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Full text of "Geschichte der Serben"

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ALLGEMEINE  STAATENGESCHICHTE. 

Herausgegeben  von  KARL  LAMPRECHT. 

I.  ABTEILUNG :  GESCHICHTE  DER  EUROPÄISCHEN  STAATEN.  —  II.  ABTEILUNG :   GE- 

SCHICHTE  DER   AUSZEREUROPÄISCHEN   STAATEN.  —  III.  ABTEILUNG :  DEUTSCHE 

LANDESGESCHICHTEN. 


Erste  Abteilung: 


Herausgegeben 

von 

A.  H.  L.  HEEREN,  F.  A.  UKERT, 
W.  V.  GIESEBRECHT  UND  K.  LAMPRECHT. 


Achtunddreifsigstes  Werk : 

JIRECEK,  GESCHICHTE  DER  SERBEN. 
I.  Band. 


GOTHA  1911. 
FRIEDRICH  ANDREAS  PERTHES  A.-G, 


GESCHICHTE  DER  EUROPÄISCHEN  STAATEN. 

Herausgegeben  von 

A.  H.  L.  HEEREN,  F.  A.  UKERT,  W.  v.  GIESEBRECHT 

UND  K.  LAMPRECHT. 

Achtunddreifsigstes  Werk. 


GESCHICHTE  DER  SERBEN. 


VON 


CONSTANTIN  JIRECEK.  J^ 

/ 

Erster    Band. 
(Bis    137 1.) 


GOTHA  1911. 
FRIEDRICH   ANDREAS   PERTHES  A.-G. 


Vorwort. 


Die  Serben  sind  seit  der  Einwanderung  der  Slawen  in  das 
alte  Illyricum  stets  eine  hervorragende  Nation  der  Balkanhalbinsel 
geblieben.  Ihre  Geschichte  zerfällt  in  zwei  Perioden ;  in  der  ersten 
stehen  im  Vordergrunde  die  Berührungen  mit  dem  oströmischen 
Kaisertum,  in  der  zweiten  die  mit  den  osmanischen  Türken. 

Im  Mittelalter  waren  die  Serben  zu  verschiedenen  Zeiten 
Bundesgenossen,  Vasallen,  Rivalen  und  Gegner  der  Byzantiner, 
nie  aber  direkte  Untertanen  der  Kaiser  von  Konstantinopel, 
wie  einmal  ihre  Nachbarn,  die  Bulgaren  von  971,  teilweise  von 
1018  bis  1186.  Dabei  wurden  sie  treue  Anhänger  der  orienta- 
lischen Kirche,  die  äußersten  im  Nordwesten  gegen  die  in  Dalma- 
tien,  Kroatien  und  Ungarn  herrschende  römische  Kirche  und  die 
in  Bosnien  heimisch  gewordene  Sekte  der  Patarener  (Bogomilen 
oder  Babunen).  Der  Wechsel  der  Machtstellung  brachte  Ände- 
rungen des  politischen  Mittelpunktes  des  Serbentums  mit  sich, 
welcher  sich  in  verschiedenen  Jahrhunderten  im  Limtal,  am  See 
von  Skutari,  an  den  Ufern  der  Raska  bei  dem  jetzigen  Novipazar, 
in  Skopje  im  nördHchen  Makedonien,  zuletzt  in  Belgrad  und  Sme- 
derevo  an  der  Donau  befand.  Die  serbische  Nationalkirche  hatte 
indessen  im  13.  bis  18.  Jahrhundert  ihren  Mittelpunkt  stets  in  Pec 
(türkisch  Ipek),  nahe  an  der  Ostgrenze  des  heutigen  Montenegro. 
Die  Herrscher  der  Serben  nannten  sich  Fürsten  oder  Herzöge, 
Großzupane,  Despoten,  Könige,  im  14.  Jahrhundert  sogar  Kaiser 
(Zaren),  als  das  serbische  Reich  unter  dem  „Kaiser  der  Serben 
und  Griechen"  Stephan  Dusan  (1331 — 1355)  den  größten  Teil  der 
Halbinsel  in  sich  schloß.     Bald  darauf  begann    der  Kampf  gegen 


YI  Vorwort. 

die  Türken,  mit  den  Schlachten  an  der  Marica  (1371)  und  auf  dem 
Amselfelde  (1 389).  Eingeengt  zwischen  Ungarn  und  Türken,  leisteten 
die  Serben  dem  Vordringen  der  Osmanen  hartnäckigen  Widerstand. 
Der  Untergang  des  altserbischen  Staates  hatte  eine  starke  Emi- 
gration nach  Norden  und  Nordwesten,  nach  Ungarn,  Kroatien  und 
Dalraatien  zur  Folge,  zugleich  aber  auch  einen  bedeutenden  Rück- 
gang des  serbischen  Elementes  im  Innern  der  Halbinsel,  in  den 
jetzt  „Altserbien"  genannten  Gebieten.  Diese  Emigration  brachte 
es  mit  sich,  daß  der  Nachfolger  der  alten  serbischen  Erzbischöfe 
oder  Patriarchen  von  Pec  jetzt  in  Karlowitz  an  der  Donau  auf 
dem  Boden  des  „dreieinigen  Königreiches"  von  Kroatien,  Slawonien 
und  Dalmatien  in  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  resi- 
diert. Während  des  Verfalles  des  osmanischen  Reiches  beteiligten 
sich  die  Serben  an  allen  Türkenkriegen  der  Österreicher,  Vene- 
zianer und  Russen.  Ihre  Freiheitskriege  führten  zur  Entstehung 
von  zwei  neuen  serbischen  Staaten,  der  heutigen  Königreiche  von 
Serbien  und  Montenegro. 

Die  Literatur  über  die  serbische  Geschichte  ist  an  Umfang  nicht 
gering.  An  der  Grenzscheide  zwischen  der  mittelalterlichen  und  mo- 
dernen Historiographie  steht  ein  Ragusaner,  der  Benediktiner  Mauro 
Orbini  mit  seinem  aus  schriftlichen  und  mündlichen  Quellen  bunt  zu- 
sammengestellten „IlRegno  degli  Slavi"  (Pesaro  1601).  Die  ein- 
heimischen Arbeiten  eröffnet  im  18.  Jahrhundert  das  vierbändige  Buch 
des  Archimandriten  Rajic  (1794).  Das  19.  Jahrhundert  hat  kein 
großes  nationales  Geschichtswerk  hervorgebracht,  etwas  in  der 
Art,  wie  die  bändereichen  Werke  über  russische  Geschichte  von 
Karamzin  und  Solovjev,  wohl  aber  eine  große  Anzahl  von  wich- 
tigen Detailstudien.  Dabei  gab  es  unter  den  einheimischen  Histo- 
rikern zum  Schluß  des  19.  Jahrhunderts  große  Kämpfe.  Eine 
Partei  ließ  die  Aufzeichnungen  der  jüngsten  Zeit,  besonders  die 
in  den  letzten  hundert  Jahren  gesammelten  epischen  Volkslieder 
und  Volkssagen  als  Geschichtsquellen  für  das  Mittelalter  gelten, 
voran  Panta  Sreckovid  (f  1903).  Die  Gegenpartei,  geführt  vom 
Archimandriten  Ilarion  Ruvarac  (f  1905),  dem  die  serbische 
Kirchengeschichte  viel  zu  verdanken  hat,  und  von  Ljubomir 
Kovacevid,  bemühte  sich,  die  moderne  historische  Kritik  in  der 
vaterländischen  Geschichtsforschung  zur  Geltung  zu  bringen.    Neben 


Vorwort.  vn 

der  Geschichte  des  Despoten  Georg  und  der  Dynastie  der  Balsidi 
hat  Cedomil  Mijatovid  die  ökonomischen  Verhältnisse  der  Ver- 
gangenheit beleuchtet,  der  unermüdliche  Stojan  Novakovid  neben 
einer  Menge  von  Fragen  der  gesamten  serbischen  Geschichte  bis 
in  die  neueste  Zeit  besonders  die  Kultur-  und  Rechtsgeschichte. 
Als  Sammler  und  Herausgeber  altserbischer  Denkmäler  haben 
Georg  Danicid,  Stojan  Novakovid  und  Ljubomir  Stojanovid  eine 
große  Tätigkeit  entfaltet,  zumeist  in  den  Schriften  der  einstigen 
Serbischen  Gelehrten  Gesellschaft  von  Belgrad  (im  Glasnik)  und 
der  unter  König  Milan  gegründeten  Königlich  Serbischen  Akademie 
der  Wissenschaften  (im  Glas,  Spomenik,  Zbornik).  Groß  ist  die 
Zahl  der  Publikationen  über  die  Geschichte  des  19.  Jahrhunderts, 
eröffnet  von  den  Zeitgenossen  des  serbischen  Aufstandes  der  Jahre 
1804  bis  1815,  besonders  von  dem  Begründer  der  neuserbischen 
Literatur  Vuk  Stefanovic  Karadzid  und  von  Lazar  Arsenijevid- 
Batalaka.  Von  hohem  Wert  sind  für  den  Historiker  die  von  dem 
Ragusaner  Bogisid  (f  1908),  dem  Verfasser  des  neuen  montene- 
grinischen Gesetzbuches,  begonnenen  Sammlungen  der  teilweise 
noch  lebenden  Rechtsgebräuche.  Weite  Ausblicke  in  die  Ver- 
gangenheit bietet  das  Sammelwerk  über  die  serbischen  Siedlungen 
(Naselja)  unserer  Zeiten,  begründet  (1902)  und  geleitet  von  den 
Geographen  Professor  Dr.  Jovan  Cvijid,  in  den  Schriften  der 
Belgrader  Akademie  (bisher  sechs  Bände).  Die  einheimischen 
Monographien  über  politische,  Rechts-,  Kultur-  und  Literatur- 
geschichte oder  Archäologie  aus  den  letzten  50  Jahren  sind  auf 
den  folgenden  Seiten  oft  erwähnt:  von  Dragovid,  dem  Archiman- 
driten  Nikephor  Ducid,  Gavrilovic,  Viadan  Gjorgjevic,  Ivic, 
Ljubomir  und  Slobodan  Jovanovid,  Nikola  Krstid,  Milicevid,  Ge- 
neral Miskovid,  Konst.  Nikolajevid,  Ostojid,  Pavlovid,  Bozidar  Pe- 
tranovid,  V.  und  N.  Petrovic,  P.  Popovid,  Radonid,  von  Resetar, 
Jovan  Ristid  (dem  serb.  Ministerpräsidenten),  Dimitrije  Ruvarac 
(Ilarions  Bruder),  SkerHd,  Stanojevid,  Georg  von  Stratimirovid , 
Johannes  Safarik,  Tomid,  Vasid,  Valtrovid,  Trojanovid,  Vilovski, 
Vitkovid,  dem  Grafen  L.  Vojnovid,  Vujid,  Vukidevid,  Vukomanovid, 
Vulid  und  vielen  anderen.  Das  unbestrittene  Verdienst  dieser 
Untersuchungen  ist  für  die  ältere  Zeit  die  kritische  Erörterung 
zahlreicher    chronologischer,    genealogischer,    geographischer    und 


VIII  Vorwort. 

rechtshistorischer  Fragen,  für  die  neuere  die  eifrige  Sammlung  und 
Sichtung  des  archivaHschen  Materiales.  Von  Gesamtdarstellungen 
folgt  nach  der  des  Russen  Majkov  (1857),  serbisch  übersetzt  von 
Danicic  (2.  A.  1876),  und  den  Schulbüchern  von  N.  Krstic  (2.  A.  1868) 
und  von  Lj.  Kovacevic  und  Lj.  Jovanovic  (Belgrad  1890 — 1891, 
2  Bde.)  ein  für  einen  großen  Leserkreis  bestimmtes  Handbuch : 
„Geschichte  des  serbischen  Volkes"  (bis  auf  unsere  Tage)  von 
Professor  Dr.  Stanoje  Stanojevic  (Istorija  srpskoga  naroda,  2.  Aufl., 
Belgrad  1910,  8*^,  385  S.,  politische  Geschichte,  ohne  Kultur- 
geschichte und  ohne  Belege  in  Anmerkungen). 

Die  Historiker  des  stammverwandten  Kroatiens  haben  sich 
durch  Sammlung  von  Materialien  auch  um  die  serbische  Geschichte 
nicht  geringe  Verdienste  erworben,  vor  allem  Kukuljevic,  Racki, 
Ljubic  und  Smiciklas,  besonders  in  den  Publikationen  der  Süd- 
slawischen Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram,  den  „Monu- 
menta  spectantia  historiam  Slavorum  meridionalium ",  den  „Monu- 
menta  historico-juridica  Slavorum  meridionalium",  den  alte  Texte 
enthaltenden  „Starine"  und  dem  neuen  „Codex  diplomaticus "  des 
dreieinigen  Königreiches.  Für  die  Slawisten  hatte  das  serbische 
Mittelalter  seit  den  Anfängen  der  slawischen  Philologie  eine  große 
Anziehungskraft,  von  welcher  die  Untersuchungen  und  Editionen 
von  Dobrowsky,  Vostokov,  Kopitar,  Paul  Jos.  Safafik,  Miklosich, 
Sreznevskij  und  Jagic  Zeugnis  geben.  Bei  ihren  Studien  über 
Byzanz,  das  orthodoxe  Slawentum,  die  slawischen  Sprachen  und 
Literaturen  und  die  Geschichte  des  russischen  Reiches  in  der  Neu- 
zeit haben  sich  die  Russen  viel  mit  den  Denkmälern  und  der  Ver- 
gangenheit der  Serben  beschäftigt,  seit  den  ersten  Reisen  zu  den 
Bibliotheken  des  Athos,  welche  der  Philologe  Grigorovic  und  der 
spätere  Bischof  Porfyrij  Uspenskij  in  den  vierziger  Jahren  des 
19.  Jahrhunderts  unternommen  haben:  Bezsonov,  Budilovic,  der 
Metropolit  Filaret,  Florinskij,  Golubinskij,  K.  Grot,  Hilferding, 
Jacimirskij,  Jastrebov,  Kocubinskij,  Kondakov,  Kulakovskij,  La- 
manskij,  Lavrov,  Lavrovskij,  der  Archimandrit  Leonid  (Kavelin), 
Majkov,  Makusev,  Miljukov,  Petrovskij,  A.  Pogodin,  Nil  Popov, 
Pypin,  Rovinskij,  Speranskij,  Syrku,  Theodor  Uspenskij,  Zigel 
und  viele  andere.  Nachbarliche  Verhältnisse  erweckten  in  Ungarn 
ein   reges   Interesse   für    serbische    Geschichte;    voran   stehen   die 


Vorwort.  IX 

bekannten,  auch  in  deutschen  Ausgaben  zugänglichen  Werke  von 
Källay  und  von  Thalloczy,  In  deutscher  Sprache  hat  Johann 
Christian  von  Engel,  ein  Beamter  der  siebenbürgischen  Hof  kanzlei 
(t  1814),  mit  Benützung  des  Werkes  von  Rajic,  sowie  lateinischer 
und  griechischer  Quellen  ein  umfangreiches  Buch  veröflfentlicht : 
„  Geschichte  von  Serwien  und  Bosnien  ",  Halle  1801,  4'^  (Geschichte 
des  ungrischen  Reiches  und  seiner  Nebenländer,  HI.  Teil).  Das 
Werk  wurde  bei  dem  Mangel  neuerer  Handbücher  bis  auf  unsere 
Tage  von  Nichtserben  immer  noch  zu  Rate  gezogen.  Einer  der  hervor- 
ragendsten deutschen  Historiker  unserer  Zeit,  Leopold  von  Ranke 
(t  1886),  widmete  der  Geschichte  des  serbischen  Aufstandes  ein 
viel  gelesenes  Buch  (1829),  zu  welchem  ihm  Vuk  Karadzic  das 
meiste  Material  geliefert  hat;  in  der  letzten  Bearbeitung  bietet  es 
eine  Fortsetzung  bis  zum  Frieden  von  St.  Stefano :  „  Serbien  und 
die  Türkei  im  neunzehnten  Jahrhundert"  (Leipzig  1879). 

Hundert  Jahre  nach  dem  Erscheinen  des  Werkes  von  Engel 
wurde  dem  Verfasser  des  vorliegenden  Buches  von  der  Leitung 
der  „  Allgemeinen  Staatengeschichte  "  der  ehrenvolle  Auftrag  zuteil, 
wieder  eine  vorzugsweise  für  abendländische  Leser  bestimmte  Ge- 
schichte Serbiens  zu  bearbeiten.  Bei  seinen  Studien  über  die 
Balkanländer  war  er  seit  Jahren  stets  in  Verbindung  mit  dem 
Gegenstande  geblieben,  seit  seiner  Ausgabe  (1874)  des  Typikons 
des  vom  Großzupau  Stephan  Nemanja  im  12.  Jahrhundert  ge- 
gründeten Klosters  Studenica  (im  Glasnik  Bd.  40),  durch  Arbeiten 
über  die  historische  Geographie  und  die  Geschichte  des  Handels 
und  der  Bergwerke  des  mittelalterlichen  Serbiens,  durch  verschie- 
dene Monographien,  eine  Urkundensaramlung  (im  Spomenik  Bd. 
11),  Rezensionen  neuerer  Werke  u.  dgl.,  so  daß  die  Bausteine  zu 
einem  größeren  Werke  schon  zum  Teil  vorbereitet  waren.  Den- 
noch war  die  Aufgabe  nicht  leicht.  Das  Material  zur  Geschichte 
der  Serben  ist  reichhaltiger,  als  z.  B.  über  die  Geschichte  der  Bul- 
garen, die  der  Verfasser  einmal  bearbeitet  hat  (1876),  aber  es  ist 
besonders  für  das  frühere  Mittelalter  sehr  fragmentarisch  und  sehr 
ungleich  erhalten.  Alle  bisherigen  Quellensammlungen  sind  nur  Vor- 
arbeiten. Es  gibt  keinen  „Codex  diplomaticus"  und  keine  Regesten 
zur  serbischen  Geschichte,  keine  „Fontes  rerum  serbicarum",  ja 
nicht  einmal  eine  Quellenkunde  oder  eine  historische  Bibliographie. 


X  Vorwort. 

Für  die  Geschichte  der  Neuzeit  vermißt  man  vor  allem  eine  voll- 
ständige Publikation  der  Korrespondenzen  und  Akten  über  die 
Freiheitskämpfe  1804 — 1815.  Meine  Bemühungen,  die  sehr  zer- 
streute Literatur  aufzutreiben,  hatten  bei  der  Seltenheit  vieler  ser- 
bischen und  russischen  Drucke  nicht  immer  den  gewünschten 
Erfolg.  Von  ungedruckten  Quellen  sind  außer  einzelnen  Hand- 
schriften herangezogen  die  seit  dem  12.  Jahrhundert  so  reich- 
haltigen Archive  der  Republik  Ragusa  auf  Grund  von  Studien, 
die  ich  dort  in  den  Jahren  1878—1879  und  1890—1904  zu 
wiederholten  Malen  noch  vor  dem  Erscheinen  der  „Monumenta 
Ragusina"  der  Südslawischen  Akademie  und  der  Sammelwerke 
von  Gelcich  und  Thalloczy,  sowie  von  Jorga  betrieben  habe. 
Benutzt  sind  die  geringen  Reste  des  Archivs  von  Cattaro,  ebenso 
einiges  aus  dem  Statthaltereiarchiv  von  Zara  und  dem  Archiv  der 
einstigen  Republik  von  Venedig. 

Als  meine  Hauptaufgabe  betrachtete  ich  eine  quellenmäßig 
beglaubigte,  zusammenhängende,  nüchterne  Darlegung  der  wich- 
tigsten Ereignisse  in  der  Geschichte  dieser  Gebiete.  Einzelheiten, 
welche  einem  einheimischen  Historiker  und  seinen  Lesern  näher 
liegen,  mußten  vermieden  bleiben.  Im  Vordergrunde  steht 
das  Mittelalter,  der  altserbische  Staat  mit  seiner  politischen  Ge- 
sellschaft und  seinen  wirtschaftlichen  Verhältnissen.  Neben  dem 
serbischen  Reich  ist  aber  auch  allen  Nachbarländern  gebührende 
Aufmerksamkeit  gewidmet  worden,  vor  allem  dem  mittelalterlichen 
Bosnien,  welches  eine  religiöse  Sonderstellung  hatte  und  ein  Rivale 
Serbiens  war,  sowohl  zu  Lebzeiten  des  Stephan  Dusan,  wo  der 
bosnische  Ban  Stephan  H.  die  Serben  von  der  adriatischen  Küste 
zu  verdrängen  begann,  als  in  der  Periode  der  serbischen  Despoten 
des  15.  Jahrhunderts,  welche  mit  den  bosnischen  Königen  fort- 
während Grenzkriege  zu  führen  hatten.  Auf  Wunsch  der  Redak- 
tion der  „Allgemeinen  Staatengeschichte"  wurden  die  inneren 
Verhältnisse  mehr  in  Betracht  gezogen,  was  manche  Schwierig- 
keiten mit  sich  brachte,  denn  es  mußten  zahlreiche  dunkle 
Fragen  besprochen  werden,  die  bis  jetzt  nur  wenig  oder  gar  nicht 
erforscht  sind.  In  bezug  auf  viele  Details,  z.  B.  über  die  Ge- 
schichte der  alten  Geschlechtsverfassung,  verweise  ich  auf  meine 
Studien  über  Staat  und  Gesellschaft  im    mittelalterlichen   Serbien, 


Vorwort.  XI 

welche  in  den  Denkschriften  der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien  1911  erscheinen  sollen,  begleitet  von  dem  mit- 
unter sehr  umfangreichen  Beweismaterial;  in  dem  vorliegenden 
Buche  beschränkte  ich  mich  auf  die  Mitteilung  der  Resultate 
dieser  Untersuchungen.  Bei  einer  Literatur,  in  welcher  neben 
wertvollen  Daten  so  viele  Hypothesen  und  Kombinationen  mit- 
gehen, hielt  ich  die  genaue  Angabe  der  Quellen  jederzeit  für  not- 
wendig, mag  das  Buch  dadurch  mit  Anmerkungen  nicht  wenig 
belastet  sein. 

Den  zweiten  Band  soll  eine  Darstellung  der  inneren  Verhält- 
nisse unter  der  Dynastie  der  Nemanjiden  eröffnen,  auf  welche  die 
Darstellung  des  Zeitalters  der  Despoten  des  15.  Jahrhunderts  uiid 
schließlich  die  Neuzeit  folgen  wird,  in  demselben  Ausmaße  gehalten, 
wie  das  Mittelalter.  Den  Abschluß  des  Werkes  werden  einige 
Beilagen  bilden:  eine  Übersicht  der  Abkürzungen  (zugleich  auch 
ein  Verzeichnis  der  benutzten  Sammelwerke  und  Zeitschriften), 
die  Reihenfolge  der  Herrscher  und  der  kirchlichen  Oberhäupter, 
einige  genealogische  Tafeln  usw.,  sowie  ein  alphabetisches  Register. 

Die  Drucklegung  des  Werkes  hat  sich  durch  große  Unter- 
brechungen in  der  Arbeit  sehr  verzögert;  das  Glück,  welches  ich 
bei  früheren  schriftstellerischen  Unternehmungen  hatte,  hat  mich 
diesmal  verlassen,  infolge  von  großen  Einschränkungen  der  freien 
Zeit  durch  periodisches  Anwachsen  der  Berufsgeschäfte. 

Wien,   Neujahr  1911. 

Der  Verfasser. 


Anmerkung  über  die  Sclireibung  der  Namen, 

Die  serbokroatischen  Namen  und  Worte  sind  in  den  landesüblichen 
Formen  wiedergegeben.  Die  Transskription  ist,  um  ein  wissenschaftlich 
brauchbares,  konsequent  durchgeführtes  System  zu  befolgen,  die  in  Kroatien 
seit  1835  übliche,  aufgenommen  auch  in  den  philologischen  Werken  von 
Miklosich,  Jagic,  Leskien  usw.  und  auf  den  österreichischen  militärischen 
Karten.  Die  neue,  von  Danicic  1878  eingeführte  Schreibweise  des  Wörter- 
buchs (Rjecnik)  der  Südslawischen  Akademie  ist  für  philologische  Zwecke 
genauer,  hat  aber  noch  nicht  überall  Boden  gefaßt. 

K  ist  stets  k,  c  aber  tz  (Cer  lies  Tzer,  Golubac  lies  Golubatz,  Studenica 
lies  Studeuitza);  z  lautet  wie  deutsch  s  in  lesen,  s  dagegen  ist  ein  scharfes 
s  wie-  in  deutsch  lassen,  essen.  C  ist  tsch  (Caslav  lies  Tschaslaf,  Cacak 
lies  Tschatschak,  Macva  lies  Matschwa,  Branicevo  lies  Branitschewo) ,  s  ist 
seh  (Sabac  lies  Schabatz,  Uros  lies  Urosch,  Dusan  lies  Duschan),  z  das 
französische  j,  magyarisch  zs  (Zica  lies  Schitscha,  franz.  Jitcha,  Zarko  lies 
Scharko),  dz  (im  Rjecnik  g)  ein  dsch,  wie  italienisch  ge,  gi  in  gente,  giallo 
(Karadzic  lies  Karadschitsch\  Das  dem  Serbokroatischen  eigentümliche  «  ist 
ein  tj,  in  der  Aussprache  von  tsch  für  Fremde  schwer  zu  unterscheiden 
(altserbisch  als  k  wiedergegeben):  Pec  lies  Petsch,  Obrenovic  lies  Obreno- 
witsch.  Dj  (im  Rjecnik  3)  ist  ein  weiches  d  oder  g-,  magyarisch  gy:  Djuradj 
oder  Gjuragj  (Georg),  medja  oder  megja;  iij  (im  Rjecnik  u)  ist  ein  weiches 
n  wie  spanisch  ii,  italienisch  gu,  magyarisch  iiy  (Nemanja  wäre  ital.  Nemagna), 
Ij  ein  weiches  1,  ital.  gl  (im  Rjecnik  1).  H  ist  sowohl  h  als  ch,  da  beide 
Laute  im  Serbokroatischen  in  der  Neuzeit  zusammenfließen  und  in  den  Dialekten 
ganz  verschwinden:  der  Feldherr  Hrelja,  ital.  Creglia,  griech.  XQiXrjg,  neuserb. 
meist  nur  Relja  ausgesprochen.  V  ist  das  deutsche  w,  im  Auslaut  f  (Vojislav 
lies  Wojislaf). 

In  altserbischen  Worten  ist  das  cyrillische  l  (in  der  älteren  kroatischen 
Orthographie  e)  ein  Halblaut,  wie  englisch  u  in  but,  church;  neuserbisch 
ist  es  meist  durch  a  ersetzt  (kazntc  Schatzmeister,  jetzt  kaznac  lies  kasnatz). 
Das  Kirchenslawische  hatte  zwei  Halblaute:  i.  (u)  und  i>  (Y).  Kirchenslawisch 
e  lautete  wie  ea,  ja,  ebenso  wie  neubulgarisch,  altserbisch  wie  e,  je;  im 
Russischen  ist  es  ein  e  mit  Erweichung  des  vorangehenden  Konsonanten. 

Altserbisch  ist  1  zwischen  Konsonanten  vokalisch :  Vlk ,  in  lat.  Texten 
als  Velcus ,  Volchus ,  Vulchus  wiedergegeben ,  neuserbisch  durch  ii  ersetzt : 
Vuk.  Vokalisch  bleibt  r  zwischen  Konsonanten  auch  im  Neuserbischen :  trn 
Dorn  (teru),  Prvoslav  (lat.  Pervosclavus),  Srbin  (^Serbin)  der  Serbe. 

Rumänische  und  magyarische  Worte  werden  in  der  nationalen  Ortho- 
graphie wiedergegeben,  die  albanesischen  nach  der  Schi-eibuug  von  Gustav 
Meyer  (f  ein  Halblaut  wie  'B ;  d ,  ^  wie  im  Neugriechischen).  Osmanisch- 
türkische  Namen  und  Worte  sind  nach  der  Umschreibung  in  der  Grammatik 
von  Wahrmund  (Gießen  1869)  aufgenommen  (y  ein  dumpfer  Laut,  dessen 
Aussprache  zwischen  i  und  ü  in  der  Mitte  liegt). 


Inhalt. 

Seite 

Erstes  Bach.    Die  rorslawische  Zeit 1 

Erstes  Kapitel:  Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf 

die  Geschichte 3 

Die  Balkanhalbinsel,  ihre  Gestalt  und  Gliederung,  S.  3.  Die  histo- 
risch wichtigen  Verbindungswege,  S.  7.  Die  Wohnsitze  der  Ser- 
ben und  die  territoriale  Entwicklung  der  serbischen  Geschichte, 
S.  9. 

Zweites  Kapitel:  Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  .  12 
Die  Eiszeit,  S.  12.  Wald  und  Tierwelt  zu  Beginn  der  historischen 
Zeit,  S.  13.  Die  Illyrier,  ihre  Völkerstellung,  Stamm-  und  Gau- 
verfassung, Wohnsitze  und  Burgen,  Götterkulte  und  Nekropolen, 
S.  17.  Die  Thraker  und  ihre  sozialen  und  politischen  Verhältnisse, 
S.  24.  Der  thrakische  Stamm  der  Triballer  im  jetzigen  Königreich 
Serbien,  S.  26.  Hellenische  Kolonien  und  Kultureinflüsse,  S.  27. 
Vorstoß  und  Eroberungen  der  Kelten;  die  Skordisker  im  Morava- 
gebiet,  S.  28. 

Dritt  es  Kapitel:  Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völker- 
wanderungen      30 

Die  Eroberung  der  Hämusländer  durch  die  Römer,  vollendet  unter 
Augustus,  S.  30.  Die  Sarmaten  jenseits  der  Donau,  S.  32.  Die 
römischen  Provinzen ;  die  Donauarmee  und  Donauflotte ;  die  Lager- 
kaiser aus  Illyricum,  S.  33.  Bevölkerungsverhältnisse;  Gauver- 
fassung und  Stadtrechte,  S.  36.  Die  Sprachen:  Latein,  Griechisch, 
Illyrisch  und  Thrakisch ;  Romanisierung  und  Hellenisierung,  S.  38. 
Wirtschaftliche  Zustände;  Bergbau,  Verkehrswege  und  Handels- 
leben, S.  39.  Heidentum  und  Christentum;  Kunst  und  Literatur, 
S.  43.  Abnahme  der  Bevölkerung,  besonders  durch  die  Invasionen 
fremder  Völker;  der  Markomannenkrieg  und  die  Gotenkriege,  S. 
46.  Die  neue  Reichshauptstadt  Konstantinopel  (325)  und  die  Tei- 
lung des  römischen  Reiches  (395),  S.  48.  Die  Hunnen  des  Königs 
Attila  und  die  pontischen  Hunnen  (Bulgaren) ,   S.  49.     Dalmatien 


XIV  Inhalt. 

Seite 
unter  Patricius  Marcellinus  und  Kaiser  Julius  Nepos  (f  480),  später 
ein  Teil  des  ostgotischen  Reiches  des  Königs  Theoderich,  S.  51. 
Kaiser  Justinian  I.  (527  —  565),  seine  Kriege  und  Bauten,  S.  52. 
Das  Ende  der  germanischen  Völkerwanderung,  S.  56.  Die  römi- 
schen Kaiser  (Trajan,  Diokletian,  Konstantin  der  Große)  in  der 
Sage  der  Balkanländer,  S.  57. 

Zweites  Buch.    Die  Besiedlung  lUyricnms  durch  die  Slawen  ...      59 

ErstesKapitehDieSlawen 61 

Völkerstellung  und  Urheimat  der  Slawen,  S.  61.  Namen  der  Slo- 
venen,  Anten  und  Spori,  S.  65.  Älteste  Geschichte,  S.  66.  Die 
slawischen  Stämme  im  jetzigen  Rumänien  und  Ungarn  im  6. — 7. 
Jahrhundert;  ihre  Wohnsitze,  Stämme,  Verfassung,  Wirtschaft  und 
Kriegswesen,  S.  69.  Slawische  Söldner  im  kaiserlichen  Heer  unter 
Justinian  S.  78. 

Zweites  Kapitel:  Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hä- 

musländer 81 

Slawische  Invasionen  in  das  oströmische  Reich  im  6.  Jahrhundert, 
S.  81.  Das  Khanat  des  türkischen  Volkes  der  Awaren,  S.  83.  Der 
Fall  von  Sirmium  (582),  S.  87.  Bemühungen  des  Kaisers  Mauri- 
kios  (582  —  602)  um  die  Verteidigung  der  Donaugrenze ,  S.  88. 
Überflutung  der  Hämusländer  durch  die  Awaren  und  Slawen  unter 
den  Kaisern  Phokas  (602-610)  und  Heraklios  (610  —  641),  S.  93. 
Die  Belagerungen  von  Thessalonich  und  der  Fall  von  Salona,  S.  94. 
Die  Awaren  und  Slawen  vor  Konstantinopel  (626),  S.  98.  Blei- 
bende Besiedlung  der  Halbinsel  durch  die  Slawen ;  Ausgangspunkte, 
Richtungen  und  verschiedene  Intensität  der  Kolonisation,  S.  100. 
Die  Urheimat  der  Serben,  S.  103.  Restauration  der  byzantinischen 
Oberhoheit  über  die  Hämusländer;  slawische  Truppen  in  den  ost- 
römischen Heeren  gegen  die  Araber,  S.  104.  Jüngere  Sagen  über 
die  Urheimat  und  über  die  Art  der  Ansiedlung  der  Slawen  in  lUy- 
ricum,  S.  107. 

Drittes  Buch.  Die  Serben  im  froheren  Mittelalter  (7.  — 12.  Jahr- 
hundert)     111 

Erstes  Kapitel:  Die  Serben  im  7.  — 10.  Jahrhundert,  ihre 
Landschaften,  Fürsten,  Stamm-  und  Familien- 
verfassung      113 

Sclavonia  {^ZxXaßt,vCcu)  als  Gesamtname,  S.  113.  Antike  Namen: 
die  Serben  bei  den  Byzantinern  als  Dalmater  und  Triballer,  S.  114. 
Landeseinteilung  in  Zupen  (Gaue)  und  Landschaften,  S.  115.  Die 
Küstengebiete :  Dioklitien  (später  Zeta) ,  Travunien ,  Zachlumien 
(Chelmo),  die  Territorien  der  Narentaner  und  Kroaten,  S.  116.  Die 
eigentlichen  Serben  im  Binnenlande,  S.  120.    Bosnien,   Usora  und 


Inhalt.  Xy 

Seite 
Sol,  S.  122.     Morava  und  die   Tiinocauen,   S.   123.     Südslawische 

Fürsten  und  Dynastien ;  Thron  und  Residenzen ;  Hof  und  Hofbeamte, 
S.  123.  Die  Zupane  (erbliche  Gaufürsten),  Satnici  (Hundert- 
männer) und  Kaznaci  (Schatzmeister),  S.  127.  Landtage  und  Zu- 
penversammlungen ,  S.  130.  Recht  und  Gericht,  S.  131.  Adel, 
Bauern  und  Sklaven,  S.  132.  Geschlechtsverfassung:  Sippschaften 
(pleme)  und  Bruderschaften  (bratstvo),  S.  133.  Die  grofse,  unge- 
teilte Familie  (Zadruga),  S.  138.  Wahlverbrüderung  (pobratimstvo) 
und  Gevatterschaft  (kumstvo),  S.  142.  Besiedlung,  Burgen  und 
Dörfer,  Formen  des  Grundbesitzes ;  Viehzucht,  Ackerbau  und  Jagd, 
S.  143.  Gewerbe;  Bronzen  und  anderer  Schmuck;  Viehgeld  und 
Münze,  S.  149.  Kriegswesen,  S.  151.  Die  Reste  der  älteren  Ein- 
wohner: Albanesen,  Rumänen  (Wlachen)  und  dalmatinische  Ro- 
manen, S.  152. 

Zweites  Kapitel:  Heidentum  und  Christentum 160 

Slawische  Götter  und  Idole,  S.  1(J0.  Feen  (Vila)  und  Berggeister; 
Werwölfe  (Vukodlak)  und  Vampire,  S.  161.  Verehrung  der  Him- 
melskörper und  Reste  des  Tierglaubens,  S.  166.  Priester,  Zauberer 
und  Wahrsager;  heidnische  Opfer  und  Opferplätze,  S.  167.  Toten- 
bestattung und  Gräber,  S.  169.  Romanische  und  griechische  Ein- 
flüsse durch  Sagen  und  Märchen,  S.  170.  Verbreitung  des  Christen- 
tums im  7. — 8.  Jahrhundert  aus  den  Städten  Dalmatiens,  verstärkt 
unter  Kaiser  Basilios  I.,  S.  171.  Die  Slawenapostel  von  Thessa- 
lonich, Konstantin  (Kyrill)  und  Methodios,  und  die  slawischen 
Kirchenbücher,  S.  174.  Die  serbische  Feier  der  Schutzpatrone  der 
Sippschaften  oder  Familien  (Slava),  S.  180. 

Drittes  Kapitel:  Die  byzantinische  Oberhoheit  und  der 
Kampf  gegen  die  Bulgaren  im  9.  und  10.  Jahrhun- 
dert      183 

Die  byzantinischen  Provinzen  am  Adriatischen  Meere;  ihre  Städte 
und  Beamten;  Flotte,  Landheer  und  die  befestigten  Grenzlinien, 
S.  183.  Tribute  und  Truppenkontingente  der  Slawenfürsten  imd 
ihr  Verkehr  mit  dem  Kaiserhof,  S.  187.  Die  Bulgaren,  S.  189. 
Das  Ende  des  Awarenreiches  (796)  und  die  Eroberungen  Karls  des 
Großen  in  Istrien  und  Dalmatien,  S.  190.  Die  südslawischen  Für- 
stentümer um  das  Jahr  820,  S.  192.  Vorstoß  der  Bulgaren  an  der 
mittleren  Donau  und  in  Makedonien  im  9.  Jahrhundert  und  der 
Widerstand  der  Serben,  S.  193,  Verfall  der  byzantinischen  See- 
herrschaft; Verwüstung  Dalmatiens  durch  die  Araber  und  Naren- 
taner ,  bis  zur  Erneuerung  des  byzantinischen  Einflusses  in  Dalma- 
tien und  Unteritalien  durch  Kaiser  Basilios  I.  (867—886),  S.  195. 
Symeon  von  Bulgarien  (893?  — 927)  und  sein  Kaisertitel;  Wett- 
kampf einer  byzantinischen  und   einer  bulgarischen   Partei   unter 


XVI  Inhalt. 

Seite 
den  serbischen  Fürsten,  bis  zum  vollständigen  Zusammenbruch  Ser- 
biens (um  924),  S.  197.  Erneuerung  Serbiens  durch  den  Fürsten 
Caslav  (um  931),  S.  201.  Das  westbulgarische  Reich  und  sein 
Vorstoß  gegen  Durazzo  und  Dalmatien  unter  den  Zaren  Samuel 
und  Vladislav;  Ermordung  des  hl.  Vladimir,  des  serbischen  Fürsten 
von  Dioklitien  (um  1015),  S.  203.  Eroberung  des  bulgarischen 
Reiches  durch  Kaiser  Basilios  II.  (1018),  S.  208. 

Viertes  Kapitel:  Die  Könige  von  Dioklitien  und  dieGroß- 
zupane  von  Ras   im  Kampfe  gegen  Byzanz   im   11. 

bis  12.  Jahrhundert 210 

Drückende  Oberhen'schaft  von  Byzanz  nach  1018,  S.  210.  Zwei 
Dynastien  der  Serben :  die  Fürsten ,  später  Könige  des  Küsten- 
gebietes und  die  Großzupane  des  Binnenlandes,  S.  211.  Die  latei- 
nische Kirche  im  Westen :  die  neuen  Erzbistümer  von  Antivari  und 
Ragusa,  S.  216.  Die  orientalische  Kirche  im  Osten:  das  autoke- 
phale  Erzbistum  von  Ochrid  und  das  Bistum  von  Ras,  S.  219.  Die 
Sekte  der  Bogomilen  (Patarener)  in^Bulgarien,  Serbien  und  Bos- 
nien ,  S.  222.  Kultur  und  Literatur :  Inschriften ,  das  Evangeliar 
des  Fürsten  Miroslav  und  das  lateinische  Buch  des  Presbyters  Dio- 
cleas,  S.  225.  Beziehungen  zu  den  Byzantinern,  dem  deutschen 
Reich,  den  Venezianern,  Normannen  und  Ungarn,  S.  227.  Kroatien 
vereinigt  mit  Ungarn;  Bosnien  unter  ungarischem  Einfluß,  S.  229. 
Die  Dioklitier  im  11.  Jahrhundert:  Stephan  Vojislav,  sein  Sohn 
König  Michael  und  sein  Enkel  König  Bodin,  S.  231.  Großzupan 
Vlkan  und  Kaiser  Alexios  Komnenos  (1081  —  1118),  S.  238.  Der 
Durchzug  der  Kreuzfahrer  (seit  lÜ9t!),  S.  239.  Verfall  Dioklitiens 
im  12.  Jahrhundert,  S.  242.  Die  Kriege  der  Kaiser  Johannes  Kom- 
nenos (1118—1148)  und  Manuel  Komnenos  (1143—1180)  gegen  die 
serbischen  Großzupane  Uros  I.,  Uros  II.  und  Desa,  S.  244.  Vor- 
stoß des  Desa  gegen  die  Dioklitier  zum  Adriatischen  Meer,  S.  251. 
Erneuerung  der  byzantinischen  Herrschaft  im  Küstengebiet  von 
Dioklitien  und  Dalmatien  (um  1164),  S.  253.  Der  Großzupan  Ti- 
homir,  S.  254. 

Fünftes  Kapitel:  Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  .  .  255 
Nemanja  wird  durch  eine  Revolution  zum  Großzupan  erhoben  (1170?), 
kämpft  im  Bund  mit  Venedig  gegen  Byzanz ,  muß  sich  aber 
(1172)  Kaiser  Manuel  unterwerfen,  S.  255.  Nemanjas  Brüder  Sra- 
cimir  und  Miroslav  als  Teilfürsten,  S.  262.  Nach  Kaiser  Manuels 
Tod  (1180)  Offensive  der  verbündeten  Serben  und  Ungarn  gegen 
das  griechische  Reich,  S.  263.  Nemanja  erobert  Antivari  und  Cat- 
taro;  Ende  des  dioklitischen  Fürstentums,  S.  265.  Ragusa  be- 
hauptet sich  gegen  die  Serben  unter  dem  Schutz  der  Normannen, 
S.   267.     Das  neue   Bulgarenreich  an  der  unteren   Donau  (1186), 


Inhalt.  Xvn 

Seite 
S.  269.     Der  dritte  Kreuzzug  (1189);    Kaiser  Friedrich  I.  begrüßt 

von  Nemanja  in  Nis;  Bund  der  Kreuzfahrer  mit  den  Serben  und 
Bulgaren  gegen  die  Griechen,  S.  270.  Nemanja  wird  nach  dem 
Durchzug  des  Kreuzheeres  vom  Kaiser  Isaak  Angelos  zum  Frieden 
gezwungen  (1190);  territorialer  Gewinn  Serbiens,  S.  273.  Kirch- 
liche Verhältnisse  und  Klostergründungen,  S.  275.  Nemanjas  Sohn 
Rastko  flieht  auf  den  Athos  und  wird  Mönch  als  Sava;  ein  an- 
derer Sohn  Vlkan  führt  den  dioklitischen  Köuigstitel,  S.  276.  Ab- 
dankung des  Nemanja  (1196):  als  Mönch  Symeon  gründete  er  das 
Kloster  Chilandar  auf  dem  Athos  (f  1199?),  S.  277. 

Viertes  Buch:   Serbien  eine    Großmacht    der  Halbinsel    unter  den 

Nachkommen  des  Nemauja  (1196—1371) 281 

Erstes  Kapitel:  Die  Söhne  und  Enkel  des  Nemanja  während 
des  lateinischen  Kaisertums.  Erwerbung  der 
Königskrone  und  Gründung  der  serbischen  Natio- 
nalkirche durch  Stephan  den  Erstgekrönten 
(1196  —  1228).  König  StephanUtos  I.  (1243  — 1276).  283 
Die  internationale  Stellung  Serbiens  unter  den  Nemanjiden,  S.  283. 
Stephan  der  Erstgekrönte  (1196 — 1228),  Nemanjas  Sohn,  als  Groß- 
zupan  und  später  als  König,  S.  284.  Während  des  vierten  Kreuz- 
zugs in  Serbien  der  Bruderkrieg  zwischen  Stephan  und  Vlkan 
(1202 — 1203),  S.  289.  Beziehungen  zu  den  Venezianern,  Ungarn, 
Bulgaren,  den  Lateinern  von  Konstantinopel  und  den  Griechen  von 
Epirus  und  Nikaia,  S.  290.  Erwerbung  der  Königskrone  (1217) 
und  Errichtung  des  serbischen  Erzbistums  unter  dem  ersten  Erz- 
biscbof  Sava  I.  (1219),  S.  296.  Die  Schicksale  Zachlumiens,  S.  301. 
König  Stephan  Eadoslav  (1228—1234)  und  sein  Sturz,  S.  303. 
König  Stephan  Vladislav  (1234—1243,  als  zweiter  König  bis  um 
1264),  S.  305.  Durchzug  der  Mongolen  durch  Serbien  (1242),  S. 
308.  König  Stephan  Uros  I.  (1243 — 1276),  anfangs  im  Bund  mit 
den  Nikäern,  S.  310.  Der  ßusse  Rostislav  als  Herzog  in  der  Macva; 
Bosnien  unter  Ban  Ninoslav  und  seinen  Nachfolgern,  S  311.  Krieg 
der  Serben  gegen  die  verbündeten  Bulgaren  und  Ragusaner  (1252  bis 
1254),  S.  312.  Konstantin  Aben,  ein  Verwandter  der  Nemanjiden, 
wird  Zar  von  Bulgarien  (1257),  S.  316.  Anschluß  Uros'  I.  an  die 
Epiroten  und  Frauken  gegen  die  Nikäer  (1258) ;  seine  französische 
Gattin  Helena,  S.  317.  Bund  mit  König  Bela  IV.,  S.  320.  Uros  I. 
verbündet  mit  Kaiser  Michael  Palaiologos,  wird  aber  von  den 
Ungarn  in  der  Macva  geschlagen  und  gefangen  (1268),  S.  321. 
König  Karl  I.  von  Anjou  und  seine  Verbindungen  mit  Serbien  und 
Bulgarien  gegen  die  Griechen ,  S.  o23.  Neue  Feindseligkeiten 
zwischen  Uros  I.  und  Ragusa,  S.  324.  Sturz  Uros'  I.  durch  seinen 
Sohn,  den  ,, jüngeren  König"  Stephan  Dragutin,  S.  326. 


xvin  Inhalt. 


Seite 


Zweites  Kapitel:  Offensive  gegen  Byzanz.  Aufschwung 
Serbiens  unter  den  Königen  Stephan  Dragutin 
(1276  — 1282,  in  Norden  bis  131G),  Stephan  Uros  IL 
Milutin     (1282  —  1321)     und    Stephan     Uros    IIL 

(1321-1331) 327 

König  Stephan  Dragutin  (1276—1282),  später  herrschend  nur  im 
Norden  (f  1316),  S.  327.  Sein  Bruder  König  Stephan  Uros  II. 
Milutin  (1282—1321),  S.  330.  Langjährige  Oflfensive  gegen  die 
Byzantiner  in  Makedonien  und  Albanien ,  S.  333.  Verhältnis  zu 
den  Tataren  als  Oberherren  Bulgariens,  S.  335.  Beziehungen  zu 
den  letzten  Arpäden  und  den  ersten  Anjous  in  Ungarn,  S.  337. 
Serben ,  Franken ,  Epiroten  und  Byzantiner  in  Albanien ;  Uros  IL 
im  Besitz  von  Durazzo  (1296),  S.  338.  Friedensschluß  des  Königs 
Uros  IL  mit  den  Griechen  und  seine  Heirat  mit  Simonis,  Tochter 
des  Kaisers  Andronikos  IL  (1299),  S.  339.  Konflikte  mit  ßagusa, 
S.  341.  Bosnien  unter  den  Bauen  Stephan  L,  dem  Schwiegersohn 
Stephan  Dragutins ,  und  Stephan  IL ;  zugleich  führen  auch  die 
Baue  des  küstenländischen  Kroatiens,  Paul  und  Mladen  Subic 
(1299—1322),  den  Titel  eines  Bans  von  Bosnien,  S.  342.  Bund 
zwischen  Uros  IL  und  dem  lateinischen  Titularkaiser  Karl  von 
Valois  (1308),  S.  344.  Erneuertes  Bündnis  mit  Andronikos  IL; 
serbische  Hilfstruppen  bei  den  Griechen  gegen  die  Türken  in 
Kleinasien ,  S.  346.  Bruderkrieg  zwischen  den  Königen  Stephan 
Dragutin  und  Stephan  Uros  IL,  S.  347.  Uros  IL  läßt  seinen  Sohn 
Stephan  gefangen  nehmen  und  halb  blenden,  S.  348.  Krieg  Uros'  IL 
gegen  König  Karl  Robert  von  Ungarn,  Bau  Mladen  von  Kroatien 
und  die  Neapolitaner  in  Albanien  (1318—1320),  S.  350.  Kampf 
der  drei  Prätendenten  nach  Uros'  IL  Tod  (1321);  Untergang  des 
Königs  Konstantin,  Sohnes  des  Uros  IL,  Vertreibung  des  Königs 
Vladislav,  Sohnes  des  Stephan  Dragutin,  und  Sieg  des  halbge- 
blendeten Stephan  Uros  III.  (1322—1331)  und  seines  Sohnes  und 
Mitregenten  Stephan  Dusan,  S.  354.  Gleichzeitiger  Vorstoß  der 
Bosnier  durch  das  Narentatal  zum  Meere ;  die  Nemanjiden  verlieren 
Zachlumien,  nach  dem  Aufstand  der  Söhne  des  Branivoj  S.  356. 
Krieg  mit  Bulgarien  und  Byzanz ;  Sieg  der  Serben  über  den 
bulgarischen  Zaren  Michael  bei  Velbuzd  (1330),  S.  361.  Kampf 
zwischen  Vater  und  Sohn;  Sieg  des  Stephan  Dusan,  Absetzung 
und  Tod  des  Uros  III.  (1331),  S.  364. 

Drittes  Kapitel:  Serbien  unter  Stephan  Dusan  (1331  bis 
1355)  als  König,  seit  1346  als  Kaiser,  die  größte 
Macht  der  Halbinsel.    Eroberung  von  Makedonien, 

Albanien,  Thessalien  und  Epirus 367 

Persönlichkeit  und  Politik  des  Stephan  Dusan,  S.  367.  Krieg  mit 
Bosnien;  die  Eagusaner  als  Friedensvermittler  gewinnen  die  Halb- 


Inhalt.  xiT 

Seite 

insel  von  Stagno  (1333"),  S.  372.    Krieg  mit  Kaiser  Andronikos  III. 

und  Friedensschluß  vor  Thessalonich  (1334),  S.  373.  Erster  Krieg 
mit  Ungarn  unter  König  Karl  Robert,  S.  375.  Kaiser  Andronikos  III. 
erobert  Thessalien  und  das  Despotat  von  Epirus;  Abfall  des 
serbischen  Feldherrn  Hrelja  zu  den  Griechen,  S.  376.  Wirren 
im  griechischen  Reiche  nach  des  Andronikos  III.  Tod  (1341),  S. 
379.  Der  Gegenkaiser  Johannes  Kantakuzenos  als  Flüchtling  am 
serbischen  Hofe  (1342—1343),  S.  382.  Eroberungen  der  Serben 
in  Makedonien  und  Albanien ,  S.  385.  König  Stephan  gekrönt  in 
Skopje  zum  Kaiser  der  Serben  und  Griechen  (134G\  S.  386.  Des 
Räuberhauptmanns  Momcilo,  des  Herrn  der  Rhodope,  Glück  und 
Ende,  S.  389.  Johannes  Palaiologos  und  Johannes  Kantakuzenos 
beide  Kaiser  von  Konstantinopel  nebeneinander  (1347),  S.  390. 
Zweiter  Krieg  mit  Ungarn,  unter  König  Ludwig  I.;  Freundschaft 
der  Serben  mit  Venedig,  S.  392.  Zar  Stephan  besetzt  Epirus  und 
Thessalien  (1348),  S.  394.  Feldzug  des  Zaren  Stephan  gegen 
Bosnien  und  sein  Besuch  in  Ragusa  (Herbst  1350),  S.  397.  Gleich- 
zeitige Offensive  der  Byzantiner  gegen  die  Serben  in  Makedonien 
und  die  Kaiserbegegnung  vor  Thessalonich  (Ende  1350),  S.  399. 
Stephans  Gesandtschaft  zum  osmanischen  Emir  Orchau  nachBrussa 
(1351),  S.  403.  Wiederausbruch  des  byzantinischen  Bürgerkrieges; 
Kaiser  Johannes  Palaiologos ,  unterstützt  von  Zar  Stephan  und 
dem  bulgarischen  Zaren  Alexander,  wird  bei  Dimotika  von  Suleiman, 
Orchans  Sohn  und  Parteigänger  des  Kantakuzenos,  geschlagen 
(1352),  S.  404.  Festsetzung  der  Türken  auf  dem  Boden  Europas 
in  Kallipolis  (1354),  S.  406.  Verhandlungen  des  Zaren  Stephan 
mit  dem  Papst  in  Avignon ,  um  Anerkennung  als  „  Capitaneus " 
der  Christenheit  gegen  die  Türken,  S.  407.  Vereitelt  durch  den 
dritten  Krieg  mit  Ungarn,  S.  410.  Des  Zaren  Stephan  Tod  (1355), 
S.  412. 

Viertes  Kapitel:  Verfall  des  serbischen  Reiches  unter 
dem  Kaiser  Uros  (1355  —  1371).  Kaiser  Symeon 
in  Thessalien  (1356  —  1370?).  König  Vlkasin 
(1366  — 1371)     und     die    Türkenschlacht    au    der 

Marica  (1371) 413 

Um  das  Erbe  des  Stephan  Dusan  kämpfen  sein  Bruder  Zar  Symeon 
und  sein  Sohn  Zar  Stephan  Uros  (bis  1358),  S.  413.  Mißlungener 
Versuch  des  Nikephoros,  das  epirotische  Despotat  zu  erneuern,  S. 
416.  Kaiser  Matthaios  Kantakuzenos  von  den  Serben  geschlagen 
und  bei  Philippi  gefangen  (1357),  S.  418.  Der  Friede  von  Zara 
(1358)  zwischen  Ungarn  und  Venedig  und  seine  Folgen,  S.  419. 
Symeon  bleibt  in  Thessalien;  sein  Schwiegersohn  Despot  Thomas 
in  Epirus,  S.  420.  Feldzug  des  ungarischen  Königs  Ludwig  I. 
gegen  den  Zaren  Uros  (1359),   S.  421.     Die  Ragusaner,   nunmehr 


XX  Inhalt. 

•     1        TT   1     •      1  Seite 

unter  ungarischer  Hoheit,  bedrängt  von  den  Serben,  S.  422.  Vojislav 
(t  1363)  und  nach  ihm  Vlkasin  die  einflußreichsten  Männer  am 
Hofe  des  Zaren  Uros,  S.  423.  Die  drei  Brüder  Baisici  als  Statt- 
halter in  der  Zeta,  S.  424.  Karl  Topia,  Fürst  von  Albanien,  und 
Alexander,  Herr  von  Valona,  S.  425.  Vlkasin  wird  König  neben 
dem  Zaren  Uros  (1366);  sein  Bruder,  der  Despot  Ugljesa,  Wächter 
der  Südostgrenze  gegen  die  Türken  mit  dem  Sitz  in  Serrai,  S. 
430.  Zar  Uros  verliert  allen  Einfluß;  Cattaro  unterwirft  sich  dem 
König  von  Ungarn  (1371),  S.  432.  Die  Statthalter  von  Makedonien 
als  Teilfürsten:  Kesar  Novak ,  Despot  Dragas  u.  a.,  S.  433.  Der 
mächtige  Zupan  Nikola  Altomanovic  in  der  jetzigen  Herzegowina 
im  Kampf  mit  allen  Nachbarn,  S.  434.  Knez  Lazar,  Herr  von 
Kudnik  (1370),  S.  435.  Mißlungene  Off"ensive  des  Königs  Vlkasin 
und  des  Despoten  Ugljesa  gegen  die  Türken  von  Adriauopel  und 
ihr  Tod  in  der  Schlacht  an  der  Marica  (September  1371),  S.  437. 
Zar  Uros  stirbt  natürlichen  Todes  (Dezember  1371);  der  letzte 
Nemanjide,  der  Kaiser  Johannes  Uros  Palaiologos  in  Thessalien, 
Sohn  Symeons,  geht  ins  Kloster  als  Mönch  Joasaph  (f  1410),  S.  440. 


Berichtigungen  uud  Ergänzungen. 

S.     20,  Z.  24  lies:  um  350  nach  Chr. 

S.  51,  Z.  16  lies:  Erztafel  mit  Silberschrift,  gefunden  in  Belgrad,  einst  ver- 
wahrt im  ungarischen  Nationalmuseum,  führt  usw. 

S.  279  zu  A.  1:  D.  N.  Anastasijevic,  Das  Jahr  des  Todes  des  Nemanja, 
Glas  86  (1911)  135—140  meint,  daß  der  tvytvtaTUTos  fi^ya; 
Covnavog  rfjg  Zf()ßiag  6  Ntf/xdv  als  Mönch  Symeon  zur  Zeit 
der  Ausstellung  der  zweiten  Urkunde  des  Kaisers  Alexios  IH. 
für  das  Kloster  Chilandar  im  Juli  1199  noch  lebte  und  erst 
im  Februar  1200  gestorben  ist.  Das  Todesjahr  1199  ver- 
teidigt Jovan  Radonic  im  Letopis  275  (1911)  64—67. 


Erstes  Buch. 
Die  vorslawisclie  Zeit. 


Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I. 


Erstes  Kapitel. 

Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf  die 
Geschichte. 

Der  iSchauplatz  der  serbischen  Geschichte  befindet  sich  auf 
der  östlichsten  der  drei  großen  Halbinseln  von  Öüdeuropa.  Diese 
Halbinsel  unterscheidet  sich  in  der  Gestaltung  ihrer  Oberfläche 
und  in  ihrer  ethnographischen  und  politischen  Entwicklung  nicht 
wenig  von  den  beiden  anderen,  der  Pyrenäischen  und  Apennini- 
schen. Obwohl  ihre  höchsten  Gipfel  nicht  die  Höhe  der  Sierra 
Nevada  oder  des  Ätna  erreichen,  ist  sie  viel  gebirgiger  und  un- 
wegsamer als  Italien  und  Spanien  und  hat  keinen  natürlichen 
Mittelpunkt,  der  in  der  Geschichte  zur  Geltung  käme.  Sie  hat  auch 
keinen  einheitlichen,  allgemein  anerkannten  Namen  und  hat  auch  nie 
einen  gehabt;  man  nennt  sie  die  illyrische  oder  griechische,  Hämus- 
oder  Balkanhalbinsel.  Nie  bildete  sie  eine  politische  oder  sprachliche 
Einheit ;  nur  die  Römer  haben  sie  ganz  beherrscht,  die  Byzantiner 
und  Osmanen  nur  mit  Ausnahmen.  Physisch  besteht  sie  aus  zwei 
ungleichen  Teilen.  Die  nördliche,  massive  Hälfte,  vom  Quarnero 
bis  zur  Mündung  der  Donau  an  1200  Kilometer  breit,  von  der 
Moravamündung  bis  Salonik  475  lang,  hat  im  Bezug  auf  Klima, 
Pflanzenwelt  und  Kulturverhältnisse  einen  mitteleuropäischen  Cha- 
rakter. Von  dem  übrigen  Europa  ist  sie  durch  kein  hohes  Ge- 
birge in  der  Art  getrennt,  wie  Spanien  durch  die  Pyrenäen  und 
ItaUen  durch  die  Alpen.  Die  Stelle  der  hohen  Gebirgsketten  ver- 
treten als  Nordgrenze  große  Flüsse,  die  Save  und  die  untere 
Donau,  welche  bei  den  Völkerzügen  leicht  überschritten  werden 
konnten.  Diese  mehr  kontinentale  Nordhälfte  ist  gegenwärtig 
meist  von  Slawen  bewohnt.     Die  südhche  Hälfte   ist  von    der    an 

1* 


4  Erstes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

300  Kilometer  langen  Linie  zwischen  der  Bucht  von  Valona  und 
dem  Golf  von  Salonik  abwärts  um  mehr  als  zwei  Drittel  enger 
als  der  Norden,  aber  au  der  Küste  viel  reicher  gegliedert.  Das 
ist  die  eigenthche  griechische  Halbinsel ,  welche  in  allen  histo- 
rischen Perioden  eine  vorwiegend  griechische  Bevölkerung  besaß  ^). 
Aber  auch  die  breite,  nördliche  Hälfte  der  Balkanhalbinsel 
ist  in  ihrer  Bodengestaltung  und  Bevölkerung  keineswegs  gleich- 
artig. In  der  Westhälfte  wohnen  die  Serben  mit  den  stammver- 
wandten Kroaten,  im  Südwesten  ein  Rest  der  antiken  Bewohner, 
die  Albanesen;  in  der  Osthälfte  sitzen  die  Bulgaren.  Der  Westen 
hat  bei  weitem  schlechtere  Verbindungswege  als  der  Osten.  Die 
Wohnsitze  der  Kroaten  und  Serben  befinden  sich  zum  großen 
Teil  in  dem  Berglande  des  Dinarischen  Systems.  Die  Gebirgs- 
züge dieser  längs  des  Adriatischen  Meeres  gelagerten  Gruppe  be- 
halten von  der  Gegend  zwischen  dem  Quarnero  und  den  Quellen 
der  Kulpa,  in  welcher  sie  mit  den  Ostalpen  in  unmittelbarem  Zu- 
sammenhang stehen,  angefangen  bis  zum  „Golfo  dello  Drino"  der 
Venezianer,  dem  Mündungsgebiet  der  Bojana  und  des  Drim,  die 
Hauptrichtung  von  Nordwest  nach  Südost  -).  Es  sind  Gebirge  der 
Kreideformation,  mit  dichtgedrängten,  engen  Ketten.  Die  Ge- 
schichte des  Landes  gruppiert  sich  um  die  zwischen  steilen  Fels- 
gebirgen tief  eingeschnittenen  Flußtäler  und  die  großen,  krater- 
förmigen  Kesseltäler  (serbokroat.  polje,  Feld),  alte  Seebecken,  deren 
Sohle  im  Sommer  meist  trocken  bleibt,  im  Winter  aber  sich  pe- 
riodisch mit  Wasser  füllt  (blato,  Sumpt),  mit  unterirdischen ,  mit- 
unter verstopften  Abflüssen  (ponor,  ponikva,  in  Griechenland  /Mxa- 


1)  J.  Cvijic,  Oblik  Balkauskog  poluostrova:  Glasnik  der  kroat. 
Naturforschergesellschaft,  Bd.  10  (Agram  1899)  =  La  forme  de  la  peniusule 
des  Balcans:  Le  Globe  t.  39  (Genf,  Okt.  190Ü). 

2)  Serb.  Drim,  alb.  Drin,  Drymon  der  Anna  Komnena,  im  Mittelalter 
ital.  Drino,  Lodrin,  Ludrino  ist  der  Drinius  der  Römer  (Dirino  des  Plinius), 
Drilon  der  Hellenen.  Mit  ihm  ist  nicht  zu  verwechseln  die  Drina  zwischen 
Serbien  und  Bosnien,  Dreinos  des  Ptolemaios,  Drinus  der  Römer  ^Tab. 
Peut.),  als  dessen  Oberlauf  im  Altertum  wahrscheinlich  der  Lim  galt,  da 
nach  Ptolemaios  der  Dreinos  und  der  nördliche  Quellfluß  des  Drilon  (der 
Weiße  Drim)  nahe  beieinander  entspringen.  Die  Namen  sind  nach  Tomaschek 
desselben  Ursprungs  (Stamm  avestisch  dar,  griech.  dfo,  slaw.  der,  spalten, 
reißen). 


Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf  die  Geschichte.  5 

ßöd-ga).  Es  gibt  hier  Landschaften,  welche  mit  ihren  vegetations- 
losen, verwitterten  Karsttelsen  kahl  sind  wie  der  Mond.  Im  Sommer 
erscheinen  diese  Berge  bei  grellem  Sonnenlicht  oft  wie  ein  blaß- 
graues, durchsichtiges  Trugbild.  Solche  öde  Steinwüsten  kann 
man  auch  an  den  großen  Verbindungswegen  sehen,  z.  B.  bei 
Njegusi  an  der  Straße  von  Cattaro  nach  Cetinje,  in  den  Bergen 
zwischen  Ragusa  und  Trebinje,  oder  bei  der  Station  Labin  an 
der  Eisenbahn  von  Spalato  nach  Drnis.  Das  vom  Meere  weiter 
entfernte  Binnenland  bilden  dagegen  gut  bewaldete  Gebirge  älterer 
Formationen  mit  Erzlagern,  deren  Ausbeutung  über  die  historische 
Zeit  hinaus  zurückreicht.  Das  Waldtal  des  Lim  mit  seinen  ma- 
lerischen Felsen  bietet  schon  einen  viel  freundlicheren  Anblick, 
als  die  traurigen  Karstgebiete  des  Küstenlandes.  Über  den  grünen 
Wäldern  des  Lim-  und  Ibargebietes  erhebt  sich  auf  der  Westseite 
im  Hintergrund,  wie  ein  Leuchtturm,  das  weiße  Profil  des  Dur- 
mitor  (2606  Meter),  des  höchsten  Berges  des  Dinarischen  Systems. 
Sanfte  waldige  Abhänge  haben  die  erzreichen  Gebirge  Serbiens, 
der  Kopaonik  (2106  Meter)  und  die  Berge  von  Rudnik  (Gipfel 
Sturac  1104  Meter).  Das  Waldland  der  Sumadija  erinnert  nach 
einer  Bemerkung  von  Ami  Boue  an  die  Ardennen,  den  Harz  und 
das  Innere  des  Wiener  Waldes. 

Bei  der  Bucht  von  S.  Giovanni  di  Medua,  gerade  gegenüber 
den  tiefsten  Stellen  des  Adriatischen  Meeres  (an  1600  Meter), 
wendet  sich  die  Fortsetzung  des  Dinarischen  Systems  teils  gegen 
Nordost,  wie  die  Gebirge  des  östlichen  Montenegro  und  die  „  Al- 
banesischen  Alpen '^  (die  Prokletja),  teils  nach  Süd  und  Südost, 
wie  die  Berge  Albaniens,  welche  den  Übergang  zu  dem  albanesisch- 
griechischen  Gebirgssystem  bilden.  An  der  Küste  von  Alessio  bis 
Valona  erstreckt  sich  eine  warme,  in  den  Mündungsgebieten  zahl- 
reicher Flüsse  sumpfige  Ebene,  in  ihrer  Natur  ganz  verschieden 
von  den  felsigen,  von  steilen  Bergmassen  überragten  und  von 
Hunderten  von  Inseln  und  Khppen  aller  Größen  begleiteten  Ge- 
staden Dalmatiens. 

Ganz  anders  sind  die  Bergzüge  der  Osthälfte  der  Halbinsel. 
Sie  streichen  vorwiegend  von  West  nach  Ost,  besonders  die  lange 
Kette  des  Balkans,  des  Hämus  des  Altertums  und  der  Stara 
Planina  (des  „alten  Berges")  der  Bulgaren,  und  die  aus  Urgestein 


6  Erstes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

bestehende  gewaltige,  weitverzweigte  Masse  der  Rhodope.  Die  Ge- 
birgs^ietten  dieser  Länder  sind  breit,  massiv,  mit  weiten  Becken 
dazwischen  ^).  Eine  große  Ausdehnung  haben  die  thrakische 
Ebene  zwischen  Hämus  und  Rhodope  und  die  Steppen  Donau- 
Bulgariens  zwischen  Hämus  und  Donau.  Auch  an  der  Grenze 
zwischen  der  Ost-  und  Westhältte  der  Halbinsel  liegt  eine  Reihe 
breiterer,  fruchtbarer  Täler:  das  Tal  der  vereinigten  Morava,  das 
Becken  von  Nis,  im  Zentrum  der  Halbinsel  das  berühmte  Amsel- 
feld (Kosovo  polje)  und  das  benachbarte  Becken  des  Weißen  Drim 
mit  den  Städten  Pec  (türk.  Ipekj  und  Prizren  am  Nordfuß  des 
antiken  Scardus,  der  majestätischen  Sar  Planina.  Südlich  vom 
Sar  folgen  die  großen  ringförmigen  Becken  Makedoniens.  Einige 
davon  besitzen  schöne  Seen,  wie  die  von  Ochrid,  Prespa,  Kastoria, 
Ostrov,  andere  aber  nur  Reste  alter  Sümpfe,  wie  die  von  Skopje 
und  Bitolia  Die  Landschaften  des  alten  Thrakiens  im  Südosten- 
der  Halbinsel  vermitteln  die  Verbindung  zwischen  beiden  Welt- 
teilen, Europa  und  Asien,  die  hier  nur  durch  zwei  Meerengen, 
nicht  viel  breiter  als  ein  großer  Fluß,  voneinander  geschieden 
werden. 

Der  Norden  der  Balkanhalbiusel  hat  infolge  seines  gebirgigen 
Charakters  ein  viel  kälteres  Klima  als  Griechenland,  Italien  oder 
der  größte  Teil  der  Pyrenäischen  Halbinsel.  Die  Grenze  zwischen 
dem  kälteren  mitteleuropäischen  Klima  und  dem  wärmeren  des 
Mittelmeergebietes  bilden  die  Küstengebirge  von  Dalraatien  und 
Montenegro,  der  Sar  und  der  Balkan.  Im  Narentatal  und  im 
Becken  des  Sees  von  Skutari,  des  größten  Sees  der  Halbinsel, 
reicht  die  immergrüne,  mediterrane  Flora  tiefer  landeinwärts.  Das 
Binnenland  gehört  der  mitteleuropäischen  Flora  an.  Eine  Zone 
großer  Laubwälder,  nach  Grisebach  vorwiegend  eine  Eichenzone, 
erstreckt  sich  vom  zentralen  Rußland  über  Siebenbürgen,  Serbien, 

1)  Einen  direkten  Zusammenbang  der  Alpen  mit  den  Bergen  Illyriens 
und  dem  Hämus  behaupteten  seit  Aristoteles  die  geographischen  Theorien 
des  Altertums,  des  Mittelalters,  der  Humanistenzeit  vCatena  mundi)  und  der 
Neuzeit  bis  um  1840.  Vgl.  meine  Gesch.  der  Bulgaren  2—3  und  meine 
Heerstraße  von  Belgrad  nach  Konstantinopel  139.  Die  Karten  von  Ortelius 
bis  1846  mit  der  angeblichen  Zentralkette  bei  Cvijic,  Geolog.  Atlas  von 
Makedonien  (serb.,  Belgrad  1903),  Bl.  8. 


Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf  die  Geschichte.  7 

Bosnien  und  Nordalbanien  bis  zur  Adria,  analog  den  Waldregionen 
Nordamerikas  i).  In  dem  Gebiet  der  mediterranen  Flora  ist  da- 
gegen der  Wald  in  der  historischen  Zeit  sehr  stark  zurückgegangen, 
ebenso  wie  in  Italien  und  Spanien.  In  der  Wirtschaftsgeographie 
ist  bemerkenswert  der  Unterschied  zwischen  den  kalten  Gebirgs- 
landschaften ohne  Weinbau  und  den  wärmeren  Küsten  und  Tälern 
mit  Weingärten.  Weinlos  sind  die  Gebirge  Bosniens,  der  Herze- 
gowina, von  Montenegro,  Nordalbanien  und  Westserbien.  Längs 
der  Donau  reicht  in  den  waldfreien  Ebenen  die  Steppenflora  aus 
der  pontischen  Niederung  bis  nach  Ungarn  hinein,  so  weit,  als  sich 
auch  die  Wanderungen  der  Reitervölker  verschiedener  Zeiten  west- 
wärts zu  erstrecken  pflegten. 

Für  die  Geschichte  eines  jeden  Landes  sind  die  natürhchen 
Kommunikationen  von  größter  Bedeutung.  Die  Verbindungen 
zwischen  der  Adriatischen  Küste  und  dem  Stromgebiet  der  Donau 
führen  alle  durch  unwegsame  Gebirgsländer.  Bis  in  die  neueste 
Zeit  waren  sie  mehr  für  Karawanen  von  Saumtieren,  als  für  den 
Wagenverkehr  geeignet.  Die  steilen  und  kahlen  Bergzüge  des 
Dinarischen  Systems  schließen  das  Binnenland  oft  mauerartig  vom 
Meere  ab.  Die  Wege  steigen  wiederholt  von  hohen  Jochen  in 
tiefe,  enge  Fiußtäler  hinab  und  winden  sich  dann  abermals  ins 
Gebirge  hinauf.  Dieser  Art  sind  die  uralten  Straßen  von  Spalato 
zur  Save,  ebenso  die  von  der  Mündung  der  Narenta  über  die 
Ivan  Flanina  (lOlO  Meter)  in  das  Bosnatal  und  weiter  gegen 
Osten.  Schwierig  ist  der  Weg  von  Ragusa  durch  die  Gebirge  der 
Herzegowina  über  den  Berg  Cemerno  (137^  Meter)  zur  Drina, 
ebenso  seine  Fortsetzung  über  Plevlje  und  Novipazar,  am  Südfuß 
des  Kopaonik  vorüber,  durch  das  Tal  der  Toplica  nach  Nis. 
Ungleich  gröfsere  Hindernisse  hatte  der  Saumpfad  von  Cattaro 
nach  Onogost  (jetzt  Niksici)  und  zum  altserbischen  Markt  Brskovo 
an  der  oberen  Tara  zu  überwinden,  mit  Anschluß  an  den  Ragu- 
saner  Karawanenweg.  Diese  beiden  Routen  durchzogen  ein  Ge- 
biet pittoresker  Dolomiten,  mit  steilen  Spitzen,  großartigen  Riesen- 
toren und  den  eigenartigen,  tief  eingeschnittenen  Caüons  der  Piva, 
Tara   und  Sutjeska.     Erst   südlich   vom   Drim   werden   die  Berge 

1)  Grisebach,  Vegetation  der  Erde  1  (1872),  158,  260. 


8  Erstes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

niedriger  und  weniger  steil.  Die  verhältnismäßig  leichteste  Ver- 
bindung führt  aus  der  Landschaft  um  den  See  von  Skutari  über 
die  Berge  von  Nordalbanien  (Joch  von  Cjafa  Malit  1107  Meter) 
in  das  Becken  des  Weißen  Drim  und  weiter  über  eine  niedrige 
Hügelkette  in  das  benachbarte  Amselfeld.  Von  Skutari  nach 
Frizren  rechnet  man  auf  diesem  Wege  33  Stunden.  Es  folgt 
dann  die  „via  Egnatia"  der  Römer  aus  Durazzo  und  dessen  Um- 
gebung über  Ochrid  nach  Salonik  und  von  dort  durch  die  Küsten- 
gebiete des  Agäischen  oder,  wie  es  die  Balkanvölker  nennen,  des 
Weißen  Meeres  zum  Hellespont  oder  Bosporus.  In  der  Römerzeit 
bildete  diese  Straße  die  wichtigste  Verbindung  Roms  mit  dem 
ferneren  Orient,  in  der  byzantinischen  Periode  den  kürzesten  Weg 
von  Konstantinopel  nach  Unteritalien.  Nicht  schwierig  ist  auch 
die  Route  von  Valona  durch  das  Gebiet  des  oberen  Devol  nach 
Kastoria  und  in  die  umhegenden  Landschaften  von  Makedonien 
und  Thessalien. 

Gangbarer  als  alle  transversalen  Kommunikationen  von  West 
nach  Ost  waren  stets  die  longitudinalen  Wege  von  Norden  nach 
Süden,  welchen  gegenwärtig  auch  die  neuen  Eisenbahnen  folgen. 
Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  Römer  die  untere  Donau  zuerst 
von  Makedonien,  nicht  von  Dalmatien  aus  erreicht  haben.  Auf 
demselben  Wege  bewegten  sich  die  Invasionen  der  Kelten  nach 
Griechenland,  der  Goten  und  der  Slawen  in  das  byzantinische 
Reich.  Die  wichtigste  Linie  führt  von  der  Donau  in  der  Gegend 
der  Moravamün  düng  durch  das  Tal  dieses  Flusses  aufwärts,  dann 
entweder  über  das  Amselfeld  und  den  Paß  von  Kacanik  (634  Meter) 
zwischen  dem  Sar  und  der  Crna  Gora,  oder  über  den  niedrigeren 
Sattel  von  Presevo  bei  Vranja  (43Ü  Meter)  in  das  Tal  des  oberen 
Vardar  bei  Skopje  und  dem  Laufe  dieses  Flusses  abwärts  folgend 
bis  Salonik,  im  ganzen  an  475  Kilometer  lang.  Die  Täler  an 
diesem  Wege  sind  breiter,  die  Pässe  niedriger  und  kürzer,  die 
Landschaften  fruchtbarer  als  auf  den  schwierigen  Pfaden  vom 
Adriatischen  Meere  landeinwärts.  Ein  wichtiger  Kreuzpunkt  der 
Kommunikationen  ist  Nis,  welches  neben  dem  Moravatal  auch 
durch  das  Timoktal  eine  Verbindung  mit  der  unteren  Donau  hat. 
Bei  Nis  zweigt  von  dem  Weg,  welcher  die  Donau  mit  dem  Golf 
von  Salonik  verbindet,  eine  zweite  Straße  ab,   welche  durch   das 


Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf  die  Geschichte.  9 

Becken  von  Sofia  nach  Philippopel,  Adrianopel  und  zu  den  Meer- 
engen führt.  Das  ist  die  historisch  so  bekannte  große  Heerstraße 
von  Belgrad  nach  Konstantinopel,  die  Hauptverbindung  zwischen 
Westeuropa  und  dem  näheren  Orient.  Die  Flußtäler  des  Ibar 
und  der  Drina  sind  zu  eng  und  zu  gewunden,  um  groI5e  Korarau- 
nikationslinien  bilden  zu  können ;  gangbarer  ist  das  Tal  der  Bosna. 
Zu  erwähnen  ist  noch  eine  in  der  Kriegsgeschichte  wichtige  Quer- 
straße teils  von  Sofia,  teils  von  Scres  nach  Skopje  am  Vardar, 
und  von  dort  durch  das  Amselteld  und  über  Novipazar  nach 
Bosnien.  Von  den  zur  Adriatischen  Küste  parallelen  Wegen  ist 
der  bedeutendste  die  schon  von  einer  Römerstraße  benutzte  Route 
von  Skutari  durch  das  Tal  der  Zeta  aufwärts  nach  Niksici  und 
weiter  über  Gacko  und  Nevesinje  ins  Narentatal. 

Von  geringer  Bedeutung  sind  die  Wasserwege  der  Halbinsel, 
wegen  des  starken  Gefälles  der  meisten  Flüsse.  Neben  der  Donau 
und  Save  besteht  heute  eine  größere  Schiffahrt  nur  auf  der  Bojana 
und  der  unteren  Narenta.  Einmal  gab  es  einen  Verkehr  von 
Booten  und  Flößen  auch  auf  der  unteren  Drina,  der  vereinigten 
Morava,  dem  unteren  Drim,  Vardar,  Struma  und  Marica. 

Die  Landschaften  zwischen  den  Felsbergen  von  Montenegro 
und  dessen  Umgebung  und  dem  Stromgebiet  der  Morava  ^)  sind 
die  älteste  und  ständigste  Heimat  des  serbischen  Volkes.  Es  ist 
ein  kühles,  armes  Bergland,  im  Westen  ein  Karstgebiet,  im  Osten 
ein  Waldgebirge  mit  hochgelegenen  Alpentriften,  größtenteils  nur 
zur  Viehzucht  geeignet,  welches  für  fremde  Eroberer  wenig  An- 
ziehungskraft besaß.  Es  bot  aber  zu  jeder  Zeit  alle  Vorteile  des 
Hirtenlebens.  Die  Beschaffenheit  des  Landes  beförderte  die  Ent- 
wicklung einer  kräftigen,  kriegerischen,  expansiven  Bevölkerung, 
welche  sich  in  ihren  von  Natur  aus  festen  Bergen  und  Tälern 
gegen  Angriflfe  fremder  Völker  gut  verteidigen  konnte,  daneben 
aber  auch  offensiv  in  die  adriatische  Küstenebene  und  in  die  Täler 
und  Becken  des  Ostens  und  Südens  vorzudringen  pflegte.  Die  natür- 
lichen Verhältnisse  brachten  es  mit  sich,  daß  diese  Bergländer  stets 
einen  Überschuß  ihrer  Einwohner  den  durch  historische  Umwäl- 
zungen entkräfteten,  tiefergelegenen  Landschaften  abtreten  konnten. 


1)  Von  Belgrad  bis  Medua  rechnet  man  in  der  Luftlinie  340  Kilometer. 


10  Erstes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Nach  neueren  Untersuchungen  sind  bei  den  Verschiebungen  der 
Bevölkerung  in  unseren  Zeiten  aktiv  die  Herzegowina,  Montenegro, 
die  Bergländer  Nordalbaniens  und  Makedoniens.  Ungleichartig 
sind  Bosnien  und  die  Landschaft  von  Novipazar.  Passiv  ist  Dal- 
matien  und  das  Königreich  Serbien  in  seinen  heutigen  Grenzen; 
beide  erhalten  eine  Verstärkung  ihrer  Bevölkerung  durch  einen 
langsamen  Zuzug  neuer  Einwohner  aus  den  Bergländern  in  der 
Mitte  zwischen  beiden  Gebieten  ^).  Ebenso  werden  in  Bulgarien 
die  Ebenen  an  der  Donau  und  in  Thrakien  allmähhch  neu  besiedelt 
von  der  Gebirgsbevölkerung  des  Balkans  und  der  Rhodope  2). 

Denselben  Entwicklungsgang  finden  wii'  in  der  älteren  Ge- 
schichte dieser  Länder.  Unter  den  slawischen  Stämmen,  welche 
sich  in  den  Balkanländern  niedergelassen  haben,  waren  die  eigent- 
lichen Serben  ursprünglich  ein  Binnenvolk,  das  abseits  von  der 
Donau  und  dem  Meer  in  den  Tälern  des  Lim,  Ibar  und  der  west- 
lichen Morava  hauste.  Von  dort  erweiterten  sie  ihre  Macht  in 
der  Richtung  zur  adriatischen  Küste  und  hatten  einige  Zeit  ihren 
Schwerpunkt  in  den  Landschaften  von  Dioklitien  (oder  Zeta)  am 
See  von  Skutari.  Seit  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts  begann 
der  führende  Teil  der  Nation  einen  Vorstoß  gegen  Osten,  zu  den 
Straßen,  die  von  der  Donau  zum  Agäischen  Meere  führen.  Ein 
neues  Zentrum  des  Volkes  wurde  die  Landschaft  bei  der  Burg 
Kas  am  Flusse  Raska,  einem  Nebenfluß  des  Ibar,  die  Gegend  des 
heutigen  Novipazar,  ein  hochgelegenes  Gebiet  (an  550  Meter),  am 
Kreuzpunkt  wichtiger  Wege  in  der  IVIitte  der  waldigen  Bergländer 
zwischen  Tara  und  Morava  gelegen  ^).  Die  Autorität  der  Könige 
von  Dioklitien  mußte  bald  der  Macht  der  „großen  Zupane^'  von 
Ras  weichen,  der  Familie  des  Nemanja.  Die  Eroberung  der  bei- 
den fruchtbaren  Becken  gerade  in  der  Mitte  des  nördlichen  Teiles 
der  Halbinsel,  des  Beckens  des  Weißen  Drim  mit  den  Städten 
Pec  und  Prizren  und  des  Amselfeldes,  verschob  den  Mittelpunkt 
weiter  gegen  Süden.  Ped  wurde  für  fünf  Jahrhunderte  der  Sitz 
des  Oberhauptes  der  serbischen  Nationalkirche. 

1)  Cvijic,  Naselja  1  (1902)  S.  CCX. 

2)  Mein  Fürstentum  Bulgarien  48 f.  Miletic,  Das  Ostbulgarische 
(Wien,  Baikaukommission  der  Kaiser!.  Akademie  1903)  10 f. 

3)  Altserb.  Ras,  mask.,  'Püaov  der  Byzantiner. 


Die  Natur  des  Landes  und  ihr  Einfluß  auf  die  Geschichte.  11 

Im  13.  Jahrhundert  folgte  eine  neue  Offensive  der  Serben. 
Gegen  Norden  wendeten  sie  sich  in  das  untere  Moravatal,  um 
dessen  Besitz  zuvor  Ungarn  und  Bulgaren  miteinander  gestritten 
haben,  und  weiter  abwärts  zur  Donau,  in  der  Gegend  zwischen 
der  Savemündung  und  den  Engen  des  Eisernen  Tores.  Gegen 
ISüden  machten  sie  bei  dem  raschen  Verfall  des  nach  der  Ver- 
treibung der  Lateiner  restaurierten  byzantinischen  Reiches  große 
Fortschritte  in  Makedonien.  Stephan  Dusan,  welcher  sich  1346 
zum  Kaiser  der  Serben  und  Griechen  krönen  ließ,  besetzte  während 
der  Bürgerkriege  zwischen  den  Griechen  ganz  Makedonien  (außer 
Thessalonich),  Albanien,  Epirus  und.  Thessalien.  Innere  Wirren 
erleichterten  aber  bald  darauf  das  Vordringen  eines  neuen  stär- 
keren Eroberers,  der  osmanischen  Türken,  sowohl  gegen  die 
Griechen,  als  auch  gegen  die  Serben.  Der  serbische  Staat  der 
Despoten  des  15.  Jahrhunderts  hatte  seine  Basis  wieder  im  Nor- 
den, an  der  Donau,  in  Belgrad  und  in  Sraederevo  (bis  1459). 
Am  längsten  jedoch  behaupteten  sich  gegen  die  Macht  der  Osmanen 
von  den  einheimischen  Fürsten  die  Crnojevici  in  den  gewaltigen 
Gebirgen  oberhalb  des  Golfes  von  Cattaro  und  des  Sees  von 
Skutari. 

Als  in  neueren  Zeiten  die  Grenzen  des  osmanischen  Welt- 
reiches wieder  zurückgingen,  erfolgte  die  Bildung  neuer  serbischer 
Staaten  gerade  auf  dem  Boden  der  letzten  politischen  Gebilde  des 
IMittelalters :  in  den  unwegsamen  Bergen  von  Montenegro  bei  dem 
von  den  Crnojevidi  im  Jahre  1485  gestifteten  Kloster  von  Cetinje 
und  im  Waldland  der  Sumadija,  nicht  weit  südlich  von  Belgrad 
und  von  der  Burg  der  Despoten  in  Smederevo. 


Zweites  Kapitel. 

Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten  ^). 

Noch  unlängst  glaubte  man,  die  Balkanhalbinsel  habe  nie 
eine  Eiszeit  gehabt.  Neuere  Untersuchungen  seit  1896,  besonders 
von  Professor  Cvijic  in  Belgrad,  haben  nachgewiesen,  daß  in  der- 
selben Zeit,  in  welcher  die  Gletscher  der  Südalpen  in  die  Po-Ebene 
herabreichten  und  dadurch  die  jetzigen  oberitalischen  Seen  ent- 
standen sind,  auch  die  Gebirge  der  Balkanhalbinsel  Gletscher  be- 
saßen -).  Spuren  dieser  glazialen  Periode  wurden  nachgewiesen 
auf  den  höchsten  Bergen  von  Bosnien,  der  Herzegowina,   Monte- 


1)  Die  prähistorischen  Altertümer  der  südslawischen  Länder  sind  am 
besten  erforscht  in  Bosnien  von  M.  Hoernes,  V.  Radimsky,  F.  Fiala, 
C.  Truhelka  u.a.  Über  Serbien  die  Arbeiten  von  M.  Valtrovic,  S.  Tro- 
janovic  und  M.  Vasic.  Das  meiste  in  Zeitschriften:  Glasnik  bos.,  Wiss. 
Mitt.,  Vjesnik  arheol.,  Starinar,  Glas.  Ein  Handbuch  vom  Berghauptmann 
V.  Radimsky,  Die  prähistorischen  Fundstätten,  ihre  Erforschung  und  Be- 
handlung, mit  besonderer  Rücksicht  auf  Bosnien  und  "die  Hercegovina, 
Sarajevo  1891  mit  3.37  Abb.  (auch  in  serbokroat.  Ausgabe).  Wilhelm 
Tomas chek.  Die  alten  Thraker,  eine  ethnologische  Untersuchung,  Wien 
1893—1894,  3  Hefte  (aus  den  SB.W.Akad.  Bd.  128,  130,  131).  Über  die 
Illyrier  gibt  es  bisher  keine  erschöpfende  Darstellung.  Die  Sprachen: 
Paul  Kretschmer,  Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache, 
Göttingen  1896  (Kap.  VII  Die  Thraker,  VIII  Die  illyrischen  Stämme^ 
Wichtig  für  die  Völkerkunde  Illyriens  sind  die  zahlreichen  Abb.  von  Dr. 
C.  Patsch  in  den  Wiss.  Mitt. 

2)  A.  Penck,  Die  Eiszeit  auf  der  Balkanhalbinsel:  Globus  Bd.  78 
(1900)  183 f.  J.  Cvijic,  L'epoque  glaciaire  dans  la  p^ainsule  des  Balcans: 
Annales  de  geographie  9  (1900)  359—372.  Derselbe,  Neue  Ergebnisse 
über  die  Eiszeit  auf  der  Balkanhalbinsel:  Mitteilungen  der  k.  k.  geograph. 
Gesellschaft  in  Wien,  Bd.  47  (1904)  149  f. 


lllyrier,  Thraker,  Helleneu.  Kelten.  13 

negro  und  Nordalbanien,  ebenso  auf  dem  Sar,  dem  Peristeri  in 
Makedonien  und  auf  der  Rila  in  Bulgarien.  Die  Gletscher  be- 
fanden sich  meist  nur  auf  der  Nord-  und  Nordostseite  der  Gebirge, 
mit  kurzen  Gletscherzungen,  selten  in  die  Täler  hinabsteigend.  Am 
tiefsten  lag  die  glaziale  Schneegrenze  an  der  Adria  im  Dinarischen 
Küstengebirge,  ungefähr  1400  Meter  über  dem  Meere,  demnach 
so  tief,  wie  gegenwärtig  an  der  norwegischen  Küste  in  der  Gegend 
von  Bergen ;  sie  stieg  landeinwärts,  ebenso  wie  heute  in  Norwegen, 
von  West  nach  Ost  allmähhch  empor.  Auch  die  Kälte  und  Regen- 
menge war  im  Diluvium  im  Westen  größer  als  im  Osten.  Unter- 
halb der  Gebirge  befanden  sich  zahlreiche  Seen,  aus  denen  sich 
bei  dem  sinkenden  Wasserstand  die  heutigen  Becken  der  Karst- 
poljen entwickelten  ^).  Auch  die  zwischen  riesigen  Steilwänden 
tief  eingeschnittenen  Durchbruchstäler,  die  großartigen  Canons  der 
oberen  Narenta,  der  Tara  (an  800  bis  1000  Meter  tief)  und  der 
Piva  zeugen  von  einer  mächtigen  Erosion  in  einer  Periode  mit 
größeren  Wassermengen.  Die  nördliche,  seichte,  nur  bis  200  Meter 
tiefe  Hälfte  der  Adria  mag  (nach  Cvijic)  schon  damals  bestanden 
haben,  bis  auf  die  Küsteninseln  und  Klippen  Dalmatiens,  die  erst 
bei  der  fortschreitenden  Senkung  des  Adriatischen  Küstenlandes 
als  Reste  des  eingesunkenen  Festlandes  stehen  geblieben  sind.  Diese 
Senkung  des  dinarischen  Systems  schreitet  auch  in  der  historischen 
Zeit  fort.  Sie  ist  bemerkbar  am  See  von  Skutari,  dessen  Grund  seit 
dem  Diluvium  unter  das  Meeresniveau  gesunken  ist,  und  an  einigen 
Bauten  der  römischen  und  frühmittelalterlichen  Zeit  an  den  Küsten 
Istriens  und  Dalmatiens.  Im  Osten  der  Halbinsel  hat  man  dagegen 
eine  Hebung  des  Landes  beobachtet. 

Nach  der  Eiszeit  trat  in  den  Balkanländern  ein  wärmeres, 
feuchtes  Klima  ein,  mit  einer  reichen  Vegetation  und  großen  Ur- 
wäldern. Aber  noch  in  der  historischen  Zeit  galten  die  nördlichen 
Gebiete  der  Halbinsel  bei  den  Griechen  und  Römern  als  rauh  und 
unwirtlich.  Bei  einem  Winterfeldzug  im  heutigen  Strandzagebirge, 
nordwestlich  von  Bjzanz,  litten  die  Griechen  Xenophons  im  tieten 
Schnee  arg  unter  der  Kälte,  bei   welcher  Wein   und  Wasser  ge- 


1)  Cvijic,  Die   Karstpoljen:   Abhandlungen  der   k.   k.   geogr.   Gesell- 
schaft in  Wien  3  (1901)  81  ff. 


14  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

fror,  und  beneideten  die  Thraker  um  ihre  warmen  Pelzmützen 
und  Mäntel  ^).  Die  Römer  kannten  den  frühzeitigen,  rauhen  und 
schneereichen  Winter  der  Berge  von  Illyricum,  der  Täler  des 
Hämus  und  der  Provinzen  an  der  unteren  Donau  -).  Prokopios 
schildert  die  furchtbaren  Winterstürme  in  Dalmatien.  Niemand 
gehe  dabei  aus  dem  Hause,  denn  der  Windstoß  vermöge  einen 
Reiter  samt  Roß  in  die  Lüfte  zu  heben  und  wieder  zum  Boden 
zu  werfen,  wo  er  den  Tod  finde  ^).  Die  Nachricht  ist  übertrieben, 
aber  in  unseren  Tagen  haben  Bora  und  Scirocco  auch  Züge  der 
neuen  schmalspurigen  Eisenbahnen  vom  Damm  heruntergeschleu- 
dert, 1904  bei  Clissa  oberhalb  Salona  und  bei  Ostrozac  an  der 
oberen  Narenta. 

In  den  Wäldern  der  ältesten  Zeit  hauste  eine  Fauna  großer 
Tiere.  Löwen  gab  es  zwischen  den  Flüssen  Nestos  (Mesta)  in 
der  Rhodope  und  Acheloos  (Aspropotamo)  in  Atolien.  Auf  dem 
Durchmarsch  des  Königs  Xerxes  durch  das  Küstenland  Make- 
doniens beunruhigten  sie,  wie  Herodot  erzählt,  in  den  Nächten 
die  Kamele  des  Lagers.  Abgebildet  sind  sie  auf  den  thrakischen 
Skulpturen,  Jagd-  und  Reiterbildern.  Aus  der  Römerzeit  stammen 
die  vielen  steinernen  Grablöwen  in  den  Nekropolen  der  Donau- 
städte. 

Wilde  Rinder  zweifacher  Art  belebten  die  Waldwiesen  noch 
im  Mittelalter.  Als  der  Stammvater  einiger  Varietäten  unseres 
Hausrinds  gilt  der  jetzt  ausgestorbene  Ur  oder  Auerochs,  urus 
der  Römer  (Bos  primigenius).  Herodot  erwähnt  diese  wilden  Stiere 
(ßosg  äyQioi)  in  der  Nähe  des  Golfes  von  Salonik.  Ihre  langen 
Hörner  dienten  den  thrakischen  Fürsten,  ebenso  wie  den  Germanen 
in  der  Zeit  Cäsars,  als  Trinkgefäße.  Der  Dakerkönig  trank  aus 
einem  mit  Gold  eingefaßten  Hörn  {ßoög  ocqov  ytegag),  welches 
Kaiser  Trajan  aus  der  Kriegsbeute  dem  Zeus  Kasios  widmete  *). 
Varro  kennt  in  Cäsars  Zeit  eine  wilde  Art  der  Hausrinder  (boves 


1)  Xenophon,  Anabasis  VII  cap.  4. 

2)  Strabo    VII    p.    317.      Vellejus    Paterculus    II     cap.    113. 
Tacitus,  Annales  IV    cap.    51.     Geographi  lat.  minores  ed.  Riese   p.  12L 

3)  Prokopios  ed.  Haury  V  cap.   15  (de  belle  goth.  I,  15). 

4)  Anthologia  Palatina  VI,  332  (ein  Gedicht  Hadrians). 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  15 

perferi)  in  Dardanien ,  im  Lande  der  Maden  und  in  Thrakien  ^). 
Auch  im  Mittelalter  war  der  Auerochs  in  Osteuropa  wohlbekannt, 
slawisch  tur  (fem.  turica),  rumänisch  bouru  (daher  Ortsname 
Boureni)  genannt.  Zahlreiche  Ortsnamen  in  Krain,  Dalmatien, 
Bosnien,  iSerbien,  Makedonien  und  Bulgarien  sind  von  tur  ab- 
geleitet: Landschaft  Turopolje  (das  „Auerochsenfeld'')  bei  Agrara, 
Dörfer  Turovo,  Tuija,  Turica,  Turici,  Turjane  u.  a. '-).  Auer- 
ochsen jagten  noch  die  heidnischen  Bulgaren,  wie  an  den  Knochen- 
funden im  Lager  von  Aboba  zu  sehen  ist,  in  den  Wäldern  Ost- 
bulgariens. Als  der  serbische  König  Stephan  der  Erstgekrönte 
(um  1215)  solche  Tiere  (tari  i  turice)  von  König  Andreas  IL  von 
Ungarn  zum  Geschenk  erhielt,  dürften  sie  in  Serbien  schon  eine 
Seltenheit  geworden  sein  ^).  Daraals  war  der  Auerochs  noch  ver- 
breitet im  Karpathengebiet,  wo  die  Moldau,  ebenso  wie  der  Kanton 
Uri,  einen  Stierkopf  im  Wappen  führt.  Verschieden  vom  Auer- 
ochsen war  der  behaarte  Wisent  (Bison  europaeus),  die  „iubati 
bisontes"  des  Plinius,  mit  verhältnismäßig  kleinen,  nach  rückwärts 
gewendeten  Hörnern,  in  unseren  Tagen  noch  bei  Bialystok  in 
Litauen  und  im  Kaukasus  gehegt.  Im  Altertum  war  er  in  großer 
Zahl  vorhanden  in  den  Wald  wüsten  der  Hämusländer,  besonders 
im  Stromgebiete  des  Strymon  und  Axios  ^).  Noch  in  der  Kaiser- 
zeit pflegte  man  in  Rom  den  päonischen  Wisent  b<  i  den  Tier- 
hetzen des  Amphitheaters  vorzuführen.  Im  Mittelalter  war  er 
südlich  der  Donau  selten  geworden.  Paulus  Diaconus  im  8.  Jahr- 
hundert erwähnt  die  „bisontes  ferae"  in  den  Bergen  von  Friaul 
und  in  Pannonien.  Im  Kirchenslawischen  hieß  das  Tier  z^br-L 
(zombrü,  daraus  rumänisch  zimbru),  serbisch  zubr.  Während  in 
den  nord slawischen  Ländern  seine  Spur  in  den  Ortsnamen  recht 
häufig  ist,  sind  in  den  Balkanländern  nur  wenige  Beispiele  vor- 
handen: der  „Wisentfluß''  Zubrova  Reka,  ein  Nebenfluß  der 
Ravanica  in  Serbien,  und    die  „Wisentberge"   Zuber  Planina    bei 

1)  Varro  II,  1,  5  ed.  Keil. 

2)  Tur  und  zubr:  xMiklosich,  Slaw.  Ortsnamen  aus  Appellativen  2 
(Denkschr.  W.  Akad.  23)  S.  250,  260.  Jirecek,  Arch.  slaw.  Phil.  15 
(1893)  89.     Cvijic,  Naselja  1,  S.  GL. 

3)  König  Stephan  ed.  Safaiuk,  cap.  20,  p.  29. 

4)  Tomaschek,  Die  Thraker  2,  S.  5—6  (bonasus,  fxövanos,  ß6Xivd-og)._ 


16  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Trn  (zwischen  Nis  und  Sofia)  und  Zuberovo  Brdo  bei  Gradacae 
in  Bosnien.  Die  Byzantiner  kannten  das  Tier  unter  dem  slawi- 
schen Namen  (tov/urtgog)  als  ein  in  Rußland  vorkommendes  großes 
Jagdwild  ^). 

Reste  des  Steinbocks  fand  man  in  den  Pfahlbauten  an  der 
Una,  Überreste  des  Elentieres,  welches  noch  in  der  Zeit  des 
Albertus  Magnus  (f  1280)  in  den  Wäldern  von  „Sclavonia"  in 
Menge  lebte,  in  den  Pfahlbauten  an  der  Save  ^).  Verschollen  ist 
heute  auch  der  Biber  (bulg.  bebr,  serb.  dabar),  nach  welchem 
der  „Bibersee"  von  Kastoria  in  Makedonien  benannt  war.  Seine 
Spur  ist  nur  mehr  in  Ortsnamen  bemerkbar  ^).  Die  intensivere 
Besiedelung  des  Landes,  die  Ausbreitung  der  Agrikultur  und  die 
Jagdfreiheit  führten  zur  Ausrottung  der  alten  Waldfauna.  In 
unseren  Tagen  ist  selbst  der  Hirsch  in  Bulgarien  und  Serbien 
eine  Seltenheit  geworden,  in  Bosnien  und  der  Herzegowina  ganz 
verschwunden.  Dasselbe  Schicksal  naht  den  Bären  und  Gemsen. 
Eine  Mischung  von  Sagen  über  ausgestorbene  Tiere,  von  Märchen 
über  unheimliche,  in  stehenden  Gewässern  hausende  Geschöpfe  und 
von  physikalischen  Beobachtungen  über  das  Geräusch,  welches 
periodisch  sich  füllende  und  wieder  entleerende  Seen  verursachen, 
ist  die  von  Cvijic  untersuchte  Sage  von  dem  Wasserstier  (vodeni 
bik),  überall  verbreitet  bei  Seen  und  Sümpfen  in  Bulgarien,  Ser- 
bien, Montenegro,  Bosnien  und  Dalmatien.  Es  soll  ein  schwarzes, 
drachenartiges  Tier  sein,  das  nachts  am  Ufer  der  Gewässer  weidet, 
die  Rinder  der  Ortseinwohner  verfolgt  und  durch  sein  Brüllen  die 
Umgebung  erschreckt  ^). 

Überreste  des   „paläolithischen^'  Menschen    der   Eiszeit    fand 


1)  Niketas  Akominatos  (um  1200)  ed.  Bonn.  433.  Die  byz. 
Glosse  CöfißQog  als  roay^Xacfog  and  Qoaxrjg  ik&civ  erklären  Lagarde  und 
Tonaaschek  (a.  a.  0.  2,  12  nro.  XVI)  als  slawisches  (nicht  thrakisches) 
Wort. 

2)  Woldfich,  Wiss.  Mitt.  5,  98:  9,  162. 

3)  Ai^vT],  r]  KciOTOQta  djvöuaaiat,  Prokopios  ed.  Bonn.  3,  273  bei 
Diokletianopolis  (j.  Kastoria,  slaw.  Kostur).  In  Serbien  wurde  nach  Pancic 
(Glasnik  26,  S.  85 — 86)  ein  Exemplar  noch  um  1850  bei  Smederevo  ge- 
fangen. 

4)  Glas  54  (1897)  98—100. 


Illyrier,  Thraker,  Helleneu,  Kelten.  17 

man  jüngst  bei  den  Thermen  von  Krapina  in  Kroatien.  Der 
„neolithischen"  Periode  gehören  die  Funde  des  Dr.  Vasic  in  der 
Umgebung  von  Belgrad  an,  verwandt  mit  den  Resten  der  ältesten 
Kultur  von  Griechenland.  Es  sind  Grubenwohnungen  mit  Gerät 
aus  Knochen,  Hörn  und  Stein,  sowie  Tongeschirr,  noch  ohne  Me- 
talle. Dabei  fanden  sich  bemalte  Idole  aus  Ton,  besonders  einer 
weiblichen  Göttin.  Die  Höhlenfunde  bei  Valjevo  und  Nis  und 
die  Ausgrabungen  im  unteren  Moravatal  und  in  Sobunar  am 
Berge  Trebevid  bei  Sarajevo,  mit  Stücken  der  Steinzeit  neben 
Gegenständen  der  Bronze-  und  ersten  Eisenzeit  geben  Zeugnis 
von  einer  längeren  Dauer  der  Ansiedlungen  an  derselben  Stelle. 
Bei  Anbruch  der  historischen  Zeit  erscheinen  auf  der  Halbinsel 
drei  indogermanische  Völker:  die  Illyrier,  Thraker  und  Hellenen. 

Die  Jllyrier  wohnten  in  der  westlichen  Hälfte  der  Halbinsel, 
von  der  mittleren  Donau  bis  nach  Epirus.  Im  Zentrum  der  Halb- 
insel gehörten  zu  ihnen  auch  die  Dardaner  und  die  Paionen,  an 
der  Ostküste  Italiens  die  Veneter  und  die  Messapier  mit  anderen 
Küstenstämmen  Apuliens.  Die  Personennamen  auf  den  Inschrif- 
ten der  Römerzeit,  die  einzigen  Denkmäler  des  Altillyrischen, 
sind  selten  aus  zwei  Nomina  zusammengesetzt  (z.  B.  Epicadus 
oder  Pladomenus),  wie  die  Namen  der  Thraker,  Hellenen,  Ger- 
manen, Slawen  oder  Perser.  Die  Mehrzahl,  bestehend  nur  aus 
einem  Nomen  mit  Suftix,  erinnert  vielmehr  ganz  an  die  Namen 
der  Römer  und  anderen  Italiker:  Dazas,  Plares,  Tito,  Tato,  Verzo, 
Piator,  Lurus  u.  a  Für  die  sozialen  Verhältnisse  sind  merkwürdig 
Namen,  die  in  unveränderter  Form  sowohl  von  Männern  als  Frauen 
geführt  werden,  besonders  auf  den  Inschriften  von  Plevlje  (Panto, 
Tritano,  Vendes,  Vandano  u.  a.).  Auf  den  Denkmälern  der  Land- 
schaft Lika  führen  Mann  und  Frau  dieselben  Namen  mit  ver- 
schiedener Endung  (Öplus  und  Öpla,  Stennas  und  Stennato).  Die 
Sprache  der  Albanesen,  welche  Nachkommen  der  alten  Illyrier 
sind,  bietet  nur  ein  unvollkommenes  Material  zur  Kenntnis  des 
Illyrischen,  da  sie  von  romanischen  Elementen  ganz  durchsetzt  ist. 
Dagegen  behaupten  sich  zahlreiche  Ortsnamen  der  illyrischen 
Periode  in  mehr  oder  weniger  veränderter  Gestalt  bis  zum  heu- 
ligen Tage. 

Die  Namen  der  Stämme  dieses  Volkes  befanden  sich  in  fort- 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  2 


18  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

währendem  Wechsel,  durch  Verschiebungen  der  Wohnsitze  und 
innere  Fehden,  An  den  Ufern  der  unteren  Save  saßen  die  Breuker. 
Durch  die  Funde  von  Dr.  Patsch  sind  bekannter  geworden  die 
Japoden  im  nordwesthchen  Bosnien  bei  Bihad  und  in  der  Lika. 
Ihre  Nachbarn  an  der  Küste  und  auf  den  Inseln  waren  die  in 
der  Schiffahrt  geübten  Liburner.  Als  ein  führender  Stamm  er- 
scheinen zur  Zeit  der  römischen  Eroberung  die  Delmater  oder 
Dalmater,  mit  dem  Hauptort  Delminium  (jetzt  Zupanjac)  und  dem 
Hafenplatz  Salona.  Auf  beiden  Seiten  der  gewaltigen  Berge  von 
Makarska  wohnten  die  Ardiaioi  (lat.  Vardaei),  einst  die  berüchtigtsten 
Piraten  des  Adriatischen  Meeres.  Die  Daorser  (lat.  Daversi)  an  der 
Narenta  prägten  später  Kupfergeld  mit  dem  Bild  eines  Schiffes  und 
der  Aufschrift  Juoqgwv.  Die  Wohnsitze  der  Dokleaten  umfaßten 
den  größten  Teil  von  Montenegro,  sowohl  bei  Podgorica,  als  bei 
Grahovo,  wo  jüngst  im  Dorfe  Viluse  in  den  Ruinen  des  römischen 
Kastells  Salthua  lateinische  Inschriften  iln^er  Häuptlinge  (in  Versen) 
gefunden  wurden  ^).  Ihre  Nachbarn  waren  die  Labeaten  am  See 
von  Skutari  und  die  des  Bergbaus  kundigen  Pirusten.  Von  den 
südlichen  Stämmen  waren  von  Bedeutung  die  Dassaretier  im  Berg- 
land bis  zum  See  von  Ochrid,  neben  ihnen  die  bei  Ptolemaios 
genannten  Albaner  (ylXßavoi)  mit  der  Stadt  Albanopolis,  dort,  wo 
im  Mittelalter  die  Landschaft  Arbanum  in  den  Bergen  von  Kroja 
bestand.  Im  Binnenlande  waren  einst  die  Autariaten  das  vor- 
nehmste Volk,  Feinde  der  Ardiäer,  zuletzt  von  den  Kelten  zer- 
sprengt. Der  Name  Tara  mag  von  ihnen  stammen;  so  heißt  einer 
der  Quellflüsse  der  Drina  und  ein  Berg  an  den  Quellen  der  Raca 
im  Kreis  von  Uzice.  Zur  Zeit  der  römischen  Eroberung  waren 
mächtig  die  Daesitiates,  wahrscheinlich  im  Innern  Bosniens,  neben 
ihnen  im  Norden  die  Mäzeer,  die  Ditiones,  die  Sardeaten  und 
andere,  deren  Wohnsitze  sich  bei  dem  Mangel  an  Inschriften  nicht 
genau  bestimmen  lassen.  In  der  Landschaft  von  Uzice  wohnten 
die  Parthini,  die  den  Jupiter  Partinus  als  Schutzgott  verehrten, 
nicht  zu  verwechseln  mit  dem  gleichnamigen  Stamm  im  Küsten- 
lande bei  Durazzo  -).     Am  oberen  Vardar,  am  Weißen  Drim,  auf 

1)  N.  Vulic,    Vjesuik    arheol.    N.   S.   8    (1905)   172f.     Rovinskij, 
Cernogorija :  Sbornik  russ.  Akad.  86  (1909)  S.  84  f. 

2)  Ladek,  v.  Premerstein,  Vulic,  Antike  Denkmäler  in  Serbien: 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  I9 

dem  Amselfelde  und  in  der  Landschaft  von  Nis  war  die  Heimat 
der  Dardaner,  welche  erst  seit  284  v.  Chr.  erwähnt  werden  als 
tapfere  Feinde  der  Makedonier  und  später  der  Römer. 

Diese  Stämme  waren  geteilt  in  Sippschaften,  welche  Plinius 
als  „decuriae"  bezeichnet;  z.  B.  die  Delmatae  zählten  ihrer  342 
die  Daesitiates  103,  dagegen  die  von  den  Römern  fast  aufgeriebenen 
Vardaei  nur  mehr  20.  Gemeinsame  Grabstätten  der  Geschlechter 
fand  man  in  den  Taniuli  von  Glasinac.  Strabo  berichtet,  daß  bei 
den  Dalmatern  das  Land  alle  acht  Jahre  neu  verteilt  werde  wohl 
innerhalb  eines  Gaues  oder  einer  Sippschaft.  Aus  den  Schriften 
der  römischen  Agrimensoren  ist  das  Feldmaß  von  Dalmatia  be- 
kannt, der  „versus",  8640  Quadratfuß  groß;  3|  „versus"  ent- 
sprachen einem  römischen  „iugerum"  i).  Die  Frauen  genossen  eine 
große  Achtung.  Die  historischen  Nachrichten  berichten  von  Kö- 
niginnen, die  zeitweilig  an  der  Spitze  der  Völker  standen.  Der 
Periplus  des  sogenannten  Skylax  von  Karyanda  und  Nikolaos  von 
Damaskus  fabeln  von  einer  mit  einer  Art  Polyandrie  verbundenen 
Frauenherrschaft  im  Lande  der  Liburner.  Varro,  ein  Zeitgenosse 
des  Cicero,  rühmt  die  kräftigen  und  arbeitsamen  Weiber  der 
Illyrier,  welche  unverdrossen  Vieh  weiden,  Holz  zur  Feuerstelle 
schleppen,  Speisen  bereiten  und  daneben  noch  Kinder  mit  Leich- 
tigkeit gebären  und  säugen.  Daß  die  jungen  Illyrierinnen  (quas 
virgines  ibi  appellant)  unbegleitet  (incomitatae)  große  Freiheiten 
genossen  und  auch  Kinder  haben  durften,  erinnert  an  Herodots 
Schilderungen  der  Sitten  der  Thraker  2).  Neben  den  Freien  gab 
es  eine  untertane,  leibeigene  Bevölkerung,  in  der  Art  der  Heloten 
von  Lakonien  und  der  Penesten  von  Thessahen,  besonders  im 
Lande  der  Ardiäer  und  der  Dardaner.  An  der  Spitze  der  Stämme 
standen  Häuptlinge  oder  erbliche  Könige.  Nie  waren  alle  Illyrier 
vereinigt  zu  einem  Reich.  Das  einzige  größere  Königreich  um- 
faßte   im    3.    und    2.    Jahrhundert   v,    Chr.    die   adriatische    Küste 

Jahreshefte  des  österr.  arch.  Inst.  4  (1901)  Beiblatt  158—160.  Vgl.  Vulic 
im  Glas  72  (1907)  7. 

1)  Strabo  VII  cap.  5  p.  315.  Gromatiei  veteres;  die  Schriften  der 
röm.  Feldmesser,  herausg.  von  Blume,  Lachmann,  Eudorff  (Berlin 
1848)  2,  282. 

■2)  Varro  ed.  Keil  II  cap.  10,  7—9. 

2* 


30  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

ungefähr  von  Alessio  bis  Sebenico,  aber  es  war  mehr  ein  Bund, 
als  ein  Reich;  die  nördlichen  Stämme  fielen  bald  ab.  Als  Resi- 
denz wird  Skodra  (Skutari),  als  Hauptfestung  Rhizon  (Risano)  ge- 
nannt. Theopomp  und  Polybios  schildern  die  fröhlichen  Gelage 
dieser  Illyrier,  von  welchen  die  Frauen  ihre  angeheiterten  Gatten 
nach  Hause  zu  fuhren  pflegten.  Ganz  unmäßig  aßen  und  tranken 
täghch  die  Ardiäer;  auch  die  Könige  Agron  und  Gentius  bezechten 
sich  in  arger  Weise. 

Die  Berge  und  Wälder  erleichterten  die  Verteidigung  des 
Landes.  Die  „fast  uneinnehmbaren"  Wohnsitze  der  Pirusten  und 
Däsitiaten  schildert  Vellejus  Paterculus,  Legat  im  dalmatinischen 
Kriege  unter  Augustus.  Die  endlosen  Fehden  und  Raubzüge  be- 
förderten das  Eotstehen  großer  Waldwüsten.  Eine  solche  absicht- 
lich unbewohnt  gemachte  Wüstenei  befand  sich  an  der  Grenze 
der  Makedonier  gegen  die  Dardaner,  später  um  das  Land  der 
keltischen  Skordisker  herum.  Das  sind  die  noch  in  der  spät- 
römischen „  Dimensuratio  provinciarum "  erwähnten  „Wüsten  Dar- 
daniens"  (deserta  Dardaniae)  ^).  Diese  Wälder  konnten  mit  ihrer 
Tierwelt  Jägern  und  Fischern  den  ganzen  Lebensunterhalt  ge- 
währen. Die  Hauptbeschäftigung  blieb  aber  die  Viehzucht,  mit 
Herden  von  Schafen  und  Ziegen.  Plinius  findet  die  hiesige  Schaf- 
wolle etwas  zu  rauh,  lobt  aber  den  Käse  der  Dokleaten  (caseus 
Docleas)  in  den  „Alpes  Delmaticae".  Eine  Reichsbeschreibung 
um  350  V.  Chr.  nennt  den  Käse  von  Dardanien  und  Dalmatien. 
Zum  Ackerbau  war  das  Land,  nach  einer  Bemerkung  des  Strabo, 
wenig  geeignet;  die  Japoden  bauten  Spelt  (ileid)  und  Hirse  (ytcyxQog). 
Als  Getränk  dienten  vor  der  Verbreitung  des  Weines  verschieden- 
artige prähistorische  Biere,  bereitet  aus  Hirse,  Gerste,  Weizen, 
aus  Kräutern  und  Wurzeln:  der  ßqvxog  der  Thraker,  die  jcaqaßiri 
und  das  Ttlvov  der  Paionen,  das  „camum"  der  Pannonier,  die 
„sabaia"  (oder  sabaium)  der  Illyrier  '^).  Von  den  Gewerben  ist 
vor  allen  der  Bergbau  zu  nennen.     Seine   ersten  Anfänge   waren 


1)  Polybios   XXVIII   cap.   8.      Livius   XLIII   cap.   20.     Strabo 
VII  p.  318.     Geogr.  lat.  minores  ed.  Riese  p.  11. 

2)  Tomas  fhek,  Die  alten  Thraker  2,  7  f.    01c  k  bei  Pauly-Wissowa 

3,  1,  461  (Art.  Bier). 


Illyrier,  Thraker,  Helleuen,  Kelteo.  31 

das  Auswaschen  von  Metallkörnern  aus  dem  Flußsand :  des 
Magneteisens,  wie  heute  noch  in  Bulgarien  und  Makedonien,  be- 
sonders aber  des  Goldes.  Eine  höhere  Stute  war  die  trockene 
Arbeit  bei  den  Erzgängen.  Spuren  uralter  Bergmannsarbeit,  mit 
Werkzeug  der  Hallstätter  Periode,  fand  man  jüngst  in  den 
Zinnober  und  Silber  führenden  Löchern  der  Suplja  Stena  (serb. 
„hohle  Wand'')  am  Berge  Avala  bei  Belgrad,  ein  verfallenes 
Kupferbergwerk  aus  der  Bronzezeit  im  Dorfe  Bor  bei  Zajecar  ^). 
Die  Hausindustrie  beschäftigte  sich  mit  der  Verarbeitung  der  Pro- 
dukte der  Viehzucht,  mit  Metallgießerei  und  Töpferei,  der  Herstellung 
von  Kleidern,  Waffen  und  Gerät  für  die  Jagd,  Fischerei  und  den 
Krieg.  Bei  der  Küstenschiffahrt  war  die  Versuchung  zum  See- 
raub naheliegend. 

In  der  vorrömischen  Zeit  wohnte  die  Bevölkerung  meist  in 
höheren  Lagen;  erst  unter  der  Römerherrschaft  wurden  die  Täler 
dichter  besiedelt.  Die  Nachbarschaft  großer  Waldtiere  und  die 
vielen  Kriege  nötigten  schwer  zugängliche  Behausungen  anzulegen. 
Natürliche  Höhlen  dienten  als  Wohnungen,  Festungen  oder  als 
gottesdienstliche  Räume.  Bei  dem  Zug  des  Crassus  (29  v.  Chr.) 
schlössen  sich  die  Mösier  samt  ihren  Herden  in  der  großen  Höhle 
Keiris  ein  und  mußten  von  den  Römern  belagert  und  ausgehungert 
werden.  Nach  Strabo,  der  unter  Kaiser  Tiberius  schrieb,  wohnten 
die  Dardaner,  die  bei  den  Griechen  als  ein  äußerst  unreines,  un- 
gewaschenes Volk  galten,  in  Höhlen  unter  Düngerhaufen  und 
unterhielten  sich  in  diesen  Verstecken  mit  Flöten  und  Saiten- 
instrumenten. Paulinus  von  Nola  sagt  in  einem  Gedicht  an  den 
Bischof  Nicetas  von  Remesiana  (um  40ü),  daß  die  thrakischen 
Bessen  in  Höhlen  wohnen  (in  antris  viventes).  In  den  Steppen 
an  der  mittleren  und  unteren  Donau  bedingte  der  Mangel  an 
Stein  und  Holz  die  Errichtung  von  Grubenwohnungen,  seit  dem 
Altertum  bis  auf  unsere  Tage.  Sehr  verbreitet  waren  Pfahlbauten 
auf  Seen  und  Flüssen,  so  anschaulich  beschrieben  von  Herodot 
bei  den  von  Fischfang  lebenden  Paionen  auf  dem  See  Pra- 
sias  im  südlichen  Makedonien.  Die  Pfahldörfer  der  Daker  mit 
ihren   kegelförmigen    Hütten   sind  abgebildet   auf  den  Reliefs   der 


1)  Vasic,  Godi§njak  19  (1905)  263 f. 


33  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Trajanssänle.  Reste  der  Ansiedlungen  von  Fischern  und  Jägern, 
die  auch  etwas  Ackerbau  trieben  und  in  Hütten  auf  einem  Pfahl- 
werk von  Eichen-  und  Ahornstämmen  wohnten,  fand  man  in  der 
Save  auf  dem  bosnischen  Ufer  bei  Bosnisch  Gradiska,  auf  dem 
kroatischen  bei  Novigrad  in  der  Nähe  von  Brod,  und  in  der  Una 
bei  Ripac.  Das  reichhaltige  Inventar  reicht  von  Lanzenspitzen 
aus  Hirschhorn  und  steinernen  Pfeilspitzen  bis  zur  Eisenzeit;  die 
Zeit  bestimmen  barbarische  Nachahmungen  der  Tetradrachmen 
des  makedonischen  Königs  Philipp  H. ,  an  der  Una  römische 
Münzen  der  Kaiserzeit  ^).  Zu  Verteidigungs-  und  Kultuszwecken 
waren  die  hochgelegenen  Wallburgen  errichtet,  meist  in  kreisrunder 
oder  elliptischer  Form,  wie  z.  B.  die  zahlreichen  Umwallungen 
auf  der  Hochebene  von  Glasinac,  die  große  Wallburg  auf  dem 
Berge  Vrsnik  zwischen  Ötolac  und  Ljubinje  mit  vier  konzentri- 
schen Ringen,  die  zusammen  an  35  000  Quadratmeter  einschließen, 
die  Burg  auf  dem  Berge  Kicin  bei  dem  mittelalterlichen  Schloß 
von  Blagaj  an  der  Narenta  -).  Andere  Burgen  hatten  schon  Stadt- 
mauern nach  hellenischem  und  römischem  Muster.  Im  Karstgebiete 
dienten  einige  von  der  illyrischen  Zeit  bis  auf  unsere  Tage  stets 
als  Festungen,  wie  Medeon  im  Gebiet  der  Labeaten,  wo  der  Legat 
Perperna  die  Königin  Etleva  mit  den  Söhnen  des  illyrischen  Königs 
Gentius  gefangen  genommen  hat,  Medione  des  Geographen  von 
Ravenna,  Medonum  in  den  Urkunden  des  15.  Jahrhunderts.  Es 
ist  das  heute  noch  wohlbekannte  Medun,  ein  hochgelegenes  Kastell 
mit  Resten  kyklopischer  Mauern  und  uralter  Felseutreppen  auf 
einem  weißen  Kalkfelsen  im  Gebiete  des  Stammes  der  Kuci,  im 
Osten  von  Montenegro  ^).  Im  Innern  der  W^allburg  von  Kicin 
fand  man  eine  Anzahl  kreisrunder  Hütten  aus  trocken  zusammen- 
gelegten Steinblöcken  mit  engem  Eingang.  Im  Waldgebiete  sahen 
die  illyrischen  Dörfer  wohl  nicht  anders  aus,  als  die  thrakischen 
in  den   Zeiten  des   Xenophon:    weit  voneinander  zerstreute   Holz- 


1)  Radimsky,  Truhelka  u.  a.:  Wiss.  Mitt.  5  (1897)  und  9  (1904). 
BruQsmid.  Vjesnik  arheol.  N.  S.  4  (1900). 

2)  Radimsky,  Die  prähist.  Fundstätten   96f.,   117f.     Wiss.   Mitt.    2, 
20,  52  f. 

3)  Evans,  Illyricum  I— II,  84—86;  Kretschmer  a.  a.  0.  257;  meine 
Rom.  Dalm.   1,  58;  Rovinskij,  Sbornik  russ.  Akad.  86  (1909)  S.  81. 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  33 

häuser,  bei  Nacht,  auch  im  Winterschnee  schwer  auffindbar,  ein 
jedes  ringsherum  umschlossen  von  einem  Zaun  aus  hohen  Pfählen  ^). 
Die  Götter  der  Illyrier  werden  noch  auf  den  Inschriften  der 
Römerzeit  abgebildet  und  genannt:  der  eine  Waffe  schwingende 
Kriegsgott  Medaurus  auf  feurigem  Roß,  der  Wasser-  und  Quellen- 
gott Bindus  bei  den  Japoden,  die  Göttinnen  Latra  im  Lande 
der  Liburner,  Sentona,  Iria  und  Ica  in  Istrien  usw.  Merk- 
würdigerweise fehlt  jede  Erwähnung  von  Priestern  -).  In  der 
Römerzeit  wurden  die  einheimischen  Götter  durch  die  ähnlichen 
römischen  verdrängt,  besonders  durch  Silvanus  (Pan),  Diana,  Liber 
und  Libera.  Schon  früher  fanden  hellenische  Götter-  und  Heroen- 
kulte Eingang  ins  Küstengebiet.  Ein  Sohn  des  Kadmos  und  der 
Harmonia,  deren  Giäber  man  bei  Rhizon  zeigte,  lUyrios  genannt, 
erscheint  in  griechischen  Quellen  als  mythischer  Stammvater  des 
einheimischen  Königsgeschlechtes  ^).  Eine  andere  Genealogie  bei 
Appian  macht  Illyrios  zum  Sohn  des  Kyklopen  Polyphem  und 
der  Nymphe  Galateia;  von  ihren  Söhnen  und  Töchtern  führen  die 
illyrischen  Stämme  ihre  Namen,  von  Autarieus,  Dardanos,  der 
Parthö,  Daorthö,  Dassarö  usw.  ^).  Reste  von  Schlangen-  und 
Drachenglauben  gab  es,  wie  aus  der  vom  Kirchenvater  Hiero- 
nymus  verfaßten  Biographie  des  heiligen  Hilarion  von  Gaza  er- 
hellt, noch  um  365  bei  Epidaur  (Ragusa  vecchia);  ein  Drache 
(boa)  soll  Menschen  und  Vieh  gefressen  haben,  bis  der  Heilige  das 
Ungeheuer  durch  Feuer  tötete.  Vom  einheimischen  Aberglauben 
ist  bei  Plinius  eine  Notiz  über  das  todbringende  böse  Auge  bei 
den  lUyriern  und  Triballern  erhalten.  Die  Toten  pflegte  man 
unter  Grabhügeln  zu  bestatten,  die  im  Karstgebiet  aus  Steinen, 
im  Binnenlande  aus  Erde  errichtet  wurden.  Sie  enthalten  aus 
derselben  Zeit  teils  Skelette,  teils  Brandgräber.  Im  alten  Thraker- 
lande sieht  man  die  höchsten  Tumuli  in  tieferen  Lagen,  in  Tälern, 
Ebenen   und   Steppen.      Bei  den  lUyriern    befinden   sich   dagegen 

1)  Xeuophon    Anabasis  VII  cap.  4. 

2)  Tomaschek  in  Bezzenbergers  Beiträgen  zur  Kenntnis  der 
indogernti.  Sprachen  9  (1884).  Dr.  C.  Patsch  in  den  Wissensch.  Mitt., 
Band  5—7  und  den  Jahresheften  6  (1903)  72—73  (Medaurus). 

3)  Geographi  graeci  min.  1,  31. 

4)  Appian,  lUyr.  cap.  2. 


34  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

große  Nekropolen  meist  auf  öden  Bergen;  wahrscheinlich  wollte 
man  die  Toten  recht  hoch,  in  der  Nähe  des  Himmels,  der  Sterne, 
des  Mondes  und  der  Sonne  zur  ewigen  Ruhe  bestatten.  Alle 
bisher  untersuchten  großen  Grabfelder  stammen  aus  der  ersten 
Eisenzeit,  mit  wenigen  Spuren  griechischen  Einflusses,  vor  allem 
die  von  Hoernes  und  anderen  gründlich  erforschte  riesige  Nekro- 
pole  von  Glasinac  in  den  Bergen  östlich  von  Sarajevo.  An  Gla- 
sinac  erinnern  die  Funde  auf  dem  „Berg  der  Gräber"  bei  dem 
Dorf  Komana  in  Albanien,  in  den  Engpässen  des  Drim  östlich 
von  Skutari.  Dasselbe  gilt  von  einem  Gräberfeld  mit  ungefähr 
200  Tumuli  in  den  Bergen  zwischen  Cacak  und  Arilje  im  König- 
reich Serbien,  bei  den  Dörfern  Negrisor  und  Markovica  i). 

Die  östlichen  Nachbarn  der  Illyrier  waren  die  Thraker,  ver- 
breitet von  den  siebenbürgischen  Karpathen  über  die  Donau  und 
den  Hämus  bis  über  die  Meerengen  hinüber  nach  Kleinasien,  wo 
die  Phrygen,  Mysier  und  Bithynen  zu  ihnen  gehörten.     Die  Orts- 
namen ihrer   Burgen   (-diza,    -dizos),    Dörfer    (-dava,   -para)   und 
Thermen  (germ-)  sind  in  großer  Anzahl  bekannt.    Die  thrakischen, 
meist  zweistämmigen  Personennamen,   die  noch  in  Justinians  Zeit 
vorkommen,  sind   ganz   verschieden   von    denen    der  Illyrier   und 
erinnern  an  die   der  Armenier   und  Perser:  Auluporis,  Bithitralis, 
Dinikenthos,  Mukaporis,  Rhaiskuporis  usw.   Selten  sind  einstämmige 
Namen  oder  Kurzformen,  wie  Kotys ,  Bithys   oder  Seuthes.     Auf- 
fällig war  den  Fremden  die  thrakische  Sitte  der  Tätowierung,  die 
Strabo  auch  bei  den  Japoden  in  Illyricum  erwähnt.    Je  vornehmer 
ein  Thraker   oder   eine  Thrakerin    war,   desto   zahlreicher   waren 
die  waschechten,  mühsam  mit  Nadeln  eingeätzten  Zeichnungen,  die 
Antlitz   und  Glieder   zierten.      Die  Kleidung   bestand   im    Norden 
aus   Schafpelzen    und   weiten    Hosen,   im   Süden   aus   Fellen   und 
feinem,  sehr  bunt  gefärbten  Hanfzeug.    Allgemein  verbreitet  waren 
die  aus  den  Bildern  der  Trajanssäule  bekannten  und  noch  gegen- 
wärtig in  den  Ostkarpathen,  auf  der  Balkanhalbinsel,  im  Kaukasus 
und   in  Persien   landesüblichen  Pelzmützen.      Die   soziale  Stellung 
des  Weibes  war,  im  Gegensatz  zu  den  Illyriern,  eine  untergeordnete. 
Die  Vornehmen  lebten  in  Vielweiberei ;  je  reicher  der  Mann  war, 

1)  Trojanovic,  Starinar  9  (1892)  1—23. 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  35 

desto  mehr  Frauen  durfte  er  sich  kaufen.  Oberhäupter  der  Stämme 
waren  erbhche  Könige;  bei  den  Bessen,  Mosern  und  Geten  übten 
die  Priester  einen  großen  Einfluß  aus.  Größere  Bundesstaaten 
bildeten  sich  zwei:  im  Süden  unter  der  Führung  der  Odryser, 
welche  in  der  Landschaft  von  Adrianopel  ihre  Heimat  besaßen, 
im  Norden  unter  den  Königen  der  Daker.  Es  war  eine  kriegerische 
Nation,  deren  Tapferkeit  von  den  Zeiten  der  Perserkriege  bis  zur 
Regierung  Justinians  weltbekannt  blieb.  Der  Odryserkönig  Si- 
talkes  konnte  nach  Thukydides  150000  Mann  ins  Feld  stellen. 
Strabo  schätzt  die  Mannschaften  Thrakiens  auf  215  000  Mann. 
Herodot  schildert  die  Thraker  als  ein  faules  Volk.  Nel-'en  der 
Viehzucht,  besonders  Pferdezucht,  und  dem  Fischfang  war  der 
Ackerbau  schwach,  begleitet  vom  Weinbau.  Die  Urheimat  der 
Weinkultur  sucht  man  überhaupt  am  Schwarzen  Meere,  wo  die 
Rebe  noch  wild  wachsend  vorkommt,  sei  es  in  Thrakien  oder  in 
Mingrelien.  Von  den  Gewerben  ist  der  Bergbau  zu  erwähnen, 
nicht  nur  Gold-  und  Eisensandwäscherei,  sondern  auch  die  von 
Vegetius  in  der  Theorie  des  Belagerungskrieges  erwähnten  unter- 
irdischen Stollen  (cuniculi)  der  Bessen.  Berüchtigt  war  die  Trunk- 
sucht der  Thraker.  Es  gab  aber  auch  in  dieser  weiteutfernten 
Zeit  eine  Abstinenzbewegung.  Wie  Strabo  berichtet,  fand  man 
bei  den  Mosern  Asketen,  welche  kein  Fleisch  aßen  und  von  Honig, 
Milch  und  Käse  lebten;  ebenso  traf  man  neben  der  herrschenden 
Polygamie  fromme  Thraker,  die  ohne  Weiber  lebten.  Der  Daker- 
könig  Burebistas  hat,  um  seine  Truppen  nüchterner  und  folgsamer 
zu  machen,  das  Volk  überredet,  die  Weingärten  auszurotten. 

Bei  den  thrakischen  Götterkulten  ^)  fehlte  es  mitunter  nicht 
an  Menschenopfern.  Der  bärtige  Licht-  und  Donnergott  Zbel- 
thiurdos  wurde  später  identifiziert  mit  Zeus.  Bendis,  die  thrakische 
Artemis,  ist  auf  den  Bildwerken  mit  Bogen  und  Pfeil  auf  einem 
Hirsch  reitend  dargestellt,  begleitet  von  Jagdhunden.  Die  meist- 
genannten Götter  waren  aber  Savadios  oder  Sabazios  und  der 
ihm  verwandte  Dionysos,  dessen  Verehrung  mit  lärmenden  Trink- 
gelagen und  Orgien  ihren  Mittelpunkt  bei  dem  Bergtempel  der 
Bessen  in   den  Koniferenwäldern   der  Rhodope   hatte.     Auf  Stein- 


1)  Dobrusky,  Sbornik  bulg.  16-17  (1900)  1—146. 


36  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

tafeln  aller  Größen,  gefunden  von  Konstantinopel  bis  Belgrad,  ist 
abgebildet  der  thrakische  Herosgott  oder  der  „thrakische  Reiter", 
begleitet  von  Hunden,  Ebern,  Hirschen  oder  Löwen.  Abseits 
stehen  die  Geten  mit  ihrem  Naturgott  Salmoxis,  dessen  Hohepriester, 
der  Ratgeber  des  Königs,  nach  Strabo  in  der  Höhle  eines  heiligen 
Berges  hauste.  Wie  der  vornehme  Thraker  begraben  wurde,  ist 
bei  Herodot  zu  lesen :  die  Lieblingsfrau  wurde  getötet  und  mit- 
begraben, Kampfspiele  gefeiert  und  ein  hoher  Grabhügel  (x^fxa) 
aufgeschüttet. 

Von  den  Stämmen  des  Binnenlandes  erscheinen  im  Goldland 
Siebenbürgens  zuerst  die  Agathyrsen ,  später  die  Daker ,  die  man 
als  ihre  Nachkommen  betrachtet,  verwandt  mit  den  benachbarten 
Geten  an  der  unteren  Donau  und  der  pontischen  Küste  ^).  Die 
ältesten  in  der  Geschichte  erwähnten  Bewohner  des  heutigen  König- 
reichs Serbien  waren  die  mächtigen  und  kriegerischen  Triballer. 
Herodot  kennt  in  diesem  Lande  zwei  Flüsse:  Angros,  der  aus 
dem  Lande  der  lUyrier  kommt,  ohne  Zweifel  die  westliche  Morava 
samt  dem  Ibar,  und  Brongos  (Bargos  des  Strabo,  Margus  der 
Römer),  der  in  den  Istros  fließt,  wohl  die  südliche  und  die  ver- 
einigte Morava.  Am  Zusammenfluß  beider  befand  sich  die  Ebene 
der  Triballer  {rtEÖiov  rö  TgißaHi/Mi').  In  der  Zeit  des  Thuky- 
dides  wollte  der  Odryserkönig  Sitalkes  seine  Macht  über  den 
Fluß  Oskios  (Isker)  gegen  Norden  ausbreiten,  fiel  aber  in  einer 
Schlacht  gegen  die  Triballer,  deren  Gebiet  sich  nach  Strabo  fünf- 
zehn Tagereisen  weit  vom  oberen  Strymon  bis  zur  Donau  aus- 
dehnte. Später  kämpften  sie  mit  den  Makedoniern,  Philipp  H. 
und  Alexander  dem  Großen,  dem  sich  der  Tribalierkönig  Syrmos 
unterwerfen  mußte  (334  v.  Chr.),  worauf  eine  Schar  Triballer  an 
dem  Zug  Alexanders  nach  Persien  teilnahm.  Gebrochen  wurde 
ihre  Macht  von  den  keltischen  Skordiskern.  TrebalHa  hieß  nach 
der  römischen  Eroberung  ein  Landstrich  Westbulgariens,  wo  der 
Geograph  Ptolemaios  Oescus  an  der  Iskermündung  als  Stadt   der 


1)  Die  von  Herodot  nördlich  von  den  Thrakern  im  heutigen  Ungarn 
erwähnten  Sigyuner,  ein  Noraadenvolk  medischea  Ursprungs,  gehören  nach 
Müllenhof f,  Deutsche  Altertumskunde  3,  2  ans  Kaspische  Meer,  wo  sie 
Strabo  nennt  und  beschreibt. 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  37 

Triballer  bezeichnet  i).  Ihre  Erben  und  Verwandten  waren  die 
Moser  (Moiser  und  Myser  der  Hellenen),  gleichnamig  den  Mysiern 
in  Kleinasien,  am  Flusse  Timacus  (Timok)  und  weiter  gegen 
Osten.  Die  östlichen  Nachbarn  der  Dardaner  waren:  die  Serden, 
deren  Hauptort  Serdica  sich  in  der  Römerzeit  zu  einer  großen 
Stadt  entwickelte  (jetzt  Sofia),  die  Danthaleten  bei  Küstendil  und 
die  Maiden  (Maedi)  im  Gebiete  der  Bregalnica.  Die  Römer  über- 
trugen fast  auf  alle  Thraker  den  Namen  der  Bessen  der  Rhodope, 
welche  ihnen  den  größten  Widerstand  leisteten. 

Von  großem  Einfluß  auf  diese  Völker  war  der  Verkehr  mit 
den  Hellenen.  An  den  Gestaden  lllyriens  war  aber  die  hellenische 
Schiffahrt  und  Kolonisation  nie  so  intensiv,  wie  im  Pontus.  Ko- 
lonien der  dorischen  Bürger  von  Korkyra  (Korfu),  gegründet  im 
7.  und  6.  Jahrhundert  v.  Chr.,  waren  Epidamnos,  später  Dyrrha- 
chion  genannt  (Durazzo),  im  Altertum  und  Mittelalter  stets  eine 
große  Stadt,  erst  seit  Ende  des  Mittelalters  infolge  der  Abschließung 
der  benachbarten  Lagune  verfallen,  und  Apollonia  an  der  Mün- 
dung des  Aoos  (Vojussa),  verödet  seit  den  Zeiten  Justinians  durch 
die  Versumpfung  der  Landschaft.  Spärlich  waren  die  Ansied- 
lungen  auf  den  dalmatinischen  Inseln:  Issa  (Lissa),  Pharos  (ital. 
Lesina,  kroat.  Hvar  oder  Far)  und  Schwarz  -  Korkyra  {KcQ/.iqa 
J\IeXaiva,  jetzt  Curzola).  Hellenischen  Ursprungs  ist  z.  B.  auch 
der  Name  der  allerdings  erst  seit  Cäsars  Zeit  genannten,  nach 
den  Inschriften  später  rein  lateinischen  Stadt  Epidaur  (Ragusa 
vecchia).  Eine  Ansiedlung  der  Hellenen  von  Issa  war  Tragurion 
(Trau)  auf  einem  kleinen  Inselchen  nahe  an  der  Küste,  eine  Kolonie 
der  Syrakusaner  Lissos  (Alessio)  mit  der  durch  kyklopische 
Burgmauern  befestigten  Akropole  Akrohssos  an  der  Mündung  des 
Drilon  (Drim).  Ein  reger  Handel  entwickelte  sich  an  der  Mün- 
dung des  Naron  (Narenta),  wo  die  Schiffe  den  Fluß  eine  Strecke 
aufwärts  bis  zu  einem  Handelsplatz  hinauffuhren,  der  Stadt  Na- 
rona  der  Römerzeit.  Die  Kaufleute  brachten  den  Illyriern  Ton- 
gefäße, Schmuckgegenstände,  Glaswaren,  Waffen,  wohl  auch  Wein 
und  Seesalz.  Griechische  Bronzehelme  der  korinthischen  Form, 
bekannt  aus  den  Funden   von  Olympia,   fand    man   in   Albanien, 


1)  Tomaschek,  Die  Thraker  1,  87—90.    Vulic,  Klio  9  (1907)  490. 


38  Erstes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Dalmatien,  Bosnien  und  Serbien.  Die  größte  Verbreitung  hatten 
im  Innern  des  Landes  bis  in  den  Anfang  der  römischen  Kaiser- 
zeit die  Münzen  von  Dyrrhachion  und  Apollonia,  wohlbekannt  aus 
den  Funden  von  ganz  Albanien,  Bosnien,  Kroatien,  Serbien,  Bul- 
garien, Ungarn  und  Siebenbürgen.  Parallel  damit  sind  im  Osten 
der  Halbinsel  die  Silbermünzen  von  Thasos  verbreitet  über  Bul- 
garien und  Serbien  bis  nach  Siebenbürgen.  Bald  begannen  auch 
einheimische  Herrscher  und  Gemeinden  Münzen  mit  griechischen 
Aufschriften  zu  prägen:  paionische,  thrakische,  illyrische  Könige^ 
die  Städte  Rhizon  und  Skodra,  das  Volk  der  Daorser  u.  a.  Eine 
hellenische  Großmacht  war  das  Königreich  der  Makedonier,  wel- 
ches sich  aus  einem  kleinen  Gebiet  westlich  von  Thessaionich  durch 
Eroberungen  längs  des  Weges  von  Dyrrhachion  nach  Byzanz  zu 
einem  großen  Staate  entwickelte;  zeitweihg  reichte  es  aus  Thrakien 
nordwärts  bis  zu  den  Donaumündungen.  Das  Quellgebiet  des 
Vardar  und  der  Struma  mit  den  Ländern  der  Paionen  und  später 
der  Dardaner  blieb  aber  meist  außerhalb  der  Grenzen  dieses 
Königreichs.  Auch  den  illyrischen  Nordwesten  der  Halbinsel  be- 
rührten die  Feldzüge  der  Makedonier  nicht. 

Eine  große  Umwälzung  in  den  ethnographischen  Verhältnissen 
der  Donauländer  brachte  der  Vorstoß  der  Kelten,  welche  bei  den 
Griechen  meist  unter  dem  Namen  der  Galater  bekannt  waren. 
Aus  den  Ostalpen  und  aus  Pannonien  begannen  sie  in  die  Hämus- 
halbinsel  vorzudringen.  Die  Japoden  bezeichnet  Strabo  als  ein 
„zugleich  keltisches  und  illyrisches"  Mischvoik.  Der  makedonische 
König  Ptoleraaios  Keraunos  fiel  im  Kampfe  gegen  die  „Galater" 
(280  V.  Chr.),  welche  dann  vor  den  Tempeln  von  Dodona  und 
Delphi  in  Hellas  erschienen.  Im  heutigen  Königreich  Serbien  ließ 
sich  damals  der  unternehmende  und  tapfere  Stamm  der  Skordisker 
nieder.  Nach  Strabo  waren  sie  vei'mengt  mit  illyrischen  und 
thrakischen  Einwohnern  und  zerfielen  in  zwei  Gruppen :  die 
„großen"  Skordisker  westlich  von  der  Morava  bis  zur  Save,  die 
„  kleinen "  östUch  von  der  Morava  bis  zu  den  Grenzen  der  Moser 
und  Triballer.  Ihre  Burg  Singidunum  an  der  Stelle  der  heutigen 
Festung  von  Belgrad  bewahrte  ihren  keltischen  Namen  bis  zum 
7.  Jahrhundert  n.  Chr.  Kapedunum  des  Strabo  ist  nach  Patsch 
vielleicht   die   auf   den    Inschriften    der    Kaiserzeit    abgekürzt   als 


Illyrier,  Thraker,  Hellenen,  Kelten.  29 

Cap  . . .  bezeichnete  Stadt  bei  Uzice.  Nach  Tomaschek  sind  auch 
Naissus  (Nis),  Remesiana  (Bela  Palanka)  und  viele  andere  Namen 
keltisch^).  Ob  der  Name  Danuvius,  welcher  den  älteren  thra- 
kischen  Istros  verdrängte,  keltisch  oder  iranisch  ist,  bleibt  noch 
zu  erweisen  ^).  Die  Skordisker  bereiteten  den  Römern  nach  der 
Eroberung  Makedoniens  viele  Sorgen,  bis  ihre  Kraft  vollständig 
gebrochen  war  und  ihre  Reste  von  den  Siegern  durch  Übersiedlung 
in  die  Ebenen  Pannoniens  unschädlich  gemacht  wurden. 


1)  Tomaschek,    Zeitschr.   f.    öst.  Gymn.    1878,    204;    Die   Thraker 
1,  90  f.     Eine  Monographie  über  die  Skordisker  fehlt. 

2)  Sobolevskij,  Arch.  slav.  Phil.  27  (1905)  243. 


Drittes  Kapitel. 

Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen  ^j. 

Die  Römer  wurden  von  den  Hellenen  gegen  die  Illyrier  zu 
Hilfe  gerufen,  als  die  aus  leichten  Booten  mit  je  50  Mann  Be- 
satzung bestehenden  Piratenflotten  des  illyrischen  Königs  Agron 
Korkyra  (Korfu)  eroberten  und  die  Westküste  des  Peloponnesos 
plünderten.  Eben  war  Agron  gestorben,  und  für  seinen  unmün- 
digen Sohn  Pinnes  regierte  dessen  Stiefmutter  Teuta.  Die  Kon- 
suln Centumalus  und  Albinus  zwangen  mit  Flotte  und  Landheer 
die  illyrische  Königin  zum  Frieden,  nach  welchem  ihre  Leute  süd- 
wärts über  Lissa  hinaus  nur  zu  Handelszwecken  mit  unbewaffneten 
Schiffen  fahren  durften  (229  v.  Chr.).  Das  Königreich  von  Skodra 
wurde  in  der  folgenden  Zeit  als  ein  Gegengewicht  gegen  Make- 
donien unterstützt,  bis  der  junge  König  Gentius  sich  mit  König 
Perseus  verbündete  und  bei  dem  Untergang  des  makedonischen 
Reiches  mitgerissen  wurde,  um  als  Gefangener  den  Triumph  der 
Sieger  in  Rom  zu  zieren  (168  v.  Chr.).  Sein  Land  wurde  in 
Gruppen    von    autonomen    Gemeinden    geteilt.      Die    unmittelbare 


1)  Literatur:  G.  Zippel,  Die  röm  Herrschaft  in  Illyricn  bis  auf 
Augustus,  Leipzig  1877.  J.  Jung,  Die  romanischen  Landschaften  des 
röm.  Reiches,  Innsbruck  1881;  derselbe,  Römer  und  Romanen  in  den 
Donauländern  ,  2.  A.  eb.  1887.  M  o  m  m  s  e  n ,  Röm.  Geschichte ,  Bd.  5. 
Untersuchungen  von  A.  J.  Evans  über  ganz  Illyricum  in  der  Archaeologia 
Bd.  48—49  (1883—1885),  C.  Patsch  über  Dalmatien  in  den  Wiss.  Mitt. 
Bd.  4fF;  über  Serbien  Premerstein,  Vulic  und  Ladek,  Jahreshefte 
Bd.  3 f.,  serb.  Studien  von  Vulic  im  Glas  Bd.  72  f.  und  Spomenik  Bd.  38 f. 
Völkerwanderungen :  die  bekannten  Werke  von  Seeck,  Güldeupenning, 
Bury,  Diehl,  Hartmann;  serbisch  S.  Stanojevic,  Byzanz  und  die 
Serben,  2  Bde.,  Neusatz  1903—1906. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  3  t 

Herrschaft  der  Römer  beschränkte  sich  in  Dabnatien  lange  Zeit 
nur  auf  die  Küste,  an  welcher  allmählich  auch  römische  Kolonien 
entstanden.  Mit  den  Bergstämmen,  besonders  den  Ardiäern  und 
Delmatern,  wurde  oft  gekämpft,  nicht  immer  mit  Glück.  Unter 
dem  ersten  Triumvirat  war  dieses  Gebiet  Cäsar  zugeteilt.  Wäh- 
rend des  Bürgerkrieges  hielten  es  hier  die  lUyrier  und  Griechen  mit 
Pompejus,  die  römischen  Ansiedler  mit  Cäsar. 

Mit  dem  Innern  der  Halbinsel  wurden  die  Römer  nach  der 
Besetzung  Makedoniens  bekannt  (146  v.  Chr.).  Die  Provinz 
Macedonia  umfaßte  auch  das  heutige  Mittelalbanien  mit  Dyrrhachion, 
reichte  aber  im  Norden  nur  bis  zur  Grenzfestung  Stobi  (bei 
Gradöko)  am  Zusammenfluß  des  Axios  (Vardar)  mit  dem  Erigon 
(Cerna).  An  ihrer  Nord-  und  Ostgrenze  wurde  fast  ununterbrochen 
Krieg  geführt,  nicht  nur  mit  den  unmittelbaren  Nachbarn,  sondern 
auch  mit  fernereu  Völkern,  den  Skordiskern  und  den  Bewohnern 
der  Karpathen,  den  Dakern  und  dem  gallogermanischen  Mischvolk 
der  Bastarnen.  Die  sehr  spärlichen  Nachrichten  lassen  den  Cha- 
rakter dieser  erbitterten  Kämpfe  klar  genug  erkennen.  Die  Skor- 
disker  z.  B.  schlachteten  die  römischen  Gefangenen  ihren  Kriegs- 
göttern zum  Opfer  und  tranken  angeblich  ]\Ienschenblut  aus  den 
Schädeln,  ebenso  wie  die  Priester  der  keltischen  Bojer  bei  Bologna 
aus  dem  vergoldeten  Schädel  eines  gefallenen  Konsuls  i).  Die 
einzige  Großmacht  der  Donauländer  waren  die  Daker  unter  König 
Burebistas,  dem  sich  auch  ein  Teil  der  Thraker  südHch  von  der 
Donau  unterworfen  hatte  und  der  angeblich  200  000  Mann  auf- 
bieten konnte.  Cäsar  begann  kurz  vor  seinem  Tode  (44  v.  Chr.) 
Rüstungen  gegen  ihn,  doch  wurde  der  König  bald  darauf  ermordet, 
worauf  sein  Land  wieder  in  Teilfürstentümer  zerfiel. 

Rom  mußte  sein  Gebiet  bis  zu  einer  natürlichen  Grenze  er- 
weitern, in  diesem  Teile  von  Europa  bis  zur  Donau.  Die  Berg- 
länder von  lUyricum  unterwarf  während  des  zweiten  Triumvirates 
Cäsars  Adoptivsohn  Octavianus,  von  Aquileja  und  Siscia  aus,  be- 
sonders durch  Siege  über  die  Japoden  und  Delmater  (35 — 33 
v.  Chr.).  Nach  Abschluß  der  Bürgerkriege  schlug  Crassus  als 
Statthalter    von    Makedonien    die    Bastarnen    am    Flusse    Cebrus 


1)  Ammiauus  XXVII  cap.  4,  4;  vgl.  Livius  XXIII,  24. 


33  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

(Cibrica)  und  unterwarf  die  Moser  (29  v.  Chr.).  Nach  neuen 
Feldzügen  des  Tiberius,  des  Stiefsohnes  des  Augustus,  wie  nun 
Octavianus  hieß,  war  die  Donaugrenze  erreicht.  Bald  folgte  aber 
der  große  dalmatisch-pannonische  Aufstand,  geführt  von  den  beiden 
Batonen  aus  den  Stämmen  der  Breuker  und  Däsitiaten ,  an  der 
Spitze  von  200000  Fußgängern  und  8000  Reitern  (6  —  9  n.  Chr.). 
Die  Sache  der  lUyrier  war  bald  verloren  durch  Rivalitäten  unter 
den  Anführern.  Zuletzt  wurde  Bato  der  Däsitiate  in  Andetrium 
(Mud  oberhalb  Spalato)  belagert  und  zur  Unterwerfung  gezwungen; 
er  schloß  sein  Leben  als  Gefangener  in  Ravenna.  Der  mißlungenen 
Erhebung  folgte  kein  Wiederholungsversuch. 

An  der  Donau,  ebenso  wie  früher  am  Rhein,  hielten  die  römi- 
schen Eroberungen  eine  beginnende  Völkerwanderung  zurück.  Jen- 
seits der  Grenze  gingen  die  Völkerverschiebungen  ohne  Hindernis 
vor  sich.  Die  iranischen  Hirten-  und  Reitervölker  der  pontischen 
Steppe  bewegten  sich  langsam  gegen  Westen.  Zuletzt  waren  es 
die  in  den  Zeiten  des  Herodot  zwischen  Don  und  Wolga  hausen- 
den Sarmaten,  deren  Sprache  nicht  unbekannt  ist.  Hunderte  ihrer 
Personennamen  sind  erhalten  in  den  griechischen  Inschriften  der 
Pontusstädte.  Außerdem  leben  noch  Nachkommen  eines  großen 
Stammes  dieses  Volkes,  der  Alanen  (altruss.  Jasi):  die  heutigen 
Osseten  im  zentralen  Kaukasus  ^).  Ein  Teil  dieser  Nomaden,  die 
Jazuges  oder  Jazyges,  meist  allgemein  Sarmaten  genannt,  zog  in 
die  Ebene  zwischen  Theiß  und  Donau,  wo  sie  zuerst  in  der  Zeit 
des  Kaisers  Claudius  (41 — 54)  genannt  werden.  Als  räuberisches 
Steppenvolk  mit  tätowierten  Gesichtern  wurden  sie  den  Römern 
oft  lästig.  Ihre  Reiterfiguren  mit  Halsketten,  langem  Bart  und 
Haar  und  einer  Art  phrygischer  Mütze  sind  neben  dem  Fußvolk 
der  germanischen  Markomannen  und  Quaden  auf  der  zu  Ehren 
des  Kaisers  Marcus  Aurelius  in  Rom  errichteten  Denksäule  ab- 
gebildet. Zahlreiche  Nachrichten  über  ihre  Könige  (reguli)  und 
Häuptlinge  (subreguli),  ihre  Panzer  aus  Hornschuppen,  die  wie 
Federn    auf  Leinwand    angenäht   waren,    ihre    weiten   Ritte    mit 


1)  Vsevolod  Miller  über  die  Spuren  der  Iranier  in  Siidrußland  in 
Zumal  MNP.  188(5  Okt.  Desselben  Ossetische  Studien,  russ.,  Peters- 
burg 1881—1887,  3  Bde. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  33 

Reservepferden,  auf  die  sie  rasch  umzusteigen  pflegten,  und  ihre 
Schlupfwinkel  in  den  Auen  der  Theiß  liest  man  bei  Ammianus 
Marcellinus.  Auch  nach  den  Jazygen  zogen  einzelne  Stämme 
westwärts,  so  die  Serri,  welche  Plinius  noch  am  Azowschen  Meere 
kennt,  während  Ammian  einen  Teil  der  Karpathen  als  „montes 
Serrorum"  bezeichnet  ^). 

Das  eroberte  Land  bildete  anfangs  eine  große  Provinz  Illyri- 
cutn :  Obeiillyricum  (superior  provincia  Illyrici)  in  Dalmatien, 
Unteiillyricum  in  Pannonia.  Nach  dem  illyrischen  Aufstand  wurde 
dieses  große  Verwaltungsgebiet  geteilt.  Die  Provinz  Dalmatia  mit 
der  Hauptstadt  Salona  umfaßte  die  Meeresküste  vom  Flusse  Arsia 
(jetzt  ital.  Arsa,  kroat.  Rasa)  in  Istrien  bis  jenseits  Lissus  (Alessio) 
ungefähr  bis  zum  Flusse  Mat.  Im  Norden  gehörten  beide  Saveufer 
mit  den  großen  Städten  Siscia  (Sisak)  und  Sirmium  (Mitrovica) 
zu  Pannonien.  Im  Osten  reichte  Dalmatia  weit  in  das  jetzige 
Königreich  Serbien  hinein ,  mit  Einschluß  von  Cacak ,  vielleicht 
auch  von  Rudnik.  Dort  grenzte  es  an  die  Provinz  Moesia  im 
einstigen  Lande  der  Dardaner,  Skordisker,  Triballer  und  Moser, 
errichtet  nach  dem  Vorstoß  der  Garnisonen  Makedoniens  nordwärts 
zur  Donau,  an  deren  Ufern  der  Hauptort  stand,  das  Lager  von 
Virainacium  (im  Dorfe  Kostolac  bei  Pozarevac)  Zu  Mösien  ge- 
hörte im  Süden  das  Amselfeld  und  das  oberste  Tal  des  Vardar. 
Der  Legat  von  Mösien  war  auch  der  militärische  Befehlshaber 
des  thrakischen  Donauufers  (ripa  Thraciae)  bis  zum  Schwarzen 
Meer.  Unter  Domitian  wurde  die  Provinz  geteilt:  Ober- Mösien 
westlich  vom  Cebrus(Cibrica),  Unter- Mösien,  eine  schmale  und  lange 
Grenzprovinz,  östlich  von  diesem  Flusse  bis  zum  Pontus.  Kaiser 
Claudius  (46  nach  Chr.)  zog  das  thrakische  Königreich,  das  im 
Westen  die  Landschaften  von  Küstendil,  Sofia  und  Pirot  umfaßte, 
als  Provinz  ein.  Als  Kaiser  Trajan  (107)  Dazien  eroberte,  wurde 
die  Reichsgrenze    für    anderthalb  Jahrhunderte    in    die  Karpathen 


1)  Bei  Plinius  6,  16,  19  Serri  oder  Serrei  neben  den  Cercetae  (Tscher- 
kessen)  und  Hali  (nach  Tomaschek  Dvali  des  jetzigen  ossetischen  Ge- 
bietes\  bei  Ptolemaios  von  einem  byz.  Abschreiber,  der  die  Serben  kannte, 
verwandelt  in  Zf'oßot  neben  OidXoi.  Vgl.  Müllenhoff  a.  a.  0.  3,  49  A., 
97.  Das  sind  die  angeblichen  Serben  des  Kaukasus,  von  denen  noch  in 
neueren  Büchern  die  Rede  ist. 

Jirecek,  Geschiebte  der  Serben.    I.  3 


B4  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

vorgeschoben.  Fast  drei  Jahrhunderte  nach  Augustus  brachten 
die  Reformen  des  Kaisers  Diokletian  (284  —  305)  eine  neue 
Organisation  der  Provinzen.  Das  ganze  Reich  wurde  in  4  Präfek- 
turen,  13  Diözesen  und  116  sehr  verkleinerte  Provinzen  geteilt, 
mit  Zivilstatthaltern  im  Innern,  Militärstatthaltern  an  der  Grenze. 
Auf  die  Balkanhalbinsel  entfielen  Teile  von  drei  Präfekturen.  Zur 
Präfektur  Itahens  gehörte  das  „westliche  Illyricum'*:  Paunonien, 
in  vier  Provinzen  geteilt,  und  Dalmatien,  geschmälert  durch  den 
Verlust  des  Südens,  der  sogenannten  Praevahs  in  der  Umgebung 
des  Sees  von  Skutari.  Die  kleinste  Präfektur,  nur  auf  die  Halb- 
insel von  der  Donau  bei  Belgrad  bis  nach  Kreta  beschränkt,  war 
die  von  Illyricum,  später  in  zwölf  Provinzen  geteilt,  mit  der  Haupt- 
stadt Thessalonich.  Nach  dem  Verlust  des  transdanubischen  Daziens 
wurde  darin  ein  „neues  Dazien"  südlich  der  Donau  errichtet, 
später  in  zwei  Provinzen  geteilt:  Uferdazien  (Dacia  ripensis)  von 
Orsova  bis  zum  Isker  und  das  binnenländische  Dazien  (Dacia 
raediterranea)  in  den  Bergen  bei  Sofia,  Nis  und  Küstendil  ^).  Mit 
den  sechs  Provinzen  der  Dioecesis  Thraciarum  begann  weiter  ost- 
wärts die  große  Präfektur  des  Orients. 

Das  römische  Heer  wurde  allmählich  eine  Grenzarmee,  ver- 
teilt in  den  befestigten  Legionslagern,  neben  denen  sich  Markt- 
viertel (canabae)  befanden,  und  in  kleinen  Kastellen.  Die  Legio- 
nen blieben  oft  durch  viele  Generationen  an  einem  Platz,  z.  B. 
in  Viminacium  die  Legio  VII  Claudia  durch  vier  Jahrhunderte. 
Die  ausgedienten  Soldaten,  denen  während  der  20  bis  25  Dienst- 
jahre keine  Ehe  gestattet  war,  sondern  nur  ein  nachträglich  legi- 
timiertes Konkubinat,  erhielten  nach  der  Verabschiedung  Grund - 
,  stücke,  Ackertiere,  Sklaven  und  Sämereien.  Die  Ansiedlungen  z.  B. 
der  Veteranen  der  genannten  Legion  reichten  von  der  Donau 
südwärts  bis  in  die  Landschaften  von  Prizren  und  Skopje.     Bald 


1)  Die  Provinzen  von  Illyricum  mit  ihren  Hauptstädten:  1.  Dacia 
ripensis  (Ratiaria ,  jetzt  Arcar  bei  Vidin) ;  2.  Dacia  mediterranea  (Serdica, 
jetzt  Sofia) ;  3.  Moesia  superior  Margensis  oder  M.  prima  (Viminacium) ; 
4.  Dardania  (Scupi  bei  Skopje"):  5.  Praevalis  oder  Praevalitana  (Doclea  und 
Scodra) ;  6.  Macedonia  prima  (Thessalonica) ;  7.  Macedonia  secunda  oder  M. 
salutaris  (Stobi) ;  8.  Epirus  nova  (Dyrrhachium  und  Lychnidus,  jetzt  Ochrid) 
9.  Epirus  vetus;  10.  Thessalia;  11.  Achaja;  12.  Greta. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  35 

waren  kaum  die  Oberoffiziere  aus  Italien;  die  Soldaten  stammten 
aus  den  römischen  Bürgerschaften  der  Umgebung.  Eine  große 
Neuerung  war  es,  als  Septimius  Severus  den  Soldaten  gestattete, 
zu  heiraten  und  außerhalb  des  Lagers  zu  wohnen.  Alexander 
Severus  machte  dann  die  Soldaten  erblich,  als  Bauern  auf  nicht 
veräußerlichen,  von  Steuern  befreiten  Grundstücken  in  der  Um- 
gebung ihrer  Garnison.  Eine  wichtige  Stütze  der  Grenzbesatzungen 
war  die  mösische  und  pannonische  Donauflotte.  In  den  Auxihar- 
truppen  neben  den  Legionen  waren  alle  Völker  des  Reiches  ver- 
treten. In  Dalmatien  stand  z.  B.  eine  Kohorte  der  Lucenser  aus 
Hispanien,  in  Naissus  eine  Kohorte  der  Kihker.  Die  Illyrier 
wurden  stark  zum  Kriegsdienst  herangezogen,  ihre  Kohorten  aber 
in  ferne  Länder  gesendet,  an  den  Rhein,  nach  Nordafrika  usw. 
Zahlreiche  Illyrier  und  Thraker  selbst  aus  den  Bergstämmen 
dienten  auf  der  Mittelmeerflotte  in  Ravenna  und  Misenum.  Unter 
Diokletian  und  Konstantin  folgte  eine  vollständige  Neugestaltung 
der  Armee,  die  damals  angeblich  vervierfacht  wurde.  Die  große 
alte  Legion  wurde  zerschlagen  in  kleine  Legionen,  später  „numeri" 
genannt,  nach  Mommsen  je  1000  Mann  stark.  Die  Reiterei  wurde 
stark  vermehrt  und  in  eigenen  Abteilungen  organisiert.  Die  Grenz- 
truppen (ripenses,  limitanei)  galten  fortan  als  minderwertig.  Die 
Linientruppen,  die  eigentlichen  „mihtes",  waren  die  „palatini% 
die  Elite  der  Armee,  später  meist  in  Konstantinopel  und  Um- 
gebung aufgestellt.  Die  Reserve  der  Grenztruppen  bildeten  die 
„comitatenses".  Die  Legionen  der  „pseudocomitatenses",  einer 
Lokaltruppe,  wurden  zum  Teil  nach  den  Städten  der  Hämusländer 
benannt  (Scupenses,  Ulpianenses,  Timacenses  usw.).  Dazu  kamen 
die  „foederati",  Barbaren  des  Grenzgebietes  unter  Anführung  ihrer 
einheimischen  Fürsten.  Die  Glanzperiode  der  illyrischen  Truppen 
war  das  3.  Jahrhundert.  Zahlreiche  Kaiser  stammten  aus  diesem 
militärischen  Grenzgebiete:  Decius  aus  Pannonien,  Claudius  aus 
Dardanien,  Aurelianus  aus  Dacia  ripensis  (nach  anderen  aus  Sir- 
mium),  Probus  aus  Pannonien,  Diokletian  aus  Dalmatien,  Galerius 
aus  Serdica,  Konstantin  der  Große  aus  Naissus  (Nis),  Licinius  aus 
dem  „neuen  Dazien".  Im  4.  Jahrhundert  war  Jovianus  (363) 
gebürtig  aus  Singidunum  (Belgrad),  die  Famihe  des  Valens  aus 
Cibalae  (Vinkovci  in  Slawonien).    Im  5.  Jahrhundert  war  im  West- 

3* 


36  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

reich  Konstantins,  Mitregent  des  Honorius,  ein  Illyrier  aus  Naissus, 
im  Ostreich  Marcian,  ebenso  wie  der  „Besse"  Leo  I.,  ein  thra- 
kischer  Soldat,  Anastasius  ein  Epirote  aus  Dyrrhachion.  Von 
römischen  Kolonisten  in  Dardanien  stammte  im  6.  Jahrhundert 
die  Familie  Justinus'  I.  und  seines  Neffen  Justinian  I.  mit  ihren 
römischen  Eigennamen  (Marcellus,  Dulcissimus,  Lupicina,  Vigilantia, 
Praejecta  usw.). 

Die  Bevölkerungsverhältnisse  machten  in  der  Zeit  von  Augustus 
bis  Diokletian  große  Veränderungen  durch.  Anfangs  waren  die 
herrschenden  römischen  Bürger  und  die  unterworfenen  Eingebore- 
nen voneinander  strenge  geschieden.  Die  römischen  Städte  zer- 
fielen in  zwei  Gruppen:  älter  waren  die  Küstenstädte  Dalmatiens, 
mit  Anfängen,  die  in  die  Zeiten  der  Republik  zurückreichen,  jünger 
die  Lagerstädte,  die  sich  allmählich  aus  den  Marktvierteln  neben 
den  Truppenquartieren  an  der  Donau  entwickelt  haben,  mit  Stadt- 
rechten beschenkt  erst  seit  Trajan  und  Hadrian.  Eine  ältere 
Organisation  hatten  die  griechischen  Städte  von  Makedonien  und 
Thrakien.  Die  Thraker  und  lllyrier  in  ihren  Dörfern  waren  ein- 
geteilt in  Gaugeraeinden ,  welche  man  in  Dalmatia  und  Moesia 
ebenso  wie  in  Hispanien  und  Gallien  als  ,.civitates"  bezeichnete, 
in  Thrakien  griechisch  als  Strategien.  Vorstände  dieser  Gaue 
waren  Zivilbeamte  oder  Soldaten,  teils  Einheimische,  teils  Italiker. 
Auf  den  Inschriften  heißen  sie  z.  B.  bei  den  Japoden,  Mäzeern, 
Däsitiaten  und  Docleaten  „praepositus",  „princeps"  oder  ,,prae- 
fectus",  in  Thrakien  oxQaTTqyög.  Drei  Jahrhunderte  später  hatte 
die  friedliche  Entwicklung  zu  einer  weitgehenden  Ausgleichung 
aller  Gegensätze  geführt.  Die  Gaugemeinden  sind  langsam  in 
Stadtgemeinden  verwandelt  worden,  mit  großen  Bezirken  (regio, 
ywoa),  ein  Prozeß,  der  unter  Kaiser  Vespasian  seinen  Anfang 
nahm,  von  Kaiser  Trajan  nach  Erweiterung  der  Nordgrenze  sehr 
gefördert  wurde  und  zu  Beginn  des  3.  Jahrhunderts  seinen  Höhe- 
punkt erreicht  hat.  Einen  Einfluß  darauf  hatte  die  Verleihung 
des  römischen  Bürgerrechtes  an  Eingeborene,  besonders  an  Auxi- 
liare  bei  ihrer  Verabschiedung  aus  dem  Kriegsdienst,  die  dann 
den  Gentilnamen  des  Kaisers  zu  ihrem  einheimischen  Kognomen 
setzten,  als  Julii,  Claudii,  Flavii,  Ulpii,  Aelii,  Aurelii  oder  Septimii. 
Endhch   wurden   alle   freien  Männer   römische  Bürger    durch    das 


Die  Eömer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  37 

aus  finanziellen  Beweggründen  erlassene  Gesetz  des  Kaisers  Cara- 
calla  (212).  Damit  war  der  Gegensatz  zwischen  den  Eroberern 
und  den  Unterworfenen  verwischt.  Ein  Nachkomme  illyrischer 
oder  thrakischer  Häuptlinge,  transdanubischer  Gefangenen,  grie- 
chischer oder  syrischer  Kaufleute  fühlte  sich  dann  ebenso  als  Römer, 
wie  die  immer  selteneren  echten  Nachkommen  der  Landsleute  des 
Sulla  oder  Cäsar.  Auf  den  Thron  wurden  Kaiser  nichtrömischen 
Ursprungs  erhoben,  wie  der  punische  Afrikaner  Septimius  Severus 
oder  wie  ein  Gegenkaiser  in  Mösien,  Regalianus  (263),  angeblich 
ein  Nachkomme  des  letzten  Dakerkönigs  Decebalus.  Bald  wurde 
die  Gesellschaft  überwuchert  von  Nachkommen  von  Sklaven ; 
Diokletian,  der  einzige  Kaiser,  der  aus  Dalmatien  stammte,  war 
nach  Eutropius  „sehr  dunkeln  Ursprungs"  (vir  obscurissime  natus), 
ein  Freigelassener.  Auch  die  Unterschiede  zwischen  Städten  ver- 
schiedenen Ranges  und  Rechtes  haben  Diokletian  und  Konstantin 
ersetzt  durch  eine  Unifizierung  auf  finanzieller  Grundlage.  An 
der  Spitze  der  Gemeinde  stand  fortan  ein  erblicher  Stadtsenat  der 
reich-ten  Leute,  welche  für  die  Steuern  haftbar  waren,  die  „curia" 
(ßovlecTr^Qiov).  Im  byzantinischen  Reiche  bestand  die  Kurie  bis 
in  das  10.  Jahrhundert,  noch  unter  Leo  dem  Weisen;  besonders 
behauptete  sie  sich  in  den  weit  entlegenen  Städten,  wie  in  Cherson 
(Sevastopol)  und  in  Dalmatien,  mit  ihren  TtQCOTOTioXlraL  oder 
TiQiovevovTeg  ^). 

Gegenüber  den  Holzdörfern  und  Wallburgen  der  vorrömischen 
Zeit  boten  die  Römerstädte  das  Bild  einer  weit  fortgeschrittenen 
Kultur,  mit  regelmäßig  angelegten,  gepflasterten  Straßen,  aus- 
gestattet mit  Wasserleitungen  und  Badeanstalten,  Marktplätzen  und 
Säulenhallen,  Tempeln  und  öffentlichen  Denkmälern,  geräumigen 
Theatern  für  Tierhetzen,  Gladiatorenkämpfe,  Wettrennen  und 
andere  Volksbelustigungen,  vor  den  Stadttoren  umgeben  von  aus- 
gedehnten Nekropolen.  Die  Häuser  der  Römer,  oft  geschmückt 
mit  Wandmalereien  und  Mosaiken,    waren  aus  Stein  und  Ziegeln 


1)  Cherson:  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  378  und  Konst.  Porph.  ed. 
Bonn.  3,  178.  Ein  nQWTtvihv  von  Dyrrhachion  um  1000:  Prokic,  Die 
Zusätze  in  der  Hdschr.  des  Joh.  Skylitzes  usw.  (^München  1906)  S.  31 
uro.  22.     In  Dalmatien  übersetzt  als  „prior"  (s.  unten). 


58  Erstes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

gebaut  und  für  den  Winter  versorgt  mit  einer  Luftheizung,  welche 
man  durch  bohle  Heizkacheln  (tubuli)  unter  dem  Fußboden  und 
im  Innern  der  Mauern  leitete.  Die  römische  Kolonisation  war  am 
stärksten  im  adriatischen  Küstengebiet  und  in  der  militärischen 
Zone  an  der  Donau.  In  den  Landschaften  von  Naissus  (Nis)  und 
Remesiana  (Bela  Palanka)  bezeugen  die  Städtenamen  den  militä- 
rischen Ursprung  der  Besiedlung:  Castrum  Hercuhs,  Castra 
Martis  (vielleicht  im  Timoktal),  Praesidium  Pompei  (bei  Aleksinac), 
das  „Getreideraagazin  an  der  Morava"^  Horreum  Margi  (Cuprija) 
usw.  Lateinisch  sind  dort  bei  Prokopios  auch  die  Namen  kleiner 
Ansiedlungen :  Lupi  fontana,  Spelunca,  Primiana,  Longiana,  Septe- 
casas  usw.  Auch  das  untere  Drinatal  und  das  untere  Narenta- 
gebiet  waren  durch  römische  Veteranen  ganz  neu  kolonisiert.  Da- 
neben behauptete  sich  in  vielen  Landschaften,  wie  bei  Uzice,  bei 
Plevlje,  im  oberen  Tal  der  Cetina  die  illyrische  Bevölkerung  un- 
gestört in  dem  Besitz  altererbter  Güter;  nach  den  Untersuchungen 
von  Patsch  war  das  Gebiet  der  Cetina  in  der  Kaiserzeit  sogar 
dichter  besiedelt  als  in  unseren  Tagen.  Es  ist  charakteristisch, 
daß  in  den  altillyrischen  Grabfeldern  von  Glasinac  noch  immer 
Nachbestattungen  vorkamen,  nach  den  Münzen  bis  ins  4.  Jahr- 
hundert. Anderseits  haben  die  blutigen  Eroberungskriege  die 
Bevölkerung  sehr  vermindert.  Auch  der  lange,  ehelose  Kriegs- 
dienst der  tüchtigsten  jungen  Mäoner  in  fernen  Reichsgebieten 
hatte  ohne  Zweifel  eine  Verringerung  des  einheimischen  Nach- 
wuchses zur  Folge. 

Die  ethnographischen  Verhältnisse  änderten  sich  durch  rasche 
Ausbreitung  des  Lateins  und  des  Griechischen  und  den  Rückgang 
des  Illyrischen,  von  dem  das  Albanesische  stammt,  und  des  Thra- 
kischen,  das  nach  dem  6.  Jahrhundert  nicht  mehr  erwähnt  wird. 
Die  Grenze  zwischen  Latein  und  Griechisch  läßt  sich  nach  der 
Sprache  der  Inschriften,  Meilensteine  und  Stadtmünzen  ziemlich 
genau  feststellen  i).  Sie  verheß  das  Adriatische  Meer  bei  Lissus, 
ging  durch  die  Berge  der  Mirediten  und  der  Dibra  in  das  nörd- 
liche Makedonien  zwischen  Scupi  und  Stobi  durch,  umging  Naissus 
und  Remesiana  mit  ihren  lateinischen  Bürgern,  während  Pautalia 


1)  Meine  Rom.  Dalm.  1,  13  ff. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  39 

(Küstendil)  und  Serdica  (Sofia)  samt  der  Landschaft  von  Pirot  in 
das  griechische  Gebiet  gehörten;  zuletzt  wendete  sie  sich  längs 
des  Nordabhanges  des  Hämus  zur  Pontusküste.  Das  griechische 
Sprachgebiet  stand  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  Hellas 
und  Kleinasien,  das  lateinische,  welches  von  der  Nordgrenze 
Pannoniens  bis  Stobi  die  größte  Tiefe  hatte,  von  Ratiaria  (Arcar) 
abwärts  aber  nur  wenige  Stunden  breit  war,  mit  dem  romanischen 
Westen.  Zum  lateinischen  Territorium  gehörte  auch  das  Traja- 
nische  Dazien,  nach  dessen  Räumung  aber  noch  bis  in  Justinians 
Zeit  eine  Reihe  von  Kastellen  am  linken  Donauufer  besetzt  blieb. 
Außerhalb  des  geschlossenen  Gebietes  gab  es  unter  den  Lateinern 
nur  wenige  griechische  Kaufleute  oder  Beamte ;  ebenso  haben  sich 
unter  den  Griechen,  außer  der  Seestadt  Dyrrhachion,  die  ver- 
einzelten römischen  Kolonien  (Stobi,  Philippi  u.  a.j  nicht  auf  die 
Dauer  behaupten  können.  Im  Mittelalter  wurden  zwischen  Adria 
und  Pontus  zwei  romanische  Mundarten  gesprochen,  deren  An- 
fänge in  die  römische  Kaiserzeit  zurückreichen:  das  Rumänische, 
abstammend  von  der  mehr  verderbten  Sprache  der  Donaurömer, 
und  das  altertümliche  Altdalmatinische,  dessen  letzte  Reste  in 
unseren  Tagen  auf  der  Insel  Veglia  erloschen  sind  ^).  In  den 
Bergländern  zwischen  beiden  Gebieten  entwickelte  sich  eine  illyrisch- 
romanische  Mischsprache,  von  der  das  Albanesische  stammt,  dessen 
Lexikon  mehr  als  ein  Viertel  romanischer  Elemente  zählt;  infolge 
der  Mittelstellung  hat  es  im  Wortschatz  manche  Übereinstimmung 
teils  mit  dem  Rumänischen,  teils  mit  dem  konservativen  Dialekt 
der  mittelalterlichen  Romanen  von  Praevalis  und  Dalmatia. 

In  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  ging  das  Hirtenleben 
durch  Ausbreitung  des  Ackerbaues  zurück.  Nach  den  Schriften 
der  römischen  Agrimensoren  unterschied  man  in  Pannonien  Wälder 
mit  Eicheln  zur  Viehmästung,  die  in  Ungarn  und  Serbien  auch 
im  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit  sehr  geschätzt  waren  (silvae  glandi- 
ferae),  und  Wälder,  die  als  Viehweide  dienten  (silvae  vulgaris  pas- 
cuae)  2),     Unzertrennlich   von   der  Hirtenfreiheit  war  das  Räuber- 


1)  M.    Bartoli,    Das     Dalmatische,     Wien     (Balkankomm.)     1906, 
2  Bde. 

2)  Gromatici  a.  a.  0.  1,  205;  2,  318. 


40  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

leben,   von   welchem    die   vielen   Grabsteine   von   Leuten  Zeugnis 
geben,  die  von  den  „latrones"  getötet  worden  waren.    Unter  Kaiser 
Marcus  Aurelius  warb  man  neue  Truppen  unter  den  Räubern  von 
Dalmatia   und    Dardania.     Die   Ackerbauer   waren   entweder   Be- 
sitzer  eines    eigenen   Grundes   (fundus)    oder   Kolonen    auf  Kron- 
domänen und  Privatgütern.     Die   Grundbesitzer    waren   teils  Ein- 
geborene, teils  römische  Ansiedler.    An  der  Donau  saßen  seit  dem 
3.  Jahrhundert   erbhche  Grenzsoldaten   auf  dem  Staate   gehörigen 
Soldgütern,     eine    Institution,     die    im    byzantinischen    und    ser- 
bischen Mittelalter   ihre  Fortsetzung   hatte.     Kaiserliche    Domänen 
befanden  sich  bei  den  Bergwerken  und  auf  den  Inseln  Dalraatiens. 
Große  Güterkomplexe  (saltus),  wie  sie  Hierokles  im  getreidereichen 
Thessalien  erwähnt,  sind  im  Norden  nicht  nachweisbar.    In  Prae- 
valis  und  Dalmatia   gab   es   noch   im    6.  Jahrhundert   bedeutende 
Besitzungen  (patrimonium)  der  römischen  Kirche.    Sklaven  kamen 
in  den  Städten  und  auf  größeren  Gütern  vor,  aber  selten  im  bäuer- 
lichen Besitz.     Große  Bauernaufstände  in  der  Art,   wie  in  Afrika 
und  Gallien,  sind  in  Illyricum  unbekannt  geblieben.    Kaiser  Probus 
(276 — 282)   hat  die  Weinkultur   in    Pannonien   und   Mösien   frei- 
gegeben und  Heß  von  Soldaten  Weingärten  auf  dem  Berge  Alma 
(Fruska    Gora)    und    in    der   Umgebung    von   Aureus   mons   (bei 
Smederevo)    anlegen.      Aller    Grund    und    Boden    war    von    den 
Agrimensoren  vermessen,  die  Feldgrenzen  mit  ihren  Grenzsteinen, 
sowie    den    in    Dalmatien    übhchen    Steinwällen    (maceria,    unter 
diesem  römischen  Terminus  heute  noch  wohlbekannt)  genau   ver- 
zeichnet, die  Fruchtbäume  und  Weinreben  abgezählt  und  die  Ein- 
wohner mit  Kindern,  Sklaven  und  Vieh  in  die  Steuerbücher  ein- 
getragen 1).    Neben  der  Grundsteuer  gab  es  Naturallieferungen  für 
die  Truppen  und  Beamten   (annona),    Kopfsteuer,   Gewerbe-    und 
Erbschaftssteuer   usw.      Die   Gewerbe   waren    in    den   Städten    in 
Zünften   (collegia)   organisiert;   einen   besonderen  Aufschwung   er- 
lebte die  Steinmetzkunst. 

Von  großer  Bedeutung  war  der  Bergbau,  geleitet  von  einem 
kaiserlichen  „procurator  metallorum  Pannoniorum  et  Delmatiorum'', 
um    400    von    einem    „comes    metallorum    per   Illyricum".      Von 

1)  Gromatici  a.  a.  0.  1,  240f. 


Die  Römer  und  das  Zeilalter  der  Völkerwanderungen.  41 

kurzer  Dauer   war   der  Ruhm   der  Goldbergwerke   von  Dalmatia, 

von  Augustus  bis  Trajan.  Nach  der  Erzählung  des  Plinius  (f  79) 
gewann  man  dort  zur  Zeit  des  Nero  an  einzelnen  Tagen  sogar 
50  Pfund  Gold,  auf  der  Oberfläche  des  Erdbodens.  Bei  den 
Dichtern  der  Zeit  ist  Gold  bei  Statins  das  dalmatische  Metall 
(Dalmaticum  metallum),  bei  Martial  Dalmatia  das  Goldland  (auri- 
fera  terra).  Doch  wurden  diese  Fundstätten  bald  erschöpft ,  wie 
die  der  Insel  Thasos  und  des  Berges  Pangaios  in  Makedonien 
und  die  von  Polybios  beschriebenen  in  den  Ostalpen,  oder  wie  in 
unseren  Zeiten  die  berühmten  Goldfelder  von  BrasiUen  oder  Kali- 
fornien. Im  neu  eroberten  Dazien  fanden  die  Römer  viel  ergie- 
bigere Goldlager,  die  bis  zum  heutigen  Tage  noch  Edelmetall 
liefern  Geologische  Nachforschungen  im  Innern  von  Bosnien 
führten  in  unseren  Tagen  zur  Auftindung  von  Resten  dieser  ge- 
waltigen Goldwäschereien  an  drei  Stellen:  an  den  Bächen  Fojnica 
und  Zeljeznica,  im  oberen  Vrbasgebiet  und  an  der  Lasva  ^).  Kleinere 
Waschwerke  gab  es  in  Dardanien,  bei  Pautalia  (Küstendilj  und 
in  der  Rhodope,  mühsam  betrieben  von  armen  Goldsammlern 
(leguli  aurariarum,  auri  leguli). 

Mittelpunkt  der  Silber-  und  Bleibergwerke  war  die  Stadt 
Domavia  (Gradina  bei  Srebrnica),  in  der  antiken  Literatur  nicht 
erwähnt,  erst  in  unseren  Tagen  durch  zahlreiche  Inschriften  des 
3.  Jahrhunderts  bekannt  geworden.  Unbekannt  ist  der  römische 
Name  des  Bergwerkes  von  Rudnik,  mit  einem  von  Septimius 
Severus  erneuerten  Tempel  der  Mutter  Erde  (templum  Terrae 
Matris),  mit  kaiserlichen  Bergleuten  und  mit  Pächtern  (coloni)  der 
umliegenden  Grundstücke  '-).  Ein  andei'es  Blei-  und  Silberbergwerk, 
mit  einem  Tempel  des  Jupiter  und  Herkules,  einer  kaiserlichen 
„Villa"  und  Werkstätten  (officinae),  sowie  Kolonen  und  Freibauern, 
befand  sich  bei  Guberevci  und  Stojnik  am  Berge  Kosmaj  südhch 
von  Belgrad  '^).  In  der  Nähe  der  mittelaltei  liehen  Bergwerke  auf 
der  Westseite  des  Berges  Kopaonik  liegen  am  Ufer   des  Ibar  bei 


1)  Bruno  Walter,  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Erzlagerstätten  Bos- 
niens, Sarajevo  1887.  Baron  von  Foulion,  Jahrbuch  der  k.  k.  geolog. 
Reichsanstalt  42  (1892). 

2)  CILat.  III  nro.  6313  =  8333.    Jahreshefte  3  (1900)  Beiblatt  166  f. 

3)  Jahreshefte  4,  155. 


43  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

dem  Dorfe  Socanica  die  Ruinen  eines  römischen  Munizipiums, 
jetzt  Trojanov  Grad  (Trajansstadt)  genannt,  mit  Resten  von  Stadt- 
mauern, einer  steinernen  Brücke  über  den  Ibar,  Steinsarkophagen, 
Spuren  von  Schmelzöfen  und  riesigen  Schlackenhalden  ^).  In 
Nordalbanien  sind  Reste  von  angebUchen  Silbergruben  sichtbar  am 
Flusse  Fandi  und  in  der  Dibra.  Kupferbergwerke  gab  es  in 
der  Nähe  von  Viminacium  am  Flusse  Picnus  oder  Pincus  (Pek),  wo 
jetzt  die  Kupfer  und  Eisenminen  von  Majdan-Pek  liegen.  Mit 
dem  Bild  Hadrians  wurden  dort  Bronzemünzen  geprägt,  mit  der 
Aufschrift  „Aeliana  Pincensia^'  (sc.  metalla),  ebenso  andere  seit 
Trajan  bei  den  nicht  näher  bekannten  Kupfergruben  von  Dar- 
danien  und  Dalmatien.  Eisengruben  kennt  in  Dalmatia  noch 
Kassiodor,  wohl  die  bekannten  an  der  Sana,  bei  Busovaca,  Fojnica, 
Vares  und  Olovo  in  Bosnien;  andere  gab  es  bei  Novipazar,  bei 
Remesiana  und  in  Makedonien.  Der  Name  Salines  bei  Konstantin 
Porphyrogennetos  zeigt,  daß  die  einzigen  Salzquellen  der  ganzen 
Halbinsel  bei  dem  jetzigen  Tuzla  in  Bosnien  den  Römern  nicht 
unbekannt  waren.  Die  Prägung  von  Scheidemünzen  hat  in  den 
münzberechtigten  Städten  in  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts 
aufgehört;  später  gab  es  nur  staatliche  Münzämter,  auf  der  Halb- 
insel besonders  in  Thessalonica,  Sirmium  und  Siscia.  Bei  der 
Verwertung  des  Eisens  sind  auch  die  zahlreichen  ärarischen 
Waffenfabriken  zu  nennen,  im  Norden  in  Naissus,  Ratiaria,  Hor- 
reum  Margi  und  Sirmium. 

Vorzüglich  war  das  System  der  militärischen  Heerstraßen, 
begründet  gleich  nach  der  Eroberung,  mit  den  Ausgangspunkten 
in  Aquileja,  Salona,  Dyrrhachion  und  Thessalonica.  Die  Römer- 
straßen waren  in  der  Regel  mit  großen  Steinen  gepflastert  und 
nach  genauer  Messung  mit  Meilensteinen  (milliare)  bezeichnet, 
deren  Inschriften  bis  ins  4.  Jahrhundert  reichen,  über  Flüsse, 
Bäche  und  Abgründe  führten  steinerne  Brücken ;  die  größte  war 
die  Trajansbrücke  über  die  Donau  zwischen  Kladovo  in  Serbien 
und  Turn-Severin  in  Rumänien.  Die  großen  Stationen  mit  Nacht- 
lagern hießen  „mansiones^',    die  kleinen  Haltestellen   zum  Pferde- 


1)  Evans  a.  a.  0.  III^IV,   56.     Avram   Popovic,    Godisnjica  25 
(1906)  218f. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  43 

Wechsel  „mutationes''  {dXXayri).  Noch  in  der  Zeit  Justinians  be- 
stand die  alte  Staatspost  zur  Beförderung  von  Eilboten  oder 
Beamten  (cursus  publicus,  byz.  ÖQOi-iog,  daraus  altserb.  drum  Land- 
straße), ja  noch  später  wurde  in  der  byzantinischen  Zeit  der  Post- 
minister (Xoyod-eTTig  rov  ögof-iov)  zugleich  der  Minister  des  Äußern. 
Auf  dem  römischen  Pflaster  reiste  man  teilweise  noch  im  16.  Jahr- 
hundert. In  Einöden  stehen  Teile  der  Römerstraßen  heute  noch 
unversehrt,  wie  z.  B.  in  Bosnien  die  in  Felsen  gehauene  (47 — 48 
n.  Chr.)  Straße  über  das  Dinaragebirge  in  die  Täler  des  Unac 
und  der  Sana  und  weiter  nach  Siscia,  mit  17  Meilensteinen  dabei. 
Daneben  bestand  eine  rege  Flußschiffahrt  z.  B.  auf  der  Save. 

Bedeutend  war  der  Handel  von  Aquileja  mit  den  Donau- 
lär)dern,  ebenso  der  der  Städte  Dalmatiens  besonders  mit  Sirmiuni 
und  dem  Trajanischen  Dazien.  Von  fremden  Kaufleuten  waren 
Syrer  überall  zu  finden  ^  z,  B  wohl  des  Holzhandels  wegen  in 
Senia  (Zengg).  An  der  Reichsgrenze  war  der  Verkehr  an  der 
Donau,  ebensogut  wie  an  der  persischen  Grenze  oder  am  Rande 
der  Wüsten  von  Afrika  strenge  überwacht,  nur  an  bestimmten 
Tagen  und  Orten  unter  militärischer  Aufsicht  gestattet.  Die  Aus- 
fuhr von  Waffen,  Eisen,  Gold,  Getreide  und  Salz  ins  Barbarenland 
war  überhaupt  verboten.  Im  Zollwesen  erstreckte  sich  der  große 
illyrische  Zollsprengel  (publicum  portorii  vectigalis  Ulyrici)  von 
der  Ostgrenze  des  gallischen  Sprengeis  über  die  Ostalpen  bis  zum 
Schwarzen  Meer.  Die  Zollbureaus  (stationes)  befanden  sich  an 
wichtigen  Durchgangspunkten,  nicht  an  den  Provinzgrenzen.  Die 
Einhebung  des  Zolles  (2.5<'/o)  war  anfangs  an  Gesellschaften  ver- 
pachtet; später  besorgten  sie  Regierungsbearate,  in  der  Regel  kaiser- 
liche Sklaven  oder  Freigelassene,  meist  Griechen.  Der  Chef  der 
Zollämter  war  später  der  „comes  commerciorum  per  Illyricum". 
Das  spätrömische  „commercium''  (y,ovf.i^u6Qy.iov)  wurde  von  den 
Byzantinern  und  Serben  übernommen  (altserb.  kumerk  Zollamt) 
und  ist  heute  noch  nicht  vergessen  (türk.  gümrük,  neuserb.  gjum- 
ruk  Zoll).  Zur  Zeit  des  Niederganges  des  Reiches  wurde  der 
Handel  sehr  erschwert  durch  Monopole,  amtlich  festgesetzte  Preise 
der  Waren  und  zuletzt  durch  die  Verkaufsabgabe  eines  Vierund- 
zwanzigstels (siliquaticum). 

