nur 
mehr  Leichen  und  Trümmer.  Noch  erreichte  er  die  abziehenden  Sie- 
ger, die  vor  seinem  Angriff  ohne  ernstlichen  Verlust  zurückwichen. 

Obwohl  des  wirksamsten  Mittels  der  Bezwingung  Phraaspas 
beraubt,  setzte  Antonius  die  Belagerung  fort,  von  den  parthischen 
Reitern  selbst  umlagert.  Die  Verpflegung  des  Heeres  wurde  an- 


I'jS  Augustus 

gesichts  dieser  Reiter,  die  die  Abteilungen  der  Römer,  die  Vorräte 
undBauholz  in  dasLager  schafften,  überraschend  angriffen  und  auf- 
hoben, mit  jedem  Tage  immer  schwieriger.  Da  versuchte  Antonius, 
die  stets  zurückweichendenFeinde  zu  einerHauptschlacht  zu  zwingen 
Einen  Tagmarsch  war  er  mit  lo  Legionen  und  der  ganzen  Reiterei 
von  Phraaspa  vorgerückt,  als  die  Feinde  in  einem  weiten  Halbkreis 
an  sein  Lager  herankamen.  Antonius  ließ  sein  Heer,  als  dächte  er 
an  keinen  Kampf,  in  Marschordnung  bis  an  den  Flügel  des  Feindes 
heranrücken,  dann  warfen  sich  auf  sein  Zeichen  die  Legionen  mit 
rascher  Wendung  in  langen  Linien,  die  Pila  schwingend,  im  Sturm- 
lauf auf  die  Parther,  während  die  Reiter  an  den  Flügeln  vorbrachen. 
Noch  rascher  wichen  die  Parther  dem  drohenden  Stoße.  Obwohl 
das  Fußvolk  die  Verfolgung  über  eine  halbe  Meile  fortsetzte,  die 
Reiter  noch  dreimal  so  weit,  hatten  die  flüchtigen  Feinde  fast  keine 
Verluste  erlitten.  Auf  dem  Rückmarsche  nach  Phraaspa  zeigten  sich 
die  Parther  in  immer  dichteren  Scharen,  zuletzt  ihr  ganzes  Heer. 
Und  auch  dieBelagerung,  durch  die  kühnen  Ausfälle  der  Verteidiger 
gestört,  blieb  wirkungslos.  Beim  Herannahen  des  Plerbstes  litt  das 
Heer,  seit  langem  von  Mangel  heimgesucht,  unter  der  eisigen  Kälte 
iranischer  Nächte.  Da  begann  in  dem  schlecht  gefügten  Heere  der 
Gehorsam  zu  versagen.  Die  bittere  Notwendigkeit  drängte  zum 
Rückzug.  Die  Zuversicht,  mit  der  Antonius  noch  einmal  als  Be- 
dingung des  Friedens  die  Gefangenen  aus  Crassus  Heer  und  die 
Feldzeichen  forderte,  täuschte  die  Feinde  nicht.  Phraates  empfing 
die  Gesandten  auf  seinem  Goldthrone  sitzend,  ließ  den  Bogen 
drohend  in  der  Hand  erklingen  und  forderte  als  Preis  des  Frie- 
dens unter  Schmähungen  den  Abzug  der  Römer. 

Angesichts  der  siegesbewußten  Feinde,  mit  dem  entmutigten 
Heere  die  Straße  durch  die  baumlosen  Ebenen,  die  man  gekom- 
men, einzuschlagen,  war  sicheres  Verderben.  Nur  bei  einem  Rück- 
zuge durch  die  Berge  konnte  Antonius  hoffen,  den  beständigen 
Anfällen  der  parthischen  Reiterschwärme  auszuweichen.  Schon 
hatte  Artavasdes  mit  seinen  armenischen  Reitern  das  Heer  ver- 
lassen. Und  Antonius  mußte  sich  auf  diesen  unbekannten  Wegen 
der  Führung  eines  mardischen  Überläufers  anvertrauen,  der  in 
Ketten,  den  Tod  vor  Augen,  seine  Treue  bewähren  sollte. 


12.  Der  Partherkrieg  des  Marcus  Antonius  1^0 

Als  das  Heer,  durch  eine  Ansprache  des  Domitius  Ahenobarbus 
über  dieNotwendigkeit  des  Rückzuges  belehrt,  —  vorScham  gebeugt 
versagte  dem  Feldherrn  die  Rede  —  das  Unglückslager  vorPhraaspa 
verließ,  sah  es,  wie  die  mühsam  erbauten  Werke,  von  den  Belagerten 
in  Brand  gesetzt,  in  Flammen  aufgingen.  Drei  Tage  war  das  Heer 
vorgerückt,  als  die  Straße  durch  abgeleitete  Wasserläufe  zerstört 
erschien,  und  bald  zeigten  sich  auch  die  Parther  in  immer  zahl- 
reicheren Schwärmen,  den  langen  Zug  umkreisend,  bis  sie  dem  An- 
prall der  gallischen  Reiter  wichen.  In  den  folgenden  Tagen  setzten 
die  Römer  den  Marsch  unter  steter  Belästigung  durch  die  Feinde, 
in  einem  langen  Viereck  geordnet,  fort,  im  Rücken  und  an  den 
Seiten  von  den  Bogenschützen  und  Schleuderen!  gedeckt.  Am  achten 
Tage  kam  es  zur  Schlacht.  Der  Führer  der  Nachhut,  Flavius 
Gallus,  drang  mit  den  Leichtbewaffneten,  verstärkt  durch  starke 
Reiterei,  auf  die  Parther  ein  und  verfolgte  die  stets  Weichenden  mit 
aller  Kraft.  Da  sah  er  sich  von  allen  Seiten  von  dichten  Massen 
umringt.  Ihn  zu  befreien,  griffen  immer  neue  Abteilungen  des 
schweren  Fußvolks  in  den  Kampf  ein,  die  Verluste  nur  steigernd. 
Erst  als  Antonius  die  Kerntruppen  der  gallischen  Legionen  heran- 
führte, gelang  es  die  Feinde  zurückzuwerfen.  3000  Tote  und  5000 
Verwundete  deckten  das  Schlachtfeld,  unter  ihnen  Flavius  Gallus, 
von  vier  Pfeilen  durchbohrt.  Das  Heer,  des  besten  Teiles  der  Reiter 
und  Leichtbewaffneten  beraubt,  war  so  mutlos  geworden,  daß  der 
Feind,  auf  Raub  bedacht,  in  dieser  Nacht  plündernd  in  das  Lager 
brach.  Antonius,  durch  diesen  neuen  Schlag  ganz  gebeugt,  wurde 
mit  Mühe  von  seinen  Freunden  gehindert,  zum  Zeichen  seines 
Schmerzes  dem  Heere  in  dem  unheilbedeutenden  Kleide  der  Toten- 
trauer das  Leid  um  den  Verlust  so  vieler  Tapferer  zu  klagen. 

Um  nur  vorwärts  zu  kommen,  nahmen  die  Legionare  das 
übrige  Heer  in  die  Mitte  und  schützten  sich,  wie  bei  dem  Sturm 
auf  eine  Mauer,  gegen  die  Geschosse  der  Parther  durch  die  Ver- 
schildung;  die  vorderen  Glieder  niederknieend,  die  hinteren  die 
Schilde  erhebend,  bildeten  sie  mit  den  dicht  zusammengeschlossenen 
Scuta  einen  eisernen  Wall,  an  dem  der  Pfeilregen  der  Parther 
wirkungslos  niederprasselte.  Dann  sich  erhebend,  trieben  sie  unter 
wildem  Schlachtruf  die  Reiter  mit  den  Pila  zurück.  So,  bald  stand- 


1 40  Augustus 

haltend,  bald  weiterziehend,  setzte  das  Heer  Tag  für  Tag  den  Marsch 
fort,  während  seine  Reihen  sich  noch  mehr  als  durch  die  Waffen 
der  Feinde  durch  den  Frost  der  winterlichen  Nächte,  Entbehrung, 
Mangel  an  Nahrung  lichteten.  Denn  die  Lastwagen  dienten  nur 
mehr  dazu,  die  Kranken  und  Verwundeten  fortzuführen.  Das  Ge- 
treide mangelte  bald  gänzlich,  und  das  Heer  ernährte  sich  von  den 
Pflanzen  am  Wege,  bis  sie  die  ekle  Kost  auch  durch  Krankheiten 
aufrieb.  Und  doch,  Tag  für  Tag  wurde  gekämpft  mit  den  grau- 
sameriFeinden,  die  jeden,  der  dieReihen  verließ,  ohneGnade  nieder- 
schössen. Endlich  schien  die  Kampflust  der  Parther  nachzulassen; 
nur  vereinzelt  zeigten  sich  die  Reiter  mit  abgespannten  Bogen,  als 
dächten  sie  an  keinen  Angriff  mehr.  Selbst  die  Dörfer  am  Wege 
ließen  sie  unbeschützt.  Aber  die  gefahrvollste  Strecke  des  Weges 
lag  noch  vor  den  Römern.  Eine  weite,  bäum-  und  wasserlose 
Ebene  trennte  sie  von  den  nächsten  ragenden  Bergen.  Es  bedurfte 
keiner  Warnung  aus  den  Reihen  des  Feindes,  wie  man  später  er- 
zählte, als  die  Rettung  des  Heeres  wie  ein  Wunder  erschien,  An- 
tonius zu  bestimmen,  dem  Angriff  der  tückischen  Feinde  durch 
einen  Nachtmarsch  zuvorzukommen.  Wasser  in  Gefäßen  mit  sich 
führend,  selbst  in  den  Helmen  und  in  Häuten,  brachen  sie  im 
Dunkeln  auf,  um  die  Wachsamkeit  des  Feindes  zu  täuschen.  Noch 
hatten  sie  die  Berge  nicht  erreicht,  als  bei  Sonnenaufgang  die 
Parther  sie  ereilten  und  die  vom  Nachtmarsch  Erschöpften  nur 
unter  Kämpfen  vorrücken  ließen.  Als  die  Römer  endlich  einen 
Wasserlauf  am  Fuße  der  Berge  erreichten,  wurde  das  Lager  ge- 
schlagen, damit  die  Feinde  nach  ihrer  Gewohnheit  vom  Kampfe 
abließen.  Auch  diesmal  verschwanden  sie  vor  den  Blicken  der 
Römer.  Die  Ruhe  vom  Kampfe  nützend,  zwang  Antonius  das  Heer, 
wieder  aufzubrechen  und  den  Marsch  den  ganzen  Tag  fortzusetzen. 
Als  das  Heer  im  Nachtlager  eintraf,  zeigten  sich  bereits  die  letzten 
Zeichen  der  Auflösung.  Die  Soldaten  begannen  das  Heeresgepäck 
zu  plündern,  selbst  die  kostbare  Ausstattung  des  Feldherrnzeltes 
nicht  schonend.  Antonius  war  nahe  daran,  sich  von  einem  Leib- 
wächter töten  zu  lassen.  Er  wagte  endlich  bei  Tagesgrauen  den 
letzten  Versuch,  seines  Heeres  wieder  Herr  zu  werden,  indem  er 
das  Zeichen  zum  Aufbruch  geben  ließ.   Die  im  Dunkeln  alles  ge- 


12.  Der  Partherkrieg  des  Marcus  Antonius  I^I 

wagt,  sie  fügten  sich  unter  dem  eisernen  Zwange  der  Gewohnheit 
dem  Befehle.  Noch  einmal  verließ  das  Heer  beim  Aufgehen  der 
Sonne  das  Lager,  um  einem  letzten  Kampfe  mit  dem  zähen  Feinde 
entgegenzugehen.  Ein  kurzer  Marsch  trennte  sie  noch  von  einem 
Bergstrom,  dessen  kristallene  Fluten  ihren  Hauch  im  Morgennebel 
verbreiteten.  Wieder  schwärmten  die  Leichtbewaffneten,  die  Le- 
gionare schlössen  sich  zusammen  in  ihrer  Verschildung;  so  traten 
sie  dem  Feinde  entgegen  und  erreichten,  in  der  gewohnten  Weise 
die  Reiter  bekämpfend,  den  Strom.  Unter  dem  Schutze  der  Rei- 
terei ließ  Antonius  zuerst  die  Kranken  und  Schwachen  übergehen. 
Da  spannten  die  Söhne  Irans  plötzlich  den  Bogen  ab,  und,  den 
tapferen  Gegnern  einen  letzten  Gruß  zuwinkend,  ritten  sie  davon 
in  ihre  Heimat. 

In  Ruhe  und  Ordnung,  wenn  auch  nicht  ohne  Sorge  vor  den 
Parthem,  erreichte  das  Heer  6  Tage  nach  der  letzten  Schlacht  den 
Araxes,  dessen  Wellen  Armenien  von  Media  Atropatene  schieden. 
Hier  iii  dem  fruchtbaren,  befreundeten  Lande  hoffte  das  Heer  das 
Ende  seiner  Leiden  zu  finden.  Antonius  hielt  eine  Heerschau  über 
seine  gelichteten  Reihen.  20000  Fußgänger  und  4000  Reiter  hatte 
der  Feind  in  den  18  Kampftagen  des  Rückzuges  und  die  zehrenden 
Krankheiten  dahingerafft.  Ruhelos  führte  Antonius  das  erschöpfte 
Heer  vorwärts  durch  den  Winter  des  schneebedeckten  Armeniens, 
die  Toten  und  Sterbenden  hinter  sich  zurücklassend,  und  opferte 
noch  8000  Menschen  seiner  sinnbetörten  Hast.  War  doch  sein 
FeldheVrnruhm  auf  diesem  Feldzuge  für  immer  untergegangen.  Er, 
der  sich  vermessen,  mit  dem  Ruhme  des  glorreichsten  Helden  der 
Welt  wetteifernd  seine  Waffen  bis  an  den  Indus  zu  tragen,  sah  in 
tiefer  Beschämung  die  engen  Grenzen  seiner  vielgepriesenen  Kunst. 
Denn  unfähig,  die  in  der  Schule  Caesars  erlernten  Regeln  römischer 
Heerführung  nach  der  neuen  Kampfweise  der  Gegner  umzubilden, 
dankte  er  die  Rettung  des  Heeres  nur  der  eisernen  Kriegszucht  der 
Legionen  Caesars,  deren  Heldenmut  sich  selbst  in  diesem  ungleichen 
Kampfe  behauptet  hatte.  Wer  sollte  nicht  die  Weisheit  Caesars  des 
Sohnes  preisen,  der  Italien  davor  behütet  hatte,  für  Überhebung  und 
Unvermögen  eines  Antonius  noch  schwerere  Opfer  zu  bringen! 
VonScham  niedergedrückt,  eilteAntonius,  vonWenigen  begleitet, 


1 4. 2  Augustus 

hinunter  an  die  einsame  Meeresküste,  zwischen  Berytus  und  Sidon 
Cleopatra  zu  erwarten,  und  vergeblich  die  Qualen  seines  Innern 
in  schwerem  Trünke  betäubend.  Sie  war  nun  seine  Hoffnung, 
seine  Stütze;  in  ihrem  Namen  verteilte  er  Geld  und  Kleider  unter 
das  von  allem  entblößte  Heer. 

.  Noch  einmal  gedachten  die  Geschwister  in  Rom,  die  den 
Schmerz  und  die  Schmach  dieser  Jahre  in  ihrer  Brust  verschlossen 
hatten,  den  tief  Gedemütigten  an  seine  Ehre  zu  mahnen.  Octavia 
in  ihrem  milden  Sinne  brach  selbst  nach  dem  Osten  auf  mit  allem 
ausgerüstet,  was  das  Heer  bedurfte,  und  von  2000  erlesenen  Leib- 
wächtern gefolgt.  Aber  auf  die  bloße  Nachricht  von  ihrem  Kommen 
befahl  ihr  Antonius,  obwohl  er  die  Geschenke  nahm,  durch  seine 
Abgesandten  in  Athen,  nach  Italien  zurückzukehren.  Wo  die  Macht 
der  Liebe  über  den  schwer  mit  sich  selbst  ringenden  Mann  zu  ver- 
sagen schien,  hatte  Cleopatra  den  Starken  und  Mutigen  zu  rühren 
gewußt,  durch  den  Schein  seelischer  Leiden,  die  bei  dem  Verluste 
des  Einzigen  den  schwachen,  hülflosen  Leib  des  Weibes  aufzulösen 
drohten.  Doch  verbarg  sie  mit  kluger  List  den  wahren  Grund 
ihrer  scheinbaren  Angst.  Der  neue  Kriegszug,  den  der  Geliebte 
plante,  an  dem  treulosen  König  Armeniens  Vergeltung  zu  üben, 
das  war  es,  was  sie  zu  töten  drohte.  Immer  mehr  wußte  sie  ihn 
in  dem  Gedanken  zu  bestärken,  daß  der  Rachekrieg  gegen  die  Ge- 
schwister in  Rom  das  einzige  würdige  Ziel  seiner  Macht  sei.  Alien 
seinen  Leidenschaften  schmeichelnd,  erniedrigte  sie  ihn  zum  willen- 
losen Knechte  ihres  eigenen  Hasses,  nur  das  eine  übersehend, 
daß  sie  das  Werkzeug,  durch  das  sie  über  die  Welt  zu  herrschen 
gedachte,  selbst  rettungslos  verdarb. 

Caesars  gerechte  Empörung  ließ  ihn  Octavia  befehlen,  das 
Haus  ihres  Gatten  in  Rom  zu  meiden.  Aber  der  Schwester 
Flehen,  sie  nicht  die  Ursache  eines  Krieges  werden  zu  lassen,  nach- 
gebend, sah  er,  wie  sie  alle  die  Kinder  des  Antonius,  auch  aus  der 
Ehe  mit  Fulvia,  um  sich  sammelte  und  den  Verwaisten  die  milde 
Güte  erwies,  deren  ihr  Gemüt  einzig  fähig  war.  Der  Anblick  der 
entehrten  Fürstin,  die  mit  so  hoher  Fassung  ihr  Schicksal  trug, 
zerstörte  alle  Neigung,  die  Antonius  in  Italien  noch  besaß. 


13-  Der  illyrische  Krieg  Caesars 

Auch  Caesar  war  entschlossen,  Antonius  keinen  Grund  zum 
Kriege  zu  bieten.  Sollte  er  unvermeidlich  werden,  so  mußte  er 
unter  Voraussetzungen  beginnen,  die  den  Sieg  verbürgten.  Die 
Erfahrungen  von  Pharsalus  und  Philippi  hatten  gelehrt,  daß  in 
einem  Krieg  zwischen  dem  Westen  und  Osten,  wenn  Italien  nicht 
der  Schauplatz  wurde,  die  Entscheidung  auf  einem  Schlachtfelde 
Griechenlands  fiel.  Dies  ist  die  Ursache  der  Kämpfe  in  Illyricum, 
deren  Ziel  darin  lag,  dem  Landheere  den  gesicherten  Anmarsch 
nach  Griechenland  zu  schaffen.  Dreimal  hatte  Caesar,  der  Dictator 
in  dem  Bürgerkriege,  sich  dieser  Brücke  zwischen  Italien  und 
Griechenland  bemächtigen  wollen.  Die  Niederlagen  des  Basilus 
bei  Curicta,  des  Gabinius  und  Vatinius  in  den  Bergen  Dalmatiens 
bewiesen  nur  die  Schwierigkeit  des  Unternehmens.  Aber  dieser 
Krieg  war  nicht  minder  geboten,  um  die  Sicherheit  und  den 
Handel  Oberitaliens  zu  schirmen.  Denn  immer  wieder  suchten  die 
Barbaren  der  iulischen  Alpen  Oberitalien  heim  und  störten  die 
Kaufleute  Aquileias  auf  ihren  friedlichen  Zügen  nach  der  mittleren 
Donau,  im  Tale  der  Save  und  längs  der  Küste  des  illyrischen 
Meeres,  Aquileia,  wo  alle  diese  Handelswege  entsprangen,  wurde 
notwendig  auch  der  Ausgangspunkt  des  Krieges. 

Die  lllyrier  schieden  sich  in  zwei  Hauptstämme,  dieDalmater  in 
den  dinarischen  Alpen  und  die  Pannonier  in  Kroatien  und  dem  west- 
lichen Ungarn.  Zwischen  diesen  saßen  als  ein  besonderes  Volk  die 
Japuden  im  Osten  der  Halbinsel  Istrien.  Das  tiefe  Dunkel,  das  über 
dem  mit  Urwäldern  bedeckten  Lande  lag,  hatte  auch  das  Licht 
griechischer  Wissenschaft  nicht  erhellt.  Denn  nur  auf  den  Inseln 
des   von  gefahrvollen  Nordstürmen   heimgesuchten  Meeres  saßen 


IAA  Augushis 

seit  Jahrhunderten  griechische  Händler.  An  der  Küste  hatten  sie 
nur  in  Epidaurum  Fuß  gefaßt.  Aber  die  Waldpfade  des  Innern 
wagten  sie  nicht  zu  betreten.  Auch  die  Siedelungen  der  Römer  an 
den  Küsten  wie  Salonae  vermochten  trotz  der  Nähe  Italiens  nicht 
zu  erstarken.  So  war  auch  die  Kunde  von  den  Sitten  der  Illyrier 
nur  eine  dunkle.  Man  wußte,  daß  ihnen  das  Eigentum  des  Ein- 
zelnen noch  unbekannt  war,  sodaß  die  Dalmater  den  Gemeinde- 
boden in  jedem  achten  Jahre  neu  aufteilten,  daß  sie  den  Pflug 
nicht  kannten,  der  Boden  nur  dürftige  Gerste  hervorbrachte.  Unter 
dem  aufgehäuften  Miste  ihrer  Viehherden  gruben  die  Dardaner 
ihre  Wohnhöhlen.  Den  Leib  bemalten  die  Japuden  in  schreck- 
hafter Art.  Bei  den  Pannoniern  war  die  politische  Bildung  nicht 
über  das  Geschlechtsdorf  hinausgekommen,  Stadt  und  Staat  war 
ihnen  beide  fremd.  Was  die  in  zahllose  Stämme  gespalteten  Völker 
so  furchtbar  machte,  war  ihr  wilder  Kriegsmut,  der  in  ihrer  Mord- 
gier und  der  völligen  Verachtung  des  eigenen  und  fremden  Lebens 
wurzelte.  Die  Raserei  ihres  Kampfes  entzündeten  noch  die  grau- 
samen Formen  ihrer  Gottesverehrung. 
35  V.  Chr.  Caesar  sicherte  durch  einige  wuchtige  Schläge  die  Handels- 

straße in  den  österreichischen  Alpen,  wo  Virunum,  Juvavum, 
Ovilava  auf  alten  Factoreien  Aquileias  erwachsen  sind.  Dann 
wurden  die  unbequemen  Nachbarn  Aquileias,  die  Japuden,  zuerst 
angegriffen.  Nur  der  Bau  des  römischen  Straßennetzes  läßt  noch 
jetzt  das  planmäßige  Vorgehen  gegen  den  Hauptort  der  Japuden, 
Metulum,  erkennen.  Auf  drei  Straßen  von  Aquileia,  aus  dem 
Tale  der  Save  und  von  der  dalmatinischen  Küste,  den  Weg  durch 
den  Urwald  lichtend,  sind  die  Heersäulen,  im  steten  Kampfe  mit 
den  Japuden,  die,  aus  dem  Dickicht  ihrer  Wälder  hervorbrechend, 
den  Vormarsch  hemmten,  ins  Innere  des  Landes  eingedrungen 
und  vollzogen  ihre  Vereinigung  vor  Metulum,  das,  auf  zwei 
Hügeln  erbaut,  von  3000  streitbaren  Männern  verteidigt  wurde. 
Als  die  eine  dieser  Höhen  den  Belagerungs werken  der  Römer 
bereits  zu  erliegen  drohte,  untergruben  die  Verteidiger  die  Mauer 
und  flüchteten  in  die  zweite  neu  befestigte  Burg.  Hier  war  ihr 
Widerstand  um  so  entschlossener.  Zwei  Dämme  der  Belagerer 
erreichten  die  Mauer,    Auf   ausgeworfenen  Brücken  drängten  die; 


15-  Der  illyrische  Krieg  Caesars  j^e 

Stürmenden  gegen  die  Zinnen  heran,  als  die  Japuden  die  Brücken 
mit  langen  Haken  einrissen  und  die  Angreifenden  unter  den 
Trümmern  begruben.  Da  sprang  Caesar,  nur  von  Agrippa  und 
zwei  Leibwächtern  gefolgt,  auf  die  letzte  dieser  Brücken  und  er- 
reichte die  Mauer,  die  Legionare  durch  sein  Beispiel  mit  fort- 
reißend. Aber  auch  diese  Brücke  brach  unter  der  Last  der  An- 
stürmenden zusammen.  Caesar  wurde,  am  Schenkel  und  an 
beiden  Armen  verwundet,  vom  Kampfplatze  getragen,  zeigte  sich 
jedoch  von  der  Höhe  eines  Belagerungsturmes  wieder  den  Feinden. 
Da  verließ  die  Japuden  der  Mut,  sie  übergaben  die  Stadt  und 
räumten  vor  einer  römischen  Besatzung  die  beherrschende  Burg. 
Die  Forderung  der  Wächter,  ihre  Waffen  abzuliefern,  trieb  sie 
zur  Raserei.  Während  die  Kämpfer  vor  den  Mauern  der  Burg 
verbluteten,  verbrannten  Frauen  und  Kinder  in  den  Häusern  der 
Unterstadt.  Der  Untergang  Metulums  wurde  allen  Japuden  ein 
Zeichen,  sich  den  Siegern  zu  unterwerfen. 

Die  Sicherung  des  Gewonnenen  konnte  nicht  für  vollendet 
gelten,  solange  die  Pannonier  im  Tale  der  Save  der  Oberhoheit 
Roms  widerstrebten.  So  beschloß  Caesar  noch  in  demselben 
Sommer  die  Wasserburg  der  Breuci,  Siscia,  am  Zusammenflusse 
der  japudischen  Culpa  und  der  Save,  anzugreifen.  Auch  für  den 
Handel  Aquileias  und  als  Stützpunkt  gegen  die  mächtigen  Dacer 
jenseits  der  Donau  war  Siscia  als  Stapelplatz  von  großer  Bedeu- 
tung. Sein  friedlicher  Vormarsch,  die  maßvollen  Forderungen: 
Aufnahme  einer  Besatzung,  Stellung  von  Geiseln  und  Lieferung 
von  Getreide  für  das  Heer,  machten  die  Ältesten  geneigt,  in  die 
Unterwerfung  zu  willigen.  Schon  waren  die  Kinder  der  Vor- 
nehmsten Caesar  überliefert,  da  brachte  der  Anblick  der  römi- 
schen Waffen  die  Bewohner  zur  Verzweiflung.  Sie  schlössen  die 
Tore  und  besetzten  Wall  und  Graben,  die  die  Landzunge  zwischen 
den  Flußläufen  sperrten.  Caesar  überschritt  den  Strom  auf 
Brücken  und  warf  zwei  Belagerungsdämme  auf,  deren  Holzwerk 
die  Bewohner  Siscias  vergeblich  in  Brand  zu  stecken  suchten. 
Ein  Entsatzheer  der  pannonischen  Stämme  war  geschlagen,  als 
die  Römer  am  30.  Tage  der  Belagerung  die  Stadt  im  Sturm 
nahmen.     Die    Einwohner,    denen    Gnade    widerfuhr,    bequemten 

Doinaszewski,     I.  lO 


146  Augustus 

sich,  eine  Besatzung  von  25  Gehörten  in  ihre  Mauern  aufzunehmen. 
Caesar  war  nach  Rom  zurückgekehrt,  als  ihn  die  Nachricht  von 
einer  Erhebung  Siscias  mitten  im  Winter  nach  Pannonien  rief. 
Doch  hatte  die  Besatzung  die  Empörung  niedergeschlagen. 

3  4  V,  Chr.  Noch    in    diesem   Jahre   konnte    Caesar   dazu    schreiten,    das 

Küstengebiet  Dalmatiens  zu  sichern.  Denn  diese  Stämme,  früher 
Rom  tributpflichtig,  standen  seit  der  schmählichen  Niederlage 
des  Gabinius  in  Waffen.  Promona,  im  Norden  der  römischen 
Stadt  Salonae  auf  einem  der  Felsriffe  des  Kalkgebirges  erbaut, 
wurde  beim  Plerannahen  Caesars  der  Sammelplatz  der  Liburner. 
Ihre  Wachen  erspähten  von  den  Felsspitzen  der  Umgebung  alle 
Bewegungen  des  feindlichen  Heeres.  Doch  wurden  sie  bei  Nacht 
von  den  Römern,  die  im  Schutze  der  dichten  Wälder  herange- 
kommen waren,  überfallen  und  verjagt.  So  lag  der  Weg  frei. 
Römische  Werke  begannen  Promona  einzuschließen.  Ehe  sie 
noch  vollendet  waren,  kam  es  zur  Entscheidung.  Ein  Entsatz- 
heer der  Dalmater,  von  den  Römern  zurückgedrängt,  sah  vor 
seinen  Augen,  wie  die  Verteidiger  Promonas,  bei  einem  Ausfalle 
geschlagen,  im  Fliehen  auch  die  Tore  ihrer  Stadt  nicht  mehr  zu 
behaupten  vermochten.  Nur  die  Burg,  wohin  die  Verteidiger  in 
Massen  geflüchtet  waren,  hielt  sich  noch  einige  Tage.  Da  löste 
sich  das  Entsatzheer  auf  und  verbarg  sich  in  den  pfadlosen 
Wäldern  und  Schluchten  des  Gebirges,  um  sich  den  Römern  bei 
ihrem  Vordringen  immer  von  neuem  entgegenzuwerfen.  Ort  auf 
Orr  der  Dalmater  wurde  von  den  Römern  im  Sturm  genommen 
und  ging  in  Flammen  auf.  Erst  vor  Setvia,  der  Hauptstadt  dieser 
Stämme,  erwartete  sie  ein  hartnäckiger  Widerstand.  Caesar,  im 
Kampfe  gegen  die  den  Entsatz  versuchenden  Dalmater  am  Knie 
schwer  verwundet,  verließ  das  Belagerungsheer  bei  Eintritt  des 
Winters  und  überließ  Statilius  Taurus  die  Fortführung  des  Krieges. 

33  > .  Chr.  Als  er  im  nächsten  Frühjahr  wieder  in  Dalmatien  eintraf,  fand 
er  den  Widerstand  der  Küstenstämme  gebrochen.  Die  Dalmater 
willigten  darein,  700  Geiseln  zu  stellen  und  die  Feldzeichen,  die 
sie  im  Kriege  gegen  Gabinius  erbeutet  hatten,  auszuliefern.  Auch 
die  Stämme  der  Derbani  im  Süden,  die  den  letzten  Teil  der  Küsten- 
straße beherrschten,    fügten   sich    wieder   der   Oberhoheit   Roms. 


13.  Der  illyrischc  Krieg  Caesars  jAy 

So  war  der  Zweck  des  Krieges  erreicht,  der  Weg  durch  Illy- 
ricuni  gesichert.  Alte  Schmach  römischer  Waffenehre  war  ge- 
tilgt, und  das  Heer  blickte  mit  Stolz  auf  seinen  Feldherrn,  der, 
der  Tapfersten  einer,  in  den  mörderischen  Schlachten  allen  voran- 
gekämpft hatte.  Dieser  Zug  der  Selbstentsagung  ist  bewunderns- 
wert an  dem  jungen  Herrscher,  der  sein  Leben  freudig  einsetzte, 
um  vor  der  letzten  Entscheidung  mit  dem  Feinde  des  Ostens  das 
Heer  mit  jenem  Vertrauen  zu  erfüllen,  das  der  Tapfere  nur  dem 
Tapferen  entgegenbringt. 


14-  Actium 

Immer  drohender  waren  die  Zeichen  geworden,  welche  den 
nahenden  Krieg  mit  dem  Herrscher  des  Ostens  verkündeten.  Auch 
Antonius  war  gleich  Caesar  weiter  vorgeschritten  auf  der  Bahn, 
auf  welcher  die  ursprüngliche  Anlage  des  Charakters  den  Sterb- 
lichen unabwendbar  vorwärts  führt.  Antonius,  der  denWinter  nach 
dem  Partherkriege  in  Alexandria  verlebte,  trug  sich  nur  im  Kleide 
der  Ptolemaeer,  und  mit  Recht;  war  er  doch  nur  mehr  der  Fürst- 
gemahl Cleopatras,  der  Herrscherin  des  ganzen  Ostens.  Königin 
der  Könige  hieß  sie  und  war  sie.  Ihr  Mitherrscher  in  Ägypten  war 
Caesarion,  der  im  Namen  die  Schande  seiner  Mutter  trug.  Alexan- 
der erhielt  Armenien  und  Medien  und  das  Land  der  Parther,  wenn 
sie  erst  erobert  wären.  Ptolemaios  Phönicien,  Syrien  und  Cilicien. 
So  erschienen  denn  auch  die  Knäblein  geputzt,  der  eine  mit  der 
Tiara  des  Achaemeniden,  der  andere  mit  dem  Diademe  Alexanders 
des  Großen,  begleitet  von  Unsterblichen  und  Hypaspisten  als 
Leibwächtern.  Cleopatra,  die  kinderreiche  Mutter  dieses  Mummen- 
schanzes, war  von  Aphrodite  mit  besserem  Rechte  zur  keuscher 
verhüllten  Isis  geworden;  Antonius  hieß  ihr  zu  Gefallen  Osiris.  So 
anmutig  beschäftigt  die  Seinen  zu  erfreuen,  vergaß  Antonius 
nicht  seine  bösen  Rachegedanken  für  Artavasdes  den  Armenier. 

Denn  mit  Heeresmacht,  als  gälte  es  einen  neuen  Krieg  gegen 
die  Parther,  brach  er  nach  dem  Pontus  auf  und  lockte  in  Nico- 
polis,  der  Stadt,  die  an  Mithradates,  den  furchtbaren  Feind  Roms, 
erinnerte,  den  Artavasdes  durch  seinen  katzenfüßigen  Unter- 
händler Dellius  ins  Lager,  um  ihn  zuerst  in  Ehren  zu  begrüßen,  bis 
er  sich  seiner  Schätze  versichert  hatte,  und  il;in  dann,  als  einen 
König,  in  silbernen  Ketten  nach  Alexandria  zu  schleppen,  wo  das 
Zerrbild  eines  römischen  Triumphes  der  grausigen  Fratze  einen 
würdigen  Abschluß  gab.    Die  kostbare  Siegesbeute  dieses  rühm- 


14-  Actiuin  i^g 

reichen  Feldzuges  wurde  ein  Geschenk  Cleopatras.  Der  unglück- 
liche König  wurde,  nunmehr  in  goldenen  Ketten,  auf  einem  ver- 
goldeten Stuhle  sitzend,  mit  seinem  ganzen  Hause,  das  sein  Schick- 
sal geteilt  hatte,  offen  der  gaffenden  Menge  zur  Schau  gestellt,  um 
ihn  durch  solche  Schmach  zu  zwingen,  der  Königin  der  Könige 
fußfällig  zu  huldigen,  bis  ihn  seine  stolze  Weigerung  in  das  er- 
sehnte Dunkel  des  Kerkers  brachte. 

Während  die  Rüstungen  im  ganzen  Reiche  an  Schiffen  und 
Mannschaften  zum  Kriege  gegen  Caesar  im  Gange  waren,  hielt 
Antonius  scheinbar  an  dem  Spottbilde  eines  neuen  Partherkrieges 
fest,  erschien  wieder  an  der  Grenze  Mediens,  um  seinen  Alexander 
mit  Jotape,  der  Tochter  des  Meders,  zu  verloben.  Diese  sichere 
Bürgschaft  eines  neuen  Alexanderzuges  in  der  Tasche,  gewann  er 
von  dem  guten  Vetter  eine  unfehlbare  Hilfe  für  den  Krieg  gegen 
Caesar  in  einer  Schar  medischer  Reiter,  die  ihm  selbst  so  furchtbar 
geworden  waren.  War  auch  alles  und  jedes  nur  darauf  berechnet, 
seinen  Schwager  in  Rom  durch  unablässiges  Verhöhnen  römischen 
Denkens  und  Empfindens  zum  Kriege  zu  reizen,  so  ist  doch  ein 
solches  Übermaß  des  Hasses  schon  eine  Störung  des  Gleichgewichts 
seiner  geistigen  Kräfte.  Aber  es  galt,  den  Westen  nicht  nur  zu  be- 
kriegen, sondern  den  grundlosen  Krieg  auch  zu  rechtfertigen. 
So  begann  ein  erbitterter  Briefwechsel  mit  Caesar,  der  Lepidus 
Africa  geraubt,  ihn  selbst  um  seinen  Anteil  an  Sicilien  gebracht, 
durch  seine  Landaufteilung  den  Siegeslohn  für  die  Legionen  des 
Partherkrieges  verkürzt  habe.  Denn  daß  er  gesiegt,  hatte  er  laut 
genug  verkündet,  und  Caesar  selbst  hatte  für  ihn  durch  den  Senat 
die  Siegesehren  beschließen  lassen.  Wie  ganz  anders  klang  es  den 
Römern,  wenn  ihm  Caesar  die  schmachvolle  Lebenshaltung,  die 
Vergabung  der  Provinzen  des  römischen  Volkes  zur  Ausstattung 
der  Bastardkinder  seiner  Kebse  entgegenschleuderte. 

Die  beiden  Triumvirn  hatten  das  Recht,  in  jedem  zweiten  Jahre 
Consuln  nach  ihrer  Wahl  zu  ernennen.  So  verlieh  Antonius  für 
das  Jahr  32  seinen  Getreuesten,  Gaius  Sossius,  dem  Statthalter 
Syriens,  und  Domitius  Ahenobarbus,  derBithynien  gegen  die  Räuber 
des  Pompeius  nicht  geschützt  hatte,  das  Consulat.  Sie  schmückien 
für  ihren  Herrn,  den  Gebieter  des  Ostens    und  Beherrscher    des 


I  CQ  Augustus 

Meeres,  bereits  die  Siegesstraße  in  Rom,  als  sie  die  Tempel  des 
Apollo  und  des  Neptunus  auf  dem  Marsfelde  aus  dem  Raube  ihrer 
Provinzen  neu  erbauten.  In  der  Sitzung  des  Senates  vom  i.  Januar 
—  Caesar  war  nicht  erschienen  —  füllte  der  Consul  Sossius,  nach 
der  Sitte  über  die  Lage  des  Staates  berichtend,  seine  Rede  mit  dem 
Lobe  des  Antonius  und  heftigen  Schmähungen  Caesars,  bis  ihn  der 
Tribun  Nonnius  Baibus  durch  seinen  Einspruch  an  weiteren  An- 
trägen hinderte.  Der  Senat  hatte  schweigend  diese  Worte  hin- 
genommen. Da  berief  Caesar  wenige  Tage  später  selbst  den  Senat, 
um  Sossius  zu  widerlegen  und  schloß  seine  Rede  mit  den  Worten: 
er  werde  die  Wahrheit  enthüllen.  Die  Consuln,  die  wußten,  was  da 
drohte,  hörten  ihn  stumm  an  und  verließen  jetzt  Rom  und  Italien. 

In  Alexandria  hatten  Munatius  Plancus,  Titius  und  andere,  die 
Antonius  im  Rate  die  Nächsten  waren,  und  deren  gewandte  Ver- 
mittlung die  Versöhnung  mit  Caesar  noch  immer  offen  hielt,  ge- 
fordert, Antonius  solle  sich  in  dem  kommenden  Kriege  vonCleopatra 
trennen,  um  frei  von  ihrem  Einflüsse  sein  Heer  zu  führen.  Aber 
Antonius  war  nicht  mehr  fähig,  sich  von  ihrer  Gestalt,  die  alles, 
was  krank  und  elend  in  ihm  war,  so  betörend  widerspiegelte,  los- 
zureißen. So  wichen  die  Freunde  als  erste  aus  der  triumphierenden 
Nähe  des  Weibes.  In  Italien  eröffneten  sie  Caesar  die  letzten  Ab- 
sichten des  Paares  in  Alexandria  und  den  Inhalt  des  Testamentes, 
das  Antonius  der  heiligen  Hut  der  Vestalinnen  anvertraut  hatte. 

Caesar  ergriff  die  dargereichte  Waffe,  sicher  in  seinem  Hasse, 
der  jeden  zu  unedlem  Handeln  verblendet,  das  Ansehen  seines 
Feindes  zu  vernichten.  Zum  zweitenmale  erschien  er  im  Senate  und 
ließ  das  Testament  verlesen.  Es  enthielt  die  Bestätigung  aller 
Schenkungen  an  die  Kinder  Cleopatras,  bezeichnete  jenen  Cae- 
sarion als  den  echten  Sohn  des  Dictators  und  bestimmte,  daß 
Antonius  neben  Cleopatra  in  Alexandria  sein  Grab  finden  sollte. 
So  fand  alles  Glauben:  daß  Antonius  der  Ägypterin  Rom  als 
Geschenk  zugedacht  und  den  Sitz  der  Herrschaft  nach  Ägypten 
übertragen  werde. 

Die  Empörung  des  Senates  war  ebenso  heftig  als  wahrhaft. 
Niemand  wollte  den  Namen  dieses  Abgefallenen  mehr  nennen. 
Nicht  dem  Knechte  der  Ägypterin,  sondern  dem  Weibe,  das  die 


14-  Actium  1=1 

Ehre  des  römischen  Volkes  in  den  Kot  getreten  hatte,  erklärte 
Caesar,  gefolgt  von  dem  Senate,  der  in  der  Sitzung  das  Kriegs- 
kleid angelegt  hatte,  in  der  feierlichen  Form  des  alten  Rechtes  der 
Fetialen  an  der  columna  bellica  des  Marsfeldes  den  Krieg.  Ganz 
Italien,  der  ganze  Westen  erhob  sich  wie  ein  Mann  und  schwor 
Caesai  die  Treue  in  dem  Kampfe  der  Römer  gegen  die  Schmach 
des  Ostens. 

So  war  der  Krieg  endlich  gekommen,  für  den  Antonius  so 
lange  gerüstet,  den  zu  erzwingen  ihm  kein  Mittel  zu  niedrig,  zu 
ehrlos  schien.  Das  weite  Asien  mit  seinen  menschenreichen,  zum 
letzten  Dienste  willigen  Völkern  trat  auf  den  Plan  in  der  prahlen- 
den Zahl  seiner  Streiter  und  dem  unübersehbaren  Walde  seiner 
Masten.  30  Legionen  zahlte  die  Münze  in  Alexandria  den  Sold, 
500  Schiffe  schwerster  Bauart  lagen  auf  den  Werften  und  in  den 
Häfen  Asiens  bereit.  Aber  der  Anblick  dieser  Massen  erfreute 
nicht  das  kriegsgeübte  Auge  des  Feldherrn.  Nur  jene  7  gal- 
lischen Legionen,  deren  Reihen  Antonius  mit  den  kriegerischen 
Galatern  und  Lycaonen  ergänzt  hatte,  waren  dem  Feinde  ge- 
wachsen; von  den  anderen  können  nur  8  einen  Stamm  italischer 
Soldaten  besessen  haben;  die  übrigen  waren  nicht  besser,  als  jene 
ungezählten  Haufen  der  orientalischen  Großkönige,  die  stets  nur 
den  Spott  des  Abendlandes  hervorriefen.  So  lag  von  Anfang  an 
das  Schwergewicht  der  Rüstungen  auf  der  Flotte,  die  auch  den 
Stolz  und  die  Hoffnung  Cleopatras  bildete.  Aber  wo  der  entschie- 
dene Wille  des  Feldherrn  fehlte,  war  auch  die  Flotte  nicht  wahr- 
haft kriegsbereit.  Auch  sammelten  sich  erst  die  15  allein  kampf- 
fähigen Legionen,  die  Canidius  heranführte,  als  die  Königin  mit 
ihrem  König  in  Ephesus  erschien,  um  Italien  zu  bezwingen.  Um 
so  glänzender  leuchtete  der  Hofstaat  der  Herrscher,  die  alle  33  v.  chi 
Fürsten  und  Fürstlein  Asiens  umdrängten.  Noch  einmal  versuchte 
der  Consul  Domitius,  der  Zeuge  des  Hasses  von  ganz  Italien  gegen 
die  Verderberin  gewesen  war,  Antonius  zu  bestimmen,  sich  los- 
zusagen von  ihrem  fluchwürdigen  Einflüsse.  Da  wußte  der  elende 
Canidius,  ihr  Geschöpf,  den  Schwankenden  zu  betören,  als  sei  die 
Königin,  unter  deren  Befehle  der  beste  Teil  der  Flotte  stünde, 
die  wahre  Bürgschaft  des  Sieges. 


16  2  Augustus 

Wie  wenn  es  nur  mehr  gälte  den  gewonnenen  Sieg  zu  feiern, 
verbrachte  das  Paar,  das  die  Sonnenhöhe  des  Lebens  schon  lange 
überschritten  hatte,  den  Winter  auf  Samos,  die  erstorbene  Lust 
mit  Gewalt  aufpeitschend.  Was  konnte  man  noch  ersinnen,  was 
der  Herrscher  von  ganz  Asien  auch  würdig  war?  Der  Hof  verfiel 
auf  den  herrlichen  Gedanken,  alle  dionysischen  Künstler  der 
griechischen  Welt  auf  Samos  zu  einem  Riesentheater  zu  ver- 
sammeln, die  die  Insel,  während  der  Erdkreis  von  Kriegsweh 
seufzte,  durch  Wochen  mit  Gesang  und  Tanz,  Flötenspiel  und 
Citharenklang  erfüllten.  So  war  es  doch  gelungen,  sich  zu  be- 
32  V.  Chr.  täuben,  und  leichteren  Herzens  setzten  die  Herrscher  im  Frühjahre 
die  Fahrt  nach  Athen  fort,  damit  die  Stadt,  die  die  Ehre  Octavias 
gesehen,  auch  die  Schmach  ihres  Gatten,  der  Cleopatra  vor  aller 
Augen  Sclavendienste  erwies,  staunend  schaue.  Auch  dort  wieder- 
holte sich  das  kindische  Treiben  theatralischer  Schaustellungen. 
Antonius  krönte  sie,  als  er,  der  erste  Bürger  Athens,  Cleopatra 
die  Ehrenbeschlüsse  seiner  Mitbürger  überreichte  und  die  Selbst- 
verhöhnung mit  einer  Rede  auf  seine  Vaterstadt  Athen  im  Stile 
seiner  vielbewunderten  Kunst  feierte.  Wahrlich,  weit  war  der 
Mann  gekommen  seit  dem  Tage,  wo  er  mit  der  inneren  Un- 
wahrheit seiner  Beredsamkeit  die  Leiche  Caesars  geschändet,  um 
nun  sich  selbst  in  hohler  Prahlsucht  zu  schänden. 

Mit  diesem  gebrochenen  Rohre  wollte  die  Königin  Ägyptens 
ihre  Feinde  schlagen.  Denn  auch  die  Flotte,  auf  deren  Größe  und 
Zahl  Antonius  pochte,  war  der  Caesars  in  keiner  Weise  gewachsen. 
Agrippas  bildsamer  Geist,  durch  die  Erfahrungen  der  Kämpfe  in 
den  Gewässern  Siciliens  belehrt,  sah  gerade  in  der  Schnelligkeit 
und  leichten  Bauart  seiner  Trieren  und  Liburnen  nach  echter 
Seemannsweise  den  sicheren  Erfolg  gegen  die  Kolosse  von  8  und 
IG  Ruderbänken,  die  Antonius  für  unangreifbar  hielt.  Nicht 
minder  überlegen  waren  die  Seeleute  des  Agrippa,  die  in  dem 
langen  Kriege  mit  Pompeius  die  vollkommenste  Schulung  ge- 
wonnen hatten,  den  Ruderknechten  des  Antonius,  die  in  dem 
trägen  Zuwarten  an  den  Küsten  des  Peloponnes  verkamen  und  zu 
Tausenden  dahinstarben,  sodaß  in  der  Stunde  der  Entscheidung 
der  dritte  Teil    der  Bemannung    fehlte.    Denn    immer    erwartete 


14-  Actium 


153 


Antonius,  auch  als  er  den  Sitz  seiner  Untätigkeit  nach  Patrae 
an  die  Nordküste  des  Peloponnes  verlegte,  die  eigene  Ent- 
schließung vom  Handeln  des  Gegners.  Er  sah  es  ohne  Gegen- 
wehr, daß  Agrippa  Corcyra  besetzte,  seine  Schiffe  die  Küsten 
des  Peloponnes  beunruhigten  und  den  wichtigsten  Stützpunkt  in 
Messenien,  Mothon,  verbrannten. 

Erst  als  Caesars  Landheer  am  Nordufer  des  ambracischen 
Golfes  erschien  und  die  Flotte,  von  Brundisium  heranfahrend,  bei 
Actium  sich  mit  dem  Heere  vereinigte,  erkannte  Antonius  ein 
Ziel,  den  persönlichen  Feind,  und  setzte  seine  Massen  zu  Wasser 
und  zu  Land  gegen  Actium  in  Bewegung.  Der  Eingang  in  den 
Golf,  den  ein  Geschwader  während  des  Winters  befestigt  hatte, 
war  in  seiner  Gewalt,  sodaß  er  am  Nordufer  den  Höhen,  die 
Caesar  besetzt  hielt,  gegenüber  ein  Truppenlager  errichten  konnte. 
Caesar  sah  ruhig,  wie  der  Feind  sich  in  einer  Stellung,  die  für 
den  Angriff  wie  für  die  Verteidigung  gleich  ungünstig  war,  fest- 
setzte, wo  er  für  seine  Verpflegung  auf  das  straßenarme,  kaum 
bewohnte  Mittelgriechenland  angewiesen  blieb.  Antonius  empfand 
die  Ungunst  seiner  Stellung  bald,  als  Agrippa  ihm  zuerst  Leucas 
im  Süden  von  Actium  entriß  und  dann  nach  einem  Siege,  den  er 
im  korinthischen  Golfe  über  Gaius  Nasidius  erfocht,  auch  Patrae 
nahm,  wo  die  Flotte  des  Antonius  ihren  Hauptstützpunkt  und 
Stapelplatz  besaß.  Später  fiel  selbst  der  wichtigste  Hafen  Grie- 
chenlands, Korinth.  Nicht  besser  erging  es  Antonius  im  Land- 
kriege. Die  hochgerühmte  asiatische  Reiterei,  die  Antonius  um 
den  Golf  von  Ambracia  in  weiten  Bogen  gegen  Caesars  Lager  vor- 
zuschicken pflegte,  erlitt  durch  Statilius  Taurus  eine  vollständige 
Niederlage.  Der  Abfall  der  vornehmen  Römer  seiner  Umgebung, 
den  bereits  in  Athen  der  aufreizende  Hohn  Cleopatras  hervor- 
gerufen hatte,  begann  von  neuem,  auch  der  schwerkranke  Domi- 
tius  verließ  ihn,  gefolgt  von  Philadelphus,  dem  König  der  Pa- 
phlagonen.  Schon  begegnete  Antonius  den  Treulosen  mit  grau- 
samer Härte.  Um  die  Verpflegung  für  das  hungernde  Heer  zu 
erlangen,  gingen  Dellius  und  Amyntas  bis  nach  Macedonien 
und  Thrakien  vor,  die  unglücklichen  Bewohner  von  Phokis  wurden 
beim  Schleppen    der  Getreidelasten    zum    härtesten    Frohndienst 


IKA  Augustus 

gezwungen,  Antonius  selbst  überschritt  den  Pindus,  die  Nach- 
schübe zu  leiten,  und  doch  auch  im  Felde  nichts  als  Niederlagen, 
Sossius,  der  ein  Wachgeschwader  Caesars  bei  Actium  angriff, 
wurde  durch  Agrippas  rechtzeitiges  Eingreifen  vernichtend  ge- 
schlagen; Antonius,  der  persönlich  seine  Reiter  führte,  hatte 
keinen  besseren  Erfolg.  Das  Lager  im  Norden  des  Golfes  konnte 
gegenüber  dem  siegesbewußten  Gegner  nicht  mehr  gehalten 
werden.  Dicht  zusammengedrängt  standen  am  südlichen  Ufer 
Heer  und  Flotte,  und  selbst  der  Rückzug  war  ohne  eine  Ent- 
scheidungsschlacht nicht  mehr  zu  erzwingen.  Und  der  Abfall  im 
Heere  griff  immer  weiter  um  sich,  selbst  Amyntas  ging  zum  Feind 
über  und  Dellius,  die  Krone  aller  Schmeichler  und  der  Überläufer 
aller  Bürgerkriege. 

Die  steigende  Not  zwang  endlich  zu  einem  Entschlüsse. 
Antonius  berief  einen  Kriegsrat,  in  dem  die  mächtigste  seiner 
Bundesgenossen,  die  Königin  Ägyptens,  über  alle  anderen  erhöht, 
die  Entscheidung  geben  sollte.  Die  Frau  trat  dafür  ein,  die  Ent- 
scheidung in  einer  Seeschlacht  zu  suchen,  gewiß  in  ehrlicher 
Meinung.  Denn  auch  Antonius  konnte  nicht  verkennen,  daß  sein 
Landheer  eine  Schlacht  nicht  erzwingen  konnte,  selbst  wenn  der 
Sieg  gegen  die  Veteranen  Caesars  minder  unsicher  erschienen 
wäre.  Aber  die  mächtige  Flotte  bot  doch  immer  die  Bürgschaft, 
den  Weg  auf  das  freie  Meer  zu  erkämpfen. 

Auch  nachdem  Antonius  seine  unbrauchbar  gewordenen 
Schiffe  verbrannt  hatte,  sperrten  die  gewaltigen  Acht-  und  Zehn- 
ruderer wie  mit  einem  Walle  den  Eingang  in  den  Golf,  sodaß 
die  Flotte  der  Ägypter,  als  zweites  Treffen  geordnet,  den  Rück- 
halt bildete.  Drei  Tage  harrten  die  Schiffe,  mit  tausenden  und 
abertausenden  von  Decksoldaten  besetzt,  des  Zeichens  zur 
Schlacht,  die  zu  liefern   der  heftige  Wellengang  hinderte. 

Endlich  am  2.  September  des  Jahres  31  sollten  die  Flotten, 
die  sich  so  lange  im  Auge  gehabt  hatten,  bei  ruhigem  Meere 
den  Kampf  ausfechten,  der  auf  zwei  Jahrhunderte  hinaus  über  die 
Vorherrschaft  des  Westens  im  Reiche  der  Römer  entschied. 
Agrippa  hatte  seine  leichtgebauten,  beweglichen  Schiffe  in  einem 
Halbkreise,    dem  Eingang  des  Golfes  gegenüber,    auf  hoher  See 


14-  Actium  I  e  c 

geordnet,  einen  Angriff  auf  die  unzerreißbare  Linie  des  Gegners 
vermeidend.  Endlich  um  die  Mittagsstunde  begann  sich  der 
Wall  der  Schiffe  am  Eingang  des  Golfes  zu  lösen.  Der  linke 
Flügel  unter  Sossius  Befehle,  von  günstigem  Fahrwind  getrieben, 
bewegte  sich  gegen  die  Trieren,  die  Caesar  führte,  den  langsam 
Weichenden  immer  weiter  auf  die  hohe  See  folgend,  bis  Caesar 
zum  Angriff  überging.  Als  an  den  unzerbrechlichen  Schiffs- 
wänden der  Gegner  die  Rammsporne  wirkungslos  zersplitterten, 
umdrängten  die  Trieren  die  wie  Türme  ragenden  Colosse  und 
bekämpften  sie  Bord  an  Bord  mit  einem  Hagel  von  Geschossen, 
die  sie  gegen  das  Deck  der  Verteidiger  emporsandten.  Schon 
drohte  Agrippa  mit  dem  linkel  Flügel  die  vorgedrungenen  Schiffe 
des  Antonius  zu  umfassen,  als  ihm  Gellius  Poplicola  mit  dem 
rechten  Geschwader  des  Antonius  entgegentrat.  Auch  er  war 
bald  mitten  im  Kampfe  mit  dem  Geschwader  des  Arruntius 
verwickelt. 

Die  Flotte  der  Ägypter,  60  Segel,  stand  in  der  Mündung  des 
Golfes,  und  Cleopatra  sah  den  gewollten,  männermordenden  See- 
kampf, von  dessen  Herrlichkeit  sie  so  lange  geträumt  hatte,  mit 
entsetzten  Augen.  Da  faßte  sie  sinnbetörende  Angst.  Noch  lag 
das  freie  Meer  vor  ihr,  noch  sah  sie  die  Hoffnung,  dem  gräß- 
lichsten Tode  der  Wellen  zu  entrinnen,  und  gab  den  Ihren  das 
Zeichen  zur  Flucht,  hinaus  in  die  rettende  Ferne.  Als  Antonius 
das  Purpursegel  der  Geliebten  entschwinden  sah,  da  senkte  sich 
die  Nacht  des  Wahnsinns,  die  ihn  schon  lange  umdüsterte,  über 
ihn  nieder.  Er  vergaß  Ehre  und  Pflicht,  vergaß  die  Treue  für 
die  Tapferen,  die  um  ihn  kämpften  und  starben,  den  gellenden 
Hohn  seiner  Feinde  und  folgte  den  Spuren  des  Weibes,  dessen 
Truggestalt  ihn  in  diesen  letzten  Abgrund  der  Selbstvernichtung 
nach  sich  zog.  Bei  Actium  wütete  der  sinnlos  gewordene  Kampf 
mit  ungeschwächter  Kraft  bis  in  die  Abendstunden.  Als  die  Zer- 
störung der  Ruderreihen  und  die  rückkehrende  Meeresströmung 
die  Colosse  des  Gegners  wohl  unbeweglich  gemacht,  aber  den 
Widerstand  noch  immer  nicht  gebrochen  hatte,  ließ  Agrippa  sie 
durch  Brandpfeile  in  Flammen  setzen.  Auch  dann  noch  rangen 
die  Kämpfer  verzweifelt,  das  Feuer  zu  nähren  und  zu  ersticken 


ic5  Augustus 

bemüht,  sich  gegenseitig  mit  allen  Waffen  zerfleischend.  Das 
Landheer  des  Antonius,  19  Legionen  stark,  hatte  dem  Untergang 
der  Flotte  vom  Ufer  als  Zuschauer  angewohnt.  Die  Aufforderung 
Caesars,  sich  zu  ergeben,  zurückweisend,  hielten  sie,  auch  als 
die  Flucht  des  Feldherrn  Antonius  offenbar  war,  noch  zusammen 
und  versuchten  nach  Macedoni^n  zurückzugehen,  bis  sie  endlich 
am  siebenten  Tage,  von  allen  ihren  Offizieren  verlassen,  ihr 
Schicksal  über  sich  ergehen  ließen. 

Seit  den  Tagen  Alexander  des  Großen,  der  in  seinen  Taten 
und  in  seinem  Wirken  das  unerreichbare  Vorbild  aller  Herrscher 
geblieben  war,  erbte  sich  die  Sitte  fort,  die  Gründung  eines 
neuen  Reiches  durch  die  Erbauung  einer  Stadt  zu  krönen,  die 
unter  Menschen  dem  entscheidenden  Sieg  ewiges  Gedächtnis 
sicherte.  Keine  Stadt  trug  mit  besserem  Rechte  den  Namen 
Nicopolis  als  die  Stadt,  die  auf  Caesars  Geheiß  sich  an  der  Stelle 
seines  Lagers  auf  der  Halbinsel,  gegenüber  dem  altehrwürdigen 
Heiligtum  des  Apollo  von  Actium,  im  Norden  des  ambracischen 
Golfes  erhob.  Wurde  sie  doch  das  Wahrzeichen  alles  dessen, 
was  der  große  Herrscher  plante  und  im  Laufe  eines  an  kraft- 
vollem Wirken  unerreichten  Lebens  auch  erfüllte.  An  der  Grenze 
des  Westens  und  Ostens  stand  diese  Stadt,  berufen  zu  glänzen 
und  zu  blühen,  solange  der  Geist  des  Herrschers,  der  sie  ge- 
schaffen, die  Tugenden  des  Volkes,  die  er  verkörperte,  das  Reich 
der  Römer  bestimmten.  Dem  griechischen  Gotte  zu  Ehren,  dessen 
Lichtgestalt  in  diesem  Kampfe  für  die  Römer,  die  wahren  Erben 
der  Griechen,  gegen  den  griechischen  Schein  des  Ostens  gestritten 
hatte,  sollte  die  Erinnerung  an  den  herrlichen  Sieg  in  jedem 
vierten  Jahre  nach  griechischer  Weise  mit  musischen  und  gym- 
nischen  Agonen  begangen  werden.  In  seinem  Heiligtume  weihte 
Caesar  die  erbeuteten  Schiffe,  deren  Schnäbel  im  Lager  des 
Siegers  den  marmornen  Sockel  am  Bilde  des  Gottes  schmückten. 
Die  Bewohner  der  Stadt,  Griechen  des  benachbarten  Acarnaniens, 
deren  Schutzgott  der  Apollo  von  Actium  war,  wurden  ein  Glied 
der  uralten  Vereinigung  griechischer  Stämme  zur  Verehrung 
des  Pythonsiegers  in  Delphi,  die  einst  die  ersten  Satzungen 
friedlichen  Rechtes   unter   streitenden  Völkern   schufen,   wie   der 


14-  Actium  1  '\7 

Friedensfürst,  der  die  neue  Stadt  geschaffen,  jahrzehntelangen 
Kampf  der  Völker  des  Mittelmeerreiches  für  immer  beruhigte. 

Auf  dem  letzten  Schlachtfelde  der  Bürgerkriege  wurde  das 
Heer  zum  Werkzeug  umgebildet,  den  Frieden  des  Reiches  zu 
schützen.  Nachdem  Caesar  auch  die  Besiegten  in  die  Reihen 
seines  Heeres  aufgenommen  hatte,  wurden  alle,  die  Anspruch 
erworben  auf  Entlassung  und  Belohnung,  nach  Italien  zurück- 
gesendet, um  hier  nach  der  Rückkehr  Caesars  aus  dem  Osten 
durch  die  Beute  Ägyptens  befriedigt  zu  werden.  Jene  7  Legionen, 
die  so  ruhmreich  im  Partherkriege  des  Antonius  gefochten  hatten, 
wurden  bestimmt,  das  Heer  des  Orients  zu  bilden.  Zum  Schutze 
des  Westens  erwählte  Caesar  die  Legionen,  die  einst  unter  dem 
Dictator  Gallien  unterworfen  und  die  Heere  des  Senates  besiegt 
hatten.  Über  allen  diesen  Legionen  waltete  Venus  Genetrix,  die 
Ahnherrin  seines  Hauses  und  die  Siegesgöttin  des  größten  Juliers. 
Denn  sie  trugen  das  Zeichen  des  Tierkreises,  den  Stier,  in  ihren 
Fahnen,  als  Erinnerung,  daß  sie  in  der  Stunde  geboren  wurden, 
da  der  Stern  der  Venus  herrschend  am  Himmel  leuchtete.  Unter 
dem  Schutze  desselben  Gestirnes  standen  auch  die  spanischen 
und  gallischen  Reiter,  deren  Geschwader  die  Namen  der  alten 
Obersten,  die  sie  unter  dem  Dictator  glorreich  geführt  hatten, 
zum  dauernden  Gedächtnis  führten.  So  strahlte  nach  dem  Schick- 
salsglauben Caesars  das  Sidus  Julium  siegbedeutend  für  immer 
über  dem  Heere  der  Kaiser.  Die  Veteranen  der  caesarischen 
Legionen  des  Antonius  erhielten  ihre  Heimat  in  Patrae,  dann 
in  den  Städten  Kleinasiens,  Apameia,  Alexandria  Troas,  Antio- 
chia  Pisidiae. 

Dann  brach  Caesar  nach  dem  Osten  auf,  um  an  den  Schul- 
digen in  Alexandria  ein  letztes  Gericht  zu  vollziehen.  Die  Ver- 
ehiung  für  die  Größe  attischen  Geistes  ließ  Caesar  in  Athen  die 
Weihen  der  Eleusinien  nehmen,  die  die  friedliche  Wiedergeburt 
des  griechischen  Ostens  vorbedeuteten.  Das  hungernde  Griechen- 
land erhielt  aus  den  Speichern  des  Antonius  wieder  zurück,  was 
ihm  für  den  Krieg  war  abgepreßt  worden.  Im  Winter  verweilte 
Caesar  auf  dem  herrlichen  Samos,  mit  der  Neuordnung  Klein- 
asiens beschäftigt,  durch  rohe  Willkür  zerstörtes  Recht  wieder- 


1^3  Augustus 

aufbauend,  als  ihn  die  Nachrichten  von  den  Unruhen  im  Heere 
nach  Italien  riefen.  Denn  Maecenas  und  Agrippa,  die  in  seinem 
Namen  mit  unumschränkter  Gewalt  schalteten,  hatten  die  Auf- 
lehnung des  Heeres  nicht  zu  bändigen  vermocht.  Nach  einer 
gefahrvollen  Fahrt  auf  dem  stürmischen  Meere  landete  Caesar 
in  Brundisium,  wo  die  Magistrate,  der  Senat  und  die  Ritterschaft 
den  Herrscher  erwarteten.  Was  nach  Philippi  versprochen  und 
nie  erfüllt  worden  war,  jetzt  bei  der  neuen  Landaufteilung  zu 
erfüllen,  hatte  Caesar  Mittel  und  Macht.  Die  Bewohner  der 
Städte,  die  in  früheren  Zeiten  zu  Antonius  gestanden  hatten, 
erhielten  für  das  den  Veteranen  zugesprochene  Land  neuen  Grund- 
besitz in  Dyrrachium  und  Philippi,  die  anderen  wurden  mit  Geld 
entschädigt,  wofür  Caesar  hunderte  von  Millionen  verwendete. 
Diese  Forderung  im  Augenblicke  zu  erfüllen,  war  unmöglich. 
Aber  das  Versprechen  beruhigte  Italien  und  das  Heer,  als  Caesar 
seine  und  seiner  Freunde  Güter  zum  Verkauf  anbot.  Jetzt  hatte 
Caesar,  da  sein  Wille  frei  gebot,  die  Landaufteilung,  an  der  er 
im  Jahre  des  perusinischen  Krieges  hatte  scheitern  müssen,  in 
wenigen  Wochen,  getragen  von  der  Liebe  und  dem  Vertrauen 
Italiens,  gelöst. 

Die  Nachricht  von  seiner  Rückkehr  nach  Samos  erreichte  das 
Paar  in  Alexandria,  ehe  sie  noch  um  seine  Ausfahrt  gewußt 
hatten,  sodaß  ihnen  diese  neue  Frist,  die  ihren  Untergang  hin- 
ausgeschoben hatte,  keinen  Trost  gewährte.  Rasch  hatte  Anto- 
nius bei  Actium  das  fliehende  Schiff  Cleopatras  eingeholt,  das 
ihn  denn  auch  an  Bord  nahm.  Erst  nach  drei  Tagen  der  Fahrt 
gelang  es  geschäftigen  Dienerinnen,  die  Verzweifelten  zu  ver- 
söhnen. Auf  der  Höhe  von  Alexandria  trennten  sie  sich,  An- 
tonius ging,  um  das  Heer  aus  der  Cyrenaica  herbeizuholen,  wäh- 
rend Cleopatra  mit  bekränzten  Schiffen  unter  Siegesklängen  in 
den  Hafen  einfuhr,  nach  ihrer  Landung  durch  Hinrichtungen  und 
Plünderungen  ihre  Schätze  für  den  Feind  vermehrend.  Da  sie 
Caesar  nicht  köpfen  konnte,  köpfte  sie  den  unglücklichen  König 
von  Armenien,  Antonius  Boten  an  Pinarius  Scarpus,  der  das 
Heer  in  der  Cyrenaica  befehligte,  waren  statt  aller  Antwort  hin- 
gerichtet worden.    Um  eine  neue  Niederlage  reicher,  kehrte  An- 


14.  Actium 


159 


tonius  nach  Alexandrien  zurück.  Von  all  dem  Liebesrausche 
war  nichts  geblieben  als  die  ekle  Hefe,  und  doch  auch  sie  mußte 
bis  zur  bitteren  Neige  geleert  werden.  Aus  den  Künstlern  des 
Lebens  waren  die  Künstler  des  gemeinsamen  Sterbens  geworden, 
die  in  schwarzen  Gewändern  unter  sinnlos  schaurigen  Ceremonien 
dem  Tode  entgegenjubeln  wollten.  Aber  auch  dieses  unterhöhlte 
Geprahle  tat  Antonius  kein  Genüge,  der  in  seinen  dunkelsten 
Stunden  auf  das  Märlein  von  Timon  dem  Athener  verfiel  und 
am  einsamen  Meeresstrande  in  einer  nach  eigener  Wahl  ausge- 
statteten Timonsburg  ganz  nach  Gefallen,  des  Hasses  aller 
Menschen  würdig,  seinem  Menschenhasse  leben  konnte.  Dann 
gedachte  er  wieder  mit  seiner  Geliebten  und  allen  Schätzen  auf 
dem  Meere  nach  dem  glücklichen  Arabien  oder,  denn  die  Grenzen 
der  römischen  Welt  waren  enge,  nach  dem  fernen  Spanien  zu 
entfliehen.  Aber  die  Schiffe  im  roten  Meere  verbrannten  Araber 
auf  Geheiß  von  Caesars  Statthalter  in  Syrien,  und  das  Heer  des 
Pinarius  Scarpus  führte  der  Abgesandte  Caesars,  Cornelius  Gallus, 
nach  Paraetonium  an  die  Westgrenze  Aegyptens.  So  wurde  Anto- 
nius wieder  aus  Timon  der  Feldherr  und  brach  mit  Heer  und 
Flotte  auf,  die  Legionen  in  Paraetonium  zum  Gehorsam  zu  zwin- 
gen. Doch  die  Worte  des  Redekünstlers,  welche,  die  Abgefal- 
lenen gewinnen  sollten,  wurden  vor  den  Mauern  Paraetoniums 
von  dem  Schalle  der  Kriegshörner  des  Pinarius  Scarpus  erstickt, 
und  seine  Flotte  verfing  sich  bei  dem  Versuche,  in  den  Hafen 
einzudringen,  in  die  sperrenden  Ketten  der  Einfahrt  und  fiel  den 
Feinden  in  die  Hände.  Immer  näher  rückte  Caesar  durch  Syrien 
heran.  So  begannen  Antonius  offen,  Cleopatra  im  Geheimen 
mit  Caesar  zu  unterhandeln,  beide  nur  mehr  mit  großen  Worten 
oder  listigen  Ratschlägen  um  ihr  Leben  bettelnd. 

Da  öffnete  auch  Pelusium,  das  unbezwingliche,  Caesar  die 
Tore,  Ein  leichtgewonnener  Sieg  über  die  wegmüden  Reiter 
Caesars  überzeugte  Antonius,  daß  seine  alte  Siegeskraft  ihn  noch 
nicht  verlassen  hatte.  So  forderte  er  jetzt  Caesar  zum  Zweikampf 
heraus,  als  gälte  es,  über  den  Besitz  der  neuen  Helena  wie  in  den 
Tagen  des  Menelaos  zu  entscheiden,  und  erhielt  die  höfliche  Be- 
lehrung,  es  gebe  für  ihn   noch  andere   Wege   zum  Tode.    Noch 


1 6o  Augustus 

30  V.  Chr.  einmal  führte  er  am  i.  August  Landheer  und  Flotte  Caesar  vor 
den  Toren  Alexandrias  entgegen,  in  einem  goldenen  Theater- 
panzer aus  der  Rüstkammer  der  Ptolemaeer  an  der  Spitze  einher- 
reitend.  Die  Flotte  ging  auf  Cleopatras  Weisung  mit  erhobenen 
Rudern  zu  Caesar  über,  ihrem  Beispiel  folgte  die  eben  noch  so 
siegreiche  Reiterei,  nur  das  Landheer  hatte  den  Mut,  sich  schlagen 
zu  lassen.  Vom  Kampfplatze  flüchtete  Antonius  in  die  Königs- 
burg, wo  ihn  der  Jammerruf  empfing,  die  edle  Cleopatra  sei 
ihm  in  den  Tod  vorangegangen,  ein  Zeichen,  daß  auch  er  dem 
Richter  sich  entziehen  müsse.  Schon  war  Antonius,  von  eigener 
Hand  zum  Tode  verwundet,  zusammengebrochen,  als  ihm  die 
trostreiche  Kunde  wurde,  die  Geliebte  lebe  noch  im  Grabmale, 
das  sie  beiden  erbaut  hatte,  wohlgeborgen.  In  ihren  Armen  zu 
sterben,  war  sein  letzter  Gedanke.  Nur  ließ  sich  die  Tür  des 
Grabmals  nicht  öffnen.  An  Seilen  auf  das  Dach  hinaufgewunden, 
hat  er  in  dem  Schöße  Cleopatras,  die  der  Lärm  hinaufgelockt 
hatte  und  die  nun  bei  dem  gräßlichen  Anblicke  wirklich  erschrak, 
sein  Leben  ausgehaucht.  Mit  dem  wilden  Wehklagen  orienta- 
lischer Weiber  betrauerte  sie  den  Toten  und  war  nach  ägyptischer 
Weise  bemüht,  den  Leib  der  Verwesung  zu  entziehen.  Caesar, 
als  Sieger  in  Alexandria  einziehend,  sah  die  Leiche  des  Feindes. 
Er  ahnte  nicht,  daß  sein  Blut  in  den  Enkeln  und  Enkelkindern, 
die  der  fluchwürdigen  Ehe  mit  Octavia  entsprangen,  wie  ein 
Rachegeist  Wahnsinn  und  Zerstörung  zeugen  würde. 

Alles  hatte  Cleopatra  getan,  um  Caesar  zu  überzeugen,  daß 
nur  die  Angst  vor  der  Raserei  des  Antonius  sie  an  seiner  Seite 
festgehalten  hatte.  Aber  die  Furcht  hatte  sie  nie  verlassen,  daß 
der  Mann,  der  sie  einst  als  Knabe  aus  dem  kosigen  Pfühle,  von 
dem  sie  auf  das  beherrschte  Rom  ihres  Geliebten  niedergeblickt, 
verscheucht  hatte,  jetzt  nahe,  unerbittlich  wie  das  Schicksal, 
Rechenschaft  von  ihr  zu  fordern  für  ein  Leben  von  Sünde  und 
Schande.  Da  erschien  Proculeius,  des  Maecenas  Schwager,  der 
glatteste  aller  Höflinge,  und  erzwang  den  Eintritt  in  das  Grabmal. 
Er  überzeugte  sie  von  der  Gnade  des  Siegers  und  wußte  sie  in 
Sicherheit  zu  wiegen.  Neues  Hoffen  begann  ihr  unersättlich  eitles 
Herz    zu    schwellen,    daß    es    ihr   noch    gelingen    könne,     Caesar 


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14.  Actium  jg  j 

selbst  zu  berücken.  Sie  umgab  sich  mit  den  Geschenken  und 
Zeichen  der  Liebe  des  Dictators  und  hüllte  sich  in  ein  Gewand 
der  Trauer,  die  ihre  Züge,  die  Herrschsucht  und  Habsucht  ge- 
zeichnet hatten,  milder  und  weicher  erscheinen  ließ.  Mit  Seufzern 
und  Klagen,  Tränen  und  Flehen  empfing  sie  und  bestürmte  sie 
Caesar.  Er  sah  ungerührt  auf  das  Spiel,  in  dem  sich  die  vergan- 
gene Torheit  der  Jugend  mit  der  herberen  Torheit  des  gefürch- 
teten Alters  mischte,  und  versicherte  ihr  huldvoll  beim  Scheiden, 
daß  ihrem  Leben  keine  Gefahr  drohe.  Aber  schärfer  und  schärfer 
fand  sie  sich  von  Proculeius  bewacht,  der  sie  mit  ihren  eigenen 
Schmeichelkünsten  umgarnt  hatte.  Sie  sah  keinen  Weg  zur 
Rettung  mehr  vor  dem  Schicksal,  in  den  Straßen  Roms  vor 
dem  Siegeswagen  Caesars  einherschreitend,  Buße  zu  tun  für  die 
Schmach  des  römischen  Volkes.  Da  ergriff  sie  die  wahnsinnige 
Angst  der  Dirne  vor  dem  Gräßlichsten,  nackten  Leibes  Pranger 
zu  stehen  dem  Hohne  der  Menge,  und  sie  beschloß,  zu  sterben. 
Lange  schon  hatte  sie  die  Wirkung  der  Gifte  an  dem  willen- 
losen Leibe  ihrer  Dienerinnen  versucht  und  die  sanfteste  Art 
des  Todes  erprobt.  Sie  starb  an  dem  Bisse  der  Viper  oder  an 
dem  Gifte,  das  eine  Nadel  in  die  Wunde  träufelte,  noch  im 
Sterben  triumphierend,  daß  selbst  die  Hand  des  Todes  ihre 
Schönheit  nicht  berührte. 

Das  letzte  Schicksal  der  Liebenden  entläßt  uns  nicht  unge- 
rührt. Denn  über  das  Gemeine  erhebt  den  römischen  Mann  und 
die  Frau  des  Ostens  unser  Bewußtsein,  daß  die  Schuld  vieler 
Geschlechter,  in  ihnen  zu  weltbedeutender  Größe  gesteigert,  die 
holde  Täuschung,  an  die  wir  alle  glauben,  zu  verderblichem 
Wahnsinn  werden  ließ. 

Caesar  ließ  die  Leichen  des  Antonius  und  der  Cleopatra  in 
dem  Grabmal,  das  sie  sich  selbst  erbaut  hatten,  bestatten.  Aber 
unversöhnt  selbst  durch  den  Tod  befahl  er  den  unglücklichen 
Knaben  Antyllus,  den  Sohn  Fulvias,  und  jenen  Caesarion  hinzu- 
richten, weil  die  Eltern  sie  mit  der  Krone  Ägyptens  geschmückt 
hatten.  Wie  nach  der  Schlacht  von  Actium  ließ  er  auch  jetzt 
jene  Römer,  die  als  willfährige  Knechte  der  Ägypterin  den 
Haß    gegen    ihn    geschürt   hatten,    ohne   Gnade    sterben.    Ausge- 

Doroaszewski.    I.  II 


1 5  2  Augustus 

tilgt  bis  zum  letzten  wurden  auch,  die  den  Mord  Caesars  gewagt 
hatten.  Von  dem  frevelhaften  Adel  Roms  waren  die  kühnsten 
Verfechter  der  Rechte  des  Senates,  die  zuletzt  zu  der  Fahne  des 
Antonius  geschworen  hatten,  durch  den  Bürgerkrieg  weggemäht 
worden. 

