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Wujnf
Jljaröarö CtoUrge itbrarg
CHARLES MINOT
(Ciua of isasi
1-^
©
GESCHICHTE
DER WANDALEN
VON
Dr. LUDWIG SCHMIDT
BIBLIOTHEKAB AN DER KÖNIGL. ÖFFENTLICHEN BIBLIOTHEK
IN DRESDEN.
LEIPZIG
VERLAG VON B. G. TEUBNER
1901.
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J V U^o^cri-' UA/vi/0 .
ALLE BEOHTE,
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
DRUCK VON B. G. TEUBNER IN DRESDEN.
Yorwort.
JNachdem seit 1837, in welchem Jahre das für seine Zeit vor-
treffliche Werk Papencordts herauskam, keine eingehende kritische
Spezialuntersuchung über die Gesamtgeschichte der Wandalen ver-
öffentlicht worden ist, erschien es angemessen, dieses Thema wiederum
einer Bearbeitung zu unterziehen, um so mehr, als namentlich durch
die modernen französischen, auf Ausgrabungen und Lokalforschungen
basierten Arbeiten über das römische Afrika auch für die Geschichte
des wandalischen Reiches vielfach neue, gesicherte Grundlagen ge-
schaffen worden sind. Ich habe mich bemüht, die wichtigste Litteratur
möglichst ausgiebig heranzuziehen, wenn auch manche wertvolle Unter-
suchung mir entgangen sein mag. Eine von mir im Jahre 1888
publizierte kleine Schrift über die Zeit vor der Eroberung Afrikas
ist in das vorliegende Buch in völlig veränderter Gestalt, wesentlich
erweitert und verbessert, aufgenommen worden. Von der Beigabe
einer Karte mufste leider abgesehen werden; für das Topographische
sei daher hiör auf die Karten im Corpus inscriptionum Latina-
rum VIII, 2 (Berol. 1881); Tissot, Geographie comparee de la pro-
vince Romaine d'Afrique, Atlas par S. Reinach, Paris 1888; Cagnat,
L'armee Romaine d'Afrique et Toccupation militaire de TAfrique sous
les empereurs, Paris 1892; Atlas archeologique de la Tunisie (De-
scription de TAfrique du Nord), Paris 1893 ff.; Diehl, L'Afrique
Byzantine. Histoire de la domination Byzantine en Afrique, Paris 1896,
verwiesen. Für das Gebiet zwischen Bone und Philippeville (Massif
de TEdough) sowie das Grenzgebiet zwischen Byzacena und Tripolis,
femer für Mauret. Gaes. kommen besonders die Karten im Recueil des
notices et memoires de la soc. arch. du dep. de Constantine vol. 32
(1898) p. 96. 146 und bei Cat, Essai sur la province Romaine de
Mauretanie Cesarienne, Paris 1891, in Betracht.
Herrn Dr. Adolf Schulten in Göttingen sei an dieser Stelle für
seine freundliche Hülfe noch besonders gedankt.
Dresden, im September 1901.
Ludwig Schmidt.
InhaltsTerzeiclmis.
Seite
Vorwort m
Erstes Buch: Die älteste Zeit 1—38
Anhang zum ersten Buch : Die Verfassung in ältester Zeit . . . 38 — 44
Zweites Buch: Das afrikanische Reich unter Geiserich 45 — 100
Drittes Buch: Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergange des Reiches 101—152
Viertes Buch: Innere Geschichte des afrikanischen Reiches .... 153 — 202
Stammtafel # • • • 203
Erstes Biich.
Schmidt, Wandalen.
Der Name „Wandalen*'^) umfalste ursprünglich eine gröfsere
Gruppe germanischer Völker im östlichen Deutschland und blieb
später allein auf zwei derselben angehörenden Stämmen^ den As-
dingen und Silingen^^ haften. Das älteste Zeugnis für die um-
fassendere Bedeutung dieser Bezeichnung verdanken wir der Natur-
geschichte des älteren Plinius (ca. 77 n. Chr.) IV, 14, 99 (nach Müllen-
hoflfs Ausgabe, öermrfnia antiqua, Berol. 1873, p. 91), der Vandili,
quorum pars Burgondiones, Varinne (1. Varini), Charini*), Gutones
den westgermanischen Verbänden der Ingwäonen, Istwäonen und Her-
minonen gegenüberstellt. Auch Tacitus in dem allgemeinen Teil
der Germania (geschrieben 98 n. Chr.) Kap. 2 erwähnt Vandilii als
Name einer grofseren Völkervereinigung: er setzt an dieser Stelle
dem Mythus von der Abstammung der Westgermanen und ihrer Drei-
teilung die Ansicht etlicher römischen Antiquare von einer Teilung
der ganzen Nation in vier grofse Gruppen, Marsen, Gambrivier,
Sueben und Wandilier entgegen.^) In dem speziellen Teil der Ger-
mania fehlt jedoch jener Name: in der hier gegebenen Schilderung
der Völker des östlichen Deutschland nennt er (Eap. 43) von Süden
nach Norden vorgehend nach den Cotini, deren Wohnsitze in den
Gebirgen des nordwestlichen Ungarn östlich von den Quaden zu
1) Der Name, der in verBchiedenen Formen als Vandili, Vandilii, Bavdilot,
BccvdijXoi, Vandtdi, Vandali erscheint (vgl. darüber Wrede, Über die Sprache
der Wandalen, Strafsbnrg 1886, S. 39), soll bedeuten: die „Beweglichen" oder
die „Wandelbaren", ein von den benachbarten Völkern herrührendes Scheltwort,
analog dem Namen der Lngier, der angeblich die „Lügnerischen" bezeichnet,
vgl. Mnch in den BeitiUgen znr Geschichte der deutschen Sprache und Litteratnr
XVn (1893), S. 32.
2) Die Süingen werden ausdrücklich als Wandalen zuerst von Hjdatius
im fünften Jahrhundert genannt (Chron. c. 49 z. J. 411 : Wandali cognomine Silingi
u. 5.) ; doch erscheinen sie in den Quellen bereits im zweiten Jahrhundert unter
diesem Namen, vgl. unten.
3) Charini ist wohl Dittographie von Varini, also aus dem Text zu streichen;
denn Ptolemäus (Geogr. m, 5), der diese Stelle benutzt hat (Holz, Beiträge zur
deutschen Altertumskunde, Heft 1, Halle 1894, S. 69), kennt einen derartigen
Volksnamen nicht, sondern nur A6olqwoI neben ^Qovyovvdimvsg.
4) Quidam, ut in licentia vetustatis, pluris deo ortos plurisque gentis
appellationes, Marsos, Gambrivios, Suebos, Vandilios affirmant, eaque vera et
antiqua nomina. Vgl. Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde E, 192; IV, 126.
1*
4 Erstes Bach.
suchen sind^), jenseits des Gebirges (d.h. der Sudeten) die grolse
Kultgenossenschaft der Lygier, dann die Goten innerhalb der greisen
Beugung der Weichsel^) und die Rugier und Lemovier unmittelbar am
Meere (zwischen Oder und Weichsel). Ergänzt werden diese Angaben
durch Ptolemäus (bez. Marinus)^ der, wie neuerdings Holz nachgewiesen
hat, für den Süden und Osten Germaniens eine sehr gute Quelle aus dem
Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, also aus einer
wenig späteren Zeit, als Tacitus schrieb, benutzt hat. Wird diese
aus der durch Kontamination verschiedener Berichte zusammen-
gesetzten Ptolemäischen Yölkertafel herausgeschält, so ergiebt sich
folgende Ansetzung für jene Periode: An der Weichselquelle sitzen
die BovQOL als Teil der Lugier (/lovyLOc)^ die das Gebiet östlich der
Sudeten {^A^üißovQytov ogog) bis an die Weichsel in Anspruch
nehmen; südlich und südöstlich von den Semnonen, deren Sitze in
der Mark Brandenburg und der Niederlausitz lagen, die ZiXCyyai im nörd-
lichen Schlesien und wohl noch in der Oberlausitz. Die östlichen
Nachbarn der Semnonen sind die BovQyovvtat, an die sich nach
dem Meere zu die OvCQbvvoi (Warnen) und die Rugier (beide nach
den Ortsnamen OvCqovvov^) und ^Fovyiov zwischen Oder imd Weichsel
anzusetzen) anschliefsen (vgl. Holz a. a. 0. 33 ff. 59. 65). Die Goten
haben das Gebiet östlich der mittleren und unteren Weichsel inne.
Eine wandilische Völkergruppe kennt Ptolemäus nicht. Tacitus
nennt fünf Völker der Lugier, jedoch mit der ausdrücklichen Be-
merkung, dafs er nur die stärksten derselben aufführe: die Harii,
Helvaeonae, Manimi, Helisii, Nahamavali; Ptolemäus nur drei, die
BovQov^ 'Ofiavoi, jdiöovvioi (die beiden letzteren Namen sind ver-
derbt, vgl. Holz a. a. 0. 46). Aus der geographischen Lage der Wohn-
sitze der Silingen ergiebt sich indessen, dafs diese ebenfalls den
Lugiern zuzuzählen sind.*) Ob das gleiche von den Burgundionen
gilt, deren Name bei Tacitus fehlt, ist sehr fraglich. Dagegen spricht
namentlich, dafs es schon vor der Besiedelung Deutschlands ein Volk
1) Müllenhoff, D.A. H, 324ff.
2) Vgl. MüUenlioff, D. A. n, 5. 0. Bremer in Pauls Gnindrifs der german.
Philologie (Strafsburg 1899) HI *, 826 setzt die Goten zu beiden Seiten der oberen
Weichsel an, was ich nicht für richtig halte. Die Zugehörigkeit derselben zum
Marbodschen Völkerbund ist sehr zweifelhaffc.
3) Nach Gnirs, das östl. Germanien und seine Verkehrswege 1898, Prager
Studien auf dem Gebiete der Geschichte IV, 37, soll der Ort OvCqovvov einen
Übergang über die Warthe bedeuten, eine Annahme, die wohl kaum der Wider-
legung bedarf.
4) Vgl. auch 0. Bremer in Pauls Grundrifs lU, 823.
Die älteste Zeit. 5
dieses Namens gegeben hat^)^ während die Lugier damals sicher noch
einen Stamm gebildet haben. Die gemeinschaftliche Kultusstätte war
ein heiliger Hain bei den Nahamavalen; wo ein göttliches Zwillings-
paar, Alkiz mit Namen, verehrt wurde, deren Dienst ein Priester
muliebri omatu versah.^) MüUenhojßf (Zeitschrift f. Deutsch. Altertum
XII, 346 flf.) glaubt das Brüderpaar mehrfach in der deutschen Helden-
sage nachweisen zu können. Wichtig ist vor allem der Nachweis,
dafs der Name des wandalischen Eönigsgeschlechts Asdingen oder
richtiger Hasdingen (gotisch Hazdiggos), der später auf den Stamm
übertragen wurde*), „Männer mit Frauenhaar" bedeutet und auf das
Taciteische muliebri omatu zu beziehen ist: wahrscheinlich ist die
stirps regia der Asdingen aus dem Priestergeschlecht der Naharnavalen
hervorgegangen.*) Es ergiebt sich hieraus, dafs das Volk (civitas)
der Asdingen mit den Naharnavalen identisch ist.
Vorwiegend wird nun — hauptsächlich nach der Autorität des
Plinius — die Ansicht vertreten, dafs der Wandalenname anfanglich dem
ganzen Zweig der Ostgermanen zukam, zu denen nach den Ergebnissen
der modernen sprach- und rechtsgeschichtlichen Forschung aufser den
Lugiem besonders die Goten, Gepiden, Rugier, Burgundionen, vielleicht
auch die Langobarden gehörten^); ich möchte mich indessen der auch
von 0. Bremer a. a. 0. S. 820 ausgesprochenen Vermutung anschliefsen,
dafs jener in ältester Zeit nur von den Lugiern geführt und von den
swebischen Nachbarstämmen irrig mit auf die nördlicheren Ost-
germanen ausgedehnt wurde. Von Bedeutung für diese Auffassung
ist namentlich der umstand, dafs allein zwei lugische Stämme,
darunter derjenige, der das Bundesheiligtum behütete, später sich
1) Wie ans dem Namen Burgundarholm (Bomholm) sich ergiebt, vgl. unten.
2) Golther, Handbuch der germanischen Mythologie S. 214.
3) Jordanes, Getic. c. 22. Waitz, Verfassungsgeschichte I', 319.
4) Brunn er, Deutsche Rechtsgeschichte I, 126.
6) Vgl. auch Prok. b. V. I, 2, der den Ost- und Westgoten, Wandalen und
Gepiden denselben Körperbau, dasselbe Recht, dieselbe Religion (d. h. den
Arianismus) und dieselbe Sprache zuschreibt. Grimm, Geschichte der deutschen
Sprache 435 ff. Wrede, Sprache d. Wand. 6. Derselbe, Über die Sprache der
Ostgoten in Italien 11. Schröder, Lehrbuch der deutsch. Rechtsgeschichte',
11. 21. 26. 48. Loewe, Die ethnische u. sprachliche Gliederung der Germanen
(HaUe 1899). Ficker, Untersuchungen zur Rechtsgeschichte (Innsbruck 1891ff.)
I. n. (bes. n, 17); derselbe in den Mitteilungen des Instituts f. österr. Geschichts-
forschung XXn (1901), S. Iff. Kier, Edictus Rotari. Studier vedrörende Lango-
bardemes nationalitet. Aarhus 1898. Derselbe: Dansk og Langobardisk arveret.
Aarhus 1901. Das Verhältnis der germanischen Rechte zu einander und ihre
Bedeutung für die ethnographische Stellung der einzelnen Stämme ist noch
nicht genügend gewürdigt. Die Sprache ist viel leichter Beeinflussungen unter-
worfen als das Recht.
6 Erstes Bnch.
Wandalen nannten ; in ähnlicher Weise wie bei den Sweben aufser
den Quaden das Kernvolk, die Semnonen, nach der Auflösung des
Eultverbandes den alten Bundesnamen als StammesbezeichnuDg annahm.
In der Geschichte erscheinen die Lugier zuerst um Christi Geburt
als Zugehörige des von Marbod begründeten germanischen Völker-
bundes (Strabo VII, 1,3: JovyCovg (liya Id'vog)] sie hatten also da-
mals schon ohne Zweifel die erwähnten Sitze östlich der Sudeten
inne. Das Vorhandensein einer festen Kultusstätte — denn dafs die
Lugier schon zu Strabos Zeit nicht mehr eine civitas, sondern eine
Völkergruppe waren, darf mit grofser Wahrscheinlichkeit angenommen
werden^) — läfst darauf schliefsen, dafs sie bereits zu einer gewissen
Seishaftigkeit gelangt waren und dafs sie jenes Gebiet geraume Zeit
vor ihrem Bekanntwerden in Besitz genommen hatten. Der genaue
Zeitpunkt, wann dies geschehen, läfst sich ebensowenig mit Sicher-
heit angeben wie der Weg, den sie auf ihrer Wanderung von der
Urheimat eingeschlagen haben. Die ältesten Sitze der Germanen in
Mitteleuropa sind wahrscheinlich in Schonen und den nächstliegenden
Küstenstrichen von HaUand, Bohuslän und Bleking, ferner in Däne-
mark, Schleswig- Holstein und Mecklenburg zu suchen. Die Ost-
germanen sind von Schweden aus direkt über das Meer in Deutsch-
land eingedrungen.^) Dafür sprechen namentlich die archäologischen
Funde, sowie eine Anzahl übereinstimmender Namen: Goten imd
Gauten, Rugier in Pommern und im norwegischen Rogaland, Bur-
gundionen und Burgundarholm (Bomholm) u. a. Gestützt wird diese
Annahme durch die Ursprungssagen der Goten und Langobarden, in
denen auch die Wandalen (d. h. nach dem oben Bemerkten die
späteren Lugier)*) eine Rolle spielen. Jordanes erzählt (Get. c. 4),
dafs die Goten nach ihrer Ankunft aus Scandza (d. h. Skandinavien)*)
die am Meeresufer wohnenden Ulmerugen, d. h. die Liselrugier*), ver-
1) Strabos Ansdrack fiiya iO^og spricht niclit dagegen; denn aucli die
swebische Völkergruppe wird von ihm iO'vog genannt.
2) VgL Kossinnain den Indogermanischen Forschungen VII (1897), 276 ff.
Zeitschr. des Vereins für Volkskunde VT (1896) S. 12. Loewe a. a. 0. 0. Bremer
im Anzeiger für deutsches Altertum XVm (1892), 413ff. Hedinger und Hirt
in den Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum m (1899), 562 ff. Für
eine Besiedelung Skandinaviens von Deutschland aus treten ein die nordischen
Archäologen und 0. Bremer in Pauls Grundrifs.
3) Lugier könnten auch die Wendlers in Nordjütland sein, vgl. meine
Geschichte der Langobarden 37.
4) VgL meine Gesch. d. Langob. S. 39 ff.
5) Es können doch nur die Liseln an der Odermündung gemeint sein. Diese
muTsten die Goten von Schweden kommend zuerst berühren.
Die älteste Zeit. 7
trieben und deren Nachbarn^ die Wandalen^ sich unterworfen
hätten. Die Sage der Langobarden berichtet^); dals diese ^ nachdem
sie von Slftuidinavien ausziehend das Land Scoringa (d. h. Uferland);
also die Ostseeküste*) erreicht, mit den Wandalen unter Ambri und
Assi in Krieg verwickelt worden seien. Dats die langobardische
Wanderlegende durchaus original, nicht etwa der gotischen nach-
gebildet ist, hat Bernheim') mit Recht betont. Man würde also, die
Richtigkeit jener Erzählungen vorausgesetzt, anzunehmen haben, dafs
die Rugier und Lugier zuerst die Urheimat verlassen und sich an
der Ostseeküste niedergelassen hatten, wo sie mit den später nach-
folgenden Goten und Langobarden in Konflikt gerieten.
Im Jahre 50 nahmen lugische Völkerschaften, wahrscheinlich
also auch Wandalen (Asdingen und Silingen), an der Zerstörung des
Swebenreiches des Yannius, das vermutlich das ganze Gebiet der
Markomannen und Quaden umfa&te^), teil. Diese Gegnerschaft zwischen
Lugiem und Sweben bestand auch später noch fort; vom Jahre 92 (?),
unter Domitian, werden Kämpfe zwischen beiden Stämmen erwähnt,
wodurch auch das römische Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde.**)
Bestimmt bezeugt ist die Teilnahme der Wandalen am Markomannen-
kriege, imter welchem Namen jene grofse Völkerbewegung zusammen-
gefafst wird, die seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts fast die
ganze germanische Welt in Aufruhr versetzte und auch sarmatische
und slawische Völkerschaften zur Teilnahme veranlafste. Etwa im
Jahre 171 brachen, wie Dio Cassius erzählt, die Asdingen unter
Raus und Raptus®) in Dacien ein, in der Hofi&iung, gegen Leistung
von KJriegshilfe Wohnsitze daselbst und noch Qteli dazu zu empfangen,
was ihnen indessen Clemens, der Statthalter dieser Provinz (seit 170)^),
1) Origo gentia Langob. 1. Paul. Diac. Hist. Langob. I, 7.
2) Nicht das Land am Ufer der unteren Elbe, wie ich früher annahm.
Vgl. MüUenhoff, D. A. H, 97.
3) Im Neuen Archiv d. Ges. f. ä. d. Geschichtskunde XXI (1896), 393 ff.
4) Mommsen, Bömische Geschichte V, 196. Vgl. meinen Aufsatz im Hermes,
XXXTV (1898), S. 158.
5) Dio 67,6 (12,6) und dazu Boissevain (Berol. 1901). Vgl. Mommsen im
Hermes m (1869), S. 115 ff. Schiller, Geschichte der römischen Kaiserzeit I, 2
(1883), S.530. Gsell, Essai sur le rägne de Tempereur Domitien (1894) S. 225.
An Stelle der überlieferten, durch den Excerptor verderbten Worte: ort ev ty
Mvcltf Ävyioi Zovrißoig zusl nolBfKoG'ivtsg ist wahrscheinlich zu lesen: oti ot
Zovrißoi, ot iSnlg trig MvcCag, AvyCoig tiol nol, etc. Hiemach ist 0. Bremer
a. a. 0. S. 936 zu berichtigen, dessen Aufstellungen über die Sweben überhaupt
sehr anfechtbar sind.
6) Richtiger Hraus (= saevus) und Hraptus (= violentus), vgl. Müllenhoff,
Zeitschrift für deutsches Altertum VH, 528.
7) V. Domaszewski, Neue Heidelberger Jahrbücher V (1895), 109.
g Erstes Buch.
verweigerte. Infolgedessen wandten sie sich gegen das Gebiet der
den Römern feindlich gesinnten Kostoboken (an der oberen Theifs)^)
und eroberten dasselbe^ nachdem sie zuvor ihre Weiber und Kinder
dem Clemens anvertraut hatten, fuhren aber trotzdem noch fort,
das römische Gebiet mit Einfällen heimzusuchen. Die Lacringen
indessen, welche fürchteten, die Römer möchten jene in das von
ihnen, den Lacringen, bewohnte Land (wohl im nördlichen Dacien)
verweisen, griffen die Asdingen an, ehe sie sich zum Widerstand
rüsten konnten, und brachten ihnen eine schwere Niederlage bei.
Nun baten diese demütig beim Kaiser um Frieden und erlangten
auch schliefslich Subsidien und Land, indem sie als Gegenleistung
versprachen, den Römern Heeresfolge zu leisten. Der Bericht Dios
zeigt, dafs es den Asdingen hauptsächlich auf Erwerb neuer Wohnsitze
ankam (es zog das ganze Volk mit Weib und Kind aus); wahr-
scheinlich waren sie durch südwärts drängende gotische Stämme*) ge-
zwungen worden, ihr bisheriges Gebiet zu verlassen und gegen das römische
Gebiet vorzurücken, wozu bei der Schwächung der Grenzen günstige
Gelegenheit geboten war. In anderen Beziehungen zu den damaligen
Völkerbewegungen scheint dieser Zug der Asdingen nicht gestanden zu
haben. Als Hilfsvolk des Kaisers^) haben sie dann in den folgenden
Jahren an den Kämpfen gegen Germanen und Sarmaten teilgenommen.*)
Der Wandalen als Teilnehmer des Krieges gedenken auch Eutrop
(Breviar. 8, 13) und Capitolin (Vita Marci 17, 3). Ob dagegen in dem be-
kannten Verzeichnis der am Markomannenkrieg beteiligten Völker (Vita
Marci 22, i) ihr Name ausgefallen ist, muTs dahingestellt bleiben.^)
1) Vgl. Müllenhoff, D. A. n, 84. Domaszewski a. a. 0. S. 125 setzt sie
fälschlich östlich von Dacien, nördlich von der Donanmündmig an und spricht
von einem Durchzug der Asdingen durch Dacien, wovon bei Dio kein Wort steht.
2) Auf diese bezieht sich wohl die berühmte Stelle Capitol. vita Marci 14,i:
aliis etiam gentibus, quae pulsae asuperioribus barbaris fdgerant .... bellum
inferentibus (vor 169).
3) Vgl. V. Domaszewski, Die Marcussäule (Text) S. 113.
4) Petrus Patricius fragm. 7. Dio 71,12: -kocI ovtoi fihv ^nga^dv xi iv
vnia%ovxo, Marcussäule S. 121. Neue Heidelberger Jahrbücher V (1895), 125.
5) Domaszewski, Serta Harteliana S. 8 ff., liest: [Vandali, Langobar]di
Oblique cum Victualis, konstruiert also 11 Völker, die er in dem Bericht des
Petr. Patr. fr. 6 von dem Zug der Langobarden u. a. Stämme (im ganzen elf)
wiederfindet, und spricht auf Grund dieser Konjektur von einem grofsen Völker-
bunde gegen die Römer. Doch vgl. dagegen meine Ausführungen im Hermes
a. a. 0. S. 155 ff. — Die Victualen, (Vit. Marc. 14) identifizieren Conrad (Mark
Aureis Markomannenkrieg 9) und Müllenhoff (D. A. H, 82. 324) mit den
Asdingen. Dafs dies nicht richtig sein kann, ergiebt die^ Chronologie. Die
Stelle des Capitolin bezieht sich auf die Zeit vor 169, während der Einbruch der
Asdingen erst nach 170 erfolgte (vgl. oben).
Die Slieste Zeit. 9
Die nunmehrigen Wohnsitze der Asdingen, die jedenfalls ihre
Yollkommene nationale Selbständigkeit behielten^ nur in einer losen
Abhängigkeit vom Reiche standen, haben wir uns wahrscheinlich in
den Niederungen an der oberen Theifs an der Nordgrenze Daciens
im ehemaligen Lande der Kostoboken^) zu denken. Als im Jahre 177
der Krieg von neuem ausbrach, scheinen sie wiederum gegen die
Bömer gekämpft zu haben; denn es heilst bei AbschluTs des Friedens
vom Jahre 180 durch Commodus, dafs aufser den Buren auch andere
Völker (d. h. wohl die Jazygen und Wandalen) die Gefangenen
zurückgeben und sich verpflichten mufsten, mit ihren Wohn- und
Weideplätzen 40 Stadien von der Grenze Daciens fem zu bleiben
(Dio 72,3). Dagegen wurde gleichzeitig den Markomannen und
Quaden untersagt, die Jazygen (in den Ebenen an der unteren Theifs),
Buren (an den Quellen der Oder und Weichsel) sowie die Wandalen
mit Krieg zu überziehen (Dio 72,2), was auf Nachbarschaft jener
(speziell der Quaden) mit den letztgenannten Völkern hindeutet.
Die oben gegebene Bestimmung der Wohnsitze der Asdingen wird
hierdurch bestätigt. Von einer Aufnahme derselben in das römische
Gebiet wissen die Quellen nichts.
Der andere Stamm, der den Namen Wandalen beibehalten hat,
die Silingen, scheint dagegen damals seine Sitze in Schlesien zu-
nächst nicht wesentlich verändert zu haben. Auf diese bezieht es
sich wohl, wenn Dio (77, 20) erzählt, der Kaiser Caracalla habe sich
gerühmt, die bisher befreundeten Markomannen und Wandalen gegen-
einander aufgehetzt zu haben (214^). Leider ist Näheres über diese
Vorgänge nicht überliefert; dieselben scheinen im Zusammenhange
mit einer gröfseren Bewegung der Völker an der Donau gestanden
zu haben, deren Niederwerfung durch die kluge Politik des Kaisers
ermöglicht wurde. Dagegen ist es wohl nur Reminiscenz aus älterer
Zeit, wenn derselbe Geschichtschreiber, der zu Anfang des dritten
Jahrhunderts sein grofses Werk vollendete, die Eibe in den „wanda-
lischen Bergen'^ entspringen läfst*), womit er aller Wahrscheinlichkeit
nach richtig das Biesengebirge meint. Ebenfalls auf die Zeit, wo
die beiden Stämme noch in Schlesien bei einander safsen, beziehen
1) Die Kostoboken scheinen damals teils aufgerieben, teils vertrieben worden
zu sein. Ein flücMiger Schwärm derselben drang um diese Zeit bis nach
Griechenland vor (Pausanias 10, 34). Eine Versetzung des Volkes in Hörigkeit
ist wegen der späteren wirtschaftlichen Verhältnisse der Wandalen nicht an-
zxmehmen, vgl. dazu weiter unten.
2) Vgl. Schiller, Gesch. der röm. Kaiserzeit I, 745.
3) QsC iti Tcof Ovccv$aXi%mv oq^v.
10 Erstes Buch.
sich auch, wie es scheint, die Ai^aben der späteren Chorographien
(soweit sie die Wandalen aufführen), die bekanntlich in der Haupt-
sache auf Redaktionen der grofsen von Agrippa bez. Augustus ver-
anlafsten Weltkarte zurückgehen. Die Karte, die Jordanes bez. Cassiodor
in seiner Gotengeschichte benutzte (wohl aus dem -2. Jahrb.), setzte
die Wandalen östlich von den Markomannen, südlich von den Her-
munduren, nördlich von der Donau und westlich von den Goten an.^)
Die wahrscheinlich auf den Bischof Hippolytus (Anfang des 3. Jahrb.)
zurückgehende Völkertafel in dem sog. Barbarus Scaligeri führt
Wandalen (Bardunii) zwischen Markomannen und Quaden auf (vgl.
C. Frick, Chronica minora, Lips. 1892, p. 216,5; cf. 33,17), die sog.
Veroneser Völkertafel (aus dem Anfang des 4. Jahrb.; bei Riese,
Geographi latini min. 128) Taifali, Hermunduri, Vandali, Sarmatae
U.S.W, (vgl. MüllenhoflF, D. A. IE, 317), die Kosmographie des Julius
Honorius (Anf. des 5. Jahrb.; Riese a. a. 0. 40) Marcomanni, Heruli,
Quadi, Sarmatae, Bastemae, Carpi, Qothi, [Van]duli, Gippedi, vgl.
die Rekonstruktion seiner Karte bei Miller, Mappae mundi, die
ältesten Weltkarten VI, Taf 4 und Müllenhoff a. a. 0. HI, 221. Auf
denselben Stand führt auch die Beatuskarte von 776 n. Chr. bei
Miller a. a. 0. I. Auf der aus dem 4. Jahrb. ^) stammenden Tabula
Peutingeriana stehen Vanduli südlich von den Markomannen, der
Name Jutugi zwischen Quadi; es ist jedoch einleuchtend, dafs dieV.
über den Quaden, die Jut. über den Mark, aufzustellen sind. Auch
das letztgenannte Denkmal hat uns also wahrscheinlich noch die alte
Überlieferung aus der Zeit vor dem Markomannenkriege bewahrt (vgl.
auch MüllenhoflF a. a. 0. HI, 217, 316). Alle die erwähnten kosmo-
graphischen Aufzeichnungen haben ungefähr denselben Wert wie das
Werk des Ptolemäus: sie können, da sie ältere und neuere Berichte
durcheinanderarbeiten, nur als sekundäre Quellen in Frage kommen.
Die Silingen treten seitdem bis zu ihrer Vereinigung mit den
Asdingen nur noch zweimal in der Geschichte hervor. Als die
Burgundionen um die Mitte des dritten Jahrhunderts ihre grolse
Wanderung nach Südwesten antraten*), hat wahrscheinlich der gröiste
1) Jord. Get. c. 22: Erat illis (Vandalis) tunc ab Oriente Gothns, ab
oeeidente Marcomannus , a septentrione Hemumdolus, a meridie Histroin, qui
et DanubiuB dicitur. Vgl. Mommsens Einleitung XXX ff. An die Gotinen, wie
Mommsen will, statt der Goten, ist nicht zu denken. Die Hermunduren haben
hier noch ihre alte Stellung im Königreich Sachsen und Thüringen, die sie
zwischen 58 und 98 n. Chr. geräumt hatten.
2) Curtz im Hermes 1894, S. 686 ff.
8) Jahn, Geschichte der Burgundionen I, 36 ff.
Die älteste Zeit. H
Teil des Volkes Schlesien verlassen und sich jenen angeschlossen.
Denn Zosimus, dem wir die einzige erhaltene Nachricht darüber ver-
danken, erzählt (I, 68), dafs der Kaiser Probus mit Burgundionen und
Wandalen an einem in den Handschriften nicht deutlich bezeichneten
Flusse (nach Mommsen bei Mendelsohn in dessen Ausgabe des Zos.,
Lips. 1887, p. 49 am Lech, also in Rätien) in feindliche Be-
rührung gekommen sei. Diese Kämpfe nahmen durch Anwendung
von List einen für die Römer günstigen Verlauf. Da nämlich die
Germanen, die das gegenüberliegende Ufer besetzt hielten, an Zahl
weit überlegen waren, lockten die Römer einen Teil derselben mit
der Aufforderung zum Kampfe zu sich herüber und machten diese
entweder nieder oder zu Gefangenen. Den Übrigen ward auf ihre
Bitte Frieden bewilligt unter der Bedingung des Ausliefems der auf
ihrem Zuge gewonnenen Kriegsbeute und der Gefangenen; als die-
selben aber dies (angeblich) nur unvollständig erfüllten, griff sie der
Kaiser nochmals auf ihrem Rückzuge an und tötete abermals eine
grofse Menge von ihnen. Die überlebenden, unter denen sich auch
der Anführer Igila (Igillos)^) befand, wurden als Ko Ionen (nicht
als Föderaten) nach Britannien verpflanzt, wo sie später bei einem
Aufstande dem Kaiser wichtige Dienste leisteten (Zosimus a. a. 0.).
Man glaubt im heutigen Gambridgeshire die Gegend ihrer Ansiedelung
gefunden zu haben. ^) Der geschilderte Vorgang fällt wahrscheinlich
in das Jahr 278; denn der Kaiser hatte nach seiner Ernennung (276)
zunächst die schon unter seinem Vorgänger in Gallien eingefallenen
Franken und Alamannen abzuwehren.^) Dafs die fräijdsche und
alamannische Livasion (indirekt) den Anlafs zu jenem Vorstofs der Bur-
gundionen gegeben hat, ist ohne weiteres klar; die Konzentration der
römischen Truppen am Rhein forderte geradezu zu einem Einbruch an
einer anderen Stelle der Grenze heraus. Dagegen kann von einer gegen-
seitigen Hilfeleistung der Germanen (wie v. Wietersheim, Geschichte
der Völkerwanderung I*, 243, annimmt) keine Rede sein; der Charakter
der germanischen Völkerbewegungen widerspricht einer solchen Auf-
fassung durchaus.*) Auch Lugier^), deren Name jetzt zum letzten
1) Über die Namensform s. Wrede a. a. 0. S. 47.
2) C am den, Britannia, London 1607, p. 82: . . . nbi vero sederint (Vandali)
nisi in agro Cantabrigiensi nescio. Gervasius enim Tilbimensis meminit antiqui
valli in illo agro, quod Vandelsbnrg vocat, Vandalorumqne opus fiiisse dicit.
3) Vopiscufl, Probns c. 18 ff. Vgl. besonders c. 16: Post baec (nach der
Pacifikation Galliens) Ulyricnni petiit. Priusquam veniret, Betias . . pacatas
reliqnid. 4) Vgl. Hermes XXXIV, 156 ff.
5) Gramer, Die Geschichte der Alamannen als Gangeschichte (Breslau
1899) S. 18, hält diese för die „Lahngauer", also einen Teil der Alamannen.
12 Erstes Buch.
Male in der Geschichte erwähnt wird, also engere Verwandte des
silingischen Stammes, sind damals in das römische Gebiet ein-
gedrungen und von Probus geschlagen worden (Zos. I, 67); ver-
mutlich hatten sich diese ebenfalls der burgundischen Wanderung
von Schlesien her angeschlossen. Die zu jener Zeit von den ver-
einigten Burgundionen und Wandalen innegehabten Sitze, von denen
der oben erzählte Beutezug^) ausging, haben wir uns wahrscheinlich
nordöstlich von den Alamannen, die die Gegenden am Mittellaufe
des Main und südlich davon den römischen Limes entlang occupiert
hatten, zu denken.^)
Wie so häufig in der germanischen Völkerwanderung nicht der
ganze Stamm auszog, sondern einzelne Abteilungen zurückblieben,
denen das Land nunmehr reichlichere Nahrung zu bieten vermochte^),
so hat auch wahrscheinlich von den Silingen ein Teil die alten
Stammsitze nicht verlassen und ist dann dort von den nachrückenden
Slawen aufgesogen worden. Ein Zeugnis hierfür ist der Name
Schlesien selbst: Sleza, die slawische Bezeichnung dieses Landes,
führt auf ein ursprüngliches Silingia zurück (MüUenhoflF, D. A. II, 92).*)
Als gegen Ende des dritten Jahrhunderts die Alamannen das
Land zwischen dem unteren Main und dem Bodensee in bleibenden
Besitz nahmen, rückten die Burgundionen mit den Silingen in die
bisherigen Wohnsitze der Alamannen nach, die sie nun bis zu Anfang
des fünften Jahrhunderts besetzt hielten. Von hier aus erfolgte wohl
1) Ein solcher war es ohne Zweifel, nicht eine Auswanderung des ganzen
Volkes, da alle entweder getötet oder gefangen genommen worden zu sein
scheinen.
2) Vgl. Jahn, Gesch. d. Burg. I, 46. — Vopiscus, vita Probi c. 18, erzählt,
der Kaiser Probus habe Bastamen, Gepiden, Grauthungen (Ostgoten) und Wandalen
(Vanduli) im römischen Reiche angesiedelt; die letzteren drei Völker hätten
jedoch bald ihre Sitze verlassen und das römische Gebiet durch Plünderungszüge
unsicher gemacht (279, vgl. Schiller, Kaiserzeit I, 879). Ohne Zweifel ist jedoch
an dieser Stelle Francis statt Vandulis zu schreiben, da eine Ansiedelung von
Franken am Schwarzen Meere auch durch Zosimus I, 71 bezeugt ist und die
Worte des Vopiscus: per totum paene orbem pedibus et navigando vagati sunt
auf jenen abenteuerlichen Raubzug der Franken, von dem uns Zosimus a. a. 0.
erzählt, vortrefflich passen.
3) Anders, wenn eine Bedrohung durch einen mächtigeren Gegner vorlag:
dann zog wohl in der Regel das ganze Volk aus.
4) Vgl. Much in den Beiträgen z. Gesch. d. deutsch. Sprache XVII, 83: „Ein
Beweis dafür, dafs die einwandernden Wenden noch starke Reste der ältesten
germanischen Bevölkerung vorfanden und slawisierten; anders ist es wohl nicht
erklärlich, wenn germanische Volksnamen bei ihnen fortbestehen." Auch von
den Semnonen sind starke Reste zurückgeblieben; es sind die Maurungani des
Geographus Ravennas, d. i. Maurungi in slawischer Umformung, wie Slezane
aus Silingi.
Die älteste Zeit. ^ 13
der Einfall der Wandalen in Gallien, den der Kaiser des Westreiches
Gratian nach der Erzählung des Jordanes (Get. c. 27)^) während der
Erkrankung des Theodosius, also im Jahre 380, zu bekämpfen hatte,
wenn nicht an dieser Stelle eine Verwechslung mit der Invasion der
Alamannen vom Jahre 378 (vgl. v. Wietersheim, Völkerw. II*, 50ff.)
vorliegt. Dafs unter diesen Wandalen nur die Silingen, nicht die
damals in Ungarn ansässigen Asdingen verstanden werden können,
liegt auf der Hand.
Die letzteren scheinen in der auf die Markomannenkriege folgenden
Zeit in ihren Wohnsitzen an der oberen Theifs (vgl. oben) sich be-
hauptet zu haben. Hier waren sie ungefähr seit der Mitte des dritten
Jahrhunderts Nachbarn der mächtigen Goten geworden, die schon
von dieser Zeit ab das transdanuvianische Dacien zum gröfsten Teile
besetzt hielten.*) Als deren Bundesgenossen werden sie (Astringi
nonnuUi, also wohl nur einzelne Gefolgschaften) bei dem Zuge des
Königs Ostrogotha nach Mösien erwähnt*) (248).*) Bedeutsamer war
ihr Zusammentreffen mit dem Kaiser Aurelian, worüber wir durch
den zeitgenössischen Geschichtschreiber Dexippus (Fragm. 22, vgl.
Petr. Patric. fr. 12), dessen Darstellung wahrscheinlich mit der un-
klaren des Zosimus (I, 48) zu vereinigen ist, näher unterrichtet sind.
Hiemach fielen die Wandalen imter der Führung zweier Könige (ver-
mutlich im Herbst des Jahres 270)^) über die Donau in Pannonien
ein, das der Kaiser eben erst verlassen hatte, um gegen die Juthimgen
zu Felde zu ziehen.^) Ihrem Vordringen that indessen der rasch mit
einem Heere herbeigeeilte Kaiser Einhalt; eine noch auf römischem
Gebiete gelieferte Schlacht scheint allerdings ohne Entscheidung ge-
blieben zu sein, veranlafste aber die Wandalen, die die Überlegenheit
der feindlichen Truppen erkannten, einen Vertrag mit den Römern
abzuschliefsen, der ihnen freien Abzug nach ihren bisherigen Sitzen
1) Quod cum GratiannB imperator, qui tunc Roma in Gallis ob incursionem
Vandalorum recesserat etc. Eine Änderung in Alamannorum, die Jahn
a.a.O. 1,267 befürwortet, ist nacli den Handschriften unzulässig. Vgl. im
übrigen G. Kaufinann in den Forschungen zur deutschen Geschichte Xu, 430.
2) Mommsen, Römische Geschichte V, 220. 3) Jordanes, Get. 16, 91.
4) Schiller, Kaiserzeit I, 803.
6) Vgl. Holländer in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins
XXVI (1874), 304ff. Schiller, Gesch. d. röm. Kaiserzeit I, 852. Mendelssohn
zu Zosimus I, 48 (p. 33 f. Note). Die Ansicht v. Wietersheims I, 558 ff., der die
von Zos. erwähnten Skythen mit den Juthungen identifiziert, ist schon des-
halb zu verwerfen, weil von einem Einbrüche dieses Volkes (das einen Teil der
Alamannen bildete) in Pannonien keine Rede sein kann.
6) Hierin liegt auch die Veranlassung zu demselben. Von einer Diversion
zu Gunsten der Juthungen (so Wietersheim 1 , 385) kann keine Rede sein.
14 Erstes Buch.
und Lebensunterhalt bis zur Donau gewahrte^), wogegen sie 2000
Mann Beiterei (teils Freiwillige, teils Auserlesene) als Hilfstruppen
und Geiseln (die Kinder der Könige und Adligen) zu stellen hatten.*)
Da soeben die Nachricht von einem neuen Einfall der Juthungen,
die bis nach Italien hinein streiften, eintraf, so sah sich der Kaiser
genötigt, von einer Fortsetzung des Kampfes abzusehen. Als auf
dem Rückwege ein Haufe von 500 Wandalen, die geschlossenen Ver-
träge mifsachtend, in dem römischen Gebiete zu plündern begann,
wurde derselbe yon den eigenen Stammesgenossen niedergehauen und
ihr Führer von dem einen der Könige mit eigener Hand erschossen.
Ob und inwieweit diese Vorgänge mit den Kämpfen des Kaisers
gegen die Jazygen (Sarmaten) in Verbindung gestanden haben, von
denen nur Vopiscus (Aurel. c. 18) Kunde giebt und die ungefähr in
dieselbe Zeit zu fallen scheinen, mufs dahingestellt bleiben.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs die geschüderte Invasion der
Wandalen ihren eigentlichen inneren Grund in dem Mangel an Land
zur weiteren Ausbreitung gehabt hat; vermutlich aus derselben
Ursache haben diese dann, da ihnen die Eroberung römischen Ge-
bietes mifslang, versucht, sich auch in Dacien festzusetzen. Hier
kamen sie aber in Konflikt mit den Goten, die ebenfalls dort sich
auszubreiten suchten. Hiermit im Zusammenhang standen wohl die
Kämpfe zwischen den Wandalen und den durch Taifalen unterstützten
Terwingem (d. h. Westgoten), von denen eine aus dem Ende 290
oder Anfang 291 stammende Nachricht Kunde giebt.')
1) nttQsxovxog tov *Paificei(ov aQxovtog dyoqav (Lebensmittel) io%B knl xbv
"loTQov, Papencordt, Gescliichte der wandalischen Herrschaft in Afrika S. 7,
hat diese Worte des Dexippns völlig mifsverstanden, wenn er von Verstattung
freien Handels auf der Donau spricht. So auch Dahn, Urgeschichte der ger-
manischen und romanischen Völker I, 149; Schiller a. a. 0. 1, 858.
2) Mit kurzen Worten gedenkt dieses Friedensschlusses auch Petrus Patricius
fragm. 12 (Dindorf I, 431). — Bei dem Triumph des Jahres 274 (Vopisc. Aurel.
c. 88) fahrte Aurelian daher auch gefangene Wandalen auf.
S) Genethl. Maxim, c. 17 (über die Abfassungszeit vgl. 0. Seeck, Jahrbücher
f. klass. Philologie 187 [1888] S. 716) bei Baehrens, XH panegyrici Latini, Lips.
1874, p. 114: Gothi Burgundios penitus excidunt, rursumque pro victis armantur
Alamanni, itemque Tervingi, pars alia Gothorum, adiuncta manu Taifalorum
adversum Vandalos Gipedesque concurrunt. Über diese Stelle ist viel gestritten
worden, ohne eine Einigung zu erzielen. Die Ansicht Dahns (bei Wietersheim I*,
270 Anm.) ist ganz unwahrscheinlich und läfst sich auch nicht im entferntesten
begründen. Sicher dürfte sein, dafs statt Alamanni Alani zu schreiben ist;
die von den (Ost-)(joten besiegten Burgundii sind wahrscheinlich ein Teil der
Burgundionen (welche um diese Zeit am römischen Grenzwall im heutigen
Württemberg sitzen, Jahn I, 47), der sich von diesen bereits in den alten Sitzen
Die älteste Zeit. 15
Von weiteren Eämpfen^ die um 335^) gesetzt werden mülisten,
weifs nun Jordanes bez. Gassiodor (öet. c. 22; vgl. c. 31) zu berichten:
Die Wandalen, deren Sitze in die Gegend zwischen Marosch und den
drei zusammenfliefsenden Eörös verlegt werden (iuxta flumina Marisia,
Miliare et Gilpil et Grisia), seien von dem Gotenkönig Geberich in
einer furchtbaren Schlacht an den Ufern der Marosch geschlagen
worden, wobei ihr König Wisimar den Tod fand; die überlebenden
Reste des Volkes hätten vom Kaiser Konstantin d. Gr. Wohnsitze
auf dem rechten Ufer der Donau in utraque Pannonia erbeten und
erhalten, wo sie gegen 60 Jahre als Diener des Kaisers friedlich
lebten. Es ist schon von anderer Seite hervorgehoben worden, wie
auffällig es ist, dafs die sonstigen Quellen nichts von derartigen
Vorgängen zu erzählen wissen, während man doch mit Bestimmtheit
annehmen sollte, dafs die römischen Berichte ein so wichtiges
Ereignis, die Besiegung eines germanischen Volkes und die Aufaahme
desselben in eine römische Provinz, nicht unerwähnt gelassen hätten.
Es ist daher an eine Verwechslung der Wandalen mit den von
Jordanes nicht erwähnten Sarmaten (Jazygen) gedacht worden. Diese,
zwischen TheiGs und Donau ansässig, waren um 331 von den Goten
besiegt worden, worauf sie den Kaiser Konstantin zu Hilfe riefen,
der ihre Bedränger am 20. April 332 aufs Haupt schlug. Im
Jahre 334 brach eine Revolution unter ihnen aus: die sog. Limigantes,
von ihren Herren bewaflftiete Leibeigene, erhoben sich gegen diese
(Ardaragantes genannt), die zum Teil zu den Victofalen und Quaden
in den Weichselgegenden getrennt hatte, tun mit den Goten nacli Südosten ab-
zuziehen. Sie sind identisch mit den Ovgovyovvdot des Zosimns (I, 27. 81), die
in den Jahren 253 und 257 mit den Goten u. a. Völkern ins römische Eeich
einbrachen.
1) Eöpke, Deutsche Forschungen, Berlin 1859, S. 101, setzt auf Grund
der Worte des Jordanes: (Vandali) ibi (in Pannonia) per LX annos plus minus
sedibus locatis imperatorum decretis ut incolae famularunt, die Schlacht
zwischen 886 und 846 und versteht unter dem Constantinus princeps, der nach
Jord. den Wandalen Wohnsitze in Pannonien anwies, Konstantin n. (337 — 840).
Allein Pannonien hat zweifellos nie zu dessen Gebiet gehört (vgl. Schiller,
Kaiserzeit 11, 235 ff. Ranke, Weltgeschichte IV, 1, 13. Gardthausen im
Hermes XVn, 260 ff.); es kann also nur an Konstantin d. Gr. (f 337) gedacht
werden. Andrerseits mufs Geberich nach 332 König geworden sein, da in
diesem Jahre sein Vorgänger Ararich noch lebte (vgl. Jordan, c. 21 : Tunc etenim
ßub Ariarici et Aorici regum suorum florebant imperio [sc. Gothi]. Post quorum
decessum successor regni extitit Geberich. Anon. Vales. § 81 [vom Gotenkriege
des Jahres 882 handelnd, vgl. Gardthausen a. a. 0. S. 255 ff.]: Tunc et obsides
accepit [Constantinus], inter quos et Ariarici filium [vermutlich Aorich]). Vgl.
Mommsen im Index zum Jordanes s. v. Ariaricus.
16 Erstes Buch.
flüchteten, zum Teil bei Konstantin Au&ahme fanden. Der Kaiser,
der hierbei einschritt, hat damals den Ardaragantes im römischen
Gebiet Wohnsitze angewiesen, während die Limigantes im sarma-
tischen Gebiete verblieben. Dafs Jordanes über die Wandalen kein
sehr zuverlässiger Berichterstatter ist, zeigt der Hals, den er überall
gegen dieses Volk zur Schau trägt und der ihn auch sonst, wie wir
noch sehen werden, zu falschen Mitteilungen über dasselbe veranlaiüst
hat. Gegen die Richtigkeit seiner Angabe spricht auch der Umstand,
dals der Verfasser des Panegyrikus auf Theodosius d. Gr., Pacatus,
an der Stelle, wo er die Kriegsvorbereitungen desselben gegen
Clemens Maximus (388) bespricht und die in Pannonien zu ihm
gestolsenen fremden Hilfstruppen erwähnt, der Wandalen nicht
gedenkt: Kap. 32 (p. 300 ed. Baehrens): ibat sub ducibus vexillisque
Romanis hostis aliquando Bomanus et signa, contra quae steterat,
sequebatur urbesque Pannoniae, quas inimica dudum populatione
vacaverat, miles implebat. Gothus ille et Hunnus et Haianus
respondebat ad nomen etc. Die hier genannten Goten und Alanen^)
waren die vor den Hunnen geflüchteten Ostgoten unter Alatheus
und Saphrax mit ihren alanischen Begleitern, welche zusammen mit
den Westgoten Fritigems die Schlacht bei Adrianopel geschlagen
hatten und darauf vom Kaiser Gratian Sitze in Pannonien angewiesen
erhielten (380^). Andrerseits ist zu beachten, dafs der Name
Wisimar entschieden germanisch ist, wie denn auch sonst Gründe
gegen ^e Identifizierung der Sarmaten mit den Wandalen des
Jordanes sprechen.*) Den Schlüssel giebt dieser selbst (c. 31, 161)
durch die Bemerkung: Vandali vel (= et) Alani, quos superius
diximus permissu principum Romanorum utramque Pannoniam
resedere, seien aus Furcht vor den Goten nach Gallien aufgebrochen;
da die Alanen bestimmt in Pannonien wohnten, nahm er an, dafs
auch ihre späteren Wandergenossen, die Wandalen, dort angesiedelt
gewesen sein müfsten. Das Faktum aber mag seiner Darstellung zu
Grunde liegen, dafs Kämpfe des Gotenkönigs Geberich gegen die
letzteren um die Mitte des vierten Jahrhunderts stattgefunden haben.
Die Wandalen werden also ihre alten Wohnsitze im wesent-
lichen beibehalten haben. Ob sie in irgend einem Vertragsverhältnis
1) tTber die (ungermanische) Nationalität der Alanen vgl. Müllenhoff,
D. A. m, 103.
2) Zosim. IV, 34. Jord., Get. c. 27. v. Wietersheim a.a.O. 11, 44 f Kauf-
mann in d. Forschungen zur deutschen Geschichte XII, 420. Pallmann, Gesch. d.
Völkerw. I, 173.
3) Vgl. Rappaport, Die Einfälle der Goten in das röm. Reich (1899) S. 117.
Die älteste Zeit. 17
zum römischen Reiche gestanden haben, ist ungewifs.^) Die in der
Notitia dignitatum Or. XXVIII, 25^) aufgeführte ala octava Vandi-
lorum, welche in Ägypten stand, ist jedenfalls nicht auf ein solches
zurückzuführen; diese ist vielmehr ein Überrest der einst dem
Kaiser Aurelian gestellten Hilfstruppen, von denen nur ein Teil
festen Bestand erlangte, und wird sich in der Hauptsache aus
Werbungen, nicht aber aus regelmäXsigen Rekrutenaushebungen
ergänzt haben. ^) Befehlshaber derselben war wahrscheinlich
unter dem Kaiser Valens, also zwischen 364 und '378, der Vater
StiUchos.*)
Den Hauptgrund, welcher zu Anfang des fünften Jahrhunderts
die Wandalen bewogen hat, ihre bisherigen Sitze aufzugeben, hat
uns Prokop überliefert (Bell. Vand. I, 22; vgl. I, 3), der hier eine
alte, nicht anfechtbare Tradition der Wandalen selbst wiedergiebt.
Es war hiernach Mangel an Land, der durch rasches Anwachsen der
Bevölkerung und durch die zu wenig intensiv betriebene Be-
arbeitung des Bodens veranlafst worden war. Das gleiche Motiv
wird auch den früheren Versuchen der Wandalen, ihr Gebiet aus-
zudehnen, zu Grunde gelegen haben (vgl. oben).^) Ein kleinerer Teil
(einzelne Gaue) des Volkes blieb zurück, dem in der Folge der
Grund und Boden reichliche Ernährung zu bieten im stände war;
doch behielten die ausziehenden Wandalen, an deren Spitze König
Godigisel stand, das Eigentumsrecht an den bisher von ihnen
bewirtschafteten Ländereien sich vor, um für den Fall des Mifslingens
ihres Unternehmens gesichert zu sein, und weigerten sich auch
später noch, nach ihrer Niederlassung in Afrika, ihren früheren
Besitz aufzugeben. Es zeigt diese Erzählung, die in ihren Grund-
zügen als durchaus historisch angesehen werden mufs, weil die
1) Wenn in dem Briefe des Hieronymns ad Heliodonim (Migne, Patr.
lat. XXII, 600; geschr. 396) auch der Wandalen als Bedränger des Reiches
gedacht wird, so beruht dies wohl auf rhetorischer Übertreibung: Viginti et
eo amplius anni sunt, quod . . . quotidie Romanus sanguis effunditur.
Scythiam, Thraciam . . . cunctasque Pannonias Gothus, Sarmata, Quadus,
Alanus, Hunni, Wandali, Marcomanni vastant, trahunt, rapiunt. Dahn,
Urgeschichte II, 406 citiert diesen Brief als einen solchen des heil. Ambrosius (!).
2) Dieses Staatshandbuch des ost- und weströmischen Reiches ist zwischen
411 und 413 verfafst worden, vgl. Kariowa, Römische Rechtsgeschichte I, 992.
3) Vgl. dazu Mommsen im Hermes XXTV (1889), S. 273. 277. Eine ala
zählte ca. 500 Reiter.
4) Vgl. Keller, Stilicho (1884) S. 14.
5) Es war also kein blofser Raubzug, wie Kaufmann, Deutsche Ge-
schichte I, 318 (vgl. S. 135. 137), will.
Schmidt, Wandalen. 2
lg Erstes Buch.
Gescilichte der Yölkerwanderung analoge Beispiele bietet^); daCs der
Auszug auf Gb-und eines Beschlusses des ganzen Stammes erfolgte.
Der Grund^ der yielfach bei den germanischen Völkerschaften zur
Teilung gef&hrt hat^ nämlich die Unmöglichkeit des Fimktionierens
der YolksYersammlung infolge übermäfsigen Anwachsens der Zahl
der zur Teilnahme berufenen Krieger^ scheint also hier keine Bolle
gespielt zu haben. Auch politische Motive, die damaligen Völker-
bewegungen an der Donau, sind schwerlich in Frage gekommen, da
sonst jedenfalls der ganze Stamm sein Gebiet verlassen haben würde.
Der Aufbruch der Wandalen, zu denen sich auch die in Pan-
nonien ansässigen Alanen gesellt zu haben scheinen (vgl. unten),
erfolgte um das Jahr 400 und richtete sich zunächst — auf welchem
Wege, ist unklar — gegen die Provinzen Noricum und Bätien
(Vindelicien). Hiervon sind wir nur durch den Dichter Claudian (de
hello Pollentino sive Gothico ed. Birt, Mon. Germ. Auct. antiquiss. X,
260 ff., vgl. praefat. p. XLVIIIf.) unterrichtet. Dieser sagt nämlich
von der Bätischen Legion, die bei Pollentia (J. 402) gegen Alarich
focht, V. 414/15: quam Baetia nuper Vandalicis auctam spoliis
defensa probavit; femer spricht derselbe v. 363 ff. von Völkern, die
das Födus mit den Bömem gebrochen und „Vindelicos saltus et
Norica rura tenebant". Stilicho hat die eingefallenen Barbaren teils
mit Gewalt (vgl. oben), teils durch Unterhandlungen (v. 380 ff. u. ö.,
dazu Keller, Stilicho S. 46) zur Buhe gebracht, vermutlich sich aber
genötigt gesehen, denselben das von ihnen occupierte Land imter
römischer Oberhoheit gegen die Verpflichtung, Heeresfolge zu leisten,
einzuräumen. Denn v. 402 wird die Teilnahme von fremden Auxiliar-
truppen aus Vindelicien und Noricum an dem Kriege gegen Alarich
erwähnt, imd v. 581 werden Alanen, die wir später in Gemeinschaft
der Wandalen finden, direkt mit Namen ebenfalls als Hilfsvolk
Stilichos genannt. Die Chronologie ergiebt sich aus der Angabe
V. 279 (vgl V. 380 ff.), dafs die Invasion Alarichs erfolgte, während
die römischen Truppen in Bätien beschäftigt waren; diese fallt aber
in das Jahr 400 oder 401.*)
1) Platnerin den Forschungen zur deutschen Geschichte XX (1880) S. 166 ff.
Seelmannim Jahrbuch des Vereins för niederdeutsche Sprachforschung XU (1886),
S. 80. Die Richtigkeit derselben wird hauptsächlich deshalb angezweifelt, weil
„mehrere Geschlechter hindurch in dem viel umstrittenen Pannonien for die
ausgewanderte grofse Zahl von den geringen Splittern der Zurückgebliebenen deren
Landteil nicht hätte behauptet werden können" (Dahn, Urgeschichte I, 205).
2) Vgl. Rosenstein in den Forschungen zur deutschen Geschichte DI, 192 ff.
Keller a.a.O. 42 ff.
Die älteste Zeit. 19
Wenig später finden wir jedoch die Wandalen wieder auf der
Wanderung nach finichtbareren und reiche Beute versprechenden
Gebieten. Die Yeranlassuug dazu dürfen wir wohl darin suchen, dafs
Stilicho um 401 einen grofsen Teil der an der Bheingrenze stehenden
römischen Truppen von dort zurückgezogen hatte ^), um sie gegen die
Westgoten zu verwenden. Ganz ungerechtfertigt war dagegen die
schon von den Zeitgenossen gegen den allezeit uneigennützigen Staats-
mann erhobene Beschuldigung, dieser habe selbst die mit den Alanen
und Sweben verbündeten Wandalen ins Land gerufen, um bei der
dadurch im Reiche entstehenden Verwirrung seinen Sohn Eucheruis
auf den weströmischen Kaiserthron zu erheben. Dies berichtet
namentlich Orosius (adversum paganos ed. Zangemeister VII, 38. 40,
geschrieben 417, mit der Bemerkung: sicut a plerisque traditur*),
ferner die südgallische Chronik von 452 (früher Chronicon imperiale
genannt, Mon. Germ. Auct. ant. IX, 652 zum 13. Jahre des Honorius),
letztere mit der Begründung, dafs Stilicho aus Bache so gehandelt
habe, weil seinem Sohne die Kaiserwürde versagt worden sei, und,
etwas allgemeiner gehalten, Hieronymus (epistola ad Ageruchiam
geschr. 409, bei Migne patrol. lat. XXII, 1058) sowie der Dichter
Rutilius Namatianus (Itinerar. II, 41ff., geschr. 416). Die Ent-
stehung dieser Legende, ein Seitenstück zu der bekannten unhistorischen
Erzählung von der Berufung der Langobarden durch Narses^), ist ja
begreiflich, da einerseits Stilicho wandalischer Abkunft war, andrer-
seits aber die zum Schutze Italiens notwendig gewordene Entblölsung
der Bheingrenze und das eigentümliche Verhältnis zwischen ihm und
Alarich^) leicht falsch gedeutet werden konnten. Dazu kam, dafs die
dem Minister feindliche Hofpartei unter Führung des Olympius, als
jener nach dem Tode des Arcadius eine Beise nach Konstantinopel
plante, das Gerücht aussprengte, Slilicho wolle den unmündigen
Kaiser Theodosius aus dem Wege räumen und seinen Sohn an dessen
1) Vgl. Bahn, Deutsche Gescliiehte I (Gotha 1888), S. ISff., Urgeschichte
d. germ. u. rom. Völker n, 406 f. Keller a. a. 0. 46.
2) Orosius ist benutzt von Jordanes, Get. c. 22, von Marcellinus comes chron.
a. 408, letzterer wiederum von Jord. Rom 322 (ed. Mommsen).
8) Vgl. meine Geschichte der Langobarden S. 65 ff.
4) Vgl. Oros. Vn, 38: Quamobrem Alaricum cunctamque Gothorum gentem,
pro pace optima et quibuscunque sedibus suppliciter orantem, occulto
foedere fovens, publice autem et belli et pacis copia negata, ad tuendam terren-
damque rempublicam reservavit und dazu Bosenstein a. a. 0. 206. Es unterliegt
wohl keinem Zweifel, dafs St. die Westgoten nur deshalb wiederholt geschont
hat, um in ihnen einen Rückhalt gegen das Ostreich zu besitzen. Vgl. Keller
S. 41. 55. 58.
2*
20 Erstes Buch.
Stelle setzen, Machinationen, durch welche auch bald darauf sein
Sturz herbeigeführt wurde.^) Dafs der Minister thatsächlich niemals
die Absicht gehegt hatte, den Kaiser Honorius abzusetzen, ist durch
Olympiodor bei Zosimus (V, 32) direkt bezeugt^); auch hinsichtlich
des Ostreiches erstreckten sich seine Pläne wahrscheinlich nicht weiter
als auf die Erlangung der Vormundschaft. Soviel wir erkennen
können, hat er niemals das Wohl des Reiches seinen eigenen Interessen
dienstbar zu machen versucht (vgl. auch Zosimus V, 34). Es ist
femer schwer ersichtlich, weshalb er gerade die Wandalen berufen
haben sollte; zur Erreichung des von den Quellen angegebenen
Zweckes lag es doch viel näher, die föderierten Westgoten oder
Franken zu verwenden. Die von Ranke*) vertretene Ansicht, Stilicho
habe sich der Wandalen bedient, um der Erhebung der britischen
Legionen unter Konstantin, die sich auch auf Gallien auszudehnen
und seiner Stellung gefährlich zu werden drohte, einen Damm
entgegenzusetzen, scheint mir aus demselben Grunde wenig glücklich;
dagegen spricht aber auch die Chronologie. Ranke ist wohl zu dieser
Ansicht durch die in der Anmerkung mitgeteilte Stelle des Zosimus
(VI, 3)*) veranlafst worden.^)
Über den Weg, den die Wandalen einschlugen, sind wir nur auf
Vermutungen angewiesen; wahrscheinlich zogen sie, da ein Durch-
bruch durch das Land der Alamannen (vom unteren Main bis an den
Bodensee) sich als unmöglich herausstellte, auf der den Limes be-
gleitenden Militärstrafse^) in nordwestlicher Richtung bis an den
Main, und dem Laufe dieses Flusses folgend, dem Rheine zu. Am
1) Vgl. Zosim. V, 31. 82. Philostorgius , bist. eccl. Xu, 1.
2) 'AXXä ZzbXI%(ov [ikv ovdhv awBTCiazafisvog anrix^lg rj liatoc zov ßaailscog
^ natcc tav azqazKotmv ßsßovXsvfisvov,
3) WeltgeschicMe IV, 1, 253 ff.
4) Kccl noXvv igyaadfisvoi, (povov snCtpoßoi %al zotg sv BQStzav^aig axqazonidoig
iyivovto (die Wandalen, Alanen, Sweben).
5) Vgl. Rosenstein a.a.O. 213 ff. Papencordt, a.a.O. S. 337 ff. Stadler
V. Wolffersgrün, die Wandalen von ihrem Einbrüche in Gallien bis zum Tode
Geiserichs, Bozen 1884, hält an der Benifong durch Stilicho fest. Ebenso irrig
ist desselben Behauptung, Stilicho sei Heide gewesen; einem solchen würde
Theodosius d. Gr. wohl kaum seine Nichte vermählt haben. Wenn Oros. (Vit, 38)
anfuhrt, dafs Eucherius das Heidentum energisch begünstigt und eine Verfolgung
der Christen (soll wohl heifsen: Orthodoxen) geplant habe, so beweist das an
sich nichts dafür; wahrscheinlich aber entbehrt diese Angabe jedes thatsächlichen
Grundes, da sie auf den Aussprengungen der streng kirchlich gesinnten Hof-
partei beruht. Vgl. auch Kaufinann, Deutsche Geschichte I, 303 f.
6) Vgl. dazu Mommsen in der Westdeutschen Zeitschrift XTTT (1894)
S. 137 ff.
Die älteste Zeit. 21
Main berührten sie die Sitze der mit den Burgundionen vereinigten
Silingen, die sich ihnen in Erinnerung an die alte Verwandtschaft
und frühere Nachbarschaft sofort anschlössen.^) Aufserdem zogen mit
ihnen die schon genannten Alanen und Sweben, die letzteren ohne
Zweifel identisch mit Abteilungen der bisher in Mähren und im nörd-
lichen Ungarn^) ansässigen Quaden, wie sich aus der Aufzählung der
Gallien verwüstenden Stämme bei Hieronymus (ep. ad Ageruchiam,
vgl. oben) ergiebt, unter denen keine Sweben, wohl aber Quaden genannt
werden.^) Beinahe wäre hier dem Zuge der vier Völker ein jähes
Ende bereitet worden. Die Alanen hatten bereits den Bhein glücklich
erreicht — dort trat ein Teil derselben unter Goar in römische
Dienste — als die etwas zurückgebliebenen Wandalen von den
Franken (d. i. wahrscheinlich den früheren Chatten*), die eingedenk
ihres einst (ca. 401) mit Stilicho geschlossenen Vertrages die Grenze
bewachen halfen^), plötzlich überfallen wurden. Schon war der König
der Asdingen, Godigisel, mit angeblich 20000 Mann^) gefallen: da
stürmten noch rechtzeitig die Alanen unter Bespendial heran und
brachten den Angreifem eine schwere Niederlage bei.'') Nun stand
die Strafise nach Gallien offen, und ungehindert überschritten die
1) Das Yerwandtschaftsgeföhl hat sich bei einzelnen deutschen Stämmen
auch nach langer Trennung noch frisch erhalten, so bei den Langobarden und
Sachsen, die vereinigt nach Italien zogen, vgl. meine Geschichte der Lango-
barden S. 68.
2) Vgl. Zeufs, Die Deutschen S. 364.
3) Quidquid inter Alpes et Pyrenaeum est, quod Oceano et Rheno inclu-
ditur, Quadus, Wandalus, Sarmata, Halani, Gipedes, Heruli, Saxones, Bur-
gundiones, Alemanni et hostes Pannonii (d.h. wohl die Hunnen, vgl. Jahn
a. a. 0. 1, 283 Note) vastarunt. Zur Kritik dieser Stelle vgl. Zeufs a. a. 0. S. 460
Note und Eossinna, Westdeutsche Zeitschrift IX (1890) S. 207. Das Zeugnis
Gregors von Tours (bist. Franc. H, 2), der die Sweben för Alamannen erklärt,
kommt nicht in Betracht, vgl. Holder -Egger, tTber die Weltchronik des sog.
Severus Sulpicius S. 53. Dafs nicht alle Quaden ausgezogen sind, zeigt die Er-
zählung von der Unterwerfung der Suavi, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit
jenen zu identifizieren sind, durch die Langobarden unter König Wacho, vgl.
meine Gesch. d. Langob. S. 66. Much in den Beiträgen z. Gesch. d. d. Sprache
XX, 27. Irrig 0. Bremer in Pauls Grundrifs lü, 938.
4) Über deren Sitze vgl. Zeufs a. a. 0. 327. Schröder, Rechtsgesch. 94 u. a.
An die Salier wie Arnold, Deutsche Urzeit S. 164 will, ist nicht zu denken.
5) Vgl. Dahn, Deutsche Geschichte I, 2 S. 14. Rosenstein a. a. 0. 206 ff.
6) Über die Bedeutung dieser Zahl vgl. meine Bemerkungen in der West-
deutschen Zeitschrift XX (1901) S. 2.
7) Die Hauptquelle ist Renatus Profaturus Frigiretus bei Greg. Tur. Hist.
Franc. H, 9: Interea Respendial rex Alamannorum (1. Alanorum) Goare ad
Romanos transgresso de Rheno agmen suorum converfcit, Wandalis Francorum
hello laborantibus, Godigyselo rege absumpto, aciae viginti ferme milibus ferro
peremptis cunctis Wandalorum ad intemitionem delendis, nisi Alamannorum vis
22 Erstes Buch.
Völker (die Asdingen unter Führung König Gunderichs, Godigisels
Sohn^), am 31. Dezember 406 den wahrscheinlich zugefrorenen Strom.*)
DaTs der Übergang wahrscheinlich in der Nähe von Mainz
erfolgte^ ergiebt sich namentlich aus folgenden Erwägungen. Be-
kanntlich haben die vier Völker das Land der Franken berührt, dessen
Südgrenze gegen das alamannische Gebiet der Main bildete*); andrer-
seits aber berichtet Salvian*), dafs die Wandalen auf ihrer Wanderung
zuerst in die Provinz Germania I und darauf nach Belgica gekommen
seien; erstere aber dehnte sich im Norden nur bis in die Gegend
von Brohl, zwischen Remagen und Andernach, aus.^) Dazu stimmt,
dafs wir die Alanen unter Goar, die nach dem Zeugnis des Benatus
Prof. Frig., während des Zuges zu den Römern übergingen, später
(i. J. 411) in Mainz unter den Besatzungstruppen finden.®)
Wahrscheinlich ist bei dieser Gelegenheit auch Mainz selbst an-
gegriflfen und hart mitgenommen worden, wie wir aus dem öfter
citierten Briefe des Hieronymus ad Ageruchiam entnehmen dürfen.')
in tempore subvenisset. Vgl. auch Oros. VII, 40,3: Gentes Alanorum Sne-
borum, Vandalorum mnltaeqne cum his aliae Francos proterunt, Rhennm trans-
eunt. Mona, Urgeschichte des badischen Landes 11, 344 verlegt den fränkischen
Überfall anf das linke Rheinnfer, mit Unrecht, wie aus Orosius hervorgeht, der
den tTbergang über den Strom auf die Schlacht folgen läfst. Unklar bleibt es,
wie die Alanen unbehelligt den Rhein erreichen konnten. Vermutlich haben
die Römer versucht, die Völker zu trennen und einzeln mit ihnen fertig zu
werden; darauf deutet auch der Übertritt der Alanen unter Goar. Jedenfalls
zeigt der Bericht des Renatus, dafs die Grenze keineswegs blofs von Franken
bewacht war.
1) Dafs Gunderich Godigisels Sohn war, ist wohl aus Prokop (bell. Vand. I, 3)
zu entnehmen, dessen Bericht allerdings sonst ganz unzuverlässig ist.
2) Cont. Prosp. Havn. nach den gleichzeitigen italienischen Konsularfasten
(Chronica minora ed. Mommsenl, 299, Mon. Germ. Auct. ant. IX) z. J. 406: Wandali
rege Gxinderico transito Reno totam Galliam crudeli persecutione vastant coUo-
catis secum in comitatu Alanis gente moribus et ferocitate aequali [ pridie
kl. Januarii]. Prosper Tiro, epitoma chron. (ebenda p. 465): Wandali et
Halani Gallias traiecto Rheno ingressi n. kl. ian. [406]. Die in der Chronologie
sehr unzuverlässige südgallische Chronik von 451 setzt das Ereignis ins Jahr 407
(13. Jahr des Honorius, vgl. oben). Das Jahr 406 wird auch durch Zosimus
(VI, 3,8) bestätigt. Vgl. auch Orosius VII, 38. 40. Greg. Tur. II, 2. Jahn a. a. 0.
I, 276 Note 3.
3) Zeufs S. 309ff. 317ff.
4) de gub. dei VH, 60 ed. Hahn: Ac primum a solo patrio effasa est in
Germaniam primam (Pauly liest gegen die Handschriften proximam) post
cuius primum exitium arsit regio Belgarum ....
6) Mommsen, Rom. Geschichte V, 109. 6) Vgl. Jahn I, 299.
7) Moguntiacum capta atque subversa est, et in ecclesia multa
hominum millia trucidata. Vgl. dazu Jahnl, 298 Note 2. Hauck, Kirchen-
geschichte Deutschlands I ', 35.
.Die älteste Zeit. 23
Hierauf walzte sich der Strom der Einwanderer westwärts in die
Provinz Belgica^); ohne Zweifel das römische Wegenetz*) benutzend^
zogen sie alles verwüstend über Trier nach Rheims*), Toumay,
Terouanne; Ärras^ Amiens^ von da durch die Provinz Lugdunensis
nach den Provinzen Aquitania (secunda) und Novempopulana, ver-
mutlich auf der von Amiens nach Paris, Orleans*), Tours, Bordeaux
und weiter nach Pamplona in Spanien führenden Strafse. Die Pyrenäen,
deren Pässe wohl bewacht waren, verhinderten einen Einfall in
Spanien: dafür überschwemmten aber die Germanen die bisher noch
verschont gebliebenen reichen Gefilde des südlichen Frankreichs (Gallia
Narbonensis). Nur wenige Städte, die sie berührten, konnten dem
Ansturm widerstehen, darunter Toulouse, das durch das thatkräftige
Verhalten des Bischofs Exuperius vor der Eroberung bewahrt blieb.
Der vor den wilden Horden einhergehende Schrecken, der Mangel an
genügenden Besatzungen und vor allem die namentlich von Salvian
in glühenden Farben geschilderte Sittenlosigkeit der Vornehmen und
die Gleichgültigkeit der verarmten niederen Bevölkerung lähmten jeden
energischen Widerstand.^)
1) Über die Einteiltuig Galliens in damaliger Zeit vgl. Desjardins, Geo-
graphie de la Gaule Romaine HE, 486 ff.
2) Ygl. Longnon, Atlas historique de la France pl. n.
3) Ygl. anch Hincmar, epist. ad episcopos Remorum dioeceseos (875)
(Opera ed. Sirmond n, 166): Nicasins Remorum episcopus .... tempore Wanda-
lorum in persecutione generali suam non deseruit civitatem et intra parietes
ecclesiae martyrio meruit coronari. Analecta BoUandiana I (1882) S. 609 ff.
Flodoard, Eist. Remensis I, 6 (M. G. SS. Xm, 418ff., auf Grund älterer Märtyrer-
akten).
4) Ob die im 5. Jahrb. an der Loire ansässigen Alanen (ZeuTs 705) mit
zurückgebliebenen Abteilungen der Wandergenossen der Wandalen unter Re-
spendial oder mit den Alanen des Goar identisch sind, läfst sich nicht
entscheiden.
5) Oros. Vn, 40, 8. Salvian. a. a. 0.: deinde opes Aquitanomm luxuri-
antium et post haec corpus omnium Galliarum. Bes. Hieronym. ad Ageruch.:
Remorum urbs praepotens, Ambiani, Attrebatae extremique hominum Morini
(Terouanne), Tomacus translatae in Germaniam. Aquitaniae Novemque popu-
lorum, Lugdunensis et Narbonensis provinciae praeter paucas urbes populata
sunt cuncta. Quas et ipsas foris gladius, intus vastat fames. Non possum
absque lacrymis Tolosae facere mentionem, quae ut hucusque non rueret, s.
episcopi Exuperii merita praestiterunt. Hier, trägt jedenfalls zu stark auf,
doch ist kein Grund vorhanden, im allgemeinen seinen Bericht anzuzweifeln, da
er als Zeitgenosse spricht. Ygl. auch Carmen de Providentia divina (bei Migne
patrol. lat. LI, 617 ff v. 15 — 60, bes. 34 f: Caede decenni Yandalicis gladiis ster-
nimur et G^ticis (also geschr. 417). Paulini epigr. (früher dem Claudius Marius
Yictor zugeschrieben, vgl. Hauck I, 77) im Wiener Corpus scriptt. eccl. Lat. XYI,
504: Et tamen heu si quid vastavit Sarmata, si quid Yandulus incendit, veloxque
abduxit Alanus etc. (v. 18 f). Orientius, commonitorium (ebenda 993) ü, 181 ff.
24 Erstes Buch.
Die von den Wandalen verübten Greuel sind noch lange in der
Erinnerung der Einwohner haften geblieben; aber manche Schand-
that ist von der späteren Tradition mit Unrecht jenen beigemessen
worden, so die Ermordung der Bischöfe Desiderius von Langres und
Antidius von Besan9on; da es zum mindesten sehr wahrscheinlich ist,
dafs die Wandalen niemals diese Gegenden berührt haben.^) Der
Wandalen und der von ihnen angeblich verübten Zerstörung einer
auf dem Berge La9ois gelegenen alten Stadt^ die später nach ihrem
Wiederaufbau Rossillon genannt wurde (östlich von Lyon, nord-
westlich von Belley), wird auch in einer Aufzeichnung über die alt-
französische Sage von dem Grafen Girart von Rossillon gedacht.*)
Um das Unglück voll zu machen, drangen zur gleichen Zeit auch
die Alamannen in Gallien ein, gedrängt wiederum von den Bur-
gundionen, die von ihren Sitzen am mittleren Main nach dem Rhein
zu vorrückend jenen die unteren Maingegenden entrissen und auch
zum Teil auf dem linken Rheinufer festen Fufs fafsten.^) Zweifellos
auf die Alamannen ist es zu beziehen, wenn Hieronymus meldet, auch
Worms, Speier, Strafsburg seien zur Zeit der wandalischen Invasion
von den Germanen erobert worden.*)
In welchem Verhältnis diese Völker zu dem Usurpator Konstantin
gestanden haben, ist leider ziemlich unklar. Letzterer, ein gemeiner
Soldat, war im Jahre 407 von den Legionen in Britannien zum Kaiser
erhoben worden und sofort nach Gallien übergesetzt^), wohl zunächst
um die unruhigen Soldaten zu beschäftigen.^) Hier zog er, wahr-
scheinlich von den Einwohnern überall als Retter begrüfst, die noch
1) Series episcoporum Lingonensium (M. G. SS.XIII, 379): Sanctus Desiderins
episcopuB. Hie passus est a Wandalis anno . . . 407. Vgl. Hagiologimn Franco-
gaUiae bei Labb^, Nova bibliotheca ü, 700 (10. kal. iun.). Sigebertns Gemblac.
cbron. ad. a. 411. Acta sanctorum Juni Y, 41.