Die  Religion   der  Kaiserzeit    bestand   aus   einem   bunten  Ge- 


44  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

menge  einheimischer  Vorstellungen  mit  griechischen,  römischen  und 
orientalischen  Kulten.  Die  Gottheiten  erhielten  lokale  Beinamen , 
bei  Naissus  z.  B.  finden  sich  die  Dedikationen  „Mercurio  Naisati", 
„Herculi  Naisati".  Im  3.  Jahrhundert  gewannen  die  orientalischen 
Kulte  die  Oberhand,  vor  allem  die  des  Mithras  (Sol),  der  Isis 
und  des  Serapis;  es  ist  aber  bemerkenswert,  daß  ihre  Altäre  in 
lUyricum  nicht  von  Eingeborenen,  sondern  von  Soldaten  und  Be- 
amten aus  dem  Osten  errichtet  sind.  Orientalischen  Ursprungs 
war  der  seit  Augustus  eingeführte  Kaiserkultus.  Dem  lebenden 
Kaiser  wurden  Tempel  errichtet  (Cäsarea  und  Augustea)  und  ihm 
von  eigenen  Priestern  (flamines)  göttliche  Ehren  erwiesen.  Einmal 
im  Jahre  kamen  die  Abgeordneten  der  Städte  in  einem  Festort 
zum  Landtag  (concilium,  -/.oiröv)  zusammen,  wo  der  Oberpriester 
der  Provinz  (sacerdos)  das  Opfer  für  die  Göttin  Roma  und  für 
den  Kaiser  darbrachte,  worauf  Festspiele  abgehalten,  aber  auch 
Bitten  und  Beschwerden  an  die  Regierung  beschlossen  wurden, 
z.  B.  in  Scardona,  Doclea  und  Remesiana.  Überbleibsel  dieses 
Kultus  behaupteten  sich  in  den  Formeln  der  höfischen  Termino- 
logie noch  lange  im  christlichen  Mittelalter.  In  Justinians  Gesetzen 
ist  beim  Kaiser  alles  göttlich  (divinum)  oder  heihg  (.sacrum) ,  die 
Byzantiner  sprechen  von  der  eigenhändigen  Unterschrift  des  „hei- 
ligen" Kaisers  (ayiov  fjutjüv  ßaoL?Jojg),  ja  noch  125o  reden  die 
Ragusaner  den  bulgarischen  Herrscher  als  den  „heiligen  Zaren" 
an,  und  1362 — 1365  fertigt  der  serbische  Kanzler  Urkunden  aus 
„auf  Befehl  des  heiligen  Herrn  Kaisers '%  des  jungen  Zaren 
Uros. 

Das  Christentum  fand  frühzeitig  Eingang  in  diesen  Ländern. 
Der  Apostel  Paulus  lehrte  in  Makedonien,  in  Philippi,  Thessa- 
lonica  und  Berrhöa,  sein  Schüler  Titus  in  Dalmatia.  Dyrrhachion, 
Scodra  und  besonders  Salona  gewannen  bald  eine  Bedeutung  in 
der  Geschichte  der  Ausbreitung  der  Lehre  Christi.  In  den  Donau- 
ländern werden  Märtyrer  erst  unter  Diokletian  erwähnt.  Merk- 
würdig ist  die  „Passio  quatuor  coronatorum",  die  Geschichte  der 
kaiserlichen  Steinmetze  unter  Galerius  in  der  damals  blühenden 
Kaiserstadt  Sirmium,  welche  sich  weigerten  Götzenbilder  zu  arbeiten.. 
Ebenso  wurden  in  Ulpiana  (Lipljan)  am  Amselfelde  die  Steinmetze 
Florus   und   Laurus   hingerichtet,     weil    sie    die   Idole    eines    von 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  45 

Kaiser  Licinius  errichteten  Tempels  in  einer  Nacht  umgestürzt 
hatten.  Eine  Reihe  von  Märtyrern  hatte  in  dieser  Zeit  Singidu- 
num  (Belgrad)  aufzuweisen.  Unter  Kaiser  Konstantin  fanden  die 
Christenverfolgungen  ein  Ende  (313).  Es  folgten  Kämpfe  unter 
den  Christen  selbst,  zunächst  ein  orthodoxes  Konzil  in  Serdica 
(343 — 344)  gegen  die  Arianer,  dann  arianische  Versammlungen 
in  Sirmium  (358)  und  Singidunum  (366).  Im  5.  bis  6.  Jahr- 
hundert hielten  es  die  lateinisch  redenden  Provinzialen  des  Donau- 
gebietes oft  mit  der  Kirche  von  Rom  gegen  die  Konstantinopler 
Kaiser,  vor  allem  gegen  Anastas  und  Justin ian.  Die  Kirche  der 
ganzen  iilyrischen  Präfektur  war  damals  dem  Papst  untergeordnet, 
der  sich  auf  Konstantinopler  Konzilen  mitunter  durch  Bischöfe 
von  Hellas  vertreten  ließ.  Erst  nach  Beginn  des  Kampfes  um 
die  Bilder  hat  Kaiser  Leo  der  Isaurier  (um  731)  Illyricum  und 
Unteritalien  dem  Papst  entzogen  und  dem  Patriarchen  von  Kon- 
stantinopel untergeordnet.  Mit  den  Resten  des  Heidentums,  sowohl 
unter  dem  Landvolk  als  unter  den  philosophisch  gebildeten 
höheren  Klassen  hatte  Justinian  aufgeräumt.  Einzelne  Reste  kamen 
aber  auch  später  vor,  wie  die  merkwürdigen  Baumkulte  in  Klein- 
asien und  überhaupt  am  Schwarzen  Meere  oder  die  unheimlichen 
Menschenopfer  in  Pergamon  716  beim  Anmarsch  der  Araber.  Die 
letzten  Götzendiener  (:rQoo/.vrj]tal  xQv  elöibhov)  unter  den  Griechen 
waren  nach  einer  Nachricht  bei  Konstantin  Porphyrogennetos  die 
Einwohner  von  Maina  am  Taygetos,  getauft  erst  unter  Kaiser 
Basilios  L  (867 — 886).  Sonst  lührt  schon  im  6-  Jahrhundert  eine 
Reihe  von  Kastellen  bei  Prokopios  die  Namen  von  Heiligen,  wie 
die  heute  noch  in  Epirus  bestehende  Burg  des  heiligen  Donatus. 
Neben  den  berühmten  altchristlichen  Denkmälern  von  Salona 
fand  man  merkwürdige  alte  Kirchenbauten  in  Doclea  bei  Pod- 
gorica  ^).  Ein  in  Belgrad  gefundenes  Grabdenkmal,  dessen  Skulp- 
turen Szenen  aus  der  Geschichte  des  Propheten  Jonas  darstellen, 
erinnert  an  die  Sarkophage  von  Rom,  Ravenna,  Arles  und  Salona  2). 


l)Munro,  Anderson,  Milne  and  Haverfield,  The  Roman 
town  of  Doclea  in  Montenegro:  Arcbaeologia  55  (1896).  Rovinskij  im  Sbornik 
russ.  Akad.  86  (1909)  5—71  (mit  Plänen) 

2)  Starinar  8  (1891)  130 f.;  Arch.  epigr.  Mitt.  13,  41. 


46  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Altchristliche  Nekropolen  fand  man  in  Nis  und  Sofia.  Eine  latei- 
nische Inschrift  von  Remesiana  stellt  eine  Kirche  unter  den  Schutz 
der  Apostel  Petrus  und  Paulus  und  aller  Heiligen  ^). 

Die  Kunstdenkmäler  Dalmatiens  stehen  unter  dem  Einfluß 
Italiens,  die  der  griechischen  Städte  von  Thrakien  und  Makedonien 
unter  dem  der  alten  hellenischen  Kultur,  während  sie  im  Donau- 
gebiete den  militärischen  Charakter  der  dortigen  Zivilisation  ver- 
raten. Die  Kenntnis  der  lateinischen  Schrift  erwähnt  in  Paunonien 
schon  Vellejus.  Für  den  Unterricht  in  der  Schule  dienten  Ziegel 
mit  dem  lateinischen  Alphabet,  für  eine  höhere  Stufe  solche  mit 
homerischen  Versen.  Die  metrischen  Inschriften  der  griechischen 
Städte  Thrakiens  enthalten  nicht  selten  gelungene  Epigramme;  im 
Norden  finden  sich  lateinische  Verse  verschiedener  Güte  von  dal- 
matinischen und  musischen  Poeten.  Eine  eigenartige  lateinische 
Provinzialliteratur ,  wie  in  Gallien  oder  Afrika,  ist  in  lilyricum 
nicht  zur  Entwicklung  gelangt.  Die  meisten  Schriftsteller  dieses 
Gebietes  waren  Männer  der  Kirche :  der  Kirchenvater  Hieronymus 
(j  420)  aus  dem  Grenzgebiet  zwischen  Dalraatien  und  Pannonien, 
der  Bischof  Nicetas  von  Remesiana  (um  400)  ^),  die  arianischen 
Bischöfe  Auxentius  von  Durostorum  (Silistria),  Palladius  von 
Ratiaria,  Ursacius  von  Singidunum  u.  a.  Eine  Chronik  (für  379 
bis  534)  verfaßte  Marcellinus,  „cancellarius"  Justinians,  später 
Comes,  zuletzt  Kleriker,  gebürtig  aus  lilyricum  ^). 

Seit  dem  2.  Jahrhundert  ofi'enbarte  sich  der  Niedergang  des 
römischen  Reiches  durch  die  wachsende  Abnahme  der  Bevölkerung 
Gegenüber  den  gewaltigen  Heeren,  welche  die  Könige  Sitalkes 
und  Burebistas  oder  die  beiden  Batone  aufstellen  konnten,  wurden 
die  Streitkräfte  von  Thrakien  und  lilyricum  immer  schwächer. 
Pestkrankheiten,  Erdbeben,  blutige  Gemetzel,  wie  z.  B.  in  Mösien 
nach  dem  Sieg  des  Kaisers  Gallienus  über  seinen  Rivalen  Ingenuus 
(260),  trugen  nicht  wenig  dazu  bei.  Eine  Verstärkung  der  Ein- 
wohnerzahl erfolgte  zeitweise  durch  Ansiedlung  gefangener  Bar- 
baren oder  dui'ch  Flüchtlinge  aus  mehr  exponierten  Gebieten,  wie 


1)  Evans  a.  a.  0.  III-IV,  164.     CILat.  III  mo.  8259. 

2)  A.  E.  Burn,  Nicetas  of  Remesiana,  Cambridge  1905. 

3)  Vgl.  Schanz,  Gesch.  der  röm.  Literatur,  Bd.  4. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  47 

aus  dem  Trajanischen  Dazien,  aber  zu  einer  inneren  Kolonisation 
durch  Zuwanderung  aus  anderen  Provinzen  reichte  der  Kräfte- 
überschuß und  das  Wirtschaftssystem  des  Reiches  nicht  aus.  Den 
größten  Schaden  verursachten  die  Invasionen  fremder  Völker.  Seit 
dem  Markomannenkrieg  (l65 — 180)  unter  Kaiser  Marcus  Aurehus 
trat  die  Defensive  an  Stelle  der  Offensive.  Rom  siegte,  aber  ohne 
neue  Provinzen  zu  erwerben.  Germanen,  Sarmaten  und  freie 
Daker  begannen  damals  den  Angriff  auf  der  ganzen  Linie  von 
Regensburg  bis  Siebenbürgen  und  verheerten  tief  landeinwärts  alle 
Grenzprovinzen.  Die  Kostoboker  in  den  Karpathen,  deren  Könige 
bisher  Geiseln  nach  Rom  senden  mußten,  unternahmen  einen  Raub- 
zug bis  nach  Hellas,  wo  sie  aufgerieben  wurden  ^).  Damals  wurden 
auch  Salona  und  Philippopel  mit  festeren  Mauern  umgeben  und 
innerhalb  des  Limes  z.  B.  am  Berge  Kosmaj  südHch  von  Belgrad 
und  an  den  Mündungen  der  bosnischen  Flüsse  neue  Kastelle  ge- 
gründet. Seit  diesem  Kriege  schlichen  sich  kleine  Räuberbanden 
(latrunculi)  über  die  Donau,  zwischen  den  Grenzwachen  durch 
und  schmälerten  durch  Vieh-  und  Menschenraub  den  ohnehin  in- 
folge der  schweren  Kriegszeiten  verminderten  Wohlstand  der  Pro- 
vinzialen,  zeitweise  abwechselnd  mit  größeren  Invasionen.  Eine 
Folge  davon  war  die  allmähliche  Verödung  des  offenen  Landes 
und  die  Zusammenziehung  der  Bevölkerung  in  die  befestigten 
Städte  und  Burgen.  Bald  begannen  die  Einfälle  der  tapferen 
Goten,  welche  stufenweise  von  der  Ostsee  zum  Pontus  vorgerückt 
waren.  Der  erste  Kaiser,  welcher  im  Kampfe  gegen  die  Barbaren 
gefallen  ist,  war  Decius  in  der  Gotenschlacht  bei  Abrittus  in 
Untermösien  (251).  Ein  zweites  Mai  bestürmten  die  Goten 
Thessalonich  und  plünderten  mit  Bootsflotten  aus  dem  Pontus  die 
Städte  von  Hellas,  deren  fabelhafter  Reichtum  eine  große  An- 
ziehungskraft für  die  nördlichen  Völker  besaß  (267),  bis  ihnen 
Kaiser  Claudius  bei  Naissus  eine  schwere  Niederlage  beibrachte  (269). 
Kaiser  Aurelian  mußte    aber    nach    neuen  Siegen  das  Trajanische 

1)  Die  Namen  der  Kostoboker  oder  Coisstoboci  auf  den  Inschriften 
sind  thrakischer  Art:  Natoporus,  Pieporus,  Sabituus,  Drilgisa  usw.  Zeuß, 
Tomascliek  u.  a.  hielten  sie  für  einen  thrakischen  Stamm,  Safafik, 
Drinov  und  Niederle  für  Slawen  (slaw.  kost  Knochen,  bok  Seite, 
Flanke). 


48  Erstes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

Dazien  endgültig  aufgeben.  Reste  der  zersprengten  Karpathen Völker 
wurden  auf  römischem  Boden  angesiedelt,  der  Bastarnen,  Kar- 
pen u.  a.  1). 

In  dem  folgenden  Zeitalter  der  Reformen  waren  unter  Kon- 
stantin dem  Großen  zwei  Neuerungen  von  weltgeschichtlicher  Be- 
deutung: die  Annäherung  an  das  Christentum  und  die  Erhebung 
der  alten  hellenischen  Kolonie  Byzantion  zur  Residenz  als  Con- 
stantinopolis  (325),  was  die  Bedeutung  der  Hämushalbinsel  ver- 
stärkte, nachdem  sie  ohnehin  durch  die  vielen  illyrischen  Lager- 
kaiser den  Vorrang  besaß.  Eine  neue  Gefahr  brachte  ein  Völkersturm 
aus  dem  Innern  Asiens,  welcher  die  Europäer  zum  erstenmal  mit 
den  türkischen  Reitervölkern  bekannt  machte.  Die  Hunnen, 
einst  Nachbarn  von  China,  zogen  langsam  gegen  Westen,  besiegten 
die  zwischen  dem  Don  und  der  Donau  angesiedelten  Goten  und 
drängten  sie  gegen  die  römische  Grenze.  Kaiser  Valens  fand  in 
der  großen  Gotenschlacht  bei  Adrianopel  ebenso  den  Tod,  wie 
einst  Decius  (:378).  Gratian  und  Theodosius  I.  mußten  die  An- 
siedlung  der  Goten  als  „foederati"  in  den  Donauprovinzen  zu- 
lassen (382). 

Nach  dem  Tode  Theodosius'  I.  wurde  das  römische  Reich, 
wie  so  oft  in  der  letzten  Zeit,  geteilt  (395),  jedoch  zu  einer  neuen 
Vereinigung  beider  Teile  kam  es  nimmermehr.  Die  Grenze  der 
„östhchen"  und  „westlichen  Römer"  ging  mitten  durch  Illyricum, 
ungefähr  vom  Golf  von  Cattaro  nach  Belgrad.  Moesia  superior, 
Dardania  und  Praevalis  gehörten  zum  Ostreich,  Dalmatia  und  die 
vier  Pannonien  zum  Westreich.  Die  Nachwirkungen  dieser  Grenz- 
linie reichen  bis  in  unsere  Zeit.  Das  mittelalterliche  und  moderne 
Serbien  blieb  immer  an  der  Grenzscheide  zwischen  Ost  und  West, 
zwischen  der  griechischen  und  lateinischen  Kirche  und  zwischen 
der  lateinischen  und  griechischen  Schrift  mit  ihren  Ableitungen. 
Das  Westreich   ist  noch  vor  Ablauf  eines  Jahrhunderts   zugrunde 


!)  Personennamen  der  Karpen,  welche  wahrscheinlich  in  der  Moldau 
wohnten  und  von  neueren  Forschern  teils  als  Thraker,  teils  als  Slawen  er- 
klärt werden,  sind  nicht  bekannt  Der  Name  des  KnonciTtig  ögog  des  Pto- 
lemaios  ist  sonst  in  der  antiken  und  mittelalterlichen  Literatur  unbekannt; 
mit  vielen  anderen  Namen  der  ptolemäischen  Karten  hat  ihn  erst  die  Hu- 
raanistenzeit  in  Umlauf  gebracht. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  49 

gegangen.  Das  kleinere,  aber  besser  bevölkerte,  mehr  wohlhabende 
und  gut  verwaltete  Ostreich  hat  sich  nach  der  Trennung  mehr 
als  eintausend  Jahre  behauptet.  Die  oströmischen  Kaiser  des  5. 
und  6.  Jahrhunderts  stammten  meist  aus  den  europäischen  Pro- 
vinzen. Es  ist  merkwürdig,  wie  sich  das  Latein  im  Ostreich  im 
Rechtsleben  und  im  Militärwesen  lange  behauptete,  obwohl  es  vor 
den  Eroberungen  Justinians  eine  ethnographische  Grundlage  nur 
in  den  Donauländern  besaß.  Noch  in  griechischen  militärischen 
Werken  sind  die  Kommandoworte  lateinisch  (cede,  sta,  move, 
torna  usw.).  Bis  in  die  Zeiten  des  Kaisers  Maurikios  waren  die 
Feldherrnnamen  vorwiegend  lateinisch  ^).  Die  zwei  großen  Ele- 
mente des  Heeres  vertraten  unter  Justinian  seine  beiden  berühm- 
testen Feldherren;  Orientale  ist  der  Armenier  Narses,  Okzidentale 
der  Thraker  Belisar  aus  der  Thermenstadt  Germaneia  in  der 
Provinz  Dacia  mediterranea  (Saparevska  Banja  bei  Dupnica  in 
Bulgarien) "-).  Die  Formierung  eines  neuen  Heeres  unter  Kaiser 
Heraklios  vorwiegend  aus  Kleinasiaten,  Armeniern,  Kaukasiern 
und  Syrern  führte  zum  Übergewicht  der  Orientalen  und  damit 
auch  zur  bleibenden  Vorherrschaft  der  griechisch- christlichen  Namen 
unter  den  Feldherren  (Georgios,  Theodoros,  Sergios  u.  a.). 

Gleich  nach  der  Trennung  bereiteten  dem  Ostreich  die  Visi- 
goten  unter  ihrem  König  Alarich  schwere  Sorgen,  durch  einen 
Raubzug  bis  in  den  Peloponnes  (396).  Bald  zogen  sie  aber  in 
die  Ostalpen  und  nach  Itahen  ab,  wo  sie  Rom  ausplünderten  (410), 
ein  Schicksal,  das  Konstantinopel  erst  800  Jahre  später  durch  die 
Kreuzfahrer  des  vierten  Zuges  getroffen  hat.  Im  ersten  Viertel 
des  5.  Jahrhunderts  übersiedelte  ein  Teil  der  Hunnen  aus  den 
Steppen  nördlich  vom  Schwarzen  und  Kaspischen  Meere  in  die 
ehemahgen  Sitze  der  Sarraaten  an  der  mittleren  Donau,  in  viele 
Gruppen  geteilt,   deren  Häuptlinge  einander  oft   befehdeten.     Die 


1)  Meine  Rom.  Dalm.  1,  18 f. 

2)  Mit  Unrecht  sahen  einige  neuere  Historiker  in  Belisar  einen  Slawen: 
beli-car  „der  weiße  Kaiser"  nach  Bury;  „B^lisaire  un  Slave  peut-etre"  bei 
Diehl,  Justinien  413.  Das  neubulg.  bjali  car,  neuserb.  bijeli  car  lautet  ja 
in  der  Sprache  der  Denkmäler  aus  dem  Osten  der  Halbinsel  noch  im  9.  bis 
12.  Jahrhundert  „bjäli  cesar".  Die  Ruinen  von  Germaneia:  Arch.-epigr. 
Mitt.  10,  71  f. 

Jirecek,  GescMohte  der  Serben.    I.  4 


50  Erstes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

Residenz  ihres  Königs,  ein  großes  Dorf  aus  Holzhäusern,  bekannt 
aus  den  anschaulichen  Schilderungen  des  Priscus,  befand  sich  in 
den  Pußten  an  der  Theiß,  in  einer  Ebene  ohne  Stein  und  ohne 
Baum.  Am  Hofe  sprach  man  hunnisch ,  lateinisch  und  gotisch ; 
der  König  hatte  auch  lateinische  Schreiber,  Römer  aus  Pannonien 
und  Obermösien.  Die  Oströraer  zahlten  den  Hunnen  des  Friedens 
wegen  Jahrgelder.  König  Attila  (434 — 453)  wurde  der  mächtigste 
und  gefahrlichste  Nachbar  beider  römischen  Reiche  und  beschäf- 
tigte sich  mit  der  Idee  der  Gründung  eines  großen  Staates  vom 
Ozean  bis  Persien.  Kaiser  Theodosius  H.  verdoppelte,  ohne  das 
Kriegsglück  zu  versuchen,  die  Jahrgelder,  aber  die  stets  wieder 
erneuerte  Frage  wegen  der  Auslieferung  der  hunnischen  Überläufer 
führte  zum  Angriff  des  Hunnenkönigs  (441 — 443).  An  70  Städte 
wurden  von  den  Scharen  des  Attila  erobert,  ausgeplündert  und 
zerstört:  Singidunum,  Viminacium,  Naissus  nach  heftigem  Wider- 
stand und  furchtbarem  Gemetzel,  Ratiaria,  Serdica,  Phihppopohs 
u.  a.  Die  Hunnen  erschienen  bis  in  der  Nähe  der  Meerengen, 
und  der  Friede  konnte  nur  mit  großen  Geldopfern  erneuert  werden. 
Attila  verlangte  die  Abtretung  des  Donaugebietes  bis  Novae 
(Svistov)  und  Naissus.  Die  alte  Grenze  wurde  zwar  behauptet, 
aber  Obermösien  blieb  fortan  ein  verödetes  Land,  welches 
unter  der  römischen  Herrschaft  nie  mehr  einen  Aufschwung  er- 
lebt hat.  Nach  dem  Tode  Attilas  wurde  sein  Reich  zerstört 
durch  die  Kämpfe  seiner  Söhne  untereinander  und  durch  eine 
Erhebung  der  zahlreichen  ti'ibutären  germanischen  Stämme.  Die 
geschlagenen  Reste  der  Hunnen  zogen  zu  ihren  Stammgenossen 
in  die  Pontussteppe  ab,  wo  bald  eine  starke  Gruppe  hunnischer 
Nomaden  (seit  482)  in  lateinischen,  griechischen  und  armenischen 
Quellen  unter  dem  neuen  Namen  der  Balgaren  erscheint.  Die 
Germanen  bekämpften  einander  an  der  mittleren  Donau,  voran 
die  Gepiden  im  Trajanischen  Dazien  und  die  Ostgoten  im  Gebiete 
zwischen  Wien  und  Belgrad.  Die  Sarmaten,  bedrängt  von  den 
Goten,  überfielen  unter  der  Führung  ihrer  Könige  Beuca  und 
Babai  Obermösien,  besiegten,  wie  Jordanes  erzählt,  den  römischen 
Feldherrn  Camundus  und  besetzten  Singidunum.  Aber  bald  darauf 
schlug  sie  der  ostgotische  Prinz  Theoderich,  tötete  den  Babai 
und  nahm  Singidunum   für  sich   ein   (um  471).     Von    dort   plün- 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  51 

derten  die  Goten  bis  nach  Hellas  und  eroberten  Dyrrhachion, 
mit  dem  Wunsche,  sich  im  warmen  Küstenlande  des  heutigen 
Albaniens  niederzulassen.  Erst  nach  langen  Kämpfen  wurden  ihnen 
vom  Kaiser  Zeno  Wohnsitze  in  Dacia  ripensis  und  Moesia  inferior 
eingeräumt;  wo  Theoderich  als  gotischer  König  und  römischer 
Feldherr  seinen  Sitz  in  Novae  (Svistov)  aufschlug  (483). 

Dalmatien  beherrschte  damals  ein  römischer  Feldherr,  der 
Patricius  Marceilinus,  wie  ein  selbständiger  Herrscher,  gestützt  auf 
eine  starke  Seemacht,  angeblich  noch  ein  Heide,  bis  er  als  Befehls- 
haber der  weströmischen  Flotte  auf  einem  Zuge  gegen  die  afrika- 
nischen Vandalen  in  Sizilien  ermordet  wurde  (468).  Darauf  wurde 
sein  Neffe  Julius  Nepos,  Sohn  des  Nepotianus  und  einer  Schwester 
des  Marcellinus,  überdies  ein  Verwandter  der  Verina,  Gattin  des 
Konstantinopler  Kaisers  Leo  I.,  mit  Hilfe  der  Oströmer  west- 
römischer Kaiser  in  Rom  (474).  Eine  merkwürdige  Erztafel  mit 
Silberschrift  im  Belgrader  Museum  führt  den  Namen  des  Kaisers 
Nepos  1).  Die  Revolution  des  Basiliskos  gegen  Kaiser  Zeno  stellte 
aber  bald  die  Unterstützung  der  Oströmer  ein.  Der  Feldherr 
Orestes,  ein  pannonischer  Römer,  vor  einem  Vierteljahrhundert  Höf- 
ling und  Schreiber  des  Attila,  proklamierte  in  Ravenna  seinen 
eigenen  Sohn  Romulus  (Augustulus)  zum  Kaiser  (475).  Aber  sehr 
bald  wurde  er  vom  Söldnerführer  Odovacar  gefangen  und  ent- 
hauptet, der  kleine  Romulus  abgesetzt  (476).  Nepos  war  indessen 
aus  Rom  nach  Dalmatien  entflohen  und  residierte  in  Salona  immer 
noch  als  Kaiser,  anerkannt  auch  im  südlichen  Gallien,  bis  er  (Juni 
480)  in  seiner  Villa  vor  den  Toren  von  Salona  von  den  Comites 
Ovida  und  Viator  ermordet  wurde.  Da  rückte  Odovacar,  nun 
König  und  Herr  von  Italien,  in  Dalmatien  ein  und  besetzte  das  Land. 
Gegen  ihn  bewog  Kaiser  Zeno  den  König  Theoderich  zu  einem 
Zug  nach  Italien,  einer  neuen  Völkerwanderung,  welche  dazu 
führte,  daß  Theoderich  (493 — 526)  als  Sieger  seine  Residenzen  in 
Rom,  Ravenna  und  Verona  aufschlug.  Im  neuen  ostgotischen 
Reiche,  welches  Italien,  Dalmatien,  Pannonien  und  die  Alpenländer 
umfaßte,  bildeten  die  arianischen  Goten  die  herrschende  Krieger- 
kaste,  die   katholischen   Römer   die   entwafihete  Zivilbevölkerung. 


1)  CILat.  III  nro.  6335. 


53  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Die  Verhältnisse  in  Pannonia  Sirmiensis  und  Pannonia  Savia, 
ebenso  wie  in  Dalmatien  sind  aus  der  Briefsammlung  des  Kassiodor 
bekannt.  In  Dalmatien  waren  die  Goten  nur  durch  Feldherren 
und  Garnisonen  vertreten  und  bei  den  Römern  des  Landes  un- 
beliebt. Über  die  kirchlichen  Verhältnisse  geben  die  Akten  von 
zwei  in  Salona  abgehaltenen  Pro\'inzial8ynoden  (530  und  532) 
Aufschluß.  Der  pohtische  Wetterwinkel  war  die  Landschaft  von 
Sirmium,  wo  die  Goten  mit  den  Gepiden  und  Bulgaren  (Hunnen) 
kämpften.  Ein  Freischarenführer  Mundus,  nach  widersprechenden 
Nachrichten  Germane  oder  Hunne,  setzte  sich  in  Obermösien  fest, 
schlug  den  römischen  Feldherrn  Sabinianus  den  Jüngern  im  Mo- 
ravatale,  mit  Unterstützung  der  Goten  (505),  trat  aber  später  in 
römische  Dienste  ^).  Die  Reiterscharen  der  Hunnen  überschritten 
(seit  499)  wiederholt  besonders  im  Winter  die  untere  Donau  und 
durcheilten  plündernd  die  römischen  Provinzen,  517  bis  nach 
Epirus,  Thessahen  und  zu  den  Thermopylen.  Dieser  letzte  Zug 
steht  in  Verbindung  mit  der  Revolution  des  Donaurömers  Vitalianus, 
Sohn  des  Patriciolus,  aus  der  Provinz  Scythia  (Dobrudza),  welcher, 
wie  Marcellinus  berichtet,  mit  fast  60  000  Römern  (Romani)  und 
Hunnen  in  dem  Gebiet  bei  Akra  (Kaliakra)  und  Odessus  (Varna) 
sich  gegen  Kaiser  Anastas  erhoben  hatte  und  dreimal  vor  Kon- 
stantinopel erschien.  Es  ist  die  letzte  große  Bewegung  an  der 
unteren  Donau,  in  deren  Geschichte  die  Slawen  noch  nicht  er- 
wähnt werden. 

Kaiser  Justinian  I.  (527 — 565)  ging  wieder  zur  Offensive 
über.  Seine  Feldherren  eroberten  das  Vandalenreich  in  Nordafrika, 
das  Reich  der  Ostgoten  in  Italien  und  Teile  des  Reiches  der 
Visigoten  in  Spanien.  Bis  auf  eine  Lücke  zwischen  Cartagena 
und  Nizza  gehörten  alle  Küsten  des  Mittelmeeres  wieder  dem 
römischen  Staate  an,  ebenso  alle  Inseln.  Aber  die  großen  Unter- 
nehmungen überstiegen  die  Kräfte  des  Reiches,  welches  zum  Schluß 
finanziell  ganz  erschöpft  und  erlahmt  war.  Für  die  Donauländer, 
wo  man  bei  der  Defensive  geblieben  war,  war  die  lange  Regierung 
des  Kaisers  eine  Zeit  des  Verfalls.  Erobert  wurde  das  gotische 
Dalmatien,  wobei  um  die  Hauptstadt  Salona  viel  gekämpft  wurde. 


1)  Vgl.  Hart  mann,  Gesch.  Italiens  1,  152  f.,  170  f. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  53 

Mundus,  einst  Feind  des  Reiches,  jetzt  „magister  militum  per 
lUyricum",  besetzte  nach  einem  Siege  die  Stadt,  fiel  aber  in  einem 
neuen  Gefechte  in  der  Umgebung  (535).  Da  zog  der  gotische 
Feldherr  Gripas  wieder  in  Salona  ein,  verließ  es  aber  aus  Miß- 
trauen gegen  die  römischen  Bürger  und  die  verfallenen  Mauern, 
so  daß  Konstantianus  mit  der  kaiserlichen  Flotte  die  Stadt  abermals 
besetzen  konnte  (536).  Bei  einen  neuen  Versuch  wurden  die 
Goten  unter  Uligisal  und  Asinarius  von  Salona  neuerdings  zurück- 
geschlagen, worauf  die  Hauptstadt  Dalmatiens,  deren  Mauern  in- 
dessen ausgebessert  und  ringsherum  dui'ch  einen  Graben  geschützt 
worden  waren,  den  wichtigsten  Stützpunkt  der  Oströmer  bei  dem 
Angriff  auf  das  Gotenreich  in  Italien  bildete.  König  Totila,  oder 
mit  seinem  zweiten,  auch  auf  seinen  Münzen  ersichthchen  Namen 
Baduila  (541 — 552),  plante  einen  Angriff  auf  lUyricum,  doch  wur- 
den von  der  neuen  gotischen  Flotte  nur  zwei  kleine  Hafenplätze 
zwischen  Salona  und  der  Narenta  überfallen.  In  Pannonien  wur- 
den die  Städte  Sirmium  und  Bassiana  vom  Reiche  wieder  besetzt. 
Nach  der  Unterwerfung  Italiens  erscheinen  dort  auf  den  Inschriften 
/Truppen  aus  den  Härausländern ,  Illyrier  (numerus  felicium  Illy- 
ricianorum)  in  Genua,  Daker  (numerus  Dacicus)  in  Rom  usw.  ^). 
In  Dalmatien  haben  die  Goten  nur  geringe  Spuren  hinterlassen. 
Von  einem  gotischen  oder  überhaupt  germanischen  Feldherrn  Ana- 
gast ist  der  Name  der  Burg  von  Niksidi  in  Montenegro  abgeleitet, 
in  den  Archivbüchern  der  Ragusaner  im  Mittelalter  Anagastum 
genannt,  heute  noch  als  Onogost  bekannt  -). 

Die  Verwaltung  suchte  man  durch  Vereinigung  der  Provinzen 
zu  vereinfachen.  Die  Zivilstatthalter  im  neueroberten  Italien  ließ 
Justinian  von  den  Vornehmen  und  dem  Klerus  der  Provinz 
wählen,  wobei  dem  Kaiser  die  Bestätigung  blieb ;  Justinus  II.  dehnte 
diese  Wählbarkeit  auf  alle  Provinzen  aus  (569).    Der  Niedergang 


1)  Die  hl,  Etudes  sur  l'administration  byz.  dans  l'exarchat  de  Ravenne 
(Paris  1888)  198. 

2)  Anagast  (Anegast)  im  5. — 6.  Jahrb.,  noch  im  11.  Jahrh.  in  Bayern 
(davon  der  Ortsname  Anegestingin ,  jetzt  Engstingen  in  Württemberg) : 
Förstemann,  Altdeutsches  Namenbuch,  Bd.  1*  (1900)  Sp.  101.  Ana- 
gastum in  ragus.  Denkmälern  1272 — 1401.  Onogost  zuerst  1362  Mon. 
serb.  171. 


54  Erstes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

der  Hämusländer  wurde  beschleunigt  durch  furchtbare  Erdbeben, 
besonders   im  Jahre    518.      Nach   den  Berichten    bei  Comes  Mar- 
celHnus  stürzte   die  Hauptstadt   von  Dardanien   Scupi  (Zlokudani, 
nordwestlich    von    Skopje)    ganz    ein,  jedoch     ohne    Verluste    an 
Menschenleben,  ebenso  24  Kastelle   der  Provinz;    zwei   sind   samt 
den  Einwohnern  versunken,   die   anderen  mit  Verlust   der  Hälfte, 
eines  Drittels  oder  Viertels  der  Häuser  oder  Bewohner.    Im  Kastell 
Sarnonto  stieg  aus  einem  Erdspalt  siedender  Dampf  wie  aus  einem 
Glutofen    empor,    worauf    ein   langer,    heißer    Regen    niederging. 
Gleichzeitig  entstand  durch  Abstürze  von  Felsen  und  Waldpartien 
ein  30  röm.  Meilen  (45  Kilometer)  langer  und  12  Fuß  breiter  Erd- 
spalt 1).     Nach  den  Untersuchungen  von  Evans  hat  Justinian,  aus 
dieser  Landschaft  gebürtig,  Scupi  in  der  Nähe  der  alten  Stadt  an 
der  Stelle  des  heutigen  Skopje   erneuert   und    diese   prächtig   aus- 
gestattete Neugründung  Justiniana  Prima  genannt;  doch   der  alte 
Stacitname    war  stärker  als   der   neue   und   lebt   noch   heute  (alb. 
Skup,  türk.  Üsküb).     Justiniana  Secunda  hieß  das  damals  gleich- 
falls erneuerte  Ulpiana  am  Südende  des  Amselfeldes,  doch  machte 
sich  auch  hier  die  größere   Kraft   des   alten    Namens   geltend;   in 
serbischer  Umformung  heißt  der  Ort  seit  dem  Mittelalter  Lipljan. 
Während  der  Grenzkriege  bildeten  sich  in  den  Hämusländern 
Wald  wüsten,  wie  in  der  Zeit  vor  der  römischen  Eroberung.    Pris- 
cus  sah  448  nach  dem  Kriege  mit  Attila   von  Serdica   bis  Vimi- 
nacium  nur  menschenleere  Einöden  mit  Brandstätten  und  Ruinen ; 
Naissus  war  fast  ganz   verlassen.      Die   Invasionen   der   folgenden 
Zeit  hatten  vor  allem   Menschenraub   zum   Ziel,    doch   übertreibt 
Prokopios  in  seiner  Geheimgeschichte,  wenn   er   erzählt,    daß    bei 
jedem   Einfall    mehr   als    200  000   Menschen   getötet   oder   wegge- 
schleppt worden  seien;  so  viele  Einwohner  haben  wohl  die  einzelnen 
Provinzen  nicht  mehr  gehabt.     Kaiser  Justinian  hat  in  der  ersten 
Hälfte  seiner  Regierung  massenhaft  Verteidigungswerke   aufführen 
lassen.     Prokopios  zählt   in    seinem    Buche    über   die   Bauten   des 
Kaisers  (558)  80  feste  Plätze  an  der  Donau  und  an  370  Burgen 

1)  Mon.  Germ.,  Auetores  antiquissimi  11  (1894)  p.  100.  Die  von  Nord 
nach  Süd  verlaufenden  Bruchlinien  Dardaniens  siehe  auf  der  geologischen 
Karte  des  Baron  Nopcsa  in  denMitt.  der  k.  k.  geogr.  Gesell.  51  (1908)  289. 


Die  Römer  und  das  Zeitalter  der  Völkerwanderungen.  55 

südlich  von  der  Grenze  bis  nach  Griechenland  auf.  Es  wurden 
z.  B.  Singidunum,  Viminacium  und  Naissus  erneuert,  in  der  Land- 
schaft von  Naissus  7  Burgen  ausgebessert  und  32  neu  gebaut,  in 
Dardanien  61  instand  gesetzt,  8  neu  gegründet.  Jeder  Gau 
(dyQog)  sollte  ein  Kastell  besitzen.  Der  Typus  der  Justinianischen 
Bauten  ist  am  besten  bekannt  in  Algier  und  Tunis,  wo  es  nur 
dreierlei  Arten  alter  Bauwerke  gibt:  römischen,  byzantinischen 
und  arabischen  Ursprungs,  mit  zahlreichen  Bauinschriften,  die  in 
den  Hämusländern  fehlen.  Die  Befestigungen  Justinians  in  Afrika 
bind  in  kurzer  Zeit  in  größter  Eile  aufgeführt,  zum  Teil  unvoll- 
endet, wobei  man  ältere  römische  Gebäude  als  Steinbruch  benutzte 
und  zwischen  Steinen  und  Ziegeln  antike  Inschriften,  Architrave, 
Säulenstücke,  Kapitale  und  Skulpturen  ohne  Ordnung  zusammen- 
fügte. Kleinere  Kastelle  haben  vier  Rundtürme  an  den  Ecken, 
größere  Städte  drei  Stockwerke  hohe  Türme,  rund,  vier-,  sechs-  oder 
achteckig  ^).  In  den  Hämusländern  ist  derselbe  Typus  leicht  zu 
erkennen.  Die  mit  Rundtürmen  versehene  Nordmauer  von  Serdica 
ist  zusammengeflickt  aus  altem  Material,  mit  griechischen  Inschriften 
der  früheren  Kaiserzeit,  Altären  thrakischer  Götter  und  Grab- 
steinen -).  Das  Kastell  (Kulina)  von  Ravna  im  Timoktal,  mit 
Rundtürmen,  ist  von  den  Grundfesten  aus  aufgebaut  aus  älteren 
römischen  Bausteinen  und  Inschriften  ^).  Ebenso  fand  man  die 
meisten  Denkmäler  von  Viminacium  nicht  in  der  ursprünglichen 
Lage,  sondern  eingelassen  in  dem  Gemäuer  eines  mit  den  Steinen 
der  alten  Stadt  errichteten  großen  Kastells  ^).  Paß-  und  Isthmus- 
sperren, in  der  Art  der  von  Kaiser  Anastas  zum  Schutz  der  Um- 
gebung von  Konstantinopel  erbauten  „Langen  Mauer",  wurden 
unter  Justinian  in  den  Thermopylen,  auf  der  Halbinsel  Kassandria 
bei  Thessalonich  und  auf  dem  thrakischen  Chersones  errichtet. 
Andere  solche  Mauern  sind  in  den  Quellen  nicht  erwähnt.  Eine 
steinerne,  an  30  Kilometer  lange  Mauer  mit  einzelnen  Türmen 
zieht   sich   von    der   Stadt   Fiurae    bis    zum   Dorfs    Prezid    (slaw. 


1)  Die  hl,  L'Afrique  byzantine,  Paris  1896. 

2)  Sbornik  bulg.  2  (1890)  3—6.     Kacarov,  Beitrag  zur   antiken  Ge- 
schichte von  Sofia,  bulg.  (Sofia  1910)  24  f. 

3)  Jahreshefte,  Beibl.  3,  137f.;  4,  142f. 

4)  Ebenda  3,  107  f. 


56  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Quermauer}  am  Trifinium  zwischen  Kroatien,  Istrien  und  Krain  i). 
Ein  ähnliches  Werk,  vielleicht  einst  der  oströmische  Limes  gegen 
die  Goten  in  Dalmatien,  ist  in  Montenegro  die  sogenannte  „Grenz- 
mauer des  närrischen  Vuk",  die  sich  von  West  nach  Ost  angeb- 
lich vier  Tagemärsche  weit  in  gerader  Linie  über  Berg  und  Tal 
zieht,  von  Risano  oder  von  der  Bijela  Gora  bei  Grahovo  über 
Ostrog  bis  zum  Kom;  es  sind  Mauerreste  ohne  Kalk  und  Erde, 
die  beim  Volke  als  unvollendeter  Bau  gelten  -). 

Alle  diese  Defensivbauten  hatten  wenig  Erfolg.  Es  fehlte  an 
Mannschaften  zur  Verteidigung.  Die  Grenztruppen  gerieten  bei 
den  finanziellen  Schwierigkeiten  stark  in  Verfall,  und  die  Mobil- 
armee, nach  Agathias  150  000  Mann  stark,  war  zerstreut  in  Gar- 
nisonen von  Südspanien  bis  nach  Armenien  und  Oberägypten. 
Die  verfallenden  Stadtbevölkerungen  hatten  mehr  Sinn  für  kirch- 
liche Fragen,  als  für  den  Schutz  des  Vaterlandes.  Prokopios  er- 
zählt, wie  (551)  fünf  Feldherren  an  die  Donau  zogen,  um  die 
unruhigen  Gepiden  zu  züchtigen,  aber  nur  ein  einziger  gelangte 
ins  Gepidenland;  die  übrigen  mußten  in  Ulpiana  haltmachen, 
wegen  eines  kirchlichen  Aufruhrs.  Justinian  hatte  (535)  für  den 
lateinischen  Norden  von  Illyricum  ein  privilegiertes  Erzbistum  in 
Justiniana  Prima  errichtet,  fand  aber  während  des  sogenannten 
Dreikapitelstreites  (seit  543)  die  heftigsten  Gegner  nicht  nur  in 
Itahen  und  Afrika,  sondern  gerade  unter  den  „Illyriciani  episcopi". 
Der  Erzbischof  Benenatus  von  Justiniana  Prima  wurde  von  einer 
illyrischen  Synode  als  Anhänger  des  Kaisers  sogar  abgesetzt  (549), 
aber  Justinian  unterdrückte  die  Bewegung  mit  eiserner  Hand, 
indem  er  z.  B.  den  widerspenstigen  Erzbischof  Frontinus  von 
Salona  nach  Ägypten  verbannte  (554). 

Indessen  vollzog  sich  der  Abschluß  der  germanischen  Völker- 
wanderung an  der  unteren  Donau.  Die  Heruler,  heidnische  Ger- 
manen aus  Skandinavien,  hatte  Kaiser  Anastas  an  der  Grenze  an- 

1)  V.  Klaic:  Vjesnik  arheol.  N.  S.  5  (1901)  169 f. 

2)  Vuk  Karadzic,  Serb.  Lexikon  unter  Vukova  medja.  Erzählung 
des  Vladika  Peter  II.  bei  V.  D.  Lambl,  Gas.  ces.  musea  24  (1850)  530. 
Evans  a.  a.  0.  I— II,  88.  IvaniSevic,  Wiss.  Mitt.  6  (1899)  656.  Ro- 
vinskij,  Sbornik  russ.  86  (1909)  S.  86  hat  diese  „römische"  Mauer  nicht 
selbst  gesehen. 


Die  Bömer  und  das  Zeitalter  der  Vöikerwandeningen.  57 

gesiedelt  (512);  unter  Justinian  wohnten  sie  bei  Singidunum  und 
Sirmium  und  zeichneten  sich,  an  3000  Mann  stark,  in  allen  Feld- 
zügen aus.  Die  Gepiden,  unter  einem  König  und  mit  einem 
arianischen  Bischof,  saßen  nicht  mehr  in  Siebenbürgen,  sondern 
im  ßanat  an  der  Donau  und  kämpften  zuerst  mit  den  Goten, 
dann  mit  den  Römern  um  den  Besitz  von  Sirmium,  unter  fort- 
währenden Raubzügen  in  die  Donauprovinzen.  Justinian  be- 
günstigte gegen  sie  die  Langobarden,  teils  arianische  Christen, 
teils  noch  Heiden,  die  sich  eben  in  Noricum  und  im  nördHchen 
Pannonien  niedergelassen  hatten.  Nach  Justinians  Tode  ver- 
schwinden die  Heruler,  wahrscheinlich  an  die  Nordgrenze  Italiens 
an  den  Brenner  versetzt,  die  Gepiden  wurden  aufgerieben  und  die 
Langobarden  zogen  ab  nach  Italien.  Zu  gleicher  Zeit  wurden 
die  pontischen  Hunnen,  besonders  der  westliche  Stamm  der  Ku- 
triguren,  immer  zudringlicher,  durch  große  Invasionen  bis  zum 
Hellespont  und  den  Thermopylen.  Es  waren  Rückwirkungen  von 
neuen  Bewegungen  in  der  pontischen  und  kaspischen  Steppe,  be- 
sonders nach  der  Entstehung  des  ältesten  Türkenreiches  am  Altai 
und  nach  dem  Auftreten  der  A waren.  Der  Höhepunkt  war  559 
der  Zug  des  kutrigurischen  Fürsten  Zabergan  im  Winter  über 
die  zugefrorene  Donau  bis  vor  die  Tore  von  Konstantinopel,  wo 
ihn  der  alte  Belisar  besiegte.  In  dem  Zwischenraum  zwischen 
den  Hunnen  und  Gepiden  erscheinen  an  der  unteren  Donau  zu- 
erst die  Slawen,  welche  seitdem  aus  der  Geschichte  der  Hämus- 
länder  nicht  mehr  verschwinden. 

Das  Mittelalter  kannte  die  Römerzeit  besonders  aus  den  Bau- 
werken. In  den  sich  daran  knüpfenden  Sagen  erhielt  sich  das 
Andenken  an  drei  Kaiser  bis  auf  unsere  Tage.  Trajan  war  durch 
seine  Gründungen  und  seine  zahlreichen  Bauinschriften  so  bekannt, 
daß  ihn  Konstantin  der  Große  das  „Mauerkraut"  nannte  Es 
kam  eine  Zeit,  wo  die  römischen  Provinzialen  alle  alten  Bauwerke 
dem  Trajan  zuschrieben.  Die  Straße  von  Novae  (Svistov)  über 
den  Hämus  nach  Philippopel,  nach  den  Inschriften  vollendet  unter 
Kaiser  Nero,  hieß  um  das  Jahr  600,  wie  Theophylaktos  Simo- 
kattes  schreibt,  der  „Weg  des  Trajan"  (^  Xeyoixevr]  Tga'iavov 
TQißog).  Bei  den  Resten  dieser  Straße  steht  jetzt  im  Balkan  ein 
Städtchen  Trojan.    Die  Trajanssage  wurde  von  den  Slawen  über- 


58  Erstes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

nommen.  Heute  noch  heißen  die  gepflasterten  Römerstraßen 
„Trajansweg":  rumänisch  Calea  Traianului,  slawisch  Trojan, 
Trojanov  Put  oder  Trojanski  Put,  sogar  türkisch  Trajanjol;  alte 
Burgruinen  nennt  man  „Trajansburg",  Trojanj  Grad  oder  Trojanov 
Grad,  alte  Paßsperren  „Trajanstor",  Trojanova  Vrata  i).  Kaiser 
Trajan  gelangte  sogar  in  die  slawische  Mythologie:  der  Gott  Tro- 
jan in  mittelalterlichen  Apokryphentexten  -).  Ein  dalmatinischer 
Sagenzyklus  schloß  sich  an  Kaiser  Diokletian  an,  bekannt  aus 
den  Nachrichten  bei  Konstantin  Porphyrogennetos  und  Thoraas 
dem  Archidiakon,  besonders  in  Salona,  Spalato  und  infolge  der 
Namensähnlichkeit  bei  den  Ruinen  des  von  Vespasian  oder  seinen 
Söhnen  mit  Stadtrechten  ausgestatteten  Doclea.  Konstantin  der 
Große  galt  in  der  Zeit  des  Porphyrogenneten  als  Erbauer  eines 
Turmes  in  Belgrad,  bei  Leon  Diakonos  als  Gründer  von  Dory- 
stolon  (röm.  Durostorum,  jetzt  Silistria),  in  der  bulgarischen  Visio 
des  Isaias  als  der  von  Vidin,  in  der  neuen  serbischen  Sage  als 
der  Stifter  von  Viminacium. 


1)  Meine  Heerstraße  5,  156 f.;  Arch.  epigr.  Mitt.  10,  87. 

2)  Leger,  La  mythologie  slave  (Paris  1901)  124  f. 


Zweites  Buch. 
Die  Besiedlung  Illyricimis  durch  die  Slawen. 


Erstes  Kapitel. 

Die  Slawen  ^). 

In  den  Steppen  auf  der  Nordseite  des  Schwarzen  Meeres 
wohnten  im  Altertum  iranische  Stämme,  welche  erst  seit  dem 
Vorstoß  der  Hunnen  durch  die  aus  Innerasien  nach  Westen  vor- 
dringenden türkischen  Völker  verdrängt  wurden.  Nördlich  von 
der  Steppe  erstreckt  sich  von  den  Karpathen  bis  zum  Ural  ein 
gewaltiges  Waldgebiet.  In  der  östlichen  Hälfte  dieser  Waldzone 
saßen  Finnen,  welche  ursprünglich  weit  gegen  Südwesten  reichten, 
aber  langsam  von  den  Ariern  nordwärts  zurückgedrängt  wurden; 
ein  Zeugnis  alter  Nachbarschaft  sind  heute  noch  iranische  und 
litauische  Elemente  in  den  Sprachen  der  Wolgafinnen.  In  der 
westlichen  Hälfte  des  waldigen  Tieflandes,  in  dem  großen  Raum 
zwischen   der  pontischen   Steppe   und   der   Ostsee,   wohnten   zwei 


1)  Literatur:  P.  J.  Safafik,  Slovansk^  starozitnosli  (Slawische  Alter- 
tümer), Prag  1837,  2.  A.  in  dessen  Gesammelten  Werken,  Prag  1862 f. 
Bd.  1—2  (auch  deutsch,  russ.,  poln.  übersetzt).  J.  K.  Zeuß,  Die  Deutschen 
und  die  Nachbarstämme,  München  1837.  W.  Tomaschek,  Kritik  der 
ältesten  Nachrichten  über  den  skythischen  Norden :  SB.W. Akad.  Bd.  106 — 107 
(1886—1888).  G.  Krek,  Einleitung  in  die  slaw.  Literaturgeschichte,  2.  A., 
Graz  1887.  A.  L.  Pogodin,  Aus  der  Geschichte  der  slaw.  Wanderungen, 
russ.,  Petersburg  1901.  L.  Nieder le,  Slovansk^  starozitnosti ,  Prag  1902 
bis  1906  Bd.  1  und  2.  St.  Stanojevic,  Über  die  Südslawen  im  6.,  7.  und 
8.  Jahrhundert:  Glas  80  (1909)  124—154.  —  Slawische  Sprachen:  ver- 
gleichende Grammatiken  von  F.  Mi  kl  o  sich,  2.  A.,  Wien  1876—1888, 
4  Bde  und  W.  Vondräk,  Göttingen  1906—1908,  2  Bde.  Etymologische 
Wörterbücher  von  F.  Miklosich,  Wien  1886  und  E.  Berneker,  Heidel- 
berg 1908 f.  Jagiö,  Die  slaw.  Sprachen:  Kultur  der  Gegenwart,  Teil  I, 
Abt.  IX  (1908),  S.  1—39. 


68  Zweites  Buch.    Erstes  Kapitel. 

indogermanische  Völker,  die  Litauer  und  die  Slawen.  Die  Litauer, 
einst  ein  großes  Volk,  sind  seit  dem  Mittelalter  im  Rückgange 
begriffen.  Die  Slawen,  deren  älteste  Wohnsitze  aller  Wahrschein- 
Hchkeit  nach  südlich  und  südwestlich  von  denen  der  Htauischen 
Stämme  gelegen  waren,  haben  seit  mehr  als  anderthalb  Jahr- 
tausenden die  verwandten  Litauer  durch  territoriale  Ausbreitung 
weit  überflügelt.  Gegenüber  dem  bedeutenden  Unterschied  zwi- 
schen den  einzelnen  litauischen  oder  germanischen  Sprachen  ist 
es  auffallig,  daß  die  slawischen  Sprachen  einander  verhältnismäßig 
viel  näher  stehen ;  daraus  könnte  man  auf  einen  nicht  allzu  großen 
Umfang  der  ältesten  Wohnsitze  schließen.  Allerdings  vergrößert 
sich  die  Differenzierung  seit  dem  9.  Jahrhundert,  mit  welchem  die 
einheimischen  Denkmäler  beginnen,  in  wachsendem  Maße. 

Altertümlich  sind  bei  jedem  Volke  die  nationalen  Personen- 
und  Ortsnamen.  Die  vollständigen  Personennamen  der  Slawen 
bestehen,  wie  die  der  Hellenen,  Germanen,  Thraker  oder  Iranier, 
aus  zwei  Nomina,  deren  Stellung  in  vielen  Fällen  vertauscht  wer- 
den kann.  Daneben  gibt  es  Kurzformen,  in  denen  das  zweite 
Nomen  durch  ein  Suffix  ersetzt  wird  oder  ganz  wegfällt.  Die 
Themata  sind  Substantiva,  Adjektiva  und  Verba  von  meist  be- 
kannter Bedeutung  i).  Der  Sinn  entspricht  oft  ziemlich  genau  den 
hellenischen  Namen,  so  nach  Miklosich  z.  B.  Dobroslav  dem 
'^yad-o-/.lfjg,  Vladislav  ^^Qxi'Afjg,  Vsevlad  (russ.  Vsevolod)  TIccvt- 
agxog,  Vojislav  ^Tqatovilfig  usw.  Von  den  iranischen,  thrakischen, 
illyrischen,  keltischen  Namen  lassen  sich  die  slawischen  leicht 
unterscheiden.  Nur  mit  den  germanischen  fallen  manche  Formen 
zusammen,  wie  -mir  und  -gost  mit  germ.  -mar  und  -gast.  Die 
Frauennamen  sind  von  den  Mannsnamen  verschieden,  an  der  vo- 
kalischen Endung  kenntlich  (Dragomira,  Miroslava,  Radonega 
usw.).  Es  fehlen  keineswegs  die  bei  allen  Völkern  beliebten  Na- 
men von  Tieren,  wie  Vlk  (neuserb.  vuk,  Wolf),  auch  in  zahl- 
reichen Zusammensetzungen  (Vlkoslav,  Vlkodrug,  Vlkomir),  Med- 
ved  (Bär),  Golub  (Taube),  Labud  (Schwan).    Auch  Pflanzennamen 


1)  F.  Miklosich ,  Die  Bildung  der  slaw.  Personennamen:  Denkschr. 
W.  Akad.  Bd.  10  (1860),"  jetzt  veraltet.  T.  Maretic,  Die  nationalen  Namen 
und  Zunamen  bei  den  Kroaten  und  Serben:  Kad,  Bd.  81—82  (1886). 


Die  Slawen.  03 

gibt  es,  wie  die  Frauennamen  Jagoda  (Erdbeere)  und  Perunika 
(Iris).  Dazu  kommen  Nomina  mit  Präpositionen,  wie  Preljub, 
Prerad,  Predimir,  oder  mit  der  Negation  (ne),  wie  Nenad,  „der 
nicht  Erwartete",  sowie  Apotropaia,  wie  das  genau  dem  spät- 
lateinischen Projectus  entsprechende  altserbische  Povrzen  (Dimi- 
nutiv Povrsko),  „der  Weggeworfene".  Auf  alte  soziale  Verhältnisse 
weisen  Prodan  „der  Verkaufte"  und  Kupljen  „der  Gekaufte".  Die 
Bezeichnungen  nach  Eigenschaften,  wie  Golem  (groß).  Mal  (klein), 
Beloglav  f Weißkopf),  Crnoglav  (Schwarzkopf);  bilden  schon  den 
Übergang  zu  den  Spitznamen  des  späteren  Mittelalters.  Die  sehr 
mannigfaltigen  Kurzformen  sind  besonders  häufig  bei  Frauen- 
namen: Goja,  Mira,  Dobra,  Draga,  Slavusa  usw.  In  den  Orts- 
namen sind,  wie  bei  anderen  Völkern,  vorherrschend  Ableitungen 
von  Personennamen  und  von  Pflanzennamen  ^j.  Die  ersteren  sind 
Bezeichnungen  von  Höfen,  Häusern  und  Sennereien  nach  den 
Stiftern,  FamiHenältesten ,  Stammvätern  oder  Besitzern,  teils  Ad- 
jektivformen (-0V,  -in),  teils  Patronymika  (-ovac,  Plur.  -ovci,  oder 
-idi),  wie  Dedojevci,  Vojnegovac,  Gostiradici  von  den  Eigennamen 
Dedoje,  Vojneg,  Gostirad.  Die  letzteren,  größtenteils  ursprünghch 
Namen  fließender  Gewässer  (Endung  -ica),  bieten  ein  anschau- 
hches  Bild  der  alten  Waldflora,  neben  Bezeichnungen  nach  Obst- 
bäumen und  Gemüsen.  Seltener  sind  Orte  nach  Tieren  benannt. 
Dazu  kommen  Namen  nach  Terrainformen,  nach  den  Farben  des 
Bodens,  der  Beschäftigung  der  Einwohner  usw. 

Der  Landschaftscharakter  der  Heimat  spiegelt  sich  in  der 
topographischen  Terminologie  einer  jeden  Sprache.  Ebenso  wie 
es  nach  einer  Bemerkung  von  Alexander  von  Humboldt  (in  den 
„Ansichten  der  Natur")  im  Arabischen  und  Persischen  eine  Un- 
zahl charakteristischer  Benennungen  der  verschiedenen  Typen  der 
Ebenen,  Steppen  und  Wüsten  gibt,  im  Spanischen  hingegen  eine 
ausgebildete  Terminologie  für  die  Physiognomik  der  Gebirgsmassen, 
ist  in   den   slawischen  Sprachen   auffallend   der  Reichtum    an  Be- 

1)  Miklosich,  Die  Bildung  von  Ortsnamen  aus  Personennamen  im 
Slawischen:  Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  14  (,1864),  373  Nros.  Derselbe, 
Die  slawischen  Ortsnamen  aus  Appellativen,  eb.  21  (1872)  und  'A3  (1874), 
789  Nros.  Maretic,  Die  Namen  der  Flüsse  und  Bäche  in  den  kroat.  und 
serb.  Ländern:  Nastavni  Vjesnik  1  (1892). 


04  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Zeichnungen  für  fließende  und  stehende  Gewässer,  für  Quellen  und 
Brunnen,  Seen  und  Tümpel,  Sümpfe  und  Moore,  für  Wälder,  Ge- 
büsche und  Haine.  Dagegen  sind  die  gemeinsamen  slawischen 
Ausdrücke  für  Gebirgsformen  selten  und  die  lokale  Termino- 
logie in  den  Karpathen,  den  Ostalpen,  im  Karstgebirge  an  der 
Adria  und  im  Balkan  sehr  verschieden.  Alles  weist  auf  eine  Ur- 
heimat in  einem  waldigen,  wasserreichen,  ebenen  Lande,  keines- 
wegs auf  waldlose  Steppen  oder  auf  Täler  und  Abhänge  eines 
Gebirges.  Die  reinste  und  altertümlichste  slawische  Ortsnomen- 
klatur besteht  in  Polen  und  Westrußland :  im  Stromgebiete  der 
oberen  Weichsel,  des  oberen  Dnjestr  und  Bug  und  im  westlichen 
Teil  des  Dnjeprgebietes.  In  diesem  Gebiet  sind  die  ältesten  Wohn- 
sitze der  Slawen  zu  suchen ;  dorthin  verlegen  sie  die  spärlichen 
Nachrichten  des  Altertums  und  die  klaren  Berichte  des  früheren 
Mittelalters.  Auch  die  Pflauzennamen  der  Slawen  führen  in  diese 
Zone  Osteuropas  ^).  Es  ist  ein  Flachland  mit  unbedeutenden  Er- 
hebungen an  den  Wasserscheiden  der  Flüsse,  mit  vielen  Seen  und 
Sümpfen,  voll  gewaltiger  Wälder  mit  einzelnen  Wiesen,  reich  an 
Jagdtieren  und  Fischen,  geeignet  für  Ackerbau,  Viehweide  und 
Bienenzucht.  Die  Hauptverbindungen  bilden  Wasserstraßen,  mit 
leichten  Übergängen  aus  einem  Stromgebiet  ins  andere.  Nachbarn 
der  Slawen  in  dieser  Urheimat  waren  im  Westen  die  Germanen, 
im  Norden  die  Litauer,  im  Nordosten  finnische  Stämme,  im  Süd- 
osten in  den  waldfreien  Steppen  iranische  Völker,  im  Süden  in 
den  Karpathen  Thraker,  später  durchsetzt  durch  einzelne  keltische 
Stämme.  Ein  mächtiger  Vorstoß  der  Slawen  wendete  sich  ostwärts 
über  den  Dnjepr;  ein  anderer  hatte  die  Richtung  westwärts,  wo 
die  Sprache  der  Elbeslawen  sehr  altertümliche  Lautformen  be- 
wahrt hat. 

Römer  und  Slawen  wurden  miteinander  bekannt  durch  die 
Vermittlung  der  Germanen.  In  den  Quellen  der  römischen  Kaiser- 
zeit heißen  die  Slawen  Venedi  (Ovevedai),  ebenso  wie  in  Deutsch- 
land im  Mittelalter  Winidi ;  noch  jetzt  werden  sie  von  den  Deutschen 
in  Sachsen  und   in   den  Ostalpen  Wenden,  Winden  genannt.    Bei 


1)  Dr.   B.   Sulek,   Blick    aus   der  Pflanzenkunde   in   die   Urzeit  der 
Slawen:  kroat.,  Rad  39  (1887)  1—64. 


Die  Slawen.  65 

den  Slawen  selbst  war  dieser  Name,  dessen  Ursprung  und  Be- 
deutung nicht  bekannt  ist,  niemals  im  Gebrauch.  Auch  die  By- 
zantiner kennen  ihn  nicht.  Anderseits  bezeichneten  die  Germanen 
die  Kelten  und  Römer  mit  dem  Namen  Walh  (Plur.  Walhas), 
ebenso  wie  die  Rhätoromanen  und  Italiener  bei  den  Deutschen 
bis  in  die  Neuzeit  Walchen  oder  Wälsche  heißen.  Davon  stammt 
das  slawische  Vlach  (russ  Voloch),  im  Plural  Vlasi,  für  die  Romanen. 
So  nennt  man  heute  böhmisch,  polnisch,  slowenisch  die  Itahener, 
russisch,  bulgarisch  und  serbisch  die  Rumänen. 

Einheimisch  ist  der  Name  Sl ovenin,  im  Plural  Slovene, 
seit  dem  6.  Jahrhundert  bei  den  Nachbarn  im  Westen  und  Süden 
überall  bekannt,  bei  den  Griechen  {^/.Xaßr^voi  lies  Sklavini, 
2-/.X(x{jol  zuerst  bei  Agathias,  ^S-XdßoL  bei  Pisides),  Romanen 
(Sclaveni,  Sclavini,  Sclavi),  den  westeuropäischen  Verfassern  latei- 
nischer Texte,  bei  den  Syrern,  zuletzt  bei  den  Arabern  (Sakähb). 
Er  kommt  ebensogut  bei  Thessalonich  und  in  Dalmatien  vor,  als 
in  den  Ostalpen  und  Westkarpathen ,  bei  den  Elbeslawen  und  bei 
Nowgorod.  Dobrowsky,  Safafik  und  Miklosich  haben  ihn  dem 
Suffix  nach  als  die  Ableitung  von  einem  Ortsnamen  erkannt,  aber 
die  Bedeutung  des  Themas  bleibt,  wie  bei  so  vielen  Völkernamen, 
dunkel  ^j.  An  den  Namen  der  Winden  klingt  der  Name  der 
Anten  an,  der  nur  in  den  Jahren  500 — 650  von  Schriftstellern 
aus  dem  byzantinischen  Reiche  für  die  südrussischen  Slawen  ver- 
wendet wird ,  von  den  moldauischen  Karpathen  und  den  Donau- 
mündungen bis  zum  Nordrand  der  Steppe  nordwestlich  von  der 
Krim  {Avvai,  Antes,  Anti).  Jordanes  gibt  die  Wohnsitze  der 
Anten,  wohl  nach  einer  älteren  Quelle,  zwischen  Dnjepr  und 
Dnjestr  an  und  bezeichnet  sie  als  die  tapfersten  der  Slawen.  In  den 
Berichten  aus  dieser  Zeit  besteht  ein  Gegensatz  zwischen  den  Anten 
und    den  eigentlichen  „Slavinen"  ~).    Prokopios  berichtet,  daß  die 


1)  Da  Latein  und  Griecbisch  die  Lautgruppe  sl  vermeiden,  ist  ein  x 
oder  .^  eingeschoben.  Das  a  für  o  im  russ.  Slavjanin  entspricht  den  neuruss. 
Lautgesetzen.  Die  alten  Deutungen  von  slovo  verbum  (seit  Pulkava  um 
1374)  und  von  slava  gloria  (seit  Dubravius  1052)  wurden  bis  in  die  neueste 
Zeit  wiederholt. 

2)  L.  Niederle,  Antov^:  Vestnik  der  kgl.  böhm.  Gesellsch.  d.  Wiss. 
1909,  12  S. 

Jlrecek,  Geschichte  der  Seihen.    I.  5 


66  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Slawen  und  Anten  ursprünglich  Spori  geheißen  haben,  welchen 
Namen  er  oder  seine  Gewährsmänner,  wahrscheinlich  Pontus- 
griechen  aus  der  Krim,  mit  griechisch  a/togadriv  zusammenstellt. 
Dobrowsky  und  nach  ihm  Safafik  sahen  in  den  ^jcoqol  den  durch 
eine  Metathese  entstellten  Namen  der  Serben.  Auf  dieser  Hypo- 
these ist  die  von  beiden  Gelehrten  aufgestellte  Theorie  aufgebaut, 
der  Name  der  Serben  sei  einmal  der  Gesamtname  aller  Slawen 
gewesen  ^).  Doch  hat  schon  Zeuß  auf  die  „gens  Spaloium^'  auf- 
merksam gemacht,  mit  welcher  die  Goten  nach  den  bei  Jordaues 
verzeichneten  Sagen  bei  ihrem  Vorstoß  von  der  Ostsee  zur  Pontus- 
küste,  also  gerade  im  Slawenlande,  zu  kämpfen  hatten.  Ihren 
Namen  kennen  auch  Diodor  und  Plinius  {^ycäXoi,  Spalaei)  unter 
den  Stämmen  angebHch  am  Don  -). 

Die  historischen  Nachrichten  beginnen  spät.  Die  Geographen 
des  Altertums  hatten  keine  Ahnung  von  der  großen  Ausdehnung 
Europas  gegen  Nordosten.  Strabo  meint,  der  Teil  Europas,  welcher 
außerhalb  der  Grenzen  des  römischen  Reiches  geblieben  ist,  sei 
nicht  groß,  größtenteils  eine  Ebene,  weiter  nordwärts  vielleicht 
wegen  der  großen  Kälte  unbewohnbar  '^).  Die  meerbusenartige 
Abgeschlossenheit  der  Ostsee  war  noch  nicht  entdeckt,  Skandi- 
navien galt  als  eine  Insel  und  das  Eismeer,  als  dessen  Golf  man 
auch  das  Kaspische  Meer  betrachtete,  wurde  als  sehr  nahe  gedacht. 
Selbst  bei  Ptolemaios,  welcher  die  wahre  Gestalt  des  Kaspischen 
Meeres  und  den  Lauf  der  Wolga  (Rha)  gut  kennt,  ziehen  sich 
die  Ufer  des  Polarmeeres  mitten  durch  das  jetzige  europäische 
Rußland.  Erst  im  6.  Jahrhundert  hatte  man  einige  Kenntnis  von 
den  riesigen  Dimensionen  des  europäischen  Kontinents  nach  dieser 
Seite.    Bei  dem  anonymen  Kosmographen  von  Ravenna  liegt  östlich 


1)  Dobrowsky,  Gesch.  der  böhm.  Sprache,  Prag  ^1818  S.  9;  Sa- 
fafik, Slaw.  Altertümer  §  9.  Von  den  Beweisgründen  entfallen  die  Spori 
des  Prokopios,  die  augeblichen  Serben  im  Kaukasus  (s.  oben  S.  33),  die 
jetzt  als  Fälschung  erwiesenen  altböhmischen  Glossen  des  „  Mater  verborum '", 
(Sarmatae  erklärt  als  Öirbi)  und  die  bei  Konstantin  Porph.  als  Zf\)ßini 
wiedergegebenen  Severjane  in  Rußland. 

2)  Vgl.  kircheuslaw.  sport  über,  spoiyni  multitudo ,  bulg.  spören 
fruchtbar;  anderseits  vgl.  slaw.  spolin,  ispolin  Kiese. 

3)  Strabo  VII  p.  294;  XVII  p.  839. 


Die  Slawen.  (J7 

von  den  Normannen,  Dänen  und  Finnen  Özythien,  aus  welchem 
das  Volk  der  Slawen  hervorgegangen  sei  (unde  Sclavinorum  exorta 
est  prosapia)  ^). 

Die  Hellenen  sind  zuerst  durch  die  Gründung  der  Kolonien 
Tyras  und  Olbia  an  den  Mündungen  des  Dnjestr  und  Dnjepr 
zu  diesen  Ländern  in  nähere  Beziehungen  getreten.  Die  erste 
Beschreibung  gibt  im  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  Herodot.  Vou  den 
Völkern,  die  er  im  waldigen  Binnenlande  nördHch  von  der 
Steppenzone  aufzählt,  waren  die  von  einem  König  beherrschten, 
als  Zauberer  verrufenen  Neuren  am  oberen  Dnjestr  (Tyras)  und 
ßug  (Hypanis)  wahrscheinhch  Slawen,  ebenso  die  Budinen,  falls 
sie  Nachbarn  der  Neuren  waren  -).  Andere  Stämme,  die  Herodot 
weiter  östlich  nennt,  sind  wohl  Finnen  gewesen.  In  die  Literatur 
der  Römer  gelangten  die  ersten  Nachrichten  über  diesen  Teil 
Europas  durch  den  von  Pannonien  aus  zur  Weichselmündung  be- 
triebenen Bernsteinhandel.  Die  „Venedi"  nennt  zwischen  den 
Völkern  östlich  von  der  Weichsel  zuerst  Plinius  (f  79).  Das 
ethnographische  Tableau  von  Osteuropa  ist  vollständig  bei  Tacitus 
in  dem  Buch  über  Germanien  (verfaßt  98):  Germanen,  Daker, 
Sarmaten,  Wenden,  Astier  (Litauer)  und  Finnen.  Die  „Veneti" 
schildert  ein  Miniaturbild  in  der  Art  der  ethnographischen  Episoden, 
in  deren  Ausführung  die  antike  Historiographie  eine  merkwürdige 
Virtuosität  erreicht  hat.  Sie  durchziehen  räuberisch  (latrociniis 
pererrant)  alle  Wälder  und  Berge  einerseits  zwischen  den  Germanen 


1)  Ravennatis  anonymi  cosmographia ,  ed.  Pinter  et  Parthey  I 
cap.  12  p.  28 

2)  Daß  die  Budineu  von  den  Pontusgriechen  nicht  weit  entfernt  waren, 
sieht  man  bei  Herodot  aus  der  genauen  Beschreibung  ihres  Waldlandes 
und  ihres  physischen  Typus  mit  hellblauen  Augen  und  rötlichem  Haar. 
Die  einzigen  Städte  des  Binnenlandes  werden  in  ihrem  Gebiet  genannt: 
Gelouos  bei  Herodot,  Kariskos  bei  Aristoteles.  Über  fremdartige  Tiere  eben 
im  Laude  der  Budinen  und  Neuren  hat  Aristoteles  genaue  Nachrichten. 
Die  Völker  saßen  vielleicht  nahe  bei  der  hellenischen  Kolonie  Tyras,  deren 
Nachbarschaft  bei  Herodot  nicht  näher  beschrieben  wird,  wie  denn  das 
ganze  Gebiet  zwischen  Donau  und  Bug  bei  ihm  unklar  bleibt.  Die  Budinen 
erscheinen  bei  ihm  einigemal  fem  im  Osten,  ungefähr  an  der  mittleren 
Wolga,  einmal  aber  als  Nachbarn  der  Neuren.  Ptoleraaios  kennt  die  Boj- 
Sivoi  am  Borysthenes  (Dnjepr). 

5* 


68  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

und  Sarmaten,  anderseits  zwischen  den  Bastarnen  in  den  Ost- 
karpathen  und  dem  pferdelosen,  nur  mit  Bogen  und  Pfeil  bewaffneten, 
in  Pelze  gehüllten  Jägervolk  der  „Fenni".  Im  Gegensatz  zu  den 
nomadischen  Reitervölkern  der  Sarmaten  bauen  sich  die  „Veneti*' 
Häuser,  kämpfen  zu  Fuß  und  führen  Schilde  als  Schutzwaffe.  Es 
war  also  ein  großes,  kriegerisches,  offensives  Volk,  leicht  bewaffnet 
und  echnellfüßig  fpedum  usu  ac  pernicitate  gaudent)  ^).  Manche 
Züge  dieser  Schilderung  des  Tacitus  stimmen  mit  den  byzan- 
tinischen Berichten  des  6.  Jahrhunderts  überein.  Die  Erobe- 
rung von  Dazien  brachte  das  römische  Reich  dem  Nordosten 
Europas  näher,  diese  Periode  hat  aber  keine  Literaturdenkmäler 
in  der  Art  von  Cäsars  Gallien  oder  Tacitus'  Germanien  hinterlassen. 
Der  Alexandriner  Geograph  Ptolemaios  im  2.  Jahrhundert  kennt 
neben  den  litauischen  Galinden  und  Sudinen  auch  die  Veneder 
unter  den  „größten  Völkern"  (l'dyrj  fxeyiora)  dieser  Gebiete  2). 
Die  unter  dem  Namen  der  Peutingerscheu  Tafel  bekannte  Kopie 
einer  römischen  Straßenkarte  des  4.  Jahrhunderts  verzeichnet  die 
Venedi  an  zwei  Stellen,  unmittelbar  nördlich  von  Dazien  und  im 
Norden  der  Donaumündungen.  Gering  sind  die  Nachrichten  in 
den  gotischen  Sagen  bei  Jordanes.  In  einer  Art  Völkertafel  sind 
bei  ihm  keine  Namen  russischer  Slawenstämme  zu  erkennen,  höch- 
stens die  der  finnischen  Merier  und  Mordwinen.  Klar  ist  aber 
dabei  die  Erinnerung  an  alte  Feindschaft,  an  Kriege  der  Goten 
gegen  die  Slawen  und  Anten.  Es  ist  möglich,  daß  die  ostgerma- 
nischen Völkerzüge  den  ersten  Beweggrund  zum  Vordringen  der 
Slawen  gegen  Nordosten  und  Osten,  gegen  die  Litauer  und  Finnen 
gegeben  haben;  sicher  hat  der  Abzug  der  Germanen  vom  Pontus, 
aus  Dazien  und  von  der  mittleren  und  unteren  Donau  nach  Westen 
den  Slawen  den  Vorstoß  gegen  Süden  erleichtert.  Wie  weit  sich 
die  Macht  der  Hunnen  Attilas  gegen  Norden  erstreckte,  ist  nicht 
bekannt;  sie  umfaßte  einen  Teil  der  Slawen,  wenn  sie  schon  damals 
südlich  der  Karpathen  im  nördlichen  Ungarn  und  Siebenbürgen 
saßen  ^). 

1)  Tacitus,  GeiTnania  cap.  46. 

2)  Niederle,  Slovausk^  starozitnosti  1,  342 — 434. 

3)  Statt    Wein    tranken    die    Hunnen     nach    Priscus    den    fj.idog;    vgl. 
deutsch   Met,    slaw.  medi>  Honig   und    Met,   lit.  medus  Honig,  midus  Met, 


Die  Slawen.  6» 

In  der  zweiten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  hatten  die  Slawen 
im  Rücken  der  Gepiden  wahrscheinlich  schon  Siebenbürgen  be- 
setzt, in  dessen  topographischer  Nomenklatur  sie  so  viele  Spuren 
hinterlassen  haben.  Von  dort,  ebenso  wie  durch  die  Moldau,  be- 
gannen sie  zur  unteren  Donau  vorzudringen,  die  sie  zur  Zeit 
des  Abzuges  der  Ostgoten  nach  Italien  wohl  schon  erreicht 
hatten  ^), 

Aus  den  Berichten  des  Prokopios,  Jordanes,  Agathias,  Menan- 
dros,  Johannes  von  Ephesos,  Theophylaktos  Simokattes,  aus  dem 
früher  dem  Kaiser  Maurikios  zugeschriebenen,  jedenfalls  noch  vor 
den  Kriegen  mit  den  mohammedanischen  Arabern  verfaßten  strate- 
gischen Werk  und  aus  den  Quellen  über  die  Zeit  des  Heraklios 
läßt  sich  über  die  Slawen  des  Donaugebietes  in  den  Jahren  527 
bis  626  eine  Reihe  von  Nachrichten  zusammenstellen.  Die  Wohn- 
sitze der  „Slavinen"  umfaßten  damals  nach  Prokopios  „den  größten 
Teil  des  anderen  Ufers  des  Istros".  Die  Anten  wohnten  nördhch 
und  nordwestlich  von  den  pontischen  Hunnen,  geteilt  in  zahllose 
Stämme  {l'ihrj  tcc  ^AvtQv  aj-isvQa),  und  reichten  im  Süden  bis  zu 
den  Donaumündungen.  Einige  Nachrichten  betreffen  die  Slawen 
jenseits  der  oberen  Donau.  Ein  Teil  der  Heruler  zog  von  der 
Donau  durch  das  Gebiet  zahlreicher  Stämme  der  Slawen  bis  zu 
den  Warnen  und  Dänen,  um  in  die  skandinavische  Heimat  zurück- 
zukehren 2).   Von  Slawen,  die  hinter  den  Gepiden  und  Langobarden, 

osset.  mid  Honig.  Bei  Attilas  Begräbnis  erwähnt  Jordanes  ein  Gelage 
„strava".  Altpoln.  strawa  ,,epulae  ferales*':  Brückner,  Bull,  der  Krakauer 
Akad.  1904  S.  4—5.  Die  slaw.  Wurzel  ist  dieselbe,  wie  im  kircbenslaw, 
trov^  verzehre,  potrava  Speise  usw.  Nach  Sobolevskij,  Arch.  slav.  Phil. 
30  (1909)  474  enthält  der  Volksname  Chyn,  Plur.  Chynove  im  altruss. 
Igorlied  eine  Erinnerung  an  die  Hunnen. 

1)  Niederle  2,  99,  147f.,  IGO,  169  nimmt  nach  dem  Vorgange  älterer 
Historiker  an,  daß  die  Slawen  schon  seit  dem  2.  Jahrb.  n.  Chr.  sporadisch 
an  der  mittleren  Donau  saßen.  Doch  sind  die  Beweise  aus  dem  Anklang 
von  Ortsnamen  nicht  ausreichend.  Seit  Safafi'k  verweist  man  z.  B.  auf  den 
Namen  Dierna,  Tsierna,  Tierna  oder  Zernis  bei  Orsova  an  dem  jetzt  Cerna 
genannten  Flusse.  Auffallend  ist  bei  den  Römern  die  unsichere  Wiedergabe 
des  Anlautes  durch  di,  ti,  tsi,  ze  und  der  Wechsel  zwischen  ie  und  e, 
während  slaw.  cri>ni,  cerni,  „schwarz"  im  Mittelalter  bei  den  Byzantinern 
stets  als   TCtQv-,  in  Dalmatien  Gern-,  Cirn-  wiedergegeben  wird. 

2)  Prokopios  ed.  Haury  VI,  15;  VII,  14;  VIII,  4. 


70  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

jenseits  der  Theiß  und  der  Donau  im  Norden  und  Osten  von 
Ungarn  saßen,  ist  die  Rede  in  der  Geschichte  des  langobardischen 
Fürstensohnes  Ildigis,  einer  abenteuernden  Gestalt  dieser  Zeit.  Er 
flüchtete  sich  zu  den  Warnen,  dann  zu  den  Slawen,  und  kam 
später  mit  langobardischen  Flüchtlingen  und  zahlreichen  Slawen 
zu  den  Gepiden,  mit  denen  er  gegen  seine  eigenen  Landsleute 
kämpfte.  Nachher  begab  er  sich  zum  zweitenmal  zu  den  Slawen 
und  wollte  von  dort  mit  6000  Mann  zu  König  Totila  ziehen, 
wurde  jedoch  in  Venetien  vom  römischen  Feldherrn  Lazar  zurück- 
geschlagen und  ging  zum  drittenmal  über  die  Donau  in  das  Slawen- 
land Später  war  er  in  Konstantin opel  Befehlshaber  einer  Abteilung 
der  Palastgarde  des  Kaisers  Justinian,  floh  aber  zu  den  Gepiden, 
wo  er  ermordet  wurde  ^).  Am  klarsten  kennt  Prokopios  die  Slawen 
im  jetzigen  Bessarabien,  der  Moldau  und  der  Walachei.  Die  In- 
vasionen über  die  Donau  bei  Durostorum  (Silistria)  und  bei  den 
Kastellen  von  Scythia  i  Dobrudza)  erstreckten  sich  bis  Adrianopel  2). 
Ein  anderer  Ubergangspunkt  lag  in  der  Landschaft  von  Vidin. 
Auch  im  Gebiet  der  Gepiden,  die  damals  Nachbarn  von  Singi- 
dunum  und  Sirmium  waren,  wird  eine  von  Slawen  benutzte  Über- 
fuhr über  die  Donau  erwähnt.  Unter  Kaiser  Maurikios  (582 — 602) 
erscheinen  die  Hauptsitze  der  Slawen  am  linken  Donauufer  gegen- 
über den  Grenzfestungen  Durostorum,  Novae  (Svistov),  Securisca 
(bei  Nikopol),  Asemus  (an  der  Mündung  des  Osem)  und  Palatiolum 
(bei  der  Iskermündung).  Die  heutige  Walachei  jenseits  der  Donau 
wurde  damals  das  „ Slavenland " ,  die  Slavinia  genannt  3).  Jor- 
danes,  bei  welchem  sich  die  Gebiete  der  Slawen  von  den  Donau- 
mündungen und  von  den  Quellen  der  Weichsel  ., durch  unermeß- 
liche Räume"  (per  immensa  spatia)  gegen  Norden  erstrecken, 
betont  die  große  Zahl  dieses  Volkes  (natio  populosa;  ihre  numero- 
sitas,  multitudo)  *). 

1)  Prokopios  ed.  Haury  VII,  35,  VIII,  27. 

2)  Prokopios  de  aedif.  ed.  Bonn.  3  p.  293:  die  Kastelle  Palmatis 
(bei  Durostorum)  und  OvX/ui.twv,  nach  Jakob  Weiß,  Mitt.  der  k.  k.  geogr. 
Gesellsch.  48  (19(i5)  231  „  vicus  ülmetum"  der  Inschrift  CILat.  ill  14214 
(26)  aus  Tschat al-Ormau  in  der  Dobrudza. 

3)  Zxlavrji'i,- :  Theophy laktos  Simokattes  ed.  De  Boor  VIII, 
cap.  5,  10  (zum  J.  602). 

4)  Jordaues  ed.  Mommsen  p.  62—63. 


Die  Slawen.  7l 

Von  einzelnen  Gruppen  erscheinen  im  6.  Jahrhundert  nur 
die  Anten,  die  aber  nach  Prokopios  wieder  iu  zahh'eiche  Stämme 
{tdvr])  geteilt  waren.  Es  ist  verfehlt,  die  Stammnaraen  als  etwas 
Uraltes,  Unveränderliches  zu  betrachten.  Bei  den  Germanen  tauchen 
die  Franken  und  Alamannen  erst  im  3.,  die  Bajoaren  erst  im 
(j.  Jahrhundert  auf.  Bei  den  russischen  Slawen  erscheint  ein  und 
derselbe  Stamm  unter  drei  Namen  nacheinander,  als  Duljebi, 
ßuzane  (vom  Flusse  Bug),  zuletzt  im  heutigen  Wolhynien  als 
Volynjane.  In  einigen  Fällen  ist  die  Bedeutung  klar.  Die  Drevljane 
in  Rußland  und  an  der  Elbe  sind  nach  der  ältesten  russischen 
Chronik  „Waldbcwohner"  (drevo  Holz,  Baum).  Die  Smoljane 
bei  den  Elbeslawen  und  in  der  Rhodope  führen  ihren  Namen  vom 
Pech  oder  Harz  (smola).  Die  Poljane  bei  Kiew  und  in  Polen  sind 
Einwohner  von  Ebenen  (polje).  Von  Personennamen,  von  zwei 
Brüdern  Radim  und  Vjatko  leitet  die  russische  Chronik  die  Namen 
der  Radimici  und  Vjatici  am  damaligen  Ostrand  Rußlands  ab. 
Die  Bedeutung  anderer  Benennungen  ist  unbekannt,  z.  B.  der 
Duljebi  in  Westrußland,  Böhmen  und  Pannonien,  oder  der  Chor- 
vaten  im  böhmischen  Riesengebirge,  im  heutigen  Ostgalizien  und 
im  adriatischen  Küstengebiet  ^).  Dunkel  ist,  allen  neueren  Deutungs- 
versuchen zum  Trotz,  auch  der  Name  der  Serben,  der  in  der 
Lausitz  und  in  den  Balkanländern  wiederkehrt  -;.     Die  bei  Kelten, 


1)  Im  Mittelalter  Hrvatin,  jelzt  serbokroat.  Hrvat ,  Plur.  Hrvati. 
Verwandte  slaw.  Verba  und  Substantiva  gibt  es  nicht.  Das  r  ist  vokalisch, 
daher  in  kirchenslaw.  Orthographie  als  rT>,  bei  Fremden  als  or,  ar,  ro, 
ri  wiedergegeben.  Das  Volk  der  Kavpen  und  das  Gebirge  der  Karpathen 
(s.  S.  48)  fsteheu  lautlich  nicht  ganz  nahe  (vgl.  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil. 
23,  fiM-X). .  Der  Name  Hrvatin  kommt  als  Personenname  vor,  nicht  nur  unter 
den  ältesten  Stammt'ürsten  des  Volkes  (A'ow,-i«ro,-,  Kon.st.  Porph.  3,  143), 
sondern  auch  im  11.— 15.  Jahrh.  (Belege  in  Rjecnik);  dazu  Kurzform  Hrvoje. 
A  Pogodin,  Epigraph.  Spuren  des  Slawentums,  Russkij  filolog.  vestnik, 
Warscliau  1901  macht  auf  den  Namen  Xno  .ä&og,  Xooovu&og  in  zwei  In- 
schriften vonTatiais  aus  dem  2.-  3.  Jahrh.  n.  Chr.  aufmerksam  (Latyschew, 
Inscriptiones  antiquae  orae  septentrionalis  Ponti  Euxini  2  nro.  430,  445), 
bei  Vsevolod  Miller  als  iranisch  in  der  Bedeutung  „Sounenbett"  (osset. 
chor  Sonne)  gedeutet,  bei  Justi  (Iranisches  Namenbuch  S.  172)  als  „seine, 
zugetane.  Freunde  habend ".  Danach  wäre  der  Name  Chorvat  ein  Personen- 
name iranischen  Ursprungs 

2)  Der   Name   lautete   auf   der  Balkanhalbinsel  im  Mittelalter  Srblin, 


73  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Germanen  und  Slawen  oft  vorkommende  Wiederholung  desselben 
Stammnamens  in  verschiedenen  Landschaften  führte  zur  Auf- 
stellung von  zwei  Theorien.  Die  eine,  vertreten  von  Safafik  und 
Müllenhoff,  nimmt  einen  genetischen  Zusammenhang  der  gleich- 
namigen Stämme  an.  Die  andere,  ausgesprochen  von  Zeuß,  meint, 
daß  auch  untereinander  nicht  verwandte  Sippschaften  gleiche  Namen 
tragen  konnten,  wie  denn  auch  verschiedene  Personen  denselben 
Namen  führen  ^).  Die  Beispiele  aus  den  slawischen  Ländern  geben 
der  letzteren  Anschauung  recht.  Die  weit  voneinander  wohnen- 
den gleichnamigen  Stämme  gehören  sprachlich  ganz  verschiedenen 
Zweigen  an.  Während  z.  B.  das  Serbische  in  Serbien  zur  süd- 
slawischen Gruppe  gehört,  hat  die  Sprache  der  Lausitzer  Serben 
eine  Mittelstellung  zwischen  Polabisch,  Polnisch  und  Böhmisch. 

Die  Verfassung  der  Slawen  im  6.  Jahrhundert  erinnert  an 
die  der  westlichen  Germanen  vor  den  Völkerwanderungen  in  den 
Schilderungen  des  Tacitus :  viele  kleine  Stämme ,  gruppiert  nach 
Geschlechtern  (familiae  et  propinquitatesj ,  mit  erblichen  Königen 
oder  Fürsten  ohne  große  Macht,  die  nur  in  kleineren  Angelegen- 
heiten verfügen  dürfen,  während  über  die  wichtigen  Fragen  die 
Volksversammlung  entscheidet.  Nur  bei  den  Ostgermanen  hatten 
die  Könige  schon  damals  mehr  Autorität,  wie  sie  denn  auch  im 
Zeitalter  der  Völkerwanderungen  die  Führer  der  Völker  sind.  Die 
Slawen  und  Anten  werden  nach  Prokopios  nicht  von  einem  Manne 
beherrscht,  sondern  leben  seit  alter  Zeit  in  Demokratie,  wobei  sie 
die  wichtigsten  und  schwierigsten  Angelegenheiten  gemeinsam  be- 
raten.   In  den  legendären  Mirabilien  des  in  derselben  Zeit  schrei- 


Plur.  Srbli,  mitunter  auch,  wie  jetzt,  ohne  1:  Srbin,  Srbi;  in  der  Lausitz 
Serb ,  Adj.  serbski ,  serski.  Das  vokalische  r  wird  im  Süden  nach  der 
kirchenslaw.  Regel  ri>  geschrieben,  von  Fremden  er;  auch  im  Norden  als 
or,  ur,  ri,  Surbi,  Sorabi,  Sorben  u.  a.  Als  Personenname  war  der  Name 
nicht  gebräuchlich.  Die  Wurzel  serb  erscheint:  1)  im  poln.  und  russ. 
paserb,  pasierb  Stiefsohn,  pasierbica  Stieftochter;  2)  im  kirchenslaw.  sr^tbati 
schlürfen,  das  dem  lat.  sorbei'e  entspricht.  Von  lat.  Schriftgelehrten  des 
Mittelalters  stammt  die  Zusammenstellung  mit  lat.  servi:  Konst.  Porph, 
3,  152  (JoiAot),  Wilhelm  von  Tyrus  XX,  4,  Arnold  von  Lübeck  1,3. 
1)  Safafik,  Slaw.  Altertümer,  besonders  §  45.  Zeuß,  Die  Deutschen 
186  Anm.  Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  2,  259,  268  u.  a.  Vgl. 
Brückner:  Arch.  slaw.  Phil.  22  (1900)  238,  246. 


Die  Slawen.  73 

benden  Pseudo  -  Cäsarius  sind  die  Slawen  jenseits  der  Donau 
„autonom"  und  ,, fuhrerlos"  ^).  Indessen  erwähnt  die  Gotensage 
bei  Jordanes  bereits  im  4.  Jahrhundert  einen  König  der  Anten 
(rex  Boz)  mit  70  Vornehmen  (primates),  welcher  vom  Gotenkönig 
Vinitharius  besiegt  wurde  -).  Die  späteren  Nachrichten  lassen  klar 
die  erblichen  Stammeshäupter  hervortreten,  deren  Autorität  während 
der  Offensive  gegen  die  Byzantiner  wohl  im  ^\'achsen  war.  Bei 
Menandros  erscheinen  (um  560)  in  einem  genealogischen  Zusammen- 
hang genannte,  also  erbliche  Fürsten  (aQyovTeg)  der  Anten  als  eine 
Art  Volksrat,  welcher  den  Mezamir,  Sohn  des  Idarizios  und  Bruder 
des  Kelagastos,  als  Gesandten  aus  seiner  Mitte  zu  den  Awaren  ent- 
sendet. Ebenso  bildeten  bei  den  „Slavinen"  die  Fürsten  {rjyEi,{öveg) 
einen  solchen  Rat,  mit  dem  Dobr^ta  an  der  Spitze  ^).  In  der  Zeit 
des  Kaisers  Maurikios  werden  bei  Theophylaktos  Simokattes  in 
der  jetzigen  Walachei  drei  Gaufürsten  (cfvXaQxoi)  oder  Könige 
(?'/^)  genannt.  Der  Verfasser  der  Strategica  schildert  die  Slawen 
an  der  Donau  als  zahlreiche  uneinige  Stämme,  unter  vielen  unter- 
einander nicht  im  Einvernehmen  lebenden  Königen  (Qtjyeg).  Die 
Könige  an  der  Grenze  sind  nach  den  Ratschlägen  dieses  Buches 
durch  Geschenke  und  gute  Worte  zu  gewinnen;  für  das  römische 
Reich  wäre  das  gefährlichste  eine  Vereinigung  oder  Monarchie  bei 
diesen  Völkern  {sviooig  rj  fxovaqyja).  Ebenso  kennt  die  St.  De- 
metriuslegende  von  Thessalonich  (600 — 800)  Könige  oder  Fürsten 
(^Qfjyeg,  äoyovreg)  der  einzelnen  Slawenstämme  der  Nachbarschaft. 
Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos  erwähnt  bei  den  Slawen  im 
adriatischen  Gebiet  (um  950)  Fürstengeschlechter,  deren  traditio- 
nelle Genealogie  viele  Jahrhunderte  zurückreichte  Die  ältesten 
einheimischen  Bezeichnungen  der  Fürsten  und  Anführer  waren: 
vladika*)  (von  vlad-,  vlasti  agyeiv),  ursprünglich  Herrscher,  be- 
deutete später  altserbisch  eine  Edelfrau,  in  der  Neuzeit  einen  Bischof; 
celnik  (eelo  Stirne);    nacelnik;    vojevoda,    welches  wörtlich 


1)  Müllenhoff:  Arch.  slaw.  Phil.  1  (1876)  294. 

2)  Jordanes  ed.  Mommsen  p.  121. 

3)  Menandros  frag.  6  und  48. 

4)  Mit  Vladika  wird  in  der  Vita  des  hl.  Konstantin  (Cyrillus)  der  byz. 
Kaiser  und  der  arabische  Kalif  bezeichnet.  In  der  Evangelienübersetzung 
ist  es  für  ^tan6rr]Q  (auch  Gott)  und  ^yfiiojv  gesetzt. 


74  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

dem  acQaxiqyoQ,  Heerführer,  entspricht ;  g o s p o d i n  oder  gospodar, 
Herr.  Germanischen  Ursprungs  ist  das  bei  den  Bulgaren,  Russen 
u.  a.  seit  dem  9.  Jahrhundert  vorkommende  Kxn^zt  (russ.  knjaz, 
gerb,  knez),  von  König  (altnord.  konungr).  Dunkel  ist  das  un- 
gefähr seit  derselben  Zeit  bekannte  zupan  Gaufiirst,  Vorstand, 
Beherrscher  oder  Verwalter  eines  Bezirkes,  neben  zupa  Gau, 
Landschaft  ^). 

Die  Slawen  erscheinen  in  den  Nachrichten  als  ein  freiheits- 
liebendes, trotziges  und  übermütiges  Volk.  Bei  Menandros  spricht 
der  Vertreter  der  Anten  vor  dem  Awarenchagan  stolz  und  heraus- 
fordernd. Ebenso  antworten  bei  demselben  Geschichtschroiber  die 
Anführer  der  Slawen  den  Gesandten  der  Awaren,  welche  Unter- 
werfung und  Tribut  verlangen:  „Wer  von  den  Leuten,  welche 
von  den  Strahlen  der  Sonne  erwärmt  werden,  ist  derart  beschaffen, 
daß  vY  unsere  Macht  sich  unterwerfen  könnte?  Wir  sind  ge- 
wohnt über  andere  zu  herrschen  und  nicht  andere  über  uns." 
Auch  die  Strategica  schildern  die  Slawen  und  Anten  als  freie 
Völker,  die  man  nicht  überreden  könne,  sich  zu  unterwerfen.  Ver- 
träge mit  ihnen  zu  schließen  sei  nutzlos,  wegen  der  verschiedenen 
Meinungen,  die  bei  ihnen  einander  widerstreiten;  durch  Furcht 
sei  mehr  zu  erreichen,  als  durch  Geschenke.  Die  Existenz  von 
Sippschaften  ist  klar  bezeugt  von  Jordanes,  welcher  die  „per 
varias  familias  et  loca"  wechselnden  Namen  der  einzelnen  Gruppen 
der  „Sclaveni^*  und  Anten  erwähnt.  Das  Bestehen  solcher  Gentil- 
verbände  ist  vorauszusetzen  auch  bei  der  Sitte  der  Blutrache,  über 
welche  die  Strategica  berichten.  Fremde  werden  freundlich  von 
einem  Ort  zum  andern  begleitet;  wenn  dem  Gast  ein  Leid  ge- 
schieht, beginnt  der  letzte  Gastfreuud  den  Kampf  (jiokeuov  '/uveI), 
um  ihn  zu  rächen,  was  mit  den  Regeln  der  heutigen  südslawischen 
und  albanesischen  Blutrache  ganz  übereinstimmt  ^).  Gefangene 
werden  nicht   für   immer   in  Sklaverei    behalten,    sondern    können 

1)  Auf  einem  Grabstein  der  heidnischen  Bulgaren  um  820:  'O/ffor'vö? 
6  Covnär  TaoxHvog  bei  Uspenskij,  Izvestija  arch.  inst.  6  (1900)  216  und 
10  (1905)  198.  Subang'  als  Stellvertreter  des  Slaweukönigs  auch  bei  den 
Arabern:  Marquart,  Osteurop.  und  ostasiat.  Streifzüge  468. 

2)  Miklosich,  Die  Blutrache  bei  den  Slawen  (Denkschr.  W.  Akad- 
Bd.  36)  S.  39. 


Die  Slawen.  75 

nach  einer  bestimmten  Zeit  heimkehren  oder  ira  Slawenlande  als 
freie  Freunde  zurückbleiben ;  der  letztere  Fall  beförderte  die  Ver- 
mischung des  Volkes  mit  fremden  Elementen.  Nach  einer  Notiz 
bei  Theophylaktos  Simokattes  reisten  die  Gesandten  der  Slawen 
unbewaffnet,  mit  Musikinstrumenten  (yu'f-ccQai)  ^). 

Prokopios  schildert  die  Slawen  als  hochgewachsene,  starke 
Männer.  Ihre  Hautlarbe  und  ihr  Haar  sei  weder  schwarz  noch 
blond,  sondern  rötlich  {vrteQv&QOv)-),  ihre  Lebensweise  rauh  und 
vernachlässigt,  voll  Schmutz.  Nach  den  Strategica  ertrugen  sie 
mit  Leichtigkeit  Hitze,  Kälte  und  Regen,  Blöße  des  Leibes  und 
Mangel  an  Lebensmitteln,  besser  als  die  Franken,  Langobarden 
und  andere  blonde  Völker  (^av,'/«  l'^frij).  Ihre  Wohnungen  waren 
nach  Prokopios  elende,  weit  voneinander  zerstreute  Hütten,  deren 
Platz  oft  gewechselt  wurde,  wahrscheinlich  Lehm-  und  Holzbauten. 
Die  Nachricht  erinnert  an  die  Schilderung  der  Behausungen  der 
Germanen  bei  Tacitus,  wo  jedes  Haus  für  sich  allein  bei  Quellen, 
V/ä!dern  und  Feldern  stand.  Alle  diese  Nordeuropäer  hatten  über- 
haupt einen  Widerwillen  gegen  die  dichtgedrängten  stadtartigen 
Dörfer,  wie  sie  bei  den  Griechen  und  Römern  üblich  waren.  Nach 
den  Strategica  hatte  bei  den  Slawen  jedes  Haus  zahlreiche  Aus- 
gänge; alles  Wertvolle  war  vergraben  und  verborgen.  Nach  Jor- 
danes  dienten  ihnen  Wälder  und  Sümpfe  als  Burgen  Aucli  nach 
Menandros  war  dichter  Wald  ihre  Festung,  in  der  Nälie  der 
Dörfer  und  Felder.  Die  Strategica  rühmen  den  Reichtum  an 
Tieren,  Korn  und  Hirse,  ein  Zeugnis  für  Ackerbau  neben  der 
Viehzucht.     Sonst  sei  aber  das  Land  der  Slawen  unwegsam,  voll 

1)  Theophylaktos  Simokattes  VI,  2  (im  J.  591).  Die  Erzählung, 
daß  im  fernen  Slawenlande  ungetrübtes  Leben  ohne  Kenntnis  drs  Eisens 
herrsche  und  daß  dort  die  Musikinstrumente  {kv^jai)  die  Kriegstrompeten 
vertreten,  erinnert  an  die  literarischen  Sagen  über  friedliche  Menschen  am 
Rande  der  Welt:  die  Hyperboräer  des  Herodot,  Ästier  des  Tacitus  u.  a. 
Nach  Jagic  im  Rad  37  (1876)  55  konnten  diese  als  Musiker  verkleideten 
Gesandten  auch  —  Kundschafter  gewesen  sein. 

2)  Eine  „hellbraune  Haarfarbe  mit  einem  Stich  ins  Rötliche"  nimmt 
als  ältesten  Typus  der  Slawen  auf  Grund  der  griechischen  und  arabischen 
Berichte  und  neuerer  anthropologischen  Untersuchungen  Niederle  an:  Zur 
Frage  über  den  Ursprung  der  Slawen,  Prag  1899,  3f. ;  Slov.  starozitnosti 
1,  97. 


76  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Wälder  und  Gewässer.  Die  Dörfer  liegen  meist  längs  der  Fluß- 
läufe, wenig  voneinander  entfernt.  Bei  dem  Angriff  auf  die  ersten 
Ansiedlungen  flieht  alles  in  die  Wälder  und  Sümpfe,  macht  Aus- 
fälle aus  dem  Dickicht  und  lockt  den  Feind  hinein,  wie  in  eine 
Falle.  Deshalb  sei  es  leichter,  im  Winter  mit  ihnen  Krieg  zu 
führen;  da  seien  die  Gewässer  zugefroren,  der  Wald  laublos,  und 
der  Schnee  verrate  jede  Spur.  Diesen  Vorzug  der  Winterfeldzüge 
kannte  man  im  Mittelalter  ebensogut  in  Rußland  und  Litauen,  wie 
in  den  Hämusländern,  noch  in  den  Zeiten  der  Kaiser  Basilios  IL 
und  Manuel  Komnenos.  Aber  der  Verfasser  der  Strategica  rät, 
auch  den  Sommer  nicht  unbenutzt  zu  lassen,  da  die  Dichtigkeit 
der  Laubwälder  den  römischen  Gefangenen  im  Slawenlande  die 
Flucht  erleichtere.  Zu  operieren  sei  mit  leichtbewaffneten  Reitern 
und  Fußgängern,  mit  Pfeilen  und  Wurfgeschossen,  durch  rasch 
in  aller  Stille  ausgeführte  Märsche  und  Überfälle  in  getrennten 
Kolonnen. 

Über  die  religiösen  Anschauungen  der  Slawen  weiß  Prokopios, 
daß  sie  einen  Gott,  Herrn  des  Donners  und  des  Weltalls,  verehrten, 
dem  Ochsen  und  andere  Opfer  dargebracht  wurden.  Daneben 
verehrten  sie  Flußgötter,  Nymphen  und  andere  Dämonen.  Idole 
werden  nicht  erwähnt.  Es  war  ein  einfaches  Heidentum,  wie  das 
der  Kreter  oder  Römer  in  der  ältesten  Zeit.  Nach  den  Stra- 
tegica töteten  sich  die  Witwen  nach  dem  Ableben  des  Mannes. 
Der  König  Musokios  wurde,  wie  Theophylaktos  erzählt,  bei 
einem  Totenmahl  für  seinen  Bruder,  berauscht  vom  Wein,  in 
der  Nacht  von  oströmischen  Truppen  überfallen  und  gefangen  ge- 
nommen. 

Räuberei  und  Krieg  waren  alltäglich.  Slawen  und  Anten 
kämpften  nicht  nur  gegen  Fremde,  sondern  auch  gegeneinander. 
Die  Slawenheere  waren  nach  dem  Geschichtschreiber  Justinians, 
ebenso  wie  es  schon  Tacitus  hervorhebt,  zu  Fuß.  Prokopios 
schildert  auch  die  damaligen  Franken  als  Fußvolk,  bei  welchem 
nur  die  Könige  mit  Gefolge  zu  Pferde  saßen,  in  einer  Zeit,  wo  im 
römischen  Kriegswesen  die  Reiterei  schon  lange  den  Vorrang  hatte. 
Ebenso  bestand  das  Heer  der  Russen  bei  Silistria  (971)  nach  Leon 
Diakonos  nur  aus  Fußvolk.  Gegen  diese  Fußgänger  war  die 
heranstürmende  Kavallerie   der  Hunnen,  Awaren  und  anderer  No- 


Die  Slawen.  77 

madenvölker  im  offenen  Felde  stets  im  Vorteil  Nach  Prokopios 
trugen  die  Slawen  keine  Panzer;  ihre  Bewaffnung  bestand  aus 
Lanze  und  Schild,  oder  aus  zwei  kleinen  Wurfspießen,  die  auch 
Johannes  von  Ephesos  kennt.  Der  hölzerne  Bogen  ist  in  den 
Strategica  die  Hauptwaffe,  mit  kleinen  vergifteten  Pfeilen,  die  man 
in  den  Balkan ländern  noch  im  späten  Mittelalter  kannte.  Nach 
Prokopios,  Johannes  von  Ephesos  und  den  Strategica  kämpften 
die  Slawen  ungern  im  offenen  Felde,  am  liebsten  in  unebenem 
Terrain  hinter  Felsen  und  Bäumen,  in  Wäldern  und  Engpässen, 
geübt  in  Überraschungen  aller  Art,  in  nächtlichen  Überfällen  und 
als  gute  Schwimmer  gewandt  im  Kampfe  in  Gewässern  und 
Sümpfen.  Bald  aber  lernten  sie  auch  gemauerte  Kastelle  zu  neh- 
men und  Stadtmauern  mit  Leitern  zu  stürmen,  nach  einem  Hagel 
von  Geschossen. 

Aus  der  Heimat  brachten  die  Slawen  eine  große  Übung  in 
der  Flußschiffahrt  mit  sich,  die  in  den  Ebenen  von  Rußland  und 
Polen  stets  eine  große  Bedeutung  besaß.  Auf  den  Nebenflüssen 
der  Donau  in  der  jetzigen  Walachei  hatten  sie  nach  Theophylaktos 
oft  an  150  Boote  oder  „Einbäumler^'  (Monoxylen)  beisammen, 
gegen  welche  auch  die  oströmischen  Flußflotten  von  der  Donau 
aus  operierten  ^).  Den  Awaren  bauten  die  Slawen  Schiffe  zum 
Übergang  über  die  Donau  und  die  Save  bei  Sirmium ,  neben 
italienischen  Schiffbaumeistern,  welche  der  Langobardenkönig  da- 
mals dem  Chagan  gesendet  hatte  -).  Die  Flußschiffahrt  erleichterte 
den  Übergang  zur  Seeschiffahrt,  ebenso  wie  die  heidnischen  Russen 
des  9.  und  10.  Jahrhunderts  und  die  Kosaken  des  17.  mit  ihren 
Flußbooten  das  Schwarze  Meer  besuchen  konnten.  Ein  Augen- 
zeuge des  Angriffes  auf  Konstantinopel  (626)  schreibt,  die  Slawen 
hätten,  seitdem  sie  mit  den  Römern  in  Berührung  gekommen  seien, 
viel  Erfahrung  gewonnen  im  Befahren  des  Meeres  ^). 


1)  Es  sind  die  Flüsse  des  heutigen  Rumäniens;  die  Zuflüsse  des 
rechten  Donauufers ,  von  der  Morava  und  dem  unteren  Timok  abwärts, 
eigneten  sich  wegen  ibres  starken  Gefälles  und  ihres  seichten  Wassers  nie 
zur  Schiffahrt. 

2)  Theophylaktos  VI,  3—4.    Paulus  Diaconus  IV,  20. 

3)  Theodoros  Synkellos,  ed.  A.  Mai,  Novae  patrum  bibl.  t.  6, 
430;  ed.    L.  Sternbach,    Rozprawy  der  Krakauer   Akad.    Bd.  30  (1900)  307. 


78  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Bei  dem  Verfall  der  römischen  Grenztruppen  war  es  den 
Slawen  leicht,  das  Beispiel  der  Germanen  und  Hunnen  nachzuahmen, 
die  Provinzen  zu  plündern  und  Städter  und  Bauern  mit  ihren 
Familien  in  die  Gefangenschaft  wegzuliihren.  Von  ihren  Grau- 
samkeiten erzählt  Prokopios,  wie  sie  die  Gefangenen,  welche 
sie  nicht  mitschleppen  konnten,  samt  Ochsen  und  Schafen  in 
den  Häusern  verbrannten.  Andere  Römer  wurden  auf  spitzen 
Pflöcken  gepfählt,  oder  zwischen  vier  Plählen  angebunden  und 
mit  Keulen  wie  Hunde  oder  Schlangen  totgeschlagen.  Alle 
Wege  von  Illyricum  und  Thrakien  waren  nach  diesen  Raub- 
zügen voll  nicht  begrabener  Leichen.  Ein  gefangener  römischer 
Reiteroffizier  Asbad  wurde  von  den  Slawen  geschunden  und  ver- 
brannt (549j  1). 

Das  Verhältnis  der  Slawen  zu  den  Stämmen  der  pontischen 
Hunnen  ist  weuig  bekannt.  Gemeinschaftliche  Züge  konnten  sie 
nicht  unternehmen,  da  die  Hunnen  als  Reiter  rasch  das  ofi*ene 
Land,  meist  im  Winter,  durchzogen,  wo  sie  über  die  gefrorene 
Donau  leicht  hinüberkamen,  die  Slawen  aber  als  Fußvolk  lang- 
samer vorrückten  und  sich  im  Sommer  an  die  Wälder  halten 
mußten,  bevor  ihr  Laub  wieder  abfiel.  Die  Verwirrung,  welche 
die  Züge  der  einen  verursachten,  nützte  allerdings  auch  den  Unter- 
nehmungen der  anderen.  Die  Anten  waren  Feinde  der  Hunnen, 
Justinian  siedelte  sie  als  Grenzwache  gegen  die  Hunnen  an.  Die 
hunnischen  Kutriguren  stachelten  die  Awaren  gegen  die  Anten  auf. 
Mit  den  Römern  hatten  die  Anten  Bündnisse,  sowohl  unter  Justi- 
nian, als  unter  Justin  H.  und  Maurikios.  Auch  mit  den  Ge- 
piden  waren  die  Slawen  nach  den  Berichten  des  Prokopios  be- 
freundet -). 

Als  Söldner  dienten  slawische  Scharen  nicht  nur  bei  dem 
langobardischen  Prinzen  Ildigis,  sondern  auch  bei  den  Römern. 
Es  waren  angeworbene  Truppen  unter  einheimischen  Führern  oder 
Flüchtlinge,  wie  sie  die  Strategica  erwähnen,  durch  die  zahlreichen 


1)  Prokopios  VIT,  38  (Menschenopfer?). 

2)  Anten,  Römer  und  Hunnen:  Prokopios  VII,  14,  33;  Menan- 
d  r  o  s  frag.  6 ;  ein  syrischer  Bericht  bei  M  a  r  q  u  a  r  t  a.  a.  0.  s.  unten ; 
Theophylaktos  VIII,  5,  13. 


Die  Slawen.  79 

Stammfehden  und  die  Blutrache  zum  Übertritt  auf  römisches  Ge- 
biet bewogen.  In  diesen  Zeiten  kam  oft  auch  der  Fall  vor,  daß 
man  Gefangene  in  ferne  Provinzen  als  Soldaten  sendete.  Bei  der 
ersten  Belagerung  Roms  wurden  die  Feldherren  Martinus  und 
Valerianus  nach  Italien  gesendet,  mit  1600  Reitern,  meist  Hunnen, 
Slawinen  und  Anten  (538).  Bei  dem  zweiten  Feldzug  Beiisars 
in  Italien  operierte  eine  in  dem  Kleinkrieg  geübte  Schar  von 
300  Anten  in  Lukanien  (547)  ^).  Auf  dem  persischen  Kriegs- 
schauplatz in  Lazica  (549 — 556)  erwähnt  Agathias  einen  Anten 
Dabragezas  als  Unterfeldherrn  (Taxiarchen)  in  den  Reitergefechten 
und  bei  den  SchifFsoperationen  gegen  die  Perser  am  Phasis  (sein 
Sohn  heißt  schon  Leontiosj  und  einen  Slawen  Svarun  in  den 
Kämpfen  gegen  die  kaukasischen  Misimianen  -).  Auch  unter 
Kaiser  Maurikios  wird  bei  Theophylaktos  ein  Slawe  Tatimir  als 
Befehlshaber  einer  römischen  Abteilung  an  der  Donau  genannt. 
Diese  Söldner  unter  den  Fahnen  von  Byzanz  waren  wohl  die 
ersten  Christen  unter  den  Slawen;  Heiden  duldete  man  im  kaiser- 
lichen Heere  nicht  mehr.  Aus  dieser  Zeit  stammen  wahrscheinlich 
die  ersten  Anfänge  der  slawischen  Terminologie  für  die  Begriffe 
des  Christentums,  in  welcher  z.  B.  mit  dem  Namen  Christi  nicht 
nur  die  Christen,  sondern  auch  das  Kreuz  (serb.  krst)  und  die 
Taufe  (serb.  krstiti)  bezeichnet  wurden.  Durch  den  Verkehr  mit 
den  Donaurömern  und  den  Byzantinern  beginnt  bei  den  Südslawen 
die  Aufnahme  zahlreicher  romanischer  und  griechischer  Fremd- 
wörter. Die  Berührung  mit  den  Romanen  war  in  der  älteren 
Zeit  intensiver,  als  die  mit  den  Griechen.  Die  Slawen  bezeichneten 
die  Byzantiner  nur  selten  als  Römer  (Rumi),  wie  sich  die  Ost- 
römer selbst  nannten  {' Pio^ialot)  oder  wie  sie  von  den  Persern, 
Arabern  und  Türken  genannt  wurden  (Rum,  Urum),  sondern  meist 
als  Griechen  (Grk,  Grein),  ganz  nach  dem  romanischen  Sprach- 
gebrauch (rum.  und  alb.  Grek).  Der  Kaiser,  spätlateinisch  caesar, 
hieß  auch  bei  den  Slawen  cesar,  wie  noch  in  der  kirchen- 
ölawipchen  Evangelienübersetzung  und  anderen  älteren  Schriften 
zu  lesen  ist,  bei  den  Kroaten  heute  noch  cesar,  cesar,  im  Osten 


1)  Prokopios  V,  27;  VI,  2G ;  VII,  22. 

2)  Agathias  III,  7,  21;  IV,  20. 


80  Zweites  Buch.     Erstes  Kapitel. 

schon  im  Mittelalter  infolge  der  Betonung  der  Endsilbe  kontrahiert 
zu  CBsar,  car.  Die  Kaiäerstadt  Konstantinopel  nannte  man  sla- 
wisch Cesar'  grad  (caesaris  civitas),  später  Car'  grad,  serbisch 
jetzt  Carigrad  i). 


1)   Vgl,    meine    Rom.    Dalm.    1,    36;    3,    73;  Arch.    slav.    Phil.    81 
(1910)  450. 


Zweites  Kapitel. 

Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer^). 

Von  Invasionen  der  Slawen  über  die  Donau  ist  zuerst  die 
Rede  unter  Kaiser  Justin  I,  (518 — 527),  noch  mehr  seit  dem 
Regierungsantritt  des  Kaisers  Justinian  (August  527).  Die  Ge- 
schichte der  älteren  Einfälle  518 — 552  ist  nur  aus  zusammen- 
hangslosen Episoden  in  den  Kriegsgeschichten  des  Prokopios  be- 
kannt Unter  Justin  I.  zog  ein  großes  Heer  der  Anten  über  die 
Donau,  wurde  aber  von  Justinians  Neffen  Germanus  vollständig 
geschlagen  '^).  Von  Justinian  bis  Heraklios  führten  die  Kaiser 
den  Titel  „Anticus";  der  Name  der  „Slavinen"  erscheint  dagegen 
nirgends  in  den  Triumphaltiteln  ^).  Gegen  die  Slawen  kämpfte 
unter  Justinian  der  Feldherr  Chilbudios  drei  Jahre  mit  Glück, 
durch  offensive  Operationen  jenseits  der  Donau,  bis  er  mit  einer 
Übermacht  zusammenstieß  und  im  Kampfe  fiel.  Darauf  besiegten 
die  „Slavinen"  auch  ihre  Nachbarn,  die  Anten.     Der  Kaiser  bot 


1)  Literatur:  E.  Dumm  1er,  Über  die  älteste  Geschichte  der  Slawen 
in  Dalmatien  549—928:  SB.W.Akad.  20  (1856).  ß.  Roesler,  Über  den 
Zeitpunkt  der  slaw.  Ansiedlung  an  der  unteren  Donau:  eb.  73  (1873). 
M.  Drinov,  Die  Besiedelung  der  Balkanhalbiusel  durch  die  Slawen,  russ. : 
Ctenija  der  bist  Ges.  in  Moskau  1872  Heft  4.  Dazu  die  oben  erwähnten 
Werke  von  Stanojevic,  Niederle  u.  a. 

2)  Prokopios  ed.  Haury  VII,  40.  Alle  Kodizes  haben  YoranVo?, 
alle  Editionen  von  Maltretus  bis  Haury  die  Emendation  ^lovoTivtavög. 
Vgl.  Niederle:  Cesky  casopis  historicky  11  (1905)  137,  ebenso  Slov.  sta- 
rozitnosti  2,  191  f. 

3)  Justinians  Novellen  ed.  Zachariae  1  p.  137;  Ins  graecorom. 
3,  13,  34;  Chron.  Paschale  1  p.  636;  Gasquet,  L'empire  byz.  et  la  mon- 
archie  franque  (Paris  1888)  199  A.  5  (Maurikios). 

Jirecek,  Geschictit'i  der  Serben,    I.  6 


83  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

den  Anten  die  verödete  Burg  Turris  an,  eine  Gründung  Trajans, 
vielleicht  das  römische  Dinogetia  am  linken  Donauufer  bei  Ga- 
latz, mit  der  Verpflichtung,  die  Grenze  gegen  die  Hunnen  zu 
bewachen.  Die  Anten  wollten  den  angeblich  noch  in  der  Ge- 
fangenschaft lebenden  Chilbudios  zum  Befehlshaber  der  Ansied- 
lung  Seine  Rolle  spielte  ein  Ante,  welcher  auch  Lateinisch  kannte 
{ytativtov  (fO)vrj)  und  von  einem  römischen  Gefangenen  zu  dieser 
Rolle  angestiftet  worden  war,  aber  schon  auf  dem  Wege  nach 
Konstantinopel  wurde  er  von  Narses  entlarvt  und  in  Ketten  in 
die  Hauptstadt  gesendet.  Von  Feindseligkeiten  der  Anten  gegen 
die  Römer  ist  bei  Prokopios   keine  Rede  mehr. 

Die  Angriffe  der  Slawen  verstärkten  sich  nach  548.  Pro- 
kopios weiß  nicht,  ob  sie  von  selbst  kamen,  infolge  des  Mißerfolges 
der  Heere  Justiaians  in  Italien,  oder  ob  sie  der  Gotenkönig  Totila 
dazu  aufgefordert  hat.  Ein  großes  Heer,  das  auch  Burgen  ein- 
nahm ,  plünderte  die  illyrischen  Provinzen  bis  in  die  Nähe  von 
Dyrrhachion;  die  Befehlshaber  von  lllyricum  wagten  mit  ihren 
15  000  Mann  Lokaltruppen  keinen  Angriff  und  beobachteten  den 
Feind  nur  aas  der  Ferne  (548).  Im  folgenden  Jahre  zogen  3000 
Slawen  über  die  Donau,  Hämus  und  Hebros,  schlugen  kleinere 
römische  Abteilungen,  erstürmten  die  Stadt  Topiros  am  Nestos  im 
Küstengebiet  unter  der  Rhodope  und  kehrten  mit  einer  Menge  von 
Gefangeneu  zurück  (549).  Als  Germanus  in  Serdica  eine  neue 
Armee  zum  Zug  nach  Italien  sammelte,  erschien  ein  Slawenheer, 
größer  als  alle  früheren,  bei  Naissus,  mit  der  Absicht,  Thessalonich 
und  die  benachbarten  Städte  zu  belagern.  Germanus  erhielt  vom 
Kaiser  den  Befehl,  für  die  Sicherheit  von  Thessalonich  zu  sorgen 
und  den  Feind  zu  vertreiben.  Die  Slawen  gaben  den  Marsch 
nach  Süden  auf,  wagten  sich  nicht  in  die  Ebene,  durchzogen  aber 
dafür  alle  Bergländer  lUyricums  bis  nach  Dalraatia  hinein.  Als 
Germanus  im  Herbst  550  starb  und  sein  Heer  in  das  Winterlager 
nach  Salona  abzog,  verstärkten  sich  die  Slawen  durch  neue  Scharen 
und  überwinterten  (550 — 551)  auf  römischem  Boden  „wie  im 
eigenen  Lande".  Justinian  sendete  gegen  sie  den  Eunuchen  Schola- 
stikos  mit  fünf  Unterfeldherren,  doch  die  Römer  erlitten  in  der 
Nähe  von  Adrianopel  bei  einem  übereilten  Angriff  auf  den  in 
einer  höheren  Stellung  gelagerten  Feind  eine  empfindliche  Nieder- 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  83 

läge.  Die  Slawen  plünderten  sodann  auch  im  Osten  Thrakiens 
bis  zur  Großen  Mauer  und  wurden  erst  auf  dem  Rückweg  von 
römischen  Truppen  teilweise  zersprengt  (551).  Noch  kurz  vor 
dem  Siege  des  Narses  in  Italien  (552)  beunruhigte  ein  slawisches 
Heer  die  Landschaften  von  Illyricum.  Justinus  und  Justinianus, 
die  Söhne  des  Germanus,  versuchten  mit  ihren  schwachen  Truppen 
keine  Schlacht  und  konnten  den  Feind  auch  an  der  Rückkehr 
über  die  Donau  nicht  hindern;  die  Slawen  wurden  samt  ihrer 
Beute  von  den  Gepiden  hinübergeführt,  wobei  sie  angeblich  ein 
Goldstück  für  jeden   Kopf  zahlten. 

Im  Osten  tauchte  bald  ein  neues  türkisches  Nomadeuvolk 
auf,  das  langsam  zur  mittleren  Donau  vorrückte,  die  A waren, 
slawisch  Obri  (Sing.  Obrin)  genannt.  Das  Wort  avar  bedeutet 
türkisch  (auch  osmanisch)  heute  noch  einen  Flüchtling  oder  Vaga- 
bunden. Die  Awaren  wurden  von  den  damals  mächtigen  Westtürken 
Turkestans  geschlagen  und  zum  Azowschen  Meer  vertrieben.  In 
der  pontischen  Steppe  brachen  sie  die  Macht  der  Hunnen  und 
verheerten  das  benachbarte  Land  der  Anten.  Im  Jahre  558  kamen 
ihre  Gesandten  zuerst  nach  Konstantinopel,  den  Hunnen  ähnliche, 
häßliche  Leute  mit  langen  Zöpfen,  welche  ihr  Volk  als  das  größte 
und  stärkste  der  Welt  vorstellten.  Die  Langobarden  verbündeten 
sich  mit  ihnen  gegen  die  Gepiden,  indem  sie  ihnen  die  Hälfte  der 
Beute  und  das  ganze  Gepidenland  versprachen.  Die  Gepiden 
wurden  vollständig  geschlagen  und  ihr  Königreich  für  immer  ver- 
nichtet (567).  Die  Langobarden  zogen  ab  nach  Italien.  Die  Awaren 
ließen  sich  in  denselben  Ebenen  nieder,  in  welchen  vor  etwas  mehr 
als  einem  Jahrhundert  Attila  seine  Residenz  hatte.  Ihr  Herrscher 
führte,  wie  bei  den  Chazaren  und  anderen  türkischen  Völkern,  den 
Titel  Chagan.  Sein  Tron,  ein  goldener  Stuhl,  wurde  ebenso  wie  bei 
den  innerasiatischen  Türken  auf  Feldzügen  mitgeführt  ^).  Der 
Ruhm  der  awarischen  Geschichte  knüpft  sich  an  drei  Chagane. 
Der  erste  war  der  bei  Menandros  oft  genannte  Bajan ,  der  die 
Awaren  zur  mittleren  Donau  geführt  hatte,  der  Eroberer  von 
Sirmium.  Der  zweite,  der  Gegner  des  Maurikios,  war  Bajans 
älterer  Sohn  unbekannten  Namens.    Der  dritte,  dessen  Namen  wir 


1)  Menandros  frag.  65,  vgl.  frag.  20. 

6* 


84  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

ebenfalls  nicht  kennen,  war  der  Gegner  des  Heraklios,  ein  jüngerer 
Sohn  Bajans;  nach  Fredegars  Chronik  starb  er  um  630  ^).  Der 
große  Harem  des  Chagans  begleitete  seinen  Herrn  in  den  Fuhr- 
werken des  Nomadenlagers;  die  Hauptfrau  hieß,  wie  bei  den 
Cha^aren,  Chatun  (türk.  chatun  vornehme  Frau,  daraus  neuserb. 
kaduna  türkische  Frau).  Hohe  Würdenträger  waren  die  iu  frän- 
kischen Quellen  genannten  Jugur  und  Capeanus  (y.auyarog  der 
Bulgaren).  Der  Adel  des  Volkes  waren  die  Tudune  und  Tarchane, 
die  beide  auch  bei  den  Chazaren  bekannt  sind  -)  Die  Byzantiner 
geben  keine  Beschreibung  der  awarischen  Residenz;  erst  späte 
fränkische  Berichte  schildern  den  Wohnsitz  der  Awaren  als  neun 
große  kreisförmige  Gehege,  Umzäunungen  oder  Wälle  (hringus, 
circuli).  Bestattet  wurden  die  Awaren  nach  den  archäologischen 
Untersuchungen  von  Hampel  mit  Pferd,  Zügeln  und  Steigbügeln, 
Waffen,  Schmuck  und  byzantinischen  Münzen  des  6. — 7.  Jahr- 
hunderts. Zahlreich  waren  die  unterworfenen  Völker.  Mitgebracht 
haben  die  Awaren  aus  der  Pontussteppe  Teile  v^erwandter  Nomaden- 
völker, besonders  die  oft  als  Bulgaren  bezeichneten  Kutriguren, 
Während  der  Kämpfe  um  Sirmium  sendete  der  Chagan  einmal 
10  000  Kutriguren  über  die  Save,  um  die  Provinz  Dalmatia  zu 
plündern.  Reste  der  Gepiden  wohnten  in  Dörfern  an  der  Theiß 
und  Donau;  sie  werden  in  der  Zeit  des  Maurikios  und  Heraklios 
genannt,  und  ihre  letzten  Spuren  reichen  bis  in  das  9.  Jahrhundert  ^). 
Slawen  werden  in  Pannonien  in  der  Nähe  von  Sirmium  und  Singi- 
dunum  erwähnt,  ebenso  an  der  unteren  Theiß.  Dazu  kamen  große 
Scharen  von  Gefangenen,  Griechen,  Donaurömer,  Langobarden 
u.  a.     Das  Awarenheer,   ein  Reiterheer,   das,  wie  Älenandros  be- 


1)  Theodoros  Synkellos  §3  (Mai,  Nova  patr.  bibl.  G,  424— 425- 
ed.  Sternbach  p.  301). 

2)  Cacauus,  catuna  mulier,  tarcani  primates:  Carmen  de  Pippini  regis 
victoria  avarica  (79(3)  in  den  Beilagen  bei  Einhard  ed.  Peitz  ^p.  35. 
Tudun:  Zeuß,  Die  Deutschen  739.  Tarebau  bei  den  Chazaren:  Ibn 
Khordädhbeh,  Bibl.  geogr.  arab.  6,  125. 

3)  Teile  der  Gepiden  „usque  hodie,  Hunnis  eorum  patriam  possiden- 
tibus,  duro  imperio  subjecti  gemunt'':  Paulus  Diaconus  I,  27.  „De 
Gepidis  autem  quidam  adhuc  ibi  resident"  (in  Panuonien) :  De  conver.sione 
Bagoariorum  et  Carantanorum  libellus  (um  873),  cap.  6. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  85 

richtet,  unter  Klängen  von  Trommeln  in  die  Schlacht  zog,  hielt 
sich  vorsichtig  in  der  Ebene.  In  den  Feldzügen  gegen  Kaiser 
Maurikios  zog  der  Chagan  nie  auf  dem  geraden  Wege  durch  das 
Gebirge,  über  Naissus  und  Serdica,  sondern  stets  längs  der  Donau 
bis  in  die  Steppen  der  Dobrudza  und  erst  von  dort  über  das 
niedrige  Ostende  des  Hämus  in  die  thrakische  Ebene.  Nach  den 
Strategica  waren  die  awarischen  Reiter  gekleidet  in  Panzer,  be- 
waffnet mit  Lanze,  Schwert,  Bogen  und  Pfeil.  Eine  Menge  von 
Reservepferden  begleitete  das  Heer.  Am  liebsten  kämpften  die 
Awaren  durch  verstellte  Flucht  oder  durch  Überfall  aus  einem 
Hinterhalt,  am  schlechtesten  in  offenem  Gelände  ohne  Wald,  Sumpf 
oder  Schluchten.  Zu  Pferde  aufgewachsen  und  zu  Fuß  ungeübt, 
vermochten  sie  nicht  abzusitzen  und  gegen  eine  gutgeführte  In- 
fanterie zu  kämpfen  ^).  Vor  Konstantinopel  626  bildeten  nach 
Theodor  Synkellos  die  erste  Schlachtreihe  des  Awarenheeres  Slawen 
zu  Fuß  ohne  Panzer;  solche  slawische  Plänkler  vor  der  Aufstellung 
der  Awaren,  welche  die  Schlacht  zu  eröffnen  pflegten,  kennt  auch 
Fredegar.  In  den  Beziehungen  zu  anderen  Völkern  galten  die 
Awaren  als  geldgierig  und  treulos.  Ihr  Traum,  Konstantinopel 
auszuplündern  und  in  unbewohnte  Ruinen  zu  verwandeln,  ging 
nicht  in  Erfüllung.  Aus  den  erbeuteten  Kirchengewändern  machten 
sie  Prachtkleider  für  ihre  Weiber  ^).  Noch  die  Franken  Karls  des 
Großen  erbeuteten  in  der  Residenz  des  Chagans  gewaltige  Schätze 
von  Gold  und  Silber.  Verträge  und  Eide  zu  halten  war  nicht 
awarische  Sitte.  Gesandte  der  Anten  töteten  sie,  Gesandte  der 
Römer  hielten  sie  gefangen.  Bajan  schwor  vor  Seth,  dem  Befehls- 
haber von  Singidunum,  er  werde  gegen  die  Römer  nichts  unter- 
nehmen, zuerst  nach  awarischer  Art  über  dem  Schwerte,  dann 
nach  römischer  Art  beim  Evangelium,  und  ging  sofort  an  die 
Belagerung  der  Römerstadt  Sirmium.  Vergeblich  waren  alle  feier- 
lichen Abmachungen  des  Kaisers  Heraklios  mit  den  Awaren.  Es 
gibt  in  der  Geschichte  kaum  ein  Volk,  das  allen  Nachbarn  in 
solchem  Maße  verhaßt  war.  Die  Chronik  des  sogenannten  Fre- 
degar berichtet,  wie  sie  alljährlich  zu  den  Wenden  in  die  Winter- 


1)  Strategica  XI,  3  ed.  Scheffer  p.  260  sq. 

2)  Marquart,  Osteurop.  Streifzüge  484.     Carmen  a.  a.  0.  v.  13 sq. 


86  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

quartiere  kamen  und  sich  die  Zeit  mit  deren  Frauen  vertrieben, 
bis  sich  die  Wenden  gegen  ihre  Bedrücker  erhoben  und  sie  nieder- 
machten. Die  älteste  russisciie  Chronik  verzeichnet  eine  Sage, 
wie  die  A waren  die  Duljebi  (am  Bug)  bedrückten.  Wenn  ein 
Aware  ausfahren  wollte,  habe  er  vor  dem  Wagen  nicht  Pferde 
oder  Ochsen  eingespannt,  sondern  drei  bis  fünf  Frauen  der  Dul- 
jebi. Aber  zuletzt  sei  dieses  hoffärtige  Volk  von  Gott  ganz  auf- 
gerieben worden,  wie  es  denn  in  Rußland  noch  in  der  Zeit  des 
Annalisten  (um  1100)  ein  Sprichwort  gab:  „Sie  gingen  zugrunde 
wie  die  Awaren." 

Die  ersten  Kämpfe  zwischen  den  Römern  und  Awaren  hatten 
die  römischen  Grenzfestungen  Sirmium  und  Singidunum  zum  G  en- 
stand,  welche  schon  längere  Zeit  ein  unsicherer  Besitz  a  der 
Grenze  gegen  die  Goten  und  Gepiden  gewesen  waren.  Sirmium 
,ging  bald  verloren,  Singidunum  wurde  zähe  gehalten.  Eine  ener- 
gische Offensive  gegen  die  Awaren  verhinderte  der  zwanzigjährige 
Perserkrieg  (672—591),  mit  wechselndem  Glück  geführt  von  drei 
Kaisern,  bis  endlich  innere  Umwälzungen  im  persischen  Reiche 
den  Römern  einen  Erfolg  brachten,  allerdings  nach  einer  großen 
Erschöpfung  des  Staatsschatzes.  Die  Awaren  wurden  damals  vom 
Feldherrn  Bonus  und  dem  schönen  Thraker  Tiberios,  welcher 
später  Mitregent  und  Kaiser  wurde,  besonders  aber  durch  ein 
Jahrgeld  von  80  000  Goldstücken  von  Sirmium  zurückgewiesen. 
Die  Slawen  verheerten  in  diesen  Jahren  unter  Justin  II.  und  noch 
mehr  unter  Tiberios  IL  nicht  nur  Thrakien  und  lUyricum  i), 
sondern  zogen,  angeblich  100  000  Mann  stark,  bis  nach  Griechen- 
land. Ein  Zeitgenosse,  der  Syrer  Johannes,  Bischof  von  Ephesos, 
einst  Justinians  Günstling  als  Missionar  unter  den  Resten  der 
Heiden  in  Kleinasien,  von  Justin  IL  aber  verfolgt  als  Mono- 
physite,  schreibt,  das  „verwünschte  Volk  der  Slawen''  habe  alles 
Land  bis  in  die  Umgebung  von  Konstantin opel  verwüstet,  „ganz 
Hellas,  die  thessalischen  und  thrakischen  Provinzen ''  durchzogen, 
geplündert  und  vier  Jahre  darin  frei  gewohnt,  wie  in  seinem 
eigenen    Lande.      Zur    Zeit,     als    der    Verfasser    schrieb     (584), 

1)  Jobannes  Biclariensis  zu  575  und  582 :  Mou.  Germ.,  Auetores 
antiq.  11,  214-215. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Häinusländer,  87 

„wohnen,  sitzen  und  ruhen  sie  in  den  römischen  Provinzen,  ohne 
Sorge  und  Furcht,  plündernd,  mordend  und  brennend,  sind  reich 
gewoi'den  und  besitzen  Grold  und  Silber,  Pferdeherden  und  viele 
Waffen,  und  haben  gelernt  Krieg  zu  führen,  wie  die  Römer.  Und 
doch  sind  es  einfältige  Leute,  die  sich  außerhalb  der  Wälder  und 
holzfreien  Gegenden  nicht  sehen  zu  lassen  wagen".  In  diese  Zeit 
gehört  das  erste  Erscheinen  der  Slawen  vor  Thessalonich;  5000 
Mann  kamen  gerade  am  St.  Demetriostage  und  wurden  durch 
einen  Ausfall  weggetrieben  ^).  Um  diese  Invasionen  einzustellen, 
verbündeten  sich  die  ßömer  mit  den  Awaren,  die  den  Slawen 
Daziens  todfeind  waren.  Der  Zug  des  Chagans  (578)  ging  nicht 
direkt  durch  Siebenbürgen  in  die  heutige  Walachei.  Ein  awarisches 
Heer  von  angeblich  60000  gepanzerten  Reitern  wurde  in  Panno- 
nien  auf  das  römische  Donauufer  gesetzt,  zog  die  Donau  entlang 
abwärts  bis  in  die  Dobrudza  und  wurde  in  der  Provinz  Scythia 
wieder  von  römischen  Schiffen  auf  das  linke  Ufer  hinübergeführt. 
Das  Slawenland  war  nach  Menandros  damals  sehr  reich,  voll  Beute 
aus  den  römischen  Provinzen,  weil  es  noch  nie  von  fremden  Völ- 
kern geplündert  worden  war.  Die  Einwohner  zogen  sich  vor  den 
Awaren  in  die  Wälder  zurück.  Der  Chagan  befreite  viele  Tau- 
sende römischer  Gefangenen,  aber  als  er  von  den  Slawen  einen 
Tribut  verlangte,  wurden  seine  Sendboten  erschlagen  -).  Die 
römisch-awarische  Freundschaft  nahm  bald  darauf  ein  plötzliches 
Ende.  Die  Awaren  belagerten  Sirmium  durch  drei  Jahre  (579 
bis  582).    Der  Perserkrieg  vereitelte  jeden  energischen  Entsatz  ^). 


1)  Die  ZxXaßrjvoi  in  'EXXdg  (577):  Menandros  frag.  47,  48.  Jo- 
hannes von  Ephesos  VI,  25  (581),  übers,  von  Payne  Smith  (Oxford 
1860)  und  Jos.  Schönfelder  (München  1862)  255.  Differenzen  dieser  Über- 
setzungen: Gutschmid,  Kleine  Schriften  5,  433  und  A.  Vasiljev,  Viz. 
Vrem.  5  (1898)  409  Auszüge  aus  Johannes  bietet  der  Patriarch  Michael: 
Chronique  de  Michel  le  Syrien,  M.  et  trad.  par  J.  B.  Chabot,  Paris 
1899—1905.     Chronologie:  Niederle,  Slov.  starozitnosti  2,  203 f. 

2)  Menandros  frag.  48. 

3)  Menandros  frag.  63 — 66.  Der  awarische  Zug  gegen  die  Slawen 
fiel  in  die  Zeit  der  Mitregentschaft  des  Tiberios  (als  Kaisar):  Dezember 
574  bis  September  578;  die  Belagerung  von  Sirmium  in  die  Zeit  seiner 
Alleinregierung:  26.  September  578  bis  14.  August  582. 


88  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Den  Stoßseufzer  eines  Griechen  der  Besatzung  enthält  eine  jüngst 
gefundene  Inschrift  auf  einem  Ziegel:  „Christus  o  Herr,  hilf  der 
Stadt,  halte  die  Awäreu  ab,  beschütze  Romanien  und  denjenigen, 
der  dieses  geschrieben  hat  i)."  Endlich  befahl  Kaiser  Tiberios 
seineu  hart  geprüften  Truppen  und  den  halb  verhungerten  Ein- 
wohnern, die  Stadt  zu  räumen,  erneuerte  die  Verträge  mit  den 
Awaren  und  zahlte  dem  Chagan  die  Jahrgelder  sogar  für  die  drei 
Kriegsjahre.  Johannes  von  Ephesos  erzählt,  Sirmium  sei  schon 
nach  einem  Jahre  durch  eine  Feuersbrunst  vollständig  zerstört 
worden ;  die  Barbaren  verstanden  nicht  zu  löschen  und  flohen  ent- 
setzt aus  der  brennenden  Stadt. 

Die  Geschichte  des  Kaisers  Maurikios  (582 — 602)  ist  aus 
dem  unter  Heraklios  verfaßten  Geschichtswerk  des  Ägypters  Theo- 
phylaktos  Simokattes  bekannt  ''*).  Zum  letztenmal  erscheinen  darin 
die  Namen  der  römischen  Städte  an  der  Donau  von  Singidunum 
abwärts.  Das  Innere  der  Hämushaibinsel  war  damals  ein  schwach 
bewohntes  Gebiet,  in  der  Art  der  Landschaften  des  heutigen  Klein- 
asiens oder  Persiens.  An  den  Ufern  der  Donau,  in  den  Tälern 
des  Hämus  und  im  Innern  der  Provinz  Dalmatia  gab  es  stellen- 
weise ausgedehnte  menschenleere  Wüsten.  Die  größte  Sorge  des 
Kaisers  war  noch  immer  die  Behauptung  der  Donaugrenze  gegen 
die  Awaren  und  Slawen  ^).  Die  Slawen  in  der  jetzigen  Walachei 
wollte  man  deshalb  im  eigenen  Lande  beschäftigen;  geplant  waren 
Winterfeldzüge,  welche  jedoch  durch  die  Unbotmäßigkeit  der 
Truppen  jedesmal  verhindert  wurden.  Der  Chagan  erhob  An- 
sprüche auf  dieses  Slawenland,  mußte  aber  zugeben,  daß  der  Über- 
gang römischer  Truppen  über  die  Donau  kein  Friedensbruch  sei. 
Andere  Scharen  von  Slawen  mögen  schon  damals  auf  römischem 
Boden  in  den  Bergen  von  Thrakien  und  Illyricum  ständig  ge- 
wohnt haben,  man  scheint  sie  jedoch  als  minder  gefahrlich  be- 
trachtet zu  haben  und  suchte  vor  allem  die  großen  Einbrüche  über 
die  Donau  einzudämmen. 


1)  Brun§mid  im  Eranos  Vindobonensis  (Wien  1893);  vgl.  Byz.  Z.  3 
(1894)  222. 

2)  Mit  einer  Lücke  593—597:  Bury,  A  history   of  the   later   Roman 
empire  2,  134;  Derselbe,  English  bist,  review  3  (1888)  310—315. 

3)  Theophylaktos  Simokattes  VI,  6,  2. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  89 

Gleich  anfangs  überrumpelte  der  Cliagan  in  gewohnter  Weise 
mitten  im  Frieden  Singidunum,  eroberte  Viminacium,  rückte  bis 
zur  Pontusküste  und  erzwang  eine  Erhöhung  des  Jahrgeldes  auf 
100  000  Goldstücke.  Der  Feldherr  Comentiolus  schlug  dann  die 
in  Thrakien  plündernden  Slawen  in  zwei  Schlachten,  in  einer  auch 
ihren  Fürsten  Radogost  ^).  Bald  erschien  der  Chagan  zum  zweiten- 
mal, lagerte  bei  Tomi  an  der  Pontusküste,  besiegte  den  Comen- 
tiolus im  östlichen  Hämus  und  drang  in  Thrakien  ein;  die  Städte 
südlich  des  Hämus  waren  aber  besser  bevölkert  und  verteidigt, 
als  die  an  der  Donau,  und  die  A waren  wurden  bei  Adrianopel 
völlig  geschlagen.  Syrische  Historiker,  der  Zeitgenosse  Euagrios 
und  der  Patriarch  Michael  im  12.  Jahrhundert,  in  dessen  Chronik 
sich  ein  Auszug  aus  den  verloren  gegangeneu  Partien  des  Johannes 
von  Ephesos  erhalten  hat,  berichten  von  Invasionen  nach  Grie- 
chenland, welche  Theophylaktos  nicht  erwähnt.  Nach  Euagrios 
soll  damals  „ganz  Hellas"  von  den  Awaren  verwüstet  worden 
sein ;  nach  Michael  war  es  das  „Volk  der  Slawen  ",  welches  überall 
Gefangene  machte  und  die  Kirchen  plünderte,  besonders  die  von 
Korinth,  Damals  (586)  erschien  ein  Slawenheer  vor  Thessalonich 
und  versuchte  die  Mauern  mit  Leitern  zu  ersteigen.  Die  Römer 
haben  indessen  wieder  die  Anten  gewonnen,  welche  das  Land  der 
Slawen  überfielen  und  verwüsteten  -). 

Als  der  Perserkrieg  mit  der  Einsetzung  des  Königs  Chos- 
roes  n.  (591  —  628)  durch  römische  Truppen  beendigt  war,  fehlte 
es  an  Mitteln,  die  großen  Heere  des  östlichen  Kriegsschauplatzes 
im  Westen  zu  verwenden.  Der  Chagan  rückte  bei  dem  erneuerten 
Singidunum  vorüber  nach  Thrakien,  schlug  den  Feldherrn  Priscus 


1)  'A{)öüyuaTog;  über  die  Lautform  vgl.  Paul  Kretscbmer,  Arch. 
slaw.  Phil.  27  (1905)  231.  Ein  Mönch  Joannes '/i/()J'«)'«ffrr?j'o,-  im  11.  Jahrb.: 
Viz.  Vrem.  4  (1897)  374. 

2)  Michael  X,  21  ed.  Ciiabot  2,  361,  von  Marquart  a.  a.  0. 
480f.  in  die  Zeit  des  Tiberios  II.  vorlegt,  von  Nieder le,  Slov.  starozit- 
nosti  2,  213 f.  mit  Rücksicht  auf  die  erhaltenen  Titel  der  Kapitel  des  Jo- 
hannes von  Ephesos  in  die  Zeit  587 — 589,  im  Anschluß  an  die  seit  Fall- 
merayer  oft  erörterten  Daten  zur  Geschichte  von  Hellas.  Die  Slawen  am 
Sonntag  22.  September  58G  vor  Thessalonich  (nicht  597):  Stanojeviö,  By- 
zanz  und  die  Serben  2,  208. 


90  Zweites  Bucb.     Zweites  Kapitel. 

an  den  Gestaden  der  Propontis,  schloß  aber  schleunigst  Frieden  auf 
das  Gerücht,  daß  eine  Flotte  die  Donau  bis  ins  Awarenland  hinauf 
segeln  werde.  Nun  wendete  sich  der  Kaiser  gegen  die  Slawen  in 
der  heutigen  Walachei.  Von  den  Truppen  des  Priscus  wurde  bei 
einem  Sommerfeldzug  in  den  Wäldern  und  Sümpfen  des  Landes 
der  oben  erwähnte  Fürst  Radogost  gegenüber  von  Dorostolon 
(Silistria)  geschlagen,  sein  Nachbar  Musokios  gefangen.  Im  näch- 
sten Jahre  erkämpfte  Petrus,  der  Bruder  des  Kaisers,  westlich 
von  Asemus  den  Übergang  über  die  Donau,  wobei  der  slawische 
Fürst  Pirogost  fiel,  aber  der  schwierige  Vormarsch  durch  wasser- 
lose Wälder  voll  lauernder  Feinde  führte  bald  wieder  zur  Um- 
kehr ^).  Diese  Feldzüge  haben  die  Räubereien  der  Slawen  auf 
der  Halbinsel  nicht  eingestellt.  Ein  Transport  des  Priscus  mit 
Beute  wurde  im  Hämusgebiete  von  Slawen  überfallen.  Die  Vor- 
hut des  Petrus  stieß  in  Untermösien  zwischen  Marcianopolis  und 
der  Donau  auf  eine  Schar  von  600  Slawen,  welche  sich  bei  dem 
Anmarsch  der  Römer  rasch  mit  einer  Wagenburg  umschlossen, 
ihre  Gefangenen  niedermachten  und  in  tapferem  Kampfe  alle  fielen. 
Bald  darauf  mußte  Petrus  haltmachen,  weil  der  Kaiser  hörte,  ein 
Heer  der  Slawen  sei  gegen  Konstantinopel  in  Anmarsch.  Die 
Awaren  überrumpelten  dann  von  neuem  Singidunum,  wurden  aber 
von  Priscus  vertrieben.  Aus  Rache  zog  der  Chagan  in  die  Pro- 
vinz Dalmatia,  wo  er  eine  sonst  unbekannte  Stadt  (Boy/.Eig  des 
Theophylaktos,  Bd?<./.rjg  des  Theophanes)  mit  Kriegsmaschinen  er- 
oberte und  40  Burgen  zerstörte.  Doch  auf  der  Rückkehr  wurden 
die  Awaren  in  den  Wäldern,  wohl  auf  der  Straße  von  Sirmium 
nach  Salona,  von  dem  Unterfeldherrn  Guduin,  einem  Germanen, 
überfallen  und  geschlagen  (598).  Nach  einer  kurzen  Friedenszeit 
lagerte  der  Chagan  abermals  in  der  Dobrudza  bei  Tomi  den  ganzen 
Winter  hindurch  und  rückte  von  dort  in  Thrakien  ein,  als  aber 
in  seinem  Lager  zu  Drizipera  bei  Adrianopel  eine  furchtbare  Seuche 
ausbrach,  trat  er  nach  Erneuerung  der  Verträge  wieder  den  Rück- 


1)  ITfiQdyceaTog,  Pirogost  von  pir  Festtag,  Hochzeit,  gost  Gast.  Ein 
Kaufmann  desselben  Namens  hat  nach  den  russ.  Annalen  in  Kiew  im 
12.  Jahrh.  eine  Muttergotteskirche  gestiftet,  erwähnt  auch  im  Lied  von  der 
Heerschar  Igors  (1185). 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  91 

zug  an.  Die  großen  Verluste  des  Feindes  ermöglichten  den  Rö- 
mern in  demselben  Sommer  (600)  eine  Offensive.  Priscus  zog  bei 
Viminacium  über  die  Donau  in  die  Ebenen  des  Awarenlandes, 
schlug  den  Chagan  in  drei  Gefechten,  verheerte  die  Dörfer  der 
Gepiden  jenseits  der  Theiß  {Tiaadg  Ttovaiioo)  und  erfocht  noch 
zwei  Siege  über  Awaren  und  Slawen  an  den  Ufern  dieses  Flusses. 
Mit  17  200  Gefangenen  kehrten  die  Römer  über  die  Grenze  zu- 
rück; davon  waren  3000  Awaren,  8000  Slawen,  4000  Gepiden 
und  2200  andere  Barbaren.  Der  Erfolg  wurde  aber  nicht  aus- 
genutzt. 

Über  Dalmatien  haben  wir  aus  dieser  Zeit  einige  Nachrichten 
in  dem  Briefwechsel  des  Papstes  Gregor  I.  (590 — 604).  Ebenso 
wie  bei  Theophylaktos  die  Donaustädte,  werden  in  diesen  Papst- 
briefen zum  letzten  Male  zahlreiche  Röraerstädte  des  Westens  ge- 
nannt, vor  allem  Justiniana  Prima,  Doclea,  Epidaur  und  Salona« 
Das  Innere  von  lllyricum  war  nach  dem  Fall  von  Sirmium  durch 
die  Verwüstungen  der  Barbaren  herabgekommen.  In  dem  vom 
Kriegsschauplatz  mehr  entfernten  Küstenlande  führten  aber  die 
Stadtbürger,  geteilt  in  Geistliche,  Vornehme  und  das  Volk  (clerus, 
nobiles,  populus),  ein  Leben  voll  Üppigkeit  und  Übermut,  kurz 
vor  dem  Zusammenbruch  aller  Herrlichkeit  der  Römerzeit.  Der 
Papst  tadelt  die  Bischöfe  von  Dalmatien,  daß  sie  sich  zu  sehr  mit 
w^eltlichen  Geschäften  befassen.  Der  Erzbischof  Natalis  von  Sa- 
lona,  nur  mit  Gastmählern  beschäftigt,  verschenkte  Kirchengewänder 
und  Kirchengefäße  an  Verwandte.  Sein  Nachfolger  Maximus  be- 
mächtigte sich  des  Erzbistums  gegen  den  päpstlichen  Kandidaten 
mit  Gewalt,  unterstützt  vom  kaiserlichen  Prokonsul  Marcellinus 
(594).  Erst  nach  einigen  Jahren  wurde  der  Konflikt  beigelegt. 
In  Epidaur  wurde  indessen  der  Bischof  Florentius  gegen  den 
Willen  der  Bürgerschaft  vom  Erzbischof  Natalis  formlos  abgesetzt 
und  verbannt,  während  in  Doclea  der  rechtmäßig  abgesetzte  Bischof 
Paul  seinen  Nachfolger  Neemesion  verjagte  und  sich  des  Bistums 
wieder  bemächtigte.  Dabei  gab  es  noch  Nachklänge  des  Drei- 
kapitelstreites. Bald  aber  pochte  die  Gefahr  auch  an  die  Tore 
der  Römerstädte  längs  der  Küste.  Scharen  von  Slawen,  die  ihren 
Ausgangspunkt  wohl  in  Pannonien  hatten,  begannen  den  Vorstoß 
sowohl  in  die  Täler  der  Ostalpen,  als  nach  Istrien  und  Dalmatien. 


93  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Bei  Paulus  Diaconus  ist  eine  Notiz  erhalten  über  eine  Schlacht 
der  Bajoaren  gegen  Slawen  und  Awaren,  die  nach  dem  Eintreffen 
des  Chagans  mit  einem  Siege  der  Heiden  endigte  (595 — 596). 
Der  Exarch  Callinicus  von  Italien  meldete  bald  nachher  dem 
Papst  Siege  über  die  Slawen  (de  Sclavis  victorias),  wahrscheinlich 
in  Istrien  (598).  Paulus  Diaconus  verzeichnet  eine  gemeinschaft- 
liche Plünderung  Istriens  durch  die  Langobarden,  xl waren  und 
Slawen  (um  600).  Im  Jahre  600  schrieb  der  Erzbischof  Maximus 
von  Salona  dem  Papst  einen  Brief  mit  betrübenden  Nachrichten 
über  die  große  Gefahr,  welche  Üalmatien  von  selten  der  Slawen 
drohte.  Der  Trost  des  Papstes  klingt  sehr  betrübt:  Diejenigen, 
die  nach  uns  leben  werden,  werden  noch  schlechtere  Zeiten  durch- 
machen und  unsere  Tage  als  glückliche  preisen  ^) 

An  der  Donau  war  seit  601  Befehlshaber  wieder  Petrus,  der 
Bruder  des  Kaisers.  Die  Awaren  wollten  im  Herbst  die  Land- 
schaft der  Donaukatarakte  den  Römern  entreißen,  doch  Petrus 
bewog  den  Chagan,  den  Frieden  nicht  zu  stören.  Im  Jahre  602 
rückte  Petras  aus  Adrianopel  zur  Donau  gegen  die  „Slavinia". 
Der  Unterfeldherr  Guduin  ging  über  den  Fluß  und  kehrte  erfolg- 
reich zurück.  Verbündete  der  Römer  waren  dabei  die  Anten. 
Der  Chagan  sendete  seinen  Feldherrn  Apsich  gegen  die  Anten, 
doch  machte  ihm  der  Aufstand  einer  awarischen  Partei,  die  bereit 
war  auf  römisches  Gebiet  zu  fliehen,  große  Sorge.  Schon  wollte 
Petrus  in  die  Winterquartiere  abziehen,  als  ihm  der  Kaiser  den 
Befehl  gab ,  jenseits  der  Donau  im  Slawenland  zu  überwintern. 
Das  Heer  stand  in  Sekuriska  (bei  Nikopol),  während  sich  der 
Spätherbst  durch  Kälte  und  Regengüsse  meldete.  Der  kaiserliche 
Befehl  entfesselte  einen  Sturm  im  Lager.  Die  Donauarmee  ver- 
jagte ihre  Befehlshaber  und  zog  nach  Konstantinopel.  Mau- 
rikios  wurde  auf  der  Flucht  gefangen  und  mit  allen  den  Seinigen 


1)  „Et  quidem  de  Sclavorum  geute,  quae  vobis  valde  imminet,  affligor 
vehementer  et  conturbor.  Affligor  in  bis,  quae  iam  in  vobis  patior;  con- 
turbor,  quia  per  Istriae  aditum  iam  Italiam  iutrare  coeperunt":  Papst 
Gregor  I.  an  Maximus,  episcopus  Salonitanus  im  Juli  600,  Reg.  lib.  X 
ep.  36.  Vgl.  F.  Bulic,  S.  Gregorio  Magno  papa  nelle  sue  relazioui  colla 
Dalmazia  (a.  590—604):  Beilage  zum  Bull.  Dalm.  Bd.  27  (19U4),  47  S.  mit 
3  Tafeln.     Hartmanu,  Geschichte  Italiens  2,  1,  176 f. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  93 

enthauptet.  Zum  Kaiser  wurde  der  Führer  der  Empörer,  der 
thrakische  Centurio  Phokas  gekrönt  (23.  November  6<i2). 

Die  Revolution  der  Donauarmee  brachte  das  römische  Reich 
an  den  Rand  des  Verderbens.  Erbitterte  Parteikämple,  Ver- 
schwörungen und  Aufstände  in  allen  großen  Städten,  die  Aus- 
mordung  der  alten  Regierungsgesellschaft,  der  Angriff  aller  Nach- 
barn, der  Zerfall  der  Heere,  große  Seuchen  und  völliger  Geldmangel 
bilden  die  Geschichte  der  Regierung  des  talentlosen  Soldaten  Phokas 
(602 — 610).  Der  Perserkönig  Chosroes  II.  trat  als  Rächer  seines 
Wohltäters  Maurikios  auf.  Retter  des  Reiches  wurde  Kaiser  He- 
raklios  (610 — 641).  Der  Sieg  über  den  Usurpator  v.'ar  leicht, 
aber  der  Kampf  gegen  die  Perser  wurde  schwer,  besonders  nach- 
dem sie  Syrien,  Palästina  und  Ägypten  erobert  hatten  Heraklios 
mußte  neue  Armeen  schaffen,  zu  ihrer  Ausrüstung  die  Kirchen- 
schätze heranziehen  und  jahrelang,  auch  im  Winter,  fern  von 
Konstantinopel  im  Lager  abwesend  sein.  Nach  schwerem  Ringen 
erfocht  er  einen  glorreichen  Sieg  (628).  Aber  schon  wenige  Jahre 
darauf  folgte  der  Ansturm  der  Heerscharen  eines  neuen  Propheten 
aus  dem  bisher  so  wenig  bekannten  Innern  Arabiens.  Die  Araber 
mit  ihrem  frischen  Enthusiasmus  waren  stärker  als  die  beiden 
bisherigen  Gegner,  Römer  und  Perser.  Das  kaum  wieder  ge- 
wonnene Syrien  und  Ägypten  gingen  rasch  verloren  an  die  neuen 
Eroberer,  welche  dann  das  persische  Reich  in  kurzer  Zeit  ganz  ihrer 
Herrschaft  unterwarfen.  Nur  auf  dem  Meere  waren  die  arabischen 
Flotten  den  Griechen  nicht  gewachsen.  Es  kamen  trübe  Zeiten. 
Das  ganze  Leben  wurde  militarisiert,  und  zur  allgemeinen  V^er- 
armuiig  gesellte  sich  ein  Verfall  der  Kultur  und  Literatur.  Heraklios 
fand  keinen  Historiker  mehr,  nur  einen  Dichter,  gleichfalls  den 
letzten  der  älteren  Schule,  den  begabten  Georgios  Pisides. 

Spärlich  und  lückenhaft  werden  in  diesem  stürmischen  Jahr- 
hundert auch  die  Nachrichten  über  die  Hämusländer.  Der  Chagan 
sendete  dem  Langobardenkönig  Agilulf  slawische  Hilfstruppen  zur 
Eroberung  von  Cremona,  Mantua  und  anderer  Städte  Italiens 
(603)  ^).  Als  die  Perser  den  Angriff  begannen,  erhöhte  Phokas 
das  awarische    Jahrgeld    und    sendete    alle    europäischen    Truppen 


1)  Paulus  Diaconus  IV,  28. 


9t:  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

nach  dem  Osten  (604)  ^).  Während  der  Stürme  im  Osten  standen 
in  Thrakien  und  lUyricum  alle  Wege  den  Awaren  und  Slawen 
offen.  Ein  ägyptischer  Historiker,  Johannes,  der  Bischof  der  Stadt 
Nikiu  im  Nildelta,  berichtet  zum  Jahre  6ü9,  wie  die  römischen 
Provinzen  von  fremden  Völkern  verwüstet,  die  Städte  der  Christen 
zerstört,  die  Einwohner  in  die  Gefangenschaft  weggeführt  wurden; 
„nur  die  Stadt  Thessalonica  wurde  verschont,  denn  ihre  Mauern 
waren  fest,  und  dank  dem  Schutze  Gottes  konnten  sich  die  fremden 
Völker  ihrer  nicht  bemächtigen''  ^).  Merkwürdige  Nachrichten 
enthält  die  St.  Demetriuslegende  von  Thessalonich.  In  Thessalonich 
sammelten  sich  Flüchtlinge  aus  den  Donauländern,  aus  Dardanien 
und  beiden  Dazien,  namentlich  aus  Naissus  und  Serdica.  Auch 
der  ganze  Süden  der  Halbinsel  wurde  von  den  Slawen  geplündert, 
ganz  Thessalien,  Epirus,  Achaja,  mit  Booten  sogar  auch  die  Inseln 
vor  der  thessalischen  Küste,  die  Kykladen  und  ein  Teil  Kleinasiens. 
Vor  Thessalonich  erschienen  fünf  slawische  Stämme:  die  Drugu- 
viten  und  Sagudaten,  welche  nach  dem  Bericht  des  Johannes 
Kameniates  noch  904  in  der  Ebene  vor  den  Stadttoren  wohnten, 
die  Velegeziten,  die  sich  später  in  Thessalien  niederließen,  die 
Vajuniten  und  Berziten  ^).  Die  Slawen  kamen  mit  ihren  Familien, 
um  sich  in  der  Stadt  niederzulassen.  Ihr  Sturm  auf  die  Mauern 
wurde  zurückgeschlagen;  ebenso  mißglückte  der  Angriff  ihrer 
plumpen  Boote  von  der  Seeseite.  Trotz  des  Mißgeschickes  blieben 
sie  in  der  Nähe;  die  Gefangenen  entflohen  aus  ihren  Lagern  oft 
in  die  Stadt,  Da  sendeten  sie  Gesandte  mit  Geschenken  an  den 
Chagan  der  Awaren  um  Hilfe  {ovf.i/.iaxict).  Der  Chagan  kam  per- 
sönlich mit  einem  Heere  von  Awaren,  Slawen  und  Bulgaren,  aus- 
gerüstet mit  Kriegsmaschinen,  gerade  zur  Erntezeit.    Thessalonich 


1)  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  292. 

2;  Johannes  von  Nikiu  (um  661 — 686),  franz.  von  Zotenberg, 
Journal  asiatique,  VII  serie,  vol.  13  (1879)  343.  Zur  Chronologie:  meine 
Rom.  Dalm.  1,  "26;  Nieder le,  Slov.  starozitnosti  2,  227 f. 

3)  Später  gab  es  ein  Bistum  der  Druguviten  unter  dem  Metropoliten 
von  Thessalouich.  Der  Name  der  Sagudaten  (von  einer  Landschaft?)  hat 
nichts  Slawisches.  Im  Namen  der  Velegeziten  ist  ebensowenig  wie  im  Eigen- 
namen Dabragezas  (oben  S.  79)  das  Wort  -gost  zu  suchen ;  das  erste  Thema 
ist  klar:  velij  groß. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  95 

wurde  einen  Monat  lang  belagert,  aber  nach  der  Ankunft  eines 
neuen  kaiserlichen  Statthalters  mit  einer  Flotte  aus  Konstantinopel 
ließ  sich  der  Chagan  die  Gefangenen  abkaufen  und  kehrte  nach 
Pannonien  zurück  ^).  Diese  Berichte  schweigen  über  die  gleich- 
gültigen Romäer,  welche,  unzufrieden  mit  den  Lasten  des  Kaiser- 
tums, sich  mit  den  Barbaren  gütHch  vergHchen.  Ein  syrischer 
Chronist  erzählt,  wie  die  Awaren  und  Slawen  den  Leuten  des  Landes 
sagten:  „Säet  und  erntet;  nur  einen  Teil  der  Steuern  wollen  wir 
euch  abnehmen -j." 

Es  ist  kaum  anzunehmen,  daß  in  diesen  Jahren,  als  so  viele 
Städte  des  Binnenlandes  zerstört  und  selbst  die  Griechen  auf  den 
Inseln  aus  ihrer  Ruhe  aufgescheucht  wurden,  in  Dalmatien  fried- 
liche Zustände  geherrscht  haben.  Die  Lokaltruppen  waren  schwach, 
die  Mauern  nicht  so  fest,  wie  die  von  Konstantinopel  oder  Thessa- 
lonich, die  Hilfe  vom  Reiche  fern.  Es  gibt  nur  späte  Berichte; 
Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos  (um  948)  verwechselt  dabei 
Slawen  und  Awaren,  der  Archidiakon  Thomas  von  Spalato  (f  1268) 
Slawen  und  Goten.  Die  datierten  Inschriften  von  Salona  schließen 
im  Jahre  603  ^).  Aus  einer  alten,  oflfenbar  kirchlichen  Quelle 
stammt  der  Bericht  über  den  Fall  der  Römerstadt  bei  Thomas. 
Die  Barbaren  berannten  Salona  mit  Wurfgeschossen  und  brachen 
während  einer  Panik  unter  den  Belagerten  in  die  Mauern  ein. 
Die  Salonitaner  retteten  sich  nur  zum  Teil  auf  die  Schiflfe  des 
Hafens  und  fanden  eine  Zuflucht  auf  den  Inseln  Solta,  Brazza, 
Lesina,  Lissa  und  Curzola.  Die  Feinde  machten  die  zurück- 
gebliebenen Einwohner  nieder,  plünderten  die  Stadt  aus  und 
steckten  sie  in  Brand,  wobei  das  Feuer  auch  die  Kirchen  und 
Paläste  verzehrte.  Salona  wurde  nie  mehr  aufgebaut.  Die  Schiffe 
der  Salonitaner,  bemannt  von  der  Jugend  der  Flüchtlinge,  be- 
herrschten die  Küste  mit  solchem  Erfolg,   daß   „von   den  Slawen 


1)  Über  die  St.  Demetriuslegeude :  Tafel,  De  Thessalonica  (Berlin 
1839);  der  russ.  Metropolit  Filaret,  serb.  in  Glasuik  18  (1865);  Geizer,  Die 
Genesis  der  byz.  Themenverfassung  (Leipzig  1899,  Abb.  der  kgl.  sächs. 
Ges.  der  Wiss.)  35 — 64. 

2)  Marquart  a.  a.  0.  482. 

3)  F.  Bulic,  Suir  anno  della  distruzione  di  Salona  (zwischen  612  und 
614):  Bull.  Dalm.  29  (1906)  268—304. 


96  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

niemand  zum  Meere  herabzusteigen  wagte".  Zur  Erneuerung  von 
Salona  waren  die  überlebenden  Bürger  zu  schwach,  die  Stadt  zu 
groß  und  ganz  in  Ruinen.  Sie  ließen  sich  daher  mit  Erlaubnis 
des  Kaisers  in  dem  nahen,  gut  befestigten  Palast  Diokletians  von 
Spalatum  nieder.  Die  Erzählung  bei  Kaiser  Konstantin  hat  da- 
gegen ganz  den  Typus  der  Burgsage,  wo  die  Burg  stets  nur  durch 
List,  Verrat  oder  Zauberei  den  Felden  in  die  Hände  fällt:  die 
Barbaren  kommen  in  den  Rüstungen  der  an  der  Donau  gefallenen 
Römer  mit  römischen  Fahnen,  täuschen  dadurch  die  Einwohner 
und  bemächtigen  sich  der  Stadt  ^). 

Behauptet  haben  sich  an  dieser  Küste  nur  wenige  Städte,  vor 
allem  Jader  (Zara)  und  Tragurium,  im  Süden  Butua,  Scodra, 
Lissus  und  die  Burgen  von  Praevalis.  Verödet  sind,  wir  wissen 
nicht  wie  und  wann,  Scardona,  Narona,  Risinium,  Doclea  und 
viele  andere  berühmte  Gemeinden  der  Römerzeit.  In  den  Ruinen 
von  Narona  fand  man  den  Schatz  einer  Frau  Urbica,  mit  Münzen 
von  Justin  I.  bis  Tiberios  IL;  vergraben  wurde  er  um  582,  als 
die  Awaren  Sirmium  eroberten,  und  nicht  mehr  ausgegraben  2). 
In  Epidaur  schließen  die  Münzfunde  nach  Evans  mit  Stücken  des 
Phokas.  Die  mittelalterlichen  Sagen  erzählen  von  der  Eroberung 
der  Stadt  durch  die  Slawen  und  von  der  Flucht  der  Epidauritaner, 
welche  eine  neue  Stadt  Ragüsium  (roman.  Ragusi,  jetzt  Ragusa) 
gründeten,  ungefähr  10  Kilometer  nordwestlich  an  einer  von  der 
Landseite  wenig  zugänglichen  Stelle  der  Küste  ^).  Auch  Cattaro 
(Decadaron  des  Ravennaten,  xu  JemtEQa  des  Kaisers  Konstantin) 
mit  seine!'  hoch  gelegenen  Burg  im  innersten  Winkel  des  Golfes 
von    Risinium   ist   eine  Neugründung   dieser   bewegten  Zeit.     Neu 


1)  Thomas  Arch.  cap.  7 — 11.  Für  das  Alter  seiner  Vorlage  spricht 
die  Bezeichnung  der  Insel  Issa  (ital.  Lissa,  slaw.  Vis)  als  Lysia,  eine  Form, 
die  sonst  nur  bei  Prokopios  vorkommt:  Avaiu.  ^ivaivr],  in  den  Editionen 
von  Maltrctus  bis  Comparetti  emendiert  als  ACaari,  restituiert  von  Haury, 
welcher  aber  (l  p.  LVII,  2  p.  38  n.  1)  diese  Insel  irrtümlich  mit  Lesina 
identifiziert,  dem  Pharos  der  Griechen ,  im  Mittelalter  insula  Farre ,  Fara, 
slawisch  heute  noch  Far  oder  Hvar.  Erst  um  1300  taucht  der  Name  Lesna, 
Lesena  für  die  Stadt  auf  der  Südküste  und  die  ganze  Insel  auf  (wohl  von 
slaw.  les,  Wald,  Holz"). 

2)  Bulic  im  Bull.  Dalm.  25  (1902)  197—212. 

3)  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  1,  28. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  97 

war  das  auf  einem  steilen  Felsen  zwischen  Olivengärten  erbaute 
Antivari  (^vzißaqig  der  Bischofskataloge  und  des  Kaisers  Kon- 
stantin). Das  römische  Olcinium  wurde  weiter  übertragen;  eine 
heute  noch  als  Alt-Dulcigno  bekannte  Stelle  mit  Ruinen  nördlich 
vom  heutigen  Dulcigno  wird  schon  1376  genannt  ^).  Die  Neu- 
gründungen von  Städten  an  geschützteren  Stellen  der  dalmati- 
nischen Küste  haben  ihre  Parallelen  in  Griechenland  und  Itahen 
zu  derselben  Zeit.  An  der  Ostküste  Lakoniens  wurde  damals 
Monobasia  oder  Monembasia  auf  einer  kleinen  Felsinsel  erbaut, 
in  Italien  das  zwischen  Felsbergen  verborgene  Amalfi,  bei  den 
venezianischen  Lagunen  in  der  Nähe  des  römischen  Altinum  das 
nach  dem  Kaiser  benannte  Heracliana  (Civitas  nova). 

Die  Zeit  des  Heraklios  teilt  sich  in  zwei  Perioden,  vor  und 
nach  dem  Sieg  über  die  Perser,  welchem  allerdings  nach  wenigen 
Jahren  der  neue  arabische  Krieg  mit  abermaliger  Zusammenziehung 
aller  Truppen,  auch  aus  dem  Westen,  nach  Syrien  folgte.  Bei 
der  Thronbesteigung  fand  Heraklios,  wie  Theophanes  berichtet, 
Europa  verwüstet  von  den  Awaren  (610).  Paulus  Diaconus  ver- 
zeichnet um  611  einen  Sieg  der  Slawen  über  die  römischen 
Truppen  in  Istrien  und  eine  traurige  Verwüstung  dieses  Landes. 
Ein  Zeitgenosse,  der  Bischof  Isidor  von  Sevilla  (f  636),  berichtet 
in  seiner  Chronik,  daß  zu  Anfang  der  Regierung  des  Heraklios, 
in  der  Zeit,  als  die  Perser  Syrien  und  Ägypten  besetzten  (also 
611  —  619),  die  Slawen  Griechenland  den  Römern  entrissen  haben  2). 
In  den  griechischen  Quellen  stehen  im  Vordergrund  die  Awaren. 
Seitdem  das  Konstantinopler  Kaisertum  aus  den  Donauländern 
verdrängt  war,  haben  sie  ihre  Macht  über  slawische  Stämme  und 
über  die  Hunnen  am  Schwarzen  Meere  erweitert.  Bei  einigen 
Byzantinern  dieser  Zeit  erscheint  der  Chagan  als  Oberherr  aller 
slawischen  Scharen.  Daß  es  aber  neben  direkt  unterworfenen  auch 
nur  verbündete  Stämme  gab,  zeigt  die  oben  erwähnte  Art  des 
Anteils  der  Awaren  an  den  Belagerimgen  von  Thessalonich. 


1)  „In  mari  Dulcinii  veteris"  1376  Div.  Rag.  Dulcigno  vecchio  der 
Karten  unserer  Zeit.    Rovinskij,  Sbornik  russ.  Akad.  86  (1909)  228 f. 

2)  Isidorus  Hispalensis  (zweite  Redaktion  von  626):  ,,cuius  initio  (sc. 
imperii  Eraclii)  Sclavi  Graeciam  Romanis  tulerunt,  Persi  Syriam  et  Aegyp- 
tum  plurimasque  provincias."     Mon.  Germ,  Auetores  antiquissimi  11,  479. 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  ' 


98  Zweites  Buch,    Zweites  Kapitel. 

Vor  dem  Abzug  in  den  Perserkrieg  (622)  bat  Kaiser  Heraklios 
den  Awarenchagan  aus  Höflichkeit,  Vormund  (inlrgonog)  seines 
in  der  Hauptstadt  bleibenden  Sohnes  und  Mitregenten,  des  kleinen 
Konstantin  zu  sein.  Nach  der  Rückkehr  vom  ersten  Zug  sollte 
(623)  eine  persönliche  Zusammenkunft  des  Kaisers  mit  dem  Chagan 
stattfinden,  nicht  irgendwo  an  der  Donau,  sondern  nahe  vor  Kon- 
stantinopel, bei  Herakleia.  Aber  die  Awaren  schmiedeten  Verrat. 
Heraklios  bemerkte  rechtzeitig  von  der  Ferne,  wie  der  Chagan 
mit  der  Knute  (q^gayslliw ,  flagellum)  das  Zeichen  zum  Angriff 
gab,  und  ritt  sofort  zurück,  von  den  Awaren  verfolgt  bis  vor  die 
Tore  der  Hauptstadt.  Das  kaiserliche  Lager  samt  den  vorberei- 
teten Geschenken  wurde  Beute  der  Feinde  ^).  In  demselben  Jahre 
unternahmen  die  Slawen,  wie  eine  syrische  Quelle  berichtet,  von 
Griechenland  aus  Raubzüge  zur  See  bis  nach  Kreta  -).  Indessen 
wurden  die  Verträge  mit  den  Awaren  erneuert.  Der  Chagan 
forderte  die  Hälfte  der  Schätze  und  Waren  von  Konstantinopel 
für  sich  und  erhielt  riesige  Geschenke,  ein  Jahrgeld  angeblich  von 
200000  Goldstücken  und  als  Geiseln  selbst  Verwandte  des  Kaisers. 
Als  aber  Heraklios  lange  im  Osten  abwesend  war  und  zweimal 
in  Armenien  überwinterte,  schloß  der  Chagan  einen  Bund  mit  dem 
Perserkönig.  Die  Verbündeten  erschienen  im  Juni  626  auf  beiden 
Ufern  des  Bosporus,  in  Asien  der  persische  Feldherr  Sahrbaräz, 
in  Europa  ein  Heer  von  80  000  Awaren,  Slawen,  Gepiden,  Bulgaren 
und  anderen  „wilden  Völkern".  Die  Verteidigung  der  Hauptstadt 
leitete  Bonus,  einer  der  letzten  byzantinischen  Feldherren  mit 
lateinischem  Namen.  Als  der  Chagan  Ende  Juli  persönlich  eintraf, 
forderte  er  Konstantinopel  zur  Übergabe  auf,  nach  Abzug  der 
Einwohner,  die  nur  ihr  Leben  und  ein  Kleid  mitnehmen  durften. 
Diese  Zumutung  wurde  stolz  zurückgewiesen.  Nun  begann  der 
Angriff,  eröffnet  von  slawischen  Fußgängern  ohne  Panzer,  hinter 
welchen  ein  zweites  Fußvolk   in  Panzern   stand,    die    hell    in    der 


1)  Chron.  Paschale  (eine  gleichzeitige  Quelle)  1,  712  zum  5.  Juni  623, 
Theophanes  (verfaßt  um  813)  zu  H19.  Augelo  Pernice,  L'imperatore 
Eraclio  (Firenze  1905)  97,  entscheidet  sich  für  die  Datierung  des  Theo- 
phanes, Gerland   in  der  Byz.  Z.  15  (190ti)  305  —  306  dagegen. 

2)  Thomas  Presbyter:  Guts'hmid,  Kleine  Schriften  5,  433;  Siä- 
manov  im  Bxlgarski  Pregled  1897  Juni  79,  151;  Geizer  a.  a.  0.  44. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  99 

Sonne  glänzten.  Unter  großem  Geschrei  wurden  Kriegsmaschinen 
gegen  die  Mauern  geschoben,  bewegliche  Dächer  und  Holztürme 
mit  Lederverkleidung*,  sie  waren  teils  auf  Fuhrwerken  mitgebracht, 
teils  aus  den  abgebrochenen  Häusern  der  Umgebung  errichtet. 
Doch  alle  Mühe  des  Barbarenheeres  war  umsonst.  Die  Byzantiner 
spießten,  wie  vor  den  Toren  von  Thessalonich,  die  Feindesköpt'e  auf 
ihren  Lanzen  auf.  Die  Slawen  füllten  die  Gewässer  des  Goldenen 
Hornes  mit  einer  Menge  von  Booten-,  auf  welchen  Männer  und 
Frauen  ruderten;  diese  Monoxylen  hatten  sie  von  der  Donau  ge- 
bracht ^).  Jedoch  die  byzantinische  Flotte,  70  Schiffe  stark,  ver- 
hinderte jede  Verbindung  zwischen  den  Feinden  in  Europa  und 
Asien,  zerstörte  die  Nachen  und  Flöße  der  Perser  und  vernichtete 
schließlich  in  einer  Nacht  die  ganze  Bootsflotte  der  Slawen.  Das 
Goldene  Hörn  war  voll  Leichen  und  Trümmer.  Zwischen  den 
Feinden  brachen  Streitigkeiten  aus.  Der  Chagan  ließ  einige  Slawen, 
die  sich  von  den  Booten  gerettet  hatten,  niederhauen.  Nach  der 
Erzählung  der  Osterchronik  zogen  die  Slawen  zuerst  mißmutig 
ab.  In  der  Nacht  zum  8.  August  verbrannten  die  Awaren  ihre 
Maschinen  und  brachen  bei  Tagesanbruch  zur  Rückkehr  auf  -). 

Der  Angriff  auf  Konstantinopel  ist  der  Höhepunkt  der  awa- 
rischen  Geschichte.  Seitdem  ist  von  den  Awaren  in  griechischen 
Quellen  keine  Rede  mehr.  Ob  Heraklios  nach  dem  Siege  über 
die  Perser  eine  Expedition  zur  Donau  gesendet  hat,  ist  nicht  be- 
kannt: schon  bei  dem  Abzug  von  Konstantinopel  drohte  Bonus 
dem  Chagan,  der  Bruder  des  Kaisers,  der  gegen  die  Perser  sieg- 
reiche Theodoros  werde  ihn  bis  in  sein  eigenes  Land  verfolgen. 
Bei  dem  Zerfall  der  awarischen  Macht  spielen  die  pontischen 
Hunnen  oder  Bulgaren  eine  große  Rolle.  Kubrat,  der  Fürst  der 
Hunnogunduren,  Stammvater  der  späteren  bulgarischen  Dynastie, 
wurde  nach  einigen  Siegen  gegen  die  Awaren  bei  einem  Besuch 
in  Konstantinopel  getauft  und  von  Kaiser  Heraklios  mit  dem  Titel 


1)  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  316. 

2)  Über  diese  Belagerung  von  62H  drei  Zeitgenossen:  Piside«, 
Theodoros  Synkellos  und  Chron.  Paschale.  Mit  Benutzung  älterer 
Quellen:  Theophanes  und  der  Patriarch  Nikephoros.  Vgl.  Pernice 
a.  a.  0.  137  f. 

7» 


100  Zweites  Buch.    Zweites  Kapitel. 

eines  Patrikios  ausgezeichnet  ^).  Die  fränkische  Chronik  Fredegars 
berichtet,  daß  bei  einer  Erledigung  des  awarischen  Thrones  (um 
630)  die  „Bulgaren"  im  Awarenland  einen  der  Ihrigen  zum  Chagan 
erheben  wollten,  jedoch  im  Kampfe  unterlegen  seien.  Sie  flohen 
in  das  Land  des  Frankenkönigs  Dagobert  (628 — 638),  wurden 
aber  im  Winterlager  von  den  Bajoaren  überfallen  und  größtenteils 
aufgeiieben.  Nur  ein  Rest  rettete  sich  zu  den  Langobarden  und 
erhielt  Wohnsitze  in  Samnium.  Zahlreiche  Siege  über  die  Awaren 
erfocht  Samo,  der  Fürst  der  Slawen  in  Böhmen  (um  627 — 662). 
Die  Massen  der  byzantinischen  Gefangenen  im  Awarenlande  waren 
nicht  befreit  oder  losgekauft  worden.  Angesiedelt  bei  Sirmium, 
vermischten  sie  sich  mit  Awaren,  Bulgaren  und  anderen  Heiden, 
aber  auch  ihre  Nachkommen  blieben,  wie  die  St.  Demetrioslegende 
berichtet,  dem  christlichen  Glauben  treu,  meist  als  freie  Leute 
unter  einem  awarischen  Statthalter.  Die  zweite  Generation  erhob 
sich  gegen  die  Awaren herrschaft  und  zog  südwärts  auf  byzan- 
tinisches Gebiet,  wo  man  diese  barbarisierten  Romäer  bei  Thessa- 
lonich, in  Thrakien  und  bei  Konstantinopel  ansiedelte  -). 

Während  dieser  stürmischen  Zeiten  haben  sich  die  Slawen 
in  den  seit  langer  Zeit  entvölkerten  Provinzen  südlich  der  Donau 
niedergelassen.  Die  ganze  Besiedlung  war  wohl  um  die  Mitte 
des  7.  Jahrhunderts  vollendet;  später  kamen  nur  einzelne  Ver- 
schiebungen vor.  Es  waren  die  unternehmendsten  Gruppen,  welche 
am  weitesten  vorgedrungen  sind,  mit  dem  Streben,  die  warmen 
und  reichen  Küstengebiete  zu  erobern.  Zuerst  wurde  wohl  das 
südliche  Donauufer  besetzt,  wo  Theophanes  und  Nikephoros  um 
679  sieben  slawische  Stämme  (yeveai)  zwischen  der  Donau  und  dem 
Hämus  erwähnen,  ohne  Zweifel  aus  der  gegenüberliegenden  heutigen 
Walachei  übergesiedelt.  Thrakien  hat  sich  allen  Drangsalen  und 
Plünderungen  zum  Trotz  zähe  behauptet;  der  einzige  Stamm,  der 
sich  dort  niederlassen  konnte,  waren  die  Smolenen  im  Innern  der 
Rhodope.  Ein  Hauptstrom  der  slawischen  Kolonisation  ergoß  sich 
über  Obermösien  und  Uferdazien  in  das  Innere  Makedoniens  und 


1)  Darüber  Zlatarski,  Sbornik  bulg.  Bd.  11  (vgl.  Arch.   slaw.   Phil. 
21,  607). 

2)  Geizer,  Die  Themenverfassung  47 f. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  101 

weiter  südwärts  durch  Hellas  bis  nach  Lakonien,  wo  die  bei  Kaiser 
Konstantin  Porphyrogennetos  erwähnten  Stämme  der  Milingen  und 
Ezeriten  (von  slaw.  jezero  See)  eine  neue  Heimat  gefunden  hatten. 
Nach  dem  Zeugnis  des  Mazaris  und  Chalkondyles  sprachen  ihre 
Nachkommen  noch  im  15.  Jahrhundert  teilweise  slawisch  Aus 
Makedonien  wendete  sich  eine  Strömung  westwärts  nach  Mittel- 
albanien; ihre  Spur  ist  noch  an  einer  scharf  begrenzten  Zone 
slawischer  Ortsnamen  bemerkbar,  welche  zwischen  Durazzo  und 
Chimara  das  Meeresufer  erreicht  ^).  Viel  stärkere  Züge  bewegten 
sich  in  die  Provinz  Dalmatia,  längs  der  alten  Römerstraßen  von 
Naissus  nach  Lissus  und  von  Sirmium  nach  Salona  und  Narona, 
bis  in  die  Region  der  Weinberge  und  Olivengärten  in  der  Nähe 
der  dalmatinischen  Städte,  wo  die  Fürsten  der  Diokhtier,  Kaualiten, 
Zachlumier  und  Kroaten  ihre  Sitze  aufschlugen.  Aus  Pannonien 
endlich  zogen  mächtige  Schwärme  längs  der  Save  und  Drau  auf- 
wärts, bis  zu  ihren  Quellen  in  den  Ostalpen.  Dagegen  ist  in 
Dazien  selbst  das  slawische  Element  durch  den  Abzug  nach  Süden 
und  Westen  derart  verringert  worden,  daß  seine  Reste  allmählich 
zwischen  den  Rumänen  verschwanden.  Die  Intensität  der  slawischen 
Kolonisation  und  der  Grad  der  Vermischung  mit  älteren  Ein- 
wohnern ist  kenntlich  an  den  nicht  überall  gleichen  Veränderungen 
der  antiken  topographischen  Nomenklatur.  Die  meisten  Namen 
des  Altertums  erhielten  sich  in  allen  Küstengebieten  ringsherum 
um  die  ganze  Halbinsel,  von  Thrakien  bis  zum  Quarnero.  Die 
wenigsten  slawischen  Ortsnamen  entstanden  im  östlichen  Thrakien 
und  in  Nordalbanien,  Die  größten  Umwälzungen  erfuhr  dagegen 
die  topographische  Nomenklatur  in  drei  Gebieten:  in  Moesia 
superior,  im  Innern  Makedoniens  und  im  Binnenland  der  Provinz 
Dalmatia.  In  Obermösien  ist  kein  einziger  römischer  Stadtname 
übrig  geblieben.  Diese  Erscheinung  ist  auffällig  im  Vergleich  mit 
den  benachbarten  Provinzen  Dacia  mediterranea  und  Dardania, 
wo  einige  antike  Namen  mit  lautlichen  Veränderungen  zum  Teil 
heute  noch  fortleben :  Naissus  (Nis),  Serdica  (im  Mittelalter  Srjädec), 
Scupi  (Skopje),  Ulpiana  (Lipljan).    Ebenso  gründlich  hat  die  neue 


1)  Novakoviö,  Die  ersten  Grundlagen  der   slaw.  Literatur  unter  den, 
Balkanslawen  (serb )  Belgrad  1893,  38-49. 


103  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel, 

Besiedlung  mit  den  alten  Namen  im  Binnenlande  Makedoniens  auf- 
geräumt; man  braucht  nur  die  Verzeichnisse  der  Städte  und  Burgen 
bei  Hierokles  und  Prokopios  mit  dem  400  Jahre  jüngeren  Material 
bei  Skylitzes  (oder  Kedrenos)  und  in  den  von  Kaiser  Basilios  IL 
dem  Erzbistum  von  Ochrid  verliehenen  Privilegien  zu  vergleichen. 
Auch  die  aus  den  Itinerarien  und  Inschriften  bekannten  römischen 
Ortsnamen  im  Osten  von  Dalmatia  sind  verschwunden. 

Die  Slawen  waren  keine  vorübergehenden  Ansiedler  in  den 
Hämusländern.  Die  nördliche,  mehr  kontinentale  Hälfte  der  Balkan- 
halbinsel ist  bis  zu  einer  Linie,  die  man  von  Antivari  über  die 
Seen  von  Skutari,  Ochrid  und  Kastoria  bis  zu  den  Toren  von 
Thessalonich  ziehen  kann,  seit  mehr  als  zwölf  Jahrhunderten  vor- 
wiegend von  Slawen  bewohnt.  Durch  langsame  Amalgamierung 
der  schwachen  Reste  der  älteren  illyrischen,  thrakischen  und  roma- 
nischen Bevölkerung  bildete  sich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  in 
dem  großen  Raum  von  den  Savequellen  bis  zur  pontischen  Küste 
bei  Varna  ein  lückenlos  zusammenhängendes  slawisches  Sprach- 
gebiet. In  der  südliehen  Hälfte  dagegen,  in  Thessalien,  Epirus 
und  Hellas,  war  das  slawische  Element  schwächer  und  ist  all- 
mähHch  hellenisiert ,  zum  Teil  auch  albanisiert  worden.  Diese 
Erscheinungen  entwickelten  sich  parallel  mit  den  Resultaten  der 
germanischen  Völkerwanderung  in  dem  zunächst  gegen  Westen 
gelegenen  Teil  von  Europa.  In  den  römischen  Provinzen  südlich 
von  der  oberen  Donau,  im  heutigen  Ober-  und  Niederösterreich, 
Salzburg,  Bayern,  in  dem  größten  Teil  von  Tirol  und  in  der 
nördlichen  Schweiz  ist  das  wenig  zahlreiche  romanische  Element 
von  der  intensiven  germanischen  Kolonisation  assimiliert  worden. 
Die  Nordseite  der  Alpen  ist,  bis  auf  die  Reste  der  Rhätoromanen 
im  Quellgebiet  des  Inn  und  Rhein,  in  der  ganzen  Zone  von  Bern 
bis  Wien  deutsch  geworden.  Südlich  der  Alpen  waren  dagegen 
die  Nachkommen  der  Römer  viel  zahlreicher  als  die  germani- 
schen Eroberer.  Die  Goten  und  Langobarden  sind  infolgedessen 
in  Italien  bald  unter  dem  älteren  romanischen  Element  ver- 
schwunden. 

Eine  einzige  Quelle  der  Zeit  erwähnt  den  Umfang  dieser 
slawischen  Kolonisation:  eine  um  670 — 680  kompilierte  Geographie 
in  armenischer  Sprache,  welche  man  früher  dem  Moses  von  Chorene 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  103 

zugeschrieben  hat.  Sie  berichtet,  daß  in  Dazien  früher  25  Völker 
der  Slawen  gewohnt  haben;  später  „gingen  die  Slawen  über  die 
Donau,  erwarben  sich  andere  Länder  in  Thrakien  und  Makedonien 
und  drangen  bis  nach  Achaja  und  Dalmatia  vor"  ^).  Nach  diesem 
Armenier  waren  also  diejenigen  Slawen,  welche  sich  auf  der  Halb- 
insel niedergelassen  haben,  dieselben,  welche  früher  in  den  Zeiten 
von  Justinian  bis  Maurikios  im  heutigen  Rumänien,  Siebenbürgen 
und  den  benachbarten  Teilen  Ungarns  angesiedelt  waren.  Die 
moderne  Sprachforschung  bestätigt  diese  Auffassung.  Die  süd- 
slawischen Dialekte  vom  Schwarzen  Meer  bis  in  die  Ostalpen 
bilden  nach  Jagic  '^)  eine  Kette,  in  welcher  sich  die  Fortdauer  von 
uralten  Beziehungen  zu  den  einstigen,  jetzt  durch  weite  Zwischen- 
räume getrennten  Nachbarn  des  nordslawischen  Gebietes  konsta- 
tieren läßt. 