Der  Tag  der  Einnahme  von  Alexandria  blieb  in  dauerndem 
Gedächtnis,  als  der  Tag,  an  welchem  der  Bürgerkrieg  für  immer 
von  dem  Erdkreis  der  Römer  gebannt  wurde;  eine  zweite  Sieges- 
stadt wurde  auf  dem  Schlachtfelde  erbaut,  in  deren  Nähe  das 
Lager  der  Legion  Alexandrias  stand. 

Die  Sorge  Caesars  war  es,  in  den  nächsten  Monaten  Ägypten, 
das  unter  den  22  Jahren  der  Regierung  Cleopatras  am  meisten 
gelitten  hatte,  eine  dauernde  Verwaltung  zu  geben.  Das  Land 
war  im  Laufe  einer  langen  Geschichte  völlig  zu  einem  riesigen 
Landgute  der  Könige  geworden  und  unterschied  sich  in  allen 
Stücken  von  den  Provinzen  des  römischen  Volkes,  deren  Gemein- 
wesen unter  der  Leitung  der  Statthalter  des  Senates  sich  selbst 
verwalteten.  Sollte  dieses  Reich  dennoch  in  den  Staat  der  Römer 
eintreten,  so  war  es  unerläßlich,  es  wieder  der  fürsorglichen,  alles 
bestimmenden  Hand  eines  einzigen  Herrschers  anzuvertrauen. 
Aber  Ägypten,  so  reich  an  Hilfsmitteln,  so  abgeschlossen  durch 
seine  Lage,  von  einer  stets  zu  Unruhen  neigenden  Bevölkerung 
bewohnt,  konnte  unter  einem  Statthalter  mit  königlicher  Gewalt 
eine  Gefahr  werden  für  den  Alleinherrscher  in  Rom.  Deshalb 
beschloß  Caesar,  den  neuen  König  Ägyptens  nicht  den  Reihen 
des  Senates  zu  entnehmen,  der  die  Herrschaft  des  Juliers  in  Rom 
als  eine  Anmaßung  empfand,  sondern  verbot  den  Senatoren  sogar, 
Ägypten  ohne  seine  Erlaubnis  zu  betreten.  Er  selbst  trat  an  die 
Stelle  der  Könige  Ägyptens  und  ließ  das  Land  durch  einen 
Vertreter  verwalten.  Hier  in  der  Wahl  dieses  Stellvertreters 
tritt  zum  erstenmale  ein  Grundsatz  der  Verwaltung  hervor,  der 
ein  Pfeiler  der  neuen  Staatsordnung  werden  sollte.  Gleich  dem 
Präfekten  für  Ägypten  wurden  alle  jene  Reichsbeamten,  die  der 
Kaiser  als  in  seinen  persönlichen  Diensten  stehend  betrachtete, 
dem  zweiten  Stande,  den  römischen  Rittern,  entnommen. 

Der  Präfekt  für  Ägypten  erhielt  durch  ein  Gesetz  die  Rechte 


14.  Actium  i5t 

eines  Beamten  des  römischen  Volkes  in  der  Gerichtsbarkeit  und 
in  der  Heerführung.  Demselben  Stande  entnahm  Caesar  auch 
die  Unterbeamten,  die  den  Präfekten  in  seiner  Verwaltung  des 
Landes  unterstützen  sollten.  So  die  Präfekten  der  drei  Legionen 
Ägyptens  und  die  obersten  Richter  in  den  verkehrsreichen  Häfen 
Alexandria  und  Pelusium,  die  zunächst  für  die  Rechtspflege 
unter  römischen  Bürgern  bestimmt  waren.  Dann  den  Beamten, 
der  die  eigenen  Rechnungen  des  Kaisers  führte.  Er  stand  an 
der  Spitze  der  weitgedehnten  Domänen  und  der  Steuern,  die  für 
die  Hofhaltung  der  Könige  gedient  hatten.  Endlich  die  Epistra- 
tegen,  die  drei  Bezirke  regierten,  zu  denen  die  Gaue  des  Landes 
zusanmiengefaßt  wurden.  Zu  den  höheren  Stellungen  berief 
der  Kaiser  nur  solche  Männer,  die  ihr  Leben  in  seinen  Diensten 
als  Offiziere  der  Legionen  verbracht  hatten.  Zuletzt  als  Oberste 
seiner  Leibwache  bewährt,  fanden  sie  in  diesen  hochbezahlten 
Ämtern  den  Lohn  für  ihre  Treue. 

Die  Verwaltung  Ägyptens  blieb  die  eines  Landes  von  Dör- 
fern, und  selbst  das  stolze  Alexandria  verlor  seine  städtische  Ver- 
fassung. Ohne  das  Recht  der  Selbstbestimmung  unterstand  diese 
erste  Handelsstadt  des  Reiches  der  Gerechtigkeit  oder  Willkür 
seines  obersten  Richters  und  seines  Polizeimeisters.  Für  das 
Gedeihen  des  Landes,  wie  es  die  Fluten  des  Nil  durch  ihren 
Segen  hervorriefen,  sorgte  Caesar,  indem  er  die  Deiche  und 
Kanäle  durch  die  im  Frieden  müßige  Kraft  der  Soldaten  neu 
instand  setzen  ließ  und  die  Steuererhebung  mit  den  allgemeinen 
Grundsätzen  römischer  Verwaltung  in  Einklang  brachte.  Er 
selbst  besuchte  die  Hauptorte  jener  Gaubezirke  und  erfreute  sich 
an  den  alten  Wunderbauten,  wenn  er  auch  weder  die  lebenden 
heiligen  Stiere  noch  die  toten  Ptolemäer  zu  sehen  wünschte. 

Im  Herbste  durch  Syrien  und  Kleinasien  zurückkehrend, 
verschob  er  es  auf  spätere  Tage,  für  die  Niederlage  des  Crassus 
von  den  Parthern  Genugtuung  zu  fordern.  Denn  der  Sieg  über 
Antonius  war  für  die  Parther  eine  Quelle  neuer  Wirren  geworden. 
Phraates  grausame  Härte  richtete  sich  gegen  jene,  die  mit  den 
Römern  in  Beziehung  getreten  waren,  und  trieb  seine  Edeln 
zum  Aufstande.  Vor  einem  Gegenkönig  Tiridates  fliehend,  suchte 


j  64  .  Augustus 

Phraates  bei  den  Scythen  Schutz  und  gewann  mit  Hülfe  dieser 
stets  nach  Krieg  und  Raub  lüsternen  Reiter  Turkestans  das 
verlorene  Reich  zurück.  Tiridates,  ein  Vertriebener,  fand  später 
bei  den  Römern  in  Syrien  eine  Freistatt.  So  diente  er  Caesar  als 
ein  Werkzeug,  den  unruhigen  König  der  Parther  im  Zaume  zu 
halten. 

Von  der  Tätigkeit,  die  der  Kaiser  den  Winter  über  in  Klein- 
asien entfaltete,  kennen  wir  nur  den  krönenden,  politischen  Ge- 
danken, Schon  die  Proconsuln  des  Senates  hatten  in  den  Pro- 
vinzen des  Ostens,  über  die  sie  mit  königlicher  Gewalt  schalteten, 
die  göttlichen  Ehren  der  Könige  von  ihren  Untertanen  entgegen- 
genommen. Auch  der  Senat,  der  so  eifersüchtig  darüber  wachte, 
daß  kein  Glied  des  herrschenden  Adels  sich  über  seine  Reihen 
erhob,  hatte  in  Fällen  wahren  Verdienstes  um  das  Wohl  der 
Provinzen  solche  Ehren  gebilligt.  So  unlösbar  waren  im  Osten 
Herrschaft  und  Göttlichkeit  zu  einem  Gedanken  verbunden.  Des- 
halb ließ  es  Caesar  geschehen,  daß  in  Pergamon  und  Nikomedia 
die  Landtage  der  Provinzen  Asien  und  Bithynien  Tempel  erbauten 
für  die  Verehrung  der  Göttin  Roma  und  des  Caesar.  Nach 
griechischer  Art  beging  man  festliche  Spiele  zu  Ehren  dieser 
Götter.  Gerade  darin  knüpfte  Caesar  das  Band  fester,  das  alle 
griechisch  sprechenden  Völker  des  Reiches  in  der  gemeinsamen 
Cultur  vereinigte.  Hatten  doch  die  Griechen  nie  eine  andere 
Einheit  gekannt  als  jene  großen  Götterfeste,  an  welchen  das 
ganze  Volk  die  künstlerische  Durchbildung  des  Geistes  und  des 
Körpers  im  Wetteifer  um  die  Ruhmeskränze  der  Gottheiten  be- 
tätigte. Diese  neuen  Feste  der  Roma  und  des  Caesar  sollten 
die  alten  der  Heimat,  ihnen  an  Ehren  gleich,  überstrahlen,  und 
auch  die  Götter  der  einzelnen  Landschaften  verblaßten  hinter 
diesen  neuen  Gottheiten  des  ganzen  Ostens.  Die  Tempel  Asiens 
erhielten  ihre  Götterbilder  wieder,  die  ihnen  Antonius  geraubt 
hatte,  um  seinen  Triumph  in  Rom  damit  zu  schmücken. 

Im  Sommer  des  Jahres  29  kehrte  Caesar  über  Griechenland 
zurück  nach  Rom.  Zum  erstenmale  seit  Jahrhunderten  schloß 
sich  wieder  der  Tempel  des  Janus  zum  Zeichen,  daß  unter  dem 
Schutze   der  römischen   Waffen   der   Friede   eingekehrt   sei   auf 


14-  Actium  l5c 

dem  Erdkreis.  Und  der  Göttin  des  Heiles  brachte  man  lang  ver- 
gessene Opfer  dar  beim  Eintritt  einer  neuen,  gnadenvollen  Zeit. 
Der  Leben  schaffende  Geist,  der  im  Herrscher  waltete,  wirkte 
auch  mit  schöpferischer  Kraft  für  den  einzelnen  Bürger  und  den 
ganzen  Staat  der  Römer.  Diesen  Genius  des  Kaisers  zwischen  den 
schützenden  Göttern  des  Hauses  zu  verehren,  wurde  in  Rom  und 
Italien  Sitte  und  bald  Gebot.  Der  Göttlichkeitsgedanke  des  Dic- 
tators  fand  hier  durch  die  Weisheit  seines  Nachfolgers  einen  irdi- 
schen Boden,  wo  er,  aus  römischem  Denken  selbst  erwachsend, 
nur  segensreich  wirkte,  die  Allgegenwart  des  milden  Herrschers 
trostreich  verkündete. 

So  war  auch  der  Geburtstag  des  Caesar,  an  dem  sein  Genius 
mit  ihm  entstanden  war,  ein  Tag  festlicher  Erhebung,  den  zu 
feiern  dem  Staate  zur  Pflicht  wurde,  wie  auch  in  jedem  vierten 
Jahre  die  Priester  der  Gemeinde  zu  den  Göttern  um  sein  Fort- 
leben beteten.  Die  Ehren,  die  Caesar  selbst  empfing,  waren 
maßvoll  wie  sein  Wesen:  daß  der  Beschützer  des  Volkes  seine 
tribunicische  Gewalt  bis  an  den  ersten  Meilenstein  erstreckte,  als 
erster  der  Bürger  den  Ehrenplatz  erhielt  bei  den  Festen  der  Ge- 
meinde, auch  auf  die  Ergänzung  der  Priesterschaft  Einfluß  nahm. 
Sein  Name  wurde  gleich  dem  des  Gründers  der  Stadt  in  dem 
Liede  der  Salier  genannt. 

Die  festliche  Freude  erhöhte  Caesar  durch  Spenden  an  das 
Volk  und  das  Heer,  durch  Ehren  seiner  getreuen  Helfer,  wie 
Agrippa  mit  der  neuen  meerblauen  Siegesfahne  geschmückt  wurde 
und  die  Senatoren,  die  in  dem  Kriege  mitgefochten,  im  Sieges- 
zuge im  Ehrenkleide  einherschreiten  sollten.  Caesar  selbst  feierte 
jetzt  am  13.  bis  15.  August  seine  Siege  über  die  Dalmater  und 
über  Cleopatra  bei  Actium  und  in  Ägypten.  Die  Kinder  Cleo- 
patras wie  andere  Fürsten  des  Ostens  erschienen  im  Zuge  und 
auch  das  goldene  Abbild  der  Königin  selbst. 


15.  Die  Begründung  des  Principates 

Caesar  war  seit  langem  entschlossen,  die  Ausnahmsgewalt  in 
eine  gesetzliche  zu  verwandeln.  Aber  noch  trug  Rom  und  Italien 
das  Brandmal  der  Bürgerkriege,  in  denen  die  Not  der  Zeit 
Tempel  und  öffentliche  Bauten,  Straßen  und  Mauern  hatte  ver- 
fallen lassen.  Sollte  der  Segen  der  Götter  von  neuem  auf  dem 
Lande  ruhen,  so  mußten  die  Stätten  ihrer  Anbetung  aus  Verfall 
und  Entehrung  zu  neuem  Glänze  erstehen,  der  Glaube  an  die 
Götter  durch  Wiederbelebung  ihrer  Verehrung  von  neuem  er- 
starken. Gläubigen  Gemütes  ging  Caesar  an  die  Wiederher- 
stellung der  Gotteshäuser.  Selbst  die  Tempel  der  großen  Götter 
des  Staates,  wie  das  Capitol,  die  Tempel  des  Quirinus  und  der 
Magna  Mater,  die  Heiligtümer  des  Jupiter  feretrius,  der  Laren, 
der  Penaten,  das  Lupercal,  bedurften  seiner  helfenden  Hand, 
neben  ihnen  82  Tempel,  deren  Namen  nicht  genannt  werden. 
Aber  auch  die  Verehrung  neuer  Gottheiten  war  in  diesen  Zeiten 
dem  römischen  Staat  zur  Pflicht  geworden,  des  Divus  Julius, 
der  als  Schutzgeist  über  seinem  Sohne  gewaltet  hatte,  und  der 
beiden  Götter,  die  seine  Vorkämpfer  gewesen  waren  in  den 
Schlachten,  die  das  Werk  des  großen  Helden  neu  begründeten. 
So  wurde  dem  Divus  Julius  auf  dem  Forum  der  Tempel  erbaut, 
dessen  Rednerbühne  die  erbeuteten  Schiffsschnäbel  der  Schlacht 
von  Actium  schmückten.  Dem  Rächergotte  von  Philippi,  dem 
Mars  ultor,  sollte  auf  dem  Forum,  das  Caesar  plante,  ein  Tempel  er- 
stehen. Apollo,  dem  Siegbringer  von  Actium,  wurde  auf  dem  Pala- 
tin  ein  Tempel  neben  dem  Hause  seines  Schützlings  Caesar  erbaut, 
zugleich  eine  Stätte  der  Musen,  deren  Geist  in  den  Bibliotheken 
griechischer  und  lateinischer  Dichter  seines  Vorhofes  waltete. 
Schon    das    nächste    Jahr    sah    die  Vollendung    dieses    ganz    aus 


15.  Die  Begründung  des  Principates  167 

Marmor  erbauten,  mit  den  herrlichsten  Kunstwerken  geschmückten 
Baues.  Andere  Tempel  erneuerten  seine  Feldherrn,  wie  Muna- 
tius  Plancus  den  Tempel  des  Saturnus  auf  dem  Forum  neu  er- 
baute; denn  der  Reichtum  der  Großen  sollte  im  edeln  Wetteifer 
dem  Schmucke  des  großen  Roms  dienen.  Damit  diese  Gottes- 
häuser auch  die  lebendige  Übung  des  Glaubens  erfüllte,  trat 
Caesar  selbst  in  die  hohen  Priesterschaften  ein,  denen  die  Für- 
sorge für  den  Dienst  der  Götter  oblag,  durch  Beispiel  und  Ernst 
langgewohnte  Gleichgültigkeit  überwindend.  Tief  befestigte  sich 
im  Laufe  seiner  langen  Herrschaft  der  Glaube  an  die  sichtbar 
waltenden  Götter  des  Staates  und  erwuchs  zu  jenem  Stolze  des 
neuen  Römertums,  das  alle  die  fremden  Götter  des  Reiches  seines 
eigenen  Adels  unwürdig  fand. 

Auch  die  Bauten  des  Staates  genügten  nicht  der  Macht  des 
neuen  Reiches  und  der  wachsenden  Volkszahl  der  weltbeherr- 
schenden Stadt.  So  erbaute  Caesar  selbst  das  Rathaus  des  Se- 
nates, Curia  Julia  genannt,  und  das  daran  stoßende  Chalcidicum, 
der  Minerva  geweiht,  als  Archiv  des  Senates,  vollendete  das 
Forum  Julium  des  Dictators  und  erneuerte  die  Porticus  des  Octa- 
vius  auf  dem  Marsfeide,  bestimmt,  mit  den  im  dalmatischen 
Kriege  wiedergewonnenen  Feldzeichen  des  Gabinius  geschmückt 
zu  werden.  Auf  dem  Marsfelde  entstand  auch  das  Ehrengrab 
Caesars  und  seines  Hauses.  Der  Grabhügel,  der  sich  mächtig  in 
dem  Felde  erhob,  bot,  mit  schattenden  Bäumen  bewachsen  und 
durch  Kunstwerke  geziert,  inmitten  weitgedehnter  Lustgärten 
den  freundlichsten  Anblick,  ein  Denkmal  des  heiteren  Sinnes 
seines  Erbauers.  Aber  auch  hier  schufen  die  Freunde  mit  ihm, 
wie  Marcius  Philippus,  der  die  Porticus  um  den  alten  Tempel  des 
Hercules  Musarum  errichtete,  Statilius  Taurus,  der  schon  im 
Jahre  der  Schlacht  von  Actium  das  steinerne  Amphitheater  voll- 
endet hatte,  vor  allem  der  größte  und  edelste,  Marcus  Agrippa. 
So  führte  er  den  Bau  des  vom  Dictator  begonnenen  Riesensaales 
der  Volksabstimmungen,  Saepta  Julia  genannt,  zu  Ende,  dessen 
ungeheure  Tonnengewölbe  schon  den  nächsten  Geschlechtern 
unerreichbar  blieben,  erbaute  zur  Erinnerung  an  seine  Seesiege 
die    Porticus   Argonautariim,    begann    die   Thermen,    die    ersten 


l68  Augustus 

ihrer  Art,  deren  Abschluß  jenes  Pantheon  wurde,  noch  in  seiner 
späteren  Gestalt  das  Vorbild  für  den  hohen  Baugeist  der  Re- 
naissance und  das  Staunen  unserer  Welt. 

Italien  mit  dem  Herzen  des  Reiches  wirklich  zu  verbinden, 
wurden  die  Hauptstraßen  der  Halbinsel  erneuert,  die  Via  Fla- 
minia  von  Caesar  selbst,  die  anderen  im  Wetteifer  von  seinen 
Freunden,  die  aus  der  PCriegsbeute  der  Triumphe,  die  Caesar 
ihnen  verlieh,  die  Kosten  bestritten. 

Wenn  so  das  neue  Leben  des  Staates  in  diesen  Bauten  macht- 
voll sich  regte,  so  prüfte  Caesar  in  diesen  Jahren  auch  seine 
Kraft,  indem  er  das  römische  Volk  in  Italien  und  den  Provinzen 
einer  Zählung  und  Schätzung  unterwarf.  Gewaltiger  erscheint 
das  Werk,  das  unter  der  Leitung  Agrippas  entstand,  einer  Ver- 
messung und  Schätzung  des  ganzen  ungeheuren  Reiches.  Dem 
Volke  von  Rom  zeigte  die  Riesenkarte  des  Reiches  an  den 
Wänden  der  Porticus  des  Marsfeldes,  die  seine  Schwester  Vipsania 
Polla  erbaute,  in  einfacher  Gestalt  das  abgeschlossene  Werk. 
Durch  die  Neuordnung  der  Gottesverehrung  war  es  bedingt,  daß 
Caesar  die  aussterbenden  Geschlechter  des  patricischen  Adels 
durch  Ernennung  neuer  Adeliger  ergänzte.  "Schon  früher  hatte 
Caesar  den  Senat  von  all  den  Unwürdigen,  die  Antonius  nach 
dem  Tode  des  Dictators,  wie  auf  den  Befehl  der  Unterwelt,  für 
G^ld  und  andere  Dienste  ,mit  diesem  höchsten  Ehrenkleide  ge- 
brandmarkt hatte,  zu  reinigen  gesucht.  Noch  zweimal  griff  Caesar 
in  späteren  Jahren  ein,  um  den  Senat  der  Aufgaben  fähig  zu 
machen,  die  er  ihm  im  neuen  Staate  zugedacht  hatte. 

Während  des  Agrippa  stolze  Bauten  die  Größe  seines  Herr- 
schers verkündeten,  war  Maecenas  in  seiner  heiteren  Muße  nicht 
minder  tätig,  in  einem  luftigeren  Reich  seines  Herrschers  Glanz 
dauernd  zu  befestigen.  Um  ihn,  den  feinsinnigen  Beurteiler  und 
hülfreichen  Freund,  sammelte  sich  alles,  was  Italien  an  hochbe- 
gabten Dichtern  kannte.  Er  stimmte  ihre  Leier  nach  dem  Sinne 
des  Herrschers,  daß  die  reinste  der  geistigen  Mächte  am  Zauber- 
bande der  Phantasie  ein  heranwachsendes  Geschlecht  durch  stol- 
zes Streben  und  beglückendes  Hoffen  hinwegleite  von  der  Schuld 
der  Väter.    So  ist  dieses  erste  Jahr  wahrer  Alleinherrschaft  wie 


15-  Die  Begründung  des  Principates  l5q 

der  Vorklang  einer  Melodie,  die,  mächtiger  und  mächtiger  an- 
schwellend, den  Gesang  von  der  Größe  dieser  Zeit  nach  Jahr- 
tausenden noch  rein  ertönen  läßt. 

Das  ganze  Jahr  nach  dem  Triumphe  war  verstrichen,  ehe 
Caesar  den  Augenblick  gekommen  sah,  mit  dem  langerwogenen, 
tief  durchdachten  Bauplan  des  neuen  Staates  hervorzutreten.  Erst 
am  13.  Januar  des  Jahres  27  erklärte  Caesar  im  Senate,  daß 
die  Verfassung  des  Freistaates  wiederauflebe  und  die  Stimme  der 
Gesetze,  die  unter  dem  Lärm  der  Waffen  so  lange  geschwiegen, 
wieder  allein  entscheide.  Auf  Antrag  des  Munatius  Plancus 
verlieh  der  Senat  am  16.  Januar  dem  Herrscher  den  Ehrennamen 
Augustus,  das  ist  der  Geheiligte,  der,  solange  das  Bewußtsein 
für  wahre  Herrschertügenden  nicht  ganz  erloschen  ist,  mit  tiefer 
Ehrfurcht  genannt  werden  muß. 

Augustus  selbst  und  die  Herrscher,  die  ihm  auf  dem  Throne 
folgten,  haben  die  Verfassung,  die  am  13.  Januar  des  Jahres 
27  ins  Leben  trat,  als  Principat  bezeichnet.  Es  ist  dies  die  Herr- 
schaft des  Princeps  Civium,  des  ersten  der  Bürger,  An  Ansehen 
sollte  der  erste  der  Bürger  alle  anderen  überragen,  dagegen  gleich 
ihrjen  der  Herrschaft  des  Gesetzes  unterworfen  sein.  Damit 
war  die  römischem  Geiste  unerträgliche  Vorstellung  gebannt, 
als  sei  der  Wille  des  Herrschers  sieht  selbst  Gesetz.  Der  erste 
der  Bürger  übte  die  ihm  von  der  Gemeinde  übertragene  Gewalt, 
nach  Form  und  Inhalt  durch  das  Gesetz  begrenzt,  neben  den  an- 
deren Beamten  des  Staates.  Was  ihn  von  den  anderen  Beamten 
unterschied,  ist  nur  die  Fülle  der  Befugnisse,  die  in  seinem 
Amte  beschlossen  sind. 

Wie  die  Alleinherrschaft  bei  den  Römern  im  Laufe  einer 
langen  Geschichte  erwachsen  war,  ist  es  der  Oberbefehl  über 
das  Heer  des  Staates,  der  den  Kern  der  Macht  des  Princeps 
bildet.  Vor  den  A^gen  der  Bürger  trat  dieser  Heeresbefehl  des 
Princeps  zurück,  da  die  Heere  ihren  Standort  in  den  Provinzen 
hatten,  die  Grenzen  Italiens  nicht  überschreiten  durften.  Damit 
ist  auch  die  Form  des  Heeresbefehles  bestimmt,  den  der  Princeps, 
wie  die  Statthalter  des  Freistaates,  nur  pro  consule  ausübt.  Er 
selbst  trägt  in  Rom  und   Italien  nicht  das  Kleid  des  Feldherrn, 


I  yo  Augustus 

sondern  das  Kleid  des  Bürgers.  In  seinem  äußeren  Erscheinen 
prägt  es  sich  aus,  daß  auch  er  der  Herrschaft  des  Gesetzes  unter- 
worfen ist,  Augustus  übernahm  den  Heeresbefehl  bei  Begründung 
des  Principates  nur  in  jenen  Provinzen,  deren  Frieden  nicht  ge- 
sichert schien,  sodaß  dauernd  starke  Heere  in  ihnen  lagern 
mußten.  Es  waren  dies  Spanien,  Gallien,  Syrien,  die  auch  im 
ersten  Triumvirat  Caesar,  Pompeius  und  Crassus  unter  sich  geteilt 
hatten.  Alle  anderen  Provinzen  traten  wieder  unter  die  Herr- 
schaft des  Senates,  dessen  Proconsuln  sie  verwalteten,  die  das 
Los,  wie  unter  dem  Freistaate,  zu  ihrem  Amte  berief.  Die  Pro- 
consuln von  Africa  und  lUyricum  standen  an  der  Spitze  der 
Heere  der  Provinzen,  ganz  in  derselben  Weise  wie  der  Princeps, 
wenn  auch  ihre  Heere,  schwach  an  Zahl,  keine  höhere  Bedeutung 
besaßen  als  die  einer  Grenzwehr. 

Den  Kern  aller  Heere  bildete  nach  wie  vor  das  Aufgebot  der 
römischen  Bürger  in  den  Legionen,  die  tatsächlich  sich  durch 
freie  Werbung  ergänzten.  Trat  die  Notwendigkeit  der  Aushebung 
ein,  so  beschließt  sie  der  Senat  auf  Antrag  des  Princeps.  Auch 
die  Höhe  des  Soldes  der  Legionen  bestimmt  dem  Grundsatze 
nach  der  Senat  und  überweist  dem  Princeps  als  Feldherrn  des 
Reiches  aus  der  Kasse  des  Staates  die  Summen  für  die  Besoldung 
der  Legionen.  Das  Aufgebot  der  Untertanen  in  den  Provinzen 
unter  die  Fahnen  zu  rufen,  ist  das  Recht  des  Heerführers,  unter 
dem  Principate  das  Recht  des  Oberfeldherrn  des  Staates.  Da 
der  Princeps  seinen  Amtssitz  regelmäßig  in  Rom  hatte,  so  muß 
die  Leibwache,  die  für  seinen  persönlichen  Schutz  bestimmt  ist, 
ihm  nach  Italien  folgen.  Eine  dieser  Cohortes  praetoriae  tut 
regelmäßig  Dienst  in  Rom  und  bewacht  den  Palast  des  Princeps, 
aber  auch  sie,  so  seltsam  es  scheint,  im  Gewände  der  Bürger,  der 
Toga.  Dagegen  die  Mannschaften  der  Flotten  Italiens,  die  nur 
die  Sicherheit  der  Schiffahrt  in  den  Meeren  verbürgen  sollen, 
sind  dem  Princeps  keine  Soldaten,  sondern  ein  Teil  seines  Haus- 
gesindes, Sklaven  und  Freigelassene  und  von  Freigelassenen 
geführt. 

Augustus  dankte  seinen  Söldnern  die  Herrschaft,  und  nur 
auf  ihrer  Treue  ruhte  seine  Macht.   Der  Mann  der  Wirklichkeiten 


15.  Die  Begründung  des  Principates  I -7 1 

und  nicht  des  Scheines,  hat  er  trotz  all  der  gesetzlichen  Formen 
in  der  freudigen  Zustimmung  seiner  Söldner  seine  wahre  Be- 
rechtigung den  Heeresbefehl  zu  führen  ganz  allein  gefunden. 
Deshalb  ist  der  Zuruf  des  Heeres,  mit  dem  es  den  siegreichen 
Feldherrn  als  der  höchsten  Siegesehre  würdig  bezeichnete,  der 
Siegername  Imperator,  für  ihn  und  seine  Nachfolger  auch  die 
Form  geblieben,  den  Heeresbefehl  zu  übernehmen  und  damit 
die  Stellung  eines  Princeps  an  der  Spitze  des  Staates,  So  hat 
der  Principat  seinen  Ursprung  aus  der  Erhebung  des  Heeres 
gegen  die  gesetzliche  Ordnung  des  Staates  nie  verleugnet.  In 
dem  politisch  gesicherten  Zustande,  der  über  die  Person  des 
Nachfolgers  im  Principate  keinen  Zweifel  ließ,  ist  dieser  erste 
Zuruf  des  Heeres  selbst  nur  eine  leere  Form,  und  die  Ausrufung 
des  neuen  Imperator  vollzieht  sich  durch  die  Anerkennung  der 
Schloßwache,  deren  Beispiele  die  ganze  Leibwache  und  alle  Bür- 
gerheere der  Provinzen  folgen.  Aber  wenn  das  Recht  der  Nach- 
folge in  Frage  stand,  dann  allerdings  ist  jeder  Söldner  berechtigt, 
wenn  auch  nicht  sich  selbst,  so  doch  seinen  Kameraden  durch 
den  Zuruf  Imperator  zum  Oberfeldherrn  auszurufen.  Dieses 
äußerste  Recht  ist  in  den  Krisen  der  Militärmonarchie  oft  genug 
zum  äußersten  Unrecht  geworden. 

Die  Macht  der  Wirklichkeit  hat  den  Princeps  gezwungen, 
beim  Antritt  des  Oberbefehles  die  Leibwache  in  Rom  und  die 
Bürgerheere  der  Provinzen  für  den  Zuruf  durch  ein  Gnaden- 
geschenk zu  belohnen,  das  stetig  anwuchs  und  zuletzt  von  einem 
Kaufe  der  Krone  kaum  mehr  zu  unterscheiden  war.  So  ist  das 
Söldnerheer  die  Erbkrankheit  des  Principates  geblieben.  Den 
Vorwurf  gegen  Augustus  zu  erheben,  daß  er  durch  dieses  Söldner- 
heer das  Wohl  des  Staates  der  Sicherheit  der  Alleinherrschaft 
geopfert  habe,  wäre  um  so  ungerechter,  als  auch  der  größte 
politische  Genius  nur  unter  den  Bedingungen  der  Wirklichkeit 
den  Staat  gestalten  kann.  Die  Vorherrschaft  der  Italiker  in  dem 
Colonialreiche  der  Römer  ließ  sich  nur  durch  das  Söldnerheer 
behaupten,  und  nicht  die  Staatsform,  sondern  die  Geschichte 
des  Staates  hatte  hier  das  Gesetz  gegeben. 

Der   oberste    Heeresbefehl    schloß    notwendig    auch    die    Er- 


17  2  Augustus 

nennung  aller,  die  das  Heer  führten,  in  sich.  Aber  gerade  hierin 
hat  Augustus  sich  selbst  eine  Schranke  auferlegt,  die  die  Mit- 
herrschaft des  Senates  auch  in  den  Provinzen  des  Princeps  zur 
Wahrheit  machte.  Die  Führer  der  Heere  und  Statthalter  der 
Provinzen  entnahm  er  nur  dem  Senate.  Diese  Legati  Augusti 
pro  praetore  sind  die  Stellvertreter  des  Princeps  und  haben  die 
volle  Gewalt  der  Beamten,  die  das  Volk  durch  seine  Wahl  ber 
stellt.  Je  nach  der  Stärke  des  Heeres  entnahm  sie  der  Princeps 
den  Rangstufen  des  Senates,  die  aus  den  früher  durch  Volks- 
wahl zum  Consulate  oder  der  Praetur  berufenen  bestanden.  Denn 
nur  wer  eines  dieser  Aemter  bekleidete  oder  bekleidet  hatte,  war 
auch  nach  dem  Rechte  des  Freistaates  berechtigt,  ein  Heer  zu 
führen.  Dem  Kreise  des  Senates  gehörten  auch  die  Führer  der 
Legionen,  die  Legati  Augusti  legionis,  und  die  ihnen  an  Rang 
zunächststehenden  Obersten  der  Legionen,  die  Tribuni  laticlavii, 
an.  Das  ausschließliche  Recht  des  Senates  auf  den  Befehl  über 
die  Bürgertruppen  hat  Augustus  damit  gewahrt,  weil  er  die 
Mitherrschaft  des  ersten  Standes  des  Reiches  im  Ernste  erstrebte. 
Deshalb  konnte  er  sagen,  daß  der  Freistaat  im  Principate  wieder- 
auflebe. Denn  die  wahre  Regierung  des  Freistaates  war  der 
Senat  gewesen,  mit  dem  der  Princeps  die  Gewalt  teilte.  Nur 
die  Obersten  der  aus  den  Untertanen  gebildeten  Truppenkörper 
ernannte  der  Princeps  aus  den  Mitgliedern  des  zweiten  Standes, 
der  römischen  Ritter.  Gerade  in  der  Art,  wie  er  durch  seinen 
still  wirkenden  Einfluß  den  Adel  der  Landstädte  Italiens  und 
der  römischen  Provinzen  des  Westens  bestimmte,  in  diesen  Stel- 
lungen des  Heeres  zu  dienen,  offenbarte  sich  die  Weisheit  des 
Fürsten.  Die  Liebe  zum  Waffendienste  hat  er  in  den  höheren 
Ständen  des  Reiches  wiederzuerwecken  gewußt  und  dem  Söldner- 
heere Führer  gegeben,  denen  das  Wohl  des  Staates  höher  stand 
als  der  Standesvorteil  des  Söldners. 

Auch  in  den  Hauptleuten  der  Legionen,  den  Centurionen, 
schuf  er  einen  Stand,  der  durch  höheren  Sold,  äußere  Ehren  und 
Begünstigung  bei  der  Beförderung  zu  anderen  Stellen  des  Staats- 
dienstes über  den  gemeinen  Mann  emporgehoben,  durch  sein 
neugewonnenes  Ansehen  die  Söldner  in  sicherem  Gehorsam  hielt. 


15.  Die  Begründung  des  Principates  ij-i 

Die  Söldner  des  Bürgerheeres,  der  überwiegenden  Mehrheit  nach 
Römer  von  Geburt,  erfüllte  und  vereinigte  das  stolze  Bewußtsein, 
dem  herrschenden  Volke  anzugehören.  Mit  den  Vorrechten  ihrer 
Hauptleute  versöhnte  sie  die  strenge  Regel  des  Dienstes,  die 
jedem  durch  Treue  und  Tapferkeit  den  Weg  eröffnete,  in  ihre 
Reihen  emporzusteigen.  Die  schwierigste  Aufgabe,  das  Bürger- 
heer mit  dem  Aufgebote  der  Untertanen  zu  einer  Einheit  zu  ver- 
schmelzen, löste  Augustus  im  Geiste  des  Freistaates,  der  zur 
Führung  der  Unterabteilungen  dieser  Untertanen  die  früheren 
Unteroffiziere  der  Legionen  berief  und  auch  die  größeren  Trup- 
penkörper den  gewesenen  Hauptleuten  der  Legionen  unterstellte. 
So  verwuchsen  das  Bürgerheer  und  die  Truppenkörper  der  Unter- 
tanen durch  den  römischen  Geist,  der  beide  erfüllte,  zu  einer 
Einheit.  Augustus  hat  es  erreicht,  daß  das  Söldnerheer,  so  lange 
eine  Gefahr  für  den  Staat,  die  sicherste  Bürgschaft  für  den 
Frieden  im  Reich  und  an  seinen  Grenzen  wurde. 

Wenn  Augustus  den  Senat,  soweit  es  das  Wesen  der  Allein- 
herrschaft zuließ,  wieder  in  seine  Rechte  einsetzte,  so  leitete 
ihn  der  tiefe  Sinn  für  das  Wirkliche,  der  die  geschichtlich  gewor- 
denen Bedingungen  des  Staatslebens  als  die  Voraussetzungen 
seines  Schaffens  achtete.  Der  Senat  war  in  den  Augen  der 
römischen  Bürger  und  der  Untertanen  geheiligt  als  der  Träger 
der  ganzen  großen  Geschichte  des  Staates.  Altererbte  Begabung 
lebte  in  diesen  stolzen  Geschlechtern,  welche  Augustus  in  der 
Leitung  des  Staates  nicht  entbehren  konnte.  Nur  auf  die  Zu- 
sammensetzung der  Körperschaft,  der  er  die  einflußreichsten 
seiner  Diener  entnehmen  mußte,  hat  er  sich  den  Einfluß  gewahrt, 
weil  es  das  Wohl  des  Staates  erforderte.  Er  selbst  stand  als 
Princeps  senatus  als  Erster  an  der  Spitze  seiner  Mitglieder  und 
bestimmte  seine  Ergänzung  bei  den  Wahlen  des  Volkes  durch 
das  Mittel,  das  jedem  Bürger  zustand,  die  geeignetsten  Bewerber 
dem  Volke  zu  empfehlen.  War  dieses  Wahlrecht  des  Volkes  schon 
ein  Schatten  geworden,  beschränkt  auf  die  Menge  der  Haupt- 
stadt, wenn  nicht  die  Wichtigkeit  der  Wahl  auch  die  Bewohner 
der  Landstädte  Italiens  nach  Rom  führte,  so  sollte  doch  dieses 
einst    in  der  Geschichte    so    hochbedeutsame    Recht    dem  Volke.. 


174  Augustus 

das  der  Träger  der  Staatshoheit  war,  unter  der  Herrschaft  des 
Princeps  nicht  geschmälert  werden.  Die  leichte  und  doch  so 
sichere  Hand  des  Staatskünstlers  wußte  trotz  des  Unbequemen, 
das  die  Bewerbung  und  die  Wahlen  mit  sich  brachten,  auch 
dieses  verfallende  Werkzeug  nach  seinem  Sinne  zu  brauchen. 
Die  scharfe  Scheidung  der  Stände  nach  dem  Maßstabe  des  Ver- 
mögens schärfte  Augustus  von  neuem  ein,  weil  auf  ihrer  Gliede- 
rung das  Gefüge  des  Staates  beruhte. 

Nach  dem  Oberbefehle  über  das  Heer  lag  das  Wesen  der 
Macht  in  der  sicheren  Herrschaft  über  die  Mittel  des  Staates. 
Aber  auch  hier  legte  sich  Augustus  jene  Beschränkung  auf,  die  die 
Stellung  des  Princeps  als  eines  Beamten  des  Staates  forderte. 
Nur  der  Ertrag  der  Provinzen,  die  er  selbst  in  seine  Verwaltung 
genommen,  floß  unmittelbar  in  seine  Kassen,  und  zur  Ver- 
waltung dieses  Staats  Vermögens  berief  er  als  seine  persönlichen 
Diener  Männer  aus  dem  Ritterstande,  die  nach  römischer  Art 
als  Vermögensverwalter  den  Namen  Procuratores  führten.  Sie 
traten  den  Statthaltern,  die  er  aus  den  Reihen  des  Senates  er- 
wählte, zur  Seite,  nur  dem  Princeps  verantwortlich.  Dagegen 
die  alte  Kasse  des  Senates  blieb  im  Besitze  der  Einnahmen  aus 
den  Provinzen,  die  der  Senat  durch  seine  Proconsuln  verwaltete. 
Die  Mitherrschaft  des  Senates  ist  in  dieser  Regelung  der  Staats- 
einnahmen nicht  minder  klar  ausgesprochen.  Aber  das  Wohl 
der  Untertanen  war  für  die  Verwaltung  der  Provinzen  oberstes 
Gesetz.  Deshalb  ließ  der  Princeps  in  den  Streitigkeiten,  die  der 
Erhebung  der  Steuern  entsprangen,  das  ordentliche  Gericht 
zwischen  den  Ansprüchen  seiner  Steuerbeamten  und  dem  Rechte 
der  Untertanen  entscheiden.  Jenes  edle  Wohlwollen,  das  in 
Gerechtigkeit  und  Milde  das  Los  aller  Bewohner  des  Reiches 
erleichterte  und  versöhnte,  ist  das  Wesen  der  Herrschaft  des 
Augustus. 

Der  Schirmer  der  Rechte  des  Volkes  sollte  der  Princeps  sein, 
und  deshalb  umkleidete  ihn  die  heilige  Würde  der  alten  Tribunen 
des  Volkes,  die  das  Volk  gegen  die  Willkür  der  Adelsherrschaft 
seit  den  Anfängen  des  Freistaates  zu  schützen  berufen  waren. 
Diese  Gewalt  ganz  allein  ist  es,  deren  Augustus  zur  friedlichen 


I 


15.  Die  Begründung  des  Principates  17c 

Leitung  des  Staates  bedurfte,  die  ihn  berechtigte,  die  Beschlüsse 
des  Senates  und  des  Volkes  hervorzurufen,  auf  dem  Wege  der 
Gesetzgebung  weiterzubilden  an  der  Gesundung  des  Staates. 
Hierin  lag  auch  seine  Macht  beschlossen,  die  ihm  gestattete,  in 
der  Weise  der  Tribuni  plebis  Unbill  aller  Art  zu  sühnen,  dem 
Schwachen  und  Bedrückten  zu  seinem  Rechte  zu  verhelfen,  wenn 
er  seinen  Schutz  anrief,  und,  ohne  den  ordentlichen  Gang  der 
Gerichte  zu  stören,  durch  seine  Entscheidungen  auch  die  Formen 
des  Rechtes  zu  beeinflussen. 

Bei  der  Begründung  des  Principates  erschien  es  Augustus 
notwendig,  bis  die  neue  Staatsform  lebendig  wirksam  geworden, 
das  oberste  Amt  des  Freistaates,  das  Consulat,  selbst  zu  bekleiden. 
Zu  CoUegen  im  Amte  berief  er  nur  solche  Männer  durch  die 
Wahl  des  Volkes,  die  mit  ihm  an  der  Neuordnung  des  Staates 
geschaffen  hatten. 

Auch  in  der  Ordnung  des  Hofes,  der  mit  der  Alleinherrschaft 
notwendig  ins  Leben  trat,  hat  Augustus  die  Stellung  des  ersten 
der  Bürger  gewahrt.  Denn  dieser  Hof  unterschied  sich  in  nichts 
von  der  Lebenshaltung  der  vornehmen  Häuser  des  Freistaates. 
Seine  persönlichen  Diener,  aus  dem  Sklavenstande  hervorge- 
gangen, leiteten  das  große  Hauswesen,  und  erinnerten  durch  die 
Namen  ihrer  Ämter  stets  daran,  daß  sie  Diener  waren.  Der 
Kreis  dieses  Hofes  war  der  Kreis  der  persönlichen  Freunde  des 
Herrschers,  der  so  weit  reichte,  nach  der  edeln  Sitte  der  Antike, 
als  alte  Bande  der  Liebe  und  neues  Verdienst  geistiger  Art 
Menschen  einander  nahe  führten. 

Nicht  über  seinem  Volke,  sondern  in  seiner  Mitte  lebte, 
empfand  und  dachte  der  wahre  Vater  seines  Volkes.  So  blieb 
der  Blick  des  machtvollen  Herrschers  ungetrübt  für  alles,  was 
seine  Zeit  bewegte,  und  der  unmittelbare  Eindruck  seiner  hei- 
teren, freudig  das  Leben  erfassenden  Persönlichkeit  hielt  all  das 
Streben  und  Ringen  nach  Macht  und  Einfluß  in  seiner  Umgebung 
im  schönsten  Gleichgewicht.  Er,  der  wahre  Künstler  des  Lebens, 
erfüllte  das  Ideal  griechischer  Lebensweisheit,  die  Besonnenheit. 
Was  das  römische  Volk  in  den  Augen  des  Knaben  las,  in  dem 


iy(f  Augustus 

bewußten  Blicke  des  gebietenden  Herrschers  lag  es  wie  die  Offen- 
barung einer  sonnigen  Natur. 

Der  Senat  beschloß,  das  Haus  des  Herrschers  auf  dem  Palatin 
durch  den  Schmuck  der  Eingangstür  auszuzeichnen,  damit  Jeder, 
der  es  betrat,  den  göttlichen  Segen  erkenne,  der  auf  ihm  ruhte. 
Der  Siegeslorbeer,  immer  grünend,  umfing  die  Pfosten,  imd 
über  dem  Sturze  war  der  Eichenkranz  Juppiters  befestigt,  das 
Zeichen  der  Errettung  der  Bürger  aus  Todesnot.  In  ihrer  schmuck- 
losen Einfachheit  waren  die  Räume  des  Hauses  so  recht  der 
Ausdruck  des  einfachen  Sinnes  des  Ersten  der  Bürger.  Frei 
wollte  er  sein  von  allem  lastenden"  Prunke,  der  nur  die  Tätigkeit 
des  Geistes  beengt.  Seine  unsichere  Gesundheit  festigte  er  durch 
die  einfache  Lebenshaltung,  den  kargen  Tisch  und  den  regel- 
mäßigen Wechsel  zwischen  der  angestrengten  Tätigkeit  für  den 
Staat  und  dem  behaglichen  Sichergehen  im  Familienkreise,  dem 
zwanglosen  Umgang  mit  vertrauten  Freunden.  Bürgerlich  sollte 
sein  Hauswesen  erscheinen,  ein  Vorbild  in  den  Sitten  der  Väter, 
wie  er  sich  nur  in  den  Gewändern  kleidete,  die  die  Frauen  seiner 
Familie  für  ihn  webten.  Nach  seinem  Wunsche  hätte  sein  Haus 
gerade  durch  jene  Tugenden  glänzen  sollen,  die  der  Senat  in  ihm 
ehrte,  als  er  den  Schild  in  der  Curie  weihte,  dessen  Aufschrift 
den  frommen  Sinn,  die  Milde  und  Gerechtigkeit  und  die  wahr- 
haft römische  Art  des  Fürsten  pries.  In  diesen  Tugenden  hoffte 
er  sein  ganzes  Volk  zu  befestigen.  Noch  heute  tönt  uns  aus 
dem  Weihegesang,  mit  dem  Horaz  die  Begründung  des  Princi- 
pates  feierte,  die  machtvolle  Mahnung  an  das  Römertum  ent- 
gegen, sich  herrschend  zu  erheben  nach  dem  Vorbild  des 
Augustus.  Aber  lange  Jahre  mühevoller  Arbeit  erwarteten 
Augustus,  bis  das  Werk  friedlichen  Schaffens  vollendet  war. 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 

Noch  in  dem  Jahre  der  Begründung  des  Principates  ging 
Augustus  nach  dem  Westen,  nicht,  wie  man  erwartete,  um  das 
Reich  zu  mehren  durch  die  Eroberung  Britanniens,  sondern  um  die 
Vorbereitungen  zu  treffen,  den  Norden  Spaniens,  wo  kriegerische 
Völker  der  Herrschaft  Roms  widerstrebten,  zu  unterwerfen.  Im 
Nordwesten  der  Halbinsel  erheben  sich  die  rauhen,  zerklüfteten 
Berge  der  Asturer  und  Callaecer,  die  zu  allen  Zeiten,  wenn  sieg- 
reiche Eroberer  in  Spanien  vordrangen,  die  letzte  Zuflucht  der 
Freiheitskämpfer  geblieben  sind.  Wie  von  diesen  Bergen  nieder- 
steigend die  christlichen  Spanier  den  Arabern  die  Herrschaft 
wieder  entrissen,  so  hat  sich  bis  in  unsere  Tage  in  diesem  Winkel 
Spaniens  die  Eigenart  seiner  ältesten  Bewohner  am  reinsten  er- 
halten. Auch  in  den  Tagen  des  AugustuB  lagen  diese  ungebän- 
digten  Bergvölker  wie  ein  Keil  zwischen  den  mit  Art  und  Wesen 
der  Römer  erfüllten  Provinzen  Spaniens,  eine  stete  Bedrohung 
seiner  friedlichen  Bewohner,  die  sie  als  Feinde  mit  ihren  Raub- 
zügen heimsuchten.  Gerade  diese  Provinzen  aber  waren  willig,  in 
das  Neurömertum  des  Westens  aufzugehen,  und  schon  war  auf 
dem  mit  dem  Blute  der  Römer  des  Freistaates  getränkten  Boden 
Spaniens  die  römisch-iberische  Cultur  erwachsen,  die,  die  Vorzüge 
beider  Völker  vereinigend,  dem  Geistesleben  der  Kaiserzeit  ihr 
entschiedenes  Gepräge  geben  sollte.  Diese  Bedeutung  der  spani- 
schen Provinzen  für  die  Kraft  des  ganzen  Reiches  hat  Augustus 
bestimmt,  hier  zuerst  eine  dauernde  Ordnung  zu  schaffen.  Ver- 
klungen sind  diese  Kämpfe  wie  alle  die  ruhmreichen  Kriege  in 
der  Zeit  des  Augustus  und  so  unklar  erkennbar,  wie  die  herrlichen 
Siege,  durch  die  Rom  einst  die  Herrschaft  über  Italien  gewann. 

Domaszcwski.    I.  12 


IjQ  Augustus 

Zuletzt  hatte  Statilius  Taurus  im  Jahre  29  gegen  die  Asturer 
und  ihre  östlichen  Nachbarn,  die  Cantabrer,  gekämpft.  Jetzt  im 
Jahre  26  sollte  durch  einen  umfassenden  Angriff  von  Osten  und 
Süden  der  Widerstand  gebrochen  werden.  Nachdem  Augustus  sein 
achtes  Consulat  in  der  Hauptstadt  des  nördlichen  Spaniens  Tarraco 
angetreten  hatte,  verlegte  er  sein  Hauptquartier  nach  Segisamo  an 
die  Grenze  des  gesicherten  Gebietes,  wo  die  Hauptstraße  nach 
Burdigala  im  südlichen  Gallien  abzweigte.  Die  neugebildeten 
Legionen,  die  i.  und  die  2.,  die  nach  Augustus  hießen,  erhielten 
ihre  Fahnen  aus  den  Händen  des  Stiefsohnes  des  Kaisers,  Tiberius 
Claudius  Nero,  der  hier  in  Spanien  seinen  ersten  Kriegsdienst  tat. 
In  drei  Heersäulen  drangen  die  Römer  in  Cantabrien  ein,  während 
die  Flotte,  von  der  Mündung  der  Garonne  ausfahrend,  die  Küste 
umfaßte.  Vor  den  Mauern  von  Bergida  geschlagen,  wichen  die 
Cantabrer  auf  die  unzugänglichen  Höhen  des  Berges  Vindius  an 
das  Meeresufer  zurück,  die  Menschenhänden  so  unerreichbar  schie- 
nen wie  den  Fluten  des  Oceans.  Und  doch  wurden  sie  nach  einer 
langen  Belagerung  durch  Hunger  bezwungen.  Racilium  nahmen 
die  Römer  im  Sturm.  Gleichzeitig  waren  die  Legaten  des  Augustus 
Antistius  und  Furnius  aus  dtr  Südprovinz  in  die  Berge  der  Callaecer 
vorgedrungen,  wo  die  Hauptmasse  des  Volkes  in  der  Stadt  Medulium 
am  Fluß  Minius,  durch  Belagerungswerke  von  15  Meilen  Länge 
eingeschlossen,  bis  zum  äußersten  Widerstand  leistete,  dem  Joche 
der  Sklaverei  zuletzt  durch  Gift  oder  das  eigene  Schwert  sich  ent- 
ziehend, Augustus  war  im  Winter  krank  nach  Tarraco  zurück- 
gekehrt und  überließ  im  folgenden  Jahre  den  Krieg  gegen  die 
Asturer,  die  allein  noch  unbesiegt  waren,  Agrippa.  Auch  in  ihrem 
Lande  setzten  sich  die  Römer  in  den  Lagern  dreier  Legionen  fest. 
Schon  wurden  die  bezwungenen  Bergbewohner  teils  in  den  Ebenen 
angesiedelt,  teils  als  Kriegsgefangene  in  die  Sklaverei  verkauft, 
als  die  Asturer  im  Winter  des  zweiten  Jahres  von  ihren  schnee- 
bedeckten Bergen  niederstiegen  und  die  Lager  der  Legionen  an- 
griffen. Aber  der  Verrat  der  Brigaecini  machte  ihre  Tapferkeit 
zu  Schanden.  Carisius  führte  ein  neues  Heer  heran,  und  in  einer 
blutigen  Schlacht  blieb  den  Römern  der  Sieg.  Auch  die  Asturer 
leisteten  in  einer  Stadt  fester  Lage,  Lancia,  einen  letzten  Widerstand, 


l6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 


179 


erfuhren  jedoch  die  Gnade  der  Sieger.  Drei  Jahre  hatte  der  Krieg 
gewährt.  Die  Veteranen  des  siegreichen  Heeres  erhielten  als  eine 
dauernde  Besatzung  in  den  fruchtbarsten  Teilen  des  unterworfenen 
Gebietes  Landbesitz.  So  entstanden  die  Städte  Bracara  Augusta, 
Lucus  Augusti,  Augusta  Asturica,  in  denen  der  Name  des  Siegers 
fortlebte.  Die  Stadt  Emerita  in  Lusitanien  wurde  von  Carisius  als 
eineColonie  nach  denStreitern  benannt,  die  aus  dem  Heere  schieden. 
Augustus  kehrte  erst  im  Anfange  des  Jahres  24  nach  Rom  zurück 
mit  dem  Ruhme,  Spanien  dauernd  bezwungen  zu  haben,  wenn 
auch  das  Kriegsfeuer  in  den  Bergen  der  Asturer  und  Cantabrer 
nicht  ganz  erloschen  war.  Die  Grausamkeit  des  Carisius  hatte  die 
Stämme  wieder  unter  die  Waffen  getrieben,  bis  die  hoffnungslose 
Erhebung  der  zum  Tode  bereiten  Kämpfer  zusammenbrach. 

Im  Osten  des  Reiches  war  der  Friede  in  diesen  Zeiten  nicht 
gefährdet.  Wohl  schwebte  man  in  Rom,  als  die  Schlacht  bei  Actium 
über  die  Zukunft  des  Reiches  entschied,  in  Angst  vor  einem  Einfall 
der  gefürchteteh  Dacer,  gegen  die  Augustus  im  Dalmatinischen 
Kriege  Siscia  als  Waffenplatz  erbaut  hatte.  Doch  war  diese  Gefahr 
durch  die  Siege,  die  bald  darauf  Marcus  Crassus  an  der  unteren 
Donau  gewann,  beschworen.  Im  Jahre  seines  Triumphes  hatte 
Augustus  dieStatthalterschaftMacedoniens  dem  Crassus  übertragen. 
Da  fand  er  die  Veranlassung,  die  Feinde  der  Römer  zu  bekämpfen, 
bei  einem  Einfall  der  Bastarher.  Dieses  Volk  war  an  der  Mündung 
der  Donau  aus  einer  Vermischung  germanischer  Stämme  mit  dem 
eingeborenen  Volke  der  Geten  erwachsen.  Sie  erschienen  in  jener 
Zeit  auf  ihren  Kriegszügen  in  dem  Lande  jenseits  des  Balkan,  und 
nach  Westen  vorwärts  dringend,  unterwarfen  sie  die  Triballer  am 
Ciabrus  und  setzten  sich  auch  in  dem  Lande  der  Dardaner  fest. 
Jetzt  waren  sie  zu  Grenznachbarn  der  Römer  geworden,  deren 
Untertanen  diesseits  des  Balkan  unter  ihren  Raubanfällen  zu  leiden 
begannen.  Um  den  thrakischen  Stamm  der  Dentheleten  zu  schützen, 
trat  ihnen  Crassus  entgegen  und  verfolgte  die  Zurückweichenden 
über  die  Pässe  des  Balkan,  die  über  das  heutige  Sophia  nach  Norden 
führen,  auf  dem  Marsche  eine  Stadt  des  Volkes  der  Moeser  im 
Sturme  erobernd.  Unter  dem  Eindruck  dieses  Sieges  begannen  die 
Bastarner,   die  den  Ciabrus  erreicht  hatten,  mit  Crassus  zu  unter- 


1 8o  Augustus 

handeln.  Aber  ihre  Gesandten  verrieten  trunkenen  Mutes  im  Zelte 
des  römischen  Feldherrn,   wie  wenig  sie  an  Frieden  dachten.    In 
einem  dichten  Walde  hielt  Crassus  in  Erwartung  des  Angriffes  der 
Bastarner  sein  Heer  verborgen,  nur  durch  vorausgesandte  Späher 
die  Feinde  heranlockend.  Die  Bastarner  gerieten  beim  V^ordringen 
in  dem  Walde  in  den  Hinterhalt.   Von  allen   Seiten   angegriffen 
und  zurückgeworfen,  wurden  sie  beim  Rückzug  nach  ihrer  Wagen- 
burg,  die  sie,   um  ihre  Frauen  und  Kinder  zu  retten,  nicht  preis- 
geben wollten,  vollständig  geschlagen.    Ihr  König  Deldo  fiel  von 
Crassus'  Hand.   Die  Fliehenden,   die   im   Walde    Schutz   suchten, 
wurden  mit  dem  Walde  verbrannt,   andere  gingen  in   den   Fluten 
der  Donau  unter  oder  kamen  in  der  Ebene  um.    Diejenigen,  die 
sich  in  eine  feste  Burg  gerettet  hatten,  bezwang  Crassus  mit  Hülfe 
des  getischen  Fürsten  Roles,  der  zum  Bundesgenossen  und  Freund 
des  römischen  Staates  ernannt  wurde.  Crassus  wandte  jetzt  seine 
Waffen  gegen  die  Stämme  der  Moeser  im  Norden  des  Balkan,  die 
einen  zur  friedlichen  Unterwerfung  nötigend,  die  anderen  mitCewalt 
bezwingend.    Für  ihn  begann  die  Not  erst  bei  dem  Rückmarsche 
durch  das  beschneite  Gebirge,  wo  viele  der  Kälte  erlagen  oder  den 
Angriffen  der  Thraker.  Im  nächsten  Jahre  schlug  er  die  Bastarner, 
die  Rache  nehmen  wollten  für  den  Untergang  ihrer  Brüder,   aufs 
Neue  und  vergalt  den  thrakischen  Stämmen  der  Meder  und  Serder 
ihre  Treulosigkeit,    indem    er    den  Gefangenen    nach  äußerstem 
Kriegsrecht  die  Hände  abhauen  ließ.   Eine  dauernde  Ordnung  in 
diesen  Bergen  zu  schaffen,  verlieh  er  dem  Fürsten  der  Odrysen  die 
Vorherrschaft  über  alle  Stämme  der  Thraker  und  übergab   ihm 
das  große  Heiligtum  des  thrakischen  Dionysos,  das  früher  die 
Besser  verwaltet  hatten.    Dann  zog  er  wieder  über  den  Balkan, 
König    Roles    Hilfe   zu   bringen   in   seinem   Kampfe   gegen    den 
Fürsten  der  Geten  Dapyx.  Durch  die  Flucht  der  getischen  Reiter, 
die  auch  das  Fußvolk  mit  fortriß,  war  die  Niederlage  der  Feinde 
vollendet,  ehe  es  zur  Schlacht  kam.  Die  Burg  des  Dapyx  wurde 
durch    Verrat   genommen,    und   der   König   fiel    selbst    mit   den 
Besten  der  Seinen.  Da  flüchteten  die  Geten  ihre  Herden  und  das 
Kostbarste  ihrer  Habe  in  eine  weitverzweigte  Höhle  des  Gebirges. 
Durch  Vermauerung  der  Zugänge  erzwang  Crassus  die  Übergabe. 


r 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  igj 

Einmal  im  Siege,  griff  er  auch  Genucla,  die  an  der  Donau  er- 
baute Burg  des  Geten  Zyraxes,  zu  Wasser  und  zu  Lande  an  und 
erstürmte  sie,  ehe  die  scythischen  Scharen,  die  Zyraxes  selbst 
heranführte,  zum  Entsätze  erschienen  waren.  Hier  gewann  er 
die  Feldzeichen  wieder,  die  einst  Gaius  Antonius,  der  Mitconsul 
Ciceros,  in  der  Schlacht  gegen  die  Geten  vor  den  Mauern  von 
Istropolis  verloren  hatte.  Als  er  dann  auch  die  letzten  Stämme 
der  Moeser,  die  der  römischen  Herrschaft  noch  widerstrebten, 
unterworfen  hatte,  gehorchte  die  ganze  Ebene  im  Norden  des 
Gebirges  bis  an  die  Mündung  der  Donau  dem  immer  siegreichen 
Feldherrn,  In  dem  Jahre,  in  dem  Augustus  den  Principat  be- 
gründete, hielt  Crassus  den  Siegeseinzug  in  Rom. 

In  Ägypten  hatte  Augustus  seinen  Freund  Cornelius  Gallus 
für  die  Dienste,  die  er  bei  der  Eroberung  des  Landes  geleistet  hatte, 
als  Ersten  eingesetzt,  der  in  seinem  Namen  Alexandria  und  das  Tal 
des  Niles  verwalten  sollte.  Aber  der  Glanz  der  alten  Pharaonen, 
der  ihn  umgab,  verblendete  den  allzu  empfänglichen  Geist  des  ge- 
feierten Dichters  und  ließ  ihm  die  Niederwerfung  der  Bauern  der 
Thebais,  die  der  neuen  Steuerordnung  widerstrebten,  als  eine 
Großtat  erscheinen,  würdig  der  Ehren  eines  Königs  des  Landes, 
und  in  anmaßenden,  verletzenden  Reden  erging  sich  der  Prahler 
über  die  Geheimnisse,  die  der  Herrscher  der  Brust  des  Freundes 
anvertraut  hatte.  Augustus  rief  ihn  ab  und  verbot  dem  Manne, 
der  sich  seiner  Freundschaft  so  unwürdig  gezeigt  hatte,  sein  Haus 
und  seine  Provinzen.  So  war  der  Erste  an  dem  neuen  Hofe  in 
Ungnade  gefallen,  und  die  Freunde  des  ersten  Bürgers  flohen  die 
Nähe  des  Verpesteten,  bis  auch  der  Senat  ihn  vor  sein  Gericht  zog 
und  der  Verzweifelte  das  Leben  nicht  mehr  ertrug  im  Lichte  der 
Sonne. 

Die  Blüte  Aiexandrias  beruhte  vor  allem  auf  dem  Austausch 
der  Güter,  die  von  den  Küsten  des  glücklichen  Arabiens  und  dem 
fernen  Indien  zu  Lande  und  zu  Wasser  nach  dem  Nile  gelangten. 
Nach  den  Häfen  Myoshormos  und  Berenice  am  roten  Meere 
brachten  die  Kaufleute  zu  Schiffe  die  kostbaren,  mit  Gold  aufge- 
wogenen Waren  und  dann  auf  dem  Rücken  der  Kameele  durch  das 
Wüstengebirge  am  Ostrande   des  Niltales   auf   den    Straßen,   die 


j  32  Augustus 

römische  Soldaten  neu  erbauten  und  bewachten,  nach  der  Thebais. 
Aber  wichtiger  war  der  alte  Handelsweg  durch  das  Innere  der 
arabischen  Halbinsel,  nur  dem  Volke  der  Nabataei  bekannt  und 
von  ihren  nach  Tausenden  von  Lasttieren  zählenden  Karawanen 
begangen.  Im  Süden  des  toten  Meeres  am  Rande  der  Wüste  lag 
Petra,  die  alte  Hauptstadt  dieses  Volkes,  die  noch  heute  in  den 
Ruinen  ihrer  Grabbauten  Zeugnis  ablegt  von  der  Macht  des  grie- 
chischen Geistes,  Freunde  der  Hellenen  nannten  sich  die  Könige 
und  das  ganze  Volk  trotz  ihrer  aramaeischen  Herkunft  mit  Recht. 
Denn  wie  Freunde  zur  Einheit  im  Denken  verwachsen,  so  ent- 
standen in  jenen  Gräbern  aus  den  einfachen  Bauten  der  Aramaeer 
durch  den  adelnden  Einfluß  griechischer  Kunstformen  ganz  neue 
Gebilde  von  eigenartiger  Schönheit,  die  eine  wahre  Verschmelzung 
des  einander  so  fremden  Wesens  beider  Völker  zeigen.  In  der 
schweigenden  Einsamkeit  der  Wüste  verkünden  sie  lautlos  die  ganze 
Größe  des  Hellenismus,  der  den  Völkern  des  Ostens  Sprache  lieh, 
ein  dumpf  beschlossenes  Dasein  in  dem  Ausdruck  der  eigenen 
Gedanken  zu  wirklichem  Leben  zu  lösen.  Wüßte  die  Wissenschaft 
die  Frage  überhaupt  zu  stellen,  in  den  Bauten  des  Ostens  läge 
die  Antwort  bereit,  wie  der  stille  Einfluß  des  erhabenen  Geistes 
der  Griechen  jene  in  sich  so  verschiedenen  Völker  des  Ostens  ganz 
nach  ihrer  Eigenart  zu  einem  erhöhten  Dasein  emporgeführt  hat. 
Eifersüchtig  wachten  die  Nabataeer  über  diesen  Handelsweg  im 
Innern  der  arabischen  Halbinsel,  den  sie  durch  die  Sicherung  der 
wenigen  Wasserstellen  der  Wüste  in  ihre  Gewalt  gebracht  hatten. 
Aber  jetzt  gehorchten  sie  der  Oberhoheit  Roms,  das  berechtigt  und 
berufen  war,  auch  in  jenen  Ländern  die  Macht  seiner  Waffen  zu 
zeigen.  So  erhielt  der  Präfekt  Ägyptens  Aelius  Gallus  im  Jahre  25 
von  Augustus  den  Befehl,  auf  jener  Straße  der  Nabataeer  bis  nach 
dem  glücklichen  Arabien  vorzudringen,  um  in  dieser  Heimat  des 
Weihrauches  und  anderer  Spezereien  festen  Fuß  zu  fassen.  looo 
Reiter  der  Nabataeer  und  500  der  Juden  sollten  den  Römern  unter 
Syllaeus,  dem  Vezir  des  Königs  Obodas  von  Petra,  als  Geleiter  und 
Führer  dienen.  Das  Heer  des  Aelius  Gallus  bestieg  in  Cleopatra, 
dem  Hafen  am  Ausgange  der  Bitterseen,  die  Kriegs-  und  Lastschiffe 
und   erduldete   in  der  glühend   heißen   Luft   dieses   stürmischen 


l6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  iSj 

Wasserbeckens  bei  der  Fahrt  um  das  Sinaigebirge  und  entlang  den 
rotenSandsteinklif  f  en  der  arabischenKüste  alleLeiden,  die  in  diesen 
Gewässern  der  heftige  Seegang  und  der  unerträgliche  Glanz  der 
Meeresfläche,  in  ihrem  Blau  mit  dem  Blau  des  sengend  strahlen- 
den Himmels  wetteifernd,  zur  dauernden  Qual  bereiten.  In  dem 
Hafen  der  Nabataeer,  Leukokome,  landete  das  Heer.  Von  Krank- 
heiten befallen,  die  an  diesen  Küsten  heimisch  sind,  wurde  es  den 
Winter  über  festgehalten.  Auf  dem  Marsche  durch  die  Wüsten- 
wege ging  das  Heer  neuen,  ungeahnten  Leiden  entgegen,  die  keine 
Fürsorge  und  keine  Erfahrung  ihrer  Führer  von  ihnen  abwenden 
konnten.  Denn  das  Wasser  konnte  das  Heer  nur  auf  Kameelen 
mit  sich  führen,  und  es  lebte  von  ungewohntem  Getreide  und  dem, 
was  das  Land  an  dem  Oele  und  den  Blättern  der  Palmen  hervor- 
brachte. Dreißig  Tage  hatte  der  Marsch  bereits  gewährt  ohne  Ge- 
fahren, solange  das  Heer  das  Gebiet  des  befreundeten  Fürsten 
Aretas,  eines  Verwandten  des  Obodas,  durchzog.  Da  trat  es  in  den 
Bereich  der  weiten,  wasserlosen  Felsschluchten  und  Berge  ein,  die 
den  eigentlichen  Schrecken  der  Einöden  Arabiens  bilden,  wo  einsam 
schweifende  Söhne  der  Wüste  keine  Freunde  kennen.  Auf  dem 
Marsche  durch  diese  Strecken  befiel  das  Heer  das  zehrende  Fieber 
der  Erschöpfung.  Es  war  eine  Erlösung,  als  in  dem  fruchtbaren 
Lande  von  Negrana  der  Feind  sich  zeigte.  Die  Stadt  wurde  erobert 
und  sechs  Tage  später  bei  einem  Flußübergang  das  Heer  des 
Königs  Sabus,  schlecht  bewaffnet  und  noch  schlechter  geleitet, 
ohne  Verluste  besiegt.  Dann  führte  der  Marsch  über  Asca  und 
Athrula,  die  durch  Besatzungen  gesichert  wurden  und  reiche  Vor- 
räte boten,  nach  dem  Lande  der  Verheißung.  Aber  die  Einnahme 
der  Hauptstadt  Mariba  überstieg  die  Kraft  des  Heeres,  das  Tau- 
sende auf  dem  Marsche  in  der  Wüste  zurückgelassen  hatte.  Nach 
sechs  Tagen  einer  wirkungslosen  Belagerung  trat  Aelius  Gallus  den 
Rückmarsch  an,  eine  andere  Straße  näher  der  Küste  einschlagend, 
die  vielleicht  der  eigentliche  Handelsweg  der  Nabataeer  gewesen 
ist.  Wieder  gelangte  das  Heer  auf  kürzeren  Wegen  nach  Negrana, 
elf  Tage  später  an  die  Oase  der  sieben  Brunnen  und  von  da  durch 
das  befreundete  Gebiet  von  Chaala  nach  einem  Platze  bei  Malotha. 
Wieder  ging   es   weiter   durch   wasserlose  Wüsten,   bis   das   Heer 


184  Augustus 

endlich  den  Hafen  am  roten  Meer  erreichte,  nach  60  Tagen  des 
Marsches.  Sechs  Monate  hatte  der  Hinmarsch  gedauert.  Von  hier 
ging  Aelius  Gallus  mit  den  wenigen  Kampffähigen  nach  Myoshor- 
mos  über.  Nur  daß  Syllaeus  das  Heer  redlich  geleitet  hatte,  war 
seine  Rettung  gewesen.  Dennoch  gelang  es  dem  tückischen  Hasse 
des  Nicolaus  von  Damascus,  des  Beraters  des  Judenkönigs  Hero- 
des,  in  Rom  seine  Verurteilung  zu  erreichen,  da  auch  Gallus  durch 
gefälschte  Berichte  Augustus  irregeführt  hatte.  War  auch  der 
Zweck  des  Feldzuges  nicht  erreicht,  so  erschien  es  doch  eine 
rühmenswerte  Tat  und  erscheint  so  auch  heute  noch  jedem,  der 
die  Bedingungen  eines  solchen  Zuges  sich  vor  Augen  zu  führen 
vermag.  Augustus  hielt  diesen  Zug  der  Erwähnung  wert  in  seiner 
Inschrift  von  Ancyra,  weil  niemals  Griechen  oder  Römer  in  dieses 
Land  mit  Heeresmacht  eingezogen  waren.  Darüber  mag  spötteln, 
dem  alles,  was  Augustus  gelang  oder  auch  nicht  gelang,  gleich- 
mäßig ein  Gegenstand  des  Hohnes  ist,  nur  weil  er  ein  Herrscher  war. 
So  gedachte  Augustus  auch  des  Kampfes,  der  um  eben  jene  Zeit 
gegen  die  Aethiopen  an  der  Südgrenze  Ägyptens  geführt  wurde. 
Die  Königin  Kandake,  Klage  führend  über  die  Belästigung  ihrer 
Untertanen  durch  die  Beamten  Ägyptens,  brach  um  die  Zeit,  als 
Aelius  Gallus  mit  einem  großen  Teil  seines  Heeres  außer  Landes 
stand,  über  die  Grenzen,  eroberte  die  Feste  Syene  und  schleppte 
mit  anderer  Beute  die  Statuen  des  Augustus  mit  sich  fort,  um 
Ägypten  des  sichtbaren  Schutzes  seines  Gottes  zu  berauben.  Aber 
Petronius,  der  Stellvertreter  des  Aelius  Gallus  in  der  Verwaltung 
Ägyptens,  der  schon  früher  einen  Aufruhr  in  Alexandrien  nieder- 
geschlagen hatte,  zog  mit  10000  Fußgängern  und  800  Reitern 
gegen  die  Aethiopen,  zwang  das  dreimal  so  starke  Heer  Kandakes 
zum  Rückzug  auf  Pselchis  und  forderte  die  Rückgabe  des  Ge- 
raubten. Als  die  Aethioper  drei  Tage  mit  der  Antwort  zögerten, 
schlug  er  die  nur  mit  Schilden  aus  Rinderhäuten  und  Streitäxten, 
Lanzen  und  Schwertern  bewaffneten  Wilden  und  trieb  die  Fliehen- 
den teils  auf  eine  Insel  des  Nil,  teils  zurück  in  ihre  Stadt,  wo  die 
Feldherrn  der  Kandake  und  die  Masse  des  Volkes  gefangen 
wurden,  um  den  Sclavenmarkt  in  Alexandria  zu  füllen.  Dem 
Stromlaufe  folgend,  eroberte  Petronius  das  im  Sande  der  äthio- 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 


185 


pischen  Wüste  liegende  Premnis  und  die  Hauptstadt  der  Kandake 
Napata.  Schon  war  Kandake  zur  Rückgabe  der  Beute  bereit, 
auch  verbot  die  Natur  ein  weiteres  Vordringen,  so  ließ  Petronius 
in  Premnis  eine  Besatzung  zurück  und  sandte  Gefangene,  1000  an 
der  Zahl,  zu  Augustus,  der  noch  in  Tarraco  weilte.  Einige  Jahre 
später  wollte  Kandake  die  Römer  aus  Premnis  vertreiben,  erlitt 
aber  eine  neue  Niederlage  und  willigte  darein,  daß  Premnis  ein 
Lager  der  Römer  blieb,  deren  Oberhoheit  ihre  Gesandten  aner- 
kannten, als  sie  vor  Augustus  im  Jahre  20  in  Samos  erschienen. 
Der  Erfolg  der  Römer  an  dieser  Grenze  ist  dauernd  gewesen, 
wie  die  in  dem  nördlichen  Aethiopien  auch  später  bestehenden 
Straßen  mit  Meilenzählung  beweisen. 

Politisch  bedeutsamer  ist  die  Änderung  der  Verwaltung,  die  in 
Galatien  nach  dem  Tode  des  Königs  Amyntas  eintrat.  Amyntas, 
den  Antonius  zum  Herrscher  der  Galater  erhoben  und  mit  Er- 
weiterungen seines  Gebietes  beschenkt  hatte,  dankte  die  Erhaltung 
seiner  Herrschaft  dem  Entschlüsse,  der  ihn,  ehe  noch  die  Ent- 
scheidung bei  Actium  gefallen  war,  in  das  Lager  des  Augustus 
übertreten  ließ.  Sein  Reich  umfaßte  auch  die  Hochsteppen  Lycao- 
niens  bis  an  den  Taurus,  das  rauhe  Cilicien  und  die  Berge  der 
wilden  Pisidier  und  Isaurer.  Die  Festen,  die  er  in  Derbe  und 
Isaura  errichtete,  sicherten  diese  Landschaften.  Als  er  auch  durch 
die  Eroberung  Cremnas  die  Cieter  und  Homonadenser  in  den 
Bergen  Ciliciens  einschließen  wollte,  ihre  Burgen  brach  und  den 
Fürsten  des  Volkes  tötete,  fiel  er  durch  Verrat  in  die  Hände  der 
Gemahlin  des  Toten.  Quirinius,  der  Statthalter  Syriens,  übte  Ver- 
geltung für  die  Ermordung  des  Amyntas.  Das  weite  Gebiet,  das 
dieser  beherrscht  hatte,  ließ  Augustus  durch  Lollius  in  eine  Provinz  25  V.  Chr. 
umwandeln.  Nur  die  Galater  und  ihre  kriegerischen  Nachbarn 
eigneten  sich  unter  den  Völkern  des  Ostens,  durch  die  Tapferkeit 
und  die  Leichtigkeit,  mit  der  sie  römische  Art  annahmen,  zum 
Dienste  in  den  römischen  Legionen  Syriens  und  Ägyptens,  die  sie 
fortan  zu  ergänzen  bestimmt  waren.  Mit  dem  Eintritt  in  das  Heer 
erwarben  sie  das  Bürgerrecht  und  die  bevorzugte  Stellung  der 
Römer,  sodaß  das  ganze  Volk  der  Galater  in  Treue  und  Dankbar- 
keit gegen  das  Herrscherhaus  wetteiferte.    In  den   Hauptstädten 


l86  Augustus 

ihres  Landes,  in  Ancyra  in  Galatien  und  Apollonia  in  Pisidien 
wurden  Tempel  errichtet  für  die  Verehrung  der  Göttin  Roma  und 
des  Augustus. 