2) Vgl. Stimming, Über den provenzalischen Girart von Roussillon (Halle
1888) S. 25.
3) Vgl. Zeufs S. 317 f. 468. Oros.VH, 38: gentes . . . Alanorum Sueborum
Yandalonun ipsoqne simnl motu inpulsonun Borgondionnm . . . snscitavit (Sti-
licbo). Hier, nennt die Bargandionen aasdrücklicb anter den in Gallien ein-
gebrochenen Völkern (vgl. anten).
4) a. a. 0. . . . Yangiones longa obsidione deleti . . . Nemetae, Argento-
ratas translatae in Germaniam (Zeafs S. 318), nachdem er vorher gesagt: Qaid-
qaid inter Alpes et Pyrenaeam est qaod Oceano et Rheno incladitar, Qaadas,
Wandalas, Sarmata, Halani, Gipedes, Herali, Saxones, Bargandiones, Ale-
manni . . . vastarant.
5) Prosp. c. 1232 (a. 407). Sozomenas, bist. eccl. IX, 11. Zosim.YI, 2.3.
Olympiodor. fragm. 12 (Sozom. a. Zosim. schöpfen aas Olympiodor). Oros YH, 40, 4.
6) Die von Zosimas YI, 3 angegebene Bedrohang der britannischen Legionen
durch die Wandalen ist schwerlich richtig.
DiB älteste Zeit. 25
vorhandenen römischen Truppen an sich und wandte sich nach Süden ^),
wo es mit den dort umherschweifenden Wandalen und deren Bundes-
genossen zu heftigen Kämpfen kam^ ohne dafs es ihm gelange die
Feinde völlig zu vernichten (Zos.VI, 3)^). Dagegen hat er wahr-
scheinlich mit den eingedrungenen Alamannen und Burgundionen^
jedenfalls gegen Anweisung von Land auf dem linken Rheinufer,
sowie mit d^n Franken Föderationsverträge zur Sicherung der Grenze
Galliens abgeschlossen , die sich freilich später als nicht dauerhaft
erwiesen.^) In diesem Sinne ist wohl die Angabe des Zosimus, dafs
Konstantin damals die seit Julian vernachlässigte Eheingrenze befestigt
habe*), zu verstehen^
Nachdem Konstantin so in Gallien festen Fufs gefafst, suchte
er auch Spanien in seine Gewalt zu bringen. Die von ihm ein-
gesetzten höheren Beamten fanden hier willige Aufnahme; die sich
gegen den neuen Herrscher auflehnenden kaiserlichen Verwandten
Didymus, Verinianus, Theodosius und Lagodius, welche anfänglich
die Übergänge über die Pyrenäen mit Glück verteidigten^), wurden
nach kurzem Widerstand von seinem Sohne Konstans, den er mit
einem zum Teil aus barbarischen Föderattruppen, den sogenannten
Honorianem, bestehenden Heere nach Spanien schickte, besiegt und
teils gefangen genommen, teils zur Flucht gezwungen (Oros. VII, 40.
Zos.VI, 4. Sozomenus bist. eccl. IX, 11). Die Bewachung der Pyrenäen-
pässe übertrug Konstans, der nunmehr wieder zu seinem Vater zurück-
1) Dies ergiebt sich daraus, dafs die Kämpfe zwischen Sarus xuid den
Truppen des Usurpators (Anfang 408) bei Yalence stattfanden (Zos.VI, 2).
2) Cbron. Gall. a. 462 c. 63 (mit falscher Chronologie, z. J. 410): Galliarum
partem Yandali atque Alani vastavere: quod reliquum fuerat, Constantinus
tjrannus obsidebat.
3) Oros. yn, 40: (Constantinus) ibi saepe a barbaris incertis foederibus
inlusus detrimento magis reipublicae fnit. Diese Angabe wird von Jahn a. a. 0.
I, 286 ff. ohne Grund verdächtigt. Vgl. namentlich Hauck, Kirchengeschichte
Deutschlands I \ 96. Die Franken scheinen damals sich noch nicht auf dem linken
Bheinufer ausgebreitet zu haben; denn Sozomenus IX, 13 bemerkt, Constantin
habe seinen Feldherm Edobech über den Rhein (icsQav xov ^Ptjvov) gesandt,
um von den Franken und Alamannen Hilfe zu holen.
4) Zosim.VI, 3. Die Worte des Zosim.: $tcc xavxa zoCvvv rovroig xotg xonoig
(d. h. den Alpen, vgl. Sievers, Studien z. Gesch. d. röm. Kaiser. Berlin 1870.
S. 465) (pvla-Kcig iyautiatTias KcDvatavtCvog, atg av firj xriv slg VaXccziav ccvsififvrjv
i%oiBv nägodov beziehen sich auf die Vorkehrungen, die Konstantin gegen Sarus
getroffen hatte (vgl. Rosenstein, Forsch. I, 183) und scheinen Jahn (a. a. 0.
S. 286. 289) veranlafst zu haben, von einer völligen Vertreibung der vier Völker
aus Gallien zu sprechen. Dafs davon keine Rede sein kann, zeigt das Schweigen
sämtlicher Quellen, die von einem zweiten Einbruch in Gallien nichts wissen.
5) Beloch, Der Verfall der antiken Kultur (Hist. Zeitschr. 84, 33) hat die
hierüber handelnde Stelle des Orosius mifsverstanden.
26 Erstes Buch.
kehrte, den Honorianem, obgleich die einheimischen Truppen^) ge-
beten hatten, dieselben nicht der Obhut Fremder anzuvertrauen
(Oros. a. a. 0. Zos.VI, 5. Sozom. IX, 12). Aber das Glück, das der
Usurpator bisher auf seiner Seite gehabt, begann sich rasch wieder
von ihm abzuwenden. Nachlässige Bewachung der Pässe, wie wohl
richtig Sozomenus (IX, 12) angiebt, oder (weniger wahrscheinlich)
direkter Verrat seitens der Honorianer, die für ihre Plünderungszüge
in das umliegende Land Strafe befürchteten (so der überall Verräterei
witternde OrosiusVII, 40), gab den Wandalen, Alanen und Sweben Ver-
anlassung, das Gebirge zu überschreiten und in die schon lange von
ihnen ins Auge gefafste blühende Provinz einzubrechen. Die Meinung,
daJs ihre Existenz in dem von der Natur so wohl geschützten Lande
sich sicherer gestalten würde, femer die hier in besonders reichem
Mafse zu erwartende Kriegsbeute (svdaifiova xal nXovöiotdtrjv xriv
%WQav axovovtsg sagt Sozomenus a. a. 0.) mögen die wesentlichsten
treibenden Motive gewesen sein. Wenn dagegen Jordanes (Getica c. 31)
die Furcht vor den Westgoten als Grund des Einbruches in Spanien
angiebt, so beruht dies ohne Zweifel auf einer irrigen Übertragung
früherer und späterer Verhältnisse (Geberich, vgl. oben und Wallia,
8. unten), ist auch an sich ganz unmöglich.
Da der Zug der Germanen sich gegen den Westen der iberischen
Halbinsel richtete, so ist anzunehmen, dals der Übergang über das
Gebirge auf der von Bordeaux nach Pamplona und weiter über Burgos,
Leon, Zambra, Salamanca, Merida nach Sevilla führenden grofsen
römischen Heerstrafse erfolgte. Als Zeitpunkt desselben giebt Hydatius
(c. 42) den 28. September oder den 13. Oktober des Jahres 409 an.*)
Dazu kam, dafs zu derselben Zeit Gerontius, den Konstans bei
seinem Abzug aus Spanien dort als Statthalter zurückgelassen hatte,
sich empörte und seinen Anhänger Maximus als Kaiser ausrief.') Die
1) In Spanien standen damals unter den Befehlen des comes Hispaniae die
zmn Teil zersplitterte legio VII. gemina (in Leon) , femer 5 Kohorten (Not. dign.
Occ. 42, 25ff.)i wozu Dach Oros. VII, 40,8 der aus eingeborenen Bauern (Basken)
bestehende Grenzschutz für die Pyrenäen kam, sodann von dem Eaiserheer
(Mommsen im Hermes XXTV, 225 ff.) 11 auxilia palatina und 5 legiones comi-
tatenses (Infanterie).
2) Vgl. Prosp. c. 1237. Consularia Constantinopolitana (M. G^. Auct. ant. IX,
246) 409.
3) Dafs die Erhebung des Gerontius erst nach dem Einbruch der Germanen
stattfand, zeigt Oljmpiod. fr. 16: Fsgövriog b avQatrj'ybg xriv ngbg tovg ßagßocQovg
dofisviaag sIqi^vtiv Md^ifiov . . . ßccaiXsa dvayogsvsL. Die Angabe des ganz ver-
wirrten, also nur mit Vorsicht zu benutzenden ZosimusVI, 5, dafs Gerontius
blofs mit der Bewachung der Pässe beauftragt gewesen sei, wird widerlegt
Die älteste Zeit. 27
Bedrohung durch ein heranrückendes Heer des Eonstans zwang jenen^
mit den eingedrungenen Barbaren sich zu verständigen; mit diesen
vereinigt^ brachte er dem Eonstans eine Niederlage bei und zwang
ihn zur Flucht nach Gallien.^) Wahrend nun Gerontius sich nach
Gallien wandte, um Eonstantin zu bekriegen, breiteten die vier
Völker unter furchtbaren Verwüstungen, die besonders Hydatius in
grellen Farben schildert (c. 48 zum Jahre 410)*), sich in den Landes-
teilen Galicien, Lusitanien, Bätica und Earthagena aus. Der übrige
Teil der Halbinsel, d. h. der gröfste Teil der Provinz Tarraconensis,
blieb, wohl auf Grund eines Abkommens, von den Barbaren verschont
und in römischen Händen, zunächst noch unter der Herrschaft des
Gerontius, der indes, nachdem er von dem kaiserlichen Feldherm
Eonstantius aus Gallien vertrieben worden war, bereits im Jahre 412
seinen Tod fand, indem die in Spanien stehenden Truppen von ihm
abfielen und den von ihm zum Eaiser ausgerufenen Maximus ver-
jagten.8)
Zwei volle Jahre dauerten die Raubzüge der wilden Scharen, in
deren Folge Hungersnot und Seuchen im Lande ausbrachen. Diese
umstände, die ihre eigene Existenz bedrohten, mehr noch aber wohl
ein wahrscheinlich um diese Zeit zwischen dem Eaiser und dem
Westgotenkönig Ataulf zur Bekämpfung des Gegenkaisers Jovinus
in Gallien und zur Befreiung Spaniens abgeschlossenes Abkommen*),
femer die Stärkung der kaiserlichen Macht durch die Siege des Eon-
stantius haben die vier Völker zu friedlicherem Verhalten veranlafst.
Es ist zum Abschlufs eines Vertrages zwischen diesen und dem
Eaiser gekommen, demzufolge die Barbaren gegen die Verpflichtung,
durch den zuverlässigen Bericht des Renatus Profaturus Frigiretus bei Greg.
Tur. hist. Franc, n, 9. Ranke, Weltgesch. 17, 1, 257 konstruiert auf Grund dieser
Stelle des Zosimus in Verbindung mit Orosius (VII, 40) eine Berufong der
Wandalen nach Spanien durch Gerontius, von welcher die zuverlässigen Quellen
keine Silbe wissen.
1) Ren. Prof. Frig. a. a. 0. : Constantinus . . . redire ad Hispanias filium
monet. Qui, praemissis agminibus, dum cum patre resederet, ab Hispania nuntii
commeant, a Gerontio Maximum . . . imperio praeditum atque in se come-
tatu gentium barbararum accinctum parari. Ygl. Olymp, fr. 16 a. E.:
Md^tfiog . . . ngbg rovg vnoanovdovg (psvyst ßaQßdQovg. Sozom. IX, 12.
Kfovatag . . . tpsvymv Ix trjg *Ianccviag (Aqt^Xcctov KcctiXccßs).
2) Ygl. auch Oros.Vn, 40. 41. Olymp, fr. 30. Salvian. de gub. dei VIT, 52 u. ö.
Augustin. epist. 111 (Migne 33, 422 ff.).
3) Sozom. EX, 13. Olymp, fr. 16. Oros.VII, 42,4. 5. Prosp. chron. c. 1245.
4) Diese Thatsache liegt wahrscheinlich der sonst unrichtigen Erzählung
des Jordanes von Kämpfen Ataulfs gegen die Wandalen in Spanien (Get. c. 31 , 163)
zu Grunde. Ygl. denselben c. 32, 164: foedus dudum cum Atauulfo initum.
28 Erstes Buch.
Spanien gegen fremde Angriffe zu verteidigen^ also als kaiserliche
milites, Land zur Niederlassung erhielten. Die Verteilung der Pro-
vinzen, in denen die einzehien Völker angesiedelt werden sollten,
erfolgte durch das Los: den Asdingen und Sweben wurde Galicien
zugewiesen, während die Silingen Bätica und die ihren Verbündeten
an Volkszahl überlegenen Alanen Lusitanien und das Gebiet von
Karthagena^) erhielten. Diese Thatsache wird sowohl von Hydatius^)
wie von Orosius^) bezeugt; nach letzterem sollen die Barbarenkönige
dem Kaiser vorgestellt haben, er möge mit ihnen Frieden schliefsen,
von ihnen Geiseln nehmen: „wir kämpfen miteinander und erliegen
auf unsere Kosten, wir siegen aber für dich, und es ist ein ewiger
Gewinn für das Reich, wenn in unseren inneren Kämpfen beide
streitende Parteien zu Grunde gehen ^'. Dafs es zu einer wirklichen
Gebietsabtretung in politischer Hinsicht nicht gekommen ist, zeigt
namentlich deutlich der von Hydatius gebrauchte Ausdruck ad in-
habitandum, der bei Ansiedelungen von Föderaten im römischen
Reiche in den Quellen jener Zeit mehrfach Anwendung findet*); da-
für spricht auch der Umstand, dafs die in Spanien gefundenen Münzen
der Swebenkönige das Bild des Kaisers Honorius tragen.^) Bestätigend
tritt ferner hinzu auch das Zeugnis des allerdings für jene Zeit sehr
unzuverlässigen, nur sekundär in Betracht kommenden^ Prokop (bell.
Vand. I, 3) von einem zwischen dem Kaiser und den Wandalen in
Spanien abgeschlossenen Vertrage des Inhalts, dafs die letzteren das
Land besetzen sollten, ohne es zu plündern; wenn dagegen daran
anknüpfend derselbe Gewährsmann eine angebliche Verordnung des
Honorius anführt, nach welcher die Zeit des Aufenthaltes der Wan-
dalen in Spanien für die dortigen römischen Grundeigentümer bei
der Berechnung der dreifsigjährigen Verjährungsfrist nicht gelten
sollte — wodurch die Niederlassung der Barbaren als eine nur vor-
übergehende bezeichnet worden wäre — , so liegt die Annahme nur
zu nahe, dafs Prokop das Gesetz Valentinians HI. vom Jahre 452
1) D.h. der römische Gerichtsbezirk (conventus) Carthaginensis, vgl. Kiepert,
Lehrbuch der alten Geographie 490.
2) Hydat. c. 49 (zum Jahre 411): Barbari ad pacem ineundam .... con-
versi sorte ad inhabitandum sibi provinciarum dividunt regiones.
3) Vn, 40, 10. 41, 7. 43, u. (Quamvis et ceteri Alanorum Vandalorum Suebo-
rumque reges eodem [wie mit Wallia] nobiscum placito depecti forent).
4) Vgl. V. Halb an. Das röm. Recht in den germanischen Yolksstaaten I
(Breslau 1899), 65 f.
5) Vgl. darüber Dahn, Könige VI ', 563. Sallet, Handbücher der königl.
Museen zu Berlin. Münzen u. Medaillen (1898) S. 103.
6) Vgl. meine Bemerkungen in der historischen Vierteyahrsschrift 1899 S. 452 f.
Die älteste Zeit. 29
(Leg. iiovell.Val. XXXIV, 12), worin verfügt wurde, dafs bei Rechts-
geschäften der Bewohner der noch kaiserlich gebliebenen Gebiete
Afrikas die Zeit der wandalischen Eroberung von der Zahl der 30 Prä-
skriptionsjahre abgezogen werden solle, irrig dem Kaiser Honorius
beigelegt hat.^) Dafs es nicht zu einer blofsen Einquartierung, sondern
zu einer wirklichen Landnahme gekommen ist, ergiebt sich aus der
(allerdings nur figürlich zu verstehenden) Äufserung des Orosius, dafs
die Barbaren nach der Besitznahme des Landes zum Pfluge gegriffen
hätten. Über die Grundsätze, nach denen hierbei verfahren wurde,
ist leider Näheres nicht bekannt; man darf wohl nach den analogen
Verhältnissen, wie sie bei den Landnahmen der Burgundionen, der
Ost- und Westgoten obwalteten, vermuten, dafs die römischen Grund-
besitzer einen Teil, vielleicht ein Drittel, ihres Eigentums, d. h. Grund
und Boden, Sklaven, Vieh und die an die Scholle gebundenen Eolonen
an die einzelnen Familien abtreten mufsten. Ob die Steuerpflicht
dieser Teile dem Reiche gegenüber bestehen blieb, ist ungewifs. Das
Bestreben der Germanen war darauf gerichtet, sich eine arbeitslose
Existenz zu schaffen, die ihnen die Ausübung des Waffenhandwerkes
in voller Mufse ermöglichte. Es ist daher mit Bestimmtheit anzu-
nehmen, dafs nur der gröfsere und Grofsgrundbesitz, auf dem sich
eine zahlreiche unfreie und hörige Bevölkerung befand, von der Teilung
betroffen wurde. An eine Überweisung der gewifs in grofser Zahl
vorhandenen verödeten Grundstücke ist nicht zu denken; die mit-
geschleppten Sklaven, so viele ihrer auch gewesen sein mögen, werden
zu landwirtschaftlichen Arbeiten nur zum geringen Teil geeignet ge-
wesen sein.
Die meisten noch unerobert gebliebenen Städte öffneten jetzt
ihre Thore*), erhielten wohl auch zum Teil barbarische Besatzungen;
die wichtigsten Festungen jedoch, insbesondere die Hafenplätze des
Mittelländischen Meeres — hierzu zählten namentlich Sevilla und
Earthagena, die erst 425 eingenommen wurden — blieben ganz in
römischen Händen.^) Es entsprach dies der damals befolgten Politik,
die von der richtigen Erkenntnis ausging, dafs die Beherrschung des
1) Ygl. auch Dahn, Könige der Germanen I, 145 Note. Der Auffassung
Haibans I, 66 f. kann icli nicht beipflichten.
2) Hydat. c. 49: Hispani per civitates et castella residui a plagis bar-
barorum per provincias dominantium se subiciunt servituti. — Ob auch eine
Teilung städtischen Grundbesitzes wie bei den Westgoten (Dahn, Könige VI*,
56) stattgefunden hat, läfst sich nicht feststellen.
3) Ygl. auch Hydat. c. 91 (zu 430, von den Raubzügen der Sweben in
Galicien): plebe perm, quae castella tutiora retinebat.
30 Erstes Buch.
Mittelländisclien Meeres durch die Barbaren den Untergang des
Reiches bedeuten würde. Daher war man auch mit allen Kräften
bemüht; die Festsetzung der Westgoten in der Provinz Narbonne
zu verhindern. Ein wenige Jahre später (419 am 24. September) zu
Eonstantinopel erlassenes Gesetz belegte mit Todesstrafe jeden^ der
die Barbaren in der diesen bisher unbekannten Schiffsbaukunst unter-
richten würde ^).
Orosius^) weifs von einem nunmehr eingetretenen engen freund-
schaftlichen Verhältnis zwischen den Fremden und den Römern zu
erzählen: es habe unter den letzteren manche gegeben, die der
drückenden Steuerlast sich durch Flucht zu jenen entzogen (sie
traten wohl als Eolonen auf den germanischen Gütern ein), und
sicher ist dies in Beziehung auf die ärmere landwirtschaftliche Be-
völkerung zum grofsen Teil zutreffend. Die Aristokratie und die
orthodoxe Geistlichkeit waren mit den neuen Verhältnissen begreif-
licherweise nicht einverstanden, daher denn auch Hydatius von
einer Unterwerfung unter die Knechtschaft der Barbaren spricht
(c. 49 vgl. oben).
Das Föderatverhältnis der vier Völker zum Reiche war jedoch
nicht von langer Dauer. Es ist bekannt, dafs der Westgotenkönig
Ataulf nach Alarichs Tode wahrscheinlich im Auftrage des Kaisers
(vgl. oben) sich zunächst nach Gallien wandte, von dort aber, nach-
dem sein Verhältnis zum Reiche gelöst war, von den kaiserlichen
Truppen unter Konstantins hart bedrängt, in Spanien einfiel Da-
von, dafs er jetzt die Wandalen aus diesem Lande habe vertreiben
wollen, wie Jordanes (Get. 31, 163) erzählt, kann keine Rede sein;
sein Zug richtete sich vielmehr gegen das damals noch römische
Gebiet. Nachdem er hier die Stadt Barcelona erobert, fand er den
Tod durch Meuchelmord (415). Sein Nachfolger Wallia verharrte
anfänglich in der Feindschaft gegen das Reich; offenbar im Ein-
verständnis mit den Alanen und Silingen, deren Gebiet er durch-
ziehen mufste — wenigstens hören wir nichts von Kämpfen mit
diesen — wandte er sich nach dem Süden der Halbinsel, um nach
Afrika überzusetzen. Als jedoch diese Absicht sich als unausführbar
erwies (Oros. VII, 43, il) und Konstantins über die Pyrenäen heran-
zog, liels sich Wallia in Unterhandlungen mit letzterem ein. Es ward
1) Cod. Justin. IX, 47.
2) Vn, 41, 7: Bomanos ut socios modo et amicos fovent, nt inveniantur
iam inter eoB quidam Bomani, qui malint inter barbaros pauperem libertatem
quam inter Romanos tributariam sollicitudinem sustinere.
Die älteste Zeit. 31
ein Vertrag des Inlialtes abgeschlossen, daTs der Westgotenkonig
gegen Empfang von 600000 Sclieflfel Getreide die Witwe Ataulfs,
Placidia, des Kaisers Schwester, ausliefern und Spanien dem Beiche
wiedergewinnen sollte (416).^)
Zunächst wandte sich das westgotische Heer gegen die Silingen,
deren König Fredbai durch List gefangen und zum Kaiser nach
Bavenna geschickt ward (416)*), wahrend das Volk selbst in den
folgenden Jahren durch schwere Niederlagen zum gröfsten Teile
ausgerottet wurde (418).*) Der Name der Asdingen verschwindet
daher jetzt als Volksname gänzlich und bleibt allein noch Bezeich-
nung des königlichen Geschlechts. Auch die Alanen, gegen die
Wallia nunmehr vorging, wurden empfindlich geschlagen und der-
mafsen geschwächt, dafs das Volk nach dem Tode des Königs Addac
beschlofs, kein eigenes Oberhaupt wieder zu wählen, sondern sich
den asdingischen Wandalen anzuschlielsen, deren König als den
ihrigen anzuerkennen (418).*) Die nunmehr auftretende Titulatur
der wandalischen Könige als reges Vandalorum et Alanorum^) deutet
an, dafs die Alanen zui^chst eine gewisse Sonderstellung bewahrten.
Sie wurden zwar ebenfalls nach Tausendschaften organisiert (Prok.I, 5);
doch scheinen sie neben den Wandalen als besonderer Stamm nach
ihrem nationalen Rechte weiter gelebt zu haben, während die anderen
jetzt und später hinzugetretenen Elemente wohl unter die Wandalen
verteilt wurden.
Ihre auf diese Weise gesteigerte Macht benutzten die Wandalen
nach der Abberufung Wallias aus Spanien (Ende 418), um sich
gegen ihre Nachbarn, die Sweben, mit denen vermutlich vom Beiche
ein neues foedus abgeschlossen worden war, zu wenden; in den ner-
1) Olympiod. fragm. 31. Hydat. c. 60. Prosp. c. 1259. Oros. YU, 43, 12 ff.
Die folgende Darstellung beweist das Irrige der Bemerkung Haibans S. 66:
„Die Wandalen bleiben nun von 411 — 429 auf Grund dieses Übereinkommens
in Spanien; wir hören wenig Klagen über sie."
2) Hydat. c. 67.
3) Hydat. c. 68 (wohl übertreibend); Wandali Silingi in Baetica per Walliam
regem omnes extincti. Sidon. ApoUin. carm. H, 362 ff. : Simul et reminiscitur
illud, quod Tartesiacis ayus huius Yallia terris Yandalicas turmas et iuncti
Martis Halanos stravit.
4) Hydat. ibid. . . . ut . . . pauci (wohl ebenfalls übertrieben), qui super-
faerant, abolito regni nomine Gunderici regis Wandalorum . . . se patrocinio
Bubiugarent. Ygl. dazu Waitz, Yerfassungsgeschichte I', 307. K. 4.
5) Nachweislich allerdings erst seit Hunerich (aus dessen Zeit stammt
wohl auch die Notiz in der Continuatio Prosperi codicis Alcobaciensis z. J. 466,
Chron. min. I, 487: rex Wandalorum et Alanorum Geisericus regnat post
mortem Yalentiniani imp. annis XXI), jedenfalls aber schon seit Gunderich.
32 Erstes Buch.
basischen Bergen (in Nerbasis montibus) (die wohl in dem Gan-
tabrischen Gebirge zu suchen sind)^) eingeschlossen, wurden diese
nur dadurch vor dem drohenden Untergange gerettet, dafs ein wahr-
scheinlich von ihnen zu Hilfe gerufenes, überlegenes römisches Heer
unter dem comes Asterius^ heranzog und die Wandalen zum Abzug
nach Bätica, den früheren Sitzen der silingischen StammesgenosscD,
deren Überreste hier mit ihnen spurlos verschmolzen, nötigte. Auf
dem Wege dahin, der wohl auf der über Oporto, Lissabon, Faro
laufenden Stralse erfolgte, ist es bei Bracara (Braga) zu Kämpfen
gekommen, bei denen eine Anzahl Wandalen getötet wurde (419;
Hydat. c. 74).*) Hier wurden die Wandalen zwei oder drei Jahre
später wiederum von den Römern angegriffen und durch eine
enge Einschlieiüsung in eine solche Bedrängnis gebracht, dafs sie
schon im Begriff waren sich zu ergeben, als der römische magister
militum Castinus unbesonnenerweise es zu einer offenen Schlacht
kommen liefs. In dieser erlitt das kaiserliche Heer — sei es nun,
weil Castinus aus Eifersucht den kriegstüchtigen Bonifatius von der
Teilnahme an dem Kriegszuge ausgeschlossen hatte (so Prosper) oder
weil die (westgotischen) Hilfstruppen sich als treulos erwiesen (so
Hydatius) — eine schwere Niederlage; 20000 Mann sollen damals
auf Seite der Römer gefallen sein, was jedoch sicher nicht der
Wahrheit entspricht (vgl. oben S. '21), und nur mit Mühe konnte
sich der Anführer selbst nach Tarraco retten.*) Dieser Sieg steigerte
die Zuversicht und die Macht der Wandalen in hohem Grade und
trieb sie zu neuen Unternehmungen an. Zu ihrer später so gefürch-
teten Seemacht haben sie damals den Grund gelegt^), denn wir ver-
nehmen, dafs im Jahre 425 von ihnen die Balearischen Inseln und
selbst die Küste Mauretaniens heimgesucht wurden. Zu derselben
Zeit fielen auch Carthago Spartaria (Carthagena) und Hispalis
(Sevilla), die letzten Bollwerke der Römer im feindlichen Gebiete,
1) Genauer sind dieselben nicht mehr mit Sicherheit geographisch zu fixieren.
Die Lage des cpogog Naqßaaav bei Ptolemäus ü, 6, 49 (vgl. Wietersheim n, 377 f.)
pafst nicht in den Znsammenhang der von Hydat. berichteten Yor^nge.
2) et sub vicario Maurocello sagt Hydat. c. 74. Befehlshaber des Heeres
kann Maurocellus nicht gewesen sein; der Vicarius war Civilstatthalter. Einen
Subvicar (so Wieterheim ü, 183) gab es nicht.
3) Aliquantis Bracara in exitu suo occisis sagt Hydat.; diese Worte sind
allerdings verschiedener Deutung fähig.
4) Hydat. c. 77 z. J. 421. Prosp. c. 1278 z. J. 422. Chron. Gall. c. 107
z. J. 431. Salvian. de gub. dei "VU, 45 (vgl. Zschimmer, Salvian S. 40).
5) Es waren natürlich requirierte römische Schiffe, deren sich die Wan-
dalen anfänglich bedienten.
J
Die älteste Zeit. 33
ersteres yermutlich durch eine gemeinsame Operation zwischen Land-
heer und Flotte, und wurden zum gröfsten Teile zerstört (Hydat.
c. 86). Drei Jahre später (wahrscheinlich in den ersten Monaten des
Jahres 428) starb Gunderich in Sevilla^) bei der Plünderung der
Schätze der dem heiligen Vincentius geweihten Kirche^) eines plötz-
lichen Todes*) — der fromme Hydatius führt denselben natürlich
auf ein Strafgericht Gottes zurück — ; ihm folgte als König sein
Halbbruder Geiserich*), der uneheliche Sohn Godigisels und einer
Sklavin^), mit Übergebung der Söhne Gunderichs, die jener später
in Afrika ermorden liefs, um die Thronfolge seinen Nachkommen
zu sichern.^) Da Geiserich, wenn auch in sehr hohem Alter (Prok.
I, 7) im Jahre 477 starb, so kann er nicht gut vor 390 geboren
sein; sein Bruder, den wir im Jahre 406 an der Spitze des wan-
dalischen Heeres quellenmäfsig bezeugt finden (vgl. oben), war also
jedenfalls älter — denn bei den Kriegsnöten der Wanderung war es
geboten, bei der Königswahl auf eine Persönlichkeit in schon rei-
feren Jahren zurückzukommen — , und es ist wiederum ein Beweis
für die Unzuverlässigkeit Prokops, wenn dieser den Gunderich bei
dessen Vaters Tode als einen Knaben, Geiserich aber als einen er-
probten Kriegshelden bezeichnet. Wenn daher Dahn (Urgeschichte
I, 156; vgl. Könige I, 143 f.) sagt, dafs letzterer für seinen Bruder
bis zu dessen Mündigkeit Scepter und Schwert geführt, ja auch
1) Hydat. c. 89 (z. J. 428): Gundericus — capta Hispali — interiit, nach-
dem er vorher (zn 425) gesagt: Carthagine Spartaria et Hispali e versa. Capta
ist wohl in dem Sinne der Besetzung, nicht einer zweiten Eroberung zu verstehen.
2) Den Namen der Kirche nennt allein der sonst für diese Zeit ganz un-
selbstäjidige Isidor von Sevilla, Historia Vandalorum, c. 73, auf Grund von an
Ort und Stelle eingezogenen Erkundigungen. Vgl. Hertzberg, Die Historien
und Chroniken des Isidorus v. S. (Gott. 1874) S. 55.
3) Dies ist die richtige Version. Prokop b. V. I, 3 erwähnt eine von den
Wandalen selbst, aber erst aus seiner Zeit stammende Tradition, wonach
Gunderich in Spanien im Kampfe mit Germanen (d. h. Franken) gefangen und
von diesen ans Kreuz geschlagen worden sei. Davon kann keine Bede sein; es
liegt offenbar Verwechslung mit dem Tode Godigisels, der am Rheine gegen
die Franken fiel, vor. Ebensowenig kann die andere von Prokop angefahrte
Version, dafs Gunderich von seinem Bruder Geiserich ermordet worden sei,
Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen.
4) Nach Fr. Kauf&nann, Zeitschr. f. Deutsche Philol. XXXHI (1901) S. Iff.
wäre die authentische Namensform Gensirix, nicht Geisarix; doch schreibt der
Zeitgenosse Hydatius Gaisericus, und auch Vict. Vit., der schon zu G.'s Zeit
lebte, hat die Form Geisericus.
5) Procop. I, 3: vo&og, bestätigt durch Sidon. ApoUin. carm. H, 358 (cum
serva sit illi parens), V, 57 (famula satis olim hie praedo).
6) Victor Vitensis, Hist. persec. Afric. prov. H, 14. Daraus ist wohl die von
Prokop berichtete Version, dafs Geiserich seinen Bruder ermordet habe, entstanden.
Sohmidt, Wandalen. »
34 Erstes Buch.
späterhin unter ihm einen entscheidenden EinflnTs auf die Regierung
ausgeübt habe, so ist dieser Versuch, das Zeugnis Prokops mit den
zuverlässigen abendländischen Quellen, den Konsularf asten und
Hydatius^ in Einklang zu bringen, als durchaus verfehlt zu be-
zeichnen. Es ist dagegen nicht unwahrscheinlich, wenn auch nur
Vermutung, dafs Geiserich bereits damals die wandalische Flotte
befehligt hat, die hauptsächlich später seinem Namen zu einem so
gefürchteten Rufe verhalf Über die näheren Umstände, unter denen
seine Wahl zum Könige erfolgte, ist nichts überliefert. Von einer
stattgefundenen Usurpation der Krone ist nirgends die Rede; Geiserich
ist also wohl durch Beschlufis des Volkes an die Spitze berufen
worden, wahrscheinlich weil ihn seine Tüchtigkeit vor den (vermut-
lich noch in jugendlichem Alter stehenden) direkten Nachkommen
des verstorbenen Königs zu dieser Stellung besonders geeignet er-
scheinen liefs.^) Berühmt ist das Charakterbild, das Jordanes
(Getica 33,168) von ihm entwirft und das wenigstens den Vorzug
hat, frei von panegyrischer Übertreibung zu sein, da der Geschicht-
schreiber des Gotenvolkes, wie schon bemerkt, von einer grofsen
Animosität gegen die Wandalen erfüllt ist. Geiserich war hiemach
ein Mann mittlerer Gröfse, infolge eines Sturzes vom Pferde hinkend
(dies wohl erst seit späterer Zeit), wortkarg, aber tiefen Geistes,
enthaltsam, jähzornig, habgierig und äuJserst geschickt, unter den
Völkern den Samen der Zwietracht zu verbreiten. Prokop nennt
ihn einen erprobten Kxiegshelden von rastloser Thatkraft, während
der Byzantiner Malchus (fragm. 13) sagt, er sei rascher in der That
als andere im Entschlufs gewesen. Die grofse, durch sein späteres
Verhalten bestätigte Begabung des Königs als Heerführer und Poli-
tiker geht deutlich aus diesen Charakteristiken hervor. Dafs er ur-
sprünglich Katholik gewesen und nun zum arianischen Glauben
übergetreten sei, ist, wie der einzige Gewährsmann, Hydatius, selbst
vorsichtig bemerkt, nicht sicher bezeugt (c. 89: ut aliquorum relatio
habuit); auch an sich aber scheint diese vielleicht erst aus späterer
Zeit stammende, wohl nur auf böswilliger Erfindung beruhende
Version wenig glaublich.
Die hervorragenden Eigenschaften Geiserichs haben bei dessen
Wahl ohne Zweifel einen um so entscheidenderen Einflufs aus-
geübt, als die Absicht einer Reichsgründung in der Spanien
gegenüberliegenden afrikanischen Provinz wohl schon unter seinem
1) Vgl. auch Dahn, Könige VI«, 547. Pflugk-Harttung in der Zeit-
schrift der Savignystiftnng für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. XI, 178.
Die älteste Zeit. 35
Vorgänger Gundericli bestand. Die oben erwähnte wandalische
Expedition nach Mauretanien im Jahre 425 ist wohl unter diesem
Gesichtspunkt, als eine zur Orientierung unternommene Fahrt, zu
beurteilen. Die bekannte ,,Landnot'^ ist in diesem Falle wahrschein-
lich nicht als Grund in Frage gekommen, da das fruchtbare, er-
tragsfahige Südspanien, das damals wesentlich zur Yerproviantierung
Italiens beitrug, der ohnehin nicht sehr zahlreichen Volksmenge
reichliche Nahrung zu bieten im stände war. Ein wesentliches
Moment war wohl die Besorgnis vor einem erneuten Einfall der mit
dem Reiche föderierten, überlegenen Westgoten, der um so mehr
zu fürchten war, als die Pyrenäenpässe in den Händen der Feinde
waren; dieses Motiv ist vielleicht auch der sonst unrichtigen Dar-
stellung des Jordanis (Getica c. 33) zu entnehmen, wozu die (bis auf
den gesperrt gedruckten Zusatz aus Prosper entlehnte) Stelle in der
Chronik Cassiodors (chron. c. 1213: Gens Vandalorum a Gothis
exclusa — ad Africam transit) zu vergleichen ist. In Afrika da-
gegen mochte man sich namentlich durch die Flotte, die ja auch
späterhin eine wesentliche Verstärkung und Ausbildung erfahren hat,
besser geschützt glauben. Dazu kam die bei den germanischen Ein-
fallen in das römische Gebiet immer eine bedeutende Rolle spielende
Aussicht auf Kriegsbeute und der Wunsch nach Befriedigung der
Rauf- und Mordlust. Die zu jener Zeit in Afrika herrschenden, durch
innere Zwistigkeiten hervorgerufenen verworrenen Verhältnisse, ferner
die zur Verteidigung des grofsen Gebietes zu wenig genügende
Truppenzahl und die damals ausgebrochenen Unruhen der Mauren,
Umstände, von denen die Wandalen natürlich nicht ohne Kenntnis
blieben — wir kommen später darauf zurück — , forderten aber
geradezu zu einem Einbrüche heraus. Dagegen ist die Version, dafs
der Militärgouverneur von Afrika, Bonifatius, die Wandalen selbst
dahin gerufen habe, um seine Stellung gegen die Intriguen einer
ihm feindlichen Hofpartei zu stützen oder um sich wegen erlittener
Kränkungen zu rächen (so selbständig Prokop, Jordanes und Paulus
Diaconus) ganz unhistorisch und eine wahrscheinlich erst hundert
Jahre später am byzantinischen Hofe zu dem Zwecke aufgebrachte
Fabel, um den Verlust der Provinz an die Barbaren zu motivieren.
Ausführlich habe ich darüber bereits an anderer Stelle gehandelt, so
dafs ich mich hier begnügen kann, darauf zu verweisen.^)
1) Hist. Vierteljahrsschrift 1899 S. 449 ff. Zu S. 458 möchte ich noch be-
merken, dafs die Bedeutung des Wortes famosus als berühmt auch durch
Victor Yit. 1,24 (nobilissimam atque famos am . . . Bomam) gestützt wird.
3*
36 Erstes Buch.
Bereits waren Anstalten zur Einschiffung der Wandalen getroffen^
als die Nachricht einlief, dafs eine Schar Sweben unter Hermigar^)
plündernd in den an die Bätica angrenzenden Teil Lusitaniens ein-
gedrungen sei: rasch eilte Geiserich mit einer Abteilung seiner
Krieger wieder zurück und schlug die Feinde bei Emerita (Merida)
in die Flucht, wobei ihr Führer in den Fluten der Guadiana den
Tod fand (Anfang des Jahres 429). So lautet der Bericht des
zuverlässigen Hydatius (c. 90); unbrauchbar ist dagegen die Dar-
stellung, die Gregor von Tours (Hist. Franc. 11,2) von diesen Vor-
zügen giebt: Die benachbarten Sweben und Wandalen geraten mit-
einander in Streit; auf Vorschlag des Swebenkönigs wird von den
beiden Völkern beschlossen, die bevorstehende Schlacht durch einen
Zweikampf zweier Knechte (pueri) entscheiden zu lassen; der Stamm,
dessen Kämpfer siegt, solle das Land besitzen. Der Kampf beginnt
und der Vertreter der Wandalen fällt; diese (als ihren König nennt
Gregor den Thrasamund, der erst siebzig Jahre später auf den Thron
gelangte) verlassen hierauf Spanien. Dafs in dieser Version echte
Volkssage, und zwar swebischen Ursprungs, vorliegt, zeigen die
charakteristischen Züge der Erzählung^); sie ist insofern auch
geschichtlich verwertbar, als sie die beschränkte Macht des Königs
und die entscheidende Gewalt der Volksversammlung bei den Sweben
erkennen läfst.^)
Nach diesem Zwischenfall wurde der Übergang der Wandalen
ohne Störung bewerkstelligt; im Mai 429 setzte Geiserich mit seinem
Volke von Julia Traducta (jetzt Tarifa*) aus nach Afrika über.
Man wird anzunehmen haben, dafs eine Eroberung der die Strafse
von Gibraltar auf dem afrikanischen Ufer deckenden festen Plätze
Tingis (Tanger) und Septem (Genta) vorhergegangen ist. Ob der
1) Da später wiederholt die Neigung der Sweben, sich in zwei Gruppen
unter besonderen Herrschern zu gliedern, hervortritt, so ist es denkbar, dafs
Hermigar neben dem früher und später als Herrscher genannten Hermerich
König war; Hydatius freilich nennt ersteren einfach nur Suevum (c. 90), vgl.
Dahn, Könige YI «, 547.
2) Vgl. auch Giesebrecht in der Übersetzung Gregors, 2. Aufl., I, 47.
3) Der gegenteiligen Ansicht Dahns, Könige VI*, 547, Note 4, kann ich
nicht beistimmen.
4) Vgl. Greg. Tur. a. a. 0. Proc. b. V. I, 3. Jord. Get. 33, 167. Infolge
einer Verwechselung mit der gegenüberliegenden spanischen Stadt sagt Plinius
hist. nat. V, 2, die Stadt Tingis habe seit Claudius auch Traducta Julia geheifsen.
Vgl. Forbiger, Handbuch der alten Geographie H, 875. Die Ergänzung der
von Tissot (vgl. M^moires pr^sent^s par divers savants ä Tacad. des inscriptions
et helles lettres S^r. I. tom. 9 (1878), S. 185 ff.) gefundenen Inschrift, die zur
Stütze des Plinius herangezogen wird, ist doch sehr unsicher.
Die älteste Zeit, 37
Name AndaloS; mit dem die Araber zur Zeit Tariks anfänglich
diesen südlichsten Punkt Spaniens^ später aber die ganze pyrenäische
Halbinsel bezeichneten, = Vandalos zu setzen und von dem dort
stattgefundenen Übergang der Wandalen herzuleiten ist, scheint mir
fraglich; sicher ist die landläufige Meinung, dafs das heutige
Andalusien nach den Wohnsitzen der Asdingen und Silingen in der
Bätica benannt worden sei, falsch.^) Dafs das Jahr 429 das richtige
ist, wird jetzt allgemein angenommen, da dieser Zeitpunkt durch
das Zeugnis des Hydatius gestützt wird, Prosper chron. c. 1295
setzt den Übergang der Wandalen ins Jahr 427; doch falst dieser
hier nach seiner öfters zu bemerkenden Gewohnheit die Ereignisse
mehrerer Jahre zusammen. Nicht in Betracht kommen dagegen die
Angaben der in der Chronologie unzuverlässigen südgallischen Chronik
c. 108 (zu 431) und des Chronicon paschale (zu 428). Letzteres
geht allerdings auf die gleichzeitigen oströmischen Eonsularfasten
zurück (vgl. Holder- Egger im Neuen Archiv f. alt: d. Gesch. II, 82 ff.);
doch ist es bei dem Mangel von anderen Ableitungen derselben
fraglich, ob dort wirklich jenes Ereignis zum Jahre 428 angesetzt
war. Es war kein Abenteuerzug, unternommen von einer Anzahl
freiwillig dazu entschlossener, kriegslustiger Barbaren, sondern die
Auswanderung des gesamten Volkes: dies sagt Hydatius ausdrückUch
c. 90: Gaisericus — cum Vandalis omnibus eorumque familiis . . .
transiit. Vgl. dazu auch Victor Vit. I, 2: Transiens igitur quantitas
universa . . . Dafs Goten und allerlei sonstiges Volk aus Spanien
freiwillig^ sich anschlössen^), ist für die Beurteilung des Grund-
charakters dieses Zuges ohne Bedeutung. Die EinschifiPung gab dem
Könige Veranlassung, eine Zählung der gesamten Volksmenge, Weiber*),
Kinder, Greise und Sklaven eingerechnet, vorzunehmen, angeblich
um seiner Macht zu einem gefürchteten Rufe zu verhelfen; nach
dem Zeugnisse Victors von Vita (I, 2) waren es 80000 Köpfe. Diese
Angabe verdient jedenfalls gröfseren Glauben, als die Prokops (bell.
1) Ygl. die trefflichen Ausfähruiigen Dozy's, Recherclies sur Thistoire et
la litt^rature de TEspagne pendant le inoyen-äge. P, 301 ff.
2) Sickel in der Westdeutschen Zeitschrift IX (1890), S. 239, zählt die
Alanen mit Unrecht zu den unter Geiserich dienenden Freiwilligen.
3) Possidius vit. August, c. 28 : manus ingens . . . Wandalorum et Alanorum
commixtam secum habens Gothorum gentem (wohl unter Ataulf oder WaUia in
Spanien zurückgebliebene Scharen) aliarumque diversarum [gentium] personas.
Die bei Prosper chron. c. 1329 genannten spanischen Römer gehörten zum
königlichen Gefolge.
4) Diese werden nicht ausdrücklich erwähnt, sind aber ohne Zweifel mit
inbegriffen.
38 Anhang zum ersten ßuch.
Vand. I, 5), dafs die Zahl der übergesetzten Barbaren nicht mehr
als 50000 betragen habe. Die Anzahl der waffenfähigen Männer
hat also wahrscheinlich 16000 nicht überstiegen. Wenn Prokop
femer sagt, Geiserich habe sein Volk in 80 Haufen (Xoxot) geteilt,
an deren Spitze er je einen Anführer, Ghiliarch genannt, stellte, um
den Anschein zu erwecken, als ob sein Heer aus 80000 Mann
bestehe, so beruht diese auch an sich wenig wahrscheinliche Nachricht
wohl auf einem Kombinationsversuch der beiden einander gegenüber-
stehenden Versionen über die damalige Stärke der Wandalen (50000
und 80000); die Kenntnis von der nationalen Gliederung des Volkes
in Tausendschaften mag dabei mitgespielt haben.^)
Anliaiig zum ersten Buch.
Was wir über die inneren Verhältnisse des wandalischen Volkes
vor der Niederlassung in Afrika wissen, ist leider sehr unvollkommen.
Wie bei den germanischen Stämmen überhaupt, so waren auch
natürlich bei den Wandalen zur Zeit ihres Eintrittes in die Geschichte
die wirtschaftlichen Zustände sehr primitiver Art.^) Den Zustand
1) Vgl. Delbrück in den Preufsisclien Jahrbüchern 81 (1895), S. 476 xmd
meine Bemerkungen Westdeutsche Zeitschrift XX (1901), S. Iff. Anders Seeck
in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik. 3. Folge, Bd. XTTT (1897),
S. 178 ff. Victor von Vita wendet sich ausdrückKch gegen die von anderer Seite
vertretene Ansicht, dafs allein die Waffenfähigen 80000 Mann stark gewesen
seien, zeigt sich also als gut unterrichtet. Auch Prokop spricht von der Volks-
menge, t6 nXijd'os. Wenn Seeck meint, Geiserich habe kein Interesse an der
Feststellung der gesamten Volkszahl, sondern nur an der der kriegstüchtigen
Männer gehabt, so kann ich dem nicht beipflichten; es handelte sich doch bei
dem Übergange nach Afrika in erster Linie um die Beschaffung des erforderlichen
Schiffsraumes und die Verteilung des Volkes auf die einzelnen Fahrzeuge. Es
mufs deshalb auch angenommen werden, dafs die Zählung vor der Einschiffung
stattgefunden hat (Vict. drückt sich unbestimmt aus: transiens igitur quantitas
universa etc.). Die Römer haben diesen Zweck völlig mifsverstanden.
2) Vgl. namentKch Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I, 67 ff. Schröder,
Deutsche Rechtsgeschichte', S. 53 ff. Räch fahl in den Jahrbüchern für
Nationalökonomie und Statistik, 3. Folge, XIX (1900), S. 161 ff. Nach Rachfahl
ist die bisherige Ansicht, dafs Tacitus die wirtschaftlichen Zustände der Ger-
manen in einer höheren Stufe als Cäsar darstelle, falsch; jener habe nur die
Mitteilungen Cäsars zu Grunde gelegt. Vgl. jetzt auch Delbrück, Geschichte
der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte n (Berlin 1901), S. 25
(vgl. S. 26: „Um frischen ertragsreichen Boden bestellen zu können, wurde der
Platz der Ansiedelung innerhalb des Gaues öfter verlegt").
^
Die Verfassung in ältester Zeit. 39
des Nomadentums hatten dieselben damals bereits überwunden; sie
waren, wie wir sahen, zu einer gewissen Sefshaftigkeit gelangt.
Die HauptqueUe der Ernährung bildete Jagd und Viehzucht; daneben
wurde auch etwas Ackerbau getrieben, der jedoch durchaus extensiv
war und sich auf die Frühjahrsbestellung beschränkte. Den letzteren
zu besorgen lag den Frauen und den schwächeren Familienangehörigen
ob, während die kampffähigen Männer für die Fleischnahrung zu
sorgen hatten. Die einzelnen Gaue (Tausendschaffcen) dürfen in jener
Zeit als die Eigentümer des Grund und Bodens betrachtet werden,
über welchen der Gau sich erstreckte. Die Gauvorsteher wiesen
alljährlich den einzelnen Geschlechtem (Sippen) Land zur Nutzung
zu; jedes Jahr fand ein Wechsel der Feldmarken und damit auch
der Wohnungen statt.^) Ob in diesen Verhältnissen später, während
der langjährigen Niederlassung an der Theifs eine Änderung sich
vollzogen hat, darüber fehlen die Nachrichten; doch ist es sehr
wahrscheinlich, dafs es im wesentlichen bei den alten Zuständen,
wie sie Cäsar schildert, geblieben ist. Aus der schon erwähnten
Erzählung bei Prokop bell. Vand. I, 22 geht hervor, dafs auch
damals, zu Anfang des fünften Jahrhunderts, noch ein Gesamt-
eigentum des Gauvolkes an dem von ihm occupierten Gebiete be-
stand. Die Viehzucht hat jedenfalls noch immer die Hauptrolle in
der Emährungsfrage gespielt, während der Ackerbau von ganz unter-
geordneter Bedeutung war. Namentlich ist die Pferdezucht, und
zwar zu Kriegszwecken, eifrig betrieben worden. Aus Dexippus
(vgl. weiter unten) ersehen wir, dafs das Heer der Wandalen im
Jdire 270 vorwiegend aus Reitern bestand. Das Land reichte aber
bei der bisherigen Bewirtschaftungsmethode, nachdem die Bevölkerung
erheblich angewachsen war, nicht mehr zur Ernährung aus, und man
entzog sich der Mühe, die der Übergang zu einer höheren agrarischen
Entwickelungsstufe erforderte, indem man sich zur teilweisea Aus-
wanderung entschlofs.*)
Eine völlige Umwälzung wurde durch die Wanderung herbei-
geführt. Es war bedeutungsvoll, dafs die Wandalen, ohne ein Über-
gangsstadium durchgemacht zu haben, plötzlich sich den hoch-
1) Vgl. Caesar bell. Gall. IV, 1, 2, VI, 22, dem wir die ersten Nachrichten
über die germanische Agrarverfassnng verdanken.
2) Wie Hartmann, Greschichte Italiens im Mittelalter 11 (Leipzig 1900),
S. 6, treffend bemerkt, braucht ein Volk im primitiven Kulturzustande entweder
sehr viel Platz zur Ausbreitung seiner extensiven Wirtschaft oder unterworfene
Stämme oder Hörige, die ihm die Arbeit intensiverer Wirtschaft abnehmen.
40 Anhang zum ersten Buch.
entwickelten wirtschaftlichen Verhältnissen des römischen Reiches
gegenübergestellt sahen. Das Volk nahm^ als es sich in Spanien
niederliefs, den Possessoren Teile ihrer Güter weg und trat für
diese ganz in die Rechte und die Stellung der bisherigen Eigentümer
ein; die römische Wirtschaftsverfassung, die die Fürsorge für die
Ernährung des Herrn fast ganz in die Hände der Sklaven und
Kolonen legte, blieb bestehen. Die frühere Bedeutung der Sippen
als Wirtschaftsgenossenschaften ging dadurch völlig verloren.^)
Die staatliche Gliederung schlofs sich völlig an die des Heeres
an: die Begriffe Volk und Heer waren identisch. Dies tritt auch
später noch hervor, vgl. Vict. Vit. I, 13: (Geisericus) exercitui . . .
Zeugitanam . . . divisit; vgl. ebenda HI, 60. Die Wandalen waren
nach Tausendschaften gegliedert. Zeitweilig, solange das Volk feste
Wohnsitze inne hatte, zu territorialer Bedeutung (Gaue) gelangt
(vgl. die Tausendschaft im Beowulf v. 2196), ist die persönliche
Bedeutung dieser Abteilung auf der Wanderung wieder aufgelebt.
An der Spitze der Tausendschaften ^ standen (anfänglich vom Volke
gewählte) Häuptlinge (Fürsten, principes bei Tacitus), denen die
Führung ihrer Mannschaften im Kriege und die Handhabung der
Rechtspflege oblag. Die Tausendschaften zerfielen wiederum in
Hundertschaften, unter eigenen Anführern stehende, 100 oder 120
Erieger umfassende Abteilungen, die zugleich besondere Gerichts-
gemeinden bildeten, in denen der Tausendschaftsführer unter Mit-
wirkung des Volkes Recht zu sprechen hatte. Die Grundlage der
Hundertschaften bildeten wiederum die Geschlechtsverbände. In den
Quellen erscheinen die Vorsteher der Tausendschaften als aQxovrsg
zuerst in dem verfassungsgeschichtlich wichtigen Bericht des Dexippus
(fragm. 22, vgl. auch oben). Es heifst, dafs sie fast ebenso hoch
wie die beiden Könige geachtet worden seien imd dafs sie gleich
diesen ihre Kinder als Geiseln stellten.') Die Hundertschaften treten
nirgends hervor; dagegen scheint die Existenz von Abteilungen zu
500 Mann unter besonderen Befehlshabern aus der weiteren Erzählung
1) Vgl. auch die Bemerkungen über die Landnahme in AMka.
2) Die nationale Bezeichnung für den Anführer der Tausendschaft war
jedenfalls auch bei den Wandalen J^usundifaJ^s , womit Wulfila das griechische
XiXiocQxog übersetzt, vgl. Dahn VI *, 29.
3) oi 81 toav ßaQßocQcop ßocaiXsig %ocl aQxovreg ijiiovteg nad'oti acpial ngoaeigri-
fiivov, iSocav oit'rJQOvg acpmv ccvtmv ov tcc SsvvSQa oc^ioaasoag xal tvxrjg. oT te yocQ
ßaaiXsig tovg naCdag shcctsqoi 8i86aaiv ig trjv öfjLrjQsiav, ivSoidcccvtsg ov8hv, %ccl
^rsQoi Sfia avtoCg ov fiaXa nofgat a^icoascog, Ygl. dazu auch v. Sybel, Ent-
stehung des deutschen Königtums \ 219 ff.
Die Verfassung in ältester Zeit. 41
des Dexippus hervorzugehen.^) Aus derselben Quelle erfahren wir
zugleich^ dafs eine Hauptwaflfe des wandalischen Heeres Pfeil und
Bogen gewesen ist.^ Direkt bezeugt ist die Tausendschaft allerdings
erst durch die schon erwähnte (zum Teü irrige) Erzählung Prokops,
dals Geiserich nach der Landung in Afrika die Wandalen und Alanen
unter 80 Chiliarchen gestellt habe (vgl. oben). Aber sie reicht
jedenfalls in die älteste Zeit zurück.') Die Ansicht Mommsens
(Neues Archiv £ ä. d. Gesch. XIV (1889), S. 499, N. 4), Geiserich
habe wie der nach Italien ziehende Theoderich sein Heer nach
römischem Muster geordnet, d. h. den damaligen numerus von
1000 Mann unter einem tribunus zu Grunde gelegt, muls auf alle
Fälle verworfen werden.
Die Hauptmasse des Volkes bildeten die Gemeinfreien; sie füllten
das Heer, auf ihnen ruhte in erster Linie Recht und Gesetz, indem
sie die die höchste Regierungsgewalt ausübende Volksversammlung
bildeten. Aufserdem finden wir bei den Wandalen noch Knechte.
Vgl. Vict. Vit. I, 2 von der Zählung des Volkes durch Geiserich: Qui
reperti sunt senes, iuvenes, parvuli, servi vel domini, LXXX
milia numerati. Die Zahl der Knechte wird natientlich auf den
Zügen durch Gallien und Spanien eine starke Vermehrung erfahren
haben. Der Stand der Hörigen war, wie bei allen Ostgermanen, so
auch hier anfänglich unbekannt; doch haben die Wandalen, als sie
in Spanien in die römischen Grimdbesitzverhältnisse eintraten, den
römischen Kolonat bestehen lassen, die rechtliche Stellung der An-
gehörigen dieses Standes respektiert.*) Ob es auch Freigelassene ge-
geben hat, ist unbekannt.
Über den Gemeinfreien stand der Adel, dessen Inbegriff die
Geschlechter des Königs und der Fürsten bildeten, und wenn einer-
seits das Emporkommen neufürstlicher, also neuer Adelsgeschlechter
durch die Berufung eines Nichtadeligen zum Fürstenamte prinzipiell
nicht ausgeschlossen war, so galt es doch durchaus als Regel, wie
1) VgL meinen Aufsatz Westdeutsche Zeitschr. XX (1901), S. 1 fF.
2) xal TO ^Qyov rovtq tbv iQyocad^svov nccgä T<p ßaoiXsC natato^svd'rjvai,,
3) Vgl. Westd. Zeitschr. a. a. 0. Nach Delbrück a. a. 0. wäre zu setzen
Geschlecht = Dorf = Gau = Hundertschaft. Die Gröfse der Hundertschaft sei
auf 400 — 1000, bisweilen auch bis zu 2000 Seelen zu veranschlagen. Vorsteher
ist der Hunno; die principes sind Angehörige edler, über den Gemeinfreien
stehender Geschlechter, die vom Volke gewählt waren und durch die Gaue
reisten, um Gericht zu halten, mit fremden Mächten verhandelten, die öffent-
lichen Angelegenheiten berieten etc. Ich kann mich mit dieser Hypothese nicht
einverstanden erklären.
4) Vgl. dazu im allgemeinen Waitz, Verfassungsgesch. ü, 1, 241.
42 Anhang zum ersten Buch.
den Könige so auch die Fürsten nur aus den Reihen des Adels zu
nehmen.^) Als das höchste Adelsgeschlecht galt das königliche.
Zur Zeit des Tacitus scheinen die lugischen Völkerschaften noch
eine republikanische Verfassung gehabt zu haben: in der Germania
(cap. 43) werden die von Königen regierten Goten, Rugier und
Lemovier den übrigen Germanen gegenübergestellt.^) Über das
Königshaus der Silingen ist nichts überliefert; namentlich wird
bei diesen erst nach der Eroberung Spaniens ein König, Fredbai,
genannt. Die asdingischen Wandalen nahmen ihre Könige gewohn-
heitsrechtlich aus dem Geschlechte der Asdingen, das sich bis zum
Untergange des Volkes im Besitze der Krone erhalten und nach dem
dieses selbst seinen Namen bekommen hat. Letzteres ergiebt sich
aus den Worten des Jordanes (Getica c. 22,118 nach Dexippus):
Visimar . . . Asdingorum stirpe, quod inter eos eminet genusque
indicat bellicosissimum u. s. w. und wird auch durch das Beispiel
anderer Völker bestätigt.*) Es liegt Grund zu der Annahme vor, dafs
das Königshaus der Asdingen das zur Königswürde emporgestiegene
Priestergeschlecht bei den Nahamavalen gewesen ist.*) Eine feste Erb-
folgeordnung fehlte in jener Zeit; das Volk wählte imter den lebenden
Mitgliedern der stirps regia diejenigen zu Königen, die sich durch be-
sondere, namentlich kriegerische Eigenschaften auszeichneten.^) So ward
der kriegstüchtige Geiserich mit Übergehung der Söhne seines Bruders,
die wahrscheinlich noch im Kindesalter sich befanden, zur Herrschaft
berufen. Anfänglich standen bei den Asdingen, einer bei den Germanen
überhaupt mehrfach nachweisbaren Gewohnheit entsprechend^), zwei
Könige nebeneinander an der Spitze: so Raus und Raptus im Marko-
mannenkriege und die beiden von Dexippus erwähnten Könige im Jahre
270; erst nach dieser Zeit wird das Königtum durch eine Person
vertreten. Der Inbegriff der königlichen Gewalt bestand in der ältesten
Zeit hauptsächlich in der Heerführerschaft und dem Oberpriestertum.')
1) Schröder, Rechtsgesch. S. 42.
2) Omnimnque harum gentium insigne . . . erga reges obsequium.
3) Vgl. Brunner, Rechtsgesch. I, 121 Note 15. Waitz, Verfassungsgesch. P,
319. — Auf die spätere Zeit beziehen sich die Stellen Cassiodor, Variae IX, 1 : si
inter Hasdingorum stirpem retinuissetis Hamali sanguinis purpuream dignitatem;
Joh. Lydus, de magistratibus m, 55: rslC^isga . . . avv roCg svdo^oig xov
k'd'vovg, ovs iyidXovv 'jiatiyyovg otßaQßaQoi; Dracontius, satisfactio v. 22: Nominis
Asdingui bella triumphigera; Florentinus in laudem Thrasamundi (Riese, Anthol.
lat. I, 1, p. 244) V. 30: Carthago Asdingis genetrix.
4) Vgl. Brunner 1, 126 und oben.
5) Dieses entscheidende Moment spricht sich auch in der citierten Stelle
des Jordanes aus.
6) Waitz a. a. 0. 322. 7) Brunner I, 126. Schröder S. 25.
Die Verfassniig in ältester Zeit. 43
Aulserdein hatte der König die Gesamtheit, den Staat, nach aiiTsen
zu vertreten; doch tritt er hier nur als VoUzieher der Beschlüsse der
Volksversammlung auf, wie er denn stets, wenn es sich um Krieg
oder Frieden oder Aufgabe der bisherigen Wohnsitze handelte, an
den Willen des Volkes gebunden war. Dafs bei der Aufgabe der
Sitze an der Theifs, die der gröfsere Teil der Asdingen unter der
Führung des Königshauses verlief s, es sich um einen Beschlufs des
gesamten Stammes handelte, geht aus der schon besprochenen Stelle
Prokops bell. vand. I, 22 direkt hervor. Auch der Übergang nach
Afrika ist ohne Zweifel mit Zustimmung des versammelten Volkes
erfolgt; unser bester Gewährsmann, Hydatius, sagt ausdrücklich, es
seien alle Wandalen dahin aufgebrochen, also nicht blofs einige
abenteuerlustige Abteilungen derselben.
Aus der Vereinigung der Heerführerschaft und des Oberpriester-
tums resultierte die Strafgewalt über das Heer, die die wandalischen
Könige, solai^e dasselbe beisammen war, besafsen^): in der be-
sprochenen Erzählung des Dexippus erschiefst der eine König den
Befehlshaber der Abteilung von 500 Mann, welche mit dessen Zu-
stimmung das römische Gebiet, dem Friedensvertrag zuwider, verheert
hatten. Namentlich diese letztere Befugnis hat jedenfalls bei dem
fortwährenden Kriegszustande auf der Wanderung, begünstigt durch
die kraftvollen Persönlichkeiten einzelner Herrscher, wie es nament-
lich Geiserich war, eine allmählich fortschreitende Stärkung der
Machtstellung des Königtums auf Kosten der Volksgewalt bewirkt.
Die Volksversammlung hülste immer mehr an Bedeutung ein, sie trat
immer seltener zusammen; der Einflufs des königlichen Willens auf
ihre Beschlüsse wurde immer grö&er; die Abteilungsvorsteher empfingen
ihr Mandat aus der Hand des Herrschers, wurden dessen Beamte
und waren ihm zur Treue und Ergebenheit verpflichtet. So bildeten
sich auch hier die Anfänge zu einem Dienstadel, in dem der alte
Geschlechtsadel zum gröfsten Teile aufging.
Diese Entwickelung, die wir nach der Begründung des souveränen
Reiches in Afrika als völlig abgeschlossen vorfinden, vollzog sich
also durchaus auf germanischer Grundlage; sie ist im grofsen und
ganzen dieselbe, wie bei anderen deutschen Stämmen, z. B. den
Langobarden^) und Franken. Von römischen Elementen wird das
1) Vgl. oben und Schröder S. 38.
2) Vgl. meine Gresch. der Langobarden S. 77 f. Hartmann, Gresch.
Italiens ü.
44 Anhang zum ersten Buch.
wandalische Königtum erst später wesentlich beeinflufst^); in der
hier behandelten älteren Periode kommen solche Einwirkungen —
im Gegensatz zu der besonders von Sybel imd Mommsen vertretenen
Anschauung — nur in untergeordneter Weise in Betracht. Die
Verhältnisse lagen hier doch wesentlich anders als namentlich bei
den Ostgoten und Burgundionen; den Reichsgründungen dieser
Völker nach der Völkerwanderung ging eine völlige Auflösung der
alten Zustände voraus; ihre Herrscher entstammten nicht von alters
her bestehenden Königshäusern, sondern waren Häuptlinge, die ihre
monarchische Gewalt wesentlich einem Dienstvertrag mit dem römischen
Kaiser verdankten. Bei den Wandalen ist dagegen der ganze Stamm
unter einem seit der ältesten Zeit fortdauernd an der Spitze ge-
bliebenen königlichen Geschlecht im wesentlichen zusammengeblieben;
auch gegenüber dem zurückgelassenen dacischen Volksteile hat sich
das Gefühl der staatlichen Zusammengehörigkeit noch lange Zeit
wach erhalten. Der lange Aufenthalt in dem der römischen Kultur
entrückten Gebiete an der Theifs mufste auf die Entwicklung des
Nationalitätsbewufstseins von vorteilhaftem Einflüsse sein, während
die Niederlassung in Spanien von zu kurzer Dauer war, um direkt
tiefer gehende Beeinflussung durch römisches Wesen hervorrufen zu
können.
1) Hervorzuheben ist, dafs Gteiserich anfanglich, auch noch in den ersten
Jahren der Herrschaft in Afrika, der lateinischen Sprache nicht mächtig war
(Vict.Vit.I, 18).
Zweites Buch.
<t
Das römische Afrika zerföllt in zwei grofse Hälften, deren
Scheide die grofse Syrte bildet: östlich Ägypten und Kyrenaika, unter
dem Einflufs der griechischen Civilisation stehend, westlich Tripolis,
das eigentliche Afrika, Numidien und Mauretanien, dem Kreise der
phönikischen Kultur angehörend, die dann von der römischen ab-
gelöst wurde. Uns interessiert an dieser Stelle nur der westliche
Teil. Durch die von Diokletian begründete, von Konstantin d. Gr.
weiter ausgebaute neue Reichsorganisation wurden hier sieben Provinzen
gebildet: Tripolitana mit der Hauptstadt Tacapae; Byzacena (Hadru-
metum)^); Proconsularis oder Zeugitana, die ehemaligen Diöcesen von
Hippo Diarrhytus und Carthago (Karthago); Numidia (Cirta);
Mauretania Sitifensis (Sitifis); Mauretania Caesareensis (Cäsarea) und
Mauretania Tingitana. Diese Einteilung lernen wir kennen aus dem
Veroneser Katalog von 297, aus dem Breviarium des Rufus Festus
(369), Polemius Silvius (385/86) und der Notitia dignitatum (aus
dem Anfang des 5. Jahrh.) ^. Das sog. prokonsularische Numidien,
dessen Hauptort Hippo regius war und das anfänglich zur Pro-
konsularprovinz gehörte^), scheint zu Beginn des 5. Jahrhunderts zum
cirtensischen Numidien geschlagen worden zu sein. Denn es ist un-
zweifelhaft, dafs die byzantinische Provinzialeinteilung an die vor
dem Einbruch der Wandalen bestehende angeknüpft hat. In der be-
kannten darüber erlassenen Verordnung Justinians Cod. 1, 27, l,i2heifst
es nach dem berichtigten Text: Zeugi, quae proconsularis antea
vocabatur Carthago, et Byzacium ac Tripolis rectores habeant
consulares; reliquae vero, id est Numidia et Mauritaniae et Sardinia
a praesidibus gubementur.*) Die Descriptio orbis Romani des
1) Hadrametum hiefs später nach dem wandal. König Hunirix Honoriopolis,
vgl. die Konzilsakten v. J. 526 bei Mansi, Concil. coli. VIII, 648.
2) Vgl. dazu bes. Cagnat, L'armäe Romaine d'Afrique (1892) p. 703 ff.
3) Pallu de Lessert, Les fastes de la Numidie p. 231. Schwarze,
Untersuchungen über die äufsere Entwickelung der afrik. Kirche (1892) S. 21.
4) Vgl. Diehl, L'Afrique byzantine (1896) p. 107ff.
48 Zweites Buch.
t
Georgius Cyprius vom Ende des 6. Jahrhunderts (ed. Geker, Lips. 1890,
p. 33) rechnet zu Numidien unter anderem Calama und Hippo regius.
Die Grenze nach Osten zu bestimmt sich durch die Bemerkung Prokops
(b. V. I, 25), dafs Bulla regia (in der Prokons.) nicht weit von der
numidischen Grenze entfernt liege. Ebendahin fährt auch das
Provinzialverzeichnis von 484, worüber weiter unten. Schwierigkeiten
macht allein die Ausdrucksweise Victors von Vita (Hist. pers. Afr.
prov.), der die Prokonsularis und Zeugitana als zwei verschiedene
Provinzen, in denen das Ansiedelungsgebiet der Wandalen lag,
aufführt; vgl. I, 13: Zeugitanam vel (= et) proconsularem; I, 29:
Zeugitanae et proconsulari provinciae; doch ist auf diese Unter-
scheidung wohl kein Gewicht zu legen, da derselbe Autor I, 39
als die Provinz, in der sich die Wandalenlose befanden, nur die
Zeugitana nennt.
Die Civilverwaltung war seit Konstantin d. Gr. von der militärischen
getrennt. Der Erledigung der Geschäfte diente eine den höheren
Kreisen entstammende, nach Rangklassen gegliederte Beamtenschaft,
der ein zahlreiches Bureaupersonal (officia, officiales) zur Seite stand. ^)
An der Spitze der Civilverwaltung stand der Vicarius Africae^ mit
dem Sitz in Karthago, der wiederum von dem praefectus praetorio
Italiae abhing, aber direkt vom Kaiser ernannt wurde, und dem die
Givilstatthalter der Tripolitana sowie von Mauretania Caesareensis
und Sitifensis (mit dem Titel praesides) von Byzacena und Numidia
(consulares) untergeben waren. Der oberste Verwaltungsbeamte der
Prokonsularprovinz (proconsul) in Karthago stand dagegen direkt unter
dem Kaiser, während die Tingitana zur Diöcese Hispanien gehörte;
der dortige Civilbeamte (praeses) war dem vicarius Hispaniae unter-
stellt. Die Kompetenz der Provinzialstatthalter erstreckte sich auf die
Ausübung der Polizei, die Erhebung der Steuern und namentlich auf die
Civil- und Kriminaljurisdiktion, weshalb sie auch ordinarii iudices
heiTsen. Die Steuern bestanden hauptsächlich aus der teils in Geld,
teils in Naturalabgaben (annonariae functiones) zu entrichtenden Grund-
steuer (tributum), der von den Handel- und Gewerbetreibenden zu leisten-
den Erwerbssteuer, der auri lustralis collatio, sowie der den niederen
Klassen auferlegten Kopfsteuer.^) Die Stelle der Steuern vertraten
1) Vgl. dazu auch Mommsen, Neues Archiv XIV, 461.
2) Vgl. Pallu de Lessert, Vicaires et comtes d'Afrique, Paris 1892.
3) Vgl. K a r 1 w a , Römische Rechtsgeschichte I, 858 ff., 903 ff. Marquardt,
Römische Staatsverwaltung ü", 204 ff.
Das afrikanische Reich unter Greiserich. 49
bei einzelnen Korporationen bestiinmte erbliche Dienstleistungen für
den Staat^ z. B. Transport von Getreide, Holz u. s. w.
Die Verwaltung der Staatseinkünfte unterstand als oberstem
Beamten dem comes sacrarum largitionum in der Beichshauptstadt.
In dessen Kasse (fiscus) flössen die Erträgnisse der Zölle, des Münz-
regals, der kaiserlichen Bergwerke (mit Ausnahme der Steinbrüche)
und Fabriken, sowie der Steuern, soweit sie nicht für die Besoldung
der Beamten und des Heeres in Anspruch genommen wurden. Als
seine Untergebenen werden für Afrika genannt: der comes titulorum
largitionum per Africam, der rationalis summarum Africae, der rat.
summ. Numidiae, der procurator gynaecii (Weberei) Carthaginiensis,
der procurator bafiorum (Färbereien) omnium per Africam und der
proc. bafii Girbitani prov. Tripol.^) Getrennt hiervon war die Ver-
waltung des Kronguts (res privata) und des kaiserlichen Privatgutes
(fiindi patrimoniales), wozu vor allem der gesamte Domanialbesitz
gehorte. Die res privata stand unter dem comes rerum privatarum
als Centralbehörde; als oberster Bechnungsbeamter für Afrika er-
scheint der rationaUs r. p. per Africam.^) Die fundi patrimoniales,
das Schatullgut'), standen in Afrika unter einem praefectus fund.
patr., der wiederum vom praef. praetorio per Italiam abhängig war.*)
Eine Abzweigung der res privata waren die fundi domus divinae,
die Güter der Civilliste und Apanagegüter der Kaiserin und der
Prinzen, unter einem comes domorum oder rationalis rei priv.fundorum
domus divinae per Africam, der wiederum dem comes r. p. unterstellt
war. Die Verwaltung der einzelnen Domänen ward von procuratores
saltus besorgt, über denen die Prokuratoren gröfserer Bezirke (proc.
provinciae oder tractus) standen. Dem Provinzialprokurator entspricht
der Administrator der zur res privata gehörenden Güter des Bebellen
Gildo, der comes Güdoniaci patrimonii.^)
Die Militärgewalt in den Provinzen Proconsularis, Byzacena,
Numidia^ Mauretania Sitifensis und zum Teil auch in Maur. Caesareensis
übte der vom magister peditum in praesenti (am Hofe) abhängige
comes (d.h. dux mit dem Bange als comes der ersten Klasse) Africae
mit dem Sitze in Karthago aus; die Caesareensis und Tripolitana^
1) Not. dign. Occ. XI.
2) Not. dign. Occ. XH. 3) Not. dign. Occ. TL.
4) Hierzn gehörten auch die bedeutenden Marmorbrüche in Numidien, vgl.
Marquardt, a. a. 0. 262 f.
5) Vgl. im allgemeinen bes. Kariowa I, 840 ff. Schulten, Die röm.
Grondherrschafben (Weimar 1896), His, Die Domänen der röm. Kaiserzeit (Leipzig
1896) passim.
Schmidt, Wandalen. ^
50 Zweites Buch.
sowie die Tingitana standen nnter besonderen Befehlshabern, in den
beiden ersteren Provinzen duces^), in der letzteren comes genannt
Es ist zu unterscheiden zwischen den an der Grenze stationierten
Truppen und der zu deren Bückhalt bestimmten, mobilen, im Innern
untergebrachten Feldarmee. Von letzterer, den sogenannten Kaiser-
truppen (milites palatini und comitatenses) standen nach der Notitia
dign. unter den Befehlen des comes Africae (mittelbar unter den der
magistri peditum und equitum praesentales) 3 legiones palatinae,
8 legiones comitatenses (ä 1000 Mann), 1 auxilium palatinum und
19 yexillationes comitatenses (ä 500 Mann), zusammen nominal
11500 Mann Infanterie, 9500 Mann Eavallerie; in der Tingitana
2 auxilia palatina, 1 legio pseudocomitatensis, 1 legio comitatensis,
2 yexillationes comitatenses (zusammen 4000 Mann), während von
dem Vorhandensein von Eaisertruppen in Maur. Gaes. und in der
Tripolitana nichts bekannt ist. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich,
dafs die angegebene Truppenzahl zur Zeit des WandaleneinfaUes nicht
dem Effektivstande entsprochen hat, sondern viel geringer gewesen
ist; auch mögen damals einzelne der in der Notitia aufgeführten
Truppenteile nicht mehr in Afrika gewesen, sondern in andere, ge-
fährdetere Provinzen abkommandiert worden sein. Dafs Bonifatius
sich als Offizier (tribunus) wie als Statthalter mit Privatsöldnem*)
umgeben hat, zeigen Augustinus (epist. 220,7) und Olympiodor
(fragm. 42); eine Verstärkung scheinen dieselben noch während seines
Konfliktes mit dem kaiserlichen Hofe erfahren zu haben.')
Die Grenze des kultivierten Gebietes gegen die eingeborenen
Berberstämme war in einzelne Abschnitte (limites) geteilt.^) Den
Mittelpunkt derselben bildeten die castra, wo die Stäbe der zu jenen
gehörigen Truppenkörper lagen, während die übrigen Mannschaften
in eine Anzahl fester Plätze verteilt waren. Die in diese gelegten
Soldaten waren zum Teil Bauern; das zu den einzelnen Garnisonen
gehörige Land war ihnen zur Bewirtschaftung überwiesen. Über die
Stärke dieser Grenztruppen sind wir nicht unterrichtet. Die firQher
in Afrika stehende dritte Augustische Legion (Hauptquartier Lam-
baesis am Nordabhang des Auresgebirges) war aufgelöst und teils den
Grenzbesatzungen, teils dem Kaiserheere zugeteilt worden. Die
Kommandanten der Grenzabschnitte hiefsen praepositi limitum; diesen
1) Zur Zeit der Not. dign. waren die duces zugleich Civilstatthalter.
2) Vgl. Mommsen im Hermes XXTV (1889), 233fF.
3) Eist. Vierteljahrsschrift 1899 S. 456 f.
4) Vgl. die Karte bei Cagnat S. 752/53.