Die  Serben  und  Kroaten  werden  erst  im  9.  Jahrhundert  mit 
diesen  Namen  genannt.  Ihre  Vorfahren  saßen  ursprünglich  wohl 
längs  der  Südtront  der  Vorväter  der  Slowaken  und  Kleinrussen. 
Urväter  der  Serbokroaten  waren  wohl  die  Slawen  in  Nordungarn, 
bei  denen  in  Justinians  Zeit  der  langobardische  Prinz  lldigis  als 
Flüchtling  verweilte.  Der  Abzug  der  Langobarden  nach  ItaHen 
öflFnete  ihnen  den  Weg  nach  Pannonien,  doch  kamen  sie  dort 
unter  die  Hoheit  des  Awarenchagans,  ebenso  wie  seinerzeit  die  in 
demselben  Lande  wohnenden  germanischen  Stämme  unter  die 
Herrschaft  des  Hunnenkönigs  Attila  geraten  waren.  Vorfahren 
der  Kroaten  und  Serben  waren  wahrscheinlich  auch  die  Slawen, 
welche  den  Awaren  bei  Sirmium  Boote  auf  der  Save  bauten  und 
welche  zugleich  mit  den  Urvätern  der  Slowenen  mit  awarischen 
Heerscharen  in  die  Ostalpen  gegen  die  Bajoaren  und  als  Hilfs- 
truppen zu  den  Langobarden  nach  Italien  zogen.  Schon  um  600 
bestürmten  sie  unter  Kaiser  Maurikios  von  Pannonien  aus  Istrien 
und  Dalmatien.  Der  Fall  von  Salona  und  von  anderen  Städten 
in  Dalmatien  und  P.raevalis  ereignete  sich  durch  slawische  Heere, 


1)  Übers,  von  Patkanov  (Patkanian)  im  Zumal  MNP.  1883  März 
S.  26  (kennt  schon  die  Chazaren  und  erwähnt  den  Bulgarenfürsten  Asparuch, 
Sohn  des  Kubrat,  im  Donaudelta). 

2)  Arch.  slaw.  Phil.  17  (1895)  54;  20  (1898)  36. 


104  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

teilweise  wohl  unter  awarischer  Führung.  Nach  der  Ansiedlung 
im  römischen  Dalmatia  wurde  die  Abhängigkeit  dieser  slawischen 
Stämme  von  den  A waren  immer  lockerer.  Die  Slawen,  die  62G 
mit  Fußvolk  und  Booten  von  der  Donau  vor  Konstantinopel  er- 
schienen, stammten  wohl  gleichfalls  aus  dem  Nordwesten  der 
Halbinsel.  Der  Verfall  des  a warischen  Khanates  machte  sie 
wieder  frei. 

Den  Byzantinern  fiel  es  bei  dem  üblichen  System  von  Ge- 
schenken an  die  Nachbarn,  Verleihungen  von  Titeln  an  deren 
Fürsten,  natürlich  verbunden  mit  Gehalt  in  schönen  Goldstücken, 
der  Anwerbung  von  Söldnern,  Ausnutzung  von  Rivalitäten  usw. 
nicht  schwer,  eine  nominelle  Oberhoheit  über  viele  der  slawischen 
Stämme  zu  erwerben.  Man  erweiterte  das  alte  System  der  „foederati'', 
der  Grenzvölker  mit  einheimischen  besoldeten  Führern,  auf  die  in 
den  römischen  Provinzen  angesiedelten  Slawen.  Der  Beginn  dieser 
diplomatischen  Tätigkeit  hängt  mit  der  Zurückweisung  des  An- 
griffes auf  Konstantinopel  (626)  und  der  Rückkehr  des  Kaisers 
Heraklios  als  Sieger  aus  dem  Perserkriege  (628)  zusammen.  Bald 
erscheinen  die  Slawengaue  in  der  Umgebung  von  Thessalonich 
und  zwischen  Hämus  und  Donau  unter  kaiserlicher  Hoheit.  Auch 
Thomas  von  Spalato  erwähnt  einen  Befehl  (iussio  principum,  sacrum 
rescriptum  dominorum  principum)  der  „imperatores  Constantino 
politani"  an  die  Fürsten  der  Slawen  (duces  Sclavorum),  sie  sollten 
die  im  Kai^erpalast  von  Spalato  wohnenden  Salonitaner  nicht  be- 
lästigen; es  mag  Heraklios  mit  seinem  Sohn  als  Mitregenten  ge- 
wesen sein  1).  Die  erste  klare  Nachricht  von  friedlichen  Beziehungen 
liest  man  in  der  Biographie  des  Papstes  Johannes  IV.  (640 — 642), 
eines  Dalmatiners,  Sohnes  eines  Scholasticus  (Rechtsanwaltes)  Venan- 
tius.  Er  sendete  den  Abt  Martin  mit  Geld,  um  in  ganz  Dalmatien 
und  Istrien  christliche  Gefangene  bei  den  in  diesen  Ländern 
hausenden  Heiden  loszukaufen  und  Reliquien  aus  den  verödeten 
Kirchen  zu  sammeln  -).  Zur  selben  Zeit  (um  642)  unternahmen 
die  Slawen  mit  einer  Menge  von  Schifien  einen  Zug  gegen  die 
unteritalischen   Langobarden,    landeten    in    der   Nähe    des   Monte 


1)  Thomas  Arch.  cap.  10  (Schluß). 

2)  Auch  bei  Racki  Doc.  277. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  105 

Gargano  bei  Sipontum  und  deckten  ihr  Lager  durch  verborgene 
Gruben.  Der  Herzog  Aio  von  Benevent  wollte  sie  vertreiben, 
fand  aber  den  Tod,  als  er  zu  Pferde  in  eine  solche  Wolfsgrube 
stürzte.  Sein  Erbe  Radoald,  Sohn  des  Herzogs  Gisulf  von  Friaul, 
sprach  mit  den  Slawen  in  ihrer  Sprache,  die  er  wohl  in  Friaul 
erlernt  hatte,  und  machte  sie  dadurch  unvorsichtig.  Ein  Überfall 
brachte  ihm  den  Sieg;  der  Rest  der  Slawen  floh  über  das  Meer  i). 
Diese  Slawen  waren  wohl  aus  Dalmatien  gekommen.  Dasselbe 
Sipontum  wurde  926  von  Michael,  dem  Fürsten  von  Zachlumien, 
überfallen.  Der  Zug  gegen  die  Langobarden  war  wahrscheinlich 
von  den  Byzantinern  angestiftet,  welche  wenige  Jahre  später  (um 
650)  in  derselben  Landschaft  bei  dem  Monte  Gargano  von  Gri- 
moald,  dem  Bruder  Radoalds,  zurückgeschlagen  wurden,  worauf 
Kaiser  Konstans,  der  Enkel  des  Heraklios,  während  seines  Aufent- 
haltes in  Unteritalien  (663 — 668)  gegen  denselben  Grimoald,  nun 
König  der  Langobarden,  Krieg  führte. 

In  den  byzantinischen  Heeren  dieser  Zeit  gab  es  zahlreiche 
slawische  Truppen.  In  Kleinasien  sind  damals  (664)  5000  Slawen 
zu  den  Arabern  übergegangen  und  wurden  von  ihnen  bei  Apameia 
in  Syrien  angesiedelt  -).  Der  Enkel  des  Konstans ,  Kaiser  Justi- 
nian  IL  (685 — 695),  hat  an  30  000  Mann  Slawen  in  Bithynien 
kolonisiert  als  sein  „auserlesenes  Volk",  unter  einem  slawischen 
Feldherrn  aus  den  Vornehmen  {eiyevtöTEQOi)  des  Volkes,  namens 
Nebulos.  Doch  in  der  Schlacht  von  Sebastopolis  in  Kihkien  (692) 
ging  Nebulos  mit  20000  Slawen  zu  den  Arabern  über  ^).  Bei 
ihren  Unternehmungen  gegen  Konstantinopel  fanden  aber  die 
Araber  keine  Unterstützung  bei  den  Slawen  der  Halbinsel.  Aus 
der  Zeit  der  ersten  Blockade  unter  Kaiser  Konstantin  Pogonatos 
(668 — 685)  fehlt  es  an  Nachrichten  über  die  Stimmung  auf  der 
Halbinsel.  Nur  die  Bulgaren  unter  ihrem  Fürsten  Asparuch, 
Kubrats  Sohn,  haben  unter  dem  Druck  der  von  Osten  vordringenden 
Chazaren  die  Verhältnisse  dazu  benützt,    um   sich    auf  römischem 


1)  Paulus  Diaconus  IV,  44. 

2)  Theophanes  ed.  cit.  1,  348.     Niederle  a.  a.  0.  2,  459f. 

3")  Theophanes  1,  366  und  Nicephorus  36.  B.  A.  Pancenko, 
Izvestija  arch.  inst.  8  (1902)  15—62  über  ein  Bleisiegel  der  ZxXußöiov  (sie) 
T%  Bi&vpcüP  ^naQ/Jag;  vgl.  Schlum berger,  Byz.  Z.  12  (1903)  277. 


106  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Boden  zwischen  Donau  und  Hämus  bleibend  niederzulassen  (679). 
Während  der  zweiten  Belagerung  von  Konstantinopel  (717 — 718) 
waren  die  Bulgaren  und  Slawen  von  Kaiser  Leo  dem  Isaurier 
gewonnen  und  brachten  den  Arabern  in  Thrakien  empfindliche 
Schlappen  bei  ^). 

Es  fehlt  nicht  an  Berichten  über  Feldzüge  der  Kaiser  in  die 
Slawenländer.  Kaiser  Konstans  zog  658  in  die  „Slavinien",  unter- 
warf sie  und  kehrte  mit  vielen  Gefangenen  zurück.  Kaiser  Justi- 
nian  II.  durchzog  688  die  „Slavinien''  siegreich  bis  Thessalonich, 
Kaiser  Konstantin  Kopronymos  bekriegte  758  die  „Slavinien 
Makedoniens"  ^).  Die  kurzen  annalistischen  Aufzeichnungen  lassen 
die  Details  nicht  erkennen,  doch  sieht  man,  daß  es  sich  vor  allem 
um  die  Sicherung  der  Wege  durch  Makedonien  handelte.  Die 
Reste  des  oströmischen  Territoriums  waren  nicht  unbedeutend. 
Vieles  ging  in  einem  langsamen  Zerbröcklungsprozeß  verloren, 
ebenso  wie  in  Italien  das  römische  Gebiet  von  den  Langobarden 
einige  Generationen  hindurch  schrittweise  verkleinert  wurde.  Bis 
ungefähr  679  besaß  das  Reich  das  rechte  Ufer  der  unteren  Donau. 
Die  Grenze  gegen  das  Awarenland  (^ßagia)  befand  sich  wahr- 
scheinlich dort,  wo  die  spätere  bulgarisch  awarische  Grenze  heute 
noch  durch  drei  parallele  Erdwälle  (bulg.  okop)  zwischen  den 
Flüssen  Isker  und  Lom  bezeichnet  ist  ^).  In  Dacia  mediterranea 
behaupteten  die  Byzantiner  bis  809  das  wichtige  Serdica,  welches 
nicht  nur  durch  Thrakien,  sondern,  wie  aus  den  Nachrichten  bei 
Theophanes  zu  sehen  ist,  auch  durch  das  Strymontal  Verbindungen 
mit  dem  Reiche  hatte.  Die  Küstenländer  Makedoniens  hat  das 
Reich  stets  beherrscht,  obwohl  sich  die  Spuren  der  slawischen 
Kolonisation  bis  in  die  östliche  Hälfte  der  Chalkidike  erstrecken. 
In  Griechenland  wurden  Athen,  Theben,  Korinth,  Patras  und  über- 
haupt alle  großen  Städte  behauptet,  die  daher  eine  ununterbrochene 
Geschichte  besitzen.  Dasselbe  gilt  von  den  Küstengebieten  bei 
Dyrrhachion  und  im  alten  Praevalis.     Dagegen  sind  in  Dalmatia 


1)  Beda  (f  735)  bei  Migne,  Patr.  lat.  90  col.  571.  Theophanes 
1,  397.  Arab.  Quellen  (Tabari)  bei  Weil,  Gesch.  der  Chalifen  1,  569  Anm. 
(Burdzan  und  Sakälib). 

2)  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  347,  364,  430. 

3)  Siehe  die  Karte  bei  meinem  Fürst.  Bulgarien  (Text  S.  412). 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Hämusländer.  107 

die  Umwälzungen  besonders  an  den  kleinen  Territorien  aller  Städte 
kenntlich. 

Es  war  Sitte  der  Konstantinopler  Diplomatie,  daß  man  das 
Land  der  abhängigen  Völker  als  ein  Geschenk  des  Kaisers  be- 
zeichnete. Schon  Justin  II.  hat  einer  Gesandtschaft  der  A  waren 
geantwortet,  die  Gepiden  seien  als  Flüchtlinge  römische  Untertanen 
geworden  und  ihr  Land  sei  ein  Geschenk  des  römischen  Kaisers 
gewesen  ^).  Dieselbe  Theorie  liest  man  über  die  Ansiedlung  der 
Kroaten  und  Serben  bei  Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos.  Gegen- 
über den  Ansprüchen  der  Bulgaren  behauptete  man,  das  Land 
der  Kroaten  und  Serben  sei  ein  Geschenk  des  Kaisers  Heraklios, 
welcher  diese  Stämme  als  Flüchtlinge  aus  den  Ländern  im  Norden 
jenseits  Ungarn  aufgenommen  und  in  dem  von  den  Awaren  ver- 
wüsteten Dalmatien  angesiedelt  habe  2).  Die  Haltlosigkeit  dieser 
Theorie  ist  zuerst  von  Ernst  Dümmler  (1856)  erwiesen  worden. 
Bei  einer  friedlichen  Ansiedlung  hätte  das  Reich  gewiß  alle  alten 
Städte,  vor  allem  Salona,  für  sich  reserviert  und  wieder  erneuert 
und  mit  den  neuen  Kolonisten  eine  Art  Militärgrenze  gegen  die 
nördlichen  Nachbarn  errichtet  ^). 


1)  Die  Gepiden  als  Inr'ilvi^fg,  denen  ihre  ;(fwp«  vom  Kaiser  geschenkt 
wurde:  Menandros  frag.  "28,  Hist.  graeci  min.  2,  64. 

2)  Nach  Konstantin  Porph.  ed.  Bonn.  3,  148  wurden  zuerst  die 
Kroaten  von  Heraklios  angesiedelt,  nachdem  sie  auf  seinen  Befehl  die  Awaren 
vertrieben  haben.  Die  Serben  erhielten  vom  Kaiser  angeblich  die  Stadt 
Serblia  in  der  Provinz  von  Thessalonich  (jetzt  Servia,  türk.  Serfidze)  im 
Tal  des  Haliakmon,  zogen  wieder  zurück  zur  Donau  bei  Belgrad,  gaben 
aber  dort  die  Rückwanderung  auf  und  wurden  von  Heraklios  in  den  Land- 
schaften von  Serblia,  Pagania,  Zachlumia,  Terbunia  und  Canali  angesiedelt 
(cap.  32  p.  152 — 153),  also  zuerst  in  einer  kleinen  engen  Stadt,  ein  zweites 
Mal  in  der  Hälfte  des  alten  großen  Dalmatiens.  Diese  Episode  ist  offenbar 
aus  dem  Namen  der  Stadt  Serblia  konstruiert.  Im  Widerspruch  zu  diesen 
Erzählungen  wird  an  einer  anderen  Stelle  Epidaur  mit  andern  xüarQu  von 
den  Zxkdßot,  zerstört  (cap.  29  p    136 — 137). 

3)  Über  Konstantins  Berichte  eine  große  neuere  Literatur  iDobrowsky, 
§afafik,  Zeuß,  Tafel,  Dümmler,  Gfrörer,  Racki  (besonders 
Knjizevnik  1,  1864,  36f,  Doc.  mit  Kommentar  und  Rad  59,  1881,  201  f 
gegen  Grot  und  Florinskij),  Rambaud,  Drinov,  Hirsch,  Nova- 
koviö,  Grot  (Die  Nachrichten  des  Konst.  Porph.  über  die  Serben  und 
Kroaten,  russ.,   Petersburg   1880),   Florinskij,    Jagic,    Jirecek   (vgl. 


108  Zweites  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Die  mittelalterlichen  Sagen  der  Südslawen  verlegten  die  Ur- 
heimat in  den  Norden.  Am  klarsten  formuliert  ist  dies  in  der 
Notiz  des  Konstantin  Porphyrogennetos ,  daß  die  Familie  (yeved) 
des  Fürsten  Michael  von  Zachluraien  von  den  damals  (um  948) 
noch  heidnischen  Slawen  an  der  Weichsel  (Bia?M ,  poln.  Wisla) 
abstamme  ^).  Andere  Ursprungsgeschichten  bei  Kaiser  Konstantin 
sind  Kombinationen  des  10.  Jahrhunderts  auf  Grund  der  Ähn- 
lichkeit einiger  Stammnamen  im  Norden  und  Süden.  Die  Ur- 
heimat der  Chorvateu  und  Serben  soll  jenseits  der  Bayern  und 
Ungarn  gelegen  sein,  in  zwei  damals  noch  heidnischen  Gebieten, 
an  der  Grenze  Ottos  I.,  des  Königs  von  „  Frangia  und  Saxia". 
Der  Fürst  der  „Belochrovati^'  oder  Weiß-Kroaten  (aa/tQoi  XQwßccToi) 
sei  Otto  I.  Untertan,  aber  auch  den  Ungarn  befreundet.  Die  Weiß- 
Serben  {aOTZQOi  ^eQßXoi),  unter  erblichen  Fürsten,  v\''ohnen  eben- 
falls jenseits  der  Ungarn  in  einer  Landschaft  Boiki,  benachbart 
den  Franken  und  den  Weiß- Kroaten  -).  Die  Nachbarschaft  zum 
deutschen  Reich  zeigt,  daß  diesen  Korabinationen  einige  etwas 
unklare  Nachrichten  über  die  damals  noch  heidnischen  Sorben  an 
der  mittleren  Elbe  und  über  die  in  dieser  Zeit  schon  christiani- 
sierten, aus  Denkmälern  des  10.  Jahrhunderts  bekannten  Chor- 
vaten  in  Böhmen  am  Eiesengebirge  zugrunde  liegen.  Auch  die 
älteste  russische  Chronik  hat  Kenntnis  von  „  weißen  Chorvaten " 
(Chorvate  belli),  aber  im  Süden,  benachbart  den  Serben  (Serb) 
und    Karantanen    (Chorutane)  •^).      Bei    Presbyter    Diocleas    liegt 

Kom.  Dalm.  1,  31)  u.  a.  Zuletzt  Bury,  The  treatise  De  administrando 
imperio,  Byz  Z.  15  (1906)  517—577  mit  dem  Nachweis,  daß  dieses  Buch 
des  Kaisers,  eine  unfertige  Masse  von  Nachrichten  und  Auszügen  voll  Wider- 
sprüche, nie  eine  Schlußredaktion  erfahren  hat. 

1)  Kon  st.  Porph.  ed.  Bonn.  3,  160.  Dunkel  ist  der  Beiname  der 
BiaXa  als  ziirCixT];  vgl.  Niederle  a.  a.  0.  2,  276. 

2)  Böixi  deutete  Safafik  als  Land  der  kleinrussischen  Bojken  (Sing. 
Bojko)  in  Galizien.  Doch  dieser  Name  ist  ein  moderner  Spitzname,  nach 
Werchratskij,  Arch.  slaw.  Phil.  16  (1894)  591  f.  von  der  Bejahungs- 
partikel boje  ja,  jawohl;  vgl.  die  südslawischen  Kajkavci,  Cakavci,  Ötokavci 
von  der  Fragepartikel  kaj,  ca,  sto  was?  Man  kehrt  zu  der  vor  Öafafik 
aufgestellten  Deutung  des  Namens  als  Boixq  zurück,  Boiohaemum  der  ßömer- 
zeit;  vgl.  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil.  17  (1895)  71. 

3)  Die  Chronik  kennt  auch  „  Chorvaten  "  in  Rußland,  doch  ohne  nähere 
Angabe  der  Wohnsitze,  die  man  im  östlichen  Galizien  sucht. 


Die  Einwanderung  der  Slawen  in  die  Härausländer.  109 

„Croatia  alba"  gleichfalls  am  Adriatischen  Meere,  bei  Salona  und 
Zara.  Drei  Jahrhunderte  nach  Kaiser  Konstantin  weiß  noch 
der  Archidiakonus  Thoraas  von  Spalato,  daß  die  Kroaten  „de 
Polonia  seu  Bohemia"  nach  Dalmatien  gekommen  seien.  Die 
nordslawischen,  russischen,  polnischen  und  böhmischen  Chronisten 
um  11 00 — 1500  suchten  umgekehrt  die  Urheimat  aller  Slawen  im 
Süden,  an  der  Donau  und  in  den  Balkanländern,  teils  in  Bulgarien 
und  Ungarn,  teils  in  Kroatien  und  Serbien.  Diese  Vorstellung  ist 
nach  den  Untersuchungen  von  Niederle  entstanden  aus  der  Welt- 
geschichte, wie  sie  die  Bibel  bot,  mit  dem  Marsch  vom  Turmbau 
zu  Babylon  über  den  Bosporus  nach  Europa  ^). 


1)  Bei  Nestor,  Kadlubek,  Boguchwal,  Diugosz,  in  der  alt- 
böhm.  Reimchronik  des  sogenannten  Dalimil,  bei  Pulkava:  Niederle, 
Slov.  starozitnosti  1,  34  f. 


Drittes  Buch. 

Die  Serben  im  früheren  Mittelalter 
(7.— 12.  Jahrhundert). 


Erstes  Kapitel. 

Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert,  ihre  Landschaften, 
Fürsten,  Stamm-  und  Familienverfassung  ^). 

Die  von  dem  Verfasser  der  Strategica  befürchtete  Entstehung 
einer  „Vereinigung  oder  Monarchie"  beiden  Slawen  ließ  auch  nach 
der  Ansiedlung  in  den  Ländern  südlich  von  der  Donau  auf  sich 
warten.  Die  Slawen  waren  dort  lange  Zeit  geteilt  in  eine  Menge 
kleiner  Stämme,  welche  bald  unter  die  fiktive  oder  wirkliche  Ober- 
hoheit von  Byzanz  gerieten.  Die  Bildung  größerer  Staaten  ist 
jüngeren  Datums,  aber  auch  da  hat  kein  slawisches  Reich  des 
Mittelalters  alle  Slawen  der  Halbinsel  in  seinen  Grenzen  ver- 
einigt. 

Als  Gesamtname  der  Stämme  galt  bei  Griechen  und  La- 
teinern lange  noch  der  der  Slawen.  Das  ganze  Binnenland  der 
Halbinsel  zwischen  Zara,  Thessalonich  und  der  Rhodope  hieß  im 
7. — 10.  Jahrhundert  griechisch  „die  Slavinien"  {^/JMßivlai), 
lateinisch  Sclavenia,  Sclavonia,  seltener  Sclavinica.  Bei 
Konstantin  Porphyrogennetos  gehören  die  Chorwaten,  Serben,  Dio- 
klitier  und  die  übrigen  benachbarten  Stämme  zu  den  „Slavinien". 

1)  Beschreibungen  der  Slawen  von  Illyricum  aus  dem  7. — 8.  Jabrh. 
fehlen.  Hauptquelle  sind  die  Werke  des  Kaisers  Konstantin  Porphyrogennetos 
(um  948).  Die  arabischen  Geographen  bieten  wenig.  Die  bei  Masüdi, 
einem  Zeitgenossen  Konstantins ,  genannten  heidnischen  Surbin  sind  nach 
Marquart,  Osteurop.  und  ostasiat.  Streifzüge  (Leipzig  1903)  102,  106 f. 
die  Sorben  der  Lausitz.  Ebenso  gehören  die  zwischen  Morava  (Mähren) 
und  ^achin  (Cechen)  genannten  Chorwätin  des  Masüdi  in  das  nordslawische 
Gebiet.  Eine  Sammlung  der  Quellen  600—1100  bei  Racki,  Documenta 
zur  altkroat.  Geschiel  te  (Mon.  slav.  mer.  Bd.  7).  Vgl.  meine  Studien  über 
das  mittelalterliche  Serbien  in  den  Denkschr.  W.  Akad.  1911. 
Jirecck,  GescMohto  der  Serben.    I.  8 


114  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Das  „Volk  der  Slavinen"  {Id-Xaßhwv  ed-vog)  bewohnt  bei  Nike- 
phoros  Bryennios  die  Länder  von  Makedonien  bis  zur  Donau 
(1072);  bei  Michael  Rhetor  von  Thessalonich  (um  1150)  heißen 
die  Serben  Slavinen,  ebenso  noch  bei  Niketas  Akominatos  (um 
1204)  die  Dalmatiner.  Zäher  behauptete  sich  der  Name  bei  den 
Lateinern.  In  abendländischen  Quellen  ist  „Sclavorum  rex"  so- 
wohl der  König  der  Kroaten,  als  der  König  von  Dioklitien.  Im 
13. — 15.  Jahrhundert  war  Sclavonia  der  allgemein  bekannte  Ge- 
samtname für  das  ganze  Land  von  Istrien  bis  zur  Mündung  der 
Bojana,  landeinwärts  vom  Adriatischen  Meere  bis  zur  Drau  und 
Donau.  Dazu  gehörte  sowohl  Serbien,  mit  dem  „rex"  oder  „im- 
perator  Sclavonie"  der  Denkmäler  von  Venedig,  Ragusa  und 
Cattaro,  als  ganz  Kroatien  mit  dem  „banus  tocius  Öclavonie"  und 
dem  kroatischen  Landtag,  welcher  noch  im  18  Jahrhundert  ein 
altes  Siegel  von  1497  mit  der  Aufschrift  „Sigillum  nobilium  regni 
Sclavonie"  führte^).  Mit  der  türkischen  Eroberung  verschwindet 
der  Name  in  seinem  alten  Umfang.  Sein  letzter  Überrest  ist  seit 
dem  17.  Jahrhundert  das  jetzige  kleine  Slawonien  zwischen  der 
unteren  Drau  und  der  Save.  Das  Volk  von  Venedig  nennt  aber 
die  Dalmatiner  noch  immer  Schiavoni.  Am  längsten  behauptete 
sich  die  alte  ethnographische  Terminologie  bei  den  Rumänen  und 
Albanesen,  wo  die  Bezeichnung  der  Slawen  und  ihres  Landes  auf 
lateinisch  Sclavi,  Sclavinia  und  Sclavinica  zurückgeht  "^). 

In  der  geographischen  Nomenklatur  sind  die  römischen  Pro- 
vinznamen langsam  verschwunden.  Ohne  Unterbrechung  behauptet 
sich  der  Name  Dalmatiens,  aber  in  der  Regel  beschränkt  auf 
die  Küste  mit  den  Inseln.  Sein  alter  Umfang  war  aber  nicht  so 
bald  vergessen.  Bei  den  Griechen  der  Komnenenzeit  erscheinen 
die  Serben  meist  als  Dalmater.  Die  Burg  Ras  liegt  bei  Kinnamos 
in  Dalmatien,  Skutari  bei  dem  serbischen  König  Stephan  dem 
Erstgekrönten  „im  wahren  Dalmatien'',  Antivari  und  Dulcigno 
bei  Thomas  von  Spalato   in   „superior    Dalmatia''.     Literarischen 

1)  Vjesnik  arheol.  N.  S.  1  (1895)  21. 

2)  Rumänisch  der  Bulgare ,  besonders  in  älteren  Urkunden ,  Scheiu, 
Plur.  Scheie;  albanesisch  der  Slawe,  im  Süden  der  Christ  überhaupt  Skl'a, 
Ska,  das  Slawenland  im  Dialekt  der  Gegen  SKenija  (aus  Sclavinia),  bkinik^a 
(aus  Sclavinica). 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  115 

Ursprungs  ist  die  spätbyzantinische  Bezeichnung  der  Serben  als 
Daker  oder  Trib alier.  Sie  gehört  zu  der  Mode  der  Um- 
nennung  gleichzeitiger  Völker  mit  antiken  Namen,  welche  noch 
dem  Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos  fremd  war,  aber  im 
11.— 15.  Jahrhundert  in  den  historischen  und  rhetorischen  Werken 
der  Griechen  vorherrschend  ist. 

Die  slawische  Landeseinteilung  hatte  mit  der  des  Altertums 
nichts  mehr  gemeinsam.  Die  neue  Einheit  war  die  Zupanija 
oder  Zupa,  kleiner  als  der  deutsche  Gau,  in  der  Regel  nur  ein 
Flußtal  oder  ein  Becken  des  Karstgebietes  umfassend  i).  Die 
meisten  Namen  der  Zupen  waren  Flußnamen,  wie  Lepenica,  To- 
plica,  Crmnica,  seltener  eigene  Landschaftsnaraen,  wie  Dubrava  oder 
Hvostno,  noch  seltener  Burgnamen,  wie  Rudnik  oder  Budimlja. 
Später  wurde  eine  Zupa  oft  geteilt  in  eine  obere  und  untere,  nach 
dem  Flußlauf  Die  Grenze  der  Zupen  bildete  ein  unbewohntes 
Wald-  oder  Berggebiet,  ohne  feste  Linien ;  noch  das  Gesetzbuch 
des  Zaren  Stephan  regelt  die  Verantwortlichkeit  für  Diebstahl 
und  Raub  in  dem  öden  Landstrich  „  zwischen  den  Zupen "  -).  Der 
Mittelpunkt  war  eine  Burg  (grad),  welche  die  Einwohner  der  Zupa 
stets  zu  bewachen  und  im  Stande  zu  halten  verpflichtet  waren. 
Eine  Bezeichnung  für  Teile  der  Zupa  ist  auf  serbischem  Boden 
nicht  erwiesen,  während  in  Kroatien  schon  im  Mittelalter  eine 
„Unter-Zupanie'^  (podzupanija)  vorkommt.  Die  Zupen  waren  ver- 
einigt in  größeren  Landschaften  (slaw.  zemlja,  byz.  y^Qa,  lat. 
terra,  regio),  welche  vom  9.  Jahrhundert  an  wohl  bekannt  sind 
und  fortan  den  Rahmen  der  Landesgeschichte  bilden.  Die  des 
Küstenlandes  werden  noch  in  den  serbischen  Königstiteln  des 
13. — 14.  Jahrhunderts  genau  aufgezählt 

Die  südlichste  Küstenlandschaft,  ein  Teil  des  ehemaligen  Prae- 
valis,  führte  ihren  Namen  von    der  Römerstadt  Doclea,    die  Kon- 


1)  Verzeichnisse  schon  bei  Konst.  Porph.  yilovnavCu,  slaw,  nur  zupa, 
unbekannten  Ursprungs)  und  Diocleas:  vgl.  Novakovic,  Godignjica  1 
(1877)  1(53-243,  Glasnik  48  (1880)  1—151,  meine  Handelsstraßen  und 
Bergwerke  19 f.  Jetzt  Zupa  mitunter  als  Landschaftsname:  bei  Ragusa 
(ital.  ßreno),  Cattaro  (das  alte  Grbalj),  Niklici  in  Montenegro  und  Krusevac 
in  Serbien. 

2)  Zakonik,  Art.  58,  158  ed.  Novakovic. 

8* 


1(J1  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

stantin  Porphyrogennetos  mit  einer  Anpassung  des  Namens  an 
den  Kaiser  Diol^letian  nur  mehr  als  verödete  Ruine  (iQriuoAaarQOv) 
Dioklia  kennt.  Das  Land  hieß  lateinisch  Dioclia,  griechisch 
Jioy.leia,  bewohnt  von  den  Diokliern  oder  Dioklitiern  (Jicxleig, 
JiOAlr^Tiavoi),  serbisch  D  i  o  k  1  i  tij  a.  Das  Adriatische  Meer  nannten 
die  Serben  das  „Dioklitische  Meer'^  (more  Dioklitijsko),  den  See 
von  Skutari  den  „Dioklitischen  See"  (Dioklitijsko  jezero)  ^).  Lang- 
sam wurde  seit  dem  11.  Jahrhundert  der  Name  Dioklitiens  ver- 
drängt durch  den  der  Zeta  (lat.  Zenta,  Genta),  einen  Flußnamen 
des  Landes;  so  heißt  ein  starker  Nebenfluß  der  Moraca  im  Zen- 
trum des  heutigen  Montenegro.  Es  gab  eine  Landschaft  Ober- 
Zeta  im  Gebirge,  eine  Unter-Zeta  am  See  von  Skutari  und  am 
Meeresufer  2).  Das  Küstengebiet  Diokhtiens  mit  den  zahlreichen 
alten  Städten  wurde  Primorje  oder  Pomorje  genannt  („beim 
Meere'",  „am  Meere"),  lateinisch  Maritima.  Es  war  lange  im 
Besitz  der  Byzantiner,  politisch  und  kirchlich  zur  Provinz  von 
Dynhachion  gerechnet.  Im  Golf  von  Cattaro  gehörte  die  Süd- 
seite zu  Dioklitien,  die  Nordseite  zu  Travunien;  erst  durch  die 
venezianischen  Eroberungen  nach  1683  wurden  beide  Ufer  zu 
einer  Einheit  verbunden.  Im  Binnenlande  fiel  die  Grenze  Dio- 
khtiens mit  der  Vvasserscheide  zwisclien  der  Donau  und  Adria 
zusammen.  Die  Nordgrenze  befand  sich  zwischen  den  Quellen 
der  Zeta  und  Piva,  die  Ostgrenze  in  der  waldigen  Umrahmung 
des  Limgebietes  und  in  den  hohen  Gebirgen  auf  der  Ostseite  des 
Sees  von  Skutari,  in  denen  das  Bistum  von  Polatum  (altserb. 
Pilot)  samt  der  Landschaft  Arbanum  bei  Kroja  dem  byzantinischen 
Gebiete  angehörte  ^).  Die  Bevölkerung  Dioklitiens  war  sehr  ge- 
mischt, mit  zahlreichen  Resten  der  älteren  Einwohner,  Albanesen 


1)  Domentiau  ed.  Danicic  298.  Stojauovic,  Zapisi  1,  S.  140 
nro.  445. 

2)  Zeta  (wohl  illyrischen  Ursprungs)  heißt  auch  ein  linksseit  ger  Zu- 
fluß des  Schwarzen  Drim  in  der  Dibra.  Zuer.st  Zivxu  bei  Kekaumenos 
(um  1080)  ed.  Vasiljevskij  und  Jernstedt  p.  27.  Zur  Palatalisierung  des 
Anlautes  in  der  ital.  Form  Genta  vgl  die  venezianischen  Formen  Vinegia, 
Nestagia  für  Venetia,  Anastasia,  die  ihre  Entstehung  einer  unrichtig  ange- 
wendeten Analogie  verdanken. 

3)  Polatum  (jetzt  Pulati):  vgl.  meine  Handelsstraßen  17. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  117 

und  Romanen,  zwischen  den  neuen  slawischen  Ansiedlern.  Des- 
halb war  dieses  Land  noch  in  der  Zeit  des  Kaisers  Konstantin 
politisch  bedeutungslos. 

Gegen  Norden  folgte  zunächst  die  Landschaft  zwischen  Ra- 
gusa und  Cattaro,  genannt  Tribunium,  Tribunia,  später  Tribigna, 
griechisch  Teqßovvia,  bewohnt  von  den  Terbuniaten  oder  Tribu- 
niern,  slawisch  Trebinje  genannt,  aber  in  den  Titeln  der  ser- 
bischen Könige  stets  in  der  gräzisierten  Form  der  byzantinischen 
Kanzleien  geschrieben  als  Travunia  (auch  Trevunia,  Trovunia). 
Der  Name  ist  wohl  illyrischen  Ursprungs,  von  den  Slawen  (mit 
Anklang  an  trebiti,  ausroden)  umgeformt  ^).  Das  wichtigste  Ge- 
biet im  Innern  war  das  obere  Tal  des  Flusses  von  Trebinje,  der 
Trebinjsdica.  Eine  der  Zupen  dieses  Landes  war  den  Byzantinern 
besser  bekannt,  weil  sie  am  Meere  gelegen  war,  um  das  warme 
und  fruchtbare  Becken  des  Flusses  Ljuta  herum,  welcher  aus 
einer  mächtigen  Quelle  hervorspringt  und  nach  kurzem  Lauf 
wieder  unterirdisch  zum  Meer  abfließt:  KaiaXq,  lat.  Canali,  Canale, 
slawisch  Konavli  (Plur. ,  im  Gen.  Konavala).  bewohnt  von  den 
Kanaliten  (Kavalelvai)  ^).  Diese  Landschaft  hatte  ihren  Namen 
von  dem  langen,  durch  seine  Viadukte  und  Felskanäle  auffallenden 
Aquädukt  (canalis)  der  römischen  Stadt  Epidjiur,  deren  Ruinen 
sich  an  der  Küste  dieser  Zupa  befanden. 

An  der  Seeküste  von  Ragusa  gegen  Norden  bis  zur  Narenta 
und  im  unteren  Narentatale  selbst  lag  das  Land  Hlm,  zu  Ende 
des  Mittelalters  Hum,  Humska  zemlja  (kirchenslaw.  chltmi,  Hügel, 
altserb.  hlm,  neu  hum)),  auch  Zahlmije  („jenseits  des  Hügels") 
genannt,  die  Zaxkovi.aov  /w^a  des  Kaisers  Konstantin,  lateinisch 
Chelmania,  Chulmia  oder  „terra  de  Chelmo".  Es  war  ein 
von  Natur  aus  reicheres  Gebiet,  dessen  Fürsten    lange    eine    selb- 


1)  TtQßovviÜTat,  -iwTca  (Theoph.  Cont.  288),  cig^ojv  lüiv  T^aßoivtav 
(1,  691)  bei  Konst.  Porph.,  TQißovvtog  bei  Kekaumenos  p.  25.  Vgl. 
das  Kastell  Tribulium  im  nördlichen  Dalmatien  bei  Pliuius,  Nat.  bist. 
III  §  142  und  das  Gebirge  Terbuni  im  Gebiet  der  Mirediten.  Der  Vokal- 
wechsel in  Terv-,  Trav-,  Triv-  (Trib-),  Trev-  (Treb-),  Trov-  ist  nicht  slawisch. 

2)  Vgl.  Artur  Gavazzi,  Die  Seen  des  Karstes,  Abb.  der  k.  k. 
geograph.  Ges.,  Bd.  5  (1904)  Nro.  2,  S.  123:  das  „polje"  von  Canali, 
11  .  62  qkm  groß,  von  der  Ljuta  jährlich  2—3  Wochen  lang  überschwemmt. 


118  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

ständige  Rolle  spielten,  bis  sich  im  15.  Jahrhundert  hier  eine  neue 
politische  Formation,  das  „Herzogsland",  die  wohlbekannte  Herze- 
gowina bildete.  Die  Grenze  zwischen  Trebinje  und  Chelmo  be- 
gann bei  Ragusa;  sie  wird  von  Orbini  (l60l)  und  von  der  heu- 
tigen Tradition  ganz  genau  angegeben  ^).  Der  Hauptort  der 
Landschaft  befand  sich  10  Kilometer  südöstlich  von  der  jetzigen, 
erst  zu  Beginn  der  Türkenzeit  gegründeten  Stadt  Mostar:  die 
Burg  Blagaj,  unter  deren  Felsen  der  Fluß  Buna  aus  einer  Höhle 
entspringt  und  nach  kurzem  Lauf  in  die  Narenta  fällt.  Konstantin 
Porphyrogennetos  erwähnt  in  diesem  Lande  einen  großen  Berg 
mit  zwei  Schlössern  auf  dem  Gipfel,  Bona  und  Chlum,  und  dabei 
einen  Fluß  Bona  2).  Vielleicht  waren  es  nur  zwei  Namen ,  ein 
römischer  und  ein  slawischer,  für  eine  und  dieselbe  Burg,  die 
wieder  mit  der  illyrischen  Stadt  Bunnos  des  Stephan  von  Byzanz 
identisch  sein  kann.  Der  slawische  Name  Blagaj  ist  überdies  nur 
eine  Übersetzung  des  lateinischen  Bona  (slaw.  blag:  bonus)  '). 
An  der  Küste  besaßen  die  Zachlumier  die  68  Kilometer  lange  ge- 
birgige Halbinsel,  welche  man  jetzt  Sabbioncello,  slawisch  Peljesac 
nennt;  im  Mittelalter  hieß  sie  Puncta  Stagni,  slawisch  Stonski 
Rat.  Die  Burg  Stagno  (slaw.  Ston,  byz.  2tayv6v,  ^lauvov ,  lat. 
Stamnum,  Stamum)  bewachte  den  slawisch  Prevlaka  genannten 
Isthmus  am  Ostende  der  Halbinsel.  Sie  lag  nahe  bei  dem  Süd- 
eingang eines  kaum  einen  Kilometer  langen  bogenförmigen  Ein- 
schnittes zwischen  Felswänden,  durch  welchen  man  kleinere  Schiffe 
von  der  Narentamündung  in  das  Meer  von  Ragusa  hinüberzu- 
ziehen pflegte  ^).  Der  Name  der  Landschaft  ist  seit  der  türkischen 
Eroberung  außer  Gebrauch  gekommen ;  im  Volksmunde  heißt  aber 
der    niedrigere,    westliche    Teil    der    Herzegowina     noch    immer 


1)  Vgl.  Orbini  .393  mit  Naselja  2,  1151. 

2)  Der  noraubg  ZayXovfxa  des  Kon  st.  Porph.  3,  160  scheint  mit 
dem  kurz  zuvor  genannten  noTn/uö;  Bova  identisch  zu  sein. 

3)  Vgl.  meine  Handelsstraßen  25 f.  Radimsky,  Das  BiScepolje  bei 
Mostar,  Wiss.  Mitt.  2  (1894)  3—34,  mit  Abb.  und  Karte. 

4)  Prevlaka  entspricht  wörtlich  dem  altgriech.  dioXxog ,  der  Schlepp- 
bahn für  Schiffe  auf  dem  Isthmus  von  Koiünth,  und  den  russ.  volok,  Schlepp- 
bahnen zwischen  den  Flüssen  Rußlands. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhimdert  usw.  119 

Humnina   oder    Huraina,    gegenüber    den    Gebirgslandschaften  des 
Innern,  den  Rudine  ^). 

In  dem  einstigen  Lande  der  illyrischen  Ardiäer  saßen  an  der 
von  hohen  Gebirgen  überragten  Küste  zwischen  den  Mündungen 
der  Narenta  und  Cetina  die  Narentaner,  als  Heiden  von  den 
dalmatinischen  Romanen  Pagani  genannt,  berühmt  durch  ihre 
Seeräuberei.  Ihr  Land,  steil  und  unzugänglich,  soll  nach  Kaiser 
Konstantin  nur  drei  Zupanien  umfaßt  haben.  Im  späteren  Mittel- 
alter hieß  das  Küstengebiet  mit  dem  Hauptort  Makar  (das  röm. 
Mucur,  jetzt  Ruinen  Makar  bei  der  Hafenstadt  Makarska)  Krajina 
(Crayna),  das  „Grenzland"  ^j^  seine  Einwohner,  die  ihren  Ruf  als 
Piraten  nicht  eingebüßt  hatten,  Krajinjaue  (Craynenses).  Das  be- 
rühmteste Piratennest  war  aber  das  an  der  Mündung  der  Cetina 
gelegene  Alraissa  (kroat.  Olmis,  später  Omis). 

Das  Tal  der  Cetina  selbst  gehörte  schon  zum  Herzogtum  der 
Chrovaten  (XQtoßäTOi),  das  zuerst  in  der  Karolingerzeit  nach 
800  genannt  wird.  Der  „Chroatorum  dux''  hatte  seine  Residenzen  in 
den  fruchtbaren  Gebieten  an  der  Meeresküste:  in  CUssa  (kroat. 
Klis)  bei  den  Ruinen  von  Salona,  in  Biaci  bei  Trau,  in  Belgrad 
(Belgradum,  jetzt  ital.  Zara  vecchia,  kroat.  Biograd  primorski),  in 
Nona  (kroat.  Nin).  In  der  Zeit  Kaiser  Konstantins  waren  die 
äußersten  Zupen  Kroatiens  gegen  Süden  und  Osten  die  von  Imota 
(jetzt  Jmoski),  Cetina,  Hlevno  (jetzt  Livno)  und  Pleva  (Fluß  PUva 
in  Bosnien).  Im  Nordwesten  erstreckte  sich  Kroatien  damals  bis 
in  die  Berge  Istriens.  Die  vom  Kaiser  erwähnte  Art  der  Ver- 
waltung der  Zupen  von  Krbava,  Lika  und  Gadska  im  Gebirge 
des  Velebit  und  der  Kapela  durch  den  Ban  als  Stellvertreter  des 
kroatischen  Fürsten  zeigt,  in  Verbindung  mit  den  Nachrichten  aus 
der  Karolingerzeit,  daß  dies  ein  später  erworbenes  Gebiet  war. 
Konstantin  Porphyrogennetos  kennt  auch  andere  Chrovaten  in 
Pannonien,  die  einen  selbständigen  Fürsten  haben;  das  ist  der  in 
Siscia  residierende  „dux  Pannoniae  inferioris"  in  den  Quellen  der 
fränkischen  Zeit. 

Im  Innern,  ferne  vom  Meere  und  der  Donau,  lag  nach  der 


1)  Cvijic,  Glas  57  (1899)  180;  Naselja  2,  681  f. 

2)  Zuerst  1185:  Smiciklas,  Cod.  dipl.  2,  193. 


120  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Schilderung  des   Konstantin  Porphyrogennetos   das  Land   der   ur- 
sprünglichen, eigentHchen  Serben  i).    Zuerst  erscheinen  die  Serben 
822  in  den  fränkischen  Annalen,  die  man  Einhard  zuschreibt,  als 
ein   mächtiges  Volk,    welches   einen   großen    Teil    Dalraatiens   (im 
römischen  Sinne)  besitzen  soll:  „Sorabi,  quae  natio  magnam  Dal- 
matiae    partem    obtinere    dicitur."      Nach    der    Beschreibung    des 
Kaisers  Konstantin   waren  die  Serben  die  östhchen  Nachbarn  der 
Küstenstämme,    der   Dioklitier,    Travunier    und    Zachulmier;    sie 
wohnten  also  jenseits  der  Wasserscheide  zwischen  der  Adria   und 
der  Donau  '').     Im  Süden  grenzte  ihr  Gebiet  bei  den  Quellen  des 
Lim   und    auf  den  Kämmen   der  Prokletja   an    das   byzantinische 
Bergland   von  Polatum.     Ihre  Ostgrenze   war   durch  die  viel  um- 
worbene Grenzburg  Ras  (Fäoov,  'Pdarj)  am  Flusse  Raska  bei  Novi- 
pazar  bezeichnet.    Im  Nordosten  ist  im  8.  Jahrhundert  die  Grenze 
gegen  die  Awaren  anzusetzen,  welche  Sirmium  und  wahrscheinlich 
auch  das  einstige  Obermösien  noch  lange  beherrschten.    Das  Land 
der  eigentlichen  Serben  umfaßte  demnach  das  Gebiet  des  Lim  und 
der  oberen  Drina,    samt   der  Piva   und  Tara,    das    Tal   des  Ibar 
und    den    Oberlauf   der   westlichen    Morava.      Die   Lage   der   bei 
Kaiser  Konstantin   genannten   Burgen    des  Serbenlandes   läßt    sich 
nicht  sicher  bestimmen.    In  der  Gegend  von  Sjenica  oder  Prjepolje 
ist  zu  suchen  die  Hauptburg  Destinikon  oder  Dostinika  (rö  Jean- 
vUov,  fi  JootivUa,  serb.  Dts[t]nik?).     Tö  MeyuQarovg,  wohl  Medju- 
reßje,  „zwischen  den  Flüssen",  also  ein  serbisches  Interamna  oder 
Mesopotamia,  erinnert  an  die  zwei  in  späteren  Jahrhunderten  ge- 
nannten Medjurecje;  eines  war  Unterstadt  der  Burg  Samobor  am 
rechten  Drinaufer  unterhalb  Gorazda,  das  zweite  die  Unterstadt  der 
Burg   Sokol   am    Zusammenfluß    der   Piva   und    Tara.      Über   die 
Lage   von    drei   anderen   Burgen   lassen    sich   kaum  Vermutungen 

1)  ZfQßXCa,  bewohnt  von  den  Z^Qßkoo,  in  der  Zeit  der  Komneneu  ohne 
X:  ZiQßov,  Z^Qßioc  im  Lande  ZiQßiu,  Ztoßixri,  slawisch  Srblin,  Plur.  Srbli, 
später  (ohne  1)  Srbin  (Adjektiv  stets  nur:  srpski),  das  „regnum  Servilie"  in 
kirchliehen  Urkunden  der  Ragusaner  des  13.  Jahrhunderts. 

2)  Presbyter  Diocleas  erwähnt  in  den  Bergen  längs  dieser  Wasser- 
scheide eine  langgedehute  eigene  Landschaft  Podgorje,lat.Submontana, 
mit  den  Zupen  von  Eama,  Nevesinjo,  Piva,  Onogost,  Moraca  u.  a. ,  ihre  Exi- 
stenz ist  aber  durch  andere  Quellen  nicht  erwiesen. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  l:il 

aufstelleu  ^).  Von  den  nach  1200  genannten  und  noch  jetzt  be- 
kannten Orten  gehören  in  dieses  Gebiet:  Brskovo  an  der  Tara, 
Breznica  (jetzt  Plevlje  mit  dem  Kloster  Vrhobreznica) ,  Sjenica 
zwischen  Plevlje  und  Novipazar,  Budimlja  und  Bjelopolje  am  Lim, 
Gradac  (jetzt  Cacak)  an  der  westlichen  Morava. 

Das  Land  der  Serben  nahm  durch  seine  Lage  auf  dem  Ost- 
abhang der  Gebirgskette  von  den  albanesischen  Alpen  bis  zu  den 
Quellen  der  Narenta,  in  welcher  die  Bergriesen  Visitor,  Kom  und 
Durmitor  emporragen,  eine  dominierende  Position  über  den  um- 
liegenden Tälern  ein.  Die  lange  Front  gegen  Nordost  bot  eine 
feste  Stellung  gegen  die  Awaren,  später  gegen  die  Bulgaren  und 
Ungarn.  Durch  ihren  Widerstand  gegen  das  Vordringen  der 
Bulgaren  wurden  die  Serben  im  9. — 10.  Jahrhundert  der  mäch- 
tigste aller  dieser  Bergbtämme,  als  Bundesgenossen  gesucht  von 
den  Byzantinern,  denen  damals  jede  Erweiterung  der  Macht 
Serbiens  sehr  gelegen  kam.  Ihre  Rivalen  waren  die  Zachlumier. 
Die  Travunier  sind  nach  der  Erzählung  des  Kaisers  Konstantin 
durch  Heiraten  ihrer  Fürsten  von  den  Herrschern  der  Serben  ab- 
hängig geworden,  die  sich  dadurch  den  Zutritt  zum  Meere  erwarben, 
Konstantin  Porphyrogennetos  nennt  im  Besitze  der  Serben  auch 
das  Ländchen  Bosna  im  oberen  Bosnatale,  mit  Salines  (Tuzla). 
Er  bemerkt  ausdrücklich,  daß  Serbien  an  Kroatien  grenze  und 
zwar  an  die  kroatischen  Zupen  von  Hlevno  und  Cetina  -),  und 
daß  Fürst  Peter  (um  891 — 917)  auch  Pagania,  das  Land  der 
Narentaner,  beherrscht  habe  ^).  Noch  im  12.  Jahrhundert  schreibt 
Diocleas,  Surbia  oder  lateinisch  Transmontana  sei  in  zwei  „pro- 
vincias"  geteilt;  die  eine,  „a  magno  flumine  Drina"  gegen  Westen 
heiße  Bosna,  die  andere  „ab  eodem  flumine  Drina''  bis  zum  Flusse 
Lab  (bei  Pristina)  werde  Rassa  genannt  ^).    Erst  die  Angriffslcriege 

1)  TCfQvetßovaxf^  (cm  schwarz,  das  zweite  Nomen  unklar,  mit  Adjektiv- 
endung -ski),  zJotavtrjx  (Dreznik)  und  Atavrix  (Ljesnik),  ed.  Bonn.  3,  159; 
vgl    meine  Handelsstraßen  33. 

2)  Die  /üip«  T^f  XnutßcaiaQ  .  .  .  nltjaiüCd  t^f  ngog  Ttjv  TC^vTiva  xcd 
T7]v  Xkißiva  Tij  xojocc  2tQßXittg,  Serblia  noog  äoxTov  Sh  nlrjaidCii  T^  Xoo)- 
ßuTÜc.     Kon  st.  Porph.  3,  146. 

3)  Eig  TluyavCav  ttju  t6t€  ticiqu  toü  üo^ovro;  2!tQß).iag  Siuxqutov- 
fi(vt]v.     Kon  st.  Porph.  3,  156. 

4)  Diocleas  ed.  Crncic  p.  17. 


133  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

der  Bulgaren  haben  im  10.  Jahrhundert  diese  Erwerbungen  ein- 
gestellt. Der  Name  der  Serben  wurde  langsam  ein  Gesaratname 
für  die  Nachbarstämme,  ebenso  wie  sich  in  den  nordslawischen 
Ländern  der  Name  der  eigentlichen  Cechen  über  die  in  der 
Gründungsurkunde  des  Bistums  von  Prag  aufgezählten  Stämme 
Böhmens  verbreitete,  oder  der  Name  der  Polanen  bei  Gnesen  über 
alle  polnischen  Stämme.  Kaiser  Konstantin  bezeichnet  auch  die 
zu  seiner  Zeit  (um  948)  ganz  selbständigen  Zachlumier  als  Serben 
und  bemerkt  in  den  Einwanderungssagen,  daß  die  „Serbli"  nicht 
nur  in  Serblia,  Zachlumia  und  Terbunia  wohnen  (Dioklia  fehlt  an 
dieser  Stelle),  sondern  auch  in  Pagania  ^).  Bei  Kekaumenos  (um 
1080)  ist  Fürst  Stephan  Vojslav  einmal  ein  travunischer  Serbe 
(6  Tqißovviog  6  ^egßog),  Herr  von  Dioklia,  an  einer  zweiten  Stelle 
aber  ein  Dioklitier  {JLOv.Xr^Tiavög),  Toparch  von  Zeta  und  Stamnon 
(Stagno)  -).  Verwechslungen  der  Serben  und  Kroaten  kommen 
bei  den  Byzantinern  erst  im   11.  Jahrhundert  vor  ^). 

Noch  weiter  entlegen  vom  Meere  und  von  den  großen  Ver- 
kehrswegen war  das  Land  Bosna,  im  Mittelalter  lateinisch  Bosona, 
Bossina  genannt,  zuerst  bei  Konstantin  Porphyrogennetos  erwähnt 
{Booiova).  Es  erhielt  seinen  Namen  vom  Flusse  Bosna,  dem 
Basanius  der  Römerzeit,  und  umfaßte  ursprünglich  nicht  mehr  als 
das  obere  Gebiet  dieses  Flusses.  Bei  Diocleas  und  Kinnamos, 
ebenso  wie  in  späteren  Nachrichten  erscheint  als  ständige  Grenze 
zwischen  Bosnien  und  Serbien  das  tiefeingeschnittene  Tal  der 
Drina  *).  Als  eigene  Landschaften  werden  in  den  Titeln  der  bos- 
nischen Bane  und  Könige  genannt  die  Landschaft  Usora  am 
gleichnamigen  Flusse  und  das  Gebiet  um  die  Salzquellen  von  Sol 
(jetzt  türk.  Tuzla)  ^).      Ein  Verzeichnis   der   Zupen   von   Bosnien 


1)  Kon  St.  Porph.  3,  153,  160. 

2)  Kekaumenos  p    25,  27. 

3)  Tö  Twv  XooßdTojv  (d-fug,  ovg  6tj  xal  2!iQßovg  zivtg  xccXouat  Zonaras 
XVIII  cap.  17  =  TÖ  t6)v  Z^oßwv  s&vog,  oPg  St]  xal  XQoßurag  xuXovat  Ke- 
drenos  2,  714. 

4)  UoTuubg  ^ovvug  ...  BöaS-rav  T^f  äklrjg  J^egßixfjg  Siatoit.  Kinna- 
mos III,  7. 

5)  Soli  in  den  Titeln  ist  der  Dativ  von  Sol;  vgl.  Daniciö, 
Ejecnik. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  133 

gibt  es  erst  aus  dem  Jahre  1244  ^\  Bosnien  hatte  ein  eigenes 
erbliches  Fürstengeschlecht,  welches  im  10.  Jahrhundert  ebenso 
wie  das  der  Travunier,  den  Serbenfürsten  untergeordnet  war, 
aber  im  12.  Jahrhundert  als  von  ihm  nicht  abhängig  erscheint-). 

Unbekannt  sind  die  Namen  der  slawischen  Stämme  im  Zentrum 
der  Halbinsel,  zwischen  Ras  und  Serdica.  Das  untere  Moravatal 
war  lange  im  Besitz  der  Awaren,  welche  ursprünglich  die  west- 
lichen Nachbarn  der  Bulgaren  waren  ^).  Im  Donaugebiet  erwähnen 
fränkische  Quellen  die  Timocanen  (Timociani  818)  am  Flusse 
Timok,  ferner  in  „Dacien  an  der  Donau"  (Daciam,  Danubio 
adiacentem)  in  der  Nachbarschaft  der  Bulgaren  die  „Abodriti,  qui 
vulgo  Praedenecenti  vocahtur"  (824),  „  Oster- Abtrezi "  des  bay- 
rischen Anonymus,  slawisch  vielleicht  Bodrici,  die  Safafik  im 
Bodroger  Komitat,  im  Banat  und  an  der  Mündung  der  Morava 
suchte  ^).  Die  Bezeichnung  des  Bischofs  von  Morava  oder  Bra- 
nicevo  (röm.  Viminacium)  im  11. — 12.  Jahrhundert  (o  MoQccßov 
TjTOL  BQaviT^aßov)  zeigt,  daß  ein  großer  Teil  des  ehemahgen  Ober- 
mösiens  einfach  Morava  genannt  wurde  ^). 

An  der  Spitze  der  einzelnen  Stämme  standen  im  10.  Jahr- 
hundert erbliche  Fürstenfamilien.  Den  Fürsten  nannte  man  grie- 
chisch ccQxcov,  in  lateinischen  Denkmälern  in  Serbien  *'),  Kroatien, 
Zachlumien  und  ursprünglich  auch  in  Bosnien  '')  dux.  Der  ein- 
heimische Name  ist  nicht  überliefert;  den  slawischen  Namen  voje- 
v  0  d  a    (Heerführer)     erwähnt    Kaiser    Konstantin     nur    bei    den 


1)  Smiciklas,  Cod.  dipl.  4,  236f. 

2)  'Earl  ät  r)  Boa&va  ov  tBv  Zioßimv  ngyil^ovnävoy  xuX  aiiTJ]  tYxovaa, 
ä).V   f&vo;  tSta  naou  jnvTr]  y.ai   Lwv  xiu   itnyöufvov.      Kinnamos  a    a.   0. 

3)  Wohnsitze  der  Bulgaren  zwischen  Donau  und  Hämus ,  noö;  dvaiv 
fi^XQi  'Aßaolag:  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  359. 

4)  Die  Zusammenstellung  der  Praedenecenti  mit  Branicevo  bei  Sa- 
fafik und  Zeuß  geht  lautlich  zu  weit. 

5)  Geizer,  Byz.  Z.  1  (1892)  257;  2  (1893)  52—53,  Die  Burgen 
MioQÜßov  (Branicevo)  xai  BtXiyQiidon'  bei  Kedrenos  2,  527.  Ein  Ort  des 
Bistums  von  Branicevo  hieß  Monößiaxog,  wohl  Moravtsk^:  Novakovic 
Glas  76  (1908)  37. 

6)  „Unus  ex  ducibus  eorum"  (der  Serben)  822:  Einhards  Annalen, 
Mon.  Germ.  SS.  1,  2U9  (Racki,  Doc.  327). 

7)  Dux  Bossine:  Stat.  Ragus.  III  cap.  52,  56. 


124  Drittes  Bacb.     Erstes  Kapitel. 

Magyaren^),  während  der  Titel  knez  bei  den  Südslawen  erst  um 
1050  nachweisbar  ist.  Die  Fürsten  der  eigentlichen  Serben  waren 
nach  Konstantin  Porphyrogennetos  Nachkommen  eines  Brüder- 
paares; der  eine  Bruder  war  der  zuer.st  in  Serbien  eingewanderte 
Stammfürst,  der  andere  der  Stammvater  des  Herrscherhauses  der 
in  der  nördlichen  Urheimat  zurückgebliebenen  Serben.  Nach  dem 
kaiserlichen  Geschichtschreiber  soll  es  ein  nach  dem  Recht  der 
Erstgeburt  erbliches  Geschlecht  gewesen  sein,  aber  die  späteren  Ver- 
hältnisse sprechen  eher  für  eine  Senioratserbfolge  innerhalb  der 
Familie,  mit  Teilungen  des  Landes,  die  im  9. — 13.  Jahrhundert 
oft  erwähnt  werden  und  zwischen  Brüdern  und  Vettern  Anlaß  zu 
so  vielen  Rivalitäten  und  Fehden  boten  -).  Kaiser  Konstantin  be- 
ginnt die  Serie  der  Serbenfürsten  mit  Vyseslav  (um  780)  und 
dessen  Sohn  Radoslav,  doch  die  erste  klare  Persönlichkeit  ist 
Radoslavs  Enkel  Vlastimir  (um  85u).  Über  das  Fürstengeschlecht 
der  Dioklitier  macht  der  Kaiser  keine  näheren  Mitteilungen,  doch 
hat  man  ein  Bleisiegel  eines  sonst  nicht  bekannten  Fürsten  Peter 
von  Dioklia  aus  dem  9. — 10.  Jahrhundert  gefunden  •*).  An  der 
Spitze  der  Travunier  nennt  Konstantin  Porphyrogennetos  um  850 
einen  Zupan  Krainas,  Sohn  des  Belaj.  Der  Serbenfürst  Vlastimir 
gab  diesem  Zupan  seine  Tochter  zur  Frau  und  ernannte  ihn  zum 
Fürsten  (uQywv)\  darauf  seien  die  Fürsten  Travuniens,  Krainas 
und  seine  Nachkommen  Hvalimir  und  Cucimir  stets  den  Für- 
sten der  Serben  untergeordnet  gebUeben  ^).  In  den  Adressen 
des  byzantinischen  Zeremonienbuches  ist  ein  eigener  Fürst  der 
Kanaliten  angegeben  °).  Ein  altes  Fürstengeschlecht  war  das  an- 
geblich von  den  heidnischen  Slawen  an  der  Weichsel  stammende 
der  Zachlumier  (S.  108).  In  den  Büchern  des  schriftstellernden 
Kaisers  fehlt  jede  Erwähnung  der  Oberhäupter  der  Narentaner. 
In  den  venezianischen  Chroniken  wird  um  1000  ein  „Narrentanorum 
princeps"    genannt,    mit    zahlreichen    „nobiles",    von    denen    die 


1)  BotßöSo;  Kon  St.  Porph.  3,  16S. 

2)  Vlastimirs  Söhne:  ufoiaäunot,  it]i>  /üonv,  ib.  154. 

3)  "Aq^ojv  yltoxXfiag  ib.   1,  691.     Bleisiegel:    IltToov    üo/ovrog  ztioxUag 
bei  Schlumberger,  Sigillographie  byz. 

4)  Konst.  Porph.  3,   161. 

5)  Eis  Tov  üo/ovTci  ToD  KuvüXt]:  ib.   1,  691. 


Die  Serbeu  im  7.— 10.  Jahrhundert  usw.  125 

Venezianer  damals  40  gefangen  genommen  haben.  Es  scheint  eine 
Oligarchie  von  Stammeshäuptern  gewesen  zu  sein  ^).  Bei  den 
Kroaten  erwähnt  Kaiser  Konstantin  eine  erbliche  Dynastie  seit  der 
unter  Kaiser  Heraklios  erfolgten  Ansiedlung.  Venezianische  Chro- 
niken berichten  von  Familienfehden;  um  878  hat  der  kroatische 
Fürst  Zdeslav  aus  der  „progenies"  des  Fürsten  Trpimir  mit  Hilfe 
der  Griechen  die  Söhne  des  Domagoj  vertrieben,  wurde  aber  bald 
von  Branimir  (879)  ermordet.  In  Bosnien  werden  die  Fürsten 
mit  Namen  erst  spät  genannt. 

Der  Fürst  war  der  oberste  Heerführer  und  Richter  des  Volkes, 
das  er  auch  dem  Ausland  gegenüber  vertrat.  Seine  Residenz  hieß 
dvor  (curtis,  curia),  der  „Hof",  wohl  eine  Gruppe  einfacher  Ge- 
bäude innerhalb  einer  Burg  odei'  unterhalb  eines  befestigten  Burg- 
hügels -).  Bei  feierlichen  Anlässen  saß  der  Fürst  auf  einem  Thron- 
sessel, dem  stol  oder  p  res  toi,  dem  Thron  der  Vorväter,  an  den 
sich  eine  Art  Ahnenkultus  knüpfte  ■^),  In  der  Herzegowina  haben 
sich  bei  Blagaj,  Stolac,  Gacko  und  an  der  Neretvica  vier  Stein- 
sessel erhalten,  auf  welchen  die  alten  Fürsten  des  Landes  unter 
freiem  Himmel  die  Volksversammlungen  leiteten  und  zu  Gericht 
saßen  ^).  Nicht  bekannt  sind  die  äußeren  Abzeichen  der  Herrscher- 
würde. Dazu  gehörte  wohl  „die  von  Gott  geschenkte  Lanze'', 
welche  in  der  Geschichte  des  Großzupans  Nemanja  erwähnt  wird  ^); 
sie  erinnert  an  die  vergoldete  Lanze,  das  Abzeichen  der  ungarischen 


\)  Joannes  Diaconus,  auch  bei  Racki,  Doc.  425,  427. 

2)  Dvor,  stol,  prestol  (auch  in  den  nordslaw.  Sprachen)  vgl.  Danicic, 
Rjecnik ;  curtis  bei  Racki,  Doc,  curia  ib.  und  Diocleas. 

?))  Die  Residenz  hieß  .,  stolno  mjesto " ,  Ort  des  Thrones.  Hervor- 
hebung der  Erblichkeit :  der  kroat.  Fürst  Mutimir  892  „  residens  paterno 
solio"  Racki,  Doc.  15;  „Thron  des  Großvaters  und  Vaters"  des  serb. 
Königs  Stephan  Uros  1.  1261,  Mon.  serb.  48;  ,, Thron  meiner  Vorväter"  des 
bosDischen  Königs  Tvrtko  II.  1420,  ib.  304.  Vgl.  „stol"  des  Vaters  und 
Großvaters  in  Rußland  im  11.  Jahrhundert  bei  Nestor  ed.  Miklosich 
p.  88,  108.  Später  heißt  ,,stol"  und  „prestol"  auch  der  ,^0010?  des  Biscliofs, 
Erzbischofs  oder  Patriarchen.  In  Kroatien  heute  „stol"  der  Gerichtshof; 
z.  B.  „banski  stol"  die  „Banaltafel",  das  Appellationsgericht  in  Agram. 

4)  Beschreibungen  von  Radimsky,  Hörmann  und  Truhelka: 
Wiss.  Mitt.  2,  25,  42;  4,  343  f. 

5)  König  Stephan  cap.  5;  Domentian  p.  19. 


126  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Könige  des  1 1 .  Jahrhunderts  ^).  Johannes  der  Exarch  schildert 
den  Fürsten  Symeon  von  Bulgarien  (f  927)  in  einem  mit  Edel- 
steinen besetzten  Gewand,  mit  einer  Halskette  aus  Münzen  und 
mit  Armringen,  umgürtet  mit  einem  Purpurgürtel,  von  welchem 
ein  vergoldetes  Schwert  herabhängt,  wie  er  im  Kreise  seiner  Edel- 
leute  sitzt,  welche  gleichfalls  mit  goldenen  Halsketten,  Gürteln  und 
Armbändern  geschmückt  sind  -).  Dieser  Prunk  der  Bulgaren  wird 
sich  in  derselben  Periode  auch  anderswo  wiederholt  haben.  Über 
die  Besitzungen  des  Serbenfürsten  ist  aus  späteren  Nachrichten 
klar,  daß  ihm  die  Einöden,  Waldungen  und  Alpentriften  gehörten, 
ebenso  wie  in  Italien  dem  Langobardenkönig,  und  daß  ursprünglich 
alle  wlachischen  Hirten  seine  Untertanen  waren.  In  der  Stiftungs- 
urkunde des  Klosters  Decani  (um  1330)  wird  der  Grundsatz  auf- 
gestellt: „in  den  Bergen  (planine)  hat  niemand  ein  Erbgut  (bastina), 
außer  den  Königen  und  denjenigen  Kirchen,  denen  sie  die  Könige 
geschenkt  haben";  sollte  ein  Edelmann  oder  ein  Wlache  oder  ein 
Albanese  behaupten,  er  habe  die  Bergweide  früher  als  Erbgut  be- 
sessen, zahlt  er  dem  regierenden  König  eine  Buße  von  500  Schafen^). 
Der  Landesfürst  erhielt  in  Serbien  von  der  Benutzung  der  Alpen- 
und  Waldweiden  das  Grasgeld  (travnina)  und  das  Eichelgeld 
(zirovnina),  gerade  so  wie  der  König  der  Langobarden  in 
Italien  im  7. — 8.  Jahrhundert  das  „herbaticura"  und  „glandati- 
cum"  ^). 

Die  Hofamter  erinnern  mehr  an  die  Institutionen  der  Lango- 
barden und  Franken,  als  an  die  Hierarchie  des  Konstantinopler 
Hofes,  wo  z.  B.  die  Schwertträger  (Spathar)  oder  Stallmeister 
(Protostrator)  vornehme  Männer  waren,  aber  den  inneren  Dienst 
beim  Kaiser  und  der  Kaiserin  Unfreie,  Sklaven  und  Eunuchen 
besorgten.  Die  Vergleichung  der  Hofwürden  in  Kroatien  im 
9. — 11.  Jahrhundert^),  in  Bosnien,  Serbien  und  der  Walachei 
zeigt,  daß  diese  Einrichtungen  in  allen  diesen  Ländern  auf  ein 
gemeinschaftliches  altes  Vorbild  zurückgehen.    Die  Ehrenämter  des 


1)  Huber,  Gesch.  Österreichs  1,  187,  188,  205. 

2)  Meine  Geschichte  der  Bulgaren  166. 

3)  Novakovic,  Selo  74  und  Zakonik  S.  194. 

4)  Hartmann,  Geschichte  Italiens  2,  2,  44. 

5)  Racki,  Rad  91  (1888)  152. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  127 

Hofes  bekleideten  dort  die  Zupane,  die  Vorsteher  der  Gaue,  in 
Kroatien  ebensogut  wie  bei  den  Königen  von  Dioklitien  und  den 
Fürsten  der  Walachei.  Zwei  Würdenträger  des  altkroatischen 
Hofes,  der  postelnik  (postelja  Bettgewand)  oder  „jupanus  came- 
rarius"  und  der  dvornik  (dvor  Hof),  kehren  nach  1400  in  der 
Walachei  wieder  als  „postelnik"  und  „vornic".  Der  oberste 
Würdenträger  in  Kroatien,  der  „jupanus  palatinus**'  oder  „comes 
curialis'^,  im  11.  Jahrhundert  tepcij  genannt,  kommt  nach  1200 
in  Serbien  und  Bosnien  als  tepcij  a  vor  i).  Wir  wissen  nicht, 
ob  es  ursprünglich  das  Amt  eines  Bannerträgers  oder  Siegel- 
bewahrers war;  das  Wort  ist  jedenfalls  nicht  slawisch  und  verrät 
durch  Stamm  und  Endung  einen  alttürkischen  Ursprung,  der  zu 
dem  Hofstaat  der  Hunnen  und  Awaren  zurückführen  kann  -). 
Ahnlichen  Ursprungs  ist  die  Würde  des  Ban,  eines  Stellvertreters 
oder  Statthalters  des  Landesfürsten ,  die  in  Kroatien ,  Bosnien, 
Ungarn  und  der  Walachei  wohlbekannt  war  (in  Ragusa  war  im 
13.  Jahrhundert  Ban  der  Vizebürgermeister,  vicarius  comitis),  aber  in 
Serbien  nie  vorkommt  •^).  Die  Hundewärter  (psar)  und  Falkeniere 
(sokolar)  heißen  in  Serbien  ebenso,  wie  im  alten  Kroatien. 

Neben  den  Fürsten  waren  die  mächtigsten  Männer  des  Landes 
die  Oberhäupter  der  Gaue,  die  Z  upane  Qovnai'oi,  jupani,  zuppani). 
Kaiser  Konstantin  bezeichnet  sie  als  Alteste,  Greise  (CovTtavoL 
yegovTeg),  erzählt  aber  an  einer  anderen  Stelle,  daß  die  Fürsten 
{aQyovzeg)  von  Travunien  ursprünglich  nur  Zupane  waren,  ein 
erbliches  Geschlecht.  Es  waren  die  Altesten  eines  lokalen  Ge- 
schlechtes, welche  durch  Erbfolge  zu  ihrer  Würde  gelangten,  mit- 
unter auch  durch  Wahl,  wie  dies  z.  B.  im  13.  Jahrhundert  bei 
den  Zupanen  der  Inseln  Lesina  und  Brazza  oder  bei  den  Unter- 
zupanen  von  Kroatien  bezeugt  ist.  Die  Fürstengeschlechter  sind 
wahrscheinlich  ursprünglich  nur  Zupanenfamilien  gewesen,  welche 
langsam  eine  größere  Macht   und  Einfluß    über    die    benachbarten 


1)  Belege:  Racki,  Doc.  (Register! ;  Novako  vic,  Glas  78  (1908)  199  f. 

2)  Miklosich  und  Novakovic  halten  das  Wort  für  slawLsch  (von 
tpp^,  schlagen  u.  dgl.).  Vgl  in  Mittelasien  türk.  tapu  Merkzeichen  des 
Viehes;  kumanisch  tap  finden. 

3)  Bei  Kon  st.  Porph.  3,  145,  151  ßodvog,  ßotcivog,  serb.  ban  (langes  a). 
Vgl.  meng    bajan  reich  und  den  awar.  Personennamen  Bajan. 


138  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Bezirke  erworben  hatten.  In  Serbien  verwalteten  die  Zupane  das 
Land  in  Abwesenheit  des  Fürsten ;  nach  der  Flucht  des  Fürsten 
Zacharias  forderten  die  Feldherren  des  bulgarischen  Kaisers  Symeon 
die  serbischen  Zupane  auf,  den  neuen,  von  den  Bulgaren  mitge- 
führten Fürsten  Caslav  zu  empfangen  ^).  Dagegen  führten  im 
13.  Jahrhundert  die  Nachkommen  der  Seitenlinien  des  serbischen 
Königshauses  wieder  nur  den  Titel  eines  Zupan.  Nach  der  Er- 
starkung der  fürstlichen  Macht  ernannten  die  Landesherren  an  Stelle 
der  erblichen  Stammfürsten  abhängige  fürstliche  Beamte  zu  Zupa- 
uen.  Aber  da  geschah  es,  daß  im  12.  Jahrhundert  der  oberste 
Statthalter  im  Osten  Serbiens,  der  „große  Zupan",  mächtiger  wurde, 
als  der  im  dioklitischen  Küstenlande  residierende  König  und  sich 
zum  Herrn  des  Landes  machte  -) 

Dem  Zupan  untergeordnet  ist  der  „Hundertmann",  SLtnik 
(neu  serbokroat.  satnik).  Nach  Diocleas  waren  es  „centuriones 
ex  nobilioribus",  welche  neben  dem  Zupan  (coraes)  eine  Gerichts- 
barkeit ausübten  und  Steuern  sammelten  ^).  In  Kroatien  werden 
sie  seit  dem  11.  Jahrhundert  in  den  Urkunden  oft  als  Zeugen 
erwähnt.  In  Serbien  war  Jura  „setnicus"  1186  Vertreter  des 
Großzupans  Nemanja  in  Cattaro^),  in  Zachlumien  1254  ein  „sttnik" 
Vojislav  Radosevic  Befehlshaber  der  Burg  Imota  (jetzt  Imoski) 
und  Vertreter  des  Zupans  Radoslav  von  Chelmo  ^).  Man  könnte 
an  einen  Zusammenhang  mit  den  fränkischen  Hundertschaften 
(centena)  denken,  in  welche  die  Gaue  eingeteilt  waren,  mit  dem 
Zentgrafen  (centenarius)  an  der  Spitze,  der  in  der  Karolingerzeit  die 
Ausführung   gerichtlicher  Urteile   und    die  Eintreibung   der   fiska- 


1)  Kons t    Porph.  3,  128,  158,  161. 

2)  Bei  den  Serben  sind  die  Worte  zupa  und  zupan  nach  1400  aus 
dem  Gebrauch  verschwunden.  In  Kroatien  heißt  das  Komitat  heute  noch 
zupanija,  sein  Oberhaupt  veliki  zupan  (Großzupan,  in  Ungarn  ispän, 
deutsch  Gespan),  sein  Vertreter  podzupan  (Unterzupan,  in  Ungarn  deutsch 
Vizegespan).  Bei  den  Kroaten  und  Slowenen  ist  zupa  die  Pfarre,  zupnik 
der  Pfarrer;  slowenisch  heißt  zupan  der  Bürgermeister,  zum  Schluß  des 
Mittelalters  (nach  A.  Dop  seh,  s.  unten)  der  Dorfschulze  (magister  viilae). 

3)  Diocleas  eap.  9  p.  18—19. 

4)  Smiciklas,  Cod.  dipl.  2,  198. 

5)  Mon.  serb.  45. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  139 

lischen  Gefälle  besorgte.  In  Serbien  ist  aber  im  12. — 13.  Jahr- 
hundert klar  zu  sehen,  daß  der  Hundertmann  nur  eine  Stufe  in 
dem  dekadischen  System  der  militärischen  Würden  bildete.  Auf 
den  serbischen  Landtagen  bei  der  Abdankung  des  Nemanja  und 
bei  der  Krönung  Stephans  des  Erstgekrönten  versammelten  sich 
Heerführer  (vojevoda),  Tausend männer  (tisustnik),  Hundertmänner 
(shtnik),  Fünfzigmänner  (petidesetnik)  und  Zehnmänner  (desetnik)  ^). 
Auch  im  mittelalterlichen  Rußland  gab  es  Tausendmänner  (tys- 
jackij),  Hundertmänner  (sotnik,  sockij)  und  Zehnmänner  (desjatskij), 
wobei  das  Tausend  (tysjaöa)  einen  territorialen  Bezirk  bedeutete  ^). 
Die  Gliederung  entspricht  der  militärischen  Rangordnung  von 
Byzanz,  die  auf  römische  Muster  zurückgeht :  OTQaxriyoq,  ^i^XiaQXoq 
(oder  ÖQOvyyaqiog),  '/.evraQxog  (centurio),  TtevTiq/iövvaQxog ,  öe/.aQXog 
(decanus). 

Die  Einsammlung  der  Steuern  war  in  Serbien  und  Bosnien 
die  Obliegenheit  des  seit  dem  12.  Jahrhundert  erwähnten  kazntc 
(neuserb.  kaznac,  lat.  casnecius,  ital.  casnezzo),  den  die  Ragusaner 
als  „camerarius"  übersetzten  ^).  Der  Ursprung  des  Wortes  ist 
dunkeH).  Einige  ,^kaznaci"  werden  am  Hofe  erwähnt,  andere  in 
ländlichen  Bezirken.  Nach  dem  Statut  von  Budua  kam  der  „cas- 
nezzo deir  imperador"  im  14.  Jahrhundert  von  Zeit  zu  Zeit  in  die 
Stadt,  um  die  landesfürstlichen  Steuern  zu  sammeln.  In  Bosnien 
wurde  der  Kaznac  im  13. — 14.  Jahrhundert  eine  hohe  Würde, 
höher  als  die  des  Zupan,  an  hervorragende  Statthalter  verliehen.  Im 
Küstenlande  dagegen  sind  beide  Würden  zu  Vorstehern  von  Dorf- 
gemeinden degradiert  worden ;  auf  den  Quarnerischen  Inseln  (seit 


1)  Domentian  28.     Theodosij  36,  141. 

2)  Nestor  ed.  Miklosich  p.  77.  Bestuzev-Rjumin,  Russ.  Ge- 
ßchichte,  russ.  1  (Petersburg  1872)  210. 

3)  Nachdem  der  Übersetzer  eines  alttestamentarischen  Textes  einen 
Eunuchen  (kirchenslaw.  kazenik)  mit  ,,kaznbc"  wiedergegeben  hatte,  wurde 
dieser  Würdenträger  in  den  Wörterbüchern  von  Miklosich,  Daniele 
und  Budmani  mit  einem  —  Verschnittenen  identifiziert. 

4)  Slaw.  kaznt  poena,  institutio,  edictum,  mandatum,  kazniti 
punire  (vgl.  sudi.c  Richter  von  suditi  richten),  was  auf  eine  ursprünglich 
strafrechtliche  Wirksamkeit  hinweisen  würde.  Vgl.  aber  auch  ein  Fremd- 
wort: russ.  kazna  Staatsschatz,  kaznaöej  Schatzmeister,  vom  altpers.  gaza, 
neupers.  und  türk.  chazin^  Schatz  (chaznadar  Schatzmeister). 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  9 


130  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

1288)  ist  der  satnik,  bei  Ragusa  (seit  ungefähr  1380)  der 
kaznac  nur  ein  Dorfschulze.  Im  Gebiet  von  Ragusa  nennt  man 
auch  die  Unterabteilungen  der  einstigen  Zupen  bis  in  die  neueste 
Zeit  kaznacina  (casnazina  1440  f.). 

Die  Macht  der  Fürsten  war  beschränkt  durch  ihre  Ratgeber, 
nämlich  die  Hofwürdenträger,  und  durch  die  Volksversammlungen. 
Schon  der  kroatische  Fürst  Trpirair  beruft  sich  bei  einer  kirch- 
lichen Stiftung  (852)  auf  die  Zustimmung  aller  seiner  Zupane  (meis 
cum  Omnibus  zuppanis).  Auch  Papst  Johannes  VIII.  richtet  seine 
Briefe  (um  880)  nicht  an  den  kroatischen  Fürsten  Branimir  allein, 
sondern  auch  an  die  Richter  (honorabiles  iudices),  nämUcli  die 
Zupane,  und  das  gesamte  Volk  (universus,  cunctus  populus).  In 
Bosnien  und  Zachlumien  ist  nach  1200  in  jeder  Urkunde  eine 
Reihe  der  Häupter  des  Adels  genannt.  Auch  in  Serbien  fehlt  in 
feierlichen  Akten  bis  ins  14.  Jahrhundert  nie  die  Zustimmung  des 
Adels  und  der  Geistlichkeit.  Die  Volksversammlungen,  für  deren 
Alter  die  große  Auswahl  der  einheimischen  Termini  spricht  ^),  waren 
zweifacher  Art:  Reichstage  des  ganzen  Gebietes  und  Versamm- 
lungen der  einzelnen  Zupen.  Der  Reichstag  hatte  den  Thron,  wenn 
er  erledigt  war,  zu  besetzen.  Eine  solche  Versammlung  wählte  in 
Kroatien  Zvonimir  (1076)  zum  König.  Auch  im  Königreich  von 
Dioklitien  berichtet  Presbyter  Diocleas  über  Königswahlen  durch 
das  Volk.  In  Serbien  sind  die  Reichstage  (sbor)  seit  Nemanja 
wohl  bekannt,  ebenso  in  Bosnien.  Die  Tagungen  der  Zupa  oder 
ihrer  Unterabteilungen  betrafen  kleinere  Angelegenheiten,  oft  mit  einer 
lokalen  Gesetzgebung  verbunden,  ursprünglich  in  Anwesenheit  aller 
freien  Männer  des  Gaues  Auf  der  Insel  Brazza  hat  1185  eine 
Volksversammlung,  an  welcher  sich  der  Knez  (Coraes),  der  Zupan, 
alle  Edelleute  und  das  Volk  (pltk,  jetzt  puk)  von  Brazza  und 
Lesina  beteiligte,  einem  Kloster  die  verlorenen  Grundstücke  zurück- 
erstattet ^).  Demokratische  Versammlungen,  welche  durch  Stimmen- 
mehrheit entschieden,   gab  es  auf  den  großen  Inseln  Lagosta  und 


1)  Sbor  oder  si  bor  (neu  sabor),  okup,  skup,  skupstina  (schon  im  kroat. 
Text  des  Diocleas  ed.  Crncic  p.  33),  shod,  stnLmt  (mehr  kirchlich), 
stanak.  Die  Ratskollegien  in  Ragusa  und  Poljica  heißen  vijece,  ein  auch  in 
Rußland  (vece)  und  Polen  (wiec)  bekanntes  Wort. 

2)  Mon.  bist.  jur.  6,  6  f. 


Die  Serben  im  7.— 10.  Jahrhundert  usw.  131 

Meleda  bei  Ragusa,  stets  im  Freien  vor  einer  Kirche.  Unter  freiem 
Himmel  tagten  auch  die  Adelsgemeinden,  die  von  Poljica  bei 
Spalato,  mit  primitiven  Sitzen  auf  den  zubehauenen  Stein  blocken 
des  alten  Versammlungsortes  (zborisde)  unterhalb  einer  Kirche  i), 
und  die  von  Pastrovidi  bei  ßudua  auf  dem  Sand  des '  Meeres- 
strandes. Ununterbrochen  bis  in  die  neueste  Zeit  ist  die  Geschichte 
der  adligen  „Congregationen"  in  den  Zupanien  von  Kroatien.  Ebenso 
erscheinen  in  den  Ratsprotokollen  von  Ragusa  im  15.  Jahrhundert 
in  Trebinje  die  Adligen  und  der  „sbor"  als  oberste  Autorität. 
Dagegen  sind  in  den  von  Ragusa  erworbenen  Zupen  die  seit  12  79 
erwähnten  Tagungen  („sborrum  sive  parlamentum " )  eine  von  der 
Behörde  einberufene  passive  Bauernversamralung  zu  Gerichtstagen, 
Feststellung  von  Viehdiebstählen  und  Feldschäden,  Verkündigung 
von  Befehlen  der  Regierung,  zur  Proklamierung  von  Krieg  und 
Frieden  usw.  In  Montenegro  versammelten  sich  die  Geschlechter 
und  Bruderschaften  noch  zu  Menschengedenken  zur  Wahl  der 
Anführer,  zu  Friedensschlüssen  mit  den  Nachbai'n,  zur  Entscheidung 
von  Rechtsfragen,  stets  an  einer  bestimmten  Stelle,  z.  B.  bei  den 
Drobnjaci  auf  dem  „Versammlungshügel"  (Zborna  Glavica).  Heute 
werden  dort  solche  Versammlungen,  ebenso  wie  bei  den  alten 
Ragusanern,  von  der  Regierung  nur  zur  Verkündigung  von  Nach- 
richten oder  Befehlen  einberufen. 

Die  Rechtspflege  befand  sich  in  der  Hand  der  Fürsten,  der 
Zupane  und  der  Hundertmänner.  Nur  im  adriatischen  Gebiet 
erscheinen  eigene  gewählte  Richter,  sowohl  in  den  Zupen  Kroatiens, 
als  auf  den  Inseln  bei  Ragusa  und  bei  den  Pastrovici,  unter  dem 
Einfluß  der  Einrichtungen  der  dalmatinischen  Küstenstädte.  Im 
Gewohnheitsrecht  gab  es  eine  Anzahl  von  Institutionen,  deren  Be- 
nennungen bei  allen  slawischen  Völkern  gleich  waren,  so  der  sok, 
Ankläger  oder  Anzeiger  bei  einem  Diebstahl,  bekannt  im  alt- 
böhmischen, altrussischen,  litauischen  und  altserbischen  Recht,  oder 
der  SV  od,  Nachweis  des  Ursprungs  bei  verdächtigem  Ankauf, 
z.  B.  von  Vieh,  ein  Terminus,  der  gleichfalls  in  altserbischen,  alt- 
russischen und  altböhmischen  Denkmälern  vorkommt  '^).   Die  Bußen 


1)  Abgebildet  Wiss.  Mitt.  10  (1907)  192. 

2)  Über   die  allgemein   slawischen  juridischen   Termini   vgl.  das    bist. 

9* 


133  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

wurden,  wie  in  Skandinavien,  in  Vieh  gezahlt,  Pferden  und  Ochsen, 
stets  nach  dem  Duodezimalsystem  (zu  2,  6,  12  Stück),  teil- 
weise noch  im  14.  Jahrhundert.  Dagegen  kennen  die  Statuten 
der  dalmatinischen  Küstenstädte  nur  Strafgelder  in  gemünztem 
Gelde. 

Die  Südslawen  hatten  ursprünglich,  ebenso  wie  die  Franken, 
Langobarden  oder  Norweger,  keinen  Adel.  Auch  im  byzanti- 
nischen Reiche  gab  es  lange  Zeit  nur  eine  Bevorzugung  der  reichen 
Klassen,  aus  finanziellen  Gründen;  die  erblichen  militärischen 
Archontenfamilien  bildeten  sich  meist  erst  seit  dem  10.  Jahrhundert. 
In  Serbien  hat  sich  der  höhere  Adel  der  VI astel ine  im  späteren 
Mittelalter  aus  den  Verwandten  der  Fürsten,  den  Stammeshäuptern 
und  den  fürstlichen  Beamten  entwickelt  ^).  Die  Gemeinfreien 
werden  noch  um  1220  als  „Kriegsleute"  (vojnici)  bezeichnet,  aber 
im  14.  Jahrhundert  als  niederer  Adel  (vlastelicici).  In  gewissen 
kleinen  Gebieten  der  südslawischen  Länder  ist  es  sogar  nie  zur 
Entstehung  eines  lokalen  Adels  gekommen,  wie  auf  den  Inseln 
Meleda  und  Lagosta.  Uralt  ist  die  Bezeichnung  der  Pächter  oder 
Bauern  als  sehr  (neuserb.  sebar),  in  Serbien  nachweisbar  im 
14.  Jahrhundert.  Das  Wort  kommt  auch  im  mittelalterlichen  und 
modernen  Rußland,  bei  den  Litauern  und  in  Griechenland  vor, 
stets  in  der  wahrscheinlich  ursprünglichen  Bedeutung  eines  Teil- 
habers, Halbpächters,  Gesellschafters,  Arbeitsgenossen  und  der- 
gleichen "-). 

Die  Sklaverei  (rabota),  Besitz,  Verkauf  und  Freilassung  von 
Sklaven  (rob,  otrok,  celjad)   wird  noch  im  Gesetzbuch  des  Zaren 


Wörterbuch    des    slaw.    Rechtes    von    Hermenegild    Jirecek    (meinem 
Oheim),  Prove,  Prag  1904. 

1)  Vlastelin  zuerst  als  Personenname  1071  auf  der  Insel  Pago:  Racki, 
Doc.  89. 

2)  Vgl.  Arch  slaw.  Phil.  22  (1900)  211—212.  Lit.  sebras  Hälftner, 
Handels-  und  Arbeitsgenosse.  Altruss.  sjaber  der  Teilhaber:  Pskovskaja 
gramota  (1397  f.)  und  das  Statut  von  Litauen.  Russ.  sjabr  Teilnehmer,  aber 
auch  Nachbar,  Freund,  Verwandter.  Neugriechisch  in  Epirus,  Thessalien, 
Peloponnes,  auf  den  Ionischen  Inseln  of'/nnQog  (1.  s^bros)  Teilbauer,  Halb- 
pächter, a^/unga  (1.  sebra),  ai^ngid  Teilbauerschaft,  Gesellschaft.  Slaw. 
Grundform  (mit  ^  für  russ.  ja,  serb.  e)  *sQbbrl. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  133 

Stephan  und  in  den  dalmatinischen  Stadtrechten  des  14.  Jahr- 
hunderts erwähnt,  ebenso  wie  in  allen  byzantinischen  Rechts- 
büchern (dovloi,  liivyaQLu).  Diese  Unfreien  waren  sehr  zahlreich. 
Bei  der  Okkupation  der  Hämusländer  durch  die  Slawen  hat  sich 
zwar  ein  Teil  der  alten  Bewohner,  besonders  die  illyrischen  und 
romanischen  Hirten,  mit  den  neuen  Landesherren  rasch  verglichen, 
ein  anderer  Teil  aber  fiel  in  die  Sklaverei.  Nach  jedem  Krieg 
der  Stämme  untereinander  wurden  die  Gefangenen  verkauft,  ebenso 
nach  jedem  gelungenen  Zug  der  Land-  und  Seeräuber.  Unter 
den  Geschenken  der  Söhne  des  serbischen  Fürsten  Vlastimir  an 
den  Bulgarenfürsten  Boris  waren  auch  zwei  Sklaven  ^).  Im  kroa- 
tischen Küstengebiet  gab  es  auf  den  Klostergütern  Höfe  (curtes), 
bewirtschaftet  durch  Sklaven  beiderlei  Geschlechtes.  Die  meisten 
Nachrichten  enthält  die  Stiftungsurkunde  des  Klosters  des  heiligen 
Petrus  von  Selo  bei  Spalato  (1080).  Die  Sklaven  dieser  Abtei, 
mit  slawischen  und  rumänischen  Namen,  waren  um  8  — 10  Gold- 
stücke (solidi)  oft  mit  Frauen  und  Kindern  gekauft  von  über- 
seeischen Händlern  und  Piraten,  Langobarden  aus  Unteritalien, 
Cattarensern,  Narentanern  und  Almissanern,  einige  Knaben  direkt 
von  ihren  Vätern,  während  andere  Männer  durch  Bürgschaft  oder 
Schulden  ihre  Freiheit  verloren  hatten  -).  Das  Gesetz  des  ser- 
bischen Königs  Stephan  des  Erstgekrönten  in  der  Inschrift  von 
Zica  (um  1220)  erlaubt  dem  Mann,  die  ungetreue  Frau  zu  ver- 
kaufen, wenn  sie  kein  Vermögen  besaß  ^).  Auf  der  Insel  Lagosta 
wurde  die  Frau  im  Falle  von  Ehebruch  noch  um  1280  Sklavin 
(ancilla)  des  Comes  von  Ragusa  *). 

Die  Geschlechtsverfassung  der  Slawen  wird  zuerst  bei  Jordanes 
erwähnt  (S.  74)  ^).    Die  Periode  der  Wanderungen  erforderte  eine 


1)  Konst.  Porph.  3,  155. 

2)  Racki,  Doc.  46,  134f. 

3)  Mon.  serb.  14. 

4)  Einkünfte  des  Comes  12.  August  1284  Div.  Rag.  Abgeschafft  vor 
Abfassung  des  Statutes  von  Lagosta  1310  (Mon.  bist.  jur.  Bd.  8). 

5)  Die  Sippschaften  werden  mit  Heranziehung  von  ungedruckten  Ur- 
kunden besprochen  in  meinen  Studien  über  das  mittelalterliche  Serbien, 
Denkschr.  W.  Akad.  (1911). 


134  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Organisation  in  Sippschaften,  welche  zugleich  eine  militärische 
Einheit  bildeten  und  bei  der  herrschenden  Sitte  der  Blutrache  dem 
einzelnen  einen  Schutz  boten.  Nach  der  Einwanderung  in  die 
römischen  Provinzen  mußte  die  Gentilverfassung  auch  einen  Halt 
gegenüber  den  älteren  Einwohnern  gewähren.  Gut  bekannt  sind 
die  Sippschaften  in  zwei  Zonen:  im  Norden  im  küstenländischen 
Kroatien  im  12. — 15.  Jahrhundert,  im  Süden  in  der  südlichen 
Herzegowina  und  in  Montenegro  im  13. — 19.  Jahrhundert,  hier 
im  territorialen  Anschluß  an  die  heute  noch  lebende  Stammver- 
fassung der  Albanesen.  Die  nördliche  Gruppe  entwickelte  sich 
zu  einer  aristokratischen  Geschlechtsverfassung,  als  ein  zahlreicher, 
allerdings  meist  armer  Landadel;  die  südliche  Gruppe  war  ur- 
sprünglich teilweise  auch  adliger  Art,  hatte  aber  in  der  Neuzeit 
mehr  einen  demokratischen  Typus.  Diese  Einrichtungen  standen 
in  keinem  Zusammenhange  mit  der  Landeseinteilung,  eher  in  einem 
Gegensatz  dazu.  Im  Süden  haben  die  Sippschaften  sogar  die  alte 
Zupenverfassung  gegen  Ende  des  Mittelalters  überwuchert;  z.  B. 
die  Namen  der  einstigen  Zupen  von  Vrsinje,  Onogost  und  Papratna 
sind  ganz  verdrängt  worden  von  den  darin  angesiedelten  „pleraena" 
der  Zubci,  Niksici  und  Mrkovici.  Bei  dem  Vorherrschen  der  Vieh- 
zucht fiel  es  den  Sippen  nicht  schwer,  ihre  Wohnsitze  zu  verändern. 
In  ihrer  Organisation  beruhte  die  südslawische  Geschlechtsver- 
fässung  auf  der  fiktiven  Abstammung  von  einem  gemeinsamen 
Stammvater,  ganz  in  der  Art,  wie  die  hellenische  rpvXy,  die  römische 
gens,  der  albanesische  fis,  die  langobardische  fara  und  der 
schottische  clan.  Die  Sippschaft  heißt  bei  deii  Serben  und  Kroaten 
pleme,  „Geschlecht"  (in  lat.  Urkunden  genus,  generatio,  proge- 
nies,  parentela,  parentatus,  griech.  yered).  Sie  ist  zusammengesetzt 
aus  „Bruderschaften'^,  bratstvo  genannt  (brat  Bruder),  bei  den 
Ragusanern  als  fraternitk  übersetzt,  wörtlich  gleich  der  alt- 
griechischen (pQaTQia,  der  Unterabteilung  der  Phyle.  Die  Mit- 
glieder der  Bruderschaft,  welche  ein  oder  mehrere  Dörfer  bewohnt, 
betrachten  sich  als  Blutsverwandte  und  heiraten  nicht  untereinander, 
die  Herzegowiner  nicht  bis  auf  zwanzig  Grade.  Im  mittelalter- 
lichen Kroatien  hießen  die  Unterabteilungen  der  Sippe  k  o  1  j  e  n  o 
{wörtlich  Knie).  Die  Bruderschaft  teilt  sich  wieder  in  einzelne 
Famihen,  welche  als  „Haus"  (kuöa,  in  den  Denkmälern  Kroatiens 


Die  Serben  im  7.— 10.  Jahrhundert  usw.  135 

hiza)  oder  als  „Verwandtschaft*'  (rod)  bezeichnet  werden  ^).  Die 
Namen  der  Sippschaften  und  Bruderschaften  bleiben  oft  viele  Jahr- 
hunderte lang  unverändert,  während  die  Patronymika  der  einzelnen 
Häuser  in  der  Regel  nur  Vatersnamen  sind  und  mit  jeder  Gene- 
ration wechseln  können.  Schon  im  14. — 15.  Jahrhundert  führte 
der  einzelne  Mann  im  Süden  vier  Namen:  seinen  Vornamen,  den 
Namen  des  Vaters,  der  Bruderschaft  (oder  des  Dorfes)  und  des 
Geschlechtes.  So  gehört  die  jetzige  Königsfamilie  von  Montenegro 
zum  Geschlecht  (pleme)  der  Njegusi,  in  die  Bruderschaft  (brastvo) 
der  Herakoviöi,  nach  denen  eines  der  zehn  Dörfer  der  Njegusi 
benannt  ist,  und  bildet  die  Familie  (kuda)  der  Petrovici. 

In  Kroatien  waren  die  Mitglieder  der  Sippschaften  das  Herren- 
volk im  Lande  zwischen  Zengg  und  Almissa,  angesiedelt  in  Höfen 
und  Dörfern  zwischen  Untertanen  Hirten,  Bauern  und  Sklaven  -). 
Die  ursprüngliche  Siebenzahl  wurde  zu  einer  Zwölfzahl  vermehrt, 
den  „duodecim  generationes  Croatorum".  Im  Laufe  der  Zeit  sind 
einzelne  Zweige  zu  großen  Magnatenl'amilien  emporgeblüht,  während 
andere  verarmten  oder  gar  Beamte  und  Untertanen  der  glück- 
licheren Linien  wurden.  Ihr  Kennzeichen  war  ihr  gemeinsames, 
sehr  einfaches  Wappen.  Die  Kacidi  von  Almissa,  welche  in  den 
Verträgen  mit  den  Ragusanern  und  Venezianern  im  13.  Jahr- 
hundert stets  mit  langen  Reihen  von  Namen  auftreten,  nennt 
Kinnamos  ein  „Volk"  (rö  KaxLi/iltov  tO-vog).  Die  Mogorovici,  die 
im  IL — 13.  Jahrhundert  bei  Zara  saßen,  später  aber  im  Velebit 
und  in  der  Lika,  zählten  nach  Klaid  um  das  Jahr  1500  an  50 
Familien;  eine  derselben,  die  Draskovici,  hatte  damals  35  erwach- 
sene Männer.  Mit  der  Zeit  vermehrte  sich  die  Zahl  der  Sippen; 
die  neuen  waren  teils  selbständig  gewordene  Zweige  der  alten 
„generationes",  teils  Geschlechter  neu  erworbener  Gebiete,  besonders 
narentanischcn  und  westbosnischen  Ursprungs,  endlich  Emporkömm- 
linge im  königlichen  Dienste.  Zersprengt  wurde  diese  alte  Organi- 
sation durch  die  Umwälzungen  der  Türkenkriege.  Ihre  Nach- 
kommen   sind   aber   heute   noch    unter   dem    Adel   des   nördlichen 


1)  In    südslawischen   und   russischen  Denkmälern  bezeichnen  dieselben 
Termini  (pleme,  rod)  auch  eine  Dynastie. 

2)  V.    Klai6,     Die     kroatischen    Geschlechter     des     12.  — 15.    Jahrh. 
(Hrvatska  plemena):  Kad  130  (1897)  1—85. 


136  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Kroatiens  zu  finden.  Im  Gebiet  an  der  Kulpa,  Save  und  Drau^ 
wo  z.  B.  das  Geschlecht  von  Klokoc  (1224)  115  Mann  zum  Heere 
auszurüsten  hatte,  bildete  die  Organisation  der  Sippen  kein  System, 
wie  an  der  Küste.  In  der  Landschaft  Poljica  bei  Spalato  gab  es 
seit  dem  15.  Jahrhundert  neben  Bauern  und  Hirten  zwei  Adels- 
klassen :  einerseits  drei  Geschlechter  (plemena)  oder  Bruderschaften 
(bratstva),  die  aber  nicht  zu  den  zwölf  altkroatischen  Sippen  ge- 
hörten, anderseits  die  viel  zahlreicheren,  seit  dem  12.  Jahrhundert 
auch  auf  den  Inseln  Brazza  und  Lesina  und  bei  der  Stadt  Trau 
erwähnten  dedici,  „die  Erben",  welche  aus  einer  anderen  Schicht 
der  Gemeinfreien  entstanden  waren.  Auch  in  Bosnien  war  die 
herrschende  Klasse  gruppiert  in  Geschlechter,  Bruderschaften  und 
Häuser.  In  den  Urkunden  der  bosnischen  Bane  und  Könige  aus 
dem  14.  und  15.  Jahrhundert  erscheinen  die  Adligen  als  Zeugen 
stets  mit  dem  stereotypen  Zusatz  „mit  den  Brüdern"  (s  bratijom) ; 
jeder  einzelne  war  demnach  Zeuge  nicht  nur  für  sich  allein,  sondern 
in  Vertretung  seiner  Verwandtschaft.  Im  15.  Jahrhundert  schlössen 
die  mächtigen  Magnaten  Sandalj,  Radoslav  Pavloviö  und  Stephan 
Vukcic  Verträge  mit  Ragusa  stets  an  der  Spitze  ihres  Geschlechtes 
(pleme)  oder  ihrer  Bruderschaft  (bratstvo).  Nicht  anders  war  es 
in  Zachlumien,  ebenso  in  Trebinje  und  Canali,  wo  im  14.  und 
15.  Jahrhundert  das  hervorragendste  Geschlecht  die  Ljubibratidi 
waren,  geteilt  in  viele  Linien  (Ljubisici,  Obuganici,  Vranicici 
usw.). 

Die  Geschlechter  in  der  südlichen  Herzegowina,  am  Golf  von 
Cattaro  und  im  jetzigen  Königreich  Montenegro  lassen  sich  bis 
zum  14.,  in  einem  Falle  bis  zum  13.  Jahrhundert  zurück  verfolgen. 
Die  Namen  sind  teilweise  von  slawischen  Personennamen  abgeleitet, 
wie  die  Njegusi  von  Njegus  i)  (Stamm  njego- ersehnen,  pflegen; 
vgl.  Njegomir,  Njegoslav,  Njego  van,  Njegota),  die  Ozrihnici  (jetzt 
Ozrinidi)  von  Ozrihna.  Andere  haben  einen  christlichen  Ursprung: 
die  Ceklici  von  ihrer  noch  bestehenden  Hauptkirche  der  heiligen 
Thekla,  die  Bijelopavlici  von  einem  „weißen  Paul"  (bijeh  Pavle), 
die  Niksici  von  Niksa  (Kurzform  für  Nikolaus"),  die  Vasojevici  von 
Vaso  (Diminutiv  zu  Vasihj).     Einen  adligen  Charakter  bewahrten 


1)  Ein  Njegus  um  1220  Mon,  serb.  12.     Auch  in  Polen  Niegusz. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  137 

die  Pastrovici  bei  Budua,  die  seit  1423  bis  zum  Falle  der  vene- 
zianischen Republik  eine  abgeschlossene  Adelsgemeinde  bildeten, 
im  16.  Jahrhundert  an  1000  waffenfähige  Mann  stark.  Aus  dem 
ragusanischen  Urkundenmaterial  ist  die  Entstehung  der  „plemena" 
aus  Hirtendörfern  oder  Katuni  zu  erkennen.  Die  Zubci,  Banjani, 
Drobnjaci  usw.  werden  anfangs  nur  als  Katune  erwähnt,  aber  bald 
sieht  man,  daß  jedes  Geschlecht  auch  mehrere  Katune  umfaßte. 
Die  Venezianer  bezeichneten  im  15.  Jahrhundert  die  Bergstämme 
als  Genossenschaften  (compagnie)  oder  Gemeinden  (corauni),  ein- 
geteilt in  Dörfer  (ville,  cathoni)  ^).  Die  Zubci  werden  in  den 
mir  bekannten  Denkmälern  seit  1305  genannt,  die  jetzt  nicht  mehr 
bestehenden  Rigiani  oberhalb  Risano  in  den  Landschaften  von 
Krivosije  und  Grahovo  seit  1430,  die  Priedojevici  und  Male- 
sevci  bei  Bilece  im  14.  Jahrhundert,  die  Bahjani  seit  1319, 
die  Drobnjaci  am  Durmitor  seit  1354.  In  Montenegro  kommen 
die  zuletzt  an  400  Häuser  starken  Njegusi  oberhalb  Cattaro  seit 
1435,  die  ihnen  benachbarten  Ceklici  seit  1381  vor,  die  Bjelice 
seit  1430,  die  Bijelopavli  ci  im  Tale  der  Zeta  seit  1411,  zu- 
gleich mit  den  Ozrihnici,  die  Piperi  seit  1416,  die  Vaso- 
jevici  seit  1444,  wo  sie  noch  nicht  am  oberen  Lim,  sondern  bei 
der  Burg  Medun  wohnten,  die  einen  nicht  slawischen  Namen 
führenden  Mataguzi  bei  Podgorica  seit  1330.  An  der  Küste 
werden  die  bereits  erwähnten  Pastrovici  1355  zuerst  genannt, 
als  Edelleute  in  Diensten  des  Zaren  Stephan,  die  benachbarten 
Mahine  1435,  die  seit  dem  18.  Jahrhundert  größtenteils  zum 
Islam  bekehrten  Mrkovici  (oder  Mrkojevici)  zwischen  Antivari 
und  Dulcigno  1409.  Andere  Stämme  sind  verschwunden:  die  im 
14.  Jahrhundert  genannten  Mataruge,  bekannt  aus  den  Sagen 
von  Grahovo,  die  im  15.  Jahrhundert  erwähnten  Luzani  (von  lug 
Hain),  damals  ein  großer  Stamm  nördlich  vom  See  von  Skutari 
neben  den  Bijelopavlici,  und  die  Malonsici  im  Zetatale.  In  einer 
Urkunde  des  Königs  Stephan  Uros  I.  erscheinen  um  1260  an  der 
Tara  die  Kricane,  von  denen  eine  Landschaft  bei  Kolasin  Kricak 
heißt-).     Die  Sagen   der   Drobnjaci   erzählen,    die   tapferen  Kric- 


1)  Ljubic  10,  68,  151. 

2)  Spomenik  3,  9, 


138  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

kovici  oder  Kricki  seien  die  Ureinwohner  des  Gebietes  der  Jezera 
(der  „Seen")  auf  den  Abhängen  des  Durmitor  gewesen,  von  den 
Vorfahren  der  Drobnjaci  seit  20i>  Jahren  verdrängt;  ihre  Nach- 
kommen, teils  Mohammedaner,  teils  Christen  wohnen  unter  den 
Bergen  bei  Nefertara.  Diese  altertümliche  Stammverfassung  blühte 
in  Montenegro  noch  bis  1850;  sie  nahm  ein  Ende  nach  der  Ein- 
führung der  weltlichen  Fürstenwürde,  mit  der  Ersetzung  der  alten, 
auf  Lebenszeit  stets  aus  derselben  Bruderschaft  gewählten  Vojvoden 
der  „plemena"  durch  fürstliche  „Kapitäne"  und  mit  der  neuen, 
ohne  Rücksicht  auf  die  alten  Stammgrenzen  eingerichteten  Landes- 
einteilung. Aber  in  der  Tradition  lebt  sie  fort ;  es  ist  merkwürdig, 
wie  die  Auswanderer  z.  B.  im  jetzigen  Königreich  Serbien  oft 
nach  mehreren  Generationen  genau  wissen,  welchem  Stamm  und 
welcher  Bruderschaft  sie  angehören.  In  das  Hügelland  des  Ostens 
zum  Ibar  und  zur  Morava  reichte  die  Stammesorganisation  auch  im 
Mittelalter  nicht  hinein.  Die  Natur  des  Landes  war  dort  ihrer 
Entwicklung  nicht  günstig,  ebenso  die  größere  persönliche  Macht 
der  Fürsten  und  Könige. 

Die  Lebensverhältnisse  der  alten  Zeit  führten  dazu,  daß  sich 
die  Familien  nicht  gerne  trennten  und  daß  Väter,  Brüder,  Söhne, 
Schwiegersöhne  und  Enkel  mit  Frauen  und  Kindern  oft  in  Güter- 
gemeinschaft blieben.  Strabo  erzählt  von  den  Iberern,  den  Vor- 
fahren der  heutigen  Georgier  des  Kaukasus,  die  Besitzungen  seien 
bei  ihnen  gemeinsam  innerhalb  der  Verwandtschaft,  in  welcher  das 
älteste  Mitglied  herrscht  und  vorwaltet  ^).  Solche  große  Familien, 
25 — 100  Seelen  stark,  gibt  es  heute  noch  bei  den  Osseten  des 
Kaukasus.  Bei  den  Griechen  des  Mittelalters  kommen  1262  in 
der  Beschreibung  der  Güter  des  Bistums  von  Kephallenia  Familien 
von  16 — 17  Personen  vor;  die  Tionares,  Söhne  eines  Papas  Lazaros, 
zählten  sogar  23  Seelen  -).  Die  Anhäufung  von  ungeteiltem  Be- 
sitz in  der  Hand  einer  weitverzweigten  Verwandtschaft,  wie  sie 
aus  den  byzantinischen  Urkunden  des  13.  Jahrhunderts  bekannt 
ist^),    war  meist   eine  Folge  des  sogenannten  Näherrechtes  (7vqo- 

1)  Koivai  ä'efaiv  uvroTg  al  XTi'jdfis  xcträ  av/y^vtiav ,  üqj^h  öi  'xal 
TK/uisvti  ixäoTTjv  6  notaßvTajog.     Strabo  XI  p.  501. 

2)  Acta  graeca  5,  43. 

3)  Bezobrazov:  Viz.  Vrem.  7  (1900)  160-161. 


Die  Serben  im  7.  — 10.  Jahrhundert  usw.  139 

xli^rfiiq),  des  Vorkaufsrechtes  der  Verwandten.  Wie  Alfons  Dopsch 
unlängst  gezeigt  hat,  gab  es  auch  in  Westeuropa  solche  Besitz- 
gemeinschaften: in  Spanien,  Frankreich,  in  Südtirol,  in  den  deut- 
schen Alpenländern  besonders  die  Schweizer  „Gemeinderschaft", 
wo  Großeltern,  Kinder  und  Enkel  auf  ungeteiltem  Gute  wirt- 
schafteten, und  die  Tiroler  „Gemeinhauserei",  mit  „Mithausern'' 
unter  dem  „Vorhauser''  genannten  Oberhaupt,  welche  im  Puatertal 
noch  1820  bestand  i).  Diese  Besitzgemeinschaften  sind  bekannt 
in  allen  slawischen  Ländern.  Im  kargen  Karstboden  des  küsten- 
ländischen Kroatiens  erscheinen  in  den  Urkunden  des  15.  Jahr- 
hunderts die  Grundbesitzer  als  Nachbarn,  Käufer  oder  Verkäufer 
stets  gemeinsam  mit  ihren  Söhnen,  Brüdern  und  Enkeln  -).  In 
der  Landschaft  Canali  werden  um  1419  kurz  vor  und  nach  der 
Besetzung  des  Gebietes  durch  die  Ragusaner  sowohl  Grundherren 
als  Pächter  erwähnt,  die  ungeteilt  mit  Vätern,  Brüdern  und  Neffen 
ein  Gut  bewirtschafteten.  Ein  venezianisches  Dokument  berichtet 
um  1465,  daß  in  den  Landschaften  Lustica,  Bogdasici  und  Ljese- 
vici  südlich  vom  Golf  von  Cattaro,  welche  damals  zusammen  öO 
Dörfer  (ville)  mit  ungefähr  900  Feuerstellen  (fuochi)  und  1000 
waffenfähigen  Männern  zählten,  die  Familie  10,  15,  20  und  mehr 
Personen  stark  sei  -^j.  Für  das  mittelalterliche  Serbien  ist  das 
Material  spärlich.  Die  großen  Klosterurkunden  des  14.  Jahr- 
hunderts betreffen  meist  die  erst  seit  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts eroberten  und  größtenteils  neubesiedelten  Landschaften 
des  Ostens,  nicht  die  alten  Stammgebiete  des  Westens.  Genau 
beschrieben  sind  die  Bauernhäuser,  über  2000,  nur  in  den  Ur- 
kunden des  Klosters  Decani  (1330 — 1336).  Nach  den  Berech- 
nungen von  Novakovic  in  der  Studie  über  das  altserbische  Dorf  ^) 
gab  es  einzelne  Familien,  die  7 — 11  männliche  Köpfe  zählten, 
selten  13 — 16;  zwanzig  Männer  zählte  eine  einzige  in  dem  aus 
zerstreuten  Gruppen  von  Höfen  bestehenden  Dorf  Seros  im  Ge- 
birge   bei    Pe6.      Bei    den    stärkeren   Häusern  ist   der    Großvater 


1)  Alfons   Dopsch,  Die    ältere    Sozial-   und    Wirtschaftsverfassung 
der  Alpenslawen  (Weimar  1909)  147—172. 

2)  Mon.  bist.  jur.  6,  135,  189,  346. 

3)  Belege  in  meiner  Abh.  über  das  mittelalterliche  Serbien. 

4)  Novakovic,  Selo  (Glas  Bd.  24)  184 f.,  230 f. 


140  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

(ded)  genannt,  ein  traditioneller  Vorfahr  zum  Identitätsnachweis 
der  Untertanen.  Diese  s^tärkeren  Häuser  waren  aber  in  den  Dör- 
fern von  Decani  überall  in  Minorität  gegenüber  den  schwächeren 
Häusern,  z.  B.  in  Cabic  nur  19  von  182,  in  Gorane  17  von  74. 
Dabei  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  die  Bevölkerung  damals  infolge 
der  Kriege,  Fehden,  Räubereien,  Hungei'snot  und  Krankheit  über- 
haupt geringer  war  als  heute. 

Die  Reste  dieser  Institution  konnte  man  1800 — 1860  noch 
gut  beobachten  ^j.  Man  nennt  diese  unter  einem  gewählten  Ober- 
haupt, „Altesten"  oder  „Hausvater"  (starjesina,  domacin)  in 
Gütergemeinschaft  lebende  große  Familie  meist  nur  ku 6a  (Haus), 
mit  einem  neuen  Terminus  zadruga  (Genossenschaft),  in  West- 
bulgarien rod,  im  Amtsdeutsch  der  ehemaligen  österreichischen 
Militärgrenze  die  „Hauskommunion".  Das  sichtbare  Merkmal  des 
gemeinschaftlichen  Haushaltes  ist  der  gemeinsame  Herd;  die  Mit- 
glieder des  Hauses  „eßen  aus  einem  Kessel".  Durchschnittlich 
zählten  solche  Haushaltungen  au  20  Seelen;  mehr  als  30  Familien- 
mitglieder waren  eine  Seltenheit,  mehr  als  50  eine  große  Aus- 
nahme. Vertreten  war  diese  Institution  in  der  Neuzeit  ebensogut 
auf  türkischem,  als  auf  österreichischem,  venezianischem  und  ragu- 
sanischem  Boden.  Ihre  Verbreitung  war  verbunden  mit  dem 
Vorherrschen  des  Hirtenlebens  und  nach  einer  Bemerkung  von 
Cvijiö  mit  dem  Typus  der  weit  zerstreuten  Dörfer,  deren  kleine 
Häusergruppen  eben  als  Niederlassungen  der  Zadrugas  entstanden 
waren.  An  Grundbesitz  war  die  Zadruga  überhaupt  nicht  ge- 
bunden. Im  Gebiet  der  ragusanischen  Republik  behauptete  sie 
sich  am  zähesten  bei  den  landlosen  Bauern  von  Canali,  welche 
nur  Kolonen  auf  den  Gütern  der  Adligen  und  Stadtbürger  von 
Ragusa  sind;  noch  zu  Menschengedenken  waren  drei  Viertel  der 
Bauernfamilien  von  Canali  Zadrugas,  je  10  — 15  Personen  stark. 
Vor  einem  halben  Jahrhundert  traf  man  diese  Einrichtung  bei 
den  Bergstämmen  der  südlichen  Herzegowina  von  den  Vasojevici 
bis  zu  den  Zubci,  in  einigen  Gegenden  Bosniens,  im  Küstenlande 
bei  den  Pastrovici,  den  Canalesen  und  in  ganz  Norddalmatien,  in 


1)  Die  Literatur  seit  1783  bespricht  Dr.  Ivan  Stroh al:  Glasnik  bos. 
21  (1909)  215  f. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  141 

der  seit  dem  16.  Jahrhundert  größtenteils  durch  serbische  Flücht- 
linge neu  kolonisierten  österreichischen  Militärgrenze,  in  einzelnen 
Landschaften  Kroatiens  und  Slawoniens,  im  ganzen  Königreich 
Serbien,  in  Westbulgarien  bei  Sofia  und  Trn,  im  nördlichen  Ma- 
kedonien bei  Kratovo  und  Stip.  Im  westlichen  Montenegro  kommt 
nur  die  kleine  ,,  Einzelnfamiiie"  vor  (inokostina,  inokosna  ku6a, 
von  inokosan,  einzeln,  einsam);  der  Vater  lebt  mit  seinen  erwach- 
senen Söhnen  in  ungeteiltem  Besitz,  welcher  der  gesamten  Familie 
gehört,  so  daß  der  Vater  ohne  Einwilligung  der  Söhne  nicht  damit 
verfügen  kann  ^).  Heute  gibt  es  nur  schwache  Reste  dieser  Be- 
sitzgemeinschaften. Die  moderne  Entwicklung  der  Individuahtät, 
vereint  mit  dem  neuen  Rechtsleben  und  Steuerwesen  hatte  die 
Teilung  und  Auflösung  des  alten   Familienbandes  zur  Folge. 

Unbekannt  ist  der  Unterschied  zwischen  der  heidnischen  und 
christlichen  Familie  bei  den  Südslawen.  Bei  den  heidnischen 
Russen  herrschte  Polygamie,  wobei  man  die  eigentlichen  Frauen 
(zena)  und  Nebenfrauen  -)  unterschied,  bekannt  aus  den  Schil- 
derungen der  Araber  und  der  ältesten  Chronik  von  Kiew.  Groß- 
fürst Vladimir  hatte  vor  seiner  Bekehrung  in  Kiew  und  Um- 
gebung Hunderte  von  Weibern  aus  allen  benachbarten  Völkern, 
und  noch  um  1100  pflegte  bei  den  Stämmen  der  Severjane,  Vja- 
tiöi  und  Radimici  der  Mann  2 — 3  Frauen  zu  besitzen.  Bei  den 
Südslawen  wurde  die  Ehe,  wie  aus  den  noch  bestehenden  Ge- 
bräuchen zu  ersehen  ist,  teils  durch  Raub  oder  Entführung  (otmica), 
allerdings  nach  früherer  Vereinbarung  beider  Teile,  teils  durch 
Vertrag  oder  Kauf  geschlossen  ^).  Über  die  ursprüngliche  Poly- 
gamie der  Serbokroaten  sind  keine  Nachrichten  erhalten.  Sicher 
ist  es  aber,  daß  nach  dem  heidnischen  Eherecht  die  Trennung 
der  Ehegatten    und    die    Schließung   einer   neuen   Ehe    sehr   leicht 


1)  Bogisic,  De  la  forme  dite  inokosna  de  la  famille  rurale  chez  les 
Serbes  et  les  Croates,  Paris  1884. 

2)  Die  Beischläferin  heißt  bei  den  Russen  und  Südslawen  naloznica 
(die  „Beigelegte"),  bei  den  8üdslawen  hotimica  (Lam.  Rag.  1411,  die 
„Gewollte"),  povodnica  (die  „Herbeigeführte",  im  Nomokanon)  und  po- 
8adnica(die  „Eingesetzte",  Viz.  Vrem.  2,  103;  noch  jetzt  im  Rumänischen). 

3)  Bogisic  im  Knjizevnik  3  (186H)  182 f,  232 f.  Lilek,  Wiss.  Mitt. 
7  (1900)  326f.     Dr.  M.  V.  Smiljani(5,  Glas  64  (1901)  171f. 


143  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

war.  Es  gab  daher  bei  vielen  slawischen  Völkern  im  Süden  und 
im  Norden  noch  lange  einen  Widerstand  gegen  die  kirchliche 
Unaut löslichkeit  der  Ehe,  in  Mähren,  Pannonien  und  Kroatien 
im  9.  Jahrhundert,  in  Serbien  noch  unter  Stephan  dem  Erst- 
gekrönten. Die  Eheschließung  nach  dem  nationalen  Gewohnheits- 
rechte wurde  in  Serbien  erst  spät  durch  die  bei  den  Byzantinern 
seit  dem  9.  Jahrhundert  allein  gültige  kirchliche  Ehe  verdrängt. 
Der  Erzbischof  Sava  ließ  (um  1220)  durch  seine  Protopopen 
überall  die  Ehepaare,  Greise,  mittleren  Alters  und  junge  Leute, 
samt  ihren  Kindern  in  den  Kirchen  versammeln  und  ihnen  den 
,,  gesetzlichen  Segen "  erteilen  ^).  Noch  das  Gesetzbuch  des  Zaren 
Stephan  bedroht  die  ohne  Beteiligung  der  Kirche  geschlossene 
Ehe  mit  der  Scheidung.  Die  Leichtigkeit  der  Ehescheidung  hat 
wohl  der  Verbreitung  der  Lehre  der  Bogomilen  in  Bulgarien  und 
besonders  in  Bosnien  die  Wege  geebnet.  Heute  noch  besitzen 
Rumänien  und  Montenegro  ein  freieres  Eherecht,  als  andere  Länder 
der  orientalischen  Kirche. 

In  einem  Zeitalter,  in  welchem  Stammfehden  und  Blutrache 
alltäglich  waren,  hatte  neben  der  Blutsverwandtschaft  den  größten 
Wert  die  angenommene,  künstliche  Verwandtschaft.  Eine  Form 
ist  die  Wahlverbrüderung  (serb.  pobratimstvo)  zwischen  Wahl- 
brüdern und  Wahlschwestern,  bekannt  bis  in  die  neueste  Zeit. 
Man  traf  sie  auch  bei  den  Byzantinern  (ddeXffOTroir^aig),  bei  den 
Wlachen  in  Thessalien  im  11.  Jahrhundert -),  bei  den  Russen  und 
Polen  noch  im  16.  Jahrhundert '*).  Die  mittelalterlichen  süd- 
slawischen Termini  sind  pobrat  der  Wahlbruder  und  posestra 
die  Wahlschwester  •*),  die  modernen  pobrat  im  und  posestrima. 
Die  Verbrüderung  (bratotvorenije,  bratimiti  se)  wurde  in  der  christ- 
lichen Zeit  ganz  feierlich  in  der  Kirche  vollzogen,  mit  eigenen 
Gebeten  ^).  Das  Verhältnis  der  in  die  Wahlbruderschaft  oder 
Wahlschwesterschaft  eintretenden  Personen  beiderlei  Geschlechtes 
entsprach  der  echten  Geschwisterliebe,  erforderte  sittliche  Reinheit 


1)  Domentian  243  f. 

2)  Kekaumenos  p.  49,  74. 

3)  Brückner,  Arch.  slaw.  Phil.  15  (1893)  314. 

4)  In  Personennamen  des  14.  Jahrb.:  meine  Rom.  Dalm.  3,  52. 

5)  Texte:  Glasnik  22  (1867)  85-90  und  63  (1883)  276—287. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  143 

und  unverbrüchliche  Treue  und  galt  als  unauflöslich.  Eine  ganz 
christliche  zweite  Form  war  die  Gevatterschaft  (kumstvo,  com- 
paternitas,  ovvTS/.via),  welche  in  Friedensverträgen  und  bei  der 
Schlichtung  der  Blutrache  so  oft  erwähnt  wird.  Sie  hatte  nicht 
nur  für  einzelne  Personen,  sondern  auch  für  die  gesamte  Bruder- 
schaft Geltung  Eine  Rolle  spielt  sie  schon  in  den  Verhältnissen 
zwischen  dem  bulgarischen  Kaiser  ^^ymeon  und  dem  serbischen 
Fürsten  Peter  Gojnikovic  Peter  hatte  Frieden  mit  Symeon,  be- 
kräftigt durch  Gev^atterschaft.  Als  es  zum  Bruch  kam,  zogen  die 
Feldherren  Symeons  in  Serbien  ein,  betörten  den  Fürsten  Peter 
durch  Abschluß  einer  wohl  neuen  Gevatterschaft  und  durch  Eide, 
nahmen  ihn  aber  bei  der  persönlichen  Zusammenkunft  treulos  ge- 
fangen ^). 

Die  Besiedlung  des  Landes  durch  die  Slawen  hat  sich  in 
Formen  vollzogen,  welche  vielfach  eine  Rückkehr  zu  den  vor- 
römischen Zuständen  bedeuteten.  An  die  Stelle  der  großen  um- 
mauerten Stadtgemeinden  und  der  dichtgedrängten  Dörfer,  deren 
Typus  noch  in  Griechenland,  Unteritahen  und  Spanien  zu  sehen 
ist,  traten  wieder  Landgaue,  umgeben  von  großen  Wählern  und 
besiedelt  von  einer  vorwiegend  Viehzucht  treibenden  Bevölkerung. 
Die  neuen  Einwohner  hausten  in  offenen  Dörfern,  meist  Gruppen 
von  weit  zerstreuten  Einzelhöten ,  hatten  keine  städtischen  Orga- 
nismen und  besaßen  als  Zufluchtsstätten  für  den  Kriegsfall  nur 
einzelne  Burgen,  zum  Teil  illyrischen  und  römischen  Ursprungs, 
die  festen  „castella"  und  „civitates",  welche  die  fränkischen 
Annalen  um  820  in  den  Gebieten  des  Borna,  des  Ljudevit  (ein 
Kastell  „in  arduo  monte")  und  der  Serben  erwähnen.  Heute 
noch  unterscheidet  Cvijic  auf  der  Balkanhalbinsel,  neben  der 
griechisch-aromunischen,  der  italienischen  und  der  durch  die  neuen 
Verkehrsmittel  sich  ausbreitenden  mitteleuropäischen  Zone  mit  ihren 
Städten  und  stadtartig  angelegten  Dörfern  eine  Zone  der  ,,pa- 
triarchalen  Kultur".  Sie  umfaßt  den  größten  Teil  von  Bosnien 
samt  der  Herzegowina,  Montenegro,  Albanien  mit  Ausnahme  der 
Küstenstriche,  Serbien  mit  Altserbien,  Nordbulgarien  und  einzelne 
Gebirgslandschaften    Makedoniens.     Der   größte  Teil  Makedoniens 


1)  Konst.  Porph.  3,  156—157. 


144  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

wurde  ihr  seit  dem  11.  Jahrhundert  durch  den  byzantinischen 
Einfluß  entzogen.  Ihr  Typus,  mit  der  alten  Geschlechts  Verfassung, 
den  weit  voneinander  liegenden  meist  hölzernen  Häusern,  der  Blut- 
rache, dem  Vorwiegen  des  Hirtenlebens  und  dem  Karawanen- 
handel mit  Saumtieren  ist  am  besten  erhalten  in  einigen  teils  ser- 
bischen, teils  albanesischen  Gebieten:  im  östlichen  Montenegro,  in 
den  benachbarten  Teilen  der  Herzegowina,  in  den  Landschaften 
zwischen  Montenegro  und  Serbien  und  im  Bergland  Nordalbaniens  i). 
Nach  der  Einwanderung  der  Slawen  war  das  Land  viel 
dichter  bewohnt,  als  in  den  Zeiten  der  Völkerwanderungen,  aber 
stellenweise  sind  große  Einöden  übrig  geblieben,  in  deren  Wald- 
wüsten Auerochs,  Wisent  und  Elch  ungestört  leben  konnten 
(S.  15).  Es  ist  charakteristisch,  daß  die  meisten  Ortsnamen, 
welche  Erinnerungen  an  die  Auerochsen  (slaw.  tur)  enthalten,  im 
Savegebiet  vorkommen,  in  Krain,  Kroatien  und  Bosnien.  Die 
Bevölkerung  zog  durch  Rodung  der  Wälder  langsam  bis  in  große 
Höhen  hinauf,  z.  B.  am  Durmitor  gegenwärtig  bis  1500  Meter 
Seehöhe.  Archäologische  Untersuchungen  der  Zukunft  werden 
zeigen,  wie  weit  sich  die  slawischen  Ansiedlungen  direkt  an  die 
römischen  Dörfer  und  Landgüter  anschlössen.  Es  fehlt  nicht  an 
Fällen,  wo  prähistorische  Tumuli,  römische  Inschriftsteine  und 
mittelalterliche  Kirchen  und  Gräber  unmittelbar  nebeneinander 
liegen.  Unversehrt  haben  sich  römische  Bauwerke  nur  auf  byzan- 
tinischem Boden  erhalten,  wie  der  von  den  Spalatinern  bewohnte 
Palast  des  Diokletian.  Ein  großer  Teil  der  antiken  Städte  blieb 
unbewohnt  in  Ruinen  hegen.  In  den  Mauern  anderer  Gemeinden 
haben  sich  die  Slawen  eine  Burg  eingerichtet,  natürlich  ohne 
städtische  Verfassung.  Wenn  dies  gleich  bei  der  Okkupation  des 
Landes  geschah,  hat  sich  der  alte  Stadtname  mit  einer  kleinen 
Umformung  erhalten.  Deshalb  erscheinen  bei  der  Errichtung  von 
Bistümern  zahlreiche  ehemalige  Römerstädte  wieder  als  Zentrum 
ihrer  Landschaft.  Die  Umformung  der  antiken  Namen  geschah 
entweder  nach  bestimmten  Lautregeln  oder  mit  Unterschiebung 
eines  Sinnes  durch  ein  anklingendes  slawisches  Wort.  In  dem 
Falle,  wo  die  Städte  römischen  Ursprungs  in  der  slawischen  Periode 


1)  Cvijic,  Naselja  1  S.  XXX f. 


Die  Serben  im  7 — 10.  Jahrhundert  usw.  145 

einen  ganz  neuen  Namen  erhielten,  wie  die  „weiße  Burg"  Belgrad 
(Siugidunum)  oder  die  Burg  des  „Verteidigers"  (branic)  Branicevo 
(Viminacium),  war  zwischen  dem  Untergang  der  antiken  Stadt 
und  ihrer  Neubesiedlung  jedenfalls  eine  längere  Zeit  verflossen. 
Auch  die  Städte  des  byzantinischen  Gebietes  erhielten  mitunter 
bei  den  Slawen  neue  Namen,  voran  Konstantinopel  als  „Kaiser- 
stadt" Cesar'grad,  später  Carigrad  (S.  80),  oder  Ragusa  als 
Dubrovnik  (von  altserb.  dubrova  Hain).  Nur  an  der  Küste  der 
Halbinsel,  im  Westen  in  Dalmatien  und  Albanien  behauptete  sich 
seit  der  frühchristlichen  Zeit  eine  Menge  von  Ortsnamen  aus  den 
Heiligennamen  der  lokalen  Kirchen;  im  Binuenlande,  in  Bulgarien 
oder  Serbien,  sind  solche  Namen  sehr  selten,  in  Bosnien  fehlen  sie 
ganz  ^).  Neben  den  Resten  der  älteren  geographischen  Nomen- 
klatur entstand  eine  neue  slawische,  mit  Hunderten  von  neuen 
Fluß-  und  Bachnamen  und  Tausenden  von  Dorf-  und  Flur- 
namen. 

Die  Grundlage  des  Grundbesitzes  bei  den  Südslawen  war 
das  Erbgut,  über  welches  der  Besitzer  frei  verfügen  konnte  Die 
Benennungen  teilen  sich  in  zwei  Gruppen.  In  der  einen  Gruppe, 
im  Nordwesten,  wurde  das  unbewegliche  Gut  bezeichnet  als  Besitz 
des  Geschlechtes,  in  Kroatien  als  plemensdina  (Geschlechtsgut) 
in  Bosnien  als  plemenita  zemlja  (Geschlechtsland)  oder  kurz 
als  plemenito,  in  der  Herzegowina '^J  als  plemenita  bastina 
(Geschlechtserbgut).  Man  könnte  daraus  auf  ein  ursprünglich  der 
ganzen  Sippschaft  gehörendes,  später  unter  die  Mitglieder  der- 
selben aufgeteiltes  Territorium  schließen.  Die  zweite,  im  Südosten 
herrschende  Gruppe,  auch  den  Nordslawen  bekannt,  bezeichnet 
das  Land  in  adjektivischer  Form  als  Gut  der  Voreltern,  Groß- 
väter oder  Väter:  djedina  (von  djed  Großvater),  besonders  in 
Bosnien    üblich,    aber   auch   in    Serbien    nicht   unbekannt  3),    das 


1)  V^gl.  mein  Clirist.  Elem.  18 f. 

2)  Mou.  serb.  217  (!391).     Wiss.  Mitt.  3  (1895)  495  (1460). 

3)  Alles  Adj.  poss.  fem.  auf  -ina;  zu  ergänzen  ist  zemlja  Land. 
Schenkungen  in  Bosnien  als  „djedina":  Urk.  des  14.  Jahrb.,  Glasnik  bos. 
18  (1906)  403 f.  ,,Dedine  zemlje":  Kajjusa  12.53  Mon.  serb.  38.  „PlemenScina 
didina"  der  Mogorovici  in  Kroatien  1497  Mon.  bist.  jur.  6,  418.  D.  in  Ser- 
bien: Mon.  serb.    4,    König   Stephan    cap.    7.     Später   djedina,   ebenso   wie 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  10 


146  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

seltenere  otBcina  (von  otac  Vater)  ^),  zuletzt  basti na  (von  basta 
Vater),  das  in  Serbien  seit  1300  allein  vorherrscht,  im  Küstenland 
mit  „Patrimonium"  übersetzt.  Diese  Ausdrücke,  besonders  der 
letzte,  haben  in  der  späteren  Zeit  die  Bedeutung  einer  Erbschaft 
überhaupt  angenommen  2).  Der  Grundbegriff  ist  gleich  dem  byzan- 
tinischen Erbgut  oder  Elterngut,  dem  Kern  des  ursprünglichen 
freien  Grundbesitzes  im  oströmischen  Kaisertum  (yoviy.dv  /.cTjjiia, 
yoviAOv  xiüQceq^iov,  yovr/.rj  VTiooraoig,  yovr/.sia)  oder  dem  Besitz  der 
„Elterngutleute"  {yoviytaQioL),  die  wörtlich  den  altserbischen  basti- 
nici  entsprechen  -^j.  Der  nicht  urbar  gemachte  Boden  hieß  ledina, 
die  Rodung  oder  die  neu  angelegte  Kultur  laz,  in  den  Urkunden 
in  der  Regel  mit  einem  Personennamen  bezeichnet,  z.  B.  „laz"  des 
Bratomir  oder  des  Hranoje;  das  angebaute  Feld  ist  njiva,  sämt- 
lich bei  den  Slawen  allgemein  verbreitete  Termini.  Der  einzelne 
Hof,  das  Wohnhaus  samt  dem  bebauten  Grundstück,  hieß  selo, 
eigentlich  „das  Besiedelte",  in  Ursprung  und  Bedeutung  voll- 
ständig der  lateinischen  „sessio"  entsprechend.  Mit  „selo"  wird 
äygög  (der  Ackergrund)  der  griechischen  Gesetzbücher  wieder- 
gegeben ^).  In  den  Urkunden  des  Gebietes  von  Zara  ist  1042 
die  lateinisch  umgeformte  seUa  gleich  einem  Hof,  der  „curtis"^). 
Ebenso  ist  in  der  Umgebung  von  Cattaro  und  Ragusa  in  den 
Urkunden  1270 — 1350  sella  die  einzelne  „villa"  oder  das  „casale", 
das  Landhaus,  bewohnt  von  den  Besitzern  und  ihren  Pächtern  und 


bastina;    Patrimonium,    hereditas,   patria;    vgl.    Rjecnik.  Böhm,  dedina    einst 
Erbgut,  jetzt  Dorf. 

1)  „OtiiCina  dedina",  väterliches  Erbgut:  Biographie  des  Nemanja 
von  Sava  p.  1.  ,.  Ocina"  geschenkt  dem  Kloster  Krusedol  1496  Mon.  serb. 
541.  Ocevina  das  Erbgut  bei  den  Drobnjuci:  Tomic,  Naselja  1,  394.  Russ. 
votcina:  erbliches  unbewegliches  Gut. 

2)  Vater  russ.  batja,  bat'ko;  bulg  basta;  serbokroat.  basta  =  caca  = 
otac  in  den  altragusanischen  Sprichwörtern  bei  Daniele,  Poslovice  nro.  1159, 
32 S5;  altserb.  basta  ein  Würdenträger  im  Kloster  Chilandar.  Miklosich, 
Etym.  Wort,  hält  das  Wort  für  türkisch,  Daniele  (^im  Rjecnik)  für  slawiscl:, 
Berneker  für  eine  Koseform  zu  slaw.  bratri,  Bruder.  Adj.  fem.  dazu 
kirchenslaw.,  altserb  ,  bulg.  bastina. 

3)  Pancenko,  Izvestija  arch.  inst.  9  (1904)  II 2 ff. 

4)  Im  vo^uog  ytwQyixog.     Vgl.  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil.  15,  109. 
5")  Racki,  Doc.  46. 


Die  Serben  im  7.  — 10.  Jahrhundert  usw.  147 

umgeben  von  Wein-  und  Obstgärten.  Desgleichen  ist  „selo"  das 
Grundstück  des  einzelnen  Besitzers  auch  in  den  altserbischen 
Klosterurkuuden  des  14.  Jahrhunderts,  ebenso  im  Statut  von 
Poljica,  in  glagolitischen  Urkunden  aus  Istrien  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert und  im  kroatischen  Urbar  von  Modrusa  1486  ^).  Heute 
noch  gibt  es  Gebirgslandschaften  an  der  Narenta,  am  Lim  und  an 
der  Tara,  in  welchen  „selo''  nur  ein  einzelnes  Gehöft  oder  eine 
ganz  kleine  Häusergruppe  bedeutet  ^).  Erst  im  Laufe  der  Zeit 
entstanden  größere  Dörfer,  die  man  in  Serbien  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert gleichfalls  „selo"  nannte  und  heute  noch  so  nennt;  ihre 
kleinen,  zersprengten  Weiler  oder  „Fraktionen"  hießen  zaselije 
oder  zaselak,  wörtlich  „hinter  dem  Dorf".  Ein  mittelalterlicher 
südslawischer  Ausdruck  für  ein  Dorf  mit  einem  oder  mehreren 
Häusern,  jetzt  im  Serbokroatischen  und  Bulgarischen  vergessen,  ist 
VLS,  später  vas^).  Das  Haus  war  ursprünglich  nur  einzellig, 
mit  einem  einzigen  Wohnraum  um  den  Herd  herum.  Im  Wald- 
land war  es  aus  Holz,  im  Karstboden  aus  Stein  errichtet.  Der 
Araber  Harun  ben  Jahja  (um  880)  erwähnt  in  der  Beschreibung 
des  Weges  von  Konstantinopel  nach  Rom  die  Route  von  Thessa- 
lonich nach  Spalato,  durch  die  Waldlandschaften  „der  Slawen,  die 
Holzhäuser  besitzen",  bemerkt  aber,  daß  auch  die  Häuser  der 
Langobarden  „nur  aus  Holzbrettern  gebaut"  sind  ^).  Reichere 
Leute,  Edelleute  und  Fürsten,  bauten  sich  größere  Wohnhäuser, 
welche  wohl  zur  Verteidigung  hergerichtet  waren  ^).  Die  Typen 
der  Dorfanlage  sind  nur  aus  der  neuesten  Zeit  bekannt;  über  die 
älteren  Stufen  lassen  sich  kaum  Vermutungen  aufstellen. 


1)  Urk.  von  Banjska  ed.  Jagic  p.  15,  23.  Mon.  bist.  jur.  4,  65 
(§  58);  5,  29  A.  3;  6,  201. 

2)  Cvijic,  Naselja  1,  LXIIf. 

3)  Eine  „curtis"  als  „ves"  1042:'  Eacki,  Doc.  1.  c.  Gorazda  vts, 
„Dorf  des  Gorazd":  Mon.  serb.  11.  Velja  vas  oder  Velika  vas  (Großdorf) 
hieß  im  14 — 15.  Jahrb.  das  heutige  Velicani  in  der  Herzegowina:  Wiss. 
Mitt.  3  (1895)  480.  Heute  als  Dorf  bei  den  Slowenen  (ves,  vas),  in  Böhmen 
(ves),  in  Polen  (wies)  usw.     Urverwandt  mit  oixog,  vicus. 

4)  Marquart  a.  a.  O.  240. 

5)  Vgl.  M.  Murko,  Zur  Geschichte  des  volkstümlichen  Hauses  bei 
den  Südslawen:  Mitt.  der  Anthropologischen  Gesellsch.  in  Wien,  Bd.  35 
und  36,  auch  S.A.,  Wien  1906  mit  Wörterverzeichnis. 

10* 


148  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Die  Hauptbeschäftigung  war  Viehzucht.    Neben  Pferden  und 
Schafen  war  die  Schweinezucht  von  Bedeutung,  in  Pannonien  schon 
in  der  Römerzeit  landesüblich  (S.  39).    Bei  den  Langobarden  gab 
es  Schweineherden  des  Königs,  bewacht  von  seinen  Sklaven  (por- 
carii   mit  dem  archiporcarius  an  der  Spitze)  ^);  ebenso  werden  in 
Serbien  Schweine    der   Könige    und  Zaren   in    den   Urkunden    des 
13. — 14.    Jahrhunderts     erwähnt.       Wilhelm    von'    Tyrus    (1168) 
schildert  das  Land  der  Serben  als   ein    gebirgiges,    waldiges,    un- 
zugängliches Gebiet   mit   vielen  Engpässen.     Die  Einwohner  seien 
ein  kriegerisches  Bergvolk,    nur  Hirten,  reich   an  Herden,  Milch, 
Käse,  Butter,  Fleisch,  Honig  und  Wachs,  angeblich  ohne  Acker- 
bau   (populus  agri  cuiturae  ignarus).     An  einer  anderen  Stelle  be- 
schreibt er  Dalmatien  als  ein  Land   v^oU  Berge,  Wälder  und  großer 
Weideplätze,  mit  sehr  wenig  Ackerbau  (ita  ut  raram  habeat  agro- 
rum  culturam),  so  daß  die  Einwohner  allen  Lebensunterhalt  in  ihren 
Herden  besitzen  -).  Diese  letztere  Angabe  ist  nicht  richtig.  Es  gab  in 
den  Tälern  und  Karstpoljen  jederzeit  auch  etwas  Ackerbau,  aller- 
dings in  einem  mäßigen  Umfang.     Die  serbische  Terminologie  für 
die  Begriffe   des  Feldbaues    steht   im   engsten  Zusammenhang   mit 
den    bei    allen    slawischen   Völkern    üblichen    Ausdrücken   für   die 
Bodenkultur  und  zeugt  von  ununterbrochener  Übung  seit  der  Vor- 
zeit.   In  den  wärmeren  Landschaften  haben  die  Serben  den  Anbau 
der  Weinrebe   erlernt.     Die  Jagd  war   noch   lange    sehr   ergiebig. 
Wie  bei  anderen  mittelalterlichen  Völkern,  war  die  dem  klassischen 
Altertum  unbekannte,    aus  Indien,    Persien    und  Innerasien    stam- 
mende Falkenjagd  auch  bei  den  Serben  und  Kroaten  sehr  beliebt. 
Unter  den  Geschenken  der  Söhne  des  serbischen  Fürsten  Vlastirair 
an     den    Fürsten    Boris    von    Bulgarien    befanden    sich    2    Falken 
{(pa't/Mvia),  2   Hunde  iOAvlia)  und  90  Pelze  (yovvag)  ^). 

Die  Seeschiffahrt  gedieh  bei  den  Kroaten ,  Narentanern  und 
Zachlumiern;  von  einer  Seefahrt  der  Travunier,  Kanaliten  und 
Dioklitier  wird  in  der  älteren  Zeit  nichts  berichtet.  Es  waren 
kleine  Schiffe;    die  Gondeln  [/.ovöoCgai)  der  Kroaten   hatten   nach 


1)  Hartmann  a.  a.  0.  2,  2,  44. 

2)  Wilhelm  von  Tyrus  II  cap.  17;  XX  cap.  4, 

3)  Konst.  Porph.  3,  155. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  149 

Konstantin  Porphyrogennetos  10 — 20,  die  Sagenen  40  Mann  Be- 
satzung. Den  Gewerbfieiß  und  den  aus  Holz,  Ton,  Leder  und 
Metall  geformten  Hausrat  dieser  Zeit  kennen  wir  nur  wenig.  So 
viel  ist  sicher,  daß  eine  Fortsetzung  der  Bronzezeit  bis  tief  in  das 
Mittelalter  reicht.  Große  Herren  trugen  Schmuck  von  Gold  und 
Silber,  arme  Leute  von  Bronze.  Spätrömische  Bronzen,  Griffel, 
Knöpfe,  Schnallen  usw.  fand  man  auf  dem  Berge  Debelo  Brdo 
bei  Sarajevo  mit  einer  Münze  des  Kaisers  Justinian  ^).  Aus 
späteren  Zeiten  gehören  dazu  nicht  nur  die  byzantinischen  Leuchter, 
Kreuze,  Gefäße,  Gewichte,  Medaillen,  Amulette  usw.  aus  Bronze 
(xaX-/.6g),  sondern  auch  viele  primitive  Kleinfunde  des  Hämus- 
und  Donaugebietes.  Silbermünzen  der  ungarischen  Könige 
des  11.  Jahrhunderts  (1038 — 1095)  bestimmen  die  Zeit,  welcher 
die  von  Dr.  Brunsmid  untersuchten,  merkwürdigen  Reihenfried- 
höfe im  Dorfe  Bijelo  Brdo  bei  Esseg  und  die  ähnlichen  Funde 
von  Svinjarevci  bei  Vukovar  in  Slawonien  angehören  -).  Es 
ist  der  ärmliche  Hausrat  einer  Bevölkerung,  die  von  Ackerbau, 
Viehzucht,  Jagd  und  Fischerei  lebte.  Unter  dem  meist  durch  Guß 
hergestellten  Metallschmuck  überwiegt  der  primitive  Zierat  aus 
Bronze:  die  auch  in  Dalmatien,  Bosnien  und  Serbien,  ebenso  in 
den  nordslawischen  Ländern  vorkommenden  S-förmigen  Schläfen- 
ringe, ferner  Ohrringe,  Fingerringe,  Hals-  und  Armringe,  Schellen 
und  andere  Anhängsel,  sowie  Fibeln.  Die  besseren  Stücke  sind 
aus  Silber.  Daneben  fand  man  Glasperlen,  Muscheln,  durchlochte, 
als  Schmuck  verwendete  römische  Kupfermünzen,  eiserne  Messer 
und  Sicheln  und  einfaches  Tongeschirr.  Auf  einigen  dieser  slawo- 
nischen  Bronzestücke  ist  auch  das  Kreuzeszeichen  ersichtlich.  In 
Serbien  fand  Dr.  Vasid  ^)  bei  Ausgrabungen  bisher  nur  Reste  des 
späteren  Mittelalters:  bei  Poljna  im  Kreis  von  Jagodina  Gräber 
unter  Steinplatten,  deren  Skelette  gegen  Osten  orientiert  waren 
und  Spuren  von  Holzhäusern,  mit  Eisengerät,  Topfscherben  und 
einem  silbernen  Schläfenring,  ebenso  bei  der  Burg  Stalaö  am  Zu- 
sammenfluß beider  Moravas  Töpferwaren  mit  Kreuzstempeln.    Die 


1)  Fiala,  Wiss.  Mitt.  4  (1896)  65,  72. 

2)  Vjesnik  arheol.  N.  S.  7  (1903)  30—97. 

3)  Godiinjak  19  (1905)  251  f.;  Starinar  N.  S.  1  (1906)  39 f. 


150  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

alten  Termini  des  Schmuckes  sind  uns  bekannt:  grivna  Halsring^ 
Halsband  oder  Halskette,  in  Rußland,  ebenso  in  den  glagolitischen 
Urkunden  aus  Kroatien  und  in  Böhmen  eine  Münze,  da  die  Hals- 
ketten später  aus  Münzen  bestanden  i) ;  o  b  r  u  c ,  n  a  r  u  k  v  a  oder 
narukvica  der  Armring  2),  obotci  Ohrringe,  zapon^)  die 
Spange  oder  Fibel,  pojas  der  oft  schwere  Gürtel.  Bronze  und 
Kupfer  bezeichneten  die  Slawen  mit  demselben  Wort  (mjedj  ^). 
Auch  der  Ausdruck  brondium,  bronco  war  in  den  mittelalter- 
lichen Städten  Dalmatiens  für  Kupfer  in  Gebrauch;  nach  Kara- 
bacek  stammt  er  aus  Persien  '^).  Die  alte  Bronzeindustrie  mit  der 
Kunst,  Bronzewaffen  zu  schmieden,  lebte  am  längsten  im  Kaukasus, 
wo  sie  noch  im  lö.  Jahrhundert  von  einem  der  letzten  byzanti- 
nischen Historiker,  Chalkondyles  aus  Athen,  bei  den  christlichen 
Alanen  (Osseten)  erwähnt  wird  *^). 

Der  Handel  war  sehr  gering,  was  schon  aus  den  Wertver- 
hältnissen erhellt.  An  gemünztem  Gelde  waren  vor  allem  die 
byzantinischen  Goldmünzen  {roi.iiOj.iava,  sohdi)  im  Umlauf,  später 
nach  den  Kaisern  unterschieden  (romanati,  michaelati),  slawisch 
zlatnik,  zlatica  (von  zlato  Gold).  Weniger  verbreitet  war  das 
byzantinische  Silber-  und  Kupfergeld.  Sonst  galt  noch  lange  Zeit 
das  primitive  Kuh-  oder  Viehgeld.  Die  Viehbesitzer  waren  die 
reichsten  Leute,  besonders  die  Landesfürsten  selbst.     Masüdi  (um 


1)  Grivna  von  griva  Mähne,  vgl.  sanskr.  grivä  Hals;  vgl.  die  Lexika 
von  Miklosicb  ,  Daniele  und  Budmaui.  Kroatien:  Starine  4,  121—124. 
Aitböhm    hfivna:  Mark  Silber. 

2)  Mon.  Serb.  92;  Arch.  slaw.  Phil.  21,  423  (1515). 

3)  Inschrift  auf  der  gold.  Spange  des  Großfürsten  Peter  von  Chelmo 
(um  1225):  Starinar  1  (1884)  111. 

4)  Mjed  neben  Marmor,  Silber  und  Gold  unter  dem  Schmuck  des 
Palastes  Symeons  von  Bulgarien  bei  Johannes  dem  Exarchen.  Die 
wohl  bronzenen  Menschen-  und  Pferdestatuen,  die  Großfürst  Vladimir  aus 
Cherson  nach  Kiew  brachte,  bei  Nestor  ed.  Miklosich  p.  71  als  ,, kupfern" 
(medjan). 

5)  Brondium  =  ramen,  cuprum:  meine  Rom.  Dalm.  1,  88.  Mittelpers. 
barinz,  neupers.  birindz  Messing:  Karabacek,  Metallurgische  Etymologien, 
Mitt.  des  k.  k.  österr.  Museums  für  Kunst  und  Industrie,  N.  F.  1  (1887) 
49—50. 

6)  Chalkondyles  ed.  Bonn.  p.  467—468. 


Die  Serben  im  7 — 10.  J.ilirhuiulert  usw.  151 

950)  schreibt,  in  Bulgarien  werde  alles  mit  Kühen  und  Schafen 
gezahlt.  Im  11.  Jahrhundert  entrichtete  der  Bauer  in  den  süd- 
lichen Landschaften  Bulgariens  an  Steuer  von  jedem  Ochsen- 
gespann (uvyog  ß6o)v)  1  Scheffel  {{.löötov)  Weizen,  1  Scheffel 
Hirse  und  1  Krug  (ardinrog)  Wein  i).  In  Rußland  waren  die 
Steuern  im  10. — 11.  Jahrhundert  repartiert  nach  Rauchfängen  oder 
Pflügen ;  im  Norden  und  Osten  zahlte  man  mit  Geld,  welches  dort 
durch  den  arabischen  Handel  mit  den  Chazaren  und  Wolga- 
Bulgaren  im  Uralauf  war,  im  W^esten  mit  Marder-  und  Eich- 
hörnchenfellen oder  mit  Honig,  ebenso  wie  in  Polen.  In  Kroatien 
entrichtete  man  die  Abgaben  in  Marderfellen  (raarturinae,  kroat. 
kuna,  deutsch  Mardergeld).  Der  Marder  ist  auch  auf  den  kroa- 
tischen Banalniünzen  abgebildet,  ebenso  im  Landeswappen,  Die 
Leistung  in  Fellen  wurde  später  durch  Zahlungen  in  gemünztem 
Geld  ersetzt,  der  alte  Name  der  „Marturinen"  ist  aber  lange  un- 
verändert im  Gebrauche  geblieben  -).  Selbst  die  Städte  der  Quar- 
nerischen  Inseln  versprachen  (1018)  Tribut  an  Venedig  in  Fuchs- 
und  I\Iard erfeilen,  Zara  (1202)  in  Kaninchenfellen  (cuniculae).  Bei 
Zara  kaufte  man  im  11.  Jahrhundert  Grundstücke  mit  Geld,  selten 
mit  Pferden,  wobei  das  gute  Pferd  sechs  Goldstücken  gleichkam. 
Bei  Spalato  dagegen  tritt  das  Geld  gegenüber  den  Naturalzahlungen 
sehr  stark  zurück.  Die  Grundstücke  wurden  dort  (um  1080)  ge- 
kauft um  bestimmte  Mengen  von  Getreide,  Wein,  Salz,  Käse,  Brot, 
um  lebendes  Vieh,  Schweine,  Schafe  und  Ziegen,  um  Schafpelze, 
Leinwand  oder  Flachs.  Oft  ist  der  Kaufpreis  halb  Geld,  halb 
Ware  ^).  In  Serbien  werden  im  13. — 14.  J;ihrhundert,  obwohl 
Metallgeld  schon  in  ziemhcher  Menge  in  Umlauf  war,  noch  immer 
Bußen  in  Pferden,  Ochsen  und  Schafen  erwähnt.  Die  Urkunde 
von  Banjska  kennt  auch  Bußan  in  Leinwand  (platno),  welche  nach 
Ibrahim  ihn  Jakub  und  Helmold  bei  den  Nordslawen  in  Böhmen 
und  Pommern  ein  allgemeines  Zahlungsmittel  war  ^). 

Mehr  Vorliebe,  als  für  den  Handel,  hatten  die  Südslawen  für 


1)  Kedrenos  2,  530. 

2)  Klaic,  Marturina:  Rad  157  (1904). 

3)  Racki,  Doc.  127 f.,  174. 

4)  Platiti  zahlen  stammt  nach   Miklosich,    Etym.    Wörterbuch,    von 
plati>  Tuch,  Leiuwand. 


152  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

den  Krieg.  Die  kleinen  Fehden,  die  Blutrache,  die  Jagd,  der 
Raub  zu  Land  und  zur  See  und  der  Söldnerdienst  in  der  Fremde 
beförderten  die  Übung  im  Waffenhandwerk.  Der  wahrscheinlich 
aus  Nordafrika  stammende  Jude  Ibrahim  ibn  Jakub,  der  um  965 
über  Italien  nach  Deutschland  reiste,  berichtet,  die  Slawen  an  der 
Küste  des  „Venetianischen  Golfes"  seien  ein  sehr  tapferes  Volk; 
die  Nachbarvölker  hüten  sich  vor  ihnen  und  trachten  mit  ihnen 
im  Frieden  zu  leben;  ihr  Land  sei  voll  hoher  Gebirge,  die  Wege 
schwierig  ^).  Von  der  Bewaffnung  der  Serben  erwähnt  Kinnamos 
Laijzen  und  lange  Schilde  -}.  Die  Hauptwaffe  waren  aber  Bogen 
und  Pfeile.  Giftpfeile,  mit  denen  die  Kreuzfahrer  im  Moravatale 
unangenehme  Bekanntschaft  gemacht  haben,  führten  noch  um  1559 
die  Mrkojevici  bei  Antivari,  bestrichen  mit  einem  Pflanzengift^), 
wahrscheinlich  gewonnen  aus  den  Blättern  und  Wurzeln  des  Eisen- 
hutes (Aconitum  napellus)  *). 

Zwischen  den  Südslawen  saßen  noch  lange  Zeit  ansehnliche 
Reste  der  älteren  Bevölkerung  ^).  Die  halbromanisierten  Illyrier 
waren  während  der  Völkerwanderungen  aus  dem  Berglande  zwischen 
Dalmatien  und  der  Donau  südwärts  gedrängt  worden.  Ihr  Mittel- 
punkt wurde  die  Landschaft  von  Arbanum  (  dgßmov,  iAlßavov), 
serbisch  Raban  bei  Kroja,  wo  schon  Ptolemaios  in  der  Römerzeit 
einen  Stamm  der  Albaner  erwähnt.  Dieser  Name  wurde  seit  dem 
11.  Jahrhundert  auf  das  ganze  Volk  ausgedehnt,  lateinisch  Arba- 
nenses  oder  Albanenses  {AXßavoi,  '^Qßavlvai),  woraus  die  sla- 
wische Form  Arbanasi  abgeleitet  ist.  Die  Hauptsitze  befanden 
sich  im  Mittelalter  in  dem  Viereck  zwischen  Skutari,  Prizren, 
Ochrid  und  Valona,  mit  Ausläufern  weit  gegen  Norden.  Im 
14.  Jahrhundert  erscheinen  „Arbanenses"  mit  ihren  nationalen 
Namen  unter  den  Bauern  der  Zupa  von  Grbalj  bei  Cattaro,  ebenso 


1)  Zapiski  der  russ.  Akad.  32  (1878)  nro.  2,  S.  53. 

2)  Kinnamos  VI  cap.  7. 

3)  Starine  10,  251. 

4)  Aconitum  serbokroat.  nalijep;  altböhm.  njllep  Pfeilgift,  wörtlich  das 
„Angeklebte)". 

5)  Vgl.  meine  Wlachen  und  Maurowlachen,  S.B.  der  kgl.  böhm. 
Ges.  d.  Wiss.  1879,  109 — 125  und  meine  Rom.  Dalm.  (Albanesen  1,  41  f., 
Wlachen  1,  34  f.). 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  153 

in  dem  jetzt  rein  serbischen  Tale  von  Crmnica  im  Nordwesten 
des  Sees  von  Skutari.  Von  einem  albanesischen  Personennamen 
Burraad  („der  große  Mann")  ist  abgeleitet  der  Name  der  seit  1300 
erwähnten  Hirtengemeinde  der  Burmasi  oder  Burmazovici  im  Be- 
zirke von  Stolac  in  der  Herzegowina.  In  Montenegro  sind  auf- 
fallig echt  albanesiäche  Ortsnamen  in  Landschaften,  wo  heute 
niemand  mehr  albanesisch  spricht:  Singjon  (albanesisch  St.  Johann), 
Goljemade  (schon  1444,  alb.  „Großmäuler '',  gulae  magnae),  Krusi 
(aus  lat.  crux)  usw.  Charakteristisch  sind  die  bei  Hahn,  Rovinskij 
und  in  den  Bänden  der  „Naselja"  verzeichneten  Stammsagen, 
welche  albanesische  und  serbische  Stämme  von  gemeinsamen  Ur- 
vätern ableiten.  Die  Stammsage  der  Vasojevici  nennt  fünf  Bi  üder, 
Vaso,  Pipo,  Ozro,  Kraso,  Oto,  als  Vorfahren  der  jetzt  serbischen 
Vasojevici,  Piperi,  Ozrinici  und  der  jetzt  albanesischen  Krasnici  und 
Hoti.  Die  Genealogie  erinnert  an  die  Konstruktion  der  illyrischen 
Stammsagen  bei  Appian  (S.  23).  Die  Stammsage  der  Kuci  leitet 
die  jetzt  serbischen  Kuci  und  die  albanesischen  Kastrati  und  Saljani 
von  drei  Brüdern  ab ;  allerdings  erscheinen  die  Kuci  noch  bei 
Mariano  Bolizza  aus  Cattaro  (1614)  als  „Chuzzi  Albanesi",  „del 
rito  romano"  ^).  Im  Osten  werden  in  den  altserbischen  Urkunden 
des  14.  Jahrhunderts  Leute  mit  albanesischen  Namen  (Ljes,  Gjon, 
Gin  usw.)  in  Prizren  und  Umgebung  genannt.  Mögen  die  Alba- 
nesen  im  früheren  Mittelalter  an  die  Serben  viel  Boden  verloren 
haben,  ein  absterbendes  Volk  waren  sie  keineswegs.  Seit  dem 
Ende  des  13.  Jahrhunderts  eröffneten  sie  einen  Vorstoß  gegen 
Süden  nach  Thessalien,  Epirus  und  Griechenland,  seit  dem  des 
17  Jahrhunderts  einen  zweiten  gegen  Nordosten  bis  Novipazar, 
Nis  und  Vranja.  Im  Mittelalter  erscheinen  sie  als  eine  altchrist- 
liche Bevölkerung  von  mehr  städtischer  Kultur,  welche  den  Grie- 
chen und  den  dalmatinischen  Romanen  viel  näher  stand,  als  den 
neubekehrten  Serben.  Von  dem  Alter  des  Christentums  geben 
Zeugnis  Reste  der  alten  lateinischen  Terminologie  in  ihrer  Sprache 
und  die  vielen  von  Heiligennameu  abgeleiteten  Ortsnamen.  In 
der  Urkunde  des  Klosters  Decani  (1330)  und  in  dem  venezianischen 
Kataster  von  Skutari  (l416)  ^)  führt  jeder  Albanese  zwei  Namen; 

1)  Starine  12,  182. 

2)  Ebd.  14,  32  f. 


154  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

der  erste  war  ein  christlicher  Vorname,  selten  ein  römischer  (wie 
Calens  aus  Caienda  oder  Tanusius)  oder  nationaler  (Barda  „weiß", 
Progon,  Bitri  usw.),  der  zweite  meist  der  Name  einer  Sippschaft 
oder  eines  Dorfes,  seltener  die  Bezeichnung  einer  persönlichen 
Eigenschaft,  wie  „schön"  (Mira),  „klein"  (Vogali)  u.  dgl.  Die 
meisten  dieser  Gentilnamen  sind  heute  noch  bekannt  als  Stamra- 
oder  Dorfnamen :  Tuzi  (schon  1330),  Prekah,  Skreli,  Kastrati  usw. 
Im  Kataster  1416  heißen  z.  B.  in  der  „villa  i  Tusi"  (Tuzi  bei 
Podgorica)  alle  16  Hausbesitzer  Tusi  vom  Häupthng  Jurco  Tusi 
angefangen,  während  in  Grouemira  grande  (alb.  „die  schöne 
Frau")  von  den  20  Häusern  nur  11  von  den  Grouemiri  bewohnt 
waren.  Im  Gebirge  östlich  vom  See  von  Skutari  saßen  große 
Stämme,  wie  die  heute  noch  sehr  angesehenen,  seit  1330  oft  er- 
wähnten Hoti.  Maßgebend  waren  aber  im  Mittelalter  nicht  die 
Stämme,  sondern  die  HäuptHnge  und  Adligen;  die  Geschichte  der 
gegenwärtigen  Verfassung  der  nordalbanesischeu  Bergstämme  läßt 
sich  bei  dem  Mangel  an  Nachrichten  nicht  so  weit  zurückver- 
folgen. 

Von  den  Romanen  haben  die  Donaurömer,  die  Vorfahren  der 
Rumänen,  in  Obermösien  und  Dardanien  durch  die  Völkerstürme 
seit  dem  5.  Jahrhundert  am  meisten  gelitten  und  sind  größtenteils 
ausgewandert,  zum  Teil  weit  über  die  einstige  Sprachgrenze  des 
Lateins  hinaus.  Den  Hirten  fiel  der  Abzug  in  fernere  Gebiete 
allerdings  nicht  schwer.  Sie  fanden  neue  Wohnsitze  in  der  Rho- 
dope,  im  Häraus,  in  Makedonien,  in  Thessahen,  das  zu  Ende  des 
Mittelalters  „Groß-Wlachien"  {Meyälr]  Blayja)  genannt  wurde, 
in  Epirus,  in  ganz  Serbien,  wo  sie  in  keiner  der  Klosterurkunden 
des  12. — 14.  Jahrhunderts  fehlen,  in  Bosnien  und  der  Herzegowina, 
wo  die  Ragusaner  die  Sippschaften  bei  Trebinje,  Ljubinje  und 
Gacko,  die  Zubci,  Banjani,  Niksici,  Drobnjaci  u.  a.  zu  den 
Wlachen  zählten,  ebenso  im  Küstengebirge  Kroatiens  besonders 
von  der  Cetina  bis  in  die  Landschaften  der  Lika  und  Krbava. 
Sich  selbst  nannten  sie  nach  dem  Zeugnis  des  venezianischen  Geo- 
graphen Domenico  Negri  noch  immer  Romani^),  ebenso  wie 
sich  die   heutigen    Makedorumänen   (Aromunen)   Arämän   nennen. 


1)  Nigri  Veneti  Geographia  (Basel  1557)  p.  103. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  155 

Bei  den  Slawen  hießen  sie,  ebenso  wie  die  Italiener,  stets  Wlacben 
(S.  65).  Von  der  Kleiduug  stammt  die  byzantinische  Bezeich- 
nung der  Gebirgshirten  als  „  Schwarzwlachen  "  oder  j\Iaurowlachen, 
bei  Diocleas  im  12.  Jahrhundert  Morovlachi  oder  ,, Nigri 
Latini",  in  den  Archivbüchern  von  Ragusa  ebenso  J\Ioroblachi, 
Morolacchi,  seit  1420  kurz  Morlachi.  Bei  den  Venezianern  sind 
im  16.  Jahrhundert  Murlacchi  alle  Einwohner  des  Festlandes  vom 
Quarnero  bis  Antivari,  außerhalb  der  Städte.  In  der  neuesten 
Zeit,  in  welcher  die  etimographischen  Unterschiede  längst  ver- 
wischt sind,  nennen  die  Städter  und  Inselbewohner  von  Dalmatien 
jeden  Bauern  und  Hirten  des  Festlandes  slawisch  Vlah,  italienisch 
Morlacco,  während  in  Kroatien  unter  Wlachen  die  Gläubigen  der 
orientalischen  Kirche  verstanden  werden.  Heute  noch  heißt  ein 
Teil  der  Makedorumänen  „die  Schwarzröcke",  in  Serbien  Crnovunci, 
in  Albanien,  Makedonien,  Epirus  und  ThessaHen  Karaguni.  Im 
letztern  Gebiet  sind  diese  „schwarzen"  Wlachen  die  mehr  seß- 
haften, in  aus  Stein  gebauten  Sommerdörfern  wohnenden  Aro- 
munen.  Die  weiße  Kleider  tragenden  Farserioten  (neugriech.  Ar- 
vanitovlachi),  welche  als  Hirten  zwischen  Serbien  und  Morea  her- 
umwandern, bleiben  mehr  Nomaden,  organisiert  in  Sippen  (fälkare), 
die  nach  den  Häuptlingen,  den  Celniks,  genannt  werden;  mehrere 
Sippen  bilden  ein  Geschlecht  (farä)  ^).  Rumänische  Personen- 
namen (wie  z.  B.  Negulus  oder  Dracculus)  erscheinen  in  dalma- 
tinischen Urkunden  schon  im  9. — 11.  Jahrhundert.  Groß  ist  ihre 
Zahl  in  den  altserbischen  und  den  ragusanischen  Denkmälern  des 
1.3. — 14.  Jahrhunderts;  ein  Teil  davon  ist  rein  rumänisch,  wie 
Bun,  Ursul,  Fecor,  Barbat  oder  Bukor,  während  andere  slawisch 
sind,  mit  dem  nachgestellten  rumänischen  Artikel,  wie  Gradul, 
Radul  oder  Vladul.  Einzelne  Spuren  sind  in  Orts-  und  Flur- 
namen zu  bemerken,  z.  B.  im  Bezirk  von  Dragacevo  (Kreis  von 
Rudnik)  im  Königreich  Serbien :  Dorf  Negrisori,  Anhöhe  Korona, 
zwei  Berge  Kornet  (cornetum)  und  Loret  (lauretum),  eine  Flur 
Prijot  (dakorum.  preot  presbyterj  -).  In  Montenegro  führen  zwei 
der    höchsten    Berge    romanische   Namen,    ursprünglich    Personen- 


1)  Weigand,  Die  Aromunen  1  (189.5),  275,  303. 

2)  Erdeljauovic,  Naselja  1,  69,  204  f. 


156  Drittes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

namen  (von  videre  und  dormire):  Visitor  (schon  1330)  und  Dur- 
mitor.  Im  Osten  bestehen  zahlreiche  Reste  rumänischer  Orts- 
namen in  dem  Berglande  zwischen  Nis  und  Sofia  ^). 

Das  wlachische  Hirtenleben  war  an  die  Abwechslung  zwischen 
Sommerweide  (Ijetiste)  und  Winterweide  (zimiste,  x^if.iccdiov ,  lat. 
hiberna)  gebunden.  Ursprünglich  lagen  beide  oft  nahe  beiein- 
ander, z.  B.  in  der  Urkunde  von  Zica  (um  1220)  die  Somraer- 
"weide  am  Berge  Kotlenik,  die  Winterweide  im  nahen  Tale  des 
Ibar.  Bedeutende  klimatische  Unterschiede  gab  es  im  Küsten- 
lande zwischen  den  kühlen  Alpentrii^en  des  Hochgebirges  und 
dem  Winterlager  am  warmen  Meeresufer  von  Alessio  bis  zur 
Narenta.  Novakovic  macht  darauf  aufmerksam,  daß  in  den  älteren 
Urkunden  die  Wlachen  nur  mit  dem  Namen  ihrer  Häuptlinge  und 
mit  ihren  eigenen  Personennamen  genannt  werden,  ohne  die  Dörfer 
näher  zu  bezeichnen ;  die  Bestimmung  der  Wohnorte  nimmt  wahr- 
scheinlich mit  der  Zunahme  der  Seßhaftigkeit  immer  mehr  zu  2), 
Das  Hirtendorf  heißt  seit  dem  13.  Jahrhundert  „Katun";  es  ist 
ein  Lager,  nach  der  militärischen  Terminologie  der  Byzantiner  3). 
In  Montenegro  versteht  man  noch  jetzt  unter  Katun  die  Gruppen 
der  hölzernen  Hütten  auf  der  Sommerweide;  die  Umgebung  von 
Cetinje  heißt  danach  Katunska  Nahija.  Die  Hirtendörfer  führten 
meist  die  Namen  der  Häuptlinge,  z.  B.  Ursulovac  von  einem  Ursul. 
Eine  Spur  alter  Wanderungen  aus  dem  Donaugebiet  südwärts 
enthält  der  Name  der  Vlasi  Sremljane  in  der  Urkunde  von  De- 
cani  (1330),  jetzt  Dorf  Sermiani  bei  Pec;  es  sind  „Wlachen  von 
Sirmium'^  (slaw.  Srem).  Die  Landschaft  Stari  Vlah,  „der  alte 
Wlache"  in  der  Gegend  von  Sjenica,  jetzt  zum  Teil  im  König- 
reich Serbien  im  Srez  von  Moravica,  enthält  nur  einen  Häupt- 
lingsnamen der  Berghirten ;  Leute  Starovlah,  Starovlahoviö  werden 
im  15.  Jahrhundert  urkundlich  genannt.  Der  mittelalterliche  Katun 
zählte   nach    den   Untersuchungen    von    Novakovic    11  — 105    Fa- 


1)  Weigand,  XIII.  Jahresbericht  des  Inst.  f.  rumän.  Sprache  (Leipzig 
1908)  40  f. 

2)  Novakovic,  Selo  32f. 

3)  Mittelgriech.  fj  xarouva  Lager,  xaTovrfvw  lagern,  romanischen  Ur- 
sprungs :  itai.  cautone  Ecke  (davon  die  Schweizer  Kantone),  franz.  cantonner 
lagern,  sich  verschanzen. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  157 

milien,  aber  die  einzelne  Familie  war  in  der  Regel  klein,  höchstens 
14  männliche  Köpfe  stark.  Da  die  Wlachen  in  Serbien,  Bosnien 
und  Kroatien  nur  eine  sporadische,  zusammenhangslose  Bevölkerung 
bildeten,  konnte  sich  ihre  Sprache  nicht  auf  die  Dauer  behaupten. 
Nach  einem  Zustand  von  Doppelsprachigkeit  gewann  das  Slawische 
die  Oberhand.  Es  sind  Verhältnisse,  die  an  den  Rückgang  der 
Romanen  in  den  deutschen  Alpenländern  erinnern.  Noch  im 
16.  Jahrhundert  redeten  die  Wlachen  in  den  Bergen  des  küsten- 
ländischen Kroatiens  nach  dem  Zeugnis  des  Negri  eine  Sprache 
mit  verdorbenen  lateinischen  Worten.  Die  türkischen  Invasionen 
zersprengten  sie  von  dort  gegen  Nordwesten  auf  die  Quarnerischen 
Inseln  und  nach  Istrien.  Die  Nachkommen  der  Wlachen,  die 
145U — 1480  auf  die  Insel  Veglia  übergesiedelt  sind,  sprachen  im 
Dorfe  Poljice  noch  in  der  Napoleonischen  Zeit  rumänisch  i).  Andere 
saßen  um  1690  nach  den  Sprachproben  bei  Fra  Ireneo  della  Croce 
in  einigen  Dörfern  bei  Triest.  Der  letzte  noch  fortlebende  kleine 
Rest  ist  die  Sprache  der  Rumänen  in  einigen  Gemeinden  im  Osten 
Istriens. 

Die  Romanen  der  Städte  von  Dalmatien  und  Praevalis,  meist 
Seefahrer,  Kaufleute,  Handwerker  und  Fischer,  waren  durch  Ur- 
sprung und  Sprache  ganz  verschieden  von  diesen  rumänischen 
Berghirten '■^).  Man  nannte  sie  Romani,  später  meist  Latini, 
slawisch  noch  in  den  serbischen  und  bosnischen  Urkunden  1200 — 
1250  Wlachen  (Vlasi);  selbst  um  1600  bedeutete  in  Ragusa 
„vlaski"  (wlachisch)  italienisch.  Diese  Reste  der  alten  Römer 
übten  auf  die  Slawen  Dalmatiens  infolge  der  Nachbarschaft  und 
des  täglichen  Verkehrs  einen  größeren  kulturellen  Einfluß  aus,  als 
die  Griechen.  Im  alten  Praevalis  lagen  ihre  Stadtgemeinden  dichter 
beisammen.  In  Dulcigno  gab  es  z.  B.  gegen  Ende  des  Mittelalters 
Patrizierfamilien  Campanario,  Paladino,  Rosa,  Taliaferri,  in  Dri- 
vasto  Palombo  (Colomba),  de  Leporibus,  Summa,  Bello.  Als  Flur- 
namen findet  man  in  den  Urkunden    bei  Antivari  Monte  Cavallo, 


1)  Aufzeichnungen    des    Feretid     1819:      Zbornik    za    nar.    zivot  9 
(1904)  15  f. 

2)  Besonders   in   der   Stellung   des    Artikels.      Rumänisch  postponiert: 
ursul,  surdul.     Altdalmatinisch:  lu  reame  (regnum),  lu  mircat  (mercatum). 


158  Drittes  Bucli.     Erstes  Kapitel. 

Fontana  leprosa,  Tomba,  einen  Bach  Spinosa,  bei  Drivasto  Fundina 
und  Cruce.  Weiter  nördlich  waren  die  Städte  in  Dalmatien  spär- 
licher verteilt,  worauf  sich  ihre  Reihe  über  die  Quarnerischen  Inseln 
an  die  alten  Kommunen  im  Westen  Istriens  anschloß.  Die  meisten 
waren  innerhalb  ihrer  Mauern  und  Türme  eng  zusammengedrängt, 
ein  Winkelwerk  von  Laubengängen  mit  Felstreppen  und  wenigen 
freien  Plätzen,  z.  B.  in  dem  zur  Winterszeit  von  der  Sonne  so 
wenig  beschienenen,  ringsumher  von  hohen  Bergen  umschlossenen 
Cattaro,  im  ältesten  hoch  gelegenen  Teil  von  Ragusa  oder  in  dem 
in  die  Mauern  des  Diokletianischen  Palastes  hineingebauten  Spalato. 
Residenz  der  Behörden  war  im  12.  Jahrhundert  in  Spalato  und 
Ragusa  ein  „kaiserlicher  Turm"  (imperialis  turris).  Die  kleinen 
Territorien  auf  dem  Festlande  wurden  z.  B.  in  Zara,  Trau  und 
Ragusa  Starea  oder  Astarea  genannt,  ein  Ausdruck,  der  auch 
in  Korfu  und  Negroponte  wiederkehrt  und  nach  Jorga  das  grie- 
chische fj  oieQEct  (Festland)  ist  i).  Die  zahlreichen  Ortsnamen  vor- 
slawischen Ursprungs  zeigen,  daß  es  einmal  auch  eine  romanische 
Insel-  und  Landbevölkerung  außei'halb  der  Städte  gegeben  hat, 
die  jedoch  frühzeitig  verschwunden  ist.  Merkwürdig  ist  in  allen 
diesen  Stadtgemeinden  das  Fortleben  der  spätrömischen  Personen- 
namen bis  zu  Ende  des  Mittelalters:  Bonus,  Lampridius,  Lucarus, 
Praestantius,  Sabinus,  Tiberius,  Ursacius  u.  a.  Herrschend  in  der 
Gemeinde  waren  erbliche  Geschlechter,  entstanden  unter  dem  Ein- 
fluß der  alten  plutokratischen  Kurial Verfassung,  weiche  sich  seit 
IdOO  als  eine  adlige  Kaste  abschlössen.  Die  tüchtigsten  Männer 
hatten  eine  ehrenvolle  Laufbahn  vor  sich,  als  byzantinische  See- 
leute oder  Beamte  oder  als  Diener  Gottes.  Dalmatiner  waren  im 
7.  Jahrhundert  Papst  Johann  IV.  (640—642),  der  Patriarch  Maxi- 
raus  von  Grado  (um  649)  und  der  Erzbischof  Damian  von  Ravenna 
(688 — 705).  Das  Bewußtsein  des  römischen  Ursprungs  war  bei 
den  Patriziern  noch  zu  Ende  des  Mittelalters  lebhaft,  besonders 
bei  den  Spalatiner  Chronisten,  dem  Archidiakon  Thomas  (f  1268) 
und  Micha  Madii  de  Barbazanis  (f  um  1358)  und  bei  dem  Ra- 
gusaner  lateinischen  Dichter  Alius  Lampridius  Cerva  (f  1520). 
Stärker  war  aber  der  Einfluß  der  Nachbarschaft.    In  den  südlich- 


1)  Jorga,  Notes  et  extraits  1,  153. 


Die  Serben  im  7. — 10.  Jahrhundert  usw.  159 

sten  Städten  wurde  das  Romanische  vom  Albanesischen  zurück- 
gedrängt, obwohl  nach  Barletius  die  Drivastiner  noch  im  15.  Jahr- 
hundert als  Nachkommen  römischer  Kolonisten  gelten  wollten. 
Das  Slawische  drang  in  den  nördlichen  Städten  durch  das  weib- 
liche Element  ein,  durch  Heiraten  mit  den  Slawen  der  Umgebung. 
Die  hervorragenden  Familien  von  Zara  waren  im  11.  Jahr- 
hundert verschwägert  mit  den  Königen  von  Kroatien,  die  von 
Ragusa  im  13.  mit  den  Fürsten  von  Chelmo,  die  von  Cattaro  im 
15.  mit  der  Dynastie  der  Crnojevidi  von  Montenegro.  Der  große 
Aufschwung  der  Städte  nach  1200  mit  Erweiterung  der  Mauern 
und  Erwerbung  neuer  Territorien  führte  zur  Aufnahme  zahlreicher 
neuer  Bürger,  vorwiegend  Slawen  aus  der  Nachbarschaft,  Ander- 
seits sind  die  Altbürger  durch  die  furchtbaren  Seuchen  (besonders 
1348)  stark  verringert  worden.  Der  einheimische  romanische 
Dialekt  wurde  im  Norden  verdrängt  durch  die  auf  der  Adria 
herrschende  venezianische  Mundart.  In  Ragusa  beschloß  man  noch 
1472,  das  lokale  Patois,  die  „lingua  Ragusea",  bei  den  Debatten 
in  den  Ratskollegien  allein  zuzulassen,  mit  Ausschluß  der  „lingua 
sclava".  Aber  im  Gegensatz  zu  den  Humanisten  des  15.  Jahr- 
hunderts fühlten  sich  die  Ragusaner  um  160Ü  ganz  als  Slawen, 
was  sich  auch  in  den  Geschichtswerken  des  Orbini  und  Luccari 
bemerkbar  macht. 


Zweites  Kapitel. 

Heidentum  und  Christentum  i). 

Das  Material  über  das  Heidentum  der  Südslawen  ist  sehr 
gering.  Der  letzte  Bericht  ist  der  des  Prokopios  (S.  76).  Nach 
der  Ansiedlung  in  den  Balkanländern  ist  der  alte  Götterdienst  vom 
Christentum  leicht  und  ohne  Kampf  verdrängt  worden.  Die  letzten 
Heiden  waren  im  Westen  der  Halbinsel  die  unter  Basilios  1.  ge- 
tauften Narentaner,  die  am  Ende  des  9.  Jahrhunderts  von  Bischof 
Klemens  bekehrten  Slawen  Makedoniens  und  die  dem  Götzendienst 
(error  Idolatrie)  ergebenen  Kroaten,  für  die  im  11.  Jahrhundert 
das  Bistum  von  Agram  gegründet  wurde.  Ihren  primitiven  Natur- 
dienst zu  beschreiben  hat  sich  niemand  die  Mühe  genommen.  Die 
vielen  heute  noch  bemerkbaren  Überreste  des  heidnischen  Glaubens 
sind  im  Laufe  von  mehr  als  einem  Jahrtausend  zu  sehr  beeinflußt 
von  fremden  Elementen,  altillyrischen  und  romanischen  Vor- 
stellungen ,  christlichen  Legenden  und  Apokryphen ,  griechisch- 
orientalischen Sagen  und  Märchen,  als  daß  sich  daraus  ein  System 
der  südslawischen  Mythologie  zusammenstellen  ließe.  An  den  rus- 
sischen Donnergott  Perun,  bei  welchem  die  heidnischen  Russen 
in  den  Verträgen  mit  den  Byzantinern  im  10.  Jahrhundert  den 
Eid  leisteten,  erinnern  nur  einige  Ortsnamen,  wie  ein  Dorf  Perun 
bei  Spalato,  ein  Berg  Perun  bei  Lovrana  in  Istrien  und  der  Name 
der  Schwertlilie    (Iris,  serbokrat.  perunika).     Mit    dem    russischen 


1)  Slawische  Mythologie:  Krek,  Einleitung  in  die  slaw.  Literatur- 
geschichte'' 377  f.  Leger,  Mythologie  slave,  Paris  19  1.  Zahlreicte  Abb. 
von  Jagic  und  Brückner  im  Arch.  slaw.  Phil.  Nodilo,  Religion  der 
Serben  und  Kroaten  auf  Grundlage  der  Lieder,  Märchen  und  der  Sprache: 
Ead  77—101  (I885f.). 


Heidentum  und  Christentum.  löl 

Viehgott  Volos  oder  Veles  wird  zusammengestellt  die  Stadt  Veles 
am  oberen  Vardar,  ein  Berg  und  ein  Weiler  Veles  im  westlichen 
Serbien  ^)  und  ein  Dorf  Velesnica  an  der  Donau  unterhalb  Kladovo. 
Eine  von  Novakovic  aufgezeichnete  Erzählung  aus  der  Macva 
nennt  den  bogomilischen  Satanael,  den  \A'idersacher  des  im  Himmel 
herrschenden  Gottes  des  Hei'rn  (Gospod  Bog),  „den  Kaiser  (car) 
Dabog  auf  Erden'' 2);  das  erinnert  an  den  russischen  Dazbog 
(oder  Dazdbog,  wörtlich  „gib  Gott"),  dessen  Götze  einst  in  einer 
Gruppe  von  Idolen  vor  der  Residenz  in  Kiew  stand  und  der  in 
der  christlichen  Periode  als  Personenname  in  Rußland,  Polen  und 
in  der  Moldau  wiederkehrt.  Der  Kult  der  Südslawen  scheint  ein 
bildloser  gewesen  zu  sein,  wie  der  der  Litauer.  Götzenbilder,  wie 
bei  den  Russen  der  hölzerne  Perun  mit  silbernem  Kopf  und  golde- 
nem Schnurrbart  vor  dem  Schloß  von  Kiew  und  wie  die  Götter- 
statuen bei  den  Elbeslawen,  sind  im  Süden  nicht  nachweisbar. 
Alle  slawischen  Bezeichnungen  der  Idole  sind  Fremdwörter,  zum 
Teil  ori.-ntalischen  Ursprungs:  kumir,  kap  oder  kapiste  und 
balvan^j,  das  bei  den  Serben  als  Flurname  in  alten  Urkunden, 
als  Dojfname  (Bovan  in  Montenegro,  bei  Stolac,  Visegrad  und 
Krusevac)  und  als  Burgname  (Bolvan,  j.  Bovan  bei  Aleksinac) 
vorkommt. 

Kleinere  Wesen  sind  aus  dem  Aberglauben  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  nicht  verschwunden.  Die  Nymphen  {vif.i(fai )  und  Fluß- 
geister {noiauoi),  welche  Prokopios  erwähnt,  Geister  der  Quellen, 
Bäche,  Flüsse,  Wälder,  Berge,  Wolken,  sowie  des  Meeres  wurden 
als  weibliche  Feen  gedacht  und  Vila  genannt.  Der  Übersetzer 
der  Chronik  des  Geoigios  Hamartolos  hat  die  Sirenen  als  Vilen 
wiedergegeben.  In  einer  Urkunde  des  13.  Jahrhunderts  wird  bei 
Prilep  eine  „Vilenquelle"'  (Vilsky  kladez)  genannt^);  ebenso  gibt 
es  in  Montenegro  einige  Quellen  Vilina  Voda,  eine  davon  am 
Berge  Kom  (Vilin  izvor),  im  Kreis  von  Rudnik  ein  „Vilenwässer- 
chen'",   Vilina  Vodica.      Bei    den   ragusanischen  Dichtern    der  Re- 


1)  Naselja  1,  159  f. 

2)  Arch.  slaw.  Phil.  5  (1881)  S.  11,  166. 

3)  Balvany   iHöwlu   im   serb.    Nomokanon:   Starine    6,   84.     Vgl.    Ber- 
neker,  Etym.  Wbch. 

4)  äafafi'k,  Pamätky  25. 

Jirecek,  Geschiciite  der  Serben.    I.  H 


163  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

naissance  übernehmen  die  Vilen  die  Rolle  der  klassischen  Nymphen, 
Dryaden,  Najaden  oder  Oreaden.     Sehr  gut  bekannt  sind  sie  aus 
den  im   19.  Jahrhundert  gesammelten    südslawischen  Liedern    und 
Sagen  ^).    Es  sind  schöne,  ewig  junge  Mädchen,  in  leichten,  weißen 
Kleidern,   mit  langem,   auf  Schultern  und  Busen  herabhängendem 
Haar    und   süßer  Stimme,   mitunter  bewaffnet  mit  Pfeilen.     Unter 
lieblichem  Gesang   tanzen   sie   in   der  Nacht   auf  den  Bergwiesen 
und  Berggipfeln.    Dort  findet  man  oft  ihren  Tanzplatz,  den  „Vilen- 
kreis  '  (Vilje  kolo,  Vihno  kolo),    einen  Kreis  oder  Halbkreis    von 
Schwämmen,  Erdbeeren  oder  anderen  Blattpflanzen,    mitunter  nur 
von  üppigerem  Gras,  von  verschiedenem  Umfang,  je  nachdem  der 
Windeswirbel  den  Samen  mit  größerer  oder  gei'ingerer  Stärke  aus- 
einandergestreut  hat.     Es   sind    die  „fairy  rings"   der  Engländer, 
die   „cercles   des  fees"    der   Franzosen.     Niemand  wagt  es,   einen 
solchen  Ring  bei  Nacht  zu  betreten,    ihn  aufzuackern  oder   darin 
Heu  zu  mähen.    Ein  solcher  Vilenkreis  am  Berge  Kom  in  Monte- 
negro zählt  20  Meter  im  Durchmesser.     Ein  großes  Viljo  Kolo  in 
der  Wildnis   zwischen  Vranja  und  Küstendil,    durch    welches   die 
Grenze  zwischen  Serbien  und  Bulgarien  mitten  durchgeht,   ist  als 
Bergname  sogar   im  Berliner  Vertrag  erwähnt  -).     Anderswo    gibt 
es  Höhlen,  in  denen  die  Feen  hausten  (Vilina  peöina,  Vihna  spila), 
eine  im  Gebiet  der  Zubci,  andere  bei  Cetinje  und  am  Kom,  vier 
an    der    Ombla    bei    Ragusa  ^).       Die    Vilen     verursachen     atmo- 
sphärische Erscheinungen,  Wolken,  Stürme  und  Hagelwetter.    Mit- 
unter   verwandeln    sie    sich    in    Schlangen    oder    Schwäne.      Den 
Menschen  sind  sie,  wie  die  Nymphen  des  Altertums,  oft  gut  und 
freundlich  gesinnt.    Sie  sind  Freundinnen  der  Helden,  können  mit 
Frauen     Mahlschwesterschaft,     mit     Männern     Wahlbruderschaft 
schließen  oder  gar  heiraten  und  Kinder  haben.    Als  Prophetinnen 
und   Heilkünstlerinnen    bringen  sie  den  Bedrängten  Rettung.     Be- 


1)  Kukuljevic,  Arkiv  jug.  1,  1  (1851)  86-104.  Nodilo,  Rad  9' 
(1888)  181— '2-21. 