Auch  im  Westen  kam  es  während  der  Zeit,  als  Augustus  in 
Spanien  weilte,  zu  Kämpfen,  die  ihm  wichtig  genug  erschienen,  den 
Siegernamen  Imperator  zu  erneuern.  Der  Sieg  des  Marcus  Vini- 
cius  über  germanische  Stämme,  die  den  römischen  Handel  gestört 
hatten,  ist  nur  dem  Namen  nach  bekannt.  Es  mag  dieser  Krieg 
in  Verbindung  stehen  mit  den  Kämpfen  zur  Sicherung  der  beiden 
Alpenstraßen,  die  aus  Oberitalien  über  den  großen  und  kleinen 
Sanct  Bernhard  nach  Gallien  führten.  Die  Siege,  die  Aulus 
Terentius  Varro  im  Jahre  25  in  diesen  Bergen  über  die  Sallasser 
gewann,  endeten  mit  der  Ausrottung  des  ganzen  Volkes,  das  auf 
dem  Sclavenmarkte  unter  der  Bedingung  verkauft  wurde,  keinem 
die  Freiheit  wiederzugeben.  An  der  Stelle,  wo  das  Lager  des  Varro 
gestanden  hatte,  entstand  die  Stadt  Augusta  Praetoria,  die  auch 
heute  noch  die  Umfassungsmauer  aus  der  Zeit  des  Augustus  zeigt 
und  in  der  Anlage  der  Straßen  und  Häuser  den  Plan  der  Ansied- 
lung  jener  3000  Veteranen  der  Cohortes  praetoriae  erkennen  läßt. 

Die  Führung  des  spanischen  Krieges  hatte  Augustus  seinen 
Feldherrn  anvertrauen  müssen,  da  ihn  selbst  dauernde  Kränklich- 
keit in  Tarraco  festhielt.  Um  so  schwerer  lastete  die  Sorge  um 
das  Reich  und  sein  Haus  auf  dem  Gemüte  des  Kranken  und  reifte 
in  ihm  den  Beschluß,  die  Ehe  seines  Neffen  Claudius  Marcellus,  des 
Sohnes  der  Octavia,  mit  seinem  einzigen  Kinde  Julia,  die  aus 
dem  Bunde  mit  Scribonia  entsprossen  war,  zu  beeilen.  Claudius 
Marcellus  und  Tiberius  Claudius  Nero,  der  Stiefsohn  aus  der  ersten 
Ehe  Livias,  waren  als  Prinzen  des  kaiserlichen  Hauses  bei  dem 
Siegeseinzug  des  Augustus  auf  den  Beipferden  des  Triumphal- 
gespannes geritten  und  taten  ihren  ersten  Kriegsdienst,  im  gleichen 
Jahre  geboren,  als  Sechzehnjährige,  im  Gefolge  des  Herrschers, 
gleich  an  äußeren  Ehren.  Bei  der  festlichen  Feier  im  Lager,  als 
Augustus  die  Veteranen  des  Krieges  entließ,  führten  beide  als  Spiel- 
geber den  Vorsitz.  Schon  dort  erduldete  Tiberius  das  Schicksal 
seines  Lebens,  stets  der  zweite  am  Throne  und  ungeliebt  als  Stief- 
sohn zu  bleiben.  Und  doch  besaß  er  die  zähe  Kraft,  die  den  echten 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  187 

Sprossen  des  Hauses  fehlte  und  ihm  eine  lange  Dauer  des  Lebens 
verhieß.  Jetzt  sah  er,  wie  Marcellus  im  Jahre  25  nach  Rom 
zurückkehrte,  um  die  Ehe  mit  der  Kaisertochter  zu  schließen.  Die 
Hochzeitsfeier  des  in  seiner  Zartheit  und  Schönheit  allzujungen 
Paares  leitete  Agrippa,  selbst  der  Schwester  des  Marcellus  ver- 
mählt. Als  Augustus,  noch  immer  krank,  im  Jahre  24  nach  Rom 
zurückkehrte,  schlössen  sich  die  Flügel  des  Janustores  von  neuem, 
wenn  auch  der  Princeps  die  Ehre  des  Siegeseinzuges  ablehnte.  Jetzt 
verlieh  Augustus  dem  Marcellus  als  Erben  des  Thrones  das  Recht, 
unter  den  Praetoriern  im  Senate  zu  sprechen,  das  Consulat  zehn 
Jahre  vor  der  gesetzlichen  Zeit  zu  bekleiden.  Zur  Feier  des  Sieges, 
noch  mehr  zur  Feier  der  Vermählung  im  Kaiserhause  hatte  Augustus 
das  Volk  mit  einem  Gnadengeschenke  von  100  Denaren  auf  den 
Mann  bedacht.  Wirksamer  sollte  der  Prinz  nach  der  Sitte  der  Vor- 
nehmsten Roms  die  Gunst  des  Volkes  gewinnen  durch  den  Glanz 
der  Spiele,  die  er  im  folgenden  Jahre  als  Aedil  zu  feiern  hatte. 

Da  erfaßte  Augustus  im  Jahre  23  die  Krankheit  schwerer  als 
je  und  ließ  ihn  am  Leben  verzweifeln.  Er  übergab  dem  Consul 
Calpurnius  Piso  den  Bericht  an  den  Senat,  in  dem  er  Rechenschaft 
legte  über  den  Bestand  des  Heeres  und  Staatsvermögens,  die  ihm 
anvertraut  waren,  und  legte  den  Siegelring  in  Agrippas  Hände, 
damit  er  für  ihn,  den  Hülflosen,  die  Herrschaft  führe.  Aber  diesen 
letzten  Anfall  der  tückischen  Krankheit  überwand  die  Kunst  seines 
Arztes  Musa.  Augustus  erhob  sich  als  ein  Genesener,  um  schmerz- 
licher zu  leiden  durch  den  Zwiespalt  im  eigenen  Hause.  Agrippa, 
der  so  lange  als  der  Getreueste  jede  Probe  der  Ergebenheit  be- 
standen hatte,  ertrug  es  nicht,  hinter  dem  tatenlosen  Knaben  Mar- 
cellus zurückzustehen,  und  als  Augustus  den  ungerecht  Erzürnten 
als  Verweser  des  Ostens  mit  höchster  Macht  nach  Syrien  sandte, 
sagte  sich  Agrippa  von  Pflicht  und  Freundschaft  los  und  ging  nach 
Lesbos  in  die  selbsterwählte  Verbannung.  Im  Innersten  verletzt, 
sah  ihn  Augustus  scheiden.  Da  war  es  die  Hand  des  Todes,  die 
die  Freunde  wieder  zusammenführen  sollte.  Marcellus  starb  im 
Herbste  desselben  Jahres  zu  Bajae  am  Fieber.  Um  seinem  Hause 
den  Frieden,  dem  Reiche  den  fähigsten  seiner  Diener  zu  erhalten, 
entschloß  sich  Augustus,  seine  kindliche  Tochter  dem  Freunde,  der 


l88  Augustus 

mehr  als  das  Doppelte  ihrer  Jahre  zählte,  in  die  Ehe  zu  geben. 
Wieder  war  die  Sorge  um  den  Staat,  wie  einst  bei  jenem  Ehe- 
bunde zu  Brundisium,  für  Augustus  ganz  allein  entscheidend,  dem 
er  das  eigene  Glück,  das  Glück  der  Seinen  stets  aufzuopfern 
bereit  war.  Denn  die  Last  der  Herrschaft  war  für  die  Schultern 
eines  Mannes  zu  schwer.  Dringend  forderte  der  Zustand  des 
Reiches,  daß  Augustus  die  Provinzen  selbst  bereiste,  um  in  einem 
jahrelangen  Wanderleben  überall  nach  eigenster  Einsicht  jene  An- 
ordnungen zu  treffen,  die  auf  Jahrhunderte  hinaus  die  unverrück- 
baren Grundlagen  des  Staates  zu  bleiben  bestimmt  waren.  Zuerst 
sollte  der  Osten,  der  des  Weitblickes  und  des  Wohlwollens  des 
Herrschers  am  meisten  bedurfte,  der  Schauplatz  dieses  unver- 
gleichlichen Wirkens  werden.  Agrippas  Händen  konnte  er  wäh- 
rend seiner  Abwesenheit,  die  ihn  durch  Jahre  von  Rom  fernhalten 
mußte,  Italien  und  den  Westen  anvertrauen. 

Aber  die  neue  Aufgabe,  die  er  sich  selbst  gesetzt,  bedurfte 
einer  neuen  Gestaltung  seiner  Rechte  als  Herrscher.  Denn  gerade 
die  Provinzen  des  Senates  waren  es,  wo  alter  Mißbrauch  zum 
Rechte  der  Gewohnheit  geworden  war.  Deshalb  ließ  er  sich  das 
Imperium  des  Proconsuls  für  das  ganze  Reich  übertragen  mit 
höherer  Amtsgewalt,  die  ihn  berechtigte,  in  die  Verwaltung  der 
Provinzen  des  Senats  einzugreifen,  und  ebenso  mußte  seine  tri- 
bunicische  Gewalt  fortan  nicht  mehr  durch  die  Bannmeile  Roms 
beschränkt  bleiben.  Ferne  von  Rom  war  die  Verwaltung  des  Con- 
sulates  ein  leerer  Schein,  so  verzichtete  er  für  immer  auf  dieses 
Amt  und  behielt  sich  nur  vor,  die  höchste  Würde  des  Senates  zu 
bekleiden,  wenn  es  ihm  notwendig  erscheinen  sollte.  Hatte  er  bis- 
her als  Consul  dem  Jahre  den  Namen  gegeben,  so  trat  jetzt  jene 
neue  Zählung  seiner  Regierungsjahre  an  die  Stelle  nach  Jahren  der 
Bekleidung  der  tribunicia  Potestas,  um  in  der  ungeheuren  Ver- 
waltung, die  ihm  persönlich  unterstand,  eine  feste  Jahresrechnung 
einzuführen,  die  keineswegs  im  Leben  die  gewohnte  Zählung  der 
Jahre  nach  den  Consuln  des  römischen  Volkes  verdrängen  sollte. 
Bei  den  mannigfachen  Aufgaben,  die  seiner  in  den  Provinzen 
harrten,  mußte  er  frei  sein  von  dem  Zwange,  für  dauernde  Satzun- 
gen erst  die  Zustimmung  des  Senates  und  des  Volkes  in  Rom  ein- 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  i8q 

zuholen.  So  übertrug  ihm  der  Senat  das  Recht,  in  göttlichen  und 
menschlichen  Dingen  zu  verfügen,  was  das  Wohl  des  Staates  er- 
forderte. Mochte  das  auch  klingen,  als  ob  der  Princeps  wieder 
über  Recht  und  Gesetz  erhöht  sei,  der  Geist  ist  es,  der  selig  macht, 
und  in  den  Händen  des  größten  Künstlers  in  der  Leitung  eines 
Staates  wurde  das  scheinbar  so  schrankenlose  Recht  nur  der  Aus- 
druck der  Besonnenheit  des  Mannes,  der  es  übte.  Diese  neue  Ver- 
fassung des  Jahres  23  entsprach  den  neuen  Aufgaben,  die  der 
Herrscher  erfüllen  mußte,  und  das  Bindende  lag,  wie  immer  bei 
Augustus,  in  der  Person  des  Herrschers  und  nicht  in  dem  starren 
Buchstaben  eines  geschriebenen  Rechtes.  Die  Art,  wie  er  die 
Herrschaft  handhabte,  war  das  Geheimnis  seiner  Erfolge. 

Niemand  besaß  in  diesen  schwierigen  Tagen  das  Vertrauen  des 
Kaisers  als  Maecenas.  Und  auch  er  versagte  in  den  Stunden  ernster 
Prüfung.  Ihn  zu  ehren,  hatte  Augustus  Terentius  Varro  Murena 
zum  Mitconsul  für  das  Jahr  23,  in  dem  sich  die  Aenderung  der 
Verfassung  vollzog,  ernannt.  Aber  gerade  diese  höchste  Gnade 
verblendete  den  anmaßenden  Mann  bis  zu  seinem  Verderben.  Als 
Augustus  in  dem  Gerichtshof  erschien,  der  über  die  Schuld  eines 
Statthalters  des  Senates  urteilen  sollte,  um  Zeugnis  abzulegen  gegen 
den  Angeklagten,  herrschte  ihn  Terentius  Varro  an :  wer  ihn  herbei- 
gerufen, und  erhielt  die  fürstliche  Antwort :  das  Wohl  des  Staates. 
Eben  jenes  reinere  Hervortreten  der  Alleinherrschaft  wird  die  Ver- 
anlassung gewesen  sein,  daß  sich  unter  der  Führung  des  Fannius 
Caepio  eine  Verschwörung  bildete  gegen  das  Leben  des  Kaisers. 
Auch  Terentius  Varro  schloß  sich  ihnen  an.  Aber  die  Toren  waren 
bereits  überwacht.  Da  verriet  Maecenas  das  Geheimnis  seinem 
Weibe,  der  Schwester  des  Terentius  Varro;  so  entflohen  die  Buben 
rechtzeitig  gewarnt.  Das  Gericht  verurteilte  sie  zum  Tode,  und  sie 
büßten  sterbend  den  versuchten  Mord.  Augustus  entzog  Maecenas, 
dem  Hochverdienten,  auch  jetzt  nicht  seine  Freundschaft,  aber  der 
Vertraute  seines  Rates  durfte  er  nicht  länger  sein.  Vielleicht,  daß 
dieser  Schmerz  ihn  auf  das  letzte  Krankenlager  warf,  wo  er  an 
seinem  Leben  verzweifelte,  um  zu  sehen,  daß  Agrippa  die  Probe 
der  Freundschaft  nicht  minder  schlecht  bestand.  Und  doch  auch 
solche   Erfahrung   hat   sein   rein   gestimmtes  Gemüt   nie   irre  ge- 


I  Qo  Augustus 

macht,  an  den  Wert  und  die  Dauer  der  Freundschaft  unter  Men- 
schen zu  glauben.  Ueber  alle  Irrungen  des  Lebens  hinweg,  hielt 
er  fest  an  ihnen  und  rühmte  ihre  Liebe  bis  in  seine  letzten  Tage 
als  sie  ihm  lange  im  Tode  vorangegangen  waren. 

Als  Augustus  nach  dem  Osten  aufbrach,  fand  er,  wie  so  oft 
in  späteren  Jahren,  eine  Stütze  an  seinem  Stiefsohn  Tiberius  Nero, 
dem  stets  ergebenen  Helfer,  der  mit  unwandelbarer  Verehrung  zu 
dem  Herrscher  hinaufblickte.  Hinter  Marcellus  zurückstehend, 
hatte  er  in  diesem  Jahre  nur  die  Quaestur  bekleidet,  seine  Fähig- 
keit bei  der  schwierigen  Versorgung  des  Marktes  der  Hauptstadt 
beweisend,  und  nur  das  Recht  erlangt,  die  Ämter  fünf  Jahre  vor 
der  gesetzlichen  Zeit  zu  bekleiden.  Jetzt  wieder  der  Zweite  am 
Throne,  sollte  er  das  Heer  nach  dem  Osten  führen,  wo  höhere  Auf- 
gaben seiner  harrten.  Da  erhielt  er,  als  das  Heer  das  Schlachtfeld 
von  Philippi  überschritt,  in  dem  Aufflammen  der  Altäre,  die  die 
Legionen  nach  dem  Siege  errichtet  hatten,  ein  Wunderzeichen  zu- 
künftiger Herrschermacht.  Sein  verschlossenes,  zu  dunkler  Ahnung 
neigendes  Gemüt  hat  von  dieser  Stunde  mit  finsterer  Entschlos- 
senheit an  diesem  Hoffen  festgehalten. 

Kaum  hatte  Augustus  im  Jahre  22  Rom  verlassen,  so  brachen 
Unruhen  aus,  die  ihn  zur  Umkehr  zwangen.  Hungersnot  und  Krank- 
heiten, die  in  Rom  und  Italien  herrschten,  waren  nach  der  Meinung 
des  Volkes  hervorgerufen  worden,  weil  Augustus  das  Consulat 
niedergelegt  hatte  und  so  sein  Schutz  nicht  mehr  auf  Rom  ruhte. 
Der  Senat  wurde  in  der  Curie  belagert  von  tobenden  Haufen,  die 
das  Gebäude  in  Brand  zu  stecken  drohten  und  erst  abließen,  als 
der  Senat  beschloß,  dem  Kaiser  die  Dictatur  auf  Lebenszeit  zu 
übertragen.  Als  Augustus  nach  Rom  zurückkehrte,  wiederholte 
sich  der  Aufruhr.  Mit  Gewalt  wollte  man  ihm  die  Würde  aufdrän- 
gen, trotz  seines  kniefälligen  Bittens,  davon  abzustehen.  Auch  die 
andere  Form,  die  schrankenlose  Gewalt  dauernd  zu  üben  als  Con- 
sul,  lehnte  er  ab.  Nur  die  unabweisliche  Fürsorge  nahm  er  auf 
sich,  die  Hauptstadt  aus  der  Hungersnot  zu  befreien. 

In  der  Art,  wie  der  Princeps  jetzt  für  die  Verpflegung  der 
Hauptstadt,  die  Cura  annonae,  eintrat,  zeigt  sich  die  Schonung  des 
Bestehenden,  da  Senatoren  aus  der  Rangklasse  der  Praetorier  die 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  igi 

Verteilung  des  Getreides  an  die  Bedürftigen  in  Zukunft  leiten  soll- 
ten. Es  geschah  dies  nach  einem  Grundsatz,  an  dem  Augustus 
auch  später  immer  festhielt,  wenn  er  die  Oberleitung  eines  Amts- 
kreises übernahm,  den  nach  der  Verfassung  vom  Volke  bestellte 
Beamte  hätten  verwalten  müssen.  Für  solche  Zweige  seiner  Ver- 
waltung berief  er  stets  Mitglieder  des  Senates  als  Hilfsbeamte,  die 
die  außerordentliche  Art  ihrer  Verwendung  im  Titel,  den  sie  führ- 
ten, als  Curatores,  erkennen  ließen.  Es  ist  immer  der  Gedanke  der 
Mitwirkung  des  Senates  in  der  Regierung  des  Reiches,  der  ihn 
leitete.  Dennoch  umschloß  die  Cura  annonae  weitgehendere 
Pflichten,  die  nur  die  das  ganze  Reich  umspannende  Macht  des 
Princeps  zu  erfüllen  vermochte.  Die  wahre  Schwierigkeit  war  es, 
die  Bewohner  der  Hauptstadt  vor  den  drückenden  Schwankungen 
des  Marktpreises  sicherzustellen,  die  die  Mißernten  in  Italien  und 
den  Provinzen,  sowie  der  unsichere  Gang  der  Schiffahrt  in  der 
stürmischen  Jahreszeit  hervorrufen  konnten.  Wenn  es  Augustus 
gelang,  in  jenem  Jahre  in  wenigen  Tagen  die  Not  zu  beseitigen,  so 
zeigt  ihn  dies  eben  als  den  Herrn  des  wichtigsten  Getreidelandes 
Ägypten  und  den  Besitzer  der  größten  Ländereien.  Es  ist  ein  ganz 
neuer  Zweig  der  Verwaltung,  der  sich  zu  all  den  Pflichten,  die 
auf  dem  Princeps  lasteten,  jetzt  auftat  und  erst  allmählich  im 
Laufe  seiner  Regierung  jene  Gestaltung  erhielt,  die  der  letzten 
Form  des  augusteischen  Principates  entsprach. 

Wie  wenig  Augustus  damals  eine  Erweiterung  seiner  Gewalt 
wünschte  oder  auch  nur  wünschen  konnte,  zeigen  doch  für  die  ein- 
sichtigen Beurteiler  gerade  die  Aufgaben,  die  ihm  in  der  Neuord- 
nung der  Provinzen  zunächst  oblagen.  So  war  es  ihm  auch  Ernst, 
als  er  in  jenen  Jahren  noch  einmal  den  Versuch  machte,  die  Cen- 
sur  wieder  ins  Leben  zu  rufen.  Seine  eigene  Schätzung  des  Jah- 
res 28  war  außerordentlicher  Art  gewesen.  Den  beiden  Censoren 
Paullus  Aemilius  Lepidus  und  Lucius  Munatius  Plancus  lieh  er 
seine  Hilfe  und  bewirkte  auch,  daß  die  Vereine,  die  in  Rom  stets 
eine  Quelle  der  Störung  der  öffentlichen  Ruhe  waren,  durch  stren- 
gere Gesetze  beschränkt  wurden.  Die  Verwaltung  des  Senates  gab 
er  die  Provinzen  Gallia  Narbonensis  und  Cypern  zurück,  da  sie  für 
völlig  befriedet  gelten  konnten.    Endlich  konnte  er  nach  Sicilien 


1 Q  2  Augustus 

aufbrechen,  als  ihn  wieder  Unruhen,  die  bei  den  Wahlen  zum  Con- 
sulat  ausbrachen,  zurückriefen.  Immer  noch  wollte  man  den  Princeps 
zwingen,  das  Consulat  zu  übernehmen,  und  unterließ  lieber  die  Wahl 
des  zweiten  Consuls  ganz,  nur  damit  ihm  die  Stelle  offen  bleibe. 

Als  Agrippa  aus  Lesbos  eintraf,  um  sich  mit  Julia  zu  ver- 
mählen, hatte  Augustus,  der  um  diesen  höchsten  Preis  den  Westen 
in  sicheren  Händen  wußte,  Italien  bereits  verlassen.  Sicilien  zu 
neuem  Leben  zu  erwecken,  vermochte  keine  menschliche  Kraft. 
Aber  die  alten  Städte  sollten  doch  als  Städte  römischer  Ordnung 
durch  die  Ansiedelung  der  Veteranen,  die  einst  in  des  Pompeius 
Heere  gedient  hatten,  wieder  Bewohner  erhalten.  So  endeten  die 
einst  so  stolzen  Namen  Syracusae,  Tauromenium,  Catania,  Ther- 
mae  Himeraeae,  Tyndaris,  Lilybaeum,  Panormus  als  bloße  Schat- 
ten dürftiger  Landstädte.  Ganz  in  derselben  Weise  fanden  da- 
mals vielleicht  Veteranen  aus  Lepidus  Heere  in  Städten  Africas 
und  Mauretaniens  eine  neue  Heimat.  Während  er  auf  der  Reise 
nach  Asien  in  Griechenland  verweilte,  sind  es  nur  die  beiden 
Leuchten  Griechenlands,  Athen  und  Sparta,  von  denen  wir  Kennt- 
nis erhalten.  Auch  hier  hat  der  Kaiser  ausgleichende  Gerechtig- 
keit geübt.  Sparta,  das  Livia  auf  der  Flucht  vor  den  Ächtungen 
des  Jahres  42  hilfreich  aufgenommen  hatte,  sah  sich  vergrößert 
um  seinen  alten  Besitz  der  Insel  Kythera,  während  Athen,  der 
schlechteste  Herr  seiner  Untertanen,  die  Herrschaft  über  Ägina 
und  Euboea  gewiß  mit  Recht  verlor.  Daß  der  Kaiser  Rache  ge- 
nommen für  Ehren  des  Antonius,  ist  eine  lächerliche  Erfindung; 
dagegen  wußte  er,  was  er  tat,  als  er  den  Athenern  verbot,  ihr 
Bürgerrecht  für  Geld  zu  verkaufen. 

In  Asien  wurde  in  den  beiden  Jahren  21  und  20  Samos  wieder 
der  Sitz  seiner  Regierung,  ohne  daß  wir  über  seine  Tätigkeit  in 
den  Provinzen  Asien  und  Bithynien  etwas  Wissenswertes  erfahren. 
Daß  er  die  Steuern  neu  regelte,  die  Verwaltung  der  Städte  neu 
ordnete,  lag  in  seiner  Aufgabe.  Kyzikos,  das  seine  Gerichts- 
hoheit als  freie  Stadt  bis  zur  Geißelung  und  Hinrichtung  römischer 
Bürger  mißbraucht  hatte,  verlor  seine  Selbstverwaltung,  die  es  ver- 
wirkt hatte.  Und  so  erging  es  auch  später  Sidon  und  Tyros  in 
Syrien,  die  ihre  Freiheit  nur  mehr  im  wilden  Aufruhr  betätigten. 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  iqa 

Was  hier  alles  verschollen  ist  und  bei  dem  Mangel  historischen 
Sinnes  verloren  bleibt,  wenn  es  auch  erkennbar  ist,  zeigt  die  Neu- 
ordnung des  Aphroditekultes  in  Paphos  auf  Cypern.  In  dem  Kalen- 
der dieser  Stadt,  den  eine  astrologische  Handschrift  erhalten  hat, 
treten  uns  die  politischen  Gedanken  der  älteren  Form  des  augu- 
steischen Principates  in  merkwürdiger  Weise  entgegen,  Aphrodite 
erscheint  als  die  Ahnfrau  der  Julier,  deren  Haus  auch  Agrippa 
und  die  Söhne  der  Livia  umfaßt.  Höher  in  der  Verehrung  als 
das  Kaiserhaus  steht  das  römische  Volk  und  sein  Schutzgott,  der 
Juppiter  des  Capitols.  Es  ist  eben  jene  Auffassung,  die  der  Gestalt 
des  Kaiserkultes  in  den  Provinzen  des  Ostens  entspricht.  Aber 
auch  im  Osten  ist  es  die  göttliche  Herkunft  des  Julischen  Hauses, 
die  für  Augustus  immer  der  Leitstern  seiner  ganzen  Regierung 
geblieben  ist  und  den  Völkern  des  Reiches  sein  wahres  Anrecht 
auf  die  Herrschaft  erweisen  sollte. 

Im  Osten  Kleinasiens  hatte  sich  die  ursprüngliche  Ordnung 
der  Gesellschaft,  wie  sie  in  diesen  Landschaften  seit  Alters  bestand, 
bis  in  diese  Zeit  unverändert  erhalten.  In  dem  hohen  Priester  der 
Stammesgottheit  sahen  die  in  Dorfgemeinden  lebenden  Bewohner 
ihr  geistliches  und  weltliches  Haupt.  Dem  Heiligtume  zinsten  sie 
und  folgten  auch  in  weltlichen  Dingen  der  Weisung  ihrer  Priester. 
Angehörige  dieses  Priesteradels  hatten  sich  zu  Herrn  weiterer  Ge- 
biete, die  die  gemeinsame  Sprache  und  der  gemeinsame  Glaube 
verband,  aufgeworfen,  und  sie  hießen  Könige.  Die  Voraussetzung 
der  römischen  Selbstverwaltung,  die  nach  griechischer  Weise  ge- 
ordnete städtische  Gemeinde,  fehlte  ganz.  Hier  war  Augustus  in 
seiner  weisen  Schonung  des  geschichtlich  Gewordenen  bemüht, 
den  Völkern  ihre  angestammten  Herrscher  zu  erhalten.  Da  sie 
alle,  nur  dem  Drange  der  Zeit  gehorchend,  Antonius  in  den  Krieg 
gefolgt  waren,  so  beließ  Augustus  schon  damals  jenen  ihre  Herr- 
schaft, die  kein  persönliches  Verschulden  traf.  Polemo  hatte  die 
Herrschaft  über  Kleinarmenien,  die  ihm  Antonius  zuletzt  verlieh, 
im  Jahre  26  mit  Pontus  am  Meere  als  Freund  und  Bundesgenosse 
des  römischen  Volkes  vertauscht.  Archelaus,  ein  Nachkomme  des 
berühmten  Feldherrn,  der  die  Heere  des  Mithradates  gegen  Sulla 
geführt,    erweiterte    jetzt    im  Jahre  20    sein    angestammtes  Reich 

Domafzewski.     1.  I.^ 


IQi  Augustus 

Cappadocien  durch  Kleinarmenien  und  das  rauhe  Cilicien  mit  Stri- 
chen an  der  Meeresküste,  wo  die  Insel  Elaeusa  sein  Königssitz 
wurde.  Das  Heiligtum  des  östlichen  Ciliciens,  griechisch  Hierapolis 
genannt,  beherrschte  das  Geschlecht  der  Tarcondimoti,  auch  nach 
Augustus  Bestimmung.  Den  Thron  von  Commagene  verlieh  er 
Mithridates,  dem  Neffen  des  letzten  Herrschers.  In  Samos  war  es, 
wo  die  Gesandten  der  Inder  vor  ihm  erschienen,  um  den  Kaiser 
der  Römer,  von  dessen  Weisheit  und  Macht  der  Ruhm  bis  an  die 
Grenzen  des  Erdkreises  gedrungen  war,  durch  Geschenke  zu  ehren 
und  die  Freundschaft  mit  dem  Herrscher  zu  schließen,  die  sie 
bereits  früher  in  Tarraco  von  ihm  erbeten  hatten. 

Auch  Phraates  der  Parther  erkannte,  als  Augustus  im  Jahre  20 
in  Syrien  eintraf,  daß  er  den  Römern  die  Genugtuung  für  die 
Niederlage  des  Crassus  nicht  länger  weigern  dürfe.  Denn  schon 
stand  Tiberius  Nero  mit  den  Legionen  des  Westens  in  Armenien 
und  erhob  den  Schützling  Tigranes  auf  den  Thron  des  Landes, 
dem  seit  der  Ermordung  des  Artaxes  der  Herrscher  fehlte.  Tiberius 
war  es  auch,  der  die  Feldzeichen  und  Gefangenen  aus  Crassus 
Heere  in  f  eierlicherHeeresversammlung  aus  den  Händen  derParther 
empfing.  Ohne  zu  schlagen,  hatte  der  Fürst  des  Friedens  den 
stolzen  Gegner  gedemütigt,  und  der  unblutige  Lorbeer  galt  ihm 
selbst  und  seiner  Zeit  höher  als  ein  noch  so  ruhmreicher  Krieg 
gegen  einen  Feind,  den  in  seiner  Heimat  dauernd  zu  besiegen  un- 
möglich erschien,  ohne  die  Kraft  des  Reiches  für  einen  Traum  aufs 
Spiel  zu  setzen.  Die  natürlichen  Grenzen  des  Mittelmeerreiches 
lagen  am  Euphrat,  so  weit  reichte  in  Wahrheit  die  griechische 
Civilisation,  die  noch  bei  den  semitischen  Völkern  Syriens  einen 
Boden  gefunden  hatte.  Aber  die  Hochebenen  Irans  waren  nach 
der  Natur  des  Landes  und  der  Geschichte  seiner  Völker  eine  ab- 
geschlossene Welt.  Der  Hellenismus  ist  hier  nie  mehr  als  ein 
Schein  gewesen,  der  schon  unter  den  nächsten  Nachfolgern  des  Er- 
oberers in  Nichts  zerfloß,  und  der  spröderen  römischen  Art  hatten 
diese  Länder  sich  niemals  gefügt.  Wie  immer  ist  Augustus  in  den 
Grenzen  geblieben,  die  das  dauernde  Wohl  seines  Staates  ihm  setzte. 

In  Syrien  hat  Augustus  die  Ordnung,  die  Pompeius  mit  weit- 
blickender Umsicht  geschaffen  hatte,  aufrecht  erhalten.  Die  lange 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 


195 


Herrschaft  der  Macedonen  hatte  hier  die  Verfassung  griechischer 
Städte  in  den  nördlichen  Teilen  der  Provinz  auf  alle  die  Gemeinden 
uralter  Entstehung  übertragen  und  neue  Städte  griechischer  An- 
siedler gegründet.  Nur  im  Süden  der  Provinz  widerstrebte  die  Na- 
tur des  Landes  der  städtischen  Siedlung,  und  auch  die  Eigenart 
der  Bewohner  stand  ihr  hindernd  im  Wege.  Den  Gottesstaat  der 
Juden  unter  der  kraftvollen  Herrschaft  des  Idumaeers  Herodes 
hatte  Augustus  ausersehen,  den  Mittelpunkt  für  die  Angliederung 
der  anderen  Gebiete,  die  im  Osten  des  Jordan  lagen,  zu  bilden. 
Es  waren  dies  außer  den  jüdischen  Gebieten  Galilaea,  Samaria, 
Judaea  und  Idumaea  jene  Landschaften  im  Osten  Auranitis,  Bata- 
naea,  Trachon,  Peraea,  von  schweifenden  Nomaden  oder  den  Höh- 
lenbewohnern der  Basaltgebirge  des  Hauran  bevölkert.  Diese 
fremden  Gebiete  standen  zuweilen  unter  jüngeren  Fürsten  des 
jüdischen  Königshauses,  ohne  daß  der  Wechsel  dieser  Herrscher 
für  die  Geschichte  des  Reiches  von  Bedeutung  wäre.  Herodes, 
der  Gnade  des  Kaisers  sich  erfreuend,  und  ängstlich  darauf  be- 
dacht, sie  zu  erhalten,  bemühte  sich,  die  bäuerlichen  Bewohner 
jüdischen  Glaubens  in  den  neuen  Städten,  die  er  nach  den  Glie- 
dern des  Herrscherhauses  benannte,  zusammenzusiedeln  und  an 
die  Formen  des  griechischen  Lebens  zu  gewöhnen.  Sebasteia  in 
Samaria,  Tiberias  am  See  Genezaret,  Livias  und  der  Hafen  Cae- 
sareia  an  Stelle  von  Stratonsturm  an  der  philistaeischen  Küste 
zeigten  nicht  nur  in  ihren  Bauten,  sondern  vor  allem  durch  die 
Nachahmung  griechischen  Städtelebens  in  den  Gymnasien  und 
Theatern  diesen  Einfluß  des  Herrschers. 

Aber  das  eigentliche  Judaea  kannte  nur  den  Tempel  des  Jahve 
auf  Moria,  und  die  Stadt  Jerusalem  blieb,  obwohl  der  Sitz  des 
Königs  und  geschirmt  von  einem  Mauerkranz  und  stolzen  Türmen 
griechischer  Baukunst,  nur  die  Stätte  der  bildlosen  Verehrung  des 
unsichtbaren  Gottes,  frei  von  all  dem  Greuel  der  unreinen  Heiden. 
Mächtiger  als  der  hohe  Rat  der  Priester  beherrschten  das  Volk, 
das  in  der  Beobachtung  seines  das  ganze  Leben  umfassenden  und 
alles  wahre  Leben  erstickenden  Gesetzes  aufging,  jene  Abgeson- 
derten, die  die  Feinheit  in  der  Auslegung  des  Gesetzes  bis  zum 
Aberwitz  gesteigert  hatten.    Sie  haßten  den  Römling  und  sitten- 

«3* 


Ig6  Augustus 

losen  Herrscher,  der  sie  mit  grausamer  Härte  niederhielt,  und 
verachteten  den  milden  Kaiser  um  so  tiefer,  da  er  trotz  seiner  Ab- 
neigung gegen  dieses  Gegenbild  griechischer  Besonnenheit  sich  er- 
frechte, dem  ihm  gänzlich  unbegreiflichen  Jahve  mit  seinen  un- 
reinen Händen  täglich  aus  einer  Stiftung  Opfer  darbringen  zu  las- 
sen, um  zu  ehren,  was  einem  Teile  seiner  Untertanen  nun  einmal 
ehrwürdig  war.  Noch  stand  der  Haß  gegen  ihren  unmittelbaren 
Herrn,  den  Idumaeer,  wie  ein  schützender  Wall  da,  daß  ihr  In- 
grimm gegen  das  weltbeherrschende  Volk,  das  doch  nach  den 
wahren  Worten  Jahves  bestimmt  war.  Staub  zu  sein  unter  ihren 
Füßen,  nicht  in  offener  Auflehnung  gegen  die  Heerscharen  Satans, 
die  das  Gewand  der  römischen  Legionare  Syriens  trugen,  losbrach. 
Als  Augustus  Syrien  verließ,  mochte  er  sich  glücklich  preisen, 
die  einzig  Reinen  unter  der  sicheren  Hut  des  Idumaeers  zu  wissen. 

Wieder  verbrachte  er  den  Winter  auf  Samos,  um  dann  auf  der 
Rückreise  nach  Italien  nochmals  Athen  zu  berühren,  das  durch  den 
Ausbau  eines  schon  von  Caesar  geplanten  Marktes,  Geld  und  Ge- 
treidespenden die  Anerkennung  auch  seiner  geistigen  Stellung  fand. 

Die  Heimkehr  des  Kaisers  nach  Rom  wurde  getrübt  durch 
Unruhen,  die  die  dauernde  Verkennung  seiner  politischen  Ab- 
sichten hervorgerufen  hatte.  Agrippa  weilte  in  Spanien,  wohin  ihn 
ein  Aufstand  der  Cantabrer  gerufen.  Die  Gefangenen  früherer 
Kriege  hatten  ihre  Sklavenketten  gebrochen  und,  in  ihre  Berge 
zurückkehrend,  trieben  sie  das  Volk  zu  einer  neuen  Erhebung. 
Erst  als  Agrippa  die  wankende  Zucht  im  Heere  wiederhergestellt 
hatte,  zwang  er  den  Aufstand  nieder  und  siedelte  die  unbeug- 
samen Freiheitskämpfer  in  die  Ebenen  über. 

So  lag  das  Regiment  in  Rom  in  den  Händen  des  Consuls  Sen- 
tius  Satuminus.  Wieder  hatte  man  die  Wahl  zu  der  zweiten  Stelle 
des  Consulates  unterlassen,  immer  in  der  Hoffnung,  Augustus 
werde  nach  seiner  Rückkehr  in  diese  höchste  Würde  des  Staates 
wiedereintreten.  Ferne  noch  von  Rom,  verfügte  Augustus,  die  Wahl 
doch  zu  vollziehen,  und  bestimmte  das  Amt  dem  Quintus  Lucretius, 
einem  der  Geächteten.  Aber  ein  junger  Adeliger,  der  als  Aedil 
gegen  das  Gesetz  unmittelbar  zur  Praetur  gelangt  war,  wollte  jetzt 
als  Praetor  auch  seine  Wahl  zum  Consul  erzwingen  und  wurde  nur 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  jq^ 

durch  das  Aufgebot  Bewaffneter  von  dem  die  Wahl  leitenden  Con- 
sul  Sentius  Saturninus  gehindert.  Da  erschien  eine  Gesandtschaft 
des  Senates,  an  ihrer  Spitze  die  Beamten  des  Staates,  bei  Augu- 
stus,  der  noch  immer  in  Campanien  weilte,  um  ihm  eine  schranken- 
lose Gewalt  zur  Neuordnung  der  Gesetze  und  der  Sitten  anzubie- 
ten. Aber  nicht  von  solchen  äußersten  Maßregeln,  die  den  ganzen 
von  ihm  gewollten  Bau  der  Verfassung  in  Frage  stellten,  erwartete 
Augustus  eine  wirkliche  Gesundung  des  Staates.  Er  blieb  fest  in 
seiner  Ablehnung  einer  Gewalt,  die  den  Anschauungen  der  Väter 
über  staatliche  Ordnung  widerstrebte,  auch  als  der  Senat  dieses 
Ansinnen  im  folgenden  Jahre  wiederholte. 

Eben  die  tribunicische  Gewalt,  die  in  früheren  Jahrhunderten 
die  tiefgreifendsten  Änderungen  des  Zustandes  der  Gesellschaft 
herbeigeführt  hatte,  gestattete  auch  ihm,  durch  Befragung  des 
Volkswillens  seine  Sittengesetze  zu  geben.  Jener  Quintus  Lucre- 
tius,  der  Führer  der  Gesandtschaft  an  den  Kaiser,  die  er,  um  seine 
hilflosen  Berater  als  wohlgesinnte  Freunde  erscheinen  zu  lassen, 
als  eine  Ehrengesandtschaft  empfing,  wurde  nun  zum  Consul 
gewählt.  Auch  hierin  kann  man  nur  die  leichte  Hand  des  großen 
Künstlers  bewundern. 

Sie  bewährte  sich  in  den  berühmten  Sittengesetzen,  den  leges 
Juliae.  Der  Grundgedanke  dieser  Gesetze  lag  darin,  daß  nur  die 
Selbstachtung  die  Menschen  bestimmen  könne,  die  Sitten  zu  ach- 
ten, und  daß  die  Menschen,  wie  sie  nun  einmal  sind,  durch  nichts 
schwerer  getroffen  werden  als  in  ihrem  Teuersten,  ihrem  Besitze. 
Aber  auch  dem  höheren  Ziel  der  wahren  Sittlichkeit  nähern  sich  die 
Menschen,  die  sich  in  ihrer  Form,  der  Sitte,  bestärken.  Gerade  in 
den  höheren  Ständen,  die  der  Kaiser  zur  Mitherrschaft  berufen 
hatte,  war  die  Grundlage  aller  wahren  Sittlichkeit,  die  Ehe,  am 
tiefsten  erschüttert.  Der  Geist  der  Antike  hat  jederzeit  vom  Staate 
gefordert,  auch  hier  in  das  Leben  seiner  Bürger  einzugreifen.  Die 
Verachtung  gegen  solche  Polizeimaßregeln  ist  durchaus  modern 
und  wird  dem  Wollen  und  Wirken  des  Kaisers  nicht  gerecht.  Fern 
von  aller  Selbstüberhebung,  fand  der  Kaiser  seine  Berechtigung,  die 
Welt  wieder  einzurenken,  nicht  in  seinem  eigenen  erhabenen  Vor- 
bild oder  seinem  unfehlbaren  l urteil,  sondern  in  der  Weisheit  der 


lOS  Augustus 

Väter,  indem  er  seine  Gesetze  empfahl,  weil  sie  dem  entsprachen, 
was  die  besten  Männer  des  Freistaates,  die  das  Volk  einst  als 
Censoren  dazu  berufen  hatte,  die  Sitten  zu  bessern,  in  Wort  und 
Schrift  gelehrt  hatten.  Die  Reden  und  Äußerungen  eines  Rutilius 
und  Metellus  Numidicus,  der  letzten  wahren  Adeligen  des  Frei- 
staates, sind  es,  die  auch  den  Adel  und  das  Volk  des  Kaiserstaates 
zur  Einkehr  und  Besserung  mahnen  sollten.  So  sind  jene  Gesetze 
entstanden  über  die  Einschränkung  des  Luxus,  auch  in  der  Tracht 
und  dem  öffentlichen  Auftreten  der  Frauen,  die  doch  die  Haltung 
des  Lebens  durch  ihren  echten  und  falschen  Schönheitssinn  be- 
stimmen. Dann  das  Gesetz,  welches  den  Ehebruch  und  Unkeusch- 
heit  mit  den  härtesten  Strafen  bedrohte;  endlich  das  Gesetz  über 
das  Eherecht  der  Stände,  das  die  Ehelosen  mit  Zurücksetzung  bei 
der  Bewerbung  um  die  Ämter  des  Staates  belegte,  den  mit  Kindern 
Gesegneten  Vorrechte  gewährte.  Auch  die  Mißbräuche,  die  das 
Wahlrecht  des  Volkes  in  den  letzten  Zeiten  so  oft  hatte  hervor- 
treten lassen,  wurden  durch  Gesetze  gegen  Wahlumtriebe  einge- 
schränkt. Sollten  diese  Gesetze  wirksam  werden,  so  galt  es  vor 
allem,  den  Senat,  der  das  Vorbild  für  die  anderen  Bürger  im  Leben 
und  in  der  Bekleidung  der  höchsten  Aemter  des  Staates  sein  sollte, 
von  den  unwürdigen  Mitgliedern  zu  befreien,  die  seine  Sitzungen 
noch  immer  entehrten.  Es  ist  der  Beweis  wahrer  Stärke,  daß 
der  Kaiser  nicht  einfach  die  Liste  des  Senates  nach  freiem  Er- 
messen neu  aufstellte,  wozu  der  Witz  eines  Polizeidieners  gereicht 
hätte,  sondern  den  Senatoren  die  Verantwortlichkeit  aufzwang, 
durch  eigene  Wahl  zu  bestimmen,  wen  sie  in  Zukunft  würdig  er- 
achten wollten,  in  ihrer  Mitte  zu  sitzen.  Er  selbst  bezeichnete  unter 
Eidschwur  dreißig,  die  er  für  die  Würdigsten  hielt,  damit  jeder 
von  diesen  wieder  fünf  gleichfalls  unter  eidlicher  Versicherung  be- 
zeichne; auch  jene  dreißig  mußten  auf  diese  Weise  neu  gewählt 
werden.  Erst  das  Los  bestimmte,  welche  aus  der  Liste  der  Fünf  als 
gewählt  erscheinen  sollten.  In  dieser  Weise  gedachte  der  Kaiser 
die  Zahl  der  Senatoren  wieder  auf  dreihundert  zurückzuführen 
durch  Wiederholung  des  Wahlvorganges.  Aber  die  Fälle  unge- 
rechter Begünstigung,  ja  gemeiner  Fälschung  der  Listen  mehrten 
sich.    Der  Kaiser  ertrug  den  frechsten  Widerspruch,  offene  Be- 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  ign 

schimpfung,  bis  er  endlich  verzweifelt  die  Toga  vom  Leibe  riß  und 
die  Senatoren,  indem  er  ihnen  seine  ehrenvollen  Narben  wies,  knie- 
fällig beschwor,  doch  dem  Wohle  des  Staates  zu  gehorchen. 
Mächtiger  war  das  eigensüchtige  Bestreben,  das  unverdient  er- 
worbene Ehrenkleid  festzuhalten.  Augustus,  der,  von  Agrippa  be- 
gleitet, nur  mehr  im  Panzer,  den  er  unter  der  Toga  trug,  im  Senat 
erscheinen  konnte,  war  gezwungen,  sechshundert  den  Sitz  im  Senate 
zu  belassen  und  selbst  jenen,  welche  ausschieden,  ihre  Standes- 
rechte und  die  Bewerbung  um  die  Ämter  des  Staates  zu  gewähren. 
Unter  den  neuen  Gesetzen  ging  das  heranwachsende  Geschlecht 
einer  neuen  Zukunft  entgegen.  Augustus  gottesfürchtigem  Sinne 
war  es  geboten,  für  das,  was  er  jetzt  erhoffte,  den  Segen  der  Gott- 
heit zu  erflehen.  In  der  Festfeier  der  ludi  saeculares  ist  dieser  Ge- 1 7  v.  Chr. 
danke  in  einer  Gestalt  zutage  getreten,  die  die  ganze  Bürgerschaft 
mit  dieser  Hoffnung  erfüllte.  In  Zeiten  großer  Not  waren  die  Römer 
gewohnt,  die  Hilfe,  welche  die  heimischen  Götter  versagten,  in  den 
weissagenden  Worten  der  Seherin  Apollos  zu  finden,  die  seit  den 
Tagen  des  Tarquinius  Superbus  das  Schicksalsbuch  der  Römer 
waren.  Die  Priester  für  die  Verehrung  der  fremden  Gottheiten 
griechischen  Glaubens  waren  die  Hüter  des  Gnadenschatzes,  und 
ihnen  verkündete  Apollo  in  dieser  Stunde,  wie  das  Gären  des  Jahr- 
hunderts der  Bürgerkriege  zum  Abschluß  gekommen  sei,  um  in 
einer  Wiedergeburt  alles  Seienden  einen  neuen  Kreislauf  der  Dinge 
dieser  Welt  einzuleiten.  In  jedem  hundertundzehnten  Jahre  hätte 
sich  so  der  Kreislauf  der  Schöpfung  seit  Alters  erneuert.  Was  der 
fromme  Sinn  früherer  Jahrhunderte  stets  geübt,  den  Eintritt  der 
gnadenvollen  Zeit  unter  dem  Schutze  der  Götter  zu  begehen,  das 
hatte  jenes  ruchlose  Geschlecht,  das  die  Saat  der  Bürgerkriege  ge- 
sät, von  den  Göttern  gehaßt,  zu  tun  versäumt.  So  sollte  jetzt  die 
Feier,  in  würdiger  Weise  erneuert,  alte  Schuld  sühnen,  damit  auf 
dem  neuen  Kreislauf  der  Schöpfung  der  Segen  der  Götter  dauernd 
ruhe.  Augustus  selbst  und  Agrippa  als  Vorsteher  der  Priester, 
denen  die  Verehrung  derGötter  griechischenGlaubens  oblag,  leiteten 
die  Festfeier  und  brachten  den  Gottheiten  der  Feier  die  Opfer  dar, 
denen  das  ganze  römische  Volk,  durch  reinigenden  Zauber  geläutert, 
anwohnen  sollte.    Die    uralte  Vorstellung,    daß    alles    Leben    dem 


200  Augustus 

Schöße  der  Erde  entspringt,  um  unter  dem  Lichte  des  Himmels 
sich  zu  entfalten,  hat  den  Kreis  der  Gottheiten  sinnreich  bestimmt. 

Drei  Tage  und  drei  Nächte  währte  die  Feier,  in  der  die  Wunder- 
kraft dieser  heiligen  Zahl  geheimnisvoll  wirkte.  Die  Nächte  waren 
den  dunkel  im  Schöße  der  Erde  waltenden  Mächten  geweiht.  An 
der  Stätte,  wo  die  Fluten  des  Tiber  sich  auf  dem  Marsfelde  im 
engsten  Bette  drängten  und  amTarentum  der  Weg  sich  öffnete  in 
das  unsichtbare  Reich,  brachte  man  ihnen  die  Opfer  dar. 

In  der  ersten  Nacht  galten  die  Gebete  den  Göttinnen,  die  das 
Schicksal  bestimmen;  jenen,  die  das  Leben  milde  aus  dem  Schöße 
lösten,  war  die  zweite  Nacht  geweiht.  Die  Mutter  Erde,  die  in 
diesen  Göttinnen  bereits  gewaltet  hatte,  beherrschte  die  dritte 
Nacht,  in  der  die  Matronen  des  römischen  Volkes  sie  verehrten. 
Prächtiger  war  die  Feier  der  Götter  des  Tages.  Im  Gebete  riefen 
sie  die  Chöre  der  Knaben  und  Mädchen  an,  die,  je  27  an  der  Zahl, 
dreifach  das  Wunder  der  dreimal  drei  belebten.  Juppiter,  dem 
Gotte  des  Himmels,  sangen  sie  auf  dem  Capitol  am  ersten  Tage 
das  Lied,  das  Horatius  gedichtet  hatte,  am  zweiten  Tag  an  der- 
selben Stelle  das  stets  sich  erneuende  Leben  in  Juno  verehrend, 
um  den  letzten  Tag  mit  dem  Preise  Apollos  und  seiner  Schwester 
auf  dem  Palatin  und  dem  Aventin  zu  begehen.  So  klang  die 
Feier  weihevoll  aus  mit  der  Anbetung  der  Götter  des  Lichtes, 
sie,  die  so  gnadenvoll  über  dem  Kaiser  gewaltet  hatten  und  aus 
dem  Munde  ihrer  Seherin  den  Segen,  der  auf  ihrem  Schützling 
ruhte,  über  die  sich  erneuende  Schöpfung  ausbreiteten. 

Jetzt  war  auch  die  Zeit  gekommen,  in  der  sich  Augustus  bei 
Beginn  des  Principates  bereit  erklärt  hatte,  sein  iVmt  niederzu- 
legen, wenn  es  der  Zustand  des  Staates  gestatten  sollte.  Noch  war 
die  Sorge  um  das  gemeine  Wohl  nicht  von  ihm  gewichen  und 
sollte  auch  niemals  weichen.  So  erneuerte  Augustus  damals  und 
später  die  Bürde  in  den  gleichen  sich  wiederholenden  Fristen.  Er 
mochte  gedacht  haben,  daß  ein  jüngerer  Mann  seines  Hauses  ihm, 
wenn  die  Kraft  versagte,  die  Ruhe  des  Alters  gewähren  sollte. 
War  doch  in  eben  diesem  Jahre  der  Ehe  Julias  der  zweite  Sohn 
entsprossen,  Lucius,  der  seinen  Namen  nach  dem  Lichte  trug, 
dessen  Gott  das  Jahr  wunderbar  erhellte.   Der   ältere   Gaius,   der 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  20I 

nach  dem  göttlichen  Dictator  hieß,  war  bereits  drei  Jahre  früher 
geboren  worden.  Diese  seine  Enkelkinder  nahm  Augustus  jetzt 
als  Söhne  an,  da  ihn  Livia  keine  Erben  hoffen  ließ,  und  beobach- 
tete in  der  Form,  durch  die  er  sich  Söhne  gewann,  streng  die 
Satzungen  altbürgerlichen  Rechtes.  In  seinem  Hause  sollten  sie 
heranwachsen,  die  Erben  seines  Thrones,  daß  ihnen  all  die  Sorge 
imd  Liebe  zuteil  werde,  deren  er  nur  fähig  war.  Aber  seiner 
Kinder  sich  zu  erfreuen,  war  der  Augenblick  noch  nicht  gekommen. 
Auch  derWesten  bedurfte  seiner  helfenden  Hand.  WährendAgrippa, 
schon  seit  zwei  Jahren  im  Besitze  der  tribunicischen  Gewalt,  sein 
Mitlierrscher,  im  Osten  unmittelbar  die  Herrschaft  ausübte,  ging 
Augustus  nach  Gallien,  von  Tiberius  Nero  begleitet,  der  unter  den 
Augen  des  Kaisers  die  Gallia  comata  verwalten  sollte.  Die  Re- 
gierung Roms  und  Italiens  überließ  er  dem  Statilius  Taurus. 

Das  große  Werk  der  Vermessung  des  römischen  Erdkreises, 
das  unter  Agrippas  Leitung  so  viele  Jahre  vorher  begonnen  hatte, 
diente  vor  allem  als  Grundlage  einer  gerechten  Verteilung  der 
Steuerlast  der  Untertanen.  Wieder  war  es  die  Aufgabe  des  Augu- 
stus, die  neue  Steuerordnung  den  Bedingungen  des  Westens  an- 
zupassen. Nach  der  Ueberweisung  der  Gallia  Narbonensis  an  den 
Senat  zerfiel  das  Gallien,  das  der  Verwaltung  des  Princeps  unter- 
stand, in  drei  Provinzen,  die  Tres  Galliae  der  Kaiserzeit,  Aquitania, 
Lugdunensis  und  die  Belgica.  In  dieser  Einteilung  trat  jene  Schei- 
dung der  von  Caesar  eroberten  gallischen  Landschaften  nach  der 
verschiedenen  Volksart  der  Bewohner  nicht  mehr  rein  hervor. 
Denn  die  Südprovinz  Aquitania  umfaßte  außer  den  Völkern,  die 
ihr  den  Namen  gaben,  auch  19  Gaue  des  reingallischen  Gebietes 
im  Norden  der  Garonne.  Die  mittlere  Provinz,  nach  der  Haupt- 
stadt Lugudunum  benannt,  die  noch  auf  Anordnung  des  Dictators 
Munatius  Plancus  im  Jahre  43  als  eine  Stadt  römischer  Bürger  ge- 
gründet hatte,  wurde  von  den  übrigen  gallischen  Stämmen  gebildet 
und  reichte  bis  an  die  Loire.  Die  nördlichste  Provinz,  die  nach 
den  Belgae  hieß,  bewohnten  Völker,  die  sich  germanischer  Art 
näher  verwandt  fühlten.  Stand  auch  an  der  Spitze  jeder  Provinz 
von  jetzt  an  ein  Statthalter  praetorischen  Ranges,  so  bildeten  sie 
doch,   wie   in  früheren  Zeiten,   als  das  ganze  von  Caesar  eroberte 


202  Augustus 

Gallien  noch  ein  Verwaltungsgebiet  gewesen  war,  eine  Einheit  im 
politischen  Sinne.  Ihr  Mittelpunkt  wurde  die  allen  drei  Gallien  ge- 
meinsame Stätte  der  Verehrung  an  dem  Altare  zu  Lugudunum, 
wo  der  Landtag  der  drei  Gallien  der  Dea  Roma  und  dem  Augustus 
opferte.  Den  Gedanken  Caesars,  auch  diese  Gallien  durch  römische 
Colonisation  der  Art  des  herrschenden  Volkes  zu  gewinnen,  hat 
Augustus  als  undurchführbar  mit  Bewußtsein  aufgegeben.  Die 
Stämme  der  Gallier  wurden  von  wenigen  adeligen  Geschlechtern 
in  Hörigkeit  erhalten;  es  ist  das  Land  der  großen  Grundherrschaf- 
ten, das  reine  Gegenbild  der  sich  selbstverwaltenden  städtischen 
Gemeinden,  die  überall  im  Reiche  die  Grundlage  für  die  Aus- 
dehnung der  griechisch-römischen  Civilisation  waren.  Ein  noch 
stärkeres  Hindernis  bildete  der  düstere  Glaube  des  Volkes,  der 
jedem  Einfluß  der  griechischen  Siedler  Massilias  unter  der  Herr- 
schaft einer  allmächtigen  Priesterschaft  widerstanden  hatte.  Augu- 
stus verbot  den  römischen  Bürgern,  sich  zu  den  Lehren  der  Druiden 
zu  bekennen,  ohne  den  Glauben  des  Volkes  wandeln  zu  können. 
Geistige  und  physische  Knechtschaft  ist  die  geschichtlich  bedingte 
Art  der  Gallier  in  der  Zeit  des  Augustus.  Die  lange  Herrschaft 
der  Kaiser  hat  diesen  Zustand  nicht  zu  ändern  vermocht  und  das 
Urteil  des  ersten  Princeps,  das  Volk  seiner  Weise  zu  überlassen, 
nur  bestätigt.  Der  hohe  Adel  ist  wenigstens  im  Süden  allmählich 
in  Sprache  und  Sitte  römisch  geworden,  sonst  aber  ist  die  latei- 
nische Zunge  den  Galliern  der  Kaiserzeit  ein  unverständlicher 
Klang  geblieben.  Friedfertig,  arbeitsam,  bald  auch  mit  Wohl- 
stand gesegnet,  ist  Gallien  nichts  als  eine  Steuerquelle. 

Eine  neue  Tatkraft  regte  sich  im  Kaiserhaus  jetzt,  wo  auch 
der  Bruder  des  Tiberius  Nero,  Claudius  Drusus,  zum  Manne  heran- 
wuchs. Im  Hause  seines  Stiefvaters  geboren,  war  es,  als  ob  auch 
sein  Wesen  nach  ihm,  den  er  allein  als  seinen  Vater  gekannt  hatte, 
sich  gebildet  hätte.  Sein  hochgestimmtes,  freudig  bewegtes  Gemüt 
gewann  ihm  die  Neigung  der  Frauen  und  Männer  am  Hofe  und 
erhellte  selbst  den  düsteren  Bruder.  Des  Kaisers  Liebling,  der 
Günstling  des  römischen  Volkes,  regte  der  junge  Adler  seine 
Schwingen  zum  hoffnungsvollen  Fluge.  Der  Schutz  Oberitaliens 
gegen  die  Alpenstämme,  die  auf  ihren  verheerenden  Einfällen  das 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  203 

Kind  im  Mutterleibe  nicht  schonten,  war  trotz  der  Truppen,  die  in 
der  Ebene  die  Ausgänge  der  Haupttäler  überwachten,  nicht  wirk- 
sam genug,  um  diese  Plage  gänzlich  fernzuhalten.  Wieder  waren 
im  Jahre  i6  die  Camuni  und  Venu,  aus  dem  Tale  derEtsch  nieder- 
steigend, bei  Verona  plündernd  eingebrochen  und  mußten  von 
Publius  Silius  mit  Waffengewalt  in  ihre  Berge  zurückgeworfen 
werden.  So  begannen  im  Jahre  15  umfassende  Unternehmungen 
unter  der  Leitung  der  beiden  Stiefsöhne  des  Kaisers,  die  in  den 
mittleren  und  den  Westalpen  den  Bewohnern  das  Raubhandwerk 
für  immer  verleiden  sollten.  Drusus,  durch  das  Tal  der  Etsch  und 
Eisack  nach  Norden  vordringend,  schlug  die  Genauni  bei  Bozen 
und  die  Breuni  am  Brenner,  wandte  sich  dann  zurück  nach  dem 
Oberlauf  der  Etsch,  öffnete  durch  das  Vintschgau  an  den  Gletschern 
vorbei  eine  Straße  nach  dem  Tale  des  Inn  und  stieg  von  hier 
durch  einsame  Hochtäler  über  den  Arlberg  nach  Bregenz  am 
Bodensee  nieder.  Sein  Bruder  Tiberius  Nero  war,  mit  den 
Legionen  Galliens  durch  das  Rheintal  nach  Osten  vorrückend,  am 
Bodensee  eingetroffen,  und  vereint  schlugen  sie  am  i.  August  auf 
dem  See  selbst  die  Schlacht  gegen  die  Vindelicer.  Doch  ist  dieser 
Feldzug  mit  seinen  Straßenbauten  in  den  östlichen  Alpen  nur  die 
Voraussetzung  eines  Krieges,  der  in  den  zerklüfteten  Alpentälem 
durch  viele  Jahre  von  kleineren  Abteilungen  römischer  Heere  gegen 
die  flüchtigen  Bergvölker  geführt  werden  mußte,  bis  erst  im  Jahre  8 
die  Unterwerfung  der  ganzen  Alpen  von  der  Adria  bis  an  das 
ligurische  Meer  beendet  war.  Noch  steht  in  Trümmern  das  ge- 
waltige Siegeszeichen  des  Augustus  in  La  Torbia  bei  Monaco.  In 
dem  Marmorglanze  seiner  in  Stockwerken  aufsteigenden  Säulen- 
reihen mit  dem  Schmucke  der  Statuen  und  Riesenwaffen,  die  es 
trug,  leuchtete  es  einst  weit  über  die  Berge  hin  und  blickte  nieder 
auf  das  azurblaue  Meer,  den  Schiffern  und  Wanderern  weithin  ver- 
kündend, daß  selbst  an  diesen  Küsten  der  Friede  herrsche. 

Aber  diese  ruhmreiche  Tat  verschwand  vor  den  Augen  der 
Mitlebenden  gegenüber  den  gewaltigen  Kriegszügen,  in  denen  sich 
die  Kraft  des  neuerstarkten  Reiches  in  einer  Größe  äußerte,  die 
die  glorreichsten  Kriege  des  Freistaates  in  Schatten  stellen  sollte. 
Ein  Einfall  der  überrheinischen  Germanen,  Usipeten  und  Tencterer, 


204  Augustus 

hatte  vor  den  Augen  des  Kaisers  im  Jahre  i6  gezeigt,  daß  diese 
Grenze  eines  besseren  Schutzes  bedürfe.  Usipeten  und  Tencterer 
waren  am  Niederrhein  auf  einer  fröhlichen  Kriegsfahrt  auf  galli- 
schem Boden  erschienen,  die  römischen  Reiter  hatten  sie  ge- 
schlagen, und  auch  die  fünfte  Legion,  die  Lollius,  der  Statthalter 
der  Gallia  comata,  herangeführt,  wurde  in  die  Niederlage  hinein- 
gerissen und  ließ  ihren  Adler  zur  ewigen  Schmach  in  den  Händen 
der  Germanen,  die  mit  dieser  Beute  siegestrunken  heimkehrten. 
Um  solchen  Gästen  das  Wiederkommen  zu  wehren,  mußte  die 
Grenzverteidigung  bis  an  den  Strom  selbst  vorgeschoben  werden. 
Noch  unzureichender  war  die  Grenzwehr  in  den  illyrischen  Land- 
schaften, wo  das  schwache  Heer  des  senatorischen  Statthalters 
nicht  einmal  die  Barbaren  von  dem  Boden  Italiens  fernzuhalten 
vermochte,  und  an  der  unteren  Donau,  wo  die  Länder  noch  immer 
trotz  der  Siege  des  Crassus  ein  Tummelplatz  für  die  Raublust  der 
getischen  Reiterscharen  geblieben  waren,  sodaß  auch  die  thra- 
kischen  Stämme  die  Provinz  Macedonien  ungestraft  heimsuchen 
konnten.  Hier  Wandel  zu  schaffen,  war  der  Kaiser  umsomehr 
entschlossen,  als  das  Kaiserhaus  an  Tiberius  Nero  und  Drusus 
Feldherrn  besaß,  die  im  edelsten  Wetteifer  brüderlicher  Liebe  ihre 
großen  Gaben  im  Dienste  des  Kaisers  und  wohlgeneigten  Vaters 
vor  diesen  Erbfeinden  des  römischen  Volkes  erproben  wollten. 

Das  Werkzeug  des  Krieges,  das  Heer,  bedurfte  einer  voll- 
ständigen Neubildung,  um  so  großen  Aufgaben  zu  genügen.  Wie 
nach  der  Schlacht  von  Actium  ging  der  Kaiser  daran,  das  Heer 
durch  Entlassung  aller  Soldaten,  die  den  Anstrengungen  der  neuen 
Kriege  nicht  mehr  gewachsen  waren,  und  durch  Einstellung  junger 
Mannschaften  der  Tatkraft  ihrer  jugendlichen  Feldherrn  würdig  zu 
machen.  In  Italien  wie  in  den  spanischen  und  gallischen  Provinzen 
entstanden  neue  Städte  der  Veteranen,  und  die  Bewohner  wurden 
für  den  enteigneten  Besitz  durch  Geld  entschädigt.  Die  Bedingungen 
für  den  Dienst  wurden  in  einem  festen  Vertrag  für  alle  Zeiten 
niedergelegt,  der  Rechte  und  Pflichten  klar  umschrieb  und  die 
Jugend  Italiens  und  der  Provinzen  willig  machte,  in  denHeeresdienst 
einzutreten.  Das  Vorbild  griechischen  Söldnertums  war  seit  den 
Tagen  des  Marius  bestimmend  gewesen  auch  für  die  Söldner  Roms. 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches  20S 

Wie  die  Könige  Pergamons  in  ihren  Verträgen  mit  den  Söldnern 
älteren  Gewohnheiten  der  asiatischen  Herrscher  gefolgt  sein  werden, 
so  hat  Augustus  ihre  Bestimmungen  auch  seinen  Dienstverträgen 
zugrunde  gelegt.  Die  Dauer  des  Dienstes  wurde  in  der  Leibwache 
auf  12  Jahre,  in  den  Legionen  auf  i6  Jahre  festgesetzt,  für  den 
Jahressold  der  Satz  des  Dictators  festgehalten,  außer  für  die  Leib- 
wache, die  schon  bei  der  Begründung  des  Principates  eine  weitaus 
höhere  Entlohnung  ihres  gefahrlosen,  aber  politisch  umso  be- 
deutsameren Dienstes  erhalten  hatte.  Den  Legionaren  wurde  nach 
Ablauf  ihrer  Dienstzeit  der  ganze  Betrag  ihres  Soldes  noch  einmal 
als  Versorgung  ihres  Alters  zugesichert,  den  Praetorianern  das 
Zehnfache  ihres  Jahressoldes.  Die  Dienstordnung,  in  allen  Einzel- 
heiten geregelt,  eröffnete  den  Söldnern  für  Treue  und  Tapferkeit 
den  Weg  bis  in  die  Stellen  der  Hauptleute,  denen  wieder  das  Empor- 
steigen in  die  Aemter  des  Ritterstandes,  sowohl  in  der  Führung 
des  Heeres  als  in  des  Kaisers  Verwaltung  als  Lohn  erprobter 
Fähigkeit  winkte.  Gleichzeitig  am  Rhein  und  an  der  Donau  sollten 
Tiberius  und  Nero  gegen  die  Germanen  und  die  Illyrier  im  Jahre  1 1 
zu  Feld  ziehen.  Deshalb  übernahm  Augustus  die  Provinz  Illyricum 
in  eigene  Verwaltung. 

Noch  waren  die  Heere  in  ihrer  Neubildung  begriffen,  die  stra- 
tegischen Linien  am  Rheine  und  an  der  Save  sollten  erst  entstehen, 
als  Augustus  aus  Gallien  nach  Rom  zurückkehrte,  um  seinem  Frie- 
denswerke, das  das  Reich  fähig  gemacht  hatte,  seine  Grenzen  zu 
erweitern,  durch  eine  hohe  Feier  im  Kaiserhause  die  letzte  Weihe  zu 
geben.  Auch  Agrippa  kehrte  aus  dem  Osten  heim,  um  als  Mit- 
herrscher an  die  Seite  des  Augustus  zu  treten.  Während  Agrippas 
Tätigkeit  im  Osten  war  nur  im  bosporanischen  Königreiche  der 
Friede  gestört  worden.  Hier  herrschte  seit  den  Tagen  des  Dictators 
ein  Bürger  Panticapaeums,  Namens  Asander,  Nach  der  Schlacht 
bei  Zela  hatte  er  den  Pharnaces,  der  in  sein  angestammtes  Reich 
zurückkehrte,  geschlagen  und  getötet  und  dessen  Tochter  Dynamis 
zur  Ehe  gezwungen.  So  war  er  zum  König  des  bosporanischen 
Reiches  geworden  und  behauptete  sich,  mit  Glück  gegen  die  Nach- 
barn kämpfend,  in  der  angemaßten  Herrschaft,  selbst  von  Augustus 
anerkannt.  Am  Abend  seines  Lebens  erlag  er,  93jährig,  den  Waffen 


2o6  Augustus 

eines  Abenteurers  Scribonius,  der  sich  einen  Sohn  jenes  Pharnaces 
nannte,  und  gab  sich  selbst  den  Tod.  Seine  Witwe  Dynamis  mußte 
darein  willigen,  das  Weib  des  Siegers  zu  werden.  Da  griff  im 
Jahre  i6  Agrippa  in  das  Geschick  des  Reiches  ein.  Er  bestimmte 
jenem  Polemo,  den  Augustus  mit  dem  Pontus  belehnt  hatte,  auch 
die  Herrschaft  im  Bosporus.  Ehe  er  noch  in  seinem  neuen  Reiche 
erschien,  hatten  die  Bosporaner  den  Scribonius  getötet  und  weiger- 
ten sich  jetzt,  Polemos  Herrschaft  anzuerkennen.  Erst  der  Drohung 
Agrippas,  der  mit  einem  Heere  in  Sinope  erschien,  fügten  sie  sich, 
Polemo  bestieg  den  Thron  als  dritter  Gemahl  der  Dynamis.  Als 
sie  aus  dem  Leben  schied,  bestimmte  ihm  Augustus  um  das  Jahr  12 
die  Pythodoris  zur  Frau,  sodaß  der  Traum  des  Antonius,  die  Erde 
mit  Königen  seines  Geschlechtes  zu  bevölkern,  hier  in  Erfüllung 
ging.  Denn  sie  war  seine  Enkelin  von  einer  Tochter,  die  er  mit 
dem  Trallianer  Pythodorus  vermählt  hatte.  Auch  sonst  hatte 
Augustus  den  Kindersegen  des  Antonius,  der  nun  einmal  sein 
Schwager  gewesen  war,  für  seine  politischen  Zwecke  genützt,  auch 
seiner  kinderliebenden  Schwester  Octavia  willfahrend,  die  alle  diese 
Kleinen,  selbst  den  Nachwuchs  Cleopatras,  in  ihrem  Hause  erzog. 
So  hatte  er  die  Cleopatra,  die  seinen  Triumph  geschmückt  hatte, 
mit  König  Juba,  dem  Sohn  des  Besiegten  von  Thapsus,  vermählt 
und  dem  Paar  zur  Hochzeit  das  Königreich  des  Bocchus  von 
Mauretanien  geschenkt.  Die  Tochter  jener  Pythodoris  und  des 
Polemo  wurde  später  als  Gemahlin  des  Cotys  Königin  in  Thrakien. 
Die  Wechselheiraten  unter  den  Fürstenhäusern  des  Ostens  begün- 
stigte Augustus,  um  die  zersplitterten  Gebiete  in  ihren  Herrschern 
inniger  zu  verbinden.  So  ging  Glaphyra,  die  Tochter  des  Archelaos 
von  Cappadocien,  in  manche  Hand.  Zuerst  mit  Alexander,  dem 
Sohn  des  Herodes,  vermählt,  heiratete  sie  nach  dem  Tode  der 
Cleopatra  den  Juba  und,  als  dieser  sie  nicht  mochte,  erfreute  sie 
den  Bruder  des  Alexander,  Archelaos.  Solchen  Ehen  entsproßten 
wieder  Königlein,  die  den  Bedürfnissen  römischer  Politik  in  spä- 
teren Jahrzehnten  entsprachen. 

Agrippa  hatte  auch  in  Syrien  geweilt,  wo  er  die  Colonieen 
Berytus  und  Heliopolis  begründete,  als  die  Heere  von  Augustus 
verjüngt  wurden,  und  den  Juden  ihre  religiösen  Privilegien  auf 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 


207 


den  Rat  des  Herodes,  selbst  die  Freiheit  vom  Heeresdienste  er- 
neuerte. Das  Jahr  13  sah  alle  Glieder  des  Kaiserhauses  in  Rom, 
Der  Senat  hatte  im  Jahre  19  die  Heimkehr  des  Kaisers  aus  dem 
Osten  durch  die  Errichtung  eines  Altares  der  Fortuna  Redux  ge- 
feiert. Vor  dem  Capenischen  Tore  erhob  er  sich  angesichts  des 
Tempels  von  Honos  und  Virtus,  damit  diese  Gottheiten  auf  den 
Altar  niederblickten^  wenn  die  Priester  des  Staates  den  Göttern 
opferten  zum  Heile  des  Mannes,  der  die  Tugenden  des  Römers 
verkörperte.  Jetzt  erfuhr  die  Vollendung  der  Neuordnung  des 
Reiches  eine  höhere  Weihe,  als  der  Senat  beschloß,  auf  dem 
Marsfelde  dem  Frieden  einen  Altar  zu  erbauen.  Ein  wunderbares 
Walten  des  Geschickes  hat  es  gefügt,  daß  dieser  Altar,  in  seinen 
Teilen  unversehrt,  wieder  der  schützenden  Erde,  in  deren  Schoß  er 
durch  zwei  Jahrtausende  geruht,  entsteigen  soll.  Denn  die  Bild- 
werke, die  ihn  schmücken,  zeigen  den  Kaiser  auf  der  Höhe  seines 
Schaffens  und  seines  Glückes.  Die  Weihe  dieses  Augenblickes  hat 
die  Hand  des  Künstlers  in  unvergänglicher  Reinheit  zu  dauernder 
Gestalt  geformt.  Wie  in  der  Feier  der  ludi  saeculares,  so  erscheint 
hier  im  Bilde  auf  dem  Altare  die  Erde,  umweht  von  den  zeugenden 
Lüften  des  Himmels,  im  Kreise  menschlicher  und  tierischer  Schöp- 
fung. Die  Schranken,  die  den  geheiligten  Raum  umschlossen,  tragen 
den  Zug  der  Priester,  der  als  erster  zur  Weihe  des  Platzes  an  den  Ort 
des  Altares  gewallt  ist.  An  ihrer  Spitze  der  Kaiser,  gefolgt  von 
seinem  ganzen  Hause,  das  ihm  in  Söhnen  und  Enkeln  erblüht  war. 
In  schlichter  Wahrheit  hat  der  Künstler  diese  Mächtigsten  der  Erde 
nach  ihrem  innersten  Wesen  erfaßt,  wie  sie  ihm  selbst  erschienen 
an  jenem  Tage  des  Glückes.  Dem  Auge  des  Kaisers  verbarg  der 
dunkle  Schleier  der  Zukunft,  wieviel  von  dem  Adel  und  der  Liebe, 
die  ihn  umgaben,  in  wenigen  Jahren  der  Tod  und  die  Schande  ihm 
entreißen  sollte.  Sah  er  doch  mit  Stolz  auf  die  Tochter,  die  seiner 
Erben  Mutter  war.  Und  ein  zweites  Geschlecht  erblickte  er  in  den 
Söhnen  seiner  Frau.  Schon  war  dem  Drusus  der  Germanicus  von 
Antonia  der  jüngeren  geboren,  und  Tiberius  sollte  in  diesem  Jahre 
des  Agrippa  Tochter  freien.  Octavias  zweite  Tochter  aus  der  Ehe 
mit  Antonius  war  dem  Domitius  Ahenobarbus  vermählt  und  nannte 
Tochter  und  Sohn  ihr  eigen.  Die  Heimkehr  des  Kaisers  war  nach 


2o8  Augustus 

der  Sitte  mit  festlichen  Spielen  begangen  worden.  Hier  war  es, 
daß  der  Kaisersohn  Gaius  sich  zum  ersten  Male  dem  Volke  zeigte. 
Das  Knabenturnier  der  ludi  Troiae  hatte  er  mit  anderen  Söhnen 
der  Vornehmsten  geritten,  und  wie  im  Spiele  übte  er  die  Pflicht 
des  höchsten  Amtes,  als  er  neben  Tiberius,  dem  Consul,  den  Vor- 
sitz führte  bei  den  Spielen  der  Heimkehr  des  Kaisers. 

Der  Glanz  der  Stadt  wurde  erhöht  durch  die  Vollendung 
zweier  Bauten.  Ein  Theater  hatte  Cornelius  Baibus  auf  dem  Mars- 
felde errichtet,  das  andere  von  dem  Dictator  geplante  vollendete 
Augustus  und  weihte  es  dem  Andenken  seines  Neffen  Marcellus. 
Damals  hat  Augustus,  wie  es  scheint,  die  Aemterordnung  des  Se- 
nates eingeschärft  und  die  drei  Stufen  der  Quaestur,  des  Tribunates 
mit  der  Aedilität  und  der  Praetur  als  notwendige  Vorbedingung  für 
die  Bewerbung  um  das  Consulat  eingeführt.  Auch  bestimmte  er, 
daß  dem  Senate  nur  angehören  solle,  wer  ein  Vermögen  von  einer 
Million  Sesterzen  besäße.  Bedeutungsvoll  war  es,  daß  Augustus  im 
folgenden  Jahre  nach  dem  Tode  des  Lepidus  zum  Oberpontifex 
durch  das  römische  Volk  gewählt  wurde.  Wohl  hatte  Augustus 
diesen  adeligsten  des  Uradels  von  Rom  gezwungen,  an  den 
Sitzungen  des  Senates  teilzunehmen,  damit  er  äußerlich  den  Pflich- 
ten seines  Amtes  genüge,  aber  diesen  ranghöchsten  und  stumpf- 
sinnigsten aller  Consulare  auch  zuerst  um  seine  Meinung  zu  be- 
fragen, wäre  der  reine  Hohn  auf  den  Ernst  der  Beratungen  ge- 
wesen. Doch  der  Kaiser  ertrug  den  pflichtlosen  Menschen  um  der 
Heiligkeit  seines  Amtes  willen  durch  so  viele  Jahre,  bis  sein  Tod 
ihm  gestattete,  die  römischen  Priester  in  strengere  Zucht  zu  nehmen. 