Das afrikanisclie Beich unter Geiserich. 51
waren auch die einzelnen, in den betreffenden Bezirken wolinenden
eingeborenen Stämme untergeben. Die Notitia dignitatum nennt 16
praepositi limitum, die unter den Befehlen des comes Africae, 12 (wozu
noch die Kommandanten der milites Fortenses in castris Leptitanis
d.h. in Leptis Magna, und der milites Munifices in castris Madensibus
kommen), die unter dem dux der Tripolitana und 8, die unter dem
dux Yon Mauretania Gaes. standen; die drei wichtigsten limites dieser
zuletztgenannten Provinz waren zugleich dem comes Africae unter-
stellt. In der Tingitana werden keine limites genannt; die Grenzhut
wurde nach der Not. hier von einer ala und 7 Kohorten (4000 Mann)
besorgt. Von dem Vorhandensein einer Flotte vernehmen wir nichts;
die in der früheren Kaiserzeit in Caesarea (Gherchel) stationierte
Abteilung von Kriegsschiffen^) war aufgehoben worden.^) Die aller-
dings infolge elementarer Ereignisse gescheiterten Versuche Alarichs
und Wallias, von Sicilien bez. Spanien aus nach Afrika überzusetzen,
haben keine Veranlassung zur Wiederherstellung derselben gegeben.
Auch als die Wandalen ihre Seezüge von Spanien aus unternahmen
und die Provinz zu bedrohen anfingen, hat man in unbegreiflicher
Verblendung und Sorglosigkeit nichts gethan, den Fehler wieder gut
zu machen. Die damals vorgenommene Befestigung Karthagos')
konnte dafür nur einen teilweisen Ersatz bieten. Wie sehr über-
haupt das ganze Verteidigungssystem der afrikanischen Provinzen zu
Anfang des fünften Jahrhunderts in Verfall geraten war, zeigt der
geringe Widerstand, den die Wandalen auf ihrem Eroberungszuge
fanden.
Der wertvollste Teil Afrikas war die Prokonsularprovinz und
Numidien, da hier das zwischen dem nördUchen und südlichen Rand-
gebirge liegende Steppenland nicht dieselbe Ausdehnung besitzt, wie
in den übrigen Landesteilen. Die Ansiedelungen lagen deshalb in
einem dichten Netz über das Gebiet verstreut und dehnten sich bis
1) Vgl. Cagnat, 342f.
2) Die Notitia dignitatniu aus dem Anfang des 5. Jahrh. fahrt noch die
drei weström. Flottenstationen in Misenum, Ravenna und Aqnileja auf (Marqnardt
n*, 502). Zum letzten Male wird m. W. eine weström. Flotte unter Gonstantius
gegen die Westgoten i. J. 419 erwähnt (Oros. VII, 43, eine Stelle, die Papencordt
S. 236 Note 3 völlig mifsverstanden hat). Seitdem ist, wie die späteren Er-
eignisse lehren, von einer solchen keine Rede mehr. Ygl. dazu namentlich
Prise, fr. 30: onsQ (der Mangel an Schiffen) hi (laXiatcc indncoes tä iv tij ianiQu
*Pco(iai(ov TtQayficctcc diä to dtrjQ^ad'oei, trjv ßaaiXs^ccv (z. J. 463).
3) Chron. Grall. de 452 c. 98 z. J. 426. Vgl. dazu Tissot, Gr^ographie com-
par^e de la province Romaine d'Afrique. I (Paris 1884) p. 661. Noch zur Zeit
des Orosius (V, 1, 6) war die Stadt ohne Mauern.
4*
52 Zweites Buch.
an die äuTserste Grenze gegen die Wüste hin aus. Namentlich das
Thal des gröfsten Flusses Nordafrikas^ des BagradaS; und ein groISser
Teil Numidiens (hier besonders die Thäler des aurasischen Gebirgs-
stocks, vgl. Procop, bell. Vand. II, 13) lieferten so reichliche Halm-
früchte fast wie -das Nilthal. Das hier gebaute Getreide ging haupt-
sächlich nach Italien, das seinen Bedarf nicht mehr selbst zu decken
vermochte, und zwar vorwiegend als Steuer. Die Getreidelieferung
hatte ein besonderer Beamter, der praefectus annonae Africae zu über-
wachen (Not. dign. Occ. 11, 41). Es wurde daher Afrika auf den
Münzen und sonst als eine weibliche Figur mit Ähren in der Hand
dargestellt.^) Reiche Erträgnisse lieferten auch die Olivenkultur, sowie
(speziell in Numidien) die Pferde- und Viehzucht. Die Landwirtschaft
war es daher, von der die Bevölkenmg, auch die der Städte, haupt-
sächlich lebte. Der Handel beschränkte sich fast ganz auf den Aus-
tausch der agrarischen Produkte des Landes; die Hauptemporien des-
selben waren Karthago und Hadrumetum, letztere Stadt vorzugsweise
ftir die Ausfuhr der Oliven, Die Industrie trat dagegen sehr in den
Hintergrund. Karthago hatte sich zu einer Weltstadt empor-
geschwungen und war seit dem 4 Jahrhundert, wo Rom entschieden
im Rückgang sich befand, die erste Stadt der westlichen Reichs-
hälfte. Dafs sie der Sitz der höchsten Civil- und Militärbeamten
war^), ist schon erwähnt worden, hier war auch die Winterresidenz
der reichen Grofsgrundbesitzer und der Sammelpunkt der gelehrten
und studierenden Welt Nordafrikas. Illic enim omnia officiorum
publicorum instrumenta, illic artium liberalium scolae, illic philo-
sophorum officinae cuncta denique vel linguarum gymnasia vel morum
sagt Salvian, de gub. dei VH, 68. Die Hauptvertreter der bedeutsamen
afrikanischen Litteratur, die weit über die Grenzen Afrikas hinaus
ihre Wirksamkeit erstreckten: Annaeus Comutus aus Leptis, Fronto
aus Girta, Apuleius aus Madaura, Tertullian, Gyprian von Karthago,
Salvius Julianus aus Hadrumetum, Minutius Felix, Lactantius, Arno-
bius, Augustinus, haben alle längere oder kürzere Zeit in Karthago
gelebt. Allerdings hatte auch hier ganz besonders unter der Be-
völkerung Verweichlichung und Sittenlosigkeit überhand genommen,
die von Salvian in seiner bekannten, stark aufgetragenen Manier ge-
schildert wird; hinsichtlich der gebotenen sinnlichen Genüsse unter-
schied sich Karthago wenig von einer modernen Grofsstadt. Die
1) Vgl. Friedländer, die Münzen der Vandalen S. 9.
2) Wahrscheinlich lag hier auch eine bedeutende, aus Kaisertruppen be-
stehende Garnison (Salvian, de gub. dei VU, 68: copiae militares).
Das afrikanisclie Reich unter Geiserich. 53
Aufsicht über die öffentlichen Festlichkeiten führte ein besonderer
vom Kaiser ernannter Beamter, der tribunus voluptatum, der in der
Verordnung vom Jahre 413, Cod. Theod. XV, 7,3 erwähnt wird.
Minder wichtig als jene Bezirke war die Byzacena; im fünften
Jahrhundert rechnete man prozentuell auf dieses Gebiet etwa die
BSIfte weniger an kulturfähigem Lande als auf die übrigen afrika-
nischen Provinzen, und mit Unrecht wird von Neueren dasselbe als
besonders ertragsfähig bezeichnet.^) Noch geringer an Bedeutung
war die Tripolitana, wo das zum Anbau geeignete Land nur einen
schmalen Streifen längs der Eüste bildet, nicht minder auch Maure-
tanien (Gaesareensis und Sitifensis). Die unfruchtbare Zwischensteppe
erreicht hier die gröfste Ausdehnung; das kultivierte Gebiet be-
schrankte sich im wesentlichen auf das nördliche Gebirge und das
vorliegende Land bis an die Küste. Die Dichte der Besiedelimg
nimmt in diesem Teile Afrikas in der Richtung von Ost nach West
stetig ab. Ganz auTser Zusammenhang mit den übrigen Provinzen
stand die Tingitana: das Eulturgebiet dehnte sich hier nur auf den
Strich an der Küste des Atlantischen Ozeans südlich von Tanger bis
gegen Sala hin aus und erstreckte sich nur wenig weit in das Innere
hinein. Von dem benachbarten Cäsareensischen Mauretanien war diese
Provinz durch das Gebiet der räuberischen Maziken und Baquaten
getrennt; eine Verbindungsstrafse zu Lande existierte nicht; der
Verkehr von Tanger bis Portus Divini (jetzt Oran?) erfolgte zu Schiff
längs der Küste (Itinerarium Antonini edd. Parthey et Pinder p. 4).
Wie schon bemerkt, gehörte das Gebiet politisch zu Spanien.
Wie in den übrigen Provinzen des römischen Reiches war die
Verwaltung auch in Afrika grofsenteils auf die städtischen Gemeinden
basiert^) Die Bürgerschaft zerfiel in possessores (kleine und mittlere
Grundbesitzer), imter denen die honorati, die zu einem wirklichen
oder titularen Staatsamte gelangten Munizipalen, besonders unter-
schieden werden, und die nach Berufsarten in erbliche Zwangs-
korporationen verteilte, nicht ansässige Bevölkerung, die plebeji, aus
der die negotiatores, die Handel- und Gewerbtreibenden, besonders
hervorragen. An der Spitze des Munizipiums stand der Gemeinderat
(ordo, curia, decuriones, curiales), dem neben der städtischen Ver-
waltung hauptsächlich die Beitreibung der Staatssteuem unter den
1) Vgl. Mommsen, Römisclie Geschichte V, S. 651.
2) Vgl. Marqnardt, Rom. Staatsverwaltung I*, 162ff. 183ff. Kariowa,
Böm. Bechtsgesch. I, 894 ff. Liebenam, Städteverwaltung im röm. Kaiserreich
(1900) S. 488ff. Toutain, Les citäs Romaines de la Tunisie (1896) S. 344ff.
54 Zweites Buch.
Gemeindegliedern oblag. Die obersten Beamten waren die duumviri,
neben diesen fungierten der curator^) für die Verwaltung der städtischen
Finanzen und der i. J. 365 für das ganze Reich eingeführte defensor^
die beiden letzteren vom Kaiser ernannt oder vielmehr bestätigt. Der
defensor^) hatte in Konkurrenz mit den duumviri Jurisdiktion in
niederen Sachen; die wichtigeren Bechtsangelegenheiten unterlagen
jedoch durchaus der Entscheidung des Statthalters. Dazu kam noch
ein Subalternpersonal. Das Decurionenverzeichnis der Stadt Thamugadi
aus der Zeit kurz vor 367 n. Chr. nennt als Mitglieder des Gemeinde-
rats: Patroni viri clarissimi^ patroni viri perfectissimi, sacerdotales^
curator^ duoviri, fiamines perpetui, pontifices, augures^ aediles^ quaestor^
duoviralicii (Marquardt a. a. 0. S. 192). Die Kommunen^ die sich einst
einer grofsen Freiheit und Selbständigkeit erfreuten^ waren seit dem
dritten Jahrhundert immer mehr in die Abhängigkeit von der Staats-
gewalt geraten. Die Kurien wurden nicht mehr ergänzt durch den
Eintritt der gewesenen Beamten, sondern ausschlieüslich und zwar
zwangsweise aus den im Munizipalgebiet ansässigen Possessoren. Aus
der Reihe der Decurionen, deren Würde zu einem erblichen Stande
geworden war, wurden nunmehr vom Gemeinderat die Magistrats-
personen ernannt, die jetzt völlig als Beamte des Staates betrachtet
werden. Bei der immer mehr zunehmenden Verschlechterung des
Kommunalvermögens — namentlich die Kirche wufste sich den
gröfsten Teil der Gemeindeländereien anzueignen — und dem von der
Staatsregierung befolgten Grundsatz, für die Leistung aller auf der
Stadt liegenden Lasten und der in ihr zu erhebenden Abgaben die
Decurionen persönlich haftbar zu machen, wurde der Decurionenstand
aus einer Ehre zu einer unerträglichen Last, der sich die besitzenden
Klassen auf jede Weise — durch Flucht oder Eintritt in den Elerus
oder in die Hörigkeit der Grofsgrundbesitzer — zu entziehen suchten,
während der Staat zur Erhaltung der Kurien die schärfsten Zwangs-
mafsregeln in Anwendung brachte. Eine allgemeine Verarmung jener
Volksklassen war die natürliche Folge dieser kurzsichtigen Politik.')
Neben der munizipalen Organisation kam die des Grofsgnmd-
besitzes für Afrika ganz besonders in Betracht.^) Die Latifundien
(possessiones) waren hier ausgedehnter als anderswo und hatten den
1) Vgl. über diesen bes. Toutain 8Ö6ff. 86Ö n. 1. In vielen Städten werden
nur cnratores, keine anderen Beamten erwähnt.
2) Vgl. Gorpns inscriptionum Latinarom VILL n. 11825.
3) Vgl. Toutain S. 364.
4) Vgl. Schulten, Grundherrschafben passim.
\
Das afrikanisclie Eeich unter Geisericli. 55
kleineren Güterbesitz fast völlig aufgesogen; sie nahmen die Ge-
schlossenheit der städtischen Territorien an und sind deshalb schon
früh aus dem Gemeindeverband ausgeschieden. Den gröfsten Teil
derselben machten die kaiserlichen Domänen aus^ deren Umfang
durch häufige Konfiskationen sich schnell vergröfsert hatte ^ nament-
lich am Ende des 4. Jahrhunderts^ durch Beschlagnahme der um-
fänglichen Güter des aufständigen Gildo. Grofse Komplexe lagen am
oberen Bagradas in der Zeugitana (ungefähr 72 Quadratmeilen um-
fassend)^), im Nordwesten der Byzacena (saltus Massipianus nördlich
von Ammaedara)*), bei Buhira (10 km westlich von Sitifis) und in
der Ebene Medja im sitifensischen Mauretanien; der übrige Lati-
fundienbesitz war in den Händen der Aristokratie (senatores, nobiles)^),
während von exempten kirchlichen Grundherrschaften nichts be-
kannt ist. Die kaiserlichen Besitzungen hatten staatliche Hoheits-
rechte, wie die Munizipien; die Prokuratoren übten hier eine ihnen
vom Kaiser übertragene Gerichtshoheit aus.*) Die privaten Grund-
herrschaften besafsen dieselben Eigenschaften nicht; in jurisdiktioneller
Hinsicht standen sie durchaus unter den Statthaltern; doch hatten
sie die Autonomie der Verwaltung. Teilweise ist es aber den Be-
sitzern derselben gelungen, die eigene Jurisdiktion, die Patrimonial-
gerichtsbarkeit zu erwerben.
Den Mittelpunkt der Gutsherrschaft bildete die Villa, der Herren-
hof, umgeben von dem Hoflande, dem besten Teile des Gutes. Zu
diesem gehörten nicht allein Felder, sondern namentlich auch die
dem Luxus dienenden Betriebe: Park, Waldungen, die zu Jagd-
Zwecken unterhalten wurden, Fischteiche etc.^) Das Territorium der
Villa wurde von Sklaven bewirtschaftet, die hierin durch die von
den zum Gute gehörigen Kolonen zu leistenden Hand- und Spann-
dienste unterstützt wurden. Die Kolonen safsen auf den Parzellen,
fundi, in die der übrige Teil der Gutsländereien geteilt war. Ur-
sprünglich waren dieselben freie Pächter, die einen Teil der ein-
gebrachten Ernte oder einen Zins an den Gutsherrn abzugeben
hatten. Sie rekrutierten sich namentlich aus kleinen Grundbesitzern,
die bei der Aussichtslosigkeit, mit den grofsen, anfänglich nur durch
1) Schulten in den Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu. Göttingen N. F. Bd. 11, 3 (1897) S. 4. Tissot, Gäogr. comp. pl. 18.
2) Tissot pl. 19.
3) Über den Stand der (Reichs-) Senatoren vgl. Schulten, Grundherrsch.
S. 121 und die daselbst citierte Litteratur.
4) Jedoch nicht in Kriminalsachen, vgl. Schulten S. 78.
6) Vgl. Schulten, Grundherrschaften S. 60 ff., 93 ff.
56 Zweites Bach.
Sklaven bewirtschafteten Gütern zu konkurrieren^), und bei den zur
Erhaltung der Kurien angewendeten Zwangsmafsregeln (vgl. oben)
sich veranlafst sahen ^ ihr Eigentum aufzugeben. Aber nach und
nach gerieten sie in immer drückendere Abhängigkeit; sie wurden
durch die aus der gesetzlichen Durchführung des Prinzips der Erb-
pacht abgeleitete Fesselung an die Scholle zu Hörigen; die von
ihnen am Gutshof zu leistenden Frohnden erfuhren durch den Bück-
gang der Sklavenbevölkerung eine immer gröfsere Steigerung.
Wesentlich verschlimmert wurde ihre Lage noch dadurch^ dafs fast
allgemein die Grundeigentümer ihre Güter nicht mehr direkt^ sei es
in eigener Person oder durch einen Intendanten (actor), verwalteten
und bewirtschafteten, sondern dieselben an conductores, General-
pächter, gegen eine feste jährliche Rente verpachteten.*) Die Be-
sitzer aber bez. die kaiserlichen Prokuratoren waren in der Regel
weit entfernt, die Gutsunterthanen gegen die mit diesem System ver-
bundenen Bedrückungen zu schützen, sondern steckten mit den Kon-
duktoren gewöhnlich unter Einer Decke.®) Besonders schroflf und
unhaltbar mögen die Zustände in dieser Hinsicht auf den Domänen
gewesen sein. Aus Kolonen setzten sich daher hauptsächlich jene
Elemente zusammen, die seit Beginn des 4. Jahrhunderts unter
dem Namen Circumcellionen durch revolutionäre Erhebungen das
Land unsicher machten. Wenn auch zeitweilig unterdrückt, haben
diese Bewegungen, da ihre Grundursache, die eben geschilderten
MiTsstände, weiter fortbestand, bis zur Begründung der wandalischen
Herrschaft nicht aufgehört; dafs die unzufriedene, geknechtete Be-
völkerung hier wie anderwärts die Ankunft der Germanen freudig
begrüfste, wird von Salvian (de gub. dei VD, 71) direkt aus-
gesprochen.*)
So gewähren denn die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse
der römischen Bevölkerung Afrikas zu Anfang des 5. Jahrhunderts
1) Vgl. über die Ehtwickelung der Grandherrschaft Hartmann, Gesch.
Italiens I, 12 ff.
2) Ein Teil der Güter, namentlich die der domus divina, ist jedoch in
eigener Regie bewirtschaftet worden; so vor allem die Besitzungen, auf denen
sich Paläste, Luxusvillen und industrielle Unternehmungen befanden, vgl. His,
Domänen S. 11. 79.
3) Vgl. auch Schulten, Das römische Afrika (Leipzig 1900) S. 46. 107.
4) Proscriptiones dico orfanorum, viduarum afflictiones, pauperum cruces:
qui ingemescentes cotidie ad deum ac finem malorum inprecantes et, quod
gravissimum est, interdum vi nimiae amaritudinis etiam adventum hostium
postulantes, aliquando a deo impetrarunt, ut eversiones tandem ac barbaris in
commune tolerarent, quas toli a Bomanis ante toleraverant.
Das afrikanisclie Eeich unter Geisericli. 57
ein Bild des tiefaten Verfalls, das sich freilicli in grörserem oder
geringerem Mafse auch in den übrigen Provinzen des Reiches zeigt.
Die vom Despotismus durchgefährte ständische Zwangsorganisation,
die jeden Einzelnen einer bestimmten erblichen Kaste oder Körper-
schaft zuwies, aus der ein Austritt unstatthaft war, lähmte jede freie
Bewegung. Wer nicht den privilegierten Ständen angehörte, denen
die Beamtenstellen in der Staatsverwaltung und im Heere vorbehalten
waren, und die Steuerlasten auf die Schultern anderer abwälzen
konnte, wie es auf den Grundherrschaften mit den Kolonen geschah,
befand sich in äuTserst drückender und vöUig hofihungsloser Lage.
Was ihm an Einkommen und Zeit nach Abzug der dem Staate und
der Gemeinde zu leistenden Abgaben und sonstiger persönlichen
Dienste noch übrig blieb, war ganz unbedeutend. Die Mehrzahl
der Bevölkerung lebte daher in den ärmlichsten Verhältnissen, die
zu dem luxuriösen Leben, das die Aristokratie führte, in schroffem
G^ensatze standen.
EbenfaUs aufserhalb der städtischen Ordnung standen in ihrer
überwiegenden Mehrheit die eingeborenen Völkerschaften, die
Berbern, oder wie sie von den Römern bez. Byzantinern genannt
wurden, die Mauren (Maurusier)^), die vorzugsweise die Steppen und
Gebirge innehatten. Nur zum geringen Teil war es gelungen, die
Berbern für die Givilisation zu gewinnen und zu einem sefshaften
Leben zu bringen-, die Hauptmasse beharrte in ihrem alten kultur-
feindlichen Nomaden- und Räuberleben. ^ Ihre Lebensweise war im
Gegensatze zu der der üppigen römischen Bevölkerung eine äu&erst
einfache. Sie wohnten in erbärmlichen Hütten und schliefen auf
bloiser Erde; Brot und Wein waren ihnen unbekannte Genüsse; ihre
Hauptnahrung bildeten (aufser Fleisch und Milch) Kuchen aus Hafer
oder Gerste, die in der heifsen Asche gebacken wurden.^) Im Kriege
befolgten sie die Methode, dafs sie den Feind zu überraschen und
durch die Wucht des ersten Angriffs niederzuwerfen suchten; mifs-
lang derselbe, so verzichteten sie auf weiteres Vorgehen und ver-
1) Libyer heifsen die römisclien Bewohner Afrikas, vgl. z. B. Prok. b.
V, 1, 7.
2) Über das Detail, insbes. die Namen and Sitze der einzelnen Stämme,
vgL namentlich Part seh, Prooeminm zu seiner Ausgabe des Corippus (M. Gr.
Anct. ant. in, 2) nnd Satora Yiadrina. Festschrift zum 25 jährigen Bestehen des
Philologischen Vereins zu Breslau (1896) S. 20 ff. Jung, Die romanischen Land-
Bchafben des römischen Reichs (1881) S. 95ff. Mommsen, Rom. Gresch. V,
637 ff. 649 f. Beckurts, Die Kriege der Römer in Afrika (Progr. Wolfenbüttel
1888) S. 8 ff.
3) Proc. b. V. n, 6. 7.
58 Zweites Bach.
schwanden ebenso rasch^ wie sie gekommen waren^ in ihre Schlupf-
winkel in den Bergen, wohin ihnen niemand zu folgen vermochte.
Ihre Bewafi&iung bestand aus Wurfspiefsen, Schwertern und kleinen
leichten Schilden; ihre Beweglichkeit verdankten sie ihren trefflichen
Pferden, durch die namentlich Numidien von jeher ausgezeichnet
war. Auch Kamele haben sie geführt; doch scheinen sie sich dieser
nur als Lasttiere bedient zu haben.^) Nur mit groDsen militärischen
Mitteln und unter kluger Benutzung der Rivalität zwischen den ein-
zelnen Häuptlingen konnten diese Stämme von den Römern in Schach
gehalten werden. Sie standen zwar gröfstenteils unter römischer
Oberhoheit und leisteten dem Reiche als Föderaten Kriegsdienste;
ihre Fürsten liefsen sich vom Kaiser die Herrschaftsinsignien ver-
leihen^): doch war die Abhängigkeit nur eine mehr nominelle. Dies
gilt namentlich von den zahlreichen in Mauretanien und Tripolis woh-
nenden Völkerschaften. Seit dem 3. Jahrhundert, als die Macht des
Reiches zu sinken begann, traten sie immer mehr als dessen Feinde
auf und richteten durch ihre häufigen Raubzüge schweren Schaden
in den civilisierten Gebieten an. Bedeutende Dimensionen nahm be-
sonders die Erhebung des Häuptlings Firmus i. J. 372 an^), der als
Führer einer Koalition maurischer Stämme mit Unterstützung der
Donatisten die Losreifsung Afrikas vom Imperium anstrebte und,
nachdem ganz Mauretanien in seine Hände gefallen war, nur mit
äufserster Anstrengung besiegt werden konnte. Ebenfalls einen
national -maurischen Charakter trug die Erhebung des Bruders des
Firmus, GUdo, der gegen jenen zu den Römern gehalten hatte und
als Belohnung dafür zur Würde eines comes et magister utriusque
müitiae von Afrika befordert worden war. Seine Hauptstütze waren
die eingeborenen Stämme der Nasamonen, Garamanten und Nazaken
(in Tripolis), zu denen die geringeren römischen Truppen und die
oppositionellen Elemente der afrikanischen Bevölkerung kamen.
Dieser Aufstand, der namentlich durch das Abschneiden der Getreide-
zufuhr für Rom geföhrlich zu werden drohte, fand nur dadurch ein
rasches Ende, daXis des Usurpators Bruder Mascezel sich gegen ihn
erklärte imd die maurischen Häuptlinge von ihm abspenstig zu
machen wufste. Die nun wiederhergestellte Ruhe war jedoch auch
jetzt wieder nur vorübergehend; wir hören, dafs Bonifatius sowohl,
1) VgL Haury, Zur Beurteilung des Geschichtschreibers Procopius von
Cäsarea (München 1896) S. 8.
2) Prok. I, 25.
3) Vgl. dazu und zum Folgenden bes. Gagnat a. a. 0. S. 69 ff.
Das afrikanisclie Reich unter Geiserich. 59
bevor er comes Africae war, als nach dem Antritte dieses Amtes
(ca. 420) die Mauren bekämpft und zur Buhe verwiesen hat.^) Im
Jahre 428^ kurz vor dem Einbrüche der Wandalen^ nahmen diese
Einfalle jedoch wieder eine besonders gefahrdrohende Gestalt an;
ihrer wird sowohl in den italienischen Konsularfasten (Chronica
minora I^ 300 c. 548) als in dem 220. Briefe Augustins gedacht^ ohne
dafs wir etwas Näheres darüber erfahren. Begünstigt wurde der
Verlauf dieser Unruhen jedenfalls durch die Vorgänge, die mit dem
damals ausgebrochenen Konflikt zwischen Bonifatius und dem kaiser-
lichen Hofe zusammenhingen.
Die Geschichte der christlichen Kirche in Afrika war seit ihrer
offiziellen Anerkennung durch den Staat ganz besonders durch un-
erfreuliche Verhältnisse ausgezeichnet. Das Land zerfiel in sechs
Kirchenprovinzen, deren Abgrenzung sich zu Anfang des 5. Jahr-
hunderts mit der politischen deckte; nur war die Tingitana zum
cäsareensischen Mauretanien geschlagen.^) Die Provinzen waren
wiederum in eine grofse Zahl von Bischofs- oder Presbyterialsprengeln
geteilt; solche bildeten sowohl die städtischen Gebiete als die ex-
empten Latifundien.^) Bei einigen solcher Territorien war sogar
eine Zersplitterung in mehrere Bistümer eingetreten, so namentlich
bei den Grundherrschaften, wo die einzelnen darin gelegenen castella,
die Mittelpunkte der Unterabteilungen der Gutsbezirke (fundi), viel-
fach Sitze von Bischöfen waren.^) Jede Provinz hatte ihren Metro-
politen (Primas).^) Als solcher galt je der älteste Bischof derselben;
nur in Karthago haftete diese Würde an dem Orte. Was die
Stellung der afrikanischen Kirche zum römischen Bischof anbelangt,
so war die wiederholt von Augustinus ausgesprochene Anschauung
in Geltung, dafs der apostolische Stuhl in Rom zwar eine hohe
Autorität besitze, aber nicht über, sondern neben den andern bischöf-
lichen Stühlen stehe ^); erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts,
1) Angustin. epist. 220, 7. Olympiod. fragm. 42.
2) Die Behauptung Schwarzes (S. 23), in der Notitia von 484 seien unter
Manr. Caes. auch die Bischöfe der Tingitana mit aufgeführt, ist nicht richtig.
3) Ein Bischof Faustus Buronitanus bei Vict. Vit. I, 38. Vgl. C. I. L. VIII,
suppl. 1 p. 1171.
4) Vgl. Kuhn, Die städtische und bürgerliche Verfassung des römischen
Eeiches 11,437. Schulten, Grundherrsch. S. 105.116. — Die Einsetzung von
Bischöfen in kleineren Ortschaften war sonst durch Konzilsbeschlufs untersagt.
Dieses Verbot wurde i. J. 446 vom Papst Leo I. für Afrika erneuert. Vgl. Morcelli,
Africa Christiana DI, 155.
5) Vgl. dazu auch Hinschius, Kirchenrecht H (1878) S. 2.
6) Vgl. Langen, Geschichte der römischen Kirche I (1881) S. 850 ff.
60 Zweites Buch.
«
namentlich unter dem Einflüsse der wandalischen Verfolgung, hat
man ausdrücklich anerkannt^ dafs die ecclesia Bomana das Haupt
aller Kirchen sei.^)
In keinem Gebiete des römischen Reiches war das Sektenwesen
so verbreitet wie in Afrika; besonders bedeutsam aber war das Auf-
kommen des Donatismus, da derselbe zu den damaligen politischen
Bewegungen und der agrarischen Revolution in enge Beziehungen
trat und die weitesten Kreise der Bevölkerung in Aufregung versetzte.
So haben die Anhänger dieser Häresie an den Erhebungen des
Firmus und Gildo teilgenommen, wie auch die Aufstände der Circum-
cellionen geschürt und unterstützt. Der Hauptsitz des Donatismus
war Numidien; man kann ihn als die eigentliche numidische Landes-
kirche betrachten; doch hatte er auch in den anderen Landesteilen
Wurzel gefafst. Durch das Auftreten Augustins und durch energische
Strafbestimmungen der Kaiser wurde seit der Synode von Hippo 411,
an der 286 katholische und nicht weniger als 279 donatistische
Bischöfe teilnahmen, die Rückkehr vieler Häretiker zur katholischen
Kirche herbeigeführt, so dafs (um 420) wenigstens äufserlich der
Friede wiederhergestellt schien.*) Dafs der Brand jedoch noch weiter
fortglimmte, zeigen namentlich die kaiserlichen Erlasse der Jahre
425 (an den Prokonsul von Afrika) und 428 im Codex Theodosianus
XVI, 5, 63.65; sogar bis ins sechste Jahrhundert hinein finden wir
Spuren davon, daCs die donatistische Bewegung noch nicht erloschen
war.') Jedenfalls hat dieser Zwiespalt wesentlich zur Schwächung
der inneren Kraft des Landes beigetragen.
Zu allen den geschilderten unglücklichen Verhältnissen, unter
denen Afrika zu Anfang des 5. Jahrhunderts zu leiden hatte, kam
noch der Konflikt zwischen dem seit etwa 420 im Amte befindlichen
Militärstatthalter Bonifatius und dem magister militum praesentalis
Felix. Über diese ziemlich dunklen Voi^änge habe ich bereits an
anderer Stelle gehandelt und kann mich daher auf einige kurze Be-
merkungen beschränken. Wie es scheint, hat Felix zunächst einen
Aufstand unter den in Afrika stehenden Reichstruppen gegen Boni-
1) Vict. Vit. n, 43.
2) Possid. vit. Aug. c. 19: Manichaeos, Donatistas, Pelagianistas et Paganos
. . . ecclesiae Bei sociatos esse congaudens (Augustinus). Vgl. Bauschen,
Augustinus (1898) S. 631.
8) Walch, Historie der Ketzereien IV, 230 f. — Donatistische Gräber aus
der Zeit von 434 bis 446 sind bei der Basilika von Ala Miliaria in Mauretanien
(jetzt Bänian) gefunden worden, vgl. Jahrbuch des Kaiserl. Deutschen Archäolog.
Instituts 1900 S.79.
Das afrikanisclie Eeich unter Geiserich. g^
fatius angezettelt (a. 427 nach Prosper); als dieser Versuch, den Statt-
halter zu verderben, mifslang, gab der hierauf folgende grofse Auf-
stand der Mauren, den jener mit seinen Streitkräften nicht zu unter-
drücken vermochte, den Anlafs zu seiner Abberufung. Als er der-
selben nicht Folge leistete, wurde der comes Segisvult mit einem
Truppenkommando gegen ihn, der sich hauptsächlich auf gotische
Privatsöldner stützte, geschickt.^) Der Ausbruch eines Kampfes
wurde noch in letzter Stunde durch Intervention eines kaiserlichen
Gesandten, Darius, verhindert und (wahrscheinlich zu Anfang des
Jahres 429) ein Ausgleich zu stände gebracht. Dafs indessen noch
nicht alle Differenzpunkte beseitigt waren, wird in dem Briefe des
Darius an Augustin (Aug. ep. 230, 3: si non exstinximus bella, certe
distulimus) direkt gesagt. Jedenfalls wurde Bonifatius in sein Amt
wieder eingesetzt, während Segisvult das Land verlassen zu haben
scheint. Vermutlich sind die erwähnten Zwistigkeiten der Anlafs ge-
wesen, dals man den drohenden Bewegungen der Wandalen nicht die
gebührende Beachtung geschenkt hat; dazu kam der Aufstand der
Mauren, der jedenfalls das gröfste Interesse in Anspruch nahm.
Über den Verlauf des wandalischen Eroberungszuges sind wir
nur unvollkommen unterrichtet.*) Nach dem oben Bemerkten ist
anzunehmen, dafs die Wandalen zunächst zu Schiff an der maure-
tanischen Küste entlang bis zum heutigen Oran fuhren; wahrschein-
lich wurde von hier ab zunächst die am Meere entlang ostwärts
führende römische Strafse benutzt, während der Trofs auch dann
noch zu Wasser weiterbefördert worden sein mag. Wie in Gallien
und Spanien, so war auch hier der Zug der Barbaren von furcht-
baren Oreueln begleitet; in Flammen aufgehende Ortschaften und
Landhäuser bezeichneten deren Weg; zahlreiche Einwohner, d. h.
hauptsächlich wohl die wohlhabenden, die nicht ihr Heil in der
Flucht suchten, wurden entweder getötet oder zu Sklaven gemacht.
Dals besonders die Geistlichen, Kirchen und Klöster^) hart betroffen
wurden, ist sicher nicht aus dem religiösen Gegensatz, wie ultra-
montane Geschichtschreiber wollen, sondern vielmehr daraus zu er-
klären, dafs bei jenen die meisten Schätze zu finden waren. Dazu
1) Segisvult mufs nach Possidius c. 17 und der collatio Augustini cum Maxi-
mino c. 1 (Migne 42, 709) die beiden Städte Hippo regius und Karthago im
Jahre 428 in seiner Gewalt gehabt haben.
2) Vgl. besonders Possidius , vita August, c. 28 (gleichzeitiger Bericht) , Vict.
Vit. I, 1—3 (ca. 486 geschr.).
3) Dafs die Schändung von Nonnen vorgekommen ist, zeigt der Brief Papst
Leos I. (ep. 12) von ca. 445 an die Bischöfe von Mauretania Caesareensis.
g2 Zweites Bnch.
kam^ dafs nacli einer Entscheidung des heil. Augustinus (Brief 228
an Bischof Honoratus von Thiabena [zwischen Hippo und Thagaste]^
geschrieben unter dem Eindruck der wandalischen Invasion) die geist-
lichen Vorsteher der Gemeinden erst dann flüchten durften, nachdem
die sämtlichen Gemeindeglieder sich in Sicherheit gebracht hatten.
Die Mehrzahl der befestigten Ortschaften fiel im ersten Anlaufe
info^e Mangels an genügenden Yerteidigungsmitteln; andere, die
zunächst einer Belagerung erfolgreich trotzten, waren zur Kapitulation
gezwungen, da unter den in ihren Mauern zusammengedrängten,
hauptsächlich aus Flüchtigen der Umgegend bestehenden Menschen-
massen ansteckende Krankheiten ausbrachen und die verwesenden
Toten, die nicht beerdigt werden konnten, die Luft verpesteten.^)
Für die Seestädte mag die Mitwirkung der wandalischen Flotte be-
sonders verhängnisvoll gewesen sein. Dafs die Wandalen überall bei
den unzufriedenen Elementen der römischen Einwohnerschaft, nament-
lich der ländlichen Bevölkerung, starke Unterstützung fanden, ist
sehr wahrscheinlich; dafür spricht auch das oben citierte Zeugnis
Salvians (VII, 71).
Ein Jahr lang dauerten die Plünderungszüge der Barbaren, die
sich nirgends festsetzten, in Mauretanien und Numidien; im Juni 430
erschienen sie vor der Stadt Hippo regius (unweit des heutigen Bone),
nachdem sie zuvor, wenn die Angabe Prokops (bell. Vand. I, 3) richtig
ist, den Statthalter Bonifatius in offener Feldschlacht aufs Haupt
geschlagen hatten. Auch das kann vielleicht als Faktum der Er-
zählung Prokops entnommen werden, dafs Bonifatius zu jener Zeit
Verhandlungen mit dem Feinde angeknüpft hat, um denselben zu
friedlichem Verhalten zu bewegen. In jene durch gotische Söldner
des Bonifatius verteidigte Stadt, in der der heilige Augustinus resi-
dierte, hatten sich zahlreiche Bischöfe aus der Umgebung, darunter
Possidius von Galama (an der Grenze der Prokonsularprovinz gegen
Numidien), der Biograph jenes berühmten Kirchenvaters, geflüchtet;
die Anwesenheit Augustins, der indessen schon im dritten Monat
der Einschliefsung, am 28. August 430^, am Fieber starb, mag nicht
wenig dazu beigetragen haben, dafs der Platz von vornherein be-
sonders energisch verteidigt wurde. Während hier ein Teil der
Wandalen lagerte, streiften einzelne Tausendschaften derselben sengend
und brennend durch die Prokonsularprovinz und die Byzacena; Possi-
1) So ist die Stelle Victors I, 9 mit Papencordt S. 67 zu erklären. Vgl.
aach Aul er, Historisclie Untersacliiingen, A.Schäfer gewidmet (1882), S. 264.
2) Prosper c. 1804.
Das afrikanisclie Eeich unter Geiserich. 63
dius^ dessen Angaben als eines Zeitgenossen und Augenzeugen besondere
Beachtung verdienen^ bemerkt^ dafs noch bei Lebzeiten Augustins nur
drei Bischofssitze, Hippo regius^ Girta und Karthago, unerobert
waren. ^) Dafs damals die Wandalen bis in die Byzacena vorgedrungen
sind, ist direkt durch Vict. Vit. I, 10 bezeugt, wo es heilst, es sei
vor der Eroberung Karthagos (also vor 439) der Bischof Panpinianus
nostrae civitatis, d. h. von Victors Heimat Vita*), die zur genannten
Provinz gehörte, mit glühendem Eisenblech zu Tode gemartert, sowie
der Bischof Mansuetus von Urusita dem Scheiterhaufen überliefert
worden.')
Die zu jener Zeit herrschenden Zustände schildert anschaulich
ein Schreiben des Bischofs Gapreolus von Karthago, das auf der
Synode zu Ephesus am 22. Juni 431 zum Vortrag gelangte*) und
worin das Nichterscheinen der afrikanischen Bischöfe entschuldigt
wurde: Omnis hac tempestate viae aditus praeclusus est. Etenim
eSusa hostium multitudo et ingens ubique provinciarum vastatio,
quae incolis partim exstinctis, partim in fugam actis absolutum deso-
lationis specimen, quoquoversum longe lateque porrigitur, oculis
offert, promtam illam coeundi facultatem ademit.^) Da& trotz der
drohenden Oefahr die Bevölkerung in den noch in römischer Oewalt
befindlichen Orten, namentlich in Karthago, eifrig ihrer Genufssucht
frohnte, wird von den zeitgenössischen Schriftstellern lebhaft beklagt.^)
Der erfolgreiche Widerstand der drei genannten Festungen erwies
sich in der Folge fär die Erhaltung der römischen Macht in Afrika
1) Das for die Zeitbestimmung der wandalischen Invasion öfter citierte
(resetz im Codex Theodosianus XII, 6, 33 vom 15. Februar 430 über die Ver-
iraltang der G^treidemagazine in der Prokonsularprovinz kann überhaupt nicht
alB Beweis angeführt werden, da die kaiserliche Eegierung damals Afrika trotz
der feindlichen Erfolge keineswegs als aufgegeben betrachtete.
2) Wahrscheinlich der Bischof Papinianus aus der Byzacena, der nach den
Eonzilsakten i. J. 418 auf dem Konzil zu Thelepte anwesend war.
3) Mansuetus Uricitanus in porta incensus est Fomitana, d. h. nicht in Kar-
thago, wie Auler a. a. 0. S. 265 will, sondern in Urusita selbst. Eine Stadt dieses
Namens in der Byzacena ist inschriffclich bezeugt, vgl. C. J. L.ViU suppl. 1 p. 1239,
und nicht zu verwechseln mit der ähnlich lautenden in der Prokonsularis (Notitia
prov. procons. no. 20: Quintianus Urcitanus [sie!]). Der Bischofsstuhl von Urusita
war wohl seitdem unbesetzt, kommt also in der Notitia nicht vor.
4) Hefele, Conciliengeschichte n *, 187 f. Vgl. auch Liberatus breviarium cap.4.
5) Migne, patrol. lat. 53, 845.
6) Vgl. Salvian VI, 69: ecclesia (d. h. die G-emeinde) Carthaginiensis in-
saniebat in circis, luxuriabat in theatris. Pseudo- Augustinus, Sermo de tempore
barbarico (Migne 40, 699 ff.): Inter tantas angustias et in ipso fine rerum posita
est universa provincia et quotidie frequentantur spectacula; sanguis hominum
qnotidie funditur in mundo et insanientium voces crepitant in circo.
64 Zweites Buch.
als auTserordentlicli günstig. So büfsten die Wandalen walirend der
yierzehn Monate dauernden Belagerung Hippos^ das sie trotz der Ab-
schneidung der See nicht zu nehmen vermochten^), durch Ent-
behrungen einen grofsen Teil ihrer Streiter ein. Zwar wurde diese
Stadt bald nach dem Abzüge des feindlichen Heeres von den Ein-
wohnern verlassen und den Wandalen preisgegeben, die sie, teilweise
wenigstens, durch Feuer zerstörten; Karthago aber vor allem blieb
in den Händen der Römer, was für diese um so wichtiger war, als
hierdurch die Verbindung mit den übrigen Teilen des Reiches offen
erhalten blieb. So war es möglich, die Verstärkimgen, die (wahr-
scheinlich 432, vgl. unten) unter Flavius Ardabur Aspar*) von Byzanz
eintrafen, ohne Schwierigkeiten zu landen; nach Prokop wäre es nun
zu einer gewaltigen Schlacht zwischen Römern und Wandalen ge-
kommen, in der die ersteren unterlagen. In Aspars Heere befand sich
der nachmalige oströmische Kaiser Marcian(450 — 457) als Domesticus
(d. h. als oberster Subaltembeamter des Befehlshabers, vgl. Mommsen
im Neuen Archiv XIV, 508), der, wie eine (offenbar nach dem späteren
schwächlichen Verhalten dieses Kaisers den Wandalen gegenüber kon-
struierte) Anekdote bei Prokop berichtet, von den Wandalen ge-
fangen, aber wegen eines auf seine spätere Stellung hindeutenden
Vorzeichens gegen das eidliche Versprechen, nichts gegen sie zu
unternehmen, freigelassen wurde. In Wahrheit können diese Hilfs-
truppen (die Prokop als TCoXvg ötgarog bezeichnet) jedoch nicht von
bedeutender Stärke gewesen sein, auch wird der angebliche grofse
Kampf zwischen den beiden Parteien auf ein blofses Scharmützel vor
den Mauern Karthagos reduziert werden müssen^); denn es ist auf-
fällig, dafs unsere übrigen Quellen über diese Vorgänge gänzlich
schweigen. Sicher ist jedoch, dafs Aspar im Jahre 434 in Karthago
als weströmischer Konsul sich aufhielt^); wahrscheinlich war ihm
die Verteidigung dieser Stadt an Stelle des 432 nach Italien zur Be-
kämpfung des Aetius berufenen Bonifatius übertragen worden.
1) Hippo lag nicht an der Küste, sondern zwei Kilometer landeinwärts.
Vgl. Tissot a. a. 0. n, 17. Possid. a. a. 0.: Quam nrbem ferme XTV mensibus
conclusam obsedenint, nam et littus illi marinum interclusione abstuleront.
Proc. b.V. I, 3.
2) Vgl. über diesen Seeck in Paulys Realencyklopädie 11 , 607.
3) Palln de Lessert, Vicaires et comtes d'Afrique a. a. 0. S. 158, verlegt
ans unbekannten Gründen die Lokalität dieses Kampfes nach Calama.
4) Nach dem Zeugnis des gleichzeitigen Liber de promissionibus (Migne
61, 841): Nostris quoque temporibus Aspero VI cos. Carthagini constituto. Vgl.
auch Priscus fragm. 11.
Das afrikanisclie Beich nnter Geiserich. g5
Das Unvermögen der Wandalen, diesen wichtigen Stützpunkt
der römischen Macht zu nehmen^ und der Verlust zahlreicher Krieger
yeranlafsten Geiserich^ mit dem Reiche in Friedensunterhandlungen
zu treten. Der Abschlufs des Friedens fand am 11. Februar 435 in
Hippo regius statt; als kaiserlicher Bevollmächtigter fungierte ein
gewisser Trigetius^ wahrscheinlich derselbe^ der im Jahre 452 als
Gesandter zu Attila geschickt wurde (Prosp. c. 1367).^) Die Wan-
dalen begaben sich als Föderaten in die Dienste des Reiches ^ wofür
ihnen Land zur Bestreitung ihres Unterhaltes — nach welchen
Grundsätzen^ ist unbekannt^ wahrscheinlich wohl nach denselben wie
früher in Spanien — zugewiesen wurde. Geiserich trat also in die
Stelle eines kaiserlichen Militärbeamten ein. Diese Thatsache ergiebt
sich deutlich aus den Worten Prospers c. 1312, der sich hierbei
einer für derartige Landanweisungen feststehenden technischen Formel
bedient: Pax facta cum Yandalis data eis ad habitandum Africae
portione.*) Das Föderatverhältnis der Wandalen ergiebt sich auch
aus einer anderen Stelle Prospers (c. 1330), wo offenbar in Beziehung
auf die Wandalen gesagt ist, dafs Vertragsbrüchige Föderaten See-
räuberei getrieben hätten.^ Von einer völkerrechtlichen Gebiets-
abtretung ist keine Rede, das Land blieb nach wie vor Bestandteil des
römischen Reiches. Datum, Ort und Vermittler des Friedensschlusses
sind zwar nur durch später in Afrika interpolierte Handschriften der
Chronik des Prosper überliefert, doch liegt kein Grund vor, die
Richtigkeit dieser Angaben anzuzweifeln. Die abendländischen Ge-
schichtschreiber stützen sich, soweit sie von dem Friedensschlüsse
berichten, auf Prosper, haben jedoch den Text desselben mehrfach
willkürlich und ohne Verständnis verändert. Isidor von Sevilla,
EEist. Vand. c. 74, sagt, Kaiser Valentinian habe, aufser stände, Geiserich
Widerstand zu leisten, diesem den von den Wandalen besetzten Teil
Afrikas tamquam pacifico überlassen, gegen eidlichen Verzicht auf
weitere Eroberungen. Diese Auffassung entspricht jedoch keineswegs
der wirklichen Sachlage. Ähnlichen Charakters ist der Zusatz des
Paulus Diaconus (Hist. Rom. XIII, 11) zu Prosper, der mit den
Wandalen abgeschlossene Frieden sei ein (für das Reich) mehr
notwendiger als nützlicher gewesen. Dagegen bemerkt Prokop (Bell.
1) Vielleicht ist er anch identisch mit dem gleichnamigen comes rei
privatae, an den der Erlafs Cod. Theodos. XI, 20,4 (v. J. 423) gerichtet ist.
2) Vgl. V. Sybel, Entstehung des deutschen Königtums*, 265, 269. Halban
a. a. 0. 65 f., 162 und oben.
3) Holder -Egger im Neuen Archiv I, 38.
Schmidt, Wandalen. g
66 Zweites Buch.
Vand. I, 4), Geiserich habe sich trotz seiner Erfolge, die er in Afrika
errungen, in weiser Mäfsigung zu dem Vertrage mit dem Kaiser
veranlafst gesehen, die Zahlung eines jährlichen Tributs (wie die
Stelle gewöhnlich verstanden wird: ig exaötov itog dacffiovg) ver-
sprochen und seinen Sohn Hunerich als Geisel gestellt; letzterer
aber sei bald darauf wegen der grofsen Freundschaft, die zwischen
Yalentinian und dem Wandalenkönig bestanden, zurückgeschickt
worden. Die Vergeiselung des Königssohnes ist an sich durchaus
glaublich, da Geiselstellung seitens der Föderatvölker etwas ganz
Übliches war, weniger dagegen das angebliche freundschaftliche
Verhältnis zwischen den beiden Fürsten^), das durch die That-
sachen selbst nicht bestätigt wird, ebenso auch die bei Föderalen
ungewöhnliche Tributentrichtung.*) Man versteht unter der letzteren
in der RegeP) die Lieferung der für Italien unentbehrlichen land-
wirtschaftlichen Produkte, namentlich von Getreide und Ol, was
aber kaum anzunehmen ist. Wahrscheinlicher ist es, dafs die Inhaber
der einzelnen ihnen zugewiesenen Hufen zur Entrichtung der römischen
Grundsteuer, wie die Ostgoten in Italien, verpflichtet wären, und dals
diese Bedeutung der Prokopschen Stelle zu Grunde liegt.
Die Wandalen waren wohl im prokonsularischen Numidien an-
gesiedelt: zum Jahre 437 meldet Prosper (c. 1327), dafs Geiserich den
Bischof Possidius (von Calama) intra habitationis suae limites ver-
trieben habe. Dafs jene auch die Meeresküste inne hatten, zeigen die
Notizen desselben Autors über Raubzüge des Volkes zur See (c. 1330,
1332 zu den Jahren 437 und 438). Die Residenz Geiserichs war wohl
in Hippo regius, wie wir aus dem zwar erst im sechsten Jahrhundert
verfalsten, aber auf guten älteren Quellen beruhenden Laterculus
regum Wandalorum et Alanorum (Chron. min. IE, 458) zum Jahre 439
entnehmen dürfen: Geisericus tribus annis Hippone regio exemptis
Carthaginem occupat etc. Die wenigen noch in Afrika stehenden
römischen Truppen werden jetzt zum gröfiaten Teile zurückgezogen
worden sein, da sie in Gallien zur Niederhaltung der Goten, Bur-
gundionen und Franken notwendig gebraucht wurden.
Man mufs annehmen, dafs Geiserich jenen Zustand nur als Provi-
sorium betrachtete, um seine Kräfte wieder zu konsolidieren, und daCs die
Absicht des Königs von vornherein auf die Gründung einer souveränen
Herrschaft gerichtet war. Zunächst ist der Friede nicht gestört
1) Wohl eine Übertragung aus späterer Zeit, vgL weiter untren.
2) Vgl. Mommsen im Hermes XXTV, 220.
3) Papencordt S. 72. Sybel S. 269. Ranke, Weltgeschichte IV, 282.
Das afrikanisclie Beicli unter Geisericli. g7
worden; aber bereits zwei Jahre nach dem Abschlüsse des Vertrages
hören wir, dafs es zu Konflikten kam. Wahrscheinlich hatten einige
orthodoxe Geistliche in dem den Wandalen angewiesenen Gebiete
der Abhaltung des arianischen Gottesdienstes Schwierigkeiten bereitet
und die Einräumung von Kirchen verweigert. Geiserich verfügte
daher ihre Absetzung und bestrafte diejenigen, welche dabei Wider-
stand leisteten, darunter Posidius (wohl von Calama, der inzwischen
in sein Bistum zurückgekehrte Biograph des heiligen Augustinus),
Novatus^) und Severianus mit Verbannung.^) Von einer systema-
tischen Katholikenverfolgung kann bei diesem Schritte jedoch ebenso-
wenig die Bede sein wie bei dem Vorgehen des Königs gegen die
fOnf zu seinem Hofstaat gehörenden, aus Spanien stammenden katho-
lischen Bömer Arcadius, Probus, Paschasius, Eutycianus und Paulillus,
an die derselbe jetzt, wohl weil sie Anlafs zu MiTstrauen gegeben
hatten, die Aufforderung richtete, dafs sie zum Zeichen ihrer Treue
und Ergebenheit sich zum Arianismus bekennen sollten. Da alle
fest an ihrem Glauben hielten, wurden sie ihres Vermögens beraubt,
verbannt und wahrscheinlich, da sie wieder zurückzukehren ver-
suchten, aufgereizt durch den in Cirta, also aufserhalb des wan-
dalischen Machtbereichs residierenden Bischof Honoratus, mit Aus-
nahme des Paulillus, der nur zur Geif seiung und Verknechtung ver-
urteilt wurde, unter Martern hingerichtet.^) Aus derselben Zeit
wird von Raubzügen der Wandalen zur See berichtet, die im
Jahre 438 bis nach Sizilien ausgedehnt wurden.^) Vielleicht war
der Seeräuber Contradis (Guntharix?, griechisch Fovd'aQtg?), der, wie
Marcellinus Gomes chron. a. 438 meldet, mit seinen Begleitern ge-
fangen und getötet wurde, ein Wandale. Diesem feindlichen Ver-
fahren, dem durch die Abwesenheit des Aetius in Gallien wesentlich
Vorschub geleistet wurde, setzte Geiserich die Krone auf, indem er
1) Dieser ist natürlich nicht identisch mit dem gleichnamigen Bischof
von Sitifis (f 440), dessen Grabschrift noch erhalten ist. C. I. L. ViU, 8634.
2) Prosper c. 1327 (zu 437), der stark übertreibend von einem Versuche, die
katholische Kirche auszurotten, spricht. Dafs jenen Priestern das Ansinnen
gestellt worden sei, zum Arianismus überzutreten, wie Görres (Deutsche Zeitschr.
f. Geschichtswissenschaft X, [1893] S. 30) behauptet, ist nicht gesagt.
3) Vgl. den Brief des Honoratus an Arcadius bei Ruinart, Hist. pers. Vand.
(1732) p. 209. Pseudo-Gennadius de viris inl. c. 96 (ed. Richardson, Leipzig 1896).
4) Prosp. c. 1330: Eodem anno piraticam barbari foederatorum desertores
exercuemnt (437). c. 1332: Hoc quoque anno (438) iidem piratae multas insulas,
sed praecipue Siciliam vastavere. Woher weiTs Görres a. a. 0., S. 34, dafs diese
Züge von einzelnen wandalischen Scharen aus eigener Machtvollkommenheit
unternommen wurden?
5*
gg Zweites Buch.
am 19. Oktober 439^) plötzlicli die Stadt Karthago überfiel und in
seine Gewalt brachte. Der König konnte diesen Schritt^ den er zur
Behauptung seiner Herrschaft unbedingt thun muGste^ um so eher
wagen^ ab die Bewohner sich in völliger Sorglosigkeit dem früheren
äenufsleben hingegeben hatten und auf einen Angriff der Wandalen
nicht im mindesten gefafst waren.^) Eine allgemeine Plünderung
folgte der Besetzung^ wobei es naturgemäfs nicht ohne Eoheit und
Grausamkeit gegen die Bevölkerung abging. Doch werden die
Berichte darüber^ die von dem Hafs der Katholiken gegen die
arianischen Ketzer beeinfluiüst sind, sicher übertrieben sein.^) Be-
sonders hart wurden die Vornehmen (Senatoren) imd die Geistlichen
betroffen, teils weil bei ihnen die meisten Reichtümer zu finden
waren, teils weil sie mit Eecht als feste Stützen der kaiserlichen
Herrschaft gelten muGsten. Das gesamte bewegliche und unbewegliche
Vermögen der Angehörigen beider Stände wurde konfisziert; den
karthagischen Klerus brachte man mit seinem Oberhaupt, dem Bischof
Quodvultdeus, auf schadhafte Schiffe, die dem Spiele der Wellen
preisgegeben wurden. Doch gelang es den Ausgesetzten, ohne Unfall
die Küste Italiens zu erreichen. Das Los der Adligen aber war
teils Knechtschaft, teils Verbannung. Unter den vertriebenen Senatoren
befand sich der Grofsvaterdes„heiligen^^Fulgentius,Gordianus, dessen
Söhne später nach Afrika zurückkehrten und wenigstens die Güter
des Geschlechts in der Byzacena vom König zurückerhielten*), femer
Celestiacus, dessen Schicksal der Bischof Theodoret von Kyros
in Syrien in mehreren Briefen lebhaft beklagt.^) Es ist begreiflich,
dafs der König in dem wichtigsten Stützpunkte seiner Macht einflufs-
reiche Römer nicht dulden wollte. Dafs bei dieser Gelegenheit auch
die Kirchen geplündert worden sind, ist durchaus glaubhaft^), mit
Unrecht wird dies von Papencordt und Auler angezweifelt; denn
1) So Frosper c. 1339 (späterer Zusatz, aber wohl aus den Konsularf asten;
vgl. auch Additiones ad cyclos Dionysianos, Chron. min. I, 755) und Hydat. c. 115.
Die Chronik des Marcellinus Comes a. 439 giebt den 23. Oktober an, das Ghronicon
paschale I, 583 (Bonn) nur den Monat (Oktober). Die Chron. Gallica a. 452
setzen die Eroberung Afrikas ins Jahr 444 (c. 129).
2) Gisiricus, de cuius amicitia nihil metuebatur (Prosp.).
3) Die Hauptquellen sind Prosper und Victor von Vita I, 12 fF. Ferner
Hydat. c. 118.
4) Vit. Fulg. Kap. 1.
ö) Theodoret. epist. 29 — 36. (Migne, Patr. graec. 83, 1207 flF.)
6) Hieraus stammten vielleicht das mit Edelsteinen besetzte goldene Kreuz
und die zwei silbernen vergoldeten Leuchter, die Belisar später aus der wan-
dalischen Beute der Peterskirche in Rom schenkte.
Das afrikanische Reicli unter G^iserich. g9
wenn später, im Jahre 455, der Bischof Deogratias Eirchengerate
genug besais, mn Grefangene damit loszukaufen, so konnte inzwischen
Ersatz beschafft worden sein. Sämtliclie innerhalb, sowie einige
auEserlialb der Stadt gelegenen Gotteshäuser wurden fOr den katho-
lischen Gottesdienst gesperrt und eine Anzahl derselben, darunter
die bischöfliche Kathedrale (die basilica Restituta), sowie die basilica
Maiorum^) und die beiden dem heiL Cyprian geweihten Kirchen*),
wie Victor und Hydatius erzählen, mit dem Kirchenyermogen der
arianischen Geistlichkeit überwiesen.
Die Erzählung Prospers, dafs die heiligen Gebäude den Wandalen
nicht einmal zur eigenen gottesdienstlichen Verwendung, sondern zu
Wohnungen überwiesen worden seien, ist daher ganz unglaubhaft.
Eine derartige Entweihung hat, wenn überhaupt, sicher nur vorüber^
gehend bei der ersten Besetzung der Stadt stattgefunden.^) Von
einer damals erfolgten mutwilligen Zerstörung einzelner Gebäude,
wie von Papencordt S. 74 angenommen wird, kann keine Rede sein;
die von Victor I, 8 berichtete Niederreifsung der Theater und der
Via Gaelestis hängt jedenfalls mit den Mafsnahmen Geiserichs gegen
die Üppigkeit imd Unzucht zusammen und fällt in eine spätere Zeit.
Ebenso ist die von . demselben Autor erwähnte Demolierung von
Kirchen (vgl. 1,9: basilicas quas non destruxerunt) ganz un-
glaubhaft. Victors Ausdrucksweise ist ganz unbestimmt; wäre er
genau unterrichtet gewesen, so würde er nicht verfehlt haben, Einzel-
heiten mitzuteilen. Dazu kommt, dafs Kaiser Justinian in seiner
bekannten Verordnung vom Jahre 534 (Cod. I, 27, i, s) zwar von der
Entweihung von Kirchen zu Ställen spricht, aber von Zerstörung
derselben keine Silbe berichtet. — In richtiger Erkenntnis der Be-
deutung des Besitzes der Stadt ist denn auch bald nachher die
Rechnung nach Königsjahren, vom 19. Oktober 439 ab als Neujahr
gerechnet, eingeführt worden (vgl. weiter unten).
Geiserich mufste erwarten, dafs nach diesem Vorgehen der Hof
zu Ravenna alle Mittel in Bewegung setzen würde, um den kühnen
Räuber der wertvollsten Provinz zu bestrafen und ihn aus derselben
zu vertreiben. Um durch fortwährende Beunruhigung, namentlich
1) So ist mit den Hdschrr. zu lesen, nicht bas. maior. Die Restitnta ist
mit dieser Kirche nicht identisch, vgl. Gsell, M^anges d'arch^ologie et d*histoire
XX (1900), S. 120.
2) Die eine derselben war noch unter Gelimer im Besitz der Arianer, vgl.
Prok. I, 8.
8) Vgl. Schwarze a. a. 0. S. 165.
70 Zweites Bnch.
aber durcli Wegnahme der jetzt für die Komversorgung Italiens
hauptsächlich in Betracht kommenden Inseln Sardinien und SizUien^)
das Westreich in den Zustand dauernder Hilflosigkeit zu versetzen,
rüstete er wahrscheinlich im Frühjahr des folgenden Jahres im Hafen
Karthagos eine grofse Flotte aus.*) Die Kunde von dem Auslaufen
derselben erfüllte die Eömer mit Schrecken^ um so mehr als man
über das Ziel der geplanten Expedition gänzlich im unklaren war;
eine am 24. Juni 440 erlassene kaiserliche Verordnung rief alle Ein-
wohner des Reiches zur Verteidigung auf, wobei auf die von Ostrom
erbetene Hilfe^ das Herannahen eines Heeres unter Aetius und die
von dem magister militum Sigisvult getroffenen Schutzmafsregeln
hingewiesen wurde.*) Jedenfalls in Hinblick auf die durch die Weg-
nahme Karthagos entstandene Gefahr war noch i. J. 439 die Be-
festigung Konstantinopels auf der Seeseite^) sowie die Wieder-
herstellung der schadhaft gewordenen Mauern und Türme Roms im
März 440^ durch die Kaiser angeordnet worden. Ohne indes
wesentlichen Widerstand zu finden, landeten die Wandalen, wahr-
scheinlich bei Lilybaeum, auf Sizüien, zogen plündernd auf der Insel
umher und belagerten zuletzt Palermo; wir hören auch von Ver-
folgungen der Katholiken, die Geiserich hier auf Betrieb des arianischen
Bischofs Maximinus vorgenommen haben soll.^ Der traurigen Lage,
in die der Bischof von Lilybaeum Pascasinus durch die wandalische
Occupation geraten war, gedachte der Papst Leo in einem (verlorenen)
Schreiben (geschrieben 442); der Inhalt desselben ist uns aus der
Antwort des Bischofs (aus der ersten Hälfte des Jahres 443) bekannt."^)
Das entschlossene Auftreten eines Vorfahren des berühmten Cassiodorus
1) Salvian. de gab. dei VI, 68: eversis Sardinia ac Sicilia, id est fiscalibns
horreis, atque abscisis velut vitalibus venis. Der Besitz von Sizilien, namentlich
des Hafens von Lilybaeum, war auch strategisch wichtig, da der letztere das
Ansfallsthor für die Angriffe gegen Karthago bildete.
2) Das Chron. pasch. I, 583 gibt irrig das Jahr 439 an. — Von einer Plan-
losigkeit dieses und der folgenden Raubzüge, wie man nach Prokop I, 6 an-
nehmen könnte, kann keine Bede sein. Die hier mitgeteilte Anekdote mag
richtig sein, hat aber jedenfalls ihren Grund dann, dafs Geiserich das Zied
seiner Expeditionen sorgfältig geheim hielt.
8) Novell. Valent. IX (quia sub aestiva navigandi opportunitate satis incertum
est, ad quam oram terrae possint naves hostium pervenire).
4) Chron. pasch, a. 439.
6) Nov. V; Cuius (praefecti urbis) ordinatio etiam in muris, turribus et
portis, quae sunt labefactata, restituat.
6) Hydat. c. 120. Prosp. c. 1342. Theophanes, chronogr. a. 5941, ed. de
Boor I, 101.
7) Krusch, Studien zur christlich - mittelalterlichen Chronologie (1880)
S. 100. 247 ff. Vgl. auch Beda chron. c. 481.
Das afrikanische Eeich unter Geiserich. 71
Senator soll damals dem Vordringen der Wandalen, deren Streif züge
sich bis nach Bruttium ausdehnten, Einhalt gethan haben.^) Weniger
jedenfalls dieser Umstand als die Kachricht, dafs Sebastianus, der
Schwiegersohn des ehemaligen Militärstatthalters Bonifatius, nach
Karthago sich geflüchtet habe, und das Herannahen der von Valentinian
herbeigerufenen ostromischen Flotte veranlafste Geiserich, noch in dem-
selben Jahre Sizilien aufzugeben und nach Afrika zurückzukehren.^
Sebastianus war nach dem Tode des Bonifatius (432) in dessen SteUe
als magister militum praesentalis eingerückt, bald darauf aber von
Aetius zur Flucht nach Konstantinopel gezwungen worden. Von
hier ging er, nachdem er eine Zeitlang Seeräuberei getrieben*), zu
dem Westgotenkönig Theoderich und sodann nach Spanien, wo er
sich eine selbständige Stellung zu schaffen suchte. Er wurde in-
dessen auch von dort vertrieben und landete nun in Karthago, um
in die Dienste Geiserichs einzutreten. Dem mifstrauischen Könige
mufste jedoch mit Recht die Anwesenheit des angesehenen, kriegs-
tüchtigen Mannes als eine grofse Gefahr für den Bestand seiner
Herrschaft erscheinen; er verlangte von ihm auf Anraten der arianischen
Bischöfe, dafs er als Beweis seiner Treue zum Arianismus übertreten
6olle, und als er dieser Zumutung auswich, liefs er ihn später unter
einem Vorwande hinrichten.^) •
Die avisierte oströmische Flotte landete zwar im folgenden Jahre
(441), angeblich m einer Stärke von 1100 Transportschiffen mit einer
bedeutenden Truppenzahl auf Sizilien; die Anführer, Areobindus, Ansila,
Inobindus, Arintheus und Germanus, verbrachten jedoch die Zeit ihrer
Anwesenheit mit nutzlosem Zaudern und bewirkten dadurch, dafs die zum
Schutz erbetene Hilfe zu einer förmlichen Plage für die unglücklichen
Bewohner der Insel wurde. Als nun zur gleichen Zeit die Perser und
namentlich die Hunnen unter Attila und Bleda in die östlichen Grenz-
1) Cassiod. var. 1, 4, 14. Avus enim Cassiodorus — a Wandaloruin incnrsione
Bruttios Siciliamque armomni defensione liberavit (vor der Eroberung Roms 455) ;
jedenfalls übertrieben.
2) Prosper c. 1342. Theoph. a. a. 0. 3) Suidas s. v. ©soSöaiog,
4) Vict. Vit. I, 9 ff. Die von diesem gebrachte Erzählung von dem Gleichnis
vom Brote und der Taufe ist jedenfalls unhistorisch, vgl. Auler a.a.O. S. 268f.
Dafs Sebastianus übrigens als Märtyrer seines Glaubens gestorben sei, sagt Vict. selbst
nicht. Vgl. femer Hydat. c. 129. 132. 144. Marcellin. Com. a. 435 ; beide mit
falscher Chronologie. Hyd. erzählt die Flucht zu den Wandalen zweimal (zu
den Jahren 445 und 450), wahrscheinlich nach zwei verschiedenen Quellen,
Prosper a. a. 0. setzt sie in das Jahr 440 und verdient jedenfalls den Vorzug.
Sebastians Tod fällt wohl noch in dasselbe Jahr (Hyd. c. 144: parvo post
tempore quam venerat — iubetur occidi). Vgl. auch Morcelli a.a.O. HI, 158.
72 Zweites Buch.
lande^ die durch die wandalische Expedition zum Teil ihrer Besatzungen
beraubt waren, einfielen^ wurde die Flotte^ ohne nur das Geringste
ausgerichtet zu haben ^ wieder zurückberufen^) (442). Daus damals
Friedensverhandlungen zwischen Geiserich und Theodosius stattgefunden
hätten, wird von Theophanes, jedoch wenig glaublich, berichtet^
wenigstens wird dessen Angabe durch keine andere Quelle bestätigt.
Unter diesen Umständen sah sich der Kaiser Yalentinian ge-
nötigt, mit Geiserich Frieden zu schliefsen, dessen Herrschaft als eine
selbständige offiziell anzuerkennen: dies ergiebt sich aus den Worten
Prospers c. 1347 (zum Jahre 442), es sei Afrika zwischen den beiden
Herrschern certis spatiis geteilt worden. Wie wir aus den kaiser-
lichen Verordnungen Nov.Val.XVIIL XXXHI imd Victor von Vita
(I, 13ff.)^) erfahren, verblieben das Cäsareensische und Sitifensische
Mauretanien, Numidien mit Cirta sowie Tripolis bei dem Beiche,
während die Provinzen Abaritana (d. h. wahrscheinlich das tingitanische
Mauretanien^), dessen Besitz wegen der Beherrschung der Meerenge
für die Wandalen unumgänglich nötig war), Prokonsularis, Bjzacena,
das prokonsularische Numidien (wichtig wegen der Stadt Hippo
regius)^) und Gätulien (wohl identisch mit dem südlichen Teile der
Byzacena), also die wichtigsten Provinzen Afrikas, an die Wandalen
zu souveränem Besitze abgetreten wurden. Dals der Kaiser jedoch
zunächst die Hofl&iung auf Wiedergewinnung der verlorenen Gebiets-
teile nicht aufgab, zeigen die Worte der aus dem' folgenden Jahre
stammenden Verordnung Novell. XII, § 2: Quod observari volumus
.... usque ad illud tempus, quo qualibet ratione atque eventu patriae
vel propriorum recuperatio optata contigerit.^)
1) Prosp. c. 1844. 1346. Theoph. a. a. 0. Güldenpenning, Gesch. d. ostrGm.
Reiches, S. 338 fF. Eine Koalition zwischen Geiserich und Attila, wie letzterer will,
ist schwerlich anzunehmen. Ebenso auchWietersheim, Gesch. d.Völkerw.*, 11,223.
2) (Geisericns) . . . sibi Bizacenam, Abaritanam atqne Getuliam et partemNmni-
diae reservavit, exercitui vero Zengitanam — divisit, Valentiniano adhuc imperatore
reliquas licet iam exterminatas (d. h. voneinander getrennt) provincias defendente.
3) Der sonst unbekannte Name findet sich nur noch beim Anonymus
Ravennas, Cosmographia I, 3; m 11 (edd. Pinder et Parthey p. 8. 162. 164) als
einheimische Bezeichnung fOr die Provinz Gaditana: quae Gaditana barbaro
modo Abrida dicitur. An die Gegend von Abara (Aboritanus in der Notitia
prov. von 484, vgl. auch das Bistumsverzeichnis aus dem T.Jahrh. bei Grelzer,
Byzantinische Zeitschrift n [1893] S. 31), wie Papencordt will, ist natürlich
nicht zu denken. Auch über den Begriff Gätulien giebt der Anon. Rav. m, 9
(p. 159) näheren Aufschlufs. Vgl. Miller, Mappae mundi VI (1898) S. 32.
4) Jedenfalls identisch mit Victors pars Numidiae.
5) Die nach den älteren Texten denselben Gedanken ausdrückenden Worte
der Konstitution von 451 Novell. XXXTTT § 4 lauten in Wahrheit: Donec meliere
auspicio ubertas rerum Africae (d. h. reichlichere Steuereinkünfte) contingat.
Das afrikanische Beich unter Geisericli. 73
Besiedelt wurde von den Eroberem in diesem Gebiete jedoch
nur die Prokonsularprovinz^); militärisclie Ghründe, die ein Zusammen-
bleiben des Volkes und zwar in der Kahe Karthagos wünschenswert
erscheinen liefsen^ sowie der Umstand^ dafs dort das fruchtbarste
Ackerland sich befand^ sind hierfür jedenfalls in erster Linie mafs-
gebend gewesen.*) In den übrigen vom Reiche abgetretenen Provinzen
befanden sich von wenigen Ausnahmen abgesehen keine wandalischen
Niederlassungen. Jeder Tausendschaft wurde nach vorheriger Ver-
messung mit dem Seile (funiculus)^) ein bestimmtes Gebiet zugewiesen
und dieses sodann durch die Obrigkeiten an die einzelnen Haus-
haltungen als steuerfreies ; erbliches Eigentum (sortes Vandalorum)
verteilt. Die Tausendschaft erlangte somit wieder territoriale Be-
deutung; ob und inwieweit bei der Abgrenzung derselben eine An-
lehnung an die bestehende Einteilung der Prokonsularis in Ver-
waltungsbezirke stattgefunden hat; ist unbekannt. Von der Teilung
ward der weltliche und kirchliche Grimdbesitz ohne unterschied,
jedoch nur der ländliche und auch dieser wohl nicht im ganzen üm-
fEinge betroffen; eine Konfiskation der städtischen Grundstücke fand
im allgemeinen nicht statt; blofs in Karthago wurde hiervon in
Bezug auf das Eigentum des höchsten Adels und des Klerus eine
Ausnahme gemacht (vgl. oben). Den bisherigen Grundbesitzern^)
wurde — soweit diese nicht schon bei der Eroberung getötet oder
vertrieben worden waren — die Wahl gelassen, ob sie nach Verlust
ihres Eigentums als Freie ihren Aufenthalt anderswo nehmen^) oder
als Knechte ^9 d. h. wahrscheinlich als Kolonen^ auf ihren früheren
Besitzungen zurückbleiben wollten. Die auf diesen expropriierten
Gütern ansässigen Sklaven und Kolonen wurden dagegen in der
1) Vict. I, 13: exercitui vero Zengitanam vel (=et) proconsularem
divißit. Vgl. I, 29 und I, 17: memoratarum provinciarum, quas diviserat
Wandalis nnd dazu oben.
2) Die Erhaltung der wandalischen Nationalität haben diese Mafsnahmen
in bewulster Weise nicht bezweckt; wer eine derartige Ansicht (so Stadler S. 27)
vertritt, verkennt die damaligen Verhältnisse völlig.
8) Vgl. dazu Gaupp, die german. Ansiedelungen und Landteilungen S. 206.
4) Vgl. dazu und zum Folgenden Vict. Vit. I, 13 ff. Procop. b. V. I, 6 (stark
übertrieben). Vita Fulgentii cap. 1. Apoll. Sid. Carm. V, 58 ff: Hie praedo et dominis
extinctis barbara dudum sceptra tenet tellure mea penitusque fugata nobilitate
fiirens.
6) Den Vertriebenen wurde durch Gesetz Valentinians vom Jahre 461
(Nov. XXXTTT) in den kaiserlich gebliebenen Provinzen Land angewiesen (honoratis
proconsularis ac Byzacenae coUocari, quos a barbaris sublatis patrimoniis etiam
de sedibuis propriis constat expulsos).
6) Vict. I, 14: servi perpetui.
74 Zweites Buch.
Hauptsache in ihrer bisherigen Stellung belassen, erfahren also nur
einen Herrenwechsel. ^) Da das kaiserliche Krongut in der Prokonsularis .
eine grofse Rolle spielte — dasselbe umfafste weit über die Hälfte
der ganzen Provinz — , so ist anzunehmen, dafs auch von diesem
ein grofser Komplex an das Volk zur Verteilung gelangte. Dafs
jedoch auch dem Königshause hier gröfsere Besitzungen, offenbar
ehemalige kaiserliche Domänengüter, zugefallen sind, zeigen die Er-
zählungen Victors I, 17 (ad Maxulitanum litus) und I, 44 von den
in der Nähe Karthagos gelegenen Gütern Theoderichs, des Sohnes
Geiserichs.^) Ob das bei der Eroberung des Wandalenreiches er-
wähnte Schlofs zu Grasse, das an der Strafse von Hadrumetum nach
Karthago unweit des Meeres bei Aphrodisium noch innerhalb der
Prokonsularis gelegen war*), schon unter Geiserich königliches
Hausgut gewesen ist, wissen wir nicht, doch ist es sehr wahrscheinlich.
Das gleiche Schicksal wie die Possessoren traf die katholischen
Kleriker, soweit sie in den wandalischen Bezirken residierten*), ein Vor-
gehen, das sich einerseits zur Fundierung und Dotierung der arianischen
Kirche notwendig machte, anderseits aber auch der zu befürchtenden
politischen Propaganda vorbeugen sollte. Dafs trotzdem von der
orthodoxen Geistlichkeit Versuche gemacht wurden, in den ihnen
gesperrten Distrikten zu amtieren, zeigt die Erzählung Victors I,
16 ff. deutlich.^) Wenn gegen die Widersetzlichen mit strengen
Strafen vorgegangen wurde, so war dies nur in der Ordnung; von
welchem (berechtigten) Grimm der König erfüllt war, zeigt dessen
Bemerkung auf die an ihn von jenen gestellte Zumutung, die freie
Ausübung des katholischen Gottesdienstes innerhalb der Wandalen-
lose zu gestatten (Vict. I, 18). Zu den damals Vertriebenen gehörte
wahrscheinlich auch der von Theodoret (epist. 52. 53) erwähnte, aus
Afrika geflohene Bischof Cyprianus. Auf die Kleriker in den Städten
(aufser Karthago) und in den etwa noch in römischem Besitz ver-
bliebenen ländlichen Distrikten erstreckte sich jedoch ebenfalls diese
Mafsregel nicht; wir finden daher später zahlreiche katholische Priester
in der Prokonsularis erwähnt, obwohl es an Versuchen der Wandalen-
könige nicht fehlte, die Zahl derselben zu beschränken. In den aufser-
halb der Prokonsularis gelegenen Provinzen trat der König als Rechts-
1) Sie sind wohl hauptsächlich nnter dem popnlus dei Vict. I, 17 zn verstehen.
2) Vgl. Papencordt S. 181 f. 8) Tissot a. a. 0. ü, 116, pl. Vm.
4) Vict.I, 14. 17. n, 13. 39. HI, 3. 4.
5) Vgl. namentlich § 18: . . . coepenint qualiter poterant et ubi poterant
ablatis ecclesiis divina mysteria celebrare.