2)  Rovinskij,  Sbornik  russ.  Akad,  69  (1901)  513.  Berge  Vilioo 
Kolo,  Vilje  Kolo:  Naselja  1,  177;  2,  339;  3,  205,  614,  634,  654.  Sommet 
du  „Vilogolo":  Berliner  Vertrag  Art.  2;  vgl.  Milicevic,  Godisnjica  4 
(1882)  280  und  mein  Fürsteutum  Bulgarien  91. 

3)  Naselja  2,  1231.     Rovinskij  510,  512. 


Heidentum  und  Christentum.  105 

leidigt  und  eifersüchtig  gemacht  werden  sie  böse,  töten  den  Men- 
schen mit  Pfeilen,  ziehen  ihn  in  tiefe  Wässer  hinab,  machen  ihn 
wahnsinnig  oder  zerstören  über  Nacht  sein  bei  Tage  mühselig 
aufgerichtetes  Bauwerk.  Verschieden  von  den  Vilen  sind  weibliche 
Wesen,  welche  in  der  Art  der  römischen  Parzen  oder  der  ger- 
manischen Nornen  bei  der  Geburt  des  Menschen  sein  Schicksal 
bestimmen,  „rozdenica"  in  der  Übersetzung  der  Chronik  des 
Georgios  Hamartolos,  „rozanica"  der  altrussischen  Denkmäler, 
„rodjenice"  oder  „sudjenice"  der  Slowenen  und  Kroaten.  An  ihre 
Stelle  tritt  oft  ein  männliches  Wesen,  bei  den  alten  Russen  der 
Rod   (Geburt),  bei  den  Serben  der  Usud  (Schicksal)  '), 

Nach  den  Anschauungen  der  Montenegriner  hat  jedes  Haus 
seinen  Schutzgeist,  Sjen  (wörtlich:  Schatten)  oder  Sjenovik  genannt; 
es  kann  ein  lebender  Mensch,  ein  Hund,  eine  Schlange  oder  ein 
Huhn  sein.  Ebenso  haben  Seen,  Berge,  Wälder  ihre  Sjeni,  die 
man  auch  mit  einem  türkischen  Worte  Dzin  nennt.  Der  Sjen 
z.  B.  des  Berges  Rijecki  Kom  auf  der  Insel  Odrinska  Gora  am 
Nordende  des  Sees  von  Skutari  erlaubt  niemand,  auch  nur  einen 
Zweig,  einen  Grashalm  oder  ein  kleines  Körnchen  aus  dem  immer- 
grünen Wald  wegzutragen;  den  Übeltäter  verfolgt  er  durch  Nebel 
und  wunderbare  Luftspiegelungen.  Ahnliche  Waldgeister  fürchten 
die  Albanesen  in  den  Nadelholz wäldern  der  Landschaft  Lurja,  wo 
man  nicht  einmal  die  trockenen  Aste  vom  Boden  aufzuheben  wagt  -). 
Das  erinnert  ganz  an  die  heiligen  Haine  der  alten  Litauer.  In 
späteren  Quellen  erscheinen  die  bösen  „bjesi",  Dämonen  oder 
Teufel,  zu  denen  die  Christen  auch  die  heidnischen  Götter  rech- 
neten '^j. 

Dazu  kommen  böse  Geister,  welche  durch  Verwandlungen 
von  lebenden  und  toten  Menschen  entstehen.  Der  unter  den  eu- 
ropäischen Völkern  sehr  verbreitete  Glaube  an  den  Werwolf  fließt 
bei  den  Slawen  mit  den  Vorstellungen  über  die  Vampire  zu- 
sammen.   Schon  Herodot  erzählt,  daß  sich  bei  den  Neuren  (S.  67) 


1)  Valjavec  im  Knjizevnik   2  (1865)  52 — 61;  Polivka,  Arch.  slaw. 
Phil.  14  (1892)  137-141. 

2)  Rovinskij    a.    a.    0.    502.      Steinmetz,    Von    der    Adria    zum 
Schwarzen  Drim  (Sarajevo  1908)  49. 

3)  Nach  Miklosich  von  der  Wurzel  bi  schlagen. 

li* 


164  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

im  jetzigen  südwestlichen  Rußland  jedermann  einmal  im  Jahr  auf 
einige  Tage  in  einen  Wolf  zu  verwandeln  pflege.  Bei  den  Slawen 
heißt  der  Mann  in  Wolfsgestalt  Vlkodlak,  serbokroatisch  jetzt 
Vukodlak  ^).  Die  Vlkodlaci  bewirkten  nach  den  heidnischen  Vor- 
stellungen Sonnen-  und  Mondesfinsternisse.  Eine  Glosse  des  ser- 
bischen Nomokanons  von  1262  sagt:  „Die  Verfolger  der  Wolken 
werden  von  den  Bauern  (seljane)  Vlkodlaci  genannt.  Wenn  sich 
der  Mond  oder  die  Sonne  vermindert,  sagen  sie:  die  Vlkodlaci 
haben  den  Mond  aufgefressen  oder  die  Sonne.  Aber  alles  dies 
sind  Fabeln  und  Lügen  ^)."  Auch  in  den  Gedichten  des  Ragu- 
saners  Sisko  Mencetic  (f  1527)  liest  man  ein  Gleichnis:  „Wie  der 
Mond,  wenn  ihn  der  Vukodlak  frißt  ^)."  Heute  noch  meinen  die 
serbischen  Bauern,  daß,  wenn  eine  Sonnen  oder  Mondesfinsternis 
eintritt,  diese  Himmelskörper  von  einem  Drachen,  den  man  am 
Timok  Vrkolak  nennt,  verschlungen  werden.  Die  Leute  trommeln 
auf  Kessel  und  Pfannen,  läuten  die  Glocken  und  feuern  ihre  Ge- 
wehre ab,  bis  das  Ungetüm  verscheucht  ist '^).  Eine  1452  ge- 
schriebene Anleitung  iür  katholische  Beichtväter  im  kroatischen 
Küstenlande  sagt:  „Wenn  jemand  meint,  daß  sich  Frauen  in 
Zauberinnen  (vjesce)  oder  Männer  in  Vlkodlaci  verwandeln  können, 
darf  man  das  nicht  glauben  ^)/'  Solche  Transformationen  lebender 
Menschen  kennt  auch  der  heutige  Volksglaube  Der  Vjedogonja 
(wörtlich  Hexenjäger),    Zduh    oder  Zduhac  ""j  in  Montenegro,    der 


1)  Vlk  Wolf;  „dlak  ist  dunkel",  Miklosich,  Etym.  Wort.  380  (vgl. 
dlaka  Haar). 

2)  Jagic,  Starine  6  (1874)  83.  lu  der  altböhm  Alexandreis  fressen 
den  Mond  bei  der  Verfinsterung  die  „vedi"  (Hexen),  welche  im  Dunkel 
Hanf  spinnen:  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil.  5  (1881)  689.  Vgl.  Nestor  ed. 
Miklosich  p.   102 

3)  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil.  5  (1881)  91. 

4)  Milicevic,  Srpski  etnografski  zbornik  1,  53  (nro.  14,  15),  .59.  Bei 
den  Rumänen  der  Bukowina  sind  die  „vircolaci"  Drachen  mit  Hundeköpfen; 
bei  der  Verfinsterung  beißen  sie  die  Sonne  oder  den  Mond,  verbrennen  sich 
aber  und  müssen  zurückweichen:  Weslowski,  Zeitschr.  für  österr.  Volks- 
kunde 12  (19U6)  163 

5)  Mom.  bist   jur.  6,  197. 

6)  Russ.  ved'ma,  altböhm.  ved'  Hexe,  von  der  Wurzel  ved-  wissen; 
gouiti  verfolgen      Zduh  von  serbokroat.  duhati  blasen. 


Heidentum  und  Christentum.  165 

Herzegowina  und  der  Landschaft  von  Cattaro  ist  die  Seele  eines 
schlafenden  ]\Ienschen ,  welche  in  der  Nacht  im  Wind  auf  die 
Berge  emporfliegt.  Auf  den  Höhen  versammeln  sich  diese  Geister 
in  großen  Scharen,  kämpfen  miteinander,  entwurzeln  Bäume  mit 
Riesenstärke  und  bringen  Steinblöcke  ins  Rollen.  Besonders  im 
Herbst  und  Frühling  hört  man  ihr  Heuleu,  Pfeifen  und  Stöhnen 
die  ganzen  Nächte  hindurch.  In  ihren  Heerscharen  versammeln 
sich  nicht  nur  Menschen  aller  Nationen,  sondern  auch  Geister  von 
Tieren,  von  Hähnen,  Hunden,  vor  allem  von  Ochsen.  In  den 
Bergen  von  Montenegro  kämpfen  die  Geister  von  beiden  Seiten 
des  Adriatischen  Meeres,  die  einheimischen  und  die  „überseeischen" 
(prekomorski ).  Die  siegende  Partei  bringt  ihrem  Lande  Frucht- 
barkeit und  Fülle  aller  Erzeugnisse  der  Viehzucht  und  des  Garten- 
und  Feldbaues.  Diese  Personifikationen  der  Winterstürme  gelten 
als  gut  und  gescheit.  Böse  ist  die  Vjestica,  in  welche  sich  eine 
schlafende  alte  Frau  verwandelt,  seltener  ein  Mann.  Sie  fliegt  in 
Gestalt  eines  Schmetterlings  oder  Vogels  auf  schlafende  Leute,  be- 
sonders Kinder,  saugt  ihnen  das  Blut  ab  oder  frißt  ihnen  das 
Herz  durch  eine  unsichtbare  Öffnung  stückweise  aus  dem  Leibe. 
Mitunter  pflegen  sich  die  Vjesticas  in  Scharen  auf  Bäumen  oder 
Berggipfeln  zu  versammeln  ^). 

Sehr  verbreitet  ist  bis  auf  unsere  Zeit  die  Vorstellung,  daß 
sich  Leute  bald  nach  dem  Tode  in  „Vukodlaci"  oder  „Vampiri" 
(in  Montenegro  ,,lampir'^  oder  „tenac")  verwandeln,  in  der  Nacht 
an  Menschen  und  Vieh  Blut  saugen  und  wieder  klein  wie  eine 
Maus  ins  Grab  schlüpfen.  Da  wird  ein  schwarzer  fleckenloser 
Hengst  auf  den  Friedhof  geführt,  um  das  Grab  des  Vukodlak  auf- 
zufinden. Die  Leiche  wird  ausgegraben,  mit  einem  aus  dem  Holze 
von  Weißdorn  Tglog)  oder  der  Kornelkirsche  (drjen)  geschnittenen 
Pfahl  durchspießt  und  verbrannt.  Das  Gesetzbuch  des  Zaren 
Stephan  Dusan  bestimmt,  daß  ein  Dorf,  in  welchem  Leichen  mit 
Zauberei  aus  den  Gräbern  genommen  und  verbrannt  wurden, 
Wergeid  zu  zahlen  habe,  wie  nach  einer  Mordtat;  war  der  Pope 
dabei,    verliert   er    sein  Amt  2).      Miliceviö   erzählt   einen  Fall  aus 

1)  Serbokroat.  vjest  kundig,  erfahren.  Vgl.  Vuk  Karadzic,  Lexikon 
und  Rovinskij  a.  a.  0.  518  f. 

2)  Zakonik  Art.  20;  vgl.  die  Erläuterungen  von  Novakovic   S.  159. 


Ißß  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Serbien  aus  dem  Anfang  des  19.  Jahrhunderts,  wo  der  Geisthche 
bei  der  Leichenverbrennung  aus  dem  apokryphen  „Donnerbuch'' 
(Gromovnik)  Gebete  vorlas.  Später  wurden  in  Serbien  die  Schul- 
digen wegen  der  Ausgrabung  von  Leichen  mit  Stockstreichen  be- 
straft. In  Montenegro  bemühte  sich  um  die  Ausrottung  dieser 
Sitte  der  Vladika  Peter  II.,  doch  einzelne  Fälle  reichen  bis  in  die 
neueste  Zeit,  ebenso  in  Bosnien,  in  Istrien  und  in  Bulgarien  i). 
Derselbe  Aberglaube,  mit  demselben  slawischen  Terminus,  ist  ver- 
breitet bei  den  Rumänen,  Albanesen  und  Neugriechen  -). 

Die  Lobrede  auf  die  Slawenapostel  von  Thessalonich  sagt, 
diese  Brüder  hätten  das  Gesetz  Gottes  bekanntgemacht  einem 
Volke,  welches  „dem,  was  ihm  begegnete,  sich  unterwarf  und  sich 
davor  wie  vor  Gott  verbeugte,  vor  dem  Geschöpf  an  des  Schöpfers 
Stelle"  3|  Gemeint  ist  vor  allem  die  Verehrung  der  Himmels- 
körper. Noch  in  dem  erwähnten  glagolitischen  Beichtspiegel  von 
1452  heißt  es:  „Wenn  sich  jemand  vor  der  Sonne  oder  dem  Mond 
oder  einem  anderen  Geschöpfe  verbeugt  und  Gebete  spricht:  wer 
das  tut,  begeht  eine  Todsünde^;."  Heute  noch  spielen  Sonne 
(serbokroat.  sunce,  neutr.)  und  Mond  (mjesec,  raask.)  in  den  volks- 
tümlichen Anschauungen  eine  große  Rolle;  es  gibt  serbische  und 
bulgarische  Lieder  über  die  Heirat  der  Sonne  und  des  Mondes  '^). 
Von  den  Sternen  stehen  im  Vordergrund  der  Morgenstern  (danica) 
und  die  Plejaden,  bei  den  Serben  als  „sieben  Brüder"  bezeichnet e). 
Auch  Feuer  und  Blitz  wurden  angebetet ;  die  alten  Russen  brachten 
ihnen  Opter   dar.     Das    von  Lavrov    unlängst   entdeckte  Officium 

1)  Rovinskij  a.  a.  0.  524f.  Lilek,  Wiss.  Mitt.  8  (1902)  269 
Caric  ib.  6  (18991  592.  In  Abbazia  1882:  Arch.  slaw.  Phil.  6  (1882)  6i8f. 
Mein  Fürstentum  Bulgarien  100 f. 

2)  Des  Mönches  Markos  von  Serrai  Z^rtiacg  neql  ßovXxoXäx.v, 
herausg.  von  Lampros:  Niog  'EUrivofxvtifiuv  1  (19ü4)  ^36-352. 

3)  Starine  1,  6i. 

4)  Mon    hist.  jur.  6,  196. 

5)  Krek  ^831  f.  Rovinskij  a.  a.  0.  454.  Drinov  im  Periodicesko 
Spisanie  12  (Braila  1876)  153 f.:  Heirat  der  Sonne  mit  dem  Morgenstern, 
wobei  Ognen  (das  Feuer)  als  Bruder  der  Sonne  auftritt. 

6)  Milicevic  a.  a.  0.  1,  60  nro.  8  bringt  zwei  Serien  der  sieben 
Namen.  Die  Plejaden  heißen  sonst  serb.  Vlasici  (die  Wlachensöhne),  bulg. 
kokoski  (die  Hühner). 


Heideututn  und  Christeütum.  167 

des  heiligen  Naum  erwähnt,  daß  die  makedonischen  Slawen  früher 
Steine  und  Bäume  verehrten  ^). 

Ebenso  ist  von  dem  Tierglauben  noch  manches  vorhanden. 
Der  Bär ,  der  aufrecht  gehen  kann ,  gilt  bei  den  Serben  als  ein 
zur  Strafe  in  ein  Tier  verwandelter  Mensch.  Die  Montenegriner 
betrachten  auch  den  in  den  Nächten  wie  ein  Kind  kläglich  win- 
selnden Schakal  als  einen  Halbmeuschen.  Unter  dem  Schutz  der 
Feen  und  der  Berggeister  stehen  die  Gemsen,  die  dem  Jäger  auch 
bei  eifriger  Verfolgung  entrinnen.  Die  Vilen  haben  Bruderschaft 
mit  Gemsen  oder  Rehen  und  schützen  sie.  Als  große  Sünde  gilt 
es  in  Serbien  und  Montenegro,  ein  Wiesel  (lasica)  zu  töten.  Über 
alle  Weltteile  und  Zeiten  ist  der  Schlangenkult  verbreitet.  Auch 
in  Serbien  und  Montenegro  kennt  man  die  angeblich  schwarze 
Hausschlange  (kucna  zmija  ,  die  in  einem  Loch  unter  dem  Hause 
lebt  und  niemand  etwas  zuleide  tut;  wenn  man  sie  tötet,  stirbt 
der  Alteste  des  Hauses.  Böse  Ungeheuer  waren  die  Feuerschlangen, 
welche  einst  die  Schiffahrt  auf  dem  See  von  Skutari  bedrohten; 
eine  haust  angeblich  heute  noch  in  dem  kleineu  Alpensee  von 
Rikavac  in  der  Bergwildnis  des  östlichen  Montenegro,  von  wo  aus 
sie  in  der  Welt  herumfliegt  und  unter  Donner  und  Blitz  in  den 
See  heimkehrt.  In  älterer  Fassung  erscheinen  die  „igniti  serpentes" 
auf  dem  Berge  Obliquus  westlich  von  Skutari  in  der  Legende  des 
heiligen  Vladimir  (um  1000);  ihr  Biß  war  für  Menschen  und 
Tiere  tödlich,  bis  sie  infolge  der  Gebete  des  frommen  Serbenfürsten 
plötzlich  durch  ein  Wunder  unschädlich  wurden  ^j.  Sehr  geachtet 
sind  die  Adler,  Falken  und  Schwäne;  es  ist  gut,  wenn  man  von 
ihnen  im  Schlafe  träumt. 

Von  heidnischen  Priestern  werden  neben  anderen  Wahrsagern 
und  Medizinmännern  Zauberer  erwähnt  (vlLhvi,,  Plur.  vltsvi,  russ. 
volsvi),  bekannt  auch  in  Rußland,  wo  sie  im  11.  Jahrhundert  gegen 
das  neue  Christentum  wühlten;  die  kirchenslawische  Evangelien- 
übersetzung hat  schon  im  9.  Jahrhundert  ihren  Namen  zur  Be- 
zeichnung der  heiligen  drei  Könige  benutzt  ^).    Dazu  gehören  die 


1)  Izvestija  russ.  Akad.  12  (1907),  4.  Heft,  S.  11. 

2)  Diocleas  p.  41. 

3)  Vlsvi,  zrci,  fem.  zrica  (Opferer),  obavnici,  carodejci  im  Nomokanon, 


168  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

„resnici",  welche  nach  dem  Gesetzbuch  des  Zaren  Stephan  die 
Leiber  der  Toten  verbrannten.  Resnik,  das  in  Serbien,  Bosnien 
und  Kroatien  noch  als  Dorfname  vorkommt,  bezeichnete  wohl 
einen  „Wahrheitssucher"  i).  Bekannt  ist  besonders  aus  den  Über- 
setzungen der  griechischen  Märtyrergeschichten  die  Terminologie 
der  heidnischen  Opfer  und  Opferstätten  ^).  Auch  da  wurde  einigen 
Ausdrücken  ein  christlicher  Sinn  untergelegt ;  z.  B.  „  trebnik  " ,  ur- 
sprünglich ein  heidnischer  Altar  oder  Tempel ,  hieß  fortan  das 
griechisch  Euchologion  genannte  Kirchenbuch.  Als  Schlachtopfer 
werden  bei  Prokopios  Ochsen  erwähnt,  ebenso  bei  den  Elbeslawen 
und  Litauern  neben  Kälbern,  Böcken  und  Schafen,  bei  den  Russen 
in  den  Berichten  der  Byzantiner  auch  Vögel.  In  Montenegro 
schlachtet  man  bei  einem  Neubau  einen  Widder  oder  Hahn,  um 
die  Ecke  mit  Blut  zu  besprengen,  bei  der  Eröflfaung  einer  neuen 
Quelle  einen  Bock.  Die  Sage  erzählt,  wie  Fürst  Ivan  Crnojevic 
auf  der  Jagd  vor  einer  Höhle  einen  Gemsbock  von  ungewöhn- 
licher Große  erlegte,  der  ganz  naß  das  Wasser  von  sich  ab- 
schüttelte; da  stürmte  plötzlich  aus  der  Höhle  ein  ganzer  Fluß 
heraas,  die  heutige  Rijeka  Crnojevica  ^).  Diese  Vorstellungen  er- 
innern an  die  Funde  von  Ziegenhörnern  und  die  Abbildungen  von 
Böcken  auf  den  bei  einer  Quelle  aufgestellten  Altären  des  illy- 
rischen Gottes  Bindus  im  Gebiet  der  Japoden  ^).  Menschenopfer 
sind  erwiesen  bei  den  Russen  und  Elbeslawen.  Bei  den  Süd- 
slawen tauchen  sie  nur  in  einem  weitverbreiteten  Kreise  von  Sagen 
über  große  Bauten  auf,  die  angeblich  erst  nach  dem  Einmauern 
eines  lebenden  Menschen  gelungen  sind.  Diese  Sage  hört  man 
bei  den  Serben  über  die  Burg  von  Skutari  und  die  Brücke  von 
Visegrad,    bei    den    Bulgaren    über    die   Burg   Lydza-Hissar    bei 


bajalnik  und  vrazalLC  in  der  Übersetzung  des  Syntagma  des  Blastares, 
vlhvica  als  Frau  Mon.  bist.  jur.  6,  196.  Zauberei:  vlhovstvo  (im  Zakonik)» 
vrazanje  (vrag  Feind,  Teufel),  bajanje  (Beschwörung),  carovanje  (car  Zauber 
in  allen  slaw.  Sprachen).     Vgl.  Wiss.  Mitt.  4,  5 19  f.  und  5,  436  f. 

1)  Zakonik    ed.    Novakovic'    23.       Kirchensl.    restni)    wahr,    resuota 
Wahrheit. 

2)  Zreti  opfern,  treba,  zrtva  Opfer,  trebiste,  trebnik  Opferplatz. 

3)  Roviuskij  a.  a.  0.  536. 

4)  Patsch,  Wiss.  Mitt.  6  (1899)  155—156. 


Heideutum  uud  Chri>te:.tum.  16<) 

Philippopel  und  die  „Brücke  des  Kadi"  über  die  Struma,  bei 
den  Neugriechen  über  die  Brücke  von  Arta,  bei  den  Rumänen 
über  die  Kirche  von  Curtea  de  Arges  i).  In  Verbindung  damit 
stehen  wahrscheinlich  gewisse  rätselhafte  Basreliefs,  ovale  mensch- 
liche Gesichter  mit  Augen,  Nasen  und  Mund,  hoch  in  die  Mauer 
eingesetzt.  Ich  sah  drei  solche  Köpfe  in  der  Burg  des  Despoten 
Georg  in  Smaderevo,  auf  der  inneren  Seite  des  mittleren  Turmes 
in  der  Front  gegen  die  Donau,  zwei  im  Kloster  von  Rila  auf 
der  äußeren  Mauer  neben  dem   Dupnicaer  Tor. 

Die  Slawen  verbrannten  ihre  Toten   bei    der  Belagerung  von 
Konstantinopel    626  -),   die   Russen    während   der  Kämpfe  vor  Si- 
listria  971.     In  Rußland  verbrannte  man  die  Leiche   nach   einem 
Totenmahl,  bei  welchem    viel    Met   getrunken    wurde,    auf  einem 
Holzstoß  und  bestattete  die  Asche  unter  einem  von  Erdreich  auf- 
geschütteten Grabhügel  (mogila).    Die  nördlichen  russischen  Stämme 
legten  die  Knochen  in    ein    kleines   Gefäß,    welches   sie   auf  einer 
Säule  am  Rand  des  Weges  aufstellten;  so  taten  es  um  1100  noch 
die    Vjatici.      Am    längsten    lebten    diese     alten    Sitten     bei    den 
Litauern;  zuletzt  wurde  Kejstut,  Bruder    des  Großfürsten  Olgerd, 
1382  nach  heidnischer  Art  begraben,  verbrannt   mit  Waffen    und 
Pferden,  Falken  und  Jagdhunden.    Tumuli  pflegte  man  aber  noch 
in  der  christlichen  Zeit  zu  errichten ;  so  haben  nach  der  Erzählung 
des    Kinnamos    die    Ungarn     1166    einen    gewaltigen    Grabhügel 
iXMf.ia,  iiußag)  über  den  gefallenen  Byzantinern  auf  dem  Schlacht- 
felde zwischen  Sirmium  und  Semlin  errichtet.     Auf  südslawischem 
Boden  hat  man  den  heidnisch  slawischen  und  den    älteren    christ- 
lichen Grabstätten  bisher  wenig  Aufmerksamkeit  zugewendet.    Ein 
Hindernis  ist   der   Umstand,    daß    sie    sich    nicht    selten    an    heute 
noch    benutzte    christliche    Friedhöfe    anschließen.      Daß    von    den 
Slawen    Tumuli    aus    Erde    oder  Klaubsteinen    als  Grabstätten    er- 
richtet, oder  wenigstens  alte  Tumuli  wieder  benutzt  wurden,  sieht 
man    an   den    Personennamen,   mit    welchen    sie   in   alten    Grenz- 
beschreibungen bezeichnet  wurden.     Auf  der  Insel  Brazza  gab  es 

1)  Karl  Dieterich,  Die  Volksdichtung  der  Balkanländer  in  ihren 
gemeinsamen  Elementen:  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  in  Berlin 
1902. 

2)  Theodoros  Synkellos  cap.  18. 


170  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

um  1250  einen  Tumulus  des  Pribidrug  (Pribidruza  gomila)  i),  auf 
den  Gütern  des  Klosters  Baujska  in  der  Zeta  Grabhügel  des 
Vrzinja,  des  Ljubko  und  des  Radj,  auf  den  Gütern  des  Klosters 
von  Prizren  auf  der  Ostseite  des  Sees  von  Skutari  einen  Grabhügel 
der  Thekla,  offenkundig  einer  Christin  -).  Anderswo  wurden  Steine 
aufgestellt,  schwere  Steinplatten  oder  Blöcke,  Würfel  oder  Säulen, 
im  Mittelalter  kami  (Stein)  oder  bilig  (Zeichen)  genannt,  jetzt 
stecak  oder  mramor.  Man  findet  sie  oft  zu  Hunderten  bei- 
einander, im  Bezirk  von  Vlasenica  über  6000  Stück,  in  der  ganzen 
Herzegowina  angeblich  an  22  000;  einige  trifft  man  auch  in  Dal- 
matien,  z.  B.  in  Canali,  in  Montenegro  besonders  bei  Niksici,  in 
Serbien  aber  nur  im  Drinagebiet.  Sie  sind  meist  mit  Figuren 
geziert ,  primitiven  Nachahmungen  römischer  Skulpturen :  säulen- 
artigen Arkaden,  Pflanzenornamenten,  Bäumen,  Schwertern  und 
Schildern,  Bildern  von  Bogenschützen,  reitenden  Jägern  mit  Rehen, 
Bären,  Ebern,  Hirschen  und  Jagdfalken;  es  kommen  auch  Dar- 
stellungen von  Tänzen  vor,  mit  Männern  und  Frauen  in  langen 
Reihen  ^).  Das  Zeichen  des  Kreuzes  weist  in  die  christliche  Pe- 
riode. Inschriften  sind  erst  seit  dem  12.  Jahrhundert  nachweisbar. 
Viele  der  inschriftlcsen  Steine  mögen  aus  den  dunkeln  Zeiten  des 
früheren  Mittelalters  stammen.  Einzelne,  weit  außerhalb  der 
Dörfer  gelegene  Gräber  werden  in  Urkunden  bei  Grenzbeschrei- 
bungen genannt,  bezeichnet  mit  Personennamen:  um  1260  bei  Pec 
ein  Grabfeld  des  Bolesta  (Bolestino  groblje),  1349  bei  Skopje  das 
Grab  des  Druzeta  (Druzetin  grob)  ^).  In  Canali  bei  Ragusa  gab 
es  um  1420  einen  wichtigen  Scheideweg  bei  dem  „Grab  des 
Obugau",  heute  noch  bekannt  als  inschriftloser  Block  Obuganj 
Greb.  Es  war  das  Grab  des  Stammvaters  der  Obuganici,  einer 
Linie  des  Adelsgeschlechtes  der  Ljubibratiöi  im  14.  Jahrhundert^). 
Nach   dem   Absterben    des  Heidentums    hat   die    südslawische 


1)  Mon.  bist.  jur.  6,  8. 

2)  Spomeuik  4,  5.     Glasnik  15,  287. 

3)  Truhelka,  Die  bosnischen  Grabdenkmäler,  Glasnik  bos.  1891  = 
Wiss.  Mitt.  3  (1895)  403—480  mit  Abb.  Rovinskij,  Sbornik  russ.  Akad. 
86  (1909)  214f. 

4)  Spomenik  3,  9.     Mou.  serb.   144. 

5)  Obugagn  Greb  im  Libro  Rosso  f.  448  f.,  Arch.  Rag. 


Heidentum  uud  Christentum.  171 

Sage  vieles  von  den  Romanen  und  Griechen  entlehnt.  Sie  kennt 
die  Kaiser  Trajan  und  Diokletian.  Doch  floß  der  in  russischen 
Denkmälern  unter  den  heidnischen  Göttern  genannte  Trajan  in 
den  Hämusländern  mit  dem  griechischen  Midas  zusammen.  Ritter 
Bertrandon  de  la  Broquiere  hörte  1433  von  den  Griechen  von 
Trajanopolis,  diese  Stadt  habe  Kaiser  Trajan  erbaut,  welcher 
Schafsohren  hatte;  schon  Tzetzes  kennt  die  Geschichte  von  den 
Bocksohren  (wr/a  rgayoi)  des  Kaisers  i).  In  der  jetzigen  ser- 
bischen Trajanssage  erhielt  ,, Trojan"  zu  den  Ohren  des  Midas 
noch  die  Wachsflügel  des  Daidalos.  Der  Dukljan  der  lAIonte- 
negriner  ist  nicht  nur  der  Gründer  der  in  Trümmern  liegenden 
Stadt  Doclea  und  der  Erbauer  ihrer  Wasserleitung,  sondern  auch 
der  Teufel  der  Christen,  Widersacher  Gottes.  Aus  dem  Kreis  der 
mittelalterlichen  Märchen  stammen  die  in  Höhlen  hausenden  Riesen, 
mit  einem  türkischen,  ursprünglich  persischen  Namen  Div  genannt. 
Eine  Abart  waren  Riesen  mit  einem  Auge,  Psoglav,  wörtlich 
„Hundskopf'  genannt,  eine  Art  Kyklopen  oder  Kynoskephalen, 
auch  aus  bulgarischen,  kroatischen  und  slowenischen  Märchen  be- 
kannt. An  der  Moraca  in  Montenegro  zeigt  man  eine  „Wiese  der 
Hundsköpfe'',  Psoglavlja  Livada,  mit  der  Höhle,  in  welcher  sie 
gewohnt  haben  ^). 

Die  Besetzung  der  römischen  Provinzen  durch  die  heidnischen 
Slawen  beschränkte  das  Gebiet  des  Christentums  auf  die  Reste 
des  byzantinischen  Besitzes.  In  Dalmatien  ist  nach  dem  Fall  von 
Salona  das  dortige  Erzbistum  übergesiedelt  in  das  nahe  Spalato, 
wird  aber  in  den  Papstbriefen  des  9.  Jahrhunderts  noch  immer 
als  „  Salonitana  ecclesia "  bezeichnet,  wie  es  denn  auch  seine  Vor- 
rechte auf  das  ganze  Land  bis  zur  Donau  (metropolis  usque  ripam 
Danubii)  betonte  3).  Die  Bistümer  von  Praevalis,  welche  noch 
unter  Papst  Gregor  I.  der  Kirche  von  Justiniana  Prima  unter- 
geordnet  waren,    wurden    der   römischen    Kirche    entzogen,    ohne 

1)  Bertrandon  ed.  Schefer  p.  179. 

2)  Krek  ^277,  384,  783 f.  Rovinskij  a.  a.  0.  493 f.,  502f.  Das 
Lied  über  Zar  Dukljan  bei  Karadzic  2  nro.  17  ist  nach  Jagic,  Arch. 
slaw.  Phil.  4,  238  nicht  volkstümlich,  sondern  entstanden  unter  dem  Einfluß 
von  Büchern. 

3)  Racki,  Doc.  4,  10:  Starine  12,  219. 


173  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Zweifel  von  Kaiser  Leo  dem  Isaurier  (um  731).  In  einem  Texte 
der  griechischen  Bischofskataloge  erscheinen  unter  dem  Metro- 
politen von  Dyrrhachion  15  Bischöfe,  darunter  die  von  Alessio 
(6  ^EXiaoüv),  Dioklia  (6  Jio/2eiag)  ^),  Skodra  (6  ^/.odQav),  Dri- 
vasto  (6  JoiSäoTov),  Pulati  {ö  Ilold^wr),  Dulcigno  (6  ^v/uvidcov) 
und  Antivari  (ö  'AviißccQEcjg)  -).  Diese  Verhältnisse  scheinen  noch 
in  der  Zeit  des  Kaisers  Konstantin  Porphyrogennetos  fortbestanden 
zu  haben,  welcher  Alessio,  Dulcigno  und  Antivari  zu  den  „  Kastellen  " 
von  Dyrrhachion  rechnet  ^).  Die  Bistümer  von  Dalmatien  und 
Istrien  sind  in  keinem  Verzeichnis  der  bischöflichen  Sitze  der 
griechischen  Kirche  genannt,  der  viele  Jahrhunderte  lang  un- 
unterbrochene Einfluß  von  Byzanz  ist  aber  auch  dort  bemerkbar 
in  den  Heiligenkulten,  neben  zahlreichen  altchristlichen  Elementen 
und  den  Spuren  des  kirchlichen  Verkehres  mit  Aquileja,  Raveuna 
und  Apulien  ^).  Der  Protomartyr  Stephan,  der  wegen  der  Iden- 
tität seines  Namens  mit  dem  griechischen  Wort  für  Krone  {ocl- 
(fccvoc)  als  Schutzpatron  des  Konstantinopler  Kaisertums  galt,  er- 
scheint auch  in  den  Kirchennamen  Dalmatiens;  ihm  war  geweiht 
die  Kathedrale  von  Skutari  und  die  älteste  Domkirche  von  Ra- 
gusa. Der  besonders  in  der  Justinianischen  Zeit  blühende  Kultus 
des  syrischen  Märtyrerpaares  Sergius  und  Bacchus  war  vertreten 
dui'ch  eine  Abtei  bei  Skutari  an  der  Bojana  und  durch  Kirchen 
in  Antivari,  Cattaro,  auf  dem  Ragusa  überragenden  Berge  (jetzt 
Srgj)  usw.  In  Zara  gab  es  eine  Sophienkirche  und  zwei  Frauen- 
klöster des  heiligen  Demetrius  und  des  heiligen  Plato.  Außerhalb 
der  Provinzgrenzen  fand  man  im  heidnischen  Gebiete  nur  spora- 
dische Christen  der  älteren  Zeit,  Romanen,  Albanesen  und  Ge- 
piden. 

Die  Christianisierung  der  Serben  und  Kroaten   erfolgte   nach 
Konstantin  Porphyrogennetos  in  zwei  Perioden,  zuerst  unter  Kaiser 


1)  Der  Bischof  residierte  wohl  bei  den  Ruinen  von  Doclea.  Presbyter 
Diocleas  ed.  Crnclc  p.  2ü  kennt  eine  „ecclesia  S.  Mariae  in  civitate  Dio- 
clitaua". 

2)  Hieroclis  Synecdemus  et  Notitiae  graecae  episcopatuum  ed. 
Parthey  p.  125,  220. 

3)  Konst.  Porph.  3,  145. 

4)  Ausführlich  in  meinen  Rom.  Dalm.  1,  4Öf. 


Heidentum  und  Cliristentum.  173 

Heraklios,  welchei'  vom  Papste  in  Rom  Priester  erbeten  habe, 
welche  diese  Volker  bekehrten  und  tauften.  Doch  waren  die 
Slawen  Dalmatiens  noch  zur  Zeit  des  Papstes  Johannes  IV.  (640 
bis  642)  sicher  Heiden  (S.  104),  abgesehen  davon,  daß  Heraklios 
mit  den  Päpsten  nicht  im  besten  Einvernehmen  stand.  Eher  ist 
eine  allmähliche  Ausbreitung  des  Christentums  aus  den  römischen 
Städten  Dalmatiens  anzunehmen,  zuerst  bei  den  Fürstenhöten. 
Daß  die  Kroaten  der  römischen  Kirche  angehörten,  ist  sattsam 
bekannt;  die  Bekehrung  der  Serben  durch  lateinische  Kleriker  ist 
in  die  Periode  642  —  731  zu  verlegen,  nach  Papst  Johannes  IV. 
und  vor  dem  Bruch  Leos  des  Isauriers  mit  Rom.  Zum  zweitenmal 
ließ  Kaiser  Basilios  I.  (um  879)  alle  Ungetauften  im  Lande  der 
Chrovaten,  Serblier,  Zachlumier  usw.  bekehren ;  darauf  verlangten 
auch  die  Narentaner,  von  denen  sich  nach  der  Erzählung  des 
Diakons  Johannes  ein  Gesandter  um  830  in  Venedig  taufen  ließ, 
die  Aufnahme  ins  Christentum,  die  ihnen  Basilios  durch  Sendung 
von  Priestern  gewährte  ^).  Die  Namen  der  serbischen  Fürsten 
des  9.  Jahrhunderts  sind  eher  lateinischer,  als  griechischer  Art: 
Stephan,  Peter,  Paul,  Zacharias.  Der  Protomartyr  Stephan,  dessen 
Namen  ein  großer  Teil  der  serbischen  Herrscher  des  12 — 15. 
Jahrhunderts  führte,  wurde  auch  ein  Schutzpatron  des  serbischen 
Staates.  Auftällig  sind  gemischte,  christlich-slawische  Formen,  wie 
z.  ß  der  in  Dioklitien  so  beliebte  Name  Petrislav  aus  Petrus, 
Marislava  aus  Maria.  Reste  des  lateinischen  Einflusses  sind  auch 
nach  dem  Anschluß  an  die  orientalische  Kirche  noch  im  13.  bis 
15.  Jahrhundert  zu  bemerken:  die  bischöfliche  Kirche  der  Apostel 
Peter  und  Paul  in  Ras,  ein  großes  Kloster  des  heiligen  Petrus  am 
Lim,  das  Kloster  S.  Petri  de  Campo  bei  Trebinje  (Ruine  Petrov 
manastir  bei  Cicevo),  eine  Ortschatt  S.  Martinus  in  Canali  (jetzt 
Pridvorje)  -}.  In  der  kirchlichen  Terminologie  der  Serben  sind 
lateinische  Spuren  sehr  spärlich  ^j.  Dr.  Patsch  fand  im  Dorfe 
Drenovo  bei  Prjepolje    im    Limtale    eine    kleine    Kirchenruine   mit 

1)  Konst.  Porph.  3,  129,  145,   149,  153. 

2)  Vgl.  meiu  Christ.  Elfm.  29,  33,  38. 

3)  Oltar,  otar  (altare):  komkati  (communicare) ;  kum  Pate  (compater, 
commater^ ;  pogan,  poganin,  pogaijik  Heide  (paganus);  raka  Sarg,  Grabmal 
(arca). 


174  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

dem  Fragment  einer  lateinischen  Inschrift  aus  dem  9. — 10.  Jahr- 
hundert ^). 

Das  Christentum  verbreitete  sich  bei  den  Südslawen  anfangs 
nur  oberflächlich,  weil  die  lateinischen  Gebete  und  Kirchenbücher 
dem  Volke  fremd  blieben.  Intensiver  wurde  es  erst  nach  der 
Einführung  der  slawischen  Sprache  in  den  Gottesdienst.  Im  Orient 
gab  es  liturgische  Bücher  in  allen  hervorragenden  Nationalsprachen. 
Die  Griechen,  die  Kopten,  die  semitischen  Äthiopier  von  Abessinien, 
die  Syrer,  die  christlichen  Araber,  die  Armenier,  die  Georgier,  die 
an  der  unteren  Donau  bekehrten  Goten  priesen  alle  Gott  in  ihrer 
Sprache.  Unter  Justin  I.  predigte  ein  Bischof  bei  den  hunnischen 
Sahiren  an  der  Küste  des  Kaspischen  Meeres  und  übersetzte  die 
Heilige  Schrift  in  die  hunnische  Sprache  -;.  In  der  Neuzeit  ent- 
standen die  nationalen  Kirchenbücher  der  Rumänen  und  der  Osseten. 
Bei  den  Slawen  ließ  eine  derartige  Missionstätigkeit  längere  Zeit 
auf  sich  warten,  da  in  Byzanz  der  alte  Eifer  der  Heidenbekehrung 
durch  den  Bilderstreit  erlahmt  war.  In  den  byzantinischen  Pro- 
vinzen war  überdies  eine  solche  Übersetzungstätigkeit  nicht  so 
dringend  notwendig,  da  die  Slawen  z.  B.  in  Thessalien,  im  küsten- 
ländischen Makedonien  und  in  Thrakien  inmitten  zwischen  grie- 
chischen Christen  saßen  und  bald  von  der  Nachbarschaft  beeinflußt 
wurden.  Daß  man  für  sie  neue  Bistümer  stiftete,  sieht  man  an 
den  slawischen  Ortsnamen  in  den  Katalogen:  die  Bistümer  von 
Velikaja  und  des  Stammes  der  Smolenen  unter  dem  Metropoliten 
von  Philippi,  von  Servia  (6  tQv  ^eQiii'wv)  und  des  Stammes  der 
Druguvitier  unter  dem  Metropoliten  von  Thessalonich,  von  Jezero 
und  Radovizd  unter  dem  Metropoliten  von  Larissa  ^).  Diese 
Bischöfe  und  ihre  Kleriker  lassen  die  Liturgie  griechisch,  aber 
Predigt  und  mündliche  Belehrung  des  Volkes  wurde  jedenfalls  in 
slawischer  Sprache  gehalten,  von  Geistlichen  und  Mönchen,  die 
geborene  Slawen  waren.     Sie   mußten    dabei  Worte    ihrer  Mutter- 


1)  Wiss.  Mitt.  4  (1896)  295:  „Te  Criste  auctore  pontifex.  .  .".  Nach 
den  Schriftzügen  ist  die  Inschrift,  wie  mir  Museumsdirektor  Buli<5  in  Spalato 
schreibt,  nicht  vor  600,  eher  nach  800  zu  setzen,  aber  nicht  später  als  in 
das  10.  Jahrhundert. 

2)  Diehl,  Justinien  377. 

3)  Vgl.  die  Bischofskataloge  bei  Parthey  und  Geiz  er. 


Heidentum  und  Christentum.  175 

spräche  für  die  Begriffe  der  Glaubeuslehre  adaptieren.  Dadurch 
wurde  das  Werk  der  Brüder  von  Thessalonich  und  ihrer  wahr- 
scheinlich meist  aus  Makedonien  stammenden  Mitarbeiter  vor- 
bereitet. Ein  Slawe  (ciTzö  ^KXdßiov)  war  nach  Theophanes  der 
Patriarch  von  Konstantinopel  Niketas  (766 — 78ü),  wohl  nicht  der 
einzige  unter  den  Bischöfen  der  Zeit. 

Die  Slawenapostel  von  Thessalonich  waren  die  Söhne  eines 
vornehmen  byzantinischen  Oifiziers,  des  Drungarios  Leon.  Die 
Hauptperson  war  der  jüngere  Konstantin,  Priester  und  Bibliothekar 
des  Patriarchates,  Lehrer  der  Philosophie  an  der  Hofschule  im 
Kaiserpalast  von  Konstantinopel,  hervorragend  durch  Sprachkennt- 
nisse und  theologisches  Wissen  und  bewährt  in  Disputationen  mit 
den  Ikonoklasten,  den  Mohammedanern  in  Kalifat  und  den  Juden 
im  Chazarenlande,  eine  bescheidene  Gelehrtennatur.  Der  ältere 
Älethodios,  den  wir  nur  unter  seinem  Mönchsnamen  kennen  ^),  war 
mehr  mit  dem  öffentlichen  Leben  vertraut,  ursprünglich  Statthalter 
in  einem  slawischen  Gebiet  der  Halbinsel,  später  Mönch  auf  dem 
bithynischen  Olymp,  zuletzt  Hegumenos  des  Klosters  Polychronion 
an  der  asiatischen  Küste  der  Propontis  bei  Kyzikos.  Eine  Ge- 
sandtschaft der  mährischen  Fürsten  Rastislav  und  Svatopluk  an 
den  Kaiser  Michael  HI  (862)  bot  den  Anlaß  zu  dem  Beginn  des 
Werkes.  Die  Mähren  waren  zwar  zum  Christentum  bekehrt, 
wünschten  aber  Lehrer,  die  der  slawischen  Sprache  kundig  wären. 
Michael  HI.  und  sein  Oheim,  der  Armenier  Vardas,  beauftragten 
mit  dieser  Mission  die  beiden  Brüder.  Vor  der  Abreise  erfolgte 
die  Aufstellung  der  slawischen  Schrift  durch  Konstantin,  verbunden 
mit  der  Übersetzung  des  Evangelistars  -).  Die  Erfindung  des 
Alphabetes,  in  der  Legende  dargestellt  als  ein  Wunder  und  eine 
Offenbarung  Gottes,  kann  sich  nur  auf  eine  ganz  neue  Schrift 
beziehen,  nicht  auf  eine  kleine  Adaptierung  der  allgemein  be- 
kannten griechischen  Zeichen.     Es  war  wohl  die  Schrift,  die  man 


1)  Methodios  war  in  dieser  Zeit  nur  als  Mönchsname  gebräuchlich.  Der 
weltliche  Name  mag,  der  Sitte  gemäß,  denselben  Anlaut  gehabt  haben: 
Michael,  Manuel  usw. 

2)  J  a  g  i  c ,  Zur  Entstehungsgeschichte  der  kirchenslaw.  Sprache  (Wien 
1900,  Denkschr.  W.  Akad.  Bd.  47)  1,  17;  2,  45  f. 


176  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

jetzt  die  glagolitische  nennt  ^).  In  ihrem  äußeren  Typus  der  ar- 
menischen und  georgischen  Unzialschrift  nicht  unähnlich ,  ist  sie 
offenbar  ein  künstliches  Produkt.  Nach  der  Ansicht  neuerer 
Forscher  beruht  sie  auf  der  griechischen  Kursiv-  oder  Miuuskel- 
schrift,  mit  wenigen  orientalischen  Elementen  (wie  für  s)  ^).  Die 
sogenannte  cyrillische  Schrift  ist  jünger  und,  wie  die  koptische  in 
Ägypten,  nichts  anderes  als  die  griechische  Unzialschrift,  vermehrt 
durch  einige  neue  Zeichen  für  eigenartige,  nichtgriechische  Laute. 
Ihre  Heimat  scheint  Bulgarien  zu  sein ,  wo  die  heidnischen  und 
christlichen  Fürsten  Inschriften  in  griechischer  Sprache  zu  errichten 
pflegten  und  wo  die  griechische  Schrift  den  Adligen  und  Kauf- 
leuten wohl  allgemein  bekannt  war  3).  Die  Sprache,  in  welche 
die  beiden  Brüder  mit  ihren  Mitarbeitern  einen  Teil  der  heiligen 
Bücher  übersetzten,  wurde  nur  die  „slawische"  genannt,  repräsen- 
tierte aber  einen  eigenen,  jetzt  ausgestorbenen  altertümlichen  Dialekt. 
I\Ian  nennt  sie  kirchenslawisch,  altslowenisch  oder  altbulgarisch. 
Kopitar  und  Miklosich  suchten  ihre  Heimat  in  Pannonien,  Safafik, 
Schleicher,  Leskien  und  die  russischen  Slawisten  in  Bulgarien, 
Jagic  im  Lande  zwischen  Thessalonich  und  Konstantinopel.  Ich 
denke  an  die  oben  erwähnten  Bistümer  auf  byzantinischem  Boden 
zwischen  Riiodope  und  Pindus 

Das  Werk  der  Brüder  von  Thessalonich  wurde  von  Anfang 
an  vom  Konstantinopler  Hofe  begünstigt,  ebenso  wie  einst  die 
Übersetzung  der  heiligen  Bücher  ins  Armenische  im  5.  Jahrhundert. 
Dem  Nachfolger  Michaels  III.,  Basilios  I.,  kam  die  neue  slawische 
Liturgie  noch  mehr  gelegen,  bei  seinem  Streben,  das  Christentum 
bei  den  Südslawen  überall  zu  befestigen,  die  heidnischen  Russen 
zu  bekehren  und  die  zwischen  Rom  und  Byzanz  hin  und  her 
schwankenden  neubekehrten  Bulgaren  bleibend  zu  gewinnen.  Eine 
kurze  Zeit  waren  damals  selbst  die  Kroaten  der  Kirche  von  Rom 


1^  Jagic,  Arch.  slaw.  Phil.  '23  (1901)  113 f. 

2)  Taylor,  Arch.  slaw.  Phil.  5  (18H1)  191.  Leskien  ib.  27  (1905) 
Hilf.     Abi  cht  ib.  31  (1909)  21(3  f. 

3)  Die  mecliaüische  Adaptierung  ist  sichtbar  am  of,  das  in  der  cy- 
rillischen, ganz  wie  in  der  koptischen  Schrift,  ohne  lautlichen  Cirund  genau 
wie  im  Griechischen  durch  ein  Doppelzeichen  wiedergegeben  ist 


Heidentum  und  Christentum,  177 

entfremdet  ^).  Kaiser  Basilios  hat  den  Methodios,  wie  dessen  Vita 
erzählt,  einmal  aus  Mähren  nach  Konstantinopel  eingeladen  und 
einige  seiner  Geistlichen  bei  sich  behalten.  Ebenso  ließ  er  nach 
der  älteren,  jüngst  von  Lavrov  herausgegebenen,  in  der  Mitte 
des  10.  Jahrhunderts  verfaßten  Vita  des  Naum,  als  nach  Methods 
Tod  eine  Anzahl  seiner  Schüler  von  den  Mähren  nach  Venedig 
in  die  Sklaverei  verkauft  worden  war,  diese  hart  geprüften  Glau- 
bensboten von  seinem  Gesandten  loskaufen  und  entschädigte  sie 
durch  geistliche  Amter  in  Konstantinopel.  Anderseits  wurden 
die  beiden  Brüder  auch  in  Rom  freundlich  aufgenommen,  um  so 
mehr,  weil  sie  die  Reliquien  des  heiligen  Papstes  Klemens  I.  aus 
Cherson  mitbrachten  und  weil  man  eben  (866 — 870)  auf  eine  Ge- 
winnung der  Bulgaren  für  die  römische  Kirche  rechnete.  Damals 
hatte  Rom  auch  unter  den  Griechen  eine  Partei  für  sich,  deren 
Oberhaupt  Ignatios  nach  der  Thronbesteigung  Basilios'  I.  an  Stelle 
des  abgesetzten  Photios  wieder  Patriarch  wurde.  Konstantin,  der 
kurz  vor  seinem  Tode  (f  869)  in  Rom  das  Mönchsgewand  mit 
dem  Klosternamen  Kyrillos  angenommen  hatte,  hinterließ  die  Fort- 
führung des  begonnenen  Werkes  seinem  Bruder,  welcher  vom 
Papst  zum  Erzbischof  von  Pannonien  und  Mähren  eingesetzt  wurde. 
Die  Männer  von  Thessalonich  hatten  keine  Ahnung  von  dem  weit- 
reichenden Einfluß  ihres  Werkes.  Erst  nach  ihrem  Tode  gewann 
es  festen  Boden  und  sichere  Zukunft  durch  die  Verbreitung  in 
Bulgarien,  Serbien  und  Rußland.  Zählt  man  Orthodoxe,  russische 
Sekten,  Uniaten  und  Glagoliten  zusammen,  hören  heute  an  112 
Millionen  Menschen  das  Wort  des  Herrn  aus  den  Texten,  welche 
die  Brüder  von  Thessalonich  vor  mehr  als  tausend  Jahren  ver- 
dolmetscht haben. 

Die  slawischen  Kirchenbücher  gelangten  jedenfalls  noch  zu 
Lebzeiten  des  Methodios  aus  dem  Territorium  des  pannonischen 
Fürsten  Kocel  zu  den  Slawen  des  adriatischen  Gebietes.  Als  nach 
des  Methodios  Tod  (f  885)  seine  zahlreichen  Schüler  Mähren  ver- 
lassen mußten  und  in  Bulgarien  am  fürstlichen  Hofe  die  freund- 
lichste Aufnahme   fanden,    wendeten  sich  nach  der  jüngeren  Vita 


1)  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  1,  48. 
Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  12 


178  Drittes  Bucb.     Zweites  Kapitel. 

des  Naum  einige  derselben  auch  nach  Dalmatien  ^).  Glagolitische 
Kirchenbücher  gab  es,  wie  aus  neueren  Funden  bekannt  ist,  nicht 
nur  auf  der  einen  Seite  der  Halbinsel  im  kroatischen  Reiche,  auf 
der  anderen  in  Makedonien  und  Westbulgarien,  sondern  auch  in 
der  Mitte  ziwischen  beiden  Gebieten,  in  Serbien  und  Bosnien. 
Zeugnis  davon  geben  hturgische  Kodizes  in  glagolitischer  Schrift 
mit  Texten,  in  denen  das  Kirchenslawische  eine  lokale  serbische 
Färbung  hat,  begleitet  von  cyrillischen  Glossen  nach  orientalischem 
Ritus ;  umgekehrt  gibt  es  auch  cyrillische  altserbische  Handschriften 
mit  einzelnen  glagolitischen  Stellen  und  Randbemerkungen  -).  Jeden- 
falls ist  die  glagolitische  Schrift  in  Serbien  bis  ins  J4.  Jahrhundert 
sporadisch  bekannt  geblieben.  Im  öffentlichen  Leben  wurde  sie 
durch  die  einfachere  cyrillische  Schrift  verdrängt.  Nur  im  küsten- 
ländischen Kroatien  behaupteten  sich  die  glagolitischen  Kirchen- 
bücher mit  Texten  nach  lateinischem  Ritus  bis  in  unsere  Zeit  ^) 
Dort  schrieb  man  zwischen  Spalato  und  Agram  bis  in  die  Neuzeit 
auch  Urkunden  in  glagolitischer  Schrift.  Bald  wurde  das  Kirchen- 
slawische in  allen  diesen  Ländern  unter  Einfluß  der  einheimischen 
Mundarten  in  seinem  Lautsystem  verändert;  es  entstanden  vier 
Rezensionen,  eine  kroatisch-glagolitische  und  eine  serbische,  neben 
der  bulgarischen  und  der  russischen. 

Im  adriatischen  Küstengebiet  ist  das  Verhältnis  der  Lateiner 
zu  der  slawischen  Liturgie  nicht  überall  gleich  gewesen.  Im  Süden, 
an  der  Grenze  gegen  die  griechische  Kirche,  und  im  Osten,  wo 
die  bulgarische  Kirche  der  nächste  Nachbar  war,  durfte  Rom  in 
eigenem  Interesse  keine  Feindseligkeit  gegen  den  slawischen  Gottes- 
dienst äußern.  Auch  ist  südlich  von  der  Narenta  nichts  von  einer 
Verfolgung  der  slawischen  Bücher  in  den  lateinischen  Bistümern 
der  Küste  bekannt.  In  dem  Gebiet  des  späteren  katholischen 
Erzbistums  von  Antivari  erwähnen  die  Urkunden  über  Ernennung 


1)  Glasnik  63  (1885)  3  ed.  Lj.  Kovacevic. 

2)  Zu  den  Belegen  in  meinen  Rom.  Dalm.  1,  50  Anm.  ist  nachzu- 
tragen: Jagic  im  Arch.  slaw.  Phil.  24  (1902)  313—314  und  25  (1903)  20 f. 
mit  Faks. 

3)  Fontes  historici  liturgiae  glagolito-romauae  a  XIII  ad  XIX  sae- 
culum,  collegit,  digessit  et  indice  analitico  instruxit  Dr.  Lucas  Jelic^ 
Veglae  1906. 


Heidentum  und  Christentum.  179 

der  Erzbischöfe  seit  dem  11.  Jahrhundert  ausdrücklich  „  monasteria 
tarn  Latinorum  quam  Graecoruin  sive  Sclavorum",  die  sich  wohl 
hauptsäclilich  durcli  die  Sprache  ihrer  liturgischen  Bücher  von- 
einander unterschieden.  Dagegen  gab  es  im  Norden  Dalmatiens 
große  Kämpfe,  die  heute  noch  nicht  abgeschlossen  sind.  Während 
der  Orient  an  Kirchenbücher  in  verschiedenen  Sprachen  seit  alters 
her  gewöhnt  ist,  herrschte  im  Abendland  in  der  Kirche  von  Anfang 
an  nur  das  Latein.  Neben  der  lateinischen  Messe  entstand  keine 
altirische,  angelsächsische,  althochdeutsche  oder  altnordische  Liturgie. 
Diese  zwei  großen  liturgischen  Gebiete  des  mittelalterlichen  Christen- 
tums grenzten  aneinander  vor  den  Toren  der  romanischen  Städte 
Dalmatiens.  Schon  die  Slawenapostel  selbst  hatten  in  Mähren  und 
Pannonien  mit  dem  Widerstand  des  deutschen  Klerus  zu  kämpfen. 
Im  Erzbistum  von  Spalato  wurde  die  slawisch  katholische  Liturgie 
der  Kroaten  von  den  in  der  dalmatinischen  Kirche  herrschenden 
Romaneu  oft  verfolgt.  Bei  dem  Verfall  historischer  Kenntnisse 
galten  die  glagolitischen  Kirchenbücher  bei  den  Lateinern  als 
gotisch  und  arianisch,  bis  im  13.  Jahrhundert  eine  neue  Theorie 
auftauchte,  die  sie  dem  heihgen  Hieronymus  zuschrieb.  Das  machte 
ein  Kompromiß  möglich.  Erst  die  moderne  Wissenschaft  deckte 
die  Wahrheit  auf,  brachte  aber  dadurch  den  alten  Kampf  wieder 
zum  Ausbruch. 

Die  innere  Organisation  der  Kirche  in  den  serbischen  Ländern 
im  früheren  Mittelalter  ist  unbekannt.  Bischöfe  gab  es  nur  an 
der  Küste,  im  Innern  vertreten  durch  eine  geringe  Anzahl  von 
Priestern.  Neben  den  Papstbriefen  an  die  Fürsten  der  Kroaten 
fehlen  in  den  Fragmenten  der  päpstlichen  Korrespondenz  aus  diesen 
Zeiten  Nachrichten  über  Beziehungen  zu  den  Serbenfürsten ').    Die 


1)  Papst  Johannes  VIII.  (872 — 882)  schrieb  an  „Montemerus  dux 
Sclavinicae " ,  er  solle  sich,  „progenitorura  secutus  morem",  der  „  Panno- 
niensium  dioecesis"  anschließen  (Racki,  Doc.  367)  und  „presbiteri  vagi 
ex  omni  loco"  nicht  dulden  (Starine  12,  212).  In  Kroatien  herrschten  zur 
Zeit  Johannes'  VIII.  die  Fürsten  Domagoj,  Zdeslav,  Branimir;  ein  Mutimir 
folgte  erst  später  (um  892).  In  Serbien  gab  es  damals  einen  Fürsten  Mu- 
timir, aber  das  Serbenland  gehörte  zur  Kirchenprovinz  von  Dalmatia,  nicht 
von  Pannonia.  Racki  hält  daher  den  Montemeriis  für  einen  Fürsten  im 
Lande  zwischen  Save  und  Drau. 

12* 


IgO  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

älteren  Kirchen  des  Landes,  in  der  Regel  von  einem  Grabfeld 
umgeben,  sind  auffällig  durch  ihre  geringen  Dimensionen,  meist 
nur  2  bis  4  Meter  breit,  3  bis  6  Meter  lang.  Das  Volk  .stand 
während  des  Gottesdienstes  größtenteils  unter  freiem  Himmel  vor 
der  Kirche,  in  welcher  nur  der  Priester  mit  den  Oberhäuptern 
Platz  fand.  Die  alte  St.  Peter-  und  Paulskirche  von  Ras,  die 
gegenwärtig  von  den  Türken  als  militärisches  Magazin  benutzte 
Petrova  crkva  (PeterskircheJ  am  Ufer  der  Raska  unterhalb  Novi- 
pazar,  ist  nach  Evans  ein  Rundbau,  wie  San  Donato  in  Zara  oder 
die  alten  St.  Georgskirchen  von  Salonik  und  Sofia,  mit  einem  acht- 
eckigen Türmchen  ^). 

Als  einen  Überrest  aus  der  Zeit  der  Christianisierung  be- 
trachtet man  das  Fest  des  „krsno  ime",  wörtlich  des  Taufnamens, 
oder  der  „slava"  (Feier)  -).  Bei  den  Serben  wird  nämlich  nicht 
der  Namenstag  des  einzelnen  Familienmitgliedes  festlich  begangen, 
sondern  die  gesamte  Familie  feiert  einen  einzigen  Heiligen,  dessen 
Name  oft  als  Personenname  in  der  Familie  gar  nicht  vorkommt. 
Im  Westen,  wo  noch  die  großen  Verbände  bestehen,  feiert  diesen 
Schutzheiligen  die  ganze  Bruderschaft  oder  das  ganze  Geschlecht. 
Die  Feiertage  sind  keineswegs  identisch  mit  den  Kirchtagen  der 
lokalen  Pfarrkirchen.  Aus  der  Identität  der  Schutzpatrone  zieht 
man  in  Montenegro  Schlüsse  auf  die  Verwandtschaft  der  ganzer^ 
Sippschaften.  Sagen  und  Volkslieder  behaupten,  die  Dynastie  der 
Nemanji(5i  habe  den  Erzengel  Michael  zum  Schutzpatron  gehabt. 
Die  Fürstenfamilie  von  Montenegro  feiert  den  heiligen  Georg,  die 
Dynastie  der  Karadjordjevici  den  Apostel  Andreas;  die  der  Obreno- 
vidi  feierte  den  heiligen  Nikolaus.  Am  stärksten  vertreten  sind 
in  Montenegro  St.  Michael  und  St.  Nikolaus.  In  Belgrad  feier^ 
den  heiligen  Nikolaus  ungefähr  ein  Drittel  der  Einwohner,  worauf  "^ 
gleich  der  heilige  Erzengel  mit  einem  Sechstel  der  Bürgerschaft 
nachfolgt  ■').  Seltener  sind  ältere  Heiligenkulte ,  wie  des  heihgen 
Agathen,    der  heiligen  Thekla,    des   heiligen   Kyrikos   und   seiner 


1)  Evaus,  Illyricum  III— IV,  53. 

2)  Rovinskij  a.  a.  0.  69  (1901)   '209—240;   Milicevic,   Srp.ski  ct- 
nografski  zbornik  1,  149  f. 

3)  Statistik  nach  den  neun  Pfarren  von  Belgrad  bei  Milicevic  a.  a.  0. 
157  und  Godir^njica  1  (1877)  lOlf. 


Heidentum  und  Christentum.  181 

Mutter  Julitta,  in  Montenegro  auch  der  Märtyrer  Sergius  und 
Bacchus  (an  der  Moraca)  und  der  Apostel  Peter  und  Paul  (am 
Flu8se  Zeta).  Die  Feier  ist  verbunden  mit  Gottesdienst,  Andenken 
an  die  verstorbenen  Verwandten,  Gastmählern,  Trinksprüchen  und 
Beteilung  der  Armen.  Oft  wird  an  einem  anderen  Tage  des  Jahres 
eine  Vor-  oder  Nebenfeier  gehalten  (preslava,  posluzbica).  Das 
Gesetzbuch  des  montenegrinischen  Fürsten  Danilo  (1855)  erklärt 
(Art.  88)  das  „Krsno  ime'^  als  „Erinnerung  an  die  Taufe  der 
Urväter".  Rovinskij  meint,  die  Feier  sei  rein  christlich,  ohne 
heidnische  Spuren,  sie  stamme  aber  keineswegs  aus  den  Zeiten 
der  Christianisierung,  denn  dagegen  sprechen  die  zahlreichen  Än- 
derungen der  Feiertage  in  neuerer  Zeit  und  die  geringe  Auswahl, 
die  sich  auf  wenige  Heilige  beschränkt,  wobei  die  Verdrängung 
älterer  Kulte  stellenweise  noch  bemerkbar  bleibt.  Die  Fintwick- 
lungsgeschichte  dieser  eigenartigen  serbischen  Familienfeier  der 
Hauspatrone,  welche  den  benachbarten  Kroaten  und  Bulgaren  un- 
bekannt ist,  läßt  sich  bei  dem  Mangel  an  Nachrichten  nicht  ver- 
folgen. Im  14.  Jahrhundert  werden  nur  die  persönlichen  Schutz- 
patrone einzelner  Adliger  erwähnt.  Die  Brüder  Zupan  Bjeljak 
und  der  Vojvode  Radic  aus  dem  Geschlecht  der  Sankovici  in  der 
heutigen  Herzegowina  schwüren  den  Ragusanern  1391  bei  ihren 
Taufpatronen  (krstna  imena),  der  erste  bei  dem  heiligen  Georg, 
der  zweite  bei  dem  Erzengel  Michael,  den  geschlossenen  Vertrag 
treu  zu  halten  \). 

Östlich  von  den  Serben  predigten  im  bulgarischen  Reiche  des 
Michael  Boris  und  seines  Sohnes  Symeon  das  Christentum  zuerst 
(864  f.)  griechische  Glaubensboten,  nach  ihnen  eine  kurze  Zeit 
(866 — 870)  lateinische  Bischöfe  mit  ihrem  Gefolge,  dann  wieder 
Griechen,  bis  die  Schüler  des  Methodios  (885  f.)  sowohl  am  Hofe, 
als  im  fernen  Westen  einen  großen  Einfluß  erwarben.  Die  ur- 
sprünglich geringe  Anzahl  der  Bistümer  wurde  bald  vermehrt. 
Über  das  westliche  Makedonien  bieten  die  Legenden  des  Bischofs 
Klemens  und  des  Klostergründers  Naum  wichtige  Nachrichten, 
über  das  östliche  die  Legende  der  Märtyrer  von  Tiberiopolis. 
Weniger  wissen  wir  über  das  Moravagebiet.     In  Belgrad   an   der 

1)  Mou.  serb.  219,  220. 


183  Drittes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Donau  (episcopatus  Belogradensis)  residierte  878  dei-  Bischof  Sergios, 
ein  slawischer  Eunuche,  in  Branicevo  879  der  Bischof  Agathon 
von  Morava  ^).  Die  vom  bulgarischen  Hofe  unterstützte  Über- 
setzungstätigkeit  slawischer  Kleriker  übte  bald  einen  großen  Ein- 
fluß weit  über  die  Grenzen  des  Landes  hinaus;  es  ist  charakteristisch, 
daß  die  meisten  erhaltenen  Abschriften  teils  in  Serbien,  teils  in 
Rußland  hergestellt  worden  sind  -).  Die  bulgarische  Kirche  selbst, 
ein  autokephales  Erzbistum,  wurde  von  Symeon  zum  Patriarchat 
erhoben,  ein  Beispiel,  welches  im  Laufe  der  historischen  Entwick- 
lung auch  andere  zur  Nachahmung  reizte. 

1)  Kukuljevic,  Cod.  dipl.  1,  59.     Mansi,  Sacr.  conc.  17,373. 

2)  Vgl.  M.   Murko,   Geschichte  der  älteren  südslawischen  Literatureu 
(Leipzig  1908)  S.  57  f. 


Drittes  Kapitel. 

Die  byzantinische  Oberhoheit  und  der  Kampf  gegen 
die  Bulgaren  im  9.  und  10.  Jahrhundert  ^). 

Die  Vormacht  der  Balkanhalbinsel  war  bis  1204  das  byzan- 
tinische Kaisertum  oder  das  „imperium  Romaniae",  dessen  Name 
heute  noch  nicht  vergessen  ist  -),  Es  beanspruchte  bei  jeder  Ge- 
legenheit die  Oberhoheit  über  die  kroatischen  und  serbischen  Fürsten, 
welche  angeblich  seit  Heraklios  jederzeit  dem  Kaiser  unterworfen 
und  gehorsam  waren  ^) ;  doch  hat  sich  die  Form  dieser  Ober- 
herrschaft nicht  selten  geändert  und  war  zeitweilig  ganz  unter- 
brochen. Der  Einfluß  der  Byzantiner  beruhte  auf  der  unbestrittenen 
Seeherrschaft  über  das  Adriatische  oder,  wie  man  damals  sagte, 
das  „Dalmatische"  Meer,  auch  nach  dem  Verlust  von  Ravenna 
und  Istrien,  solange  Byzanz  Albanien  und  Unteritalien  besaß.  In 
den  Resten  Dalmatiens  war  Hauptstadt  teils  das  feste  Zara,   teils 


1)  Literatur:  Dum  ml  er  (s.  oben  S.  81).  Hilf  er  ding,  Briefe  über 
die  Geschichte  der  Serben  und  Bulgaren  (bis  1018),  russ.  in  seinen  Ges- 
Werken  (1868),  deutsch  von  Schmaler,  Bautzen  1856—1864.  Drinov,  Die 
Südslawen  und  Byzanz  im  10.  Jahrb.,  russ. :  Ctenija ,  Moskau  1875,  Heft  3. 
Novakovic,  Die  ersten  Grundlagen  der  slawischen  Literatur  bei  den  Bal- 
kanslawen, serb. ,  Belgrad  1893.  Stanojevic,  Byzanz  und  die  Serben, 
Bd.  2,  serb.  (bis  zum  8.  Jahrb.).  Manojlovic,  Das  Adriatische  Küsten- 
gebiet im  9.  Jahrb. :  Rad  150  (1902). 

2)  Üben-este :  Romagna  im  einstigen  Exarchat  von  Ravenna,  bulg. 
Roraanjä  die  Ebene  Thrakiens,  Romanija  in  Ragusa  nicht  nur  im  13.  bis 
15.  Jahrb.,  sondern  teilweise  heute  noch  Albanien  und  Morea.  Bei  Uzzano 
(1442)  ist  die  Bojana  Grenze  zwischen  Schiavonia  und  Romania. 

3)  Konst.  Porph.  3,  153,  154,  159. 


184  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

das  von  Süden  leicht  zugängliche  Ragusa  ^).  Die  Beziehungen 
des  Kaisertums  zu  Serbien  gingen  aber  nicht  durch  die  Hand  des 
Statthalters  von  Dalmatien,  sondern  in  den  Jahren  des  Konstantin 
Porphyrogennetos,  ebensogut  wie  in  der  Komuenenzeit  durch  die 
des  von  Dyrrhachion.  Diese  Stadt,  der  Schlüssel  zu  den  Ver- 
bindungen des  Konstantinopler  Reiches  mit  der  Adria  und  mit 
ItaHen;  besaß  eine  feste  Akropolis  und  gewaltige,  sehr  breite  Stadt- 
mauern; über  dem  Nordtor  stand  eine  antike  eherne  Reiterstatue, 
welche  Anna  Komnena  erwähnt  und  welche  noch  Cyriacus  von 
Ankona(1436)  gesehen  hat.  Die  dyrrhachinische  Provinz,  welche 
tief  landeinwärts  reichte,  begann  im  Norden  mit  dem  Städtepaar 
Antivari  und  Dulcigno  -).  Die  wichtigste  maritime  Position  zwischen 
Italien,  Griechenland  und  Afrika  war  die  Inselprovinz  von  Ke- 
phallenia,  welche  nach  dem  Zeremonienbuch  auch  den  Vorrang 
vor  Dyrrhachion  und  sogar  vor  Thessalonich  hatte.  Die  miH- 
tärischen  Statthalter  oder  Strategen  der  Provinzen  oder  „Themata" 
des  Westens  hatten  alle  einen  tieferen  Rang  als  die  des  Ostens  an 
der  arabischen  Grenze  und  bezogen  keinen  Gehalt  aus  der  Staats- 
kasse, sondern  nur  jährliche  Zahlungen  von  ihrem  Thema.  Im 
11.  Jahrhundert  wurden  die  Gouverneure  in  drei  Stufen  geteilt 
Dux  (auch  in  Dyrrhachion),  Katepan  {ytaTE7cavoj ,  auch  in  Dal- 
matien) und  der  einfache  Strategos  '•'').  Der  Hofrang  eines  Proto- 
spathars,  Prokonsuls  (Anthypatosj  oder  Patrikios  wurde  nur  persön- 
lich einzelnen  von  ihnen  verliehen  und  war  nicht  verbunden  mit 
dem  Amte.  Die  Stellung  Dalmatiens  wird  beleuchtet  durch  den 
Rang  des  Statthalters,  der  im  Zeremonienbuche  der  vorletzte  von 
allen  ist,  vor  dem  von  Cherson;  ja  im  11.  Jahrhundert  überließ 
man  dieses  Amt  dem  Bürgermeister  von  Zara  ^).  Die  viel  auf 
sich   allein    angewiesenen  Gemeinden   entwickelten    sich   in  Istrien 


1)  Kagusa  als  ^xriTQÖnohg:  Theoph.  Cont.  p.  289.  Koust.  Porph. 
o,  136  iu  Dalmatien  an  erster  Stelle.  Ein  Strategos  von  Ragusa  bei  Ka- 
lt au  menos  (s.  unten). 

2)  Konst.  Porph.  3,  141,  145. 

3)  Skabalanovic,  Der  byz.  Staat  und  die  Kirche  im  11.  Jahrb., 
russ.,  Petersburg  1884,  187  f. 

4)  Eine  Redaktion  des  Zeremonienbuches  bat  statt  des  Strategen  nur 
einen  äii/oiv  /iaXfxaTlas:  Tb.  Uspenskij,  Izvestija  arch.  inst.  3(1898)  124. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  185 

und  Dalmatieu,  ebenso  wie  in  den  Resten  des  byzantinischen  Ge- 
bietes in  Italien  alhuählich  zu  Städterepubliken  mit  eigenen  Rech- 
ten ^).  Ihre  Vornehmen  waren  die  Tribunen,  ursprünglich  Offiziere 
der  Lokaltruppen,  von  denen  einzelne  auch  byzantinische  Hüftitel 
führten;  dabei  ist  aber  zu  bemerken,  daß  die  unteren  Würden 
vom  Mandator  bis  zum  Protospathar  auch  um  2 — 18  Pfund 
Goldes  käuflich  waren,  um  einen  höheren  Preis  auch  der  Gehalt 
(goya)  dazu,  als  eine  Art  Leibrente  - ).  Das  auf  einige  Jahre  ge- 
wählte Oberhaupt  der  Stadt  war  der  Prior  {jiQcoveuoiv,  S.  37),  zuletzt 
im  12.  Jahrhundert  in  Cattaro  so  genannt,  bald  überall  mit  dem 
neueren  Titel  eines  Comes  bezeichnet.  Ihm  zur  Seite  standen  die 
jährlich  gewählten  Richter  (iudices).  Die  Hoheit  des  Kaisers 
äußerte  sich  in  den  Lobgesäugen  (laudes)  bei  dem  feierlichen 
Gottesdienst  in  der  Domkirche;  nach  dem  Ende  der  byzantinischen 
Herrschaft  über  Dalmatien  wurde  der  Kaiser  darin  durch  den 
König  von  Ungarn  oder  den  Dogen  von  Venedig  ersetzt  '•'•).  In 
den  dalmatinischen  Statuten  des  13. — 15.  Jahrhunderts  ist  der  Ein- 
fluß des  byzantinischen  Rechtes  klar  bemerkbar,  im  Süden  mehr 
als  im  Norden,  besonders  im  Seerecht  und  im  Strafrecht,  mit  Ver- 
lust der  Hand,  des  Auges  usw.  an  Stelle  der  Todesstrafe  des  rö- 
mischen Rechtes. 

Die  byzantinische  Flotte  (oroXog)  mit  den  großen,  mit  grie- 
chischem Feuer  ausgerüsteten  und  je  300  Mann  besetzten  Dro- 
monen  und  den  Chelandien  und  anderen  kleineren  Schiffstypen, 
im  7. — 8.  Jahrhundert  die  erste  des  Mittelmeeres,  zerfiel  in  die 
ständige  kaiserliche  Flotte  (rö  ßaoüuv.bv  7tXoif.ior)  und  die  nur 
im  Kriegsfall  mobilisierte  Flotte  der  Provinzen  (rö  d^e/jarr/,öv 
rrXoi(.iov).  In  Dyrrhachion  und  Dalmatien  standen  949  sieben 
Schiffe  der  Linienflotte  '^).  Die  Provinzflotte  wurde  von  den  ein- 
zelnen Städten  ausgerüstet;  die  Ragusaner  z.  B.  hatten  nach  dem 
Privilegium   von  Kaiser  Isaak   Angelos  (1192)   bei  jedem  Seezug 

1)  Ernst  Mayer,  Die  dalmatisch-istrische  Munizipal  Verfassung,  Weimar 
1005  (Zeitschr.  der  Savigny-Stiftung  Bd.  24). 

2)  Zachariae,  Gesch.  des  griech.-röm.  Rechtes  ^^300. 

3)  Zara  (Text  der  „laudes"  um  1105):  Vjesnik  zem.  ark.  3  (1901)  If. 
Kagusa:  Mon.  bist.  jur.  9  p.  LXIII. 

4)  Konst.  Porph.  1,  664,  668. 


186  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

der  Byzantiner  auf  der  Adria  zwei  Galeeren  auf  eigene  Kosten 
aufzustellen.  Die  Landtruppen  jeder  Provinz,  befehligt  von  dem 
Statthalter,  bildeten  ein  gleichfalls  Thema  genanntes  Armeekorps. 
Das  Thema  bestand  aus  Türmen,  die  nach  den  Schilderungen  der 
Araber  bis  5000  Mann  stark  waren,  unter  einem  Turmarchen, 
welchem  die  Drungarier  untergeordnet  waren,  mit  je  einem  Drun- 
gos  von  1000  Mann,  eingeteilt  in  weitere  Unterabteilungen  nach 
dem  dekadischen  System  (S.  129)  ^).  Die  spätrömische  Institution 
der  Grenztruppen  wurde  langsam  auf  alle  byzantinischen  Provinzen 
ausgedehnt,  mit  unveräußerlichen  Soldgütern  {oTqaTnoii/.ä  xr/y- 
fiava)  und  erblichen  Soldaten  -).  Seit  dem  11.  Jahrhundert  nannte 
man  diese  Lehen  prönia  (jiQÖvoia),  was  einem  lat.  provedimentum, 
provisio  entspricht ;  diese  Institution  übernahmen  auch  die  Serben,  in 
deren  Urkunden  die  pronija  im  14. — 15.  Jahrhundert  wohlbekannt 
ist.  Die  Militarisierung  umfaßte  die  ganze  Besiedlung.  Die  Städte, 
■/MGTQOv  (lat.  castrum)  genannt ,  zerfielen  in  „  Fahnen "  (bandi), 
z,  B.  Ravenna  in  elf  solche  Bezirke  ^).  Die  Landgemeinden  waren 
in  Kleinasien  im  10.  Jahrhundert  gruppiert  in  Türmen,  diese 
wieder  in  Fahnen  (ßccvdov),  benannt  nach  den  Dörfern  oder  Pfarr- 
kirchen. Ebenso  hießen  in  Europa  im  12. — 14.  Jahrhundert  die 
Dorf  bezirke  auf  Kreta  Türmen,  in  Epirus,  Attika  und  im  Pelo- 
ponnes  Drungoi. 

Die  Grenzen  der  Staaten  waren  durch  Wälle  und  Verhaue 
genau  bezeichnet  und  strenge  bewacht.  Der  Grenzwall  der  Bul- 
garen gegen  die  Byzantiner,  der  „große  Graben"  (M€yd?^ri  Td(pQog, 
Meyccli]  oovda)  des  10.  Jahrhunderts,  ist  auf  der  Strecke  von  den 
Lagunen  bei  Burgas  bis  zur  Tundza  bei  Jambol  gut  erhalten  ^). 
Ebenso  war  in  Ungarn  und  Kroatien  im  13 — 14.  Jahrhundert  die 
Grenzlinie  begleitet  von  einem  Graben  mit  Zaun  (lat.  indago)  und 


1)  Drungus  (schon  bei  Vopiscus  und  Vegetius)  ist  germanisch:  engl, 
throng  Haufen.  Julian  Kulakovskij,  Drungos  und  Drungarios:  Viz. 
Vrem    9  (1902)  If. 

2)  Zachariae  a.  a.  0.  ='271f. 

3)  Die  hl,  Etudes  sur  Tadministration  byz.  dans  l'exarchat  de  Ra- 
venue  311. 

4)  Arch.  epigr.  Mitt.  10  (1886)  136  f.  Izvestija  arch.  inst.  10 
(1905)  538  f. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  187 

einzelnen  Toren  (portae)  ^).  Auch  die  byzantinische  Grenze  gegen 
die  Serben  war  in  der  Zeit  der  Koranenen  an  den  Pässen  und 
Übergängen  befestigt  mit  Gräben,  Verhauen  aus  gewaltigen  Baum- 
stämmen und  Burgen  oder  Türmen  aus  Holz  oder  Stein  -),  Auf 
der  serbischen  Seite  nannte  man  die  Grenzlandschaften  krajina 
oder  krajiste  (kraj  Rand).  Krajina  heißt  schon  bei  Diocleas 
die  Uferlandschaft  des  Sees  von  Skutari  zwischen  der  Bojana  und 
dem  Tal  von  Crmnica,  ebenso  das  Grenzgebiet  zwischen  Zach- 
lumien  und  dem  kroatischen  Reich  bei  Makarska  (8.  119).  In 
den  kleinen  Stadtgebieten  Dalmatiens  war  die  Absperrung  jeden- 
falls nicht  so  streng,  wie  an  der  langobardischeu  und  bulgarischen 
Grenze.  Nach  einem  Vertrag  mit  den  Bulgaren  (7 IG)  durften  die 
bulgarischen  und  byzantinischen  Kaufleute  nur  mit  Siegeln  oder 
Geleitsbriefen  über  die  Grenze;  ohne  Ausweis  verfielen  ihre 
Waren  der  Konfiskation  ').  Die  goldenen  Siegel  der  Gesandten, 
die  silbernen  der  Kaufleute,  später  (944)  ersetzt  durch  schriftUche 
Pässe,  sind  bekannt  aus  den  in  der  ältesten  Chronik  von  Bliew 
erhaltenen  Urkunden  des  10.  Jahrhunderts  über  die  alljährlich 
nach  Konstantinopel  kommende  Bootsflotte  der  Russen. 

Die  Abhängigkeit  der  Slawen  vom  Kaisertum  war  nicht 
überall  gleich.  Kleine  Stämme  innerhalb  der  Provinzen,  wie  in 
Griechenland,  hatten  vom  kaiserlichen  Statthalter  ernannte  Fürsten 
(ciQxiov),  zahlten  ein  Jahrgeld  {ztd/.TOv)  in  Goldstücken  und  waren 
verpflichtet  zur  Heeresfolge  \).  Bei  den  mächtigen  Stämmen  jen- 
seits der  Grenze  im  Norden  mußte  dagegen  das  Reich  den  erb- 
lichen Slawenfürsten  Jahrgelder  zahlen.  Nach  den  Berichten  des 
Porphyrogenneteu  entrichteten  die  nördlichen  Städte  Dalmatiens 
den  Slawen  je  100—200  Goldstücke,  außer  den  Leistungen  in  Wein 
und  anderen  Naturalien;  Ragusa  aber  zahlte  den  Fürsten  der 
Zachlumier  und  Terbuniaten  je  36  Goldstücke,  weil  es  Weingärten 
auf  dem  Boden  beider  Nachbarn  besaß  '").    Es  ist  sehr  zweifelhaft, 

1)  Thallöczy,  Die  Grafen  von  Blagay  (Wien  1898)  16—17.  Kiaic: 
Vjesnik  arheol.  N.  S.  7  (1903)  If. 

2)  Anna  Komnena  IX  cap.  1. 

3)  Theophanes  ed.  De  Boor  1,  497. 

4)  Konst.  Porph.  3,  220f. 

5)  Derselbe  3,  147  (Cattaro  fehlt). 


188  Drittes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

ob  es,  wie  Konstantin  meint,  ursprünglich  eine  Einnahme  des 
byzantinischen  Statthalters  war,  erst  von  Basilios  I.  den  Nachbarn 
geschenkt.  In  Ragusa  war  der  im  13. — 15.  Jahrhundert  ma- 
garisium  (margarisium),  slawisch  mogoris  genannte  Tribut  an 
die  Trebinjer  und  Zachluraier  ein  Bodenzins,  den  die  Gemeinde 
bei  den  Besitzern  der  Weingärten  einsammelte  und  den  Nachbarn 
zu  bestimmten  Terminen  abführte  ^).  Truppenkontingente  gab  es 
auch  im  Norden.  Unter  Basilios  I.  wurden  die  Mannschaften  der 
Chrovaten,  Serben,  Zachlumier,  Terbuniaten  und  Kanaliten  auf 
den  Schiffen  der  dalmatinischen  Städte  gegen  die  Araber  nach 
Unteritalien  hinübergeführt  -).  Als  sich  die  kaiserlichen  Feld- 
herren zur  Vertreibung  der  Araber  aus  Tarent  rüsteten,  befehligte 
Prokopios  die  Westländer  (övti'/.oi)  und  Slawen  (ßy.laßrivoi),  Leon 
Apostyppes  die  Thraker  und  Makedonier;  Leon  ließ  aber  in  einer 
Schlacht  seinen  Kollegen  im  Stich,  nahm  nach  dessen  Tode  seine 
Truppen  zu  sich  und  eroberte  Tarent  allein  ').  In  der  Zeit  der 
Komnenen  war  der  serbische  Großzupan  verpflichtet,  bei  den  Feld- 
zügen des  Kaisers  im  Westen  2000  Mann  zu  senden,  in  Asien 
300,  später  500  Mann  ^).  Die  Gesandten  nicht  nur  des  Papstes 
und  der  westlichen  Kaiser,  sondern  auch  der  Russen  und  der 
dalmatinischen  Slawen  nannte  man  Apokrisiarier  {aiToy.oLaLctQioi, 
eigentlich  „ Beantworter ^■) ;  davon  stammt  altserbisch  poklisar  der 
Gesandte,  bekannt  in  der  Neuzeit  in  Ragusa  bis  zum  Fall  der 
Republik  (1808).  Unter  den  Beamten  des  Logotheten  tov  öq6(aov, 
des  Postministers  und  zugleich  Ministers  des  Äußeren,  gab  es 
Dolmetscher  (eQ(.irivevTai)  für  den  Verkehr  mit  arabischen,  arme- 
nischen, slawischen  und  anderen  Gesandten  ■').  Bei  dem  Empfang 
der  slawischen  Sendboten  war  der  Kaiser  bestrebt,  in  besonderem 
Glänze  zu  erscheinen.  Michael  III.  empfing  sie,  wie  im  Zere- 
raonienbuche    zu   lesen   ist,    im    Chrysotriklinon ,    dem    „goldenen 


1)  Vgl.  meine  Handelsstraßen  12,  Rom.  Dalm.  1,  91. 

2)  Konst.  Porph.   3,    131;   Theoph.   Cont.   293  (Narentaner  und 
Dioklitier  fehlen). 

3)  Theoph.  Cont.  306.     Vasiljev,  Byzauz  und  die  Araber,  russ.  2 
^Petersburg  1902)  88  (um  880—885). 

4)  Kinn  am  OS  III  cap.  9. 

5)  Vgl.  Bury,  Byz.  Z.  15  (1906)  540f. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  189 

Saal",  auf  dem  Throne  sitzend  in  dem  mit  Edelsteinen  auf  Gold- 
grund besetzten  Purpurgewand,  mit  der  Krone  auf  dem  Haupte; 
sie  wurden  von  dem  Logotheten  vorgestellt  und  mit  Kleidern  be- 
schenkt. Die  kaiserlichen  Schreiben  an  die  Fürsten  der  Kroaten, 
Serben,  Zachlumier,  Travunier,  Kanaliten  und  Dioklitier,  stets  mit 
goldenem  Siegel,  waren  abgefaßt  als  kaiserlicher  „ Befehl •'•  (/e- 
Ä,Evoig)  ^).  Die  Verträge  der  Byzantiner  z.  B.  mit  den  heidnischen 
Russen  und  Bulgaren  waren  griechisch  niedergeschrieben.  Auch 
die  Siegel  der  serbischen  Fürsten  hatten  griechische  Inschriften, 
wie  die  des  Peter  von  Dioklitien  (S.  124)  und  des  Stephan  Ne- 
mauja  -).  Dagegen  waren  die  Verträge  der  Slawen  mit  den 
Städten  Dalmatiens  noch  zu  Ende  des  12.  Jahrhunderts  lateinisch 
abgefaßt,  mit  cyrillischen  Unterschritten  der  serbischen  Fürsten, 
der  Vertrag  zwischen  Ragusa  und  Ban  Kulin  von  Bosnien  (1189) 
auf  demselben  Blatt  zuerst  lateinisch,  dann  slawisch  in  cyrillischer 
Schrift  3). 

Neben  den  Byzantinern  waren  eine  mächtige  Nation  die  seit 
679  zwischen  Donau  und  Hämus  angesiedelten  Bulgaren ;  vor  800 
reichte  ihr  Gebiet  im  Westen  nur  wenig  über  den  Isker  hinaus 
(S.  lOG).  Die  Slawen  ihres  Landes  werden  in  den  byzantinischen 
Berichten  des  8. — 9.  Jahrhunderts  in  den  Heeren  immer  abseits 
neben  den  Bulgaren  genannt,  mit  eigenen  Fürsten  {aQyovteg), 
welche  z.  B.  unter  Krum  an  den  Gastmählern  des  bulgarischen 
Herrschers  teilnahmen  oder,  wie  ein  Dragomir,  für  ihn  Gesandt- 
schaftsreisen unternahmen.  Griechen,  Reste  alter  Einwohner,  Über- 
läufer oder  Gefangene  meißelten  die  merkwürdigen ,  in  unseren 
Tagen  gesammelten  griechischen  Inschriften  des  heidnischen  Bul- 
gariens ^).  Das  Volk  war  in  Geschlechter  {yevea)  eingeteilt.  Der 
Fürst  heißt  in  den  Inschriften  Khan  {y.avag)  oder  „Fürst  von 
Gott"  (6  ex  ^Eov  aqywv).      Den    höheren   Adel   bildeten  die   Bol- 


1)  Konst.  Porph.  1,  634,  691. 

2)  Goldsiegel:    2!(f'Qay\g     Zraifdvov     ixtycü.ov    iovndvov     tov    Nffiüvtu. 
Cajkanovic,  Byz.  Z.  19  (1910)  113  A.  1. 

3)  Jirecek,  Arch.  slaw.  Phil.  26  (1904)  167. 

4)  Sammlung  von    Th.    Uspenskij:    Izvestija    arch.    inst.    10    (1905) 
173—242,  544-554. 


190  Drittes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

jaren  (ßoiMdeg,  ßolidöeg,  kircbenslaw.  byl  oder  boljarin)  ^),  den 
unteren  Adel  die  Bagainen  (ßayaivoi,  slaw.  ugain).  Hervorragende 
Männer  beider  Klassen  führten  den  Ehrentitel  „bagatur"  oder 
„bogotor"  (mongolisch  baghatür  Held).  Hohe  Würden  waren  die 
des  Kauchan  und  Tarkan;  die  Provinzialstatthalter  nannte  man 
im  9.  Jahrhundert  Comes  (xd,aijg).  Die  großen  Eroberungen 
führten  dazu,  daß  sich  die  Bulgaren  zwischen  den  Slawen  weit 
zerstreuten.  Nach  800  führen  einzelne  Mitglieder  der  Dynastie 
slawische  Namen  (Malomir,  Vladimir).  Als  das  Christentum  die 
Gegensätze  noch  mehr  ausgegUchen  hatte,  slawisierte  sich  das 
Volk,  ebenso  wie  die  germanischen  Franken  und  Langobarden 
zwischen  den  Romanen  von  Gallien  und  Italien.  Die  wichtigste 
der  Residenzen  (avXal),  bei  den  Slawen  Pliskov  genannt,  befand 
sich  nordöstlich  von  Sumen  bei  dem  jetzigen  Türkendorf  Aboba, 
ein  riesiges  Nomadenlager,  ungefähr  25  Quadratkilometer  groß, 
mit  Wall  und  Graben  im  Viereck  umschlossen,  mit  einer  gemauerten 
Burg  in  der  Mitte  ~).  Erst  später  gründete  man  weiter  südhch 
eine  neue  Residenz  am  Nordfuß  der  waldigen  Vorberge  des  Hä- 
mus,  das  einen  slawischen  Namen  führende  Preslav  (ursprünglich  ^) 
Prej^slav).  Die  Bulgaren  waren  ein  kriegerisches  Volk  mit  fester 
Disziplin  und  strengem  Recht.  Ihre  treffliche  Reiterei  war  stets 
zum  Ausmarsch  in  den  Krieg  bereit.  Das  Fußvolk  stellten  die 
Untertanen  Slawenstämme,  denen  auch  die  Bewachung  der  Grenzen 
anvertraut  Avar.  Idole  werden  in  der  Antwort  des  Papstes  Ni- 
kolaus I.  an  die  Gesandten  des  Fürsten  Boris  erwähnt,  Menschen- 
und  Tieropfer  bei  der  Belagerung  von  Konstantinopel  durch  den 
Fürsten  Krum. 

Die  Politik  des  byzantinischen  Reiches  beschränkte  sich  in 
den  Hämusländern  seit  dem  7.  Jahrhundert  während  der  arabischen 
Kriege  größtenteils  auf  die  Defensive.  Alle  großen  politischen  Be- 
wegungen in  diesen  Ländern  hatten  damals  ihren  Schauplatz  außer- 
halb  der   byzantinischen    Grenzen,   im   Donaugebiet.      Nach   dem 


1)  Die  Endung  -«V,  -ddes  ist  griechisch   (vgl.    a/xrjoei^fg  Emire),   -arin 
slawisch  (wie  gospodar  neben  gospod  Herr). 

2)  Izvestija  areh.  inst.  10  mit  Atlas. 

3)  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899)  613. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  191 

Verfall  der  Awaren  rückten  hier  vom  Osten  die  Bulgaren  und 
Ungarn  vor,  von  Westen  her  die  Franken  unter  Karl  dem  Großen, 
dessen  gewaltige  Eroberungen  die  Griechen  nicht  wenig  beunruhig- 
ten. Karl  eroberte  das  Königreich  der  Langobarden,  besetzte  das 
byzantinische  Istrien  (um  788)  und  vernichtete  das  Khanat  der 
Awaren  (791 — 796).  Awarische  Flüchtlinge  sammelten  sich  unter 
den  Fahnen  des  Bulgarenfürsten  Krum.  Die  ehemaUge  Landschaft 
des  Chagans  an  der  Theiß  und  Donau  wurde  eine  Wüste.  Die 
Slawen  an  der  Drau,  Save  und  Kulpa  kamen  unter  fränkische 
Hoheit  ^).  Die  Markgrafen  von  Friaul  unterwarfen  auch  die  Kroa- 
ten bis  vor  die  Tore  der  byzantinischen  Städte  Dalmatiens,  un- 
gefähr bis  zur  Cetina;  Markgraf  Erich  fiel  dabei  im  Kampfe  bei 
Tarsatica,  der  hochgelegenen  Burg  Tersatto  (kroat.  Trsatj  bei  Fiume 
(799).  Als  Karl  in  Rom  zum  Kaiser  gekrönt  wurde  (800),  standen 
die  Byzantiner  eben  unter  der  Weiber-  und  Eunuchenherrschaft 
der  Kaiserin  Irene,  deren  Sturz  durch  die  Militärpartei  mit  Er- 
hebung des  Logotheten  Nikephoros  auf  den  Thron  (802)  die  Be- 
wegung im  Grenzgebiete  nicht  aufhalten  konnte.  Unter  den 
Romanen  von  Venedig  und  Dalmatien  bildete  sich  eine  fränkische 
Partei;  die  Venezianer,  der  „dux  Jaderae"  Paul  und  Bischof 
Donatus  von  Zara  unterwarfen  sich  Kaiser  Karl  in  Diedenhofen 
in  Lothringen  (805),  aber  die  Operationen  der  byzantinischen  See- 
macht von  Kephallenia  aus  erneuerten  wieder  die  Autorität  von 
Byzanz,  da  die  Franken  keine  Flotte  besaßen.  Die  Aufmerksam- 
keit der  Byzantiner  war  damals  ganz  in  Anspruch  genommen 
durch  das  Vordringen  der  Bulgaren,  welche  in  dem  Zwischenräume 
zwischen  den  Oströmern  und  Franken  große  Eroberungen  be- 
gannen.    Krum  nahm  Serdica  ein,    die  letzte  große  Festung   des 


1)  Nach  der  Zerstörung  von  Mailand  1162  kamen  flüchtige  Mailänder 
in  das  Komitat  von  Kalocsa  und  gründeten  die  Ortschaften  Francavilla 
(magyar.  Nagy-Oläsz,  jetzt  Älandjelos  bei  Mitrovica)  und  Cadabul,  beide  mit 
Kirchen  des  hl.  Ambrosius:  Chronicon  Tolosani,  vgl.  Julius  Jung,  Mitt. 
des  österr.  Inst.  19  (1898)  388.  Von  diesen  italienischen  „Franken" 
{'f'QÜyyog  altserb.  Frug,  Plur.  Fruzi),  nicht  von  denen  Karls  des  Großen, 
stammt  der  Name  der  Landschaft  Frankochorion  in  der  Umgebung  von 
Sirmium  bei  Niketas  Akominatos  und  des  heute  wohlbekannten 
,,  Frankenberges  ",  der  Fruska  Gora. 


193  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

griechischen  Reiches  im  Innern  der  Halbinsel  (809),  schlug  den 
Kaiser  Nikephoros,  der  bei  einem  Einbruch  in  Bulgarien  den  Tod 
fand  (811),  ebenso  dessen  Nachfolger  Michael  I.  bei  Adrianopel, 
und  belagerte  zuletzt  den  neuen  Kaiser  Leon  den  Armenier  ohne 
Erfolg  in  Konstantinopel  (813).  Nach  Krums  Tode  schloß  sein 
Nachfolger  Omortag  wieder  Frieden  mit  Leon  (814)  ^).  Indessen 
hatte  sich  Michael  I.  mit  Karl  verglichen;  Venedig  und  die  See- 
städte (maritiraae  civitates)  von  Dalmatien  blieben  den  Griechen, 
die  Slawen  von  Liburnien  und  Dalmatien  den  Franken  (812).  Die 
Grenzfragen  bei  den  dalmatinischen  Städten  (de  finibus  Dalma- 
torum,  Romanorum  et  Slavorum)  wurden  nach  Karls  Tod  von 
Abgesandten  des  Kaisers  Leon  und  des  Kaisers  Ludwig  des  From- 
men an  Ort  und  Stelle  geregelt  (817)  -). 

In  dieser  Zeit  werden  im  Nordwesten  der  Halbinsel  fünf 
Territorien  erwähnt.  Der  Herzog  von  Niederpannonien  Ljudevit 
(dux  Pannoniae  inferioris)  mit  dem  Sitz  in  Siscia  (Sisak)  war  zwar 
ein  fränkischer  Vasall,  wartete  aber  auf  eine  Gelegenheit  zum 
Abfall  3).  Im  Gegensatz  zu  ihm  war  Borna  *),  „  dux  Dalmatiae  et 
Liburniae",  der  erste  bekannte  Fürst  der  Kroaten,  ein  Anhänger 
der  Franken.  Zu  seinem  Gebiete  gehörten  im  Norden  auch  die 
Guduscani,  in  der  späteren  Zupa  Gadska  oder  Gacka  bei  Otocac. 
Nach  seinem  Tode  folgte  mit  Bestätigung  durch  den  west- 
lichen Kaiser  sein  Neffe  Vladislav;  von  den  späteren  Nachfolgern 
sind  aus  den  Urkunden  der  Kirche  von  Spalato  und  venezianischen 
Nachrichten  bekannt  Mojslav  (um  839)  und  Trpimir,  „dux  Chroa- 
torum"  (um  852).  Ein  dritter  Fürst,  dessen  Wohnsitz  nicht  näher 
bezeichnet  wird,  war  (819)  Dragomuz  (Dragamosus),  Schwieger- 
vater des  Ljudevit  und  Freund  des  Borna;  ein  vierter,  gleichfalls 
in    „Dalmatia",    war    Bornas    Oheim    Ljutomysl    (Liudemuhslus). 


1)  Ein  Fragment  dieses  Vertrages  ist  die  Inschrift  von  Suleimanköi ; 
vgl.  Bury,  English  Hist.  Review  1910  Apr.  '276f. 

2)  Hartmann,  Gesch.  Italiens  3,  1,  63 f. 

3)  Die  Belege  auch  bei  Racki,  Doc.  320—328.  Liudewitus  stellt 
Miklosich  mit  Ijud  Volk  zusammen;  bekannter  sind  Namen  mit  Ijut 
scharf,  Ljutovid  u.  a. 

4)  Kurzform  für  Namen  von  bori-  liämpfen  (Borislav,  Borivoj  u.  a ). 
Vgl.  böhm.  Boren,  poln.  Borzim. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrb.  19S 

Weiter  östlich  befanden  sich  die  Landschaften  der  Serben,  welche 
den  Franken  nicht  untergeordnet  waren,  unter  der  Regierung 
einiger  Herzöge  (duces)  nebeneinander.  Herzog  Ljudevit  begann 
(819)  einen  Aufstand,  unterstützt  von  den  Slawen  von  Krain  und 
Kärnten.  Von  den  Franken  an  der  Drau  zurückgeschlagen, 
wendete  er  sich  südwärts  gegen  den  mit  einem  großen  Heere 
heranrückenden  Borna  und  besiegte  ihn  an  den  Ufern  der  Kulpa. 
Der  mit  Borna  verbündete  Fürst  Dragomuz  fiel  in  der  Schlacht. 
Die  G.iduscani,  deren  Abfall  die  Niederlage  verursacht  hatte, 
wurden  zu  Hause  von  Borna  eingeholt  und  wieder  unterworfen. 
Im  Dezember  brach  dann  Ljudevit  in  Dalmatien  ein.  Borna  zog 
seine  Leute  in  die  Burgen  zurück  und  beunruhigte  den  Feind  mit 
auserlesenen  Truppen  bei  Tag  und  Nacht  durch  kleine  Angriffe 
so  lange,  bis  er  ihn  zur  Umkehr  gezwungen  hatte.  Wie  dem 
Kaiser  Ludwig  dem  Frommen  nach  Aachen  gemeldet  wurde,  hatte 
Ljudevit  dabei  an  3000  Mann  an  Toten  verloren;  überdies  wurden 
ihm  über  300  Pferde  und  zahlreiches  Gepäck  als  Beute  abgenom- 
men. Systematische  Operationen  der  fränkischen  Heere  in  drei 
Richtungen,  aus  Bayern,  Kärnten  und  Friaul,  zwangen  Ljudevit 
zwei  Jahre  nachher  zur  Flucht  aus  Siscia  zu  den  Serben  (822). 
Einer  der  serbischen  Herzöge  nahm  ihn  in  seine  Burg  auf,  wurde 
aber  von  dem  Flüchtling  hinterlistig  getötet,  der  nun  die  Festung 
für  sich  besetzte.  Doch  fühlte  sich  Ljudevit  darin  nicht  sicher, 
verließ  die  Serben  und  floh  zu  Bornas  Oheim  Ljutomysl,  der  ihn 
nach  kurzer  Zeit  ermorden  ließ  (823). 

Die  Byzantiner  konnten  diesen  Ereignissen  keine  Aufmerk- 
samkeit widmen.  Nach  der  Ermordung  des  Armeniers  Leon  wurde 
der  neue  Kaiser  Michael  H.  ein  ganzes  Jahr  (821 — 822)  in  Kon- 
stantinopel von  dem  Prätendenten  Thomas  belagert,  der  nach 
einigen  Nachrichten  ein  Armenier,  nach  anderen  ein  Slawe  aus 
den  Kolonien  in  Kleinasien  war,  und  besiegte  ihn  erst  mit  Hilfe 
des  Bulgarenfürsten  Omortag  (823).  Eine  unmittelbare  Folge  dieser 
Wirren  war  die  Besetzung  von  Kreta  und  des  Westens  von  Sizilien 
durch  die  Araber,  womit  der  Verfall  der  byzantinischen  Seeherr 
Schaft  begann.  Zugleich  fingen  die  Bulgaren  an  ihre  Grenzen  mit 
großer  Energie  nach  Westen  auszudehnen.   Schon  in  Krums  Heeren 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  13 


194  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

befanden  sich  nach  dem  Sieg  über  Kaiser  Nikephoros,  neben  Bul- 
garen und  Awaren,  Slawen  angeblich  aus  „allen  Slavinien  ^)".  In 
den  Verträgen  kam  die  Unterscheidung  auf  zwischen  den  Slawen, 
welche  dem  Kaiser,  und  denjenigen,  welche  den  Bulgaren  unter- 
geben waren  ^).  Die  Franken  faßten  diese  Unterordnung  als  einen 
Bund  auf  (Bulgarorum  societas).  Viele  Stämme  leisteten  Wider- 
stand. Ein  Teil  der  Timociani  wanderte  vom  Timok  lieber  west- 
wärts zu  den  Franken,  wurde  aber  von  Ljudevit  überredet,  bei 
ihm  zu  bleiben  (818).  Auch  die  nördlich  von  der  Donau  woh- 
nenden Praedenecenti  (S.  123)  baten  Kaiser  Ludwig  um  Hilfe  gegen 
die  Bulgaren  (824)  ^).  Auf  einem  von  Omortag  aufgestellten  Grab- 
stein ist  zu  lesen,  daß  damals  einer  seiner  Großen,  der  Tarchan 
Onegavon  bei  einem  Feldzug  in  der  Theiß  (Ti^aa)  ertrunken  sei*), 
während  andere  Expeditionen  dieses  Fürsten,  wahrscheinlich  gegen 
die  Chazaren,  im  Osten  bis  zum  Dnjepr  vorrückten  ^).  Als  die 
Franken  dem  Abschluß  eines  Grenzvertrages  mit  Omortag  aus- 
wichen, fuhr  eine  bulgarische  Bootsflotte  1^827)  die  Drau  aufwärts, 
vertrieb  die  von  den  Franken  eingesetzten  Fürsten  (duces)  der 
pannonischen  Slawen  und  setzte  bulgarische  Statthalter  ein  (bul- 
garicos  rectores).  Doch  kam  es  bald  zur  Erneuerung  friedlicher 
Beziehungen.  Sicher  ist  es,  daß  die  Bulgaren  in  der  äußersten 
Südostecke  Pannoniens  das  alte  Sirmium  (slaw.  Srem  oder  Strem) 
behielten,  wo  sie  nach  ihrer  Bekehrung  einen  Bischofsitz  errich- 
teten ^).  Indessen  unterwarfen  sie  sich  von  der  Landschaft  von 
Serdica  aus  die  Slawenstämme  Makedoniens  bis  zum  byzantinischen 
Küstenland  bei  Thessalonich  und  wurden  nach  der  Besetzung  von 
Ochrid  und  der  Landschaft  am  Flusse  Devol  auch  Nachbarn  der 
Provinz  von  Dyrrhachion,  Die  Chronologie  dieser  Erwerbungen 
im  Südwesten  ist  unbekannt;  nach  der  Legende  des  heiligen  Kle- 


1)  Anon.  de  Leoue  imp.  ed.  Bonn.  p.  347. 

2)  Bury  a.  a.  O.  279. 

3)  Böhmer-Mühlbacher,  Regesta  1  (1889)  nro.  658f. 

4)  Kaiinka,  Antike  Denkmäler  in   Bulgarien   (Wien    1906)  nro.    87; 
Izvestija  ai-ch.  inst.  10,  191. 

5)  Kaiinka  nro.  88.     Izvestija  10,  190. 

6^  Bischof  Zt-ouiov  ^toi  ^^TQutyov,  &(>üfiov:  Byz.   Z.    1   (1892)   257,    2 
(1893)  43,  53. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  195 

mens  und  der  Märtyrer  von  Tiberiopolis  besaßen  sie  das  innere 
Makedonien  sicher  unter  Boris. 

Die  Verbindung  zwischen  den  Landschaften  von  Belgrad  und 
Sirmium  und  dem  neu  erworbenen  Westen  Makedoniens  störten 
den  Bulgaren  die  kriegerischen  Serben.  Ihr  Fürst  Vlastimir  ver- 
teidigte sich  drei  Jahre  lang  mit  Erfolg  gegen  die  Angriffe  des 
Bulgarenfürsten  Presiam  (um  850).  Seine  drei  Söhne  Mutimir, 
Strojimir  und  Gojnik  schlugen  in  ihrem  Lande  den  Fürsten  Boris, 
welcher  die  Niederlage  seines  Vaters  Presiam  rächen  wollte,  und 
nahmen  Vladimir,  des  Boris  Sohn,  mit  zwölf  der  großen  Boljaren 
gefangen  ^).  Ungern  schloß  Boris,  um  in  dem  Gebirge  auf  dem 
Rückzug  einer  neuen  Katastrophe  zu  entgehen,  einen  Frieden  mit 
Austausch  von  Geschenken,  worauf  ihm  zwei  Söhne  des  Mutimir 
das  Geleite  bis  zur  Grenze  bei  Ras  gaben.  Das  serbische  Ge- 
schenk, bestehend  aus  Sklaven,  Falken,  Jagdhunden  und  Pelzen, 
wurde  später  von  den  Bulgaren  als  Tribut  bezeichnet.  Auch  mit 
den  Kroaten  hatte  Boris  vergeblich  gekämpft.  Bald  jedoch  brachen 
zwischen  den  serbischen  Fürsten  Zwistigkeiten  aus.  Mutimir  strebte 
mit  Hilfe  der  Bulgaren  nach  der  Alleinherrschaft,  nahm  seine  beiden 
Brüder  gefangen  und  Heferte  sie  dem  Boris  aus.  Nach  seinem 
Tode  (um  890)  wurde  aber  sein  ältester  Sohn  Prvoslav  schon 
nach  einem  Jahre  vertrieben  von  seinem  Vetter  Peter,  des  Gojnik 
Sohn,  welcher  den  serbischen  Thron  von  Kroatien  aus  als  byzanti- 
nischer Schützling  für  viele  Jahre  in  Besitz  nahm  (ungefähr  891  bis 
917).  Die  verdrängten  Mitgheder  der  FamiKe  mußten  ins  Aus- 
land ;  der  gestürzte  Prvoslav  mit  seinen  Brüdern  Bran  (oder  Boren) 
und  Stephan  lebte  in  Kroatien,  Prvoslavs  Sohn  Zacharias  später  in 
Konstantinopel. 

Das  Schwanken  des  byzantinischen  Einflusses  in  Serbien  er- 
klärt sich  durch  den  Verfall  der  Autorität  des  Reiches  im  Adria- 
tischen  Meere.  Mit  der  Eroberung  von  Tarent  (839)  und  Bari 
(841)  durch  die  Araber  brachen  für  Italien  die  trübsten  Zeiten 
herein.     Neben  den  Raubfahrten  der  Araber  bis  in  den  Quarnero 


1)  Wohl  nach  der  Taufe  des  Fürsten  (864),  der  schon  Michael  Boris 
genannt  wird;  auch  war  der  Thronfolger  Vladimir  bereits  erwachsen.  Konst. 
Porph.  3,  154 f.,  oflFenbar  nach  den  Erzählungen  der  Serben. 

1.3* 


196  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

wuchs  die  Piraterie  der  Kroaten  und  besonders  der  Narentaner, 
welche  schon  um  830  die  großen  Inseln  vor  der  Narentamündung 
besetzt  hatten  Die  Burgen  der  Inseln  von  Curzola  bis  Zara 
wurden  zu  Ruinen,  wie  sie  Konstantin  Porphyrogennetos  beschreibt. 
Die  Dogen  von  Venedig  mußten  zum  Schutz  ihres  Handels  persön- 
lich an  die  dalmatinische  Küste  ziehen  und  die  Slawen  zu  Ver- 
trägen zwingen,  Petrus  Tradonicus  (839)  gegen  den  Fürsten  Moj- 
slav  von  Kroatien  und  die  Narentaner,  Ursus  Particiacus  (um  865) 
gegen  den  Fürsten  Domagoj  i).  In  der  Zeit,  als  Michael  III  er- 
mordet und  sein  Mitregent,  der  aus  den  armenischen  Militärkolonien 
an  der  bulgarischen  Grenze  in  Thrakien  gebürtige  Basilios  I.  zum 
Alleinherrscher  erhoben  wurde  (867),  verheerten  die  Araber  von 
Bari  die  Städte  Budua  und  Rosa  (Porto  Rose),  plünderten  die 
Unterstadt  von  Cattaro  und  belagerten  mit  aller  Energie  Ragusa. 
Der  neue  Kaiser  sendete  den  Admiral  Niketas  Ooryphas  mit  100 
Schiffen  nach  Dalmatien,  doch  die  Araber  eilten  vor  seiner  Ankunft 
nach  Bari  zurück  -).  Darauf  verbündeten  sich  Kaiser  Basilios  I. 
und  Kaiser  Ludwig  IL,  der  letzte  Karolinger,  der  in  Italien  resi- 
dierte, zur  Eroberung  von  Bari,  welches  von  Ludwig  (Februar 
871)  eingenommen  wurde;  in  seinem  Heere  befanden  sich  dabei 
neben  Franken  und  Langobarden  auch  die  Kroaten  als  fränkische 
Vasallen  (populi  Sclaveniae  nostrae)  ^).  Kurz  zuvor  segelte  der 
byzantinische  Admiral  Niketas  zum  zweitenmal  an  die  dalmatinische 
Küste,  weil  die  Narentaner  die  vom  Konstantinopler  Konzil  heim- 
kehrenden päpstlichen  Gesandten  auf  der  Überfuhr  von  Dyr- 
rhachion  nach  Italien  gefangen  und  beraubt  hatten.  Die  Griechen 
verheerten  die  Burgen  der  Narentaner  und  griffen  auch  die  Kroaten 
an,  welche  damals  unter  dem  Fürsten  Domagoj  als  Piraten  sehr 
in  Verruf  standen.     Ludwig  beklagte  sich  bei  Basilios,  der  Patri- 


1)  Venet.  Annalen  830 — 890  benutzt  bei  Johannes  Diaconus. 
Vasiljev,  Byzanz  und  die  Araber,  russ.  1  (Petersburg  1900)  145 f. 

2)  Konst.  Porph.  dreimal  3,  Gl— 62,  130-136  und  Vita  Basilii  I, 
Theoph.  Cont.  289 — 297,  mit  verwirrter  Chronologie,  obwohl  er  (3,  130) 
in  seiner  Vorlage  gelesen  hat,  daß  die  Araber  Bari  40  (ricbtig  30)  Jahre 
besaßen. 

3)  Hauptquelle  das  Schreiben  Ludwigs  II.  an  Basilios  I.  871  im  Chron. 
Salernitanum. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jabrh.  197 

kios  Niketas  habe  eben,  als  die  Leute  des  fränkischen  „Slaweniens" 
mit  ihren  Schififen  bei  Bari  standen,  die  Burgen  ihrer  Heimat  zer- 
stört, und  verlangte  vom  Kaiser  die  Freilassung  der  Gefangenen. 
Die  Slawen  Dalmatiens  haben  aber  ihre  Seezüge  nicht  eingestellt; 
sie  plünderten  Rovigno  und  andere  Städte  Istriens,  wurden  jedoch 
vom  Dogen  Ursus  empfindlich  geschlagen  (um  875).  Statt  der 
Araber  von  Bari  kamen  die  von  Kreta,  verwüsteten  einige  dalma- 
tinische Gemeinden,  darunter  die  seitdem  verschollene  Stadt  von 
Brazza  (872),  erlitten  aber  von  Niketas  in  den  griechischen  Ge- 
wässern eine  vollständige  Niederlage.  Nach  Kaiser  Ludwigs  Tod 
(875)  ging  Basilios  energisch  an  die  Restauration  der  byzantinischen 
Herrschaft  in  Unteritalien  und  Dalmatien.  Das  bisher  fränkische 
Bari  wurde  sofort  von  den  byzantinischen  Feldherren  besetzt,  die 
Araber  aus  Tarent  und  allen  Burgen  des  Festlandes  vertrieben. 
In  Dalmatien  haben  die  Byzantiner  die  Narentaner  getauft,  in 
Kroatien  und  in  den  alten  dalmatinischen  Städten  (um  879)  auch 
die  lateinische  Kirche  für  kurze  Zeit  unter  griechischen  Einfluß 
gebracht.  Auf  den  Thron  Kroatiens  wurde  ein  griechischer  Schütz- 
ling Zdeslav  gesetzt.  Es  ist  aber  charakteristisch,  daß  schon  ein 
Jahr  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Basilios  I.  der  Doge  Pietro 
Candiano  I.  v/ieder  persönlich  gegen  die  Narentaner  ziehen 
mußte,  aber  bei  einem  mißglückten  Landungsversuche  den  Tod 
iand  (887). 

Der  erste  christliche  Fürst  von  Bulgarien  Michael  Boris  ver- 
ließ (um  889)  freiwillig  den  Thron,  um  seine  alten  Tage  dem 
Klosterleben  zu  widmen,  welches  für  die  neubekehrten  Bulgaren 
eine  gewaltige  Anziehungskraft  besaß.  Das  Klostergevvand  legte 
er  ab,  als  sein  Nachfolger  Vladimir,  derselbe,  welcher  einmal  Ge- 
fangener der  Serben  gewesen  war,  eine  heidnische  Reaktion  ver- 
suchte. Boris  besiegte  den  ungehorsamen  Sohn,  der  gefangen  und 
geblendet  wurde,  setzte  den  jüngeren  Symeon  ein,  der  nach  Liud- 
prand  auch  „aus  der  Stille  des  Klosters  in  die  Stürme  der  Welt" 
herauskam,  und  kehrte  wieder  in  seine  stille  Klause  zurück  (j  907). 
Symeon  (893? — 927)  war  in  Konstantinopel  erzogen,  wahrschein- 
lich an  der  Hofschule,  hatte  Sinn  für  Bildung  und  Literatur  und 
lebte  wie  ein  Eremit  ohne  Fleisch  und  Wein;  er  war  aber  durch 
Schule  und  Kloster  dem  Kriegswesen  keineswegs   entfremdet  und 


198  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

nahm  sogar  persönlich  an  dem  Kampfgetiimmel  der  Schlachten 
teil,  ganz  anders  als  der  gelehrte,  von  Frauen  und  Günsthngen 
beeinflußte  Nachfolger  ßasihos'  L,  Kaiser  Leon  der  Weise.  Mit 
aller  Kraft  ging  Symeon  einem  Ziele  nach:  der  Eroberung  Rumä- 
niens und  der  Erlangung  der  byzantinischen  Kaiserkrone.  Die 
Griechen  warfen  ihm  vor,  er  stehe  unter  dem  Einfluß  von  ..Pseudo- 
propheten"  und  Sterndeutern.  Er  verkehrte  seinerseits  mit  ihnen 
voll  Ironie,  Hochmut  und  Hohn,  wie  aus  seiner  Korrespondenz 
mit  dem  Magistros  Leon  und  dem  Kaiser  Roman  Lakapenos  zu 
sehen  ist.  Während  des  ersten  Krieges  Symeons  mit  den  Byzan- 
tinern (ungefähr  893 — 896)  verbündete  sich  Kaiser  Leon  mit  den 
Ungarn  oder  Magyaren  im  jetzigen  Bessarabien,  aber  die  Bulgaren 
vereinigten  sich  mit  den  in  der  Pontussteppe  mächtigen  türkischen 
Petschenegen  und  vertrieben  die  Ungarn  westwärts  in  die  Steppen 
des  alten  Awarenlandes  (895—896).  Von  dort  begannen  die 
Scharen  der  Ungarn  bald  Züge  in  die  westlichen  Nachbarländer, 
scheinen  aber  mit  dem  Serbenfürsten  Peter,  einem  byzantinischen 
Vasallen,  freundschaftHche  Beziehungen  gehabt  zu  haben.  Nach 
neuen  Siegen  über  die  Griechen  besetzten  die  Bulgaren  im  Westen 
dreißig  Burgen  der  Provinz  von  Dyrrhachion,  stellten  sie  aber,  wie 
Magistros  Leon  in  seinen  Briefen  ^)  darlegt,  im  Frieden  wieder 
zurück.  Die  Byzantiner  mußten  dem  Symeon  fortan  Tribut  zahlen. 
Soviel  wir  wissen,  war  der  serbische  Fürst  Peter  Gojnikovic  an 
diesem  Kriege  nicht  beteiligt,  hatte  sich  aber  gegen  Prätendenten 
aus  der  Verwandtschaft,  seine  Vettern  zu  verteidigen.  Zuerst  wui-de 
Bran,  Mutimirs  Sohn,  geschlagen,  gefangen  und  geblendet  (um  894). 
Zwei  Jahre  später  brach  Klonimu-,  Sohn  des  Strojimir  aus  Bul- 
garien ein,  besetzte  sogar  die  Hauptburg  Dostinika,  fand  aber  im 
Kampfe  den  Tod  (um  896).  Nach  diesen  Erfolgen  regierte  Peter 
noch  20  Jahre  und  erweiterte  seine  Macht  auch  über  das  Bosnatal 
und  das  Land  der  Narentaner  (S.   121)  -). 

Der  Niedergang  des  griechischen  Kaisertums,  für  welchen  der 
Überfall  von  Thessalonich  durch  die  Araber  (904)  bezeichnend 
ist,    führte    zum    zweiten    bulgarischen   Krieg   (913 — 927)    gegen 


1)  Jt).T(ov  1  (1884)  396. 

2)  Konst.  Porph.  3,  155  f. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  0.    und  10.  Jahrb.  199 

Leons  unmündigen  Sohn,  den  kleinen  Konstantin  Porphjrogennetos 
und  seine  Mitregenten.  Die  bulgarischen  Heere  durchzogen  die 
Provinzen  bis  nach  Nordgriechenland.  Symeon  selbst  erschien  zu 
wiederholten  Malen  vor  Konstantinopel,  nahm  den  Titel  eines 
Kaisers  der  Bulgaren  und  Griechen  an  (ßaoi?.ecg  Bovh/dotov  y.al 
Pojuaiojv)  und  verlangte  die  Abtretung  des  ganzen  Westens  Qzdar^g 
dvastog).  Die  Byzantiner  wollten  aber  nur  die  Grenzen  der  Zeit 
des  Boris  zugestehen  und  Symeon  bloß  als  Kaiser  der  Bulgaren 
anerkennen.  Der  lange  Krieg  hatte  einen  Widerhall  im  Nord- 
westen der  Halbinsel.  Die  Kroaten  waren  Gegner  der  Bulgaren. 
Dagegen  wurde  Michael,  Fürst  von  Zachlumien,  Verbündeter 
Symeons.  Einmal  nahm  er  einen  byzantinischen  Schützling  durch 
List  gefangen  und  sendete  ihn  an  den  Hof  Symeons ;  es  war  Peter, 
des  Dogen  Ursus  IL  Particiacus  Sohn,  der  später  als  Petrus  Ba- 
doarius  selbst  Doge  wurde  (939 — 942)  und  eben  reich  beschenkt 
aus  Konstantinopel  heimkehrte.  Er  mußte  durch  eine  venezianische 
Gesandtschaft  aus  Bulgarien  befreit  werden  ^).  Am  meisten  litt 
Serbien,  besonders  durch  den  Wettkampf  der  Anhänger  der  Bul- 
garen und  Byzantiner  unter  den  Mitgliedern  der  Fürstenfamilie. 
In  der  Zeit,  als  Symeon  bei  Anchialos  (9i7)  einen  glänzenden 
Sieg  über  die  Griechen  erfochten  hatte,  segelte  der  Statthalter  von 
Dyrrhachion  Leon  Rhabduchos,  später  Logothet  rov  Sqouov,  an  die 
Küste  der  Narentaner  zu  einer  Besprechung  mit  dem  Serbenfürsten 
Peter.  Michael  von  Zachlumien  meldete  dem  Symeon,  daß  die 
Byzantiner  den  Peter  durch  Geschenke  zu  gewinnen  suchen,  da- 
mit er  im  Bunde  mit  den  Ungarn  in  Bulgarien  einfalle.  Erzürnt 
sendete  Symeon  seine  Feldherren  Theodor  Sigritzes  und  Marmaim 
nach  Serbien,  mit  einem  Prätendenten,  Mutimirs  Enkel  Paul,  einem 
Sohn  des  geblendeten  Bran.  Fürst  Peter  wurde  bei  den  Verhand- 
lungen überlistet  und  ins  Bulgarenland  gebracht,  wo  er  im  Ge- 
fängnis sein  Leben  schloß.  Gegen  den  bulgarischen  Schützling 
Paul  (ungefähr  917 — 923)  stellte  Kaiser  Roman  L,  der  Mitregent 
des  Konstantin  Porphyrogennetos,  den  in  Byzanz  erzogenen  Zacha- 
rias,  den  Sohn  des  Prvoslav,  entgegen,  doch  wurde  dieser  Thron- 
kandidat von  seinem  Vetter  geschlagen,   gefangen  und  nach  Bul- 


1)  Jobannes  Diaeonus  um  912  (eher  913). 


300  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

garien  gesendet.  Bald  aber  wechselten  beide  Vettern  ihre  Rollen. 
Paul  näherte  sich  den  Byzantinern,  worauf  Zacharia^  von  Syraeon 
als  bulgarischer  Schützling  auf  den  serbischen  Fürstenthrori  gesetzt 
wurde.  Nach  kurzer  Zeit  zog  es  aber  Zacharias  vor,  i<ich  wieder 
den  Byzantinern  anzuschließen,  denen  er  sein  Leben  lang  näher 
gestanden  war.  Er  besiegte  die  bulgarischen  Feldherren  Sigritzes 
und  Marmaim  und  sendete  ihre  Köpfe  und  Waffen  als  Trophäen 
nach  Konstantinopel.  Um  diese  Niederlage  zu  rächen,  nahte  ein 
neues  Heer  des  Synieon  unter  drei  Feldherren  ^) ,  welche  wieder 
einen  neuen  Prätendenten  mitiührten,  den  Caslav,  der  aber  nur 
als  Lockspeise  diente.  Der  bulgarische  Zar  hatte  diesmal  nicht 
mehr  die  Absicht,  einen  Fürsten  aus  der  serbischen  Dynastie  ein- 
zusetzen, der  wieder  zu  den  Griechen  abfallen  könnte.  Zacharias 
floh  vor  der  Übermacht  nach  Kroatien.  Die  zum  Empfang  des 
neuen  Landesherrn  eingeladenen  Zupane  wurden  gefangen  unJ  ge- 
fesselt. Die  Bulgaren  durchzogen  das  Land  der  Serben  und 
schleppten  alle  Einwohner,  die  sie  fangen  konnten,  nach  Bulgarien 
weg;  allerdings  gelang  es  vielen,  zu  entfliehen,  besonders  nach 
Kroatien  (um  924).  Das  serbische  Gebiet  soll  nach  Konstantin 
Porphyrogennetos  ganz  wüst  geblieben  sein,  bewohnt  angeblich 
nur  von  einigen  Scharen  von  Jägern,  ohne  Frauen  und  Kinder. 
Daß  es  damals  auf  dem  Kriegschauplatz  in  Thrakien  n)it  ver- 
ödeten Städten  und  verlassenen  Dörfern  nicht  viel  besser  aussah, 
wissen  wir  aus  der  Vita  der  neuen  Maria,  einer  Armenierin,  Frau 
des  Turmarchen  Nikephoros  von  Bizye  (jetzt  Viza)  -).  Der  bul- 
garische Feldherr  Alobogotur  brach  dann  in  Kroatien  ein,  fand 
aber  mit  allen  seineu  Leuten  den  Tod  '■').  Kaiser  Konstantin  nennt 
den  Namen  des  damaligen  Oberhauptes  der  Kroaten  nicht.  Nach 
anderen  Berichten  herrschte  dort  Tomislav,  der  zuerst  den  Königs- 
titel führte;  bei  Konstantin  sind  die  kroatischen  Herrscher  aller- 
dings immer  nur  Fürsten   {äQxovveg)  ^).     Michael   von  Zachlumieu 

1)  Über  ihre  Namen  Kunik,  Al-Bekri  (Zapiski  russ.  Akad.  32)  152. 

2)  Ausgabe  von  Balascev:  Izvestija  arch.  inst.  4  (1899),  o,  189f. 

3)  „Der  baute  (ala)  Held''  nach  Tomaschek,  Zeitschr.  f.  österr. 
Gymn.  1877,  685.  Bei  Konst.  Porph.  3,  158  die  Form  'Aloyoßojoio  durch 
Anklang  an  ä'/.oyov  Pferd. 

4)  Tamislavus  dux  914  bei  Thomas  cap.  13,  rex  924  Racki,  Doc. 
187,  189,  ebenso  Diocleas  cap.  12. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  201 

wurde  durch  die  Katastrophe  iu  Serbien  unmittelbarer  Nachbar 
der  Bulgaren.  Wahrscheinlich  durch  sein  Gebiet  reiste  eine  Ge- 
sandtschaft Symeons  zu  den  Fatimiden  nach  Afrika,  um  sie  zu 
einem  Bündnis  gegen  die  Griechen  aufzufordern  (924).  Unter- 
italien hatte  eben  von  den  afrikanischen  und  sizilischen  Arabern 
viel  zu  leiden.  Auch  die  Zachhimier  beteiligten  sich  an  der  Ver- 
wüstung Apuliens;  im  Juli  926  überfiel  Michael  die  damals  byzan- 
tinische Stadt  Sipontum.  Bald  darauf  haben  die  Araber  unter 
Führung  eines  Slawen  in  arabischen  Diensten,  des  Sajan  oder 
Sahir  aus  Afrika  und  des  Emirs  von  SiziUen  Tarent  (926)  er- 
stürmt und  ausgeplündert  ^). 

Nach  dem  Tode  Symeons  (27  Mai  927)  beeilte  sich  sein 
Sohn  Peter,  ein  unkriegerischer  und  frommer  Herrscher,  später 
unter  die  Heiligen  der  bulgarischen  Kirche  aufgenommen,  endlich 
einen  Frieden  mit  Byzanz  abzuschließen.  Während  seiner  langen 
Regierung  mehrten  sich  die  Anzeichen  des  Verfalles.  Eine  Partei 
machte  Versuche,  die  Brüder  Peters  auf  den  Thron  zu  bringen. 
Die  Ungarn  durchstreiften  das  ganze  Land  und  zwangen  nach 
dem  Zeugnis  Liudprands  sowohl  die  Bulgaren  als  die  Byzantiner 
zur  Zahlung  von  Jahrgeldern.  Da  war  es  leicht,  die  W^ieder- 
herstellung  Serbiens  auszuführen.  Am  Hofe  von  Preslav  lebte 
der  serbische  Fürstensohn  Caslav,  geboren  in  Bulgarien  unter  der 
Regierung  des  Boris  als  Sohn  des  Klonimir  und  einer  Bulgarin, 
ein  Enkel  des  serbischen  Teilfürsten  Strojimir ,  Urenkel  des  Vla- 
stimir,  derselbe,  den  die  Bulgaren  bei  der  letzten  Verwüstung  mii- 
getührt  hatten,  um  die  Serben  leichter  zu  vernichten  -).    Angeblich 


1)  Vasiljev  a.  a.  0.  2,  220,  258 f.  Gay,  L'Italie  meridiouale  et 
l'empire  byz.  (Paris  1904)  147,  199,  208.  Die  Akten  von  zwei  Synoden  in 
Spalato  924  und  926—927,  erhalten  in  einer  Sammlung  des  16.  Jahr- 
hunderts, welche  Racki  für  umgearbeitet,  Drinov  für  echt  hielt,  betrachte 
ich,  ebenso  wie  einst  Lucius,  als  unecht:  der  Umstand,  daß  die  Kroaten 
Gegner  der  Bulgaren,  die  Zachlumier  dagegen  Symeons  Bundesgenossen 
waren,  macht  ein  friedUches  Zusammenwirken  des  Tomislav  und  Michael 
an  einer  Synode  in  dieser  Zeit  sehr  unwahrscheinlich. 

2)  TCfsaS-)Mßog  Kon  st.  Porph.  3,  156  f.,  Ciaslavus  des  Diocleas,  von 
iajati  warten,  hoffen  (vgl.  Cäslav  in  Böhmen,  Czeslaw  oder  Czaslaw  in  Polen). 
Verschieden  von  diesem  Serben  ist  ein  TCaad^Xdßog  am  Hofe  des  Boris  um 
886  in  der  Vita  S.  Clemeutis  cap.  16. 


202  Drittes  Buch,     Drittes  Kapitel. 

sieben  Jahre  nach  diesem  Feldzug  entfloh  Caslav  aus  der  bulga- 
rischen Hauptstadt  nur  mit  vier  Begleitern  nach  Serbien,  ergriflF 
ungehindert  Besitz  davon  und  unterwarf  sich  der  Oberhoheit  des 
byzantinischen  Kaisers  fum  931).  Rasch  sammelten  sich  die  ser- 
bischen Flüchtlinge  aus  den  umliegenden  Ländern;  aus  Bulgarien 
kehrten  die  meisten  über  Konstantinopel  heim,  beschenkt  vom 
Kaiser.  Caslav,  der  außer  dem  eigentlichen  Serbenlande  auch  das 
Bosnatal  mit  Salines  (Tuzla)  beherrschte,  lebte  noch,  als  Konstantin 
Porphyrogennetos  sein  Buch  über  die  Nachbarn  des  Reiches  schrieb 
(948 — 952)  ^).  Nach  Diocleas  hat  er  in  einem  Kriege  gegen  die 
Ungarn  den  Tod  gefunden;  er  soll  bei  Sirmium  von  ihnen  durch 
einen  nächtlichen  Überfall  gefangen  genommen  und  in  der  Save 
ertränkt  worden  sein  ^).  Auch  Michael  von  Zachlumien  hat  sich 
nach  Symeons  Tode  mit  den  Byzantinern  ausgesöhnt,  erhielt  den 
Titel  eines  Prokonsuls  {avdvnaTog)  und  Patrikios  und  lebte  noch 
um  949  •'').  Die  Narentaner,  über  deren  politische  Stellung  Kon- 
stantin kein  Wort  sagt,  setzten  ihre  Seeräubereien  fort  und  mußten 
eben  damals  (948)  vom  Dogen  Pietro  Candiano  III.  durch  zwei 
Seezüge  zum  Abschluß  eines  Vertrages  gezwungen  werden. 

Die  Schicksale  Serbiens  in  der  zweiten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts sind  in  Dunkel  gehüllt,  die  Nachfolger  des  Caslav,  ebenso 
wie  die  des  Michael  unbekannt  ^).  Dasselbe  gilt  von  Kroatien  und 
von  einigen  der  wichtigsten  Ereignisse  in  der  Geschichte  Bulgariens. 
Dagegen  begann  eben  damals  im  byzantinischen  Kaisertum  eine 
Periode  neuen  Aufschwungs,  hervorgerufen  durch  den  Verfall  der 
Araber  und  Bulgaren.  Nach  vielen  Jahrhunderten  ergriff  das 
Reich  wieder  die  Offensive  im  Donaugebiet.  Die  Griechen  er- 
oberten Kreta,  Zypern,  einen  großen  Teil  Syriens,  Armenien, 
Iberien  (Georgien),  in  Europa  ganz  Bulgarien.  Kaiser  Nikephoros 
Phokas  verweigerte  den  Bulgaren  den  Tribut  und  bewog  den 
heidnischen  Großfürsten  Svjatoslav   von  Rußland   zuerst  zu  einem 


1)  Eb.  158—159  im  Präsens  {^arlv). 

2)  Diocleas    p.    26f.      Vgl.    Thalloczy:     Arch.     slaw.    Phil.    20 
(1898)  201  f. 

3)  Konst.  Porph.  3,  160. 

4)  Unbrauchbar  ist  das  genealogische  Chaos  des  Diocleas,  mit  sieben 
Generationen  in  den  20  Jahren  um  971  —  990. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrb.  203 

Einfall  nach  Bulgarien.  Als  Svjatoslav  zum  zweitenmal  kam, 
Donaubulgarien  eroberte,  Peters  Sohn  Boris  II.  gefangennahm 
und  die  Byzantiner  in  Thrakien  bedrohte,  zog  der  neue  Kaiser, 
der  Armenier  Johannes  Tzimiskes  (971)  gegen  die  Russen  und 
vertrieb  den  Svjatoslav  aus  Preslav  und  Dorostolon  (jetzt  Silistria). 
In  diesen  blutigen  Kriegen  wurde  die  alte  herrschende  Gesellschaft 
Bulgariens  bis  auf  geringe  Reste  aufgerieben  und  das  Gebiet 
zwischen  Donau  und  Hämus  für  zweihundert  Jahre  politisch  be- 
deutungslos gemacht.  Kaiser  Johannes  behielt  Donaubulgarien, 
brachte  den  „befreiten"  Boris  IL  nach  Konstantinopel  und  legte 
die  Krone  des  Bulgarenreiches  als  wertvolle  Beute  in  der  Sophien- 
kirche nieder.  Sein  Nachfolger  Kaiser  Basilios  II.  (976  — 1025), 
ein  rauher  Kriegsmann  ohne  literarische  Neigungen,  seinem  ge- 
lehrten Großvater  Konstantin  Porphyrogennetos  ganz  unähnlich, 
hatte  aber  neben  seinen  zahlreichen  Feldzügen  in  Asien  noch 
vierzig  Jahre  mit  den  Bulgaren  zu  kämpfen.  Zum  Schluß  gelang 
ihm  die  vollständige  Eroberung  des  Landes  mehr  durch  innere 
Wirren  und  durch  Verteilung  von  Privilegien  und  Würden,  als 
durch  Schlachten.  Der  Schauplatz  des  Krieges,  welcher  bei  dem 
waldigen  und  sumpfigen  Charakter  des  Landes  mit  zahlreichen 
Engpässen  und  großem  Mangel  an  Getreide  viel  schwieriger  war 
als  im  reichem  Orient  ^),  befand  .sich  nicht  mehr  an  der  unteren 
Donau,  sondern  meist  in  Makedonien  und  Albanien,  in  dem  Raum 
zwischen  Philippopel,  Vidin,  Sirmium,  Serrai,  Thessalonich,  Dyr- 
rhachion  und  den  Bergen  der  Serben.  In  der  Nachbarschaft  der  Serben 
residierten  Bischöfe  der  bulgarischen  Kirche  auch  nach  1018  in  Priz- 
ren,  Lipljan  und  Ras.  Dieser  Westen  des  Bulgarenreiches  hatte  sich 
nach  einer  Notiz  bei  Skylitzes  gleich  nach  dem  Tode  des  Zaren  Peter 
(969)  losgerissen.  Daß  Tzimiskes  971  nicht  das  ganze  Bulgarien  er- 
obert hat,  sieht  man  an  der  Ankunft  einer  bulgarischen  Gesandtschaft 
bei  Kaiser  Otto  I.  in  Quedlinburg  973.  Nach  den  dunklen  Jahren 
973 — 975  beginnt  976  die  Offensive  des  Westens  gegen  Byzanz  '^). 


1)  Jncerti  scriptoris  byzantini  saeculi  X  über  de  re  militari  ed. 
E.  Väri,  Leipzig  (Teubner)  1901  cap.  15,  21;  nach  Kulakov.skij,  Byz. 
Z.  11  (1902)  558  verfaßt  rom  Feldherru  Nikephoros  Uranos. 

2)  Vgl.   meine   Bemerkungen  im   Arch.   slaw.    Phil.  21   (1899)  545f. ; 


204  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Bezeichcet  werden  diese  Gegner  Basilios'  II.  in  grieciiisclien^  ara- 
bischen, armenischen  Quellen,  ebenso  bei  Diocleas  stets  als  Bulgaren. 
Eine  Urkunde  Basilios'  IL  bestätigt,  daß  das  politische  und  kirch- 
liche Zentrum  langsam  von  Serdica  immer  weiter  nach  Westen 
übertragen  wurde  ^).  Die  Residenzen  befanden  sich  auf  einer 
Insel  des  Sees  von  Prespa  neben  einer  prächtigen  Kirche  des 
heiligen  Achilleios  von  Larissa,  dessen  Gebeine  Samuel  (um  983) 
als  Beute  aus  Thessalien  mitgebracht  hatte  -) ,  und  im  festen 
Ochrid  auf  der  Nordseite  des  Ochrider  Sees.  Neben  dem  Herrscher, 
der  den  bulgarischen  Kaisertitel  führte,  residierte  zuletzt  in  Ochrid 
der  Erzbischof  oder  Patriarch  der  bulgarischen  Nationalkirche. 
Herrschend  waren  in  ihren  Teilfiirstentümern  die  mächtigen  Mag- 
naten mit  Personennamen  teils  urbulgarischen,  teils  slawischen 
oder  byzantinisch- christHchen  Ursprungs,  mit  ihren  Haustruppen. 
An  der  Spitze  des  Staates  standen  vier  Brüder,  die  „Komitopulen" 
oder  Grafensöhne  ^),  mit  alttestamentarischen  Namen,  wie  sie  einmal 
am  Hofe  des  Boris  und  Symeon  beliebt  waren,  in  einer  Zeit,  wo 
den  neubekehrten  Christen  das  Alte  Testament  mit  seinen  Kriegs- 
geschichten mehr  gefiel  als  das  Neue:  David,  Moses,  Aaron  und 
Samuel,  zuletzt  Samuel  allein  als  Kaiser  der  Bulgaren,  ein  uner- 
müdhcher  Meister  der  raschen  Invasionen  und  der  Überfälle  im 
Waldlande.  Aber  bei  der  oligarchischen  Verfassung  des  Landes 
fehlte  den  Unternehmungen  die  wuchtige  Offensive  und  die  be- 
rechnende Energie,  durch  welche  sich  einst  die  Bulgaren  Krums 
und  Symeons  ausgezeichnet  hatten. 

Samuel   war   einige   Zeit   auch   im   Besitz    von   Dyrrhachion. 
Zuerst  heiratete  er  Agathe,  die  Tochter  des  dortigen  Bürgermeisters 


Dr.  Bozidar  Prokic,  Die  Zusätze  in  der  Hdschr.  des  Job.  Skylitzes, 
cod.  Vind.  etc.,  Müucheu  1906  (Redaktion  des  Bischofs  Michael  von  Dea- 
bolis  oder  Devol  1118).  Zwei  Abh.  über  Makedonien  im  10.  Jahrb.  von 
Prokic  im  Glas  7G  (1908)  und  84  (1910). 

1)  Byz.  Z.  2  (1893)  44  f. 

2)  Die  Denkmäler  von  Prespa  beschrieben  von  Miljukov:  Izvestija 
arch.  inst.  4  (1899),  1,  4GflF.  (mit  Abb.). 

3)  Söhne  des  Nikola  und  der  Rhipsime  (Name  einer  armenischen  Hei- 
ligen): älteste  datierte  cyrillische  Inschrift  von  992 — 993,  Arch.  slaw.  Phil. 
21,  543 f.  und  Prokic,  Skylitzes  nro.  1. 


Die  byzaiitiuische  Oberhoheit  im  0.  und  10.  Jahrh.  205 

(rrQcoTaiioi')  Johannes  Chiysclios,  besetzte  dann  die  Stadt  für  sich 
(nach  989)  und  ernannte  dort  zum  Befehlshaber  der  Armenier 
Asot  aus  dem  Geschlecht  der  Taroniten,  der  zuerst  sein  Gefangener, 
nachher  sein  Schwiegersohn ,  Gatte  seiner  Tochter  Miroslava  ge- 
worden war.  Nach  dem  großen  Sieg  des  Feldherrn  Nikephoros 
Uranos  über  Samuel  am  Spercheios  in  Nordgriechenland  (996) 
gewann  die  byzantinische  Flotte  wieder  die  Stadt  durch  Verrat  ^); 
Asot  hatte  sich  zuvor  auf  diese  Schiffe  geflüchtet,  Chryselios  war 
gewonnen  durch  den  Rang  eines  Patrikios  ~). 

In  Dioklitien,  mit  der  Residenz  (curia)  bei  einer  Marienkirche 
(Precista  Krajinska)  am  Fuße  des  Berges  Katrkol  in  der  Land- 
schaft Krajina  auf  der  Westseite  des  Sees  von  Skutari  3),  herrschte 
der  serbische  Fürst  Vladimir,  ein  Freund  der  Byzantiner,  in  einer 
griechischen  Quelle  als  ein  tüchtiger,  tugendhafter  und  friedliebender 
Mann  gelobt'^),  in  einer  bei  Diocleas  im  Auszug  erhaltenen  latei- 
nischen Vita  als  Heihger  gefeiert.  Samuel  brach  mit  einem  großen 
Heere  über  die  Bojana  ein,  belagerte  vergeblich  Dulcigno  und 
nahm  den  Vladimir,  der  auf  dem  Berge  Obliquus '')  eingeschlossen 
und  von  dem  Zupan  der  Landschaft  verraten  wurde,  gefangen. 
Nach  Diocleas  brannte  dann  Samuel  Cattaro  und  Ragusa  nieder, 
verwüstete  Dalmatien  bis  Zara  und  kehrte  über  Bosnien  und  Ras 
wieder  heim.  Sicher  ist  es,  daß  eben  damals  die  Narentaner  und 
Kroaten  die  byzantinischen  Städte  Dalmatiens  sehr  beunruhigten 
und  den  Seehandel  der  Venezianer,  welche  beiden  Völkern  Tribut 
zahlten,  arg  störten  Der  Doge  Pietro  Orseolo  stellte  diese  Zah- 
lungen für  immer  ein  und  unternahm  eine  Expedition  zur  Be- 
strafung der  Kroaten   und   besonders   zur  Züchtigung   der  Naren- 


1)  Nach  Lupus  Protospatharius  erst  1005,  Mon.  Germ.,  SS.  5,  5H. 

2)  Prokic  a.  a.  0.  uro.  14,  22.  ,,Cursilius  toparcha"  von  Durachium 
bei  Diocleas,  der  eine  ,,crux  Cur.silii"  bei  Skutari  erwähnt,  au  der  Stelle, 
wo  der  Mann  angeblich  auf  einem  Feldzug  gegen  die  Serben  schwer  ver- 
wundet gestorben  ist. 

3)  Die  Ruinen  beschrieben  von  Jastrebov:  Glasnik  48  (1880)  376 f. 
Urk.  des  Balsa  III  1413  eb.  27,  190. 

4")  Kedrenos  2,  4B3,  Diocleas  p.  41—46. 

5)  Oblich  1444—1452  ein  Gut  der  Crnojevici  (Ljubic  9,  202,  435); 
jetzt  Dorf  Oblika  am  rechten  Ufer  der  Bojana. 


206  Drittes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

taner  auf  den  Inseln  Carzola  und  Lagosta  (Mai  lOüO),  jedenfalls 
im  Einverständnis  mit  Kaiser  Basilios  IL  ^).  Die  Narentaner  ver- 
loren seitdem  ihre  Bedeutung.  Indessen  war  Vladimir  aus  der 
Gefangenschaft  in  Prespa  wieder  als  I^andesherr  und  als  Schwieger- 
sohn des  Zaren  Samuel  in  sein  Vaterland  zurückgekehrt.  Als  die 
Tochter  Samuels  Theodora  oder  Kosara  '-j  einmal  von  ihrem  Vater 
die  Erlaubnis  erhielt,  mit  ihren  Mägden  Haupt  und  Füße  der  Ge- 
fangenen zu  waschen,  wui'de  sie  gerührt  durch  die  frommen  Reden 
des  schönen  und  bescheidenen  Prinzen  und  erbat  sich  ihn  zum 
Gatten. 

Nach  Samuels  Tode  (1014)  wurde  sein  Sohn  Radomir,  mit 
dem  christlichen  Taufnamen  Gabriel  genannt,  schon  nach  einem 
Jahre  in  der  Nähe  des  Sees  von  Ostrov  von  seinem  Vetter 
Johannes  Vladislav  ermordet,  der  sich  des  Thrones  bemächtigte. 
Es  war  eine  Familienrache:  Vladislavs  Vater  Aaron  war  auf  Befehl 
des  Samuel  getötet  worden.  Der  Usurpator  suchte  die  ganze 
Verwandtschaft  Radomirs  aus  dem  Wege  zu  räumen,  darunter 
auch  dessen  Schwager,  den  Serben  Vladimir,  den  er  freundschaitlich 
zu  sich  nach  Prespa  einlud.  Als  Unterpfand  ließ  er  ihm  zuerst 
ein  goldenes  Kreuz  überreichen,  doch  der  Serbe  wies  es  zurück; 
der  Heiland  sei  nicht  auf  einem  goldenen  oder  silbernen  Kreuz 
gekreuzigt  worden,  sondern  auf  einem  hölzernen.  Nun  sendete 
der  Bulgare  seinen  Erzbischof  mit  einem  kleinen  hölzernen  Kreuz. 
Der  Serbenfürst,  durch  die  Eidschwüre  des  Gesandten  überredet, 
kam  bis  in  die  Residenz  auf  der  Insel  des  Sees  von  Prespa  und 
ging  dort  sofort  in  die  Kirche  zum  Gebete.  Der  raordlustige 
Vladislav,  der  eben  bei  der  Tafel  saß,  Heß  die  Kirche  sogleich 
von  seinen  Kriegern  umstellen.    Zu  spät  bemerkte  der  Serbe,  daß 


1)  Johannes  Diaconus  ed.  Monticolo  in  den  Fonti  per  la  storia 
d'Italia  (1890)  und  Andreas  Dandolo.  Nach  Johannes  wurde  in  den  dalm. 
Städten  „istius  principls"  (des  Dogen)  „nomen  post  imperatorum  (Ba- 
silios II.  und  sein  Bruder  Konstantin  VIII.)  laudis  praeconiis''  in  der  Kirche 
gefeiert. 

2)  Theodora:  Prokic  nro.  31.  Kosara  (nicht  slawisch)  bei  Dio- 
cleas.  Eine  poetische  Behandlung  der  Geschichte  des  Vladimir  und  Kosara 
von  Kacic  (f  17(iO)  verbreitete  sich  als  Volkslied  bis  nach  Serbien:  Arch. 
slaw.  Phil.  13  (1891)  632. 


Die  byzantinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrh.  S07 

er  überlistet  worden  sei.  Mit  dem  Kreuz  in  der  Hand  trat  er 
vor  das  Kirchentor  und  wurde  dort  enthauptet,  viel  beweint  von 
seiner  Gattin,  die  schon  vor  ihm  in  Prespa  eingetroffen  war,  bereit, 
sich  für  ihn  zu  opfern.  Als  man  auf  seinem  Grabe  in  derselben 
Kirche  zu  nächtlicher  Stunde  ein  wunderbares  Licht  erblickte, 
erlaubte  der  bulgarische  Kaiser  der  Witwe,  die  Leiche,  welche 
das  hölzerne  Kreuz  in  der  Hand  hielt,  in  die  Marienkirche  von 
Krajina  zu  übertragen.  Kosara  lebte  dort  als  Nonne  und  wurde 
nach  ihrem  Tode  zu  den  Füßen  ihres  Gatten  bestattet.  Noch 
zur  Zeit  des  Diocleas  versammelte  sich  am  Festtage  des  heiligen 
Vladimir  (22.  Mai)  eine  Menge  Volkes  bei  seinem  Grabe.  In  den 
griechischen  Offizien  wird  er  als  Patron  von  Dyrrhachion  gefeiert. 
Wahrscheinlich  bei  der  Besetzung  von  Skutari  unter  Nemanjas 
Sohn  Stephan  (um  1215)  haben  die  Epiroten  den  Heiligen  in 
ihre  Seestadt  weggeführt,  in  einer  Zeit,  in  welcher  bei  allen  Zügen 
der  Ungarn,  Bulgaren  und  Franken  die  Reliquien  die  vornehmste 
Beute  bildeten.  Heute  liegen  die  Gebeine  des  heiligen  Johannes 
Vladimir  ^)  im  Kloster  des  heiligen  Johannes  (alb.  Sin  Gjon)  bei 
Elbassan  in  Mittelalbanien,  in  einer  von  dem  albauesischen  Fürsten 
Karl  Topia  1381  erneuerten  Kirche  2).  Die  alte  Kirche  von 
Krajina  ist  heute  eine  von  Efeu  umrankte  Ruine  in  einer  jetzt 
von  mohammedanischen  Albanesen  bewohnten  Landschaft,  auf 
türkischem  Boden  ganz  nahe  bei  der  montenegrinischen  Grenze. 
Vladimirs  Kreuz  oder  das  „Kreuz  von  Krajina"  (krajinski  krst), 
bedeckt  von  einem  neuen  vergoldeten  Metallbeschlag  ohne  Inschrift, 
mit  dem  Bild  des  Heilands  und  der  Evangelisten,  wird  seit  der 
Bekehrung  der  Krajina  zum  Islam  im  Dorfe  Velji  Mikuliöi  im 
Gebiete  der  Mrkojevidi  zwischen  Dulcigno  und  Antivari  verwahrt. 
Am  Pfingsttage  pilgern  alljährlich  sowohl  Mohammedaner,  als 
griechische  und  lateinische  Christen  mit  diesem  Kreuze  auf  den 
Berg  Rumija  (1595  Meter),  frühzeitig  im  Morgendunkel,  damit  die 
aufgehende  Sonne  den  Zug  auf  dem  Gipfel  erreicht,  von  welchem 


1)  Diocleas  erwähnt  keinen  Taufnamen  des  Vladimir. 

2)  Eine  Analyse  der  Vitae  und  Offieia  des  hl.  Vladimir  bei  Nova- 
kovic,  Die  ersten  Grundlagen  der  slaw.  Literatur  unter  den  Balkanslawen, 
Belgrad  1893.  Eine  Kirche  des  hl.  Vladimir  bei  Dulcigno  1406:  Ljubic 
5,  85. 


208  Drittes  Buch      Drittes  Kapitel. 

sich  eine  gewaltige  Rundsicht  über  den  See  von  Skutari,  die  Ge- 
birge von  Montenegro  und  Nordalbanien  und  das  Küstenland 
zwischen  Cattaro  und  Durazzo  eröffnet  i). 

Den  Zaren  Johannes  Vladislav  ereilte  der  Tod  bei  einer  Be- 
lagerung von  Dyrrhachion  (Ende  1017).  Nach  dem  Bericht 
einer  Redaktion  des  Skylitzes  fiel  er,  als  er  zu  Pferde  mit  dem 
Strategen  Niketas  Pegonites  kämpfte,  von  zwei  herbeigeeilten 
byzantinischen  Fußsoldaten  tödlich  in  den  Unterleib  getroffen  -). 
Nach  der  Vladimirlegende  tötete  ihn  ein  Engel  „in  Gestalt  des 
heiligen  Vladimir"  beim  Abendessen.  Auf  den  Thron  von  Ochrid 
wurde  niemand  mehr  erhoben.  Der  greise  Basilios  IL,  welcher 
in  Bulgarien  ebenso  wie  in  Armenien  mit  vollen  Händen  Amter 
und  Titel  verteilte,  zog  ungehindert  (l018)  über  Ochrid  nach  Dyr- 
rhachion und  Athen,  worauf  er  Konstantinopel  (1019)  als  Sieger 
im  feierlichen  Triumphzug  durch  das  Goldene  Tor  betrat.  Gering 
war  der  Widerstand  in  einzelnen  Landschaften.  Der  unbeugsame 
Sermon,  der  letzte  bulgarische  Statthalter  von  Sirmiura,  wurde 
vom  Feldherrn  Konstantin  Diogenes,  Vater  des  späteren  Kaisers 
Roman  IV.,  bei  einer  Unterredung  in  einem  Boot  auf  der  Save 
mit  dem  Dolche  niedergestoßen  •^;,  Nach  einer  langen  Unter- 
brechung seit  dem  7  Jahrhundert  war  die  Donau  vom  Schwarzen 
Meere  bis  jenseits  der  Savemündung  wiederum  Nordgrenze  des 
byzantinischen  Kaisertums,  dessen  Einfluß  bald  in  Ungarn  be- 
merkbar v/urde.  Eine  Urkunde  des  ersten  christlichen  Königs 
Stephan  des  Heiligen  (f  1038)  an  das  Nonnenkloster  von  Vesprim 
ist  griechisch  verfaßt  ^).  In  Kroatien  war  König  Kresimir  IL 
nach  dem  Zeugnis  des  Archidiakons  Thomas  byzantinischer  Patri- 
kios.  Über  Serbien  haben  wir  aus  dieser  Zeit  nur  die  wahr- 
scheinlich aus  Volksliedern  geschöpften  Erzählungen  des  Diocleas. 
Nach    dem    Tode   des   bulgarischen    Kaisers   Vladislav   wollte   der 


1)  Jastrebov,  Rovinskij  und  Isevic,   Godisnjica  24  (1905)  235  f. 

2)  Prokic,  Skylitzes  nro.  36. 

8)  .ZfoKOJv,,  6  ToD  ZiQuiov  xgaTwv,  Kedrenos  2,  476.  Da  es  keine 
Münzen  der  Zaren  von  Ochrid  gibt,  ist  die  dünne  Goldmünze  des  ZfQuoj 
OTOKTTjläTT]  hei  Schlumberger,  Melauges  d'arch^ologie  byz.  1,  If.  ganz 
rätselhaft. 

4)  Vgl.  Melich  im  Arch.  slaw.  Phil.  32  (1910)  99 f. 


Die  byzautinische  Oberhoheit  im  9.  und  10.  Jahrb.  209 

kinderlose  Oheira,  nach  einer  anderen  Stelle  Bruder  des  heiligen 
Vladimir,  der  Fürst  Dragomir  von  Chelmania  und  Tribunia  das 
Land  seiner  Väter  in  Dioklitien  besetzen,  fand  aber  den  Tod  durch 
die  Verräterei  der  Bürger  von  Cattaro,  welche  ihn  auf  die  Insel 
des  heiligen  Gabriel  zu  einem  Gastmahl  geladen  hatten.  Es  ist 
die  jetzt  von  Obstgärten,  Olivenhainen  und  Weinbergen  bedeckte 
Insel  Stradiotti,  die  mittlere  von  den  drei,  die  vor  den  alten  Salinen 
von  Prevlaka  liegen  ^).  Als  die  Tafelrunde  viel  Wein  genossen 
hatte,  erhoben  sich  die  Cattarenser  und  fielen  über  ihren  Gast 
her.  Dragomir  zückte  sein  Schwert  und  floh  in  die  St.  Gabriels- 
kirche, doch  die  Cattarenser  brachen  das  Dach  ein  und  töteten 
den  Fürsten  mit  Steinen  und  Balken.  Seine  Witwe,  eine  Tochter 
des  Ljutomir,  Großzupaus  von  Ras,  flüchtete  sich  ins  Binnenland 
und  gebar  unterwegs  in  der  Zupa  Drina  den  Dobroslav;  durch 
diesen  nachgeborenen  Sohn  soll  die  Dynastie  in  wunderbarer 
Weise  wieder  eine  Fortsetzung  erhalten  haben.  Indessen  habe 
der  Kaiser  Basilios  mit  einem  großen  Heer  und  einer  Flotte  ganz 
Rassa,  Bosnien  und  Dalmatien  besetzt. 

1)  Crnogorcevic  im  Starinar  10  (1893)  40—48  mit  Karte  Taf.  XV. 
St.  Gabriel  und  andere  Inseln  alter  Besitz  des  Bistums  von  Cattaro  :  Th einer, 
Mon.  Slav.  1,  215  (1346).  Im  16. — 17.  Jahrb.  war  hier  ein  Lager  griechischer 
„Stratioten"  in  Diensten  von  Venedig. 


Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  14 


Viertes  Kapitel. 

Die  Könige  von  Dioklitien  und  die  Großzupane  von 
Ras  im  Kampfe  gegen  Byzanz  im  11. — 12.  Jahrhundert^). 

Durch  die  Eroberungen  des  Kaisers  Basilios  II.  wurde  die 
Stellung  der  Serben  vollständig  verändert.  Bisher  hatten  die  ser- 
bischen Fürsten  an  dem  Kaisertum  von  Konstantinopel  einen 
starken  Rückhalt,  besonders  gegen  die  östlichen  Nachbarn.  Nun 
wurde  es  anders.  Nach  1018  waren  die  Länder  der  Serben  auf 
drei  Seiten  umklammert  vom  byzantinischen  Gebiet,  auch  längs 
der  ganzen  Ostseite,  von  Prizren  bis  Belgrad  und  Sirmium.  Nur 
gegen  Norden  und  Nordwesten  blieb  die  Grenze  offen,  gegen 
Ungarn,  Bosnien  und  Kroatien.  Der  einst  so  wertvolle  Schutz 
gestaltete  sich  zu  einer  drückenden  Oberherrschaft.    Haß  trat  an  die 

1)  Quellen:  die  Byzantiner  Skylitzes  (Kedrenos)  mit  Fortsetzern, 
Kekaumenos,  Michael  Attaleiates,  Nikephoros  Bryennios, 
Anna  Komnena,  Theodoros  Prodromos  (höfische  Gelegenheits- 
gedichte), Michael  von  Thessalonich  (Festreden),  Joannes  Kinna- 
mos,  Niketas  Akominatos  u.  a.  Die  Geschichte  des  Kaisers  Manuel 
von  K  in  na  mos  ist  nach  Carl  Neumann,  Griech.  Geschichtschreiber  und 
Geschichtsquellen  im  12.  Jahrh.,  Leipzig  188S  nicht  Original,  sondern  nur 
ein  Auszug.  Die  Chronisten  der  Kreuzzüge,  besonders  Wilhelm  von 
Tyrus;  ungar.  Annalen  und  der  sog.  Presbyter  D  i  ocleas.  —  Literatur: 
F.  Racki,  Der  Kampf  der  Südslaweu  um  politische  Unabhängigkeit  im 
11  Jahrh.  (Borba  usw.),  kroat. ,  Agram  1875,  SA  aus  dem  Rad  Bd.  24 
bis  31  Aleksej  Petrov,  Fürst  Konstantin  Bodin,  russ.  im  Sbornik  zu 
Ehren  des  Lamauskij.  Petersburg  1883,  239— 2i;4.  V.  G  Vasi  Ije  vs  k  i  j  , 
Aus  der  Geschichte  von  Byzanz  im  12  Jahrh.,  russ.  im  „Slavjanskij  Sbornik" 
2  (1877)  21U— 290  (Beilage  III:  Über  die  ersten  Nemanjiden).  Konst. 
Grot,  Aus  der  Geschichte  Ungarns  und  des  Slawentums  im  12.  Jahrh., 
russ.,  Warschau  1889. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrb.  311 

Stelle  der  alten  Freundschaft,  und  bei  jeder  Gelegenheit  entbrannten 
Freiheitskämpfe,  um  das  Joch  der  Griechen  abzuwerfen.  Die  An- 
sprüche des  griechischen  Kaisertums  äußern  sich  am  klarsten  in 
den  Titeln  des  Manuel  Koranenos:  Kaiser  der  Römer,  Herr  von 
Isaurien,  Kilikien,  Armenien,  Dalmatien,  Ungarn,  Bosnien,  Kroatien, 
Lazika,  Iberien  (Georgien),  Bulgarien,  Serbien,  Zikchia  (im  Kau- 
kasus), Chazaria  und  Gothia  (auf  der  Krim)  ^).  Die  abhängigen 
Fürsten  wurden,  wenn  man  mit  ihnen  zufrieden  war,  durch  Ver- 
leihung byzantinischer  Hoftitel  ausgezeichnet.  Waren  sie  unzuver- 
lässig, mußten  sie  Geiseln  stellen ;  es  waren  Kinder  oder  nahe  Ver- 
wandte der  Familie,  denen  es  jedoch  mitunter  glückte,  heimlich 
nach  Hause  zu  entkommen.  Die  Byzantiner  hielten  in  Konstan- 
tinopel oder  in  Dyrrhachion  stets  Prätendenten  bereit,  um  die 
verdächtigen  Serbenfürsten  durch  verläßlichere  Fürsteusöhne  zu 
ersetzen.  Oft  mußte  die  Autorität  des  Kaisertums  durch  militärische 
Expeditionen  erneuert  werden ;  es  waren  nicht  immer  die  Griechen, 
die  dabei  den  Sieg  davontrugen. 

Bei  den  Serben  gab  es  in  dieser  Zeit  zwei  Zentra,  mit  zwei 
Dynastien.  Die  eine,  das  Haus  des  Stephan  Vojislav  -),  beherrschte 
das  Küstengebiet,  die  Landschaften  von  Dioklitien,  Tribunien  und 
Zachlumien.  Im  11.  Jahrhundert  wurde  dieses  Gebiet  infolge 
glückhcher  Defensive  gegen  die  Angriffe  der  Byzantiner  die  Vor- 
macht der  Nation.  Im  Innern,  im  einstigen  Lande  der  eigent- 
lichen Serben,  residierte  ein  zweites  Geschlecht,  welches  seit  dem 
Ausgang  des  11.  Jahrhunderts  durch  unablässige  Offensive  gegen 
die  Griechen  die  Herrscher  des  Küstenlandes  ganz  in  Schatten 
stellte  und  sie  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  auch  in  DiokUtien 
vollständig  verdrängte. 

Die  Herren  des  Küstengebietes  heißen  bei  den  Byzantinern 
stets  nur  Fürsten  {6  zöv  ^egßtov  uq^cov  oder  ccgyriyög  bei  Sky- 
litzes,  T07TaQyr^g  bei  Kekaumenos,  l'^agyog  bei  Anna  Komneua),  ob- 
wohl  sie  seit    der  Mitte   des    11.  Jahrhunderts  nach  dem  Beispiel 

1)  Kaiser  Manuel  1166  als  /JuX/uarixög,  OvyyQixog,  BoaivTixög  (Var. 
BoOt'h'ixöi).  XQoßaTixög,  Attuxog,  'ißrjoixög,  BovXyaotxog ,  ZtQßixbg  usw.  lus 
graecorom.  3,  485. 

2)  Die  Wiederholung  des  Namens  Michael  könnte  auf  einen  Ursprung 
Ton  Michael  von  Zachlumien  (um  912 — 948)  gedeutet  werden. 

U* 


313  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

der  Kroaten  den  Königstitel  angenommen  hatten.  Als  König 
(Sclavorum  rex)  wird  zuerst  Michael,  der  Sohn  Vojislavs,  bezeichnet, 
in  der  Korrespondenz  des  Papstes  Gregor  VII.  und  bei  dem  apu- 
lichen  Chronisten  Lupus,  nach  ihm  Michaels  Sohn  Bodin  in  einer 
Urkunde  des  Papstes  Klemens  III.  und  in  den  Nachrichten  über 
den  ersten  Kreuzzug.  König  Michael  bat  Gregor  VII.  (1077), 
der  ihn  im  Briefe  als  „carissimum  beati  Petri  filium'^  anredet, 
um  eine  Fahne,  doch  ist  das  Resultat  der  Unterhandlungen  nicht 
bekannt  ^).  Auch  Nemanjas  Sohn  Vlkan,  Teilfürst  von  Dioklitien, 
wird  in  Inschriften  und  päpstlichen  Urkunden  als  König  tituliert. 
Domentian,  ein  serbischer  Mönch  des  13.  Jahrhunderts,  sagt  aus- 
drücklich, Dioklitien  sei  von  alters  her  ein  Königreich  gewesen  ^). 
Die  Verwandten  des  Königs  heißen  bei  Diocleas  knez  (knesius), 
in  lateinischen  Urkunden  comes.  Als  Residenzen  erwähnt  Dio- 
cleas die  Stadt  Skutari,  eine  „curia''  in  der  Zupa  Prapratna  bei 
Antivari,  die  auch  der  Fortsetzer  des  Skylitzes  kennt,  und  eine 
Burg  (castellum)  mit  Hof  (curia)  am  Golf  von  Cattaro,  Trajectus 
genannt,  eine  Übersetzung  des  heute  noch  dort  bekannten  Namens 
von  Prevlaka.  Dazu  kommt  in  der  Chronik  des  Skylitzes  die 
Stadt  Cattaro  ^).  Nach  Diocleas  befanden  sich  die  Grabstätten 
dieser  Herrscher  in  der  großen  Abtei  der  Heiligen  Sergius  und 
Bacchus  am  linken  Ufer  der  Bojana,  1t^  Stunden  flußabwärts  von 
Skutari,  heute  in  Ruinen  ^).    Andere  Fürstengräber  gab  es  in  der 


1)  Gregors  VII.  Briefe,  lib.  V  ep.  12:  Michaheli  Sclavorum  regi, 
auch  bei  Racki,  Doc.  211.  Racki,  Borba  225  deutete  die  Worte  »tuique 
regni  honor  a  uobis  cognosci"  bei  der  vom  König  angesuchten  Entscheidung 
der  kirchlichen  Streitfrage  zugunsten  des  Erzbischofs  von  Ragusa  als  ein 
Verlangen  um  Anerkennung  der  Königswürde. 

2)  Dom  entian  p.  246.  Unbegründet  sind  die  Zweifel  über  den  Königs- 
titel Bodins  bei  Petrov  a.  a.  0.  245  Anm.  3. 

3)  Michael  residiert  it^  z/fxarsQoig  xcd  IT^anouTot;:  Prokic  a.  a.  0. 
nro.  68. 

4)  Das  St.  Sergiuskloster  bei  dem  jetzigen  Dorf  Sirdz  ist  ein  drei- 
schiffiger  Bau  aus  wechselnden  Quader-  und  Ziegellagen,  mit  Resten  von 
Fresken  in  zwei  Schichten  übereinander,  Spuren  eines  Mosaikbodens  und 
einigen  Inschriften  des  13. — 14.  Jahrhunderts.  Die  Seitenfront  zum  Fluß  ist 
schon  durch  Unterwaschuug  eingestürzt.  Noch  1685  hatte  die  Kirche  ein 
hohes  Kampanile:  Theiner,  Mon.  Slav.  2,  218.    Vgl.  Jastrebov,  Glasnik 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  11. — 12.  Jahrh.  213 

Domkirche  des  heiligen  Georg  in  Antivari,  in  der  St.  Andreas- 
kirche von  Prapratna  und  im  Kloster  des  heiligen  Petrus  de 
Gampo  bei  Trebinje.  Nach  den  ersten  drei  Herrschern  trat 
im  „regnum  Diocliae",  wie  es  die  päpstliche  Urkunde  von 
i089  nennt,  ein  Verfall  ein,  mit  erbitterten  Familient'ehden.  Die 
unterlegenen  Fürsten  wurden,  wenn  sie  nicht  das  Glück  hatten, 
zu  den  Griechen,  den  östlichen  Serben  oder  in  die  dalmatinischen 
oder  apuUschen  Küstenstädte  zu  entfliehen,  von  ihren  Gegnern 
getötet,  geblendet  oder  gar  als  blinde  Eunuchen  in  das  St.  Sergius- 
kloster  gesperrt,  wie  es  Diocleas  von  König  Dobroslav  IL  erzählt. 
Die  inneren  Verhältnisse  sind  wenig  bekannt.  Unverdächtige 
Urkunden  der  dioklitischen  Könige  gibt  es  nicht.  Die  lateinischen, 
augebhch  von  den  Abten  des  Sergiusklosters  als  Kanzlern  der 
Könige  ausgefertigten  Akten  über  die  Güter  der  Benediktiner- 
abteieu  auf  den  Inseln  Lacroma  und  Meleda  bei  Ragusa  erweisen 
sich  durch  die  Widersprüche  in  Form  und  Inhalt,  durch  das 
Fehlen  der  in  echten  dalmatinischen,  venezianischen  und  apulischen 
Urkunden  dieser  Zeit  in  der  Datierung  üblichen  byzantinischen 
Kaisernamen  und  durch  andere  Merkmale  als  Fälschungen  \). 
Allem  Anschein  nach  ist  ein  Teil  dieser  Urkunden  erst  während 
der  Konflikte  um  die  Reorganisation  der  Benediktinerabteien  auf 
dem  Boden  der  Repubhk  Ragusa  im   15.  Jahrhundert  hergestellt  -) 


48  (1880)  366-3G9;  Ippeu,  Wiss.  Mitt.  7  (1900)  231-235  (mit  Abb.)  und 
8  (1902)  143  (Plan);  Derselbe,  Skutari  und  die  nordalbanische  Küsten- 
ebene (Sarajevo  1907)  9—11  (mit  Abb.). 

1)  Über  diese  „unechten  Urkunden"  Engel,  Gesch.  des  Freystaates 
Ragusa  (Wien  1807)  76  A.,  Racki  im  Kujizevnik  1  (1864)  221  und  Borba 
231,  Petrov  a.  a.  0.  245.  Meine  Bemerkungen  im  Arch.  slaw.  Phil.  26 
(1904)  166-167. 

2)  In  der  Urk.  1114  „regnante  rege  Georgio,  filio  regis  Bodini" 
(Sukuljeviö  2,  18,  Smiciklas  2,  25)  erscheinen  gegen  allen  Brauch 
Frauen  als  Zeugen,  sogar  auch  Nonnen.  Eine  derselben  war  „uxor  Proculi 
de  Cazariza".  Das  ist  der  urkundlich  bekannte  Ragusaner  Patrizier  Pro- 
culus  de  Chasaliqa  1323 — 1343,  aus  einer  Familie  (oder  Seitenlinie  eines 
größeren  Hauses),  welche  unter  diesem  Namen  nur  1313—134:5  vorkommt. 
Eine  Urkunde  für  Meleda  präsentiert  sich  als  „Sigillum  Lotauitti  proto- 
spatarii  epi  tho  chrussotriclino,  ypati  et  stratigo  Seruie  et  Zachulmie'"  (bei 
Kukuljevic  datiert  ca.  1025,  bei  Smiciklas  ca.  1151);  doch   ein  Proto- 


314  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

worden.      Slawisch    geschriebene   Urkunden    sind  erst    seit    1180 
erhahen  ^). 

Die  Fürsten  des  östlichen  Gebietes  führten  nur  den  Titel  eines 
„großen  Zupans",  velji  zupan-),  bei  den  Griechen  (.tayag  ^oi- 
Ttavog  oder  aQXi^otrcavog ,  lateinisch  megaiupanus,  niagnus 
jupanus  oder  in  ungarischen  Denkmälern  magnus  com  es. 
Die  Vorsteher  der  einzelnen  Zupen,  teils  Verwandte  des  herrschen- 
den Hauses,  teils  Angehörige  lokaler  Geschlechter,  heißen  wie 
früher  Zupane  („magistratus  haben t,  quos  suppanos  vocant",  sagt 
Wilhelm  von  Tyrus).  Nur  wenige  Namen  der  Großzupane  er- 
innern an  die  alten  Fürstennamen  der  eigentlichen  Serben  um 
800 — 950  (Stephan,  Prvoslav).  Dagegen  ist  der  genealogische 
Zusammenhang  für  das  11. — 14.  Jahrhundert  offenbar  eben  an 
der  Wiederholung  vieler  Namen  (Vlkan,  Stephan,  Uros,  Desa). 
Eine  Sage  über  den  Ursprung  der  Dynastie  der  Großzupane  ist 
in  einer  älteren  Fassung  bei  Diocleas,  in  einer  jüngeren  bei  den 
serbischen  und  ragusanischen  Chronisten  des  15.  — 17.  Jahrhunderts 
zu  lesen.  Diocleas  erzählt  von  einem  Jüngling  Tihomil,  Sohn 
eines  Dorfgeistlichen  (filius  cuiusdam  presbyteri).  Er  hütete  die 
Schafe  eines  Fürsten  Budislav  und  pflegte  seinen  Herrn  auf  der 
Jagd  zu  begleiten.  Einmal  hatte  er  das  Mißgeschick,  einen  Lieb- 
lingshund des  Fürsten  wider  Willen  zu  erschlagen.  Vor  der  Rache 
seines  Herrn  floh  er  zum  Fürsten  Caslav.  Als  dieser  mit  den 
heidnischen  Ungarn  aa  der  Drina  kämpfte,  tötete  Tihomil  einen 
ungarischen  Fürsten  Kis  und  brachte  seinen  Kopf  als  Trophäe  in 
das  serbische  Lager.  Zur  Belohnung  gab  ihm  Caslav  die  Zupa 
Drina  und  verheiratete  ihn  mit  der  Tochter  des  „banus  Rassae^'. 
Nachdem  Caslav  im  Kriege  gegen  die  Ungarn  den  Tod  gefunden 
hatte,  erbte  Tihomil  von  seinem  Schwiegervater  die  Herrschaft  über 
Rassa,   nannte   sich   aber   weder   König   noch   Ban,    sondern   nur 


spathar    rov  ;(QvaoTQt,xXivov  konnte    nicht   zu  gleicher  Zeit  die  viel   höhere 
Würde  eines  ünarog  (Konsuls)  bekleiden. 

1)  Die  Urkunde  von  Popovo,  die  Safafik,  Miklosich,  Kukul- 
jeviö  und  Smiciklas  in  das  12.  Jahrhundert  verlegen,  gehört,  wie  ich 
Glasnik  47  (1879)  306-309  und  Arch.  slaw.  Phil,  26  (1904)  1G6  gezeigt 
habe,  in  die  J.  1242—1280. 

2)  Mon.  serb.  4;  Glasnik  47  (1879)  309. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  315 

„jupanus  maior",  das  Oberhaupt  der  übrigen  Zupane  von  Rassa; 
ebenso  taten  seine  Nachfolger  „de  Thyeomil  progenie  ^)".  In  der 
späteren  Fassung  rückt  der  Stammvater  der  Großzupane  aus  dem 
10.  Jahrhundert  in  das  12.  herab.  Konstantin  der  Philosoph  (um 
1430)  nennt  Tehomil  unmittelbar  als  Vater  des  Nemanja.  Das- 
selbe liest  man  im  Buche  Rodoslov  (Genealogie)  mit  dem  Zusatz, 
Tehomil  habe  in  Zachlumien  gelebt  und  eine  Kirche  des  heiligen 
Stephan  in  Drijeva  (jetzt  Gabela  an  der  Narenta)  erbaut;  des- 
wegen sei  er  von  den  übermütigen  Einwohnern  des  Landes  zum 
Spott  ein  Pope  genannt  worden,  sein  Bruder  Cudomil  gar  ein 
Bischof  -).  Die  Ragusaner  Orbini  und  Luccari  stellen  in  der 
Genealogie  des  Hauses  des  Nemanja  an  die  Spitze  einen  Geist- 
lichen, den  „Stefano  prete",  in  der  fünften  Generation  vor 
Nemanja  ^).  Bei  Diocleas  sind  die  Zupane  von  Ras  zeitweise 
abhängig  von  den  Königen  des  Küstenlandes,  welche  angeblich 
die  „Rassani''  einigemal,  zuletzt  unter  Bodin,  von  der  griechischen 
Herrschaft  befreit  haben. 

Der  Mittelpunkt  des  östlichen  Gebietes  wurde  das  Tal  der 
Raska  bei  dem  jetzigen  Novipazar  mit  der  Burg  Ras,  in  welcher 
bis  zum  Anfang  der  Regierung  des  Kaisers  Manuel  zeitweilig  eine 
griechische  Besatzung  lagerte.  Bald  nannte  man  den  Osten  Ser- 
biens im  Ausland  Rassia,  ein  Name,  der  zuerst  bei  Ansbert 
(1189)  zu  lesen  ist '^).  Einige  Höfe  des  Großzupans  lagen  in 
anderen  Teilen  seines  Gebietes,  wie  die  von  den  Kaisern  Manuel 
und  Isaak  Angelos  niedergebrannten  Schlösser  ^).  Das  herrschende 
Geschlecht,  die  „Brüder"  oder  Vettern  (adelcpoi ,  bratija),  war 
durch  Familienfehden  in  Parteien  gespalten,    eine  autonome,   mit 


1)  Diocleas  p.  27—31,  34,  36,  38,  46. 

2)  Konstantin:  Glasnik  42  (1875)  257.  Rodoslov:  eb.  53  (1883) 
30 — 31.  Garzoni,  Istoria  della  repubblica  di  Venezia  in  tempo  della  sacra 
lega  1  (Venezia  1712)  553  erwähnt  im  Kastell  von  Gabella  1694  einen  Turm, 
erbaut  an  Stelle  einer  Kirche  S.  Stefano. 

3)  Orbini  243,  249,  Luccari  ^20.  Analyse  dieser  Sagen  von  Ko- 
vacevic:  Glas  58  (1900)  320?. 

4)  Ansbert:  Servia  (Servigia  im  Grazer  Kodex)  et  Crassia  (Crazzia) 
Fontes,  rer.  austr.  5,  p.  22,  24. 

5)  Kinnamos  III,  cap.  6.  Rede  des  Niketas:  Recueil  des  bist,  de« 
croisadea,  Hist.  grecs  2,  738  C. 


310  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

den  Ungarn  befreundete,  und  eine  byzantinische.  Deshalb  wurden 
die  Großzupane  im  12.  Jahrhundert  so  oft  gewechselt;  ein  voll- 
ständiges Verzeichnis  hat  sich  nicht  erhalten.  Diese  östlichen 
Serben  drangen  seit  Ende  des  11.  Jahrhunderts  unermüdlich  über 
die  byzantinische  Grenze  vor.  Unter  Kaiser  Alexios  Komnenos 
hatten  ihre  Invasionen  meist  die  Richtung  nach  Südost,  über  eine 
von  Ras  über  Zvecan  nach  Ped  gezogene  Linie  hinaus  bis  nach 
Makedonien.  In  der  Zeit  des  Kaisers  Manuel  wendete  sich  die 
Offensive  mehr  ostwärts,  gegen  die  Straße  von  Belgrad  über  Nis 
nach  Konstantinopel.  Bald  saßen  in  den  Bergen  zwischen  Ras 
und  Nis  auf  dem  Boden  des  Bistums  von  Nis  serbische  Teilfürsten. 
Durch  diesen  Kleinkrieg  wurden  die  Grenzgebiete  fortwährend 
verwüstet.  Die  Komnenen  suchten  den  Widerstand  der  Serben 
durch  massenhafte  Übersiedlungen  von  Gefangenen  zu  brechen. 
Kaiser  Johannes  ließ  sie  nach  Kleinasien  in  die  Umgebung  von 
Nikomedia  führen,  Kaiser  Manuel  in  die  Landschaft  von  Serdica  ^). 
Ein  neues  Bevölkerungselement  längs  der  damaligen  serbischen 
Grenze  waren  die  von  Kaiser  Alexios  besiegten  und  an  allen 
Straßen  kolonisierten,  zu  Kriegsdiensten  verpflichteten  Petsche- 
negen.  Ihre  Spuren  sind  in  Ortsnamen  heute  noch  zu  bemer- 
ken -). 

Der  Widerstand  der  Serben  gegen  die  Griechen  war  für  die 
Ausbreitung  der  lateinischen  Kirche  günstig.  Unter  dem  Fürsten 
Stephan  Vojislav  wurde  ein  kathoHsches  Erzbistum  in  Antivari 
gegründet,  welches  heute  noch  besteht.  Während  der  Blütezeit 
der  byzantinischen  Macht  waren  die  Bischöfe  in  den  Resten  des 
alten  Praevalis,  wie  wir  gesehen  haben  (S.  172),  dem  griechischen 
Metropoliten  von  Dyrrhachion  untergeordnet.  Der  Niedergang  des 
Einflusses  von  Byzanz  führte  zum  Anschluß  der  Romaneu  und 
Albanesen    dieser  Städte   an  Rom,    angeblich   zuerst   an   das  Erz- 

1)  Niketas  ed.  Bonn.  p.  23,  Kinnamos  a.  a,  0.  Serbeudörfer, 
„ Servochoria "  gab  es  in  der  Gegend  von  Nikomedia  noch  1204:  Tafel 
und  Thomas  1,  475. 

2)  Dörfer  Peceuoge  im  Bezirk  Gruza  und  Pecenjevci  bei  Leskovac,  in 
der  heutigen  Lokalsage  allerdings  von  „pecenja"  (Braten)  abgeleitet.  Vgl. 
meine  Abb.  über  die  Überreste  der  Petschenegen  und  Rumänen:  SB.  der 
kgl.  böhm.  Gesellsch.  der  Wies.  1889,  3—30. 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  11.— 12.  Jahrh.  217 

bistum  von  Spalato.     Dem  Metropoliten  von  Dyrrhachion  blieben 
überhaupt  nur  vier  Bistümer,  darunter  im  Norden  die  von  Alessio 
und  Kroja.    Die  Entstehungsgeschichte  des  lateinischen  Erzbistums 
von  Antivari  ist  in  Dunkel  gehüllt.    Sagenhaft  klingt  der  Bericht 
des  Historikers  der  Kirche  von  Spalato,  des  Archidiakous  Thomas. 
Als  um  1045  die  Bischöfe  von  Cattaro,   Antivari,   Dulcigno   und 
Svac  zu  einer  Provinzialsynode  nach  Spalato  reisten,    wurden  sie 
bei  den  Inseln,   nach  der  späteren  Sage  bei  dem  „Vorgebirge  der 
Bischöfe"  (Punta  dei  vescovi)  auf  Lesiaa,  durch  einen  furchtbaren 
Sturm   überrascht  und  fanden  bei  dem  Schiffbruch  alle  den  Tod. 
Da  baten  die  Bürger  den  Papst  um  die  Errichtung  eines  eigenen 
Erzbistums  iür  den  Süden  Dalmatiens  (superior  Dalmatia),  welches 
seinen    Sitz   in   Antivari   erhielt  i).      Der   wirkliche   Vorgang   war 
wohl  nicht  anders,  als  im  byzantinischen  Apuhen,  wo  950 — 1050 
die   lateinischen   Bischöle   von    Bari,    Trani,    Tarent   und   Lucera 
eigenmächtig    zu    Erzbischöfen    erhoben    wurden,    ein    Bestreben, 
welches  die  Byzantiner  dort  aus  politischen  Beweggründen  unter- 
stützten ;  noch  Papst  Leo  IX.  wollte  das  Erzbistum  von  Bari  nicht 
anerkennen,  bis  Alexander  IL  alle  diese  Verhältnisse  regelte  -).    Der 
urkundliche  Name  der  neuen  Metropolitankirche  im  alten  Praevalis 
lautet  „Diocliensis  (Dioclitana)  atque  Antibarensis  ecclesia"-').    Die 
Bistümer  sind  zuerst  aufgezählt  in  drei  päpstlichen  Urkunden  von 
Alexander   IL   (1067),    Klemens   III.    (1089)  i)    und    Calixtus  IL 
(1119 — 1124)^).    Sie  zerfallen  in  zwei  Gruppen:  die  kleinen  nach 

1)  Thomas  Arch.  cap.  15.  Bei  Diocleas  wird  das  Erzbistum  vou 
Dioclia  schon  im  9.  Jahrh.  auf  einer  Synode  in  Delmiuium  errichtet,  welche 
Dr.  Faber,  Wiss.  Mitt.  11  (1909)  3G5  in  „das  Reich  der  Fabel"  verweist, 
während  Dr.  L.  Jelic  im  Vjesnik  arheol.  N.  S.  10  (1909)  135 f.  diese  Ver- 
sammlung in  den  August  1057  verlegt. 

2)  Gay,  L'Italie  meridionale  357—365,  545—552. 

3)  Monographien :  Dr.  IvanMarkovic,  Dukljansko-barska  metropolija 
{Agram  1902)  und  Dr.  Moriz  Faber,  Das  Recht  des  Erzbischofs  vou 
Antivari  auf  den  Titel  Primas  von  Serbien,  Glasnik  bos.  17  (1905)  = 
Wiss.  Mitt.  11  (1909)  ff. 

4)  P.  Kehr,  Nachr.    der   kgl.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen,  ph.-h.  Kl 
1900,  148  f 

5)Pflugk-Harttung,  Acta  pontif  rom.  inedita  2  nro.  28(3.  u  lysse 
Robert,  Bullaire  du  pape  Calixte  II  (Paris  1891)  2  nro.  436. 


218  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

zahlreichen ,  nahe  beieinander  gelegenen  Städten  und  Burgen  be- 
nannten Diözesen  des  Küstenlandes  und  die  großen,  die  Namen 
von  Landschaften  führenden  Sprengel  des  Inneren.  An  der  Küste 
sind  schon  aus  den  griechischen  Katalogen  bekannt  die  alten 
Bischofsitze  von  Dioclia,  Skutari,  Drivasto,  Polatura,  Dulcigno  und 
Antivari.  Dazu  kamen  die  zwei  Bischöfe  des  uralten  Budua  und 
der  serbisch  Svac,  lateinisch  Suacia  genannten  Stadt,  deren  Rui- 
nen (jetzt  Sas)  östlich  von  Dulcigno  an  einem  See  auf  jetzt  tür- 
kischem Boden  liegen.  Im  12.  Jahrhundert  erscheinen  Bischöfe 
in  der  Burg  Sarda  in  den  Engpässen  des  Drim  östlich  von  Skutari 
(jetzt  Ruine  Surda)  und  in  der  Landschaft  Arbanum  bei  Kroja, 
Im  14.  Jahrhundert  traten  dazu  noch  die  drei  Bischöfe  der  gegen- 
wärtig verfallenen  Burgen  Balezo  am  Flusse  Rioli  östlich  vom  See 
von  Skutari,  Dagno  (serbisch  Danj)  am  Austritt  des  Drim  aus 
den  Felsengen  in  die  Ebene  und  Sappa  (Sappata)  im  Hügelland 
bei  Alessio  ^).  Im  Binnenlandc  werden  seit  1067  drei  Bistümer 
genannt:  die  „Tribuniensis  eeclesia"  im  Lande  der  Travunier,  mit 
dem  Mittelpunkt  vielleicht  in  dem  „monasterium  Sancti  Petri  de 
Campo"  bei  Trebinje  (S.  173),  die  „Bosoniensis  eeclesia"  im  oberen 
Bosnatale  mit  dem  Sitz  bei  der  St.  Peterskirche  von  Brdo  (Ban- 
Brdo)  und  die  „Serbiensis  eeclesia"  im  Lande  der  eigentlichen 
Serben,  deren  Ursprung,  Residenz  und  Geschichte  nicht  bekannt 
ist.  Es  ist  auch  kein  Name  eines  Bischofs  dieser  serbischen  Diö- 
zese überliefert;  die  Ragusaner  identifizierten  sie  im  13.  Jahr- 
hundert mit  der  von  Bosnien  -).  Seit  dem  12.  Jahrhundert  war 
ein  Rivale  des  Erzbistums  von  Antivari  das  neue  Erzbistum  von 
Ragusa,  dessen  Anfänge  ebenso  unklar  bleiben  und  überdies  durch 
ganze  Reihen  von  gefälschten  Papsturkunden  des  8. — 12.  Jahr- 
hunderts verdunkelt  sind  ^).  Nach  1100  allgemein  anerkannt,  be- 
gann es  die  Rechtsgrundlage  der  Kirche  von  Antivari  in  Frage 
zu  stellen  und  ihr  ganzes  Gebiet  für   sich   zu   beanspruchen;    erst 


1)  Über  diese  Burgen  Jastrebov  (Glasnik  Bd.  48),  Degrand,  Ippen. 

2)  Farlati  6,  103;  Markovic  84  Anm.  62. 

3)  Vitalis  nur  als  „episcopus"  von  Ragusa  1044,  1074  Kukuljevic, 
Cod.  dipl.  1,  112,  148.  Die  Fälschungen:  Carrara,  Chiesa  di  Spalato 
(Triest  1844)  llSf.;  Gfrörer,  Byz.  Gesch.  2,  222;  Racki,  Rad  27  (1874) 
198,  Doc.  212  A.;  Markoriö  G3— 87. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  219 

im  13.  Jahrhundert  endigten  die  Prozesse  vor  der  Kurie  mit  dem 
Sieg  der  Antivarenser.  Um  1200  waren  Ragusa  untergeordnet 
die  drei  Bisciiöfe  von  Bosnien,  Tribunien  und  Zachlumien,  das 
letztere  mit  dem  Sitz  in  Stagno,  ursprünglich  dem  Erzbistum  von 
Spalato  untergeordnet,  im  13.  Jahrhundert  aus  Stagno  auf  die 
Insel  Curzola  verdrängt  ^).  Der  Bischof  von  Cattaro ,  eingeengt 
zwischen  den  Erzbistümern  von  Antivari  und  Ragusa,  erscheint 
in  den  Urkunden  des  11. — 14.  Jahrhunderts  als  SufFragan  des 
Erzbischofs  von  Bari  und  Canusium  an  der  apulischen  Küste  -). 
Die  Unterschiede  zwischen  der  östlichen  und  westlichen  Kirche 
waren  in  diesen  Ländern  noch  nicht  klar  zum  Bewußtsein  ge- 
kommen. Im  Erzbistum  von  Antivari  mußte  noch  1199  eine 
Synode  gegen  die  Priesterehe  Beschlüsse  fassen  und  den  Klerikern 
die  Entfernung  der  langen  Barte  vorschreiben.  In  Spalato  hauste 
der  Erzbischof  Dabralis  (um  1030 — 1050),  ein  Patrizier  der  Stadt, 
mit  Frau  und  Kindern  in  seiner  Residenz,  die  nach  den  Worten 
des  Archidiakons  Thomas  „von  dem  Geschrei  der  Kinder  und  dem 
Lärm  der  Mägde"  widerhallte;  bei  seiner  Absetzung  verteidigte  er 
seine  Ehe  durch  die  Einrichtungen  der  östlichen  Kirche,  in  welcher 
jedoch  nur  ein  Mönch  Bischof  werden  kann. 