Am  Anfang  des  Jahres  verließ  ihn  der  treueste  und  edelste 
seiner  Helfer  für  immer.  Bis  zuletzt  war  Agrippa  als  Feldherr 
des  Reiches  tätig  gewesen.  Noch  im  Jahre  13  war  er  in  Aquileia 
an  die  Spitze  des  Heeres  getreten,  als  sein  bloßes  Erscheinen 
die  Illyrier  bestimmte,  die  Waffen  niederzulegen.  Schwer  erkrankt 
kehrte  er  im  Jahre  12  nach  Italien  zurück,  wo  er  in  Campanien 
starb,-  erst  51  Jahre  alt,  wenige  Tage,  nachdem  Augustus  den 
Oberpontificat  erworben  hatte.  Die  Freundschaft  der  Herrscher 
war  seit  der  Ehe  Julias  nie  mehr  getrübt  worden,  und  neidlos  hat 
Agrippa  bis  an  sein  Ende   der  überlegenen  Einsicht  des  Princeps 


i6.  Die  Neuordnung  des  Reiches 


209 


sich  gefügt,  den  zu  erhöhen  er  mehr  als  irgend  einer  getan. 
Augustus  hielt  dem  Freunde  die  Leichenrede  und  beschenkte  das 
Volk  aus  dem  reichen  Erbe,  das  er  ihm  hinterlassen  hatte,  mit 
einer  Gabe  von  100  Denaren  für  den  Mann.  Dauernder  lebte 
sein  Gedächtnis  in  den  herrlichen  Bauten,  wie  er  auch  durch  den 
neuen  mächtigen  Strom  klaren  Bergwassers,  den  er  in  die  Stadt 
geleitet,  der  aqua  Virgo,  noch  zuletzt  für  das  Wohl  gerade  der 
einfachsten  Bürger  gesorgt  hatte. 

Wieder  stand  Augustus  vor  der  entscheidenden  Frage,  wer, 
wenn  auch  ihn  der  Tod  abrufen  sollte,  an  seine  Stelle  treten  könnte. 
Gewohnt,  alles  dem  Staate  unterzuordnen,  sicher,  daß  sein  Wunsch 
den  Seinen  Befehl  sein  müsse,  entschied  er  sich,  die  Hand  seiner 
Tochter,  die  das  Anrecht  auf  den  Thron  in  sich  schloß,  dem  Wür- 
digsten zu  verleihen,  ohne  auf  die  Stimme  natürlichen  Empfindens 
zu  achten.  Seine  Wahl  fiel  auf  den  Stiefsohn  Tiberius,  obwohl  er 
damit  ein  Band  zerriß,  das  ihm  hätte  heilig  sein  müssen.  Denn 
schonungslos  zerstörte  er  das  Glück  seines  ungeliebten  Sohnes. 
Tiberius,  dem  alles  im  Leben  zur  Qual  wurde,  hatte  die  ganze  Lei- 
denschaft seiner  tiefinnerlichen  Natur  in  der  glatten  Schönheit  der 
geistlosen  Tochter  Agrippas  gelesen  und  hing  mit  zarter  Liebe  an 
der  Frau,  die  ihm  bereits  einen  Sohn  geschenkt  hatte.  Nun  mußte 
er  ihr  entsagen,  deren  Anblick  ihn  auch  später,  als  sie  leichten 
Herzens  die  Frau  eines  anderen  geworden  war,  zu  Tränen  rührte, 
und  in  die  Ehe  mit  Julia  willigen,  die  mit  scheinbarem  Glanz  nur 
Demütigungen  und  Schande  in  sich  barg.  Denn  was  war  es,  das 
ihm  der  Kaiser  ansann?  Als  Hüter  und  Helfer  den  Söhnen 
Agrippas  die  Herrschaft  zu  wahren,  bis  er  vor  diesen  Knaben 
wieder  in  das  Nichts  zurücktrat.  Und  nur  mit  Widerwillen  konnte 
er  an  diese  Kaisertochter  denken,  der  er  ein  Wächter  ihrer  mehr 
als  lockeren  Sitten  sein  sollte.  Denn  diese  Ehe  mit  Agrippa,  von 
Kindern  reich  gesegnet  —  noch  nach  dem  Tode  des  Agrippa 
hatte  Julia  einen  Sohn  geboren,  der  den  Namen  seines  Vaters 
trug  — ,  war  der  in  Jugendschönheit,  Geist  und  .Anmut  glänzen- 
den Frau  zur  Quelle  tiefsten  Verderbens  geworden,  Augustus,  so 
streng  gegen  sich,  so  gerecht  gegen  andere,  der  Tochter  gegenüber 
versagte  ihm  der  Ernst,  die  Zucht  des  Lebens  zu  fordern.    In  der 

Domaszcwski.    I.  I4 


2 1 0  Augustus 

heiteren  und  leichten  Art  das  Leben  zu  erfassen  ihm  so  ähnlich, 
sonnte  sie  sich  in  dem  Glänze  ihrer  erhabenen  Stellung,  erfreute 
sich  an  Schmuck,  reizvollen  Gewändern  und  all  dem  Tand  ge- 
schmackvoller Zierde  und  nahm  willig  die  Huldigungen  der  vor- 
nehmsten Jugend  Roms  entgegen,  die  die  Kaisertochter  und 
schönste  Frau  Roms  bei  ihrem  öffentlichen  Erscheinen  um- 
schwärmten und  bald  auch  den  Weg  fand,  auf  dem  die  Bewunde- 
rung verführerisch  von  heiterem  Lebensgenüsse  zur  Gewährung 
verbotener  Wünsche  verleitet.  Agrippas  zärtliche  Sorge,  in  den 
Beweisen  der  Liebe  nimmer  ermüdend,  hatte  einen  Schleier  über 
ihren  Wandel  verbreitet,  der  schon  in  jenen  Jahren  jede  Grenze  der 
Sitte  verletzte.  Nur  der  Kaiser  blieb  blind  für  die  Verfehlungen  der 
einzig  geliebten  Tochter.  Aber  Tiberius  ging  sehenden  Auges 
diese  ehrlose  Ehe  ein,  weil  ihm  der  Mut  fehlte,  dem  verlockenden 
Traume  nach  dem  Besitze  der  Krone  ganz  zu  entsagen,  wenn  er 
sich  weigerte,  dem  Gebote  des  Kaisers  zu  gehorchen.  Beklagens- 
wert ist  Augustus,  der  das  Wohl  des  Staates,  das  Wohl  der  Seinen 
wollte,  und  unbewußt  immer  weiter  wob  an  dem  Netze  des  eigenen 
Elends.  Auch  Tiberius  erscheint  verblendet  von  der  Ate  am  Ziele 
seines  Ehrgeizes,  an  der  Stelle  des  Agrippa  als  Mitherrscher  im 
Reiche,  während  sein  Fuß  sich  verstrickte  in  dieser  Ehe  zum 
tiefsten,  kläglichsten  Falle.  Wie  ganz  anders  leuchtete  die  Sonne 
des  Glückes  dem  jüngeren  Bruder,  der  schon  vor  Jahren  durch 
seine  ritterliche  Anmut  die  beste  und  liebenswürdigste  der  Frauen 
am  Hofe  gewonnen  hatte,  und  dem  auf  der  Höhe  sieghafter 
Jugendkraft  das  Los  beschieden  war,  das  die  Götter  ihren  Lieb- 
lingen bereiten.  Nach  Agrippas  Tode  sah  das  römische  Volk  nur 
in  Augustus  seinen  Hort  und  begehrte  im  nächsten  Jahre  noch- 
mals, daß  er  durch  die  unbeschränkte  Gewalt  während  der 
schweren  Kriege,  die  in  Illyrien  und  am  Rheine  die  Heere  ge- 
fesselt hielten,  Ruhe  und  Sicherheit  des  Reiches  verbürge,  ohne 
den  Kaiser  in  seinem  Entschlüsse  zu  beirren,  keine  der  Verfas- 
sung widerstreitende  Gewalt  auszuüben.  Denn  das  Siegesbe- 
wußtsein der  jungen  Feldherrn  hatte  sich  an  Aufgaben  gewagt, 
die  die  Kraft  des  Reiches  zu  übersteigen  drohten. 


i 


17-  Die  Eroberung  von  Illyrien  und  Germanien 

Der  Unstern,  der  über  Tiberius  in  seinem  Leben  waltete, 
hat  auch  die  Überlieferung  über  seine  Taten  in  den  Kriegen,  durch 
die  er  während  der  Jahre  ii  bis  9  ganz  lUyricum  der  römischen 
Herrschaft  unterwarf,  für  uns  zerstört.  Denn  ein  heldenhafter 
Widerstand  war  es  zweifellos,  den  diese  ungebändigten  Völker  mit 
der  Kraft  der  Natur  römischer  Kriegskunst  und  Tapferkeit  ent- 
gegensetzten. Zur  Bezwingung  Illyricums  waren  vier  Legionen  aus- 
ersehen, unterstützt  von  den  aus  den  Heeren  Spaniens  ausgeschie- 
denen zahlreichen  Vexillationen.  Aber  ehe  der  Krieg  noch  be- 
gann, war  in  Thrakien  eine  gefahrvolle  Erhebung  ausgebrochen, 
die  auch  zwei  Legionen  aus  den  Heeren  Ägyptens  und  Syriens 
nach  dem  Abendlande  rief.  In  Pannonien  drangen  die  Römer 
von  ihren  Waffenplätzen  Emona  und  Siscia  im  Tale  der  Save 
vor  und  errichteten  neue  Stützpunkte  an  diesem  Strome  in  Ser- 
vetium  und  Sirmium.  So  wirkten  die  römischen  Heere  zugleich 
gegen  die  Pannonier  im  Norden  und  die  Dalmater  im  Süden. 
An  den  eigenen  Grenzen  der  Pannonier  saßen  ihre  Erbfeinde, 
die  gallischen  Scordiscer,  an  Wildheit  und  Kampfweise  ihnen 
gleich  und  die  Bundesgenossen  der  Römer,  Von  Sirmium  und 
Emona  aus  zogen  die  Römer  am  Fuße  der  Alpen  und  im  Westen 
der  Donau  bis  gegen  Carnuntum  und  Aquincum,  alten  Handels- 
wegen folgend,  und  auf  diese,  durch  Besatzungen  gesicherten 
Straßen  gestützt,  trieben  sie  ihre  Linien  vor  in  dem  ungangbaren 
Waldlande,  beraubten  die  Besiegten  ihrer  Waffen  und  schleppten 
die  Kampffähigen  in  die  Sklaverei  fort.  In  einem  Sommer  schien 
das  Volk  bis  an  die  Ufer  der  Donau  bezwungen.  Die  Dalmater, 
denen  dasselbe  Schicksal  drohte,  traten  im  folgenden  Jahre 
unter  die  Waffen  und  zwangen  Tiberius,    sich    mit    dem    Heere 

14* 


2  12  Augustus 

gegen  sie  zu  wenden,  sodaß  auch  die  Pannonier  sich  wieder  er- 
hoben. Abwechselnd  führte  jetzt  Tiberius,  von  den  Waffenplätzen 
des  Savetales  vorbrechend,  seine  Schläge  gegen  beide  Gegner. 
Da  überschritten  die  Dacer  im  Winter  des  Jahres  lo  das  Eis  der 
Donau  und  verheerten  Pannonien,  während  die  Dalmater  durch 
den  Steuerdruck  wieder  zum  Aufstande  getrieben  wurden.  Aber 
Tiberius  schlug  auch  die  neuen  Feinde  mit  den  alten  und  er- 
stickte im  Jahre  9  die  letzte  Bewegung  des  jeder  Knechtschaft 
ungewohnten  Illyriens.  Die  Hauptmacht  der  Legionen  blieb  auch 
nach  dem  Siege  in  den  Lagern  an  der  Save  vereinigt,  von 
welchen  die  gesicherten  Straßen  durch  das  Land  quer  bis  an  das 
Ufer  der  Donau  und  in  die  Berge  Dalmatiens  führten,  an  ihren 
Kopfenden  durch  große  Lager  der  Auxilia  gedeckt.  Die  unter- 
worfenen Völker  selbst  wurden  zum  Kriegsdienst  gezwungen,  er- 
gänzten unter  römischen  Führern  den  Grenzschutz  ihrer  eigenen 
Provinzen  oder  mußten  in  fernen  Ländern  den  römischen  Waffen- 
ruhm mehren.  Es  war  ein  furchtbares  Werk,  das  dieser  Claudier 
mit  äußerster  Härte  in  wenigen  Jahren  vollbracht  hatte,  und  die 
Saat  des  Hasses  und  der  Verzweiflung,  die  er  gesät,  sollte  in  einem 
neuen  Geschlechte,  als  es  zum  Gebrauche  der  Waffen  heranwuchs, 
den  gefahrvollsten  Krieg  erzeugen,  den  die  Römer  seit  den  Tagen 
des  großen  Hannibal  um  ihr  eigenes  Dasein  gekämpft  haben. 
So  war  dieser  Mann  in  seiner  Jugend,  und  man  erhebt  gegen 
Augustus  den  Vorwurf,  daß  sein  mildes  Herz  vor  ihm  zurück- 
bebte. 

Früher  hatte  schon  Lucius  Piso  den  Krieg  in  Thrakien  be- 
endet. Vologaeses,  ein  Priester  des  thrakischen  Dionysos,  hatte 
die  Besser  durch  Zauberkraft  und  Weissagung  zum  Kampfe 
erregt  gegen  die  neuen  Herren  des  Heiligtums  und  hatte  den 
König  der  Odrysen  Rhascuporis  besiegt  und  getötet,  sodaß  auch 
sein  Oheim  Rhömetalkes  beim  Anblick  des  Wundermannes,  von 
seinen  Streitern  verlassen,  davonfloh.  Die  Sieger  verheerten 
Macedonien  und  streiften  bis  in  den  thrakischen  Chersonesus. 
Erst  als  Piso  mit  den  Truppen  Asiens  auf  dem  Kampfplatz  er- 
schien, wurden  die  Besser  auf  ihr  eigenes  Gebiet  zurückgedrängt 
und  in  dreijährigen  Kämpfen    mehr    durch  ihre  eigenen  Volks- 


I".  Die  Eroberung  von  Illyrien  und  Gennanien  21  ^ 

genossen  als  die  Waffen  der  Römer  niedergerungen.  Damals  hat 
als  eine  Folge  des  Krieges  ein  Heer  von  zwei  Legionen  im  Lande 
der  Dardaner  um  Naissus  und  an  der  Donau  bei  Ratiaria  feste 
Standlager  bezogen,  bestimmt,  gegen  die  Dalmater  im  Westen 
und  die  Thraker  und  Moeser  im  Osten  zu  wirken  und  über  Sir- 
mium  auch  mit  dem  Heere  Pannoniens  in  Verbindung  zu  treten. 
Nur  ein  unbedingtes  Vertrauen  auf  die  Schlagkraft  der  festge- 
fügten und  ausgezeichnet  geführten  Heere  konnte  diese  auf  wenige 
Linien  beschränkte  Besetzung  so  weiter,  von  kriegerischen  Stäm- 
men bewohnter  Gebiete  als  gesichert  erscheinen  lassen. 

Und  doch  haben  die  Römer  in  diesen  Jahren  auch  ganz 
Deutschland  zwischen  Rhein  und  Elbe  mit  den  Waffen  unter- 
worfen. Das  Heer  Galliens  wurde  durch  neugebildete  Legionen 
auf  acht  Legionen  verstärkt  und  jetzt  erst  der  Gedanke  des  Dicta- 
tors,  die  Stützpunkte  der  Heere  an  den  Rhein  selbst  zu  verlegen, 
verwirklicht.  Agrippa  hatte  noch  das  Rheintal  als  Vorland  be- 
trachtet und  den  Legionen  in  Metz  und  Trier  ihre  Standlager 
angewiesen,  während  die  Auxilia,  in  großen  Lagern  am  Grenz- 
strom versammelt,  die  Einfallslinien  der  schiffbaren  Nebenflüsse 
des  Rheines  und  die  Haupttäler  des  östlichen  Randgebirges 
sperrten.  So  lagen  weite  Strecken  der  Grenze  offen,  die  die  Ger- 
manen umso  leichter  überschritten,  wenn  sie  die  Lust  anwandelte, 
auf  einer  Kriegsfahrt  in  dem  überrheinischen  Lande  nach  Beute 
und  Ruhm  zu  jagen.  Die  Absicht  der  Eroberung  Deutschlands  ließ 
Drusus  das  ganze  Heer  Galliens  an  die  Ufer  des  Grenzstromes 
vorschieben;  das  Heer  von  acht  Legionen  wurde  in  zwei  Körper 
geteilt,  deren  Oberleitung  in  Mogontiadum  am  Oberlaufe  des 
Rheines  und  in  Vetera  am  unteren  Strome  über  zwei  Legionen 
gebot.  Denn  hier  allein  öffneten  der  Flußlauf  des  Main  und 
der  der  Lippe  natürliche  Straßen  in  das  pfadlose  Wald-  und  Berg- 
land jenseits  der  Grenze.  Am  Oberrhein  erhielt  eine  Legion 
in  Vindonissa  in  der  Schweiz,  die  andere  in  Argentoratum  ihren 
Standort.  Am  Niederrhein  ergänzten  die  Legionen  in  der  Stadt 
der  Ubier  und  in  Novaesium  die  Stellung  von  Vetera.  Eine  lange 
Reihe  von  50  Lagern  der  Auxilia  verband  die  Festungen  der  Le- 
gionen.   Den  Stützpunkt  der  Flotte,  die  bei  der  Eroberung  Ger- 


2  14  Augustus 

maniens  mitwirken  sollte,    errichtete  Drusus    am  Ärmelkanal    in 
Gessoriacum. 

War  das  Deutschland  jener  Zeit  wirklich  für  die  Herren  der 
sonnigen  Ufer  ihres  inneren  Meeres  ein  so  wünschenswerter 
Besitz?  Das  deutsche  Mittelgebirge,  den  Römern  eine  ungeglie- 
derte Masse  von  unbekannter  Ausdehnung,  barg  in  seinen  Ur- 
wäldern den  ungezählten  Heerbann  der  gefürchteten  Sueben, 
die  doppelt  unangreifbar  erschienen,  weil  sie  die  Hochebenen 
im  Süden  bis  an  die  Grenzen  des  Reiches  in  ein  Ödland  ver- 
wandelt hatten.  Der  Norden,  mit  Busch  und  Baum  bestanden, 
von  langsam  fließenden  Gewässern  durchzogen,  die  den  Boden 
versumpften  und  mit  feuchten,  aufsteigenden  Nebeln  bedeckten, 
war  nur  für  seine  Bewohner  eine  Heimat.  Der  karge  Boden  auf 
den  seltenen  Rodungen  und  die  schwachen  Herden  kleiner  Rinder 
nährten  das  harte  Geschlecht,  das  hier  kaum  seßhaft  geworden 
war,  nicht  in  genügendem  Maße,  sodaß  die  gefahrvolle  Jagd 
auf  die  schreckhaften  Elche  und  Wisente  des  Urwaldes  den  Tisch 
füllen  mußte.  In  Blockhäusern  und  Rohrhütten  lebten  sie,  in 
Tierfelle  gekleidet  oder  nackten  Leibes,  und  selbst  ihr  Stolz, 
ihre  Waffen,  war  nur  furchtbar  durch  die  Kraft  der  Arme,  die 
sie  schwangen.  Kostbares  nannten  sie  nur  ihr  eigen,  wenn  sie 
das  rote  Gold  auf  ihren  Kriegsfahrten  erbeuteten.  Die  Gleichheit 
des  freien  Mannes  achtete  den  Vorzug,  den  Edelingen  die  Her- 
kunft aus  einem  erlauchten  Geschlecht  göttlicher  Ahnen  lieh.  Die 
Ältesten  regelten  das  Leben  der  Gemeinde,  verteilten  die  zu  be- 
stellenden Äcker  in  jedem  Jahre  neu  und  schirmten  das  Recht. 
Doch  bei  allem  von  Gewicht  mußte  die  Gesamtheit  der  Freien 
entscheiden.  Könige  der  Völkerschaften  kannten  sie  wohl  im 
Frieden;  aber  im  Kriege  gehorchten  sie  nur  dem  tapfersten  Manne, 
den  sie  sich  selbst  zum  Führer  erkoren  hatten,  und  auch  ihm 
verweigerten  sie  vor  dem  entscheidenden  Kampfe  den  Gehorsam, 
wenn  es  dem  Eigenwillen  einer  ungebändigten  Natur  so  gefiel. 
Die  überschießende  Kraft  und  die  helle  Freude  der  Phantasie, 
die  unter  der  Last  eines  trägen  Friedens  verkamen,  trieb  sie, 
die  Aufregung  der  Jagd  und  der  wilden  Gelage  zu  steigern  in  dem 
eines  freien  Mannes  einzig  würdigen,  frohenWettstreit  derWaffen. 


17.  Die  Eroberung  von  Illyrien  und  Germanien  2  1=5 

Der  hohe  Wald  und  die  freie  Ebene  wurde  ihren  ragenden  Ge- 
stalten mit  dem  wallenden  Blondhaar  und  den  blitzenden  Augen 
zu  enge  in  dem  Räume,  den  die  eigenen  Siedlungen  beherrschten. 
Nur  wenn  weite  unbewohnte  Flächen,  die  kein  Feind  zu  betreten 
wagte,  ihre  Wohnsitze  umgaben,  fühlten  sie  mit  Stolz,  wie  weit  der 
Schrecken  ihrer  Tapferkeit  reichte.  So  hatten  Fehden  und  Kriege 
ohne  Ende  und  ohne  Ziel  Stämme  und  Völker  tief  gespalten,  und 
der  Gedanke,  daß  die  Laute  der  gleichen  Sprache,  gleicher  Glaube, 
gleiche  Sitte  sie  zu  dem  gemeinsamen  Adel  hoher  Tugenden 
verband,  hatte  ihnen  kaum  noch  getagt.  An  dem  östlichen  Ufer 
des  Rheines  saßen  von  Mainz  bis  Vetera  die  Chatten,  Sugambrer, 
Usipeten  und  Tencterer.  Hinter  diesen  an  der  Ems  die  Bructerer 
und  an  der  Weser  die  Cheruscer,  zuletzt  an  der  Elbe  die  Angri- 
varier.  Diese  Stämme  der  norddeutschen  Ebene  lebten  in  töd- 
licher Feindschaft  mit  den  Batavern,-  den  Friesen,  den  Chancen 
an  der  Meeresküste,  und  nicht  minder  tief  war  der  Haß  zwischen 
Cheruscern  und  Chatten. 

Der  Bau  der  Waffenplätze  am  Rheine,  das  stetige  Anwachsen 
der  römischen  Heere,  hatte  die  Sugambrer  über  die  drohende 
Vergeltung  für  die  Niederlage  des  Lollius  belehrt  und  ihnen  die 
Hilfe  der  Cheruscer  und  Sueben  gewonnen.  Die  Schätzung  der 
Gallier,  die  Drusus  in  diesem  Jahre  vollendete,  ließ  das  leicht 
erregbare  Volk  in  unruhiger  Bewegung  erscheinen,  die  beim 
Auftreten  der  Deutschen  auf  römischer  Erde  zum  Aufstand  sich 
steigern  mußte.  Ihres  Sieges  gewiß,  teilten  die  Deutschen  die 
gehoffte  Beute,  als  sollten  den  Sueben  das  Gold  und  Silber,  den 
Cheruscern  die  Rosse,  den  Sugambrern  die  Kriegsgefangenen  als 
Knechte  zufallen.  So  darf  man  vermuten,  daß  die  Sueben  nur  als 
beutelustige  Reisläufer  fochten,  von  den  Cheruscern  ein  adeliger 
Heerbann  ins  Feld  zog,  während  die  Sugambrer  in  dem  Kriege 
als  Volk  kämpften,  das  mit  den  seßhaften  Sitten  ihrer  gallischen 
Nachbarn  vertrauter  war.  Aber  sie  fanden  den  Strom  in  sicherer 
Hut,  und  die  vornehmen  Gallier  hatte  Drusus  zur  Festfeier  in 
Lugudunum  versammelt,  sodaß  ihre  halbfreien  Massen  sich  nicht 
erhoben.  Am  i.  August  des  Jahres  12,  dem  Ehrentag  des  Kaiser- 
hauses,  weihte  Drusus  den   Altar  am   Zusammenfhiß   der  Rlione 


2  I  6  Augustus 

und  Saone,  den  Galliern  ein  Zeichen  der  sicher  gefestigten  römi- 
schen Herrschaft,  und  brach  dann  auf,  die  Angreifer  auf  ihrem 
eigenen  Boden  heimzusuchen.  Durch  das  Land  der  Bataver 
ziehend,  überschritt  er  den  Rhein  nahe  an  seiner  Mündung,  ver- 
wüstete weit  und  breit  das  Gebiet  der  Usipeten  und  ihrer  Nach- 
barn, der  Sugambrer.  Dann  fuhr  er  mit  der  Kriegsflotte  hinaus 
in  das  Nordmeer,  gewann  die  Friesen  und  ging  an  der  Mündung 
der  Weser  bei  den  Chancen  ans  Land.  Hier  bewiesen  die  Friesen 
ihre  seltsame  Treue  für  die  Feinde  der  Deutschen,  als  sie  die 
Flotte,  die  mit  dem  Wechsel  der  Gezeiten  an  dieser  Küste  nicht 
vertraut,  in  den  plötzlich  sich  bildenden  Untiefen  festsaß,  durch 
ihre  Hingebung  retteten.  Doch  war  dieser  Feldzug  nicht  mehr 
als  eine  Erkundung  des  unbekannten  Landes  gewesen.  Denn 
Drusus  gedachte  den  Norden  Deutschlands  vom  Rheine  und  vom 
Meere  gleichzeitig  zu  umfassen.  Nach  Rom  im  Winter  zurück- 
r  I  V.  ein.  gekehrt,  sah  er  im  Frühjahr  wieder  den  Rhein.  Die  Zwietracht 
der  Deutschen  lähmte  ihren  Widerstand.  Als  Drusus  wieder  im 
Lande  der  Usipeten  erschien,  diesmal  durch  Straßen  und  Brücken 
die  Besetzung  des  östlichen  Rheinufers  zu  einer  dauernden  zu 
machen,  fand  er,  als  er  die  Lippe  überschritt,  daß  die  Sugambrer, 
die  er  bekämpfen  wollte,  mit  ihrem  ganzen  Heerbann  gegen  die 
Chatten  zu  Felde  gezogen  waren,  diese  Treulosen,  die  ihnen  die 
Bundeshilfe  versagten,  zu  züchtigen.  So  lag  der  Weg  offen  in 
das  Land  bis  an  die  Weser.  Hier  in  dem  Waldgebirge  bei 
Detmold  sollten  die  Römer  zum  ersten  Male  die  wahre  Natur  des 
Krieges  auf  deutscher  Erde  kennen  lernen.  Denn  der  Weg,  den 
man  gekommen  war,  war  von  all  den  tapferen  Streitern,  die  sich 
in  ihrer  Freiheit  bedroht  sahen,  dicht  besetzt.  Die  Deutschen 
brachen  immer  wieder  aus  dem  Dickicht  des  Urwaldes  hervor 
und  griffen  die  mühsam  vorwärtsziehenden  römischen  Reihen 
mit  Ungestüm  an,  bis  in  den  Schluchten  von  Arbalo  das  ganze 
Heer  in  äußerste  Gefahr  geriet.  Schon  schien  den  Römern  jeder 
Ausweg  versperrt  zu  sein,  als  die  Deutschen  bei  ihrem  ordnungs- 
losen Ansturm,  der  die  Gegner  vernichten  sollte,  der  ganzen 
Wucht  römischer  Kriegszucht  erlagen.  Jenseits  dieser  Engen  am 
Zusammenfluß  der  Lippe  und  Eliso  errichtete  Drusus  das  Lager 


ij.  Die  Eroberung  von  Illyrien  und  Germanien  217 

von  Aliso,  bestimmt,  die  Wasserstraße  der  Lippe,  die  nach  V'etera 
am  Rheine  führte,  dauernd  zu  sichern.  Gleichzeitig  hatte  das 
Heer  des  Oberrheins  auf  dem  Boden  der  Chatten  eine  Zwingburg 
erbaut. 

Durch  die  Erfahrung  dieses  Feldzuges  belehrt,  beschloß 
Drusus  im  nächsten  Jahre  den  Angriff  von  der  Meeresküste,  um  lo v.Chr. 
die  einzig  gangbaren  Wasserstraßen  in  das  Land  der  Bructerer 
und  Cheruscer  zu  erschließen.  Ein  Kanal  aus  dem  Rhein  in  den 
Zuidersee  war  bereits  gegraben,  der  die  Ausfahrt  der  römischen 
Flotte  sicherte.  So  erschien  im  nächsten  Jahre  die  Flotte  an 
der  Mündung  der  Ems,  schlug  die  Boote  der  Bructerer  und  be- 
setzte die  Insel  Borkum.  Die  römischen  Besatzungen,  längs  der 
Ems  vorgeschoben,  bildeten  eine  Kette,  die  vom  Meere  bis  Aliso 
an  der  Lippe  reichten.  Von  Gessoriacum  wurden  in  den  Marschen 
Straßen  erbaut,  die  auch  die  Meeresküste  bis  an  die  Mündung 
der  Ems  sicherten.  Aber  noch  in  demselben  Jahre  griff  Drusus 
die  Chatten  an,  die  die  Sitze,  die  ihnen  die  Römer  vorgeschrieben, 
verlassen  hatten  und  in  ihren  Feinden,  den  Sugambrern,  zu 
spät  die  Genossen  ihrer  Leiden  sahen.  Die  wunderbare  Klarheit, 
mit  der  Drusus,  ein  wahrhaft  großer  Feldherr,  die  Bezwingung 
Deutschlands  erfaßt  hatte,  zeigt  auch  sein  letzter  Feldzug.  Zuerst 
griff  er  die  Sueben  an  und  traf  ihre  Grenzmannschaften,  die  9  v.  Chr. 
Marcomannen,  mit  solcher  Wucht,  daß  sie  ihre  Sitze  an  der  römi- 
schen Grenze  für  immer  räumten  und  unter  Marbods  Führung 
in  dem  fernen  Boeheim  neue  Sitze  suchten.  In  Mainz  erinnert 
das  gewaltige  Siegeszeichen,  das  einst  mit  den  erbeuteten  Waffen 
der  Marcomannen  geschmückt  war,  noch  in  seinen  zerstörten 
Resten  an  den  Helden.  Dann  zog  er  von  Mainz,  eine  Straße 
erbauend  und  sichernd,  gegen  Aliso  und  von  da  an  die  Weser, 
Auch  an  dem  Ufer  dieses  Flusses  entstand  jetzt  die  römische 
Grenzwehr,  und  Drusus  drang  weiter  vor,  das  Land  der  Cheruscer 
verwüstend,  bis  an  die  Elbe,  wo  er  ein  letztes  Siegeszeichen  er- 
baute. Von  der  Elbe  nahm  Drusus  die  Richtung  nach  dem  her- 
cynischen  Walde,  um  durch  den  Widerstand  des  Urwaldes  und 
unbesiegter  Feinde  eine  neue  Straße  nach  Mainz  zu  bahnen. 

Da  fand  er  an  der  fränkischen  Saale  die  Grenze  seiner  Taten 


2 1 8  *  Augustus 

und  seines  Lebens.  Schon  an  der  Elbe  hatte  im  Nebel  des  Waldes 
die  Erscheinung  einer  Frau  seine  Seele  geängstigt  mit  der  drohen- 
den Mahnung,  dem  unersättlichen  Streben  ein  Ziel  zu  setzen, 
wie  ein  Sinnbild  für  den  Sohn  des  Südens,  der  furchtbaren  Natur 
des  nordischen  Landes.  Mit  dem  Pferde  stürzend  brach  er  den 
Schenkel  und  lag  im  Lager  des  trauernden  Heeres  hoffnungs- 
los darnieder.  Die  Schreckenskunde  gelangte  zu  Augustus  nach 
Ticinum  am  Po,  wo  Tiberius  aus  Pannonien,  mit  dem  Lorbeer 
des  letzten  Sieges  geschmückt,  eingetroffen  war.  Mehr  noch 
bangte  den  Feldherrn  um  das  Schicksal  des  Heeres,  das,  seines 
Führers  beraubt,  inmitten  des  feindlichen  Landes  stand.  So  eilte 
er  über  die  Alpen  an  den  Rhein  nach  dem  letzten  römischen 
Standlager  und  dann  durch  das  kaum  befriedete  Gebiet  der  Bar- 
baren, nur  von  einem  gallischen  Häuptling  begleitet,  in  rast- 
losen Ritten  Tag  und  Nacht  vorwärts  an  das  Sterbelager  des  ge- 
liebten Bruders.  Als  die  Reiter  in  der  Waldlichtung  auftauchten, 
trat  ihnen  auf  Drusus  Befehl  das  ganze  Heer  im  Waffenschmucke 
entgegen,  um  Tiberius  als  Imperator  zu  begrüßen.  Von  seiner 
starken  und  sicheren  Hand  geführt,  gelangte  das  Heer,  auf 
einer  Bahre  den  sterbenden  Feldherrn  mit  sich  tragend,  an  das 
letzte  Sommerlager  der  Römer.  Hier  an  den  Quellen  der  Lippe 
verschied  Drusus,  Den  Zug  der  Leiche  geleitete  Tiberius  über  die 
Alpen  nach  Italien,  den  ganzen  Weg  zu  Fuße  vor  der  Bahre 
einherschreitend.  In  Ticinum  empfing  Augustus  den  Geliebten 
und  folgte  dem  Zuge  bis  nach  Rom,  Vater  und  Bruder  hielten  ihm 
die  Leichenrede  und  nannten  ihn  mit  dem  Ehrennamen  Ger- 
manicus,  den  Bezwinger  der  Deutschen,  der  in  seinem  Geschlecht 
forterbte.  Auf  dem  Grabmale  pries  Augustus  den  Toten  in 
Versen,  die  er  selbst  verfaßte,  und  schilderte  in  einem  Buche 
seine  Taten.  Der  Geschichtsschreiber  Livius  schloß  wohl  nach 
dem  Sinne  des  Kaisers  sein  Werk,  das  von  dem  Ruhme  der  Römer 
seit  der  Gründung  der  Stadt  berichtet  hatte,  mit  dem  Tode  des 
Drusus,  als  sei  die  Geschichte  des  Helden  für  alle  Zeiten  das 
letzte  Blatt  der  Großtaten  Roms. 

Wohin  der  Kaiser  blickte,  hielt  der  Tod  seine  Ernte  unter 
denen,  die  ihm  die  Teuersten  waren.     Octavia  war  schon  zwei 


1".  Die  Eroberung  von  lllyrien  und  Gemianien  2  IQ 

Jahre  vorher  gestorben,  nachdem  sie  seit  dem  Tode  des  Marcellus 
ein  Bild  der  Trauer  gewesen  war.  Maecenas  erlag  den  jahre- 
langen schweren  Leiden.  Auc|i  Horatius  der  Dichter  schied  aus 
dem  Leben,  der  seine  und  seines  Hauses  Größe  verkündet  hatte 
und  seinem  Herzen  teuer  gewesen  war.  Tiberus  ganz  allein  war 
ihn  und  seinen  heranwachsenden  Söhnen  jetzt  Stütze  und  Stab. 
Und  doch  ermüdete  seine  Hand  nicht  in  dem  Werke  friedlichen 
Schaffens.  Im  Jahre  8  hielt  er  den  zweiten  Census,  der,  seit  dem 
Friedensfeste  der  Ära  Pacis  vorbereitet,  nun  zum  Abschluß  kam 
und  die  Zahl  der  Bürger  um  170000  Köpfe  gewachsen  zeigte. 
Wieder  beschloß  der  Senat  nach  dieser  Neuschöpfung  der  Bürger- 
schaft, für  die  jede  Schätzung  galt,  für  den  Kaiser  eine  sinnvolle 
Ehre,  als  der  Monat  Sextilis,  in  dem  Alexandria  gefallen  war  und 
Augustus  seinen  Siegeseinzug  in  Rom  gehalten  hatte,  in  Wahrheit 
für  alle  Zeiten  den  Namen  Augustus  erhielt.  Im  nächsten  Jahre  7  v.  Chr. 
fand  auch  der  Umbau  und  die  Neuordnung  Roms  ihren  Abschluß 
in  der  Einteilung  der  Hauptstadt  in  14  Regionen,  die  in  zahl- 
reiche Viertel  zerfielen,  und  in  dem  gemeinsamen  Heiligtum 
jedes  Viertels,  des  Vicus,  wurden  die  schützenden  Götter  der 
Straßen,  die  Lares,  und  zwischen  ihnen  der  Genius  des  Kaisers 
verehrt.  Augustus,  stets  darauf  bedacht,  die  Schönheit  Roms 
zu  erhöhen,  weihte  in  diese  Kapellen  kostbare  Kunstwerke,  die 
er  aus  den  ihm  dargebrachten  Neujahrsspenden  erworben  hatte, 
wie  ein  Hausvater  die  Geschenke  der  Seinen  verwendend. 

Um  das  Werk  des  Drusus  zu  festigen,  war  Augustus  selbst 
im  Jahre  8  nach  Gallien  gegangen,  und  Tiberius  führte  die  Le- 
gionen durch  alle  Gaue  Deutschlands,  und  lähmte,  wo  die  rö- 
mischen Waffen  sich  zeigten,  jede  Regung  des  Widerstandes. 
Mit  eiserner  Hand  hielt  er  sie  nieder,  ganz  nach  dem  Grundsatz, 
den  er  in  späteren  Jahren  pries,  mögen  sie  mich  hassen,  wenn 
sie  mich  nur  fürchten.  Die  Sugambrer,  die  den  LoUius  geschlagen 
hatten,  erfuhren  seine  Art  zu  vergelten.  Ihre  Vornehmsten  gingen 
nach  Gallien  in  die  Gefangenschaft,  wo  sie  in  der  Luft  dos  Kerkers 
an  Herzleid  verkamen.  Das  ganze  Volk  wurde  auf  römischen 
Boden  übergesiedelt,  und  die  waffenfähige  Jugend  sollte  in  Thra- 
kien, Africa,  Syrien  für  die  Römer  verbluten.    Wie  ganz  anders 


2  20  Augustus 

hatte  Drusus  die  Deutschen  mehr  noch  als  mit  den  Waffen  durch 
die  Gewalt  seiner  Persönlichkeit  gewonnen.  Mit  freigebiger  Hand 
verteilte  er  stolze  Streitrosse  und  glänzende  Waffen  unter  die 
Fürsten,  und  in  dem  Gewühle  der  Reiterschlacht  suchte  er  ihren 
tapfersten  Mann,  den  Heerkönig,  im  Zweikampf  zu  fällen.  Sein 
strahlendes  Heldentum  blendete  ihre  Augen,  und  sie  fochten  für 
den  Fremden  gegen  die  eigenen  Brüder,  beklagten  seinen  Tod, 
als  wäre  der  Beste  der  Ihren  gefallen.  Augustus  erfüllte  den 
Wunsch  des  Toten,  als  er  den  Siegeslorbeer  des  Germanicus  dem 
Juppiter  feretrius  darbrachte,  den  nur  jene  römischen  Feldherrn 
ehren  durften,  die  dem  feindlichen  Heerführer  die  blutige  Waffen- 
rüstung mit  eigener  Hand  abgezogen  hatten.  Nachdem  Tiberius 
7  V.  Chr.  den  Antritt  seines  zweiten  Consulates  mit  der  Siegesfeier  über 
Deutschland  begangen  hatte,  überscjiritt  er  abermals  den  Rhein, 
um  die  gesicherte  Ordnung  der  neuen  Provinz  des  römischen 
Reiches  zu  überwachen.  In  Rom  hatte  der  Senat  auf  seinen 
Antrag  beschlossen,  daß  der  neuerbaute  Tempel  der  Eintracht 
seinen  und  seines  Bruders  Namen  tragen  sollte,  und  er  feierte 
nach  seiner  Rückkehr  die  Einweihung  jener  Halle,  die  Vipsania 
Polla,  die  Schwester  Agrippas,  auf  dem  Marsfelde  erbaut  hatte, 
mit  Gladiatorenspielen  zur  Erinnerung  an  den  toten  Herrscher. 


i8.  Der  Untergang  der  Julier 

Wieder  hatte  Augustus  im  folgenden  Jahre  Tiberius  durch  die  6  v,  Chr. 
Verleihung  der  tribunicischen  Gewalt  als  Mitherrscher  bestätigt,  und 
wie  er  im  Westen  das  Reich  befestigt  hatte,  so  sollte  er  in  diesem 
Jahre  im  Osten  den  Streit  um  den  Thron  Armeniens  von  neuem 
schlichten.  Da  erwiderte  er  demKaiser,daß  seinEntschluß  gefaßt  sei, 
allen  Würden  und  Ehren  zu  entsagen  und  als  Privatmann  in  Rhodos 
den  Rest  seiner  Tage  zu  verleben.  Wie  zwingend  die  Gründe  waren, 
die  ihn  zu  diesem  Aeußersten  getrieben  hatten,  ahnte  der  Kaiser 
nicht.  Die  Ehe  mit  des  Kaisers  Tochter  war  es,  deren  Schande  er 
nicht  mehr  zu  ertragen  vermochte.  Wohl  hatte  Julia  den  zweiten 
Gatten  wie  den  ersten  aus  der  Hand  ihres  Vaters  genommen,  und 
der  stolze,  in  sich  gekehrte  und  doch  so  leidenschaftliche  Claudier 
schien  ihre  Gefallsucht  angenehm  zu  beschäftigen.  Aber  wie  sollte 
die  Ehe  dem  Manne,  der  im  Leben  nur  das  Eine  kannte,  die  eiserne 
Pflicht  des  Soldaten,  und  der  Frau,  die  in  leerem  Genüsse  ihre 
Seele  aufrieb,  nicht  zur  Hölle  werden?  Und  selbst  zwecklos  war  es 
für  Tiberius  geworden,  die  Schande  länger  zu  tragen,  da  Augustus 
dem  Gaius  Caesar  mit  dem  Männerkleide  auch  das  Consulat  über- 
tragen wollte,  das  er  schon  nach  fünf  Jahren  verwalten  sollte.  Was 
länger  den  Hüter  dieser  Knaben  spielen,  von  denen  Niemand 
wußte,  mit  welchem  Rechte  sie  Agrippa  ihren  Vater  nannten  I 
lieber  ihn,  dem  mit  dem  Tode  des  Bruders  der  letzte  Quell  der 
Liebe  vertrocknet  war,  vermochten  die  Vorstellungen  des  Augu- 
stus, die  Bitten  der  Mutter  nichts  mehr.  Vier  Tage  wies  er,  zum 
Sterben  entschlossen,  Speise  und  Trank  zurück,  bis  man  ihn  ziehen 
ließ,  um  seine  Verzweiflung  auf  Rhodos  zu  begraben.  Wortlos  war 
er  von  seinen  Freunden  geschieden,  und  stumm  sollte  er  die  Jahre 
vertrauern,    auf    dieser  Insel    der  Philosophen    und    Redekünstler 


222  Augustus 

ein  zweckloses  Dasein  lebend:  er,  der  seit  Jahren  gewohnt  war,  an 
der  Spitze  der  Heere,  keines  fremden  Rates  sich  bedienend,  in 
kurzen  Befehlen  den  Willen  der  Tausende  planvoll  zu  lenken.  Fest 
und  sicher  war  er  vorgeschritten  im  Leben,  in  treuer  Pflichterfül- 
lung, unbeugsam  den  Freunden  und  Feinden,  nur  dem  Herrscher, 
den  er  verehren  mußte,  gehorchend.  Und  gerade  dieses  sein  rein- 
stes Empfinden  war  ihm  zum  schwersten  Fluche  geworden. 

Augustus  empfand  es,  daß  ihm  mit  Tiberius  der  Arm  zur  Tat 
genommen  war.  Er  ließ  es  geschehen,  daß  in  Armenien  der  Einfluß 
der  Parther  vorwaltete.  Die  Kinder  des  letzten  Königs,  Tigranes 
und  Erato,  bestiegen,  in  der  Ehe  nach  der  Sitte  des  Orients  ver- 
bunden, unter  parthischem  Schutze  den  Thron,  und  der  von  den 
römisch  Gesinnten  erhobene  Gegenkönig  Artavasdes  wurde  unter 
schweren  Verlusten  der  römischen  Truppen,  die  seine  Herrschaft 
stützen  sollten,  aus  dem  Lande  getrieben.  Augustus  begnügte  sich, 
auf  die  anmaßenden  Briefe  des  neuen  Königs  der  Parther,  Phraa- 
taces  im  drohenden  Tone  zu  antworten.  Doch  ist  alle  und  jede 
Ueberlief  erung  über  die  nächsten  Jahre  des  Kaisers  verloren,  sodaß 
ein  Urteil  schwierig  wird.  Vereinzelte  Trümmer  lehren,  daß  die 
zielbewußte  Verteidigung  des  Gewonnenen  in  keiner  Weise  nachließ 
und  der  Schrecken  des  römischen  Namens  weit  über  die  Grenzen 
reichte,  die  die  Heere  unmittelbar  schützten.  So  wissen  wir,  daß 
Domitius  Ahenobarbus,  Octavias  Schwiegersohn,  von  Illyrien  aus  in 
Böhmen  eindrang  und  die  Marcomannen  zwang,  den  Hermunduren 
Sitze  in  ihrem  eigenen  Lande  einzuräumen,  und  dann,  die  Elbe  über- 
schreitend, in  der  heutigen  Lausitz  dem  Augustus  einen  Altar  er- 
richtete, an  dem  ihn  die  neuen  Bundesgenossen  verehrten.  Weiter 
war  er  auf  deutscher  Erde  vorgedrungen,  als  je  ein  Römer  vor  ihm. 
Eiri  unbekannter  Feldherr  griff  die  Völker  an  der  mittleren  Donau 
an,  schlug  die  Dacer  und  Bastarner  in  der  Theißebene,  unterwarf 
die  Osi,  Cotini  in  den  kleinen  Karpathen  und  bezwang  die  Anarter 
im  nördlichen  Siebenbürgen.  Auch  der  große  Feldzug  des  Gnaeus 
Lentulus,  von  dem  nur  eine  schattenhafte  Kunde  auf  uns  gekommen 
ist,  kann  nur  in  diese  Zeit  gesetzt  werden.  Denn  dieser  Krieg  zeigt 
die  Kraft  des  augusteischen  Heeres  auf  ihrer  Höhe.  Von  Pannonien 
aus    sind   die  Römer,    die  Donau  und  die  Theiß    überschreitend. 


i8.  Der  Untergang  der  Julier  2  2X 

durch  das  Tal  der  Marosch  in  das  Waldgebirge  eingedrungen  und 
haben  die  Dacer  im  Innern  Siebenbürgens  bekämpft.  Es  schien, 
als  ob  diesem  welterobernden  Volke  die  Natur  keine  Schranken 
mehr  setze. 

Eine  so  staunenswerte  Schlagkraft  römischer  Heere,  wie  sie  die 
Geschichte  weder  früher  noch  später  sah,  beruhte  auf  der  unge- 
meinen Spannkraft  in  dem  Baue  der  Grenzverteidigung.  Die  auf 
den  Straßen  von  den  Legionslagern  vorgeschobenen,  ganz  zuRömern 
gewordenen  Auxilia  bildeten  nur  den  Kern  der  Grenztruppen,  an 
die  sich  die  in  römischer  Weise  geschulten  Aufgebote  der  Unter- 
tanen anschlössen.  So  konnten  die  starken  Heere,  die  der  Führung 
ausgezeichneterFeldherrn  anvertraut  waren,gegen  die  angrenzenden 
Barbaren  die  betäubendenSchläge  führen,diedurchdieRückwirkung 
auf  die  Untertanengebiete  die  Herrschaft  in  den  Grenzprovinzen  um 
so  sicherer  machten.  Auch  standen  die  großen  Heere  in  Germanien 
und  Illyricum  durch  die  Straßenzüge,  die  an  der  oberen  Donau,  in 
Raetien  und  Noricum,  nach  einem  weitblickenden  Plane  geführt 
waren,  in  sicherer  Verbindung,  sodaß  sie  sich  jederzeit  unterstützen 
konnten.  Und  es  ist  dies  alles  des  Kaisers  eigenstes  Werk,  der, 
kein  Feldherr,  in  seiner  Jugend  das  Wesen  des  Krieges  mit  dem 
Einsatz  des  eigenen  Lebens  tiefblickend  erkannt  hat.  Sein  Geist 
war  es,  der  die  Heere  belebte  und  für  den  Sohn  des  göttlichen 
Juliers  und  seine  immer  siegreichen  Adler  auch  den  gemeinen  Mann 
willig  sein  Leben  einsetzen  ließ.  Um  das  Heer  auf  der  Höhe  seiner 
Kraft  zu  erhalten,  wurden  gerade  in  diesen  Jahren  7 — 2  v.  Chr.  Jahr 
für  Jahr  die  Veteranen  entlassen,  für  deren  Versorgung  der  Kaiser 
die  Summe  von  100  Millionen  Denaren  verwendete.  So  hoffte  der 
Kaiser,  dem  Sohne  dereinst,  wenn  er  als  Consul  an  die  Spitze  des 
Reiches  treten  sollte,  ein  neues  Heer,  zu  neuen  Taten  gerüstet,  wie 
einst  dem  Drusus  und  Tiberius  im  Jahre  12,  zur  Führung  über- 
weisen zu  können.  Auch  Lucius  hatte  im  Jahre  2,  fünfzehnjährig, 
mit  dem  Männerkleide  die  Zusicherung  des  Consulates  erhalten. 
Auf  den  Söhnen  lag  jetzt  die  Pflicht  der  Herrschaft,  und  das  ganze 
Reich  sollte  es  erkennen,  daß  Augustus  bereit  sei,  nur  mehr  der 
Vater  seiner  Söhne  zu  sein,  als  er,  der  so  lange  der  Vater  seines' 
Volkes  gewesen  war,    auf  Wunsch  des  Senates  den   neuen    und 


2  24  Augustus 

dem   Empfinden   so   alten  Ehrennamen   Pater  Patriae,   Vater  des 
Vaterlandes,  annahm. 

Da  wurde  das  ganze  Vertrauen  auf  seine  Söhne  zunichte  durch 
den  furchtbarsten  Schlag,  der  die  Spannkraft  seines  Geistes  für 
immer  brach.   Das,  was  der  Kaiser  alle  diese  Jahre  nicht  hatte 
sehen  wollen,   obwohl  es  auch  seinem  blinden  Auge  nicht  länger 
verborgen   sein  konnte,  die  ganze  Ehrlosigkeit  seiner  Tochter,  es 
V.  Chr.  wurde  zur  offenbaren  Schande.  DerKaiser  hatte  in  eben  diesem  Jahre 
den  Bau  des  Marstempels  auf  dem  Forum,  das  seinen  Namen  trug, 
vollendet  und  weihte  die  Stätte,  wo  die  Standbilder  der  großen 
Feldherrn  des  Freistaates  an  die  ruhmreiche  Geschichte  desStaates 
erinnerten;   er  beging  den  Tag  mit  festlichen  Spielen.  Gaius   und 
Lucius  hatten  den  Vorsitz  geführt,  Agrippa,  der  jüngste  der  Brüder, 
war  mit  den  edeln  Knaben  im  Troiaspiele  geritten.  Alles  war  auf- 
geboten worden,  was  nur  die  Schaulust  der  Hauptstadt  durch  Tier- 
hetzen, Gladiatorenkämpfe,  Seeschlachten  im  künstlichen  Wasser- 
becken der  Arena  entzücken  konnte.  Da  erfuhr  es  endlich  Augustus, 
wie  die  Tochter  die  heilige  Zeit  weihevoll  begangen  hatte.  Um  den 
Freuden,  die  keine  mehr  waren,  den  Reiz  zu  geben,  hatte  sie,  die 
Kaisertochter,  mit  ihren  Lustgenossen  trunkenen  Mutes  bei  Nacht 
die  Rednerbühne,  von  welcher  Augustus  seine  Sittengesetze  ver- 
kündet hatte,  zum  Lager  gewählt.    In  dem  Berichte   der   Wächter 
der  nächtlichen  Ruhe,  die  die  tobende  Schar  ergriffen  hatten,  las 
der  Kaiser  die  offenkundige  Schmach.  Die  Verzweiflung  riß  ihn 
hin,   vor  dem  Senate  selbst   der  Ankläger  der  Tochter  zu  werden 
und  alles,   was  niemandem  ein  Geheimnis  war,   offen  darzulegen, 
nur  um  sich  von  dem  Vorwurf  zu  reinigen,  als  hätte  er  um  solches 
Tun  gewußt.  Jetzt  las  er  erst  in  den  Mienen  der  anderen  seine  eigene 
Schuld,    daß    er   durch  Gewährenlassen  sich  selbst  den  Abgrund 
gegraben,   der  die  Ehre  seines  Hauses  für  immer  verschlang,  und 
von  Scham  niedergedrückt  floh  er  das  Antlitz  der  Menschen.    Er 
verbannte  die  rettungslos  Gefallene  nach  der  einsamen  Insel  Panda- 
taria,  wohin  ihr  niemand  folgte  als  ihre  alte  Mutter  Scribonia. 
Furchtbar  war  es  für  Augustus  vor  allem,  daß  die  Ruchlose  so  an 
dem  göttlichen  Blute  der  Julier  gefrevelt  hatte,  und  Sühne  mußte 
ihm  werden  an  den  Genossen  ihrer  Schuld.  Hatte  sie  doch  gerade 


i8.  Der  Untergang  der  Jiilier  225 

in  dem  Kreise  des  Adels,  der  die  großen  Namen  nur  mehr  trug, 
um  die  eigene  Schande  zu  erhöhen,  ihre  Freunde  gefunden,  denen 
selbst  das  Leben  des  Kaisers  nicht  heilig  war.  Die  Reinheit  seines 
geweihten  Amtes  als  Tribun  des  Volkes  und  höchster  Priester  des 
Staates  war  in  ihm  geschändet.  Eine  Anklage  neuer  Art,  als  sei 
die  Majestät  des  römischen  Volkes  in  dem  Träger  seines  höchsten 
Vertrauens  verletzt,  wurde  gegen  jene  erhoben,  die  seine  Ehre  in 
der  Tochter  gekränkt  hatten.  Der  Vornehmste  und  Frechste  von 
allen,  Julius  Antonius,  der  Sohn  des  Triumvirs,  den  Augustus,  alle 
die  Feindschaft  vergessend,  bis  zum  Consulate  erhöht  hatte,  wurde 
des  Todes  schuldig  befunden,  und  mit  ihm  starben  Quintius  Crispi- 
nus,  Appius  Claudius,  Cornelius  Scipio,  deren  Ahnen  als  das  Muster 
aller  Tugenden  des  Kaisers  Forum  schmückten,  sowie  andere  nie- 
deren Ranges.  Unerbittlich  war  der  Kaiser,  je  schuldiger  er  sich 
selbst  wußte,  gegen  alle  dieses  Kreises,  die  in  die  Verbannung  nach 
einsamen  Inseln  oder  bis  an  die  unwirtlichen  Grenzen  des  Welt- 
reiches weichen  mußten.  Tiberius  erhielt  wohl  die  Scheidung  von 
der  Frau:  aber  der  Kaiser  zürnte  ihm  umsomehr,  daß  er  seine 
Ehre  mit  dem  Aeußersten  gewahrt  hatte,  ohne  ihn,  den  Ahnungs- 
losen, zu  warnen,  wie  es  die  Pflicht  des  Freundes  gewesen  wäre. 

Selbst  auf  die  Kaisersöhne  fiel  jetzt  der  dunkle  Verdacht  un- 
reiner Herkunft.  Der  ganze  Boden  der  Herrschaft  schien  dem 
Kaiser  zu  wanken,  die  ja  auf  dem  Vertrauen  und  der  Liebe  be- 
gründet war.  Stärker  als  früher  tritt  seit  jenem  Tage  die  Be- 
tonung der  Alleinherrschaft  hervor,  besonders  im  Osten,  wo 
wie  auf  Paphos  die  Verehrung  der  Person  des  Kaisers  und  seiner 
Machtfülle  in  den  Mittelpunkt  tritt.  Neue  Eide  der  Untertanen 
hatten  schon  im  Jahre  vorher  den  Gehorsam  gegen  den  Kaiser 
und  sein  Haus  zur  heiligen  Pflicht  gemacht.  Augustus  wollte 
von  der  Hoffnung  nicht  lassen,  daß  in  den  Söhnen  eine  Zeit 
des  Glückes  auch  für  ihn  erblühen  müsse. 

Die  Geldspende,  die  Augustus  auch  in  dem  Jahre,  als  Lucius 
Caesar  in  das  Staatsleben  eintrat,  den  römischen  Bürgern  in  der 
Höhe  von  60  Denaren  auf  den  Kopf  verteilen  ließ,  wurde  die  Ver- 
anlassung, die  stets  wachsende  Zahl  der  Stadtarmen  Roms  ein- 
zuschränken. Denn  bereits  320000  Menschen  erhielten  regelmäßig 

iJuiuasiewski.     I,  |5 


2  20  Aiigustus 

die  weit  drückendere  Speisung  aus  den  Speichern  des  Staates  nach 
jenem  Grundsatz  des  Gaius  Gracchus,  der  den  Enterbten  des 
römischen  Volkes  das  tägliche  Brot  umsonst  gab.  Diese  Frumen- 
tationes,  das  rechte  Erbe  der  Bürgerkriege,  ganz  zu  beseitigen 
scheute  sich  der  Kaiser,  weil  diese  Verschleuderung  der  Staats- 
mittel kein  bloßer  Mißbrauch  war.  Denn  eben  diese  müßige, 
hungernde  Menge  beherrschte  wie  in  den  Tagen  der  Gracchen  schon 
durch  ihre  Zahl  die  Abstimmungen  des  Volkes  und  verlieh  dem 
Herrn  der  Legionen  des  Reiches  durch  seinen  Willen  die  bürger- 
liche Amtsgewalt  wie  das  höchste  Priestertum.  So  lebte  auch 
unter  der  Alleinherrschaft  dieser  Schatten  der  einst  so  stolzen 
Hoheit  des  römischen  Volkes  in  der  Meinung  der  Plebs  urbana 
weiter  und  forderte  die  Anerkennung  seiner  geschichtlich  geworde- 
nen Rechte  mit  dem  Ungestüm  des  Straßenaufruhres.  Wenn  Augu- 
stus  zu  versagen  auch  die  Macht  hatte,  schwächere  Herrscher  hätten 
sich  doch  wieder  der  Hoheit  der  Straße  gebeugt.  So  begnügte  sich 
Augustus,  diese  Erbkrankheit  des  römischen  Volkes  zu  lindern,  in- 
dem er  die  Zahl  der  Getreideempfänger  auf  200000  einschränkte. 
Wie  die  Söldner  ihre  Ehrengabe  beim  Antritt  eines  neuen  Princeps 
als  Donativ  erhielten,  so  sind  die  gleichartigen  Geldgeschenke  an 
die  Plebs  urbana,  die  Liberalitates,  bei  demselben  Anlaß  herkömm- 
lich, und  an  den  großen  Tagen  im  Familienleben  der  Herrscher,  wie 
(Geburten,  Sterbefällen,  hat  die  Plebs  urbana  Freud  und  Leid,  mit 
Geld  beschenkt,  herzlich  mitempfunden  und  bei  den  Festen  des 
Kaiserhauses  durch  ihr  stattliches  Erscheinen  die  Zahl  der  Be- 
wunderer solcher  Majestät,  dem  Glänze  der  Weltherrschaft  gemäß, 
auf  Hunderttausende  gesteigert.  Wie  im  Rechte  der  Mißbrauch 
den  Zweck  überdauert,  so  hat  das  sterbende  Rom  des  4.  Jahr- 
hunderts, als  seine  Weltherrschaft  auf  den  Umkreis  seiner  Mauern 
beschränkt  war,  unter  dem  Rufe  Panem  et  Circenses  bei  den  täglich 
sich  erneuernden  Schaustellungen  seinem  Untergang  zugejubelt. 
I  V.  Chr.  Augustus   war   einst   neunzehnjährig   zuerst  an  die  Spitze  des 

Staates  getreten.  Jetzt  entließ  er  Gaius  Caesar,  als  er  in  dasselbe 
Alter  trat,  damit  er  die  Pflichten  der  Herrschaft  im  Osten  übe.  Mit 
Bedacht  hatte  Augustus  dem  jungen  Manne  Berater  und  Helfer  an 
die  Seite  gestellt,  die  den  Schauplatz  seiner  Tätigkeit  aus  eigener 


[l8.  Der  Untergang  der  Julier  ^27 

Erfahrung  kannten.  Jener  Lollius,  der  bei  der  Begründung  des 
Principates  in  Galatien  die  neue  Ordnung  geschaffen  hatte,  trat 
an  die  Spitze  seiner  Reisebegleiter,  und  in  Syrien  erhielt  Quirinius, 
der  einst  den  Tod  des  Amyntas  gerächt  hatte,  wieder  den  Befehl 
über  die  Heere  am  Euphrat.  Die  Gelehrten  des  Hofes,  wie 
König  Juba  von  Mauretanien  und  der  Geograph  Isidorus  von 
Charax,  widmeten  dem  Prinzen  ihre  Werke  über  die  fernen 
Länder  des  Ostens,  die  den  Römern  noch  nicht  gehorchten,  eine 
schmeichelnde  Mahnung,  was  die  Meinung  Roms  von  dem  Kaiser- 
sohne erhoffte.  Und  an  eine  ernstere  Zurückweisung  der  parthi- 
schen  Anprüche  muß  auch  der  Kaiser  gedacht  haben,  und  die 
frohe  Hoffnung,  daß  Gaius  im  Osten  den  stolzen  Flug  seines 
Drusus  erneuern  würde,  mag  sein  väterliches  Herz  bewegt  haben. 
Die  erste  Kenntnis  der  Schulung  und  Führung  römischer  Heere 
erwarb  Gaius  an  der  Donau,  wo  der  Anblick  der  kampfgehärteten 
Legionen  ihm  den  Ernst  seiner  Aufgabe  vor  Augen  führte. 

In  Kleinasien  sollte  er  dem  Verbannten  von  Rhodos  begegnen. 
Schon  hatte  Tiberius  sich  so  weit  gedemütigt,  für  Julia,  die  ihn 
entehrt  hatte,  die  Gnade  des  Kaisers  zu  erbitten.  Nun  war  auch 
die  tribunicische  Gewalt,  die  ihn  schützte,  erloschen;  er  bat  von 
neuem  in  Briefen  an  Augustus,  an  seine  Mutter,  an  seine  Freunde 
in  Rom,  man  möge  ihm  doch  gestatten,  als  einfacher  Bürger 
zurückzukehren.  Das  Geständnis  entrang  sich  seiner  Brust,  er  habe 
nur  Gaius  und  Lucius  nicht  im  Wege  stehen  wollen,  eine  bittere 
Wahrheit  für  den  Kaiser,  der  unerbittlich  blieb.  Kaum  erreichte 
es  die  Mutter,  daß  der  Name  eines  Legaten  ihn  vor  dem  äußersten 
Unglimpf  schützte.  Und  jetzt  mußte  er  vor  Gaius  in  Chios  er- 
scheinen, ihm  zu  huldigen.  In  Wirklichkeit  bettelte  er  um  sein 
Leben,  angesichts  der  Höflingsschar,  die  ihn  um  seiner  wahren 
Verdienste  willen  um  so  bitterer  haßte.  Gaius  gehorchte  nur  dem 
Willen  des  Augustus,  wenn  er  dem  Verbannten  befahl,  nach 
Rhodos  zurückzukehren.  Aber  der  Kreis,  der  ihn  umgab,  lachte 
über  den  Elenden,  und  wie  zur  Wette  erboten  sich  die  Erbärm- 
lichsten, wie  der  junge  Domitius  Ahenobarbus,  den  Kopf  des  Ge- 
ächteten aus  Rhodos  zu  holen.  Tiberius  wagte  es  nicht  melir,  sein 
Haus  zu  verlassen  und  spähte  die  langen  Nächte  mit  dem  Astrunu- 

«5* 


2  28  Augustus 

men  Thrasyllus  in  den  Sternen  nach  seinem  Schicksal,  sein  Herz  in 
Zorn  und  Gram  verzehrend.  Sein  Leben  geriet  in  ernste  Gefahr, 
nur  weil  Centurionen  in  dem  Gefallenen  noch  den  Feldherrn,  der 
sie  immer  zum  Siege  geführt,  geehrt  hatten.  Wahrlich,  sein  Leiden 
überstieg  Menschenkraft,  und  seine  Natur  mußte  entarten  unter 
dem  Zwange,  noch  Ergebenheit  und  Liebe  für  diese  Kaisersöhne 
zu  heucheln.  Noch  zwei  Jahre  sollte  er  in  seinem  Kerker  Rhodos 
verharren,  bis  die  Bitten  seiner  Mutter  es  bei  Augustus  ver- 
mochten, daß  die  Entscheidung  über  sein  Schicksal  Gaius  anheim- 
gestellt wurde.  Zu  seinem  Glücke  hatte  damals  sein  Todfeind 
Lollius  durch  seine  Bestechlichkeit  und  andere  Laster  den  Ein- 
fluß über  Gaius  verloren,  sodaß  Tiberius  die  Erlaubnis  zur  Heim- 
kehr erhielt  unter  der  Bedingung,  sich  von  jedem  Anteil  am  Staate 
fernzuhalten.  Dem  Anscheine  nach  weiter  als  je  vom  Throne,  war 
er  ihm  unmerklich  näher  getreten.  Denn  der  zweite  der  Kaiser- 
söhne, Lucius,  der  in  diesem  Jahre  in  Spanien  an  die  Spitze  der 
Heere  treten  sollte,  starb  auf  der  Reise  in  Massilia,  am  20.  August 
des  Jahres  2  n.  Chr.  Tiberius  verfaßte  in  Rom  ein  Leichencarmen 
auf  seinen  geliebten  Lucius,  und  Augustus  nahm  es  an. 

Gaius,  der  den  Osten  vor  allem  als  Herrscher  kennen  lernen 
sollte,  war  über  Syrien  auch  nach  Aegypten  gelangt,  wo  ein  neuer 
Krieg  mit  den  Marmariden  in  der  libyschen  Wüste  und  mit  ihren 
Nachbarn  an  der  großen  Syrte,  den  Garamanten,  drohte.  Dann 
war  er  über  Jerusalem  nach  Syrien  zurückgekehrt  und  hatte  weder 
dem  Apis  noch  dem  Jahve  geopfert.  Den  Streit  um  Armenien  war 
jetzt  der  König  der  Parther  Phraataces  bereit  friedlich  zu  schlichten, 
um  ein  Eingreifen  der  Römer  in  seinem  eigenen  Lande  fernzuhalten. 
Angesichts  ihrer  Heere,  die  an  beiden  Ufern  versammelt  standen, 
trafen  die  Fürsten  auf  einer  Insel  des  Euphrat  zusammen  und  ge- 
fielen sich,  nachdem  der  Parther  auf  die  Oberhoheit  über  Armenien 
verzichtet  hatte,  im  Austausch  gegenseitiger  Freundschaft.  Die 
Herrschaft  über  Armenien  erhielt  aus  der  Hand  des  Gaius  Ariobar- 
zanes,  der  Sohn  des  medischen  Königs  Artavasdes.  Um  den  Schütz- 
ling in  seinem  Reich  einzusetzen,  erschien  Gaius  selbst  in  Armenien, 
weil  die  Partei  der  parthisch  Gesinnten  noch  immer  seiner  Herr- 
schaft  widerstrebte.   Da  geschah  es,  daß  bei  der  Belagerung  von 


i8.  Der  Untergang  der  Julier  7  20 

Artageira  der  Kaisersohn  während  der  Verhandlung  mit  denFeinden  3  n.  Chr. 
durch  die  Tücke  des  Parthers  Addo  eine  schwere  Wunde  empfing. 
Das  Heer  rächte  seinen  Feldherrn  und  erstürmte  Artageira.  Aber 
von  dieser  Stunde  siechte  Gaius  dahin.  Unfähig  geworden,  seinen 
Pflichten  zu  genügen,  erbat  er  und  erhielt  endlich  von  Augustus 
die  Erlaubnis  zur  Heimkehr.  Er  sollte  Italien  nicht  mehr  sehen. 
Auf  der  Reise  schied  er  in  Limyra  an  der  Küste  Lyciens  aus  dem  4  n.  ehr. 
Leben.  So  hatte  das  grausame  Geschick  Augustus  beide  Söhne 
geraubt,  und  das  ganze  Reich  teilte  den  Schmerz  des  Kaisers  um 
die  letzten  Juliex,  deren  Jugendblüte  vor  der  Zeit  geknickt  war, 

Wohl  war  dem  alternden  Kaiser  in  dem  Sohne  seines  Drusus, 
Germanicus,  das  Ebenbild  des  stets  betrauerten  Lieblings  erwachsen. 
Die  Neigung  trieb,  ihm  das  Erbe  des  Thrones  zuzuwenden.  Aber 
lauter  sprach  die  Verantwortung  des  Herrschers,  wo  das  Blut  der 
Julier  denn  doch  zur  Erde  gesunken  war,  den  Mann  seines  Hauses 
zur  Herrschaft  zu  berufen,  der  allein  der  Last  des  Amtes  auch  ge- 
wachsen war.  Augustus  überwand  sein  Herz  und  erwählte  den 
Mann,  vor  dem  sein  Empfinden  zurückschauderte,  der  durch  sein 
bloßes  Erscheinen  im  trauten  Kreise  Scherz  und  Laune  verstummen 
machte,  zum  Nachfolger.  Am  26.  Juni  des  Jahres,  das  ihm  Gaius 
entrissen  hatte,  nahm  er  Tiberius  an  Sohnesstatt  an.  Sein  inneres 
Widerstreben  verriet  er,  in  dem  Augenblicke,  wo  er  das  Schicksal 
des  Reiches  für  immer  seinen  Händen  anvertraute,  als  er  seine  Wahl 
vor  dem  Senate  mit  dem  Schwüre  entschuldigte,  nichts  als  das  Wohl 
des  Staates  hätte  ihn  dazu  vermocht.  So  war  für  Tiberius  die  Er- 
füllung eines  kaum  mehr  gehofften  Wunsches  ein  Schmerz  mehr. 
Und  Augustus  häufte  noch  die  Kränkung,  da  er  ihn  zwang,  obwohl 
Tiberius  selbst  einen  Sohn  besaß,  den  Germanicus  und  neben  ihm 
Agrippa,  den  von  Augustus  selbst  verachteten  letzten  Sproß  aus 
Julias  Schoß,  an  Sohnesstatt,  anzunehmen.  Selbst  als  Erbe  des 
Thrones  sollte  es  Tiberius  noch  empfinden,  daß  er  auch  jetzt  nach 
dem  Herzenswunsche  des  Kaisers  nichts  war  als  der  Platzhalter 
eines  Besseren.  Wieder  hatte  Augustus  selbst  und  ganz  allein  in 
seiner  Verblendung  den  Keim  all  des  Unheils  gesät,  das  nach  seinem 
Tode  sein  ganzes  Haus  zerrüttete.  Tiberius  hatte  alles  hingenommen 
mit  dem  stummen  Gehorsam  des  Soldaten,  um   in  seinem   Innern 


230  Aufjustus 

von  dieser  Stunde  an  gegen  die,  die  ihm  nach  den  Banden  des  Blutes 
die  Nächsten  sein  sollten,  Haß  und  Mißtrauen  zu  nähren.  Aber 
das  Wohl  des  Staates,  das  war  durch  all  das  Leiden  dieser  unseligen 
Menschen  im  Augenblicke  wenigstens  gesichert.  Der  Feldherr  stand 
wieder  an  der  Spitze  der  Heere,  der  jeder  Aufgabe  gewachsen  war. 
Noch  im  Jahre  seiner  Erwählung  ging  Tiberius  an  den  Rhein, 
wo  die  Herrschaft  der  Römer  ins  Wanken  gekommen  war.  Vier 
Jahre  vorher  hatte  Marcus  Vinicius  einen  Aufstand  niedergeschlagen 
und  dann  Domitius  Ahenobarbus  die  Straßen  und  Befestigungen  in 
dem  Lande  zwischen  Rhein  und  Weser  wiederhergestellt.  Aber  der 
König,  den  er  den  Cheruscern  gesetzt,  wurde  von  dem  unbotmäßigen 
Volke  um  so  sicherer  wieder  gestürzt.  Bei  dem  Erscheinen  des  ge- 
fürchtetenClaudiers  fügten  sich  dieVölker  Deutschlands  wieder  dem 
fremden  Joche.  Den  Rhein  an  seiner  Mündung  überschreitend, 
durchzog  er  das  Gebiet  der  Cannanefaten,  Atuarier,  Bructerer  und 
unterwarf  die  Cherusker.  Auch  das  Land  jenseits  der  Weser  wurde 
wieder  in  Besitz  genommen.  Sentius  Saturninus  drang  vom  Ober- 
rhein von  neuem  inDeutschland  ein  und  unterstützte  die  Bewegungen 
des  Hauptheeres.  Bis  in  den  Dezember  hatte  Tiberius  das  Heer 
bald  hier,  bald  dort  durch  die  deutschen  Gaue  geführt,  und  zum 
ersten  Male  bezogen  die  Legionen  ihre  Winterlager  auf  deutscher 
Erde  an  den  Quellen  der  Lippe.  Tiberius  eilte  im  Winter  nach 
Rom,  um  im  Frühjahre  das  Werk  der  Bezwingung  Deutschlands 
5  n.  Cbr.  zu  beenden.  Auch  die  Chaucen  lieferten  jetzt  beim  Herannahen 
des  römischen  Heeres  die  Waffen  aus,  und  ihre  Fürsten  lagen  knie- 
fällig vor  dem  Tribunal  des  Imperators.  Mehr  eine  Waffenschau 
in  dem  unterworfenen  Lande  war  es,  als  Tiberius,  nachdem  er  noch 
die  Langobarden  unterworfen  hatte,  das  ganze  Heer  an  dem  Ufer 
der,  Elbe  versammelte,  wählend  dieKriegsflotte,  die  dieMeeresküste 
umfahren  hatte,  in  den  Strom  einlief.  Ueberwältigend  auch  für  die 
Völker  jenseits  der  neuen  Grenze  des  römischen  Reiches  erschien 
diese  Entfaltung  unbezwinglicher  Kraft,  Aus  dem  staunenden  Heer- 
haufen der  Semnonen,  die  am  anderen  Ufer  diesen  Anblick  schauten, 
bestieg  ein  greiser  Häuptling  einen  Kahn  und  erbat,  am  römischen 
Ufer  landend,  den  göttlichen  Führer  dieser  in  Waffen  und  Ehren- 
zeichen strahlenden  Scharen  zu  sehen.  Wer  mag  es  leugnen,  daß 


1 8.  Der  Untergang  der  Julier  j  1 1 

dieses  Weltreich  mit  all  dem  prangenden  Glänze  seiner  Cultur  den 
Augen  der  einfachen  Söhne  des  Waldes  als  Spiegelbild  des 
Ueberirdischen  erscheinen  mußte? 