Das afrikanisclie Reich unter Geiserich. 75
nachfolger des Kaisers in den Besitz sämtlicher Fiskalgüter ein^ von
denen er einen Teil seinen Söhnen verlieh. Aus Vict. Vit. I, 44 er-
fahren wir, dafs Theoderich Eigentümer von Ländereien in der
Byzacena war. Vgl. auch Proc. B. V. I, 5 (p. 333, Bonn). Die Be-
sitzverhältnisse der römischen Privatpersonen und der Kirche blieben
hier mit wenigen Ausnahmen unangetastet^); anfänglich konfiszierte
Güter wurden sogar später ihren Inhabern wieder zurückgegeben
(vgl. vita Fulg. c. 1 von den Söhnen des Gordianus). Die Grund-
steuerpflicht, wenn auch etwas verändert, blieb bestehen, und insofern
derjenige, der zur Entrichtung von Abgaben verpflichtet war, nach
germanischer Anschauung einem Hörigen gleich geachtet wurde,
konnten jene Gebiete als Eigentum des Staates, d. h. des Königs
gelten.*) In diesem Sinne ist wohl dis Bemerkung Victors I, 13,
Geiserich habe sich aufser der Abaritana die Provinzen Byzacena,
Gätulien und einen Teil Numidiens vorbehalten, zu verstehen. Freilich
kann hier ebensogut die römische Auffassung zu Grunde liegen, dafs
das gesamte Grundeigentum einer eroberten Provinz an den erobernden
Staat übergeht, das Privateigentum aber, soweit es fortbesteht, nur
als geduldeter Besitz gut.»)
Die Gründung des souveränen Staates in Afrika, die doch das
eigentliche Werk Geiserichs war, mufste naturgemäfs dessen Ansehen
und Macht in erheblicher Weise steigern. So konnte der König nun
den Schritt wagen, die letzten noch vorhandenen Reste der Volks-
freiheit zu beseitigen. Wir erfahren hiervon nur aus einer leider
sehr dürftigen Notiz Prospers z. J. 442 (c. 1348): gegen Geiserich,
der, durch seine Erfolge (d. h. die Begründung des souveränen Staates)
übermütig gemacht, gegen die Seinen hochfahrend aufgetreten sei*),
hätten einige Vornehme eine Verschwörung angezettelt, die alsbald
blutig unterdrückt worden sei. Und als andere kurz darauf wiederum
eine Erhebung vorbereitet, habe der argwöhnische König so viele
aus seinem Volke hinrichten lassen, als ihn ein unglücklicher Krieg
gekostet haben würde.
Wahrscheinlich in dieselbe Zeit fällt das von Geiserich für die
katholischen Kleriker in den römischen Gebietsteilen erlassene Kanzel-
1) Vgl. dazn aucli vita Fulg. c. 14. 19. Papencordt S. 193. Die Novelle
Valentinians yTXTTT von 451 spricht allerdings von Vertriebenen ans der Pro-
konsnlaris und der Byzacena; allein darauf ist nicht viel Gewicht zu legen.
2) Vgl. Dahn, Könige I, 206. Waitz, Verfassungsgeschichte 11% 255. 276.
3) Mommsen, Rom. Staatsrecht ü', 2, 963.
4) In Gisiricum de successu rerum etiam apud suos superbientem
(vgl. dazu Tac. ann. XII, 17. 29) quidam optimates ipsius conspiraverunt u. s. w.
76 Zweites Buch.
gesetz, wodurch diesen untersagt wurde, in ihren Predigten biblischer
Verfolger, wie Pharao, Nebukadnezar^), Holofemes, zu gedenken,
weil er fürchtete, dafs derartige Namen nur vorgeschoben würden,
um gegen seine Person auszufallen. Diejenigen, die sich an dieses
Gebot nicht hielten, wurden mit Verbannung bestraft.^ Einen Bück-
halt fanden diese aufsässigen Geistlichen namentlich in ihren Amts-
brüdem in den dem Reiche verbliebenen Provinzen. Schon oben ist
der aufreizenden Thätigkeit des Bischofs Honoratus von Cirta ge-
dacht worden; eben dahin gehören wahrscheinlich die von Gennadius
de vir. inl. cap. 74. 78. 79 als Verfasser von Streitschriften gegen den
Arianismus aufgeführten afrikanischen Bischöfe Asclepius, Victor
Cartennensis und Voconius von Gastellum (vgl. unten). Daßs auch die
hier ansässigen Angehörigen des Adelsstandes streng überwacht
wurden, ist selbstverständlich; doch hören wir, wie schon gesi^
von Ausweisungen derselben nichts.*) Um den zu fürchtenden inneren
und äufseren Feinden jeden Stützpunkt zu nehmen, liels der König
die Mauern der meisten Ortschaften schleifen^); die einzigen, die ihre
Befestigungen behielten, waren, wie es scheint, das Kastell Septem,
sowie die Städte Hippo regius und Karthago; die letztere wurde als
das Hauptbollwerk der wandalischen Macht in Afrika angesehen.
Wahrscheinlich ist damals auch die Datierung nach Königsjahren
vom 19. Oktober 439, der Einnahme Karthagos, ab als Neujahr ge-
1) Sonst wurde dieser von der aMkanischen Kirche gewissermafsen als ein
Heiliger verehrt, da er, durch das Wunder von den drei Männern im feurigen
Ofen veranlafst, ein Edikt gegen die Gotteslästerer erlassen habe. Vgl. Augustin.
epist. 105, 7. Eine kürzlich in Karthago aufgefundene Thonlampe zeigt den
König mit einem Heiligenschein über dem Kopfe.
2) Vict. I, 22. 23. Doch fallen mehrere der hier erwähnten Ausweisungen
von Bischöfen sicher in eine spätere Zeit, da die genannten Provinzen zum Teil
erst nach Yalentinians Tode dem wandalischen Eeiche angegliedert wurden. Zu
den damals Exilierten gehörte vielleicht auch der Bischof Aurelius von Hadm-
metum, der 461 auf der Synode von Chalcedon anwesend war (Harduin, coli,
concil. n, 483) und bald danach gestorben zu sein scheint. Vgl. auch weiter unten.
Auler S. 271 bezweifelt ohne Grund, dafs der Ort Teudalis, dessen Bischof Habet-
deum jetzt oder später ausgewiesen wurde, in der Prokonsularis gelegen habe;
denn auch in dieser lagen Distrikte, die direkt der königlichen Gewalt unter-
standen.
3) Vict. HI, 26 erzählt von einem generosus et nobilis vir Servius aus Tu-
burbi in der Prokonsularis, der unter Geiserich Mifshandlungen erlitt, weil er amici
cuiusdam secreta nicht verraten wollte. Offenbar handelt es sich um eine Kon-
spiration; man sieht hieraus, wie begründet das Mifstrauen des Königs gegen
den römischen Adelsstand war.
4) Proc. B. V. I, 6. de aedif.VI, 6.
Das afrikanische Reich nnter Geiserich. 77
rechnet; durch Geiserich gesetzlich angeordnet worden. Diese Rech-
nung; die den souveränen Charakter des Staates deutlich zum Aus-
druck bringt, ist von nun an allein im Gebrauch gewesen; von
Datierung nach Konsulatsjahren oder Indiktionen^ wie sie bei den
Westgoten und Burgundionen vielfach nebenbei erscheint, ist hier
keine Spur nachzuweisen.^)
Wie mächtig damals das Reich Geiserichs dastand, zeigt die
Thatsache, dafs der Westgotenkönig Theoderich I. seine Bundes-
genossenschaft suchte, zu deren Besiegelung eine Tochter des
letzteren mit dem Königssohn Hunerich, dem präsumtiven Thron-
folger, vermählt wurde. Langen Bestand hat jedoch dieses Verhältnis
nicht gehabt; auf den blofsen Verdacht hin, dafs seine Schwieger-
tochter ihn habe vergiften wollen, schickte Geiserich dieselbe, ver-
stümmelt an Käse und Ohren, an ihren Vater zurück. Es ist jedoch
fraglich, ob diese Erzählung des Jordanes (Get. 36, 184) in allen
Punkten richtig ist; wahrscheinlicher ist es, dafs der König die
Trennung der Ehe seines Sohnes im Hinblick auf eine in Aussicht
stehende Verbindung desselben mit einer Tochter des Kaisers Valen-
tinian, worüber damals Verhandlungen gepflogen worden zu sein
scheinen , verfügt hat. Der angebliche Vergiftungsversuch mag dabei
als Vorwand gedient haben. Wir erfahren hiervon aus dem Panegyrikus
des Merobaudes auf das dritte Konsulat des Aetius (446) v. 24 — 29;
es heilst hier, der in Libyen eingedrungene Gewalthaber, der es ge-
wi^ hatte, die eliseischen, d. h. karthagischen Gebiete vom Reiche
loszureüsen, sei durch Aetius bewogen worden,, in enge Beziehungen
zu Rom zu treten sociamque intexere prolem. Der Eintritt in ver-
wandtschafkHche Beziehungen zu der kaiserlichen Familie war das
Ziel des Ehrgeizes der meisten Barbarenfürsten — sei es, um ihrem
Hause einen gröfseren Glanz zu verleihen, sei es, um einen Rechts-
grund für Ansprüche auf römische Gebietsteile zu haben oder um
ihr Herrschertum gegenüber der römischen Bevölkerung in den von
ihnen besetzten Ländern zu stärken und zu sichern. Zum Abschlufs
einer Ehe ist es allerdings nicht gekommen: dafs jedoch damals ein
freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Staaten eingetreten ist,
geht auch sowohl aus Priskus (fragm. 24), nach dessen Zeugnis der
Kaiser Avitus im Jahre 456 den Wandalenkönig an ein früher von
diesem mit dem abendländischen Reiche abgeschlossenes Bündnis er-
innerte, als aus Johannes Antiochenus (fragm. 201 Müller, ebenfalls
1) Vgl. die Nachweisungen Mommsens Neues Archiv XVI (1891) S. 62 ff.
78 Zweites Buch.
aus Priskus)^) hervor, wonach öeiserich durch den Tod des Aetius
und Valentinians III. die bisher bestehenden Friedensverträge als ge-
löst betrachtete.^)
Thatsächlich vernehmen wir nach 445, in welchem Jahre eine
Flotte der Wandalen die Küsten Spaniens heimsuchte, bis zum Tode
Valentinians von Raubzügen derselben im Mittelmeer nichts mehr ^) 5
ja es liefs sich Geiserich sogar auf Bitten des Kaisers herbei, die
Wiederbesetzung des seit 439 (vgl. oben) verwaisten Bischofsstuhles
von Karthago zu gestatten.^) Am 25. oder 26. Oktober 454^) wurde
Deogratias in der Kirche des heil. Faustus*) daselbst zum Bischof
geweiht. Wahrscheinlich ist damals der Mehrzahl der ausgewiesenen
Bischöfe (d. h. mit Ausnahme der in dem wandaUschen Ansiedelungs-
gebiet ansässig gewesenen) die Rückkehr in ihre früheren Sprengel
gestattet worden^, eine Milde, die diese freilich, wie die späteren
Vorgänge lehren, schlecht gelohnt zu haben scheinen. Wir haben
hier ohne Zweifel einen politischen Schachzug des Aetius zu erkennen,
der mit scharfem Blicke einsah, dafs eine Koalition zwischen West-
goten und Wandalen für den Bestand des occidentalischen Reiches
die grölste Gefahr bedeutete. Eine Folge der nunmehr eingetretenen
Isolierung der Westgoten war, dafs diese Anlehnung an das damals
mächtig aufstrebende Swebenreich unter König Rekiar suchten®) (nach
446). Erst die von dem gemeinsamen Feind, den Hunnen, drohende
Gefahr hat wieder einen Zusammenschlufs der Römer und Westgoten
herbeigeführt, wozu sich letztere freilich anfänglich nur widerstrebend
bereit fanden^) (451), Die Erzählung des Jordanes (Getica c. 36),
t) Vgl. Holder-Egger im Neuen Archiv f. alt. d. Gesch. I, 271 Note 5. Dieses
Fragment gehört nicht zu der Chronik des Joh. Antiocheniis , wie Patzig, Joh.
Antioch. u. Malalas, Lpz. 1892, und Byzantinische Zeitschrift II (1893) S. 691 ff.
gezeigt hat.
2) atg TTJg filv slg'^vrjg %avat(p x&v CTCBLCafiBvcav Xvd'stcrig,
3) Hydat. c. 131 von der Plünderung Galiciens.
4) Vict. Vit. I, 24.
6) Continuatio Prosperi Reichenav. (M. G. Auct. ant. IX, 490) c. 25: Car-
thagine ordinatur episcopus Deogratias in basilica Fausti die dominico Vill. kal.
novemb. Vgl. dazu Holder-Egger im Neuen Archiv der Gesellsch. f. alt. d. Ge-
schichtskunde I, 279.
6) Die Kathedrale (ecclesia Restituta) blieb nach wie vor im Besitz der
arian. Geistlichkeit.
7) Die Neubesetzung des bischöfl. Stuhles von Hadrumetum, auf den Felix
nach des Aurelius Tode erhoben wurde (Vict. I, 23), fällt wahrscheinlich in diese
Zeit, vgl. oben,
8) Dahn, Könige V, 76.
9) Vgl. dazu besonders G. Kaufmann, Forschungen zur deutschen Ge-
schichte Vm, 144.
Das afrikanische Reich unter Geiserich. 79
Attila sei damals durch reiche Geschenke Geiserichs zu seiner Ex-
pedition nach Gallien veranlafst worden, um die Bache des beleidigten
Königs Theoderich abzuhalten, scheint mir sehr zweifelhaft, wenn
sie auch durch Priskus fragm. 15^) gestützt wird. Wahrscheinlich
beruht sie lediglich auf einem künstlichen Erklärungsversuch der
Thatsache, dafs der Zug der Hunnen sich nicht zunächst gegen Italien,
sondern gegen Gallien richtete.
Wesentlich anders wurde das Verhältnis zwischen den beiden
Staaten, als der Kaiser Valentinian, der Mörder des hochverdienten
Aetius, von dessen Gefolge getötet worden war (16. März 455).
Wie schon bemerkt, betrachtete Geiserich das bestehende Vertrags-
verhältnis als gelöst; er erklärte, dafs er den neuen Kaiser Maximus
(seit 17. März), der bei der Ermordung des Aetius und Valentinians
seine Hand im Spiele gehabt^) und die Kaiserin -Witwe Eudoxia zur
Ehe gezwungen hatte, nicht als würdigen Nachfolger auf dem Kaiser-
throne anerkennen könne. ^) Unter diesem Vorwande ging er sofort
mit einer grofeen Flotte, die schon seit längerer Zeit in Erwartung
kommender Ereignisse ausgerüstet gewesen zu sein scheint, nach
Italien unter Segel.
Von dem Zuge Geiserichs nach Rom und den begleitenden Nebenumständen
berichten von den abendländischen Geschichtsquellen selbständig hauptsäch-
lich die italienischen Konsularfasten (M. G. Auct. ant. IX, 304), Prosper c. 1375,
Hydatius c. 162. 167, die südgallische Chronik von 511 c. 623 (sämtlich gleich-
zeitig), Victor Tonnenensis a. 465, Victor Vitensis I, 24; femer Cassiodor chron.
c. 1262 f. nach Prosper, Jordanes Rom. 334, Get. c. 45 § 235 nach Marcellinus
Comes, letztere Stelle mit einem selbständigen Zusatz über den Mörder des Maxi-
mus; Isidor von Sevilla, Hist.Vand. c. 77, nach Victor Tonn, und Hydatius; Paulus
Diaconus Hist. Rom. XIV, 16 nach Jordanes und den ital. Konsularfasten, Lan-
dolfas Sagax XV p. 363 Droysen aus Paulus und Anastasius, dem Übersetzer
des Theophanes. Von den ostarömischen Quellen besonders" Priskus (bei Joh. Ant.
fr. 201 ; der ausführlichste Bericht) , Marcellinus Comes a. 455, zum gröfsten Teil
aus den oströmischen u. weströmischen Konsularfasten, aber mit selbständigem Zu-
satz über die Berufung Geiserichs, vgl. Neues Archiv I, 270, das Chronicon paschale
(nach den oströmischen Fasten), Euagrius hist. eccl. 11 , 7 (nach Eusthatius, Anfang
6. Jahrb.), Malalas chron. XIV, p. 365 f. Bonn, (schrieb zwischen 528 und 533/40, vgl.
Patzig, Progr. der Leipz. Thomasschule 1892 S. 30), Prokop bell. Vand. I, 5. 11, 9.
Die Auszüge aus einer zwischen 600 u. 800 verfafsten Kirchengeschichte, in der
namentlich Theodorus Lector (Anf. 6. Jahrh.) benutzt ist, bei Gramer, Anecdota
Paris, n, 101, vgl. Krumbacher, Gesch. der byzant. Litteratur*, 247. Die übrigen
Byzantiner (namentlich Johannes Antiochenus fragm. 200, Theophanes, Kedren,
Const. Manasses, Zonaras, Nikephoros) haben direkt oder indirekt aus Prokop
1) Tcgog Sh For&'ovg xocqlv Fi^sgizfp 'natcctid'BfiBVOv,
2) Dafs dies der Fall gewesen, scheint mir unzweifelhaft, wenn auch
Prosper nichts davon erwähnt. Vgl. Ranke, Weltgeschichte IV, 1, 333 Note.
3) Priskus (Joh. Antioch. fr. 201).
gO Zweites Bach.
und Malalas bez. EnagrixLs geschöpft; (vgl. iPatzig S. 6 ff.). Die Zeitbestimmtuig
des Einzugs Geiserichs bei Theophanes (p. 109 ed. de Boor: t^ tQitjj rifiiga t^g
atpayrig Ma^^fiov) stammt übrigens aus einer unbekannten Quelle und findet sich
in dieser Form nur noch bei Victor Tonn.
Wenn es heilst, Eudoxia habe, um sich von der verhafsten Ver-
bindung zu befreien und Bache an dem Mörder ihres Gemahls zu
nehmen, den Wandalenkönig herbeigerufen, so ist dies eine Fabel.
MuTs schon die Ähnlichkeit dieser Erzählung mit anderen derartigen
unhistorischen Anekdoten aus der spätrömischen Geschichte Bedenken
erregen, so kommt hinzu, dafs die gleichzeitigen Quellen von
einem solchen Motive entweder gar nichts wissen oder dasselbe, wie
Hydatius und Priskus (ut mala fama dispergit und of dd q>a0i)^ als
blofses Gerücht bezeichnen.
Ohne Widerstand zu finden, landete Geiserich in dem Hafen
Roms Portus und zog mit seinen zum Teil aus Mauren (die jetzt
zum ersten Male in engerer Verbindung mit den Wandalen erscheinen)
bestehenden Scharen auf der via Portuensis auf die ewige Stadt
zu.^) Auf die Kunde von seiner Annäherung war hier die gröfste
Verwirrung ausgebrochen. Zahlreiche Einwohner, besonders An-
gehörige des Adelsstandes, verUefsen Rom, um wenigstens das Leben
zu retten; als auch Maximus sich anschickte, das Gleiche zu thun,
statt in Erfüllung seiner Regentenpflicht die Verteidigung der Stadt
in die Hand zu nehmen, wurde er von einem burgundischen Soldaten
Ursus aus der kaiserlichen Leibwache, die über die Feigheit ihres
Herrn empört war, durch einen Steinwurf getötet; sein Leichnam
ward von der erbitterten Menge durch die Stadt geschleift und
schliefslich stückweise in den Tiber geworfen (31. Mai).^) Drei Tage
darauf (also am 2. Juni)^) rückte Geiserich in Rom ein. An der
porta Portuensis empfing ihn der Papst Leo I., der durch sein Bitten
den Wandalenkönig bewogen haben soll, wenigstens von Mord und
Brand abzustehen und sich mit blofser Plünderung zu begnügen.
1) Portus wird in den Quellen nicht genannt, doch kommt nur dieser
Hafen in Frage, da damals Ostia infolge Versandung von gröfseren Schiffen
nicht mehr angelaufen wurde. Priskus erwähnt einen Ort Azestos nahe bei Born,
den Geiserich berührt habe; ein solcher ist nicht nachzuweisen.
2) So werden die vielfach differierenden Berichte zu vereinigen sein. Der
Soldat Ursus, der nach Jordanes den Kaiser tötete, ist wohl identisch mit dem
Burgundio, der nach Apollinaris Sidonius carm.VII, 442 infido ductu tibi (Romae)
extorquet trepidas mactandi principis iras. Dafs die Wandalen durch Verrat
eines burgundischen Söldners Bom eingenommen hätten, wie angenommen
worden ist, läfst sich aus dieser Stelle nicht entnehmen.
3) Die Datierung ergiebt sich mit Genauigkeit aus den Ableitungen der
Konsularf asten, vgl. Neues Archiv I, 286 No& 3.
Das afrikanische Beich unter Geiserich. 31
Haben wir auch keinen Grund, die von Prosper glaubwürdig bezeugte
Gesandtschaft des Papstes zu leugnen, so spricht doch manches da-,
gegen, dals dessen EinfluTs es beizumessen gewesen, dafs Rom vor
gröfseren Greueln verschont blieb. In der Predigt wenigstens, die
Leo am 6. Juli nach der öffentlichen, anläfslich des Abzuges der
Wandalen abgehaltenen Dankfeier gehalten hat^), ist nichts davon
gesagt; die Bettung der Stadt wird hier lediglich der Gnade Gottes
zugeschrieben. Die Wandalen trachteten, wie die Goten Alarichs, in
der Hauptsache nur nach Kriegsbeute; die Zerstörung von Häusern
und Denkmälern wäre daher meist zwecklos gewesen; dazu kam als
wichtiges Moment die Ehrfurcht vor der Gröfse und Heiligkeit Roms,
die allen Germanenfiirsten eigen war.
Vierzehn Tage lang weilten die Wandalen und Mauren in Rom,
Zeit genug, um alle von den Goten noch übrig gelassenen oder seither
wieder ersetzten Kostbarkeiten zu rauben. Über die Einzelheiten der
Plünderung berichtet namentlich Prokop in glaubwürdiger Weise, da
er selbst die von Belisar eroberten wandalischen Beutestücke gesehen
hat, während die gleichzeitigen Quellen nur in allgemeinen Aus-
drücken darüber berichten. In erster Linie wurde der Kaiserpalast
betroffen; alles, was sich darin befand, ward auf die Schiffe gebracht,
um die Residenz in Karthago damit zu schmücken, darunter auch
die Insignien der kaiserlichen Würde.*) Das gleiche Schicksal traf
den Tempel des Jupiter Capitolinus, dessen vergoldetes Dach sogar
zur Hälfte mitgenommen wurde. Vom Kapitol stammten wohl auch
die Statuen, von denen eine Schiffsladung bei der Überfahrt zu Grunde
ging (nach Prokop). Unter den geraubten Schätzen spielten die einst
von Titus nach Rom gebrachten salomonischen Tempelgefäfse eine
besondere Rolle.*) Von Plünderung der Kirchen ist in den älteren
Berichten keine Rede; man sollte doch annehmen, dafs, wenn eine
solche stattgefunden, namentlich der Augenzeuge und Zeitgenosse
Prosper, der die Schändung der dem Gottesdienst geweihten Gebäude
in Karthago durch die Wandalen in grellen Farben schildert, nicht
unterlassen haben würde, darauf hinzuweisen. Auch Prokop weifs
nichts von geraubten Gerätschaften aus römischen Kirchen; erst
1) Sermo 84 (Migne 54, 433). Vgl. dazu Langen, Geschichte der römischen
Kirche von Leo I. bis Nikolaus I. (1886) S. 87 f.
%) Vgl. Malalas a. a. 0. p. 366: ngccLSsvcag navxa xa tov nalaxiov ^mg z6v
XciXyL0VQy7i(idT(ov (kupferne Geräte). Cod. Just. L 27, i (7): ipsa imperialia oma-
menta (vgl. dazu Mommsen N. A. XJY, 537 N. s), quae capta Borna faerant ablata.
3) VgL dazu Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom,* 1,205.
Schmidt, Wandalen. a
82 Zweites Buch.
Theophanes und Kedren erwähnen solche (JxxXrjaiaötiKo) unter den
Beutestücken, was jedoch nur auf willkürlicher Erweiterung des
Prokopschen Berichts beruht. Die Cramerschen Excerpte wissen
dagegen von einer Beraubung der Peterskirche zu erzählen, aus der
zahlreiche Gegenstände den Arianem nach Konstantinopel gesandt
worden seien. Die erst im siebenten Jahrhundert verfafste Biographie
Leos I. (M. 6. Gesta pontificum I, 104)^) berichtet wiederum, der
Papst habe sechs grofse Vasen, je zwei aus den Basiliken Constantins,
der Apostel Petrus und Paulus, einschmelzen lassen, um den Verlust
der anderen Barchen an Gerätschaften zu ersetzen. Wie dem auch
sei, jedenfalls scheinen die Barchen im allgemeinen am glimpflichsten
weggekommen zu sein.^) Dafs die Einwohner am Leben geschont
wurden, auch Brandstiftungen nicht vorkamen, ist durch die zu-
verlässigen Quellen auf das Bestimmteste bezeugt (vgl. namentlich die
südgallische Chronik von 511: sine ferro et igne Roma praedata
est).^) Euagrius, der von einer Verbrennung der ganzen Stadt spricht,
steht hierin völlig allein. Ebensowenig ist von mutwilliger De-
molierung einzelner Gebäude und Kunstwerke die Rede, und mit
Unrecht ist durch das Wort „Wandalismus^^, das hauptsächlich von
der Plünderung der ewigen Stadt hergeleitet wird, dem Volke
Geiserichs ein Brandmal aufgedrückt worden. Sicher ist, dafs andere
Kriegsvölker früher und später weit schlimmer gehaust haben; man
braucht hur an die Zeiten des SOjäbrigen Krieges zu denken.*)
Zu der gewaltigen Beute, die Geiserich mit fortschleppte, ge-
hörten auch mehrere tausend Gefangene, namentlich solche, die sich
durch Jugend und Kunstfertigkeit^) auszeichneten, und viele Sena-
toren, soweit sie nicht vorher die Stadt verlassen (diese ohne Zweifel
des zu erpressenden hohen Lösegeldes wegen) ^), besonders aber die
Kaiserinwitwe Eudoxia mit ihren beiden Töchtern Eudoxia'') und
Placidia, die Verlobte (oder Gattin?) des Senators Olybrius, sowie
1) Vgl. die Einleitung S. XVm.
2) Vgl. auch Gregorovius a. a. 0. S. 210 Note 2.
3) Nur die Cramerschen Excerpte berichten von zahlreichen Mordthaten
{tcoXIoc filv nXri%"ri ^Pix)fia^(Dv %at satpcc^sv).
4) Vgl. Kleinschmidt, Über den sogenannten Wandalismus, Programm
Torgau 1876. Ganz verkehrt Gregorovius S. 210, der sich übrigens selbst
widerspricht.
6) Wahrscheinlich namentlich in der WafFenschmiedekunst, vgl. Vict. Vit. I, 30.
6) Malalas a. a. 0.
7) Die Paschalchronik nennt diese irrig Honoria; der Fehler ist dadurch
entstanden, dafs sie mit Hunerich (OvotQixog) vermählt wurde.
Das afrikanische Eeich unter Geisericli. 83
der Sohn des Aetius, Gaudentius.^) Die Legende berichtet, die
Wandalen hätten auf dem Rückwege Gampanien verwüstet, Gapua
und Nola zerstört und von dort zahhreiche Gefangene fortgeschleppt;
der Bischof Paulinus von Nola habe sein ganzes Vermögen zum Log-
kaufe der letzteren geopfert und schliefslich, um die Befreiung eines
Sohnes einer armen Witwe zu erwirken, sich an dessen Stelle nach
Afrika in die Sklaverei begeben, sei aber kurz vor G^iserichs Tode
von den Barbaren, die seine Selbstlosigkeit bewxmderten, freigelassen
worden.^) Dafs diese Erzählung nicht richtig sein kann, ergiebt sich
schon daraus, dafs Paulinus bereits i. J. 431 tot war; dagegen liegt
ihr ohne Zweifel das historische Faktum zu Grunde, dafs i. J. 410
die Westgoten Alarichs Gampanien geplündert, Nola eingenommen
und den Bischof längere Zeit in Gefangenschaft gehaltei^ hatten.^
Es geht hieraus hervor, da£s Geiserich direkt ohne weitere Feind-
seligkeiten nach Afrika zurückgekehrt ist. Die zahlreichen Gefangenen
teilten die Wandalen und Mauren unter sich; doch wurden viele von
dem Bischof von Karthago, Deogratias, durch Veräulserung von
Kirchengeräten losgekauft. Den Befreiten wurden zwei der Haupt-
kirchen zum vorläufigen Aufenthaltsort angewiesen *)
Geiserich mufste erwarten, dafs die unerhörte That, die Plün-
derung der ewigen Stadt, die West- imd Oströmer aufrütteln und zu
einer energischen Aktion gegen ihn veranlassen würde. Die Gefangen-
haltung der Kaiserin Eudoxia und ihrer Töchter war daher ein wert-
volles Pfand in seinen Händen, um sein Reich vor feindlichen An-
griflfen zu bewahren. Er beherrschte jetzt die Situation vollständig;
seine Person steht seit jener Zeit im Mittelpunkt der abendländischen
Geschichte. Den Gedanken, das Imperium für sich in Anspruch zu
nehmen oder wenigstens einen entscheidenden Einflufs auf die Be-
setzung des Kaiserthrones zu erringen, hat er jedoch anfänglich nicht
gehabt; sein Ziel war zunächst, wie schon früher (vgl. oben S. 70),
die Suprematie im Mittelmeer zu erhalten und das Westreich durch
fortwährende Verwüstungen imd das Abschneiden der Getreidezufuhr
dauernd wehrlos zu machen. Wie gut ihm dies gelang, zeigt die
bald nachher in Italien ausgebrochene Hungersnot, welche später zum
Sturz des neuen Kaisers Avitus führte. Dieser war am 9. Juli 455
in Gallien, wo er als magister utriusque militiae fungierte, unter Mit-
1) Hydat. c. 167.
2) Paul. Diac. Hist. Rom. XIV, 17. 18. Gregor. Magn. dial. m, 1.
3) Dahn, Könige V, 54. Migne, Patrol. Lat. 61, 116f.
4) Yict. Vit. I, 25.
6*
g4 Zweites Bncb.
Wirkung der Westgoten und der einlieimischen Aristokratie zum
Augustus ausgerufen worden und am 21. September d. J. in Italien
eingezogen. Am 1. Januar 456 hielt ihm der Dichter Sidonius
Apollinaris in Rom einen Panegyrikus, worin er ihm die Wieder-
eroberung Afrikas weissagte.^) Eine seiner ersten Regierungshandlungen
war die Abschickung einer Gesandtschaft nach Eonstantinopel^ um
den Kaiser Marcian zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Oeiserich
zu veranlassen; denn wenn Avitus auch die Westgoten zu Bundes-
genossen hattC; so konnte er doch zu einem Angriff auf Afrika bei
dem Mangel an Schiffen und seekundigen Leuten die oströmische
Hilfe nicht entbehren.^) Marcian verharrte indessen in Unthätigkeit;
er begnügte sich damit; Geiserich aufzufordern, von weiteren Ein-
jßllen in «Italien abzustehen und die kaiserlichen Gefangenen zurück-
zugeben. Da dies, wie natürlich, resultatlos blieb, schickte er, seiner
Würde vergessend, einen arianischen Bischof Namens Bleda nach
Karthago, weil er glaubte, dafs derselbe als Glaubensgenosse auf den
König einen gröfseren Einflufs auszuüben im stände wäre; doch eben-
falls vergebens. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir diese
schwächliche Haltung des oströmischen Kaisers auf den damals zur
Macht emporgestiegenen Patricius Aspar zurückführen, da dieser,
wenigstens später, nachweislich, wie auch sein Rechtsnachfolger
Theoderich Strabo, jede kriegerische Aktion gegen die Wandalen
hintertrieb.*) Das gleiche Schicksal hatte eine dasselbe bezweckende
Botschaft des Kaisers Avitus.*)
Infolge der Thatenlosigkeit der beiden Reiche waren die Wan-
dalen in den Stand gesetzt, die ohnehin von Verteidigungsmitteln
entblöfsten noch römisch gebliebenen Provinzen Afrikas zu besetzen;
auch die hier wohnhaften maurischen Stämme scheinen ohne Wider-
stand die wandalische Oberhoheit anerkannt zu haben, wozu der ge-
fürchtete Name Geiserichs nicht wenig beigetragen haben mag. Dafs
dies in jener Zeit, vor dem Jahre 458, geschehen ist, zeigen die
Verse des Apollinaris Sidonius in dem Ende 458 verfafsten Panegyrikus
auf Majorian (V, 335 ff.), welche eine Anzahl maurischer Stämme aus
jenen Gegenden als Teilnehmer der wandalischen Kriegszüge auf-
1) Cami. VII, 588: Hie tibi restituet Libyen per vincula quarta.
2) Hydat. c. 166: Per Avitum legati ad Marcianum pro unanimitate
mittuntur imperii.
3) Theodor. Lect. I, 7 sagt, dafs Marcian gegen die Wandalen gerüstet
habe; doch sei der Ausbruch des Krieges durch seinen Tod verhindert worden.
4) Prise, fr. 24.
^'Öiiai^; T^ du» die B«ui«ifaiiig Vi^bwr«; wä \\i^ (^ 1IÄ\ \ihh ^
heilsty da- König habe uadi TdientiniNii» Tdte Atf^ i\i ^^^^i»m^
ganzen Umfiuige in Besiti genommeiis
Wie es sdidnt, ist Geiserieh damals» «u ^m '^w^)mi i\\ di\w^\m
in Besiehmigen getreten; denn diese fiel<m jt^tet i)^ äi^ A^ i^Vim
römischen Beiche gehörende tarraeonend«<^e Pro^ka ^)\^ W\IV^^
aber von den Westgoten^ die, b^leitet vcm Bur^i^ndkn^^ i\\\ Axkf--
trage des Avitus über die PyrenSen log^m, Wtt ft» Okteb(M» #Ö ä*u
Flusse TJrbicus geschlagen. Gleiohieitig Y^h<^^to ^\m y^m^M^\>\\^
Flotte Sizilien und die angrenzenden Küst^ng^bkt^ Ullt^fitilti^l^A.^)
Diese Gewaltthat spornte Avitus endlich lu @n»rgiieh§r Tk^Mtfk^it
an; er liefs ein Truppenkommando unter dem Swiböft ttldftli^y, i^imm
Enkel König Wallias, nach deu bedrohten Oegifidf^a ftbg^b^fli 4^m
es auch gelange den Feinden auf dem Land# b§l Ag[i*ig^iit ^\m
Niederlage beizubringen.*) Ebenso wurde von demsribMtt ^im Ab=
teilung Wandalen, die auf 60 Schiffen auigilftufen Wftf u«4 ^imn
Angriff auf die italienische oder gallische Küst§ b#Abili@btitj[te| Ailf
Korsika vernichtet. Die Nachricht von dem ktÄt§r#tt BfÄijjftis Wttf4§
dem Westgotenkönig Theoderich durch ünm b@iond#r#» tioUn ttb^^-
mittelt^)
Die unterdessen in Rom ausgebroebimd llvin(f^tm^ wy^rtk j^4^^b
durch diese Siege nicht beseitigt^ ein B^wm, 4*^ di^ WmidfifUm
iiroiKdem die See beherrschten. Von d^^t» mMj$^dmmn mffim-'i^tm-
Volk gezwungen muJbte Avünn tmim goiimhm Hlil4$mr mttmmßf
wodnrdi er ganz in die Gewalt Bmmmn ffmrkif ä^ nnt^ UU^ff^
Bwmtoimg dar Umstände den Kmmt xm H^kk^hr m^ üMim
Dol^te (t Ende 456,^) Auf d<aa wmiirfh^k^hm HäimÜ^m wm'4^
t) fnofdi» aal mtäeat anaok; ihi^ü^^^ S'^imä^., <(;*#^»NW^IANtfiA*>W /M)<Vil(9-'
l^^Sla fiBifiBeoa «MQStä) t<$w Sw Tii^t^MimK» ^m 4^' <Minm- .^<4^ w^ Mi
KjmaaSESBs, «äse «QainannmBifltaix my 4^ ^t^j^mu^ 4^ T^^^M^^^ü^Mi'., <4^ ^-»^^^^^ ^
IfanmaanÄeB^ %MBim{m^ lua^ f*<»fl£ it»t ^iÄi -^ ^Us^numJ^wÄ' '<i^ittttWf4^ #viUw>*^krtj
:ft) J&gaiill. :fiiü. -cann. JJ., M^i-ff. iMtr Jb^i^Hit«r v^ImaajW ^m^w ^'^ 4u«. ^
fe. «» «ess^äüte T-^«löFaibun^ ü^ in ^iuUiw <lw '^WWt^i i^i^itmlitii M*w<;iiiU44i4*:
^amäx QEfiimmar iMkm.
86 Zweites Buch.
nun von Bicimer mit Zustimmung des neuen von Aspar eingesetzten
E^aisers des Ostreiches, Leo I. (seit Januar oder Februar 457),
Major ianus (am 1. April 457) erhoben. Bald nach dessen Re-
gierungsantritt soll es den Bömem (vielleicht unter Bicimer) ge-
limgen sein, eine aus Wandalen imd Mauren bestehende Schar, die
unter Geiserichs Schwager wiederum die Ebenen Campaniens ver-
wüsteten, in die Flucht zu schlagen, wobei der feindliche Anfilhrer
den Tod fand.^)
Inzwischen aber hatten sich die mit Avitus föderiert gewesenen
Westgoten und Burgundionen von dem Bündnis mit dem Reiche
losgesagt; der Thronwechsel galt ihnen als willkommener Vor-
wand, ihre Macht auf Kosten des Imperiums weiter auszudehnen.
Die Augen des westgotischen Königs Theoderich waren namentlich
auf das wichtige Arles gerichtet, dessen Belagerung er sofort
begann. Die veränderte politische Konstellation auszunutzen, ist
Geiserich damals in Beziehungen zu den Westgoten getreten ; Hydatius
berichtet, es seien gotische und wandaUsche Gesandte gemeinsam
bei den Sweben in Spanien gewesen, offenbar um eine Aktion der
drei Völker gegen Rom in die Wege zu leiten.^) Diese kam jedoch
nicht zu stände, da Majorian (Ende 458) mit einem stattlichen
Heere*) über die Alpen in Gallien einrückte, die Burgundionen auf
seine Seite zog und die Westgoten zwang, die Belagerung von Arles
aufzugeben und sich wieder an Rom anzuschliefsen^) (Frühjahr 459).
Gleichzeitig wurden die Rüstungen gegen die Wandalen energisch
betrieben. Es gelang, gegen 300 Schiffe zusammenzubringen,^) die
sich in dem Hafen von Karthagena in Spanien vereinigen sollten,
um das kaiserliche Heer nach Afrika überzusetzen; denn die bisher
gewählte Operationsbasis, Sizilien, hatte sich als ungeeignet erwiesen.
In pomphafter Weise schildert Sidonius^ das Detail dieser Rüstungen.
1) Apoll. Sid. cann. V, 385 ff. (nuper) stark übertreibend; irgend welche
Bedeutung hatte diese Niederlage der Wandalen jedenfalls nicht. Die Lage
des Schlachtfeldes bestimmt Sidonius v. 393 ff.: planis, quae pelagus coUemqae
secant portomqne redncto efficiunt flexu fluvii. Der genannte Flnfs ist der
Liris oder Voltumus; die feindliche Flotte lag in der Flufsmündung.
2) Hydat. c. 192 (zu 458?): Legati Gothorum et Yandalomm pariter ad
Suevos veniunt et revertuntur.
3) Die Völker, aus denen dasselbe zusammengesetzt war, fuhrt Sid. Apoll.
0. V, 474 ff. auf. Sie gehörten vorzugsweise dem Osten an.
4) Hydat. 197. Prise, fr. 27. Joh. Ant. fr. 203.
5) Prise, a. a. 0. (Joh. Ant. fr. 203).
6) Carm. Y, 441 ff. : Interea duplici texis dum litore classem infemo superoque
mari etc. Vgl. auch Cassiod. chron. 1270 (zum Jahr 458): Maiorianus in Africam
movit procinctum.
Das afrikanische Reich unter Geiserich. 87
Er vergleicht die geplante Untemeliinung mit den Expeditionen
Agamemnons, des Xerxes, des Antonius. In den Häfen des Tuscischen
(mare infernum) wie des Adriatischen Meeres, in Italien und Gallien,
habe man Schi£Fe gesammelt; die Wälder des Apennin seien nieder-
geschlagen worden, um als Bauholz fiir neue Fahrzeuge zu dienen.
Von einer Hilfeleistung des oströmischen Kaisers, der damals noch
ganz unter Aspars Einflufs stand, vernehmen wir nichts. Wenn
jedoch Prokop (b. V. I, 7) erzählt, Majorian habe sich verkleidet
nach Karthago begeben, um die Macht der Wandalen und die
Stimmung der Mauren sowie der römischen Bevölkerung gegen diese
zu erkunden, und sei unerkannt von Oeiserich selbst in den Arsenalen
herumgeführt worden, so ist dies natürlich gänzlich zu verwerfen.
Der Kaiser hielt sich noch Ende März 460 in Gallien auf; im Mai
erschien er mit seinem Heere in Spanien und wandte sich über
Zaragoza^) nach Karthagena.^) Die aufgebotene Macht war so
imponierend, dafs der Wandalenkönig sich derselben nicht gewachsen
glaubte und durch Gesandte um Frieden bat.^) Als dies versagt
wurde, liefs er Mauretanien verwüsten und die Brunnen vergiften,
um ein schnelles Vorrücken der Feinde in dem verödeten Lande zu
verhindern. Da es ihm femer glückte, einen grofsen Teil der
römischen Flotte, der aufserhalb des Kriegshafens bei dem heutigen
Elche (zwischen Karthagena und Alicante) lag, durch Verräterei
wegzunehmen, so sah sich der Kaiser genötigt, das Unternehmen
ganz aufzugeben.*) Majorian liels sich nun herbei, mit Geiserich
über den Frieden zu verhandeln; doch scheinen die Bedingungen für
Rom wenig günstige gewesen zu sein. Wahrscheinlich mufste sich
jener verpflichten, den Angriff auf Afrika nicht zu wiederholen,
während anderseits der Wandalenkönig versprach, die Raubzüge
nach den Küsten Italiens einzustellen.^) Diese Vorgänge hatten den
Sturz des Kaisers zur Folge; am 2. August 461 wurde er auf dem
Wege nach Rom von Ricimer seiner Würde entkleidet und fünf
Tage später ermordet. An seine Stelle setzte der allmächtige Patricius
den Severus (19. November d. J.).
1) Maximus Caesaraug. z. J. 460 (M. G. Auct. ant. XI, 223).
2) Hydat. c. 200.
3) Prise, a. a. 0. Hierauf bezieht sich wohl Hydat. c. 209 (zu 460?):
Gaisericus rex a Maioriano imperatore per legatos postulat pacem.
4) Hydat. a. a. 0. Marius Avent. chron. a. 460 u. Chron. Gall. a. 511 c. 633.
5) Vgl. Joh. Ant. fr. 203: xal inl avvd'T^^aLg aiaxQatg xofTOfXvffag tov
noXsfiov inavsSsvyvvsv.
83 Zweites Buch.
Durch den Tod Majorians erklarte Geiserich wiederum die vor
kurzem abgeschlossenen Verträge als gelöst; von neuem begann er
seine Züge nach Italien imd Sizilien.^) Nun wiederholte sich
das alte Spiel; Bicimer sowohl wie Kaiser Leo schickten Ge-
sandte an den Eonig^ um diesen zur Einstellung der Feind-
seli^eiten und zur Bückgabe der Gefangenen aus dem theodo-
sianischen Kaiserhause zu bewegen. Doch hatten diese Botschaften
jetzt wenigstens den Erfolg, dafs Geiserich die Witwe Yalentinians
und deren Tochter Placidia zurückgab; die ältere Prinzessin Eudoxia
hatte er schon vorher seinem Sohne Hunerich vermählt.^) Als Löse-
geld erhielt der König einen Teil der Hinterlassenschaft Yalentinians
ausgezahlt; auch scheint es zum Abschlüsse von Verträgen mit dem
oströmischen Beiche gekommen zu sein.') Dagegen setzte er die
Plünderung von Sizilien imd Italien weiter fort; denn seine Forde-
rungen an das abendländische Beich: Besetzung des Kaiserthrones
mit Olybrius, der nach der Bückkehr der Placidia mit dieser sich
verheiratet hatte, also Schwager des Königssohnes Hunerich geworden
war, sowie die Herausgabe der Vermögen Valentinians und des
Aetius wurden von Bicimer, dessen Machtstellung naturgemäfs durch
die Bewilligung des ersteren Verlangens eine wesentliche EinbuJüse
erlitten hätte, nicht erfüllt.*) Alljährlich mit Beginn des Frühjahrs
verliefsen wandalische Flotten mit starken Besatzungen die afrika-
nischen Häfen, um die bezeichneten Gebiete heimzusuchen^); die
unbeschützten Ortschaften wurden geplündert imd zerstört, während
man die Plätze, in denen Besatzungen lagen, sorgföltig vermied.
Das Westreich befand sich jetzt in einer gröfseren Bedrängnis als je.
Auf drei Seiten bedrohten es gefährliche Feinde: aulser den Wan-
dalen Marcellinus von Dalmatien aus, wo er nach seiner Ver-
treibung aus Sizilien (vgL oben) eine selbständige Herrschaft ge-
gründet hatte, und Aegidius, der sich in Gallien in unabhängiger
Stellung behauptete und danach strebte, als Anhänger des Kaisers
1) Prise, fr. 29.
2) Prise, fr. 29. Hydat. e. 216 (zu 462/63?). Procop. b. V. I, 5. Malal.
XrV, 368. Euagr. 11, 7. Theoph. 5949 (= a. Chr. 457). Gramer, Anecd. Paris,
n, 104. Chron. pasch, a. 455, wo es heifst, die Bückgabe sei kurze Zeit nach
der Gefangennahme unter Leo I. erfolgt, während sie nach Theophanes, Malalas,
Euagrius noch unter Marcian fällt. Hydat. nennt irrig statt Hunerich den
Königssohn Gento. Dafs die Gefangenen gut behandelt worden sind, bezeugt
Malalas XIY, p. 366. — Der Abschlufs der Ehe fällt nach Theoph. 5964 in das
Jahr 456 (Flucht der Eudoxia i. J. 472 nach 16jähr. Ehe). 3) Prise, fr. 30.
4) Prise, a. a. 0. Joh. Ant. fr. 204. Proc. b. Y. 1, 6.
5) Apoll. Sid. c. n, 348 ff. Prise, a. a. 0.
Das afrikanisclie Reich unter Geisericli. 89
Majorian dessen Tod an Ricimer zu rächen. Dazu kam der gänzliclie
Mangel an Kriegsschiffen; das oströmische Beich aber, d. h. Aspar,
verweigerte trotz wiederholter Bitten in Rücksicht auf die geschlossenen
Verträge jeden Succurs gegen die Wandalen. Die Gefahr erreichte
den Höhepunkt, als Aegidius mit Geiserich in Verbindung trat; um
einen kombinierten Angriff gegen Ricimer vorzubereiten.^ Es ging
deshalb eine weströmische Gesandtschaft an Leo ab^ diesen zu
ersuchen^ den Marcellinus und die Wandalen zum Frieden zu bewegen.
PhylarchuS; der vom oströmischen Kaiser mit dieser Mission betraut
wurde^ hatte indessen nur bei dem ersteren Erfolg^ indem er ihn
dazu vermochte; nichts gegen die Römer zu unternehmen^; Geiserich
beharrte dagegen bei seinen Forderungen. Die Lage für das West-
reich blieb daher gefährdet^ obgleich Aegidius, bevor er seine P^.ne
verwirklichen konnte, starb (noch im Jahre 464).') Eine jetzt wieder
nach E[arthago geschickte Gesandtschaft unter dem Patricius Tatianus
erzielte keine besseren Erfolge, als früher. Diese unglücklichen Ver-
hältnisse dauerten fort bis zum Jahre 467. Der thatkräftige Kaiser Leo,
der immer die Politik des engen Zusammenschlusses beider Reichs-
hälften vertreten hatte, wufste sich jetzt nach vielen vergeblichen
Versuchen dem Einfiuls des bisher allmächtigen Aspar zu entziehen.
Er trat mit Ricimer in Verbindung, der notgedrungen seine Forderung:
Besetzung des seit 465 verwaisten Kaiserthrones mit dem Griechen
Anthemius bewilligen muTste, dafür aber als Garantie seiner Gewalt
die Hand der Tochter des neuen Kaisers erhielt.*) Mit einem grofsen
Heere landete Anthemius im Frühjahr 467 in Italien und liefs sich
in der Nähe von Rom am 12. April d. J. zum Augustus ausrufen.
Die Flotte, auf der sich der Kaiser befand, führte Marcellinus, der
von Leo dazu gewonnen worden war, die Stellung des Anthemius
gegen Ricimers Einflufs zu stützen und gegen die Wandalen von
Italien aus vorzugehen.^) Bevor das letztere geschah, sandte Leo
1) Hydat. 224: Mense Maio supradicti vir! Aegidi legati per Oceanuin ad
Yandalos transeunt, qui eodem cursu Septembri mense revertuntur ad eos (464).
2) Prisk. fr. 30: TCQog fihv xov MaQV.aXXtvov ^vXaQ%og axalBlQ ^nstas %ocxcc
^Pmiuc^tov onXa fiiy %Lvstv, Die Nachricht des Hydatius, Marcellin habe die Wan*
dalen i. J. 464 auf Sizilien geschlagen, ist wenig wahrscheinlich, vermutlich
beruht sie auf Verwechslung mit einem späteren Ereignis. (Vgl. Papencordt,
S. 97, Note 3.)
8) Hydat. 228. 4) Vgl. die Quellenstellen bei Pauly-Wissowa, Real-
encyklopädie I, 2366.
5) Hydat. 234 (fälschlich z. J. 465). Consul. Constant. (Chron. min. I, 247):
Adyersum Wandalos grandis exercitus cum Marcellino duce dirigitur (irrig zu
464). Proc. b. V. I, 6.
90 Zweites Buch.
wiederum den Phylarchus an Geiserich, um diesem die Thron-
besteigung des Anthemius anzuzeigen und ihm mit Krieg zu drohen,
wenn er nicht von seinen Zügen nach Italien abstünde. Der König
wies jedoch dieses Verlangen schroflf zurück und rüstete zum Kriege,
da, wie er sagte, die Oströmer die geschlossenen Verträge gebrochen
hätten.^)
Die Raubzüge der Wandalen richteten sich nunmehr statt
gegen Italien, wo ohnehin nichts mehr zu holen war, gegen die
Küstengebiete des Ostreiches. Illyrien, der Peloponnes und das
ganze übrige Griechenland spürten jetzt die Hand des gewaltigen
Germanenkönigs ^); auch Ägyptens Hauptstadt Alexandria schien von
ihm bedroht.*) Da es ohne Zweifel auch in diesen Fällen nur auf
Erwerb von Beute abgesehen war, so ist kaum anzunehmen, dafs
besondere Greuelthaten damals aufser den üblichen Plünderungen
und Zerstörungen von Ortschaften verübt worden wären. Das Gegen-
teil könnte man allerdings aus einer Erzählung Prokops (b. V. 1, 22)
entnehmen. Hiemach sollen die Wandalen bei dem Versuch, an dem
Vorgebirge Tänarum im Peloponnes zu landen, mit starkem Verlust
zurückgeschlagen worden sein; aus Bache dafür habe Geiserich auf
der Insel Zakynthos zahlreiche Menschen ermorden, gegen 500 an-
gesehene Einwohner gefangen nehmen und diese dann auf offener
See in Kochstücke zerhackt (xQsovgyi^öccg) ins Meer werfen lassen.
Dieser Bericht macht jedoch nicht den Eindruck unbedingter Glaub-
würdigkeit; denn es ist nicht recht einzusehen, warum der König
die Gefangenen, wenn deren Ermordung überhaupt beabsichtigt war,
nicht schon auf dem Lande hat töten lassen. Es ist wohl eher
anzunehmen, dafs Unwetter auf See die Entlastung der Schiffe not*
wendig gemacht oder dafs eine Meuterei jener stattgefunden hat.
Inzwischen versuchte Marcellinus von Italien aus einen Vorstofs nach
Afrika zu imtemehmen, wurde aber durch widrige Winde am weiteren
VordriQgen gehindert.^) Doch hatte das Erscheinen der römischen
Flotte wenigstens den Erfolg, dafs die Gesandten, die von den
Königen der Westgoten und Sweben Eurich und Romismund an
Geiserich abgeschickt worden waren, um wie schon früher eine
Koalition gegen das Reich zu verabreden, schleunigst wieder um-
1) Prise, fr. 40.
2) Proc. b. V. I, 5. Vict. Vit. I, 51. Vgl. auch Prise, fr. 42.
3) Leben des Daniel Stylites von Symeon Metaphrastes (10. Jahrb., aber
nach einer älteren Voriage) bei Surius, Vit. sanct. 11. dec. § 33.
4) Hydat. 236 (nach der Erhebung des Anthemius, falsch zu 4ft6).
Das afrikanische Reich unter Geiserich. 91
kehrten (467).^) Das Mifelingen dieser Untemehmung gab dem
Kaiser Leo Veranlassung zu gewaltigen Rüstungen^ um endUcli mit
einem entscheidenden Schlage das Wandalenreich zu vernichten.
Die Quellen bezeugen übereinstimmend^ dafs dazu ganz auTser-
gewöhnliche Anstrengungen gemacht worden sind.
In den Häfen des Ostreiches wurden alle verfügbaren Schiflfe
requiriert, im ganzen ca. 1100, welche von 7000 (?) Seeleuten ge-
führt wurden, und ein Heer von über 100000 Mann angeworben;
zur Bestreitung der Kosten brachte man 64000 Pfund Gold und
700000 Pfund Silber, wovon ein Teil vom Kaiser Anthemius bei-
gesteuert wurde, zusammen. Nach heutigem Gelde würde dies die
Summe von ca. 104 Millionen Mark ausmachen.^) Alles dies geschah
im Gegensatz zu Aspar, dessen wandalenfreundliche Gesinnung be-
kannt war; es war nicht ohne Grund, daüs sich damals das Gerücht
verbreitete, Aspar sei wegen Begünstigung dieses Volkes abgesetzt
und sein Sohn hingerichtet worden.^)
Der wohlausgedachte Kriegsplan ging dahin, das Wandalen-
reich auf drei Seiten anzugreifen. Das Hauptheer, dessen Kommando
1) Hydat. 238, 240. — Hierauf geht wohl die Mitteilung des Jordanes Oet.
c. 47 zurück, Geiserich habe zur Sicherung seines Reiches ein Bündnis mit
Eurich geschlossen. Wenn es ebendaselbst heifst, der Wandalenkönig habe
gleichzeitig auch die Ostgoten zum Kriege gegen Byzanz veranlafst, so liegt
dieser Angabe wohl lediglich die Thatsache zu Grunde, dafs später (i. J. 473)
der Rechtsnachfolger Aspars, Theoderich Strabo, dem oströmischen Kaiser die
Bedingung stellte , zur Kriegshilfe gegen die Wandalen nicht verpflichtet zu sein
(Malch. fr. 7). Papencordt, S. 104, N. 3, bezieht Jordanes fälschlich auf die
Zeit von 470 — 71; doch ist auf die Chronologie dieses Geschichtschreibers kein
Gewicht zu legen.
2) Die aufgebrachten Summen werden von Candidus Fragm. 2 im einzelnen
nach offiziellen Quellen angegeben. Nach Joh. Lydus de magistratibus DI, 43
waren es 65 000 Pfand Gold, 700000 Pfand Silber. Wohl nur auf Textverderbnis
beruht die abweichende Angabe Kedrens (1,613 Bonn): 650000 Pfund Gold,
700000 Pfund Silber, aufser dem, was aus dem Ärar genommen und vonWestrom bei-
gesteuert worden war. Nach Priskus bei Theophanes 5961 und Prokop 1, 6 war die
Gesamtsumme 130000, nach Nicephorus bist. eccl. XV, 27 120000 Pfund Gold.
Ein Pfand Gold repräsentiert einen Wert von 913,59 Mark, vgl. Hultsch, Metro-
logie, 2. Aufl. S. 317. Das Verhältnis des Goldes zum Silber war damals un-
gefähr 1 : 14 (Hultsch 330 N. 1). Die Zahl der Schiffe (wohl fast sämtlich
Transportschiffe, also Segler) beziffert Priskus auf 1100 (so ist der Text zu
emendieren statt 100000), Joh. Lydus auf 10000 Libumen, Kedren auf 1113, die
der Mannschaften der letztgenannte auf 111300 (auf jedes Schiff 100 Mann),
Joh. Lydus auf 400000, Prokop auf über 100000. Die Zahl der Seeleute geben
Theodorus Lector I, 25 und Nicephorus a. a. 0. an, doch ist dieselbe schwerlich
richtig. Bei der Expedition BeÜsars kamen auf jedes Transportschiff 40 See-
leute als Bemannung.
3) Hydat. 247 (zu 468): Vandalis consulentes.
92 Zweites Buch.
dem Basiliskus, dem Schwager Leos^ übertragen war^ sollte direkt
gegen Karthago vorgehen^ ein anderes Eorps unter Heraklius und
Marsus von Ägypten aus auf dem Landwege nach Westen vordringen
und Marcellin mit seiner Flotte die Stützpunkte der Wandalen im
Mittelmeer wegnehmen.^) Der Anfang des Krieges nahm einen
für die Römer günstigen Verlauf. Die Truppen des Heraklius und
Marsus machten rasche Fortschritte^ nachdem sie die in Tripolis
stationierten wandalischen Krieger geschlagen^ während Marcellin
Sardinien imd Sizilien von den Feinden säuberte.^) Ebenso vermochte
Basiliskus die Landung seiner Flotte an dem Promunturium Mercurii
(jetzt Kap Bon)^ nachdem er mehrere Kämpfe mit wandalischen
Schiffen erfolgreich bestanden, glücklich zu bewerkstelligen.*) Alles
deutete darauf hin, dafs die Stunden des Wandalenreiches gezählt
seien. Statt jedoch die errungenen Vorteile zu benutzen, liefs sich
der Anführer der Griechen überlisten und bewilligte dem Könige
einen fünftägigen Waffenstillstand, den dieser erbeten hatte, angeblich
um« eine Versöhnung mit dem Kaiser in die Wege zu leiten, in
Wahrheit aber nur um Zeit zu Rüstungen zu gewinnen und den
Eintritt günstigen Windes abzuwarten. Basiliskus war um so eher
zu diesem, wie es schien, unbedenklichen Zugeständnis geneigt, ab
Geiserich seine Bitte durch reiche Geschenke unterstützt hatte.^) Als
die erwartete Gelegenheit eintrat, segelten die Wandalen zur Nacht-
zeit mit Brandem aufs Meer hinaus und zündeten durch diese einen
Teil der feindlichen Flotte an, während die übrigen Schiffe bei der
entstandenen Verwirrung teils gekapert, teils zur Flucht gezwungen
wurden. Kaum die Hälfte der stattlichen Armada vermochte Sizilien
zu erreichen (Sommer 468).^)
1) Hydat. 247: . . . magmim valde exercitum cum tribus ducibus lectis
adversxuu Yandalos a Leone imperatore descendisse directo Marcellino pariter
cum manu magna eidem per imperatorem Anthemium sociata. Die drei hier ge-
nannten Heerführer sind Basiliskus, Heraklius und Marsus, welchen letzteren
Prokop (I, 6) nicht, sondern allein Theophanes (5963) nennt. Doch irrt dieser
insofern, als er die Expedition des Heraklius u. s. w. zwei Jahre später ansetzt.
2) Prokop a. a. 0. Hierauf bezieht sich wohl Hydat. 227: Vandali per
Marcellinum in Sicilia caesi effagantur ex ea, welche Notiz fälschlich zum
Jahre 464 steht. 3) Prok. Prisk. fr. 42. Candid. fr. 1.
4) Nach Malchus fragm. 7 war Basiliskus geldgierig und schwerfölligen Greistes.
5) Am ausführlichsten darüber Prok. I, 6. Vgl. femer Priskus fr. 42 ; Jordan.
Rom. 337 (wohl nach Priskus); Theodor. Lect. 1,25; Malal. XIV p. 372 f. Theoph.
5961. Kedren. I, 613. Zonaras XIV, 1, 24 ff. Niceph. hist. eccl. XV, 27. Paulus
Diac. hist. Rom. XV, 2 (vgl. dazu Bauch, Über die hist. Romana des P. D. S. 63).
Nach Suidas s. v. sniyisliLBva erhielt Bas. 2000 Pfand Gold und sonstige Kost-
barkeiten zum Geschenk.
Das afidkani^clie Reicli unter Geiserich. 93
So scheint der wahre Sachverhalt zu sein. Es lag die Ver-
mutung nahe^ dafs Basiliskus als Verräter gehandelt und die Flotte
mit Bewufstsein den Wandalen preisgegeben habe^ und die Mehrzahl
der Quellen hat dies direkt ausgesprochen. Als Motiv wird einer-
seits Bestechung durch Geiserich angegeben, indem man die von
diesem anläXslich des Waffenstillstandes gegebenen Geschenke damit
in Verbindung brachte (so schon der Zeitgenosse Priskus), andrer-
seits ein vor Beginn des Feldzuges zwischen Basiliskus und Aspar
getroffenes Abkommen zu dem Zwecke, dem Kaiser Leo Schwierig-
keiten zu bereiten.
Marcellin bereitete nun zwar einen Angriff auf Karthago vor,
wurde aber, bevor derselbe zur Ausführung gelangte, wahrscheinlich
auf Anstiften seines alten Feindes Bicimer, im August d. J. auf
Sizilien ermordet.^) Heraklius aber und Marsus sahen sich hier-
durch genötigt, die bisher errungenen Erfolge ganz aufzugeben, und
wurden nach Hause zurückberufen. Die Folge war, dafs die Wan-
dalen die ihnen abgenommenen Stützpunkte ihrer Seeherrschaft im
Mittelmeer wieder in Besitz nahmen. Leo war aufser stände, die
Scharte auszuwetzen, da Aspar jetzt wieder zu Einflufs gelangte, und
sah sich genötigt, mit Geiserich Frieden zu schliefsen^, während ein
von Anthemius i. J. 470 geplanter Kriegszug gegen die Wandalen,
den Ricimer leiten soUte, daran scheiterte, dafs dieser sich empörte
und mit den ihm anvertrauten 6000 Mann den Kaiser von Mailand
aus bedrohte.*) Zwar gelang es dem Bischof Epiphanius, vorläufig
den Frieden wiederherzustellen, aber die Spannung blieb bestehen,
und auch der Angriff gegen die Wandalen unterblieb, da die West-
goten in Gallien mächtig um sich griffen. Während die Streitkräfte
des Anthemius in Gallien beschäftigt waren (471), kam es wieder
zum Bruche; ßicimer trat mit Leo und wahrscheinlich auch mit
Geiserich in Verbindung und liefs sich den Thronkandidaten des
Wandalenkönigs Olybrius, der zugleich als Gemahl der Placidia
einen gewissen Zusammenhang mit dem theodosianischen Kaiserhause
hatte, von Konstantinopel kommen.^) Im April 472 wurde Olybrius
1) Marcellin. Com. chron. a. 468. Cassiod. chron. c. 1285. Cons. Ital. c. 601
(Chron. min. I, 305). 2) Theoph. 5963.
3) Joh. Ant. fr. 207. Bicimers Auflelinung stand im Zusammenhang mit
der Ermordung des Patricius Romanus, welche nach den Konsularfasten 470 erfolgte.
4) Paul. Diac, Hist. Rom. XY, 3 nach den italienischen Konsularfasten.
Theoph. 5964. Die Erzählung des Malalas XIV, 373 f. von den angeblichen
Missionen des Olybrius nach Rom und zu Geiserich zur Anbahnung einer Ver-
söhnung und von dem Verrat, den Kaiser Leo an jenem wegen seiner Wandalen-
freandlichkeit beabsichtigt, ist ganz von der Hand zu weisen.
94 Zweites Buch.
zum Augustus ausgerufen, während Anthemius am 30. Juni d. J. im
Bürgerkriege den Tod fand. Es schien so die beste Lösung aller
Schwierigkeiten gefunden und Aussicht vorhanden zu sein, das dahin-
siechende Reich noch eine Zeit lang vor dem Untergänge zu be-
wahren. Aber Ricimer starb bereits am 19. August d. J., und ihm
folgte der neue Kaiser am 2. November im Tode nach. Die Truppen
riefen nun (am ß. März 473) den Glycerius als Imperator aus,
während Leo den Julius Nepos zu dieser Würde ernannte, der denn
auch seinen Nebenbuhler des Thrones beraubte^), aber wiederum dem
Patricius Orestes weichen mufste (28. August 475). Dieser setzte
seinen Sohn, den jungen Romulus, auf den Kaiserthron und schlofs,
um sich gegen Byzanz zu decken, mit Geiserich ein Bündnis,^) wurde
aber von dem Germanenführer Odovakar im Bürgerkriege getötet
(28. August 476), worauf das Kaiserlein (Augustulus) zur Abdankung
gezwungen wurde (September d. J.).
Li Ostrom war inzwischen der Kaiser Leo gestorben
(18. Januar 474); ihm folgte Zeno, der anfänglich von Basiliskus
verdrängt und genötigt wurde, die Hauptstadt zu verlassen
(9. Januar 475), aber im Sommer des folgenden Jahres wieder
dahin zurückkehrte. Wie früher verwüsteten die Wandalen,
wahrscheinlich nach dem Tode Leos die mit diesem abgeschlossenen
Verträge als gelöst betrachtend, in häufigen Expeditionen vor-
nehmlich die griechischen Küstengebiete. Zeno, aufser stände,
die Räuber zu bestrafen, sah sich genötigt, um Frieden zu
bitten; der durch vortreffliche Charaktereigenschaften ausgezeichnete
Senator^) Severus wurde mit der Führung der Verhandlungen beauf-
tragt und nach Karthago geschickt. Auf die Nachricht, dafs eine
oströmische Gesandtschaft zu ihm abgehen solle, liefs Geiserich
noch schnell eine Flotte auslaufen, welche Nikopolis an der Küste von
Epirus wegnahm; doch liefs er sich schliefslich herbei, in den Ab-
schlufs eines Vertrages zu willigen: Es wurde verabredet, dafs beide
Reiche fortan nichts Feindliches gegeneinander unternehmen sollten;
der König versprach, den Katholiken in Karthago freie Religions-
übung zu gewähren und die Rückkehr der verbannten Geistlichen
zu gestatten, wenn er auch nicht dazu zu bewegen war, die Wieder-
1) Am 19. Juni 474 wurde Nepos in Portus zum Kaiser erhoben.
2) Paul. Diac, Hist. Eom. XV, 7 : Annali deinceps circulo evoluto cum rege
Wandalorum Geiserico foedus initum est ab Oreste patricio, d. h. 476, vgl. Holder-
Egger, Neues Archiv I, 308.
3) Er wurde zum Patricius ernannt, um dem Wandalenkönig zu schmeicheln.
Das afrikanisclie Eeich unter Geiserich. 95
besetzung des karthagischen Bischofsstuhles zu genehmigen. Aufser-
dem gab er die ihm und seiner Familie zugefallenen römischen Ge-
fangenen ohne Lösegeld zurück und erteilte dem Severus die Erlaub-
nis, von den unter das Volk als Beute verteilten Sklaven beliebig
viele mit Einverständnis ihrer Besitzer loszukaufen. Dagegen ist
ohne Zweifel die Anerkennung des wandalischen Reiches in seinem
damaligen Umfange — es umfafste die ganze römische Provinz Afrika,
die Balearen, Pithyusen, Korsika, Sardinien imd Sizilien — von dem
byzantinischen Kaiser, der jetzt, wenn auch zum Teil nur nominell,
das Oberhaupt beider Reichshälften war, ausgesprochen worden.
Was Sizilien betrifft, so überliefs Geiserich diese Insel bald darauf
an Odovakar gegen Zahlung eines Jahrestributs, sich nur einen
Teü, wahrscheinlich die strategisch wichtige Gegend um Lilybaeum,
vorbehaltend.*) Der Abschlufs jenes Friedens, der bis zu den Zeiten
Justinians fortbestand, fäUt m. E. unzweifelhaft in den Herbst des
Jahres 476; die Zeit ist begrenzt durch die Daten der Rückkehr
Zenos (Sommer 476) und des Todes Geiserichs (Januar 477). In
das Jahr 474, also vor das Exil des Kaisers, kann derselbe nicht
gehören, da das erwähnte Bündnis der Wandalen mit Orestes (476)
deutlich gegen Byzanz gerichtet war und notwendig vorher ab-
geschlossen worden sein mufs.
Die oben angeführte Bestimmung des Friedensvertrages über
die afrikanischen Katholiken macht es nötig, einen Rückblick auf
die Stellung der katholischen Kirche unter Geiserichs Regierung seit
dem Tode des Kaisers Valentinian (455) zu werfen.
Das seit 454 bestehende gute Verhältnis zu den Katholiken war
zunächst nicht gestört worden; man darf dies sicher in der Haupt-
sache dem EinfluTs des einsichtsvollen Bischofs Deogratias von Kar-
thago zuschreiben, — also ein Beweis, dafs es wesentlich von den
EAtholiken selbst abhing, sich eine günstigere Position im Wandalen-
reiche zu schaffen. Erst nach des Bischofs Tode (457)^) ist es
wieder zu schärferen Mafsregeln gegen jene gekommen. Daus die
katholische Geistlichkeit die auswärtigen Verwicklungen Geiserichs
benutzte, um gegen ihn zu konspirieren, scheint aus der Erzählung
Victors (1, 23) von der Aufaahme eines „ überseeischen^' Mönches
durch den Bischof Felix von Hadrumetum hervorzugehen. Dieser
wurde daher mit voUem Rechte verbannt, und das gleiche Schicksal
1) Malch. fr. 3. Procop. b. V. I, 7. Yict. Vit. 1, 14. 51.
2) Das Kalendarixun Carthaginense bei Egli, Altchristi. Studien (Zürich 1887)
8. 108 ff. Nr. 66, giebt seine Depositio zum 5. Jan. an.
96 Zweites Bnch.
traf eine Anzahl anderer^ wahrscheinlich ebenfalls des Hochverrats
verdächtiger Bischöfe ^ so namentlich die Inhaber der zur Tripolitana
gehörigen Bischofsstühle von Girba^ Sabrata und Oea (vgL dazu
oben). Starb einer von diesen Vertriebenen während des Exils, so
durfte ihm kein Nachfolger bestellt werden.^) Die bisher noch ge-
duldeten Bischöfe in der Prokonsularis — ihre Zahl giebt Victor
auf 164 an — wurden ganz auf den Aussterbeetat gesetzt und ihnen
auferdem durch Konfiskation der Kirchengeräte die Ausübung ihres Amtes
erschwert. Diese MaJüsregel erklärt sich wohl daraus, dats jene in den
in der Nachbarschaft gelegenen wandalischen Bezirken eifrig kirch-
liehe wie politische Propaganda getrieben hatten.^ Diejenigen, die
den Befehlen des Königs hierbei Widerstand entgegensetzten, wurden
mit harten Strafen belegt, wie das Beispiel des Bischofs Valerianus
von Abensa beweist.') Die den E^atholiken eingeräumten Eorchen
von Karthago wurden nun wieder wie früher ganz g^perrt, und die
Einsetzung eines neuen Bischofs an des Deogratias SteUe ward nicht
genehmigt.*) Wenn die orthodoxen Geistlichen in den ihnen ver-
schlossenen Kirchen Gottesdienst zu halten versuchten imd sie selbst
und die von ihnen aufgereizte Bevölkerung dafür am Leben gestraft
wurden, wie es bei Bulla Regia vorkam, so war dies eine gerechte,
wenn auch zu scharfe Strafe ihres Trotzes, und es gehört die ganze
Naivetät des Erzählers (Vict. I 41 f.) dazu, um die beteiligten Katho-
liken als schuldlos hinzustellen. Systematische Verfolgimgen ledig-
lich um des Bekenntnisses willen scheinen unter Geiserich überhaupt
weder früher noch später stattgefunden zu haben. Ob die Erzählung
des Hydat. c. 120 von einer im Jahre 440 stattgefundenen Katholiken-
verfolgung Geiserichs auf Sizilien völlig der Wahrheit entspricht,
mufs noch sehr bezweifelt werden; der Sachverhalt war wohl der,
dafs der arianische Bischof Maximin die Anwesenheit der Wandalen
auf der Insel benutzte, um auf eigne Faust vorzugehen, gewaltsame
Bekehrungsversuche zu machen und sich an seinen orthodoxen Ver-
folgern zu rächen. Politische Motive lagen sicher dem Verfahren
gegen einige christliche Sklaven, die einem wandalischen Tausend-
führer gehört hatten, zu Grunde. Geiserich verfugte deren Ver-
1) Ein Beispiel von Begnadigung eines aufsässigen Bischofs durch Geiserich
bietet Dracontius, Satisf. v. 299 ff.: Vincemalos, wahrscheinlich Bischof in Maur.
Caes. Victor Vit. verschweigt solche Fälle von Milde natürlich gänzlich.
2) Dafs dies Erfolg gehabt, zeigt Victor m, 38: Wandali duo sub Gteiserico
saepius confessi; 111,33 (Dagila).
3) Vict. I, 29. 39. 40.
4) Vict. I, 51.
Das afrikanisolie Reich unter Geisericli. 97
bannnng zu den Mauren^ bei denen sie zahlreiche Heiden bekehrten.
Als sie aber mit dem nächstwohnenden katholischen Bischof in Ver-
bindung traten^ um von diesem sich Geistliche zu erbitten^ liefs sie
der Könige der offenbar eine Untergrabung seines Ansehens in
den maurischen Bezirken fürchtete, von wilden Pferden zu Tode
schleifen.^)
Die Verfügung Geiserichs, es sollte die Beamtenschaft in seiner
Umgebung sowie bei den Hofhaltungen seiner Söhne nur aus
Arianem bestehen, muTs unter aüen Umständen als berechtigt an-
gesehen werden. An sich betrachtet kann man es dem Könige nicht
yerdenken, dafs er in seiner imd seiner Familie Umgebung nur Be-
kenner seiner Religion dulden wollte. Soweit Unfreie in Frage
kamen, war das Vorgehen rechtlich ohne weiteres zulässig, da der
Enecbt ja völlig in der Gewalt seines Besitzers stand. Gegen die zu
den Freien zählenden Mitglieder des Hofistaates aber kam der Grund-
satz zur Anwendung, dafs dieselben entsprechend ihrer wichtigen
Stellung im Mittelpunkte des Staates besondere Treue und beson-
deren Gehorsam ihrem Herrn schuldig waren.^) Als Beweis der
Treue imd Ergebenheit aber galt vor allem die Annahme der
arianiscben Wiedertaufe. Gleichwohl ist es zu einer strikten Durch-
ftthrung jenes Gebotes nicht gekommen, vgl. Vict. Vit. II, 8. 23. Das
Ansinnen, sich zum Arianismus zu bekennen, ward anscheinend nur
an diejenigen gestellt, bei denen schwerwiegende Ghünde zum Mifs-
trauen (Unterhaltung von Verbindungen mit katholischen Bischöfen,
Betreibung orthodoxer Propaganda unter den Amtsgenossen) bestanden.
Hierher gehören die Erzählungen Victors I, 21. 43 ff. von Sebastianus
(vgL oben), Airmogast und Saturus (vgl. bei dem letztgenannten die
für die Motivierung wichtige Stelle § 48: Qui cum lucidum esset
membrum ecclesiae Christi et pravitatem Arrianorum libertate
catholica frequenter argueret), wie auch die schon erörterte
Oeschichte der vier katholischen Spanier. Dafs gegen die Wider-
strebenden oft über die Gebühr grausam verfahren wurde, ist zum
Teil auf den Charakter des Königs, zum Teil aber auch auf die
Wirksamkeit des arianischen Klerus zurückzufahren, dem zumeist
die Exekution der königlichen Befehle übertragen war und der be-
greiflicherweise die günstige Gelegenheit zur Befriedigung seiner
Rach^efÜhle nicht vorübergehen liefs. Dafs die Schaffung von
1) Vict. 1, 35 a
2) VgL dazu Brunner, Rechtsgeschichte IE, 78 und weiter unten.
Sehmidt, WandalexL 7
98 Zweites Buch.
Martyrien möglichst vermieden wurde, geschah nur, um die Position
der Orthodoxen nicht zu stärken. Einen weitgehenderen EinfluTs
hat jener jedoch, wenigstens unter Geiserich, im allgemeinen nicht
ausgeübt; das Vorgehen gegen die Katholiken würde sonst weit
gröfsere Dimensionen angenommen haben, und wir müssen doch an-
nehmen, dafs imsere katholischen Berichterstatter das Material nahezu
vollständig überliefert haben. Dafs die arianischen Priester unter
der eingeschüchterten römischen Bevölkerung eifrig Propaganda
trieben und die verwerflichsten Mittel zur Erreichung ihres Zieles
anwendeten, ist von vornherein anzunehmen, vgl. dazu auch das
unten mitgeteilte Zeugnis des unter Geiserich geschriebenen Liber
de promissionibus IV, 5.^)
Am 25. Januar 477 starb Geiserich hochbetagt ^, nachdem er
das Wandalenreich auf den Gipfel seiner Macht geführt hatte. Wenn
Sidonius Apollinaris schon zum Jahre 458 sagt, der König sei träge
geworden, seine Gesundheit durch Schwelgereien und lasterhaftes
Leben zu Grunde gerichtet'), so ist dies sicher in allen Punkten
unwahr, wie seine bis zuletzt entfaltete Thatkraft beweist. Was er
als Heerführer und in der äufseren Politik geleistet, ist bei den
schwierigen Verhältnissen, mit denen er fortwährend zu kämpfen
hatte, jedenfalls bewundernswert. Die Macht, auf die er sich stützen
konnte, war sehr gering, und nur durch die kluge Benutzung der
damaligen politischen Konstellationen war es ihm möglich, seine
Herrschaft gegen die Übermacht der Feinde zu behaupten^ Dafs er
in seinen Mitteln nicht wählerisch war und den Bruch geschlossener
Verträge nicht scheiite, kann ihm kaum zum Vorwurf gemacht
werden. Seine Bedeutung in dieser Hinsicht ist daher auch allseitig
rückhaltlos anerkannt worden, und Prokop*) hat völlig recht, wenn er
ihn neben Theoderich als den hervorragendsten Barbarenfürsten jbe-
zeichnet. Wie hoch sein Andenken von seinem Volke in Ehren ge-
1) Arianos quos nnnc videmns multos sedncere, ant potentia temporali
aut indnstria mali ingenii ant certe abstinentia parcitatis vel quonunlibet
signorom deceptione. — Bezüglich des Anfbretens des arianischen Klerus ist
Victor Vit. keine ganz zuverlässige Quelle, da letzterer naturgemäXs jenen mit
ganz besonderem Hasse verfolgte.