Im  Osten  standen  die  Serben  unter  dem  Einfluß  der  orien- 
talischen Kirche,  des  autokcphalen  Erzbistums  von  Ochrid,  welches, 
von  Kaiser  Basilios  IL  mit  großen  Privilegien  ausgestattet,  bis  ins 
18.  Jahrhundert  be.stand,  als  die  einzige  mittelalterliche  Schöpfung 
auf  dem  altberühmten  Bodens  Makedoniens,  die  eine  längere  Dauer 
aufzuweisen  hatte.  Der  aQyieytiGv.onoq  rtaarjg  Bov?.yaQi'ag  schreibt 
sich  auch  Erzbischof  von  Justiniana  Prima;  man  fand  nämlich  in 
den  Rechtsbüchern  die  Privilegien,  welche  Kaiser  Justinian  der 
Kirche  seiner  Heimat  verliehen  hatte,  und  erklärte  diese  als  identisch 
mit  Ochrid.  Zu  Erzbischöfen  wurden  nur  Griechen  ernannt,  welche 
aber  die  Rechte  der  ihnen  anvertrauten  Kirche  stets  energisch  ver- 
teidigten. Es  waren  darunter  gelehrte  Männer,  wie  zu  Ende  des 
11.  Jahrhunderts  der  berühmte  Schriftsteller  Theophylaktos.     Die 


1)  Thomas  Arch.  cap.  15.     Urk.  1192,  1284,   1286:   Smiciklas  2, 
252,  Theiner,  Mon.  SlaT.   1,  100,  103. 

2)  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  1,  47. 


320  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Zahl  der  Bistümer  hatte  sich  seit  der  Einführung  des  Christentums 
am  Ende  des  9.  Jahrhunderts  stark  vermehrt  i).  In  den  Urkunden 
Basilios'  IL  sind  auffällig  die  ständigen  Zahlen  der  Kleriker  und 
Paröken  (Kolonen)  in  den  einzelnen  Bistümern:  40,  'SO,  15,  12. 
Darin  liegt  vielleicht  eine  Spur  der  chronologischen  Gruppen,  wo- 
bei die  ältesten  Bistümer  am  besten  dotiert  waren,  die  jüngeren 
schwächer.  Die  in  der  Beschreibung  der  einzelnen  Sprengel  ge- 
nannten Ortschaften  lassen  sich  zum  Teil  gar  nicht  feststellen,  be- 
sonders in  der  Eparchie  von  Belgrad,  welches  schon  bei  Ansbert 
als  „Weißenburg"  (Wizzenburch)  verdeutscht  wird,  oder  in  der 
von  Branicevo,  welches  die  Ungarn  im  Mittelalter  Boronch  (lies 
Borontsch),  die  Kreuzfahrer  Brandiz  nannten.  Auch  unter  den 
Bischöfen  gab  es,  neben  Landeskindern,  gelehrte  Griechen.  Der 
Bischof  Johannes  von  Prizren  schrieb  in  der  ersten  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  auf  Bitten  des  Johannes  Vranianites,  des  Stell- 
vertreters des  Sevasten  Georgios  Palaiologos  von  Skopje,  einen 
Kommentar  zum  Hexapsalmos  am  Anfang  der  griechischen  Mette  -). 
Die  Gründung  von  Klöstern  begann  gleich  mit  der  Bekehrung 
des  Landes.  Am  See  von  Ochrid  steht  noch  das  im  Jahre  905 
gestiftete  Kloster  des  heiligen  Naum,  eines  Schülers  der  Slawen- 
apostel. Später  wirkten  die  vier  Eremiten  und  Klostergründer 
des  östlichen  Makedoniens,  deren  Stiftungen  noch  gegenwärtig  be- 
stehen: der  heilige  Johannes  von  Rila  im  10.  Jahrhundert  in  den 
Zeiten  des  bulgarischen  Kaisers  Peter,  Gabriel  von  Lesnovo, 
Joakim  von  Osogov  und  Prochor  von  Psinja  im  11.  Jahrhundert  ^). 
Das  Zentrum  des  griechischen  Mönchslebens,  einst  auf  dem  bithy- 
nischen  Olymp,  wurde  seit  dem  10.  Jahrhundert  auf  eine  Halbinsel 


1)  Drei  Urk.  Basilios'  II.  und  zwei  Verzeichnisse  der  Bistümer  des 
11. — 12.  Jahrh.  herausg.  von  Geizer,  Byz.  Z.  1,  256f.;  2,  42f.  Kommentar 
von  S.  Novakovic:  Das  Erzbistum  von  Ochrid  im  Anfang  des  11.  Jahrh., 
Glas  76  (1908)  1—62. 

2)  Chrysostomos  Lauriotes,  'iwdwrig  iniaxonoi  nntaSQiavGiif, 
'E-Axlria.  'u4)./],nu(  23  (1903)  355 f.,  mir  bekannt  aus  Viz.  Vrem.  11  (.1904)  311 
und  Byz.  Z.  13  (1901)  622.  Vranianites  wohl  von  der  Stadt  Vranja  {Bquv^u 
Anna  Komnena  IX,  4)  im  heutigen  Königreich  Serbien. 

3)  Ihre  Legenden  neuerdings  untersucht  von  Jordan  Ivauov,  Severna 
Makedonia  (bulg. ,  Nordmakedonien,  bist.  Untersuchungen),  Sofia  1906, 
83—109. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11.— 12.  Jahrb.  321 

der  Küste  Makedoniens  übertragen,    in   die   immergrünen  Wälder 
des  Berges  Athos.     Unter  den  Mönchen    der   dortigen    neuen  Ab- 
teien gab  es  Griechen,    Georgier,   Russen,    Bulgaren,   Serben,  ja 
sogar    auch  Italiener   aus  Amalfi.      Aus   Makedonien   verbreiteten 
sich  weit  gegen  Norden  verschiedene  lokale  Heiligenkulte.    Spuren 
der  Verehrung   des   heiligen   Deraetrios   von  Thessalonich    reichen 
bis  zur  Demetriuskirche  unter  der  Burg  Zvecan,   bei  welcher  das 
heutige   Mitrovica,   Endpunkt   der  Eisenbahn   von  Salonik   gegen 
Bosnien,    entstanden  ist,    und   bis  zur  St.  Deraetriusabtei  auf  den 
Ruinen  von  Sirmium,  nach  welcher  die  alte  Römerstadt  im  13.  bis 
15.  Jahrhundert  „civitas   S.  Demetrii",    magyarisch  Szava  Szent- 
Demeter,  altserbisch  Dimifrovce  genannt  wurde,  jetzt  ebenfalls  als 
Mitrovica   bekannt.     Aus   der  Inselkirche   von  Prespa   wurde   der 
Kultus  des  heiligen  Bischofs  Achilleios  von  Larissa  bis  nach  Serbien 
verpflanzt.     Eine  Kirche  des  heiligen  Achilij,  später  Archilij  aus- 
gesprochen, im  heutigen  Kreis  von  Uzice  wurde  im  13.  Jahrhundert 
Sitz    eines  Bischofs    der  serbischen    Nationalkirche;    das  Städtchen 
heißt   heute    noch  Arilje  i).     In  Nis   wurden   in   der   bischöflichen 
Kirche  des  heiligen  Prokopios   die  Reliquien   dieses   palästinischen 
Märtyrers   der  Zeit  Diokletians  verwahrt.    Die  Ungarn  haben  (um 
1072)  die  Hand  des  Heiligen  genommen  und  in  der  St.  Demetrios- 
kirche  von  Sirmium  niedergelegt,  von  wo  sie  Kaiser  Manuel  wieder 
zurückbrachte  -).    In  der  Umgebung  von  Nis  gab  es  eine  „Burg  des 
heiligen    Prokopios"   (grad   svetago   Prokopia  1395),    die    heutige 
Stadt  Prokuplje  an  der  unteren  Toplica. 

Trotz  des  Widerwillens  der  Serben  gegen  das  byzantinische 
Kaisertum  war  aber  der  kirchliche  Einfluß  des  Ostens  stärker 
als  der  des  Westens.  Die  slawischen  GeistUchen  Makedoniens 
und  Bulgariens  standen  den  Serben  näher  als  die  romanischen 
und  albanesischen  Bischöfe  und  Kleriker  des  adriatischen  Küsten- 
gebietes. Die  slawischen  Bücher  des  Bischofs  Klemens  von  Ochrid, 
des  bulgarischen  Exarchen  Johannes,  des  Bischofs  Konstantin  u.  a. 
waren  ihnen  ohne  weiteres  verständlich.  Der  inio-MTtog  'Paaov, 
dessen  Sprengel  in  der  Urkunde  ßasihos'  IL  als  eine  der  kleinen 

1)  Vgl.  mein  Christ.  Elem.  37 f.,  95. 

2)  Vgl.  eine  Urk.  1698:  Letopis  229  (1905)  5f 


233  Drittes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Eparchien  gar  nicht  näher  beschrieben  ist,  wurde  nach  dem  Vor- 
dringen der  Serben  ostwärts  Bischof  am  Hofe  des  Großzupans 
und  verwaltete  bald  das  ganze  ostserbische  Gebiet.  Athosmönche 
kamen  bis  zum  Hofe  des  Großzupans;  anderseits  haben  sich  ser- 
bische Mönche  in  Thessalonich  bei  der  Verteidigung  dieser  Stadt 
gegen  die  Normannen  (1185)  durch  ihre  Tapferkeit  ausgezeichnet  ^). 
Das  Bistum  von  Ras  wurde  im  13.  Jahrhundert  die  Grundlage  und 
der  Ausgangspunkt  der  autokephalen  serbischen  Nationalkirche. 

Neben  den  beiden  offiziellen  Kirchen  hatte  sich  auch  eine 
alte  kleinasiatische  Sekte  in  den  Hämusländern  verbreitet  -}. 
Gegründet  im  3.  Jahrhundert  von  Paul  von  Samosata,  neuorgani- 
siert in  Komraageue  am  Euphrat  gegen  Ende  des  7.  Jahrhunderts, 
hat  die  Lehre  der  Paulikianer  im  Osten  Kleiuasiens  viele  Anhänger 
gefunden,  sowohl  bei  den  Griechen,  als  bei  den  Armeniern,  wo 
ihre  Spuren,  wie  der  von  Conybeare  verÖffentHchte  armenische 
„Schlüssel  der  Wahrheit"  zeigt,  bis  ins  19.  Jahrhundert  reichen. 
Entstanden  unter  dem  Einfluß  der  Gnostiker  und  Manichäer,  beruhte 
ihre  Theologie,  obwohl  sie  sich  als  echte  Christen  bezeichneten,  auf 
dem  altpersischen  Dualismus  der  zwei  Prinzipe  (slaw.  nacala, 
wörtlich:  Anfänge):  des  himmlischen  Vaters,  Schöpfers  der  un- 
sichtbaren Welt,  und  des  bösen  Geistes,  Luzifer  oder  Satan,  des 
Schöpfers  der  sichtbaren  Welt.  Auf  die  Hämushalbinsel  kam 
ihre  Lehre  durch  die  Ansiedlung  von  Kleinasiaten,  teils  Griechen, 
teils  Armeniern,  an  der  bulgarischen  Grenze  bei  Adrianopel  und 
Philippopel,  nach  Unteritalien  durch  die  vom  Kaiser  Basilios  I. 
besiegten  und  dorthin  verpflanzten  Paulikianer  vom  oberen  Euphrat. 
Die  Katharer  oder  Patarener  der  Lombardei  und  die  Albigenser 
Südfrankreichs  sind  nur  Zweige  dieser  Gruppe.  In  Bulgarien 
verbreitete  sich  die  Sekte  schon  im  10.  Jahrhundert  durch  einen 
neuen  Organisator,  den  Popen  Bogomil,  welcher  angeblich  unter 
dem  Kaiser  Peter   gelebt  hat.     Daher  nannte  man  ihre  Anhänger 


1)  Eustathios  ed.  Tafel  §  76  p.  291;  Tafel,  Komnenen  und  Nor- 
mannen 149. 

2)  Hauptwerk:  F.  Racki,  Bogomili  i  Patareni,  Rad  Bd.  7—10  (1869 
bis  1870).  Rede  des  bulg.  Presbyters  Kosmas  (10.  Jahrb.),  neueste  Aus- 
gabe von  M.  G.  Popruzenko,  Sv.  Kozmy  presvitera  slovo  na  eretiki, 
Petersburg  1907. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  223 

auch  bei  den  Byzantiuern  Bogomilen.  Eine  spätere  südslawische 
Benennung  ist  ,,der  Glaube  der  Babunen"  (babunska  vjera),  be- 
kannt aus  serbischen  Denkmälern  des  14.  Jahrhunderts  ^).  Eine 
große  Verfolgung  der  Paulikianer  oder  Bogomilen  in  Konstanti- 
nopel und  Philippopel  unter  Kaiser  Alexios  Komnenos  vermochte 
sie  nicht  auszurotten;  bei  Philippopel  erscheinen  sie  noch  in  der 
Zeit  des  lateinischen  Kaisertums.  Nach  Anna  Komnena  hatte 
sich  die  Lehre  nicht  so  sehr  bei  den  Weltlichen,  als  unter  den 
GeistHchen  und  Mönchen  verbreitet  -).  In  Bulgarien  sind  im 
1 2.  Jahrhundert  Spuren  einer  Hierarchie  der  Sekte  zu  bemerken ; 
der  Bischof  der  Häretiker  in  Serdica  wird  als  der  „kleine  Alte" 
(dedtc)  bezeichnet,  ebenso  wie  er  in  Bosnien  später  „der  Alte" 
(djed  oder  did)  hieß  ^). 

Zum  Schluß  des  12.  Jahrhunderts  werden  Anhänger  dieser 
Sekte  in  Bosnien  erwähnt.  Nach  den  päpstlichen  Urkunden  waren 
die  Führer  auch  dort  Mönche,  „magistri"  und  „priores"  der 
„fratrum  conventus".  Sie  trugen  farbige  Nationalkleider,  ver- 
ehrten keine  Heiligen,  führten  nur  nationale  Namen  (Ljuben,  Pri- 
bisa,  Rados  usw.),  vernachlässigten  Messe,  Feiertage  und  Fasten, 
hatten  in  ihren  Kirchen  keine  Altäre  und  kein  Kreuz,  nannten 
sich  nur  Christen  („krstjani"  der  einheimischen  Denkmäler)  und 
betrachteten  als  heilige  Bücher  bloß  das  Neue  Testament  und  den 
Psalter.  Es  kam  auch  vor,  daß  Klosterfrauen  (feminae  de  nostra 
religione)  in  den  Speise-  und  Schlafsälen  mit  den  Brüdern  gemein- 
schaftlich hausten  ■*).  Eine  klösterliche  Organisation  hat  die  Sekte 
in  Bosnien  auch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  beibehalten,  in 
welchen  ihre  Anhänger  bei  den  Dalmatinern  nach  lombardischem 
Muster  in  der  Regel  Patarener  genannt  wurden.  In  Serbien  be- 
gann sich  die  Lehre  unter  Nemanja  im  geheimen  selbst  unter 
den  Adligen  zu  verbreiten.  Der  Großzupan  berief  einen  Land- 
tag, ließ  die  Häupter  der  Sekte  zusammenfangen  und  nach  den 
Bestimmungen    der    byzantinischen    Gesetze   gegen    die    Manichäer 


1)  Zakonik    ed.    Novakovic  p.    198.      Stojanovic,     Zapisi     1,   26 
(1330).     Spomenik  31,  5. 

2)  Anna  Komnena  XV,  8. 

3)  Florinskij,  Sbornik  zu  Ehren   Lamanskijs   (Petersburg  1883)  37. 

4)  Theiuer,  Mon.  Slav.  1,  20  nro.  35  (1203). 


224  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

und  andere  Häretiker  strenge  bestrafen.  Ihrem  Lehrer  und  An- 
führer wurde  die  Zunge  abgeschnitten,  seine  Bücher  verbrannt 
und  er  in  die  Verbannung  gesendet;  einige  seiner  Genossen  er- 
litten den  Feuertod,  anderen  wurden  die  Häuser  und  Besitzungen 
zugunsten  der  Leprosen  und  Armen  konfisziert  und  sie  selbst  aus 
dem  Lande  gejagt  ^).  In  Serbien  ist  von  den  Bogomilen  fortan 
keine  Rede  mehr.  In  Zachlumien  bestanden  ihre  Reste  fort.  In 
Bosnien  war  die  Sekte  schon  um  1200  mächtig  und  bald  herrschend 
geworden.  Die  Fürsten  des  Landes  waren  wohl  römische  Christen, 
aber  gegen  die  bogomilische  Majorität  des  Adels  wagten  sie  nichts 
zu  unternehmen.  Die  bosnischen  Patarener  verabscheuten  noch  im 
15.  Jahrhundert  das  Kreuz,  die  Bilder,  gemauerte  Kirchen,  Altäre, 
Glocken  und  Reliquien  und  bezeichneten  die  römischen  Christen 
als  Götzendiener  -).  Bei  der  geringen  theologischen  Bildung  der 
Führer  ist  allerdings  manche  Inkonsequenz  bemerkbar;  es  gibt 
z.  B.  Urkunden  bosnischer  Patarener  mit  ganz  rechtgläubigen 
Eidesformeln.  Daß  die  Ausbreitung  der  Lehre  durch  die  unvoll- 
endete Organisation  der  kirchlichen  Hierarchie  befördert  worden 
war,  sieht  man  an  den  Namen  der  Bischöfe  von  Bosnien,  welche 
äußerlich  der  römischen  Kirche  angehörten,  aber  gegen  allen 
Brauch  ausschließlich  nur  nationale  Namen  führten :  Vladislav 
(1141)3),  Radogost  (um  1197)^),  Bratoslav^),  Dragohna  (1209) 
und  Vladimir,  der  vom  Erzbischof  von  Ragusa  geweiht  war  und 
alljährlich  in  diese  Stadt  kam,  bis  ihn  der  Legat  Kardinal  Jakob 


1)  König  Stephan  cap    6. 

2)  Vgl.  die  von  Racki  herausg.  Texte:  Herrores,  quos  communiter 
Patareni  de  Bosna  credunt  et  tenent,  Starine  1,  138  f.  und  die  50  ,,errores" 
der  Bosnier  in  der  Schrift  des  Kardinals  Johannes  von  Torquemada 
(1461)  ib.  14,  5  f. 

3)  Orbini  247. 

4)  „Radogost  non  sapeva  lettere  latine,  ne  altre  eccetto  le  slavoniche, 
e  quando  fece  il  giuramento  della  fedelta  ed  obbedienza  al  suo  metropolitano, 
lo  feeein  lingua  slava",  angeblich  nach  einem  Privileg  Papst  Johannes'  VIII: 
Gondola,  Chron.  MS.  Nach  Ragnina  219  reiste  er  zu  Papst  Cölestin  III. 
(1191-1198). 

5)  „Carta   consecrationis  Brataslauj   episcopi   Bosnensis"    erwähnt   1251 
Smiciklas,  Cod.  dipl.  4,  460. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  325 

wegen  seiner  patarenischen  Ansichten  absetzte  (1233)  ^).  Das  bos- 
nische Bistum  wurde  dann  dem  Erzbischof  von  Kalocsa  in  Ungarn 
untergeordnet  und  mit  fremden  Klerikern  besetzt.  Das  hatte  aber 
den  Abzug  der  katholischen  Bischöfe  aus  dem  Lande  zur  Folge, 
nach  Djakovo  zwischen  Save  und  Drau,  während  in  Bosnien  der 
„Älteste^'  (djed)  der  Patarener  das  geistliche  Oberhaupt  wurde, 
auch  „Bischof  der  bosnischen  Kirche"  (episkup  crkve  bosanske) 
genannt-),  stets  mit  einem  nationalen  Namen,  wie  Radoslav  (um 
1325),  Radomir  (1404),  Miloje  (1446),  Ratko  (um  1450)3).  Der 
patarenische  Geistliche  hieß  in  Bosnien  im  14. — 15.  Jahrhundert 
s  t  r  o j  n  i  k  (Verwalter) ;  die  höhere  Stufe  war  die  des  g  o  s  t  (Gast), 
die  tiefere  die  des  starac  (Greis). 

Einen  intensiven  Einfluß  übte  damals  die  byzantinische  Kultur 
in  Makedonien  aus,  noch  gut  zu  erkennen  an  den  Ruinen  präch- 
tiger Kirchenbauteu ,  wie  der  Kirche  des  heiligen  Panteleimon, 
gegründet  1164,  in  dem  jetzt  von  mohammedanischen  Albanesen 
bewohnten  Dorfe  Neresi  bei  Skopje,  mit  fünf  Kuppeln  und  Fresken 
der  Komnenenzeit  *).  Dagegen  war  der  Norden  schwach  bevölkert, 
besonders  der  riesige,  von  den  Kreuzfahrern  gefürchtete  „Bulgaren- 
wald" (silva  Bulgariae)  von  der  Donau  bei  Bi'anicevo  bis  zum 
Trajanstor  ^).  Wilhelm  von  Tyrus  erzählt,  daß  die  Einöden  längs 
der  Straßen  vom  Staate  absichtlich  im  Stande  gehalten  werden; 
niemand  dürfe  die  Wälder  und  Büsche  ausroden  und  sich  darin 
ansiedeln,  weil  die  Griechen  in  der  Schwierigkeit  der  Wege  und 
in  der  Undurchdringlichkeit  des  Gesträuches  einen  verläßlicheren 
Schutz  gegen  die  Feinde  finden,  als  in  ihren  eigenen  Truppen  ^). 
Die  Serben  galten,  wie  aus  den  Erzählungen  der  Kreuzfahrer  zu 


1)  Dragohna,  geweiht  1209,  bei  Gondola,  Resti  und  Cerva.  Ladi- 
mirus,  geweiht  von  Erzbischof  Leonard  von  Ragusa  (1203 — 1217),  kam  noch 
unter  Erzbischof  Arengerius  (1220f.)  einmal  im  Jahr  in  die  Stadt:  Urk. 
um  1252  Arch.  Rag. 

2)  Puciö  1,  50—51  (1404). 

3)  Vjestnik  zem.  ark.  7  (1905)  216.  Glasnik  bos.  18  (1906)  404.  Mon. 
serb.  253,  440.     Star  ine  14,  22. 

4)  Evans,  lUyricum  III— IV  95f.  Miljukov  a.  a.  0.  136.  Kon- 
dakoY,  Makedonia  (Petersburg  19u9)  174 f. 

5)  Bulgerewah :  Arnold  von  Lübeck  I,  3. 

6)  Wilh.  Tyr.  II,  4. 

Jirecek,  GeBchichte  der  Serben.    I.  15 


336  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

sehen  ist,   als  ein  wildes,   räuberisches  Volk;    erst  die  des  dritten 
Zuges  sprechen  von  ihnen  mit  Freundschaft  und  Sympathie.    Die 
Reste   einheimischer  Literatur  beschränken    sich    auf  einige  glago- 
litische Fragmente  (S.  178)  und  das  älteste  kirchenslawische  Denk- 
mal   serbischer  Rezension:    ein  Evangeliar,    in    cyrillischer  Schrift 
geschrieben  für  Nemanjas  Bruder  Miroslav,  den  Fürsten  von  Zach- 
lumien  (um  1171 — 1197).     Seine   farbigen  Initialen   weisen   einen 
starken  Einfluß  der  romanischen  Ornamentik  des  Abendlandes  auf. 
Der  gut    erhaltene    Foliant    wurde    1896    von   den   Mönchen   des 
Klosters  Chilandar  auf  dem  Athos   dem  jungen  serbischen  König 
Alexander  geschenkt,  der  ihn  in  einer  phototypischen  Ausgabe  von 
Ljubomir    Stojanovic   (Wien    1897)    herausgeben    heß  i);    seit   der 
Ermordung   des   letzten   Obrenovic   ist    das   Denkmal    verschollen. 
Überreste   der   lateinischen   Bildung    in    Antivari   und   in    anderen 
dalmatinischen  Küstenstädten   sind  Grabinschriften,    besonders  der 
Bischöfe   und   Abte,    zum  Teil  in    Hexametern   oder   leoninischen 
Versen  abgefaßt,  leider  meist  ohne  Jahreszahlen  - ).    Eine  lateinische 
Schrift  ohne  Titel  und  Schluß,    verfaßt  wahrscheinlich  von  einem 
Priester  von  Antivari  in  der  letzten  Zeit  des  Kaisers  Manuel  (um 
1160 — 1180),  wird  seit  dem  Ragusaner  Tubero  (f  1527)  als  das  Buch 
des  Diocleas   bezeichnet  ^).     Der   erste  Teil  ist  überdies    in  einem 
kroatischen    Texte    vorhanden,    nach    den    Untersuchungen    von 
Crncic   in  14.  Jahrhundert  aus   dem  Latein  übersetzt  in  der  Um- 
gebung   der   Ruinen    der,    wie    der   Übersetzer    sagt,    berühmten, 
wunderbaren,  reichen,  schönen,  aber  unglücklichen  Stadt  Salona. 
Das   Latein    des    Diocleas   ist   armselig,   mit   seltenen   Ausnahmen 
nur  aus  der  Bibelübersetzung  erlernt,  ohne  die  zu  Ende  des  Mittel- 
alters selbst  in  Notarialurkunden  vorkommenden  klassischen  Brocken. 
Den   Inhalt    bildet    eine    sechshundertjährige    Genealogie;   sie    be- 
ginnt   mit    dem    Gotenkönig   Totila,    der    den    Mönchen   aus    der 
Legende  des  heiligen  Benedikt  besser  bekannt  war,  als  der  sagen- 


1)  Vgl    Kondakov:  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899)  302 f. 

2)  luschriften  aus  der  1881  durch  eine  Pulverexplosion  zerstörten 
St.  Georgskirche  von  Antivari:  Markovic  a.  a.  0.  180;  Rovinskij, 
Sbornik  russ.  8G  (1909)  175  f. 

3)  Eine  Studie  über  den  Diocleas  von  mir  erscheint  demnächst  im 
Arch.   slaw.  Phil. 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  11.— 12.  Jahrb.  237 

berühmte  König  Theoderich,  welcher  tatsächlich  über  Dalmatien 
geherrscht  hat,  und  schließt  mit  den  Knezen  Dioklitiens  in  der 
Zeit  des  Kaisers  Manuel.  Oflfenbar  wurde  sie  zur  Verherrlichung 
dieser  kleinen  Duodezfürsten  in  der  Umgebung  von  Antivari  er- 
funden. Das  ^^'erk  zerfällt  in  drei  Teile.  Der  erste  Teil,  welcher 
mehr  Kroatien  betrifft  und  die  angeblich  heidnischen  Goten  mit 
den  Südslawen  identifiziert,  beruht  auf  einer  „Hbellus  Gothorum'- 
genannten  Vorlage,  die  auch  dem  Archidiakon  Thomas  nicht  un- 
bekannt war  und  viel  gelesen  wurde.  In  einer  Instruktion  an 
die  ragusanischen  Gesandten  in  Bosnien  wird  1432  der  Stamm- 
vater der  bosnischen  Dynastie  Kotroman  als  Gote  bezeichnet  i). 
Der  zweite  Teil,  welcher  historisch  den  meisten  Wert  hat  und 
sich  auch  durch  ein  besseres  Latein  auszeichnet,  ist  ein  Auszug 
aus  der  St.  Vladimirlegende.  Der  dritte  Teil  enthält  eine  aus 
Sagen  und  Liedern  zusammengestellte  Geschichte  der  Herrscher 
von  Dioklitien  im  10 — 12.  Jahrhundert.  Jahreszahlen  gibt  es  im 
ganzen  lateinischen  Texte  keine  einzige.  Der  berechnende  Über- 
bhck  über  die  Länge  der  verflossenen  Zeit  fehlt  dem  Verfasser 
vollständig.  Er  ist  offenbar  bestrebt,  die  Zahl  der  Generationen 
und  Regierungen  zu  vermehren,  wobei  in  seinem  genealogischen 
Gebäude  manches  Zeitalter  eine  ganz  fabelhafte  Fruchtbarkeit  ent- 
wickelt, während  an  schwachen  Stellen  ein  einsamer  nachgeborener 
Sohn  die  Erbfolge  in  außergewöhnhcher  Weise  rettet.  Die  meisten 
der  aus  Inschriften,  Urkunden,  venezianischen,  päpstlichen  und 
byzantinischen  Denkmälern  bekannten  Fürsten  fehlen ;  dafür  treten 
Massen  von  Namen  auf,  für  die  es  keine  urkundliche  Beglaubigung 
gibt.  Klar  ist  die  römisch-katholische  Tendenz,  jedoch  ohne  jede 
Feindseligkeit  gegen  die  orientalische  Kirche.  Es  ist  merkwürdig, 
daß  die  Kreuzfahrer,  die  Narentaner  und,  was  noch  auffälhger  ist, 
die  Venezianer  mit  keinem  Wort  erwähnt  werden. 

Von  den  Nachbarn  der  Serben  geriet  das  byzantinische 
Kaisertum  nach  dem  Tode  Basilios'  II.  (1025)  bald  in  Verfall, 
durch   den  Gegensatz   zwischen  der  militärischen  Aristokratie  und 


1)  „Cotrumano  Gotto,  del  quäl  a  avuto  origine  e  principio  li  reali  di 
Bosua":  Schreiben  an  die  Gesandten  in  Bosnien  14.  Mai  1432,  Lett.  1430 
bis  1435  Arch.  Rag. 

15* 


338  Drittes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

dem  Kaiserpalast  mit  seinen  Beamten,  Frauen  und  Eunuchen.  Der 
Vorstoß  der  seldschukischen  Türken  aus  Iran  in  das  Innere  Klein - 
asiens  führte  zum  Sieg  der  Militärpartei,  durch  Erhebung  der 
Familie  der  Komnenen,  welche  dem  Reiche  für  hundert  Jahre 
(1081 — 1180)  drei  ausgezeichnete  Kaiser  gab  In  den  europäischen 
Provinzen  wurden  im  11.  Jahrhundert  zwei  große  Aufstände  der 
Bulgaren  überwunden,  die  in  der  Zeit  der  Komnenen  keine 
Wiederholung  fanden.  Die  Serben  suchten  auch  Verbindungen 
mit  dem  westlichen  Kaisertum,  den  Deutschen  oder,  wie  sie  damals 
bei  den  Griechen  hießen,  den  „Alamannen".  König  Bodin  ver- 
handelte li  88  wegen  Bestätigung  des  Erzbischofs  von  Antivari 
nicht  mit  Urban  IL,  dem  Papst  der  Partei  Gregors  VII.,  sondern 
mit  dem  von  Kaiser  Heinrich  IV.  eingesetzten  Gegenpapst 
Klemens  III.  (Wibert).  Kaiser  Friedrich  I.  erhob  Ansprüche  auf 
Länder,  die  seit  den  Karolingern  nicht  mehr  dem  deutschen 
Reiche  angehörten.  Mächtigen  Adelsgeschlechtern  von  Bayern  und 
Tirol  verlieh  er  den  Titel  eines  Herzogs  von  Kroatien  und  Dal- 
matien  oder  Meranien,  nämlich  „dem  Land  am  Meere",  zuerst 
(1152)  dem  Grafen  Konrad  von  Dachau,  nach  ihm  dem  Ber- 
told  (UI.)  von  Andechs,  welcher  (seit  1173)  auch  Markgraf  von 
Istrien  und  Krain  war  i).  Der  Name  von  Dalmatien  erscheint 
infolgedessen  im  11. — 12.  Jahrhundert  in  den  Titeln  von  fünf 
Mächten:  der  Byzantiner  (S.  211),  der  Kroaten,  später  der  Ungarn, 
der  Venezianer  und  der  genannten  deutschen  Herzöge.  Der  Kroa- 
tiens teilt  im  12.  Jahrhundert  dasselbe  Schicksal.  Der  Gegensatz 
zwischen  Friedrich  I.  und  den  Byzantinern,  welcher  in  den  italie- 
nischen Angelegenheiten  seine  Gründe  hatte,  führte  dazu,  daß  die 
serbischen  Großzupane  bei  dem  westlichen  Kaiser  eine  Stütze 
gegen  die  Griechen  suchten,  wohl  durch  die  Vermittlung  der 
Herren  von  Andechs  in  Istrien.  Zugleich  hatten  die  serbischen 
Fürsten  Verbindungen  mit  den  Normannen,  welche  die  Griechen 
aus  Apulien  und  Kalabrien  bis  1071  vollständig  verdrängten  und 
auch  in  den  Städten  Dalmatiens  Freunde  besaßen.    Die  Venezianer, 


1)  Conradus  dui  Croatiae  et  Dalmatiae:  Otto  Fris.  I,  26;  IV,  18 
ed.  Waitz  (Hannover  1884).  „Dalmacia,  que  et  Chroacia  seu  Merania  di- 
citur":  Ansbert  ina  Grazer  Kodex.    Vgl.  Huber,  Gesch.  Österreichs  1,  506. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11.— 12.  Jahrh.  229 

deren  Seemacht  durch  das  Aufblühen  des  Levantehandels  seit 
Beginn  der  Kreuzzüge  sich  in  großem  Aufschwung  befand,  knüpften 
Beziehungen  mit  den  Serben  an,  sobald  sie  wegen  ihrer  großen 
Privilegien  zeitweilig  Streitigkeiten  mit  den  Komnenen  hatten. 

Ungarn  wurde  seit  der  Bekehrung  zum  Christentum  ein 
mächtiger  Staat.  Die  Könige  aus  dem  Geschlechte  Arpäds  (griech. 
/.Qcclrig,  magyar.  kiralyi,  serbokroat.  kralj)  standen  durch  Heiraten 
in  verwandtschaftlichen  Beziehungen  zu  den  Herrschern  der  Griechen, 
Bulgaren,  Russen,  Polen,  Böhmen,  Kroaten  und  Serben.  Die 
Nachbarschaft  der  Griechen  in  Sirmium  war  ihnen  unbequem; 
bald  begannen  Grenzkriege  und  ungarische  Invasionen  auf  der 
Konstantiuopler  Straße.  Sirmium  wurde  für  ByzaDz  abermals  ein 
unsicherer  Besitz,  wie  einst  im  6.  Jahrhundert.  Periodisch  befand 
sich  der  Kriegsschauplatz  bei  Belgrad  und  Braniöevo,  wie  vor- 
zeiten bei  den  Vorgängern  dieser  Städte,  bei  Singidunum  und 
Viminacium.  Die  serbischen  Großzupane  waren  damals  die  natür- 
lichen Bundesgenossen  der  Ungarn.  Im  11.  Jahrhundert  bemühten 
sich  die  Byzantiner  um  die  Freundschaft  der  Ungarn ;  ein  Zeugnis 
dafür  sind  die  Teile  eines  Diadems,  noch  enthalten  in  der  unga- 
rischen Krone,  mit  griechischen  Inschriften  aus  der  Zeit  Gejzas  I. 
und  des  Kaisers  Michael  VII.  Dukas  (1075).  Im  12.  Jahrhundert 
suchten  die  Komnenen  die  ungarischen  Könige  zu  ihren  Vasallen 
zu  machen.  Indessen  hat  Ungarn  durch  die  Erwerbung  Kroatiens 
den  Zutritt  zum  Meere  gewonnen.  Das  kroatische  Königreich 
hatte  sein  Territorium  zuletzt  bedeutend  erweitert,  auch  im  Gebiet 
der  früher  unabhängigen  Narentaner.  Der  letzte  bedeutende  König 
war  Demetrius  Zvonimir,  vom  Papst  Gregor  VII.  mit  einer 
Königskrone  ausgezeichnet  (1076).  In  den  Wirren  nach  seinem 
Tode  (1089)  rief  die  Königin  Helena  ihren  Bruder,  den  ungarischen 
König  Ladislaus  I.  zu  Hilfe,  der  über  die  Drau  zog,  einen  großen 
Teil  des  Landes  besetzte,  aber  nicht  zur  Küste  vorzudringen  ver- 
mochte. Ladislaus'  Neffe  König  Koloman  (1095 — 1114:),  ein 
Freund  und  Verbündeter  des  Kaisers  Alexios  Komuenos,  eroberte 
auch  das  Küstenland,  nachdem  der  letzte  kroatische  König  Peter 
in  einer  Schlacht  in  den  Bergen  des  Gvozd  von  Modruse,  der 
ietzigen  Kapela  gefallen  war.  Die  Küstenstädte  Zara,  Trau  und 
Spalato    wurden    wohl   von  Byzanz  freiwillig  aufgegeben  und  von 


330  Drittes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

den  Ungarn  durch  große  Privilegien  gewonnen,  mit  freier  Wahl 
der  Stadtgrafen  i).  Mitglieder  der  Dynastie  der  Arpäden  ver- 
walteten Kroatien  als  eine  Sekundogenitur,  im  Lande  vertreten 
durch  einen  Ban  als  Statthalter.  Der  Bruch  zwischen  den  Ungarn 
und  Komnenen  führte  zum  Vorstoß  der  Venezianer,  welche  schon 
längst  den  Besitz  der  dalmatinischen  Städte  anstrebten,  gegen  die 
Ungarn,  mit  Besetzung  von  Zara  und  der  Quarnerischen  Inseln. 

Bosnien  war  nach  Diocleas  im  10.  Jahrhundert  den  Kroaten 
unterworfen,  im  11,  den  Dioklitiern,  deren  König  Bodin  dort  einen 
Knez  Stephan  zum  Fürsten  einsetzte;  von  dieser  Unterordnung  gibt 
auch  die  Abhängigkeit  des  bosnischen  Bischofs  vom  Erzbischof 
von  Antivari  Zeugnis  '-).  Nach  der  Veränderung  in  Kroatien  ge- 
rieten die  Fürsten  von  Bosnien  unter  die  Oberhoheit  der  unga- 
rischen Könige,  obwohl  noch  Kaiser  Manuel  (S.  211)  dieses  Land 
zu  seiner  Interessensphäre  rechnete.  Im  ungarischen  Königstitel 
wird  Bosnien  (seit  1138)  als  Rama  bezeichnet  (rex  Ramae),  mit 
dem  Namen  des  Flusses  Rama,  welcher  zwischen  Konjic  und  Mostar 
von  rechts  in  die  Narenta  mündet  ^;.  König  Bela  II.  verlieh 
seinem  unmündigen  Sohn  Ladislaus  (1137)  die  Würde  eines  Her- 
zogs von  Bosnien  ^).  Den  einheimischen  erblichen  Fürsten  blieb 
nur  der  Titel  eines  Baus  oder  „großen  Bans"  von  Bosnien  (veliki 
ban,  magnus  banus).  Der  erste  in  den  Denkmälern  genannte  ist 
Ban  Boric,  welcher  (1154)  den  König  Gejza  II.  gegen  die  Byzan- 
tiner unterstützte,  nach  dessen  Tod  aber  Parteigänger  der  byzan- 
tinischen SchützUngc  unter  den  Arpäden  war  ^).  Er  besaß  auch 
Güter  im   Lande   zwischen    der   Save  und   Drau,    von   denen    er 


1)  Sisic,  Dalmatien  und  der  ung.-kroat.  König  Koloman  im  Vjesnik 
arheol.  N.S.  10  (1909)  50—106  vertritt  die  Ansicht,  daß  Kaiser  Alexios  1107 
die  dalmatinischen  Küstenstädte  dem  König  Koloman  abgetreten  habe,  um 
ihn  als  Bundesgenossen  gegen  Boemund  zu  gewinnen. 

2)  Vgl.  Klaic,  Gesch.  Bosniens,  deutsch  von  Ivan  von  Bojnicic 
(Leipzig  1885)  60  f. 

3)  Zupa  Rama  bei  Diocleas.  Otto  von  Freising  I  cap.  SJ.  Co- 
mitatus  Cetinae  et  Ramae  1411:  Vjesnik  zem.  ark.  7  (1905)  170. 

4)  Pauler,  Wiss.  Mitt.  2  (1894)  158 f. 

5)  BoQiTirjg,  Boricius :  Kurzform  zu  Borislav ,  wie  Radic  zu  Radoslav, 
Von  Majkov,  Ljubic  u.  a.  verwechselt  mit  dem  Arpäden  Boris,  des  Königs 
Koloman  Sohn. 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  II.— 12.  Jahrb.  331 

einige  mit  Bewilligung  des  Königs  Bela  III.  den  Templern  schenkte. 
Als  seine  Nachkommen  galten  im  15.  Jahrhundert  die  Edelleute 
von  Grabarje  bei  Pozega,  wahrscheinlich  identisch  mit  der  mäch- 
tigen kroatischen  Familie  der  Berislavici.  Sein  Nachfolger  war 
(um  1180 — 1204)  der  aus  Urkunden  und  Inschriften  bekannte  und 
heute  noch  in  der  Sage  gefeierte  Ban  Kuhn. 

Der  Widerstand  der  Serben  gegen  die  Übermacht  der  By- 
zantiner begann  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Roman  III.  Argjros, 
als  der  Palasteunuche  Johannes  seinen  Bruder  Michael  IV.  den 
Paphlagonier  (1034 — 1041)  auf  den  Thron  erhoben  hatte.  Eine 
lakonische  Notiz  der  griechischen  Chronisten  berichtet,  daß  Serbien, 
welches  nach  Romans  Tode  abgefallen  sei,  1036  wieder  einen  Ver- 
trag geschlossen  habe  ^).  Der  serbische  Fürst  Stephan  Vojislav  -) 
wurde  damals  wahrscheinlich  als  Geisel  nach  Konstantinopel  ge- 
bracht und  die  Aufsicht  über  sein  Land  dem  Feldherrn  Theophilos 
Erotikos  anvertraut.  Doch  Vojislav  entkam  aus  Byzanz  in  die 
Berge  der  Heimat  und  vertrieb  den  byzantinischen  Befehlshaber  ^). 
Theophilos  hat  später  Ärgeres  erlebt:  als  Statthalter  von  Zypern 
begann  er  einen  Aufstand  (1043),  wurde  aber  gefangen  und  als 
minderwertiger  Verschwörer  im  Konstantinopler  Hippodrom  in 
Weiberkleidern  herumgeführt.  Vojislav  beherrschte  dann  das 
ganze  Gebiet  vom  See  von  Skutari  bis  über  Stagno  hinaus,  Dio- 
klitien ,  Tribunien  und  Zachlumien  *).  Bald  nachher  sendete  der 
Eunuche  Johannes  dem  Kaiser  Michael,  der  eben  in  Thessalonich 
verweilte,  zu  Schiff  10  Kentenarien  Gold,  wir  wissen  nicht  woher 
(1040).  Das  Schiff  scheiterte  an  der  Küste  von  lUyricum  und  das 
Gold  wurde  eine  Beute  des  Vojislav.  Der  Kaiser  forderte  den 
Serbenfürsten  auf,  er  möge  das  Gold  zurücksenden,  erhielt  aber 
keine  Antwort.     Der  Eunuche  Georgios  Provatäs,   der  zuvor  Ge- 


1)  Kedreuos  2,  514—515  zu  6544  (1035— 103G). 

2)  ZThifuvog  6  xal  Bdia&Xdßog  bei  Kedrenos  2,  526,  543;  einfach 
6  2j(<ftivog  ib.  607.     Boia&Xdß'.g  6  ^JioxlrjTifcvög:  Kekaumenos  p.  27. 

3)  Kedrenos  2,  526:  vgl.  549.  Theophilos  war  vielleicht  Statthalter 
von  Dyrrhachion.  Er  wird  keineswegs  als  Strategos  von  Serbien  bezeichnet, 
wie  Skabalanovic  219-220  meint;  solche  hat  es  nie  gegeben,  außer  in 
der  unechten  Urkunde  des  Ljutovid  (s.  oben  S.  213). 

4)  Kekaumenos  p.  25,  27. 


333  Drittes  Buch     Viertes  Kapitel. 

sandter  bei  den  Arabern  in  Sizilien  gewesen  war,  rückte  auf  Be- 
fehl des  Kaisers  in  die  unwegsamen  Täler  ein,  um  den  Vojislav 
zu  bestrafen,  verlor  aber  fast  sein  ganzes  Heer  und  entkam  selbst 
nur  mit  Not  ^). 

Zur  selben  Zeit  brach  in  Bulgarien  ein  gewaltiger  Aufstand 
aus  (1040 — 1041).  Peter  Deljan,  welcher  sich  für  einen  Sohn 
des  Kaisers  Radomir  ausgab  -),  zog  von  Belgrad  und  Branicevo 
südwärts  über  Nis  nach  Skopje.  Kaiser  Michael  IV.  floh  rasch 
von  Thessalonich  nach  Konstantinopel.  Die  Aufständischen  be- 
setzten Dyrrhachion  und  drangen  siegreich  in  Thessalien,  Epirus 
und  Nordgriechenland  bis  Theben  vor.  Das  Eintreffen  eines  zweiten 
Nachkommen  der  letzten  Dynastie  brachte  den  Insurgenten  kein 
Glück;  es  war  Alusiän,  der  jüngste  Bruder  des  bulgarischen  Kaisers 
Vladislav,  bisher  byzantinischer  Statthalter  in  Theodosiopolis  (Er- 
zerum) in  Armenien.  Ein  Angriff  der  Bulgaren  auf  Thessalonich 
mißglückte.  Alusian  nahm  den  Deljan  bei  einem  Gastmahl  ge- 
fangen, ließ  ihn  blenden,  fand  aber  im  Bulgareuheere  keinen  ge- 
nügenden Anhang  und  unterwarf  sich  wieder  dem  byzantinischen 
Kaiser. 

Die  Serben,  welche  indessen  das  byzantinische  Gebiet  durch 
zahlreiche  Invasionen  beunruhigt  hatten,  mußten  einen  neuen  An- 
griff erwarten.  Als  Kaiser  Konstantin  IX.  Monomachos  die  Re- 
gierung antrat,  befahl  er  dem  Statthalter  von  Dyrrhachion,  dem 
Patrikios  Michael,  Sohn  des  Logotheten  Anastasios,  mit  den  Truppen 
seines  Themas  und  der  benachbarten  Provinzen,  angeblich  40  bis 
60000  Mann,  in  Serbien  einzufallen  (Herbst  1042)=^).  Michael 
war  zwar  kein  Eunuche,  aber  auch  kein  Feldherr,  ein  verweich- 
lichter, „im  Schatten  erzogener"  Byzantiner,  dessen  Leichtsinn  zu 


1)  Kedreuos  2,  527. 

2)  Radomir  hatte  noch  zu  Lebzeiten  seines  Vaters  Samuel  seine 
schwangere  Gattin,  die  Tochter  des  Königs  von  Ungarn  {xQäXrjg  Ovyygü(g), 
verstoßen  und  die  schöne  Irene,  eine  Gefangene  aus  Larissa,  geheiratet. 
Deljan  gab  sich  für  den  Sohn  Radomirs  von  der  Ungarin  aus.  Prokic, 
Skylitzes  nro.  24,  62. 

ö)  Unmittelbar  nach  dem  Kometen,  der  am  G.  Oktober  1042  sichtbar 
wurde.  Ausführlich  bei  Kedrenos  2,  54.3—545,  kurz  bei  Kekaumenos 
p.  25—26. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11.  — 12.  Jahrh.  233 

einer  furchtbaren  Katastrophe  führte.  Auf  schwierigen  und  steilen 
Pfaden,  auf  denen  zwei  Reiter  nicht  nebeneinander  bleiben  konnten, 
brach  das  Heer  im  Gebiet  von  Diokleia  ein  und  plünderte  die 
Gebirgstäler.  Es  gab  einen  besseren  Ausgang,  aber  Älichael  trat 
den  Rückzug  auf  demselben  Wege  an,  obgleich  er  ihn  unbewacht 
zurückgelassen  hatte.  In  den  Bergen  lauerten  ihm  die  Serben 
auf.  Als  das  Heer  beutebeladen  durch  einen  Engpaß  zog,  wurden 
die  Byzantiner  plötzlich  von  den  Höhen  mit  Pfeilen  und  Schleuder- 
steinen überschüttet,  denen  gewaltige  herabgerollte  Felsblöcke  nach- 
folgten. Zwei  Drittel  des  Heeres  mit  sieben  Strategen  blieben  tot 
in  der  Enge,  deren  Gießbäche  und  Klüfte  sich  mit  Leichen  füllten. 
Diejenigen,  welche  sich  in  Gebüschen,  Wäldern  und  Schluchten 
verbergen  konnten,  entkamen  nachts  über  die  Kämme  der  Gebir;:,^e, 
im  elendsten  Zustand,  ohne  Pferde  und  Gepäck,  „ein  klägliches 
und  der  Tränen  würdiges  Schauspiel '',  mit  ihnen  auch  der  Ober- 
feldherr 1).  Nach  der  Beschreibung  ist  der  Schauplatz  dieser 
Niederlage  in  den  Bergen  von  Montenegro  zu  suchen,  in  den  Engen 
auf  dem  Wege  vom  See  von  Skutari  durch  das  Zetatal  in  die 
Herzegowina  2j.  Der  Sieg  der  Serben  kam  einem  byzantinischen 
Prätendenten  sehr  gelegen.  Der  Feldherr  Georgios  Maniakes, 
welcher  sich  in  Unteritalien  gegen  Kaiser  Konstantin  Monoraachos 
erhoben  hatte,  kam  (Februar  1043)  nach  Dyrrhachion  und  begann 
den  Vormarsch  gegen  Thessalonich,  fiel  jedoch  unterwegs  in  einer 
Schlacht  bei  Ostrov.  Überdies  erschienen  die  Russen  zum  letzten 
Male  als  Feinde  vor  der  byzantinischen  Hauptstadt,  Eine  neue  Expe- 
dition gegen  Vojislav  wurde  nicht  mehr  versucht.  Es  ist  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  das  Grenzgebiet  mit  Skutari  und  Antivari  seitdem 
den  Serben  blieb.  Kekaumenos  erzählt  in  seinem  strategischen 
Yv^erk  eine  merkwürdige  Episode  aus  dieser  Zeit.  Katakalön,  der 
Strategos  von  Ragusa,  wollte  den  Serbenfürsten  durch  List  fangen 

1)  Michael  war  später  Statthalter  von  Dristra  (Silistria).  Kedrenos 
2,  .583. 

2)  Bei  Diocleas  werden  die  Griechen  von  den  Slawen  durch  eine  Art 
Bartholomäusnacht  vertrieben,  ihre  „Magnaten"  an  einem  Tage  erschlagen. 
Dobroslav  (so  heißt  bei  ihm  Vojislav)  besiegte  dann  zwei  griechische  Feld- 
herren, den  Armenopolos  in  der  „planities  Zentae'',  den  Cursilius  (s.  S.  205) 
zwischen  Antivari  und  Dulcigno  durch  einen  nächtlichen  Überfall. 


284  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

und  erbot  sich,  Pate  bei  der  Taufe  seines  neugeborenen  Sohnes 
zu  sein.  Vojislav  war  scheinbar  bereit,  wieder  Untertan  des  Kaisers 
zu  werden.  Die  Zusammenkunft  fand  der  Verabredung  gemäß  in 
einem  Hafen  statt,  wohl  zwischen  Ragusa  und  Stagno.  Katakalon 
erschien  mit  Kriegsschiffen  in  der  festen  Hoffnung,  den  rebellischen 
Serben  als  Gefangenen  heimzubringen.  Doch  es  kam  anders. 
Kaum  war  der  byzantinische  Statthalter,  freundlich  begrüßt,  ans 
Land  gegangen,  als  auf  ein  von  Vojislav  gegebenes  Zeichen  Be- 
waffnete aus  einem  Versteck  hervorsprangen  und  ihn  mit  seinen 
Begleitern  an  Händen  und  Füßen  fesselten.  Auch  die  Dromonen 
wurden  von  den  Serben  besetzt  und  Katakalon  auf  ihnen  in  Ge- 
sellschaft der  übrigen  Gefangenen  nach  Stagno  geführt. 

Vojislavs  Nachfolger  war  sein  Sohn  Michael  ^),  welcher  wieder 
Freund  des  byzantinischen  Reiches  wurde  und  den  Titel  eines 
Protospathars  erhielt  (um  1052).  Es  folgte  eine  zwanzigjährige 
Friedenszeit.  Damals  hat  wohl  Michael  den  Königstitel  angenom- 
men. Die  Katastrophe  von  Manzikert  (1071),  wo  Kaiser  Roman  IV, 
Diogenes  von  dem  Seldschukensultan  Alp-Arslan  geschlagen  und 
gefangen  wurde,  hatte  ihren  Widerhall  auch  im  Westen.  In  Bul- 
garien brach  ein  Aufstand  gegen  den  Kaiser  Michael  VH.  Dukas 
aus  (1073)  ■^).  Die  Urheber  der  Bewegung  waren  die  Boljaren  von 
Skopje,  an  ihrer  Spitze  Georg  Vojteh  (Boirdxog).  Einen  ein- 
heimischen Führer  fanden  sie  nicht  und  wendeten  sich  an  Michael 
von  Serbien,  welcher  seinen  Sohn  Konstantin  Bodin  zu  ihnen 
sendete,  begleitet  von  dem  Feldherrn  Petrilo  und  einer  kleinen 
Schar   von    300    Serben  ^).      In    Prizren   wurde   Bodin   von   einer 


1)  Michael  in  den  Briefen  Gregors  VII.  und  bei  Lupus;  mit  einer 
nationalen  Endung  als  Mcxarjhlg  bei  Kedrenos  2,  607,  715 f.,  Michala 
(-IIa)  bei  Diocleas. 

2)  Zur  Chronologie:  Job.  Seger,  Nikephoros  Bryeunios  (^München 
1888)  1-20—121  zu  Skylitzes  714.  Quellen:  Skylitzes  oder  dessen  Fort- 
ßetzer  (vgl.  Prokic  a.  a.  0.  nro.  68—70);  wenig  bei  Nikephoros  Bry- 
ennios:  nichts  bei  Attaleiates.  Von  der  Erhebung  Bodins  zum  Kaiser 
der  Bulgaren,  seiner  Niederlage  und  seinem  Exil  in  Antiochia  weiß  auch 
Diocleas  p.  52—53,  doch  mit  verwirrter  Genealogie. 

3)  KwvaTavjCvw  tw  xul  BoSitw  6vof^aCo/u^i'(p:  Kedrenos  2,  715.  Der 
Name  Bodin  kommt  später   sehr    selten  vor:   ein   Zupan   Bodinus  in  Canali 


Die  Könige  uud  Großzupane  im  IL— 12.  Jahrb.  335 

Versammlung  der  Boljaren  zum  Kaiser  der  Bulgaren  {ßaoiXEi\; 
Bovh/äqcov,  Bulgarinorum  Imperator)  proklamiert  und  dabei  Peter 
umgenannt,  wohl  nach  dem  heiligen  Peter,  dem  Sohn  Symeons. 
Der  Dux  von  Skopje  Damianos  Dalassenos  suchte  die  Bewegung 
noch  in  ihren  Anfängen  zu  unterdrücken,  wurde  aber  geschlagen 
und  gefangen.  In  die  Gefangenschaft  der  Serben  fiel  dabei  ein 
byzantinischer  Offizier  Longibardopulos,  wohl  ein  unteritalischer 
Langobarde;  er  schloß  sich  sofort  den  Siegern  an,  wurde  Michaels 
Schwiegersohn  und  Bodins  Schwager.  Nun  teilte  sich  das  Heer ; 
ßodin  zog  gegen  Norden  nach  Nis,  Petrilo  in  das  südliche  Make- 
donien. Die  Truppen  Michaels  bedrängten  indessen  die  Provinz 
von  Dyrrhachion  und  die  byzantinischen  Küsteustädte  Dalmatiens, 
Avelche  auch  von  den  Kroaten  beunruhigt  wurden  ^).  Im  Norden 
hatte  die  Bewegung  überall  Erfolg;  alle  „Slavinen"  dieser  Länder, 
Sirmium  und  die  Donaustädte  abwärts  bis  Vidin  schlössen  sich  den 
Aufständischen  an.  Petrilo  besetzte  mühelos  Ochrid  und  Devol  und 
erschien  mit  einem  zahlreichen  Heere  vor  dem  festen,  auf  einer 
Halbinsel  in  einem  See  gelegenen  Kastoria^  in  welchem  sich  die 
byzantinischen  Statthalter  und  die  der  Bewegung  feindlichen  Nach- 
kommen alter  bulgarischer  Geschlechter  (genannt  wird  ein  Boris 
David)  eingeschlossen  hatten.  Damit  war  das  Glück  der  Auf- 
ständischen zu  Ende.  Bei  einem  Ausfall  der  Belagerten  wurde 
Petrilo  vollständig  geschlagen  und  mußte  durch  unwegsame  Ge- 
birge zu  seinem  Herrn  Michael  fliehen.  Ein  großes  byzantinisches 
Heer  besetzte  Skopje.  Als  Bodin  im  Dezember  im  Schnee  von 
Nis  heranrückte,  wurde  er  bei  Taonion  geschlagen  und  gefangen  -). 
Die  ganze  Bewegung,  deren  Geschichte  von  einer  viel  geringeren 
Energie  zeugt,  als  die  Erhebung  des  Deljan  dreißig  Jahre  zuvor, 
war  binnen  wenigen  Monaten  niedergeworfen. 

Bodin   hat   als   Gefangener    weite   Reisen   gemacht.     Anfangs 


1278—1285,  Arch.  slaw.  Phil.   22    (1900)    173;    ein   Wlache   Bodin   auf  den 
Gütern  des  Klosters  Chilandar  um  1302,  Mou.  serb.  60. 

1)  XojQoßdToi  xcd  zfcoxlns  (inoardvitg  anav  rb  Illvoixov  xay.Gj;  öifii- 
d-ovv.    Nikephoros  Bryennios  100. 

2)  Ti(u)riov  des  Skylitzes  ist  wohl,  wie  ich  schon  Gesch.  der  Bul- 
garen 208  A.  12  bemerkte,  das  Schloß  Paun  im  Süden  des  Amselfeldes 
(zacii  serb.  paun:  Pfau). 


336  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

hielt  man  ihn  in  Konstantinopel  im  Kloster  der  Heiligen  Sergios 
und  Bakchos  in  der  nächsten  Nachbarschaft  des  Kaiserpalastes. 
Von  dort  wurde  er  nach  Antiochia  geführt,  als  Isaak  Komnenos, 
ein  Bruder  des  späteren  Kaisers  Alexios,  in  die  alte  Hauptstadt 
Syriens  gesendet  wurde.  Aber  König  Michael  gewann  venezianische 
Seeleute,  welche  gegen  gute  Bezahlung  seinen  Sohn  aus  Syrien  in 
die  Heimat  entführten  ^).  Eine  Gelegenheit  dazu  war  durch  die 
Kämpfe  zwischen  der  armenischen  und  griechischen  Partei  in 
Antiochia  geboten;  der  Statthalter  Isaak  mußte  sich  in  die  Akro- 
polis  einschließen  und  Truppen  heranziehen,  um  die  Stadt  durch 
blutige  Straßenkämpfe  wieder  zu  unterwerfen  ^).  Bodin  wurde 
Mitregent  seines  Vaters ;  bei  Anna  Komnena  erscheinen  beide  neben- 
einander als  „Exarchen  der  Dalmater"  ■^).  Verbindungen  der 
Serben  mit  Apulien  führten  dazu,  daß  Argyritzes,  ein  vornehmer 
Bürger  von  Bari  und  während  des  Zusammenbruchs  der  byzan- 
tinischen Herrschaft  in  Italien  das  Haupt  der  normannischen  Partei 
in  der  Stadt,  den  König  Michael  persönlich  besuchte  und  seine 
Tochter  mit  Bodin  vermählte  (Oktober  1080).  Nach  Diocleas 
führte  diese  Patriziertochter  von  Bari  den  Namen  Jaquinta  *). 
Eine  Strafexpedition  gegen  die  Serben  wurde  indessen  von  Nike- 
phoros  Bryennios,  dem  Statthalter  von  Dyrrhachion,  unternommen. 
Nach  der  Erzählung  seines  Sohnes  zog  Bryennios  „gegen  die 
Diokleer  und  Kroaten".  Er  besiegte  den  Feind,  nahm  ihm  Geiseln 
ab,  ließ  in  jeder  Landschaft  (y^toga)  eine  Besatzung  zurück,  befahl 
den  Einwohnern,   die  Wege   dm'ch  Ausholzung   des   Buschwerkes 


1)  Kedrenos  2,  718. 

2)  Nikephoros  Bryennios  96 f.  (vor  1077). 

3)  Anna  Komnena  I.  16;  III,  12.  Kedrenos  a.  a.  0.  (Bodin  als 
Nachfolger  des  Vaters").  Diocleas  hat  statt  der  drei  Generationen  (Vojislav, 
Michael,  Bodin)  fünf  Könige:  Dobroslav,  Gojslav,  Michael,  Radoslav  (regierte 
16  Jahre!),  Bodin. 

4)  Lupus,  Mou.  Germ.  Script.  5,  60  im  Oktober  1081,  doch  rechnet 
Lupus  das  Jahr  nach  byz.  Art  vom  1.  September;  vgl.  F.  Hirsch,  De 
Italiae  inferioris  aunalibus  saeculi  X  et  XI  (Berlin  1864)  p.  44.  Bodins  Frau 
„Jaquinta,  filia  Archiriz  de  civitate  Barensi":  Diocleas  54.  Über  Argi- 
rizzi  (-ius)  vgl.  Gay,  L'Italie  m^ridionale  et  l'empire  byz.  537,  568.  Ja- 
quintus,  Jaquinta  (von  Hyakinthos)  im  11. — 12.  Jahrh.  in  Bari  und  Um- 
gebung ein  sehr  verbreiteter  Name  (Cod.  dipl.  Bar.). 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  237 

in  den  Wäldern  zu  erweitern,  machte  alle  Städte  (VroAf/g),  offenbar 
die  dalmatinischen  Küsten städte,  wieder  den  Römern  „wie  früher" 
Untertan  und  kehrte  siegreich  nach  Dyrrhachion  zurück  ^).  Damals 
wurde  der  kroatische  König  Slavic  vom  Grafen  Amicus  von  Gio- 
vinazzo  in  Apulien  gefangen  genommen  (1075),  einem  Rivalen  des 
Robert  Guiskard  und  byzantinischem  Parteigänger  -').  Die  Situation 
änderte  sich  rasch  durch  die  gewaltigen  Umwälzungen  im  Osten, 
als  die  drei  Nikephore,  darunter  auch  Brycnnios,  den  Kampf  um 
Konstantinopel  begannen  (1077 — 1081).  Byzantinische  Archonten, 
welche  während  dieser  Parteikämpfe  in  eine  schiefe  Situation  ge- 
raten waren,  wie  der  Statthalter  von  Dyrrhachion  Georgios 
Monomachatos,  suchten  eine  Zuflucht  am  Hofe  des  Serbenkönigs 
Michael. 

Als  Kaiser  Alexios  Komnenos  die  Bürgerkriege  durch  die  Er- 
oberung von  Konstantinopel  beendigte  (Gründonnerstag  1081 ),  befand 
sich  das  Reich  in  einer  gefährlichen  Lage.  Das  Innere  Kleinasiens 
war  für  immer  an  die  Türken  verloren;  die  Reiterscharen  der  Petsche- 
negen  überschwemmten  die  Donauprovinzen ;  die  Normannen  unter 
Robert  Guiskard  und  seinem  Sohn  Boemund  rüsteten  sich  zum  ersten 
Zug  in  die  Hämushalbinsel.  Die  Städte  Dalmatiens,  voran  Ragusa  und 
Spalato,  sendeten  ihre  Schiffe  in  die  Flotte  Roberts,  welcher  bald 
die  Belagerung  von  Dyrrhachion  begann.  Den  Byzantinern  stand 
eine  große  Flotte  der  Venezianer  zur  Seite  (Juni  1081).  Als 
Kaiser  Alexios  persönlich  eintraf,  befand  sich  in  seinem  Heere 
auch  das  Kontingent  der  Serben  unter  dem  Befehl  des  Bodin.  In 
der  Hauptschlacht  vor  Dyrrhachion  (18.  Oktober  1081)  stand 
Bodin,  welchen  die  Kaisertochter  Anna  Komnena  als  „sehr  kriege- 
risch und  voll  Bosheit"  schildert,  in  der  byzantinischen  Schlacht- 
ordnung ganz  abseits,  untätig  den  Ausgang  abwartend;  als  er 
die  Griechen  fliehen  sah,  zog  er  mit  seinen  Serben  ohne  Schwert- 
streich heim. 

Nach  dem  Tode  seines  Vaters  übernahm  Bodin  allein  die 
Regierung  (1082?j.  In  der  Zeit,  als  die  Normannen  Makedonien, 
Epirus   und  Thessalien   besetzt  hielten,   wird    nichts  über  ihn  be- 


1)  Nikephoros  Bryennios  p.  102f. 

2)  Racki,  Doc.  99. 


338  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

richtet,  aber  aus  den  Ereignissen  der  folgenden  Zeit  ist  es  klar, 
daß  er  sich  ihnen  angeschlossen  hatte.  Diocleas  erzählt,  König 
Bodin  habe  damals  Bosnien  unter  seine  Flerrschaft  gebracht  (S.  230), 
ebenso  Rassa,  wo  er  zwei  Zupane  seines  Holes,  Vlkan  ^)  und 
Marko  -)  einsetzte,  welche  für  sich  und  ihre  Nachkommen  dem 
Hause  Bodins  Treue  schwören  mußten.  Doch  zeigte  es  sich  bald, 
daß  der  Zusammenhang  dieser  Fürstentümer  nur  lose  war.  Da- 
mals hat  Papst  Klemens  III.  (Wibert)  in  Rom  (8.  Januar  1089) 
auf  Bitten  „tilii  nostri  Bodini,  regis  Sciavorum  gloriosissimi,"  die 
Rechte  der  Kirche  von  Antivari  wieder  bestätigt.  Als  die  Byzan- 
tiner nach  dem  Tode  Robert  Guiskards  (1085)  wieder  Dyrrhachion 
besetzten,  gestaltete  sich  ihr  Verhältnis  zu  den  Serben  ganz  feind- 
selig. Die  Statthalter  von  Dyrrhachion  waren  fortan  Verwandte 
des  Kaisers,  zuerst  Johannes  Dukas,  Bruder  der  Kaiserin  (bis 
1091),  welcher  während  des  Petschenegenkrieges  ohne  Unterlaß 
mit  den  Serben  kämpfte.  Er  vertrieb  sie  wieder  aus  den  besetzten 
Burgen  und  sendete  zahlreiche  Gefangene  zum  Kaiser.  Zuletzt 
gelang  es  ihm,  den  Bodin  in  einer  großen  Schlacht  zu  besiegen 
und  gefangen  zu  nehmen  ■^). 

Die  Geschichte  dieser  zweiten  Gefangenschaft  des  Bodin  ist 
nicht  bekannt.  Sicher  ist  es,  daß  seine  Autorität  nach  der  Frei- 
lassung zu  sinken  begann.  Die  Hauptperson  wird  Vlkan,  der 
oberste  Zupan  der  östlichen  Serben,  welcher  bald  wie  ein  selb- 
ständiger Herrscher  mit  dem  byzantinischen  Kaiser  Verträge  schließt. 
Dioklitien  verliert  seine  Bedeutung.  Der  Kriegsschauplatz  befand 
sich  fortan  auf  dem  Amselfelde.  Die  serbische  Grenzburg  war 
Zvecan  (^q^Evrllävior),  auf  einem  steilen,  kegelförmigen  Berg  über 
dem  Zusammenfluß  des  Ibar  und  der  Sitnica,  bei  Mitrovica.  Die 
Byzantiner  hatten  ihr  Grenzlager  am  Südende  des  Amselfeldes  in 


1)  Vlkan,  neuserb.  Vukan,  von  vlk  (neuserb.  vuk)  Wolf,  Velcanus, 
Belcanus  bei  Diocleas,  BuXy.dvog  (lies  Volkänos)   bei  Anna  Komnena. 

2)  Diocleas  54.     Für  Marcus  die  Variante  Maurus  bei  Orbini. 

3)  Kai  i^Xog  xctQTfgäv  /ufTa  JoD  BoöCvov  /xd^riv  avvctQQci^ug  xal  kvtov 
xaTfaytv:  Anna  Komnena  VII,  9  ed.  Reiflferscheid  1,  253.  Der  Irrtum 
der  Anna,  Johannes  Dukas  sei  11  Jahre  Statthalter  von  Dyrrhachion  ge- 
wesen, entstand  wohl  dadurch,  daß  seine  Versetzung  in  den  Orient  (1091) 
im  11.  Regierungsjahre  des  Kaisers  erfolgte. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  239 

dem  kleinen  Städtchen  Lipljan,  Sitz  eines  Bischofs.  Ras  wird 
nicht  erwähnt;  dieser  exponierte  Posten  war  wohl  von  den  Griechen 
geräumt  worden.  Selbst  die  furchtbare  Niederlage  der  Petsche- 
negen  im  Mündungsgebiet  der  Marica  bei  Enos  (April  1091) 
brachte  keine  Ruhe.  Kaiser  Alexios,  der  in  den  europäischen 
Provinzen  nunmehr  freie  Hand  hatte,  begab  sich  dreimal  persön- 
lich au  die  serbische  Grenze.  Das  erste  Mal  besichtigte  er  selbst 
alle  Grenzbefestigungen  (1091).  Als  Vlkan  Lipljan  einäschcite, 
kam  der  Kaiser  abermals  nach  Skopje;  die  Serben  versprachen 
Frieden  und  Geiseln,  erwarteten  aber  nur  die  Abreise  des  Kaisers,  um 
sich  ihren  Versprechungen  zu  entziehen  (1093).  Nun  ergriff  der 
Statthalter  von  Dyrrhachion  Johannes  Komnenos,  ein  Neffe  des 
Kaisers  und  Sohn  jüues  Isaak,  der  einst  den  Bodin  als  Gefangenen 
in  Antiochia  zu  beaufsichtigen  hatte,  die  Offensive  und  gelangte 
bis  vor  Zvecan ,  von  Vlkan  durch  Verhandlungen  und  Ver- 
sprechungen getäuscht.  In  einer  finsteren  Nacht  überfielen  die 
Serben  das  griechische  Lager;  viele  Byzantiner  wurden  in  den 
Zelten  erschlagen,  andere  ertranken  auf  der  Flucht  in  der  Sitnica, 
während  der  Rest  mit  dem  Feldherrn  sich  mühselig  den  Rückzug 
erkämpfte.  Die  Serben  verheerten  ungehindert  das  offene  Land 
bei  Vranja  und  Skopje,  sowie  das  jenseits  des  Sar  gelegene  Becken 
von  Polog  im  Quellgebiet  des  Vardar  (bei  Kalkandelen).  Der 
Kaiser  zog  zum  dritten  Male  an  die  serbische  Grenze  bis  Lipljan 
(Februar  1091).  Da  kam  Vlkan  persönlich  in  das  kaiserliche 
Lager,  begleitet  von  seinen  Verwandten  und  den  vornehmsten  der 
Zupane,  schloß  Frieden  und  stellte  zwanzig  Geiseln,  darunter  seine 
Neffen  Uros  {Oiqeoiq)  und  Stephan  Vlkan  i).  Der  magyarische 
Name  Uros  ist  ein  klares  Zeugnis  für  die  verwandtschaftlichen 
Verbindungen  der  Großzupane  mit  den  Ungarn,  die  im  folgenden 
Jahrhundert  noch  klarer  hervortreten  ^). 

Unmittelbar    darauf    folgte    der    Durchzug    der    Kreuzfahrer 
durch  die  Hämusländer,   eine  neue  Völkerwanderung,  welche  den 


1)  Anna  Komnena  VIII,  7;  IX,  1,  4,  5,  10. 

2)  Uros  nach  Miklosich,  Etynn.  Wörterbuch  372  von  magyar.  ür 
dominus.  Der  Name  Vros,  Urosius  sehr  häufig  in  den  ungarischen  Urk.  des 
13.  Jahrhunderts. 


340  Drittes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Orientalen  einen  Begriff  von  der  dichten  Bevölkerung  Westeuropas 
und  von  deren  Begeisterung  für  das  Christentum  beibrachte. 
Die  stärksten  Scharen  zogen  durch  Ungarn  über  Belgrad  nach 
Konstantinopel.  Zuerst  kam  der  französische  Ritter  Gautier 
mit  seinen  vier  Söhnen,  darunter  Gautier  Sansavoir  („sine 
habere"),  und  15  000  Mann.  Seine  Leute  begannen  schon  vor 
den  Toren  von  Belgrad  wegen  Viehraubes  mit  den  Einwohnern  zu 
streiten.  Kämpfend  gelangten  sie  durch  den  „  Bulgaren wald ", 
wobei  der  alte  Gautier  fiel,  nach  Nis  und  zogen  friedlich  weiter 
bis  Konstantinopel  (Juli  1096).  Es  folgte  der  Eremit  Peter  von 
Amiens,  der  „Jammerpeter"  (Kukupetros)  der  Griechen.  Seine 
ungeordneten  und  raubsüchtigen  Scharen  wurden  in  Nis  vom 
Statthalter  Niketas  freundlich  empfangen,  begannen  aber  Streit 
auf  dem  Markt,  steckten  einige  Mühlen  in  Brand  und  verloren 
im  Kampfe  ihre  Fuhrwerke  ^).  Ihre  Zuchtlosigkeit  hatte  bei  der 
ersten  Begegnung  mit  den  kleinasiatischen  Türken  ihren  Unter- 
gang zur  Folge.  Ruhig  war  der  Durchmarsch  des  großen  Heeres 
des  Herzogs  Gottfried  von  Bouillon  (Spätherbst  1096).  Die  unter- 
italischen  und  französischen  Normannen  und  die  Flandern  kamen 
über  Dyrrhachion  und  Thessalonich.  Zuletzt  rückten  im  "Winter 
(1096/97)  die  Provenzalen  heran,  unter  dem  Grafen  Raimund  von 
Toulouse.  Sie  hatten  den  Weg  über  die  Lombardei,  Friaul  und 
Istrien  gewählt,  um  durch  Dalmatien  Dyrrhachion  auf  dem  Land- 
wege zu  erreichen.  Die  Berichte  über  ihren  40tägigen  Marsch 
durch  die  südslawischen  Gebiete  lassen  erkennen,  daß  mit  den 
Landesherren  keine  vorherigen  Vereinbarungen  getroffen  waren. 
Von  den  Obrigkeiten  Kroatiens  ist  keine  Rede.  Weiter  führte 
der  Weg  abseits  von  den  Küstenstädten  durch  das  Innere,  wahr- 
scheinlich auf  der  alten  Römerstraße  über  Nevesinje  und  durch 
das  Zetatal  bis  Skutari.  Der  Domherr  Raimund  von  Agiles 
schildert  „Sclavonia"  als  ein  ödes,  gebirgiges,  pfadloses  Land,  voll 
Winternebel,  mit  großen  Flüssen  und  Sümpfen.  Die  Einwohner 
verließen  bei  dem  Anmarsch  des  ,,  exercitus  Francorum",  in 
welchem  sie  nur  eine  feindliche  Invasion  sahen,  ihre  Dörfer  und 
flohen   in    die  Wälder   und  Berge.     Sie   wollten   weder  Markt  ge- 


1)  Näheres  nur  bei  Albert  von  Aachen. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  241 

währen  noch  als  Führer  dienen  und  schlugen  die  Nachzügler 
nieder.  Die  Franken  hieben  ihrerseits  den  Gefangenen  Hände, 
Füße  oder  Nasen  ab,  was  das  Verhältnis  zu  den  Einwohnern 
nicht  bessern  konnte.  Es  kam  öfters  zu  Gefechten  des  Nachtrabes, 
wobei  Graf  Raimund  sich  selbst  an  die  Spitze  stellen  mußte.  Bei 
Skutari  wurden  die  Anführer  des  Kreuzheeres  von  Bodin ,  dem 
..Sclavorum  rex",  freundschaftlich  empfangen.  Der  Graf  von 
Toulouse  schloß  mit  ihm  Bruderschaft,  doch  hatte  der  Streit  mit 
den  Eingeborenen  auch  weiter  bis  Dyrrhachion  kein  Ende  ^). 

Vlkan  hat  nach  diesen  Zügen  neuerdings  Feindseligkeiten 
begonnen  (1106),  schlug  abermals  den  Statthalter  Johannes  Kom- 
neros,  als  aber  der  Kaiser  in  Strumica  eintraf,  beeilte  er  sich, 
wieder  Geit^eln  zu  stellen  '').  Als  Boemund,  jetzt  einer  der  Landes- 
lierren  in  den  Kreuzfahrerstaaten,  im  Kriege  gegen  Kaiser  Alexios 
den  mißlungenen  Versuch  machte,  den  Kriegsschauplatz  aus  dem 
Fürstentum  Antiochia  wieder  nach  Albanien  zu  übertragen,  ver- 
hielten sich  die  Serben  ruhig,  ja  das  von  den  Normannen  zu 
Lande  belagerte  Dyrrhachion  wurde  zur  See  besonders  über  Alessio 
mit  allem  versorgt.  Die  Wege  von  Alessio  nach  Prizren  und 
Skopje  waren  also  damals  für  die  Byzantiner  ganz  sicher. 

Diocleas  erzählt,  König  Bodin  habe  lange  regiert,  unter 
fortwährender  Feindschaft  mit  seinen  Vettern  ^).  Die  Erzählung 
von  diesen  Kämpfen  scheint  die  prosaische  Wiedergabe  eines 
epischen  Volksliedes  zu  sein,  wobei  die  Königin  Jaquinta  am 
schlimmsten  wegkommt.  Gegner  Bodins  war  sein  Vetter  Knez 
Branislav,  Sohn  Radoslavs,  mit  sieben  Brüdern  und  sechs  Söhnen. 


1)  Raimund  de  Agiles  und  Wilhelm  von  Tyrus  (auch  Racki, 
Doc.  461f.).  Bodin  mit  Namen  g(  uannt  nur  bei  dem  Engländer  Ordericus 
Vitalis,  Hist.  eccles.  (bis  1142)  IX,  5  (Migne,  Patrologia  lat.  vol.  188  col. 
659): ,,  Haimarus  autem  Podiensis  episcopus  cum  Tolosano  Raimundo  pi'ospere 
per  Sclavaniam  transiit,  eisque  Bodinus,  Sclavorum  rex,  amicabiliter  favit." 

2)  Anna  Komnena  XII,  4.  Schenkung  des  Kaisers  Alexios  an  das 
Kloster  Qforöxov  Tfjg  'Eliovar];  bei  dem  jetzigen  Dorf  Velusa  bei  Strumica, 
ausgestellt  im  Thema  von  Strumica,  „ort  xma  twv  Z^Qßiov  iSfj^^fv",  Augu.st 
1106:  L.  Petit,  Izvestija  arch.  inst.  6  (1900)  Heft  1,  S.  9,  28,  34. 

3)  Nach  Diocleas  p.  55  26  Jahre  und  5  Monate;  im  22.  Jahre 
„decoUavit  fratres  suos". 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  16 


343  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Als  Branislav  einmal  mit  seinem  Bruder  Gradislav  und  seinem  Sohn 
Predihna  zum  König  nach  Skutari  kam,  wurden  sie  auf  Betreiben 
der  Königin  bei  einem  Gastmahl  gefangen  genommen.  Nun  sam- 
melte sich  die  ganze  Sippschaft  (parentela)  Branislavs,  400  waffen- 
fähige Männer  stark,  und  floh  nach  Ragusa ,  welches  von  Bodin 
sofort  belagert,  aber  von  den  Bürgern  und  Emigranten  tapfer  ver- 
teidigt wurde.  Cocciaparus  ^),  ein  Bruder  Branislavs,  tötete  dabei 
mit  einem  Wurfspieß  Cossar,  einen  Liebling,  nach  Tubero  einen 
Bruder  der  Königin.  Trotz  des  Widerspruchs  der  Bischöfe  und 
Abte  ließ  Bodin,  überredet  von  seiner  Gattin,  den  gefangenen  Knez 
Branislav  mit  Bruder  und  Sohn  vor  der  Stadt  enthaupten.  Ihre 
Leichen  wurden  in  der  Benediktinerabtei  auf  der  Insel  Lacroma 
feierlich  bestattet.  Die  Verwandten  Branislavs  flohen  zu  Schiff 
nach  Konstantinopel  zum  griechischen  Kaiser,  der  ihnen  Wohn- 
sitze in  Dyrrhachion  anwies.  Bodin  soll  dann  vor  der  Stadt  auf 
der  Landseite  eine  Burg  erbaut  haben ,  nach  den  späteren  Anna- 
listen von  Ragusa  bei  dem  Kirchlein  S.  Nicolai  de  Campo,  welches 
noch  jetzt  auf  dem  Abhang  hinter  der  Dogana  zu  sehen  ist  ^).  Ob 
diese  Erzählung  einen  historischen  Kern  hat,  ist  zu  bezweifeln. 
Die  Fresken  in  der  Tribuna  der  erst  1497  gegründeten  Apostel- 
kirche von  Ragusa,  auf  die  sich  Luccari  beruft,  haben  nichts  zu 
sagen.  Das  Grab  des  Branislav  in  Lacroma,  welches  im  16.  Jahr- 
hundert Tubero  und  Razzi  erwähnen,  kann  der  Grabstein  des  12. 'J4 
bis  1239  urkundlich  erwähnten  Knezen  Branislav  (Cnegius,  Cnege 
Branislaui)  sein,  eines  slawischen,  unter  die  Nobiles  von  Ragusa 
aufgenommenen  Edelmannes  ^). 

Noch  weniger  lassen  sich  die  Berichte  des  Diocleas  über  die 
Nachfolger  des  Bodin  kontrollieren.  Die  Chronologie  ist  schwer 
festzustellen,  da  selbst  die  Kaiser  von  Basilios  II.  bis  Manuel  nicht 
mit  Namen  genannt  werden.  Die  Könige  sind  abwechselnd  Mit- 
glieder des  Geschlechtes  des  Bodin  und  des  Hauses  des  Branislav; 
der  Verfasser  selbst  ist   ein  Gegner   der  Familie  Bodins   und   ein 


1)  Der  Name  ist  nicht  slawisch,  eher  albanesisch  (pärt  der  erste). 

2)  Castello  (oder  torre)  S.  Nicolö    nach   den    Annaleu  von  Ragusa   ed. 
Nodilo  26  f.  schon  1004  erbaut. 

3)  Vgl.  meine  Rom.  Dalm.  1,  97;  3,  10. 


Die  Könige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrh.  343 

Anhänger  der  Branislavici  ^).  Die  Kämpfe  der  Prätendenten  führten 
zur  periodischen  Einmischung  der  Zupane  von  Rassa  und  der 
griechischen  Statthalter  von  Dyrrhachion.  Die  Zupane  Vlkan  und 
Uros  unterstützen  einzelne  Prätendenten.  Sie  stürzen  die  Könige 
Dobroslav  (II.),  der  an  der  Moraca  geschlagen  und  gefangen  wird, 
Cocciaparus,  der  vor  Vlkan  nach  Bosnien  flieht,  und  Grubesa,  der 
in  einer  Schlacht  vor  Antivari  den  Tod  findet.  Andere  Könige 
von  Dioklitien  sind  Schwiegersöhne  der  Zupane  von  Rassa,  wie 
Vladimir,  oder  wenigstens  ihre  Schützhnge.  Eine  andere  Partei 
der  Prätendenten  stützt  sich  auf  die  Griechen  ^).  Den  Byzantinern 
ist  besonders  mißliebig  der  Sohn  Bodins,  König  Georg.  „Dux 
Calojoannes  Kumano"  (wohl  Johannes  Komnenos,  der  Neffe  des 
Alexios)  besiegt  ihn  in  einer  Schlacht,  erobert  Skutari  und  ver- 
treibt den  König  nach  Rassa.  Aus  den  Gefängnissen  von  Skutari 
wird  der  oben  erwähnte  Grubesa  herausgeholt  und  auf  den  er- 
ledigten Thron  gesetzt.  Die  Königin  Jaquinta,  welche  die  Blendung 
des  Königs  Dobroslav  (II.)  und  die  Vergiftung  des  Königs  Vladi- 
mir auf  ihrem  schuldbeladenen  Gewissen  hat,  wird  von  den  Griechen 
bei  Cattaro  gefangen  und  nach  Konstantinopel  geführt,  wo  sie  bis 
zu  ihrem  Tode  bleibt.  Während  der  zweiten  Regierung  des  Königs 
Georg  kommen  die  Statthalter  von  Dyrrhachion  dreimal  ins  Land. 
Zuletzt  nimmt  der  Dux  „Kiri  Alexius  de  Condistephano"  (Konto- 
stephanos)  den  König  Georg  gefangeu,  sendet  ihn  nach  Konstan- 
tinopel, wo  er  fortan  Gefangener  blieb,  und  setzt  den  Gradihna 
ein.  Zum  Schluß  bestätigt  Kaiser  Manuel  den  Söhnen  des  Gra- 
dihna ihren  Besitz,  aber  nichtsdestoweniger  werden  sie  vom  Groß- 
zupan  Desa  bedrängt.  Damit  bricht  der  erhaltene  Text  des 
Diocleas  unvermittelt  ab. 


1)  Auf  Bodin  folgen:  Dobroslav  II.,  Bodins  Bruder;  Cocciaparus, 
Branislavs  Bruder;  Vladimir  II.  Die  folgenden  pflegt  man  clironologisch 
festzustellen:  Georg,  Bodins  Sohn,  zuerst  1113 — 1116  oder  1114 — 1118, 
Grubesa,  Branislavs  Sohn,  1116—1123  oder  1118—1125,  Georg  zum 
zweitenmal  1125 — 1135,  Gradihna,  Grube§as  Bruder  um  1135  bis  1146, 
ich  glaube  zu  früh,  denn  die  Augriffe  des  Großzupans  Dessa  auf  die  Söhne 
des  Gradihna  gehören  in  die  Jahre  116Jf. 

2)  Jioxh'iov  id-rr]  tributär  dem  Kaiser  Johannes:  Prodromos,  Patr. 
graeca  vol.  133  col.  1342. 

16* 


344  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Besser  ist  die  Geschichte  der  Großzupane  im  Osten  des  Landes 
bekannt.  Nachfolger  des  Vlkan  war  Uros  I.,  wohl  sein  Neffe, 
den  er  einst  dem  Kaiser  Alexios  als  Geisel  übergeben  hatte.  Der 
Bruch  zwischen  Byzanz  und  Ungarn  beeinflußte  das  Verhältnis 
der  Serben  zum  Kaisertum,  besonders  als  Kaiser  Johannes  Kom- 
nenos  (1118 — 1143)  überall  von  der  Defensive  zur  Offensive  über- 
ging. Kolomans  junger  Sohn  Stephan  II.  (1114 — 1131)  war  Feind 
der  Byzantiner,  weil  sie  zwei  geblendete  ungarische  Prätendenten 
freundlich  aufgenommen  hatten,  Kolomans  Bruder  Almus  und 
dessen  Sohn  Bela.  Nach  den  Erzählungen  des  Niketas  Akominatos 
diente  ihm  als  Vorwand  zum  Krieg  auch  die  Ausplünderung  un- 
garischer Kaufleute  durch  die  Einwohner  von  Branicevo.  König 
Stephan  IL  eroberte  Belgrad  und  befahl,  die  Steine  der  nieder- 
gerissenen Mauern  über  die  Save  zu  führen,  zur  Befestigung  von 
Semlin  (altserb.  Zomkn,  Adj.  von  zemlja  Erde,  jetzt  serb.  Zemun); 
nach  Jahren  ließ  Kaiser  Manuel  wieder  die  Mauern  von  Semlin 
abbrechen  und  das  Material  über  die  Save  nach  Belgrad  zurück- 
führen. Ungarische  Scharen  plünderten  bis  Nis  und  Serdica 
(1128).  Kaiser  Johannes  erschien  mit  Heer  und  Flotte  in  Bra- 
niöevo,  schlug  am  nördlichen  Donauufer  die  Ungarn  an  der  Mün- 
dung des  Karas  imd  besetzte  die  Burg  Chrara  ^),  worauf  der 
Frieden  bei  einer  Zusammenkunft  beider  Herrscher  auf  einer 
Donauinsel  bei  Branicevo  erneuert  worden  sein  soll.  Im  folgenden 
"Winter  überfiel  aber  Stephan  Branicevo,  aus  dessen  brennenden 
Häusern  sich  der  Befehlshaber  Kurtikios  nur  mit  Not  retten  konnte. 
Kaiser  Johannes  eilte  rasch  hin,  erneuerte  die  Stadt,  ließ  den 
Kurtikios  als  Verräter  auspeitschen,  mußte  sich  aber  wegen  Krank- 
heiten und  Mangel  an  Lebensmitteln  vorsichtig  durch  die  Felsen 
der  „Bösen  Trejipe'*  (Äax/)  2/.dla),  wahrscheinlich  den  Engpaß 
Zdrelo  (wörtlich  Gurgel)  am  Flusse  Mlava  wieder  zurückziehen 
(1129).  Eine  Erneuerung  friedlicher  Beziehungen  hatte  der  Tod 
des  Prätendenten  Almus  zur  Folge  -).     Nach  Kinnamos   sind   da- 


1)  XQci/j.o;  (slaw.  ehram  ursprünglich  Haus,  erst  später  Tempel)  auf 
dem  ungarischeu  Ufer  bei  Uj  Palauka,  gegenüber  der  Ruine  Rama  auf 
dem  serb  Ufer.  In  der  Tüikenzeit  die  Burgen  Haram  und  Jeni  Haram 
(Neu-Chram)  einander  gegenüber.     Vgl.  meine  Heerstraße  17. 

2)  Huber  a.  a.  0.  1,  346 f. 


Die  Könige  uud  Großzupane  im  11.— 12.  Jahrh.  345 

raals     die   Serben    „  abgefallen '^    und    haben   Ras    erobert.      Den 
Befehlshaber  Kritoplos,  welcher  aus  dieser  Burg  entflohen  war,  ließ 
der   Kaiser   wegen   Feigheit   in  Konstantinopel   in   Frauenkleidern 
auf  einem  Esel   herumführen.     Nach   Niketas   brachte  Kaiser  Jo- 
hannes,  den   Prodromos   als  Sieger   über   die    ,,Dalmater"   feiert 
den  Serben  persönlich  eine  schwere  Niederlage  bei,  was  aber  ihre 
Verbindungen  mit  den  Ungarn    nicht  unterbrach  ij.     Der  kinder- 
lose Stephan  IL  bestimmte  zum  Nachfolger  seinen  früher   so  ver- 
folgten Vetter,  den  bUnden  Bela,  und  verheiratete  ihn  (um  1130) 
mit  Helena,  der  Tochter  des  Großzupans  Uros  I  ■').    König  Bela  II. 
(1131—1141)  pflegte  freundschaftliche  Beziehungen    mit   den  By- 
zantinern, was  sie  aber   nicht  hinderte,  wieder  einen    ungarischen 
Prätendenten    aufzunehmen,   eine   romanhafte   Gestalt   dieser  Zeit 
bekannt  auch  in  Rußland,  Polen  und  Deutschland;   es  war  Boris, 
ein  Sühn  des  Königs  Koloman  von   einer  Tochter   des   russischen 
Großfürsten  Vladimir  Monomach,  welche,  von  ihrem  Gatten    ver- 
stoßen, nach  Rußland  geflohen    war   und    dort   diesen  Knaben  ge- 
boren hatte  •').    Belas  Nachfolger  wurde  indessen  sein  kleiner  Sohn 
Gejza  IL    (1141  —  1161),    unterstützt    von    einem    Oheim    mütter- 
licherseits, dem  Serben  Bjelos,  Ban  von  Kroatien  und  Comes  Pa- 
latinus  ^). 

Der  letzte  Kaiser,  unter  dessen  Regierung  das  Konstantinopler 
Kaisertum  als  Großmacht  die  Ereignisse  in  den  Ländern  um  das 
östliche  Becken  des  Mittelmeeres  herum  beeinflußte,  war  Manuel 
Komnenos  (1143—1180),  des  Johannes  jüngster  Sohn.  Persönlich 
tapfer,  mit  Vorliebe  für  Abenteuer,  Zweikämpfe  auf  dem  Schlacht- 
feld  und   Kampfspiele,    war    er    mehr    Ritter    als    Feldherr    oder 

1)  Kinnamos  I,  5      Niketas  p.  23. 

2)  „Misit  nuneios  (Stephan  11.)  in  Serviam  et  filiam  Uros  comitis 
magni  in  legittimam  uxorem  Belae  traduxerunt.'-  Cbronicou  pictum  Vindo- 
bonense  bei  Florian  2,  211,  ebenso  Thuröcz  bei  Scbwaudtuer  1,  17;'). 

3)  Borich  der  ung.  Auualeu,  Boricius  bei  Otto  von  Freisiug  und 
Odo  de  Diogilo,  Boutang  bei  Kinnamos.  Ausführlich  behand'lt  seine 
Geschichte  Vas  ilje  vskij,  Slav.  Sbornik  2,  2G5f. 

4)  Baoaig  des  Kinnamos,  Belus  „avunculus"  des  Königs  bei 
Rahewin  und  in  ungarischen. Urkunden,  in  den  russ.  Annalen  (.Lavr.  Kodex 
zu  1144  ed.  1897  p.  295)  „korolev  uj",  Oheim  des  Königs  (^uj  Bruder  der 
Mutter,  gegenüber  strij,  neuserb.  stric  BruJer  des  Vaters). 


246  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Diplomat.  Im  stolzen  Bewußtsein  einer  MachtfüllC;  deren  Grund- 
lagen zu  schwinden  begannen,  verfolgte  er  riesige  Pläne,  suchte 
historische  Rechte  in  fernen  Ländern  geltend  zu  machen,  in  Syrien, 
Ungarn  oder  Italien,  erschöpfte  aber  dabei  die  Schatzreserven  und 
vernachlässigte  die  innere  Festigung  des  Reiches.  Die  vielen 
Unternehmungen  in  fernen  Ländern  verliehen  seiner  Zeit  einen 
unzweifelhaften  Glanz,  dem  jedoch  der  Niedergang  des  Reiches 
unmittelbar  nachfolgte.  Im  Zusammenhang  mit  den  zehn  Kriegen 
Manuels  gegen  Ungarn  und  seinen  Konflikten  mit  den  Normannen 
und  Venezianern  stehen  die  periodischen  Kämpfe  in  Serbien.  Die 
Serben  haben  die  Symptome  des  Verfalls  von  Byzanz  klar  er- 
kannt und  ließen  sich  in  ihrem  Streben  nach  Unabhängigkeit 
auch  durch  Mißerfolge  nicht  abschrecken.  Wilhelm  von  TyruS 
schildert,  wie  sie  zeitweihg  dem  Kaiser  dienen,  mitunter  aber 
durch  Raubzüge  aus  ihren  unzugänglichen  Bergen  und  Wäldern 
heraus  der  ganzen  Nachbarschaft  unerträglich  werden,  ein  unge- 
bildetes und  unbotmäßiges  Volk  (populus  incultus  absque  disciplina), 
kühn  und  kriegerisch  (audaces  et  bellicosi  viri)  ^).  Die  Ausgangs- 
punkte der  Feldzüge  des  Kaisers  gegen  die  Großzupane  waren 
Valona,  Pelagonia  (Bitolia),  Serdica  und  Nis.  Die  Schlachtfelder 
lagen  bei  Ras  und  westlich  davon  bis  zur  Tara.  Zum  Schluß 
ist  der  Rückgang  der  byzantinischen  Grenze  von  Ras  bis  nahe 
bei  Nis  klar  zu  erkennen. 

Die  Kreuzfahrer  des  zweiten  Zuges,  geführt  von  König  Lud- 
wig VII.  von  Frankreich  und  dem  deutschen  König  Konrad,  zogen 
in  guter  Ordnung,  gefolgt  von  einer  großen  Bootsflotte  auf  der 
Donau,  bis  Branicevo  und  von  dort  auf  der  alten  Heerstraße 
durch  die  byzantinischen  Provinzen,  in  denen  die  Städte  und 
Burgen  ihre  Tore  geschlossen  hielten  und  die  Bauern  in  den  Ber- 
gen und  Wäldern  verborgen  bheben  (1147).  Gleich  nach  dem 
Durchmarsch  der  Kreuzheere  ließ  der  Normannenkönig  Roger  11. 
seine  Flotte  in  Griechenland  plündern.  Kaiser  Manuel  mußte 
die  normannische  Besatzung  in  Korfu  mit  Hilfe  der  Venezianer 
persönlich  belagern  und  durch  Hunger  bezwingen  (1149).  Wäh- 
rend dieser  Kämpfe  warf  der  Großzupan  Uros  IL,  wohl  ein  Sohn 


1)  Wilh.  Tyr.  XX,  4. 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  11. — 12.  Jahrb.  247 

Uros'  I.  ^),  unter  dem  Einfluß  der  Ungarn  -)  und  Normannen  die 
byzantinische  Oberherrschaft  ab.  Der  Kaiser  wendete  sich  nach 
der  Eroberung  von  Korfu  über  Valona  und  Pelagonia  gegen  die 
Serben  (Herbst  1149),  eroberte  Ras  und  verheerte  die  Umgebung. 
Als  die  Burg  GaHc  •^)  unter  Führung  Manuels  nach  tapferem  Wider- 
stand erstürmt  wurde,  bedrängte  Uros  wieder  den  Feldheri-n 
Konstantin  Angelos,  der  in  Ras  geblieben  war.  Manuel  verjagte 
den  Großzupan  in  die  Berge,  brannte  eine  seiner  Residenzen 
nieder  und  wurde  erst  durch  die  scharfe  Winterkälte  zur  Rück- 
kehr bewogen.  Ein  Gedicht  des  Theodoros  Prodromos  feiert  den 
Einzug  des  Kaisers,  des  „Adlers  mit  goldenen  Flügeln",  in  Kou- 
stantinopel  nach  den  Erfolgen  auf  Kerkyra  und  in  Serbien  und 
verspottet  mit  anzüglichen  Wortspieleu  den  Uros,  der  sich,  von 
namenloser  Angst  befallen,  wie  ein  Hirsch  oder  Hase  in  den  Ber- 
gen verstecken  mußte '').  Im  nächsten  Herbste  (1150)  wartete 
Kaiser  Manuel  nach  den  alten  strategischen  Regeln  die  Zeit  ab, 
bis  die  Wälder  ohne  Laub  waren,  und  unternahm  einen  neuen 
Feldzug,  der  auch  nach  dem  ersten  Schnee  nicht  abgebrochen 
wurde.  König  Gejza  H. ,  eben  in  Galizien  gegen  den  Fürsten 
Vladimirko  beschäftigt,    sendete   den   Serben    ein   Heer   zu   Hilfe, 

1)  So  nach  Ruvarac,  Kovacevic  und  Jovanovic  u.  a.  Uros  I., 
um  1080  geboren,  wäre  ja  um  1150  fast  70  Jahre  alt,  wenn  nicht  älter  ge- 
wesen. Bei  den  serb.  Annalisten  nur  eine  verschwommene  Gestalt  „Bela 
Uros"  vor  Nemanja. 

2)  Nach  Kinnamos  III  cap.  7  vermittelten  diese  Verbindungen  zwei 
vornehme  Brüder  aus  Serbien ,  Bekoatg  (wohl  der  Bau  Bjelos)  und  ein  ge- 
blendeter Schwager  des  Großzupans,  der  am  Hofe  Gejzas  II.  lebte,  bei  dem 
Epitomator  des  Kinnamos  vielleicht  entstanden  durch  eine  Verwechslung 
mit  dem  blinden  König  Bela  IL     Vgl.  Kovacevic,  Glas  58  (1900)  67. 

3)  Galic  {raXirCri),  auch  in  der  Urkunde  von  ßanjska  (Spomenik 
4,  2  vgl.  S.  IX)  genannt,  am  Flusse  Selcanica  {ZiT^tviTCa  des  Kinnamos, 
jetzt  Socanica)  am  rechten  Ufer  des  Ibar  unterhalb  Zvecan.  Die  Ruinen  be- 
schrieben von  Avram  N.  Popovic,  Godisnjica  25  (1906)  189,  220 5  26 
(1907)  145.     Unbekannt  ist  die  Lage  der  Landschaft  Xixaßü  des  Kinnamos. 

4)  Prodromos  bei  Miller,  Recueil  des  hist.  des  croisades,  Historiens 
grecs  2  (1881)  761 — 763.  Oi^geatg  wird  zusammengestellt  mit  ovofiv,  ovqtj- 
Trig:  trunken  vor  Furcht  netzt  er  seine  Schenkel  mit  Urin.  Eine  Notiz  über 
den  Feldzug  auch  bei  Michael  von  Thessalonich,  Fontes  rer.  byz.  ed. 
Regel  1,  174f 


348  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

zusammengestellt  zum  Teil  aus  Petschenegen,  die  man  in  Ungarn 
Bisseni  nannte,  und  aus  den  bei  Sirmium  angesiedelten  moham- 
medanischen Chalisiern,  welche  neuere  Historiker  als  ausgewanderte 
Chazaren  aus  dem  Stamm  der  Chvalisier  an  der  Mündung  der 
Wolga  oder  als  flüchtige  Wolgabulgaren  betrachten  ^j.  Die  By- 
zantiner wollten  die  Ungarn,  welche  wahrscheinhch  aus  der  Land- 
schaft von  Brauicevo  heranrückten,  unterwegs  im  Tale  des  Lugomir, 
eines  linken  Zuflusses  der  vereinigten  Morava,  aufhalten ,  kamen 
aber  zu  spät  und  holten  den  Feind  erst  an  der  Drina  und  später 
an  der  Brücke  über  die  Tara  ein.  Der  Kaiser  zersprengte  die 
Serben  und  ihre  Bundesgenossen  und  begann  persönlich  in  ver- 
goldeter Rüstung  die  Verfolgung,  um  den  Großzupan  oder  wenig- 
stens den  Anführer  der  ungarischen  Truppen  gefangen  zu  nebmeu. 
Der  ungarische  Feldherr  Bakchinos,  ein  tapferer  Riese,  wurde 
vom  Kaiser  in  einem  Zweikampf  überwunden  und  gefangen  -). 
Bald  erschien  der  serbische  Großzupan  im  Lager,  warf  sich  dem 
Kaiser  zu  Füßen  und  leistete  den  Eid  des  Gehorsams.  Ein  Ge- 
dicht des  Prodromos  läßt  die  Flüsse  Tara  und  Save,  von  Blut 
gefärbt  und  mit  Leichen  der  Serben  und  Ungarn  beladen,  in  der 
Art  der  Volkslieder  zum  Kaiser  sprechen,  erwähnt  den  „hohen 
Berg  Serbiens",  wohl  den  Durmitor  jenseits  der  Tara,  und  das 
,,  Gebrüll  des  Löwen  des  Bukoleon^'  aus  dem  großen  Palast  von 
Koustantinopel ,  welches  die  serbischen  Zupane  mit  Schrecken 
erfüllte  ^). 

Im  folgenden  Herbst  (1151),  als  König  Gejza  H.  wieder    im 
Norden  am  Flusse  San  in  Galizien  weilte,  unternahm  Kaiser  ]\Ia- 


1)  Hunfalvy,  Ethnographie  vou  Uugani ,  deutsch  von  Schwicker 
218;  Graf  Geza  Kuun,  Relat.  Hungarorum  cum  Oriente  1  (Claudiopolis 
1893)  76,  127 f.;  Vasiljevskij  a.  a.  0.  247. 

2)  Bu/.yivog  bei  Kinnamos  und  Niketas  (wohl  aus  einer  gemein- 
sameu  Vorlage)  als  Archizupanos,  bei  Prodromos  (Recueil  a.  a.  0.  748 f., 
761,  763)  aber  klar  als  Ungar  (^Paionier),  Fürst  der  Ungarn  {('(Q/rj/öi  üaiövojv), 
Feldherr  des  ungai-ischen  y.ndh];^  ein  furchtbarer  Gigant  und  ein  illyrischer 
Goliath.     Vgl.  II  ar.  Ruvarac,  Godisnjica  14  (1894)  209  f. 

3)  Gedicht  des  Prodromos  (O  TÜQag  IxTctQttTTfTcti.  usw.,  29  Verse) 
herausg.  und  deutsch  in  Versen  übersetzt  von  G.  M.  Thomas,  Gelehrte 
Anzeigen  der  kgl.  bayer.  Akademie  36  (1853)  Sp.  535f. ;  auch  bei  Miller, 
Recueil  763. 


Die  Köiiige  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jahrli.  349 

nuel  mit  Heer  und  Flotte  seinen  ersten  Zug  nach  Ungarn,  er- 
oberte Semlin  und  verheerte  die  Landschaft  von  Sirmium.  Ban 
Bjelos  stand  gegenüber  von  Branicevo,  wagte  aber  nicht  den  Über- 
gang über  die  Donau,  worauf  eine  Invasion  des  von  Byzanz 
unterstützten  Prätendenten  Boris  in  die  Landschaft  am  Temesch 
den  ungarischen  König  zum  Frieden  bewog.  Der  neue  Dax  von 
Belgrad,  Branicevo  und  Nis,  der  spätere  Kaiser  Andronikos  ver- 
sprach dem  Gejza  insgeheim  die  Greuzprovinzen  für  eine  Hilfe 
zur  Erlangung  des  byzantinischen  Thrones,  doch  Manuel,  der  einen 
geheimen  Brief  seines  Vetters  abgefangen  hatte,  ließ  ihn  (Herbst 
1153)  im  Lager  von  Pelagonia  verhaften  und  in  einen  Turm  von 
Konstantinopel  einschließen.  Gejza  kam  in  eine  bedenkliche  Lage, 
als  sich  auch  Kaiser  Fiiedrich  L  zu  einem  Feldzug  gegen  Ungarn 
rüstete.  Erst  nach  der  Klärung  der  Lage  begann  er  wieder  die 
Offensive  gegen  die  Griechen  durch  eine  Belagerung  von  Bra- 
nicevo (Herbst  1154).  Kaiser  Manuel  kam  mit  einem  zu  kleinen 
Heere,  bewog  aber  die  Ungarn  zum  eihgen  Abzug  durch  ein 
Strategem,  einen  an  einen  Pfeil  gebundenen  Brief  an  die  byzan- 
tinische Besatzung  von  Branicevo.  Der  kaiserliche  Chartular  Ba- 
silios  Tzintzilukes  sollte  den  abziehenden  Ban  Boric  von  Bosnien 
verfolgen,  ließ  sich  aber  überreden,  lieber  das  ungarische  Haupt- 
heer anzugreifen,  und  erlitt  in  der  Nähe  von  Belgrad  eine  voll- 
ständige Niederlage.  In  dieser  Schlacht  fand  wahrscheinlich  auch 
der  Prätendent  Boris  den  Tod,  durch  den  Pfeil  eines  Kuraanen  ^). 
In  Belgrad  regte  sich  eine  ungarische  Partei,  ihre  Häupter  wurden 
jedoch  vom  Feldherrn  Johannes  Kantakuzenos  gefangen  wegge- 
führt. Kaiser  Manuel  überwinterte  dann  in  Berrhöa  in  Make- 
donien und  zog  im  Frühjahr  (1155j  abermals  zur  Donau,  aber 
Gejza  IL  beeilte  sich,  den  Frieden  zu  erneuern,  und  stellte  dabei 
alle  griechischen  Gefangenen  und  die  ganze  Beute  mit  Waffen 
und  Pferden  zurück.  Während  dieser  FelJzüge,  welche  den  By- 
zantinern keinen  entscheidenden  Sieg  gebracht  hatten,  stürzte  bei 


1)  Otto  Fris.  II,  53  ed.  G.  Waitz  (1884)  p.  127.  Der  Epitomator 
des  Kinn  am  OS  III  cap.  19  verwechselt  Boris  mit  Stephan  (III.),  des  Gejza 
Sohu,  der  nie  ins  byz.  Reich  ^eliommen  ist.  Hub  er  a.  a.  0.  1,  355,  Va- 
Biljevskjj  27G,  Grot  203. 


250  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

den  Serben  eine  Partei  den  Großzupan  Uros  IL  und  erhob  den 
Desa,  welchen  Kinnamos  als  ,, einen  anderen  der  Brüder",  Dio- 
cleas  als  einen  Sohn  des  Uros  bezeichnet  ^).  Aber  der  neue 
Großzupan  konnte  nicht  die  Oberhand  gewinnen,  worauf  sich 
beide  Rivalen  mit  ihrem  Anhang  vor  dem  Richterstuhl  Ma- 
nuels im  kaiserlichen  Lager  einfanden.  Die  Szene  ist  aus  drei 
griechischen  Berichten  bekannt,  bei  Michael  von  Thessalonich  -), 
Prodromos  ^)  und  Kinnamos.  Die  Zupane  beider  Parteien  hielten 
heftige  Reden  gegeneinander  und  zückten  in  der  Hitze  des  Wort- 
gefechtes sogar  die  Schwerter.  Der  Kaiser  entschied  die  Streit- 
frage zugunsten  des  Uros,  bestimmte  die  Grenzen  der  einzelnen 
Teilfürsten  und  verpflichtete  die  Serben  wieder  zur  Stellung  von 
Geiseln  und  zur  Heeresfoige  (1155).  Desa  erhielt  als  Entschä- 
digung die  reiche  und  wohlbevölkerte  Waldlandschaft  Dendra  auf 
byzantinischem  Boden,  aber  nur  zum  zeitweiligen  Genuß  ^).  Die 
Großzupane  Avechselten  dann  rasch  ab :  Prvoslav  wurde  vom  Kai=er 
abgesetzt  wegen  seines  Strebens  nach  Selbständigkeit  '),  Bjelus 
dankte  bald  ab  und  ging   nach  Ungarn  '').     Diese  Schwankungen 

1)  Jta(,  Dessa  der  Venezianer  und  des  Diocleas,  von  desiti  finden, 
treffen,  wie  Desislav,  Desimir,  Desivoj ,  Desirad,  Desibrat,  in  Kurzform 
Desen,  Desinja,  Desoje  usw.  In  Dalmatien  der  Mannsname  Desa  oft  im 
11. — 14.  Jahrb.,  der  Frauenname  Desa  in  Ragusa  bis  in  unsere  Zeit  (meine 
Rom.  Dalm.  2,  68);  Desa  und  Desa  auch  in  den  altserb.  Pomeniks,  ebenso 
in  glag.  Urk.  Desic  und  Desic. 

2)  Fontes  rer.  byz.  ed.  Regel  1  p.  ItiS  f. 

3)  Bei  Miller  a.  a.  0.  749  leider  nur  im  Auszug. 

4)  Die  Lage  von  J^vSqu  sucht  man  im  „  Bulgarenwalde " ,  in  der 
Sumadija  (suma  serb.  Buschwald) ,  an  der  Toplica  (Novakovic)  oder  in 
Gluboeica  (Kovacevic). 

5)  ITQijuiad-läßos  Kinnamos  V,  2  ist  wohl  ITnißc-  zu  lesen,  ebenso 
wie  Kiuutt  V,  12  als  7\Yk^«  (Kiew),  bei  der  großen  Ähnlichkeit  von  ß,  fj.,  x 
in  der  Minuskel;  V,  12  ist  er  durch  die  Flüchtigkeit  des  Epitomators  nach 
Rußland  geraten,  statt  des  'houad-laßog,  Jaroslav.  Der  Text  beruft  sich  auf 
eine  frühere  Bemerkung  über  diesen  Großzupan ,  die  aber  der  Epitomator 
ausgelassen  hat;  daher  haber  Vasiljevskij,  Grot,  Kovacevic  u.  a. 
Primislav  mit  Uros  II.  identifiziert.  Im  Rodoslov  Prvoslav  ein  angeblicher 
Bruder  des  Nemanja;  vgl.  Ruvarac,  Godisnjica  14  (1894)  215. 

6)  Kovacevic,  Glas  58  (1900)  70  meint,  dieser  Großzupan  BtXovarjg, 
der  seit  Du  Gange  ohne  Grund  mit  dem  Ban  und  Palatin  Bjelos  identifiziert 
wird,  sei  nur  durch  einen  Irrtum  des  Kinnamos  entstanden. 


Die  Könige  und  Großzupaue  im  11. — 12.  Jabrh.  251 

sind  erklärlich  als  Folge  der  damaligen  ferneren  Ereignisse. 
Manuels  Versuch  einer  Restauration  der  byzantinischen  Herrschaft 
in  Apulien  schloß  mit  einer  völligen  Niederlage  der  Griechen 
gegen  den  Norraannenkönig  Wilhelm  I.  bei  Brindisi  (Mai  1156); 
seine  Versuche,  im  einstigen  Exarchat  in  Ankona  und  Raveuna 
festen  Fuß  zu  fassen,  führten  zum  Bruch  mit  Kaiser  Friedrich  I. 
und  zur  Mißstimmung  in  Venedig.  Dagegen  hatte  Manuel  Glück 
im  Osten,  machte  den  Seldschukensultan  Kyljdsch-Arslan  II,  zum 
Vasallen,  bezwang  die  Armenier  in  Kilikien  und  zog  persönlicli 
feierhch  in  die  Hauptstadt  der  Normannen  in  Syrien,  in  das  alt- 
berühmte Antiochia  ein  (1159).  Als  König  Gejza  II.  von  Ungarn 
starb  (Mai  1161),  unterstützte  Kaiser  Manuel  gegen  dessen  un- 
mündigen Sohn  Stephau  III.  Gejzas  Brüder  Stephan  (IV.)  und 
Ladislaus,  die  sich  infolge  von  Intrigen,  an  denen  ihr  Oheim, 
der  Serbe  Bjelos  beteiligt  war  ^),  beide  über  Deutschland  und 
Venedig  nach  Konstantinopel  geflüchtet  hatten.  Es  war  ein  Er- 
folg ^Manuels,  als  Ladislaus  II.  (1161  — 1162)  wirklich  König  von 
Ungarn  wurde. 

In  Serbien  erscheint  (ungefähr  1161)  Desa  wieder  als  Groß- 
zupan.  Durch  seine  energischen  Bemühungen,  Serbien  Unabhängig- 
keit, Macht  und  Ansehen  zu  verschaffen,  wurde  er  der  Vorläufer 
des  Nemanja.  Er  suchte  Heiratsverbindungen  mit  den  Deutschen 
anzuknüpfen  -)  und  vermählte  seine  Tochter  mit  einem  Sohn  des 
Dogen  Vitale  IL  MichieH  (1156 — 1172),  dem  Comes  Leonardo 
von  Ossero,  während  ein  anderer  Sohn  dieses  Dogen,  der  Comes 
Nikolaus  von  Arbe,  eine  Tochter  des  Königs  Ladislaus  II.  von 
Ungarn   heiratete  (1167)  •^).     Die  Schwäche  der  dioklitischen  Dy- 


1)  „Avunculus  amboruni,  dux  Belus,  vir  valde  i^rudens".  Rabewin 
III,  cap.  13. 

2)  "Eg  Tf  ^Ahi^avoi  g  fnturljf,  xfjtSo;  h'TfC&fv  eaiTiö  avt'cöl'ca  öii'.voriO-tCg: 
Kinnamos  V,  5. 

3)  „  Leonardo,  comiti  Absavi,  ducis  Desse  filiam,  qui  poteucior  fuit  in 
tota  Ungaria,  dedit  uxorem":  Historia  ducum  Venetorum  (verfaßt  bald  naeb 
1229),  Mon.  Germ.,  Scriptores  14,  76.  Dandolo  bei  Muratori  12  col.  292 
bat  „filiam  ducis  Edessae".  Leonardo  war  später  Vizedoge  und  wird  noch 
1177  genannt:  Federico  Stefani,  I  conti  feudali  di  Cherso  ed  Ossero, 
Arcb.  veneto  Bd.  3  (1872)  p.  4.  Vgl.  W.  Lenel,  Die  Entstehung  der  Vor- 
herrschaft Venedigs  an  der  Adria  (Straßburg  1897)  94  f. 


352  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

uastic  bewog  den  Großzupan  zu  einem  Vorstoß  zum  Adriatischen 
Meere.  Diocleas  erzählt,  wie  sich  „böse  Menschen  und  alte  Feinde" 
gegen  Knez  Radoslav  und  seine  Brüder  Johannes  und  Vladimir-, 
die  kSöhne  des  Königs  Gradihna,  erhoben,  die  Schützlinge  des 
Kaisers  Manuel,  und  wie  sie  den  Dessa  ins  Land  riefen  und  ihm 
Zeta  und  Tribunia  übergaben;  Radoslav  mit  seinen  Brüdern  konnte 
unter  unaufhörlichen  Kämpfen  nur  das  Gebiet  zwischen  Cattaru 
und  Skutari  behaupten  ^).  Der  Ragusaner  Orbiui  erzählt,  Dessa, 
„duca  di  Rassia",  habe  die  Insel  Meleda  aa  drei  Mönche  Marin, 
iSimon  und  Johannes  geschenkt  und  sei  dadurch  Stifter  der  dortigen 
Benediktinerabtei  geworden;  er  liege  begraben  in  Trebinje  in  der 
Kirche  S.  Pietro  di  Campo  -).  Zwei  lateinische  Urkunden  des 
Desa  über  die  Insel  Meleda  sind  offenbar  spätere  Erfindungen  •'). 
Gegenüber  den  Byzantiuern  benutzte  Desa  den  Wechsel  der 
Situation  in  Ungarn.  Als  nach  Ladislaus'  IL  Tode  dessen  von 
Manuel  unterstützter  Bruder  Stephau  IV.  von  der  Gegenpartei, 
den  Anhängern  seines  kleinen  Neffen  Stephan  ill.  geschlagen  und 
aus  Ungarn  vertrieben  wurde  (Sommer  1162),  besetzte  Desa  wieder 
die  Landschaft  von  Dendra,  die  er  zuvor  zurückgeben  mußte, 
und  säumte  mit  der  Stelluog  von  Truppen  zu  den  ungarischen 
Feldzügen.  Er  erschien  mit  seinem  Kontingent  erst,  als  der  Kaiser 
persönlich  in  Nis  eintraf,  machte  sich  aber  durch  seinen  Verkehr 
mit  den  Gesandten  Stephans  III.  so  verdächtig,  daß  ihn  Manuel 
als  Gefangenen  nach  Konstantinopel  sendete  ^). 

Darauf  schloß  Manuel  in  Belgrad  wieder  einen  Frieden  mit 
den  Ungarn.  Ein  jüngerer  Bruder  Stephans  III.,  Bela,  blieb  beim 
Kaiser,  bei  den  Byzantinern  später  zu  Alexios  umgenannt  und 
mit  einer  Schwester  der  Kaiserin  aus  dem  normannischen  Fürsteu- 
hause  von   Antiochia    verheiratet.      Den    Frieden    störte    der  Prä- 


1)  Schlußworte  des  Diocleas  cap.  47. 

•2)  Orbiiii  201,  245. 

3)  Kukuljevie,  Cod.  dipl.  2,  45 f.,  Smiciklas  2,  67 f:  Dessa,  dux 
Dioclie  usw.  scheukt  die  Insel  Meleda  dem  Kloster  S.  Maria  von  Pulsauo 
am  Monte  Gargauo  in  Apulicu  und  wieder,  nur  als  „magnus  comes"  von 
Zachulmia  bezeichnet,  die  St.  Paukraliuskirche  (jetzt  Ruine)  in  Babino  Polje 
auf  Meleda  dem  Kloster  von  Lacroma. 

4}  Kinnamos  V  cap.  5. 


Die  Könign  und  Großzupane  im  11. — 12.  Jabrh.  253 

tendent  Stephan  IV.,  unterstützt  von  seinem  Oheim  Bjelos,  dem 
Ban  von  Kroatien,  von  Boric,  dem  Ban  von  Bosnien,  und  von 
zahlreichen  ungarischen  Bischöfen,  bald  auch  von  den  Byzantinern. 
Kaiser  Manuel  erschien  persönlich  gegenüber  Titel  und  der  Theiß - 
mündung  und  ging  bei  Bäcs  auf  das  linke  Donauufer  hinüber. 
Der  Friede,  den  dort  König  Vladislav  von  Böhmen,  ein  Verbün- 
deter des  jungen  Stephan  III.,  vermittelte,  war  von  keiner  Dauer 
(1163),  da  der  Kaiser  auch  nachher  Stephan  IV.  nicht  zurückhielt, 
bis  dieser  Arpäde  in  Semlin  während  einer  Belagerung  durch  seine 
Gegner  starb,  worauf  die  Ungarn  die  Burg  eroberten.  Der  Kaiser 
kam  abermals  nach  Belgrad  und  ließ  Semlin  von  seinen  Truppen 
erstürmen  (1164).  Gleichzeitig  zog  der  Feldherr  Johannes  Dukas 
durch  Serbien  nach  Dalmatien  und  besetzte  nicht  nur  die  einst 
byzantinischen  Küstenstädte  Spalato  und  Trai^i,  sondern  auch  einen 
Teil  Kroatiens  von  Almissa  bis  Sebenico  und  Scardona,  im  ganzen 
57  befestigte  Plätze^).  In  Spalato,  dessen  Erzbistum  der  Kaiser 
durch  zahlreiche  Schenkungen  auszeichnete,  wurde  ein  byzanti- 
nischer Statthalter  als  „dux  Dalmatiae  et  Croatiae"  eingesetzt  ^). 
In  Zara  blieben,  wie  bisher,  die  Venezianer.  Auch  an  der  Küste 
Dioklitiens  wurden  die  alten  Grenzen  erneuert  •'),  die  Küstenstädte 
einem  ,,dux  Dalmatiae  et  Diocliae''  untergeordnet,  der  wohl  in 
Cattaro,  Antivari  oder  Skutari  seinen  Sitz  hatte  *),  und  die  letzten 
dioklitischen  Landesfürsten  auf  das  offene  Land  beschränkt.  Die 
Ungarn  ließen  sich  aber  nicht  einschüchtern.  Ihr  Comes  Dionysiu.s 
schlug  bei  Sirmium  den  dortigen  Dax  Michael  Gavräs  und  den 
Feldherrn  Michael  Vranas,  als  sie  nachts  in  einen  Hinterhalt  ge- 
rieten (1166).  Da  ließ  der  Kaiser  gegen  die  Ungarn  drei  Heere 
operieren,  eines  auf  dem  gewohnten  Wege  an  der  Donau,  das 
zweite  unter  Leon  Vatatzes  von  den  Donauraündungen  nach  Sieben 


1)  Kinnamos  V  cap.  17  (nach  Huber  1164,  nach  Kap-Herr  und 
Grot  1165). 

2)  Urk.  1171  — 1180  bei  Kukuljevic  und  Smiciklas.     Unterschrift 
Manuels:  Arch.  slaw.  Phil.  2.ö  (1903)  504. 

3)  Das  Ausmaß  der  byz.  Besitzungen  in  Dioklitien  um  1180  bei  König 
Stephan  cap.  7. 

4)  Dux  Dalmacie  et  Dioclie  kyr  Izanacius  in  einer  Urk.    von    Cattaro 
1166:  Smiciklas  2,  102. 


354  Drittes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

bürgen,  das  dritte  unter  Johannes  Dukas  durch  die  Einöden  der 
späteren  Moldau  zur  russisch  -  ungarischen  Grenze.  Doch  bald 
drangen  wieder  die  Ungarn  vor,  bei  Sirmium  und  bei  Spalato 
(11G7).  Eine  große  byzantinische  Armee  unter  Andronikos  Konto- 
stephauos,  in  welcher  sich  auch  das  serbische  Kontingent  befand  ^), 
erfocht  bei  Sirmium  einen  großen  Sieg  über  Comes  Dionysius.  Es 
scheint,  daß  damit  der  Krieg  infolge  der  Erschöpfung  beider  Par- 
teien ohne  regelrechten  Friedensschluß  beendigt  wurde  (1168). 

Desa  war  indessen  wieder  Großzupan  in  Serbien  geworden, 
immer  auf  Abfall  sinnend  ').  Nach  der  Beendigung  der  unga- 
rischen Kriege  ging  Manuel  persönlich  an  eine  strenge  Bestrafung 
des  unverläßlichen  Vasallen,  schlug  die  Serben  und  nahm  ihren 
Fürsten  gefangen  (praecipuo  eorum  principe  mancipato).  Wilhelm 
von  Tyrus,  welcher  mit  einer  Gesandtschaft  des  Königs  Araalrich 
von  Jerusalem  den  Kaiser  auf  der  Rückkehr  von  diesem  Feldzug 
in  der  Stadt  Butella  (Bitolia)  in  Makedonien  antraf  (1168),  nennt 
den  Namen  dieses  Serbenfürsten  nicht,  ebenso  nicht  den  seines 
Nachfolgers  '^).  Nach  Kovacevid  folgte  nach  Desa  ein  Bruder  des 
Nemanja,  der  Großzupan  Tihomir,  dessen  Name  auf  einer  Grab- 
inschrift in  der  Georgskirche  von  Budimlja  im  Limtal  zu  lesen 
ist  4). 

1)  Kinnamos  VI  cap.  7  (Hub er  1168,  andere  1167). 

2)  Nach  Niketas  p.  178  wollte  Kaiser  Manuel  schon  um  1167  den 
Desa  wieder  festnehmen. 

3)  Wilhelm  von  Tyrus  XX  cap.  4. 

4)  Grab  des  Zupan  Stephan  Prvoslav,  Sohn  des  Großzupans  Tihomir 
imd  Neflfen  des  Nemanja:  Kovacevic,  Glas  58  (1900)  54;  Stojanovic, 
Zapisi  1  S.  5  nro.  10;  Rovinskij,  Sbornik  russ.  86  (1909)  164. 


Fünftes  Kapitel. 

Der  Großzupan  Stephan  Nemanja  ^). 

Der  bedeutendste  unter  den  serbischen  Fürsten  des  12.  Jahr- 
hunderts war  der  Großzupan  Stephan  Nemanja,  der  spätere  Mönch 
Symeon  -).  Die  Vereinigung  der  serbischen  Länder  unter  der 
Herrschaft  seiner  FamiHe,  die  Abrundung  des  Territoriums  durch 
die  Eroberung  der  griechischen  Grenzgebiete  im  Osten  und  Süden 
und  die  Schaffung  einer  politischen  Stellung,  welche  bei  dem  un- 


1)  Quellen:  neben  einigen  lat.  und  den  ersten  altserb.  Urkunden  die 
Ijyz.  Zeitgenossen  Johannes  Kiunamos,  Niketas  Akominatos  aus 
Chonai,  Eustathios  von  Thessalonieh  und  Konstantin  Ma- 
nasses  (Reden);  die  lat.  Chronisten  des  dritten  Kreuzzuges;  die  altserb. 
Vitae  des  Nemanja  als  hl.  Symeon  von  seinen  Söhnen,  dem  König  Stephan 
und  dem  Erzbischof  Sava  (bei  Safari k,  Pam. ;  die  erstere  auch  in  der 
Ausgabe  von  Martynov  in  den  „Pamjatuiki"  der  russ.  Gesellsch.  der  Biblio- 
philen 1880).  Literatur:  Stojan  Novakovic,  Das  Territorium  der  Tätig- 
keit Nemanjas,  hist.-geogr.  Studie:  Godisnjica  1  (1877)  163—243.  Ivan 
Pavlovic,  Die  chronolog.  Notizen  des  hl.  Sava  über  Stephan  Nemanja: 
Glasnik  47  (1879)  276—303.  Konst.  Jirecek,  Toljen,  der  Sohn  des 
zachlumischen  Fürsten  Miroslav:  Glas  35  (1892)  1 — lö.  Ljuborair  Ko- 
vacevic,  Einige  Fragen  über  Stephan  Nemanja:  Glas  58  (1900)  1 — 108. 

2)  Der  Name  Nemanja,  bei  Griechen  und  Lateinern  dem  biblischen 
NitfA-üv  (Naamau)  gleichgestellt,  war  im  12.— 15.  Jahrhundert  im  adriatischeu 
Küstengebiete  nicht  selten,  in  Cattaro,  Ragusa  und  Zara,  auf  den  Inseln 
Brazza  und  Veglia,  unter  den  kroatischen  Adelsfamilien  des  Velebitgebirges 
(Belege  in  meinen  Rom.  Dalm.  3,  45).  In  anderen  slaw.  Ländern  nur  in 
Böhmen  in  den  davon  abgeleiteten  Ortsnamen  Nemanov  und  Nemanice  (je 
dreimal).  Nach  Miklosich  Stamm  neman,  verschieden  von  man  in 
Grdomau,  Vlkoman  usw.;  vgl.  avestisch  nemanh  Verehrung,  Anbetung,  bei 
J  u  8 1  i ,  Iranisches  Namenbuch  504. 


256  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

aufhaltsamen  Verfall  des  griechischen  Kaisertums  von  Konstanti- 
nopel die  Grundlage  der  späteren  Macht  Serbiens  wurde,  sind 
seine  Hauptverdienste.  Nach  Vollendung  des  Werkes  ging  er  ins 
Kloster  und  starb  auf  dem  Athos,  bald  als  Heiliger  verehrt.  Seine 
direkten  Nachkommen  herrschten  in  Serbien  bis  in  die  zweite 
Hälfte  des  14.  Jahrhunderts.  Sein  Name  schwebt  auf  der  Grenz- 
scheide der  Zeiten.  Unter  seinen  Nachfolgern  wird  er  oft  genannt, 
aber  immer  derart,  als  ob  vor  ihm  nichts  dagewesen  wäre;  in 
den  serbischen  Genealogien,  Urkunden  und  kirchlichen  Gedenk- 
büchern (Pomenik)  steht  an  der  Spitze  der  Regentenserie  stets 
Nemanja  allein.  Seine  Vorgänger  und  Vorfahren  sind  beim  Volke 
der  Vergessenheit  anheimgefallen.  Die  Quellen  verschweigen  sogar 
die  Namen  seiner  Eltern.  In  der  Stiftungsurkunde  des  Klosters 
Chilandar  sagt  er  selbst,  Gott  habe  den  Griechen  Kaiser,  den 
Ungarn  Könige  gegeben-,  „ebenso  hat  er  in  seiner  großen  und 
unermeßlichen  Gnade  und  Menschenliebe  unseren  Vorvätern  (pra- 
djed)  und  unseren  Großvätern  (djed)  das  Geschenk  verliehen,  dieses 
serbische  Land  zu  beherrschen ,  und  wie  Gott  den  Menschen  so 
vieles  zum  Besseren  eingerichtet  hat,  indem  er  ihren  Untergang 
nicht  wünschte,  setzte  er  zum  Großzupan  mich  ein,  der  ich  in  der 
heiligen  Taufe  Stephan  Nemanja  genannt  wurde  ^)".  Aus  dieser 
Stelle  sieht  man,  daß  Nemanjas  Vater  nicht  Großzupan  war,  wohl 
aber  seine  Vorfahren  in  älteren  Generationen.  Nach  den  Unter- 
suchungen von  Kovacevic  war  Nemanjas  Vater  Zavida,  eine  sonst 
unbekannte  Persönlichkeit  2).  Nemanjas  Brüder  waren,  wie  es 
scheint,  ziemlich  zahlreich;  es  gehörten  dazu  als  ältester  der  schon 
erwähnte  Großzupan  Tihomir  und  die  jüngeren  Sracimir  und 
Miroslav  ^). 


1)  Mon.  serb.  4. 

2)  Nemanjas  Bruder  Miroslav  war  uach  der  für  ihn  geschriebenen 
Evangelienhandsclirift  Sohn  des  Zavida.  In  den  spätnoittelalterlichen  Genea- 
logien erscheint  Zavida  irrtümlich  als  Bruder  des  Nemanja.  Sein  Name 
(zavida  Neid  von  zavidjeti  invidere)  kommt  im  11. — 12.  Jahrh.  auch  in  Dal- 
maiien  und  Rußland  vor. 

3)  Bei  Ansbert  ed.  cit.  22  sind  Nemanja,  Sracimir  und  Miroslav 
leibliche  Brüder  (germani).  Nemanjas  Enkel,  König  Stephan  Uros  I.,  nennt 
Miroslav  einen  Oheim  von  väterlicher  Seite  (stric)  seines  Vaters,  Stephan 
des  Erstgekrönten:  Urk.  um  1260,  Spomenik  3,  8. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  257 

Die  Jugend  Neraanjas  schildert  in  allgemeinen  Worten  sein 
Sohn,  der  spätere  König  Stephan  der  Erstgekrönte.  In  Serbien, 
Dioklitien,  Dalmatien  und  Travunien  brachen  große  Wirren  aus, 
in  welchen  der  Vater  Nemanjas  von  den  eigenen  Brüdern  seines 
Gebietes  beraubt  wurde.  Die  Namen  fehlen.  Er  flüchtete  sich 
in  sein  Geburtsland  Dioklitien  und  dort  wurde  ihm  Nemanja 
geboren,  im  Orte  Ribnica.  So  heißt  heute  noch  das  wasserreiche 
Flüßchen,  welches  durch  die  Stadt  Podgorica  in  Montenegro  strömt, 
5  Kilometer  südlich  von  den  Ruinen  des  römischen  Doclea;  als 
Ansiedlung  ist  Ribnica  wohl  mit  dem  späteren  Podgorica  identisch  ^). 
In  der  Kirche  des  Ortes  gab  es  nur  „lateinische  Priester",  und 
so  kam  es,  daß  Nemanja  „die  lateinische  Taufe"  erhielt.  Als  sein 
Vater  wieder  in  den  „Ort  des  Thrones"  zurückkehrte,  empfing 
Nemanja  die  Taufe  zum  zweiten  Male  nach  östlichem  Ritus, 
vom  Bischof  von  Ras  in  der  Kirche  der  heiligen  Apostel  Peter 
und  Paul.  Herangewachsen  erhielt  er  ein  nicht  geringes  Teil- 
fürstentum im  äußersten  Osten  des  serbischen  Gebietes,  in  den 
Landschaften  zwischen  Ras  und  Nis:  die  Täler  der  Toplica,  welche 
gegen  Nis  in  die  Morava  abfließt,  des  Ibar  (wohl  das  untere  Ibar- 
tal),  der  Rasina  (bei  Krusevac)  und  die  nicht  näher  bekannte 
Landschaft  Reky  („die  Flüsse")  2).  Als  Kaiser  Manuel  einmal 
nach  Nis  kam,  lud  er  den  jungen  Nemanja  zu  sich,  „bewunderte 
die    Weisheit     des    Jünglings^)"     und    verlieh    ihm    außer    einer 


1")  Der  Fluß  Ribnica  ist  auch  in  der  Uik.  von  Banjska  ed.  Jagic 
20  erwähnt  (von  riba  Fisch,  riban  fischreich).  Podgorica  wird  zuerst  in 
den  Not    Cat.  um  1330  genannt,  öfters  im  15.  Jahrhundert. 

2)  Novakovic,  Godisnjica  1  (1877)  177,  228  suchte  die  Landschaft 
Reky  bei  Aieiinac,  Milicevic,  Kraljevina  Srbija  348  im  Tal  der  Pust^ 
Reka,  südlich  von  der  Toplica. 

3)  Demnach  war  nach  König  Stephan  Kaiser  Manuel  (geb.  um  1123) 
damals  älter  als  der  ,, Jüngling"  (junosa)  Nemanja.  Unglaubwürdig  sind  die 
Angaben  in  der  Vita  vom  Erzbischof  Sava  cap.  12,  deren  Text  (erhalten  in 
einer  Abschrift  von  1619)  nach  der  Untersuchung  von  Ivan  Pavlovic  im 
Glasuik  47  (1879)  einerseits  gekürzt,  anderseits  stark  interpoliert  ist.  Da- 
nach wurde  Nemanja  87  Jahre  alt,  gab  1113/14.  Somit  wäre  er  10  Jahre 
älter  gewesen,  als  Kaiser  Manuel ,  bei  der  Zusammenkunft  mit  Friedrich  I, 
in  Nis  (1189)  gar  75  Jahre  alt,  viel  älter  als  der  68jäbrige  deutsche  Kaiser. 
Die  Historiker  der  Zeit  hätten   das   Greisenalter  des    unruhigen   und  unter- 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  17 


358  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

„kaiserlichen  Würde"  (einem  Hoftitel  eines  Protospathars  oder 
dgl.)  die  damals  byzantinische  Landschaft  Glnbocica  bei  der  jetzigen 
Stadt  Leskovac  als  erbliches  Gut  ^).  Mit  seiner  Frau  Anna  er- 
baute Nemanja  zwei  Klöster  im  oberen  Gebiet  der  TopHca,  in 
welchem  sich  offenbar  seine  Residenz  befand.  Das  Nonnenkloster 
der  Mutter  Gottes  am  linken  Ufer  der  Toplica  gegenüber  der 
Mündung  der  KosLlnica  (jetzt  Kosanica)  ist  jetzt  nur  mehr  eine 
von  Buschwerk  überwucherte  Ruine,  Das  Mönchskloster  des 
heiligen  Nikolaus  an  demselben  Ufer  gegenüber  der  Mündung  des 
Flusses  Banjska,  in  seinen  Trümmern  mit  eingestürzter  Kuppel 
noch  immer  ein  schöner  Bau  mit  zwei  Türmen,  wurde  im  13.  Jahr- 
hundert Sitz  des  Bischofs  von  Toplica.  Die  Ortschaft  hieß  später 
Bijele  Crkve,  die  „weißen  Kirchen";  auch  ihr  jetziger  Name  Kur- 
sumlija  stammt  vom  Bleidach  (kursum  türk.  Blei)  dieser  Kirchen  -) 
In  legendarischem  Ton  berichtet  weiter  die  Biographie,  wie  Ne- 
manjas Brüder  angeblich  wegen  dieser  eigenmächtig  errichteten 
Stiftungen  gegen  ihn  sehr  aufgebracht  waren  •^).  Der  älteste  der 
Brüder,  damals  Großzupan,  Heß  ihn  an  Händen  und  Füßen  fesseln 
und  in  einem  unterirdischen  Verlies,  einer  „steinernen  Höhle"  ein- 
kerkern. Doch  Gott  der  Allmächtige  hat  den  frommen  Nemanja 
aus  der  Gefangenschaft  befreit  und  ihn  auf  den  Thron  des  Vater- 
landes gesetzt. 

Daß  Nemanja  die  rechtmäßigen  Herrscher  Serbiens  gestürzt, 
seine  Rivalen  „mit  dem  Schwerte"  verfolgt  und  sich  selbst  auf  den 
Thron  der  Großzupane  gesetzt  habe,  bestätigt  auch  Niketas  Ako- 


nehmungslustigen  Großzupans  und  seiner  Brüder  gewiß  mit  Bewunderung 
hervorgehoben.  Übrigens  gingen  die  Brüder  erst  damals  daran,  ihre  Söhne 
zu  verheiraten,  Miroslav  1189,  Nemanja  1190.  Nur  auf  Grund  dieser  Alters- 
angaben haben  Golubinskij,  Vasi  Ijevskij ,  Grot  u.  a.  den  Nemanja 
mit  Desa  identifiziert. 

1)  Novakovic  a  a.  0.  183 f.  Dilbocica  der  alte  Name  von  Leskovac: 
Hahn,  Reise  von  Belgrad  nach  Salonik  ^59;  Milicevic,  Kraljevina  Srbija 
112  (altserb.  glbbok,  neuserb.  dubok  tief). 

2)  Biellezerque  der  Ragusaner  1422,  1427,  Basilica  alba  bei  Petantius 
(um  1500),  Bellacherqua  oder  Coursoumne  bei  Brown  (1669).  Klosterruinen: 
Milicevic,  Kraljevina  357,  380. 

3)  Es  waren  leibliche  Brüder  (jednorozdeni):  König  Stephan  cap.  4. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  350 

rainatos  ^).  Die  Stellung  der  Byzantiner  zu  dieser  Umwälzung 
(um  1170)  ist  bei  der  lückenhaften  historischen  Überlieferung  nicht 
bekannt.  Den  Hintergrund  der  folgenden  Ereignisse  bildet  der 
Krieg  zwischen  Kaiser  Manuel  und  Venedig,  dessen  Ursachen 
wenig  bekannt  sind.  An  einem  Tage  wurden  auf  Befehl  des 
Kaisers  alle  Venezianer  im  ganzen  Reiche  gefangen  gesetzt  und 
ihre  Schiffe  und  Warenlager  mit  Beschlag  belegt  (März  il71). 
Die  Republik  ließ  sich  aber  nicht  einschüchtern.  Der  Doge  Vitale 
Michieli  segelte  mit  einer  gewaltigen  Flotte  von  120  Schiffen  nach 
Griechenland  (September  1171).  Im  byzantinischen  Dalmatien 
wurde  unterwegs  Ragusa  zur  Unterwerfung  gezwungen,  nach  Ab- 
schluß eines  Vertrages,  welcher  das  Vorbild  der  Verhältnisse  nach 
1205  wurde  -).  Damit  waren  die  V^erbindungen  der  Venezianer 
mit  den  Serben,  den  Nachbarn  von  Ragusa,  erleichtert,  schon 
früher  eingeleitet  durch  die  Heirat  eines  Sohnes  des  Dogen  mit 
einer  Tochter  des  Großzupans  Desa  (S.  251)  Nach  Kinnamos 
haben  die  Venezianer  damals  die  Serben  zum  Abfall  aufgefordert  ^). 
Nemanja  setzte  sich  auch  mit  den  Ungarn  und  den  Deutschen  ins 
Einvernehmen  *)  und  ergriff  die  Offensive.  Er  bedrängte  „Chor- 
vatia'",  nämlich  die  von  Manuel  errichtete  byzantinische  Provinz 
von  „Dalmatia  et  Croatia"  mit  der  Hauptstadt  Spalato,  wahr- 
scheinlich an  ihrer  Ostgrenze  bei  Almissa,  und  bedrohte,  vielleicht 
mit  Hufe  der  Venezianer,  die  Stadt  Cattaro  ^).  Zugleich  beun- 
ruhigten die  Serben  die  Straße  von  Belgrad  nach  Nis.  Eine 
Episode  dieser  Kämpfe  schildern  die  Nachrichten  über  die  Pilger- 
fahrt Heinrichs  des  Löwen  in    das  Heilige  Land    bei  Arnold   von 


1)  Niketas  p.  206—207. 

2)  Historia  ducum:  Mon.  Germ.,  Scr.  14,  79. 

3)  Kinnamos  VI,  cap.  11. 

4)  Nemanja  Verbündeter  ^A).ccfj.civMv  xal  'levrövuv,  des  ccQ/rjyög  Tevrö- 
rwv:  Konst.  Manasses  (1173),  Viz.  Vrem.  12  (1906)  89,  91.  Kaiser  Manuel 
hat  nach  seinem  Siege  den  Nemanja  von  fremden  Bündnissen  abgewendet, 
mit  T(fj  Twv  'Ak((ucivCöv  orjyi  und  den  Oüvvoi  (Ungarn,  vor  Bela  III.) :  Ni- 
ketas p.  207. 

5)  Bei  Niketas  p.  206  XoQßaria  und  die  Stadt  cGii'  KaTTccgcof  (Var. 
JixcufQoiv,  lat.  Decatera,  vgl.  oben  S.  96).  XoQßiaag  und  AfxcuÖQcov  hat 
auch  die  Chronik  bei  Sathas,  Bibl.  graec.  7,  272,  nach  Heisenberg 
verfaßt  von  Theodoros  Skutariotes  im  13.  Jahrhundert. 

17* 


260  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

Lübeck.  In  Branicevo  betrat  der  sächsische  Herzog  mit  seinem 
glänzenden  Gefolge  den  Boden  des  byzantinischen  Reiches,  von 
den  Griechen  auf  Befehl  des  Kaisers  freundlich  aufgenommen. 
Als  er  (Ende  März  1172)  in  der  Mitte  des  „Bulgarenwaldes"  bei 
der  Stadt  Ravno  (Rabnel,  Ravenelle  der  Kreuzfahrer)  an  der 
Mündung  der  Ravanica  in  die  Morava ,  dem  jetzigen  Cuprija  ^ ) 
eintraf,  wollten  die  Einwohner,  obwohl  Untertanen  des  griechischen 
Kaisers,  den  Herzog  trotz  der  Ermahnungen  seiner  byzantinischen 
Begleiter  nicht  in  ihre  Mauern  aufnehmen  und  ihm  nicht  einmal 
Wegweiser  geben.  Die  Serben,  die  Arnold  bei  dieser  Gelegenheit 
in  den  schwärzesten  Farben  schildert,  sahen  in  der  großen  Schar 
der  Deutschen  nur  Verbündete  und  Freunde  der  Griechen  ''^). 
Herzog  Heinrich  schlug  sein  Lager  in  der  Nähe  auf,  in  einem 
langen  Tal  an  einem  klaren  Bach  zwischen  dichtem  Buschwald. 
Für  die  Nacht  wurden  große  Feuer  angezündet  und  zahlreiche 
Wachen  aufgestellt.  Plötzlich  um  Mitternacht  eröffneten  die  Serben 
den  Angriff  in  vier  Scharen  unter  großem  Geschrei,  mit  vergifteten 
Pfeilen,  wurden  aber  von  den  an  1200  Mann  starken  Kreuz- 
fahrern zurückgeschlagen  und  sogar  ihr  Anführer  (dux)  von  einem 
Armbrustschützen  getötet.  Als  am  folgenden  Morgen  die  Sonno 
aus  dem  dichten  Nebel  emporstieg,  sah  man  beim  Weitermarsch 
den  ganzen  Tag  die  Serben  in  der  Ferne  auf  der  Lauer  liegen, 
gelangte  aber  ungefährdet  bis  Nis,  wo  der  Herzog  von  den  Byzan- 
tinern wieder  feierlich  begrüßt  wurde.  Indessen  zog  ein  griechi- 
sches Heer  unter  Theodoros  Padiates  gegen  Ras  ^).  Nach  serbischen 
Berichten  bestand  es  aus  Griechen,  Franken,  Türken  und  anderen 
Völkern,  begleitet  von  serbischen  Emigranten,  den  Gegnern  Neman- 
jas.    Im  Dorfe  Pantino  südlich  von  der  Burg  Zvecan   betrat  der 

1)  Vgl.  meine  Heerstraße  86.  In  den  serb  Texten  sowohl  Subst. 
neutr.  Ravno,  als  Adj.  nnasc.  Ravan  (Glasnik  5,  101)  und  Ravnyj  (ravan: 
eben,  flach);  vgl.  Daniele,  Rjecnik. 

2)  „Cuius  (urbis)  habitatores  Servi  dicuntur,  filii  Belial,  sine  iugo  Dei, 
illecebris  carnis  et  gule  dediti  et  secundum  nomen  suum  immundiciis  Om- 
nibus servientes  et  iuxta  locorum  qualitatem  bellualiter  vivendo,  bestiis 
etiam  agrestiores."  Arnold  von  Lübeck  I,  3  ed.  Pertz  (Hannover 
1868)  p.  16. 

3)  Niketas  p.  207  verschweigt  das  Resultat  der  Expedition ,  die  wohl 
mit  dem  Zug  bei  König  Stephan  cap.  5  identisch  ist. 


Der  Großzupau  Stephan  Nemanja.  261 

Feind  den  Boden  Serbiens,  wurde  aber  von  Nemanja  vollständig 
geschlagen.  Einer  der  feindlichen  Brüder  des  Großzupans  ertrank 
dabei  in  der  Sitnica. 

Bald  kamen  nach  Serbien  ungünstige  Nachrichten  über  die 
Venezianer.  Als  sie  auf  Chios  überwinterten,  brach  eine  furcht- 
bare Seuche  im  Lager  aus;  traurig  kehrte  der  Doge  mit  den 
Resten  der  Mannschaft  nach  Venedig  zurück  und  wurde  bei 
einem  Aufruhr  ermordet  (Mai  1172).  Auch  in  Ungarn  hat  sich 
die  Lage  durch  den  Tod  Stephans  IIL  geändert  (4.  März  1172). 
Kaiser  Manuel  zog  nach  Serdica,  wo  eine  ungarische  Gesandt- 
schaft den  byzantinischen  Schützling  Bela,  der  indessen  in  Kon- 
ötantinopel  die  damals  dritthöchste  Würde  eines  Kaisar  erlangt 
hatte,  zum  König  verlangte.  Für  die  Politik  Manuels  in  Ungarn 
war  das  ein  glücklicher  Abschluß.  Bela  III.  mußte  dem  Kaiser 
einen  Eid  ablegen,  sein  Leben  lang  stets  nur  das  zu  tun,  was  dem 
Kaiser  und  dem  oströmischen  Reiche  nützlich  sein  wird,  und 
kehrte  nach  eltjähriger  Abwesenheit  in  sein  Vaterland  zurück, 
doch  bei  dem  Widerstand  einer  Gegenpartei  wurde  diu  Krönung 
erst  im  folgenden  Jahre  (l'd.  Jänner  117ü>)  vollzogen  ').  Nun 
wendete  sich  Manuel  gegen  die  wider  Erwarten  isolierten  Serben  -). 
Ohne  die  Ankunft  des  ganzen  Heeres  abzuwarten,  brach  er  mit 
wenigen  Tausenden  durch  die  Engpässe  in  das  Land  des  Groß- 
zupans ein.  Nemanja,  in  die  Berge  zurückgedrängt,  entschloß  sich 
zur  Unterwerfung,  damit,  wie  Niketas  sagt,  „die  Gewalt  nicht 
denjenigen  übertragen  werde,  welche  mehr  Recht  auf  die  Herr- 
schaft hatten  als  er,  und  welche  er  selbst  gestürzt  hatte,  als  er 
zur  Regierung  erhoben  wurde' ^  Nach  Niketas  legte  er  seinen 
Kopf  zu  des  Kaisers  Füßen,  in  seiner  ganzen  Länge  vor  ihm  auf 
dem  Boden  hingestreckt.  Nach  Kinnamos  erschien  er  vor  dem 
Richterstuhl  des  Kaisers  barhaupt  und  barfuß,  mit  einem  Strick 
um  den  Hals  und  dem  Schwert  in  der  Hand,  das  er  dem  Kaiser 


1)  Zur  Chronologie  Huber  a.  a.  0.  1,  3G7f. 

2)  Kinnamos  VI,  cap.  11  (ohne  Namen  des  Archizupanos)  vor  der 
Belagerung  von  Aukona  1173  durch  die  „Alamannen"  und  Venezianer. 
Niketas  p.  207.  Bei  König  Stephan  wird  jeder  Mißerfolg  des  Nemanja 
verschwiegen.  Arnold  von  Lübeck  erwähnt  bei  der  Rückkehr  Heinrichs 
des  Löwen  (Winter  1172/73)  keine  Schwierigkeiten  mehr  auf  dem  Landweg. 


362  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

übergab;  es  war  ganz  derselbe  klägliche  Aufzug,  in  welchem  der 
Regent  des  Fürstentums  von  Antiochia,  der  Ritter  Rainald  von 
Chätillon,  bittend  in  Manuels  Lager  erschienen  war  (1158).  Ne- 
manja  wurde  ebenso  wie  Rainald  in  Gnaden  aufgenommen,  der 
Kaiser  nahm  ihn  aber  nach  Konstantinopel  mit  (1172).  Diesen 
Besuch  des  Nemanja  schildern  zwei  byzantinische  Reden,  des  ge- 
lehrten Eustathios  und  des  Konstantin  Manasses,  des  Verfassers 
einer  byzantinischen  Chronik  in  Versen.  Eustathios  feiert  die 
Tapferkeit  Manuels,  „durch  welche  dieses  große  Volk  und  jener 
berühmte  Häuptling  so  sehr  gedemütigt"  worden  sei.  Neeman, 
sagt  Eustathios,  „zog  vor  kurzem  mein  Auge  mit  Staunen  auf 
sich,  ein  Mann  nicht  bloß  von  dem  Ellenmaß,  welches  die  Natur 
den  Männern  verleiht,  sondern  hoch  gewachsen  und  stattlich  von 
Ansehen".  Nachdem  er  sich  früher  verborgen  hatte,  kommt  er 
nun  zum  Kaiser,  „wie  einer  vom  Dunkel  der  Sonne  entgegen- 
läuft", und  „naht  jetzt  der  Kaiserin  der  Städte,  voll  Freude,  daß 
er  des  ersehnten  kaiserlichen  Anblickes  teilhaftig  wird".  Im  Kaiser- 
palast mustert  er  die  Fresken,  welche  die  Großtaten  des  Kaisers 
feiern,  besonders  diejenigen,  welche  sich  auf  ihn  beziehen  und 
mit  dem  Namen  des  Neeman  bezeichnet  sind  ^).  Die  gewaltige 
Körpergeslalt  des  Nemanja  erwähnt  auch  Manasses:  der  abgefallene 
Barbar,  ein  hochschulteriger  und  stattlicher  Mann,  zierte  den 
Triumphzug  des  Kaisers  nach  den  Erfolgen  in  Ungarn  und 
Serbien,  von  dem  Konstantinopler  Volk  mit  Schimpf  und  Spott 
begrüßt  -). 

Nemanja  war  nicht  der  alleinige  Fürst  der  Serben.  Eigene 
Teilfürstentümer  besaßen  zwei  seiner  Brüder,  welche,  wie  es  scheint, 
sich  bald  mit  ihm  versöhnt  hatten  und  seine  Freunde  blieben,  mit 
dem  Titel  eines  Knezen  (comes),  welcher  den  Würden  des  eroberten 
Küstengebietes   entlehnt   war  ").     Sracimir,    der  in  den  Urkunden 


1)  Deutsche  Übers,  bei  Tafel,  Komneneu  und  Normannen  (Ulm 
1852)  221  f. 

2)  Herausg.  von  E.  Kurtz:  Viz.  Vrem.  12  (1906)  69f. 

3)  In  dem  Evangelistar  heißt  Miroslav  ,,velikoslavni  knez"  (der  groß- 
berühmte Fürst) ,  in  einer  Urk.  des  Königs  Stephan  üros  I.  um  1260 
„veliki  knez"  (der  große  Fürst),  in  seinen  eigenen  Urkunden  in  der  Unter- 
schrift stets  nur  einfach  ,,knez". 


Der  Großzupau  Stephan  Nemauja.  ätiS 

au  erster  Stelle  nach  Nemanja  genannt  wird,  gilt  als  der  Gründer 
des  Muttergottesklosters  in  Gradac  (jetzt  Cacak)  an  der  westlichen 
Morava  ^).  Miroslav  erhielt  Zachlumien  und  heiratete  eine  Schwester 
des  bosnischen  Baus  Kuhn,  welche  nach  der  Behauptung  ihres 
Neffen  Vlkan  eine  Anhängerin  der  Patarener  war  -).  Im  Limtal, 
wohl  in  seiner  ursprünglichen  Heimat,  stiftete  er  ein  Kloster  des 
heiligen  Petrus,  reich  ausgestattet  mit  Gütern  sowohl  am  Lim  uüd 
an  der  Tara,  als  in  Zachlumien  an  der  Narentamündung,  in  der 
Umgebung  von  Stagno  und  im  Küsteulande  zwischen  dieser  Burg 
und  Ragusa  ^). 

Serbische  Truppen  befanden  sich  neben  einer  ungarischen 
Schar  im  Heere,  mit  welchem  Manuel  (1176)  gegen  Kylydsch- 
Arslan  H.  zog,  als  dieser  die  byzantinische  Hoheit  von  sich  ab- 
gewälzt und  die  Türken  Kleinasiens  unter  seiner  Herrschaft  ver- 
einigt hatte.  Der  Feldzug  führte  zu  der  großen  Niederlage  bei 
der  Burgruine  Myriokephalou ;  der  Kaiser  selbst  wurde  im  Schlacht- 
getümmel verwundet  und  entkam  nur  mit  Not.  Diese  Katastrophe 
hat  Manuel  nicht  lange  überlebt.  Nach  seinem  Tode  (September 
1180)  folgte  ein  Chaos.  Unter  den  zahlreichen  Mitgliedern  der 
Familie  der  Komneuen  brachen  Rivalitäten  aus,  um  die  Regent- 
schaft für  den  kleinen  Sohn  Manuels,  Kaiser  Alexios  IL  Zuletzt 
usuipierte  die  Gewalt  (Frühjahr  1182)  der  schon  erwähnte  Vetter 
Manuels,  Andronikos  Komnenos,  der  bisher  ein  merkwürdiges 
Abenteurerleben  geführt  hatte:  bald  Statthalter  in  den  Grenz- 
provinzen, bald  Gefangener  in  Konstantinopel,  bald  Flüchthng  in 
Rußland,  in  den  Kreuzfahrerstaaten,  am  mohammedanischen  Hofe 
von  Damaskus,  in  den  Bergen  von  Armenien  und  Georgien.  Als 
Regent  und  (seit  September  1183)  als  Mitkaiser  verfolgte  er  die 
alte  Regierungsgesellschaft,  ein  System,  dem  auch  der  junge 
Alexios  IL  in  geheimnisvoller  Weise  zum  Opfer  fiel.  Die  Folge 
davon  war  eine  starke  Emigration  der  vornehmen  Byzantiner  in 
alle  Länder  von  Sizilien  bis  Nowgorod  *), 


1)  Smiciklas,  Cod.  dipl.  2,  201,  238.     Glasnik  53  (1883)  45. 

2)  Theiner,  Mou.  Slav.  1,  6  nro.  10  (1199). 

3)  Spomenik  3,  8 — 11. 

4)  N.    ßadojcic,    Die    letzten  zwei  Komnenen  auf  dem   Thron   von 
Konstantinopel,  serbokroat.,  Agram  1907.     Vgl.  Byz.  Z.  17  (1908)  182. 


364  Drittes  Bucb.     Fünftes  Kapitel. 

Die  von  Kaiser  Manuel  jahrelang  energisch  beanspruchte 
Hoheit  über  die  Nachbarländer  war  mit  der  Nachricht  von  seinem 
Tode  zu  Ende.  Nemanja  konnte  ungehindert  an  die  Offensive 
denken  und  fand  einen  Bundesgenossen  an  Manuels  ehemaligem 
Zögling  Bela  III.  Noch  im  folgenden  Winter  besetzte  der  unga- 
rische König  nicht  nur  das  byzantinische  Norddalmatien  samt 
den  Inseln  vor  Spalato,  sondern  auch  das  venezianische  Zara.  In 
der  Nachbarschaft  von  Spalato  waren  wenige  Wochen  vor  Manuels 
Tod  arge  Fehden  ausgebrochen.  Der  Erzbischof  Raynerius,  ein 
Italiener  aus  Toskana,  welcher  nicht  lange  zuvor  als  Gesandter 
der  Spalatiner  in  Konstantinopel  vom  Kaiser  freundlich  empfangen 
und  beschenkt  worden  war,  begab  sich  wegen  einer  Frage  über 
die  Besitzungen  seiner  Kirche  an  die  Küste  zwischen  Spalato  und 
Almissa.  Die  Kacici  erklärten  sein  Erscheinen  als  einen  Eingriff 
in  das  Erbgut  ihres  Adelsgeschlechtes.  Nach  einer  heftigen  Aus- 
einandersetzung wurde  der  Erzbischof  durch  Steinwürfe  getötet 
(August  1180).  Die  Stelle  der  Untat  bezeichnet  heute  noch  eine 
Kapelle,  Sveti  Arner  genannt  ^).  Die  Feinde  des  Erzbistums  fanden 
Schutz  bei  Nemaujas  Bruder  Miroslav.  Der  Herr  von  Zachlumien 
wurde  beschuldigt,  er  habe  Gelder,  die  dem  ermordeten  Eizbischof 
gehörten,  bei  sich  zurückgehalten  und  lasse  in  seinem  Gebiet  keine 
kirchlichen  Verfügungen  zu  -).  Dem  päpstlichen  Legaten  Sub- 
diakon  Thebaldus  verweigerte  er  den  Eintritt  in  sein  Gebiet  und 
wurde  von  ihm  in  den  Kirchenbann  getan.  Papst  Alexander  III 
forderte  (1181)  Bela  III.  auf,  er  möge  den  Miroslav  zum  Schaden- 
ersatz und  Gehorsam  zwingen  -'j,  und  ließ  ein  strenges  Geheim- 
breve  „Miroslave  comiti  Zacholmitano"  schreiben  ^).  Es  ist  aber 
nie  abgesendet  worden;  das  Original  liegt  heute  noch  im  Vatika- 
nischen Archiv.  Das  Ende  des  Konfliktes  ist  nicht  bekannt,  da 
Alexander  III.  bereits  nach  wenigen  Wochen  gestorben  ist. 


1)  Thomas  Arch.  cap.  21.     Abbilduug:  Wiss.  Mitt.  10   (1907)    1%. 

2)  Der  Sprengel  des  Erzbiscbofs  von  Spalato  reichte  1185  bis  zur  Bucht 
von  Vrulja  im  alten  Gebiet  der  Narentaner  und  umfaßte  im  Binnenland  auch 
Livno:  Smiciklas,  Cod.  dipl.  2,  193,  251. 

3)  Viterbo,  G.  Juli  1181.     Smiciklas  2,  175. 

4)  Viterbo,  7.  Juli  1181.  Bei  Pflugk-Har tt ung,  Acta  poutif. 
iuedita  2,  377  genauer  als  bei  Theiuer,  Mou.  Slav.  1,  1. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  265 

Bald  begann  der  Angriff  auf  das  byzantinische  Gebiet  auch 
im  Moravatale  und  im  südlichen  Dalraatieu  und  Dioklitien.  Auf 
die  Nachricht  von  der  Einkerkerung  der  ^Yitwe  Manuels,  seiner 
Schwägerin,  durch  den  Usurpator  Andronikos  griff  König  Bela 
(1182)  die  Grenzfestungen  Belgrad  und  Branicevo  an.  Nach  der 
Ermordung  der  Kaiserin  wurde  der  Krieg  im  Bunde  mit  Nemanja 
weitergeführt  (1183).  Die  byzantinische  Greuzarmee  stand  unter 
dem  Befehl  von  zwei  bewährten  Feldherren  der  Zeit  Manuels, 
Alexios  Vranäs  und  Andronikos  Lampardäs.  Die  Nachricht  von 
der  Krönung  des  Andronikos  Komnenos  zum  Mitregenten  ent- 
zweite sie  und  bewog  sie,  vor  den  Ungarn  und  Serben  bis  zum 
Trajanstor  zurückzuweichen.  Belgrad,  Branicevo,  Ravno,  Nis  und 
Serdica  wurden  von  den  Verbündeten  verwüstet  und  ihre  Mauern 
teilweise  zerstört.  Die  Kreuzfahrer  des  dritten  Zuges  fanden  sechs 
Jahre  später  diese  Städte  fast  leer,  meist  in  Ruinen.  Aus  Serdica 
ließ  König  Bela  die  Reliquien  des  heiligen  Johannes  von  Rila 
nach  Grau  wegführen ;  erst  nach  einigen  Jahren  v/urden  sie  unter 
Kaiser  Isaak  aus  Ungarn  zurückgebracht  ^).  Nemanja  wendete 
sich  dann  gegen  die  Seestädte  der  komnenischen  Provinz  von 
„Dalmatien  und  Dioklien'^  Er  besetzte  die  einst  schon  im 
11.  Jahrhundert  von  den  Fürsten  Dioklitiens  beherrschte  Stadt 
Skutari  mit  ihrer  Burg,  welche  man  damals  infolge  einer  merk- 
würdigen, durch  die  St.  Sergiuslegende  vermittelten  Übertragung 
mit  dem  Namen  einer  syrischen  Stadt  als  Rosaf  bezeichnete  -).  In 
der  Umgebung  eroberte  er  die  vier  Bischofsitze  Sarda  '■'),  Dagno, 
Drivasto  und  Svac  und  die  drei  großen  Hafenstädte  Dulcigno, 
Antivari  und  Cattaro.  Einen  Einblick  in  das  Detail  gewährt  ein 
leider   undatierter  Brief  des  Erzbischofs  Gregor   von  Antivari   an 


1)  Niketas  359f. ;  Annales  Zwettl.  zu  1182  und  1183  (vgl.  Huber 
a.  a.  0.  1,  372);  Ansbert  ed.  cit.  19 f.;  König  Stephan  cap.  7;  Vita  des 
hl.  Johannes  von  Rila:  Werke  des  Patriarchen  von  Bulgarien  Euthymius 
herausg.   von  Kaluzuiacki    (Wien  1901)  21  f. 

2)  Rosaf  des  Königs  Stephan  cap.  7  und  Rosapha  (Sergiopolis)  in 
Syrien  nördlich  von  Palmyra  in  der  Vita  der  hl.  Sergius  und  Bacchus: 
Ilarion  Ruvarac,  Glasnik  49  (1881)  39  und  mein  Christ.  Elem.  49 f. 

3)  „Sardonikij  (sie)  grad"  bei  König  Stephan  ist  wohl  zu  lesen  als 
Adjektiv:  Sardonskij  (lat.  Sardanensis). 


ä6€  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

den  Domherrn  Gualterius  von  Spalato,  geschrieben  während  einer 
großen  Bedrängnis  der  Stadt  von  Seite  des  Großzupans  (a  magno 
jupano).  Im  verflossenen  Jahre  habe  er  die  Stadt  gezwungen,  ihm 
800  Perper  zu  versprechen,  und  weil  die  Antivarenser  wegen 
Verwüstung  ihrer  Ländereien  nicht  zahlen  können,  wüte  und  drohe 
er  von  neuem.  Von  Knez  Michael,  dem  letzten  der  kleinen  Fürsten 
Dioklitiens,  sei  nicht  viel  Hilfe  zu  erwarten,  weil  er  „von  seineu 
Oheimen  bedrängt  wird"  (ab  avunculis  molestatus),  worunter  Ne- 
manja  und  dessen  Brüder  zu  verstehen  sind  ^).  Auf  die  Dauer 
konnte  sich  die  Stadt  nicht  halten,  weil  sie  abseits  vom  Meere 
liegt  und  leicht  ganz  eingeschlossen  werden  kann.  Am  20.  August 
1189  kam  die  Comitissa  Desislava,  Frau  dieses  Comes  Michael, 
begleitet  von  dem  Erzbischof  Gregor  von  Antivari,  den  Zupanen 
Crneha  und  Crepun,  dem  Kazuac  Grdomil  und  anderen  Edelleuten 
wahrscheinlich  auf  der  Flucht  nach  Ragusa  und  übergab  der  Ge- 
meinde zwei  Schiffe  -).  Sicher  ist  es,  daß  der  Erzbischof  Gregor 
nicht  mehr  nach  Antivari  heimgekehrt,  sondern  in  Zara  geblieben 
ist  ^).  Ebenso  sicher  ist  es,  daß  es  seit  Nemanjas  Zeit  keine  dio- 
klitischen  Fürsten  aus  dem  alten  Hause  mehr  gab  und  daß  in  den 
Titeln  der  Nachfolger  des  Nemanja  die  Entstehung  ihres  Reiches 
aus  zwei  Teilen,  aus  dem  serbischen  (rassischen)  und  dem  Küsten- 
gebiet stets  hervorgehoben  wird.  Auch  Cattaro  konnte  nicht  lange 
widerstehen.  Im  September  1181  wird  in  einer  Urkunde  kein 
Oberherr  erwähnt,  auch  nicht  der  byzantinische  Kaiser,  sondei'n 
nur  der  einheimische  Comes  Triphon  als  „dominator  Catari''  ^).  Im 
Jänner  1186  ist  ein  Beschluß  der  Gemeinde  von  Cattaro  bereits 
datiert  unter  der  Regierung  des  Großzupans  Nemanja:  „tempore 
domini  nostri  Nemanne,  magni  jupani  Rasse  •^)**.  Die  kirchlichen 
Verhältnisse  bheben  durch   die   politische  Veränderung   unberührt. 


1)  Kukuljevic,  Cod.  dipl.  2,  115  (bei  Smiciklas  2,  170  ist  gerade 
ein  Teil  der  Stelle  über  „Knesius  Michahel"  ausgefallen). 

2)  „Ego  comitissa  Desislauj  (sie),  magni  comitis  Mich(aelis)  uior." 
Herausgegeben  von  A.  Vucetic:  Srgj  5  (1906)  54—55;  vgl.  Arch.  slaw. 
Phil.  2Ü  (1904)  167. 

3)  Smiciklas  2,  270,  282  (1194—1196). 

4)  Smiciklas  2,  179. 

5)  Rad  1  (1867)  127;  Smiciklas  2,  198. 


Der  Großzupau  Stephan  Nemanja.  2(57 

Der  Erzbischof  von  Bari  schenkte  eben  damals  (1187)  dem  Bischof 
von  Cattaro  zwei  Häuser,  damit  er  auf  Besuchen  bei  seinem  kirch- 
heben  Oberhaupt  in  ApuUen  darin  wohnen  könnte,  und  vermittelte 
den  Cattarensern  bei  der  Kaiserin  Konstanze  (1195)  Befreiung 
von  Anker-  und  Platzgebühren  für  ihre  nach  Bari  kommenden 
Schiffe  1). 

Ragusa  zu  unterwerfen  ist  den  Serben  nie  gelungen,  infolge 
der  für  mittelalterliche  Kriegskunst  vortrefflichen  Lage  der  Stadt, 
welche,  am  offenen  Meere  gelegen,  gegen  die  Landseite  durch  den 
gewaltigen  Berg  des  heiligen  Sergius  gedeckt  wird.  Einige  Nach- 
richten über  die  damaligen  Ereignisse  sind  in  den  im  15. — 18. 
Jahrhundert  aus  älteren  Notizen  und  Urkunden  redigierten  Chro- 
niken der  Stadt  erhalten  -).  Der  Bruder  des  Nemanja  Sracimir  ') 
soll  (1184)  einen  Feldzug  gegen  die  Lisel  Curzola  unternommen 
haben.  Die  Insulaner  vei-brannten  seine  Schiffe,  schlössen  ihn  ein 
und  zwangen  ihn  zu  einem  Frieden,  in  welchem  Sracimir  mit 
seinen  Brüdern  Nemanja  und  Miroslav  ver.sprechen  mußte,  daß 
Curzola  aller  Verpflichtungen  gegen  die  Herren  von  Chelmo  für 
immer  ledig  sei  ').  Nemanja  rüstete  dann  gegen  Ragusa  nicht  nur 
ein  Landheer,  sondern  auch  eine  Flotte,  doch  auf  dem  Meere 
hatten  die  Serben  kein  Glück.  Nemanjas  Bruder  Miroslav  wurde 
mit  13  Schiffen  und  Booten  am  18.  August  1184  bei  dem  Dörf- 
chen Poljice,  an  der  Küste  zwischen  Orasac  (Valdinoce)  und  Malti 
gegenüber  der  Insel  Calamotta,  von  der  11  Schiffe  starken  Flotte 
der  Ragusaner  vollständig  geschlagen  und  verlor  alle  seine  Fahr- 
zeuge ■'■).     Im  Sommer  1185    erschien  Miroslav    vor   der  Stadt   an 


1)  Cod.  dipl.  Bar.  1,  115,  128. 

2)  Besser  in  der  um  1G50  verfaßten  Chronüc  desGoudola  (unediert\ 
als  bei  Ragnina,  Orbini,  Luccari  und  Resti. 

3")  Gondola  hat  Strasciiniro,  Orbiui  Costanthio. 

4)  Gondola  nennt  neben  Curzola  auch  das  ferne  Lissa;  gemeint  ist 
wohl  das  nähere  Lasta  (jetzt  Lagosta).  Die  Inseln  Curzola,  Lagosta,  Lissa, 
Brazza  gehörten  1185  zum  Bistum  von  Lesina  (episcopus  Pharensis) :  Smi- 
ciklas  2,  193. 

5)  „Appresso  Poglize"  Gondola  Ms.  Andere  Ragusaner  verlegen  das 
Schlachtfeld  in  das  ferne  Albanien:  Ragnina  218  an  das  Vorgebirge  Pali 
bei  Durazzo,  Orbini  192,  247  und  Luccari  ^26  nach  „Porto  de'  Rausei 
iii  Albania"  'Jetzt  Porto  Raguseo  südlich  von  Yalona). 


268  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

der  Spitze  eines  großen  Heeres  mit  Belagerungsmaschinen  zum 
Werfen  von  Steinen  und  Hölzern  und  begann  am  1.  Juli  den 
Angriff.  Am  siebenten  Tage,  einem  Sonntag  ^),  als  das  Volk  in 
der  Kirche  der  Märtyrer  Petrus,  Andreas  und  Laurentius '-)  betete, 
verbi'annte  er  seine  Maschinen  und  zog  wieder  ab,  wahrscheinlich 
infolge  der  Nachrichten  über  die  Verbindungen  der  Ragusaner  mit 
den  Normannen.  Ragusa,  ohne  Schutz  von  Byzanz,  unterwarf  sich 
für  eine  Reihe  von  Jahren  dem  Königreich  von  Sizilien  (1185  bis 
1192),  leistete  den  sizilischen  Königen  Wilhelm  H.  und  Tankred 
den  Treueid,  behielt  aber  die  einheimischen  Obrigkeiten.  In  diesen 
Jahren  (1186 — 1191)  war  Comes  der  aus  den  Urkunden  dieser 
Zeit  wohlbekannte  Gervasius  (slaw.  Krvas),  Vorfahr  des  Patrizier- 
geschlechtes der  Martinussio.  Nach  dieser  Veränderung  schloß  der 
Großzupan  Nemanja  mit  seinen  beiden  Brüdern  durch  seine  Ge- 
sandten einen  Frieden  mit  der  Stadt,  in  Anwesenheit  eines  Ver- 
treters des  normannischen  Königs,  des  Kämmerers  Tasahgard 
(27.  September  1186).  Alle  Streitfragen  über  Weinberge,  Schiffe, 
Menschen,  Vieh  und  anderen  Besitz  werden  beiderseits  der  Ver- 
gessenheit überliefert;  das  Territorium  von  Ragusa  wird  bestätigt, 
der  freie  Handel  der  Ragusaner  im  Lande  der  drei  Brüder,  be- 
sonders an  der  Narentamündung  (portus  Narentij  und  ebenso 
der  der  Slawen,  vor  allem  von  „Chelmania^',  in  der  Stadt  wieder 
eröffnet  •^). 

König  W^ilhelm  H.  hatte  indessen  den  vierten  und  letzten  Zug 
der  Normannen  gegen  das  byzantinische  Reich  begonnen.  Dyr- 
rhachion  ergab  sich  sofort,  Thessalonich  nach  einer  kurzen  Be- 
lagerung (August  1185).  Die  Scharen  der  Sieger  rückten  bis  in 
das   Küstengebiet   unter  der  Rhodope,    während    ihre    Flotte    die 


1)  Auf  den  7.  Juli  1185  fällt  richtig  ein  Sonntag. 

2)  Diese  lokalen  Märtyrer  (Festtag  7.  Juli)  stammten  vom  Golf  von 
Cattaro.  Die  Reliquien  wurden  1026  nach  liagusa  gebracht  (Ragnina  210). 
Ihre  Geschichte  ist  durch  die  Kombinationen  der  Chronisten  des  15. —  16.  Jahr- 
hunderts ganz  verdui.'kelt ,  welche  sie  als  Opfer  der  Heiden,  Schismatiker 
oder  Häretiker  darstellen.  Vielleicht  gehört  ihr  Martyrium  in  die  Zeit  der 
Raubzüge  der  Sarazenen  auf  der  Adria. 

3)  Smiciklas  2,  201.  Tasselgardus  camerarius  auch  Cod.  dipl.  Bai*. 
1,  128. 


Der  GroRzupau  Stephan  Nomaiija.  269 

Umgebung  von  Konstantinopel  plünderte.  Die  Katastrophen  führ- 
ten zum  Sturz  des  Kaisers  Andronikos  und  zur  Erhebung  des 
Isaak  Angelos  (12.  September).  Doch  bald  wendete  sich  das 
Kriegsglück.  Der  Feldherr  Alexios  Vranäs  erfocht  einen  glänzen- 
den Sieg  über  die  Normannen  bei  Dimitritza  an  der  Brücke  über 
den  unteren  Strymon  (7.  November  1185).  Rasch  folgte  ein 
Friedensschluß  und  der  Abzug  der  Normannen  aus  den  besetzten 
Städten. 

Kaiser  Isaak,  mehr  durch  Zufall  als  durch  persönliches  Ver- 
dienst auf  den  Thron  erhoben,  suchte  unermüdlich  auf  Feldzügen 
von  Belgrad  bis  zur  seldschukischen  Grenze  zu  retten,  was  bei 
dem  Niedergange  des  Reiches  zu  retten  war.  Mit  Bela  III.  schloß 
er  Frieden,  heiratete  dessen  Tochter  Margarete  und  erhielt  als 
Heiratsgut  die  verlorenen  Städte  im  Moravatale  zurück  ^).  Bald 
folgte  ein  Aufstand  des  kriegerischen  Adels  von  Bulgarien,  diesmal 
im  Donaugebiet  (ll86j,  unterstützt  von  den  Kumanen  (Polovci 
der  Russen)  der  pontischen  Steppe.  Es  entstand  das  zweite  bul- 
garische Reich,  mit  der  Residenz  in  der  „Dornenburg"  Trnov  ^). 
An  der  Spitze  standen  als  „Kaiser"  zwei  Brüder,  Peter  oder 
Kalopetros,  nach  dem  Pomenik  von  Panagjuriste  •')  ursprünglich 
Theodor  genannt,  und  Äsen  (lies  Asjän,  '^advr^Q,  Assanus),  nach 
demselben  Denkmal  mit  dem  Beinamen  Belgun,  „Weißpelz"*). 
Die  Fortschritte  der  Bulgaren  erleichterte  die  Revolution  des  Sie- 
gers über  die  Normannen  Alexios  Vranas,  der  sich  zum  Kaiser 
erklären  ließ,  aber  vor  den  Mauern  von  Konstantinopel  den  Tod 
fand  (1187).  Ein  Feldzug  des  Kaisers  Isaak  über  Serdica  und 
Lovec  führte  nur  zu  einem  kurzen  Waffenstillstand  mit  den  Bul- 


1)  „Terram,  quam  pater  tuus  sorori  tuae,  imperatrici  Grecorutn,  dedit 
in  dotem":  Innozenz  III.  an  Emei-ich,  den  Sohn  Belas  III.,  1204  bei 
The  in  er,  Mon.  Slav.  1,  36. 

2)  Von  tr-in  Dorn:  altbulg.  stets  Tri.nov'i,  (sc.  grad)  masc,  neubulg. 
Ttmovo  neutr. 

3)  Drinov,  Zumal  MNP.  1885  Apr.  Annahme  des  Namens  Peter, 
wie  bei  Bodin  (ygl.  oben  S.  235). 

4)  Der  Naire  ist  kumanisch,  Fürsten  der  Kumanen  (Polowzer)  heißen 
im  11.  Jahrhundert  Osent,  Osent,  Asent:  Nestor  ed.  Miklosich  p.  127, 
153,  180. 


270  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

garen.  Der  Großzupan  Nemanja,  welcher  mit  Peter  von  Bulgarien 
einen  Bund  geschlossen  hatte  \),  besetzte  Nis  und  zerstörte  in  dem 
zum  Bistum  von  Nis  gehörigen  Timoktal  die  Burgen  von 
Svrljig,  Ravni  (jetzt  Ravno  bei  Knjazevac)  und  Koztl  (jetzt 
Kozelj)  ^). 

Da  verbreitete  sich  weit  in  den  Orient  die  Nachricht,  in 
Deutschland  versammle  sich  ein  großes  Kreuzheer,  um  das  soeben- 
(1187)  verlorene  Jerusalem  wieder  den  Mohammedanern  zu  ent- 
reißen. An  der  Spitze  stand  der  mächtigste  Herrscher  des  Westens^, 
Kaiser  Friedrich  I. ,  welcher  schon  vor  40  Jahren  am  zweiten 
Kreuzzug  teilgenommen  hatte.  Die  Byzantiner  hegten  große  Be- 
fürchtungen ,  da  Friedrich  und  Manuel  noch  vor  wenigen  Jahren 
Feinde  in  Italien  gewesen  waren.  Die  Serben  und  Bulgaren 
rechneten  mit  dem  Ausbruch  von  Feindseligkeiten  zwischen  den 
Deutschen  und  Griechen.  Zu  Weihnachten  1188  trafen  am  kaiser- 
lichen Hoflager  in  Nürnberg  Gesandte  des  Nemanja  ein  und  über 
reichten  ein  Schreiben,  nach  welchem  der  Serbenfürst  den  Durch- 
zug des  Kreiizheeres  durch  sein  Land  mit  größter  Freude  erwartete 
und  nichts  sehnlicher  wünschte,  als  den  Kaiser  persönlich  zu  be- 
grüßen ■5).  Das  Heer,  an  100  000  Mann  stark,  zog  im  Frühjahr 
1189  auf  dem  gewohnten  Wege  längs  der  Donau  bis  Branicevo. 
König  Bela  IH.  hat  den  Kaiser  in  Gran  freundlich  empfangen, 
doch  die  Schar  der  ungarischen  Kreuzfahrer  kehrte  auf  seinen 
Befehl  sofort  aus  Thrakien  zurück,  als  es  zum  Kampf  gegen  die 
Griechen  kam.  Die  erste  Stadt  des  byzantinischen  Reiches,  Belgrad, 
war  halb  zerstört.  In  Branicevo  wurde  der  Kaiser  vom  byzan- 
tinischen Dux  zum  Schein   freundHch    begrüßt  (2.  Juli).     In    den 


1)  (Comites  de  SerTia)  „partem  Bulgarie  sue  dicioni  subiugaverant, 
federe  inito  cum  Kalopetro  adversus  imperatorem  Constantinopolitanum". 
Ansbert  24. 

2)  König  Stephan  cap.  7. 

3)  Annales  Colonienses  maximi,  Mon.  Grerm.,  Script.  17,  795 — 796: 
„legati  Servianensis  regis".  Weiter  unten  bei  Nis  (p.  797j  „princeps  dictus 
Serf".  Über  den  Durchzug  durch  die  Balkanländer  der  Brief  des  Bischofs 
Dietpold  von  Passau  ib.  17,  509,  die  Berichte  des  Passauer  Domherrn  Ta 
geno,  des  sogenannten  Ansbert  (Fontes  rer.  austr.  Bd.  5)  und  des  Nike- 
tas  Akominatos.     Serbische  Quellen  fehlen. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  271 

Einöden  des  „  Bulgaren waldes",  in  welchen  die  der  Wege  kun- 
digen Ungarn  vorausgingen,  erfolgten  Angriffe  auf  den  Nachtrab 
und  Troß,  unternommen  von  byzantinischen  Söldnern,  Griechen, 
Bulgaren,  Serben  und  Wlachen  mit  vergifteten  Pfeilen,  nach  der 
Aussage  der  Gefangenen  auf  Befehl  des  Dux  von  Branicevo.  In 
Nis  erschienen  vor  dem  Kaiser  der  serbische  Großzupan  Nemanja 
und  sein  Bruder  Sracimir  mit  großem  Gefolge  und  brachten  reiche 
Geschenke,  Wein,  Gerste,  Ochsen  und  Schafe,  überdies  auch  See- 
hunde und  gezähmte  Hirsche  (27.  Juli).  Ehrenvoll  empfangen, 
erzählten  sie,  daß  sie  mit  dem  dritten  Bruder  Miroslav  Nis  und 
die  ganze  Umgebung  bis  Serdica  aus  dem  Besitz  der  Griechen 
„mit  Schwert  und  Bogen"  erobert  haben  und  daß  sie  ihre  Erobe- 
rungen nach  jeder  Richtung  ausbreiten  wollen.  Für  alle  diese 
Erwerbungen  wünschten  sie  Vasallen  des  deutschen  Kaisers  zu 
werden,  bereit,  ihn  mit  allen  ihren  Leuten  gegen  die  Griechen  zu 
unterstützen.  Doch  Friedrich  dachte  damals  nur  an  den  Kampf 
gegen  die  mohammedanischen  Eroberer  Jerusalems  ^).  In  An- 
wesenheit des  Kaisers  wurden  die  schon  früher  begonnenen  Ver- 
handlungen über  die  Heirat  des  Sohnes  des  Miroslav  von  „Chel- 
menia",  des  jungen  Toljen,  mit  einer  Tochter  Berchtolds  (IV.)  von 
Andechs,  des  Markgrafen  von  Istrien  und  Titularherzogs  von 
Kroatien,  vollendet.  Toljen  sollte  vor  allen  seinen  Brüdern  der 
Nachfolger  Miroslavs  werden,  was  die  serbischen  Fürsten  durch 
Handschlag  bekräftigten;  es  war  verabredet,  daß  die  Braut  am 
folgenden  St.  Georgstag  dem  Toljen  in  Istrien  übergeben  werden 
sollte  -).  Auch  Gesandte  Peters  von  Bulgarien  kamen,  um  Kaiser 
Friedrich  zu  begrüßen  und  Hilfe  gegen  die  Griechen  anzubieten. 
Auf  dem  W^eitermarsch  durch  die  Berge  und  Wälder  nach  Serdica 


1)  Der  Bericht  Ansberts  ist  ohne  Zweifel  richtiger  als  der  des  Ar- 
nold von  Lübeck  IV,  8,  welcher  erzählt,  der  „dux"  der  „Servi"  habe 
sich  dem  Kaiser  unterworfen  und  sein  Land  von  ihm  „iure  beneficiario"  an- 
genommen. 

2)  Die  Stelle  über  Tolni  (richtig  wohl  Tolin)  ist  vollständig  erhalten 
im  Grazer  Kodex  des  Ansbert;  vgl.  A.  Chroust,  Neues  Archiv  f.  alt. 
deutsche  Gesch.  16  (1891)  51! — 526  und  meine  Abh.  über  Toljen  im  Glas 
35  (1892).  Ob  der  Heiratsvertrag  zur  Ausführung  gelangte,  ist  zu  be- 
zweifeln. 


372  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

stießen  die  Kreuzfahrer  auf  die  gegen  die  Serben  aufgestellten 
byzantinischen  Truppen  unter  dem  Befehl  des  Großdomestikos 
(Marschalls)  des  Westens  Alexios  Gidos  und  des  Manuel  Kamytzes 
und  mußten  sich  den  Weg  durch  zwei  mit  Steinen  und  Holzwerk 
befestigte  Pässe  (clausurae)  bahnen.  Die  Feldherren  korrespon- 
dierten freundlich  mit  Kaiser  Friedrich,  beunruhigten  aber  das 
Kreuzheer  durch  ihre  Truppen,  welche  aus  dem  dichten  Busch- 
werk oder  von  hohen  Bäumen  ihre  Giftpfeile  abschössen  und  bei 
Nacht  das  Lager  belästigten.  Die  Kreuzfahrer  verteidigten  sich 
mit  Schwert  und  Armbrust  und  hängten  die  Gefangenen  scharen- 
weise auf  den  Bäumen  auf,  mitunter  „nach  Wolfsart"  mit  dem 
Kopf  abwärts.  Serdica  fand  man  fast  leer,  ohne  Vorräte;  die 
Einwohner  hatten  sich  auf  Befehl  der  Griechen  in  die  nahen  Berge 
zurückgezogen.  Das  alte  Trajanstor,  die  „Bulgarenklause"  (clau- 
surae Bulgariae)  war  durch  große  Verhaue  aus  Bäumen  und  Steinen 
gesperrt,  die  aber  mit  Leichtigkeit  niedergebrannt  und  weggeräumt 
wurden.  Sechs  Wochen  nach  dem  Abmarsch  aus  Branicevo  stieg 
das  Heer  aus  den  öden  Wäldern  Bulgariens  jubelnd  in  die  an 
Wein  und  Getreide  reiche  Ebene  von  Philippopel  herab.  Da  kam 
es  zum  offenen  Kriege.  Zu  den  Ursachen  gehörte  der  Verdacht 
des  Isaak,  Kaiser  Friedrich  habe  dem  Großzupan  byzantinische 
Provinzen  zu  Lehen  gegeben.  Die  Kreuzfahrer  verwüsteten  die 
Ebene  von  Philippopel,  ebenso  nach  der  Ankunft  in  Adrianopel 
(November  1189)  das  ganze  südliche  Thrakien.  Friedrich  rüstete 
sich  zum  Angriff  auf  Konstantinopel.  Nun  wurde  mit  den  Serben 
und  Bulgaren  über  ein  Bündnis  verhandelt.  Beide  versprachen 
60  000  Mann;  davon  entfielen  40000  auf  die  Bulgaren,  Wlachen 
und  Kumanen  des  Peter,  so  daß  das  Heer  der  Serben  auf  20000 
Mann  geschätzt  werden  kann  ^).  Dem  Bulgaren  Peter  handelte 
es  sich  auch  um  die  Anerkennung  seines  Kaisertitels  und  Ge- 
währung einer  Krone.  Die  Verhandlungen  mit  Nemanja,  welcher 
im  Winter  den  Kreuzfahrern  bis  zum  Trajanstor  nachgezogen  war, 
führte  Herzog  Berchtold.  Gesandte  des  Großzupans  erschienen 
beim  Kaiser  in  Adrianopel.  Berchtold  wurde  zurückgesendet,  um 
beim  Trajanstor  (in  introitu  clausarum  Bulgariae)  eine  persönliche 


1)  Ansbert  p.  44,  53. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  373 

Besprechung  mit  Nemanja  abzuhalten.  Er  traf  den  Großzupan 
nicht  an  der  verabredeten  Stelle,  da  derselbe  eben  durch  große 
kriegerische  Unternehmungen  auf  dem  Boden  des  alten  bulgarischen 
Reiches  (grandi  labore  et  hello  in  Bulgaria)  beschäftigt  war,  und 
verständigte  sich  mit  ihm  nur  durch  Boten  (Jänner  1190)  ^). 
Nemanja  zerstörte  indessen  die  byzantinischen  Burgen  von  Serdica 
bis  Prizren:  die  feste,  seit  den  Kriegen  Basilios'  II.  berühmte  Burg 
Pernik  an  der  obersten  Struma,  Zemltn  (jetzt  Zemen)  in  der 
oberen  Enge  der  Struma  zwischen  Radomir  und  Küstendil,  die 
Bischofstadt  Velbuzd  (jetzt  Küstendil)  -),  die  Burg  Zitomitsk  (viel- 
leicht die  Ruine  bei  Pastuch)  in  den  unteren  Engen  der  Struma 
zwischen  Küstendil  und  Dupnica,  endlich  Stob  am  Flusse  Rila  '^). 
Er  besetzte  auch  Skopje,  Prizren  und  die  Landschaften  Ober-  und 
Unter-Polog  ^).  Enttäuscht  waren  die  Anführer  der  Serben  und 
Bulgaren,  als  sie  hörten,  Kaiser  Friedrich  habe  in  Adrianopel 
(14.  Februar  1190)  mit  den  Byzantinern  wieder  Frieden  ge- 
schlossen und  den  AVeitermarsch  über  den  Hellespont  nach  Asien 
angetreten. 

Kaiser  Isaak  wendete  sich  nach  dem  Durchmarsch  der  „Ala- 
mannen"  gegen  die  Völker  der  Halbinsel  (1190).  In  Bulgarien 
fand  er  die  Städte  und  Burgen  gut  befestigt  und  erlitt  bei  dem 
Rückzug  über  den  Hämus  eine  arge  Schlappe.  Im  Herbst  zog 
er  mit  frischen  Kräften  von  Philippopel  nach  Nis  gegen  die  Serben. 
In  einer  Schlacht  an  der  Morava,  in  welcher  der  Kaiser  selbst 
gewappnet  auf  einem  Hügel  zusah,  siegten  die  Byzantiner  und 
verheerten  das  Land,  wobei  eine  Residenz  des  Nemanja,  wohl  an 
der  TopHca,  niedergebrannt  wurde.     Der  Großzupan  schloß  Frie- 


1)  Ansbert  ed.  cit.  42,  46,  47.  Vgl.  K.  Zimmert,  Der  deutsch- 
byz.  Konflikt  von  JuU  1189  bis  Febr.  119a:  Byz.  Z.  12  (1903)  42—77. 

2)  Velbuzd  {Btktßova^iüv  ßyz.  Z.  2,  43,  52)  schreibt  der  Kodex  der 
Vita  von  König  Stephan  Velbluzd,  als  ob  der  Name  von  velblud  Kamel 
abgeleitet  wäre ;  er  stammt  aber  vom  Eigennamen  Velebud ,  Velbud  (vgl. 
Dorf  Velebudice  in  Böhmen). 

3)  Über  diese  Ruinen  vgl.  meinen  ßeisebericht  in  den  Arch.  epigr. 
Mitt.  10  (1886)  56,  58,  70,  73. 

4)  König  Stephan,  cap.  7.  Niketas  p.  569  nennt  nur  Skopje;  die 
Verheerung  von  Ni§  und  Stob  {Zrovfxniov)  schreibt  er  den  Bulgaren  zu. 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  18 


374  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

den.  Die  Bedingungen  zeigen,  daß  der  Sieg  nicht  so  vollständig 
war,  wie  ihn  Niketas  Akominatos  in  einer  Rede  an  den  Kaiser 
darstellt:  der  eidbrüchige,  zu  jeder  Schlechtigkeit  bereite  Nemanja 
sei  vor  Isaak  in  die  „ödesten  der  Einöden'^  geflohen  und  das 
Land  sei  leer  geworden,  ein  Wohnsitz  nur  für  die  Winde  ^). 
Die  Serben  behielten  einen  ansehnlichen  Teil  des  byzantinischen 
Gebietes  -).  Serbisch  blieb  im  Osten  das  Gebiet  zwischen  den 
Bergen  von  Rudnik  und  der  vereinigten  Morava  mit  den  Fluß- 
tälern der  Lepenica  (bei  Kragujevac),  Bjelica  und  des  Levac, 
ferner  die  Landschaft  Zagrlata  (bei  Djunis)  in  dem  Mündungs- 
winkel der  beiden  Morava,  endlich  südhch  von  Nis  die  Landschaft 
Glubocica  (bei  Leskovac).  Im  Süden  fiel  ihnen  das  ganze  Amsel- 
feld zu  mit  dem  Flußgebiet  der  Sitnica  und  des  Lab  und  der 
Stadt  Lipljan.  Im  Becken  des  Weißen  Drim  behielten  sie  die 
zum  Bistum  von  Prizren  gehörige  Landschaft  Hvostno  um  Pec 
und  Decani  herum,  in  Nordalbanien  die  Landschaften  Ober-  und 
Unter- Pilot  auf  dem  Weg  von  Prizren  nach  Skutari.  Bleibend 
war  die  Erwerbung  der  Küstenstriche  von  Dioklitien  oder  Zeta, 
voran  der  Städte  Skutari,  Antivari  und  Cattaro.  Nach  diesen 
Abtretungen  waren  Belgrad,  ßavno,  Nis,  Skopje,  Prizren,  Kroja 
und  Alessio  die  Grenzstädte  des  byzantinischen  Reiches.  Die 
Tendenz  der  Byzantiner,  die  Freundschaft  der  Serben  für  lange 
Zeit  zu  gewinnen,  ist  überdies  sichtbar  an  einem  Heiratsbündnis: 
Nemanjas  Sohn  Stephan  wurde  mit  des  Kaisers  Nichte  Eudokia 
verheiratet,  der  Tochter  seines  Bruders  Alexios  und  der  Euphro- 
syne  Dukaina  '^),  Isaak  zog  sodann  bis  Belgrad  und  hatte  dort 
eine  Zusammenkunft  mit  seinem  Schwiegervater,  König  Bela  III. 
Es  war  das  letzte  Mal,  daß  man  an  der  Savemündung  einen 
griechischen  Kaiser  mit  seiner  Armee  zu  sehen  bekam.  Die  Ver- 
änderung der  Lage  machte  sich  auch  im  adriatischen  Küsten- 
gebiete bemerkbar.     Im  Juni  1190  sicherte  sich  Miroslav  für  alle 


1)  Rede  des  Niketas  Akominatos  ed.  Miller  im  Recueil  des  histo- 
riens  des  croisades,  Historiens  grecs  2,  737—741.  Vgl.  auch  Eustathios 
ed.  Tafel  p.  43  §  10. 