Nur  ein  Mann  hatte  bisher  in  den  Wäldern  Boeheims  den 
römischen  Waffen  getrotzt,  jener  Marbod,  der  die  Sueben  vom 
Neckar  in  ihre  neue  Heimat  geführt  hatte.  In  seiner  Jugend  hatte 
er  am  Hofe  des  Augustus  geweilt  und  kannte  römische  Art  besser 
als  irgendeiner  der  deutschen  Fürsten.  An  Stelle  der  losen  Gefolg- 
schaft, die  nur  im  Krieg  ins  Leben  trat,  setzte  er  in  seinem  Staate 
die  dauernde  Macht  eines  Königs,  der  auch  im  Frieden  Gehorsam 
fand,  und  übte  seine  Scharen  in  der  eisernen  Zucht  der  Römer, 
die  diese  unüberwindlich  machte.  In  seinen  neuen  Sitzen  dem  un- 
mittelbaren Einfluß  Roms  entzogen,  gründete  er  einen  Staat,  der 
bald  allen  seinen  Nachbarn  furchtbar  wurde.  Die  Römer  hielt  er 
von  sich  ferne,  mit  seiner  Macht  drohend  oder  auch  um  die  Gunst 
der  Mächtigeren  werbend.  So  unterwarf  er  sich  die  Stämme  der 
Lugier,  Gutonen  und  selbst  die  streitbaren  Semnonen,  so  daß  er 
von  Böhmen  über  Schlesien  bis  in  die  Brandenburg  gebot.  70000 
Fußgänger  und  4000  Reiter  zählte  sein  Heerbann,  erprobt  in  der 
steten  Übung  des  Krieges.  Diesen  Feind  gedachte  Tiberius  als 
letzten  im  Jahre  6  anzugreifen.  Er  selbst  wollte  mit  dem  Heere 
Illyricums,  verstärkt  durch  einen  Teil  des  Rheinheeres,  von  Car- 
nuntum  über  Mähren  von  Osten  in  Böhmen  einbrechen,  während 
der  StatthalterObergermaniens  mit  den  Legionen  des  Rheines  durch 
das  Maintal  nach  dem  Fichtelgebirge  zog  und  Marbods  Reich  an- 
griff. Mit  Feuer  und  Axt  den  Weg  durch  die  Urwälder  sich  bah- 
nend, hatten  die  römischen  Heere,  an  Zahl  den  Deutschen  um  das 
Doppelte  überlegen,  auf  fünf  Tagemärsche  den  Sitzen  Marbods  sich 
genähert,  als  der  Aufstand,  der  in  ganz  Illyrien  losbrach,  ihnen 
Einhalt  gebot.  Das  Bewußtsein,  daß  ihr  unbarmherziger  Bezwinger 
wieder  an  der  Spitze  des  Reiches  stand,  hatte  die  Illyrier,  mehr  noch 
als  der  unerträgliche  Steuerdruck  römischer  Härte,  zurVerzweiflung 
getrieben.  Aber  in  einem  halben  Menschenalter  des  Leidens  waren 
die  unerfahrenen  Wilden  zu  Soldaten  römischer  Zucht  geworden. 
Die  Jugend  wie  das  Alter,  die  in  allen  Teilen  des  römischen  Rei- 
ches unter  Waffen  gestanden  hatten,    war    in  kriegerischer  Schu- 


2^2  Auguslus 

lung  auch  den  Legionen  gewachsen.  Wahrhaft  furchtbar  war  die 
Gefahr,  in  der  bei  der  Nähe  des  Feindes  selbst  Italien  schwebte. 
Um  sie  zu  beschwören,  griff  Augustus,  dessen  Greisenhand  das 
Steuer  des  Staates  zu  entgleiten  drohte,  zu  den  äußersten  Mitteln. 
Fühlte  er  doch  den  Thron  seit  dem  Tode  seiner  Söhne  wanken. 
Wieder  hatten  sich  Mordgesellen  gegen  sein  Leben  verschworen. 
Diesmal  ließ  er  auf  Livas  klugen  Rat  diesem  knabenhaften  Tun 
4  n.  Chr.  nur  die  Strafe  der  Knaben  widerfahren.  Auch  dieser  mitherrschende 
Senat,  die  Last  seines  Herrschens,  bedurfte  einer  Besserung.  Aus 
zehn,  die  er  für  die  Würdigsten  hielt,  ließ  er  durch  das  Los  drei  er- 
wählen, die  die  Liste  des  Senates  reinigen  sollten.  Da  wichen,  die  sich 
selbst  verurteilten,  freiwillig  von  den  Bänken  des  Senates.  Auch  das 
römische  Volk  war  nicht,  was  es  sein  sollte.  Die  Pest  der  Freilassung 
vergiftete  immer  von  neuem  sein  Blut.  Durch  strenge  Bestimmung 
sollte  in  Zukunft  die  Freiheit  nur  erhalten  und  gewähren,  wer  dessen 
würdig  war.  Jetzt  drohte  in  diesem  furchtbaren  Aufstand  auch  die 
sicherste  Stütze  des  Reiches,  das  Heer,  zu  versagen.  Die  Ergänzung 
wie  die  Entlassungen  waren  seit  Jahren  unterblieben,  weil  die  Last 
des  Soldes  zu  groß  geworden  war.  Und  doch,  sollte  das  Heer  seinen 
Zweck  erfüllen,  so  gab  es  kein  Mittel,  als  diese  Last  noch  zu  steigern. 
Der  Kaiser  erhöhte  den  Sold  der  Bürgertruppen  um  ein  Drittel  und 
gründete  für  die  Versorgung  der  entlassenen  Soldaten  eine  neue 
Kasse,  die  nur  neue  Steuern  füllen  konnten.  In  der  Voraussicht  dieser 
Notwendigkeit,die  ja  nicht  erst  dieser  Auf  stand  schuf,  hatte  Augustus 
bereits  im  Jahre  5  den  Wohlstand  Italiens  durch  Aufzeichnung  der- 
jenigen, die  mehr  als  100000  Sesterzen  im  Vermögen  besaßen,  fest- 
stellen lassen.  Die  Grundlagen  für  die  neuen  Steuern  auf  Erbschaf  ten 
und  den  Verkehr  waren  vorhanden.  Steuern  waren  es  allerdings 
nicht,  was  das  römische  Volk  von  der  Herrschaft  des  Friedensfürsten 
erwartete.  Hatte  er  doch  bisher  die  letzten  Ideale  des  freien  Bürgers, 
Freiheit  vom  Heerdienst  und  von  der  Steuer,  im  Uebermaß  erfüllt. 
Um  sie  zu  besitzen,  hatte  man  gerne  auf  jede  andere  Freiheit  ver- 
zichtet. Jetzt  regte  sich  mit  Gewalt  im  römischen  Volke  das  Ge- 
fühl der  wahrhaft  freien  Männer,  die  keine  Pflichten  kennen,  und 
nur  die  Drohung,  die  Vermögenssteuer,  die  schon  vorbereitet  war, 
ihnen  aufzuerlegen,  ließ  sie  das  kleinere  Uebel  wählen. 


l8.  Der  Untergang  der  Julier  2>t 

Der  Kaiser  brach  jetzt  auch  mit  dem  Grundsatz  der  senato- 
rischen Verwaltung  für  Rom  und  Italien.  Rom,  so  oft  von  Bränden 
heimgesucht,  besaß  keinen  Schutz  gegen  die  immer  wiederkehrende 
Gefahr.  Denn  das  aus  der  Zeit  des  Freistaates  ererbte  Verfahren, 
wonach  alle  Beamten  im  Falle  eines  Brandes  das  Feuer  bekämpften, 
denen  nur  die  geschulten  Löschmannschaften  fehlten,  war  der  reine 
Hohn  auf  die  Sicherheit  der  Weltstadt.  Augustus  überwand  das 
Bedenken,  eine  neue  bewaffnete  Macht  in  die  Mauern  Roms  zu 
führen,  und  schuf  die  Brandwache  Roms,  die  Vigiles.  Ganz  nach 
dem  Vorbilde  der  Leibwache  wurden  sie  als  Soldaten  in  der  Stärke 
von  7  Cohorten  aufgestellt,  unter  dem  Befehl  eines  Praefectus  Vi- 
gilum  aus  dem  Ritterstande,  und  erhielten  an  den  Grenzen  der  14 
Regionen  der  Stadt  ihre  festen  Kasernen.  In  demselben  Jahre 
brach  der  Kaiser  auch  mit  dem  Grundsatze,  in  Fällen  der  Not  Be- 
amte aus  dem  Senat  für  die  Getreideverteilung  zu  berufen,  und  gab 
sich  in  dem  Praefectus  Annonae  dauernd  einen  Helfer  aus  dem 
Ritterstande,  um  die  Verpflegung  der  Hauptstadt  in  eine  Hand  zu 
legen.  Auch  verließ  er  in  der  Verwaltung  der  neuen  Kasse  für  die 
Versorgung  der  Veteranen  den  Grundsatz,  den  Beamten  der 
Hauptstadt  ihr  Amt  nur  auf  ein  Jahr  zu  übertragen,  da  die  Prae- 
fecti  aerarii  militaris,  die  aus  den  Praetoriern  erlost  vmrden,  durch 
drei  Jahre  ihr  Amt  führten.  Die  Herrschaft  war  persönlicher  ge- 
worden, und  selbst  an  der  Leitung  der  Beratungen  des  Senates 
hinderte  später  den  Kaiser  seine  zunehmende  Kränklichkeit,  so 
daß  er  mit  einem  Ausschuß  des  Senates  in  seinem  Palaste  die 
wichtigsten  Angelegenheiten  zu  erwägen  pflegte. 

Auch  in  den  Provinzen  zeigte  sich  eine  neue  Art,  die  Herr- 
schaft zu  üben.  Der  Aufstand  der  Marmariden,  dessen  ich  früher 
gedachte,  hatte  den  Kaiser  bestimmt,  die  Verwaltung  der  Cyre- 
naica  dem  Senate  zu  entziehen  und  auf  die  Bitte  einer  Gesandt- 
schaft der  griechischen  Städte,  die  im  Winter  des  Jahres  2  n.  Chr. 
die  Reise  nach  Rom  gewagt  hatte,  ein  Heer  unter  einem  Obersten 
seiner  Leibwache  nach  dem  Lande  zu  entsenden.  Der  Mann  seines 
Vertrauens,  Quirinius,  Statthalter  Syriens,  erhielt  die  Oberleitung 
des  Krieges  und  unterwarf,  mit  außerordentlicher  Gewalt  ausge- 
stattet, in  mehrjährigen  Kämpfen  diese  wilden  Völker.   Auch  Sar- 


2^4  Augustus 

dinien,  das  von  heimischen  Räubern  geplagt  wurde,  erhielt  einen 
kaiserlichen  Präfekten  zum  Statthalter,  der  gleich  jenem  der  Cyre- 
naica  aus  den  Obersten  der  Garde  genommen  wurde.  Dieser  in 
Ägypten  erprobte  Grundsatz,  zu  politisch  bedeutsamen  Stellen  die 
einzig  zuverlässigen  Spitzen  der  Leibwache  zu  berufen,  wird  jetzt 
erst  ein  allgemeiner  Grundsatz  der  Verwaltung  für  die  culturlosen 
oder  früher  von  Königen  beherrschten  Gebiete,  und  auch  das 
höchste  Amt  für  die  Erhebung  von  Steuern  in  den  Provinzen, 
deren  Statthalter  dem  Senate  entnommen  wurden,  ist  eine  Beloh- 
nung für  diese  Getreuen.  Die  Fürsten  des  Ostens  schonte  der  Kai- 
ser nicht  mehr  wie  früher  in  ihrer  angestammten  Herrschaft. 
So  wurde  gleichfalls  im  Jahre  6  Judäa  dem  Sohne  des  Herodes 
genommen  und  einem  kaiserlichen  Procurator  unterstellt.  Das 
gleiche  Schicksal  traf  die  geistlichen  und  weltlichen  Herrn  im 
Osten  Kleinasiens,  wo  weite  Gebiete  am  Pontus  zu  den  Provinzen 
des  Kaisers  geschlagen  wurden.  Es  war  auch  die  steigende  Leere 
in  den  Kassen,  die  den  Kaiser  zwang,  durch  die  unmittelbare  Ver- 
waltung die  Steuerkraft  der  Länder  besser 'zu  verwerten.  Selbst  in 
der  Auswahl  der  Personen,  denen  der  Kaiser  die  Verwaltung  seiner 
Provinzen  anvertraute,  trat  jener  Zug  des  Alters  hervor,  das  nur  ge- 
wohnten und  erprobten  Dienern  Vertrauen  schenkt,  und  verleitete 
den  sonst  so  klaren  Herrscher  zu  den  schwersten  Mißgriffen. 

Zu  spät  erkannte  Augustus,  der  der  Hilfe  so  sehr  bedurfte,  den 
wahren  Wert  des  Stiefsohnes  und  gab  sich  dem  Manne,  der  in 
seiner  Treue  und  seiner  Hingebung  nie  gewankt  hatte,  auch  offenen 
Herzens  hin.  Stärker  als  früher  wirkte  der  Einfluß  seiner  Frau  auf 
ihn,  deren  klugen  Rat  ter  gerne  hörte,  ohne  jedoch  diesem  Ulysses 
in  Frauenkleidern  gegenüber  die  Vorsicht  zu  versäumen,  den  In- 
halt ihrer  politischen  Gespräche  vor  ihren  Augen  aufzuzeichnen. 
Aber  ehrwürdiger  als  je  erschien  der  greise  Herrscher  in  der  Not 
dieser  letzten  Zeit  seiner  Herrschaft  den  Augen  der  Seinen.  Denn 
er,  den  das  Glück  sein  ganzes  Leben  getragen,  erfuhr  jetzt,  daß 
niemand  glücklich  zu  preisen  sei  vor  dem  Ende  seiner  Tage.  Furcht- 
bar waren  die  Schatten,  die  auf  die  Herrschaft  des  Friedensfürsten 
fielen,  und  die  Vergeltung  traf  ihn,  daß  er  durch  die  Unterjochung 
freier  Völker  seinem  eigenen  Werke  untreu  geworden  war. 


ig.  Die  Empörung  in  Illyrien  und  Germanien 

Während  das  Heer  Illyricums  gegen  Marbod  zog,  war  ein  Auf- 
stand bei  den  Daesitiaten  im  heutigen  Montenegro  losgebrochen 
und  hatte  sich  in  den  Wäldern  und  Schluchten  lUyriens  wie  ein 
Lauffeuer  ausgebreitet,  da  der  langgenährte  Haß  in  hellen  Flammen 
aufloderte.  Die  schwachen  Abteilungen  römischer  Soldaten,  die 
noch  zerstreut  im  Lande  standen,  wurden  vernichtet,  die  Kauf- 
leute, und  wer  sonst  das  Kleid  der  Römer  trug,  erschlagen.  Mit 
200  QUO  Fußgängern  und  9000  Reitern  wollten  die  Auf  ständischen 
die  Städte  der  Römer,  Nauportus  und  Tergeste,  niederbrennen  und 
den  Weg  nach  Italien  sich  öffnen.  Augustus  erklärte  im  Senat, 
der  Feind  könne  in  zehn  Tagen  vor  Rom  stehen.  Die  Waf  fenplätzc 
der  Römer  im  Savetal  widerstanden  dem  ersten  Ansturm  der 
Breucer,  die  unter  ihren  Königen  Bato  und  Pinnes  fochten,  und 
Aulus  Caecina  führte  die  Legionen  Moesiens  heran.  So  wurden  die 
Illyrier  im  eigenen  Lande  festgehalten.  Tiberius  hatte  die  Kunde 
von  dem  Aufstande  erreicht,  ehe  es  zwischen  den  römischen  Heeren 
und  den  Marcomannen  zur  Schlacht  gekommen  war.  Marbod,  im- 
mer nur  auf  seine  eigene  Sicherheit  bedacht,  schloß  mit  den  Rö- 
mern von  neuem  Frieden  und  Freundschaft,  so  daß  auch  von 
Norden  die  Legionen  gegen  Illyrien  heranzogen.  Das  Heer  wurde 
im  Laufe  des  Krieges  durch  vier  Legionen  aus  Obergermanien  und 
Spanien  verstärkt.  Selbst  aus  Syrien  und  Ägypten  trafen  drei  Le- 
gionen unter  Plautius  Silvanus  auf  dem  Kriegsschauplatze  ein,  um 
das  Heer  Moesiens  zu  verstärken.  Zuletzt  gebot  Tiberius  über 
15  Legionen,  10  Alae  und  70  Cohorten  der  Auxilia.  In  Italien 
wurden  Soldaten  ausgehoben  und  die  Veteranen  bis  zu  10  000  Mann 
unter  die  Waffen  gerufen.    Sogar  Freigelassene  stellte  Augustus 


236  Augustus 

in  das  Heer  ein  und  bildete  aus  ihnen  besondere  Abteilungen  der 
Cohortes  Voluntariorum.  Doch  beherrschten  zuerst  die  Aufstän- 
dischen das  Feld.  Caecina  erfocht  zwar  einen  Sieg  über  die  Breu- 
cer  an  der  Drau,  aber  bald  fanden  sie  die  Unterstützung  der  Dal- 
niater.  Der  Daesitiate  Bato  bedrohte  die  Städte  an  der  Küste  Dal- 
matiens.  Vor  Salonae  zurückgewiesen  und  verwundet,  ließ  er  das 
ganze  Küstengebiet  bis  Apollonia  in  Epirus  verheeren.  Der  Statt- 
halter Illyriens,  Valerius  Messalinus,  mit  der  Hälfte  der  20.  Legion 
herbeieilend,  wurde  zuerst  von  den  Dalmatern  geschlagen  und 
gewann  ein  zweites  Treffen  nur  durch  eine  Kriegslist.  Nicht 
glücklicher  focht  Caecina.  Bato  der  Daesitiate  vereinigte  sich 
mit  den  Breucern  und  besetzte  eine  starke  Stellung  am  Almas- 
gebirge im  Norden  von  Belgrad.  Die  thrakische  Reiterei  unter 
König  Rhoemetalces  wurde  zurückgeworfen,  auch  die  Auxilia 
geschlagen,  und  selbst  die  Legionen  behaupteten  unter  dem  Ver- 
luste vieler  Stabs-  und  Oberoffiziere  nur  mit  Mühe  ihre  Linien. 
Bald  mußte  das  moesische  Heer  ganz  vom  Kriegsschauplatze  wei- 
chen, da  die  Illyrier  verheerend  in  Macedonien  einbrachen  und 
die  Dacer  und  Geten,  die  Donau  überschreitend,  Moesien  ver- 
wüsteten. Tiberius  beschränkte  sich  den  langen  Winter  darauf, 
die  Savefestungen  zu  halten  und  nur  durch  Vorstöße  die  immer 
weichenden  Gegner  zurückzuweisen. 

Obwohl  Germanicus  im  nächsten  Kriegsjahre  mit  Verstärkungen 
aus  Italien  eintraf,  sodaß  die  Küste  Dalmatiens  durch  die  Cohortes 
Voluntariorum  gedeckt  werden  konnte,  blieb  Tiberius  in  der  Ver- 
teidigung, mehr  bemüht,  durch  verheerende  Züge  die  Kraft  der 
Gegner  zu  schwächen  als  eine  Entscheidung  herbeizuführen.  Im- 
mer noch  hinderten  die  beiden  Batos  in  ihren  Stellungen  an  den 
versumpften  Ufern  der  Drau-  und  Savemündung  Aulus  Caecina, 
der  bereits  durch  die  Legionen  des  Ostens  verstärkt  war,  am  Vor- 
dringen. Sie  griffen  das  ihnen  gegenüberliegende  römische  Heer 
an  und  trieben  es  auf  seine  Verschanzungen  zurück.  Nur  Germani- 
cus war  in  Dalmatien  eingedrungen  und  hatte  die  Maezei  im  nörd- 
lichen Bosnien  unterworfen.  Die  Natur  solcher  Volkskriege  bringt 
es  mit  sich,  daß  der  weniger  geschulte  Gegner  zuletzt  die  Ent- 
scheidung sucht.    So  stellten  sich  im  dritten  Jahre  die  Pannonier 


ig.  Die  Empümng  in  Tllyrien  und  Germanien  2^7 

dem  Heere  des  Tiberius  am  Flusse  Batinus  zur  Schlacht.  Bereits 
hatten  die  Römer  Bato  den  Breucer  gewonnen.  Er  verriet  um  den 
Preis,  als  einziger  Herrscher  den  Breucern  zu  gebieten,  seinen 
Mitkönig  Pinnes  und  verhalf  den  Römern  zum  Siege  über  sein 
eigenes  Volk.  Vergeltung  an  dem  Treulosen  zu  nehmen,  drang 
Bato  der  Daesitiate  mit  seinen  Dalmatern  in  Pannonien  ein,  be- 
lagerte den  Breucer  in  einer  Stadt  und  zwang  ihn  zur  Übergabe. 
Vor  das  Volksgericht  gestellt,  erlitt  er  den  verdienten  Tod.  Aber 
der  Krieg  im  eigenen  Lager  hatte  die  Kraft  der  Illyrier  ge- 
schwächt. Die  Pannonier  erlagen  in  einer  Feldschlacht  dem 
Heere,  das  Plautius  Silvanus  von  Osten  heranführte. 

Bato  der  Daesitiate  sah  keine  Hoffnung  mehr  als  in  der  Ver- 
teidigung seiner  Heimat.  Er  ließ  die  Straßen,  die  aus  dem  Tale 
der  Save  und  Morava  in  das  Innere  Dalmatiens  führten,  dicht  be- 
setzen, um  den  Römern  den  Eintritt  in  seine  Berge  zu  wehren. 
Doch  konnte  Tiberius,  nachdem  der  Widerstand  in  Pannonien  ge- 
brochen war,  seine  ganze  Übermacht  gegen  die  Dalmater  wenden. 
Die  Pässe  wurden  erstürmt,  und  von  allen  Seiten  drangen  die  Römer 
in  das  Land  ein.  Germanicus  nahm  Splonum  und  nach  einem  grauen- 
vollen Kampfe  Raetinium.  Als  die  Dalmater  den  Befestigungs- 
ring nicht  mehr  zu  halten  vermochten,  legten  sie  Feuer  in  die  Stadt 
und  wichen  in  die  Burg  zurück.  Die  Römer,  Herren  des  Walles, 
drangen  bis  unter  die  Mauer  der  Burg  vor.  Da  sahen  sie  sich,  als 
sie  mit  den  Verteidigern  im  Kampfe  lagen,  von  den  aufflammen- 
den Gebäuden  und  dem  brennenden  Holzwerk  der  Befestigungen 
wie  in  einem  Feuerring  gefangen.  Nur  um  den  Weg  ins  Freie 
zu  gewinnen,  häuften  sie  Leichen  auf  Leichen  über  die  brennenden 
Häuser  und  die  Flammen  des  Walles,  und  auf  diesem  Menschen- 
damme wie  auf  einer  Brücke  entrannen  sie  dem  Verderben.  Auch 
die  Verteidiger  der  Burg  wurden  durch  die  Flammengarben  und 
den  qualmenden  Rauch  zur  Flucht  gezwungen  und  retteten  sich 
in  unzugängliche  Höhlen.  In  dieser  grausigen  .Weise  raste  der 
Krieg  in  ganz  Dalmatien.  Drei  römische  Heere,  von  Tiberius, 
Plautius  Silvanus  und  Aemilius  Lepidus  geführt,  durchzogen  das 
Land  und  trieben  die  Einwohner  von  Ort  zu  Ort.  Auch  Seretium, 
das  Tiberius  zuerst  getrotzt   hatte,  'wurde  jetzt   bezwungen.    Die 


238  Aiigustus 

verzweifelten  Kämpfer  um  den  geliebten  Boden  der  Heimat  dräng- 
ten sich  um  die  Felsburg  Andetrium  bei  Salonae  zusammen,  nur 
mehr  bemüht,  den  verhaßten  Feinden  Schaden  zu  tun.  Da  ver- 
einigte Tiberius  sein  Heer  zum  Angriff  auf  die  Stadt.  Während 
die  Römer  auf  den  ungangbaren  Bergpfaden  den  Weg  zu  diesem 
Felsenneste  zu  erstürmen  suchten,  gingen  von  den  vorliegenden 
Höhen  gewaltige  Felsblöcke,  die  Räder  schwerer  Wagen  nieder, 
sie  zu  zerschmettern,  und  die  Geschosse  der  unerreichbaren  Feinde 
streckten  sie  nieder.  Endlich  wurden  die  Römer  Herren  einer 
Höhe,  die  die  Stellung  der  Verteidiger  beherrschte  und  ihnen  den 
Rückzug  nach  der  Stadt  sperrte.  Die  Dalmater  wurden  von  den 
Bergen  heruntergeworfen,  in  die  Wälder  hineingetrieben,  wo  man 
sie  wie  das  wilde  Getier  aufspürte  und  niedermachte.  Als  Ande- 
trium selbst  erstürmt  wurde,  war  Bato  dennoch  entkommen,  und 
weiter  spann  sich  dieses  Krieges  jammervolles  Elend. 

Keinen  anderen  Weg  gab  es  mehr,  den  erbarmungslosen 
Feinden  zu  entgehen  als  die  Selbstvernichtung.  Germanicus  griff 
Arduba  an,  das  von  einem  Strome  umflossen  wurde.  Als  die 
Belagerer  der  Stadt  immer  härter  umdrängten,  brach  unter  den 
Verteidigern  ein  Kampf  aus  zwischen  den  Bewohnern  und  den 
Überläufern  aus  dem  römischen  Heere,  die  in  der  Übergabe  ihr 
sicheres  Verderben  sahen.  Mochten  die  Männer,  Sieger  in  dem 
Gemetzel,  ihre  Waffen  und  ihre  Leiber  den  Römern  überliefern, 
die  Frauen  der  Dalmater  konnten  die  sichere  Schande  nicht  auf 
sich  nehmen  und  warfen  sich  von  der  Mauer  herab  in  den  mitleids- 
vollen Strom  oder  verbrannten  mit  ihren  Kindern  in  den  rettenden 
Flammen  der  Häuser.  Es  war  kein  Krieg  mehr,  sondern  die  Aus- 
rottung des  ganzen  Volkes.  Bato,  nur  um  Gnade  für  die  Seinen 
zu  erlangen,  lieferte  sich  selbst  den  Römern  in  die  Hände.  Vor 
das  Zelt  des  Imperators  geführt,  war  er  bereit  zu  sterben,  nur 
sein  Volk  sollte  man  schonen,  dem  die  Verzweiflung  über  den 
unerträglichen  Druck  die  Waffen  in  die  Hand  gezwungen  hatte. 
Er  fand  Gnade  und  sein  gänzlich  vernichtetes  Volk  die  Ruhe 
des  Grabes.  Der  Sieg  war  gewonnen  und  Rom  um  einen  Triumph 
reicher.  Germanicus  selbst  überbrachte  die  Nachricht  von  der 
Unterwerfung  Illyricums  nach  Rom.    Fünf  Tage  später  gelangte 


IQ.  Die  Emp()rung  in  Iliyiien  und  Germanien  2'\Q 

in  den  Jiibel,  der  ganz  Rom  erfüllte,  eine  andere  Nachricht,  daß 
die  stolzen  Sieger  die  Vergeltung  der  Götter  für  das  Elend,  das 
sie  über  die  Völker  brachten,  getroffen  habe.  Deutschland  hatte 
sich  sieghaft  erhoben  gegen  die  Herren  der  Welt. 

Die  Herrschaft  der  Römer  hatte  die  Völker  geeint,  und  über 
Berg  und  Tal  hinweg  gelangte  die  Kunde  in  den  Urwald  an  der 
Weser  von  dem  Ringen  und  Sterben  der  Illyrier.  Auch  die 
Deutschen  empfanden  den  Zwang  der  Knechtschaft  härter  als 
früher,  Augustus  hatte  ihnen  den  Quintilius  Varus,  den  Gemahl 
seiner  Nichte  Claudia  Pulchra,  zum  Gebieter  gesetzt.  Früh  durch 
Gunst  emporgehoben,  schon  im  Jahre  13  v.  Chr.  Consul  mit 
Tiberius,  hatte  er  später  durch  lange  Jahre  Syrien  verwaltet,  wo 
sein  Wille  wie  seine  Willkür  über  ein  in  Knechtschaft  erzogenes 
Volk  ohne  Schranken  gebot  und  die  Steuern  des  Landes  auch  den 
Reichtum  seines  Herrn  mehrten.  Stumpfen  Geistes,  trägen  Lei- 
bes, sah  er  auch  in  den  freien  Söhnen  des  Waldes  nur  Unter- 
tanen, die  jetzt  zu  scheuem  Gehorsam  zu  zwingen  die  bedrohte 
Herrschaft  der  Römer  ihm  zu  gebieten  schien.  Er  ließ  sie  die 
Härte  des  römischen  Steuerdruckes,  der  dem  Ärmsten  das  Letzte 
nahm,  empfinden  und  die  Segnungen  eines  Rechtes,  das,  in  einer 
unverständlichen  Sprache  des  herrschenden  Volkes  geschrieben, 
die  lebendige  Anschauung  ihres  natürlich  gewordenen  Rech- 
tes in  dürre  Begriffe  spaltete.  Je  stärker  der  ungebändigte 
Wille  der  Freien  solchem  tötenden  Zwange  widerstrebte,  desto 
schärfer  zog  er  die  Zügel  an,  um  ihn  zu  brechen,  bis 
sie  mit  ungestümer  Kraft  den  schlaffen  Reiter  in  den  Staub 
schleuderten. 

Eines  hatten  die  Deutschen  von  den  Römern  willig  gelernt, 
die  neue  Zucht  des  Krieges.  Unter  römischen  Führern  gebildet, 
war  ihr  Heerbann  nicht  mehr  Spreu  vor  dem  geschlossenen 
Wall  der  Legionen.  Ihre  Edelinge  hatten  die  freien  Volksgenossen 
unter  der  Fahne  der  Römer  geführt  und  den  Herrn  die  Kunst  ab- 
gelauscht, Krieg  und  Schlacht  planvoll  zu  leiten.  Die  Besten 
unter  ihnen  sannen  seit  langem  auf  Mittel  und  Wege,  das  ver- 
haßte Joch  der  Fremden  abzuschütteln,  und  auch  der  gemeine 
Mann  war  jetzt  nach  Jahren  der  Fremdherrschaft  bereit,  Gut  und 


240  Augustus 

Blut  daran  zu  setzen,  sie  wieder  außer  Landes  zu  jagen.  Über 
die  Feindschaft  der  Stämme  hatte  die  gemeinsame  Not  die  Brücke 
der  Freundschaft  geschlagen.  Der  Chatte  und  der  Cherusker, 
der  Bructerer  und  der  Chauce,  waren  sie  nicht  Söhne  derselben 
Erde?  einig  in  dem  Glauben  an  Wotan  und  die  Helden  von  Wal- 
halla, in  deren  ewigjunge  Reihen  die  Schlachtenjungfrauen  den 
Tapfersten  führten?  Am  mächtigsten  war  der  Gedanke  der 
Erhebung  bei  den  Cheruscern,  die  der  Herrschaft  Roms  erst 
wenige  Jahre  sich  wiedec  gefügt  hatten  und  an  ihren  adeligen 
Sippen  bewährte  Führer  besaßen.  Die  Feindschaft,  die  am  schärf- 
sten die  zu  trennen  pflegt,  welche  die  Bande  des  Blutes  aufs  engste 
verknüpfen  sollten,  hatte  unter  diesen  Adeligen  Segestes  aus 
Haß  gegen  sein  Geschlecht  völlig  zum  Römling  werden  lassen, 
da  ihn  die  Römer  über  die  Seinen  erhoben.  Manche,  wie  jener 
Flavus,  von  römischem  Waffenglanze  geblendet,  waren  ganz  in 
die  Reihen  des  römischen  Heeres  getreten.  Julier  nannten  sich 
diese  stolzen  Deutschen,  den  neuen  Adel  der  Fremden  in  dem 
Namen  des  Herrschers  der  Römer  tragend.  Andere  desselben 
Hauses  waren  die  Führer  geworden  in  dem  Bunde  der  Deutschen 
gegen  die  Herrschaft  der  Fremden.  Der  jüngste  dieser  Helden, 
Arminius,  war  es,  der  ein  Retter  erstand  seinem  Volke.  Die 
höchsten  Gaben  hatten  die  Götter  ihm  verliehen,  die  Kraft  der 
Überredung,  die  Stärke  der  Überzeugung  und  die  herrlichste  aller 
Gaben,  ein  Heer  zu  leiten  im  Sturm  der  Schlacht,  und  den  gött- 
lichen Mut  der  Jugend,  den  noch  keine  Erfahrung  gebeugt  hat. 
Als  Führer  des  Heerbannes  der  Cheruscer  standen  sie  in  dem 
Lager  an  der  Weser,  wo  Quintilius  Varus  inmitten  der  drei  Le- 
gionen Niedergermaniens  seinen  Richterstuhl  aufgeschlagen  hatte, 
um  die  neue  Lehre  des  Gehorsams  im  Lande  der  Cheruscer  zu 
verbreiten.  Die  Ruten  der  Lictoren  zeichneten  den  Rücken  der 
Freien  und  ihre  Beile  fällten  die  Häupter  der  Stolzen.  Und  doch, 
im  Spätherbste  des  Jahres  9,  als  Mord  und  Brand  in  den  Bergen 
Dalmatiens  wüteten,  war  das  Netz  des  Verderbens  in  den  Wäl- 
dern Deutschlands  gestellt,  dem  Varus  und  seine  Legionen  nim- 
mermehr entrinnen  sollten. 

Unwirtlich  wurde  es  in  dem  nordischen  Lande,  und  Varus 


ig.  Die  Empörung  in  lllyrien  und  Germanien  24 1 

gedachte  heimzukehren  nach  seinem  Palaste  in  Cöln,  wo  doch 
das  Behagen  römischen  Lebens  winkte.  Den  Rückmarsch  trat 
das  Heer  an,  in  seinem  Gefolge  die  Cheruscer.  Schon  hatte 
man  das  Waldgebirge  erreicht,  in  dessen  Mitte  die  P^este  Aliso 
als  letzte  Burg  der  Römer  die  Grenze  römischen  Bodens  bezeich- 
nete. Aber  seltsam  unbotmäßig  waren  diese  Deutschen  gewesen 
in  diesem  Sommer,  und  wieder  berichteten  Boten  dem  Varus, 
daß  ein  Stamm  im  Teutoburger  Walde  den  Gehorsam  verweigere. 
Kurz  vor  seinem  Ziele  bog  das  Heer  ab  von  der  gesicherten  Straße 
nach  dem  Rhein  und  betrat,  um  dem  römischen  Namen  Achtung 
zu  schaffen  durch  Züchtigung  der  Abtrünnigen,  die  von  ver- 
sumpften Tälern  durchschnittenen  Wälder  des  Gebirges,  durch 
das  keine  Straße  führte.  Da  war  es  an  der  Quelle  der  Hunte, 
daß  die  drohende  Gefahr  dem  Heere  offenkundig  wurde.  Als 
Varus  im  Feldherrnzelte  nach  der  Sitte  die  römischen  Obersten 
und  auch  die  Führer  der  Deutschen  im  Heere  an  der  mächtigen 
Tafel  zum  abendlichen  Mahle  versammelt  hatte,  erhob  sich  Se- 
gestes,  den  sorglosen  Römer  zum  letzten  Male  vor  seiner  eigenen 
Sippe  zu  warnen.  Er  forderte,  alle  die  Deutschen,  wie  sie  da 
saßen,  in  Ketten  zu  legen,  damit  sie  die  Treue  nicht  brächen. 
Arminius  trotzte  den  drohenden  Worten,  imd  ehe  Varus  die  Mah- 
nung nur  befolgen  konnte,  hatten  er  und  die  Seinen  das  Zelt  ver- 
lassen. Am  Lagertore  schwangen  sie  sich  auf  ihre  Rosse  und 
eilten  hinaus  in  den  Wald,  an  dessen  Rande  die  Deutschen  ihrer 
Führer  harrten. 

So  begann  am  folgenden  Morgen  der  Kampf  mit  den  Römern, 
in  dem  alle  Stämme,  die  je  das  Joch  getragen  hatten,  vom  Main 
bis  an  das  Ufer  des  Meeres  einmütig  zusammenstanden.  Alles  war 
hier  gegen  die  Römer:  die  Art  des  Bodens,  die,  den  schwergerüste- 
ten Kämpfer  im  Vorwärtsgehen  wie  im  Streite  hindernd,  die  Bil- 
dung der  geschlossenen  Schlachtlinie  nicht  gestattete;  Mangel 
an  leichtem  Fußvolk  und  Reitern,  die  das  Heer  in  Masse  bereits 
verlassen  hatten,  um  in  ihre  Standorte  zurückzukehren;  die  Über- 
zahl der  Feinde,  denen  Wald  und  Sumpf,  von  Kindheit  vertraut, 
für  ihre  lose  Art  zu  kämpfen  den  rechten  Raum  darboten.  Und 
doch,  diese  Legionen,  die  seit  zwanzig  Jahren  diese  Feinde  auf 

Dotnaszcwsk  i.     I.  •'' 


242  Augustus 

dieser  Erde  in  allen  Schlachten  überwunden  hatten,  sie  wären 
nimmer  bezwungen  worden  trotz  alles  Todesmutes  der  Deutschen, 
all  der  Hingebung  und  des  wunderbaren  Geschickes  ihres  jungen 
Führers,  hätte  sie  ein  Feldherr  auch  nur  von  den  Gaben  der  Sie- 
ger des  illyrischen  Aufstandes  geführt.  Aber  Varus,  der  Weich- 
ling des  römischen  Palastes,  war  das  Verderben  des  Heeres. 
Drei  Tage  zog  das  Heer  vorwärts  ohne  Pfad  durch  den  regen- 
schweren, von  Sturmesbrausen  erfüllten  Wald  im  beständigen 
Kampfe  mit  dem  Feinde,  bis  die  zusammenschwindende  Zahl 
der  Streiter  nicht  mehr  gestattete,  den  schützenden  Wall  der 
römischen  Lagerkunst  ganz  aufzuwerfen.  Den  Untergang  vor 
Augen,  gab  sich  Varus  selbst  den  Tod.  Noch  wollte  das  Heer  die 
Leiche  den  Flammen  übergeben,  um  sie  dem  Feinde  zu  entziehen, 
als  die  Deutschen  mit  solcher  Gewalt  gegen  den  Wall  anstürmten, 
daß  der  Widerstand  zusammenbrach.  Die  Legionare  fielen  bis 
auf  den  letzten  Mann,  da  die  Sieger  keine  Schonung  kannten. 
Die  gefangenen  Offiziere  verbluteten  vor  den  Altären  der  Götter, 
und  die  Schädel  der  Getöteten  hingen  als  Siegeszeichen  an  den 
Riesenbäumen  der  heiligen  Haine.  Die  Adler,  die  Fahnen,  das 
Heiligtum  und  der  Stolz  römischer  Heere,  wurden  der  Spott  der 
Feinde.  Gebrochen  lag  die  Herrschaft  Roms  unter  den  Füßen  der 
Sieger,  um  in  den  freien  Wäldern  Deutschlands  nie  wieder  auf- 
zuerstehen. 

Und  doch,  was  römische  Tapferkeit  und  Kriegszucht  ver- 
mochte, lehrte  den  Siegern  die  Verteidigung  von  Aliso.  Als  der 
Platz  sich  gegen  die  Uebermacht  der  Feinde  nicht  mehr  halten  ließ, 
führte  der  alte  römische  Hauptmann,  der  in  vierzig  Kriegsjahren 
den  Feinden  der  Römer  auf  den  Schlachtfeldern  aller  Weltteile 
ins  Auge  gesehen  hatte,  seine  Soldaten  mit  Weibern  und  Kindern, 
das  Schwert  in  der  Hand,  mitten  durch  die  Deutschen  nach  der 
Brücke  des  Rheines.  Um  so  größer  ist  der  Ruhm  des  Arminius, 
daß  er  Rom  auf  der  Höhe  seiner  Macht,  das  erprobteste  seiner 
Heere  im  freien  Kampfe  überwand  und  das  Volk  der  Deutschen 
vor  dem  Fluche  gerettet  hatte,  seine  edle  Art  unter  der  fremden 
Herrschaft  zu  verderben.  Der  Untergang  des  Heeres,  das  man 
mit  Recht  für  unbesiegbar  gehalten  hatte,  rief  in  Rom  ein  Ent- 


ig.  Die  Empörang  in  Iliyrien  und  Germanien  2AX 

setzen  hervor,  wie  es  die  Stadt  seit  den  Tagen  Hannibals  nicht  ge- 
sehen hatte.  Der  greise  Kaiser  erlag  fast  dem  Schlage,  der 
ganz  Gallien  den  Siegern  zu  überliefern  schien.  Aber  der  Deutsche, 
in  der  wunderbaren  Art  dieses  seltsamen  Volkes,  das  den 
Feind  mit  Riesenstärke  niederschlägt,  wenn  es  einmal  geeint 
zur  Tat  schreitet,  freute  sich  in  der  Wonne  des  Sieges  seiner 
ungebundenen  Freiheit  und  dachte  nicht  an  böse  Rache  oder 
arge  Vergeltung.  Asprenas,  der  Neffe  des  Varus,  der  mit  zwei 
Legionen  in  Obergermanien  stand,  erschien  am  Unterrheine  und 
fand  keinen  Feind.  Die  Rückwirkung  auf  das  römische  Heer, 
dessen  Vertrauen  gebrochen  war,  konnte,  wenn  bei  den  Deutschen 
die  Kampflust  wieder  erwachte,  verderblich  werdeq.  So  ging 
Tiberius,  ohne  den  Triumph  über  Iliyrien  zu  feiern,  an  den  Rhein, 
und  das  Heer  wurde  durch  neue  Legionen  aus  Iliyrien  und 
Spanien  wieder  auf  seine  Stärke  von  acht  Legionen  gebracht, 
die  die  Deutschen  wirksam  hinter  dem  Rheine  zurückhielten. 


i6* 


20.  Die  letzten  Jahre 

Die  furchtbaren  Lücken,  die  der  illyrische  Krieg  und  der 
Untergang  der  Legionen  des  Varus  in  das  Heer  gerissen  hatte, 
zu  füllen,  sah  x\ugustus  kein  Mittel  als  die  zwangsweise  Aus- 
hebung in  Rom  und  Italien.  Die  freien  Bürger  hielten  an  ihrem 
Ideal  fest  und  mußten  durch  die  strengsten  Strafen  gezwungen 
werden,  dem  Aufruf  zu  gehorchen.  Auch  so  blieb  es  mehr  die 
Hefe  der  Hauptstadt,  die  in  das  Heer  eintrat,  und  auch  sie  wollte 
nicht  genügen.  Die  Entlassungen,  die  jetzt  nach  den  Kriegen 
doppelt  geboten  waren,  stockten  gänzlich,  da  der  Krieg  auch  die 
Kassen  völlig  geleert  hatte.  Mit  dem  Stolze  der  Unbesiegbarkeit 
war  auch  die  Freude  am  Dienste  aus  dem  Heer  gewichen.  Nur  die 
Ehrfurcht  vor  dem  greisen  Herrscher  hielt  den  Gehorsam  der 
Grenzheere  in  Germanien  und  lUyrien  noch  aufrecht.  In  dem- 
selben Jahre  entschloß  sich  der  Kaiser,  die  Bestimmungen  der 
Julischen  Gesetze  über  das  Eherecht  der  Stände  zu  verschärfen, 
da  die  Kinderscheu  auch  die  letzte  Ursache  der  Schwäche  des 
Heeres  war  und  das  ehelose  Leben  nach  wie  vor  die  Erbkrank- 
heit der  höheren  Stände  blieb.  Im  höchsten  Alter  war  er  auch 
empfindlich  geworden  gegen  das  allzufreie  Wort,  das  bei  der 
natürlichen  Art  der  Römer  im  zusammenbrechenden  Freistaat 
schamlos  emporgewuchert  war  und  mit  seiner  Frechheit  auch 
das  Leben  des  Reinsten  besudelte.  Auch  hier  sollte  das  Gesetz 
erzwingen,  was  die  Sitte  nicht  achtete,  als  Augustus  im  Jahre  12 
mit  den  härtesten  Strafen  der  namenlos  im  Dunkeln  schleichenden 
Entwürdigung  der  Ehre  anderer,  die  selbst  vor  der  Majestät  des 
Thrones  nicht  zurückschrak,  Einhalt  gebieten  wollte. 

Der  Kaiser  sah,   daß  die  Kraft  des  Reiches  zum  Uebermaße 
angespannt  war.    Auch    an    der  unteren  Donau  waren  die  Dacer 


20.   Die  letzten  Jahre  t  ic 

eine  stehende  Gefahr  geworden,  und  die  Legionen,  die  in  früheren 
Jahren  bis  in  das  Innere  Siebenbürgens  vorgedrungen  waren, 
deckten  kaum  mehr  die  Grenze  an  der  Mündung  des  Stromes. 
Von  den  Provinzen,  die  Drusus  und  Tiberius  in  der  Hoch-Zeit 
des  Principates  erobert  hatten,  war  Illyricum,  mit  Mühe  behauptet, 
durch  den  verheerenden  Krieg  zur  Wüste  geworden.  Die  Sicher- 
heit Italiens  gebot  es,  diese  Länder  dauernd  im  Gehorsam  zu  er- 
halten. So  begannen  unmittelbar  nach  der  Befriedung  gewaltige 
Straßenbauten,  die  die  Lager  der  Legionen  Dalmatiens,  Burnum 
und  Delminium,  im  Osten  von  Salonae  mit  den  Waffenplätzen 
des  Savetales  Emona,  Siscia,  Servetium,  Sirmium  dauernd  ver- 
banden, und  auch  die  Häfen  am  adriatischen  Meer  wurden  durch 
neugebrochene  Straßen  von  Salonae,  Narona,  Lissus  aus  mit  dem 
Tale  der  Morava  und  der  Drina  enger  verknüpft.  Eine  ungeheure 
Friedensarbeit,  bei  der  die  Legionen  Illyricums  und  die  wider- 
strebenden Völker  durch  Jahre  zusammenwirkten.  Nichts  als  ein 
eiserner  Zwang  konnte  diese  Völker  niederhalten.  Augustus  nahm 
den  Gemeinden  durchaus  die  Selbstverwaltung  und  stellte  an 
ihre  Spitze  die  Offiziere  der  Legionen  und  der  Auxilia,  die  in 
ihren  Grenzen  die  Standlager  innehatten.  Er  verzichtete  auf  die 
unmittelbare  Besteuerung  und  begnügte  sich,  in  Illyricum  wie 
in  den  gleich  culturlosen  Alpengebieten  einen  Zoll  an  den  Grenzen 
der  Provinzen  und  in  den  Marktorten  des  Innern  zu  erheben, 
der  nur  die  Waren  des  Kaufmannes  traf  und  die  Raubgier  der 
Steuerbeamten  von  den  Hütten  der  Waldbauern  fernhielt.  Auch 
diesen  Einrichtungen  des  großen  Meisters  der  Staatskunst  wird 
man  die  Bewunderung  nicht  versagen  können.  Sie  sind  völlig 
der  Art  der  Völker,  die  beherrscht  werden  mußten,  angepaßt 
und  haben  jede  Erschütterung  der  Oberhoheit  Roms  fernge- 
halten. Wenn  doch  wahre  Cultur  in  diese  Länder  auch  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  nicht  hat  einziehen  wollen,  so  lag  es  in  der 
Geistesart  dieser  Völker,  denen  Civilisation  ein  Greuel  blieb. 

Auch  am  Rheine  erkannte  der  Kaiser  die  notwendigen 
Grenzen  römischen  Einflusses.  Die  unmittelbare  Herrschaft  über 
Deutschland  forderte  weder  die  Sicherheit  Italiens  noch  die 
Sicherheit    des    Reiches.     Zu    erobern    waren    diese    Länder    nur 


246  Augustus 

durch  die  Opfer,  die  der  illyrische  Krieg  gefordert  hatte.  Das 
war  der  Besitz  des  Preises  nicht  wert.  So  beschloß  der  Kaiser, 
die  Grenze  des  Reiches  am  Rheine  zu  ziehen.  Nur  die  Namen 
der  beiden  Heeresbezirke  am  Strome,  Germania  superior  und 
Germania  inferior,  erinnerten  noch  an  den  Traum  der  Unter- 
werfung Deutschlands,  und  der  Altar  in  Cöln,  an  dem  auch  die 
überrheinischen  Deutschen  die  Kaiserverehrung  der  Untertanen 
hätten  wetteifernd  üben  sollen,  blieb  vereinsamt  seit  dem  Tage, 
wo  selbst  der  Sohn  des  Segestes  nach  dem  Siege  im  Teutoburger- 
Walde  die  priesterliche  Binde  zerriß  und  ein  Freier  zu  den 
Freien  floh. 

Auch  im  Jahre  10  stand  Tiberius  am  Rheine,  ein  Hüter  des 
Stromes.  Selbst  ihm  hatte  die  Varusschlacht  die  Zuversicht  ge- 
raubt. Ganz  gegen  seine  Art  hielt  er  in  diesen  Zeiten  stets  Kriegs- 
rat im  Lager,  um  nicht  durch  leeren  Hochmut  gleich  einem 
Varus  die  Erfahrung  der  anderen  zu  mißachten.  Erst  im  Jahre  1 1 
überschritten  Tiberius  und  Germanicus  den  Rhein,  mehr,  um 
sich  auf  der  feindlich  gewordenen  Erde  Deutschlands  zu  zeigen, 
als  um  zu  schlagen.  Dann  erhielt  Germanicus,  der  im  Vorjahre 
mit  Tiberius  als  Lohn  für  seine  Taten  in  Illyricum  das  Consulat 
bekleidet  hatte,  den  Oberbefehl  über  beide  Rheinheere  mit  der 
höheren  Amtsgewalt  eines  Proconsuls.  Aber  der  gemessene  Be- 
fehl des  Kaisers  an  seinen  hochstrebenden  Enkel  muß  gelautet 
haben,  sich  jeder  Kriegführung  auf  dem  Boden  Deutschlands 
zu  enthalten.  Denn  bis  zum  Tode  des  Augustus  ruhten  die  Waffen 
am  Rheine.  Nach  diesen  Winterstürmen,  die  die  letzte  Zeit  seiner 
Herrschaft  durchbraust  hatten,  war  es  dem  greisen  Kaiser  noch 
beschieden,  in  sonniger  Ruhe  sein  Alter  zu  beschließen. 

Doch  gedachte  er  noch  sein  Haus  zu  bestellen,  ehe  den  Müden 
der  Tod  abrief.  Noch  einmal  zog  er  die  Summe  seiner  Sorgen  um 
das  römische  Volk,  als  er  es  einer  neuen  Schätzung  unterwarf  und 
in  den  letzten  Monaten  seines  Lebens  erkannte,  daß  die  Zahl  der 
Bürger  in  zwanzig  Jahren  um  70000  gestiegen  war.  Er  übertrug 
im  Jahre  13  Tiberius  die  volle  Mitherrschaft  im  ganzen  Reiche  und 
den  Oberbefehl  über  alle  Heere  der  Provinzen.  Aber  die  Schwäre 
seines  Hauses,  seine  Tochter  Julia,  zehrte  noch  in  ihren  Kindern 


20.  Die  letzten  Jahre  247 

an  seiner  Ehre.  Der  Gatte  ihrer  Tochter  Julia,  Aemilius  Paulus, 
hatte  mit  Plautius  Rufus  die  Ermordung  des  Kaisers  geplant, 
und  diese  Julia  war,  schuldig  befunden,  in  die  Verbannung  ge- 
gangen. Augustus,  der,  stets  zur  Milde  gegen  die  Seinen  geneigt, 
jetzt  mit  der  schwächlichen  Zärtlichkeit  des  Alters  an  ihnen  hing, 
ließ  ihr  doch  wieder  Gnade  angedeihen,  bis  ihr  schamloses  Leben 
ihn  zwang,  sie  für  immer  auf  einer  einsamen  Insel  dem  Auge  der 
Welt  zu  entziehen.  Nicht  minder  hart  prüfte  ihn  das  Geschick 
in  dem  letzten  seiner  Enkel,  jenem  Agrippa  Postumus,  der  in 
sinnloser  Rohheit  zum  Treiben  eines  gemeinen  Sclaven  entartete. 
Auch  er  mußte  im  Jahre  6  in  die  Verbannung  weichen,  die  nach 
einem  Beschlüsse  des  Senates  unwiderruflich  sein  sollte.  Und 
doch,  in  seinen  letzten  Tagen  zwang  Augustus  sein  Herz,  den 
Elenden,  nur  von  dem  einzigen  Freunde,  den  er  noch  besaß, 
Paulus  Maximus,  begleitet,  aufzusuchen,  um  sein  Auge  an  dem 
Anblick  des  Enkels  zu  erfreuen.  Er  ahnte  nicht,  daß  er  damit 
das  Todesurteil  des  Verkommenen  geschrieben  hatte.  Doch  wer 
vermöchte  den  Kaiser  zu  tadeln,  daß  er,  nur  ein  Mensch,  der 
unüberwindlichsten  aller  Mächte,  dem  Alter,  gewichen  ist? 

Bis  zuletzt  seine  Herrscherpflichten  erfüllend,  hatte  er  am 
II.  Mai  des  Jahres  14  die  Schätzung  mit  dem  feierlichen  Opfer  der 
Reinigung  des  neugebildeten  römischen  Volkes  abgeschlossen. 
Dann  fand  er  auf  den  Inseln  und  in  den  Städten  des  Golfes  von 
Neapel,  der  die  Klarheit  der  seinem  Wesen  so  innig  verwandten 
griechischen  Natur  atmete,  Muße,  sich  mit  müden  Augen  an 
dem  ewig  kindlichen  Treiben  der  Bewohner  zu  freuen.  Trotz 
seiner  wachsenden  Schwäche  geleitete  er  noch  Tiberius,  der 
nach  Illyricum  aufbrechen  wollte,  bis  nach  Benevent.  Auf  der 
Rückreise  ergriff  ihn  in  der  einfachen  Landstadt  Nola  die  Hand 
des  Todes.  An  seiner  Seele  ging  im  Augenblick  des  Scheidens 
das  Spiel  des  Lebens  mit  seinen  seltsamen  Widersprüchen  und 
unwahrscheinlichen  Lösungen  wie  ein  heiterer  Traum  vorüber, 
in  dem  er,  der  größte  Künstler  des  Lebens,  den  Beifall  derer,  die 
sein  Sterbelager  umstanden,  gewonnen  hatte.  Er  verschied  in  den 
Armen  seiner  Frau  und  fand  noch  im  Sterben  das  letzte  Glück  der 
Staubgeborenen,   das   er   immer  ersehnt   liattc,   den   sanften  Tod. 


248  Augustus 

Ein  großer  Herrscher,  einer  der  Wenigen,  die  den  Namen 
eines  Wohltäters  der  Untertanen  verdienen,  war  für  immer  von 
seinem  Volke  geschieden.  Unvergänglich  bis  in  unsere  Tage 
wirkt  sein  edler  Geist  in  der  Ewigkeit  des  großen  Roms,  dem 
sein  ganzes  Leben  geweiht  war.  Alles  hatte  er  dahin  gegeben, 
um  sein  Volk  zu  erhöhen,  in  der  Stunde  der  Entscheidung  niemals 
schwankend,  sein  eigenes  Glück,  das  Glück  derer,  die  ihm  teurer 
waren  als  das  Leben,  dem  Wohle  des  Staates  aufzuopfern.  Ge- 
heimnisvoll wie  die  Natur  an  ihren  Werken  schafft,  erscheint 
sein  eigenes  Wirken,  blöden  Augen  ewig  unverständlich.  Immer 
der  Bedingungen  des  Wirklichen  sich  bewußt,  fand  er,  wie  die 
Natur  in  ihren  Gebilden,  was  an  dem  Baue  des  römischen  Staates 
in  der  langen  Dauer  seiner  Herrschaft  lebenskräftig  war,  der 
Weiterentwicklung  fähig,  was  abstarb  und  dem  Tode  verfiel.  Nie 
hat  er  in  dieses  Leben  gewaltsam  eingegriffen,  immer  nur  darauf 
bedacht,  die  natürlichen  Kräfte  walten  zu  lassen,  frei  von  aller 
Ueberhebung  das  Gelingen  wie  das  Verfehlen  mit  Geduld  getragen. 
Darum  ist  seinem  Werke  auch  eine  Dauer  beschieden  gewesen, 
die  selten  ist  in  menschlichen  Dingen,  und  seine  Gedanken  haben 
gewaltet  durch  die  Jahrhunderte,  um  erst  unterzugehen  mit  seinem 
eigenen  Volke.  Und  jene,  die  als  Fremde  im  Reiche  der  Römer 
standen,  als  sie  auf  dem  untergehenden  Rom  ihre  eigene  Herr- 
schaft errichteten,  haben  ihr  kümmerliches  Reich  aufgebaut  mit 
den  Gedanken,  die  der  große  Augustus  in  seiner  Weisheit  für 
geeignet  hielt,  diese  Ewighörigen  im  Gehorsam  zu  halten. 

Livia  hielt  den  Tod  des  Augustus  geheim,  bis  Tiberius,  durch 
Eilboten  herbeigerufen,  in  Nola  eintraf.  Sein  erstes  war,  die  Herr- 
schaft über  die  Heere  und  die  Provinzen  mit  fester  Hand  zu  er- 
fassen. Es  genügte  der  Befehl  des  Imperators,  dem  noch  niemand 
den  Gehorsam  verweigert  hatte.  Auch  den  Senat  berief  er  nach 
den  Formen  des  Rechtes  kraft  seiner  tribunicischen  Gewalt,  um  in 
der  ersten  Sitzung  über  die  Ehren  des  toten  Princeps,  die  ihm  bei 
seinem  Leichenbegängnis  gebührten,  zu  beraten.  Er  ließ  es  ge- 
schehen, daß  die  Consuln  die  Truppen  der  Hauptstadt,  den  Senat 
und  das  Volk  in  Eid  und  Pflicht  nahmen  für  den  neuen  Herrscher. 
Der  Wetteifer,  ihm  zu  huldigen,  er  empfand  es,  war  um  so  größer. 


20.  Die  letzten  Jahre  2±Q 

je  mehr  man  den  Wechsel  der  Herrschaft  bedauerte.  Denn  dieser 
Claudier,  er  war  gefürchtet,  und  man  kannte  seine  harte  Hand. 
Die  Decurionen  der  Landstädte,  viele  die  Getreuen  seiner  Heere, 
trugen  die  Leiche  des  toten  Imperators  im  nächtlichen  Zuge  bis 
nach  Bovillae.  Hier  empfingen  sie  die  römischen  Ritter,  die  sie  in 
Rom  in  der  Vorhalle  des  Palastes  niedersetzten.  Der  Senat  beriet 
unter  Tiberius  Vorsitz  über  die  Ehren  des  Toten,  in  Beweisen  der 
Ergebenheit  wetteifernd.  Der  Fluch  der  Selbstherrschaft,  die  frei- 
willige Erniedrigung  der  Untertanen,  brach  in  einer  Weise  hervor, 
daß  Tiberius  den  Ehren,  die  nur  dem  Knechtsinn  solche  schienen, 
wehren  mußte.  Aber  würdig  war  es,  daß  man  ihn,  den  Sieger  so 
vieler  Kriege,  durch  die  Triumphpforte  auf  das  Marsfeld  trug  und 
mit  den  Ahnen  des  Julischen  Hauses  auch  die  Provinzen,  die  er 
dem  Reiche  neu  gewonnen,  im  Abbilde  im  Zuge  einherschritten. 
Vor  der  Leiche  trug  man  das  goldene  Bildnis  der  Siegesgöttin, 
das  der  Kaiser  in  das  Rathaus  des  Senates  geweiht  hatte,  und  das 
Klagelied  sangen  die  Kinder  der  Vornehmsten,  denen  er  oft  ein 
zweiter  Vater  gewesen  war.  Die  Liebespflicht,  die  Ueberreste  aus 
der  Asche  zu  heben,  erfüllten  an  der  göttlich  geweihten  Leiche 
die  Priester  des  Staates.  Dann  wurde  die  Urne  mit  den  Gebeinen 
in  der  schmucklosen  Nische  des  Grabmales  beigesetzt. 

Geschlossen  war  die  Geschichte  seines  Lebens.  So  wurde  denn 
auch  an  des  Grabes  Pforte  nach  seinem  Willen  die  Inschrift  ein- 
getragen, die  er  selbst  als  ein  ewiges  Gedächtnis  seiner  Taten  ver- 
faßt hatte.  Schlicht,  in  ihren  einfachen  Worten  jedem  verständ- 
lich, sollte  sie  zu,  jenen  sprechen,  die  sich  in  der  heiteren  Um- 
gebung des  Grabes  des  Lichtes  der  Sonne  freuten.  Unvergänglich 
wollte  er  nur  sein  in  dem  Gedächtnis  seines  Volkes  einfacher 
Bürger,  wie  er  einer  von  ihnen  in  seinem  ganzen  Leben  gewesen 
war.  Was  er  getan  für  das  Wohl  seiner  Römer,  wie  er  ihre  Macht 
gemehrt,  und  die  Ehren,  deren  sie  ihn  würdig  erkannt,  das  las 
mit  einfältigem  Gemüt  der  gemeine  Mann  und  empfand  die  Dank- 
barkeit des  Kindes  am  Grabe  seines  Vaters.  Die  Abschrift,  die 
die  Galater  in  dem  fernen  Ancyra  an  dem  Tempel  des  Augustus 
angeschrieben  haben,  noch  ist  sie  uns  den  Spätgeborenen  erhalten 
und  verkündet  die  Wahrheit  über  sein  Walten.   Kein  Gegenstand, 


5  CO  Augustus 

seinen  Witz  daran  zu  üben  oder  mit  eigenem  Geiste  zu  glänzen, 
aber  bestimmt,  für  alle  Zeiten  Ehrfurcht  zu  erwecken  vor  dem  ein- 
fachen Römer  und  seiner  stillen  Größe. 

Der  letzte  Wille  des  Herrschers  setzte  Tiberius  und  Livia  zu 
Erben  ein  und  bestimmte,  daß  die  Frau  gleich  einer  Tochter  die 
Namen  Julia  und  Augusta  führen  sollte.  Den  Soldaten  der  Bür- 
gertruppen, der  Hauptstadt  und  der  Provinzen  war  der  dritte  Teil 
ihres  Jahressoldes  als  letztes  Geschenk  zugedacht  und  den  Armen 
Roms  eine  Gabe  von  hundert  Denaren  auf  den  Kopf.  Dem  Testa- 
mente war  jene  Inschrift  beigegeben,  die  an  seinem  Grabmal 
stehen  sollte,  sowie  ein  Ueberblick  über  die  Heere  des  Reiches  und 
das  Vermögen  des  Staates, 

Später  beschloß  der  Senat  für  ihn  die  göttlichen  Ehren,  die  er 
in  seinem  Leben  nie  begehrt  hatte,  und  als  divus  Augustus  zog 
er  in  den  Götterhimmel  des  römischen  Volkes  ein.  Eine  Priester- 
schaft der  Sodales  Augustales  sollte  den  neuen  Gott  verehren, 
und  Germanicus  wurde  als  sein  Priester  bestellt,  wie  den  höchsten 
Göttern  des  Staates  ein  besonderer  Priester  bestimmt  war.  Der 
Geburtstag  des  Gottes  wurde  mit  Spielen  begangen,  daß  die  Menge 
der  Hauptstadt  seiner  Güte  nicht  vergäße. 


TIBERIUS 


I.  Der  Antritt  der  Herrschaft 

Augustus  hatte  über  die  Nachfolge  in  der  Alleinherrschaft 
entschieden,  als  er  Tiberius  Claudius  Nero  an  Sohnesstatt  annahm. 
Auch  das  Vertrauen  der  Heere  und  des  ganzen  Reiches  war  dem 
Manne  sicher,  der  sich  vierzig  Jahre  im  Dienste  des  Staates  erprobt 
hatte.  Kein  Zweifel  konnte  ihn  erfüllen,  als  ob  sein  Thron  gefährdet 
sei.  Und  doch,  nachdem  ihm  geworden  war,  was  er  verdiente,  was 
er  so  heiß  begehrte,  fehlte  Tiberius  der  Glaube  an  sich  selbst.  Er 
konnte  die  Jahre  der  Demütigung  nicht  austilgen  aus  seinem  Ge- 
dächtnis. Die  Erinnerung  an  alles,  was  er  so  ungerecht  hatte  er- 
dulden müssen,  begleitete  ihn  auf  den  Thron.  Die  Liebe  und  das 
Zutrauen,  die  er  nicht  zu  gewinnen  wußte,  er  empfand  sie  auch 
für  niemanden,  nicht  einmal  für  die,  die  ihm  dem  Blute  nach  am 
nächsten  standen.  Die  Zurückhaltung,  die  er  von  Jugend  auf  geübt 
hatte,  war  zur  finsteren  Verschlossenheit  geworden,  die  auch  in 
seinem  Wesen  abstoßend  hervortrat.  Die  gerade  Haltung  des  Sol- 
daten erschien  in  der  starren  Unbeweglichkeit  seiner  Gestalt  und 
seinen  abweisenden  Zügen  als  der  Ausdruck  kalter  Überhebung. 
Die  Langsamkeit  seiner  Rede,  begleitet  vom  bedächtigen  Spiele  der 
Hände,  verbarg  kaum  das  Mißtrauen,  mit  dem  er  in  den  Mienen 
und  Worten  der  anderen  nach  einer  versteckten  Absicht  forschte. 
Sicher,  daß  die  meisten,  die  ihn  jetzt  umschmeichelten,  ihn  einst 
verleumdet  hatten  und  gehaßt,  sah  er  niemanden,  dem  er  sich  hätte 
vertrauen  können.  Er  kannte  die  Verantwortung  und  die  Last  der 
Selbstherrschaft  und  fand  nur  einen  Weg,  ihr  zu  genügen,  die 
strengste  Pflichterfüllung.  Sie  wurde  ihm  leicht,  er  war  sie  gewohnt. 
Aber  ein  anderes  war  es,   wie  er  sein  ganzes   Leben   getan,   die 


252 


Tiberius 


Pflicht  im  Dienste  eines  Höheren  zu  erfüllen,  dessen  unerreichbare 
Weisheit  den  Gehorsam  ihm  leicht  gemacht  hatte,  als  jetzt  an  der 
Spitze  des  Staates  den  Willen  aller  zu  bestimmen.  Geübt,  blinden 
Gehorsam  zu  leisten  und  zu  fordern,  sah  er  sich  gezwungen,  eine 
Mehrheit  des  Senates,  ob  sie  willig  war  oder  widerstrebend,  durch 
die  Ueberredung  des  Wortes  zu  leiten,  er,  dem  die  Natur  die  Leich- 
tigkeit der  Auffassung  und  der  Rede  gänzlich  versagt  hatte.  So 
lange  war  er  Diener  gewesen,  wenn  auch  der  erste,  er  war  zu  alt 
geworden,  jetzt  als  Herrscher  die  Spannkraft  der  Jugend  und  ihren 
frohen  Wagemut  zu  empfinden.  Der  Gedanke  drückte  ihn  nieder, 
daß  man  sein  Tun  immer  an  dem  Manne  messen  würde,  dessen 
Vorbild  ihm  unerreichbar  bleiben  mußte,  der  ihn  nur  deshalb  er- 
wählt hatte,  weil  er  keinen  anderen  besaß.  Und  doch,  er  wollte 
den  Thron  nicht  als  ein  Geschenk  besitzen,  dessen  ihn  alle,  die 
gleich  ihm  im  Dienste  des  Großen  gestanden  hatten,  nicht  für 
würdig  hielten.  Er  hätte  sie  erzwingen  wollen,  diese  Anerkennung 
der  Menschen,  deren  Urteil  er  zu  v^erachten  schien,  während  sie 
ihm  doch  allein  das  mangelnde  Selbstvertrauen  geben  konnten. 
So  war  sein  erstes  Handeln  als  Herrscher  unsicher  und  unklar  wie 
sein  Inneres  und  nur  geeignet,  ihn  selbst  und  andere  zu  verwirren. 
Noch  sah  er  und  fand  er  eine  Stütze  an  seiner  Mutter,  die  alles 
getan  hatte,  ihn,  ihren  Liebling,  zu  erhöhen,  und  das  innere 
Widerstreben  des  Augustus  überwunden  hatte. 

Dem  Rate  seiner  Mutter  folgend  gab  er  den  Befehl,  den 
Sallustius  Crispus  unterzeichnete,  als  sei  es  der  letzte  Wille  des 
Augustus,  den  Julier  Agrippa  Postumus  hinzurichten.  So  war  es 
ihm  möglich,  später  die  Verantwortung  für  den  ersten  Verwandten- 
mord des  Principates  von  sich  abzuwälzen,  ohne  daß  es  ihm  ge- 
lang, das  Gräßliche  der  Tat  zu  mildern.  Augustus  hatte  bis  zuletzt 
daran  festgehalten,  daß  der  Principat  keine  dauernde  Einrichtung 
sei,  und  sich  die  Gewalt  noch  vor  seinem  Tode  erneuern  lassen. 
.Schon  bei  dem  ersten  Versuche,  in  der  Weise  des  großen  Künst- 
lers die  Alleinherrschaft  vor  dem  Senate  als  ein  nach  Inhalt  und 
Dauer  bedingtes  Amt  zu  rechtfertigen,  um  die  Notwendigkeit  des 
Principates  durch  die  allgemeine  Zustimmung  zu  erhärten,  rief 
Tiberius  durch  seine  dunkeln  und  gewimdenen  Erklärungen  eine 


I.   Der  Antritt  der  Heirschatt 


253 


solche  Verwirrung  hervor,  daß  die  Anerkennung  der  Gewalt,  die 
er  bereits  besaß,  mit  der  peinlichsten  Verstimmung  endete.  Nie- 
mand wußte  mehr,  ob  es  ihm  Ernst  sei  mit  der  scheinbaren  Ab- 
lehnung der  schweren  A^erantwortung  seines  Amtes.  Einmal  im 
Sattel,  wurde  es  ihm  leichter,  die  Art,  wie  er  den  Staat  zu  lenken 
gedachte,  durch  die  Übung  des  Amtes  zu  zeigen. 

Er  entschloß  sich,  dieVolkswahlen,  auf  die  niemand  mchrWert 
legte,  am  wenigsten  das  sogenannte  Volk  selbst,  zu  beseitigen  und 
übertrug  dem  Senate  das  Recht,  seine  Mitglieder  zu  den  Ämtern, 
die  aus  der  Zeit  des  Freistaates  stammten,  durch  eigene  Wahl  zu 
berufen.  So  trat  die  neue  Staatsform,  die  die  Gewalt  zwischen  dem 
Princeps  und  dem  Senat  teilte,  deutlicher  hervor,  und  der  Senat 
begrüßte  mit  Freuden  eine  Änderung,  die  ihn  von  der  Last  der 
Bewerbung  befreite.  Den  Einfluß  auf  die  Wahlen  des  Senates  übte 
der  Kaiser  in  der  Weise,  daß  er  außer  der  Empfehlung  zu  den 
Ämtern  sich  die  Bezeichnung  der  Würdigsten  vorbehielt,  die  als 
Candidati  Caesari  vom  Senate  gewählt  werden  mußten.  Der  Ernst, 
mit  dem  der  Kaiser  sich  regelmäßig  an  den  Beratungen  des  Senates 
beteiligte,  die  Verhandlungen  leitete  und  das  Gewicht  der  Gegen- 
stände, die  er  der  Beschlußfassung  des  Senates  unterwarf,  waren 
nur  geeignet,  den  Senat  mit  dem  Pflichtgefühl  zu  erfüllen,  das  den 
Herrscher  selbst  beseelte.  Die  neue  Herrschaft  rief  mehr,  als  man 
gehofft  hatte,  das  Gefühl  der  Sicherheit  des  Bestehenden  hervor, 
in  dem  Augenblick,  wo  der  Staat  einer  festen  Leitung  bedurfte. 

Denn  in  den  Heeren,  die  in  lllyricum  und  Germanien  standen, 
hatte  der  Regierungswechsel  gefährliche  Unruhen  hervorgerufen. 
Was  man  seit  Jahren  in  den  eisernen  Banden  des  Gehorsams  stumm 
getragen  hatte,  solange  der  greise  Kaiser  und  sein  Ansehn  in  jedem 
Herzen  lebte,  war  unerträglich  geworden,  als  mit  dem  Wechsel  des 
Herrschers  das  Bewußtsein  neuer  Rechte  erwachte.  Hatte  doch 
Augustus  in  der  Not  der  letzten  Kriege  mit  der  Erhöhung  des  Sol- 
des auch  die  Bedingungen  des  Dienstes  verschärft.  Die  Dienstzeit 
war  verlängert  worden  über  die  gewohnte  Zeit  auf  zwanzig  Jahre, 
und  die  Entlohnung  der  Entlassenen  erfolgte  nicht  im  Gelde,  das 
jedem  den  Genuß  seiner  letzten  Jahre  in  der  italischen  Heimat 
sicherte,  sondern  der  Dienst    in    einer   neuen  Form   erwartete  die 


254 


Tiberius 


Kriegsmüden  als  Ansiedler  unter  dem  rauhen  Himmel  ihrer  Stand- 
orte. Und  selbst  diese  Erlösung  aus  Gefahr  und  Zwang  war  ihnen  in 
den  letzten  Jahren  nicht  geworden,  da  die  Notwendigkeit,  die  Heere 
in  voller  Zahl  zu  erhalten,  die  Entlassungen  gänzlich  stocken  ließ. 
Das  Elend  dieses  Söldnerheeres,  in  dem  so  viele  erschöpften  Leibes 
noch  immer  die  Waffen  tragen  mußten  und  keine  Erleichterung 
der  Mühen  des  harten  Dienstes  kannten,  es  schrie  zum  Himmel. 
Und  der  Geist  der  Auflehnung  wurde  genährt  von  jenen,  die 
nach  der  Varusschlacht,  als  der  Werberuf  nur  mehr  unter  die  Fah- 
nen lockte,  die  ein  besseres  Los  im  Leben  nicht  zu  hoffen  hatten, 
die  gelichteten  Reihen  des  Heeres  füllten.  Die  Trauer  um  den  toten 
Kaiser  ließ  den  Dienst  schweigen  und  gab  den  Müßigen  Zeit,  ihr 
Elend  zu  beklagen.  Die  Neulinge  wußten  zu  erzählen  von  dem  herr- 
lichen Leben  der  Leibwache  in  Rom,  die  gefahrlos  und  glanzvoll 
die  Freuden  der  Hauptstadt  genoß.  War  es  nicht  recht  und  billig, 
daß  ihnen,  die  täglich  dem  Feinde  ins  Auge  sahen,  Dienstzeit  und 
Lohn  bemessen  wurde  wie  den  trägen  Günstlingen  der  Kaiser  in 
Rom?  Der  neue  Herrscher  hatte  sie  in  all  den  gefahrvollen  Kriegen 
geführt,  er  wußte,  daß  sie  nur  forderten,  was  ihnen  gebührte,  wenn 
sie  Entlassung  und  Entlohnung  mit  Gewalt  erzwangen.  Die  Ver- 
einigung der  drei  Legionen  Pannoniens  in  einem  Sommerlager  gab 
beim  Anblick  ihrer  großen  Zahl  ihren  Forderungen  Macht  und 
Nachdruck.  Verhaßter  noch  als  der  Dienst  war  ihnen  die  Arbeit 
des  Friedens  bei  Brücken-  und  Straßenbauten,  zu  denen  sie  ihre  un- 
erbittlichen Hauptleute  gleich  Fronvögten  zwangen.  Da  brach  die 
Empörung  los  bei  einer  Abteilung,  die  in  Nauportus  mit  solchen, 
eines  Soldaten  unwürdigen  Dingen  sich  plagte.  Sie  trieben  den 
Zeugmeister,  der  sie  leitete,  mit  wildem  Hohne  nach  dem  Lager, 
das  bereits  in  hellem  Aufruhr  stand.  Von  ihren  Rädelsführern  auf- 
gereizt, hatten  die  Empörer  den  Bruch  des  Gehorsams  in  sichtbarer 
Weise  vollzogen.  Eines  Sinnes,  eines  Willens,  wollten  die  Tausende 
die  Adler  und  Feldzeichen  der  drei  Legionen  an  einem  Platze,  auf 
dem  aus  Rasenziegeln  zu  erbauenden  Tribunal,  vereint  aufpflanzen, 
weil  die  gleiche  Not  sie  alle  zu  einem  Körper  vereinigt  hatte.  Nur 
dem  Widerstände  ihres  Legaten  Blaesus,  der  sich  lieber  unter 
diesem  Erdhügel  begraben  lassen  wollte,  als  daß  er  in  diese  Auf- 


I.   Der  Antritt  der  Herrschaft 


!55 


lösung  aller  Ordnung  willigte,  wichen  endlich  die  Rasenden.  Eine 
Heeresgesandtschaft,  an  deren  Spitze  der  Sohn  des  Blaesus  stand, 
der  im  Heere  als  Legionstribun  diente,  sollte  die  Forderung  auf 
Wiederherstellung  der  alten  Dienstordnung,  wie  sie  im  Jahre  des 
Friedens  vor  Beginn  der  Eroberungskriege  festgestellt  worden  war, 
dem  Kaiser  nach  Rom  überbringen.  Da  waren  es  die  Aufrührer 
von  Nauportus,  die  sie  erst  lehrten,  was  sie  vermochten.  Schon 
begannen  die  Legionen  die  Umgebung  des  Lagers  zu  plündern,  als 
Blaesus,  dem  die  Hauptleute  und  die  wenigen  Zuverlässigen  noch 
gehorchten,  die  mit  Beute  Beladenen  in  den  Kerker  zu  werfen 
befahl.  Ihr  Klagegeschrei  entriß  sie  wieder  den  Ketten,  und  unter 
die  anderen  sich  mischend  machten  sie  ihr  Verbrechen  zur  gemein- 
samen Schuld.  Bald  wurde  ein  gemeiner  Soldat,  den  sie  auf  die 
Rednerbühne  des  Blaesus  hoben,  ihr  Feldherr  und  Führer,  als  er 
mit  Lügenworten  ihre  Wut  von  neuem  entflammte.  Daß  ihm  ein 
Bruder,  den  er  gar  nicht  besaß,  von  den  Gladiatoren  des  Blaesus 
gemordet  worden  sei,  war  leicht  widerlegt  und  rettete  dem  Le- 
gaten das  Leben.  Aber  um  so  wilder  tobte  der  Aufruhr,  Die 
Tribunen  und  die  Präfekten  trieben  sie  aus  dem  Lager  und  plün- 
derten ihr  Gepäck.  Auch  die  Hauptleute  mußten  weichen,  von 
denen  der  grausamste  Peiniger  ermordet  wurde;  die  anderen  bar- 
gen sich  in  sicherem  Versteck,  bis  auf  einen,  der  ihr  Führer  wurde. 
Während  die  einen  das  Leben  eines  Hauptmanns  schonen,  die 
anderen  opfern  wollten,  gerieten  die  in  sinnloser  Wut  schwankende 
achte  und  fünfzehnte  Legion  mit  den  Schwertern  aneinander,  bis 
sie  das  Bitten  und  Flehen  der  neunten  Legion  trennte. 

Ehe  die  Heeresgesandtschaft  Rom  noch  erreichte,  hatte  Tiberius 
auf  die  Nachricht  von  dem  Aufruhr  seinen  jungen  Sohn  Drusus  mit 
den  besten  Beratern  unter  dem  Schutze  zweier  praetorischen  Ge- 
hörten und  der  unbedingt  zuverlässigen  germanischen  Palastwache 
nach  Pannonien  entsendet.  Das  Heer  empfing  den  Prinzen  und 
seine  Begleiter  mit  verstocktem  Trotze.  Kaum  hatten  sie  das  Lager 
betreten,  so  sahen  sie,  wie  die  Soldaten  die  Tore  besetzten,  die 
Zugänge  zum  Feldherrnzelte  sicherten  und  dann  in  ordnungslosen 
Haufen  auf  der  Hauptstraße  sich  zusammenballten.  Das  Recht, 
über  die  Forderungen  des  Heeres  zu  entscheiden,  lag  beim  Senate, 


256 


Tiberius 


und  auf  ihn  verwies  ein  Sciireiben  des  Kaisers,  das  Drusus,  als  er 
endlich  Gehör  fand,  den  bald  trotzig  schweigenden,  bald  in  wildes 
Toben  ausbrechenden  Massen  vorlas.  Das  Heer  wiederholte  durch 
seinen  Wortführer  die  P'orderung  auf  Wiederherstellung  der  alten 
Dienstordnung,  Erhöhung  des  Soldes  und  Befreiung  der  Entlasse- 
nen von  jedem  Kriegsdienst.  Durch  keine  Worte,  keine  leeren 
Versprechungen,  die  den  Kaiser  selbst  nicht  verpflichteten,  woll- 
ten sie  sich  mehr  täuschen  lassen.  Gerade  jene  alten  Feldherrn  im 
Gefolge  des  Prinzen,  unter  denen  sie  einst  gedient  hatten,  und  die 
bis  zuletzt  Zeugen  gewesen  waren  ihrer  Verdienste  und  ihrer  Lei- 
den, erregten  ihren  Haß,  und  nur  die  starke  Schutzwache  entriü 
Drusus  ihren  Händen,  der,  an  jeder  Hoffnung  sie  zu  beruhigen 
verzweifelnd,  in  das  Winterlager  von  Emona  zurückkehrte.  Da 
führten  überirdische  Mächte  die  Truppen  zum  Gehorsam  zurück. 
Der  Mond  verfinsterte  seine  Scheibe,  und  als  endlich  unter  dem 
Klange  der  Kriegshörner,  die  im  Heere  ertönten,  um  den  Schrecken 
zu  beschwören,  sein  Glanz  wiederkehrte,  war  der  Trotz  gebrochen, 
da  die  Götter  des  Lichtes  ihr  frevelhaftes  Tun  so  sichtbar  verurteilt 
hatten.  Sie  begannen  wieder  zu  hören  auf  die,  welche  ihr  Vertrauen 
noch  besaßen.  Zweifel  erfaßte  sie  gegen  die  Urheber  des  Auf- 
ruhres, gegen  die  Zuverlässigkeit  der  eigenen  Kameraden.  Sie 
räumten  die  gewaltsam  besetzten  Tore  und  Wachplätze,  brachten 
die  Fahnen  an  ihre  gewohnten  Standorte  zurück.  Als  Drusus  am 
nächsten  Morgen  ins  Lager  zurückkehrte,  standen  sie  schon  unter 
dem  Zwange  des  langgeübten  Gehorsams  und  willigten  darein, 
die  Entscheidung  durch  eine  neue  Gesandtschaft  dem  Kaiser  an- 
heimzustellen. Einmal  auf  dem  Wege,  zu  ihrer  Dienstpflicht  zu- 
rückzukehren, richteten  sie  ihren  Zorn  gegen  die  Rädelsführer, 
die  jetzt  in  ihren  Zelten  oder  vor  dem  Lager,  wo  sie  hilflos  umher- 
irrten, von  den  Centurionen  und  den  Praetorianern  niedergehauen 
wurden.  Noch  immer  war  der  Unwille  der  Götter  nicht  besänftigt. 
Denn  stürmische  Herbstregen  überschwemmten  die  Straßen  und 
Zelte  des  Lagers  und  mahnten  zur  Heimkehr  in  die  Winterlager. 
Zuerst  brach  die  achte  Legion  auf,  dann  die  fünfzehnte,  und  zu- 
letzt fügte  sich  auch  die  neunte,  die  am  längsten  die  Rückkehr 
der  Heeresgesandtschaft  aus  Rom  hatte  abwarten  wollen. 