2) Das Datum ergiebt sich aus dem Laterculus regum Vandalorum et
Alanorum (Chron. min. IH, 458) : qui (Greisericus) regnavit . . . ann. XXXVII,
m. m, d. VI, von der Eroberung Karthagos (19. Oktober 439) ab gerechnet.
Vgl. Vict. Vit. I, 51. Proc. b. V. I, 7 (39 Jahre), Vict. Tonn. a. 464: im
40. Jahre.
3) Carm. V, 328. 339 ff.
4) B^U. Goth. m, 1.
i
Das afrikanische Eeich unter G^iserich. 99
halten wurde, zeigt die Bede Gelimers bei Prokop (bell. Vand. 11, 2),
worin derselbe die Wandalen ermahnt, tapfer zu kämpfen imd dem
Buhme Geiserichs keine Schande zu machen. Offenbar wesentlich
dem Einflufs seiner Eiiegsthaten war es zu danken, wenn die
Mauren, die sich früher und später als eine Geiüsel der kultivierten
Distrikte Afrikas zeigten, während der Dauer seiner Begierung sich
völlig ruhig verhielten.
Wesentlich ungünstiger dagegen mufs das urteil über des Königs
staatsmännische Eigenschaften ausfaUen. Die nähere Ausfuhrung ist
in einem anderen Zusammenhange zu geben. Das Beich, das Geiserich
gründete, trug den Keim des Verfalls in sich. Die Einwanderer
und die Bömer wohnten in demselben in abgesonderten Landschaften
nebeneinander; beide Unterthanenklassen wurden nach ihren nationalen
Einrichtimgen regiert, ohne dafs es jedoch zu einer Anerkennung
der Bechtsverhältnisse der römischen Bevölkerung gekommen wäre.
Geiserich kam als selbständiger Eroberer ins Land; seine Absicht
ging nicht dahin, wie die der burgundischen imd gotischen Könige,
sein Volk in den Organismus des römischen Beiches einzufügen,
ebensowenig aber hat er eine Staatsemeuerung auf germanischer
Grundlage, wie sie die Franken und Langobarden durchgeführt haben,
angestrebt, sondern die Dinge in der Schwebe gelassen. Was er
versäumt, konnte später, auch wenn die Absicht dazu bestanden hätte,
nicht wieder gutgemacht werden. Seine legislatorische Thätigkeit
beschränkte sich in der Hauptsache auf den Erlais von Sittengesetzen,
sowie einer Thronfolgeordnung, welche letztere den Untergang des
Beiches wohl aufzuschieben, jedoch nicht abzuwenden vermochte. Es
wäre falsch, wenn man, den hauptsächlichsten Quellenzeugnissen
folgend, den König sich als einen finsteren, blutgierigen Wüterich
vorstellen wollte. Es ist bereits oben versucht worden, die Angaben
unserer Berichterstatter auf das richtige Mafs zurückzuführen. Seine
kriegerischen Expeditionen waren nicht von schlimmeren Greueltaten
begleitet, als die anderer Völker in jener barbarischen Zeit. Wesent-
lich aber kommt dabei in Betracht, dafs dieselben nicht durch pure
Baub- und Mordlust veranlafst waren, sondern zumeist sich aus
schwer wiegenden politischen Gründen nötig machten. Das Gleiche
gilt von dem vielfach so grausamen Auftreten Geiserichs im Lmem
seines Beiches; auch hier kommt es auf die Feststellung der Motive
an, die die Verhältnisse in einem weit milderen Lichte erscheinen
lassen. Gewifs, gewaltthätig war seine Natur; aber ein milder,
humaner Charakter wäre auch nicht im stände gewesen, der Schwierig-
7*
KK) Zweites Bittjh./
keiten^ die sich allenthalbeii a;uftarmten; Meister zu werden. Däb
ihm reim meüschlicfa;e Gefühle nicht frettd waren^ lehrt z.B. sein
Yerhalteii gegenüber dem kaiseilichen Gesandten Severus^ dem er
wegen seines nnamtastbaren Charakters die gröMe Hochachtung be-
zeigte und dem zuliebe er aus freien Sttteken seine Sklaven ohne
Lösegeld freigab ^ femer die Gednnung, die er gegen, seine Gefolgs-
genossen an den Tag legte^ indem er dieselben auf dem Totenbette
seinem Nachfolger empfahl.
Drittes Buch.
JNach dem Hausgesetze Geiserichs folgte dessen ältester Sohn
HunericU auf den Königsthron. Dieser war, wie wir schon erwähnten,
mit der Tochter Valentinians III. Eudoxia vermählt, welche indessen
bereits i. J. 472 angeblich aus Abneigung gegen den arianischen
Glauben ihren Gatten verlassen und sich nach Jerusalem geflüchtet
hatte. ^) Gleich zu Anfang meiner Begierung kam es deutlich zur
Erscheinung, dals das Ansehen des Wandalenreiches stark erschüttert
war. Der jedenfalls schon in den letzten Jahren Geiserichs ein-
getretene Verfall der Volkskraft machte rasche Fortschritte. Die
Wandalen, ohnehin von geringerer Widerstandsfähigkeit gegen die
schädlichen Einflüsse der römischen Kultur, als beispielsweise die
aus härterem Stoffe gefügten Langobarden, erschlafften immer mehr
und versanken in Üppigkeit imd Wohlleben. Den Feinden konnten
die veränderten Verhältnisse natürlich nicht lange verborgen bleiben.
So gelang es nach wechselvollen Kämpfen den im aurasischen Gebirge
wohnhaften maurischen Stämmen, die Herrschaft der Wandalen abzu-
schütteln.^) Es waren dieselben Völkerschaften, deren König Jaudas oder
Jabdas den Byzantinern nach dem Zusammenbruche des wandalischen
Reiches so schwer zu schaffen machte.^) Diese Mifserfolge scheinen
ihre Wirkung auch auf den inzwischen mit dem oströmischen Reiche
ausgebrochenen Konflikt ausgeübt zu haben. Hunerich hatte die
Herausgabe des Vermögens der Eudoxia verlangt und noch andere
von seinem Vater erhobene Ansprüche erneuert; es war auch bereits
zu Feindseligkeiten gekommen^ die zunächst ihren Ausdruck in dem
Wegkapem von Handelsschiffen fanden. Vom Kaiser Zeno, der den
Frieden sehnlichst wünschte, wurde der Haushofineister von Hunerichs
1) Theophan. 5964.
2) Procop. de aedif. VI, 7. B. V. I, 8. H, 13. Die Städte Diana Vetera-
norum und Lambaesis sind wohl damals zerstört worden; 484 erscheinen keine
Bischöfe von da anf der Konferenz zn Karthago.
3) Man scheint Sizilien sehr bald nachher aufgegeben und sich mit dem
ansbednngenen Tribut begnügt zu haben; allerdings wurden anfänglich noch
katholische Hofbeamte nach dieser Insel verbannt, vgl. Victor 11, 23; aber 484
werden keine sizilischen Bischöfe genannt. Das Crleiche gilt von Mauretania
Tingitana, vgl. auch Geizer, Byzantin. Zeitschrift 11, 34.
104 Drittes Buch.
Schwägerin Placidia Alexander nach Karthago geschickt, und diesem
gelang es bald, die Differenzen zu beseitigen. Der König nahm, in
der Erkenntnis, dafs die Macht des Wandalenreiches nicht mehr auf
der früheren Höhe stand, alle Forderungen zurück, verzichtete auch
auf Erstattung der den karthagischen Kaufleuten erwachsenen Schäden
und erklärte, mit dem Kaiser in Frieden und Freimdschaft leben zu
wollen. Als Grund dieses raschen Bückzuges gab er die seiner
Schwägerin am kaiserlichen Hofe zu teil werdende ehrenvolle Behand-
lung an, ein Vorgeben, das zu fadenscheinig war, um nicht durch-
schaut zu werden.^) Auch weiterhin zeigte sich der König nachgiebig,
indem er auf Verwendung des Kaisers und der Placidia die Wieder-
besetzung des Bischofsstuhles von Karthago genehmigte und über-
haupt den katholischen Geistlichen eine grölsere Bewegungsfreiheit
einräumte; als Gegenleistung verlangte er nur, dafs man dem.
arianischen Klerus im oströmischen B^che bei der Ausübung seiner
Funktionen keine Schwierigkeiten in den Weg lege. Wahrscheinlich
Ende Juni 481^) wurde Eugenius zum Bischof von Karthago ge-
wählt; zwar wollte die intolerante Geistlichkeit anfänglich von
jener nicht unbilligen Bedingung nichts wissen und lieber auf alles
verzichten, doch wurde ihr Widerstand durch das Drängen des
Volkes und durch das kluge Verhalten des kaiserlichen Gesandten
Alexander, der die Verhandlungen im Auftrage des Königs leitete,
gebrochen.^) Eine Beeinträchtigung erfuhren die hierdurch geschaffenen
günstigeren Verhältnisse der römischen Unterthanen allerdings durch
die Einführung eines drückenden Abgabensystems; doch sind wir nach
den dürftigen und parteiischen Angaben Victors^) nicht in der Lage,
ein einigermaßen zuverlässiges Bild von der Art desselben zu ge-
winnen. Dafs es aber nur die Furcht vor einem ernstlichen Konflikt
mit Byzanz war, die den König veranlafste, mildere Seiten den katho-
lischen Unterthanen gegenüber aufzuziehen, lehrt sein sonstiges Ver-
halten, wobei er sich in seiner wahren Natur, als blutdürstigen Tyrannen
der schlimmsten Art, zeigte. Zunächst wütete er mit furchtbarer
1) Malch. fr. 13. Diese Vorgänge müssen, da das Werk des Malchns nur
bis 480 reichte, etwa ins Jahr 479 fallen.
2) Nach Victor IE, 2 war der Bischofssitz 24 volle Jahre unbesetzt; Deogratias
starb i. J. 457. Die Botschaft Hunerichs an den karthagischen Klerus datiett
vom 18. Juni. — In jene Zeit fällt wohl die Disputation zwischen dem maure-
tanischen Bischof Cerealis und dem arian. Bischof Maximinus zu Karthago, die
noch erhalten ist. (De fide s. trinitatis, Migne 68, 766 ff., vgl. Pseudogennad. c. 97;
Isidor de vir. ill. c. 11).
3) Vict.n, 3 ff. 4) n, 2.
Die Nachfolger Geiserichs bis iscan. Untergänge des Reiches. X05
Grausamkeit gegen die im Lande wohnenden Manichäer, schwerlich
jedoch in der Absicht, wie Victor angiebt, um dadurch die Katholiken
günstig zu stimmen, sondern wohl um der erfolgreichen manichäischen
Propaganda unter der arianischen Priesterschafb einen Biegel vor-
zuschieben. Weiter richtete er seine Verfolgungen gegön die Familien
seiner Brüder Theoderich und Gento, um die Thronfolge seinem
Sohne Hilderich zu sichern. Zunächst lieis er die Gattin Theoderichs,
deren Klugheit er besonders fürchtete, unter einer falschen Anklage
hinrichten; das gleiche Schicksal traf ihren ältesten durch Bildung
ausgezeichneten Sohn^), während Theoderich und der älteste Sohn
Gentos, Godagis, mittellos in die Verbannung geschickt wurden, wo
sie durch einen natürlichen Tod vor der ihnen drohenden Ermordung
bewahrt wurden. Theoderichs überlebender unmündiger Sohn und
seine beiden erwachsenen Töchter wurden zu der schimpflichen
Strafe des Eselreitens verdammt. Die vermeintlichen und wirklichen
Anhänger der Verfolgten aber, sowie die Freunde und Waffen-
gefahrten Geiserichs lieTs er in grofser Zahl töten, so den arianischen
Patriarchen Jucundus, der auf offener Strafse (in media civitate pro
gradibus plateae novae, d. h. an der Treppe, die von der unteren Stadt
Karthago nach der oberen führte)^ verbrannt wurde, ferner den be-
jahrten Reichskanzler seines Vaters Heldica u.a.m.
Als Hunerich erkannte, dals er einen Angriff des Kaisers nicht zu
erwarten habe, schritt er auch zur Unterdrückung seiner katholischen
ünterthanen. WiUig folgte er den Einflüsterungen der arianischen
Geistlichkeit, unter der der Patriarch Cyrila^) der fanatischste war. Es
kann nicht unsere Aufgabe sein, die Einzelheiten der Katholikenver-
folgungen Hunerichs an dieser Stelle zu erzählen; es mag genügen, hier
die wesentlichsten Punkte vorzuf&hren. Unsere Hauptquelle ist Victor
von Vita 11, 6 ff., IH, Iff., dessen Darstellung, wenn auch vielfach
übertrieben und legendenhaften Charakters^), doch im grofsen und
ganzen der Wahrheit entsprechen dürfte. Zunächst erliefs der König
1) Daraus, dafs dieser zunächst aus dem Wege geräumt wurde, hat Vict.
Vit. n, 13 irrig gefolgert, dafs er der nächstberechtigte Thronerbe gewesen sei,
während dies in Wirklichkeit des Königs Bruder Theoderich war.
2) Vict. n, 13. Vgl. Wieland, Ein Ausflug ins altchristliche Afrika
(1900) S. 22.
3) Die Beziehung der Inschrift C. I. L. VlIL n. 10904 auf diesen ist unsicher.
Anderer Ansicht ist Schwarze a. a. 0. S. 159. 93. Über ihn vgl. auch die Passio
VJLL monachorum § 2 und den sagenhaften Bericht über die Hunerichverfolgung
bei Greg. Tur. bist. Franc n, 3.
4) Die n, 17 ff. geschilderten Visionen sind natürlich nach den später ein-
getretenen Ereignissen konstruiert.
106 Drittes Buch.
die Verfügung, dafs alle diejenigen, die Hof- oder Staatsämter be-
kleideten, sich zum Arianismus bekennen sollten; gegen die Wider-
strebenden ging er ohne Ausnahme mit Vermögenseinziehung imd
Verbannung vor. Seinen ursprünglichen Plan, das Vermögen ge-
storbener Bischöfe zu konfiszieren und die Genehmigung einer Neuwahl
von der Zahlung von 500 Solidi abhängig zu machen, gab er auf
Anraten seiner Hofbeamten wegen der zu befürchtenden Bepressalien
seitens der Byzantiner auf. Sodann verwies er gegen 5000 (4966)
Katholiken, Priester und Laien, zu den Mauren in die Wüste; die
Leiden, die jene dabei zu erdulden hatten, hat uns Victor (II, 26 ff.)
als Augenzeuge geschildert. Als Aufenthaltsort war den Verbannten
wahrscheinlich das Gebiet im Süden der Byzacena bei Eapsa^) an-
gewiesen; denn als Sammelplätze werden die Städte Sicca Veneria
und Lares in der Prokonsularis bezeichnet, von wo sich der Zug
durch die Byzacena bewegte.*) Hier nahm sich der unglücklichen
der Bischof Cyprianus von Unizibira (Vict. II, 33) an. Die leider
verstümmelte im heutigen Djezza, früher Aubuzza, südlich von Sicca
(El-Kef), gefundene Inschrift C. I. L. VIII suppl. 1 n. 16396, auf der
30 Namen von Geistlichen und Laien verzeichnet stehen, deren Ge-
dächtnis in den Kirchen gefeiert wurde, ist vermutlich auf jene
Vorgänge zu beziehen.
Üieses Vorgehen veranlafste den Kaiser Zeno auf Antrieb
des Papstes (Felix; seit 13. März 483)'), einen Gesandten Namens
Reginus nach Karthago zu schicken, um Hunerich zu einem
milderen Verfahren zu bewegen; doch blieb diese Intervention ^nz-
lich erfolglos, ja sie reizte vielmehr, wie es scheint, den König zur
Anwendung von noch schärferen Mafsregeln. Er erliefs ein Edikt^),
das am Himmelfahrtstage, d. h. am f 9. Mai 483 zu Karthago vor der
versammelten Gemeinde in Gegenwart des erwähnten byzantinischen
Gesandten verlesen werden sollte und das durch Kuriere auch im
übrigeü Afrika verbreitet wurde, des Inhalts, dafs alle orthodoxen
1) Es ist wohl dasselbe Gebiet, wohin sich später Amalafrida flüchtete.
2) Vict. Tonn. a. 479, der jedoch, wie die angegebenen Lokalitäten (Tnbanae
in Nnmidien, Macri in Manr. Sitif.) beweisen, verschiedene Vorfälle zusammen-
wirft. Die Zahl der Verbannten wird hier auf qnattnor circiter milia angegeben.
Fassio Vn monach. § 4: Primo sacerdotmn et ministromm copiosissimam et
mazimam torbam in longinquis et extremis regionibns exilio cradeli detmsit
(im 7. Regierungsjahre Hunerichs, also 483).
3) Vgl. Euagr. bist, eccl.m, 20.
4) Dasselbe ist bei Vict. IE, 39 datiert „sub die XTTT. Kai. Junias anno
septimo Hunerici^^ d. h. am 20. Mai, was wegen des Himmelfahrtstages nicht
richtig sein kann; vielleicht ist zu bessern: XVI. kal. Jun. (17. Mai).
Die Nachfolger Greiserichs bis zum Untergänge des Reiches. 107
Bischöfe am 1. Februar des folgenden Jahres in der Hauptstadt zu
einem Beligionsgespräch sich versammeln sollten , um die Richtigkeit
ihrer Lehre gegenüber dem arianischen Klerus aus der Heiligen Schrift
zu beweisen. Als Anlafs wurde die (allerdings wahrscheinlich that-
sächlich stattgefundene) wiederholte Übertretung des schon von
Geiserich erlassenen Verbotes, innerhalb der Wandalenlose katholische
Propaganda zu treiben, angegeben. Es war von vornherein klar, dafs
hinter dieser anscheinend harmlosen Einladung ein böser Plan sich
versteckte. Dies zeigte sich gleich zu Beginn der Versammlung, zu
der zur angegebenen Zeit die Mehrzahl (imgefahr 460) der Bischöfe
aus A&ika und den zum Wandalenreiche gehörigen Inseln^) sich
eingefunden hatte, wie wir aus der bekannten Notitia provinciarum et
civitatum Africae ersehen.*) Die Forderung des Eugenius, Bischöfe
aus allen übrigen Ländern, insbesondere einen Vertreter der römischen
Kirche, „die das Haupt aller Kirchen sei'', einzuladen, um Zeit zu
gewinnen und, wie Vict. Vitt. II, 44 sagt, Männer bei der Konferenz
zu haben, die von der Gewaltherrschaft der Wandalen unabhängig
seien und deshalb freimütiger auftreten könnten, hatte der König
höhnisch zurückgewiesen. Um die anwesenden Katholiken von vorn-
herein einzuschüchtern, wurden die geistig hervorragendsten unter
ihnen teils in die Verbannung geschickt, teils körperlich mifshandelt,
teils, wie der Bischof Latus von Nepte'), eingekerkert, um später dem
Scheiterhaufen überliefert zu werden.*) Als hierdurch der Mut der
Übrigen nicht gebrochen wurde, machte die arianische Gei6tlichkeit
— es war ein offenbar mit dem Könige vorher abgekartetes Spiel
— durch ihr Auftreten das Zustandekommen des Gesprächs un-
möglich. Zwar waren hierauf die Katholiken vorbereitet, indem sie
nun ein schriftlich abgefalstes, nach Pseudogennadius de viris ill.
c. 98 von Eugenius herrührendes Glaubensbekenntnis, den sog. Liber
1; Aus Sardinien, Minorca, Majorca, Ebnsns und Korsika vgl. Schwarze S. 25.
2) Dieses wichtige Schriftstück scheint die in der königlichen Kanzlei auf-
gestellte Liste der zu citierenden Bischöfe zu sein, welcher später, etwa 485,
Angaben über die Schicksale der betroffenen Geistlichen hinzugefügt wurden.
Vgl. dazu Schwarze S. 162 ff. Die Überschrift der Not. stammt in der über-
lieferten Form jedenfalls nicht aus der Kanzlei, da esTieifst: nomina episcoporum
catholicorum: die Arianer nannten die Katholiken Homousier und sich selbst
catholici, vgl. den Sermo des Fastidiosus Migne 65, 375 D. 376 C. — Es ist an-
zunehmen, dafs auch die vorher zu den Mauren Verbannten geladen worden
•sind. Diese wurden nach Schlufs der Versammlung wieder dahin zurückgeschickt.
Sie sind es in der Hauptsache, deren Namen in der Not. mit dem Zusatz exilium
oder in exil. versehen sind.
3) Vgl. auch Vict. Tonn. a. 479. 4) Am 24. Sept. 484.
1(08 Drittes Bnch.
fidei catholicae (bei Vict. Vit. 11, 56jff.), überreichten.^) Doch war
auch dieser Trumpf gänzlich wirkungslos. Unter dem Verwände,
dafs das Scheitern der Verhandlungen lediglich auf das tumultuarische
Auftreten der Katholiken zurückzuführen sei, liefs Hunerich am
7. Februar^) sämtHche Kirchen in Afrika schliefsen und den Bischofen
eröJBben, dafs dieselben solange geschlossen bleiben sollten, bis sie
zur Fortsetzung der Diskussion sich bereitfinden würden.^) Da
letzteres natürlich nicht eintrat, wurde am 24. Februar das berüchtigte
Edikt veröffentlicht, worin der Konig die Anwendung der von den
romischen Kaisem erlassenen Ketzergesetze gegen alle katholische
Unterthanen anordnete^), die sich bis zum 1. Juni nicht zum Arianis-
mus bekannt haben würden. Es ward hiemach den orthodoxen
Priestern untersagt, religiöse Versammlungen abzuhalten, Kirchen
zu erwerben oder neu aufzufuhren, Taufen, Weihen imd dergleichen
zu erteilen, ihnen überhaupt der Aufenthalt in allen Städten und
Ortschaften verboten; das Vermögen aller katholischen Kirchen und
diese selbst seien dem arianischen Klerus zu überweisen. Die
häretischen Laien sollten die aktive und passive Fähigkeit zu
Schenkungen, Vermächtnissen u. s. w. verlieren, die Hofbeamten katho-
lischen Bekenntnisses ihrer Würden entkleidet und für infam erklärt
werden. Alle Bücher, welche die Irrlehre behandelten, seien zu
verbrennen. Für die einzebien Klassen der Bevölkerung wurden nacb
dem Bang abgestufte Geldstrafen festgesetzt. Im Falle der Beharrung
sollten alle zur Deportation imd Vermögenseinziehung verurteilt
werden; wer aber bis zum 1. Juni die Wiedertaufe annehme, sei ffir
1) Das Schriftstück trägt das Datum 20. April (XU. kal. Maiarom); die
Überreichung mufs aber vor dem T.Februar stattgefanden haben. Petschenig
.(Vorr. zur Ausgabe Victors p. VI) meint daher, dasselbe sei zuerst nur den arian.
Bisehöfen und später, eben am 20. April, auch dem König übergeben worden;
daher erkläre sich, dafs in dem Edikt vom 24. Februar keine Bücksicht darauf
genommen sei. Aber es ist schwer zu glauben, dafs Hunerich die Eingabe erst
nach zwei Monaten erhalten haben sollte. Offenbar ist die Datumsangabe ver-
dorben; Konjekturen aufzustellen, wäre zwecklos.
2) Vict. Vit. m, 2. 7. Laterculus reg. Wand. 6: Hunerix . . . omnes . . .
ecclesias clausit. 10: Quae ecclesiae fuerunt clausae ... ab octavo anno Huneiici
id est ex die VII. id. febr. (484). Fassio monachorum 6 : Post modicum quoque
temporis universas simul "ecclesias . . . claudi mandavit (der auf diese Stelle
folgende Satz: universa monasteria . . . Mauris cum habitatoribus donare prae-
cepit ist jedoch schwerlich im vollen Umfang richtig). Vgl. dazu auch S. 186
N. 2. Den Beginn der Katholikenverfolgungen Hunerichs setzt der Laterculus
ans Ende des 7. Begierung^ahres (483), Marcellin in den Februar 484. Vgl.
Faschale Campanum a. 484 (Chron. min. I, 746): Huniricus persequitur catholicoB.
3) Vict. Vit. m, 7.
4) Besonders der Gesetze Cod. Theod. XVI, 6, 62. 64. Vgl. dazu Dahn S. 266 ff.
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Eeiches. 109
straf&ei zu erklären. Die Mitglieder der Behörden, die bei der Aus-
fithrong der königlichen Befehle sich säumig zeigten^ wurden mit
Hinrichtung und Konfiskation ihres Eigentums bedroht.
Die in Karthago anwesenden Bischöfe^ von denen inzwischen
einige sich durch Flucht in Sicherheit gebracht hatten^), wurden, aller
Mittel zum Lebensunterhalt beraubt, vor die Mauern der Stadt gestoüsen;
als sie hier den König bei einem Spazierritte desselben ad piscinas mit
Vorstellungen bestürmten, ihrer traurigen Lage ein Ende zu machen,
gab dieser statt einer Antwort den Befehl, die Unglücklichen nieder-
zureiten. Die Mehrzahl der in der Notitia mit dem Zusatz prbt.
(peribat) aufgeführten Bischöfe ist wohl bei dieser Gelegenheit um-
gekommen. Hierauf eröffiiete ihnen der König Aussicht auf Bückkehr
in ihre Ämter, wenn sie eidlich versprechen wollten, die Succession
seines Sohnes Hilderich anzuerkennen und mit überseeischen Ländern
keine Beziehungen zu unterhalten. Die Minderheit (25 oder 46)
verweigerte die Eidesleistung in Rücksicht auf das Schwurverbot der
Heiligen Schrift, und diese wurden, weil sie die Thronfolge Hilderichs
nicht wollten, nach Korsika verbannt, um dort für die Staatswerften
Holz zu fällen; die übrigen, die geschworen hatten (302 oder 325),
wurden dazu verurteilt, in der Nähe ihrer bisherigen Sitze Acker
als Kolonen zu bebauen^), als Strafe für die Übertretung jenes
biblischen Verbotes. Die allgemeine Verfolgung der Katholiken be-
gann erst nach Ablauf der gestellten Frist, am 1. Juni 484.^) Die
Ausfühnmg des Dekrets hatte der König, wie schon Geiserich, ganz
in die H^de der arianischen Geistlichkeit gegeben^), die die an-
gedrohten Strafen mit der empörendsten Grausamkeit vollstreckten,
ja noch darüber hinausgingen. Doch wurde wie früher in kluger
Berechnung die Schaffung von Martyrien möglichst vermieden. Solche
erlitten nur der Bischof Latus (vgl. oben) und der Prokonsul zu
1) Nach der Schlnfssumme der Notitia 28, während im Text derselben
nur einer den Znsatz „fag/^ trägt. Zu diesen gehörte der Bischof Quintianns
ürcitanns ans der Prokonsnlaris, Vict.I, 29. 11, 22 CLL. VIII p. 123Ö.
2) Auch die vita Ftdg. c. 4 erwähnt, dafs die Bischöfe dazn verurteilt
wurden, in der Nähe ihrer Sitze in Verbannung zu leben, weifs jedoch nichts
von dem Kolonat derselben und erzählt sogar von dem Bischof Faustus, dafs
dieser an der Stelle seines Exils ein Kloster gründete und daselbst seine Tage
zubrachte. — Marcellinus Comes giebt die Gesamtzahl der verbannten und
vertriebenen Bischöfe auf ca. 334 an. Die Zahlen im Text der Notitia stimmen
mit den Summierungen am Schlüsse derselben nicht überein.
3) VgLVictm, 21 ff.
4) Derselbe HI, 54: quia ipsi (die arianischen Geistlichen) huius rei habere
noscuntur per omnia potestatem.
110 Drittes Buch,
Kaiiihago Victörianus. Um so gröfser war die Zahl der Bekenner.
Am berühmtesten ist das nicht nur von Victor von Vita, sondern
auch von anderen Zeitgenossen registrierte sogenannte Wunder von
Tipasä, einer Stadt in Mauretania Caesareensis, wo einige streng-
glaubige Bewohner ihrer Zungen beraubt wurden, trotzdem aber ihr
Sprechvermögen behielten.^) In diese Zeit fällt auch die Verbannung
des Bischofs Eugenius nach Tamallenum oder Tamalluma (an der
Grenze zwischen der Byzacena und Tripolis), wo derselbe unter den
Quälereien des arianischen Bischofs Antonius schwer zu leiden hatte ^),
die durch Schläge und Hunger verschärfte Exilierung der gesamten
karthagischen Priesterschaft, etwa 500 Personen, sowie wahrscheinlich die
Verurteilimg des numidischen Bischofs Domninus zur Arbeit in einem
Bergwerk, also zu einer besonders schweren Strafe, wie der Zusatz
in der Notitia prov. Num. 76: metallo, beweist,^) Das erneute Ein-
schreiten des Kaisers Zeno zum Schutze der Verfolgten war wiederum
erfolglos; der Eonig liels sogar die meisten Exekutionen in den
Strafsen vornehmen, die der nach Karthago geschickte Gesandte
Uranius passieren mufste.*)
Es wird keinem Billigdenkenden in den Sinn kommen, das ge-
schilderte Vorgehen irgendwie rechtfertigen zu wollen. Die katho-
likenfeindlichen Ma&nahmen Geiserichs betrafen in der Haupt-
sache nur diejenigen, die für den Bestand des Staates und die
Erhaltung der Religion des wandalischen Volkes in irgend einer
Weise gefährlich erschienen, während sein Nachfolger seine Ver-
folgungen gegen alle Anhänger des orthodoxen Glaubens ohne Aus-
nahme richtete. Habgier und Blutdurst und damit vereinigt religiöser
Fanatismus waren bei letzterem die entscheidenden Beweggründe; die
politischen Motive traten in den Hintergrund, haben jedoch immer
noch eine gewisse Bolle gespielt und zwar in gröfserem Mafse, als
man es nach Victor Vit. annehmen könnte. Der orthodoxe Klerus
hatte die ihm gewährte gröfsere Bewegungsfreiheit schleunigst be-
nutzt, um innerhalb der Wandalenlose wieder Propaganda zu treiben
(Vict. n, 39), auch von neuem zu „überseeischen" Ländern Beziehungen
angeknüpft, die gewils nicht harmloser Natur waren (HI, 19). Die
im einzelnen verübten Grausamkeiten erscheinen in einem etwas
1) Vgl. die Erörterung von Görres in der Zeitschrift für wiss. Theologie
36, I, 494 ff.
2) Vict. m, 43. Notit. procons. 1.
3) Vgl. Vict. in, 68: in locis squalidis metallomm.
4) Vict.m, 32.
Die Nachfolger Geiserichs bis znm Untergänge des Reiches. XI 1
milderen Lichte, wenn man bedenkt, dafs die kathöliselie Bevölkerung
jedenfalls, was immer zu betonen ist, infolge der Aufhetzungen des
Klerus, den königlichen Befehlen vielfach mit offenem Trotz begegnete
und dadurch direkt zu den an ihr verübten Gewaltthätigkeiten reizte.
Victor Vit. (III, 29) giebt selbst zu, dafs die Bewohner von Tipasa
den arianischen Bischof verhöhnten und öffentlich ihren Gottesdienst
feierten. Die Erzählung desselben (III, 27) von dem Tode des
Victorianus ist wahrscheinlich nicht ganz der Wahrheit entsprechend;
ihn traf die Strafe wohl deshalb, weil er die Bestimmungen des
königlichen Dekretes nicht ausgeführt hatte,^) Bei alledem mufe
noch in Betracht gezogen werden, dafs die früher von den römischen
Kaisern gegen die Ketzer verfügten Mafsregeln eine fanatische Natur
wie Hunerich zur Wiedervergeltung geradezu auffordern mufsten;
dieser Erkenntnis hat man sich auf katholischer Seite natürlich
gänzlich verschlossen; vgl. die Bemerkung Victors III, 2 a. E.
Es ist begreifUch, dafs die gegen die Katholiken in Anwendung
gebrachten Gewaltmafsregeln viele Übertritte von Laien und Klerikern
?ur arianischen Kirche zur Folge hatten. Nach Victor könnte es
freilich scheinen, als wäre ihre Zahl nur gering gewesen. Dafs jedoch
das Gegenteil richtig, lehren die Verhandlungen der Lateransynode
vom 13. März 487 (oder 488?)^), welche sich ausschliefslich mit den
Bedingungen, imter denen die Wiederau&ahme der Gefallenen in den
Schofs der orthodoxen Kirche zu erfolgen habe, beschäftigte. Es ist
dabei zu berücksichtigen, dafs die breiten Schichten der Bevölkerung
jedenfalls schwerlich von dem orthodoxen Glauben so durchdrungen
gewesen sind, dafs sie nicht, um ihre Existenz zu retten, ohne
Skrupel sich zu einem Bekenntniswechsel bereit gefunden hätten,^)
Man kann hiemach wohl annehmen, dafs es schliefslich dem Könige
gelungen wäre, den Katholizismus in Afrika gänzlich auszurotten.
1) Über die Hunerichverfolgung vgl. aufser den bereits citierten Quellen-
steilen noch Gelasii epist. ad episcopos Dardaniae ed. Günther (Corp. scriptt.
eccl. Vindob. 35, 391, gescbr. 1. Febr. 496): Ecce nuper Honorico regi Vandalicae
nationis vir magnns et egregins sacerdos Engenius Cartaginensis episcopns multi-
que cum eodem catholici sacerdotes constanter restitere saevienti cunctaque ex-
trema tolerantes hodieque persecutoribus resistere non omittunt. Vgl. ebenda
p. 328: Basilica (Fausti) — unde nostros patres tyrannus Huniricus expulerat.
(535 Mai). Proc. b. V, I, 8 (vgl. dazu Görres, Deutsche Zeitschr. f. Gesch. X, 53
Note 2).
2) Vgl. He feie, Conciliengeschichte 11*, 614ff, Langen, Gesch. d. röm.
Kirchen, 149 ff.
3) Namentlich infolge der grofsen Hungersnot vgl. Vict. Vit. HI, 60: Et
idcirco forte maior rebaptizatorum perditio potuit provenire.
112 Drittes Buch.
wenn ihn nicht ein frühzeitiger Tod am 23. Dezember 484^) von
dieser Welt abberufen hätte. Über sein Ende haben die Katholiken,
um es als eine Strafe Gottes hinzustellen^ später die abenteuerlichsten
Angaben verbreitet; nach dem Laterculus reg. Wand., sowie dem
(unechten) SchluTskapitel des Geschichtswerkes Victors von Vita soll
er von Würmern zerfressen worden sein, während er Gregor von
Tours (11, 3) zufolge sich selbst mit seinen Zähnen zerfleischt habe.
Victor von Tonnena (a. 479) läfst ihn wie Arius infolge des Heraus-
tretens der Eingeweide sterben. Sicher scheint nur zu sein, dafe er,
wie auch Prokop (b. V. I, 8) angiebt, einer Krankheit erlegen ist.
Hunerichs Nachfolger wurde nach den Bestimmungen des Haus-
gesetzes Gentos Sohn Gunthamund, dem es wahrscheinlich geglückt
war, durch Flucht sich den Verfolgungen seines Oheims zu entziehen;
sein älterer Bruder Godagis war schon vorher im Exil gestorben.
Die Verfolgungen der Katholiken hörten auch jetzt zunächst noch
nicht auf; denn Victor Vit., der sein Geschichtswerk nach Hunerichs
Tode schrieb (vgl. namentlich die Stelle H, 12: [Huniricus] desiderans
post obitum suum filiis, quod non contigit, regnum statuere) weist
noch voll Erbitterung auf ihre Portdauer hin (vgl. 1, 1. IH, 64fF.).*)
Aber es trat hierin bald eine Wendung zum Bessern ein. Wie der
durch genaue chronologische Angaben ausgezeichnete Laterculus reg.
Wand. § 8 bemerkt, liefs der König im dritten Jahre seiner Begierung,
also 487, den Katholiken das coemeterium s. martyris Agilei ein-
räumen, nachdem er schon vorher den Bischof Eugenius aus der Ver-
bannung zurückberufen hatte. Wahrscheinlich aber ist damals über-
haupt den meisten Katholiken die Bückkehr gestattet und die Mehr-
zahl der Kirchen wieder freigegeben worden; dies ergiebt die schon
erwähnte römische Synode von 487 oder 488, an der auch vier
afrikanische Bischöfe teilnahmen. Es waren dies nach den Akten
Victor, Donatus, ßusticus und Pardalius, der zuletztgenannte ohne
Zweifel mit dem gleichnamigen episcopus Macomadiensis der Not.
prov. Numid. 84 identisch. Die Angabe des Laterculus § 9. 10, es
seien die katholischen Kirchen im zehnten Jahre Gunthamunds, am
10. August 494 wieder geöflEuet imd sämtliche Geistliche (omnes Dei
sacerdotes) auf Verwendung des Eugenius zurückberufen worden, ist
daher auf den aus besonderen Gründen so lange zurückgehaltenen
1) Laterculus reg. Wand. : Hunerix — ann. VII m. X d. XXVm. Nach Prokop
1,8 regierte er acht Jahre, nach Vict. Tonn. a. 464: 7 Jahre 5 Monate.
2) Vict. Tonn. a. 479 sagt irrig, der König hätte sofort die Verbannung
aufgehoben.
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergange des Eeiches. X13
Best des orthodoxen Klerus (wahrscheinlich vorwiegend Bischöfe)
zu beziehen.^) Die Katholikenfreundlichkeit des Königs wird namentlich
illustriert durch die Erzählung von dem heiligen Fulgentius^ dem der
arianische Bischof von Karthago Sühne anbot wegen der ihm und
dem Abt Felix in der Stadt Sicca durch einen arianischen Priester
zu teil gewordenen MiCshandlungen.*) Es zeigt dieser Fall aber zu-
gleich, dafs ein Teil der arianischen Geistlichkeit den neuen Ver-
hältnissen sich nicht fügen wollte und die Verfolgungen auf eigene
Faust weiter fortsetzte; in Bücksicht hierauf ist wohl auch in dem
oben citierten Briefe des Gelasius vom 1. Februar 496 von der Fort-
dauer der Bedrängnis der Katholiken die Bede. Dafs die letztere
übrigens zum guten Teil selbstverschuldet war, indem man in den
Bezirken arianischen Glaubens eifrig Propaganda trieb , zeigt das so-
eben erwähnte Beispiel des Fulgentius.^)
Die Gründe, welche den König zu dieser veränderten Beligionspolitik
I veranlafsten, sind nicht recht klar. Auf eine Intervention von Seiten des
byzantinischen Beiches ist dieselbe unzweifelhaft nicht zurückzuführen,
da der Kaiser sich damals in schroffem Gegensatz zur römischen Kirche
befand und fiir ihn keine Veranlassung vorlag, für die afrikanischen
Katholiken einzutreten. „Der Gegensatz des Königs zu Hunerich, der das
Haus Gentos so schwer verfolgt hatte" (so Dahn, Könige I, 268) kann
wohl kaum ernstlich als Motiv in Frage kommen, da der Wechsel in der
Beligionspolitik erst einige Jahre nach dem Begierungsantritt erfolgte.
Ungewifs, wenn auch nicht unwahrscheinlich ist es, dals die jetzt
immer gröfsere Dimensionen annehmenden Erhebungen maurischer
Stämme auf die Entschliefsungen Gunthamunds eingewirkt haben.
Prokop (b. V. I, 8) weifs blofs ganz allgemein von mehreren mit den-
selben stattgefiindenen Kämpfen zu erzählen. Dracontius rühmt in
seiner Satisfactio v. 213f. (vgl. unten) die in Abwesenheit des Königs
von dessen Heere erfochtenen Siege (Maurus ubique iacet). Etwas
Genaueres erfahren wir aus dem Leben des heiligen Fulgentius (cap. 9),
wonach die an die Byzacena angrenzenden Stämme diese Provinz mit
ihren Einfällen heimsuchten und viele Bewohner zur Flucht in
sichere Gegenden nötigten. Auf dieselben Vorgänge wird auch die
1) Nach Prok. I, 8 hätte G. noch gröfsere Leiden über die Katholiken ver-
hängt als sein Vorgänger.
2) Vita Fulg. c. 9— 11.
3) Vita Fulg. c. 9, 17 non aliquos reconcüiando sed omnes, quos attingere
poterat, ad reconciliationem salutaribus monitis invitando. Vgl. dazn auch
G. Picker in der Zeitschrift für Kirchengeschichte XXI (1900), 19.
Schmidt, Wandalen. o
114 Drittes Buch.
Stelle in der Mythologie des Fabius Planciades Fulgentius (p. 5 ed.
Helm Lips. 1898) zu beziehen sein^ wo es heilst^ dafs die Heiden
die Felder verwüsteten und die Bevölkerung sich in ihren zu Festungen
umgestalteten Häusern gegen die feindlichen Angriffe zu verteidigen
suchte^ bis die Ankunft des Königs (dominus rex) aller Sorge ein
Ende machte.^) Gunthamund scheint es also schliefslich gelungen
zu sein, die Mauren in ihre Schlupfwinkel zurückzuweisen, wenn es
auch zu einer entscheidenden Niederwerfung derselben nicht gekommen
ist. Dafs sich die maurische Invasion auch auf andere Gegenden als
die Byzacena erstreckte, ersehen wir aus der vom Jahre 495 datierten
Inschrift von Mouzai'aville (Taranamusa, südlich von Tipasa in Mauret.
Gaes.), C. I. L. YIII, 9286: multis exiliis saepe probatus et fidei
catholicae adsertor dignus inventus inplevit in episcopatu annos
XYIII menses H dies XH et occisus est in hello Maurorum et
sepultus est die VI. idus Maias anno provinciae CCCCLXVI. Es
liegt hier wahrscheinlich die Grabschrift des in der Notitia von 484
Maur. Caes. no. 37 aufgeführten Bischofs Donatus Temamusensis vor.^
Völlig fehl aber schlug der Versuch des Königs, sich in Sizilien
wieder festzusetzen, wozu der zwischen Odovaker und Theoderich dem
Grofsen ausgebrochene Krieg günstige Gelegenheit zu bieten schien.
Die dort brandschatzende wandalische Expedition wurde vertrieben
und Gunthamund genötigt, den Ostgotenkönig um Frieden zu bitten
und auf den bisher von der Insel gezahlten Tribut Verzicht zu leisten')
(491). Wenn Dracontius*) Siege des Königs zu Lande und zur
See feiert und dabei auch eines sonst unbekannten Ansila gedenkt,
so mag dies zum Teil hiermit in Verbindung zu bringen sein. Viel-
leicht hatten die Wandalen anfönglich einen Vorteil über die nach
Sizilien gesandten ostgotischen Truppen, deren Anführer Ansila hiefe,
davongetragen; denn dieser Name ist unzweifelhaft ein gotischer
Personenname: ihn führte z. B. ein Amaler nach Jordanes Getica XIV, 79.
Dafs übrigens trotz der veränderten Stellung des Kaisers zur
Kirche dieser wenigstens von einem Teil der römischen Bevölkerung
als der allein rechtmäüsige Herrscher Afrikas angesehen und auch
offen bezeichnet wurde, lehrt das Beispiel des schon erwähnten Dichters
Dracontius, der damals in Karthago beim Prokonsulat eine Stelle be-
1) Vgl. Helm im Rhein. Museum f. klasa. Philol. K F. LIV (1899) S. 123 f.
2) Vgl. Schwarze S. 170.
3) Cass. chron. c. 1327. Ennod. paneg. Theod. 13, 70.
4) Dracont. aatisf actio v. 213 f.: Contulit absenti terrae pelagique triumphoe,
Ansila testatur.
Die Nachfolger Greiserichs bis ztun Untergange des Reiches. 115
kleidete und ins Gefängnis geworfen wnrde^ weil er^ wie er selbst an-
giebt; einen Fremden (d.li. eben offenbar den Kaiser) als seinen Herrn
besungen habe^ statt des wandalischen Fürstenhauses.^) um die Frei«
heit wieder zu erlangen, verfafste er das bekannte Eeugedicht, die
Satisfactio ad Gunthamundum regem Guandalorum, in der er des
Königs milden Charakter rühmt, ihn um Verzeihung bittet und ver-
spricht, künftig nur zu seinem Ruhme zu dichten. Die erhoffte Be-
gnadigung blieb jedoch zunächst wenigstens aus; das Vergehen, offen-
kundiger Hochverrat, war jedenfalls schwer genug, um die Gewährung
einer solchen nicht gerechtfertigt erscheinen zu lassen.^)
Gunthamunds Tod fallt wahrscheinlich auf den 3. September 496');
Trasamund, sein Bruder, ausgezeichnet durch Schönheit, Liebens-
Würdigkeit, scharfen Verstand und wissenschaftliche Bildung^), folgte
ihm auf den Thron. Den Katholiken gegenüber verfolgte dieser
wieder eine andere Politik als sein Vorgänger. Wie Hunerich suchte
er den Arianismus in seinem Beiche zu verbreiten, doch vermied er
im allgemeinen die schroffen Mafsregeln, die dieser angewendet hatte.
Die Konvertiten wurden mit Geschenken, Ehren und Ämtern über-
häuft; Verbrechern, die die Wiedertaufe annahmen, gewährte er Be-
gnadigung, während die Glaubensstarken mit Nichtachtung behandelt
wurden.^) Dieses Verfahren scheint in der That die Bekehrung zahl-
reicher Katholiken zur Folge gehabt zu haben.^) Eifrig beschäftigte
er sich mit den aktuellen theologischen Streitfragen und forderte die
Orthodoxen, namentlich den Bischof von Kuspe Fulgentius, den er
aus der Verbannung nach Karthago berief (vgl. weiter unten), zu
Disputationen über den wahren Glauben heraus. Natürlich berichtet
der Biograph des Fulgentius, dafs es diesem zum Vergnügen der
1) Satisf. V. 93 f.
2) Vgl. Man it ins, Geschichte der christlich -lateinischen Poesie 380. Die
Gefangenschaft des Dichters fällt, wenn die Verse 213 f. richtig auf die sizilische
Expedition bezogen sind, nach 491.
3) Nach der einen Bezension des Laterc. reg. Wand. (§ 7) regierte G. 11 Jahre
9 Monate 11 Tage, d. h. bis zmn 4. Okt. 496, nach der anderen 11 Jahre 8 Monate.
In der ersteren ist wahrscheinlich zu emendieren Villi in Vlll, da es weiter
unten heifst, G. habe nach der Öffnung der kath. Kirchen am 10. Aug. 494 noch
2 Jahre 1 Mon. regiert. Vict. Tonn. a. 479 giebt 12 Jahre an, nach Prok. I, 8
starb der König in der Mitte des 12. Jahres seiner Eegierung.
4) Florentinus in laudem regis v. 6 ff. (Anthologia latina ed. Eiese I, v. 376.)
Proc. I, 8. Cassiodor. Var. V, 43. Fulgent. adv. Thrasim. 1,2: hoc ingenii
studiique tui sagacitas recognoscit .... Per te . . . disciplinae studia moliuntur
jura barbaricae gentis invadere.
6) Proc. b. V. I, 8.
6) Vit. Fulg. c. 21 ff. Fulg. adv. Thrasim. I, 2.
8*
116 Drittes Buch.
karthagischen Katholikengemeinde gelungen sei^ alle Aufstellungen des
Königs (die uns zum Teil noch in dem Liber unus contra Arianos [Migne
65, 205 ff.] erhalten sind) trotz der ungünstigen Bedingungen siegreich zu
widerlegen.^) In Wahrheit ist der Arianismus der Wandalen durch diese
Polemik nicht überwunden worden; doch mufs immerhin die Thätigkeit
des Fulgentius in Karthago auf die in ihrem Grlauben wankend ge-
wordenen Katholiken nicht ohne Einflufs geblieben sein. Der Bischof
wurde daher sehr bald wieder in sein Exil zurückgeschickt. Dais
Trasamund indes daneben und zwar gleich zu Anfang seiner Ite-
gierung die Anwendung strengerer Mittel, namentlich gegen den
Episkopat, nicht scheute, ist zuverlässig überliefert In diese Zeit
fällt wahrscheinlich das königliche Edikt, welches bestimmte, dafs die
durch Abgang erledigten Bischofssitze nicht wieder besetzt werden
sollten.^ Im Jahre 499 befand sich nach dem Leben des Fulgentius
(c. 13) auf einer Insel bei Sizilien ein byzacenischer Bischof Eufinianus,
der den Verfolgungen seitens der Wandalen sich durch Flucht ent-
zogen hatte.^) Zu 505 meldet Victor Tonn, den Tod des kartha-
gischen Bischofs Eugenius als confessor; wenn der Erzählung Gregors
von Tours (hist. Franc. 11, 3) zu trauen ist, starb derselbe im Exil
zu Alby in Südfrankreich.^) Ohne Zweifel ist dieser einflufsreiche
Mann gleich zu allem Anfang aufser Landes geschickt worden. Um
503 fällt die Verbannung einiger afrikanischer Bischöfe, an die im
päpstlichen Auftrag Ennodius das unter dessen Briefen (no. 51) er-
haltene Schreiben richtete, worin dieselben wegen ihrer Glaubens-
stärke gepriesen werden.^) Als die im Jahre 508®) noch übrig ge-
bliebenen Prälaten in der Bjzacena dem Verbote zuwider neue Wahlen
vornahmen, um dem herrschenden kirchlichen Notstand abzuhelfen,
wurden sie, darunter auch der wider seinen Willen zum Bischof von
1) Vit. Fulg. c. 21,45: Alios jam rebaptizatos errorem suum plangere
docebat et reconciliabat; alios antem, ne suas animas pro terrenis commodis
perderent, admonebat. Vgl. auch ebenda c. 28,54: Scripsit eodem tempore
Carthaginensibus epistolam .... Tibi pene cunctos dolos et fallacia blandimenta,
quibus infelices reducebantur animae ad mortem (d. h. den Arianismus) ....
digessit.
2) Vit. Fulg. c. 16 und dazu Papencordt S. 121. Vgl. auch Vict. Tonn,
z. J. 497 : Trasamundus .... catholicos insectatur, catholicorum ecclesias claudit etc.
Auf die Chronologie Victors ist freilich wenig Gewicht zu legen.
3) Von einer Verbannung dahin, wie Hasenstab, Studien zu Ennodius,
München 1890, S. 36 will, ist keine Rede.
4) Dafs ihm dieser Aufenthaltsort angewiesen worden sei, ist nicht an<
zunehmen.
6) Zur Zeitbestimmung vgl. Hasenstab S. 2 7 ff.
6) Hasenstab S. 31 f.
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Reiches. 117
Buspe konsekrierte Fulgentius, mit vollem Bechte nach Sardinien
deportiert. Damals befanden sich auf dieser Insel 60 Exilierte (vit.
Fulg. cap. 20), und die Zahl derselben ward später noch gröfser^)5 ob
sie jedoch 120 betragen, wie Victor Tonn. a. 497,4 zusammenfassend
berichtet, ist fraglich.*) Das Los der Verbannten mufs aber ein
ganz erträgliches gewesen sein; namentlich ist hervorzuheben, dafs
ihnen der Verkehr mit der Aufsenwelt nicht verboten war (Vit. Fulg.
c. 20. 28).^) Alljährlich sandte ihnen der Papst Symmachus (f 514)
Unterstützungen an Geld und Kleidungsstücken.*) In den Jahren
517 — 20 erscheint ferner ein afrikanischer Bischof Possessor in Kon-
stantinopel, wohin er ohne Zweifel vor den Wandalen sich geflüchtet
hatte (Günther, Epistolae pontificum n. 131. 230. 231; Langen, Gesch.
d. röm. Kirche H, 265flF. 286f.).
DaTs es damals zu Mifshandlungen oder gar zu blutigen Gewalt-
akten wie unter Hunerich gekommen sei, ist von keiner zuverlässigen
Quelle überliefert. Wenn wir von roher Behandlung katholischer
Priester und Kirchenschändungen hören, die die wandalischen Truppen
bei ihrem Zuge gegen die Mauren in Tripolis sich erlaubten, so waren
dies Ausschreitungen der Soldateska, die schwerlich die Billigung des
Herrschers gefunden haben.^) Bemerkenswert ist femer, dafs gegen
die Klostergeistlichkeit nicht eingeschritten wurde; so durfte Fulgentius,
ohne den Widerspruch des Königs zu erfahren, zwei neue Klöster
in Afrika gründen, zu denen vornehme Bömer den Grund und Boden
hergaben.^)
Ob und inwiefern die Beligionspolitik Trasamunds von dessen
auswärtigen Beziehungen beeinflufst worden ist, läfst sich nicht mit
Klarheit erkennen. Das Verhältnis zum arianischen Ostgotenreiche
kann jedenfalls hierbei nicht in Betracht kommen, da dasselbe erst
1) Vgl. die Nachweisimg von Hasenstab S. 34.
2) Andere Berichte kommen nicht in Frage. Aus Vict. Tonn, hat Isidor
geschöpft, ans diesem nnd dem Papstbuch (vgl. N. 4) Beda. Auf Beda und
Isidor geht zurück Paulus Diac. hist. Rom. XVI, 3. Das oft citierte chronicon
breve ist weiter nichts als eine Kompilation aus Beda, wie ich im Neuen Archiv
f. ä. d. Gesch. IX (1883) S. 197 ff. nachgewiesen habe. Alle Folgerungen, die
Hasenstab S. 28 f. hierauf gründet, sind daher zu verwerfen.
3) Vgl. die Briefe unter den epistolae des Fulgentius 16. 16. 17 (Migne
65, 436 ff.).
4) Vita Symmachi (Mon. Germ. Gesta pontif. I, 125): (Symmachus) omni
anno per Africam vel (= et) Sardiniam ad episcopos, qui exilio erant retrusi,
paecunias et vestes ministrabat. Hiemach könnte man annehmen, dafs sich
auch in Afrika im Exil lebende Bischöfe befanden hätten; doch ist auf diese
Angabe schwerlich viel Gewicht zu legen.
5) Proc. b. V. I, 8. 6) Vit. Fulg. c. 14. 19.
118 Drittes Buch.
vom Jahre 500 datiert. Die Bemühungen Theoderichs des Grofsen
waren bekanntlich, nachdem seine Herrschaft in Italien einigermafsen
gefestigt erschien, in erster Linie darauf gerichtet, durch enge Ver-
bindung mit den übrigen germanischen Fürsten sein Reich auch
nach aufsen hin sicherzustellen. In Eonsequen? dieser Politik suchte
der Grotenkönig u. a. die Bundesgenossenschafb des wandalischen
Reiches zu gewinnen, dessen Flotte ihm bei dem Mangel einer eigenen
Schiffsmacht gegen einen Angriff der Byzantiner von wesentlichem
Nutzen sein, andrerseits aber auch schweren Schaden zufügen konnte.
Die Allianz, durch die natürlich auch die Wandalen wesentlich ge-
winnen mufsten, ward besiegelt durch die Vermählung Trasamimds,
dessen erste Gattin, ohne ihm Kinder zu hinterlassen, gestorben war,
und der gleichfalls verwitweten Schwester Theoderichs Amalafrida;
diese traf mit einem Geleite von 1000 vornehmen Goten (Doryphoren)
nebst 5000 streitbaren Knechten^) in Karthago ein und brachte ihrem
königlichen Gatten als wertvolle Mitgift den Teil der Insel Sizilien
um Libybäum zu.*) Eine Unterbrechung erfuhr das gute Verhältnis
beider Staaten in den Jahren 508 — 511. In der Schlacht bei Vougle
507 war die gallische Herrschaft der Westgoten dem Frankenkönig
Chlodowech erlegen. Während ein ostgotisches Heer mm im folgen-
den Jahre über die Alpen zog, um die Provence in Beschlag zu
nehmen, erschien eine kaiserliche Flotte an den Küsten Süditaliens
und brandschatzte die Gefilde Kalabriens und Apuliens.') Trasamund
that jedoch nichts, um die Byzantiner zu vertreiben, wozu er doch
als Verbündeter Theoderichs verpflichtet war, und wenn wir bei
Prokop. lesen, dafs er zum Kaiser Anastasius, mit dem ihn ohnehin
die gleichen, katholikenfeindlichen Neigungen verbanden, in einem
freundschaftlichen Verhältnis gestanden habe, so möchte man ver-
muten, dafs damals ein geheimer, gegen das Ostgotenreich gerichteter
Vertrag zwischen beiden Herrschern abgeschlossen worden sei.
1) Vgl. dazu Mommsen im Hermes XXTV, 244 N. 1. Pauly-Wissowa, Real-
encyklopädie III, 935.
2) Anon. Vales. c. 68. Jord. Get. 58. Cass. var. V, 43. Ennod. pan. 13, 70
(gehalten zwischen 504 u. 508). Prokop I, 8 u. Athalarich (Cass. var. IX, 1: quam
[Amalafridam] magnis supplicationibns expetistis) stellen die Sache so dar, als
ob die Initiative von Trasamnnd ausgegangen sei. Vgl. den bei Marsala ge-
fdndenen Grenzstein mit der Inschrift: Fines inter Yandalos et Gothos TTTT,
C. I. L. X, 2, 7232. Der bei Catania gefundene Stein ebenda no. 7022: ^°"
FinetVB
ist wohl nicht auf die Wandalen zu beziehen. Die Ereignisse bei der Eroberung
des Wandalenreiches scheinen anzudeuten, dafs das wandalische Gebiet sich nicht
bis nach Catania hin erstreckte.
3) Marcellin. Com. a. 508.
Die Nachfolger Geisericbs bis zum Untergange des Beiches. HQ
Die Erfolge; die Theoderichs General Ibba in kurzer Zeit erzielte^
verhinderten indessen^ daXs die getroffenen Abmachungen zur Aus-
ftthrung gelangten. Oesalech^ der von einem Teile der Westgoten
zum König ausgerufen, von Theoderich jedoch nicht anerkannt worden
war, wurde zur Flucht nach Afrika gezwungen, wo er bei dem
Wandalenkönige Schutz und Hilfe suchte. Dieser wagte es zwar
nicht, den Flüchtigen mit Geld zu unterstützen, rüstete ihn aber
reichlich mit Geldmitteln behufs Anwerbung von Soldaten aus (510).
Als Theoderich hiervon erfuhr, machte er dem Schwager im Gefühl
seiner Überlegenheit ernsthafte Vorstellungen wegen seines Verhaltens,
das wie ein Friedensbruch aussehe, worauf dieser ein Entschuldigungs-
schreiben nebst reichen Geschenken, die aber nicht angenommen
wurden, abgehen liefe (511).^)
Seitdem blieben beide Herrscher in enger Verbindung; zu den
Girkusspielen, die anlalslich des Antritts des Konsulats durch Eutha-
rich in Bom stattfanden (519), sandte Trasamund wilde Tiere aus
Afrika zum Geschenk.*) Über die Vorgänge im Ostgotenreich liefs
sich der Wandalenkönig u. a. durch Ennodius, damals Bischof von
Pavia, Bericht erstatten.') Das Verhältnis zu Byzanz aber mufste
naturgemäfs einen anderen Charakter annehmen, nachdem im Jahre
518 der orthodox gesinnte Kaiser Justinus den Thron des Ostreiches
bestiegen hatte. Dafs dieser Schritte that, um die Lage der katho-
lischen Bischöfe in Afrika zu verbessern, ersehen wir aus einem an
den Papst Hormisdas gerichteten Schreiben d. d. 17. November 519,
in dem der Kaiser bemerkt, er habe den ihm empfohlenen flüch-
tigen Bischof, vielleicht den oben erwähnten Possessor, gnädig auf-
genommen, könne aber über die gewünschte Unterstützung der Kirchen
erst entscheiden, wenn seine Legaten vom König Trasamund wieder
zurückgekehrt seien.^)
Eine wesentliche Einbulse erlitt das Ansehen von Trasamunds
Regierung durch die Mauren, die in ihren Bemühungen, sich von
der wandalischen Oberhoheit zu emanzipieren, immer weitere Fort-
schritte machten. Wichtig für diese Verhältnisse ist zunächst die In-
schrift C. L L. Vin, 9835, aus der hervorgeht, dafs im Jahre 508
1) Cass. var. V, 43 Tind das Antwortschreiben Theoderichs auf Trasanmnds
Entschuldigung V, 44. Vgl. dazu Mommsen in der Einleitung zur Cassiodor-
ausgabe p. XXXVI. Isidor bist. Goth. 37 und Chron. Caesaraugust, a. 610.
2) Cass. chron. c. 1364: feras . . . Africa sub devotione transmisit.
3) Ennod. epist. 138.
4) Langen 11, 286. Thiel, epp. pontif. I, 900. Jaffa, Regesta I, 8.
120 Drittes Buch.
die Gegend von Safar, Altava und Castra Severiana im westlichen
cäsareensischen Mauretanien unter der Herrschaft eines Königs Ma-
suna stand, der sich rex Maurorum et Bomanorum nannte,^) während
noch 484 die beiden letztgenannten Orte unter wandalischer Bot-
mäXsigkeit standen (vgL Notit. Maur. Caes. no. 10. 73). In dieselbe Zeit
fällt wohl auch die Zerstörung der Stadt Tamugadi (Timgad) durch
die im Auresgebirge ansässigen Völkerschaften. (Proc. b. V. II, 13.)
Auch der Stamm der Frexes zwischen Thelepte und Theveste*) be-
gann sich damals zu regen; wir erfahren aus der Johannis des Co-
rippus (III, 156, vgl. dazu Partsch, prooemium p. VI), dafs der Sohn
des Fürsten Gruenfan, der später so gefürchtete Antalas, seit dem
Jahre 517 an Raubzügen derselben sich beteiligte. Zu ernstlichen
Kämpfen scheint es aber nur mit den tripolitanischen Stämmen unter
Cabaon gekommen zu sein. Trasamund zog gegen diese am Ende
seiner Regierung zu Felde, erlitt aber eine Niederlage. Den Um-
stand, dafs die Truppen der Wandalen nur aus Reitern bestanden
und allein im Nahekampf gefährlich waren, wuJfete der Maurenfürst
in kluger Weise auszunutzen. Er stellte rings um sein Heer, in dessen
Mitte die Weiber und Kinder untergebracht waren, Kamele auf, deren
Geruch die Pferde nicht ertragen können; die streitbaren Männer liefe
er zwischen die einzelnen Tiere treten und so, die Schilde anein-
anderschliefsend, den Angriff erwarten. Als die Wandalen nun heran-
kamen, wurden ihre Pferde wild und brachten alles in Verwirrung;
die Reiter waren infolgedessen den feindlichen Greschossen wehrlos
preisgegeben, und nur wenigen von ihnen soll es gelungen sein, sich
durch Flucht in Sicherheit zu bringen. Auch auf die Unterstützung
der katholischen Bevölkerung hatte Cabaon gerechnet, indem er die
Roheiten, die die wandalischen Krieger allenthalben auf dem Marsche
an den orthodoxen Geistlichen verübten, durch ausgesandte Späher
1) Pro salute et incolmnitate regis Masunae gentimn Manroram et Roma-
nonim castram edificatum a Masgiyini prefecto de Safar idir (?) procuratore
castra Severiana (1. castrorum Seyerianoram) , quem Masnna Altava posnit. Et
Maximus procurätor Altavae perfecit. Positum (?) provinciae CCCCLXVm. VgL
Diehl, L'Afrique Byzantine (1896) p. 43. 263 ff.
2) Die Gegend von Theveste stand zur Zeit Trasamunds noch unter
wandalischer Botmäfsigkeit, vgl. die daselbst gefundene Inschrift Revue
archäologique 1900, 11, 513 mit dem Namen dieses Königs. Aus derselben
Zeit (507—508) stammt wohl auch die unvollständige Inschrift in der
Basilika zu Theveste C. I. L. VJJLl, 2013, in der mundi in Thrasamundi
zu ergänzen ist. Wahrscheinlich ist Theveste bald nachher von den Mauren
zerstört worden.
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Reiches. 121
beobachten und sofort nach dem Abzüge der Truppen wieder gut-
machen liefs.^)
Der König starb am 6. Mai 523; nach ihm bestieg den Thron
der schon betagte, gänzlich verweichlichte und dem Kriegswesen ab-
geneigte^) Sohn Hunerichs und der Eudoxia, Hilderich.^) Trasa-
mund hatte diesem ; in Vorahnung künftiger Ereignisse, noch auf dem
Totenbette das eidliche Versprechen abgenommen, den vertriebenen
Katholiken weder ihre Kirchen noch ihre Privilegien zurückzugeben;
Hilderich aber, dem die Neigung zum Katholizismus offenbar von
seiner Mutter her im Blute lag^), umging diese Verpflichtung, indem
er noch vor dem formlichen Regierungsantritt die verbannten Kleriker
zurückrief und Neuwahlen an Stelle der verstorbenen anordnete.'^)
Auch der karthagische Bischofsstuhl ward jetzt mit der Person des
Bonifatius, der in der Agileuskirche die Weihe empfing, neu be-
setzt. ^)
Die durch die vorhergegangene Verfolgung eingetretene Störung
in den kirchlichen Verhältnissen machte die Abhaltung von Synoden
notwendig. Noch in demselben (?) Jahre fanden Provinzialkonzilien
in Junca und Sufes (beide in der Bjzacena) statt, die sich mit den
Übergriffen eines Bischofs in eine andere Diözese und der Selbständig-
keit eines Klosters zu befassen hatten.'') Besonders wichtig aber war
das grofse afrikanische Konzil zu Karthago (525), an dem 60 Bischöfe
aus fast allen Landesteilen (zwei aus Tripolis: Girba und Tacapae, je
einer aus Mauret. Sitif. [Horrea] und Caesareensis [Mina], die übrigen
aus Numidien und der Prokonsularis) teilnahmen.^) Die Konzilsakten
1) Proc. I, 8. Die Glaubwürdigkeit Prokops wegen einer geringen Ähnlich-
keit dieser Stelle mit Herodot anzuzweifeln, geht nicht an, vgl. Haury, Zur
Beurteilung des Prok. v. Cäs. (1896) S. 8. Allerdings wird die Schwere der Nieder-
lage von Prokop wohl arg übertrieben; wenigstens erscheint die tripolitanische
Provinz auch später noch als zum Wandalenreich gehörig.
2) Proc. I, 9. Coripp. Joh. HE, 199: insuetus conferre mamim.
3) Laterc. reg. Wand. 12: regnavit Trasamundus . . . ann. XXVI m.VJLUL d. mi.
(nach der 2. Rezension 26 Jahre 9 Monate, nach Prok. 27 Jahre, nach Vict.
Tonn. 27 Jahre 4 Monate). — Hilderich wird etwa 66 Jahre alt gewesen sein, da
der Abschlufs der Ehe zwischen Hunirix und Endoxia ins Jahr 456 fällt. Vgl.
Coripp. Joh. ni, 262: regem . . . annonim fessum niimero.
4) Vgl. Paul. Diac. bist. Rom. XVI, 7.
5) Vict. Tonn. a. 623, 2.
6) Laterculus 15. Vit. Fnlg. c. 28. 29. Lib. pontif. Hormisdas p. 130. Die
übrigen Hauptkirchen Karthagos blieben jedenfalls in den Händen der Arianer.
7) Vit. Fulg. c. 29. Hefele, Konziliengeschichte H*, 702. Ficker in der
Zeitschr. f. Kirchengesch. XXI, 19.
8) Hefele 710 ff. Ficker 32 ff. Mansi conc. coll.VIH, 636 ff.
122 Drittes Buch.
sind hiernach auch für die Feststellung der damaligen politischen
Grenzen von Bedeutung, wenn auch nicht in dem MaTse wie die
Notitia von 484; wichtig ist es namentlich, zu erfahren, dafs der
Süden der Byzacena (Turris Tamalleni)^) und das Gebiet am Nordost-
fuTse des Aures (Yegesala, Mascula, Lamfua)^) zum Machtbereich der
Wandalen noch gehörte. Von dem nichtanwesenden Bischof Optatus
von Sitifis heilst es, dafs er durch königlichen Befehl abgehalten sei,
ohne dafe wir etwas Näheres über die Gründe erfahren. Von be-
sonderem Interesse ist die Bemerkung, dafs die Bischöfe von Maur.
Caes., aufser dem von Mina, durch die „dura belli necessitas^', d. h.
die maurischen Invasionen, am Erscheinen verhindert seien.*)
Auch in der äufseren Politik wandte sich Hilderich ganz von
dem bisherigen Kurs, der Anlehnung an das Ostgotenreich, ab und
schlofs sich eng an das byzantinische Beich an, wo der thatkräffcige
NefiFe des alternden Kaisers Justin, Justinian, faktisch bereits das
Scepter führte.^) Auch äufserlich kam dies zum Ausdruck, indem
er Münzen mit dem Bilde Justins I. prägen liefs, also eine Ober-
hoheit des byzantinischen Reiches anerkannte.^) Der Abfall von dem
gotischen Bündnisse fand natürUch bei Amalafrida und ihrem Gefolge
lebhaften Widerstand; wohl nicht ohne Grund wurde sie beschuldigt,
gegen König und Beich der Wandalen konspiriert zu haben.®) Hilderich
liefs infolgedessen die Goten sämtlich umbringen; Amalafrida, die zu
den Mauren in die Wüste bei Gapsa geflohen war, wurde in den
Kerker geworfen, wo sie bald darauf, wie man sagte, eines im-
natürlichen Todes starb (wahrscheinlich 525).'^ Theoderich konnte
1) Mansi 634. 651 E. Vgl. C. I. L. Vm p. 21.
2) Die Stadt Bagai kann also erst nach dieser Zeit zerstört worden sein,
vgl. Proc. n, 19 p. 494.
3) Mansi 640 A.
4) Die Yermntung, H. sei mit seiner Mutter nach Byzanz geflohen und
habe dort längere Zeit gelebt, ist ganz unbegründet.
6) Vgl. Friedländer, Münzen der Vandalen, S. 29 ff.
6) Proc. b. V. 1,9 (p. 360): ineveynovrsg ocvtoig vsoatsgiisiv ig -üb Bavd£lovg
Tiocl 'lidsQixov. Nach den Worten Athalarichs Cass. var. IX, 1: Si snccessio
debebatnr alteri, nmnqnid femina in eo ambitu potuit inveniri scheint man
der Königin vorgeworfen zu haben, dafs sie einen Sohn ans ihrer Ehe mit
Trasamnnd auf den Thron habe bringen wollen.
7) Proc. a. a. 0. Cass. var. a. a. 0.: Quis enim nesciat Amalafridam . . .
violentum apud vos reperisse lucis occasum . . . Bestat ut naturalis eins fingator
occasus. Vict. Tonm. setzt Amalafridas Tod in das Jahr 523, was sicher nicht
richtig ist, da das Schreiben Athalarichs unter dem noch frischen Eindruck der
Todesnachricht abgefafst ist. — Die Galagetici impetus bei Fulgentius Mitol. I,
p. 4,16 (Helm) auf den Aufruhr der Goten zu beziehen, geht nicht an.
Die Nachfolger Geisericjis bis znm Untergange des Eeiches. 123
die ihm zugefügte Beleidigung nicht ungerächt hingehen lassen.
Das Flottenwesen im Ostgotenreiche war bisher gänzlich yemach-
lässigt worden, offenbar weil er auf die Unterstützung der Wandalen
gerechnet hatte. Er gab daher Befehl, zunächst 1000 Schiffe neu
zu bauen, und liels in allen Teilen des Reiches Freie imd Sklaven
als Besatzungsmannschaften anwerben. Als Sammelpunkt wurde
Ravenna bestimmt, als Termin der 13. Juni (526).^) Aber sein Tod,
der am 30. August 526 erfolgte, verhinderte die Ausführung des
Bachezuges, der den Wandalen wahrscheinlich verhängnisvoll geworden
wäre. Theoderichs Enkel imd Nachfolger Athalarich oder vielmehr
dessen Mutter Amalaswintha begnügte sich mit Vorwürfen; er forderte
Hilderich auf, sich zu rechtfertigen, die Wahrheit der der Königin
zur Last gelegten Vergehen nachzuweisen, und kündigte ihm, falls
dies nicht geschehe, die Freundschaft. Bezeichnend ist es, dafs
jetzt nicht mit Krieg gedroht, sondern nur der Himmel zur Bestrafung
der Frevelthat angerufen wurde.
War somit von den Ostgoten nichts zu fürchten, so drohte eine
um so grofsere Gefahr von den Mauren. Das cäsareensische Maure-
tanien, mit Ausnahme der Hauptstadt — das tingitanische war längst
schon aufgegeben — ^ ebenso die sitifensische Provinz und das süd-
liche Numidien^) scheinen nach dem Jahre 525 völlig in ihre Gewalt
gekommen zu sein.^) Besonders verhängnisvoll in ihren weiteren
Folgen aber war die Erhebung des schon erwähnten Antalas, der
an der Spitze seines Stammes und verbündet mit der Völkerschaft
der Naffur im südlichen Teile der Byzacena diese Provinz immer
ärger heimsuchte imd schliefslich den herbeigeeilten wandalischen
Truppen eine schwere Niederlage beibrachte. Die Einzelheiten des
stattgefundenen Kampfes schildert ims anschaulich Corippus, der
Dichter der Johannis EI, 198 — 261.*) Die auf einem ihrer Raubzüge
1) Cass. var. V. 16 — 20, 23. Vgl. V, 16,8: Cum nostrum igittir animTun
frequens cura pulsaret naves Italiae non habere, iind dazu Proc. b. Y. a. a. 0.
Var. V. 17,8: Non habet quod nobis Graecus hnputet aut Afer insultet.
2) Die Gegend zwischen Cirta und Gibba war unter Gelimer noch im
wandalischen Besitz, wie die bei Henschir Koräiba gefandene Inschrift C. I. L.
Vm, 10862 beweist. Ammaedara (Ha'idra) im Westen der Byzacena wird noch
unter Hilderich erwähnt ibid. no. 10516 (v. J. 526/26). De Rossis Ergänzung
der Inschrift 10706 aus Hr. Mertum am Ostabhange des Aures: tempore domini
Hilderici regis ist sehr unsicher.
3) Proc. b. V. n, 5, 10 (vdra^ov d\ ot MavQOvaioi nolXäg %axa BavdiXmv
vUaq dvsXofiBvoi MavqixavCav ... ix raÖBiQoav (lixQi x&v Kataageiag oql<ov
xsCvovaav xq;1 Aißvrjg xrjg aXXrig xä nXsiava ic%Qv). 20. Diehl a. a. 0. p. 35 f.
und weiter unten. ,
4) Kurze Erwähnung bei Prok. I, 9.
124 Drittes Buch.
befindlichen Mauren sind in die Berge zurückgedrängt worden, wo
sie sich in einem unzugänglichen Felsengebiete verschanzen. Das
ihnen gegenüberstehende Heer leidet schwer an Durst und verläfst
in völliger Auflösung seine Stellung, um an einem entfernten Flusse
Wasser zu schöpfen. Die Feinde benutzen die eingetretene Un-
ordnung und dringen in die Reihen der Wandalen ein; auf der
Flucht, die durch das für die Reiterei — aus der auch jetzt wieder
die wandalischen Truppen vorwiegend zusammengesetzt erscheinen —
ungünstige gebirgige Terrain wesentlich erschwert wird, findet eine
grofse Zahl derselben den Tod. Die Wandalen hatte ein Vetter
Hilderichs, Oamer, sonst ein wackerer Kriegsmann, geführt; die an
sich unwahrscheinliche Angabe des Corippus, dafs der König (der
hier Hildimer genannt wird) selbst am Kriegszuge teilgenommen^
wird durch das Zeugnis Prokops (a. a. 0.) widerlegt. Die Niederlage
brachte die schon längst bei der Mehrzahl der Wandalen bestehende
Abneigung gegen den König zum vollen Ausbruch. Hilderich ward
von dem geschlagenen Heere, bez. den Führern desselben abgesetzt,
er selbst mit seinen Kindern, femer Oamer und dessen Bruder
Oageis^) sowie der gröfste Teil ihrer Anhänger, zu denen natur-
gemäfs der römische Adel gehörte — dafs der römerfreundliche
König sich vorwiegend mit Angehörigen dieses Standes umgeben
hatte, zeigt Prokop (b. V. H, 5: Apollinaris, vgl I, 17) — , wurden
ins Gefängnis geworfen (19. Mai 530).*)
Als König wurde nun der nächstberechtigte Thronerbe Grelimer*),
ein Enkel Gentos und Geiserichs Urenkel, der wahrscheinlich an dem un-
glücklichen Feldzuge teilgenommen hatte, ausgerufen. Die näheren Um-
1) So nach der Anth. lat. ed. Riese no. 346, 369. Enagees bei Prok. Oageis
scheint nach der Anth. neben Oamer einen hohen militärischen Posten bekleidet
zu haben (falls nicht eine Verwechslung mit seinem Bruder vorliegt).
2) Für die Bestimmung der Chronologie kommt namentlich in Frage der
Laterculus § 15, nach dessen 2. Eezension Hilderich 7 Jahre 14 Tage, also bis
zum 19. Mai 530 regierte. Auch Prok. giebi 7 Jahre an, Vict. Tonn. (a. 623, a)
7 Jahre 3 Monate, die 1. Bez. des Laterc. dagegen 8 Jahre 8 Monate. Zu dem
obigen Datum stimmt, dafs der Laterc. als das Ende des Wandalenreiches die
Einnahme Karthagos, d. h. den Einzug in die Stadt am 14. (lies 16.) Sept. 638
angiebt, während er die Regierungszeit Gelimers auf 3 Jahre 3 Monate beziffert
(§ 17, 19). Daher wird auch die Gesamtdauer des Reiches auf 93 Jahre
10 Monate 11 (richtig wäre 26) Tage berechnet; mit Unrecht will Mommsen
93 in 94 ändern. Prok. (b. V. 11, 3) und Justinian (vgl. Neues Archiv V, 79), die
96 Jahre angeben, rechnen bis zur Gefangennahme Gelimers (634). Es ist also
falsch, wenn Vict. Tonn, und Malal. dessen Erhebung ins Jahr 631 setzen.
3) Laterc: Geilamer und Gheilamir. Vict. Tonn.: Geilimer. Coripp.:
Geilimer. CLL. Vm, 10862: Geilimer; ibid. 17412: Geilamir.