2)  Urk.  des  Nemanja,  Mon.  serb.  4  und  Vita  von  Öava  cap.  1.  Vgl. 
Novakovic:  Godisnjica  1  (1877)  163 f. 

3)  Noch  unter  Kaiser  Isaak:  Niketas  p.  704. 


Der  Großzupan  StepLan  Nernanja.  375 

Fälle  eine  Zufluchtsstätte  in  Ragusa,  das  noch  unter  der  Hoheit 
des  Königs  Tankred  stand  ^).  Während  des  Krieges  des  Sohnes 
Friedrichs  I.,  des  Kaisers  Heinrich  VI.,  gegen  die  Normannen 
zogen  es  die  Ragusaner  vor,  sich  wieder  den  Griechen  anzuschheßen. 
Im  Vertrage  wurde  ihnen  von  Kaiser  Isaak  besonders  verboten, 
mit  den  Königen  von  „  Alamannien ",  Ungarn,  SiziHen,  ebenso  wie 
mit  den  Großzupanen  von  Serbien  oder  den  Venezianern  Bünd- 
nisse einzugehen  (1192)  -). 

Für  Serbien  begannen  friedhche  Zeiten.  Im  Osten  der  Halb- 
insel hatte  der  Krieg  allerdings  kein  Ende.  Die  Bulgaren  be- 
setzten Serdica  (1194)  und  schlugen  die  Byzantiner  bei  Arkadio- 
polis  (Lüle- Burgas).  Kaiser  Isaak  Angelos  rüstete  sich  zu  einem 
neuen  Zug  nach  Bulgarien  im  Bunde  mit  Bela  III.,  als  er 
(10.  April  1195)  im  Lager  von  Kypselai  (jetzt  Ipsala)  im  süd- 
lichen Thrakien  durch  eine  Militärrevolution  gestürzt,  auf  der 
Jagd  gefangen  und  geblendet  wurde.  Die  Verschwörer  erhoben 
auf  den  Thron  seinen  Bruder  Alexios  IIL  Der  neue  Kaiser  war 
Schwiegervater  Stephans,  des  Sohnes  Nemanjas,  und  verlieh  ihm 
die  von  Alexios  Komnenos  errichtete  zweithöchste  Hofwürde  eines 
Sevastokrator  ■^). 

In  Kirchenfragen  waren  die  Großzupane  nach  der  Eroberung 
des  adriatischen  Küstenlandes  in  freundschaftliche  Beziehungen  zu 
den  katholischen  Erzbischöfen  von  Ragusa  und  Antivari  getreten. 
In  der  Zeit,  als  Nemanja  mit  Friedrich  I.  über  einen  Bund  gegen 
Isaak  verhandelte,  sendete  Papst  Klemens  III.  (25.  November  1189) 
„dilectis  filiis,  nobilibus  viris  megajupano,  Straschimiro  et  Mi- 
rosclabo"  ein  Empfehlungsschreiben  für  den  neuernannten  Erz- 
bischof Bernard  von  Ragusa,  dessen  Sprengel  sich  auch  auf  ser- 
bisches Gebiet  erstreckte  ^).  Nemanjas  Sohn  Stephan  hat  (1199) 
die  Briefe  und  Legaten  des  Papstes  Innozenz  III.  freundlich  emp- 
fangen und  sich  bei  der  Beteuerung  seiner  Anhänglichkeit  an  die 


1)  Kukuljevic  2,  157.     Smiciklas  2,  245. 

2)  Der    Inhalt    erhalten    bei   Gondola:    Mon.    bist.  jur.    9   p.   LXII, 
Smiciklas  2,  25G. 

3)  Mon.  serb.  ö. 

4)  Smiciklas  2,  238. 

18* 


376  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

römische  Kirche  auf  das  Beispiel  seines  Vaters  berufen  ^).  In  der 
Biographie  seines  Vaters  erwähnt  er  die  Geschenke,  welche  Ne- 
manja  den  großen  Kirchen  der  Christenheit  gesendet  habe,  nicht 
nur  nach  Jerusalem,  Konstantinopel  und  an  die  Kirche  des  heiligen 
Demetrios  in  Thessalonich,  sondern  auch  nach  Westen,  an  die 
Kirchen  der  heiligen  Apostel  Peter  und  Paul  in  Rom  und  des 
heiligen  Nikolaus  in  Bari  ^).  Nemanjas  Sohn  Vlkan  blieb  als 
Herr  von  Antivari  und  Cattaro  stets  in  Verbindung  mit  der  rö- 
mischen Kirche. 

Die  orientalische  Kirche  hatte  indessen  im  Osten  Serbiens 
vollständig  die  Oberhand  gewonnen.  In  der  Biographie  des  Ne- 
manja  ist  ,,sein  Bischof"  der  von  Ras.  Noch  vor  seiner  Er- 
hebung zum  Großzupan  hatte  Nemanja  mit  der  Stiftung  von  Klö- 
stern begonnen.  In  Serbien  ist  das  bedeutendste  Denkmal  das 
heute  noch  bestehende  Kloster  am  Gebirgsbache  Studenica  („Kalten- 
bach"),  der  Mutter  Gottes  der  „Wohltäterin "  geweiht,  im  unteren 
Ibargebiet  nördhch  von  Ras,  mit  einer  kleinen  schönen  Kirche 
aus  weißem  Marmor  zwischen  hohen  Bergen  inmitten  großer 
Wälder  gelegen.  Mit  den  Klöstern  des  Athos  kam  Nemanja 
durch  ein  eigentümliches  Ereignis  in  seiner  E'amilie  in  Berührung. 
Sein  jüngster  Sohn  Rastko  ^)  beobachtete  eifrig  die  frommen  Werke 
des  Vaters  und  las  fleißig  die  heiligen  Bücher.  Die  Erzählungen 
einiger  Athosmönche,  welche  an  den  Hof  des  Großzupans  kamen, 
um  milde  Gaben  zu  sammeln,  besonders  eines  Russen,  ließen  ihn 
den  Entschluß  fassen,  heimlich  zu  den  Weltüberwindern  auf  den 
Heihgen  Berg  zu  entfliehen.  Unter  dem  Vorwand  einer  Jagd  ent- 
fernte er  sich  aus  dem  Elternhause  und  gelangte  ohne  Hindernis 
an  das  Ziel  seiner  Wünsche.  Die  Edelleute,  die  ihm  Nemanja 
nachsendete,  fanden  den  schönen  Jüngling  im  Kloster  Vatopedi 
als  Mönch  Sava  {^aßßdg)  ^). 

1)  Stephan,  „uaagnus  juppanus  totius  Seruye"  an  Innozenz  III.:  „nos 
autem  semper  consideramus  in  vestigia  sancte  lomane  ecclesie,  sicut  bone 
memorie  pater  mens  ".  T  h  e  i  n  e  r ,  Mon.  Slav.  1 ,  6  (ohne  Datum ,  Antwort 
auf  das  päpstl.  Schreiben  vom  2.  Jänner  1199  ib.). 

2)  König  Stephan  cap.  8. 

3)  Ein  Diminutiv  zu  Rastimir,  Rastislav. 

4)  König  Stephan  cap.  9.  Sava  cap.  ü.  Bei  Domen ti an  und 
Theodosij  mehrere  abweichende  Details. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  377 

Die    geordneten   Verhältnisse    ermöglichten  es   Nemanja,  frei- 
AviUig   abzudanken    und   dem   Beispiel   seines  jüngsten  Sohnes   zu 
folgen.     Die    Abdankung    erfolgte    feierlich    auf    einem    Landtag 
(März  lJ96)i).     Von  den  beiden  älteren  Söhnen  Nemanjas  folgte 
als  Großzupan  der  begabte  Stephan.    Vlk  oder  Vlkan  erhielt   mit 
dem  Titel   eines  Großfürsten  (velji  knez)    noch    während  der  Re- 
gierung  des  Vaters   drei   untereinander   nicht    zusammenhängende 
Gebiete:    Dioklitien    und    Tribunien,   Hvostno    bei    Ped    und    die 
Toplica.     Im  Küstenlande  führte  er  schon    1195    auch   den    alten 
dioklitischen  Königstitel ,  den   er  vielleicht   durch   eine  Heirat   mit 
einer  Fürstin  aus  dem  einheimischen  Geschlecht  erworben  hatte  2). 
Nemanja  ließ  sich  vom  Bischof  von  Ras   sofort   zum  Mönch   ein- 
kleiden,   mit   dem    Namen    Syraeon,    und    zog    sich    zuerst    nach 
Studenica  zurück.     Seine  Gemahlin  Anna  nahm   den  Schleier   als 
Nonne  Anastasia  und  begab  sich  in  das  Frauenkloster  der  Mutter 
Gottes  in  Ras.     Doch  Nemanja  sagt  selbst,  das  Wort  der  Heiligen 
Schrift,   niemand   werde   als   Prophet   in    seinem   Vaterlande   gern 
aufgenommen,  sei  an  ihm    in  Erfüllung  gegangen;   dies   habe  ihn 
bewogen,  den  Kreis  seiner  Belüinnten  und  Kinder  zu  verlassen  '^). 
Der  Briefwechsel  mit  Sava  bestimmte  ihn,  sich  auf  den  Athos  zu 
begeben  (Oktober  1197).     Die  Hegumene,  Mönche  und  Eremiten 
des  Heiligen  Berges   begrüßten   den   alten   Serbenfürsten   mit   der 
größten  Achtung  und  Freude.     Seitdem  Sava  auf  den  Athos  ge- 
kommen war,  hatte   das   Kloster   Vatopedi   die    Freigebigkeit    der 
frommen   Serben    in  Fülle   erfahren,   durch  Widmungen   in  Gold, 
Silber  und  Pferden,   die   bei   der   Ankunft   des   Mönches   Sjmeon 
in  größerem  Maße  sich  wiederholten.    Der  Großzupan  im  Mönchs- 
gewand wollte  alle  Athosklöster  sehen  und  ließ   auf  dieser  Rund- 


1)  Über  die  Chronologie  Iv.  Pavlovic:  Glasnik  47  (1879)  298. 

2)  Vlkan  eine  Kurzform  für  Vlkoslav,  Vlkomir,  Vlkodrug  usw. 
(vlk  Wolf).  Vlbk  im  Evangelium  um  1202,  Stojanovic,  Zapisi  1,  5,  und 
in  der  Inschrift  von  Moraca  ib.  1,  7  nro.  17,  Bülxog  bei  Niketas,  Vulcus 
in  Ungar.  Urk.,  Vulchus  Urk.  1286  Spomenik  11,  21,  Velcannus  in  der  In- 
schrift über  die  Erbauung  der  Kirche  des  hl.  Lukas  in  Cattaro  1195  (genaue 
Kopie  von  Georg  von  Stratimirovic  im  Spomenik  28,  11),  in  den  Urk. 
Tou  Cattaro,  Wulcanus  in  päpstl.  Urk. 

3)  Mon.  serb.  5. 


378  Drittes  Buch.     Fünftes  Kapitel. 

reise  überall  ein  schönes  Geschenk  zurück,  Vater  und  Sohn 
faßten  den  Entschluß,  ein  eigenes  serbisches  Kloster  auf  dem 
Athos  zu  stiften,  zum  Andenken  an  ihre  Dynastie  und  zum  Nutzen 
ihres  Volkes.  Eine  geeignete  Stelle  fanden  sie  auf  der  Nordseite 
der  Halbinsel,  nahe  bei  dem  Isthmos  von  Prevlaka.  Dort  lagen  die 
Ruinen  eines  von  den  Piraten  zerstörten  Klosters,  Chilandar  (griech. 
XelavTccgior,  XiXiavöccQiov)  genannt.  Sava  reiste  nach  Konstan- 
tinopel und  erhielt  von  Kaiser  Alexios  III.,  dem  Schwiegervater 
seines  Bruders,  ein  ChrysobuU  mit  der  Schenkung  dieses  verödeten 
Klostergrundes  und  der  Bestätigung  der  neuen  Stiftung  als  eines 
„kaiserlichen  Klosters"  i).  Die  serbisch  verfaßte  Gründuugsurkunde 
zählt  die  wenigen  Güter  auf,  deren  Zahl  sich  mit  der  Zeit  so  be- 
deutend vermehrte :  mehrere  Dörfer  bei  Prizren  auf  byzantinischem 
Boden,  ein  bei  dem  Kaiser  erbetenes  Geschenk,  und  einige  An- 
siedlungen  der  Wlachen  bei  Podgorica  -).  Der  Sohn,  Großzupan 
Stephan,  lieferte  die  Mittel  zum  Bau  der  Kirche  (Maria  Verkün- 
digung), der  Wohngebäude,  der  hohen  Festungsmauern  und  Türme, 
welche  den  Athosklöstern  das  Aussehen  mittelalterlicher  Burgen 
verleihen.  Das  Kloster  Chilandar  ist  auch  gegenwärtig  eine 
Sehenswürdigkeit,  in  einem  gegen  Norden  gewendeten  Waldtal, 
umsäumt  von  schlanken,  dunkeln  Zypressen,  umgeben  von  Wein- 
gärten und  Obstpflanzungen,  mit  schönen  Gebäuden  und  einer 
prachtvollen  Kirche,  welche  jedoch  nicht  mehr  der  Bau  des  Ne- 
manja  ist,  sondern  ein  Neubau  des  Königs  Stephan  Uros  IL 
Milutin  (um  1300)  ■').  In  dem  Hauptort  des  Heiligen  Berges,  in 
dem  hochgelegenen,  nach  seinen  Walnußbäumen  genannten  Karyäs 
(serbisch   als   Orahovica  übersetzt),   in    welchem   alle  Klöster  Sta- 

1)  Die  Urkunden  des  Kaisers  Alexios  III.  für  Chilandar  (eine  vom 
Jahre  6707  =  1198/99)  erwähnt  bei  P.  Syrku,  Beschreibung  der  Papiere 
des  Bischofs  Porphyrij  Uspenskij,  Petersburg  1891  S.  274  (Zapiski  der  Akad. 
der  Wiss.  Bd.  64,  Beilage  9).  Die  Ausgabe  in  den  „Trudy"  der  geistl. 
Akademie  von  Kiew  1871  Juni  ist  mir  leider  unzugänglich. 

2)  Mon.  serb.  4—6  (ohne  Datum).  Das  Original  wurde  1896  nach 
Belgrad  gebracht. 

3)  Neubau:  Daniel  132.  Abbildungen:  Geizer,  Vom  Heiligen  Berge 
und  aus  Makedonien  (Leipzig  1904)  HO;  N.  P.  Koudakov,  Die  Denk- 
mäler der  Christi.  Kunst  auf  dem  Athos ,  russ. ,  Petersburg  (Akademie  der 
Wiss.)  1902  S.  35  f.  mit  Fig.  10  f.  und  Tafel  II. 


Der  Großzupan  Stephan  Nemanja.  379 

tionen  fiir  ihre  Vertreter  haben,  gründete  Sava  einen  Eremitensitz, 
ein  „  Hesychasterion ",  geweiht  dem  heiligen  Sabbas  von  Jerusalem. 
Der  alte  Großzupan  verlebte  noch  acht  Monate  in  seinem  Kloster. 
Er  starb  inmitten  seiner  Mönche,  vor  dem  Bild  der  Mutter  Gottes 
auf  einer  Strohmatte  gebettet,  mit  einem  Stein  unter  dem  Haupte, 
kurz  vor  Anbruch  des  neuen  Jahrhunderts  ^).  Ein  Grab  hatte  er 
sich  in  Studenica  vorbereitet,  doch  wegen  der  stürmischen  Zeiten, 
die  seinem  Ableben  nachfolgten,  konnten  seine  Gebeine  erst  nach 
einigen  Jahren  in  die  Heimat  zurückgebracht  werden.  Sie  ruhen 
heute  noch  in  dem  weißen  Klosterkirchlein  von  Studenica.  Bald 
wurde  Nemanja,  der  Mönch  Symeon,  von  seinem  dankbaren  Volke 
unter  die  Nationalheiligen  aufgenommen. 


1)  Das  Typikon  von  Chilandar  gibt  als  Todesjahr  Nemanjas  den 
13.  Februar  6708  (1200)  an;  vgl.  die  Faks.  in  der  Ausgabe  von  Bischof  Di- 
mitrije,  Spomenik  31  (1898)  44.  Pavlovic,  Kovacevic  und  Jova- 
novic  u.  a.  nehmen  das  Jahr  1199  an,  da  der  Großzupan  Stephan  in  dem 
Brief  an  den  Papst  (s.  oben  S.  276)  seinen  Vater  als  bereits  gestorben  er- 
wähnt. 


Viertes  Buch. 

Serbien  eine   Großmacht  der  Halbinsel 
unter  den  Nachkommen  des  Nemanja 

(1196—1371). 


Erstes  Kapitel. 

Die  Söhne  und  Enkel  des  Nemanja  während  des  la- 
teinischen Kaisertums.  Erwerbung  der  Königskrone 
und  Gründung  der  serbischen  Nationalkirche  durch 
Stephan  den  Erstgekrönten  (1196  —  1228).  König 
Stephan  Uros  I.  (1243-1276)  i). 

Die  Blütezeit  der  serbischen  Geschichte  ist  die  Periode  der 
Nemanjiden.  Der  Umfang  Serbiens  erweiterte  sich  durch  be- 
deutende Erwerbungen,  bis  es  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts 
nahezu  zwei  Drittel  der  Halbinsel  umfaßte.  Schon  wenige  Jahre 
nach  Nemanjas  Tod  war  die  Gruppierucg  der  Nachbarstaaten 
vollständig  verändert.  Verschwunden  war  das  alte  griechische 
Kaisertum,  Als  es  nach  Vertreib ui)g  der  Lateiner  wieder  in 
Konstantinopel  erneuert  wurde,  drängten  die  Serben  einige  Gene- 
rationen hindurch  die  Grenzen  des  Staates  der  Palaiologen  gegen 


1)  Das  Quellenmaterial  bilden  Urkunden,  sowohl  die  serbischen 
(Mi  kl  OS  ich,  Mon.  serb.  und  Stojanovic  im  Spomenik  Bd.  3),  als  die 
venezianischen  und  dalmatinischen  (Ljubic,  Smiciklas),  ungarischen  (Codex 
Arpadianus;  Codex  diplomaticus  patrius  u  a),  päpstlichen  (Theiner)  und 
griechischen  (Miklosich  und  Müller,  Acta  graeca).  Dazu  kommen  die 
serb.  Inschriften  und  Epiloge  der  Handschriften  (Stojanovic,  Zapisi), 
sowie  die  griech.  Briefe  des  Erzbischofs  Deraetrios  Chomatianos  und  des 
Kaisers  Laskaris  II.  Legendenartig  sind  die  serb.  Biographien:  des  Nemanja 
von  König  Stephan  (Zusätze  bis  1215),  des  Erzbischofs  Sava  von  den  Mön- 
chen Domentian  und  Theodosij,  der  serb.  Könige  und  Erzbischöfe 
von  Erzbischof  Daniel.  Chroniken:  Niketas  Akominatos  (bis  1206), 
Georgios  Akropolites  (bis  1261),  Georgios  Pachymeres  (bis  1308), 
Archidiako  «  Thomas  von  Spalato  (bis  12G6)  und  der  Venezianer  Martin 
de  Canal  (bis  1275). 


384  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

Süden  zurück,  bis  sich  Stephan  Dusan  als  Herr  fast  des  ganzen 
Westens  den  byzantinischen  Kaisertitel  beilegte.  Um  die  einst 
von  den  Byzantinern  ausgeübte  Oberhoheit  über  Serbien  bemühten 
sich  die  einstigen  Bundesgenossen  der  Serben  gegen  die  Griechen, 
die  Ungarn,  was  vereint  mit  Grenzfragen  den  Anlaß  zu  vielen 
Kriegen  bot,  Rivalen  der  Serben  waren  seit  1320  die  Bosnier, 
Vasallen  der  ungarischen  Krone,  seitdem  sie  durch  das  Narentatal 
die  Küste  des  Adriatischen  Meeres  erreicht  hatten.  Freunde 
Serbiens  waren  die  Venezianer;  ihr  gemeinsamer  Gegner  waren 
die  Anjous  von  Ungarn  und  Neapel.  Als  sich  im  Osten  jenseits 
des  byzantinischen  Reiches  eine  neue  islamitische  Macht  erhob,  die 
osmanischen  Türken,  waren  bei  dem  Verfall  der  auf  ihre  Stadt- 
mauern beschränkten  Griechen  und  der  durch  die  lange  Tataren- 
not herabgebrachten  Bulgaren  die  Serben  das  einzige  Volk  der 
Halbinsel,  welches  sich  den  Osmanen  bei  ihrem  ersten  Vordringen 
in  Europa  in  großen  Feldschlachten  entgegenstellte. 

Die  Geschichte  der  Balkanhalbinsel  im  13.  Jahrhundert  bietet 
ein  verwirrendes  Bild  rascher  Verschiebungen  der  Machtverhält- 
nisse. Sowohl  Einheimische,  Griechen  und  Slawen,  als  Fremde, 
Franken  und  Ungarn,  bemühten  sich  um  die  Hegemonie,  ohne 
sie  aber  behaupten  zu  können.  Die  Situation  veränderte  sich 
durch  unerwartete  Zwischenfalle  oft  an  einem  Tage.  Von  den 
Umwälzungen  wurden  am  meisten  heimgesucht  Albanien  und  Make- 
donien, welche  in  dieser  Zeit  keine  selbständige  Rolle  spielten  und 
rasch  die  Herren  wechselten. 

Nemanjas  Nachfolger,  sein  Sohn  Stephan,  war  ein  kluger  und 
begabter,  in  byzantinischer  Art  gebildeter  Mann  ^),  dabei  ein  ge- 
wandter Diplomat  und  umsichtiger  Feldherr,  jedenfalls  einer  der 
talentvollsten  Männer  unter  den  Nemanjiden.  Während  seiner 
langen  Regierung  (1196 — 1228)  setzte  er,  unbeirrt  durch  die  ge- 
waltigen Umwälzungen  in  den  umliegenden  Ländern,  das  Werk 
seines  Vaters  unverdrossen  fort.  In  der  kritischen  Zeit  um  1204 
wußte  er  sich  mit  Geschick  sowohl  gegen  Nachbarn,  als  gegen 
Rivalen  in  der  eigenen  Familie  zu  behaupten  und  benutzte  das 
Eintreten   eioer   günstigen   Situation    sofort    zur   Begründung    der 


1)  Lob  des  Dem.  Chomatiauos  nro.  10  (um  1217). 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1196—1228).  285 

politischen  und  kirchlichen  Selbständigkeit  des  Vaterlandes.  Bei 
<ien  Serben  blieb  ihm  der  Beiname  des  „erstgekrönten  Königs" 
(prvovjenöani  kralj). 

Ungetrübt  blieb  der  Friede,  solange  Nemanja  als  Mönch  auf 
dem  Athos  lebte.     Eine   einzige  Störung   brachte   ein    ungarischer 
Einfall   nach  Zachlumien.      Es   hat  ihn  nicht  Belas  III.  (f  1196) 
älterer  Sohn  und  Nachfolger  König  Emerich  unternommen,  sondern 
der  jüngere  Andreas,   der   sich   gegen   seinen  Bruder   die  Würde 
eines  Herzogs  von  Dalmatien  und  Kroatien  erkämpft  hatte  (1197)  i). 
Er  kam  nach  Zara  und  Spalato,  legte  sich  den  Titel  eines  „dux 
Chulmae"  bei  und  rühmte  sich  nach  einem  kurzen  Feldzug  eines 
Sieges  über  Chelrao  und  Rassa  (1198)  -').    Das  byzantinische  Reich 
hatte  unter  der  Regierung  des  Kaisers  Alexios  III.,  des  Schwieger- 
vaters Stephans,    von    den   Bulgaren   einige   Ruhe,    nachdem   die 
Brüder   Äsen    und    Peter    von    einheimischen    Gegnern    ermordet 
worden  waren,  worauf  der  dritte  Bruder,  der  „schöne  Johannes" 
oder  Kalojan,  einen  Frieden  schloß.     Schwere  Sorge  brachte  eine 
Bewegung   in   Makedonien    bei  der   Burg   Prosek    (wörtlich   „der 
Durchhau"),  die  hoch  über  dem  Wasserspiegel  des  Vardar  in  "den 
jetzt  Demikapija  (das  Eiserne  Tor)  genannten  Engpässen  zwischen 
der  Mündung    der  Cerna    (des    antiken  Erigon)   und   der   Küsten- 
ebene von  Thessalonich  gelegen  war  ^).    In  diesem  Felsennest  hat 
sich  der  Befehlshaber  von  Strumica,   der  Archont  Dobromir  Chrs 
iXQvaiqg)  gegen  ein  von  Alexios  III.  persönlich  geführtes  Heer  gut 
behauptet  (1198)  i;.    Chrs  wurde  in  seinem  Gebiet  belassen,  nach- 

1)  Vgl.  Huber,  Archiv  f.  österr.  Gesch.  65  (1884)  156—163.  Klaic, 
0  hercegu  Andriji  (1197-1204):  Rad  136  (1898). 

2)  Smiciklas  2,  293,  296. 

3)  Lage  von  Prosek  {nQÖaaxo^):  Marsch  von  Gynaikokastron  (jetzt 
Avret-Hissar)  über  Prosek  und  Veles  nach  Skopje  bei  Kantakuzenos  III 
cap.  42.  Die  feste  Position  schildern  Niketas  und  Theodos ij.  Wahr- 
scheinlich die  Burgruine  mit  kyklopischen  IVIauern  über  der  Ostseite  der 
„Demirkapija":  Hahn,  Reise  durch  die  Gebiete  der  Drin  und  Wardar 
(S.  A.),  Wien  1867,  167—171. 

4)  Chryses  des  Niketas  wurde  von  Hopf  u.  a.  unrichtig  identifiziert 
mit  dem  späteren  Strez  von  Prosek.  Demetrios  Chomatianos  unter- 
scheidet klar  beide  Namen:  Xovarig  (slaw.  Chr^Ls,  Ortsname  Chr-Lsovo;  vgl. 
den  russ.  Gott  Chors  bei  Nestor)  und  ZiQs'aTCog  (Kurzform   von  Strezimir 


286  Viertes  Bacli.     Erstes  Kapitel. 

dem  er  sich  durch  eine  Heirat  mit  der  Tochter  des  Feldherrn 
Manuel  Kamytzes  der  Konstantinopler  Regierungsgesellschaft  ge- 
nähert hatte.  Weiter  im  Osten  wurde  der  bulgarische  Flüchtling 
Ivanko,  der  Vetter  und  Mörder  Asens  I.  von  Bulgarien,  welchem 
Alexios  III.  die  Burgen  der  Rhodope  anvertraut  hatte,  ein  gefähr- 
licher Rebell,  bis  man  ihn  durch  List  gefangen  nahm.  Bald  war 
der  Kaiser  gezwungen,  gegen  Kamytzes  selbst  zu  ziehen,  als  er 
sich  mit  Hilfe  des  Chrs  in  Westraakedonien  und  Thessalien  fest- 
setzte (Frühjahr  1201).  Zu  gleicher  Zeit  ist  der  Neffe  des  Kaisers, 
der  junge  Alexios,  Sohn  des  geblendeten  Isaak  Angelos,  aus  Kon- 
stantinopel ins  Abendland  entflohen,  um  dort  Hilfe  gegen  seinen 
Oheim  zu  suchen. 

Im  folgenden  Jahre  versammelte  sich  in  Venedig  ein  kleines 
Kreuzheer  unter  Anführung  des  Markgrafen  Bonifaz  von  Mont- 
ferrat,  wurde  aber  durch  Geldmangel  genötigt,  die  Fahrt  nach 
Palästina  aufzugeben  und  den  Venezianern  Söldnerdienste  zu  leisten. 
Die  Venezianer  und  die  Kreuzfahrer,  geführt  von  dem  greisen 
Dogen  Enrico  Dandolo,  eroberten  Zara,  welches  mehr  als  20  Jahre 
im  Besitz  der  Ungarn  gewesen  war  (November  1202).  König 
Emerich  und  Herzog  Andreas  taten  nichts  zur  Unterstützung  oder 
Wiedereroberung  der  Stadt.  Während  des  Winterlagers  in  Zara 
verpflichteten  sich  die  Führer  des  Heeres,  einen  Prätendenten  nach 
Konstantinopel  zu  führen,  den  jungen  Alexios.  Auf  dem  weiteren 
Zug  ergaben  sich  die  ersten  byzantinischen  Städte,  Ragusa  ^)  und 
Durazzo,  sofort  dem  neuen  Kaiser.  In  Konstantinopel  wurde  nach 
einigem  Widerstände  (Juli  1203)  der  Winde  Kaiser  Isaak  aus  dem 
Gefängnis  geradeswegs  auf  den  Thron  gesetzt,  neben  ihm  als  Mit- 
regent sein  Sohn,  der  Schützling  des  Kreuzheeres.  Die  weitereu 
Ereignisse  führten  nach  einer  Reihe  von  unerwarteten  Wendungen 
zur  Erstürmung  von  Konstantinopel  durch  die  „Franken"  (April 
1204).  Kaiser  von  „Romania"  wurde  der  Graf  Balduin  von 
Flandern.    Bonifaz,  welcher  Isaaks  Witwe  Margarete  von  Ungarn 


oder  Strezivoj  ;  gehört  zu  kircbenslaw.  streg^.  wachen).  Vgl.  Dr.  Nikola 
Radojcic,  Über  einige  Herren  von  Prosek  am  Vardar:  Letopis  Heft 
259—260  (1909). 

1)  Devastatio  Constantinopolitana  bei  Hopf,  Chroniques  88. 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1196—1228).  387 

geheiratet  hatte,  erhielt  das  Königreich  Thessalonich.  Französische 
Ritter  wurden  Landesherren  in  Griechenland.  Den  Venezianern 
fielen  die  wichtigsten  Inseln  und  Hafenstädte  zu.  Doch  schon 
nach  einem  Jahre  folgte  eine  Katastrophe.  Mit  den  Bulgaren 
wollten  sich  die  stolzen  Eroberer  nicht  ins  Einvernehmen  setzen. 
In  der  Schlacht  bei  Adrianopel  (April  1205)  geriet  Kaiser  Balduin  I. 
in  die  Gefangenschaft  des  Zaren  Kalojan,  der  ihn  hinrichten  ließ. 
Bald  fiel  auch  Bonifaz  in  einem  Gefecht  mit  den  Bulgaren  in  den 
Engpässen  der  Rhodope  (1207).  Die  Griechen  behaupteten  sich 
in  drei  getrennten  Staaten:  im  Despotat  von  Arta  in  Epirus  unter 
den  Angeli,  in  Nikaia  unter  Kaiser  Theodoros  I.  Laskaris  und 
im  fernen  Trapezunt  unter  den  Komnenen  ^). 

Der  Zusammenbruch  des  griechischen  Kaisertums  setzte  alle 
Nachbarn  in  Bewegung.  Noch  vor  der  Entscheidung  des  Kampfes 
um  Konstantinopel  beeilte  sich  der  Großzupan  und  Sevastokrator 
Stephan,  der  byzantinischen  Politik  den  Rücken  zu  kehren.  Er 
begann  damit,  daß  er  seine  Frau,  die  Kaiserstochter  Eudokia,  nach 
gegenseitigen  Vorwürfen  der  Untreue  verstieß.  Sie  begab  sich 
durch  das  Gebiet  ihres  Schwagers  Vlkan  nach  Durazzo  und  von 
dort  zu  ihrem  Vater  Alexios  III.  nach  Konstantinopel  (1201  oder 
1202).  Die  Ehe  galt  als  aufgelöst.  Eudokia  wurde  Gattin  des 
Kaisers  Alexios  V.  Dukas  Murtzuphlos,  der  (Anfang  1204)  Kon- 
stantinopel energisch  gegen  die  Lateiner  verteidigte.  Nach  dem 
traurigen  Ende  des  tapferen  Mannes  heiratete  sie  noch  den  Leon 
Sguros,  Herrn  von  Argos,  Nauplia  und  Korinth  (y  1 208)  -).  In- 
dessen suchte  Stephan  von  Serbien  eine  Annäherung  an  den 
Westen.  Es  war  eine  Zeit,  wo  man  in  Rom  goldene  Königs- 
kronen an  ferne  Herrscher  gerne  erteilte,  zuletzt  in  Zypern  (1197) 
und   Armenien   (1198).      Nach    dem   Vorbilde   der   Verbindungen 


1)  Vgl.  Dr.  Ernst  Gerlaud,  Geschichte  der  Frankenherrschaft  in 
Griechenland,  Bd.  2  (1905),  Geschichte  des  lateinischen  Kaiserreiches  von 
Konstantinopel. 

2)  Niketas  Akominatos  704 — 705.  Akr  opolites  cap.  5,  8.  Ant. 
Miliarakis,  lazooCu  roß  ßuacltiov  tFj;  Nty.uiug  y.cd  tou  ötanoTÜrov  rrj^ 
'HnftQov  (Athen  1898)  630 — 640  bemüht  sich,  das  Andenken  dieser  Kaiser- 
tochter zu  rechtfertigen,  durch  Darlegung  der  Übertreibungen  und  Miß- 
verständnisse der  neueren  Übersetzer  der  griech.  Geschichtschreiber. 


388  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

Bulgariens  mit  dem  päpstlichen  Stuhl  unter  Symeon  und  Samuel 
verhandelte  Kalojan  seit  1200  mit  einem  der  hervorragendsten 
Männer,  die  je  auf  dem  Stuhle  des  heiligen  Petrus  saßen,  mit 
Innozenz  III.  Bald  wurde  ihm  in  Trnov  vom  Kardinallegaten 
Leo  eine  aus  Kom  gebrachte  Krone  feierlich  auf  das  Haupt  ge- 
setzt (8.  November  1204).  Diesen  Weg  betrat  auch  der  serbische 
Großzupan.  Den  päpstlichen  Legaten,  welche  (1199)  im  Erzbistum 
von  Antivari  im  Gebiete  seines  Bruders  Vlkan  eine  Provinzial- 
synode  abhielten,  war  er  freundlich  entgegengekommen  und  stellte 
dem  Papst  als  seinem  „geistlichen  Vater"  (patri  suo  spirituali)  die 
Absendung  von  Gesandten  in  Aussicht  ^).  Diese  serbische  Gesandt- 
schaft unterbreitete  in  Rom  im  Namen  Stephans  die  Bitte  um  die 
Entsendung  eines  Legaten  in  sein  Land  und  um  die  Verleihung 
einer  Königskrone  (regium  diadema).  Innozenz  III.  war  mit  seinen 
Ratgebern  bereit  dazu.  Zum  Legaten  war  schon  einer  der  Kardi- 
näle, der  Bischof  Johannes  von  Albano  in  Latium,  bestimmt,  als 
die  Sache  zum  Leidwesen  des  Papstes  durch  den  Widerspruch 
des  Königs  Emerich  von  Ungarn  vereitelt  wurde.  Ihn  hat  ohne 
Zweifel  Vlkan  dazu  bewogen,  der  in  seinem  Teilfürstentum  an 
der  Adria  mit  dem  alten  dioklitischen  Königstitel  paradierte  und 
unter  den  Serben  allein  König  sein  wollte  (ungefähr  1202)  ^). 

Während  der  Belagerung  von  Konstantinopel  durch  die  La- 
teiner benutzte  der  Bulgare  Kalojan  die  allgemeine  Verwirrung 
zur  Okkupation  des  byzantinischen  Westens,  von  den  Bergen  bei 
Sofia  bis  zur  Grenze  von  Thessalien,  mit  den  Städten  Prizren, 
Skopje,  Ochrid  und  Berrhöa  ^).  Überall  wurden  die  griechischen 
Bischöfe    vertrieben    und    durch    Bulgaren    ersetzt.      Verdächtige 


1)  The  in  er,  Mon.  Slav.  1,  6  nro.  11  (1199). 

2)  Innozenz  III.  an  König  Emerich  am  15.  September  1204  über  den 
Wunsch  des  „nobilis  vir  Stephanus,  megajupanus  Servie":  Th einer,  Mon. 
Slav.  1,  36  =  Migne,  Patrologia  lat.  vol.  215  col.  415.  Über  Johannes, 
Bischof  von  Viterbo,  später  von  Albano,  f  1210  in  Rom,  vgl.  ib.  vol.  215 
col.  282  Anm. 

3)  Unter  den  bulg.  Bischöfen  damals  auch  Abraham  von  Prizren, 
Marinus  von  Skopje  u.  a.:  Theiner  a.  a.  0.  1,  29.  Verzeichnisse  der  bulg. 
Bistümer  aus  der  Zeit  Kalojans  bei  Weidenbach,  Calendarium  bist,  christ. 
(Regensburg  1855)  S.  276-277  und  bei  Erler,  Der  Liber  cancellariae 
apostolicae  (Leipzig  1888)  p.  39  —  40. 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1198—1228).  289 

Griechen,  wie  die  Bürger  von  Berrhöa,  übersiedelte  man  an  die 
Donau  ^).  Im  Moravatale  und  an  der  mittleren  Donau  stießen 
aber  die  Bulgaren  bei  der  Aufteilung  der  byzantinischen  Erbschaft 
mit  den  Ungarn  zusammen.  König  Emerich  kämpfte  mit  den 
bulgarischen  Truppen  an  der  Morava  und  besetzte  einige  Bistümer, 
welche  Kalojan  zum  „Imperium"  von  Bulgarien  rechnete  -).  Serbien 
wurde  in  diese  Kämpfe  verwickelt  und  überdies  durch  einen  Bruder- 
krieg tief  erschüttert  (1202 — 1203).  Vlkan  hatte  alle  Ratschläge 
seines  seligen  Vaters  vergessen  und  strebte  mit  Unterstützung  des 
Emerich  nach  der  Alleinherrschaft  über  ganz  Serbien.  Stephan 
wurde  von  ihm  aus  dem  Lande  vertrieben.  Emerich  legte  sich 
selbst  den  Namen  eines  Königs  von  Serbien  bei,  der  seitdem  im 
ungarischen  Königstitel  fortlebte.  Den  Papst  ersuchte  er  um  die 
Unterordnung  Serbiens  unter  die  römische  Kirche  und  um  Ge- 
währung einer  Königskrone  (regalis  Corona)  an  Vlkan.  Inno- 
zenz III.  erteilte  (März  1203)  dem  Erzbischof  von  Kalocsa  in 
Ungarn  den  Auftrag,  den  Vlkan  zu  besuchen,  ihn,  sowie  die 
Bischöfe  und  Edelleute  von  Serbien  im  wahren  Glauben  zu  be- 
stärken und  sie  von  dem  Versprechen  des  Gehorsams  gegen  den 
Patriarchen  von  Konstantinopel  zu  entbinden.  Doch  wurde  diese 
Reise  wahrscheinlich  gar  nicht  angetreten  •^').  Vlkan  nannte  sich 
im  Osten  Serbiens  nur  Großzupan.  In  einer  für  ihn  in  Ras  ge- 
schriebenen Evangelienhandschrift  wird  er  der  „großgeborene,  groß- 
berühmte" Herr  des  ganzen  serbischen  Landes,  der  Zeta,  der 
Küstenstädte  und  der  Landschaft  von  Nis  genannt  ^).  Zur  selben 
Zeit  (April  1203)  hat  Ban  Kulin  von  Bosnien  unter  dem  Einfluß 
des  Königs  von  Ungarn  und  der  päpsthchen  Sendboten  die  Ober- 
häupter der  Patarener  zur  Abschwörung  ihrer  Lehre  bewogen. 
In  Serbien  fand  aber  der  ungarische  Einfluß  bald  ein  Ende.    Große 


1)  Dem.  Chomatianos  ep.  8,  48,  52. 

2)  „V  episcopatus  Bulgarie  pertinent  ad  Imperium  meum,  quos  invasit 
et  detinet  rex  Hungarie":  Kalojan  an  Innozenz  III.  s.  d.,  Theiner  a.  a.  0. 
1,  30.  Die  ZiflFer  V  ist  unsicher;  es  waren  wohl  Belgrad,  Branicevo  und  Nis. 
Ein  Feldzug  des  Königs  Emerich  „contra  Bulgaros  super  fluvium  Morava" 
wird  1231  von  Andreas  II.  erwähnt:  Huber  a.  a.  0.  1,  377  Anm    2. 

3)  Theiner  a.  a   0.  1,  18-19,  34-36. 

4)  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  7  (Orig.  mit  alten  Easuren). 
Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  19 


390  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

Heere  Kalojans,  bestehend  aus  Bulgaren  und  Kumanen,  brachen 
im  Lande  ein.  Die  Serben  mußten  Nis  verlassen,  die  Ungarn 
Branicevo;  in  beiden  Städten  finden  wir  in  der  nächsten  Zeit 
bulgarische  Bischöfe  i).  Nur  Belgrad  scheint  den  Ungarn  geblieben 
zu  sein.  Vlkan  wurde  aus  dem  Osten  Serbiens  vertrieben  und 
Stephan  wieder  in  den  Besitz  seines  Reiches  und  Thrones  gesetzt 
(Sommer  1203).  Das  Land  war  aber  durch  die  Plünderungen  der 
fremden  Heere  arg  verwüstet,  überdies  auch  durch  eine  furchtbare 
Hungersnot  verödet.  König  Emerich  konnte  keinen  Widerstand 
leisten,  beschäftigt  durch  einen  Krieg  gegen  seinen  Bruder  Andreas ; 
er  nahm  ihn  gefangen,  starb  aber  bald  nach  diesem  Erfolg  (Herbst 
1204)  -).  Stephan  und  Vlkan  versöhnte  der  dritte  Bruder,  der 
Mönch  Sava,  welcher  damals  mit  den  Gebeinen  Nemanjas  aus  dem 
Athos  in  die  Heimat  zurückkehrte.  Vlkan  wird  nach  1207  nicht 
mehr  erwähnt  ^).  Von  seinen  drei  Söhnen  führte  Georg  1208  den 
Königstitel,  residierte  aber  1242  nur  als  „princeps  Dioclie"  in 
Dulcigno.  Stephan  ist  der  Gründer  des  Klosters  von  Moraca  in 
Montenegro  (1252).  Der  jüngste,  Zupan  Dimitr,  als  Mönch  David 
genannt,  unternahm  im  hohen  Alter  (1286)  eine  Pilgerfahrt  nach 
Jerusalem.  Ein  Enkel  dieses  Dimitr  war  Knez  Vratko,  einer  der 
Feldherren  des  Stephan  Dusan ;  auch  sein  Zeitgenosse  Mladen,  der 
Stammvater  der  Brankovici,  soll  ein  Nachkomme  Vlkans  gewesen 
sein  *). 

Durch  den  vierten  Kreuzzug  waren   die  Venezianer   die   ein- 


1)  Theiner  a.  a.  0.  1,  29,  30,  33  (1204). 

2)  Korreispondeuz  Innozenz'  III.  mit  Emerich,  Vlkan  und  Kalojan: 
Theiner  a.  a.  0.  1,  14f,  Niketas  705.  König  Stephan  cap.  14.  Sava 
cap.  11.  Domeutian  96f.  Theodosij  bei  Pavlovic,  Einheimische 
Quellen  zur  serb.  Gesch.  (Belgrad  1877)  77  f. 

3)  Ragusa  und  Cattaro  verpflichteten  sich  12.  April  1207  zu  gegen- 
seitiger Hilfe;  Vermittlungsversuche  durch  Gesandte  sollen  erfolgen,  sobald 
eine  der  beiden  Gemeinden  belagert  wird  vom  Dogen  zu  Venedig,  dem  König 
von  Sizilien  oder  „da  Stefano  gran  giupano  e  dal  suo  fratello  Vulcano". 
Auszug  bei  Gondola  MS.;  vgl.  Resti  75. 

4)  Über  Vlkans  Familie  Ilarion  Ruvarac  in  der  GodiSnjica  10 
(1888)  If.  und  14  (1894)  216  f.  Lateinische  Urk.  des  David  oder  Dimitr 
aus  Akkon  1286:  Spomenik  11,  21.  Mladen:  ein  Text  herausg.  von  No- 
vakovic.  Starine  9,  90. 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1196—1228).  291 

flußreicliste  Macht  des  Ostens  geworden.  Sie  wurden  auch  un- 
mittelbare Nachbarn  der  Serben.  Als  der  erste  lateinische  Patriarch 
von  Konstantinopel,  der  Venezianer  Thomas  Morosini  mit  einer 
Flotte  aus  der  Lagunenstadt  nach  seiner  neuen  Residenz  segelte, 
unterwarf  sich  das  seit  dem  Fall  des  byzantinischen  Reiches  verein- 
samte und  schutzlose  Ragusa  ohne  Widerstand  (1205).  Die  Stadt 
erhielt  einen  venezianischen  Comes  (slaw.  knez),  behielt  aber  ihre 
Autonomie,  mit  ähnlichen  Verpflichtungen  gegen  Venedig,  be- 
sonders durch  Ausrüstung  von  Kriegsschiffen,  wie  früher  gegen 
Byzanz.  Eine  venezianische  Besatzung  gab  es  nicht;  in  Zeiten  der 
Gefahr  genügte  das  Erscheinen  der  Flotte  der  Republik.  Anfangs 
waren  die  Comites  lebenslänglich,  so  Giovanni  Dandolo  (urkund- 
lich 1214 — 1235);  erst  seine  Nachfolger  wurden  in  der  Regel  auf 
zwei  Jahre  bestellt.  Morosini  nahm  dann  nach  kurzer  Belagerung 
Durazzo.  Zur  Sicherung  des  Seeweges  nach  Konstantinopel  suchte 
die  Republik  alle  Herren  der  Küste  unter  ihre  Hoheit  zu  bringen. 
Vasallen  Venedigs  wurden  sowohl  die  französischen  Fürsten  von 
Achaja,  als  die  griechischen  Despoten  von  Epirus  (1210)^).  Ein 
unverläßlicher  Vasall  war  (um  1208—1210)  der  Albanese  Deme- 
trios,  Sohn  des  Progon,  Fürst  oder  „Richter"  von  Arbanum  bei 
Kroja,  ein  Schwiegersohn  des  Großzupans  Stephan,  Gemahl  seiner 
Tochter  Komnina  -).  In  Dioklitien  leistete  im  Juli  1 208  Vlkans 
Sohn  König  Georg  mit  seinen  Verwandten  der  Republik  den 
Treueid ;  er  war  bereit,  eventuell  gegen  Demetrios  Hilfe  zu  leisten  ^). 
Auch  der  Großzupan  knüpfte  mit  den  Venezianern  Verbindungen 
an  und  schloß  mit  dem  Comes  Dandolo  und  der  Gemeinde  von 
Ragusa  einen  Freundschaftsvertrag  ^). 

Der  mysteriöse  Tod   des  Zaren  Kalojan   bei    der  Belagerung 


1)  Tafel  und  Thomas  2,  97,  119f. 

2)  "Anywv  roß  'doßdvov,  Arbanensis  princeps,  iudex  Albanorum:  Dem. 
Chomatianos  nro.  1,  3:  Innozenz  III.  bei  Theiner  a.  a.  0.  1,  45.  Vgl. 
Drinov  im  Viz.  Vremennik  1  (1894)  321  f.,  336  und  meine  Abh.  im  Arch. 
slaw.  Phil.  21  (1899)  87. 

3)  Ljubic  1,  27. 

4)  Urkunde  des  „velji  zupan  Stefan"  an  „Zan  Dandol"  und  die  Ra- 
gusaner  (um  1214 — 1217),  herausg.  von  mir  im  Glasnik  47  (1879)  304f., 
wiederholt  bei  Smiciklas,  Cod.  dipl.  3,  140. 

19* 


293  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

von  Thessalonich  (Herbst  1207)  hatte  große  Wirren  in  Bulgarien 
zur  Folge.  Die  Gesellschaft  der  „principes  imperii  mei",  wie  sie 
Kalojan  in  seinen  Briefen  an  den  Papst  nennt,  zeichnete  sich  durch 
unbändige  Wildheit  aus.  Fränkische  und  griechische  Quellen 
schildern  die  grausame  Härte  des  Kalojan  selbst.  Ivanko  ließ  in 
der  Rhodope,  wie  Niketas  Akominatos  berichtet,  bei  seinen  Gast- 
mählern zur  größeren  Feierlichkeit  griechische  Gefangene  ab- 
schlachten. Der  serbische  Mönch  Theodosij  erzählt,  wie  Strez  auf 
der  Burg  Prosek  eine  hölzerne  Bühne  errichtete,  auf  welcher  er 
bei  seinen  Gelagen  Leute  zum  Tode  verurteilte  und  sofort  in  die 
tief  unten  strömenden  Fluten  des  Vardar  hinabwerfen  ließ;  „seine 
Freude  war  der  Tod  der  Menschen".  Nun  begannen  diese 
Männer  gegeneinander  zu  kämpfen.  Der  junge  Thronerbe  Äsen, 
Sohn  des  „älteren"  Äsen,  mußte  nach  Rußland  fliehen.  Des 
Thrones  bemächtigte  sich  ein  Schwestersohn  Kalojans,  namens 
Boril  (1207 — 1218).  Borils  Vetter,  der  Despot  Slav  machte  sich 
in  der  Rhodope  unabhängig  und  schloß  sich  bald  den  Franken 
an.  Ein  anderes  Mitglied  der  Familie,  der  Sevastokrator  Strez 
(bei  den  Lateinern  Stratius,  Straces)  in  Prosek  fand  Unterstützung 
bei  Stephan  von  Serbien,  obwohl  Boril  angeblich  Tag  für  Tag 
seine  Auslieferung  verlangte,  um  diesen  seinen  „Bruder"  dem 
Feuertode  zu  überliefern  oder  zu  vierteilen.  Mit  Hilfe  des  Groß- 
zupans  soll  Strez  die  „Hälfte  des  bulgarischen  Kaisertums"  erobert 
haben.  Indessen  wurden  die  Landschaften  an  der  Morava  wieder 
von  den  Ungarn  besetzt,  in  deren  Besitz  damals  Branicevo  mit 
der  nahen  Landschaft  Kucevo  und  dem  Gebiet  südwärts  bis  Ravno 
(Cuprija)  erscheint  ^). 

Zar  Boril  bemühte  sich  anfangs  als  Verbündeter  der  Griechen 
von  Nikaia  die  Politik  Kalojans  fortzusetzen,  doch  eine  Niederlage 
gegen  Kaiser  Heinrich,  den  energischen  und  begabten  Bruder 
Balduins  L,  bei  Philippopel  (1208)  und  andere  Mißerfolge  zwangen 
ihn,  sich  gerade  Kalojans  Gegnern  in  die  Arme  zu  werfen,  den 
Lateinern  und  Ungarn.    Kaiser  Heinrich  heiratete  (um  1213)  eine 


1)  Castrum  Boronch  1217:  Cod.  dipl.  patr.  7,  6 — 7.  Kucso:  vgl. 
Paul  er  im  Sbornik  bulg.  7  (1892)  429.  Ravno  „an  der  Grenze  meines 
Vaterlandes":  König  Stephan  cap.  20. 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1196—1228). 

Verwandte  des  Boril  und  wurde  sein  Bundesgenosse  ^).  Anderer- 
seits half  König  Andreas  II.  dem  Boril  zur  Wiedereroberung  von 
Vidin,  als  sich  dort  eine  von  den  Rumänen  unterstützte  Gegen- 
partei festgesetzt  hatte  '^).  Als  Boril  und  Heinrich  beim  Großzupan 
die  Auslieferung  des  Strez  nicht  erlangen  konnten,  unternahmen 
sie  gemeinsam  einen  Zug  gegen  Serbien,  wurden  aber  bei  Nis 
angeblich  durch  ein  mitternächtliches  Wunder  des  heiligen  Symeon 
Nemanja  zu  einem  ruhmlosen  Rückzug  gezwungen  (ungefähr 
1214)  ^).  Bald  darauf  gelang  es  den  Verbündeten,  den  Strez  auf 
ihre  Seite  zu  ziehen,  gegen  den  Großzupan,  dem  er  so  viel  zu 
verdanken  hatte.  Selbst  durch  eine  Gesandtschaftsreise  des  Mönchs 
Sava  ließ  sich  der  Herr  von  Prosek  von  seinem  Gesinnungswechsel 
nicht  ablenken.  Jedoch  schon  in  der  Nacht  nach  der  Abreise  des 
serbischen  Fürstensohnes  im  Mönchsgewande  ereilte  ihn  ein  plötz- 
licher Tod  (ungefähr  1215).  Die  Serben  deuteten  das  unerwartete 
Ende  des  Mannes  als  ein  Wunder.  Die  Wahrheit  wissen  wir 
nicht.  Das  Gebiet  des  Strez  fiel  weder  Boril  von  Balgarien,  noch 
Stephan  von  Serbien  zu,  sondern  den  näheren  Nachbarn,  teils  den 
Lateinern  von  Thessalonich,  welche  Prosek  in  Besitz  nahmen,  teils 
den  Griechen  von  Epirus,  die  sich  in  Skopje  festsetzten  ^). 

Der  erste  der  Despoten  von  Arta,  Michael  I.  „Angelos  Dukas 
Koranenos",  des  Kaisers  Isaak  Vetter,  aber  ein  Bastard,  hatte  kurz 
zuvor  die  lateinische  Partei  verlassen,  die  Venezianer  aus  Durazza 


1)  König  Stephan  cap.  16  und  20  nennt  Heinrich  den  „griechiscben 
Kaiser  Jeris  Filandr".  Filandr  ist  Flandern,  Eris  die  griech.  Form  für 
Heinrich;  vgl.  Ivan  Pavlovic,  Arch.  slaw.  Phil.  3  (1879)  718. 

2)  „Assenus  Burul,  Imperator  Bulgarorum."  unterstützt  von  Andreas  H., 
Urk.  Belas  IV.  1259  bei  Kukuljevic,  Starine  27  (1895)  S.  28. 

3)  König  Stephan  cap.  16,  17,  20,  franz.  übersetzt  bei  Baron  de 
Borchgrave,  Henri  de  Flandre,  empereur  de  Constantinople  et  le  roi 
Etienne  I  de  Serbie  (Compte  rendu  der  bist.  Kommission  der  Akademie  von 
Brüssel,  t.  V  uro  5,  5  serie).  Abendländische  Berichte  fehlen;  Henri  de 
Valenciennes  reicht  nicht  so  weit  und  in  deu  Regesten  Innozenz'  III.  fehlt 
Febr.  1214  —  Nov.  1215;  vgl.  Hampe,  Mitt.  des  österr.  Inst.  23  (1902)  547. 

4)  Prosek  hat  später  Despot  Theodor  den  Lateinern  entrissen:  Briefe 
des  Metropoliten  Johannes  Apokaukos  von  Naupaktos  bei  Vasiljevskij, 
Epirotica,  Viz.  Vrem.  3  (189G)  214  f.  Skopje  im  April  1217  im  Besitz  der 
Epiroteu:  Dem.  Chomatianos  uro.  59. 


394  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

und  Korfu  vertrieben  ^)  und  im  Bunde  mit  Strez  die  Lateiner  in 
Thessalien  und  Makedonien  bekämpft.  Damals  kam  auch  die 
Landschaft  von  Arbanum  wieder  unter  die  Herrschaft  der  Griechen. 
Dem  Großzupan  Stephan  war  Michael  Feind,  wir  wissen  nicht 
warum.  Der  unternehmende  Despot  begann  sogar  eine  Restauration 
der  griechischen  Herrschaft  im  Küstengebiete  Dioklitiens  und  be- 
setzte die  Stadt  Skutari.  Vergeblich  waren  die  Reklamationen 
Stephans.  Plötzlich  wurde  der  Epirote  vom  Tode  ereilt,  ein  Er- 
eignis, welches  den  Zeitgenossen  ebenso  wie  das  Ende  Balduins  I., 
Kalojans  und  des  Strez  ganz  wunderbar  erschien.  In  Berat  in 
Albanien  wurde  Michael,  als  er  im  Bette  neben  seiner  Gattin  lag, 
von  einem  seiner  Diener  mit  dem  Schwerte  erstochen  -).  Sein 
Nachfolger  war  sein  Halbbruder  Despot  Theodor,  der  bedeutendste 
unter  allen  griechischen  Fürsten  des  Westens.  Mit  den  Serben 
knüpfte  er  wieder  freundschaftliche  Beziehungen  an.  Sein  Bruder 
Manuel  vermählte  sich  mit  einer  Schwester  des  Großzupans.  Stephan 
selbst  war  bereit,  Maria,  eine  Tochter  des  verstorbenen  Despoten 
Michael  I.  zu  heiraten,  jedoch  das  Projekt  zerschlug  sich  an  einem 
Ehehindernis,  der  bereits  bestehenden  Verschwägerung  mit  dem 
Hause  der  Angeli  •^). 

Bedenklich  wurde  für  den  Großzupan  ein  Bündnis  zwischen 
Kaiser  Heinrich  und  König  Andreas  H.,  welcher  damals  eine 
Nichte  Heinrichs,  die  Jolante  von  Courtenay  geheiratet  hatte. 
Heinrich  und  Andreas  verabredeten  eine  persönliche  Zusammen- 
kunft in  Nis  (nach  Ostern,  1215?),  zu  welcher  sie  auch  den 
Serbenfürsten  einluden.  Stephan  war  aber  sehr  beunruhigt.  In 
den  Nachträgen  zur  Lebensbeschreibung  des  Nemanja  beschuldigt 
er  beide  Herrscher  geheimer  Absichten  gegen  Serbien;  sie  hätten 
im  Sinne  gehabt,  ihn  zu  vertreiben  und  sein  Land  untereinander 
zu  teilen.     Deshalb    beeilte   er   sich  zuerst  mit  Andreas  II.  allein 


1)  Um  1212—1214:  Miliarakis  a.  a.  0.  62. 

2)  Akropolites  ed.  Heisenberg  cap.  14  p.  25.  König  Stephan  cap.  18 
(bei  ihm  als  nächstem  Zeugen  ist  die  chronologische  Reihenfolge  der  Ereig- 
nisse zu  beachten).  Michaels  Tod  nach  Finlay  und  Hopf  1214,  nach 
Miliarakis  Anf.  1216;  eher  1215. 

3)  Demetrios  Chomatianos  nro.  10  (undatiert).  Vgl.  Drinov, 
Viz.  Vrem.  1  (1894)  327 f.  und  Radouic,  Letopis  208  (1901)  128. 


Stephan  der  Erstgekrönte  (1196—1228).  295 

zusammenzukommen.  Die  Entrevue  fand  in  Ravno  statt  und 
dauerte  12  Tage,  unter  Festlichkeiten  und  Austausch  von  Ge- 
schenken. Von  dort  zogen  der  König  und  der  Großzupan  dem 
Kaiser  entgegen  nach  Nis.  Heinrich  war  gegen  Stephan  von 
dessen  Gegnern  aufgebracht  worden.  „Er  wünschte  gar  sehr, 
daß  ihm  von  mir  irgendeine,  wenn  auch  kleine  Ehre  erwiesen 
werde,  erlangte  sie  aber  nicht."  Es  war  wohl  die  einstige  Ober- 
hoheit des  Konstantinopler  Kaisertums  über  Serbien,  welche  die 
Lateiner  in  irgendeiner  Form  gern  erneuert  hätten.  Die  Spannung 
ging  so  weit,  daß  die  Serben  alle  Wege  absperrten ;  endlich  konnte 
der  Kaiser  nur  durch  Intervention  des  Königs  Andreas  wieder 
frei  abziehen  ^).  Die  Machtstellung  und  die  Ansprüche  des  latei- 
nischen Kaisertums  zwangen  Stephan,  einen  engeren  Anschluß  an 
andere  Lateiner  zu  suchen.  Wahrscheinlich  durch  Vermittlung 
des  Coraes  von  Ragusa  Giovanni  Dandolo  trat  er  durch  eine 
Heirat  in  eine  nähere  Verbindung  mit  den  Venezianern  und  zwar 
gerade  mit  der  Familie  Dandolo.  Frau  des  Großzupans,  wohl  die 
dritte,  wurde  Anna,  Enkelin  des  Dogen  Enrico  Dandolo  (f  1205) 
und  Tochter  des  Riniero  Dandolo  (f  1209)  -). 

Kaiser  Heinrich  starb  indessen  in  Thessalonich  eines  frühen 
Todes  (11.  Juni  1216).  Eine  Partei  war  für  den  König  Andreas  H. 
von  Ungarn,  doch  die  Mehrheit  entschied  sich  für  Peter  von 
Courtenay,  Gemahl  einer  Schwester  der  beiden  ersten  lateinischen 
Kaiser.  Peter  wurde  in  Rom  von  Papst  Honorius  IH,  gekrönt 
(9.  April  1217),  Aus  Unteritalien  segelte  er  nicht  geradeswegs 
nach  Konstantinopel,  sondern  auf  Wunsch  der  Venezianer  zuerst 
nach  Durazzo,  um  diese  Stadt  für  sie  wiederzuerobern  ^).    Obwohl 


1)  Nur  bei  König  Stephan  cap.  20  (Schluß  des  Werkes,  verfaßt  jeden- 
falls noch  vor  dem  Tode  Heinrichs).  Schenkungsurkunde  Andreas'  II.  an 
Michael,  Sohn  Abrahams,  für  seine  Verdienste  „maxime  in  expedicione 
Rascie,  nobis  personaliter  ibidem  existentibus "  (1229):  Smiciklas,  Cod. 
dipl.  3,  318. 

2)  Stammtafel  der  Dandolo  bei  Simons feld,  Andreas  Dandolo  und 
seine  Geschichts werke  (München  1876)  24.  Radonic  im  Letopis  208  (1901) 
126 — 130  erklärt  als  Stephans  zweite  Frau  die  Ungenannte  um  1204 — 1216  bei 
Demetrios  Chomatianos  nro.  10,  als  die  dritte  die  Venezianerin. 

3)  Guill.  de  Nangiaco:  Recueil  des  bist,  des  Gaules  20,  759. 


396  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

die  Belagerung  mißglückte,  begann  der  Kaiser  den  Vormarsch  in 
sein  Reich  dennoch  auf  dem  Landwege  durch  epirotisches  Gebiet, 
in  der  Richtung  nach  Ochrid  und  Thessalonich.  Schon  in  der 
Nähe  erwartete  ihn  der  Despot  Theodor.  An  den  Ufern  des 
Skumbi  geriet  Kaiser  Peter  in  einen  Hinterhalt  und  fand  im 
Kampfe  den  Tod  ^).  Durch  diesen  Sieg,  welcher  dem  Kalojans 
über  Kaiser  Balduin  I.  nicht  im  geringsten  nachstand,  wurde 
Theodor  mit  einem  Schlag  der  berühmteste  Fürst  des  Ostens. 
Das  lateinische  Kaisertum  hat  sich  seit  diesem  Tage  nimmermehr 
aufgerafft.  In  Konstantinopel  folgte  eine  schwache  Regentschaft 
unter  Peters  Witwe.  Boril  von  Bulgarien  konnte  sich  ohne  Unter- 
stützung der  Franken  nicht  länger  behaupten.  Johannes  Äsen  II. 
kehrte  aus  Rußland  zurück,  nahm  Boril  gefangen  und  ließ  ihn 
blenden  (1218).  Indessen  trat  König  Andreas  II.  den  Kreuzzug 
an,  zu  dem  er  sich  längst  verpflichtet  hatte.  Von  Spalato  segelte 
er  (August  1217)  nach  Palästina,  kehrte  aber  schon  im  folgenden 
Jahre  (1218)  auf  dem  Landwege  durch  das  Sultanat  der  Seld- 
schuken  und  das  Kaisertum  Nikaia  über  Konstantinopel  und  Bul- 
garien nach  Ungarn  zurück. 

Während  dieses  raschen  Szenenwechsels  erreichte  Großzupan 
Stephan,  wahrscheinlich  mit  Hilfe  von  Venedig,  das  Ziel  seiner 
Wünsche,  die  Königskrone  aus  Rom  (1217),  um  die  er  schon  vor 
fünfzehn  Jahren  mit  Innozenz  III.  verhandelt  hatte.  Die  klarste 
Nachricht  gibt  ein  Zeitgenosse,  der  Archidiakon  Thomas  von 
Spalato  (geb.  1200,  f  1268).  Unmittelbar  nach  der  Abreise  des. 
Königs  Andreas  II.  berichtet  er,  zur  selben  Zeit  (eodem  tempore) 
habe  „Stephanus,  dominus  Servie  sive  Rasie",  genannt  „megaju- 
panus",  durch  Gesandte  vom  Papst  Honorius  III.  eine  Königs- 
krone (corona  regni)  erlangt.  Ein  päpstlicher  Legat  sei  nach 
Serbien  gesendet  worden,  welcher  Stephan  krönte  und  zum  ersten 
König  seines  Landes  einsetzte  -).    Andreas  Dandolo  wiederholt  die 


1)  Akropolites  ed.  Heisenberg  cap.  14  p.  26;  vgl.  Miliarakis 
a.  a.  0.  125.  Vor  dem  28.  Juli  1217:  Press utti,  Regesta  Honorü  III,  1 
(Rom  1888)  nro.  684  f. 

2}  Thomas  (cap.  25,  ed.  Racki  p.  yi)  war  wohl  bei  der  Abfahrt 
Andreas'  II.  aus  Spalato  anwesend,  bevor  er  die  Universität  von  Bologna 
(um  1220)  bezog. 


Erwerbung  der  Königskrone  (1217).  297 

Nachricht  mit  einem  Zusatz  aus  der  Geschichte  seiner  Familie : 
Stephan  heiratete  eine  Enkehn  des  Dogen  Enrico  Dandolo,  ließ 
sich  von  seiner  Frau  überreden,  dem  Schisma  zu  entsagen,  und 
wurde  von  einem  Kardinallegaten  zugleich  mit  seiner  Gattin  zum 
König  gekrönt  ^).  Die  erhaltenen  Regesten  Honorius'  III.  bieten 
nichts  über  diese  Krönung;  sie  scheinen  nicht  die  Geheimbriefe 
zu  enthalten  und  geben  weniger  Aufschluß  über  die  politische 
Geschichte,  als  der  Briefwechsel  Innozenz'  III.  Nur  im  März  1220 
ist  darin  ein  Brief  des  „Stephanus,  dei  gratia  totius  Servie,  Dioclie, 
Tribunie,  Dalmatie  atque  Chlumie  rex  coronatus-'^  eingetragen^ 
in  welchem  er  dem  Papst  seine  Treue  als  Sohn  der  römischen 
Kirche  beteuert,  den  Segen  Gottes  und  des  Papstes  für  seine  Krone 
und  sein  Land  erfleht  und  den  Bischof  Methodius  als  seinen  Ge- 
sandten beglaubigt  -).  Bei  dem  serbischen  Mönch  Domentian 
(schrieb  1254)  ist  der  Bericht  schon  ganz  verfärbt.  Sava,  angeb- 
lich schon  Erzbischof  von  Serbien,  habe  durch  einen  seiner  Schüler, 
den  Bischof  Metodij,  in  Rom  um  den  Segen  der  heiligen  Apostel 
Peter  und  Paul  und  um  eine  vom  Papste  geweihte  Krone  gebeten. 
Der  Papst  habe  diesen  Wunsch  erfüllt.  Als  Metodij  die  Krone 
nach  Serbien  brachte,  habe  Sava  seinen  Bruder  im  Kloster  Zica 
gekrönt.  Kein  Wort  von  Rom,  dem  Papst  und  dem  Ursprung 
der  Krone  sagt  der  Mönch  Theodosij,  der  gleichfalls  den  Krönungs- 
akt von  Sava  ausführen  läßt.  Doch  ist  Sava  damals  noch  gar 
nicht  Erzbischof  gewesen,  sondern  weilte  abermals  auf  dem  Berge 
Athos  ^).  Ein  Protest  gegen  die  Krone  war  nur  von  Andreas  IL 
von  Ungarn  zu  erwarten,  der  sich,  wie  sein  Bruder  und  Vorgänger 
Emerich,  stets  auch  König  von  Serbien  schrieb.  Nach  der  Rück- 
kehr aus  Palästina  war  er  über  die  Sache  sehr  ungehalten  und 
betrieb  Rüstungen,  eine  Gesandtschaftsreise  des  Sava  soll  ihn  aber 


1)  Muratori,  Bd.  12  col.  340  E. 

2)  Bei  Raynald  a.  1220,  Farlati  7,  34,  aus  dem  Nachlaß  von 
T  h  e  i  u  e  r  bei  R  a  c  k  i ,  Starine  7,  55 ;  kurzes  Regest  bei  Pressutti  a.  a.  0. 
1  p.  LH  nro.  21. 

3)  Vgl.die  Untersuchungen  von  IlarionRuvaracim  Letopis  208  (1901) 
1—44.  Engel,  Majkov,  Golubinskij  u.  a.  haben,  um  die  vei'schiedenen 
Berichte  in  Einklang  zu  bringen,  zwei  Kronen  angenommen,  eine  aus  Rom, 
die  zweite,  von  der  in  den  Quellen  nirgends  zu  lesen  ist,  aus  Nikaia. 


398  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

besänftigt  haben  i).  Die  Gefahr  war  jedenfalls  nicht  groß,  da  in 
Ungarn  eine  arge  Spannung  zwischen  dem  König  und  dem  Adel 
ausbrach,  welche  erst  durch  die  „Goldene  Bulle"  (1222)  beigelegt 
wurde. 

Der  Verfall  des  lateinischen  Kaisertums  entwertete  bald  die 
Verbindung  mit  dem  Westen  und  riet  zu  einer  Annäherung  an 
den  Osten.  Im  Aufschwung  war  die  Macht  der  Griechen.  Nur 
wußte  man  nicht,  ob  die  Epiroten  oder  die  Nikäer  die  Oberhand 
gewinnen  würden.  Zu  dem  politischen  Gegensatz  der  griechischen 
Nebenbuhler  gesellte  sich  auch  eine  kirchliche  Rivalität,  welche 
von  König  Stephan  sofort  ausgenutzt  wurde.  Der  Einfluß  des  in 
der  unmittelbaren  Nachbarschaft,  im  Lande  des  mächtigen  Theodor 
residierenden  Erzbischofs  von  Ochrid  war  dem  Stephan  unbequem. 
Um  ein  eigenes  serbisches  Erzbistum  zu  erlangen,  sendete  der 
König  (1219)  seinen  Bruder,  den  Mönch  Sava,  an  den  fernen  Hof 
von  Nikaia,  zu  Kaiser  Theodoros  I.  Laskaris  und  zu  dem  dort 
lebenden  Patriarchen  von  Konstantinopel,  damals  Manuel  Saran- 
tenos,  genannt  Charitopulos  (1215 — 1222)  -).  Die  Errichtung  eines 
Erzbistums  wurde  gerne  bewilligt  und  Sava  selbst  in  Nikaia  feier- 
lich zum  ersten  Erzbischof  von  Serbien  geweiht.  Neben  dem 
alten  Bistum  von  Ras  gründete  man  sofort  eine  Reihe  neuer 
Bischofsitze.  Der  Kirche  von  Ochrid  wurde  von  dieser  Neu- 
gründung keine  amtliche  ]\Iitteilung  gemacht.  Der  damalige  Erz- 
bischof,  der  gelehrte  Demetrios  Chomatianos  protestierte  gegen  die 
Verletzung  seiner  Rechte  in  einem  Synodalschreiben  an  den  „Mönch" 
Sava,  welches  der  Bischof  Johannes  von  Skopje  zu  überbringen 
und  mündlich  zu  erläutern  hatte  (Mai  1220).  In  diesem  Akte 
wird  betont,  daß  Serbien  dem  Thron  des  Erzbischofs  von  Ochrid 
untergeordnet  sei;  der  einzige  legitime  Bischof  im  Lande  sei  der 
von  Ras.  Sava  sei  gegen  die  Satzungen  des  kanonischen  Rechtes 
gleich  zum  Erzbischof  geweiht  worden,  ohne  früher  Bischof  ge- 
wesen zu  sein.     Um  die  Errichtung  eines  Erzbistums  hätte  er  in 

1)  Domentian  245f.     Theodosij  bei  Pavlovic  115f. 

2)  Bei  Domentian  wird  irrtümlicli  Gerinanos  IL,  Manuels  Nach- 
folger genannt,  doch  die  Petersburger  Handschrift  (vgl.  Jagic,  Starine 
5,  15)  verbessert  am  Rande  Germau  in  Manuel,  den  auch  ein  altserb.  Text 
bei  Pavlovic  a.  a.  0.  99  Anm.  nennt. 


Die  erste  Erzbischof  Sava  I.  (1219).  399 

Ochrid,  nicht  in  Nikaia  nachsuchen  sollen.  Sava  selbst  habe  in 
jungen  Jahren  Vaterland,  Familie,  sein  väterliches  Erbe,  kurz  die 
ganze  Welt  verlassen,  um  unter  den  den  Satan  bekämpfenden 
Einsiedlern  berühmt  zu  werden.  Dann  aber  sei  er  aus  Liebe 
zum  Vaterlande  aus  der  Akropolis  des  Heiligen  Berges  nach 
Serbien  zurückgekehrt  und  aus  einem  Asketen  Staatsmann  und 
Diplomat  geworden.  Jetzt  nehme  er  an  weltlichen  Gastmählern 
teil  und  reite  schöne  Pferde  edler  Rasse,  umgeben  von  einem 
großen  Gefolge  von  Bewaffneten.  Nicht  aus  Eifer  für  das  Evan- 
gelium, sondern  aus  Eitelkeit  habe  er  die  neue  Würde  angestrebt. 
Überdies  habe  er  den  kanonischen,  von  Ochrid  abhängigen  Bischof 
von  Prizren  eigenmächtig  vertrieben  und  einen  anderen  eingesetzt; 
demnach  war  Prizren  in  dieser  Zeit,  wir  wissen  nicht  wie,  unter 
die  Herrschaft  der  Serben  gekommen.  Demetrios  droht  dem  Sava 
mit  dem  Kirchenbann  {dcpoQiOf.i6g),  als  Übertreter  der  heiligen  und 
göttlichen  Kanones.  Einige  Jahre  später  richtete  Demetrios  neue 
Vorwürfe  wegen  Serbien  an  die  Kirche  von  Nikaia,  schon  an  den 
Patriarchen  Germanos  H.  (seit  1222)  ^).  Ob  die  Serben  und  die 
Nikäer  auf  diese  Proteste  überhaupt  geantwortet  haben,  ist  nicht 
bekannt.  In  Serbien  baute  man  damals  eifrig  an  dem  Kloster 
von  Zica,  der  Residenz  des  Erzbischofs  und  der  Krönungskirche 
der  Könige.  Unter  den  Fresken  ist  dort  noch  das  Bildnis  des 
Stifters,  des  Königs  Stephan  zu  sehen:  ein  schöner  Mann  mit 
langem  schwarzen  Bart,  in  einer  mit  Perlen  geschmückten  Mütze, 
gekleidet  in  ein  karminrotes  Gewand  mit  gelben  Doppeladlern  in 
weißen  Perlenkreisen.  Neben  ihm  erblickt  man  das  von  einem 
schütteren  Bart  umrahmte  jugendliche  Antlitz  seines  ähnlich  ge- 
kleideten erstgeborenen  Sohnes  Radoslav  -). 

Bald  darauf  zog  ein  neuer  lateinischer  Kaiser  nach  Konstan- 
tinopel, auf  der  alten  Kreuzfahrerstraße.  Es  war  ein  Sohn  des 
unglücklichen  Peter,  der  junge  Robert  de  Courtenay  (1220 — 1228). 
Den  Winter  (1220 — 1221)    brachte   er   bei    seiner  Schwester,   der 


1)  Demetrios  Chomatianos  uro.  86   ed.  Pitra  col.  381 — 390  und 
nro.  114  col.  495— 49G. 

2)  Nach  einer  Kopie  von  Valtrovic  bei  Strzygowski:   Denkschr. 
W.  Akad.  52  (1906)  109,  Abb.  40. 


300  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

ungarischen  Königin  Jolante  zu.  Der  Durchzug  durch  das  Gebiet 
des  serbischen  Königs  Stephan  und  des  bulgarischen  Zaren  Johannes 
Äsen  IL,  der  damals  Schwiegersohn  Andreas  II.  war,  ging  ganz 
ruhig  vor  sich.  Merkwürdig  ist  eine  Nachricht  in  der  Chronik 
des  Balduin  von  Avesnes.  Robert  hatte  einen  Kriegsmann  (serjant) 
aus  Lille  bei  sich,  von  dem  man  sich  erzählte,  daß  er  ein  „  Bastard- 
onkel'* des  jungen  Kaisers  sei.  Dieser  Onkel  hatte  eine  schöne 
Tochter,  welche  Robert  reich  geschmückt  als  seine  Cousine  ausgab 
und  an  den  „König  von  Serbien"  (roi  de  Servie)  unter  großen 
Feierlichkeiten  verheiratete.  Dem  Vater  des  Fräuleins  gab  er  aber 
Geld  zur  Rückreise  in  die  Heimat,  damit  das  Geheimnis  der 
Genealogie  nicht  verraten  werde  ^).  Im  März  1221  wurde  Robert 
in  Konstantinopel  gekrönt,  doch  bald  wußte  alle  Welt  von  seiner 
Unfähigkeit. 

Nach  kurzer  Zeit  wurde  Thessalonich,  die  zweite  Hauptstadt 
der  Lateiner,  vom  Despoten  Theodor  erobert  (April  1223).  Der 
Sohn  des  Bonifaz,  König  Demetrios,  war  eben  über  Ungarn  ins 
Abendland  um  Hilfe  gereist.  Eine  epirotische  Synode  in  Arta 
beschloß  einstimmig,  Theodor,  den  Befreier  des  Westens  von  dem 
Joche  der  Fremdherrschaft,  zum  Kaiser  zu  erheben.  Erzbischof 
Demetrios  Chomatianos  vollzog  die  Krönung.  Der  neue  Kaiser 
residierte  meist  in  Thessalonich.  Seine  Statthalter,  mit  den  Titeln 
von  Duces  und  Sevasti,  Griechen,  Slawen  und  Albanesen,  ver- 
walteten die  Themata  Makedoniens  und  Albaniens  bis  zur  serbi- 
schen Grenze,  die  sich  nördlich  von  Arbanum,  Dibra  und  Skopje 
befand  -).  Gegen  Osten  erweiterte  Theodor  sein  Gebiet  bis  nach 
Thrakien,  wo  sich  ihm  Adrianopel  anschloß.  König  Stephan  ver- 
stand es,  mit  dem  mächtigsten  Mann   der  Halbinsel   freundschaft- 


1)  Bei  Villehardouin  ed.  Wailly  (Paris  1872)  in  den  Beilagen  p.  425; 
die  Nachricht  stammt  vielleicht  aus  dem  verloreneu  Teil  der  Chronik  des 
Henri  de  Valenciennes.  Die  angebliche  Base  des  Kaiser  Roberts  war 
entweder  die  vierte  Frau  des  Königs  Stephan  (nach  der  Venezianerin)  oder 
eher  die  Frau  eines  seiner  Söhne. 

2)  In  Arbanon  war  Theodors  Statthalter  der  Sevastos  Gregorios  Ka- 
monüs,  welcher  durch  eine  Heirat  mit  der  Witwe  des  Archonten  Demetrios 
Schwiegersohn  Stephans  von  Serbien  geworden  war  (vor  1217):  Dem.  Cho- 
matianos uro.  1,  3.  ' 


Stephan  der  Erstgekrönte  (119G— 1228).  301 

liehe  Beziehungen  zu  erhalten.  Schon  früher  (um  1216)  wollte 
er  seinen  ältesten  Sohn  Stephan  Radoslav  mit  einer  Prinzessin  des 
epirotischen  Hauses  vermählen,  doch  der  Plan  konnte  nicht  aus- 
geführt werden,  wegen  des  Widerstandes  der  Kirche,  da  Radoslav 
ein  Sohn  der  Eudokia  aus  demselben  Haus  der  Angeli  war  ^).  Als 
der  Epirote  mächtig  geworden  war,  ließ  man  das  kanonische  Recht 
beiseite.  Radoslav  wurde  Schwiegersohn  des  Kaisers  Theodoros 
selbst,  Gemahl  seiner  Tochter  Anna.  Durch  einen  Zufall  hat  sich 
der  massive  Verlobuugsring  erhalten,  mit  einer  Inschrift  in 
griechischen  Versen  -).  Radoslav  verwaltete  als  Thronfolger 
das  einstige  Gebiet  Vlkans,  Dioklitien  und  vielleicht  auch  Tre- 
binje  ^'). 

Das  alte  Zachlumien  war  in  dieser  Zeit  meist  in  zwei  Teile 
geteilt,  mit  zwei  „Großfürsten"  (velji  knez).  Orbini,  der  wahr- 
scheinlich eine  seitdem  verschollene  Chronik  des  Landes  benutzt 
hat,  erzählt,  nach  dem  Tode  des  Miroslav,  des  Bruders  des  Ne- 
manja,  habe  der  Adel  des  Landes  seine  Witwe  und  ihren  zehn- 
jährigen Sohn  Andreas  verti'ieben  und  den  Comes  Peter  zum 
Fürsten  erhoben.  Das  ist  der  aus  dem  Buch  des  Archidiakons 
Thomas  bekannte  kriegerische  Peter,  Herr  von  Chulmia,  ein  Pata- 
rener,  den  die  Spalatiner  trotz  des  Widerspruchs  der  Geistlichkeit 
zu  ihrem  Stadtgrafen  wählten  (1225 — 1227)  und  dafür  vom  päpst- 
lichen Legaten  Aconcius  mit  dem  Interdikt  belegt  wurden.  Peters 
Nachfolger  war  sein  Neffe  Toljen  (f  1239J,  ein  Feind  der  Städte 
Spalato  und  Trau.  Orbini  berichtet  ferner,  der  Großzupan  Stephan 
sei  mit  seinem  Sohn  Radoslav  gegen  Peter  gezogen,  habe  ihn  auf 


1)  Demetrios  Choraatianos  nro.  10:  geplante  Heirat  des  Sohnes 
Stephans  mit  Theodora,  Tochter  des  Despoten  Michael  I.  Sehr  zu  be- 
zweifeln ist  die  Nachricht  Domeutians  261,  Radoslav  sei  erst  nach  seines 
Vaters  Tod  von  seinem  Oheim,  dem  Erzbischof  Sava  verheiratet  worden. 

2)  Krumbacher,  Ein  serbisch-byzantinischer  Verlobuugsring:  S.  B. 
der  kgl.  bayer.  Akad.  1906  Heft  HI,  421—452  mit  Taf.  Cajkanovic, 
Über  die  Echtheit  eines  serb.-byz.  Verlobungsringes:  Byz.  Z.  19  (1910)  Ulf. 
gegen  die  Einwendungen  von  S.  Papadimitriu. 

3)  In  den  (nicht  im  Orig.  erhaltenen)  Urk.  von  Cattaro  Radoslav  als 
König  seit  Okt.  1217:  Farlati  6,  439,  Smiciklas  3,  163,  195,  208. 
Eine  hat  aber  bei  Kukuljevic,  Starine  21,  286  und  Farlati  6,  437—438 
das  Datum  1227,  nicht  1217. 


303  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

der  Ebene  Bisde  unter  der  Burg  Blagaj  in  der  Nähe  des  heutigen 
Mostar  geschlagen  und  auf  das  Gebiet  zwischen  Narenta  und  Cetina 
beschränkt.  Südhch  der  Narenta  habe  Stephan  die  Verwaltung 
seinem  Sohn  ßadoslav  übergeben,  seinen  Vetter  Andreas,  den 
Sohn  Miroslavs,  aber  zum  Herrn  des  Küstenlandes  in  Stagno,  im 
Primorje  (Marina)  von  Slano  und  in  der  Zupa  von  Popovo  ein- 
gesetzt. Später  gelang  es  Andreas  ganz  Chelmo  zu  gewinnen. 
Aus  dieser  Zeit  stammen  die  Verträge  des  „Großfürsten"  Andreas 
mit  den  Comites  von  Ragusa  Giovanni  Dandolo  (1214 — 1235) 
und  Giacomo  Delfino  (1247 — 1249)  und  mit  der  Stadt  Spalato 
(1241).  Als  erblicher  Fürst  beruft  er  sich  darin  auf  seine  Vor- 
fahren und  unterschreibt  sich  in  der  Art  der  byzantinischen  Privat- 
urkunde um  ein  Kreuz  herum,  ebenso  wie  einst  Nemanja  und 
Miroslav  ^).  Die  Freundschaft  des  Andreas  mit  den  Patriziern 
von  Ragusa  wurde  befestigt  durch  die  Heirat  seiner  Tochter 
Vlkoslava  mit  dem  vornehmen  Ragusaner  Barbius  de  Crossio 
(slaw.  Krusic)  ^).  Daß  dem  König  von  Serbien  die  Oberhoheit 
über  Andreas  geblieben  ist,  sieht  man  an  der  Nennung  Zach- 
lumiens  in  den  Titeln  der  Könige  Stephan  und  Vladislav  und  an 
der  Errichtung  eines  serbischen  Bistums  durch  den  Erzbischof 
Sava  in  seinem  Lande.  Orbini  kennt  noch  das  Grab  des  Andreas 
(f  um  1250)  in  der  Marienkirche  von  Stagno,  bei  dem  Sitz  des 
serbischen  Bischofs  von  Zachlumien. 

Stephan  der  Erstgekrönte  ließ  sich  vor  dem  Tode  (f  24.  Sep- 
tember 1228?)  von  seinem  Bruder  Sava  ein  Klostergelübde  ab- 
nehmen und  starb  als  Mönch  Simon  ^).  Von  seinen  vier  Söhnen 
wurde  Radoslav  vom  Erzbischof  Sava  in  Zica  zum  König  ge- 
krönt.   Vladislav  und  Uros  haben  wahrscheinlich  eigene  Territorien 


1)  Orbini  248,  250,  390.  Mon.  serb.  24,  34—35.  Smiciklas,  Cod. 
dipl.  3,  432;  4,  134,  414. 

2)  Meine  Abb.  über  Toljen  im  Glas  35  (1892)  12-14;  vgl.  meine 
Rom.  Dalm.  1,  96. 

3)  Der  Todestag  ist  sicher,  das  Jahr  nicht.  Die  Absperrung  der 
Grenze  bei  Ragusa  wegen  Unruhen  in  der  Nachbarschaft  am  9.  Oktober 
1228  bei  Smiciklas  3,  292  könnte  mit  dem  Ableben  des  Königs  in  Ver- 
bindung stehen.  Da  Radoslav  nach  Daniel  S.  5  sechs  Jahre  regierte  (bis 
1234),  fällt  sein  Regierungsantritt  in  das  Jahr  1228. 


Stephan  Radoslav  (1228—1234).  303 

erhalten.  Der  vierte  Sohn  Predislav  wurde  nach  dem  Beispiel 
seines  Oheims  Mönch,  wieder  mit  dem  Namen  Sava ;  er  war  später 
Bischof  von  Zachlumien  ^),  zuletzt  Erzbischof  von  Serbien  als 
Sava  II.  (12G3— 1270). 

Stephan  Radoslav  (1228 — 1234)  war  ein  schwacher  und  un- 
fähiger König.  Als  Sohn  und  Gatte  byzantinischer  Kaisertöchter 
wollte  er  ein  Grieche  sein  und  unterschrieb  sich  selbst  auf  serbisch 
verfaßten  Urkunden  in  griechischer  Sprache  als  ^vicfavog  Qr^^  6 
^ov7.ag  -).  Politisch  war  er  ganz  von  sehiem  Schwiegervater,  dem 
epirotischen  Kaiser  Theodor  abhängig.  Es  scheint,  daß  er  auch 
die  serbische  Kirche  wieder  dem  Erzbistum  von  Ochrid  unter- 
geordnet hat.  Bei  seinem  Interesse  für  liturgische  und  kanonische 
Fragen  wendete  er  sich  um  Belehrung  nicht  an  den  Patriarchen 
von  „Konstantinopel''  in  Nikaia,  wie  man  erwarten  sollte,  sondern 
an  den  Erzbischof  Demetrios  Chomatianos,  der  alle  Anfragen  des 
jungen  Königs  eingehend  beantwortete.  Der  Erzbischof  Sava  war 
mit  dieser  Wendung  unzufrieden  und  benutzte  die  Wiederge- 
winnung Jerusalems  durch  den  Kreuzzug  Kaiser  Friedrichs  IL 
(Februar  1229)  zu  einer  Pilgerfahrt  ins  Heilige  Land.  Drei  Ri- 
valen umstanden  das  sinkende  lateinische  Kaisertum,  in  welchem 
nach  dem  Tode  Roberts  sein  kleiner  Bruder  Balduin  IL  (1228) 
gefolgt  war:  die  Epiroten,  die  Nikäer  und  die  Bulgaren.  Eine 
unerwartete  Wendung  brachte  die  Katastrophe  des  Kaisers  Theo- 
dor. Er  wurde  von  Äsen  IL  bei  dem  Dorfe  Klokotnica  (jetzt 
Semisdsche)  auf  der  Straße  von  Philippopel  nach  Adrianopel  über- 
rascht, geschlagen  und  gefangen  (Frühjahr  1230).  Mühelos  be- 
setzten die  Bulgaren  den  ganzen  Westen ,  von  Adrianopel  über 
Skopje  und  Ochrid  bis  Durazzo.  Nur  in  Thessalonich,  Thessalien 
und  Epirus  bUeb  des  Theodor  Bruder  Manuel  mit  dem  Kaiser- 
titel; nach  dem  Tode  seiner  serbischen  Gattin  heiratete  er  eine 
natürliche  Tochter  Asens.  Die  Ragusaner  beeilten  sich,  wegen  ihres 
Handels  in  Durazzo  und  Umgebung  ihre  Rechte  von  dem  neuen 
Landesherrn,  dem  „Kaiser  der  Bulgaren  und  Griechen"  bestätigen 

1)  Urk.     im    Spomenik    3,    8.      Vgl.     II.    Ruvarac,    Godisnjica    10 
(1888)  66. 

2)  Mon.  serb.  20.  Acta  graeca  3,  66.  Dem.  Chomatianos  ed. 
Pitra  col.  686 — 710.     Verlobungsring  bei  Krumbacher  a.  a.  0. 


304  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

zu  lassen  i).  Zugleich  war  die  Freundschaft  der  Bulgaren  mit 
den  Ungarn  zu  Ende.  Branicevo  und  Belgrad  erscheinen  in 
Asens  II.  Privilegium  an  Ragusa  im  Besitze  der  Bulgaren,  aber 
schon  1232  in  dem  der  Ungarn  2).  Asens  Bruder,  der  Sevasto- 
krator  Alexander,  führte  die  bulgarischen  Truppen  gegen  die 
Scharen  Andreas'  IL,  der  damals  zum  Schutz  seiner  Grenzen  das 
Banat  von  Severin  (jetzt  Turn  Severin)  im  äußersten  Westen  der 
Walachei  errichtete  (1233).  König  Stephan  Radoslav  verlor  nach 
dem  Fall  seines  epirotischen  Schwiegervaters  jeden  Halt.  Äsen  IL 
schrieb  sich  die  Oberhoheit  über  Serbien  zu  und  unterstützte  ßa- 
doslavs  Bruder  Vladislav,  der  sein  Schwiegersohn  wurde  ^).  Sava, 
dessen  Lage  sich  unangenehm  gestaltet  hatte,  dankte  auf  einem 
Landtag  in  Ziea  ab ,  überließ  den  erzbischöflichen  Thron  seinem 
Schüler  Arsenij  und  begab  sich  zum  zweiten  Male  nach  Palästina, 
um  auch  den  Berg  Sinai  und  Ägypten  zu  besuchen  (1233)  *). 
Bald  nachher  wurde  Radoslav  gestürzt  und  vertrieben.  Der  Mönch 
Theodosij  erzählt,  der  König  sei  ganz  von  seiner  Frau  abhängig 
und  deshalb  „in  seinem  Verstände  gestört"  gewesen;  das  habe 
die  Adligen  bewogen,  sich  um  Vladislav  zu  scharen,  Radoslav 
floh  mit  seiner  Gattin  nach  Ragusa.  Der  Comes  Giovanni  Dan- 
dolo  weilte  eben  krank  in  Venedig.  Seine  Vertreter,  die  Vice- 
comites  Peter  de  Balhslava  (Boljeslaviö)  und  Theodor  de  Crossio 
(Krusic)  mit  der  ganzen  Gemeinde  nahmen  den  landlosen  König 
freundlich  auf  und  erhielten  von  ihm  eine  Urkunde  mit  vielen 
Ver.-prechungen  für  den  Fall  seiner  Wiedereinsetzung  (4.  Februar 
1234).  Wahrscheinlich  auf  einem  ragusanischen  Schiffe  segelten 
die  Flüchtlinge  weiter  nach  Durazzo.    Schon  im  folgenden  Monat 


1)  Urk.  des  Zaren  Äsen  II.  von  1230—1231:  Mon.  serb.  2—3  (vgl. 
p.  IX),  mit  Faks.  bei  Iljinskij:  Izvestija  arch.  inst.  7,  1  (1902)  25 f. 

2)  Theiner,  Mon.  Hang.  1,  103. 

3)  Asens  II.  Inschrift  in  Trnovo:  „Ich  eroberte  alles  Land  von  Odrin 
(Adrianopel)  bis  Drac  (Durazzo),  das  griechische,  darüber  noch  das  albanesische 
und  das  serbische."'  Neueste  Ausgabe  von  Th.  Uspenskij:  Izvestija  arch. 
inst.  7,  1  (1902)  Taf.  5. 

4)  Erzbischof  Daniel  248 f.  verlegt  die  Abdankung  seices  großen 
Vorgängers  in  die  Zeit  ßadoslavs,  Domentian  erst  unter  Vladislav.  Nach 
Domentian  295  war  Sava  14  Jahre  Erzbischof,  also  1219—1233. 


Stephan  Radoslav  (1228—1234).  305 

März  erhielten  die  Ragusaner  ein  Handelsprivilegium  vom  „Kaiser" 
Manuel  Dukas,  mit  Belobung  ihres  wohlwollenden  Benehmens 
gegen  „Kyr  Stephanos  Dukas",  den  König  von  Serbien,  und 
gegen  Manuels  Nichte,  die  Königin  (q^yaiva)  Anna  Dukaina  ^). 
Auf  eine  Wiedergewinnung  des  Thrones  mußte  Radoslav  ver- 
zichten. Sein  Unglück  wurde  seine  Frau.  In  Durazzo  soll  sie 
sich,  wie  Theodosij  erzählt,  einem  „großen  Franken"  angeschlossen 
haben,  der  den  unglücklichen  Serbenkönig  sogar  „mit  dem  tod- 
bringenden Schwerte"  bedrohte.  Ohne  Krone  und  ohne  Frau 
soll  dann  Radoslav  traurig  in  die  Heimat  zurückgekehrt  sein,  um 
seine  Tage  in  klösterlicher  Stille  als  Mönch  Johannes  abzuschließen. 
Nach  Daniel  ruhen  seine  Gebeine  in  der  Kirche  von  Studenica. 
Aber  auch  die  schöne  Anna  suchte  schließlich  Zuflucht  in  einem 
Kloster,  wohl  in  ibrer  epirotischen  Heimat  -). 

König  Stephan  Vladislav  (1234 — 1243)  hatte  mehr  Glück 
und  Begabung  als  sein  älterer  Bruder,  war  aber  wieder  zu  sehr 
von  seinem  bulgarischen  Schwiegervater  abhängig.  Während  Ra- 
doslav keine  Stiftung  hinterlassen  hat,  sicherte  sich  Vladislav  ein 
langes  Andenken  durch  Bauten  und  Schenkungen,  nicht  nur 
in  Serbien,  besonders  durch  die  Gründung  des  Klosters  Mileseva, 
sondern  auch  auf  dem  Athos  •').  Seit  seinem  Regierungsantritt 
hatte  die  Freundschaft  der  Serben  mit  den  Ragusanern  für  längere 
Zeit  eine  fühlbare  Schmälerung  erfahren.  Die  Stadt  hatte  sich 
wahrscheinlich  für  Radoslav  zu  sehr  eingesetzt.  Die  Spalatiner 
schrieben  (wohl  im  März  1234)  den  Ragusanern,  daß  sie  sich 
über  jeden  Erfolg  gegen  den  feindHchen  König,  der  ihnen  täglich 
Nachstellungen  bereite,  freuen  würden  *).  Noch  45  Jahre  später 
erinnerte  man  sich  in  Ragusa   an   die  Ausrüstung   der  Stadttürme 


1)  Urkunden  1234:  Mon.  serb.  19—20;  Acta  graeca  3,  66;  Smiciklas 
3,  395,  404. 

2)  König  Stephan  Radoslav  als  Mönch  Johannes,  mit  der  Nonne  Anna 
im  serb.  Pomenik:  Glasnik  42,  30.  Theodosij  bei  PavloYic  134. 
Daniel  5. 

3)  Großes  Lob  bei  Daniel  5—7.  Jos.  Müller  in  der  Slaw.  Biblio- 
thek 1  (1851)  197:  griech.  Urk.  des  Vladislav  an  das  Kloster  Esphigmenu. 

4)  Smiciklas  3,  431  (undatiert,  vgl.  3,  403). 
Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  20 


306  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

„in  der  Zeit  des  Königs  Radoslav "  ^).  Es  ist  mehr  als  ein  halbes 
Jahr  vergangen,  ehe  der  Comes  Giovanni  Dandolo  kurz  vor  seinem 
Tode  den  Frieden  mit  Vladislav  wieder  erneuern  konnte,  wobei 
die  großen  Versprechungen  Radoslavs  eine  starke  Einschränkung 
erfuhren  ^). 

Der  ehemalige  Erzbischof  Sava  reiste  indessen  auf  dem  Land- 
wege über  das  Kaisertum  von  Nikaia  aus  Jerusalem  zurück  und 
begab  sich  über  das  Schwarze  Meer  nach  Bulgarien,  um  Äsen  II. 
zu  besuchen.  Als  Gast  des  bulgarischen  Zaren  starb  er  in  Trnov 
(12.  Jänner  1236)  und  wurde  feierlich  in  der  neuerbauten  Kirche 
der  40  Märtyrer  ins  Grab  gelegt.  Schon  im  folgenden  Jahre  be- 
suchte König  Vladislav  seinen  Schwiegei*vater  und  brachte  die 
Leiche  seines  Oheims ,  des  Begründers  der  serbischen  National- 
kirche, in  das  neugegründete  Kloster  Mileseva  (6.  Mai  1237)  ^). 
Zar  Äsen  II.  bekämpfte  damals  im  Bunde  mit  Kaiser  Johannes 
Dukas  Vatatzes  von  Nikaia  eifrig  die  fast  auf  Konstantinopel 
allein  beschränkten  Lateiner.  Der  Höhepunkt  der  Offensive  war 
die  Belagerung  der  Stadt  durch  die  Verbündeten  im  Sommer  1235. 
Die  Politik  des  bulgarischen  Herrschers  geriet  in  Schwankungen, 
als  er  wieder  auf  friedlichem  Wege  Einfluß  in  Konstantinopel  zu 
erwerben  versuchte.  So  kam  es,  daß  der  junge  Kaiser  Balduin  IL 
(1240)  mit  einem  großen,  im  Abendlande  gesammelten  Heere  un- 
gehindert auf  dem   Landwege   durch  Ungarn,  Serbien    und    Bul- 

1)  „Tempore  Radasclaui  regis,  quando  armabantur  turres",  sei  eine 
Mauer  als  „raurus  communis"  betrachtet  worden;  so  hat  es  Domagna  de 
Babalio  immer  gehört  (semper  audivi  dici).  Zeugenaussage  vor  Gericht 
4.  November  1279:  Div.  Rag.  1278  f.  60. 

2)  Der  Vertrag  zwischen  Comes  Dandolo  und  König  Vladislav,  nur  in 
Abschriften  erhalten,  ist  geschlossen  zwischen  September  1234  und  April 
1235 ;  die  erstgenannten  Zeugen  sind  die  Stadtrichter  des  Jahres  Sept.  1234 
bis  Sept.  1235,  vor  der  Vertretung  des  Dandolo  durch  den  Vizecomes  Petrus 
de  Ballislava  seit  April  1235.  Texte:  a)  Urkunde  der  Ragusaner,  serbisch 
(ohne  Zeugen)  Mon.  serb.  22  —  23,  lateinisch  (mit  Zeugen)  Ljubic  1,  57 — 58, 
beides  Smiciklas  3,  427  430;  b)  Gegenurkunde  des  Königs:  serbisch 
Mon.  serb.  25  nro.  31,  Smiciklas  3,  433  nro.  376,  lateinisch  ib.  430  bis 
431.  Testament  des  Giovanni  Dandolo,  datiert  in  Venedig  8.  Juli  1235,  im 
Arch.  Rag. 

3)  Zur  Chronologie  vgl.  Kovacevic,  Godisnjica  3  (1879)  361  und 
Glasnik  63  (1885)  20. 


Stephan  Vladislav  (1234—1243).  307 

garien  zurückkehren  konnte ;  allerdings  löste  sich  das  Heer  wegen 
Geldmangel  gleich  wieder  auf.  Ein  Fortsetzer  der  epirotischen 
Politik  wurde  (seit  1237)  der  Despot  Michael  II.,  ein  Bastard 
IVIichaels  I.,  in  Albanien  und  Epirus.  Ephemer  war  das  noch- 
malige Auftreten  des  einstigen  Kaisers  Theodor.  In  der  bulgarischen 
Gefangenschaft  wurde  er  zuerst  wegen  seiner  Intrigen  geblendet, 
dann  aber  zu  Asens  IL  Schwiegervater  erhoben;  er  vertrieb  seinen 
Bruder  Manuel  aus  Thessalonich  und  heß  dort  seinen  Sohn  Jo- 
hannes zum  Kaiser  krönen,  besaß  aber  nur  ein  kleines  Gebiet 
(1240).  Nach  Asens  U.  Tod  (1241)  folgte  in  Bulgarien  sein 
junger  Sohn  Kaliman  I.  Kaiser  Vatatzes,  von  allen  Nebenbuhlern 
befreit,  nahm  die  Restauration  des  griechischen  Kaisertums  energisch 
in  Angriff  und  zwang  durch  einen  Feldzug  nach  Thessalonich  die 
dortigen  Epiroten,  den  Kaisertitel  abzulegen  (1242). 

Im  Nordwesten  der  Halbinsel  wurden  die  häretischen  Bosnier 
und  Zachlumier  von  den  Ungarn  (1234  —  1237)  energisch  be- 
kämpft, unter  der  Führung  des  Koloman,  eines  Sohnes  Andreas'  H., 
des  früheren  Königs  von  Galizien,  nun  Herzogs  von  „Sclavonia" 
(Kroatien  und  Dalmatien).  Dabei  unterwarf  Koloman  den  Norden 
von  Zachluraien,  damals  beherrscht  vom  Fürsten  Toljen  ^).  In 
der  Landschaft  Usora  im  nördlichen  Bosnien  war  Knez  Sebislav, 
Sohn  eines  sonst  unbekannten  Bans  Stephan,  ohnehin  ein  Anhänger 
des  römischen  Stuhles  ^).  Im  eigentlichen,  zentralen  Bosnien  be- 
hauptete sich  siegreich  gegen  alle  Angriffe  Matthäus  Ninoslav,  der 
sich  „Großbau"  von  Gottes  Gnaden  nannte  (urkundHch  1232  bis 
1250)  und  ausdrücklich  als  Nachkomme  der  alten  Landesfürsten 
bezeichnete;  er  scheint  unmittelbarer  Nachfolger  des  Ban  Kulin 
gewesen  zu  sein.  Einmal  kam  Ninoslav  (März  1240)  durch  das 
Gebiet  des  befreundeten  Fürsten  Andreas  von  Zachlumien  per- 
sönlich nach  Ragusa,  wo  er  der  Gemeinde  die  Handelsrechte  be- 
stätigte und  für  den  Fall  eines  Krieges  der  Ragusaner  mit  dem 
Serbenkönig  den  ragusanischen  Kauf leuten  allen  Schutz  versprach  ^). 


1)  Im  südlichen  Zachlumien  herrschte   der  Fürst  Andreas.     In  Stagno 
werden  1239  Beamte  des  Königs  Vladislav  erwähnt:  Smiciklas  4,  77. 

2)  Smiciklas  4,  15f. 

3)  Mon.  serb.  29  (1240),  wiederholt  1249  ib.  33;  auch  bei  Smiciklas 
4,  107,  386.     Faksimile  der  Urk.  1249  im  Glasnik  6  (1854). 

20* 


308  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

In  diesen  Tagen  hielt  ein  Völkersturra  aus  dem  Innern  Asiens 
ganz  Osteuropa  in  Aufregung.  Die  Mongolen  oder  Tataren  er- 
schienen mit  gewaltigen  Reiterheeren  in  den  Ländern  nördlich 
vom  Schwarzen  Meere,  besiegten  die  russischen  Fürsten  und  zer- 
sprengten die  seit  vielen  Generationen  in  den  Steppen  vom  Don 
bis  zur  Donau  nomadisierenden  Rumänen.  Der  letzte  Khan  der 
Rumänen  Ruthen  zog  (1239)  mit  dem  größten  Teil  seines  Volkes 
nach  Ungarn  ab.  Andere  kumanische  Schwärme  wendeten  sich 
nach  Bulgarien,  während  kleinere  Scharen  in  die  Dienste  der 
Lateiner  und  Nikäer  traten.  Unter  Batu,  dem  Enkel  des  Dschingis- 
Khan,  folgte  (im  Winter  1240 — 1241)  ein  neuer  Vorstoß;  Riew, 
Rrakau  und  Breslau  wurden  erobert  und  zerstört,  der  Haupt- 
angrifF  galt  aber  Ungarn.  Bela  IV.  wurde  (April  1241)  vollständig 
geschlagen  und  das  ganze  Land  furchtbar  verwüstet.  Der  Rönig 
floh  über  Agram  nach  Arbe,  von  dort  nach  Spalato.  Batus  Vetter 
Kajdan  verfolgte  ihn  bis  zum  Meere.  Eine  lebendige  Schilderung 
dieser  Rämpfe  bietet  ein  Augenzeuge,  der  Ai'chidiakon  Thomas. 
Nach  seiner  Erzählung  erlitten  die  Slawen  geringe  Verluste,  weil 
sie  sich  in  den  Bergen  und  Wäldern  verborgen  hatten.  Die  Be- 
satzung von  Clissa  schlug  die  Mongolen  zurück,  indem  sie  große 
Felsblöcke  vom  Burgfelsen  herabwälzte.  Einen  Angriff  auf  die 
von  Flüchtlingen  überfüllten,  gutbefestigten  Städte  Spalato  und 
Trau,  wo  der  Rönig  eben  weilte,  versuchten  die  Reiterscharen 
nicht  (März  1242).  Eine  Abteilung  zog  südwärts.  Das  feste  Ra- 
gusa erHtt  wenig  Schaden,  wohl  nur  in  seinem  Territorium.  Da- 
gegen haben  die  Mongolen  Cattaro,  wahrscheinlich  nur  die  Unter- 
stadt, niedergebrannt.  Im  Gebiet  des  Erzbistums  von  Antivari 
wurden  die  bischöflichen  Städte  Svac  und  Drivasto  zerstört  und 
ihre  Einwohner  niedergehauen  ^).  Rajdan  eilte  indessen  durch 
Bosnien,  Serbien  und  Bulgarien  an  die  untere  Donau,  wo  er  sich 
mit  Batu  vereinigte;  die  Nachricht  von  dem  Tode  des  Großkhans 
Oktaj  (Dezember  1241)  rief  sie  nach  Osten   zurück-).     Von   der 


1)  Duleigno  wurde  von  der  Katastrophe  des  nahen  Svac  nicht  berührt 
und  schloß  eben  damals  am  22.  Apiül  1242  einen  Freundschaftsvertrag  mit 
den  Ragusanern:  Smiciklas  4,  149. 

2)  Roger,  Domherr  von  Großwai-dein ,  später  Erzbischof  von  Spalato, 
und  Thomas  Ar  eh.  ed.  Racki  156,  177.    In  ragusani  sehen,  serbischen  und 


Stephan  Vladislav  (1234—1243).  309 

Donau  reichte  dann  bis  nach  Turkestan  das  von  allen  Nachbarn 
gefürchtete  neue  Khanat  der  Goldenen  Horde,  mit  der  von  Batu 
gegründeten  Residenz  Saraj  an  der  unteren  Wolga.  Es  war  ein 
Teilfürstentum  des  mongolischen  Riesenreiches,  welches  sich  von 
Persien  bis  zu  den  Gestaden  Chinas  erstreckte,  mit  der  Residenz 
im  „goldenen  Zelt"  von  Karakorum,  später  in  den  Palästen  des 
Großkhans  im  heutigen  Peking. 

Nach  diesen  Ereignissen  vermochte  sich  König  Vladislav  nicht 
mehr  als  Alleinherrscher  zu  behaupten.  Den  Thron  mußte  er 
(Frühjahr  1243)  seinem  jüngeren  Bruder  Stephan  Uros  überlassen; 
ihm  blieb  der  Königstitel  und  einige  Gebiete  im  Küstenlande. 
Über  diese  Umwälzung  gibt  es  keinen  serbischen  Bericht,  nur 
ragusanische  Urkunden.  Der  Comes  Giovanni  Michieli  mit  den 
Vornehmen  der  Stadt  versprach  (im  Sommer  1243)  Jurko,  dem 
Gesandten  des  Königs  Stephan  Uros,  die  „  Königin  des  Vladislav ", 
welche  sich  wahrscheinlich  nach  Ragusa  geflüchtet  hatte,  werde 
weder  mit  dem  Rat  noch  mit  dem  Wissen  der  Ragusaner,  sei  es 
durch  Boten  oder  durch  Briefe  etwas  gegen  Uros  unternehmen, 
weder  zu  Land  noch  zur  See,  auch  nicht  in  Bosnien  ^).  Bald 
wurden  (14.  August  1243)  die  alten  Verträge  von  Ragusa  und 
König  Uros  feierlich  erneuert  -).  König  Vladislav  wird  später 
öfters  erwähnt,  stets  als  Freund  seines  Bruders;  seine  Residenz, 
vielleicht  in  Skutari,  wird  nicht  genannt  3),  Zuletzt  wurde  für 
ihn  (1263 — 1264)  im  Kloster  Mileseva  eine  Handschrift  mit  kurzen 
Heiligenlegenden  (ein  Prolog)  abgeschrieben  ^).    Von  seinen  Söhnen 

bulgarischen  Quellen  keine  Nachrichten.   Vgl.  Gustav  Strakosch-Graß- 
mann,  Der  Einfall  der  Mongolen  in  Mitteleuropa  (Innsbruck  1893)  169. 

1)  Mon.  serb.  30,  Smiciklas  4,  210  (, Johannes  Michael  Comes  seit 
23.  August  1242  ib.  4,  159).  Das  Adj.  Vladislavlb  {toO  Vladislav)  ganz 
mißverstanden  von  Gondola  (Viadislava,  reglua  di  Bossina),  ebenso  bei 
Resti  87. 

2)  Nur  in  lat.  Übersetzung  erhalten:  Ljubic  1,  59,  63—64,  Smi- 
ciklas 4,  194—195  nro.  174  und  211—212  nro.  189;  in  beiden  Ausgaben 
nicht  erkannt  als  zusammengehörende  Urkunde  und  Gegenurkunde. 

3)  Urk.  1252—1254:  Mon.  serb.  36,  Smiciklas  4,  483,  507,  5-29. 
Daniel  p.  6  weiß  nur  von  der  Alleinregierung  des  Vladislav  (angeblich 
7  Jahre). 

4)  Mon.   serb.    561;    Stojanovio,    Zapisi   nro.   5015   (6772    Ind.    7); 


310  Viertes  Buch,    Erstes  Kapitel. 

hat  er  dem  wohl  älteren  Stephan  seme  Ktitorenrechte  im  Athos- 
kloster  Esphigmenu  übergeben  i);  der  jüngere  Zupan  Desa  starb 
vor  1281.  Eine  Tochter  Vladislavs  war  an  den  Comes  Georg, 
einen  der  Führer  des  kroatischen  Adelsgeschlechtes  der  Kaöici 
von  Almissa,  verheiratet-).  Bjeloslava,  die  Witwe  des  Königs 
Vladislav  und  Mutter  des  Desa,  lebte  noch   1285  3). 

König  Stephan  Uros  I.  (1243 — 1276)  wird  von  den  Männern 
der  serbischen  Kirche,  von  Domentian  und  Daniel,  der  „Große" 
(veliki)  genannt,  in  einer  Urkunde  der  Stadt  Cattaro  gar  als  ein 
unbesiegbarer  König  gefeiert,  aber  an  seinen  Schicksalen  ist  zu 
sehen,  daß  ihm  das  Talent  und  der  weite  Bhck  seines  Vaters, 
des  „erstgekrönten"  Königs  fehlte.  Bei  den  Wandlungen  seiner 
zwischen  den  Griechen  v^on  Nikaia,  den  Epiroten,  den  Uagarn 
und  den  neuen  französischen  Herren  von  Neapel,  Albanien  und 
Griechenland  hin  und  her  schwankenden  Politik  hat  er  sich  oft 
verrechnet.  Die  späteren  serbischen  Annalisten  nennen  ihn  nach 
seiner  Stimme  den  „heiseren"  König  (hrapavi  kralj)  ^).  Zuerst 
stand  er  in  Verbindung  mit  den  Nikäern,  der  damahgen  ersten 
Macht  der  Halbinsel.  Als  in  Trnov  auf  Kaliman  (1246)  wieder 
ein  Knabe  folgte,  Asens  IL  jüngerer  Sohn  Michael  Äsen,  entriß 
Kaiser  Johannes  Vatatzes  den  Bulgaren  sofort  alle  südlichen  Pro- 
vinzen von  Adrianopel  bis  zum  Vardar.  Das  Gebiet  westhch  vom 
Vardar,  mit  Veles,  Prilep  und  Ochrid  besetzte  indessen  der  Despot 
Michael  U.  von  Epirus.  Vatatzes  brachte  sodann  Thessalonich 
(1246)  dauernd  in  den  Besitz  seines  Reiches.  Nach  wenigen 
Jahren  besiegte  er  auch  Michael  11.  und  nahm  den  Epiroten  ganz 

Todestag  des  Vladislav  am  11.  November:  Stojanovic,  Arch.  slaw.  Phil. 
23  (1901)  631. 

1)  Slaw.  Bibliothek  a.  a.  0. 

2)  Knez  Gjura  oder  comes  Jiirra  wii-d  urkundlich  erwähnt  1239—1274, 
als  Vladiblavs  Schwiegersohn  Mon.  serb.  54,  Smiciklas  4,126  (1253 — 1254). 

3)  Urk.  1281—1285  über  das  Deposit  der  Bjeloslava:  Smiciklas  6, 
888—391,  542—543.  Ob  sie  die  Tochter  Asens  II.  war,  die  Vladislav  ein 
halbes  Jahrhundert  früher  geheiratet  hatte,  oder  vielmehr  eine  zweite  Frau 
dieses  Königs,  ist  nicht  bekannt. 

4)  Stefan  Uros  der  sorb.  Urk.,  Zrt'fnvog  Ovntatg  des  Pachymeres, 
Mich.  Pal.  V  cap.  7,  bei,  den  Ragusanern  und  Ungarn  meist  „rex  Urossius". 
Urosius,  invictissimus  rex:  Urk.  1257,  Ljubic  1,  89,  Smiciklas  5,  77. 


Stephan  Uros  I.  (1243-1276).  311 

Westmakedonien  und  Albanien  mit  Kroja,  bis  zum  Adriatischen 
Meer  und  bis  zur  serbischen  Grenze  (1252).  Sein  Sohn,  der 
melancholische  und  gelehrte  Kaiser  Theodor  II.  Laskaris  (1254 
bis  1258)  geriet  wieder  in  die  Defensive  und  hatte  sich  gegen  die 
Bulgaren  und  Epiroten  zu  verteidigen.  Daß  Uros  zu  den  aller- 
dings nicht  verläßlichen  Freunden  der  Nikäer  gerechnet  wurde, 
sieht  man  aus  einem  Briefe  des  Kaisers  Laskaris  und  aus  den 
Vorwürfen,  die  Akropohtes  später  in  seinem  Geschichtswerk  dem 
Serbenkönig  machte  ^). 

Der  rasche  Aufschwung  Ungarns  nach  dem  JMongolensturm, 
mit  Heranziehung  fremder  Kolonisten  und  Neugründung  zahlreicher 
Städte  und  Burgen,  ist  bereits  an  dem  Kampf  mit  Venedig  um 
Zara  (1242 — 1244)  zu  bemerken.  König  Bela  IV.,  der  begabteste 
unter  den  Arpäden,  organisierte  auch  seine  Südgrenze.  Schon 
seine  Vorgänger  haben  fremden  Fürstensöhnen  Besitzungen  in 
Südungara  angewiesen.  Herr  von  Sirmium  und  Comes  von  Bäcs 
war  um  1227 — 1242  Johannes  oder  Kalojohannes  Angelos,  ein 
Sohn  des  Kaisers  Isaak  Angelos  und  der  „imperatrix  Constanti- 
nopoHtana",  der  Ungarin  Margareta,  somit  ein  leibhcher  Bruder 
des  unglücklichen  Alexios  IV.,  der  die  Kreuzfahrer  nach  Kon- 
stantinopel geführt  hatte,  überdies  durch  die  zweite  Heirat  seiner 
Mutter  ein  Stiefsohn  des  Bonifaz  von  Montferrat  -).  Eine  einfluß- 
reiche Persönlichkeit  wurde  ein  russischer  Flüchthng,  Rostislav 
Michailovic,  Sohn  des  von  den  Tataren  hingerichteten  Fürsten  von 
Cernigov,  des  in  Rußland  als  Märtyrer  verehrten  heiÜgen  Michael 
Vsevolodovic.  Bela  verheiratete  ihn  mit  seiner  Tochter  Anna  und 
ernannte  ihn  zum  Herzog  von  Galizien,  vermochte  ihm  aber  dieses 
Land  nicht  zu  erwerben.  Rostislav  wurde  dann  Ban  von  Sla- 
wonien (1247)  und  der  erste  Ban  des  seit  1254  urkundhch  ge- 
nannten Banates  von  Macva  (Machow,  hes  Matschö,  der  ung.  Ur- 
kunden), welches  das  Land  westlich  von  Belgrad  zwischen  Save, 
Drina  und    dem  Gebh'ge   des  Cer    umfaßte.     Dazu   erhielt   er   die 


1)  Theodor!  Ducae   Lascaris   epistolae  ed.   Nie.   Festa,   Firense 
1898  p.  58  iZ(oßoi).     Akropolites  ed.  Heisenberg  cap.  70  p.  145. 

2)  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  39,  72,  88.    Pressutti  a.  a.  0.  2,.  290, 
466.     Vgl.  Hu  her,  Gesch.  Österreichs  1,  440  A.  1. 


313  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Landschaften  Usora  und  Sol  im  Norden  Bosniens  und  wohl  auch 
Belgrad,  so  daß  sein  Gebiet  eine  von  West  nach  Ost  weit  aus- 
gedehnte Grenzmark  bildete.  Schwiegersöhne  des  Rostislav  wurden 
der  junge  Zar  Michael  von  Bulgarien  und  der  mächtige  König 
Pfemysl  Otakar  II.  von  Böhmen.  Nach  seinem  Tode  (um  1262) 
erbten  sein  Gebiet  seine  Söhne  Michael  und  Bela  als  „Herzöge 
von  Macva". 

Das  eigentliche  Bosnien  geriet  nach  dem  Tode  des  trotzigen 
Bans  Ninoslav  in  größere  Abhängigkeit  von  Ungarn.  Ninoslavs 
Nachfolger  war  sein  Verwandter  (consanguineus)  Prijezda  I.  (um 
1250 — 1287),  vom  Könige  mit  Gütern  in  Kroatien  an  der  Drau 
ausgestattet.  Das  ist  der  unmittelbare  Stammvater  der  späteren 
bosnischen  Herrscher,  deren  Dynastie  im  15.  Jahrhundert  Kotro- 
manidi  genannt  wird,  so  genannt  nach  einem  fernen  Ahnherrn 
Kotroman,  dessen  Zeitalter  sich  nicht  bestimmen  läßt.  Auf  Pri- 
jezda I.  folgten  seine  Söhne  Prijezda  II.  und  Stephan  I. ,  beide 
(ungefähr  bis  1290)  als  Bane  nebeneinander,  später  Stephan  I. 
aliein  ^).  In  Zachlumien  führten  die  Söhne  des  Großfürsten  An- 
dreas nur  den  Titel  von  Zupanen:  Bogdan,  der  bald  gestorben 
war,  und  Radoslav,  der  auch  Imota  (jetzt  Imoski)  besaß 
und  sich  1254  ausdrücklich  als  ungarischer  Vasall  bezeichnete  -). 
Damit  war  der  Einfluß  Serbiens  aus  dem  chelmischen  Gebiet  ver- 
drängt. 

Die  Bulgaren  versuchten  ihre  verfallende  Macht  wieder  durch 
eine   energische  Offensive   zu    beleben,   vielleicht  in  der  Hoffnung 


1)  Darüber  die  von  Thallöczy  gesammelten  Urkunden:  Geschichte 
der  Grafen  von  Blagay  (Wien  1898)  73  und  Glasnik  bos.  18  (1906)  421  f., 
429  f.  =  Wiss.  Mitt.  11  (1909)  260  f.,  268  f.  Vgl.  Dr.  M.  Wertner,  Bei- 
träge zur  bosnischen  Genealogie,  deutsch  im  Vjesnik  zem.  ark.  8.  (1906) 
235 f.  und  Milovan  Ristic,  Bosnien  1250—1284,  serb.,  Belgi-ad  1910. 
Den  „Cotrumano  Gotto"  einer  ragus.  Urkunde  von  1432  (s.  oben  S.  227) 
verwandelte  Orbini  in  einen  „Cotromanno  Tedesco",  Nachfolger  Kulins. 
Mit  Stephan  I.  identifizierte  ihn  zuerst  Luccari.  Zum  Namen  vgl.  kirchen- 
slawisch kotorati  s^  streiten  und  die  Kurzform  Kotrul,  fem.  Kotrula  (vgl. 
meine  Rom.  Dalm.  1,  39);  -man  (vgl.  -jm^vTjg)  wiederholt  sich  in  serb. 
Grdoman,  Vlkoman  usw. 

2)  Mon.  serb.  44:  „getreuer  Eidgenosse  (kletvenik)  des  Herrn  Königs 
von  Ungarn". 


Stephan  Uros  I.  (1243-1276).  31 S 

auf  Unterstützung  von  Seite  des  Herzogs  Rostislav  und  der  Ungarn. 
Eine  kriegerische  Adelspartei  scharte  sich  um  den  jungen  Michael 
Äsen  und  dessen  Mutter  Irene,  die  Tochter  des  einstigen  Kaisers 
Theodor  von  Epirus.  An  ihrer  Spitze  stand  ein  Schwager  des 
Zaren,  der  Sevastokrator  Peter  ^).  Es  ist  unbekannt,  warum  sich 
ihr  Angriff  zuerst  gegen  Serbien  wendete.  Dabei  fanden  sie 
Bundesgenossen  im  Westen,  vor  allem  in  Ragusa,  das  mit  Uros  I. 
während  seiner  ganzen  Regierung  schlecht  stand.  Die  Ragusaner 
bemühten  sich  damals  trotz  ihrer  geringen  materiellen  Mittel  um 
Erweiterung  ihres  Gebietes  und  ihres  kirchlichen  Einflusses.  Die 
nächste  Veranlassung  bot  ein  schwerer  Verlust  des  Erzbisturas 
von  Ragusa.  Das  Bistum  von  Bosnien  wurde  ihm  vom  Papst 
(1247)  entzogen  und  dem  Erzbischof  von  Kalocsa  in  Ungarn  unter- 
geordnet (S.  225).  Die  Ragusaner  protestierten,  griffen  aber  zu- 
gleich die  alten  Streitfragen  mit  dem  Erzbistum  von  Antivari  auf 
und  beanspruchten  bei  der  römischen  Kurie  das  ganze  antivaren- 
sische  Gebiet  (1247 — 1255).  Sie  hofften  auf  einen  Erfolg,  da  die 
lateinischen  Kirchen  von  Zachlumien  und  Trebinje  auf  serbischem 
Boden  ohnehin  zu  ihrem  Erzbistum  gehörten,  operierten  aber  auch 
mit  allerlei  Erfindungen  und  Fälschungen.  Die  Kirche  von  Anti- 
vari, damals  verwaltet  von  dem  durch  seine  Missionsreise  ins 
Mongolenreich  bekannten  Italiener  Johannes  de  Piano  Carpini, 
fand  Unterstützung  sowohl  in  Rom,  als  bei  ihren  Landesherren,  den 
Serbenköuigen  Uros  und  Vladislav. 

Im  Sommer  1252  erschien  König  Uros  mit  einem  großen 
Heere  vor  Ragusa ,  ließ  sich  aber  nach  wenigen  Wochen  zur  Er- 
neuerung des  Friedens  bewegen  "-).  Comes  von  Ragusa  war  eben 
ein  hervorragender  Venezianer,  Marsilio  Giorgi  (1252 — 1254),  der 
neben  zahlreichen  Gesandtschaftsreisen  sich  besonders  als  Bailo  in 


1)  „  Zet "  Mon.  serb.  36 — 37  ist  nicht  Schwiegersohn,  sondern  Schwager ; 
vgl.  yuußnd;  inl  uiSfhfTj  Dem.  Chomatianos  nro.  33  und  lat.  gener  = 
sororis  maritus  bei  Thietmar  von  Merseburg. 

2)  Urk.  aus  Bari,  5.  Juli  1252:  Smiciklas  4,  499.  Friedensvertrag 
vom  13.  August  1252  (nicht  1253):  Mon.  serb.  40 — 41,  Smiciklas  4,  534. 
Am  14.  September  1252  Grdoman  §ametic  als  Gesandter  des  Königs  Uroä 
in  Ragusa :  Smiciklas  4,  508. 


314  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Syrien  ausgezeichnet  hatte  ^).  Im  folgenden  Jahre  erschienen  in 
Ragusa  Gesandte  des  Zaren  Älichael  Äsen  und  des  Sevastokrators 
Peter  und  bewogen  die  Stadt  (l5.  Juni  1253)  zu  einem  Bund 
mit  den  Bulgaren  gegen  die  Könige  Uros  und  Vladislav.  Die 
Ragusaner  verpflichteten  sich,  mit  ihren  Schiffen  die  Küstenstädte 
Serbiens  anzugreifen  und  die  eroberten  Plätze  dem  Zaren  zu  über- 
geben; dafür  versprachen  ihnen  die  Bulgaren  eine  vorteilhafte 
Grenzregulierung  und  eine  Anerkennung  der  kirchhchen  Ansprüche 
auf  das  Küstengebiet,  nebst  großen  Handelsrechten  -).  Bulgarische 
und  kumanische  Truppen  drangen  tief  in  Serbien  ein  und  ver- 
heerten am  Lim  das  Kloster  des  heiligen  Peter  bei  Bjelopolje  ^). 
Diese  Invasion  war  es  wohl,  welche  den  damaligen  serbischen 
Erzbischof  Arsenij  I.  bewog,  die  Residenz  von  Zica  südwärts  nach 
Pec  zu  übertragen.  Ein  Jahr  später  (Mai  1254)  schloß  sich  dem 
Bund  zwischen  Ragusa  und  Bulgarien  auch  der  chelmische  Zupan 
Radoslav  an  ^).  Jedoch  schon  bald  wurde  der  Friede  zwischen 
den  Bulgaren  und  Serben  erneuert,  vielleicht  durch  Vermittlung 
des  Kaisers  Vatatzes.  Die  Ragusaner  blieben  isoliert.  Ihre  großen 
Pläne  wai'en  vollständig  gescheitert.  Den  Frieden  mit  Uros  mußten 
sie  unter  dem  Comes  Andj'eas  de  Auro  mit  schweren  Geldopfern 
erkaufen  (23.  August  1254)  '•').  Der  Erzbischof  von  Ragusa  verlor 
jede  kirclüiche  Hoheit  auf  dem  Boden  des  serbischen  Reiches. 
Sein  Prokurator  bei  der  Kurie  wurde  aus  Neapel,  wo  sich  Papst 
Alexander  IV.  nach  seiner  Wahl  befand,  wegen  der  Aussichtslosig- 
keit  des   Prozesses   gegen   Antivari   abberufen    (Februar  1255)  '"'). 


1)  Marsilio  Giorgi  als  Bailo  iu  Akkon  und  Tyrus  (1240—1244): 
Wilken,  Geschichte  der  Kreuzzüge  7,  371f.  und  Heyd,  Geschichte  des 
Levantehandels  1,  170,  365 f.,  370,  373,  377.  Seine  syrischen  Relationen: 
Tafel  und  Thomas  2,  351—398. 

2)  Der  längste  südslawische  Akt  des  13.  Jahrh.,  oft  gedruckt:  Safafik 
Pam.  16—20,  Mon.  serb.  35-40,  Smiciklas  4,  528-533. 

3)  Spomenik  3,  8. 

4)  Mon.  serb.  42—45,  Smiciklas  4,  558-560. 

5)  Mon.  serb.  45-48.  Bei  Smiciklas  4,  567—569,  580—581  nicht 
als  zusammengehörende  Urkunde  und  Gegenurkunde  erkannt.  Weinauflage 
und  Verpfändung  der  Stadteinkünfte  „pro  reparatione  pacis  regis  Urossi": 
-8.  Nov.  1254  ib.  4,  572. 

6)  Smiciklas  4,  590. 


Stephan  Uro§  I.  (1243-127G).  315 

Wie  aus  den  späteren  Chroniken  erhellt,  schrieben  die  Ragu- 
saner  die  Schuld  an  ihrem  Mißgeschick  ihrem  Comes  zu.  Marsilio 
Giorgi  hat  aus  dem  Krieg  einen  persönlichen  Vorteil  für  seine 
Familie  gezogen,  der  zugleich  eine  Erweiterung  der  venezianischen 
Herrschaft  auf  der  Adria  bildete.  Schon  die  früheren  Coraites  von 
Ragusa  bemühten  sich  vergeblich  um  die  Gewinnung  der  Herr- 
schaft über  die  benachbarten  großen  Inseln,  welche  König  An- 
dreas n.  wahrscheinlich  während  der  Kämpfe  mit  den  Alraissanern 
den  mächtigen  Grafen  von  Veglia  zugewiesen  hatte  ^).  Marsilio 
Giorgi  wurde  (1254)  von  den  Gemeinden  von  Ciu-zola  und  Meleda 
zum  erblichen  Grafen  (comcs  perpetuus)  gewählt  (f  1271).  Sein 
Name  eröffnet  das  Gesetzbuch  von  Ciirzola  -).  Die  Giorgi  herrsch- 
ten auf  Curzola  104  Jahre,  bis  1358.  Auf  Meleda  konnten  sie 
jedoch  nie  festen  Fuß  fassen;  diese  Insel  mit  ihrer  Benediktiner- 
abtei blieb  bis  ins  14.  Jahrhundert  unter  serbischer  Hoheit.  Da- 
gegen hat  sich  in  diesen  Zeiten  (vor  1272)  die  weiter  im  offenen 
Meere  gelegene  kleine  Insel  Lagosta  (slaw.  Lastov)  freiwillig  den 
Ragusanern  angeschlossen  '^). 

Die  Bulgaren  besetzten  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Vatatzes 
(Oktober  1254)  ohne  Mühe  wieder  das  Gebirge  der  Rhodope  und 
das  östliche  Makedonien  bis  zum  Vardar.  Aber  der  junge  Las- 
karis  II.  vertrieb  sie  abermals  aus  allen  diesen  Gebieten,  Den 
Frieden  vermittelte  (1256)  persönlich  der  Schwiegervater  des  bul- 
garischen Zaren,  der  Herzog  Rostislav  i).  Die  Grenzen  wurden  auf 
den  Stand  vor   diesem  Kriege   gebracht.     Der  Mißerfolg   hatte   in 


1)  Smiciklas  3,  134  (1-215);  4,  111  (1240):  Corcira,  Lasta  et 
Meleta.  Papst  Honorius  III.  1221  au  die  Grafen  von  Veglia,  Herren  der 
Inseln  Fara  (Lesina),  Brazza,  Curzola  und  Lagosta:  The  in  er,  Mon.  Hang. 
1,  27:  Pressutti  a.  a.  0.  1,  525  nro.  3214;  Smiciklas  3,  190. 

2)  Mon.  hist.  jur.  Bd.  1,  S.  1,  3,  20.  Ljubic  3,  403 f.  Vgl.  Dau- 
dolo  bei  Muratori  12  col.  363  A. 

3)  Stat.  Rag.  I  cap.  15. 

4)  In  den  Briefen  des  Kaisers  Laskaris  II.  (ed.  Festa  p.  280)  der 
Friedensvermittler  klar  als  ,,der  Fürst  der  Russen"  (ö  TGjf  '^PwaGiv  (ioyoyp); 
bei  Akropolites  (cap.  62,  ed.  Heisenberg  p.  127)  der  „Russe  Ur"  (Pwao; 
OiQog,  magyar.  iir  Herr,  Fürst),  Schwiegersohn  des  Königs  von  Ungarn. 
Früher  auf  Uros  I.  von  Serbien  gedeutet.  Vgl.  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899) 
623  f. 


316  Viertes  Buch.    Erstes  Kapitel. 

Bulgarien  eine  Revolution  zur  Folge.  Zar  Michael  wurde  nieder- 
gemacht und  sein  Vetter  Kaliman  II.  auf  den  Thron  erhoben. 
Rostislav  traf  mit  einem  Heere  in  Trnov  ein,  doch  war  indessen 
auch  Kaliman  II.  ermordet  worden.  Nun  ließ  sich  Rostislav  selbst 
zum  Kaiser  der  Bulgaren  proklamieren,  vermochte  sich  aber  nicht 
zu  behaupten  ^).  Der  Reichstag  der  Boljaren  erhob  schließlich  auf 
den  bulgarischen  Thron  einen  von  den  Nikäern  unterstützten  Ver- 
wandten des  Hauses  des  Nemanja.  Es  war  Konstantin  mit  dem 
Beinamen  Tih,  welcher  eine  Tochter  des  Kaisers  Laskaris  IL,  die 
mütterhcherseits  eine  Enkelin  Asens  II.  war,  heiratete  und  sich 
fortan  Konstantin  Äsen  schrieb  (ungefähr  1257 — 1277)  -).  Grie- 
chische und  bulgarische  Denkmäler  bezeugen,  daß  er  halb  serbischen 
Ursprungs  war  und  Nemanja  zu  seinen  Vorfahren  rechnete;  es 
war  eine  Abstammung  in  weiblicher  Linie,  doch  läßt  sich  eine 
Stammtafel  nicht  zusammenstellen  =^).  Der  Beiname  Tih  ist  eine 
Kurzform  für  Tihomir  oder  Tihoslav.  Aus  den  Briefen  des  Erz- 
bischofs Demetrios  Chomatianos  ist  dieser  Name  unter  den  Vor- 
nehmen der  Provinz  von  Skopje  bekannt.  Ein  Archont  Johannes 
Tihomir  (hoavvriq  ö  Tetxoi-ioiQog)  und  ein  kaiserlicher  Beamter 
{ßaoilLY.ög)  Konstantin  haben  sich  (um  1200)  der  Besitzungen 
zweier  minderjähriger  Brüder  bemächtigt,  die  dann,  als  sie  heran- 
gewachsen waren,    deshalb   gegen  Tihomirs  Söhne   vor  dem  Des- 

1)  „Nos  Razlaus  dux  Galacie  ac  imperator  Bulgarorum  et  Anna  du- 
cissa  eiusdem  et  Mychael  filius  eorundem''  schenken  (um  1262)  einigen  „Teu- 
tonici"  ein  Gut  „iu  provincia  Bereg":  Codex  dipl.  domus  senioris  comitum 
Zichy  de  Zieh  et  Vasonkeö  1  (Pest  1871)  nro.  8  p.  5. 

2)  KwvaTttvT(vo)  TO)  TtCyjn  Pachymeres,  Mich.  Pal.  I  cap.  13; 
KcDvaravTivus  övo/x«,  ToTxog  iniöwfxov  Nikephoros  Gregoras  III  cap.  2 
§  4,  J5r.  d  Tot/og  ib.  §  5.  Tohu  der  älteren  Ausgaben  des  Ansbert  ist 
nach  vollständigeren  Texten  „Tolin",  Sohn  des  Miroslav  von  Zachlumien, 
und  hat  mit  Tih  nichts  zu  tun  (s.  oben  S.  271). 

3)  Konstantin  Ix  I^f'oßMv  i^  i^uiadctg  ib  yt'vog  tXxoiv:  Pachymeres, 
Mich.  Pal.  V  cap.  5.  Der  serb.  Ursprung  „zur  Hälfte"  kann  nur  mütter- 
licherseits gewesen  sein;  von  väterlicher  Seite  wäre  er  ein  ganzer  Serbe  ge- 
wesen. In  der  Urk.  von  Virpino  nennt  Zar  Konstantin  den  Nemanja 
seinen  „ded",  Großvater  oder  überhaupt  Vorfahr.  In  der  Inschrift  von  Bo- 
jana  bei  Sofia  von  1258—1259  (Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  18)  erscheint 
Konstantins  Brudersohn  oder  Vetter  (bratuc^d),  der  Sevastokrator  Kalojan 
als  „Enkel  des  hl.  serbischen  Königs  (kralj)  Stephan". 


Stephan  Uros  I.  (1243—1276).  317 

poten  Theodor  (1217)  einen  Prozeß  führten  ^).  Es  ist  nicht  un- 
möglich, daß  Nemanja  eine  Tochter  an  diesen  Tihorair  von  Skopje 
verheiratet  hatte,  ebenso  wie  eine  Tochter  seines  Sohnes  Stephan 
mit  dem  Albanesen  Demetrios  vermählt  war.  Überdies  besaß  Zar 
Konstantin  selbst  eine  Zeitlang  die  Landschaft  von  Skopje  und 
bestätigte  bei  einem  persönlichen  Besuch  derselben  dem  Kloster 
des  heiligen  Georg  auf  dem  Berge  Virpino  alle  Besitzungen  -). 

Die  Freundschaft  zwischen  den  Serben  und  Nikäern,  welche 
sich  zuletzt  bei  der  Besetzung  des  bulgarischen  Thrones  bemerk- 
bar gemacht  hatte,  war  bald  zu  Ende.  König  Uros  I.  hat,  wie 
Akropolites  sagt,  undankbar  „den  Becher  der  Freundschaft  weg- 
geworfen" und  sich  den  Epiroten  und  den  Franken  angeschlossen. 
Laskaris  II.  zwang  Michael  IL,  ihm  das  wichtige  Durazzo  abzu- 
treten, als  er  seine  Tochter  mit  dessen  Sohn  Nikephoros  vermählte 
(September  1256).  Michael  IL,  dadurch  zum  Widerstand  ge- 
zwungen, gewann  bei  den  Franken  zwei  mächtige  Bundesgenossen 
durch  Heiraten  seiner  Töchter:  Wilhelm  von  Villehardouin ,  den 
Fürsten  von  Achaja,  und  Manfred,  den  König  von  Sizilien,  welcher 
als  Mitgift  seiner  Gemahlin  Helena  die  Insel  Korfu  und  das  viel 
umworbene  Durazzo  nebst  Valona  und  Berat  erhielt.  Diesem 
Bunde  trat  auch  König  Uros  I.  bei.  Mit  Leichtigkeit  besetzten 
die  Truppen  des  Despoten  (Anfang  1258)  das  vor  sechs  Jahren 
verlorene  Land  von  der  Adria  bis  zum  Vardar.  Zugleich  rückten 
die  Serben  nach  Skopje, -Prilep  und  Kicevo  vor.  Georgios  Akro- 
polites, der  Historiker,  damals  kaiserlicher  Befehlshaber  des  Westens, 
suchte  eine  Zuflucht  auf  der  festen  Burg  von  Prilep.  Sein  Unter- 
befehlshaber Xyleas  ließ  sich  unvorsichtig  in  einen  Kampf  mit 
den  Serben  ein  und  erlitt  eine  schwere  Niederlage.  Akropolites 
wurde  von  den  Epiroten  in  Prilep  belagert  und,  als  die  Lokal- 
truppen verräterisch  die  Tore  öffneten,  in  Ketten  nach  Arta  weg- 
geführt. Die  meisten  nikänischen  Feldherren  gingen  zum  Sieger 
über.     König  Uros  bestätigte  indessen  in  Skopje  ältere  kirchhche 


1)  Dem.  Chomatianos  nro.  69  ed.  Pitra  col.  263. 

2)  Safari k  Pam.  23 — 27  und  Sreznevskij,  Nachrichten  und  Be- 
merkungen über  wenig  bekannte  Denkmäler  nro.  81  (Zapiski  der  russ. 
Akademie  Bd.  34,  Heft  II,  1897,  Beilage  nro.  4). 


318  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Stiftungen,  wie  die  des  Edelmannes  Pribo  aus  den  Zeiten  des 
Kaisers  Theodor  von  Epii-us  und  des  Zaren  Äsen  IL,  die  er  dem 
Kloster  Chilandar  zuteilte  i).  Indessen  ist  Laskaris  IL  noch  jung 
an  Jalii'en  geistesgestört  gestorben  (August  1258).  Da  sein  Sohn 
Johannes  noch  ein  Kind  war,  konnte  sich  der  Feldherr  Michael 
Palaiologos  leicht  zum  Regenten,  zum  Mitkaiser  und  zum  allei- 
nigen Kaiser  erheben.  Ein  starkes  Heer  des  neuen  Herrschers 
bereitete  den  Epiroten  und  Franken  bei  Kastoria  eine  vollständige 
Niederlage,  in  welcher  Fürst  Villehardouin  in  die  Gefangenschaft 
fiel  (1259).  Nur  die  Unterstützung  von  Seite  Manfreds  rettete 
den  epirotischen  Staat  vor  dem  Untergang.  Die  Nikäer  unter- 
warfen sich  das  ganze  Gebiet  bis  zum  Sargebirge  und  hoben  in 
Skopje  die  kirchhchen  Schenkungen  des  Serbenkönigs  auf.  Nicht 
lange  darauf  durcheilte  Ost  und  West  eine  überraschende  Nach- 
richt: die  nikänischen  Truppen  überrumpelten  in  einer  Nacht 
Konstantinopel  und  zwangen  Kaiser  Balduin  IL  zur  Flucht  nach 
dem  Westen  (25.  Juli  1261). 

Die  Parteistellung  Uros'  I.  wurde  beeinflußt  durch  verwandt- 
schaftliche Beziehungen.  Seine  Frau,  wir  wissen  nicht,  ob  die 
erste,  zweite  oder  gar  dritte,  war  seit  ungefähr  1250  die  Französin 
Helena.  Erzbischof  Daniel,  der  sie  noch  persönlich  kannte,  lobt 
ihre  scharfsinnige  Redeweise,  ihre  Güte,  Freigebigkeit,  Frömmig- 
keit und  ihren  tadellosen  Lebenswandel  -).  Sie  erreichte  ein  sehr 
hohes  Alter  (f  1314),  gleich  populär  bei  den  Serben,  wie  bei  den 
Lateinern  des  Küstenlandes,  gleich  geehrt  von  der  serbischen  und 
lateinischen  Kirche,  welcher  sie,  wie  aus  ihrer  Korrespondenz  mit 
den  Päpsten  zu  sehen  ist,  treu  geblieben  war.  Im  dioklitischen 
Gebiet  erneuerte  sie  (nach  Barletius)  Drivasto  mit  anderen  Städten, 
welche  bei  der  Invasion  der  Mongolen  zerstört  worden  waren,  und 
stiftete  katholische  Kirchen  und  Klöster  in  Cattaro,  Antivari,  Dul- 


1)  Sebast  Kyr  ITQiuTiog  unter  Kaiser  Theodor  bei  Dem.  Choma- 
tianos  nro.  76  ed.  Pitra  col.  326.  „Kellia"  der  hl.  Petka  (Paraskeue)  in 
Tmorjane,  welche  der  „Protosebast  von  Zagora  Pribo  in  den  Tagen  des 
Zaren  Äsen  erbaut  hatte " ,  erneuert  und  bestätigt  von  Uros  II.  um  1300 : 
Sporaenik  3,  12.  Vgl.  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899)  625.  Zur  Chronologie: 
Miliarakis  a.  a.  0    513ff. 

2)  Daniel  8,  58,  vgl.  60-61. 


Stephan  Uros  I.  (1243—1276).  310 

cigno  und  Skutaj-i,  aber  auch  im  Binnenlande  das  serbische  Kloster 
Gradac  am  Ibar.  Dunkel  bleibt  ihre  Abstammung.  Daniel  schreibt, 
Helena  sei  fränkischen  Ursprungs  (ot  roda  fruzLska)  aus  einem 
kaiserlichen  oder  königlichen  Geschlechte  gewesen  (ot  plemena 
carska),  eine  Tochter  berühmter  und  reicher  Eltern,  welche  sie 
dem  serbischen  König  zur  Frau  gegeben  haben.  Es  ist  keine 
Phrase,  wenn  diese  Königin,  ebenso  wie  ihi*e  Schwester,  in  den 
Urkunden  Karls  I,  und  II.  von  Anjou  als  Verwandte  (consanguinea 
nostra  carissima,  cognata  nostra,  affinis  nostra  carissima)  bezeichnet 
wird,  ebenso  wie  z.  B.  auch  die  Toucy  (de  Tociaco)  im  latei- 
nischen Kaisertum  „cousins"  des  Königs  von  Frankreich  waren. 
Die  von  Neueren  aufgestellten  Kombinationen,  um  die  Serben- 
königin in  eine  genealogische  Verbindung  mit  den  französischen 
Königen  oder  mit  dem  Hause  der  Courtenay,  der  lateinischen 
Kaiser  von  Konstantinopel,  zu  bringen,  entbehren  des  urkund- 
lichen Beweises.  Man  könnte  auch  an  die  zahlreichen,  meist  aus 
der  Champagne  und  aus  Burgund  stammenden  französischen  Herren- 
geschlechter Griechenlands  denken.  Maria,  die  Schwester  der 
Königin  Helena,  war  verheiratet  mit  Anselm  de  Chaurs,  welcher 
1273  als  Generalkapitän  Karls  I.  in  Albanien  erwähnt  wird  (f  vor 
1280).  Sein  Geschlecht,  im  12. — 14.  Jahrhundert  oft  erwähnt 
unter  den  Bischöfen  und  großen  Baronen  von  Frankreich  und 
Neapel,  führte  den  Namen  nach  dem  Schlosse  Chaource  in  der 
Champagne,  jetzt  im  Departement  Aube,  Arrondissement  Bar  sur 
Seine,  südlich  von  Troyes.  Als  Witwe  lebte  Maria  (seit  1281)  im 
Lande  ihrer  Schwester,  wo  ihr  eine  Residenz  in  Dulcigno  ein- 
geräumt wurde.  Ihr  Sohn,  der  gleichfalls  Anselm  hieß,  besaß  (um 
1292)  Güter  im  Fürstentum  Achaja.  Das  Grab  der  Maria  de 
Chaurs  und  ihres  Sohnes  Anselm  mit  lateinischer  Inschrift  sah 
man  noch  unter  der  venezianischen  Herrschaft  (bis  1571)  im 
Pflaster  vor  dem  Hochaltar  der  Marien-  oder  Markuskirche  von 
Dulcigno  ^). 

Der  Anschluß  des  Serbenkönigs  an  das  epirotisch  -  fränkische 
Bündnis  führte  zu  einer  Verständigung   mit  Ungarn,   dessen  Ein- 


1)  Über  diese   genealogischen  Fragen    vgl.   meine  Studien  über  das 
mittelalt.  Serbien  (Denkschriften  W.  Akad.  1911). 


320  Viertes  Bucb.     Erstes  Kapitel. 

fluß  auf  der  Balkanhalbinsel  damals  im  Wachsen  war.  Stephan 
(V.),  des  Königs  Bela  IV.  älterer  Sohn  und  Gatte  der  Elisabeth, 
einer  Tochter  des  letzten  kumanischen  Khans  Kuthen,  bekämpfte 
den  Zaren  Konstantin  von  Bulgarien,  eroberte  Vidin  und  ließ 
seine  Truppen  bis  Pleven  und  Trnov  (1261)  vorrücken.  Sein 
Schützling  war  ein  mächtiger  Edelmann  in  Westbulgarien,  der 
Despot  Jakob  Svetislav,  ein  Russe  und  Landsmann  des  Rostislav, 
durch  ungarische  Hilfstruppen  unterstützt  gegen  Kaiser  Michael 
Palaiologos  (1263)  ^),  später  als  „Imperator"  der  Bulgaren  erwähnt 
(1271).  Die  Verbindungen  mit  den  Serben  waren  auch  auf  einer 
Heirat  begründet.  Der  ältere  Sohn  des  Uros  I.  und  der  Helena, 
Stephan  (Dragutin),  wm'de  vermählt  mit  Katharina,  einer  Tochter 
des  „jüngeren  Königs"  Stephan  (V.).  Serben  (Rascienses)  erschei- 
nen neben  Bulgaren  und  Bosniern  in  den  ungarischen  Heeren,  die 
(1260)  gegen  den  König  Pfemysl  Otakar  U.  von  Böhmen  im  Felde 
waren  ^).  Andererseits  gewann  der  serbische  König  wieder  Zach- 
lumien,  setzte  dort  zum  Bischof  seinen  jüngsten  Bruder  Sava  ein 
und  bestätigte  (um  1263)  dem  Kloster  des  heiligen  Peter  am  Lim 
die  Besitzungen  am  Meere  bei  der  Narentamündung.  Bald  fühlte 
sich  aber  Uros  gedemütigt  durch  die  Prätensionen  des  ungarischen 
Königs,  der  ihn  als  Vasallen  2)  betrachtete,  und  suchte  wieder  eine 


1)  Sendung  von  Feldherren  des  Stephan  „contra  Grecos  in  auxiUum 
Zuetizlav":  Cod.  dipl.  patrius  6,  166. 

2)  Cont.  Cosmae,  Fontes  rer.  hohem.  2,  316.  Bei  dem  Hochzeits- 
feste des  Herzogs  Bela,  des  jüngeren  Sohnes  Belas  IV.,  mit  der  Nichte  des 
Königs  Pfemysl  Otakar  II.  bei  Wien  (Oktober  1264)  erwähnt  Ottokar  von 
Steiermark  in  der  um  1300—1318  verfaßten  österr.  Reimchronik  als  an- 
wesend drei  Könige:  den  König  von  Rußland  (Daniel),  den  „König"  von 
„ Matschouwe " ,  der  Belas  IV.  Tochter  zur  „Hausfrau"  hatte  (Rostislav, 
damals  schon  gestorben)  und  „den  kunic  von  Sirvie"  (herausg.  von  See- 
müller,  Mon.  Germ.,  Scriptores  qui  vernacula  lingua  usi  sunt  Bd.  V,  1890, 
Vers  8064f).  Veit  Arenpeck  im  15.  Jahrhundert  machte  daraus  „tres 
reges  ex  Servia":  Pez,  Scriptores  rerum  austriacarum  1  col.  1222.  Aus 
dieser  Kombination  des  Arenpeck  stammt  die  Nachricht  bei  Engel, 
Palacky  u.  a.,  bei  der  Hochzeit  des  jungen  Bela  sei  König  Uros  mit  seinen 
beiden  Söhnen  Dragutin  und  Milutin  anwesend  gewesen. 

3)  Klar  aus  den  Worten  Belas  IV.:  „Uros  rex  Servie"  hat  sich  „su- 
perbia  elevatus"  der  Gerichtsbarkeit  des  ungarischen  Königs  entzogen  (se 
a  iurisdiccione  nostra  retraxisset) :  Cod.  dipl.  patr.  8,  96. 


Stephan  Uros  I.  (1243—1276).  331 

Annäherung  an  die  Griechen.  Gelegenheit  dazu  boten  die  inneren 
Wirren  in  Ungarn,  ein  Krieg  zwischen  Bela  IV.  und  seinem 
Sohn  Stephan,  dessen  Schauplatz  sich  von  Siebenbürgen  bis  Pest 
ausdehnte  (1267). 

In  Italien  war  eine  große  Veränderung  vor  sich  gegangen. 
Karl  I.  von  Anjou,  der  energische  Bruder  des  französischen  Königs 
Ludwig  IX.,  nahm  in  der  Schlacht  von  Benevent  (1266)  dem 
König  Manfred  Reich  und  Leben.  Im  folgenden  Jahre  (Mai  1267) 
schloß  er  in  Viterbo  mit  Balduin  II.  einen  Vertrag  zur  Wieder- 
herstellung des  lateinischen  Kaisertums.  Dafür  erhielt  er  die 
Oberhoheit  über  Achaja  und  überdies  ein  Drittel  der  künftigen 
Eroberungen,  welches  er  sich  frei  wählen  konnte,  im  epirotischen 
Despotat  oder  „in  regnis  Albaniae  et  Serviae  i)".  Diese  Feind- 
seligkeit Karls  gegen  Serbien  erklärt  sich  durch  den  damaligen 
Anschluß  des  Uros  an  die  Griechen.  Die  Lage  in  Italien  wurde 
aber  erst  durch  den  Sieg  Karls  gegen  Konradin,  den  letzten  der 
Hohenstaufen ,  bei  Tagliacozzo  dauernd  geklärt  (August  1268). 
Kaiser  Michael  Palaiologos,  der  die  Umwälzungen  in  Unteritalien 
aufmerksam  verfolgte,  bemühte  sich,  die  Bulgaren  und  Serben  auf 
seine  Seite  zu  ziehen.  Zar  Konstantin  Äsen  wurde  mit  einer 
Nichte  Michaels  vermählt,  doch  gab  es  bald  wieder  Zwist  und 
Feindschaft  zwischen  Griechen  und  Bulgaren  wegen  der  Grenz- 
fragen. In  Serbien  sollte  Milutin  (der  spätere  Stephan  Uros  IL), 
der  jüngere  Sohn  des  Königs  Stephan  Uros  I. ,  Michaels  Tochter 
Anna  heiraten  und  Thronfolger  werden,  mit  Zurücksetzung  des 
älteren  Stephan  (Dragutin)  und  seiner  ungarischen  Gattin.  Die 
Verhandlungen  waren  so  weit  gediehen,  daß  die  Kaisertochter 
schon  nach  Serbien  unterwegs  war,  als  sich  die  Sache  durch  eine 
vollständige   Änderung    der    Dinge   zerschlug  -).      König    Uros   I. 

1)  Du  Gange,  Histoire  de  Constantinople  sous  les  empereurs  franeais 
(Venedig  1729),  Urk.  S.  12. 

2)  Pachymeres,  Mich.  Pal.  V  cap.  6,  mit  Anachronismen  und  iin- 
klarer  Chronologie,  ohne  Kenntnis  der  Ursachen  des  Bruches,  unter  dem 
Patriarchen  Joseph  (seit  Jänner  1268)  und  vor  der  Gesandtschaftsreise  des 
Chartophylax  Bekkos  zu  König  Ludwig  IX.  in  das  Lager  von  Tunis  (1270). 
Anna  heiratete  später  Michael,  einen  Sohn  Michaels  II.  von  Epirus,  der 
sich  den  Palaiologen  angeschlossen  hatte  (ib.  VI  cap.  6). 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  21 


333  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

drang  im  Kriege  gegen  Ungarn  in  die  Macva  ein,  das  Gebiet  des 
Herzogs  Bela,  des  Sohnes  des  Rostislav,  stieß  aber  auf  ein  von 
König  Bela  IV.  seinem  Enkel  zu  Hilfe  gesendetes  Heer  unter 
Stephan,  dem  Comes  von  Preßburg,  und  wurde  nicht  nur  ge- 
schlagen, sondern  mit  vielen  seiner  Edelleute  als  Gefangener  zu 
Bela  IV.  geführt  (1268).  Unter  den  Beutestücken,  die  man  im 
Triumph  an  den  ungarischen  Hof  brachte,  befand  sich  auch  die 
Fahne  des  Königs  und  ein  goldenes,  mit  Perlen  und  Edelsteinen 
geschmücktes  Kreuz  ^).  Zu  den  Friedensbedingungen  gehörte  wohl 
das  Versprechen,  Uros  I.  werde  mit  seinem  Sohn  Stephan  (Dra- 
gutin)  noch  bei  Lebzeiten  Thron  und  Königreich  teilen,  ebenso 
wie  es  in  Ungarn  zwischen  Bela  IV.  und  Stephan  V.  der  Fall 
war  -).  Als  dann  nach  Belas  IV.  Tod  Stephan  V.  mit  Pfemysl 
Otakar  IL  von  Böhmen  Frieden  schloß  (1271),  wurden  auf  unga- 
rischer Seite  unter  anderen  Verwandten  mit  eingeschlossen  auch 
König  Uros  von  Serbien  und  sein  Sohn  Stephan,  der  „jüngere 
König"  von  Serbien  ^).  Schon  im  folgenden  Jahre  starb  Stephan  V. 
(1272).  Es  folgte  sein  minderjähriger  Sohn  Ladislaus  IV.  unter 
der  Regentschaft  seiner  Mutter  Elisabeth  der  Kumanin,  während 
vieler  Wirren,  in  welchen  Rostislavs  Sohn  Herzog  Bela  ermordet 
wurde. 

Epirus  zerfiel  nach  dem  Tode  des  Despoten  Michael  IL  (1271) 
in  zwei  Teile,  die  nimmermehr  vereinigt  wurden.  In  Epirus  folgte 
sein  schwacher  Sohn  Nikephoros,  in  Thessalien  oder  „Wlachien" 
sein  energischer  Bastard,  der  Sevastokrator  Johannes,  der  sich 
„Komnenos  Angelos  Dukas"    schrieb    und   der  Abstammung   von 


1)  Über  die  Gefangennahme  des  Königs  UroS  I.  drei  Urkunden: 
1)  2.  April  1264  (von  Paul  er  berichtigt  zu  1268),  Cod.  dipl.  patrius  8,  96 
bis  97;  2)  9.  April  1269,  Fej^r  V,  3,  490,  kurz  bei  Kukuljevic,  Starine 
27,  86  nro.  974;  3)  7.  September  1271,  Urkundenbuch  des  Zalaer  Komitats 
(Zalavarm^gyi  oklev^ltär)  1  p.  57—60.  Regesten  bei  Thalloczy  und 
Aldäsy,  Codex  dipl.  partium  regno  Hungariae  adnexarum  (Mon.  Hung. 
bist.  Bd.  33,  1907)  nro.  9,  10,  12. 

2)  Daniel  13—14. 

3)  Urk.  3.  Juli  1271:  „Belam,  ducem  de  Machow  et  de  Bozna,  fratrem 
nostrum ;  Urossium,  regem  Servie,  et  Stephanum  filium  eins,  iuniorem  regem 
Servie,  generum  nostrum  ;  Swetizlaum  imperatorem  Bulgarorum  ",  E  m  1  e  r  ^ 
Regesta  dipl.  Bohem.  et  Morav.  2  nro.  753  p.  302. 


Stephan  Uros  I.  (1243—1276).  330 

Kaisern  rühmte  i).  Diese  Veränderung  erleiciaterte  Karl  I.  die 
Besetzung  von  Durazzo  und  Berat  (1272),  bald  auch  von  Valona, 
Kroja  und  anderen  Burgen.  Das  neu  erworbene  „regnum  Albanie'- 
verwaltete  fortan  ein  neapolitanischer  Generalkapitän  mit  dem  Sitz 
in  Durazzo.  In  den  königlichen  Urkunden  erscheinen  zum  ersten 
Male  die  seitdem  wohlbekannten  albanesischen  Adelsgeschlechter 
der  Topia,  Arianiti,  Scura,  Musachi  u.  a.  Über  Albanien  gingen 
bald  Karls  Gesandte  zu  allen  Gegnern  des  byzantinischen  Kaisers 
ab.  Gesandte  „imperatoris  Vulgarorum  et  regis  Servie"  erschienen 
schon  1273  am  Hofe  Karls  I.,  damals  in  Foggia  2).  Zu  Karls 
Freunden  gehörte  auch  der  Sevastokrator  von  Thessalien,  der 
eben  mit  den  Serben  Beziehungen  angeknüpft  hatte ;  seine  Tochter, 
deren  Name  nicht  überliefert  ist,  wurde  Gattin  des  jüngeren  Königs- 
sohnes Milutin  ^). 

Der  große  Krieg  Karls  gegen  den  Palaiologen  war   bald   im 
Gang.    Die  Truppen  Kaiser  Michaels  besetzten  das  wichtige  Berat 
hatten    aber   Mißgeschick   in  Thessalien.     Um    Zeit   zu   gewinnen 
knüpfte  der  schlaue  Michael  Unionsverhandlungen  mit  Papst  Gre- 
gor  X.    an,    geriet    aber   durch   diese   gar   nicht    ernst    gemeinte 
Kirchenpolitik  in  Zwiespalt   mit   dem   griechischen  Klerus.     Diese 
kirchliche  Opposition  wurde  von  den  Nachbarn   in  Epirus,  Thes- 
salien,  Serbien,    Bulgarien   und   Trapezunt   unterstützt.      Um   die 
serbische  und  bulgarische  autokephale  Kirche  zu  schädigen,  stellte 
Michael   ihre  Rechtsgrundlage   in  Frage    und    erneuerte    die  alten 
von  Basilios  IL  verliehenen  Privilegien  von  Ochrid  (August  1272'» 
ebenso  diejenigen,  weiche  diese  Kirche  an  das  alte  Justiniana  Prima 
anschlössen   (1273)^).      Als    auf    dem   Konzil    von    Lyon   (1274) 


1)  Notiz  von  1283:  Viz.  Vrem.  3  (1896)  715.  Sein  Siegel;  Jtlxlov 
der  bist.  Gesellsch.  4  (1892)  108  Anm.  1. 

2)  Regesten  bei  Makusev,  Zapiski  der  russ.  Akad.  19  (1871)  und 
Racki,  Rad  18. 

3)  Bei  Pachymeres,  Andr.  III  cap.  30  als  zweite  Frau  Uros'  II.,  bei 
Nikephoros  Gregoras  VI  cap.  9  §  2  richtiger  als  seine  erste  Frau  eine 
Tochter  des  „westlichen  Sevastokrators  Joannes",  des  „Archonten  von 
Wlachien".  Bei  Hopf,  Chroniques  529  in  der  Stammtafel  irrtümlich  mit 
dem  im  Orient  nicht  gebräuchlichen  Namen  Johanna  (Jeanne)  verzeichnet. 

4)  Golubinskij,  Gesch.   der  rechtgläubigen   Kirche  von  Bulgarien, 

21* 


3ä4  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

Georgios  Akropolites  an  der  Spitze  einer  zahlreichen  byzantinischen 
Gesandtschaft  vor  dem  Papst  im  Namen  des  Kaisers  den  Eid  des 
Gehorsams  ablegte,  teilten  die  Griechen  im  Auftrag  Michaels  mit, 
die  Metropolie  von  Serbien  und  das  Patriarchat  von  „Zagora'' 
(Bulgarien)  seien  nicht  kanonisch,  da  sie  ohne  Bewilligung  des 
Papstes  errichtet  worden  seien,  zum  Schaden  der  schon  vom 
Kaiser  Justinian  und  Papst  Vigilius  mit  Privilegien  ausgestatteten 
Kirche  von  Ochrid  ^). 

Das  Verhältnis  zwischen  Uros  I.  und  Ragusa  verschlechterte 
sich  seit  dem  Frieden  von  1254  zu  wiederholten  Malen.  Es  han- 
delte sich  nicht  nur  um  kleine  Lokalfragen,  um  Weinberggrenzen, 
Jahrgelder  und  serbische  Flüchtlinge.  Der  König  hatte  die  Ab- 
sicht, die  Stadt  seiner  Oberhoheit  zu  unterwerfen,  in  der  Art  wie 
Cattaro  oder  Antivari  -).  Gegen  die  Venezianer,  die  Schutzherren 
von  Ragusa,  hatten  ihn  vielleicht  die  Genuesen  gewonnen,  die  (seit 
1256)  den  ersten  langwierigen  Seekrieg  gegen  die  Lagunenrepublik 
führten.  Die  Autorität  Venedigs  war  auf  der  Halbinsel  ohnehin 
erschüttert  durch  den  Fall  des  lateinischen  Kaisertums  und  durch 
den  Mißerfolg  in  dem  langen  Kriege  mit  den  Franken  Griechen- 
lands um  die  Insel  Euböa.  Die  Stadtmauer  von  Ragusa  auf  der 
Landseite,  dieselbe,  welche,  allerdings  in  der  späteren  Zeit  vielfach 
verstärkt,  heute  noch  besteht,  wurde  erbaut  unter  dem  Comes 
Giovanni  Quirini  (1265 — 1266),  um  die  Vorstadt  (burgus)  von 
S.  Nicolaus  de  Campo  einzuschließen  und  den  Hafen  besser  zu 
schützen  •^).  Eine  Gesandtschaft  mit  dem  Erzbischof  Aleardus  an 
der  Spitze,  einem  Franziskaner  aus  Sardinien,  bat  in  Venedig  um 
Hilfe  gegen  den  Serbenkönig  ^).     Noch   in   demselben  Jahre    ver- 


Serbien und  Rumänien  (russ.,  Moskau  1871)  259 f.;   meine   Geschichte  der 
Bulgaren  274;  Novakovic  im  Glas  76  (1908)  3f. 

1)  Die  Konzilakten  haben  sich  nicht  erhalten.  Einiges  bei  Zurita, 
Anales  de  la  Corona  de  Aragon  (Saragossa  1562)  Bd.  I,  S.  144  a. 

2)  Die  Serben  wollten  (1275)  „prendre  la  ville":  Canal  (s.  unten) 
p.  702.     Vgl.  Resti  96. 

3)  Ragnina  221,  Gondola  MS.,  Resti  96,  98. 

4)  Die  Gesandtschaft,  am  28.  Dezember  1265  abgesendet,  nahm  am 
7.  April  1266  in  Venedig  eine  Anleihe  auf:  Smiciklas  5,  375,  Über  ihren 
Zweck  Gondola  und  Resti  a.  a.  0. 


Stephan  Uro§  I.  (1243—1276).  335 

trieb  eine  den  Venezianern  feindliche  Partei  den  Quirini.  Ver- 
bannte Ragusaner,  unterstützt  von  Unzufriedenen,  überfielen  den 
Comes,  töteten  seinen  Stellvertreter  (socius)  und  verwundeten  einige 
der  übrigen  Gefährten.  Als  Quirini  einen  der  Angreifer  hinrichten 
ließ,  sperrten  sie  die  Stadttore  vor  ihm  zu,  so  daß  er  Ragusa  nicht 
mehr  betreten  konnte  und  nach  Venedig  zurückkehren  mußte  ^). 
Aber  unter  seinem  Nachfolger  Giovanni  Storlato  (1267 — 1268) 
nahmen  die  Ragusaner  mit  ihren  zwei  Galeeren  wieder  regen  An- 
teil an  dem  Krieg  gegen  die  Genuesen  in  der  Adria  -).  Merk- 
würdig ist  ein  zufällig  erhaltenes  Schreiben  der  Königin  Helena 
an  den  Erzbischof  Aleardus  und  den  Comes  Storlato.  Die  Französin 
auf  dem  serbischen  Thron  leistete  vor  den  Gesandten  der  Ragu- 
saner, zwei  Franziskanern  und  zwei  Edelleuten,  einen  Eid,  sie 
werde  „die  ganze  Stadt  lieben"  und  die  Kaufleute  bei  sich  be- 
schützen, selbst  ohne  Erlaubnis  des  Königs;  sollte  der  König 
gegen  Ragusa  böse  Absichten  haben,  ein  Heer  oder  eine  Raub- 
schar rüsten,  wird  sie  so  rasch  als  möglich  die  Stadt  davon  be- 
nachrichtigen ^).  Zuletzt  konnte  der  Friede  nur  durch  eine  Er- 
höhung des  Jahrgeldes  erneuert  werden  (1268)  •^). 

Sieben  Jahre  später  folgte  ein  neuer  Zusammenstoß  unter 
dem  Comes  Pietro  Tiepolo,  Sohn  des  Dogen  Lorenzo  Tiepolo.  Der 
Serbenkönig  erschien  persönlich  mit  seinem  Heere  auf  den  Bergen 
vor  Ragusa,  ließ  die  Landhäuser  und  Weingärten  verwüsten,  wagte 
es  aber  nicht,  sich  den  Mauern  zu  nähern.  Als  die  Nachricht  von 
dem  Tode  des  Dogen  (August  1275)  eintraf,  stiegen  die  Serben 
zur  Eroberung  der  Stadt  herab,  aber  der  junge  Comes  ließ  die 
Trauer  für  seinen  Vater  beiseite,  ritt  zu  Pferde  an  der  Spitze 
der  Ragusaner  unter  Glockengeläute   zum  Tore   hinaus  und  trieb 


1)  Tadelndes  Schreiben  des  Dogen  Rainerio  Zeno  an  die  Ragusaner 
vom  20.  November  1266,  nach  dem  Eintreflfen  des  Quirini  in  Venedig: 
Smiciklas  5,  399. 

2)  Canal  p.  554.  Dandolo  bei  Muratori  12  p.  375C  (15.  Jahr 
des  Dogen  R.  Zeno,  1267—1268). 

3)  Mon    serb.  p.  69,  nro.  66  (serbisch). 

4)  Der  Friedensvertrag  ist  nicht  erhalten.  Grondola  MS.  und  Resti 
96  —  97,  mit  Berufung  auf  das  jetzt  verschollene  Archivbuch  Diversa  Notarie 
1268. 


336  Viertes  Buch.     Erstes  Kapitel. 

die  Serben  wieder  auf  den  Berg  hinauf.  Die  Ragusaner  begannen 
die  serbische  Küste  mit  ihren  Schiffen  zu  verheeren,  gerieten  je- 
doch bei  einer  Landung  in  einen  Hinterhalt,  in  welchem  2000 
Serben  zu  Fuß  und  zu  Pferde  warteten.  An  40  Patrizier  fielen 
in  die  Gefangenschaft.  Der  König  ließ  den  Anführer  Benedictus 
de  Gondola  uad  einen  Venezianer,  den  Stellvertreter  (socius)  des 
Comes  blenden.  Zwölf  ragusanische  Gesandte  in  schwarzem  Trauer- 
gewande  baten  den  neuen  Dogen  Giacorao  Contariui  flehentlich 
um  Hilfe  durch  Entsendung  einer  Flotte,  worauf  zwei  venezia- 
nische Gesandte,  welche  auf  zwei  Galeeren  eintrafen,  bald  die  Er- 
neuerung des  Friedens  vermittelten  ^). 

Schon  im  folgenden  Jahre  wurde  König  Stephan  Uros  I.  von 
seinem  Sohne  Stephan  Dragutin  entthront.  Der  „jüngere  König" 
verlangte  die  versprochene  Teilung  des  Reiches.  Als  Uros  dieses 
Verlangen  zornig  abwies,  erhielt  der  Sohn  von  der  Regentschaft 
für  seinen  Schwager  Ladislaus  IV.  ungarische  und  kumanische 
Hilfstruppen  und  besiegte  seinen  Vater  in  den  Bergen  der  jetzigen 
Herzegowina  bei  Gacko  (Herbst  1276).  Der  alte  König  flüchtete 
sich  nach  Zachlumien,  legte  dort  als  Mönch  Simon  das  Kloster- 
gewand an,  doch  bald  erreichte  ihn  der  Tod;  man  bestattete  ihn 
in  seiner  Stiftung,  dem  Kloster  Sopocani  bei  Ras  -). 


1)  Lebendiger,  aber  unvollendeter  Bericht  am  Schluß  der  „Chronique 
des  Veniciens"  (altfranzösisch)  des  Zeitgenossen  Martino  de  Canal  cap. 
342—343:  Archivio  storico  ital.  8  (1845)  702—704.  Dandolo  bei  Mura- 
tori  12  col.  391  A.,  wo  Ben.  de  Gondola  von  Uros  gehängt  wird  (suspendi 
fecit),  während  er  nach  den  ragus.  Archivbüchern  noch  1283  lebte. 

2)  Daniel  16—19.  Todestag  1.  Mai:  Stojanovic,  Arch.  slaw.  Phil. 
23  (1901)  631.  Stephan  Uros  war  noch  König  im  Jahre  6785  =  1.  Sept. 
1276  —  31.  Aug.  1277:  Jagic,  Starine  9,  124,  Stojanovic,  Zi^pisi  nro.  24. 
Vgl.  Kovacevic:  Godisnjica  3  (1879)  368-379. 


Zweites  Kapitel. 

Offensive  gegen  Byzanz.   Aufschwung  Serbiens  unter 

den  Königen  Stephan  Dragutin  (1276 — 1282,  im  Norden 

bis  1316),  Stephan  Uros  II.  Milutin  (1282-1521)  und 

Stephan  Uros  III.  (1321—1551)  i). 

Die  rasche  Entwicklung  Serbiens  unter  den  beiden  Söhnen 
des  Königs  Stephan  Uros  I.  wurde  zum  guten  Teil  gefördert  durch 
die  Wiederaufnahme  des  Bergbaues  bei  den  einstigen  römischen 
Bergwerken,  nach  Berufung  von  deutschen  Bergleuten  oder 
„Sachsen"  aus  Ungarn.  Die  großen  Mittel  dienten  vor  allem  zur 
Schaffung  einer  starken  Kriegsmacht  mit  zahlreichen  fremden 
Söldnern  und  zur  Offensive  gegen  das  sinkende  Reich  der  Palaio- 
logen. 

König  Stephan,    mit  seinem  Hausnamen  Dragutin  (von  drag 


1)  Zu  den  Urkunden  (s  voriges  Kapitel)  kommen  die  Sammlungen  von 
Pucic,  Bd.  2  (1312 f.)  und  Jirecek  im  Spomenik  Bd.  11  (1286 f.),  die 
Eatsprotokolle  von  Ragusa  (1301  f.)  in  den  Mon.  Rag.  und  die  ungedruckteu 
Diversa  des  Archivs  von  ^agusa  seit  1278.  Biographien  der  serb.  Könige 
und  Erzbischöfe  von  Erzbischof  Daniel  (f  1338)  und  seinen  Fortsetzern 
Fremde  Quellen:  Micha  Madius  de  Barbazanis  aus  Spalato  1290  bis 
1330  (vgl.  die  Monographie  von  Sisic  im  Rad  Bd.  153,  1903);  der  franz. 
Dominikaner  Guillaume  Adam,  1322  —  1341  Erzbischof  von  Antivari, 
Verfasser  des  1332  dem  französischen  König  Philipp  VI.  gewidmeten  „Di- 
rectorium  ad  passagium  faciendum",  im  Recueil  des  historiens  des  croisades, 
Documents  arm^niens,  t.  2,  Paris  1906  (früher  dem  Brocardus  zuge- 
schrieben, serb.  übersetzt  von  Novakovic,  Godisujica  Bd.  14,  1894);  die 
Griechen  Theodoros  Metochites,  Georgios  Pachymeres  (bis  1308), 
Manuel  Philes,  Nikephoros  Gregoras  und  der  Kaiser  Johannes 
Kantakuzenos. 


328  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

teuer)  genannt,  regierte  als  alleiniger  König  nicht  lange  (1276  bis 
1282)  ^).  Der  Helena  überließ  er  Besitzungen  im  Küstenlande  von 
Ragusa  bis  Skutari,  das  lange  Zeit  bekannt  blieb  als  Land  der 
Königinmutter  (domina  regina  mater),  im  Binnenlande  Plav  (bei 
Gusinje)  am  oberen  Lim  und  das  Schloß  Brnjaci  im  obersten  Ge- 
biet des  Ibar  -).  Ein  eigenes  Gebiet  erhielt  wahrscheinlich  auch 
sein  jüngerer  Bruder  Milutin  (von  mil  lieb).  Die  alten  Feind- 
schaften waren  vergessen,  vor  allem  mit  Ragusa,  dem  Stephan 
sein  Leben  lang  Freund  blieb.  Der  erste  Vertrag  mit  den  Ragu- 
sanern,  geschlossen  auf  fünf  Jahre  (vielleicht  schon  im  Herbst  1276), 
hat  sich  nicht  erhalten,  wohl  aber  seine  Erneuerung  (wahrschein- 
lich im  Herbst  1281)  ohne  zeitliche  Beschränkung,  gültig  für  die 
ganze  Lebenszeit  des  Königs  ^).  Auch  das  älteste  erhaltene  Archiv- 
buch der  Stadt  aus  der  Zeit  des  Comes  Marco  Zeno  (1278  bis 
1280)  gibt  Zeugnis  von  guten  Verhältnissen  zu  den  Serben,  mit 
großem  Handel  nach  Brskovo  an  der  oberen  Tara,  dem  damaligen 
Hauptort  des  westlichen  Serbiens.  Mit  seinem  jugendlichen  Schwa- 
ger Ladislaus  „dem  Kumanen"  (1272 — 1290)  blieb  Stephan  stets 
in  guten  Beziehungen.  Seine  Schwiegermutter  Elisabeth  „die 
Kumanin"  verwaltete  das  ehemalige  Gebiet  Rostislavs  an  der 
serbischen  Grenze  als  „Herzogin  von  Macva  und  Bosnien".  Der 
arge  Verfall  Ungarns  äußerte  sich  an  der  Küste,  wo  sich  die 
reichen  Inseln  Brazza  und  Lesina  Venedig  unterwarfen  (1278), 
worauf  die  Republik  das  Piratennest  Ahuissa  eroberte  (1281), 
aber  bald  wieder  dem  König  zurückgab.  Arge  Stürme  erschütterten 
Bulgarien,  als  Zar  Konstantin  sich  den  Fuß  gebrochen  hatte  und 
die    Feldzüge    nur    im   Wagen    mitmachte.      Die   Invasionen    der 


1)  ,, Stefan  kralj"  in  den  serb.  Urk. ,  bei  Daniel,  Nikodim  usw., 
Zr^tfavog  bei  Paehymeres  (Mich.  Pal.  V  cap.  6  und  Andr.  III  cap.  30), 
„rex  Stephanus"  der  Neapolitaner,  Venezianer,  Ragusaner,  Cattarenser  und 
der  päpstl.  Kanzlei,  Dragutin  nie  in  den  Urkunden;  nach  Daniel  12 
wurde  der  König  als  Dragutin  getauft,  Stephan  erst  als  König  umgenannt; 
er  heißt  so  schon  in  der  Urk.  1271  (s.  oben  S.  322). 

2)  Beamte  der  alten  Königin  in  Trebinje  und  an  der  Bojana :  Div.  Rag. 
1278—1280.     Plav:  Urk.  von  Decani  133. 

3)  Undatierter  Vertrag  des  Königs  Stephan  mit  dem  Comes  Nikola 
Mavrizin  (Nie.  Maurocenus,  ital  Morosini,  1280—1282):  Mon.  serb.  p.  54—55 
nro.  57  (dort  irrig  Stephan  Uros  II.  zugeteilt). 


Stephan  Dragutia  (1276—1283).  329 

Tataren  führten  zum  Ausbruch  einer  Volksbewegung,  deren  Führer 
ein  ,, Schweinehirt"  des  Gebirges  war,  der  „Zar  Ivajlo",  bei  den 
Griechen  unter  dem  Spitznamen  Lachanäs  (neugr.  lächano  Kohl) 
bekannt  ^).  Er  zersprengte  einige  Tatarenhaufen  und  besiegte  auch 
den  Konstantin,  welcher  hilflos  auf  seinem  Fuhrwerk  erschlagen 
wurde  (wohl  Ende  1277).  Der  siegreiche  Bauernführer  zog  in 
die  Hauptstadt  ein,  konnte  sich  aber  nicht  behaupten,  ebenso  wie 
sein  Nebenbuhler,  der  byzantinische  Schützling  Johannes  Äsen  III. 
Begründer  einer  neuen  Dynastie  wurde  ein  Würdenträger  des 
bulgarischen  Hofes,  der  Kumane  Georg  Terterij  I.  (ungefähr  Ende 
1280).  Schwer  lastete  auf  der  ganzen  Nachbarschaft  das  Auftreten 
des  Tatarenfürsten  Nogaj ,  welcher  Russen ,  Polen ,  Ungarn  und 
Bulgaren  durch  seine  Invasionen  heimsuchte  und  auch  die  Serben 
bedrohte,  aber  mit  Kaiser  Michael  befreundet  war. 

König  Stephan  blieb  den  Verbindungen  seines  Vaters  mit 
Karl  I.  von  Anjou  treu.  Michaels  Spiel  mit  der  Union  täuschte 
niemand  mehr ;  der  neue  Papst  Martin  IV. ,  ein  Franzose,  brach 
die  erfolglosen  Verhandlungen  ab  und  tat  den  griechischen  Kaiser 
in  den  Bann.  Die  Feldherren  Karls  I.  in  Albanien  eröffneten  die 
Offensive,  belagerten  Berat,  wurden  aber  (Frühjahr  1281)  von 
einem  großen  byzantinischen  Heere  vollständig  geschlagen.  Die 
Griechen  besetzten  Kroja,  Kanina  und  andere  Burgen  Albaniens  ^). 
Karl  I.  gewann  nun  durch  den  Vertrag  von  Orvieto  (Juli  1281) 
auch  die  Venezianer.  Die  Verbündeten  verpflichteten  sich,  im 
nächsten  Frühling  von  Brindisi  aus  mit  Heer  und  Flotte  gegen 
Konstantinopel  zu  ziehen  und  dort  den  Kaiser  Philipp,  Balduins  II. 
Sohn  und  Karls  I.  Schwiegersohn,  einzusetzen.  Zugleich  wurde 
eifrig  mit  den  Serben  und  Bulgaren  verhandelt.  An  der  serbisch- 
byzantinischen Grenze,  die  sich  im  Gebirge  des  Sar  oberhalb 
Prizren  und  Lipljan  befand,  gab  es  damals  einen  unaufhörlichen 
Kleinkrieg.    Ein  byzantinischer  Überläufer  Koteanitzes  beunruhigte 


1)  Zar  Ivajlo  im  Evangelium  von  Svrljig;  neueste  Ausgabe  von 
G.  Iljinskij  in  den  „Statji  po  slavjanovedeniju"  (Abb.  zur  Slawistik)  Bd.  2 
(Petersburg,  Akad.  1906)  97—128. 

2)  Kroja  bei  Philes,  Ausg.  von  E.  Miller  2,  254,  V.  289.  Vgl. 
Pachymeres,  Micb.  Pal.  VI  cap.  32  und  Sanudo,  Istoria  del  regno  di 
Romania  bei  Hopf,  Chroniques  gr^corom.  129. 


330  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

mit  serbischen  Truppen  die  makedonischen  Provinzen  bis  Serrai  ^). 
Des  Kaisers  Michael  Sohn  Konstantin  gewann  einmal  diesen  Frei- 
beuter durch  eine  Amnestie;  er  wurde  Mönch  in  Asien,  ließ  sich 
aber  nachts  auf  einem  Seil  von  den  Mauern  von  Prusa  herab 
und  kehrte  wieder  zu  den  Serben  zurück.  Ein  rühriger  Gegner 
der  Byzantiner  war  auch  der  Sevastokrator  Johannes  von  Thessalien. 
Zugleich  schloß  aber  Kaiser  Michael  durch  Vermittlung  der  Ge- 
nuesen einen  geheimen  Bund  mit  König  Peter  von  Aragonien,  des 
unglücklichen  Königs  Manfred  Schwiegersohn.  Am  Ostermontag 
(31.  März)  1282  folgte  die  unerwartete  Erhebung  von  ganz  Sizilien 
gegen  die  französische  Herrschaft.  Durch  die  „Sizilianische  Vesper" 
waren  die  griechischen  Pläne  Karls  I.  mit  einem  Schlage  ver- 
nichtet. An  ihre  Stelle  trat  der  langwierige  Kampf  zwischen  den 
Häusern  von  Aragon  und  Anjou  um  den  Besitz  von  Sizilien. 

Der  König  von  Serbien  wurde  inzwischen  (ungefähr  Anfang 
1282)  von  einem  Unglück  ereilt.  Auf  einem  Ritt  mit  seinen 
Adligen  unter  der  Burg  Jelee  in  der  Zupa  von  Ras  fiel  er  vom 
Pferde  und  brach  sich  den  Fuß  -).  Er  sah  darin  eine  Strafe 
Gottes  für  den  Aufstand  gegen  seinen  Vater.  Das  Schicksal  des 
bulgarischen  Zaren  Konstantin  war  ein  abschreckendes  Beispiel 
für  einen  lahmen  Landesherrn.  Stephan  überließ  oder,  wie  Daniel 
sagt,  „schenkte"  die  Regierung  seinem  jüngeren  Bruder  Stephan 
Uros  II.  Milutiu  (1282 — 1321),  auf  einem  Reichstag  in  Dezevo 
bei  Ras  ^).    Von  nun  an  gab  es  (bis  1316)  im  Lande  zwei  Könige 


1)  Vgl.  Philes  und  Pachymeres  (zuerst  Mich.  Pal.  VI  cap.  22). 
Mein  Christi.  E!em.  79  A.  1  (Bcmerkungeu  zum  Gedicht  des  Philes  an 
den  Feldherrn  Tarchaniotes).  Der  Name  ist  slawischen  Ursprungs,  von 
Hotea. 

2)  Daniel  23—27,  106  und  Pachymeres,  Andr.  III  cap.  30  (Mich. 
Pal.  V  cap.  6  irrtümlich,  er  habe  sich  noch  bei  Lebzeiten  des  Vaters  den 
Schenkel  gebrochen).  Kex  Stephanus  urkundlich  zuletzt  Juli  1281  als 
Landesherr:  Smiciklas  6,  388.  Das  erste  Regierungsjahr  des  Stephan 
Uros  II.  war  das  Jahr  6790  =  1.  Sept.  1281  —  31.  Aug.  1282:  Mon.  serb. 
561,  Stojanovic,  Zapisi  nro-  27.  Vgl.  Kovacevic,  Godisnjica  3 
(1879)  386 

3)  In  seinen  Urk.  „Stefan  Uros";  „rex  Urossius"  der  Ungarn,  Vene- 
zianer, Ragusauer  usw.  Der  Name  Milutin  ist  nie  in  den  Urk.  zu  lesen, 
wohl  aber  bei  Daniel  und  Pachymeres  {MrjXonivos  Mich.   Pal.  V  cap.  6); 


Stephan  Uros  II.  (1282-1321).  331 

nebeneinander,  die  bei  den  Zeitgenossen  „König  Stephan"  und 
„König  Uros"  heißen.  Die  näheren  Bedingungen  der  Übergabe 
sind  nicht  bekannt.  Pachymeres  beti'achtet  Uros  nur  als  Regenten 
für  die  Söhne  des  älteren  Stephan  als  künftige  Nachfolger;  der 
rechtmäßige  König  sei  Stephan  gewesen,  der  auch  in  neapolita- 
nischen, venezianischen  und  päpstlichen  Urkunden  stets  als  „rex 
Servie"  bezeichnet  wird  und  einen  großen  Einfluß  auf  die  Re- 
gierungsgeschäfte hatte.  Ebenso  erklärt  ein  anderer  Zeitgenosse, 
der  Franzose  Guillaume  Adam,  Erzbischof  von  Antivari,  den 
Stephan  und  dessen  Sohn  für  die  allein  legitimen  Herrscher  Ser- 
biens ^). 

Ob  König  Stephan  Dragutin  einige  Gebiete  für  sich  reserviert 
hat,  ist  nicht  sicher.  Bald  erhielt  er  (1284)  von  seinem  Schwager 
Ladislaus  IV.  Ländereien  außerhalb  der  serbischen  Grenze,  welche 
Daniel  ausdrücklich  als  Teile  des  ungarischen  und  bosnischen 
Landes  bezeichnet.  Es  war  die  einstige  Grenzmark  des  Rostislav, 
zuletzt  Besitz  der  Königinmutter  Elisabeth,  mit  der  Stadt  Belgrad, 
der  Landschaft  Macva  und  dem  Nordosten  Bosniens  -).  Das  Ge- 
biet bei  Belgrad  bezeichnete  man  damals  mit  dem  Namen  des 
jenseits  der  Save  liegenden  Sirmium  als  Srem  (zemlja  sremska); 
die  Ragusaner  rechneten  in  diesen  Zeiten  sogar  noch  Rudnik  zu 
Srem  ^).  Die  Residenzen  des  Königs  waren  Belgrad,  damals  in 
Ungarn  als  einstiger  Besitz  der  Bulgaren  lateinisch  noch  immer 
Alba  Bulgarica  genannt^),  und  das  Schloß  Debrec  in  „Srem", 
jetzt  ein  Dorf  in  der  i\Iitte  des  Weges  zwischen  Belgrad  und 
Sabac,    südlich   der  Save.     In  Bosnien  besaß   König  Stephan   die 


Köuig  ,,  Uros  Milutiu"  in  der  Inschrift  von  Nagoric'm,  Arch.  slaw.  Phil.  31 
(1909)  300. 

1)  Pachymeres,  Andr.  III  cap.  30.     G.  Adam  ed.  cit.  2,  437. 

21  Länder  der  „zemlja  ugrskaja"  und  der  „bostnskaja  zemlja":  Da- 
niel 41.  Elisabeth  als  Herzogin  der  Macva  zuletzt  11.  Juni  1284,  worauf 
Milovan  Ristic,  Bosnien  1250 — 1284  (serb.,  Belgrad  1910)  141f.  aufmerk- 
sam macht. 

3^  Ein  ragusanischer  Kaufmann  Rossinus  de  Palma  de  PosopQe  wurde 
am  27.  Oktober  1297  befragt  als  Zeuge  wegen  eines  Verkaufs  von  Tuch: 
„ego  eram  in  Seremo  in  contrata  de  Rudinico".    Div.  Cauc.  1295,  Arch.  Rag. 

4)  Alba  Bulgarica :  1290  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  366;  1295  Starine 
28,  170  nro.  15G8. 


333  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

Landschaft  Usora,  vielleicht  auch  Sol  (Tuzla)  ^).  Serbische  und 
lateinische  Berichte  erwähnen  Bekehrungen  der  Patarener.  Auf 
die  Bitten  des  Königs  sendete  ihm  der  Papst  (l29l)  für  diese 
Landschaften  (in  partibus  Bosne,  Tue  ditioni  subiectis)  als  Missio- 
nare zwei  Franziskaner,  welche  der  slawischen  Sprache  kundig 
waren  -).  Ein  bosnischer  Bischof  Basilius,  dem  Namen  nach  der 
östlichen  Kirche  angehörig,  reiste  (1293)  als  Gesandter  des  Königs 
nach  Venedig.  Das  innere,  eigentliche  Bosnien  beherrschten,  wie 
schon  erwähnt,  die  Brüder  Prijezda  II.  und  Stephan  I.  Ban 
Stephan  wurde  1284  Schwiegersohn  des  Königs  Stephan  Dragutin, 
als  Gemahl  seiner  Tochter  Elisabeth  3).  Auf  dieser  Heiratsver- 
bindung begründete  93  Jahre  später  Ban  Tvrtko,  ein  Enkel  des 
Baus  Stephan  I.,  seine  Ansprüche  auf  die  Nachfolge  in  Serbien  nach 
dem  Aussterben  der  Nemanjiden. 

König  Uros  II.,  der  den  größten  Teil  Serbiens  verwaltete, 
war  beim  Regierungsantritt  noch  jung,  nach  Daniel  ein  sehr 
schöner,  freundlicher  Mann,  tapfer  und  kriegskundig,  jedenfalls 
mehr  Kriegsmann  als  Diplomat.  Merkwürdig  ist  der  rasche  Wechsel 
der  Gattinnen.  Seine  erste  Frau,  die  Griechin  aus  Thessalien, 
sendete  er  nach  einiger  Zeit  heim  zu  ihrem  Vater,  dem  Sevasto- 
krator  Johannes.  Die  zweite  Frau  war  Elisabeth  aus  Ungarn, 
eine  Schwester  des  Königs  Ladislaus  IV.,  der  Königin  Katharina 
von  Serbien  und  der  Königin  Maria  von  Neapel.  Schon  als  Kind 
wurde  sie  Nonne  im  Kloster  auf  der  Haseninsel  bei  Ofen,  lebte 
später  am  Hofe  ihres  Bruders  und  besuchte  ihren  Schwager,  den 
König  Stephan  Dragutin.  Pachymeres  erzählt,  Uros  habe  diese 
Klosterfrau,  seine  Schwägerin,  bei  seinem  Bruder  angetroffen,  ver- 
führt und  geheiratet.  Nikephoros  Gregoras  berichtet,  daß  diese 
wegen  des  Klostergelübdes  und  der  nahen  Verschwägerung  un- 
gesetzliche Ehe  bei  der  serbischen  Kirche  auf  großen  Widerstand 


1)  Usora:  serb  Annalen,  Glasnik  53  (1883)  37.  Seit  Engel  in  der 
neueren  Literatur  über  Bosnien  Verwechslungen  beider  Könige :  vgl.  Ilarion 
Ruvarac,  GodLsnjica  2  (1878)  243. 