Ti  iu:i\n  s 


I.  Der  Antritt  der  Herrschaft  2S7 

So  hatte  Drusus  seinen  Auftrag  erfüllt.  Aber  der  Kaiser 
schrieb  das  Verdienst,  den  Aufruhr  gebändigt  zu  haben,  dem 
Gardepräfekten  Aelius  Seianus  zu,  der  die  Schutzwache  befehligt 
hatte.  Ein  Ritter  aus  Volsinii  in  Etrurien,  durch  seine  Mutter  den 
vornehmsten  Häusern  verwandt,  hatte  er  früh  gelernt,  durch 
Gunst  bei  Hofe  emporzusteigen,  als  er  in  jungen  Jahren  dem  auf- 
gehenden Gestirn  des  Gaius  Caesar  in  den  Orient  gefolgt  war.  Als 
College  seines  Vaters  Seius  Strabo  befehligte  er  in  den  letzten 
Zeiten  des  Augustus  die  Leibwache  in  Rom,  noch  ein  Amt  ohne 
jede  Bedeutung  unter  einem  Fürsten,  der  den  Mord,  der  ihn  be- 
drohte, stets  entwaffnet  hatte,  ehe  er  zur  Tat  geworden  war.  Leich- 
ter war  es,  den  neuen  Herrscher,  den  das  Mißtrauen  gegen  Alle 
und  Jeden  beherrschte,  zu  überzeugen,  daß  nur  die  persönliche 
Ergebenheit  des  nächsten  seiner  bewaffneten  Diener  sein  Leben 
schütze.  Er  glich  dem  Kaiser,  soweit  das  Unedle  dem  Edleren 
gleichen  kann.  Und  diese  Übereinstimmung  ihrer  Naturen  über- 
brückte die  Kluft,  die  den  unnahbaren  Herrscher  von  seinem  stets 
willigen  Diener  trennte.  Den  Gehorsam  des  Soldaten,  den  der 
Kaiser  liebte  und  forderte,  Seian  erfüllte  ihn  scheinbar  blindlings 
und  sah  doch  die  Befehle  mit  durchdringendem  Verstände  voraus. 
Der  Kaiser,  der  den  Helfer  in  seinem  eigenen,  rohen  und  trägen 
Sohne  nicht  fand,  bediente  sich  in  immer  steigendem  Maße  der 
Pflichttreue  und  Arbeitskraft  des  Präfekten,  der  den  dienerhaften 
Hochmut  in  der  befehlenden  Haltung  des  Offiziers  geschickt  ver- 
barg. Immer  mehr  öffnete  der  Kaiser  selbst  seine  innersten  Ab- 
sichten dem  glatten  Heuchler.  Solange  Seian  nichts  begehrte  als 
die  Macht  in  des  Kaisers  Namen,  war  er  wohl  der  Fluch  des  Hofes 
und  der  Alp  des  geängstigten  Senates,  aber  noch  keine  Gefahr  für 
die  Entschließungen  des  Kaisers  selbst.  Aber  der  Elende  diente 
dem  Kaiser  wie  ein  Spiegel,  der  die  bitteren  Bestimmungen  und 
den  gerechten  Unwillen  des  Herrschers  in  dämonischer  Verzerrung 
und  doch  mit  der  täuschenden  Kraft  der  Wahrheit  wiedergab. 
Seian  ist  der  böse  Engel  des  Kaisers  geworden,  der  die  nie  heilende 
Wunde  alter  Kränkungen  mit  dem  Gifte  niederer  Schmeichel- 
künste zu  dauernder  Krankheit  werden  ließ.  Er  steigerte  die 
Vereinsamung  des  Kaisers,  um  allein  sein  Ohr  zu  haben,  indem  er 

Domasze  wsk  i.     I.  '7 


258 


Tiberius 


das  Mißtrauen  in  ihm  nährte,  und  die  Verstellung,  die  Tiberus  in 
Rhodus  als  eine  Waffe  des  Schutzes  erlernt  hatte,  sie  sollte  nur 
ihm  allein  weichen.  Jammervoll  in  Wahrheit  ist  es  zu  sehen,  wie 
der  Kaiser,  durch  diesen  Mann  irregeleitet,  wo  er  meinte  nur  nach 
eigenem  Willen  zu  gebieten,  zuletzt  im  hohen  Alter,  als  er  den 
Verderber  endlich  durchschaute,  selbst  die  Kraft  verlor  zur  Um- 
kehr auf  die  Bahn,  die  ihm  die  eigene  edlere  Natur  vorgezeich- 
net hatte. 

Der  Nachricht  über  die  Auflehnung  des  Heeres  in  Pannonien 
war  rasch  die  weit  gefährlichere  gefolgt,  daß  auch  im  Heere  Nie- 
dergermaniens  die  gleichen  Ursachen  die  unvermeidlichen  Folgen 
gezeitigt  hatten.  Auch  hier  stand  das  Heer  in  einem  Sommer- 
lager in  der  Nähe  von  Cöln  vereinigt.  Gaius  Silius  am  Oberrheine, 
Aulus  Caecina  am  Niederrheine  befehligten  die  Legionen,  und  an 
der  Spitze  der  Verteidigung  des  Grenzstromes  stand  Germanicus, 
der  in  Gallien  die  Schätzung  abhielt.  Die  Legionen,  die  der  Auf- 
ruhr ergriffen  hatte,  waren  eben  jene,  die  in  Illyricum  gesiegt 
hatten  und  an  die  Stelle  des  in  der  Varusschlacht  vernichteten 
Heeres  getreten  waren.  Wieder  waren  es  die  Neulinge  im  Dienste, 
jener  Abschaum  der  Großstadt,  die  durch  ihre  gewohnte  Frech- 
heit die  anderen  mit  fortrissen.  Zuerst  waren  es  die  Quälgeister 
eines  unerbittlich  harten  Dienstes,  die  Hauptleute,  welche  die 
Wucht  des  Prügelstockes,  die  sie  den  gemeinen  Soldaten  hatten 
fühlen  lassen,  am  eigenen  Leibe  erfuhren.  Dann  wurden  die  Be- 
wußtlosen und  Sterbenden  über  den  Lagerwall  oder  in  den  Rhein 
geschleudert.  Nur  Cassius  Chaerea,  der  später  durch  die  Ermor- 
dung Caligulas  ein  so  ruhmreiches  Andenken  gewann,  verteidigte 
sein  Leben  mit  dem  Schwerte.  Was  die  Soldaten  noch  für  Dienst 
hielten,  dessen  Gewohnheit  sie,  als  sie  seiner  ledig  sein  wollten, 
doch  nicht  entsagen  konnten,  bestimmten  sie  nach  eigenem  Er- 
messen. 

Germanicus,  der  den  Sequanern  und  den  nächst  anwohnen- 
den Stämmen  der  Belgica  den  Eid  der  Treue  für  Tiberius  ab- 
genommen hatte,  eilte,  als  er  die  Nachricht  erhielt  von  dem  Auf- 
stand, in  das  Lager  bei  Cöln.  Die  Demut,  mit  welcher  die  Sol- 
daten den  Kaisersohn  unter  Klagelauten  empfingen,  ihm  den  vom 


I.  Der  Antritt  der  Herrschaft 


259 


Dienst  gebeugten  Rücken  wiesen,  seine  Hand    beim  Kusse    den 
Druck  der  zahnlosen  Kiefer  fühlen  ließen,  war  bestimmt  ihn  zu 
rühren.     Langsam   schlössen   sich   auf  der   Hauptstraße   vor  der 
Rednerbühne  ihre  Reihen,  als  die  Fahnen  aufzogen,  und  stumm 
hörten  sie  oder  mit  leisem  Murren  seine  Mahnungen,  dem  Kaiser, 
der  sie  unter  seiner  Führung  in  so  vielen  Kriegen  zum  Ruhm  ge- 
leitet hatte,  nach  dem  Beispiele  aller  Untertanen  den  Gehorsam 
zu  erweisen.    Doch  als  er  ihre  Empörung  zu  tadeln  wagte,  brach 
unter  Rufen  nach  Abkürzung  der  Dienstzeit,  Belohnung  und  Ent- 
lassung, unter  Schmähung  der  Härte  des  Dienstes,  den  sie  dreißig 
und  mehr  Jahre  erduldet  hatten,  der  Aufruhr  los,  der  Germanicus 
zwang,  durch  gezückte  Schwerter  bedroht,  von  der  Rednerbühne 
zu  fliehen.  Das  edle  Herz  des  Fürsten  war  bei  dem  Bewußtsein  all 
dieses  Elends  wahrhaft  gerührt.  Er  sah  kein  Mittel,  der  gerechten 
Empörung  Herr  zu  werden,  als  in  der  Erfüllung  der  Forderungen. 
Noch  suchte  er  den  Schein  des  Ansehens  zu  retten,  indem  er  vor- 
gab, auf  den  schriftlichen  Befehl  des  Kaisers  zu  gewähren,  was 
ihm  abgezwungen  wurde.    Aber  die  Soldaten  fühlten  sich  als  die 
Herrn  und  drangen  auf  sofortige  Entlassung  und  Belohnung.  Die 
Kassen  des  Staates,  die  Summen,  die  Germanicus  und  seine  Be- 
gleiter aus  Eigenem  gespendet,  führten  sie  wie  ihre  Beute  unter 
dem  Schutze  der  Fahnen  in  ihre  Winterlager. 

Germanicus  hatte  seine  Vollmacht  überschritten  und  einen 
Beweis  der  Schwäche  im  Auge  des  Heeres  gegeben,  der  ihn  aller 
Macht  beraubte.  Wie  ganz  anders  hielt  ein  alter  Hauptmann,  der 
im  illyrischen  Kriege  Servetium  glänzend  verteidigt  hatte,  seine 
Scharen,  die  er  im  Lande  der  Friesen  befehligte,  im  Zaume,  als  er 
die  Meuterer,  die  Fahne  und  das  Schwert  in  der  Hand,  zwang,  ihm 
in  das  Winterlager  zu  folgen.  Die  Soldaten  selbst  empfanden,  daß 
ihr  Frevel  strenge  Sühne  herausgefordert  hatte.  Es  war  die  Angst 
des  Gewissens,  die  die  Legionen  in  Cöln,  die  erste  und  zwanzigste, 
beim  Erscheinen  einer  Gesandtschaft  des  Senats  wieder  zu  den 
Waffen  greifen  ließ,  als  gälte  es,  ihren  Raub  zu  verteidigen.  Nichts 
war  der  Auftrag  der  Senatoren,  als  dem  Kaisersohn  das  Beileid  des 
Senates  über  das  Hinscheiden  des  Augustus  auszusprechen.  Die 
Veteranen  drangen  bei  Nacht  in  den  Palast  des  Germanicus,  rissen 

17» 


2^0  Tiberius 

den  Feldherrn  aus  seinem  Schlafgemach  und  zwangen  ihn,  ihnen 
die  Fahne  auszuliefern,  die  sie  noch  als  Soldaten  erscheinen  ließ. 
Eine  Handlung  sinnlos  gewordener  Angst.    Und  die  gleiche  Ver- 
zweiflung, daß    sie    sich  selbst  außerhalb    des  noch  so  strengen 
Heeresrechtes  gleich  Verbrechern,  die  sie  waren,  gestellt  hatten, 
trieb    sie,    den    unglücklichen   Führer    der  Senatoren,    Munatius 
Plancus,  als  trüge  er  den  Widerruf  der  erpreßten  Schenkungen, 
durch  das  Lager  zu  jagen,  bis  ihn  die  heiligen  Fahnen,  bei  denen 
er  Zuflucht  gesucht,  vor  dem  Tode  retteten.    Schon  empfand  das 
Heer  tiefe  Beschämung  über  sein  eigenes  Tun.  Als  Germanicus  am 
Morgen  in  das  Lager  kam,  um  Plancus  zu  befreien,  hörten  sie 
wie  betäubt  seine  drohende  Rede  über  die  Schmach  dieser  Nacht. 
Da  brach  ihr  Trotz  völlig  zusammen  bei  dem  Anblick  Agrip- 
pinas,  die  Germanicus  mit  den  Kindern  und  den  Frauen  ihres  Ge- 
folges nach  Trier  sandte,  um  sie  dem  mörderischen  Heere  zu  ent- 
ziehen.  Wie,  die  Tochter  des  Agrippa,  die  Enkelin  des  Augustus, 
diese  allverehrten  Namen,  suchte  Schutz  bei  den  elenden  Knechten 
vor  den  treuesten  und  tapfersten  Soldaten  des  Kaiserhauses?  Das 
war  zuviel  für  die  einfältigen  Gemüter  der  ergrauten  Söldner,  die 
die    Scham   bereits   niederdrückte.    Mit   Tränen   und   Bitten   be- 
schworen sie  Agrippina  zu  bleiben,  eilten  zu  Germanicus.   Als  Ger- 
manicus jetzt  im  Lager  den  in  voller  Waffenrüstung  versammelten 
Legionen  das  Ungeheure  ihres  Verbrechens  in  erschütternder  Rede 
vor  Augen  führte,  bat  das  ganze  Heer  kniefällig,  doch  jede  Ver- 
geltung zu  nehmen,  nur  die  Kaisertochter  dürfe  sie  nicht  verlassen. 
Und  so  geschah  es.    Das  Heer  wurde  sein  eigener  Richter  und 
verurteilte  alle,  durch  seinen  Zuruf  die  Schuldigen  bezeichnend, 
zum  Tode,  in  denen  es  noch  vor  wenigen  Stunden  die  Verfechter 
seiner  Rechte  gesehen  hatte.    Hauptleute    besaßen  die  Legionen 
nicht  mehr  nach  dem  Gemetzel  am  Anfange  des  Aufruhrs.    Aber 
auch  die,  welche  noch  am  Leben  waren,  sollten  ihre  Abteilungen 
nur  mehr  führen,  wenn  die  Legionare  sie  anerkannten,  und  ebenso 
wurden  die  Neuernannten  nach  dem  Willen  des  Heeres  bestellt. 
In  diesem  Verfahren,  das  mehr  als  bedenklich  war,  äußert  sich 
das  Werben  um  die  Gunst  des  Heeres^  das  seinem  jungen  Feld- 
herrn auch  ohne  die  Zustimmung  des  Kaisers  in  den  Krieg  gegen 


I.  Der  Antritt  der  Herrschaft  26 1 

die  Deutschen  folgen  sollte.  Wieder  hatte  Germanicus  in  einer 
Weise,  die  Tiberius  nimmer  billigen  konnte,  gegen  den  Geist  römi- 
scher Heereszucht  gehandelt. 

Die  eigentlichen  Urheber  des  Aufruhrs,  jene  Veteranen  langer 
Dienstzeit,  entfernte  Germanicus  unter  dem  Vorwand,  daß  ihr 
Dienst  an  der  rätischen  Grenze  gefordert  würde.  Und  die  Ur- 
heberin dieser  schmerzvollen  Versöhnung  zwischen  dem  Heere 
und  seinem  Feldherrn  ging  nun  nach  Trier,  wo  der  nordische 
Winter  minder  rauh  war.  Auch  in  Vetera  vollzog  sich  jetzt  das 
Gericht  an  den  Schuldigen.  Wohl  brach  Germanicus  mit  Heer 
und  Flotte  auf,  als  gälte  es  ein  Strafgericht  zu  vollziehen,  aber 
bereits  waren  seine  Boten  an  Caeicina  abgegangen,  nach  deren 
Weisung  die  Rädelsführer  des  Aufruhrs,  wie  in  einer  Verschwö- 
rung, in  ihren  Zelten  überfallen  und  niedergemacht  wurden,  so 
daß  der  offene  Mut,  die  Strenge  der  Heereszucht  walten  zu  lassen, 
fehlte.  Die  Legionen  Obergermaniens  waren  rasch  beruhigt,  als 
ihnen  Germanicus  alles  anbot,  was  in  dem  niederrheihischen  Heere 
erst  der  Aufstand  ihm  abgezwungen  hatte. 

Tiberius  bestätigte  die  Handlungen  seines  Neffen,  die  zu 
widerrufen  nicht  mehr  in  seiner  Macht  stand,  und  gewährte  auch 
den  Legionen  Illyricums  dieselben  Forderungen.  Die  Gefahr  einer 
Erhebung  der  Heere  war  beschworen,  aber  nicht  die  Ursache  be- 
seitigt, die  sie  notwendig  hervorgerufen  hatte.  Tiberius  ganzes 
Bemühen  ging  in  den  folgenden  Jahren  seiner  Regierung  dahin, 
solange  er  die  Herrschaft  wirklich  ausübte,  den  Söldnern  Ge- 
rechtigkeit widerfahren  zu  lassen,  so  daß  er  schon  im  nächsten 
Jahre  die  Bestimmungen  über  die  Dienstzeit  wieder  ins  Leben 
rufen  konnte,  ohne  auf  Widerstand  im  Heere  zu  stoßen. 

Die  selbstherrliche  Art  des  Germanicus  erfüllte  den  pflicht- 
treuen Kaiser  mit  schwerer  Besorgnis.  Hatte  er  doch  den  Ge- 
horsam, den  er  dem  Imperator  s,chuldete,  vergessen.  Wohl  war 
der  hochgemute  Jüngling,  das  Abbild  seines  geliebten  Drusus,  der 
Liebe  wert  und  durch  Liebe  sicher  zu  gewinnen.  Aber  Tiberius 
vermochte  das  Mißtrauen  gegen  den  Erben,  den  ihm  Augustus 
gesetzt  hatte,  nicht  zu  überwinden.  Stärker  noch  wirkte  auf  ihn 
die  Abneigung  gegen  Agrippina,  der  verhaßten  Julia  Tochter,  die, 


2()2  Tiberius 

frei  von  den  Lastern  ihrer  Mutter,  nur  die  Fehler  ihres  Vaters 
Agrippa,  als  Weib  doppelt  unerträglich,  zeigte:  die  Hochfahrt  und 
die  unbezähmbare  Herrschsucht.  Buhlte  sie  nicht  offen  um  die 
Gunst  der  gemeinen  Soldaten,  wenn  sie  ihr  Bübchen,  das  sie  nach 
dem  Dictator  Gaius  genannt  hatte,  als  Legionär  in  das  Spielwerk 
der  schweren  Soldatenstiefel  kleidete,  damit  ihr  Caligula  der  Ab- 
gott des  Heeres  werde!  So  hatte  sie  allein  die  Empörung  mit  ihrem 
göttlichen  Blute  der  Julier  gedämpft,  der  ihr  Gemahl  hilflos  er- 
legen war.  Dieser  Neffe,  ein  Werkzeug  ihres  vermessenen  Stre- 
bens,  stand  an  der  Spitze  des  stärksten  Heeres,  das  in  seiner  Treue 
eben  gewankt  hatte.  Und  doch  wollte  der  Kaiser  den  Neffen 
nicht  kränken  und  erneuerte  ihm  den  Oberbefehl  am  Rheine. 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen 

Germanicus  empfand  es,  daß  ein  Söldnerheer  eine  Waffe  ist, 
die  im  Frieden  nur  rostet.  Die  Legionen,  er  selbst  hätten  sich 
nicht  mit  dem  Schimpfe  der  Empörung  befleckt  ohne  diesen  faulen 
Frieden  an  der  deutschen  Grenze.  Nur  im  Blute  der  Feinde  konnte 
der  Feldherr  seine  Ehre  reinigen,  das  Heer  die  Zucht  von  neuem 
beweisen.  Wohl  war  es  spät  im  Jahre,  aber  nicht  zu  spät,  die  sorg- 
losen Feinde  die  Schärfe  des  römischen  Schwertes  wieder  einmal 
fühlen  zu  lassen.  Germanicus  führte  das  niederrheinische  Heer 
über  den  Grenzstrom,  12000  Legionare,  26  Gehörten  und  8  Alae 
der  Auxilia,  die  in  ihrer  Treue  nicht  geschwankt  hatten,  da  sie 
keinen  Anspruch  besaßen,  weder  auf  Ehrengeschenke  noch  auf 
Belohnungen  bei  der  Entlassung.  Die  Straßen  in  dem  feindlichen 
Lande  waren  gänzlich  verfallen,  und  die  erste  Sorge  mußte  sein, 
den  von  Tiberius  bei  seinem  letzten  Überschreiten  des  Rheines 
begonnenen  Bohlenweg  durch  den  caesischen  Wald  wiederherzu- 
stellen. So  war  der  Weg  eröffnet  in  das  Land  der  Marser,  im  Nor- 
den der  Lippe,  die  keines  Angriffs  gewärtig  von  den  ausgesandten 
leichten  Truppen  unter  Caecinas  Führung  mitten  in  der  trunkenen 
Freude  einer  Festnacht  überfallen  wurden.  Ohne  Gegenwehr  wur- 
den sie  niedergeschlagen,  und  das  nach  Beute  und  Mord  lüsterne 
Heer  ergoß  sich  nach  den  vier  Richtungen  des  Himmels  über  das 
Gebiet  des  Stammes,  alles  mit  Feuer  und  Schwert  verwüstenid, 
kein  Alter  noch  Geschlecht  verschonend.  Da  rief  die  Zerstörung 
des  Bundesheiligtumes  der  umwohnenden  Völker,  Tanfana  ge- 
nannt, die  Bructerer,  Tubanten,  Usipeten  unter  die  Waffen,  die  das 
zurückkehrende  römische  Heer  in  ihren  Wäldern  erwarteten.  Ger- 
manicus, den  Angriff  voraussehend,  rückte  in  der  Ordnung  des 
geschlossenen  Vierecks    der  Legionen    durch    das  Waldland  vor. 


264  Tiberius 

Reiter  und  leichte  Truppen  eröffneten  den  Zug  und  deckten  den 
Rücken.  Der  Ansturm  der  Deutschen  richtete  sich  vor  allem  gegen 
die  leichten  Truppen  der  Nachhut.  Sie  wichen  erst  dem  Angriff 
der  zwanzigsten  Legion,  die  Germanicus  zur  Unterstützung  heran- 
führte. So  gewannen  die  Römer  das  freie  Feld  jenseits  der  Wald- 
schluchten und  erreichten  ungefährdet  den  Rhein, 

Niemand  konnte  zweifeln,  daß  Germanicus  auf  deutschem 
Boden  nur  den  Eroberungskrieg  einleitete  und  über  dem  brennen- 
den Wunsche,  die  Taten  seines  Vaters  zu  erneuern,  der  Mahnung 
des  Augustus,  das  Reich  auf  seine  gesicherten  Grenzen  zu  be- 
schränken, gänzlich  vergaß.  Nicht  eine  Abmahnung,  sondern  eine 
Aufforderung,  auf  dem  betretenen  Wege  weiter  zu  gehen,  war  es 
für  den  hochstrebenden  Feldherrn,  als  Tiberius  ihm  für  die  lär- 
mende Schlächterei  des  Spätjahres  die  unverdiente  Ehre  eines 
Triumphes  vom  Senate  verleihen  ließ.  Aber  der  Sohn  glich  nicht 
dem  Vater  in  der  ruhigen  Umsicht  der  Führung,  und  Tiberius 
empfand  nicht  das  freudige  Wohlwollen,  das  Augustus  einst  ge- 
leitet hatte,  als  er  während  der  Kriege  seines  Drusus  die  Vor- 
bereitungen und  die  Unterstützung  des  in  Deutschland  kämpfen- 
den Heeres  in  Gallien  selbst  überwachte.  Auch  die  Feinde  waren 
andere  geworden  in  der  Einigkeit  ihres  Volksgefühles  und  dem 
Bewußtsein  des  gewonnenen  herrlichen  Sieges.  Immer  schwebte 
über  Germanicus  die  bange  Sorge,  daß  der  Kaiser  seinen  Arm 
lähmen  könnte,  und  trieb  ihn,  durch  rasche  Schläge  den  Erfolg 
zu  erzwingen,  den  nur  ruhiges  Handeln  hätte  gewinnen  können. 
1511.  Chr.  Im  Frühjahre  überschritt  er  selbst  mit  dem  Heer  Obergerma- 

niens  den  Rhein  bei  Mainz,  erneuerte  die  Befestigungen  seines 
Vaters  im  Taunus  und  brach  dann  in  das  Land  der  Chatten  ein. 
Die  Hauptstadt  Mattium  ging  in  Flammen  auf,  und  wieder  M-^ürgten 
die  Römer  Frauen,  Greise  und  Kinder,  ganz  in  der  Art  des  illy- 
rischen Krieges,  der  Germanicus  eine  böse  Schule  geworden  war, 
und  der  auch  seine  Söldner,  die  in  diesen  grausigen  Schlachten 
mitgefochten  hatten,  gänzlich  verwildert  hatte.  War  denn  das 
Vorbild  seines  edeln  Vaters  aus  seinem  Gedächtnis  geschwunden, 
daß  er  nicht  erkannte,  so  seien  Deutsche  nicht  zu  besiegen?  Schon 
war  der  Heerbann  der  Cheruscer  aufgebrochen,  den  Brüdern  in 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  26^ 

den  Bergen  Hessens  Hilfe  zu  bringen,  als  Caecina  sie  aufhielt,  der 
am  Niederrhein  das  Zerstörungswerk  erneuert  hatte  und  die  Marser 
in  einer  Feldschlacht  besiegte.  Da  gewann  Germanicus  im  Lande 
der  Cheruscer  einen  Sieg,  der  durch  das  gesättigte  Gefühl  der 
Rache  an  dem  Helden  Jüngling  des  Teutoburger  Waldes  sein  Herz 
mit  eitlem  Triumph  erfüllte.  Segestes,  den  die  Deutschen  nach 
dem  Siege  in  Ketten  geschlagen  hatten,  focht  später  gezwungen 
gegen  die  Römer,  um  jetzt,  wo  seine  edeln  Freunde  wieder  auf 
deutscher  Erde  mit  Mord  und  Brand  wüteten,  den  elendesten  Ver- 
rat zu  begehen.  In  seiner  Burg  von  den  Cheruscern  belagert,  rief 
er  die  Römer  herbei,  um  sich  und  sein  ganzes  Haus  ihnen  in  die 
Hände  zu  liefern.  Unter  den  Gefangenen,  die  die  Legionare  über 
den  Rhein  schleppten,  war  auch  des  Segestes  edle  Tochter  Thus- 
nelda. Der  Freudenruf  über  die  Befreiung  der  heimatlichen  Erde 
vom  Joche  der  Fremden  ließ  sie  alle  Feindschaft  der  Sippe  ver- 
gessen, und  sie  wurde  das  Weib  des  herrlichen  Helden.  Der  eigene 
Vater  war  es,  bei  dem  sie  Arminius  in  sicherster  Hut  glaubte,  der 
die  Frau  mit  dem  Kinde  ihrer  Liebe,  das  sie  unter  dem  Herzen 
trug,  dem  Elend  der  Knechtschaft  überlieferte.  So  hatte  der 
Edelste  der  Deutschen  den  furchtbarsten  Preis  bezahlt  für  die  Treue 
an  seinem  Volke.  Liebe  und  Schmerz,  Rache  und  Verzweiflung 
trieb  ihn  gleich  einem  Engel  der  Vergeltung  durch  die  deutschen 
Gaue,  Waffen  und  Männer  zu  fordern  zum  Kampfe  gegen  diese 
Feinde  der  Kinder  und  Frauen.  Das  Elend  des  einzigen  Mannes 
rührte  alle  Herzen,  und  weit  über  die  Grenzen  seines  Stammes 
hinaus  strömten  ihm  die  Scharen  zu,  einig,  dem  Manne  zu  helfen, 
der  ihrer  aller  Retter  war.  Wer  je  zu  den  Römern  geneigt  hatte, 
wie  sein  Oheim  Inguiomerus,  er  vergaß,  warum  er  sich  von  den 
Seinen  geschieden,  und  furchtbar  empfanden  die  Römer,  was  der 
Deutsche  war,  wenn  er  Sühne  forderte  für  zertretenes  Recht. 

Der  gleichzeitige  Angriff  vom  Rheine  her  und  an  der  Küste 
des  Meeres  sollte  den  Widerstand  der  Deutschen  brechen.  Während 
Caecina  mit  vier  Legionen  das  Land  zwischen  Rhein  und  Ems  von 
neuem  verheerte,  brach  die  Reiterei  unter  Pedo  in  das  Land  der 
Friesen  ein.  Germanicus  selbst  lief  mit  der  Flotte  in  die  Mündung 
der  Ems  ein  und  gewann  die  Chancen,  deren  Marschen  keinen  Schutz 


206  Tiberius 

boten  gegen  den  Feind,  sich  dem  Heere  anzuschließen.  Aber  gerade 
die  grausame  Kriegführung  verfehlte  ihren  Zweck.  Die  Bructerer 
vernichteten  ihre  eigenen  Siedlungen,  die  doch  der  Feind  nieder- 
gebrannt hätte,  und  es  war  den  Römern  eine  Genugtuung,  als  sie 
unter  rauchenden  Trümmern  den  Adler  der  19.  Legion,  die  in  der 
Varusschlacht  untergegangen  war,  auffanden.  So  konnte  man  doch 
sagen,  die  Schmach  sei  gerächt.  Verheerend  drangen  die  Römer 
bis  an  die  Quelle  der  Lippe  vor  und  gelangten  in  die  Nähe  der 
Walstatt  des  Teutoburger  Waldes.  Mit  Vorsicht  betraten  die  Römer 
den  dichten  Wald,  Wege  bahnend.  Brücken  schlagend,  immer  auf 
den  Spuren  des  unglücklichen  Heeres,  bis  sie  das  letzte  Lager  des 
Varus  erreichten.  Noch  zeigte  der  Ort  die  Kennzeichen  des  Ver- 
nichtungskampfes, die  Haufen  bleichender  Gebeine,  die  Trümmer 
der  Waffen.  Nicht  die  Erinnerung  des  Entsetzlichen  zu  er- 
neuern, hatte  der  Feldherr  sein  Heer  an  diese  Stätte  der  Vernich- 
tung geführt,  sondern  um  einer  Pflicht  genügend  die  Gebeine  der 
Toten  der  Erde  zu  übergeben.  Er  selbst  legte  an  den  Grabhügel, 
der  die  Toten  umschloß,  den  ersten  schützenden  Rasenziegel,  ob- 
wohl sein  heiliges  Amt  als  Augur  ihm  jede  Berührung  der  unterirdi- 
schen Mächte  verbot.  Die  Germanen  waren  dem  Heere  im  Dunkel 
des  Waldes  gefolgt,  und  plötzlich  brachen  sie  unter  Arminius  Füh- 
rung auf  die  Abziehenden  herein.  Reiter  und  Fußvolk  stand  nicht 
ihrem  Angriff,  erst  die  Legionen  sicherten  den  Abzug.  Wieder 
trennten  sich  die  Legionen  auf  dem  Rückmarsch  nach  dem  Rhein. 
Caecina  mit  40  Cohorten  sollte  die  langen  Bohlenwege,  die  von 
der  Lippe  nach  dem  Rheine  einst  Domitius  Ahenobarbus  erbaut 
hatte,  wieder  in  Stand  setzen.  Die  Arbeit  war  in  dem  versumpften 
Boden  so  schwierig,  daß  Caecina,  als  er  zu  einer  Talebene  gelangte, 
die  unter  Wasser  stand,  beschloß,  ein  Lager  zu  schlagen.  Während 
die  einen  schanzten,  hielten  die  Wachen  den  Feind  zurück.  Doch 
die  Cheruscer  durchbrachen  die  Posten,  drangen  zwischen  dieLinien 
der  den  Wall  Aufwerfenden  ein  und  verwandelten,  mit  ihren  hohen 
Gestalten  die  weitragenden  Speere  brauchend,  den  Nahkampf  der 
schwergerüsteten,  in  den  Boden  einsinkenden  Legionare  in  einen 
Fernkampf,  der  sie  den  römischen  Schwertern  entzog,  bis  die  Nacht 
die  Kämpfer  trennte.  Die  Deutschen  leiteten  die  Wässer  von  den 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  2  07 

Höhen  in  den  Talkessel,  wo  das  römische  Lager  stand,  und  er- 
schwerten noch  die  Mühe  des  Schanzens.  Auch  als  der  Wall  ge- 
schlossen war,  fanden  die  Soldaten  nicht  die  Ruhe  der  Nacht. 
Schaurig  klang  von  den  Höhen  und  am  Rande  der  Wälder  der 
Siegesgesang  der  Deutschen,  den  die  Berghänge  mit  donnerndem 
Hall  zurückwarfen,  und  ängstigte  die  Gemüter  der  Römer,  denen 
der  blutige  Schatten  des  Varus  den  Weg  zu  weisen  schien  in  das 
gleiche  Verderben.  Bangen  Herzens  erwog  Caecina,  der  in  vierzig 
Kriegsjahren  so  manchen  Streit  bestanden  hatte,  dieLage  desHeeres. 
Dennoch  mußte  das  gefahrvolle  Tal  durchmessen  werden,  und  die 
Legionen  traten,  im  Viereck  geordnet,  die  Kranken  undVerwundeten 
in  ihrer  Mitte  mit  sich  führend^  am  nächsten  Morgen  den  Marsch 
an.  Als  die  Reihen,  in  dem  schweren  Sumpfboden  feststeckend, 
ihre  geschlossene  Ordnung  verwirrten,  brachen  die  Deutschen, 
Arminius  allen  vorankämpfend,  mit  dem  Rufe:  hier  ist  Varus  und 
seine  besiegten  Legionen,  auf  den  Heereszug  herein,  zerrissen  die 
Linien  und  stürzten  sich  auf  das  schwere  Gepäck.  Die  römische 
Reiterei,  auf  das  Fußvolk  zurückgeworfen,  sprengte  die  Manipeln, 
selbst  die  Adler,  deren  Träger  unbeweglich  feststaken,  gerieten  in 
Gefahr.  Caecina  wurde  im  Kampfgedränge  das  Pferd  unter  dem 
Leibe  getötet.  Nur  die  Beutegier  der  Deutschen,  die  über  der  Lust 
am  Plündern  den  Kampf  vergaßen,  ließ  die  Legionen  bei  Einbruch 
der  Nacht  festen  Boden  erreicjien.  Wieder  mußte  das  Lager  mit 
unsäglicher  Mühe  geschlagen  werden,  da  das  Gepäck  verloren  war. 
Auch  die  Zelte  fehlten,  und  die  Nahrung  war  mit  Blut  und  Schlamm 
vermengt.  Ein  blinder  Lärm,  den  ein  scheues  Pferd  hervorrief,  er- 
zeugte solchen  Schreck,  daß  die  Geängstigten,  die  das  Lager  schon 
in  den  Händen  der  Feinde  glaubten,  sinnlos  durch  die  Tore  ins 
Freie  drängten.  Caecina  warf  sich  selbst  auf  die  Schwelle  des  Tores 
und  hemmte  mit  seinem  Leibe  die  Flucht.  Endlich  fanden  die 
Centurionen  und  Tribunen  Gehör;  die  Legionen  sammelten  sich  auf 
der  Hauptstraße  des  Lagers  vor  dem  Feldherrnzelte  und  fügten  sich 
der  Ermahnung  des  erfahrenen  Führers,  als  sie  sahen,  daß  er,  mit 
ihnen  zu  sterben  bereit,  die  Pferde  der  Offiziere  an  die  tapfersten 
Kämpfer  verteilen  ließ.  Das  Heer  stand  am  Morgen  auf  den  Straßen 
des  Lagers  zur  Schlacht  schon  geordnet,  als  die  Deutsrlieu,  in  ihrem 


2  6Ö  Tiberius 

Siegesgefühl  Arminius  Rat,  den  Feind  erst  wieder  auf  dem  Marsche 
anzugreifen,  mißachtend,  gegen  den  Wall  anstürmten.  Während  sie 
sich  mühten,  den  Graben  einzuwerfen,  den  Wall  einzureißen,  die 
Höhe  des  Dammes  zu  ersteigen,  scheinbar  ohne  Gegenwehr  zu 
finden,  brachen  unter  dem  Klange  der  Kriegshörner  die  Legionen 
in  geschlossener  Ordnung  aus  den  vier  Toren  des  Lagers  hervor, 
den  Stürmenden  in  den  Rücken  fallend,  um  hier  auf  dem  festen, 
freien  Boden  die  ganze  Uebermacht  ihrer  Bewaffnung  und  eisernen 
Schulung  die  in  wilder  Verwirrung  zurückweichenden  Deutschen 
fühlen  zu  lassen.  Vergebens  war  alle  Tapferkeit  der  Führer,  von 
denen  Inguiomerus  erst  nach  schwerer  Verwundung  vom  Kampf- 
platz wich.  Die  Deutschen,  einmal  gebrochen,  vermochten  sich 
nicht  mehr  vor  dem  Ansturm  der  Legionen  zu  sammeln  und  fielen, 
auseinanderfliehend,  in  Haufen  unter  den  Streichen  der  rastlos  ver- 
folgenden Römer.  Die  Sieger  vergaßen  Wunden,  Not  und  Hunger 
über  der  Freude  der  gewonnenen  Schlacht.  Schon  hatte  man  in 
Cöln  das  Heer  verloren  geglaubt,  und  nur  Agrippinas  Entschlossen- 
heit hinderte  die  feige  Absicht,  die  Brücke  über  den  Rhein  abzu- 
brechen. Eine  Mutter  der  Lager,  empfing  die  hochgesinnte  Frau 
das  Heer  des  Caecina  am  Eingang  der  Brücke  und  verteilte  mit 
eigenen  Händen,  was  die  Verwundeten  und  Entblößten  an  Klei- 
dern und  Pflege  bedurften. 

Nicht  minder  schwer  hatte  das  Heer,  das  Germanicus  führte, 
auf  dem  Rückwege  gelitten.  Um  die  Flotte  zu  entlasten,  hatte  Ger- 
manicus zwei  Legionen  unter  Publius  Vitellius  befohlen,  längs  der 
Meeresküste  den  Schiffen  zu  folgen.  Da  brachte  ein  Nordsturm 
eine  Springflut,  die  das  flache  Gestade  mit  dem  Wogenschwall  des 
Meeres  überströmte.  Bald  waren  Fußgänger  und  Reiter,  Tragtiere 
und  Wagen  von  den  wirbelnden  Wassern  ergriffen  und  suchten 
mühsam  ankämpfend  den  Weg  oder  trieben  rettungslos  auf  der 
schäumenden  Fläche.  Gegen  solche  Gewalten  versagten  Mut  und 
Verzweiflung,  und  ohne  Leitung  drängten  die  Legionen  vorwärts, 
bis  sie  eine  rettende  Höhe  gewannen.  Da  brachten  sie  die  Nacht 
zu,  ohne  Nahrung  und  ohne  Feuer,  von  den  Fluten  umlagert  wie 
von  einem  feindlichen  Heere.  Am  Morgen  wich  das  Meer  zurück, 
und  schon  zeigte  sich  die  Flotte,  die  die  Erschöpften  an  Bord  nahm. 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  260 

Die  einzige  Beute  war  der  Bruder  des  Segestes,  Sigimerus,  gewesen, 
der  sich  mit  seinem  Sohne,  dem  Reiterführer  Stertinius,  ergab  und 
Gnade  fand,  obwohl  der  Sohn  an  der  Leiche  des  Varus  gefrevelt 
hatte.  Eindringlich  waren  die  Lehren  dieses  ersten  Feldzuges  im 
Innern  Deutschlands  von  der  Uebermacht  der  Natur  und  der  un- 
beugsamen Gewalt  seiner  Bewohner. 

Italien,  Gallien  und  Hispanien  wetteiferten  durch  das  Angebot 
von  Geld,  Waffen  und  Pferden,  die  Verluste,  die  das  Rheinheer  er- 
litten hatte,  zu  ersetzen.  Germanicus  selbst  beschenkte  aus  dem 
Reichtum  seines  Hauses  das  Heer  und  gewann  sich  die  Herzen 
durch  seine  Leutseligkeit  und  die  Ehrung  der  Tapferen  und  die  mit- 
fühlende Unterstützung  der  Verwundeten.  Wieder  sprach  Tiberius 
die  Billigung  alles  dessen,  was  am  Rheine  geschah,  aus,  als  er  den 
Legaten  Silius,  Apronius,  Caecina  die  Ehrenzeichen  des  Triumphes 
für  ihre  Taten  in  Deutschland  verlieh,  und  grollte  im  Innern  Agrip- 
pina,  die  mit  männlicher  Art  den  Pflichten  eines  Feldherrn  oblag. 

Im  nächsten  Jahre  wollte  Germanicus  den  Kern  des  Wider-  16 n.Chr. 
Standes,  das  Land  der  Cherusker,  ohne  verlustreiche  Kämpfe  er- 
reichen und  beschloß,  das  ganze  Heer  auf  einer  Flotte  von  tausend 
Segeln  nach  der  Mündung  der  Ems  zu  führen.  Während  die  Schiffe 
von  neuer  Bauart  —  mit  flachen  Kielen  und  doppelten  Steuern  am 
Stern  und  am  Bug,  um  die  Fahrtrichtung  rascher  wechseln  zu 
können,  dem  Segel  und  Ruder  gleichmäßig  gehorchend,  und  mit 
Geschützen  besetzt  —  sich  an  der  Insel  der  Bataver  sammelten,  wo 
sie  Soldaten,  Vorräte  und  Heeresgerät  an  Bord  nehmen  sollten, 
gingen  die  Legionen  am  Ober-  und  Niederrhein  über  den  Strom. 
Wieder  verwüstete  Silius  das  Land  der  Chatten  und  brachte  als 
Beute  Frau  und  Tochter  ihres  Fürsten  heim.  Germanicus  sicherte 
das  Land  zwischen  Ems  und  Rhein  durch  Straßen  und  Festungen, 
erbaute  Aliso  von  neuem  und  andere  Castelle  zwischen  Lippe  und 
Rhein.  Das  Grab  im  Teutoburger  Walde  fand  er  zerstört.  Auch 
die  Liebe,  die  die  Deutschen  für  den  toten  Drusus  noch  immer 
empfunden  hatten,  war  unter  der  grausamen  Hand  des  Sohnes  aus- 
gelöscht, so  daß  sie  den  Altar  vernichtet  hatten,  der  den  Ort,  wo  sein 
Geist  geschieden  war,  bezeichnete.  Ihn  richtete  Germanicus  wieder 
auf,  ohne  den  Ort  der  Varusschlacht  abermals  zu  betreten.  Dann 


270 


Tiberius 


kehrte  Germanicus  zurück  zu  der  Flotte,  die  zur  Abfahrt  bereit 
lag,  und  nach  feierlichen  Gebeten  in  das  Meer  hinaussteuernd,  er- 
reichte er  nach  zwei  Tageh  ruhiger  Fahrt  die  Mündung  der  Ems. 
Er  überbrückte  sie,  die  nun  römisch  geworden  war,  und  rückte 
auf  den  neugebauten  Bohlenwegen  gegen  den  mittleren  Lauf  der 
Weser  vor. 

Als  die  Römer  an  der  Weser  ihr  Lager  geschlagen  hatten,  er- 
schien Arminius  am  feindlichen  Ufer  und  forderte  seinen  Bruder 
Flavus,  der  als  ein  gemeiner  Reitersmann  im  römischen  Heere 
diente,  zur  Zwiesprache  heraus.  Seltsam  war  es  zu  hören  und  zu 
sehen,  wie  die  Brüder  über  den  trennenden  Fluß,  der  eine  mit  den 
Wunden  und  Ehrenzeichen  prahlte,  die  er  im  Dienste  der  Römer  ge- 
wonnen, der  andere  ihm  im  schönsten  Lateinisch  den  elenden  Verrat 
in  die  Zähne  schleuderte,  bis  sie  endlich  wutenbrannt  nach  Waffen 
und  Pferden  schrieen,  um  im  tödlichen  Kampfe  das  Gewicht  ihrer 
Gründe  zu  erproben.  Die  Neuern  zweifeln  an  der  Lungenkraft 
dieser  Recken,  die  sich  doch  über  den  Fluß  weg  nimmer  hätten 
hören  können;  aber  vernehmlich,  zu  unserem  Kummer,  ist  nach 
Jahrtausenden  die  Art  der  Deutschen,  mit  Geistesfreiheit  das 
Fremde  zu  ehren  und  darüber  den  eigenen,  unendlich  allem 
Fremden  überlegenen  Adel  zu  vergessen. 

Jenseits  des  Flusses  standen  die  Deutschen  bereit,  den  Römern 
den  Uebergang  zu  wehren.  Germanicus  ließ  die  Reiterei  an  ver- 
schiedenen Stellen  in  den  Furten  übergehen,  und  mitten  durch  den 
brausenden  Fluß  lenkten  die  Bataver,  ihre  berühmte  Reiterkunst  zu 
zeigen,  König  Chariovalda  an  der  Spitze,  ihre  Rosse.  Sie  waren  es, 
welche  die  Cheruscer  erwarteten  und  in  verstellter  Flucht  in  ein 
Waldtal  lockten,  um  sie  dort  niederzureiten.  Die  Bataver,  geworfen, 
in  einen  Haufen  sich  zusammenballend,  erwehrten  sich  der  sie  im 
Kreise  umdrängenden  Feinde,  unter  ihren  Schwertern  fallend  oder 
von  den  Speeren  aus  der  Ferne  getroffen.  Chariovalda  wurde  bei 
dem  Versuche,  mit  seinem  adeligen  Gefolge  durch  die  dichtesten 
Scharen  der  Cheruscer  durchzubrechen,  von  seinem  stürzenden 
Pferde  gestochen,  und  mit  ihm  fielen  seine  Genossen.  Die  römi- 
schen Reiter,  auf  den  Kampfplatz  eilend,  retteten  die  noch  tapfer 
sich  verteidigenden  Bataver  vor  der  Vernichtung. 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  27  1 

Nachdem  Germanicus  den  Fluß  mit  dem  Heere  überschritten 
hatte,  schlug  er  eine  Brücke  und  sicherte  den  Uebergang  durch  Be- 
festigungen. Nicht  die  Ebene  an  der  Weser,  sondern  den  heiligen 
Hain  desDonar  hatten  die  Deutschen  für  die  entscheidende  Schlacht 
erwählt,  um  unter  dem  Schutze  ihres  Gottes  zu  kämpfen.  Ein 
Ueberläuf  er  verriet  den  Römern  ihre  Absicht,  und  die  ausgesandten 
Späher  des  Germanicus  sahen  die  Lagerfeuer,  hörten  im  Walde  das 
Klirren  der  Waffen  und  Wiehern  der  Rosse.  In  der  Stille  der 
Nacht  sein  Zelt  verlassend,  war  Germanicus  Zeuge,  wie  froh  die 
Seinen  dem  Kampfe  entgegensahen,  und  mit  welcher  Liebe  sie  voll 
Vertrauen  seiner  Führung  folgten.  Das  Lager  war  in  sicherer  Hut, 
als  der  Feind  im  Morgengrauen  vor  den  Wällen  sich  zeigte.  Auch 
ein  Traumgesicht  stärkte  seinen  Mut,  und  so  berief  er  am  Morgen 
nach  römischer  Weise  die  Heeresversammlung,  um  die  Seinen  zu 
ermahnen,  nur  dem  Stiche  des  Schwertes  im  Nahkampf  zu  ver- 
trauen und  der  ordnungslosen  Kampfweise  der  Gegner  auch  im 
Wald  geschlossen  zu  begegnen.  Auf  dem  Hügelkranze,  der  sich 
im  freien  Felde,  jenseits  der  Ebene  am  Flusse  öffnete,  standen  die 
Massen  der  Deutschen  am  Rande  des  Waldes  und  auf  den  be- 
herrschenden Höhen  der  Heerbann  der  Cherusker.  Das  erste  Treffen 
der  Römer  bildete  der  leichtbewaffnete  Landsturm  der  Gallier  und 
der  Germanen  der  Rheingrenze.  Von  ihnen  gedeckt  folgten  die 
dichten  Schwärme  der  den  nackten  Leibern  der  Deutschen  so 
gefährlichen  Bogenschützen  des  Orientes.  Dann  vier  Legionen  und 
hinter  ihnen  in  Mitte  des  Heeres  der  Feldherr  mit  den  beiden  prae- 
torischen  Cohorten  und  den  Geschwadern  seiner  Gardereiter.  Ihm 
folgten  die  vier  anderen  Legionen  und  hinter  ihrem  Walle  die 
leichten  Cohorten  und  die  Reiterei,  beide  bereit,  an  den  Flügeln  zum 
Kampfe  vorzudringen.  In  diesen  tiefen,  undurchdringlichen  Massen 
ging  das  Heer  zum  Angriff  vor  unter  dem  Segen  Juppiters,  dessen 
Adler,  ein  willkommenes  Zeichen,  vor  dem  heranrückenden  Heere 
in  den  Lüften  dem  Walde  zustrebten.  Während  die  Deutschen,  die 
im  freien  Felde  kämpften,  unter  dem  Drucke  des  römischen  Fuß- 
volkes in  den  Wald  zurückwichen,  wurden  die,  die  den  Wald  ver- 
teidigten, von  den  Reitern  und  den  leichten  Cohorten  gegen  die 
Mitte  gedrängt.    Schon  waren  auch  die  Cheruscer  auf  den  Höhen 


27- 


Tiberius 


von  den  Legionen  zum  Rückzug  gezwungen  worden,  als  Arminius, 
um  die  drohende  Niederlage  abzuwehren,  sich  auf  die  Reihe  der 
Schützen  warf,  sie  zersprengte,  bis  sich  sein  Anprall  an  den  Linien 
der  Gehörten  brach.  Von  Wunden  bedeckt,  mit  Blut  überströmt, 
dankte  er  wie  Inguiomerus  die  Rettung  den  Chaucen,  die,  auf  der 
Seite  der  Römer  kämpfend,  den  bedrohten  Helden  den  Weg  frei- 
gaben. Die  fliehenden  Deutschen  wurden  in  die  Weser  gedrängt, 
oder  zerstreuten  sich  auf  den  Pfaden  des  vertrauten  Waldes.  Trotz 
einer  langen  Verfolgung  war  der  Sieg  der  Römer  auf  dem  Felde 
Idisiaviso  in  keiner  Weise  entscheidend  gewesen.  Und  das  Sieges- 
zeichen der  Römer  war  für  die  Deutschen  nur  eine  Mahnung,  auf 
einem  neuen  Walplatz  ihren  ungebrochenen  Mut  zu  beweisen. 

Wieder  hatten  die  Römer  ihren  Sieg  durch  Grausamkeit  ge- 
schändet, besonders  diese  orientalischen  Schützen,  als  sie  die  auf  die 
Bäume  flüchtenden  Wilden  unter  Hohngelächter  herunterschossen. 
Die  Erbitterung  über  solche  Gegner  erfüllte  jetzt  die  Deutschen  mit 
Raserei.  Wer  nur  eine  Waffe  schwingen  konnte,  eilte  zum  Kampf  e 
herbei.  Immer  stärker  wurde  der  Widerstand,  auf  den  die  Römer 
bei  ihrem  Vordringen  gegen  die  Elbe  stießen.  Auch  von  jenen 
Stämmen,  die  jenseits  des  Flusses  wohnten,  müssen  Tausende  und 
Abertausende  die  Reihen  der  Freiheitskämpfer  verstärkt  haben. 
Denn  an  der  äußersten  Grenze  der  Cheruscer,  da,  wo  ihr  Land  ein 
Grenzwall  von  den  Sitzen  der  Angrivarier  schied,  trafen  die  Römer 
auf  ein  so  mächtiges  Heer,  daß  es  ihnen  für  immer  Halt  gebot.  In 
einer  versumpften  Niederung  standen  die  Deutschen  hinter  einem 
Flußlauf,  von  dichten  Wäldern  und  stehenden  Gewässern  gedeckt, 
einen  Flügel  an  den  Wall  gelehnt.  Das  Fußvolk  war  im  freien  Feld 
zur  Schlacht  geordnet,  die  Reiter  hinter  den  Bäumen  verborgen.  Ger- 
manicus  ließ  die  Reiter  in  der  Ebene  angreifen,  das  Fußvolk  in  den 
Wäldern  und  gegen  denDamm  vorgehen;  die  Fußgänger  der  Deut- 
schen wichen  in  die  Wälder  zurück,  aber  ihre  Reiter  warfen  sich  den 
römischen  entgegen  und  behaupteten  die  Ebene.  Auch  im  Kampf  um 
den  Wald  und  den  Damm  gewannen  die  Römer  keinenBoden,  bis  der 
Pfeilhagel  der  Bogenschützen  und  dieGeschosse  derWurf maschinen 
die  Verteidiger  des  Walles  in  den  Wald  zurückzuweichen  zwangen. 
Germanicus  mit  den  praetorischen  Cohorten  erstieg  als  Erster  diese 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  273 

Grenzwehr  und  stieß  im  Walde  auf  denselben  erbitterten  Wider- 
stand. Den  ganzen  Tag  währte  das  schonungslose  Ringen,  in  dem 
auch  die  Deutschen  keine  Gnade  mehr  gaben.  Da  Arminius  durch 
seine  Wunden  behindert  war,  leitete  Inguiomerus  die  Schlacht,  auf 
seinem  Streitroß  die  Reihen  durchfliegend  und  die  Seinen  zum 
Kampfe  anfeuernd.  Auch  die  Deutschen  fochten  in  dichten  Reihen, 
durch  das  Dickicht  des  Waldes  eingeengt,  wehrten  die  mit  dem 
Schwerte  kämpfenden  Legionare  stetig  mit  den  Spitzen  der  ge- 
schlossenen Speere  ab.  Die  Mordlust,  welche  die  Gegner  festhielt, 
wich  endlich  dem  Eintritt  der  Nacht.  Die  Römer  schlugen  ihr  Lager 
auf  dem  heißumstrittenen  Kampfplatz  und  errichteten  ein  Sieges- 
zeichen, das  prahlend  von  der  Unterwerfung  aller  Völker  bis  an  die 
Elbe,  die  sie  nicht  gesehen  hatten,  sprach.  Aber  wieder  kam  die 
Nachricht,  daß  die  Stämme  im  Rücken  zum  Abfall  bereit  seien.  Der 
kurze  nordische  Sommer  neigte  sich  zu  Ende.  Germanicus  be- 
schloß schweren  Herzens  die  Umkehr  vor  den  unbesiegten  Feinden. 
An  der  Ems  teilte  er  sein  Heer,  die  Mehrzahl  der  Legionen  sollte 
die  Flotte  besteigen.  In  ruhiger  Fahrt  steuerte  die  Flotte  ihrem 
Ziele,  der  Mündung  des  Rheines,  zu,  als  an  der  Küste  Frieslands 
ein  Sturm  die  schwerbelasteten  Schiffe  erfaßte  und  auseinander- 
trieb. Die  schweren  Wellen  brachen  über  Bord,  alles  mit  sich  fort- 
spülend, die  Ruder  zerbrachen  und  die  ausgeworfenen  Anker  wurden 
fortgerissen.  Hilflos  wurden  die  Schiffe  auf  das  weite  Meer  hinaus- 
getrieben, wo  jedes  Land  dem  Blick  verschwand,  oder  strandeten 
auf  den  Watten  und  an  den  Inseln.  Germanicus  war  mit  seiner 
Triere,  weit  weggeführt  vom  Sturm,  an  die  Küste  der  Chancen 
geworfen  worden.  Verzweifelnd  starrte  er  auf  die  tobende  See,  die 
Heer  und  Flotte  verschlungen  hatte.  Doch  als  das  Unwetter  nach- 
ließ, fand  sich  Schiff  auf  Schiff,  wenn  auch  schwer  beschädigt,  in 
seiner  Nähe  ein.  Und  die  wieder  vereinigte  Flotte  durchsuchte  die 
Inseln  und  Küsten  nach  den  Schiffbrüchigen.  So  gelang  es,  die 
meisten  zu  retten,  und  die  weithin  verschlagen  waren,  selbst  bis 
nach  Britannien,  kehrten  wieder  heim.  Ungewohnt  waren  die 
Schrecken  des  Nordmeeres  den  Römern  und  hatten  ihre  Furcht  über 
die  Gefahr  gesteigert.  Und  das  Ansehen  der  Römer  war  über  dem 
Schiffbruch  ihrer  stolzenFlotte  indeutschenLanden  nichtgewachsen. 

Domasifw-iki.I.  l8 


274 


Tibcrius 


Noch  im  Spätjahr  überschritten  Silius  den  Überrhein,  Ger- 
manicus  selbst  den  Niederrhein,  um  Chatten  und  Marser,  die  von 
der  neuen  Herrschaft  noch  nicht  überzeugt  waren,  heimzusuchen. 
Wieder  wehrten  sich  die  Marser  gegen  die  Uebermacht  wie  die 
Verzweifelten,  und  nur  der  Verrat  des  Fürsten  Mallovendus  ließ 
die  Römer  einen  der  Adler  der  Varusschlacht,  der  vergraben  lag, 
finden,  so  daß,  um  ihren  Ruhm  voll  zu  machen,  nur  noch  der 
dritte  fehlte,  der  noch  durch  viele  Jahre  im  Chaucenlande  ver- 
borgen blieb. 

Als  die  Berichte  über  den  letzten  Feldzug  in  Rom  eintrafen, 
erkannte  Tiberius,  daß  der  stürmische  Feldherr  eine  Gefahr  für 
die  Sicherheit  des  Heeres  geworden  war.  Er  enthob  zuletzt  Ger- 
manicus,  da  alle  Vorstellungen,  von  dem  Kriege  abzulassen,  die 
er  in  Briefen  an  ihn  richtete,  kein  Gehör  fanden,  von  dem  Ober- 
befehl über  das  Rheinheer.  Ungerecht  wäre  es,  in  diesem  Schritte 
etwas  anderes  zu  sehen  als  die  wohlerwogene  Überzeugung  von 
der  Gefahr  eines  solchen  Eroberungskrieges.  Denn  niemand 
kannte  die  Natur  des  deutschen  Landes,  die  Art  seiner  Bewohner 
besser  als  der  Kaiser.  Genug  Blut  war  geflossen,  um  die  Schande 
der  Varusschlacht  abzuwaschen.  Auch  die  Deutschen  hatten  in 
diesem  Kriege  furchtbar  gelitten,  ihre  Kraft  war  geschwächt,  die 
Übermacht  Roms  in  den  elenden  Hütten  des  Urwaldes  von  neuem 
erwiesen.  Der  Kaiser  kannte  die  törichte  Weise  der  Deutschen, 
in  innerer  Zwietracht  sich  selbst  aufzureiben,  und  überließ  sie 
ihrem  Hader,  der  um  so  sicherer  ausbrechen  mußte,  wenn 
sie  ihre  Tapferkeit  an  keinem  fremden  Gegner  erproben  konnten. 

Was  hatte  die  letzte  glorreiche  Gegenwehr  den  Deutschen 
gebracht  als  innere  Feindschaft?  Inguiomerus  ertrug  es  nicht,  daß 
sein  junger  Neffe  Arminius  seine  Taten  verdunkelt  hatte,  und  floh 
zu  Marbod,  den  König  gegen  sein  eigenes  Volk  zu  bewaffnen.  Die 
Deutschen  haßten  diesen  Fürsten,  auch  wenn  sie  ihm  gehorchten, 
der  nach  römischer  Art  sie  zu  Knechten  herabwürdigte.  Als 
17 n.Chr.  Arminius  gegen  ihn  ins  Feld  zog,  fielen  die  Semnonen  und  Lango- 
barden von  ihm  ab  und  folgten  dem  Befreier  der  Deutschen  in  den 
Kampf.  Aber  von  den  Cheruscern  focht  Inguiomerus  mit  seinen 
Gefolgsleuten  in  den  Reihen  Marbods.    Furchtbar  war    der    Zu- 


2.   Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  2  75 

sammenstoß  der  beiden  kriegsgeübten  Scharen,  die  um  den  Ruhm 
der  mächtigsten  Heerkönige  Deutschlands  rangen,  und  lange 
wogte  der  Kampf  unentschieden,  bis  in  beiden  Heeren  der  rechte 
Flügel  die  Oberhand  über  den  Gegner  gewann.  Doch  gab  Mar- 
bod  zu  erkennen,  daß  er  sich  nach  Abbruch  des  Kampfes  als  der 
Schwächere  fühlte.  Denn  er  verlegte  sein  Lager,  auf  seine  Sicher- 
heit bedacht,  nach  römischer  Weise  auf  einen  Hügel.  So  riß  der 
Abfall  immer  stärkere  Lücken  in  sein  Heer  und  zwang  ihn,  nach 
Böhmen  zurückzugehen.  Vergeblich  rief  er  die  Hilfe  seiner  alten 
Freunde,  der  Römer,  an. 

Wieder  liegt  durch  lange  Jahre  das  Schweigen  des  Urwaldes  lon.  ci»r. 
über  der  Geschichte  der  Deutschen.  Da  drang  zu  den  Römern 
die  Kunde,  Arminius,  der  Held  sei  gefallen.  Herrisch  sei  er  ge- 
worden im  Gefühle  seiner  Größe  und  seiner  Taten.  Die  Freiheit 
seiner  Cheruscer  hätte  er  unterdrückt  in  dem  Streben  nach  dauern- 
der Macht.  In  Wahrheit  starb  er  ein  Opfer  des  Hasses  und  Neides 
seiner  eigenen  Sippe,  die  den  überragenden  Mann  nicht  mehr  er- 
trug und  sein  edles  Leben  in  gemeinem  Meuchelmorde  auslöschte. 
Aber  ewig  lebte  er  in  den  Gesängen  der  Deutschen,  die  im  freien 
Walde  das  Lob  ertönen  ließen  des  herrlichen  Mannes  und  seines 
unsterblichen  Ruhmes,  bis  es  auch  das  Herz  eines  römischen 
Mannes  rührte,  der  an  Adel  des  Geistes  dem  Jüngling  glich  auf 
Walhallas  Throne. 

Die  gleiche  Gerechtigkeit,  wie  sie  Tiberius,  wenn  ihn  auch  das 
Bewußtsein  seines  Mißtrauens  zaghaft  machte,  gegen  Germanicus 
an  den  Tag  legte,  zeigte  er  in  der  Art,  seine  Herrschaft  auszu- 
üben. Und  doch  lag  seine  Hand  schwer  auf  dem  Senat.  Zwischen 
dem  Herrscher  und  seinen  Räten  wollte  der  Argwohn  nicht  wei- 
chen. Gedachte  man  ihn  zu  ehren  oder  war  es  eine  Kränkung, 
daß  der  Senat  sich  in  Ergebenheit  gegen  seine  Mutter  Livia  über- 
bot? Als  sei  er  nichts  als  ihr  Geschöpf,  sann  ilim  der  Senat  an, 
er  sollte  sich  den  Sohn  der  Julia  nennen,  und  sie  sollte  Mutter 
des  Vaterlandes  heißen  und  ihre  Adoption  durch  die  Gründung 
eines  Altares  gefeiert  werden,  ein  Lictor  sie  begleiten.  Tiberius 
wehrte  allen  diesen  Dingen,  die  tatsächlich  mehr  waren  als  bloße 
Ehren.  Die  alte  Frau,  die  sich  Augustus  immer  gefügt  hatte,  unter 


276 


Tiberius 


dem  Sohne,  den  sie  erhöht  hatte,  begehrte  sie  eine  Mitherrschaft, 
deren  Ausdruck  eben  diese  Ehren  waren,  und  die  Tiberius  ihr 
nimmer  gewähren  wollte.  Deshalb  hatte  er  sich  nicht  empor- 
gedient zur  Macht,  um  jetzt  auf  dem  Throne  dem  zu  verfallen, 
was  er  sein  ganzes  Leben  verabscheut  hatte,  der  Weiberherr- 
schaft. Er  ertrug  die  Mutter  aus  gewohntem  Gehorsam  des  Sohnes, 
unterdrückte  seine  Verstimmung,  obwohl  sie  darin  hervortrat, 
daß  er  den  Ehrennamen  Augustus,  den  ihm  der  erste  Träger 
dieses  Namens  mißgönnt  hatte,  ablehnte,  außer  im  Verkehre  mit 
den  Fürsten  des  Auslandes.  Eine  neue  Kluft  tat  sich  vor  ihm  auf, 
und  niemand  war  eifriger,  sie  zu  vertiefen,  als  Seianus,  dem  jeder 
Zwiespalt  im  Kaiserhause  eine  Stufe  war  zur  schrankenlosen 
Macht. 

Im  ersten  Jahre  seiner  Regierung  starb  die  verhaßte  Julia  in 
Regium  an  der  sicilischen  Enge,  wo  ihr  des  Vaters  Milde  zuletzt 
den  Wohnsitz  angewiesen  hatte.  Auf  Tiberius  Befehl,  der  keine 
Kränkung  vergaß,  starb  ihr  Buhle  Sempronius  Gracchus,  der  sie, 
der  erste,  als  Gattin  des  Agrippa  verführt  hatte  und  später  die 
Briefe  Julias  an  ihren  Vater  voll  Schmähungen  über  Tiberius 
schrieb.  Wer  sollte  nicht  damals  schon  vor  dem  Kaiser  Grauen 
empfinden,  der  unversöhnlich  altes  Unrecht  in  seinem  Herzen  auf- 
nährte? Und  doch  nur  Gerechtigkeit  war  sein  Streben.  Als  der 
Senat  sinnlose  Anklagen  häufte  wegen  der  Verletzung  des  neuen 
Gottes  Augustus,  schrieb  Tiberius  den  Consuln,  Augustus  sei  nicht 
deshalb  ein  Gott  geworden,  um  seine  Untertanen  zu  verderben, 
und  sprach  ein  Wort  von  ewiger  Bedeutung,  den  Göttern  sei  es 
anheimgestellt,  diejenigen  zu  bestrafen,  die  an  ihnen  frevelten. 
Nicht  minder  geistreich  traf  sein  Spott  über  das  Treiben  mit  der 
Göttlichkeit  des  Herrschers,  die  Augustus  in  seiner  Weise  sich 
gefallen  ließ,  wenn  es  den  Menschen  nun  einmal  so  gefiel,  die 
Tarraconenser:  als  sie  ihm  berichteten,  daß  auf  dem  Altar  des 
göttlichen  Augustus  ein  Palmzweig  aufgesprossen  sei,  erwiderte 
er  ihnen,  man  sieht,  wie  eifrig  ihr  opfert. 

Gleich  die  ersten  Vergehen  der  Beamten  ließ  er  in  seinem 
Beisein  durch  den  Senat  bestrafen  und  erhöhte  die  Würde  des  Ge- 
richtes, so  oft  er  dem  Urteil  der  Praetoren  an  einem  bescheidenen 


2.  Der  Krieg  gegen' die  Deutschen  27  7 

Platze  anwohnte.  Und  hilfreich  erwies  er  sich  den  Senatoren,  die 
ohne  Schuld  verarmt  waren,  sobald  der  Senat,  wie  billig,  die  Be- 
rechtigung der  Bitte  geprüft  hatte.  Er  fügte  sich  dem  Einspruch 
eines  Tribunen,  als  er  die  Zügellosigkeit  der  Mimen,  die  so  hoch 
in  der  Gunst  der  Menge  standen,  einschränken  wollte.  Es  ist 
gänzliche  Mißdeutung,  die  Ehrlichkeit  seines  Handelns  zu  be- 
zweifeln. Schon  damals  trat  ein  Grundsatz  hervor,  der,  zuerst  von 
dem  Wohlwollen  gegen  die  Untertanen  eingegeben,  später  zum 
krankhaften  Eigensinn  wurde,  bewährte  Statthalter  in  ihrem  Amte 
zu  belassen.  So  verstand  Tiberius  das  Wohl  des  Staates  ohne 
Gunst  der  Person,  ohne  die  Gnade,  die  in  den  Augen  der  Hof- 
leute das  wahre  Öl  der  Salbung  des  Herrschers  ist.  Gerade  weil 
er  Soldat  war  vom  Scheitel  bis  zur  Zehe,  wollte  er  der  Bürger 
sein,  wie  es  Augustus  gewesen  war. 

Und  einem  solchen  Mann  glaubte  ein  törichter  Hochgeborener, 
Scribonius  Libo,  schon  im  dritten  Jahre  der  Herrschaft  nach  dem 
Leben  trachten  zu  können.  Denn  sein  Urgroßvater  war  Pompeius 
der  Große  gewesen  und  seine  Tante  die  zweite  Frau  des  AugustuS. 
Deshalb  prophezeiten  ihm  die  Winkelpropheten  aus  den  untrüg- 
lichen Sternen  die  Alleinherrschaft.  Tiberius  ließ  den  Sinnlosen 
überwachen,  verlieh  ihm  die  Ämter,  die  seiner  hohen  Herkunft 
entsprachen,  und  zog  sogar  den  nahen  Verwandten,  wie  immer 
zu  Tisch,  ohne  <iurch  eine  Miene  sein  Wissen  um  so  freundliche 
Pläne  zu  verraten.  Wer  kann  es  sagen,  ob  er  ihn  mit  Absicht  in 
seinem  Treiben  bestärkte?  Gewiß  ist  es,  daß  Libo  zuletzt,  um 
seinen  Mut  zu  stärken,  Geister  beschwor.  Dies  brachte  ihn  auf 
die  Anklagebank  vor  den  Senat.  Es  war  die  Kläglichkeit  seiner 
Verteidigung,  die  ihm  zum  Verderben  wurde.  Voll  Schuldbewußt- 
sein bettelte  er  besonders  bei  den  Frauen  seines  hochgeborenen 
Kreises  um  Hilfe,  und  als  wäre  er  sterbenskrank,  ließ  er  sich  auf 
einer  Bahre  in  das  Gericht  tragen,  um  durch  klägliche  Mienen 
den  Kaiser  zu  rühren.  So  ließ  Tiberius  dem  Rechte  seinen  Lauf. 
Die  Beweise  waren  von  einer  erdrückenden  Lächerlichkeit.  Hatte 
er  doch  von  seinen  Geistern  auch  wissen  wollen,  ob  er  einmal  die 
appische  Straße  von  Rom  bis  Brundisium  würde  mit  Silber 
pflastern  können.    Aber  er  ließ  nicht  von  seinem  Leugnen,  und 


2^8  Tiberius 

seine  Sklaven,  auf  die  Folter  gespannt,  mußten  die  Schuld  ihres 
Herrn  bezeugen.  Eine  zweite  Verhandlung  forderte  die  Form  des 
Rechtes.  Soldaten  überwachten  sein  Haus,  er  sah  sich  gerichtet 
und  erstach  sich  aus  Angst  vor  dem  Tode  im  Dunkeln.  In  seinem 
starren  Rechtsgefühl  hatte  der  Kaiser  wohl  das  Bekenntnis  der 
Schuld,  aber  nicht  den  Tod  des  Elenden  gewollt.  Es  ist  erst  der 
Senat,  welcher  der  sinnlosen  Mordgeschichte  eine  Bedeutung  gab, 
mit  seinen  Beschlüssen,  das  Andenken  des  Verbrechers  in  jeder 
6 n.Chr.  Weise  zu  ächten  und  den  Todestag  Libos,  die  Iden  des  Septem- 
bers, zu  einem  Festtag  des  geretteten  Staates  zu  erheben. 

Wer  dem  Kaiser  als  eigentlich  schuldig  galt,  zeigten  die  feier- 
lichen Strafen  an  den  Sterndeutern.  Hier  liegt  der  Kern  seines 
Verhaltens.  Er  hatte  in  Rhodos  an  die  Wahrheit  der  trügerischen 
Kunst  glauben  gelernt;  und  hatte  sie  diesem  Libo  falsch  prophe- 
zeit, wer  wußte,  wenn  sie  die  Wahrheit  verkünden  würde?  So  ist 
sein  Schicksalsglaube  nicht  die  heitere  Gewißheit  eines  Augustus, 
sondern  unwürdige  Befangenheit.  Das  Abstruse  war  es,  das  ihn 
auch  sonst  anzog,  nicht  das  reine  Wissen,  das  den  Geist  befreit, 
und  je  sinnlosere  Fragen  die  Gelehrten  an  seinem  Hofe  spitzfindig 
erörterten,  desto  mehr  erfreute  ihn  ihr  Streit,  um  leere  Worte. 

So  grundlos  war  die  Angst  vor  einer  plötzlichen  Wendung  des 
Geschickes  denn  doch  nicht,  und  der  Kaiser  hatte  recht,  wenn  er 
seine  Lage  einem  Manne  verglich,  der  einen  Wolf  am  Ohre  fest- 
hält. Hatte  doch  der  Sklave  Clemens,  um  die  Zeit  als  Augustus 
starb,  geplant,  seinen  Herrn,  jenen  Agrippa  Postumus,  aus  Pla- 
nasia  zu  entführen,  um  ihn  am  Rheine  zum  Kaiser  auszurufen,  und 
nur  die  rasche  Hinrichtung  des  Juliers  hatte  das  Gelingen  ver- 
hindert. Jetzt  trat  Clemens  selbst  in  Italien  als  Agrippa  Postumus 
auf.  Die  wunderbare  Rettung  des  letzten  Juliers  wurde  bald  der 
allgemeine  Glaube.  Schon  feierte  ganz  Ostia  diesen  herrlichen 
Erben  des  Thrones,  als  Sallustius  Crispus  auf  Tiberius  Befehl  den 
Kerl  greifen  ließ  und  gebunden  in  den  Kaiserpalast  brachte,  wo 
er  noch  die  Laune  fand,  den  Herrscher  frech  zu  verhöhnen. 

Trotz  solcher  Störungen  sehen  wir  den  Kaiser  unermüdlich 
tätig  in  der  Erfüllung  der  unbequemsten  Pflicht,  den  Sitzungen 
des  Senates    regelmäßig    anzuwohnen,    um    mitzuwirken   bei  Be- 


2.  Der  Krieg  gegen  die  Deutschen  27Q 

ratungen,  die  sich  nicht  immer  durch  das  Gewicht  des  Inhaltes 
auszeichneten.  Er  ertrug  den  Widerspruch,  selbst  wenn  er  ganz 
ungerechtfertigt  war,  und  auch  Zurechtweisungen  von  den  hohen 
Räten.  Aber  es  erregte  wieder  Anstoß,  als  er  dem  Hortensiu^ 
Hortalus,  der  als  Nachkomme  des  berühmten  Redners  schon  ein- 
mal von  Augustus  mit  einer  Million  beschenkt,  jetzt  wieder  als 
Bettler  vor  dem  Senate  stand,  aus  Eigenem  jede  Unterstützung 
verweigerte,  ohne  die  Mildtätigkeit  des  Senates  zu  hindern.  Daß 
er  nun  nichts  bekam,  war  doch  nur  gerecht  und  billig. 

Germanicus  hielt  am  26.  Mai  des  Jahres  17  den  Siegeszug 
über  die  Völker  Deutschlands,  und  Segestes  als  Ehrengast  der 
Römer  sah  unbewegten  Auges  die  Schande  seiner  Tochter  und 
seines  Enkels.  Tiberius  erhöhte  den  Glanz  des  Triumphes  durch 
eine  Liberalitas  für  die  Hausarmen  der  Plebs  urbana  von  75  De- 
naren. Seine  freundliche  Gesinnung  gab  er  dem  grollenden  Neffen 
zu  erkennen,  als  er  ihm  die  Neuordnung  der  Verhältnisse  des 
Orientes  als  Oberstatthalter  der  Provinzen  jenseits  des  aegaeischen 
Meeres  übertrug.  Zugleich  sollte  er  im  folgenden  Jahre  das  Con- 
sulat  in  der  ehrenvollsten  Form  als  College  des  Kaisers  verwalten. 
Genau  so  hatte  auch  Augustus  immer  gehandelt,  als  Tiberius 
selbst  noch  Thronfolger  war.  Tiberius  wollte  seinem  großen  Vor- 
bild nachleben,  aber  vermochte  nicht  in  edler  Weise  sein  Miß- 
trauen zu  überwinden.  Die  Statthalterschaft  Syriens,  mit  dem 
geheimen  Auftrage,  Germanicus  zu  überwachen,  erhielt  Gnaeus 
Piso,  des  Kaisers  Günstling  und  durch  seine  Gemahlin  Plancina 
der  Günstling  der  Augusta.  Doch  hatte  Tiberius  bereits  bestimmt, 
daß  der  durch  Alter  und  Torheit  hilflose  Archelaos  sein  König- 
reich Cappadocien  verlieren  sollte.  Sanfte  Briefe  Livias  beriefen 
ihn  nach  Rom,  wo  des  Kaisers  Rachsucht  ihn  mit  einer  Anklage 
vor  dem  Senate  in  den  Tod  trieb.  Denn  Tiberius  hatte  es  nicht 
vergessen  können,  daß  er  in  der  Schreckenszeit  von  Rhodos  unter 
jenen  gewesen  war,  die  ihn  gehöhnt. 