Die Nachfolger Greisericha bis zum Untergange des Eeiches. 125
stände, unter denen dieser Thronwechsel sich vollzogen, sind nicht ganz
klar. Prokop erzählt (b. V. I, 9), Gelimer, ein kriegstüchtiger, aber
herrschsüchtiger und hinterlistiger Mann, habe die vornehmen Wandalen
überredet, ihm die Krone zu übertragen, weil der König unfähig sei, die
Waffen zu führen, und von den Mauren eine Niederlage erlitten habe,
auch weil derselbe das Beich an den byzantinischen Kaiser verraten
wolle, wie eine kürzlich an diesen abgegangene Gesandtschaft
beweise, um ihn, den Gelimer, nicht zur Regierung kommen zu
lassen. Nach Malalas (XVIII, p. 459 B), dessen Zeugnis am wenigsten
ins Gewicht fällt, hatte Gelimer die in Tripolis und die Byzacena
eingefallenen Mauren, gegen die er geschickt worden war, geschlagen,
sich mit denselben verbündet und nach seiner Rückkehr den Hilderich
nebst Familie gefangen genommen, den (römischen) Adel (rovg
övyxXrjtLTcovg) aber niedermachen lassen. Vict. Tonn. (a. 531) be-
richtet, dafs Gelimer bei seiner Ankunft in Karthago die Herrschaft
usurpierte, den König mit seinen Kindern (cum filiis) gefangen
nehmen und den Asdingen Oamer nebst vielen Vornehmen töten
liefs.^) Nach Corippus (Joh. 111,262 ff.) habe das von Antalas ge-
schlagene Heer den altersschwachen König abgesetzt und das Scepter
dem „wilden Tyrannen ^^ übertragen.^) Dafs die Persönlichkeit Gelimers
bei dem Thronwechsel keine blofs passive Rolle gespielt hat, steht
aufser allem Zweifel. Seine Eifersucht, die ihn zu der auch in dem
Briefe an Justinian (vgl. unten) angedeuteten, wohl ganz grundlosen
Anschuldigung veranlafste, Hilderich wolle ihn seines Anrechtes an
den Thron berauben, kommt als wichtiges Moment hierbei in Frage,
Wenn jedoch die byzantinischen Geschichtschreiber die Absetzung
des Königs ausschliefslich auf die Thätigkeit des „Tyrannen", wie
Gelimer allgemein bezeichnet wird, d. h. des illegitimen Usurpators,
zurückzuführen suchen, so sind deren Angaben von vornherein mit
einem gewissen Mifstrauen anzusehen, da sie begreiflicherweise sich
ganz den von Justinian vertretenen Anschauungen anschliefsen.^)
1) Die Ermordung derselben fällt, wie sich aus Prokop ergiebt, erst in
die Zeit nach der Ankunft der Byzantiner, vgl. auch Vict. Tonn. a. 633 und unten.
2) Hinc acies confracta redit regemque trementem, annorum fessum numero
casumque paventem deicit et sceptrum saevo dedit inde tyranno.
3) Vgl. noch Coripp. Joh. I, 308 f. : tyrannus Geilamir . . . perfidus. Jord.
Get. 33,170: Quem (Hilderich) malo gentis suae Gelimer inmemor atavi prae-
ceptorum de regno eiectum et interemptum tyrannide praesumpsit. Laterc. reg.
Wand. § 17: Quo regnante adsumpta tyrannide Geilamer regnum eius invadit . . .
(ebenda 2. Rezension: Gheilamir tyrannide adsumpta Hilderico regno pulso
eiusque origine truncata dominatus est Afris.)
126 Drittes Buch.
Jedenfalls befand sich Gelimer im vollen Einverständnis mit seinem
Volke, das einmütig, mit wenigen Ausnahmen, mit der bisher be-
folgten Politik gegenüber den Katholiken und Bjzanz, der Zurück-
drängung des wandalischen Elements beim Hofdienste sowie mit
dem unkriegerischen, nach germanischer Anschauung mit dem Wesen
des Königtums unvereinbaren Charakter Hilderichs unzufrieden war.
Die ehrgeizigen Bestrebungen Gelimers und der Yolkswille kamen
einander entgegen. Von einer Spaltung der Wandalen in zwei grofse
Parteien findet sich keine Spur; wären die Anhänger Hilderichs unter
ihnen bedeutend an Zahl gewesen, so würde der Zwiespalt sich
später geltend gemacht haben. Geschlossen steht viehnehr das Volk
zusammen, als Belisar an dasselbe die Aufforderung ergehen lälst,
sich von dem neuen Herrscher abzuwenden (vgl. weiter unten). Wir
dürfen also mit Fug in jenen Vorgängen einen nationalgermanischen
Akt erblicken, der zwar rechtlich unzulässig war, aber durch die
Verhältnisse, deren Fortdauer die selbständige Existenz des Staates
bedrohte, geboten erschien.
Dem byzantinischen Kaiser, der jedenfalls schon seit länger
seinen später deutlich ausgesprochenen Plan, alle zum alten
römischen Reiche gehörenden Gebiete unter seinem Scepter
zu vereinigen^), im Sinne hatte, kamen diese Ereignisse äulserst
erwünscht. Wie nachher als Rächer der Amalaswintha, so gerierte
er sich jetzt als der berufene Schützer der Rechte des abgesetzten
Königs. Ob dieser direkt seine Hilfe angerufen, wie Malalas erzählt,
mufs dahingestellt bleiben.*) Die Form der Gesetzmäfsigkeit, in
die Justinian zunächst sein Auftreten kleidete, ist für den Urheber
der berühmten Gesetzsammlung charakteristisch. Er forderte Gelimer
in durchaus gemäfsigter Sprache auf, das Hausgesetz Geiserichs nicht
offen zu verletzen, sondern sich mit der thatsächlichen Ausübung
der Herrschergewalt zu begnügen und den alten König, dessen Tod
ja sowieso bald zu erwarten sei, als Schattenkönig in seiner Stellung
zu belassen. Der Kaiser wird natürlich genau gewuTst haben, data
sein Vorschlag bei der herrschenden antibyzantinischen Stimmung
erfolglos bleiben würde, und Gelimer würdigte ihn in der That auch
1) Novell. Just. 30,11,2: utque bonas spes habeamus fore ut etiam reli-
quorom imperimn nobis deus adnuat, quae veteres Romani nsque ad fines
ntrinsque oceani snbacta deinceps socordia sua amiseront.
2) Die Bemerkung derselben Quelle, Grelimer habe seinen Regierungsantritt
dem Kaiser durch eine Gesandtschaft angezeigt, diese aber sei zurückgewiesen
worden, ist natürlich ganz von der Hand zu weisen.
Die Nachfolger Geisericlis bis znm Untergänge des Reiches. 127
keiner Antwort, sondern liefs vielmehr den Oamer blenden^), den
Hilderich und Oageis aber noch strenger bewachen, unter dem Vor-
geben, dafs sie Flucht nach Byzanz beabsichtigten. Wenn Justinian
hierauf nicht sofort den Krieg erklarte, so geschah dies nur deshalb,
weil sein Heer im Orient gegen die Perser kämpfte. Um Zeit zu
gewinnen, schrieb er noch einmal an den Wandalenkönig: dieser
möge die unrechtmäfsig erworbene Herrschaft behalten, solle aber
die Gefangenen zu ihm senden: „Wenn du dich weigerst, werden
wir dies nicht ruhig hinnehmen; denn uns verpflichtet ihr Vertrauen
auf unsere Freundschaft zum Handeln. Der mit Greiserich geschlossene
Vertrag wird uns daran nicht hindern; wir wollen seinen legitimen
Nachfolger nicht bekriegen, sondern nach Möglichkeit rächen.*^ Die
Absicht des Kaisers, die Person des gestürzten Herrschers in seine
Gewalt zu bekommen, um sie beim Eintritt gelegener Verhältnisse
als Vorwand zur bewafiheten Einmischung zu benutzen, lag klar
zu Tage; Gelimer weigerte sich daher auch, diese Zumutung zu
erfaUen. In stolzer, seines grofsen Ahnen würdiger Sprache schrieb
er: „König Gelimer an Kaiser Justinian".*) Er betonte die Gesetz-
mälsigkeit seiner Succession. Hilderich sei vom Volk der Wandalen
abgesetzt, weil derselbe gegen Geiserichs Haus Schlimmes im Schilde
geführt — Änderung der Thronfolge zu Ungunsten Gelimers — , er
selbst aber gemäfs seines Alters zur Herrschaft gelangt. Justinian
möge sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern; einem
etwaigen Angriffe von seiner Seite werde er mit aller Energie ent-
gegentreten.^) Der Kaiser war nunmehr fest entschlossen, sogleich
die Waffen entscheiden zu lassen, und schritt zunächst zur Beendigimg
des gegen die Perser begonnenen Erieges. Im Jahre 532 wurde mit
den letzteren Frieden geschlossen.
Die gegen das Wandalenreich gerichteten Pläne fanden jedoch
im Kronrat, dem Justinian dieselben zur Begutachtung vorlegte,
keine Zustimmung; man erinnerte daran, dafs es an Geld fehle und
1) Nach Vict. Tonn. a. 531 wäre Oamer gleich zu Anfang getötet worden,
was falsch ist. 0. starb etwa 532 im Gefängnis, wohl eines natürlichen Todes.
2) ßaaiX8vg FslifiBg ' lovativiccvm ßaatXet. Prok. I, 9. Dafs sich Grelimer
in der Titulatur absichtlich dem Kaiser gleichgestellt, folgt hieraus noch nicht,
da Prok. auch sonst far König und Kaiser denselben Ausdruck gebraucht
(Bavd^Xmv etc., ßccaiXsvg I, 24, vgl. I, 9: ßaailhCa), Allerdings kommt ßaaiXsvg
im allgemeinen nur dem Kaiser zu, vgl. Prok. b. G. I, 1. Mommsen, Neues
Archiv XTV, 641.
3) Prok. I, 9. Wenn auch die Form der mitgeteilten Briefe nicht streng
historisch sein mag, inhaltlich sind dieselben jedenfalls durchaus glaubwürdig.
128 Drittes Buch.
daXs den Byzantinern leicht dasselbe Schicksal bereitet werden könne^
wie einst dem Basiliskus unter Kaiser Leo durch Geiserich. Wie
gefürchtet die Seemacht der Wandalen war^ zeigte namentlich die
Stimmung im Heere; Generale wie Soldaten gerieten in Schrecken^
dafs sie sogleich nach Beendigung der beschwerlichen persischen
Expedition wieder in den ungewissen Kampf gegen ein mächtiges
und berühmtes Beich jenseits des Meeres geschickt werden sollten.
Den obwaltenden Bedenken wufste namentlich der praefectus prae-
torio Johannes der Kappadokier^ der für die Beschaffung der Mittel
verantwortlich war, energischen Ausdruck zu verleihen. Nur die
grofse Masse der hauptstädtischen Bevölkerung, die nichts zu riskieren
hatte, war mit der in Aussicht stehenden Unternehmung einverstanden.
Justinian war schon geneigt, ganz davon abzustehen, da machte sich
ein bisher in den Hintergrund getretenes Moment geltend, das für
seine Pläne einen weiteren willkommenen Yorwand abgab, das
religiöse: die gottgefällige Bekämpfung des Arianismus. Ein orien-
talischer Bischof erschieu am Hofe und erklärte, Gott selbst habe
ihm in einem Traume befohlen, dem Kaiser Vorwürfe wegen seiner
IJnentschlossenheit zu machen und demselben mitzuteilen, dafs er
auf die Unterstützung des Himmels rechnen dürfe, wenn er zur Be-
freiung der Christen in Afrika von der Herrschaft des Tyrannen
ausziehen würde. So Prokop (I, 10); nach Vict. Tonn. a. 534, i soll
der als Märtyrer gestorbene Bischof Laetus den Kaiser in eiaer
Traumerscheinung zum Kriege bestimmt haben. ^) Wie dem auch
sei, es unterliegt jedenfalls keinem Zweifel, dafs die katholischen
Geistlichen überhaupt, insbesondere aber natürlich die afrikanischen,
die von dem Thronwechsel das Schlimmste für sich befürchten
mufsten, alle Hebel ia Bewegung gesetzt haben, eine kriegerische
Intervention zu Gunsten ihres Glaubens herbeizuführen.
Durch diese Einflüsse, die durch die Bemühungen der nach
Byzanz entkommenen römischen Adligen wesentlich unterstützt
wurden^, wurde Justinian völlig umgestimmt. Die Büstungen
wurden jetzt energisch betrieben. Belisar, vorher Oberbefehlshaber
im Perserkrieg, der noch vor dem Friedensschlufs abberufen worden
•
1) Die Einzelheiten der Prokopschen Erzählung unterliegen allerdings be-
gründeten Bedenken, vgl. Braun, Die Nachahmung Herodots durch Prokop
(1894) S. 46.
2) Vgl. dazu Prokop n, 5 und die von diesem unabhängige syrische
Kompilation ausd.J. 570, die unter dem Titel: ,,Die sogenaimteEirchengeschichte
des Zacharias Bhetor^^ von Ahrens und Erüger, Leipzig 1899, herausgegeben
worden ist (IX, 17 p. 205).
Die Nachfolger Geiserichs bis ziun Untergange des Reiches. 129
war, weil er sich als nicht fähig erwiesen hajite, wurde an die' Spitze
der Expedition mit unbeschränkter Vollmacht gestellt^), wahrschein-
lich als Belohnung seiner dem Kaiser gegenüber an den Tag gelegten
TrQue anläfslich des Nikaaufstandes in Byzanz zu Anfang des Jahres
532. Sehr zu statten kam dem Kaiser, dafs die Ostgotenkönigin
Amalaswintha sich von vornherein auf seine Seite stellte und dem
Heere die Lieferung von Proviant und von Pferden auf Sizilien in
Aussicht stellte; in dem Bestreben, sich mit Byzanz gut zu stellen,
hatte sie auch dem Wandalenkönig die Anerkennung verweigert.^)
Eine wichtige Unterstützung kam den Byzantinern sodann aus dem
Wandalenreiche selbst. Auf die Kimde von den Kxiegsvorbereitungen
erbat ein vornehmer Römer Pudentius in Tripolis militärische Hilfe
und nahm nach Eintreffen einer kleinen Truppenabteilung imter
Tattimuth die ganze Provinz, in der sich kein einziger wandalischer
Krieger befand, ohne die geringste Schwierigkeit für den Kaiser in
Besitz. Zur gleichen Zeit fiel auch der Statthalter von Sardinien,
Godas, ein Gote von Abstammung, von der Sache der Wandalen
ab. Dieser, bisher ein treuer Anhänger Gelimers, trug sich mit dem
Gedanken, eine selbständige Herrschaft zu begründen; er nahm den
Königstitel an, umgab sich mit einer Leibwache und suchte nun bei
Justinian, als er von dessen Absichten hörte, um Zusendung
von Truppen nach, um sich behaupten zu können. Nach Prokop
soll er nach Byzanz geschrieben haben, er sei von seinem Herrn
abgefallen, weil dieser grausam gegen seine Verwandten und Unter-
thanen vorgegangen sei; er wolle lieber einem geirechten Kaiser als
einem ungerechten Tyrannen dienen. Aber die Echtheit des Briefes
unterliegt mancherlei Bedenken; derselbe verrät zu sehr byzantinische
Anschauung, als dsSs man ihn als authentisch ansehen könnte.
Justinian sagte natürlich mit Freuden die gewünschte Hilfe zu und
bestimmte ein Korps von 400 Mann, das unter Cyrülus nach Sardinien
abgehen soUte^); freilich war dies nicht ganz im Sinne des Godas,
der blofs Soldaten, aber begreiflicherweise nicht auch einen kaiser-
lichen Befehlshaber auf der Insel zu haben wünschte.
Im Juni 533 waren die Rüstungen in Byzanz voUendet. Die
aufgebotene Armee zählte 10000 Mann Infanterie unter Johannes
1) Prok.b.V.I, 11. 2) Prok.b.V.I, 14, MalaLXVHI p. 459.
3) Die Truppen nach Tripolis scheinen vor der Abfahrt des Hauptheeres
abgegangen zu sein. Das für Sardinien bestimmte Korps fahr dagegen mit
diesem nach Sizilien, wie sich aus der Darstellung Prokops ergiebt (b. Y. I, 11
p. 368,^16. 369,12).
Schmidt, Wandalen. 9
130 Drittes Buch.
BXLH Epidamnus und ca. 5000 Matin Kavallerie. Die letztere settte
sich zusammen aus sogenannten Föderaten^ d. h. von spekulative
Condottieren für den Reichsdienst angeworbetien La&dsknechtshfiufbn^
unter 9 Anführern, ca. 8600 Mann, sowie aus 4 vom Staate auf-
gestellten Schwadronen (numeri) ca. 1600 Mann. Dazu kamen die
5000 Mann zählenden Gefolgsleute Belisars^ die Doryphoren und
Hypaspisten, sonst aAich bucellarii genannt, sowie 400 Heruler Unter
Fara und 600 Hunnen (Massageten) unter 2 Anführern als Bundes-
genossen (^viifiaxot), also im ganzen ca. 21 000 Mann. Die Foderaten
setzten sich zusammen aus leichten Reitern, die übrige Kavallerie,
namentlich Belisars Gefolgschaft;, ftus Panzerreitem. Die Massi^eteü
(ob auch die Heruler, ist nicht klar) waren berittene Bogenschützen.^)
Die Flotte bestand aus 500 von Kalonymus befehligten Transport-
schiffen mit einen Gehalt von 3000 — 50000 Medimnen und war
bemannt mit 20000 ägyptischen, ionischen und kilikischen Seeleuten,
femer aus 92 einrudrigen Kriegsschiffen (Drömonen), besetzt mit
2000 (?) Byzantinern, die zugleich als Ruderer und Soldaten dienten.^
Als Eriegszahlmeister fungierte Archelaus, der zum praefectuli
praetorio Afrikas designiert war, als Domesticus des Oberbefehls-
habers der Eunuche Solomon, als Zahlmeister (optio) für die G«rde
Belisars Johannes der Armenier, der später unter den Offizieren eine
besonders hervorragende Stelle einnahm: derselbe führte in det
Schlacht bei Tricamarum das Mitteltreffen und trug die Feldherrü-
Standarte. Zu den Begleitern Belisars gehörte auch der Geschieht^
Schreiber Prokop, der seit dem Jahre 527 das Amt eines Geheim-
schreibers (Assessors) bei diesem innehatte.*)
Nachdem der Patriarch von Byzanz den Segen des Himmek
für das Gott wohlgefällige Unternehmen erfleht, ging die Abfahrt
1) Prok. b. V. I, 11. n, 3. 7. tJber die Stellung der Föderaten und
Bnoellarier vgl. bes. Benjamin, De Justiniani imperatoris aetate qnaestiones
militares. Berol. 1892. Seeck in der Zeitschrift der Savignystiftong Glerm.
Abt. XVn (1896), 97 ff. und bei Pauly-Wissowa, Realencykl. HI, 934 ff. Di«
Starke des Gefolges Belisars ergibt sich aus Prok. n, 7: zotsovzov ^v xb tm9
innkoüv nXijd'oc: tmv BsXi^aQ^co sTttöicofiivoav, Prok. I, 17. 19 fflhren gleichzeitig
Johannes und Uliaris 300 und 800 Hypaspisten, während Belisar noch eine
bedeutende Schar um sich hatte; im Gotenkrieg zählte die Garde 7000 MaxuL
2) Es sind die von Leo, Tactica XIX, 10 (9. Jahrh.) beschriebenen
kleineren Drömonen. Die gröfseren Drömonen hatten eine Bemannung von
200, die mittleren eine solche von -100 -Köpfen; beide Schiffsklassen hatten
2 Euderlinien. Die Zahl der Mannschaft der kleineren, nur mit einer Buder-
linie versehenen Drömonen ist nicht angegeben, wahrscheinlich betrag si«
60 Mann. Die obige Zahl würde also in 4600 zu emendieren sein.
3) Vgl.Haury, Zur Beurteilung des Geschichtschreibers Procopius (1896) S.20.
Die Nachfolger Geiserichs bis ztun Untergange des Reiches. 1^1
disr Schiffe von statten (Ende Juni; ,^um die Zeit der Sommersoiinen-
Wende'^). Wenn wir bedenken, dkfs man übbr die Stärke und Be-
schaffenheit der wandalischen Streitkräfte völlig im unklaren war ütLd
diese ; namentlich aber die Flotte für sehr bedeutend hielt ^)^ so mÜi^
man die Expedition als ein ziemUch gewagtes unternehmen bezeichnen.
Diese völlige Unkenntnis der Byzantiner muGs um so mehr wunder-
nehmen^ als man doch annehmen sollte^ däfs die von Karthago ent-
flohenen vornehmen Römer infolge ihrer früheren Stellung am Hofb
des Königs Hilderich in der Lage geweseh wären ^ näheres über die
wahren Machtverhältnisse des anzugreifenden Reiches mitzuteilbn.
Wie mangelhaft es mit der byzantinischen Marine bestellt war, lehrt
der ganze Verlauf der Reise sowie die Erzählung ^)y Belisar habe,
um einer Zerstreuung der Schiffe vorzubeugen, durch Anstreichen der
Segel mit roter Farbe, des Nachts aber durch Aufhängen vöh
Laternen an den drei an der Spitze laufenden Fahrzeugen, auf dehen
er sich nebst seinem Gefolge befand, den Steuerleuten die ein-
zuschlagende Richtung bezeichnen lassen. Also: das Admiralschiff
war ein Schiff wie die anderen auch, weder durch seine Gröfse noch
durch stärkere Armierung vor den übrigen ausgezeichnet. Allgemein
wurde denn auch diese Schwäche zur See deutlich empfanden; einen
Kampf zu Lande scheute man dagegen nicht so sehr, obwohl, wie
sich später so oft zeigte, die Truppen mit Ausnahme der Garde
Belisars durchaus unzuverlässig waren, namentlich in Bezug auf
Disziplin fast alles zu wünschen übrig Kefsen. Dafs die wandalische
Feldarmee nicht unüberwindlich war, hatten die wiederholten Kämpfe
mit den Mauren gezeigt, und man durfte bei der Überlegenheit der
römischen Strategie und Bewaffiiung mit grofser Wahrscheinlichkeit
auf Erfolg hoffen.
hx langsamem Tempo ging die Fahrt über Perinth —
hier wurden die vom Kaiser dem Oberbefehlshaber geschenkteh
Pferde aufgenommen — , Abydüs, Sigeum, Malea, Tänarum nach
Methone, wo man die unter Valerianus und Martinus voraus-
geschickten Truppen einschiffte. An demselben Orte wurde auch der
Brotvorrat ergänzt, der durch die Sparsamkeit des Präfekten Johannes
völlig verdorben war, was den Tod von gegen 500 Soldaten zur
Folge hatte. Von Methone segelten die Byzantiner nach dem Hafen
von Zakynthus, um von da nach Sizilien überzusetzen. Die Über-
fahrt nahm volle 15 Tage in Anspruch, da plötzlich Windstille
1) Vgl. weiter unten. 2) Prok.b.V.I, 13.
9
J32 Drittes Buch.
eintrat und die Schiffe auf dem offenen Meere festhielt. Dazu ent-
stand eine neue Schwierigkeit^ indem das mitgenommene Trinkwasser
infolge mangelhafter Aufbewahrung in Fäulnis überging. Erst am
16. Tage vermochte die Flotte die Landung in Sizilien in der Nahe
des Ätna zu bewerkstelligen. Durch das Entgegenkommen der
Amalaswintha war Belisar in den Stand gesetzt^ hier die für den
Krieg in Afrika nötigen Lebensmittel und Pferde einzukaufen^); aber
trotz des bisherigen verhältnismäXsig günstigen Verlaufes der
Expedition war der Feldherr wegen der Zukunft in grofser Besorgnis.
Er fürchtete, da von den Feinden keine Spur zu erblicken war,
in einen Hinterhalt zu geraten; namentlich beunruhigte ihn das Ver-
halten seiner Soldaten, die offen erklärten, dafs sie nur zu Lande
kämpfen, bei einem feindlichen Angriffe zur See aber sofort die
Flucht ergreifen würden. Erst als Prokop in Syrakus Erkundigungen
eingezogen und von einem soeben dort aus Karthago eingetroffenen
Sklaven erfahren hatte, dafs die Wandalen von den Bewegungen
der Byzantiner keine Kenntnis hätten, dafs kurz vorher ihre besten
Truppen nach Sardinien abgegangen seien und der König, ohne an
den Schutz der Küstenplätze zu denken, ahnungslos in Hermiane^
in der Byzacena vier Tagereisen vom Meere entfernt weile, ging die
Flotte von Caucana (Catania?) aus nach Afrika in Segel. ^)
Ganz der Wahrheit entsprach diese Erkundigung freilich nicht.
Es ist nach Lage der Dinge völlig ausgeschlossen, dafs Gelimer von
der Annäherung der byzantinischen Flotte ohne Nachricht geblieben
sei. Aber wie v. Pflugk-Harttung richtig vermutet*), war er wahr-
scheinlich der Meinung, dafs ein Angriff auf Afrika erst in der
kühleren Jahreszeit zu erwarten und zunächst die Besetzung der
wandalischen Liseln im Mittelmeer, Sardinien, Korsika und der
Balearen in Aussicht genommen sei. So erklärt es sich, dafs er die
bedeutende Streitmacht von 5000 Mann Kemtruppen auf 120 schnell-
segelnden Schiffen unter den Befehlen seines Bruders Tzazo nach
Sardinien abgehen liefs. Durch diese Unvorsichtigkeit hatte der
König die Verteidigungsmittel Afrikas wesentlich geschwächt. Weitere
Kriegsschiffe zur Küstenverteidigung standen ihm offenbar nicht zur
Verfügung; denn der Bote, den er später zu Tzazo nach Sardinien
sandte, benutzte ein Handelsschiff (Prok. I, 25). Die in Afrika zu-
rückgebliebenen Truppen waren, wie sich aus mehreren Stellen
1) Prok.b.V.1, 14. b.G.I, 3.
2) Vgl. dazu Diehl p. 14. 3) Prok. b. V. I, 14.
4) Eist. Zeitsch. 61 , S. 82.
Die Nachfolger Geisericlis bis ztun Untergänge des Reiches. 133
Prokops ergiebt, durchweg von geringer Qualität. Auch ihre Zahl
kann nicht sehr bedeutend gewesen sein; denn man wird kaum fehl-
gehen, wenn man die waffenfähigen Mannschaften der Wandalen
überhaupt in jener Zeit auf höchstens 12 — 15000 Mann veranschlagt
(vgl. dazu weiter unten). Die Befestigungen der Hauptstadt Karthago,
die Geiserich mit Recht als das wichtigste Bollwerk seiner Macht
angesehen, ohne deren Besitz eine Behauptung Afrikas unmöglich
war, wie sich schon früher gezeigt hatte, waren seit längerer Zeit
verfallen^), und nicht einmal der Versuch wurde jetzt gemacht, die-
selben wieder in stand zu setzen. Die Sperrung des Hafens durch
Ketten^) gegen die feindliche Flotte konnte dafür natürlich keinen Er-
satz bieten. Erst später, als Gelimer als Gefangener in die von
Belisar neu armierte Stadt einzog, kam ihm die Erkenntnis, eine
wie grofse Nachlässigkeit er sich damals hatte zu schulden kommen
lassen.^)
Wie gering der König die von den Byzantinern drohende Gefahr
für Afrika schätzte, zeigt auch der Umstand, dafe er, wie es scheint,
unter Zurücklassung eines Korps unter den Befehlen seines Bruders
Ammatas in Karthago den wahrscheinlich schon früher begonnenen
Feldzug gegen die Mauren in der Byzacena ruhig fortsetzte. Diese
hatten seit dem Siege des Antalas über das Heer Hilderichs (530)
ihre Raubzüge immer weiter ausgedehnt; zu Anfang des Jahres 533
scheint fast die ganze Provinz bis an die Meeresküste in ihrer Ge-
walt gewesen zu sein. Die Lebensbeschreibung des Fulgentius erzählt
(c. 30), dafs nach dem Tode des Heiligen (1. Januar 533)*) das Gebiet
von Buspe (jetzt Sbia) von ihnen völlig verwüstet wurde. Die
Städte waren ja den Barbaren hilflos preisgegeben, da Geiserich alle
Mauern hatte zerstören lassen. Nur Hadrumetum und SuUectum
vermochten sich zu halten; die Einwohner waren hier zur Selbsthilfe
geschritten und hatten notdürftige Schutzwehren errichtet. Dafs
GeUmer während der Landung der Byzantiner in Afrika mit dem
Krieg gegen die Mauren in der Wüste beschäftigt gewesen, berichtet
die Kirchengeschichte des Zacharias (vgl, oben), und wir haben
keinen Grund, diese Nachricht anzuzweifeln; so erklärt sich auch die
Erzählung bei Prokop von dem damaligen Aufenthalte des Königs
in Hermiane.
Inzwischen fuhr die griechische Flotte bei den Inseln Gozzo und
Malta vorbei und wurde von einem Ostwind an die afrikanische
1) Prok.b.V.I, 21. 2) Ebenda I, 20. 3) Ebenda I, 23.
4) Vgl. Hasenstab, Studien zn Ennodins S.32.
134 Pritteß Bncli.
t. • ■
•
Kt^ßte beim Vorgebirge Caput Vp^da (Eas Kaboudia)^) getrieben
(^nfjong September 533). In einem von Belisar zusammengerufenen
Krie^srat vertrat Archelaus die Ansicht^ dafs man sofort weitersegeln
ui]^d Karthago ^greifen müsse; doch wurde dem Antrag des Ober-
befehlshabers gemäXs beschlossen^ die Truppen auszuschiffen und der
K^ßte entlang yon der Flotte begleitet nach der Hauptstadt zu
marschieren. Die Besorgnis vor einem Angriffe der wandalischen
Flotte sowie vor einem mögUcherweise ausbrechenden Sturm gab
den Ausschlag. Zugleich hoffte auch Belisar während des Marsches
mit der römischen Bevölkerung in Beziehung treten und diese für
den £aiser gewinnen zu können. Allenthalben wurde verkündet,
dals die Byzantiner als Befreier kämen und nur mit den Wandalen
]^eg führten. Belis^ bestrafte daher unnachsichtlich alle Übergriffe,
die sich seine Soldaten gegenüber Pei^son imd Besitz der Einwohner
zu schulden kommen liefsen, imd bewirkte dadurch, dals diese ihm
nichts in den Weg legten und bereitwillig die nötigen Lebensmittel
lieferten. Von einer allseitig freudigen Au&ahme scheint jedoch
keine Bede gewesen zu sein, tn der Hauptsache waren es doch nur
der Adel und die Geistlichkeit, die für die Ankunft der Byzantiner
ein wesentliches Interesse hegten, wahrend die übrigen Yolksklassen
derselben im günstigsten Falle gleicbgiltig gegenüberstanden, da sie
eine Verbesserung ihrer materiellen Lage nicht erwarten durften.
Wie wenig man der Stimmung der Bevölkerung traute, zeigt das
Verfahren bei der Besetzung von Sullectum (Salecta), der ersten
Stadt, die nach der Landung in Afrika erreicht wurde. Eine voraus-
geschickte Abteilung Hypaspisten legte sich des Nachts in der Nähe
in einen Hinterhalt, drang beim Morgengrauen zugleich mit hinein-
fahrenden Bauemwagen in den Ort ein und besetzte denselben. In
einer nun zusammenberufenen, aus dem Bischof und den Vomehnoisten
bestehenden Versammlung wurde die Proklamation Belisars verlesen,
worauf die Schlüssel zu den Eingängen abgeliefert wurden. Hier
fiel den Byzantinern das gesamte Inventar der königlichen Post-
anstalt in die Hände; einem aufgegriffenen Kurier schenkte Belisar
die Freiheit, indem er denselben beauftragte, eine Proklanaation
Justinians unter dem wandalischen Adel zu verbreiten, worin dieser
aufgefordert wurde, die Sache des „Tyrannen" zu verlassen. Die
Hoffnung, hierdurch Zwietracht unter den Wandalen selbst zu erregen,
1) Coripp.Joh.I, 369. Vgl.Tissot Geogr.II, 181 pl.X. Später wurde hier
die Stadt Jnstinianopolis erbant.
Die Nachfolger Geiseric]}^ bis z^xm Untergange des Beiclies. ].3Ö
erwies siek freilich als trügeirisdi; der Bote wagte^ offenbar in Bück-
sichjb a^f die herrschende Stimiaungy das kaiserliche Schreiben nur
einigen seilet Freunde zu zeigen und erzielte damit auch bei diesen
einen kaum nennenswerten Erfolg. Gegenüber den unerfreulichen
Verhältnissen im sinkenden Ostgotenreiehe mufe das feste Zusammen-
stehen des wandalischen Volkes einen besonders günstigen Eindruck
machen.
Der Weitermai:sch vollzog sich nun in folgender Weise :
die Vorhut bildeten 300 Hypaspisten unter dem Befehle des Zahl-
meisters Johannes^ zur Deckung der linken Flanke waren die 600
Hunnen kommandiert^ während auf der rechten Seite das Heer mit
der im gleichen Tempo dahinsegeLa^den Flotte (jedes Schiff war mit
5 Bogenschützen zur Bewachung besetzt) in Fühlung blieb. In der
Nachhut befand sich Belisar selbst mit den besten Truppen^ weil er
einen Angriff Gelimers auf dieser Seite befürchtete. Wahrscheinlich
infolge der Hitze kam man nur langsam vorwärts; es wurden täglich
ungefähr blofs 80 Stadien^ d.i. ca. 17 km^ zurückgelegt. Nachtquartier
wurde entweder in einer Stadt oder in einem wohlbefestigten Lager
genommen, um vor unUebsamen Überraschungen gesichert zu sein.
Die Städte Leptis minor und Hadrumetum berührend erreichte man
das durch seine Orangenhaine ausgezeichnete königliehe Lustschlofs
Grasse (Sidi Ehalifa); etwa 150 km, also ca. 9 Tagemärsche, von
Caput Vada und 350 Stadien (74 km) von Karthago entfernt.^)
Inzwischen war Gelimer keineswegs unthätig geblieben. Zunächst
hatte er kurz vor der Landung der Byzantiner Gesandte an den
Westgotenkönig Theudis nach Spanien geschickt, um von diesem
Unterstützung zu erbitten.*) Femer erteilte er seinem Bruder Am-
matas in Karthago Befehl, den König Hilderich (jedoch nicht dessen
Kinder) mit seinem hauptsächlich aus römischen Adligen bestehenden
Anhang im Gefängnis zu töten ^), um einer Erhebung zu deren Gunsten
vorzubeugen, und liefs die in der Hauptstadt anwesenden byzanti-
nischen Kaufleute, die beschuldigt wurden , mit dem Kaiser geheime
Beziehungen zu unterhalten, in Haft nehmen.^) Da& er den Ernst
1) VgLTissot n, 116.
2) Prok. b.V. I, 24.
3) Prok. I, 17. Vict. Tonn. a. 533 (die Hinrichtung der Adligen wird hier
zum ' zweiten Male berichtet, nachdem schon zum J. 631 davon die Bede ge-
wesen). 534. Der zahlreichen damals stattgefundenen Yermögenskonfiskationen,
womit der Kanzler Bonifatins beauftragt war, wird auch von Luxorius, Anth.
lat. no. 341. 342 gedacht; Bonifatius heifst hier ins Griechische übersetzt Eutychus
4) Prok. I, 20. .
136 Drittes Bnch*
der Lage wohl erkannte^ zeigt der Umstand^ dafs er seinen Schatz
in einem Schnellsegler im Hafen von Hippo regius unterbringen lielis
und seinen Kanzler Bonifatius beauftragte^ im Falle einer unglück-
lichen Wendung des Krieges nach Spanien zu fahren, wohin er sich
ebenfalls zu retten gedachte (Prok. II, 4). Er folgte nun mit seinen
Kriegern den dahinziehenden feindlichen Truppen, ohne dieselben an-
zugreifen. Es geschah dies in wohlerwogener Absicht. Sein Plan
ging dahin, die Byzantiner bis nach Decimum (ad decimum miliare,
70 Stadien oder 15 km von Karthago), auf der Südseite des Sees
von Tunis, wo die Strafse zwischen Hügeln (Megrine und Sidi-Fathal-
lah) hindurchfuhrte^), ziehen zu lassen; hier sollte sie Ammatas von
vom, eine Heeresabteilung von 2000 Mann unter Gibamund in der
linken Flanke fassen, während der König selbst mit der Hauptmacht
gleichzeitig im Bücken angreifen wollte. Es wurde dabei jedenfalls
der Umstand mit in Rechnung gezogen, dafs in dieser Gegend von
einer Unterstützung durch die byzantinische Flotte, die von Grasse
ab überhaupt aufser Fühlung mit dem Landheer kam, da sie wegen
der in das promunturium Mercurii auslaufenden Halbinsel einen weiten
Umweg machen mufste, keine Rede sein konnte. Gelimer mufs sehr
wohl erkannt haben, dafs er mit seinen wenig zahlreichen, leicht-
bewaffneten Truppen den wohlgerüsteten Byzantinern auf andere Weise
nicht beikommen konnte. Wie fest die Wandalen an den Erfolg des
Planes glaubten, zeigt die Thatsache, dafs sie an dem Tage des er-
warteten siegreichen Einzuges in der Hauptstadt für Gelimer ein
festliches Mahl in der karthagischen Königsburg hergerichtet hatten.')
Ohne eine Ahnung von den Absichten des Feindes zu haben,
langte Belisar nach einem viertägigen Marsche in der Nähe von De-
cimum an und schlug in einer Entfernung von ca. 7 km von diesem
Punkte (bei Darbet es-Sif) ein befestigtes Lager auf. Hier liels er
die Infanterie zurück, wahrend er selbst mit der Reiterei weiter vor-
rückte, um mit den Wandalen Fühlung zu erhalten und deren Starke
erkunden zu können. Wahrscheinlich war er über das Schicksal der
Vorhut unter Johannes und der zur Deckung der linken Flanke
kommandierten Hunnen, von denen er ohne Nachricht blieb, in Be-
sorgnis. Offenbar hegte er jetzt die Ansicht, dafs Gelimer mit der
Hauptmacht vor ihm sei, während er früher mit Recht das Gegenteil
angenommen hatte (vgl. oben). Wurden seine Reiter geschlagen, so
1) Nicht bei El-Ariana, vgl. Tissot 11 , 120 n. pl. Vm. Atlas arch^ologique
de la Tunisie pl. XX.
2) Prok. I, 21.
Die Nachfolger Geisericlis bis zum Untergange des Reiches. 137
konnten sie im Lager Schutz suchen und sich wieder sammehi. Doch
die Rechnung stimmte nicht, und es war lediglich das Ungeschick
der Wandalen, das die Byzantiner vor dem Untergänge bewahrte.
Zunächst erschien Ammatas sechs Stunden zu früh, gegen Mittag
des 13. September (vgl. Prok. I, 18. 21), auf dem Platze, nur von
wenigen, nicht einmal auserlesenen Kriegern begleitet, griff voll
Kampf begier die Vorhut der Byzantiner an, wurde aber nach tapferem
Widerstände erschlagen. Seine Leute suchten sich nach dem Tode
ihres Führers in wilder Flucht zu retten und rissen so die von Kar-
thago in ungeordneten Haufen von 20 bis 30 Mann nachrückenden
Wandalen mit sich fort. Die Verfolgung der Fliehenden, von denen
viele niedergemacht wurden, erstreckte sich bis vor die Thore der
Hauptstadt. Fast zur gleichen Zeit trafen auch die nach links be-
orderten 2000 Mann unter Gibamund^) auf dem Salzfelde Sebkhat
es Sedioum mit den 600 Hunnen zusammen, wurden aber von diesen
in einem raschen Vorstofs auseinander gejagt und sämtlich nieder-
gemacht. Kurz darauf erschienen die die Spitze bildenden byzanti-
nischen Föderaten — Belisar war mit den übrigen Reitern ziemlich
weit zurück — in Decimum und trafen auf die Spuren des zwischen
Ammatas und Johannes stattgefundenen Kampfes. Unschlüssig, was
zu thun, blieben sie hier halten und liefsen von den umliegenden
Hügeln aus nach dem Feinde Umschau halten. Eine Staubwolke
zeigte ihnen bald das Herannahen der wandalischen Hauptmacht unter
Gelimer, die, nach Umgehung des Lagers durch das Terrain geschützt,
unbemerkt zwischen Belisars Abteilung und den Hunnen auf der
linken Seite der Strafse hindurchgekommen war. Sie schickten nun
schnell an den Oberbefehlshaber nach Verstärkungen und suchten bis
zum Eintreffen derselben auf dem höchsten Hügel in der Gegend sich
festzusetzen. Nach Tissot ist hierunter der 35 Meter hohe Hügel
Megrine zu verstehen, dessen Plateau für jenen Zweck wohl geeignet
war» Aber die Wandalen kamen ihnen in der Besetzung desselben
zuvor, und nun eilten die Byzantiner auf der Strafse zurück bis zu
dem Punkte, wo sich Uliaris mit 800 Hypaspisten befand (7 Stadien
oder IVg km von Decimum), und nahmen, mit diesen vereinigt, die
Übermacht der Feinde fürchtend, in voller Flucht den Weg zu Belisar.
Dieser liefs sich jedoch nicht irre machen, brachte die Fliehenden
wieder in Ordnung und rückte, als der erwartete Angriff ausblieb,
1) Ob der Asdinge Gunthimer, dessen Tod Vict. Tonn. a. 534 erwähnt,
sich bei dieser Schar befand, ist zweifelhaft.
138 Prittes Bnck
schnell g^en Geliiner vor, der inzwisclieii die Zeit unter Wehklagen
über den Tod seines Bruders AmmatH» und mit der Beerdigung des
Leichnams yerbrachte. Als die Wandalen die Byzantiner herankoumien
^^then, eilten sie in völliger Auflösung auf der nach Numidien fahren-
den Stralse dayon, wobei zahlreiche Leute von den Nachsetzenden
niedei^emacht wurden (Abend des 13. September).
Das Unternehmen hätte auch nach der Niederli^ des Amwiatas
upd Gibamund einen glücklichen Ausgang nehmen können^ wenn der
Eonig nicht in seinem Eifer zu rasch vorwärts geritten wäre. Statt^
wie der Plan war^ die gesamte byzantinische Reiterei im Rücken zu
&sseii und von der Verbindung mit dem Lager abzuschneiden, über-
holte er dieselbe und traf nur mit der Spitze zusammen. Die Ver-
hältnisse hatten sich dadurch mit einem Schh^e zu Ungunsteu der
Wandalen verändert. Wichtig war vor allem ^ daCs Belisar nun ün
stände war, die Sachh^e völlig zu überschauen. Es mu&te ihm daran
liegen, die Wandalen in einen gröfseren Kampf zu verwickdn, bis
die Soldaten des Johannes und die Massageten herankamen und jene
von hinten und in der Flanke angreifen konnten. Prokop (I, 19)
meint, Gelimer hätte den fliehenden Föderaten nachsetzen und sich
zugleich auf die übrigen Truppen werfen sollen; bei der entstandenen
Panik sei ihm der Erfolg sicher gewesen. Doch fragt es sich, ob
4ieser ein entscheidender gewesen wäre^ da die Byzantiner jetzt wieder
den Rückhalt in ihrem Lager hatten^ ganz abgesehen davon, dals die
Wandalen mit ihrer geringen Zahl kaum Aussicht hatten, einen
wesentlichen Erfolg zu erzielen. Ganz verkehrt aber würde der König
gehandelt haben, wenn er sofort die Richtung nach Karthago ein-
geschlagen ^ die Abteilung des Johannes über den Haufen zu reiten
und sich in der Stadt festzusetzen versucht hätte; denn bei dem
schlechten Zustande der Verteidigungsmittel konnte er sich dort un-
möglich längere Zeit halten. Es war daher unter den obwaltenden
umständen das Richtige, dafe GeUmer jedem ZusammentrefiPen mit
dem Feinde aus dem Wege ging und die Strafse nach Numidien ein-
schlug. Freilich war dies nicht durch einen auf sorgfaltige Über-
legung gegründeten Entschluis veranlalst; denn der König hatte sich
von seinen Gefühlen so völlig überwältigen lassen, dats er alles um
sich herum vergaüs und es auch unterlieis, seine Truppen in Kriegs-
bereitschaft au&ustellen. Aulser stände daher, eine Schlacht anzu-
nehmen^ sah er sich beim Herannahen Belisars zur Flucht gezwimgen.
Die Nacht verbrachte Belisar in Decimum, wo auch bald die
Vorhut unter Johannes und die Massageten sich einfanden; am folgen-
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergange des Eeiches. 139
den Tage (14 September) marschierte er mit dem inzwischen nach-
gekommenen FuTsheere bis vor ]^arthago^ wo er zur Abendzeit ei|^-
tr^f. Doch wagte er nicht in die festlich illuminierte Stadt ein-
zuziehen, da er einen Hinterhalt befürchtete. Freilich ws^: diee^
Besorgnis imbegründet^ die hier zurückgebliebenen Wandalen hatten^
statt sich zu verteidigen oder zum Heere des Königs zu stoXsen^ in
den Kirchen Schutz gesucht.
Am selben Tage umsegelte auch die byzantinische Flotte das
Vorgebirge Merkurs und kam in Sicht der Hauptstadt. Die Karthager
entfernten nun die dexi Hafen Mandracium sperrenden Ketten und
befreiten die gefangenen byzantinischen Kaufleute; doch ging man
den früher gegebenen Befehlen Belisars entsprechend, der immer noch
an das plötzliche Auftauchen einer feindlichen Flotte glaubte , nicht
dort; sondern in der Bai von Timis vor Anker. Am nächsten Morgen
liefs Belisar die Besatzungen ausschiffen und zog mit dem gesamten
Heere in kriegerischer Ordnung in Karthago ein; sein Hauptquartier
nahm er in der Königsburg; wo man noch am Tage vorher f(ir
Gelimer einen festlichen Empfang vorbereitet hatte ^) (15. September).
Streng hielt er darauf^ dafs die Soldaten sich keine Ausschreitungen
gegen die Einwohnerschaft zu schulden kommen lielsen; das Geschäfts-
leben in der Stadt ging daher seinen gewohnten Gang; ganz wie in
Friedenszeiten. Auch den in die Kirchen geflüchteten Wandalen liefs
er seinen Schutz angedeihen. Wahrscheinlich gleich nach der Be-
setzung der Stadt ward der Domestikus Solomon nach Byzanz ab-
geschickt, den emmgenen Erfolg dem E^iser zu melden^), und bereits
am 21. November desselben Jahres legte sich Justinian in der vor
der Ausgabe der Institutionen stehenden Verordnung die Beinamen
AlanicuS; Yandalicus, Africanus zu.*)
In der richtigen Erkenntnis, dafs von der Behauptung Karthagos
der Besitz Afrikas abhänge; richtete Belisar sein Augenmerk vor allem
auf die Wiederherstellung der Befestigungen. Zunächst wurde in kurzer
Zeit; da er mit dem Gelde nicht kargtO; ein Graben gezogen und
dieser mit Palissaden besetzt; sodann aber an dem Aufbau der ver-
1) Der Laterculns reg. Wand. § 19 setzt den Einzug Belisars anf den
14: September; doch ist nach Prok. Xvill. kal. oct. in XVII zn emendieren, vgl.
Papencordt S. 152. — Die Zählung nach annis. Earthaginis auf den in der kaiser-
lichen Münzstätte zu Karthago geprägten Kupfermünzen geht also wahrschein-
lich vom 16. September 533 ab, nicht, wie Mommsen, Neues Archiv XVI (1891)
S. 64, bemerkt, vom 14. September 534.
2) Prok. b.V. I, 24.
3) Dat. XI. kal. dec. nach der Ausgabe von Krüger.
140 Drittes Buch.
fallenen Ringmauer mit allen Kräften gearbeitet.^) Aus diesem Grunde
verzichtete er auch zunächst auf die Verfolgung Gelimers. Dieser
hatte sich nach der grofsen Ebene bei Bulla regia (jetzt Hammam-
Darradji)^), vier Tagereisen von Karthago entfernt, begeben, wo er
seine zersprengten Scharen sanmielte. Von hier aus trat er auch mit
den Mauren in Verbindung, um sie zu gemeinsamem Kampfe gegen
die Byzantiner zu bewegen. Die Häuptlinge derselben hatten nach
den Erfolgen Belisars Gesandte an diesen geschickt, sich für Unter-
thanen des Kaisers erklärt und Kiriegshilfe versprochen; jetzt be-
schlossen sie, sich neutral zu verhalten und die Entscheidung abzu-
warten, hinderten aber ihre Leute nicht, die Neigung zeigten, sich
den Wandalen anzuschliefsen. Die Zahl derer, die dies thaten, kann
dem Zeugnis Prokops entgegen nicht unbedeutend gewesen sein, da
sie bei Tricamarum das ganze Hintertreffen bildeten.*) Günzlich er-
folglos blieben die Bemühungen des Königs, die Westgoten zur
Waflfenhilfe anzurufen. Die nach Spanien geschickten Gesandten
mufsten, da Theudis bereits durch einen Kauffahrer von der Nieder-
lage der Wandalen erfahren hatte, was er jedoch sorgfältig geheim
hielt, unverrichteter Sache wieder abreisen und gerieten, als sie nichts
ahnend in Karthago eintrafen, in die Gewalt der Byzantiner.*) Vor
allem aber ward jetzt Tzazo zurückberufen, der inzwischen mit ge-
ringer Mühe Sardinien wieder unterworfen und den Godas hatte hin-
richten lassen, ohne dafs Gelimer jedoch etwas davon erfahren, da
die mit der Siegesnachricht abgeschickten Boten den Kaiserlichen in
die Hände fielen. Prokop (I, 25) teilt den Brief, den der König an
seinen Bruder geschrieben haben soll, im Wortlaut mit: Ein geheimes
Walten des Schicksals habe das Unglück der Wandalen herbeigeführt.
Tzazo sei mit den besten Truppen nach Sardinien entführt worden,
um die Landung der Byzantiner in Afrika zu ermöglichen. Die hier
zurückgebliebenen Wandalen aber hätte trotz der geringen Macht
Belisars sogleich die alte Tapferkeit verlassen; durch ihre Feigheit
hätten sie den Untergang des Ammatas und Gibamund verschuldet.
Es unterliegt aber keinem Zweifel, dafs dieser Brief durchweg eine
Erfindung Prokops ist; darauf deutet vor allem das Hervorheben des
Einflusses der rvxrj, der ja bekanntlich bei jenem eine so groJse Rolle
spielt.^) Auch die gegen die Wandalen erhobene Beschuldigung der
Feigheit ist schwerlich in Wirklichkeit von dem Könige erhoben
worden.
1) Prok. a. a. 0. I, 21. 23. de aedif. VI, 5. 2) Tissot ü, 259 ff. pl. XVUL
3) Prok. 1, 25. 4) Prok. I, 24. 5) Vgl. D ahn, Prokopius von Cäsarea S. 286.
Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Reiches. 141
Die Zeit bis zum Eintreffen der Verstärkungen benutzte Gelimer^
um die römische Landbevölkerung gegen die Byzantiner in Bewegung
zu setzen und diese dadurch zu beschäftigen. Für jeden ihm über-
brachten Kopf eines erschlagenen Feindes verhiefs er eine Belohnung.
Die Bauern fanden sich gern hierzu bereit, offenbar hauptsächlich,
weil sie eine Rückkehr der früheren Zustände befürchteten und der
humanen Behandlung, die ihnen die Wandalen bisher hatten zu teil
werden lassen, eingedenk waren. Ein gröfserer Erfolg ward hierdurch
freilich nicht erzielt; gegen die von Belisar vorsichtigerweise nur in
gröfseren Abteilungen zum Rekognoszieren ausgeschickten wohl-
bewaffheten Soldaten vermochten die Landleute nichts auszurichten,
und nur eine Anzahl von marodierenden Sklaven und Trofsknechten
ward von denselben erschlagen.
Nach dreitägiger beschleunigter Fahrt landete Tzazo mit den
Seinigen an der afrikanischen Küste und zog zu Fufs nach dem Ver-
sammlungsort. Prokop (I, 25) giebt an, dafs die Landungsstelle an
der Grenze zwischen Numidien und Mauretanien, also etwa an der
Mündung des Amsaga gelegen habe, was aber wegen der grofsen
Entfernung dieses Punktes von Bulla regia schwer glaublich ist.
Vermutlich liegt eine Verwechslung vor, und es ist gemeint die
Grenze zwischen der Zeugitana und Numidien; Tzazo würde hiemach
bei Thabraca sich ausgeschifft haben. Die rührende Scene des Wieder-
sehens zwischen den beiden Brüdern, die den weichen, schwärmerischen
Charakter des Königs vortrefflich beleuchtet, hat Prokop in anziehen-
der Weise geschildert.
Das Eintreffen der Verstärkungen belebte Gelimers Mut insoweit,
dafs er nun gegen Karthago vorrückte und den Byzantinern eine
Schlacht vor den Thoren der Stadt anbot. Einen Sturmangriff auf
die Mauern unternahm er klugerweise nicht, offenbar in der Er-
kenntnis, dafs seine Reiterscharen für einen solchen nicht geeignet
waren. Er rechnete dabei wesentlich auf Unterstützung aus dem
Lager der Byzantiner selbst und aus den Kreisen der Einwohner-
schaft. Nicht ohne Erfolg waren seine Emissäre in dieser Hinsicht
wohl schon seit einiger Zeit thätig gewesen. Namentlich war es ihm
geglückt, unter Austeilung reichlicher Geldspenden die ohnehin un-
zufriedenen Massageten auf seine Seite zu ziehen und von ihnen das
Versprechen zu erlangen, bei dem nächsten Treffen zu ihm über-
zutreten. Belisar hielt sich anderseits vorsichtig zurück, einmal weil
die Befestigungsarbeiten noch nicht beendet waren, hauptsächlich
aber wohl, weil ihm die Bewegung zu Gunsten der Wjandalen schwere
142 Drittes Buch.
Sorgen bereitete. Er schritt zwar sofort, naclidem er Kenntnis er-
langt, mit Strenge ein nnd liefs einen der verschworenen Skriha-
ginienser öffentlich hinrichten; wie wenig sicher er sich aber fehlte,
zeigt der Umstand, dafs er es nicht wagte, die Massageten durch
energische Mafsregeln zum Gehorsam zu zwingen, sondern dieselben
durch Versprechungen und Geschenke dahin brachte, von ihrem Vor-
haben abzustehen.^) Erst nachdem er sich völlig gesichert glaubte,
ergriff er die Offeiisive und wandte sich gegen die Wandalen, die,
nachdem sie ihre Pläne gescheitert sahen, sich weiter von der Stadt
zurückgezogen hatten. Die Kavallerie, auch die Garden, schickte er
voraus, während er selbst als Reserve mit dem Fufsvolke und
500 Reitern am nächsten Tage folgte. Bei Tricamarum, 140 Stadien
oder 30 km von Karthago — die Lage des Ortes ist leider nicht
mehr zu bestimmen — , stiefsen die das eröte Treffen bildenden By-
zantiner, die wahrscheinlich bei Tagesanbruch Karthago verlassen
hatten, mit beginnender Dunkelheit auf die Wandalen. Beide Teile
verbrachten hier in ziemlicher Entfernung voneinander die Nacht.
Am nächsten Morgen liefs Gelimer Weiber, Kinder und den ganzen
Trofs in das Lager bringen, das jedoch — charakteristisch füt die
Kriegsweise der Wandalen — gänzlich unbefestigt war und somit
keinen Rückhalt zu bieten im stände war. Nachdem er die Truppen
in Schlachtordnung aufgestellt und in Gemeinschaft mit seinem Bruder
zur Tapferkeit ermahnt hatte — die von Prok. (II, 2) mitgeteilten,
angeblich von beiden gehaltenen Reden sind jedoch sicher in dieser
Form nicht echt, wie wiederum die Hervorkehrung der Macht der rvxn
beweist*) — , rückte er um die Mittagszeit (ccQLatov) an den Bach,
der die beiden Heere'^ trennte, vor. Er kam den Byzantinern völlig
imerwartet, die gerade mit Abkochen beschäftigt waren und sich in
völliger Unordnung befanden. Dafs etwas derartiges angesichts der
bevorstehenden Entscheidung möglich war, ist fast nicht zu glauben,
und nur das Zaudern der Wandalen bewahrte jene vor schweren Ver-
lusten. Unbehelligt vom Feinde, der unbegreiflicherweise die günstige
Gelegenheit zu einem Angriffe vorübergehen liefs, stellten sich nun
die griechischen Reiter in aUer Eile in Schlachtordnung auf. Den
linken Flügel bildeten die Föderaten, den rechten die kaiserlichen
Regimenter, das Mitteltreffen die Gefolgschaft Belisars unter dem Be-
fehle des Johannes, der zugleich die Feldhermstandarte führte. Die
Massageten nahmen abseits vom übrigen Heere eine Stellung ein; sie
1) Prok. n, 1. 2) Vgl. darüber auch oben.
Die Nachfolger Geiserichs bis ztun Untergange des Reiches. 143
Wollten gfemäfs einer beim Abmarsch unter sich getrofifönen Ver-
abredung die Entscheidting abwarten und sich dann der siegreichen
Partei aniächliefsen. Es war unter den obwaltenden umständen ein
gröfses Gläck für die Byzantiner^ dafs jetzt Belisar mit deü
500 Reitern — das Fufsvolk war etwas weiter zurück — auf deM
Platze erschien und die Oberleitung übernehmen konntisj. Bei den
Wandalen befand sich Tzazo mit seinen Kerhscharen im Gentrum^
hinter ihm waren die maurischen Hilfstruppen aufgestellt; den rechten
und linken Flügel bildeten die übrigen Tausendschaften unter ihreil
gewöhnlichen Führern. Während Belisar seinen Platz in der Mitte
einnahm^ ritt Gelimer überall ümher^ die Zaghaften ermunternd.
Seinen Leuten hatte er befohlen, nur mit dem Schwerte zu kämpfen,
offenbar weil er wufste, dafs sie in der Anwendung von Femwaffen
dem Gegner nicht gewachsen seien.
Geraume Zeit standen sich die Gegner gegenüber, indem jeder
den Angriff des andern erwartete. Um die Wandalen aus ibret
Stellung herauszulocken, setzte Johannes auf Befehl Belisars mit
einigen Leuten durch den Bach und ergriff, als Tzazo gegen ihn
anritt, die Flucht, ohne dafs jedoch die Wandalen sich zur Ver-
folgung verleiten liefsen. Als ein zweiter init einer gröfseren Trüppen-
zahl unternommener Versuch ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg
hatte, liefs Belisar seine gesamte Garde zum Angriff vorgehen. Wie
nicht anders von den Leuten Tzazos zu erwarten war, leisteten diese
kräftigen Widerstand; aber als eine Anzahl der Tapfersten, darunter
namentlich der Anführer selbst, gefallen war und nun auch die
übrigen byzantinischen Reiter heranstürmten, ergriff das ganze wan-
dalische Heer die Flucht und suchte in dem Lager Schutz. Die Ver-
luste, die die Wandalen im Treffen selbst und während der Ver-
folgung, an der sich nun auch die Massageten beteiligten, erlitten,
betrugen ca. 800 Krieger, während die Byzantiner nur etwa 50 Tote
hatten. Das Lager sofort zu stürmen wagte Belisar, jedenfalls einen
verzweifelten Widerstand erwartend, nicht; erst nach Ankunft des
Fufsvolkes, das gegen Abend eintraf, schritt ei* zum Angriff. Als
Qelimer von dem Herannahen der Byzantiner erfuhr, liefs er uüer-
hörterweise sein Volk heimlich in Stich und floh, nur von einigen
seiner nächsten Verwandten, Dienern und Gefolgsleuten begleitet,
auf der nach Hippo regius fährenden Strafse davon. Er dachte jetzt
seinen schon zu Beginn des Krieges vorbereiteten Plan, sich nach
Spanien in Sicherheit zu bringen (vgl. oben), auszuführen, obwohl
noch keineswegs alles verloren war. Li dem unbefestigten Lager
144 Drittes Buch.
konnte er allerdings sich nicht dauernd halten; eine grolse Aussicht
bot sich ihm aber dar, wenn er mit den Seinigen sich in die Berge
zurückzog und einen Guerillakrieg im grofsen Stile inszenierte, wozu
die schnellen wandalischen Reiter vorzüglich geeignet waren. Wie
gefährlich ein solcher für die Byzantiner hätte werden können, haben
ja die Kämpfe mit den Mauren, die jene nach dem Falle des Wan-
dalenreiches auszufechten genötigt waren, deutlich genug gezeigt. —
Das plötzliche Verschwinden des pflichtvergessenen Königs rief unter
den Zurückgebliebenen die gröfste Bestürzung und Verwirrung her-
vor. Keiner dachte mehr an Verteidigung, sondern suchte sich so
schnell wie möglich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Der einzige,
der im stände gewesen wäre, Ordnung zu schaffen und die Kopf-
losen zur Vernunft zu bringen, Tzazo, weilte ja nicht mehr unter
den Lebenden. So fiel ohne Kampf das Lager mit den reichen
Schätzen, die die Wandalen auf ihren Raubzügen früher zusammen-
gebracht hatten, den Byzantinern in die Hände. Die Flüchtigen
wurden bis in die Nacht hinein verfolgt, die Männer sämtlich nieder-
gehauen, Weiber und Kinder zu Sklaven gemacht. Das Wandalen-
reich hatte aufgehört zu bestehen (Mitte Dezember 533).^)
Der Besitz der unermefslichen Beute raubte den byzantinischen
Soldaten gänzlich die Besinnung; das Heer befand sich im Zustande
völliger Auflösung, und es wäre dem Feinde, hätte er sich gesammelt
und einen Angriff gewagt, ein Leichtes gewesen, Alle zu vernichten.
Erst am folgenden Morgen gelang es dem Oberbefehlshaber ^ die
Disziplin, zunächst wenigstens unter den Garden, notdürftig wieder
herzustellen. Johannes der Armenier erhielt nun den Befehl, mit
200 Mann Gelimer zu verfolgen und lebendig oder tot einzuliefern;
BeHsax selbst zog in der Umgegend umher, liefs, ohne den geringsten
Widerstand zu finden, die flüchtigen Wandalen aufgreifen, soviel er
ihrer habhaft werden konnte, entwaffnete sie und schickte sie trupp-
weise unter Bedeckung nach Karthago, um sie von da später aulser
Landes zu schaffen. Nachdem er so das Land gesäubert imd wahr-
scheinlich auch die feindliche Flotte weggenommen hatte, zog er
mit der Hauptmacht dem entflohenen König nach. Diesen hatte in-
zwischen die ihm nachsetzende Truppenabteilung des Johannes nahezu
eingeholt, als der plötzliche Tod des Anführers der weiteren Ver-
folgung ein Ziel setzte. In Hippo regius angelangt, wo ihm zahl-
reiche in den Kirchen Schutz suchende Wandalen (darunter viele
1) Prok. n, 2. 3.
Die Nachfolger Geisericlis bis ztun Untergange des Reiches. 145
Edle) sowie auch der Königsscliatz^ den der Kanzler Bonifatius in-
folge widriger Winde nicht mehr, wie verabredet, hatte in Sicher-
heit bringen können, in die Hände fielen, erfuhr Belisar, dafs Gelimer
nach dem schwer zugänglichen Gebirge Pappua^) an der äußersten
Grenze Numidiens geflohen sei und sich in der Stadt Medeos bei
befreundeten Mauren aufhalte. Da der Winter vor der Thür stand,
gab er die weitere Verfolgung auf und beauftragte den Heruler Fara,
mit einer erlesenen Schar die Zugänge zur Zufluchtsstätte des Königs
sorgfältig zu bewachen, um denselben am Entweichen zu verhindern
und ihm die Lebensmittelzufahr abzuschneiden. Er kehrte nun
nach Karthago zurück und traf Anstalten, die noch nicht in Beschlag
genommenen Teile des Wandalenreiches in Besitz zu nehmen. Ein
Korps unter CyriUus, dem als Zeichen des Unterganges der wan-
dalischen Herrschaft der Kopf des erschlagenen Tzazo mitgegeben
wurde, unterwarf ohne Mühe Sardinien und Korsika* ein zweites
unter ApoUinaris die Balearen und Pithyusen, ein drittes ging zur
Unterstützung des Pudentius und Tattimuth, die von den Mauren
hart bedrängt waren, nach Tripolis ab^), ein viertes und fünfteflH be-
setzten die Stadt Gäsarea und das Kastell Septem.^) Ein Versuch,
das übrige Gebiet im tingitanischen und cäsareensischen Mauretanien
zu occupieren, wurde nicht gemacht: diese Provinzen, wie auch
Mauretania Sitifensis, femer das südliche Numidien und der
westliche Teil der Byzacena blieben nach wie vor in der Gewalt der
Mauren. Auch Lilybäum suchte Belisar für den Kaiser in Anspruch
zu nehiüen und drohte, da die in Sizilien stationierten Ostgoten auf
diesen wichtigen Punkt inzwischen Beschlag gelegt hatten und den<
selben herauszugeben sich weigerten, mit Krieg. Der drohende
Konflikt ward jedoch vorläufig beigelegt, indem man sich dahin
einigte, die Entscheidung des Kaisers anzurufen.
Gelimer hielt inzwischen hartnäckig in jenem Felsenneste aus,
obwohl sich unter den Eingeschlossenen bald Mangel an Lebensmitteln
einstellte, der für die an üppige Tafel gewöhnten Wandalen doppelt
sich fühlbar machte. Einen Sturmangriff der Byzantiner auf seine
1) Die Lage dieses Gebirges ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Mit
dem heutigen Edongh ist dasselbe, da es nach Prokop an der Grenze Nnmidiens
(nnd Matiretaniens) lag, bestimmt nicht zu identifizieren. Weitere Vermutungen
bei Tissot 1,36 ff. 11,785. Vgl. anch Ponydragnin in dem Becneil des notices
et memoires de la sog. arch. dn dep. de Constantine vol. "XTYTT (1898) S. 165 ff.
2) Hierauf ist wohl die Erzählung Prokops de.aedif. VI, 4 p. 336 zu beziehen.
3) Von einer Vertreibung der Westgoten aus Septem (so Diehl p. 86) ist
damals keine Eede.
Schmidt, Wandalen. ^q
146 Drittes Bach.
uneinnehmbare Stellung schlugen die Mauren mit leichter Mühe zu-
rück; die Aufforderung, sich zu ergeben, wies er in stolzer Sprache
ab, indem er erklärte, einem Feinde, der ihn auf unredliche WeiscF
ins Unglück gestürzt, nicht unterthan sein zu können.^) Aber statt;
den Versuch zu machen, die Cernierungstruppen zu durchbrechen
und die Freiheit sich zu erkämpfen, verharrte er in tnLger Buhe^
weil es ihm an persönlichem Mute gebrach, und dichtete auf sein
Elend ein Lied, zu dessen Begleitung er sich von Fara eine Leier
erbat. Erst als er Augenzeuge einer Scene war, wie zwei vor
Hunger halbtote Kinder, sein Neffe und ein Maurenknabe, sich um
einen Brotkuchen schlugen, gab er den unrühmlichen, besonders aber
eines germanischen Königs unwürdigen Widerstand auf und zeigte
den Byzantinern seine Unterwerfung an, wobei er jedoch nicht ver^
gafs, die Erfüllung der ihm früher gegebenen Versprechungen: Er-
hebung in d^ Patriciat und Zuweisung von Landbesitz mit reich-
lichen Einkünften, sich garantieren zu lassen (Ende März oder An-
fang Aprü 534).
Gelimer ward nun mit seiner Sippe nach Karthago gebracht!
und traf hier mit Belisar zusammen, der ihn wie auch die
übrigen Wandalen in milder Haft hielt, bis die Vorbereitungen zur
Abreise nach Byzanz beendet waren. Wahrscheinlich etwa im Monat
Juni — die an Belisar gerichtete kaiserliche Verordnung über die
provisorische militärische Organisation der eroberten Gebiete (Cod.-
Just. 1, 27, 2.) ist vom 13. April d. J. datiert — stach die Flotte
beladen mit den unermefslichen Schätzen und den zahlreichen Ge-
fangenen in See. Nach der glücklichen Ankunft in der Hauptstadt
ward dem siegreichen Feldherrn vom Kaiser ein Triumph bewilligi^
eine Ehre, wie sie seit Jahrhunderten nicht wieder einem Privat-
mann zuteil geworden war, ein Beweis, wie hoch man den er-
rungenen Erfolg schätzte. Es fand eine zweimalige Feier statt: das
erste Mal zog Belisar zu Fufs von seinem Hause nach dem Hippo-
drom, wo er und der besiegte König dem Kaiserpaar ihre Unter--
würfigkeit durch Niederfallen bezeugten. Die zur Schau getragene:
Beute*) bestand aus Gegenständen, die zum Gebrauche des Königs-
hauses gedient hatten: goldenen Thronsesseln und Wagen, goldenem
Tafelgerät und mit Edelsteinen besetzten Schmucksachen, femer aus
vielen tausend Talenten Silber. Besonderes Aufsehen erregten die
1) Der von Prokop 11, 6 ^[litgeteilte Briefwechsel zwischen Fara nnd dem
Könige ist freilich sicher nicht authentisch.
2) Vgl. auch Coripp. in laud. Just 11, 121 ff.
Die Nachfolger Geisericlis bis zum Untergänge des Reiches. 147
einst von Geiserich aus dem kaiserlichen Palast in Born geraubten
Stücke ; darunter namentlich die heiligen Geräte aus dem Tempel zu
Jerusalem, die der Kaiser bald nachher aus abergläubischer G^*'
stunung wieder an ihren alten Ort zurückbringen liefs, wo sie spätet'
verloren gingen. Aus dem Eönigsscfaatze ist noch heute ein Stüd:'
erhalten: eine wahrscheinlich von germanischen Söldnern nach Italien
verschleppte silberne Schüssel mit der Umschrift: Geilamir rex Van-
dalorum et Alanorum.^) Als Gefangene schritten im Zuge einher
auTser Gelimer dessen ganze Sippe*) und die Gröfsten und Statt-
lichsten unter den übrigen Wandalen. Eine damals geprägte
Münze zeigte auf der einen Seite des Kaisers Bild^ auf der andern '
den Kopf Belisars mit der Umschrift: BeXi^dgiog i^ So^a täv
^PmybaCfpv?) Hilderichs Kinder sowie alle übrigen ^iAchkommen
der Eudoxia aus- deren Ehe mit Hunerich wurden mit reichen Ge-
schenken bedacht, während Gelimer Landgüter in Galatien erhielt,
auf denen auch seinen Verwandten zu wohnen gestattet wurde. Der
Patriciat wurde dem ehemaligen Könige jedoch nicht verliehen, trotz
des früher gegebenen Versprechens, da er den arianischen Glauben
nicht abschwören wollte. Eine nochmalige Feier wurde anläfslich
des Antrittes des Konsulates durch Belisar am 1. Januar 535 ab-
gehalten: Der Sieger fuhr auf einem von Gefangenen gezogenen
Wagen umher und teilte einen grofsen Teil der wandalischen
Beute unter die hauptstädtische Bevölkerung aus.*)
Eine nach allen Seiten hin gerechte Würdigung der Persönlich-
keit des letzten wandalischen Königs, der so unrühmlich von der
geschichtlichen Bühne abtrat, ist nicht leicht zu geben, da die
Quellen keine genaue und unparteiische Auskunft geben, die Äufe-
rungen insbesondere, die Prokop ihm in den Mund legt, von zweifel-
hafter Echtheit sind. In früheren Jahren ein tapferer Kriegsmann,
zeigt er sich nach seinem Begierungsantritt in immer steigendem
1) Vgl. Ephemeris epigraphica V, 826. C. I. L. Vm, suppl. 1 n. 17412 (p. 1651).
Neues Archiv Vm, 353.
2) Malal. p. 478 nennt aucli Gelimers Gattin als Gefangene, Joh. Lydus de
niftgistr. lU, 55 und Zonaras XTV, 7, 8. 4, anfser dieser auch noch Gelimers
Kinder. Aber nach Prokops Erzählung scheint der König keine Familie be-
sessen zu haben.
3) Anonymus de antiquitatibus Constahtin. bei Banduri, Imperium Orientale
I pars 8 pag. 69. Gramer, Aneedota Parisina 11, 324 f.
4) Prok. n. 4 — 9. Aufser den bereits citierten Quellenstellen handeln
über den Untergang des Wandalenreichs selbständig in Kürze. Marcellin. Com.
und Vict. Tonn. a. 534; Jordanes Rom. 366, Get. 33, 171 ff.; Zacharias Rhetor
IX, 17 (p.206).
10*
148 Drittes Buch. ■
MaXse zaghaft^ energielos, weichlich, von Stimmungen beherrscht.
Dazu kommt ein gänzlicher Mai^el von Umsicht und gründlicher
Einsicht in die Verhältnisse, sowie ein häfslicher Zug von Egoismus.
Im Gefühle der Sicherheit weist er in stolzer, pathetischer Sprache
die Zumutungen des Kaisers zurück, sorglos läfst er die Byzantiner
herankommen, ohne rechtzeitig Mafsregeln zur Abwehr zu trefifen:
als er aber die Gröfse der Gefahr endlich erkennt, denkt er auch
schon an Flucht und giebt Auftrag, den Königsschatz in Sicherheit
zu bringen. Er raflFfc sich dann wieder empor; aber bald kommt
seine wahre Natur wieder zum Vorschein. Aus Zaghaftigkeit läfst
er die anfangs bei Tricamarum sich bietende günstige Gelegenheit,
die Byzantiner zu überrumpeln, unbenutzt vorübergehen; als die
Schlacht verlören ist, denkt er nur an sich und schleicht heimlich
davon, sein Volk im Stiche lassend, obwohl sich leicht ein weiterer
Widerstand hätte organisieren lassen. Der Vorwurf der Grausam-
keit ist ihm dagegen mit Unrecht gemacht worden: sein Verfahren
gegen Hilderich und dessen Anhänger war ein berechtigter Akt der
Notwehr; es ist bemerkenswert, dafs er die Kinder des entthronten
Königs schonte. — Man möchte geneigt sein, aus dem Lachen, mit
dem er nach seiner Gefangennahme Belisar in Karthago empfing,
sowie aus seinem Benehmen im Hippodrom zu Byzanz, wo er fort-
während die Stelle aus dem Prediger Salom. „Alles ist eitel"
rezitierte, auf einen Zustand geistiger Abnormität zu schliefsen,
wenn nicht aein Verhalten bei der Übergabe, bei welcher er sich
Garantien für eine ihm zu gewährende bequeme, sorgenfreie Existenz
geben liefs, eines anderen uns belehrte. So darf man es wesentlich
seiner Persönlichkeit beimessen, wenn das Wandalenreich ein so
rasches, in der Geschichte fast einzig dastehendes Ende fand. Unter
anderer Leitung hätte dasselbe wohl noch eine Zeitlang sein Dasein
fristen können, da die Volkskraft, wenn auch stark im Niedergang
begrifien, doch keineswegs völlig erloschen war.
Von den gefangenen Wandalen, die Belisar mit nach Byzanz
genommen hatte, wurde ein Teil, jedenfalls die Tüchtigsten, unter
die Gardetruppen Belisars gesteckt^); aus den übrigen ca. 2000 Mann
formierte der Kaiser 5 Reiterregimenter und schickte sie nach dem
Orient, um daselbst die Grenze gegen die Perser zu bewachen, die
sog. Vandali Justiniani.^) Eins dieser Regimenter (400 Mann)
überwältigte jedoch auf der Fahrt nach dem Bestimmungsorte bei
1) Prok. b. Goth. m, 1. 2) Prok. b. V. 11, 14. b. Pers. ü, 21.
Die Nachfolger Geiserichs bis znm Untergange des Reiches. ]49
der Insel Lesbos die Schiffsmannschafb^ segelte, den Peloponnes be-
rührend, nacb Afrika, wo an einem wüsten Orte gelandet wurde,
und zog teils nach dem Auresgebirge, teils nach Mauretanien. Wahr-
scheinlich ist das tingitanische Mauretanien gemeint; denn der
ravennatische Kosmograph (I, 3 bez. III, 11) bemerkt, dafs dorthin
„das von Belisar besiegte Volk der Wandalen geflohen sei'^^) Eine
grofsere Anzahl Wandalen war dagegen von Anfang an in Afrika
zurückgeblieben, teils solche, die sich gut versteckt gehalten hatten,
teils solche, die bei der Abreise Belisars von den mit der Depor-
tation betrauten Beamten übersehen worden waren. ^) Dazu kamen
noch zahlreiche wandalische Priester, sowie die grofse Menge Frauen
und Ejnder, die die byzantinischen Soldaten als Kriegsbeute unter
sich verteilt hatten.') Diese Elemente haben bald nachher in der
Geschichte der Provinz eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.
Obwohl die Verhältnisse in Afrika noch sehr im Argen waren
— die B;eorganisation der Civilverwaltung und die Einrichtung
des Verteidigungswesens*) hatten kaum begonnen — , hatte Belisar
seine Abreise beschleunigt, weil er von einigen seiner Offiziere
beim Kaiser des Strebens nach selbständiger Herrschaft bezichtigt
worden war; er glaubte auf diese Weise die Absichten seiner Gegner
am besten durchkreuzen zu können. **) Den Oberbefehl über die
zurückbleibenden Truppen — das gesamte Heer Belisars, mit Aus-
nahme von dessen Garden, also ca. 15000 Mann — übernahm nun
der bisherige Domesticus Solomon, der seit dem 1. Januar 535 auch
als Praefectus praetorio erscheint.^) Kaum hatten jedoch die Mauren
von der Abfahrt der byzantinischen Flotte erfahren, als sie ver-
heerend in die Byzacena und Numidien einbrachen, so dafs Belisar,
der hiervon auf hoher See in Kenntnis gesetzt wurde, sich veranlafst
sah, seinem Nachfolger einen Teil seines Gefolges zu überlassen -^
ein Zeichen, wie wenig man von der Tüchtigkeit der übrigen Reichs-
truppen hielt. Nur mit grolsen Anstrengungen gelang es, die Bar-
baren in mehreren Feldzügen in ihre Schlupfwinkel zurückzuwerfen
(535). Aber auch im Innern hatte Solomon mit grofsen Schwierigkeiten
zu kämpfen. Das wieder eingeführte römische Steuersystem erbitterte
1) In qua Graditana patria gens Wandalorum a Belisario devicta in Africam
fdgit et nnnquam comparoit.
2) b. V. n, 15. 3) b. V. n, 14.
4) Vgl. die Verordnungen Cod. Just. I, 27 (de ofßcio praefecti praetorio
Africae et de omni einsdem dioeceseos statn; 1. an den Praef. praet. Archelaus,
2. an Belisar gerichtet).
6) Prok. n, 8. 6) Just. Novell. 36.