2)  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  377. 

3)  „Yperpyri  CXLVII,  donati  regi  Stephano  pro  nupciis,  quas  facit 
cum  bano  Bosne " :  November  1284.  Div.  Canc.  1284  (falsch  bezeichnet 
als  1275)  Arch.  Rag. 


Stephan  Uros  II.  (1282—1321).  333 

gestoßen  sei.  Nach  einiger  Zeit  trennte  sich  Uros  von  dieser 
zweiten  Frau  von  edlem  magj'arisch-kumanischem  Ursprung  (vor 
1284),  behielt  aber  ihre  kleine  Tochter  bei  sich  i).  Elisabeth 
wurde  Äbtissin  des  Klosters  auf  der  Haseninsel,  heiratete  aber 
wieder  nach  wenigen  Jahren,  diesmal  einen  böhmischen  Edelmann, 
welcher  eine  fast  königUche  Macht  besaß.  Es  war  der  schöne 
Zävis,  Sohn  des  Budivoj  von  Krumau,  der  1284  die  Witwe  des 
Königs  Pfemysl  Otakar  IL,  Rostislavs  Tochter  Kunigunde,  ge- 
heiratet hatte,  aber  schon  nach  einem  Jahr  \Vitwer  geworden  war. 
Aber  eben  infolge  der  neuen  ungarischen  Heirat  (1287)  neigte 
sich  der  Glücksstern  des  Emporkömmlings  dem  Untergange  zu. 
EHsabeth  gebar  ihm  einen  Sohn,  als  jedoch  Zävis  den  jungen 
König  Wenzel  U.  in  Prag  zur  Taufe  einlud,  wurde  er  wider  Er- 
warten gefangen  genommen  und  vor  den  Mauern  der  Burg 
Frauenberg  bei  Budweis  hingerichtet  (August  1290).  Nach  diesem 
Unglück  kehrte  Elisabeth  in  die  klösterliche  Einsamkeit  auf  der 
Haseninsel  zurück,  die  sie  bis  zu  ihrem  Lebensende  nicht  mehr 
verließ.  König  Uros  H.  heiratete  indessen  als  dritte  Frau 
Anna,  eine  Tochter  des  bulgarischen  Zaren  Georg  Terterij  L 
(1284)  2). 

Als  Uros  n.  die  Regierung  antrat,  hatte  der  Kampf  zwischen 
den  Anjous  und  den  Palaiologen  eben  den  Höhepunkt  überschritten. 
Die  Verbündeten  der  Franken,  die  Serben  und  Thessaher  be- 
gannen ohne  Kenntnis  von  der  Umwälzung  auf  Sizilien  den  An- 
griff. Der  junge  Serbenkönig  eroberte  die  Stadt  Skopje,  die 
nimmermehr  in  den  Besitz  der  Byzantiner  zurückkam,  mit  den 
benachbarten  fünf  Landschaften :  Ober-  und  Unter-Polog  am  oberen 
Vardar,  Ovcepolje,  Zletovo  und  Pijanec  im  Gebiet  der  Bregalnica. 

1)  Elisabeth  wird  bei  den  Serben  nicht  erwähnt,  wohl  aber  bei  Pa- 
chymeres,  Andr.  III,  cap.  30  und  IV  cap.  1,  Nikephoros  Gregoras 
VI  cap.  9  §  2  und  Guillaume  Adam  ed.  cit.  487  (E.  als  ,uxor',  später 
.repudiata').  Elisabeth,  des  Königs  Uros  II.  „uxor  legitima":  Urk.  1308, 
Glasnik  27,  322. 

2)  „Dona  facta  regi  Vrossio,  quando  accepit  in  uxorem  filiam  impe- 
ratoris  Bulgarie",  von  den  Ragusanern,  im  Werte  von  400  Perper,  erwähnt 
im  August  und  November  1284:  Div.  Canc.  1284.  Die  Königin  Anna  mit 
zwei  Kindern  (cedoma,  Dual)  genannt  in  einer  Hdschr.  von  1286 — 1292 : 
Glasnik  29  (1871)  174. 


334  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Kaiser  Michael  rüstete  sofort  gegen  die  Thessalier  und  Serben, 
mit  der  Absicht,  wie  Daniel  berichtet,  ganz  Serbien  zu  erobern 
und  den  König  zu  seinem  „gehorsamen  Sklaven''  zu  machen.  Er 
warb  Franken  und  Türken,  erhielt  auch  tatarische  Hilfstruppen 
von  Khan  Nogaj,  starb  aber  während  der  Vorbereitungen  im  Dorfe 
Allage  bei  Rodosto  (11.  Dezember  1282)  i). 

Die  Unfähigkeit  des  Sohnes  Michaels,  des  Kaisers  Andro- 
nikos  IL  führte  während  seiner  langen  Regierung  (1282 — 1328) 
rasch  den  Niedergang  des  Reiches  herbei,  den  die  Serben  sofort 
rücksichtslos  ausbeuteten.  Noch  im  selben  Winter  sendete  Andro- 
nikos  Griechen  und  Tataren,  besonders  um  den  tatarischen  Scharen 
Beute  zu  verschaffen,  bis  Lipljan  und  Prizren,  jedoch  ohne  Erfolg. 
Eine  Abteilung  der  Tataren  wurde  am  hoch  angeschwollenen 
Drim  von  den  Serben  ganz  aufgerieben.  Skopje  blieb  fortan  Re- 
sidenz des  Uros.  Nach  dem  Weihnachtsfest  (1283)  brachen  beide 
Könige  der  Serben  mit  ihrem  ganzen  Heere  in  das  östhche  Make- 
donien ein  und  verheerten  es  bis  Serrai,  Christopohs  (j.  Kavala) 
und  bis  in  die  Nähe  des  Athos.  Uros  besetzte  dann  allein  die 
Gebiete  von  Porec  (an  der  Treska),  Kicava  und  Debra  im  Westen 
Makedoniens.  Die  Grenzlinie  befand  sich  ohne  Friedensschluß 
nördlich  von  den  byzantinischen  Festungen  Strumica,  Prosek, 
Prilep,  Ochrid  und  Kroja,  unter  fortwährendem  Kleinkrieg,  in 
welchem  sich  Koteanitzes  wieder  bemerkbar  machte  -).  Den  Serben 
kam  auch  die  Freundschaft  des  bulgarischen  Zaren  Georg  Tcrterij 
zugute,  des  Schwiegervaters  des  Uros,  mit  welchem  Helena,  die 
Mutter  der  beiden  Serbenkönige,  im  Sommer  1291  eine  Zusammen- 
kunft hatte.  Der  Gegensatz  zwischen  den  Serben  und  Byzantinern, 
sowie  der  Einfluß  der  aus  dem  katholischen  Abendlande  stammen- 
den Königinmutter  erweckte  in  Rom  Hoffnungen,  Serbien  für  die 
Union  der  Kirchen  gewinnen  zu  können.  Helena  wurde  mit  dem 
„regnum   Servie"   wiederholt   (1291,    1303  und  1306)   unter   den 


1)  Die  redselige  Urkunde  Uros'  II.  im  Spomeuik  3,  17—24  ist  nach 
der  Untersuchung  von  Radonic  im  Letopis  183  (1895)  92 f.  ein  Falsifikat, 
kompiliert  aus  Daniel.  Verlust  von  Skopje  unter  Kaiser  Michael:  Kan- 
takuzenos  IV  cap.  19. 

2)  Daniel  Ulf.  Pachymeres,  Andr.  III  cap.  25,  30  und  das 
Gedicht  des  Phil  es  an  Tarchaniotes  (um  1305)  V.  301  f. 


Stephan  Uros  IT.  (^1282-1321).  335 

Schutz  des  heiligen  Petrus  aufgenommen,  ebenso  ihr  älterer  Sohn 
König  Stephan  (März  1291).  Dagegen  waren  die  Aufforderungen 
der  Päpste  Nikolaus  IV.  (1288)  und  Benedikt  XI.  (1303)  an 
König  Uros,  sich  Rom  anzuschließen,  von  keinem  Erfolg  begleitet. 
Bei  der  erwähnten  Zusammenkunft  richtete  der  Papst  auf  Bitten 
der  Helena  auch  an  den  „Georgius  Imperator  Bulgarorum"  einen 
Brief,  um  ihn  zu  gewinnen  i). 

Es  war  ein  Glück  für  die  Byzantiner,  daß  die  Lage  in  Bul- 
garien die  Aufmerksamkeit  der  Serben  wiederholt  nach  Osten  ab- 
lenkte. Zar  Terterij  mußte  Vasall  des  Tataren  Nogaj  werden  und 
eine  Tochter  an  dessen  Sohn  Tschaga  verheiraten,  welcher  derart 
ein  Schwager  des  Königs  Uros  wurde.  Doch  der  bulgarische  Zar 
war  nur  ein  kleiner  Herr  neben  den  mächtigen,  fast  unabhängigen 
Adligen.  Im  Westen  herrschten  in  der  Landschaft  von  Branicevo 
die  Brüder  Drman  und  Kudelin,  welche  im  Engpaß  Zdrelo  an  der 
Mlava  (jetzt  Gornjacka  Klisura  genannt)  eine  feste  Burg  besaßen 
und  mit  bulgarischen,  kumanischen  und  tatarischen  Scharen  Raub- 
züge nach  Ungarn  und  in  das  Gebiet  des  Stephan  Dragutin  unter- 
nahmen -).  Vidin  verwaltete  Knez  Sisman,  der  mit  den  Kumanen 
verwandte  Stammvater  der  letzten  bulgarischen  Dynastie.  Ein 
Bruder  des  Terterij,  der  Kumane  Eltimir,  beherrschte  das  zentrale 
Hämusgebiet.  Die  drei  Brüder  Smil  oder  Smilec,  Radoslav  und 
Vojsil,  den  Namen  nach  Slawen,  besaßen  die  Landschaften  der 
Sredna  Gora.  Als  Terterij  schließlich  die  tatarische  Herrschaft 
unerträglich  fand  und  auf  byzantinisches  Gebiet  entfloh,  setzte 
Nogaj  an  seiner  Stelle  den  Smilec  zum  Zaren  ein.  Während  dieser 
Wirren  unternahmen  die  serbischen  Könige  vereint  einen  Zug  gegen 
Drman  und  Kudelin,  vertrieben  sie  aus  ihren,  mit  Beute  gefüllten 
Felsennestern  und  vereinigten  das  Gebiet  von  Branicevo  mit  dem 
Lande  des  Königs  Stephan  Dragutin.  Zur  Vergeltung  für  diesen 
Angriff  erschien  Sisman  von  Vidin  mit  einem  Heere  von  Bulgaren 
und  Tataren  plötzlich  vor  Pec,  um  die  erzbischöfliche  Kirche  aus- 


1)  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  360,  375 f.,  407,  410,  414. 

2)  König  Ladislaus  sendete  den  Magister  Georg  mit  Siebenbürgern  und 
Kumanen  „contra  Dormanum  et  Bulgaros":  Urk.  8.  Jänner  1285,  Teutsch 
und  Firnhaber,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  Siebenbürgens,  Bd.  1 
(Fontes  rer.  austr.  Bd.  15)  S.  LXV  nro.  285  (aus  Fejer). 


336  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

zuplündern,  mußte  aber  un verrichteter  Sache  abziehen.  In  diese 
Zeit  gehört  wahrscheinlich  die  Zerstörung  des  Klosters  von  Zica, 
welches  von  Rumänen  niedergebrannt  wurde  ^).  Darauf  zog  König 
Uros  vor  Vidin  und  nahm  die  Stadt  ein.  Sisman  rettete  sich  auf 
Booten  über  die  Donau,  schloß  jedoch  bald  Frieden  und  Freund- 
schaft, bekräftigt  durch  Heiraten;  Sisman  selbst  erhielt  zur  Frau 
die  Tochter  des  Zupans  Dragos,  sein  Sohn  Michael  später  Anna, 
die  Tochter  Uros'  IL  Nogaj  sah  in  den  Zügen  der  Serben  nach 
Branicevo  und  Vidin  einen  Eingriff  in  seine  Rechte  als  Oberherr 
von  Bulgarien  und  bot  seine  Reiterheere,  bestehend  aus  Tataren, 
Rumänen,  christHchen  Kaukasiern  (Alanen  oder  Osseten)  und 
tributären  Russen,  zu  einer  Invasion  nach  Serbien  auf,  ließ  sich 
jedoch  durch  eine  Gesandtschaft  besänftigen.  Rönig  Uros  II.  mußte 
ohne  Zweifel  versprechen,  Bulgarien  künftig  in  Ruhe  zu  lassen. 
Als  Bürgen  sendete  er  seinen  Sohn  Stephan  (den  späteren  Rönig) 
mit  einigen  Edelleuten  an  den  Hof  des  „tatarischen  Zaren".  Nogaj 
war  bald  vollauf  beschäftigt  durch  den  Rrieg  mit  Toktaj,  dem 
legitimen  Rhan  der  Goldenen  Horde.  Sein  Tod  in  einer  Schlacht 
in  der  Gegend  des  heutigen  Odessa  (1299)  ermöglichte  dem  ser- 
bischen Prinzen  die  Flucht  in  die  Heimat '-).  Nach  der  Rückkehr 
heiratete  Prinz  Stephan  Theodora,  eine  Tochter  des  bulgarischen 
Zaren  Smilec,  und  wird  (1309  bis  Februar  1314)  als  Statthalter 
seines  Vaters  im  Rüstengebiete  der  Zeta  erwähnt,  welches  zuvor 
seine  Großmutter  Helena  verwaltet  hatte  ^).  Nördhch  von  ihm 
war  Statthalter  Uros'  II.  in  Zachlumien  der  Comes  (serb.  knez) 
Konstantin,  wohl  der  ältere  Sohn  des  Rönigs,  seinem  Namen  nach 
von  der  ersten  thessalischen  Gattin;  er  wird  in  ragusanischen  Ur- 
kunden (1303 — 1306)  in  Nevesinje,  in  Brodno  (südwestlich  von 
Mostar)  und  in  Stagno  erwähnt  ^).     Die  Famihe  des  Andreas  von 


1)  Die  Leiche  des  Erzbischofs  Eustatij  I.  (f  1286)  wurde  wegen  dieser 
Stürme  von  Zica  nach  Pec  übertragen;  die  Erneuerung  von  Zica  begann 
wieder  der  Erzbischof  Eustatij  II.  (1292—1309).     Daniel  318,  371. 

2)  Daniel  114 f.  Nogajs  Tod:  F.  Bruun,  Cernomorje ,  russ.  2 
(Odessa  1880)  352—351. 

3)  Belege:  Arch.  slaw.  Phil.  17  (1895)  258 f. 

4)  Vgl.  eb.  22  (1900)  174.  Konstantin  hieß  ein  Bruder  der  thessalischen 
Gattin  Uros'  II. 


Stephan  Uros  IL  (1282—1321).     _  337 

Zachlumien  war  ausgestorben;  zuletzt  wird  1280  sein  Sohn  Georg 
an  der  Narentamündung  genannt  ^). 

In  Ungarn  wurde  Ladislaus  IV.,  welcher  durch  seinen  Lebens- 
wandel allgemein  Anstoß  erregte,  von  einem  Kumanen  aus  Eifer- 
sucht ermordet.  König  wurde  der  letzte  Arpäde,  ein  halber  Italie- 
ner, Andreacius  oder  Andreas  III.  „der  Venezianer"  (1290 — 1301), 
ein  Enkel  Andreas'  IL,  Sohn  Stephans  des  „Lombarden"  und  der 
Venezianerin  Tommasina  Morosini.  Seinen  Oheim  Albertino  Moro- 
sini ernannte  er  zum  Herzog  von  Slavonien  und  zum  Comes  von 
Pozega.  Gegen  Andreas  traten  die  Anjous  mit  Ansprüchen  auf 
das  Erbe  der  Arpäden  auf,  da  König  Karl  II.  mit  Maria,  einer 
Schwester  Ladislaus'  IV.,  vermählt  war.  Schon  im  Jänner  1292 
wurde  ein  Sohn  Karls  IL,  Karl  Martell  (f  1295),  zum  König  von 
Ungarn  proklamiert.  König  Stephan  Dragutin  hätte  als  Gemahl 
einer  zweiten  Schwester  Ladislaus'  IV.  dieselben  Rechte  gehabt, 
machte  sie  aber  nicht  geltend.  Einen  Anschluß  an  die  Anjous 
bekundet  eine  Urkunde  Karls  II.  (1292),  in  welcher  er  Vladislav, 
dem  erstgeborenen  Sohn  des  Stephan  Dragutin,  für  die  dem  Karl 
Martell  erwiesenen  Dienste  das  Herzogtum  von  Slavonien  erblich 
verlieh,  mit  Ausnahme  der  Gebiete  der  Grafen  von  Veglia  und 
anderer  Großen  -).  Derselbe  Vladislav  heiratete  aber  ein  Jahr 
später  (1293)  Costanza,  eine  Tochter  des  Michael  Morosini  und 
Enkelin  des  sla wonischen  Herzogs  Albertino  Morosini,  somit  eine 
Nichte  des  Königs  Andreas  III.  ^j.  Als  der  Sohn  Karl  Martells, 
Karl  Robert,  herangewachsen  war  und  die  Bewerbung  um  die 
ungarische  Krone  wieder  aufnahm ,  wurde  er  vom  König  von 
Neapel  (1300)  wieder  dem  König  Stephan  und  der  Königin  Katha- 
rina anempfohlen  ^). 


1)  Glas  35  (1892)  12. 

2)  Urk.  Karls  II.  vom  19.  August  1292  an  „vir  magnificus  Ladyslaus, 
filius  primogenitus  illustris  principis  Stephan! ,  regis  Servie":  Smiciklas 
7,  103. 

3)  Ehevertrag,  geschlossen  in  Venedig  24.  August  1293  von  den  Ge- 
sandten des  Königs  Stephan  und  der  Königin  Katharina,  Bischof  Basilius 
von  Bosnien  und  dem  Ragusaner  Vitus  de  Bobali,  in  ital.  Übersetzung  ge- 
druckt bei  Franc.  Nardi,  Tre  documenti  della  famiglia  Morosini,  Padua 
1840  p.  15—16.     Ein  Porträt  der  Costanza  in  Venedig  im  Palazzo  Morosini. 

4)  Urk.:  Rad  18  (1872)  223. 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  22 


3^8  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

An  den  freundschaftlichen  Beziehungen  seines  Bruders  zum 
Hof  von  Neapel  nahm  auch  König  Uros  II.  teil,  ebenso  wie  die 
Königinmutter  Helena  mit  Bewilligung  Karls  II.  wiederholt  ihre 
Städte  mit  Getreide  aus  Apulien  versorgte  i).  An  der  Grenze 
gegen  das  Gebiet  der  Anjous  bei  Durazzo  besaßen  die  Serben  die 
Mündung  des  Ismi,  mit  dem  Flußhafen  von  Isamo  oder  Dyssa- 
mum.  Östlich  davon  herrschten  die  Byzantiner  in  Kroja  und 
Berat  2).  Karl  IL  errichtete  eine  Sekundogenitur  der  Anjous  in 
den  albanesisch  -  griechischen  Ländern,  indem  er  seinem  Sohn 
Philipp  von  Tarent  alle  Besitzungen  in  Albanien,  samt  der  Ober- 
hoheit über  die  Franken  in  Griechenland  und  allen  Ansprüchen 
auf  das  lateinische  Kaisertum  überließ,  nachdem  Philipp  durch 
eine  Heirat  mit  Thamar,  einer  Tochter  des  epirotischen  Despoten 
Nikephoros,  das  wichtige  Naupaktos  (Lepanto)  erworben  hatte 
(1294).  Die  Epiroten  und  Franken  hatten  sich  verbündet  wegen 
des  damaligen  Vorstoßes  der  Byzantiner  gegen  beide  Nachbarn, 
durch  welchen  (seit  1290)  auch  das  neapolitanische  Gebiet  in 
Albanien  stark  verringert  wurde.  Während  dieses  Wettstreites 
schloß  sich  der  Adel  Albaniens  stets  demjenigen  an,  der  im  Vor- 
teil war,  diesmal  den  Byzantinern.  Ein  mit  einer  byzantinischen 
Hofwürde  ausgezeichneter  Albanese  war  der  „  Großhetäriarch " 
Progon  Sguros,  welcher  (1295)  die  Muttergotteskirche  von  Ochrid 
erneuerte  '^).  Bald  besaßen  die  Byzantiner  an  der  adriatischen 
Küste  den  Hafen  von  Valona  und  die  Ortschaft  Polina  bei  den 
Ruinen  von  Apollonia  ^).  Nach  dem  Zeugnis  von  zwei  Zeit- 
genossen, des  Manuel  Philes  und  des  Marino  Sanudo  Torsello,  be- 

1)  Makusev,  Die  ital.  Archive  (Zapiski  der  russ.  Akad.  Bd.  19) 
2,  31  f.  und  Histor.  Untersuchungen  über  die  Slawen  in  Albanien  im  Mittel- 
alter (russ.,  Warschau  1871)  33.     Rad  18,  219  f. 

2)  „  In  Ysamo "  1302  (so  im  Orig.,  Mon.  Rag.  5,  27  unnötig  verändert 
in :  Prisreno).  Privilegium  Andronikos'  II.  1288  für  Kroja  in  lat.  Übersetzung 
im  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899)  83,  97  f. 

3)  Inschrift:  Izvestija  arch.  inst.  4,1  (1899)  90  Anm. ;  Jordan  Ivanov, 
Bulg.  Denkmäler  aus  Makedonien,  bulg.  (Sofia  1908)  212. 

4)  Klagen  ragusanischer  Seeleute  gegen  die  dortigen  byz.  Beamten  und 
gegen  die  albanesischen  Edelleute  Matarango,  „qui  sunt  sub  dominio  domini 
imperatoris ",  November  1297 :  Div.  Canc.  1295  (Arch.  Rag.).;  Vgl.  Diploma- 
tarium  veneto-levantinum  1,  135  f. 


Stephan  Uros  II.  (1282—1321).  339 

setzten  sie  damals  auch  Durazzo  ^).  Doch  bald  wurde  ihnen  diese 
wichtige  Stadt  von  König  Uros  IL  für  einige  Zeit  entrissen.  Die 
einzige  Nachricht  darüber  betrifft  die  Absendung  eines  venezia- 
nischen Gesandten  im  Juni  1296  an  den  König  von  Serbien  und 
an  die  Gemeinde  von  Durazzo,  um  einen  Ersatz  des  Schadens, 
welcher  venezianischen  Kauf leuten  in  Durazzo  und  dessen  Distrikt, 
seitdem  der  König  das  Land  dem  Kaiser  von  Konstantinopel  weg- 
genommen hatte,  zugefügt  worden  war  und  eine  Bestätigung  der 
Rechte,  welche  die  Venezianer  dort  früher  unter  Kaiser  Andronikos 
genossen  hatten,  zu  erlangen  -). 

Der  langjährige  Kriegszustand  an  der  serbischen  Grenze  wai- 
den  Byzantinern  nach  fast  zwei  Jahrzehnten  unerträglich  geworden. 
Der  Feldherr  Tarchaniotes  Glaväs  riet  dem  Kaiser,  mit  den  Serben 
einen  Frieden  zu  vereinbaren,  schon  wegen  der  bedenklichen  Lage 
in  Kleinasien ,  wo  die  Türken  das  ehemalige  Gebiet  des  Kaiser- 
tums von  Nikaia  immer  mehr  bedrohten.  Theodor  Metochites,  der 
spätere  Großlogothet  (Kanzler),  reiste  damals  fünfmal  als  Gesandter 
Andronikos'  IL  an  den  serbischen  Hof'^).  Die  verlorenen  Städte 
mußte  man  den  Serben  überlassen.  Zur  Befestigung  des  Friedens- 
vertrages schlugen  die  Byzantiner  eine  Heirat  vor,  was  König 
Uros  IL  bereitwillig  annahm.  Er  war  auch  der  dritten  Frau, 
der    Tochter   des   Terterij    überdrüssig;    die  Gültigkeit  dieser  Ehe 


1)  Gedicht  des  Philes  an  Tarchaniotes  V.  288.  Sanudo  bei  Hopf, 
Chroniques  129.     Pachymeres  schweigt  darüber. 

2)  Starine  30  (1S02)  340  aus  dem  Nachlaß  von  Makusev.  Hopf, 
Griechenland  im  Mittelalter,  in  Ersch-Grubers  Enzykl.  Bd.  85,  S.  336, 
355,  356,  359  meint,  der  Serbenkönig  habe  Durazzo  1296—1305  besetzt  ge- 
halten, doch  1301—1302  war  die  Stadt  sicher  wieder  im  Besitz  der  Anjous, 
da  die  Ragusaner  während  des  damaligen  Krieges  gegen  Serbien  mit  Durazzo 
freien  Handel  trieben  und  ein  Italiener  Corrado  Ystrigo  als  Gesandter  des 
Capitaneus  Durachii  (Jänner  1302)  nach  Ragusa  kam:  Mon.  Rag.  5,  11  f., 
17 f.     Daniel  hat  nichts  darüber. 

3)  Autobiographie  des  Metochites  (in  homerischen  Versen)  ed.  Treu 
(Programm  des  Viktoria -Gymnasiums  in  Potsdam  1895)  V.  560  f.,  726  f. 
Ausführlicher  Brief  des  Metochites  vom  serb.  Hofe  (an  Nikephoros  Chum- 
nos):  Sathas,  Bibl.  graecal,  1.54—193;  serb.  Übersetzung  von  Apostolovic 
im  Letopis  216  (1902).  Pachymeres,  Andr.  III  cap.  29  bis  IV  cap.  9, 
13.     Kurz  Gr egoras  VI  cap.  9. 

22* 


S40  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

wurde  in  Zweifel  gezogen,  weil  zur  Zeit  ihres  Abschlusses  die 
beiden  ersten  Frauen  des  Königs  noch  am  Leben  waren.  Eine 
Heiratsverbindung  mit  Byzanz  war  Uros  sehr  willkommen,  als 
Stütze  gegen  seinen  älteren  Bruder.  Zuerst  wollte  Kaiser  Andro- 
nikos  den  Serbenkönig  mit  seiner  Schwester  Eudokia,  der  Witwe 
des  Kaisers  Johannes  IL  Komnenos  von  Trapezunt  (f  1297),  ver- 
mählen. Uros  war  bereit  dazu,  aber  Eudokia  kehrte  aus  Kon- 
stantinopel lieber  zu  ihrem  Sohne  Kaiser  Alexios  IL  nach  Trape- 
zunt zurück.  Nun  wurde  dem  König  die  Simonis,  eine  Tochter 
Andronikos'  IL  und  der  Irene  von  Montferrat,  angetragen,  obwohl 
sie  noch  ein  Kind  war,  nach  Pachymeres  nicht  einmal  sechs,  nach 
Gregoras  acht  Jahre  alt,  was  man  auch  in  diesem  Zeitalter  der 
Kinderheiraten  wegen  des  Alters  des  Gatten  sehr  anstößig  fand. 
Die  Unterhandlungen  stießen  auf  große  Hindernisse.  In  Serbien 
war  gegen  den  Frieden  eine  Adelspartei,  welche  aus  der  Guerilla 
an  der  Grenze  große  Vorteile  zog.  Unterstützung  fand  diese 
Opposition  bei  den  beiden  Söhnen  des  Sevastokrators  Johannes 
von  Thessalien,  welche  mit  den  Serben  einen  neuen  Bund  gegen 
den  Kaiser  schließen  wollten,  und  bei  den  Bulgaren,  wo  die  Witwe 
des  Zaren  Smilec,  eine  Griechin,  dem  König  Uros  ihre  Hand  und 
damit  die  Vereinigung  Serbiens  mit  Bulgarien  in  Aussicht  stellte  ^). 
In  Konstantinopel  war  der  entschiedenste  Gegner  der  Heirat  der 
Patriarch  Johannes  von  Sozopolis;  er  erklärte,  die  Ehe  des  Uros 
mit  der  Tochter  des  Terterij  sei  ganz  gesetzmäßig,  die  Simonis 
zur  Ehe  noch  zu  jung.  Kaiser  Andronikos  IL  achtete  aber  nicht 
darauf  und  begab  sich  mit  seinem  Hofe  nach  Thessalonich  (1299). 
Nachdem  beiderseits  Geiseln  gestellt  worden  waren,  lieferten  die 
Serben  auf  einem  Übergang  über  den  Vardar  die  bisherige  Kö- 
nigin {y.QdXaiva),  die  Tochter  des  Terterij ,  und  der  Verabredung 
gemäß  auch  den  Überläufer  Koteanitzes  aus,  während  die  Griechen 
die  junge  Simonis  mit  großem  Gefolge  hinübersendeten.  Die  vierte 
Ehe  des  Königs  wurde  vom  Erzbischof  Makarios  von  Ochrid  ein- 
gesegnet. Die  „mit  dem  Schwerte"  eroberten  Landschaften  be- 
hielt Uros  IL  nun  als  „Mitgift"  und  besuchte  seinen  kaiserlichen 
Schwiegervater    in    Thessalonich,     unter     Austausch    großer    Ge- 


1)  Metochites  bei  Sathas  1,  190—191. 


Stephan  Uros  II.  (1282—1321).  341 

schenke  i).      Mißmutig   über    den   Bund    seines   Bruders    mit    den 
Griechen   war  König   Stephan   Dragutin;   er   rüstete   zum  Krie«-, 
soll  aber  nach  Pachymeres  durch  die  Anwesenheit  byzantinischer 
Hilfstruppen    bei   Uros   von   einem   Angriflf   abgeschreckt   worden 
sein.     Die  Familienverhältnisse  des  Uros  selbst  waren  erschüttert. 
Von  seinen  Söhnen  galt  Konstantin,  der  Sohn  der  ersten  Frau,  als 
legitim,  während  Stephan  aus  der  dritten,  ungültig  erklärten  Ehe 
die  Legitimität  verlor.     Als  Andronikos,  feierUch  wie  nach  einem 
Siege  begrüßt,  nach  Konstantinopel  heimkehrte,   brachte   er   auch 
Anna,  die   ehemalige  Königin  von  Serbien,  mit.      Sie   befreundete 
sich  bald  mit  dem  Feldherrn  Michael  Kutrules,  einem  epirotischen 
Prinzen,  der  den  Despotentitel  führte  und  eben  Witwer  war;  seine 
erste  Frau    war   die   Schwester   des  Kaisers  Andronikos   gewesen, 
jene  Anna,  die  einst,  wie  wir  erzählt  haben,  demselben  Uros  von 
Serbien  in   seinen  jungen  Jahren   zugedacht   war.     Die   gewesenn 
serbische  Königin  wurde  bald  Gattin  Michaels,  hatte  auch  Kinder 
mit  ihm,    erlebte    aber   ein    neues   Unglück:    ihr   Gemahl   wurde 
wegen  Hochverrates  eingekerkert  und  sein  großes  Vermögen  kon- 
fisziert 2). 

Zur  selben  Zeit  war  das  Adriatische  Meer  der  Schauplatz 
eines  neuen  Krieges  zwischen  Venedig  und  Genua,  in  welchem 
die  Genuesen  (September  1298)  einen  glänzenden  Seesieg  bei 
Curzola  erfochten.  Es  folgte  bald  ein  Friedensschluß  (1299),  aber 
die  Byzantiner,  Genuas  Bundesgenossen,  konnten  erst  nach  einer 
Plünderung  der  Umgebung  von  Konstantinopel  durch  die  vene- 
zianische Flotte  die  alten  Beziehungen  erneuern  (1302).  Der 
serbische  König  ließ  sein  neues  Bündnis  mit  dem  Kaiser  den 
Schützlingen  Venedigs,  den  Ragusanern  fühlen.  Zu  Anfang  seiner 
Regierung  hatte  er  ihnen  die  Privilegien  „meines  Bruders,  des 
Königs  Stephan "  bestätigt  3).  Der  Krieg  begann  mit  der  Ver- 
haftung der  ragusanischen  Kauf  leute  in  Serbien,  worauf  die  Kriegs- 
schiffe der  Gemeinde  sofort  die  Mündung  der  Bojana  sperrten  und 
die  Insel  Meleda  besetzten  (1301).    Umfangreich  waren  die  damals 

1)  Urk.  Uros'  IL:  Spomenik  3,  14. 

2)  Pachymeres,  Andr.  V  cap.  13,  19. 

3)  Mon.  serb.  50—51  nro.  51  (undatiert). 


34S  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

ausgeführten  Verstärkungen  der  Befestigungen  von  Ragusa.  Das 
Dominikanerkloster  vor  dem  östlichen  Tor  wurde  in  die  Stadt- 
mauern einbezogen;  die  ältere  Mauer  des  13.  Jahrhunderts  steht 
heute  noch  zwischen  der  Dogana  und  den  Dominikanern  aufrecht. 
Auch  die  kleine  Abtei  des  heiligen  Laurentius  auf  einem  Felsen 
vor  der  Porta  Pile  erscheint  seit  dieser  Zeit  als  eine  neue,  sorg- 
faltig bewachte  Burg,  bis  zum  heutigen  Tage  ein  Vorwerk  der 
Festungswerke  der  Stadt.  Zum  Schutz  erschienen  die  venezia- 
nischen Galeeren,  und  Giacomo  Zeno  reiste  als  Gesandter  des 
Dogen  zur  Vermittlung  an  den  serbischen  Hof.  Erst  im  Sep- 
tember 1302  wurde  der  Friede  zwischen  Serbien  und  Ragusa  im 
Schlosse  Vrhlab  an  den  Quellen  des  Lab  unter  dem  Kopaonik 
unterzeichnet  ^). 

In  Ungarn  überboten  einander  der  letzte  Arpäde  und  die 
Anjous  durch  Schenkungen  an  den  Adel.  Ban  Paul  aus  dem 
Geschlecht  der  Subici  oder  Grafen  von  Bribir  erhielt  von  An- 
dreas III.  das  Banat  des  küstenländischen  Kroatiens  zum  erb- 
lichen Besitz.  Ohne  Zweifel  durch  eine  Verleihung  von  Seite  der 
Anjous  erscheint  er  seit  April  1299  auch  als  „dominus  Bosne"-). 
Zur  selben  Zeit  bestätigte  Karl  II.,  Großvater  des  Gegenkönigs 
Karl  Robert,  den  bosnischen  Verwandten  der  Subici,  dem  mäch- 
tigen Comes  Hrvatin  und  dessen  Geschlecht,  den  Besitz  des  „Unter- 
landes" (partes  inferiores,  Donji  Kraji)  an  den  Flüssen  Sana  und 
Vrbanja  im  Nordwesten  Bosniens  ^).  Der  Kampf  um  die  un- 
garische Krone  brach  aus,  als  die  Subici  den  Gegenkönig  Karl 
Robert  aus  Italien  nach  Spalato  brachten  (1300).  Obwohl  Andreas 
bald  starb  (Jänner  1301),  blieben  die  Anjous  mehrere  Jahre  auf 
das  Küstenland  beschränkt,  während  in  Ofen  als  gekrönte  Könige 
„Ladislaus  V.",  der  spätere  König  Wenzel  III.  von  Böhmen,  und 


1)  Der  serb.  Text  (ohne  Jahr)  von  Miklosich,  Mon,  serb.  51 — 53 
(nro.  53)  irrtümlich  Uros  I.  zugeschrieben ,  entspricht  meist  wörtlich  dem 
lat.  Entwurf  vom  November  1301  Mon.  Rag.  5,  13 — 14.  Die  im  Vertrage 
genannten  Gesandten  waren  am  14.  Aug.  1302  gewählt  worden:  ib.  5,  37. 

2)  Ljubic  1,  190.  Die  Urk.  von  1285  ib,  1,  139  gehört  in  die  Jahre 
1311—1313. 

3)  Thallöczy,  Glasnik  bos.  18  (1906)  401-444  =  Wiss.  Mitt.  11 
(1909)  237—285  mit  Faks.,  Stammtafeln  usw. 


Stephan  Uroi  II.  (1282—1321).  343 

Otto  von  Bayern  herrschten.  Erst  1309  wurde  Karl  Robert  zum 
König  von  Ungarn  gekrönt.  Unterlegen  ist  in  diesen  Kämpfen 
Ban  Stephan  I.  von  Bosnien,  der  Schwiegersohn  des  Königs 
Stephan  Dragutin.  Aus  einem  ragusanischen  Briefe  erfahrt  man, 
daß  im  Frühjahr  1302  der  Weg  aus  dem  Gebiet  des  serbischen 
Königs  Stephan  durch  Bosnien  nach  Ragusa  gesperrt  war,  da 
Ban  Stephan  und  Ban  Mladen,  des  Bans  Paul  Sohn,  an  der 
Drina  einander  gegenüberstanden  ^).  Als  Ban  Stephan  bald 
darauf  starb,  fand  seine  Witwe  Elisabeth  mit  ihren  drei  Söhnen 
Stephan,  Vladislav  und  Ninoslav  Zuflucht  in  Ragusa,  wo  sie 
mehrere  Jahre  verweilte  -).  Bosnien  verwaltete  fortan  IVIladen 
Subic  als  Ban  des  Landes,  erteilte  dort  den  Spalatinern  Handels- 
freiheiten (Juni  1302)  und  empfing  auf  bosnischem  Boden  ragu- 
sanische  Gesandte  (1304)  ^).  Dunkel  bleibt  die  Stellung  des  Königs 
Stephan  Dragutin  in  dieser  Zeit.  Uros  IL  pflegte  (1303  — 1304) 
eifrig  Verbindungen  mit  Ban  Paul,  einem  gewandten  Politiker, 
und  hatte  mit  ihm  auch  persönliche  Begegnungen  in  der  Gegend 
von  Vrulja  bei  Makarska,  an  der  Grenze  Zachluraiens  ^).  Bul- 
garien erlebte  unter  der  langen  Regierung  des  Theodor  Svetislav 
(1299? — 1321),  eines  Sohnes  Terterijs  L,  einen  neuen  Aufschwung, 
von  dem  noch  die  Silberraünzen  dieses  Zaren  Zeugnis  geben.  Die 
Byzantiner  suchten  ihm  vergeblich  Prätendenten  entgegenzustellen 
und  mußten  ihm  schließlich  einige  Grenzgebiete  abtreten.  Uros  IL 
war  befreundet  mit  dem  Bruder  seiner  ehemaligen  dritten  Frau 
nnd  besuchte  ihn  einmal  in  Trnov  ^). 

Im  Osten  begann  in  diesen  Jahren  eine  welthistorische  Um- 
wälzung. Nach  dem  Zerfall  des  Sultanates  von  Ikonion  ergriflfen 
dessen  Erben,  die  zahlreichen  unabhängigen  Emire  der  Türken, 
die  Ofi'ensive  und   drängten   die    byzantinischen  Truppen  bis   zur 


1)  Mon.  Rag.  5,  27  und  meine  Rom.  Ddlm.  2,  S.  2-3. 

2)  Gleichzeitige  Zeugnisse  fehlen.  Instruktionen  der  ragus.  Gesandten 
mit  histor.  Beispielen  1403  (Starine  1,  IDO)  und  14.  Mai  1432  (Lett.  1430 
bis  1435  Arch.  Rag.).     Vgl.  Resti  106. 

3)  Mon.  Rag.  5,  72,  74. 

4)  Mon.  Rag.  5,  47,  52,  73,  74.  Urk.:  meine  Rom.  Dalm.  2,  S.  3; 
Spomenik  11,  S.  23  nro.  4. 

5)  Daniel  141. 


344  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

Küste  zurück  (1301).  Der  Abzug  der  Besatzungen,  die  Panik 
unter  der  griechischen  Bevölkerung  und  die  ungeordnete  Masseu- 
flucht  zum  Meere  und  hinüber  nach  Europa  erinnern  an  die  Er- 
scheinungen der  Völkerwanderungszeit.  Ein  unglücklicher  Ge- 
danke Andronikos  II.  war  die  Anwerbung  spanischer  Söldner, 
welche  nach  der  Beendigung  des  zwanzigjährigen  Krieges  zwischen 
den  Anjous  und  den  Aragoniern  in  Italien  frei  geworden  waren. 
Als  das  Geld  ausging,  setzte  sich  die  katalanische  „Kompagnie" 
im  Verein  mit  türkischen  Freibeutern  an  der  wichtigsten  Stelle 
der  Meerengen,  in  Kallipolis  fest,  erklärte  dem  Kaiser  den  Krieg, 
verwüstete  das  südliche  Thrakien  in  furchtbarer  Weise  und  leistete 
den  Byzantinern  und  Genuesen  hartnäckigen  Widerstand  (1305 
bis  1307).  Im  Frühjahr  1307  zogen  die  Kapitäne  der  Katalanen 
nach  Westen  und  schlugen  ihr  Lager  nahe  bei  Thessalonich  auf 
der  Halbinsel  Kassandria  auf.  Da  wurde  das  Küstenland  Make- 
doniens verwüstet  und  die  Mauern  und  Türme  der  Athosklöster 
unter  Pfeilregen  und  Trompetenschall  berannt.  Das  serbische 
Kloster  Chilandar  hat  der  Abt  Daniel,  der  Verfasser  der  Bio- 
graphien der  serbischen  Könige,  tapfer  verteidigt.  Die  Kompagnie 
trat  dann  in  die  Dienste  der  Griechen  von  Thessalien,  später  in 
die  des  Herzogs  von  Athen,  doch  gab  es  bald  wieder  Streit  wegen 
der  Soldrechnungen.  In  der  blutigen  Schlacht  am  See  Kopais 
(1311)  unterlagen  die  französischen  Ritter  Griechenlands  oder,  wie 
der  serbische  Biograph  Daniels  schreibt,  die  „Franken  von  Li- 
vadia"  den  spanischen  Söldnern,  den  „illi  de  Compagna",  welche 
unter  aragonischer  Hoheit  76  Jahre  lang  Herren  des  Herzogtums 
von  Athen  blieben. 

König  Uros  II.  verließ  während  dieser  Stürme  die  Partei  der 
Griechen,  da  er,  wie  es  scheint,  auch  mit  den  Anjous  gute  Be- 
ziehungen pflegte  1).  Noch  einmal  lebte  im  Abendlande  der  Plan 
einer  Restauration  des  lateinischen  Kaisertums  auf  Katharina,  die 
Enkelin  Balduins  IL  und  Erbin  des  lateinischen  Kaisertitels,  hei- 
ratete   einen   Bruder    des    französischen   Königs   Phihpp    IV.    des 


1)  Die  Bestätigung  eines  Vertrages  Philipps  von  Tarent  ,,cum  rege 
Servie"  durch  Karl  II.  1306  nur  in  einem  kurzen  Regest  bei  Racki  (Arkiv 
za  pov.  jug.  7,  1863,  S.  28  nro.  31)  und  bei  Makusev  (2,  80). 


Stephan  UroS  II.  (1282—1321).  345 

Schönen,  Karl  von  Valois  (1301),  der  sich  Kaiser  von  Konstan- 
tinopel zu  schreiben  begann  und  mit  Venedig  und  den  Katalanen 
um  ein  Bündnis  verhandelte.  Da  erschienen  in  Frankreich  zwei 
Gesandte  des  Königs  Uros  IL,  ein  Ragusaner  und  ein  Cattarenser,. 
mit  lateinischen  Briefen  an  den  Papst  und  an  „Kaiser"  Karl. 
Am  27.  März  1308  schlössen  sie  mit  Karl  in  einer  Abtei  bei 
Melun  einen  Bund  zur  Wiedereroberung  des  „imperium  Constan- 
tinopolitanum ".  Der  Serbenkönig  versprach,  sich  der  römischen 
Kirche  anzuschließen  und  seine  aus  der  Ehe  mit  Elisabeth  von 
Ungarn  stammende  Tochter  Zorica  (Diminutiv  von  zora,  Morgen- 
röte) mit  Karl,  dem  jüngeren  Sohn  des  Titularkaisers  zu  ver- 
mählen, dem  Begründer  des  Hauses  der  Herzöge  von  Alen9on,, 
der  später  in  der  Schlacht  bei  Crecy  gefallen  ist.  Die  Haupt- 
sache waren  aber  Territorialfragen.  Von  Skopje  und  Polog  war 
keine  Rede;  ebenso  blieb  Stip  ausgeschlossen.  „Geschenkt" 
wurden  dem  König  vom  Kaiser  Karl  Ovcepolje,  das  Gebiet  zwi- 
schen Prosek  und  Prilep,  die  Landschaft  von  Kicava  bis  zur 
Grenze  von  Ochrid  und  die  Gebiete  von  Debra  bis  zum  Flusse 
Mat  in  Albanien,  ein  Territorium,  das  im  ganzen  angeblich  weniger 
als  5000  Goldstücke  Einkünfte  abwarf  Dabei  ist  zu  bemerken, 
daß  die  Burgen  von  Prosek,  Prilep  und  Ochrid  noch  lange  im 
Besitze  der  Byzantiner  blieben.  Klemens  V.,  ein  Franzose,  der 
im  folgenden  Jahre  die  päpstliche  Residenz  nach  Avignon  über- 
tragen hat,  stellte  dann  den  serbischen  Gesandten  am  1.  April 
1308  in  Poitiers  eine  Reihe  von  Urkunden  aus.  Dem  Patriarchen 
Egidius  von  Grado  und  den  Prokuratoren  des  Prediger-  und  Mi- 
loritenordens  wurde  aufgetragen,  die  Aufnahme  des  Königs  in  die 
römische  Kirche  durchzuführen  und  ihm  eine  vom  Papste  ge- 
sendete Fahne  zu  überreichen.  Der  Franziskaner  Gregor  von 
Cattaro  sollte  als  geistlicher  Ratgeber  am  serbischen  Hofe  bleiben. 
Eine  Urkunde  betrifft  den  Stephan,  den  der  König  „verehelicht 
von  einer  geschiedenen  Frau"  zum  Nachkommen  hatte  (conjugatus 
genuit  de  soluta);  der  Papst  erlaubt  dem  König,  er  könne  diesem 
Sohne  trotz  dieses  Geburtsfehlers  eine  Landschaft  (comitatus)  bei 
Lebzeiten  oder  im  Testamente  schenken.  Zwei  französische  Geist- 
liche reisten  als  Gesandte  des  „Kaisers"  Karl  mit  den  serbischen 
Abgesandten    zu   König  Uros,    der    den   Bundesv^ertrag    im    Juli 


^46  Viertes  Buch.    Zweites  Kapitel. 

1 308  genehmigte  ^).  Die  Katalanen  standen  eben  bei  Thessa- 
Jonich.  Von  ihren  türkischen  Verbündeten  nahm  König  Uros 
1000  Reiter  und  500  Fußgänger  in  seine  Dienste,  unter  dem 
Seldschuken  Melik,  der  in  byzantinischen  Diensten  Christ  geworden 
war.  Die  Serben  griffen  die  griechischen  Grenzgebiete  an,  wur- 
den aber  von  Chandrenos,  dem  Befehlshaber  von  Thessalonich, 
zurückgeschlagen.  Der  König  sah  sich  bald  gezwungen,  einen 
Aufruhr  seiner  türkischen  Söldner  mit  Gewalt  niederzuwerfen; 
Melik  wurde  dabei  gefangen  und  hingerichtet  ^).  Indessen  starb 
•die  Kaiserin  Katharina.  Kaiser  Karl  von  Valois  ließ  alle  seine 
großen  und  kostspieligen  Pläne  fallen,  denn  von  Venedig,  das 
wegen  des  Krieges  um  Ferrara  vom  Papste  in  den  Bann  getan 
war  (1309),  konnte  er  nichts  mehr  erwarten.  Dafür  wurde  er  der 
Gründer  der  Linie  von  Valois,  die  mehr  als  zwei  und  ein  halbes 
Jahrhundert  in  Frankreich  regiert  hat. 

Da  kehrte  Uros  II.  wieder  zu  dem  Bunde  mit  den  Griechen 
zurück.  Als  die  Türken  des  katalanischen  Heeres  von  Athen 
(1311)  heimzogen  und  unter  Führung  des  Chalil  sich  in  Kallipolis 
festsetzten,  belagerten  und  besiegten  die  Byzantiner  diese  Schar 
mit  Hilfe  der  Genuesen  und  der  Serben,  die  2000  auserlesene 
Reiter  gesendet  hatten.  Ein  serbisches  Hilfskorps  unter  dem  Groß- 
vojvoden  Novak  Grebostrek  wurde  dann  auf  Schiffen  nach  „Ana- 
tolien"  hinübergesetzt,  wo  die  Byzantiner  noch  die  großen  Städte 
Bithyniens  besaßen,  und  zeichnete  sich  durch  tapfere  Taten  aus 
(1313)  3). 


1)  Diese  Verträge,  schon  von  Ducange  benutzt,  herausg.  von  Ubi- 
«ini  im  Glasnik  27  (1870)  309—341,  die  päpstl.  Urkunden  teils  von  Tur- 
geuevius,  Historica  Russiae  monumenta,  Bd.  2  (Petersburg  1842)  358  bis 
362,  teils  von  Theiner,  Mon.  Slav.  1,  127—130.  Vgl.  Bernard  Gui- 
donis  im  Recueil  des  bist.  Bd.  21  p.  718. 

2)  Melik:  Gregoras'  VII  cap.  6  und  8;  Daniel  354.  Lobrede  des 
Theodulosvon  Thessalonich  (vgl.  Krumbacher,  Byz.  Z.  10,  1901,  317) 
^uf  Chaudrenos:  Boissonade,  Anecdota  graeca  2,  201 — 202. 

3)  Urkunde  Andronikos  II.  vom  Oktober  1313  bei  Florinskij, 
Athonskije  akty  43  (ohne  Datum  bei  Boissonade  a.  a.  0.  2,  63—69  und 
Jus  graecorom.  3,  647  f.).  Sieg  des  Königs  über  die  Türken  im  Jahre  6821 
(1.  Sept.  1312 — 31.  Aug.  1313):  Inschrift  von  Nagoricin,  Arch.  slaw. 
Phil.  31   (1910)   300.     Daniel  146f.     Gregoras  VII  cap.   10.     Vgl.  No- 


Stephan  Uro§  II.  (1282-  1321).  347 

Seit  der  gri3chischen  Heirat  des  Uros  gab  es  ein  gespanntes 
Verhältnis  zwischen  beiden  Königen.  Bald  brach  ein  Bruderkrieg 
aus,  dessen  Ursachen,  Verlauf  und  Chronologie  nur  wenig  be- 
kannt sind.  Den  Gegensatz  verschärften  ohne  Zweifel  gewisse 
byzantinische  Pläne  auf  die  Nachfolge  in  Serbien.  Die  ehrgeizige 
Kaiserin  Irene  (ursprünglich  Jolante)  von  Montferrat  grollte  ihrem 
Oatten  Andronikos  IL,  weil  er  das  Reich  nicht  unter  seine  Söhne 
in  erbliche  Fürstentümer  nach  abendländischer  Art  aufteilen  wollte. 
Übel  gelaunt  residierte  sie  in  Thessalonich.  Da  die  Ehe  des  Uros 
mit  Simonis  kinderlos  war,  versuchte  sie  zweien  ihrer  Söhne  einen 
Thron  in  Serbien  zu  verschaffen,  allerdings  mit  Umgehung  der 
serbischen  Thronfolgeordnung.  Als  Uros  seine  Schwiegermutter, 
die  ihn  bei  jeder  Gelegenheit  mit  großen  Geschenken  bedachte, 
in  Thessalonich  besuchte,  wurden  Unterhandlungen  darüber  ein- 
geleitet. Zuerst  kam  Deraetrios  zu  seiner  Schwester  Simonis,  wurde 
am  serbischen  Hofe  freundlich  aufgenommen,  aber  Land  und  Leute 
gefielen  ihm  nicht.  Auch  Theodor,  welcher  nach  dem  Aussterben 
der  Nachkommen  des  Bonifaz  in  männlicher  Linie  (1305)  die 
Markgrafschaft  von  Montferrat  geerbt  hatte,  verließ  Serbien  bald, 
um  in  sein  italienisches  Fürstentum  am  oberen  Po  zurückzukehren, 
wo  seine  Nachkommen,  die  montferratische  Linie  der  Palaiologen, 
bis  1533  herrschten  ^). 

König  Stephan  Dragutin  begann  den  Krieg  mit  der  Absicht, 
seinen  Bruder  Uros  abzusetzen  und  den  Thron  seinem  Sohn  Vladis- 
lav  zu  übergeben  -).  Der  ganze  Adel  schloß  sich  dem  lahmen 
König  an.  Uros,  von  allen  seinen  Großen  verlassen,  hatte  bereits 
jede  Hoffnung  verloren.  Es  rettete  ihn  seine  Freigebigkeit  an 
Kirchen  und  Klöster  und   die  Schätze,    die   er   in    der  Abtei   des 


vakovic,  Serben  und  Türken  im  14.  und  15.  Jahrb.,  serb    (Belgrad,  Aka- 
demie 1893)  55  f. 

1)  Gr  egoras  VII  cap  5.  Vgl.  Die  hl,  Figures  byzantines  2  (Paris 
1908)  234  f. 

2)  Nach  dem  „Rodoslov",  der  altserb.  Genealogie  (Glasnik  53,  S.  6)» 
hatte  König  Stephan  zwei  Söhne,  Vladislav  (der  erstgeborene,  s.  oben)  und 
Urosic.  Nach  Guillaume  Adam  war  Vladislav  der  Thronfolger,  nach 
Daniel  357  aber  Urosic.  Bei  Orbini  253  sind  beide  in  eine  Person  ver- 
schmolzen. 


348  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

heiligen  Stephan  von  Banjska  unter  der  Obhut  des  dortigen  Bischofs 
Daniel,  des  früheren  Igumens  von  Chilandar,  verborgen  hatte.  Mit 
diesem  Gelde  warb  er  fremde  Söldner  an,  Osseten  (Jasi),  Tataren 
und  Türken,  und  behauptete  sich  im  Lande.  Als  Friedensverraittler 
trat  der  Klerus  auf.  Daniels  Nachfolger  in  Chilandar,  der  Igumen 
Nikodim  wurde  von  beiden  Königen  und  dem  serbischen  Reichstag 
nach  Konstantinopel  zu  Andronikos  IL,  dessen  Sohn  und  Mitkaiser 
Michael  und  dem  Patriarchen  Niphon  (1312 — 1315)  gesendet,  um 
mit  ihrer  Hilfe  einen  Frieden  zu  vermitteln  ^).  Den  Inhalt  dieses 
Vertrages  kennen  wir  nicht.  Das  Kloster  von  Banjska  wurde 
nach  der  Versöhnung  als  privilegierte  Abtei  (ohne  Bischof)  neu- 
gegründet, wobei  seine  Rechte,  obwohl  es  im  Gebiete  des  Uros 
lag,  beide  Könige  durch  eigene  Akte  bestätigten,  aber  dabei 
sprachen  beide  nur  in  ganz  allgemeinen  Worten  von  ihren  Söhnen, 
Enkeln  und  Urenkeln  als  Nachfolgern.  Guillaume  Adam  schreibt, 
Uros  habe  sich  gegen  seinen  Bruder  Stephan  empört,  sei  von  ihm 
besiegt  worden,  doch  habe  sich  Stephan  des  Blutes  seines  Bruders 
erbarmt  und  mit  ihm  freiwillig  das  Reich  geteilt.  Stephans  Sohn 
Vladislav  sei  dann  Erbe  des  Anteiles  seines  Vaters  gewesen,  aber 
so,  daß  Uros  Vasall  seines  Neffen  für  seinen  Teil  bleiben  sollte  -). 
Daß  der  Frieden  von  territorialen  Änderungen  begleitet  war,  sieht 
man  daran,  daß  die  rasch  aufblühende  Bergwerkstadt  Rudnik 
1302  im  Besitz  des  Königs  Uros,  im  März  1313  dagegen  in  dem 
des  „rex  Stephanus"  war  ^). 

Damals  starb  die  greise  Königinmutter  Helena  (8.  Februar  1314). 
Eine  Adelspartei,  welche  während  des  Bruderkrieges  die  Anziehungs- 
kraft des  Königsmachens  kennen  gelernt  hatte,  wollte  Uros  IL 
vertreiben  und  in  der  Zeta  seinen  Sohn  Stephan  auf  den  Thron 
erheben.  Bei  dem  Anmarsch  des  alten  Königs  zog  sich  der  Prinz 
über  die  Bojana  zurück  und  unterwarf  sich,  wahrscheinlich  unter 
günstigen  Bedingungen.  Aber  der  Vater  hielt  sein  "Wort  nicht 
ein,  ließ  den  Sohn  gefesselt  nach  Skopje  bringen  und  auf  Rat 
einiger  Edelleute   ohne  gerichtliche  Verhandlung   blenden.     Doch 

1)  Nikodims  Notiz  von  1319:  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  52,  S.  22 — 24. 

2)  „Ita  tarnen,   quod  Urossius  ab   eodem   Vlatislao  tanquam  vassallus 
recognosceret  se  teuere  reliquam  partem  regni".     Gr.  Adam  ed.  cit.  437. 

3}  Mon.  serb.  52.     Mon.  Rag.  1,  24. 


1 


Stephan  Uro§  II.  (1282—1321).  349 

ist  dabei  die  Sehkraft  nicht  ganz  zerstört  worden  i).  Der  unglück- 
liehe Nemanjide  erzählt  selbst  in  der  Einleitung  einiger  Urkunden, 
wie  er,  vom  Vater  geliebt,  sich  am  irdischen  Ruhm  erfreute,  bis 
gottvergessene  Leute,  die  von  seinen  Eltern  und  von  ihm  selbst 
als  Brüder  und  Kinder  behandelt  worden  waren,  böse  Saat  säten 
und  zuletzt  den  Vater  zu  der  furchtbaren  und  unerhörten  Untat 
verleiteten,  „mich  das  Augenlichtes  zu  berauben"  -).  Nach  dieser 
grausamen  Bestrafung  wurde  Stephan  mit  seiner  Frau  und  seinen 
zwei  kleinen  Söhnen  Dusan  und  Dusica  nach  Konstantinopel  ver- 
bannt, wo  er  mehrere  Jahre  in  einem  kaiserlichen  Palaste  wohnte, 
unterstützt  und  beaufsichtigt  vom  Kaiser  Andronikos  IL,  dem  er 
auch  nachher  stets  Freund  blieb  ^).  Die  Athosmönche  von  Chi- 
landar  und  der  Erzbischof  Nikodim  benutzten  eine  Gelegenheit,  um 
ihm  die  Erlaubnis  zur  Rückkehr  in  die  Heimat  zu  erwirken.  Nicht 
ohne  Gewissenbisse  erblickte  der  König  seinen  Sohn,  der  „die 
Augen  verbunden  hatte,  wie  es  einem  Blinden  geziemt",  und  fuß- 
fällig um  Verzeihung  bat.  Er  wies  ihm  einen  Teil  der  Zupa  von 
Budimlja  im  Limtale  zum  Wohnsitz  und  Unterhalt  an. 

König  Stephan  Dragutin  starb  im  März  1316,  vor  dem  Tode 
als  Mönch  unter  dem  Namen  Theoktist  eingekleidet,  und  wurde 
in  der  Georgskirche  (Gjurgjevi  Stupovi)  bei  Ras  bestattet.  Von 
seinen  Söhnen  war  der  jüngere  Urosic  wahrscheinhch  noch  vor 
ihm  gestorben,  ebenfalls  im  Mönchsgewand  mit  dem  Klosternamen 
Stephan,  und  wurde  in  der  bischöflichen  Kirche  von  Arilje  an 
der  westlichen  Morava  begraben  ^).  Nun  sollte  Vladislav  König 
werden,  aber  Uros  II.  ließ  alle  Bestimmungen  des  letzten  Vertrages 


1)  Ausführlich  Guillaume  Adam  p.  437:  „carnifex,  corruptus  pe- 
cunia"  durchstach  nicht  die  Pupille,  worauf  der  Prinz  „per  medicinas  appo- 
sitas  oculis,  licet  non  plenarie,  aliqualiter  tarnen  vidit".  Bei  den  Griechen 
keine  Nachrichten. 

2)  Mon.  serb.  89—90  (=  Urk.  für  Decani,  S.  If.),  Glasnik  27  (1870) 
188  (für  Vranjina)  und  49  (1881)  361  (für  Prizren). 

3)  Sieben  Jahre  der  Verbannung  in  einer  Notiz  von  1330  bei  Sto- 
janovic,  Zapisi  1  nro.  56  und  bei  C  am  blak.  Dusica  starb  in  Kon- 
stantinopel. 

4)  Ausgaben  des  Lj.  Stojanovic:  Rodoslov  im  Glasnik  53,  6  und 
Spomenik  3,  95;  Typikon  im  Arch.  slaw.  Phil.  23  (1901)  631. 


350  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

beiseite,    bemächtigte    sich    sofort    des    Landes    des    verstorbenen 
Bruders  und  setzte  seinen  Neffen  in  den  Kerker  i). 

Ein  zweiter  Krieg  mit  Ragusa  (1317 — 1318)  wurde  wieder 
durch  Intervention  der  Venezianer  eingestellt,  nachdem  der  König 
einen  Schadenersatz  für  die  Verwüstung  des  Stadtgebietes  ver- 
sprochen hatte.  Die  Ragusaner  verstärkten  unablässig  ihre  Stadt- 
mauern. Das  Franziskanerkloster  vor  der  Porta  Pile  wurde  damals 
demoliert,  damit  es  dem  Feinde  nicht  als  Burg  dienen  könne,  und 
innerhalb  der  Mauern  ein  neues  Klostergebäude  gegründet,  das 
noch  gegenwärtig  besteht.  In  diese  Zeit  gehört  der  Bau  einiger 
Türme,  besonders  des  gewaltigen  Donjons  an  der  Ecke  des  Be- 
sitzes der  Familie  Menze,  welcher,  vielfach  umgebaut,  auch  in 
unseren  Tagen  das  Stadtpanorama  beherrscht  ^). 

Bedenkhcher  war  ein  Zusammenstoß  des  Königs  Uros  II,  mit 
dem  ungarischen  König  Karl  Robert,  als  dieser  nach  Überwindung 
zahlreicher  Feinde  freie  Hand  erhielt  und    die  Rückgabe   des  Ge- 
bietes  einst   des  Stephan  Dragutin   verlangte.      Der  Krieg   wurde 
in  verschiedenen  Gebieten  von  der  Donau  bis  nach  Albanien  ge- 
führt.    Der  mächtigste  Mann  Kroatiens  war  der  Sohn  und  Nach- 
folger Ban  Pauls  (f  1312),  Ban  Mladen  mit  seinen  drei  Brüdern 
den  „Bansöhnen"  (Baniöi).    Er  schrieb  sich  „Croatorum  et  tocius 
Bosne  banus",  setzte  aber  die  Söhne  des  letzten  bosnischen  Bans 
und  zugleich  Enkel  des  Königs  Stephan  Dragutin  wieder  als  Ver- 
walter des  Landes  ein,  Stephan  II.  (mit  einem  Kosenamen  auch  Stipos 
genannt)  und  Vladislav.    Der  junge  Stephan  sollte  (1319)  nach  Für- 
sprache des  Mladen  beim  Papst  eine  Tochter  des  Grafen  Meinhard 
von  Ortenburg  in  Kärnten  heiraten,  wozu  ein  Dispens  wegen  der 
Verwandtschaft   (wahrscheinlich  durch  die  kroatische  Adelsfamilie 
der  Blagaj)  notwendig  war.    Später  finden  wir  als  Frau  Stephans  II. 
von    Bosnien    eine    polnische    Prinzessin    Elisabeth,    Tochter    des 
Herzogs   Kasimir   von  Kujavien;    die   Heirat    stand   wohl   in  Ver- 
bindung mit  der  des  Königs  Karl  Robert,  dessen  Frau,  gleichfalls 
Elisabeth,  eine  Tochter  des  polnischen  Königs  Wladislaw  Lokietek 


1)  Micha  Madii  (bei  Schwandtner  3,  643)  und  G.  Adam. 

2)  Die  Friedensurkunde  ist  nicht   erhalten.     Nachrichten  in  den  Rats- 
protokollen (Mon.  Rag.  5,  108  f.)  und  den  Diversa  von  Ragusa. 


Stephan  Uros  II.  (1282—1321).  35t 

war  (1 320)  ^).  Ban  Mladen  hielt  einen  glänzenden  Hof,  besaß  aber 
nicht  das  diplomatische  Talent  seines  Vaters.  Seine  Versuche,  die 
Autonomie  der  Küstenstädte  zu  untergraben,  brachten  Vorteile  nur 
Venedig,  mit  dem  er  schlecht  stand,  weil  er  den  flüchtigen  Ver- 
schwörer Bajamonte  Tiepolo  bei  sich  beherbergte.  Die  Feindselig- 
keiten mit  den  Serben  begannen  durch  die  Plünderungen  der 
serbischen  Grenzbefehlshaber,  der  Branivojevici  von  Zachlumien,  die 
1318  zum  erstenmal  urkundHch  genannt  werden  ^).  Nach  Orbini 
waren  es  drei  Söhne  eines  armen  Edelmannes  Branivoj  aus  Chelmo, 
namens  Michael,  Brajko  und  Branoje  (oder  Branko)  •^).  Sie  resi- 
dierten mit  ihrer  Mutter  in  Stagno  am  Fuße  des  Felshügels,  auf 
welchem  die  Burg  des  heihgen  Michael  stand  (heute  Frauenkloster), 
und  verwalteten  die  Halbinsel  von  Stagno ,  das  Küstengebiet  bei 
Slano  und  das  Mündungsgebiet  der  Narenta.  Der  Gegensatz 
zwischen  den  Nachbarn  äußerte  sich  durch  Annahme  von  Titeln; 
Mladen  begann  sich  Herr  von  Chelmo  zu  schreiben,  Uros  H.  zur 
Vergeltung  „rex  Croatie".  Die  Ragusaner,  besorgt  wegen  des 
Kampfes  in  der  Nachbarschaft,  bemühten  sich,  einen  Frieden  zu 
vermitteln  (Juli  1319).  Mladen  scheint  dabei  nichts  gewonnen  zu 
haben.  Bis  zur  Erfüllung  aller  Verpflichtungen  gegen  den  Serben- 
könig mußte  er  seinen  Bruder  Comes  Gregor,  den  Herrn  von 
Almissa,  mit  einigen  Gefährten  als  Geisel  den  Ragusanern  über- 
geben ^). 

Zu  gleicher  Zeit  setzte  Karl  Robert  mit  seinem  ganzen  Heere 
über  die  Save,  eroberte  die  Burgen  der  Macva  und  lagerte  (Sep- 
tember 1319)  am  Flusse  Kolubara  zwischen  Belgrad  und  Sabac, 
während    sein   Feldherr   Stephan   Laczkfi  Belgrad    erstürmte   und 


1)  Ilarion  Ruvarac  im  Glasnik  bos.  4  (1892)  210  =  Wiss.  Mitt. 
2  (1894)  177. 

2)  Klagen  des  Bans  Mladen  gegen  die  „filii  Braniuoi"  Sept.  1318: 
Mon.  Rag.  5,  121  (die  Texte  ib.  113—131  gehören  unter  1318,  nicht 
1319). 

3)  Orbini  391  aus  einer  verschollenen  Quelle.  Er  nennt  auch  einen 
vierten  Bruder  Dobrovoj;  so  heißt  1323 — 1326  ein  Edelmann  an  der  Küste 
gegenüber  der  Insel  Giuppana  in  den  Diversa  von  Ragusa. 

4)  Mon.  Rag.  5,  142  f.  Am  21.  Juli  1319  erwartete  man  Ban  Mladen 
persönlich  in  Ragusa:  ib.  146. 


353  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

verbrannte  ^).  Der  Krieg  wurde  schon  im  vorhergehenden  Jahre 
^uch  im  Gebiet  der  Anjous  in  Albanien  geführt.  Papst  Johannes 
XXII.  ermunterte  (Mai  1318)  Philipp  von  Tarent,  seit  1313 
Titularkaiser  von  Konstantinopel,  er  möge  den  König  Uros  im 
Bunde  mit  Karl  Robert  und  Ban  Mladen  angreifen  -).  Nach  den 
Berichten,  welche  der  Bischof  Andreas  von  Kroja  nach  Avignon 
gebracht  hatte  (Juni  1318),  sollen  zahlreiche,  der  römischen  Kirche 
angehörende  „barones  regci  Albanie"  mit  byzantinischen,  frän- 
kischen und  serbischen  Titeln  im  Lande  zwischen  Skutari  und 
Valona  das  Joch  des  schismatischen,  „treulosen  Königs  von  Ras- 
cien"  abgeworfen  haben:  Vladislav  Gonoma  (Jonima),  Graf  von 
Dioclia  und  der  „maritima  Albania",  dann  drei  Musachi,  nämlich 
der  Graf  Mentulus,  der  Marschall  des  Königreichs  Albanien  An- 
dreas und  der  Protosevast  Theodor,  ferner  zwei  Blenisti,  der  Proto- 
sevast  Guilelmus  ^)  und  der  Graf  Caloiohannes,  endlich  Guillelmus 
Arianites  und  Paul  Matarango  ^).  Als  König  Karl  dem  Papste 
meldete,  er  habe  die  Älacva  erobert  und  wolle  bis  zum  Meere  vor- 
xiringen,  wenn  ihm  andere  katholische  Herrscher  Hilfe  leisteten, 
forderte  Johannes  XXU.  die  deutschen  Fürsten  und  die  Könige  von 
Böhmen  und  Polen  dazu  auf,  aber  vergeblich  ^).  Uros  hat  indessen 
seine  Südgrenzen  behauptet  und  schrieb  sich  von  nun  an  auch 
König  von  Albanien. 


1)  Urk.  des  Königs,  datiert  „prope  Kalabar  in  Macho"  16.  September 
1319.  „Aqua  Abona"  und  „caput  fluvii  Obona"  in  anderen  Urk.  ist  der 
Fluß  Üb  oder  die  Obnica  bei  Valjevo.  Huber,  Arch.  f.  österr.  Gesch. 
6(i  (1885),  5—6.  Derselbe,  Geschichte  Österreichs  2,  206.  Thallöczy 
im  Glasnik  bos.  5  (1893)  186  und  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  330. 

2)  Theiner,  Mon  Hung.  1,  830. 

3)  Wilhelm,  der  Sohn  des  zum  Grafen  ernannten  Casnesius  (serb.  Titel 
eines  „kaznac")  Blenisti,  1304  von  König  Karl  II.  ernannt  zum  Marschall 
von  Albanien.  Hopf  a.  a.  0.  359.  Derselbe  bei  Hahn,  Reise  durch 
die  Gebiete  des  Drin  280.     Dorf  Blinist  jetzt  im  Gebiete  der  Mirediten. 

4)  Theiner  a.  a.  0.  1,  831.  Über  Gonoma  II.  Ruvarac  im  Arch. 
slaw.  Phil.  17  (1895)  564.  Hopf  a.  a.  0.  419  meint,  daß  Durazzo  1319 
bis  1322  wieder  in  Besitz  der  Serben  gewesen  sei,  was  im  ragus.  Material 
keine  Bestätigung  findet. 

5)  Theiner  a.  a.  0.  1,  470  f.  (2.  Juli  1320),  wobei  in  der  päpstlichen 
Kanzlei  aus  der  Macva  ein  „regnum  Macedonie"  wurde. 


Stephan  Uros  II.  (1282-1321).  353 

Der  Frieden  ist  wobl  bald  erneuert  worden.  Da  ließ  Uros  II. 
(1319)  in  einer  katholischen  Wallfahrtskirche,  dem  Tempel  des 
heiligen  Nikolaus  von  Bari  in  Apulien,  einen  silbernen  Altar  mit 
einer  lateinischen  Inschrift  aufstellen,  in  welcher  er  sich  stolz  als 
Herr  des  ganzen  Landes  vom  Adriatischen  Meere  bis  zur  Donau 
bezeichnete  (de  culfo  Adriatico,  a  mari  usque  ad  flumen  Danubii 
magni).  Neben  Uros  waren  auf  diesem  Altar  die  Königin  „Simo- 
nida" und  der  Königssohn  Konstantin  genannt  ^).  Die  jugendliche 
Simonis  hatte,  wie  Nikephoros  Gregoras  berichtet,  viel  unter  der 
Eifersucht  des  greisen  Königs  zu  leiden.  Als  sie  nach  dem  Tode 
ihrer  Mutter  Irene  (1317)  länger  in  Konstantinopel  verweilte,  als 
es  Uros  wünschte,  und  erst  durch  die  Drohungen  ihres  Gatten 
zur  Rückkehr  gezwungen  wurde,  legte  sie  in  Serrai  zum  Entsetzen 
ihres  serbischen  Gefolges  nachts  das  Klostergewand  an,  doch  ihr 
Bruder  Konstantin  zerriß  das  Kleid  und  übergab  sie,  ohne  ihre 
Tränen  zu  beachten,  wieder  den  Serben. 

Uros  IL  erlebte  noch  den  Ausbruch  des  Krieges  zwischen 
seinem  Schwiegervater  Andronikos  IL,  einem  unbeliebten,  pedan- 
tischen Greis,  und  dessen  lebenslustigen  und  populären  Enkel 
Andronikos  III.  (April  1321).  An  der  Spitze  der  Verschwörer, 
die  sich  um  den  Enkel  scharten,  stand  der  begabte  und  gebildete 
Großdomestikos  (Reichsmarschall)  Johannes  Kantakuzenos.  Eben 
verlangte  ein  Gesandter  des  Serbenkönigs,  der  Mönch  Kallinik,  die 
Rücksendung  von  ungefähr  2000  kumanischen  Söldnern,  welche 
Uros  seinem  Schwiegervater  geliehen  hatte.  Bei  einer  geheimen 
Unterredung  beauftragten  der  junge  Andronikos  und  Kantakuzenos 
den  serbischen  Mönch,  den  König  um  Hilfe  zu  bitten.  Uros  war 
bereit  dazu,  wenn  der  junge  Andronikos  in  die  Nähe  der  serbischen 
Grenze  käme.  Aber  nach  dem  Ausbruch  des  Bürgerkrieges  warnte 
Kantakuzenos  vor  der  gefährlichen  Bundesgenossenschaft  sowohl 
der  Serben,  als  der  Bulgaren  2). 


1)  Die  Inschrift,  seit  der  Restaurierung  1684  verschollen,  bei  Orbini 
(1601)  255  und  Beatillo  (1649),  wiederholt  von  Kukuljevic,  Arkiv 
jug.  4  (1857)  350  und  Makusev,  Ital.  Archive  3,  13  (Zapiski  der  russ. 
Akad.  Bd.  19,  1871).     Der  Name  des  Constantinus  bei  Beatillo. 

2)  Kantakuzenos  I  cap.  7,  8,  21.  Nach  der  ersten  Unterbrechung 
des   Krieges   bestätigten   beide  Andronici  im  Juni   1321    (6829)   durch   zwei 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  23 


354  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

König  Stephan  Uros  II.  starb  unerwartet  am  29.  Oktober  1321 
im  Schloß  von  Nerodimlja  am  Süd  ende  des  Amselfeldes  ^).  Er  ist 
eine  hervorragende  Gestalt  der  serbischen  Geschichte,  ein  Herrscher, 
der  über  große  finanzielle  und  militärische  Mittel  verfügte  und  die 
Politik  der  Erweiterung  Serbiens  gegen  Süden  mit  Erfolg  ein- 
leitete. Das  zerrüttete  Familienleben  zeugt  aber  von  keinem  weiten 
Blick.  Die  inneren  Kämpfe  förderten  die  selbstsüchtigen  Ten- 
denzen des  Adels  und  den  Verfall  der  Zentralgewalt.  Richtig 
wußte  Uros  IL  den  Einfluß  der  Kirche  zu  schätzen  und  zu  fördern, 
durch  großartige  Bauten  und  Stiftungen,  wie  die  Klöster  Gracanica 
und  Banjska  im  Inland,  auf  dem  Athos,  in  Konstantinopel  und 
Jerusalem  im  Ausland.  Die  Kirche  war  ihm  auch  dankbar;  ohne 
auf  seine  vier  Ehen  zu  achten,  wurde  er  bald  als  der  „heilige 
König"  (sveti  kralj)  verehrt.  Sofort  nach  seinem  Tode  brachen 
große  Stürme  aus.  Drei  Prätendenten  kämpften  um  den  Thron. 
Die  fremden  Söldner  zogen  die  einen  gegen  die  anderen,  um  sich 
gegenseitig  zu  berauben  und  das  Land  zu  plündern.  Sie  beun- 
ruhigten schon  den  vom  Bischof  Daniel  geführten  Leichenzug  des 
Königs,  auf  dem  Wege  von  Nerodimlja  nach  Banjska.  Die  Leiche 
Uros'  U.  wurde  um  1389  aus  diesem  Kloster  in  die  nahe  Berg- 
werkstadt Trepca  gebracht,  um  1460  von  dort  nach  Sofia;  der 
Sarg  steht  noch  immer  in  der  bulgarischen  Hauptstadt  vor  dem 
Altar  der  Kathedralkirche  „Sveti  Kral"  (des  heiligen  Königs). 
Die  Königinwitwe  Simonis  kehrte  nach  Konstantinopel  zurück  und 
lebte  als  Nonne  teils  im  Kloster  des  heihgen  Andreas,  teils  im 
Kaiserpalast  bei  ihrem  Vater,  später  bei  ihrem  Neffen. 

Konstantin,  von  seinem  Vater,  wie  aus  der  Nennung  in  den 
Inschriften  von  Bari  zu  ersehen  ist,  zum  Nachfolger  bestimmt, 
wurde  in  der  Zeta  zum  König  proklamiert.  In  Skutari  ließ  er 
Silbermünzen  prägen  mit  lateinischer  Umsckrift,  auf  denen  er  auf 
dem  Throne  sitzend  mit  Krone   und  Zepter   abgebildet  ist  ^).     Es 


Urkunden  die  Besitzungen  des  Klosters  Menoikeion  bei  Serrai,  auf  Bitten 
des  Serbenkönigs  und  der  xqüIuivu  ^^foßiag  (der  jüngere  Kaiser  bezeichnet 
beide  als  Oheim  und  Tante):  Sathas,  Bibl.  graeca  1,  i' 15— 221. 

1)  Todestag  bei  Daniel  IGl.     November    1321:   Micha  Madius  bei 
Schwandtner  3,  646. 

2)  „Dominus  rex  Constantinus ",  R.  „S.  Stefanus   Scutari".      Bei   Za- 


Konstantin  (1321—1322).    Stephan  Uro§  III.  (1322—1331).         355 

fehlte  ihm  aber  an  Popularität  und  Anhang.  Wir  wissen  gar 
nicht,  wer  seine  Frau  war  und  ob  er  Kinder  hatte.  Gegen  ihn 
erhob  sich  im  Norden  als  ernster  Nebenbuhler  König  Vladislav, 
des  Stephan  Dragutin  Sohn,  nach  seines  Oheims  Tod  aus  dem 
Kerker  befreit  und  im  väterlichen  Gebiete  als  legitimer  Nach- 
folger mit  Freude  begrüßt.  Doch  von  den  drei  Prätendenten  hatte 
den  größten  Erfolg  derjenige,  an  welchen  anfangs  die  wenigsten 
dachten:  der  geblendete  Stephan.  Das  ganze  Land  durcheilte  die 
unfaßbare  Nachricht,  er  sei  durch  ein  Wunder  plötzlich  sehend 
geworden.  Er  berief  sein  Gefolge  zu  sich  und  sagte  seinen  Ge- 
treuen, sie  sollten  Gott  den  Allmächtigen  preisen:  „Sehet  und 
wundert  euch:  ich,  der  ich  blind  war,  sehe  wieder !''  In  der 
Stiftungsurkunde  des  Klosters  Decani  schreibt  er  selbst,  der  Herr 
habe  an  ihm  seine  große  Barmherzigkeit  geäußert,  indem  er  ihn 
„durch  Rückgabe  meines  Augenhchtes  erleuchtete"  und  ihn  auf 
den  Thron  der  heiligen  Eltern  und  Voreltern  setzte  ^).  Guillaume 
Adam,  ein  fanatischer  Feind  des  Stephan  und  Anhänger  des  Vla- 
dislav,  erzählt,  Stephan  habe  stets  ein  wenig  gesehen,  aber  dies 
vor  seinem  Vater  und  seinen  eigenen  Kindern  geheimgehalten. 
Erst  nach  des  Vaters  Tod  habe  er  durch  eigenhändige  Briefe  dem 
ganzen  Reiche  kundgegeben,  daß  er  sehe,  und  dadurch  den  größten 
Anhang  gewonnen.  Es  ist  merkwürdig,  daß  die  Byzantiner  von 
seinen  geschwächten  Augen  kein  Wort  erwähnen,  weder  Kanta- 
kuzenos,  noch  Nikephoros  Gregoras,  der  den  Stephan  persönlich 
kannte. 

Zwischen  den  Halbbrüdern  mußte  das  Kriegsglück  entscheiden. 
Den  Vorschlag  Stephans,  das  Land  zu  teilen,  wies  Konstantin  stolz 
zurück,  aber  seine  Proklamationen,  ein  Blinder  sei  vom  Throne 
ausgeschlossen,  fanden  kein  Gehör  mehr.  Auf  einem  Reichstag 
wurde  (6.  Jänner  1322)  Stephan  Uros  IIL  vom  Erzbischof  Niko- 
dim  feierlich  gekrönt,  mit  ihm  sein  jugendlicher  Sohn  Dusan  als 
Mitkönig  oder  „junger  König"  (mladi  kralj,  „rex  iuvenis")  neben 


netti  und  Argellati  (1750)  richtig  diesem  König  zugewiesen,  ebenso  von 
Dr.  J.  Safafik  im  Glasnik   3  (lb51)  219,  erst  von  Neueren  unrichtig  dem 
Konstantin  Baliic  (f  1402)  zugeteilt,  der  nie   König  war.      König   „Stefan 
Konstantin"  im  Pomenik  von  Sopocani:  Glasnik  42,  31. 
1)  Daniel  170.     Mon.  serb.  90. 

23* 


356  Viertes  Bucb.     Zweites  Kapitel. 

dem  „alten  König"  („rex  veteranus").  Den  Vater  nannte  man 
fortan  Uros  III.  (rex  Urossius),  den  Sohn  Stephan  ^).  Bald  wurde 
Konstantin  in  einer  Schlacht  besiegt,  auf  der  Flucht  getötet  und 
in  der  Kirche  der  Burg  von  Zvecan  begraben  -).  Die  Zeta  wurde 
dem  jüngeren  König  zugewiesen.  Länger  dauerte  der  Krieg  Stephans 
mit  seinem  Vetter  König  Vladislav,  der  wohl  von  Karl  Robert 
und  Stephan  IL  von  Bosnien  unterstützt  wurde,  umgeben  von  dem 
Adel  des  väterlichen  Gebietes  3).  Im  Winter  1323 — 1324  wurde 
um  Rudnik  und  die  nahe  Burg  Ostrvica  gestritten.  Zuletzt  mußte 
Vladislav  den  Kampf  aufgeben  und  nach  Ungarn  fliehen,  wo  er 
bis  zu  seinem  Tode  blieb  ^) ;  von  den  Schicksalen  seiner  Nach- 
kommen ist  nichts  bekannt. 

In  engster  Verbindung  mit  diesen  Stürmen  stand  der  Vorstoß 
der  Bosnier  durch  das  Narentatal  zum  Meere.  Zachlumien  ging 
dabei  dem  altserbischen  Reiche  für  immer  verloren.  Die  Unbot- 
mäßigkeit des  kroatischen  und  serbischen  Adels  des  Küstengebietes 
erklärt  diese  Umwälzung.  Ban  Mladen  Subic  wurde  (1322)  im 
Tale  der  Cetina  von  den  Truppen  Karl  Roberts  geschlagen  und 
gefangen,  das  erbliche  Banat  ihm  abgenommen  und  er  selbst  nach 
Norden   weggeführt,    wo   ihm   der  König  die  Burg  Zrinj  im  Tale 


1)  Auf  den  gut  ausgeführten  Münzen  ist  der  alte  König  sitzend  abge- 
bildet, mit  langem  Haar  und  Vollbart  und  mit  der  Krone  auf  dem  Haupte; 
das  bloße  Schwert  ist  horizontal  über  die  Knie  gelegt.  Die  Inschrift  lautet: 
„treti  Stefan  Uros  kralj"  (der  dritte  Stefan  Uros  König).  Der  Sohn  ist  auf 
seinem  Siegel  bartlos  dargestellt  und  „mladi  kralj"  genannt;  er  hat  es 
noch  lange,  z.  B.  auf  einer  Urkunde  1334  verwendet.  Dr.  A.  Ivic,  Die 
alten  serbischen  Siegel  und  Wappen  (Neusatz,  Matica  1910)  nro.  13  und  14 
(mit  Photographie).  Der  Krönungstag  ist  in  der  Urk.  von  Decani  (Mon. 
serb.  90)  irrtümlich  in  das  Jahr  6829  statt  6830  (1321—1322)  verlegt,  zu 
welchem  die  Ind.  5  richtig  gehört. 

2)  Über  den  Krieg  nur  C  am  blak,  Glasnik  11  (1857)  64—66.  Das 
Grab  Konstantins:  serb.  Annalen  ib.  53,  S.  10,  59.  Bei  Guillaume 
Adam  p.  438  wird  Konstantin  gefangen  und  „inaudito  crudelitatis  genere" 
umgebracht. 

3)  König  Vladislavs  Schreiben  vom  25.  Oktober  1323  an  den  Comes 
von  Bagusa  in  alter  ital.  Übersetzung  bei  Pucic  2,  S.  3 — 4  (vgl.  Spomenik 
11,  99);  erwähnt  „miei  filioli"  und  „parenti",  die  Zupane  Radoslav  und 
Vojihna,  den  Protovestiar  Georg,  den  Sevast  Junak  usw. 

4)  Rodoslov:  Glasnik  53,  S.  6. 


Vladislav  (1321—1324).    Stephan  Uros  IIL  (1322—1331).  357 

der  Una  schenkte,  nach  welcher  die  Subidi  später  Zrinjski 
(magyarisch  Zrinyi)  genannt  wurden  ^).  Es  folgten  lange  Kämpfe 
um  Knin ,  die  Residenz  des  Bans  des  Küstenlandes.  Ein  Mann 
zog  den  größten  Vorteil  aus  diesen  Wirren,  der  königstreue  Ban 
Stephan  II.  von  Bosnien,  der  schon  1324  durch  eine  Schenkung 
des  Karl  Robert  als  Herr  der  nordbosnischen  Landschaften  von 
Usora  und  Sol  erscheint  -).  Bald  besetzten  die  Bosnier  die  Land- 
schaft Krajina  am  Meere;  der  katholische  Bischof  von  Makarska 
zog  sich  vor  den  bosnischen  Ketzern  nach  Almissa  zurück. 
Während  der  serbischen  Thronkämpfe  drang  Ban  Stephan  im 
oberen  Zachlumien  ein ;  die  Adelshäupter  des  Landes  schlössen 
sich  ihm  an,  voran  der  Zupan  von  Nevesinje,  Poznan  Pureid  ^'). 
An  der  zachlumischen  Küste  wollten  sich  die  Branivojevici,  wie 
es  scheint,  im  Grenzgebiet  zwischen  den  Serben  und  Bosniern  in 
der  Art  der  kroatischen  Subici  ganz  unabhängig  machen.  Nur 
scheinbar  hielten  sie  mit  den  Serben,  welche  hier  der  jüngere 
König  Stephan  Dusan  mit  seinen  Ratgebern  vertrat,  dem  Vojvoden 
Mladen,  dem  Stammvater  der  späteren  Brankovici,  und  dem  Feld- 
herrn Vojno,  dem  Herrn  von  Gacko  ^).  In  ein  arges  Gedränge 
kam  damals  Ragusa.  Wegen  der  ragusanischen  Kaufleute  und 
Zollpächter  im  Lande  des  Königs  Vladislav  geriet  es  (1324)  in 
Konflikt  mit  Uros  III.  Der  Handel  wurde  eingestellt,  das  Stadt- 
gebiet vom  Kriegsvolk  des  Vojno  und  der  Branivojevici  geplündert 
(1325).  Venedig  nahm  sich  aber  der  Ragusaner  ganz  energisch 
an,  berief  alle  Venezianer  aus  Cattaro  und  Serbien  ab  und  ließ 
den  Serbenkönig  durch  seinen  Abgesandten,  einen  Notar  wissen, 
daß  die  Republik  keineswegs  die  Absicht  habe,  Ragusa  zu  ver- 
lassen ^).      Der   Frieden   zwischen   Ragusa    und   Uros   IIL   wurde 

1)  Über  das  Ende  Mladens  (starb  vor  1843)  Sisic  im  Rad  153 
(1903)  35. 

2)  Mon.  Rag.  1,  115.  Vgl  Klaic,  Geschichte  Bosniens,  übers,  von 
Bojuicic  143  f. 

3)  Posnanus  de  Purchia  mit  seinem  Geschlecht  in  Nevesinje  auf  ser- 
bischem Boden  1306,  Arch.  slaw.  Phil.  22,  174;  1325,  1327  als  Gesandter 
des  bosnischen  Bans  in  Ragusa,  Mon.  Rag.  Bd.  5. 

4)  Vojno  besaß  Gacko:  April  1327  Div.  Rag. 

5)  „Dicendo,  quod  nos  non  intendimus  deserere  Ragusium":  Ljubic  1, 
163.     Mon.  Rag.  5,  201. 


358  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

dann  am  25.  März  1326  auf  der  Burg  Danj  bei  Skutari  erneuert, 
in  Gegenwart  des  Vojvoden  Mladen  und  des  ,,Celnik'''  Gjuras,  des 
Stammvaters  der  Crnojevici  ^). 

Die  Branivojevici  hatten  sich  gerade  in  diesen  Tagen  unab- 
hängig gemacht  und  beunruhigten  Ragusa  durch  fortwährende 
Räubereien,  wodurch  sie  aber  ihren  Untergang  herbeiführten  -). 
Zwei  Wochen  nach  dem  Frieden  von  Danj  wurde  Brajko  Braui- 
vojeviö  mit  seiner  Frau,  einer  Tochter  des  Vojno,  von  der  ragusa- 
nischen  Flotte  gefangen  und  zunächst  in  das  Inselkloster  des 
heiligen  Andreas  de  Pelago  (heute  ein  Leuchtturm)  vor  dem  Hafen 
von  Gravosa  gebracht  (10.  April).  In  der  Stadt  verlangte  eine 
Partei  sofort  seine  Hinrichtung,  doch  sperrte  man  ihn  einstweilen 
in  einem  Turm  in  einen  eigens  für  ihn  hergerichteten  Holzkäfig 
(cabia  de  lignamine).  Die  Frau  wurde  nach  Fürsprache  des 
serbischen  Königs  und  des  bosnischen  Bans  zu  ihrem  Vater  ent- 
lassen. Zahlreiche  Schiffe  der  Branivojevici  und  ihrer  Verbündeten, 
der  Piraten  von  Krajina,  wurden  verbrannt.  Der  junge  Stephan 
Dusan  forderte  die  Ragusaner  in  einem  Briefe  auf,  den  zweiten 
Bruder  Branoje,  seinen  abtrünnigen  Vasallen,  mit  der  Flotte  zu 
bekämpfen  (17.  April).  Ragusa  schloß  indessen  auch  einen  Bund 
mit  dem  Bau  von  Bosnien  zur  Vernichtung  der  Branivojevici, 
welche  zu  Land  und  zur  See  angegriffen  werden  sollten ;  ausdrück- 
lich wurde  bestimmt,  daß  der  Vertrag  keineswegs  gegen  den 
König  von  Serbien  gerichtet  sei  •^).  Bald  erscheint  in  Stagno  statt 
der  Beamten  der  Rebellen  ein  Zupan  des  Serbenkönigs.  Als  in 
Ragusa  ein  Preis  von  2000  Perper  ausgerufen  wurde  für  denjenigen, 
der  den  Branoje  Branivojev^ic  tot  oder  lebendig  ausliefere,  flüchtete 
sich  der  gestürzte  Dynast  reumütig  zu  Uros  HL,  wurde  aber  am 
könighchen  Hofe  in  Fesseln  geschlagen,  auf  die  Burg  von  Cattaro 
gebracht  und  dort  hingerichtet  (August  1326).  Auch  Brajko  kam 
aus  den  Türmen  von  Ragusa  nicht  mehr  heraus;  nach  späteren 
Berichten  ließ  man  ihn   verhungern  "*).     Indessen   verhandelte   der 

1)  Mon.  serb.  85. 

2)  Zahlreiche  Details  in  den  Mon.  Rag.  5,  197  ff. 

3)  Nach  Orbini  891  f.  sind  zwei  der  Branivojevici,  Michael  und  Do- 
brovoj,  im  Kampfe  gegen  die  Bosnier  gefallen. 

4)  In  den  Katsprotokoilen  wird  er  am  25.  November   1326   zuletzt   er- 


Stephan  Uros  III.  (1322-1331).  359 

Senat  von  Ragusa  (seit  Juli)  eifrig  mit  dem  Serbenkönig  um  die 
Abtretung  der  Halbinsel  von  Stagno  gegen  Zahlung  eines  Jahr- 
geldes; der  König  war  bereit  dazu,  verlangte  aber  zuviel. 

Der  Ban  von  Bosnien  blieb  Herr  des  Narentatales.  Schon 
1326  schrieb  er  sich  in  einer  Urkunde  an  die  Stadt  Trau  als 
„terrae  Chelmi  coraes".  Als  die  Ragusaner  im  Juli  1327  eine 
Gesandtschaft  zu  ihm  senden  wollten,  erwartete  man  seine  Ankunft 
im  Schloß  von  Bisce  an  der  Narenta  unter  der  Burg  Blagaj  ^). 
An  der  Mündung  der  Narenta  saßen  fortan  Beamte  der  Bosnier, 
Vergeblich  waren  seitdem  alle  Versuche  der  Serben,  das  verlorene 
Zachlumien  wiederzuerobern.  Bosnische  Heere  brachen  auch  im 
Drinagebiet  über  die  serbische  Grenze  ein  und  verwüsteten  den 
Sitz  des  Bischofs  von  Dabar,  die  Kirche  des  heiligen  Nikolaus 
von  Banja  am  unteren  Lim.  Der  junge  König  Stephan  Dusan 
soll  dort  gegen  die  „gottlosen"  bosnischen  Häretiker  einen  Sieg 
erfochten  haben  -). 

König  Uros  HI.  hatte  indessen  seine  langjährige  Lebens- 
gefährtin Theodora  durch  den  Tod  verloren  und  sie  im  Kloster 
Banjska  ins  Grab  gelegt  ^).  Noch  während  des  Krieges  gegen 
seinen  Vetter  Vladislav  suchte  er  verwandtschaftliche  Beziehungen 
mit  den  Anjous  von  Neapel  anzuknüpfen  und  bewarb  sich  bei 
Philipp  von  Tarent  um  dessen  und  der  Thamar  von  Epirus 
Tochter  Bianca  (1323).  Dabei  war  er  sogar  bereit,  mit  dem 
Klerus,  dem  Adel  und  dem  Volk  des  „regnum  Servie"  dem 
Schisma  zu  entsagen  und  sich  der  römischen  Kirche  anzuschließen ; 
in  dieser  Art  wollte  er  wahrscheinlich  den  Ansprüchen  des  Vladis- 
lav zuvorkommen.  Papst  Johannes  XXH.  in  Avignon  beauftragte 
den  Bischof  Bertrand  von  Brindisi  mit  einer  großen  Gesandtschaft 
nach  Serbien  zur  Durchführung  der  Union.     Auch  die  Ragusaner 


wähnt.     „Li  Ragusei  parimeate  fecero  morire  di  faoie   Braico   in   carcere": 
Orbini  398,  ebenso  Resti  114. 

1)  Mon.  Rag.  5,  244. 

2)  Epilog  eines  Evangeliums  von  1328 — 1329  (Datum  unsicher):  Sto- 
janovic,  Zapisi  1  nro.  55. 

3)  Eine  Urkunde  des  Zaren  Stephan  Dusan  mit  Stiftungen  für  das 
Grab  seiner  Mutter  (um  1346)  herausg.  von  Novakovic,  Spomenik  9,  1 — 7 
(auch  in  seiner  Anthologie  „Primjeri"  ^4 18 f.). 


360  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

verwendeten  sich  eifrig  für  diese  Heirat  bei  Philipp  i).  Doch  die 
Sache  zerschlug  sich,  da  die  Anjous  wohl  den  Vladislav  als  den 
legitimen  König  von  Serbien  betrachteten.  Uro.s  III.  heiratete  nun 
eine  Griechin,  die  Maria  Palaiologina,  eine  Nichte  der  früheren 
Königin  Simonis  (l326).  Ihr  Vater  war  der  Panhypersebast 
Johannes  Palaiologos,  damals  öfters  Statthalter  von  Thessalonich, 
ein  Sohn  des  Konstantin  Porphyrogennetos,  eines  Bruders  des 
Andronikos  II.  Ihre  Mutter  Irene  war  eine  Tochter  des  Groß- 
logotheten  Theodoros  Metochites.  Als  die  Kämpfe  zwischen  beiden 
Andronikos  wieder  ausbrachen,  wollte  sich  der  Panhypersebast 
mit  Hilfe  der  Serben  eine  eigene  Herrschaft  gründen,  unterstützt 
von  zwei  Söhnen  des  Großlogotheten,  welche  Befehlshaber  in  den 
Grenzfestungen  Struraica  und  Melnik  waren.  Er  begab  sich  mit 
seiner  Gattin  an  den  serbischen  Hof  und  bewog  Uros  III.  zu 
Plünderungen  des  byzantinischen  Gebietes  bei  Serrai.  Andro- 
nikos II.  beeilte  sich,  den  Johannes  durch  die  Verleihung  der 
hohen  Würde  eines  Kaisar  zu  gewinnen,  doch  der  Prinz  erkrankte 
bei  den  Serben  und  starb  in  Skopje.  Seine  Witwe,  die  Kaisarissa, 
wurde  (1327)  durch  eine  Gesandtschaft  des  alten  Andronikos,  unter 
deren  Mitgliedern  sich  der  bekannte  Historiker  Nikephoros  Gre- 
goras  befand,  zur  Rückkehr  nach  Thessalonich  bewogen  -). 

Während  des  dritten  und  letzten  Krieges  zwischen  Großvater 
und  Enkel  um  den  byzantinischen  Thron  blieb  Uros  III.  auf  Seite 
des  alten  Kaisers.  Seinen  erfahreneren  Feldherrn  Hrelja  sendete 
er  mit  einer  Truppenabteilung  zu  den  Parteigängern  des  alten 
Kaisers  nach  Serrai.  Als  der  jüngere  Andronikos  mitten  im  Schnee 
mit  großem  Erfolg  einen  kühnen  Zug  nach  Westen  unternahm 
(Jänner  1328),  ließ  sich  Hrelja  nicht  zu  einer  Schlacht  heraus- 
locken. Der  junge  Kaiser  besetzte  das  ganze  byzantinische  Make- 
donien und  Albanien.  Die  Anhänger  des  alten  Andronikos  be- 
haupteten sich  nur  in  den  Burgen  längs  der  serbischen  Grenze, 
in  Prilep,  Prosek,  Strumica  und  Melnik.  Prilep  wurde  vom  jungen 
Kaiser  besetzt.    Zahlreiche  vornehme  Griechen  flüchteten  sich  über 


1)  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  488f.     Mon.  Rag.  1,  82,  90. 

2)  Kantakuzenos   I    cap.   43.      Gregoras   VIII   cap.    14.     Uuge- 
druckt  ein  Brief  des  Gregoras  an  Andronikos  Zaridas  über  diese  Heise. 


Stephan  Uros  III.  (1322—1331).  3C1 

die  Grenze  zum  Serbenkönig,  doch  er  ließ  sich  nicht  zur  Offensive 
bewegen,  sondern  Wieb  auf  Rat  des  Hrelja  in  der  Stellung  eines 
Beobachters.  Da  geschah  es,  daß  der  Feldherr  Michael  Asan  aus 
Furcht  vor  Verrat  in  das  feste  Prosek  eine  serbische  Besatzung 
aufnahm;  das  Felsennest  kam  nimmermehr  in  den  Besitz  der 
Byzantiner  zurück  ^).  Zuletzt  wurde  Konstantinopel  in  einer  Voll- 
mondnacht (Mai  1328)  vom  jungen  Andronikos  und  seinem  Feld- 
herrn Kantakuzenos  durch  Verrat  erobert.  Der  siebzigjährige 
Andronikos  II.  wurde  gezwungen,  das  Mönchsgewand  anzulegen 
(t  1332). 

Mit  Andronikos  III.  als  Alleinherrscher  stand  Uro.s  III.,  der 
Bundesgenosse  der  unterlegenen  Gegenpartei,  von  Anfang  an 
schlecht.  Ein  serbisches  Heer  belagerte  (ungefähr  1329)  Ochrid, 
zog  sich  aber  zurück,  als  der  junge  Kaiser,  nach  einer  schweren 
Krankheit  genesen,  in  Eilmärschen  heranrückte.  Er  vertrieb  die 
Serben  aus  einigen  benachbarten  Burgen  und  kehrte  wieder  nach 
Thrakien  zurück  -).  Einen  Bundesgenossen  gegen  die  Serben  fand 
er  an  dem  bulgarischen  Zaren  Michael,  dem  Sohn  des  Fürsten 
Sisman  von  Vidin.  Michael  hatte  nämlich  Anna,  die  Schwester 
Uros'  III.,  verstoßen  und  Theodora,  eine  Schwester  Andronikos'  III., 
geheiratet,  welche  als  Gattin  des  Zaren  Svetislav  bereits  einmal 
in  Bulgarien  gewesen  w^ar.  Auf  zwei  persönlichen  Zusammen- 
künften in  Adrianopel  und  bei  Sozopolis  wurden  alle  Fragen 
zwischen  beiden  Nachbarn  ausgeglichen.  Der  Krieg  war  unver- 
meidhch.  Michael  trat  nach  serbischen  Berichten  sehr  selbstbewußt 
auf  und  prahlte,  er  werde  in  Serbien  „seinen  Thron  aufstellen". 
Uros  III.  warb  spanische  und  vielleicht  auch  deutsche  Söldner; 
Michael  sammelte  Osseten  (Jasi)  und  Tataren,  und  erhielt  außer- 
dem Hilfstruppen  von  Bassarab,  dem  Fürsten  der  neu  entstandenen 
Walachei,  wenige  Monate  vor  dessen  Sieg  über  Köm'g  Karl  Robert 
in  den  Wäldern  der  Karpathen  (November  1330). 

Die  Bulgaren  und  Byzantiner  ergriffen  die  Offensive,  aber 
ohne  sich  zu  vereinigen  ^).    Andronikos  kam  zu  spät  nach  Westen. 


1)  Kantakuzenos  III  cap.  42.     Gregoras  IX  cap.  5,  §  3. 

2)  Kantakuzenos  II  cap.  21. 

3)  Über  die  Schlacht  von  Velbuzd  1330:  König  Uros  III.  in  der  Urk. 


363  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

Die  Serben  erwarteten  den  Anmarsch  der  Bulgaren  zuerst  auf  der 
Ebene  Dobric  am  Zusammenfluß  der  Toplica  und  Morava.  Zar 
Michael  schlug  aber  einen  anderen  Weg  ein,  von  Vidin  über  Sofia 
nach  Makedonien.  \  Den  serbischen  Boden  betrat  er  bei  der  Burg 
Zemlen,  deren  Ruine  (jetzt  Zemen)  in  einem  Felsenamphitheater 
am  unteren  Ende  des  großartigen,  an  vier  Stunden  langen  Durch- 
bruches der  Struma  steht,  den  die  unlängst  eröffnete  Eisenbahn 
von  Sofia  nach  Küstendil  belebt,  und  näherte  sich  Velbuzd  (jetzt 
Küstendil).  Die  beiden  Serbenkönige  lagerten  nördlich  von  dieser 
Stadt  am  Flusse  Kamenca  (jetzt  Sovolstica).  Jedes  der  beiden 
Heere  war  ungefähr  15  000  Mann  stark.  Da  die  Serben  noch 
einige  ihrer  Edelleute  erwarteten,  wurde  ein  kurzer  Wafi'enstill- 
stand  geschlossen.  Die  Bulgaren  waren  noch  beim  Plündern  zer- 
streut, als  die  Serben  plötzlich  am  Samstag  den  28.  Juli  1330  zu 
Mittag  unter  der  Führung  beider  Könige  mit  Trompetenschall 
den  Angriff  begannen.  Nach  Gregoras  stürmten  die  fremden 
Söldner,  hochgewachsene,  kriegsgeübte  Reiter  in  glänzenden  Rü- 
stungen, geradeswegs  gegen  das  Banner  des  bulgarischen  Zaren. 
Sehr  ausgezeichnet  hat  sich  dabei  nach  dem  Bericht  des  Fort- 
setzers Daniels  der  junge  Stephan  Dusan.  Die  Bulgaren  ver- 
mochten sich  nicht  mehr  in  Schlachtordnung  aufzustellen  und  er- 
litten eine  furchtbare  Niederlage.  Zar  Michael  wurde  getötet, 
als  er  auf  der  Flucht  vom  Pferde  stürzte  und  vom  Feinde  eingeholt 
wurde.  Die  Leiche  brachte  man  zum  Sieger,  der  den  gefallenen 
Gegner  im  Kloster  des  heiligen  Georg  in  Nagoricin  (bei  Kumanovo) 
bestatten  ließ.  An  der  Stelle,  wo  König  Uros  III.  in  seinem  Zelte 
die  Nacht  vor  der  Schlacht  im  eifrigen  Gebete  zugebracht  hatte, 
wurde  eine  Kirche  der  Himmelfahrt  des  Herrn  erbaut,  heute  noch 
in  den  Ruinen  ein  schöner  kleiner  Bau  aus  wechselnden  Lagen 
von  Quadern  und  Ziegeln  mit  eingestürzter  Kuppel,   von   weitem 


von  Decani  65,  13G;  Stephan  Dusan  in  der  Vorrede  zum  Gesetzbuch, 
Zakonik  ed.  Novakovic  S.  3 — 1;  ausführlich  Daniel  177—198.  Kirche 
auf  dem  Schlachtfelde:  Rodoslov  (Genealogie)  im  Glasnik  53,  S.  38. 
Griechische  Berichte:  Gregoras  IX  cap.  12,  Kantakuzenos  II  cap.  21. 
Glückwünsche  der  Ragusaner  zum  Sieg  „de  domino  imperatore  Bulgarie" 
durch  eine  Gesandtschaft  14.  Aug.  1330:  Mon.  Rag.  5,  293.  Die  Örtlich- 
keiten  beschrieben  in  meinem  Fürstentum  Bulgarien  468 f.,  473. 


Stephan  Uros  III.  (1322-1331).  363 

sichtbar  auf  einem  isolierten,  glockenförmigen  Hügel  zwischen 
Weingärten  über  dem  Dorfe  Nikolicevci  bei  Küstendil,  im 
Mündungswinkel  der  Struma  und  Sovolstica.  König  Uros  rückte 
dem  fliehenden  bulgarischen  Heere  nach,  welches  sich  unter  dem 
Befehl  von  Michaels  Bruder  Belaur  (bedeutet  rumänisch  einen 
Drachen)  in  die  heute  noch  bekannte  Landschaft  Mraka  an  der 
oberen  Struma  im  Becken  von  Radomir  zurückzog.  Im  Dorfe 
Izvor  („die  Quelle")  bei  Radomir  beeilten  sich  die  Bulgaren, 
Frieden  zu  schHeßen.  Die  verstoßene  und  verbannte  erste  Frau 
Michaels,  Uros'  HI.  Schwester  Anna,  wurde  mit  ihrem  unmündigen 
Sohn  Johannes  Stephan  als  Herrscherin  Bulgariens  anerkannt  und 
von  einigen  serbischen  Edelleuten  mit  Truppen  nach  der  bulga- 
rischen Hauptstadt  geleitet.  Alle  Boljaren  wurden  in  ihren  Amtern 
bestätigt  ^). 

Der  siegreiche  Serbenkönig  zog  nun  gegen  Andronikos  HI. 
Der  Kaiser  hatte  an  der  serbischen  Südgrenze  persönlich  einige 
Schlösser  besetzt,  wie  Debrec  bei  Ochrid,  Siderokastron  (slaw. 
Zeleznec)  bei  Kicevo  u.  a.  Als  in  seinem  Lager  die  Nachricht 
von  dem  Untergang  des  Michael  eintraf,  beschloß  der  Kriegsrat 
den  Zug  nach  Serbien  aufzugeben  und  dafür  die  Wirren  in  Bul- 
garien auszunutzen.  Andronikos  ließ  an  der  Grenze  den  Feld- 
herrn Syrgiannes  zurück  und  eilte  über  Adrianopel  zum  Golf  von 
Burgas,  wo  er  die  bulgarischen  Grenzstädte  rasch  besetzte,  be- 
sonders Mesembria  und  Diampolis  (j.  Jambol).  Die  Serben  hielten 
seinen  eiligen  Abzug,  wie  der  Fortsetzer  Daniels  erzählt,  für  eine 
„Flucht  des  griechischen  Kaisers".  Uros  HL  vertrieb  die  Grie- 
chen aus  einigen  Grenzstädten  und  kehrte  auch  aus  dem  Süden 
siegreich  in  die  Heimat  zurück.  Es  besteht  noch  ein  Andenken 
an  diese  Zeit,  das  während  dieses  Krieges  gebaute  große 
Kloster  von  Deöani  südlich  von  Pec.  König  Stephan  Uros  HL 
heißt  schon  in  älteren   serbischen  Schriften   der   „König  von  De- 


1)  Zar  „Joann  Stepan"  im  bulg.  Pomenik ,  Kodex  des  Drinov,  bei 
Vasil  Zlatarski,  Die  Fi-agc  über  den  Ursprung  des  bulg.  Zaren  Johannes 
Alexander,  russ.  in  „Statji  po  slavjanovedeniju"  2  (Petersburg  1906)  171. 
Bei  Daniels  Fortsetzer  als  Stephan.  Kantakuzenos  nennt  zwei  Söhne 
des  Zaren  Michael,  Johannes  (den  Nachfolger)  und  §isman. 


364  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

cani"  (kralj  Decanski),  ein  Name,  der  beute  noch  in  der  Volks- 
tradition fortlebt. 

Während  der  großen  Erfolge  gegen  Bulgaren  und  Griechen 
gab  es  gegen  die  Bosnier  wieder  nur  Verluste.  Sie  erweiterten 
ihr  Gebiet  von  der  Narenta  bis  zur  Grenze  des  Stadtgebietes  von 
Ragusa  an  der  Bucht  von  Malfi  (slaw.  Zaton).  Ihre  Feldherren 
waren  ein  italienischer  Söldnerführer  Ruggiero  (Ruzir)  und  Milten 
Drazivojevic  ^).  Einflußreich  wurden  im  Süden  Zachlumiens  die 
Nikolici,  zuerst  die  seit  1342  erwähnten  Brüder  Vladislav  und 
Bogisa,  Neffen  des  bosnischen  Bans,  deren  Geschlecht  sich  hier 
bis  zur  türkischen  Eroberung  behauptete ;  nach  Orbini  waren  diese 
Brüder  mütterlicherseits  Söhne  einer  Schwester  des  Bans  Stephan, 
der  Katharina,  väterlicherseits  Nachkommen  des  Comes  Andreas 
und  somit  Verwandte  des  serbischen  Königshauses  -').  Ragusa  lag 
fortan  bis  1378  an  der  bosnisch -serbischen  Grenze;  Zachluraien 
mit  Slano  und  Popovo  war  bosnisch,  Trebinje  und  Canali  serbisch. 
Den  Serben  blieb  nördlich  von  Ragusa  nur  Stagno  mit  seiner 
Halbinsel  und  die  Hoheit  über  die  Insel  Meleda,  auf  die  Dauer 
ein  unhaltbarer  Besitz. 

Den  Schutz  der  nordwestlichen  Grenze  vereitelte  ein  neuer 
Kampf  zwischen  Vater  und  Sohn,  wie  man  ihn  in  Serbien  in  den 
letzten  Generationen  wiederholt  gesehen  hat.  üros  III.  hatte  von 
der  zweiten  Gattin  einen  Sohn  Symeon,  den  er,  obwohl  er  noch 
ein  Kind  war,  gegen  den  durch  die  letzten  Feldzüge  populären 
Mitkönig  Stephan  Dusan  begünstigte.  Der  Fortsetzer  Daniels  be- 
schuldigt den  alten  König,  er  habe  den  Zwist  begonnen,  aus  Haß 
gegen  seinen  Sohn,  den  er  sogar  „mit  einem  grausamen  Tode  be- 
strafen "  wollte.  Auch  Stephan  Dasan  sagt  in  der  Urkunde  für 
das  Kloster  von  Prizren,  die  Dämonen  (besi)  hätten  ihn  nicht  zur 
Nachfolge  zulassen  wollen,  doch  Gott  habe  ihn  „aus  der  tiefsten 
Grube"  gerettet;  ebenso  schreibt  er  in  der  Einleitung  zu  seinem 
Gesetzbuch,  böse  Leute  hätten  seinen  Vater  gegen  ihn  aufgehetzt, 


1)  Rugerius  erscheint  larkundh'ch  1330 — 1340;  seine  Frau,  wohl  eine 
Bosuierin,  hieß  Boljoslava,  sein  Sohn  Radoslav  (f  1369).  Über  Miltens  Familie 
und  Verwandtschaft  vgl.  meine  Abh.  Die  Edelleute  von  Ilum  auf  der  Inschrift 
von  Velicani:  Glasnik  bos.  4  (1892)  279  f.  =  Wiss.  Mitt.  3  (1895)  474  f. 

2)  Div.  Rag.  1342 flP.     Orbini  2G5. 


Stephan  Uros  III.  (1322—1331).  305 

,, damit  mein  Name  und  mein  Leben  ganz  verschwinde".  Von 
den  Ragusanern  verlangte  der  alte  König  (November  1330)  einige 
Kriegsschiffe,  der  junge  König  Rat  und  Hilfe;  beides  Avurde  ab- 
gewiesen und  die  Könige  aufgefordert,  untereinander  Frieden  zu 
machen.  Uros  III.  zog  vor  Skutari,  zerstörte  das  Schloß  des 
Dusan  auf  den  Ufern  des  Drimac,  ging  aber  nicht  über  die  Bo- 
jana  hinüber  (Frühhng  1331).  Es  war  dieselbe  Landschaft,  in 
welcher  einst  Uros  III.  selbst  gegen  seinen  Vater  Krieg  geführt 
hatte.  Nach  vielen  Verhandlungen  folgte  eine  unaufrichtige  Ver- 
söhnung unter  großen  Eidschwüren.  Als  dann  der  junge  König 
(im  Mai)  nach  Trebinje  kam,  wurde  er  nach  Ragusa  eingeladen, 
beschenkt  und  bewirtet.  Bald  brach  der  Streit  von  neuem  aus, 
nach  Daniels  Fortsetzer  wieder  durch  den  maßlosen  Zorn  des 
alten  Königs.  Der  junge  König,  abermals  vor  den  Vater  vor- 
geladen, fürchtete  um  sein  Leben  und  wollte  schon  in  fremde 
Länder  fliehen,  aber  seine  Getreuen  bewogen  ihn  zum  Krieg. 
Nach  Gregoras,  der  die  ganze  Bewegung  als  eine  Adelsrevolution 
schildert,  waren  die  Großen  der  Regierung  des  alten  Königs  über- 
drüssig und  forderten  den  Sohn  heimlich  zum  Aufstand  auf  ^). 
Stephan  Dusan  verließ  plötzlich  Skutari  mit  einem  kleinen  Heere 
und  überraschte  seinen  Vater  im  Schlosse  Nerodimlja.  Uros  III. 
vermochte  kaum  zu  Pferde  zu  steigen  und  auf  die  nahe  Burg 
Petric  zu  fliehen,  wurde  aber  dort  eingeschlossen  und  mußte  sich 
ergeben.  Der  Sohn  ließ  ihn  auf  Rat  seiner  Anhänger  in  die 
feste  Burg  Zvecan  bringen,  wo  er  bewacht  bleiben  sollte,  „bis 
eine  Versöhnung  zwischen  ihnen  zustande  käme  "  (August).  Stephan 
Dusan  wurde  sodann  auf  einem  Reichstag  im  Schlosse  Svrcin  vom 
Erzbischof  Daniel  zum  zweiten  Male  feierlich  gekrönt  (8.  Sep- 
tember 1331)  -)• 

König  Stephan  Uros  III.  ist  schon  zwei  Monate  nach  seiner 
Entthronung  aus  dem  Leben  geschieden  (11.  November  1331). 
Sein  Biograph  in  der  Danielschen  Sammlung  schreibt,  er  sei  nach 


1)  Orbini  259  nennt  als  Getreue  Dusans  den  Gjuras  Ilijic  und  den 
Karavida  (Schwiegervater  des  mächtigen  Oliver,  Spomenik  11,  26),  dem 
Namen  nach  einen  Griechen. 

2)  Mon.  Eag.  5,  301—321.  Daniel  207—214.  Gregoras  IX  cap.  12 
§  4.     Zur  Chronologie:  Ilarion  Ruvarac  im  Rad  19  (1872)  180. 


366  Viertes  Buch.     Zweites  Kapitel. 

kurzer  Zeit  gestorben,  wider  Erwarten,  wie  denn  niemand  dem 
Tode  entrinnen  kann  und  niemand  seine  Todesstunde  weiß, 
und  sei  von  seinem  Sohne  feierlich  im  Kloster  von  Decani  be- 
stattet worden.  Doch  ist  dieser  serbische  Schriftsteller  ein  höfischer 
Lobredner  Dusans,  der  die  Wahrheit  nicht  frei  sagen  wollte  oder 
konnte.  Alle  anderen  Zeugen  sprechen  von  einem  gewaltsamen 
Tod.  Guillaume  Adam  (schrieb  1332)  ist  beiden  Serbenkönigen 
feind.  Der  alte  sei  ein  Bastard,  Tyrann  und  Brudermörder  ge- 
wesen, der  junge  übertreffe  sogar  seine  Vorfahren  durch  „das 
Gift  unerhörter  Bosheit";  er  habe  seinen  Vater  gefangen,  einge- 
kerkert und  in  mehr  als  grausamer  Weise  umgebracht  ^).  Der  gut- 
unterrichtete Nikephoros  Gregoras  stellt  den  jungen  König  ganz 
als  ein  Spielzeug  der  Edelleute  und  Feldherren  dar :  „  Sie  brachten 
ohne  Mühe  auch  den  Vater  gefesselt  vor  den  Sohn.  Dann  setzten 
sie  ihn  in  den  Kerker,  wahrscheinlich  wider  Willen  des  Sohnes 
und  zu  seiner  Betrübnis.  Er  schwieg  gleichwohl  und  vermochte  dem 
Begehren  der  Menge  nicht  zu  widersprechen,  denn  er  fürchtete, 
er  könnte  selbst  etwas  Unvermutetes  erleiden.  Es  vergingen  nicht 
viele  Tage  und  da  erdrosselten  sie  jenen  (den  Vater)  im  Gefäng- 
nis und  bereiteten  ihm  derart  im  Gegensatz  zu  jenen  süßen  Glücks- 
fällen (dem  Sieg  1330)  ein  bitteres  Lebensende,  dem  Sohne  aber 
machten  sie  die  Regierung  fester  und  sicherer."  Ungünstig  für 
Dusan  lauten  die  Erzählungen  der  jüngeren  Generationen  2) ;  um 
1400  heißt  es  im  Rodoslo v  (Genealogie)  und  bei  Camblak,  der 
Gründer  des  Klosters  Decani  habe  von  seinem  Sohne  den  Märtyrer- 
tod erlitten,  worauf  man  ihn  auch  bald  unter  die  Nationalheiligen 
rechnete. 


1)  „Cepit,  vinculavit,  carceri  maucipavit  et  plus  quam  erudeliter  inter- 
fecit";  ,,proditor  et  eaptor  patris  propra  et  occisor".    G.  Adam  p.  438,  446. 

2)  Vgl.  auch  Johann  von  Ravenna,  Notar   von   Kagusa   1384  bis 
1387,  bei  Racki,  Rad  74  (188G)  174. 


Drittes  Kapitel. 

Serbien  unter  Stephan  Dusan  (1551—1355)  als  König, 
seit  1546  als  Kaiser,  die  größte  Macht  der  Halbinsel. 
Eroberung  von  Makedonien,  Albanien,  Thessalien  und 

Epirus  1). 

Die  Glanzperiode  der  mittelalterlichen  serbischen  Geschichte 
ist  die  Regierung  des  Königs,  später  Kaisers  Stephan ;  so  heißt  er 
in  seinen  Urkunden  und  auf  seinen  Münzen,  wähi-end  der  Haus- 
name  Dusan  bloß  in  einigen  nicht  amtlichen  Denkmälern  ei'- 
scheint  -).      Die   Zeitgenossen   schildern   ihn   als   einen   Mann   von 


1)  Die  Urkunden  Stephan  Dusans  bei  Florinskij,  Pamjatniky 
(Denkmäler  der  gesetzgeberischen  Tätigkeit  des  Dusan ,  Zaren  der  Serben 
und  Griechen,  russ.),  Kiew  1888  S.  26 — 168.  Über  die  Beziehungen  zu  Ve- 
nedig und  Ragusa:  Acta  archivi  Veneti,  Bd.  1  =  Glasnik  11  (1859),  Ljubic 
und  Mon.  Rag.  Die  Biographie  von  einem  Fortsetzer  D  a  n  i  e  1  s  umfaßt  nur 
die  ersten  Kegierungsjahre  1331 — 1335.  Johannes  Kantakuzenos  und 
Nikephoros  Gr egoras,  die  einander  gegenseitig  ergänzen.  —  Haupt- 
werk: Timofej  Florinskij,  Die  Südslawen  und  Byzanz  im  zweiten 
Viertel  des  14.  Jahrhunderts,  russ.,  Petersburg  1882,  2  Bde.  Emile  de 
Borchgrave,  L'empereur  Etienne  Douchan  et  la  peainsule  balcanique  au 
XIV.  siecle,  Bruxelles  1884.  Zahlreiche  Monographien  (serbisch)  von  No- 
vakovic.  Vgl.  auch  die  Werke  über  die  gleichzeitige  byz.  Geschichte: 
Parisot,  Cantacuzene,  Paris  1845;  Finlay,  History  of  Greece  3  (Oxford 
1877)  431  f.;  Diehl,  Figures  byzautines  2,  245 — 270  (die  Kaiserin  Anna); 
Dino  Muratore,  Una  principessa  sabauda  sul  trono  di  Bisanzio,  Gio- 
vanna  di  Savoia,  imperatrice  Anna  Paleologina,  Chambery  1906  (Memoires 
de  l'Academie  de  Savoie,  4.  serie,  t.  XI,  1909). 

2)  In  seinen  Urkunden  nur  ,,  Stefan  kralj"  (später  „car"),  ebenso 
griech.  ^Tf(f(ivog,  in  ragusanischen ,  venezianischen,  päpstlichen  Urkunden 
Stephanus  rex,  sp.  imperator.    Der  Name  Dusan  neben  Stephan  bei  Daniel 


\ 


368  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

hoher,  ebeDmäßiger  und  kräftiger  Gestalt,  schönem  Antlitz,  aus- 
gestattet mit  einem  milden,  geduldigen  Temperament  und  mit 
großer  persönlicher  Tapferkeit  ^).  Auf  den  Münzen  ist  er  mit 
einem  Vollbart  abgebildet,  auf  dem  Thron  oder  zu  Pferde  sitzend. 
Geboren  um  1308,  hatte  er  in  seiner  Jugend  viel  mitgemacht. 
Als  Knabe  lebte  er  mit  seinem  geblendeten  Vater  und  mit  seiner 
Mutter  Theodora,  der  Tochter  des  bulgarischen  Zaren  Smilec,  in 
der  Verbannung  in  Konstantinopel.  Ungefähr  13  Jahre  alt  (1321) 
wurde  er  Mitregent  seines  Vaters  und  bewies,  zum  Jüngling  her- 
angewachsen, seine  Tüchtigkeit  in  den  Schlachten  gegen  die  Bosnier 
und  Bulgaren.  Er  war  nach  Nikephoros  Gregoras  erst  22  Jahre 
alt,  als  ihn  eine  Revolution  zum  alleinigen  König  machte.  Es 
fehlte  ihm  nicht  an  Energie,  Umsicht  und  Glück.  Er  verfügte 
über  bedeutende  Geldmittel  und  unterhielt  ein  starkes  Heer.  Den 
Verfall  des  byzantinischen  Reiches  beutete  er  energisch  aus,  setzte 
sich  die  Kaiserkrone  aufs  Haupt  und  entriß  dem  griechischen 
Kaisertum  für  immer  den  ganzen  Westen.  Dabei  besaß  er  die 
Kunst,  Leute  zu  gewinnen  und  sich  behebt  zu  machen.  Sein  Hof 
mit  Serben,  Bulgaren,  Griechen,  Albanesen,  Sachsen  aus  den  Berg- 
städten, deutschen  Rittern,  Finanzbeamten  aus  dem  Stadtadel  von 
Cattaro  und  Ragusa,  sowie  venezianischen  und  floreutinischen  Kauf- 
leuten hatte  einen  internationalen  Charakter.  Neben  den  Feld- 
zügen sorgte  er  um  die  Gesetze  des  Landes,  um  Einführung  einer 
geordneten  Administration  und  Rechtspflege  und  um  die  Sicherheit 
der  Straßen  für  den  Handel.  Kleinhche  Konflikte,  wie  früher  mit 
Ragusa,  gab  es  nicht  mehr.  Es  bheb  ihm  lange  das  Andenken 
eines  weisen  und  mächtigen  Fürsten  -).     In  den  folgenden  trüben 


163  und  in  einigen   Inschriften  und   Epilogen   von   Handschriften  bei  Sto- 
janoviö,  Zapisi.     Einmal  als  Stephan  IV".:  ib.  1  nro.  89  (um  1346). 

1)  Es  gibt  vier  Beschreibungen  seiner  Persönlichkeit:  a)  bei  dem 
Fortsetzer  des  Daniel  215,  380;  b)  im  Epilog  eines  Evangelienkodex  von 
Chilandar  (um  1346)  im  Glasnik  56,  100  und  bei  Stojanovic  a.  a.  0. 
1  nro.  89;  c)  bei  Philippe  de  Mezi^res,  Kanzler  von  Zypern,  abge- 
druckt auch  im  Glasnik  21,  282;  d)  bei  Orbini  260 f.  aus  einer  vielleicht 
aus  Cattaro  stammenden  Quelle,  die  viel  von  der  dortigen  Familie  Buchia 
sprach. 

2)  „Lo  imperator  Stefano,  el  quäl  fo  savio  segnor  et  possente":  In- 
struktion der  ragus.  Gesandten  zum  König  von  Bosnien,  10.  Juni  1403  Lett.  Rag. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  369 

Zeiten  erinnerte  man  sich  in  Serbien  gerne  an  die  „große  Ruhe 
und  Wohlfahrt "  in  den  Tagen  dieses  Herrschers,  welcher  Serbien 
so  sehr  erweitert  und  zu  Ruhm  und  Ehren  gebracht  hatte  und 
welcher  seine  Edelleute  so  freigebig  mit  glänzenden  Gewändern 
und  goldenen  Gürteln  beschenkte  ^).  Doch  bei  allen  Erfolgen  ver- 
mochte er  die  Übermacht  des  Adels  nicht  zu  vermindern.  Anfangs 
war  er  ziemlich  einflußlos  und  mußte  manche  Widerwärtigkeiten 
überwinden,  bis  die  glückhchen  Feldzüge  seine  persönliche  Auto- 
rität hoben.  Die  gewaltige  Ausdehnung  des  Reiches  führte  zu 
einer  größeren  Selbständigkeit  der  Statthalter,  und  als  nach  Dusans 
Tod  ein  talentloser  Jüngling  sein  Nachfolger  wurde,  verwandelte 
sich  das  große  Reich  sehr  bald  in  eine  Oligarchie  ohne  inneren 
Halt.  Bald  kamen  Zeiten,  wo  man  in  Serbien,  wie  aus  einer  Ur- 
kunde des  Despoten  Ugljesa  und  aus  der  Fortsetzung  der  Bio- 
graphien Daniels  zu  sehen  ist,  dem  verstorbenen  Zaren  Stephan 
bittere  Vorwürfe  machte,  er  habe  die  von  den  Vorvätern  geerbte 
Königswürde  verlassen  und  das  Kaisertum  angestrebt,  ebenso  das 
von  dem  heiligen  Sava  gestiftete  Erzbistum  eigenmächtig  zum 
Patriarchat  erhoben  -). 

Die  rasche  Erwerbung  von  Makedonien,  Albanien,  Epirus 
und  Thessalien  durch  die  Serben  ist  eine  bewunderungswürdige 
Tatsache.  Man  darf  aber  nicht  vergessen,  daß  die  Besetzung  dieser 
Länder  während  des  damaligen  langen  Bürgerkrieges  im  byzan- 
tinischen Reiche  leicht  war  und  daß  sie  durchgeführt  wurde,  ohne 
eine  einzige  große  Feldschlacht  zu  schlagen,  nur  durch  Blockaden 
der  Burgen  und  Städte.  Bei  dem  Parteihader  in  den  Provinzen 
gab  es  überall  eine  Partei  für  den  Serbenköni^,  aber  wir  wissen 
von  Kantakuzenos,  daß  man  auch  unter  der  serbischen  Herrschaft 
überall  geheime  Anhänger  der  Byzantiner  antraf.  Alle  Aufmerk- 
samkeit war  gegen  Süden  gerichtet.  Der  Norden  wurde  vernach- 
lässigt. Gegen  König  Ludwig  I.  von  Ungarn  konnte  man  die 
Grenze  nicht  immer  behaupten,  und  die  gelegentlichen  Versuche, 
die  Bosnier  aus  Zachlumien  wieder  zu  verdrängen,  sind  mißlungen. 


1)  Der  ältere  Rodoslov:  Glasnik  53,  S.  11. 

2)  Daniel  380f.    Konstantin  PhU.:  Glasnik  42,  257. 
Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  24 


370  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Die  politische  Lage  war  beherrscht  von  zwei  Ereignissen,  von  dem 
Niedergang  von  Bjzanz  nach  dem  letzten  kurzen  Aufschwung 
unter  Andronikos  III.  und  von  dem  Wettstreit  zwischen  Venedig 
und  Ungarn  um  den  Besitz  der  dalmatinischen  Küste,  als  Lud- 
wig I.  auch  König  von  Neapel  wurde  und  daranging,  eine  Groß- 
macht auf  beiden  Seiten  des  Adriatischen  Meeres  zu  gründen.  Mit 
Venedig  blieb  Stephan  stets  in  bester  Freundschaft,  als  natürlicher 
Bundesgenosse  der  Lagunenrepublik  gegen  die  Anjous.  Mit  den 
Bulgaren  war  er  in  guten  Beziehungen,  auch  infolge  von  verwandt- 
schaftlichen Verbindungen.  Daß  die  Ausbeutung  des  Verfalles  von 
Byzanz  durch  einen  östlichen  Nachbarn  der  Griechen,  durch  die 
kleinasiatischen  Türken,  eine  große  Gefahr  für  die  Zukunft  mit 
sich  bringe,  sah  Stephan  klar  voraus.  Er  betonte  dies  in  seinen 
Verhandlungen  mit  dem  Papst  in  Avignon,  in  einer  Zeit,  als  man 
im  Abendlande  für  diese  fernen  Verhältnisse  wenig  Verständnis 
hatte.  Es  ist  merkwürdig,  wie  die  römische  Kurie  den  damaligen 
Bruch  zwischen  der  griechischen  und  serbischen  Kirche  nicht  für 
sich  auszunutzen  verstand. 

Die  letzte  Umwälzung  in  Serbien  hatte  einen  Widerhall  in 
Bulgarien  gefunden.  Die  Boljaren  vertrieben  die  Zariza  Anna  mit 
ihren  Söhnen  und  erhoben  auf  den  Thron  einen  Neffen  des  Zaren 
Michael,  den  Johannes  Alexander,  Sohn  des  Despoten  Sracimir 
und  einer  Schwester  Michaels  ^).  Der  neue  Herrscher  hat  gleich 
anfangs  den  Kaiser  Andronikos  III.  bei  Rosokastron  besiegt  und 
in  seinen  guten  Jahren  die  Südgrenze  seines  Reiches  bedeutend 
erweitert,  war  ein  Gönner  der  Literatur,  wie  an  den  für  ihn  ge- 
machten Übersetzungen  griechischer  Werke  und  den  noch  erhal- 
tenen, prachtvoll  ausgestatteten  Handschriften  zu  sehen  ist,  besaß 
aber  kein  hervorragendes  politisches  oder  militärisches  Talent.  Er 
hatte  nur  das  zweifelhafte  Glück,  alle  Nachbarn  zu  überleben,  bis 
in  die  bitteren  Zeiten  der  Türkennot,  deren  baldigen  Anbruch 
damals  die  wenigsten  ahnten.  Mit  Stephan  Dusan  schloß  er  feste 
Freundschaft  und  vermählte  ihn  (Ostern  1332)  mit  seiner  Schwester 
Helena  -).     Anna,   Dusans   Tante,   begab    sich   nach  Ragusa   und 


1)  Vgl.  Zlatarski  a.  a.  0. 

2)  Am  7.  März  1332  wurde  in  Ragusa  eine  Gesandtschaft  gewählt  zur 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  371 

verlebte  in  diesem  Asyl  vertriebener  Fürsten  viele  Jahre  (1337 
bis  1346),  befreundet  mit  den  Anjous  von  Neapel  ^).  Ihr  jüngerer 
Sohn  Sisman  weilte  einmal  bei  den  Tataren,  später  in  Konstantinopel, 
wo  man  ihn  als  Prätendenten  auf  den  bulgarischen  Thron  freund- 
lich aufnahm;  er  soll  nach  Luccari  in  Ragusa  gestorben  sein,  be- 
graben in  der  Benediktinerabtei  von  Lacroma.  Der  ältere  Sohn, 
der  Zar  Johannes  Stephan,  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  iden- 
tisch mit  dem  „Imperator  Bulgarie"  Ludwig,  welcher  1338  den 
König  Robert  von  Neapel  besuchte  und  seit  1361  in  Apulien  er- 
wähnt wird.  Er  beteiligte  sich  im  Heere  des  Grafen  Nikolaus 
von  Urbino  an  den  Kämpfen,  welche  die  Päpste  zur  Wiederher- 
stellung des  Kirchenstaates  führten,  wurde  dabei  in  der  Schlacht 
von  Guardavalle  (1363)  von  den  Bürgern  von  Siena  gefangen 
und  starb  (1373)  in  Neapel  ^). 

Stephan  Dusan  hatte  gleich  anfangs  (April  1332)  mit  einem 
Aufstand  der  Adligen  der  Zeta  zu  tun,  geführt  vom  Vojvoden 
Bogoje  und  dem  Albanesen  Demetrius  Suma.  Vielleicht  glaubten 
sie  für  ihre  Verdienste  im  Kampfe  gegen  Uros  III.  nicht  genügend 
belohnt  zu  sein.  Diese  Bewegung  mag  den  Erzbischof  Guillaurae 
Adam  von  Antivari,  einen  fanatischen  Feind  aller  Schismatiker, 
bewogen  haben,  in  seinem  1332  dem  König  Philipp  VI.  von  Frank- 
reich gewidmeten  Plan  eines  neuen  Kreuzzugs  eine  Aufforderung 
zur  Eroberung  des  „regnum  Rassie"  einzuschalten.  Ein  franzö- 
sischer Fürst  könnte  dieses  Reich  mit  1000  Reitern  und  5 — 6000 
Fußgängern  leicht  erobern,  mit  Hilfe  der  bedrückten  Lateiner  der 


Hochzeit  Stephans  mit  der  „soror  Alexandri,  imperatoris  Bulgarie":  Mon. 
Eag.  5.  341,  343.  Helena  als  Alexanders  Schwester  auch  bei  Kantakuzenos 
III  cap.  56.  Merkwürdig  ist  die  Feindschaft  der  Quelle  des  Orbini  261, 
265,  270,  355  gegen  Helena,  angeblich  eine  Feindin  der  Katholiken,  „  donna 
perversa",  „veramente  disposta  a  fare  ogni  male". 

1)  „Domina  Anna,  imperatrix  Bulgarorum"  und  ihre  Söhne,  Urk.  aus 
Neapel  1337—1343:  Rad  18  (1872),  229. 

2)  Kantakuzenos  III  cap.  2.  Imperator  Ludovicus:  Rad  1.  c, 
Mon.  Rag.  3,  133,  156  f.,  Annales  Senenses  in  den  Mon.  Germ.  SS.  19,  283; 
Todesjahr  bei  Du  Cange.  Bei  Luccari  die  romanhafte  Geschichte  eines 
Ragusaners  Nie.  Sapina,  der  sich  für  den  verstorbenen  Sisman  ausgab  und 
als  Prätendent  in  Bulgarien  herumtrieb. 

24* 


073  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Küstenstädte  und   der   katholischen  Albanesen,   die   allein    15  000 
Reiter  aufstellen  können  i). 

Die  Ragusaner  bemühten  sich,  einen  Frieden  zwischen  Serbien 
und  Bosnien  herbeizuführen,  und  boten  durch  ihre  zur  Hochzeit 
des  Königs  entsendete  Gesandtschaft  eine  Vermittlung  an.  Es 
scheint,  daß  sie  kaum  einen  Waffenstillstand  zuwege  brachten, 
aber  dafür  erreichten  sie  ein  Ziel,  das  die  Politiker  der  kleinen 
Seestadt  seit  dem  Aufstand  der  Branivojevi(5i  nicht  aus  den  Augen 
gelassen  hatten:  die  Erwerbung  der  Halbinsel  von  Stagno  für 
Ragusa.  Verholfen  haben  ihnen  dazu  besonders  der  Finanzminister 
des  Königs,  Nikolaus  Buchia,  ein  Patrizier  von  Cattaro,  und  der 
kroatische  Graf  Gregor  Kurjakovic,  der  sich  eben  am  serbischen 
Hofe  befand.  Dagegen  waren  ihre  Bemühungen  um  das  Küsten- 
land zwischen  Stagno  und  Malfi  vergeblich,  das  Primorje  von  Slano. 
Sie  erklärten  sich  bereit,  beiden  Rivalen  einen  Tribut  zu  zahlen, 
dem  Serbenkönig  als  wirklichem  Besitzer  von  Stagno  überdies  8000 
Perper  in  Bargeld.  König  Stephan  trat  ihnen  durch  eine  in  der 
Landschaft  Polog  am  oberen  Vardar  am  22.  Jänner  1333  datierte 
Urkunde  Stagno  samt  der  Halbinsel  ab,  außerdem  auch  Gebiete, 
die  schon  bosnisch  waren,  nämlich  die  Insel  Posrednica  (wo  jetzt 
das  Fort  Opus  steht)  im  Delta  der  Narenta  und  das  erwähnte 
Küstengebiet  von  Stagno  bis  Ragusa  2).  Der  Ban  von  Bosnien 
bestätigte  ihnen  unter  der  Burg  Srebrnik  am  15.  März  1333  nur 
Stagno  mit  der  Halbinsel;  die  übrigen  Gebiete  wollten  die  Bosnier 
nicht  herausgeben.  Das  Primorje  von  Slano  und  damit  die  Ver- 
bindung mit  Stagno  auf  dem  Landweg  erlangten  die  Ragusaner 
erst  1399,  denn  auch  König  Ludwig  L  von  Ungarn  hat  es  ihnen 
(1358)  vergeblich  zugesprochen.  Die  Narentamündung  ist  nie  in 
den  Besitz  der  Ragusaner  gelangt.  Die  Halbinsel  von  Stagno 
(S.  118),  ein  enges  und  langes,  nur  stellenweise  fruchtbares  Ge- 
biet (355  Quadratkilometer)  mit  hohen  Bergen,  wurde  sofort  den 


1)  Mon.  Eag.  5,  346,  848.  Ljubic  1,  410,  424.  G.  Adam  ed.  cit 
477—485. 

2)  Urk.  in  zweifacher  Avisstellung,  lateinisch  bei  Ljubic  1,  398  in 
einem  schlechten  Regest  mit  Weglassung  der  Zeugen,  serbisch  in  den  Mon. 
serb.  103 — 105,  neu  bestätigt  in  Dobrusta  bei  Prizren  im  Mai  1334  ib. 
107—109.     Urk.  des  Ban  Stephan  ib.  105-107. 


Stephan  Dusan  (1331-1355).  373 

Ragusanern  übergeben.  An  die  Stelle  des  serbischen  Zupans  kam 
ein  ragusanischer  Comes.  Das  alte  Schloß  Stagno  wurde  von  den 
neuen  Landesherren  aufgegeben  und  unmittelbar  am  südlichen  Ein- 
gang in  den  Einschnitt  der  Prevlaka  ein  neues  Stagno  gegründet, 
ein  Dreieck  mit  hohen  Mauern,  Türmen  und  regelmäßigen  Straßen, 
besiedelt  durch  150  ragusanische  Familien.  Am  Nordende  der 
Schlucht  am  „anderen  Meere''  entstand  das  gleichfalls  befestigte 
Klein-Stagno.  Zwischen  beiden  Städteanlageu  erbauten  die  Ragu- 
saner  auf  den  Felsen  über  der  Westseite  der  Schlucht  der  Prevlaka 
mit  gewaltigem  Aufwand  eine  Art  „chinesischer  Mauer"  mit  Türmen 
und  der  an  der  höchsten  Stelle  gelegenen  kleinen  Burg  Pozvizd, 
um  die  Halbinsel  gegen  das  Festland  ganz  abzusperren. 

Die  Beziehungen  der  Serben  zu  den  Byzantinern  blieben  auch 
nach  dem  Sturz  Uros'  III.  gespannt,  ohne  Verträge.  Andronikos  III., 
ein  rastlos  tätiger  Herrscher,  zog  in  Begleitung  seines  Reichsfeld- 
herrn Kantakuzenos  jahraus  jahrein  ins  Feld,  erneuerte  die  Flotte 
und  begann  energisch  die  Restauration  der  byzantinischen  Herr- 
schaft im  alten  Hellas.  In  Kleinasien  verlor  er  zu  gleicher  Zeit 
allerdings  die  letzten  großen  Städte  Bithyniens  an  die  osmanischen 
Türken,  Nikaia  und  Nikomedia.  Befreundet  mit  Venedig,  vertrieb 
er  die  Genuesen  aus  Chios  und  Lesbos  und  zwang  sie  auch  in 
Galata  vor  Konstantinopel  durch  eine  kurze  Belagerung  zum  Frieden. 
Gegen  Serbien  waren  seine  Grenzfestungen  Serrai,  Melnik,  Stru- 
mica,  Prilep,  Ochrid,  Kroja,  Berat  und  Valona;  sie  deckten  ein 
Gebiet,  dessen  Bewohner,  sowohl  die  Archonten  in  den  Städten 
und  auf  den  Landgütern,  als  die  Albanesen,  Slawen  und  Wlachen 
des  Gebirges  sehr  wankelmütig  und  oft  unberechenbar  waren.  Die 
serbische  Grenze  begann  an  der  Adria  südlich  von  Alessio,  um- 
faßte die  Landschaften  Pilot,  Debra  und  Polog,  die  Städte  Kicava, 
Veles,  Prosek,  Stip  und  schloß  südlich  von  Velbuzd  (Küstendil). 
Eines  Tages  (1334)  erschien  am  serbischen  Hofe  ein  vornehmer 
byzantinischer  Flüchtling.  Es  war  Syrgiannes,  Sohn  eines  kuma- 
nischen  Fürsten  Sytzigan  und  einer  edlen  Griechin,  ein  begabter, 
aber  launenhafter  Feldherr,  früher  während  der  Kämpfe  des 
lungeren  Andronikos  gegen  seinen  Großvater  eine  wichtige  Persön- 
lichkeit. Als  Statthalter  im  Westen  hatte  er  sich  bei  Griechen 
und   Albanesen    sehr   beliebt   gemacht.      Einer   Verschwörung   be- 


374  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel, 

schuldigt  entfloh  er  aus  Konstantinopel  heimlich  nach  Negroponte 
und  von  dort  nach  Serbien  i).  Leicht  bewog  er  den  jungen  König 
zu  einem  Angriff  auf  das  byzantinische  Reich.  Durch  geheime 
Briefe  agitierte  er  bis  nach  Konstautinopel ,  wo  eine  Panik  aus- 
brach und  die  Mauern  schleunigst  ausgebessert  wurden.  Die  Serben 
besetzten  Ochrid,  Strumica  und  andere  Städte.  Syrgiannes  rückte 
mit  einem  Heere  von  Serben  und  Albanesen  in  Kastoria  ein.  Im 
Hochsommer  lagerte  der  Serbenkönig  mit  dem  abtrünnigen  kaiser- 
lichen Feldherrn  vor  Thessalonich.  Eine  Partei  unter  den  Bürgern 
war  schon  bereit,  die  Tore  zu  öffnen.  Andronikos  eilte  persönlich 
hin,  um  die  Hauptstadt  des  byzantinischen  Westens  zu  verteidigen. 
Da  fand  Syrgiannes  ein  unerwartetes  Ende.  Der  Statthalter  von 
Chlerin  (jetzt  Lerin,  türk,  Florina)  Sphrantzes  Palaiologos  hatte 
sich  dem  Feind  mit  Wissen  des  Kaisers  angeschlossen.  Bei  einem 
Rekognoszierungsritt  an  den  Ufern  des  Flusses  Galiko  hieb  er  den 
Rebellen  nieder  und  sprengte  sofort  zu  den  Toren  von  Thessalonich. 
Syrgiannes  wurde  sterbend  in  das  serbische  Lager  gebracht  und 
von  Stephan  Dusan  als  Freund  beweint  und  feierlich  bestattet  -). 
Nach  dem  Tode  des  Urhebers  war  eine  Fortsetzung  des  Krieges 
nicht  möglich.  Die  Anhänger  des  abgefallenen  Feldherrn  gingen 
zum  Kaiser  über,  wobei  es  den  Serben  mitunter  schlecht  ging  ^). 
Nach  wenigen  Tagen  folgte  in  der  Nähe  der  Stelle,  wo  Syrgiannes 
gefallen  war,  eine  Zusammenkunft  zwischen  Andronikos  HL  und 
dem  ungefähr  um  12  Jahre  jüngeren  Stephan  Dusan,  bei  welcher 
nach  Gastmählern  ein  Friede  und,  wie  es  scheint,  auch  ein  Bünd- 
nis geschlossen  wurde  (26.  August  1334).  Die  Freundschaft  der 
Serben  war  Andronikos  erwünscht  zur  Durchführung  seiner  Pläne 
in  Nordgriechenland.    Dem  Serbenkönig  blieben  von  den  besetzten 


1)  Kantakuzenos  II  cap.  24-25.  Gregoras  X  cap.  7.  Vgl. 
Daniel  222f. 

2)  Sphrantzes,  zur  Belohnung  zum  uf'yag  aTQcnon^äciQxrjg  befördert, 
starb  bei  der  Belagerung  von  Arta. 

3)  Wegen  eines  großen  Mißgeschickes  damals  in  Kastoria  übte  Stephan 
Dusan  nach  vielen  Jahren  Rache.  Nach  der  Erstürmung  von  Voden  (1851) 
ließ  er  dem  verwundeten  Feldherrn  Georgios  Lyzikos  den  Bart  ausx'aufen, 
"worauf  der  gefangene  Byzantiner  auf  dem  Transport  nach  Skopje  starb. 
Kantakuzenos  IV  cap.  22. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  375 

Städten  wahrscheinlich  nur  Strumica  und  Prilep,  in  dessen  Um- 
gebung er  die  Besitzungen  des  Muttergottesklosters  von  Treskavec 
durch  einige  Urkunden  bestätigte  ^).  Aber  trotz  der  neuen  Freund- 
schaft ließ  der  Kaiser  die  Grenze  gegen  die  Serben  sorgfältig  be- 
festigen. Einen  Ersatz  für  das  verlorene  Prosek  bot  in  der  Ebene 
von  Thessalonich  das  neu  gegründete  üynaikokastron  mit  einem 
gewaltigen  Turm,  angebhch  so  fest,  daß  es  auch  eine  weibliche 
Besatzung  behaupten  könnte,  noch  jetzt  die  „Frauenburg"  genannt, 
slaw.  Zensko,  türk.  Awrethissar  -). 

Die  Abwesenheit  des  Serbenkönigs  im  Süden  benutzte  der 
ungarische  König  Karl  Robert  (1335)  zu  einem  Zug  über  die 
Donau  in  das  einstige  Gebiet  des  Stephan  Dragutin.  Stephan 
Dusan  eilte  in  das  Kloster  Zica,  nach  den  Berichten  des  Kanta- 
kuzecos  unterstützt  durch  Truppen  des  Kaisers  Andronikos  III. 
Karl  zog  sich  eilends  über  die  Save  zurück,  angeblich  wegen  der 
byzantinischen  Hilfstruppen,  welche  deshalb  vom  Serbenkönig  reich 
beschenkt  wurden.  Aber  der  Grenzkrieg  hörte  gar  nicht  auf  ^). 
An  diesen  Kämpfen  beteihgte  sich  auf  ungarischer  Seite  auch  der 
Ban  von  Bosnien,  jedoch  gingen  einmal  seine  Grenzfeldherren  Rug- 
giero  und  Muten  zur  Gegenpartei  über  und  blieben  eine  Zeitlang 
bei  den  Serben  ^j.  Der  Serbenkönig  war  damals  mit  wichtigen 
häuslichen  Angelegenheiten  beschäftigt.  Am  12.  April  1336  reisten 
über  Ragusa  nach  Serbien  Gesandte  des  österreichischen  Herzogs 
Otto,  begleitet  von  dem  deutschen  Ritter  Palmann,  einem  Söldner- 
führer in  serbischen  Diensten.  Die  Ragusaner  sendeten  eben  eine 
Gesandtschaft  zu  König  Stephan  und  nahmen  die  österreichischen 
Gesandten  gerne  auf  ihrer  Galeere  in  das  Küstengebiet  von  Cattaro 
mit.  Aus  einer  Nachricht  in  der  Chronik  des  Abtes  Johann  von 
Viktring  in  Kärnten  sieht  man,   daß   es   sich  um  eine  Heirat  des 


1)  Über  Prilep  und  Treskavec  nach  den  Urkunden  (1335f.)  Nova- 
kovic  im  Glas  80  (1909)  S.  5 f. 

2)  Plan:  Izvestija  arch.  inst.  4,  1  (1899)  31. 

3)  Daniel  227 f.  Kantakuzeno  s  II  cap.  25.  Über  die  Beziehungen 
zwischen  Serbien  und  Ungarn  1331 — 1355  eine  Abb.  von  Peter  Markovic 
im  Letopis,  Heft  221  f.  (1903). 

4)  „Eugerius  et  Miltenus,  homines  nunc  domini  regis"  Juli  1336  Div. 
Eag.     Vgl.  Pucic  2,  S.  15  nro.  16. 


376  Viertes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

Königs  von  Serbien  mit  einer  Nichte  Ottos,  mit  Elisabeth  (geb. 
1317),  einer  Tochter  des  verstorbenen  deutschen  Königs  Friedrich 
des  Schönen  und  der  EHsabeth  von  Aragonien  handelte,  deren 
Vermählung  mit  König  Johann  von  Böhmen  kurz  zuvor  durch 
den  Widerspruch  des  Papstes  verhindert  worden  war.  Die  fromme 
junge  Prinzessin  war  ganz  entsetzt  über  den  Plan,  sie  mit  einem 
schismatischen  König  zu  verheiraten,  und  verfiel  in  eine  schwere 
Krankheit,  in  weicher  sie  der  Tod  ereilte  (23.  Oktober  1336), 
worauf  sie  in  der  Abtei  Mauerbach  bei  Wien  begraben  wurde  i). 
Diese  Heiratsverhandkmgen  setzen  einen  Bruch  zwischen  Stephan 
und  Helena  voraus,  ohne  Zweifel  aus  dem  Grunde,  weil  die  Ehe 
nach  fünf  Jahren  noch  immer  keinen  Thronerben  gebracht  hatte. 
Helena  gebar  jedoch  bald  darauf  ihrem  Gatten  einen  Sohn  Uros 
(1337),  was  den  Ehebund  wieder  befestigte  -). 

Zu  dieser  Zeit  erwarb  Kaiser  Andronikos  III.  Thessalien, 
nachdem  der  letzte  Fürst  des  Landes,  der  Sevastokrator  Stephan 
Gabrielopulos,  wohl  der  Nachkomme  einer  Bastardhnie  der  Angeli, 
gestorben  war.  Eben  änderte  sich  die  Besiedelung  dieses  durch 
die  zahlreichen  Kriege  sehr  entvölkerten  Landes  durch  das  Vor- 
dringen der  Wlachen  aus  den  Bergen  in  die  Ebene  und  durch 
den  Beginn  der  großen  albanesischen  Wanderung  nach  Süden  ^). 
Der  Kaiser  besetzte  (1336)  das  ganze  Gebiet  bis  zur  Grenze  der 
Katalonier  im  Herzogtum  Athen  ^).  Auf  der  Rückkehr  hatte  er 
sieben  Tage  lang  eine  neue  Zusammenkunft  mit  Stephan  Dusan 
in  Radovist  bei  Strumica;  Kantakuzenos  gewann  dort  die  Freund- 


1)  Protokolle  der  Eatskollegien  von  Ragusa  (erhalten  nur  in  den  Ex- 
zerpten des  Mattel  aus  dem  18.  Jahrh.)  133G:  Mon.  Rag.  2,  365  (amba- 
xatores  magnifici  domini  ducis  Austrie ,  voran  filius  clarissimi  comitis  Ma- 
nardi).  Pez,  Scr.  rer.  aust.  1,  948.  Zeißberg,  Elisabeth  von  Aragon: 
S.B.  W.  Akad.  Bd.  137  (1897)  S.  119f. 

2)  Uros  war  geboren  im  Jahre  6845  =  1.  Sept.  1336  —  31.  Aug.  1337. 
Serb.  Annaleu  ed.  Stojanovic  im  Glasnik  53,  64;  Spomeuik  3,  131,  149. 

3)  Urk.  1295  Acta  graeca  5,  260;  Brief  des  Sanudo  1325  bei  Tafel 
und  Thomas  1,  500.  Die  von  Kantakuzenos  genannten  Stämme  der 
„Albaner",  die  Malakasier ,  Mesariten  und  Bujer,  waren  aber  Rumänen. 
Über  die  heutigen  Malakasi  und  Boji:  Weigand,  Aromunen  1,  276,  285. 

4)  Zur  Chronologie  die  Urk.  des  Kaisers  an  das  Bistum  von  Stagoi, 
März  1336:  Acta  graeca  5,  270  f. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  377 

Schaft  des  Serbenkönigs  und  seiner  Feldherren,  welche  ihm  nach 
wenigen  Jahren  so  wertvoll  wurde.  Wahrscheinlich  suchte  sich 
Andronikos  die  Zustimmung  der  Serben  für  den  vorbereiteten 
epirotischen  Feldzug  zu  sichern.  Vielleicht  kamen  auch  die  Ver- 
hältnisse im  Gebiet  der  Anjous  zur  Sprache,  wo  die  Albanesen 
zwischen  Franken,  Serben  und  Griechen  je  nach  der  augenblick- 
lichen Lage  hin  und  her  schwankten.  In  Durazzo  vertrat  ein 
Kapitän  die  Landesherren,  die  nie  nach  Albanien  kamen,  den  Herzog 
Johann  von  Gravina,  Bruder  des  lateinischen  Titularkaisers  Philipp 
von  Tarent,  und  Johanns  Sohn  Karl  von  Durazzo.  Die  Bürger 
der  Stadt  standen  schlecht  mit  den  Serben,  die  einen  großen  Teil 
des  Herzogtums  von  Durazzo  im  Besitz  hatten  i).  Als  einige 
albanesische  Edelleute  dem  König  Robert  von  Neapel  versprachen, 
vom  Serbenkönig  abzufallen,  wenn  ein  königliches  Heer  in  Alba- 
nien erscheinen  würde,  sendete  er  (1337)  den  jungen  Ludwig  von 
Tarent  nach  Durazzo,  doch  von  seinen  Erfolgen  wissen  wir  nur, 
daß  er  die  Rechte  der  Edelleute,  besonders  der  Musachi  an  der 
Küste  zwischen  Durazzo  und  Valona  bestätigte  -).  Mit  diesen  Be- 
mühungen der  Anjous  stand  wohl  im  Zusammenhang  eine  Be- 
wegung auf  dem  benachbarten  byzantinischen  Gebiet  bei  Berat 
und  Valona.  Die  albanesischen  Berghirteu  verwüsteten  die  Um- 
gebung der  griechischen  Städte  und  Burgen.  Bald  änderte  sich 
aber  die  Situation  vollständig.  Der  Kapitän  von  Durazzo, 
Guglielmo  de  Sanseverino,  wurde  noch  im  selben  Jahre  (1337)  von 
einem  Nachbarn,  dem  Com  es  Tanusius  Topia,  dem  Herrn  des 
Gebietes  zwischen  den  Flüssen  Mat  und  Skumbi,  gefangen  und 
erst  nach  längerer  Zeit  freigelassen.  Kaiser  Andronikos  HL  hatte 
nämlich  indessen  einen  Feldzug  in  seine  westlichsten  Grenzpro- 
vinzen bis  in  die  Nähe  von  Durazzo  unternommen,  die  Albanesen 
der  Gebirge  empfindlich  gezüchtigt  und  ihnen  zur  Strafe  ihre 
Herden  weggenommen,  die  größtenteils  den  Städten  als  Schaden- 
ersatz  zugewiesen  wurden.     Die  Griechen   begrüßten   überall   den 


1)  Vertrag  von  Durazzo  mit  Ragusa  vom  März  1335:  Mon.  Rag. 
5,  384  f. 

2)  Die  einzige  Erwähnung  des  Stephan  Dusan  in  neap.  Urkunden,  nach 
Makusev,  russ. ,  Die  ital.  Archive  2,  34  und  Slawen  in  Albanien  40 f. 
Vgl.  Hopf  a.  a.  0.  442. 


378  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Kaiser  mit  Jubel ;  die  trotzigen  Albanesen  sannen  grollend  auf 
Rache. 

Da  erschien  im  kaiserlichen  Lager  in  Berat  eine  Gesandt- 
schaft, welche  die  Unterwerfung  von  Epirus  anbot.  Nicht  lange 
vorher  war  (1335)  der  Despot  Johannes  aus  der  gräzisierten  Linie 
der  Orsini,  der  Pfalzgrafen  von  KephaUenia,  aus  dem  Leben  ge- 
schieden, in  gewaltsamer  Weise,  wie  alle  Männer  seines  Geschlechtes, 
angeblich  vergiftet  auf  Anstiften  seiner  Gattin  Anna  Palaiologina, 
der  Tochter  eines  byzantinischen  Statthalters  von  Berat,  welche 
dann  das  Land  für  ihren  unmündigen  Sohn  Nikephoros  verwaltete. 
Unter  den  Epiroten  bildeten  sich  zwei  Parteien;  die  Anhänger 
eines  Anschlusses  an  das  Konstantinopler  Kaisertum  waren  stärker 
als  die  Verfechter  eines  frSien  Epirus.  Die  Despina  mußte  ab- 
danken und  das  Despotat  wurde  nach  einer  Sonderexistenz  von 
ungefähr  133  Jahren  ohne  Schwertstreich  mit  dem  byzantinischen 
Reich  wieder  vereinigt  ^).  Nach  dem  Abzug  des  Kaisers  begann 
aber  die  epirotische  Partei  einen  Aufstand,  unterstützt  von  den 
Franken  Griechenlands,  besonders  der  lateinischen  Kaiserin  Katha- 
rina II.,  der  zweiten  Frau  des  Philipp  von  Tarent,  nachdem  sich 
der  kleine  Thronerbe  Nikephoros  zu  ihr  geflüchtet  hatte.  Die 
Epiroten  eroberten  wieder  die  Hauptstadt  Arta  und  der  Kaiser 
mußte  (1340)  zum  zweitenmal  in  dieses  Land  ziehen.  Arta  fiel 
erst  nach  einer  langen  Belagerung,  während  welcher  Fieber  und 
Dysenterie  im  kaiserlichen  Lager  wüteten.  Der  epirotische  Prinz 
Nikephoros  wurde  Schwiegersohn  des  Kantakuzenos.  Der  Kaiser 
brachte  den  Winter  krank  in  Thessalonich  zu  und  kehrte  schwer 
leidend  erst  im  Frühjahr  (1341)  als  Sieger  in  die  Hauptstadt 
zurück. 

Nicht  viel  besser  als  dem  kranken  Andronikos  ging  es  in 
derselben  Zeit  dem  Stephan  Dusan,  der  von  den  Ärzten  fast  auf- 
gegeben war.  Nach  seiner  Genesung  suchte  er  voll  Besorgnis  vor 
inneren  und  äußeren  Feinden  Anschluß  an  Venedig.  Durch  eine 
Gesandtschaft  versprach  er  (Juni  1340)  für  den  Kriegsfall  auch 
Hilfstruppen,    500  Reiter   gegen  Rebellen   oder  Nachbarn  der  Re- 


1)  Ausführlich  bei  Kantakuzenos,  sehr  kurz  bei  G-regoras.    Die 
Chronologie  bei  dem  Mangel  an  Urkunden  unsicher,  1337  oder  1838. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  379 

publik,  selbst  nach  Oberitalien  (ad  partes  Lombardie);  er  erklärte 
sich  sogar  bereit,  persönlich  mit  einem  Heere  Venedig  zu  Hilfe 
zu  kommen.  Dafür  erwartete  er  als  Freund  und  Nachbar  seiner- 
seits Unterstützung  von  den  Venezianern.  Für  den  Notfall  sicherte 
er  für  sich,  seine  Kinder  und  seine  Habe  eine  Zuflucht  auf  vene- 
zianischem Gebiet.  Die  Botschaft  fand  bei  dem  Dogen  Bartolomeo 
Gradonigo,  der  in  seinen  jungen  Jahren  dreimal  Comes  von  Ragusa 
gewesen  war  (zuletzt  1320 — 1322),  und  seinen  Ratsherren  die 
beste  Aufnahme.  „Serenissimus  dominus  Stefanus,  dei  gratia  rex 
Servie"  wurde  mit  Kindern  und  Erben  durch  eine  Bulle  des 
Dogen  mit  hängendem  Goldsiegel  zum  Bürger  von  Venedig  er- 
nannt ^). 

Während  der  schweren  Krankheit  des  Serbenkönigs  und  der 
großen  Erfolge  des  byzantinischen  Kaisers  in  Albanien  und  Epirus 
fiel  einer  der  einflußreichsten  serbischen  Feldherren  an  der  Süd- 
grenze zu  den  Griechen  ab,  aus  Beweggründen,  die  uns  nicht  be- 
kannt sind :  Hrelja  (X^06'Aijg),  der  schon  drei  Königen  gedient  hatte. 
Er  führte  den  byzantinischen  Hoftitel  eines  Protosebastos,  den  ihm 
wahrscheinlich  Andronikos  H.  verliehen  hatte,  als  er  dessen  Partei 
gegen  den  Enkel  im  Auftrag  Uros'  IH.  unterstützte.  Als  frommer 
Mann  hatte  er  manche  Stiftung  errichtet.  In  Stip  gründete  er  eine 
Erzengelkirche,  mit  Ländereien  reich  ausgestattet  und  bestätigt 
von  Stephan  Dusan  (1332).  Er  erbaute  auch  den  Turm  des 
Klosters  von  Rila  in  Bulgarien  (1335),  auf  dessen  grauem  Ge- 
mäuer gegenwärtig  noch  eine  Inschrift  den  Namen  des  Hrelja 
meldet  Nun  schloß  er  sich  den  Griechen  an  mit  drei  Städten, 
darunter  Strumica.  Die  Byzantiner  verliehen  ihm  bald  den  hohen 
Titel  eines  Kaisar  "-). 

Als  Kaiser  Andronikos  III.  im  besten  Mannesalter  vom  Tode 
ereilt  wurde  (15.  Juni  1341),  brach  im  griechischen  Kaisertum 
ein  erbitterter  Bürgerkrieg  aus,  der  mit  einigen  Unterbrechungen 
14  Jahre  dauerte.    Des  Andronikos  Sohn  und  Nachfolger  Johannes 


1)  Ljubic  2,  75-79  uro.  144,  145,  148. 

2)  Urk. :  Spomenik  3,  25—26;  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  62.  Kan- 
takuzenos  III  cap.  31  und  Gregoras  XII  cap.  16,  §  4.  Hrelja  als 
„Kjesar"  auf  seinem  Grabstein  und  bei  Vladislav  Grammatik:  Glasnik  22 
(1867)  288. 


380  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

war  ein  kleiner  Knabe.  Die  Regentschaft  fiel  natürlich  dem  lang- 
jährigen Freund  und  fast  Mitregenten  des  verstorbenen  Kaisers, 
zu,  dem  Feldherrn  Johannes  Kantakuzenos ,  der  es  nach  dem 
byzantinischen  Staatsrecht  wohl  verdient  hätte  Mitkaiser  zu  werden^ 
wie  einst  Nikephoros  Phokas  und  Johannes  Tzimiskes  neben  dem 
kleinen  Basilios  IL  Er  hatte  aber  mächtige  Feinde,  vor  allem 
die  Kaiserinwitwe  Anna  (ursprünglich  Giovanna)  von  Savoyen  und 
den  Kammerherrn  Alexios  Apokaukos,  einen  Kleinasiaten  aus 
Bithynien.  Die  Nachricht  von  dem  Thronwechsel  in  Konstanti- 
nopel brachte  alle  Nachbarn  in  Bewegung.  König  Stephan  Dusau, 
ohnehin  mißmutig  über  den  Abfall  des  Hrelja,  erschien  vor  Thessa- 
lonich,  doch  der  Gesandte  der  Regentschaft,  der  Großdrungarios 
(Admiral)  Johannes  Gavalas  bewog  ihn  wieder  zum  Frieden  ^). 
Zar  Johannes  Alexander  lagerte  bei  Sliven  an  der  bulo-arischen 
Südgrenze  und  verlangte  die  Auslieferung  des  Prätendenten  Sisman ; 
er  blieb  nachher  stets  Parteigänger  des  kleinen  Johannes  Palaio- 
logos,  mit  dessen  Schwester  sein  Sohn  Michael  Äsen  vermählt 
war.  Die  Aibanesen  beunruhigten  wieder  die  griechischen  Städte,, 
diesmal  auch  Pogoniani  im  nördlichen  Epirus,  und  die  Bootsflotten 
der  türkischen  Emire  brandschatzten  die  Küsten  Thrakiens.  Vier 
Monate  nach  dem  Tode  des  Andronikos  kam  es  zwischen  den 
Parteien  zum  vollständigen  Bruch.  Kantakuzenos  wurde  als  Ver- 
räter aller  seiner  Würden  verlustig  erklärt,  sein  Palast  geplündert 
und  sein  gewaltiges  Vermögen  mit  Beschlag  belegt.  Zur  Revolution 
gezwungen,  ließ  er  sich  in  der  festen  Doppelburg  Dimotika,  welche 
in  den  griechischen  Werken  der  Zeit  noch  immer  in  der  alten 
Form  Didyraoteichos  (die  „Zwillingsmauer")  genannt  wird,  an  der 
unteren  Marica  zum  Kaiser  proklamieren  (26.  Oktober  1341). 
Seine  Anhänger  waren  zumeist  die  Archonten,  die  reichen  und 
gebildeten  Klassen,  die  des  Apokaukos  der  „Demos",  die  Stadt- 
bürger und  Inselbewohner. 

Bei  früheren  Bürgerkriegen  war  Konstantinopel  das  Haupt- 
ziel. Diesmal  löste  sich  der  Krieg  in  Kreuz-  und  Quermärsche 
durch  die  Provinzen  auf,  ohne  Feldschlachten,  unter  fortwährendem 
Rauben   und  Plündern.     Die  Truppen   beider  Parteien   bestanden 


1)  Kantakuzenos  III  cap.  12,  19. 


Stephan  Dusan  (1331-1355).  381 

meist  aus  Türken,  welche  derart  den  Boden  Europas  zuerst  unter 
"byzantinischen  Fahnen  kennen  lernten.  Die  schon  in  den  Zeiten 
<les  lateinischen  Kaisertums,  der  älteren  Bulgarenkriege,  der  Ein- 
fälle der  Tataren  aus  Südrußland  und  des  Kampfes  mit  den  Kata- 
lanen begonnene  Entvölkerung  Thrakiens  wurde  vollendet.  Die 
ihrer  Herden  und  Ackertiere  beraubten,  von  den  griechischen 
Parteitruppen ,  türkischen  Emiren ,  bulgarischen  Scharen  und 
tatarischen  Reitern  abwechselnd  geplünderten  Bauern  flüchteten 
sich  als  arme  Bettler  in  die  Städte.  Konstantinopel  hielt  sich  nur 
durch  die  von  den  Genuesen  vermittelte  Getreidezufuhr  aus  der 
Krim.  Die  Verwüstungen  der  Türken  reichten  bald  über  die 
Grenze  in  den  Süden  Bulgariens  hinein.  Kurz  zuvor  hatte  der 
berühmte  Eremit  Gregorios  Sinaites,  gebürtig  aus  Klazomenai  bei 
Smyrna,  in  der  öden  Grenzzone  zwischen  Bulgarien  und  Rumänien, 
der  nur  von  Einsiedlern  und  Räubern  bewohnten  Paroria  ein 
Mönchsdorf  gegründet,  reich  beschenkt  vom  Zaren  Alexander,  der 
den  Klausnern  auch  einen  Turm  zur  Verteidigung  erbaute.  Die 
Ruinen  dieser  Eremitenkolonie  sind  in  den  jetzigen  Dörfern  Groß- 
und  Klein -Monastir  zwischen  Adrianopel  und  Jambol  sichtbar. 
Nach  dem  Tode  des  Gregorios  verödete  seine  Gründung;  die 
Mönche,  deren  Oberhaupt  Romil  aus  Vidin  war,  mußten  sich 
vor  den  Türken  über  den  Hämus  in  das  nördUche  Bulgarien 
flüchten  ^). 

Kantakuzenos  ließ  seine  Gattin  Irene  aus  der  FamiUe  Asan 
in  Dimotika  zurück  und  zog  nach  Westen  (Frühjahr  1342).  Die 
Besetzung  von  Thessalonich  gelang  ihm  ebensowenig,  wie  früher 
die  von  Adrianopel.  Stephan  Dusan  hatte  damals  die  Einschließung 
von  Voden,  dem  wichtigen  Schlüssel  der  Straße  von  Thessalonich 
nach  Ochrid,  begonnen,  doch  vertrieb  die  Reiterei  des  Apokaukos 


1)  Vita  des  Gregorios  Sinaites,  verfaßt  vom  Patriarchen  Kallistos, 
herausg.  von  Pomjalovskij ,  Petersburg  1894.  Vita  des  Romil  (Romiilus), 
aus  dem  Griech.  ins  Kirchenslawische  übersetzt,  herausg.  von  Daniele  im 
Glasuik  9  (1857)  252 f.  Über  die  Altertümer  von  Monastir  vgl.  mein 
Fürstentum  Bulgarien  508.  Die  Gebeine  des  Gregorios  Sinaites  sollen  später 
in  das  serbische  Kloster  Gornjak,  eine  Gründung  des  Fürsten  Lazar  gebracht 
worden  sein:  Ilarion  Ruvarac  im  Starinar  6  (1889)  36 f. 


382  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

seine  Serben  von  dort  ^).    Kantakuzenos  wurde  bei  Gynaikokastron 
durch  die  Operationen   der  Gegner   und   den  Abfall   der  Seinigen 
derart   in   die   Enge   getrieben,    daß   ihm   nur    der   Ausweg   nach 
Norden  übrig  blieb.     Begleitet  von   seinen  Söhnen  Matthaios   und 
Manuel  und  dem  katalanischen  Söldnerführer  Juan  de  Peralta,  der 
ihm  bis  zu  seinem  Sturz  stets  treu  blieb,  zog  er  mit  2000  Mann 
längs  des  Vardar  aufwärts  -).    In  Prosek  empfing  ihn  ganz  freund- 
lich   der    serbische    Befehlshaber,    ein    byzantinischer    Überläufer 
Michael.      In   Veles   traf  er   einen   alten   Freund,    den   serbischen 
Großvojvoden  Oliver.     König  Stephan  Dusan,  welcher  eben  seine 
Gattin  zu  ihrem  Bruder,  dem  Zaren  Alexander  begleitete,  kehrte 
im    Quellgebiet    der    östlichen   Morava    sofort    um    und    ließ    den 
Kantakuzenos  durch  den  Vojvoden  Bogdan,  einen  Bruder  des  Oliver, 
willkommen  heißen.    Ein  byzantinischer  Kaiser  als  Flüchtling  war 
doch  etwas  ganz  anderes,  als  vor  acht  Jahren  der  Feldherr  Syr- 
giannes.      In   Pristina   auf   dem   Amselfelde   wurde   Kantakuzenos 
vom  König  und  der  Königin  feierlich  empfangen  (Juli  1342).    Er 
blieb  bei  den  Serben  zehn  Monate.     Es  wurde  ein  Bundesvertrag 
geschlossen,  dessen  Inhalt  nicht  bekannt   ist.     Stephan  wollte   alle 
byzantinischen  Städte  westlich  von  Christopolis  (Kavala),  welches 
damals  bei  den  Serben  Morunac  hieß^),  oder  wenigstens  westlich 
von  Thessalonich  erhalten.    Kantakuzenos  sagt  in  seinen  Memoiren 
nicht  die  Wahrheit,  wenn    er   schreibt,    daß   die   eroberten  Städte 
nur  ihm  allein  hätten  zufallen  sollen.     Nach  Nikephoros  Gregoras 
sollten  die  Städte  sich  ergeben,  wem  sie  wollten;  das  war  beiden 
Bundesgenossen  bequem,  da  es  überall  je  eine  griechische  und  eine 
serbische   Partei   gab  ^).      König  Stephan    reklamierte   den  Hrelja 
für  sich,  der  kurz  zuvor  den  Kantakuzenos  bei  sich  aufgenommen 


1)  Voden  bezeichnet  Kantakuzenos  mit  dem  antiken  Namen  Edessa. 
An  vielen  Stellen  werden  aber  bei  ihm  die  Ortsnamen  des  Altertums  ganz 
unrichtig  verwendet;  Serrai  (Seres)  wird  mit  dem  Namen  des  thessalischen 
Pherai  bezeichnet,  die  Küstenebene  der  Rhodope  Chalkidike  genannt  usw. 

2)  Kantakuzenos  IV  cap.  41.  Über  das  in  Sizilien  und  Athen  an- 
gesehene Haus  der  Peralta:  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen 
im  Mittelalter  2,  59  f. 

3)  Stojanovic,  Zapisi  1,  nro.  89. 

4)  Gregoras  XIII  cap.  5,  §  7. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  383 

hatte.  Doch  der  schlaue  Alte  kehrte  freiwillig  zu  seinen  Lands- 
leuten zurück  und  übergab  dem  Serbenkönig  überdies  noch  das 
feste  Meinik,  nachdem  er  die  aus  Leuten  des  Kantakuzenos  be- 
stehende Besatzung  durch  Absperrung  der  Zufuhr  zum  Abzug  be- 
wogen hatte. 

Die  Operationen  der  Verbündeten  eröffnete  ein  Zug  des  Kan- 
takuzenos mit  einem  serbischen,  von  Oliver  und  Vratko  geführten 
Heere  gegen  Serrai  (Herbst  1342).    Die  Serräer  wollten  von  einer 
Kapitulation  nichts  wissen.    Im  serbischen  Lager  brach  infolge  des 
maßlosen  Genusses  von  frisch  gepreßtem  Weinmost  eine  furchtbare 
Dysenterie  aus,  welche  einige  Anführer  und  an  1500  Mann  hinweg- 
raffte.    Anstatt  gegen  den  durch  eine  Mauer   befestigten  Paß  von 
Christopolis  oder  weiter  nach  Dimotika  vorzurücken,  mußte   man 
den  Rückzug   antreten.     Der  Mißerfolg   machte   auf  die  Begleiter 
des  Kantakuzenos  einen  so  ungünstigen  Eindruck,  daß  die  meisten 
seiner  Leute  ihn  verließen;  nur  ungefähr  500  Mann   blieben   ihm 
treu.     König  Stephan  gewann   indessen   das  neuerdings   belagerte 
Voden  durch  Geld   und   zog,    als  Kantakuzenos    bei   ihm   eintraf, 
mit  seinem  Gast  ins  Winterlager  ab.     Ihm  hatte  der  Feldzug  die 
Herrschaft  über  drei  Städte  gebracht:  Voden,  Strumica  und  Meinik. 
Auch  Kantakuzenos  ging  nicht  leer  aus,    da   sich   ihm  Thessalien 
anschloß,    welches    er    von    seinem   Neffen  Johannes   Angelos   als 
Statthalter  verwalten  ließ.     In  Epirus  zog  während  dieser  Wirren 
wieder  die  alte  Landesfürstin  Despina  Anna  ungehindert  ein.    Zwei 
Gesandtschaften  der  Konstantinopler  Partei  boten  dem  Serbenkönig 
für  die  Auslieferung  des  Kantakuzenos  oder  die  Übersendung  seines 
abgeschnittenen   Kopfes   alle    byzantinischen    Städte   westlich    von 
Christopolis  und  Phihppi,  mit  Ausnahme  von  Thessalonich.     Min- 
destens solle  er  den  Gegenkaiser  ins  Gefängnis  setzen.    Auch  Zar 
Alexander  unterstützte  diese  Forderungen,  aber  König  Stephan  Heß 
sich  nicht  gewinnen. 

Im  Frühjahr  (1343)  erschienen  König  Stephan  und  Kaiser 
Kantakuzenos  wieder  vor  Serrai.  Apokaukos  ankerte  mit  einer 
Flotte  von  70  Schiffen  an  der  Mündung  des  Strymon  und  wollte 
durch  Vermittlung  des  Hrelja  eine  Unterredung  mit  dem  König 
haben.  Zu  dieser  Entrevue,  bei  welcher  die  Serben  den  Apokaukos 
gefangen  nehmen  wollten,  kam  es  aber  nicht.     Bald  darauf  starb 


384  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Hrelja,  vor  dem  Tod  als  Mönch  Chariton  eingekleidet,  und  wurde 
von  seiner  Gattin  im  Kloster  des  heiligen  Johannes  von  Rila  be- 
graben, wo  die  Trümmer  seines  Grabsteines  noch  vor  der  Kirchen- 
mauer liegen.  Sein  Gebiet  wurde  von  König  Stephan  sofort  be- 
setzt. Das  Andenken  des  „geflügelten  Relja^'  lebt  heute  noch  in 
den  serbischen  Sagen  und  Liedern  fort.  Inzwischen  verteidigten 
sich  die  Serräer  mit  maßlosem  Fanatismus,  Ein  Gesandter  des 
Kantakuzenos,  der  sie  zur  Übergabe  aufforderte,  wurde  nicht  nur 
getötet,  sondern  auch  gevierteilt  und  die  Viertel  auf  den  Mauern 
aufgehängt.  Zu  einem  Vormarsch  weiter  ostwärts  nach  Thrakien 
ließen  sich  die  Serben  nicht  bewegen,  und  Kantakuzenos  mußte 
wieder  zum  König  nach  Strumica  zurückkehren.  Im  Sommer  traf 
am  serbischen  Hofe  der  venezianische  Gesandte  Marino  Venier 
ein.  Die  Kaiserin  Anna  hatte  Venedig  um  Hilfe  gegen  die  Türken 
und  um  Vermittlung  beim  serbischen  König  gebeten,  damit  er  den 
rebellischen  Reicbsfeldherrn  (mega  domesticura,  rebellem  imperii) 
nicht  mehr  unterstütze,  der  mit  ihm  täglich  über  die  Zertrümmerung 
des  griechischen  Reiches  verhandle  i).  Indessen  trennten  sich 
Stephan  und  Kantakuzenos  von  selbst.  Dem  Serben  war  der 
griechische  Thronprätendent  lästig  geworden.  Der  wichtigste 
Platz  auf  dem  Wege  von  Thessalonich  nach  Thessahen,  das  von 
den  Serben  durch  Verwüstung  der  Umgebung  sehr  bedrängte 
Berrhöa  unterwarf  sich  dem  Kantakuzenos.  Feierlich  ritt  er 
unter  dem  Jubel  der  Bürger  in  die  Stadt  ein,  an  der  Spitze  einer 
Schar  deutscher  Reiter  in  serbischen  Diensten.  Stephan  Dusan 
lud  ihn  nochmals  zu  sich  ein,  zu  einer  Beratung  über  den  bevor- 
stehenden ungarischen  Krieg,  Kantakuzenos  wagte  es  aber  nimmer- 
mehr, an  den  serbischen  Hof  zurückzukehren.  Der  Serbenkönig 
erfüllte  inzwischen  den  Wunsch  der  Venezianer  und  verständigte 
sich  mit  der  Kaiserin  Anna ;  dabei  wurde  sein  kleiner  Sohn  Uros  mit 
einer  Schwester  des  Kaisers  Johannes  Palaiologos  verlobt,  wozu 
ihm  Venedig  seine  Glückwünsche  melden  ließ  '^).  Die  Situation 
des  Kantakuzenos  war  ganz  verzweifelt  geworden.    Es  rettete  ihn 

1)  Mai  1343:  Ljubic  2,  174,  178. 

2)  Der  Senat  4.  September  1343,  „congaudendo  de  nuptiis,  quas  fecit 
de  filio  suo  cum  sorore  domini  imperatoris  Constantinopolis "•  Bei  Ljubic 
2,  192 — 193  durch  ein  Versehen  zweimal  gedruckt. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  385 

ein  treuer  türkischer  Freund,  Omar  von  Smyrna,  damals  der 
mächtigste  unter  den  türkischen  Emiren  Kleinasiens,  welcher  schon 
im  letzten  Winter  die  Gattin  des  Gegenkaisers  durch  einen  Zug 
an  die  Mündung  der  Marica  energisch  unterstützt  hatte.  Omar 
erschien  mit  einer  großen  Bootsflotte  an  der  Mündung  des  Vardar 
und  geleitete  den  Kantakuzenos  zur  See  wieder  nach  Thrakien 
zurück. 

Der  Westen  stand  fortan  den  Serben  offen.  Trotz  ihrer  ge- 
ringen Erfahrung  im  ßelagerungskriege  nahmen  sie  eine  Stadt  nach 
der  anderen.  Schon  1343  bestätigte  Stephan  Dusan  die  Privilegien 
von  Kroja,  der  wichtigsten  Burg  Nordalbaniens  ^).  Zähe  verteidigte 
sich  das  alljährlich  bedrängte  Serrai.  Als  der  König  (1344)  in 
der  Nachbarschaft  in  Zichna  lagerte,  zerstörte  eine  Flotte  der  kurz 
zuvor  in  Avignon  geschlossenen  Liga  der  Venezianer,  der  Ritter 
von  Rhodos,  des  Königs  von  Zypern  und  des  Papstes  eine  Boots- 
flotte des  Emirs  von  Smyrna  bei  der  Halbinsel  Longos,  dem  mitt- 
leren der  drei  Ausläufer  der  Chalkidike.  Die  türkischen  Seeleute, 
über  3000  Mann,  entkamen  aufs  Land  und  wollten  über  den 
Hellespont  nach  Hause  ziehen.  Der  Serbenkönig  sendete  ihnen 
seinen  Vojvoden  _Pre]jub  mit  schwerer  Reiterei  entgegen.  Bei 
Stefanianä  zwischen  Thessalonich  und  Serrai  zogen  sich  die  tür- 
kischen Fußgänger  auf  einen  steilen  Hügel  zurück.  Als  die  Serben 
absaßen  und  in  ihren  schweren  Rüstungen  zu  Fuß  den  Abhang 
hinaufstürmten,  liefen  die  leichtbewaffneten  Türken  eiligst  auf  der 
anderen  Seite  hinunter,  setzten  sich  auf  die  Pferde  der  Serben, 
brachten  den  abgesessenen  Reitern  des  Preljub  schwere  Verluste 
bei  und  gelangten  ungehindert  zu  Kantakuzenos  nach  Thrakien  '^). 

In  Albanien  besetzten  die  Serben  (Herbst  1345)  Berat  und 
Valona,  in  Makedonien  Kastoria^).  Bald  wurde  Berrhöa  dem 
jungen  Manuel  Kantakuzenos  durch  Bestechung  der  Archonten 
abgewonnen.  Schon  früher  war  Ochrid  serbisch  geworden,  wobei 
dem  dortigen  autokephalen  Erzbischof  seine  Rechte  bestätigt  wur- 


1)  Lat.  Text:  Arch.  slaw.  Phil.  21  (1899)  84,  96. 

2)  Kantakuzenos  III  cap.  69. 

3)  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  84:  im  Jahre  6854  (1.  September  1345 
bis  31.  Aug.  1346),  vor  der  ProklamieruDg  Stephans  zum  Kaiser. 

Jirecek,  GescMclite  der  Serben.    I.  25 


386  Viertes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

den.  Endlich,  als  jede  Hoffnung  auf  einen  Entsatz  verloren  war, 
ergab  sich  Serrai  (serb.  Ser,  bulg.  Sjar),  der  Schlüssel  zum  Weg 
von  Thessalonich  nach  Konstantinopel,  im  Oktober  1345  dem 
Serbenkönig.  Östlich  davon  wurde  Drama  und  Philippi  besetzt, 
ebenso  an  der  Küste  Chrysopolis  (j.  Orfano)  mit  seinen  Seesalz- 
siedereien. Christopolis  (Kavala)  blieb  dagegen  stets  Grenzfestung 
der  Byzantiner,  welche  auch  westlich  davon  Eleutheropolis  am 
Meere  behaupteten  ^).  Die  alten  Stadtprivilegien  des  besetzten  Ge- 
bietes wurden  durch  Goldbullen  des  Königs  bestätigt,  die  Mauern 
verstärkt  und  die  Verwaltung  serbischen  Befehlshabern  anvertraut, 
mit  Garnisonen  serbischer  Truppen.  Griechen  waren  unter  den 
Beamten  Stephan  Dusans  eine  seltene  Ausnahme-).  Die  neue 
Herrschaft  war  überall  verbunden  mit  der  Vertreibung  der  grie- 
chischen Partei  aus  den  Städten. 

Die  Leichtigkeit  der  Eroberungen  ließ  bei  Stephan  Dusan 
den  Entschluß  reifen,  das  ganze  byzantinische  Reich  zu  erobern. 
Die  Einnahme  der  großen  Residenzstadt  am  Bosporus,  die  ihm 
aus  den  trüben  Knabenjahren  wohlbekannt  war,  blieb  ihm  zeitlebens 
ein  Traum,  dem  er  nicht  mehr  entsagen  konnte.  Gleich  nach  der 
Eroberung  von  Serrai  unterschrieb  er  sich  auf  einer  griechischen 
Urkunde  für  das  nahe  Kloster  des  heiligen  Johannes  des  Täufers  auf 
dem  Berge  Menoikeion  als  König  von  Serbien  und  „Romanien", 
in  einem  Schreiben  an  den  Dogen  als  „Herr  fast  des  ganzen 
Kaisertums  von  Rom anien  "•'').  Noch  im  Winter  erfolgte  mit 
Zustimmung  des  serbischen  Reichstages  die  Proklamierung  des 
Stephan  zum  Kaiser.  Der  Titel  lautete  serbisch  „Kaiser  (car)  der 
Serben  und  Griechen'',  in  lateinischen  und  griechischen  Akten 
„Kaiser    (imperator)    von    Serbien     (Rascien)     und    Romanien". 


1)  Über  die  Grenzen  des  Reiches  Stephan  Dusans  im  Südosten  vgl. 
meine  Bemerkungen  im  Arch.  slaw.  Phil.  17  (1895)  266  f. 

2)  Die  Urkunden  von  Menoikeion,  in  denen  man  eine  Reihe  byz.  Be- 
amten in  serb.  Diensten  zu  finden  glaubte,  stammen  meist  von  Andro- 
nikos  II.  und  III.,  nicht  von  Stephan  Dusan.  Vgl.  Arch.  slaw.  Phil, 
a.  a.  0. 

3)  Stephan,  xodkrig  y.al  uvTOXQtxTWQ  2^fQßiag  y.ctl  'Pwuuvi'ug ,  Okt.  6854 
(1345):  Sathas,  Bibl.  graeca  1,  234 — 239.  Stephanus  rex  etc.,  „fere  totius 
imperii  Romanie  dominus",  „in  Sero"  15.  Okt.  1345:  Ljubic  2,  278. 


Kaiserkrönung  Stephan  Dusans  (1346).  387 

In  der  Form  schloß  er  sich  dem  seit  Symeons  Zeit  üblichen  bul- 
garischen Titel  an :  „  Zar  der  Bulgaren  und  Griechen ".  Der  alte 
serbische  Königstitel  wurde  dem  Sohne,  dem  damals  neun  Jahre 
alten  Uros  überlassen^).  Schon  am  22.  Jänner  1346  reiste  über 
Ragusa  eine  Gesandtschaft  Stephans  nach  Venedig,  meldete  dort 
die  bevorstehende  Kaiserkrönung  (coronatio  sua  in  imperio  Con- 
stantinopolitano)  und  forderte  zu  einem  Bund  (unio)  zur  Eroberung 
dieses  Kaisertums  auf.  Der  Senat  antwortete  (3.  März)  mit  herz- 
lichen Glückwünschen,  lehnte  aber  die  Liga  ab,  wegen  des  da- 
maligen Krieges  mit  Ungarn  und  der  beschworenen  Verträge  mit 
Byzanz.  Die  Ragusaner  wählten  zur  Krönungsfeier  eine  feierliche 
Gesandtschaft  (24.  März)-).  Nach  den  Begriffen  des  orthodoxen 
Orients  mußte  der  Kaiser  einen  Patriarchen  zur  Seite  haben.  Der 
serbische  Erzbischof  Joannikij ,  früher  Kanzler  (Logothet)  des 
Stephan,  wurde  zum  „Patriarchen  der  Serben  und  Griechen"  er- 
hoben, mit  Billigung  des  bulgarischen  Patriarchen  von  Trnov  und 
des  Erzbischofs  von  Ochrid.  Eine  Zustimmung  der  Griechen  war 
natürlich  nicht  zu  erwarten,  mit  Ausnahme  der  reich  beschenkten 
Athosmönche  und  der  Halbgriechen  der  Kirche  von  Ochrid. 
Ebenso  fehlte  das  Einverständnis  mit  den  Patriarchaten  des  fernen 
Ostens.  Die  Metropoliten  des  Konstantinopler  Patriarchats  wur^ 
den  überall  vertrieben  und  durch  serbische  Bischöfe  ersetzt. 

Zum  Kaiser  wurde  Stephan  am  Ostersonntag,  den  16.  April 
1346  auf  einem  Reichstag  in  Skopje  gekrönt,  vom  serbischen  Pa- 
triarchen Joannikij  und  dem  bulgarischen  Patriarchen  Symeon  von 
Trnov,  in  Anwesenheit  des  Adels,  des  Klerus  und  der  Mönche 
des  Athos.     Die  Königin  Helena  wurde  zur  Kaiserin  gekrönt,  der 


1)  Nach  Gregoras  herrschte  Uros  zwischem  dem  Ionischen  Meer,  der 
Donau  und  Skopje,  sein  Vater  von  Skopje  bis  zum  Paß  von  Christopolis. 
Die  einzige  urkundliche  Notiz  über  ein  Territorium  des  Sohnes  im  Privile- 
gium für  Ragusa  1349,  mit  Gewährung  freien  Handels  im  Lande  sowohl  des 
Kaisers,  als  des  Königs:  Mon.  serb.  146.  Die  Schenkung  der  Kirche  des 
hl.  Nikolaus  an  der  Psinja  im  nordöstl.  Makedonien  an  den  Metropoliten  Jakob 
von  Seres  1353  bestätigen  zuerst  Zar  Stephan  und  Zariza  Elena,  nach  ihnen 
durch  eine  zweite  Urkunde  „Stefan  Uros,  König  aller  Serben"  (kralj  vsem 
Srbljem):  Glasuik  24  (1868)  247—248. 

2)  Mon.  Rag.  1,  221,  226.     Ljubic  2,  326—327. 