3-  Germanicus  im  Osten 

Wie  sollte  Tiberius  noch  fähig  sein,  in  Germanicus  das  Wesen 
seines  Bruders  Drusus  wiederzuerkennen?  Und  doch  glich  der 
Sohn  dem  Vater  auch  in  dem  Bewußtsein,  der  einzigen  Stellung 
im  Staate  durch  seine  Gesinnung  würdig  zu  sein.  Er  verstand  den 
grundlosen  Argwohn  des  Oheims  nicht  und  verletzte  ihn,  ohne 
es  zu  ahnen.  Was  ihn  bewegte,  als  er  mit  dem  bedeutungsvollen 
Auftrag  nach  dem  Osten  zog,  waren  die  Schwingen  eines  Gemütes, 
das  mit  der  hohen  Spannung  des  Dichters  dem  Schauplatz  einer 
i8n.  Chr.  großen  Vergangenheit  zustrebte.  Eihzig  würdig  erschien  es  ihm, 
das  Consulat,  das  ihn  dem  Kaiser  gleichstellte,  an  dem  Orte  an- 
zutreten, wo  das  wunderbare  Walten  des  Geschickes  in  seinem 
Hause  offenbar  geworden  war,  in  jenem  Actium,  das  seinen  Groß- 
vater erhöhte  und  den  Vater  seiner  Mutter  in  tiefe  Nacht  begrub. 
Dann  sah  er  Athen,  die  Heimat  der  größten  Dichter,  betrat  Les- 
bos  und,  an  der  Küste  Asiens  dife  Fahrt  fortsetzend,  erreichte  er 
Perinth,  die  Hauptstadt  Thrakiens,  Byzanz  und  die  sagenberühmte 
Einfahrt  in  den  Pontus.  Überall  übte  er  mit  Ernst  sein  Amt, 
schlichtete  den  nie  ruhenden  Streit  der  Eitelkeit  griechischer  Ge- 
meinden, richtete  das  von  den  Beamten  gebeugte  Recht  wieder 
auf.  Von  Samothrake,  der  Stätte  uralter  Mysterien,  durch  widrige 
Winde  ferngehalten,  besuchte  er  Ilion,  wo  die  Ahnherrin  seines 
Hauses  den  göttlichen  Aeneas  geboren  hatte.  Dann  kehrte  er 
nach  Asien  zurück  und  landete  in  Kolophon,  um  das  Orakel  des 
Apollo  zu  befragen,  der  den  Helden  seiner  Phantasie  einst  ihre 
Größe  verkündet  hatte,  sein  Gemüt  mit  trüben  Ahnungen  be- 
schwerend. Um  so  peinlicher  war  es  ihm,  als  er  bei  seinem  Ein- 
treffen in  Syrien  sah,  wie  jener  Piso,  den  das  Vertrauen  des  Ti- 
berius zu  seinem  Helfer  bestellt  hatte,  diesen  Auftrag  verstand. 


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3-  Germanicus  im  Osten  ^gl 

Piso  war  seinen  Spuren  gefolgt  und  vergalt  den  Athenern  die  Huld 
des  Germanicus  mit  wilden  Schmähungen  über  ihre  alte  und  neue 
Treulosigkeit  gegen  Rom.  Dann  erreichte  er  in  Rhodos  Germa- 
nicus, der  sein  maßloses  Auftreten  in  Athen,  v^on  dem  er  Kenntnis 
hatte,  mit  der  Hoheit  des  Fürsten  übersah.  Als  gälte  es  zu  be- 
weisen, daß  es  in  seiner  Macht  lag.  Übles  zu  tun,  eilte  Piso  trotz 
des  stürmischen  Meeres  voraus  nach  Syrien.  Die  Legionen  des 
Ostens  suchte  er  dem  Germanicus  zu  entfremden,  indem  er,  der 
Vater  des  gemeinen  Soldaten,  Geschenke  verteilte.  Unwürdige 
beförderte  und  verdiente  Offiziere  beseitigte,  weil  sie  der  in  dem 
Heere  des  Ostens  unaustilgbaren  Zuchtlosigkeit  mit  Härte  ent- 
gegengetreten waren.  So  hatte  Tiberiys  seinen  Auftrag  nicht  ver- 
standen, das  war  die  Ausgeburt  des  weiblichen  Hasses,  der  Pisos 
Weib  und  Agrippina  verfeindet  hatte.  Auch  jetzt  noch  hatte  Ger- 
manicus für  das  gemeine  Treiben  seines  Legaten  nur  Verachtung. 
Höhere  Pflichten  riefen  ihn  nach  Armenien.  Die  Ordnung,  die 
Gaius  Caesar  dem  Lande  gegeben  hatte,  war  von  kurzer  Dauer 
gewesen.  Nach  dem  Tode  jenes  Artavasdes,  den  Augustus  zuletzt 
als  König  des  Landes  eingesetzt  hatte,  war  Armenien,  durch  Jahre 
ohne  Herrn,  der  Schauplatz  der  einander  befehdenden  Parteien 
römisch  und  parthisch  Gesinnter.  Zuletzt  hatte  hier  der  Parther 
Vonones,  der  Sohn  des  Phraates,  geboten.  In  Rom  erzogen,  dann 
durch  Augustus  Hilfe  König  der  Parther,  war  er  vor  einem  Gegen- 
könig Artabanus  nach  Armenien  geflohen  und  hatte  sich  dieses 
Reiches  bemächtigt.  Auch  von  diesem  Throne  durch  die  Parther 
gestürzt,  lebte  er  unter  römischem  Schutz  in  Antiochia.  Tiberius 
hatte  seine  Bitte,  ihn  wieder  auf  den  Thron  Armeniens  zu  setzen, 
abgewiesen,  vielmehr  aus  der  Schatzkammer  seines  Hauses  einen 
Sprossen  des  Antonius  hervorgeholt,  Polemos  Sohn  Zeno.  Der 
junge  Mann  besaß  auch  die  Gunst  von  Vornehmen  und  Geringen 
in  Armenien,  da  er  nach  Landessitte  zu  jagen  und  zu  tafeln  ver- 
stand, und  was  sie  sonst  für  fürstlich  hielten.  So  schmückte  ihn 
Germanicus  in  der  Hauptstadt  Artaxata  unter  ungeheurem  Zu'- 
lauf  mit  dem  Diademe,  und  Artaxias  nannte  sich  der  neue  König 
nach  seiner  Stadt.  Auch  Cappadocien  bedurfte  seiner  sorgenden 
Hand,  da  es  nach  dem  Willen  des  Kaisers  eine  Provinz  geworden 


282  Tiberius 

war.  Der  Legat  Veranius  sollte  die  neue  Ordnung  einleiten,  die 
Germanicus  den  Untertanen  durch  Ermäßigung  der  Steuern  er- 
leichterte. Ebenso  war  Commagene  ein  Distrikt  Syriens  geworden. 
Gerade  diese  selbstherrlichen  Fürsten  am  Euphrat  hinderten  einen 
festen  Zustand  in  Armenien,  da  sie,  für  ihre  Untertanen  eine  Last, 
doch  den  Schutz  der  Grenze  nicht  verbürgten. 

So  leicht  und  sicher  hatte  Germanicus  die  Wirren  des  Ostens 
schlichten  können,  weil  der  Name  des  Kaisersohnes,  der  in  so 
vielen  Kriegen  den  Lorbeer  des  Siegers  gewonnen  hatte,  eine 
Macht  war.  Artabanus  beeilte  sich,  die  Freundschaft  der  Römer 
zu  suchen,  und  erbat  nur,  daß  Vonones  aus  Syrien  verwiesen 
werde.  Sein  Wunsch  wurde  erfüllt,  und  der  Staatsgefangene  ging 
nach  Pompeiopolis  in  Cilicien,  wo  er  später  bei  einem  Fluchtversuch 
ums  Leben  kam.  Wieder  beging  Germanicus  den  Fehler,  daß  er,  um 
im  Orient  sein  Wirken  überall  kund  zu  tun,  gegen  die  Vorschrift 
Münzen  mit  seinem  Bildnis  schlug,  die  die  Einsetzung  der  Arme- 
niers feierten.  Piso  fühlte  sich  im  Rechte,  den  selbstherrlichen 
Kaisersohn  an  die  Schranken  seines  Auftrages  zu  erinnern.  Nur 
tat  er  es  in  einer  Weise,  dife  die  Grenzen  seines  eigenen  Auftrages 
erst  recht  überschritt.  Hatte  er  doch  seine  Unbotmäßigkei't  so 
weit  getrieben,  daß  er  dem  Befehle  der  Germanicus,  Legionen  aus 
Syrien  nach  Armenien  zu  führen,  nicht  nachkam.  Diesmal  trat 
ihm  Germanicus  bei  einem  Zusammentreffen  in  Cyrrus,  dem  Lager 
der  zehnten  Legion,  mit  Schärfe  entgegen,  ohne  seine  freche  An- 
maßung demütigen  zu  können.  Sprach  Germanicus  Recht,  so 
zeigte  Piso  in  seiner  Miene  Mißbilligung  des  Urteiles,  oder  er 
höhnte  wieder  über  die  glanzvollen  Geschenke,  durch  die  der 
König  der  Nabataeer  seine  Ehrfurcht  für  Germanicus  und  Agrip- 
pina  bekundete,  weil  er  selbst  und  seine  Plancina  verkürzt  worden 
waren.  Germanicus  in  seinem  hohen  Sinne  sah,  obwohl  seine 
Freunde  ilin  aufreizten,  den  Trotz  auf  seines  Dieners  Stirne  nicht, 
sah  er  doch  auch  nicht  das  Stirnrunzeln  seines  Oheims.  Denn  wie 
konnte  er  glauben,  daß  die  Vorschrift  des  Augustus,  kein  Senator 
191).  Chr.  dürfe  ohne  Erlaubnis  des  Princeps  Ägypten  betreten,  sich  auf 
ihn  erstreckte?  Und  tat  er  nicht,  was  seines  Amtes  war,  als  er, 
um  die  Not  zu  lindern,   in  Alexandria   die  Speicher   des  Staates 


3.  Gennanicus  im  Osten  2S'\ 

ZU  Öffnen  befahl,  oder  konnte  er  das  heiße  Nilland,  das  zu  sehen 
sein  wißbegieriger  Geist  begehrte,  anders  als  in  der  leichten  Tracht 
des  Griechen,  frei  von  der  Würde  seiner  hohen  Stellung,  bereisen  ^ 
Von  Canopus  ging  die  Fahrt  den  Nil  aufwärts,  bis  nach  Svene, 
der  Grenze  Ägyptens,  und  überall  sah  Germanicus  die  Wunder 
der  Vorzeit,  lauschte  den  Erzählungen,  in  denen  sich  das  unver- 
standene Altertum  Ägyptens  mit  den  verklungenen  Sagen  der 
Griechen  zur  Lösung  der  Sphynx  herrlicher  Bauten  verband.  Er 
hatte  sich  selbst  vergessen  über  all  dem  Geschauten  und  stand 
nach  seiner  Rückkehr  vor  dem  neuen  Rätsel,  daß  sein  kaiserlicher 
Oheim  mit  leisem  Tadel  und  ernster  Strafrede  sein  Tun  schalt. 
Aber  es  waren  nicht  nur  Worte,  die  ihn  kränkten.  Als  er  wiedejr 
in  Syrien  eintraf,  sah  er  mit  Empörung,  daß  Piso  alle  seine  An- 
ordnungen umgestürzt  hatte.  Vor  der  gerechten  Entrüstung  des 
Germanicus  wollte  Piso  aus  Syrien  weichen;  da  ließ  ihn  die  Er- 
krankung des  Fürsten  wieder  zögern.  Erst  als  Germanicus  genas 
und  ihn  mit  seiner  Ungnade  des  Amtes  enthob,  verließ  er  die 
Provinz. 

Doch  sank  Germanicus  bald  wieder  auf  das  Krankenlager, 
von  dem  er  sich  nicht  wieder  erheben  sollte.  Er  starb  in  der 
Blüte  des  Mannesalters,  zu  Großem  berufen,  des  Höchsten  fähig, 
beweint  von  den  Seinen,  betrauert  von  den  Provinzen,  die  zu- 
letzt der  Schauplatz  seines  Wirkens  waren.  Zu  furchtbar  war 
der  Schlag  für  Agrippina,  für  die  Freunde,  von  denen  die  Be- 
jahrten in  dem  Sohne  auch  den  Vater  geliebt,  wie  er  die  Jüngeren 
selbst  seinen  Plerzen  gewonnen  hatte.  Die  schleichende  Krank- 
heit, der  er  erlegen  war,  schien  ihnen  allen  das  Werk  Plancinas, 
die  dem  edeln  Fürsten  durch  heimliches  Gift  das  Leben  geraubt 
hätte.  Das  Gebaren  des  Weibes  und  ihres  Gatten  Piso  bewies 
auch  einen  Haß,  der  zu  allem  fähig  war.  Hatte  doch  Piso  die  Opfer 
in  Antiochia,  die  die  Heilung  des  Kranken  von  den  Göttern  er- 
flehten, mit  Gewalt  gestört.  In  dem  Sterbegemach  fand  man  jene 
Tafeln  voll  Verwünschungen  und  anderen  gleicli  wirksamen  Zau- 
ber, der  das  Leben  des  Verhaßten  den  Göltern  der  Unterwelt 
weihte.  Als  dann  die  Nachricht  von  dem  Tode  des  Germanicus 
das  Paar  in  Kos  erreichte,  kannte  ihr  Jubel  weder  Scliam  noch 


284 


Tiberius 


Maß.  Sie  füllten  die  Tempel  mit  Dankesopfern,  und  Plancina,  die 
für  ihre  Schwester  das  Trauergewand  trug,  legte  triumphierend  ein 
Freudenkleid  an.  Die  Freunde  des  Germanicus  bestellten  aus  ihrer 
Mitte  den  Sentius  Saturninus  zum  Verwalter  des  Ostens,  Die  an- 
deren rüsteten  sich,  in  Rom  die  Anklage  wegen  Giftmordes  gegen 
Piso  und  Plancina  zu  erheben.  Ihnen  zuvorzukommen,  gedachte 
Pisos  Sohn  nach  Italien  zu  eilen,  um  den  Gerüchten,  die  den  Vater 
belasteten,  entgegenzutreten.  Piso  ließ  es  nicht  zu  und  brach  selbst 
auf,  um  von  der  Provinz  Syrien  wieder  Besitz  zu  nehmen,  die  nach 
des  Kaisers  Auftrag  sein  war.  Er  rechtfertigte  sein  Tun  in  einem 
Schreiben  an  den  Kaiser,  und  Rom  sah  das  seltsame  Schauspiel, 
daß  die  Abneigung,  die  das  Kaiserhaus  spaltete,  in  seinen  Dienern 
als  ein  Bürgerkrieg  ausbrach.  Domitius  Geier,  der  Vertraute  Pisos, 
landete  in  Laodikeia,  um  die  sechste  Legion  für  den  Statthalter 
des  Kaisers  unter  die  Waffen  zu  rufen.  Piso  selbst  erschien  in 
Cilicien,  sammelte  Überläufer,  Troßknechte  unter  seinen  Fahnen, 
bemächtigte  sich  einer  Abteilung,  die  die  Legionen  Syriens  zu  er- 
gänzen bestimmt  war,  und  forderte  die  Fürsten  des  Landes  auf, 
ihn  zu  unterstützen.  Diesem  zusammengewürfelten  Haufen  gab 
er  den  Namen  einer  Legion  und  machte  das  feste  Celenderis  zu 
seinem  Waffenplatz.  So  brach  Sentius  Saturninus,  der  den  Ab- 
fall der  sechsten  Legion  verhindert  hatte,  mit  Heeresmacht  auf, 
den  Gewalttätigen  mit  Gewalt  wieder  zu  verjagen.  Piso  nahm  die 
Schlacht  vor  seiner  Feste  an,  immer  in  der  Hoffnung,  daß  die 
Legionen  Syriens  zu  ihm  übertreten  würden.  Als  aber  die  Cilicier 
den  Rücken  wandten  und  die  Legionare  ihre  Kriegshörner  ertönen 
ließen,  mit  Sturmleitern  bewehrt  gegen  die  Mauern  herankamen, 
da  war  sein  Trotz  gebrochen.  Alles,  was  er  erreichen  konnte,  war 
freies  Geleite,  um  nach  Italien  zurückzukehren. 

Was  ihn  hier  erwartete,  verriet  die  Stimmung  der  Haupt- 
stadt. Als  die  erste  Nachricht  von  dem  Tode  des  Germanicus  ein- 
traf, legte  ganz  Rom  das  Trauerkleid  an,  und  der  Gerichtsstill- 
stand trat  von  selbst  ein.  Es  war  der  stille  Kummer  wahren  Lei- 
dens, der  die  ganze  Stadt  erfaßt  hatte.  Da  kam  die  täuschende 
Kunde,  daß  der  Teure  genesen  sei,  und  für  kurze  Zeit  herrschte 
die  begeisterte  Freude,  die  einer  um  so  verzweifelteren  Trauer 


3-  Germanicus  im  Osten  28 S 

wich.  Tiberius  ließ  das  Volk  gewähren  und  hemmte  auch  die 
Ehrenbeschlüsse  für  den  Toten  nicht,  obwohl  auch  sie  der  Aus- 
druck waren  des  allgemeinen  Empfindens,  daß  mit  Germanicus 
die  einzige  Hoffnung  des  Staates  begraben  sei.  Die  Salier  sollten 
in  ihrem  Liede  seinen  Namen  nennen,  sein  Standbild  bei  den 
Circusspielen  aufziehen,  seine  Priestertümer  sollte  nur  ein  Julier 
bekleiden.  ■  Ehrenbogen  am  Rheine  und  im  Amanusgebirge  ver- 
kündeten den  Ruhm  seiner  Taten.  Ein  Grabmal  wurde  ihm  er- 
richtet in  Antiochia,  und  ein  Sitz  göttlicher  Verehrung  in  Epi- 
daphnae,  dem  Orte  seines  Sterbens.  Zahllos  waren  im  ganzen 
Reiche  seine  Statuen  und  die  Stätten  seiner  Verehrung.  Auch  die 
Ritterschaft  sollte  ihn  feiern,  die  eines  ihrer  Geschwader  nach  ihm 
benannte,  und  den  Dichter  und  Redner  pries  ein  Ehrenschild  in 
dem  Saale  der  palatinischen  Bibliothek.  Alles  hatte  getrauert,  nur 
Tiberius  und  Livia  nicht.  Das  Bewußtsein,  daß  sie  nicht  frei  von 
Schuld  waren,  machte  sie  verstummen,  und  das  Unbehagen,  was 
die  unvermeidlichen  Verhandlungen  des  Senates  über  das  Tun 
Pisos  und  Plancinas  enthüllen  mußten. 

Denn  wie  ein  Rachegeist  war  Agrippina,  die  Aschenurne  20  n.  Chr. 
ihres  toten  Gemahls  an  ihr  Herz  pressend,  in  Brundisium  ge- 
landet. Nichts  hatte  ihre  winterliche  Reise  auf  dem  Meere  zu 
hemmen  vermocht.  Nur  in  Corcyra  hatte  sie  Halt  gemacht,  in 
dem  Jammer,  der  ihr  stolzes  Herz  zerriß,  nach  Fassung  ringend. 
Germanicus  kannte  seine  Frau,  die  der  höchste  Schmerz  des 
Weibes,  der  auch  ihr  erster  war,  mit  so  wahnsinniger  Gewalt 
erschütterte.  Noch  auf  dem  Totenbette  hatte  er  sie  beschworen, 
ihren  Stolz  zu  demütigen  um  der  Kleinen  willen,  die  mit  ihr 
sein  Sterbelager  umstanden,  nicht  das  Verderben  über  die  Un- 
schuldigen heraufzubeschwören,  indem  sie  durch  ihre  maßlose 
Erregung  den  Argwohn  des  Kaisers  noch  steigerte.  Mehr  noch 
als  der  Schmerz  um  den  Geliebten  peinigte  sie  die  Verzweiflung, 
daß  sie,  die  mit  dem  Manne  geboten,  in  das  Nichts  einer 
achtungslosen  Duldung  ihres  jammervollen  Daseins  geschleudert 
war.  Sie  war  ihr  nicht  gegeben,  die  hohe  Weisheit,  durch  Leiden 
zu  lernen.  Nur  der  eine  Gedanke  erfüllte  sie,  Rache  zu  nehmen 
an  den  Elenden,  die  ihr    den  Teuersten    geraubt    hatten    durch 


286  Tiber  ius 

gemeinen  Meuchelmord.  Ihr  war  es  feste  Überzeugung,  daß  der 
herrliche  Mann  nicht  anders  hatte  sterben  können  als  durch  die 
Tücke  seiner  Feinde.  Und  doch,  Piso  und  Plancina,  waren  nur  das 
Werkzeug  gewesen.  Die  wahren  Mörder  waren  ihr  Tiberius  und 
Livia.  Selbst  ihren  Kindersegen,  den  Stolz  und  das  Glück  der  Mut- 
ter, hatten  sie  ihr  geneidet  an  jenem  Tage,  wo  ihr  Germanicus  die 
Kinder,  diese  einzig  wahren  Julier,  auf  seinem  Siegeswagen  in  die 
Stadt  geführt  hatte.  Auch  die  Gefahren,  welche  den  Kindern  von 
den  herzlosen  Großeltern  drohten,  erschienen  vor  ihrem  Geiste 
und  mehrten  noch  mit  der  Angst  der  Mutter  ihre  Verzweiflung. 
Als  die  Schiffe,  die  Agrippina  und  ihr  Gefolge  trugen,  unter 
dem  langsamen  Ruderschlag  der  Trauer  in  den  Hafen  von  Brun- 
disium  einfuhren,  füllten  das  Ufer  dichtgedrängte  Mengen,  die 
wahrer  Anteil  oder  leere  Neugier  aus  Rom  und  den  Nachbar- 
städten des  Ortes  der  Landung  herbeigeführt  hatten.  Zwei  prae- 
torische  Cohorten,  wie  es  dem  Range  des  toten  Prinzen  geziemte, 
erwarteten  auf  Befehl  des  Kaisers  mit  ungeschmückten  Fahnen 
die  sterblichen  Überreste  des  Imperators.  Auf  den  Schultern 
der  Tribunen  und  Centurionen  wurde  die  Urne  mit  seiner  Asche, 
überall  in  den  Landstädten  mit  den  Zeichen  der  öffentlichen 
Trauer  empfangen,  in  feierlichem  Geleite  nach  Rom  gebracht. 
Drusus,  des  Tiberius  Sohn,  Claudius,  des  Germanicus  Bruder, 
und  die  Kinder,  die  den  Eltern  nicht  nach  dem  Osten  gefolgt 
waren,  erwarteten  den  Trauerzug  in  Tarracina.  An  den  Toren 
Roms  harrten  die  Consuln,  der  Senat  und  unübersehbare  Massen 
des  römischen  Volkes  des  Toten,  um  zu  ehren,  was  ihnen  teuer 
war.  Nur  Tiberius  und  Livia  gaben  kein  Zeichen,  daß  sie  die 
allgemeine  Trauer  teilten,  und  es  konnte  sie  nicht  entschuldigen,, 
daß  die  Mutter  Antonia  Krankheit  und  tiefer  Kummer  in  ihrem 
Palaste  festhielt.  Auch  der  Leichenfeier  fehlte  die  hohe  Weihe, 
mit  der  die  Vornehmsten  Roms  sonst  zu  Grabe  geleitet  wurden. 
Hatte  Tiberius  gedacht,  die  ihm  lästige  Teilnahme  einzuschränken, 
sie  brach  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  hervor  beim  Anblick 
der  trostlosen  Witwe  und  der  hilflosen  Waisen.  Seltsam  er- 
schien dem  Volke  die  Mahnung  des  Kaisers,  das  Unglück,  das  den 
Staat  getroffen  hatte,  mit  Fassung  zu  tragen. 


3-  Germanicus  im  Osten  287 

So  gleichgültig  hatte  das  Haus  der  Julier  noch  nie  seine 
großen  Toten,  wenn  sie  zur  letzten  Ruhe  auf  dem  Marsfelde  ein- 
gingen, scheiden  sehen.  Da  erschienen  Piso  und  Plancina  in 
Rom,  Zuversicht  zur  Schau  tragend,  als  gälte  es  eine  festliche 
Heimkehr.  Hatte  doch  Tiberius  den  Sohn  des  Piso,  der  dem 
Vater  nach  Rom  vorangeeilt  war,  mit  allen  Zeichen  seiner  Gnade 
empfangen.  Auch  Piso  war  von  Drusus,  den  er  in  Dalmatien, 
wo  er  weilte,  aufgesucht  hatte,  mit  der  Täuschung  entlassen 
worden,  daß  ihm  in  Rom  keine  Gefahr  drohe.  Es  lag  in  des 
Kaisers  Macht,  die  Untersuchung  über  Pisos  Amtsvergehen  in 
eigene  Hand  zu  nehmen.  Aber  dies  hätte  dem  Gerüchte,  das 
ihn  selbst  als  schuldig  bezeichnete,  neue  Nahrung  gegeben.  Da 
war  es  die  Ergebenheit  Seians,  die  den  Kaiser  aus  seiner  schwie- 
rigen Lage  befreite.  Er  verstand  es,  Piso  das  gefährliche  Beweis- 
mittel der  schriftlichen  Aufträge  zu  entreißen,  unter  der  Vor- 
spiegelung, daß  ihm  die  Gnade  sicher  sei.  So  verband  den 
Kaiser  mit  seinem  Diener  nicht  mehr  das  Vertrauen,  sondern 
die  gemeinsame  Schuld,  eine  furchtbare  Waffe  in  der  Hand  des 
Günstlings.  Jetzt  konnte  der  Kaiser  der  Gerechtigkeit  freien  Lauf 
lassen. 

Als  Piso  von  den  Freunden  des  Germanicus  vor  das  Gericht 
des  Senates  geladen  wurde,  erschien  Tiberius,  um  in  kühler 
Erwägung  des  Rechtsfalles  den  Richtern  Unparteilichkeit,  un- 
beschadet der  hohen  Person  seines  Neffen,  zu  empfehlen.  Die 
Anklage  wegen  Giftmordes  war  nicht  zu  erweisen  und  brach  in 
sich  selbst  zusammen.  Aber  die  Verletzung  der  Amtspflichten 
war  um  so  offenkundiger.  Am  ersten  Tage  des  Gerichtes  ließ 
Piso  alle  Beweise  seiner  Schuld  über  sich  ergehen  und  trotzte 
auch  der  Wut  des  Volkes,  das  seine  Standbilder  niederriß,  um 
sie  auf  der  Verbrecherstiege  des  Tiberufers  zu  zerschlagen.  Auf 
Befehl  des  Kaisers  wurden  diese  Ehrenzeichen  wahren  Verdienstes 
wieder  aufgerichtet,  und  Piso  kehrte  am  Abend  unter  dem  Sclmtze 
der  Praetorianer  in  sein  Haus  zurück.  Auch  am  zweiten  Tage 
wollte  er  den  Richtern,  die  ihn  bereits  mit  Drohungen  und 
Schmähungen  überhäuften,  stehen,  immer  noch  Hilfe  vom  Kaiser 
erwartend.    Aber  Tiberius   sah    teilnahmslos   auf  die   Bedrängnis 


288  Tiberius 

seines  Dieners,  dem  er  das  einzige  Mittel  der  Verteidigung  ent- 
wunden hatte.  Für  sich  hatte  Piso  kein  Erbarmen  mehr  zu 
hoffen;  so  richtete  er  in  der  Nacht  nach  dem  Gerichte  eine 
letzte  Bitte  an  den  Kaiser,  in  der  er  alle  Schuld  auf  sich  nahm, 
um  seinen  Sohn  zu  retten,  der,  ihm  gehorchend,  sein  Mitschul- 
diger geworden  war,  und  gab  sich  dann  selbst  den  Tod.  Die  Liebe 
zu  seinen  Kindern  war  es  gewesen,  die  ihn  gehindert  hatte, 
seine  Rechtfertigung  vor  dem  Senate  auch  nur  zu  versuchen. 

Jetzt  war  es  Tiberius  ein  Leichtes,  Gnade  walten  zu  lassen 
für  die  Söhne,  die  keine  Schuld  traf,  und  auch  Plancina,  die 
wahre  Schuldige,  dankte  die  Rettung  ihrer  Freundschaft  mit  der 
alten  Mutter  des  Kaisers.  Dennoch  wurde  das  Possenspiel  eines 
solchen  Gerichtes  noch  zwei  Tage  fortgesetzt.  Der  Senat  erwog 
die  härtesten  Maßregeln  gegen  das  Andenken  des  Piso,  gegen 
seine  Söhne,  gegen  Plancina  unter  den  lärmenden  Reden  der  An- 
kläger. Der  Kaiser  schlug  alle  diese  edeln  Anträge  zurück  durch 
seinen  Einspruch,  sich  auf  die  Milde  berufend,  die  Augustus  in 
solchen  Fällen  bewiesen  hatte.  Die  Ankläger,  Vitellius,  Veranius 
und  Servaeus,  wurden  mit  Priestertümern  ausgezeichnet,  ebenso 
wurde  Fulcinius,  dem  römischen  Ritter,  das  Recht  verliehen, 
sich  um  senatorische  Aemter  zu  bewerben.  Er  war  als  Erster 
zur  Anklage  bereit  gewesen,  nur  um  den  Freunden  des  Germa- 
nicus  zuvorzukommen  und  sich  dem  Kaiser  gefällig  zu  erweisen. 
Furchtbar  erscheint  dieses  Gericht  vor  allem  durch  die  innere 
Unwahrheit  des  Verfahrens  und  die  hilflose  Ohnmacht  des  Be- 
klagten und  seiner  Richter.  Zur  Willenlosigkeit  war  der  Senat 
herabgewürdigt,  und  der  Kaiser  beklagte  sich  noch,  daß  diese 
Menschen  immer  zur  Knechtschaft  bereit  seien. 


4-  Drusus 

So  hatte  der  Tod  Tiberius  von  dem  aufgezwungenen  Erben  des 
Thrones  befreit.  Sein  eigenes  Geschlecht  und  nicht  diese  Julier 
würden  ihm  dereinst  nachfolgen.  Gerade  in  diesen  Tagen  der 
Trauer  war  ihm  eine  neue  Hoffnung  erwachsen  in  den  beiden 
Knaben,  die,  nach  dem  Tode  eines  älteren  Enkels,  Livilla  seinem 
Sohne  Drusus  geboren  hatte.  Diesen  Drusus  gedachte  damals  noch 
der  Kaiser  zum  würdigen  Erben  des  Thrones  heranzubilden.  Das 
erste  Consulat  seines  Principates  war  dem  Drusus  geworden,  der 
sich  besser  als  Germanicus  im  Aufstande  der  illyrischen  Legionen 
bewährt  hatte.  Dieses  Illyrien,  wo  Tiberius  selbst  seine  höchsten 
Verdienste  um  den  Staat  erworben  hatte,  war  denn  auch  in  den 
nächsten  Jahren  der  Schauplatz  des  erfolgreichen  Wirkens  des 
Sohnes.  Während  die  Deutschen  für  den  Ruhm  ihrer  Fürsten  sich 
zerfleischten,  hatte  er  am  Grenzstrome  Wache  gehalten.  Und  ihm 
war  es  gelungen,  ihre  Zwietracht  noch  zu  steigern,  ganz  nach  dem 
Grundsatz  seines  Vaters,  die  Feinde  zu  spalten,  um  über  sie  zu 
herrschen.  Der  stolze  Marbod,  der  so  lange  Jahre  unbesiegt 
zwischen  Freund  und  Feind  gestanden  hatte,  flehte  als  elender 
Flüchtling  bei  Drusus  um  Gnade,  verurteilt  als  Staatsgefangener 
in  Ravenna  ein  hohes  Alter  ehrlos  zu  vertrauern.  Daß  er  auch  zu 
besiegen  sei,  hatten  die  Deutschen  in  der  Schlacht  gegen  Arminias 
erkannt.  Als  der  Fürst  der  Gotonen.  Catualda,  der  einst  vor  Marbod 
hatte  fliehen  müssen,  mit  bewaffneter  Hand  in  Böhmen  einbrach, 
stürzte  das  Reich  der  Sueben,  das  so  vielen  Stürmen  gestanden 
hatte,  in  nichts  zusammen,  und  Marbod  floh  zu  den  Römern.  Aber 
auch  Catualda  wurde  bald  von  Vibilius  und  den  Hermunduren  seiner 
Herrschaft  beraubt  und  teilte  das  Los  des  Marbod,  ein  Scliüi/liiig 

Uuraaszewüki.I.  'V 


»go 


l'iberius 


der  Römer  auf  römischer  Erde  zu  leben.  Die  Gefolgsleute  beider 
Könige  siedelten  die  Römer  jenseits  der  Donau  unter  den  Mauern 
der  Grenzfeste  Carnuntum  an,  damit  sie  an  der  March  eine  Grenz- 
wehr bildeten,  und  gaben  ihnen  den  Quaden  Vannius  zum  Fürsten. 
Gerade  in  den  Tagen,  wo  sich  hinter  der  Aschenurne  des  Germa- 
nicus  das  Grabmal  der  Julier  schloß,  hielt  I^rusus  den  Siegeseinzug 
über  die  besiegten  Germanen.  Mit  hoher  Genugtuung  pries  der 
Kaiser  die  Verdienste  des  Sohnes  im  Senate.  Wie  früher  Germa- 
nicus,  so  bekleidete  jetzt  Drusus  mit  Tiberius  im  Jahre  21  das 
Consulat.  Tiberius  verließ  Rom  und  beobachtete  von  Campanien 
aus,  wie  sich  der  Sohn  in  der  Leitung  des  Staates  bewährte.  Auch 
er  hatte  bei  allen  Irrungen,  die  das  Herrscherhaus  betrafen,  wie 
Augustus,  nichts  im  Auge  als  das  Wohl  des  Staates,  um  gleich 
ihm  die  Schwäche  menschlichen  Urteils  zu  erfahren. 

Das  Vorbild  des  Vaters  hätte  dem  Sohne  wohl  eine  Lehre  sein 
können.  Noch  im  Jahre  17  hatte  Tiberius  seine  Einsicht  und  sein 
Wohlwollen  für  die  Untertanen  bewiesen,  als  zwölf  der  schönsten 
Städte  Asiens  durch  ein  Erdbeben  zerstört  wurden.  Im  Auftrage 
des  Kaisers  bereiste  ein  Praetorier  das  Land,  um  Hilfe  zu  bringen, 
und  den  so  schwer  betroffenen  Gemeinden  wurden  die  Steuern  auf 
fünf  Jahre  erlassen.  Freigebig  gegen  den  Staat,  verschmähte 
Tiberius  die  erzwungene  Bereicherung  aus  den  Vermächtnissen. 
Nur  wenn  die  Freundschaft  des  Toten  ihm  außer  Zweifel  stand, 
nahm  er  das  Erbe  an.  Auch  die  Plebs  urbana  erfuhr  im  Jahre  20 
seine  Unterstützung,  als  der  Preis  des  Getreides  drückend  wurde. 
Das  Bestreben,  bei  gerichtlichen  Klagen  die  Schwere  der  Schuld 
durch  die  so  leicht  verletzte  Majestät  des  Kaiserhauses  zu  steigern, 
drängte  er  zurück  und  verbat  sich,  sein  menschliches  Handeln  ein 
göttliches  zu  nennen. 

Die  Ruhe  in  den  Provinzen  war  in  diesen  Jahren  nicht  ohne 
Erschütterungen  geblieben.  Die  Schutzstaaten  an  der  Grenze  des 
Reiches,  die  Augustus  noch  hatte  bestehen  lassen,  widerstrebten 
dem  Geiste  geordneter  Verwaltung,  wie  er  Tiberius  vorschwebte. 
Wie  er  im  Osten  den  König  der  Cappadocer  beseitigt  hatte,  so 
vollzog  sich  auch  im  Reiche  der  Thraker  die  Umbildung  in  eine 
römische  Provinz.  Töricht  genug  hatten  die  Fürsten  aus  dem  Hause 


I 


4.  Drasm!  2  o  l 

der  Odrysen  das  drohende  Schicksal  durch  ihreriFamilienstreit  noch 
beschleunigt.  Nach  dem  Tode  des  Rhoemethalces  hatteAugustus  das 
Reich  geteilt,  demBruder  des  letztenKönigs  Rhascuporis  wurden  die 
Stämme  der  Berge,  dem  Sohne  Cotys,  der,  milderen  Sitten  zugetan, 
sich  als  Grieche  und  Dichter  fühlte,  der  Osten  des  Landes  und  seine 
griechischen  Städte  zugewiesen.  Als  sei  mit  dem  Tode  des  Augustus 
dieOberhoheitRoms  erloschen,  ließRhascuporis  seinen  räuberischen 
Stämmen  freie  Hand,  in  ganzen  Heerscharen  ihre  friedliebenden 
Nachbarn  heimzusuchen.  Tiberius  erteilte  dem  Primipilar,  der  an  19 n.Chr. 
der  unteren  Donau  die  Grenzverteidigung  leitete,  den  Auftrag, 
die  Thraker  zum  Frieden  zu  mahnen.  Cotys  gehorchte  und  entließ 
seine  Mannschaften,  die  den  Räubern  wehrten.  Aber  mit  solcher 
Sanftmut  war  er  den  Thrakern  nur  verächtlich  geworden;  Rhas- 
cuporis scheute  sich  nicht  mehr,  seinen  Neffen  bei  einem  Ver- 
söhnungsmahle in  Ketten  zu  legen  und  seiner  Klagen  über  ge- 
brochenes Gastrecht  zu  lachen.  Er  schrieb  an  den  Kaiser,  er  hätte 
aus  Notwehr  gehandelt,  ohne  seine  Rüstungen,  als  gälten  sie  den 
Bastarnern  und  Scythen,  einzustellen.  Da  gab  Tiberius  den  Legionen 
Moesiens  den  Befehl,  dem  Namen  Roms  Achtung  zu  schaffen.  Als 
Antwort  ließ  Rhascuporis  den  Cotys,  der,  wie  er  sagte,  ihm  nach 
dem  Leben  getrachtet  hätte,  ermorden.  Ehe  die  römischen  Truppen 
in  Thrakien  noch  eingetroffen  waren,  starb  der  Legat,  der  sie  be- 
fehligte, und  an  seine  Stelle  trat  Pomponius  Flaccus.  Da  er  dem 
thrakischen  Königshause  seit  langem  befreundet  war,  gelang  es  ihm, 
Rhascuporis  an  sich  zu  locken.  In  derGewalt  desRömers  mußteRhas- 
cuporis  die  Reise  nach  Rom  antreten,  zuerst  unter  ehrenvollem 
Geleite,  bald  als  Gefangener.  Cotys  Frau,  jene  Tochter  der  Pytho- 
doris,  wurde  seine  Anklägerin  vor  dem  Senate.  Schuldig  befunden, 
seiner  Würde  beraubt,  ging  er  nach  Alexandria  in  die  Verbannung 
und  starb,  eines  Fluchtversuches  beschuldigt.  Die  Söhne  erbten 
in  Thrakien  das  Reich  ihrer  Väter.  Nur  erhielten  die  unmün- 
digen Kinder  des  Cotys  im  Jahre  19  den  Praetorier  Trebellenus 
Rufus  zum  Vormund. 

Wie  immer  bei  freien  Völkern,  wurde  auch  in  Thrakien  die 
römische  Verwaltung,  die  der  Willkür  Einhalt  gebot,  als  ein  Fluch 
empfunden.  Der  Sohn  des  Rhascuporis,  Rhoemetalres,   war  außn 

19* 


292 


Tiberius 


Stande,  der  Weisung  des  Trebellenus  Rufus  gemäß,  seineUntertanen 
2  1  n.Chr.  zu  Zwingen,  die  Schutzbefohlenen  des  Praetoriers  in  Frieden  leben 
zu  lassen.  Die  Coelaleten,  Odrysen,  Dier  gerieten  in  Bewegung. 
Einmal  auf  dem  Kriegspfad,  dehnten  sie  ihre  Raubzüge  bis  nach 
Macedonien  aus  und  belagerten  mit  einem  ganzen  Heere  Philippo- 
polis.  Doch  stellte  der  Legat  Moesiens,PubliusVellaeus,  dieOrdnung 
rasch  wieder  her.  Seine  leichten  Truppen  vertrieben  die  Plünderer; 
er  selbst  sprengte  mit  denLegionen  dieBelagerung  vonPhilippopolis. 
Das  Blut,  das  die  Barbaren  vergossen  hatten,  kühlte  ihren  Mut. 

Schon  im  Jahre  17  hatte  in  Africa  ein  kühner  Parteigänger 
Tacfarinas  einen  Aufstand  erregt,  der  aus  kleinen  Anfängen  all- 
mählich zu  einer  ernsten  Gefahr  wurde.  Im  römischen  Lager  zum 
Soldaten  gebildet,  war  er  dem  Dienste  entlaufen,  um  sich  als  Räuber 
einen  Namen  zu  schaffen.  Die  kriegerische  Zucht  seiner  Scharen 
ließ  ihn  zum  Führer  des  Wüstenstammes  der  Musulamier  empor- 
steigen, und  er  gewann  ihre  maurischen  Nachbarn,  die  unter 
Mazippas  Fahne  ins  Feld  zogen,  zu  Bundesgenossen.  Schon  waren 
ihre  Haufen  zu  einem  Kriegsheer  geworden.  Die  Numidier  des 
Tacfarinas,  nach  römischer  Art  geschult  und  gegliedert,  fochten  als 
Fußvolk,  Mazzipas  Mauren  als  Leichtbewaffnete  und  Reiter.  Auch 
das  Volk  der  Cinthier  schloß  sich  ihnen  an.  Da  rückte  der  Pro- 
consul  Africas  mit  seiner  Legion  und  den  Auxilia  gegen  die  Auf- 
ständischen heran  und  schlug  sie  so  entschieden,  daß  es  einem  Siege 
glich.  Nach  vielen  Jahrhunderten  schmückten  die  Ehrenzeichen 
eines  Triumphes  wieder  einen  Nachkommen  des  großen  Camillus. 
20 n.Chr.  Aber  drei  Jahre  später  stand  Tacfarinas  wieder  mit  einem 
Heere  im  Felde,  stark  genug,  eine  römische  Cohorte  am  Pagyda- 
flusse  zu  schlagen.  Der  Proconsul  Apronius  ließ  die  Flüchtlinge 
die  Strenge  des  römischen  Kriegsrechtes  fühlen  und  erreichte, 
daß  eine  Abteilung  Veteranen  bei  Thala  die  Räuber  im  tapferen 
Kampfe  zurückwies.  Aber  Tacfarinas  plünderte  nach  wie  vor  die 
Provinz,  jeden  ernsten  Kampf  vermeidend.  Wieder  gelang  es  dem 
Sohne  des  Statthalters,  die  mit  Beute  beladenen  Räuber  an  der 
Meeresküste  zu  fassen  und  zum  Rückzug  in  die  Wüste  zu  zwingen. 
Doch  im  nächsten  Jahre  erschien  Tacfarinas  abermals  auf  dem 
Plane  und  begann  sein  altes  Spiel.  Es  erschien  notwendig,  einen 


4-  Drusus  20^ 

Feldherrn  von  bewährtem  Rufe  nach  Africa  zu  senden.  Des  Kaisers 
Wahl  fiel  auf  jenen  Blaesus,  der  der  illyrischen  Meuterei  getrotzt 
hatte.  Mehr  noch  empfahl  ihn  dem  Kaiser  der  höchste  Vorzug,  ein 
Oheim  Seians  zu  sein. 

Das  Heer  Africas  wurde  durch  die  neunte  Legion  aus  Pannonien 
verstärkt,  um  mit  den  Räubern  ein  Ende  zu  machen.  DennTacfarinas 
trieb  Spott  mit  dem  Feinde,  als  er  Gesandte  an  Tiberius  schickte, 
um  für  die  Seinen  Sitze  in  der  römischen  Provinz  zu  begehren, 
sonst  drohe  ein  Vernichtungskrieg.  Gefährlich  war  in  diesem 
Wüstenkriege  nur  der  Führer;  so  sollten  alle,  die  ihn  verließen, 
Gnade  finden.  Wohl  lichtete  diese  Lockung  des  Tacfarinas  Scharen. 
Aber  der  Krieg  hatte  schon  lange  das  Wesen  eines  Freiheitskampfes 
angenommen,  und  an  der  ganzen  langgedehnten  Wüstengrenze  im 
Süden  der  Provinz  sahen  sich  die  Römer  den  Feinden  gegenüber. 
Von  Leptis  an  der  großen  Syrte  und  dem  Lande  der  Garamanten 
reichte  der  Kriegsschauplatz  bis  tief  nach  Numidien  und  die  Um- 
gebung der  Hauptstadt  Cirta.  Blaesus  teilte  sein  Heer,  der  Legat 
Cornelius  Scipio  kämpfte  gegen  die  Garamanten.  Blaesus  Sohn 
deckte  Numidien.  Der  Statthalter  ging  mit  der  Hauptmacht  gegen 
den  Herd  der  Erhebung,  die  Sitze  der  Musulamier  im  Auresgebirge, 
vor,  um  Tacfarinas  durch  lange,  befestigte  Linien  einzuschließen. 
Aber  der  rastlose  Gegner  tauchte  bald  im  Rücken,  bald  in  den 
Flanken  der  ihn  bekämpfenden  Abteilungen  auf  und  erwies  sich 
den  Römern,  die  seiner  Kampfesweise  sich  anbequemen  mußten,  ge- 
wachsen. Streifabteilungen  unter  der  Führung  bewährter  Primi- 
pilare  suchten  ihn  vergeblich,  von  drei  Seiten  vorrückend,  ein- 
zuengen. Der  Winter  kam  heran,  und  noch  immer  standen  die 
Römer  in  ihren  Speerlagern.  Im  Frühjahr  gelang  es  Blaesus,  wenn 
nicht  Tacfarinas,  so  doch  seinen  Bruder  zu  fangen,  und  auch  der 
unerreichbare  Feind  verschwand,  immer  wieder  in  seinen  Lager- 
plätzen aufgescheucht,  vor  den  Augen  der  Verfolger  in  der  un- 
zugänglichen Wüste.  Blaesus  entschloß  sich,  gesiegt  zu  haben, 
und  das  Heer  krönte  ihn  mit  dem  Imperatornamen.  Auch  der 
Kaiser  gewährte  ihm  diese  höchste  Siegesehre,  da  er  nach  dem 
Staatsrecht  des  Principates  gleich  dem  Kaiser  als  Feldherr  des 
Senates  selbständig  an  der  Spitze  seines  Heeres  gesiegt  hatte. 


?94 


Tiberius 


Auch  in  Gallien  hatte  im  Jahre  21  die  schwere  Schuldenlast 
der  Gemeinden  einen  Aufstand  hervorgerufen.  Die  Führer  waren 
der  Treverer  Julius  Florus  und  der  Aeduer  Julius  Sacrovir.  Sie 
nahmen  es  auf  sich,  die  Stämme  der  Belgica  und  der  Lugdunensis 
zu  überzeugen,  daß  das  einzige  Mittel,  den  Steuern,  den  Schulden 
und  den  harten  Befehlen  der  Statthalter  zu  entgehen,  in  einer  Er- 
hebung gegen  die  römischen  Zwingherrn  läge.  Die  gemeinsame 
Not  machte  Vornehme  und  Geringe  gelehrig,  und  bald  war  ganz 
Gallien  von  dem  Geiste  der  Empörung  ergriffen.  Da  brach  der 
Aufstand  bei  den  Andecaven  und  Turonen  vor  der  Zeit  aus.  Acilius 
Aviola,  der  Statthalter  der  Lugdunensis,  rückte  mit  der  Cohorte, 
die  in  Lugudunum  Polizeidienst  tat,  und  Legionaren  aus  Nieder- 
germanien ins  Feld  und  schlug  die  Wehrlosen  nieder.  Auch  die 
Verschwörer  hatten  mit  dem  Landsturm  ihrer  Gaue  in  der  Schlacht 
auf  Seite  ihrer  Herrn  gezwungenen  Kriegsdienst  getan.  Das  not- 
wendige Ende  ihres  törichten  Unterfangens  vor  Augen,  ließen  die 
Häupter  des  Bundes  in  ihrer  Verzweiflung  über  die  drängenden 
Schulden  von  ihren  Plänen  nicht  ab.  Florus  versuchte  ein  aus 
Treveren  gebildetes  Reiterregiment  für  die  Sache  der  Freiheit  zu 
gewinnen,  und  als  dies  mißlang,  warf  er  sich  mit  seinem  Gefolge 
verkommener  Gesellen  in  die  Wälder  der  Ardennen.  Soldaten  des 
Rheinheeres  zersprengten  seine  ungeordneten  Haufen,  und  er  selbst 
fiel  in  sein  Schwert,  als  ihm  jeder  Ausweg  abgeschnitten  war. 

Einen  noch  unseligeren  Verlauf  nahm  der  Freiheitskampf  der 
Aeduer.  Die  Studenten  der  hohen  Schule  zu  Augustodunum  hatten 
für  Sacrovir  die  Waffen  ergriffen,  und  um  diese  begeisterte  Schar 
sammelte  sich  ein  Heer,  dem  es  außer  an  der  Zahl  der  Streiter  an 
allem  fehlte.  Vierzigtausend  Mann  sollen  es  gewesen  sein,  die 
meisten  mit  Waidmessern,  Eberspießen  und  anderem  harmlosen 
Jagdgeräte  ihrer  adeligen  Herrn,  die  sie  auf  die  Schlachtbank 
führten,  ausgerüstet.  Gegen  diese  schreckhaften  Scharen  rückten 
die  Legionen,  die  unter  Germanicus  die  Deutschen  bekämpft  hatten, 
mit  all  dem  Kriegsgerät  ernster  Schlachten  heran.  Am  zwölften 
Meilensteine  vor  Augustodunum  hatte  Sacrovir,  auf  einem  glänzen- 
den Streitrosse  mit  den  Großtaten  der  Gallier  prahlend,  sein  Heer 
zur  Schlacht  geordnet.  Die  überhaupt  Rüstungen  trugen,  kaum  der 


4-  Dnisus  205 

fünfte  Teil,  standen  in  den  ersten  Linien,  die  anderen  füllten  nur 
mit  ihren  wehrlosen  Leibern  den  Raum.  Die  Legionen  brannten 
vor  Mut,  ihre  Kraft  an  diesen  Knechten  zu  zeigen,  und  stürmten 
beim  Anblick  der  Feinde  im  Wetteifer,  noch  mit  ihrem  Schanzzeug 
und  Maueräxten  beladen,  vorwärts.  So  stachen  und  hieben  sie  denn 
die,  die  kaum  Widerstand  leisteten,  mit  Schwertern  und  Lanzen,  mit 
Beilen  und  Äxten  nieder.  Die  edeln  Häupter  dieser  wahnwitzigen 
Erhebung  töteten  sich  im  Landhause  des  Sacrovir  und  fanden  in 
den  Flammen  des  zusammenbrechenden  Gebäudes  ein  Grab.  Daß 
der  römische  Feldherr,  statt  die  Ohnmächtigen  zur  Ergebung  auf- 
zufordern, seine  Truppen  noch  zu  diesem  sinnlosen  Gemetzel  an- 
gefeuert hat,  ist  von  allem  das  Jammervollste. 

Und  doch  war  es  eine  Großtat  Roms:  der  Senat  beschloß  für 
den  Kaiser,  der  über  diese  Unruhen  ganz  geschwiegen  hatte,  die 
feierlichen  Dankesopfer  ernster  Siege  und  erntete  die  verdiente 
Zurechtweisung. 

Der  Geist  der  inneren  Verwaltung  hatte  sich  in  diesen  Jahren 
nicht  geändert.  Der  Kaiser  war  bemüht,  dem  Senat  seinen  Einfluß 
zu  wahren  und  griff  oft  mäßigend  ein,  wo  eine  knechtische  Unter- 
ordnung hervortrat.  So  hatte  der  Senat  einen  elenden  Schacher, 
Clutorius  Priscus,  der,  für  ein  Trauergedicht  auf  den  Tod  des  Ger- 
manicus  vomKaiser  beschenkt,  gleich  ein  zweites  aufVorrat  verfaßte, 
als  Drusus  erkrankte,  sofort  des  Todes  schuldig  erkannt  und  das 
Urteil  unmittelbar  vollstrecken  lassen.  Damit  war  dem  Kaiser  die 
Gnade  abgeschnitten  worden,  und  in  Zukunft  sollte  kein  Urteil  vor 
dem  zehnten  Tage  Rechtskraft  erhalten.  Der  Kaiser  mäßigte  auch 
sonst  die  vom  Senat  über  ungetreue  Beamte  verhängten  Strafen  in 
der  milden  Weise,  die  Augustus  geübt  hatte,  verhinderte  eine  Neu- 
belebung der  Gesetze  gegen  Aufwand,  da  sie  nur  eine  Quelle  bös- 
artiger Verdächtigung  und  Verfolgung  seien.  Er  ließ  den  Senat 
entscheiden,  was  seines  Amtes  war,  wie  die  Frage  über  das  Asyl- 
recht der  Städte  Asiens,  als  der  Mißbrauch  mit  diesen  Freistätten 
die  Verbrecher  dem   verdienten  Gericht  entzog. 

Obwohl  Drusus  die  Hoffnungen  des  Kaisers  durcli  sein  schlaffes, 
dem  rohen  Genüsse  ergebenes  Leben  enttäuschte,  verlieh  er  ihm 
doch  im  Jahre  22  die  tribunicische  Gewalt,  wie  er  sie  selbst  als 


296 


Tiberius 


Mitherrscher  von  Augustus  erhalten  hatte,  in  der  Erwartung,  das 
Bewußtsein  der  Pflichten  in  ihm  zu  stärken.  Immer  länger  weilte 
der  Kaiser,  der  in  den  ersten  Jahren  die  Bannmeile  Roms  nicht 
verlassen  hatte,  in  Campanien,  und  in  demselben  Maße  wurde  ihm 
die  Unterstützung  Seians  unentbehrlich.  Dem  Rate  seines  Günst- 
lings  folgend,  hatte  er  die  ganze  Leibwache  aus  den  Landstädten 
Latiums,  wohin  sie  Augustus  ins  Quartier  gelegt  hatte,  um  alle 
Soldatenherrschaft  von  der  Hauptstadt  fernzuhalten,  in  einem 
Lager  vor  dem  viminalischen  Tore  vereinigt.  Im  Jahre  23  war  der 
Bau  des  Lagers  v^ollendet;  eine  glänzende  Parade  vor  dem  ver- 
sammelten Senate  sollte  Rom  zeigen,  daß  es  auch  in  der  Abwesen- 
heit des  Kaisers  unter  einem  eisernen  Zwang  stand.  Wie  konnte 
es  anders  sein,  als  daß  der  Befehlshaber  dieser  10000  Leibwächter 
der  einflußreichste  Mann  in  Rom  wurde? 

Noch  stand  Seian  im  Schatten  des  Kaisers.  Aber  schon  erhob 
sich  sein  erstes  Standbild  auf  den  Wunsch  des  Kaisers,  weil  er 
durch  seine  Umsicht  bei  dem  Brande  des  Pompeiustheaters  die  be- 
drohten Prachtbauten  des  Marsfeldes  gerettet  hatte.  Seit  langem 
war  der  einzige  Weg,  im  Staate  und  im  Heere  zu  den  Ehren  und 
Ämtern  zu  gelangen,  die  Empfehlung  des  Günstlings.  Wurde  doch 
der  Kaiser  nicht  müde,  vor  dem  Senate  und  im  Gespräche  diese 
wahre  Stütze  seiner  Herrschaft  zu  preisen. 

Mochten  die  anderen  sich  alle  fügen,  des  Kaisers  Sohn  ertrug 
nur  mit  äußerstem  Widerwillen  diesen  Präfekten,  der  ihm  überall 
im  Wege  stand  und  selbst  ihm  mit  seiner  hochmütigen  Überlegen- 
heit Trotz  bot.  So  geschah  es,  daß-  Drusus  einmal,  seines  Zornes 
nicht  mehr  mächtig,  bei  einem  Wortwechsel  Seian  mit  der  Faust 
in  das  frech  entgegengehaltene  Gesicht  schlug.  Wohl  war  es 
herausfordernd,  dieses  kalte,  abweisende  Antlitz  mit  dem  zur  Seite 
gerichteten,  halb  verschleierten  Blick.  Und  teuflische  Bosheit  lebte 
im  Herzen  dieses  Mannes.  Rache  mußte  ihm  werden  an  diesem 
Prinzen,  und  er  sah  sie  in  einer  Gestalt,  daß  der  bloße  Gedanke 
ihn  entzückte.  War  nicht  Livilla,  des  Drusus  Frau  und  des  Ger- 
manicus  Schwester,  die  schönste  und  adeligste  der  Römerinnen? 
War  sie  nicht  die  Erbin  des  Thrones,  wenn  dieser  Drusus  erst 
seinen  letzten  Weg  gegangen   war?    Und  den   Kaiser,  Wachs  in 


4-  Drusus  2 97 

seinen  geschickten  Händen,  wollte  er  biegen  und  bilden  nach 
seinem  Willen,  indem  er  auf  seinem  Argwohn  und  Mißtrauen 
spielte.  Er  gewann  Livilla,  und  als  sie  ihre  Ehre  verloren,  hatte 
sie  nichts  mehr  zu  versagen.  Ihr  Leibarzt  Eudemus  reichte  dem 
Drusus  das  schleichende  Gift.  Seian  verstieß  seine  Frau  Apicata, 
die  Mutter  seiner  Kinder,  die  ihn  wahrhaft  geliebt  haben  muß, 
da  sie  ihre  Schande  trug,  um  seine  Verbrechen  wußte,  und  doch 
schwieg.  So  hatte  er  seiner  Buhlin  gezeigt,  daß  er  bereit  sei,  mit 
ihr  den  Thron  zu  teilen.  Livilla,  die  jetzt  durch  den  Allmächtigen 
herrschte  und  immer  zu  herrschen  hoffte,  sah  noch  in  dem 
Schmachvollsten,  das  Weib  ihres  Dieners  zu  werden,  die  Krone 
der  Ehre.  Von  dieser  Stunde  an  hatte  Seian  nichts  mehr  im 
Sinne,  als  alle  aus  dem  Wege  zu  räumen,  über  deren  Leichen  er 
dem  Throne  zuschreiten  wollte.  Jetzt  galt  es  Haß  und  Feindschaft 
im  Kaiserhause  zu  nähren  und  Tiberius  von  allen  Banden  los- 
zureißen, die  ihn  noch  an  dem  menschlichen  Dasein  festhielten. 
Schritt  für  Schritt  erreichte  er  dieses  Ziel  und  weidete  sich  noch 
an  den  Leiden,  die  er  über  seinen  Kaiser  und  Wohltäter  häufte. 
Der  ganze  Staat  der  Römer  erkrankte  und  lag,  von  diesem  Dämon 
besessen,  wie  im  Fieber. 


5.  Seians  Herrschaft 

Tiberius  hatte  während  des  langsamen  Hinsterbens  seines 
Sohnes  in  ruhiger  Tätigkeit  seine  Fassung  bewahrt.  Dachte  er 
doch,  Drusus  erliege  den  Ausschweifungen,  denen  er  sich  seit 
seiner  Jugend  ergeben  hatte.  Ja  er  gewann  es  über  sich,  im 
Senate  zu  erscheinen,  ehe  noch  die  Leiche  seines  einzigen  Kindes 
den  Flammen  übergeben  war.  Vor  den  Wehklagen  und  Tränen 
der  Versammlung  entrang  sich  auch  seiner  Brust  das  Geständnis 
des  Schmerzes,  der  ihn  erfüllte.  Doch  nach  seinen  Worten  durfte 
er  sich  dem  natürlichen  Empfinden  nicht  beugen.  Denn  er  fand 
einen  höheren  Trost  in  der  Sorge  um  den  Staat.  So  wandten  sich 
seine  Blicke  den  berechtigten  Erben  des  Thrones  zu.  Auf  sein 
Geheiß  führten  die  Consuln  die  Söhne  des  Germanicus,  Nero  und 
Drusus,  in  den  Senat,  und  von  seinem  Throne  empfahl  er  diese 
letzte  Hoffnung  des  julischen  Hauses  dem  Wohlwollen  seiner  Be- 
rater. Nero  hatte  er  bereits  im  Jahre  20  mit  dem  Männerkleide 
die  Berechtigung  gewährt,  sich  5  Jahre  vor  der  gesetzlichen  Zeit 
um  die  Ämter  des  Staates  zu  bewerben,  und  hatte  ihn  durch  die 
Ehe  mit  seiner  Enkelin  Julia  in  sein  Haus  aufgenommen.  Auch 
Drusus  war  in  diesen  Jahren  zum  Jüngling  herangereift. 

Das  zehnte  Jahr  seines  Principates  ging  zu  Ende,  und  es  war 
dem  Herrscher  wahrer  Ernst,  wenn  er  davon  sprach,  der  Bürde 
seines  Amtes  müde  zu  sein.  Denn  wieder  zwang  ihn  das  Schicksal, 
für  die  ungeliebten  Nachkommen  den  Thron  zu  bewahren,  und  un- 
erfreulicher als  je  erhob  die  innere  Zwietracht  im  Herrscherhause 
ihr  Haupt.  Die  drei  Frauen,  die  seinem  Thron  zunächst  standen, 
bekämpften  sich,  von  der  Parteien  Gunst  getragen,  in  bitterer 
Feindschaft,  und  ihre  Herrschsucht  erschwerte  ihm  die  Pflichten. 
Seine  Mutter  Livia  wurde  nicht  müde,  ihren  Einfluß  für  ihre  Gunst- 


5-  Seians  Herrschaft  2QO 

linge  geltend  zu  machen,  trotz  aller  Zurückweisung,  sodaß  der  Kai- 
ser einmal  verzweifelt  ausrief,  er  wolle  ihre  Forderung  gewähren, 
aber  hinzufügen,  seine  Mutter  hätte  es  ihm  abgezwungen,  Agrippina 
glaubte  nun  durch  ihre  Söhne  wieder  zur  Macht  zu  gelangen,  und 
sie  war  es,  die  die  Senatoren  dazu  vermochte,  bei  dem  Gelübde  für 
das  Wohl  des  Kaisers  am  Anfang  des  Jahres  24  auch  die  Namen 
seiner  Erben  zu  nennen.  Wie  hätte  der  Kaiser  den  Senat  nicht 
warnen  sollen,  in  den  Jünglingen  keine  Hoffnungen  zu  erwecken, 
die  über  das  Maß  ihrer  Stellung  im  Staate  hinausreichten?  Neben 
den  Sprossen  Agrippinas  begehrte  Livilla  um  so  leidenschaftlicher 
ihren  Vorrang  zu  behaupten  und  drängte  Seian,  durch  die  Ehe  an 
ihre  Seite  zu  treten.  In  diesem  schwülen  Ringen  des  Hasses  und 
Hochmutes  der  Weiber  suchte  Seian  zwei  Jahre  nach  Drusus  Tode 
eine  Entscheidung  zu  erzwingen,  als  er  es  wagte,  in  einem  Gesuche 
an  Tiberius  die  Hand  Livillas  zu  erbitten.  Die  Antwort  des  Kaisers, 
vol]  Weisheit  und  Wohlwollen  für  den  Freund,  warnte  Seian,  die 
Gefahren  seiner  vielbeneideten  Stellung  als  ersten  Ratgebers  nicht 
durch  eine  solche  Ehe  zu  steigern,  ohne  ihm  jede  Hoffnung  auf 
Erfüllung  auch  dieses  Wunsches  zu  verschließen. 

Dennoch  war  Seian  in  die  Schranken  des  Untertanen  zurück- 
gewiesen und  ging  jetzt  den  Weg,  der  seit  langem  vorbereitet  war, 
die  Söhne  des  Germanicus  durch  die  Torheit  Agrippinas  zu  verder- 
ben. Schon  seit  Drusus  Tode  waren  seine  Freunde  am  Hofe  Livias 
und  am  Gegenhofe  Agrippinas  tätig,  durch  Verleumden,  Hinter- 
bringen, absichtlich  falsche  Ratschläge  Mißtrauen  und  Überhebung 
zu  steigern.  Diesem  Zwecke  konnte  auch  die  Anklage  des  Gaius 
Silius  dienen,  der  als  Statthalter  Obergermaniens  in  dem  Kriege 
gegen  die  Deutschen  gedient  und  den  Sacrovir  besiegt  hatte.  Denn 
da  er  des  Unterschleifes  zweifellos  schuldig  war,  so  traf  die  Ver- 
urteilung vor  dem  Gerichte  des  Senates  in  seiner  mitschuldigen 
Frau  Sosia  Galla  eine  vertraute  Freundin  der  Agrippina.  Auch  in 
anderen  Fällen,  wo  die  Vergehen  der  Beamten  ihre  Strafe  fanden, 
ist  nur  Gerechtigkeit  geübt  worden,  wie  gegen  Suillius,  der  früher 
ein  Quästor  des  Germanicus  gewesen  war.  Als  Richter  der  Be- 
stechlichkeit überwiesen,  ging  er  nach  Amorgos  in  die  Verbannung; 
nur  zum  Unheil  des  Staates  wurde  er  unter  Claudius  wiederherge- 


300 


Tiberius 


Stellt.  Denn  noch  wachte  Tiberius  persönlich  über  das  Wohl 
des  Staates,  und  sein  Urteil  war  durch  keinen  Einfluß  des  Günst- 
lings  zu  bestechen. 

Da  ihm  in  dem  Sohne  der  Mitherrscher  gestorben  war,  so 
verließ  er  in  diesen  Jahren  Rom  nie  und  erschien  immer  bei  den 
Verhandlungen  des  Senates,  sobald  er  zu  Gericht  saß  oder  Fragen 
der  Verwaltung  entschied,  wie  über  die  Errichtung  eines  Tempels, 
den  die  dankbare  Provinz  Asien  dem  Kaiser  und  seiner  Mutter 
erbauen  wollte.  Wenn  der  Kaiser  auch  diesen  Wunsch  der  Unter- 
tanen gewährte,  so  wahrte  er  wieder  in  herrlichen  Worten  das 
einzige  Streben,  das  ihn  erfüllte,  der  erste  Diener  des  Staates  zu 
sein,  der  kein  anderes  Andenken  begehrte,  als  das  Bewußtsein  ge- 
rechten Handelns. 

Schwierig  ist  es,  bei  dieser  Gesinnung  des  Kaisers  über  den 
Prozeß  des  Geschichtsschreibers  Cremutius  Cordus  zu  urteilen.  Daß 
die  Anklage  mit  Vorwissen  des  Kaisers  erhoben  wurde,  ist  gewiß. 
Denn  es  sind  Clienten  des  Seian,  die  ihn  vor  das  Gericht  des 
Senates  forderten.  Das  Lob  des  Cassius  und  Brutus,  die  er  die 
letzten  Römer  nannte,  soll  ihm  zum  Verderben  geworden  sein.  Seine 
stolze  Verteidigung  machte  seine  Verurteilung  um  so  sicherer,  da 
er  den  offenen  Unwillen  des  Kaisers  erregte.  Er  entzog  sich  dem 
Gerichte,  indem  er  sein  Leben  durch  Hunger  endete.  Aber  seine 
Schriften  wurden  von  den  Aedilen  als  staatsgefährlich  verbrannt. 
Und  doch  kann  sich  das  Urteil  nicht  beruhigen  bei  den  unver- 
gänglich schönen  Worten  des  Tacitus  zum  Schutze  der  Gedanken- 
freiheit. Denn  es  ist  ewig  wahr,  daß,  wer  den  Geist  zu  töten 
sucht,  seine  Macht  nur  steigert,  sich  selbst  zur  dauernden  Schande. 
Man  kann  nur  vermuten,  daß  die  seit  70  Jahren  begründete' 
Staatsform  in  jenen  Schriften  ernster  angegriffen  wurde,  als  dem 
Kaiser  erträglich  erschien. 

In  diesen  Jahren  wurden   die  Unruhen,    die    seit  den  ersten 
Zeiten  der  Regierung    des  Kaisers    den  Frieden    in  Africa    und 
Thrakien  gestört  hatten,  dauernd  beendet. 
21  n.Chr.  Als  nach  den  Siegen  des  Blaesus  die  neunte  Legion  Africa 

verließ,  wuchs  dem  Tacfarinas  mit  dem  Schwinden  der  römischen 
Übermacht  der  Mut  zu  neuen  Einfällen  in  das  Gebiet  der  Provinz. 


5-  Seians  Herrschaft  ^qj 

Wieder  fand  er  Hilfe  bei  den  Garamanten,  deren  leichte  Reiter- 
scharen, wo  sie  die  Grenze  überschritten,  durch  ihr  plötzliches  Er- 
scheinen den  Schrecken  ganzer  Heere  verbreiteten.  Seine  alten 
Freunde,  die  Musulamier,  gerieten  in  Bewegung,  und  aus  derProvinz 
strömten  alle  unter  seine  Fahnen,  denen  das  Räuberleben  lieb  ge- 
worden war.  Auch  in  Mauretanien,  wo  nach  dem  Tode  des  Juba 
der  junge  Ptolemaeus  herrschte,  vertauschten  viele  den  unbequemen 
Gehorsam  mit  der  Freiheit  der  Wüste.  Unter  dem  alten  Rufe  der 
Abschüttelung  der  römischen  Herrschaft  erschien  ein  Heer,  von 
Tacfarinas  geführt,  unter  den  Mauern  von  Thubursicum  in  Numi- 
dien.  Doch  der  Proconsul  Dolabella  befreite  die  Stadt  von  ihren 
Bedrängern  und  erstickte  den  Aufstand  der  Musulamier,  als  er  ihre 
Stammeshäupter  mit  dem  Beile  hingerichtet  hatte.  Tacfarinas,  von 
den  römischen  Streifscharen  eingeengt,  mußte  nach  Mauretanien 
zurückweichen.  Hier,  in  der  Nähe  des  zerstörten  Castells  Auzia, 
ereilte  ihn  das  Geschick.  In  seinen  Lagerplätzen  überraschend  an- 
gegriffen, wurde  er  zum  Kampfe  gezwungen,  ehe  die  Numidier  ihre 
flüchtigen  Pferde  noch  besteigen  konnten.  So  fielen  sie  zwischen 
ihren  Zelten  unter  den  Streichen  der  von  allen  Seiten  eindringen- 
den römischen  Reiter  und  Fußgänger.  Tacfarinas,  der  die  Seinen 
der  Übermacht  erliegen,  den  Sohn  gefangen  sah,  warf  sich  mit 
den  Leibwächtern  in  das  Kampfgedränge  und  fand  den  Tod,  den 
er  suchte.  Mit  dem  Falle  des  Führers  erlosch  der  Aufstand,  und 
auch  die  Garamanten  bequemten  sich,  Gesandte  nach  Rom  zu 
schicken,  um  Genugtuung  zu  geben.  Doch  erhielt  Dolabella,  der 
den  Krieg  im  zehnten  Jahre  wirklich  beendet  hatte,  die  Ehren- 
zeichen des  Triumphes  nicht,  da  Tiberius  dem  Oheim  seines 
Seian  den  Ruhm  seiner  Siege  nicht  schmälern  wollte. 

Um  dieselbe  Zeit  hatte  die  Härte  römischer  Verwaltung  die 
Bergstämme  Thrakiens  unter  dieWaf  fen  getrieben.  Um  dieTapferen 
zu  entmannen,  wurde  ihre  Jugend  zu  Tausenden  und  Abertausenden 
in  ferne  Provinzen  geführt,  wo  die  Alen  und  Gehörten  der  Thraker 
die  Reihen  der  Heere  füllten.  Ihre  Bitten  um  Schonung  waren  ver- 
geblich verhallt,  und  sie  sahen  keine  Wahl  mehr,  als  auf  dem  Boden 
der  Heimat  mit  dem  Schwert  in  der  Hand  zu  sterben.  Unter  dem 
Schutze  ihrer  Bergfesten,  wohin  sie  ihre  Frauen  und  Greise  ge- 


302 


Tiberius 


flüchtet  hatten,  erwarteten  sie  den  Angriff  der  Römer.  Der  Statt- 
halter Poppaeus  Sabinus  hatte  die  Legionen  in  Moesien  aufgeboten, 
und  auch  Rhoemetalces  führte  ihm  die  thrakischen  Stämme  zu,  die 
die  sichere  Beute  auf  die  Seite  der  Römer  lockte. 

Die  Thraker  erwarteten  die  Römer  vor  ihren  Verschanzungen 
und  forderten  sie  mit  wildem  Geschrei  zum  Nahkampf  heraus.  Aber 
die  Geschosse  der  Bogenschützen  zwangen  sie  bald  zum  Rückzug. 
Unter  dem  Schutze  des  römischen  Lagers  begannen  die  Thraker 
des  Rhoemetalces  das  Gebiet  der  Feinde  weit  und  breit  zu  ver- 
heeren und  die  Beute  auf  ihren  Sammelplätzen  zusammenzutreiben. 
Durch  einen  doppelten  Angriff  auf  das  Lager  der  Römer  und  ihre 
räuberischen  Volksgenossen  nahmen  die  Thraker  Vergeltung,  als 
sie  die  weinschweren  Plünderer  im  Schlafe  niederhieben.  Aber  trotz 
der  gesättigten  Rache  vermochten  sie  die  allmähliche  Einschließung 
durch  die  römischen  Werke,  die  ihnen  das  Wasser  und  die  Weide- 
plätze abschnitten,  nicht  zu  verhindern.  Nur  ein  einziger  Quell  war 
noch  im  Besitze  der  Verteidiger,  sodaß  Bewaffnete  wie  Wehrlose 
in  dem  Mauerringe  unter  den  Qualen  des  Durstes  dahinstarben, 
während  die  Angreifer,  von  der  Höhe  des  Belagerungsdammes  Ge- 
schosse in  die  dicht  gedrängten  Massen  schleudernd,  das  Entsetzen 
des  hoffnungslosen  Widerstandes  steigerten.  Da  streckten  die  Alten, 
durch  die  Erfahrung  früherer  Kämpfe  belehrt,  mit  ihren  Frauen  und 
Kindern  die  Waffen.  Andere  folgten  dem  Beispiel  des  Tarsas  und 
fielen  in  das  eigene  Schwert.  Doch  Turesis  und  die  Jüngsten,  die 
ihm  folgten,  hofften  noch  immer,  daß  das  Schwert  den  Tapferen 
einen  Weg  ins  Freie  öffnen  müsse.  Aber  die  Römer  wußten  um 
ihre  Absicht,  und  die  im  Dunkeln  dasTal  niederstürmenden  Thraker 
füllten  wohl  mit  Baumstämmen,  Hürden,  zuletzt  mit  ihren  Leichen 
die  Tiefe  des  Grabens,  ohne,  im  wilden  Nahkampf  von  Wurflanzen 
und  Schleudersteinen  getroffen,  die  Höhe  des  Walles  ersteigen  zu 
können.  Doch  das  Klagegeschrei  der  Weiber,  das  in  ihrem  Rücken 
ertönte,  ließ  sie  nicht  weichen,  und  die  Nacht  entzog  ihren  Blicken 
die  stets  wachsende  Zahl  der  Sterbenden  und  Stürzenden.  Erst 
beim  Grauen  des  Morgens  suchten  sie  von  neuem  Schutz  irj  der 
Burg,  wo  sie  endlich  die  Gnade  der  Sieger  anflehten.  Der  Eintritt 
des  Winters  machte  dem  Krieg  ein  Ende.  Die  Lehre  der  Ohnmacht 


V  Seians  Herrschaft  in-» 

tat  ihre  Wirkung,  bis  ein  neues  Geschleciit  herangewachsen  war. 
Wieder  hatte  Poppaeus  Sabinus  seine  erprobte  Tüchtigkeit  bewährt 
und  erhielt  die  ruhmlosen  Ehrenzeichen  des  Triumphes,    als  Be-  26  n.  chr 
Zwinger  der  Thraker. 

Um  diese  Zeit  reifte  in  Tiberius  der  folgenschwere  Entschluß, 
Rom  für  immer  zu  verlassen.  Wie  hatte  ihm  auch  der  Senat,  das 
Volk  und  sein  eigenes  Haus  die  pflichttreue  Sorge  dieser  Jahre 
gelohnt!  Vor  allem  diese  Frauen  am  Hofe,  sie  machten  ihm  das 
Leben  zur  Hölle.  Agrippina,  durch  Seians  Freunde,  die  ihr  Ver- 
trauen gewonnen  hatten,  noch  aufgereizt,  drängte  den  Kaiser, 
ihr  einen  Gemahl  zu  geben,  nur  ein  Werkzeug  ihrer  Herrschsucht 
mehr,  belästigte  ihn  immer  mit  ihren  Forderungen,  bis  er  sie  mit 
den  Worten  zurückwies,  wenn  du  nicht  herrschest,  Töchterchen,  so 
glaubst  du,  es  geschehe  dir  Unrecht;  und  zuletzt  blieb  er  für  alle 
ihre  Bitten  und  Klagen  stumm.  Und  doch  mußte  er  die  Gegenwart 
der  Haßerfüllten  ertragen,  die  sich  einmal  so  weit  vergaß,  daß  sie 
bei  der  Hoftafel  die  Speisen  verschmähte  und  den  Apfel,  den  ihr 
der  Kaiser  reichte,  unberührt  ließ,  als  fürchtete  sie,  von  ihm  ver- 
giftet zu  werden.  Empört  sagte  der  Kaiser  zu  seiner  Mutter  bei 
diesem  Anblick,  man  könne  ihn  nicht  tadeln,  wenn  er  gegen  diese 
Frau  Härteres  beschließe.  Und  daneben  Livilla,  die  die  gleichen 
Eheschmerzen  plagten,  und  dann  die  Mutter,  die  mit  ihren  vier- 
undachtzig Jahren  am  liebsten  die  Feuerwehr  selbst  kommandiert 
hätte.  In  dieser  unerträglichen  Spannung  seines  Gemütes  hörte  der 
Kaiser  um  so  williger  auf  alles,  was  ihm  Seian  durch  seine  Späher 
hinterbrachte.  Grauenhaft  war  es,  daß  des  Nero  junge  Gemahlin 
ahnungslos  die  innersten  Gedanken  ihres  Gatten  der  Mutter  und 
damit  Seian  anvertraute.  Und  doch  waren  seine  Worte  kein  Ver- 
brechen, wenn  er  über  die  Abneigung  des  Kaisers  klagte,  von  seinero 
eigenen  Hoffen  sprach.  Die  einzige,  die  über  ihre  l^renkel  hätte 
wachen  können,  Livia,  war  in  ihrem  Hasse  gegen  Agrippina  nicht 
minder  blind  als  der  Kaiser.  Der  Senat  und  das  Volk,  die  ihre 
Erbitterung  gegen  Seian,  den  Zerstörer  des  Kaiserhauses,  nicht  zu 
äußern  wagten,  ergriffen  um  so  offener  Partei  für  die  bedrohten 
F'rinzen  uncl  ihre  Mutter  Agrippina.  Die  unterdrückte  öffentliche 
Meinung  rächte  sich  an  dem  Kaiser  in  Schmähreden,  die  seinen 


304 


Tiberius 


Charakter  besudelten,  deren  Urheber  nicht  zu  greifen  waren.  Der 
Kaiser,  gewohnt  die  üble  Nachrede  zu  verachten,  verlor  doch  alle 
Fassung,  als  bei  einer  Verhandlung  im  Senate  durch  den  Übereifer 
seiner  Anhänger  erst  klar  wurde,  wessen  ihn  die  Lästerzungen  zu 
beschuldigen  wagten. 