;J§0 Drittes Bucl^.
die JBeyölkerung aufs äuTserste und bewirkte^ dafs man fast allgemein
«die Rückkehr der wandalischen Herrschaft herbeiwünschte.^) Die von
.4eia , Wandalen früher innegehabten Landlose liefs der Kaiser , soweit
sie nicht von den früheren Eigestümem reklamiert wurden^ für den
rPi^kus mit Beschlag belegen. Viele der byzantinischen Soldaten hatten
.die ihnen als ;Kriegsbeute zugefallenen wandalischen Frauen und
jT5(^hter geheiratet und verlangten nun^ von diesen aufgereizt^ dafs
ihnen die Güter, die die früheren Ehemänner oder Verwandten ihrer
Gattinnen besessen^ als .Eigentum überwiesen würden. Die durch die
Ablehnung dieser Forderung im Heere erzeugte Erbitterung wurde
durch 4en Hinzutritt religiöser Motive noch wesentlich verschärft
Justinjian hatte durch eine die völlige Restitution der orthodoxen
^Kirche im Lande betreffende Verfügung die Vornahme jeder ketze-
rischen gottesdienstlichen Handlung verboten.^) Hierdurch wurden
^ber die unter den Byzantinern dienenden arianischen Soldaten, etwa
1000, an Zahl, hart betroffen, und die zurückgebliebenen wandalischen
Priester liefsen die günstige Gelegenheit nicht vorübergehen,, jene
zum Aufruhr zu reizen. Die Empörung kam zum vollen Ausbruch,
als die Nachricht von der Landung des oben erwähnten, f»us Wan-
dalen rekrutierten Reiterregimentes eintraf. Solomon sollte am ersten
Osterfeiertage, dem 23. März 536, in der Kathedrale zu Karthago
ermordet werden, er entkam jedoch mit wenigen Begleitern nach
Syrakus^ um die Unterstützung Belisars, der soeben Sizilien von der
Herrschaft der Ostgoten befreit hatte, anzurufen. Inzwischen ver-
sammelten sich die Insurgenten, ca. 8000 Mann, unter Leitung des
Stutza auf der Ebene von Bulla regia; zu ihnen stiefsen hier die in
Afrika aufhältlichen Wandalen, etwa 1000 Mann, sowie eine groüse
Anzahl Sklaven. Mit diesem stattlichen Heere rückte Stutza vor
Karthago; die von Solomon zurückgelassene Besatzung verweigerte
indes die Übergabe, obwohl die eingeschüchterte hauptstädtische Be-
völkerung dazu drängte. Gerade zur rechten Zeit traf Belisai:, von
nur 100 Mann begleitet, im Hafen ein, und die blofse Kundo von
seiner Ankunft wirkte derartig, dafs die Belagerer in grofsQr Un-
ordnung sich schleunigst zurückzogen. Mit 2000 Soldaten nahm
Belisar deren Verfolgung auf; bei Membressa am Bagradas traf er
mit ihnen zusammen und schlug sie mit leichter Mühe in die Flucht
Unter den Gefallenen befanden sich besonders viele Wandalen; bei
.der Einnahme des feindlichen Lagers wurden aufser bedeutenden
1) Prok. b. V. n, 8. 2) Nov. 37 (vom 1. Aug. 536).
Die Nachfolger Geiserichs bis 2iiin Untergänge des Reiches. J[51
Schätzen auch zahlreiche wandalische Frauen^ die Anstifterinnen der
BeTolte, erbeutet.^) Belisar kehrte hierauf nach Sizilien zurück; an
Solomons Stelle aber trat Justinians Neffe Germanus. Diesem gelang
es, den Stutza^ der nach Numidien geflohen war und seine Scharen
durch Überläufer aus dem kaiserlichen Heere sowie durch maurische
Bimdesgenossen bedeutend verstärkt hatte^ bei Cellas Yatari^) nach
erbittertem Kampfe YÖllig zu schiffen; nur von wenigen Wandalen
begleitet^ entkam der Anführer nach Mauretanien (537).')
Im Jahre 539^) kam Solomon zum zweiten Male als Oberbefehlshaber
nach Afrika. Eine seiner ersten Amtshandlimgen bestand darin^ daXs
er von den zurückgebliebenen Wandalen , so viele nur zu erlangen
waren y vor allem aber die Frauen^ als die hauptsächlichsten Friedens-
störer^ auTser Landes schaffen lieüs.^) Nachdem Solomon 544 im
Kriege mit den Mauren des Antalas bei Colonia Cillitana den Tod
gefunden^ erschien auch Stutza wieder mit seinen zum Teil aus
Wandalen bestehenden Anhängern imd schlofs sich den Mauren an.^)
Im folgenden Jahre fiel Stutza im Kampfe mit Johannes^ dem Sohn
des Sisinniolus, bei Tacea; seine Truppen — es waren nach Prokop
b. V. n, 27 ca. 600 Römer, 80 Hunnen, 420 Wandalen — gingen nun
unter Führung eines gewissen Johannes zu dem Usurpator Guntarith
über, der den kaiserlichen Oberbefehlshaber Areobindus durch Meuchel-
mord aus dem Wege schaffte (März 546). Aber nach nur 36tägiger
Herrschaft ward Guntarith von Artabanes in Karthago bei einem
Gastmahle, an dem auch einige vornehme Wandalen teilnahmen, ge-
tötet. Dasselbe Schicksal traf auch seine Anhänger; nur eine geringe
Anzahl Wandalen, die sich in eine Kirche geflüchtet, kam mit dem
Leben davon und wurde nach Byzanz geschickt.^ Damit war, wie
es scheint, der letzte bedeutendere Rest dieses Volkes in Afrika be-
seitigt. Dafs in den den Byzantinern unzugänglichen Landesteilen
einzelne Splitter sich erhielten, ist nicht ausgeschlossen, aber von
gröfserer Zahl waren dieselben sicher nicht. Thatsache ist allerdings,
dafs ein grofser Prozentsatz der heutigen Berberbevölkerung in Marokko,
am Rif, in den Gebirgen Aures und Grofskabyliens sowie auf den
Kanarischen Inseln blondes Haar und blaue Augen hat^); aber die
wiederholt, zuletzt von Löher (Das Kanarierbuch, München 1895)
vertretene Ansicht, dafs dies auf germanische, spezieU wandalische
1) Prok. n, 14. 15. 2) Diehl p. 84. Coripp.Joh.m, 318. 3)Prok.b.V.n,16. 17.
4) Marcellin. eom. a. 639. 5) Prok. n, 19.
6) Vgl. im allgemeinen Partsch, praef. zu Corippus p. XVI ff.
7) Prok. n, 28. 8) Tissot G^ogr. I, 403.
152 Drittes Buch.
Mischung zurückzuführen sei — nach Löher sollen die Wandschen
auf den Kanarischen Inseln Nachkommen der dahin geflohenen Wan^
dalen sein — , muTs als unbegründet verworfen werden.^)
Über das Schicksal der an der Theifs zurückgebliebenen Wandalen
fehlen fast alle Nachrichten. Dafs diese noch zur Zeit Geiserichs
eine selbständige politische Existenz führten , zeigt die aus wanda-
lischer Quelle stammende , schon oben angeführte Erzählimg Prokops
(b. V. I, 22).^) In welches Jahr die hier erwähnte Gesandtschaft, die
die Wandalen in Afrika zur Aufgabe des Besitzrechtes an ihren früher
innegehabten Ländereien bewegen sollte^ fällt^ ist nicht festzustellen^
sicher doch wohl nach 442^ wahrscheinlich aber in die Zeit nach dem
Sturze der Hunnenherrschaft^ unter der der Volksteil an der Theifs
zweifellos gestanden hat. Wahrscheinlich ist derselbe hierauf von
den Herulem, die nunmehr in jenen Gegenden erscheinen^ aufgesogen
worden.
1) Den EinfluTs germanisclier Elemente nehmen anch Batzel, Völker-
kunde n*, 460 und Sievers, Afrika (Leipzig 1891) S. 881 an.
2) Urnen entstammte wohl der Johannes 6 Isyofisvog OvccvdaXog^ der sich
nach Theophanes A. M. 5988 i. J. 446 gegen Valentinian m. erhob.
Viertes Buch.
Das Gebiet des souveränen afrikanischen Reiches hiefs regnum^
wie dies namentlich in dem Titel des höchsten Reichsbeamten^ des
praepositus regni hervortritt^); doch T^ird regnuxn sonst gewöhnlidi
im Sinne von Eonigsherrschaft^ nicht in räumlicher Bedeutung an-
gewendet.^ Vict. Vit. n, 39 spricht Hunerich von provinciis a d€>o
nobis concessis; ebenda III, 14 von terris et regionibus, quae pro-
pitia divinitate imperii nostri regimine possidentur. Die römische
Provinzialeinteilung^) blieb bestehen; als besonderes Gebiet waren die
den Wandalen zugewiesenen Distrikte, die sortes Vandalorum, aus-
geschieden. Der Mittelpunkt des Reiches war Karthago. Hier liefen
alle Fäden der Regierung zusammen; hier residierte der König in
seinem Palast*), der ohne Zweifel mit der Wohnung des Prokonsuls,
dem Prätorium, identisch war.^)
Dem Reiche gehörten, wie wir sahen, mehrere Nationalitäten
an, deren rechtliche Stellung eine sehr verschiedene war.^ Das
herrschende Volk waren die Wandalen. Den Kern derselben bildeten
die Asdingen, wozu die Reste der Silingen und Alanen, femer Goten
und andere Volkssplitter traten (vgl. oben). Die Alanen, die wohl
zur Zeit des Überganges nach Afrika bereits germanisiert waren,
scheinen eine Zeitlang eine gewisse Sonderstellung eingenonmien zu
1) Vict. Vit. II, 39. m, 3. Vgl. 11, 2: provincias regni sui.
2) Vict. m, 3: nostro regno subiectis. I, 18: crescente opibus regno. ü, 7:
regnum (Hunerichs), quod breve faerat et cadncum. ü, 13: cui regnuin debebatur.
m, 20: regnuin filii donini nostri. Ebenso Prok. b. V. I, 9 {ßccails^a),
3) Dies ersehen wir namentlich aus der erwähnten Notitia provinciarum et
civitatum Africae, die die politische (nicht kirchliche) Einteilung des wan-
dalischen Reiches i. J. 484 verzeichnet.
4) palatium vgl. bes. Vict. HI, 32. Prok. I, 21. Im übertragenen Sinne noch
öfter bei Vict.
5) Über die Lage desselben vgl. Tissot I, 649. 660. Das Prätorium scheint
zugleich als kaiserliches Absteigequartier gedient zu haben, da es auch palatium
genannt wird, Tissot I, 660 N. 4.
6) Vict. Vit. m, 3: universis populis nostro regno subiectis. Mit populi
sind nicht die verschiedenen Nationen, für die der technische Ausdruck gentes
ist, gemeint, sondern einfach das Volk, die Leute, vgl. Zeumer, Neues Archiv
XXm (1898), S. 478.
156 Viertes Buch.
haben ^); doch ist Näheres darüber leider völlig imbekannt. Zur Zeit
Prokops waren diese fremden Elemente völlig unter den Wandalen
aufgegangen (b. V. I, 5). Die Zahl der in Afrika eingefallenen Ger-
manen betrug nach der von Geiserich vorgenommenen Zahlung 80000,
also etwa 16000 Krieger; davon werden sicher mindestens zwei Drittel
etwa 50 — 60000, wandalischer Nationalität gewesen sein. In Afrika
hat das Volk nicht unbeträchtliche Verluste erlitten; bei den Be-
lagerungen von Hippo regius und Karthago hülste es einen grofsen
Teil seiner Streiter ein. Zum Jahre 442 berichtet Prosper, daCsi
Geiserich unter den Seinen ein gewaltiges Blutbad angerichtet habe:
es seien so viele hingerichtet worden, als in einem unglücklichen
Krieg gefallen sein würden. Für seine Zeit (c. 486) bemerkt Vict.
Vit. (I, 2), dafs die Wandalen gegen früher bedeutend an Yölkszahl
abgenommen hätten. Prokop a. a. 0. sagt dagegen, sie seien durch
fremden Zuzug und eigene Fortpflanzung während der Dauer des
afrikanischen Reiches zu einer groüsen Menschenmenge angewachsen,
und an anderer Stelle heifst es (Hist. arc. 18), dais unter Justinian
80000 streitbare Wandalen den Tod gefunden hätten. Man müTste
hiemach annehmen, dafe ihre Zahl von 80000 auf ca. 500000 Köpfe
gestiegen sei, was ganz unmöglich ist. Das üppige Leben, das die
Wandalen späterhin führten, mufste notwendigerweise eine ungünstige
Wirkung auf die Kindererzeugung ausüben; von einer starken Zu-
wanderung von auswärts ist aber nichts bekannt. Prokop denkt
wahrscheinlich an die Goten, die unter Amalafrida nach Afrika
kamen; aber diese waren ja sehr bald nachher niedergemetzelt worden.
Sein Zeugnis hat um so geringeren Wert, als er ein Interesse hatte,
die Gbgner Belisars als möglichst stark hinzustellen; der Zahlen-
angabe in der G^heimgeschichte liegt offenkundig die tendenziöse
Absicht zu Grunde, die Thätigkeit Justinians in recht schwarzen
Farben darzustellen. Dals die Wandalen unter Gelimers Regierung
wenig zahlreich waren, zeigt auch eine Stelle der Kirchengeschichte
des Zacharias (p. 206): „Als der Häuptling (Gelimer) mit einem Heere
kam, stellte es sich als klein und winzig heraus^. Mag nun auch
Victors Angabe etwas Obertrieben sein, was bei dessen übelwollender
Gesinnung ganz erklärlich wäre, so wird man zu dem Resultat kommen
müssen, daCs die Gesamtmenge zur Zeit der byzantinischen Er-
oberung nicht höher, eher etwas geringer war, als sie bei der Ein-
1) Vgl. auch Apoll. Sid. carm. II, 379: Quod oonsanguineo me Yandahu
hostis Halano diripuit radonto.
Innere Geschichte des afrikänisclien Beiches. 157
Wanderung gewesen ist. Es ist offenbar eine bewufste Fälschung
Prokops, wenn dieser (b. V. II 2) den Gelimer bei Tricamarum sagen
läfst, sein Heer sei den gegenüberstehenden (etwa 10000 Mann starken)
Byzantinern um das Zehnfache überlegen. Wenn man auch in Byzanz
zu Anfang des Krieges die Wandalen für so stark gehalten haben
mochte, so mufste der Verlauf der Expedition doch die Wahrheit
sehr bald an den Tag bringen.
Weitaus an Volkszahl überlegen waren die Römer. Diese
galten prinzipiell nicht als gleichberechtigt, sondern wurden als
Unterworfene behandelt, wenn sich auch ihre Lage zeitweilig etwas
günstiger gestaltete. Der schroflFe religiöse Gegensatz und die Tod-
feindschaft des hart betroffenen Adels haben eine Annäherung zwischen
beiden Nationalitäten verhindert.^) Eheschliefsungen zwischen Römern
und Wandalen waren ohne Zweifel streng verboten. Wenn trotzdem
aufserhalb der Wandalenlose die bisherigen Einrichtungen in der
Hauptsache bestehen blieben und selbst hohe Amter in den Händen
der Römer ^) belassen wurden, so geschah dies nur deshalb, weil die
Wandalen bez. ihre Herrscher mangels jeder staatlichen Begabung
eine Neuorganisation des gesamten Staatswesens nicht eintreten zu
lassen vermochten (vgl. darüber weiter unten).
Wesentlich anders war die Stellung, die die Mauren innerhalb
des wandalischen Reiches einnahmen. Als die Wandalen in Afrika
einbrachen, scheinen sie sich neutral verhalten zu haben; nach der
Eroberung des Landes traten sie zu den Siegern in engere Be-
ziehungen. Sie erkannten, wohl hauptsächlich durch die Kriegs-
thaten Geiserichs eingeschüchtert, die Oberhoheit der neuen Herren
an, behielten jedoch wie zur Römerzeit ihre Autonomie. Ihre Fürsten
empfingen aus den Händen der wandalischen Könige die Insignien
ihrer Würde.^) Der Einflufs der wandalischen Herrschaft war je
nach der geographischen Lage der Wohnsitze der einzelnen Stämme
ein verschiedener; in einem gröfseren Abhängigkeitsverhältnis stand
z. B. der Maurenfürst Kapsur, der über die Vorgänge in seinem
Gebiete an Geiserich Bericht erstatten mufste und von diesem Befehle
empfing (Vict. Vit. I, 35 ff.). Eine grofse Rolle spielten die Mauren
bei den religiösen Verfolgungen: zahlreiche Bekenner des katholischen
1) Diesen Antagonismus bringt besonders Vict. Vit. DI, 62 zum Ausdruck.
2) Diese mufsten jedoch, soweit sie in der Umgebung des Königs lebten,
in wandalischer Tracht erscheinen, wurden also gewissermafsen dadurch zu
Angehörigen des wandalischen Volkes gestempelt. Vict. Vit. ü, 9.
3) Prok. b. V. I, 26.
158 Vierteg Buch.
61anbens wurden ilmen zur Überwachung in der Wüste überwiesen.^)
Zu den auswärtigen Expeditionen stellten sie ein starkes Kontingent;
sie standen im königlichen Sold und hatten Anteil an der Kriegs-
beute (vgl. unten). Geiserich hat es verstanden, die wilden Stämme/
die, wie wir sahen, zur Zeit der wandalischen Invasion im voUen
Aufruhr waren, durch gütliche Mittel und Gewalt im Zaume zu
halten; unbotmäfsige Elemente liefs er nach Sardinien schaffen, wo
sich dieselben nachher so vermehrten, dafs sie (Barbaricini genannt)
wegen ihrer Raubzüge zu einer grofsen Plage för die Bewohner der
Insel wurden.^ Das Verdienst, das sich der König hierdurch
erworben, kann nicht hoch genug angeschlagen werden; ohne die
Dazwischenkunffc der Wandalen wäre sehr bald die Givilisation in
Afrika vernichtet worden, da das römische Reich nicht mehr im stände
war, die Einfälle der Barbaren abzuwehren. Freilich nach seinem Tode^
begannen die Mauren mit Erfolg das Joch abzuschütteln und ihre
Herrschaft immer weiter auszudehnen, so dafs schliefslich der gröiste
Teil des Landes in ihrer Gewalt sich befand. Bei dem Kampfe zwischen
Gelimer und Belisar verhielten sich die Fürsten neutral; doch hat
eine gröfsere Anzahl ihrer E[rieger im wandalischen Heere gedient.
Nur mit äufserster Krafbanstrengung gelang es den Byzantinern, sie
niederzuwerfen; aber der Krieg hatte den Wohlstand der Provinz
vernichtet, so dafs nun hier zwar Ruhe, aber die Ruhe des Fried-
hofes herrschte. Was in Afrika in jenen Zeiten an Denkmälern der
Kultur vernichtet worden ist, das ist nicht auf die Rechnung der
Wandalen, sondern auf die der Mauren zu setzen. Unversöhnliche
Feinde der Givilisation, sahen diese ihren Lebenszweck nur in Raub
und Zerstörung. Eine Ausnahme scheint nur der Fürst Masuna in
Mauretania Gaesareensis gemacht zu haben, dessen Regierungs-
thätigkeit durch die oben mitgeteilte Inschrift eine Beleuchtung
erfährt.8)
Was die wirtschaftlichen Verl^ltnisse der Wandalen in Afrika
anbelangt, so ist eine Veränderung in denselben gegenüber der
Niederlassung in Spanien nicht eingetreten. Die Landnahme
von 442 — die vom Jahre 435 trug ganz den Charakter
1) Dafs die Deportierten regelmäfsig Sklaven der Mauren geworden seien,
ist nicht gesagt; mit solchen Mengen hätten diese nichts an^Eingen können.
2) Vgl. Prok. n, 13 a. E. Cod. Just. I, 27, 2,8. Noch im Jahre 694 lebten
sie dort in grofser Zahl, vgl. Gregor. Magn. epist. IV, 25. 27 und die in der
Ausgabe der Mon. Germ, dazu citierte Litteratur.
3) Vgl. Diehl, p. 263 ff. und oben.
Innere Geschichte dee a&ikanischen Reiches. 159^
der spanischen — erfolgte^ wie wir sahen, naeh den Gfnmd-^-
sätzen des Eroberungsrechts^ nicht mehr auf Gh*und eisum Yer^-
trages mit dem römischen Reiche in der Form der Hospitalitätf
der grölste imd wertvollste Teil des ländlichen Güterbesitzes in der
Zeugitana wurde expropriiert und den einzelnen Haushaltungen über-
wiesen. Über die Einzelheiten fehlt es leider an näheren Angaben^
sicher aber ist die Organisation der römischen GmndbesitzYerhaltnissa^
nicht z^stört worden. Die Güter wechselten nur die Person der.
B^itzer^ sonst blieb es bei den früheren Zuständen. In die Villa
des römischen Gutes zog jetzt ein Wandale mit seiner Familie ein^)^
und wie bisher hatten die Kolonen die sdmldigen Abgaben an den^
Herrn oder dessen Stellvertreter abzuliefern und auf dem Hof lande'
Frohndienste zu leisten. Die einzelnen Lose können bei der verv
schiedenen Gröfse der zur Verteilung gelangten Wirtschaftseinheiten
schon von Anfang an nicht von gleichem umfange gewesen sein,
und der Unterschied wird sich im Laufe der Zeit durch Vererbung u, s.w.
noch verstärkt haben. Die Erträgnisse derselben sind jedenfalls im
Durchschnitt nicht unbedeutend gewesen, da sie die Entfaltung einer
üppigen Lebensweise im Volke auch nach Vermehrung der Kopfzahl
ermöglichten. Dafs bei der Landteilung die Beamten, d. h. der Dienst«
adel, vor den übrigen Freien besonders begünstigt worden sind, ist:
von vornherein anzunehmen; jenen fielen daher auch diejenigen Güter^
zu, die durch einen reichen Viehstand sich auszeichneten, der wie*
vor alters als besonders wertvoller Besitz geschätzt wurde. Die
Erzählung Victors v. V. 1, 35 zeigt, dafs der Reichtum des hier
genannten Tausendschaitsführers hauptsächlich in Viehherden bestand. .
Durch spätere Überweisungen aus dem Fiskalgute wird, wie ander-
wärts, der Grundbesitz der Günstlinge des Königs noch weiter an'
Umfang gewonnen haben. Die Verwaltung wurde wohl wie bisher
nur zum geringeren Teil von den neuen Herren selbst geführt, da
diese nicht über die zum Wirtschaftsbetrieb nötigen Kenntnisse ver-
fügten, auch durch Kriegspflicht und Hofdienst häufig zur Ab^
Wesenheit von ihren Gütern gezwungen waren, in der Begel vielmehr
durch Intendanten oder durch Konduktoren, die aus den früheren
Verhältnissen mit übernommen wurden. Die Beibehaltung des Ver-
paehtungssystems ist namentlich für die gröfeeren Güter, insbesondere
fttr die Domänen anzunehmen; VgL Vict. Vit. HI, 11, wo von con^
1) Vgl. dazu Prokop b. V. 11,6: %al ä^Lrivzo (isv avtmv ot noXXol (d.h. die
meiBten, die grofse Masse des- Volkes) iv na^^eiaois^ vdatmv m«1 divdQonv
160 Viertes Bnch.
ductores regalium praediorum die Rede ist. Die Besitzungen der
Königssöhne Theodericli und Hunerich scheinen entsprechend den
Gfütem der kaiserlichen domus divina nach den Erzählungen Victors
Vit. I, 44 ff., 48 ff. in eigener Regie verwaltet worden zu sein. Gleich-
wohl muls sich die Lage der Gutsunterthanen, wenigstens insoweit
sie direkt unter der Herrschaft der V7andalen standen, nicht un-
wesentlich verbessert haben. Zur Erscheinung kam dies schon in
Spanien, wie die oben erwähnte Erzählung des Orosius beweist;
wäre es anders gewesen, so würden die Wandalen bei ihrer Ankunft
in Afrika nicht so viele IVeunde gefunden haben. Daher denn auch
die bereitwillige Unterstützung, die Gelimer unter den Landleuten
fand, als er diese — es waren wohl hauptsächlich solche aus den
wandalischen Bezirken — gegen Belisar aufbot; es war ohne Zweifel
weniger der Einflufs der ausgeteilten Geschenke, als die Aussicht
auf Rückkehr der alten Zustände, die sie zur Parteinahme gegen
die Byzantiner bestimmte. Für diese Auffassung spricht auch der
Umstand, dafs viele depossedierte Possessoren es vorzogen, auf ihren
Gütern als Kolonen zurückzubleiben, statt aller Mittel entblofst in
Freiheit anderswo zu leben (Vict. Vit. 1, 14). Wäre ihre Lage nicht
ganz erträglich gewesen, so würde sich kaum jemand in die Ab-
hängigkeit der Feinde begeben haben. Trotz aller sonstigen Brutalität
entbehrten also auch die Wandalen nicht der den Germanen überhaupt
eigentümlichen Humanität. In die Verhältnisse, wie sie auf den in
römischen Händen verbliebenen Gütern bestanden^), scheinen die
Wandalen im allgemeinen nicht eingegriffen zu haben; doch haben
sie auch (im Gegensatz namentlich zu Theoderich d. Gr.) nichts
gethan, die Rechte der Grundbesitzer gegenüber den Kolonen zu
schützen und deren Flucht zu verhindern. Die Verordnung Justinians
vom 6. September 552 (Novell, app. 6; Corp. jur. civil. HI, 799), es
sollten die (gewils zahlreichen) Kolonen, die in der Wandalenzeit
ihre Scholle verlassen und unter den Freien sich aufgehalten Mtten,
nicht wieder ihrer früheren Stellung zugeführt werden, ist wohl
hierauf zu beziehen.
Die Stände bei den Wandalen waren auf serlich die gleichen wie
früher, in ihrem inneren Wesen jedoch teilweise stark verändert.
Dies gilt zunächst von dem alten Geschlechtsadel. Wie in anderen
germanischen Staaten so waren auch die Grundlagen desselben durch
1) Fortbestand des römischen Verpachtongssystems zeigt namentlich das
Religionsedikt Hunericlis Vict. Vit. m, 11.
Innere Geschiclite des afrikanisclien Reiches. 161
das Emporkommen des Königtums völlig erschüttert worden. Das
Volk, das dem Adel bisher seine bevorzugte Stellung verliehen hatte,
war von der Leitung des Staatswesens zurückgedrängt worden; allein
der König vermochte jetzt Würde und Macht zu verleihen. Nur wenn
sie in den königlichen Dienst eintraten, konnten die alten Geschlechter
sich Teile ihres früheren Ansehens bewahren; eine Stellung in der
Umgebung des Herrschers war aber jetzt jedem Stande, auch den
Unfreien, zugänglich. Die Mehrzahl der Adligen hat wahrscheinlich
jenen Schritt zu thun nicht verscjimäht; diejenigen von ihnen, die
sich ablehnend verhielten, verschwanden unter den übrigen Freien,
wenn auch in der ersten Zeit die Erinnerung an früher innegehabten
Vorrang ihnen im Auge des Volkes noch ein gewisses besonderes
Ansehen verleihen mochte.^) Zu den letzteren gehörten wohl jene
optimates, die, wie schon oben erwähnt, nach Prospers Erzählung
gegen Geiserich im Jahre 442 als Verfechter der Volksfreiheit in
zweimaligem fruchtlosen Aufstande sich erhoben.^) Es tritt jetzt
eine neue Aristokratie hervor, die auf den Königsdienst, nicht mehr
auf die Abkunft, sich gründete. Die nun in den Quellen auftretenden
nobiles gentis, doxtftot, aQxovtsg^ agiCtoi u. a. gehören ohne Zweifel
dem Dienstadel an, ebenso wie die edel Geborenen {sv yeyBvöreg),
die neben königlichen Verwandten unter den flüchtigen Begleitern
Gelimers von Prokop (11, 6) erwähnt werden und schwerlich als
Adlige im alten Sinne zu fassen sind, wie Dahn (Könige I, 236)
meint (vgl. weiter unten). Während nun anderwärts, wie namentlich
bei den Westgoten, dieser Dienstadel eine hervorragende Bedeutung
im politischen Leben zu erringen vermochte, ist im Wandalenreiche
von einer solchen Entwicklung wenig zu spüren: die Ausbildung
eines Oligarchentums ist durch den Einflufs des starken Königtums,
namentlich durch die gesetzliche Regelung der Succession verhindert
worden.
Auch auf den Stand der Gemeinfreien ist die Verschiebung der
Verhältnisse nicht ohne Einflufs gewesen. Die einzelnen Hausväter
waren erbliche Eigentümer der ihnen zugeteilten Grundstücke und
frei von jeder Steuer; aber infolge des Überganges der Gewalt der
Volksversammlung an das Königtum war ihre Bedeutung im öfifent-
1) Vgl. darüber Maurer, Über das Wesen des ältesten Adels der deutschen
Stämme (München 1846), S. 208 ff.
2) Vgl. Dahn, Könige I, 236. Schücking, Der Regierungsantritt (1899)
I, 24, N. 1. Anderer Ansicht ohne entscheidende Gründe v. Bethmann-
Hollweg, Der germ.-roman. Civilprozefs I, 135, N. 28.
Schmidt, Wandalen. h-*
162 Viertes Buch.
liehen Leben stark gesunken. Dazu kam^ dafs wahrscheinlich auch
hier die kräftigsten Elemente des Standes in dem neuen Dienstadel
aufgingen.^)
Die schon vorher beträchtliche Zahl der Unfreien oder
Knechte (servi, homines) war durch die Eroberung Afrikas^ die
späteren Plünderungszüge nach den Küsten des Mittelmeeres und
die Katholikenverfolgungen noch weiter vermehrt worden. Besonders
der Zug nach Rom hatte eine so gewaltige Menge Sklaven als Beute
gebracht^ dafs sie kaum imtergebracht werden konnte. Jeder einzelne
Wandale besafs deren eine gröfsere Zahl, besonders natürlich die
Vornehmen. Vgl. Vict. Vit. I, 14 S., 24 ff. 30. III, 31. 59, Malchus
fragm. 3. Zum grofsen Teil waren sie als Gutsverwalter oder sonst im
Haushalt des Herrn in verschiedenen Funktionen beschäftigt. Die
von Vict. Vit. I, 30 erwähnte Sklavin Maxima leitete das ganze Haus-
wesen eines Tausendschaftführers, während der Knecht Martinianus
bei demselben das Amt eines Waffenschmiedes versah. Jene Elasse
der unfreien nahm eine bevorzugte Stellung ein. Die niedrigste
Stufe des Standes bildeten die zu Feldarbeiten und dergl. verwendeten
Sklaven. Vict. Vit. I, 44 wird Armogast, der am Hofe des Königs-
sohnes Theoderich angestellt war (Theodericus, qui eins dominus
erat), zum Erdarbeiter und Kuhhirten degradiert. Prosper c. 1329
wird der Knabe Paulillus ad infimam servitutem verurteilt. Doch
galten die unfreien sämtlich nicht als Person, sondern als venLuJGser-
liche (Vict. I, 35. 48) Sache. Der Herr verfügte über ihre Ehe-
schlielsungen (1,32 f.) und konnte sie nach Belieben strafen (töten,
ins Gefängnis werfen, foltern I, 33. 44); in dieses Strafrecht griff
jedoch der König vielfach ein, wenn es sich um Vergehen von
politischer Bedeutung handelte (I, 36 ff., vgl. HI, 31 : diversitates
poenarum, quas ex iussu regis sui etiam ipsi Wandali in snos
homines, d. h. Sklaven, nicht etwa, wie Zink übersetzt: Leute des
eigenen Volkes, exercuerunt). Einer besonders günstigen Stellung
erfreuten sich hier wie anderwärts die Knechte am königlichen Hofe,
die zu den höchsten Ämtern aufsteigen konnten: so wurde Godas,
ein Unfreier (ßovXog), von Gelimer zum Statthalter der Inseln im
Mittelländischen Meere ernannt (Prok. b. V. 1, 10). Ein regius servus
Abcar wird in einem Gedichte der Anthologie (no. 209 Biese) gefeiert.
Eine Zwischenstellung zwischen Freien und Kiiechten nahmen die
persönlich freien, aber an die Scholle gefesselten Kolonen ein, deren
1) Vgl. Brunner I, 253.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 153
rechtliche Stellung im allgemeinen anerkannt worden zu sein scheint.
Die zahlreichen römischen Possessoren und Geistlichen^ die nach
Yict. Vit. auf ihrem bisherigen Eigentum und in ihren früheren
Wohnsitzen zurückblieben^ werden wohl zum gröfsten Teil in den
Kolonat eingetreten sein (vgl. oben). Die Bischöfe, die den Schwur
geleistet hatten, dafs sie die Nachfolge Hilderichs anerkennen wollten,
wurden zur Bebauung von Ackern colonatus jure verurteilt,
während die übrigen mit Sklavenarbeiten (Fällen von Bauholz)
beschäftigt werden sollten.
Die tiefgehendsten Wandlungen hat das Königtum durchzumachen
gehabt. Durch die Verhältnisse auf der Wanderung und die Er-
oberung Afrikas gewaltig erstarkt, hat die Macht desselben unter
dem Einflufs des römischen Rechts, dessen die Herrscher zunächst
den unterworfenen Römern, sodann aber auch vielfach den eigenen
Volksgenossen gegenüber sich bedienten, eine weitere Steigerung
erfahren. So vollzieht sich die Entwicklung in der Art, dals das
wandalische Königtum, wenn auch aus germanischer Wurzel ent-
sprossen, schliefslich sich in seinem inneren und äufseren Charakter
wenig von dem römisch -byzantinischen Absolutismus unterscheidet.^)
Der offizielle Titel des Königs war rex Wandalorum et Alano-
rum: so nennt sich Hunerich in den Verordnungen Vict. II, 39. III, 3
und Gelimer in der Inschrift auf dem oben erwähnten wandalischen
Beutestück, vgl. auch Prok. b.V. I, 24: ä Bavdiltov ts xal l4kav(ov
ßaCikev (Tzazos Anrede an den König). Hierauf bezieht sich auch
Anthol. lat. n. 215 von König Hilderich: gemini diadematis heres.
Daneben war die Bezeichnung dominus noster rex im Gebrauch, und
zwar auf Münzen bei den Nachfolgern Hunerichs D(ominus) n (oster)
rex (ebenso auf Inschriften C. I. L. n. 2013. 10516. 10862 [Domnus
Geilimer]; Schwarze, Afrikanische Kirche S. 64), bei den Schrift-
stellern jedoch schon früher. Vict. Vit. I, 20 wird auch Geiserich von
Sebastianus domine rex angeredet*), doch beruht dies wohl auf Über-
tragung späterer Verhältnisse. Ferner Vict. II, 3: domnus; H, 44: dom-
nus meus rex; HI, 17. 19: dominus noster rex; HI, 20: filius donmi
nostri (sämtlich von Hunerich). Pulgentius, Myth. ed. Helm p. 5, 14:
domini regis; Dracontius, Satisf. v. 107: regi dominoque (von Guntha-
1) Von einem unvermittelten Auftreten des königlichen Absolutismus,
wie Halban I, 81 will, kann jedoch keine Rede sein.
2) Die Angabe des Theophanes chronogr. a. 5941 , Geiserich habe sich (nach
der Eroberung Karthagos) rex genannt (J^riyu %aXiactg savtbv)^ beruht wohl auf
einem MiTsverständnis.
164 Viertes Buch.
mund). Anth. 203: dominus rex (von Hilderich). Die Bezeichnung
dominus beruht offenbar auf Entlehnung aus dem Titel der römischen
Kaiser^) und ist schwerlich nationalen Ursprungs. Auf den erhaltenen
Münzen Hunerichs wird dieser Augustus genannt.^) Einmal erscheint
auch der Ausdruck maiestas regia (Yict. III, 3), femer dementia nostra
(ibid.), pietas nostra (III, 12), von Hunerich selbst gebraucht, während
die (römischen) Unterthanen zur offiziellen Titulatur die Prädikate
pius (Dracont. v. 110. 193 von Gunthamund), clementissimus
(Vict. n, 42 von Hunerich; Pulg. adv. Thrasim. I, 2 von Trasamund),
gloriosissimus (Concil. a. 525 von Hilderich) hinzufügen, von regalis
Providentia sprechen (Vict. HI, 41) und den König mit vestra celsi-
tudo (Fulgent. a. a. 0. 1, 1), benigna mansuetudo (ib. I, 2) u. s. w. an-
reden.
Über die Abzeichen der königlichen Gewalt ist wenig bekannt.
Die Bilder auf den erhaltenen Münzen, die die wandalischen Herrscher
sämtlich mit dem Stirnband und dem Purpurmantel darstellen, bieten
keine sichere Handhabe, da sie nach römischem Muster hergestellt
sind. Das lang herabwallende Haupthaar war in ältester Zeit ein
hauptsächliches Kennzeichen des Königs sowie seiner Sippe und ist
es wohl auch nach der Begründung des afrikanischen Reiches noch
längere Zeit geblieben. Dasselbe finden wir bei den Merowingern wie
auch bei dem Ostgotenkönig Theoderich, dessen Haartracht auf einem
neuerdings gefundenen Medaillon deutlich zur Erscheinung gelangt.^
Dafe die Wandalenkönige wenigstens in älterer Zeit an der her-
gebrachten Tracht festhielten, darf man wohl daraus entnehmen, dals
die Hofbeamten Hunerichs, auch die römischer Geburt, in specie
suae gentis*) erscheinen mufsten. Gelimer trug wie der Kaiser das
Purpurgewand; im Hippodrom zu Byzanz wurde ihm dasselbe ab-
genommen, um ihn äufserlich seiner Würde zu entkleiden (Prok. H, 9).
Ein Sinnbild des Königtums war femer der Thron, dessen beim Ein-
zug Belisars in Karthago Erwähnung geschieht (Prok. I, 20 p. 394B).
Von sonstigen Abzeichen, wie Speer, Stab, Krone u. s.w., verlautet
dagegen nichts. Von den Königinnen wird bemerkt, dafs sie in be-
sonderen, kostbaren Wagen auszufahren pflegten (Prok. H, 9.) ^)
1) Vgl. dazu Mommsen, Rom. Staatsrecht ü', 2 S. 737 ff.
2) Friedländer, Münzen d. Vandalen S. 8. 18 ff.
3) Vgl. Sallet, Handbücher der kgl. Museen zu Berlin. Münzen u. Medaülen
(1898) S. 101.
4) Vict. Vit. n, 9.
5) Über Gefolge u. Hofhaltung vgl. unten.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 165
Die Thronfolge^) war durch das sogenannte Testament Geise-
richs gesetzlich geregelt. Die Hanptquellenstelle darüber ist Prokop
b. V. I, 7: ,, Geiserich hatte ein Testament {diad-i^ag) gemacht, worin
er aufser vielen anderen Dingen verordnete, dafs die Eönigsherrschaft
über die Wandalen immer auf denjenigen übergehen sollte, der aus
der männlichen Nachkommenschaft zu dem Geblüte Geiserichs gehöre
und von allen seinen Verwandten dem Alter nach der erste sei."
Hierzu tritt noch eine kürzere Angabe bei Jordanes (Get, c. 33 § 169).*)
Der Ausdruck Testament ist auch in dem Briefe Justinians an
Gelimer (Prok. II, 9 p. 351, li) gebraucht; richtiger ist es, wenn
Vict. Vit. n, 13 von einer constitutio Geiserici spricht und auch
Justinian in demselben Briefe weiter unten (p. 351, 20) die Bezeich-
nung vorlog Fl^sqlxov a4wendet; denn Wort und Begriff des Testa-
ments waren dem Sprachschatz und Recht der Wandalen fremd.*)
Der Erlafs des Gesetzes fällt wohl in die Zeit kurz vor 477, als der
greise König sein Ende nahen fühlte; dafür spricht namentlich die
Bemerkung des Jordanes a. a. 0.: ante obitum suum . . . ordinavit,
was wohl in dem Sinne: nicht lange vor seinem Tode zu verstehen
ist. Die Chronologie der Erzählung Prokops (I, 7), die Dahn (Bau-
steine 223) als Beleg hierfür anführt, ist nicht beweiskräftig; denn
Prok. gedenkt des Testaments nicht kurz vor, sondern nach Er-
wähnung des Todes Geiserichs, um die folgende Darstellung ein-
zuleiten. Das Wandalenreich war der erste und auf lange Zeit hin-
aus der einzige Staat, in dem' die Idee einer dauernden Ordnung der
Succession zur Verwirklichung gelangte. Mit Recht wird daher das
Hausgesetz Geiserichs zu den merkwürdigsten staatsrechtlichen Er-
eignissen der Geschichte gezählt; dasselbe bildete schon für die Zeit-
genossen den Gegenstand lebhaften Interesses und der Bewundertti^.
Geiserich betrachtete sich, nachdem er in den Vollbesitz der mon-
archischen Gewalt gelangt war, als Neubegründer des wandalischen
Königtums, als Stifter einer Dynastie*), ganz ebenso wie der Franks»
Ghlodowech; die Herrschergewalt galt als ein Erbgut seiner Familie,
über das dem Volke kein Verfügungsrecht mehr zustand. Die übrigen.
Asdingen waren also von der Thronfolge ausgeschlossen; doch waren
1) Vgl. namentlich Herrn. Schnlze, De tesfcamento Genserici, Jen. 1859. Der-
selbe in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte VE (1868), 341 ff. Dahn, Könige
I, 228 ff. Derselbe, Bausteine n (1880), 213 ff. v. Pflugk-Harttnng in der Zeit-
schrift der SavignyBtiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. XI (1890), 182 ff.
2) Über die Stelle Vict. Vit. II, 13 vgl oben.
^ • 3) Dahn, Bausteine S. 219.
4) Vgl. die Stellen bei Schulze p. 89 n. 64.
166 ViiBrfceß Buch.
bei dem Erlafs der Successionsordnung Angehörige dieses Geschleclits
aufser den Descendenten des Königs wahrscheinlicli nicht mehr am
Leben. Die Söhne Gunderichs hatte er mitsamt ihrer Mutter wohl
schon früher aus dem Wege schaffen lassen^ um etwaigen von dieser
Seite hervortretenden Ansprüchen vorzubeugen.^) Da aber bei dem
Vorhandensein mehrerer Erbberechtigter die Gefahr eines Zerfalls
des ohnehin in wenig gesicherter Lage befindlichen Wandalenreiches
in einzelne Teile bestand^ so setzte Geiserich das Prinzip der Indi-
vidualsuccession fest; femer verfügte er, dals die £j*one an den
jeweils Ältesten aus seiner männlichen Nachkommenschaft überzugehen
habe.^ Durch diese letztere Bestimmung sollte die Regierung eines
minderjährigen, waffenunfahigen Königs, die ebenso wie die Herr-
schaft einer Frau dem kriegerischen Charakter des Volkes wider-
sprach, nach menschlicher Voraussicht unmöglich gemacht werden.
Vorbildlich bei der Schaffung des Gesetzes sind jedenfalls die bei den
Wandalen bisher in Geltung gewesenen Grundsätze gewesen: Un-
teilbarkeit des Reiches, Nachfolge im Mannesstamme und AusschluJs
minorenner Mitglieder des asdingischen Geschlechts von der Königs-
wahl. Wir sahen, dafs Geiserich seine Erhebung seiner Kriegstüchtig-
keit und dem Umstände verdankte, dafs die Söhne Gunderichs noch
im Kindesalter sich befanden. Dafs Geiserich das Seniorat von den
benachbarten Mauren entlehnt habe^), halte ich f^r nicht wahrschein-
lich, ganz abgesehen davon, dafs mit Sicherheit die Existenz desselben
bei dieser Nation sich nicht nachweisen läfst. Das wandalische Haus-
gesetz ist vielmehr als eine originale Schöpfung anzusehen.^)
Bis zum Ende des Reiches ist dasselbe in voller Geltung ge-
blieben. Auf Geiserich folgte zwar dessen ältester Sohn Hunerich,
diesem jedoch folgten nacheinander zwei seiner Neffen, Gunthamund und
Trasamund, und erst nach des letzteren Tode Hunerichs Sohn Hilde-
rich. Bemerkenswert ist es, dafs Hunerich in seinem Bestreben, seinem
Sohne die Krone zu verschaffen, nicht offen gegen die Successions-
ordnung aufzutreten wagte, sondern dieselbe zu umgehen versuchte,
indem er nach und nach alle Thronanwärter, die älter als Hilderich
1) Vict. Vit. n, 14. Die Witwe GunderichB ward im Flusse Amsaga in
Nomidien ertränkt.
2) D. h. nur an die Descendenten männlichen Geschlechts, die durch M&nner
mit Geiserich verwandt waren.
3) Schulze p. 21.
4) Für den germanischen Charakter Mommsen, Neues Archiv XTV, 640 N. 1.
Dagegen ohne Angabe von Gründen Halban I, 82.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 167
waren^ aus dem Wege räumen liels.^) Gelimer gelangte dagegen auf
direkt ungesetzlichem Wege zur Krone, da dem Volke ein Recht zur
Absetzung des Königs nicht mehr zustand; seine Bemühungen, Justinian
gegenüber sich als legitimen Herrscher hinzustellen, waren verfehlt.
Nach dem oben Bemerkten ist es höchst unwahrscheinlich, dafs
Geiserich bei dem Erlafs des „ Testaments ^^ das Volk um seine Zu-
stimmung befragt habe (vgl. auch weiter unten); da die königliche
Herrschaft als Familiengut angesehen wurde, kam nur eine Aus-
einandersetzung mit den Söhnen in Frage.*) Die letzteren aber konnten
um so eher ihr Einverständnis erklären, als die Möglichkeit ihrer
Succession nicht direkt, wie bei der Primogenitur, ausgeschlossen
wurde. Wenn an dem Hausgesetze so lange festgehalten wurde, so be-
ruhte dies lediglich auf dem tiefgewurzelten Ansehen der machtvollen
Persönlichkeit Geiserichs; von dessen Gefolgsgenossen war daher auch
in erster Linie ein energischer Widerstand gegen eine Verletzung
der Successionsordnung zu erwarten. So verstehen wir es, wenn
Victor Vit. (H, 15) erzählt, Hunerich habe zahlreiche angesehene Per-
sönlichkeiten, insbesondere solche, die ihm sein Vater auf dem Sterbe-
bette unter Eidesabnahme empfohlen, hinwegräumen lassen. Auch
Gelimer vermochte nur dadurch die Herrschaft zu erlangen, dafs er
auf den angeblichen Versuch Hilderichs, das Hausgesetz Geiserichs
umzustöfsen, Bezug nahm und damit den Wandalen gegenüber die
Bechtmäfsigkeit der Absetzung des Königs begründete.
Das Wandalenreich würde ohne die erfolgte Regelung der Thron-
folgefrage bei den unvermeidlichen Erbteilungen wahrscheinlich viel
früher, als es thatsächlich geschah, den Untergang gefunden haben,
eine leichte Beute seiner mächtigen Feinde geworden sein, und in-
sofern ist das günstige urteil, das Jordanes über die Wirkungen des
Hausgesetzes fällt, nicht ohne Berechtigung. Die Mängel, die der
Succession nach Seniorat notwendigerweise anhaften, sind jedoch auch
hier von unheilvollem Einflüsse gewesen. Eine solche Erbordnung
steht dem natürlichen Verlangen des Vaters, seinem Sohne die Krone
zu hinterlassen, entgegen und macht den einer entfernten Linie an-
gehörigen präsumtiven Thronerben leicht zum Rivalen des regierenden
Königs. Hunerichs blutiges Vorgehen gegen seine Verwandten, das
1) Später scheint Hunerich allerdings die Absicht gehabt zu haben, seinen
Sohn nach römischem Brauch bei Lebzeiten zum Nachfolger zu designieren;
darauf deutet der Eid, den er nach Vict. Vit. lU, 19 den katholischen Bischöfen
und wohl auch den Wandalen auferlegte.
2) Jord. a. a. 0.: filiorum agmine accito.
168 Viertes Buch.
seinem Sohne die Nachfolge sichern sollte, hat ohne Zweifel nicht
wenig dazu beigetragen, die innere Kraft des Reiches zu schwächen.
Der zweite Übelstand trat bei der Succession Gelimers hervor und
wurde indirekt der Anlafs zur Einmischung der Byzantiner und zum
Sturze der wandalischen Herrschaft. Es darf hierbei jedoch nicht
aufser acht gelassen werden, dafs Justinian, wenn er nicht die Ver-
letzung des Hausgesetzes hätte vorschieben können, einen anderen
Vorwand gefunden haben würde, in die Geschicke des Wandalen-
reiches einzugreifen.
Es ist sehr zu bedauern, dafs das Testament Geiserichs nicht in
seinem vollen Wortlaut überliefert ist. Dafs in demselben zahlreiche
uns unbekannte Vorschriften getroffen waren, ergiebt sich aus der
oben mitgeteilten Stelle Prokops: iv alg aXXa xs %oXXä BavdtXoig
iitieKr^te. Gleichwohl wäre es verfehlt, eine Bicchtsaufzeichnung im
Sinne der erhaltenen germanischen Volksrechte anzunehmen: nament-
lich ist es ausgeschlossen, an eine Kodifikation des Privatrechts zu
denken. Es kann sich vielmehr nur um Bestimmungen handeln, die
mit der Succession in Zusammenhang standen. So ist wahrscheinlich
die Frage der rechtlichen Stellung der nichtregierenden Glieder des
asdingischen Hauses, für die Prokop den technischen Ausdruck ävstlfcoi.
Vettern, gebraucht, geregelt worden. Dafs diese gewisser Vorrechte
vor den übrigen Adligen teilhaftig waren, ergiebt sich aus ver-
schiedenen Zeugnissen: ihnen wurde die Führung gröfserer Truppen-
abteilungen, die Leitung kleinerer Expeditionen sowie auch zeitweilig
der Oberbefehl über das ganze Heer in Stellvertretung des Königs
übertragen, vgl. die Rolle, die unter Hilderich Oamer und Oageis
(von letzterem heifst es Anthol. lat. 345, 15: Libyam dum protegit
armis) und unter Gelimer Tzazo, Ammatas und Gibamund spielten.
Ferner hatten sie eigene, den königlichen nachgebildete Hofhaltungen,
über die jedoch der König eine gewisse Gewalt ausübte^), und waren
mit reichen Einkünften ausgestattet. Aus Anth. 369 darf vielleicht
geschlossen werden, dafs ihnen das Prädikat domnus zukam. Sonst
aber nahmen sie, auch die nächsten Anverwandten des regierenden
Königs, diesem gegenüber ganz die Stellung der übrigen Unterthanen
ein: Gelimer wird von seinem Bruder Tzazo mit dem feierlichen Titel
o BavävXov xs xal 'JXaväv ßaacXev angeredet (Prok. 1,24).
1) Vgl. Vict. Vit. I, 43 : Geisericus prsBceperat ut intra aiüam suam filiommque
suorum nonnisi Arriani ponerentur. Schulze test. p. 23. Vgl. dazu auch Malcb.
fr. 3, wo Geisericli die Sklaven seiner Söhne verschenkt.
Innere Geschichte des a&ikanischen Reiches. 169
Ebenso wird auch eine Anordnung über die Art des Regierungs-
antrittes getroffen gewesen sein. Die Herrschergewalt gelangte durch
den Tod des Königs eo ipso wie jedes andere Erbgut in den Besitz
des Thronfolgers; doch ist es üblich gewesen, den Übergang derselben
auch äufserlich durch einen feierlichen Akt vor der Öffentlichkeit zu
konstatieren. Wichtig ist hierfür das Zeugnis des Victor von Tonnena
a. 523, wo es heilst, Hilderich habe nach Trasamunds Tode dem ihm
abgenommenen Eid zuwider, priusquam regnaret, der katholischen
Kirche ihre Freiheit zurückgegeben.^) Wie der Hergang im einzelnen
gewesen ist, wissen wir nicht; wahrscheinlich wird in Gegenwart des
gesamten Adels der oberste Reichsbeamte dem neuen König die Ab-
zeichen seiner Würde überreicht, dieser hierauf den Thron ein-
genommen und die vollzogene Übernahme der Herrschaft mündlich
verkündet haben. Die Annahme, dafs eine aUgemeine Huldigung der
Unterthanen unter Ablegung eines Treueides sich angeschlossen habe,
ist bei dem Charakter des Hausgesetzes ausgeschlossen. Auf die ge-
schilderte Weise mögen Hunerich, Gunthamund, Trasamund und
Hilderich zur Regierung gelangt sein, und nicht viel anders ist es
wahrscheinlich bei der Succession Gelimers zugegangen, da dieser ja
nicht eigentlich durch eine Wahl des Volkes, sondern ebenfalls nach
den Bestimmungen des Hausgesetzes den angeblich erledigten Thron
einnahm.
Vorschriften betreffend die Ebenbürtigkeit der Ehen der Asdingen
imd die Successionsfahigkeit der aus nicht ebenbürtigen Verbindungen
entsprossenen oder gar unehelich geborenen Kinder scheint das
Testament dagegen nicht enthalten zu haben; vielmehr wurden wohl,
alter Anschauung entsprechend, stillschweigend alle Nachkommen
Geiserichs, gleichviel welcher Abstammung, wenn sie nur vom Vater
anerkannt waren, als berechtigt angesehen, das Szepter zu führen.
War doch Geiserich selbst von einer Konkubine des Königs Godigisel
geboren. Ebenbürtig vermählt waren, soweit wir wissen, nur Hunerich
und (in zweiter Ehe) Trasamund. Die Frauen der übrigen Asdingen
stammten vermutlich zum gröfsten Teil aus verschiedenen Standen
des eigenen Volkes.
Der Inhalt der königlichen Gewalt bestand in dem Heerbann,
dem Repräsentationsrecht, der Gerichtshoheit, der Gesetzgebungs- imd
Verordnungsgewalt, der Amtshoheit, dem Finanz- und Polizeibann,
der Kirchenhoheit. Von einer Mitwirkung des Volkes, d. h. des
1) VgL Schücking, Der Regierungsantritt I (Leipzig 1899) S. 28 f.
170 Viertes Buch.
wandalischen — die Römer kamen natürlich nicht in Frage — bei
der Regierung ist keine Rede mehr. Die Entwickelung zum Ab-
solutismus erscheint abgeschlossen im Jahre 442: die Adligen^ die
sich damals zweimal gegen den die Grenzen seiner Macht über-
schreitenden (superbientem) König erhoben, wurden mit einem
grofsen Teil der Volksgenossen hingerichtet. Vgl. dazu auch Vict.
Vit. 1, 18: Subinde crescente opibus regno maior coepit et superbia
propagari. So kann es Geiserich wagen, das Wahlrecht des Volkes
zu beseitigen und die Thronfolge in seinem Hause gesetzlich fest-
zulegen. Das Fehlen einer Volksversammlung zur Entscheidung
pglitischer Fragen zeigt deutlich die Erzählimg des Malchus fragm. 3
von den Friedensverhandlungen des Jahres 476 (vgl. oben). Die
Wandalen werden wie die Romanen offiziell als subiecti, d. h. des-
potisch regierte ünterthanen bezeichnet^): universis populis nostro
regno subiectis, Vict. Vit. III, 3; über beide Nationen übt der König
in gleicher Weise eine arbiträre Strafgewalt aus, ohne auf den
geringsten Widerstand zu stofsen. So namentlich Hunerich, der den
Patriarchen Jucundus öffentlich verbrennen läfst, während Geiserich,
wie es scheint, anfänglich bei solchen Gewaltakten auf die Volks-
stimmimg Rücksicht nehmen mufs: so ist es wohl zu erklaren, dafs
er die Witwe seines Bruders in dem entlegenen Flusse Amsi^
ertränken liefe. Der Ursprung der königlichen Gewalt wird auf
Gott zurückgeführt (Gottesgnadentum) : vgl. Jord. Get. c. 33, 169:
(Gyzericus) a divinitate, ut fertur, accepta auctoritate diu regnans.;
Vict. 11,39: in provinciis a deo nobis (Hunerich) concessis; ibid. 111,14:
regionibus . . . quae propitia divinitate imperii nostri regimine possi-
dentur.^) Der herrschende Mittelpunkt im Staate ist der König und
sein Hof; die Aufuahme in die königliche amicitia^), der Zutritt zmn
Palast gilt als das höchste erstrebenswerte Ziel (Pass. mart. § 8. 12).
Dagegen kann der König über das Privateigentum der Wandalen
und die Verteilung der Kriegsbeute nicht eigenmächtig verfügen
(vgl. weiter unten). Von diesem Gesichtspunkte aus ist zu beurteilen
die Erzählung Prokops (I, 22) von einer Volksversammlung, die
Geiserich berief, als die Gesandten der in Ungarn zurückgebliebenen
Wandalen die Volksgenossen in Afrika zum Verzicht auf die Besitz-
1) Kariowa, Rom. Rechtsgesch. I, 894. Vgl. bei den Goten Dahn, Könige
VI *, 512. Oben S. 166.
2) Ähnlich bei den Westgoten Dahn a. a. 0. 617.
3) Ganz im römischen Sinne, vgl. dazu Kariowa I, 511. Doch vgl. Branner,
Eechtsgesch. ü, 261.
Innere Geschichte des a£rikanischen Reiches. 171
rechte an den von denselben früher bewirtschafteten Ländereien auf-
forderten: König und Volk stimmen dem Ansinnen zu; aber als ein
angesehener Wandale auf die Notwendigkeit, sich eine Zufluchtsstätte
zu sichern^ hinweist^ entscheidet Geiserich in abschlägigem Sinne.
Nur über die Abtretung der Privatrechte des Volkes beschliefst also
der König nicht selbständig; im übrigen wird die Zustimmung der
Versammlung nicht eingeholt. Die Wandalen machen sich zwar
über den König und seinen Batgeber lustig^ wagen aber keinen
offenen Widerspruch. In dem oben erwähnten Bericht des Malchus
sagt Geiserich^ er habe nicht die Macht, sein Volk zu zwingen, die
diesem zugefallenen Kriegsgefangenen zurückzugeben.^) Aus derselben
Stelle ergiebt sich, dafs die Kriegsbeute unter König und Heer durch
das Los verteilt wurde*); ersterer hatte also nicht das Recht, für
sich ohne weiteres das wegzunehmen, was ihm gefiel. Wir müssen
hiemach annehmen, dafs bei der Landnahme der Wille des Volkes
(exercitus, vgl. Vict. 1, 13) von Einfluls gewesen ist, wenn auch
wegen der dabei in Frage kommenden politischen Momente das
Königtum eine wesentliche Rolle gespielt haben mufs.*)
Kriegswesen.*) Der König führt den Oberbefehl über die
Truppen und erläfet das Aufgebot zur Heerfahrt an die waffenfähigen
Freien. Es gilt als ungehörig, wenn derselbe dauernd die Leitung
des Kriegswesens aus der Hand giebt, wie dies bei Hilderich der
Fall war, dessen Sturz hierdurch auch befordert wurde. Die Gliederung
des Heeres war dieselbe wie die des Volkes: in Tausendschaften unter
ihren Chiliarchen oder Millenarien imd Hundertschaften, vgl. Prok.
n, 3 (p. 421) und Vict. Vit. I, 30. Gröfsere Truppenabteilungen
wurden unter besonders vom König ernannte Befehlshaber gestellt,
die in der Regel zu den königlichen Verwandten zählten: Tzazo
befehligt fünf, Gibamund zwei Tausendschaften (Ammatas wahr-
scheinlich ebensoviel); die Expedition nach Italien im Jahre 457
führte ein Schwager Geiserichs.
Wir haben oben gesehen, dafs die Wandalen schon in ihren
Sitzen an der Theifs ein Reitervolk waren, u^d dies sind sie auch
in Afrika, wo ihnen ein vortreffliches Pferdematerial zur Verfügung
1) avtbe ö'ocv ov SwaCyi^riv ov% i&iXovTccg zavxa rovg slXrjtpitrag ßidaaad'ai,
2) ovg (ihv avv toig i^oig vtsai tmv alxfi'CiXcoToav aniXaxov . . . r^v 6\ %b
nXri^og . . . yiatsvs^^ccto ^oiqocv . . . Vgl. aucli Vict. Vit. I, 25: Dividentes
Wandali et Mauri ingentem popnli qnantitatem.
3) Vgl. im allgemeinen Bethmann- Hollweg, Civilprozefs IV, 136, Halban
a. a. 0. 1, 81 ff.
4) Vgl. bes. v.PflTigk-Harttung, Hist. Ztschr. 61, 74 ff.
172 Viertes Buch.
stand, geblieben. Der Fulskampf war ihnen völlig ungewohnt; selbst
auf die Raubzüge über See nahmen sie ihre Bosse mit (Apoll. Sid.
carm. Y, 399. 423). Ihre Ausrüstung^) bestand hauptsächlich aus
Stofslanzen und Schwertern^); auf den Pernkampf waren sie dagegen
nicht eingerichtet, wenn auch der Gebrauch von Pfeil und Bogen
sowie von Wurfspeeren ihnen nicht völlig fremd gewesen ist.^)
Schutzwafifen, wie Panzer und Schilde, scheinen ihnen fast völlig
gefehlt zu haben.*) Diese Mängel treten in den Kämpfen mit den
Mauren und Byzantinern deutlich hervor und haben nicht wenig zu
dem Untergänge des Reiches beigetragen. Die unter Trasamund
gegen die Mauren gelieferte Schlacht endete mit der Niederlage der
Wandalen, weil diese ihre durch den Geruch der Kameele scheu
gewordenen Pferde nicht an die feindliche Stellung heranzubringen
vermochten und, selbst ohne- Femwaffen, den Geschossen der Gegner
wehrlos preisgegeben waren. So erklärt es sich, wenn Gelimer bei
Tricamarum den Seinen befiehlt, nur mit dem Schwerte, ihrer
Hauptwaffe, zu kämpfen. Die wohlbewafl&ieten, namentlich durch
Panzer geschützten Byzantiner waren ihnen daher in dieser Hinsicht
stark überlegen. Erfolge konnten die Wandalen imter solchen Um-
ständen nur durch die Wucht des ersten Angriffs und eine fort-
dauernde Beunruhigung des Feindes erzielen. Die Eroberung Afrikas
ist wesentlich durch die Schnelligkeit ihrer Pferde, die völlige Über-
raschung der Römer zu stände gebracht worden. Eng mit diesen
Verhältnissen hängt die gänzliche Unfähigkeit der Wandalen in der
Belagerungskunst zusammen; Karthago konnte von ihnen nur durch
Überrumpelung eingenommen werden, während die meisten anderen
befestigten Städte lediglich durch Hunger, Seuchen u.s.w., die unter
der Einwohnerschaft ausbrachen, in ihre Hände fielen. Den Mauren
konnten sie, wenn sich diese in die Berge zurückzogen, als Berittene
nicht beikommen (vgl. Coripp. Joh. IH, 198 ff.). Geiserich liefs deshalb
die Befestigungen der meisten Ortschaften schleifen, um zu verhüten,
dafs sich Feinde darin festsetzten, deren Vertreibung viele Zeit und
1) Feldzeichen im wandalischen Heere werden erwähnt Coripp. Joh. m, 286 ff.
2) Die Kunst, Waffen zu verfertigen, ward bei den Wandalen besonders
geschätzt, vgl. Vict. Vit. I, 30. Die von Papencordt S. 261 aus Cass. var. V, 1
gebrachten Belege sind zu streichen, da hier nicht von den Wandalen, sondern
von den Warnen die Rede ist.
3) Vgl. Vict. Vit. I, 41 f. Apoll. Sid. carm. V, 400 ff.
4) Panzer werden allerdings erwähnt von Sid. Apoll, carm. V, 399: pars
ferrea texta concolor induitur. Doch ist auf diese Stelle schwerlich viel Grewicht
zu legen.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 173
Opfer gekostet haben würde; denn bei der geringen Zahl der Wan-
dalen war es nicht möglich, in alle Städte Garnisonen zu legen.
Nur Karthago, femer Hippo regius (wird noch unter Gelimer eine
feste Stadt genannt, Prok. 11, 4), sowie wahrscheinlich Caesarea
(Prok. II, 5) und das Kastell Septem, die zugleich als Stationen für
die Flotte von Wichtigkeit waren, behielten ihre Mauern und waren
mit starken Besatzungen belegt; von diesen Stützpunkten aus konnten
bei dem trefflichen Strafsensystem die Schwadronen mit grofser
Schnelligkeit nach den verschiedenen Reichsteilen dirigiert werden.
Anderwärts scheinen sich keine Truppenstationen befunden zu haben,
auTser (anfänglich) in Tripolis (vgl. Prok. I, 6, p. 337), sowie auf
den Inseln des Mittelländischen Meeres (zu Sardinien vgl. Prok. I, 6.
10. 24).^) Unter den Nachfolgern Geiserichs geriet jedoch dieses
Defensionssystem in Verfall; zur Zeit Gelimers waren die Befestigungen
Karthagos zum grofsen Teil eingestürzt, das tingitanische Mauretanien
war längst völlig aufgegeben; auch in Tripolis befanden sich keine
Wandalen mehr, wie die Erzählung von dem Abfall dieser Provinz
beweist (Prok. I, 10).
Von weitaus gröfserer Bedeutung als das Landheer war die
wandalische Flotte.^) Die Anfänge der letzteren gehen, wie wir
sahen, auf die Zeit der Niederlassung in Spanien zurück. Die
Schiffe, auf denen sie von hier aus nach den Balearen und nach
Mauretanien fuhren, waren ohne Zweifel römische; römische Steuer-
leute und Matrosen sind ihre Lehrmeister in der Nautik gewesen.
Zur Bedeutung gelangte die wandalische Seemacht erst nach der
Eroberung Afrikas, insbesondere der Hauptstadt, wo ihnen ein
besonders ausgezeichnetes Material in die Hände fiel; bei der Be-
lagerung Karthagos hatte sich die Flotte noch auTser stände gezeigt,
die Zuführung neuer Truppen zu verhindern. Im Jahre 437 hören
wir zuerst von Piratenzügen, die von afrikanischen Häfen ausgingen;
dieselben wurden unter Geiserichs Regierung fast alljährlich wiederholt
und machten die Wandalen zu Beherrschern des ganzen Mittelländischen
Meeres. Die Erzählungen von den überseeischen Expeditionen zeigen
deutlich, dafs die Fahrzeuge durchgängig kleine, leicht gebaute,
schnellsegelnde Kreuzer, keine Ruderschiffe waren; sie fafsten, da
der Zug nach Sardinien unter Tzazo für 5000 Mann 120 Schiffe
erforderte, nur je ca. 40 Personen. Wie das Landheer, so konnte
1) Die häufigen Deportationen nach Sizilien und besonders nach Sardinien
und Korsika setzen die Anwesenheit von wandalischen Truppenabteilungen voraus.
2) Naves dominicae Yict. Vit. lU, 20.
174 Viertes Buch.
*
also auch die Flotte nur durch ihre grofse Beweglichkeit wirken.
Man wich daher stets einer regulären Seeschlacht aus, in der die
römischen Kriegsschiffe sich überlegen gezeigt hätten, und suchte
den Gegnern durch plötzliche Überraschung, List und Verrat bei-
zukommen. Über die Stärke der Seemacht fehlen uns aus älterer
Zeit bestimmte Angaben; ohne Zweifel hat dieselbe mehrere Hundert
Schiffe betragen. An dem Zuge nach Rom 455 war jedenfalls nicht
die ganze Flotte beteiligt, und doch waren es so viele Fahrzeuge,
dafs auTser den zahlreichen Truppen noch mehrere Tausend Gefangene
befordert werden konnten.^) Einer Abteilung von 60 Schiffen gedenkt
Hydatius c. 176 f. zum Jahre 456. In der langen Friedensepoche
nach Geiserichs Tode wird die Zahl wesentlich reduziert worden sein;
die 120 Schiffe, die Gelimer nach Sardinien sandte, machten wahr-
scheinlich den ganzen Bestand aus, da bei der Ankunft der Byzantiner
von einer Aktion der wandalischen Flotte keine Bede ist.*) Dafe
maa unter Hunerich den Schiffsbau nicht vernachlässigt hat, zeigt
die Notiz von der Verurteilung katholischer Bischöfe zum Fällen
von Holz auf Korsika för die königlichen Werften (Vi^t. Vit. IQ, 20).
Die Hauptstation war natürlich der geräumige Hafen von Karthago:
von hier gingen alle gröfseren Expeditionen aus'); aber auch in
einigen der wichtigsten Häfen an defn zum Wandalenreiche gehörenden
Küsten werden ständig Flottenabteilungen gewesen sein. Das Material
zum Schiffsbau wurde, wie schon angedeutet, hauptsächlich aus den
Wäldern der Insel Korsika bezogen.
Die römische Bevölkerung Afrikas war naturgemäfs prinzipiell
vom Kriegsdienste ausgeschlossen, wenn auch einzelne Ausnahmen
vorgekommen sein mögen. Dagegen stellten, wie schon erwähnt, die
Mauren ein bedeutendes Kontingent, namentlich seit dem Jahre 455.
Bei den häufigen Raubzügen nach den Küsten des Mittelmeeres war
ihnen gewöhnlich die Rolle des Plünderns zugeteilt, während die
seekundigen Wandalen die Schiffe bewachten und so den Rückzug
deckten (Apoll. Sid. carm. V, 385 ff.). Es ist jedoch starke Über-
treibung, wenn der Dichter (V, 335 ff.) zum Jahre 458 sagt, Geiserich
vollbringe nichts mehr mit eigenen Waffen, sondern aUes nur durch
maurische Völker. Die Wandalen sahen sich genötigt, diese Hilfe
in Anspruch zu nehmen, hauptsächlich jedenfalls wegen ihrer geringen
Zahl, um Afrika nicht völlig von Truppen entblölsen zu müssen.
1) Vgl. Prok. 1,6: atoXm noXXm. 2) Vgl. oben S. 132.
3) Vgl. z.B. Hydat. c. 176; oben S. 70 (z. J. 440); Prok. b. V,I,6 (p. 886 B).
Innere Geschichte des a&ikanischen Brciches. X75
Aber es ergab sich hieraus ein wesentlicher Nachteil für das Volk.
Dasselbe büfste in immer steigendem Mafse seine Kriegstüchtigkeit
ein und erlag rasch den Einflüssen des verweichlichenden Eümas
und der überfeinerten römischen Kultur. Diese Erscheinungen traten
schon unter Hunerich^), namentlich aber unter Gelimer deutlich zu
Tage.^ Allerdings wird kriegerischer Sinn noch von einem Teile
des Volkes, insbesondere vom Adel, hochgehalten: Hilderich ward
abgesetzt hauptsächlich wegen seiner Unfähigkeit, das Schwert zu
führen. Im Kampfe gegen die Byzantiner haben sich denn auch
diese Elemente wacker gehalten; aber die Übrigen und, was das
SchUmmste war, selbst der König erwiesen sich als zaghaft und
unfähig, der Grefahr ins Auge zu schauen. Charakteristisch ist das
Verhalten der zur Gefangennehmung von 22 Mann byzantinischer
Garde ausgesandten, über zehnmal stärkeren Truppenabteilung: mit
Recht wird dieser auch von Prokop (I, 23) der Vorwurf der Feigheit
gemacht. Massenhaft wurden daher Wandalen aufgegriffen, die, statt
zu kämpfen, in den Kirchen ein Asyl gesucht hatten.
Es ist merkwürdig, dafs schon Salvian (de gub. dei VIT, 29 ff.),
wo er von der Eroberung Spaniens spricht, die Wandalen als das
feigste der germanischen Völker bezeichnet. Aber man kann nach
den Erzählungen unserer Gewährsmänner kaum sagen, dafs die Wan-
dalen in früherer Zeit weniger tapfer und kriegerisch gewesen seien
als die übrigen Deutschen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs das
urteil Salvians auf eine gotische und daher mifsgünstige Quelle
zurückgeht. Jedenfalls kann sein Zeugnis wegen der zu Grunde
liegenden tendenziösen Absicht, die Polgen der römischen Sitten-
losigkeit in möglichst scharfer Beleuchtung darzustellen, keinen An-
spruch auf besondere Glaubwürdigkeit machen.
Repräsentationshoheit. Der König leitet die gesamte aus-
wärtige Politik, entsendet und empfängt Gesandte, schHefst Bündnisse
ab, bestimmt über Krieg und Frieden. Einzelne Fragen von hervor-
ragender Bedeutung wird er vorher mit den Spitzen seiner Umgebung
beraten haben, doch fehlt es an sicheren Belegen. Der königliche
Wille war jedenfalls der allein mafsgebende; es mangelt für das
Wandalenreich an Beispielen, wie wir sie oft bei den Franken finden,
1) Vgl. Malch. fr, 13: iiBtä tlv &dvoctov rtvjtp^juov nBaovteg ig nccaav
[laXanCav ovts xrjv ccvtitV §(Dfiriv ig ngayficcta ia%ov ovts tag ccvräg ht avvBt%ov
nagaaiisvccg,
2) Vgl. die bekannte Schilderung der Verweichlichung des Volkes bei
Prok. n, 6,
176 Viertes Bucli.
dsSs das versammelte Heer Anteil an der Entscheidung über Krieg
und Frieden nahm (vgl. auch oben). Als Politiker hat namentlich
Geiserich eine hervorragende Befähigung erwiesen; wir haben oben
gesehen, wie es ihm gelungen ist, durch kluge Benutzung aller
Umstände dem Wandalenreiche eine führende Bolle im Abendlande
zu verschaffen.
Gerichtswesen. Über die Bechtspflege im Wandalenreiche
sind wir leider nur sehr unvollkommen unterrichtet. Die Wandalen
wurden jedenfalls nach ihren nationalen Bechtsgrundsätzen in den
einzelnen Hundertschaften von den Tausendschaftsführem gerichtet.
Da die Herrscher die Privatrechte des Volkes respektierten, so halte
ich es für sehr wahrscheinlich, dafs die wandalischen Gerichte, obwohl
die Beamten vom Könige ernannt waren, eine gewisse Unabhängigkeit
besafsen und dafs die Volksgemeinde bei der Urteilfindung beteiligt
war.^) Die Aburteilung von Vergehen politischer Natur war dem
Könige als Bechtsnachfolger der Volksversammlung vorbehalten.^
Das Gerichtsverfahren für die Bömer blieb dasselbe wie bisher:
geringe Sachen wurden von den Stadtmagistraten (ordines civitatum)^),
gröfsere von den Provinzialstatthaltem (iudices provinciarum)*) nach
römischem Becht im Namen des Königs entschieden. Ebenso ist der
Fortbestand der Bureaus dieser richterlichen Beamten direkt bezeugt^)
Einen praepositus indiciis Bomanis in regno Africae Vandalorum
(Papencordt, S. 251) gab es nicht. Der von Vict. Vit. HI, 27 und
Dracont. carm. V. a. E. erwähnte Prokonsul zu Karthago war der
Vorstand der Prokonsularprovinz. Der Dichter Dracontius war Anwalt
(Drac. vir clarissimus et togatus fori proconsulis almae Karthaginis
a. a. 0.) beim Gericht desselben (eines Advokaten, causidicus, gedenkt
auch das Gedicht Anthol. lat. 340, vgl. daselbst no. 295). Streitig-
keiten zwischen Wandalen und Bömem sind natürlich nur in den
wandalischen Gerichten nach dem Bechte der Sieger entschieden
worden.^) — Dafs der König in das ordentliche Bechtsverfahren der
Bömer vielfach willkürlich eingriff, Strafen ohne Beweisaufnahme
und Verteidigung auf blofsen Verdacht hin verhängte oder aufhob,
kann bei der Stellung, die diese Nation im Wandalenreiche einnahm,
1) Das Yorhandensein von Gerichtsschreibem (notarii) in den wandalisclien
Grerichten folgt aus Vict. IQ, 19 nicht, vgl. weiter unten. Wenn Halban I, 82
sagt: „Ob nun die Gerichtsbarkeit durch die millenarii gehandhabt wurde oder
durch andere königliche Beamte, germanisch war sie nicht ^S so ist dies ganz
unzutreffend. 2) tJber das Verfahren gegen Sklaven vgl. oben S. 162,
3) Vict. m, 12. 4) ibid. m, 11—13. ö) ibid. m, 9, 11.
6) Vgl. dazu Zeumer, Neues Archiv XXIII, 472.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 177
und bei den gewifs häufig vorgekommenen Versuchen der römischen
richterlichen Beamten, die königlichen Verfugungen zu Grünsten ihrer
Volksgenossen zu umgehen, nicht verwundem. Aber ein ähnliches
arbiträres Verfahren ist auch den Wandalen gegenüber in den der
königlichen Entscheidung unterstehenden Sachen: Landesverrat, Ver-
gehen gegen die Person des Königs und sein Haus (Infidelität) und
namentlich Übertritt zur katholischen Kirche, zur Anwendung ge-
kommen. Ein eigentliches Königsgericht wie bei den Franken, wo
das Vorhandensein eines Urteilerkollegiums und die Beobachtung
der allgemeinen Formen des Prozesses vor willkürlicher Bestrafung
schützten, hat hier ohne Zweifel nicht bestanden; nur zum Schein
mag manchmal ein formliches Rechtsverfahren stattgefunden haben. ^)
Indem man dann den Begriff jener Verbrechen nach Belieben erweiterte,
solche auch blofis andichtete, wie das Verfahren Hunerichs gegen
seine Seiten verwandten und ihre Anhänger beweist^), waren Leben
und Freiheit des Einzelnen dem Willen des Königs völlig preis-
gegeben. Einen Schutz gewährte die Flucht in arianische Kirchen,
jedoch nur insoweit, als sie den Hilfesuchenden vor dem Tode, nicht
aber vor anderen Strafen sicherte.^)
Das zur Anwendung gelangte Strafensystem zeigt naturgemäfs
eine starke Mischung germanischer und römischer Elemente. Eine
grofse Rolle spielte die Todesstrafe, die namentlich wegen der
zum Begriffe des Hochverrats gehörigen Verbrechen verhängt wurde.
Unter den verschiedenen Arten derselben ist hervorzuheben das
Hinrichten mit dem Schwerte (Enthaupten)*) (Vict. I, 44. 47.
n, 12. 14 u. ö.), häufig verschärft durch vorhergegangene qualvolle
Martern, das Verbrennen (bes. Vict. H, 1. 14. 15. 16; HI, 15; auf
offenem Meere Pass. VH mon. § 10 ff.), Ertränken (Vict. 1, 18; II, 14),
Zutodeschleifen durch ungezähmte Pferde (Vict. I, 37), Vor-
werfen vor wilde Tiere (ib. II, 16; III, 27). Leibesstrafen:
a) Strafen zu Haut und Haar: Körperliche Züchtigung mit Stöcken,
Ruten und Peitschen, hauptsächlich bei Knechten und widerspenstigen
Katholiken, aber auch bei freien Wandalen angewendet: Vict. I, 33;
1) Das arbiträre Begnadigungsrecht der Könige ist dnreh viele Beispiele
zu belegen.
2) Vict. n, 12 ff. Als ein Ausflufs des Strafrechts über die Beamten
kann dieses Verfahren nicht angesehen werden.