25* 


388  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Sohn  Uros  zum  König  i).  Den  neuen  Kaiserhof  umgab  ein  glänzen- 
der Hofstaat  mit  byzantinischen  Titeln  und  prunkvollen  Parade- 
gewändern, bestehend  aus  den  Häuptern  des  serbischen  Adels,  die 
zugleich  Statthalterschaften  auf  ehemals  griechischem  Gebiet  bekamen. 
Den  höchsten  Rang  des  Despoten  erhielten  Verwandte  des  Kaisers, 
Dusans  Halbbruder  Symeon  und  der  Helena  Bruder  Johannes, 
neben  ihnen  auch  der  einflußreiche  Großvojvode  Johannes  Oliver, 
Herr  der  Landschaften  von  Ovcepolje  und  Lesnovo^).  Sevasto- 
kratoren  wurden  der  Vojvode  Dejan,  der  Gatte  von  Dusans 
Schwester  Theodora,  Besitzer  des  Gebietes  von  Kumanovo^),  und 
Branko,  des  Feldherrn  Mladen  Sohn  und  Statthalter  in  Ochrid. 
Als  Kaisares  erscheinen  zwei  Feldherren  von  der  Südgrenze,  Preljub, 
durch  seine  Frau  Irene  auch  ein  Verwandter  des  Hauses  der 
Nemanjiden '^) ,  und  Vojihna,  sowie  Gregor  Golubic.  Die  Pro- 
klamierung zum  Kaisertum  war  eingeleitet  durch  großartige 
Schenkungen  an  Klöster  und  Kirchen,  besonders  an  die  Athos- 
klöster,  die  seit  dem  Falle  von  Serrai  unter  serbischer  Hoheit 
standen,  während  der  Westen  der  Chalkidike  mit  Thessalonich 
den  Byzantinern  geblieben  war.  Ende  1347  besuchte  der  neue 
Kaiser  mit  der  Kaiserin  persönlich  sämtliche  Klöster  des  Heiligen 
Berges,  verteilte  mit  vollen  Händen  goldene  und  silberne  Kirchen- 
gefäße, kostbare  Kircheugewänder ,  Dörfer  und  Landgüter  und 
bestätigte  ihre  Rechte  durch  feierliche  Urkunden  in  slawischer  oder 
griechischer  Sprache.     Am   freigebigsten    bedacht   wurde   die    alte 

1)  Einleitung  des  Gesetzbuches  des  Zaren  Stephan  ed.  Novakovic 
S.  4.  KantakuzenosIII  cap.  89  (Schluß).  Gregoras  XV  cap.  1,  §  2. 
Daniel  378,  380. 

2)  „Oliver  Gherchinich,  baro  domini  regis  Raxie  et  Qener  Charavide' 
erhielt  im  Juni  133G  in  Ragusa  das  Deposit  seines  verstorbenen  Schwieger- 
vaters Karavida  zurück:  Spomenik  11,  26.  Auf  einer  griechischen  Inschrift 
des  Klosters  von  Lesnovo  vom  Jahre  1348/49  erscheint  Ollvers  wohl  zweite 
Gattin  Maria  als  navtvTvxtaTcirrj  ßaaiXCaau  MuQia  /}  ^Ivßeoiaacc  Glasnik 
13  (1861)  293.  Es  war  vielleicht  eine  Halbschwester  Du§ans,  aus  der  zweiten 
Ehe  Uros'  III. 

3)  Dejan  Manjak  1333,  Mon.  serb.  105.  Ib.  61  unter  Uros  II.  ein 
Sevast  Obrad  Manijak.     Über  Dejans  Familie  siehe  das  folgende  Kapitel. 

4)  Wie  mir  Novakovic  mitteilt,  nennt  Zar  Uros  1357  in  einer  un- 
gedruckten Urkunde  des  Athosklosters  des  hl.  Athauasios  die  Witwe  Preljubs 
Irene  seine  Schwester. 


Stephan  Du§an  (1331—1355).  389 

Familienstiftung  der  Neraanjiden,  das  Kloster  Chilandar^).  Das 
serbische  Erzengelkloster  in  Jerusalem,  eine  Stiftung  Uros'  IL,  er- 
hielt als  Geschenk  den  ragusanischen  Tribut  von  Stagno.  Auch 
die  St.  Nikolauskirche  von  Bari  im  katholischen  Italien  lernte  die 
Freigebigkeit  des  neuen  serbischen  Kaisers  kennen.  Nach  dem 
Muster  seiner  Vorgänger  begann  Zar  Stephan  den  Bau  einer  per- 
sönlichen Stiftung,  eines  neuen  Klosters  bei  Prizren,  geweiht  den 
Erzengeln  Michael  und  Gabriel.  Die  innere  Organisation  des 
Reiches  förderte  das  Gesetzbuch  des  Zaren,  ein  merkwürdiges, 
originelles  Buch,  verkündet  auf  einem  neuen  Reichstag  in  Skopje 
im  Mai  1349. 

Die  Byzantiner  waren  zu  sehr  untereinander  beschäftigt,  um 
gegen  die  Usurpierung  des  byzantinischen  Kaisertitels  durch  den 
Herrscher  der  Serben  Protest  zu  erheben.  Es  vergingen  einige 
Jahre,  bis  der  Patriarch  Kallistos  gegen  den  neuen  Kaiser  und 
den  unkanonischen  neuen  Patriarchen  den  Bannfluch  aussprach  2). 
Der  Schauplatz  des  Bürgerkrieges  befand  sich,  seitdem  sich  der 
Gegenkaiser  von  den  Serben  getrennt  hatte,  in  Thrakien.  Als  sich 
dem  Kantakuzenos  das  Innere  der  Rhodope  unterwarf,  ernannte 
er  dort  zum  Befehlshaber  den  Momöilo,  den  berühmtesten  Räuber- 
hauptmann dieser  Zeiten.  Dieser  Momcilo  stammte  nach  Gregoras 
aus  dem  Grenzgebiet  zwischen  den  Serben  und  Bulgaren,  lebte 
seit  seinen  Knabenjahren  als  Räuber  in  den  Einöden  an  der 
byzantinisch -bulgarischen  Grenze,  diente  dann  als  Söldner  im 
byzantinischen  und  serbischen  Heere  und  kam  zuletzt  zu  Kan- 
takuzenos als  Überläufer  aus  den  Diensten  des  Stephan  Dusan. 
Nun  saß  er  in  den  Bergen  der  Rhodope,  umgeben  von  einem  treu 
ergebenen  Räuberheer,  das  aus  Bulgaren,  Serben  und  anderen 
Völkern  bestand  und  an  300  Reiter  und  5000  Fußgänger  zählte. 
Damit  die  Provinz  von  Philippopel  mit  den  Burgen  am  Nordrand 
der   Rhodope   nicht   in   den  Besitz   des    Kantakuzenos   und  seiner 


1)  Urkunden  bei  Florinskij,  Pamjatniky.  Vita  des  Mönches 
Isaias,  herausg.  von  Nikephor  Ducic:  Glasnik  56  (1884)  72.  Stojanovic, 
Zapisi  3  nro.  4939. 

2)  Biographien  der  serb.  Erzbischöfe  und  Patriarchen:  Daniel  381. 
Die  Briefe  des  Ugljesa  an  das  byz.  Patriarchat  1368—1371  (s.  unten). 
Kallistos  war  zweimal  Patriarch,  1350-1354  und  1355 — 1364. 


390  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Schützlinge  falle,  trat  sie  die  Kaiserin  Anna  (1344)  dem  Zaren 
Alexander  von  Bulgarien  ab,  der  aber  dafür  der  Partei  der  Pa- 
laiologen  nur  wenig  Hilfe  leistete.  Die  Landschaft  von  Philippopel 
erhielten  die  Byzantiner  nimmermehr  zurück.  Als  die  Flotte  der 
lateinischen  Liga  Smyrna  eroberte  (Oktober  1344),  verlor  Kanta- 
kuzenos  die  wertvolle  Unterstützung  des  Omar  auf  dem  Meere. 
Da  fiel  Momcilo  von  ihm  ab  und  machte  sich  zu  einem  unabhän- 
gigen Fürsten,  obwohl  ihn  Kantakuzeuos  zum  Sevastokrator,  die 
Kaiserin  Anna  zum  Despoten  ernannt  hatte.  Er  schlug  seine 
Residenz  in  Xanthia  am  Südfuß  der  Rhodope  auf  und  herrschte 
mit  großer  Strenge;  auf  Großes  und  Kleines  folgte  bei  ihm  gleich 
die  Todesstrafe.  Aber  bald  verlor  er  vor  den  Mauern  der  Küsten- 
stadt Peritheorion  gegen  Kantakuzenos  und  dessen  Freund  Omarbeg 
im  tapferen  Kampfe  Schlacht  und  Leben  ^).  Vier  Tage  nach  dem 
Tode  des  Momcilo,  der  fortan  eine  Gestalt  des  südslawischen 
Volksepos  blieb,  wurde  Apokaukos  (11.  Juni  1345)  in  Konstan- 
tinopel ermordet,  als  er  den  Bau  eines  neuen  Kerkers  für  poli- 
tische Gefangene  besichtigte.  Damit  war  der  Bürgerkrieg  aber 
noch  immer  nicht  zu  Ende.  Es  war  ohne  Zweifel  die  Krönung 
des  Stephan  Dusan,  welche  den  Kantakuzenos  veranlaßte,  sich  einen 
Monat  später  in  Adrian opel  (21.  Mai  1346)  vom  Patriarchen  von 
Jerusalem  feierlich  krönen  zu  lassen,  denn  bisher  war  er  ein  un- 
gekrönter Kaiser.  Omarbeg  fiel  bei  einem  Versuch,  Smyrna  den 
Lateinern  zu  entreißen.  Die  Vormacht  unter  den  türkischen 
Emiren  wurden  die  Osmanen,  schon  wegen  der  Lage  ihrer  Wohn- 
sitze in  der  Nähe  der  Meerengen.  Kantakuzenos  verbündete  sich 
mit  Orchan,  dem  Sohn  Osmans,  und  gab  ihm  sogar  seine  Tochter 
Theodora,  die  Christin  blieb,  zur  Frau. 

Endlich  zog  Kantakuzenos  als  Sieger  in  Konstantinopel  ein 
(3.  Februar  1347).  Rasch  wurde  ein  Vertrag  geschlossen,  nach 
welchem  Johannes  Palaiologos  und  Johannes  Kantakuzenos  neben- 


1)  Momcilo:  Kantakuzeaos  III  cap.  65,  68,  70—71,  75,  86;  Gre- 
goras  XIV  cap.  4,  9.  Die  serb.  Annalen  (Glasuik  53,  S.  65)  verzeichueu 
den  Tod  des  Momcilo  im  Kampfe  gegen  die  Türken  (Kantakuzenos  wird 
nicht  genannt)  bei  „Peritor"  erst  zum  Jahre  1361 — 1362.  Die  Sage  über- 
trug Peritor  nach  Pirdop  am  Balkan ,  nach  Pirot ,  nach  Pirlitor  in  Monte- 
negro, mit  neuen  Lokalisierungen  unter  dem  Einfluß  der  Namensähnlichkeit. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  S9l 

einander  beide  Kaiser  sein  sollten,  der  junge  Palaiologe  als 
Schwiegersohn  seines  bisherigen  Gegners.  Das  Reich  war  ganz 
erschöpft,  der  Staatsschatz  leer.  Kantakuzenos  besaß  als  Kaiser 
nur  ein  Zehntel  der  Einkünfte,  die  er  einst  als  Reichsfeldherr  be- 
zogen hatte.  Bei  dem  Festmahl  nach  der  neuerlichen  Krönung 
des  Kantakuzenos  in  der  Sophienkirche  waren,  wie  Nikephoros 
Gregoras  nicht  ohne  Bosheit  bemerkt,  die  Schüsseln  und  Becher 
nicht  mehr  aus  Gold  und  Silber,  sondern  aus  Zinn  und  Ton,  die 
scheinbar  goldenen  Diademe  und  die  kaiserlichen  Gewänder  mit 
den  funkelnden  Steinen  nur  aus  vergoldetem  Leder  mit  Stücken 
von  farbigem  Glas.  Und  dies  in  einer  Zeit,  wo  Stephan  Dusan 
die  Klöster  mit  Scheffeln  Gold  beschenkte,  durch  große  Geld- 
geschenke viele  Gegner  für  sich  gewann  und  seine  Getreuen  mit 
einträglichen  Würden  und  Gütern  belohnte.  Konstantinopel  selbst 
war  ganz  herabgekommen,  wirtschaftlich  vollständig  abhängig  von 
der  blühenden  Genuesenstadt  Galata  jenseits  des  Goldenen  Hornes. 
Die  Parteihäupter  wurden  durch  Verwaltung  der  byzantinischen 
Landschaften  entschädigt.  So  erhielt  der  Despot  Nikephoros  von 
Epirus  Enos  und  die  Städte  am  Hellespont.  Dem  Matthaios 
Kantakuzenos,  des  Mitkaisers  Sohn,  wurde  die  reiche  Küstenebene 
unter  der  Rhodope  von  Dimotika  bis  Christopolis  (Kavala)  als 
„Grenzmauer"  gegen  die  Serben  zugewiesen i).  Johannes  Angelos, 
der  Statthalter  von  Thessalien,  hatte  Epirus  besetzt  und  die  Des- 
pina  Anna  gefangen  genommen  -').  Des  Matthaios  Bruder  Manuel 
Kantakuzenos  begann  mit  Glück  die  Verwaltung  des  byzantinischen 
Anteiles  des  Peloponnesos.  An  Stephan  Dusan  sendete  Kantaku- 
zenos zwei  Gesandtschaften  mit  Dank  für  die  in  schweren  Zeiten 
gewährte  Hilfe,  aber  auch  mit  der  Forderung,  die  byzantinischen 
Städte  zurückzugeben.  Stephan  antwortete  mit  leeren  Worten.  Nun 
zog  Älatthaios  Kantakuzenos  mit  den  Söhnen  des  Emirs  Orchan, 
mit  Suleiman  und  dessen  Brüdern  (auch  Murad  war  dabei)  und 
10  000  Türken  durch  die  Quermauer  von  Christopolis  gegen  die 
Serben.  Trotz  aller  Vorstellungen  der  byzantinischen  Feldherren 
begannen    die  Türken    sofort    zu   plündern   und   zu    morden   und 


1)  Gregoras  XVI  cap.  4. 

2)  Derselbe  XIII  cap.  6. 


393  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

kehrten  mit  reicher  Beute  nach  Asien  zurück.  Das  war  gegen 
die  Absicht  des  Kaisers  Kantakuzenos  gewesen ,  welcher  die  Be- 
völkerung der  ehemals  byzantinischen  Provinzen  durch  Schonung 
gewinnen  wollte  ^). 

Die  Lage  der  Dinge  ermöglichte  es  dem  Stephan  Dusan,  sich 
auch  mit  dem  Norden  zu  beschäftigen.  Der  neue  ungarische  König 
Ludwig  I.  (seit  Juli  1342)  beunruhigte  die  Serben  und  besaß 
wieder  die  Macva,  Belgrad  und  Golubac-j.  Zugleich  rüstete  er 
sich  zur  Vertreibung  der  Venezianer  aus  den  Städten  Dalmatiens. 
Zwischen  dem  venezianischen  und  dem  königlichen  Gebiet  gab 
es  dort  an  der  Küste  eine  Zone  mit  Territorien  kroatischer  Edel- 
leute,  vor  allem  der  Subiöi,  die  von  Venedig  unterstützt  wurden. 
Mißtrauisch  gegen  König  Ludwig  war  auch  Ban  Stephan  IL  von  Bos- 
nien. Im  Juli  1343  verhandelte  er  mit  Venedig  wegen  eines  Defensiv- 
bundes zwischen  Bosnien,  den  kroatischen  Edelleuten  und  den  unter 
venezianischer  Schutzherrschaft  stehenden  dalmatinischen  Städten ; 
man  dachte  auch  den  Serbenkönig  dafür  zu  gewinnen.  Venedig  sollte 
aber  aus  Vorsicht  im  Vertrage  nicht  genannt  werden  •^).  Doch  bald 
fand  es  der  Bosnier  für  vorteilhafter,  auf  der  Seite  des  ungarischen 
Königs  zu  bleiben.  Darauf  eroberte  Ludwig,  begleitet  vom  Ban 
von  Bosnien,  Knin,  das  wieder  Sitz  des  königlichen  Bans  des 
Küstenlandes  wurde  (Juli  1345).  Unerwartet  schloß  sich  Zara 
dem  siegreichen  König  an.  Die  Venezianer  mußten  die  Haupt- 
stadt ihrer  dalmatinischen  Besitzungen  durch  16  Monate  belagern 
und  nach  Zurückweisung  von  zwei  Entsatzheeren,  von  denen  eines 
von  Ludwig  persönlich  geführt  war,  durch  Hunger  zur  Erge- 
bung zwingen  (Dezember  1346).  Stephan  Dusan,  der  eben  den 
Kaisertitel  angenommen  hatte,  bot  den  Venezianern  Hilfstruppen 
gegen  Zara  an  und  war  bereit,  auch  die  Kapitulation  der  Stadt 
durch  seine  Gesandten  zu  vermitteln;  doch  die  Republik  wies  das 
Anerbieten  mit  Dank  ab,  weil  die  Zaratiner  bereits  die  Vermitt- 
lung des  Bans  von  Bosnien  und  des  Humbert  IL  von  Vienne, 
des  letzten  Landesherrn  der  Dauphine  und  damals  Befehlshabers 
der  Flotte    der  Liga    im  Archipel,   abgewiesen    hatten.     Indessen 

1)  Kantakuzenos  IV  cap.  4. 

2)  Theiner,  Mon.  Slav.  1,  216  (Jänner  1346). 

3)  Ljubic  2,  181—182. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  39B 

wurde  zwischen  Zar  Stephan  und  König  Ludwig  ein  Frieden 
geschlossen  (Sommer  1346).  Stephans  Erhebung  zum  Kaiser  war 
nicht  ohne  Eindruck  geblieben;  andererseits  wollte  Ludwig  freie 
Hand  zu  einem  Zuge  nach  Neapel  haben.  Als  man  eine  persön- 
liche Zusammenkunft  des  Zaren  mit  dem  ungarischen  König  er- 
wartete, hofften  die  Venezianer,  daß  er  dabei  als  Freund  der 
RepubUk  ihre  Gesandten  bei  den  Friedensverhandlungen  durch 
Rat  und  Tat  unterstützen  werde  i).  Doch  die  Abwesenheit  Lud- 
wigs in  Neapel  zog  den  Abschluß  eines  Friedens  zwischen  Ungarn 
und  Venedig  sehr  in  die  Länge.  Die  Venezianer  nahmen  ein 
neues  Anerbieten  des  Zaren,  den  Frieden  zu  vermitteln,  mit  großem 
Dank  an  (April  1348)  -).  Kurz  zuvor  hatte  Stephan  Dusan  im 
nördlichen  Dalraatien  Familienverbindungen  angeknüpft.  Ein  Neffe 
des  einst  mächtigen  Bans  Mladen,  Mladen  (HI.)  Subid,  Herr  von 
Almissa,  Clissa  und  Scardona,  ein  Anhänger  der  Venezianer,  heira- 
tete (Oktober  1347)  Helena,  eine  Schwester  des  serbischen  Zaren  3), 
starb  aber  schon  im  folgenden  Jahre  an  der  Pest.  Endlich  wurde 
zwischen  Venedig  und  König  Ludwig  (August  1348)  nur  ein 
Waffenstillstand  auf  acht  Jahre  vereinbart,  in  welchem  auf  vene- 
zianischer Seite  wohl  mit  Rücksicht  auf  den  serbischen  Zaren  auch 
Mladens  Witwe  mit  ihrem  unmündigen  Sohne  (Mladen  IV.)  auf- 
genommen war. 

Der  ßan  von  Bosnien  hörte  ungern  von  dem  Friedensschluß 
zwischen  Zar  Stephan  und  König  Ludwig,  denn  er  fürchtete 
isoliert  zu  bleiben.  Dem  Frieden  zwischen  den  Bosniern  und 
Serben  stand  die  Weigerung,  Zachlumien  herauszugeben,  im 
Wege,  so  sehr  auch  die  Venezianer  eine  Versöhnung  herbeizuführen 
sich  bemühten.  Noch  während  der  Belagerung  von  Zara  bat  der 
Ban,  der  sich  dort  im  ungarischen  Heere  befand,  durch  seinen 
Gesandten,  den  Domherrn  Elias  von  Trau,  Venedig  um  Vermitt- 
lung. Zar  Stephan  antwortete  den  venezianischen  Gesandten,  er 
sei  zu  Frieden  und  Freundschaft  bereit,  wenn  die  Bosnier  die 
strittige    Landschaft    zurückstellten,    im    entgegengesetzten    Falle 


1)  Ljubic  2,  365.     Sagenhaft  ist  Orbini  262 f. 

2)  Ljubic  3,  75. 

3)  Datum  bei  Lucius,  Starine  13,  233. 


394:  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

wenigstens  zu  einem  Waffenstillstand  auf  zwei  oder  drei  Jahre  i). 
Zur  selben  Zeit  (seit  1340)  suchte  Ban  Stephan  persönlich  einen 
engeren  Anschluß  an  die  römische  Kirche,  in  der  Hoffnung,  sich 
die  Unterstützung  der  kathoHschen  Nachbarn  zu  sichern.  Der 
Bischof  von  Bosnien  kehrte  nach  sehr  langer  Zeit  aus  Djakovo 
wieder  ins  Land  zurück,  ebenso  der  Bischof  von  Makarska,  wäh- 
rend in  Dlmno,  dem  antiken  Delminium,  ein  neues,  dem  Erzbistum 
von  Spalato  untergeordnetes  Bistum  errichtet  wurde. 

Ein  furchtbares  Unheil  brachte  die  Pest  des  Jahres  1348, 
der  „schwarze  Tod",  der  sich  aus  dem  Tatarenreich  über  ganz 
Europa  verbreitete.  Auf  der  Balkanhalbinsel  hinterließ  diese 
Plage  große  Verheerungen  in  allen  Städten.  Aber  die  Raubzüge 
der  Türken  aus  den  verschiedenen  Emiraten,  welche  zu  Pferd  und 
zu  Fuß  alljährlich  vom  Hellespont  aus  ganz  Thrakien  bis  ins  bul- 
garische Gebiet  durchstreiften,  wurden  durch  die  Seuche  nicht 
eingestellt.  Auch  die  Serben  benutzten  die  Verwirrung  für  sich,  als 
Johannes  Angelos,  der  byzantinische  Statthalter  von  Thessalien  und 
Epirus,  der  Krankheit  zum  Opfer  fiel.  Zar  Stephan  brach  mit 
einem  großen  Heere  in  Epirus  ein  und  besetzte  Janina,  Arta 
und  die  anderen  Städte  bis  zu  den  Grenzen  der  „Franken",  der 
Anjous,  damals  Herren  von  Butriuto  und  Lepanto,  der  Brienne, 
der  einstigen  Herzöge  von  Athen,  die  noch  Vonitza  mit  der  Insel 
Leukas  besaßen  und  der  dem  König  von  Sizilien  aus  dem  Hause 
von  Aragon  untergeordneten  Katalonier  im  Herzogtum  von  Athen  -'). 
Die  Albanesen,  den  Griechen  seit  der  Zeit  Andronikos'  HI.  feindlich 
gesinnt,  dienten  mit  Freude  unter  den  Fahnen  der  Serben.  Nach 
der  Chronik  von  Janiua  gingen  die  Ländereien  der  flüchtigen 
griechischen  Archonten  und  Stratioten  meist  in  den  Besitz  der 
albanesischen  Häuptlinge  und  ihrer  Krieger  über.  Der  Feld- 
herr Preljub  besetzte  ganz  Thessalien,  worauf  Zar  Stephan  die 
Besitzungen  der  Klöster  bei  Trikala  durch  griechische  Chrysobulle 
bestätigte  3).     Ende  1348  gelangte  Preljub    bis   in  die  Umgebung 


1)  Ljubic  2,  381  f.,  408  (Sept.,  Nov.  134«). 

2)  Kantakuzenos  IV  cap.  20. 

3)  Zwei  Urk.  des  Zaren  Stephan  vom  Nov.  1348  für   die  Klöster  Zab- 
lantia  und  Lykusada:  Archimandrit  Antonin,  Spomenik  10,  28. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  395 

der  venezianischen  Hafenstadt  Pteleon  (Feteleo  der  Italiener)  auf 
der  Westseite  des  Einganges  in  den  Golf  von  Volo,  welche  ins 
Gedränge  zwischen  den  raublustigen  Albanesen  des  serbischen 
Heeres  und  den  Kataloniern  kam.  Schon  am  3.  Jänner  1349 
wurde  in  Venedig  der  Beschluß  gefaßt,  den  Zaren  zu  seinen  Er- 
folgen zu  beglückwünschen  und  ihm  Pteleon  und  andere  Besit- 
zungen Venedigs  zu  empfehlen.  Stephan  schrieb  sich  nun  „Impe- 
rator Raxie  et  Romanie,  dispotus  Larte  et  Blachie  comes"  {BXayJa 
als  Thessalien),  aber  der  Besitz  des  Despotates  schien  ihm  unsicher ; 
bald  nachher  wird  dieses  Land  als  ein  eventuell  an  Venedig 
abzugebendes  Tauschobjekt  erwähnt  ^).  Die  Verwaltung  des  Südens 
wurde  drei  Männern  anvertraut.  In  Thessalien  befehhgte  der 
„Kaisar"  Preljub.  Mittelalbanien  mit  Valona  und  Berat  verwaltete 
der  „Despot"^  Johannes  Komnenos  Aseu,  wie  er  sich  schrieb,  ein 
Bruder  der  Zariza  Helena  und  des  bulgarischen  Zaren  Alexan- 
der (ungefähr  1350 — 1363).  Dieser  eitle  Bulgare  heiratete  die 
aus  der  Gefangenschaft  befreite,  nicht  mehr  junge  epirotische 
Despina  Anna,  näherte  sich  den  Griechen  und  unterschrieb  sich 
sogar  auf  slawischen  Urkunden  in  griechischer  Sprache.  Auf 
seine  Bitte  wurde  ihm  (1353)  das  Bürgerrecht  von  Venedig  ver- 
liehen. Epirus  erhielt  der  junge  Symeon,  des  Zaren  Stephan  Halb- 
bruder, auch  als  „  Despot ".  Er  heiratete  Thomais,  eine  Tochter  der 
Despina  Anna,  und  schrieb  sich  nach  seiner  mütterlichen  Abkunft 
auch  Palaiologos  ■-).  Durazzo  blieb  den  Anjous;  als  der  Herzog 
Karl  von  Durazzo  auf  Befehl  des  Königs  Ludwig  hingerichtet 
wurde,  wollte  sich  die  Stadt  Venedig  unterwerfen,  wurde  aber 
abgewiesen^).  Von  den  Byzantinern  hatten  die  Serben  nichts  zu 
befürchten.  Kantakuzenos  lag  ein  Jahr  lang  nierenkrank  in  Di- 
motika  und  war  dann  (1348  — 1349)  vollauf  beschäftigt  mit  den 
Genuesen  von  Galata,  welche  die  neuerbaute  byzantinische  Flotte 
zweimal  vollständig  schlugen. 

Indessen  bemühte  sich  Venedig  neuerdings  Frieden  zu  schaffen, 
um  der  Unterstützung  des  Zaren  Stephan  in  dem  erwarteten  neuen 

1)  Ljubic  3,  110,  169,  174. 

2)  Urkunden  des  Despoten  Johannes  von  Yalona ,  herausg.  von  m  i  r  im 
Spomeuik  11,  S.  11,  29,  30.    Chronik  von  Janina:  Glasnik  14  (1862)  286. 

3)  Ljubic  3,  179  (April  1350). 


Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

Kriege  gegen  Ungarn  und  Genua  sicher  zu  sein  (1349).  Eine 
große  venezianische  und  ragusanische  Gesandtschaft  reiste  nach 
Serbien  ^).  An  der  Spitze  stand  der  Markgraf  Niccolo  Giorgi  von 
Bodonitza,  aus  einer  Nebenlinie  der  venezianischen  Erbgrafen  von 
Curzola.  Er  hatte  die  Erbin  des  kleinen  fränkischen  Fürstentums 
an  den  Therraopylen  geheiratet,  die  Älarkgräfin  Guglielma  Palla- 
vicini,  beging  aber  die  Unvorsichtigkeit,  einen  ihrer  Verwandten 
hinrichten  zu  lassen;  die  Gattin  vertrieb  ihn  aus  dem  Miniatur- 
staat von  Bodonitza,  und  er  mußte  sein  Leben  in  den  Diensten 
von  Venedig  fristen.  Dem  Markgrafen  wurden  drei  Aufgaben 
auferlegt :  eine  Regelung  der  Handels-  und  Zollfragen  zwischen 
Serbien,  Venedig  und  Ragusa,  die  Herbeiführung  eines  Friedens 
zwischen  Serbien  und  Byzanz  und  die  Wiederherstellung  fried- 
licher Beziehungen  zwischen  Serbien  und  Bosnien.  Nur  die  erste 
Aufgabe  wurde  gelöst.  Die  Friedensvermittlungen  sind  mißlungen, 
obwohl  der  Ban  von  Bosnien  selbst  inzwischen  durch  seinen  Ge- 
sandten, den  Comes  Ninoje,  den  Dogen  um  Intervention  gebeten 
hatte.  Als  der  Ban  in  Chelmo  eine  neue  Burg  bauen  wollte,  rieten 
es  ihm  die  Venezianer  ab,  da  der  Zar  diese  Landschaft  für  sich 
beanspruche;  es  war  wohl  die  „neue  Burg",  Novi  in  der  Zupa 
Luka  an  der  Narentamündung ,  auf  der  Nordseite  des  Flusses-). 
Bald  brach  der  Krieg  von  neuem  aus;  kurz  vor  Weihnachten 
1349  unternahmen  die  Bosnier  einen  Einfall  in  die  Landschaft 
von  Canali  und  plünderten  bei  Ragusa  vecchia  ^). 

Zar  Stephan  wollte  keinen  Frieden  mit  den  Griechen ;  im 
Gegenteil,  er  bemühte  sich  abermals  um  einen  Bund  mit  Venedig 
gegen  Byzanz.  Sein  Gesandter  Michael  de  Buchia  aus  Cattaro 
legte  (April  1350)  den  Venezianern  dar,  sein  Herr  habe  den  größten 
Teil  des  griechischen  Kaisertums  erobert;  nur  die  Hauptstadt  Kon- 
stantinopel könne  er  ohne  Unterstützung  durch  eine  venezianische 


1)  Urkunden:  Ljubid  3,  115,  119,  143,  IGO;  Mon.  serb.  153  nro.  135; 
Glasnik  27  (1870)  286. 

2)  Ljubic  3,  143  (Juli  1349).  „Novi  moj  grad"  (meine  neue  Burg) 
in  der  Urk.  des  Bans  Stephan  und  seines  Bruders  Vladislav  an  Knez  Vlk 
Vlkoslavic,  herausg.  von  Thalloczy,  Glasnik  bos.  18  (1906)  408  =  Wiss. 
Mitt.  11  (1909)  245.     Über  die  Lage:  meine  Handelsstraßen  79. 

3)  Liber  de  maleficiis  1348—1350  Arch.  Rag. 


Stephan  Dusau  (1331—1355).  397 

Flotte  nicht  einnehmen.  Es  sei  seine  Absicht,  den  Johannes  Palaio- 
logos  aus  den  Händen  des  „ungetreuen  Kantakuzenos"  zu  befreien, 
der  ihn  angeblich  in  ungehöriger  und  ungerechter  Weise  gefangen 
halte.  Für  die  Hilfe  war  er  bereit,  den  Venezianern  das  Despotat 
von  Epirus  oder  nach  der  Eroberung  von  Konstantinopel  das 
genuesische  Pera  (Galata)  zu  überlassen.  Bei  den  Verhandlungen 
in  Venedig  hat  man  sich  gegenseitige  Hilfe  bald  zugestanden,  aber 
der  Bund  gegen  Byzanz  wurde  zu  wiederholten  Malen  abgelehnt, 
da  sich  die  Republik  durch  die  beeideten  Verträge  mit  beiden 
Kaisern  als  gebunden  betrachtete.  Dafür  wurde  das  venezianische 
Bürgerrecht  des  „Serenissimus  dominus  Stephanus,  Grecorum  Im- 
perator semper  augustus  et  Raxie  rex  illustris^',  ebenso  der  „im- 
peratrix  et  regina"  Helena  und  des  Sohnes  Uros  feierlich  erneuert. 
Buchia  hatte  einen  besonderen  Wunsch  des  Zaren  vorgebracht. 
Stephan  wollte  mit  dem  Dogen  Andreas  Dandolo,  demselben,  der 
auch  in  der  Literatur  als  Historiker  bekannt  ist,  eine  persönliche 
Unterredung  über  einige  schwierige  Fragen  haben,  und  zwar  in 
Ragusa  oder  an  der  Narentamündung,  also  auf  damals  bosnischem 
Boden.  Den  Venezianern  war  es  leicht  zu  erwidern,  daß  der  Doge 
nach  den  Satzungen  der  Republik  selbst  in  sehr  wichtigen  An- 
gelegenheiten nicht  aus  der  Stadt  hinausgehen  dürfe  ^).  Venedig, 
das  eben  wegen  des  Handels  auf  dem  Schwarzen  Meere  in  einen 
Krieg  mit  Genua  verwickelt  war,  bemühte  sich,  den  Frieden 
zwischen  Serbien  und  Bosnien  mit  allen  Mitteln  herbeizuführen, 
doch  die  neuen  Gesandten  beim  Zaren,  Thomas  Gradenigo  und 
Niccolo  Falieri,  meldeten  (im  September),  eine  friedliche  Erledigung 
dieser  Fragen  sei  ganz  aussichtslos  -). 

Zar  Stephan  zog  (Oktober  1350)  persönlich  mit  einem  großen 
Heere  gegen  Bosnien.  Er  besaß  auch  eine  Flotte  von  vier  neuen 
Galeeren,  die  er  zwei  Jahre  zuvor  als  eine  ganz  außerordentliche 
Freundschaftbezeigung  in  Venedig  ankaufen  durfte.  Der  Feld- 
zugsplan ist  aus  der  projektierten  Zusammenkunft  mit  dem  Dogen 
klar.     Stephan  wollte   längs   der  Küste    in  Zachlumien    eindringen 


1)  Acta  archivi  Veneti  1,  128—141  =  Glasnik  11  (1859)  446  f.    Ljubic 
3,  174—179,  181,  185. 

2)  Ljubic  3,  146,  189—190,  197,  199. 


398  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

und  von  der  Narenta  bis  in  das  Gebiet  seiner  Schwester  in  der 
Umgebung  von  Spalato  vorrücken.  Die  Ragusaner,  deren  Stadt 
durch  die  Pest  stark  entvölkert  war,  hatten  Befürchtungen  wegen 
der  Halbinsel  von  Stagno.  Der  Zar  erreichte  die  Narenta,  eroberte 
die  Burg  Novi  und  zog  weiter  zur  Cetina.  Ära  11.  Oktober  be- 
schlossen die  Städte  Trau  und  Sebenico,  Gesandtschaften  mit  Ge- 
schenken zum  „Imperator  Raxie"  zu  senden,  wenn  er  an  der 
Cetina  eintreffe  i).  Da  kam  aus  dem  Süden  die  Nachricht,  daß  die 
Byzantiner  die  Offensive  begonnen  hätten.  Rasch  mußte  der  Rück- 
marsch angetreten  werden  Eine  feierliche  Gesandtschaft  von  sechs 
Patriziern  lud  den  „dominus  imperator"  unterwegs  zu  einem  Be- 
such in  Ragusa  ein,  mit  der  Kaiserin  und  dem  Soha,  sowie  einem 
Gefolge  von  hundert  Personen.  Zwei  ragusanische  Kriegsschiffe 
unter  Savinus  de  Bonda  holten  den  hohen  Gast  in  Ragusa  vecchia 
ab  und  brachten  ihn  in  den  Hafen,  worauf  er  seinen  P^inzug  durch 
das  Seetor  hielt  (um  den  13.  November  1350).  Die  Kosten  der 
Bewirtung  wurden  durch  eine  Auflage  auf  der  Halbinsel  von 
Stagno  gedeckt.  Der  Versuch,  bei  dieser  Gelegenheit  dem  Zaren 
eine  Grenzregulierung  auf  den  Abhängen  oberhalb  der  ragusa- 
nischen  Weinberge  von  Breno  abzubitten,  ist  mißglückt.  Der  Zar 
eilte  über  Cattaro  sofort  weiter  nach  Makedonien  2).  Die  Bosnier 
besetzten  rasch  wieder  die  Burgen  von  Zachlumien.  Novi  entriß 
den  Serben  der  bosnische  Knez  Vlk  VIkoslavic,  der  Vetter  des 
später  berühmten  Hrvoje.  An  der  Narentamündung  erscheinen 
abermals   die    bosnischen   Zollbeamten.      Ban   Stephan   IL   erlebte 

1)  Besorgnisse  wegen  Stagno  6.  Okt.  1350:  Ljubic  3,  199.  Beschlüsse 
von  Trau  und  Sebenico:  Lucius,  Memorie  di  Trau  246,  Starine  13,  233. 
Der  „car  raski"  hat  meine  Burg  Novi  erobert:  Urk.  des  Bans  Stephan, 
s.  oben;  das  von  einer  jüngeren  Hand  dazugesetzte  Datum  1331  (s.  Fak- 
simile) ist  unrichtig,  statt  1351.  Orbini  264f.  und  nach  ihm  teilweise  auch 
Luc  car i  lassen  den  Zaren  mit  80000  Mann  von  der  Drina  in  Bosnien  bis 
Bobovac  und  Dumno  einbrechen,  worauf  er  bis  zur  Cetina  und  Krka 
(Dacherca)  vordringt. 

2)  Mon.  Rag.  2,  Ulf.  Im  Sept.  1455  wurde  Vlatko  Hercegovic  nach 
Ragusa  eingeladen;  man  werde  ihn  mit  einer  Galeere  in  Obod  in  Canali 
abholen  und  er  werde  die  Stadt  durch  dasselbe  Tor  betreten,  wie  andere  Herren, 
„come  e  la  bona  memoria  imperador  Stefano",  König  Tvrtko  u.a.  (Lett 
Rag.  1455). 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  399 

bald  nachher  die  Freude,  daß  König  Ludwig  von  Ungarn  sein 
Schwiegersohn  wurde,  Gemahl  seiner  Tochter  Elisabeth  (Juli  1353). 
Nicht  lange  darauf  ereilte  ihn  der  Tod  i).  Sein  Nachfolger  war 
sein  Neflfe  Tvrtko,  Sohn  seines  Bruders  Vladislav,  kaum  15  Jahre 
alt,  unter  der  Vormundschaft  seines  Vaters  und  nach  dessen 
baldigem  Tode  seiner  Mutter  Helena,  der  Schwester  des  Mladen 
(III.)  Subic. 

Zum  Zuge  nach  Makedonien  hat  die  Byzantiner  sowohl  die 
Abwesenheit  des  Zaren  Stephan  im  Norden  bewogen,  als  die  trost- 
lose Lage  von  Thessalonich  -).  Die  Führer  der  lokalen  Parteien 
gehorchten  nominell  nur  dem  Kaiser  Johannes  Palaiologos  allein, 
in  Wirklichkeit  aber  waren  sie  ganz  unabhängig.  Dem  Kanta- 
kuzenos  drohten  sie,  daß  sie  den  Serben,  welche  die  Umgebung 
von  Gynaikokastron  aus  beobachteten,  die  Tore  öflfnen  würden. 
Dem  Zaren  Stephan  meldeten  sie  dagegen,  er  solle  sie  nicht  be- 
kriegen, denn  sie  seien  vom  Kaiser  abgefallen.  Schließlich  kam 
es  zum  Zwiespalt  zwischen  den  Anführern.  Alexios  Metochites 
rief  den  Kantakuzenos  zu  Hilfe,  Andreas  Palaiologos  floh  zu  den 
Serben.  Seine  Partei,  die  „Zeloten",  behaupteten  offen,  es  sei 
besser,  sich  dem  Zaren  Stephan  zu  unterwerfen,  der  alles 
Land  bis  zu  den  Toren  der  Stadt  beherrsche  und  der  über- 
dies den  Führern  Geld  und  Güter  versprach.  Im  Herbst  1350 
segelten  beide  Kaiser  aus  Konstantinopel  nach  Thessalonich.  Ur- 
sprünglich sollte  Matthaios  Kantakuzenos,  begleitet  von  Orchans 
Sohn  Suleiman  mit  20  000  Reitern,  aus  der  Küstenebene  unter 
der  Rhodope  auf  dem  Landweg  nach  Thessalonich  ziehen.  Doch 
Suleiman  beschränkte  sich  auf  einen  Beutezug  nach  Südbulgarien 
und  kehrte  heim,  w^il  sein  Vater  mit  den  benachbarten  Emiren 
Krieg  führte.  Die  kaiserliche  Flotte  hatte  hinter  Christopolis 
(Kavala)  ein  seltsames,  für  die  byzantinischen  Zustände  charak- 
teristisches Mißgeschick.  Der  trotzige  Besitzer  der  Burg  von 
Eleutheropolis  (Anaktoropolis),  Alexios  aus  Belokoma  in  Bithynien, 


1)  Über  die  Chronologie  Ilarion  Ruvarac,  Glasnik  bos.  6  (1894) 
225  f.  =  Wiss.  Mitt.  4  (1896)  324  f. 

2)  Hauptzeuge  Kantakuzenos  IV  cap.  15—22.  Er  meint,  Stephan 
sei  gegen  die  Ungarn  {Iluiovtg)  gezogen.  Ganz  kurz  Gregoras  XVIII 
cap.  2. 


400  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

ein  ehemaliger  Seeoffizier  des  Apokaukos  und  nun  ein  kleiner  See- 
räuber, schlug  die  Kaiser  zurück,  die  nur  seine  Schifi'e  in  Brand 
zu  stecken  vermochten.  An  der  Mündung  des  Strymon  hatte 
Kantakuzenos  ein  nächtliches  Gespräch  mit  dem  Befehlshaber  von 
Chrysopolis  (jetzt  Orfano),  dem  Serben  Brajan,  einem  seiner  alten 
Freunde  ^).  In  Thessalonich  wurden  die  Kaiser  mit  Jubel  begrüßt, 
die  Häupter  der  „Zeloten"  gefangen  nach  Konstantinopel  gesendet 
oder  aus  der  Stadt  verbannt,  die  Serben  aus  der  Umgebung  ver- 
trieben. 

Kantakuzenos  rückte  mit  einem  kleinen  Heere  griechischer 
Seesoldaten  und  türkischer  Söldner  in  das  serbische  Gebiet  ein. 
Stephan  hatte  im  Süden  keine  Feldarmee  unter  einem  bewährten 
Anführer  hinterlassen,  sondern  nur  einzelne  Garnisonen.  Alle 
Schwächen  der  neuen  serbischen  Herrschaft  wurden  mit  einem 
Male  offenbar.  Der  erste  Angriff  galt  Berrhöa.  Die  dortigen 
Emigranten,  griechische  Archonten  und  Stratioten,  befanden  sich 
im  Heere  des  Kantakuzenos.  Die  Mauern,  die  von  den  Serben 
eben  umgebaut  wurden  und  mit  Gerüsten  verkleidet  waren,  erstieg 
man  nachts  mit  Leitern.  Die  Besatzung,  1500  serbische  Reiter 
und  eine  Schar  deutscher  Söldner,  mußte  sich  ergeben.  Die  Deut- 
schen, dieselben,  welche  einst  den  Kantakuzenos  als  Verbündeten 
des  Stephau  Dusan  nach  Berrhöa  begleitet  hatten,  zogen  in  voller 
Rüstung  reich  beschenkt  ab,  die  Serben  ohne  Waffen  und  Pferde; 
die  Anführer,  30  serbische  Edelleute,  blieben  aus  Furcht  vor  ihrem 
Herrn  freiwillig  in  Gefangenschaft,  flüchteten  sich  aber  bald  einer 
nach  dem  anderen  zu  ihren  Landsleuten.  Kantakuzenos  zog  sofort 
gegen  Voden,  das  alte  Edessa  der  makedonischen  Königszeit,  am 
Rande  der  Küstenebene  gelegen,  damals  zwischen  einem  hoch- 
gelegenen See  und  dem  steilen  Felsabhang  gut  befestigt,  mit  einer 
inneren  Burg  ^).  Die  Mauern  wurden  von  den  griechischen  Matrosen 
erstürmt  und  die  serbische  Besatzung  ergab  sich,  wie  in  Berrhöa. 
Die  Bürger  der  serbischen  Partei  wurden  aus  der  Stadt  vertrieben. 


1)  Kantakuzenos  identifiziert  Chrysopolis  irrig  mit  dem  antiken 
Amphipolis,  das  gar  nicht  am  Meere  lag. 

2)  Jetzt  ist  der  See  verschwunden;  dafür  gibt  es  große  Wasserfälle  in 
der  Stadt  selbst.  Vgl.  A.  Grisebach,  Reise  durch  Rumelien,  Bd.  2 
(Göttingen  1841)  101. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  401 

Ohne  Kampf  ergaben  sich  die  kleinen  Burgen  der  Umgebung, 
besonders  Ostrov  auf  dem  Wege  gegen  Ochrid  und  Notia  im  Tale 
von  Moglen.  Kantakuzenos  eilte  nach  Servia,  am  Zugang  zum 
Wege  nach  Thessalien.  Der  Platz  bestand  aus  drei  wenig  zugäng- 
lichen Burgen  zwischen  tiefen  Schluchten  und  einer  großen,  offenen 
Unterstadt.  Die  Griechen  der  Unterstadt  schlössen  sich  sofort  ihren 
Landsleuten  an,  aber  die  festen  Burgen  hat  Preljub  mit  500  Mann 
gut  behauptet  und  dadurch  seinem  Herrn  die  Herrschaft  über 
Thessalien  erhalten.  Der  Anbruch  des  Winterregens  bewog  Kanta- 
kuzenos zur  Rückkehr  nach  Thessalonich.  Insgeheim  wurden 
Verbindungen  mit  den  Freunden  der  Byzantiner  tief  landeinwärts 
angeknüpft.  Sogar  eine  Gesandtschaft  der  Bürger  von  Skopje, 
einer  der  Residenzen  des  Zaren,  die  schon  fast  70  Jahre  im  Be- 
sitz der  Serben  war,  versprach  die  Unterwerfung,  wenn  Kanta- 
kuzenos persönlich  so  weit  komme. 

Plötzlich  erschien  vor  Thessalonich  Zar  Stephan,  in  Eil- 
märschen aus  dem  adriatischen  Gebiet  herangerückt,  mit  einem 
kleinen  Heere,  das  aber  stärker  war,  als  das  der  Griechen.  Sofort 
wurden  vor  den  Toren  der  Stadt  an  zwei  Tagen  nacheinander 
Be^prechungen  abgehalten,  zu  welchen  sich  Stephan  und  die  beiden 
griechischen  Kaiser  mit  bewaffnetem  Gefolge  einfanden.  Am  ersten 
Tage  machte  Stephan  dem  Kantakuzenos  ganz  Öffentlich  Vorwürfe 
wegen  seines  Undankes.  Als  einen  Flüchthng  habe  er  ihn  unter- 
stützt und  sich  durch  keine  Versprechungen  der  Gegenpartei  be- 
wegen lassen,  ihn  gefangen  zu  setzen  oder  auszuliefern.  Jetzt  sei 
Kantakuzenos  mit  Barbaren  (Türken)  gekommen  und  nehme  des 
Zaren  Städte  mit  Waffengewalt,  List  und  Einschüchterung.  Dem 
Kantakuzenos  tue  es  leid,  daß  Stephan  einen  Teil  des  „römischen" 
Reiches  beherrsche,  doch  Kantakuzenos  besitze  auch  einen  Teil 
und  den  habe  er  einem  anderen  weggenommen.  Dies  war  eine 
offene  Parteinahme  für  Johannes  Palaiologos  als  den  alleinigen 
legitimen  Kaiser.  Als  Friedensbedingung  verlangte  Stephan  die 
Wiederherstellung  der  Grenzen,  wie  vor  dem  Kriege.  Kantakuzenos 
erwiderte  mit  Lob  der  Großmut  und  der  Gerechtigkeit  Stephans, 
dem  er  zu  Dank  verpflichtet  sei;  doch  habe  Stephan  gegen  den 
beeideten  Bundesvertrag  so  viele  römische  Städte  an  sich  gerissen. 
Am   zweiten  Tage,    der  mit  einem  Gastmahl  schloß,   wurde  über 

Jirecek,  GtescMchte  der  Serben.    I.  26 


403  Viertes  Bucb.    Drittes  Kapitel. 

die  Grenze  verhandelt.  Kantakuzenos  verlangte  die  Abtretung 
von  Epirus  und  Thessalien,  sowie  des  Küstenlandes  von  Make- 
donien. Das  Innere  Makedoniens  wollte  er  dem  Stephan  lassen, 
mit  Zichna,  Serrai,  Melnik,  Strumica  und  Kastoria  als  Grenz- 
städten im  Süden.  Was  Kantakuzenos  weiter  erzählt,  entspricht 
kaum  der  Wahrheit.  Stephan  sei  einverstanden  gewesen,  und  am 
dritten  Tage  hätten  sowohl  die  Serben  als  die  Griechen  je  fünf 
Männer  zur  Übergabe  der  Städte  ernennen  sollen.  Aber  in  der 
Nacht  seien  griechische  Archonten  der  Palaiologenpartei  ins  ser- 
bische Lager  gegangen  und  hätten  den  Zaren  überredet,  lieber 
Krieg  zu  führen  und  den  Palaiologen  gegen  Kantakuzenos  zu 
unterstützen.  Da  seien  bei  Tagesanbruch  ins  griechische  Lager 
Boten  des  Stephan  gekommen,  mit  der  Absage  des  Friedens  und 
der  Aufforderung  zu  einer  Schlacht.  Es  ist  unwahrscheinlich,  daß 
Zar  Stephan  so  ausgedehnte  Länder  ohne  Schwertsti-eich  abtreten 
wollte,  um  so  mehr,  als  er  den  Wiederausbruch  des  Kampfes 
zwischen  den  byzantinischen  Parteien  klar  voraussah.  Am  dritten 
Morgen  standen  Serben  und  Griechen  vor  den  Mauern  von  Thessa- 
lonich in  Schlachtordnung  unbeweglich  einander  gegenüber,  doch 
zur  Schlacht  kam  es  nicht.  Stephan  wollte  dem  Palaiologen  nicht 
schaden  und  hatte  Erfolg  auch  ohne  Schlacht.  Kantakuzenos 
kehrte  nach  Konstantinopel  zurück,  während  der  Palaiologe  in 
Thessalonich  blieb.  Zar  Stephan  zog  sofort  über  den  Vardar  und 
erstürmte  Voden  mit  Leitern  und  Durchbruch  der  Mauern  (Anfang 
Jänner  1351).  Die  Stadt  wurde  geplündert  und  die  Bürger  der 
griechischen  Partei  nach  Berrhöa  vertrieben.  Zugleich  begannen 
überall  Untersuchungen  gegen  die  griechischen  Parteigänger  wegen 
Hochverrates;  in  Skopje  retteten  sich  die  Angeklagten  nur  durch 
die  Fürsprache  des  serbischen  Erzbischofs.  Das  Datum  der  Wieder- 
eroberung von  Berrhöa  ist  nicht  bekannt;  es  war  der  Feldherr 
Hlapen,  der  sich  dieser  Tat  rühmte  und  nach  des  Zaren  Stephan 
Tod  Statthalter  in  dieser  Stadt  war  i). 

Die   osmanischen  Türken,    welche   ganz   regelmäßig  über  die 
Meerengen  hinüberkamen,   entweder   als  Truppen   der  Byzantiner 

1)  Xhinfvog  als  Eroberer   von   Berrhöa:    Chronik    von  Janina   cap.    6 
(Glasnik  14,  240). 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  403 

oder  als  Freibeuter  auf  eigene  Faust,  waren  damals  schon  ein 
wichtiger  Faktor  geworden,  mit  dem  auch  fernere  Nachbarn  rech- 
nen mußten.  Am  Hofe  des  Emirs  von  Brussa  sah  man  Gesandte 
der  byzantinischen  Kaiser  und  der  Genuesen.  Bald  kamen  auch 
Vertreter  der  Serben.  Zar  Stephan  wollte  dem  Kantakuzenos  diese 
Bundesgenossen  entziehen  und  brachte  dem  Orchan  sogar  eine  Heirat 
in  Vorschlag,  zwischen  einem  der  Söhne  des  Emirs  und  einer 
Tochter  Stephans.  Die  serbischen  Gesandten  wurden  gut  auf- 
genommen und  kehrten  mit  einer  türkischen  Gesandtschaft  und 
Geschenken  zurück,  wohl  zu  Schiff.  Bei  Rodosto  wurden  sie  aber 
von  Leuten  des  ehemaligen  epirotischen  Despoten  Nikephoros  über- 
fallen, ausgeplündert  und  teils  gefangen ,  teils  getötet  ^).  Orchan 
war  deshalb  gegen  Kantakuzenos  sehr  erbittert  und  blieb  im  fol- 
genden Kriege  sein  Gegner,  als  Freund  der  Genuesen,  welche  die 
Türken  über  beide  Meerengen  zu  Raubzügen  auf  byzantinischen 
Boden  hinüberbrachten.  Zu  gleicher  Zeit  beschwerte  sich  Zar 
Alexander  bei  Kantakuzenos  über  den  fortwährenden  Durchzug 
türkischer  Raubscharen  durch  byzantinisches  Gebiet  nach  Bulgarien. 
Kantakuzenos  entschuldigte  sich,  nur  der  Widerstand  des  Zaren 
Stephan,  der  die  byzantinischen  Städte  nicht  zurückgeben  wollte, 
habe  ihn  bewogen,  sich  mit  diesen  Barbaren  zu  verbünden.  Dabei 
versuchte  er  die  Bulgaren  gegen  die  Serben  aufzubringen  und 
verlangte  von  Alexander  regelmäßige  Beiträge  zur  Ausrüstung 
einer  Flotte,  die  den  Hellespont  ständig  bewachen  sollte.  Zar 
Stephan  soll  seinem  Schwager  davon  abgeredet  haben,  er  möge 
den  Griechen  keinen  Tribut  zahlen  -).  Die  Sache  hätte  den  Bul- 
garen auch  nichts  genützt,  denn  Kantakuzenos  hätte  die  Flotte 
vor  allem  gegen  die  Genuesen  verwendet,  welche  damals  ohnehin 
den  Türken  den  Weg  über  die  Meerengen  erleichterten. 

Indessen  lagerte  Zar  Stephan  mit  der  Zariza  Helena  vor  den 
Toren  von  Thessalonich  und  versuchte  den  Kaiser  Johannes  Palaio- 
logos  durch  Versprechung  von  Subsidien  und  Hilfstruppen  wieder 


1)  Gregoras  XXVI  cap.  15,  27. 

2)  Kantakuzenos  IV  cap.  22.  Eine  legendär  gefärbte  Erzählung 
darüber  auch  in  der  bulg.  Chronik,  herausg.  von  Bogdan  im  Archiv  slaw. 
Phil.  13  (1891)  527,  536. 

26* 


404  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel. 

zum  Krieg  gegen  Kantakuzenos  zu  bewegen.  Zugleich  sollte  sich 
der  Palaiologe  von  Helena  Kantakuzena  scheiden,  sie  den  Serben 
ausliefern  und  eine  jüngere  Schwester  der  serbischen  Kaiserin 
heiraten.  Als  Kantakuzenos  davon  erfuhr,  bewog  er  die  Kaiserin 
Anna,  nach  Thessalonich  zu  reisen  und  durch  persönliches  Ein- 
greifen diese  Pläne  zu  vereiteln  ^),  Das  byzantinische  Reich  wurde 
zur  selben  Zeit  durch  Subsidien  von  Seite  Venedigs  in  den  See- 
krieg zwischen  beiden  Republiken  verwickelt.  Vor  Konstantinopel 
spielte  sich  eine  der  größten  Seeschlachten  des  Mittelalters  ab,  an 
der  130 — 140  große  Kriegsschiffe  beteiligt  waren  (13.  Februar 
1352).  Die  eine  Partei  bildeten  die  Venezianer  und  ihre  Ver- 
bündeten, die  Ai-agonier  und  die  Griechen,  die  andere  die  Genuesen 
allein.  Auf  dem  asiatischen  Ufer  des  Bosporus  standen  als  Zu- 
schauer die  Reiter  und  Fußgänger  Orchans,  Freunde  Genuas.  Die 
gewaltige  Schlacht  bheb  unentschieden.  Nach  der  Abfahrt  der 
Venezianer  fürchtete  Kantakuzenos  von  den  Genuesen  und  Türken 
belagert  zu  werden  und  schloß  (im  Mai)  rasch  einen  Separatfrieden 
mit  Genua.  Die  Fortsetzung  des  Seekrieges  hatte  ihren  Schau- 
platz im  Westen,  an  den  Gestaden  von  Sardinien,  Istrien  und 
Morea,  bis  zum  Abschluß  des  Friedens,  der,  wie  immer,  nur  eine 
Erneuerung  der  früheren  Verhältnisse  zwischen  beiden  Seerepu- 
bliken brachte  (1355). 

Den  Wiederausbruch  des  Bürgerkrieges  beschleunigte  eine  neue 
Einteilung  der  Provinzen.  Kaiser  Johannes  Palaiologos  erhielt  das 
bisherige  Gebiet  des  Matthaios  Kantakuzenos  in  der  Rhodope,  dazu 
auch  Dimotika  und  Enos,  während  dem  Matthaios  Adrianopel  mit 
Umgebung  zugewiesen  wurde.  Die  persönliche  Feindschaft  zwischen 
beiden  Rivalen  führte  zum  Krieg  (Sommer  1352).  Sein  Ausbruch 
steht  mit  einem  weltgeschichtlichen  Ereignis  in  Verbindung,  mit 
der  ersten  Festsetzung  der  Türken  in  Europa.  Orchans  Sohn 
Suleiman,  der  in  Pegai  (jetzt  Bigha)  östHch  vom  Hellespont  wohnte, 
besetzte  die  kleine  Burg  Tzympe  auf  der  Halbinsel  von  Kallipohs. 
Der  Palaiologe  belagerte  den  Matthaios  auf  der  Akropolis  von 
Adrianopel,  wurde  aber  vom  alten  Kantakuzenos  mit  einem  kleinen 


1)  Kantakuzenos    IV  c^p.    27,   Gregoras   XXVII  cap.   16.    Die 
Schwester  der  Helena  hieß  Theodora:  Spomenik  29,  9. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  405 

Heere  von  Griechen,  Kataloniern  und  Türken  vertrieben.  Darauf 
suchte  und  fand  er  Hilfe  bei  den  beiden  slawischen  Zaren,  Stephan 
und  Alexander ;  seinen  jüngeren  Bruder  Michael  Palaiologos  sendete 
er  als  Geisel  zu  den  Serben.  Bald  erschienen  einige  tausend 
serbische  und  bulgarische  Reiter  bei  Dimotika,  die  Serben  geführt 
vom  Schatzmeister  (kaznac)  Borilovid  ^).  Kaiser  Johannes  eilte 
nach  Enos,  wo  eben  eine  venezianische  Flotte  unter  Marino  Falieri 
(dem  späteren  Dogen)  und  Niccolo  Pisani  vor  Anker  gegangen 
war,  und  schloß  mit  den  Venezianern  eine  Anleihe  von  20  000 
Dukaten  ab,  gegen  Abtretung  der  wichtigen  Insel  Tenedos,  des 
Schlüssels  zur  Einfahrt  in  den  Hellespont  -).  Rasch  eilte  er  nach 
Dimotika  zurück,  erhielt  aber  unterwegs  die  Nachricht  von  einer 
schweren  Katastrophe.  Seine  Griechen,  Serben  und  Bulgaren 
rüsteten  sich  zum  Angriflf  auf  die  kleine  Burg  Empythion.  Plötz- 
lich erschien  vor  ihnen  ein  großes  Reiterheer.  Es  war  der  Prinz 
Suleiman,  auf  dem  Marsch  vom  Hellespont  nach  Adrianopel  zur 
Unterstützung  des  Kantakuzenos.  Die  Schlacht  war  ganz  improvi- 
siert, denn  keine  der  beiden  Parteien  hatte  von  der  Nähe  der 
anderen  eine  Kenntnis.  Die  Türken  waren  auf  ihren  schnellen, 
ausdauernden  Pferden  besser  beritten  als  die  Slawen  und  Griechen. 
Alle  vornehmen  Byzantiner  wurden  gefangen.  Die  Bulgaren  ent- 
kamen rechtzeitig  nach  Dimotika.  Die  schwersten  Verluste  erlitten 
die  Serben,  müde  vom  Marsche,  schlecht  beritten  und  mit  der 
Landschaft  nicht  vertraut.  Nur  ihr  Feldherr  konnte  sich  mit 
wenigen  Begleitern  durchschlagen;  die  übrigen  wvu'den  meist  ge- 
tötet oder  gefangen.  Im  Triumph  kam  Suleiman  mit  Gefangenen, 
Pferden  und  Zelten  nach  Adrianopel  zu  Kantakuzenos.  Kaiser 
Johannes  Palaiologos  wurde  aus  Thrakien  ganz  verdrängt.  Es 
blieb  ihm  nur  Thessalonich,  wo  seine  Mutter  residierte,  und  die 
nördlichen  Inseln  des  Agäischen  Meeres,  mit  der  Hauptfestung  auf 


1)  Die  Serben  zählten  nach  Kantakuzenos  7000,  nach  Gregoras 
4000  Mann.  KaGrirlog  6  Mnon;Xoßixr]g  des  Kantakuzenos  IV  cap.  33 
ist  vielleicht  „Gradislavus  Borilli  vexillifer",  einer  der  Zeugen  in  der  (uned.) 
lat.  Abtretungsurkunde  von  Stagno  1333. 

2)  Vertrag  vom  10.  Oktober  1352  „in  burgo  Eni":  Diplomatarium 
veneto-levantinum,  Bd.  2  (Venedig  1899)  nro.  8  p.  17  (Monumenti  storici 
pubbl.  dalla  R.  Deputazione  Veneta,  vol.  IX). 


406  Viertes  Buch.    Drittes  Kapitel. 

Tenedos.     Er  gab  aber  den  Kampf  nicht  auf  und  erwies  sich  als 
unerschrockener  Seefahrer. 

Kaiser  Johannes  Kantakuzenos  erklärte  nun  seinen  Kollegen 
Johannes  Palaiologos  für  abgesetzt  und  proklamierte  den  Matthaios 
zum  Mitkaiser  (1353).  Doch  verringerte  sich  der  Anhang  der 
Kantakuzenen  von  Tag  zu  Tag,  denn  die  Griechen  sahen  in  ihnen 
die  Urheber  der  wachsenden  Türkengefahr.  Vergeblich  waren 
die  Versuche,  den  Suleiman  durch  eine  Geldsumme  aus  Tzympe 
wegzubringen.  Da  kam  ein  neues  Unglück.  Seit  dem  Herbst 
1 344  litt  die  Küste  von  Konstantinopel  bis  Kallipolis  durch  perio- 
dische Erdstöße.  Am  Vorabend  des  ersten  Fastensonntages,  des 
2.  März  1354,  folgte  bei  Einbruch  der  Nacht  ein  neues  Erdbeben  i). 
Die  Mauern  von  KallipoHs  stürzten  ganz  ein  und  die  Einwohner 
flohen  in  der  kalten  Winternacht  im  Schnee  und  Regen  sofort  auf 
die  zahlreichen  im  Hafen  ankernden  Schiffe.  Am  Morgen  kamen 
die  Türken  aus  Asien  eilends  hinüber.  Suleiman  besetzte  das  ver- 
lassene Kallipolis  und  die  ganze  Umgebung.  Türkische  Familien 
besiedelten  die  leeren  Ortschaften,  die  Mauern  wurden  besser  auf- 
gebaut, als  sie  früher  waren,  und  starke  türkische  Heere  plünderten 
ungehindert  in  Thrakien  bis  über  die  byzantinische  Grenze  hinaus. 
Mit  Schrecken  hörte  man  in  den  südslawischen  Ländern,  die  Meer- 
enge mit  der  Überfuhr  oder,  wie  die  serbischen  und  bulgarischen 
Annalen  naiv  schreiben,  die  „Furt"  (brod)  von  Kallipolis  sei  in 
die  Hände  der  Türken  gefallen.  Auf  die  Proteste  des  Kanta- 
kuzenos antwortete  Suleiman,  er  habe  die  Städte  keineswegs  ero- 
bert, sondern  vom  Erdbeben  zerstört  und  menschenleer  gefunden. 
Von  den  Slawen  der  Halbinsel  bekamen  zuerst  die  Bulgaren  die 
Nachbarschaft  der  Türken  von  Kallipolis  zu  fühlen.  Zwei  Söhne 
des  Zaren  Alexander  fanden  den  Tod  in  Schlachten  gegen  die 
Leute  Suleimans,  zuerst  der  dritte  Sohn  Johannes  Äsen  bei  Sredec 
(Sofia),  dann  der  älteste  Sohn  und  Mitregent,  der  Zar  Michael 
Äsen,  ein  Schwager  der  Kaisers  Johannes  Palaiologos  -). 

1)  Genaues  Datum  in  den  byz.  Annalen  bei  Jos.  Müller,  S.B.  der 
W.  Akad.  9  (1852)  392.  Zur  Chronologie  vgl.  meine  Bemerkungen  in 
Arch.  slaw.  Phil.  14  (1892)  259.  Vgl.  Jorga,  Latins  et  Grecs  d'Orient  et 
r<5tablissement  des  Turcs  en  Europe:  Byz.  Z.  15  (1906)  214  f. 

2)  Bulg.   Chronik:   Arch.   slaw.   Phil.   13,   527;   über  die  Chronologie 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  407 

Die  Türkengefahr  beschäftigte  seit  der  Niederlage  der  ser- 
bischen Hilfstruppen  bei  Dimotika  ernstlich  auch  den  Zaren  Stephan 
Dusan.  Nach  dem  Falle  von  Kallipolis  wünschte  er  als  ein  vom 
Papste  autorisierter  Oberfeldherr  der  Christenheit  gegen  die  Türken 
zu  Felde  zu  ziehen.  Sein  Verhältnis  zu  den  französischen  Päpsten 
in  Avignon  war  nicht  immer  gut.  Einmal  berichtete  der  Bischof 
Markus  von  Skutari,  der  Zar  sei  bereit,  sich  der  Union  der  Kirchen 
anzuschheßen.  Papst  Klemens  VI.  schrieb  (März  1347)  voll  Freude 
dem  serbischen  Herrscher  und  sendete  auch  Briefe  an  den  mäch- 
tigen Protovestiar  Nikolaus  de  Buchia,  einen  katholischen  Catta- 
renser  und  Freund  des  Zaren,  an  den  „Kaisar"  Gregor  Golubic 
und  die  Comites  von  Cattaro,  Antivari  und  Skutari,  mit  der  Auf- 
forderung, dieses  lobenswerte  Bestreben  ihres  Herrn  zu  unterstüt- 
zen ^).  Die  Beziehungen  wurden  aber  bald  gespannt,  wahrschein- 
lich infolge  der  Agitationen  der  Anjous  unter  den  Lateinern  der 
Küstenstädte  bei  Antivari  und  den  zwischen  beiden  Kirchen  oft 
schwankenden  Albanesen.  Deshalb  setzte  Stephan  in  seinem  Gesetz- 
buche strenge  Bestimmungen  gegen  den  Abfall  zur  lateinischen  Kirche 
ein.  Schon  1350  klagte  man,  Stephan  habe  Lateiner  gewaltsam 
zum  Beitritt  zur  orientalischen  Kirche  gezwungen  und  gegen  die 
kirchlichen  Bestimmungen  nochmals  taufen  lassen  -).  Es  gab  auch 
Beschwerden  über  Wegnahme  von  Kirchen  und  Klöstern.  Bald 
wurde  wieder  eine  Annäherung  versucht,  wobei  die  Initiative  von 
Stephan  ausgingt).    Eine  feierliche  Gesandtschaft  des  Zaren  reiste 


(die  Witwe  Michael  Aseas  kehrte  1355  nach  Konstantinopel  zurück)  eb.  14 
(1892)  261.  Auch  Orbini  472  weiß  vom  Tode  des  „Assegno"  in  einer 
Schlacht  gegen  die  Türken.  Dieser  Johannes  Äsen  ist  nicht  zu  verwechseln 
mit  dem  viel  jüngeren  gleichnamigen  fünften  Sohn  des  Zaren  Alexander,  aus 
zweiter  Ehe. 

1)  Theiner,  Mon.  Hung.  1,  734 — 735.  An  Buchia:  „tu,  qui  eidem 
(dem  Stephan)  assistis  familiariter ". 

2)  „Stephanus,  qui  se  cesarem  seu  regem  Raxie  facit  comuniter  no- 
minari",  ließ  Lateiner  „contra  formam  ecclesie  baptizari".  Schreiben  des 
päpstlichen  Legaten  Kardinal  Guido  aus  Padua  an  den  König  von  Ungarn 
und  die  Venezianer,  Mai  1350:  Ljubic  3,  186. 

3)  Orbini  266  schreibt,  Stephan  habe  den  Nie.  Buchia  nach  Frank- 
reich gesendet,  um   die  Heirat   seines   Sohnes   Uros   mit  einer   Tochter   des 


408  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel 

(1354)  über  Venedig  zu  Papst  Innozenz  VI.  nach  Avignon,  der  Hof- 
richter Bozidar,  der  Statthalter  von  Serrai  Nestegus  und  Damian 
von  CattarO;  ausgerüstet  mit  mündhchen  Aufträgen  und  einem  feier- 
lichen Schreiben  ihres  Herrn  mit  Goldsiegel  ^).  Stephan  Du§an 
erklärte,  er  sei  bereit,  den  Papst  als  Vater  der  Christenheit,  wahren 
Stellvertreter  Christi  und  Nachfolger  des  heiligen  Petrus  anzuer- 
kennen, was  ihm  bei  dem  Bruch  mit  der  Konstantinopler  Kirche 
nicht  schwer  fallen  konnte.  Ferner  brachte  er  zur  Kenntnis,  er 
habe  in  seinem  Reiche  jede  Wiedertaufe  der  Lateiner  strenge  ver- 
boten, die  ihnen  weggenommenen  Kirchen  und  Klöster  zurück- 
gegeben und  den  abgesetzten  lateinischen  Bischöfen,  Äbten  und 
Priestern  die  freie  Rückkehr  erlaubt.  Er  wünschte  auch  eine 
päpstliche  Gesandtschaft  bei  sich  zu  sehen.  Seine  Gesandten  über- 
reichten das  Schreiben  dem  Papste  mit  geziemender  Rede  in  einer 
feierlichen  Audienz  in  Anwesenheit  der  Kardinäle  und  bestätigten 
die  Wahrheit  ihrer  Mitteilungen  eidlich  durch  Berührung  der 
Evangelien.  Das  Schreiben  Stephans  wurde  vom  Papste  in  Villa 
Nova,  dessen  Rundtürme  sich  am  westlichen  Ufer  der  Rhone 
gegenüber  Avignon  erheben,  freundlich  beantwortet  (29.  August 
1354);  merkwürdigerweise  ist  in  dieser  Korrespondenz  der  Kaiser- 
titel gar  nicht  berücksichtigt  und  der  Adressat  nur  als  „rex  Rassie" 
bezeichnet.  Indessen  war  als  päpstlicher  Vertreter  ein  dalmati- 
nischer Bischof  bei  Stephan  gewesen,  Bartholomäus,  zuerst  Bischof 
von  Cattaro,  seit  1349  von  Trau,  welcher  vielleicht  schon  von 
Cattaro  aus  die  persönliche  Freundschaft  des  serbischen  Herrschers 
gewonnen  hatte  2).  Zar  Stephan  beglaubigte  diesen  Bischof  als  Über- 
bringer seiner  Wünsche,  welche  die  Rettung  der  Christen  von  den 
Bedrückungen   der  Türken   zum    Gegenstand   hatten.     Vor   allem 


franz.  Königs  (also  Philipp  VI.  oder  Johanns  des  Guten)  vorzubereiten.     Ur- 
kundlich ist  nichts  darüber  bekannt. 

1)  Empfehlung  der  serb.  Gesandten  von  Venedig  an  den  Papst  im 
Juni  1354:  Ljubic  8,  264.  Päpstl.  Urkunden:  Th einer,  Mon.  Hung.  2, 
8—17;  vgl.  Raynald,  Ann.  eccl.  Bd.  16  (zu  135i). 

2)  Der  Papst  an  Zar  Stephan  über  Bischof  Bartholomäus ,  „  cum  sit 
tibi  familiariter  notus",  einst  „apostolice  .sedis  nunc  jus"  im  Lande:  T  h  ei- 
ner a.  a.  0.  2,  12.  Die  Zeitfolge  der  Reisen  des  Bartholomäus  ist  aus 
Eaynalds  Annalen  und  aus  Theiners  Sammlungen  nicht  klar. 


Stephan  Dusan  (1331—1355).  40» 

wollte  er  von  der  Kirche  zum  „Kapitän"  gegen  die  Türken  er- 
nannt werden  ^).  Die  versprochene  große  päpstliche  Gesandtschaft 
nach  Serbien  wurde  aber  erst  zu  Ende  des  Jahres  ernannt  und 
ihr  Beglaubigungsschreiben  in  Avignon  am  Weihnachtsabend 
(24.  Dezember  1354)  ausgefertigt.  Es  war  der  Bischof  Bartholo- 
mäus von  Trau  und  als  sein  Begleiter  der  gelehrte  Franzose 
Peter  Thomas  aus  Perigord,  damals  Bischof  von  Patti  und  Lipari 
in  Sizilien,  später  Erzbischof  von  Kreta  und  lateinischer  Titular- 
patriarch  von  Konstantinopel,  nach  seinem  Tode  als  Heiliger  ver- 
ehrt. Das  Anerbieten  Stephans,  die  Türken  zu  bekämpfen,  be- 
grüßte der  Papst  mit  großer  Freude.  Der  Papst  werde  ihn  nicht 
nur  in  dem  Amte  des  Kapitäns  (in  huiusmodi  capitaneatus  officio), 
sondern  auch  bei  anderen  ähnlichen  Wünschen  mit  der  aposto- 
lischen Gunst  begleiten  und  wünsche  ihm  nach  Vollendung  der 
im  Dienste  des  Herrn  geführten  Kriege  lange  Jahre  glücklichen 
Friedens.  Die  päpstlichen  Gesandten  wurden  durch  eigene  Schrei- 
ben auch  der  Helena  und  dem  Uros,  dem  Patriarchen  Johannicius, 
der  indessen  schon  gestorben  war,  und  allen  Erzbischöfen  und 
Bischöfen  von  Serbien  und  Albanien,  ferner  dem  Sevastokrator 
Dejan,  dem  Despoten  Oliver,  dem  „Cäsar"  Preljub,  dem  Groß- 
logotheten  Gojko,  dem  deutschen  Feldherrn  Palmann  und  anderen 
Edelleuten  anempfohlen.  Sie  reisten  über  Italien,  wo  sie  in  Pisa 
Karl  IV.  auf  der  Fahrt  von  der  Krönung  mit  der  lombardischen 
Krone  in  Mailand  zur  Kaiserkrönung  in  Rom  antrafen.  Der  Kaiser 
und  zugleich  König  von  Böhmen  gab  ihnen  (19.  Februar  1355) 
ein  Empfehlungsschreiben  mit,  in  welchem  er  Stephans  Absicht, 
sich  der  Einheit  der  Kirche  anzuschließen,  lobte  und  ihn  als  „teuer- 
sten Bruder"  begrüßte,  der  mit  ihm  durch  Gemeinsamkeit  nicht 
nur  des  Herrscherberufes,  sondern  auch  der  „edlen  slawischen 
Sprache"  verbunden  sei  2). 

An    die    Stelle    des    geplanten    großen    Feldzuges    gegen    die 
Türken  trat  aber  inzwischen   ein   neuer  Krieg   zwischen  Stephan 


1)  „  Desiderabas  ab  eadem  ecclesia,  matre  tua ,  contra  Turchos  ipsos 
capitaneus  ordinari",  eb.  2,  12. 

2)  „Eiusdem  nobilis  slavici  idiomatis  participatio",  „eiusdem  generosae 
linguae  sublimitas".  Bei  Palaeky,  Gesch.  von  Böhmen  (böhm.)  2,  2 
(Prag  1876)  107. 


410  Viertes  Buch.     Drittes  Kapitel, 

von  Serbien  und  Ludwig  von  Ungarn.  Die  Details  sind  wenig 
bekannt.  Wir  wissen  nur,  daß  Ludwig  Mitte  Juni  1354  in  Belgrad 
war  und  daß  Stephan  Mitte  August  am  Flusse  Brusnica  unterhalb 
Rudnik  lagerte  ^).  Im  Kloster  Zica  hatte  der  Zar  eine  Bespre- 
chung mit  dem  Patriarchen  Joannikij,  den  er  eigens  in  sein  Lager 
berufen  hatte,  wahrscbeinUch  wegen  der  gleichzeitigen  Verhand- 
langen mit  der  päpstlichen  Kurie.  Doch  der  Patriarch  verfiel  dort 
nach  wenigen  Tagen  in  eine  schwere  Krankheit,  wurde  nach  Pec 
zurückgetragen,  starb  aber  unterwegs  schon  im  Dorfe  Polumir 
am  Ibar  (3.  September  1354).  Das  Heer  Ludwigs  litt  durch  die 
sumpfige  Luft  an  der  Donau  und  Save  und  mußte  sich  zurück- 
ziehen; ein  Opfer  der  Seuche  wurde  auch  der  jüngere  Bruder  des 
Königs,  der  Herzog  Stephan  von  Slawonien  (9.  August)  -).  Zar 
Stephan  zog  ab  in  den  Süden  seines  Reiches,  wo  er  fortan  ver- 
blieb. Im  Herbst  wurde  in  Serrai  auf  einem  Reichstag  Sava, 
bisher  Igumen  von  Chilandar,  zum  Patriarchen  eingesetzt,  worauf 
der  Hof  in  derselben  Stadt  überwinterte  ^').  Aus  Konstantinopel 
trafen  wichtige  Nachrichten  ein.  Die  Situation  war  dort  ganz 
verzweifelt;  viele  Griechen  waren  mit  beiden  Parteien,  den  Palaio- 
logen  und  Kantakuzenen,  unzufrieden  und  hätten  sich  gern  Venedig, 
Ungarn  oder  Serbien  unterworfen,  nur  um  Schutz  gegen  die  Türken 
zu  finden  ^).  Vor  Jahresschluß  (Ende  1354)  nahm  Kaiser  Johannes 
Palaiologos  Konstantinopel  mit  Hilfe  der  Genuesen  durch  einen 
nächtlichen  Überfall.  Kaiser  Johannes  Kantakuzenos  mußte  als 
Mönch  Joasaph  ins  Kloster  gehen,  wo  er  sein  Memoirenwerk  und 
zwei  Schriften  gegen  den  Islam  verfaßte  ^).  Sein  Sohn,  Kaiser 
Matthaios  Kantakuzenos,  behauptete  sich  mit  Hilfe  der  Türken  im 

1)  Urk.  Kg.  Ludwigs  vom  16.  Juni  1354  aus  Belgrad:  Dr.  M.  Wert- 
uer,  Itinerar  des  Königs  Ludwig  I.  im  Vjesuik  zem.  ark.  5  (1903)  126. 
Urk.  des  Zaren  Stephan  vom  14.  August  1354,  „na  Brusuice  pod  Rud- 
nikom":  Spomenik  3,  56:  Florinskij,  Pamjatniky  46. 

2)  Vgl.  P.  Markovic,  Letopis  223  (1904)  166. 

3)  Daniel  379—380.  Urk.  Stephans  aus  Serrai  vom  Febr.  1355: 
Pucic  2,  22  nro.  26. 

4)  Schreiben  des  veuez.  Bailo  aus  Konstantinopel  6.  Aug.  1354: 
Ljubic  3,  266. 

5)  Beide  Schriften  wurden  von  den  Serben  übersetzt;  vgl.  Miklosich, 
Chrestomathia  palaeoslovenica  (Wien  1854)  59—63. 


Stephan  Dusan  (1331—1335).  411 

Rhodopegebiete.  Stephan  Dusan,  der  diese  Vorgänge  mit  Auf- 
merksamkeit verfolgte,  hielt  (wohl  im  Frühjahr  1355)  wieder  einen 
Reichstag  im  Süden  ab,  in  Krupista  (jetzt  Chrupista)  bei  Kastoria  ^). 
Um  diese  Zeit  trafen  die  päpstlichen  Gesandten  ein.  Am  ser- 
bischen Hofe  fanden  sie,  kühl  und  stolz  empfangen,  eine  durch 
den  ungarischen  Krieg  vollständig  veränderte  Situation  -).  Die 
Verhandlungen  zerschlugen  sich,  da  Bischof  Peter  gar  zu  sehr  im 
Interesse  Ungarns  auftrat;  er  reiste  aus  Serbien  sofort  zu  König 
Ludwig,  um  ihn  zum  Krieg  gegen  Stephan  auzueifern  3).  Ludwig 
hatte  schon  im  März  wieder  ein  Heer  gegen  die  Serben  gesammelt. 
Die  Venezianer  fürchteten,  er  werde  sich  in  Wirklichkeit  nach 
Dalmatien  wenden.  Im  Mai  (1355)  wurde  ein  Friede  oder  Waffen- 
stillstand zwischen  Ludwig  und  Stephan  erwartet,  doch  haben  sich 
darüber  keine  Nachrichten  erhalten  ^).  Aus  den  Berichten  des 
Florentiners  Villani  ist  klar  zu  ersehen,  daß  Ludwig  in  der  näch- 
sten Zeit  nichts  jenseits  der  Donau  und  Save  besaß;  Zar  Stephan 
hatte  also  die  gewünschte  Grenzlinie  behauptet. 

Seit  September  1355  unterhandelten  die  Venezianer  mit  der 
Schwester  des  Zaren,  der  Comitissa  Helena,  Witwe  des  Mladen 
Subic,  wegen  des  Ankaufes  von  Clissa  und  Scardona  '^).  Anderer- 
seits bemühte  sich  um  diese  Plätze  König  Ludwig,  unterstützt 
vom  jungen  bosnischen  Ban  Tvrtko  und  von  Tvrtkos  Mutter 
Helena.  Bald  traf  in  Venedig  die  Nachricht  ein,  Zar  Stephan 
wolle  die  Festungen  seiner  Schwester  mit  seinen  Leuten  besetzen. 


1)  Florinskij,  Pamjatniky  47.  Krupista:  vgl.  Arch.  slaw.  Phil.  22 
(1900)  170. 

2)  Legendenhafte  Vita  des  Peter  Thomas,  verfaßt  bald  nach  seinem 
Tode  (t  in  Famagusta  auf  Zypern  1366)  in  Avignon  von  Philipp  de 
Me  zier  es,  Kanzler  des  Königs  von  Zypern;  erwähnt  den  zweiten  Gesandten 
Bischof  Bartholomäus  gar  nicht.  Acta  S.S.  zum  29.  Jänner;  das  Stück 
über  Serbien  abgednickt  von  Daniele  im  Glasnik  21  (1867)  277 f.  Vgl. 
N.  Jorga,  Philippe  de  Mezieres  1327—1405  (Paris  1896)  p.  135 f.,  344. 

3)  Bischof  Peter  kehrte  erst  kurz  vor  dem  1.  Mai  1356  nach  Avignon 
zurück;  an  diesem  Tage  forderte  der  Papst  den  Bischof  Bartholomäus  auf, 
so  bald'  als  möglich  mündlich  zu  berichten.     T  h  e  i  n  e  r ,  Mon.  Slav.  1 ,  234. 

4)  Vgl.  Hub  er  im  Archiv  f.  österr.  Gesch.  66  (1885)  S.  26.  Briefe 
des  venez.  Comes  von  Ragusa:  Ljubie  3,  270,  272,  273. 

5)  Korrespondenz  darüber:  Ljubie  3,  271  if. 


412  Viertes  Bucb.    Drittes  Kapitel. 

In  der  Tat  trafen  zwei  serbische  Feldherren  ein,  wahrscheinlich 
zur  See,  in  Clissa  der  deutsche  Söldnerführer  Palmann,  in  Scardona 
der  alte  Gjuras,  Sohn  des  Ilija,  begleitet  von  Brüdern,  Söhnen 
und  Neffen.  Aber  ihre  Lage  wurde  bald  bedenklich.  Die  Vene- 
zianer sendeten  Giacomo  Delfino  zum  Zaren  Stephan,  um  sich 
mit  ihm  wegen  des  Kaufpreises  für  die  Burgen  zu  verständigen. 
Clissa  war  schon  im  Dezember  vom  königlichen  Ban  des  küsten- 
ländischen Kroatiens  derart  eingeschlossen,  daß  der  Verkehr 
mit  der  Burg  nur  nachts  möglich  war.  In  der  Stadt  Scardona, 
wo  die  Besatzung  auch  durch  venezianische  Soldaten  verstärkt 
wurde,  sträubten  sich  die  Bürger  gegen  eine  Herrschaft  des  „impe- 
rator  Raxie",  so  daß  Gjuras  den  Platz  (10.  Jänner  135G)  den 
Venezianern  übergeben  mußte;  dies  hatte  ihm  Zar  Stephan  aus- 
drücklich für  den  Fall  aufgetragen,  wenn  er  sich  nicht  behaupten 
könnte.  In  CUssa  kam  Venedig  zu  spät;  die  Burg  fiel  in  den 
Besitz  des  ungarischen  Königs  (März  1356). 

Zar  Stephan  Dusan  erlebte  den  Ausgang  der  Sache  nicht 
mehr.  Er  war  im  fernen  Süden  geblieben  und  urkundete  am 
5.  Dezember  „unterhalb  Ben'höa"  (slaw.  Ber)  ^).  Zwei  Wochen 
nachher  starb  er,  wir  wissen  nicht  wo,  Sonntag  den  20.  Dezember 
1355,  erst  ungefähr  48  Jahre  alt,  und  wurde  in  seiner  Stiftung, 
dem  Erzengelkloster  bei  Prizren,  begraben  ^). 


1)  Urk.  datiert  „pod  Berom"  (so  Orig.):  Pucic  2,  S.  24  nro.  28; 
vgl.  meine  Kollation  im  Spomenik  11,  101.  Nicht  „unterhalb  Ser"  (Serrai), 
wie  Daniele  und  Florinskij  verbessern  wollten. 

2)  Orbini  268  schreibt,  Stephan  sei  an  Fieber  gestorben,  nach  den 
einen  in  „Diavolopota  in  ßomania"  (Devol  südlich  von  Ochrid?),  nach 
anderen  aber  in  Nerodimlje. 


Viertes  Kapitel. 

Verfall  des  serbischen  Reiches  unter  dem  Kaiser  Uros 
(1555-1371).    Kaiser  Symeon  in  Thessalien  (1356  bis 
1570  ?).    König  Vlkasin  (1566—1571)  und  die  Türken- 
schlacht an  der  Marica  (1571)  ^). 

Nach  dem  Tode  des  Zaren  Stephan  war  das  Haus  des  Nemanja 
auf  zwei  männliche  Personen  beschränkt,  die  einander  als  Neben- 


1)  A)  Quellen.  Die  Katsbücher  von  Ragusa  haben  eine  Lücke  1368 
bis  1378.  Die  Biographie  des  Patriarchen  Sava  I.  (Daniel  ed.  Daniele  381). 
Der  serb.  Rodoslov  (Genealogie)  in  der  ältesten  Redaktion,  verfaßt  um  1371 
bb  1410:  ed.  Stojanovic  im  Glasnik  53  (1883)  1 — 13,  der  Kodex  von  Pec 
von  demselben  im  Spomenik  3,  93 f.  Wichtig  für  die  Sagengeschichte  ist 
das  „Leben  des  Zaren  Uros"  vom  serb.  Patriarchen  Paysij  (aus  dem 
17.  Jahrb.),  herausg.  von  Ilarion  Ruvarac  im  Glasnik  22  (1867)  209—232. 
Nikephoros  Gregoras  (bis  1358)  und  Kantakuzenos  (einzelne  Nach- 
richten bis  1364).  Die  griech.  Chronik  von  Janina  (1355 — 1400),  verfaßt  von 
den  Mönchen  Komnenos  und  Proklos,  herausg.  von  Gabriel  Destunis 
(Petersburg  1858)  und  von  Jefta  Avramovic  im  Glasnik  14  (1862)  233  bis 
275.  —  B)  Literatur.  Über  das  Ende  der  Nemanjiden:  Ilarion  Ruvarac, 
Chronologische  Fragen  über  die  Zeit  der  Schlacht  an  der  Marica,  des  Todes 
des  Königs  Vukasin  und  des  Todes  des  Zaren  Uros:  Godisnjica  3  (1879) 
214—226.  Ljubomir  Kovacevic,  König  Vukasin  ist  nicht  der  Mörder 
des  Zaren  Uros,  eb.  404 — 416.  Dagegen  P.  Sreckovic,  Der  König  Vu- 
kasin hat  den  Zaren  Uros  getötet,  serb.,  Belgrad  1881.  Const.  Jirecek, 
Der  serb.  Zar  Uros,  König  Vlkasin  und  die  Ragusaner:  Gas.  ces.  musea  60 
(1886)  1—26,  241—276;  dasselbe  deutsch  im  Auszug  in  den  S.B.  der 
kgl.  böhm.  Gesellsch.  d.  Wiss.  in  Prag  1885,  114 — 141.  Über  die  Balsici: 
C.  Mijatovie  im  Glasnik  49  (1881)  und  66  (1886);  Georg  von  Strati- 
mirovic  in  der  Godisnjica  15  (1895);  Giuseppe  Gelcich,  La  Zedda  e 
la  dinastia  dei  Bal§idi,  Spalato  1899.  Novakovic,  Die  Serben  und  Tür- 
ken im  14.  und  15.  Jahrb.,  serb.,  Belgrad  1893,  119f. 


414  Viertes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

buhler  entgegentraten.  Es  waren  Stephans  Sohn  Uros  und  Stephans 
Halbbruder  Symeon.  Diese  beiden  jungen  Männer  besaßen  nicht 
die  Eigenschaften,  um  ein  großes,  neu  erweitertes  Reich  in  be- 
wegten Zeiten  mit  starker  Hand  zu  leiten.  Bald  gab  es  Stürme  im 
ganzen  Lande  ^).  Die  Kaiserin  Helena  besaß  im  Osten  Serrai,  im 
Westen  Dulcigno.  Sie  legte  bald  den  Schleier  an,  mit  dem 
Klosternamen  Elisabeth,  und  erlebte  nach  kurzer  Zeit  den  völligen 
Zusammenbruch  alles  dessen,  was  ihr  verstorbener  Gatte  aufgebaut 
hatte  -).  Thronfolger  war  unzweifelhaft  Uros,  der  sich  nun  „Stephan 
Uros,  Kaiser  der  Serben  und  Griechen"  schrieb.  Er  war  un- 
gefähr 1 9  Jahre  alt,  hatte  sich  aber  durch  keine  glänzenden  Taten 
bemerkbar  gemacht,  wie  einst  sein  Vater  in  demselben  Alter.  Der 
Verfasser  der  älteren  Genealogie  (des  „  Rodoslo v")  der  serbischen 
Herrscher  schildert  ihn  als  einen  Jüngling  von  schöner  Gestalt, 
jugendlich  in  seiner  Sinnesart,  allzu  gnädig  und  sanft;  die  Rat- 
schläge der  Alten  wies  er  zurück  und  hielt  sich  an  den  Rat  der 
Jüngeren  und  kam  endlich  zum  Schaden  durch  seine  eigenen 
Höflinge,  von  denen  er  viele  Kränkungen  erdulden  mußte  3).  Bald 
heiratete  er  (1360)  Anna,  eine  Tochter  des  Alexander,  Fürsten 
der  Walachei;  eine  Schwester  dieser  neuen  serbischen  Kaiserin 
war  Gattin  des  bulgarischen  Thronfolgers,  des  Zaren  Johannes 
Sracimir,  wie  denn  die  Heirat  wohl  von  der  Mutter  des  Uros  ver- 
mittelt war,  die  dadurch  einen  neuen  Anschluß  an  ihre  bulgarische 
Verwandtschaft   suchte^).     Stephans    Halbbruder  Despot  Symeon, 

1)  KantakuzenosIVcap.  43;Gregoras  XXXVII  cap.  13  (betrachtet 
Symeon  irrig  als  den  Sohn  des  Zaren  Stephan) ;  Chronik  von  Janina  cap.  3  f. 

2)  Als  Elisabeth  schon  im  Jahre  6868  =  1.  Sept.  1359  —  31.  Aug. 
1360:  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  116. 

3)  Rodoslov:  ed.  Safafik,  Pamätky  54,  ed.  Stojanovic  im  Glasnik  53 
(1883)  12. 

4)  Glückwünsche  der  Ragusaner  „domino  imperatori  Sclavorum"  zur 
Hochzeit  im  Juli  1360:  Mon.  Rag,  2,  293.  Anna,  Carica  des  Uros  im 
Pomenik  ed.  Novakovic,  Glasnik  42  (1875)  29.  „Ancha,  regina  Servie",  der 
Orient.  Kirche  treu:  Th einer,  Mon.  Hung.  2,  95  (Jänner  1370).  Orbini 
269  hält  sie  für  die  erste  Frau,  die  Uros  verstoßen  habe,  um  eine  Tochter 
des  serb.  Magnaten  Vojislav  zu  heiraten.  Doch  war  Vojislav  eher  Schwager 
des  Uros,  Gatte  seiner  Schwester,  von  Uros  in  einer  Urkunde  (Mon.  serb. 
169)  als  „brat"  (Bruder)  bezeichnet,  ebenso  wie  Stephans  Schwager  Dejan 
als  dieses  Zaren  „brat"  (ib.  143)  erscheint. 


Die  Zaren  Uros  und  Symeon  (1356).  415 

damals  Statthalter  in  Epirus,  war  etwas  älter,  ungefähr  28  Jahre, 
besaß  aber  auch  kein  militärisches  oder  politisches  Talent.  Den 
Serben  war  er  überdies  nicht  genehm  als  Halbgrieche,  von  Seite 
seiner  Mutter  und  seiner  Frau.  Es  ist  charakteristisch,  daß  er 
meist  mit  einem  verkleinernden  Spitznamen  erscheint,  als  „Sy- 
meonchen "  (Sym^e ,  Simsa  oder  Semsa) ;  noch  jetzt  kennt  die 
Volkstradition  den  Bruder  Dusans  als  Sinisa  ^). 

Symeon  wollte  Nachfolger  seines  Bruders  werden,  vielleicht 
nur  als  Mitregent  seines  Neffen.  Er  hat  ja  während  der  Kindheit 
des  Uros  als  eventueller  Nachfolger  gegolten  -).  Nun  versammelte 
er  bei  Kastoria  ein  Heer  von  ungefähr  5000  Serben,  Albanesen 
und  Griechen,  ließ  sich  zum  „Kaiser  der  Griechen,  Serben  und 
von  ganz  Albanien"  proklamieren  und  schrieb  sich,  um  serbische 
und  griechische  Ansprüche  zu  vereinigen,  Symeon  Uros  Palaio- 
logos  2).  Zahlreiche  Adlige  schlössen  sich  ihm  an,  besonders  sein 
Schwiegervater,  der  Despot  Johannes  Komuenos  in  Valona.  Durch 
die  Angriffe  der  Serben  und  Wlachen  litt  während  des  Krieges 
(Juli  1356)  besonders  die  Stadt  Berat,  damals  Besitz  des  Des- 
poten Johannes^).  Zur  Gewinnung  von  Anhängern  wurden  Hof- 
titel nach  byzantinischer  Art  von  beiden  Parteien  freigebig  ver- 
schenkt, auch  an  kleinere  Herren;  so  finden  wir  im  Küstenlande 
zwischen  Valona  und  Durazzo  einen  Albanesen  Blasius  Matarango 
als  „Sevastokrator",  am  See  von  Prespa  einen  Serben  Novak 
als  „Kaisar".  Doch  die  Anhänger  des  Uros  waren  zahh'eicher. 
Der  Statthalter  von  Thessalien,  der  „Kaisar''  Preljub,  starb  bald 
nach  dem  Zaren  Stephan.  Seine  Witwe  heiratete  Hlapen,  der 
Statthalter  von  Berrhöa  und  Voden,  ein  Gegner  Symeons.  Dem 
Uros    treu   blieb    auch    der  Sevastokrator  Branko  Mladenoviö  in 


1)  Symce  (so  im  Orig.)  Mon.  Rag.  2,  193;  Simsa,  Spomenik  11,  32 — 33; 
Semsa  im  Pomeuik,  Glasnik  a.  a.  0.  Bei  Orbini  270  Sinissa,  „debile  e  di 
poco  valore". 

2)  Mon.  serb.  116  (1342). 

3)  Alle  erhaltenen  Urk.  des  Symeon  sind  griechisch.  Faksimile  bei 
Heuzey,  Revue  archeolog.  1861,  wiederholt  im  Glasnik  18  (1865).  Vgl. 
Spomenik  9,  28. 

4)  Gleichzeitige  Notiz  im  JtXTi'ov  der  hist.  Ges.  4  (1892)  276  f. 


416  Viertes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Ochrid  mit  seinen  drei  Söhnen:  dem  „Kaisar"  Gregor,  dem  nachher 
berühmten  Vlk  und  dem  Mönch  von  Chilandar  Roman  ^). 

Das  ganze  Unternehmen  Symeons  wurde  lahmgelegt  durch 
eine  Bewegung  unter  den  Griechen  des  Südens.  Auf  die  Nach- 
richt von  den  Wirren  in  Serbien  erschien  (im  Frühjahr  1356)  an 
der  thessalischen  Küste  mit  Kriegsschiffen  aus  Enos  der  Despot 
Nikephoros  und  gewann  mühelos  Thessalien  und  Epirus.  Die 
Griechen  waren  überall  für  den  Nachkommen  der  alten  Landes- 
fürsten, die  Albanesen  gegen  ihn.  Nikephoros  wollte  nämlich  durch 
eine  gewaltsame  Restauration  den  Grundbesitz  auf  die  Zustände 
vor  acht  Jahren  zurückbringen,  die  Albanesen  vertreiben  und  die 
Griechen  in  ihr  Erbe  einsetzen.  Dabei  suchte  er  eine  Annäherung 
an  die  Serben  und  unterhandelte  sowohl  mit  Symeon,  seinem 
Schwager,  als  mit  der  Kaiserin  Helena.  Er  war  bereit,  seine  Frau, 
die  Tochter  des  gestürzten  Johannes  Kantakuzenos,  den  Serben 
auszuHefern  und  eine  Schwester  der  Helena  zu  heiraten,  wohl 
<lieselbe,  die  vor  wenigen  Jahren  dem  Kaiser  Johannes  Palaiologos 
zugedacht  war.  Die  Frau  des  Nikephoros  floh  jedoch  rechtzeitig 
aus  Arta  zu  ihrem  Bruder  Manuel  Kantakuzenos  nach  Morea. 
Aber  bald  folgte  ein  Aufstand  der  Albanesen.  Nikephoros  wurde 
mit  seineu  griechischen  Stratioten  und  türkischen  Söldnern  am 
Acheloos  (jetzt  Aspropotamo)  von  den  albanesischen  Edelleuten 
mit  ihrem  leicht  beweglichen  Kriegsvolk  vollständig  geschlagen 
und  fiel  im  Kampfe  (1358)-).  Symeon  erneuerte  von  Kastoria 
aus  wieder  die  serbische  Herrschaft  im  Süden.  In  Arta  und  Janina 
wurde  er  als  Kaiser  begrüßt,  schlug  aber  seine  Residenz  in  Thes- 
salien in  der  Stadt  Trikala  auf  In  Epirus  blieb  sein  Einfluß  ein- 
geschränkt durch  die  Sieger  über  Nikephoros,  die  Albanesen, 
welche  am  Acheloos  und  in  Arta  die  wirklichen  Landesherren 
waren. 

Zu  gleicher  Zeit  war  der  erwartete  neue  Krieg  zwischen 
Venedig  und  Ungarn  ausgebrochen.     Die  Venezianer  ließen  nach 


1)  Griechische  Inschrift  des  Kaisar  Gregor  vom  August  1361  ia 
Zaum  bei  Ochrid:  Miljukov,  Izvestija  arch.  inst.  4,  1  (1899)  84;  Jordan 
Ivanov,  Bulgarische  Denkmäler  aus  Makedonien,  bulg.,  Sofia  1908  S.  218. 

2)  Kantakuzenos  IV  cap.  43,  Das  Jahr  6866  =  1.  Sept.  1357 
bis  31.  Aug.  1358  in  der  Chronik  von  Janina. 


Zar  Uros  (1355—1371).  417 

des  Zaren  Stephan  Tod  den  Bund  mit  Serbien  als  wertlos  ganz 
fallen;  es  war  ein  verspäteter  Verweis,  wenn  ihnen  der  Papst 
wegen  der  Liga  mit  den  ketzerischen  Serben  einen  Tadel  zu- 
kommen ließ  ^).  Als  Ludwig  vom  Papste  zum  Feldherrn  der 
Kirche  gegen  die  serbischen  Schismatiker  ernannt  worden  war 
und  ein  ungarisches  Heer  (im  Frühjahr  1356)  in  Agram  angeblich 
gegen  Uros  zusammengezogen  wurde,  ließ  sich  Venedig  überraschen. 
Die  Ungarn  wendeten  sich  unerwartet  nach  Friaul  und  bestürmten 
das  venezianische  Treviso. 

Durch  diese  unruhigen  Zeiten  erklärt  es  sich,  daß  die  Ragu- 
saner  nach  des  Zaren  Stephan  Tod  lange  mit  den  üblichen 
Schritten  um  Wiederbestätigung  ihrer  Privilegien  zögerten.  End- 
lich im  April  1357  versammelte  sich  der  serbische  Reichstag  in 
Skopje,  in  Anwesenheit  des  Zaren  Uros,  des  Patriarchen,  der 
alten  Kaiserin ,  des  Adels  und  Klerus  ^).  Die  ragusanischen  Ge- 
sandten trafen  den  Uros  in  demselben  Monat  in  Prizren  und  er- 
hielten von  ihm  die  Bestätigung  ihrer  Rechte  durch  eine  Reihe 
von  Urkunden.  Der  größte  Gewinn  war  die  Schenkung  der  Ab- 
hänge über  den  Weingärten  der  Stadt,  von  Breno  bis  Kurilo 
(jetzt  Petrovo  selo).  Als  im  Herbst  ein  albanesischer  Adliger 
aus  Valona  als  Gesandter  Symeons  nach  Ragusa  kam,  sprachen 
die  Ragusaner  ihre  Bereitwilligkeit  aus,  bei  dem  Abschluß  eines 
Friedens  zwischen  Symeon  und  seinem  Neffen  mitzuwirken  ^j. 

Zu  einer  Ordnung  aller  Verhältnisse  wäre  eben  die  beste 
Zeit  gewesen,  denn  die  Ungarn,  Bosnier,  Byzantiner  und  Türken 
waren  alle  anderswo  beschäftigt.  König  Ludwig  zwang  (1357) 
den  jungen  Ban  Tvrtko,  ihm  den  Norden  Zachlumiens  von  der 
Cetina  bis  zur  Narenta  abzutreten,  als  Mitgift  der  Elisabeth, 
Tochter  des  Bans  Stephan  IL  Tvrtko  wurde  verpflichtet,  abwech- 
selnd mit  seinem  Bruder  Stephan  Vlk  am  ungarischen  Hofe  zu 
verweilen   und   daheim  die  Patarener  zu  verfolgen,   was  zu  einer 


1)  Ljubic  3,  327  (Juli  1356).  Urk.  über  den  beabsichtigten  Zug 
Ludwigs  gegen  Orosius,  rex  Rassiae:  Raynaldi  Ann.  eccl.  Bd.  16,  1356 
cap.  24  f. 

2)  Urkunden:  Mon.  serb.  155 f. 

3)  Mon.  Rag.  2,  193  (5.  Sept.  1357). 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  27 


418  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

großen  Bewegung  unter  dem  bosnischen  Adel  führte  ^).  Den 
Venezianern  ging  es  in  Dalmatien  schlecht.  An  demselben  Tage 
wurden  die  venezianischen  Besatzungen  von  den  Bürgern  von 
Spalato  und  Trau  plötzhch  vertrieben  (Juli  1357).  Im  Dezember 
besetzten  die  Truppen  des  Königs  Ludwig  Zara  durch  einen 
nächtlichen  Überfall,  im  Einverständnis  mit  den  Einwohnern. 
Bei  den  Türken  hat  der  älteste  Sohn  Orchans,  der  Thronfolger 
Suleiman  durch  einen  Sturz  vom  Pferde  unerwartet  den  Tod 
gefunden  (1356).  Von  den  andern  Söhnen  wurde  ChaUl  von 
griechischen  Seeräubern  gefangen  und  von  dem  byzantinischen 
Statthalter  von  Phokaia  bei  Smyrna  Johannes  Kalothetos  zwei 
Jahre  lang  (1356 — 1358)  gefangen  gehalten.  Orchan  bat  den 
Kaiser  um  Vermittlung,  Kalothetos  verweigerte  jedoch  den  Ge- 
horsam, mußte  von  Johannes  Palaiologos  belagert  werden  und 
gab  den  kostbaren  Gefangenen  erst  gegen  hohe  Würden  und  eine 
große  Geldsumme  heraus.  Während  der  Gefangenschaft  Chahls 
hatte  Thrakien,  wie  Gregoras  berichtet,  endHch  einmal  Ruhe;  die 
türkischen  Raubzüge  hörten  auf,  das  Land  wurde  wieder  gangbar 
und  erfreute  sich  an  einer  reichen  Weinlese, 

Damals  fand  auch  das  Kaisertum  des  Matthaios  Kantakuzenos 
im  Rhodopegebiet  ein  jähes  Ende  (Sommer  1357)-).  Er  ver- 
suchte einen  Angriff  auf  die  Serben,  wahrscheinlich  um  aus  dem 
Kampfe  zwischen  Uros  und  Symeon  Vorteil  zu  ziehen.  Geheime 
Verbindungen  mit  einigen  serbischen  Adligen  lockten  ihn  in  eine 
Falle.  Mit  5000  Türken  aus  verschiedenen  Emiraten,  die  ihm 
sein  Freund  Orchan  gesendet  hatte,  ritt  der  jüngere  Kantakuzenos 
durch  den  Paß  von  Christopolis.  Vor  Serrai,  wo  sich  die  Kaiserin 
Helena  befand,  stieß  er  unerwartet  auf  ein  starkes,  vom  Zaren 
Uros  gesendetes  Heer  unter  dem  „Kaisar"  Vojihna  {Botxvag),  dem 
Befehlshaber  von  Drama,  und  wurde  vollständig  geschlagen.  Im 
Abenddunkel  verbarg  er  sich  zu  Pferde  in  dem  Schilf  eines 
Sumpfes  bei  dem  aus  dem  Altertum  berühmten  Philippi,  welches 
damals  noch  eine  bewohnte  Stadt  war.    Die  Phihpper  fanden  den 


1)  Ilarion  Ruvarac,  Glasnik  bos.  6  (1894)  231,  611  =  Wiss.  Mitt. 
4  (1896)  828,  335. 

2)  Kantakuzenos  IV  cap.  44—45.     Gregoras  XXXVII  cap.    16. 


Zar  Uros  (1355—1371).  419 

Matthaios  mit  Hilfe  von  Jagdhunden  und  brachten  ihn  zum  ser- 
bischen Feldherrn.  Vojihna  lieferte  ihn  mit  Erlaubnis  der  Kaiserin 
Helena  um  große  Geschenke  dem  Kaiser  Johannes  aus,  welcher 
inzwischen  des  Rhodopegebiet  besetzt  hatte  und  dadurch  Nachbar 
der  Serben  wurde.  Für  die  Serben  des  Uros  war  der  Sieg  über 
Matthaios  ein  ebenso  großer  Erfolg,  wie  der  Untergang  des  Nike- 
phoros  für  die  Partei  des  Symeon. 

Der  Krieg  zwischen  Ungarn  und  Venedig  schloß  mit  dem 
Frieden  von  Zara  (18.  Februar  1358).  Die  Venezianer  wurden 
für  ein  halbes  Jahrhundert  von  der  Ostküste  des  Adriatischen 
Meeres  vollständig  verdrängt,  nach  dem  Wortlaut  der  Urkunde 
von  der  Mitte  des  Quarnero  bis  zu  den  Grenzen  von  Durazzo. 
Die  ganze  dalmatinische  Küste  bis  zur  Narenta  kam  mit  allen 
Inseln  unter  ungarische  Herrschaft,  ebenso  Ragusa,  welches  nun 
eine  Republik  wurde,  mit  monathch  gewählten  Rektoren  aus  dem 
Stadtadel.  Der  ungarische  König  bezog  von  den  Ragusanem 
nur  ein  Jahrgeld  und  hatte  in  der  Stadt  keine  Beamten  und 
keine  Besatzung.  Nach  den  ungarischen  Privilegien  blieb  Ragusa 
das  Recht  gewahrt,  mit  Serbien  oder  Venedig  Handel  zu  treiben, 
auch  wenn  der  König  von  Ungarn  mit  einem  dieser  beiden  Staaten 
in  Feindschaft  wäre  ^). 

Der  Krieg  zwischen  Uros  und  Symeon  war  damals  neuer- 
dings in  Gang  gekommen.  Bis  zur  Donau  gab  es  (Sommer  1358) 
in  den  kaufmännischen  Kolonien  eine  Panik  auf  die  Nachricht 
über  einen  Vorstoß  Symeons  nach  Serbien,  in  die  Landschaft  von 
Skutari  2).  Doch  war  dies  der  letzte  Versuch.  Der  Süden  des 
Reiches  des  Stephan  Dusan  blieb  fortan  getrennt  vom  Norden. 
Symeon  hatte  sich  zu  Hause  in  Thessalien  gegen  Hlapen  zu  ver- 
teidigen, der  für  seine  Stiefkinder,  die  Kinder  des  Preljub,  An- 
sprüche erhob.     Als  Hlapen  die  Burg  Damasis  ^)  eroberte,   schloß 


1)  Starine  1,  144 — 145.  Gelcich  et  Thalldczy,  Diplomatarium 
relationum  reipublicae  RagusaDae  cum  regno  Hungariae  (Budapest  1887)  1  f. 

2)  Brief  eines  Ragusaners  aus  Zeljeznik  in  Kucevo  3.  Febr.  1359: 
Spomenik  11,  33.  Nach  Orbini  270  wurde  Symeon  von  der  Burg  von 
Skutari  zurückgeschlagen. 

3)  Jetzt  Dorf  Dhamasi  am  Xerias,  nw.  von  Larissa,  auf  türkischem 
Boden  nahe  bei  der  Grenze  des  Königreichs  Griechenland. 

27* 


430  Viertes  Bucli.     Viertes  Kapitel. 

Symeon  mit  ihm  Frieden  und  gab  seine  Tochter  Maria  Hlapeus 
Stiefsohn,  dem  Thomas  Preljubovic  zur  Frau.  Am  kaiserlichen 
Hofe  zu  Trikala  gewannen  griechische  Familien  großen  Einfluß, 
besonders  die  Angeli,  Verwandte  von  Symeons  Frau.  Unter  ihnen 
waren  auch  Nachkommen  des  byzantinischen  Mundschenks  [itiy- 
vJgvrig),  einst  Statthalters  des  Kaisers  Kantakuzenos  in  Thessalien, 
des  Johannes  Angelos,  Das  sind  die  „Epikernäer",  wie  sie  Chal- 
kondyles  nennt  ^).  Es  gibt  in  Thessalien  heute  noch  ein  merk- 
würdiges Denkmal  aus  der  Zeit  Symeons:  die  zahlreichen  Meteor- 
klöster, auf  unzugänglichen  Felsen  bei  der  bischöflichen  Stadt 
Stagoi  gegründet  von  griechischen  Eremiten.  In  Epirus  setzte 
Symeon  seinen  Schwiegersohn  Thomas  als  Despoten  ein  (1366  bis 
13^5).  Unter  dem  Jubel  der  Einwohner  zog  der  junge  Serbe  mit 
einem  starken  Heere  in  Janina  ein,  welches  seit  der  Besetzung 
von  Arta  durch  die  Albanesen  die  Hauptstadt  des  Landes  geworden 
war.  Aber  seine  Macht  war  beschränkt  durch  den  albanesischen 
Adel  im  Gebirge  und  im  Süden  des  Landes,  unter  fortwährenden 
Fehden.  Populär  war  seine  Gattin,  die  „Kaiserin"  {ßaailiaoa) 
Maria,  die  sich  als  Nachkomme  der  alten  Landesfürsten  „Angelina, 
Dukaina,  Palaiologina"  schrieb.  Thomas  selbst  fand  als  gewalt- 
tätiger Dynast  bei  den  Griechen  wenig  Freunde,  wie  dies  die  von 
den  Mönchen  Komnenos  und  Proklos  verfaßte  Stadtchronik  von 
Janina  ausführlich  darlegt.  Seine  Hauptsorge  war  die  Erhaltung 
seiner  serbischen  Truppen,  durch  Okkupation  von  Gütern  der 
Archonten  und  der  Kirche,  durch  Verheiratung  der  griechischen 
Witwen  nach  einer  Seuche  an  die  Serben  und  durch  drückende 
Steuern  und  Monopole.  Der  mächtigste  Mann  im  Süden  wurde 
der  zweite  Despot  des  Landes,  der  energische  Albanese  Johannes 
Spata,  der  Herr  von  Arta.  Seine  Heirat  mit  des  Thomas  Schwester 
Helena  verhinderte  nicht  den  Ausbruch  neuer  Kämpfe  zwischen 
den  Herren  von  Janina  und  Arta.  Der  nächste  fränkische  Nachbar 
wurde  der  neue,  von  dem  lateinischen  Titularkaiser  (1357)  ein- 
gesetzte Pfalzgraf  von  Kephallenia    und   Zante,   Leonardo  Tocco, 


1)  'EnixiQvaToi:  vgl  meine  Zusammenstellung  in  der  Byz.  Z.  18 
(1909)  585  (zur  Form  vgl.  in  Bulgarien  im  14.  Jahrh.  „epikernij"  für 
Ttiyx^QVTis). 


Zar  Uros  (1355-1371).  421 

ein  neapolitanischer  Ritter  aus  Benevent,  der  Stammvater  der  letzten 
epirotischen  Dynastie, 

König  Ludwig  wendete  sich  nach  der  Gewinnung  Dalmatiens 
gegen  die  Serben.  Im  Donaugebiet  wurde  während  der  inneren 
Wirren  ein  serbischer  Edelmann  von  einem  mächtigen  Nachbarn 
arg  bedrängt.  Als  er  bei  Uros  kein  Recht  finden  konnte,  bat  er 
Ludwig  um  Hilfe  und  besiegte  mit  ungarischen  Truppen  seinen 
Nebenbuhler,  der  in  der  Schlacht  fiel  ^).  Dadurch  gewann  der 
König  einen  guten  Übergang  über  die  Donau.  Im  Frühjahr  1359 
kam  ein  starkes  ungarisches  Heer,  in  welchem  sich  auch  deutsche 
Ritter,  wie  Graf  Ulrich  von  Cilli  befanden,  über  den  Fluß,  schlug 
am  Fuß  der  großen  Gebirge  (grandi  montagne  di  Rascia)  das 
serbische  Heer  nach  hartem  Kampfe  und  drang  acht  Tagemärsche 
weit  in  das  Land  ein,  wohl  in  die  Berge  von  Rudnik.  Beute  gab 
es  wenig,  da  die  Serben  alles  in  die  Wälder  fortgeschaflft  hatten. 
Zar  Uros,  der  „chayser  von  Syrvey'*  des  Suchen wirt,  zog  sich  in 
die  unzugänglichen  Waldgebiete  zurück,  wohin  ihm  niemand  ohne 
großen  Schaden  folgen  konnte.  Die  serbischen  Bauern  beunruhigten 
das  ungarische  Heer  ohne  Unterlaß.  Im  Hochsommer  kam  König 
Ludwig  persönlich  mit  einem  zweiten  Heer,  lagerte  bei  den  Berg- 
werken von  Rudnik,  aber  seine  Großen  erlaubten  ihm  nicht  weiter 
in  die  Gebirge  zu  ziehen.  Nach  einem  Monat  kehrte  er  wieder 
zurück  -). 

Ragusa,  nunmehr  unter  ungarischer  Hoheit,  bekam  die  Ver- 
änderung zu  fühlen.  Nachbar  der  Stadt  war  einer  der  einfluß- 
reichsten Männer  des  serbischen  Hofes,  der  Knez  Vojislav,  Sohn 
des  Vojno,  Statthalter  von  Canali,  Trebinje,  Gacko,  Drina,  Sjenica 
usw.  Uros  hat  ihm  auch  den  Titel  eines  „Knezen"  von  Zachlumien 
verliehen.    Als  König  Ludwig  in  Serbien  einbrach,  verlangte  Vojis- 


1)  Berichte  des  Matteo  Villani  IX  cap.  22,  32.  Suchenwirts 
Lobrede  in  deutscheu  Versen  auf  Ulrich  von  Cilli  bei  Huber,  Archiv  f. 
Ost.  Gesch.  66  (1885)  28.     Vgl.  Huber,  Geschichte  Österreichs  2,  226. 

2)  König  Ludwig  urkundet  31.  Mai  in  Slankamen,  25.  Juni  in  Rudnik, 
6.  Juli  „in  Servia",  22.  Juli  1359  wieder  in  Visegrad  bei  Ofen.  Vgl. 
D.  Grub  er  über  die  Zeit  Ludwigs  I.  in  Dalmatien,  im  Rad  168  (1907) 
186  A.  1  und  M.  Wertner,  Itinerar  Ludwigs  L,  im  Vjesnik  zem.  ark.  5 
(1903)  129. 


433  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

lav  von  den  Ragusanern  unter  Drohungen  die  Abtretung  von 
Stagno ;  es  gehöre  ihm  als  Residenz  des  „comes  Chelmi",  eine 
Zumutung,  die  nur  Abweisung  finden  konnte.  Nun  wurde  die 
Umgebung  von  Ragusa  von  den  Serben  verheert,  zum  Schluß 
aber  der  Friede  um  4000  Perper  erkauft  (1359).  Im  folgenden 
Jahre  erlangten  die  Ragusaner  vom  Zaren  Uros  in  Sjenica  ein 
neues  Chrysobull  über  Handelsfragen  (September  1360).  Doch 
als  König  Ludwig  wieder  ein  Heer  gegen  Serbien  rüstete,  begann 
Vojislav  den  Krieg  von  neuem,  diesmal  im  Bund  mit  Cattaro 
(1361).  Auf  Befehl  des  Zaren  wurden  alle  ragusanischen  Kauf- 
leute in  Serbien  gefangengesetzt.  Die  Ragusaner  beantworteten 
dies  mit  der  Festnahme  aller  Handelsleute  aus  Cattaro  und  Prizren 
in  ihrer  Stadt  und  mit  der  Konfiskation  der  großen  Deposite  der 
serbischen  Adligen.  Sie  fanden  Freunde  unter  den  Edelleuten  der 
Zeta  und  blockierten  mit  ihren  Kriegsschiffen  die  Küste,  besonders 
den  Golf  von  Cattaro.  Auf  die  Tötung  des  Vojislav  schrieb  der 
Große  Rat  einen  Preis  von  10  000  Perper  aus,  dazu  noch  ein 
steinernes  Haus  in  Ragusa,  auf  den  Kopf  eines  jeden  der  Söhne 
Vojislavs  einen  Preis  von  2000  Perper  i).  Um  die  Einstellung 
des  Krieges  bemühten  sich  lange  vergeblich  der  Ban  von  Kroatien, 
welcher  den  Ragusanern  Hilfstruppen  nach  Stagno  gesendet  hatte, 
der  Ban  von  Bosnien  durch  seinen  benachbarten  Statthalter  Zupan 
Sanko,  des  Milten  Sohn,  und  die  von  den  Cattarensern  um  Ver- 
mittlung ersuchten  Venezianer.  Erst  am  22.  August  1362  wurde 
der  Friede  zwischen  Ragusa  und  Serbien  in  der  Burg  OnogoSt 
(jetzt  Niksidi)  unterzeichnet,  mit  Freigebung  aller  Deposite,  Ent- 
lassung der  Gefangenen,  gegenseitiger  Verzeihung  aller  Untaten 
und  Wiederherstellung  der  alten  Rechte,  besonders  des  freien 
Handels.  In  der  Urkunde  erscheint  der  Krieg  nur  als  eine  Fehde 
der  Ragusaner  mit  Vojislav  und  der  kaiserlichen  Stadt  Cattaro, 
Zar  Uros  bloß  als  Friedensvermittler  -). 

Man  sieht,  die  Autorität  des  jungen  Zaren  war  ganz  im 
Rückgang,  zurückgedrängt  durch  die  Übermacht  der  Magnaten. 
Die  kleinen  Beamten,  die  Kefalijas  (Gouverneure),  Vojvoden  und 


1)  Mon.  Rag.  3,  87. 

2)  Mon.  serb.  1G9— 171. 


Zar  Uroä  (1355—1371).  423 

Kastellane  erscheinen  nicht  mehr  als  Vertreter  des  Zaren,  sondern 
als  Organe  der  einzelnen  Großen.  Der  mächtigste  Mann,  Knez 
Vojislav  Vojnovid,  wurde  damals  als  Freund  der  Venezianer  durch 
eine  Goldbulle  des  Dogen  zum  Bürger  von  Venedig  ernannt  ^). 
Er  starb  aber  schon  bald  (1363)  bei  dem  Wiederauftreten  der 
Bubonenpest.  Sein  Gebiet  verwaltete  seine  Witwe,  die  „domina 
romitissa",  mit  ihren  wahrscheinlich  unmündigen  Söhnen,  welche 
mit  den  Ragusanern  in  Frieden  lebte.  Noch  bei  Lebzeiten  des 
Vojislav  erscheint  bei  den  Friedensverhandlungen  mit  Ragusa  (1361) 
als  eine  zweite  einflußreiche  Persönlichkeit  des  Hofes  Vlkasin  (Vol- 
cassinus).  Unter  Zar  Stephan  wird  er  (1350)  als  Zupan  von  Prilep 
erwähnt,  in  einer  Landschaft,  in  welcher  er  sich  langsam  eine 
Hausmacht  gründete  -).  Zar  Uros  ernannte  ihn  zum  Despoten.  Sein 
Bruder  Ugljesa  war  unter  Zar  Stephan  (1346)  eine  kurze  Zeit 
Statthalter  in  der  Nachbarschaft  von  Ragusa  ^).  Nach  Chalkon- 
dyles  war  von  den  beiden  Brüdern  der  eine  Mundschenk  (olvoxöog), 
der  andere  Stallmeister  {i7t7to7.6iuog)  des  Zaren  Stephan  *).  Sagen- 
haft sind  die  Berichte  der  ragusanischen  Chronisten  um  1600.  Nach 
Orbini  soll  der  Vater  der  Brüder  ein  armer  Edelmann  Margnava 
aus  Livno  gewesen  sein,  der  dann  bei  Blagaj  an  der  Narenta  lebte 
und  vom  Zaren  Stephan  an  den  Hof  berufen  wurde  ^).  Der  Name 
erinnert  an  den  um  1280  in  Trebinje  urkundlich  erwähnten  Mrnjan 
(Mergnanus),  Kaznac  oder  Schatzmeister  (camerarius)  der  Königin 
Helena,  Mutter  Uros'  H. 

Eine  große  Veränderung  vollzog  sich  damals  in  der  Zeta. 
Der  angesehenste  Mann  im  Innern,  Gjuras  Ilijid,  einer  der  Feld- 
herren des  Zaren  Stephan,  wird  seit  1362  nicht  mehr  genannt;  sein 


1)  Ljubic  4,  48  (Juli  1362) :  Voyslaus  comes,  „inagnus  procer  Sere- 
nissimi domini  imperatoris  Sclavonie". 

2)  Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  97.  Die  Form  Vakasin  ist  jünger, 
nach  den  seit  1400  eintretenden  Lautveränderungen. 

3)  Geschenke  Uglesse  barono:  Mon.  Rag.  1,  235. 

4)  Chalkondyles  ed.  Bonn.  p.  28. 

5)  Orbini  274;  vgl.  Luccari  (1.  Ausg.)  58.  An  diese  herzegowi- 
nischen  Sagen  schließt  sich  eine  späte  Chronik  des  Klosters  Zographu  auf 
dem  Athos  an,  nach  welcher  Vukaäin  aus  dem  Dorfe  Opanci  (bei  Almissa) 
stammte:  Jordan  Ivanov  a.  a.  O.  171. 


424  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Grabstein  ist  noch  bei  der  St.  Michaelskirche  von  Prevlaka  am 
Golf  von  Cattaro  zu  sehen  ^).  Die  Landschaft  an  der  Bojana  ver- 
waltete unter  Uros  zuerst  der  hervorragende  Edelmann  Zarko 
(1356 — 1357),  den  die  Venezianer  auch  mit  ihrem  Bürgerrecht 
auszeichneten  '^).  Seit  1360  treten  an  seine  Stelle  mit  einem  Male 
die  drei  Brüder  Balsidi:  Stracimir,  Georg  (Jura)  und  Balsa.  Ira 
Chrysobull  von  Sjenica  gewährt  Zar  Uros  den  Ragusanern  freien 
Handel  in  seinem  Reich,  besonders  „in  der  Zeta  bei  den  Balsidi" 
und  im  Gebiet  des  Vojislav;  durch  diese  zwei  Territorien  führten 
nämlich  die  wichtigsten  Wege  in  das  Innere.  Die  Einsetzung 
dieser  Brüder  steht  wahrscheinlich  im  Zusammenhang  mit  dem 
letzten  Kriege  gegen  Symeon  bei  Skutari.  Sie  besaßen  damals 
Antivari,  Budua,  vielleicht  auch  Skutari;  Dulcigno  blieb  anfangs 
noch  Besitz  der  Kaiserinmutter.  Schon  im  zweiten  Kriege  der 
Ragusaner  mit  ihren  Nachbarn  waren  die  Balsici  verbündet  mit 
Ragusa  gegen  Cattaro  und  gegen  Vojislav,  der  Budua  für  sich 
haben  wollte.  Bald  wurden  sie  Bürger  von  Ragusa  (1361)  und 
von  Venedig  (l  362).  In  päpstlichen  Urkunden  erscheinen  die 
Brüder  als  „Zupane  der  Zeta"  '^).  Den  Krieg  gegen  Vojislav 
setzten  sie  auch  nach  dem  Frieden  von  Onogost  fort;  als  Vojislav 
sich  von  den  Ragusanern  eine  Galeere  gegen  die  Balsici  ausleihen 
wollte,  wurde  er  abgewiesen,  „weil  ihr  beide  unter  einem  Herrn 
stehet"  *).  Der  Name  Balsa  kommt  nur  in  Serbien  und  in  der 
Moldau  vor;  er  hat  zwar  eine  slawische  Ableitungssilbe,  ist  aber 
nicht  slawischen  Ursprungs  und  wird  schon  früher  bei  den  Rumänen 
Serbiens  erwähnt  '•').      Daß    die   Brüder   Emporkömmlinge   waren, 


1)  lurax  (so  im  Orig.)  zuletzt  Aug.  1362:  Mon.  Rag.  3,  222.  Grab- 
inschrift: Stojanovic,  Zapisi  1  nro.  120. 

2)  Sarchus,  baro  domini  regis  Raxie :  Spomenik  11,  S.  13.  Chal- 
kondyles  a.  a.  0.  verwechselt  ZuQy.og  mit  Dejan. 

3)  Zupani  Zente  1368,  1370:  The  in  er,  Mon.  Hung.  2,  86,  103. 

4)  Mon.  Rag.  3,  256  (März  1363). 

5)  Zuerst  ein  Barbat  Balsic  in  dem  Wlachendorf  der  Gjurasevci  oder 
Sremljane  um  1330:  Urk.  von  Decaui  53,  125.  Neben  Balsa,  im  15.  Jahrb. 
Baosa  (-sa  wie  in  Jaksa,  Niksa  aus  Jacobus,  Nicolaus),  in  Serbien  die  ver- 
wandten Personennamen  Bai,  Bala ,  Balica  ,  Balija ,  Baleta ,  Baloje ,  Balosin, 
Baloslav  (ein  Dmitr  Baloslalic:  Urk.  Decani  50),  in  der  Moldau  Balomir. 
Vgl.  den  illyrischen  König  Ballaios. 


Zar  Uros  (1355-1371).  43* 

sagt  ein  Nachricht  bei  Orbini:  ihr  Vater,  namens  Balsa,  sei  ein 
armer  Edelmann  gewesen,  der  unter  Zar  Stephan  nur  ein  Dorf 
besaß  ^).  Als  Verwandter  erscheint  ein  Albanese,  der  Vojvode 
Nikola  Zacharia,  Herr  von  Budua,  der  auch  Bürger  von  Ragusa 
(1365)  und  Venedig  (1366)  wurde  ^j.  Die  Beziehungen  zu  den 
katholischen  Albanesen  erklären  es,  warum  die  Balsici  öfters  mit 
den  Päpsten  Verbindungen  anknüpften,  zuerst  1368.  Einige 
Historiker  der  Neuzeit  brachten  die  serbische  Dynastie  der  Balsas 
in  Zusammenhang  mit  dem  mächtigen  französischen  Adelsgeschlechte 
der  Baux  (Baucii,  de  Baucio,  spanisch  de  ßauza)  in  der  Provence 
und  unter  den  Anjous  in  Neapel,  welches  seinen  Namen  von  der 
auf  einem  isolierten  Felsen  der  Mündungsebene  der  Rhone  nahe 
bei  Arles  erbauten  Burg  Les  Baux  (lies  Bauz,  lat.  Baucium) 
führte.  Doch  ist  dies  eine  bloß  auf  dem  Anklang  der  Namen 
beruhende  Hypothese  ^). 

Südlich  von  dem  Gebiet  der  Balsici  werden  die  Flußmün- 
dungen Albaniens  noch  1363  als  das  Land  des  „imperador  de 
Sclavonia"  bezeichnet.  In  der  Nachbarschaft  von  Durazzo  war 
der  mächtigste  Mann  ein  albanesischer  Graf,  der  kriegerische  Karl 
Topia  (1359 — 1388),  dessen  Taufname  an  die  altern  Anjous  er- 
innert. Bald  schrieb  er  sich  „Fürst  von  Albanien".  In  der  drei- 
sprachigen, lateinischen,  griechischen  und  slawischen  Inschrift  über 
die  Erneuerung  der  Kirche  des  heiligen  Johannes  bei  Elbassan 
(1381)  rühmt  er  sich  der  Abstammung  aus  dem  Hause  der  Könige 
von  Frankreich  ^).    Den  Balsici  war  er  Feind,  nahm  einmal  (1364) 


1)  Balsa,  „gentilhuomo  di  Zenta  assai  povero,  e  in  vita  dell'  impera- 
dore  Stefano  teneva  solamente  una  villa".     Orbini  286. 

2)  Die  Nachrichten  über  Nie.  Zacharia,  einen  ,,consanguineus"  der 
Baliici,  und  über  seine  vier  Brüder  (einer  führt  den  albanesischen  Namen 
Progon)  habe  ich  mitgeteilt  im  Arch.  slaw.  Phil.  19  (1897)  589.  Vor 
diesem  Albanesen  war  1361 — 1364  der  Serbe  Povrsko  Kastellan  von  Budua, 
ein  Freund  der  Ragusaner. 

3)  Die  Verwandtschaft  der  Balsici  mit  den  Baux  wurde  angenommen 
von  Du  Gange,  Farlati,  Buchon,  Lenormant,  Mijatovic,  Mas- 
latrie,  abgewiesen  vou  Hahn,  Hopf  und  Barthelemy. 

4)  Inschrift  1381:  Novakovic,  Die  ersten  Grundlagen  der  slaw. 
Literatur  usw.  (Belgrad  1893)  226 f.  (/|  ccY/uaros  ()Tjyug  Tt]g  4^Qayyiugj  de  domo 
Franciae). 


436  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

den  Georg  gefangen,  schloß  durch  Vermittlung  der  Ragusaner  einen 
Frieden,  aber  im  Jänner  1368  urkundeten  alle  drei  Brüder  im 
Lager  am  Flusse  Mat  wieder  auf  einem  Feldzuge  gegen  Karl  ^). 
Die  Neapolitaner  in  Durazzo  bedrängte  und  belagerte  Topia  so 
lange,  bis  er  diese  wichtige  Stadt  im  März  1368  in  seinen  Besitz 
bekam  -).  Weiter  südlich  folgte  in  Valona  auf  den  Despoten 
Johannes,  der  wahrscheinlich  auch  ein  Opfer  der  Pest  des  Jahres 
1363  wurde,  Alexander,  „Herr  von  Kanina  und  Valona"  (1363 
bis  1368),  vielleicht  sein  Sohn,  Bürger  von  Ragusa,  mit  einem 
Gefolge  von  serbischen,  albanesischen  und  griechischen  Edelleuten  ^). 
Im  Innern  galt  Zar  Stephan  Uros  noch  1365  als  Landesherr  in 
Ochrid. 

Die  letzte  bisher  bekannte  Urkunde  des  Zaren  Uros  ist  datiert 
im  März  1365  in  Pristina.  Er  bestätigt  darin  eine  Schenkung 
der  drei  Söhne  des  verstorbenen  Sevastokrators  Branko  an  das 
Kloster  Chilandar,  dem  altererbte  Besitzungen  der  Familie  im 
Lande  zwischen  Pristina  und  Prizren  zugewiesen  werden;  das 
Gebiet  von  Ochrid  scheinen  die  Brankovidi  damals  nicht  mehr 
besessen  zu  haben  ^).  Die  Kaiserinmutter,  nunmehr  die  Nonne 
Elisabeth,  residierte  noch  immer  in  Serrai,  umgeben  von  einem 
Hofstaat  von  serbischen  und  griechischen  Adligen  und  Klerikern. 
In  einer  Urkunde  über  die  Besitzungen  des  Klosters  Esphigmenu 
auf  dem  Athos  erscheinen  im  August  1365  an  ihrem  Hofe  ihr 
Schwiegersohn  oder  Schwager  {yaj.tßQ6g),  der  Kefalija  (Gouverneur) 
von  Serrai  Radoslav  5),  und  ihr  Vetter  (i^dd£l(fog)  Alexios  Asan, 


1)  Mon.  serb.  177. 

2)  „Dominus  Karollus  Topie,  princeps  Albaniae,  qui,  ut  dicitur,  modo 
cepit  Dirachium":  Misti  vol.  32  f.  116  v  im  Arcbiv  von  Venedig. 

3)  Despot  Jobannes  zuletzt  Sept.  1363:  Ljubic  4,  58.  Alexander:  Mon. 
Bag.  3,  263;  Mon.  serb.  178—179;  vgl.  Spomenik  11,  S.  11.  Aus  Gjurica  (dem 
kleinen  Georg),  dem  Logofeten  (Kanzler)  des  Alexander  (Mon.  serb.  1.  c.),  wurde 
bei  Hopf  durch  ein  Mifsverständnis  der  Fürst  „Alexander  Gioritsch". 

4)  Mon.  serb.  171 — 173.  Spomenik  3,  31.  Geographisch  erläutert  von 
Lj.  Kovacevic:  Godisnjica  10  (1888)  217 f. 

5)  Viz.  Vremennik  12  (1906)  Beilage  nro.  18  S.  37—40.  Die  Unter- 
schriften teils  serbisch,  teils  griechisch.  Radoslav,  im  Text  vielleicht  infolge 
einer  Heirat  mit  dem  Namen  der  byz.  Archontenfamilie  Tornikes  bezeichnet, 
am  Schluß  aber  serbisch  unterschi'ieben,  ist  vielleicht  identisch  mit  Radoslar 


Zar  Uros  (1355—1371).  437 

wohl  derselbe,  welcher  durch  eine  Schenkung  des  Kaisers  Johannes 
Palaiologos  auf  byzantinischem  Boden  die  Insel  Thasos,  Christo- 
poHs  und  einige  andere  Burgen  an  der  Küste  besaß  ^). 

Die  Türken  erweiterten  inzwischen  ihr  Gebiet  von  Kallipolis 
aus.  Nach  Villani  besetzten  sie  im  November  1361  die  große 
Burg  von  Dimotika.  Große  Aufregung  verursachte  in  ganz  Ost- 
europa der  Wiederausbruch  der  Bubonenpest,  die  1362  in  Trape- 
zunt  sehr  stark  auftrat,  1363  Albanien  und  Dalmatien  verheerte. 
Damals  starb  (März  1362)  der  Emir  Orchan;  sein  Nachfolger 
wurde  nicht  Chalil,  Schwiegersohn  des  Kaisers  Johannes,  wie  die 
Byzantiner  wünschten,  sondern  Murad  I.  (1362 — 1389),  der  Grün- 
der der  osmanischen  Macht  in  Europa.  Die  Pestjahre  benutzten 
die  Türken  zur  raschen  Besetzung  der  übrigen  Städte  Thrakiens, 
vor  allem  von  Adrianopel  (ungefähr  1363)-).  Die  Reste  des 
Kaisertums  von  Konstantinopel  begannen  den  territorialen  Zu- 
sammenhang mit  den  christlichen  Staaten  zu  verlieren.  Kaiser 
Johannes  suchte  einen  Anschluß  an  die  Serben  und  sendete  den 
Patriarchen  Kallistos  zur  serbischen  Kaiserin  nach  Serrai,  um  end- 
lich Frieden  zu  schließen  und  eine  gemeinsame  Offensive  gegen 
die  Türken  zu  verabreden.  Das  Oberhaupt  der  Konstantinopler 
Kirche  fand  bei  der  Witwe  des  Zaren  Stephan  den  besten  Emp- 
fang, verfiel  jedoch  in  eine  schwere  Krankheit  und  wurde  bald 
in  Anwesenheit  der  Athosmönche  feierlich  in  der  Kathedrale  von 
Serrai  begraben  (Sommer  1364).  Mit  den  Bulgaren  verhandelte 
Kaiser  Johannes  nicht,  sondern  führte  zur  selben  Zeit  persönlich 
einen  Krieg  mit  ihnen,  wieder  um  die  Küstenstädte  am  Golf  von 
Burgas.  Er  eroberte  sofort  Anchialos,  belagerte  aber  vergeblich 
Mesembria ;  Zar  Alexander  vermochte  ihn  mit  seinen  Bulgaren  und 
türkischen  Söldnern  nicht  von  dort  zu  vertreiben  und  bewog  ihn 
durch  Geld  zum  Abzug  ^). 


Povica,  einem  Bruder  des  Lop;ofeten  Georg,  der  im  Mai  1368  „in  domo  sua 
in  civitate  Serrarum"  urkundete  (Spomenik  11,  85). 

1)  ChrysobuU   des  Kaisers   Johannes   an   die   Brüder   Alexios    und    Jo- 
hannes, März  1356:  Diplomatarium  reneto-levantinum  2,  166. 

2)  Zur  Chronologie  vgl.  meine  Ausführungen  in  Arch.  slaw.  Phil.  14 
(1892)  260  und  Byz.  Z.  18  (1909)  582. 

3)  Kantakuzenos  IV    cap.  50   (Schluß  des  Werkes).     Die   Chrono- 


428  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

In  Bulgarien  gab  es  in  der  Herrscherfarailie  unerfreuliche 
Verhältnisse.  Alexander  hatte  seine  erste  Gattin  ins  Kloster  ge- 
sperrt, um  eine  schöne  Jüdin  zu  heiraten,  die  „neugetaufte" 
Theodora.  Der  älteste  lebende  Sohn  aus  der  ersten  Ehe,  Johannes 
Sracirair,  wurde  von  der  Nachfolge  ausgeschlossen  und  mit  dem 
Kaisertitel  in  Vidin  belassen ;  der  größere  Teil  Bulgariens  mit 
dem  Thron  sollte  dem  jungen  Johannes  Sisraan  zufallen,  dem 
Sohn  der  Jüdin.  Dies  kam  dem  König  Ludwig  von  Ungarn  ge- 
legen, der  kurz  zuvor  (1363)  auf  einem  Zug  nach  Bosnien  kein 
Glück  gehabt  hatte,  bei  der  Belagerung  der  Burg  Sokol  an  der 
Pliva  von  Vlkac  Hrvatinid,  Hrvojes  Vater,  zurückgeschlagen.  In 
Bulgarien  gab  es  keinen  solchen  Widerstand.  Ludwig  erstürmte 
(Mai  1365)  Vidin,  führte  den  Zaren  Sracimir  weg  und  hielt  ihn 
vier  Jahre  lang  gefangen  auf  einer  Burg  in  Kroatien.  Indessen 
wurde  Vidin  (1365 — 1369)  von  einem  ungarischen  „Ban  von 
Bulgarien"  verwaltet i).  Es  war  der  Höhepunkt  der  Unterneh- 
mungen Ludwigs  in  den  Balkanländern. 

Ein  anschauliches  Bild  der  damaligen  Lage  von  Byzanz  bietet 
eine  Rede  des  Demetrios  Kydones  (1366)  2).  Die  Türken  sind 
Herren  von  Kallipolis  und  einem  Teil  von  Thrakien  mit  der  Rho- 
dope  und  wohnen  dort  sicherer,  als  wir  selbst  in  früheren  Zeiten. 
Die  Einwohner  von  Konstantinopel  leben  eingeschlossen  wie  in 
einem  Gefängnis  oder  wie  Tiere  in  einem  Käfig.  Es  nützt  kein 
Vertrag,  keine  Jahrgelder,  keine  Heiraten  mit  den  Emiren.  Hilfe 
findet  man  in  der  Nähe  keine.  Die  Macht  der  Tataren  ist  in 
Verfall.  Die  Serben  und  Bulgaren  sind  nahe,  sind  desselben  Glau- 
bens wie  wir,  aber  es  sind  arme  Völker  und  pflegen  nicht  in  die 


logie  unterliegt  keinem  Zweifel.  Nach  der  Rückkehr  des  Kaisers  wurde 
Philotheos  zuna  zweitenmal  Patriarch,  nach  den  Acta  graeca  1,  448  am 
8.  Okt.  1364.  Die  Annalen  bei  Jos.  Müller  notiei-en  den  Tod  des  Kallistos 
(6872)11  Ind.  =  1.  Sept.  1303  —  31.  Aug.  1364.  Im  Jahre  1363  war 
Kallistos  im  Sommer  in  Konstantinopel,  wo  ihn  eine  trapezuntinische  Ge- 
sandtschaft, die  lange  in  der  Stadt  verweilte,  besucht  hat  (Panaretos  ed. 
Tafel  367). 

1)  Neugefundene  Urkunden  über  die  ung.  Herrschaft  in  Vidin  herausg. 
von  Thallöczy,  Törtenelmi  ttir  1898  und  Szazadok  1900  Sept. 

2)  Migne,  Patrologia  graeca  Bd.  154  p.  962 ff. 


Zar  Uros  (1355-1371).  429 

Ferne  in  den  Krieg  zu  ziehen.  Sie  haben  uns  viel  weggenommen  und 
unser  Mißgeschick  ausgebeutet;  die  Verhandlungen  und  Gesandt- 
schaften zu  ihnen  sind  vergeblich.  Die  Bulgaren  befestigen  und 
versorgen  schon  ihre  Hauptstadt,  für  den  Fall  einer  Belagerung 
durch  die  Türken.  Helfen  kann  nur  das  Abendland,  die  Heimat 
der  Kreuzfahrer,  reich  an  Geld  und  Leuten,  die  Italiener  und 
Ungarn.  Hervorgehoben  wird  der  kühne  Überfall  von  Alexandria 
durch  den  König  Peter  I.  von  Zypern  (Oktober  1365).  Gesandte 
des  Kaisers  Johannes  reisten  damals  bittend  nach  Italien  und 
nach  Avignon.  Der  Kaiser  selbst  segelte  im  Winter  Ende  13G5 
mit  geringem  Gefolge  über  das  Schwarze  Meer  zu  den  Donau- 
mündungen, dann  die  Donau  aufwärts  nach  Vidin  und  traf  wohl- 
behalten bei  König  Ludwig  in  Ofen  ein.  Ludwig  gab  ihm  Hilfs- 
truppen, aber  die  Bulgaren  ließen  ihn,  da  sie  mit  Ungarn  im 
Kriege  waren,  aus  Vidin  nicht  durch  ihre  Länder  durch.  Indessen 
hatte  der  Graf  von  Savoyen  Amadeo  VI.,  ein  Neffe  der  byzan- 
tinischen Kaiserinmutter  Anna,  ein  kleines  Heer  von  FreiwiUigen 
und  Söldnern  gesammelt  und  segelte  (Juni  1366)  von  Venedig 
nach  Konstantinopel.  Unterwegs  wurde  Kallipolis  erstürmt  (im 
Augustj.  Der  weitere  Feldzug  wendete  sich  aber  statt  der  Türken 
gegen  die  Bulgaren,  die  nun  von  zwei  Seiten  arg  bedrängt  wurden. 
Ihre  Seestädte  von  Sozopolis  bis  Kaliakra  wurden  von  Amadeo 
erobert;  nur  Varna  behauptete  sich.  Im  Frieden  mußte  Zar  Alex- 
ander  Sozopolis,  Anchialos  und  Mesembria  den  Griechen  abtreten, 
die  fortan  bis  1453  Herren  dieser  Küste  blieben.  Kaiser  Johannes 
kam  von  Vidin  wieder  mit  wenigen  Begleitern  zu  Schiff  die  Donau 
hinab  ins  Schwarze  Meer  und  traf  den  Amadeo  in  Sozopolis 
(Jänner  1367).  Der  Graf  von  Savoyen  nahm  den  Türken  noch 
einige  kleine  Burgen  in  der  Umgebung  von  Konstantinopel  und 
kehrte  nach  Italien  zurück.  Der  Erfolg  seiner  Expedition  war 
ganz  vorübergehend.  Die  Byzantiner  konnten  Kallipolis  auf  die 
Dauer  nicht  behaupten,  da  Murad  die  Herausgabe  dieser  Stadt  als 
Bedingung  des  Friedens  stellte  ^). 


1)  Hauptquelle  die  Rechnungen  der  Expedition  des  Grafen  Amadeo, 
herausg.  von  F.  BoUati  de  St.  Pierre ,  Biblioteca  storica  ital. ,  Bd  5  (rich- 
tig 6),  Turin  1900.     Die  Reden  des  Kydones   a.  a.   0.     Zar  Alexander  von 


^3*  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Wir  wissen  nicht,  ob  es  diese  Ereignisse  in  der  Nachbarschaft 
oder  innere  Verhältnisse  waren,  welche  zu  einer  großen  Verände- 
rung  in  Serbien   führten.     Viele  fühlten   die  Notwendigkeit,    dem 
schwachen  und  kinderlosen  Zaren  einen  kräftigen  Mitregenten  zur 
Seite  zu  stellen,  welcher  den  Königstitel   führen   sollte,    wie   einst 
Uros  neben  seinem  Vater  Stephan.     Als  König  neben  dem  Zaren 
erscheint  mit  einem  Male  Vlkasin.     Wie   die   Sache  durchgeführt 
wurde,  ist  nicht  bekannt  i).     Im  November  1366  kamen  Gesandte 
sowohl    des  Zaren  (dominus  imperator  Sclavonie),  als  des  Königs 
(dominus  rex  Sclavonie)  zusammen  nach  Ragusa  wegen  des  St.  De- 
metriustributes  2).     Das  eigene   unmittelbare   Gebiet  Vlkasins  um- 
faßte die  Landschaften  auf  beiden  Seiten  des  Sar,  mit  den  Städten 
Prizren,   Skopje     und  Prilep.     Erst  nach   drei  Jahren  ließen  sich 
die  ßagusaner    die   von    Zar   Stephan    verliehenen    Handelsrechte 
vom   neuen   König   durch   ein  Privilegium   bestätigen,  gegeben  in 
der  Landschaft  Porec  bei  Skopje  (5.  Aprü  1370).    Vlkasin  nennt 
sich  in  dieser  Urkunde  „Herr   des  serbischen   Landes,    der  Grie- 
chen und  der  westlichen  Gebiete"  und  erwähnt  auch  seine  Frau, 
die  Königin  Helena  (Alena),  und  seine  Söhne  Marko  und  Andreas; 
später  hören    wir  noch   von   einem    dritten  Sohn   Dimitar.     Wohl 
der  älteste,  Marko,   sollte   damals  eine  Frau  aus  dem  kroatischen 
Geschlechte   der  Subici,   Tochter   des   Gregor  Pavlovid,   heiraten, 
welche  bei  Ban  Tvrtko  und  dessen  Mutter  in  Bosnien  lebte,  doch 
die  Heirat  einer  katholischen   Edelfrau    mit  einem  schismatischen 
Königssohn  wurde  durch  den  Widerspruch  des  Papstes  verhindert*). 
Von  der  Freundschaft  mit  Ragusa  gab  noch  lange  Zeit  Zeugnis  ein 
Deposit  des  Königs   (denarii  quondam  regis  Volchassini),  welches 

Trnov  als  „Alexander  de  Thurno"  in  einem  Briefe  vom  April  1367  bei 
Thallöczy  im  Tört(5nelmi  tär  1898  (Urk.  nro.  8).  Vgl.  Delaville  le 
Roulx,  La  France  en  Orient  au  XIV  siecle,  Paris  1886  (Bibl.  de  l'ecole 
fran^aise,  Bd.  44). 

1)  Nach  Orbini  269  war  die  Änderung  friedlich  vor  sich  gegangen; 
Uro§  gab  Vlkasin  den  Königstitel  (gli  diede  etiandio  il  titolo  del  Re). 

2)  Mon.  Eag.  4,  (;8,  69,  71,  72. 

3)  Jb.  4,  94,  114,  126.     Mon.  serb.  179-181. 

4)  „Filio  magnifici  viri  regis  Kassie  scismatico":    Urban   V.  im  April 
1370  an  König  Ludwig  und  Ban  Tvrtko:  Theiner,  Mon.  Hung.  2,  97. 


König  Vlkasio  (1366-1371).  *  431 

von  seinen  Söhnen  bis  1399  ganz  behoben  wurde.  Die  wichtigste 
Stütze  des  neuen  Königs  war  sein  Bruder,  der  Despot  Johannes 
Ugljesa  (OuyKltoriq),  welcher  das  Grenzgebiet  gegen  die  Griechen 
und  Türken  im  Südosten  mit  der  Residenz  in  Serrai  übernahm. 
Alle  Nachrichten  loben  ihn  als  einen  tüchtigen  und  tapferen  Mann. 
Seine  Frau  war  die  Tochter  eines  der  früheren  Statthalter  dieser  Län- 
der, des  „Kaisar"  Vojihna.  Es  ist  merkwürdig,  daß  Ugljesa  sich  in 
serbischen  und  griechischen  Urkunden  neben  seinem  Despotentitel 
mit  den  vollen  Attributen  der  Kaiser  würde  schreibt  ^).  Seine 
Politik  verfolgte  als  Ziel  einen  kirchlichen  Frieden  mit  den  Grie- 
chen und  ein  Bündnis  mit  ihnen  gegen  die  Türken,  welche  das 
serbische  Gebiet  schon  sehr  beunruhigten.  Kydones  erwähnt  in 
seiner  zweiten  Rede,  in  welcher  er  die  Byzantiner  warnt,  sie  sollen 
das  vom  Grafen  Amadeo  eroberte  Kallipolis  nicht  wieder  leicht- 
fertig den  Türken  überlassen,  eine  serbische  Gesandtschaft,  welche 
einen  Bund  gegen  die  Türken  als  gemeinsamen  Feind,  befestigt 
durch  eine  Heirat,  in  Vorschlag  brachte  und  Subsidien  in  Geld 
anbot;  sie  kam  wohl  von  Ugljesa'^).  In  kirchlichen  Fragen  war 
Ratgeber  des  neuen  Hofes  von  Serrai  der  Erzbischof  Gregorios 
von  Ochrid,  das  Haupt  einer  anerkannten  alten  autokephalen 
Kirche  ^).  Als  Gönner  der  Athosmönche  erneuerte  Ugljesa  das 
heute  noch  bestehende  Kloster  Simonpetra.  Wegen  der  kirchlichen 
Aussöhnung  verhandelte  er  mit  dem  Patriarchen  Philotheos  seit 
März  1368.  Indem  er  die  Erhebung  des  Stephan  Dusan  zum 
Kaiser,  sowie  die  unkanonische  Umwandlung  des  serbischen  Erz- 
bistums in  ein  Patriarchat  als  eine  Eigenmächtigkeit  tadelte,  ver- 


1)  Im  Schreiben  an  den  Patriarchen  von  Konstantinopel  März  1368 
TTjg  ßttaiXiiitg  fiov:  Acta  graeca  1,  563 f  In  der  Urk.  vom  Februar  1369 
über  die  Grenzen  zwischen  dem  Kloster  Zographu  und  dem  Bistum  von 
Hierissos  die  Unterschrift  StanÖTrjg  xal  KVTox^niTotQ.  aber  im  Texte  ßnat  iCn 
fxov:  Viz  Vremennik  13  (19ti6)  Beilage  98—101  (nro.  43).  In  der  Be- 
stätigung der  Schenkungen  des  Kesar  Vojihna  an  die  Erzengeikirche  von 
Gabrovo  im  Gebirge  Belasica  von  Mai  1369  (Ind.  VII)  die  Unterschrift 
„Despot  Joan  Uglesa",  aber  in  der  Urkunde  stets  „mein  Kaisertum" 
(carstvo  mi):  Glasnik  24  (1868)  248-249. 

2)  Kydones  a.  a.  0    p.  1034. 

3)  Urk  1369:  Viz.  Vremennik  a.  a.  0.  Vielleicht  der  früher  in  In- 
schriften als  Bi.schof  von  Ueabolis  (Devol)  genannte  Gregorios. 


433  Viertes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

sprach  er  die  Wiederherstellung  aller  Rechte  des  Patriarchates. 
Aber  erst  nach  der  Rückkehr  des  Kaisers  Johannes  von  seiner 
Reise  ins  Abendland  wurde  die  Vereinigung  (e'rcooig)  der  Kirche 
des  Landes  des  Ugljesa  mit  der  Konstantinopler  Kirche  im  Mai 
1371  feierlich  proklamiert^). 

Uros  war  bald  ohne  Macht  und  Einfluß,  ebenso  seine  Mutter, 
die  Serrai  verlassen  mußte.  Es  scheint,  daß  sich  der  junge  Zar 
1367  — 1368  bei  den  Griechen  in  Thessalonich  aufhielt.  Wir 
wissen,  daß  ein  ehemaliger  Logofet  (Kanzler)  des  Zaren  Stephan, 
Georg  Povica  damals  in  Thessaionich  lebte.  Er  starb  in  dieser  Ötadt 
(1367)  in  Anwesenheit  seiner  beiden  Brüder,  des  Radoslav  und  des 
Celnik  Milos,  sowie  anderer  „Serben,  Edelleute  des  Zaren"  (Srblje, 
vlastele  carevi);  es  wird  also  auch  der  Zar  nicht  ferne  gewesen 
sein.  Sicher  ist  es,  daß  Uros  den  St.  Demetriustribut  von  2000 
Perper  von  den  Ragusanern  regelmäßig  bezog  und  daß  er  dieses 
Geld  z.  B.  1368  eben  durch  den  genannten  Milos,  seinen  und  der 
alten  Kaiserinwitwe  Beamten,  abholen  ließ  ^).  Unter  den  Großen 
Serbiens  bildeten  sich  zwei  Parteien,  für  und  gegen  den  König 
Vlkasin.  Die  Ragusaner  beklagten  den  großen  Verfall  ihres  Handels 
in  Serbien  infolge  der  Spaltungen  unter  dem  Adel  ^).  Verbündete 
und  Verwandte  des  Königs  waren  die  Balsici.  Georg  Balsic  hatte 
eine  Tochter  des  Vlkasm,  namens  Olivera.  geheiratet;  seine  zweite 
Frau  wurde  später  Theodora,  eine  Tochter  Dejans  und  somit 
Nichte  des  Zaren  Stephan,  die  in  der  ersten  Ehe  Frau  des  Zarko, 
des  einstigen  Statthalters  der  Zeta,  gewesen  war  ^).  Uros,  der 
„Imperator  Raxie",  führte  in  Venedig  durch  Briefe  und  Gesandte 
bittere  Klagen  gegen  seinen  „Rebellen"  Georg,  der  die  kaiserliche 
Stadt  Cattaro   zu  Land  und  zur  See    belagere,   und  bat  um  Ver- 


1)  Novakovic,  Serben  und  Türken  15lf. 

2)  Urkunden  über  die  Familie  Povica:  Spomenik  11  S.  8  f.,  33  f. 
Belege  über  die  Tributzahlungen  in  meiner  Abb.  in  der  Jag  c-Fest- 
schrift  538. 

3)  „  Per  lo  malo  stado ,  che  ha  lo  ditto  regno  de  Rassa,  per  la  division 
de  li  baroui":  Mon.  Rag.  4,  118—119,  Gelcich  und  Thalldczy  a.  a.  0. 
54  (März  1371). 

4)  ,.  Domina  Oliveria,  filia  regis  Volcassini"  als  Kirchengründerin  bei 
Skutari:  Urk.  1444  Ljubic  9,  194.  Orbini  287  (nennt  sie  Milica).  Theo- 
dora: Spomenik  11,  S.  13. 


König  VlkasiQ  (1366—1371).  433 

mittlung  eines  Friedens  zwischen  beiden,  dessen  Abschluß  dem 
venezianischen  Gesandten  Giberto  Dandolo  auch  gelungen  ist 
(1369)  ^).  Auch  Papst  Urban  V.,  der  seine  Residenz  für  kurze 
Zeit  wieder  aus  Avignon  nach  Rom  übertragen  hatte,  nahm  sich 
der  Cattarenser  an  und  hatte  schon  im  November  1367  die  Vene- 
zianer, Ragusaner,  Apulier  und  die  Städte  Zara  und  Durazzo  auf- 
gefordert, sie  zu  unterstützen.  Als  der  katholische  Bischof  von 
Svac  als  Gesandter  der  drei  Balsici  zu  ihm  kam  und  ihre  Bereit- 
willigkeit aussprach,  der  Union  der  Kirchen  beizutreten,  ermahnte 
der  Papst  ausdrücklich  den  Georg,  er  möge  Cattaro  in  Ruhe 
lassen  -).  Die  Cattarenser  sagten  sich  bald  von  den  Serben  ganz 
los  und  unterwarfen  sich  (im  Frühjahr  1371)  derselben  Obrigkeit 
wie  Ragusa,  dem  König  von  Ungarn,  worauf  als  Comites  von 
Cattaro  Zaratiner  aus  dem  angesehenen  Geschlechte  der  De  Georgiis 
erscheinen  ^), 

In  Makedonien  war  König  Vlkasin  allgemein  anerkannt.  Seine 
Regierung  nennen  die  griechischen  Inschriften  der  Muttergottes- 
kirche auf  der  Insel  Mali  Grad  im  See  von  Prespa,  erbaut  (1368 
und  1369)  vom  Kaisar  Novak,  der  Kaisarissa  Kaie  (ÄaAjy),  ohne 
Zweifel  einer  Griechin,  und  ihrem  Sohn  AmiraHs  ^).  Ein  später 
Zeuge,  der  Albanese  Musachi  (1510),  erzählt,  sein  Vorfahr  Andreas 
Musachi  habe  den  „re  Vucasino"  bei  dem  Berge  Peristeri  zwischen 
Prespa  und  Bitolia  an  einer  Quelle  Dobrida  geschlagen  und  ge- 
fangen 5).  Der  Name  würde  zu  dem  „Großzupan"  Andreas  Gropa 
führen,  aus  einer  albanesischen  Adelsfamihe,  die  früher  in  neapoli- 
tanischen Urkunden  (als  Cropa)  vorkommt.  Andreas  Gropa  er- 
scheint allerdings  erst  nach  Vlkasins  Tod  als  Herr  von  Ochrid 
„durch  die  Gnade  Gottes",  wie  auf  seinen  Münzen  mit  slawischer 


1)  Ljubic  4,  94,  95,  98  (1368-69). 

2)  Raynaldi  Annales  eccl.  Bd.  16,  1367  cap.  12f.     Theiner,  Mon. 
Hung.  2,  86  (1368).     Derselbe,  Mon.  Slav.  1,  261-263  (1369). 

3)  Vgl.  Mon.  Rag.  4,  123  f.    Im  Zusammenhang  damit  steht  die  Regelung 
des  Amtes  des  Comes  im  April  1371  im  Statut  von  Cattaro. 

4)  Unter  der  Regierung  ygakijov  toD  B(}.rjxc(a(vov:  Izvestija  arch.  inst. 
4,  1,  69;  Jordan  Ivanov  a.  a.  0.  222. 

5)  Hopf,  Chroniques  281. 

Jirecek,  Geschichte  der  Serben.    I.  28 


434  Viertes  Buch.     Viertes  Kapitel. 

Inschrift  zu  lesen  ist  ^).  Schwiegersohn  des  Gropa  war  der  Serbe 
Ostoja  Rajakovic  (f  1379),  ein  Verwandter  des  Vlkasin;  sein  Grab 
und  Bild  ist  heute  noch  in  einer  der  Kirchen  von  Ochrid  zu  sehen. 
An  der  Grenze  gegen  das  Land  des  Zaren  Symeon  saß  Hlapen, 
welcher  neben  Berrhöa  und  Voden  vielleicht  auch  Kastoria  besaß 
und  später  Schwiegervater  des  Marko,  des  Sohnes  Vlkasins,  wurde. 
Eine  dunkle  Persönlichkeit  ist  Bogdan  im  Gebiete  zwischen  Thessa- 
lonich ,  Strumica  und  Serrai  '^).  Dem  Namen  nach  gehörte  er 
vielleicht  zur  Famihe  des  Oliver,  der  mit  seinen  Nachkommen 
nach  des  Zaren  Stephan  Tod  ganz  verschwindet  ^).  Die  mächtig- 
sten Herren  im  Nordosten  Makedoniens  waren  die  aus  den  Athos- 
urkunden  gut  bekannten  zwei  Söhne  des  Dejan  und  der  Schwester 
Dusans  Theodora,  welche  als  Nonne  Eudokia  noch  lange  lebte: 
der  Despot  Johannes  Dragas  und  der  „Herr"  (gospodin)  Kon- 
stantin. Sie  herrschten  in  Strumica,  Stip,  der  Landschaft  Zegligovo 
(bei  Kumanovo),  in  Kratovo  und  Velbuzd  (Küstendil),  einem  aus- 
gedehnten Gebiet  mit  Silberbergwerken,  Getreideausfuhr  und  regem 
Handel  auf  der  Straße  aus  Serbien  nach  Thessalonich  '^'). 

Ein  Feind  des  Königs  Vlkasin  und  der  Balsici,  daneben  auch 
ein  Gegner  des  Zaren  Uros  war  ein  neuer  Dynast  im  Nordwesten, 
zwischen  der  Küste  südlich  von  Ragusa  und  den  Bergen  östlich 
von  der  Drina:  der  Zupan  Nikola,  Sohn  des  Zupans  Altoman, 
eines  Bruders  des  Vojislav  ^) ,  ein  kurzsichtiger  und  gewalttätiger 
Magnat,  der  mit  allen  Nachbarn  in  Unfrieden  lebte.  Er  entriß 
(Oktober  1367)  die  Landschaften  bei  Ragusa  seiner  Tante,  der 
Witwe  Vojislavs.  Orbini  erzählt,  wohl  nach  Sagen  und  Liedern, 
Nikola  habe  diese  Frau  mit  ihren  Söhnen  Dobrovoj   und  Stephan 


1)  Inschrift  von  6886  (1377 — 78)  des  jueyälov  ^ovnävov  xvo  ^AvÖQia 
Tov  FQwna  besser  bei  Ivanov  214  als  bei  Miljukov,  Izvestija  4,  95. 

2)  Vgl.  Novakovic,  Serben  und  Türken  132 f. 

3)  Im  Pomenik  des  Klosters  Lesnovo  werden  eine  Tochter  und  sechs 
Söhne  Olivers  genannt:  Glasnik  42  (1875)  12. 

4)  Eine  Monographie  von  Dr.  Jovan  Hadzi- Vasiljevic  über  Dragas 
und  Konstantin  in  der  Belgrader  Zeitschrift  „Prosvetni  Glasnik"  1902. 

5)  Des  Altoman  Gattin  war  Vitoslava,  eine  Tochter  des  Vojvoden 
Mladen ,  des  Stammvaters  der  Brankovici.  Ihr  Grabstein  im  Kloster  Banja 
bei  Priboj  am  Lim:  Stojanovic,  Zaplsi  1  nro.  136. 


König  VlkaSin  (13G6— 1371).  435 

sieben  Jahre  gefangen  gehalten,  bis  sie  im  Kerker  starben;  nach 
einer  anderen  Version  soll  er  sie  schon  nach  kurzer  Zeit  vergiftet 
haben  i).  Stürmische  Ereignisse  in  Bosnien  erleichterten  seine 
Eroberungen.  Gegen  den  Ban  Tvrtko  erhob  sich  eine  Adelspartei, 
geführt  von  Verwandten,  seinem  Bruder,  dem  „jüngeren  Ban" 
Stephan  Vlk  und  seinem  Vetter  Dabisa.  Doch  Tvrtko  gewann 
die  Oberhand  und  verfolgte  seine  Gegner  bis  zur  Küste,  wo  er 
Ragusa  besuchte  (1367).  Als  dann  Zupan  Nikola  zum  Meere  vor- 
gedrungen war,  fiel  Sanko,  der  mächtigste  Bosnier  im  Küstenlande, 
von  Tvrtko  ab  und  verbündete  sich  mit  dem  Usurpator  der  Länder 
Vojislavs.  Die  Ragusaner  bemühten  sich,  Sanko  von  diesem  Bunde 
abzulenken  und  wieder  mit  dem  Ban  zu  versöhnen  2).  Als  Nikola 
Altomanovic  von  den  Ragusanern  den  am  St.  Demetriustage  an 
die  serbischen  Herrscher  entrichteten  Tribut  verlangte,  wurde  ihm 
geantwortet,  daß  dieser  Zins  nach  alten  beschworenen  Verträgen 
dem  Zaren  von  Serbien  allein  und  nicht  seinen  Edelleuten  gehöre. 
Nach  dieser  Weigerung  Heß  Nikola  das  Stadtgebiet  (1370 — 1371) 
von  seinen  Leuten  ärger  verwüsten,  als  es  früher  bei  derartigen 
Fehden  je  vorzukommen  pflegte.  Vergeblich  baten  die  Ragusaner 
den  König  von  Ungarn  um  Schutz.  Ludwig  wurde  eben  damals 
(November  1370)  zum  König  von  Polen  gekrönt;  kurz  zuvor  hat 
er  Vidin  wieder  dem  Zaren  Sracimir  als  ungarischen  Vasallen 
überlassen  und  überhaupt  seine  südlichen  Unternehmungen  ganz 
aufgegeben.  Mehr  half  den  Ragusanern  gegen  den  gewalttätigen 
Nachbar  ein  Bündnis  mit  Ban  Tvrtko  und  Georg  Balsic. 

Der  östliche  Nachbar  des  Zupans  Nikola  Altomanovid  im  fernen 
Binnenlande  war  Knez  Lazar,  geboren  um  1329  auf  der  Burg 
Priljepac  bei  Novo  Brdo  als  Sohn  des  Pribac,  der  später  einer 
der  Kanzler  (Logofet)  des  Stephan  Dusan  wurde.  In  jüngeren 
Quellen  führt  Pribac  den  Familiennamen  Hrebeljanovic  ^).    Lazars 


1)  Orbiui  269,  282.  BeiChalkoudyles  ed.  cit.  p.  29  NixoXäog  6 
CovTzavog  irrtümlich  als  Statthalter  von  Kastoria  und  Trikala. 

2)  Sendung  des  Ser  Michael  de  Babalio  zu  Sanko  im  Jänner  1368: 
„triumphus  istius  Nicolai  est  ad  tempus  et  nuUo  modo  est  diu  duraturus, 
dominium  vero  banatus  Bosne  est  perpetualis ".  Mon.  Rag.  4,  100  unrichtig 
unter  1367;  vgl.  meine  Besprechung  im  Arch.  slaw.  Phil.  19  (1897)  588. 

3)  Pribaz  Chrebelanovich ,  „barone"    des    Imperador  Stefano:  Orbini 

28* 


436  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Frau  wurde  (um  1353)  Milica,  die  Tochter  des  Knezen  Vratko, 
eines  hervorragenden  Heerführers  des  Zaren  Stephan,  der  aus  einer 
der  Nebenlinien  der  Nemanjiden,  aus  der  Nachkommenschaft  des 
Königs  Vlkan  stammte.  Schon  in  juDgen  Jahren  kam  Lazar  in 
den  Hofdienst  des  Zaren  Stephan.  Bei  den  Verhandlungen  um 
den  Frieden  von  Onogost  (1362)  erscheint  er  als  einer  der  einfluß- 
reichsten Höflinge  des  Zaren  Uros  und  als  Freund  der  Ragusaner. 
Sicher  ist  es,  daß  „Comes  Lazarus"  1370 — 1371  Herr  von  ßudnik 
war  1).  Südlich  von  Lazar  saß  der  Celnik  Mlsa,  welcher  die  Burg 
Brvenik  im  Bergwerksgebiet  des  Kopaonik  1363  für  seine  Burg 
Zvecan  von  Vojislav  eingetauscht  hatte  -).  Dunkel  sind  die  An- 
fange des  Gebietes  des  „Herrn"  (gospodin)  Vlk,  des  Sohnes  des 
Branko  Mladenovic,  der  nach  wenigen  Jahren  als  Besitzer  von 
Pristina,  Trepca,  Vlcitrn  („Wolfsdorn",  jetzt  Vuöitrn)  und  Zvecan 
erwähnt  wird. 

Die  Lage  der  Byzantiner  wurde  immer  trostloser,  Kaiser 
Johannes  unternahm  eine  zweite  Reise,  diesmal  nach  Westen 
(1369 — 1370).  Seinen  älteren  Sohn  und  Mitregenten  Andronikos, 
der  seit  1355  mit  einer  Tochter  des  bulgarischen  Zaren  Alexander 
verheiratet  war  ^),  ließ  er  in  Konstantinopel  zurück,  den  jüngeren 
Despoten  Manuel  in  Thessalonich.  In  Rom  trat  der  Kaiser  vor 
Papst  Urban  V.  feierlich  der  Union  der  Kirchen  bei,  reiste  in 
Frankreich  und  Italien  herum  und  geriet  schließlich  in  Venedig 
in  eine  üble  Lage,  bedrängt  von  seinen  Gläubigern.  Andronikos 
ließ  seinen  Vater  im  Stich.  Manuel  brachte  eilends  Geld  zusammen, 
segelte   nach  Venedig   und   führte   den  Kaiser   in  die  Reste  seines 


311.  Lazaro  Grebeglianovich  bei  Luccari  ^58.  Der  Personenname  Hrebeljan 
war  noch  im  15.  Jahrh.  häui3g  unter  den  Edelleuten  von  Serbien  und  Bosnien 
(von  hreb  Baumstamm,  Adj.  hrebeljav  waldig,  steinig,  wild,  rauh). 

1)  Prozeß  zwischen  Maroe  de  VolQigna,  Zollpächter  (dohanerius)  des 
„Comes  Lazarus"  in  Rudnik  (war  es  schon  vor  dem  St.  Nikolaustage  1370), 
und  BogavQC  Priboevich  Ochrugli  vor  dem  Gericht  von  Eagusa  am  22.  April 
1371 :  Lam.  Rag.  im  Arch.  Rag.     Literatur  über  Lazar  s.  unten. 

2)  Unedierte  Urkunde  des  Zaren  Uros,  gegeben  in  Sjenica  15.  Juli  1363, 
erwähnt  von  Avram  Popovic  in  der  Godisnjica  26  (1907)  162. 

3)  Gregoras  XXXVII  cap.  14  (Maria).  Bei  Phrantzes  I  cap.  13 
wird  als  Schwiegervater  des  Andronikos  ganz  ii-rtümlich  Marko  (der  Sohn 
des  Königs  Vlkasln)  genannt. 


König  Vlkasin  (1366—1371).  4S7 

Reiches  zurück.  Andronikos  verbündete  sich  insgeheim  mit  Saud- 
schi Bei,  dem  Sohn  des  Emirs  Murad.  Der  griechische  und  türkische 
Prinz  wollten  gemeinsam  ihre  Väter  stürzen,  sind  aber  beide  im 
Kampfe  unterlegen.  Der  Türke  wurde  ganz  geblendet,  der  Grieche 
nur  teilweise  des  Augenlichtes  beraubt  und  lebenslänglich  in  einen 
Turm  von  Konstantinopel  gesperrt  ^).  Die  Reise  des  Kaisers  nach 
Westen  war  ganz  vergeblich  gewesen.  Von  den  Bulgaren  war 
nichts  zu  erwarten,  nachdem  Zar  Johannes  Alexander  gestorben 
war  und  von  seinen  Nachfolgern,  Johannes  Sisman  in  Trnov  und 
Johannes  Sracimir  in  Vidin,  jeder  nur  einen  Teil  des  Landes  be- 
herrschte -).  Mehr  versprach  man  sich  von  einer  Offensive  der 
Serben,  um  welche  sich  Ugljesa  bemühte. 

Im  Juni  1371  lagerte  König  Vlkasin  mit  seinem  Sohn  Marko 
und  seinem  Schwiegersohn  Georg  Balsid  bei  Skutari.  Sie  wollten 
gegen  Nikola  Altomanovid  ziehen,  teils  durch  das  Gebirge  über 
Onogost,  teils  längs  der  Küste.  Die  Ragusaner  waren  bereit,  das 
Kriegsvolk  des  Georg  mit  ihren  Schiffen  über  den  Golf  von  Cattaro 
hinüberzuführen  ■^).  Doch  ist  der  Feldzug  wahrscheinlich  bald  auf- 
gegeben worden.  Der  König  begab  sich  nach  Süden,  wo  sein 
Bruder  große  Vorbereitungen  begonnen  hatte,  um  die  Türken  aus 
Thrakien  zu  vertreiben.  Im  Spätsommer  zogen  König  Vlkasin 
und  Despot  Ugljesa  aus  Serrai  nicht  nach  Dimotika  oder  Kalli- 
polis,  sondern  in  die  Landschaft  von  Adrianopel.  Den  Feind 
trafen  sie  einen  Tagemarsch  westlich  von  der  Stadt  Hadrians  in 
der  waldigen  Landschaft  von  Cernomen  (Ttegvofxidvov) ,  welches 
noch  zwanzig  Jahre  früher  bei  Kantakuzenos  als  eine  byzantinische 
Stadt  erwähnt  wird,  das  jetzige  Tschirmen  auf  dem  rechten,  süd- 
lichen Ufer  der  Marica.  Dort  erlitten  die  Serben  am  Freitag  den 
26.  September  1371  eine  furchtbare  Niederlage.  Im  Kampfe  fielen 
auch   beide  Anführer,   der  König   und   der  Despot;   ihre   Leichen 


1)  Darüber  zuerst  der  Zeitgenosse  Raphael  Caresinus,  Kanzler 
von  Venedig:  Muratori  12,  443  B. 

2)  Nach  der  bulg.  Chronik  starb  Zar  Alexander  am  17.  Februar  (1371) 
vor  der  Schlacht  an  der  Marica:  Arch.  slaw.  Phil.  13  (1891)  528. 

3)  Instruktion  eines  ragusanischen  Gesandten  zu  den  Beamten  der 
Balsici,  dreimal  gedruckt:  in  meiner  Abh.  im  Gas.  ces.  musea  60  (1886) 
262;  Gelcich  und  Thalloczy  60;  Mon.  Kag.  4,  127. 


438  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

wurden  nicht  mehr  gefunden.  Die  meisten  ihrer  Leute  ertranken 
in  der  Marica  oder  wurden  gefangen ;  nur  wenige  konnten  sich  retten. 
Führer  der  Türken  war  der  Feldherr  Evrenos.  Kein  Zeitgenosse 
hat  eine  nähere  Schilderung  dieser  Schlacht  niedergeschrieben.  Die 
bei  Chalkondyles  und  in  den  serbischen  und  türkischen  Annalen 
verzeichneten  Sagen  haben  die  Tendenz,  den  Sieg  als  fabelhaft 
leicht  darzustellen,  durch  einen  Überfall  des  serbischen  Lagers  in 
der  Nacht  vor  Morgengrauen  durch  4000  (bei  Chalkondyles  gar 
nur  800)  Türken  ^).  Eine  jüngere  Sage,  bekannt  aus  den  Reise- 
beschreibungen der  Türkenzeit,  überträgt  den  Schauplatz  ungefähr 
28  Kilometer  nordwestlich  in  die  Gegend  von  Harmanli;  dort 
wurde  im  16.  und  17.  Jahrhundert  das  Grab  des  Ugljesa  gezeigt 
und  die  Quelle,  bei  welcher  angeblich  Vlkasin  oder  nach  einer 
anderen  Fassung  Ugljesa,  als  sie  auf  der  Flucht  nach  der  Schlacht 
ausruhten,  von  einem  ungetreuen  Diener  ermordet  wurden  ^). 

Mit  der  Schlacht  an  der  Marica  beginnt  die  türkische  Herr- 
schaft über  die  Südslawen.  Dem  Sieger  standen  alle  Wege  offen. 
Türkische  Reiterheere  durchstreiften  Makedonien  bis  nach  Thes- 
salien und  Albanien.  Die  serbischen  Fürsten  in  Makedonien 
wurden  gezwungen,  dem  türkischen  Herrscher  Tribut  zu  zahlen 
und  Heeresfolge  zu  leisten :  König  Marko,  des  Vlkasin  Sohn,  Despot 
Dragas  und  sein  Bruder  Konstantin  u.  a.  Im  Gebiete  des  Ugljesa 
konnte  sich  seine  Familie  nicht  behaupten.  Seine  Witwe,  als 
Nonne  Euphemia  genannt,  eine  weltkundige  und  kluge  Frau,  lebte 
bei  dem  Fürsten  Lazar  und  später  bei  dessen  Witwe,  ihrer  Ver- 
wandten. Ob  der  „Kesar"  Ugljesa,  der  noch  zu  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts  ein  Gebiet  bei  Vranja  besaß,  ein  Sohn  des  Des- 
poten Ugljesa  oder  vielleicht  des  „Kesar"  Vojihna  war,  ist  nicht 


1)  Epilog  des  Mönches  Isaias  bei  der  slaw.  Übersetzung  des  Dionysios 
Areopagites:  Stojanovic,  Zapisi  3p.  41 — 44  nro.  4944.  Serb.  Annalen  ed. 
Stojanovic:  Glasnik  53  (1883)  13,  39,  66 f.  Bulg.  Annalen  ed.  Bogdan:  Arch. 
slaw.  Phil.  13  (1891)  528.  Evrenos:  Konstantin  der  Philosoph  ed.  Jagic, 
Glasnik  42  (1875)  290.  Chalkondyles  p.  31.  A  Cutheis  von  Spalato  (ganz 
sagenhaft)  bei  Schwandtner  3,  659 f.  Über  die  Ortlichkeit  der  serb.  General 
Jovan  Miskovic  im  Glas  58  (1900)  109—113  (mit  Karte). 

2)  J.  N.  Tomic,  Die  Motive  in  der  Tradition  über  den  Tod  des 
Königs  Vukasin,  serb.  in  den  Abb.  zur  Slawistik,  „Statji  po  slavjanovedeniju" 
1  (Petersburg  1904)  170—183. 


Die  Schlacht  an  der  Marica  (1371).  439 

bekannt  ^).  Das  Land  des  Ugljesa  besetzten  nicht  die  Türken, 
sondern  vorerst  die  Griechen.  Eine  griechische  Notiz  erwähnt  im 
November  1371  den  Einzug  eines  ungenannten  Despoten  in  Serrai, 
zur  Übernahme  der  Regierung  -).  Es  war  ohne  Zweifel  der  Despot 
Manuel  Palaiologos,  der  spätere  Kaiser,  damals  Statthalter  von 
Thessaionich.  Ein  ChrysobuU  seines  Vaters,  des  Kaisers  Johannes, 
rühmt  seine  Verdienste  in  ]\Iakedonien  und  im  Küstengebiet  Thessa- 
liens; er  habe  dort  viele  Städte  „von  dem  Joch  der  Serben  be- 
freit" ^).  Vertreter  des  Kaisers  in  diesem  Gebiet  waren  dann  die 
Herren  von  Christopolis  (Kavala)  und  Thasos,  die  Brüder  Alexios 
und  Johannes  aus  der  Familie  Asan,  die  sich  auch  Palaiologen 
schrieben.  Alexios  teilte  1373  dem  Dogen  mit,  er  habe  mit  seinem 
Bruder  den  Türken  und  den  Serben  einige  Burgen  mit  dem 
Schwerte  entrissen,  und  erhielt  im  folgenden  Jahre  das  Bürgerrecht 
von  Venedig  ^).  Die  Byzantiner  schenkten  und  bestätigten  dann 
1375 — 1378  verschiedenen  Klöstern  des  Athos  Güter  in  der  näch- 
sten Umgebung  von  Serrai  ■').  Das  Jahr  der  türkischen  Eroberung 
dieser  Stadt  ist  nicht  bekannt ;  die  älteste  noch  bestehende  Moschee 
hat  eine  Inschrift  von  1385. 

Nach  Avignon  gelangten  Nachrichten  über  diese  Katastrophe 
erst  im  Frühjahr  1372.  Papst  Gregor  XI,  schrieb  im  Mai  dem 
König  Ludwig  von  Ungarn,  daß  die  Türken  mit  einem  großen 
Heere  gewisse  „Magnaten  Rasciens",  welche  in  den  Landschaften 
Griechenlands,  also  auf  ehemals  byzantinischem  Boden  herrschten, 
sich  unterworfen  hätten  und  bis  zu  den  Grenzen  zwischen  Ungarn 
und  Serbien,  sowie  zwischen  Albanien  und  „Slawonien"  vorge- 
drungen  seien.     Man  befürchte,    daß   sie   bis   zur  Küste   kommen 


1)  Eia  ,,Ugljesa  Despotovic"  ist  als  Kind  gestorben:  Stojanovic, 
Zapisi  1  nro.  138. 

2)  Aus  einem  Kodex  von  Protaton  herausg.  von  Papageorgiu,  Byz. 
Z.  3  (1894)  316  A.  2;  vgl.  eb.  10,  426. 

3)  Proöinieu  des  Dem.  Kydoaes  zu  Chrysobullea ,  herausg.  von 
Zachariae  von  Lingenthal,  S.  B.  der  Kgl.  Preuß.  Akademie  52  (1888)  1421. 

4)  Der  „magnus  primicherius"  Alexios  an  den  Dogen  aus  Christopolis 
August  1373,  Diplomatarium  veneto-levantinum  2,  165.  Über  die  Kirchen- 
stiftungen dieser  Brüder  vgl.  G.  Millet:  Byz.  Z.  15  (190G)  618. 

5)  Jos.  Müller,  Slaw.  Bibliothek  1  (1851)  165.  Viz.  Vremennik  13 
(1907)  Beilage  106  f. 


440  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

und  Hafenplätze  am  Adriatischen  Meere  besetzen  würden.  Ludwig 
möge  diesem  grausamen  Volk  entgegentreten  und  es  von  den 
Grenzen  der  Christenheit  zurückweisen.  Eine  zweite  Aufforderung 
erging  an  den  Dogen  von  Venedig,  er  solle  den  König  dabei  mit 
Schiffen  unterstützen.  Im  Herbst  brachte  der  Erzbischof  von 
Neopatrai  im  Herzogtum  von  Athen  genauere  Berichte  nach  Avi- 
gnon,  daß  die  Türken  „gegen  einige  Magnaten  und  Völker  der 
Landschaften  von  Griechenland,  Wlachien  (Thessalien)  und  des 
Reiches  von  Rascien  einen  großen  Sieg  erfochten  haben";  bei  der 
Unterwerfung  dieser  Länder  seien  sie  bis  zu  den  Grenzen  des  Herzog- 
tums von  Athen  und  des  Fürstentums  von  Achaja  vorgerückt. 
Im  November  berief  der  Papst  den  griechischen  Kaiser,  den  latei- 
nischen Titularkaiser,  die  Könige  von  Ungarn,  Sizilien  und  Zypern, 
die  fränkischen  Herren  von  Griechenland,  die  Ritter  von  Rhodos, 
sowie  die  Venezianer  und  Genuesen  für  Oktober  1373  zu  einem 
Kongreß  nach  Theben  in  Boiotien,  um  über  die  Verteidigung 
gegen  die  Türken  Beschlüsse  zu  fassen.  Es  erschienen  dort  tat- 
sächlich die  Fürsten  oder  ihre  Vertreter,  doch  ihre  Uneinigkeit 
vereitelte  den  Abschluß  einer  Liga  ^).  Bald  hörte  man ,  auch 
das  glorreiche  Kaisertum  von  „Romanien"  sei  den  Türken  tributär 
geworden  -). 

Zwei  Monate  nach  der  Schlacht  an  der  Marica  starb  Zar 
Uros,  am  Donnerstag  den  4.  Dezember  1371,  erst  35  Jahre  alt. 
Noch  am  15.  Oktober  und  3.  November  hat  in  Ragusa  der  Mönch 
Roman  Prkosa  mit  ausdrückhcher  Vollmacht  des  serbischen  Kaisers 
(cum  expresso  consensu  et  voluntate  imperatoris  Rassie)  den  Tribut 
von  Stagno  für  das  Erzengelkloster  in  Jerusalem  in  zwei  Raten 
behoben  '^).  Nach  dem  ältesten  Text  der  serbischen  Genealogien 
ist  Zar  Uros,  obwohl  vom  Throne  vertrieben,  „inmitten  seines 
Landes   in   seiner   kaiserlichen   Würde   ruhmvoll    zu   Gott    hinge- 


1)  Raynaldi  Annales  eccl.  Bd.  16,  1372  cap.  28  f.  The  in  er,  Mon. 
Hang.  2,  115.  Wenzel,  Mon.  Hung.,  Acta  extera  3,  46.  Gregore vius, 
Geschichte  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter  2,  164  f. 

2)  Theiner,  Mon.  Hung.  2,  155  (Dezember  1375). 

3)  Vgl.  meine  Abb.  über  Ragusa,  Uros  und  Vlkasin  und  die  zweite 
über  diesen  Tribut  in  der  Festschrift  für  Jagic  540. 


Tod  des  Zaren  Uros  (1371).  441 

gangen"  ^).  Erst  spätere  Lieder  und  Sagen  lassen  den  Sohn  des 
Stephan  Dusan  gewaltsamen  Todes  sterben.  Ihre  erste  Spur  ist 
in  der  Vita  des  heiligen  Johannes  von  Rila  von  Demetrios  Kanta- 
kuzenos  zu  lesen,  verfaßt  um  1453  —  1479:  Uros  wurde  von  beiden 
Brüdern,  dem  König  und  dem  Despoten,  des  Thrones  und  Lebens 
beraubt.  Eine  andere  Version,  vertreten  durch  eine  Randglosse 
der  bulgarischen  Chronik,  schrieb  die  Untat  dem  Ugljesa  allein 
zu  -).  Während  in  den  älteren  Genealogien  der  Tod  des  Uros 
nach  der  Schlacht  an  der  Marica  angesetzt  ist,  wird  der  Zar  in 
den  jüngeren  Texten  von  Vlkasin  ermordet,  entweder  erdrosselt 
oder  auf  der  Jagd  mit  der  Keule  erschlagen  ^).  Je  später  die 
Erzählung  ist,  desto  mehr  Einzelheiten  enthält  sie;  die  meisten 
bietet  die  Vita  des  Zaren  Uros  vom  Patriarchen  Paysij  aus  dem 
17.  Jahrhundert.  In  diesen  Sagen  erscheint  Uros  als  ein  kaum 
herangewachsener  Jüngling,  der  böse  Vlkasin  als  sein  vom  Zaren 
Stephan  bestellter  Vormund.  Es  kam  eine  Zeit,  in  welcher  man 
den  jungen  Uros  als  Märtyrer  zu  verehren  begann.  Da  fand  1584 
ein  Hirt,  von  den  Leuten  anfangs  als  Narr  verspottet,  die  Gebeine 
des  heiligen  Uros  unter  einer  Steinplatte  in  einem  verödeten  Mutter- 
gotteskloster bei  dem  Dorfe  Sarenik  östlich  von  Prizren,  zwischen 
der  Burg  Petric  und  dem  einstigen  Königshof  Nerodimlja.  Das 
Kloster  wurde  nach  dieser  Entdeckung  von  frommen  Serben  er- 
neuert. Der  Patriarch  Paysij  verfaßte  auch  ein  Offizium  (sluzba) 
des  heiligen  Uros.  Die  angeblichen  Gebeine  des  jungen  Zaren 
wurden  dann  1705  in  das  Kloster  Jazak  in  der  Fruska  Gora 
gebracht,  wo  sie  heute  noch  in  einem  kleinen  Sarg  in  der  Klirche 
ruhen  ^). 


1)  Diese  Nachricht  mit  dem  genauen  Datum  im  Eodoslov  ed.  Stojanovic 
im  Glasnik  53,  S.  13  und  im  Spomenik  3,  S.  95,  99,  131,  149,  151.  Jüngere 
Handschr.  geben  den  Donnerstag,  mitunter  aber  den  2.  Dezember  an,  den  auch 
die  kirchlichen  Typika  haben:  Stojanovic,  Zapisi  3  nro.  5004,  5022. 

2)  Arch.  slaw.  Phil.  13  (1891)  528  A.  2  und  14,  265. 

3)  Glasnik  53,  S.  39,  66 f.;  Spomenik  3,  105,  125,  154.  Vgl.  auch 
Orbini  und  Luccari. 

4)  Paysij  a.a.O.  Übertragung  1705:  Stojanovic,  Zapisi  2  nro.  2151. 
Das  Dorf  Sarenik,  das  auch  Orbini  271  und  Luccari  1  A.  63  nennen,  ist 
jetzt  ganz   verödet,   die  Kirche   des  hl.  Uros,   die   noch  Hilferding  gesehen 


443  Viertes  Buch.    Viertes  Kapitel. 

Des  Zaren  Stephan  Witwe  Elisabeth  (Helena)  hat  ihren  Sohn 
noch  einige  Jahre  überlebt.  Kaiser  Symeon  in  Trikala  wird  nach 
1369  nicht  mehr  erwähnt.  Der  letzte  Nemanjide  war  Symeons 
Sohn,  der  Kaiser  Johannes  Uros  Palaiologos  oder  Johannes  Dukas 
ein  unkriegerischer,  ganz  mönchisch  und  weltfremd  erzogener  Mann. 
Die  Regierung  seines  Landes  überließ  er  dem  „Kaisar"  Alexios 
Angelos,  dem  aus  den  Urkunden  der  Meteorenklöster  und  der 
Chronik  von  Janina  bekannten  letzten  christlichen  Herrn  von 
Thessalien,  legte  das  Klostergewand  an  (vor  1386)  und  lebte  als 
Mönch  Joasaph  bis  zu  seinem  Tode  (f  1410)  teils  im  Kloster 
Vatopedi  auf  dem  Athos,  teils  in  den  thessalischen  Meteoren- 
klöstern 1). 

Nach  dem  Tode  des  Kaisers  Uros  entrichteten  die  Ragusaner 
den  St.  Demetriustribut  ohne  Widerstand  dem  Zupan  Nikola  Alto- 
manovic.  Im  Innern  Serbiens  wütete  ein  Kampf  um  das  Erbe 
des  Königs  Vlkasin.  Georg  Balsic  besetzte  Prizren,  eine  Stadt 
des  Königs,  und  behauptete  sie  gegen  einen  Angriff  des  Nikola 
(1372)  -).  Die  bisherige,  zuletzt  -nur  fiktive  Einheit  des  serbischen 
Staates  war  untergegangen.  An  die  Sielle  des  großen  alten  Reiches 
trat  eine  Reihe  von  Teilfürstentümern  ohne  politische  Verbindung, 
nördlich  vom  Sar  frei,  südlich  von  diesem  Gebirge  abhängig  von 
den  Türken. 


hat,   demoliert   und   durch  einen  unfertigen  Neubau  ersetzt;  vgl.  den  Reise- 
bericht von  Jastrebov  im  Spomenik  41  (1904)  102  f. 

1)  Urkunden  bei  Heuzey  a.  a.  0.,  Glasnik  18  (1865)  206,  Porfyrij 
Uspenskij,  Reise  in  die  Meteorenklöster  (russ.,  Petersburg  1896)  464f.  Der 
serb.  Rodoslov  spricht  von  zwei  Söhnen  des  Symeon,  ebenso  Orbini  270  (Duca 
und  Stefano),  aber  die  Chronik  von  Janina  nennt  ausdrücklich  nur  zwei 
Kinder,  einen  Sohn  und  eine  Tochter.  Über  den  Kaisar  Alexios  und  seine 
Nachkommen  vgl.  Byz.  Z.  18  (1909)  585  f. 

2)  Die  ragusanischen  Kauf  leute  von  Prizren  schenkten  dem  Jura  de  Balsa 
vier  Panzer  (coracias),  „quando  Jura  cepit  castrum  dicti  loci":  10.  Sept.  1372 
Div.  Rag.  Flucht  der  ragus.  Kaufleute  von  Prizren  in  das  nahe  Kloster 
S.  Arcangeli  „timore  Nicole",  vor  „Nichola  gupan":  Klagen  im  Jänner 
und  Febr.  1373  in   den  Lam.  de  foris  1370—1373  Arch.  Ra^. 


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Druck  von  Friedrich  Ai.dreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


AU6  2  S  1986 


UC  SOUTHERN  REGIONAL  LIBRARY  FACILITV 


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