Selbst  der  Wandel,  den  die  unbarmherzige  Hand  des  Alters 
der  Erscheinung  des  Leidgeprüften  aufgedrückt  hatte,  wurde  das 
Gelächter  der  Menge.  War  doch  seine  hohe  Gestalt  durch  die 
Last  der  Jahre  gebeugt,  seine  edeln  Züge  entstellte  ein  wider- 
wärtiger Ausschlag,  und  der  innere  Gram  seines  stolzen  Gemütes, 
den  er  nicht  äußern  wollte,  sprach  nur  mehr  aus  dem  kalten 
Lächeln  des  Hohnes  über  die  Niedertracht  der  Menschen.  Er  fühlte, 
daß  er  ein  Gegenstand  des  Absehens  geworden  war,  und  der  Ge- 
danke beherrschte  ihn,  das  Antlitz  der  Menschen  zu  meiden,  die 
ihn  so  ungerecht  mißachteten.  Nur  dem  einen  Manne  mochte  er 
noch  vertrauen,  der  die  Seele  seines  Elends  war.  Und  Seian,  unent- 
behrlicher als  je,  bestärkte  ihn  in  seiner  Absicht,  Rom  zu  verlassen. 
Da  ereignete  sich  auf  der  Reise  in  Campanien  ein  Zufall,  der  das 
Vertrauen  des  Kaisers  zu  diesem,  dem  einzigen  Freund,  den  er  noch 
besaß,  zu  einem  felsenfesten  machte.  In  einer  Grotte  bei  Fundi 
nahm  Tiberius  mit  seinem  Gefolge  das  Mahl  ein,  als  Steine,  die 
sich  von  der  Decke  lösten,  jeden  nur  an  seine  Rettung  denken 
ließen.  Seian  allein  war  es,  der  den  Kaiser  vor  den  stürzenden 
Trümmern  mit  dem  eigenen  Leibe  deckte.  Da  war  also  das  Zeichen, 
das  Tiberius  in  seinem  dunkeln  Schicksalsglauben  entscheidend  er- 
scheinen mußte.  Den  Händen  dieses  Mannes,  der  in  seiner  Treue 
nicht  wanken  konnte,  durfte  er  getrost  das  Schicksal  Roms  an- 
vertrauen, für  sich  selbst  den  letzten  Trost,  die  Einsamkeit,  er- 
wählend. Er  fand  sie  auf  jenem  herrlichen  Eiland,  das  auch 
Augustus  in  seinem  Alter  erfreut  hatte.  Capreae,  die  Felsinsel,  so 
unnahbar  wie  der  Herrscher,  da  nur  zwei  flache  Uferplätze  die 
Landung  kleiner  Boote  gestatteten,  mit  den  kühlenden  Winden  des 
Sommers  und  dem  linden  Anhauch  des  Meeres  in  Winterzeit,  sollte 
sein  Sitz  werden.  Hier  erfreute  ihn  der  stete  Anblick  des  in  klarer 
Schönheit  glänzenden  Golfes,  dessen  Ufer  immer  heiter  grünten,  da 
auch  der  Flammenberg  des  Vesuvius,  von  Wald  und  Wein  um- 


5-  Seians  Herrschaft  tqc 

kleidet,  in  ewige  Ruhe  gebettet  schien.  Wenige  nur  sollten  ihn 
begleiten,  wie  Cocceius  Nerva,  der  Kenner  des  Rechtes,  der  Ritter 
Curtius  Atticus  und  eine  Schar  gebildeter  Griechen,  um  die  Weile 
zu  verkürzen. 

Was  der  Kaiser  über  sich  in  Wahrheit  verhängte,  war,  wie  in 
den  Tagen  seiner  Flucht  nach  Rhodus,  die  Selbstverbannung.  Aber, 
er  konnte  nicht  ahnen,  daß  sein  klarer  Blick  jetzt  umnachtet  werden 
würde  von  dem  giftigen  Schleier,  den  Seian  um  ihn  verbreiten 
wollte.  Hatte  doch  der  Ruchlose  einen  neuen  Weg  gefunden,  die 
Söhne  des  Germanicus  zu  verderben.  Während  Nero,  den  älteren 
Bruder,  von  edler  Art  und  der  Liebling  der  Mutter,  jetzt  der 
Anhang  des  allmächtigen  Praefekten  floh,  als  hätte  ihn  die  Pest 
befallen,  erhob  Seian  Drusus  durch  seine  Gunst,  da  ihm  das  wilde 
Gemüt  des  Jünglings  die  Gewißheit  bot,  ihn  später  um  so  sicherer 
zu  vernichten.  Ehe  der  Kaiser  noch  Rom  verließ,  hatte  es  Seian 
erreicht,  das  erste  Opfer  im  Kaiserhause  zu  fällen.  Es  war  die  ver- 
trauteste Freundin  Agrippinas,  Claudia  Pulchra,  einst  des  Varus 
Gemahlin  und  Livias  Nichte.  Gerade  die  Art,  wie  Agrippina,  um 
sie  zu  schützen,  den  Kaiser  frech  ins  Gesicht  geschmäht  hatte, 
wurde  dem  törichten,  alten  Weibe  zum  Verderben.  Denn  ihre  späte 
Buhlschaft,  der  Grund  ihrer  Anklage,  hätte  der  Kaiser  ihr  ver- 
ziehen, ohne  die  seltsamen  Zauberkünste  gegen  sein  eigenes  Leben, 
die  man  ihr  auch  zum  Vorwurf  gemacht  hatte. 

Des  Kaisers  weise  Fürsorge  trat  gerade  in  diesen  Tagen  wieder 
hervor,  als  die  Bürgerschaft  Roms  von  schwerem  Unheil  betroffen 
wurde.  Die  Fechterspiele,  der  höchste  Reiz  der  schaulustigen 
Hauptstadt,  waren  unter  Tiberius  Herrschaft  aus  Rom  verbannt,  da 
er,  der  den  Schlachtentod  ehrte,  keinen  Gefallen  empfand  an  dem 
Vergießen  feilen  Blutes.  Was  in  Rom  nicht  zu  sehen  war,  fand 
man  in  Fidenae,  wo  ein  Unternehmer  in  einem  hölzernen  Amphi- 
theater mit  seinen  gemieteten  Banden  die  Tausende,  die  dahin 
strömten,  ergötzte.  Um  so  furchtbarer  war  das  Unheil,  als  der 
Bau  in  sich  zusammenbrach,  die  Zuschauer  unter  seinen  Trümmern 
begrabend.  Die  Verstümmelten  und  Sterbenden,  die  man  hervor- 
holte, erfüllten  mit  ihrem  Elend  ganz  Rom,  das  das  gemeinsame 
Leid  werktätig  zu  lindern  suchte.    Strenge  Vorschriften  ergingen 

U  o  tn  aszc  wslc  i.    I.  20 


3o6 


Tiherius 


gegen  gewissenlose  Ausbeuter  und  über  die  Sicherheit  solcher 
Bauten.  Noch  war  dieses  Leid  unvergessen,  als  ein  verheerender 
Brand  den  Stadtteil  auf  dem  Caelius  in  Asche  legte.  Aus  den 
Kassen  des  Staates,  die  des  Kaisers  weise  Sparsamkeit  gefüllt 
hatte,  wurde  jetzt  ohne  Ansehen  der  Person  allen,  die  das  Un- 
glück betroffen  hatte,  reiche  Hilfe.  Nur  ein  Standbild  des  Kaisers 
sei  in  dem  Palaste  eines  Juniers  von  den  Flammen  unversehrt  ge- 
blieben, der  Berg  sollte  nun  nach  dem  Gnadenspender  Augustus 
heißen.  Dieser  wundersüchtige  Glaube  lehrt  doch  wenigstens 
die  Empfindung  des  Volkes  für  den  gerechten  Herrscher. 

Um  so  qualvoller  ist  es  zu  sehen,  wie  der  Kaiser  in  der  Ein- 
samkeit Capreaes  das  Opfer  seines  eigenen  Wahnes  wurde.  Schon 
wurden  Nero  und  Agrippina  in  ihren  Palästen  von  Soldaten  über- 
wacht und  dachten  in  ihrer  steten  Todesangst  an  Flucht  vor  nahen- 
den Mördern.  So  wachte  Seian  über  die  Sicherheit  des  Kaisers,  und 
immer  herrlicher  erwies  es  sich,  was  er  ihm  zu  danken  hatte.  Einer 
der  Wenigen,  die  keine  Furcht  daran  hinderte,  seine  Freundschaft 
für  das  gefallene  Haus  des  Germanicus  zu  zeigen,  war  der  römische 
Ritter  Titius  Sabinus.  Helfer  des  Seian  schlichen  sich  in  sein  Ver- 
trauen und  belauschten  seine  Gespräche  mit  falschen  Freunden, 
wenn  er  sein  Leid  über  die  Verfolgung  des  edeln  Hauses  klagte, 
indem  sie  sich  zwischen  der  Decke  des  Zimmers  und  dem  Dache 
verbargen.  So  waren  sie  im  Besitze  des  staatsgefährlichen  Geheim- 
nisses, und  Briefe  Seians  mit  den  Zeugnissen  der  Edeln  überzeugten 
den  Kaiser  von  der  drohenden  Gefahr.  An  dem  heiligsten  Tage 
28  n.  Chr.  des  Jahres,  dem  i .  Januar,  belehrte  ein  Schreiben  des  Kaisers  auch 
den  Senat  über  das  furchtbare  Verbrechen.  Die  Verurteilung  des 
Angeklagten  war  das  Werk  eines  Augenblickes.  Man  faßte  ihn  an 
der  Kehle,  schleppte  ihn  zum  Tode,  seine  letzten  Flüche  gegen  Seian 
erstickend.  Es  ist  schon  Umnachtung  des  Geistes,  wenn  der  Kaiser 
dem  Senat  für  den  Mord  dankte,  der  sein  von  Angst  und  Sorge 
erfülltes  Leben  gerettet  habe.  So  wäre  der  Senat  bereit  gewesen, 
auf  den  Rat  seines  angesehensten  Mitgliedes,  des  Asinius  Gallus, 
durch  seine  Frau  Vipsania  der  Oheim  der  Söhne  des  Germanicus, 
das  ganze  Haus  des  Germanicus  auszurotten,  um  den  Kaiser  von 
jeder  Sorge  zu   befreien.    Seian   trat   dem   entgegen;    er  wollte, 


5-  Seians  Herrschaft  ^07 

daß  in  dem  kranken  Gemüte  des  Kaisers  das  Gräßliche  lang- 
sam reife. 

Aber  die  Freundschaft  Seians  für  den  Kaiser,  das  war  es,  was 
der  Senat  zu  feiern  berufen  wurde.  Unter  Augustus  hatte  einst  der 
Altar  des  Friedens  die  Höhe  des  Glückes  im  Kaiserhause  und  im 
Reiche  so  tief  wie  wahr  gefeiert.  Und  neben  ihm  erhoben  sich  die 
Standbilder  des  Augustus  und  des  Agrippa.  Noch  sind  uns  die 
adeln  Züge  des  Augustus  erhalten  in  der  Nachbildung,  die  Livia 
in  ihrem  Landhause  als  teuerste  Erinnerung  an  den  Geliebten  auf- 
bewahrte. So  wurde  denn  jetzt  der  Freundschaft  des  Tiberius  und 
seines  Seian  ein  Altar  errichtet,  und  neben  ihm  die  Standbilder  des 
Kaisers  und  seines  Freundes,  der  so  mit  dem  widrigen  Hochmut 
des  Emporkömmlings  den  Jammer  verkündete,  den  er  über  das 
Haus  der  Julier  und  das  Reich  gebracht  hatte. 

Denn  ganz  Rom  lag  zitternd  zu  seinen  Füßen.  Wenn  er  die 
Stadt  verließ,  um  mit  Tiberius,  auf  Capreae  oder  inCampanien,  zu- 
sammenzutreffen, so  folgten  ihm  Bittsteller  aus  allen  Ständen,  die 
teils  an  der  Küste  des  Golfes  seiner  Rückkehr  harrten  oder  den 
Landsitz  seines  Auf  enthaltes  umdrängten,  nur  um  sein  gnadenvolles 
Antlitz  zu  schauen,  bis  selbst  diese  Wonne  ihnen  verwehrt  wurde. 

Da  starb  im  Anfange  des  Jahres  29  die  Kaiserin  Livia,  und  mit 
ihr  sank  die  letzte  Schranke,  die  Seian  noch  gehindert  hatte,  die 
Prinzen,  die  seinem  Streben  nach  dem  Throne  im  Wege  standen, 
wegzuräumen.  Denn  die  Scheu  vor  der  Mutter  war  in  Tiberius 
unüberwindlich  gewesen,  so  wenig  er  noch  Liebe  empfand  für  die 
alte  Frau,  die  er  selbst  in  ihrer  letzten  Krankheit  nicht  mehr  ge- 
sehen hatte.  Was  er  lange  brütend  erwogen,  wurde  jetzt  kund,  als 
er  in  einem  Schreiben  an  den  Senat  über  Agrippina  und  Nero  voll 
Bitterkeit  und  Härte  Klage  führte.  Noch  konnte  der  Senat  nicht 
an  das  Äußerste  glauben.  Niemand  fand  sich,  der  eine  Anklage 
gegen  die  Schuldlosen  erheben  wollte.  Das  Volk  umlagerte,  die 
Bildnisse  Agrippinas  und  Neros  vor  sich  hertragend,  die  Curie  mit 
dem  Rufe:  die  Briefe  seien  gefälscht,  der  Kaiser  könne  den  Unter- 
gang seines  Hauses  nicht  wollen.  So  tobte  der  Aufruhr  in  den 
Straßen  Roms  und  richtete  sich  selbst  gegen  Seian,  den  der  Senat 
als  den  Schulditren  bezeichnet  hätte.   Aber  der   Kaiser  ließ   über 


io8  Tiberius 

seinen  Willen  keinen  Zweifel  mehr.  Was  er  beschlossen  hatte,  es 
mußte  geschehen.  Agrippina  und  Nero  wurden  des  Hochverrates 
schuldig  befunden  und  gingen  nach  Pandataria  und  Pontia  in  die 
Verbannung.  Um  so  leichter  wurde  es  Seian,  auch  Drusus  zu  ver- 
derben. Besaß  er  doch  den  trefflichsten  Zeugen  für  den  wilden 
Trotz  des  Prinzen  in  dessen  Frau  Aemilia  Lepida,  die,  wie  so  viele, 
seine  Gunst  genoß.  Drusus  wurde  verurteilt,  und  damit  er  ja  nicht 
entkomme,  in  einem  unterirdischen  Kerker  des  Kaiserpalastes  zu 
Rom  festgehalten.  Agrippina  und  ihre  Söhne  erduldeten,  in  ihrem 
Gefängnis  von  rohen  Soldaten  überwacht,  die  niedersten  Mißhand- 
lungen, und  ihre  verzweifelten  Verwünschungen  und  Jammerrufe 
wurden  sorgfältig  aufgezeichnet,  um  dem  Kaiser  auf  Capreae  zum 
Beweise  zu  dienen,  wie  gerecht  er  gerichtet  hätte. 

Denn  Tiberius  wurde  auf  der  Insel  seiner  Verbannung,  wie 
einst  auf  Rhodos,  von  der  qualvollen  Angst  um  sein  Leben  be- 
herrscht und  sann  in  seiner  Einsamkeit  darauf,  altes  Unrecht,  das 
er  erlitten  hatte,  zu  vergelten.  Die  Härte  und  Zurückhaltung  seiner 
Natur  wurden  in  diesem  Wahne  zur  Grausamkeit  und  Tücke.  Denn 
niedrig  war  es,  daß  er  Asinius  Gallus,  der  nach  Augustus  Willen 
vor  mehr  als  einem  Menschenalter  die  Geliebte  seiner  Jugend  ge- 
heiratet hatte,  nach  Capreae  beschied  und  ihn  in  der  Stunde,  wo 
sie  in  freundlichem  Gespräche  zu  Tische  saßen,  in  Rom  als  Hoch- 
verräter verurteilen  ließ.  Aber  nicht  der  Tod,  sondern  die  stete 
Todesangst  war  seine  Strafe.  Im  Hause  der  Consuln  sollte  er  fortan 
leben,  mit  dem  Scheine  der  Gnade,  und  doch  der  Freiheit  beraubt. 
Und  Fufius  Geminus,  dem  er  als  Günstling  der  Mutter  im  Jahre 
ihres  Todes  das  Consulat  verliehen  hatte,  wurde  jetzt  für  diese 
Gnade  beschuldigt,  das  Ansehen  des  Kaisers  verletzt  zu  haben,  bis  er 
dem  Ho.hne  eines  solchen  Gerichtes  durch  freiwilligen  Tod  sich  ent- 
zog. Seine  Frau  Mutilia  Prisca,  und  ihre  Töchter,  deren  Einfluß  bei 
Livia  allmächtig  gewesen,  büßten  ihreMacht,  die  denKaiser  einst  be- 
lästigt hatte,  mit  dem  Tode.  Gewiß  ist  es,  daß  Seian  den  Kaiser  auch 
hierin  bestimmte,  in  Asinius  Gallus  einen  Mann  beseitigte,  der  dem 
Kaiserhause  zunächst  stand,  undMutiliaPrisca  aus  derWelt  schaffte, 
weil  sie  am  Hofe  Livias  auch  seinen  Plänen  gedient  hatte.  Dadurch 
gewann  er  nur  beim  Kaiser,   der  diesen  Getreuen  beim  Abschied 


5.  Seians  Hen-schaft  oqq 

unter  Tränen  an  seine  Brust  schloß,  und  in  den  Briefen  an  den 
Senat  seinen  Seian  immer  wieder  mit  Lob  überhäufte. 

Um  diese  einzige  Stütze  seiner  Macht  sich  noch  fester  zu  ver- 
binden, verlobte  er  Seian  mit  Livillas  Tochter  Julia,  die  Neros  Frau 
gewesen  war.  Es  war  auch  das  Todesurteil  des  Prinzen,  dem  seine 
Peiniger  keine  Wahl  mehr  ließen  als  die  Folter  oder  Erdrosselung, 
so  daß  er  sich  selbst  den  Tod  gab.  Agrippina  wollte  dem  geliebten 
Kinde  in  den  Tod  folgen  und  weigerte  sich,  die  Nahrung  anzu- 
nehmen, die  man  ihr  endlich  mit  gräßlichen  Mißhandlungen  auf- 
zwang. Aber  Seian,  er  war  Herrscher  im  Reiche  und  Tiberius  der 
bloße  Verwalter  seiner  kleinen  Insel.  Die  Verehrung  des  Günst- 
lings  wurde  zur  Vergötterung,  die  Feier  seines  Geburtstages  ein 
Staatsfest,  seinen  Statuen,  die  überall  neben  denen  des  Kaisers 
standen,  wurde  geopfert,  und  selbst  die  Legionen  des  Westens 
trugen  sein  Bildnis  an  ihren  Fahnen  und  nannten  ihn  unter  den 
Schutzgöttern  des  Heeres.  So  erreichte  er  es  auch,  daß  Tiberius, 
wie  einst  mit  seinen  Söhnen  Germanicus  und  Drusus,  im  Jahre  31 
mit  seinem  Seian  das  Consulat  bekleidete  und  ihm  für  das  ganze 
Reich  das  proconsularische  Imperium  verlieh. 

Auf  der  schwindelndenHöhe  angelangt,  verlorSeian  das  sichere 
Gleichgewicht  seiner  kühnen  Verstellung,  die  er  durch  so  viele  Jahre 
mit  äußerster  Geschicklichkeit  geübt  hatte.  War  doch  Tiberius  in 
gänzliche  Mißachtung  gesunken,  und  nur  dem  neuen  Herrscher  war 
die  Stadt  Rom  und  das  ganze  Reich  bereit  zu  huldigen.  Seian  ver- 
riet in  seinem  öffentlichen  Auftreten  das  Selbstbewußtsein  in  einer 
Weise,  daß  endlich  das  Mißtrauen  des  Kaisers  erwachte.  Er  er- 
kannte, daß  die  schrankenlose  Macht  des  Freundes  gegen  ihn  selbst 
sich  wenden  könnte.  Die  Besatzung  Roms  war  völlig  in  der  Hand 
des  Gardepräf ekten,  und  sie  gebot  nicht  nur  über  das  Leben  der 
Untertanen,  sondern  auch  über  das  Leben  des  Kaisers.  Aber  der 
Versuch,  den  Günstling  zu  stürzen,  mußte  seinen  Widerstand  her- 
vorrufen, und  diesem  fühlte  selbst  der  Kaiser  sich  nicht  mehr 
gewachsen.  Keinen  anderen  Weg  gab  es,  als  den  übermächtigen 
Diener  durch  eine  Verschwörung  zu  beseitigen.  In  der  Kunst  der 
Verstellung  erwies  sich  der  Kaiser  als  Meister.  Er  lockerte  ganz 
allmählich  das  Band  der  Freundschaf  t.  Nicht  mehr  die  unbedingte 


3IO 


Tiberius 


Zustimmung  fand  das  Tun  seines  Dieners,  in  das  gewohnte  Lob 
mischte  sich  leichter  Tadel;  der  Kaiser  gab  sich  bald  für  krank  und 
sterbend,  bald  wieder  als  gesund  und  bereit,  nach  Rom  zurückzu- 
kehren. Die  Freundschaftsversicherungen  begannen  zu  fehlen,  und 
zuletzt  verbat  sich  Tiberius  den  Besuch  seines  Beraters.  Doch 
wußte  er  ihn  auch  wieder  zu  begütigen;  neue  Ehren  wurden  auf 
ihn  und  auf  sein  Haus  gehäuft.  Der  Kaiser  erreichte  es,  daß  der 
Senat  und  das  Volk  in  Rom  an  der  Allmacht  Seians  zu  zweifeln  be- 
gann, während  der  Bedrohte  über  die  wahren  Absichten  des  Kaisers 
im  Unklaren,  die  Sicherheit  des  Entschlusses  und  Handelns  verlor. 

Noch  fehlte  ihm  der  letzte  Beweis  der  Gnade,  der  ihn  tat- 
sächlich zum  Mitherrscher  gemacht  hätte,  die  tribunicische  Gewalt. 
Sie  war  ihm  seit  langem  zugesichert,  und  immer  noch  zögerte  der 
Kaiser,  sein  Wort  zu  erfüllen.  Aber  gerade  diese  Hoffnung  war  es, 
durch  die  Tiberius  Seian  hinhielt,  ihn  verhinderte,  durch  offene 
Empörung  die  Entscheidung  über  die  Macht  zu  erzwingen.  End- 
lich sollte  auch  dieser  Zweifel  sich  lösen. 

Seian  hegte  die  bestimmte  Erwartung,  daß  die  Verleihung  der 
tribunicischen  Gewalt  in  der  nächsten  Sitzung  des  Senates  erfolgen 
werde.  Wirklich  erschien  eines  Morgens  der  Tribun  der  Garde, 
Naevius  Macro,  bei  Seian  und  eröffnete  dem  Hocherfreuten,  daß  der 
Senat  nur  zu  dem  Zwecke  berufen  sei,  um  das  kaiserliche  Hand- 
schreiben entgegenzunehmen,  das  die  Erfüllung  seines  Wunsches 
brächte.  Im  stolzen  Bewußtsein  seiner  neuen  Erhöhung  betrat 
Seian  den  Senat,  umdrängt  von  Schmeichlern,  die  dem  Mitherrscher 
ihre  Glückwünsche  darbrachten.  Das  Opfer  war  in  das  Netz  ge- 
gangen, aus  dem  es  nicht  mehr  entweichen  konnte.  Denn  Naevius 
Macro  hatte  am  Abend  vorher  alle  Vorbereitungen  zu  dem  Staats- 
streich getroffen.  Er  hatte  den  Vorsitzenden  Consul,  Memmius 
Regulus,  über  die  wahre  Absicht  des  Kaisers  belehrt  und  den  Prae- 
fekten  der  soldatisch  geschulten  Feuerwehr,  Graecinius  Laco,  ins 
Vertrauen  gezogen.  Kaum  hatte  Seian  die  Curie  betreten,  als  die 
Feuerwehr  auf  dem  Forum  aufzog  und  Naevius  Macro,  nachdem  er 
das  Schreiben  des  Kaisers  dem  Consul  übergeben  hatte,  die  Prae- 
torianer,  die  das  Gefolge  des  Seian  bildeten,  in  ihr  Lager  zurück- 
führte. Hier  versammelte  er  die  ganze  Leibwache  und  eröffnete 


l 


5.  Seians  Herrschaft  :>  j  j 

ihr,  daß  er  auf  Anordnung  des  Kaisers  den  Befehl  über  die  Truppen 
der  Hauptstadt  übernommen  hätte,  da  Seian,  jetzt  Mitherrscher, 
von  seinem  Amte  zurückgetreten  sei.  Eine  hohe  Geldspende 
überzeugte  die  Soldaten  von  der  Wahrheit  seiner  Worte. 

Inzwischen  war  die  Entscheidung  im  Senate  gefallen.  Der  Con- 
sul  verlas  das  Schreiben  des  Kaisers  von  endloser  Länge.  Immer 
wieder  wurde  Seian  mit  leichtem  Tadel  genannt,  bis  der  Schluß, 
zwei  der  vertrautesten  Freunde  Seians  hinzurichten,  ihn  selbst  in 
Gewahrsam  zu  nehmen,  befahl.  Sein  Todesurteil  auszusprechen, 
hatte  der  Kaiser  nicht  gewagt,  da  er  Unruhen  befürchtete  und  so- 
gar befohlen  hatte,  im  äußersten  Falle  den  elenden  Drusus  aus  dem 
Kerker  hervorzuholen,  damit  das  Volk  von  Rom  sich  um  den  Sohn 
des  geliebten  Germanicus  schare.  Ja,  in  Capreae  lagen  Schiffe 
bereit,  um  Tiberius  im  Falle  des  Mißlingens  nach  dem  Orient  zu 
flüchten.  Aber  im  Senate  entlud  sich  der  Haß  gegen  den  gestürzten 
Günstling  mit  unwiderstehlicher  Gewalt.  Schon  während  des  Ver- 
lesens  des  Schreibens  hatten  die  Senatoren  die  Sitze  in  Seians  Nähe 
geräumt.  Jetzt,  als  das  Urteil  erflossen  war,  umringten  ihn  die 
Praetoren  und  Tribunen,  um  sein  Entweichen  zu  verhindern.  Aber 
Seian,  der  immer  auf  die  Erfüllung  seines  Hoffens  gewartet  hatte, 
war  durch  das  unfaßbare  Urteil  mit  Betäubung  geschlagen,  sodaß 
er  den  herrischen  Befehl  des  Consuls,  heranzutreten,  mit  den  Worten 
erwiderte:  bin  denn  ich  gemeint?  bis  ihn  endlich  Laco  zwang,  sich 
von  seinem  Sitze  zu  erheben.  Der  ganze  Senat  brach  mit  wilden 
Schmähungen  auf  ihn  ein,  und  am  lautesten  tobten,  die  ihn  am 
niedrigsten  umschmeichelt  hatten.  Regulus  genügte  dieZustimmung 
eines  Senators,  um  Seian  nach  dem  Urteil  des  Kaisers  selbst  in 
Begleitung  Lacos  und  aller  Beamten  ins  Gefängnis  abzuführen.  Auf 
seinem  Leidensweg  zerriß  man  sein  Gewand,  schlug  ihm  ins  Ge- 
sicht, und  er  sah,  wie  die  wütenden  Volkshaufen  seine  Standbilder 
niederrissen,  in  den  Kot  schleiften  und  in  Trümmer  schlugen.  So 
erreichte  er  den  Kerker.  Noch  an  demselben  Tage  trat  der  Senat, 
da  niemand  sich  für  denGerichteten  erhob,  im  Tempel  der  Eintracht 
zusammen,  Seian  das  Todesurteil  zu  sprechen.  Seine  Leiche  lag 
drei  Tage  auf  der  Verbrecherstiege  am  Tiber,  der  Schändung  preis- 
gegeben, bis  sie  in  dem  Flusse  ihr  Grab  fand.  Inder  Stadt  herrschte 


312 


Tiberius 


der  Aufruhr,  Das  Volk  erschlug  die,  die,  auf  Seians  Gunst  ver- 
trauend, gefrevelt  hatten.  Die  Garde,  erbittert,  daß  die  Feuer- 
wächter treuer  befunden  wurden  als  sie  selbst,  wütete  mit  Brand 
und  Raub  in  der  Stadt,  obwohl  alle  Beamten  auf  Tiberius  Befehl 
über  die  Ruhe  wachen  sollten. 

Der  Todestag  Seians  wurde  zum  Festtag  erhoben  und  sollte 
mit  feierlichen  Opfern  aller  Priester  des  Staates  und  aller  Beamten 
begangen  werden.  Den  getreuen  Helfern  des  Kaisers,  Macro  und 
Laco,  wurden  die  Standesabzeichen  der  Senatoren  verliehen,  als  ob 
sie  die  Praetur  und  die  Quaestur  bekleidet  hätten,  Ehren,  die  die 
Geehrten  selbst  nicht  anzunehmen  wagten.  Denn  der  Kaiser  wies 
alles  zurück,  wodurch  der  geängstigte  Senat  seine  Ergebenheit  be- 
weisen wollte,  verbot  der  Gesandtschaft  der  drei  Stände  Capreae 
zu  betreten  und  gestattete  nicht  einmal  dem  Consul  Regulus,  vor 
ihm  zu  erscheinen.  Vergeltung  wollte  er  haben  an  allen,  die  Seians 
Anhänger  gewesen  waren,  und  wer  hatte  sich  in  den  langen  Jahren, 
die  der  Günstling  mit  schrankenlosem  Einfluß  geboten  hatte,  dieses 
Verbrechens  nicht  schuldig  gemacht  ?  Seine  Verwandten  waren  die 
nächsten,  die  die  Rache  des  Kaisers  traf.  Aber  das  Schwert  wandte 
sich  gegen  ihn  selbst.  Denn  als  Seians  Frau  Apicata  die  Leichen 
ihrer  schuldlosen,  gemordeten  Kinder  auf  der  Verbrecherstiege 
liegen  sah,  offenbarte  sie  dem  Kaiser  in  einer  Zuschrift,  wer  seinen 
eigenen  Sohn  gemordet  hatte,  und  gab  sich  selbst  den  Tod. 

Dieser  letzte  Schlag  traf  den  Kaiser  so  unerwartet  wie  ver- 
nichtend. Schon  wußte  er  durch  die  Aussagen  der  Angeklagten, 
daß  Seian  ihm  Freundschaft  nur  geheuchelt  hatte.  Er  erkannte, 
wie  er,  arglistig  getäuscht,  Unrecht  auf  Unrecht  rettungslos  auf  sein 
Haus  gehäuft  hatte.  Ein  Gegenstand  des  Hohnes  war  er  für  den 
Kreis  der  Vertrauten  des  Buben  gewesen,  der  sich  in  niederer  Weise 
für  den  Zwang  der  Ergebenheit  gerächt  hatte  durch  gemeine  Ver- 
spottung selbst  seiner  körperlichen  Gebrechen.  In  solchen  Händen 
war  er  lange  Jahre  ein  Spielzeug,  er,  der  selbstsichere,  pflichttreue 
Herrscher.  Und  seine  Freundschaft  für  den  Verderber  war  so  wahr- 
haft gewesen!  Der  letzte  Tropfen  der  Liebe  wurde  in  seinem  ge- 
quälten Herzen  zur  bitteren  Galle.  Und  jetzt  erfuhr  er  durch 
Apicatas  Geständnis  noch  das  Äußerste,  den  Mörder  seines  Kindes 


5.  Seians  Herrschaft  ?  I  ^ 

hatte  er  an  seiner  Brust  gehegt.  Da  brach  das  langerschütterte 
Gleichgewicht  seines  Geistes  zusammen.  Keines  Gedankens  war  er 
mehr  fähig,  als  Rache  zu  nehmen  im  Wahnwitz  seiner  Verzweif- 
lung. Er  verschloß  sich  in  seinem  Palaste  auf  Capreae  und  sandte 
nur  seine  Mordbefehle  nach  Rom  an  den  Senat,  und  nicht  minder 
wütete  sein  eigenes  Gericht  auf  der  einsamen  Insel. 

Was  jetzt  geschah,  ist  das  nackte  Entsetzen  und  läßt  das  Herz 
zurückschaudern  vor  dem  Zustande  eines  Staates,  wo  solche  Dinge 
möglich  waren.  Über  der  hohen  Gesellschaft  Roms  schwebte  der 
Schrecken.  Die  angsterfüllten  Senatoren  waren  nur  mehr  von  dem 
einen  Gedanken  beherrscht,  das  Rasen  des  wahnsinnigen  Tyrannen 
von  sich  selbst  abzulenken.  Die  Gerichtssitzungen  des  Senates  mit 
der  feierlichen  Würde  römischer  Art  und  römischer  Rede  erhöhten 
durch  den  Ernst  der  Verhandlungen  den  dauernden  Schrecken. 
Um  das  Urteil  über  Livilla  und  ihre  Mitschuldigen  zu  fällen,  wurden 
44  Reden  gewechselt,  immer  von  neuem  das  Entsetzliche  aufwüh- 
lend, und  glücklich  waren  zu  preisen,  die  der  freigewählte  Tod 
dem  Henker  entzog.  Das  Jahr,  das  Seians  Verbrechen  enthüllt 
hatte,  ging  unter  der  stets  steigenden  Zahl  der  Opfer  seiner  Schuld 
zu  Ende.  Wohl  empfand  Tiberius,  daß  Gerechtigkeit  und  Pflicht 
ihn  in  solchen  Zeiten  wieder  an  die  Spitze  des  Staates  beriefen.  Er 
näherte  sich  auch  Rom,  gelangte  bis  zu  den  Gärten  am  Tiber.  Aber 
der  Anblick  der  Stadt,  um  derentwillen  er  alles  erduldete,  trieb 
ihn  zurück  in  die  Einsamkeit  von  Capreae,  An  den  Bekenntnissen 
Neubeschuldigter  und  der  Erinnerung  vergangener  Kränkung 
nährte  er  seine  unstillbare  Rachsucht.  Der  fassungslose  Senat 
überbot  sich  in  Beschlüssen,  die  nur  der  Ausdruck  der  Verzweif- 
lung waren.  Zwanzig  Senatoren  sollten  den  Kaiser  mit  dem 
Schwerte  bewaffnet  beschützen,  sobald  er  die  Curie  betrat,  als 
ob  ihm  noch  an  seinem  Leben  gelegen  war.  Die  Leibwächter 
sollten  bei  ihrer  Entlassung  die  Vorrechte  römischer  Ritter  er- 
halten. Auch  das  erregte  nur  den  Zorn  des  Kaisers  als  ein  Ein- 
griff in  seine  Feldherrnrechte.  Die  dem  Kaiser  so  töricht  zu 
huldigen  gemeint  hatten,  verfielen  erst  recht  der  Strafe. 

Denn  der  Sinn  des  Kaisers  war  noch  immer  auf  Gerechtigkeit 
gerichtet,  und  er  litt  selbst  jammervoll,  wie  es  der  Eingang  eines 


3H 


Tiberius 


seiner  Schreiben  an  den  Senat  offenbarte  mit  den  Worten:  „Was 
ich  euch  schreiben  soll,  versammelte  Väter,  oder  wie  ich  es 
schreiben  soll,  oder  was  ich  überhaupt  nicht  schreiben  soll  in  dieser 
schweren  Zeit,  mögen  die  Götter  und  Göttinnen  mich  elender 
zugrunde  richten,  als  ich  mich  täglich  zugrunde  gehen  fühle, 
wenn  ich  es  weiß."  So  häuften  sich  Anklagen  auf  Anklagen  vor 
dem  Senate.  Bald  waren  es  Anhänger  des  Seian,  die  als  Opfer 
fielen,  dann  wieder  seine  Gegner,  und  die  eben  Ankläger  gewesen, 
waren  später  die  Beschuldigten.  Selten  nur  rettete  das  freie  Wort 
33  n.  Chr.  der  Selbstverteidigung  den  Unschuldigen.  Aber  noch  zu  langsam 
arbeiteten  die  Gerichte.  So  erging  im  dritten  Jahre  nach  Seians 
Sturz  der  Befehl,  alle,  die  in  den  Kerkern  schmachteten,  ohne 
Unterschied  des  Alters  und  Geschlechtes  hinzurichten.  Wehe,  wer 
die  Toten,  die  in  Haufen  am  Tiberufer  lagen,  zu  beklagen  wagte! 
Er  bewirkte  nur  sein  eigenes  Verderben. 

Auch  Drusus  und  Agrippina  die  Freiheit  wiederzugeben,  war 
der  Kaiser  nicht  mehr  fähig.  Dann  wäre  ihr  unsagbares  Elend 
offenkundig  geworden.  So  mußten  auch  sie  sterben.  Drusus,  durch 
seine  Peiniger  dem  Wahnsinn  nahegebracht,  fristete,  dem  Hunger- 
tode preisgegeben,  noch  durch  Tage  sein  Leben  mit  den  Kräutern, 
die  die  Kissen  seines  Lagers  füllten.  Agrippina,  deren  Leib  von 
ihren  Folterknechten  verstümmelt  worden  war,  schied  nach  dem 
Tode  des  Drusus  freiwillig  dahin.  Und  der  Kaiser  schilderte  noch 
in  einem  Schreiben  an  den  Senat  die  Qualen  ihrer  letzten  Stunden, 
triumphierend,  daß  er  Gerechtigkeit  an  den  Verbrechern  geübt 
hätte.  Eine  grauenhafte  Selbstzerstörung,  die  ihn  wie  das  Gespenst 
seines  besseren  Selbst  erscheinen  ließ.  Auch  Capreae  war  der 
Schauplatz  gleicher  Greuel.  Bei  ihrem  steten  Anblick  beschloß 
Cocceius  Nerva,  der  dem  Kaiser  auf  der  Insel  als  Berater  in  allen 
Fragen  des  Rechtes  gedient  hatte,  zu  sterben.  Der  Kaiser  wich 
nicht  von  dem  Lager  des  Getreuen.  Durch  keine  Fragen,  keine 
Bitten  vermochte  er  ihm,  der  in  vielen  Tagen  langsam  dem  Hunger 
erlag,  eine  Antwort  abzuzwingen,  warum  er  ihn  mit  dem  entsetz- 
lichen Vorwurf  belaste,  daß  er  das  Leben  in  seiner  Nähe  nicht 
mehr  ertragen  könne. 


6.  Die  letzten  Jahre 

Das  Rasen  des  Kaisers  wich  allmählich  einer  Erstarrung,  in 
der  der  Gedanke  der  ungestillten  Rache  nur  mehr  selten  auftauchte. 
Doch  auch  in  diesen  seinen  letzten  Jahren  hat  Tiberius,  gleichgültig 
gegen  Gegenwart  und  Zukunft,  wann  immer  die  Lage  des  Staates 
sein  ernstes  Eingreifen  erforderte,  mit  voller  Klarheit  und  Sicherheit 
gehandelt.  So  war  es  gerade  in  dem  Jahre  der  gräßlichsten  Morde, 
daß  der  Kaiser  eine  schwere  Erschütterung  des  Geldmarktes  durch 
die  Errichtung  einer  Staatsbank  mit  seltener  Einsicht  bekämpfte. 
Die  Bank  gewährte  ein  zinsloses  Darlehen  auf  drei  Jahre,  wenn 
der  Schuldner  für  das  Doppelte  mit  seinem  Grundbesitz  haftete. 
So  trat  gegenüber  dem  Steigen  des  Zinsfußes  und  der  Entwertung 
der  Güter  eine  Beruhigung  ein,  die  auch  die  Sicherheit  privater 
Darlehen  wieder  hob. 

Zwei  Jahre  später  zeigte  Tiberius  seinen  ungetrübten  Blick  35  "•  c*'' 
auch  in  der  Behandlung  der  Verhältnisse  des  Ostens.  Der  Parther- 
könig Artabanus,  voll  Selbstgefühl  durch  glückliche  innere  und 
äußere  Kriege,  hatte  seine  Hand  auch  auf  Armenien  gelegt,  wo 
er  nach  dem  Tode  des  Artaxias  seinen  eigenen  Sohn  Arsaces 
auf  den  Thron  des  Landes  erhoben  hatte.  Schmähende  Briefe  an 
den  greisen  Kaiser,  den  er  mißachtete,  mit  der  Forderung,  jene 
Schätze,  die  einst  Vonones  aus  dem  parthischen  Reiche  entführt 
hatte,  auszuliefern,  und  seine  Drohung,  seine  Herrschaft  wie  die 
Achaemeniden  bis  an  das  aegaeische  Meer  auszudehnen,  zeigten 
die  leere  Anmaßung  des  Barbaren.  Herrschaftsfähige  Glieder  des 
Arsacidenhauses  standen  ihm  nicht  im  Wege,  da  er  sie  alle  ge- 
mordet hatte.  So  wandten  sich  die  parthischen  Großen,  die  seiner 
grausamen  Willkür  abgeneigt  waren,    nach  Rom,    um    sich   einen 


3i6 


Tibenus 


Prinzen,  Phraates,  der  als  Geisel  aus  der  Zeit  des  Augustus  in  der 
Fremde  lebte,  zum  König  zu  erbitten.  Phraates  ging,  von  Tiberius 
ausgestattet,  nach  Syrien  und  starb  über  dem  Versuche,  der  Parther 
Sitte  und  Art,  die  er  nie  gekannt  hatte,  zu  lernen.  Aber  es  gab 
in  Rom  noch  einen  anderen  Prinzen  parthischer  Herkunft,  Tiridates. 
Er  trat  nun  an  seine  Stelle,  und  für  den  Thron  Armeniens  wurde 
der  iberische  Fürst  Mithridates  ausersehen,  der  sich  auf  des  Kaisers 
Geheiß  mit  seinem  Bruder  Pharasmanes,  dem  König  der  Iberer, 
versöhnte. 

Um  diese  Herrscher  von  Roms  Gnaden  einzusetzen,  übertrug 
Tiberius  demVitellius  die  Statthalterschaft  Syriens.  Dieser  hoch- 
begabte Mann  verstand  es,  je  nach  der  Stimmung  des  Hofes,  dem 
er  diente,  durch  seine  Tugenden  oder  seine  Laster  zu  glänzen. 
Jetzt,  unter  Tiberius,  war  er  das  Muster  des  umsichtigen  Verwalters. 
Zuerst  brachen  die  Iberer,  nachdem  Arsaces  von  seinem  Hofe  er- 
mordet worden  war,  aus  ihren  Sitzen  im  Norden  Armeniens  über 
die  Grenzen  und  nahmen  im  ersten  Ansturm  die  Hauptstadt  Arta- 
xata.  Da  erhob  sich  Artabanus  zum  Gegenschlage  und  sandte 
seinen  Sohn  Orodes  mit  parthischen  Scharen  gegen  den  Feind, 
während  seine  Werber  bei  den  Sarmaten  im  Norden  des  Caucasus 
Helfer  gewinnen  sollten.  Aber  auch  die  Iberer  riefen  die  Albaner 
zu  ihrer  Unterstützung  ins  Land,  und  ihnen  folgten  Stämme  der  Sar- 
maten, deren  König  sie  durch  Geschenke  gewonnen  hatten.  Dem 
Zuzug  jener  Sarmaten,  auf  die  die  Parther  gehofft  hatten,  verlegten 
die  Iberer  den  Weg.  So  war  Orodes  dem  Feinde  nicht  gewachsen 
und  gezwungen,  nur  auf  seine  Verteidigung  bedacht  zu  sein.  Aber 
der  Stolz  der  Parther  ertrug  nicht  lange  die  Herausforderung  der 
Gegner.  Nach  ihrem  Willen  nahm  Orodes  die  Feldschlacht  gegen 
die  Übermacht  an.  Den  leichtbeweglichen  Schwärmen  der  Parther 
und  ihren  weittreffenden  Bogen  begegneten  die  Sarmaten  im  ge- 
schlossenen Ansturm,  die  weitragenden  Lanzen  und  die  Schwerter 
brauchend.  Das  Fußvolk  der  Iberer  und  Albaner  mischte  sich 
zwischen  die  andrängenden  und  zurückweichenden  Reiterhaufen, 
bemüht,  die  Parther  von  ihren  Rossen  zu  stechen.  Die  Könige 
Orodes  und  Pharasmanes  kämpften  mit  ihren  Leibwächtern,  die 
Streiter  anfeuernd,  allen  voran  und  fochten  zuletzt  in  erbittertem 


b.    Die  letzten  Jahre  t  I  7 

Zweikampf,  Orodes,  durch  den  Helm  verwundet,  wurde  vom 
Kampfplatz  getragen.  Das  wurde  den  Parthern  das  Zeichen  zur 
Flucht. 

Als  Artabanus,  diesen  Schimpf  zu  rächen,  selbst  mit  einem 
Heere  in  Armenien  erschien,  versammelte  Vitellius  die  Legionen 
Syriens  am  Ufer  des  Euphrat,  bereit  in  Mesopotamien  einzudringen. 
Das  Nahen  der  römischen  Helfer  bestimmte  Sinnaces,  der  schon 
früher  mit  dem  Kaiser  unterhandelt  hatte,  seinen  Vater  Abdagaeses 
und  andere  Große,  denen  der  mörderische  König  verhaßt  war,  zur 
Erhebung,  die  immer  weiter  um  sich  griff  und  Artabanus  zur 
Flucht  aus  seinem  Reiche  in  die  Steppen  Turans  zwang.  Leicht 
wurde  es  jetzt  Tiridates,  in  Mesopotamien  festen  Fuß  zu  fassen. 
Die  griechischen  Landesteile  mit  der  Hauptstadt  Seleukeia  am 
Tigris  schlössen  sich  dem  ihren  Sitten  durch  römische  Bildung  ge- 
neigten Herrscher  an  und  frohlockten  über  die  Wiederherstellung 
ihrer  städtischen  Freiheit,  die  Artabanus  unterdrückt  hatte.  Die 
Erwartung,  daß  die  Satrapen  des  iranischen  Hochlandes  freiwillig 
zur  Huldigung  eintreffen  würden,  ließ  Tiridates  am  Tigris  zögern. 
Endlich  nahm  er,  ohne  die  oberen  Landschaften  des  Parthischen 
Reiches  betreten  zu  haben,  in  Ctesiphon  das  Diadem  der  Arsaciden 
aus  den  Händen  des  Surena  entgegen.  Aber  der  wankelmütige 
Sinn  der  parthischen  Großen  offenbarte  sich  bald,  als  der  neue 
Herrscher  ganz  unter  dem  Einfluß  des  Abdagaeses  und  der  anderen 
Freunde  stand.  Die  Mächtigsten  der  Satrapen,  Phraates  und  Hiero, 
sahen  wieder  in  Artabanus  ihren  rechtmäßigen  König  und  führten 
den  Flüchtling,  der  in  den  Schluchten  Hyrcaniens  einsam  sein  Leben 
mit  dem  Bogen  gefristet  hatte,  in  sein  Reich  zurück.  Sein  rasches 
Erscheinen  lähmte  seine  Gegner  und  gewann  ihm  neue  Freunde. 
Schon  näherte  er  sich  mit  Heeresmacht  Seleukeia,  als  der  ratlose 
Tiridates,  ohne  einen  Kampf  zu  versuchen,  nach  Mesopotamien 
zurückwich,  nur  um  den  Abfall  um  sich  zu  verbreiten.  Bald  war 
er  ein  Flüchtling,  der  auf  römischem  Boden  Schutz  suchte.  Als 
Artabanus  siegreich  am  Euphrat  erschien,  trat  ihm  Vitellius  ent- 
gegen und  zwang  ihn,  die  Oberhoheit  Roms  durch  die  Verehrung 
des  Kaiserbildnisses  und  der  Fahnen  des  Heeres  anzuerkennen. 
Tiberius  war  um  diese  Zeit  bereits  gestorben,  und  so  hatte  er  noch 


3i8 


Tibcrius 


im  Tode  einen  letzten  Triumph  über  den  Feind  gewonnen,  der 
allein  der  römischen  Weltherrschaft  dauernd  widerstrebte. 

Noch  in  seinem  letzten  Jahre  bewies  der  Kaiser  seine  Einsicht 
bei  dem  Brande,  der  den  Stadtteil  am  Aventin  verwüstete.  Hundert 
Millionen  Sesterzen  hat  der  Kaiser  aufgewendet,  um  den  Besitzern 
den  Schaden  zu  ersetzen.  Die  Abschätzung  des  Schadens  übertrug 
er  den  vornehmsten  Männern  des  Staates,  deren  Frauen  Enkelkinder 
des  Augustus  waren.  Die  unmittelbare  Sorge  rief  noch  seine  alfe 
Tatkraft  wach.  Aber  die  dringendste  der  Pflichten,  die  Frage  nach 
der  Nachfolge  auf  dem  Throne  zu  entscheiden,  war  der  Mann,  dem 
alles  im  Leben  nur  zum  Fluche  geworden  war,  außerstande.  Wohl 
hatte  er  kurze  Zeit  nach  dem  Sturze  Seians  daran  gedacht,  dem 
ältesten  dieser  Vornehmen,  die  durch  ihre  Frauen  dem  Kaiserhause 
verwandt  waren,  Domitius  Ahenobarbus,  die  Nachfolge  zuzuwen- 
den, da  er  selbst  ein  Enkel  der  Octavia  war.  Aber  der  pflichttreue 
Herrscher  gewann  es  nicht  über  sich,  diesem  ruchlosen  Menschen 
das  Schicksal  des  Reiches  anzuvertrauen.  Brach  doch  noch  zuletzt 
in  einem  jener  Prozesse,  für  die  die  beleidigte  Majestät  des  Kaisers 
nur  der  Deckmantel  war,  seine  ganze  Gemeinheit  wieder  hervor. 

So  entschied  sich  Tiberius  seit  langem,  seine  beiden  Enkel 
Gaius,  den  Sohn  des  Germanicus,  und  Tiberius,  den  Sohn  seines 
Drusus,  am  Hofe  in  Capreae  erziehen  zu  lassen.  Alles  andere  gab 
er  dem  Schicksal  anheim,  gegen  das  sein  eigener  Wille  so  ohn- 
mächtig gewesen  war.  Wie  sehr  sich  seine  Gedanken  in  einem  un- 
überwindlichen Kreise  bewegten,  zeigt  am  deutlichsten  die  immer 
wieder  hervortretende  Absicht,  seine  Selbstverbannung  zu  sprengen 
und  nach  Rorn  zurückzukehren,  ohne  daß  er  imstande  war,  seinen 
Wunsch  zu  erfüllen.  Nur  der  Schatten  seines  eigenen  Wesens,  hat 
er  diese  letzten  Jahre  das  Dasein  noch  erduldet,  sich  bewußt,  daß 
das  einzige  Empfinden,  das  sein  Erscheinen  hervorrief,  das  Grauen 
war  vor  dem  blutbefleckten  Tyrannen.  Endlich  erlöste  auch  ihn 
auf  einer  Reise  in  Campanien  der  Tod  von  der  schwersten  Last, 
dem  Leben.  Im  Gefühle  seiner  sinkenden  Kräfte  strebte  er,  sein 
Capreae  noch  zu  erreichen.  Da  befiel  ihn  auf  seinem  Landsitz  auf 
dem  Gap  Misenum  eine  Schwäche,  die  ihn  angesichts  der  Insel 
zur  Ruhe  zwang.    Er  erkannte  an  dem  Blicke  seines  Arztes,  was 


6.   Die  letzten  Jahre  7,q 

er  selbst  voraussah.  Noch  einmal  raffte  er  sich  auf  und  befahl  die 
Tafel  zu  rüsten.  Länger  als  sonst  verweilte  er  und  zwang  die 
anderen  zum  Gespräche.  Dann  ruhte  er  auf  seinem  Bette  in  tiefen 
Gedanken,  den  Siegelring  vom  Finger  ziehend,  als  wollte  er  dieses 
Zeichen  seines  Willens  fremden  Händen  anvertrauen.  Langsam 
nahte  dem  Einsamen  der  Tod. 

Nur  mit  Mitleid  kann  man  von  diesem  Manne  scheiden,  dessen 
Leben  eine  einzige  Kette  der  schwersten  Prüfungen  war.  Er  selbsi 
war  es,  der  nach  dem  Zwange  seiner  düsteren  Natur  das  Licht 
und  die  Freude  von  sich  scheuchte,  auch  wo  sie  ihm  entgegen- 
traten. Es  gebrach  ihm  an  dem  hohen  Sinne,  der  den  Menschen 
erhebt  und  zum  Herrn  seines  Schicksales  macht.  Immer  stand  er 
unter  dem  Banne  der  Forderungen,  die  von  außen  an  ihn  heran- 
kamen^ sodaß  seine  Pflichttreue  selbst  eine  erzwungene  ist  und 
nicht,  aus  der  Freiheit  seiner  Entschließungen  stammend,  die 
einfache  Betätigung  seines  Wesens.  Gebunden  wie  er  sich  fühlte, 
war  er  auch  nicht  fähig,  die  Persönlichkeit  der  Menschen  walten 
zu  lassen,  und  ihre  unvermeidlichen  Fehler  und  Gebrechen  wurden 
ihm  zur  Qual.  So  war  es  ihm  unmöglich,  zu  gewähren  und  zu 
vertrauen,  wo  ihm  nicht  seine  eigene  Art,  wie  in  dem  täuschenden 
Bilde  Seians,  entgegenzutreten  schien.  Wo  er  Trug  und  Arglist 
sah,  ist  er  es  in  Wahrheit,  der  die  Wolke  des  Übelwollens  erzeugt, 
die  sein  Urteil  trübt.  Langsam  und  stetig  wuchs  diese  Verdunke- 
lung seines  klaren  Verstandes,  bis  sie  ihn  vom  Irrtum  zum  Ver- 
brechen führte.  Wie  maßlos  auch  andere  an  ihm  gesündigt 
hatten,  das  selbstgeschaffene  Leiden  zerstörte  ihn  und  ließ  ihn 
im  Kampfe  gegen  die  zwingende  Gewalt  der  Verhältnisse  immer 
erliegen.  Und  doch,  das  Ringen  seines  unbeugsamen  Charakters 
gegen  die  Übermacht  der  Schmerzen  bleibt  gewaltig  und  er- 
schütternd. 


NAMENVERZEICHNIS 


Abdagaeses,    Parther  317. 

Acilius  Aviola  294. 

Addo,  Parther  229. 

Aelius  Gallus   182!. 

Aemilia  Lepida  308. 

Marcus  Aemilius  Lepidus  237. 

Paullus  Aemilius  Lepidus  66.    191. 

Aemilius  Paulus  247. 

Marcus  Vipsanius  Agrippa  95  —  99. 
107  —  109. 123  — 129.  145.  152  bis 
155.    158.  165.  i67f.  i78f.  i87f. 

192!.    196.    199.    201.    205f.    208f. 

Agrippa  Postumus  209.  224.  229.  247. 
252.  278. 

Agrippina,  die  Ältere  26of.  268.  282 
bis  286.  299.303.305  —  309.314. 

Alexander-Helios,  Sohn  der  Cleopa- 
tra  135.   I48f. 

Alexander,   Sohn   des  Herodes    206. 

Amyntas,  König  von  Galatien.  117. 
I33f.    153!.    185. 

Antigonus,  König  der  Juden  1 1 6. 

Antiochus,  König  von  Commagene  121. 

Antistius   134. 

Gaius  Antistius  Vetus    178. 

Antonia,  die  Ältere,  Tochter  des  Marcus 
Antonius   207. 

Antonia,  die  Jüngere,  Tochter  des  Mar- 
cus Antonius  207.   210.   286. 

Gaius  Antonius  38.   74  f. 

Julius  Antonius,  Sohn  des  Marcus  An- 
tonius 225. 

Lucius  Antonius  35.  38.  90     99.107. 

Marcus  Antonius  18 — 73.  81  — 117. 
I2if.  132  — 142.  148 — i6i.  206. 
280. 

Antyllus,  Sohn  des  Marcus  Antonius 
161. 

Apicata,  Frau  Seians  297.  312. 

Apollophanes    125. 

Lucius  Apronius  269.   292. 


Archelaus,    König   von    Cappadocien 

193-  279. 
Archelaus,  Sohn  des  Herodes  206. 234. 
Arminius,  240—243.  265 — 268.  270. 

272.   274!. 
Ariobarzanes,  König  v.  Cappadocien  78. 
Ariobarzanes,  König  von  Armenien  228. 
Lucius  Arruntius    155. 
Arsaces,   König  von  Armenien  3i5f. 
Arsinoe   103. 
Artabanus,   König  der  Parther  281  f. 

315—317- 
Artavasdes,  König  von  Armenien  1 3  7  f. 

148.   158.  222.  281. 
Artaxes,    König   von   Armenien   194. 
Artaxias,KönigvonArmenien  28 1 .315. 
Asander,  König  im  ßospurus  205. 
Gaius  Asinius  Gallus  306.  308. 
Gaius  Asinius  Pollio  28.  47.  60.  66. 

96—99.    i09f. 
Lucius  Nonius  Asprenas  243. 
Atia,  Mutter  des  Augustus  37. 
Augustus,  heißt  Gaius  Octavius  29f. 

36—38;    Caesar   38 — 168;    dann 

Augustus   169 — 250. 

Bato,  Daesitiate  236 — 238. 
Bato,  Pannonier  335  —  237. 
Quintus  Junius  Blaesus  254^  293. 

3  00  f. 
Marcus  Junius  Brutus   17 — 22.  29. 

31.  34f.  43.  54.  74—86. 

Caecilius  Bassus  28. 

Aulus  Caecina  Severus  235!.  258. 
261.  263  —  267.   269. 

Caesar   13 — 20.    102.    143. 

Caesarion,  Sohn  Cleopatras  148.  161. 

Gaius  Julius  Caesar,  genannt  Cali- 
gula   262.  318. 

Lucius  CalpurniusPiso, Caesars  Schwie- 
gervater 27.   29.  48. 


Namen  vt  rzeiclinis 


\2l 


Gnaeus  Calpurnius  Piso    187. 
Gaius  Calvisius   Sabinus    119  f. 
Marcus  Furius  Camillus   292. 
Publius  Canidius  Crassus    136.    151 
Tiberius  Cannutius  40.   99. 
Carfulenus  52. 
Publius  Carisius   178. 
Gaius  Cassius    16.   29.  31.  34.  42. 

54.   74—85. 
Cassius  Chaerea  258. 
Cassius  Parmensis   134, 
Catualda,  Gotone   289. 
Chariovalda,  König  der  Bataver  270. 
Marcus  Tullius  Cicero  22.  25.  zy. 

44-  53-  55-  61.  67. 

Cii'cro,  der  Sohn   74  f. 

Claudia  Pulchra  239.  305, 

Appius  Claudius   225. 

Claudius  Bithynicus   90. 

Tiberius  Claudius  Nero,  der  Vater  des 
Kaisers  Tiberius    114. 

Tiberius  Claudius  Nero  Germanicus 
286. 

Clemens  278. 

Cleopatra,  Königin  von  Ägypten  77.92. 
102.  104.  135.  142.  148— 161. 
165. 

Cleopatra-Seleiie,  Tochter  der  Cleo- 
patra  135.   165.   206. 

Clutorius  Priscus  295. 

Marcus  Cocceius  Nerva  305.  314. 

Cornelius  Baibus  208. 

Cornelius  Cinna  22. 

Gaius  Cornelius  Gallus    159.   181. 

Cornelius  Scipio   225. 

Publius  Cornelius  Lentulus  Scipio  293. 

Lucius  Comificius    120.    i26f. 

Quintus  Cornificius   7  i . 

Cotys,  König  von  Thrakien  206.  291. 

Marcus  Licinius  Crassus    179. 

Cremutius  Cordus  300. 

Curtius  Atticus  305. 

Dapyx,  getischer  Fürst    180. 
Dareus,  Sohn  der  Phamaces,  König  von 
Pontus    117. 

D  o  ni  a  a  z  e  w  s  k  i .     I . 


j  Lucius  Decidius  Saxa  82.   104  f. 
I  Decimus  Junius  Brutus  Albinus  18 
bis  24.  28—31.  35.  39.  46.    51. 

5o-  55 f-  59^- 
Deldo,  König  der  Bastarner   180. 
Quintus  Dcllius    102.  148.    153  f. 
Demochares    120.    125. 
Publius  Cornelius  Dolabella  22.  24. 

27-  32.  34-  75—77- 
Pubh'us  Cornelius  Dolabella  301. 
Gnaeus  Domitius  Ahenobarbus  81.  85. 

94f.    100.    io7f.    133.    139.    i49f. 

151-    ^53- 

Lucius  Domitius  Ahenobarbus  207. 
222.   230.  266. 

Gnaeus  Domitius  Ahenobarbus  227. 
318. 

Gnaeus  Domitius  Calvinus  85. 

Domitius  Celer  284. 

NeroClaudiusDrusus,  Sohn  derLivia 
202.207.2  10.213 — 219.264.26'-;. 

Drusus  Julius  Caesar,  Sohn  des  Ti- 
berius 2555.  286.  289.  295f. 

Drusus  Julius  Caesar,  Sohn  des  Ger- 
manicus 298.  305.  308.  311.  314. 

Dynamis,  Königin  des  Bosporus  205. 

Egnatuleius  42. 
Erato  222. 
Eudemus  297. 

Faberius  33. 

Fannius   Caepio    189. 

Lucius  Marcius  Figulus   77. 

Flavius  Gallus    139. 

Flavus,  Bruder  des  Arminius  240.  270. 

Gaius  Fonteius  Capit(-)    135. 

Quintus  Fufius  Calenus  47.  40.  87. 

93.   100. 
Gaius  Fufius  Geminus   308. 
Fulcinius  Trio  288. 
Fulvia,  Frau  des  Macrus  Antonius  68. 

90 — 99.   106.    109. 
Gaius  Furnius  95  f.    133. 

Gaius  Julius  Caesar  joo.  208.  22  i. 
223 f.   226  —  229. 

21 


322 


Namenverzeiclinis 


Gellius  Poplicola   155. 
Germanicus  Julius  Caesar  207.  22g. 

236-238.  246.  258-274.  279-285. 
Glaphyra,  Tochter  des  Archelaus  von 

Cappadocien  206. 
Graecinius  Laco  310.  312. 

Herennius,  Mörder  Ciceros   67. 
Herodes,  König  der  Juden  117.  184, 

I95f.  207.  234. 
Herophilus  31. 

Hiero,  Satrap  der  Parther  317. 
Aulus  Hirtius   19.    22.    48.    50 — 54. 
Quintus  Horatius  Flaccus    176.   200. 

219. 
Marcus  Hortensius  Hortalus  279. 
Quintus  Hortensius  Hortalus  28.  74. 

Inguiomerus  265.  268.  2']2 — 274. 
Isidorus   227. 

Juba,  König  von  Mauretanien  206. 227. 
Julia,  Mutter  des  Marcus  Antonius  68. 

106. 
Julia,  Tochter  des  Augustus  114.  186  f. 

192.  207.  209f.  221.  224f.  276. 
Julia,  Enkelin  des  Augustus  246. 
Julia,  Enkelin  des  Tiberius  298.  309. 
Julius  Florus  294. 
Julius  Sacrovir  294. 

Kandake,  Königin  derÄthiopen  184  f. 

Titus  Labienus   104!.   115. 
Laelius  71. 

Gnaeus  Cornelius  Lentulus  222. 
Marcus  Ämilius  Lepidus  22 — 25.  2"] . 

47-  55-  59-  65.  69.  72.  90.  95f. 

107.   123  — 130.  208. 
Quintus  Ligarius   18. 
Li  via  Drusilla,  Frau  des  Augustus  114. 

192.  207.  221.    227.   234.    247f. 

250.  252.  275.  279.  285.  298.  300. 

303-   307. 
Livia  Julia,  genannt  Li  vi  IIa,  Tochter 

des  Drusus  2  89. 296  f.  299.303.313. 
Marcus  Lollius   185.  204.   227 f. 
Lucius  Julius   Caesar,   Oheim    des 

Marcus  Antonius  27.  66. 


Lucius    Julius    Caesar,    Enkel    des 

Augustus  200.  223 — 225.  228. 
Quintus  Lucretius  Vespillo    196  f. 

Gaius  Maecenas  106.  logf.  158.  168. 

189.   219. 
Malchus,   König  der  Nabataeer  116. 
Mallovendus   274. 
Manius  93.  96.    1 10. 
Marbod  217.   231.   274.  289. 
Claudia  Marcella,  Tochter  der  Octavia 

187. 
Gaius  Claudius  Marcellus,  Gemahl 

Octavias   109. 
Marcus    Claudius    Marcellus,   Sohn 

Octavias    113.    186  f. 
Marcius  Crispus  28. 
Lucius  Marcius  Philippus  48.   167. 
Mazippa  292. 

Publius  Memmius  Regulus  310. 
Menekrates   1 1 9  f. 
Menodorus   108.   114.   118 — 120. 
Marcus  Valerius   Messalla  Corvinus 

126. 
L.  Minucius  Basilus    18. 
Mithridates,  König   von  Commagene 

194. 
Mithridates,  König  von  Armenien  316. 
Monaeses,  Parther  136 f. 
Lucius  Munatius  Plancus  19.  25.  28. 

47.  58f.  97—99-   107-  150-  IÖ7- 

169.   191. 
Lucius  Munatius  Plancus  260. 
Antonius  Musa   187. 
Mutilia  Prisca  308. 

Naevius  Sertorius  Macro  310.  312. 
Gaius  Nasidius   153. 
Lucius  Nasidius   134. 
Nero  Julius  Caesar,  Sohn  des  Ger- 
manicus 298.  303.  305!.  309. 
Nicolaus  von  Damascus   184. 
Gaius  Norbanus  Flaccus   81  f. 

Obodas,    König   der  Nabataeer   182. 
Octavia,  Schwester  des  Augustus  109. 
117.    I2if.   142.  2o6f.   218. 


Namenverzeichnis 


323 


Oppius  Statianus    137. 

Orodes,  König  der  Parther  103 f.  136. 

Orodes,  parthischer  Prinz  316. 

Pacorus,  parthischer  Prinz.   105.  116. 

GaiusVibiusPansa  19,  22. 47f.  51.  54. 

Papias   125. 

Paullus  Fabius  Maximus  247. 

Quintus  Pedius   6^i.   66. 

Pedo  265. 

Gaius  Petronius   184. 

Pharasmanes,  König  der  Iberer  316. 

Pharnaces,   König  im   Bospurus   205. 

Philadelphus,  König  von  Paphlagonien 

153- 

Phraataces,    König   der  Parther  228. 

Phraates,  König  der  Parther  136.  138. 
163.    194. 

Phraates,  König  der  Parther  316. 

Phraates,  parthischer  Satrap  317. 

Pharanapates  115. 

Pinarius  Scarpus    158 f. 

Pinnes,  König  der  Breucer  235.  237. 

Lucius  Calpurnius  Piso  Frugi  212, 

Gnaeus  Calpurnius  Piso  279 — 284. 
287—288. 

Munatia  Plancina  279.  281  —  284. 
187  f. 

Marcus  Plautius  Silvanus    235.    237. 

Plennius    124.    129. 

Polemo,    König   117.    193.   206. 

Polemokrateia,KöniginderThraker79. 

Sextus  Pompeius  70.  71  —  73.  94. 
106.    108.   III — 114.   118 — 134. 

Lucius  Pomponius  Flaccus  291. 

Pontius  Aquila    18.   54. 

Popilius  Laenas  67. 

Gaius  Poppaeus  Sabinus  302  f. 

Gaius   Proculeius    160. 

Ptolemaeus,  Sohn  der  Cleopatra  148. 

Ptolemaeus  301. 

Pythodorus   206. 

Pythodoris,  Enkelin  des  Manus  An- 
tonius 206. 


Publius  Quinctilius  Varus  239- 
Quintius  66. 


242 


Titus    Quinctius    Crispinus  Sulpi- 

cianus  225. 
Publius     Sulpicius     Quirinius     185. 

227.   233. 

Rhascus,  thrakischer  Fürst  82, 
Rhascuporis,  thrakischer  Fürst  82, 
Rhascuporis,  König  der  Odrysen  2  1 2. 
Rhascuporis,  König  der  Odrysen  291. 
Rhoemetalces,  König  der  Odrysen  212. 
Rhoemetalces,  König  der  Odrysen  236. 
Rhoemetalces,  König  der  Odrysen  291. 
Roles,  getischer  Fürst   180. 

Gaius    Sallustius   Crispus72  52.    278. 
Quintus     Salvidienus  [Rufus     73. 

95—98.    HO. 
Marcus  Aemilius  Scaurus   134. 
Scribonia,    Frau    des    Augustus    106. 

114.   224. 
Lucius    Scribonius    Libo,    Schwieger- 
vater   des    Sextus    Pompeius    106. 

112.    134. 
Scribonius,   Bosporaner  206. 
Marcus    Scribonius    Libo    Drusus 

277. 
Segestes  240.  265.  279. 
Lucius    Aelius    Seianus    257.    276. 

287.   296 — 312. 
Seius  Strabo  257. 
Sembronius  Gracchus  276. 
Gaius  Sentius  Satuminus    196.    230. 
Gnaeus  Sentius  Satuminus   284. 
Quintus  Servaeus   288. 
Servilius  Casca  20. 
Servilius  Isauricus   27. 
Titus  Sextius  70. 
Marcus  Junius  .Silanus  51. 
Gaius   Silius    Aulus  Caecina  Largus 

2,58.   269.   274.   299. 
Publius  Silius   203, 
Sinnaces,  Parther  317. 
Sosia  Galla   299. 
Gaius  Sosius   i2i.    149  f.    153  f. 
StaiusMurcus  28.  77.  8  i .  85.94.  i  12. 
Titus  Statilius  Taurus  124  f.  146.  153. 

167.    17K.   201. 

2 1 ' 


324 


Namenverzeichnis 


Publius  Suillius  Rufus  299. 
Servius  Sulpicius   27.   32.   48  f. 
Servius  Sulpicius  Galba    18.  51  f. 
Syllaeus,  Nabataeer    182.    184. 

Tacfarinas  292  f.  301. 

Tarcondimotus   194. 

Tarsas  302. 

Marcus  Terentius  Varro  68. 

Aulus    Terentius    Varro     Murena 

186.    189t. 
Minucius  Thermus   134. 
Thrasyllus   228. 
Thusnelda  265.   279, 
Tiberius  Claudius  Nero,  der  Kaiser 

178.    186.    190.    194.   201.   203f. 

208 — 212.  218 — 222.  227 — 231. 

234—238.    243.    246—250.   251 

bis  319. 
Tiberius  Julius    Caesar,    Enkel    des 

Kaisers  Tiberius  318. 
Tigranes,   König  von  Armenien    194. 
Tigranes,  König  von  Armenien  222. 
Lucius  Tillius  Cimber  20.   78.  82. 
Tiridates,  König  der  Parther   163. 
Tiridates,  König  der  Parther  316. 
Marcus  Titius   133  f.    150. 
Titius  Sabinus  306. 
Titus  Trebellenus  Rufus  291  f. 


Gaius    Trcbonius    18.    20.    74 — 76. 
Tryphaena,   Tochter   der   Pythodoris. 

206.  291. 
Turesis  302. 

Marcus    Valerius     Messalla    Mes- 

sallinus  236. 
Vannius,  Quade  290. 
Lucius  Varius  Cotyla  49. 
Publius  Vatinius   28.    74.    143 
Publius  Vellaeus   292. 
Ventidius   7 1 . 
Publius  Ventidius  Bassus  50.  58.  96. 

97.    115.    121. 
Quintus  Veranius   282.  288. 
Vibilius,    König    der    Hermunduren 

289. 
Marcus  Vinicius   186.   230. 
Vipsania,  Tochter  des  Marcus  Agrippa 

207.  209.   306. 

Vipsania,  Polla,  Schwester  des  Marcus 

Agrippa   168.  220. 
Lucius  Vitellius  316. 
Publius  Vitellius  268.   288. 
Vologaeses,  Thraker  212. 
Vonones,  König  der  Parther  2  8 1  f.  315. 

Zcno,    Sohn    der  Pythodoris,    König 

von  Armenien  282. 
Zyraxes,  getischer  Fürst   181. 


Druck  von  C.  G.  Naumann,  G.  m.  b.  H.,  Leipzig. 


I.  Julier. 


I.  2. 

Gaius  Julius  Caesar  —  Aurelia. 


3- 

Caesar, 

100  —  44  V.  Chr. 


Gaius  Marcellus, 
j  40  V.  Chr. 


4- 
Julia 

6. 

Atia 


5- 
Atius  Baibus. 


Gaius  Octavius. 


9.  10. 

Octavia,      —      Marcus  Antonius, 
■j-    IG  V.  Chr.  -j-   30  V.  Chr. 


13-  14- 

Marcus  Marcellus,  Marcella, 

verm.  mit  Julia  verm.  mit  Marcus 

(I,i8),42 — 23v.Chr.  Aj^rippa  (I.  19). 


15-   .. 

Antonia  d.   Ältere, 

geb.  39  V.  Chr.,  verm.  mit 

Ib.  Lucius  Üomitius  Aheno- 

barbus   f    25  n    Chr. 


20.  21. 

Agrippina,    —    Gnaeus  Domitius  Ahenobarbus,  Domitia  Lepida, 
Tochter  des  Ger-                        j  40  n.  Chr.  j  54  n.  Chr. 

manicus  (II,   17). 


Poppaea  Sabina. 


27. 

Nero, 

37  —  68  n.  Chr. 

adoptiert 

von  Claudius. 


Octavia, 

Tochter  des 

Claudius  (II,    20). 


Aütonia 
mit  Drusi 
Li 
36  V.  Cl 

2 

Gaius 

20  V.  Chr.  1 

adopti( 

Augustus, 


II.  Claudier. 


Tiberius  Claudius 
Nero. 

3. 

Vipsania, 
Tochter  des  Agrippa 
(I,  19),  j  20  n.  Chr. 


Livia  Drusilla, 
58  V.  Chr.  bis  29  n.  Chr. 


—      Augustus  (I,   12). 


4. 

Tiberius, 

42  V.  Chr.  bis  37  n.  Chr., 

adoptiert  von  Augustus 

(I,  12),  3  n.Chr. 


Drusus  — 
f  23  n.  Chr. 


Livilla,  Tochter 
des  Drusus  (11,  9). 


Agrippina,  — 

Enkelin  d.  Augustus        15  v.  Cb 
(r,  25).  v.  Tibe 


12. 

Julia,  t  43  n. 

Chr.,  verm. 

m.  Nero,  Sohne 

des  Germani- 

cus  (II,  14). 


13- 
Tiberius, 

19—37  n-  Chr. 


14. 

Nero, 

6 — 29  n.  Chr. 

verm.  m.  Julia, 

Enkelin  des 
Tiberius  (II,  12). 


15- 

Drusus, 

7— 33  n.  Chr. 


16. 

Caligula, 
12 — 41  n.  Cl 


ZuDomaszewski.     I. 


17- 

Jüngere,  verni. 
em  Sohne  der 
(11,  5). 
lis  39  n.  Chr. 


Scribonia.      — 


Julia, 

39  V.  Chr.  bis 

14  n.  Chr. 


Augustus 

63v.Chr.bis 

14  n.  Chr. 


Livia  Drusilla, 


19. 


Marcus  Vipsanius  Agrippa, 
65 — 12  V.  Chr. 


23- 

aar,  Julia, 

n.  Chr.,      19  V.  Chr.  bis 
on  29.  n.  Chr. 

V.  Chr. 


24. 

Lucius  Caesar, 

17  V.  Chr.  b.  2  n.  Chr. 

adoptiert  von 
Augustus,  1 7  V.  Chr. 


25.  26. 

Agrippina,  Agrippa  Postumus, 

verm.  mit  12  v.Chr. b.  14  n.Chr., 

Gernianicus  adoptiert  von 

(II,  8),  1 33  n. Chr.      Tiberius,  4  n.  Chr. 


Druäus, 
— 9  V.  ehr 


6. 
Anton  ia  die  Jüngere 

(I.  17). 


manicus, 
10  n.  Chr.  adopt. 
(II,  4),  4  n.  Chr. 


9- 

Livilla, 

14  v.Chr.  b.  31  n.  Chr.,  vcrni.  m. 

Driisus,  Sohn  d  Tiberius  (11,  7). 


Agrip])ina. 
15  — 591  <"hr., 

verm.  mit 

Gnacus 

Domitius  (I,  20). 


18. 

Drusilla, 

19 — 38  n.Chr., 

verm. 

mit  Aemilius 

Lc]Mdus 


•9- 

Julia, 

18 — 42  n.Chr 


10. 
Claudius,   — 
10  V.  Chr.  bis 
54  n.  Chr. 


II. 

Valeria  Messalina, 
f  47  11.  Chr. 


20. 
Octavia, 
■j-  62  n.  Chr., 

verm.  mit 
Nero  (I,  27). 


Britann  icus, 
42—57  n.  Chr. 


DG 
27C 
D7 
1  ;22 

Bd.1 


Doma-szewski,  Alfred  von 

Geschichte  der  römischen 
kaiser   3.  Aufl. 


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