3) Vict. n, 15. Vgl. Brunner H, 610 f.
4) iugnlare Vict. II, 14; gladio intereipere ib. n, 12; capite detruncare
ibid. n, 16. .
Schmidt, Wandalen. ^2
178 Viertes Buch.
II, 16. 45. 54 1); IH, 21 ff., 33. 34 38. 40. Prosp. c. 1329. Prok. b.
Y. I, 8; Nehmen des Haupthaares, besonders schimpflich fär die
Wandalen, in schärferer Weise, indem die Kopfhaut mit abgerissen
Würde (Vict. II, 9 ff.), oder in milderer Form durch Abscheren (so
wurde wohl gegen Fulgentius verfahren, Vit. Fulg. c 11)*). b) Ver-
stümmelungen: Abschneiden von Nase und Ohren, Händen und Füfsen,
Blenden, Ausreif sen der Zunge (Vict. lü, 30ff. Jord. 6et 36, 184).
Eine grofse Rolle spielten bei den Katholikenyerfolgungen die größten-
teils dem romischen Rechte entlehnten Folterungen. Mit Vollziehung
dieser Strafen waren besondere Beamte (tortores) betraut (Vict. ü, 9,
ni, 21. 28).
Unter den Freiheitsstrafen begegnet in erster Linie die Ver-
bannung (exilium) in die afrikanische Wüste, nach Sardinien, Kor-
sika, Sizilien (Vict. II, 23. IH, 20. 33 etc. Vit. Fulg. c. 20 [vgl. oben],
Prosp. c. 1329), oft auch verschärft durch Konfiskation des Vermögens,
überhaupt Entziehung aller Subsistenzmittel, Sklavenarbeiten etc., ohne
bestimmtes Ziel aufs offene Meer in lecken Schiffen (Vict. I, 15),
nach überseeischen, nicht zum Wandalenreich gehörenden Ländern
(ibid. II, 1 u. a.), femer die Verurteilung zur Knechtschaft im all-
gemeinen und zu besonderen niedrigen Fronarbeiten, mitunter wohl
auf bestimmte Zeit (Prosp. c. 1329, Vict. I, 48»). II, 10. 16. HI, 20. 68.
Not. prov. Num. 76*), Einkerkerung, verschärfk durch Hunger und
Schläge (Vict. I, 33. II, 16. 28 ff. Dracont. satisf. v. 312, de laudibus
Dei 3,582. 649. Pass.VII monach. § 9). Ehrenstrafen: Eselreiten
(Vict. n, 14), öffentliches Entblöfsen von Frauen (ib. HI, 21 ff.), Be-
legen der katholischen Hofbeamten mit der römischen Infamia
(Vict. ni, 9); häufig in Verbindung mit anderen Strafen: Herumführen
der ihres Haupthaares beraubten Frauen (ib. H, 9), Verurteilung zu
niedrigen Sklavenarbeiten in der Nähe der Hauptstadt (ib. I, 44), in
Gemeinschaft mit einem Ziegenhirten und Bauern (H, 16). Vermögens-
strafen. Wie in allen germanischen Rechten, so hat auch jedenfalls
im wandalischen die Bufse eine grofse Bolle gespielt, über das
Wergeid bei den Wandalen fehlt es leider gänzlich an Nachrichten.
Vermögenseinziehungen wurden namentlich bei den politischen und
1) 100 und 160 Prügel, vgl. dazu Brmmer II, 606.
2) Hier liegt allerdings nur ein privater Gewaltakt vor, doch zeigt die
echt germanische Verbindung von Prügelstrafe und Scheren, dafs dieses Ver-
fahren auf wandalische Bechtsgrnndsätze sich stützte. VgL bes. Branner II, 606.
3) Verknechtung der Kinder.
4) Vernrteilnng zn Arbeiten in Bergwerken, vgL über diese römische Strafe
Marqnardt, Römische Staatsverwaltung II ', 265 K 8.
Innere Geschichte des aMkanischen Eeiches. 179
religiösen Yerfolgungen gegen Wandalen und R5mer yerffigt^ in der
Regel verbunden mit Exil oder Hinrichtung (Prösp. c. 1329^);
Vict. 1, 14 48. n, 23. HI, 10. 11 u. ö. Vict. Tonn. a. 533). Ganz dem
römischen Recht entnommen sind die Geldbufsen, die Bunerich als
Wiedervergeltung über die Katholiken verhängte: Vict. UI, 10. 11.
Dafs der König die Gesetzgebungsgewalt, wenn auch mit
einer gewissen Beschränkung hinsichtlich der Privatrechte der Wan-
daleU; handhabte, unterliegt keinem Zweifel. Die meisten Gesetze^,
von denen wir Kenntnis haben, waren gegen die Römer und gegen
die Katholiken im allgemeinen gerichtet, und in diesen erscheint
naturgemäfs der königliche WiUe als der allein malsgebende. AuGs^
den Religionsedikten sind besonders bemerkenswert die Verordnungen,
die Geiserich gegen die in Afrika unter der römischen Bevölkerung
so stark verbreitete, den Germanen widerwärtige Unzucht erliefs; der
Ehebruch ward unter Strafe gestellt, die Päderasten wurden verbannt,
die Bordelle geschlossen und die Dirnen zur Ehe gezwungen.^) Ebenso
wurde unnachsichtlich gegen die über alle Mausen obscönen Schau-
steUungen^) auf den Theatern eingeschritten; höchst wahrscheinlich
ist hiermit die auch teilweise vom Liber de promissioliibus^) be-
stätigte Erzählung Victors Vit. I, 8 in Zusammenhang zu bringen^
dafs unter Geiserich das Odeum*), das (Amphi-) Theater^, der Tempel
der Memoria und die via Gaelestis von Grund aus zerstört wurden.
Welchen Zwecken der genannte Tempel «ach Einführung des Christen-
tums diente, ist nicht bekannt; in der Straf se der Göttin Gaelestis,
deren unzüchtiger Kultus noch zu Salvians Zeit (de gub. dei VIII, 9)
in Blüte war^), mögen besonders viele Stätten gewesen sein, wo
1) primuin proscripti, deinde in exilimn aoti, tmn atrocissimis gupplicüs
excruciati, ad postremum diversis mortibus interempti. Die Proskription ist hier
wie Vict. m, 11 die Konfiskation des Vermögens , vgl. dazu Mommsen, Römisches
Strafrecht (1899) S. 938 N. 1.
2) constitutio Vict. ü, 13. HI, 12 vgl. statuere IE, 39. m, 7. 13. decretnm
I, 12. m, 2, Salvian. de gub. dei VII, 99. lex Vict. III, 2. edictnm 11, 3. 39.
ni, 15. praeceptnm, praeceptio I, 22. n, 24, 38. 41. Vit. Folg. c. 16, vgL prae-
cipere I, 43. n, 4. 24. HE, 14. promulgatio EI, 13.
3) Salvian. de gub. dei VII, 94ff.
4) Vgl. dazu Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Boms
n«, 436 ff.
5) m, c. 44 (Migne, patr. lat. 51, 836): ipsam viam (Gaelestis) sine memoria
sui nunc Vandalica manus evertit.
6) Vgl. Tissot I, 654 f. Reste sind kürzlich entdeckt worden, vgL Deutsche
Litteraturzeitung 1900 Nr. 51/52. S. 8399.
7) Tissot I, 643 ff.
8) Vgl. dazu Pauly-Wissowa, Realencjklopädie s. v. Gaelestis.
12*
180 Viertes Buch.
der Venus vulgivaga gehuldigt wurde. Dafs übrigens das Schauspiel-
wesen nicht gänzlich unterdrückt wurde, zeigt die Erzählung Victors
V, V. (I, 47) von dem Archimimus und Bekenner Masculas.^) Diese
Mafsregeln hatten zunächst eine allgemeine Besserung der sittlichen
Verhältnisse zur Folge; Salvian, der um 450 schrieb, sagt a. a. 0.
Vn, 107: bei den Goten sind nur die Römer der ünkeuschheit er-
geben, bei den Wandalen nicht einmal die Römer. Der Verlauf der
Geschichte des Reiches zeigt jedoch, dafs die günstigen Wirkungen
nur vorübergehende waren und dafs das wandalische Volk später
selbst, was üppiges Leben anbelangt, mit den Römern wetteiferte. —
Allgemeine Geltung hatte andrerseits das Thronfolgegesetz; wir
haben aber oben gesehen, dafs Geiserich dasselbe höchst wahrschein-
lich, ohne die Zustimmung seines Volkes dazu einzuholen, aus eigener
Machtvollkommenheit erlassen hat.
Der königliche Hof und die Beamten. Die Beamten im
Hof- und Staatsdienst wie auch die der Kirche sind sämtlich der
königlichen Gewalt unterworfen; sie werden vom Monarchen ernannt
oder wenigstens bestätigt und können ihrer Funktionen durch könig-
lichen Machtspruch entkleidet werden. Schon in ältester Zeit hat es
im Haushalt des Königs bestimmte Amter gegeben, die anfänglich
ausschliefslich von Knechten, sodann aber zum Teil, insbesondere die
Aufsicht über das Haus, den Marstall, den Schatz und die Getränke,
auch von Freigeborenen besorgt wurden. Neben dieser eigentlichen
Hausdienerschaft bildete die Umgebung des Herrschers das militärische
Gefolge, dessen nähere Kenntnis wir namentlich der Schilderung des
Tacitus verdanken. Auf dieser Grundlage, die jedoch stark durch
römische Elemente beeinflufst worden ist, hat sich die spätere Ein-
richtung des wandalischen Königshofes aufgebaut. Derselbe wird
domus regia, aula, palatium genannt.*) Die zum Hofstaat gehörigen
Personen^), deren Zahl eine sehr grofse war*), setzten sich aus Geist-
. 1) Der wirkliche diesem Bericht zu Grunde liegende Sachverhalt war wohl
der, dafs M. wegßn Übertretung der Sittengesetze — gerade der Mimus zeichnete
sich besonders durch Anstöfsigkeit aus, vgl. Friedländer a. a. 0. S. 438 — zu
harter Strafe verurteilt, ihm aber im Falle seines Übertritts zur arianischen
Kirche Begnadigung in Aussicht gestellt worden war.
2) domus: Yict. Vit. 11, 8. IH, 11. 13. aula: I, 43. 11, 10. palatium: I, 22.
n, 23. Passio "^septem monach. § 12.
3) Ygl. Vict. n, 8: ob hoc quod domui regiae serviebant. IE, 10: hbmines
in \atda eins constituti. IE, 23: ut nemo in eins palatio militaret. III, 13: Qui
domus nostrae oecupati militia. Der Ausdruck militare in palatio ist römisch,
vgl. z.B. Cod. Just. X, 71, 1.
4) Vgl. Vict. n, 8. .
Innere Geschichte des afrikanischen Breiches. 181
liehen und Laien, Germanen und Bomanen^ Freien und Unfreien zu-
sammen. Freie Römer waren z. B. die vier katholischen Spanier, die
Geiserich 437 hinrichten liefs, der comes Sebastianus, die viri ingenui,
die Hunerich zu Knechtesarbeit verurteilte (Vict. II, 10), der Kanzler
Bonifatius unter Gelimer. Besonders stark war das römische Element
unter Hilderich am Hofe vertreten (vgl. oben). Über die einzelnen
Hofämtei?, die auch der allgemeinen Reichsverwaltung dienten (mi-
nisteria)^) und deren Inhaber stipendia et annonas bezogen^), wissen
wir leider sehr wenig. Ob die vier germanischen Hausämtei- des
Seneschalk oder Truchsefs, Marschall, Schenken, Kämmerer oder
Schatzmeister am wandalischen Hofe in Afrika fortbestanden haben^
ist imbekannt. Der Vict. Vit. IH, 33 erwähnte ceUarita regis Dagila*)
war ein niederer Hausbeamter, wohl identisch mit dem römischen
cellarius (Verwalter von Vorräten im Vorratsraum, sei es auf einem
Landgut oder in der Residenz)^); wenn seine Gattin matrona nobilis
et delicata genannt wird, so läiBt sich hieraus noch nicht auf ein
höheres Amt schliefsen, da in den Augen Victors eben jeder Bekenner
des orthodoxen Glaubens nobilis war. Die procuratores der Prinzen
Theoderich und Hunerich (Vict. I, 45. 48)^) waren wohl aus der
römischen Domänenverwaltung übernommene Beamte, nicht Haus-
meier. Der höchste Beamte am wandalischen Hofe war der prae-
positus regni, dessen Bedeutung ganz auf dem Gebiete der Reichs-
verwaltung liegt. Seine Thätigkeit tritt bei den Katholikenverfolgungen
Hunerichs hervor: er verhandelt im Namen des Königs mit den
Bischöfen und wird von diesen ersucht, ihre Eingabe an aUerhöchster
Stelle zum Vortrag zu bringen.^) Genaueres über seine Funktionen
ist nicht bekannt; die Wichtigkeit seiner Stellung, die der eines ersten
Ministers entsprochen haben wird, geht daraus hervor, dafs er von
den Römern mit dem Prädikat Magnificentia angeredet, also zur Rang-
klasse der illustres gerechnet wird, welcher die Inhaber der höchsten
dignitates palatinae am Kaiserhof, der magister ofßciorum, der quaestor
sacri palatii, die comites sacrarum largitionum und rei privatae sowie
1) Vict. I, 43: per diversa ministeria. Anth. lat. no. 341: Eutychus, mi-
nister regis.
2) Vict. n, 10.
3) Dafs Dagila der Name des Mamies, nicht der der Frau war, hat Wrede,
Sprache der Wandalen, S. 62, wahrscheinlich gemacht.
4) Vgl. His, Domänen S. 29.
5) procuratores domna Theoderici und Hunirici. domus ist hier im Sinne
von Grundstück, nicht von Hofhaltung gebraucht, vgl. His S. 21.
6) Vict. II, 41 ff. Vgl. dazu Papencordt S. 369 Note 8.
182 Viertes Buch,
der priEL^ositus sacri cubiculi angehörten. Unter Geiseridi bekleideten
das jedenMls ungermanische Amt Heldica^)^ unter Hunerich Obad,
also Personen germanischer NationaUtät. Ein hervorragender Posten
war auch der des Vorstandes der Eabinettskanzlei^ für den in den
Quellen sich die Bezeichnungen notarius^ yQafi^iatBvgy primiscriniarius
und wohl auch referendarius finden. Derselbe fertigte die schriftlichen
Erlasse des Königs aus und machte sie den Beteiligten bekannt.^)
Häufig wurde er auch zu besonderen Missionen benutzt: unter Hunerich
leitete er die Verhandlungen bei dem Beligionsgespräch zu Karthago^
unter fielimer erhielt er den Auftrag^ das Vermögen des römischen
Addis einzuziehen und den königlichen Schatz nach Spanien in Sicher-
heit zu bringen. Als Inhaber dieses Amtes werden erwähnt Vitarit,
idso ein Wandale^ zur Zeit Hunerichs^); die Römer Boni£B>tius (ygaii'
futtsvgY), Victorinianus (primiscriniarius)*) und Petrus (referen-
darius)^) unter Gelimer und Trasamund. Unterbeamte der Kanzlei
waren die notarii^ die bei dem von Vict. Vit. HI, 19 berichteten Ver-
fahren gegen die katholisdien Bischöfe als Schreiber fungierten.
Unklar ist die Stellung, die der von Pseudogennadius (cap. 98 ed.
Bichardson) erwähnte maior domus Hunerichs einnahm; es heifst an
dieser Stelle (vom Bischof Eugenius): altercationes quas cum Aria-
norum praesulibus per intemuntios habuit, conscripsit et regi .legen-
das^ per maiorem domus eins (Huni&rici) transmisit Die gewöhnlich
vertretene Annahme^ dafs derselbe identisch mit dem praepositus regni
sei'^y ist nicht begründet; es ist wohl an einen höheren Hofbeamten
zu denken.^
Das Vorhandensein einer besonderen arianischen Hofgeistlichkeit
darf man daraus erschlief sen^ dafis bei den prinzlichen Hofhaltungen
Hauskapläne amtierten^ vgl. Vict. Vit. I^ 44. Andrerseits lebte am
wandalischen Hofe ständig eine sich immer wieder ergänzende Klasse
1) Viot. n, 16.
2) Vict. Vit. n, 3: destinans per notarixun suxun, nomine Yitarit, edictmu
quod publice legeretur. n, 41.
3) Proc. b. Y. II, 4 p. 428B. Yict. Tonn. a. 533.
4) Ygl. das Gedicht Anthol. no. 264, in dem der Yerfasser (Flavius Felix)
den Beamten um seine Yerwendung zur Erlangung eines geistlichen Amtes bittet.
5) Anth. lat. 380: Domni Petri referendarii versus in basilica palatii sanctae
Mariae. Ygl. dazu de Bossi, Inscriptiones christianae urbis Bomae n, 1 p. 241
no. 6. Die Bezeichnung domnus macht es wahrscheinlich, dafs derselbe nicht
ein Unterbeamter war.
6) So ist jedenfalls zu lesen, nicht relegendas.
7) Hermann, Das Hausmeieramt ein echt germanisches Amt (Breslau 1880) S. 84.
8) Ygl. dazu Brunner H, 104 N. 7.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. IgS
TOD Männern, die, ohne ein bestimmtes Amt zu beUeiden, die Gunst
des Königs genossen und von diesem in verschiedener Weise ver-
wendet wurden. Eine solche Stellung nahm z. B. Sebastianus^ der
Schwiegersohn des Bonifatius, ein, dessen consiUa Geiserich necessaria
habebat (Vict. I, 19). Ein Teil derselben scheint wie bei den Franken,
Ostgoten u. s. w. den comes-Titel geführt zu haben: so erklärt sich
wohl die Stelle Vict. Vit. 11, 14, Hunerich habe comites quam pluri-
mos et nobiles gentis bis in den Tod verfolgt. Aus ihrer Mitte sind
namentlidb die Gesandten an fremde Völker sowie die Emissäre ge-
nommen worden, die der König zur Durchführung aufserordentlicher
MaCsregeln in die Provinzen entsandte. Zwei comites Hunerichs be-
aufsichtigen den Transport der 5000 Katholiken in die Wüste, lassen
die Widerspenstigen einkerkern und machen ihnen im Auftrage des
Königs Versprechungen, falls sie sich bereit finden würden, zum
Arianismus überzutreten (Vict. U, 28 ff.). Ein comes wird nach Tipasa
geschickt, um die dortigen Bewohner, die dem königlichen Befehle
zum Trotz öffentlich orthodoxen Gottesdienst abhielten, zu strafen
(Vict. ni, 30). Ebendahin gehören die ministri regis Vict. III, 19,
Pass. VU monach. § 14 aus der Zeit Hunerichs, die ministri regalis
faroris d. h. Trasamunds Vit. Fulg. c. 20. Mit den germanischen Grafen
haben diese den römischen agentes in rebus entsprechenden „Gewalt-
boten^' nichts zu thun. Unter jener Kategorie von Hofleuten dürfen
wir auch das militärische Gefolge des Königs suchen, von dem aller-
dings nur unsichere Spuren sich finden. Gefolgsleute waren wohl
wenigstens zum Teil die d^ avtov ad6Xq>idoi ts xal ävailfiadol xal
&XXoi SV yeysvotsg^), die den flüchtigen Gelimer begleiteten^, ebenso
die Personen, die Geiserich auf dem Totenbette seinem Nachfolger
empfahl (Viet. II, 15). Ein militärisches Gefolge zu halten, galt als
ein Vorrecht des Königs; es wurde daher als ein Zeichen des Auf-
ruhrs angesehen, als Godas auf Sardinien sich eine Leibwache
(doQvg?6Qovg) zulegte (Prok. 1, 10 p. 358, lo).*) Zusammen mit zeit-
weilig am Hofe anwesenden Provinzialbeamten sowie arianischen
Bischöfen haben die höher stehenden Angehörigen der Umgebung des
Königs häufig bei Entscheidung wichtiger Staatsangelegenheiten mit-
gewirkt. Als Gesamtbezeichnung für dieselben, soweit sie weltlichen
1) Vielleicht Wiedergabe des germanischen magen, vgl. Branner I, 142,
Schröder », 33 N. 32.
2) Prok. b. V. n, 6 (p. 484, loB). An anderer Stelle (11, 3 p. 422, 18) heifst
es: ot ts ^vyysvsLg xal tav oiuBtmv oX(yov,
3) Vgl. dazn Seeck, Pauly-Wissowa, Realencyklopädie III, 934 ff.
184 Viertes Buch.
Standes waren, erscheint der Ausdruck domestici, der wörtlich (ob
yöllig auch inhaltlich^ ist sehr fraglich) dem gotischen gardingi
(gardi = domus)^) entspricht. Sie sind jedenfalls identisch mit den
Vornehmen der Wandalen, die die Tischgenossen des Königs bildeten
(Prok. I, 21). Praesentibus episcopis atque domesticis suis fordert
Geiserich den Sebastianus auf, zum Arianismus überzutreten (Vict. 1,19);
auf Anraten der Bischöfe verbietet derselbe die Anstellung von Ka-
tholiken im Hof dienst (I, 43); die Vorstellung der domestici hat zur
Folge, dafs Hunerich seinen Plan, das Vermögen der verstorbenen
katholischen Kleriker einzuziehen, aufgiebt (II, 24); cum consensu
episcoporum werden die orthodoxen Bischöfe zum Religionsgespräch
nach Karthago vorgeladen (11, 39). Die Au&ahme in den Hofstaat
war an einen Treueid geknüpft: Sebastiane, sagt Geiserich, scio quia
fideliter nobis adhaesisse iurasti. Vgl. auch Prosper c. 1329 von
den vier katholischen Spaniern: dudum apud Gisiricum merito sapien-
tiae et fidelis obsequii cari clarique habebantur.
Aus dem Hofstaat sind auch zum gröfsten Teil die Inhaber der
höheren Ämter bei der Provinzialregierung, vor allem der wanda-
lischen, hervorgegangen. Die wichtigsten Beamten der Wandalen in
dieser Hinsicht waren die Millenarien, denen die Verwaltung der
ihnen unterstellten Bezirke (Tausendschaften) in richterlicher, mili-
tärischer, administrativer und fiskalischer Hinsicht oblag. Über ihre
Stellung als Richter und Militärbeamte war schon oben die Rede;
neben diesen wesentlichsten Funktionen sind die übrigen natur-
gemäfs nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Zu ihrer Be-
soldung dienten wohl ein Teil der Gerichtsgefälle sowie die Einkünfte
aus gewissen zum Amte gehörigen liegenden Gütern, vielleicht auch
besondere Emolumente aus der Staatskasse. Über die Unterbeamten
der Millenarien ist Näheres nicht bekannt. Aufserhalb der Wandalen-
lose blieb die Organisation der römischen Verwaltung in Afrika mit
Ausnahme der militärischen bestehen, und wurden die Geschäfte der
einzelnen Amter in der Hauptsache auch von Römern selbst besorgt.
Die (Civil-) Statthalter der einzelnen Provinzen*) erscheinen in den(i
Religionsedikt Hunerichs als iudices provinciarum; als Vorstand der
1) Dieses Wort selbst ist bei den Wandalen nicht nachweisbar; die an-
geblichen Gardingen bei Yict. Tonn. a. 534 haben sich durch die neue Edition
Mommsens als Asdingen entpuppt. — Bei Yict. Vit. HI, 27 wird jetzt gelesen:
quod eum habiturus esset prae omnibus; das in älteren Ausgaben hinzugefugte
Wort domesticum fällt weg.
2) Der vicarius Africae wurde beseitigt.
Innere GeschicMe des a&ikanischen Reiches. 135
Byzacena werden in der Vita Fulgentii (c. 14) Sylvester (prov. Byz.
Primarius), als oberste Verwaltungsbeamte der Prokonsularis, soweit
dieselbe nicht von den Wandalen okkupiert war, die in Karthago
wohnenden Prokonsuln Victorianus (Vict. III, 27) und Pacidegius
(Dracont. Gaj*m. V Ende) genannt. Diese Beamten administrierten wie
früher mit ihrem Kanzleipersonal, den officia (Vict. III, 9: officiales
indicunL 11: primates officiorum). Die Ordnung der römischen Finanz-
verwaltung^), des (nur den Interessen der Staatsgewalt dienenden)
Postwesens*) erfuhr ebensowenig eine Umgestaltung wie die Ver-
fassung des exempten Grundbesitzes (vgl. oben S. 55) und der
Municipien. Hunerichs Edikt setzt Strafen aus gegen die principales
und sacerdotales, d. h. die obersten Mitglieder der Gemeinderäte
(ordines civitatum Vict. III,- 11) und die eigentlichen Decurionen; als
Verwalter des städtischen Finanzwesens wird wie in früherer Zeit
ein curator oder vielmehr procurator (Fulgentius, vgl. Vita c. 1 a. E.;
ein anderer in Ruspe ibid. c. 17) erwähnt. DemgemäXs erscheint auch
im Wandalenreich die römische Bangklassen- und Ständeorganisation:
es werden inlustres, spectabiles^), senatores*), possessores, negotia-
tores^), plebei etc. aufgeführt.®)
Die Inseln des Mittelländischen Meeres Sardinien, Korsika und
die Balearen, die nach der Notitia dignitatum (Occ. I, 96. 97. 100)
von je einem praeses verwaltet wurden, bildeten nach der Notitia
prov. et civ. Africae (484) eine Provinz unter einem Statthalter, der
auf Sardinien residierte und mit militärischen wie civilen Funktionen
betraut war.^ Wahrscheinlich wurden für diesen wichtigen Posten
in der Regel Männer germanischer Nationalität gewählt. Unter
Gelimer versah das Amt der Gote Godas, den der König, wie Prokop
(b. V. 1, 10) sagt, (fvXaxijg rs Ivsxa xal tpoQov tov i%itSLOv a%0(fiQSLV
auf Sardinien stationiert hatte. Eine Veränderung in den römischen
Verfassungsverhältnissen ist im übrigen auch hier nicht eingetreten.
1) Vgl. weiter unten.
2) Vict. Vit. II, 38: veredi currentes. m, 39: veredi. Prok. b. V. I, 16: 6
TOV ifjfioaiov ÖQOfiov inL[jisX6fi£vos (Postmeister). Ibid. ßeQedccgiovg,
3) Der proconsnl war vir spectabilis, die Dichter Dracontius n. Flavius
Felix gehörten der Eangklasse der clarissimi an.
4) D. h. die Reichssenatoren, die Grofsgrundbesitzer, nicht etwa die Mit-
glieder der Senate in den einzelnen Städten.
6) dno negotiatores als Märtyrer Vict. III, 41.
6) Vict. m, 10 f.
7) Die Vereinigung dieser Gebiete zu einer Provinz hat Justinian bei-
behalten.
186 Viertes Bnch,
Finanzwesen. Der Herrscher hat vermöge seiner Stellung
über die Staatseinkünfte unbeschränktes YerfQgungsreeht; Staatsgut
und königliches Privatgut gelt^i als identisch. Die Einkünfte des
Königs in ältester Zeit setzten sich zusammen aus freiwilligen Oaben
der Volksgenossen^ aus Erträgnissen von Grundbesitz ^ den Gerichts-
gefallen^ soweit sie nicht den richterlichen Beamten zukamen^ sowie
namentlich aus einem bedeutenden Anteil an der Kriegsbeute. Durch
die Beichsgründung haben die Einnahmen eine wesentUche Verstärkung
und Vermehrung erfahren. Einen Hauptbestandteil derselben bildeten
die Einkünfte aus den Domänen. Wir haben oben gesehen^ dafs der
wandalische König in das kaiserliche Krön- und Privatgut — soweit
dasselbe in der Prokonsularis lag^ zum Teil^ soweit auTserhalb; im
ganzen umfange — succediert war; dieser sehr beträchtliche^ durch
spätere Konfiskationen noch vermehrte liegende Besitz bestand aus
Palästen, Villen^), Acker- und Weideland, Weinbergen^), Seen^),
Wäldern*) und Bergwerken^) mit den dazu gehörigen Kolonen und
Knechten. Die Bewirtschaftung war ganz die gleiche wie unter
römischer Herrschaft, durch Prokuratoren und Konduktoren (Vict.
Vit. in, 11: conductores regalium praediorum).^) Grolse Erträgnisse
lieferten femer die von den Provinzialen zu leistenden Steuern. Die
Wandalen und die von ihnen occupierten Güter waren völlig ab-
gabenfrei.') Ohne Zweifel ist die Besteuerung in ihrer bisherigen
Form, die verschiedenen Gattungen derselben als Grundsteuer u.s.w.,
die Art der Erhebung im wesentlichen beibehalten worden, wenn
auch die römischen Kataster gleich zu Anfang der wandalischen
Herrschaft vernichtet worden sind.^) Von Geiserich sagt Prokop
(I, 5), er habe die im Besitz ihrer Güter belassenen Römer so schwer
mit Abgaben belastet, dafe ihnen vom Ertrag nichts mehr übrig
geblieben sei. Von Hunerich wird berichtet, dafs von ihm die
JProvinzen seines Reiches variis calumniis atque indictionibus
1) Schlofs zu Grasse, Prok. 1, 17.
2) Vgl. Yict. Vit. 11,16: Anlegung von Weinpflanzungen als Strafe.
3) Piscinae Vict. XU, 16. Lacunae regiae Anthol. no. 291.
4) Wälder auf Korsika, Vict. IH, 20. Zu dem Schlofs von Grasse gehörten
grofse Orangenhaine, vgl. Tissot II, 115 ff.
5) Marmorbrüche in Numidien, vgl. die Verurteilung eines Bischofs zu
metallo Not. prov. Num. 76. Dieselben sind wohl auch gemeint Vict. Vit. m, 68:
in locis squalidis metaUorum. Die Steinbrüche gehörten in der Kaiserzeit zum
Patrimonium, vgl. Marquardt n*, 263. 6) vgl. oben.
7) Prok. b. V. I, 5. Vgl. Vict. Vit. I, 22: sacerdotibus qui in his regionibus
versabantor, quae . . . palatio tributa pendebant.
8) d. h. sie wurden jedenfalls durch neue ersetzt. Prok. n, 8 (Ende).
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. X%^
(Steueranflagen) schwer bedrückt worden seiexL^) Aus der Zeit
Gonthamunds wird über den grausamen^ fortwährend sich ver-
gröfsemden Steuerdruck geklagt, unter dem die Bewohner der Muni-
cipien seufzten. Die Decurionen, insbesondere der Prokurator, hatten
ganz wie früher die Abgaben fär ihren Bezirk einzutreiben und
waren för die abzuUefernde Gesamtsumme mit ihrem Vermögen
haftbar.^ Immerhin können die Lasten im allgemeinen nicht gar
so schUmm gewesen sein; denn als nach der Eroberung Afrikas die
byzantinischen Steuerbeamten wieder in Thätigkeit traten, fanden
die Einwohner, da& die Verhältnisse unter wandalischer Herrschaft
viel erträglichere gewesen waren.^) Die überlieferten Klagen erklären
sich wohl zum Teil daraus, dals die staatsfeindlichen Elemente, die
Aristokratie und der Klerus, besonders scharf herangezogen wurden.
Unter den vom Grundbesitz zu leistenden Naturalabgaben mag die
Lieferung von Pferden fUr das Heer eine gro&e BoUe gespielt haben.
Die Verpflichtung der römischen TJnterthanen zu gewissen Dienst-
leistungen, z. B. fUr die Post, bestand jedenfalls fort wie in der
vorhergehenden Zeit.
AuGser den Steuern sind noch als ordentliche Einnahmen zu
erwähnen die Erträgnisse aus Zöllen und dem Münzregal, aus den
Strafgeldern, sowie aus den Bergwerken und Fabriken. Über das
im wandaUsehen Reiche giltige Zollsystem wissen wir nichts
Näheres; ohne Zweifel ist dasselbe von dem römischen nicht ver-
schieden gewesen. Auch im Münzwesen schlols man sich den
römischen Ordnungen an. Hunerich beschlielst (Vict. Vit. HI, 23),
daJs die orthodoxen Bischöfe bei ihrer' Ordination 500 Solidi an
die Staatskasse zahlen sollten. In dem Religionsedikt (Vict. HI, 9 ff.)
werden die von den verschiedenen Klassen der katholischen Be-
völkerung zu entrichtenden Strafen nach Pfunden Goldes und Silbers
berechnet. Als Silbermünzen erscheinen das Miliarense mit der
Wertzahl 100 = ^ Solidus (1 SoL = ^ » Gold), die SiHqua (Wert-
zahl 50) und die halbe Siliqua (25), als Kupfermünzen Denare
(nummi) (1 Solidus = 6000 Denare) mit den Wertzahlen 42
(« l SiHqua = 41| Denare), 21 (== ^ SU. == 2a|- Den.), 12 (= ^ Sol.),
4 (= j^ SoL). Autonome Münzen (mit den Bildnissen der Herrscher,
jedoch ganz in römischem Typus) haben die Wandalen nur in Silber
1) Vict. Vit. n, 2.
2) Vit. Folg. c. 2. Folg. Mythogr. p. 7 (Helm) und dazu Helm im Rhein.
Mus. N. F. 64 (1899), S. 129 f.
3) Prok. n, 8.
188 Viertes Bucli.
und Kupfer geschlagen^ und zwar, wie es scheint, erst seit Hunerich;
unter Geiserich, von dem keine einzige Münze nachweisbar ist^),
scheint kein Bedürfnis zu eigener Prägung bestanden zu haben, da
die Kriegszüge aus allen Gegenden des römischen .Reiches grofse
Mengen Geldes nach Afrika brachten. Gold ist bei den Wandalen
wohl überhaupt nicht zur Ausmünzung gelangt; es beruhte dies
schwerlich auf Anerkennung des Grundsatzes, dafs alleiu der Kaiser
berechtigt sein sollte, Goldmünzen zu schissen, sondern ebenfalls auf
dem Mangel an Bedürfiiis. Unter Hilderich sind auch Silbermünzen
geprägt worden, die nur das Bild des byzantinischen Kaisers Justin I.
tragen, wohl um diesem eine Huldigung darzubringen. Die königliche
Münzoffizin befand sich zu Karthago; diese ist neu begründet worden,
da die Römer vorher dort kein Geld geschlagen haben.^) Woher die
Wandalen das nötige Personal und Material genommen haben, ist
unbekannt.*)
Sehr ergiebig als Einnahmequelle waren die Strafgelder, be-
sonders diejenigen, welche aus den Katholikenverfolgungen resultierten
(vgl. namentlich die von Hunerich verhängten Geldbulsen); dazu
kamen die häufigen Konfiskationen ganzer Vermögen wegen Hoch-
verrats U.S.W. (siehe oben). Von geringerer Bedeutung waren die
Einkünfte aus den fiskalischen Fabriken (Färbereien, Webereien u.s.w.)
und den Bergwerken. Von den numidischen Steinbrüchen ist oben
die Rede gewesen; aufserdem kamen noch die Erzgruben auf Sardinien
in Betracht.*)
Von aulBerordentlichen Einnahmen sind besonders erwähnenswert
die Geschenke fremder Fürsten (vgl. von Hilderich Prok. b. V. I, 9,
p. 350 B.), die Mitgift fremder einheiratender Prinzessinnen (Amala-
frida)^) und die Kriegsbeute. Wahrscheinlich ist in Bezug auf die
letztere nach dem auch sonst befolgten Grundsatze verfahren worden,
1) Abbildung einer fälschlich Geiserich zugeschriebenen Münze bei Dahn,
Urgeschichte 1,301. 2) Marquardt, Staatsverw. n*, 36, N. 2.
3) Vgl. im allgemeinen bes. Friedländer, Die Münzen der Yandalen
(1849), und desselben Eepertorimn der antiken Nmnismatik (1885), S. 425 (seit
1849 nichts Neues hinzugekommen). Mommsen, Cresch. des röm. Münzwesens
(1860), S. 749, 787 f., 791, 795 f., 841, 843. Abbildung einer Münze Gunthamunds
bei Sallet, Handb. der Kgl. Mus. zu Berlin. Münzen und Medaillen 102. —
Wie es scheint unter Hilderich ist der Stadt Karthago das vorher von ihr nicht
innegehabte Recht verliehen worden, autonome Kupfermünzen zu prägen.
4) Vgl. Hirschfeld, Untersuchungen zur römischen Yerwaltungsgeschichte I
(1877), S. 86.
5) Die Ansprüche, die Hunerich auf das Vermögen seiner Gemahlin Eudoxia
erhob, wurden nicht be&iedigt.
Innere Geschiclite des afrikanischen Reiches. Ig9
dafs das gesamte kaiserliche und staatliche Gut eo ipso dem Könige
zufiel, während das übrige zwischen diesem und dem Volke durch
Verlosung' zur Verteilung gelangte (vgl. dazu auch oben S. 171).^)
Die Kostbarkeiten, die Geiserich einst aus dem kaiserlichen Palast
in Rom geraubt, fanden sich im Königsschatz Gelimers wieder vor
(Prok. n, 9). Den enormen Einnahmen gegenüber waren die Aus-
gaben verhältnismäfsig gering. Zu diesen gehörten die Kosten der
Verpflegung des Heeres, die Besoldung der maurischen HiKstruppen,
der Aufwand für die gesamte Verwaltung (Hofhaltung, Dotierung
der Beamten u.s.w.), für Bauten (vgl. unten), Geschenke, Unter-
stützungs- und Bestechungsgelder an fremde Fürsten, Generale,
Gesandte (angeblich an Attila, an Eurich Jord. Get. c. 47, Basüiskus,
Severus Malch. fr. 3, Gesalech, an Theoderich d. Gr. u. a.) u.s.w.
Der für die Verwaltimg der Finanzen nötige Apparat blieb
wahrscheinlich wie bisher in der Hauptsache bestehen: es wird
zwischen der Kasse des fiscus (ärjiioöiov) und der der domus regia
unterschieden. In jene flössen die Steuern, Strafgelder u. s.w., in
letztere die Erträgnisse der Domänen.^) Die bei beiden Kassen
angestellten Beamten sind nirgends genannt, werden aber dieselben
gewesen sein, wie zur Römerzeit (comes titulorum largitionum,
praefectus fundorum patrimonialium, rationalis rei privatae mit ihren
Untergebenen) und unter der Oberaufsicht des praepositus regni ge-
standen haben. Eine besondere Bolle spielte der Königshort. Der-
selbe bestand aus gemünztem Gold und Silber, besonders aber aus
köstlichem Schmuck, Tafelgerätschafken, goldenen Sesseln und Wagen,
kunstvollen Waffen u.s.w.^) Wie bei allen Germanen galt der könig-
liche Schatz fast nicht weniger als das Beich; der Verlust desselben
war mit dem Verlust der Herrschaft gleichbedeutend; Gelimers erste
Sorge war daher, als er die von den Byzantinern drohende Gefahr
erkannte, den Hort in Sicherheit zu bringen.*) Er wurde haupt-
sächlich vermehrt aus der Ejriegsbeute^), sowie aus den Gaben aus-
wärtiger Fürsten; aus seinen Beständen stammten andrerseits haupt-
1) Nach der Erzählung von Marcian bei Prok. I, 4 hätte Geiserich auf die
Verteilung der Gefangenen Einfiufs gehabt; allein die Anekdote ist unhistorisch
und auch in ihren einzelnen Zügen nicht verwertbar.
2) Yict. ni, 11: quantum domui regiae inferrent, tantum etiam fisco poenae
nomine cogerentur exsolvere (conductores). ü, 23 : das Vermögen der verstorbenen
Bischöfe solle der fiscus einziehen, die Nachfolger derselben sollen fisco regali
500 Solidi zahlen. Prok. I, 5 : rrjg de yijg . . . roaavra ivd^Ms t<p drjfioa^co q)iQS6&cct
TOi^ag etc.
3) Vgl. Prok. n, 9. 4) Ibid. H, 4.
190 Viertes Buch.
sächlich die beschenke; die der König seinen Getreuen, fremden
Herrschern*) n.s.w. darbrachte.
Dafs die Vorgänge bei der Besetzung des Landes eine groüse
Schädigung des Wohlstandes der romischen Einwohnerschaft be-
deuteten, ist ohne weiteres klar^); in derselben ungünstigen Weise
muGsten die Beligionsverfolgungen Hunerichs imd besonders die Seezüge
Geiserichs durdi die Störung des gesamten Handelsverkehres auf dem
Mittelländischen Meere wirken. Wie die wandalischen Flotten bü»
römischen Kauffahrer kaperten, so nahmen auch die Byzantiner die ihn«i
in die Hände kommenden afrikanischen Handelsfahrzeuge weg. Andrer-
seits mufs betont werden, daJs die ackerbautreibende Bevölkerung
durch die Niederhaltung der maurischen Stämme viel besser geschützt
war, als in den letzten Jahren der römischen Herrschaft;. Nach dem
Eintritt dauernder frie^cher Beziehungen zu Byzanz nahm auch
der Handel wieder einen bedeutenden Aufschwung. Es muJste im
Interesse der Könige liegen, denselben zu schützen, schon deshalb,
imi fiir die Produkte der Domänen, die doch schwerlich ganz im
Lande selbst verbraucht werden konnten, Absatzgebiete zu erwerben.
In dem Vertrage Hunerichs mit dem Kaiser Zeno kamen die Ent-
schädigungsansprüche für gekaperte karthagische Handelsschiffe zur
Verhandlung.®) Der Hebung des Handels dienten wohl auch in
erster Linie die grofsen Seebauten, die nach dem Gedichte Gates
(Anthol. 387) auf Befehl Hunerichs ausgeführt wurden. Zahlreiche
griechische Kaufleute befanden sich zur Zeit Gelimers in Karthago
und wurden bei der Ankunft Belisars ins Gefängnis geworfen unter
dem Verdachte des Verrates.^) Von dem byzantinischen Flotten-
kommandanten Kalonymus wird erzählt, dafs er heimlich mit einigoi
Schiffen in den Hafen Mandracium einlief und die GKiter der an
demselben wohnenden Kaufleute plünderte. Ein Handelsschiff aus
Karthago befand sich damals in Spanien (vermutlich in Sevilla,
Prok. I, 24) und der an Tzazo nach Sardinien abgeschickte Bote
bediente sich eines Kauffahrers (Prok. I, 25). Die Ausfuhr erstreckte
sich in der Hauptsache natürlich auf Getreide^) und Öl, wohl auch
1) Theoderich d. Gr. schreibt an Trasamund (Cass. var. V, 44), er nehme
dessen Geschenke nicht an: redeant ad cnbicnlnm vestrom mnnera.
2) Vgl. auch die Novellen Yal. tit. 12 (Si afflictis Afrorum fortunis, qni onmefl
fiacnltates snas per acerbissima snpplicia omitterc sunt coacti etc.). 18. 83 u. s.w.
3) Malch. fr. 13. 4) Prok. I, 20.
ö) Nach Olympiodor fr. 29 hätten einmal die Wandalen an die von Hunger
bedrängten Gk)ten Getreide für hohen Preis verkauft. Es kann sich dies nur
auf die Zeit der wandalischen Niederla ig in Spanien beziehen, da Olymp,
nur die Zeit bis 426 (vgl. Christ, Gesch. ( • griech. Litt.', S. 7^7) behandelte.
Innere Geschiclite des afrikanischen Reiches. 191
Pferde; wilde Tiere ^); Marmorsteine, während besonders Goldsachen^
kostbare Stoffe und andere Luxusgegenstände importiert wurden.^)
Kirche. Der kSnigUcHen Gewalt unterliegt die arianisehe wie
die katholische Kirche; die Besetzung der Bistümer ist von der
Zustimmung des Staatsoberhauptes abhängig; die Synoden werden
vom König berufen oder treten nur mit seiner Erlaubnis zusammen.
Wann die Wandalen zum Christentum übergetreten sind; ist nicht
überliefert. Die Asdingen sind wahrscheinlich in ihren Sitzen an
der oberen Theifs durch gotische Missionare zum Arianismus bekehrt
worden; die Silingen dagegen und Alanen, wie auch die Sweben')
waren wohl noch zur Zeit ihres Einbruches in Gallien und Spanien
Anhänger des heidnischen Glaubens und sind erst nach ihrer Ver-
einigung mit den Asdingen Arianer geworden. Dafs die Wandalen
in Spanien arianisehe Christen (haeretici) waren, bezeugt ausdrücklich
Salvian (de gub. dei VU, 45 ff., vgl. V, 14); es wird hier auch an-
läßlich der 421 oder 422 gegen die Römer gelieferten Schlacht
hervorgehoben, in wie hohem Ansehen bei jenen die Bibel, d. L die
gotische WulfilaS; stand.
Nach der Besetzung Afrikas wurden , wie schon oben ausgeführt;
die katholischen Kleriker aus den Landbezirken der Prokonsular-
proyinZ; sowie aus der Hauptstadt Karthago völlig ausgetrieben und
die erledigten Stellen an arianisehe Geistliche mit dem gesamten
Kirchenyermögen überwiesen.^) In den übrigen Landesteilen befanden
sich anfanglich keine odier nur wenige arianisehe Priester; erst unter
Hunerich; der überhaupt alle katholischen Kirchen den Arianern
schenkte (was freilich niemals ganz zur Durchführung gelangte);
sind solche in gröfserer Zahl eingesetzt worden.^) Der in Karthago
residierende Bischof führte den Titel Patriarch^) und übtC; wie die
Metropoliten^; eine oberste Gewalt über den gesamten arianischen
Episkopat im Wandalenreiche aus. Dafs ihm Notare zur Seite standen,
zeigt Vict. Vit. III; 29. Unter den einzelnen Bischöfen und deren Straf-
g^walt unterworfen^) standen die verschiedenen Klassen der niederen
1) Wilde Tiere bildeten sclion zur Zeit des Plinius einen Hauptexport-
artikel Numidiens (Hist. nat. Y, 3) ; Trasamund schickte solche zum Geschenk
an Theoderich (vgl. oben). 2) Anth. lat. no. 376.
3) Über die Sweben vgl. Dahn, Könige VI*, 564.
4) Dafs auch Privatgüter an dieselben verliehen -wurden, zeigt Vit. Fulg. c. 1.
ö) Ein arianischer Bischof in Tipasa, Vict. Vit. 111,29; ein solcher in der
Byzacena, ibid. 111,42.
6) Vict. IT, 13. 64. Die Berechtigung, diesen Titel zu führen, wurde
natürlich von den Katholiken bestritten, ibid.
7) Vgl. dazu Hinschius, Kirchenrecht 11, Iff. 8) Vgl. Vit. Fulg, cap. 11.
192 Tiertes Buch.
Geistlichkeit; wie in der orthodoxen Kirche werden Presbyter und
Diakonen erwähnt.^) Das Mönchtum, das überhaupt dem welt-
freudigen Arianismus unbekannt war^), ist auch hier nicht vertreten
gewesen; der Yict. 11^ 2 genannte monachus Clementianus war
Manichäer, nicht Arianer, wie Papencordt, S. 273, meint. Die Bis-
tümer wurden jedenfalls durch direkte königliche Ernennung besetzt;
der Patriarch scheint häufig aus der bei den Hofhaltungen des
Königs oder der Prinzen angestellten Geistlichkeit hervorgegangen
zu sein: so Jucundus, der anfanglich Kaplan bei Geiserichs Sohn
Theoderich war. Der arianische Gottesdienst wurde, wie bei den
übrigen Germanen, in der Volkssprache abgehalten, vgl. dazu Vict.
II, 4 und (Pseudo-)Augustinus, epist. 178 (Migne 33, 1156), wo der
Anfang eines wandalischen Gebetes angeführt wird (Wrede, Sprache
der Wandalen, S. 18). Die Kleriker waren daher in ihrer Mehrzahl
germanischer Nationalität, zum gröfsten Teil wohl auch diejenigen,
welche in den Quellen unter lateinischen Namen erscheinen. Es
werden genannt Clementianus (Vict. 11, 2), ein Diakon Marivad (I, 48),
die Presbyter Anduit (I, 41) und Felix (natione barbarus, vgl. Vit.
Fulg. c. 9), die Bischöfe Antonius (Vict. III, 42) und Pinta (Vit. Fulg.
c. 23), die Patriarchen Jucundus und Cyrila. Dazu kommen ver-
schiedene Konvertiten, wie Fastidiosus (Migne 65, 375), Elpidoforus
(Vict. Vit. ni, 34). Cyrila erklärte bei dem Religionsgespräch in
Karthago, des Lateinischen nicht mächtig zu sein, eine Behauptung,
die ihm von den anwesenden katholischen Bischöfen widerlegt wurde
(Vict. n, 55). Eine besondere Machtstellung im Staate hat der wan-
dalische Klerus nicht eingenommen; gröfserer Einflufs ist von dem-
selben nur in den religiösen Fragen und auch in diesen nur unter
Hunerichs Regierung ausgeübt worden. Wir haben schon gesehen,
dafs die Könige bei derartigen Angelegenheiten den Rat der Geist-
lichkeit einholten und dieser auch die Ausführung der einzelnen Ver-
ordnungen übertrugen. Dafs es dabei zu Kompetenzüberschreitungen
kam, läfst der zwischen den beiden Konfessionen bestehende Haus
sehr begreiflich erscheinen; aber auch sonst sind die arianischen
Priester vielfach ganz eigenmächtig gegen die Anhänger des ortho-
doxen Glaubens in der grausamsten Weise vorgegangen.*) Es ist
daher durchaus unbillig, wenn man alle verübten Gewaltthaten dem
wandalischen Königtum auf die Rechnung setzt.
1) Vict. n, 1. 16. n, 42. 2) Vgl. Ficker, Ztschr. f. Kirchengesch. XXI, 27.
3) Vgl. Vit. Ftdg. c* 1.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 193
Der oben gegebenen Schilderung der Lage der katholischen Kirche
unter wandaüscher Herrschaft ist an dieser Stelle nur weniges noch
hinzuzufügen. Dafs die Wandalen schon in Gallien und Spanien die
Orthodoxen um ihres Bekenntnisses willen verfolgt hätten, ist gänz-
lich unerweislich; wenn damals zahlreiche Priester hingemordet worden
sind, so ist dies ledigUch eine Folge des aUgemeinen Kriegszustan'des
gewesen; übrigens stammt die Überlieferung, die hiervon zu berichten
weifs, zum gröfsten Teile aus späterer Zeit und ist darum von zweifel-
haftem historischen Werte. Geiserich ist in Afrika, nachdem die
Stürme der Erobenmg vorbeigegangen und die Dotierung der aria-
nischen Staatskirche vollzogen war, nur gegen diejenigen Anhänger
des Orthodoxismus vorgegangen, von denen Gefahr für den Staat zu
besorgen war. Der Klerus aufserhalb der Wandalenlose wurde scharf
beaufsichtigt, jedoch, wenn er dem königlichen Willen nicht zuwider-
handelte und sich auf die Ausübung seiner Amtsobliegenheiten be-
schränkte, nicht beheUigt. Die eigentlichen Verfolgungen begannen
erst unter Hunerich und wurden nach einer Friedenspause unter
Gunthamund von Trasamund, wenn auch in wesentlich milderer Form,
fortgesetzt. Hilderich gab der katholischen Kirche ihre volle Freiheit
wieder; sein Nachfolger Gelimer, ein eifriger Arianer, war durch die
politischen Verwickelungen zu sehr in Anspruch genommen, um sich
auf jenem Gebiete bethätigen zu können. Die kirchlichen Verhältnisse
erlitten somit nur vorübergehende, nicht dauernde Störungen imd
haben keinen wesentlichen Schaden erlitten; vielmehr haben die Ver-
folgungen wesentlich dazu beigetragen, die innere Kraft der afrika-
nischen Kirche zu stählen. So ist auch das bischöfliche Archiv in
Karthago völlig intakt geblieben.^) Über die Verfassungszustände im
einzelnen erfahren wir, dafs wie bisher die Vorsteher der Bistümer
von Klerus und Gemeinde gewählt und von den benachbarten Biscliöfen
unter Genehmigung des Metropoliten geweiht wurden (Vict.Vit.II, 1 fif.,
besonders Vit. Fulg. cap. 17, vgl. Hinschius, Kirchenrecht 11, 513). Das
Bestätigungsrecht hat der König stets ausgeübt, wie zahlreiche Quellen-
stellen bezeugen. Katholische Synoden sind zur Wandalenzeit nur
drei in Afrika abgehalten worden, und zwar unter Hilderich, der
aber ohne Zweifel seine ausdrückliche Genehmigung zu ihrem Zu-
sammentritt gegeben hat: von einem Bischof heifst es "iii den Akten
des karthaginiensischen Konzils, dafs er durch königlichen Befehl
1) Vgl. Günther in den Sitzungsberichten der Wiener Akad. Phil.-hist. Kl.
Bd. 134, V, 27.
Schmidt, Wandalen. 13
194 Viertes Buch.
(praeceptio regalis) am Erscheinen verhindert sei.^) Das Religions-
gespräch Yon Karthago a. 484; das ganz unter dem Einflüsse des
Königs stand, gehört nicht hierher, — Zu bedeutender Entwickelung
gelangte in jener Zeit, namentlich im sechsten Jahrhundert, das
Mönchswesen. Die Verkommenheit und das üppige Leben nicht allein
des Laien-, sondern auch des Priesterstandes, die trüben politischen
Verhältnisse veranlafsten viele, die Welt zu fliehen und in beschau-
licher Buhe und Enthaltsamkeit ein Gott gefälliges Leben zu führen.
Die herrschende mönchische Tendenz tritt namentlich in den Er-
zählungen der Vita Fulgentii deutlich hervor. Zu gröfserem Einflufs
gelangte das Mönchtum dadurch, dafs zahlreiche Bistümer unbesetzt
waren und ihm nun die Aufgabe zufiel, die Interessen der katholischen
Kirche zu vertreten. Dafs zwischen jenem und dem Episkopat nach
der Restitution durch Hilderich eine Spannung entstand, war daher
sehr begreiflich; die Spuren eines solchen Gegensatzes sind nament-
lich aus den Verhandlungen des Konzils von 525 ersichtlich.*) Dafe
übrigens die Wandalen, wenigstens unter Trasamund, den Klöstern
gegenüber sich sehr tolerant zeigten, ist schon oben bemerkt worden. —
Der Primat des Bischofs von Rom war von der afrikanischen Kirche
anerkannt worden^), nachdem die durch die Verfolgungen eingetretene
Not den Klerus gezwungen hatte, engen Anschlufs an jenen zu
suchen, um dessen Fürsprache bei der weltlichen Macht zu gewinnen.
Den Wandalenkönigen waren diese „überseeischen" Verbindungen
natürlich ein Dom im Auge, und sie haben scharfe Gegenmafsregeln
ergriffen, ohne jedoch wesentliche Erfolge zu erzielen. Auffälliger-
weise hat es Trasamund geschehen lassen, dafs die nach Sardinien
verbannten Bischöfe einen regen Verkehr mit Rom unterhielten.
Über die Lage der Sekten der Donatisten, Pelagianer, Manichäer
im Wandalenreiche ist nur wenig bekannt; wahrscheinlich haben sie
dieselbe Behandlung erfahren wie die Katholiken. Fastidiosus, ein
Konvertit, bekämpfte in gleicher Weise Homousianer und Donatisten,
vgl. Fulg. epist. 9 (Migne 65, 374): et Homousianos et Donatistas ob-
jectionum suarum jaculis quasi vulnerans. Dafs Hunerich in grau-
samer Weise gegen die Manichäer vorging, die unter den Arianem
erfolgreich Bekehrungsversuche gemacht hatten, ist schon oben er-
wähnt worden.
1) MansiVm, 640 D.
2) Vgl. im allgemeinen Ficker, Zeitschr. f. Kirchengesch. XXI, 25 ff.
3) Vict. Vit. II, 43; oben S. 60.
Innere Gescliichte des afrikanischen Reiches. , 195
Die Kultur im afrikanischen Wandalenreiche. Ali^i. di0
Wandalen Afrika besetzten^ standen sie jedenfalls im wesentliiäh^ll
noch auf derselben Kulturstufe, auf der sie sich in ihren Wohnsitzen
an der Theifs befunden hatten. Ihre politische Stellung als Eroberer,
daB Zusammenwohnen in einem geschlossenen Gebiete, der schroffe
religiöse Gegensatz mufsten naturgemäfs eine raschere Beeinflussung
durch das röniische Element erschweren. Unter Gelimer hatte das
Volk in seiner Mehrheit ganz die üppige Lebensweise der Römer,
d. h. des reichen Adels, angenommen; wie Prokop sagt, wohnten die
Wandalen in prachtvollen Villen, schmückten sich mit seidenen Ge-
wändern und trugen allerhand Goldschmuck, besuchten täglich die
Bäder, ergötzten sich an Theater, Musik, Cirkusspielen, Jagden und
huldigten mit grofser Leidenschaft der Aphrodite. Die Anfänge des
Verfalls waren schon zu Anfang der Regierung Hunerichs zu Tage
getreten (vgl. Malchus fr. 13); aber noch imter diesem hielten die
Wandalen an ihrer hergebrachten Tracht fest: sie trugen lange
Haare^), Kamisole, Beinkleider*), und auch die am königlichen Hofe
angestellten Römer waren verpflichtet, sich so zu kleiden. Die haupt-
sächlich aus der Zeit Trasamunds und seiner Nachfolger stammenden
Gedichte der Anthologie zeigen uns, dafs die sittlichen Zustände der
afrikanischen Bevölkerung die gleichen waren wie vor der wanda-
lischen Eroberung. Die Buhldime spielte wieder eine grofse Rolle;
die Interessen des Volkes gingen zum grofsen Teile in den Schau-
stellungen des Cirkus imd Amphitheaters, den schlüpfrigen Dar-
stellungen der Mimen auf.*) Stätten der Unzucht waren besonders
die Badestuben; es heilst daher von Fulgentius, dafs er, als er von
der Welt sich zurückzog, nicht mehr in die Bäder ging (Vita cap. 3).
Die wohlgemeinten Sittengesetze Geiserichs, der sein Volk vor der
Ansteckung zu bewahren trachtete, hatten nur vorübergehende Er-
folge zu erzielen vermocht.
Dafs die wandalische Sprache*) im Verkehr der Volksgenossen
unter sich bis zum Ende des Reiches in Übung blieb, unterliegt
keinem Zweifel; für die Erhaltung sorgte schon der in der Volks-
sprache abgehaltene arianische Gottesdienst (vgl. auch weiter unten).
1) Dies ergiebt sich aus Vict. ü, 9.
2) camisia et femoralia Vict. I, 39.
3) Cirkus mit den Parteien der Grünen und Blauen Anth. 293. 306. 312.
324. 327. 328. 33G. Amphitheater 346. 373. Eine pantomima Macedonia 310. Ein
Mimus 386. Eine Saitenspielerin (psaltria) 361. 362. Katholische Märtyrer wurden
vielfach wie in Rom in der Arena den wilden Tieren preisgegeben. (Vgl. oben.)
4) Vgl. darüber das Nähere in der öfter angeführten Arbeit Wredes.
196 Viertes Buch.
Poch war sicher, namentlich in späterer Zeit, der Adel, überhaupt
'^q}^ die gesamte höhere Beamtenschaft (vor allem natürlich der prae-
ptfeitus regni und der Kanzler) des Lateinischen (schwerlich auch des
Griechischen, vgl. weiter unten) mächtig. Die Anthologie enthält
mehrere Gedichte, die an wandaüsche Grofse gerichtet sind: Fridamal
n. 304. 305, Oageis 345. 346. Ein solches (nicht erhaltenes) Gedicht
war es wohl auch, in dem Oamer der wandalische Achilles genannt
wurde (Prok. b. V. I, 9): Kenntnis der homerischen Epen bei den
Wandalen ist hieraus nicht zu folgern. Von dem Grammatiker Feli-
cianus (Zeit Gunthamunds) singt Dracontius carm. 1, 14, dals in seiner
Schule Barbaren wie Römer lernten. Es ist daher eine arge Über-
treibung, wenn Fulgentius (Mythol. p. 9 Helm) wahrscheinlich in Be-
ziehung auf das Schicksal des Dracontius sagt, die Barbaren seien
jeder litterarischen Thätigkeit so abgeneigt, dafs sie jeden ohne Ver-
hör zur Folter schleppen, der nur seinen Namen schreiben kann.^)
Beide Sprachen beherrschten auch die meisten der arianischen Geist-
lichen, wie sich aus der lebhaften Polemik, die zwischen den An-
hängern der beiden Konfessionen damals geführt worden ist, ergiebt
(vgl. auch oben von Cyrila); umgekehrt scheint auch ein Teil des
orthodoxen Klerus das Wandalische sich angeeignet zu haben, da
nicht ohne Erfolg katholische Propaganda in den Bezirken der Wan-
dalen getrieben worden ist.
Die Verhältnisse brachten es mit sich, dafs die Bekanntschaft
mit dem Lateinischen und überhaupt der antiken Bildung besonders
am Königshofe Wurzel fafste und Verbreitung fand. Lateinisch war
wie in den übrigen germanischen Reichen die Sprache des diploma-
tischen Verkehrs und der Gesetzgebung; auch die Eingaben der Römer
an die Regierung waren lateinisch abgefafst. Geiserich war wenigstens
in der ersten Zeit seiner Herrschaft allerdings dieser Sprache noch
nicht mächtig; er liefs sich die Vorstellungen der katholischen Bischöfe
durch einen Dolmetscher übersetzen.^) Dafs derselbe übrigens der
Erkenntnis von der Bedeutung gelehrter Bildung sich keineswegs
verschlofs, zeigt Dracontius Satisf. v. 302, wo es heifst, der König
habe dem gelehrten Vincemalos mit den Worten verziehen: dem
Menschen vergebe ich es nicht, aber seine Zunge (d. h. sein Ruhm
als Gelehrter) hat es verdient. Von dem auf Befehl Hunerichs hin-
gerichteten Enkel Geiserichs wird gerühmt, er sei magnis litteris
institutus gewesen.^) Durch umfassende wissenschaftliche Kenntnisse
1) Vgl. Rhein. Mus. 54, 125. 2) Vict. Vit. I, 18. 3) Vict. H, 13.
Innere Geschiclite des afrikanischen Reiches. 197
war namentlich König Trasamund ausgezeichnet (vgl. oben), und auch
von Hilderich, dem Sohne der Römerin Eudoxia und Freunde Justi-
nians, dürfen wir ohne weiteres annehmen, dafs ihm klassische
Bildung nicht fremd war. Bezeichnend für den steigenden Einflufs
des Bomanismus ist die Thatsache, dafs die wichtigsten Ämter am
Königshofe (sicher wenigstens das Kanzleramt, vgl. oben), die an-
fänglich nur mit Wandalen besetzt waren, später in den Händen von
Römern erscheinen. Dafs unter Hilderich das germanische Element
im Mittelpunkte des Staates ganz in den Hintergrund getreten war,
haben wir schon früher bemerkt.
Dafs der Druck der wandalischen Herrschaft, wie er namentlich
unter Geiserich und Hunerich auf der afrikanischen Bevölkerung
lastete, auf die litterarische Produktion (von der theologischen ab-
gesehen) lähmend einwirken mufste, ist natürlich. Zu einem Auf-
schwung kam es erst unter der müden Regierung Gunthamunds: von
dem damals lebenden Grammatiker Felicianus heifst es (Dracont.
carm. I, 13), dafs er die aus Afrika geflüchteten Wissenschaften
wieder nach Karthago zurückführte.^) Aus der Zeit Hunerichs ist
nur ein Dichter Cato mit Sicherheit nachweisbar, der die Wasser-
bauten des Königs verherrlichte (Anthol. 381). Ein Schüler des Feli-
cianus war der Dichter Blossius Aemilius Dracontius, der be-
gabte Verfasser der schon erwähnten Satisfactio ad Gunthamundum
regem, eines christlichen Lehrgedichtes De laudibus Dei in drei
Büchern (ebenfalls im Gefängnis geschrieben), sowie einer Anzahl
Epen, deren Stoff der antiken Sagenwelt entnommen ist.^) Der Zeit
Gunthamunds gehören auch die Werke an, die der Bischof Ful-
gentius in seiner Jugend schrieb: Liber physiologus (verloren), drei
Bücher Mytologiae, die Expositio Virgilianae continentiae, die Ex-
positio sermonum antiquorum, eine Weltgeschichte (de aetatibus mundi
et hominis) und die Schrift super Thebaidem.^) Von Fulgentius be-
richtet sein Biograph, dafs er zuerst Griechisch und dann erst La-
teinisch lernte; Kenntnis des Griechischen aber war damals etwas
Seltenes, wie sich aus einer Stelle der Expos, serm. ergiebt, und
brachte denjenigen, der nur einigermafsen diese Sprache beherrschte.
1) Vgl. auch Florentimis in laudem Trasamundi (Anth. 376) v. 32: Carthago
studiis, Carthago ornata magistris.
2) Vgl. Teuf fei, Geschiclite der römischen Litteratur § 475. Ebert, Allg.
Gesch. der Litt, des Mittelalters I*, 383 ff. Manitius, Geschichte der christl.
latein. Poesie S. 327 ff. Boissier, L'Afrique Romaine (1895) S. 261 ff.
3) Vgl. Helm, Rhein. Mus. N. F. 52 (1897) 177 ff. 54 (1899) S. 111 ff.
198 Viertes Buch.
in den Rulim groüser Gelehrsamkeit.^) Ein besonders lebhaftes litte-
rarisches Treiben entfaltete sich am Hofe der Könige Trasamund und
Hilderich.^ Die Dichter dieser Periode lernen wir hauptsächlich aus
der lateinischen Anthologie des Codex Salmasianus kennen ^ die wahr-
scheinlich zu Beginn des sechsten Jahrhunderts in Afrika selbst zu-
sammengestellt worden ist. Aus ihrer grofsen Zahl sind besonders
die Namen Luxorius, Flavius Felix, Florentinus hervorzuheben.
Die Arbeiten derselben, vorwiegend Epigramme in der Art Martials,
Verse mythologischen Inhalts und LobUeder auf die Regierungs-
thätigkeit der Fürsten, sind zum gr.öfsten Teile^ebrft^ nind ' g g »c !Btiäck-
los und den Dichtungen des Dracontius in keiner Weise ebenbürtig,
aber wertvoll als Spiegelbilder des damaligen Kulturlebens. Ein Zu-
gehöriger desselben Dichterkreises, ihn jedoch an Bedeutung weit
überragend, war wahrscheinlich der Verfasser des früher dem Ter-
tullian oder Cyprian zugeschriebenen christlichen Gedichtes: Carmen
ad Flayium Felicem de resurrectione mortuorum.*)
Zu einer grofsen Blüte gedieh im Wandalenreiche durch die
Entfesselung des Kampfes zwischen Arianismus und Orthodoxismus
die theologische Streitschriftenlitteratur. Zur Zeit Geiserichs schrieben
die Bischöfe Asclepius (in Baiensi territorio; in Numidien?) ad-
versum Arianos und adv. Donatistas (beides verloren); Victor
Cartennensis (in Mauret. Caesar.) adv. Arianos, Homilien (beides
verloren). De poenitentia publica lib. I, einen Libellus consolatorius
ad Basilium super mortem filii (die dem Victor zugeschriebene
Chronik, aus der zahlreiche Stellen in das Werk Papencordts u. a.
übergegangen sind, ist eine grobe spanische Fälschung; vgl. Watten-
bach, Geschichtsquellen 11^,489); Voconius von Castellum (Maur.
Caes.) adv. ecclesiae inimicos und Sacramentorum volumen (beides
verloren); Cerealis von Castellum, Disputation mit dem arianischen.
BischofMaximinus^) (doch vgl. S. 104, 2) und vielleicht auch ServusDei
(Gennad. c. 88). Derselben Periode gehören auch der fälschlich dem heil.
1) Helm, Rhein. Mus. 54, 127.
2) Auch aus der Zeit Gelimers sind einige Gedichte erhalten, z. B. Anthol.
lat. 341. 342.
3) Manitius S. 344 ff.
4) Gennad. de vir. ill. 74. 78. 79. 97; Isid. vir. ill. 11 und dazu die treff-
lichen Erläuterungen und Nachweisungen von Czapla und Dzialowski in
Knöpf lers Kirchengeschichtlichen Studien IV (1898), 1, S. 149. 161. 153. 2, S. 17.
Ein Teil der oben erwähnten Schriften ist jedenfalls zu einer Zeit geschrieben,
wo die Sitze dieser Bischöfe noch nicht wandalisch waren. Vgl. oben S. 76.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 199
Augustinus zugeschriebene Sermo de tempore barbarico (Migne 40^ 690)^
der Liber de promissionibus et praedictionibus Dei (vgl. oben) und das
karthagische Paschalwerk (Gomputus Carthaginiensis) vom Jahre 455
(vgl. Erusch, Studien zur christl. mittelalterl. Chronologie, S. 138 £,
219 S.) an.^) Unter Hunerich lebten: der schon öfter erwähnte
Bischof Eugenius von Karthago^ Verfasser des liber fidei catholicae
(Vict. Vit. n, 56 fif.), von epistolae commonitoriae (Migne 58, 770)
und nicht mehr erhaltenen Altercationes mit arianischen Bischöfen
(Gennad. c. 98); ferner Vigilius, Bischof von ThapsuS; der bei dem
Eeligionsgespi^h 484 anwesend war (Not. prov. Byzac. 109) und
dann wahrscheinlich nach Byzanz entfloh, schrieb: Adv. Nestorium
et Eutychen libri V pro defensione synodi Chalcedonensis, libri XII
de trinitate (?), eine Streitschrift gegen den arianischen Diakon
Varimadus (Marivad) u. a. teilweise unter den Namen des Athanasius
und Augustinus^) In den ersten Jahren Gunthamunds (um 486)
verfafste Victor Vitensis seine bekaz)||Lte, oft angezogene Historia
persecutionis Africanae provinciae, die Geschichte der Glaubens-
verfolgungen unter Geiserich und Hunerich, in 3 Büchern. Victor
war nach der Not. prov. Byzac. 44 im Jahre 484 Bischof von Vita
in der Provinz Byzacena und bei dem Beligionsgespräch in Karthago
nicht anwesend (non ocurrit)^): dies ergiebt sich auch aus der Art
seiner Erzählung von den damaligen Verhandlungen, die er nicht
als Augenzeuge schildert. Vorher scheint er ein geistliches Amt in
Karthago bekleidet zu haben, und nachdem er zur bischöflichen
Würde gelangt, ist er wiederholt in der Hauptstadt gewesen, wie
zahlreiche, nach Autopsie niedergeschriebene Stellen beweisen. Dafs
ein Werk, das nichts anderes sein will, als eine einseitige Tendenz-
schrift, Objektivität und Unparteilichkeit vermissen läfst, den Gegnern
in keiner Weise gerecht wird, ist für jeden unbefangenen Beurteiler
ohne weiteres klar. Zweifellos hat Victor sich durch seinen glühenden
Hafs häufig zu Verdrehungen der wirklichen Thatsachen hin-
reilsen lassen; anderseits aber zeigt die Aufnahme einer Anzahl
wichtiger Aktenstücke, deren Erhaltung für uns von unschätzbarem
1) Das Buch der Genealogien (Mon. Germ. Auct. ant. IX. 164 ff.) ist bereits
Yor der Wandalenzeit (427) geschrieben und sodann blofs mit einigen Zusätzen
versehen worden.
2) Teuffei, § 469,ii. Herzog und Plitt, Realencyklopädie der Protestant.
Theologie s. v. .
3) Der Annahme, dafs der hier erwähnte Victor Vit. ein anderer gewesen
sei, kann ich nicht beipflichten.
200 Viertes Buch.
Werte ist, dafs ihm historischer Sinn durchaus nicht abging.^) — Aus
derselben Zeit stammt die den Handschriften Victors angehängte
Passio Septem monachorum, ein Bericht über das Martyrium von
sieben Mönchen eines Klosters im Süden der Byzacena unter Hunerich.
Über die notitia provinciarum et civitatum Africae vgl. oben S. 107, 2.
Sehr lebhaft gestaltete sich die Polemik über die theologischen
Steitfragen unter Trasamund. Dafs dieser König sich selbst daran
beteiligte, ist schon erwähnt worden. Der wichtigste katholische
Schriftsteller dieser Zeit ist der Bischof Fulgentius von Buspe
(geb. 468, gest. 533), von dem noch zahlreiche Abhandlungen erhalten
sind: es seien aus denselben die drei Bücher gegen Trasamund, der
Liber unus contra Arianos (Antwort auf die Fragen des Königs)
und die Briefe hervorgehoben.^) Von den gewifs zahlreichen Streit-
schriften seiner arianischen Gegner ist so gut wie nichts erhalten —
wie denn überhaupt fast die ganze arianische Litteratur zu Grunde
gegangen ist — ; wir kennen nur einige Namen aus den Gegen-
schriften, wie Pinta, Fabianus, Fastidiosus (ein Sermo des letzt-
genannten ist noch vorhanden: Migne 65, 375 f.). Einer seiner Schüler,
der auch mit ihm in Sardinien in der Verbannung lebte, schrieb
seine Biographie, deren Vollendung um 535 fällt, und die, wie wir
schon sahen, eine wertvolle Quelle für die Geschichte des Wandalen-
reiches ist. Die Annahme, dafs Ferrandus, Diakon zu Karthago,
von dem noch einige Briefe erhalten sind, der Verfasser sei, ist un-
begründet.^)
Zu erwähnen ist endlich noch, dafs die Chronik Prospers in
Afrika mehrfache Bearbeitungen mit für uns nicht unwichtigen Zu-
sätzen erfahren hat, vgl. Mommsen, Chronica minora I, 486flf. Eine
wertvolle Quelle ist namentlich der öfter citierte Laterculus regum
Wandalorum et Alanorum (Chron. min. III, 458 fif., in 2 Rezensionen
erhalten), der zwar erst nach dem Sturze des Wandalenreiches ge-
schrieben ist, dem aber ohne Zweifel ältere, sehr zuverlässige und
genaue Aufzeichnungen zu Grunde liegen.^)
1) Über Vict. Vit. bes. Ebert I *, 454. Auler a. a. 0. und die Übersetzung
Victors von M. Zink (Bamberg 1883), Einleitung. Vgl. auch Görres in der deutschen
Ztschr. für Geschichtswiss. X, 17. Ganz unbrauchbar ist die Dissertation von
Alb. Schönfelder, De Victore Vitensi episcopo. Vratislav. 1899, die ebenso ein-
seitig ist, wie das Werk Victors selbst.
2) Vgl. Ficker in der Ztschr. f. Kirchengesch. XXI, 13fiF.
3) Vgl. Ficker a. a. 0., S. 10 ff.
4) Vgl. dazu auch Holder-Egger, Neues Archiv I (1876), S. 46 f.
Innere Geschichte des afrikanischen Reiches. 201
Von wandalischer Volkspoesie ist leider nichts erhalten; aber
wir wissen, daXs Gelimer ein Lied (natürlich in der Volkssprache)
auf sein Schicksal zur Zither dichtete (Prok. 11, 6). Dafs namentlich
die Grofsthaten Geiserichs in nationalen Gesängen gefeiert worden
sind, unterliegt bei dem grofsen Ansehen, in dem dieser König bei
seinem Volke stand, kaum einem Zweifel.
Über die Kunst im Wandalenreiche läfst sich gegenwärtig
etwas Abschlielsendes noch nicht sagen, da die Ausgrabungen der
französischen Regierung in Afrika fortwährend neue Resultate ergeben.
Von einer national -wandalischen Kunst darf man jedoch kaum
sprechen; was in jener Zeit produziert worden ist, stammt jedenfalls
in der Hauptsache von Römern her und ist höchstens durch die
Wandalen beeinflufst worden. Nur von dem Waffenschmiedehandwerk
könnte man nach Analogie anderer, auf ähnlicher Kulturstufe
stehender Völker annehmen, dafs es von den Wandalen selbst aus-
geübt worden ist (vgl. auch die Bemerkung Hartmanns über die
Kunst der Langobarden, Geschichte Italiens im Mittelalter II, 1, 32,
Note l4). Eine besonders lebhafte Bauthätigkeit entfaltete der pracht-
liebende König Trasamund: derselbe liefs den Ort Alianae wieder-
herstellen, wo er nun mit Vorliebe residierte, und schmückte ihn mit
herrlichen Gebäuden.^) Hier lagen wohl die den Namen des Königs
tragenden Bäder, die Thermae Trasamundiacae^), der neu errichtete
königliche Palast und das Gotteshaus, deren der Dichter Felix
(Anthol. 213,6 ff.) rühmend gedenkt. Diese Kirche ist wohl identisch
mit der Basilica palatii sanctae Mariae, für die der Referendar Petrus
drei Verse als Inschrift verfasste (Anth. 380). Vielleicht aus derselben
Zeit stammt die berühmte Basilika zu Ammaedara (Haidra), in der
Inschriften mit der Angabe des 14. Regierungsjahres Trasamunds
und des 4. Jahres Hilderichs gefunden worden sind.^) Auch die
kürzlich entdeckte Basilika zu Alamiliaria in Mauret. Caesar, (in
diesem Orte erscheint 484 ein Bischof, vgl. Not. prov. Maur. Caes. no. 33)
ist nach einer Mitteilung des Herrn St. Gsell in Algier in der Wan-
dalenzeit erbaut worden. Neu errichtete Gebäude waren wohl ferner das
1) Anthol. lat. 376,19 ff.
2) Anthol. 210 ff. Vgl. Tissot 1,661.
3) Vgl. Cagnat in den Archives des missions scientifiques et litt^raires.
3. s^r. Tom. XII (1885), S. 231 (no. 257) und Saladin ebenda Xm (1887), S. 181.
F. X. Kraus, Geschichte der christlichen Ktmst I, 276. Schwarze, Afrikan.
Kirche, S. 49 (die Inschrift aus dem 14. Jahre Trasamunds wird von letzterem
S. 64 fälschlich als in der Kirche zu Theveste gefunden angegeben).
13*
202 Viertes Buch.
königliche Schlofs zu Grasse, der Wohnsitz des Fridamal (Anth.
304. 305) u. a. Dafs bei diesen Bauten besonders Marmor (jedenfalls
aus den numidischen Steinbrüchen) Verwendung fand und bild-
hauerischer sowie malerischer Schmuck in reichem Mafse angebracht
wurde, wird in den Gedichten vielfach hervorgehoben. Den Wan-
dalen werden sodann zugeschrieben mehrere neuerdings ausgegrabene
Schmuckgegenstände (Gürtelschnallen u. dergl.), deren Verzeichnis
nebst Abbildungen sich in Description de l'Afrique du Nord. Musees
et coUections arch^ol. de TAlg^rie et de la Tunisie. Collection Farges
par Maur. Besnier et Paul Blanchet (Paris 1900), S. 66 f. pl. X findet.
Der aus dem wandaHschen Königsschatz stammenden sübernen
Schüssel mit dem Namen G^limers ist schon oben gedacht worden.
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